Nonagentive Konstruktionen des Deutschen 9783110495430, 9783110494860

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Nonagentive Konstruktionen des Deutschen
 9783110495430, 9783110494860

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Teil 1: Einleitung
Einleitung
1.1 Hinführung
1.2 Fragestellungen
1.3 Hinweise zur Lektüre
Teil 2: Theoretische und methodische Grundlagen
2 Prämissen der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik
2.1 Konstruktion
2.2. Sprachgebrauchsbasiertheit und Konstruktikon
3 Im Fokus: Konstruktionsbedeutungen
3.1 Strukturschemata zur Angabe von Konstruktionsbedeutungen
3.1.1 Form und Bedeutungsseite einer Konstruktion bei Goldberg
3.1.2 Relativierung funktionaler Kategorien bei William Croft
3.1.3 FrameNet
3.1.4 Prädikations- und Aussagerahmen als Dimensionen der Konstruktionsbedeutung nach Peter von Polenz
3.2 Integriertes Modell: Strukturschema einer Konstruktion
3.2.1 Relationierung von Konstruktions- und Verbbedeutung
3.2.2 Interne Struktur der Konstruktion
3.2.3 Das Konstruktikon als semantisches Netzwerk
Teil 3: Passivische Strukturen des Deutschen als Gegenstand der Konstruktionsgrammatik
4 Passivische Strukturen im Spiegel funktionaler Grammatiken
4.1 Überblick über den Forschungsstand
4.2 Klassifikation passivischer Strukturen
4.2.1 Das so genannte sein-Passiv
4.2.2 Das so genannte bleiben-Passiv
4.2.3 Das so genannte werden-Passiv
4.2.4 Das so genannte bekommen-Passiv
4.2.5 Das so genannte gehören- und haben-Passiv
4.2.6 Weitere Passivformen
4.3 Ein Beispiel: Die lexikalisch teilspezifizierte Konstruktion Henrike abgeholt!
4.4 Zusammenfassung: Diskussion und Desiderata
5 Nonagentive Konstruktionen als Hypothese
5.1 Prinzipien der Modellierung
5.1.1 Perspektivität
5.1.2 Agentivität & Nonagentivität
5.1.3 Auxiliarität
5.1.4 Tempus & Temporalität, Modus & Modalität
5.1.5 Reflexive Konstruktionen
5.1.6 Negation
5.2 Struktur nonagentiver Konstruktionen
5.2.1 Formen nonagentiver Konstruktionen
5.2.1.1 Prototypische Konstruktionen
5.2.1.2 Konstruktionen der ASKRIPTION
5.2.1.3 Konstruktionen der KOMMUTATION
5.2.1.4 Konstruktionen der AKZEPTATION
5.2.2 Wieder einmal: zur Rolle des Verbs
5.2.3 Zur (semantischen) Rolle der eingebetteten Konstruktionen
5.2.3.1 Objekte (AOB, EOB, SOB), Patiens (PAT) & Benefaktiv (BEN)
5.2.3.2 Qualitativ (QUAL)
5.2.3.2.1 (Deverbale Adjektive aus) Partizipien
5.2.3.2.2 Adjektive
5.2.3.2.3 Modale Infinitive
5.2.3.2.4 Progressive
5.2.3.3 Partitiv (PAR), Additiv (ADD) & Privativ (PRIV) & Possessiv (POS)
5.3 Zusammenfassung
Teil 4: Rekonstruktion nonagentiver Konstruktionen aus dem Sprachgebrauch
6 Untersuchungsdesign
6.1 Quantitative korpuslinguistische Untersuchung
6.2 Quantitative korpuslinguistische Untersuchung
6.3 Parameter der Untersuchung
6.3.1 Systematische Erfassung sprachlicher Muster
6.3.2 Untersuchte Verben
6.3.3 Berücksichtigte Qualitative
6.3.4 Zusammenfassung
7 Konstruktionen der ASKRIPTION
7.1 Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: sein
7.2 Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben
7.3 Konstruktionen der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung
7.3.1 Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(˜modal) mit scheinen und erscheinen
7.3.1.1 scheinen
7.3.1.2 erscheinen
7.3.2 Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(˜modal) mit wirken
7.3.3 Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(˜modal) mit aussehen
7.4 Zusammenfassung und Ausblick
8 Konstruktionen der KOMMUTATION
8.1 Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden
8.2 Die konstruktionsgrammatische Alternative: nonagentive Konstruktionen mit werden als Konstruktionen der ASKRIPTION
9 Konstruktionen der AKZEPTATION
9.1 Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung
9.1.1 bekommen
9.1.2 kriegen
9.1.3 erhalten
9.2 Überlegungen zu behalten in Konstruktionen der AKZEPTATION und Zusammenfassung
10 Intermediäre Konstruktionen
10.1 Aktualisierung der kommunikativen Perspektivität nonagentiver Konstruktionen
10.1.1 Einbettung des modalen Infinitivs in Konstruktionen der ASKRIPTION und AKZEPTATION
10.1.2 Werden in der Konstruktion der KOMMUTATION mit deontischer Lesart? Das so genannte ‚unpersönliche Passiv‘
10.1.3 Konstruktionen mit der Prädikatsklasse VORGANG in analytischen Vergangenheitstempora
10.1.4 Analytisches Präsens‘ und ‚analytisches Präteritum der Modalkonstruktionen‘
10.2 Multiple Vererbung
10.2.1 gehören in nonagentiven Konstruktionen
10.2.2 haben in nonagentiven Konstruktionen
10.2.3 Ein Rückblick: wirken in der Konstruktion der ASKRIPTION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung?
10.3 Zusammenfassung
Teil 5: Ergebnisse und Resümee
11 Ergebnisse und Resümee
11.1 Nonagentive Konstruktionen im Konstruktikon
11.2 Zusammenschau
Teil 6: Verzeichnisse
12 Verzeichnisse
12.1 Abkürzungen
12.1.1 Semantische Rollen
12.1.2 Tagset und Annotationen
12.2 Abbildungen
12.3 Literatur
12.3.1 Untersuchungsbasis und Internetverweise
12.3.2 Belegsammlungen
12.3.2.1 ASKRIPTION
12.3.2.2 KOMMUTATION
12.3.2.3 AKZEPTATION
12.3.2.4 Intermediäre Konstruktionen
12.3.3 Forschung
Teil 7: Anhang
Konstruktikon

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Alexander Lasch Nonagentive Konstruktionen des Deutschen

Sprache und Wissen

Herausgegeben von Ekkehard Felder Wissenschaftlicher Beirat Markus Hundt, Wolf-Andreas Liebert, Thomas Spranz-Fogasy, Berbeli Wanning, Ingo H. Warnke und Martin Wengeler

Band 25

Alexander Lasch

Nonagentive Konstruktionen des Deutschen

Habilitationsschrift zur Erlangung der Venia Legendi, Philosophische Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, 1. Juni 2016

ISBN 978-3-11-049486-0 e-ISBN [PDF] 978-3-11-049543-0 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-049230-9 ISSN 1864-2284 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com

| Für Lewin. Du fehlst mehr, als ich es auszudrücken vermag.

Vorwort Der Grundstein zu dieser Studie, die die Philosophische Fakultät der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel im Sommersemester 2016 als Habilitationsschrift annahm, wurde im Seminar „Konstruktionsgrammatik“ an der CAU zu Kiel 2007 gelegt. Seitdem sind einige Jahre vergangen, was, wie ich gleich erläutern möchte, vor allem mit der Wahl von Methode und Gegenstand begründet ist. Eine Studie zu einem kerngrammatischen Problem, wie den so genannten Handlungsformen des Verbs oder eine vergleichbare, liegt bisher aus konstruktionsgrammatischer Perspektive nicht vor. Man kann sich fragen, warum das so ist. Die Antworten darauf sind vielfältig und nicht immer befriedigend. (1) Zum einen ist es sicher so, dass die theoretischen Ansätze und methodischen Zugänge in den letzten 10 Jahren erst entwickelt werden und auf die Gegenstandssprache Deutsch eine Anpassung erfahren mussten. Das verwundert sehr angesichts einer Perspektive auf Form und Bedeutung sprachlicher Einheiten, die seit den 1970ern ausgebaut wird. Blickt man allerdings genauer auf die Forschungstradition und die vorgelegten Studien, dann wird schnell deutlich, dass zwar ab 1995 erste gebrauchsbasierte Ansätze ausgearbeitet vorlagen, diese jedoch erst nach Diskussionen im Fach ab 2003 bzw. 2006 hinsichtlich ihrer Prämissen so angepasst worden sind, dass z.B. korpuslinguistische quantitative Studien in vollem Umfang durch den theoretischen Ansatz abgedeckt wurden. (2) Zum anderen ist es sicher so, dass das holistische Prinzip, alle sprachlichen Phänomene über das Konzept der Konstruktion beschreiben zu wollen, forschungspraktisch und kommunikationsstrategisch nicht die besten Voraussetzungen bot, um erste spezifische Studien in der Breite auszurichten und zweitens mit anderen Grammatikansätzen oder interpretierenden Bereichen wie der Text- oder Diskurslinguistik früh ins Gespräch zu kommen. So wählten die konstruktionsgrammatischen Studien speziell zum Deutschen bisher eher randständige Phänomene, die zwar geeignet waren, die Leistungsfähigkeit des Ansatzes zu illustrieren, systematische Darstellungen zu einem grammatischen Kernphänomen blieben Desideratum. (3) Zum dritten sind vorliegende Forschungsarbeiten nur bedingt eine Hilfe bei einer sprachgebrauchsbasierten Untersuchung, zumindest was die systematische Auswertung von Material angeht. Denn in der Forschung werden ‚immer vor allem Thesen wiederholt‘ (Lenz 2013) und Studien auf der Basis schriftsprachlicher Korpora kaum vorgelegt. Diese Herausforderungen auf theoretischer wie praktischer Seite wirkten sich auch auf die Genese dieser Studie aus: Einzelne Ergebnisse wurden bisher verstreut publiziert (Lasch 2014a und b; Lasch & Ziem 2014; Lasch 2015a, b

VIII | Vorwort

und c sowie im Druck und Ziem & Lasch 2015), Prämissen an dieser oder jener Stelle diskutiert und präzisiert (vgl. einführend Lasch & Ziem 2011; die Kap. 9-12 in Ziem & Lasch 2013: 110-186), erneut abgewogen (vgl. Lasch 2014b), umformuliert (vgl. Lasch 2014a, Lasch 2015a und b) und neu publiziert (Lasch 2015c und im Druck). Die vorliegende Studie stellt also gewissermaßen gleichzeitig ein spezifisches Ergebnis wie den Zwischenstand einer Entwicklung dar, den die konstruktionsgrammatische Adaptation auf die Gegenstandssprache Deutsch in den letzten vier Jahren nahm. Danken möchte ich besonders Markus Hundt für die stete Unterstützung und die fruchtbaren Gespräche und Diskussionen – er hat mich immer wieder darin bestärkt, Fragen unkonventionell und abseits der gewohnten Pfade zu beantworten. Bei den Gutachtern im Habilitationsverfahren, neben Markus Hundt sind das namentlich Christa Dürscheid, Michael Elmentaler und Jörg Kilian stellvertretend für den Gutachterkreis, möchte ich mich für die konstruktive Kritik und die Hinweise bedanken, die in die Druckfassung eingegangen sind. Ekkehard Felder möchte ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Sprache und Wissen“ danken. Alexander Ziem bin ich zu Dank für die gemeinsame Arbeit und die Gespräche verpflichtet – ich hoffe und bin zuversichtlich, dass dieser Band nicht den Schlusspunkt des Werbens für die konstruktionsgrammatische Perspektive markiert. Sebastian Veletic unterstützte mich bei der Einrichtung der Verzeichnisse für diese Studie und bei einem Teil der Korrektur. Auch ihm sei gedankt. Meiner Familie möchte ich danken für die Unterstützung vor allem in der Phase der Fertigstellung der Arbeit: Manches Kapitel läge jetzt noch in Bearbeitung auf meinem Schreibtisch, wenn Friederike, Leonard, Henrike und Mathilde mich so in Anspruch genommen hätten, wie ich es ihnen schuldig bin.

Inhalt Teil 1: Einleitung  1 1.1 1.2 1.3

Einleitung | 3 Hinführung | 3 Fragestellungen | 5 Hinweise zur Lektüre | 7

Teil 2: Theoretische und methodische Grundlagen  2 2.1 2.2

Prämissen der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik | 13 Konstruktion | 13 Sprachgebrauchsbasiertheit und Konstruktikon | 17

3 3.1

Im Fokus: Konstruktionsbedeutungen | 23 Strukturschemata zur Angabe von Konstruktionsbedeutungen | 23 Form und Bedeutungsseite einer Konstruktion bei Goldberg | 25 Relativierung funktionaler Kategorien bei William Croft | 30 FrameNet | 32 Prädikations- und Aussagerahmen als Dimensionen der Konstruktionsbedeutung nach Peter von Polenz | 36 Integriertes Modell: Strukturschema einer Konstruktion | 44 Relationierung von Konstruktions- und Verbbedeutung | 45 Interne Struktur der Konstruktion | 46 Das Konstruktikon als semantisches Netzwerk | 50

3.1.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3

Teil 3: Passivische Strukturen des Deutschen als Gegenstand der Konstruktionsgrammatik  4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3

Passivische Strukturen im Spiegel funktionaler Grammatiken | 57 Überblick über den Forschungsstand | 58 Klassifikation passivischer Strukturen | 67 Das so genannte sein-Passiv | 67 Das so genannte bleiben-Passiv | 72 Das so genannte werden-Passiv | 73

X | Inhalt

4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.3 4.4

Das so genannte bekommen-Passiv | 79 Das so genannte gehören- und haben-Passiv | 84 Weitere Passivformen | 88 Ein Beispiel: Die lexikalisch teilspezifizierte Konstruktion Henrike abgeholt! | 90 Zusammenfassung: Diskussion und Desiderata | 96

5 Nonagentive Konstruktionen als Hypothese | 99 5.1 Prinzipien der Modellierung | 99 5.1.1 Perspektivität | 100 5.1.2 Agentivität & Nonagentivität | 107 5.1.3 Auxiliarität | 110 5.1.4 Tempus & Temporalität, Modus & Modalität | 112 5.1.5 Reflexive Konstruktionen | 118 5.1.6 Negation | 120 5.2 Struktur nonagentiver Konstruktionen | 120 5.2.1 Formen nonagentiver Konstruktionen | 121 5.2.1.1 Prototypische Konstruktionen | 121 5.2.1.2 Konstruktionen der ASKRIPTION | 122 5.2.1.3 Konstruktionen der KOMMUTATION | 124 5.2.1.4 Konstruktionen der AKZEPTATION | 127 5.2.2 Wieder einmal: zur Rolle des Verbs | 129 5.2.3 Zur (semantischen) Rolle der eingebetteten Konstruktionen | 132 5.2.3.1 Objekte (AOB, EOB, SOB), Patiens (PAT) & Benefaktiv (BEN) | 133 5.2.3.2 Qualitativ (QUAL) | 134 5.2.3.2.1 (Deverbale Adjektive aus) Partizipien | 135 5.2.3.2.2 Adjektive | 139 5.2.3.2.3 Modale Infinitive | 140 5.2.3.2.4 Progressive | 143 5.2.3.3 Partitiv (PAR), Additiv (ADD) & Privativ (PRIV) & Possessiv (POS) | 145 5.3 Zusammenfassung | 146

Teil 4: Rekonstruktion nonagentiver Konstruktionen aus dem Sprachgebrauch  6 6.1 6.2

Untersuchungsdesign | 151 Quantitative korpuslinguistische Untersuchung | 151 Quantitative korpuslinguistische Untersuchung | 169

Inhalt | XI

6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4

Parameter der Untersuchung | 180 Systematische Erfassung sprachlicher Muster | 180 Untersuchte Verben | 182 Berücksichtigte Qualitative | 182 Zusammenfassung | 183

Konstruktionen der ASKRIPTION | 185 Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: sein | 185 7.2 Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben | 218 7.3 Konstruktionen der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 253 7.3.1 Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit scheinen und erscheinen | 254 7.3.1.1 scheinen | 254 7.3.1.2 erscheinen | 273 7.3.2 Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken | 291 7.3.3 Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit aussehen | 310 7.4 Zusammenfassung und Ausblick | 325 7 7.1

8 8.1 8.2

9 9.1 9.1.1 9.1.2 9.1.3 9.2

Konstruktionen der KOMMUTATION | 327 Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 328 Die konstruktionsgrammatische Alternative: nonagentive Konstruktionen mit werden als Konstruktionen der ASKRIPTION | 356 Konstruktionen der AKZEPTATION | 363 Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 364 bekommen | 365 kriegen | 387 erhalten | 400 Überlegungen zu behalten in Konstruktionen der AKZEPTATION und Zusammenfassung | 417

XII | Inhalt

10 10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3

10.3

Intermediäre Konstruktionen | 421 Aktualisierung der kommunikativen Perspektivität nonagentiver Konstruktionen | 422 Einbettung des modalen Infinitivs in Konstruktionen der ASKRIPTION und AKZEPTATION | 422 Werden in der Konstruktion der KOMMUTATION mit deontischer Lesart? Das so genannte ‚unpersönliche Passiv‘ | 427 Konstruktionen mit der Prädikatsklasse VORGANG in analytischen Vergangenheitstempora | 429 ‚Analytisches Präsens‘ und ‚analytisches Präteritum der Modalkonstruktionen‘ | 431 Multiple Vererbung | 434 gehören in nonagentiven Konstruktionen | 435 haben in nonagentiven Konstruktionen | 454 Ein Rückblick: wirken in der Konstruktion der ASKRIPTION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung? | 461 Zusammenfassung | 464

Teil 5: Ergebnisse und Resümee  11 11.1 11.2

Ergebnisse und Resümee | 469 Nonagentive Konstruktionen im Konstruktikon | 469 Zusammenschau | 475

Teil 6: Verzeichnisse  12 Verzeichnisse | 485 12.1 Abkürzungen | 485 12.1.1 Semantische Rollen | 485 12.1.2 Tagset und Annotationen | 486 12.2 Abbildungen | 486 12.3 Literatur | 499 12.3.1 Untersuchungsbasis und Internetverweise | 499 12.3.2 Belegsammlungen | 499 12.3.2.1 ASKRIPTION | 499 12.3.2.2 KOMMUTATION | 500 12.3.2.3 AKZEPTATION | 500

Inhalt | XIII

12.3.2.4  12.3.3 

Intermediäre Konstruktionen | 500  Forschung | 500

Teil 7:  Anhang   Konstruktikon | 514 

   

| Teil 1: Einleitung

1 Einleitung Diese Studie widmet sich ausführlich der Beschreibung und Analyse nonagentiver Konstruktionen. Aus konstruktionsgrammatischer Perspektive sind das solche sprachlichen Muster, die auf der Ebene der Periphrase dem ‚AgensPatiens-Schema‘ entgegenlaufen, indem sie eine alternative Perspektive auf einen in Sprache ausgedrückten Sachverhalt etablieren. Darunter fallen etwa passivische oder reflexive Konstruktionen, in die Verben als Filler eingebettet werden können und in deren Argumentstruktur kein Agens (AG) vorgesehen ist. In der vorliegenden Studie wird ein großer Teil dieser verschiedenen Konstruktionen im Fokus stehen, nämlich die passivischen Strukturen des Deutschen. Es wird das Ziel verfolgt, passivische Strukturen als Konstruktionen mit eigener Perspektivierungsleistung zu beschreiben, sie in einem Netzwerk von Konstruktionen (‚Konstruktikon‘) zu verorten und Besonderheiten der Konstruktionen auf der Basis ihrer Realisierungen im Sprachgebrauch zu erfassen. Damit betritt diese Arbeit Neuland in zweierlei Hinsicht. Zum einen wurden der Diskussion um passivische Strukturen bisher kaum Arbeiten zugeführt, die sich mit Sprachgebrauchsmaterial auseinandersetzen. Zum andern liegt bisher keine konstruktionsgrammatische Studie vor, die sich mit der Perspektivierungsleistung nonagentiver Konstruktion befasst.

1.1 Hinführung Die Forschungsschwerpunkte konstruktionsgrammatischer Studien liegen im Moment zentriert im Bereich der Grammatikalisierung, der Erforschung des Spracherwerbs und der gesprochenen Sprache – Arbeiten zur Morphologie und Syntax beschränkten sich lange auf Momentaufnahmen (Birkner 2007, Selting 1993), übergreifende Studien zum Verb und seiner Bedeutung für und in Konstruktionen sind noch selten (Hilpert 2008a, Felfe 2012, Lasch 2014a, Lasch im Druck). Die Gründe hierfür sind zwar sicher vielfältig, herauszuheben ist aber doch, dass im Hinblick auf das Verb nicht die Untersuchung einzelner Vertreter zur Erhellung systematischer Zusammenhänge führt, sondern die Einheitenkategorien des Verbs im Mittelpunkt stehen müssen oder Verben, die systematische Reihen bilden, wie Partikelverben (Felfe 2012). Gebrauchsbasierte Konstruktionsgrammatiken arbeiten seit fast zehn Jahren korpusbasiert. Auf diesem Wege soll abgesichert werden, dass zum einen die Ergebnisse auf der Basis der Beschreibung authentischen Sprachmaterials formuliert sind und zum anderen Möglichkeiten offen gehalten werden, innova-

4 | Einleitung

tive Formen der Sprachverwendung oder zunehmend erstarrende Konstruktionen und damit Konstruktionen anhand ihrer Realisierungen zu identifizieren und zu beschreiben. Für die Analyse der Kategorien des Verbs aus konstruktionsgrammatischer Perspektive ist mit diesem Anspruch ein nicht zu unterschätzender theoretischer und forschungspraktischer Aufwand verbunden, denn die aus dem analytischen Bau des Deutschen resultierenden komplexen syntaktischen Muster stellen für jede Untersuchung auf der Basis eines korpuslinguistischen Zugriffs eine hohe Einstiegsschwelle dar. Zum zweiten sieht sich dieser gebrauchsbasierte Ansatz dem Problem ausgesetzt, dass – anders als für unifikationsbasierte konstruktionsgrammatische Ansätze – eine strukturierte Beschreibung von Konstruktionen bisher nicht modellhaft ausgearbeitet wurde. Mit dem Begriff der „Konstruktion“ (construction) greife ich zunächst das zentrale Theorem der Konstruktionsgrammatik (construction grammar) auf, die in der Regel mit Goldberg so verstanden wird:1 Any linguistic pattern is recognized as a construction as long as some aspect of its form or function is not strictly predictable from its component parts or from other constructions recognized to exist. In addition, patterns are stored as constructions even if they are fully predictable as long as they occur with sufficient frequency. (Goldberg 2006a: 5)

Im Gegensatz zu Goldbergs Bestimmung von 1995 wird hier deutlich herausgestellt, dass auch sprachliche Einheiten, die vollständig vorhersagbar sind, als Konstruktionen gelten sollen, solange sie nur in entsprechender Frequenz nachgewiesen werden können. Anders als unifikationsbasierte Ansätze gehen gebrauchsbasierte Ansätze davon aus, dass aus dem Sprachgebrauch heraus Konstruktionen als kognitive Repräsentationen entstehen und mit diesen auch die Strukturen, wie diese Konstruktionen geordnet sind. Gebrauchsbasierte Ansätze sind bemüht, diesen Prozess der Verfestigung von Konstruktionen durch ihren Gebrauch zu erfassen und möglichst adäquat zu beschreiben.2 Die-

|| 1 Grundlage für die eigene Argumentation bilden die Arbeiten von Langacker 1977, 1987, 1988, 1991; Croft 2001 und Goldberg 1995, 2002, 2003, 2006a und b, 2013 sowie Fischer & Stefanowitsch 2006, Stefanowitsch & Fischer 2008, Stefanowitsch & Gries 2003, 2005, Gries 2013 und Stefanowitsch 2013 sowie die Beiträge in Lasch & Ziem 2011a, Ziem & Lasch 2013, Artikel der Sammelbände Lasch & Ziem 2014 sowie Ziem & Lasch 2015 und nicht zuletzt die Beiträge aus Hoffmann & Trousdale 2013. 2 Primus (2011: 309) stellt die Frage, ob eine Trennung zwischen „grammatikinternen“ und „grammatikexternen“ Erscheinungen noch haltbar sei. Denn „immer mehr Linguisten [gehen davon aus], dass ein Großteil der grammatischen Erscheinungen von Sprachverarbeitungsmechanismen determiniert wird“. Da dies eine wichtige Einsicht gebrauchsbasierter Ansätze ist, die sich vor allem auf Croft (2001) und Goldberg (2006a) stützen, kann die Kritik von Primus an

Fragestellungen | 5

sen Annahmen sieht sich die Studie zu nonagentiven Konstruktionen verpflichtet. Dabei implementiert sie die auf die von Polenzʼsche Satzsemantik (1985) zurückgehenden Konzepte Aussagerahmen, Prädikationsrahmen, Prädikatsklassen und semantische Rollen in die Goldbergʼsche Struktur einer Konstruktion (1995, 2006a), um ein tragfähiges Modell zur Analyse von Konstruktionen und vor allem von Konstruktionsbedeutungen vorzuschlagen. In Auszügen wurde dieses Modell schon von mir vorgestellt in Ziem & Lasch 2013. Die Studie zu den nonagentiven Konstruktionen des Deutschen nimmt eine Frage der Grammatikforschung auf, die in den letzten Jahren eine kleine Konjunktur erlebt – die so genannten Handlungsformen des Verbs. Ich werde mich vor allem auf diese und die dem Genus Verbi benachbarte Kategorie, das Tempus, konzentrieren.3 Dabei wird im Verlauf der Studie auch anzusprechen sein, ob man bei diesen Kategorien noch von ‚Kategorien des Verbs‘ sprechen soll.

1.2 Fragestellungen Die Untersuchung zu nonagentiven Konstruktionen wird ausgehend von den Handlungsformen des Verbs das in der Forschung längst in Frage stehende Ableitungsmodell suspendieren (vgl. vor allem Kap. 4). Auf der Basis eines gebrauchsbasierten Ansatzes wird für eine Gruppe unterschiedlicher Konstruktionen plädiert (vgl. Kap. 5 sowie 7–10), die sich in einem Konstruktikon hinsichtlich ihrer Beziehungen zueinander abbilden lassen (Kap. 11). Basiskriterium für die Differenzierung unterschiedlicher Konstruktionen ist ihre je eigene und besondere Perspektivierungsleistung (vgl. Kap. 5). In den letzten Jahren haben vor allem die Diskussion um das Resultativum und das Perfektpartizip diesen Weg geöffnet, den die Studie zu den nonagentiven Konstruktionen weitergehen möchte (vgl. Kap. 4.1.1). Die Leistung nonagentiver Konstruktionen ist, dass der Sprecher die zentripetale Perspektive bei der Sprachproduktion einnehmen kann, wenn er eine dieser Konstruktionen im Gebrauch realisiert. Mit der Perspektivierung setzen wir uns in Kap. 5.1.1 ausführlich auseinander. Postulat ist, dass sich nonagentive Konstruktionen in Bezug auf ihre kognitive Perspektivität (Konstruktion) und kommunikative Perspektivität (Realisierungen von Konstruktionen) adäquat aus Sprachgebrauchsmaterial rekonstruieren lassen. Das

|| Croft und Goldberg nicht gänzlich nachvollzogen werden. Zuzustimmen wäre aber dann, wenn sich die Kritik vor allem auf die „syntaktischen Rollen“ bezöge, die Goldberg und Croft als funktionale Kategorien in die Strukturbeschreibung von Konstruktionen einbeziehen. 3 Zur Einheitenkategorisierung und deren Hierarchisierung vgl. generell Eisenberg 1994: 205.

6 | Einleitung

heißt aber (1) zugleich, dass man möglichst viele der Verben in die Überlegungen einschließt, die in Konstruktionen dieser Art eingebettet werden können, und sich nicht mehr allein auf die so genannten ‚Passivauxiliare‘ sein, bleiben, werden, bekommen/erhalten/kriegen beschränkt, sondern etwa auch Konstruktionen mit scheinen, erscheinen, gehören, wirken, aussehen und haben hinsichtlich ihrer kommunikativen und kognitiven Perspektivität untersucht (vgl. dazu ausführlich Teil IV dieser Arbeit beginnend mit Kap. 6). Dennoch muss auch hier der Gegenstand eingegrenzt werden: Die Ausdehnung der gebrauchsbasierten Analyse von Konstruktionsrealisierungen mit diesen Verben hat nämlich zur Konsequenz, dass reflexive Konstruktionen, die um den Reflexivmarker (Reflexivpronomen) einen eigenen Konstruktionstyp bilden, in dieser Studie nur am Rande thematisiert werden können (vgl. dazu Kap. 5.1.5). (2) Eine Systematisierung der Filler, die neben dem Verb Teil nonagentiver Konstruktionen werden, nämlich (deverbale) Adjektive, Progressive, Infinitive mit zu usw., ist weiteres Ziel der Studie. Diese Filler gelten ebenfalls selbst als Konstruktionen und steuern neben (lexikalischer) Eigensemantik der Elemente auch eine Konstruktionsbedeutung bei, die die Bedeutung nonagentiver Konstruktionen unabhängig vom Verb in der Konstruktion aktualisieren. Das kann so weit gehen, dass man – man denke an analytische Tempuskonstruktionen und/oder eingebettete erweiterte Infinitive mit zu – eigene Subtypen von Konstruktionen diskutieren kann (vgl. zu diesen Phänomenen unten Kap. 10). (3) Weiter wird zu zeigen sein, inwieweit konstruktionsgrammatische Ansätze auf der Basis korpuslinguistischer Arbeit alternative Modelle für Grammatik hervorbringen können, aber auch, wo (Möglichkeiten und) Grenzen dieser Modelle liegen. Welche Konsequenzen das Modell für die traditionelle Einteilung der Einheitenkategorien des Verbs haben wird, lässt sich derzeit nicht abschätzen. Zu vermuten ist aber, dass analytische von synthetischen Formen stärker voneinander zu trennen sein werden, wobei es zahlreiche Beziehungen zwischen den analytisch gebauten Konstruktionen gibt, die schwer zu entflechten sind. Wir konzentrieren uns in dieser Studie auf die Zusammenhänge zwischen nonagentiven und analytischen Tempuskonstruktionen (vgl. Kap. 5.1.4) und klammern analytische Modalkonstruktionen sowie reflexive Konstruktionen weitestgehend aus (Kap. 5.1.4 und 5.1.5). Nonagentive Konstruktionen sollen in ihren Kontexten analysiert werden. Die Grundlage für eine breit angelegte Korpusanalyse ist das nach Textsorten geschichtete KERN-Korpus beim Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS), welches über 100 Millionen Token für den Zeitraum zwischen 1900 und 2000 umfasst (vgl. zum Zuschnitt des Untersuchungsdesigns und zur Korpuskritik ausführlich Kap. 6). Durch die Heranziehung einer breiten Datenbasis

Hinweise zur Lektüre | 7

zur Beschreibung nonagentiver Konstruktionen wird es (1) überhaupt erst möglich, das wichtige Anliegen gebrauchsbasierter Ansätze einzulösen, Sprache im Gebrauch zu analysieren und Strukturen, die durch diesen Gebrauch entstehen, zu erfassen (vgl. Kap. 7ff.). Verbunden mit diesem Anliegen ist die Hoffnung, eine alternative Perspektive auf Genese und Gebrauch von Sprache und sprachlichen Strukturen zu entwickeln, die dazu einladen soll, mit etablierten Beschreibungsmodellen ins Gespräch zu kommen (vgl. dazu besonders die Kap. 10 und 11). (2) Nonagentive Konstruktionen können erst im Kontext befragt werden z.B. hinsichtlich der Überformung durch temporale Konstruktionen. So kommen zum einen oben erwähnte Beziehungen (das Fahrrad ist gestohlen/verrostet) in den Blick und zum anderen werden die Leistungen einzelner für die Konstruktionen herangezogener Verben deutlich sichtbar – erscheinen übernimmt beispielsweise die Leistung der Konstruktion mit scheinen im Perfekt, da es dieses mit sein statt wie scheinen mit haben bildet (vgl. dazu Kap. 7.3.1). Auch die Konstruktionen mit sein weisen eine systematische „Perfektlücke“ auf (vgl. dazu Kap. 7.1), ihre Leistungen werden durch Konstruktionen übernommen, die im Konstruktikon in der Nähe liegen, da sie eine ähnliche Perspektivierungsleistung aufweisen (das sind bleiben und – überraschenderweise – werden). Anderen Beziehungen wie etwa multipler Vererbung zwischen Konstruktionen oder der Aktualisierung von Perspektivierungsleistungen nonagentiver Konstruktionen durch Einbettung in analytische Tempuskonstruktionen wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. Kap. 10). (3) Ferner sind durch die korpuslinguistische Analyse überhaupt erst Aussagen bezüglich der Frequenz bestimmter Konstruktionen und Konstruktionstypen möglich, die wiederum zur Einschätzung beitragen, welchen Grad der Verfestigung bestimmte Konstruktionen erreicht haben (das wird besonders bei den Konstruktionen mit behalten und erhalten von Bedeutung sein; vgl. Kap. 9) oder bspw., ob die Differenzierung zwischen ‚Kopula‘ und ‚Auxiliar‘ werden nicht mehr verdeckt, als sie Sprachgebrauch zu erklären hilft (vgl. Kap. 4.2.3, 5.1.3, 5.2.2 und vor allem Kap. 8.1).

1.3 Hinweise zur Lektüre Der überwiegende Teil der Beispiele, die in dieser Studie zitiert werden, sind aus Sprachkorpora systematisch gewonnen (vgl. Kap. 6). Die Belege sind in Gänze dokumentiert und können frei zugänglich aus verschiedenen Clouds abgerufen werden. Alle Abbildungen können (1) in hochaufgelösten Varianten für die Verwendung in Offline-Umgebungen zentral über die Produktseite des Verlags geladen

8 | Einleitung

werden (https://www.degruyter.com/view/product/476133; Stand: 16.09.2016). Zum anderen ist es möglich, auf die einzelnen Inhalte in derselben Qualität (2) gezielt online über ein Dokument zuzugreifen, in welchem alle Abbildungen und zusätzlich die Zugriffsmöglichkeiten auf alle in dieser Studie analysierten Belege gelistet sind. Letztere sind wegen des erheblichen Umfangs nur online verfügbar. Das Verzeichnis kann entweder bequem via Quick-Response-Code (QR) hier am Seitenrand mittels eines Barcodescanners z.B. am Tablet oder Smartphone oder über Short-URL in einem beliebigen Webbrowser aufgerufen werden (http://goo.gl/TVQKhg; Stand: 16.09.2016). Weiter sind (3) alle Inhalte separat mit einer Adresse versehen, um den Nachweis des Inhalts und den gezielten Zugriff während der Lektüre zu erleichtern. So ist es möglich, z.B. auf die in dieser Studie ausgewerteten Belege für die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben (https://goo.gl/sfAa8s; Stand: 16.09.2016), vgl. dazu im Detail Kap. 7.2, direkt Bezug zu nehmen. Bei den Abbildungen wird in den Abbildungsunterschriften mittels Direktlink auf die Quelle verwiesen. Im Beispiel ist das das Strukturschema der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein, vgl. dazu im Detail Kap. 7.1.

Abb. 1: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein. Direktlink: https://goo.gl/Aew7P6; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Da im Verlauf der Studie mit teils sehr komplexen und detaillierten Übersichten gearbeitet wird und auch hochwertige Druckerzeugnisse hier an ihre Grenzen stoßen, sei unbedingt empfohlen, bei Bedarf auf die hochaufgelösten Grafiken zuzugreifen. Alle Inhalte können, dank Creative-Commons-Lizenz (CC), bei Namensnennung und Wiedergabe unter selben Bedingungen weiterverwendet werden (CC BY-SA 4.0). Die umfangreiche Dokumentation der Bezugsquellen

Hinweise zur Lektüre | 9

dient dazu, sowohl Belegsammlungen als auch die Auswertung dieser Studie (jederzeit auch während der Lektüre) frei zugänglich und für weitere Forschung anschlussfähig zu machen. In den Verzeichnissen am Schluss der Arbeit sind Belegsammlungen und Abbildungen ebenfalls noch einmal gesondert ausgewiesen. In der Zählung wird auf diese Korpusbelege gesondert verwiesen, da sie keine laufende Nummer tragen (z.B. [K477]). Alle andere Belege und Beispiele, die nicht zum Untersuchungskorpus zu rechnen sind, werden davon abweichend einfach durchgezählt (z.B. [3]) und mittels Quelle belegt. Sind sie durch Introspektion gewonnen und/oder werden sie aus der Sekundärliteratur zitiert, in der keine Quelle nachgewiesen wird, erscheinen sie ohne Quellenangabe. Beispiele, deren Grammatikalität fraglich ist, werden durch vorangestelltes Fragezeichen hervorgehoben.

| Teil 2: Theoretische und methodische Grundlagen

2 Prämissen der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik Wird im Folgenden von ‚traditionellen Grammatiken‘ gesprochen, so ist damit keine Abwertung verbunden, sondern es wird auf den common sense abgehoben, der zusammenfasst, was usuell, eben ‚traditionell‘, ist. Dies ist eine typische argumentative Grundfigur, die in der Forschungsliteratur etabliert ist (vgl. etwa Harweg 1973: 71). Die ausführliche Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Konstruktionsgrammatiken aus der kognitiven Linguistik heraus in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts und die Abgrenzung von anderen Grammatikmodellen muss hier nicht Schritt für Schritt nachvollzogen werden. Dies ist in Einführungen wie Ziem & Lasch 2013 oder im Oxford Handbook of Construction Grammar (Hoffmann & Trousdale 2013) auf breiterem Raum zuverlässig geleistet worden.

2.1 Konstruktion Im folgenden Kapitel werden einzelne zentrale theoretische Prämissen einer gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik in gebotener Kürze vorgestellt: Wir beschränken uns auf den Konstruktionsbegriff (und seine forschungspraktische Grenze), die Prämisse der Gebrauchsbasiertheit und das Kontinuum zwischen Lexikon und Grammatik, das Konstruktikon. Die einzelnen Überlegungen sind zum Teil bereits publiziert (Lasch & Ziem 2011; Ziem & Lasch 2013; Lasch & Ziem 2014; Lasch 2014a; Lasch 2015b und c; Lasch im Druck a) und werden hier in Überarbeitung zusammengefasst und im Hinblick auf die Studie nonagentiver Studien zugeschnitten. Eine Konstruktion (z.B. nach Goldberg 1995: 4, 2006a: 5 zusammenfassend Ziem & Lasch 2013: 9–17 und präzisierend 77) bzw. eine „grammatische Konstruktion“ (Goldberg 2013: 17–19) ist eine sprachliche Einheit, die als FormBedeutungs-Paar Ergebnis von Sprachgebrauchs- und damit Prozessen der Konventionalisierung ist.1 Konstruktionen sind nicht vollständig hinsichtlich ihrer Bedeutung vorhersagbar und/oder usuell und seriell nachweisbar. Gemeinhin werden damit sprachliche Einheiten bis zur Komplexität der Periphrase gefasst (vgl. Goldberg 2006a: 5). Zentrales Anliegen der Konstruktionsgram-

|| 1 Die vorliegenden Überlegungen sind bereits veröffentlicht in Lasch (2015c), für diese Studie wurden sie gekürzt, überarbeitet und aktualisiert.

14 | Prämissen der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik

matik ist, diese Konstruktionen als Format sprachlichen Wissens aufzufassen und so Spracherwerb, Sprachgebrauch und Sprachwandel in den verschiedenen medialen Erscheinungsformen von Sprache und auf verschiedenen Ebenen des Sprachsystems adäquat zu beschreiben (vgl. beispielsweise Croft & Cruse 2004, Croft 2001, 2013; Goldberg 2003, 2006a und b; Hilpert 2013a und b; Stefanowitsch 2011a: 181–188 oder Ziem & Lasch 2013). Konzepte wie diese sind schon länger virulent: Die kognitive Linguistik, z.B. die Cognitive Construction Grammar nach Lakoff und Langacker (vgl. Lakoff 1977, 1987; Langacker 1987, 2005, 2009a und b; Evans & Green 2006, hinführend Ziem & Lasch 2013: 39–41, Broccias 2013; Boas 2013 und in unserem Kontext jüngst Lenz 2013; eine eher einseitige Darstellung bietet Wildgen 2008) arbeitet seit mehreren Jahrzehnten an sprachlichen Phänomenen, die auf kognitive und soziale Gestalten hindeuten. Feilke sprach innerhalb der germanistischen Linguistik bereits 1996 unter Bezug auf Lakoff (1977) von der „Sprache als soziale[r] Gestalt“ und dachte vor dem Hintergrund unterschiedlicher Konventionalisierungsgrade idiomatisierter Einheiten über die Überwindung der Trennung von Lexikon und Grammatik nach (vgl. besonders deutlich Feilke 1996: 211ff. und 239). Konstruktionen sind solche Gestalten und damit Formen sprachlichen Wissens. Konstruktionen geben als sprachliche Muster anhand ihrer Realisierungen einen Hinweis darauf, wie zu welcher Zeit in welcher Art von wem, zu wem und über welches Thema gesprochen wurde. Sie öffnen einen Blick auf bewusste (surface frames) und unbewusste und gelernte Verwendungskontexte, Gebrauchsregeln und Aussageabsichten (deep seated frames) (vgl. Lakoff & Wehling 2009: 73–87, weiter Lakoff & Johnson 1980 und Lakoff 1987, Busse 2012 sowie Ziem 2008 und 2014b). Die Affinität konstruktionsgrammatischer Studien und framesemantischer Ansätze lässt sich über das gemeinsame Interesse an Bedeutungen usueller sprachlicher Einheiten unterschiedlicher Komplexitätsgrade erklären (Boas 2014). Bisher wird der Konstruktionsbegriff (meist) angewendet auf sprachliche Einheiten bis zur Periphrase; ob der Konstruktionsbegriff ausgedehnt werden soll auf transphrastische Einheiten, ist strittig (vgl. dazu bspw. die jüngste Positionierung zu ‚phrasalen Konstruktionen‘ von Hoffmann & Trousdale 2013b: 1, Goldberg 2013: 17–19, Kay 2013 u.a. und auch Lasch 2014b sowie 2015c). Unabhängig davon kann etwa die Diskurslinguistik jedoch schon heute einen Gewinn aus grammatischen Analysen ziehen, die zum einen gebrauchsbasiert sind und zum anderen dezidiert die Bedeutung sprachlicher Einheiten im Visier haben. Gebrauchshäufigkeiten können Hinweise auf den diskursspezifischen Gebrauch von Konstruktionen anhand ihrer Realisierungsvarianten geben – in dieser Studie wird es u.a. ein Anliegen zu zeigen, dass Konstruktionsrealisie-

Konstruktion | 15

rungen mehr oder weniger typisch für bestimmte ‚Kommunikationsdomänen‘ sind (vgl. zu diesem Begriff Kap. 6 zum Untersuchungsdesign). Besondere Prägungen von Konstruktionsbedeutungen wiederum in diesen teils spezifischen Kontexten zeigen semantische Spezifizierungen von Konstruktionen an, die sich für einen Kontext als typisch erweisen können und sich nach und nach verfestigen. Eben diese Hinweise wiederum sind für eine Framesemantik und die Konstruktionsgrammatik essentiell, denn nur so lassen sich Bedeutungen, kleinste Bedeutungsunterschiede und Wandelprozesse sprachlicher Einheiten anhand ihrer Realisierungen erfassen. In den meisten konstruktionsgrammatischen Arbeiten gilt aktuell, wie gesagt, die Periphrase als Komplexitätsgrenze der untersuchten sprachlichen Phänomene: This extended notion of the Saussurean sign has become known as a ‘construction’ (which includes morphemes, words, idioms, and abstract phrasal patterns) and the various linguistic approaches exploring this idea were labeled ‘Construction Grammar’. (Hoffmann & Trousdale 2013b: 1)

Es scheint auf den ersten Blick nicht die entscheidende Rolle zu spielen, ob der Konstruktionsbegriff auf ‚phrasale Konstruktionen‘ (Goldberg 2013: 17–19) bezogen wird. Aber es bedeutet, dass explizit auf die nicht unumstrittene Integration pragmatischer oder diskursiver Bedeutungsbestandteile in die grammatische Analyse (zunächst) verzichtet wird. Abgesehen davon zeigte sich in verschiedenen Arbeiten der letzten Jahre (v.a. von Croft 2001: 2013, in Anlehnung daran auch Ziem & Lasch 2013), dass, wenn man phrasale Konstruktionen untersucht, man auf die Beschreibung funktionaler Kategorien wie ‚Subjekt‘, ‚Objekt‘ oder ‚Prädikat‘ besser verzichte, da diese nicht als Kategorie sprachübergreifend in vergleichenden Arbeiten herangezogen werden können (was hier zugegebenermaßen keine Rolle spielt) und sie als funktionale Kategorien einer sprachlichen Einheit Bedeutung aus der Perspektive einer satzwertigen Aussage zuweisen. Daher setzt man in den gebrauchsbasierten Ansätzen auf die Beschreibung der formalen Aspekte sprachlicher Einheiten. Ihre Bedeutung wird, soweit möglich, über ihren Tiefenkasus in größeren sprachlichen Einheiten (vgl. Fillmore 1968, 1988; Dowty 1991, darauf aufbauend u.a. Goldberg 1995, 2003 sowie Polenz 2008), Merkmale ihrer Wortart oder andere (weitestgehend) morphosyntaktische (und weniger prosodische, graphematische bzw. orthographische) Merkmale hergeleitet. Hier wurde die Kollokations- und Kollostruktionsanalyse (vgl. exemplarisch Stefanowitsch & Gries 2003 sowie Gries & Stefanowitsch 2004; Stefanowitsch 2013; Gries 2013) fruchtbar. Da die Einheiten nicht mehr als Funktionen eines Syntagmas beschrieben werden, steht auch die

16 | Prämissen der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik

Zuordnung zu einer Größe wie ‚Satz‘ nicht zwingend im Vordergrund. Der Satz wird scheinbar nur dann deutlich sichtbar, wenn darüber verhandelt wird, ob transphrastische sprachliche Einheiten noch als Konstruktion zu werten seien oder nicht – hier zeichnet sich forschungspraktisch und theoretisch in Bezug auf die geschriebene Sprache eine Engführung auf ‚phrasale Konstruktionen‘ ab. Auf den zweiten Blick in die konstruktionsgrammatischen Studien wird allerdings schnell deutlich, dass die Periphrase als basale Analyseeinheit und ebene favorisiert wird. An diese Basiseinheit werden die Analysen zu Konstruktionen niederen Abstraktionsgrades angeschlossen – auch die Studie zu nonagentiven Konstruktionen des Deutschen lässt sich so positionieren. Da die Konstruktionsgrammatik die Konstruktion als Format sprachlichen Wissens unabhängig von ihrer medialen Erscheinungsform postuliert, ergeben sich ganz andere forschungspraktische Probleme im Hinblick auf die strukturelle Einheit ‚Satz‘ und auf eben diese unterschiedlichen medialen Repräsentationsformen von Sprache. Das zeigt sich besonders deutlich daran, dass sich die Interaktionale Linguistik zunehmend auf konstruktionsgrammatische Ansätze stützt. Diese kämpfte über lange Jahre damit, wie man das Schema des Satzes auf sprachliche Einheiten der Gesprochenen Sprache (GS) anpasste und anwendete. Ausgehend von konstruktionsgrammatischen Ansätzen stellen sich diese Probleme in einem vollkommen anderen Licht dar, da die konstruktionsgrammatische Modellierung der Eigengesetzlichkeiten gesprochener Sprache adäquater ist als grammatische Modelle, die sprachliche Phänomene konzeptioneller Schriftlichkeit fokussieren (z.B. Deppermann 2006; Günthner 2006, 2009, 2010, 2011; Imo 2010a und b; Bücker 2014a und b). Interessanter ist daher auch die Frage, wie mit transphrastischen schriftsprachlichen Einheiten in der Konstruktionsgrammatik zu verfahren sei bzw. welche Analysen vorliegen, die thematisch begründet an der Grenze der Periphrase operieren. Das Dilemma ist: Fasste man die Konstruktion ausgehend von der Goldbergʼschen Setzung „[t]he totality of our knowledge of language is captured by a network of constructions“ (Goldberg 2003: 219) als einziges Format sprachlichen Wissens auf, dann gelten auch Muster als Konstruktionen, die komplexer als satzwertige Ausdrücke sind. Eines dieser zentralen Muster, welches sich oberhalb der Satzebene beschreiben lässt, ist das des ‚Aussagenkomplexes‘. Dieses Konzept ist auf den ersten Blick kein Thema für eine Grammatik, wird vorsichtig im Rahmen der Textlinguistik und nur in wenigen Arbeiten im Bereich der Diskurslinguistik systematisch beschrieben. Aus textlinguistischer Perspektive wird danach gefragt, wie ein Aussagenkomplex als argumentative Einheit bspw. die Etablierung eines Themas oder einer Textfunktion bzw. eine spezifische thematische Entfaltung unterstützt; in der Diskurslinguistik schließt

Sprachgebrauchsbasiertheit und Konstruktikon | 17

man aus solchen Aussagenkomplexen u.a. auf Diskurspositionen – immer, wenn etwas auf eine bestimmte Art gesagt wird, wird es auf andere Weise zugleich nicht gesagt, was wiederum auch die Framesemantik interessiert (vgl. zu beiden Aspekten Busse 2012). Überlegungen dieser Art führen anhand verwendeter sprachlicher Muster zu kommunikativen Strategien von Diskursakteuren. Man hat in beiden Zugriffen vor allem die Bedeutung einer sprachlichen Einheit im Blick, seltener primär ihre Form. Die Konstruktionsgrammatiken könnten in diesem Zusammenhang eine Formanalyse offerieren, die die Gestalt sprachlicher Formationen als Einheiten von Form und Bedeutung versteht – so könnte man etwa fragen, ob und wie nonagentive Konstruktionen als Teil kommunikativer Strategien in Aussagekomplexen verwendet werden. Eine weitere Frage könnte sein, ob und wie die Konstruktionsbedeutung nonagentiver Konstruktionen dabei die Argumentationen, in die sie eingebettet werden, unterstützt. Aber das ist alles Zukunftsmusik. Auch wenn einige Ansätze der Konstruktionsgrammatik dafür plädieren, dass Einheiten wie Aussagenkomplexe und Texte in letzter Konsequenz als Konstruktionen beschrieben werden können, so muss forschungspraktisch die Frage gestattet sein, welchen Gewinn man aus dieser Setzung zu ziehen hofft. Für den Moment ist eingeführten und etablierten Konzepten und Begriffen der Vorzug zu geben, die die Konstruktionsgrammatik anschlussfähig machen; die aktuelle Diskussion läuft tatsächlich darauf zu, den Konstruktionsbegriff nicht auf diese abstrakteren Muster und Schemata auszudehnen, und wird vor allem von den Forschern vertreten, die sich der Untersuchung der geschriebenen Sprache widmen.

2.2 Sprachgebrauchsbasiertheit und Konstruktikon Geht man davon aus, dass Konstruktionen form- und inhaltsseitig konstituierte ‚Gestalt‘-Phänomene (Feilke 1996) und im strengen Sinne Zeichen sind, steht auch eine strenge Unterscheidung zwischen Grammatik (Form sprachlicher Einheiten) auf der einen und Lexikon (Bedeutung sprachlicher Einheiten) auf der anderen Seite auf dem Prüfstand – die Konstruktionsgrammatik geht deshalb von einem Kontinuum zwischen Lexikon und Grammatik aus, in welchem Form und Bedeutung sprachlicher Zeichen miteinander in Beziehung stehen und vernetzt sind: Konstruktionen bilden die Knoten dieses Netzwerks. Konstruktionen sind in diesem Sinne als Kategorien aufzufassen, die prototypisch organisiert sind, und sich im Sprachgebrauch als Abstraktionen konkreter Realisierungsalternativen entwickeln, etablieren, verfestigen, stabilisieren, wandeln können. Dieser Prämisse trägt die (zweite) Definition einer Konstruktion

18 | Prämissen der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik

durch Goldberg (2006a: 5) Rechnung; sie nimmt das sprachgebrauchsbasierte Modell (usage-based model) von Langacker (1987, aber auch 2000) explizit auf: [A]n assembly is accepted as part of ‘the grammar’ to the extent that it is psychologically entrenched and conventional in the speech community (Langacker 2005: 140).

Das Frequenzprinzip („frequency matters“ [Behrens 2009b: 400]) wird in den sprachgebrauchsbasierten Ansätzen nicht lediglich aufgerufen, um die Analyse von Sprachkorpora zu rechtfertigen, sondern um aus den Sprachkorpora Formund Bedeutungsnetzwerke zu rekonstruieren und prototypische Kategorien, die Konstruktionen, abzuleiten. Ist eine Konstruktion beschreibbar, dann steht sie als Muster für die Realisierung konkreter sprachlicher Äußerungen als Ressource zur Verfügung, sie ist konventionalisiert und – je nach Grad der ‚Verfestigung‘ (entrenchment) – produktiv (vgl. dazu Ziem & Lasch 2013: 102–107). Daraus ergeben sich Konsequenzen in Bezug auf die Kategorisierung sprachlicher Einheiten und damit Konstruktionen. Kategorisierungen traditioneller Grammatiken sind zunächst diskret bezüglich Form und Bedeutung sprachlicher Einheiten, spätestens seit der pragmatischen Wende gewinnt auch die Funktion sprachlicher Einheiten als Variable der Kategorisierung an Bedeutung. Eine sprachgebrauchsbasierte Grammatik wird sich an diesen Kategorisierungspraxen orientieren, aber eben auch daran, ob der Sprachgebrauch durch eine Kategorisierung ‚von oben‘ adäquat abgebildet wird. Aus dem sprachgebrauchsbasierten Modell und dem Frequenzprinzip folgt, dass die Kategorisierungsleistungen der Sprachbenutzer zu berücksichtigen sind bei der Beschreibung und Analyse von Konstruktionen als Knoten jener Form- und Bedeutungsbeziehungen, die die Sprachbenutzer etablieren, verändern, wandeln oder irgendwann auch einmal nicht mehr verwenden. Die Beziehungen sind also dynamischer Natur und stetigem Wandel unterworfen, Konstruktionen und Konstruktionsnetzwerke sind prototypisch organisiert und kategoriale Ordnung ist graduell, nicht dichotomisch absolut und stabil (vgl. Langacker 2006a: 145). Um ein Beispiel an dieser Stelle bereits herauszugreifen: Traditionell werden die ‚Kopula‘ und das ‚Passivhilfsverb‘ werden in grammatischen Darstellungen geschieden, eben auch, weil sich die beiden Formen in analytischen Perfektformen sowie im Futur II hinsichtlich der Partizipialform geworden (werden-Passiv) vs. worden (werden mit Adjektiv und damit als ‚Kopula‘) voneinander trennen lassen. Bezüglich des Sprachgebrauchs ist jedoch zu konstatieren, dass alle angesprochenen analytischen Formen, in denen die Differenz überhaupt sichtbar wird, nur 10% aller Belege mit werden und (deverbalem) Adjektiv ausmachen (vgl. dazu unten Kap. 4.2.3 und vor allem Kap. 8.1). Nimmt man aber diese Differenzierung ernst, um Belege mit Adjektiv (Peter ist rot geworden)

Sprachgebrauchsbasiertheit und Konstruktikon | 19

von denen mit Perfektpartizip zu scheiden, schließt man 30% aller Belege aus, die für die adäquate Erklärung der Konstruktion relevant sind. Denn: Semantisch sind Kategoriengrenzen zwischen Konstruktionsrealisierungen mit ‚Kopula‘ werden und werden-Passiv mehr als unscharf, ebenso wie der Übergangsbereich zwischen den prototypisch organisierten Konstruktionen ‚Adjektiv‘ und ‚Perfektpartizip‘ (vgl. dazu unten Kap. 5.2.3.2). Sprachgebrauchsbasierte, konstruktionsgrammatische Kategorisierung von Konstruktionen muss vor dem Hintergrund des sprachgebrauchsbasierten Modells und daraus abgeleitet dem Frequenzprinzip konsequent einem prototypischen Ansatz folgen, der für die grammatische Forschung und alternative grammatische Modelle so neu auch nicht ist: „Ein adäquates Grammatikmodell müßte demnach in der Lage sein, Vielfalt und ‚Übergänglichkeit‘ […] als solche zu beschreiben” (Reis 1976: 80) – wir werden später darauf zurückkommen. Das sich etablierende Konstrukt mit Konstruktionen als Knoten in einem dynamisch organisierten Netzwerk zwischen Grammatik und Lexikon wird als „Konstruktikon“ bezeichnet (vgl. ausgehend von Goldbergs „construct-i-con“ [2003: 219] etwa Ziem & Lasch 2013; Lasch & Ziem 2014; Boas 2013: 242–246; Boas 2014; Bücker 2014; Lasch 2014a; Rostila 2014 sowie Ziem 2014a und b; Broccias 2013: 193–195). Das schließt auch dezidiert Überlegungen dazu ein, wie Konstruktionen miteinander in Verbindung stehen, welche Vererbungsprozesse und Linkings zwischen Konstruktionen unterschiedlichen Abstraktionsgrads bestehen und wie man mittels dieses Netzwerks komplexe sprachliche Repräsentationen in ihrer Strukturierung zu beschreiben in der Lage ist.2 In der Forschung können Präferenzen für formseitige Vernetzungen und inhaltsseitige Vernetzung ausgemacht werden. Die inhaltsseitige Vernetzung wird für diese Studie im Vordergrund stehen, Goldberg unterscheidet für diese vier Relationstypen der Vererbung (vgl. Goldberg 1995: 74–97, zur Erläuterung der Relationen vgl. Smirnova & Mortelmans 2010: 149–156 und Ziem & Lasch 2013: 95–102): – Polysemie-Beziehungen (polysemy links), – Teil-Ganzes-Beziehung (subpart links), – Beispiel-von-Beziehungen (instance links) und – Beziehungen metaphorischer Erweiterung (metaphorical extension links). Es gibt keine einheitliche Auffassung über die Art und Weise, wie das Netzwerk, in dem Konstruktionen aufeinander bezogen sind, zu modellieren sei, vielleicht ist das auch überhaupt nicht möglich oder nötig (vgl. Lasch & Ziem 2014). Ein || 2 Die folgenden Überlegungen wurden bereits veröffentlicht in Lasch (2014a) und Lasch (2015c), sie wurden für die Studie gekürzt, überarbeitet und aktualisiert.

20 | Prämissen der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik

Vorschlag ist, das Konstruktionsnetzwerk vor allem über das semantische Potential und die Perspektivierungsleistung von Konstruktionen zu entwerfen – so wie es hier geschehen soll (vgl. unten Kap. 3.2 und 5 und 11). Dabei werden die Knoten und Verbindungen zwischen Konstruktionen zunächst auf semantischer und dann auf formaler Ebene beschrieben und Konstruktionen unterschiedlichen Komplexitätsgrades berücksichtigt (vgl. dazu im Detail Kap. 3). Auf die nonagentiven Konstruktionen bezogen, die hier im Vordergrund stehen werden (vgl. Kap. 5), haben die bis hierhin skizzierten Prämissen folgende Konsequenzen: Die verbale Kategorie des Genus verbi wird zur Disposition gestellt und stattdessen ein Bereich des Konstruktikons als Kontinuum zwischen Lexikon und Grammatik mit einer Reihe miteinander vernetzter Konstruktionen mit spezifischer Perspektivierungsleistung postuliert.3 Drei zentrale Konstruktionstypen der nonagentiven Konstruktionen sind zu unterscheiden und bilden einen engeren form- und bedeutungsseitigen Zusammenhang im Konstruktikon. Das sind die Konstruktionen der – ASKRIPTION (prototypisch realisiert mit sein: Die Sendung ist frankiert), – KOMMUTATION (prototypisch realisiert mit werden: Die Sendung wird frankiert) und – AKZEPTATION (prototypisch realisiert mit bekommen/kriegen: Er bekommt/kriegt die Sendung frankiert [‚Die Sendung wird für ihn frankiert‘]). Die Konstruktionen und ihre Subtypen werden theoretisch in Kap. 5 entwickelt, ausführlich in Kap. 5.2.1 vorgestellt und in den Analysekapiteln 7–9 beschrieben – dazu werden ausschließlich Daten aus maschinenlesbaren Korpora verwendet, die systematisch analysiert werden (zum Untersuchungsdesign vgl. Kap. 6). Die drei prototypischen nonagentiven Konstruktionen mit sein, werden sowie bekommen/kriegen stellen einen Ausschnitt des Konstruktikons dar

und stehen über in sie eingebettete Konstruktionen niedrigerer Abstraktionsstufe (Nominalphrasen im Nominativ: Sendung, Verben: sein, werden, bekommen/kriegen u.a., [deverbales] Adjektiv: frankiert) sowohl mit ande|| 3 Es spricht viel dafür, die von Eisenberg in Anlehnung an Anderson und Thieroff gezeichnete Gliederung der verbalen Kategorisierungen bis auf die relationale Kategorie (Genus verbi) zu übernehmen. Zu unterscheiden sind danach Kongruenzkategorien (Person und Numerus) sowie inhärente Kategorien (Modus und Tempus) (vgl. Eisenberg 2006 I: 205 und 2011). Die Anschlussdiskussion, wie mit den analytisch gebildeten Tempora angesichts der hier vorgeschlagenen Neubewertung in Zukunft umzugehen sei (diese werden auch von Eisenberg 2011 problematisiert), kann hier nur in Bezug auf nonagentive Konstruktionen geführt werden. Es wird hier immer wieder dafür plädiert werden, synthetische und analytische Formen zu trennen.

Sprachgebrauchsbasiertheit und Konstruktikon | 21

ren nonagentiven Konstruktionen in formaler und inhaltlicher Beziehung (Die Sendung scheint/gehört frankiert aber auch Die Sendung ist zu frankieren usw.) als auch mit agentiven Konstruktionen (Mathilde hat die Sendung frankiert).

3 Im Fokus: Konstruktionsbedeutungen 3.1 Strukturschemata zur Angabe von Konstruktionsbedeutungen Im Anschluss an die knappe Vorstellung der Prämissen gebrauchsbasierter Konstruktionsgrammatiken rücken nun die Konstruktionsbedeutungen in den Fokus. Konstruktionen haben – im oben skizzierten Sinne – Zeichenqualität in der Verbindung von Form und Bedeutung als konventionalisierte Muster (vgl. Lasch 2015c). Doch wie lassen sich Bedeutungen von grammatischen Konstruktionen möglichst präzise beschreiben? Welchen Beitrag können die verschiedenen gebrauchsbasierten konstruktionsgrammatischen Ansätze dabei leisten? Inwiefern ist der syntaktischen Komplexität von Konstruktionen dabei Rechnung zu tragen? Wie gesehen ist der Konstruktionsbegriff nicht auf einer bestimmten Ebene der Organisation sprachlicher Zeichen angesiedelt; er ist vielmehr für kleinere sprachliche Einheiten wie Wörter (beispielsweise geöffnet als Perfektpartizip von öffnen) ebenso in Anschlag zu bringen wie für komplexere Einheiten der Art [1] und [2]. [1]

Mathilde frankiert den Brief.

[2]

Der Brief wird frankiert.

Konstruktionen variierender Komplexität – von lexikalischen Konstruktionen zu nonagentiven Konstruktionen über Konstruktionen analytischer Tempora bis hin zur Negation von Periphrasen – gilt es, sowohl form- als auch bedeutungsseitig genau zu analysieren. Zu berücksichtigen ist dabei auch der Umstand, dass Konstruktionen vielfach miteinander vernetzt sind, Verwandtschaftsbeziehungen (qua Vererbung) bestehen, und ein entsprechend strukturiertes Konstruktionsnetzwerk bilden. Untersuchungen von Konstruktionsbedeutungen sind in der Forschung immer noch ein auffälliges Forschungsdesiderat – dabei fällt auf, dass dies nicht nur die Konstruktionen auf der Ebene der Periphrase betrifft (die hier im Mittelpunkt stehen), sondern auch jene, die hinsichtlich ihrer Komplexität unter (bzw. wenn postuliert, über) der Ebene der Periphrase stehen. Ziel der folgenden Überlegungen ist es, ein Modell zur semantischen Analyse von Konstruktionen anzubieten, welches praktikabel erscheint, um die Brücke zwischen theoretischem Anspruch der Konstruktionsgrammatik und der praktischen Analyse von Konstruktionen zu schlagen.

24 | Im Fokus: Konstruktionsbedeutungen

Zumeist sind die Herausforderungen, denen sich der konstruktionsgrammatisch interessierte Forscher gegenübergestellt sieht, ganz praktischer Natur. Sie resultieren aus den postulierten Prinzipien der Konstruktionsgrammatik (vgl. Kap. 2) und zielen zuerst meist auf den Konstruktionsbegriff und seine Reichweite, die Frage nach der Bestimmung der Formseite von Konstruktionen, die korpuslinguistisch gesteuerte Analyse von Konstruktionen (vgl. zu methodischen Fragen auch Kap. 6) und vor allem die Analyse der Bedeutungsdimension von Konstruktionen. Das Modell, wie es in den folgenden Abschnitten Schritt für Schritt entwickelt wird, wurde bereits zur Diskussion gestellt (von Lasch in Ziem & Lasch 2013: 110–142) und in exemplarischen Studien zur Anwendung gebracht (vgl. Lasch 2014a; Lasch 2015b; Lasch 2015c und Lasch im Druck), um die praktische Arbeit an Sprachgebrauchsphänomenen zu unterstützen. Der Vorschlag orientiert sich konzeptionell zunächst an Goldbergs Ansatz (1995, 2006a), greift Crofts (2001) Ideen zur graphischen Darstellung der internen Struktur von Konstruktionen und Aspekte framesemantischer Forschung auf. Zum anderen werden wir Konzepte einbeziehen, die Peter von Polenz in seiner Satzsemantik (von Polenz 2008) eingeführt hat (vgl. Lasch 2014a, 2015c, im Druck). Wir möchten damit eine mögliche Perspektive zur analytischen Bestimmung von Konstruktionsbedeutungen aufzeigen. Das Ziel besteht darin, über die in der Konstruktionsgrammatik etablierten Begriffe hinaus die von Polenzʼschen Konzepte der Prädikatsklasse, der semantischen Rollen und des Prädikationsrahmens für die Bestimmung der Bedeutungsseite von Konstruktionen einzubeziehen.1 Mit der mittlerweile in der dritten Auflage erschienenen und nicht überarbeiteten Monographie von 1985 gehört von Polenz mit seinem deutlichen Bezug zur kognitiven Linguistik etwas überspitzt formuliert zu den ersten Vertretern in der germanistischen Linguistik, die die Argumentstruktur des Verbs in semantischer Hinsicht ins Zentrum der eigenen Studien gerückt haben. Mit den Konzepten des Prädikatsrahmens und der Prädikatsklasse stellt von Polenz (ohne dies freilich eigens intendiert zu haben) Hilfsmittel zur Analyse von Konstruktionsbedeutungen bereit. Die bei von Polenz vorsichtig vorgetragene und weiterführende Idee einer „Inhaltsgrammatik“ (von Polenz 2008: 180) wurde jedoch, im Gegensatz zum Konzept semantischer Rollen,2 bisher in der Rezeption kaum aufgegriffen.

|| 1 Vgl. von Polenz 2008: 155ff., zur aktuellen Relevanz der Konzepte auch Busse 2012: 522ff. 2 Das von Polenzʼsche Konzept der semantischen Rollen wird in der germanistischen Linguistik seit vielen Jahren rezipiert (vgl. zuletzt Busse 2012: 522ff., etwas eigenwillig bei Primus

Strukturschemata zur Angabe von Konstruktionsbedeutungen | 25

3.1.1 Form und Bedeutungsseite einer Konstruktion bei Goldberg Die ersten konstruktionsgrammatisch motivierten Studien – z.B. Fillmore (1988) – sind im Zeichen der Auseinandersetzung mit der generativen Grammatik entstanden. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass eine erste Typologie von Konstruktionen stark an syntaktischen Strukturen orientiert ist:3 – Subjekt-Prädikat-Konstruktion, – Komplement-Konstruktion, – „Determinant/Head“-Konstruktion und – Modifikations-Konstruktion. Diese führt Wildgen in seiner Kognitiven Grammatik (2008) auf Fillmore (1988) zurück, ohne allerdings auf den aktuellen Stand in der konstruktionsgrammatischen Diskussion einzugehen. Das erwähnte relativ überschaubare Set von Konstruktionen wurde alsbald zur Grundlage von Hierarchien, die zunehmend auch die Bedeutungsseite von Konstruktionen in den Vordergrund rückten. So beschreibt Goldberg in Constructions (1995) und in Constructions at Work (2006a) neben Transitiv- und Ditransitiv-Konstruktionen auch ResultativKonstruktionen (vgl. bspw. Goldberg 1995: 141ff. und 180ff., 2006a: 7ff.; auch Boas 2003 und Müller 2007) und analysiert Konstruktionshierarchien sowie Vererbungs- und Verlinkungsregeln (vgl. Goldberg 1995: 108ff.). Die Satzbaupläne konstruktionsgrammatischer Ausrichtung, etwa die Konstruktionen nach Fillmore, werden bei Goldberg und dann auch bei Croft (2001) nach und nach in eine Hierarchie eingeordnet, die von der Bedeutungsseite her motiviert ist. Goldberg (1995) verwendet ein einfaches Modell zur graphischen Illustration der Struktur einer Konstruktion. Dargestellt wird in Abbildung 2 exemplarisch die Struktur der Ditransitiv-Konstruktion, in die das Verb mail eingebettet ist.

|| 2012), in neueren kognitiv-semantischen Studien wieder aufgegriffen und weiterentwickelt und für gebrauchsbasierte konstruktionsgrammatische Studien fruchtbar gemacht. 3 Diese Konstruktionen wählt Wildgen (2008) in seiner Kognitiven Grammatik aus, um die Konstruktionsgrammatik nach Fillmore zu beschreiben. Allerdings geht Wildgen in seiner Einführung nicht auf Crofts Konzept der Radical Construction Grammar oder andere sprachgebrauchsbasierte Ansätze ein.

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Abb. 2: Das Verb mail in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 53). Direktlink: https://goo.gl/lPEkbL; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Goldbergs Notation der Ditransitiv-Konstruktion ist folgendermaßen zu lesen: Die lexikalisch nicht spezifizierte Ditransitiv-Konstruktion hat die Form [[V][SUBJ][OBJ][OBJ2]]; sie stellt also die syntaktischen Leerstellen Subjekt, direktes Objekt und indirektes Objekt bereit. Die (abstrakte) Bedeutung der Konstruktion lässt sich durch CAUSE-RECEIVE mit drei Argumentleerstellen, nämlich Agens (agent), Empfänger (receiver) und Patiens (patient) angeben. Form und Bedeutung sind konventionell miteinander verbunden. In diese DitransitivKonstruktion wird das Verb mail eingebettet. Die Konstruktion legt dabei die Art und Weise fest, wie das Verb in die Konstruktion integriert wird. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine Relation des Typs „Instanz“ (instance). Das bedeutet, dass die angenommene Konstruktionsbedeutung mit der des Verbs korrespondiert. Weiterhin bestimmt die Konstruktion, welche syntaktischen Rollen – hier: SUBJ und OBJ2 – obligatorisch mit den semantischen Rollen (Argumentrollen), hier Agens (agent) und Patiens (patient), fusioniert werden. Die Rolle des Empfängers (receiver) – und mithin die Realisierung eines Objektes auf der formalen Seite – kann hier durch die Ditransitiv-Konstruktion gesteuert werden, obligatorisch ist dies jedoch nicht. Sollte also die Konstruktion eine profilierte Argumentrolle bereitstellen, die nicht als obligatorisch in der Valenz des Verbes angelegt ist, so wird dies durch eine gestrichelte Linie zum Ausdruck gebracht: Der Empfänger (receiver), in der Valenz des Verbs mail von Goldberg als nicht obligatorische Partizipantenrolle (nicht lexikalisch profiliert [lexically profiled], vgl. Goldberg 1995: 53) eingestuft, wird durch die Konstruktion beigesteuert. Die senkrecht verlaufenden durchgezogenen Linien und Pfeile zeigen

Strukturschemata zur Angabe von Konstruktionsbedeutungen | 27

an, welche Rollen im Fall der Ditransitiv-Konstruktion mit mail fusioniert werden.4 Augenscheinlich wird an diesem Modell das zentrale Anliegen der Konstruktionsgrammatik, eine Konstruktion als Form-Bedeutungspaar zu verstehen und vor allem den Zusammenhang zwischen Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung inklusive ihrer Rollenpläne zu veranschaulichen. Goldberg geht von einem semantischen Zusammenhang aus, der sich von einer Handlung (CAUSE-RECEIVE) her aufspannt und unterschiedliche Akteure integriert – sie stellt gewissermaßen das Fillmoreʼsche Set an Konstruktionen auf den Kopf, indem sie nicht mehr von der formseitigen Struktur, sondern von der Bedeutung her argumentiert. Deutlich wird zudem, dass Goldbergs Ansatz stark beeinflusst ist von der Valenztheorie; er orientiert sich nämlich daran, mit welchen Ergänzungen ein Verb gemeinsam auftritt.5 Der Fokus liegt anders als bei der Valenztheorie aber nicht allein auf der Verbbedeutung; vielmehr wird postuliert, dass die Argumentstruktur selbst eine bedeutungstragende sprachliche Einheit ist. Nicht sichtbar an diesem Modell ist, dass der beschriebenen semantischen Struktur einer Handlung bereits Annahmen über Perspektivierungen durch Sprachbenutzer zugrunde liegen, denn sonst könnten semantische Rollen (agent, receiver, patient) nicht zugewiesen werden. Diese Grundannahmen, die am Ausgangspunkt der Analyse von Konstruktionsbedeutungen stehen, werden allerdings bei Goldberg nicht im Detail beschrieben. Der skizzierte, wenn auch unterkomplex dargestellte Handlungszusammenhang und seine Bedeutung wird nun in eine syntaktische Struktur überführt, in der ein bestimmtes Verb den Handlungszusammenhang und seine Bedeutung aktualisiert. [3]

Joe sent Chicago a letter. (Goldberg 1995: 55; Hervorhebung A.L.)

In [3] ist es das englische Verb send (‚senden‘), welches hinsichtlich seiner Verbbedeutung als eine Instanz (instance) der Konstruktionsbedeutung analysiert wird. In Goldbergs Beispiel ist Chicago Empfänger eines Briefes, wobei mit Chicago metonymisch auf einen oder mehrere Bewohner der Stadt oder auch auf eine Institution der Stadt, für die Chicago steht, referiert, so dass die semanti-

|| 4 Vgl. zum Konstruktionsbegriff Goldbergs Kap. 2.1, zur Fusionierung weiter Goldberg 1995: 50–56 und Evans & Green 2006: 671–680 sowie den Überblick in Smirnova & Mortelmans (2010) und Ziem & Lasch 2013. 5 Die Valenzgrammatik würde allerdings sagen: ‚die ein Verb fordert‘, vgl. etwa Welke 2011.

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sche Ausdifferenzierung der Rolle des Empfängers erschwert wird, zumal das Verb diese Rolle nicht bereitstellt und keine Fusionierung erfolgen kann.

Abb. 3: Das Verb send in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 55). Direktlink: https://goo.gl/tmbRwj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Argumentation von Goldberg geht bei diesem Beispiel dahin, dass im Beispielsatz durch die Konstruktion bedingt die Lesart des ‚belebten Empfängers‘ bevorzugt werden kann. Goldberg fasst dies folgendermaßen zusammen: The difference in semantics [Chicago als Ort bzw. als belebter Empfänger] is attributed to an effect of the ditransitive construction, since the construction imposes the constraint that the “send.goal” role must be a recipient, and therefore animate. (Goldberg 1995: 55)6

Dieser ‚Effekt‘ der Lesarterzwingung wird von Goldberg in Anlehnung an andere Arbeiten im Zusammenhang mit der CAUSED-MOTION-Konstruktion als „coercion“ bezeichnet: „[C]oercion is only possible when a construction requires a particular interpretation that is not idenpendently coded by particular lexical items.“ (Goldberg 1995: 159) Drei Probleme ergeben sich dennoch in Bezug auf das Beispiel und dessen graphische Veranschaulichung in Abbildung 3: Mit Blick auf die Valenz des Verbs senden (bzw. englisch to send) ist erstens festzustellen, dass die von Goldberg postulierte Partizipantenrolle „send.goal“ durchaus auch als Komplement (neben drei weiteren) geführt werden kann; unklar bleibt in Goldbergs Darstellung jedenfalls, inwiefern die Partizipantenrolle tatsächlich mit der semantischen Rolle Empfänger korreliert (vorausgesetzt, Chicago wird metonymisch als eine Institution o.ä. der Stadt Chicago interpretiert) oder aber „Ziel“

|| 6 Vgl. zu diesem Phänomen weiter Michaelis 2003.

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selbst als eine semantische Rolle anzusetzen ist.7 Zweitens könnte man vor diesem Hintergrund mutmaßen, dass eine Beschränkung auf eine bestimmte Art (und Anzahl) von Argumentrollen auf Konstruktionsebene für diese Frage nach der Zuweisung von semantischen Rollen verantwortlich sein könnte. So wäre zu erwägen, das Set an semantischen Rollen zu erweitern und damit Vernetzungen zwischen Konstruktionen anzuzeigen, in denen z.B. eben eher „goal“ oder aber eher „receiver“ oder „object“ an der Stelle von „patient“ (hier ist das der ‚Brief‘) als Argumentrolle profiliert wird; wir werden auf diese Diskussion zurückkommen. Drittens ist kritisch anzumerken, dass Goldberg zumindest im Rahmen der graphischen Veranschaulichung der Konstruktion (vgl. Abb. 2 und 3) nicht zwischen Wortarten, also kategorialen Größen, und syntaktischen Funktionen, also relationalen Einheiten, unterscheidet. So stehen Kennzeichnungen der Wortart Verb (V) gleichrangig neben Bezeichnungen der syntaktischen Relationen Subjekt und Objekt (SUBJ, OBJ). Den semantischen Rollen des Handlungszusammenhangs entsprechen auf der syntaktischen Ebene der sprachlichen Realisierungen bei Goldberg jedenfalls syntaktische Rollen, die im Beispiel als Verb, Subjekt und zwei Objekte bestimmt werden. Dieser Zusammenhang wird von Goldberg als „Konstruktion“ bezeichnet (vgl. Kap. 2.1). Nicht nur an der Beschreibung der Bedeutungsdimension der Konstruktion ist Kritik zu üben; auch die Analyse der Formseite der Konstruktion hält bei genauerem Hinsehen einer sachorientierten Einschätzung nicht Stand. Mit der Angabe von syntaktischen Funktionen fließen nämlich semantische Merkmale in die Beschreibung der Formebene der Konstruktion ein. Dies ist aber gar nicht notwendig: Eine Angabe der formalen Eigenschaften – wie Wortart oder Art der Phrase im jeweiligen Kasus – reicht vollkommen aus, um eine eindeutige Beschreibung vorzunehmen, semantische Differenzierungen sind dagegen in der Bedeutungsdimension notwendig. Greift man dabei auf ein ausreichend komplexes Set an semantischen Rollen zurück, können grammatische Phänomene hinreichend differenziert beschrieben werden, da sich etwa Abfolgeprinzipien und Gefälle (Teil-/Ganzes-Relation, Einfachheit, Agentivität etc. vgl. Primus 2012: 52ff.) in der Angabe von z.B. Prädikationsrahmen (vgl. unten Kap. 3.1.4) abbilden lassen. Von diesen Kritikpunkten abgesehen ist ein weiteres zentrales Moment im Goldbergʼschen Modell einer Konstruktion hervorzuheben: die Beziehung zwi-

|| 7 Vgl. dazu den Eintrag „senden I 1 (lesartspezifische Angaben)“ im elektronischen Valenzwörterbuch E-VALBU. Auf die Möglichkeit eines Zirkelschlusses muss hier freilich hingewiesen werden: Das E-VALBU orientiert sich stark an framesemantischen Prämissen (vgl. weiter unten Kap. 3.1.3) (http://hyper-media.ids-mannheim.de/evalbu/index.html; Stand: 16.09.2016).

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schen semantischer Struktur und syntaktischer Realisierung. Sie kommt etwa in den Blick, wenn die Verben mail oder send als integrale Bestandteile einer Konstruktion betrachtet werden. So lässt sich die Interaktion zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung fokussieren. Goldberg qualifiziert in den vorliegenden Fällen die einschlägige Relation als Instanz (vgl. oben Abb. 2 und 3), das heißt, dass die Verbbedeutung die Konstruktionsbedeutung ‚expliziere‘. Insgesamt unterscheidet Goldberg (1995: 59–66) zwischen sechs Typen von Relationen: instance, means, manner, causes, result, intended result. Diese können letztlich auf vier Relationstypen reduziert werden,8 da means, manner und causes auf eine modale Relation zwischen Verbbedeutung und Konstruktionsbedeutung hinweisen. Diese Typen der Relationen zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung diskutieren wir weiter unten am Eingang von Kap. 3.2.1, da wir dann in einem integrierten Modell bereits eine Notationsmethode wählen, die die Diskussion der Satzsemantik nach von Polenz (2008) voraussetzt (vgl. dazu Kap. 3.1.4).

3.1.2 Relativierung funktionaler Kategorien bei William Croft Im Folgenden werden die bisherigen Überlegungen an einem etwas komplexeren Modell, welches die Interaktionen zwischen syntaktischen Konstruktionen genauer in den Blick nimmt, geprüft. Dieses verwendet William Croft in seiner Radical Construction Grammar (2001). Die interne Struktur einer Konstruktion illustriert Croft (2001) mithilfe einer Graphik, welche im Folgenden dazu genutzt werden soll, die Struktur von Konstruktionen noch einmal auf eine andere Weise zu beschreiben und den Zusammenhang von Form und Bedeutung detailliert zu analysieren (vgl. Abb. 4).

|| 8 Goldberg erläutert auf der Basis von Croft (1991) nur die Relation causes im Detail. Am Beispiel Das Boot segelt in die Höhle (im Original: „The boat sailed into the cave“) erläutert sie diese Relation in dem Sinne, dass sie impliziere, dass „motion can only be conflated if the activity of sailing causes the motion“ (Goldberg 1995: 61). Da es ihr nicht um eine Ausdifferenzierung der Relationstypen, sondern um Beispiele für die Verletzung dieser speziellen Relation geht (vgl. ebd. 62ff.), greifen wir hier nicht systematisch auf die von Goldberg genannten Relationstypen zurück.

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Abb. 4: Interne Struktur einer Konstruktion nach Croft (2001: 176). Direktlink: https://goo.gl/tmbRwj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Im Wesentlichen bildet auch Croft die für Goldbergs Modell zentralen Annahmen der Konstruktionsgrammatik ab, jedoch wählt er eine Darstellung, welche semantische und syntaktische Strukturen gleichermaßen differenziert berücksichtigt. Die Konstruktionsbedeutung selbst wird repräsentiert durch die „symbolische Beziehung“, in der Form- und Inhaltsseite einer Konstruktion zueinander stehen. Diese wird realisiert durch die „symbolischen Beziehungen“, die von syntaktischer Ebene aus beschrieben die Elemente (syntaktische Funktionen) mit den Komponenten von semantischer Ebene (semantische Rollen) aus betrachtet konstituieren. Nicht nur diese stehen dabei in einem Zuordnungsverhältnis (charakterisiert durch die in beide Richtungen weisenden Pfeile), sondern auch die semantischen Komponenten untereinander, die Croft als „semantische Beziehungen“ ausgehend von valenztheoretischen Annahmen analysiert. In einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich die Radical Construction Grammar von einigen anderen Ansätzen: Sie nimmt ausdrücklich nicht an, dass

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die syntaktischen Funktionen als Relation zweier unterschiedlicher Rollen auf syntaktischer Seite aufzufassen sind: Radical Construction Grammar differs from other construction grammars and from componential syntactic theories, however, in that it dispenses with syntactic relations, that is, relations between the syntactic elements of a construction. (Croft 2001: 175)

Dies wird in der Darstellung von Croft mittels des gestrichelten Pfeils ausgedrückt und entspricht auch der hier vertretenen Auffassung, dass Goldberg nicht genau zwischen formalen und funktionalen Beschreibungen differenziert und syntaktische Funktionen in der formalen Beschreibung von sprachlichen Einheiten auszeichnet. Die fehlende Klammerbildung auf syntaktischer Ebene ist daher bei Croft (vgl. oben Abb. 4) kein Versäumnis, sondern Ausdruck dafür, dass hier die Überzeugung vertreten wird, dass nur von der Bedeutungsseite von Konstruktionen her eine Analyse von sprachlichen Strukturen anzustreben ist. In Crofts Modell finden konsequenterweise syntaktische Relationen keinen Eingang. Das Croft’sche Schema erlaubt es – und darin liegt hier seine Relevanz –, sowohl die an der Argumentstruktur des Verbs orientierten Analysemöglichkeiten, die Goldberg auf der semantischen Ebene offeriert, als auch Fillmores eher auf die Formseite von Konstruktionen ausgerichtete Analyse (vgl. etwa SubjektPrädikat-, Komplement-, Determinant-Head- und Modifikations-Konstruktion) in einem Beschreibungsmodell anschaulich zu machen. Es plausibilisiert weiter, dass syntaktische Funktionen nicht notwendig sind, um die formalen Merkmale sprachlicher Einheiten in größeren sprachlichen Zusammenhängen adäquat zu beschreiben.

3.1.3 FrameNet FrameNet verfolgt das Ziel, die syntaktische und semantische Valenz von Wörtern und festen Mehrworteinheiten umfänglich zu erfassen. Dabei sieht FrameNet mit gutem Grund davon ab, ein festes Set an Frameelementen (semantischen Rollen) zu definieren (Fillmore & Baker 2010). Dies war noch in Fillmores (1968) Theorie so genannter ‚Tiefenkasus‘ (deep case frames) der Fall. Das angestrebte Vorhaben, lediglich sechs Tiefenkasus anzusetzen, sieht Fillmore (2006: 616) rückblickend als problematisch an – Goldbergs Modell der internen Struktur einer Konstruktion (vgl. Kap. 3.1.1) basiert jedoch noch darauf. Dieser Einsicht Fillmores trägt das korpuslinguistische FrameNet-Projekt Rechnung,

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das Fillmore Ende der 1990er Jahre am International Computer Science Institute in Berkeley initiiert hat (zur Einführung umfassend Busse 2012). An dieser Stelle soll nur knapp illustriert werden, welche Möglichkeiten der Erweiterungen der Goldbergʼschen Strukturdarstellung sich ergeben, wenn man auf ein offenes Set an Frameelementen (semantischen Rollen) für die Analyse von Konstruktionen in formaler wie semantischer Hinsicht zurückgreift. Für die Diskussion ziehen wir noch einmal kurz das bereits thematisierte Beispiel [3] heran (vgl. oben Kap. 3.1.1): [3]

Joe sent Chicago a letter.

Mit Goldberg haben wir zunächst angenommen, dass die semantische Ausdifferenzierung der Rolle des Empfängers aufgrund der Metonymie von Chicago nicht ohne weiteres möglich ist. Auch wenn ein ‚belebter Empfänger‘ laut Goldberg nicht als Rolle durch das Verb send bereitgestellt wird (und folglich mit den Argumentrollen der Konstruktion hier keine Fusionierung erfolgen kann), ist es doch möglich anzugeben, in welchen syntaktischen und semantischen Bezügen es in konkreten Sprachdaten erscheint, um ein komplexes Modell von formalen und semantischen Vernetzungsoptionen aufzuzeigen. Nichts anderes wird mit dem Frame Sending möglich, wobei wir uns hier auf die Frameelemente (FEs) des Kerns (core) beschränken wollen:9 A SENDER plans the Path (along with Source and GOAL) of a THEME and places it in circumstances such that it travels along this Path under the power of some entity other than the SENDER. This frame also has a RECIPIENT distinct from the GOAL, as both can be present: “I SENT the manuscript to England to Bill.10

Die Differenzierung zwischen GOAL und RECIPIENT fließt bei Goldberg auf der Ebene des in die Konstruktion eingebetteten Verbs send ein (und zwar als lexikalisch nicht profilierte Rolle), doch kann man sich fragen, wie die Rolle auf dieser Ebene aktualisiert wird, wenn sie als Argumentrolle auf der Ebene der

|| 9 An dieser Stelle steht vor allem die Beschreibung der Frameelemente (FEs) im Vordergrund. Phrasentypen (PTs) und grammatische Funktionen (GFs) werden der Einfachheit halber hier ausgeblendet, sie sind aber notwendig, um die grammatische Realisierung sprachlicher Aussagen zu erfassen (vgl. Fillmore & Johnson & Petruck 2003: 238). 10 So wird der Frame Sending in FrameNet beschrieben, vgl. Frame Index, online verfügbar: https://framenet2.icsi.berkeley.edu/fnReports/data/frameIndex.xml; Stand: 16.09.2016. Hervorhebungen nicht im Original; Kern-Frameelemente sind durch Kapitälchen, Frameelemente, die nicht dem Kern angehören, dagegen durch Kursivierung kenntlich gemacht.

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Konstruktion aufgrund eines beschränkten Sets an ‚Tiefenkasus‘ nicht hinreichend differenziert werden kann (Abb. 5):

Abb. 5: Das Verb send in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 55). Direktlink: https://goo.gl/tmbRwj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Selbst wenn man – wie Goldberg – also davon ausgeht, dass die nicht obligatorische Partizipantenrolle (send.goal) des Verbs send durch die profilierte Argumentrolle Empfänger der Konstruktion ererbt wird, stellt sich die Frage, ob man auf der Konstruktionsebene nicht besser zwischen GOAL und RECEIVER unterscheiden sollte und damit zwischen verschiedenen Subtypen von Konstruktionen in einem Konstruktionsnetzwerk. Es kann gewinnbringend sein, auf dieser Ebene auf eine offene Klasse an Kern-Frameelementen zurückzugreifen (das entspräche der gebrauchsbasierten prototypischen Kategorisierung), die auf der Basis entsprechend annotierter Beispielsätze identifiziert werden – Busse (2012: 707–734, zu Frames, Frame-Relationen und Frame-Elementen vgl. besonders die Abbildung 7–19 auf 723 nach Fillmore & Baker). Die Möglichkeit, über ein größeres Set an induktiv ermittelten Frameelementen (hier: GOAL und RECEIVER) zu verfügen, um Konstruktionsbedeutungen zu spezifizieren, schließt zugleich die Gefahr ein, dass so auf ein Konzept zurückgegriffen wird, das zwischen syntaktischen, semantisch-pragmatischen sowie medialen Aspekten von (nicht nur sprachlichen) Zeichen und deren Gebrauch nicht hinreichend differenziert, da es ganzheitlich den Raum ‚menschlicher Erfahrung‘ im Blick hat (auch hierzu vgl. Busse 2012: 734–738 mit Bezug auf von Polenz 2008). Der Gewinn einer solchen erweiterten Forschungsperspektive bestünde andererseits möglicherweise darin, den stark an semantischer und insbesondere syntaktischer Valenz ausgerichteten Frame-Begriff, der dem FrameNet-Projekt zugrunde liegt, näher an das eher kognitiv orientierte Frame-Konzept heranzuführen, das Fillmore seit Mitte der 1970er Jahre entwi-

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ckelt hat (Fillmore 1975, auch: Fillmore 1982 und 1985a und b). Unter „Frames“ versteht Fillmore hier Schemata, die in der ‚menschlichen Erfahrung‘ verankert sind:11 The frame is this. There are certain schemata for frameworks of concepts or terms which link together as a system, which impose structure or coherence on some aspects of human experience, and which may contain elements which are simultaneously parts of other such frameworks. (Fillmore 1975: 123)

Als eine weitere Möglichkeit, das valenzorientierte Frame-Konzept in FrameNet zu erweitern, könnte sich die Satzsemantik von Peter von Polenz erweisen, die explizit an Fillmore (1968) anschließt und in letzter Konsequenz eine „Inhaltsgrammatik“ (von Polenz 2008: 180; vgl. Busse 2012, der diesen Bezug ebenfalls herstellt) fordert, die von Polenz allerdings mit seinen Mitteln 1985 nur skizzieren kann. Von Polenz‘ Satzsemantik richtet sich vor allem an Verben aus, die Prädikatsklassen zugeordnet werden; diese nutzt von Polenz wiederum für die Bestimmung von Prädikationsrahmen, die durch Aussagerahmen spezifiziert werden. Diese Sichtweise auf eine „Inhaltsgrammatik“ ist (und war) weder für valenztheoretische Arbeiten noch für andere Grammatikmodelle anschlussfähig, auch wenn von Polenz – wie Fillmore (1968) und FrameNet – auf die Argumentstruktur des Verbs setzt. Allerdings weist das von Polenzʼsche Konzept eine große Nähe zur konstruktionsgrammatischen Idee auf, auch syntaktisch komplexe Konstruktionen über die Bedeutungsseite dieser Einheiten zu beschreiben. Deshalb lassen sich die satzsemantischen Konzepte in die Konstruktionsgrammatik integrieren, ohne diese zu einer „Inhaltsgrammatik“ umwidmen zu müssen.

|| 11 Zu den verschiedenen Frame-Begriffen, die (1) Fillmores Kasusrahmen-Theorie (Fillmore 1968), (2) Fillmores Konzept einer „understanding semantics“ (etwa Fillmore 1985b) und (3) FrameNet (Ruppenhofer et al. 2010) zugrunde liegen vgl. den Überblick in Ziem in 2014b. Zu einer Annäherung des valenzorientierten und kognitiv ausgerichteten Frame-Konzepts könnte möglicherweise auch ein intensiver Austausch zwischen den framesemantischen Ansätzen Fillmores und anderen Arbeiten führen, die sich ebenfalls um die Weiterentwicklung der Fillmoreʼschen Konzepte bemühen (so etwa Busse 2012 oder Ziem 2008). Eine umfängliche Erörterung der theoretischen wie auch methodisch-praktischen Relevanz des kognitiven FrameKonzepts für die Analyse von Konstruktionsbedeutungen steht allerdings noch aus.

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3.1.4 Prädikations- und Aussagerahmen als Dimensionen der Konstruktionsbedeutung nach Peter von Polenz Im Folgenden erläutern wir die von Polenzʼschen Konzepte (1) der Prädikatsklasse, (2) der semantischen Rolle und des Prädikatsrahmens sowie (3) des Aussagerahmens. Das Ziel besteht darin, eine mögliche konstruktionssemantische Analyseperspektive aufzuzeigen, die dann in dieser Studie zum Einsatz kommt. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Annahme, dass die von Polenzʼschen satzsemantischen Konzepte dazu beitragen können, Konstruktionsbedeutungen analytisch detaillierter zu erfassen. Ob und inwiefern die Konzepte, die von Polenz bereits vor den ersten konstruktionsgrammatischen Studien entwickelt hat, tatsächlich die konstruktionsgrammatische Theoriebildung bereichern werden, wird die Zukunft erweisen. Prädikatsklassen, semantische Rollen und Prädikationsrahmen fassen ein Set von Analysewerkzeugen zusammen, die Sprachbeschreibung aus einer alternativen Perspektive möglich machen. Anders als in ‚traditionellen‘ Grammatiken, in denen formale und syntaktische Merkmale besonders berücksichtigt werden, ist es der Satzsemantik ein Anliegen, eine „Inhaltsgrammatik“ bereitzustellen. Konstruktionsgrammatisch motivierte Studien können an die in der Satzsemantik entworfene alternative Beschreibung des Zusammenhangs von Form und Bedeutung sprachlicher Einheiten von der Bedeutungsseite her anknüpfen, um diese dann weiterzuentwickeln und für eine verständliche und differenzierte Beschreibung von Konstruktionen zu nutzen. Ausgangspunkt bilden dabei die so genannten Prädikatsklassen. Peter von Polenz unterscheidet – in einer „sicher noch nicht vollständige[n] Liste“ (von Polenz 2008: 159) – folgende Prädikatsklassen: – Aktionsprädikate: HANDLUNG, – Prozessprädikate: VORGANG, – Statusprädikate: ZUSTAND, – Qualitätsprädikate: EIGENSCHAFT und – Genusprädikate: GATTUNG. Wichtig ist dabei, dass diese Liste nicht als abgeschlossen gelten darf und dass die einzelnen Klassen noch weiter nach Subklassen differenziert werden können (z.B. HANDLUNG > AUFFORDERUNG, TÄTIGKEIT, MASSNAHMEN [...]). Ein Verb kann je nach kontextueller Einbindung – und das ist für die konstruktionsgrammatischen Studien elementar – nicht fest einer semantischen Prädikatsklasse zugewiesen werden. Handlungs- und Vorgangsprädikate lassen sich weiter noch nach den so genannten Aktionsarten (durativ/imperfektiv, ingres-

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siv/inchoativ, egressiv/resultativ, iterativ usw.) unterscheiden: Diese Unterscheidung nehmen wir in abgewandelter Form für die Bestimmung der Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung wieder auf. Zustandsprädikate und Eigenschaftsprädikate nehmen generell Bezug auf die Eigenschaften von Lebewesen, Dingen oder Abstrakta. Während erstere allerdings die Veränderlichkeit von Zuständen anzeigen, weisen letztere auf unveränderliche Eigenschaften von Lebewesen, Dingen oder Abstrakta hin: Es ist ein Unterschied, ob [4] oder [5] vorliegt, auch wenn die Grenze zwischen Zustandsveränderung und Eigenschaft immer neu auszuloten ist. [4]

Leonard wird blond. (Haarfarbe als veränderbarer ZUSTAND)

[5]

Leonard ist blond. (‚naturblond‘ als EIGENSCHAFT)

Als Zustands- und Eigenschaftsprädikate sind die so genannten Kopulaverben (sein, bleiben, werden) einzustufen; die gleichberechtigte Behandlung adjektivischer (im Beispiel blond) und partizipialer Prädikatsausdrücke ist vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen um das Passiv (vgl. unten Kap. 4.2) konsequent.12 Dieselbe Frage stellt sich ebenfalls bei den Gattungsprädikaten, die ein Objekt klassifizieren und nach von Polenz (2008: 164) „ausschließlich durch prädikative Substantive ausgedrückt“ werden – das heißt aber wiederum: mit fast ausschließlich jener Gruppe von Verben, die bereits die Eigenschafts- und Zustandsprädikate bilden. Vergleiche etwa Beispiel [6]. [6]

Er wird/ist Lehrer.

[6] ist nach von Polenz ein Gattungsprädikat, obwohl eine Einstufung als Zustands- bzw. Eigenschaftsprädikat ebenfalls möglich wäre. Wir übernehmen die strikte Trennung zwischen Zustands- und Eigenschaftsprädikaten auf der einen und Gattungsprädikaten auf der anderen Seite nicht, die zwar eine bestimmte Eigenschaft oder einen Zustand in Bezug auf eine Klassifikation aber damit dennoch eine Eigenschaft oder einen Zustand festlegen. Deshalb gehen wir vorerst von vier Prädikatsklassen (und angegliederten Subklassen, die der systematischen Ausarbeitung bedürfen) aus:

|| 12 Von Polenz (2008: 163) schließt auch diese ein, indem er Zustands- und Eigenschaftsprädikate zusammen mit adjektivischen Prädikatsausdrücken beschreibt: „Ein großer Teil der Eigenschaftsprädikate wird durch adjektivische Prädikatsausdrücke bezeichnet: ‚sind gleichberechtigt‘ [...].“

38 | Im Fokus: Konstruktionsbedeutungen

– – – –

Aktionsprädikate: HANDLUNG, Prozessprädikate: VORGANG, Statusprädikate: ZUSTAND und Qualitätsprädikate: EIGENSCHAFT.

In seiner Darstellung der Oberflächen- und Tiefenstruktur deutscher Sätze greift von Polenz auf Fillmores (1968) Konzept so genannter Kasusrollen bzw. Tiefenkasus zurück. Damit nimmt er Bezug auf die elementare Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefenkasus, die Fillmore – einer der wichtigsten Konstruktionsgrammatiker der ersten Generation – zum Ausgangspunkt seiner Kasusgrammatik macht (vgl. dazu auch knapp Kap. 5.2.3.1). Grundsätzlich sind auf der formalen Seite Oberflächenkasus zu bestimmen, die allerdings nicht eins zu eins mit bestimmten semantischen Rollen (bzw. Tiefenkasus) korrelieren. Im Weiteren sprechen wir von grammatischen Kasus (und syntaktischen Funktionen) auf der formalen Ebene und semantischen Rollen auf der inhaltlichen Ebene, um problematische oder gar falsche Bezugnahmen zu vermeiden. In [7] sind die syntaktische Funktion des Subjekts und die semantische Rolle des Agens aufeinander bezogen. [7]

Lewin pflückt einen Apfel.

Dass man das Subjekt an seinem grammatischen Kasus (Nominativ), also seinem Oberflächenkasus, erkennen mag, hilft in diesem (!) Beispiel bei der Bestimmung dieser syntaktischen Funktion. Bezieht man in die Bestimmung von Konstruktionen eine differenzierte Beschreibung von Prädikatsklassen auf der einen Seite und semantischen Rollen auf der anderen Seite in die Analyse ein, kann man auf die Bestimmung syntaktischer Funktionen verzichten, da sie nur eine Möglichkeit darstellen, einen Zusammenhang zwischen Form und Bedeutung herzustellen, auf den hier, vgl. oben Kap. 3.1.2, jedoch gerade nicht abgehoben werden soll. Aus diesem Grund sind alle sprachlichen Phänomene in den folgenden Analysen auf der Formseite nur hinsichtlich der grammatischen Oberflächenkasus bestimmt. Insgesamt unterscheidet von Polenz 19 semantische Rollen, weist aber darauf hin, dass es „von den Anwendungszwecken abhängig“ sei, auf welche Rollen man zurückgreife. „Wieviele Rollen-Typen man [davon abgesehen überhaupt] ansetzen kann/soll/darf, [wird von dieser praktischen Frage unabhängig] immer umstritten bleiben“ (von Polenz 2008: 169) – diese Unbestimmtheit und Offenheit eines Sets semantischer Rollen wurde in der Forschung häufig kritisch gesehen, aus konstruktionsgrammatischer Perspektive ist sie zu begrü-

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ßen.13 In Ziem & Lasch 2013 wurde von Lasch 125f. ein Set semantischer Rollen vorgestellt, welches die Rollen nach von Polenz (2008: 167–174) erweitert und in Lasch 2014a und Lasch im Druck bereits im Hinblick auf nonagentive Konstruktionen in der Analyse verwendet wurde. Das Set wurde für diese Studie nochmals überarbeitet und leicht modifiziert und erweitert:14 – AGENS (AG) – Handelnder15 ‣ COMITATIV (COM) – Begleiter des Handelnden ‣ SUBSTITUTIV (SUB) – Stellvertreter des Handelnden – PATIENS (PAT) – Person als „BETROFFENES OBJEKT einer HANDLUNG […] Subtyp des AOB, Überschneidung mit BEN und CAG“ (von Polenz 2008: 170) ‣ CONTRAAGENS (CAG) – Partner einer Handlung als (verbaler) Interaktion ‣ EXPERIENCER (EXP) – „Person, die einen psychischen VORGANG oder ZUSTAND an sich ERFÄHRT“ (von Polenz 2008: 170) ‣ BENEFAKTIV (BEN) – Nutznießer oder Geschädigter einer Handlung, Subtyp des EOB – OBJEKT (OB) – Betroffener oder Betroffenes einer Handlung oder eines Vorgangs, Oberbegriff für AOB, EOB und SOB ‣ AFFIZIERTES OBJEKT (AOB) – von einer Handlung oder einem Vorgang betroffene Person oder Sache; Überschneidung mit PAT, CAG, BEN und EXP; Subtypen sind ADD und PRIV ‣ EFFIZIERTES OBJEKT (EOB) – durch eine Handlung oder einen Vorgang entstehende Person oder Sache ‣ SPEZIFIZIERTES OBJEKT (SOB) – Person oder Sache, die durch eine Eigenschaftszuweisung (z.B. mittels eines QUAL) eine Spezifizierung erfährt16

|| 13 Vgl. exemplarisch zur Rezeption Eroms 2000: 178–183, der die Fillmoreʼschen und von Polenzʼschen „Kasusrollen“ vergleicht (180f.) und sehr kritisch kommentiert. Zum Einsatz kommen sie nur auf einer ‚mittleren Linie‘ (183), also Agens, Patiens, Objekt und Benefaktiv. Ebenso verjüngt Primus 2012 in ihrer Einführung zu semantischen Rollen das Konzept. 14 Grundsätzlich bleibt mit Primus 2012 (Vorwort) festzustellen, dass „[s]emantische Rollen [...] in den Grammatiken des Deutschen selten systematisch behandelt [werden]. Es existiert bislang auch kein Einführungswerk in diese Thematik.“ Letzteres hat Primus nun vorgelegt, Ersteres ist leider aber immer noch zu konstatieren. 15 Zur Beurteilung des Agentivitätsstatus empfiehlt sich, mit Lakoff (1977) und Dowty (1991) einen mehrdimensionalen Agensbegriff zu vertreten. Dowty unterscheidet vier Dimensionen von Agentivität. Diese Differenzierung ist essentiell für die kontextabhängige Beurteilung semantischer Rollen (vgl. dazu unten Kap. 5.1.2, auch Lasch 2014a und Lasch im Druck).

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– – – – – – – –

CAUSATIV (CAU) – Sachverhalt, der ursächlich für einen anderen Sachverhalt ist INSTRUMENT (IN) – Werkzeug, Mittel, Methode, Verfahren einer Handlung PARTITIV (PAR) – Teil von etwas QUALITATIV (QUAL) – Eigenschaft von etwas POSSESSIV (POSS) – etwas in Besitz oder zur Verfügung Stehendes ADDITIV (ADD) – etwas Hinzugefügtes, welches im Resultat PAR oder POSS ist; Subtyp des AOB PRIVATIV (PRI) – etwas Entferntes, welches im Resultat nicht mehr PAR oder POSS ist, Subtyp des AOB SITUATIV (SIT) – Situation, Oberbegriff für LOC und TE ‣ LOCATIV (LOC) – Ort oder Raum17 ◊ ORIGATIV (OR) – Ausgangspunkt einer Handlung oder eines Vorgangs ◊ DIREKTIONAL (DIR) – Charakterisierung einer zeitlich oder räumlich zurückgelegten (Weg-)Strecke zwischen OR und DES ◊ DESTINATION (DES) – örtliches oder räumliches Ziel einer Handlung oder eines Vorgangs ‣ TEMPORATIV (TE) – Zeitpunkt oder Zeitraum einer Handlung oder eines Vorgangs18

|| 16 Von Polenz postuliert, dass semantische Rollen wie „AG, PAT, BEN [...] nur bei HANDLUNGS-Prädikaten vor[kommen]“ (von Polenz 2008: 173), da er noch von der so genannten ‚Konverse‘ (vgl. dazu unten Kap. 4) ausgeht. Phänomene wie das Dativpassiv hat er nicht im Blick. Stattdessen regt er an, darüber nachzudenken, „ob es für die 1. Bezugsstellen (grammatische Subjekte) von VORGANGS-, ZUSTANDS-, EIGENSCHAFTS- und GATTUNGS-PRÄDIKATEN spezielle Rollen gibt oder ob man hier nur pauschal eine Rolle NULL oder NEUTRALES SUBJEKT ansetzen muss“ (von Polenz 2008: 172). So attraktiv diese Überlegung auch sein mag, so unbefriedigend ist sie im Blick auf Konstruktionen, die hier im Mittelpunkt stehen. Wir übernehmen also explizit die Festlegung von semantischen Rollen auf eine Prädikatsklasse nicht. Allerdings soll die von Polenzʼsche Idee insofern aufgegriffen werden, als eine semantische Rolle des Spezifizierten Objektes (SOB) eingeführt wird, die z.B. in Kopula-Konstruktionen aufgerufen wird: Diese Person oder Sache wird z.B. durch eine Eigenschaftszuweisung hinsichtlich einer Eigenschaft (QUAL) spezifiziert (vgl. Ziem & Lasch 2013, weiter Lasch 2014a und Lasch im Druck). Das Äquivalent zum SOB ist das Frameelement THEME in FrameNet. Eine direkte Übersetzung sollte man jedoch meiden, um nicht das in der textlinguistischen Forschung etablierte Thema-Rhema-Modell und damit eine der Beschreibungsmöglichkeiten transphrastischer Kohärenz in größeren sprachlichen Einheiten aufzurufen. 17 Primus (2012: 63) schlägt hier etwa eine weitere Binnendifferenzierung vor: POSITION, URSPRUNG, WEG, DIREKTIONAL (als Richtung) und ZIEL. Diese ist mit der hier gewählten Differenzierung kompatibel.

Strukturschemata zur Angabe von Konstruktionsbedeutungen | 41

Faktisch handelt es sich – wie auch die Einführung von Primus (2012) zeigt – bei semantischen Rollen also nicht um ein festes Set von wie auch immer gearteten universalsprachlichen Bedeutungsklassen, sondern um ein Klassifikationssystem, welches hilft, die den Prädikatsklassen zugeordneten Verben sowie andere Wortarten und Phrasen mit den ihnen zugewiesenen semantischen Rollen in eine semantische Beziehung zu setzen und dabei die aus der Valenztheorie bekannte Argumentstruktur des Verbs hinzuzuziehen, ohne zugleich das Abhängigkeitsmodell der Valenztheorie vorauszusetzen. Von Polenz (2008: 174ff.) nennt diese Beziehungen „Prädikationsrahmen“ und grenzt diese, hier am Beispiel der Verben des ‚Gebens‘ beschrieben, als „HANDLUNG (AG, CAG, ADD)“ und als einen entsprechenden Subtyp „HANDLUNGv (AGn, CAGd,ADDa)“19 von der lediglich syntaktisch motivierten Darstellung der Satzbaupläne ab (von Polenz 2008: 175). Prädikationsrahmen erlauben, die Bedeutungsseite einer Konstruktion differenziert zu beschreiben und sie zum Ausgangspunkt einer von der Semantik her motivierten Sprachanalyse zu machen; dies ist – wie mehrfach betont – ein zentrales Anliegen der Konstruktionsgrammatik. Das Prädikationsrahmen-Konzept ist zwar motiviert durch Fillmores (1968) Entwurf einer Kasusgrammatik und seinen Versuch, Oberflächenkasus auf eine begrenzte Anzahl an ‚Tiefenkasus‘ (deep cases) zurückzuführen; anders als Fillmore widersteht von Polenz jedoch der Versuchung, ein begrenztes und universalsprachlich gültiges Set an semantischen Rollen anzustreben (vgl. dazu auch Fillmores rückblickend-kritische Einschätzung in Fillmore 2006: 616). Im Anschluss an die vorangegangenen Erläuterungen lässt sich „Prädikationsrahmen“ als allgemeine Bedeutungsdimension der Konstruktion folgendermaßen bestimmen: Der „Prädikationsrahmen“ setzt semantische Rollen, die keine systematisch geschlossene Klasse bilden, und die Prädikatsklassen HANDLUNG, VORGANG, EIGENSCHAFT und ZUSTAND einschließlich ihrer Subtypen in eine spezifische Relation. Er gibt eine allgemeine Bedeutungsdimension der Konstruktion an.

|| 18 Vgl. dazu auch Zifonun u.a. 1997: 1331 und Primus 2012: 76. 19 Neben den Prädikatsklassen und den semantischen Rollen verwendet Polenz ein zusätzliches Klassifikationssystem, um Wortarten (V = Verb), Phrasen (PR = Präpositionale Ergänzung) und grammatische Kasus von Ergänzungen (N = Nominativ, G = Genitiv, D = Dativ, A = Akkusativ) zu markieren. Um komplexere Handlungen, die weitere Handlungen einschließen, beschreiben zu können, nummeriert Polenz die semantischen Rollen (AG1, AG2 usw.), um sie den unterschiedlichen Teilhandlungen, Vorgängen, Eigenschafts- und Zustandszuweisungen zuordnen zu können (vgl. von Polenz 2008: 179ff.). – Wir werden hier einer etwas davon abweichenden Notation folgen.

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Der „Prädikationsrahmen“ wird beschrieben in der Form PRÄDIKATSKLASSEv (Sem. Rolle1, Sem. Rolle2, Sem. Rollen). Der „Prädikationsrahmen“ kann durch formale Merkmale weiter nach Subtypen differenziert werden in der Form PRÄDIKATSKLASSEv (Sem. Rolle1[Phrase][Kasus], Sem. Rolle2[Phrase][Kasus], Sem. Rollen[Phrase][Kasus]).

Neben Prädikationsrahmen führt von Polenz (2008: 174f.) das Konzept eines so genannten „Aussagerahmens“ ein, das er allerdings nicht systematisch beschreibt. Aussagerahmen sind auch für die Analyse von Konstruktionen und ihrer Bedeutungsseite hinzuzuziehen, da nur so eine differenzierte Beschreibung von sprachlichen Phänomenen vorgenommen werden kann. Ohne Aussagerahmen würden nämlich alle Konstruktionen, in denen neben einem Handlungsverb ein Agens und ein Patiens als Argumente auftreten, einem Prädikationsrahmen zugewiesen. [8]

Er kneift ihn.

[9]

Er verrät ihn.

Als HANDLUNGv (AGNPNom, PATNPAkk) ist der Prädikationsrahmen für [8] und [9] anzugeben. Dass dabei kneifen eine physische Handlung und verraten eine Sprachhandlung ist, die ein Agens (AG) zuungunsten eines Patiens (PAT) vollzieht, wird im Prädikationsrahmen nicht abgebildet. Beide Verben, die in die Konstruktion eintreten, stehen hier exemplarisch für eine ganze Reihe von Verben, die eine ähnliche Konstruktionsbedeutung wie kneifen oder verraten aktualisieren: schlagen, quälen, foltern, verpfeifen, beschimpfen, verfluchen usw. Von Polenz hat deshalb zum einen vorgeschlagen, die Prädikatsklassen weiter zu unterteilen (HANDLUNG > TÄTIGKEIT usw. vgl. von Polenz 2008: 168f.), geht aber in seinem Entwurf nicht detailliert auf diese Ausdifferenzierung ein. Zum anderen spricht er von Aussagerahmen, denen sich die in bestimmten Satzbauplänen realisierten Prädikationsrahmen zuordnen lassen (von Polenz 2008: 174): In einer traditionellen Grammatik [...], die primär die syntaktischen Ausdrucksformen beschreibt, ist dieser Aussagerahmen-Typ [sc. Verben des ‚Gebens‘] unter dem Satzbauplan „Subjekt+Prädikat+Dativobjekt+Akkusativobjekt“ verzeichnet, geht dort aber unter in einer noch größeren Zahl von Fällen, die zwar syntaktisch genauso konstruiert sind, aber zu einem anderen semantischen Aussagerahmen gehören.

Strukturschemata zur Angabe von Konstruktionsbedeutungen | 43

Der „semantische […] Aussagerahmen“ stellt demzufolge insofern eine Möglichkeit zur Präzisierung der Bedeutungsdimension dar, als eine Gruppe von Verben, die einen Prädikationsrahmen und eine Dimension der Konstruktionsbedeutung auf vergleichbare Weise aktualisieren, zu einem „semantischen Aussagerahmen“ gruppiert werden, der die Konstruktionsbedeutung weiter spezifiziert. So könnten in unserem Beispiel Aussagerahmentypen ‚Anwendung physischer Gewalt‘ und ‚Anwendung verbaler Gewalt‘ unterschieden werden, die die zweite Dimension der Konstruktionsbedeutung darstellen. Einen Hinweis auf die Gebrauchszusammenhänge von Konstruktionen und damit auf die pragmatische Bedeutungsdimension geben Aussagerahmen, indem sie die Prädikationsrahmen semantisch spezifizieren – sie bilden eine Brücke z.B. zur Pragmatik oder Diskurslinguistik, um grammatische Konstruktionen in größeren sprachlichen Einheiten (wie Aussagekomplexen, vgl. Lasch 2014b und 2015c) zu beschreiben. Um semantisch motivierte Konstruktionsnetzwerke aufzubauen, ist das Konzept des Aussagerahmens unerlässlich. „Aussagerahmen“ als Spezifizierung der Konstruktionsbedeutung lässt sich folgendermaßen definieren: Der „Aussagerahmen“ spezifiziert sowohl Prädikatsklassen und Prädikationsrahmen als auch die Bedeutungsdimension einer Konstruktion. Durch den „Aussagerahmen“ werden zum einen wesentliche semantische Merkmale der in die Konstruktion eingebetteten Verben und zum anderen kontextuelle Bedingungen des Gebrauchs einer Konstruktion berücksichtigt.

Die bereits 1985 vorgetragene Einladung zur Aufarbeitung eines Desiderats, das den Ausbau von Aussagerahmen zu einer „Inhaltsgrammatik“ betrifft, bleibt bis heute jedenfalls unbeantwortet (von Polenz 2008: 180):20 Wer Lust hat, kann sich der sehr reizvollen, aber sehr zeitraubenden und problematischen Aufgabe unterziehen, die (sicher weit über 100) restlichen Typen von Aussagerahmen zusammenzustellen, die es in der deutschen Sprache gibt (oder besser: in unserer heutigen Kommunikationskultur). In einer umfassenden Inhaltsgrammatik der deutschen Sprache wird man dies [...] tun müssen.

|| 20 In diesem Zusammenhang ist auch die Einleitung von Werner Holly zur dritten Auflage zu sehen: „Es gibt Bücher mit einer stillen Karriere“ (Holly 2008: 1), heißt es da, und „[z]weifellos ist in den letzten zwanzig Jahren vieles Neue hinzugekommen; man wird aber auch feststellen, dass vieles Angefangene nicht fortgesetzt worden ist und deshalb vorerst gültig bleibt.“ (Holly 2008: 4).

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Eine Konstruktionsgrammatik des Deutschen kann auf die Arbeit von Polenz‘ zur Satzsemantik zurückgreifen, zumindest dann, wenn es um eine nähere inhaltsseitige Bestimmung von Konstruktionen geht. Hervorzuheben ist abschließend, dass eine direkte Übertragung der Satzsemantik auf konstruktionsgrammatische Modelle freilich nicht möglich ist. Die Studie, die zuerst 1985 erschien, operiert noch nicht mit dem Begriff der Konstruktion, sondern rückt das Verb in den Mittelpunkt, wie man z.B. in Bezug auf die Konstituierung semantischer Rollen gut nachvollziehen kann: Die semantischen Rollen sind keineswegs lexikalische Eigenschaften von Wörtern. Sie haben einen anderen Status als etwa die Angaben der Merkmals-Semantik […], die man den Wörtern als Einträge in einem Wörterbuchartikel beigeben kann. Die Rollen konstituieren sich erst im Satzinhalt durch die Kombination mit einem bestimmten Prädikat innerhalb eines Aussagerahmens. (von Polenz 2008: 173)

3.2 Integriertes Modell: Strukturschema einer Konstruktion Um zu illustrieren, wie sich die satzsemantischen Konzepte in eine Konstruktionsgrammatik integrieren lassen, wird anhand konkreter Beispiele auf die Darstellungen der internen Struktur von Konstruktionen durch Goldberg, Croft und die Frame-Semantik zurückgegriffen. Diese werden schließlich in Bezug zu den Überlegungen gesetzt, die Gegenstand von Kap. 2 waren.21 Kritisch wurde zum einen mit Croft angemerkt, dass Goldberg in der Analyse der Formseite einer Konstruktion auf syntaktische Funktionen rekurriert. Weiter legt Goldberg Annahmen über Sprecher und Sprecherperspektive, die zur Identifizierung semantischer Rollen nötig sind, nicht hinreichend offen. Drittens haben wir die unterschiedlichen Relationen in den Blick genommen, die Goldberg zwischen Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung annimmt. An diesem zentralen Punkt setzen wir nun wieder an, um eine Perspektive für weiterführende Analysen von Konstruktionsbedeutungen unter Einbeziehung satzsemantischer Konzepte zu skizzieren.

|| 21 Die Vor- und Nachteile der entsprechenden Zugriffe auf die Konstruktionsbedeutung wurden ausführlich diskutiert von Lasch in Ziem & Lasch 2013: 131–140.

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3.2.1 Relationierung von Konstruktions- und Verbbedeutung Um die nach Goldberg modifizierte Darstellung der internen Struktur einer Konstruktion einzuführen, wenden wir uns zunächst der Beziehung zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung zu (vgl. dazu oben Kap. 3.1.1). Zur Illustration dienen insbesondere so genannte Geräusch-als-Bewegung-Verben22 mit direktionaler Erweiterung, die in Konstruktionen der Bewegung eintreten. Dies ist u.a. etwa in [10] der Fall: [10]

Leonard geht/schnauft/schlurft nach Hause.

Statt wie Goldberg (1995: 59–66) die Relationen means, manner und causes aufzunehmen, setzen wir eine modale Relation zwischen Verbbedeutung und Konstruktionsbedeutung an. Mit dem Relationstyp modal können dabei nicht nur die Art und Weise, sondern gleichzeitig epistemische Differenzierungen mitgemeint sein. Unter Hinzuziehung der Prädikations- und Aussagerahmen, die wir soeben vorgestellt haben, kann man in der Analyse des gegebenen Beispiels nun zum einen differenzierter bestimmen, wie die Verbbedeutung mit dem semantischen Aussagerahmen und damit auch mit dem Prädikationsrahmen korrespondiert und inwiefern jene Rollen, die die Konstruktionsbedeutung zur Verfügung stellt, mit denen der Verbbedeutung fusionieren. Wir unterscheiden mit Blick auf Prädikatsklassen (hier: HANDLUNG), Prädikationsrahmen (hier: HANDLUNGv [AG,LOC (spezifiziert als DIR bzw. DES)])23 und Aussagerahmen (GEHEN) nun insgesamt vier Relationstypen, die, wie auch die Prädikatsklassen und semantischen Rollen, nicht den Anspruch auf Vollständigkeit haben. Leonard geht nach Hause. HANDLUNGv(=direkt)(AG,DES) Die Verbbedeutung interagiert direkt mit der Konstruktionsbedeutung, die durch Prädikations- und Aussagerahmen ausgedrückt wird (v[=direkt]).

|| 22 Wir greifen hier den Terminus auf, wie er bei Engelberg 2009 und Goschler 2011 verwendet wird. Der Begriff könnte zwar den falschen Eindruck erwecken, hier ginge es weniger um konstruktionsbedingte als um verbsemantische Kategorisierungen; jedoch erscheint es uns unangemessen, hier einen bereits eingeführten Begriff durch einen neuen Terminus zu ersetzen. – Das Phänomen beschrieben für das Englische zuerst Levin & Rappaport Hovav 1989; 1995. 23 Der Locativ (LOC) wird durch die Konstruktion lizensiert. In der Realisierung kann dieser durch ein Direktional (DIR) bzw. ein Ziel der Bewegung (DES) spezifiziert werden. Ob und wie dadurch jeweils Subtypen der Konstruktion etabliert werden, kann und soll hier nicht weiter verfolgt werden.

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Leonard kriecht hinauf aber auch Leonard schlurft hinauf. HANDLUNGv(≈modal)(AG,DIR) Die Verbbedeutung interagiert mit der Konstruktionsbedeutung indirekt derart, dass die Art und Weise, etwa einer Handlung, oder eine Sprechereinstellung in den Vordergrund rückt (v[≈modal]). Leonard kommt nach Hause. HANDLUNGv(≈resultativ)(AG,DES) Die Verbbedeutung interagiert mit der Konstruktionsbedeutung indirekt derart, dass das Resultat, etwa einer Handlung oder eines Vorgangs, in den Vordergrund rückt bzw. ein Zustand als dauerhaft charakterisiert wird (v[≈resultativ]). Leonard bricht nach Hause auf. HANDLUNGv(≈intendiertes Resultat)(AG,DES) Die Verbbedeutung interagiert mit der Konstruktionsbedeutung indirekt derart, dass das intendierte Resultat, etwa einer Handlung oder eines Vorgangs, in den Vordergrund rückt (v[≈intendiertes Resultat]).

Die Relationstypen sind für die Beschreibung der Konstruktionsbedeutung zwingend notwendig, um anzuzeigen, inwiefern die Rollen, die durch die Konstruktion vorgegeben werden, mit denen, die das Verb vorgibt, fusionieren, oder an welcher Stelle die Konstruktion eine Rollenbelegung erzwingt (vgl. Goldberg 1995: 65). Neben der Bestimmung der Relationstypen fließen deshalb nun auch die Überlegungen zu Prädikatsklassen, semantischen Rollen, Prädikationsrahmen und Aussagerahmen mit in die modifizierte Darstellung der Struktur von Konstruktionen ein.

3.2.2 Interne Struktur der Konstruktion Um die Form- und Bedeutungsseite einer Konstruktion zu rekonstruieren, wird mit einem Modell gearbeitet, das – wie dargestellt – im Wesentlichen auf die Modelle zur Darstellung der internen Struktur von Konstruktionen bei Goldberg (1995 u.ö.) und Croft aufbaut (2001 und wieder 2013: 225; zusammenfassend Boas 2013: 234–239).24 Darüber hinaus werden die Prämissen der von Polenzʼschen Satzsemantik (in der aktuellen Auflage von 2008) implementiert (in Bezug auf das Modell vgl. Lasch in Ziem & Lasch 2013: 110–142 und Lasch 2014a, Lasch im Druck). Mit Hilfe dieser Konzepte lässt sich die Bedeutung von Konstruktionen analysieren. Damit ist dann nicht nur eine Beschreibung der

|| 24 Auf stärker formalisierte Ansätze (vgl. aktuell etwa Sag 2012; Boas & Sag 2012; Fillmore 2013; Michaelis 2013; vgl. dazu den Überblick in Ziem & Lasch 2013) wird bei der Repräsentation der internen Struktur von Konstruktionen auf der Ebene der Periphrase nicht zurückgegriffen.

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Struktur von Konstruktionen möglich, sondern auch ihre Vernetzung im so genannten Konstruktikon, das semantische und formale Beziehungen berücksichtigt, darstellbar (vgl. Kap. 3.2.3 und in der Ergebnisdiskussion unten Kap. 11). Wir möchten ein integriertes Modell am Beispiel diskutieren, dafür greifen wir zunächst den schon angeführten Beispielsatz [7] erneut auf, auf den wir auch im Abschluss noch einmal zurückkommen werden: [7]

Lewin pflückt einen Apfel.

Pflücken ist in [7] ein Handlungsprädikat. Es tritt gemeinsam mit einem AG (Lewin, NPNOM) und einem AOB (einen Apfel, NPAKK) auf. Der Prädikationsrahmen ist zunächst anzugeben als HANDLUNGv (AGNPNOM,AOBNPAKK) und dem Aussagerahmen NEHMEN zuzuordnen. Die Bestimmung des direkten Objektes einen Apfel als affiziertes Objekt (AOB) ist dabei stark kontextabhängig, ebenso wäre eine Einstufung als Additiv (ADD) oder Possessiv (POSS) möglich.

Abb. 6: Das Verb pflücken in der Transitiv-Konstruktion im Aussagerahmen NEHMEN. Direktlink: https://goo.gl/38IrNZ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Auch hinsichtlich der Bestimmung der Relation zwischen der Bedeutung des Verbs und der komplexen Argumentstruktur sind zwei, kontextuell abhängige Lesarten möglich: So können im Fall von pflücken sowohl die Art und Weise (≈modal) als auch das Resultat des ‚Nehmens‘ (≈resultativ) von Relevanz sein (vgl. Kap. 3.2.1). Wenn wir Goldbergs Strukturschema mit den bisher explizierten Veränderungen und Präzisierungen übernehmen und entsprechend reformulieren, ergibt sich die graphische Veranschaulichung der Konstruktion wie in Abbildung 6. Da der Kontext in der Analyse noch nicht berücksichtigt wurde,

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ergeben sich für Verben des ‚NEHMENS‘ zwei mögliche Varianten: zum einen HANDLUNGv(≈modal) (AGNPNOM,AOBNPAKK) oder zum anderen HANDLUNGv(≈resultativ) (AGNPNOM,AOBNPAKK). Beide sind in Abbildung 6 am Beispiel des Verbs pflücken illustriert. Nicht einbezogen sind in Abbildung 6 die Aktionsarten, nach denen die Prädikatsklassen der HANDLUNG und des VORGANGS klassifiziert werden können und die noch weitere Differenzierungsmöglichkeiten zuließen. [11]

Er gibt ihr den Bauplan.

[12]

Er baut ihr das Haus.

Eine von Goldberg häufig beschriebene Konstruktion ist die DitransitivKonstruktion; in den Beispielen [11] und [12] sind die Verben geben [11] und bauen [12] eingebettet. Diese wurden auch gewählt, um zu zeigen, wie Argumentrollen der Konstruktion und die thematischen Rollen des Verbs (Partizipantenrollen; Valenz) korrespondieren können (vgl. Goldberg 1995: 50–52; Evans & Green 2006: 671–680). Damit ein Verb in eine Konstruktion eingebettet werden kann, müssen wenigstens eine Argumentrolle und eine Partizipantenrolle fusionieren. [11] ist als Realisierung einer Ditransitiv-Konstruktion (mit der Bedeutung CAUSE-RECEIVE nach Goldberg) aufzufassen, in die das Verb geben eingebettet ist (vgl. dazu ausführlich Kap. 3.1.1).

Abb. 7: Die Einbettung des Verbs geben in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘. Direktlink: https://goo.gl/HvZMra; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Das Verb geben fordert eine NPNom (er) als Agens (AG), eine NPAkk (den Bauplan) als affiziertes Objekt (AOB, bzw. auch als Additiv zu interpretieren [ADD]) und eine NPDat (ihr) als Benefaktiv (BEN) (zu den semantischen Rollen vgl. Kap. 3.1.4). Geben korrespondiert hinsichtlich aller Rollen mit den Argumentrollen

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der Konstruktion, die folglich fusionieren können. Die interne Struktur der Konstruktion kann im integrierten Modell dargestellt werden wie in Abbildung 7. Die Prädikatsklasse HANDLUNG und der (postulierte) Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘ dienen der Angabe der Konstruktionsbedeutung. Die Verbbedeutung von geben und die Konstruktionsbedeutung interagieren direkt miteinander; daneben können modales, resultatives und das Verhältnis des intendierten Resultats voneinander unterschieden werden. Wie bei semantischen Rollen und Aussagerahmentypen handelt es sich bei den Relationstypen um eine offene Klasse (vgl. oben Kap. 3.1.1, 3.1.4 und 3.2.1). Letztlich dienen sie alle dazu, die Bedeutungsdimension einer Konstruktion differenzierter zu fassen und in einem Konstruktionsnetzwerk verorten zu können. Bis dieses jedoch etabliert und empirisch bestätigt ist, bleiben die postulierten Aussagerahmen (und die darauf basierenden Angaben von Relationstypen) hypothetisch. Dazu zählt auch, dass die Ausdifferenzierung des AOB (z.B. als ADD) hier noch unterbleiben muss. Es könnte aber hilfreich sein, die Ditransitiv-Konstruktion hinsichtlich dieser Argumentstrukturrollen zu spezifizieren – beschreiben wir später die Konstruktion der ASKRIPTION, wollen wir aber genau diese Spezifizierung vor dem Hintergrund der Analyse des Sprachgebrauchs postulieren (vgl. zur Diskussion Kap. 5.2.1.4 und 5.2.3.3).

Abb.8: Die Einbettung des Verbs bauen in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘. Direktlink: https://goo.gl/FkQpqL; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Wird bauen in den postulierten Aussagerahmen gesetzt und damit in die Ditransitiv-Konstruktion eingebettet, wie im Satz Er baut ihr das Haus [12], kann der modale Relationstyp – hier: die Art und Weise z.B. einer Handlung – zwischen Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung schon einen Hinweis darauf geben, wie die Argumentrollen der Konstruktion mit den thematischen Rollen des Verbs fusionieren bzw. welche Rollen durch die Konstruktion erzwungen wer-

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den (vgl. Goldberg 1995: 65). Im Valenzplan von bauen ist ein Benefaktiv (BEN) nicht obligatorisch. Diese Rolle wird durch die profilierte Argumentrolle (BEN) der Konstruktion lizenziert, während alle anderen Rollen fusionieren. Wie bauen in [12] und Abb. 8 lässt sich auch pflücken wie in [13] und Abb. 9 in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘ einbetten: [13]

Lewin pflückt Henrike einen Apfel.

Abb. 9: Die Einbettung des Verbs pflücken in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘. Direktlink: https://goo.gl/pKjfsE; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die graduellen Unterschiede zwischen modaler und resultativer Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung sind von Fall zu Fall freilich zu diskutieren. Dieses Modell zur Beschreibung der Struktur von Konstruktionsbedeutungen und der formalen Merkmale der in sie eingebetteten Filler erlaubt es, Vererbungsbeziehungen und Linking zwischen Konstruktionen unterschiedlicher Komplexitätsgrade über semantische wie formale Kriterien aufzuzeigen.

3.2.3 Das Konstruktikon als semantisches Netzwerk Konstruktionen unterschiedlichen Abstraktionsgrads sind im so genannten „Konstruktikon“ (vgl. oben Kap. 2.2) geordnet, einem Netzwerk, das gemäß der Prämissen der (gebrauchsbasierten) Konstruktionsgrammatik(en) die scharfe Trennung zwischen Lexikon und Grammatik zugunsten eines Kontinuums aufhebt und das – dies wurde bereits problematisiert – als ‚sprachliches Wissen‘ fasse: „The totality of our knowledge of language is captured by a network of constructions: a construct-i-con.“ (Goldberg 2003: 219) Die Annahme eines sol-

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chen Netzwerks setzt neben anderem voraus, dass man die Möglichkeit der Mehrdeutigkeit von Konstruktionen wie der Ditransitiv-Konstruktion (Goldberg 1995: 38) oder weniger komplexer Konstruktionen als systematisch gegeben postuliert und nicht von vornherein ausschließt (vgl. oben Kap. 2.2). Eine wichtige Frage ist, wie die Konstruktionen miteinander in Verbindung stehen. Goldberg hat diesbezüglich von verschiedenen Vererbungs- und Linking-Verhältnissen gesprochen (Goldberg 1995, 2003, 2013: 21–26), deren systematische Analyse in der für die Konstruktionsgrammatik einschlägigen Forschung zu Kollostruktionen, kollokativ verbundenen Clustern und n-Grammen sprachlicher Einheiten mit Konstruktionsstatus, durch Stefanowitsch und Gries (beginnend 2003) gewissermaßen initiiert wurde. Das Konzept des Konstruktikons schließlich wurde vor allem in den letzten Jahren weiter präzisiert, u.a. von Boas (2010) und Broccias (2012). Konsens ist heute, dass es prinzipiell möglich sei, komplexe sprachliche Repräsentationen nach formalen (vgl. Broccias 2013, Boas 2013 im Anschluss an Croft & Cruse 2004, Ziem & Lasch 2013 und Lasch & Ziem 2014) und/oder nach bedeutungsseitigen Kriterien (vgl. etwa Boas 2014, Lasch 2014a, Lasch im Druck, Ziem 2014b) zu organisieren – alle diese Formen sind in der aktuellen Forschung kopräsent (vgl. etwa Goldberg 2013: 21–26), ergänzen sich und werden darüber hinaus durch die Ansätze der Framesemantik beeinflusst. Die Abb. 10 zeigt einen Ausschnitt aus dem Konstruktikon, wenn man der Angabe der internen Strukturen einer Konstruktion (Kap. 3.2) und den Prämissen einer gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik (Kap. 2) folgt. Die Ordnung ist, gemäß den Ausgangsprämissen, orientiert an der Bedeutung sprachlicher Einheiten von einem niedrigeren Abstraktionsgrad (Satz) zu komplexeren und abstrakteren Konstruktionen (Schema). Es wird postuliert, dass die Konstruktionen, in denen Verb- und Konstruktionsbedeutung in modaler bzw. resultativer Relation zueinander stehen, ihre Eigenschaften von den Konstruktionen erben, die durch eine prototypische Realisierung mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung instanziiert werden.

52 | Im Fokus: Konstruktionsbedeutungen

Abb. 10: Die Einbettung der Verben geben, bauen und pflücken in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘ in verschiedenen Relationen zwischen Konstruktionsund Verbbedeutung. Direktlink: https://goo.gl/135cLU; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Integriertes Modell: Strukturschema einer Konstruktion | 53

Die Konstruktionsbedeutung wird dort durch die spezifische Bedeutung der in sie eingebetteten Verben bauen und pflücken spezifisch aktualisiert: Realisierungen wie [12] Er baut ihr das Haus und [13] Lewin pflückt Henrike einen Apfel als Varianten etablieren modale/resultative Lesarten der DitransitivKonstruktion und Subtypen dieser, wenn sie sich im Sprachgebrauch etablieren und verfestigen können. Formseitig sind die Varianten identisch (Vererbung nach dem full-entryModell) oder teilidentisch (Vererbung nach dem Teil-Ganzes-Modell [subpart links]), bedeutungsseitig ergeben sich durch die Einbettung unterschiedlicher Verben Aktualisierungen, die einem Knoten, wie hier dem Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘, zugeordnet werden können (und zueinander in Polysemie-Relationen stehen). Der Ausschnitt aus dem Konstruktikon unterschlägt aus abbildungstechnischen Gründen, dass auch Konstruktionen wie geben [14] und bauen [15] zu anderen Konstruktionen in Verbindung stehen, deren Instanzen sie sein können: [14]

Leonard gibt sein letztes Hemd.

[15]

Mathilde baut einen Turm.

Oder noch einmal: [7]

Lewin pflückt einen Apfel.

Geben, bauen und pflücken sind hier nicht in Ditransitiv-Konstruktionen eingebettet wie in [11], [12] und [13], wohl aber in agentive Konstruktionen, die auch wie in [14] idiomatische Qualität haben können. Dieses knappe Beispiel dürfte andeuten, dass die Aufrichtung eines Konstruktikons die gebrauchsbasierten Ansätze forschungspraktisch vor große Herausforderungen stellt. Nichtsdestotrotz bietet dieser Ansatz eine Möglichkeit, Konstruktionen unterschiedlicher lexikalischer Fixiertheit und unterschiedlicher Abstraktheit formal und bedeutungsseitig miteinander so ins Verhältnis zu setzen, dass man die Atomarität sprachlicher Einheiten als unausgesprochene Hypothese nicht fortschreibt.

| Teil 3: Passivische Strukturen des Deutschen als Gegenstand der Konstruktionsgrammatik

4 Passivische Strukturen im Spiegel funktionaler Grammatiken Die Behandlung passivischer Strukturen steht in den etablierten Grammatiken meist im Zusammenhang mit der Diskussion um den Status des Perfektpartizips und des Perfekts. Die Gründe dafür sind so vielfältig wie naheliegend. In diesem Kapitel werden wir dieser Darstellungstradition folgen und – wenn in der Sache nötig – auf das sich anschließende Kapitel verweisen, in dem auf den Problemkontext (deverbales) Adjektiv noch einmal gezielt eingegangen wird. Ein weiterer Schwerpunkt der Überlegungen wird hier auf dem Status der so genannten Passivauxiliare liegen. Stellvertretend für andere Beiträge zum Status der Verben, die im Rahmen von Passivanalysen als Auxiliare beschrieben sind, sei einleitend ein Beitrag von Reis 1976 knapp besprochen. In Ihrem transformationsgrammatisch orientierten Artikel „Zum grammatischen Status der Hilfsverben“ setzt sie sich mit der These von Ross (1967) auseinander, dass „Hilfsverben in Wirklichkeit Hauptverben seien“ (Reis 1976: 64).1 Anliegen ist zu illustrieren, welche „syntaktische[n] Schwierigkeiten“ diese „weithin akzeptierte ‚Auxiliaries as Main Verbs‘-These (im folgenden AMV-These) synchron wie diachron mit sich bringt“ (Reis 1976: 64). Weiter zeigt sie, „daß auch die herkömmliche und derzeit einzig mögliche alternative Auffassung der ‚Hilfsverben als Hilfsverben‘ den Fakten nicht gerecht wird“ (Reis 1976: 64). Das Fazit liest sich so überraschend wie modern (Reis 1976: 80): Ein adäquates Grammatikmodell müßte demnach in der Lage sein, Vielfalt und ‚Übergänglichkeit‘ der Fakten im Auxiliar- und Verbalbereich als solche zu beschreiben. Keine der gängigen Grammatikversionen aber leistet das. Liegt es daran, daß zu wenige ‚Zwischenkategorien‘ zur Verfügung stehen, zu wenige syntaktische Repräsentationsebenen, zu wenige Möglichkeiten zur Umkategorisierung? Oder liegt es daran, daß die unterschiedlichen und nur zu oft kreuzklassifizierenden grammatischen Eigenschaften von Wörtern, die durch Ansatz von ‚tieferen‘ Grundkategorien wie ‚Verb‘, ‚Auxiliar‘ erklärt werden sollen, bereits die eigentlichen Grundgrößen sind? Oder sollten wir es statt mit unweigerlich diskreten Kategorien wie ‚Verb‘, ‚Auxiliar‘ mit gradienten Grundbegriffen wie ‚Verbheit‘, reziprok dazu ‚Auxiliarität‘ versuchen, wobei die syntaktisch/semantische Potenz mit dem Grad der Verbheit korreliert ?[...] Welche von diesen angedeuteten Möglichkeiten die richtige ist, ob und in welcher Weise sie in einem richtigen Lösungsansatz zu kombinieren wären, ob sich überhaupt der richtige Ansatz darunter befindet, das weiß im

|| 1 Die Stoßrichtung von Reis ist hingegen klar: Ross wird u.a. 1976 zusammen mit Lakoff einen Aufsatz zur Tiefenstruktur von Sprache veröffentlichen.

58 | Passivische Strukturen im Spiegel funktionaler Grammatiken

Augenblick der Himmel. Mir ist nur eines offenbar: Eine radikale Revision der klassischen generativen Grammatik ist unvermeidlich.

Die Diskussion über das ‚Passiv des Deutschen‘ ist wenigstens so uferlos wie die zur Diskussion zur ‚Auxiliarität‘, dennoch lassen sich zu unterschiedlichen Zeiten je unterschiedliche Fragestellungen und Schwerpunktsetzungen zum Thema herausarbeiten. So ist in den letzten Jahren vor allem das so genannte ‚Zustandspassiv‘ nach und nach in der Forschung anderen Kategorisierungen gewichen, die im Zusammenhang mit der Bewertung von sein als Kopula und ‚Perfektauxiliar‘ stehen. Das so genannte ‚Dativ- oder Rezipientenpassiv‘ ist seit den späten 90ern Gegenstand intensiverer Forschungstätigkeit und gerade schickt sich das ‚Vorgangspassiv‘ als Vertreter der ‚Passivfamilie‘ an, Gegenstand der Auseinandersetzung von generativer Grammatik auf der einen und Valenzgrammatik auf der anderen Seite zu werden (vgl. Abraham 2015 und Replik von Welke 2015). Rückblickend zeigt sich, dass Ágels Ansatz von „Valenzpotenz und Valenzrealisierung“ (1995) die Diskussionen zum Passiv in dem Umfang, wie sie die letzten Jahre geführt worden sind, überhaupt an vielen Stellen erst ermöglichte. Wir werden immer wieder darauf zurückkommen. Um die in anderen Studien hervorragend aufgearbeiteten Diskussionen nicht zu wiederholen, wird schlaglichtartig auf zentrale Publikationen zugegriffen, die in den letzten Jahren die Diskussion wesentlich geprägt haben. Ohnehin wird dies hier vor dem Hintergrund eines klassischen Forschungsüberblicks so sein, dass nicht nur einzelne Positionen vorgestellt und deren Entwicklung nachgezeichnet werden (Kap. 4.1), sondern dass die Klassifikationsvorschläge der etablierten Forschung in Bezug auf passivische Strukturen des Deutschen interessieren werden (vgl. dazu Kap. 4.2.), da diese wichtige und wertvolle Hinweise für die Modellierung nonagentiver Konstruktionen des Deutschen bieten (Kap. 5).

4.1 Überblick über den Forschungsstand Die Handlungsformen setzen das Topik des Satzes, den Satzgegenstand, in die Agens- bzw. Patiens-Rolle (vgl. Keenan 1976: 303–333), die nicht immer mit den (funktionalen) Relationen Subjekt und Objekt korrelieren. Eine dieser Handlungsformen ist das ‚Passiv‘. Da das Deutsche allerdings nicht über ein synthetisches Passiv verfügt, wird die Bildung des analytischen Passivs in der traditionellen grammatischen Darstellung als Ableitungsprozess (wenn auch nicht als „Ableitungsmaschinerie“, vgl. Eisenberg 2006 II: 127) beschrieben. Das so genannte „Vorgangs-“ oder (ab jetzt nur noch) werden-Passiv wird (prototypisch)

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aus dem Aktiv abgeleitet mit dem ‚Auxiliarverb‘ werden + Perfektpartizip des transitiven Verbs des Aktivsatzes (vgl. Kap. 4.2.3). Dieser Diathese werden das so genannte „Zustands-“ oder (hier nur noch) sein-Passiv mit ‚Auxiliar‘ sein und Perfektpartizip eines transitiven Verbs (vgl. Kap. 4.2.1) und „Rezipienten-“ bzw. bekommen-Passiv mit den ‚Auxiliaren‘ bekommen/erhalten/kriegen und Perfektpartizip beigestellt (vgl. Kap. 4.2.4). In einigen Darstellungen werden das bleiben-Passiv (vgl. Eroms 2000: 404f. und unten Kap. 4.2.2), das gehören-Passiv (vgl. Engel 2009: 240 und unten Kap. 4.2.5) sowie schließlich das haben-Passiv (vgl. Eroms 2000: 420f. und unten Kap. 4.2.5) als eigenständige Formen behandelt. Das allgemeine Verständnis vom Passiv im Deutschen lässt sich in dieser Art paraphrasieren: Zur Beschreibung des ‚Prozesses‘ der „Passivierung“ wird auf die Funktionen Subjekt und Objekt zurückgegriffen, da vom Aktiv zum Passiv das Subjekt degradiert und das Objekt zum Subjekt promoviert wird, allgemeiner wird von „Konversion“ gesprochen (vgl. exemplarisch Eisenberg 1994: 63 oder Dürscheid 2006: 34f.), womit nicht nur der skizzierte Prozess der ‚Passivierung‘ gemeint ist, sondern auch der der ‚Perspektivänderung‘: Die Funktion des Passivs und aller anderer Konversen ist es, die in den Aktivkonstruktionen lexikalisch angelegte Primärperspektivierung je nach Bedarf zu ändern. […] Die deutsche Perspektivänderung, die so auch für die anderen germanischen Sprachen gilt, hat sich […] so ergeben, dass Partizipialadjektive in Kopula-Konstruktionen eingebunden wurden. Damit wird bei zweiwertigen Verben nicht nur einfach die ‚Blickrichtung‘ von einem Täter-Subjekt auf das betroffene Objekt umgedreht, es ergibt sich insgesamt auch eine Kompensation des in den germanischen Sprachen dominant auf die Bezeichnung von Vorgängen und bei diesen wiederum auf die Ausführenden festgelegten verbalen Wortschatzes. (Eroms 2000: 391)

Mag diese Auffassung in der traditionellen Grammatikschreibung – die bisweilen auch ontologisch begründet wird - seine Berechtigung haben, stellen sich in der konkreten Analyse von Beispielmaterial doch immer wieder Probleme ein, die darauf hinweisen, dass das ‚Passiv im Deutschen‘ keiner trennscharfen dichotomischen Kategorisierung zu unterwerfen ist. Zum einen bedürfen – und das ist in der Forschung vollkommen unstrittig – Fälle der Erklärung, in denen z.B. ein direktes Objekt des Aktivsatzes (Ich rieche den Kuchen) im Passiv nicht Subjekt werden kann, auch wenn dies die allgemeine Regel ist. Zum anderen wird für die Bestimmung der Verbvalenz die Aktivform präsupponiert. Folge ist, dass dann – und dies ist eine direkte Folge der Annahme der Konversion der Passiv- aus der Aktivform – von einer Änderung des Valenzverhaltens des Verbs im Passiv ausgegangen werden muss und an vielen Stellen

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auch noch wird, selbst wenn die Passivformen als eigenständige sprachliche Strukturen charakterisiert werden. Ágel hat hier vorgeschlagen, zwischen Valenzpotenz und Valenzrealisierung zu unterscheiden (vgl. Ágel 1995: 3), womit man der Varianz des Valenzverhaltens zumindest einen Namen gegeben hat. Diese Perspektive hat am deutlichsten in einer übergreifenden Darstellung zuletzt Eroms vertreten (vgl. Eroms 2000: 338–340; vgl. aber auch Eisenberg 2006 II oder auch DUDEN 2009 u.a.m.), aber auch in Beiträgen, die sich Einzelphänomenen widmen, wird der Valenzrahmen diskutiert (vgl. etwa jüngst Abraham 2015 und Welke 2015). Wir werden uns damit also noch häufiger beschäftigen (vgl. vor allem Kap. 4.2). Zum dritten stehen beinahe alle Passivformen bis auf das ‚prototypische Passiv‘ mit werden in der Diskussion: Folgt man der Konversion als Prinzip der Passivierung (und meint damit nicht ausschließlich eine Perspektivänderung) und kann eine Passivform dann nicht paradigmatisch neben einer Aktivform stehen, so ist ihr Status als Passivform ausgehend von dieser Prämisse sofort fraglich. Besonders präsent dürften in der Forschungsdiskussion auch vor diesem Hintergrund die Kategorisierungsbemühungen – oder „Kategorisierungsproblem[e]“ (DUDEN 2009: 471) – in Bezug auf das sein-Passiv sein, dessen Status nicht unumstritten ist: Vom „Zustandspassiv“ spricht man, wenn das Perfektpartizip eines transitiven Verbs mit sein steht, der Begriff „Zustandsreflexiv“ wurde vorgeschlagen, wenn das Perfektpartizip eines reflexiven Verbs in die Konstruktion eintritt. Die Konstruktion von sein mit dem Perfektpartizip eines intransitiven Verbs wird als Perfektform gedeutet. Sie sind wohl historisch aus der Kategorie des Resultativums hervorgegangen (vgl. u.a. Leiss 1992 und Boas 2000, 2002, 2003; Marienborn 2007 und Welke 2007, ausführlich Kap. 4.2.1). Es sind also in der Tat [...] alle drei Typen von Verbalkomplexen gleich aufgebaut: Sie enthalten eine Flexionsform des Verbs sein, die das Partizip II eines Vollverbs regiert. Ob der ganze Verbalkomplex als eine mehrteilige Tempusform, eine besondere Passivform oder als etwas Drittes (‚Zustandsreflexiv‘) einzuordnen ist, lässt sich erst unter Berücksichtigung der Valenzrahmen des einschlägigen Vollverbs entscheiden – und auch dann nicht immer eindeutig [...]. (DUDEN 2009: 471)

Auch hier wird – ähnlich wie bei den Formen des werden-Passivs – der Valenzrahmen des Vollverbs, z.B. aus einem Aktivsatz, für eine Kategorisierung herangezogen (so zuletzt auch wieder Welke 2012 und 2015). Das Problem daran: Es liegt in der kategorisierten Konstruktion überhaupt nicht vor. Wäre es daher nicht einfacher zu fragen, ob man diese Formen überhaupt voneinander scheiden muss? Konstruktionsgrammatische Ansätze erlauben eine solche ganzheitliche Betrachtung von Konstruktionen, die besonders im Falle von sein und

Überblick über den Forschungsstand | 61

deverbalem Adjektiv aus Perfektpartizip angemessen erscheint (vgl. dazu besonders Welke 2007 und Abraham 2000 zum Perfektpartizip), aber auch andere Konstruktionsrealisierungen, die hier beschrieben werden sollen, betrifft, wie die mit bleiben, wirken, scheinen, erscheinen oder aussehen. Grundsätzliche Fragen werden nicht erst jetzt gestellt, sie sind schon seit mehreren Jahrzehnten in der Erforschung des Passivs virulent. Stellvertretend für andere Beiträge zum Status der Verben, die im Rahmen von Passivanalysen als Auxiliare beschrieben sind, sei der schon einleitend zitierte Beitrag von Reis 1976 erneut angeführt. In ihrem Beitrag „Zum grammatischen Status der Hilfsverben“ setzt sie sich mit der ‚Hilfs- als Hauptverben‘-These von Ross (1967) auseinander. Sie argumentiert dagegen, zeigt aber auch, dass die „ursprüngliche Auffassung der ‚Hilfsverben als Hilfsverben‘“ (Reis 1976: 79) so nicht gehalten werden kann. Bekommen und kriegen markiert sie als „Zwischenfall“. Modalverben sowie scheinen und pflegen, die intransitiven drohen und versprechen sowie lassen, sehen/hören/fühlen liegen ebenfalls [...] zwischen den ‚auxiliarsten‘ Elementen haben/sein/werden und den ‚verbalsten‘ wie überreden/gönnen/beauftragen u.a., ohne daß für sie als historisches Telos Eingliederung ins Verbalparadigma durchweg behauptet werden könnte (Reis 1976: 79f.).

So wie auf der einen Seite vorsichtig eine prototypische Kategorisierung vorgeschlagen wird (hier ist vor allem Leirbukt 1997 herauszuheben, vgl. unten Kap. 4.2.4, und in seiner Nachfolge Eroms 2000; Maienborn 2007 und Welke 2007 für das sein-Passiv, Kap. 4.2.1 usw.), so vehement werden auf der anderen Seite traditionell dichotomische Kategorisierungen verteidigt. Stellvertretend sei hier kurz auf die Überlegungen Abrahams eingegangen, der sich in den letzten Jahren nicht nur allgemein zum Passiv äußerte (vgl. etwa Abraham 2000), sondern auch jüngst eine Auseinandersetzung mit Welke (2015) über das werden-Passiv angestoßen hat (Abraham 2015, zu dieser Diskussion vgl. unten Kap. 4.2.3). (1) In seinen Darstellungen wird Abraham dabei meist grundsätzlich: „Es ist methodisch bedeutsam nochmals zu betonen, daß die herkömmliche Sicht, das Passiv sei dazu da, agenslose Sätze zu ermöglichen, grundfalsch ist.” (Abraham 2000: 146) Nun wäre es aber genauso grundfalsch zu behaupten, dass es nicht eine seiner Funktionen sei. Es geht bei nonagentiven Konstruktionen (vgl. ausführlich Kap. 5) genau darum, die Wahl zu haben, den Agens zu thematisieren oder nicht. Nonagentive Konstruktionen offerieren eine Perspektivierungsalternative (vgl. Kap. 5.1.1). Damit greifen wir auf einen zentralen Standpunkt der Forschung zu:

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Aktiv- und Passivsätze [lassen sich] als unterschiedliche Perspektivierungen gleicher Sachverhalte auffassen. Insbesondere darf angenommen werden, dass in den Aktivsätzen eine lexikalisch gebundene, primäre Perspektivierungsmöglichkeit vorliegt, die im Deutschen, wie in den verwandten Sprachen, kompakt die AGENS-Nennung beim Verb an Subjektsstelle bereithält. (Eroms 2000: 387)

Ob aus dieser spezifischen Perspektivierungsleistung eine Existenzbedingung mit der Anforderung an sprachsystematische (d.h. dichotomisch geordnete) Geschlossenheit abgeleitet werden muss, mag (beginnend mit Reis 1976; über Leirbukt 1997; Eroms 2000; Maienborn 2007; Welke 2007 und 2015 sowie Lenz 2013, um nur einige zu nennen) bezweifelt werden. (2) Traditionelle Positionen wie die von Abraham 2000 zeichnen sich weiter dadurch aus, dass sie die Idee der Konversion als Prozess der Passivierung von der Konstruktion auf das Perfektpartizip verlegen: „Wir werden sehen, daß sich dies bei der Feststellung der Grundbedeutung des 2. Partizips genau ergibt: ‚Agensträgersuspension als Epiphänomen zur Prädikatspassivität‘“ (Abraham 2000: 146, weiter grundsätzlich 2009). Interessanterweise schleicht sich auch in Positionen wie diesen, die versuchen, sich von der Idee der Ableitung abzusetzen, die Ableitung meist wieder ein, etwa dann, wenn Abraham z.B. davon spricht, dass das „Verb […] zum Adjektiv (= PP) wird“ (Abraham 2000: 146; Abbildung 2). (3) Die Diskussion um ein Phänomen wie die ‚Auxiliarität‘, die bereits Reis, wie hier exemplarisch vorgestellt, führte, wird in traditionellen Ansätzen nicht geführt (vgl. Abraham 2000: 158) bzw. dort werden Beispiele, die intuitiv im Sprachgebrauch nachweisbar erscheinen (selbst wenn das freilich nicht nachgewiesen wird), ausgeschlossen, wenn sie nicht ‚traditionellen‘ Selektionsprinzipien folgen, denen die Konverse als Prozess der Passivierung, d.h. als Ableitung, als Prämisse zu Grunde liegt (siehe 2): Da ist z.B. das Passiv von Intransitiva wie Er wird gegangen (für ‚Er wird entlassen’ bzw. ‚gefeuert’). Es ist nicht sinnvoll, hier von einem Passiv zu sprechen, und die Terminologie schöpft ihre Berechtigung nur aus der Tatsache, daß dieselbe morphologische Form wie im semantisch richtigen Passiv verwendet wird: Schließlich passiert in einem solchen Passiv nicht das für das Genus verbi Typische einer Eigenschaftsübertragung. (Abraham 2000: 158f.)

Natürlich – so kann man entgegnen – wird hier eine ‚Eigenschaft übertragen‘, die Abraham auch selbst paraphrasiert. Das Dilemma in diesem Beispiel: Gehen ist nicht transitiv, kann und darf vor dem Hintergrund einer Vorstellung von dichotomischer Selektion und Kategorisierung sowie der Konverse kein Passiv sein, sondern muss als ‚Kopulakonstruktion‘ (mit Adjektiv) bewertet werden. Ist das aber eine gegenstandsadäquate Beschreibung? Wir wollen hier dafür plädieren, Fälle wie

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[16]

Er wird gegangen.

[17]

Er wird gefeuert.

[18]

Er wird entlassen.

[19]

Er wird betrogen.

als nonagentive Konstruktionen mit einer spezifischen Perspektivierungsleistung zu beschreiben, ohne dabei zugleich die morphologischen Besonderheiten, die gerade werden aufweist (‚Passivauxiliar‘ vs. ‚Kopulaverb‘), gänzlich nivellieren zu wollen oder zu können (vgl. dazu vor allem Kap. 8.1). Mit dieser knappen Einführung sind im Wesentlichen die beiden zentralen Sichtweisen auf das ‚Passiv des Deutschen‘ identifiziert. Die Debatte kreist um die Frage der ‚Auxiliarität’ von Verben, die Frage nach dem Status der ‚Konversen‘ sowie ‚Kategorisierungsprobleme‘ des ‚Passivs‘, die schließlich auf den Unterschied von dichotomischen vs. prototypischen Kategorisierungsmodellen hinweisen. Die Diskussion setzen wir nun zu den einzelnen Passivformen im Detail fort. Da für unsere Überlegungen die Studien zur Erforschung der Syntax des Deutschen besonders relevant sind, möchten wir uns auf diesen Anwendungsbereich (zu Sprachwandel, Phraseologie, Interaktionale Linguistik und Spracherwerb, vgl. Überblick von Lasch in Ziem & Lasch 2013: 143–164) beschränken, auch wenn dies gemäß dem ganzheitlichen Ansatz der Konstruktionsgrammatik freilich eine Verknappung darstellt.2 Das Deutsche tendiert, wie alle westeuropäischen Sprachen germanischen Ursprungs, zum analytischen Sprachbau. Das heißt, dass ein Großteil der grammatischen Informationen, die vormals durch morphologische Merkmale wie Flexionsendungen (als konstruktionale Merkmale) ausgedrückt worden sind, durch komplexere Syntagmen, d.h. Konstruktionen, realisiert wird. Die grammatischen Informationen sind also nicht mehr nur allein auf der Ebene der Morphologie, sondern auch auf der Ebene der Syntax zu erfassen. Prozesse dieser Art lassen sich sprachhistorisch betrachten und als Umbau von sprachlichen Strukturen beschreiben, die grammatische Merkmale anzeigen. Der gegenwärtige Sprachgebrauch lässt sich (zum Teil) aus diesen Prozessen erklären. Zu berücksichtigen ist dabei stets, dass sprachliche Entwicklungsprozesse || 2 Die folgende Darstellung ist der von mir abgefassten Darstellung in Ziem & Lasch 2013: 144– 149 bis auf einige Aktualisierungen inhaltlich identisch.

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durchaus heterogener Natur sind und die Struktur einer lebendigen Sprache daher nicht als typologisch geschlossen beschrieben werden kann – es sei denn, man vereinfacht den Gegenstand über die Beschreibung mittels eines reduktionistischen Modells. Goldberg (1995) zeigt an einem Set von Konstruktionen, dass die Regelzentrierung generativer Ansätze dazu führt, dass (Valenz-)Wörterbücher und Lexika in nicht überschaubare Dimensionen auswachsen. Webelhuth bringt dies aus konstruktionsgrammatischer Perspektive wie folgt auf den Punkt: Die empirischen Daten treiben die rein lexikalische Theorie vor sich her und erweisen sie als unmotiviert und unüberzeugend. Im Gegensatz dazu kann die konstruktionale Theorie mit ‚intelligenten‘ Werkzeugen wie Typen, Untertypen und Vererbung Generalisierungen über deutsche Relativsätze auf allen Ebenen elegant und effizient erfassen. Der Vorschlag Chomskys, Konstruktionen aus der Grammatik zu verbannen, erweist sich konzeptuell und empirisch als wissenschaftliche Fehlentscheidung. (Webelhuth 2011: 149)

Am Beispiel der deutschen Relativsätze stellt Webelhuth erhellend dar, dass ein „Paradigmenwechsel rückwärts“ – in Bezug auf den in der Sprachwissenschaft etablierten Konstruktionsbegriff – nicht bedeute, dass damit keine Antworten auf aktuelle den Sprachgebrauch betreffenden Fragen möglich seien. Ganz im Gegenteil: Seiner Einschätzung nach kann die Konstruktionsgrammatik syntaktische Phänomene verständlich erklärend in ihren pragmatischen Kontexten beschreiben, ohne wie „unausgewogene[r] Lexikalismus“ „die Anzahl unsichtbarer lexikalischer Kategorien und abstrakter Ableitungsmechanismen prinzipienlos zu erweitern“ (Webelhuth 2011: 176, vgl. weiter Boas 2003, 2011 und 2014 sowie Stefanowitsch 2011a, b). Eine wichtige Entwicklung im Bereich der Syntaxforschung, auf die wir hier unser Hauptaugenmerk legen wollen, betrifft die Öffnung der Valenzgrammatik für konstruktionsgrammatische Fragestellungen – und umgekehrt der Konstruktionsgrammatik für valenztheoretische Fragestellungen. Zweierlei ist daran aus konstruktionsgrammatischer Perspektive bemerkenswert. Zum einen ist für das Deutsche die Betonung der Verbvalenz im Gegensatz zum Englischen möglicherweise von entscheidender Bedeutung: Jacobs (2009) argumentiert, dass sich Verbvalenz im Deutschen besser in Form verbspezifischer Eigenschaften (analog zur Verbmorphologie) beschreiben lässt als in Form phrasaler Konstruktionen (vgl. auch Müller [2007]), und in der Tat spricht einiges dafür, dass Verben im Deutschen insgesamt spezifischere Kookkurrenzforderungen stellen als etwa im Englischen [...]. Es wäre also möglich, dass sich Argumentstrukturphänomene im Deutschen eher aus einer Kombination von lexikalisch spezifizierter Valenz und allgemeinen syntaktischen Regeln ergeben (siehe dagegen aber Goschler [2011]), während sie

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sich im Englischen aus einer Kombination von Verbsemantik und phrasalen Argumentstrukturkonstruktionen ergeben. (Stefanowitsch 2011b: 21)

Zum anderen können über Annahmen der Konstruktionsgrammatik Konzepte wie „Valenzpotenz“ und „Valenzrealisierung“ (Ágel 2000), die aus der Überzeugung erwachsen sind, dass eine synchrone Grammatiktheorie nicht adäquat ist, um Sprachgebrauch aus Sprachwandel zu erklären, elegant in ein valenztheoretisches Modell integriert werden. Das sei direkt an den Passivformen des Deutschen erläutert. Für die Bestimmung der Verbvalenz wird in der Regel die Aktivform präsupponiert: Das Verb kaufen in [20]

Leonard kauft ein Fahrrad.

wird als zweiwertiges Verb eingestuft. Bei der Annahme einer ‚Konversion‘ ins Passiv allerdings muss von einer Änderung des Valenzverhaltens des Verbs ausgegangen werden, da der Agens (AG) nicht mehr obligatorisch kodiert werden muss: [21]

Das Fahrrad wurde (von Leonard) gekauft.

Ágel hat für Beispiele wie [21] von „Valenzpotenz“ und „Valenzrealisierung“ gesprochen. Doch ist das überhaupt notwendig? Viel spricht dafür, dass eine eigenständige Gruppe von Konstruktionen gelernt und gebraucht wird, in denen die Sprachproduktionsperspektive nicht dem üblichen Agentivitätsgefälle folgt: nonagentive Konstruktionen. Ágel hat weiter gefordert, Phänomene der Valenzdynamik und des Valenzwandels stärker in der Forschung zu berücksichtigen (vgl. exemplarisch Ágel 2000: 269). Welke (2009 a, b) geht nun einen Schritt weiter. Im Anschluss an Jacobs (2008, 2009) und Müller (2002, 2007) arbeitet er zunächst die Schnittpunkte von Valenzgrammatik und Konstruktionsgrammatik heraus,3 um in einer Einführung in die Valenzgrammatik (Welke 2011) zu zeigen, dass sich „Valenztheorie und Konstruktionsgrammatik [...] nicht aus[schließen], sondern [einander ergänzen]“, denn „Valenzänderung ‚ist‘ über weite Strecken Konstruktionsvererbung“ (Welke 2011: 198). Um dies anhand der Konzepte „Valenzerweiterung“ und „Valenzänderung“ zu illustrieren, widmet er der Zusammenführung valenztheoretischer und konstruktionsgrammatischer Überlegungen ein Drittel der gesamten Monographie. Er gelangt zu

|| 3 Vgl. weiter Coene & Willems 2006a,b; Herbst & Stefanowitsch 2011; Järventausta 2006; Nikula 2007; Feilke 2007; Kolehmainen 2008.

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dem Schluss, dass sich eine aktuelle Valenzgrammatik von der Annahme der Projektion von syntaktischen Strukturen durch die Worteigenschaften zugunsten der Untersuchung konstruktionaler Einheiten verabschieden sollte.4 Dass man mit dieser Absichtserklärung nicht immer auf einen Nenner kommt, wird vor allem die Auffassung Welkes (2015) vom werden-Passiv (vgl. Kap. 4.2.3) zeigen. Der Forschungsstand zu den ‚Passivformen‘ des Deutschen aus konstruktionsgrammatischer Perspektive ist überschaubar; systematische konstruktionsgrammatische Arbeiten zum Umgang mit Formen des Passivs im Deutschen fehlen bislang. Deshalb wird hier einleitend auch nicht auf die vorliegenden Einzelbeiträge eingegangen, sie werden in den folgenden Kapiteln im Kontext jener Phänomene problematisiert, die sie beschreiben (vgl. Abbot-Smith & Behrens 2006; Ackerman & Webelhuth 1998; Boas 2011, 2014; Lasch 2014a, 2015c, im Druck; Oya 2015; Welke 2015; Stefanowitsch 2009 zum modalen Infinitiv; zu es im Kontext des ‚unpersönlichen Passivs‘ vgl. Czicza 2014). Die Beiträge sind wichtige Stützen für die hier vertretenen Positionen, vor allem im Hinblick auf die Prämisse der Konstruktionen als eigenständiges Format (vgl. oben Kap. 2.1), der gebrauchsbasierten ‚Verfestigung‘ von Konstruktionen und der daraus abgeleiteten Analyse des Sprachgebrauchs zur gegenstandsadäquaten Beschreibung sprachlicher Einheiten sowie im Hinblick auf prototypisch organisierte Kategorien im Konstruktikon (vgl. oben 2.2). Auf Ackerman & Webelhuth und ihre für unseren Kontext vielversprechende The Theory of Predicates (1998) mit einer konstruktionsgrammatischen Analyse zum Passiv im Deutschen (219–267) werden wir hier nicht eingehen, da sie etablierten Beschreibungsmodellen verhaftet bleiben: Die Darstellung beruht auf dem Konzept der ‚Konverse‘, beschreibt sein und werden als ‚Auxiliare‘ und beschränkt sich auf Formen mit sein, werden und bekommen. Die ‚Passivformen’ erscheinen nur auf der Nebenbühne, Ackerman & Webelhuth haben einen anderen Fokus. Gleiches gilt leider für das sehr gute konstruktionsgrammatische Kapitel in Smirnova & Mortelmans 2010, die die Rollenverhältnisse zwischen Konstruktion und Verb am Passiv des Deutschen nach dem Konversenmodell erläutern (vgl. etwa ebd. 164f. shading bzw. cutting des Agens in werden- und ‚unpersönlichem Passiv‘). Diese Veröffentlichungen sind im Hinblick auf die Analyse des Passivs analog zu Köller (2006) zu bewerten, dessen Perspektivität hier noch eine wichtige Rolle

|| 4 Auch wenn die Studie hier im Detail nicht eingehender besprochen werden kann, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Welke (2011: 206ff.) Fusionen von Rollen im Kontext von „Valenzerweiterungen“ thematisiert; vgl. hierzu auch Jacobs 2009.

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spielen wird (vgl. Kap. 5.1.1), aber in seinen Überlegungen zum Passiv gänzlich traditionellen Auffassungen folgt.

4.2 Klassifikation passivischer Strukturen In diesem Kapitel stehen Klassifikationsvorschlägen des Passivs der traditionellen Forschung im Mittelpunkt. Dabei kann es nicht darauf ankommen, eine ‚Geschichte der Passivforschung‘ in allen Einzelheiten nachzuvollziehen. Das Augenmerk wird vielmehr darauf liegen, wie die teils problematischen Abgrenzungen zwischen einzelnen Formen begründet werden, wie man mit den Schwierigkeiten umgeht, die mit dem Status der Verben zusammenhängen, die in passivischen Sprachmustern des Deutschen verwendet werden, oder wie man die Elemente behandelt, die wir als ‚Qualitative‘ bezeichnen (vgl. oben Kap. 3 und später ausführlich Kap. 5). Es mag verwundern, dass wir abweichend von üblichen Darstellungen nicht mit dem werden-Passiv beginnen. Üblicherweise geschieht dies deshalb, weil das werden-Passiv herangezogen wird, um die Konversion des Passivs aus dem Aktiv zu erklären. Mit dieser Darstellungskonvention wird hier gebrochen und stattdessen stärker herausgehoben, dass sich – wie schon zitiert – „die deutsche Perspektivänderung […] so ergeben [hat], dass Partizipialadjektive in Kopula-Konstruktionen eingebunden wurden“ (Eroms 2000: 391). Auch Evidenzen aus dem Spracherwerb, die anzeigen, wie (und in welcher Abhängigkeit voneinander) Konstruktionen gelernt und gebraucht werden (vgl. unten Kap. 4.3), rechtfertigen diese Neuordnung. Wir wenden uns daher zunächst dem sein-Passiv zu (Kap. 4.2.1), besprechen dann das bleiben-Passiv (4.2.2) und gehen danach näher auf das werden-Passiv ein (4.2.3). Bekommen-Passiv (4.2.4), gehören- und haben-Passiv (4.2.5) sowie weiteren Passivformen (4.2.6) werden im Anschluss behandelt.

4.2.1 Das so genannte sein-Passiv Die Darstellung wird sich hier weitestgehend auf Maienborn 2007 und Welke 2007 beschränken, da sie zum einen die Forschung auf dem Gebiet des seinPassivs umfassend aufarbeiten, zum zweiten, da sie jüngst die Vorschläge für die Interpretation des sein-Passivs als Kopulakonstruktion wieder bekräftigt haben – was unserer Darstellung nicht entspricht, aber dieser entgegenkommt. Maienborn legte 2007 einen Forschungsbericht zum sein-Passiv vor, auf dessen Basis sich die Forschung nachzeichnen lässt (und der deshalb nicht wiederholt

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werden muss). In der traditionellen Auffassung vom sein-Passiv als Konverse des Aktivs kann nur [22] eine Form des Passivs sein, während [23] als Perfekt eines ergativen Verbs aufzufassen ist: [22]

Das Fahrrad ist gestohlen.

[23]

Das Fahrrad ist verrostet. (Beispiele aus Welke 2005b: 213)

Maienborn setzt dagegen zwei andere Interpretationen des sein-Passivs aus der Forschung an. Auf der einen Seite stehen die, die das sein-Passiv als Resultativum (Litvinov & Nedjalkov 1988) diskutieren und die formale Identität von seinPassiv und sein-Perfekt zum Ausgangspunkt machen (vgl. Leiss 1992: 164ff. und 182ff.) (bei Maienborn 2007: 86 diskutiert), die Beispiele [22] und [23] würden sich danach nicht voneinander unterscheiden. Auf der anderen Seite werden die Ansätze diskutiert, die in Analogie zu Litvinov & Nedjalkov und Leiss das sein-Passiv konsequent als Kopulakonstruktion werten (Lenz 1994, Kratzer 1994, 2000; Rapp 1997, 1998; Wunderlich 1997 und Zimmermann 1999; Auffassung bereits bei Guchmann 1961 und Admoni 1970 u.v.a.). Ausgangspunkt ist demnach der: Das Zustandspassiv lässt sich demnach auf die Kombination von Kopula sein mit einem adjektivierten Partizip zurückführen [wobei] Status, Ort und semantischer Beitrag der anzunehmenden Adjektivierungsoperation […] höchst kontrovers diskutiert [werden]. (Maienborn 2007: 86)

Weiter diskutiert Maienborn (2007: 104) Lesartendifferenzen des sein-Passivs mit Brandt 1982 und schlägt eine „Nachzustandslesart“ und „Charakterisierungslesart“ vor. Die Kritik Helbigs (1982: 101) an Brandt, dass zwischen den Varianten kaum Bedeutungsunterschiede wahrnehmbar seien, und wenn, seien diese als pragmatisch zu interpretieren, weist Maienborn (2007: 104f.) zurück. Sie fasst konkret das sein-Passiv als Kopulakonstruktion mit der Formel ‚Zuschreibung einer Eigenschaft an den Subjektreferenten‘ (Maienborn 2007: 106), wobei es in der Nachzustandslesart eine neue Eigenschaft und in der Charakterisierungslesart eine andere Eigenschaft gegenüber den im Diskurs gegebenen Alternativen (Maienborn 2007: 108)

bezeichne. Allerdings kann Maienborn an den meist introspektiv oder durch einfache Suchanfragen gewonnenen diskutierten Beispielen nicht plausibel machen, weshalb bspw.

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[24]

Der Brief ist geschrieben. (Maienborn 2007: 108; Hervorhebung A.L.)

nur in der Nachzustandslesart (‚Der Brief ist fertig‘) und nicht in der Charakterisierungslesart (‚Der Brief ist nicht gedruckt, sondern geschrieben‘) aufgefasst werden solle. Hier ist wohl eindeutig mit Helbig (1982) zu wiederholen: Die Bedeutungsunterschiede sind, wenn überhaupt, marginal – auch in unseren Beispielen [22] und [23] dürften Grammatikalitätsurteile zur Frage, ob eine „Nachzustands“- oder „Charakterisierungslesart“ ausgedrückt sei, recht unbefriedigende Ergebnisse bringen.5 Abschließend kommt Maienborn aus pragmatischer Perspektive zu einem Urteil, welches sehr nahe an der Auffassung steht, die oben exemplarisch von Reis (1976) zitiert wurde und die uns später bei Leirbukt (1997) wieder begegnen wird. Eine Lösung für die Schwierigkeiten bei der Lesarteninterpretation und Kategorisierung des sein-Passivs böte eine ausgewogenere Arbeitsteilung zwischen Grammatik und Pragmatik, die zum einen den Beobachtungen zum Interpretationsspielraum des Zustandspassivs gerecht werden kann – insbesondere auch den notorischen Bewertungsschwankungen je nach herangezogenem kontextuellen Hintergrund – und die zum anderen zu einer deutlichen Entlastung und Vereinfachung von Lexikon und Grammatik führt. Hierzu tragen sowohl die Lockerung der grammatischen Bildungsbeschränkungen [sc. systematischer Wortartenwechsel] als auch die Rückführung der Lesartenunterscheidung auf semantische Unterbestimmtheit bei. (Maienborn 2007: 111)

Auch wenn nach hier vertretener Ansicht die Konstruktionsgrammatik mit der Fokussierung grammatischer Konstruktionen der Integration pragmatischer Aspekte bei der Erläuterung ihrer Gegenstände eher skeptisch gegenübersteht (vgl. dazu oben Kap. 2.1), so können wir doch an das Ergebnis anschließen, dass sich das sein-Passiv weder allein grammatisch, noch allein semantisch in ‚getrennten Kategorien‘ befriedigend beschreiben lasse. Doch bringen wir nicht die Pragmatik ins Spiel, sondern möchten die verfestigte Konstruktion im prototypisch organisierten Konstruktikon als Format stark machen, um die Phänomene

|| 5 Das wird besonders deutlich bei der Diskussion des Beispiels Der Brief ist seit zwei Stunden angekommen, bei dem „Beurteilungen von Muttersprachlern schwanken […] von ‚ziemlich okay‘ bis ‚klar ungrammatisch‘“ und damit ein „Eindruck von den notorisch schwierigen Verhältnissen beim deutschen Perfekt“ entstehen kann (Maienborn 2007: 90). Allerdings scheinen mir dahinter nicht die Schwierigkeiten bei der Beurteilung des Perfekts zentral zu sein, sondern, dass die Sprachbenutzer unsicher sind, wie der Kontext, in dem eine solche Äußerung benutzt werden könnte, zu rekonstruieren sei. Ungrammatisch wäre die Äußerung nur, wenn ein Brief per se nicht die Eigenschaft haben könne, seit oder vor zwei Stunden angekommen zu sein.

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ganzheitlich beschreiben zu können (und damit näher an Reis 1976 und Leirbukt 1997 stehen, um die beiden noch einmal kurz hinzuzuziehen). Ein weiterer Aspekt, der mit den Fragen, die Maienborn stellt, zusammenhängt, wird im zweiten Beitrag, der in diesem Kontext zu besprechen ist, herausgearbeitet. Die Lesartendifferenzen berührten, so Welke 2007, nicht unbedingt das sein-Passiv, sondern die vor allem in sie eingebetteten Konstruktionen, wie das Perfektpartizip (vgl. unten 5.2.3.2). Welke 2007 argumentiert – im selben Band – ähnlich wie Maienborn für das sein-Passiv als Kopulakonstruktion: Wie Maienborn verwenden wir den Terminus ‚Zustandspassiv‘, weil es im Kern um eben die Formen geht, die man ‚Zustandspassiv‘ nennt, also um Bildungen mit transitiven Verben. Wir schließen wie Maienborn nicht nur die „nicht-passivischen“ Formen ein (Stichwort Zustandsreflexiv), sondern im Prinzip alle Konstruktionen aus sein + Partizip II. (Welke 2007: 116)

Ausgangspunkt ist bei ihm das Lesartenproblem bezüglich der formalen Identität von sein-Passiv und sein-Perfekt, welches er durch adverbiale Modifikation weiter verschärft. Dazu führt er zwei (erdachte) Beispiele an, die für sich genommen nicht nur das Problem der Diskussion um den Status des sein-Passivs vorführen, sondern auch die methodischen Probleme der Introspektion zu Tage treten lassen (Hervorhebung A.L.):6 [25]

Der See ist gestern zugefroren.

[26]

Der See ist dick zugefroren.

Die Erklärung von Welke liest sich so: Beispielsweise liegt in (1a [25]) eine Vergangenheitsbedeutung (Perfekt) mit dem temporalen Hilfsverb sein vor. Sie wird durch das Adverb gestern erzwungen. Den Satz (1b [26]) dagegen kann man ebenfalls als eine analytische Verbform ‚Perfekt‘ interpretieren. In seiner Default-Interpretation aber ist (1b [26]) eine (syntaktische) Kopula-Konstruktion, was durch das Adjektiv dick nahegelegt wird, vgl. Welke (2005[sc. b]). (Welke 2007: 116)

Welke postuliert im Anschluss an diese Überlegungen (wir kommen später und in anderem Zusammenhang noch einmal darauf zurück, vgl. unten Kap. 4.3 und 7.1) auch in Abhängigkeit der eingebetteten Qualitative (also der Partizipien) für

|| 6 Welke gewinnt bereits 2005b (214–219) zahlreiche Beispiele aus einem ähnlichen Kontext, auf den diese beiden Beispiele 2007 rekurrieren.

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das sein-Passiv eine „Vergangenheitslesart“ (bei Maienborn 2007 nach Brandt 1982 noch „Nachzustandslesart“ [Resultatlesart]) und eine „Charakterisierungslesart“ (Welke 2007: 120): „[d]as eine Konzept impliziert bei Ereignissen (und entsprechend bei perfektiven Verben) jeweils das andere“, so Welke (2007: 122). Mit Helbig (1982) und im Hinblick auf die zu problematisierenden Beispiele [22]–[26] wollen wir diese Differenzierung nicht unwidersprochen teilen. Wichtiger in unserem Zusammenhang ist, dass Welke (hier noch deutlicher als Maienborn), diese Lesarten auch ableitet von der Bedeutung der Perfektpartizipien: Wir haben es also mit drei möglichen Bedeutungsvarianten von Partizipien II zu tun: Nachzustand, Gegenwärtiger Zustand/Vorgang, Vergangenheit (eines Vorgangs / Zustands). Charakterisierung ist eine Zusammenfassung der beiden ersteren. (Welke 2007: 126)

Problematisch sei, dass „die drei Partizipbedeutungen [….] oft nicht ohne Weiteres und auch nicht gleich gut zur Bedeutung der Kopula-Konstruktion Eigenschaftszuweisung an den Subjektreferenten“ passten (Welke 2007: 127); andererseits heißt das aber auch, dass die „Kopula-Konstruktion [es] erfordert […], dass die (verbalen) Partizip-Lesarten Nachzustand, Gegenwärtiger Zustand, Vergangenheit eines Vorgangs als Eigenschaften interpretiert werden“ (Welke 2007: 130). Und schließlich: „Die Modifikatoren müssen zur Aufgabe der KopulaKonstruktion Zuweisung einer Eigenschaft zum Subjektreferenten beitragen“ (Welke 2007: 134), egal welcher Form sie schlussendlich seien: Präsenspartizipien, Perfektpartizipien, Adjektive, auch solche auf -bar und modale Infinitive (Welke 2007: 142ff.) Wie nahe Welke 2007 an der hier vertretenen konstruktionsgrammatischen Auffassung steht, wird in den Kap. 5, 7 und 10.1 deutlich werden. Zum Vergleich und im Vorgriff: Die Konstruktion der Eigenschaftszuweisung (ASKRIPTION) mit sein (vgl. Kap. 5.2.1.2) erzwingt die Lesarten der in sie eingebetteten Qualitative (vgl. Kap. 5.2.3.2) und diese aktualisieren umgekehrt als Konstruktionen die Bedeutung der Konstruktion der Eigenschaftszuweisung in der Realisierung (vgl. Kap. 7 und 10.1). Allerdings teilen wir die Auffassung dreier Bedeutungen des Perfektpartizips nicht, was allerdings erst im Kontext der Modellierung nonagentiver Konstruktionen näher erläutert werden soll (vgl. dazu Kap. 5.2.3.2).

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4.2.2 Das so genannte bleiben-Passiv Mit der Differenzierung, die wir hier vornehmen, folgen wir Eroms 2000. Er stellt das „Intransformativitätspassiv“ unter Rückgriff auf Askedal und Leirbukt als eine „Passivform“ des „Akkusativpassivs“ (Eroms 2000: 404f.) vor: „Wenn man die sein-Part. II-Formen als Passiva wertet, kann man auch den bleibenKonstruktionen diesen Status nicht verwehren“ (Eroms 2000: 405), lautet sein Fazit. [27]

Das Fenster bleibt geöffnet.

Tatsächlich sind die Strukturparallelen zwischen sein und bleiben nicht von der Hand zu weisen, im Gegenteil: Bleiben hat im Gegensatz zu sein, um ein wenig vorzugreifen (vgl. dazu Kap. 7.1 und 7.2), den entscheidenden Vorteil, dass es die analytischen Vergangenheitstempora mit sein bildet und damit dem Sprachbenutzer Ausdrucksmöglichkeiten offeriert, die mit dem sein-Passiv weitestgehend verschlossen bleiben. Anders als bei sein sei jedoch eine Agensphrase (mit von oder durch) seltener erwartbar, Eroms (2000: 405) diskutiert diese Fälle knapp. Nach Eroms beschäftigte sich vor allem Krämer (2004) mit dem bleibenPassiv. Die Bedeutung der Sätze mit bleiben und Prädikativkomplement fasst sie wie folgt: „Aufrechterhaltung[…] des im Prädikativ bezeichneten Zustands, in dem sich der Subjektreferent befindet“ (Krämer 2004: 246). Das bleiben-Passiv unterscheidet sich also, weit gefasst, nur insofern vom sein-Passiv – noch einmal Welke mit Maienborn (2007): „Konstruktion aus Kopula + Partizip II“ (Welke 2007: 120) mit der Bedeutung „Zuweisung einer Eigenschaft zum Subjektreferenten“ (Welke 2007: 134) –, als es nicht nur eine ‚Eigenschaft zuweist‘, sondern diese zugleich als ‚dauerhaft‘ markiert. Die Bezeichnung der „Intransformativität“ als Markierung bei Eroms weist ebenfalls auf diese semantische Qualität hin. Markierung deshalb, weil beim sein-Passiv schlicht keine Aussagen zur ‚Aufrechterhaltung eines Zustands‘ gemacht werden. Auch wenn man Krämers These zur Etablierung einer BECOME-Lesart von bleiben kritisch sieht,7 so bietet

|| 7 Krämers These einer BECOME-Lesart für bleiben „äquivalent zur Bedeutung von Konstruktionen mit der Kopula werden“ (2004: 247) stellen wir hier nicht ausführlich vor. Sie kann in dem knappen Beitrag leider nicht vollends überzeugen. Zum Beispiel Der Trecker fuhr über den Hof und blieb dann knatternd stehen erläutert sie: Der Ausdruck „knatternd [bezieht] sich auf […] den Trecker, und zwar zur Zeit des Stehens und nicht etwa zur Zeit des Zum-Stehen-Kommens“ (2004: 261), gibt aber in der Fußnote zu den Beispielen an, dass „[d]iese Intuition […] nicht von

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ihr knapper Beitrag einen wichtigen Anknüpfungspunkt für unsere Überlegungen. Engel (2009: 244) schließlich führt bleiben als Modalitätsverb mit Infinitivkonstruktion (es bleibt zu überlegen) unter den „lexikalischen Konkurrenzformen des Passivs“ (2009: 243) auf, neben werden, sein, gehören und bekommen setzt er es jedoch nicht. Hentschel & Weydt 2013 erwähnen bleiben nicht im Kontext des Passivs, auch Eisenberg (2006 II) verzichtet darauf. Hier wird bleiben als Kopula charakterisiert, ebenso im DUDEN (2009).

4.2.3 Das so genannte werden-Passiv Das werden-Passiv hat, wie der DUDEN (2009: 468f.; 543–550) formuliert, seinen „Kernbereich bei transitiven Verben“. Es werde gebildet als „Umformung aus dem Aktiv“ (DUDEN 2009: 545) mit einer Form von werden und Perfektpartizip aus dem (transitiven) Vollverb des Aktivsatzes ([28] und [29]). Dabei gelten eine Reihe von Regeln, wie etwa die, dass das Subjekt des Aktivsatzes im Passiv in einer Agensphrase realisiert werden könne (‚in der Regel aber ganz wegfalle‘) und das Objekt des Aktivsatzes zum Subjekt des Passivsatzes werde (vgl. ebd.): [28]

Paul öffnet das Fenster.

[29]

Das Fenster wird (von Paul) geöffnet.

Eine der wohl am häufigsten zitierten Darstellungen zum „Passiv“ ist die von Eroms im Rahmen seiner Syntax der deutschen Sprache (2000). Er versucht, alle passivischen und passivähnlichen Formen in ein Diathesenmodell zu integrieren (vgl. Eroms 2000: 393–399, besonders Darstellung auf 394), und stellt das „Vorgangs- oder werden-Passiv“ als erste Form des „Akkusativpassivs“ vor, dem er „Zustands- oder sein-Passiv“, das „Intransformativitäts- oder bleibenPassiv“, „modalisierte Passivkonstruktionen“ sowie „Subjektsumsprünge und Ergativstrukturen“ auch zuordnet (vgl. Eroms 2000: 400–414). Eroms, der wie an anderer Stelle theoretisch und methodisch Leirbukt nahesteht, beschreibt das so genannte werden-Passiv traditionell als Konverse und gibt damit auch die Folie vor, vor der die folgenden Überlegungen zu verstehen sind (401):

|| allen Sprechern geteilt“ werde. Es wäre wünschenswert, wenn man die These noch einmal auf einer breiteren empirischen Basis überprüft.

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Der durch die Passivkonverse herabgestufte Primäraktant des Verbs in der Aktivkonstruktion wird dann, wenn ein AGENS benannt werden soll, durch eine Präpositionalphrase angeschlossen.

Wichtig ist zu betonen, dass Eroms mit Wunderlich und Abraham die Agensphrase mit von vorsichtig als Adverbial einstuft, auch wenn er „sicher nicht davon sprechen [mag], dass es sich hier um eine den Temporal-, Lokal- oder Instrumentalangaben völlig vergleichbare Phrase handelt“ (Eroms 2000: 401f.). Eroms leitet diesen ‚Sonderstatus‘ aus der GB-Theorie und der Herabstufung des Agensarguments ab; wir würden aus konstruktionsgrammatischer Perspektive hier deutlicher herausheben, dass wir von einer Konstruktion sui generis ausgehen, für die die Perspektivierungsleistung, nicht der Perspektivwechsel das entscheidende Kriterium ist (vgl. dazu unten Kap. 5), weshalb nicht davon auszugehen ist, dass die ‚Agensphrase‘ einen anderen Status als andere freie Angaben habe. In der Beurteilung der ‚Agensphrase‘ können wir uns damit von Polenz (2008: 186) anschließen, der sie schlicht als „nichtobligatorische präpositionale Ergänzung“ charakterisierte. Seine enge Auslegung des Passivs als ‚Konverse‘ des Aktivs hingegen teilen wir nicht: Als ‚Konverse‘ versteht er explizit den „Perspektivwechsel“ (nach Erben, von Polenz 2008: 181) der Prädikatsklasse HANDLUNG nach VORGANG und auch im Begriff der „Deagentivierung“ oder dem „AGENS-Schwund“ findet die Idee der ‚Konverse‘ ihren terminologischen Ausdruck (von Polenz 2008: 188). Das rührt daher, dass von Polenz argumentstrukturlogisch das Verb, anders als in der Konstruktionsgrammatik, in den Mittelpunkt seiner Überlegungen rückt (vgl. Kap. 3.1.4). Es muss jedoch bei dieser Einschätzung betont werden, dass der Diskussionsstand 1985 ein anderer war: Auch die Benutzung des Verhältnisses von Aktiv- und Passivsatz als Paradebeispiel für satzsemantische Äquivalenz/Gleichbedeutung in der frühen Generativen Transformationsgrammatik wird diesem Konversenproblem semantisch nicht gerecht. (von Polenz 2008: 182; Hervorhebung von mir. A.L.)

Der Darstellung von Eroms folgt, wie gesehen, die Duden-Grammatik: „Das werden-Passiv ist die zentrale Passivkategorie“ (DUDEN 2009: 545). Wie Eroms (2000: 400–403) geht sie neben Restriktionen, denen das „werden-Passiv“ unterliege (Transitivität vs. Intransitivität; Reflexivität, DUDEN 2009: 547f.) ebenfalls auf die Agensphrase ein, die „in der Regel mit der Präposition von angeschlossen“ werde, textsortengebunden mit seitens und vonseiten realisiert werden könne und schließlich, wenn es sich „nicht um ein willentlich verursachendes Agens“ handele, mit durch eingebettet werde (DUDEN 2009: 548). Auch bei Engel (2009) ist das werden-Passiv eine der ‚vollen Passivformen‘,

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welches „nur bei Verben mit Akkusativvalenz“ möglich sei, wobei das „Subjekt des Aktivsatzes […] bei Passivierung meist verloren[geht]“ (Engel 2009: 239). Eisenberg (2006 II: 124–128) vertritt ebenfalls den Ansatz der Diathese, d.h. aber nicht den einer „Ableitungsmaschinerie“ (Eisenberg 2006 II: 127) wie sie bei Engel noch durchklingt und gegen die von Polenz 1985 (2008) Stellung bezog, sondern einer Beschreibung der Diathesen über „strukturelle Bedingungen“ sowie einer zweischrittigen „Subjektkonversion“ und „Objektkonversion“, „Promotion“, „Zentrierung des Objektes“ vom Aktiv zum Passiv. Seine Darstellung ist stark durch die Valenztheorie (vor allem von Ágel) geprägt: Da die von-Periphrase in der Regel fakultativ ist, kann das Verb im Passiv eine Stelle weniger besetzen als im Aktiv. Falls es Passivtypen ohne von-Phrase gibt, kommt es zu einer obligatorischen Minderung der Stellenzahl […]. Die Valenzminderung ist eben deshalb signifikant, weil sie das kategorial regierte Komplement betrifft. Die oder eine Funktion des Passivs könnte also darin bestehen, dieses Argument loszuwerden. (Eisenberg 2006 II: 127f.) Die Subjektstelle wird im Passiv geräumt und kann wieder besetzt werden, die Objektstelle wird nur geräumt und sie muss geräumt werden, wenn die Subjektstelle frei ist (Eisenberg 2006 II: 130).

In den letzten drei Jahren berücksichtigt die Forschung das so genannte „Vorgangspassiv“ wieder aufmerksamer. Es löst damit gewissermaßen zusammen mit dem „Dativpassiv“ als Gegenstand das „Zustandspassiv“ ab, dem vorher das Interesse galt (z.B. exemplarisch Maienborn 2007 und Welke 2007, vgl. oben Kap. 4.2.1). Besonders Welke (2012 und in Replik auf Abraham 2015 vgl. Welke 2015) hat sich diesem Thema zugewandt. Anders als im Bereich des „Zustandspassivs“ (Kap. 4.2.1) und „Dativpassivs“ (Kap. 4.2.3), hier sind die Darstellungen aus konstruktionsgrammatischer Perspektive direkt anschlussfähig, sieht das im Blick auf das „Vorgangspassiv“ doch etwas anders aus. Welke widmet sich 2012 und 2015 ausdrücklich und ausschließlich dem so genannten werden-Passiv. Wir geben wie Welke die Konstruktionsbedeutung der Konstruktionen des Typs werden + (deverb.) Adjektiv auf Basis eines Perfektpartizips als ‚Vorgang‘ an (vgl. 71 und öfter) (vgl. dazu unten Kap. 5.1.1 und 5.2.1.3). Leider würdigt Welke zwar in der historischen Herleitung, aber nicht in der synchronen Beschreibung die Nähe zwischen dem, was er werden-Passiv nennt, und dem, was man als Kopulakonstruktion mit werden bezeichnet. Diese Nähe ist konstruktionsgrammatisch relevant und bekommt hier durch das Postulat einer Konstruktion der KOMMUTATION einen Namen (vgl. unten Kap. 5.2.1.3). Die größeren Anschlussschwierigkeiten ergeben sich aber dadurch, dass er ein projektionistisches Modell für die valenzgrammatische Grundlegung einer Kon-

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struktion in der Tradition der Grammatikschreibung vorschlägt, was nicht wirklich überzeugend ist: In die Konstruktionsrealisierung das Haus wird abgerissen, die Welke (2012: 84) als „relativ komplexe syntaktische Konstruktion“ charakterisiert, werden zwei Köpfe (zwei Valenzträger, zwei Prädikate) fusioniert, die beide ihre Valenzen mitbringen. Diese Valenzen werden aufeinander bezogen. Das geschieht dadurch, dass das 1. Argument des Prädikats werden in die Leerstelle des Prädikats abgerissen kopiert wird.

2015 baut er diese Auffassung gegen Abraham 2015, der (wieder) „Vorgaben zur Passivbeschreibung […] unter dem Oberbegriff ‚Valenzreduktionsdiathesen‘ die übliche traditionelle und moderne Begrifflichkeit“ versammele (Welke 2015: 102), weiter aus. Welke will das werden-Passiv anders und unter Bezug auf Goldberg beschreiben, in dem er nicht mehr von „Patiens“ spricht, sondern von der Rolle eines „Vorgangsträgers“ (mit Verweis auf Welke 1988, 2002 nun auch 2015: 103). Wie diese Arbeit stellt er sich damit in die Tradition Weisgerbers, Brinkmanns und von Polenz‘. Allerdings kann er sich nicht von der Valenzgrammatik und der Idee zweier „Valenzträger“ lösen (das offenbart auch der Begriff des „Vorgangsträgers“, dem allein begrifflich Aktivität zuzumessen ist). Ich nenne prototypisch passivisch solche Konstruktionen, die beim Rückgriff auf den Lexikoneintrag (also auf die Projektion bzw. Valenz des betreffenden Verbs) nicht auf das Agens-Argument als ihr erstes Argument zurückgreifen (Passiv und Passivisches im engeren Sinne), sowie Konstruktionen, die das Agens-Argument oder ein prototypisch als Agens interpretierbares Argument in ein Vorgangsträgerargument umdeuten (Medialkonstruktionen). (Welke 2015: 104)

Und weiter zur ‚Verschränkung von Konstruktion und Projektion‘ (vgl. Welke 2015: 104): „werden-Konstruktionen [als Vorgangskonstruktionen sind] Mikrokonstruktionen in einer grundsätzlich anderen Makrokonstruktion (einem anderen Konstruktionstyp)“ (Welke 2015: 105). Gemeint ist damit, dass sie abhängig seien von Handlungskonstruktionen (d.h. agentiven Konstruktionen). Interessant wird es dort, wo er noch einmal auf das Lexikon zurückkommt: „An dieser Stelle kommt notwendigerweise Projektion ins Spiel[]. Man kann aber nicht davon ausgehen, dass die Valenz (Projektion) von passivischen Verbformen im Wortlexikon eingetragen ist“ (Welke 2015: 105). Kurz: Welke geht auch 2015 davon aus, dass die konstruktionsgrammatische Beschreibung nonagentiver Konstruktionen eine valenzgrammatische sein solle. Dem sei hier vehement widersprochen. Es geht dabei nicht darum, dass man die werden-Konstruktionen nicht als „Vorgangskonstruktionen“ bezeichnen können soll (der Begriff der Konstruktion der KOMMUTATION ist ja semantisch zumindest vergleich-

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bar), sondern dass hier postuliert wird, dass die nonagentiven Konstruktionen vor allem sich dadurch auszeichnen, dass ihnen eine eigene Perspektivität eignet (vgl. dazu in anderem Kontext Leirbukt 1997 und hier Kap. 4.2.3). Dieses Merkmal ist in der theoretischen Hinführung und Modellierung der Konstruktion zu betonen (vgl. Kap. 5.1.1). Die Annahme dieser Leistung einer spezifischen Perspektivierung nonagentiver Konstruktionen führt weiter dazu, dass hier reflexive Konstruktionen ausgeblendet werden (vgl. so auch Eisenberg 2006: II); Welke (2015) stellt sie im Vergleich neben werden-Konstruktionen, was weder theoretisch noch empirisch plausibel nachvollzogen werden kann. Ein weiteres Problem wird an der Diskussion zwischen Abraham 2015 und Welke 2015 und bereits Welke 2012 augenfällig, auf welches im Zusammenhang mit den Restriktionsregeln hingewiesen werden soll, die besonders für das „Vorgangspassiv“ gelten – es kann mit werden nur mit deverbalen Adjektiven auf Basis eines Perfektpartizips bzw. Adjektiven gebildet werden, die sich durch spezifische semantische Eigenschaften auszeichnen (vgl. dazu Kap. 6.3.3 und vor allem Kap. 8). Im Zusammenhang des „Zustandspassivs“ argumentierte Welke noch: Mit anderen Worten: Die Modifikatoren müssen zur Aufgabe der Kopula-Konstruktion Zuweisung einer Eigenschaft zum Subjektreferenten beitragen. (Welke 2007: 134; vgl. dazu oben Kap. 4.2.1 und unten Kap. 7.1)

Da er das „Vorgangspassiv“ allerdings nicht unter den Vorzeichen einer Kopulakonstruktion bespricht (wie im Übrigen auch Eroms, DUDEN oder Eisenberg nicht), kann er für das „Vorgangspassiv“ nicht über die Konstruktion kommend argumentieren. Das wird besonders an den Restriktionsregeln für die Wahl des Qualitativs deutlich. Die Wahl eines Qualitativs geht aber nicht, wie Welke 2015 postuliert, von einer (aktivischen) ‚Makrokonstruktion‘ aus, die ihre Eigenschaften an eine (passivische) ‚Mikrokonstruktion‘ vererbe, oder von zwei „Valenzträgern“ (Welke 2012), sondern wird durch die nonagentive Konstruktion sowie das jeweilige Verb als Form-und-Bedeutungspaar, welches in die nonagentive Konstruktion eingebettet ist, bestimmt. Das ist aber keineswegs lediglich eine Frage der Darstellung oder der gewählten Perspektive auf das zu analysierende Problem: Welke beschreibt einen Valenzrahmen für ein deverbales Adjektiv. Im Beispielsatz das Haus wird abgerissen (Welke 2012: 84) ist abgerissen jedoch ein deverbales Adjektiv auf der Basis eines Perfektpartizips und kein ‚Valenzträger‘ oder ‚Prädikat‘. In einem Punkt jedoch treffen sich Valenz- und Konstruktionsgrammatik, nämlich darin, dass man auf die Partizipantenrollen von in Konstruktionen eingebetteten Verben nicht verzichten kann. Aber das sind im Fall nonagentiver

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Konstruktionen nicht jene eines Verbs, das in einer (aktivischen) ‚Makrokonstruktion‘ (abreißen) und in einer bestimmten Lesart (nach einem valenzgrammatischen Lexikoneintrag) einen bestimmten Valenzrahmen aufweist und diesen, wie auch immer, in einer (passivischen) ‚Mikrokonstruktion‘ mehr oder weniger erhalte (abgerissen) (so auch analog Eroms 2000, Eisenberg 2006 II und DUDEN 2009), sondern es sind die Rolleneigenschaften der Verben, die als Verben in nonagentive Konstruktionen eingebettet sind: sein, bleiben oder, wie hier, werden. Am Beispiel das Haus wird abgerissen bedeutet das, dass eine Konstruktion der KOMMUTATION (Zustandsänderung, vgl. Kap. 5.2.1.3) mit werden vorliegt (vgl. Kap. 8), in die ein Qualitativ (abgerissen) als Konstruktion eingebettet wird, der anzeigt, welche Eigenschaft ein spezifiziertes oder effiziertes Objekt (SOB, EOB: Haus) nach der Zustandsänderung neben anderen (das Haus ist grün, das Haus ist umzäunt usw.) haben wird. Zweifelsohne sind sich dennoch Welkes Valenzgrammatik und Konstruktionsgrammatik sehr viel näher als die generative Grammatik, die beim Postulat der „Valenzreduktion“ verharrt (Abraham 2015). Traditionell wird zwischen der Kopula werden und dem ‚Passivauxiliar‘ unterschieden, obwohl sie „weitgehende Identität“ zeigen. Einzig die Unterschiede der Partizipialform (geworden vs. worden) wiesen darauf hin (vgl. exemplarisch hier Eisenberg 2006 II: 124f.) – in den analytischen Tempusformen Perfekt, Plusquamperfekt, den Doppelperfektformen sowie dem Futur II scheint diese Differenz auf. Dazu muss man sagen, dass eine Differenzierung und ein Hinweis auf den strukturellen Unterschied prinzipiell nützlich ist. Aus konstruktionsgrammatischer Perspektive soll aber zumindest gefragt werden, ob sie auch dem Sprachgebrauch adäquat ist: Nicht einmal 10% der Belege für die fraglichen sprachlichen passivischen Muster mit werden werden in den analytischen Tempusformen gebildet, die die Differenz überhaupt sichtbar werden lassen. Grenzte man aber die ‚Kopulakonstruktionen‘ aus, träfe das streng genommen für alle Realisierungen zu, in denen Adjektive verwendet werden – also ca. 30% aller Belege (vgl. Kap. 8.1). Aber nicht nur Form und Frequenz einer Konstruktion sollen als entscheidende Kriterien herangezogen werden, um (konstruktions-)grammatische Klassifikationen vorzunehmen. Auch und vor allem die Analyse der Bedeutungsseite der Realisierungen der Konstruktionen der KOMMUTATION, in die als Qualitative Adjektive und deverbale Adjektive aus Partizipien eingebettet werden können, zeigt, dass auch für werden gilt, was Welke (Welke 2007: 134), hier in leichter Abwandlung, für sein postulierte: ‚Die Modifikatoren müssen zur Aufgabe der Konstruktion beitragen‘. Vor diesem Hintergrund ist weiter zu überlegen – das ist an dieser Stelle nicht mehr als eine Arbeitshypothese –, ob

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Konstruktionen mit werden systematisch die „Perfektlücke“ der Konstruktionen mit sein überbrücken, so dass man möglicherweise die Perfektformen der Konstruktionen mit werden neu interpretieren muss (vgl. zu Tempus und Temporalität Kap. 5.1.4, zur Konstruktion der KOMMUTATION mit werden Kap. 5.2.1.3, zum Thema „Perfektlücke“ Kap. 7.1 und Kap. 8.1).

4.2.4 Das so genannte bekommen-Passiv Das so genannte „Rezipienten“- oder „Dativpassiv“ gehört heute in der grammatischen Standardliteratur (allen voran immer noch der DUDEN) nicht mehr zu den Randerscheinungen, sondern wird als eigenständiges grammatisches Muster beschrieben. Der Fokus liegt auf Konstruktionen, in die bekommen, kriegen oder erhalten gemeinsam mit einem deverbalen Adjektiv (auf der Basis eines Perfektpartizips) eingebettet sind. Neben der Darstellung des Phänomens in Grammatiken wie bei Eisenberg (2006 II: 128–130), Eroms (2000: 414–421) sind vor allem die Einzelstudien von Askedal (1984), Leirbukt (1997) und Lenz (2013) herauszuheben, auf die hier der Schwerpunkt gelegt werden soll. Areale Aspekte (vgl. vor allem Glaser 2005 und Glaser & Clement 2014) werden nicht im Mittelpunkt stehen. Unter dem Etikett „Rezipienten-, Dativpassiv“ oder bekommenPassiv werden in der Regel Beispiele wie diese zitiert und gegeneinander abgewogen (Leirbukt 1997: 5, [30] nach Wegener 1985): [30]

Das Auto bekommt einen neuen Motor eingebaut.

[31]

Ich bekomme einen neuen Motor eingebaut.

Leirbukt konzentriert sich in seiner Studie ganz wesentlich darauf, in der „Fügungskonstruktion“ (1997: 1) die Rolle des Dativs genauer zu fassen: „Als zentrale Unterscheidung im Untersuchungsbereich betrachte ich die zwischen Dativobjekt einerseits [sc. 30] und Dativus commodi bzw. incommodi [sc. 31] andererseits.“ (Leirbukt 1997: 6). Die von Wegener (1985) vorgeschlagene Kategorie BETR (‚Betroffener‘) kritisiert er, da so „interessante empirische Aspekte [des] Untersuchungsobjektes vernachlässigt bleiben“ (Leirbukt 1997: 5). Eine weitere Unterscheidung, die Leirbukt macht, ist die nach spezifischen Formen der bekommen-Konstruktion (1997: 13). Im Zusammenhang mit nonagentiven Strukturen sind zwei dieser Formen relevant: a) bekommen/kriegen-Verbindungen als Bestandteil von Konstruktionen, deren Subjekt nicht mit einem im Aktivsatz begegnenden Dativ, sondern mit einem Akkusativ korres-

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pondiert [bekommen-Konstruktion 1]: Ich kriegte natürlich geschimpft, […]. c) Verbindungen mit bekommen etc. als Vollverb im Sinne von ‚empfangen‘, ‚in den Besitz von etwas gelangen‘ (o.ä.) + Objekt + Partizip 2 als Objektsprädikativ [bekommen-Konstruktion 3]: Dieses Material bekam ich schön geordnet.

Um die „Fügungen“ zu analysieren, stellt Leirbukt (vgl. 1997: 20f.) folgende Fragen: – Welche Typen von Vollverben treten in der Konstruktion auf? – Welchen Restriktionen unterliegen sie? – Wie sind die Hilfsverben in der Konstruktion verteilt? – Wie sind Subjekte, Objekte und agensbezeichnende Elemente syntaktisch und semantisch zu beschreiben? – Wie ordnet sich die „Fügung“ in das satzgrammatische Regelwerk ein? – Wie ist der Passivstatus zu bestimmen und wie die Frage der Auxiliarisierung zu beantworten? Der letzten Frage widmet Leirbukt (1997) das abschließende Kapitel – hier führt er seine Ergebnisse zusammen und begründet seine Position vor dem Hintergrund der Valenz- und Dependenztheorie (Leirbukt 1997: 197ff.). Wir können diesen Positionen wie die germanistische Forschung, die die bekommenKonstruktion als Passivform auffasst und die Leirbukt bestätigt, folgen. Wichtiges Anliegen ist Leirbukt, auch wenn das in der Kapitelanlage noch sehr vorsichtig vorgetragen wird, der akribische Vergleich zwischen werden- und bekommen-Konstruktionen (zusammenfassend Leirbukt 1997: 201 und vor allem im Fazit 204). Auch wenn freilich Unterschiede bestünden, denn „werden heb[e] sich bekanntlich durch die Partizipform worden vom Kopulaverb werden ab“, „woran der Sonderstatus von werden unter den Passivhilfsverben deutlich [werde]“ (217). Auch wenn ein geringerer ‚Auxiliarisierungsgrad‘ bei bekommen vorliege („nicht völlig neutralisierte Bedeutung des Erhaltens“), so überwiegen doch die Parallelen zwischen den verglichenen Konstruktionen: Die erwähnten Charakteristika weisen zwar passivisches bekommen, kriegen und erhalten als eigene Gruppe aus, diese steht aber insgesamt gesehen dem passivischen werden bedeutend näher als den Vollverben. Wenn man eine Kategorie ‚Passivauxiliar‘ zugrunde legt, deren Mitglieder nicht hundertprozentig dieselben Eigenschaften besitzen, kann man ihr auch bekommen etc. zuordnen. (217)

Die für diese Studie relevante Passage schließt Leirbukt vorsichtig an (1997: 217f.): Diese Interpretation […] läuft auf eine prototypische Auffassung hinaus, die in werden den ‚besten‘ Vertreter der Familie ‚Passivauxiliar‘ sieht, ohne bekommen, kriegen und erhalten

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auszugrenzen (ähnlich Zifonun 1992). In diesem Zusammenhang würde ich folgende Merkmale als entscheidend betrachten: 1. die den vier Verben gemeinsame PartizipSelektion (als konstruktionskonstituierende Eigenschaft), 2. die gemeinsame Markierung der Nichtübereinstimmung von Subjekt und Agens sowie 3. die weitgehende Prozessualität der durch diese Auxiliare konstituierten Bildungen. Der Rückgriff auf solche Merkmale erscheint notwendig, damit die prototypische Interpretation kontrollierbar bleibt.

Die „konstruktionskonstituierende Eigenschaft“ wird hier aus konstruktionsgrammatischer Perspektive anders entwickelt (vgl. dazu Kap. 5) und entspricht eher dem, was Leirbukt unter „die gemeinsame Markierung der Nichtübereinstimmung von Subjekt und Agens“ fasste. Die Abgrenzungsproblematik zum werden-Passiv war nach Leirbukt in der germanistischen Forschung jedenfalls keine mehr; die Frage nach dem ‚Grad von Auxiliarität‘ von bekommen, kriegen und erhalten und vor allem deren Verhältnis zueinander beschäftigte die Forschung aber weiter. Lenz bemerkte etwa erst 2013, dass es verwundere, dass die „Konkurrenz der Auxiliare kriegen, bekommen und erhalten […] [k]einer ausführlichen Analyse unterzogen wird“ (Lenz 2013: 239). In ihrer framesemantischen Analyse interessiert Lenz im Wesentlichen, wie bekommen und kriegen als Besitzwechselverben konzeptualisiert sind; die passivischen Lesarten behandelt sie mit. Allerdings kann sie den Fokus nicht wie diese Studie ausschließlich auf diese Aspekte legen, während ihnen hier größerer Raum zugestanden wird. Was die Beschreibung der Konstruktionen mit passivischer Lesart betrifft, argumentiert Lenz vor dem Hintergrund der Forschung (mittlerweile ‚traditionell‘ nach Leirbukt und Eroms): Bekommen, kriegen und erhalten seien als Auxiliare aufzufassen, deren Verteilung stilistisch bedingt sei: Erhalten begegnet bevorzugt in schriftsprachlichem, eher gehobenen Register und kriegen im mündlichen Register. Darüber hinaus scheint erhalten in höherem Ausmaß als bekommen bei Verben des Nehmens und ähnlichen „negativen“ Vollverbkonstruktionen vermieden zu werden. Das bedeutet, dass erhalten sich nicht so weit in Richtung eines Hilfsverbs entwickelt hat wie bekommen (s. dazu Eroms 2000:396) (Zitat nach DUDEN 2009: 551; ebenfalls bei Lenz 2013: 240).

Neben anderen Zielen versucht Lenz, diese „Thesen bezüglich der Steuerungsfaktoren der Auxiliarselektion“ (Lenz 2013: 240) empirisch zu prüfen. Ihre Ergebnisse wollen wir hier komplettieren durch die empirische Auswertung eines großen schriftsprachlichen Korpus (in der Tradition von Leirbukt 1997) und aus konstruktionsgrammatischer Perspektive. In ihrer Hinführung legt sie den Fokus auf die Grammatikschreibung zum Dativpassiv. Leicht verwundert scheint sie, als sie aus DUDEN 1984: 183f. zitiert, dass die „Konstruktion mit bekommen und erhalten als eine Variante des Vorgangspassivs anzusehen ist“ (Lenz 2013: 240). Zweierlei ist an diesem Zitat bemerkenswert. Die Zuordnung zum ‚Vor-

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gangspassiv‘ wird forschungsgeschichtlich über die Parallelisierung, wie sie etwa Leirbukt 1997 vollzog, plausibel. Dennoch, auch das wurde deutlich, postuliert er das „Dativpassiv“ als eigenständige Form. Viel interessanter aber ist, dass man den Ursprung der Konstruktion da verortet, wo die Konstruktion die Funktion einer Gebrauchsalternative zum ‚Vorgangspassiv‘ übernimmt. Ähnliches lässt sich im Moment beim gehören-Passiv beobachten oder beim habenPassiv, das strukturanalog erst einmal vorsichtig dem „Dativpassiv“ zugeschlagen wird (vgl. dazu bspw. ebenfalls Leirbukt 1997 und Eroms 2000). Das hat seine Gründe vor allem darin, welche Konstruktionen noch in die Konstruktionen mit bekommen, erhalten und kriegen eingebettet werden (vgl. etwa das Kriterium der Partizip-Selektion, welches Leirbukt 1997: 218 anführt). Deutlich wird daran, dass Lenz 2013 sich nicht nur in der Auffassung von Auxiliaren, sondern auch hinsichtlich der Ergänzungen traditionell orientiert und direkt an die etablierte Forschung anschließt. Sie zitiert wörtlich aus DUDEN 2005 eine in 2009 unverändert wiederholte Passage: Das bekommen-Passiv wird am häufigsten von gewöhnlichen ditransitiven Verben – Verben des Gebens, des Nehmens, Mitteilens, Verbergens usw. gebildet […]. Etwas seltener entspricht das Subjekt im Passiv einem freie(re)n Dativaktanten […]. In der Fachliteratur wird die Bildung des bekommen-Passivs von intransitiven dativregierenden Verben (helfen, applaudieren, danken, drohen usw.) als eine systematische Möglichkeit erwähnt. Es handelt sich jedoch dabei um eine regionale, nicht allgemein akzeptierte Erscheinung, die im Wesentlichen in der gesprochenen Sprache begegnet […]. Aus den erwähnten Restriktionen folgt: Passivsätze, die mit bekommen (erhalten, kriegen) gebildet sind, enthalten (fast) immer ein Akkusativobjekt. Sie unterscheiden sich dadurch grundsätzlich von anderen Passivsätzen […] (DUDEN 2005: 556f.; DUDEN 2009: 550f. und bei Lenz 2013:243).

Bekommen und kriegen sowie erhalten werden als Auxiliare konzeptualisiert, obwohl man bei der Verteilung aufgrund ‚stilistischer‘ Merkmale und im Hinblick auf die Restriktionsregeln bei Konstruktionen mit erhalten darauf hinweist, dass die ‚Grammatikalisierung‘ einzelner Vertreter des „Dativpassivs“ nicht abgeschlossen sei (vgl. hierzu zur Diskussion Leirbukt 1997: 204–218). Zum zweiten wird unverändert davon ausgegangen, dass Konstruktionen nicht mittels Adjektiven auf deverbaler Basis besetzt werden, sondern dass der Bildung des „Dativpassivs“ eine Konversenstruktur zu Grunde liegt („das bekommen-Passiv wird am häufigsten von gewöhnlichen ditransitiven Verben [gebildet]“). Diese Sichtweise steht ganz in der Tradition von Eroms und Zifonun sowie Leirbukt, der die Charakteristik der Verben, deren Partizip für die Bildung genutzt wird, so erfasste. Bei ihnen kann man eine endliche Anzahl von Bedeutungskomplexen mit Haben-Relation als Bestandteil ansetzen […]: Es geht um deren Veränderung (in Richtung Geben oder Nehmen) oder aber

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um deren explizite Nicht-Veränderung (letzteres bei Intransformativa: Verben des Belassens, Verweigerns oder Verbergens). (Leirbukt 1997: 229)

Umstritten sei in der Forschung die Bildungsmöglichkeit bei „Verben ohne Akkusativkomplement“ (Lenz 2013: 89) in standardnahen Kontexten, die Bildung mit „Verben mit einem personalen Dativkomplement [und] Verben mit einem Pertinenzdativ und einem direktiven Komplement“ (Lenz 2013: 89) – Lenz widerlegt das in ihrer Studie und auch die hier zusammengetragenen Ergebnisse sind bezüglich der Konstruktionsrealisierungen dieses Zuschnitts in standardnahen Kontexten deutlich (vgl. dazu weiter unten Kap. 9). Der knappe Forschungsüberblick bei Lenz schließt mit der Einschätzung, dass man es hinsichtlich der Bildungsregeln und -restriktionen […] mit einem komplexen Zusammenspiel vor allem von pragmatischer […], semantischer und syntaktischer Faktoren zu ha[t], zu denen in nicht unerheblichem Maße die […] areale Variationsdimension hinzukommt. (Lenz 2013: 90)

Darauf deutete bereits auch deutlich das Fazit von Leirbukt (1997: 217f.) in Bezug auf die Interpretation prototypisch organisierter Gruppen von Passivauxiliaren, die wir an anderer Stelle – nämlich der Beschreibung von nonagentiven Konstruktionen im Konstruktikon – wieder aufgreifen werden. Allerdings: Auf pragmatische Erklärungsansätze werden wir hier verzichten. Die Forschungsdiskussion über das Rezipientenpassiv, die hier nur schlaglichtartig geführt wurde, fasste Oya (2015: 295f.) knapp zusammen – besonders konzentriert er sich dabei auf die Frage, ob beim „Rezipientenpassiv [k]eine Konversion zwischen Dativ und Nominativ“ vorliege (Oya 2015: 296). Er führt damit die Diskussion, die wir hier exemplarisch mit Leirbukt aufgenommen haben, weiter. Wie Oya vertreten wir die Position, dass bei der „Fügung bekommen/kriegen + Partizip II […] mit passiver Lesart keine Dativkonversion stattfindet“ (Oya 2015: 296), sondern dass wie bei anderen nonagentiven Konstruktionen davon ausgegangen werden soll, dass es sich, die hier referierten Forschungsmeinungen zum Passiv fortschreibend, um eine Konstruktion sui generis handele. Allerdings sind wir bezüglich der Auffassung skeptisch, dass die ‚Fügungen‘ „parallel zu have- bzw. get-Konstruktionen mit passivem Partizip im Englischen zu analysieren“ seien (Oya 2015: 324). Lenz 2013 zeigte deutlich, dass bei der Interpretation von Lesarten schon im Deutschen erhebliche Verwerfungen im Varietätenspektrum zu erwarten sind – auch wenn also eine strukturelle Parallele zum Englischen bestünde, so ist eine Einschätzung wie die, dass die „inchaotive Semantik von bekommen/kriegen verloren gegangen“ sei und diese „Verben somit mit have im Englischen gleichbedeutend sind“

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(Oya 2015: 325), vor dem Hintergrund der Daten, die Oya untersuchte (Mannheimer Morgen 2008/2012 aus COSMAS), noch einmal zu überprüfen. Weiter verwundert, dass Oya erhalten in der Diskussion vollkommen überspringt. Dabei ist es, wie die Korpusanalyse zeigen wird, eine wichtige Alternative zu bekommen, die im Kontext des ‚Rezipientenpassivs‘ nicht einfach ausgeklammert werden kann. Mit dem Beitrag „Rezipientenpassiv als Applikativkonstruktion“ weist Oya (2015) im Wesentlichen auf den eigenen Konstruktionsstatus der ‚Fügung‘ und die Synonymität von bekommen und kriegen in dieser hin.

4.2.5 Das so genannte gehören- und haben-Passiv Mit einer Analyse der Konstruktionsrealisierungen mit gehören und deverbalem Adjektiv [32] muss man sowohl traditionelle Grammatiken als auch traditionelle Lexika befragen, um die Forschungsergebnisse zur Konstruktion zusammenzutragen: [32]

Das Fenster gehört geschlossen.

Neben Grammatiken sind nämlich Valenzwörterbücher zu befragen, da sie von der Bedeutungsseite her kommend sprachliche Muster zu bestimmen suchen. Besonderes Augenmerk soll hier in der Hinführung weiter auf die Arbeiten von Katerina Stathi (2007 und 2010) gelegt werden, die den ‚Grammatikalisierungsprozess‘ von gehören in der hier fraglichen Konstruktion nachzeichnete. Eisenberg behandelt gehören mit deverbalem Adjektiv auf der Basis des Perfektpartizips leider nur im Rahmen der Subjektkonversion bei „Dativverben“ (vgl. Eisenberg 2006 II: 128f.). Als „Alternative zum werden-Passiv“ führt dagegen die DUDEN-Grammatik die so genannte „Ersatzform“ „gehören + Partizip II“ an, die eine modale Variante des „Vorgangspassivs“ darstelle, indem es „Notwendigkeit/Zwang (≈müssen/sollen)“ ausdrücke (DUDEN 2009: 549). So auch Eroms (2000: 405f.): Er widmet dem gehören-Passiv als „modalisierter Passivkonstruktion“, die „derzeit noch regional gebunden“ und „semantisch stark restringiert“ (405) sei, einen knappen Absatz. Er fasst gehören als Auxiliar auf und leitet es analog von anderen Passivtypen ab. Konstruktionen mit gehören fasst er als „kompakte, syntaktisch geregelte Konstruktion[en]“ auf, mit denen eine „bestimmte Äußerungsweise“ markiert sei (405). Im Handbuch der deutschen Grammatik von Hentschel & Weydt (in der vierten Auflage von 2013: 122) wird das zu beschreibende sprachliche Muster ebenfalls als modale „Passivperiphrase“, also eine „Ersatzform“, behandelt und weiter ebenfalls stilistisch

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markiert: „gehören + Partizip Perfekt (umgangssprachlich): Das gehört verboten.“ Sie weisen allerdings daraufhin, dass Engel das Muster neben werden-, sein- und bekommen-Passiv zu den „vollen Passivformen“ rechne und damit nicht, wie die DUDEN-Grammatik und das Handbuch, als Ersatzform des „Vorgangspassivs“. Allerdings wird auch bei Engel (2009) zumindest die formale Nähe zum werden-Passiv deutlich, wenn er klar herausstellt, dass „[d]iese Passivart [...] zu allen Verben gebildet werden [kann], die ein werden-Passiv erlauben“ (Engel 2009: 240). Es zeichne sich durch eine „ethische Komponente“ aus: „Der Sachverhalt soll, gemäß einer ethischen Norm, realisiert werden.“ In funktionalen Grammatiken wird die Konstruktion mit gehören also als Passivform beschrieben, die mal mehr oder mal weniger eigenständig in enger Verbindung zum werden-Passiv gesehen wird und eine „Notwendigkeit/Zwang (≈müssen/ sollen)“ ausdrücke (DUDEN 2009: 549). Hinsichtlich der Bewertung (umgangssprachlich, regional) ergibt sich aus der Forschungslektüre kein einheitliches Bild des ‚gehören-Passivs‘. Auch ein Blick in das Elektronische Valenzwörterbuch (E-VALBU) beim Institut für deutsche Sprache (Mannheim) hilft diesbezüglich nur bedingt weiter. Allerdings legt das E-VALBU einen anderen Schwerpunkt. Es zielt mit seinen framesemantisch motivierten Artikeln und Lexikoneinträgen nicht auf formale Aspekte der Sprachbeschreibung, sondern fokussiert auf die Bedeutungsseite sprachlicher, vom Verb aufgespannter Strukturen:8 gehören wird auch als Nebenverb in Verbindung mit dem Part. II eines Hauptverbs zur Bildung einer modalen passivischen Konstruktion verwendet i.S.v. ‚etwas sollte/müsste getan werden‘. Der Satzbauplan wird in dieser Konstruktion vom Hauptverb bestimmt: Das gehört doch verboten! Das gehört ihm doch gesagt! Ein solches Verhalten gehört bestraft.

Die Bedeutungen, in denen gehören verwendet wird, sind: 1 gehören – Eigentum von jemandem sein: Forschungsergebnisse von Mitarbeitern gehören der Firma. 2 gehören zu – Teil von etwas sein: Das gehört zu meinen Pflichten. 3 gehören – etwas zugeordnet sein: Gehören diese Kinder zu Ihnen? ABER: Am Sonntag gehört Vater der Familie.

|| 8 E-VALBU (http://hypermedia.ids-mannheim.de/evalbu/index.html; Stand: 16.09.2016). Die Beispiele sind, abweichend von der Quelle, hier nicht nummeriert. Die folgenden Bedeutungsangaben inkl. ausgewählter Beispiele aus derselben Quelle sind zur besseren Übersicht neu gesetzt.

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4 gehören zu – für etwas erforderlich sein: Zur Lösung dieser Aufgabe gehört viel Geduld. 5 gehören – irgendwohin sollen: Ein fiebriges Kind gehört ins Bett sowie Im Park gehören Hunde an die Leine.

Was an den ‚Lesarten‘, die hier schon stark differenziert sind, auffällt, ist, dass es valenzgrammatisch nicht ganz einfach zu sein scheint, gehören mit Präpositionen zu fassen. Zum einen werden drei unterschiedliche Lesarten für gehören zu postuliert (2–4), von denen (2) und (3) im Belegungsplan zwar je ein Beispiel für gehören zu aufführen, aber jeweils auch ein Beispiel ohne Präposition. Zum anderen: Warum wird gehören in(s) bzw. gehören an in der letzten Lesart (5) nicht ebenso gefasst? Wie wird mit gehören unter, gehören auf usw. verfahren? In den Belegungsregeln werden diese und weitere Präpositionen zumindest diskutiert. Daran lässt sich ablesen, dass die Unterscheidung von Form- und Bedeutungsaspekten einer Konstruktion auf Morphemebene (hier gehören) und damit die zwischen Grammatik und Lexikon auch dann nicht einfacher wird, wenn man formale Merkmale zur Verdeutlichung einer Lesart hinzuzieht. An den gegebenen Lesarten und den illustrierenden Belegplänen und -beispielen ist für uns wichtig, dass gehören offenbar in sprachliche Muster eingebettet ist, die deontische Qualität aufweisen – d.h. der denotierte Inhalt ist nicht als faktisch, sondern hier als notwendig oder erwünscht markiert – und bedeutungsmäßig auf eine Eigenschaftszuweisung bzw. eine Funktionszuweisung hindeuten sowie aufgrund dieser Grundbedeutung kein Agens als Handlungsträger im Fokus satzwertiger Ausdrücke aufweisen. Gehören mit deverbalem Adjektiv auf der Basis des Perfektpartizips ist im Zusammenhang dieser deontischen Eigenschaftszuweisung zu sehen. Die Nähe allerdings zum modalen Infinitiv mit sein (also das gehört doch verboten! zu das ist doch zu verbieten!) (vgl. dazu 4.2.5, 10.1.1 und 10.2.1) sollte nicht vorschnell behauptet werden, auch ist durchaus zu diskutieren, ob man es als „Passiversatzform“ des werden-Passivs sehen sollte oder ob man mit Engel (2009: 240) dem gehören-Passiv einen eigenen Status als Konstruktion zuweist, die allerdings (formal) eng an das werden-Passiv angelehnt wird. Einigen dieser Fragen widmet sich Stathi (2007, 2010). Im Mittelpunkt ihres Interesses steht zum einen der ‚Grammatikalisierungsprozess‘ der Konstruktion gehören mit deverbalem Adjektiv, den sie mit Heines Modell der Grammatikalisierung von Hilfsverben beschreibt (vgl. Heine 1993). Die frühesten Belege für die spezifische Realisierung der hier gesuchten Konstruktion verortet sie in der Mitte des 19. Jahrhunderts (vgl. Stathi 2010: 328) – gehören mit deverbalem Adjektiv ist also eine der jüngeren analytischen Formen. Zum anderen interessiert sie die Frage, ob man gehören als Auxiliar behandeln sollte. In Stathi 2010 beschreibt sie ausgehend von dem recht diffusen Bild, welches wir hier ebenfalls

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im Blick auf einige Auszüge der Forschungsliteratur gaben, gehören als HalbAuxiliar (vgl. Stathi 2010: 331). Sie charakterisiert abschließend: „The construction gehören + participle II has grammaticalized to a modal passive marker in German“ (Stathi 2010: 340) mit deontischer Qualität. An diesem Punkt wollen wir mit unseren Überlegungen anknüpfen: Gehören als ‚Halbauxiliar‘ bringt wie werden und sein sowie bekommen oder haben eine Eigensemantik mit, die, sollte das Verb in Konstruktionen eingebettet sein, die Konstruktionsbedeutung in einer spezifischen Weise aktualisiert, die sich weder allein lexikalisch noch allein grammatisch, sondern nur konstruktional adäquat beschreiben lässt. Das so genannte haben-Passiv verhandeln wir nur deshalb, abweichend von anderen Darstellungen, mit dem gehören-Passiv gemeinsam, da – vorweggreifend – diese beiden Konstruktionen als intermediäre, dazwischenliegende, Konstruktionen in dieser Arbeit charakterisiert werden, d.h. als solche, die ihre Eigenschaften von wenigstens zwei verschiedenen Konstruktionen erben und sich deshalb nicht einem Konstruktionstyp zuordnen lassen, sondern eine neue Konstruktion in ihren Realisierungen repräsentieren (vgl. dazu unten Kap. 10.2). Dem haben-Passiv widmet sich die Forschung bisher kaum, im Wesentlichen hat nur Eroms es in sein „Schema der verbalen Diathesen“ als „Zustandsform“ des „Dativpassivs“ aufgenommen (Eroms 2000: 394) und kurz an wenigen Beispielen beschrieben (Eroms 2000: 420f.). Engel (2009), Eisenberg (2006), Hentschel & Weydt (2013) besprechen es nicht, der DUDEN verweist auf Eroms: [33]

Zuckerfreie Kaugummis […] haben auf der Packung deutlich einen entsprechenden Hinweis aufgedruckt. (DUDEN 2009: 551, zitiert aus Eroms 1978; Hervorhebung A.L.)

Die Informationslage zu Konstruktionen dieser Art ist leider so dürftig (im Wesentlichen nur Eroms 1978, 2000 mit Verweis auf Leirbukt 1981), dass kaum mehr als die Annahme bei Eroms, dass es sich um Formen des „Dativpassivs“ handle, an dieser Stelle zu besprechen ist. Strukturanalog zum bekommenPassiv ist, dass ein Dativobjekt der vermuteten Aktivfolie zum Subjekt des Passivsatzes promoviert werde und damit ein wie auch immer gearteter ‚Nutznießer‘ einer (im Aktiv rekonstruierten) Handlung profitiere. Näher an die Argumentation dieser Studie rücken die Überlegungen von Businger (2013) zum haben-Passiv. Er weist die Einordnung ins Passiv zurück und spricht in einer syntaktischen Analyse davon, dass haben wie in [33]und [34] eine Phrase einbette, in der das Perfektpartizip als (deverbales) Adjektiv aufzufassen sei. In dieser Studie wird allerdings dafür plädiert, ähnlich wie beim gehörenPassiv von einer Konstruktion auszugehen, die Eigenschaften von verschiede-

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nen Konstruktionen erbt und deshalb gesondert zu besprechen ist (vgl. dazu Kap. 10.2.2). Doch sei gleich vorweg gesagt, dass ein sprachgebrauchsbasierter konstruktionsgrammatischer Ansatz, der maschinell und systematisch Sprachkorpora analysiert, an seine Grenzen stößt, wenn man Sätze wie [34]

Der Kunde hat die Steine vereint. (‚Der Kunde bekommt und besitzt die Steine im vereinten Zustand‘) (vgl. Eroms 2000: 395 und DUDEN 2009: 551; Hervorhebung A.L.)

als „Zustandsvariante des Dativpassivs im Präsens“ (Eroms 2000: 395) und nicht als Perfekt einer agentiven Konstruktion in nach Oberflächenkasus annotierten Korpora aufzufinden sucht.

4.2.6 Weitere Passivformen Eines der Grundprobleme in der Analyse analytischer Sprachen ist, dass sie anders als synthetische Sprachen syntaktische, morphologische, lexikalische und nicht zuletzt pragmatische Mittel nutzen, um unterschiedliche Perspektivierungen auf einen Gegenstand zum Ausdruck zu bringen. So ist eine entsprechend große und unübersichtliche Kategorie die der „weiteren Passivformen“, in die unter unterschiedlichsten Vorzeichen all jene Konstruktionsrealisierungen einsortiert werden, die sich nicht ohne Weiteres einer der schon beschriebenen Kategorien zuordnen lassen. Eroms (2000), an dem sich der DUDEN (2009: 549f.) orientiert, differenziert zwischen den „modalisierten Passivkonstruktionen“, „Reflexivkonstruktionen“ sowie „Subjektsumsprünge[n] und Ergativkonstruktionen“ (Eroms 2000: 405– 414). Zu den modalisierten Konstruktionen zählt er das gehören-Passiv (vgl. dazu Kap. 4.2.5), Konstruktionen mit bar-Adjektiven (Eroms 2000: 406f.), die wir hier nicht aus der Analyse der Konstruktionen etwa mit sein und bleiben ausschließen werden (vgl. oben Kap. 4.2.1 und 4.2.2), sowie Konstruktionen mit „sein/stehen/gehen+zu+Infinitiv/sich lassen+Infinitiv/es gibt+Infinitiv“ (Eroms 2000: 407–411). Abgesehen davon, dass lassen (ob in Reflexivkonstruktion gebraucht oder nicht) jedem Grammatiker die Tränen in die Augen treibt, indem es in erschreckend hoher Frequenz die Lebendigkeit des Sprachgebrauchs offenbart, behandeln wir hier die so genannten „modalen Infinitive“ nicht gänzlich losgelöst (vgl. Kap. 7 und 9), sondern nehmen die Diskussion um aktualisierte Konstruktionsbedeutungen durch [[zu][Infinitiv]] in Kap. 10 noch einmal

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auf, auch um bspw. Fragen wie die zu erläutern, wie sich Realisierungen [35]– [37] zueinander verhalten: [35]

Das Fenster gehört geschlossen.

[36]

Das Fenster ist zu schließen.

[37]

Das Fenster scheint zu schließen.

Zumindest in Bezug auf die „modalen Infinitive“ und das gehören-Passiv liegen z.T. auch konstruktionsgrammatische Untersuchungen vor, auf die wir in dieser Studie aufbauen können. Stefanowitsch (2009) plädierte im Hinblick auf modale Infinitive dafür, davon auszugehen, dass hier eine Konstruktion im engeren Sinne vorliege. Das ist im Hinblick darauf, wie wir hier nonagentive Konstruktionen beschreiben werden, das Perfektpartizip als deverbales Adjektiv auffassen oder die Grenze zwischen dem ‚Passivauxiliar‘ und ‚Kopulaverb‘ werden nicht mehr stark ziehen, unbedingt zu unterstreichen. „Modale Infinitive“ haben nach Stefanowitsch z.B. die Bedeutung, eine „Verpflichtung ohne Alternative“ anzuzeigen. So wäre der „modale Infinitiv“ in [36] analog zu Eisenberg II 2006: 131–134 gelesen im Sinne von ‚Es ist möglich/notwendig, das Fenster zu schließen‘. Wird die Konstruktion in nonagentive Konstruktionen eingebettet, dann aktualisiert sie diese in spezifischer Weise, so dass wir diesen Formen hier ein eigenes Kapitel widmen und den semantischen Zusammenhang zum gehörenPassiv herstellen werden (vgl. Kap. 4.2.5, 5.2.3.2 und unten Kap. 10). In der traditionellen Forschung wird das „Reflexivpassiv“ höchst unterschiedlich bewertet. Eroms (2000: 411) folgt der Einteilung von Askedal (1995: 48f.), diskutiert im Folgenden allerdings vor allem Formen von Reflexivität (vgl. Eroms 2000: 411–413). Eisenberg (2006: II 131) referiert Ágel (1997) sowie Vater (1995) und bezieht sich allgemein auf die Dudengrammatik. Er kommt zum Schluss, dass Sätze wie es wird sich jetzt endlich beeilt oder hier wird sich nicht geschämt (beide Beispiele aus Eisenberg 2006: II 131) als „medial“ einzustufen sind: Konstruktiv [weisen die genannten Beispiele] mit der Räumung der Subjektstelle ein Merkmal des Passivs, mit einem Reflexivum eins des Aktivs auf. Die Sätze sind nach dieser Analyse weder eindeutig passivisch noch eindeutig aktivisch und werden deshalb medial genannt. Von den obligatorisch reflexiven wird dann auch als medialen Verben gesprochen. Sie bilden kein Passiv, sondern ein Medium.

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Wie im anschließenden Kapitel zur Perspektivierungsleistung und Agentivität von Konstruktionen im Detail erläutert werden wird (vgl. dazu Kap. 5.1), plädieren auch wir dafür, von reflexiven Konstruktionen als eigenem Typ zu sprechen und Aspekte von Reflexivität ausschließlich im Kontext reflexiver Konstruktionen zu beschreiben (u.a. gegen Welke 2015, vgl. weiter Kap. 5.1.5). Demzufolge werden hier Konstruktionsrealisierungen des Typs hier wird sich nicht geschämt bewusst ausgeklammert (vgl. aber weiterführend Hundt 2002 oder PakkanenKilpiä 2004). Damit folgen wir aus konstruktionsgrammatischer Perspektive Eisenberg (2006: II 131) und nicht den Ansätzen, die das ‚Reflexivpassiv‘ als in die Nähe der Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden rücken, dabei allerdings leider immer etwas vage bleiben (vgl. etwa Eroms 2000: 411ff. oder auch DUDEN 2009: 547f.). Ein weiterer besonderer Fall ist das so genannte ‚unpersönliche Passiv‘, das in der relevanten Literatur (vgl. Vogel 2006) in die Nähe des werden-Passivs gerückt wird: Es/Hier wird nicht gearbeitet/abgewaschen/eingeschlafen/gestorben/gestunken (nach Eisenberg 2006: II 129f.). Czicza (2014) legte mit der Studie zum es-Gesamtsystem im Neuhochdeutschen Überlegungen vor, die – anders als der Untertitel ausspricht – stärker valenz- als konstruktionsgrammatisch orientiert sind. Auch seine Ergebnisse fließen in die Analyse ein. Wir stellen die Nähe zum so genannten werden-Passiv ebenfalls her (Kap. 8.1), besprechen das ‚unpersönliche Passiv‘ ansonsten aber noch einmal gesondert (vgl. Kap. 10.1.2).

4.3 Ein Beispiel: Die lexikalisch teilspezifizierte Konstruktion Henrike abgeholt! Welche Optionen die konstruktionsgrammatische Perspektive offeriert, soll nach den kurzen Einlassungen im vorangegangenen Kapitel abschließend an einem knappen Beispiel illustriert werden.9 Dabei werden Aspekte des Spracherwerbs und der Syntaxforschung einfließen, um ein Phänomen des Sprachgebrauchs analysieren zu können. Die nachfolgende Analyse hat eine ZweiwortÄußerung [38] zum Gegenstand. Das Beispiel betrifft Bereiche der morphosyntaktischen Forschung, ist zugleich aber auch für Gesprächslinguisten und besonders Spracherwerbsforscher interessant. [38]

Henrike abgeholt!

|| 9 Die vorliegenden Überlegungen sind einem Kap. von Lasch in Ziem & Lasch 2013: 165–172 entnommen und aktualisiert worden: Weitere Belege stützen die Annahmen von 2013.

Ein Beispiel: Die lexikalisch teilspezifizierte Konstruktion Henrike abgeholt! | 91

Zeuge der in [38] vorliegenden gesprochensprachlichen Äußerung kann man im Kindergarten werden, wenn das Kind Henrike abgeholt wird.10 Mit einem gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus (joint attention) auf das Henrike abholende Elternteil rufen die Kinder im Chor: Henrike abgeholt! Hat [38] den Status einer Konstruktion, wovon wir zunächst hypothetisch ausgehen, dann müssen die Kinder diese Konstruktion als konventionalisiertes Form-Bedeutungspaar erlernt haben und anwenden können. Einig kann man sich darüber sein, dass diese sprachliche Äußerung etwas bedeutet und eine bestimmte kommunikative Funktion erfüllt; sie dient offensichtlich dazu, ein zuvor identifiziertes Elternteil mit einem Kind in Verbindung zu bringen. Die intersubjektiv geteilte Intentionalität und die damit verbundenen (auch nonverbalen) Handlungen sind wesentlich an der Etablierung und Stabilisierung des Aufmerksamkeitszentrums beteiligt, was diese wiederum im Gebrauch funktional rückbindet und als symbolische Einheiten ausweist. Sprachliche Äußerungen sind dabei als Einheit erkennbar, realisiert und durch den stabilen Gebrauch derart eingeschliffen (entrenched), dass etwa die Zuordnung des Elternteils zu einem anderen Kind, welches derselben Kindergartengruppe angehört, unterdrückt wird: Selbst wenn Henrike zusammen mit ihrer Schwester Mathilde abgeholt wird, wird dies durch die Äußerung Henrike abgeholt! kommunikativ begleitet. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Konstruktion nicht produktiv ist, nur sind die Kontextbedingungen für die freie Besetzung des Slots sehr speziell, was auch mit dem Stand des Spracherwerbs zu erklären ist: Unter der Bedingung, dass nur Mathilde, nicht aber Henrike sich in der Gruppe befindet, wird die Zuordnung aufgebrochen und mit den Worten Mathilde abgeholt! neu hergestellt. Das ist insofern bedeutsam, als diese Varianten Rückschlüsse auf die Abstraktionsprozesse erlauben, die nach und nach Sprachstrukturen durch Vernetzung und Differenzierung von gelernten Konstruktionen hervorbringen. Man beobachtet gleichsam Kinder bei der Anwendung von erlerntem konzeptuell-sprachlichen Wissens, denn offenbar ist das Muster konventionalisiert, nicht-kompositionell, und es bildet eine kognitive Einheit, die in einen sehr genau bestimmbaren kommunikativen Kontext produktiv eingesetzt wird. Doch hat diese Produktivität auch ihre Grenzen. Die Konstruktion lizenziert nur unterschiedliche Eigennamen der Kinder der Gruppe als NP. Das kann als ein erster Hinweis auf das in der Konstruktionsgrammatik postulierte Kontinuum von Lexikon und Grammatik (vgl. Kap. 2.2) gewertet werden, denn nur über die in der Konstruktion realisierte NP, das deverbale Adjektiv abgeholt oder Kontextfaktoren kann eine solche Restriktion nicht erklärt werden. Wie lässt || 10 Bei [38] handelt es sich um einen Eigenbeleg aus der Kindertagesstätte „Meißner Spatzen“.

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sich nun die Konstruktion beschreiben, die hier realisiert wird? Denkbar sind verschiedene Optionen; hier beschränken wir uns auf eine Auswahl. Ausgangspunkt bildet dabei die Prämisse, dass die kommunikative Äußerung kontextuell eingebettet ist und diese Einbettungsstrukturen für den Erwerb und die (erfolgreiche) Verwendung der Konstruktionen Konsequenzen zeitigt. Wählen wir zuerst die syntaktische Perspektive und betrachten das gegebene Beispiel unter Berücksichtigung des Kontextes als einen satzwertigen Ausdruck. Rein formal folgt einem Bezugsnominal ein nachgestelltes deverbales adjektivisches und nicht flektiertes Attribut, was „offenbar seine markierte Form ist“ (Eisenberg 2006 II: 237). Dürscheid (2006) zeigt, dass diese Formen teils idiomatisiert sind, immer jedoch isoliert stehen. Das Bezugsnominal in Henrike abgeholt! teilt aber nicht die semantischen Eigenschaften, die Dürscheid für diese (idiomatisierten) Fälle wie bspw. Karpfen blau ausweist. Ähnlich gelagert ist dies in Fällen wie AUSFAHRT waschen, die bereits Schmitz (2000) analysiert hat. Zum anderen ist es so, dass man intuitiv die Realisierung nicht als attributive Konstruktion, sondern als passivische Form reanalysiert. Dann wären, im Vergleich mit der ‚Erwachsenensprache‘, zwei Möglichkeiten wahrscheinlich: Henrike [ist] abgeholt! bzw. Henrike [wird] abgeholt! Das eine würde dem so genannten sein-Passiv bzw. der Kopula sein mit Prädikativ entsprechen (vgl. auch Kap. 4.2.1).11 Wir werden diese Form im anschließenden Kapitel detailliert als Konstruktion der ASKRIPTION (vgl. Kap. 5.2.1.2) einführen und später ausführlich analysieren (Kap. 7.1). Den zweiten Fall könnte man als werden-Passiv bezeichnen (vgl. dazu unten Kap. 4.2.3 und das Kap. 5.2.1.3 mit der Einführung der Konstruktion der KOMMUTATION sowie der Analyse in Kap. 8). Auf jeden Fall wird im sprachlichen Ausdruck die Position des finiten Verbs in der Konstruktion nicht besetzt, auch fehlt eine Agensangabe, die zumindest in der Lesart mit werden möglich wäre. Da es Kinder im Alter von drei bis sieben Jahren sind, die ebendiesen Satz äußern, ist selbst bei den Ältesten eine Agensangabe kaum zu erwarten. Genauso wenig lässt sich an diesem Beispiel grundsätzlich die Frage beantworten, ob sich die Kinder im Zweifel für sein oder werden entscheiden würden. Wie Abbot-Smith & Behrens (2006) zeigen, erwerben Kinder das sein-Passiv über vorher gelernte Perfekt- bzw. Kopulastrukturen mit sein (was wiederum für die Annahme einer Kategorie spricht, vgl. oben Kap.

|| 11 „Es ist daher auch nicht klar, ob die ersten Verwendungen mit einem Partizip [im Erstspracherwerb] tatsächlich als Passiv- oder nicht eher als Prädikativkonstruktionen zu analysieren sind“ (Wegener 1998: 163). Zum Passiverwerb vgl. Wegener 1998, besonders 157–163. Auch wenn der Fokus auf „Deutsch als Zweitsprache“ liegt, so reflektiert Wegener auch den Passiverwerb in der Erstsprache.

Ein Beispiel: Die lexikalisch teilspezifizierte Konstruktion Henrike abgeholt! | 93

4.2.1, unten 5.2.1.2 und 7), das werden-Passiv, wie bereits Wegener (1998) deutlich gemacht hat, wird erst wesentlich später erworben, da ‚Stützkonstruktionen‘ wie beim sein-Passiv fehlen (Abbot-Smith & Behrens 2006, vgl. auch Behrens 2011a: 177) und eher störende Interferenzen mit anderen Konstruktionen (einfaches Futur mit werden) den Erwerb erschweren. Wegener (1998) argumentiert, dass Kinder im vierten Lebensjahr beginnen, Konstruktionen mit werden in Passiv-Strukturen zu verwenden; die Ergebnisse von Abbot-Smith & Behrens (2006) belegen dies. War bei der Erstveröffentlichung der Überlegungen (vgl. Lasch in Ziem & Lasch 2013: 165–172) nicht entscheidbar, ob dem Gebrauch der Konstruktion eine Konzeptualisierung mit sein oder werden zugrunde liegt, kann für diese Frage heute anhand eines anderen Hörbelegs eine plausible Lösung vorgelegt werden: Henrike, du bist abgeholt. Max (5.4).12 Der Beleg aus dem November 2015 als Formulierungsalternative bestätigt die 2013 aufgestellten Hypothesen. Doch auch jetzt gilt wie 2013: Aus konstruktionsgrammatischer Perspektive ist diese Bestätigung nicht entscheidend, weil Kinder die vollständige Form nur äußerst selten realisieren und deshalb auch nicht auf der Basis der Sprachdaten darauf geschlossen werden kann, dass die Konstruktion in eben dieser Form im Konstruktikon verfestigt ist, auch wenn dies nicht unwahrscheinlich ist. Denn: Die Besonderheit der Konstruktion ist, dass nicht über das Verb die Partizipantenrollen in einer Argumentstruktur (die dann damit möglicherweise abgeglichen werden muss) besetzt werden, sondern in der Konstruktion nur mit den relevanten und von der Konstruktion und ihrer Argumentstruktur geforderten Partizipanten aktualisiert werden. Dabei sichert die Auslassung des Verbs auch bei den jüngsten Kindern das Verständnis, denn diese werden die Konstruktion (zunächst) als zweigliedrige lernen und anwenden: Die Kinder weisen auf ein anderes Kind (Referenz) und weisen eine Eigenschaft zu (Prädikation) – Basisoperationen des Sprachhandelns. Was ist aus konstruktionsgrammatischer Perspektive nun an diesem Beispiel interessant? Interessant ist nicht, dass man darüber mutmaßen kann, welche Verben in diese Konstruktion eintreten könnten, sondern dass die Anordnung der Partizipanten analog den Anforderungen der Argumentstruktur offenbart, dass sich in der kommunikativen Praxis ein kognitives Muster verfestigt und stabilisiert hat und damit auf ein Verständnis über die Bedeutung dieser Konstruktion geschlossen werden darf (vgl. zu diesen Prozessen Kap. 2.2): Möglicherweise kann damit eine basale Konstruktion menschlicher Kommuni|| 12 Wie in der Spracherwerbsforschung üblich, steht „5.4“ für „fünf Jahre und vier Monate“. Eigener Hörbeleg vom 6.11.2015.

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kation nachgewiesen werden (Referenz und Prädikation, vgl. Kap. 11). Dass man im dritten Lebensjahr Effekte durch Imitation nicht ausschließen kann, ist dabei kein Gegenargument, sondern unterstützt die Interpretation. Denn: Konventionalität ist Ergebnis des Sprachgebrauchs innerhalb einer Sprachgemeinschaft und zugleich Indiz für die kognitive Verfestigung einer sprachlichen Einheit (vgl. Kap. 2.1). Wie lässt sich eine Äußerung wie [38] im Detail beschreiben? Mithilfe der von Polenzʼschen Prädikationsrahmen, Prädikatsklassen, semantischen Rollen sowie der Relationstypen Goldbergs (vgl. Kap. 3) kann man die Äußerung Henrike abgeholt vorläufig wie folgt fassen, bevor die Konstruktion der ASKRIPTION detailliert im folgenden Kapitel entworfen werden: ZUSTANDv(nicht spezifiziert)(SOBNPNOM,QUALADJ)

Abschließend stellt sich noch die Frage, wie mit dem deverbalen Adjektiv abgeholt konstruktionsgrammatisch umzugehen ist. Von Polenz hatte – von der Konverse ausgehend – 1985 vorgeschlagen, solche deverbalen Adjektive als Teil des Prädikatsausdrucks (genauer „Prädikatsausdruck durch Adjektive“) aufzufassen. Solche Adjektive sind seiner Meinung nach keine „Artergänzungen“ oder „Gleichsetzungsglieder“ (von Polenz 2008: 107), sondern sie „stellen (in Verbindung mit Nominalverben wie sein, werden, bleiben, scheinen) Prädikatsausdrücke dar“. Das deverbale Adjektiv abgeholt ist Teil des Prädikatsausdrucks, der näher spezifiziert wird durch das hinzutretende Verb (sein, werden), die Konstruktionsbedeutung aber nicht verändert oder für den Relationstyp von Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung unerheblich ist. Allerdings bietet es sich an, auch das deverbale Adjektiv mit einer semantischen Rolle zu qualifizieren und so den Prädikatsausdruck, wie von Polenz ihn nennt, aufzubrechen und zu spezifizieren. Wie das gelingen kann, zeigten bereits einige neuere Ansätze in der Erforschung der Passivformen (allen voran die Arbeiten von Maienborn 2007 und Welke 2007 zum sein-Passiv; vgl. oben Kap. 4.2.1), die wir im folgenden Kapitel weiter ausbauen werden. Beispiele dieser Art illustrieren, dass nicht nur die Spracherwerbsforschung von konstruktionsgrammatischen Annahmen profitieren kann, sondern dass am Beispiel des Spracherwerbs auch Kategorisierungen zu überdenken sind. Denn: Sprache ist ein soziales Phänomen, das als kommunikativ relevantes Symbolsystem im Gebrauch eingeübt wird. Das gilt ebenso für das Wissen, welches sprachliche Repräsentationen organisiert. Sprache und damit sprachliche Repräsentationen und ein Wissen über diese emergieren aus dem Sprachgebrauch (vgl. Kap. 2.2). Der Erwerb von Konstruktionen lässt sich als dynamischer Prozess beschreiben. Die Äußerung Henrike abgeholt! stellt dabei nur eine

Ein Beispiel: Die lexikalisch teilspezifizierte Konstruktion Henrike abgeholt! | 95

Stufe in diesem Prozess dar, die kontextuell bedingt nicht als repräsentativ für individuellen Spracherwerbsstand eines Kindes der Gruppe herangezogen werden darf, da die Äußerung – wie beschrieben – in ein Kommunikationsritual eingebettet ist, an dem Kinder zwischen 2.0 und 7.2 teilnehmen. Überträgt man die Erkenntnisse aus der Spracherwerbsforschung zum Erwerb nonagentiver Konstruktionen, dann ist anzunehmen, dass die Äußerung Henrike abgeholt! von den Kleinsten item-basiert und schemageleitet zunächst als Einwortsatz (Henrike!) bzw. als zweigliedrige Äußerung gelernt und verwendet wird: So ist, mit den Worten Diessels (2007: 41), in dem „konstanten Element“ – in unserem Beispiel: abgeholt – ein „fester Bestandteil der Konstruktion“ zu sehen. Das heißt, Kinder analysieren diese Äußerungen als lexikalisch-spezifische Konstruktionen, in denen sich ein phonetisch spezifiziertes Bedeutungselement mit einer Lücke oder Leerstelle verbindet, die durch bestimmte Elemente gefüllt werden kann. (Diessel 2007: 41)

Diesen gehen im Spracherwerb Einwortsätze voraus (Henrike! [Referenz] bzw. Abgeholt! [Prädikation]), die in dem Kommunikationsritual ebenfalls funktional angemessen sind. Solche zweigliedrigen Äußerungen folgen dem Muster [[NENOM][abgeholt]] (vgl. dazu Diessel 2007, 2013) und werden in einem dritten Schritt in eine Konstruktion des Musters [[NENOM][ist][abgeholt]] (mit der ‚Stützkonstruktion‘ des Perfekts mit sein; Abbot-Smith & Behrens 2006; Behrens 2011a und b) ausgebaut, was dann möglicherweise bereits eine frühe Differenzierung nach semantischen Rollen (SOB [NENOM]) mit einschließt. Liegt also mit Henrike abgeholt eine lexikalisch-spezifische Konstruktion vor, dann ist an diesem Beispiel zu beobachten, wie im Verlauf der ersten Jahre im Spracherwerb systematisch ein Konstruktionsnetzwerk ausgehend von Referenz und Prädikation ausgebaut wird (vgl. Kap. 2.2, 3.2.3 und vor allem 5 und auch 11): Das so genannte sein-Passiv wird gestützt durch das sein-Perfekt und als Vorstufe des so genannten werden-Passivs und aller anderen Passivformen mit scheinen, erscheinen, bekommen, erhalten, gehören, wirken usw. Am konkreten Beispiel lassen sich zwei unterschiedliche Formen der Verfestigung von Konstrukten zu Konstruktionen beobachten. Zum einen erlernen Kinder die lexikalisch-spezifische Konstruktion [[NENOM][abgeholt]] als Abstraktion mittels Type-„Entrenchment“ über unterschiedliche Realisierungen Leonard/Henrike/Lewin/Mathilde abgeholt; zum anderen wird in einem späteren Stadium des Spracherwerbs nach dem Erwerb des Perfekts mit sein die Konstruktion [[NENOM][ist][abgeholt]] und noch später [[NENOM][wird][abgeholt]] durch Token-„Entrenchment“ verfestigt (vgl. Kap. 2.2).

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4.4 Zusammenfassung: Diskussion und Desiderata Die meisten Klassifikationsansätze, die wir hier diskutiert haben und die in die Modellierung und Analyse nonagentiver Konstruktionen eingehen werden, diskutieren Kategorien und Kategorisierungen nicht mehr dichotomisch, sondern werben dafür, grammatische Phänomene prototypisch zu beschreiben: Das wird besonders deutlich, wenn man den Forschungsstand zum bleibenPassiv und zum Passiv mit bekommen/kriegen noch einmal in Erinnerung ruft. Auch in Bezug auf das sein-Passiv hat sich in den letzten Jahren eine weniger formale Auffassung durchgesetzt, beim werden-Passiv – als ‚der prototypischen Konverse des Aktivs‘ – sind die Beharrungskräfte größer. Dennoch kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sich die Auffassung prototypisch organisierter Kategorien weitestgehend durchgesetzt hat, was einer konstruktionsgrammatischen Studie entgegenkommt und die meisten Forschungsarbeiten zum ‚Passiv des Deutschen‘ direkt anschlussfähig macht. Zum zweiten wurden typische Schwierigkeiten identifiziert, die mit den Fragen nach der ‚Auxiliarität‘ der so genannten ‚Passivauxiliare‘ zusammenhängen und mit dem Status deverbaler Adjektive benannt sind. Beide Probleme werden uns noch beschäftigen (vgl. Kap. 5.2.2 und 5.2.3). 2013 bedauerte Lenz, dass es breit angelegte systematische Studien auf der Basis groß angelegter schriftsprachlicher Korpora z.B. zu den Besitzwechselverben bekommen und kriegen (und damit auch zu nonagentiven Konstruktionen) kaum gebe und man in Bezug auf Verteilung im Sprachgebrauch noch immer vor allem Thesen wiederhole. Diese Einschätzung trifft nicht allein auf das von ihr auch behandelte bekommen-Passiv zu, sondern gilt für alle passivischen Strukturen des Deutschen. Ob man die Arbeiten zum sein-Passiv nimmt (vgl. oben Kap. 4.2.1) oder zum werden-Passiv (vgl. oben Kap. 4.2.2), so muss festgehalten werden, dass der Analyse von Sprache im Gebrauch scheinbar wenig Bedeutung beigemessen wird – die ‚Findung‘ von Beispielen wird bisweilen nicht einmal als forschungspraktisches Problem expliziert oder reflektiert. Meist werden Beispiele durch Introspektion gewonnen, aus der Forschungsliteratur übernommen oder in überschaubaren Mengen im mittleren zweistelligen Bereich aus heterogenen Quellen (‚Internetbeleg‘, ‚Google-Abfrage‘ usw.) aufgerufen. Die durch Introspektion gewonnenen Anschauungsbeispiele sind aus der Perspektive eines gebrauchsbasierten Ansatzes als kritisch einzuschätzen. Sie wirken bisweilen am Sprachgebrauch vorbei konstruiert und dienen nicht selten dazu, ein grammatisches Modell zu stützen und gegen einen anderen Erklärungsansatz in Stellung zu bringen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Einstiegsbeispiele [25] der See ist gestern zugefroren vs. [26] der See ist dick

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zugefroren bei Welke (2007: 116, sowie bereits 2005b: 214–219; Hervorhebung von mir. A.L.) (vgl. oben Kap. 4.2.1). Welke geht es hier nur darum, im ersten Fall eine temporale Lesart zu postulieren, während er im zweiten Falle eine Kopulakonstruktion (mit adjektivischem Attribut) erkennt. Dass im Sprachgebrauch das Bigramm dick zugefroren quasi nicht existent ist, mag aus Welkes Perspektive für die Ausstellung der Grammatikalität des Beispiels nicht relevant sein. Gebrauchsbasierte Ansätze jedoch können den Sprachgebrauch (und die aus ihm emergierenden Konstruktionen) nicht ignorieren. In dieser Studie wird mit Daten gearbeitet, die quantitativ erhoben und qualitativ beschrieben werden. Da die Daten größtenteils frei zugänglich und annotiert sind, entschieden wir uns für die Korpora beim Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS; vgl. zur systematischen Erhebung, Korpusbeschreibung und Korpuskritik ausführlich Kap. 6). Blickt man auf Beispiele wie [25] und [26], dann gibt das Wortprofil für zugefroren beim DWDS (http://dwds.de/?qu=zugefroren; Stand: 16.09.2016) eine deutliche Antwort: Erwartbar sind demnach Adjektive als Adverbien, die den Stand des Zufrierens graduell markieren oder die Art und Weise des Prozesses qualifizieren: schnell, langsam, fast, schon usw. Für dick zufrieren wird in drei zentralen Korpora des DWDS mit zusammen ca. 430 Millionen Token tatsächlich nur ein Beleg ausgewiesen und zwar im KERN-Korpus.13 Man könnte also durchaus behaupten, dass das Kollokat nicht sonderlich frequent ist. Der Beleg [39] überrascht dann zusätzlich: [39]

KERN / 1919 / GE / Klemperer, Victor, [Tagebuch] 1919, S. 66 / Ich fror in meinem Sommermantel (den Eva so lange getragen hat), als ich früh um ½5 zur Bahn glitt, ich fror tagüber in Berlin. Als wir dann gegen 4 Uhr Nachts nach Leipzig kamen, waren die Scheiben so dick zugefroren, daß ich nichts sehen konnte. Eine riesige Menschenmenge strömte in den Zug u. verstopfte die Gänge.

Was kann man aus dem Beispiel der See ist dick zugefroren lernen? Zum einen: Ob man durch das Eis auf einem Gewässer hindurchblicken kann, ist offenbar kein Faktor für die qualitative Einstufung und damit adverbiale Markierung. Zum anderen: Anhand der Singularität der Kollokation im Korpus kann umgekehrt nicht geschlossen werden, dass das Beispiel Welkes nicht akzeptabel oder ungrammatisch sei. Zum dritten: Es ist dennoch ein Beispiel, welches aus ge-

|| 13 ZEIT-, KERN-Korpus und Belege aus dem Deutschen Textarchiv (DTA) werden ständig erweitert, sind nach persönlicher Nachfrage und Angabe auf der Website des DWDS mit diesem Umfang ausgewiesen (http://dwds.de/ressourcen/korpora/; Stand: 01.09.2015).

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brauchsbasierter Perspektive als nicht gegenstandsadäquat zu bewerten ist, da anhand des Beispiels Aussagen über die Konstruktion gemacht werden. Das Problem, auf welches Welke mit dem Beispiel abzielt, bleibt indes auch für uns virulent (vgl. dazu unten Kap. 7.1 und Kap. 10.1.3). Das nächste Problem, das aus dieser Materiallage zum ‚Passiv‘ resultiert, ist, dass bestimmte Verben, die in ‚passivischen Strukturen‘ verwendet werden, bisher von der Forschung nicht in diesem Zusammenhang diskutiert worden sind. Dazu gehören scheinen, erscheinen (mit Ausnahme Diewald 2001), wirken (Lasch 2014a) oder aussehen u.a. Auch die Konstruktionsgrammatik ist in der Bringschuld – Gebrauchsbasiertheit zu postulieren und auf der anderen Seite keine systematischen Studien zu Sprachgebrauchsphänomenen vorzulegen, ist auf Dauer wenig glaubwürdig. Alexander Bergs stellte 2008 in einem gleichnamigen Paper die Frage Can We Take Construction Grammar Beyond Sneezing Napkins Off Tables? und spielt damit auf ein bekanntes Beispiel der Resultativkonstruktion Goldbergs an (1995: 152): [40]

Frank sneezed the tissue off the table.

Die Frage ließe sich zwar auch auf das Problem der Untersuchung von Sprache in Gebrauch anwenden, gemeint ist aber etwas anderes: Bergs illustriert zum einen, dass generelle kognitive Prinzipien als Erklärungsansatz in verschiedenen Forschungsbereichen gewinnbringend sein können. Nach diesen verfahre auch die Konstruktionsgrammatik, die deshalb anschlussfähig an andere Forschungsbereiche und -disziplinen sei. Noch eine weitere Dimension eröffnet die Frage, nämlich die, was der Gegenstand konstruktionsgrammatischer Studien sei. Bisher liegt der Fokus vor allem auf randständigen Bereichen von Grammatik (namentlich idiomatischen Strukturen) und noch ist die Konstruktionsgrammatik Antworten schuldig auf etablierte Themenfelder, wie das des ‚Passivs‘ im Deutschen. Aber auch andere Themen wie Modalkonstruktionen, reflexive Konstruktionen oder die des Tempussystems (mit Ausnahme etwa Hilpert 2008a und b oder die Arbeiten von Diewald) – die wie hier aus forschungspraktischen Gründen nicht behandeln können – bedürfen konstruktionsgrammatischer, sprachgebrauchsbasierter Analyse. Es wäre zu wünschen, dass diese Themenfelder bald angegangen werden. Anstöße dazu kann möglicherweise auch diese Studie bieten (vgl. die Überlegungen zu Tempuskonstruktionen, Modalkonstruktionen und reflexiven Konstruktionen in den Kap. 5, 6 und 10).

5 Nonagentive Konstruktionen als Hypothese 5.1 Prinzipien der Modellierung Im folgenden Kapitel sollen auf der Basis der Prämissen einer gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik (Kap. 2) die Charakteristika nonagentiver Konstruktionen entwickelt werden, wobei Konstruktionsbedeutungen fokussiert werden (Kap. 3) und die Forschungsergebnisse zum ‚Passiv im Deutschen‘ zusammengeführt werden (Kap. 4). Wir verfolgen im Wesentlichen zwei Ziele: Zum einen wird gezeigt, dass die Konstruktionsgrammatik als Inhaltsgrammatik nonagentive Konstruktionen nicht wie bisher üblich auf der Basis des Konversenmodells beschreibt, sondern von der Basis einer spezifischen Perspektivierungsleistung einer Gruppe von Konstruktionen ausgehend diese als nonagentive Konstruktionen mit nicht kompositioneller Bedeutung und usuellem Gebrauch bestimmt. Damit ist auch ein Teil des zweiten Ziels benannt: Gelingt es, diese andere Perspektive plausibel zu entwickeln, werden Beziehungen zwischen Konstruktionen neu bestimmt und beschrieben. Die Darstellung wird sich dabei auf drei Problemfelder konzentrieren, die wesentlich sind für die Bestimmung der Konstruktionsbedeutungen nonagentiver Konstruktionen. Die Untersuchung (vgl. Teil III) wird zeigen, ob neben diesen Aspekten weitere berücksichtigt werden müssen, wenn man nonagentive Konstruktionen von anderen abgrenzte, die im Konstruktikon zu verorten sind. Die in Kapitel 3 entwickelte Darstellung der Struktur von Konstruktionen wird hier konkret auf die nonagentiven Konstruktionen angewendet. Auf der Basis der Forschungspositionen zu passivischen Strukturen werden die Charakteristika nonagentiver Konstruktionen als Hypothese entwickelt, die die Untersuchung leiten werden. Das wird zum ersten die Angabe einer allgemeinen Struktur sein, die aus den vorangehenden Darstellungen zunächst deduktiv abgeleitet wird, deshalb hier noch eher allgemein verbleibt. Überlegungen zu den sprachlichen Einheiten, die in die Konstruktion eingebettet werden, werden ebenfalls vorangestellt, da diese – wenngleich auf einem niedrigeren Konstruktionsniveau – als Konstruktionen zu werten sind und deshalb, so die Prämissen, wesentlichen Einfluss auf die Aktualisierung der Konstruktionen auf höheren Abstraktionsebenen haben müssen. Im Mittelpunkt werden die Elemente stehen, die als (spezifizierte) Objekte in die Konstruktion eingebettet werden, daneben Verben und schließlich die Qualitative. Hier wird ein Schwerpunkt auf (deverbalen) Adjektiven liegen, ohne modale Infinitive oder auch Progressive zu ignorieren.

100 | Nonagentive Konstruktionen als Hypothese

5.1.1 Perspektivität Perspektivierung heißt immer Selektion, nämlich Selektion von Wahrnehmungsoptionen. Wählt man eine Perspektive, wählt man zugleich eine andere nicht, wählt man eine Wahrnehmungsoption, wählt man die andere zugleich nicht – jeder Wahrnehmung von Welt, Wahrnehmung von Sprache und damit auch Produktion wie Rezeption gesprochener wie beschriebener Sprache liegt dieses Prinzip zu Grunde: Wahrnehmung ist ohne Perspektivierung nicht zu haben. Das beeinflusst die Sachverhaltskonstitution durch Sprache freilich massiv, aber die Selektionsprozesse, die der Perspektivierung vor und mit ihr einhergehen, gelten wie kurz skizziert für alle Wahrnehmungsprozesse, in denen ein Ich über die Welt, wie sie sich ihm darstellt, spricht: Sprachlich vermittelte Wahrnehmungsinhalte sind kognitiv verarbeitete, interessengeleitete und z.T. schon vorinterpretierte Perzeption der ‚Wirklichkeit‘ bzw. dessen, was versprachlicht werden soll.

Abb. 11: Perspektivische Darstellung mit einem Fluchtpunkt. Direktlink: https://goo.gl/kO42gP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Teilt man die konstruktivistische Prämisse, dass Wirklichkeit durch Sprache konstituiert werde, dann folgt daraus auch, dass Wirklichkeit durch Sprache perspektiviert wird – Sprache konstituiert immer nur den von ihr perspektivierten Wirklichkeitsausschnitt. Um diese Perspektivierungsleistung von Sprache zu beschreiben, sind mit Köller (2004) drei Faktoren einzubeziehen: der Aspekt, der Sehepunkt und die (Wahrnehmungs-)Perspektive (Abb. 11). Weiter differenziert er kommunikative und kognitive Perspektivität, die auf Resultate und kognitive Grundlagen sprachlicher Perspektivierungsprozesse abzielen.

Abb. 12: Perspektivische Darstellung mit zwei Fluchtpunkten. Direktlink: https://goo.gl/2aQxAe; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Perspektivischen Darstellungen eignet, dass sie den Sehepunkt in der Regel nicht abbilden, sondern mit dem (oder den) Fluchtpunkt(en) auf die Wahrnehmung hin orientiert sind. Der Sehepunkt bzw. die Varianten Standort, Gesichtspunkt oder Blickpunkt sind subjektorientiert. Mit ihm soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass Objekte sich nicht von selbst zur Erscheinung

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bringen, sondern immer von Subjekten von einer bestimmten räumlichen und geistigen Position aus bzw. mit Hilfe einer besonderen methodischen Anstrengung wahrgenommen werden. Ein Wahrnehmungsgegenstand konstituiert sich als Wahrnehmungsinhalt immer nur durch intentionale Akte. Das bedeutet, dass bei der Konstitution von Wahrnehmungsinhalten es nicht nur einen Informationsfluss vonseiten der Wahrnehmungsobjekte gibt, sondern auch einen Informationsfluss vonseiten der Wahrnehmungssubjekte. (Köller 2004: 9)

Die Perspektive auf einen Wahrnehmungsinhalt stellt sich aber erst dadurch ein, dass man, wie in Abbildung 11, den Sehepunkt in Relation zu Fluchtpunkten setzt. Deutlich wird das, wenn man verschiedene Fluchtpunkte einer perspektivischen Wahrnehmung zugrunde legt wie in Abbildung 12. Der Sehepunkt sowie die Anzahl der Fluchtpunkte sind entscheidend für die Analyse: Welcher Ausschnitt, oder mit Köller: Aspekt, wird von einem Wahrnehmungsobjekt in welcher Perspektive fokussiert? Der Begriff Aspekt ist genuin objektorientiert. Er dient dazu, die menschliche Grunderfahrung zu thematisieren, dass wir in keinem visuellen und keinem kognitiven Wahrnehmungsprozess unsere Wahrnehmungsgegenstände bzw. Referenzobjekte in ihrer ganzen Totalität erfassen können, sondern allenfalls hinsichtlich derjenigen Teilansichten, die die aktuellen Wahrnehmungsbedingungen jeweils zulassen. (Köller 2004: 9) Der Begriff Perspektive ist strukturorientiert. Mit ihm lässt sich darauf aufmerksam machen, dass alle Wahrnehmungsinhalte eine relationale, wenn nicht interaktive Genese haben und folglich weder von der Objektseite noch von der Subjektseite her befriedigend beschrieben werden können, sondern nur aus dem Zusammenwirken beider. (Köller 2004: 10)

Um im weiteren Verlauf der Überlegungen das, was Köller (2004) Aspekt nennt, nicht mit der Aspektualität zu vermengen, die man im Zusammenhang mit verbalen Konstruktionen beschreibt, sprechen wir statt von Aspekt in Bezug auf die Perspektive von Ausschnitt, wenn wir darauf abheben wollen, dass mit der Einnahme einer Perspektive auf einen durch Sprache zu konstituierenden Gegenstand von einem Sehepunkt aus dieser nicht in seiner Totalität abgebildet werden kann und/oder soll. Neben diesen Punkten und der sich daraus ergebenden Struktur einer Perspektive unterscheidet Köller weiter kommunikative und kognitive Perspektivität. Von der kommunikativen Perspektivität können wir immer dann sprechen, wenn wir uns auf der Analyseebene der Sprachverwendung danach fragen, in welcher Wahrnehmungsperspektive konkrete Vorstellungsinhalte für einen Adressaten objektiviert werden. Wir interessieren uns dann für das konkrete Produkt eines sprachlichen Objektivierungs- und Sinnbildungsvorgangs. (Köller 2004: 21)

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Von der kognitiven Perspektivität sprachlicher Formen können wir dagegen immer dann sprechen, wenn sich unser Analyseinteresse nicht gegenstandsthematisch auf die Gestaltung konkreter Sachvorstellungen richtet, sondern reflexionsthematisch auf die konventionalisierte immanente Perspektivität der sprachlichen Muster, mit denen wir konkrete Vorstellungen objektivieren. Die Frage nach der kognitiven Perspektivität sprachlicher Formen zielt also auf die Struktur des kollektiven Wissens, das sich in sprachlichen Mustern verfestigt hat und das die kommunikativen Perspektivierungsmöglichkeiten dieser Muster vordeterminiert. (Köller 2004: 22)

Auf Konstruktionen angewendet, sei unter Rückgriff auf Köller postuliert, dass mit dem Begriff Konstruktion die kognitive Perspektivität sprachlicher Strukturen in den Blick kommt, während ihre Realisierungen unter dem Aspekt der kommunikativen Perspektivität sprachlicher Formen zu beschreiben sind.

Abb. 13: Modell der Origo nach Bühler (1934/1982: 102). Direktlink: https://goo.gl/i4xQNs; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Konstruktionen und ihre Realisierungen erlauben Rückschlüsse auf Perspektiven, auf einen Gegenstand, der nur ausschnitthaft fokussiert und durch Sprache konstituiert werden kann.1 Dabei ist, wie oben angedeutet, entscheidend, wie viele Fluchtpunkte bei der Konstitution der Perspektive von einem Sehe-

|| 1 Mit den Konzepten einer kommunikativen und kognitiven Perspektivität werden – zwangsläufig – auch projektionistische Modelle wie das der semantischen Rollen und/oder der semantischen Projektion aufgerufen. Welche Beziehung diese Studie zur Satzsemantik Peter von Polenzʼ hat, wurde in Kap. 3.1.4, 3.1.5 und 3.2 dargelegt. Die Diskussion sei hier nicht wiederholt.

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punkt aus strukturell notwendig sind. Spricht man über einen Sehepunkt, Standort, Gesichtspunkt oder Blickpunkt (vgl. Köller 2004: 9), steht man immer zugleich in der Tradition Bühlers. Das Zeigfeld der Sprache im direkten Sprechverkehr ist das hier-jetzt-ich-System der subjektiven Orientierung; Sender und Empfänger leben wachend stets in dieser Orientierung und verstehen aus ihr die Gesten und Leithilfen der demonstratio ad oculus. (Bühler 1934/1982: 149; Hervorhebungen von mir, A.L.)

Der Begriff der Origo (vgl. einführend auch Fricke 2007) wird von Bühler anhand von Zeigegesten entwickelt und auf sprachliche Deiktika übertragen: „Von der Origo des anschaulichen Hier aus werden sprachlich alle anderen Positionen gezeigt, von der Origo Jetzt aus alle anderen Zeitpunkte“ (Bühler 1934/1982: 107; Hervorhebung von mir, A.L.). Gemeint ist also bei Bühler nicht eine eindimensionale Perspektivierung auf einen Fluchtpunkt hin, sondern eine multidimensionale Positionierung des Sprechenden in Zeit und Raum, was ihn vom Sehenden im Hier und Jetzt maßgeblich unterscheidet. Auf die demonstratio ad oculus, die Anaphora und die „Deixis am Phantasma“ (vgl. dazu Bühler 1934/1982: 126–135) wird hier nicht weiter eingegangen – sie illustrieren vor allem, auf welch unterschiedliche Weise man mit identischer „Ortsmarke, Zeitmarke, Individualmarke“ (Bühler 1934/1982: 107) sprachlich auf Zeigepunkte weisen kann. Sie zeigen aber auch, dass das subjektgebundene „Zeigfeld“ nicht so scharf vom subjektentbundenen „Symbolfeld“, das „Nennwörter“ und „Begriffszeichen“ fasst, zu trennen ist (vgl. dazu Lösener 2010). Bühler selbst zeigt am Beispiel autobiographischer Romane, „wie Zeigwörter [...] aus ihrer Verwurzelung im Zeigfeld gelöst und im Symbolfeld verankert [werden]“ (Lösener 2010: 159). Im „Symbolfeld“ wiederum sind die Möglichkeiten, mittels sprachlicher Zeichen zu ‚zeigen‘, nahezu unbegrenzt (Abb. 14). Das Beispiel, obwohl im „Koordinatensystem“ der Origo verortet, verzichtet gänzlich auf „Zeigewörter“, die Bühler dem „Zeigfeld“ zuordnet. Stattdessen werden temporale und lokale Deiktika genutzt, um einen räumlich und zeitlich markierten Punkt zu bedeuten, der vom Sprechenden aus in einer spezifischen Perspektive entworfen ist. Das Interessante ist, dass man mit Bühler plausibilisieren kann, dass man aus den Fluchtpunkten der Perspektive auf die vom Sprecher entworfene Position des Sprechenden schließen kann. Denn nicht nur er zeigt mit Deiktika auf einen (Flucht-)Punkt, sondern die Deiktika verweisen von dem bezeichneten (Flucht-)Punkt zurück zu ihm: Das bezeichnet Köller für den Sprachgebrauch als kommunikative Perspektivität sprachlicher Formen. Die Konstruktionsgrammatik versucht, aus der kommunikativen Perspektivität sprachlicher Muster die kognitive Perspektivität sprachlicher Strukturen zu abs-

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trahieren und so ‚Standorte‘ der Sprecher, die diese Muster nutzen, plausibel und adäquat zu bestimmen. Die kommunikative Perspektivität als Eigenschaft der Realisierungen von Konstruktionen wird uns im Folgenden weiter interessieren. Die Perspektive, die ein Sprecher mit einer spezifischen Konstruktionsrealisierung wählt, ist in verschiedener Hinsicht determiniert.

Abb. 14: Interferenzen von „Zeigfeld“ und „Symbolfeld“. Direktlink: https://goo.gl/BG761z; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Sie bestimmt, wie in den vorangegangenen Überlegungen ausgearbeitet, die syntaktischen Strukturen des Gesagten.2 Durch die Perspektive sind die Fluchtpunkte und der Fokus des Sprechers determiniert, er hat keine Option.3 Die Fokusfestlegung auf einen ausschnitthaft wahrgenommenen Inhalt, den focus of interest,4 folgt dabei diskursfunktionalen Prinzipien:

|| 2 Köller 2004 und 2006. 3 Dürscheid 2006: 189ff. 4 Zubin 1979: 474. – Hier anschließend zum Problem Thema – Topik – Interessenschwerpunkt. Zusammenführend Dürscheid 2006: 193, zu Thema/Rhema und Topik/Kommentar vgl. Dürscheid 2006: 188f.

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Den Referenten, dem seine größte Empathie gilt, wird er ins Subjekt setzen. Die Verteilung der ontologischen Rollen (=Situationsbeteiligten) im Satz ist somit nicht rein syntaktisch zu erklären, sondern auf ein diskursfunktionales Prinzip zurückzuführen.5

Der Sprecher wählt den Gegenstand, den er empathisch besonders gewichten will, für die funktionale Rolle des Subjektes aus und legt damit den Fokus fest – Fillmore beschrieb genau diese Prozesse der Perspektivierungs- und Fokussierungsleistung von Frames (zusammenfassend Busse 2012: 620–623), die nicht nur die Konstruktionsgrammatik, sondern bereits die Satzsemantik von Polenzʼ (2008) im Zusammenhang der Grundlegung der Framesemantik prägen. Allein syntaktisch kann man dies nicht erklären, aber aus dem konstruktionalen Status einer sprachlichen Realisierung kann auf diskursfunktionale Prinzipien geschlossen werden, denen sich der Sprecher damit verpflichtet. Die Wahl einer spezifischen Perspektive hat auch eine spezifische semantische Interpretation der Satzaussagen, der Aussagekomplexe, der Texte, der Textsammlung usw. zur Folge, in denen eine Aussage aufscheint.6 Bestimmte Konstruktionen werden aufgrund ihrer Bedeutung und formalen Struktur häufiger selegiert, da ihnen eine kognitive Perspektivität eignet, die in der Realisierung als kommunikative Perspektivität durch Sprachbenutzer leichter zu rekonstruieren ist. Unser Hauptaugenmerk wird dabei nicht auf pragmatischen Valenzen einzelner Verben liegen (wie besitzen, gehören, fürchten, ängstigen),7 sondern vor allem auf grammatischen Konstruktionen.8 Traditionell werden in unserem Zusammenhang die Handlungsformen des Deutschen diskutiert, die u.a. mit ‚Aktiv‘ oder ‚Passiv‘ angegeben werden (vgl. Diskussionsstand zum Passiv oben Kapitel 4). Da das Deutsche als analytische Sprache nicht über ein stabiles Paradigma ‚der Passivformen‘ verfügt, ist bei der Beschreibung eben dieser Handlungsformen mit Verwerfungen zu rechnen, die sich grammatisch nicht befriedigend in einem einfachen Konversenmodell beschreiben lassen und prototypischer Kategorisierung von Konstruktionen in einem Konstruktikon (vgl. dazu Kap. 2 und 3, 5 und 11) bedürfen.

|| 5 Dürscheid 2006: 191. Vgl. weiter Kuno 1987: 232: Er bezeichnet dies als Syntactic Prominence Principle. 6 Zur Unterscheidung von semantischen Interpretationen aufgrund von Umperspektivierungen vgl. Welke 2005b. 7 Vgl. Helbig 1992. 8 Vgl. dazu Dürscheid 2006: 192. – Vgl. weitere funktionsorientierte Arbeiten zur Entscheidung des Sprechers nach Sachverhalt und Situation: Fillmore 1977, Heringer 1984 und Storrer 1992.

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In der vorliegenden Arbeit wird argumentiert, dass so genannte passivische und passivähnliche Konstruktionen, also jene, die, ganz allgemein gesprochen und ohne eine Detaildiskussion um die Form der Konstruktion und ihre Filler hier zu beginnen, nicht einen Handlungsträger in Subjektposition kodieren, zu einer Gruppe von Konstruktionen zu zählen sind, denen eine spezifische kognitive Perspektivität zugeschrieben werden kann.9 Das Kriterium der Perspektivität für die Klassifikation von Konstruktionen zu wählen, heißt demnach zweierlei. Zum einen wird dezidiert das Konversenmodell des Passivs aus dem Aktiv suspendiert – auch wenn man dabei heute nicht mehr einer „Ableitungsmaschinerie“ (Eisenberg 2006 II: 127) folgt. Die Diskussion um die Klassifikation des Passivs im Deutschen hat gezeigt, dass sich Forschung mehr und mehr von der Vorstellung verabschiedet, dass es sich bspw. beim sein-Passiv um eine Konverse handelt (es also eine Konstruktion sui generis ist), allein beim werden-Passiv wird noch explizit auf das Konversenmodell verwiesen (vgl. oben Kap. 4). Zum anderen folgt es konstruktionsgrammatischen Prämissen, die Form und Bedeutung von Konstruktionen gleichermaßen bei der Beschreibung sprachlicher Strukturen und sich etablierender Netzwerke von Konstruktionen zu berücksichtigen und letztlich einen Beitrag zu einer „Inhaltsgrammatik“ zu leisten.

5.1.2 Agentivität & Nonagentivität Wenn hier Konstruktionen im Vordergrund stehen sollen, deren Kennzeichen kognitiver Perspektivität ist, dass sie nicht Handlungsträger (Agens [AG]) in den Fokus des sprachlich dargestellten Ausschnitts der Wahrnehmung rücken, sondern den-, die- oder dasjenige, das durch eine Handlung oder einen Vorgang beeinflusst wird oder dem lediglich eine Eigenschaft zugewiesen werden soll (Patiens [PAT], Objekt [AOB, EOB, SOB]), dann sprechen wir von nonagentiven Konstruktionen. Nonagentivität bedeutet also nicht, dass kein Handlungsträger oder Agens (AG) in einer sprachlichen Äußerung berücksichtigt sei, sondern dass die Konstruktionen hinsichtlich ihrer kognitiven Perspektivität nonagentiv seien.10 Die konstruktionsgrammatischen Begriffe des shadings oder cuttings

|| 9 Ähnliches gilt für Konstruktionen mit anderen spezifischen Perspektivierungsleistungen wie Reflexivkonstruktionen oder, konsequent gedacht, die Negation (dazu auch Köller 2016). Letztere werden hier aber nur am Rande gestreift. 10 Diese Einsicht ist common sense in der Forschungsliteratur. In der Nachfolge Weisgerbers (1963), der das Passiv als ‚täterabgewandt‘ charakterisierte, wird das Passiv als ‚nicht täterbe-

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profilierter Partizipantenrollen wenden wir hier (anders Smirnova & Mortelmans 2010: 164f., die die Begriffe auf die ‚Konverse des Passivs im Deutschen‘ beziehen) konsequenterweise nicht an, da wir nonagentive Konstruktionen als eigenes Format beschreiben. Diskutiert man die Relevanz der Agentivität im Hinblick auf die kognitive Perspektivität von Konstruktionen, wird man den mehrdimensionalen Agensbegriff berücksichtigen müssen, wie er in der kognitiven Linguistik etabliert ist. Lakoff (1977) und Dowty (1991) unterscheiden vier Dimensionen der Agentivität, die für die Analyse von nonagentiven Konstruktionen relevant sind. Ein Agens lässt sich danach beurteilen nach den Kriterien – Volitionalität (Intentionalität), – Verursachung, – Sentience (Erfahrung) sowie – Bewegung. Nonagentive Konstruktionen sind also solche, die das Agens, das sich durch intentionale Handlungen auszeichnet (Mathilde schreibt einen Brief), etwas verursacht (Der Feuermelder erkennt Rauchentwicklung), etwas durch Handlung erfährt (Das Kind schämt sich) oder aus sich heraus bewegt (Das Pendel schwingt gleichmäßig), nicht in den Fokus einer sprachlichen Perspektivierungsleistung stellen. Das schließt im Übrigen aber nicht aus, dass ein (meist intentional handelndes) Agens nicht optional in einer Konstruktionsrealisierung kodiert sein kann: [41]

ZEIT / Die Zeit, 07.02.2012 / Eine Absichtserklärung wird unterzeichnet.

[42]

ZEIT / Die Zeit, 23.01.2012 / Jede Publikation wird vom gesamten Team unterzeichnet, wer tatsächlich daran gearbeitet hat, verrät nur die interne Dokumentation.

Die Nominalphrase im Nominativ, die traditionell mit der Funktion Subjekt in satzwertigen Ausdrücken identifiziert wird, trägt in beiden Beispielen nicht die semantische Rolle des Agens (AG) (das wäre die zentrale Perspektive bei der

|| zogen‘ beschrieben (vgl. exemplarisch Haspelmath 1990, Ágel 1997, Eisenberg II 2006). Auch von Polenz (2008: 183–185) charakterisiert die „Agenslosigkeit als das stärkste, häufigste Motiv für den Gebrauch von Passivsätzen“ (185). Er charakterisiert die ‚Konvertierung‘ als „Deagentivierung“ und „AGENS-Schwund“ (186, 188) – ein deutlicher Hinweis auf das Konzept des „Perspektivwechsels“ (181, Hervorhebung von mir. A.L.)

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Sprachproduktion), sondern ist je als Objekt (AOB bzw. EOB bzw. SOB) einzustufen.11 Damit wählt ein Sprecher die Konstruktion mit nonagentiver kognitiver Perspektivität. Beide Konstruktionen sind mit werden gebildet und stellen, in traditioneller Terminologie, Realisierungen des werden-Passivs dar, auch wenn sie sich stark voneinander unterscheiden: In Beispiel [42] wird mit vom gesamten Team explizit ein Agens (AG) in einer von-Präpositionalphrase kodiert. Nonagentive Konstruktionen sind also nicht agenslos, sondern ihre kognitive Perspektivität ist durch Nonagentivität gekennzeichnet: Im Fokus der Realisierung steht nicht das Agens. [43]

KERN / 2001 / GE / o.A., Erste Lesung der Ratifizierungsgesetze zu den Verträgen mit der UdSSR und Polen im Deutschen Bundestag (II) [25.02.72], in: Archiv der Gegenwart 1931–2000, Sankt Augustin: Siegler 2001, S. 16902–2 / Von Regierungsseite wird nun gesagt, wir arbeiteten mit Befürchtungen, während wir ihr gleichzeitig vorwürfen, sie stütze sich auf Hoffnungen und Erwartungen.

Dass bisweilen die Fokussierung nicht der syntaktischen Realisierung entsprechen muss, sieht man besonders deutlich an [43]. Während in Beispiel [41] und [42] die Satzgliedstellung mit der Fokussierung korrespondiert, wird der Fokus im dritten Beispiel in den zu erwartenden Subjekt(neben)satz verschoben, der hier, stilistisch abweichend, aber nicht als eingeleiteter Nebensatz (dass wir mit Befürchtungen arbeiten), sondern diskursfunktional als Hauptsatz mit der indirekten Redewiedergabe über den Konjunktiv I konstruiert ist, womit der erste Hauptsatz als eine Inquitformel konzeptualisiert ist. Dennoch versteht man die – strenggenommen elliptische – Konstruktion und keineswegs ist davon zu sprechen, dass das Agens nicht kodiert sei: Im Gegenteil, es wird ins Vorfeld der Konstruktion gerückt und dadurch besonders betont (vonseiten ist laut DUDEN 2009: 548 an die „Verwaltungssprache“ gebunden). Allerdings bleibt die Konstruktion von der Perspektivierungsleistung her eine nonagentive. Oder um noch einmal die Frage nach der spezifischen Perspektivität aufzunehmen: In nonagentiven Konstruktionen entspricht die Agensangabe einem || 11 Zu den semantischen Rollen vgl. oben Kapitel 3.1.4 und 3.1.5 und damit grundsätzlich von Polenz (2008: 167–174), mit Einschränkungen Primus (2012), weiter Busse (2012) sowie Ziem & Lasch (2013: 124–127), hier zur Präzisierung, Erweiterung und Diskussion vor allem 125: Ein affiziertes Objekt (AOB) ist eine „von einer Handlung oder einem Vorgang betroffene Person oder Sache“, ein effiziertes Objekt (EOB) eine „durch eine Handlung oder einen Vorgang entstehende Person oder Sache“ und das spezifizierte Objekt (SOB) eine „durch eine Eigenschaftszuweisung (z.B. mittels eines QUAL) spezifizierte Person oder Sache“.

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sprachlich gesetzten Fluchtpunkt, einem Marker, der Rückschlüsse auf die vom Sprecher selegierte Perspektive erlaubt. Die Fluchtpunkte markieren Eckpunkte des Ausschnitts vom Wahrnehmungsobjekt. Fluchtpunkte können bspw. durch adverbiale Angaben des Ortes und der Zeit realisiert sein, es sind die Marker, die im Symbolfeld und Zeigfeld die Positionsbestimmung des Sprechers zulassen, bzw. Frame-Elemente, die „eine bestimmte Perspektivierung ausdrücken, und dabei bei den Rezipienten eine Fokussierung auf bestimmte Aspekte oder Elemente eines übergeordneten Frames bewirken.“ (Busse 2012: 620 mit Bezug auf Fillmore, vgl. Kap. 5.1.1). Neben Ort und Zeit markiert ein Sprecher mit der Art und Weise weitere verschiedene andere Modalitäten, wenn er einen Wahrnehmungsausschnitt als kognitiv verarbeitete, interessengeleitete und z.T. schon vorinterpretierte Perzeption der „Wirklichkeit“ bzw. dessen, was versprachlicht werden soll, darstellt. Einer dieser modalen Fluchtpunkte ist die Agensangabe in einer von-Präpositionalphrase. Sie stellt keine ‚Rehabilitierung‘ des Agens in nonagentiven Konstruktionen dar, sondern ist funktional als Adverbial, als Modifikator, einzustufen, als valenzgrammatisch freie Angabe wie Orts- (am Bahnhof) oder Zeitangaben (um Mitternacht). Angaben wie diese können Konstruktionsrealisierungen modifizieren und sie, um mit Köller zu sprechen, kommunikativ perspektivieren als Konstruktionen niederer Ordnung im Sprachgebrauch. Für eine Bestimmung der kognitiven Perspektivität der Konstruktion sind sie zu vernachlässigen, wenn sie keine Kollokate (Kollostruktionen) und damit Hinweise auf neue sich im Gebrauch verfestigende Konstruktionen sind. Konstruktionsgrammatisch und im Hinblick auf die nonagentive kognitive Perspektivität von Konstruktionen wird damit auch das so genannte werden-Passiv nicht als Konverse des Aktivs verstanden, sondern als eigenständige Konstruktion mit spezifischem Fokus ([42] jede Publikation wird unterzeichnet), in deren Realisierungen Agensangaben ([42] vom gesamten Team) lediglich in Form von modalen Angaben als Fluchtpunkte der sprachlich realisierten kommunikativen Perspektivität dienen können (gestern, gemeinsam, mit wasserfester Tinte).

5.1.3 Auxiliarität Werden Konstruktionen als eigenständige Formate betrachtet (Kap. 2), dann gilt das nicht nur für nonagentive Konstruktionen in Bezug auf die ihnen eigene Perspektivierungsleistung, sondern in besonderem Maße auch für die Konstruktionen, die in nonagentive Konstruktionen eingebettet werden. Dabei muss für jede gelten, dass ihre Bedeutung nicht vorhersagbar und/oder dass sie im Sprachgebrauch nachweisbar ist. Von besonderem Interesse sind – das zeigte

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auch die Diskussion zur Passivforschung – Verben und (deverbale) Adjektive aus Partizipien (vgl. dazu im Detail weiter unten Kap. 5.2.2 und 5.2.3.2). Ein adäquates Grammatikmodell müßte demnach in der Lage sein, Vielfalt und ‚Übergänglichkeit‘ der Fakten im Auxiliar- und Verbalbereich als solche zu beschreiben. (Reis 1976: 80)

Beschreibt man Verben als Konstruktionen, wie wir dies hier tun, versucht man, eine Antwort auf die Forderung zu geben, die Reis 1976 explizierte. Es ist nicht damit getan, „Hilfsverben als Hilfsverben“ einzustufen (vgl. Reis 1976: 64), welche Probleme dies bereitet, offenbarte der Überblick über die Erforschung des Passivs des Deutschen (vgl. vor allem Kap. 4.1), auch wenn man bspw. mit mehrstufigen Grammatikalisierungsmodellen arbeitet (vgl. oben Kap. 4.2.5 Stathi zum gehören-Passiv mit Heine 1993). Verben, die in nonagentive Konstruktionen eingebettet sind, bringen eine Eigensemantik ein, die sie überhaupt erst als Filler für Realisierungen spezifischer Konstruktionen qualifiziert. Es ist also nicht so, dass durch wie auch immer geartete Prozesse lexikalische und strukturelle Eigenschaften eines Verbs verloren gingen, sondern dass es im Sprachgebrauch neue Eigenschaften hinzugewinnt, die es für den Gebrauch z.B. in nonagentiven Konstruktion ins Spiel bringt – Hilpert (2011) hat in eben diesem Kontext plausibel für die Konzeption des „Konstruktionswandels“ geworben. Wir behandeln in dieser Studie also keine ‚Hilfsverben‘ oder ‚Auxiliare‘, sondern Verben, deren Bedeutung mit denen nonagentiver Konstruktionen korrespondieren – sie tragen damit auch semantische Eigenschaften, die sie anderen Verben voraushaben und nicht lediglich strukturelle Eigenschaften. Genauso sind im Übrigen ‚Modalverben‘ zu beschreiben, was wir in dieser Studie aber nur punktuell und nicht systematisch tun (vgl. Kap. 5.1.4 und Kap. 10.1.4). Die Unterschiede zwischen [44]–[50] beschreiben wir nicht darüber, dass die Verben (in einem spezifischen Gebrauchszusammenhang) Eigensemantik gegenüber der Vollverbsemantik abbauen (bleaching), sondern darstellungstechnisch so, dass sie im Konstruktionswandel Eigenschaften annehmen, die sie als Filler für z.B. nonagentive Konstruktionen qualifizieren: [44]

Das Fenster ist geschlossen.

[45]

Das Fenster bleibt geschlossen.

[46]

Das Fenster scheint geschlossen.

[47]

Das Fenster wirkt geschlossen.

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[48]

Das Fenster sieht geschlossen aus.

[49]

Das Fenster wird geschlossen.

[50]

Das Fenster gehört geschlossen. usw.

Dies gilt auch für bekommen und kriegen (vgl. oben Kap. 4.2.4 und unten 7.3.3 sowie 9). Auf werden ist wegen der morphologischen Varianten der Partizipialform (vgl. oben Kap. 4.1 und 4.2.3) besonderes Augenmerk zu richten (vgl. Kap. 8).

5.1.4 Tempus & Temporalität, Modus & Modalität Das Thema der kognitiven und kommunikativen Perspektivität wurde bisher auf der Ebene des satzwertigen Ausdrucks diskutiert. Dabei war gesagt worden, dass syntaktische Strukturen in Gänze die Perspektive bestimmen, die ein Sprecher bei der sprachlichen Darstellung eines Wahrnehmungsinhaltes gezwungen ist zu selegieren. Anliegen des knappen Abschnitts hier ist nicht, eine Diskussion über analytisch und synthetisch gebildete Tempora des Deutschen zu führen,12 sondern zu betonen, dass Tempus & Temporalität Kategorien neben Modus & Modalität sind, die in der Analyse von satzwertigen Konstruktionen zwingend einzubeziehen sind. Aus forschungspraktischen Gründen werden Modus & Modalität in dieser Studie bis auf wenige Ausnahmen ausgeklammert, auch wenn es sich hierbei um ein echtes Desiderat handelt, an dem vor allem Diewald (exemplarisch 2004 und zuletzt 2013) in Bezug auf Faktizität, Modalität und Evidentialität arbeitet. Die Überlegungen hier zielen vor dem Hintergrund der diskutierten kommunikativen und kognitiven Perspektivität von Konstruktionen und Konstruktionsrealisierungen eher auf den Zusammenhang von Tempus und Temporalität, wie ihn Lübbe & Rapp 2011 in Bezug auf Klein 1994 diskutieren. Lübbe & Rapp 2011 beziehen sich auf die Differenzierung von Topikzeit, Äußerungszeit und || 12 Das Deutsche verfügt über zwei synthetische Tempora: Präsens und Präteritum. Darüber hinaus, je nachdem, welcher Grammatik man folgen mag, sind vier (Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und II) bzw. sechs analytische Tempora (Doppelperfektformen) zu unterscheiden. Hinzukommen weiter Futurpräteritum I und II. Vgl. hierzu bspw. und in Auswahl Eisenberg 2006 und 2011, Thieroff 1992 sowie 2011, Lohnstein & Bredel 2011 oder Welke 2005a und b. Die Frage, wie viele oder welche Tempora man semantisch rekonstruieren kann und formal begründet, soll hier aber nicht weiter im Vordergrund stehen.

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Ereigniszeit von Klein 1994 und erweitern dessen Begriffsinventar in unserem Sinne weiter. Die Relation zwischen Ereigniszeit und Topikzeit definiert Klein als „Aspekt“ – bei „einer Inklusion der Topikzeit in der Ereigniszeit liegt imperfektiver Aspekt vor […]“ (Lübbe & Rapp 2011: 264). Weiter: Im Folgenden werden wir die Klein’sche Begrifflichkeit für die Zwecke unserer Untersuchung präzisieren. Die Begriffe Tempus und Aspekt reservieren wir für Fälle, bei denen die jeweiligen Relationen durch grammatische Mittel ausgedrückt werden. In allen anderen Fällen sprechen wir von Temporalität und Aspektualität. (Lübbe & Rapp 2011: 264f.)

Folgt man der Bestimmung von Lübbe & Rapp, dann ist das Präteritum in [51, Abwandlung des Zitats (41)] [51]

Eine Absichtserklärung wurde gestern unterzeichnet.

hinsichtlich der Kategorie Tempus (wurde unterzeichnet) grammatisch ausgezeichnet, während ein temporales Adverb (gestern) Temporalität markiere. In dieser Studie interessiert nicht Temporalität, sondern die Konstruktionen der Kategorie Tempus - wie uns auch die Kategorie Modus in der Sache interessieren sollte. Sowohl in analytischen Tempuskonstruktionen wie in nonagentiven Konstruktionen nehmen Partizipien wie Adjektive eine zentrale Rolle ein, deshalb werden die nonagentiven Konstruktionen nicht losgelöst von den analytischen Konstruktionen beschrieben, die Tempus markieren: In der Hinführung diskutierten wir z.B. Abgrenzungsprobleme zwischen sein-Perfekt und sein-Passiv. In der Analyse wird sich zeigen, dass die „Perfektlücke“, die für die nonagentiven Konstruktionen mit sein aus systematischen Gründen zu konstatieren ist, ohne Erörterung der Tempuskonstruktion des Perfekts mit sein bspw. der Konstruktion mit bleiben oder werden nur unzureichend erklärt werden kann (vgl. unten dazu ausführlich Kap. 7 und 8.1 sowie 10.1.3). Wenn analytische Tempuskonstruktionen Tempus markieren, dann tun dies bspw. Perfektpartizipien als Konstruktionen für sich genommen noch nicht (vgl. weiter unten Kap. 5.2.3.2). Sie steuern aber in den Vergangenheitstempora mit ihrer Konstruktionsbedeutung der Perfektivität eine Bedeutung bei, die für die Tempuskonstruktion und die Etablierung einer Tempusmarkierung relevant ist: Tempus ist chronologisch und aspektuell ausgezeichnet. Die analytischen Tempuskonstruktionen sind abstrakter als die Modalkonstruktionen, die ihrerseits abstrakter sind als die nonagentiven Konstruktionen, die hier interessieren, nur die Negation periphrastischer Ausdrücke ist abstrakter (‚Negation‘ bezeichnet eine Gruppe von

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Konstruktionen, vgl. Kap. 5.1.6) als analytische Tempuskonstruktionen. D.h., dass sowohl agentive wie nonagentive Konstruktionen systematisch in Tempuskonstruktionen eingebettet werden können zusammen mit den Verben sein und haben für die analytischen Vergangenheitstempora sowie werden für die futurischen Tempora (vgl. dazu Hilpert 2008a), wobei sich speziell da Überlappungen zu den Modalkonstruktionen mit werden (vgl. u.a. Diewald 2005) zeigen – auch das ist ein Indiz dafür, dass analytische Tempuskonstruktionen als eigenständige Konstruktionen und konsequenterweise nicht als ‚Kategorien des Verbs‘ zu behandeln sind. Ebenfalls in diesem Zusammenhang muss ein Phänomen wie das „analytische Präteritum“ angesprochen werden. Das ist ein Begriff, den Leiss (1992: 288) vorschlug für Fälle, in denen ‚Funktionsverbgefüge‘ mit einem der ‚Modalverben‘ (hier zur Kennzeichnung markiert) im Präteritum zu beobachten sind. Auch von einem „analytischen Präsens“ könnte man in diesem Fall sprechen. Das werden wir tun, wenn nonagentive Konstruktionen mit einem der so genannten ‚Modalverben‘ in Modalkonstruktionen eingebettet werden und so als Alternativen zur Verfügung stehen, wenn wie bei der ‚Perfektlücke‘ andere Konstruktionsrealisierungen systematisch nicht zur Verfügung stehen (dezidiert zu diesem Thema Kap. 10.1.4). Da Modalkonstruktionen wie Tempuskonstruktionen hier nicht systematisch beschrieben werden, können wir stets nur an bestimmten Punkten der Analyse auf diesen Zusammenhang wenigstens hinweisen (vgl. etwa Kap. 7.1, 7.3.1.1, 8.1 und 10.1.4). Das wird auch das Problem der Klassifikation der Konstruktionen mit [[werden][Infinitiv]] als futurisch/modal betreffen – wir werden uns aber, wie Diewald (2005: 23), nicht auf die Seite der „Temporalisten“ oder „Modalisten“ stellen, sondern wie sie Einzelfallentscheidungen treffen müssen, die der „Konstruktion im Werden“ (ebd.) gerecht werden. Anders ist das konstruktionsgrammatisch auch nicht zu begründen, denn es muss ein Bereich beschrieben werden, der sich zwischen Futur als Tempuskonstruktion und Modalkonstruktion mit werden aufspannt, wie man an wenigen Beispielen erläutern kann. Der Satz die Bank wird geschlossen sein lässt sowohl futurische wie modale (d.h. hier: epistemische) Interpretation zu, da beide Konstruktionen werden einbetten und werden jeweils eine eigene Bedeutung beisteuert: Nämlich einmal die Bedeutung ‚eine solche Eigenschaft bekommen‘ (Futurkonstruktion) und ein anderes Mal die, eine ‚Faktizität einer zugewiesenen Eigenschaft‘ (Modalkonstruktion) zu markieren. Grammatisch lässt sich das eine häufig vom anderen nicht scheiden, da auf konstruktionaler Ebene die kognitiven Perspektivierungen zwar unterschiedlich sind, um je eigene Konstruktionen zu etablieren, auf der Ebene der Realisierung die kommunikative Perspektivierung aber durch ein formal identisches Verb geleistet wird (bei anderen Modalverben stellt sich das

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Problem in dieser Form also überhaupt nicht). So etabliert sich ein Übergangsbereich, der sich (auch) konstruktionsgrammatisch nur umreißen, aber (noch) nicht vermessen lässt. Wohl aber ist es anhand von Realisierungen der Konstruktion möglich, darauf zu schließen, ob ein Sprachbenutzer eine Tempusoder eine Modalkonstruktion wählt. So ist es einfach, die Bank wird morgen geschlossen sein als futurisch, die Bank wird wohl geschlossen sein, als modal (epistemisch) zu lesen. Allerdings bezieht man damit ausgerechnet die Aspekte ein, die wir hier gerade nicht systematisch in die Modellbildung integrieren möchten – Temporalität und Modalität. Anders geht es in diesem Fall aber (noch) nicht. Forschungspraktisch werden wir deshalb so verfahren, dass wir alle Belege, die eine futurische Lesart zulassen, also auf eine Tempuskonstruktion verweisen, behandeln werden. Das schließt auch Konstruktionsrealisierungen ein, die keinen Hinweis darauf geben, ob sie entweder futurisch oder modal zu lesen, also ambig sind. Modalkonstruktionen mit werden klammern wir indes aus der systematischen Analyse aus, nehmen aber noch einmal auf sie Bezug in Kap. 10.1.4. Zum Glück ist werden kein Einzelfall: Auch wirken oder gehören lassen sich in nonagentiven Konstruktionen als „Konstruktionen im Werden“ beschreiben, so dass sich an den Rändern der prototypisch realisierten Konstruktionen die Dynamik des Sprachgebrauchs abbilden und konstruktionsgrammatisch beschreiben lässt (vgl. dazu weiter unten die Kap. 7.3.2 und 8.1). Die Differenzierung zwischen analytisch und synthetisch gebildeten Tempora ist eine formale. In der Forschung ist die Semantik von Tempuskonstruktionen leider ein vollkommen nachgeordnetes Thema. Wir werden deshalb hier nur wenige Meinungen diskutieren und geben außerdem zu bedenken, dass – vor allem analytische – Tempuskonstruktionen nicht das Thema dieser Studie sind. Die Überlegungen müssen deshalb zwingend holzschnittartig bleiben und sind in Anschlussstudien zu erörtern. Ausgangspunkt kann die Beschreibung eines Tempussystems im Hinblick auf Sprechzeit (point of speech: S), Ereigniszeit (point of the event: E) und Referenzzeit (point of reference: R) sein, die Reichenbach (1947: 290) vorschlug – auf sie geht auch die schon zitierte Unterscheidung Kleins in Äußerungszeit, Ereigniszeit und Topikzeit (andere Termini nach Reichenbach sind Sprechzeit, Aktzeit, Betrachtzeit) direkt zurück – allerdings gewinnt man damit kein semantisches Merkmal einer Tempuskonstruktion, sondern, was ein Anfang ist, eine Reihe struktureller Merkmale, die relational die Verhältnisse der Tempora untereinander abbilden: – Präsens Ereigniszeit = Referenzzeit = Sprechzeit – Präteritum Referenzzeit = Ereigniszeit, vor Sprechzeit

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– – – –

Perfekt Plusquamperfekt Futur I Futur II

Referenzzeit = Sprechzeit, nach Ereigniszeit Ereigniszeit vor Referenzzeit vor Sprechzeit Referenzzeit = Ereigniszeit, vor Sprechzeit Sprechzeit vor Ereigniszeit vor Referenzzeit

Perfekt hätte dann die Bedeutung, wenn man die relationale Zeitangabe zur Grundlage nimmt, ein ‚Ereignis zu markieren, welches vor einem Referenzzeitpunkt (Topikzeit, Betrachtzeit) liegt, der mit der Sprechzeit (Äußerungszeit, Aktzeit) zusammenfällt‘. Das impliziert, dass das vergangene Ereignis – im Gegensatz zu Präteritum und Plusquamperfekt – selbst oder in seinen Konsequenzen bis in die aktuelle Äußerungszeit hinein- und/oder darüber hinausreichen kann. Den umfangreichsten Entwurf eines achtstufigen Tempussystems (neben den beschriebenen noch Futurpräteritum I und II) legt Thieroff (1992) vor. Er erweiterte dafür die Konzeption der Bezugszeiten wesentlich, etwa dadurch, dass er verschiedene Orientierungszeiten und Referenzzeiten unterschied (Thieroff 1992: 276). Die strukturelle Bedeutung von Tempuskonstruktionen lässt sich über Relationen dieser Art plausibel beschreiben, obwohl aus konstruktionsgrammatischer Perspektive nicht mit Invarianten argumentiert würde, sondern prototypisch. Schaut man eine Stufe tiefer in der Hierarchie der Tempuskonstruktionen, dann wird man sich mit lexikalisch teilspezifizierten Varianten z.B. im Perfekt auseinandersetzen müssen. Es ist ein Unterschied, ob diese Konstruktion in der oben paraphrasierten Bedeutung mit sein oder haben gebildet wird – wobei die Konstruktionen mit sein weiter oben unter die Formen der Konstruktion der ASKRIPTION subsummiert worden sind (zumindest im Kontext nonagentiver Konstruktionen). Im Anschluss an den Vorschlag der Lesarten des Perfektpartizips (vgl. unten Kap. 5.2.3.2) schließt Welke 2005b auf der Suche nach invarianten Bedeutungen von Tempora eine Interpretation hinsichtlich der Bedeutung von seinund haben-Perfekt an, die wir hier kurz diskutieren wollen, da sie uns vor allem in Bezug auf die „Perfektlücke“ der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein und scheinen (Kap. 7.1 und 7.3.1.1) relevant werden wird. Wir unterscheiden zwischen zwei Varianten des Perfekts, dem sein-Perfekt und dem haben-Perfekt. Nur dem sein-Perfekt kommt archetypisch die Bedeutung Nachzustand zu. (Welke 2005b: 212)

Welke findet aber nur für das sein-Perfekt (das er ebenfalls im Zusammenhang von Resultativkonstruktionen und sein-Passiv diskutiert) eine plausible archetypische semantische Interpretation, beim haben-Perfekt kommt er darüber, dass es wohl Vergangenheit bedeute, nicht wesentlich hinaus (Welke 2005b:

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229–240). Archetypisch als Kennzeichen ist zum einen durch den Versuch motiviert, Tempora als Invarianten beschreiben zu wollen, zum anderen dadurch, weil das sein-Perfekt eben nicht nur in der Bedeutung Nachzustand, sondern auch in der Bedeutung Vergangenheit verwendet werde. Wie an anderer Stelle diskutiert, sind hier die Differenzierungen nicht immer plausibel nachvollziehbar (Kap. 4.2.1 und unten Kap. 5.2.3.2 zum Perfektpartizip). In Bezug auf das Perfekt müssen sie das aber auch nicht sein. Interessanter ist daher auch eine historische Herleitung, die Welke 2005b ins Spiel bringt: Diachron resultiert das sein-Perfekt wie auch das haben-Perfekt aus der prädikativen Verwendung des Partizips II perfektiver Verben, und zwar aus dem Subjektsprädikativ bei sein […] und dem Objektsprädikativ bei haben […]. (Welke 2005b: 212)

Im Vorgriff auf das folgende Kapitel (und im Rückgriff auf Kap. 3.2): Historisch ist das Perfekt mit sein zurückzuführen auf eine Konstruktion, in der ein deverbales Adjektiv als Qualitativ sich auf ein spezifiziertes Objekt (in Subjektposition) bezog und einen ZUSTAND (als Ergebnis eines implizierten VORGANGs) bedeutete, das Perfekt mit haben hingegen auf eine Konstruktion, in der ein deverbales Adjektiv als Qualitativ sich auf ein affiziertes Objekt (in Objektposition) bezog und (relational zum synthetischen Präteritum alternativ) Vergangenheit bedeute. Liest man Welke so, wird man unweigerlich darauf gestoßen, dass man damit eine Unterscheidung von nonagentiven und agentiven Konstruktionen vor sich aufscheinen sieht. Nun werden aber, das werden wir sehen, nicht alle Verben, die wir hier für die nonagentiven Konstruktionen untersuchen (vgl. Kap. 5.2.2 und 6.3.2), in analytische Perfektkonstruktionen mit sein eingebettet. Mit sein treten gemeinsam lediglich auf: sein (semantische und formale Restriktionen wegen Verdopplung der Konstruktionsbedeutungen sowie Verdopplung von Perfektpartizipien), bleiben, erscheinen und werden. Mit haben hingegen scheinen, wirken, aussehen, bekommen, kriegen, erhalten und gehören und schließlich haben selbst. Da den Tempuskonstruktionen hier nebengeordnetes Interesse gilt, ist der Zusammenhang zwischen nonagentiven Konstruktionen systematisch hier nicht abschließend zu erläutern, sondern als Desideratum zu markieren. In der Modellierung, der Parametrik der Studie (vgl. Kap. 6.3 und besonders 6.3.4) sowie in der Analyse nonagentiver Konstruktionen (Kap. 7–10) werden wir analytische Tempuskonstruktionen im Zusammenhang vor allem im Hinblick auf Restriktionen thematisieren. Um das Wort nach diesen Überlegungen noch einmal auf die Modalkonstruktionen zu bringen: Auch diese fassen wir als eigenständige Konstruktionen, die (wie die analytischen Tempuskonstruktionen), auf einer abstrakteren Ebene

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stehend, andere Konstruktionen – wie nonagentive, agentive oder reflexive Konstruktionen – einbetten (Diewald 2000, 2001, 2004 und 2013 arbeitet in dieser Richtung).

5.1.5 Reflexive Konstruktionen Ausklammern werden wir hier Phänomene der Reflexivität, auch diese wären neben analytischen Tempuskonstruktionen und Modalkonstruktionen in diesem Zusammenhang zu behandeln. Das mag auf den ersten Blick willkürlich erscheinen, ist aber vor dem Hintergrund der Beschreibung eines Konstruktikons als Netzwerk von Konstruktionen zu rechtfertigen. Reflexive Konstruktionen unterliegen anderen Restriktionen und sind im Konstruktikon eher auf einer Ebene wie die nonagentiven Konstruktionen anzusiedeln, auch wenn sie näher an agentiven Konstruktionen stehen – eine differenzierte Beschreibung dieser Frage ist in dieser Studie aber nicht zu leisten, sondern wäre in einer Studie zu reflexiven Konstruktionen besser aufgehoben. Eine Anschlussstudie hätte sich diesem Problem zu stellen, wie Konstruktionen zu beschreiben und im Konstruktikon zu verorten sind, deren Bedeutung durch Reflexivmarker (wie Reflexivpronomina) so aktualisiert werden, dass dieser durch seine strukturelle Bedeutung z.B. angibt, dass Agens (AG) und Patiens (PAT) zusammenfallen (role merging). Wie nonagentiven Konstruktionen eignet damit den Konstruktionen, in die ein Reflexivum eintritt, eine spezifische kognitive Perspektivität: [52]

Der Barbier rasiert Paul.

[53]

Paul wird vom Barbier rasiert.

[54]

Der Barbier rasiert sich.

Beispiele wie [54] sind gemeint, wenn im Folgenden von reflexiven Konstruktionen gesprochen wird. Neben diesen werden in der Forschung mediale Konstruktionen unterschieden, in denen – anders als in [54] – kein Agens mehr codiert ist. Ein Beispiel mit Reflexivmarker für mediale Konstruktionen wäre: Leinenhemden bügeln sich schwer (aus Eisenberg 2006 II: 131). Reflexive Konstruktionen stehen für eine eigene kognitive Perspektivität, die sie von agentiven und nonagentiven Konstruktionen fundamental scheidet. Diese eigene Perspektivierungsleistung wird hier in den Vordergrund gestellt (zu Konstruktionen dieses Typs vgl. Lehmann 2016). Reflexive Konstruktionen wie [54] und

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nonagentive Konstruktionen [53] sind nicht kompatibel, was sich mit ihrer kognitiven Perspektivität erklären lässt: Ist das Kennzeichen nonagentiver Konstruktionen, dass sie kein Agens (AG) fokussieren und nur optional als modale Angabe kodieren, ist es konsequenterweise nicht möglich, dass ein Reflexivum [54] auf den Zusammenfall der Rollen Agens (AG) und Patiens (PAT) verweisen kann. Für Fälle wie Leinenhemden bügeln sich schwer wäre vorsichtig zu prüfen, ob eine konstruktionsgrammatische Studie nachvollziehen kann, dass mit der „Räumung der Subjektstelle ein Merkmal des Passivs“ (vgl. Eisenberg 2006 II: 131) vorliegt. Reflexive Konstruktionen sind hinsichtlich ihrer kognitiven Perspektivität im Zusammenhang von agentiven Konstruktionen zu analysieren, die ein Agens (AG) fokussieren ([52] und [54]), bzw. noch besser als eigenständige Konstruktionen zu beschreiben (vgl. oben Kap. 4.2.6). Diesen Überlegungen wird hier deshalb breiterer Raum gewährt, um Missverständnissen bei der Analyse agentiver Konstruktionen vorzubeugen: Beschränkt man sich auf diese, könnte der Eindruck entstehen, dass reflexive Konstruktionen im Konstruktikon so wie Negationen periphrastischer Ausdrücke (vgl. Kap. 5.1.6) auf abstrakterer Ebene anzusiedeln sind, da sie sich strukturell in Bezug auf agentive Konstruktionen sehr ähnlich verhalten. Beide modalisieren eine weniger abstrakte Konstruktionsrealisierung hinsichtlich ihrer Perspektivität. Das ist aber, das wäre als Hypothese hier zu formulieren, nicht der Fall, da Reflexivität ein Kennzeichen von Konstruktionen eines eigenen Typus ist, die näher an agentiven Konstruktionen zu stehen scheinen und zur Perspektivierungsleistung von nonagentiven Konstruktionen nicht kompatibel sind. Das so genannte ‚Reflexivpassiv‘ stellt als Konstruktion also eine Besonderheit dar, weil deren kognitive Perspektivität sich vollkommen anders darstellt – es kommt gewissermaßen zwischen den nonagentiven Konstruktionen und agentiven Konstruktionen zum Stehen und bildet einen eigenen Subtyp: [55]

Es/hier/montags/nass wird sich rasiert.

Im Fokus steht weder ein Patiens (PAT) oder ein Objekt (AOB, EOB oder SOB), was kennzeichnend wäre für nonagentive Konstruktionen, noch ein Agens (AG), was agentive Konstruktionen auszeichnet. Stattdessen werden – wie beim ‚unpersönlichen Passiv‘ (vgl. dazu kap. 8.1 und 10.1.2) – adverbiale Angaben oder es fokussiert, die in Bezug auf nonagentive Konstruktionen als Fluchtpunkte kommunikativer Perspektivität eingestuft waren. Weiter zeichnen sie sich durch den Gebrauch eines Reflexivums aus, das aber die Konstruktion nicht in der Gestalt aktualisiert, wie das Reflexive in Bezug auf agentive Kon-

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struktionen tun: Weder Agens (AG) noch Patiens (PAT) sind zu bestimmen, deren Zusammenfall das Reflexiv anzeigen könnte. Ohne Detailuntersuchungen vorgenommen zu haben, lässt sich das so genannte ‚Reflexivpassiv‘ nur hypothetisch modellieren. Das Reflexivum weist auf einen Konstruktionstyp, der eine eigene kognitive Perspektivität aufweist und weder mit der Perspektivierungsleistung agentiver noch nonagentiver Konstruktionen kompatibel ist: Das Reflexivum ist nicht mehr eine Konstruktion, die die kommunikative Perspektivität modifizierend eingebettet werden kann, sondern es ist Voraussetzung dafür, dass die spezifische kognitive Perspektivität reflexiver Konstruktionen überhaupt zum Ausdruck gebracht werden kann – mit anderen Worten, es ist obligatorisch. Das ‚Reflexivpassiv‘ ist diesem Konstruktionstyp zuzurechnen. Es ist, obwohl produktiv, als stärker idiomatisch fixiert einzustufen – es ist, um mit Feilke (1996: 211f. und 239) zu sprechen, stärker gestalthaft und konventionalisiert als andere Konstruktionen.

5.1.6 Negation Dass die Negation eines periphrastischen Ausdrucks ohne weiteres möglich ist, zeigt an, dass eine Form der Negation (nämlich die komplexer Periphrasen) auf einer abstrakteren Ebene im Konstruktikon anzusiedeln ist als agentive, nonagentive, reflexive Konstruktionen oder analytische Tempuskonstruktionen: Es/hier/montags/nass wird sich nicht rasiert. Nicht nur [55] kann so problemlos negiert werden, sondern auch [52] bis [54]. Bei den ‚Negationen‘ handelt es sich um eine Gruppe von Konstruktionen, die auf einer abstrakteren Ebene liegen als die Konstruktionen, die sie einbetten und je mit unterschiedlichen Mitteln realisiert sind: In Konstruktionen der Negation können Wörter wie Adjektive (schön – unschön) oder auch ganze Periphrasen wie im obigen Beispiel eingebettet werden. Negationen sind also nicht für nonagentive Konstruktionen spezifisch und in ihrer Beschreibung wäre für die Analyse nonagentiver Konstruktionen wenig gewonnen – Köller (2016) behandelt sie als „sprachliche Universalien“ und wir werden hier keine besondere Rücksicht auf sie nehmen (müssen).

5.2 Struktur nonagentiver Konstruktionen Die Schwierigkeit in der Analyse syntaktischer Strukturen, die wir hier als netzartig charakterisiert haben mit Konstruktionen auf unterschiedlichen Komplexitätsniveaus, ist, dass in linearen Darstellungsmodi nur einzelne Knoten des

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Netzes sukzessiv beschrieben werden können, der Blick auf das Gesamte immer verwehrt bleibt. In der Darstellung haben wir uns dazu entschieden, zunächst aus den bisher herausgearbeiteten Charakteristika nonagentiver Konstruktionen ein allgemeines Modell und die Formen nonagentiver Konstruktionen vorzustellen (Kap. 5.2.1). Die Diskussion der Konstruktionen, die in die nonagentiven Konstruktionen eingebettet werden, schließt sich im Rahmen an die Vorstellung der Typen der nonagentiven Konstruktionen in den folgenden Kapiteln an. Der Schwerpunkt wird in der Darstellung dabei besonders auf die semantischen Rollen gelegt, die die Konstruktionen tragen (Patiens, spezifiziertes Objekt, Benefaktiv, Partitiv, Additiv, Privativ, Qualitativ) (5.2.3). Zum anderen wird interessieren, wie die Verben zu charakterisieren sind, die in nonagentive Konstruktionen eingebettet werden (5.2.2).

5.2.1 Formen nonagentiver Konstruktionen 5.2.1.1 Prototypische Konstruktionen Drei zentrale Konstruktionstypen der nonagentiven Konstruktionen sind prototypisch zu unterscheiden im Aussagerahmen ‚Eigenschaftszuweisung‘. Sie bilden einen engeren Zusammenhang im Konstruktikon und werden in den folgenden Abschnitten im Einzelnen vorgestellt. Das sind die Konstruktionen der (1) ASKRIPTION mit dem prototypischen sein (Zustandszuweisung, Kap. 5.2.1.2, Kap. 7), (2) der KOMMUTATION mit dem prototypischen werden (Zustandswechsel, Kap. 5.2.1.3, Kap. 8) und (3) der AKZEPTATION mit dem prototypischen bekommen/kriegen (Akzeptanz eines Zustandswechsels, Kap. 5.2.1.4, Kap. 9). (1) Die Konstruktionen sind zum einen durch verschiedene Subtypen näher zu bestimmen, die den Prädikationsrahmen ASKRIPTION, KOMMUTATON bzw. AKZEPTATION zuzurechnen sind, in denen allerdings durch unterschiedliche Relationen zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung die Konstruktionsbedeutung modalisiert oder als resultativ markiert wird oder schließlich ein intendiertes Resultat in den Vordergrund gestellt wird (zu den Relationstypen vgl. oben Kap. 3.2.1). Beispiele sind für die Konstruktion der ASKRIPTION die Einbettung von bleiben (≈resultativ) (vgl. im Detail Kap. 7.2), scheinen (≈modal), erscheinen (≈modal), wirken (≈modal) oder aussehen (≈modal) (vgl. im Detail Kap. 7.3). Andere Konstruktionen erben ihre Eigenschaften von zwei Konstruktionstypen, nämlich bspw. von ASKRIPTION und KOMMUTATION (die Konstruktionen mit gehören, Kap. 10.2.1) bzw. ASKRIPTION und AKZEPTATION (die Konstruktionen mit haben, Kap. 10.2.2) die wir als intermediäre Konstruktionen

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bezeichnen und die im Konstruktikon als Knoten zwischen ASKRIPTION, KOMMUTATION und AKZEPTATION ihren systematischen Platz gefunden haben (vgl. Kap. 11). (2) Wenn die Kategorien des Konstruktikons zum anderen prototypisch geordnet sind, dann ist auch nicht auszuschließen, dass die hier vorgeschlagene Kategorisierung, die ohnehin als vorläufig zu verstehen ist, eine neben anderen ist und bleiben wird. Ein Beispiel dafür werden wir ausführlich diskutieren, um aufzuzeigen, dass eine prototypisch orientierte Konstruktionsgrammatik Alternativen in Kategorisierungsprozessen auf der Basis des beobachteten Materials anbieten kann, die sich nicht widersprechen müssen. Das Beispiel ist die Einbindung der Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden als Konstruktionen der ASKRIPTION mit Relation des intendierten Resultats im Konstruktikon (vgl. Kap. 8.2). (3) Zum dritten wurden bisher entlang der etablierten Forschungspositionen verschiedene Formate von Konstruktionen ins Spiel gebracht, die sich auf der Ebene der Periphrase aus konkreten Realisierungen herausarbeiten lassen und die in den folgenden Abschnitten vorgestellt werden. Deren Perspektivierungsleistung und formale Beschaffenheit sowie die übergreifende Bedeutung im Aussagerahmen ‚Eigenschaftszuweisung‘ lässt auch abstrakte Formen zu, die ausgehend von den Prämissen der Konstruktionsgrammatik (vgl. Kap. 2) als Knoten in einem Konstruktikon zumindest postuliert werden können: EIGENSCHAFTSZUWEISUNGv(-AG,QUAL). Die nicht spezifizierte Argumentrolle NonAgens könnte postuliert werden als eine Abstraktionsleistung der in konkreten Realisierungen beobachtbaren semantischen Rollen AOB, EOB, SOB, PAT und BEN. Hier soll eingangs nur auf die Möglichkeit der Existenz eines solchen Formats hingewiesen werden, welches aus dem Sprachgebrauch emergieren kann. Der Nachweis solcher abstrakter Formen von Konstruktionen jedoch gestaltet sich naturgemäß schwierig, deshalb muss postuliert werden, dass sie als Konstruktionen eine nicht kompositionelle Bedeutung tragen. Darauf kann geschlossen werden aus den Realisierungen der Konstruktionen der ASKRIPTION, KOMMUTATION und AKZEPTATION.

5.2.1.2 Konstruktionen der ASKRIPTION Mit dem Begriff der ASKRIPTION (aus dem lat. a-scrībo ‚bei-, zuschreiben, schreibend beifügen, hinzusetzen‘ abgeleitet; vgl. dazu Lasch 2014a) wird in der Sprachwissenschaft ein Wortkomplex bezeichnet, der ein Objekt – nicht formal syntaktisch verstanden – identifiziert und ihm eine Bedeutung zuordnet. Prototypisch wird die Konstruktion realisiert mit sein:

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[56]

Die Sendung ist frankiert. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein und damit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: ASKRIPTIONV(=direkt)(SOBNPNOM,QUALADJ)

Abb. 15: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein. Direktlink: https://goo.gl/Aew7P6; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Verben des Aussagerahmens ‚Eigenschaftszuweisung‘ können in den Prädikationsrahmen ASKRIPTION (als Subtyp der Prädikatsklasse der ZUSTANDsVerben) eingebettet sein und dabei hinsichtlich ihrer Bedeutung in einem spezifischen Verhältnis zur Konstruktionsbedeutung stehen (vgl. oben Kap. 3.1.4 und 3.2): Sein interagiert direkt mit der angenommenen Konstruktionsbedeutung (=): ‚Einem SOB wird eine mittels eines QUAL ausgedrückte Eigenschaft zugewiesen.‘ An Argumenten sind in der Konstruktion vorgesehen ein spezifiziertes Objekt (SOB, „durch eine Eigenschaftszuweisung [z.B. mittels eines QUAL] spezifizierte Person oder Sache“, vgl. oben Kap. 3.1.4) und ein Qualitativ (QUAL). In diese Slots, also die Argumentstellen der Konstruktion, können unterschiedliche Filler eingebettet werden: Während das SOB auf formaler Seite meist durch eine Nominalphrase im Nominativ repräsentiert ist, ist der QUAL hinsichtlich seiner Spezifizierung freier, im konstruierten Beispiel wird ein deverbales Adjektiv (auf der Basis eines Perfektpartizips) eingebettet: frankiert. Daneben können Adjektive (groß), bar-Adjektive (zustellbar), modale Infinitive (zu frankieren) oder Progressive (?beim Frankieren) potentiell als Filler der Argumentstrukturrolle der Konstruktion und der Partizipantenrollen des Verbs fungieren (vgl. dazu Kap. 5.2.3.2). Alle Argumentstrukturrollen der Konstruktion und (profilierte) Partizipantenrollen des Verbs sein fusionieren (vgl. oben Kap. 3.1.1), da in

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den Rollenplänen sowohl auf Seiten der Konstruktion als auf Seiten des Verbs die semantischen Rollen des SOB und des QUAL vorgesehen sind. Die Konstruktionsrealisierung mit sein ist (prototypische) Instanz der lexikalisch nicht spezifizierten Konstruktion der ASKRIPTION (in einer Beispielvon-Relation). Die formalen Eigenschaften der Konstruktion werden über inheritance links (Vererbungsbeziehungen) nach dem Teil-Ganzes-Modell (subpart links) auf dominierte Konstruktionen vererbt, die zur dominanten Konstruktion, deren Instanz die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein (vgl. Kap. 7.1) ist, auf der Bedeutungsseite ebenfalls Teil-Ganzes-Relationen etablieren. Das sind (zunächst): Konstruktionen mit resultativer Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung (Instanz: bleiben, Kap. 7.2) und modaler Relation (Instanzen: scheinen, erscheinen, wirken und aussehen, Kap. 7.3). Die Konstruktionen mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutungen stehen (formal wie semantisch) in Teil-Ganzes-Relationen zueinander in Beziehung (zur Terminologie vgl. oben Kap. 2.2, ausführlich weiter Goldberg 1995: 74–97 und zur Erläuterung Smirnova & Mortelmans 2010: 149–156 sowie Ziem & Lasch 2013: 95–102).

5.2.1.3 Konstruktionen der KOMMUTATION Der Begriff der KOMMUTATION aus lat. commutatio (‚Wandel, Wechsel‘) steht für die Markierung, dass ein spezifiziertes Objekt eine Veränderung erfährt, also nicht ein ZUSTAND bezeichnet, sondern ein VORGANG charakterisiert werden soll: [57]

Die Sendung wird frankiert. Verben der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit werden und damit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: KOMMUTATIONV(=direkt)(AOBNPNOM,QUALADJ)

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Abb. 16: Konstruktion der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit werden. Direktlink: https://goo.gl/Znu59I; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Werden als Verb des Aussagerahmens ‚Eigenschaftszuweisung‘ tritt in den Prädikationsrahmen KOMMUTATION (als Subtyp der Prädikatsklasse der VORGANGs-Verben) ein und steht hinsichtlich seiner Bedeutung in direktem Verhältnis zur Konstruktionsbedeutung (=): ‚Ein AOB wird hinsichtlich seines Zustands durch einen im QUAL spezifizierten Vorgang verändert. Subtyp des AOB ist der PAT.‘ An Argumenten lizensiert die Konstruktion prototypisch ein affiziertes Objekt (AOB, „von einer Handlung oder einem Vorgang betroffene Person oder Sache“, vgl. Kap. 3.1.4) und einen Qualitativ (QUAL); beide Argumente werden auch durch das Verb aufgerufen (die Rollen fusionieren damit). In die Argumentstellen der Konstruktion werden unterschiedliche Filler eingebettet; der QUAL (in [52] das deverbale Adjektiv aus Perfektpartizip frankiert) unterliegt hinsichtlich seiner Spezifizierung stärkeren Restriktionen als in den Konstruktionen der ASKRIPTION – möglich sind nur deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien sowie Adjektive. Die Unterscheidung zwischen werden-Passiv und Kopulakonstruktion in traditionellen Darstellungen (vgl. oben Kap. 4.2.3) wird nicht nivelliert, aber die Zusammengehörigkeit der beiden Formen zu einer Konstruktion mit einer Perspektivierungsleistung soll dennoch hervorgehoben werden (vgl. Kap. 8). Das scheint auch angesichts der „Perfektlücke“ der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein gegeben zu sein, die die Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden systematisch zu überbrücken scheinen, wozu dann freilich nicht nur Realisierungen mit deverbalen Adjektiven aus Partizipien, sondern auch Adjektive zu zählen sind (vgl. ausführlich dazu Kap. 7.1 und 8.1). Es ist neben den genannten vier weiteren Gründen geschuldet, dass der Konstruktionstyp der KOMMUTATION hier überhaupt postuliert wird:

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Historische Eigenständigkeit: Neben den Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein sind die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden sprachhistorisch als die ältesten etablierten nonagentiven Konstruktionen anzusehen (vgl. z.B. Eroms 2000 oder Kotin 2000). Evidenzen aus dem Spracherwerbsprozess: Konstruktionen der KOMMUTATION werden eigenständig und weit nach dem Erwerb der Konstruktionen der ASKRIPTION erlernt. Sie stellen damit ein eigenständiges Format dar. Ob eine Beeinflussung durch Konstruktionen der ASKRIPTION vorliegt, zumindest was die Möglichkeit einer spezifischen nonagentiven Perspektivierung im Aussagerahmen ‚Eigenschaftszuweisung‘ betrifft, ist (im Moment) nicht zuverlässig zu klären (vgl. dazu oben Kap. 4.3). Formale Restriktionen: Wird werden in nonagentive Konstruktionen eingebettet, unterliegt der Filler, der als Qualitativ hinzugezogen wird, zahlreichen Restriktionen, die nicht für Konstruktionen der ASKRIPTION gelten. Restriktionen dieser Art dienen auch dazu, andere Konstruktionen von denen der ASKRIPTION abzuheben (wie die mit gehören, Kap. 10.1, oder die Konstruktionen der AKZEPTATION, Kap. 5.2.1.4 und 9). Tradition der Grammatikschreibung: Innerhalb der Grammatikschreibung wird dem so genannten Vorgangspassiv ein eigener Status zugebilligt (vgl. oben Kap. 4.1 und 4.2.3).

Wir werden das, wie bereits einleitend thematisiert, zum Anlass nehmen, die Konstruktionen der KOMMUTATION im Anschluss an traditionelle Darstellungen zu beschreiben (Kap. 8.1), aber auch die konstruktionsgrammatische Alternative der nonagentiven Konstruktionen mit werden als Konstruktionen der ASKRIPTION mit resultativer Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung vorzustellen (Kap. 8.2). Wir nutzen damit die Möglichkeiten der Konstruktionsgrammatik, „Vielfalt und ‚Übergänglichkeit‘“ (Reis 1976: 80) in einem prototypisch orientierten Modell (Leirbukt 1997) zu beschreiben und dabei Vererbungs- und Linkingbeziehungen zwischen Konstruktionen als Knoten im Konstruktikon zu skizzieren (vgl. oben Kap. 2 und 3). Die Konstruktion mit werden ist Instanz der lexikalisch nicht spezifizierten Konstruktion der KOMMUTATION (zur Terminologie der Vererbungsbeziehungen vgl. Kap. 2.2 und 5.2.1.2). Wie bei Konstruktionen der ASKRIPTION werden formale wie semantische Merkmale der Konstruktion nach dem Teil-GanzesModell (subpart links) auf dominierte Konstruktionen vererbt. Die einzige Konstruktion, die hier in Frage kommt, ist die mit gehören. Diese wird aber in multiple Vererbungsbeziehungen eingebettet und deshalb gesondert (Kap. 10.2.1) beschrieben.

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5.2.1.4 Konstruktionen der AKZEPTATION Konstruktionen der AKZEPTATION aus lat. ac-cipio (‚hinnehmen, entgegennehmen, abnehmen, in Empfang nehmen, sich geben-, sich reichen lassen‘; ‚empfangen, annehmen, billigen‘) setzen ein effiziertes Objekt (EOB) in den Fokus (vgl. dazu aus kognitionslinguistischer, nicht konstruktionsgrammatischer Sicht mit ganz ähnlichem Anliegen vor allem Lenz 2013), das nach einem VORGANG als jemand oder etwas charakterisiert wird, das oder der etwas erhalten (ADD für Additiv) oder verloren (PRI für Privativ, vgl. Kap. 3.1.4) habe – die Konstruktion lizensiert diese zwei Optionen für die kommunikative Perspektivierung in der Argumentstrukturrolle des Partitivs (PAR). Der Fokus der gewählten Perspektive wird deutlich dann erkennbar, wenn man das EOB, wenn belebt, als Benefaktiv (BEN) spezifiziert, der den VORGANG im Kontext einer satzwertigen Äußerung als alternativlos akzeptiert – das ist auch der häufigste Gebrauchsfall (vgl. Kap. 9). [58]

Der Gartenzaun bekommt einen neuen Anstrich verpasst. Verben der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit bekommen und damit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: AKZEPTATIONv(=direkt)(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUALADJ)

Abb. 17: Konstruktion der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit bekommen. Direktlink: https://goo.gl/IiXaC1; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Bekommen als Verb des Aussagerahmens ‚Eigenschaftszuweisung‘ tritt in den Prädikationsrahmen AKZEPTATION (als Subtyp der Prädikatsklasse der VORGANGsverben) ein und steht hinsichtlich seiner Bedeutung in direktem Verhältnis zur Konstruktionsbedeutung (=): ‚Ein EOB entsteht in einem Vorgang durch das im QUAL spezifizierte Hinzufügen bzw. Entfernen eines PAR (in der kommunikativen Realisierung dann ADD bzw. PRIV). Subtyp des SOB ist der

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BEN, der diesen Vorgang als alternativlos hinnimmt.‘ An Argumenten lizensiert die Konstruktion prototypisch ein effiziertes Objekt (EOB, „durch eine Handlung oder einen Vorgang entstehende Person oder Sache“, vgl. Kap. 3.1.4), einen Additiv (ADD) bzw. Privativ (PRIV) als Spezifizierungen des Partitivs (PAR) und einen Qualitativ (QUAL). Alle Argumente werden auch durch das Verb aufgerufen (die Rollen fusionieren damit). In die Argumentstellen der Konstruktion werden unterschiedliche Filler eingebettet; der QUAL (in [53] das deverbale Adjektiv aus Perfektpartizip frankiert) unterliegt hinsichtlich seiner Spezifizierung starken Restriktionen. Möglich sind nur deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien sowie modale Infinitive (vgl. Kap. 9). In der Beschreibung des Forschungsstandes zum bekommen-Passiv (vgl. Kap. 4.2.4) war herausgearbeitet worden, dass dieses mit dem werden-Passiv (als ‚prototypischem Passiv‘) verglichen wird (vgl. Leirbukt 1997: 201 und 204). Auch wenn sich Differenzen ausmachen ließen (werden-Passiv vs. Kopulakonstruktion), so würden doch die Parallelen überwiegen – wir bestimmen diese vor allem über die kognitive Perspektivität der Konstruktionen, die im Wesentlichen einen VORGANG bedeuten, der sich an einem AOB (KOMMUTATION) oder EOB (AKZEPTATION) vollzieht. Die Argumentation bezüglich ‚Auxiliarisierungsgraden‘ werden wir hier nicht übernehmen. Zwar kommt auch die Konstruktionsgrammatik an der Bedeutung des Verbs für die Etablierung einer kognitiven und damit in der Realisierung kommunikativen Perspektive nicht vorbei – allerdings billigt sie dem Verb nicht mehr die entscheidende projektionistische Rolle bei der Etablierung dieser Perspektive zu, wie es bspw. die Valenzgrammatik tut, sie deklassiert sie aber auch nicht, wie in Kap. 5.1.3 betont, zu ‚Auxiliarverben‘. Prototypisch werden bekommen und kriegen in die lexikalisch nicht spezifizierte Konstruktion der AKZEPTATION eingebettet – diese Realisierungen sind nicht nur der Konstruktion Instanz, sondern auch einander (vgl. zur Terminologie oben Kap. 2.2 und 5.2.1.2). Wie bei Konstruktionen der ASKRIPTION und KOMMUTATION werden formale wie semantische Merkmale der Konstruktion ferner nach dem Teil-Ganzes-Modell (subpart links) auf dominierte Konstruktionen vererbt: Das sind die Konstruktionen mit erhalten, die sich zwar durch eine direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung auszeichnen, aber dennoch spezifischen Bedingungen genügen müssen (vgl. dazu Kap. 9.1.3). Daneben stehen auch die Konstruktionen mit haben in einer Teil-GanzesRelation zur dominierenden Konstruktion in Verbindung. Diese sind aber in multiple Vererbungsbeziehungen eingebettet und werden deshalb gesondert (Kap. 10.2.2) beschrieben.

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5.2.2 Wieder einmal: zur Rolle des Verbs Konstruktions- und Verbbedeutung treten miteinander in Relation, die Lesart einer Konstruktion wird durch die Konstruktion erzwungen und nicht durch das in sie eingebettete Verb (vgl. Kap. 2). Das Verb ist damit – knapp gesagt – nur Mitspieler, notwendige Bedingung dafür, dass die kognitive Perspektivität einer Konstruktion kommunikativ realisiert werden kann. Leistet ein Verb dies nicht (z.B. erhalten, vgl. Kap. 9.1.3), dann ein anderes (z.B. bekommen, vgl. Kap. 9.1.1). Noch mehr: Dass die kommunikative Perspektivierung auch gelingt, wenn man auf das Verb verzichtet, zeigte das diskutierte Beispiel Henrike abgeholt! (vgl. oben Kap. 4.3 mit den Überlegungen zu einem grundlegenden Format der Referenz und Prädikation). Wie und auf welche Art Verben die Perspektivierungsleistung nonagentiver Konstruktionen stützen, wird in dieser Studie exemplarisch untersucht an: sein, bleiben, scheinen, erscheinen, wirken, aussehen, werden, gehören, bekommen, erhalten, kriegen, behalten und haben. Die Liste ist freilich nicht geschlossen, wird hier aber zum einen aus forschungspraktischen Gründen nicht weiter geöffnet. Zum anderen sprechen zunächst auch systematische Gründe dagegen, die wir nun kurz erläutern wollen. Am Beispiel der in Kap. 5.2.1.2 postulierten Konstruktion der ASKRIPTION mit sein soll kurz angedeutet werden, wie unterschiedliche Verben Subtypen der Konstruktion etablieren. Anders als sein, dessen Verbbedeutung direkt mit der Bedeutung der Konstruktion der ASKRIPTION interagiert (v[= direkt]), markieren andere Verben eine resultative Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung (v[(≈resultativ]), wie bleiben. [59]

Das Fenster bleibt geschlossen. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit bleiben: ASKRIPTIONV(≈resultativ)(SOBNPNOM,QUALADJ)

Andere wiederum markieren die Sprechereinstellung abweichend von der unmarkierten Eigenschaftszuweisung mit sein. Ihre Verbbedeutung interagiert indirekt mit der Konstruktionsbedeutung (v[≈ modal]) und erlaubt es Sprechern, verschiedene Grade zu markieren, in denen sie die Eigenschaft als zugewiesene betrachten und anderen ihre Einschätzung mitteilen. Dazu gehört neben scheinen, erscheinen und wirken vor allem das Wahrnehmungsverb aussehen. [60]

Das Fenster scheint/?erscheint/wirkt/sieht geschlossen aus. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit

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scheinen, erscheinen, wirken, aussehen: ASKRIPTIONV(≈modal)(SOBNPNOM,QUALADJ) Während wirken und aussehen noch einer überschaubaren Zahl an Restriktionsregeln unterworfen sind, die im Verlauf der Studie herausgearbeitet werden, verhält sich dies bei Verben wie pflegen und drohen anders. Ihre Einbettung in Konstruktionen ähnelt der Struktur nonagentiver Konstruktionen sehr, wenn der Qualitativ nicht durch ein Adjektiv, sondern durch [[zu][Infinitiv]] besetzt wird: [61]

Das Fenster geht/pflegt/droht zu schließen.

Wie in Kap. 5.2.2 kurz angemerkt, werden wir diese Fälle hier nicht in die Untersuchung einbeziehen, wie auch andere nicht (wie das Reflexivpassiv z.B.) – dafür gibt es schlicht keine anderen als forschungspraktische Gründe. Die Ausweitung auf alle Formen, die nonagentiver Perspektivierung verdächtig sind, lässt sich in einer Studie nicht in vertretbarem Umfang bewältigen. Dennoch seien vor dem Hintergrund des bisher Gesagten einige Aspekte zu gehen, pflegen und drohen angemerkt. Alle diese Verben bedeuten gemeinsam mit dem Infinitiv mit zu einen ‚möglichen, aber aktuell nicht erreichbaren, gewollten oder befürchteten Zustand‘. Damit steuert der so genannte „modale Infinitiv“ hier eine „situative“ Bedeutung bei (vgl. ausführlicher unten Kap. 5.2.3.2), die weiter durch die Verben gehen, pflegen und drohen in Konstruktionen der ASKRIPTION aktualisiert wird. Das ist aber ein besonderer Fall: Wird der Qualitativ durch ein (deverbales) Adjektiv besetzt, verhalten sich die genannten Verben – anders als scheinen – wie ‚Modalverben‘ in [62] und sind, was die Restriktionen bezüglich der Kollokation mit einem deverbalen Adjektiv betrifft, wesentlich eingeschränkter (vgl. zur Ausblendung von Modalkonstruktionen in dieser Studie Kap. 5.1.4). Auf den Infinitiv von sein mit zu kann jedenfalls nicht verzichtet werden, bei scheinen hingegen schon [63]: [62]

Das Fenster ?geht/pflegt/droht geschlossen zu sein.

[63]

Das Fenster scheint geschlossen/geschlossen zu sein.

Ob pflegen oder drohen auch irgendwann in den hier skizzierten Konstruktionsrahmen mit deverbalem Adjektiv eingebettet sein können werden, ist rein spekulativ. Strukturell ist in diesem Sinne umgekehrt auch denkbar, dass wirken in die Konstruktion mit zu(m)-Infinitiv eingebettet werden kann, was jetzt noch

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nicht erfolgt. Selbst aussehen kommt auf lange Sicht als Filler potentiell in Frage. Deutlich wird an Beispielen dieser Art, dass Konstruktionen im Konstruktikon als Konstruktionsnetzwerk nicht allein vom Verb aus zu denken sind, sondern alle Bedingungen und Faktoren bei der Interpretation von Konstruktionen und Realisierungen berücksichtigt werden müssen, die die Filler als Konstruktionen einbringen und Konstruktionen höherer Abstraktionsebene entsprechend aktualisieren. Unmittelbar verbunden mit der Frage, welche Verben in nonagentive Konstruktionen eingebettet werden können, ist die nach ihrer ‚Auxiliarität‘ (vgl. oben prinzipiell 5.1.3). Wir haben unterschiedliche Formen und Typen der nonagentiven Konstruktionen beschrieben, für die spezifische Relationen zwischen Konstruktions- und Verbbedeutungen charakteristisch sind (Kap. 5.2.1). Dies könnten wir nicht, wenn wir davon ausgingen, dass wir lediglich ‚voll grammatikalisierte Auxiliare‘ vor uns hätten, die kein eigenes semantisches Potential mehr aufwiesen: Grammatikalisierung ist und bleibt ein graduelles Phänomen. In dieser Studie wenden wir das Blatt außerdem, indem wir dafür plädieren, dass es bestimmten Verben aufgrund ihres semantischen Potentials überhaupt erst möglich ist, die kognitive Perspektivierung einer nonagentiven Konstruktion kommunikativ zu realisieren. Mit anderen Worten: Konstruktionsgrammatisch gesehen ist eine vollständige ‚Grammatikalisierung‘ von sein, bleiben, scheinen, erscheinen, wirken, aussehen, werden, gehören, bekommen, erhalten, kriegen, behalten und schließlich haben in nonagentiven Konstruktionen im Sinne des vollständigen Abbaus der lexikalischen Bedeutung dieser Konstruktionen nicht nur unwahrscheinlich, sondern gänzlich unmöglich, wenn Sprachbenutzer im Gebrauch nicht auf die je spezifische Perspektivierungsleistung der realisierten Konstruktion der ASKRIPTION, KOMMUTATION oder AKZEPTATION verzichten bzw. andere Verben hinzuziehen, um die jeweilige Perspektive kommunikativ zu realisieren. Freilich interagieren einige Verben besser mit nonagentiven Konstruktionen als andere. So ist etwa bei erhalten zu beobachten, dass dies im Sprachgebrauch als Filler der Konstruktion der AKZEPTATION zunehmend marginalisiert wird (vgl. dazu Kap. 9.1.3). Andererseits ist zu erwarten, dass in Zukunft weitere und andere Verben in nonagentive Konstruktionen eingebettet werden können und sich so ihre Bedeutung möglicherweise verändert, erweitert oder ein Bedeutungsaspekt besonders hervorgehoben wird (es sind eben auch Konstruktionen) – das bezeichneten wir mit Hilpert 2011 als „Konstruktionswandel“. Grammatikalisierung schließt also auch den Erwerb neuer Gebrauchsvarianten ein, die konstruktionsgrammatisch gut zu erfassen sind. Beispiele hierfür sind die Konstruktionen mit gehören und letztlich auch die Konstruktionen mit bekommen/kriegen, die im Gebrauch und

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durch den Gebrauch dazu beitragen, die Konstruktion der AKZEPTATION nicht nur zu etablieren, sondern zu verfestigen. Andere, gern zitierte Beispiele für die Eröffnung neuer Gebrauchskontexte und im Beispiel der Ererbung prädikativer Adjektiveigenschaften und später attributiver Eigenschaften durch eine Präposition ist in unserem Kontext: die Tür ist zu und die zue Tür: [64]

ZEIT / Die Zeit, 04.10.1968 / „Ein Prosastück beginnt: ‚Hinter der zuen Tür wohnt Leibniz ...‘ Etwas weiter: ‚Auch den Optimismus habe ich ihm durch die zue Tür mit Klopfzeichen eingeblasen.‘ Nein, es tut mir leid, ich möchte mich mit einer ‚zuen‘ Tür doch nicht abfinden.“ Soweit ReichRanicki.

An ein zweites Thema soll hier zusammenführend noch einmal erinnert werden. Mit dem Postulat der nonagentiven Konstruktionen als eigenständigen Formaten geht auch einher, dass man die Partizipantenrollen der in sie eingebetteten Verben in diesen Konstruktionen beschreibt. Das heißt faktisch, dass Überlegungen zur ‚Konversion‘ von Valenzmerkmalen aus dem ‚Aktiv‘ ins ‚Passiv‘ (vgl. dazu oben ausführlich Kap. 4.1) der Auffassung von Konstruktionen als eigenständigen Formaten nicht adäquat sind. Erinnert sei in diesem Zusammenhang exemplarisch an Eisenbergs „Valenzminderung“ (Eisenberg 2006 II: 127) im werden-Passiv in Anlehnung an Ágel 1997 und die Diskussion zwischen Abraham 2015 und Welke 2015. Welke 2015 warf Abraham vor, wieder ‚Valenzreduktionsdiathesen‘ vorzutragen (Welke 2015: 102), argumentierte dann aber selbst für „Mikrokonstruktionen in einer grundsätzlich anderen Makrokonstruktion (einem anderen Konstruktionstyp)“ (Welke 2015: 105), die sich beim werden-Passiv u.a. auf die Valenz des Verbs in einer agentiven Konstruktion rückbezögen (vgl. oben Kap. 4.2.3).

5.2.3 Zur (semantischen) Rolle der eingebetteten Konstruktionen Beschreibt man Konstruktionen, dann sollten nicht nur diese mit satzwertigem Status auf Ebene der Periphrase in den Blick genommen werden, sondern auch jene Konstruktionen unterhalb dieser syntaktischen Ebene, die ebenfalls ihren Beitrag zur kommunikativen Perspektivierung leisten, da ihnen eine spezifische kognitive Perspektivität eignet. In besonderem Maße ist über die Eigenschaften zu reflektieren, die z.B. Perfektpartizipien oder Adjektive als Konstruktionen und wichtigste Ressource zur kognitiven und kommunikativen Perspektivität

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nonagentiver Konstruktionen beisteuern. Welche Bedingungen müssen hierfür gelten?

5.2.3.1 Objekte (AOB, EOB, SOB), Patiens (PAT) & Benefaktiv (BEN) Zur Besonderheit des konstruktionsgrammatischen Ansatzes gehört, dass mit dem Gegenstand komplexerer Konstruktionen auch die Wechselbeziehungen zwischen Konstruktionen niederer Ebene in den Blick geraten, wobei nicht ein Regelmodell alle Beziehungen erklären muss, sondern die Wechselwirkungen und Beziehungen, Restriktionen und Entwicklungen aus dem Sprachgebrauch rekonstruiert werden und hinsichtlich allgemeinerer und besonderer Beobachtungen beschrieben werden. Für nonagentive Perspektivierungen gelte, so wurde eingangs theoretisch erarbeitet, dass in ihnen keine Träger einer Handlung fokussiert werden (vgl. Kap. 5.1.2 und 5.2.1.1): Für die sprachlichen Einheiten und Konstruktionen, die in die Subjektposition satzwertiger Ausdrücke rücken, bedeutet dies, dass sie nicht als Agens konzeptualisiert sind. Das sind üblicherweise Objekte (AOB, EOB oder SOB), Patiens (PAT) oder Benefaktiv (BEN) – stets muss betont werden, dass diese semantischen Rollen sehr nahe beieinander stehen. Wir möchten uns hier an von Polenz (2008) orientieren, dessen semantische Rollen wir in überschaubarem Rahmen erweitert haben (vgl. dazu oben Kap. 3.1.3). Das hat auch forschungspraktische Gründe, denn man sollte nicht der Versuchung erliegen, eine „‘maximal explizite Paraphrase‘ einer Satzbedeutung“ erarbeiten zu wollen, so Busse (2012: 735) schon mit Bezug auf von Polenz im Kontext der Framesemantik. Mit dem offenen Set an Frames, Frame-Relationen und Frame-Elementen besteht nämlich die Gefahr, den „Auflösungsgrad (‚Granularität‘)“ (Busse 2012: 734 nach Fillmore und Klein) so zu wählen, dass eine forschungspraktische Bewältigung und adäquate Beschreibung des gewählten Gegenstands oder seine Systematisierung zum Problem werden kann. Damit soll die Framesemantik also nicht gegen den hier gewählten Zugriff über von Polenz, der mit seiner „Inhaltsgrammatik“ in Bezug auf Fillmore eine Variante dessen entwarf, was man heute Framesemantik nennt, ausgespielt werden – wie eingangs skizziert, werden im Moment verschiedene konstruktionsgrammatische Modelle im Hinblick auf das Konstruktikon entwickelt und fruchtbar (vgl. oben Kap. 2 und besonders 2.2). Wie mittlerweile auch deutlich geworden sein sollte, lassen sich der hier gewählte Zugang zu Konstruktionen und framesemantische Zugriffe, da beide von der Bedeutungsseite von Konstruktionen her argumentieren, aufeinander beziehen. Mit dem Hinweis auf das Problem der ‚maximalen Periphrase‘ ist hier jedoch nicht die Kritik aufgerufen,

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mit der dem prototypisch organisierten Set von semantischen Rollen von Polenzʼ teilweise begegnet wurde (vgl. etwa Eroms 2000: 181f.). Im Mittelpunkt der Überlegungen zu nonagentiven Konstruktionen stehen das spezifizierte Objekt (SOB), das affizierte Objekt (AOB) und das effizierte Objekt (EOB), die je prototypisch eine fokussierte Argumentrolle in der Konstruktion der ASKRIPTION, der KOMMUTATION und der AKZEPTATION repräsentieren (vgl. Kap. 5.2.1): Um die Konstruktionen mit der nötigen Genauigkeit einerseits, aber andererseits größtmöglichen Offenheit zu modellieren, verwenden wir die Rollen der Objekte. Mit der Einführung des spezifizierten Objektes (SOB) als „Person oder Sache, die durch eine Eigenschaftszuweisung (z.B. mittels eines QUAL) eine Spezifizierung erfährt“ (vgl. oben Kap. 3.1.4), folgen wir dieser Verteilung von Argumentstrukturrollen auf Ebene der Konstruktion konsequent. Patiens (PAT) und Benefaktiv (BEN) fassen wir als Subtypen von Objekten (AOB bzw. EOB) auf, wobei der Benefaktiv (BEN) als ‚Geschädigter oder Nutznießer einer Handlung oder eines Vorgangs‘ zugleich als eine Sonderform des Patiens (PAT) gilt. Er präzisiert die Rolle des Patiens nämlich noch insofern, als er einen durch Qualitativ (QUAL) und Additiv (ADD) bzw. Privativ (PRIV) (5.2.3.3) näher charakterisierten Zustandswechsel, also Vorgang, akzeptiert. Ob der Wechsel aus Sicht des BEN als positiv, neutral oder negativ zu bewerten sei, ist strukturell von der Konstruktion her gesehen eine Variante der kommunikativen Perspektivierung in der Realisierung.

5.2.3.2 Qualitativ (QUAL) Die Frage bisheriger Untersuchungen zu komplexen syntaktischen Konstruktionen spart die Frage nach der Art des Qualitativs weitestgehend aus. Das ist umso bemerkenswerter, da aufgrund konstruktionaler Eigenschaften – graduell zwischen formaler und Bedeutungsseite – dieser Qualitative sich Restriktionen für die Perspektivierung ergeben können. Eine Reihe von Konstruktionen, die wir hier zu analysieren haben, sind z.B. nur dann als nonagentiv zu charakterisieren, wenn eine bestimmte Art von Qualitativ nicht gemeinsam mit einem spezifischen Verb in die Konstruktion eingebettet wird – hier hängen Lesarten von den Qualitativen ab (vgl. dazu etwa wirken in Kap. 7.3.2 und 10.2.3). Andere Konstruktionen legen die in sie eingebetteten Verben auf ein Set von Qualitativen fest; die Verben wiederum müssen hinsichtlich ihrer Partizipantenrollen den Vorgaben der Konstruktion entsprechen. Das betrifft die Konstruktionen der KOMMUTATION und der AKZEPTATION gleichermaßen; die Konstruktion der ASKRIPTION ist nicht von Einschränkungen betroffen. Im Zusammenhang der ‚Auxiliarität‘ der Verben (vgl. oben Kap. 5.1.3) heißt das: Verben, die wir in

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der Analyse beschreiben werden, erfüllen aufgrund gemeinsamer Perspektivierungsleistungen, die sie mit der Konstruktion teilen, die notwendigen Bedingungen, um überhaupt in die Konstruktion eingebettet werden zu können. Ihr semantisches Potential aktualisiert zum einen die Konstruktionsbedeutung. Zum anderen fordern sie Qualitative, die sowohl als Partizipanten dem Verb als auch als Argumente der Perspektivierung der Konstruktion genügen müssen. Diese Abhängigkeit von Konstruktionen auf unterschiedlichen Komplexitätsniveaus (Kollokation und Kollostruktion) lässt sich nicht mehr über den Valenzbegriff des Verbs allein beschreiben, dafür ist der Konstruktionsbegriff adäquat. In dieser Studie werden die Verben sein, bleiben, scheinen, erscheinen, wirken, aussehen, werden, gehören, bekommen, erhalten, kriegen, behalten und haben in Konstruktionen der ASKRIPTION, KOMMUTATION und AKZEPTATION berücksichtigt. Als Qualitative werden untersucht deverbale Adjektive aus Präsensund Perfektpartizipien, Adjektive, bar-Adjektive, modale Infinitive und Progressive. Diese Qualitative sind wie die untersuchten Verben als Konstruktionen aufzufassen, die ihre eigene konstruktionale Bedeutung (neben der lexikalischen) als Adjektiv, als Perfektpartizip, als Progressiv usw. in die nonagentive Konstruktion einbringen. Aufgabe und zugleich notwendige Bedingung, um in nonagentive Konstruktionen mit einer spezifischen Perspektivierung eingebettet werden zu können, ist, dass sie ‚zur Aufgabe der Konstruktion beitragen müssen‘ (vgl. Welke 2007: 134 zum sein-Passiv als Kopulakonstruktion). Ihnen eignet als Form-Bedeutungspaaren eine konventionalisierte Verbindung formaler Merkmale und einer Bedeutungsseite, die gemeinsam Ausdruck einer spezifischen kognitiven Perspektivität sind. Im Kontext der Analyse nonagentiver Konstruktionen müssen Qualitative (wie Verben) als Konstruktionen eigenen Formats unterbestimmt bleiben, da sich bisher keine Studie ausführlich mit der systematischen Beschreibung der Konstruktion Verb (hier können wir aber auf von Polenz [2008] zurückgreifen), dem Adjektiv (und bar-Adjektiv), den deverbalen Adjektiven aus Partizipien oder Progressiven auseinandersetzte. Allein in Bezug auf den modalen Infinitiv sieht die Forschungslage erfreulicher aus (vgl. Stefanowitsch 2009). Wir werden hier – vorläufig – auf den bisher reflektierten Forschungsstand zurückgreifen und diesen konstruktionsgrammatisch motivieren.

5.2.3.2.1 (Deverbale Adjektive aus) Partizipien Während also finite Verben Tempus, nicht aber Aspekt morphologisch kodieren, sind Partizipien – so unsere These – tempuslose, jedoch aspektmarkierte infinite Formen. (Lübbe & Rapp 2011: 266)

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Konstruktionsgrammatisch müssten Lübbe & Rapp noch weitergeführt werden. Es ist nicht eine morphologische Eigenschaft finiter Verben, die auf die Kategorie Tempus schließen lässt, sondern es sind Tempuskonstruktionen auf morphosyntaktischer Ebene, die Tempus formal markieren. Da die formale Markierung konventionell gesichert ist und konstruktionalen Status aufweist, kann auf der Bedeutungsseite auf die kognitive Perspektivität eines Verhältnisses von Topik-, Ereignis- und Sprechzeit auf der Basis kommunikativer Perspektivität der Konstruktionsrealisierung geschlossen werden (vgl. das Beispiel [41] oben hier in Abwandlung): [65]

Eine Absichtserklärung wurde (gestern) unterzeichnet. (KOMMUTATION)

Partizipien hingegen, die in ein adjektivisches Flexionssystem eingepasst sind, genügen morphosyntaktisch anderen Bedingungen. Auch ihnen eignet als Form-Bedeutungspaaren eine konventionalisierte Verbindung formaler Merkmale und einer Bedeutungsseite, die Ausdruck einer spezifischen kognitiven Perspektivität sind. Werden sie in Konstruktionen höherer Ebene wie Periphrasen eingebettet, steuern sie die ihnen eigene ‚aspektuelle aber tempuslose‘ Perspektivität kommunikativ der Aktualisierung der Konstruktionsbedeutung in der Realisierung bei. Hierin unterscheiden sie sich nicht von anderen Konstruktionen (wie etwa den morphologischen Konstruktionen, die Tempus markieren); allerdings ist ihre Perspektivität anders aufzufassen, nämlich, wie Lübbe & Rapp formulieren, als aspektmarkierte: Das Partizip I besitzt imperfektiven Aspekt, d.h. das Ereignis wird als im Verlauf befindlich beschrieben. Das Partizip II besitzt perfektiven Aspekt; dies bedeutet, dass telische Ereignisse innerhalb der betrachteten Zeit als Ganzes enthalten sind, atelische dagegen nicht notwendigerweise. (Lübbe & Rapp 2011: 272)

Das ist nicht neu. Es kann, so Kotin (2000: 322), als „gewisse opinio communis“ gelten, dass das Partizip II von seiner ursprünglichen Beschaffenheit her aktional markiert [ist] – es enthält die Bedeutung der Abgeschlossenheit/Perfektivität […] und steht in aktionaler Hinsicht vor allem dem Partizip I gegenüber. (Kotin 2000: 322)

Dabei erbt es als Konstruktion nicht nur die lexikalischen Eigenschaften eines Verbs, sondern trägt als Perfektpartizip eigene Bedeutung, zu denen auch die eines Adjektivs gehören, wenn es als solches von Sprachbenutzern verwendet wird (vgl. dazu auch oben in Kap. 4.2.1 diskutiert Welke 2007):

Struktur nonagentiver Konstruktionen | 137

Das genuine Charakteristikum der Partizipien ist deren Ambiguität bezüglich verbaler und adjektivischer Kennzeichen – als Verbalableitungen führen sie die den Verben eigene Handlungs- und Vorgangssemantik, und als Verbaladjektiva vereinigen sie diese stets mit der für sonstige Adjektive typischen Semantik eines dem jeweiligen Nomen zugeordneten Merkmals. (Kotin 2000: 321).

Und ergänzend Abraham (2000: 141) zur „Bedeutung“ des Perfektpartizips: Mit anderen Worten: das 2. Partizip denotiert nichts als Zustandhaftigkeit: es denotiert kein Perfekt und im besonderen kein Passiv. Beide der letzteren Bedeutungen ergeben sich allerdings implikativ. (Abraham 2000: 152)

Denn: Kern der Generalisierung ist der sog. „Perfektevidenzeffekt“ – d.h. die Tatsache, daß jedes 2. Partizip im Deutschen ([…]) die Ereigniskomponente des Zustandes denotiert und dazu eine vorangehende, dazu führende Ereignisphase impliziert – dies gleichgültig, ob das zugrundeliegende Verb perfektiv oder imperfektiv ist. (Abraham 2000: 141)

Auch Maienborn diskutiert das Perfektpartizip aus semantischer Perspektive und hebt die Nähe zu Adjektiven heraus, mit dem Ziel, die wesentliche Frage […] nach dem adjektivischen oder verbalen Charakter des beteiligten Partizips [zu klären]. Lassen die sprachlichen Daten eine eindeutige Entscheidung zu? Falls ja, gibt es Unterschiede zwischen Zustandspassiv und sein-Perfekt? Oder offenbart sich der „Mittelwort“-Charakter des Partizips II gerade in einem fließenden Übergang zwischen Verb und Adjektiv? (Maienborn 2007: 86f.).

Die von ihr in der weiteren Diskussion vertretenen Lesartenunterschiede des sein-Passivs bezieht – wie schon thematisiert (vgl. Kap. 4.2.1) – Welke 2007 auf die Bedeutung des Perfektpartizips (so auch bereits besonders ausführlich 2005b: 194–212): Wir haben es also mit drei möglichen Bedeutungsvarianten von Partizipien II zu tun: Nachzustand, Gegenwärtiger Zustand/Vorgang, Vergangenheit (eines Vorgangs/Zustands). Charakterisierung [so noch Maienborn 2007] ist eine Zusammenfassung der beiden ersteren. (Welke 2007: 126)

Die verschiedenen Bedeutungsalternativen, die Welke dem Perfektpartizip zuweist, dienen auch dazu, die valenzgrammatisch-projektionistische Auffassung der „passivischen Verbform“ (Welke 2015: 105), in der das Perfektpartizip mit werden eine „Mikrokonstruktion“ (im werden-Passiv) darstelle, die „in einer grundsätzlich anderen Makrokonstruktion (einem anderen Konstruktionstyp)“ zu denken sei (Welke 2015: 105), argumentativ zu stützen. Dass man Perfektpar-

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tizipien (wie alle Adjektive) als Konstruktionen nach semantischen Kriterien weiter differenzieren kann, die sich aus ihrem lexikalischen Potential ergeben, sei unbestritten. Allerdings markieren sie Perfektivität und damit eine Eigenschaft, die attributiv oder prädikativ in komplexeren Konstruktionen z.B. als Qualitativ ausgedrückt werden kann. Es sind deverbale Adjektive. Eisenberg (2006 II: 240) schlägt sie deshalb, einem funktionalen Ansatz verpflichtet, der sich an semantischen Potentialen sprachlicher Einheiten orientiert, den absoluten Adjektiven zu, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen (wenn z.B. prädikativer/attributiver Gebrauch nachgewiesen werden kann). Die Diskussion um die Zuordnung der Partizipien zählt dabei zu einem der Kernthemen der Grammatik: Mal werden sie als verbale Elemente aufgefasst, mal als adjektivische. Zahlreiche Tests stehen zur Verfügung, um sie entweder der einen oder der anderen Gruppe zuzuschlagen (sie sind aus der Forschung, wenn auch mit anderem Fokus, zusammengetragen bei Maienborn 2007: 87–96): – Sind sie prädikativ zu gebrauchen? – Sind sie attributiv zu gebrauchen? – Sind sie komparierbar? – Sind sie mit un- affigierbar? – Können sie mit der Partikel zu gradiert werden? – Können sie mit Adjektiven koordiniert werden? Zu ergänzen ist folgender Vorschlag, den wir weiter unten diskutieren werden: Werden sie mit geworden als Perfektpartizip von werden in die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden in analytischen Tempora der Vergangenheit eingebettet? (vgl. unten Kap. 8).

Wie andere Konstruktionen sind auch die des Partizips und die des Adjektivs prototypisch mit einem breiten Übergangsbereich organisiert. Durch die Annotation des Korpus (vgl. unten Kap. 6) wird es in der Untersuchung auch Fälle geben, in denen Perfektpartizipien als Teile von so genannten ‚Funktionsverbgefügen‘ in Erscheinung treten. Das sind komplexere Einheiten, die Konstruktionsstatus haben und streng genommen jedes für sich als Qualitativ zu erfassen wären. Damit soll der Unterschied in dieser Studie nicht nivelliert werden. Aber es ist ein methodisches Problem, Funktionsverbgefüge in maschinell lesbaren Korpora systematisch zu erschließen (vgl. unten Kap. 6). Wir gehen in der Studie dann auf ‚Funktionsverbgefüge‘ ein, wenn die Belegdaten in der Analyse eine Thematisierung notwendig machen (z.B. in Kap. 8.1).

Struktur nonagentiver Konstruktionen | 139

5.2.3.2.2 Adjektive Die Konstruktion im Ganzen gibt vor, ob eine nonagentive Perspektivierung vorliegt oder nicht – das Adjektiv als Qualitativ muss sich, wie das Partizip, hier einpassen. [66]

Der Weg ist steinig. (ASKRIPTION)

Ob das in einer Realisierung verwendete Adjektiv attributiv zu der konkreten NP, die als SOB eingebettet ist, gebraucht werden kann, also dieser als Eigenschaft zugewiesen werden kann, ist entscheidend. Die Konstruktion Adjektiv ist ebenso prototypisch wie andere Konstruktionen organisiert. Um Adjektive als Adjektive einzustufen, wird in der Regel eine Reihe von Tests (vgl. oben) vorgeschlagen. Semantisch unterscheidet man traditionell (vgl. DUDEN 2009: 339f.): – qualitative Adjektive (Eigenschaftszuweisung) – relationale Adjektive (Zuweisung einer Beziehung oder Zugehörigkeit) und – quantifizierende Adjektive (Zuweisung einer Quantität). Eisenberg (2006 II: 239–243) beschränkt sich zwar auf „die Kennzeichnung markanter Klassen“ und „Hinweise auf ihre strukturellen (morphosyntaktischen) Eigenschaften, soweit diese direkt auf die Semantik beziehbar sind“ (240), aber seine Differenzierung trägt weiter: – Absolute Adjektive. Sie „bezeichnen Eigenschaften im eigentlichen Sinne, d.h. ihre Extensionen sind Klassen von Objekten“. Und: „Ob das Ding die Eigenschaft tatsächlich hat, lässt sich prinzipiell ohne Schwierigkeiten entscheiden.“ (240) Mit anderen Worten: Sie sind ‚eingeschränkt gradierbar‘ (vgl. ebd.). Zu den absoluten Adjektiven zählt Eisenberg gemäß seinem funktionalen Ansatz z.B. Formadjektive (rund, eckig), Farbadjektive (rot, blau) und deverbale Adjektive aus Partizipien (als Bsp. nennt er nur Perfektpartizipien getauft, verheiratet). – Relative Adjektive. Sie implizieren nach Eisenberg einen Vergleich und haben „keine Extension im üblichen Sinne“: lang, hoch, dünn, groß usw. (240). – Qualitätsadjektive „ähneln in mancher Beziehung den relativen, haben aber auch Eigenschaften der absoluten“, sie etablieren „kontradiktorische[] Gegenteil[e] voneinander“ wie gesund und krank, schön und hässlich usw. (242). – Deverbale Adjektive auf -bar. Ableitungen lassen sich regelmäßig von transitiven Verben bilden (essbar, begehbar usw.). „Das Adjektiv bezeichnet eine

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– –

Eigenschaft als Disposition“, wobei das „Kernsubstantiv […] auf die vom Verbstamm bezeichnete Handlung bezogen“ wird (243). Desubstantivische Adjektive „bezeichnen Eigenschaften auf der Basis von Substantiven“ (243) wie steinig im Beispiel [62]. Deadverbale Adjektive (244).

Wir werden die semantische Klassifikation von Adjektiven an dieser Stelle aber nicht weiterverfolgen. Wie gesagt: Sie kann erste Anzeichen dafür liefern, wann und ob ein Adjektiv möglicherweise als Qualitativ einer spezifischen nonagentiven Konstruktion genutzt werden kann oder nicht. Prototypisch werden absolute Adjektive in nonagentiven Konstruktionen eingebettet.

5.2.3.2.3 Modale Infinitive Infinitive mit zu können in zwei Formen als Qualitative in nonagentive Konstruktionen eingebettet sein – formal sind der zu-Infinitiv sowie die Inkorporation von zu bei „trennbaren komplexen Verben (Partikelverben)“ zu unterscheiden; Doppelformen sind nachweisbar. In Konstruktionen eingebettet verhalten sie sich identisch: Die Konstruktion (ob aus zwei Einzelwörtern bestehend oder zusammengesetzt) darf nicht „durch andere Wörter […] getrennt werden“; bei Koordination mehrerer Infinitive ist zu (wir ergänzen: als Konstruktionsbestandteil) stets zu wiederholen (DUDEN 2009: 439). Die Infinitive steuern als Konstruktionen und Qualitative Bedeutungen bei, die nonagentive Konstruktionen der ASKRIPTION und der AKZEPTATION je unterschiedlich aktualisieren. Für die Konstruktionen der ASKRIPTION ist das Muster gut beschrieben: Die Fügungen sein+zu+Infinitiv versus bleiben+zu+Infinitiv sind passivische Konstruktionen, die Modalisierungen (müssen oder können) kompakt zum Ausdruck bringen. […] Die Subjektsnomina sind auf die Konstruktionstypen insofern abgestimmt, als bei bleiben eine Resultativbezeichnung zu erwarten ist und bei sein der Unterschied von müssen gegen können durch entsprechende Nomina vorgegeben ist. (Eroms 2000: 407)

Auch wenn wir aus konstruktionsgrammatischer Perspektive nicht von einer „Fügung“ sprechen werden, ist die Herleitung über Eroms hier zu zitieren. Denn die ‚Modalisierung‘, die Eroms anspricht, gibt einen Hinweis darauf, welche Bedeutung der eingebettete Infinitiv mit zu als Konstruktion aufweist. Eroms widmet dieser „modalisierten Passivform“, zu denen er auch das gehörenPassiv, die Konstruktionen mit bar-Adjektiven sowie „stehen/gehen+zu+Infinitiv“, „sich lassen+Infinitiv“ sowie „es gibt+Infinitiv“ rechnet (vgl. Eroms 2000: 405–411), etwas mehr Raum, um ihre Besonderheiten ausführlicher beschreiben

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zu können (ebd. 407–410). Die Lesartenunterschiede zwischen müssen und können führt Eroms an zwei Beispielen vor, die sich bezüglich adverbialer Modifikation voneinander unterscheiden (Eroms 2000: 407 mit Erklärung auf 408, Hervorhebung und Lesartenangabe von mir, A.L.): [67]

Die Aufgaben sind von den Schülern ohne weiteres zu lösen. (‚können‘)

[68]

Die Aufgaben sind bis Montag zu lösen. (‚müssen‘)

Mit anderen Worten: Auf konstruktionaler Ebene kann eine Lesartendifferenz nicht festgeschrieben sein. Auch mit Eisenberg gibt man die Bedeutung von Sätzen wie [67] und [68] analog an: ‚Es ist möglich/notwendig, die Aufgaben zu lösen‘ (vgl. Eisenberg 2006 II: 351). Den „modalen Infinitiv“ (der auch in der aktiven Form mit haben realisiert ist, begrifflich: Paraphrasen von Modalkonstruktionen mit Infinitiv und zu) zählt er zum „modalen Passiv“ (Eisenberg 2006 II: 131f., Zitat 132): Der modale Infinitiv mit sein kann von den meisten transitiven Verben gebildet werden und neben dem konvertierten Objekt auch eine von-Phrase enthalten […]. Die Bildungsmöglichkeiten mit bleiben […] sind in beiderlei Hinsicht beschränkt. Mit werden […] ist der modale Infinitiv ausgeschlossen.

Die Diskussion zu modalen Infinitiven können wir hinsichtlich des Konstruktionsstatus knapp halten – sie sind als Konstruktionen (d.h. als FormBedeutungspaare mit kompositioneller Bedeutung und/oder usuellem Gebrauch) bei Stefanowitsch (2009) beschrieben. Stefanowitsch orientiert sich an Eisenberg (den wir bereits in einer aktuelleren Auflage zitierten), was die Bedeutungsangabe des modalen Infinitivs betrifft – die Formen tragen demnach Bedeutungen, die „grob denen der Modalverben müssen/sollen oder können/ wollen entsprechen“ (Stefanowitsch 2009: 571), wobei zwischen „obligativen“ (müssen/sollen) und „situativen“ (können/wollen) zu unterscheiden sei (Stefanowitsch 2009: 572). Stefanowitsch konzentriert sich auf die „obligative“ Lesart, deren Bedeutung er angibt mit „nicht-verhandelbare Notwendigkeit“ (Stefanowitsch 2009: 586 u.ö.). In einer Kollostruktionsanalyse ermittelt er Kollexeme, die mit sein als modaler Infinitiv auftreten und macht zwei Verbklassen aus, die signifikant häufig auftreten, nämlich Verben der Wahrnehmung (Unterbedeutung: ‚einzig richtige Interpretation‘; vgl. Stefanowitsch 2009: 585) und Verben, mit denen eine „Umsetzung von Vorgaben, z.B. im BEHÖRDEN-Frame“ (ebd.), ausgedrückt wird.

142 | Nonagentive Konstruktionen als Hypothese

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die allgemeine, in verschiedenen Sprachen zu findende Bedeutung der modalen Infinitive („Obligation“ und „Situation“) sich zwar kompositionell aus der Bedeutung ihrer Teile ableiten lässt, dass dies aber nicht für ihre genaueren, sprachspezifischen Bedeutungen (z. B. die hier diskutierte Bedeutung „alternativlose Notwendigkeit“) gilt. (Stefanowitsch 2009: 588)

Stefanowitsch weist in seiner Studie nach, dass haben und sein zwar gemeinsam mit modalen Infinitiven auftreten, dies aber je mit unterschiedlichen Kollexemen tun, die im Fall von „sein+Infinitiv eher passive Handlungen beschreiben“ (Stefanowitsch 2009: 587), so dass sich für diese verfestigten Muster auch Unterbedeutungen manifestieren, die Hinweis auf den Konstruktionsstatus sind. Dieses Ergebnis greifen wir hier auf und werden den modalen Infinitiv auch im Kontext von bleiben, scheinen, erscheinen, bekommen und kriegen analysieren. Ausgangspunkt sind hier jeweils die Grundbedeutungen (‚Obligation‘: ‚alternativlose Notwendigkeit‘ und ‚Situation‘: ‚Option‘), die allerdings – erwartbar aber nicht vorhersehbar – im Kontext der Konstruktionen der ASKRIPTION und AKZEPTATION mit je unterschiedlichen eingebetteten Verben andere ‚Unterbedeutungen‘ und damit Lesarten etablieren helfen (vgl. die jeweiligen Einzelkapitel und zusammenführend das Kap. 10.1.1). Traditionell wird, wie gesehen, der modale Infinitiv in unserem Kontext bei sein und bleiben beschrieben (vgl. dazu Eisenberg II 2006: 132). Lenz weist 2013 auf modale Infinitive im Muster „bekommen + zu(m)-Inf. (+NPAKK)“ hin, Leirbukt (1997) verzeichnet diese noch nicht. Lenz gibt deren Lesart als „modal“ an und paraphrasiert: „(mit NP) etwas tun können oder müssen“ (Lenz 2013: 242). Fälle wie etwas zu hören bekommen und etwas zu fassen bekommen subsummiert sie unter diesen Typ – die Lesartendifferenzierung trifft dabei den Kern allerdings nicht ganz genau: Das heißt, dass der Subjektsreferent x entweder eine bestimmte Handlung ausführen muss (z.B. etwas zu hören bekommen ‚sich etwas anhören müssen‘) oder aber die Möglichkeit bekommt, eine Handlung auszuführen (z.B. etwas zu hören bekommen ‚sich etwas anhören können/dürfen‘). (Lenz 2013: 238)

Wie gesehen ist die Lesartendifferenzierung zwischen „Obligation“ und „Situation“ immer eine, die der Infinitiv mit zu offeriert. Aber die von Lenz ausgemachte Ambiguität ist nicht hier zu suchen, sondern darin, dass spezifische Filler der hier zu analysierenden Konstruktion gemeinsam mit anderen Elementen, die in komplexere Konstruktionen (z.B. einer NP im AKK) eingebettet sind, strukturelle und semantische Beziehungen aufweisen, die Indiz sind für verschiedene komplexere Konstruktionen, in die diese eingebettet sind (genau dies

Struktur nonagentiver Konstruktionen | 143

ermittelte Stefanowitsch mit der Kollostruktionsanalyse). Die beiden von Lenz angeführten Beispiele unterscheiden sich demnach voneinander: [69]

Er bekommt eine Gardinenpredigt zu hören.

[70]

Er bekommt das Seil zu fassen.

Entscheidend ist auch hier die unterschiedliche Perspektivierung: Während in [69] unserer Meinung nach eine nonagentive Konstruktion der AKZEPTATION vorliegt, in der der modale Infinitiv als „obligativ“ im obigen Sinne zu lesen ist, ist in [70] er als Agens in einer agentiven Konstruktion aufzufassen (‚Es gelingt ihm, das Seil zu fassen‘). Man kann also die Bedeutung für [69] angeben mit: ‚Er nimmt hin, dass er eine Gardinenpredigt hören muss‘ (‚Hinnahme eines VORGANGs durch ein BEN als Subtyp des EOB‘). Der modale Infinitiv kann im Hinblick auf die hier untersuchten Verben (Kap. 5.2.2) in Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein, bleiben und scheinen (Kap. 7) sowie in Konstruktionen der AKZEPTATION mit bekommen und kriegen (Kap. 9) eingebettet werden – in Letzteren unterliegt er wegen der vorgegebenen Konstruktionsbedeutung allerdings einigen Beschränkungen, die im Detail in der Untersuchung zu erörtern sind. Wegen der konstruktionsspezifischen Aktualisierungen, die sich durch die Einbettung modaler Infinitive ergeben, werden diese noch einmal gesondert thematisiert in Kap. 10.1.1.

5.2.3.2.4 Progressive Progressive gelten nach dem DUDEN (2009: 427) mit [[sein][am/beim (wobei im ebenso in Frage kommt)][substantiviertem Infinitiv]] als Verlaufsform, bei der „vorzugsweise“ „Tätigkeitsverben ohne Ergänzungen verwendet“ werden und die „in der gesprochenen Sprache weiter verbreitet als in der Standardsprache“ ist. In „systematischer Hinsicht schillert sie zwischen der Kategorie Verbalkomplex und der Kategorie Funktionsverbgefüge“ (ebd.). Die kaum vorhandene Forschungsdiskussion zum Progressiv fasst der DUDEN in einem Spiegelstrich zusammen: Bedauerlich ist, dass Krause (2002) nicht zitiert wird. Zugegeben, auch bei der systematischen Beleganalyse (Kap. 7ff.) wird sich der Befund bestätigen, dass der Progressiv hinsichtlich seiner Frequenz als absolut marginal einzustufen ist – Formen wie er ist am Leben zählen wir konsequent nicht. Es schiene uns zu weit hergeholt, hier einen substantivierten Infinitiv zu postulieren.

144 | Nonagentive Konstruktionen als Hypothese

Auch niederfrequente Qualitative wie der Progressiv sollen als Konstruktion beschrieben werden. Die Konstruktionsbedeutung für den Progressiv ließe sich für den oben angenommenen Normalfall angeben mit ‚andauernde Handlung, die einen aktuellen Zustand impliziert‘ (ich bin am Überlegen [DUDEN 2009: 427]). Doch: [K1776] 1908 / BE / Wassermann, Jakob, Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1908, S. 43 / Die Sonne war am Sinken, als Caspar erwachte und, sich aufrichtend, die Freunde der Reihe nach dankbar und etwas beschämt anblickte. [K1777] 1909 / BE / Walser, Robert, Jakob von Gunten, Berlin: B. Cassirer 1909, S. 106 / Mein Kopf, Jakob, ist am Sterben. (zur Verfügbarkeit der Belege aus dem Untersuchungskorpus zur Konstruktion der ASKRIPTION mit sein vgl. unten Kap. 7.1) Die Einbettung in eine nonagentive Konstruktion ist, wie an diesen beiden Beispielen aus dem Untersuchungskorpus zu sein deutlich wird, nicht dadurch ausgezeichnet, dass nur „Tätigkeitsverben“, sondern auch Vorgangsverben oder Zustandsverben den Progressiv bilden können (wie Krause 2002: 169ff. ebenfalls betont). Die Konstruktionsbedeutung ist dann: ‚andauernder Vorgang, der einen aktuellen Zustand impliziert‘. Die Ambiguität rührt zum einen von der Klasse des Verbs her, welches den Progressiv bildet, und zum anderen von der Einschätzung, ob in [K1776 und 1777] einem spezifizierten Objekt (SOB) eine Eigenschaft (QUAL) als ‚andauernder Vorgang, der einen aktuellen Zustand impliziert‘, zugewiesen wird, oder ob man Sonne und Kopf als Agens (AG) interpretiert. In beiden Fällen würden wir für erstere Interpretation plädieren. Progressive der hier knapp skizzierten Form werden als Filler nur in Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein, bleiben und scheinen eingebettet – die Realisierungen kann man aber buchstäblich an zwei Händen abzählen. [K1481] 1902 / BE / Brief von Wilhelm Busch an Nanda Keßler vom 26.12.1902, S. 5499 / Es machte sich schön, von der Stube aus, und da der Dauerbrenner beständig im Glühen blieb, hab ich den Schrecken ganz gut überstanden. (zur Verfügbarkeit des Belegs aus dem Untersuchungskorpus zur Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben vgl. unten Kap. 7.2) [K2464]1925 / ZE / Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe) 06.03.1925, 06.03.1925 / Diese Aeußerungen sind um so beachtenswerter, als in der letzten Zeit

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ernste Konflikte über die heiligen Stätten zwischen dem Vatikan und der Mandatsregierung im Werden schienen. (zur Verfügbarkeit des Belegs aus dem Untersuchungskorpus zur Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen vgl. unten Kap. 7.3.1.1) Nicht berücksichtigen werden wir in der Untersuchung NP als Qualitative (so genannte Gleichsetzungsnominative wären vor dem Hintergrund, dass man z.B. das sein-Passiv als Kopulakonstruktion fasst, erwartbar) und Infinitive. Gegen die NP als ‚Gleichsetzungsnominative‘ spricht prinzipiell nichts, alle Verben, die traditionell als ‚Kopula‘ betrachtet werden, können zusammen mit diesen in komplexere Konstruktionen eingebettet werden (sein, bleiben, werden). Erste Überlegungen zu ‚Gleichsetzungsnominativen‘ in Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein wurden in Lasch 2015b veröffentlicht – darauf sei an dieser Stelle verwiesen. Der Ausschluss der Infinitive als QUAL hat methodische Gründe, die in Kap. 6 zum Untersuchungsdesign dargelegt und konkret an Beispielmaterial zur Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben (Kap. 7.2) diskutiert werden.

5.2.3.3 Partitiv (PAR), Additiv (ADD) & Privativ (PRIV) & Possessiv (POS) Als Kasusrollen sind diese Typen [INSTR, LOC, ORIGO, DIR und TEMP, A.L.] unproblematisch. Unter Valenzgesichtspunkten bzw. bei der Entscheidung, wie sie syntaktisch zu bewerten sind, werfen sie Probleme auf. Wie die Beispiele erkennen lassen, sind sie nicht einfach als ‚obligatorisch‘ oder ‚frei‘ zu bewerten. Dies gilt auch für die letzten noch zu nennenden Rollen CAUS und INSTR sowie die von v. Polenz angesetzten Rollen PARTITIV, POSSESSIV, ADDITIV, PRIVATIV. (Eroms 2000: 182)

Zunächst verwundert diese Einschätzung von Eroms in Bezug auf das Modell, welches hier zur Grundlage der Beschreibung der Struktur von Konstruktionen herangezogen wird und besonders zu zwei Rollen, die in der Konstruktion der AKZEPTATION als Argumentrollen verankert sind (vgl. oben Kap. 5.2.1.4): Additiv (ADD) und Privativ (PRIV). Der Grund für die ablehnende Haltung ist mutmaßlich nicht vordergründig in der Grundlage eines valenzgrammatischen Ansatzes zu suchen, sondern u.a. darin, dass Eroms das Passiv als aus dem Aktiv konvertiert verstanden hat. [71]

Leo [AG] bäckt Henrike [BEN] einen Kuchen [AOB].

[72]

Henrike [BEN] bekommt (von Leo) [AG] einen Kuchen [ADD] gebacken [QUAL].

146 | Nonagentive Konstruktionen als Hypothese

Das Entscheidende ist, dass Eroms aus der rekonstruierten Realisierung einer agentiven Konstruktion [71] – so könnte man mutmaßen – für einen Kuchen in der Konstruktion der AKZEPTATION nicht die semantische Rolle eines Additivs (ADD) reserviert, sondern die eines Objektes (AOB) – ein Problem seiner engen Rollenauffassung, denn Additiv (ADD) und Privativ (PRIV) sind Subtypen des Partitivs (PAR) und auch des affizierten Objektes (AOB) (vgl. oben Kap. 3.1.4 und 3.2, zum Problem der Ausdifferenzierung semantischer Rollen genau Kap. 3.2.2). Weiter mag die Kritik darauf fußen, dass er nicht die Valenz von bekommen [72], sondern die von backen [71] vor Augen hat, wenn er die Rollenbelegung von [72] aus [71] entwirft. Betrachtet man [72] als eigenständige Konstruktion der AKZEPTATION, dann wird Henrike (BEN als Subtyp eines EOB) ein AOB, also genauer ein ADD, ‚hinzugefügt‘. Sie ist nach diesem Vorgang, im Konstruktionssinn gesprochen, Henrike mit einem von Leo gebackenen Kuchen, ob sie will oder nicht. Deutlicher wird das, wenn man nicht einen BEN (als Subtyp eines EOB) in die Konstruktion einbettet, sondern ein EOB: [73]

?Lewin [AG] malt der Schachtel [EOB] ein Männchen [AOB, Subtyp ist ADD] auf.

[74]

Die Schachtel [EOB] bekommt ein Männchen [ADD] aufgemalt [QUAL].

Die aus der Realisierung der Konstruktion der AKZEPTATION [74] rekonstruierte Realisierung einer agentiven Konstruktion [73] ist wohl ungrammatisch, [74] lässt sich nicht ‚konvertieren‘. Die Konstruktionen der AKZEPTATION als eigenständiges Format lassen sich ohne die Rollen Additiv (ADD) und Privativ (PRIV) als Subtypen des Partitivs (PAR) und affizierten Objektes (AOB) semantisch nicht adäquat beschreiben. Der Form nach sind sie prototypisch durch eine NP im Akkusativ realisiert. Für spezifische Konstruktionsrealisierungen (etwa nonagentive Konstruktionen mit haben) könnte man auch auf den Possessiv (POSS) zurückgreifen, der wie der Partitiv (PAR) in engem Verhältnis zu ADD und PRIV zu denken ist (vgl. oben Kap. 3.1.4).

5.3 Zusammenfassung Ausschlaggebend für das Postulat nonagentiver Konstruktionen ist die gemeinsame Perspektivierungsleistung (vgl. Kap. 5.1.1): Der Agens steht nicht im Fokus (vgl. Kap. 5.1.2). Nonagentive Konstruktionen werden als eigenständiges Format beschrieben, das eine konkrete Form und spezifische Bedeutung aufweist, die nicht kompositionell erschlossen werden kann. Neben der Betonung der spezi-

Zusammenfassung | 147

fischen Perspektivität ist für den konstruktionsgrammatischen Ansatz kennzeichnend, dass nicht vom Verb und seinen Partizipantenrollen aus sprachliche Phänomene beschrieben werden, sondern dass von der Perspektivierungsleistung der Konstruktion, in die ein Verb als Konstruktion niederer Ordnung eingebettet werden kann, ausgegangen und damit das ‚Konversen‘-Modell suspendiert wird. Das hat u.a. Konsequenzen für die Bewertung der in die Konstruktionen eingebetteten Verben, die nicht mehr hinsichtlich ihrer ‚Auxiliarität‘ gradiert werden (Kap. 5.1.3). Da nicht nur nonagentive Konstruktionen Perfektpartizipien als Qualitative fordern, sondern Perfektpartizipien auch analytische Tempuskonstruktionen markieren, ist dem Zusammenhang von nonagentiven Konstruktionen und Tempuskonstruktionen besondere Aufmerksamkeit zu widmen (Kap. 5.1.4). Andere Konstruktionen, wie reflexive Konstruktionen (Kap. 5.1.5) oder modale Konstruktionen (Kap. 5.1.4) sowie Konstruktionen der Negation waren als Desiderata identifiziert worden (Kap. 5.1.6). Mit den Konstruktionen der ASKRIPTION, der KOMMUTATION und der AKZEPTATION werden drei Formate sprachlichen Wissens vorgeschlagen, die als Typen nonagentiver Konstruktionen charakterisiert werden (vgl. vgl. 5.2.1) und drei zentrale Knoten im semantisch motivierten Konstruktikon bilden (vgl. Kap. 11): [75]

Die Sendung ist frankiert. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein und damit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: ASKRIPTIONV(=direkt)(SOBNPNOM,QUALADJ)

[76]

Die Sendung wird frankiert. Verben der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit werden und damit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: KOMMUTATIONV(=direkt)(AOBNPNOM,QUALADJ)

[77]

Der Gartenzaun bekommt einen neuen Anstrich verpasst. Verben der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit bekommen und damit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: AKZEPTATIONv(=direkt)(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUALADJ)

In sie werden unterschiedliche Verben eingebettet, die hinsichtlich ihrer Bedeutung in verschiedenen Relationen zur postulierten Konstruktionsbedeutung stehen. In der Studie werden sein, bleiben, scheinen, erscheinen, wirken, aussehen, werden, gehören, bekommen, erhalten, kriegen, behalten und haben untersucht (vgl. Kap. 5.2.2). Weitere semantische Rollen (AOB, EOB, SOB, PAT, BEN,

148 | Nonagentive Konstruktionen als Hypothese

QUAL, PAR, POSS, ADD, PRIV), die als Argumentstrukturrollen von den Konstruktionen lizensiert werden und mit Partizipantenrollen des Verbs fusionieren können (sofern das Verb diese Rollen projiziert), wurden vorläufig hinsichtlich ihrer Form und Semantik als Konstruktionen näher bestimmt (vgl. Kap. 5.2.3).

| Teil 4: Rekonstruktion nonagentiver Konstruktionen aus dem Sprachgebrauch

6 Untersuchungsdesign Das folgende Kapitel widmet sich der Frage, wie die Prämissen einer gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik eingelöst werden können, die die Rekonstruktion von Konstruktionen als aus dem Sprachgebrauch emergierenden Formen sprachlichen Wissens zum Gegenstand hat (vgl. Kap. 2). Dazu werden auf der Basis eines Anwendungsfalls die Möglichkeiten und Grenzen eines quantitativen Zugriffs illustriert. Das ist notwendig, um die Ergebnisse, die dann im Anschluss ab Kapitel 7 dargestellt werden, theoretisch und methodisch abzusichern und das Untersuchungsdesign dieser Studie, welches in diesem Kapitel ausführlich vorgestellt wird, zu plausibilisieren. Wichtiger noch ist, dass die Ausführungen das Ziel haben, die Ergebnisse anschlussfähig auch für andere Studien aufzubereiten, um so weitere Untersuchungen zu ermöglichen. Dazu gehört auch, dass alle Belege, die in dieser Studie untersucht werden, frei zugänglich gemacht werden (vgl. dazu die Verzeichnisse im Anschluss an die Arbeit).

6.1 Quantitative korpuslinguistische Untersuchung Ziel korpuslinguistischer Untersuchungen ist nicht, exhaustive Analysen des Sprachgebrauchs an einem möglichst umfassenden Korpus vorzulegen, sondern die typischerweise verwendeten sprachlichen Muster herauszuarbeiten und auf verschiedenen sprachlichen Ebenen zu beschreiben. In der Natur der Sache liegt (noch), dass dies vor allem an Sprachmaterial erfolgt, welches dem Medium der geschriebenen Sprache zuzuordnen ist (vgl. zur Relevanz quantitativer Zugänge zuletzt Gries 2013 und Stefanowitsch 2013). Im Fokus stehen meist lexikalische, morphologische und syntaktische Phänomene des Sprachgebrauchs. Korpusgestützte Arbeiten zur deutschen Gegenwartssprache können sich leider im Moment nur auf wenige frei zugängliche Korpora stützen, die außerdem nur in Ausnahmen Analysen zum Sprachgebrauch des 20. Jahrhunderts ermöglichen. Eines dieser Korpora ist das annotierte KERN-Korpus beim Digitalen Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS).1 Es umfasst insgesamt über 100 Millionen Wortformen, deckt die Sprachentwicklung des 20. Jahrhunderts (weitestgehend lückenlos) ab und ist geschichtet nach verschiedenen Kommunikationsbereichen: Neben belletristischen Texten (28,42%) wurden

|| 1 Das DWDS steht online zur Verfügung unter http://www.dwds.de/; Stand: 29.05.2015.

152 | Untersuchungsdesign

Zeitungstexte (27,36%), wissenschaftliche Veröffentlichungen (23,15%) und „Gebrauchsliteratur“ (21,05%) berücksichtigt.2 Die Schichtung ist über die Dekaden des 20. Jahrhunderts nicht gleichmäßig – nach Eigenangaben stellt sich die Verteilung nach den Kommunikationsdomänen mit der Anzahl laufender Textwörter wie in Abb. 18 dar:

Abb. 18: Die Schichtung des KERN-Korpus unter der Angabe laufender Textwörter. Quelle: http://www.dwds.de/ressourcen/kernkorpus/. Direktlink: https://goo.gl/kv1nVA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Innerhalb des Korpus gibt es einige Auffälligkeiten, die herauszuheben sind: Der Schwerpunkt der Belege liegt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, drei Dekaden fallen gegenüber dem Schnitt teils deutlich ab, die sich in den einzelnen Domänen noch deutlicher abzeichnen können. Dennoch wird – um dies einleitend vorwegzuschicken – das KERN-Korpus zum Arbeitskorpus dieser Studie. Die Wahl wird in den folgenden Ausführungen begründet. Sollten wir auf die chronologische Verteilung von Belegen zu sprechen kommen (Kap. 7– 11), ist die Schichtung des Korpus immer als relevanter Faktor hinzuzuziehen. Auch wenn eine exhaustive Analyse eines der großen maschinenlesbaren Korpora der Gegenwartssprache wie dem KERN-Korpus beim DWDS tendenziell nicht möglich ist, so bedeutet das nicht zugleich, dass man sich über die Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Analyse keine Gedanken machen sollte. Das gilt besonders, da die Zugriffe, die auf diese Korpora in den verschiedensten linguistischen Studien gewählt werden, so unterschiedlich sind, dass die vorgelegten Ergebnisse zwar ein konkretes Forschungsanliegen repräsentieren, aber wegen mangelnder Transparenz im Design Anschlussarbeiten eher erschweren denn ermöglichen. Außerdem dürfte weiter für viele gelten, dass sie sich auch aus forschungspraktischen Gründen mit Stichproben begnügen. Das entbindet sie jedoch nicht davon, Überlegungen darüber anzustellen, welche Ergebnisse

|| 2 Die Prozentangabe der Schichtung ist der detaillierten Beschreibung des KERN-Korpus entnommen. Diese steht unter http://www.dwds.de/ressourcen/kernkorpus/ zur Verfügung (Stand: 29.05.2015).

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man anhand welcher Stichproben mit einer bestimmten Art des Zugriffs überhaupt erfassen kann und welche nicht.3 Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist, dass es für detaillierte linguistische Untersuchungen im Moment noch keine zuverlässig annotierten Korpora der Gegenwartssprache gibt. Das weist nur zum Teil auf das grundsätzliche Problem der Annotation als Interpretationsergebnis hin. Zum anderen liegen die Schwierigkeiten darin begründet, dass erst durch eine Annotation überhaupt sichtbar wurde, dass sich große Korpora hinsichtlich der in ihnen repräsentierten sprachlichen Muster doch stärker voneinander unterscheiden, als man zunächst erwarten möchte. Es ist eben nicht so, dass man über die Menge sprachlicher Einheiten bzw. die schiere Größe und den Umfang von Sprachdatenkorpora zuverlässiger auf das schließen kann, welche sprachlichen Formen bspw. als typisch zu gelten haben. Was man heute weiß, ist, dass man lediglich erheben kann, welche sprachlichen Muster für einen bestimmten Ausschnitt aller Sprachgebrauchsformen bspw. typisch sind. Aus dieser Beobachtung resultieren auch Versuche, bspw. nach Textsorten geschichtete Korpora zu erstellen, um einen möglichst breiten Einblick in die Verschiedenheit des Gebrauchs sprachlicher Muster zu gewinnen. Was bei häufigen sprachlichen Mustern wie dem Gebrauch von Fragepronomina oder bestimmten Lexemen oder idiomatischen Wendungen noch zu belastbaren Ergebnissen führt, ist für grammatische Konstruktionen weit schwieriger, die im Vergleich dazu noch weit weniger frequent sind (vgl. dazu oben die Überlegungen zum Progressiv in Kap. 5.2.3.2). Das alles sind Gründe dafür, weshalb eine maschinelle Auswertung, wie eingangs an einem Beispiel illustriert werden soll, sehr schnell an ihre Grenzen stoßen kann. Das Beispiel wird zwei Dinge deutlich zeigen. Zum einen, dass die Anwendung statistischer Maße die Arbeit sicher vereinfacht hätte, aber diese aufgrund der Struktur der Korpora und Vergleichskorpora zu ungenau wären,

|| 3 Zu erinnern sei hier bspw. an Felfe 2012. Auch wenn er keine „exhaustive Erfassung okkasioneller PVK mit ‚an‘“ (9) anstrebt, ist sein Umgang mit den systematischen Korpora nur bedingt nachvollziehbar, da er sich vermutlich um ein Drittel der Belege in den DWDS-Korpora bringt. Die Daten gewinnt er nämlich mittels der Suchanfrage “$p=VVFIN #10 an with $p=PTKVZ“ (‚finites Vollverb, gefolgt von an [als Teil des „Präfixverbs“] im Wortabstand 10‘). Damit macht er ‚nur‘ Belege sichtbar im Aktiv der ‚Basistempora‘ Präsens und Präteritum; die finiten ‚Hilfsverben‘ (VAFIN) haben, sein und werden zur Bildung analytischer Tempuskonstruktionen werden damit nicht aufgerufen. Auch analytischen Modalkonstruktionen ggü. bleibt die Abfrage blind. Weiter werden mit dieser Suchanfrage nur satzwertige Ausdrücke mit Verbzweitstellung selegiert; PVK mit an in Nebensätzen werden nicht systematisch berücksichtigt.

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um Aussagen über die Entwicklung eines grammatischen Phänomens zu machen. Zum anderen wird gezeigt, wie man mittels differenzierter Zugriffe maschinenlesbare Korpora systematisch erschließen kann, um die Ergebnisse an anderen Korpora zu prüfen. Ziel der folgenden Überlegungen ist es damit, Auswertungsmethoden zu erarbeiten, die bei benennbaren Parametern Rückschlüsse und belastbare Aussagen über Verteilungen eines grammatischen Phänomens in Bezug auf verschiedene Variablen in einem Korpus erlauben. An einem ausgewählten grammatischen Phänomen soll die statistische Signifikanz einzelner Stichproben ermittelt werden. Zum einen wenden wir uns den eingangs gestellten Fragen zu. Zum anderen beleuchten wir damit u.a. die Perspektiven, die die Anwendung einfacherer Verfahren für unser Untersuchungsdesign bieten. Eine vollständige Prüfung aller Ergebnisse ist beim Zuschnitt des Untersuchungsdesigns ausgeschlossen und nicht zielführend. Deshalb werden die Qualitative, die zusammen mit einem Verb in einer bestimmten Konstruktion als Kollokate beobachtet wurden, herangezogen, um verlässliche Belegproben zu erstellen. Das ursprüngliche Design sah vor, diese Stichprobenanalysen für jedes in der Studie untersuchte Verb vorzulegen. Während der Bearbeitung wurde jedoch deutlich, dass eine exemplarische Analyse ausreicht, um die notwendigen Schlüsse für die Untersuchung anderer Belege zu ziehen. Um diese Untersuchung vorzubereiten, wurden die Qualitative auf der Basis (deverbaler) Adjektive, die als Kollokate und Qualitative des Verbs wirken auftreten und die in eine nonagentive Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken eingebettet werden können, im KERN-Korpus beim Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) ermittelt (vgl. dazu ausführlich Lasch 2014a). Berücksichtigt werden hier die Qualitative, die eine nonagentive Konstruktion der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung (vgl. Kap. 7) aufrufen. Nicht berücksichtigt werden damit als Qualitative bspw. Adjektive wie beispielhaft oder gut und Adjektive auf der Basis eines Präsenspartizips wie anstrengend (vgl. Lasch 2014a und vor allem Kap. 10.2.3). Weiter werden Belege ausgeklammert, die aufgrund der Korpuszusammensetzung in den Vergleichskorpora nicht zu erwarten sind (wie volksbiologisch oder rassenmäßig im KERN-Korpus). Der ausführlichen Analyse zum Verb wirken in der nonagentiven Konstruktion der ASKRIPTION (vgl. Kap. 7.3.2) greifen wir hier nicht vor, lediglich die Auswahl der hier untersuchten Qualitative soll mit dieser knappen Charakterisierung plausibilisiert sein. Diese vorgezogene exemplarische Studie ist methodisch notwendig, um stellvertretend und exemplarisch zu prüfen, ob und wie die Messung statistischer Signifikanz relevant werden kann für die Interpretation der zu erhebenden Daten für die Belegreihen mit anderen Verben.

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Die Signifikanzprofile werden errechnet mit folgenden Qualitativen, die im KERN-Korpus gemeinsam mit wirken auftreten und den oben kurz genannten und in Kap. 7.3.2 und Kap. 10.2.3 ausführlich ausgearbeiteten Restriktionen (vgl. dazu auch Lasch 2014a) genügen: abgedroschen, abgerissen, absurd, ähnlich, angenommen, angestrengt, ärgerlich, ästhetisch, aufgebaut, aufgezogen, ausgearbeitet, ausgeruht, ausgestorben, beliebig, bestimmt, betont, bewuss/ßt, beziehungsvoll, blutvoll, dahingesprochen, dargestellt, deplac/tz/ziert, deutlich, devot, dreizähnig, durchgedreht, düster, edel, eindeutig, eindringlich, eingeschüchtert, eitel, elastisch, energisch, entleert, episodisch, erleichtert, ernst, erträglich, exaltiert, exotisch, fest, festlich, flächig, flexibel, flott, formell, freundlich, fürchterlich, geckenhaft, gehemmt, gekünstelt, gemacht, gemütlich, genormt, gepflegt, geplant, gerecht, gerundet, geschlossen, geschmacklos, gestreckt, gezwungen, giftig, glaubhaft, gleichartig, gleichberechtigt, grenzenlos, groß, grotesk, günstig, harmonisch, heiter, hell, hergeholt, hilflos, höflich, hölzern, hübsch, ideologisch, individualistisch, interessant, intim, jugendlich, kalkuliert, kindisch, klar, klein, komisch, kondensiert, konstruiert, kontrastreich, kopienhaft, kraftlos, kritisch, lächerlich, lebendig, lebensvoll, lehrhaft, letal, liederlich, lustig, luxushaft, mächtig, manieriert, männlich, miesepetrig, miss/ßgelaunt, modern, mondän, monumental, nachlässig, nervös, nett, notwendig, offensichtlich, optimistisch, phantastisch, physisch, positiv, prohibitiv, prompt, qualitätenreich, rastlos, real, reibungslos, reichlich, relationsgetreu, rückschrittlich, schemenhaft, schlaff, schön, schwach, seltsam, sentimental, sinnlos, stillos, stimmungsvoll, sympathisch, tadellos, überladen, unangenehm, unbeholfen, unbequem, unbewusst, unfein, ungewöhnlich, ungezwungen, unglaubwürdig, ungünstig, unkörperlich, unkorrumpierbar, unkriegerisch, unnahbar, unnatürlich, unruhig, unschön, unsicher, unverständlich, verändert, verkrampft, vermittelt, verschleiert, verschluckt, verschroben, verspielt, versunken, verträumt, vieldeutig, vollkommen, vorgeführt, vornehm, weich, weit, widersprüchlich, willkürlich, wohnlich, zart, zauberhaft, zerfahren, zurechtgestutzt, zusammengehörig.

Mit diesen Qualitativen wird ein Signifikanzprofil erstellt. Ein Profil dieser Art erlaubt es, unterschiedliche Realisierungen einer Konstruktion, also bspw. der Witz wirkt abgedroschen und er wirkt ausgeruht, in verschiedenen Korpora direkt in Bezug auf den ermittelten Chi-Quadratwert sowie die Differenz zwischen beobachteten und erwarteten Werten zu vergleichen. Die Vergleichskorpora für die exemplarische Studie sind das der BERLINER ZEITUNG (252 Millionen Token) und das der ZEIT (106 Millionen Token). KERN- (100 Millionen Token) und ZEIT-Korpus werden dafür in Relation gesetzt zum Korpus der BERLINER ZEITUNG. Für die Vorstellung des Untersuchungsdesigns in diesem Kapitel wurde noch mit dem Retro-DWDS (http://retro.dwds.de, Stand: 29.05.2015) gearbeitet. Die eigentliche Untersuchung erfolgt auf der aktualisierten Oberfläche des DWDS (http://www.dwds.de, Stand: 16.09.2016), da dieses während der Entstehungszeit der Studie umgestellt wurde. Das hat auf die jeweiligen Ergebnisse keinen Einfluss, nur lassen sich die Daten hier und in den Kap. 7–10 nicht mit-

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einander in Beziehung setzen, da die Belegzahlen, die durch die detaillierten Suchabfragen, mit denen hier gearbeitet wird, teilweise stark voneinander abweichen (und das ZEIT-Korpus nach und nach erweitert wird).4 Eine Herausforderung bei der Interpretation der Daten wird sein, dass die Korpora der BERLINER ZEITUNG und ZEIT den Sprachgebrauch eines Printerzeugnisses zwischen Mitte der 1990er und Mitte der 2000er Jahre widerspiegeln (http://retro.dwds.de/textbasis, Stand: 29.05.2015 – da direktes Zitat, wird die Schreibung „Corpus“ übernommen): – ZEIT-Corpus: Das ZEIT-Corpus umfasst alle ZEIT-Ausgaben von 1996–2007, darüber hinaus 22 Ausgaben zwischen 1946 und 1988. Umfang: 106 Millionen Textwörter (tokens) in mehr als 200.000 Artikeln. Das ZEIT-Corpus wird täglich aktualisiert. – Corpus Berliner Zeitung: umfasst alle online erschienenen Artikel der Berliner Zeitung zwischen 3.1.1994 und 31.12.2005. Umfang: 252 Millionen Textwörter (tokens) in 869.000 Artikeln. Das KERN-Korpus hingegen ist erstens geschichtet und umfasst bei einer relativ niedrigen Tokenzahl eine große Zeitspanne, nämlich das ganze 20. Jahrhundert (http://retro.dwds.de/textbasis/kerncorpus, Stand: 29.05.2015). Das ist für das hier gewählte Untersuchungsdesign und die der Untersuchung zugrundeliegenden Hypothesen zwar ideal, für Signifikanztests allerdings ist zu erwarten, dass diese Heterogenität der Vergleichskorpora sich eher nachteilig auswirkt. In der Formulierung der Arbeitshypothesen und Alternativhypothesen für diese exemplarische Untersuchung ist dieser Umstand zu berücksichtigen. Ermittelt werden die Belege für die einzelnen Qualitative zunächst mit dem Suchstring near(wirken,abgedroschen,5) – gesucht wird also nach Belegen, in denen zwischen allen Formen von wirken und abgedroschen maximal 5 Wörter stehen. Die Reichweite des Suchstrings wird hier für diesen Untersuchungsschritt gewählt. In der Studie wird der Wortabstand auf 10 erhöht und die Suchstrings um den Parameter &&!\, bei Verbzweitstellung erweitert – das erlaubt,

|| 4 Das ZEIT-Korpus ist für die Plattformen http://retro.dwds.de und http://dwds.de je unterschiedlich dimensioniert. Nach persönlicher Auskunft von Kai Zimmer ([email protected]; 01.09.2015) ist der Umfang für das Korpus auf der älteren Plattform mit 106 Millionen Token wie auf der Website verzeichnet (http://retro.dwds.de/textbasis; Stand: 01.09.2015) anzugeben, während es für die aktuelle Plattform stetig erweitert wird. Im Moment umfasst das ZEITKorpus etwa 225 Millionen Token (http://dwds.de/ressourcen/korpora/; Stand: 01.09.2015). Dieser Wert wurde auch oben in Kap. 4.4 in der Schnellabfrage zum Bigramm dick zugefroren zu Grunde gelegt und für die Analyse der nonagentiven Konstruktionen mit gehören und haben (unten Kap. 10.2.1 und 10.2.2).

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das Komma als Satzzeichen aus der Abfrage auszuschließen. Drei Probleme treten bei Abfragen dieser Art auf: (1) Es kann nicht automatisch geprüft werden, ob jeder Beleg einer der hier beschriebenen Konstruktionen entspricht. Das ist aber – im Hinblick auf die Kollokationen – auch nicht notwendig, da diese Belege mit abgedeckt werden und bei einer angenommenen Normalverteilung zu erwarten ist, dass sich die Ergebnisse – eine entsprechend vorsichtige Interpretation vorausgesetzt – auch auf andere Korpora ähnlichen Umfangs übertragen lassen. Die Qualitative wurden außerdem als Filler für die Konstruktion der ASKRIPTION in einer Vorstudie (Lasch 2014a) geprüft. (2) Je nach Annotation des Korpus werden bspw. die Formen abgedroschen und angestrengt unterschiedlich bewertet und dementsprechend in den Belegen aufgerufen. Wird das erste als ADJ (Adjektiv) kategorisiert, so ist das zweite als VVPP (Partizip) annotiert. Deshalb ruft der Suchstring auch Formen auf, die wir gerade ausgeschlossen haben. Bei genauerem Hinsehen werden nicht nur die Formen, die wie angestrengt als Teil des verbalen Paradigmas (anstrengend, anstrengen, anzustrengen) annotiert sind, erfasst, sondern auch wie bei geplant sowohl verbale als auch nominale Formen, sowie bei groß neben adjektivischen auch nominale Formen oder schließlich auch attributiv gebrauchte Adjektive. Ein Ausschluss von spezifischen Formen aber wie etwa attributiv gebrauchter Adjektive (&& !$p=ADJA) oder Nomen (&& !$p=NN) scheidet aus, da man die Ausschlussregeln nicht genauer spezifizieren kann – es würden bspw. alle Belege, die ein attributiv gebrauchtes Adjektiv aufwiesen, ausgeschlossen, nicht nur jene, in denen groß als dieses gebraucht wird. Eine spezifischere Einschränkung durch Modifikation des Suchstrings bringt nur bedingt bessere Ergebnisse: Der Suchstring near(wirken,@abgedroschen,5) etwa ruft nicht wie erwartet in allen Vergleichskorpora genau die morphologische Form abgedroschen auf – das wäre ideal –, sondern weist etwa für das Korpus der BERLINER ZEITUNG unverständlicherweise überhaupt keinen Treffer aus. Deshalb nutzen wir die beiden Suchstrings und stellen die Ergebnisse nebeneinander, um die sich so ergebenden Signifikanzprofile zu interpretieren. In der ersten Übersicht werden Formen mit dem spezifischen Suchstring near(wirken,@abgedroschen,5) zusammengestellt. Das hat den Vorteil, dass nicht alle anderen Formen der verbalen und nominalen Paradigmen mitgezählt werden, dabei allerdings den Nachteil, dass offensichtliche Fehler nachträglich interpretiert werden müssen. Deshalb werden in einer zweiten Übersicht die Formen nach dem Suchstring near(wirken,abgedroschen,5) zusammengestellt, die allerdings nur zur Kontrolle problematischer Ergebnisse wie bei @abgedroschen hinzugezogen werden.

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Weiter ist (3) grundsätzlich damit zu rechnen, dass die Signifikanzprofile anzeigen, dass sich die Korpora überhaupt nicht ohne Weiteres vergleichen lassen. Die Analyse wird geleitet durch folgende Hypothesen und Alternativhypothesen: Hypothesen: 1.

2.

Da das KERN-Korpus geschichtet ist, also andere Textsorten umfasst, und einen anderen Zeitraum des Sprachgebrauchs als die Vergleichskorpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT abdeckt, ist zu erwarten, dass die Mehrheit der Belege hinsichtlich der untersuchten Variable in diesem Korpus mit hoher statistischer Signifikanz als nicht zufällig verteilt (= willkürlich) zu bewerten ist. Da die Korpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT Texte versammeln, die sowohl derselben funktionalen Varietät als auch demselben Belegzeitraum angehören, ist zu erwarten, dass das Auftreten der Mehrheit von Belegen hinsichtlich der untersuchten Variable in diesen Korpora im Vergleich als zufällig verteilt (=unwillkürlich) zu bewerten ist.

Alternativhypothesen: 1.

Die Schichtung und die zeitliche Dimension des KERN-Korpus führt zu keinem deutlichen Ansteigen statistischer Signifikanz der Mehrheit der Belege hinsichtlich der untersuchten Variable im Vergleich zu den Korpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT. Subthese 1.1. Die Schichtung und die zeitliche Dimension des KERN-Korpus führt zu keinem deutlichen Ansteigen statistischer Signifikanz der Mehrheit der Belege hinsichtlich der untersuchten Variable im Vergleich zum Korpus der BERLINER ZEITUNG. Subthese 1.2. Die Schichtung und die zeitliche Dimension des KERN-Korpus führt zu keinem deutlichen Ansteigen statistischer Signifikanz der Mehrheit der Belege hinsichtlich der untersuchten Variable im Vergleich zum Korpus der ZEIT.

2.

Die Ergebnisse der Untersuchung der Texte in den Korpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT lassen nicht den Schluss zu, dass es hinsichtlich der un-

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tersuchten Variable eine zufällige (= unwillkürliche) Verteilung der Mehrheit der Belege in Texten einer funktionalen Varietät gibt. Abb. 19 zeigt einen Auszug der insgesamt 180 Qualitative, die ausgewertet worden sind. Die Ergebnisse werden hier im Auszug vorgestellt: 20 dieser Qualitative sind aufgeführt und alphabetisch sortiert; dies zeigt die dunkle Unterlegung des Spaltentitels (QUAL) an. Die nächsten drei Spalten stehen für die absoluten Belegzahlen in den Korpora der BERLINER ZEITUNG (BZ1), des KERN-Korpus (KERN1) und der ZEIT (ZEIT1). Abgefragt wurden diese Belege mit der Routine near(wirken,@[QUAL],5), also z.B. near(wirken,@abgedroschen,5). Das zeigt der Spaltentitel _at_QUAL an. Wie bereits kurz thematisiert, ist diese Routine wesentlich restriktiver als die Routine near(wirken,[QUAL],5), deren Ergebnisse in den nächsten drei Spalten aufgeführt sind.

Abb. 19: Auszug aus der Übersicht über die Belegzahlen; alphabetische Sortierung der Qualitative. Direktlink: https://goo.gl/Ve8bnc; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Wie stark die Ergebnisse von der Suchabfrage abhängen und wie groß die Unterschiede der ermittelten Belegzahlen sind, schließt die Differenz in den letzten drei Spalten auf. Anhand weiterer Abbildungen werden wir auf dieses Problem

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genauer eingehen – sie geben, sortiert nach den Differenzen der Belegzahlen je nach unterschiedlicher Suchabfrage, einen Überblick über die Ergebnisse. In Abb. 20 sind die ersten 20 Qualitative aufgeführt und sortiert nach der Differenz der Belegzahlen im Korpus der BERLINER ZEITUNG. Abgesehen davon, dass offensichtlich ein großer Teil der Belege nicht gezählt wird bzw. die abgefragten Adjektive in anderen Formen im Korpus vorkommen, ist es so, dass auch die mit der genaueren Abfrage ermittelten Belege nicht mehr gezählt werden. Diese Fälle sind in Spalte 5 noch einmal gesondert markiert.

Abb. 20: Auszug aus der Übersicht über die Belegzahlen; Sortierung nach der ermittelten Differenz der Belegzahlen je nach Suchstring im Korpus BERLINER ZEITUNG. Direktlink: https://goo.gl/CT3ZW3; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Qualitative wie groß, lächerlich, nervös, schön, hölzern, unglaubwürdig und gemütlich werden in der genauen Abfrage (@groß) nicht gezählt, obwohl die Verteilung der Belegzahlen mit weiter greifender Abfrage (groß) Belege erwartbar macht. Eine stichprobenartige Prüfung ergab, dass die Annotation des Korpus der BERLINER ZEITUNG dafür verantwortlich ist, dass auch relevante Belege nicht erfasst werden. Dies gilt nicht für das KERN-Korpus und das Korpus der ZEIT im selben Maße, wie die nächsten kürzeren Auszüge illustrieren sollen.

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Abb. 21: Auszug aus der Übersicht über die Belegzahlen; Sortierung nach der ermittelten Differenz der Belegzahlen je nach Suchstring im KERN-Korpus. Direktlink: https://goo.gl/7L3eXu; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 22: Auszug aus der Übersicht über die Belegzahlen; Sortierung nach der ermittelten Differenz der Belegzahlen je nach Suchstring im Korpus ZEIT. Direktlink: https://goo.gl/zNfYsU; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Aus den Abbildungen 21 und 22 wird durch einfache Summenbildung deutlich, dass die Unterschiede der Belegzahlen zwischen genauer und weiter greifender Abfrage im KERN-Korpus und dem der ZEIT ebenfalls beträchtlich sind. Anders als im Korpus der BERLINER ZEITUNG fallen jedoch nicht ganze Belegreihen, wahrscheinlich bedingt durch die Annotation, durchs Raster. Für eine Überprüfung statistischer Signifikanz ist diese Ausgangslage denkbar ungünstig, positiv hervorzuheben ist jedoch, dass das hier gesuchte grammatische Phänomen unabhängig von der Art der Anfrage in allen Korpora durchgängig beobachtbar ist. Bezüglich der Hypothesen ist allerdings festzustellen, dass sich die Korpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT bereits anhand der Zählung absoluter Belegzahlen stark voneinander unterscheiden – die Belegzahlen für die ZEIT sind deutlich höher, obwohl das Korpus der BERLINER

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ZEITUNG mehr als das Doppelte an Umfang aufweist. Die Hypothese 2, dass sich die Texte der Korpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT wegen der Zugehörigkeit zur selben funktionalen Varietät und wegen der Veröffentlichung in einem vergleichbaren Zeitraum statistisch ähneln in Bezug auf die Untersuchungsvariable, wird sich angesichts der Belegzahlen nicht bestätigen, wenn man annimmt, dass sich die Annotationen der beiden Korpora voneinander unterscheiden. Das heißt nach diesem Untersuchungsschritt auch, dass die Hypothese 1 wohl nicht bestätigt werden wird. Stattdessen wird sich die Alternativhypothese 2, dass die Ergebnisse der Untersuchung der Texte in den Korpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT nicht den Schluss zulassen, dass es eine zufällige (= unwillkürliche) Verteilung der Belege in Texten einer funktionalen Varietät gibt, wohl bestätigen. Bestätigt sich Alternativhypothese 2, dann gilt dies zugleich nicht für Alternativhypothese 1. Die Belege in absoluten Zahlen lassen allerdings das Eintreten von Subthese 1.1) nach einer Signifikanzprüfung wahrscheinlich werden: Subthese 1.1) Die Schichtung und die zeitliche Dimension des KERN-Korpus führt zu keinem deutlichen Ansteigen statistischer Signifikanz der Mehrheit der Belege hinsichtlich der untersuchten Variable im Vergleich zum Korpus der BERLINER ZEITUNG. Im Folgenden werden die Ergebnisse der Signifikanztests exemplarisch für die ersten 20 Qualitative vorgestellt (vgl. dazu oben Abb. 19). In der ersten Übersicht in Abbildung 23 erfolgte die Abfrage der Belege mit dem Suchstring near(wirken,@[QUAL],5), der, wie erläutert, wesentlich restriktiver auf die Korpusdaten zugreift als der weiter greifende String near(wirken,[QUAL],5). Die Ergebnisse für diese zweite Abfrage sind in Abbildung 24 ebenfalls auszugsweise für die ersten 20 Qualitative dargestellt.

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Abb. 23: Signifikanztests (Auszug) für die Types, die mit der Suchabfrage near(wirken,@[QUAL],5) ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/O95xP5; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 24: Signifikanztests (Auszug) für die Types, die mit der Suchabfrage near(wirken,[QUAL],5) ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/Hth8je; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Signifikanztests bestätigen die Überlegungen, die in Bezug auf die Arbeitsund Alternativhypothesen bereits angestellt worden sind. Hinsichtlich der untersuchten Variable ‚Verb wirken im Abstand von fünf Wörtern zu einem spezifi-

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zierten QUAL‘ unterscheiden sich unabhängig von der Einschränkung des QUAL das Korpus der BERLINER ZEITUNG und das der ZEIT in der Mehrzahl der hier genauer untersuchten Belege signifikant voneinander: Für die mit der Suchabfrage near(wirken,@[QUAL],5) ermittelten Belege (vgl. Abb. 23) gilt das für 128 von 180 abgefragten Qualitativen; bei der weiter greifenden Suchabfrage near(wirken,[QUAL],5) (vgl. Abb. 24) ist die Verteilung für 148 von 180 abgefragten Qualitativen statistisch signifikant. Ein Blick auf die Differenz von beobachteten und erwarteten Werten bestätigt die Beobachtungen zu den absoluten Belegzahlen: Im Korpus der ZEIT treten die Belege wesentlich zahlreicher auf, so dass die Korpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT je für sich nicht den Sprachgebrauch einer funktionalen Varietät abbilden, sondern die Stile zweier Zeitungen. Als Vergleichskorpus für das KERN-Korpus scheidet damit zumindest das Korpus der ZEIT aus. Das KERN-Korpus weist zwar gegenüber dem Korpus der BERLINER ZEITUNG eine breitere Schichtung von Texten aus einem nicht unwesentlich größeren Belegzeitraum auf, statistisch sind sich die beiden Korpora jedoch ähnlicher in Bezug auf die untersuchte Variable. Im Vergleich zum Signifikanzprofil der ZEIT ist zum einen die Verteilung von weniger Types als signifikant zu charakterisieren. Für den Suchstring near(wirken,@[QUAL],5) lassen 78 von 180 abgefragten Qualitativen, für near(wirken,@[QUAL],5) die Belege für 69 von 180 abgefragten Qualitativen auf eine nicht zufällige Verteilung von Daten schließen, die der gesuchten Variable ‚Verb wirken im Abstand von fünf Wörtern zu einem spezifizierten QUAL‘ entsprechen. Zum anderen erreichen die Belege, deren Verteilung als signifikant zu bezeichnen ist, ein wesentlich niedrigeres Signifikanzniveau. Auch das Verhältnis zwischen beobachteten und erwarteten Werten weist im Vergleich zum Korpus der ZEIT darauf hin, dass das Korpus der BERLINER ZEITUNG und das KERN-Korpus statistisch sehr viel ähnlicher sind, als die Ausgangsüberlegungen vermuten ließen – dieser Schluss wird durch beide Signifikanztests (vgl. Abb. 23 und 24) bestätigt. Die Signifikanztests bestätigen alternative Thesen: (1.1.) Die Schichtung und die zeitliche Dimension des KERN-Korpus führt zu keinem deutlichen Ansteigen statistischer Signifikanz der Mehrheit der Belege hinsichtlich der untersuchten Variable im Vergleich zum Korpus der BERLINER ZEITUNG. (2) Die Ergebnisse der Untersuchung der Texte in den Korpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT lassen nicht den Schluss zu, dass es hinsichtlich der untersuchten Variable eine zufällige Verteilung der Belege in Texten einer funktionalen Varietät gibt.

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Abb. 25: Signifikanztests (Auszug) für die Types, die mit der Suchabfrage near(wirken,@[QUAL],5) ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/NTqL3N; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

In einem abschließen Test werden die Zeitungskorpora BERLINER ZEITUNG und ZEIT als ein Vergleichskorpus ZEITUNG (358 Millionen Token) dem KERNKorpus (100 Millionen Token) gegenübergestellt. Ausgehend von den Belegzahlen und ersten beiden Signifikanztests ist davon auszugehen, dass nur die Verteilung weniger Types des KERN-Korpus sich als statistisch signifikant erweist in Bezug auf das Vergleichskorpus ZEITUNG und die gesuchte Variable, also die Subthese 1.1 mit leichter Variation sich bestätigt. In Abbildung 25 werden die ersten 20 Belege der Korpora ZEITUNG und des KERN-Korpus relationiert. Abgefragt wurden diesemit der präziseren Routine near(wirken,@[QUAL],5). Insgesamt ist die Verteilung von 73 von 180 Belegen als signifikant einzustufen.

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Abb. 26: Signifikanztests (Auszug) für die Types, die mit der Suchabfrage near(wirken, [QUAL],5) ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/sKsfHL; Stand: 16.09.2016. CC BYSA 4.0.

Zu beobachten ist, dass die hohen Belegzahlen im ZEIT-Korpus zwar das Signifikanzniveau des ein oder anderen Belegs im KERN-Korpus ausgleichen (vgl. etwa ästhetisch in Abb. 23 und Abb. 25), andere jedoch werden deutlich verzerrt (vgl. etwa absurd in Abb. 23 und Abb. 25). Im Mittel weichen die Ergebnisse dieses Signifikanztests nur geringfügig von den Ergebnissen ab, die erreicht werden konnten, indem das Korpus der BERLINER ZEITUNG und das KERN-Korpus relationiert wurden. Im zweiten Zugriff mit der weiter greifenden Abfrage near(wirken,[QUAL],5) fallen die Signifikanzniveaus zwar etwas höher aus (vgl. Abb. 25 und 26), aber sie bestätigen die Ergebnisse, die mit der ersten Abfrage erzielt worden sind. Insgesamt ist die Verteilung von 84 Belegen von 180 als signifikant einzustufen, auch hier ist die Verteilung der meisten Types als nicht statistisch signifikant zu charakterisieren. Insgesamt lassen sich durch die Relationierung des Korpus ZEITUNG (aus den Teilkorpora BERLINER ZEITUNG und ZEIT) und des KERN-Korpus zwar im Detail andere Ergebnisse erzielen, ausgewogener wird die Abfrage dadurch aber

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nicht. Damit bestätigt sich schlussendlich nach diesem zweiten Untersuchungsschritt zwar auch die variierte Subthese 1.1, der ursprünglich formulierten Alternativhypothese ist forschungspraktisch aber der Vorzug zu geben, wenn man weitere Signifikanztests durchführen wollte: Die Schichtung und die zeitliche Dimension des KERN-Korpus führt zu keinem deutlichen Ansteigen statistischer Signifikanz der Mehrheit der Belege hinsichtlich der untersuchten Variable im Vergleich zum Korpus der BERLINER ZEITUNG. Die Ergebnisse dieser Vorstudie mit einer kleinen Auswahl an Belegen hat Konsequenzen für die Anlage des Untersuchungsdesigns dieser Studie. Die Signifikanztests am Beispiel des Auftretens bestimmter Qualitative im Umfeld des Verbes wirken haben gezeigt, dass die Korpora der BERLINER ZEITUNG und der ZEIT, obwohl sie derselben funktionalen Varietät angehören und den selben Untersuchungszeitraum abbilden, statistisch nur bedingt in Bezug auf die hier relevanten Variablen vergleichbar sind. Zöge man also eines der beiden Korpora in der Untersuchung als Untersuchungskorpus heran, würde man einen erheblichen argumentativen Aufwand betreiben müssen, um die Signifikanzunterschiede zum anderen, dann als Vergleichskorpus verwendeten Korpus plausibel zu erklären, da sich die Arbeitshypothese 2 bestätigte: Die Ergebnisse der Untersuchung der Texte in den Korpora von BERLINER ZEITUNG und ZEIT lassen nicht den Schluss zu, dass es hinsichtlich der untersuchten Variable eine unwillkürliche Verteilung der Mehrheit der Belege in Texten einer funktionalen Varietät gibt. Statistisch ähnlicher sind sich, wie gezeigt, das KERN-Korpus und das Korpus der BERLINER ZEITUNG. Diese Korpora allerdings sind in Bezug auf die Zusammensetzung höchst divergent: Während das erste geschichtet ist, setzt sich das zweite aus Texten zusammen, die zum überwiegenden Teil einer funktionalen Varietät zugeordnet werden können. Zum anderen bildet das erste – wenn auch heterogen – den Sprachgebrauch des 20. Jahrhunderts ab, das zweite steht nur exemplarisch für einen wesentlich engeren Zeitabschnitt am Ende des 20. Jahrhunderts. Zum dritten zeigte die exemplarische Untersuchung, dass die Annotation des Korpus der BERLINER ZEITUNG je nachdem, mit welcher Suchvariable gearbeitet wird, nicht zuverlässig genug ist, um belastbare Ergebnisse einer Signifikanzanalyse einer qualitativen Interpretation zuzuführen. Mit anderen Worten: Keines der in dieser Vorstudie verwendeten Korpora lässt sich, ohne erheblichen Aufwand zu betreiben, in Bezug setzen zu einem Vergleichskorpus. Der Ausweis statistischer Signifikanz ist trügerisch und führt einer qualitativen Interpretation keine Indikatoren zu, die ohne Zweifel einbezogen werden können. Allerdings kann jedes der Korpora, bis auf das der BERLINER ZEITUNG, für sich genommen in eine Untersuchung einbezogen werden,

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da die kleine Vorstudie gezeigt hat – und das ist das erste Ergebnis –, dass das untersuchte sprachliche Phänomen in allen Korpora nachgewiesen werden kann. Das zweite Ergebnis weist zugleich auf ein wesentlich schwerwiegenderes Problem. Im Korpus der BERLINER ZEITUNG wurden bei der Arbeit mit unterschiedlichen Suchstrings erhebliche Auswirkungen in Bezug auf die Art der beobachteten Ergebnisse beschrieben. Die Differenzen lassen, um eine denkbare Erklärung zu geben, zum einen auf eine heterogene Annotation schließen. Zum anderen zeigte sich, wie einleitend kurz erwähnt, dass auch die Wortartannotationen wie ADJD (Adjektiv) und VVPP (Partizip) in vielen Fällen zumindest keine zweifelsfreie Zuordnung erlauben, weil dies bei der Beurteilung von Sprachgebrauch eben auch nicht in jedem Fall zweifelsfrei zu entscheiden ist. Forschungspraktisch bleibt angesichts dieser Ausgangslage nur die Option, auf differenzierte Suchstrings zur Erschließung maschinenlesbarer Korpora zu setzen, wenn man differenzierte Ergebnisse beschreiben möchte.

6.2 Quantitative korpuslinguistische Untersuchung Die Untersuchung und die Erschließung eines maschinenlesbaren Korpus im Hinblick auf spezifische sprachliche Muster soll sich, wie sich an den Ergebnissen der Signifikanzanalyse in Kap. 6.1 zeigte, der Instrumente bedienen, die heterogene Annotationen aufzudecken helfen und Aussagen über die Frequenz eines sprachlichen Musters im Korpus erlauben, ohne jeden einzelnen Beleg sichten, prüfen und bewerten zu müssen. Eines dieser Instrumente, welches ganz erheblichen Einfluss auf die beobachtbaren Daten hat, ist der differenzierte Suchstring, das andere die Schätzung von Verteilungen sprachlicher Muster in einem Korpus auf der Basis repräsentativer Zufallsstichproben. Für die Beispieluntersuchung in Kap. 6.1.1 konnten wir auf ein Set auf Qualitativen zurückgreifen, welches wir in einer Voruntersuchung zum Verb wirken ermittelt haben (vgl. dazu Lasch 2014a). Das ist in Bezug auf die Untersuchung, die nun ansteht und für die wir das Untersuchungsdesign gestalten, allerdings nicht die Ausgangslage. Diese wird gut umrissen, wenn man sich an die Beantwortung der folgenden sechs Fragen wagt: (1) Welche Qualitative und welche anderen Elemente sind zusammen mit einem Verb in nonagentiven Konstruktionen eingebettet? (2) Welche Elemente treten häufiger zusammen mit diesem Verb auf, welche sind seltener Kollokate? (3) Welche der Kollokate sind auch für Realisierung der Konstruktion mit anderen Verben typisch? (4) Welchen Einfluss haben verbale Kategorien, andere Konstruktionen oder syntaktische wie semantische Restriktionen auf die Realisierung der Konstruktion? (5) Sind idio-

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matische oder zumindest auffallend stabile Realisierungen der Konstruktion von bestimmten Faktoren wie etwa der Zugehörigkeit des Textes zu einer bestimmten Varietät oder Textsorte abhängig? (6) Lässt sich die Konstruktion als Ergebnis des Sprachgebrauchs rekonstruieren und in einem Netzwerk mit anderen Konstruktionen verorten? Für die Signifikanzanalyse in Kapitel 6.1.1 verwendeten wir zwei verschiedene stark restriktive Suchstrings, nämlich near(wirken,@[QUAL],5) und near(wirken,[QUAL],5). Mit der neuen Ausgangslage fragen wir aber nicht nach einem Set spezifischer Qualitative, sondern nach Vorkommen und nach deren Art, welche sich einer Wortart zuordnen lassen sollte. Die Anpassung sähe dann also Suchstrings vor wie near(wirken,$p=ADJD,5) und near(wirken,$p=VVPP,5). Die Nachteile waren, dass nur Formen des Verbs wirken und eines Adjektivs bzw. Partizips erfasst werden mit einem Abstand von maximal fünf Wörtern. Weiter kann nicht automatisch geprüft werden, ob jeder Beleg einer der hier relevanten Konstruktionen entspricht, da bspw. attributiv gebrauchte Adjektive in die Ergebnisse einfließen. Ein Ausschluss von spezifischen Formen wie attributiv gebrauchter Adjektive (&& !$p=ADJA) ist aber nicht zielführend, da alle Belege, die ein attributiv gebrauchtes Adjektiv aufwiesen, ausgeschlossen würden. Abschließend ist festzuhalten, dass die Wortartannotation, da Interpretation, keine automatische trennscharfe Differenzierung zwischen Adjektiven und Partizipien gestattet und somit beide Abfragen realisiert und abgeglichen werden müssen. Mit anderen Worten: Je einfacher der Suchstring, desto heterogener sind die erfassten Daten. Einige Studien versuchen, dieser Heterogenität des Materials Herr zu werden, indem die untersuchten Cluster verkleinert und eine Zufallsauswahl aus den Belegen für Untersuchungen herangezogen werden. Damit reduziert man zunächst jedoch nur die Zahl der Belege, nicht die Heterogenität der erhobenen Daten. Aus den genannten Gründen und den für diese Studie relevanten Fragen ist es angezeigt, mit systematischen Abfragen zu arbeiten, da eine Zufallsauswahl aus Belegen, die mit einfachen Suchroutinen ermittelt wurden, die Ergebnisse unnötig verzerrte. Ein Beispiel für die systematische Erschließung des KERNKorpus geben wir wieder mit der Konstruktion der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung, in die das Verb wirken eingebettet ist. Ziel ist hier, Kategorisierungen der Belege anhand der eingangs formulierten Fragen zumindest halbautomatisch zu erreichen. Die Komplexität des Datenmaterials setzt, wie gezeigt, feine Differenzierungen voraus, um belastbare Aussagen über die Entwicklung von Konstruktionen in größeren Zeitläufen machen zu können. Im Folgenden werde ich mich zu Illustrationszwecken auf die Erhebungsroutinen zur Konstruktion der ASKRIP-

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TION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit wirken und (deverbalem) Adjektiv konzentrieren und einige Suchroutinen vorstellen und diskutieren. Diese Suchroutinen diskriminieren Art des Qualitativs (im Beispiel hier: ADJD), Kommunikationsbereich (BE=Belletristik, ZE=Zeitungstext, WI=Wissenschaftliche Publikation, GE=Gebrauchsliteratur), Veröffentlichungszeitpunkt (Feindifferenzierung nach Erscheinungsjahr und -dekade), Tempus der Verbalkonstruktion mit Berücksichtigung der Doppelperfektformen (wirkt abgedroschen; hat abgedroschen gewirkt gehabt usw.), Person und Numerus der Verbalkonstruktion (wirkt/wirken abgedroschen usw.) als Kohärenzkategorien, Stellung des finiten Teils der Verbalkonstruktion zur gezielten Abfrage der Position im Stellungsfeld satzwertiger Ausdrücke (der Witz wirkt abgedroschen vs. ich habe Dir schon gesagt, dass der Witz abgedroschen wirkt). Am Beispiel des Präteritums und Perfekt Indikativs der gesuchten Konstruktion sei die Struktur des Sets an Suchstrings vorgestellt, welche in der Studie mit verwendet werden. Die Arten unterschiedlicher Qualitative sind im Beispiel durch Elemente repräsentiert, die durch Annotation der Wortart Adjektiv (ADJD) zugewiesen werden, auf andere Qualitative, die durch die Annotation VVPP (Perfektpartizip) erfasst werden, gehen wir in der Analyse (vgl. Kap. 7.3.2) ein. Zu berücksichtigen ist bei der systematischen Erfassung weiter die unterschiedliche Verbstellung in Haupt- und Nebensätzen sowie der Numerus. Weiter ist zu beachten, dass die Verbalkonstruktionen teilweise formidentisch sind. So geben einzelne Suchroutinen identische Belege aus, wie die für die 1. und 3. Person Singular Präteritum Indikativ ([78]) oder die für die 1. und 3. Person Plural Präteritum wie Perfekt Indikativ ([79] und [80]): [78]

"@wirkte #10 $p=ADJD" && !\, bzw. "$p=ADJD #0 @wirkte"

[79]

"@wirkten #10 $p=ADJD" && !\, bzw. "$p=ADJD #0 @wirkten"

[80]

"@haben #10 $p=ADJD #0 @gewirkt" && !@gehabt && !\, bzw. "$p=ADJD #0 @gewirkt #0 @haben" && !@gehabt

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Abb. 27: Abfrageroutinen und Belegzahlen für die Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken im Kernkorpus des DWDS (Präteritum und Perfekt Indikativ, ADJD). Direktlink: https://goo.gl/NN0y7s; Stand: 15.08.2016. CC BY-SA 4.0.

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Gesucht wird mit allen Strings nach einem Adjektiv (ADJD) im Abstand von zehn Wörtern (#10) zur finiten Form von wirken (@wirkte bzw. @wirken) bzw. einem Verb, welches für analytische Tempuskonstruktionen herangezogen wird (@haben), und (&&) unter Ausschluss (!) des Kommas als Satzzeichen (\,) bzw. dem Partizip von haben (@gehabt) als Kennzeichen der Doppelperfektformen. Die beiden alternativen Strings je Position in [78]–[80] fragen satzwertige Ausdrücke mit je unterschiedlicher Verbstellung in Haupt- und Nebensatz ab. In Abbildung 27 wird ein Ausschnitt aus der Belegzählung präsentiert, welcher die vorgenannten Parameter erfasst. Um die Übersicht zu erläutern, orientieren wir uns an den Belegen für die 3. Person Singular Präteritum Indikativ, mit Verbzweitstellung im Hauptsatz. In den Spalten N und N1 werden die Belegzahlen genannt, die für das KERN-Korpus unter einem bestimmten Suchstring ausgegeben werden. Diese Belege sind ungesichtet; nicht alle Belege (N=252) sind aufgrund rechtlicher Beschränkungen einsehbar (N1=177). Die zugänglichen Daten bilden die Basis der Auswertung. Für die Untersuchung wird – bei einer Belegzahl über 100 – ein Sample aus zufällig ausgewählten Belegen als einem Ausschnitt aus den zugänglichen Daten (n=118) gebildet; das Verhältnis zwischen diesen beiden Werten gibt der Belegfaktor (=1,5) an. Ziel der Studie ist, wenigstens 100 Belege für jeden Suchstring zu prüfen und zu untersuchen. Nach der Sichtung und Auswertung der Belege n ergibt sich, dass (aufgrund der Formidentität) keine Realisierungen für die 1. Person im Singular vorliegen (m=0), dafür aber 51 Belege für die 3. Person im Singular (m=51). Das Verhältnis zwischen erhobenen und für die Fragestellung relevanten Belegen gibt p an (gerundet angezeigt p=0,43) – hier wurden die nicht einschlägigen Belege von Hand aussortiert. Das Verhältnis p und der Belegfaktor werden u. a. dafür genutzt, um die Ergebnisse im Dreisatz in Bezug auf die Gesamtgröße des Korpus und alle mit dem String abgefragten Belege (N=252) zu setzen. So können zumindest tendenzielle Aussagen über die Belegverteilung im gesamten Korpus gemacht werden: Der Quotient M1 gibt mit 77 (gerundet) an, wie viele Belege erwartbar gewesen wären, wenn alle verfügbaren Daten (N1=177) ausgewertet worden wären, M mit 109 (gerundet) als Schätzwert schließlich, wie viele der 252 im Gesamten aufgerufenen Belege dem gesuchten sprachlichen Muster wahrscheinlich entsprechen. Dabei gehen wir davon aus, dass sich N nicht stark von N1 unterscheidet (sie also strukturell ähnlich sind) und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann – folgte man dieser Annahme nicht, ließen sich keine Annahmen über Belegverteilungen in N machen. Aus den Belegzahlen lassen sich bezüglich der Verteilung auf die Tempusformen und Numerus bereits erste Aussagen machen: Wesentlich häufiger als im Perfekt tritt die gesuchte Konstruktion im Ausschnitt mit wirken und ADJD (hier

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lediglich die annotierte Wortart) im Präteritum auf, in der Verteilung der Numeri geht immer Singular dem Plural vor, der dritten Person folgen erste und zweite Person in dieser Reihenfolge nach. Die Zuverlässigkeit der Suchroutinen für eine interpretationsbedürftige Konstruktion ist im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die sich durch die Annotation ergeben, als relativ hoch einzuschätzen: Als Indiz können die Verhältnisse p zu den einzelnen Suchstrings herangezogen werden. Eine Legende, die diese ausführliche Erläuterung der Übersichten (wie Abb. 27) noch einmal in Erinnerung rufen kann, ist am Beispiel der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein (https://goo.gl/GRkY8p; Stand: 16.09.2016) frei verfügbar. Unter jeder Übersicht wird in den Kapiteln 7–10 die Adresse zur Legende ebenfalls zur Unterstützung mit angegeben. Trotz aller Differenziertheit weist aber auch dieses System der detaillieren Abfrage noch Defizite auf, die nur zum Teil einer befriedigenden Lösung zugeführt werden können. Zum einen ist da die relativ geringe Spannweite der Abfrage für die Konstruktion bei Verbzweitstellung des finiten Teils der Verbalkonstruktion zu nennen. Auch mit einem Wortabstand von 10 wird ein Teil der Belege nicht erfasst. Eine Reduktion ist aber dennoch notwendig, um die Datenmenge in den Griff zu bekommen – denn am Schluss muss jeder Beleg nach halbautomatischer Sortierung und der ersten Sichtung noch interpretiert werden: In Abbildung 28 sind einige Belege ausgewählt, die die Basis der Untersuchung (n=118) bilden für den Suchstring "@wirkte #10 $p=ADJD" && !\,. (N=252, N1=177, vgl. Abb. 27). Die Qualitative in den Beispielbelegen sind recht unterschiedlicher Natur: In allen Belegen treten Adjektive auf, mit gezeichnet (Beleg 2), verloren (Beleg 6) und eingesargt (Beleg 7) zusätzlich Adjektive auf der Basis von Perfektpartizipien, die als ADJD annotiert worden sind. Wie deutlich zu sehen ist, kann aus der Annotation bei der Interpretation nicht dichotomisch von ADJD auf ‚Adjektiv‘ und bei VVPP auf ‚Perfektpartizip‘ geschlossen werden. Die Belege sind hier bereits bereinigt – sie entsprechen nicht nur formal der Abfrage wirken mit ADJD, sondern sind Realisierungen nonagentiver Konstruktionen der ASKRIPTION mit wirken in modaler Lesart (vgl. dazu Kap. 7.3.2). Die Daten bedürfen nach halbautomatischer Sortierung genauer Prüfung. Es sind nicht nur Belege agentiver Lesart auszuschließen, sondern auch Korrekturen hinsichtlich der Qualitative von Nöten, wie Beleg 3 zeigt: Relevant für die Lesart ist nicht das modifizierende unangenehm, sondern das Adjektiv leer. Auch die mehrteiligen Qualitative, meist durch Konnektor voneinander getrennt, werden nicht automatisch erfasst (vgl. in Abb. 28 Spalten Belege V und VI), sondern

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müssen von Hand extrahiert werden (vgl. Spalte QUAL II), um sie auswerten zu können.

Abb. 28: Exemplarische Auswahl der Belege nach der halbautomatischen Sortierung und Vorauswahl, die mittels "@wirkte #10 $p=ADJD" && !\, im KERN-Korpus des DWDS ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/Vyj3iX; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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In der Studie werden bis zu drei Qualitative berücksichtigt. Wie in Abbildung 28 ebenfalls deutlich wird, sind die Belege nach Erscheinungsjahr und Zugehörigkeit zu einer Domäne sortiert. Das geschichtete und annotierte KERN-Korpus ist nach belletristischen Texten (BE), Zeitungstexten (ZE), wissenschaftliche Veröffentlichungen (WI) und „Gebrauchsliteratur“ (GE) differenziert. Die Unterscheidung könnte freilich feiner ausfallen, die Kategoriengrenzen sind ebenso unscharf wie die Annotationen der Wortarten. Wie schließlich die textlinguistisch fragwürdige Kategorie „Gebrauchsliteratur“ zu bewerten ist, wäre erst nach der Sichtung und genauen Analyse der Belege in dieser Studie zumindest ansatzweise zu beantworten (vgl. zur Analyse die Kap. 7–10). Alle relevanten Belege werden schließlich gezählt (m=51 für den Suchstring "@wirkte #10 $p=ADJD" && !\, vgl. Abb. 27) und nach unterschiedlichen Parametern sortiert und in Übersichten überführt, aus denen möglicherweise Aussagen bezüglich der Verteilung der Konstruktionsrealisierungen nach Kommunikationsbereichen und zeitlichem Auftreten des sprachlichen Musters oder der relevanten Tempusformen gemacht werden können. Einige der Übersichten, die allerdings nicht das ganze Spektrum der Darstellungsmöglichkeiten repräsentierten, seien im Folgenden kurz vorgestellt. Ein erstes grobes Ergebnis dieser Abfragen zeigt Abbildung 29 ausschnitthaft: In der Analyse werden die Tempora Futur I und II, Präsens, Plusquamperfekt und die Doppelperfektformen sowie andere Arten von Qualitativen noch nicht berücksichtigt. Dennoch liefert sie erste wertvolle Hinweise auf die Verteilung der Konstruktionsrealisierungen im Korpus. Berücksichtigt sind hier nur die untersuchten Belege. Die Konstruktion, die wir zu beschreiben suchen, ist in allen Kommunikationsbereichen vertreten – besonders gravierend fällt allerdings der Unterschied im Gebrauch des Tempus in der Belletristik (BE) auf: Die Präferenz für das ‚Erzähltempus‘ Präteritum schlägt hier sehr deutlich in den Belegen durch, betrachtet man die Verhältnisse der Belegzahlen für andere Kommunikationsbereiche, dann ist auch für die ‚Gebrauchsliteratur‘ (GE) ein ähnlicher Trend zu beschreiben. Texte aus den Bereichen Wissenschaft (WI) und Zeitungstexte (ZE) nutzen die gesuchten Konstruktionen im Tempus Perfekt zwar seltener als im Präteritum, der Abfall hier folgt allerdings den auch in anderen Vorstudien beobachteten Verhältnissen zwischen den Tempora und ist dementsprechend nicht auffällig, da die Belegzahlen insgesamt gering sind. Über die zeitliche Verteilung können aufgrund der relativ niedrigen Belegzahlen an dieser Stelle noch keine belastbaren Aussagen gemacht werden (es wäre auch die Schichtung des Korpus Abb. 17 zu berücksichtigen, was in den Analysen in Kap. 7–10 der Fall sein wird).

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Abb. 29: Belege für Konstruktion wirken mit ADJD im Präteritum und Perfekt Indikativ, differenziert nach Art des annotierten QUAL (ADJD), Kommunikationsbereich (BE, GE, WI, ZE), Dekade (des 20. Jh.) und morphologischer Form des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/AGTpRr; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

In Bezug auf die Verteilung von Personalformen ergibt sich ein typisches Bild, welches mit der Wahl einer Konstruktion und damit auch der Wahl einer Perspektive auf den sprachlich dargestellten Wahrnehmungsausschnitt korrespondiert: Konstruktionen in der ersten und zweiten Person in Singular und Plural sind die Ausnahme (Formidentitäten spielten, wie oben Abb. 27 gezeigt, keine Rolle). Realisierungen in der dritten Person sind die Regel, wobei hier die Formen im Singular deutlich überwiegen. Für diesen letzten Interpretationsschritt sind weiter die Errechnung von Schätzwerten für die Verteilung der sprachlichen Muster in der Gesamteinheit ins Spiel zu bringen und damit der Belegfaktor (der oben im Zusammenhang mit Abb. 27 diskutiert wurde). Für die in Abb. 29 dargestellten Konstruktionsrealisierungen sind bspw. für "@wirkte #10 $p=ADJD" && !\, m=51 Belege gezählt worden, aber es wurde nur ein Ausschnitt der verfügbaren Daten untersucht (mit dem Belegfaktor 1,5). Dieser Fak-

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tor, der sich als Verhältnis zwischen auswertbaren Belegen (N1) und ausgewerteten Belegen (n) darstellte und auf einer Zufallsauswahl der Belege für eine repräsentative Stichprobe basiert, ist zu berücksichtigen. Multipliziert man diesen Belegfaktor mit den relevanten Belegen (m; hier in der Summe 51), dann errechnet man im Dreisatz einen Schätzwert M1=77 (gerundet), der in der Gesamteinheit erwartbar ist. Diese Schätzung bezieht sich im Beispiel auf den auswertbaren Teil des Korpus: Untersuchte man also die 177 Belege (N1), die für den Suchstring ausgegeben werden und die verfügbar sind, dann ist zu erwarten, dass wir 77 Realisierungen unserer gesuchten Konstruktion beobachten können. Wendet man diese Rechnung auch auf die Daten an, die für die Untersuchung nicht zur Verfügung stehen (N=252), dann kann die erwartete Anzahl an Belegen mit M=109 geschätzt werden. Daten, die durch diese Rechnungen gewonnen werden, sind geschätzt, um das noch einmal deutlich zu sagen. Zulässig sind solche Schätzungen nur dann, wenn von einer repräsentativen Zufallsstichprobe n (hier bei systematischer Auswahl mittels einer Zufallszahl K) auf eine Grundgesamtheit N1 bzw. N geschlossen wird. So lassen sich Aussagen machen über die erwartbare Verteilung eines sprachlichen Phänomens in einem größeren Korpus, allerdings sind diese Zahlen nur bedingt belastbar. Eine Fehlerberechnung ist in diesem Fall nicht angezeigt, da eine weitere Auswertung der Daten nicht erfolgt, sondern nur ein Eindruck von der Verteilung der Daten im Korpus vermittelt werden soll. In Abb. 30 wurde von den ermittelten Belegzahlen m in n, wie in Abb. 27 dargestellt, auf die Belegzahlen M1 in N1 (und M in N bei Annahme geringer Differenz zwischen N1 und N) geschlossen. Die Belege m in Gesamt n wurden für Verbzweitstellung und Verbletztstellung addiert. Genauso wurde mit den mittels Belegfaktor ermittelten Schätzwerten M1 in N1 (und M in N) verfahren. Diese wurden schließlich ins Verhältnis gesetzt zur beobachteten Verteilung der Belege m in n auf die Kommunikationsdomänen (vgl. Abb. 28). Die Werte M und M1 wurden hier zur Veranschaulichung stark gerundet. In der Studie werden sie dann mit drei Nachkommastellen präziser gefasst, um z.B. in Summenbildung Rundungsfehler zu vermeiden. Nicht ganzzahlige Belegzahlen entstehen in der Interpolation notwendigerweise dadurch, dass bspw. zwar zufällig jeder vierte Beleg als Sample untersucht werden kann (n), was aber nicht heißt, dass das zur Verfügung stehende Korpus (N1) exakt durch 4 teilbar ist: In der Regel sind die Belegfaktoren (hier war er 1,5) nicht ganz- oder halbzahlig.

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Abb. 30: Schätzwerte der Belege für Konstruktion wirken mit ADJD im Präteritum, differenziert nach Kommunikationsbereich (BE, GE, WI, ZE) und morphologischer Form des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/Ohz6lJ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Statt einer statistischen Untersuchung von Korpora unter Hinzuziehung unterschiedlicher Vergleichskorpora (vgl. Kap. 6.1) wird hier auf eine nachvollziehbare, strukturierte und systematische Erschließung eines maschinenlesbaren Korpus gesetzt, nämlich das KERN-Korpus beim DWDS. Die exemplarische statistische Untersuchung anhand einiger detaillierter Suchstrings zeigte, dass der Vergleich mit den Korpora der ZEIT und der BERLINER ZEITUNG nicht ohne Weiteres möglich ist und auf verschiedenen Ebenen zu falschen Annahmen verleitete, was den Nachweis des Gebrauchs spezifischer Konstruktionen betrifft. Die exemplarische Analyse zeigte jedoch, dass eine recht randständige Konstruktion unter den nonagentiven Konstruktionen in allen Korpora nachgewiesen werden kann, wobei auf der Basis von Signifikanzprofilen keine Aussagen bezüglich der Verteilung der Konstruktionsrealisierungen auf bestimmte Kommunikationsdomänen oder funktionale Varietäten gemacht werden konnten (vgl. Kap. 6.1).

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Stattdessen wird ein gezielter und systematischer Zugriff auf die Beschreibung eines Korpus gewählt. Es stellt sich zweifellos angesichts dieses feingliedrigen Designs und mehrstufigen Zugriffs auf Sprachdaten die Frage, ob man die Überlegungen zur nonagentiven Konstruktion der ASKRIPTION, wie hier am Beispiel mit wirken, nicht auch generell auf der Basis einer überschaubaren Beleganzahl hätte anstoßen können. Die Antwort auf diese Frage lässt sich zum einen grundsätzlich verneinen mit einem Blick auf die Prämissen einer gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik (vgl. Kap. 2). Nur, wenn Sprache im Gebrauch – hier schon mit Einschränkungen, da lediglich auf der Basis der geschriebenen Sprache – beobachtet wird, ist sie adäquat zu beschreiben, da Konstruktionen aus dem Gebrauch emergieren. Nur so sind verlässliche Aussagen darüber möglich, wie, auf welche Weise und mit welcher Funktion und in welchen Ko(n)texten Konstruktionen realisiert werden, wie sich ihr Gebrauch verändert und in welchen Beziehungen sie zu anderen Konstruktionen auf unterschiedlichen Ebenen stehen. Zum anderen wird so die Basis für die Rekonstruktion des Konstruktikons gelegt, welches ausschnitthaft für Konstruktionen mit einer spezifischen Perspektivierungsleistung erarbeitet wird (vgl. Kap. 5 und Kap. 11). Zum dritten muss gerade die Konstruktionsgrammatik zeigen, wie sie in der Analyse von Sprachdaten mit Grenzfällen umgeht, wie sie die Differenzen zwischen Lesarten beschreibt und plausibilisiert. Die hier am Beispiel vorgestellten Parameter sind nur ein Ausschnitt des Instrumentariums, das für die Untersuchung zum Einsatz kommt – hier wurden im Detail nur die Tempora Präteritum und Perfekt anhand eines relativ unterkomplexen Suchstrings vorgestellt und dabei der Prozess der systematischen Erfassung von relevanten Belegen am Beispiel der Elemente, die als Qualitative in die Konstruktion eingebettet werden können und im Korpus als ADJD annotiert sind, nachgezeichnet. Im anschließenden Kapitel werden die relevanten Parameter der Untersuchung im Detail vorgestellt.

6.3 Parameter der Untersuchung 6.3.1 Systematische Erfassung sprachlicher Muster Die Reduktion in Kap. 6.1 und 6.2 diente der Veranschaulichung; in der Untersuchung zu einzelnen Verben in Kap. 7–10 wird auf das gesamte Inventar an Suchstrings zurückgegriffen. Diese seien am Beispiel der nonagentiven Konstruktionen der ASKRIPTION mit bleiben erläutert. Nonagentive Konstruktionen der ASKRIPTION mit bleiben werden hier deshalb ausgewählt, da sie im Wesentlichen den Bedingungen genügen, denen auch die Konstruktionen der ASKRIP-

Parameter der Untersuchung | 181

TION mit sein entsprechen (vgl. dazu oben Kap. 5.2.1). Beinahe alle Elemente, die potentiell auch für andere Konstruktionsrealisierungen als Qualitative in Frage kommen (vgl. Kap. 5.2.3), lassen sich an diesem modellhaften Beispiel illustrieren. Das Untersuchungsdesign wurde bisher anhand weniger Suchstrings für das Verb wirken vorgestellt. Maximal können je Verb 512 Suchstrings relevant werden für (1) sechs Personalformen mit (2) zwei unterschiedlichen Stellungsvarianten des finiten Verbs (vor bzw. nach dem Qualitativ) bei (3) acht Tempora und schließlich (4) bis zu fünf (teils nur formal zu unterscheidenden) Qualitativen (VVPP, ADJD, VVINF, VVIZU, spezifizierte APPRART [am]) – das sind 480 Suchstrings. Hinzukommen noch (5) je vier Suchstrings je (6) Tempus mit alternativen APPRART (nämlich im und beim) zur Kontrolle – das heißt 32 Suchstrings zusätzlich je untersuchtem Verb. Allerdings werden nicht für jedes hier zu analysierende Verb aufgrund verschiedenster Restriktionen, die dann im Detail an betreffender Stelle zu erläutern sind (vgl. Kap. 7–10), alle Suchstrings von Bedeutung sein. Werden und gehören bspw. werden nicht zusammen mit modalen Infinitiven ([[zu][VVINF]] bzw. [VVIZU]) in nonagentive Konstruktionen eingebettet (vgl. Kap. 8.1 und 10.2.1), sein und werden sind für die Grundtempora so häufig belegt, dass eine strenge Auswahl erfolgen muss (vgl. Kap. 7.1 und 8.1), für gehören und haben sind aus verschiedenen Gründen – die noch zu erläutern sein werden - spezifische Zuschnitte (vgl. Kap. 10.2) und für die wenigsten Konstruktionsrealisierungen sind Progressive erwartbar (vgl. oben Kap. 5.2.3.2) Weiter ist relevant, dass die Suchstrings mit Rücksicht auf spezifische Restriktionsregeln der jeweiligen Verben angepasst werden, um Überschneidungen zu vermeiden. [81]

"$p=VVPP #0 @bleiben" && !werden with $p=VAFIN && !@zu

Der String ruft die 3. Person Plural Präsens im Indikativ auf, z.B. im konstruierten Beispiel: Er sagt, dass die Fenster geschlossen bleiben. Gesucht wird nach der morphologischen Form bleiben in Nachstellung zu einem als Partizip annotierten Element. Ausgeschlossen wird (sicherheitshalber) zu, um die Infinitive mit zu, die für bleiben zu erwarten sind, separat abfragen zu können. Weiter werden Belege ausgeschlossen, in denen werden als ‚Hilfsverb‘ eingebettet ist: Er sagt, dass die Fenster geschlossen bleiben werden. So ließen sich auch Modalkonstruktionen von vornherein systematisch abgrenzen, wenn da nicht die Unsicherheit bezüglich werden (in Tempus- und/oder Modalkonstruktionen)

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wäre. Durch detaillierte Suchstrings werden zahlreiche Parameter systematisch abgefragt.

6.3.2 Untersuchte Verben Nonagentive Konstruktionen waren als Konstruktionen charakterisiert worden, die sich durch eine spezifische Perspektivierungsleistung auszeichnen, indem sie eine Aussage über die Welt nicht ausgehend von der Benennung eines Handlungsträgers aufspannen, sondern von Sprachbenutzern verwendet werden, um Zuweisungen zu realisieren, die als ASKRIPTION, KOMMUTATION und AKZEPTATION charakterisiert wurden (vgl. Kap. 5). Zahlreiche Verben sind dieser Prädikatsklasse zuzuordnen, mit wirken haben wir einleitend bereits eines beschrieben, welches traditionell nicht zu den Verben gezählt wird, die der nonagentiven Perspektivierung eignen. Zu den wichtigsten Vertreten zählen neben sein und werden Verben wie bleiben, bekommen, kriegen, erhalten. Nicht in der ersten Reihe oder überhaupt nicht im Kontext nonagentiver Konstruktionen genannt werden behalten, haben und gehören, scheinen oder erscheinen. Daneben sind einzelne Verben wie wirken bisher kaum oder nicht untersucht, dazu zählt z.B. aussehen (vgl. oben Kap. 5.2.2).

6.3.3 Berücksichtigte Qualitative Auf das auch in diesem Kapitel diskutierte Problem der Filler, die zu analysieren sind und die in nicht unerheblichem Maße die Bedeutung der Konstruktion, in die sie eingebettet werden, aktualisieren (vgl. oben Kap. 5.2.3.2 und Kap. 10), soll in Bezug auf die Parametrik der Arbeit noch einmal knapp eingegangen werden. Deutlich wurde an wenigen zitierten Beispielen bislang, dass offensichtlich klare Restriktionsregeln gelten, wenn Verben in nonagentive Konstruktion eingebettet werden. Für die zu untersuchenden Verben werden verschiedene Arten von Qualitativen systematisch erhoben, um Gebrauchsrestriktionen am Belegmaterial diskutieren zu können. Nach der Annotation des Korpus mit STTS (Stuttgart-Tübingen Tagset) werden folgende Qualitative systematisch abgefragt: – ADJD (adverbiales oder prädikatives Adjektiv), – VVPP ([Perfekt-]Partizip und damit auch unsystematisch ‚Funktionsverbgefüge‘),

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– – – –

VVINF mit zu (Infinitiv, voll, in Kombination mit zu; alternativ Tag PTKZ; in den Belegdaten und Übersichten als „zuVVINF“ bzw. „zuINF“), VVIZU (Infinitiv mit zu, voll; systematisch nicht anders als zuVVINF [vgl. oben Kap. 5.2.3.2], aber mit anderem Tag annotiert), APPR mit NN (Präposition mit nicht spezifiziertem Nomen), APPRART mit NN (Präposition mit Artikel mit nicht spezifiziertem Nomen).

6.3.4 Zusammenfassung Das Kapitel stellte knapp die Parameter vor, die in der Analyse relevant werden. Folgende Varianten und Variablen werden erhoben und diskriminieren die dann qualitativ zu beschreibenden Belege: – Untersuchte Verben: sein, bleiben, scheinen, erscheinen, wirken, aussehen, werden, gehören, bekommen, erhalten, kriegen, behalten und haben. – Kategorien des Verbs: Person und Numerus, Spezialfall: Modus (für gehören), synthetische Tempora (Präsens und Präteritum). – Analytische Tempuskonstruktionen: Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und II, Doppelperfekt und -plusquamperfekt. Futurpräteritum I und II (so genannte würde-Form), die man hier zurechnet, die aber ebenfalls eingehender mit den Modalkonstruktionen zu beschreiben wären, werden nicht untersucht. – Merkmale der nonagentiven Konstruktionen: Qualitative ($p=ADJD [Adjektive], $p=VVPP [(Perfekt-)Partizipien], @zu #0 $p=VVINF [modale Infinitive], $p=VVIZU [modale Infinitive mit inkorporiertem zu] und Progressive [APPR bzw. APPRART mit NN]), Stellung des Finitums in satzwertigen Ausdrücken, Phänomene in Bezug auf die Kombination mit anderen Konstruktionen höherer Ordnung (hier vor allem analytische Tempuskonstruktionen, in Ausnahmefällen Modalkonstruktionen). – Kontextmerkale: Zugehörigkeit des Belegs zu einer Kommunikationsdomäne (Belletristik = BE; Gebrauchsliteratur = GE; Wissenschaft = WI; Zeitung = ZE) und zeitliche Verortung des Belegs (jeder Beleg wird mit dem Jahr der Veröffentlichung ausgewiesen, zur besseren Übersichtlichkeit werden die Belege nach Dekaden erfasst). Wie an anderer Stelle erwähnt, ist das nur ein Ausschnitt der Parameter, nach denen man eine Untersuchung nonagentiver Konstruktionen ausrichten kann, wenn man deren Konstruktionsstatus im Hinblick auf die Verortung in einem Netzwerk von Konstruktionen beschreiben will. Insofern lässt sich die Para-

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metrik für Anschlussstudien leicht erweitern. Etwa durch die Aufnahme der Elemente, die als PREFLX – Reflexivpronomina – annotiert sind. Das so genannte ‚Reflexivpassiv‘ ist reflexiven Konstruktionen mit eigener Perspektivierungsleistung zuzuordnen (vgl. Kap. 5.1.5) und wird hier ebenso wenig untersucht wie Modalkonstruktionen (5.1.4). Dass wir analytische Tempuskonstruktionen hingegen als solche bezeichnen und hier mit am Rande thematisieren, hat den Grund, dass einzelne Untersuchungsergebnisse deutliche Hinweise darauf liefern werden, dass die analytischen Tempuskonstruktionen wie die Modalkonstruktionen als eigenständige Konstruktionen auf abstrakterem Niveau zu analysieren sind – ohne die Beschreibung von analytischen Tempuskonstruktionen wären einzelne Untersuchungsergebnisse nicht zu interpretieren (vgl. zu Tempus und Temporalität oben Kap. 5.1.4). Dennoch kann dieser Status von Tempus als eines Systems eigenständiger Konstruktionen hier immer nur postuliert werden, da die Fragestellung eine ganz andere als die hier verfolgte wäre. Mit der systematischen, quantitativen und qualitativen Erfassung der Konstruktionsrealisierungen wird es dennoch das erste Mal möglich, nonagentive Konstruktionen im Gebrauch zu erfassen. Dabei wird in dem hier gesteckten Rahmen zu zeigen sein, dass Konstruktionsrealisierungen nicht nur auf verschiedene Gebrauchsdomänen verteilt sind, sondern der Zusammenhang von Konstruktionen verschiedener Abstraktionsebenen bisweilen so stark ist (Stefanowitsch 2013 und Gries 2013 sprechen in dem Zusammenhang von Kollostruktionen), dass eine gebrauchsbasierte Beschreibung den nonagentiven Konstruktionen (und den Tempuskonstruktionen, Modal- und reflexiven Konstruktionen) als gegenstandsadäquat gelten kann.

7 Konstruktionen der ASKRIPTION 7.1 Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: sein Die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein ist in Kap. 5.2.1.2 bereits eingeführt worden: Sie ist, sowohl was die kognitive wie kommunikative Perspektivierung betrifft, die Konstruktion, die man als prototypisch bezeichnen könnte hinsichtlich ihrer Bedeutung, die sie im Konstruktikon spielt.

Abb. 31: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein. Direktlink: https://goo.gl/Aew7P6; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Der Ausgangspunkt war die theoretische Bestimmung der Konstruktion in Kap. 5.2.1.2, die einleitend hier noch einmal wiederholt wird: Sein tritt als Verb des Aussagerahmens ‚Eigenschaftszuweisung‘ in den Prädikationsrahmen ASKRIPTION (als Subtyp der Prädikatsklasse der ZUSTANDsverben) ein und steht hinsichtlich seiner Bedeutung in direktem Verhältnis zur Konstruktionsbedeutung. An Argumenten lizensiert die Konstruktion ein spezifiziertes Objekt (SOB) (vgl. oben Kap. 5.2.3.1) und einen Qualitativ (QUAL) (vgl. oben Kap. 5.2.3.2), beide Argumente werden auch durch das Verb aufgerufen (die Rollen fusionieren damit). Sie hat die Bedeutung: ‚Einem SOB wird eine mittels eines QUAL ausgedrückte Eigenschaft zugewiesen.‘ Die Realisierung mit sein ist prototypisch und Instanz der lexikalisch nicht spezifizierten Konstruktion der ASKRIPTION. Die Forschung zum so genannten sein-Passiv setzte sich vor allem mit dem Status des Perfektpartizips und seiner Rolle als QUAL auseinander, wobei sich die Auffassung durchgesetzt hat, dass man das so genannte sein-Passiv als

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Kopulakonstruktion zu analysieren habe. Zentrale Positionen, die hier für unsere Argumentation wichtig werden, seien noch einmal kurz zusammengefasst (vgl. ausführlich oben Kap. 4.2.1 und zur Diskussion um das Perfektpartizip unter konstruktionsgrammatischen Prämissen auch Kap. 5.2.3.2). Welke fasst wie Maienborn (2007) das sein-Passiv als „Konstruktion aus Kopula + Partizip II“ (Welke 2007: 120) weit. Im Kern greife man mit diesem Terminus die Bildungen mit dem Perfektpartizip transitiver Verben, meint aber faktisch „im Prinzip alle Konstruktionen aus sein + Partizip II.“ (Welke 2007: 116) Ohne die Ergebnisse der Analyse erneut zu diskutieren (vgl. dazu oben Kap. 5.2.3.2), muss festgehalten werden, dass sich die Frage noch auf andere Aspekte ausdehnen lässt. Maienborn schloss in ihrer Analyse „isolierte Bildungen“, also „partizipiale Adjektive“ (Eisenberg 1994: 71), aus, bei denen die Deverbalität nicht transparent ist. Die Konzentration auf das Perfektpartizip verstellte den Blick darauf (vgl. Maienborn 2007: 88), dass in den analysierten Konstruktionen sehr wohl mit einer nicht zu unterschätzenden Frequenz Adjektive auf der Basis des Präsenspartizips in die Konstruktionen eingebettet werden können (obwohl dies bei so genannten ‚Kopulaverben‘ eigentlich nicht der Fall ist). Weiter geben die Daten Hinweise darauf, dass die ‚Herkunft‘ des eingebetteten Adjektivs nicht die entscheidende Rolle spielt. Welke geht das Problem 2007 ebenso an. Er erweitert die Auffassung von Maienborn, indem er zeigt, dass auch zuInfinitive und Adjektive auf-bar als Modifikatoren in der Kopulakonstruktion eingebettet sein können, wenn sie dem (semantischen!) Kriterium genügen, „zur Aufgabe der Kopula-Konstruktion Zuweisung einer Eigenschaft zum Subjektreferenten“ beizutragen (Welke 2007: 134). Damit schließt er die Diskussion um die formale Beschaffenheit der ‚Modifikatoren‘ faktisch ab, die Maienborn (2007: 86f. mit Verweis auf Lenz 1994 und Eisenberg 1994) in Bezug auf die Prototypik des Perfektpartizips umfangreich führte. Diese semantische Bestimmung von Welke 2007 lässt sich in Beziehung setzen zu der konstruktionsgrammatischen Auffassung, dass der QUAL in Konstruktionen der ASKRIPTION vor allem durch semantische Merkmale bestimmt ist und diese, seine Rolle, durch die Konstruktion lizenziert wird. Anders als Welke rückt die Konstruktionsgrammatik aber nicht das Verb sein in den Vordergrund, sondern betont, dass sein als eines der Verben, die in diese Konstruktion eingebettet sein können, der kognitiven Perspektivität der Konstruktion der ASKRIPTION prototypisch entspreche. Von einer Konstruktion (kognitive Perspektivierung) und ihrer Realisierung (kommunikative Realisierung) zu sprechen entlastet dabei davon, valenzgrammatische Annahmen von einem Filler (hier sein) auf andere übertragen zu müssen.

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Abb. 32: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein im Präsens Indikativ. Erfasst sind nur die mittels der Suchstrings ermittelten Belege. Direktlink: https://goo.gl/otdaul; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC-BY-SA 4.0.

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Auch wenn die theoretische Ausgangslage gerade in Bezug auf die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein nicht besser sein könnte, so steht diese Studie doch vor einem ganz anderen Problem (Abb. 32). Forschungspraktisch ist es im Fall der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein und der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden (vgl. unten Kap. 8) angezeigt, den Gebrauch ausschnitthaft zu skizzieren. Das entworfene Untersuchungsdesign (vgl. Kap. 6, zur Erläuterung der Darstellungen oben Abb. 27) offenbart, wie hochfrequent die Konstruktionsrealisierungen mit sein z.B. allein im Präsens sind (Abb. 32). Für die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein müsste nur für das Präsens aus insgesamt 266.669 Belegen ein repräsentatives Sample gezogen werden, dieses wäre manuell auszuwerten und zu beschreiben. Das ist in einer Studie wie dieser aber nicht zu leisten und angesichts der Frequenz, in der die Konstruktionsrealisierung auftritt und die ihren Status im Sprachgebrauch anzeigt, sicher auch nicht nötig. Zum Vergleich: In derselben Umgebung des KERN-Korpus erhält man für bleiben in N1 7.209 Belege (vgl. Kap. 7.2), für scheinen 3.434 (vgl. Kap. 7.3.1.1), für erscheinen 3.241 (vgl. Kap. 7.3.1.2), wirken 2.632 (vgl. Kap. 7.3.2) und aussehen schließlich 842 Belege (vgl. Kap. 7.3.3) ab:

Abb. 33: Vergleich der ermittelten Belege N1 im KERN-Korpus nach eingebettetem Verb im Präsens Indikativ. Direktlink: https://goo.gl/NRS3Qq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 34: Vergleich der ermittelten Belege N1 im KERN-Korpus nach eingebettetem Verb im Präsens Indikativ nach Anpassung der Erhebungsroutinen. Direktlink: https://goo.gl/TFF9MV; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0

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Das Diagramm (Abb. 33) gibt, um das noch einmal deutlich zu sagen, nur die Belege zurück, die für eine Untersuchung im Präsens Indikativ hier in Frage kämen (N1); die Daten spiegeln nicht sogleich wider, wie viele der aufgerufenen Belege Konstruktionsrealisierungen der ASKRIPTION (m) entsprechen. Angesichts dieser Verteilungsverhältnisse ist nach explorativen Vorstudien klar, dass eine Anpassung des Untersuchungsdesigns für sein notwendig ist (Abb. 34). Wie andere Erhebungen zeigen (vgl. dazu Kap. 6, 7.2, 7.3, 9 und 10), sind – und das entspricht der kognitiven und kommunikativen Perspektivierungsleistung der nonagentiven Konstruktionen (vgl. oben Kap. 5.1.1) – besonders die dritte Person im Singular und Plural hochfrequent. Wir beschränken uns deshalb zum einen für sein auf eben diese. Statt quantitativ das gesamte 20. Jahrhundert auszumessen, wählen wir zum anderen zufällige Ausschnitte aus dem Untersuchungszeitraum und diskutieren die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein an ausgewählten Belegen aus den Doppeljahrgängen 1908–1909; 1948–1949 und 1998–1999. Uns ist dabei durchaus klar, dass die Jahrgänge 1948 und 1949 in eine Dekade fallen, die hinsichtlich der Schichtung des Korpus nicht unproblematisch ist (Kap. 6). Dieser Aspekt wird zu berücksichtigen sein. Die Doppeljahrgänge werden herangezogen, um in einem kleinen zeitlichen Rahmen möglichst viele Belege durch die Suchroutinen zu erfassen und seltenere Vorkommen (etwa Realisierungen des Progressivs) nicht zu übersehen.

Abb. 35: Verteilung der abgefragten Belege N im KERN-Korpus auf die ausgewählten Jahrgänge. Direktlink: https://goo.gl/6nimrB; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0

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Die Beleganzahl, die dann in dieser Studie zu bewältigen ist, stellt sich für das Präsens der Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein wie in Abbildung 34 dar. Allerdings wird durch diesen Zuschnitt auch die Heterogenität der Schichtung des KERN-Korpus sichtbar. Ein weiteres Problem tritt hinzu: Auch die Zugänglichkeit differiert stark, was der Verteilung der Belege auf die untersuchten Jahrgänge allerdings zuträglich ist. Ältere Texte und Texte aus den Bereichen Wissenschaft und Zeitungssprache sind durch das Urheberrecht nicht in gleichem Maße (mehr) betroffen wie neuere Texte:

Abb. 36: Verteilung der abgefragten Belege N1 im KERN-Korpus auf die ausgewählten Jahrgänge. Direktlink: https://goo.gl/5mzjmg; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

So sind bezüglich der zeitlichen Verteilung kaum auswertbare Aussagen zu den Belegen möglich, auch die Verteilung auf die Kommunikationsdomänen muss anders als bei der Analyse anderer Konstruktionsrealisierungen vorsichtig interpretiert werden.

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Abb. 37: Vergleich der mittels der Standardsuchroutinen aufgerufenen Belegzahlen (N und N1) für die Konstruktion mit sein und mit werden. Direktlink: https://goo.gl/lP6G2E; Stand: 16.08.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Auch wenn die Belegzahlen für die Konstruktionsrealisierungen der ASKRIPTION mit sein für Perfekt, Plusquamperfekt und Futur II (hier ist freilich zu prüfen, ob nicht epistemische Lesarten vorliegen, vgl. oben Kap. 5.1.4) im Vergleich zu den synthetischen Tempora massiv einbrechen (vgl. Abb. 37; sie entsprechen ca. der doppelten Belegzahl, die für Realisierungen mit bleiben [vgl. Kap. 7.2] ermittelt wurden), werden die Belege für die analytischen Tempora nach dem gleichen Muster erhoben, um im Gesamtblick auf die Konstruktionsrealisierungen nicht mit unterschiedlichem Augenmaß an die Interpretation zu gehen und die Verhältnisse im Korpus in einem kleinen Ausschnitt abbilden zu können. Voraussetzung dafür ist das detaillierte Untersuchungsdesign (vgl. oben Kap. 6). Für die Konstruktionen der Kommutation mit werden ist ein ebenso individueller Zuschnitt notwendig (vgl. Kap. 8), wie sich leicht an den erhobenen Daten in Abb. 37 ablesen lässt. In Kap. 8 werden wir uns ausführlich mit der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden auseinandersetzen, auch dort werden wir noch einmal auf die Anpassung des Untersuchungsdesigns eingehen. Hier im Kontext der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein soll das Augenmerk bei Abb. 37 besonders auf die analytischen Tempora Perfekt und Plusquamperfekt gelenkt werden. Da werden das Perfekt ebenfalls mit sein bildet, so wie sein selbst, aber statt gewesen je nach Qualitativ worden (VVPP) bzw. geworden (ADJD) in die Konstruktionen eingebettet ist, und damit sein lediglich für die Tempuskonstruktion, aber nicht für die Markierung der nonagentiven Konstruktion hinzugezogen ist, scheinen diese Formen neben den Konstruktionsrealisierungen der ASKRIPTION mit bleiben (vgl. Kap. 7.2) die Funktionen der Konstruktion der ASKRIPTION im Perfekt mit zu übernehmen. In Bezug auf scheinen lässt sich Ähnliches beobachten (vgl. Kap. 7.3.1.1), hier könnten die Konstruktionen mit erscheinen (vgl. 7.3.1.2) die Funktionen des Perfekts beisteuern. Darauf könnte zumindest die „Perfektlücke“ der Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein (und scheinen) hinweisen. Dieser Zusammenhang wird in den Kap. 7.2 und 7.3.1 im Zusammenhang der Konstruktionen der ASKRIPTION mit bleiben, scheinen und erscheinen diskutiert und ebenfalls in Kap. 8 ausführlich besprochen: In Kap. 8.1 werden die Verteilungen der Belege der Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden beschrieben, in Kap. 8.2 wird die Alternative diskutiert, nicht eine Konstruktion der KOMMUTATION zu postulieren, sondern die Konstruktionen mit werden als Konstruktionen der ASKRIPTION zu werten, da werden darin eine modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung etabliert. Neben theoretischen Annahmen, die zu dieser Alternative führen, sind es vor allem Beobachtungen zur „Perfektlücke“ der Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein, die

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diese konstruktionsgrammatische Alternative stützen. Fragen wie diese stellen sich nur, wenn man (vor allem analytische) Tempuskonstruktionen als relevante Größe bei der Interpretation grammatischer Strukturen berücksichtigt. Weiter ist zu Abb. 37 zu bemerken, dass die Formen, die hier als Futur I und II markiert sind, formal als solche erfasst sind, was zugleich bedeutet, dass Tempus- und Modalkonstruktionen (vgl. oben Kap. 5.1.4) noch nicht geschieden sind.

Abb. 38: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein im Präsens und Präteritum Indikativ nach Anpassung der Erhebungsroutinen. Direktlink: https://goo.gl/bppnbC; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Neben den Übersichten, die in dieser Studie integriert werden, können alle Belege online eingesehen werden (https://goo.gl/LS5aNK; Stand: 05.08.2015). Das schließt einen vollständigen Überblick über die ausgewerteten Qualitative ein, die in der Analyse nur im Ausschnitt dokumentiert sind. Alle Belege, die zitiert werden und dem Untersuchungskorpus entnommen sind, werden mit ihrer laufenden Nummer in dieser Arbeit zitiert, können also jederzeit nachvollzogen werden.

Abb. 39: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein im Perfekt und Plusquamperfekt nach Anpassung der Erhebungsroutinen. Direktlink: https://goo.gl/8QxfOs; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Die wenigen Belege, die im analytischen Perfekt und Plusquamperfekt ermittelt werden, zeigen bezüglich modaler Infinitive und Progressive ein erwartbares Bild. Diese waren bereits in den synthetischen Tempora deutlich niederfrequenter als die Elemente, die als VVPP oder ADJD notiert waren. Dieser Trend setzt sich hier fort. Die Restriktionsregeln bezüglich des Perfekts sind so streng, dass sogar im Plusquamperfekt insgesamt mehr Belege beobachtet werden können.

Abb. 40: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein im Futur I nach Anpassung der Erhebungsroutinen. Direktlink: https://goo.gl/bkQG7I; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Für die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein können in den Doppelperfektformen und im Futur II keine Belege nachgewiesen werden. Insgesamt konnten im KERN-Korpus mit den angepassten Abfrageroutinen 29.193 Belege ermittelt werden (N), von denen 24.358 Belege untersucht hätten werden können (N1). Für die Analyse wurde ein repräsentatives Sample gebildet von 7.803 zufällig ausgewählten Belegen (n), von denen insgesamt 5.454 Belege (m) der gesuchten Konstruktion der ASKRIPTION entsprachen:

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Abb. 41: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/ogfQzJ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Modalkonstruktionen mit werden – das sind Konstruktionen, die formal dem Futur I und II entsprechen, aber nicht Tempus, sondern Modus markieren – werden wir nicht einbeziehen, es sei denn, dass futurische Lesarten nicht ausgeschlossen sind, es sich also um Konstruktionsrealisierungen in einem Übergangsbereich zwischen Tempus und Modus handelt. Diesen Übergangsbereich können wir in dieser Studie nicht systematisch beschreiben; Modalkonstruktionen klammerten wir theoretisch (vgl. Kap. 5.1.4) und methodisch (Kap. 6) aus. Wir berücksichtigen sie (wie analytische Tempuskonstruktionen) in den Bereichen, in denen sie für die Erklärung und Analyse nonagentiver Konstruktionen relevant werden können – das sind u.a. das ‚analytische Präsens‘ und ‚analytische Präteritum der Modalverben‘, die in Kap. 10.1.4 kurz thematisiert werden. Dort wird auch Platz sein für die Modalkonstruktionen mit werden. Wie oben bereits zu den analytischen Tempora Perfekt und Plusquamperfekt angemerkt, ist die „Perfektlücke“ an den Belegen deutlich sichtbar – und das, obwohl alle verfügbaren Belege untersucht worden sind und p angibt, dass das Verhältnis zwischen abgefragten Belegen und den Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein sehr hoch und deutlich höher als bei allen anderen untersuchten Tempora ist. Angesichts der Belegzahlen in den synthetischen Tempora Präsens und Präteritum sind die Belegzahlen aber in allen analytischen Tempora verschwindend gering. Ohne bei dem strengen Zuschnitt das Spiel mit Verhältnissen zu weit treiben zu wollen, entfallen, grob gesagt, auf die analytischen Tempora Präsens und Präteritum 94% aller untersuchten Belege. Zu bedenken ist dabei, dass hier ein äußerst kleiner Ausschnitt von drei Doppeljahrgängen für die Analyse herangezogen wurde – einen Überblick über die tatsächlichen Verhältnisse deutete oben Abb. 37 an. Eine weitere Tendenz war wegen der „Perfektlücke“ ebenfalls schon kurz zu beobachten: Modale Infinitive treten in den analytischen Tempora stark zurück hinter die Elemente, die als VVPP und ADJD annotiert sind. Progressive dagegen sind als Phänomene so

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selten, dass wir wohl auch Glück im Zuschnitt des Untersuchungsausschnitts hatten. Auch wenn wegen der zusätzlichen Anpassung des Untersuchungsdesigns der Ausschnitt aus dem Untersuchungskorpus für sein und werden noch einmal speziell zugeschnitten worden ist, sollen dennoch Schätzwerte ermittelt werden für die Belegzahlen, wie sie sich idealerweise im Korpusausschnitt darstellen würden (Abb. 42).

Abb. 42: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungsausschnitt nach angepassten Abfrageroutinen. Direktlink: https://goo.gl/O8pXON; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0

Progressive (QUAL) wurden für die Berechnung in Abb. 42 nicht berücksichtigt. Die Werte M1 und M sind je im Dreisatz ermittelte Schätzwerte zunächst unter

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der Annahme, dass die Zufallsstichprobe n repräsentativ für die Grundgesamteinheit (N1) ist. Weiter gehen wir davon aus, dass sich N strukturell nicht stark von N1 unterscheidet und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann. Eine Fehlerbereinigung der Schätzwerte ist nicht angezeigt.1 Die Schätzwerte sind auf drei Nachkommastellen gerundet. Durch die Rundung können sich minimale Fehler in der Summenbildung ergeben, rechnete man bspw. die einzelnen Schätzwerte M für die Kommunikationsdomänen gegen die geschätzte Gesamtsumme M. An Abb. 42 sieht man noch einmal deutlich, dass bei zu hohen Belegzahlen selbst bei dem noch einmal drastisch verkleinerten Korpusausschnitt mit zufällig gewählten Samples gearbeitet wird: Für die 3. Ps. im Singular Präsens Indikativ mit VVPP bspw. ist in Verbzweitstellung ein Belegfaktor von 4,01 als Verhältnis zwischen N1/n, also das Verhältnis von verfügbaren und untersuchten Belegen, anzugeben, in Verbletztstellung ist der Faktor mit 9,54 sehr hoch (vgl. oben Abb. 38, Präsens Indikativ, Z. 1 und 4): Diese Verhältnisse werden in den Schätzwerten M1 und M abgebildet. Die schon beobachteten Tendenzen (Tempuspräferenz und Reihung der Qualitative) verstärken sich wegen des nun eingerechneten Verhältnisses zwischen Untersuchungssample (n) und zur Verfügung stehenden Belegen (N1) noch einmal zwischen Präsens und Präteritum zugunsten der präsentischen Formen. Auch die Relevanz von Elementen, die als ADJD und VVPP annotiert sind, tritt noch einmal stärker heraus (genauere Aussagen wären wegen der Spezifik der Annotation des Korpus, vgl. oben Kap. 6.1. und 6.2, unseriös). An den Schätzwerten ist ebenfalls gut nachvollziehbar, dass die Abnahme der Belege mit modalem Infinitiv (zuVVINF und VVIZU) von Präsens nach Präteritum stärker ist, als angesichts der Abnahme der Belege mit VVPP/ADJD zu erwarten wäre. Hier liegt also vermutlich ebenfalls eine Tempuspräferenz vor, die – das wäre hier noch zu vermuten – durch den modalen Infinitiv bedingt ist. Abb. 42 bezieht auch die Gebrauchsdomänen Belletristik (BE), Gebrauchsliteratur (GE), Wissenschaft (WI) und Zeitungstexte (ZE) erstmals ein. Hier liefern die Schätzwerte für die sich anschließende detaillierte Interpretation der untersuchten Daten wertvolle Hinweise – mehr als eine schwerpunktmäßige Gewichtung wollen wir daraus aber nicht ableiten. Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein und VVPP/ADJD werden im Präsens dominant in WI verwendet, dicht gefolgt von ZE, danach mit Abstand GE und BE. Im Präteritum – das mag nicht verwundern – sind die meisten Belege in BE verzeichnet (‚Erzähltempus‘), WI

|| 1 Für den Einsatz der Standardabweichung müssten unterschiedliche Samplegrößen n zufällig aus N1 gezogen und jeweils auf Belegvorkommen m untersucht werden. Diese wären zu standardisieren und zu N1 und N in Relation zu setzen.

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und ZE liegen etwa gleichauf dahinter, danach Belege in GE. Bei den modalen Infinitiven zeichnet sich ab, dass diese im Präsens dominant in GE verwendet werden, danach WI und ZE und abgeschlagen in BE. Im Präteritum werden die Verhältnisse wieder deutlich umgekehrt: BE liegt vor GE, ZE und WI. Es ist also mitnichten so, dass die folgenden Abbildungen die Situation im Korpusausschnitt oder im KERN-Korpus direkt widerspiegeln – hier sind erst einmal nur die Belege in Überblicksdarstellungen aufgeführt, die im Untersuchungskorpus ausgewertet worden sind. Die Interpretation der Schätzwerte (vgl. Abb. 42) ist immer mit zu berücksichtigen, sobald Aussagen über die Verteilung von Belegen im Korpus gemacht werden. In Abb. 43 sind die realisierten Qualitative im Verhältnis zur morphologischen Form des Verbs in synthetischen und analytischen Tempuskonstruktionen dargestellt. Die ersten Tendenzen bestätigen sich hier, vor allem die starke Abnahme der modalen Infinitive im Präteritum wird noch einmal besonders deutlich, die Verhältnisse bei VVPP und ADJD werden durch die Verwendung von Untersuchungssamples verdeckt. Wie in Abb. 42 und den Erläuterungen dazu aber zu sehen war, lassen sich hier ähnliche Abnahmen verzeichnen, die aber nicht so drastisch sind wie bei den modalen Infinitiven.

Abb. 43: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von sein mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/Tzl2v6; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Ein interessantes Detail hingegen blieb bisher unbesprochen (vgl. dazu Abb. 42 und 43): Neben der „Perfektlücke“ ist auffällig, dass sich die Verteilungsverhältnisse im Futur I drastisch verschieben: Nahmen die Belege mit modalen Infinitiven im Präteritum noch stärker ab als jene Realisierungen mit ADJD und VVPP, so verkehren sich nun die Verhältnisse. Auch hier lässt sich eine Tempuspräferenz beobachten, die der Grundbedeutung des modalen Infinitivs mit ‚alternativlose Notwendigkeit‘ oder ‚Option‘ (vgl. oben Kap. 5.2.3.2) im analytischen Futur I mit werden entgegenzukommen scheint. Präferenzen dieser Art

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sind ein Hinweis darauf, dass auch die Auxiliarität der Verben, die in analytischen Tempuskonstruktionen eingebettet sind, hinterfragt werden muss – beschreibt man nonagentive Konstruktionen so wie hier vorgeschlagen, stehen auch Konstruktionen mit sein, haben und werden auf dem Prüfstand ebenso wie die ‚Modalverben‘(vgl. dazu oben Kap. 5.1.4). Angesichts des Zuschnitts des Untersuchungskorpus auf drei Doppeljahrgänge ist die chronologische Verteilung der Realisierungen nach Art analytischer und synthetischer Tempora (Abb. 44) nur mit größter Vorsicht zu interpretieren. Vor dem Hintergrund, dass im Doppeljahrgang 1998/1999 wesentlich mehr Belege für die Untersuchung zur Verfügung stehen (1908/1909: 4.800, 1948/1949: 3.412, 1998/1999: 8.379; vgl. oben Abb. 35) und die Schichtung des Korpus ebenfalls nicht unproblematisch ist (vgl. oben Abb. 18, Kap. 6), könnte man die Abnahme der Belege im analytischen Futur als auffällig bezeichnen, während die übrigen Tempora im Verhältnis der zu untersuchenden Belegdaten weitestgehend stabil repräsentiert sind.

Abb. 44: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit sein mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/0gtseK; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Stärker als im Hinblick auf das Zusammenspiel verschiedener Konstruktionen ist von der Wahl der Doppeljahrgänge die Verteilung auf Kommunikationsdomänen betroffen, die noch dazu durch die Wahl von Untersuchungssamples beträchlich beeinflusst wird. Die Integration eines Gesetzestextes in den Jahrgang 1998/1999 sorgt hier für eine starke Verzerrung der Übersicht, die sich nicht quantitativ, aber wohl qualitativ bewältigen lässt (Abb. 44). Allerdings müssen die Werte vor dem Hintergrund der Interpolation der Belegdaten

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im Untersuchungskorpus (Abb. 42) interpretiert werden. In Summe bestätigen sie zwar die Tendenzen, die bereits skizziert worden sind (betrachet man die Domänen separat für sich), allerdings wird auch Wesentliches verdeckt: (1) Das Verhältnis zwischen Präsens und Präteritum bei belletristischen Texten ist gegen Abb. 44 mit Abb. 42 eher als ausgewogen zu charakterisieren, (2) die Belegzahlen in der Gebrauchsliteratur sind tatsächlich hoch, aber in Abb. 44 werden im Gegensatz zu Abb. 42 die Belegfaktoren nicht berücksichtigt: Belege aus den Bereichen Wissenschaft und Zeitungen sind häufiger als in der Gebrauchsliteratur.

Abb. 45: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit sein nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/tdRMWP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Besonders in Abb. 45 sticht die Dominanz einer Gebrauchsdomäne ins Auge – auf eine Abnahme des Gebrauchs in anderen Domänen, besonders der Wissenschaft, kann vorsichtig geschlossen werden, da die Schichtung des Korpus (oben Abb. in Kap. 6) zunächst nicht als Begründung für einen solchen Abbau herhalten kann. Allerdings spiegeln die Zahlen hier nicht die Belege einer Dekade, sondern eines Doppeljahrgangs wider – insofern kann die Abnahme der Konstruktionsrealisierungen in der Domäne Wissenschaft hier nur als Hypothese formuliert werden. Der Zuschnitt des Untersuchungskorpus muss freilich auch im Hinblick auf die konkreten Qualitative, die nun im Mittelpunkt stehen, berücksichtigt werden. Insgesamt wurden 2.158 unterschiedliche Qualitative in 5.454 Belegen ermittelt (Verhältnis: 2,53). Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative können online eingesehen werden (https://goo.gl/LS5aNK; Stand: 05.08.2015). Die folgenden Abbildungen schließen die ausgewerteten Qualitative auf nach Annotationsart, Kommunikationsdomäne und temporaler Verwen-

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dung. Ausgewählt wurden dafür die je 30 häufigsten Qualitative. Den absoluten Zahlen ist dabei weniger Gewicht beizumessen. Abb. 46 spiegelt mit der Sortierung nach Annotationsart die Verhältnisse im Untersuchungskorpus am deutlichsten wider (wenn es um die Reihung der Qualitative geht), wobei die absoluten Zahlen bei modalen Infinitiven und Progressiven belastbar sind. Bei VVPP und ADJD müssen – vgl. oben Abb. 42 – Einschränkungen in Kauf genommen werden. Die Abb. 48 (Gebrauchsdomänen) und 49 (Verteilung nach Tempus) sind daher ergänzend zu verstehen. Wenden wir uns zunächst den Elementen zu, die als VVPP und als ADJD annotiert worden sind (vgl. Abb. 46). Ein typisches Phänomen ist, dass die Annotation nicht zuverlässig ist: Bekannt wird sowohl als Perfektpartizip ([Spalte] VVPP / [Nummer] 27 / [Belege] 9) als auch als Adjektiv (ADJD / 7 / 21) annotiert, seine mit un- negierte Form ist ebenfalls nachgewiesen (ADJD / 23 / 10). Alle als Adjektiv annotierten Elemente, die in die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein eingebettet sein können, unterstützen als absolute, relationale oder Qualitätsadjektive die Konstruktionsbedeutung der Eigenschaftszuweisung – die Klassifikation der Adjektive hilft hier weiterer Differenzierung nicht. Neben bekannt wird noch ein weiteres deverbales Adjektiv aus Perfektpartizip in dieser Übersicht mit den 30 häufigsten Qualitativen der Annotationsart geführt: bedeckt (ADJD / 26 / 9). Bar-Adjektive sind niederfrequenter und in Summe weniger variantenreich: brauchbar (nicht in Abb. 46, [Belege] 7), sichtbar (7), erreichbar (6), vereinbar (4), vergleichbar (4), spürbar (3), unberechenbar (3), unerreichbar (3), unsichtbar (3) und unvereinbar (3) sind die ersten zehn bar-Adjektive, drei von ihnen (sichtbar, erreichbar, vereinbar) sind zusätzlich in ihrer negierten Form unter den zehn häufigsten bar-Adjektiven vertreten. Die Perfektpartizipien, die mittels VVPP annotiert worden sind, zeigen auf den ersten Blick ein eigenwilliges Bild – es ist allerdings nur ein Dilemma, wenn man sich zur Aufgabe machte, sein-Perfekt und sein-Passiv trennen zu wollen. Auch herrscht Unsicherheit darüber, ob ein Element nun besser als ADJD oder besser als VVPP zu annotieren sei (bekannt). Wie schnell deutlich wird, wird nicht nur jeder Beleg zur Einzelfallentscheidung, sondern auch, dass wie bei der differenzierenden Beschreibung der Adjektive schlussendlich nicht die Form, sondern neben der konstruktionalen Bedeutung die lexikalische Bedeutung des Perfektpartizips ganz erheblichen Einfluss darauf hat, ob es – auch als Kollexem von sein – als Qualitativ in eine Konstruktion der ASKRIPTION eingebettet werden kann.

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Abb. 46: Die je 30 häufigsten Qualitative mit sein nach Annotationsart. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/h12MFi; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Es muss aber nicht entschieden werden, ob hier das Perfekt einer Konstruktion mit der Prädikatsklasse VORGANG vorliegt oder eine nonagentive Konstruktion im Präsens. Entscheidend ist, dass die Perspektivierungsleistung der Realisierung der kognitiven Perspektivität der Konstruktion der ASKRIPTION entspricht: [K2582] 1908 / ZE / Berliner Tageblatt (Montags-Ausgabe) 02.03.1908 / Seine Frau ist in Moskau geboren und erzogen und spricht fließend russisch. [K4268] 1999 / ZE / Die Zeit 04.02.1999 / In wenigen Jahren wird die Hälfte aller hiesigen Muslime in der Bundesrepublik geboren sein. Und: [K2489] 1908 / WI / Goldfriedrich, Johann, Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn der klassischen Littera-

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turperiode, Leipzig: Verl. des Börsenvereins der Dt. Buchhändler 1908, S. 2372 / Nach Zubrodts Tode, 1690, war Metzler der einzige reine Buchhändler in Stuttgart; nachdem er im Jahre 1716 gestorben war, associierte sich sein Sohn Johann Benedikt mit dem vorher genannten Hofbuchdrucker Rößlin, der das Privilegium besaß, vom Jahre 1718 ab Stuttgarts „alleiniger Buchhändler“ zu sein, und dessen Schwager Metzler war. [K3891] 1998 / ZE / Die Zeit 26.02.1998 / Nach irakischen Angaben sind bislang über eine Million Menschen an den Folgen der Wirtschaftssanktionen gestorben. Gebären ist ein transitives HANDLUNGsverb, welches einen Handlungsträger (Agens) und ein affiziertes Objekt (AOB) als Partizipantenrollen aufweist; es lässt sich allerdings auch in Ditransitiv-Konstruktionen einbetten (sie gebiert ihm ein Kind), wobei dann die Konstruktion neben AG und AOB noch einen BEN lizensiert. Sterben hingegen ist ein intransitives VORGANGsverb. Bildet man aus diesen Verben Perfektpartizipien, dann eignet ihnen neben der lexikalischen Bedeutung die, eine Eigenschaft anzuzeigen. Als deverbale Adjektive können sie so in Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein eingebettet werden, da sie beide die Konstruktionsbedeutung ‚einem SOB wird eine mittels eines QUAL ausgedrückte Eigenschaft zugewiesen‘ unterstützen. Sicher mag es günstig sein, dass gebären und sterben als telische Verben aufzufassen sind, so dass ihre lexikalische Bedeutung wiederum die der Konstruktion des Perfektpartizips stützt, nämlich Perfektivität, Abgeschlossenheit, und damit eine Eigenschaft zu markieren:

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Abb. 47: Lexikalisch maximal spezifizierte Realisierung der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein zu den Belegen [K2582], [K44268] sowie [K2489] und [K3891]. Direktlink: https://goo.gl/jNfvLp; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Zwei weitere Beispiele sollen zum einen illustrieren, dass die hier vorgeschlagene Konstruktion der ASKRIPTION mit sein, die direkt an die bisherige Forschungsdiskussion anschließt, der Differenzierung und Annahme unterschiedlicher Konstruktionen vorzuziehen ist. Zum anderen, dass eine Lesartendifferenzierung – vgl. oben Kap. 4.2.1 – nur schwerlich plausibel zu machen ist: [K4135] 1999 / GE / Schwanitz, Dietrich, Bildung, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 193 / Die Würfel sind gefallen. [K4176] 1999 / ZE / Die Zeit 18.11.1999 / Aber dieser Zug ist für heute abgefahren. Wie fein die Nuancen bezüglich der Perfektpartizipien aus transitiven HANDLUNGsverben sind, die als deverbale Adjektive traditionell als Domäne der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden gelten, kann man ebenfalls aus [K2582] ablesen: Während geboren in der Konstruktion der ASKRIPTION eingebettet sein kann, mutet das nicht modalisierte erzogen (durch die Modalisierung würde ein Zustand als Eigenschaft angezeigt, z.B. gut/schnell richtig/schlecht erzogen) als Perfektpartizip aus dem atelischen transitiven erziehen in der Konstruktion der ASKRIPTION doch eigenwillig an. Tatsächlich ist das der einzige Beleg, in dem erzogen in den Untersuchungsdaten der Konstruktion der ASKRIPTION ausgewiesen ist, in der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden können trotz Zuschnitts des Korpus (zur Begründung vgl. oben und Kap. 8.1) immerhin drei Belege nachgewiesen werden. Erzogen beugt sich – wenn auch knirschend – der Lesarterzwingung, weil die Konstruktion der ASKRIPTION mit

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geboren in akzeptierter Weise realisiert ist und erzogen lediglich in diese Realisierung eingeordnet wird. Geboren hingegen ist, als VVPP annotiert, als deverbales Adjektiv sowohl in der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden als auch in der Konstruktion der AKZEPTATION mit sein voll akzeptabel und hier wie dort gleichermaßen nachgewiesen. Dabei lassen sich nicht nur Formen im Präsens und Präteritum wie in der Konstruktion der ASKRIPTION, sondern auch im analytischen Plusquamperfekt beobachten, das Futur hingegen fehlt – auch das könnte ein Effekt der Konkurrenz von analytischen Tempuskonstruktionen und nonagentiven Konstruktionen sein (wie die „Perfektlücke“ bei sein lässt sich eine systematische „Futurlücke“ bei werden beschreiben, auch wenn diese strukturell anders zu fassen ist). Der Verweis auf die frei zugängliche Belegsammlung wird später gegeben, da hier nur illustrativ zitiert werden soll (Belegsammlung werden, vgl. Kap. 8.1 und Verzeichnis in Kap. 15.2): [K4280] 1909 / WI / Braun, Lily, Memoiren einer Sozialistin, München: Langen 1909, S. 9313 / Sie sprachen niemals von dem, was sich vorbereitete; und erst als mein Schwesterchen geboren worden war, wurde mir das Ereignis vom Vater angekündigt. In Beleg [K4280] ist eine nonagentive Konstruktion der KOMMUTATION mit werden im Plusquamperfekt realisiert. Bedeutung dieser Konstruktionen sei, wie in Kap. 5.2.1.3 entworfen, dass ein affiziertes Objekt (AOB) hinsichtlich seines Zustands durch einen im QUAL (in der Regel ein deverbales Adjektiv aus Perfektpartizip) spezifizierten Vorgang (prototypisch mit dem VORGANGsverb werden) verändert werde. Zu beachten war weiter, dass der Patiens (PAT) Subtyp des affizierten Objekts (AOB) ist. Diese Bedeutung hat die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden auch in analytischen Tempora wie dem Plusquamperfekt – dieser Zusammenhang zwischen nonagentiven Konstruktionen auf der einen und analytischen Tempuskonstruktionen auf der anderen Seite wird in der Forschung allerdings nicht systematisch beschrieben. Dabei sind gerade diese Fälle interessant. Werden in der nonagentiven Konstruktion der KOMMUTATION wird in analytischen Tempora der Vergangenheit mit sein eingebettet. Gleiches gilt für die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben in resultativer Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung, auch wenn hier freilich z.T. andere Qualitative beschrieben werden müssen. Der Verweis auf die frei zugängliche Belegsammlung wird (wie bei werden) später gegeben (Belegsammlung bleiben, vgl. Kap. 7.2 und Verzeichnis in Kap. 15.2):

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[K1482] 1999 / GE / Kurz, Robert, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 247 / Natürlich ist dieser Charakter des sozialdemokratischen Staatssozialismus auch den Zeitgenossen nicht völlig verborgen geblieben. In der theoretischen Hinführung war über die Bedeutung analytischer Tempora nachgedacht worden. Auf eine Auszeichnung des sein-Perfekts haben wir im Einklang mit der Forschung zugunsten der Konstruktion der ASKRIPTION verzichtet (vgl. oben Kap. 4.2.1, 5.2.1.2) – das konnte konstruktionsgrammatisch aber begründet werden. Anders sieht es aber dann aus, wenn man analytische Tempuskonstruktionen gänzlich aus grammatischen Analysen ausklammert. Das kann man tun, wenn man sprachliche Phänomene modular beschreibt und Tempus nicht als relevante Kategorie einstuft und, wie es häufig geschieht, nonagentive Konstruktionen im ‚Grundtempus‘ Präsens immer wieder mit introspektiv gewonnenen Beispielen analysiert. Doch in [K4280] liegt eine analytische Tempuskonstruktion Plusquamperfekt der Vergangenheit mit sein vor, in die eine nonagentive Konstruktion der KOMMUTATION eingebettet ist, in [K1482] aus der Belegsammlung zu bleiben (Kap. 7.2) ist es eine der ASKRIPTION mit resultativer Lesart im Perfekt. Für das Perfekt war oben mit Reichenbachs relationalen temporalen Bezugspunkten die Bedeutung paraphrasiert worden: ‚markiert ein Ereignis, welches vor einem Referenzzeitpunkt liegt, der mit der Sprechzeit zusammenfällt‘ (vgl. oben Kap. 5.1.4). Die strukturelle Bedeutung des Plusquamperfekts wäre anzugeben mit: ‚Markierung eines Ereignisses, welches vor einem Referenzzeitpunkt situiert ist, welcher wiederum vor der Sprechzeit liegt‘ (vgl. oben Kap. 5.1.4). Zur Erläuterung von [K4280] aus der Belegsammlung mit werden (Kap. 8.1) und [K1482] mit bleiben (vgl. 7.2) können wir uns auf die historische Genese des Perfekts konzentrieren, die wir hier noch einmal aufgreifen wollen: Historisch ist das Perfekt (und damit auch das Plusquamperfekt) mit sein zurückzuführen auf eine Konstruktion, in der ein deverbales Adjektiv als Qualitativ sich auf ein spezifiziertes Objekt (in Subjektposition) bezog und einen ZUSTAND (als Ergebnis eines implizierten VORGANGs) bedeutete. Die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden hat die Bedeutung, im Aussagerahmen ‚Eigenschaftszuweisung‘ mit dem Prädikationsrahmen VORGANG anzuzeigen, dass ein AOB hinsichtlich seines Zustands durch einen im QUAL spezifizierten Vorgang eine Veränderung erfährt, wobei das AOB auch durch den Subtyp PAT vertreten sein kann. Die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben erbt ihre Eigenschaften von jener mit sein, allerdings ist das Verhältnis zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung nicht direkt, sondern resultativ. Es wird also ‚einem SOB eine mittels eines QUAL ausgedrückte Eigenschaft als

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dauerhaft zugewiesen‘. Die analytischen Vergangenheitstempora mit sein, die NACHZUSTAND (also etablierten ZUSTAND zur Sprechzeit) bedeuten, betten je Konstruktionen ein, in der die Änderung des ZUSTANDS eines AOB kognitiv perspektiviert ist (und kommunikativ realisiert wird) oder in der ein ZUSTAND als dauerhaft markiert wird. Wesentliches Kennzeichen dieser Einbettung ist, dass der AOB der Konstruktion der KOMMUTATION und der SOB des analytischen Vergangenheitstempus durch ein Element repräsentiert sind und das VORGANGsverb werden in der Form eines deverbalen Adjektivs in die Konstruktion eingebettet wird, wodurch es zu einer Verdopplung der strukturellen Bedeutung des Perfektpartizips kommt. Dadurch wird kein Vorgang mehr markiert, sondern Perfektivität (Belegsammlung werden, vgl. Kap. 8.1 und Verzeichnis in Kap. 15.2): [K463] 1998 / WI / Fath, Rolf, Reclams Lexikon der Opernwelt Band 1, Stuttgart: Reclam 1998, S. 59 / Bei der Suche nach ihm wird seine ramponierte und verschmutzte Maikrone gefunden; man hält Albert für tot. [K3172] 1999 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1975–1995, Berlin: Aufbau-Verl. 1999, S. 305 / Und weil Akten gefunden worden sind, in denen über die Geschichte seiner Tötung penibel Buch geführt ist. Dabei erzwingt die abstraktere Konstruktion (die des Tempus) die Lesart – das AOB der Konstruktion der KOMMUTATION [K463: Maikrone] rückt bei Einbettung in ein analytisches Perfekt [K3172: Akten] mit sein deutlich in Richtung des SOB der Konstruktion der ASKRIPTION (ohne Zusatzstudien soll aber nicht von einem shading des AOB gesprochen werden). Damit steht die kommunikative Perspektivierung von erst als mein Schwesterchen geboren worden war schlussendlich eher der kognitiven Perspektivierung der Konstruktion der ASKRIPTION nahe. Effekte wie diese führten immer wieder zu den Lesartproblemen zwischen sein-Perfekt und sein-Passiv (vgl. oben Kap. 4.2.1). Im Falle der Einbettung einer Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben ändern sich die Perspektivierungsverhältnisse nicht, die Argumentstrukturrollen der Tempuskonstruktion und der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben sowie die Partizipantenrollen des Verbs sind identisch (Belegsammlung bleiben, vgl. Kap. 7.2 und Verzeichnis in Kap. 15.2): [K8]

1997 / ZE / Archiv der Gegenwart, 67, 1997 / Die Nordische Paßunion bleibt erhalten.

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[K1893] 1999 / ZE / Die Zeit 18.03.1999, 18.03.1999 / „Es ist eine Narretei der Natur, daß diese archaische Funktion bis heute erhalten geblieben ist“, sagt der Psychologe. Im Sprachgebrauch stellt sich das nun so dar: Sein in Konstruktionen der ASKRIPTION wird im Perfekt aufgrund starker semantischer und formaler Restriktionen nur in absoluten Ausnahmen realisiert (das entspräche: mein Schwesterchen ist/war geboren gewesen). Allerdings kann durch die Markierung eines (zur Sprechzeit längst etablierten) ZUSTANDS durch Perfekt mit sein und durch die Einbettung der Konstruktion der KOMMUTATON mit Prädikationsrahmen VORGANG die kognitive Perspektivierung der Konstruktion der ASKRIPTION im Sprachgebrauch kommunikativ realisiert werden wie in [K3172]. Als Alternative bietet sich weiter die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben an wie [K1893]. So, könnte man sagen, wird die „Perfektlücke“ geschlossen – oder anders: Die Sprecher können auf Alternativen ausweichen, systematisch bleibt die „Lücke“ im Perfekt der Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein eine solche. Man kann die Schraube natürlich auch noch ein Stück weiterdrehen und folgende Hypothese aufstellen (die müsste allerdings in einer eigenen Studie, die sich mit den analytischen Tempora eingehend beschäftigt, geprüft werden): Wird sein in Konstruktionen eingebettet, verhalten diese sich strukturell analog zu Präteritopräsentien: Wird es in die Konstruktion der ASKRIPTION eingebettet, übernimmt es im Präsens die Funktionen des sein-Perfekts mit. Dadurch entsteht der oben beschriebene Effekt, dass man sein-Perfekt und sein-Passiv nicht plausibel differenzieren kann oder mit verschiedensten Lesarten operiert. Im Perfekt ist die Verdopplung mehrerer Konstruktionen und deren Bedeutungen ausgeschlossen: Sein-Perfekt und ASKRIPTION haben strukturelle Ähnlichkeiten, die Verdopplung von Partizipien würde deren Bedeutung zweifach einschreiben usw. Das ist analog bspw. für die Doppelperfektformen bereits beschrieben (Rödel 2007; Eroms 2009 und Hundt 2011). In der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein wird das Perfekt deshalb so gebildet, dass andere Konstruktionsrealisierungen, die ihr Perfekt ebenfalls mit sein bilden, als Ganzes in die Konstruktion der ASKRIPTION als Qualitative eingebettet werden: Das sind Konstruktionen der ASKRIPTION mit bleiben und der KOMMUTATION mit werden. Die Lücke ist also keine solche, sondern ein systematischer Zusammenhang, der sich zwischen nonagentiven Konstruktionen ergibt und als solcher beschreiben lässt. Wir werden auf diese Hypothese – mehr wird es in dieser Studie nicht sein – besonders in den Kap. 7.2, 8 und 11 zurückkommen. In Diskussionen wie diesen wird aber deutlich, dass man konstruktionsgrammatisch z.B. syntheti-

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sche und analytische Tempuskonstruktionen analytisch differenziert behandeln müssen wird. Modale Infinitive (als Qualitative) wurden charakterisiert als Konstruktionen, die ‚obligative‘ oder ‚situative‘ Bedeutung tragen, indem sie gemeinsam mit sein die Bedeutung etablieren, dass der Zustand eines SOB als ‚nichtverhandelbar notwendig‘ (Stefanowitsch 2009) oder als ‚in der Situation möglich‘, in jedem Fall aber zugleich als ‚nicht gegeben‘ charakterisiert wird, was auf eine deontische Komponente der Konstruktion hinweist (vgl. dazu auch unten Kap. 10). In seiner Kollostruktionsanalyse ermittelte Stefanowitsch Kollexeme (also für uns Qualitative mit sein), die er für die ‚obligative‘ Verwendung zwei semantisch kategorisierten Klassen zuordnete. Zum einen sind das Verben der Wahrnehmung (Unterbedeutung: ‚einzig richtige Interpretation‘; vgl. Stefanowitsch 2009: 585, hier an Belegdaten aus unserem Untersuchungskorpus): [K1808] 1908 / ZE / Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe) 01.03.1908 / […] Die Reichsbank kam zwar mit einem relativ guten Ausweis per 22. Februar heraus, unterließ aber nichtsdestoweniger eine Ermäßigung der Rate, wobei die vor einer Woche an dieser Stelle erörterten Gründe als maßgebend anzusehen waren. Zum anderen sind es Verben, mit denen eine „Umsetzung von Vorgaben, z.B. im BEHÖRDEN-Frame“ (ebd.), ausgedrückt werde (vgl. oben Kap. 5.2.3.2): [K1989] 1998 / GE / o.A., Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz - LMBG), in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, im Einvernehmen mit den Bundesministerien für Wirtschaft und für Arbeit und Sozialordnung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates, soweit es für eine medizinische Behandlung bei gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die auf die Einwirkung von kosmetischen Mitteln zurückgehen können, erforderlich ist, vorzuschreiben, daß von dem Hersteller oder demjenigen, der das kosmetische Mittel in den Verkehr bringt, dem Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin bestimmte Angaben über das kosmetische Mittel, insbesondere Angaben zu seiner Identifizierung, über seine Verwendungszwecke, über die in dem kosmetischen Mittel enthaltenen Stoffe

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und deren Menge sowie jede Veränderung dieser Angaben mitzuteilen sind […]. Die häufigsten im KERN-Korpus ermittelten modalen Infinitive mit sein sind (vgl. oben Abb. 46): anzuwenden, zu erwarten, zu sehen, zu finden, anzusehen, zu machen, zu lesen, zurückzuführen, zu verstehen, zu hören, mitzuteilen und zu berücksichtigen. Auf den ersten Blick lassen sich Stefanowitschs Beobachtungen am LIMAS-Korpus mit den Belegen aus dem KERN-Korpus bestätigen, anzuwenden, mitzuteilen oder zu berücksichtigen wird man intuitiv dem BEHÖRDEN-Frame zuordnen können, zu sehen, zu finden, anzusehen, zu lesen, zu verstehen, zu hören als Wahrnehmungsverben auffassen. Von einer Parallelisierung dieser Ergebnisse mit denen von Stefanowitsch – etwa in Bezug auf die Reihung – sei aber abgeraten, denn er errechnet zusätzlich die Signifikanz für das Auftreten in der Konstruktion im Gegensatz zum alternativen Gebrauch. Diesen Schritt haben wir hier nicht vollzogen. Wir können aber die Ergebnisse noch aus einer anderen Perspektive bereichern, nämlich im Hinblick auf die Gebrauchsdomänen (Abb. 48), in denen modale Infinitive verstärkt auftreten und in Bezug auf die Konkurrenz von nonagentiven und Tempuskonstruktionen (Abb. 49). Bei der Verteilung der in der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein realisierten Qualitative und bei der Verteilung auf die unterschiedlichen Tempuskonstruktionen sind wiederum die besonderen Bedingungen des Zuschnitts des Untersuchungskorpus zu berücksichtigen – hinzu kommt, dass (deverbale) Adjektive in Zufallssamples beschrieben wurden (zu diesem Problem vgl. Abb. 42 mit Erläuterungen). Auch deshalb müssen in den folgenden Übersichten die jeweiligen Arten an Qualitativen in Gruppen (VVPP und ADJD; zuVVINF und VVIZU; Progressiv) gesondert beschrieben werden, untereinander sind sie nicht aufeinander zu beziehen. Adjektive (also auch deverbale Adjektive auf Basis des Perfektpartizips) sind in allen Domänen vertreten und entsprechend gleichmäßig über die Domänen verteilt: Das wird in Abb. 48 etwa am Beispiel möglich sichtbar (BE: 10 Belege, GE: 11 Belege; WI: 11 Belege; ZE: 14 Belege). Dennoch ist domänenspezifischer Gebrauch nachweisbar (vgl. dazu auch oben Abb. 42). Adjektive dominieren in den Bereichen Wissenschaft und Zeitung: [K266] 1909 / WI / Reinhardt, Ludwig, Vom Nebelfleck zum Menschen, München: Reinhardt 1909, S. 94 / Nach ihnen, die in größerer Zahl vorhanden sind und Siphonen genannt werden, nennt man überhaupt die Staatsquallen Siphonophoren, d. h. Siphonenträger.

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[K613] 1948 / WI / Curtius, Ernst Robert, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Basel: Francke 1948, S. 278 / Es ist für die Ökonomie einer Literatur vorteilhaft, wenn solche Bestände reichlich vorhanden sind. [K2875] 1909 / ZE / Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe) 04.03.1909 / Auch eine Tombola und eine karnevalistische Kaffeepause sind vorgesehen.

Abb. 48: Die je 30 häufigsten Qualitative mit sein nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/Btx9oN; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

[K3174] 1948 / ZE / Archiv der Gegenwart, 18, 1948 / Die Einfuhr von Rohstoffen im Jahre 1947 habe nur 35 Millionen Dollar betragen, obwohl 120 Millionen Dollar vorgesehen und bereitgestellt waren und obwohl die Exporte der Bizone 234 Millionen Dollar betrügen.

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Modale Infinitive sind im Untersuchungsausschnitt, der im letzten Doppeljahrgang stark durch Gesetzestexte geprägt ist, eher für die Gebrauchsliteratur (in den Beispielen Anleitungs- und Gesetzestexte) typisch: [K1964] 1998 / GE / o.A., Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Soweit andere Rechtsvorschriften des Bundes auf personenbezogene Daten einschließlich deren Veröffentlichung anzuwenden sind, gehen sie den Vorschriften dieses Gesetzes vor. [K4566] 1909 / GE / Kohlstock, Karl, Abstinenz, nicht Mäßigkeit, in: Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung 61 (1909) Nr. 48, S. 588–589, S. 589 / In unserer Schule machte der Fachlehrer für Naturwissenschaft die grundlegenden Erhebungen in allen Klassen selbst, so daß eine gewisse Einheitlichkeit zu erwarten war, zumal die Kinder etwas überrascht waren und dadurch unbefangen wohl die wirklich bestehenden Verhältnisse angaben. [K2021] 1998 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1954–1974, Berlin: Aufbau-Verl. 1998, S. 472 / Das kann unter bestimmten Voraussetzungen nach § 153 StPO geschehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Stefanowitsch 2009 machte neben den Wahrnehmungsverben, die offenbar für die modalen Infinitive eine große Rolle spielen (und die in allen Domänen nachweisbar sind), auf den BEHÖRDEN-Frame als Quelle für eine Vielzahl der modalen Infinitive aufmerksam – trotz des Zuschnitts des Untersuchungskorpus kann das mit einem Blick auf die ermittelten Belege bestätigt werden. In Bezug auf die Konkurrenz von Tempuskonstruktionen und nonagentiven Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein (vgl. Abb. 49) ergibt sich bezüglich der Elemente, die als Qualitative eingebettet werden, ein einheitliches Bild, welches bereits oben (Abb. 42) thematisiert wurde. Während in den synthetischen Tempora Präsens und Präteritum die Verteilung der Qualitative anderen Kriterien genügt, aber noch gleichmäßig ist, scheinen – abgesehen von der „Perfektlücke“, die ein Phänomen ist, das die ganze Konstruktion betrifft – besonders die modalen Infinitive in den analytischen Tempora der Vergangenheit zurückzutreten, während sie in den analytischen Tempora der Zukunft sich in einem anderen Verhältnis zu den sonst eingebetteten deverbalen Adjektiven verhalten. Ich möchte das Augenmerk richten auf eines der Wahrnehmungsverben,

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welches sowohl im Plusquamperfekt als auch im Futur I nachgewiesen werden kann: [K5384] 1999 / GE / Hars, Wolfgang, Nichts ist unmöglich! Lexikon der Werbesprüche, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 395 / Die Kampagne bestand zunächst aus drei ganzseitigen Anzeigen „Alles unter einem Dach“. Alles, was je an Audi- und NSU-Technik auf den Straßen und Rennstrecken Europas zu sehen gewesen war, wurde in den Anzeigen vorgestellt. [K5061] 1998 / BE / Walser, Martin, Ein springender Brunnen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1998, S. 27 / Ein Bild, auf dem nur er zu sehen sein wird! [K5061] ist Beleg für die ‚situative‘ Lesart des modalen Infinitivs; für [K5384] ist die Lesart sehr wahrscheinlich. Für die Gegenwart der Sprechzeit ist jedenfalls nicht mehr relevant, ob in einer Vergangenheit eine ‚situativ mögliche Option‘ oder eine ‚Notwendigkeit‘ konzeptualisiert werden sollte.

Abb. 49: Die je 30 häufigsten Qualitative mit sein nach Tempus. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/eCxzvA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Beides ist möglich (wenn auch nicht gleich wahrscheinlich), wird aber durch das Plusquamperfekt (‚markiert ein Ereignis, welches vor der Referenzzeit, welche vor der Sprechzeit liegt‘) relativiert. In den analytischen Vergangenheitstempora kann man außerdem auf etablierte Alternativen zurückgreifen, die der situativen Lesart des modalen Infinitivs semantisch vergleichbar sind: [K1599] 1999 / GE / Kurz, Robert, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 334 / Ähnliche, historisch noch weiterreichende Visionen suchten Alfred Kubin (1877–1959) heim, den Maler und Zeichner des Unheimlichen, der in seinem einzigen Roman „Die andere Seite“ schon 1909 eine phantastische, dem späteren Dritten Reich ähnliche Diktatur zwischen Traum und Realität beschreibt, die in einem Inferno untergeht; mit prophetischer Genauigkeit nimmt die Zerstörung der Traumstadt „Perle“ wie in einer Filmsequenz den Bombenhagel der Zukunft und das Ende des Nazi-Reiches vorweg: Die Lange Gasse stürzte in sich zusammen, ich erblickte infolgedessen den Palast, der von hier aus sonst nicht sichtbar gewesen war. Anders im analytischen Futur I: Die situative Lesart des modalen Infinitivs geht hier parallel zur Bedeutung der analytischen Futurkonstruktion. Beide verweisen auf Optionen, die sich von der Gegenwart der Sprechzeit aus öffnen können und dementsprechend kognitiv und kommunikativ in der nonagentiven Konstruktion und der Konstruktion des analytischen Futurs perspektiviert werden. Ein interessantes Detail dazu: In Kap. 7.2 und den Konstruktionen der ASKRIPTION mit bleiben lässt sich beobachten, dass durch den Ausdruck einer ‚auf Dauer gestellten Option‘ im Präsens futurische Konstruktionen mit modalem Infinitiv (erwartungsgemäß) niederfrequent sind, da bereits die präsentische Realisierung semantisch eine Öffnung auf Zukünftiges offeriert. Abschließend wollen wir noch zwei Aspekte besprechen. Das sind zum einen die Progressive, die in den Belegdaten äußerst selten sind: [K1776] 1908 / BE / Wassermann, Jakob, Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1908, S. 43 / Die Sonne war am Sinken, als Caspar erwachte und, sich aufrichtend, die Freunde der Reihe nach dankbar und etwas beschämt anblickte. [K1777] 1909 / BE / Walser, Robert, Jakob von Gunten, Berlin: B. Cassirer 1909, S. 106 / Mein Kopf, Jakob, ist am Sterben.

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[K1778] 1999 / GE / Kurz, Robert, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 91 / „Verzweifelt, wie sie sind, handeln sie mit der ganzen Torheit und Maßlosigkeit von Menschen, die … am Verhungern sind.“ Zum anderen sind es die Belege, in denen der Agens durch eine Präpositionalphrase realisiert wird und damit als Fluchtpunkt der kommunikativen Perspektivierung aufzufassen ist. Die Belege wurden nicht systematisch erhoben, da aus unserer Sicht keine Notwendigkeit bestand, eine fakultative Präpositionalphrase nachzuweisen, auch wenn darin ein Agens codiert ist. Worauf es ankommt: Fakultative Agensangaben sind genauso wenig systematisch ausgeschlossen wie andere fakultative Angaben, allerdings sind sie wesentlich seltener, da sie der Perspektivierungsleistung von nonagentiven Konstruktionen entgegenlaufen. Dass sie aber auftreten, zeigt, dass es Bedeutung der nonagentiven Konstruktionen ist, den Fokus nicht auf einen Agens zu legen, was nicht gleichbedeutend ist damit, den Agens auszuschließen. [K2141] 1998 / GE / o.A., Bundesfernstraßengesetz (FStrG), in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Art und Höhe der Entschädigung sind von der Enteignungsbehörde in einem Beschluß festzusetzen. [K5202] 1998 / GE / o.A., Gewerbeordnung, in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Eine mindestens stichprobenweise Protokollauswertung ist durch die speichernde Stelle zu gewährleisten. Auffällig ist in unserem Kontext, dass die meisten Realisierungen in der „Gebrauchsliteratur“ zu zählen sind wie [K2141] und [K5202] – also jenen Gesetzestexten und Anleitungen, die schon in Bezug auf die Einbettung von modalen Infinitiven auffielen. In diesen werden Agensangaben eingesetzt, um Verfahren und Abläufe zu spezifizieren, wobei Nonagentivität als gewählte Perspektive als domänenspezifisch zu charakterisieren ist. Wichtig ist uns außerdem zu betonen, dass sich in den Belegen eine in der traditionellen Grammatik ausgeführte Differenzierung nicht nachweisen lässt: Handle es sich „nicht um ein willentlich verursachendes Agens, so kann die Präposition durch gebraucht werden“ (DUDEN 2009: 548). Diese Differenzierung ist in dieser Form nicht haltbar. Agensphrasen, um das abschließend zu sagen, sind für den skiz-

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zierten Kontext zwar typisch, was aber nicht zugleich heißt, dass sie nur dort zu verzeichnen wären: [K2509] 1908 / ZE / Berliner Tageblatt (Morgen-Ausgabe) 07.03.1908 / Im großen Festsaal des Zoologischen Gartens fand gestern abend zu Ehren Hermann Endes eine Gedächtnisfeier statt, die von der Vereinigung Berliner Architekten und vom Architektenverein veranstaltet war. Mit einem letzten Beleg, der nicht zwei, sondern vier nonagentive Konstruktionen in Realisierung zeigt (wobei Modalkonstruktionen und reflexive Konstruktion ausgeklammert sind, vgl. oben Kap. 5.1.4 und 5.1.5), wenden wir uns der Konstruktion der ASKIRPTION mit bleiben zu: [K178] 1908 / ZE / Vossische Zeitung (Abend-Ausgabe) 03.03.1908 / Das Pferd ist und bleibt tot und kann nicht wieder lebendig gemacht werden; die Maschine läßt sich durch Ergänzung der beschädigten Teile wieder gebrauchsfähig machen.

7.2 Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben Die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben wird in den meisten Grammatiken als Kopulakonstruktion aufgefasst (vgl. Kap. 4.2.2). Das bedeutet in unserem Kontext zunächst, dass wir ohne weitere Vorklärung vorläufig davon ausgehen können, dass die Konstruktionen dieselbe Perspektivierungsleistung wie die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein aufweisen: Deren Bedeutung sei die ‚Eigenschaftszuweisung an einen Subjektreferenten‘ (vgl. Welke 2007: 124 nach Maienborn 2007). Für bleiben beschreibt dies Krämer wenige Jahre früher so (2004: 246): Die Bedeutung [der Sätze mit bleiben und Prädikativkomplement] lässt sich informell beschreiben als die Aufrechterhaltung[…] des im Prädikativ bezeichneten Zustands, in dem sich der Subjektreferent befindet.

Die Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein und bleiben unterscheiden sich hinsichtlich der Bedeutung dadurch, dass in letzterer ein bezeichneter ZUSTAND als dauerhaft markiert wird.

Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben | 219

[82]

Die Sendung bleibt verschwunden. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit bleiben und damit resultativer Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: ASKRIPTIONV(≈resultativ)(SOBNPNOM,QUALADJ)

Abb. 50: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit bleiben mit resultativer Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung. Direktlink: https://goo.gl/quq4Hm; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Konstruktionsrealisierung mit bleiben ist eine Instanz der lexikalisch nicht spezifizierten Konstruktion der ASKRIPTION mit resultativer Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung, die ihrerseits ihre formalen und semantischen Merkmale in einer Teil-Ganzes-Relation von der Konstruktion der ASKRIPTION erbt. Bevor wir ausführlich in die Beleganalyse einsteigen, möchten wir dafür plädieren, die Konstruktionen mit bleiben als nonagentive Konstruktionen aufzufassen. Da oben lediglich der Forschungsstand diskutiert wurde (vgl. Kap. 4.2.2), räumen wir der Diskussion hier etwas breiteren Raum ein. Doch zunächst sind die Phänomene zu benennen, die wir aus methodischen Gründen hier nicht in die Analyse einbeziehen werden. Zum einen betrifft das die Einbettung von Infinitiven als QUAL in die Konstruktion in Bildungen wie diesen: [83]

Das Auto bleibt liegen.

[84]

Das Auto vs. Peter bleibt liegen.

Es kommt nur eine überschaubare Zahl an Verben als Kollexemen von bleiben für Realisierungen wie [83] und [84] überhaupt in Frage. Bei einzelnen Vertretern muss außerdem geklärt werden, ob sie nicht als eigenständige Konstrukti-

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on betrachtet werden sollten (und dementsprechend aus anderer Perspektive auch ein valenzgrammatischer Eintrag im Lexikon gerechtfertigt wäre): stehenbleiben und stehen bleiben, liegenbleiben und liegen bleiben, sitzenbleiben und sitzen bleiben, stecken bleiben und steckenbleiben, hängenbleiben und hängen bleiben. Auch wenn teilweise starke Bedeutungsunterschiede zwischen den Alternativen auszumachen sind (besonders: sitzenbleiben vs. sitzen bleiben), so sind in jedem Fall entweder zusammengesetzte Verben anzunehmen bzw. lexikalisch teilspezifizierte Konstruktionen wie [[bleiben][Infinitiv]] mit teils idiomatischer Qualität. Krämer (2004) diskutierte einige dieser Fälle in Bezug auf eine BECOME-Lesart für bleiben, die dann „äquivalent zur Bedeutung von Konstruktionen mit der Kopula werden“ (Krämer 2004: 247) zu verstehen sei. Für das genannte Beispiel [83]: ‚das Auto wird ein Stehendes‘. Damit würde ein VORGANG wie in Konstruktionen der KOMMUTATION postuliert. Allerdings stellt sich diese Lesart nicht automatisch ein, wie man deutlich am Beispiel [84] Peter bleibt liegen ausmachen kann. Freilich weisen hier die eingebetteten Elemente eine andere Semantik auf und deren Gebrauch ist idiomatisch längst nicht so verfestigt wie in [83] das Auto bleibt liegen (liegenbleiben und liegen bleiben). Ein ganz praktisches Problem kommt zum anderen noch hinzu: Wird das Perfektpartizip von liegen bleiben oder liegenbleiben gebildet, hat man mit den Formen liegengeblieben und liegen geblieben zu rechnen, von denen man – mit unserem Zuschnitt der Suchroutinen – nur die letztere erfassen kann. Eine systematische Beschreibung scheidet demnach aus methodischen Gründen hier aus. Zum dritten lassen längst nicht alle Infinitive mit bleiben eine BECOMELesart zu, auch nicht jene, von denen man es intuitiv vermuten würde: [85]

1918 / ZE / Berliner Tageblatt (Morgen-Ausgabe) 03.03.1918 / Ich höre den Schlag meines Herzens und bleibe wie angewurzelt stehen.

[86]

1933 / BE / Toller, Ernst, Eine Jugend in Deutschland, Amsterdam: Querido 1933, S. 87 / Ich fliege mit dem Kopf gegen die Bordwand und bleibe betäubt liegen.

[87]

1929 / ZE / Vossische Zeitung (Abend-Ausgabe) 04.03.1929, 04.03.1929/ Aber man muß es aussprechen: gerade diese vom Material ausgehenden Tänze bleiben im Ornamentalen befangen oder in der Handfertigkeit stecken.

[88]

1929 / ZE / Vossische Zeitung, 16.11.1929 / Du bleibst unweigerlich hängen.

Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben | 221

[89]

1950 / BE / Horster, Hans-Ulrich [d.i. Eduard Rhein], Ein Herz spielt falsch, Berlin: Verlag des Druckhauses Tempelhof 1950, S. 376 / Er bleibt sinnend am Telefon sitzen.

Besonders bei [87] und [88] ist mit Krämer eine REMAIN-Lesart nicht auszuschließen, auch wenn man für eine BECOME-Lesart eintreten könnte, Ähnliches gilt – wenn auch mit Abstrichen – für [85]: Verantwortlich ist dafür das adverbial gebrauchte angewurzelt. Die Infinitive in [86] und [89] werden als Elemente einer Konstruktion der ASKRIPTION interpretiert werden, wobei interessanterweise [86] mit den Bedeutungsvarianten von liegenbleiben vs. liegen bleiben zu spielen scheint, schlussendlich aber nicht dem idiomatisierten und oben skizzierten Gebrauch entspricht. Die Identifizierung dieses Phänomenbereichs muss hier genügen. Über Hinweise auf die Schwierigkeiten bei der systematischen Erschließung von Belegen, die zunächst dringend notwendig wäre, können wir hier nicht hinausgehen und schließen deshalb die Bildungen mit bleiben und Infinitiv aus unseren Überlegungen aus (vgl. dazu auch oben der Kommentar in Kap. 5.2.3.2). Mit besonderer Rücksicht sind Partikelverben (u.ä.) wie ausbleiben, übrigbleiben, zurückbleiben, hierbleiben, dableiben, zusammenbleiben usw. zu interpretieren. Während da- und auch ausbleiben, zurück-, hierbleiben oder beisammen- und zusammenbleiben aus der Untersuchung ausgeschlossen werden können, ist in Bezug auf übrigbleiben bzw. übrig bleiben die Lage schon schwieriger, da es sich hier um eine Zusammensetzung mit adjektivischem Bestandteil handelt: [K477] 1966 / WI / Bierwisch, Manfred, Strukturalismus, in: Kursbuch 5 (1966), S. 77–152, S. 130 / Dennoch bleiben wahrscheinlich noch immer mehrere Grammatiken übrig – vielleicht sogar unendlich viele – die eine gegebene Sprache unter den eingeschränkten Bedingungen erzeugen können. Wir werden es hier ähnlich wie treu bleiben behandeln, das in ebenso hoher Frequenz (wenn nicht gar häufiger) auftritt und nicht so stabilisiert im Sprachgebrauch ist, dass aus den Kollexemen ein zusammengesetztes Verb als Konstruktion emergiert, welches als solches im Lexikon verzeichnet werden könnte. Die Gründe hierfür werden wir in der Analyse erhellen.

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Abb. 51: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Präsens. Zu dem Beleg mit [[bleiben][[am][N]]] in Z. 66 kommen noch vier Belege aus Kontrollabfragen mit anderen APPRART (beim und im) hinzu, die nur in der Gesamtzählung aller Belege berücksichtigt sind (vgl. unten Abb. 56; Präsens: 782). Direktlink: https://goo.gl/pcN5r8; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben | 223

Abb. 52: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Präteritum. Ein weiterer Beleg aus Kontrollabfragen mit anderen APPRART (im) kommt hinzu, der nur in der Gesamtzählung aller Belege berücksichtigt ist (vgl. unten Abb. 56; Präteritum: 699). Direktlink: https://goo.gl/MvEnRU; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 53: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/kJCDAf; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 54: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/DbXnYq; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 55: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Futur I. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/Ciyk26; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Alle untersuchten Belege können online eingesehen werden. Das gilt auch für die ausgewerteten Qualitative, die in der Arbeit nur ausschnitthaft dokumentiert sind (https://goo.gl/sfAa8s; Stand: 05.08.2015). Für die Konstruktion der

Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben | 227

ASKRIPTION mit bleiben können in den Doppelperfektformen und im Futur II keine Belege nachgewiesen werden. Insgesamt konnten im KERN-Korpus mit den Abfrageroutinen 14.155 Belege ermittelt werden (N), von denen 11.815 Belege untersucht hätten werden können (N1). Für die Analyse wurde ein Sample von 3.664 zufällig gewählten Belegen (n) gebildet, von denen insgesamt 2.406 Belege (m) der gesuchten Konstruktion der ASKRIPTION entsprachen:

Abb. 56: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben. In den Belegsummen von Präsens und Präteritum (m) sind die Belege aus den Kontrollrechnungen berücksichtigt. Direktlink: https://goo.gl/bM8Oyo; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Konstruktionen mit werden werden nicht aufgeführt, wenn eine futurische Lesart ausgeschlossen ist. Modalkonstruktionen klammerten wir theoretisch (vgl. Kap. 5.1.4) und methodisch (Kap. 6) aus. Wir berücksichtigen sie nur (wie analytische Tempuskonstruktionen) in den Bereichen, in denen sie für die Erklärung und Analyse nonagentiver Konstruktionen relevant werden – das sind u.a. das ‚analytische Präsens‘ und ‚analytisches Präteritum der Modalkonstruktionen‘, die in Kap. 10.1.4 kurz thematisiert werden. Dort wird auch knapper Platz sein für die Modalkonstruktionen mit werden. Bleiben in der Konstruktion der ASKRIPTION ist wesentlich niederfrequenter als die Konstruktionen mit sein, ein Zuschnitt des Untersuchungsdesigns ist damit nicht notwendig (vgl. Kap. 6, Kap. 7.1 und 8.1 für die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden). Für bleiben können daher, wie für alle anderen Verben außer sein und werden, deren Gebrauch hier genauer analysiert wird, nun wesentlich präzisere Aussagen gemacht werden. Die Verteilungen auf die synthetischen und analytischen Tempora sind prototypisch – der Gebrauch im Präsens dominiert deutlich, Präteritum schließt sich an. Perfekt, Plusquamper-

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fekt und Futur I treten als analytische Tempora dahinter deutlich zurück, Futur II ist nicht mehr als eine Randerscheinung. Ob der Gebrauch hier möglicherweise auch eingeschränkt ist, da die resultative Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben sich nicht adäquat zur Bedeutung der analytischen Futurkonstruktionen verhält und dementsprechend nur unter bestimmten Bedingungen überhaupt in Frage kommt, muss noch geprüft werden. An den ersten Überblicksdarstellungen kann man weiter ablesen, dass die Verhältnisse, in welchen Qualitative in die Konstruktion eingebettet werden, andere sind als bei sein: Im Präsens (vgl. oben Abb. 51) machen Elemente, die als Adjektive (ADJD) annotiert sind, mit insgesamt 5.031 Belegen (N1, Summe Z. 21und 28) von insgesamt 7.209 Belegen (N1) den größten Teil aus. Danach folgen mit weitem Abstand die Elemente, die als Perfektpartizip annotiert sind (VVPP) mit insgesamt 1.841 Belegen (N1, Summe aus Z. 7 und 14), modale Infinitive mit 211 Belegen (N1, Summe aus Z. 35, 42, 49 und 56) und am Schluss erwartbar Progressive. Für eine Konstruktion, die üblicherweise als Kopulakonstruktion beschrieben wird, sind die hohen Belegzahlen der ADJD wenig überraschend. Dass die VVPP dahinter weit zurückstehen, schon eher. Noch deutlicher wird dies hinsichtlich der modalen Infinitive: Die Bedeutung der Konstruktion der modalen Infinitive scheint mit der resultativen Lesart der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben nur unter bestimmten Bedingungen vereinbar. Die Progressive schließlich lassen sich durch die Suchroutinen nur schwer präzise erfassen – sie weisen, wenn überhaupt im Untersuchungskorpus nachweisbar, das kaum belastbare Verhältnis zwischen m/n mit p=0,011 aus. Die Verteilung lässt sich ebenso für das Präteritum zeichnen (vgl. Abb. 52), auch wenn die Belegzahlen erwartungsgemäß auf weniger als die Hälfte stark zurückgehen (N1=3.265, Z. 144). Für die Tempora Präsens und Präteritum arbeiten wir im Bereich der ADJD und VVPP mit zufällig ausgewählten Untersuchungssamples (vgl. Abb. 51 und 52). In den analytischen Tempora Perfekt und Plusquamperfekt (Abb. 53 und 54) brechen, ebenfalls erwartungsgemäß, die Belegzahlen ein, hier wird dementsprechend auch nicht mehr mit Samples gearbeitet (vgl. etwa die Belegfaktoren als Verhältnisse N1/n in Abb. 53 und 54 im Vgl. zu jenen in Abb. 51 und 52). Beinahe nicht mehr nachweisbar sind modale Infinitive, bis auf eine Ausnahme im Plusquamperfekt (vgl. Abb. 54, Z. 254), die wiederum stereotyper nicht sein könnte (vgl. dazu unten die Übersicht über die QUAL in Abb. 64): [K2261] 1937 / BE / Klepper, Jochen, Der Vater, Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. 1937, S. 214 / Als sie stiller geworden war in ihrem aufgewühlten Herzen, begriff die junge Tochter des Charlottenburger Kastellans, daß ihr noch etwas für den König zu tun geblieben war.

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Gleiches gilt für die Progressive (vgl. Abb. 53, Z. 213), lediglich ein Beleg lässt sich im Perfekt beobachten: [K1990] 1923 / ZE / Vossische Zeitung (Abend-Ausgabe) 06.03.1923 / Im jahrhundertelangen Gang der Weltgeschichte hat es sich immer wieder gezeigt, daß Gottes Mühlen, wenn auch langsam, so doch tatsächlich am Mahlen geblieben sind. Im Gegensatz zur Konstruktion der ASKRIPTION mit sein sind auch – im Verhältnis zur Gesamtbelegzahl - die analytischen Futurkonstruktionen mit einer recht hohen Frequenz belegt. VVVP und ADJD dominieren die futurischen Belege. Progressive sind in den analytischen Futurkonstruktionen nicht mehr belegt. Ausgehend von diesen ersten Beobachtungen auf der Basis der Überblicksdarstellungen in Abb. 51 bis 55 und 56 kann man den Eindruck gewinnen, dass die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben in ein breiteres Spektrum von Tempuskonstruktionen eingebettet werden kann: Von der Gegenwart ausgehend findet es in den Tempora der Vergangenheit ebenso Verwendung, wie im analytischen Futur I. Sein hingegen hat eine deutliche Präferenz für die Grundtempora Präsens und Präteritum. Diese Verhältnisse spiegelt auch die Schätzung der Belegverteilung im KERN-Korpus wider (vgl. unten Abb. 57). Die randständigen Progressive (QUAL) wurden für die Berechnung nicht berücksichtigt, da einzelne Werte in Kontrollabfragen ermittelt worden sind (vgl. dazu oben die Anmerkungen zu Abb. 51 und 52). Die Werte M1 und M sind je im Dreisatz ermittelte Schätzwerte zunächst unter der Annahme, dass die Zufallsstichprobe n repräsentativ für die Gesamteinheit (N1) ist. Weiter gehen wir davon aus, dass sich N strukturell nicht stark von N1 unterscheidet und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann. Eine Fehlerbereinigung der Schätzwerte ist nicht angezeigt (vgl. oben Anm. 61). Die Schätzwerte sind auf drei Nachkommastellen gerundet. Durch die Rundung können sich minimale Fehler in der Summenbildung ergeben, rechnete man bspw. die einzelnen Schätzwerte M für die Kommunikationsdomänen gegen die geschätzte Gesamtsumme M. Elemente, die als ADJD oder VVPP annotiert sind, dominieren (in dieser Reihenfolge) die Konstruktionen der ASKRIPTION mit bleiben deutlich, der Abstand zu den Realisierungen mit modalen Infinitiven wird angesichts der geschätzten Belegzahlen in Abb. 57 noch einmal überdeutlich. Noch klarer als in den Belegübersichten tritt hier heraus, dass der modale Infinitiv als Qualitativ faktisch ausschließlich in Präsens und Präteritum verwendet wird und dass das Futur als Gebrauchsalternative fast keine Rolle spielt. Die Verteilung auf die

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Gebrauchsdomänen zeigt, dass die Gebrauchskontexte der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben wesentlich spezifischer sind als für die (unmarkierte) Konstruktion mit sein.

Abb. 57: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs- und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/aWO4WK; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

In den synthetischen Tempora Präsens und Präteritum liegen Texte aus der Domäne Wissenschaft (WI) vor Zeitungstexten (ZE) und der Gebrauchsliteratur (GE). Die Belege in belletristischen Texten (BE) fallen im Präsens stark hinter die anderen Domänen zurück, liegen aber im Präteritum gleichauf mit wissenschaftlichen Texten, dahinter wieder vergleichbar ZE und GE. Bezüglich der beiden Domänen BE und WI zeigt sich aber ein interessantes Bild hinsichtlich der Verteilung der Qualitative: Belletristische Texte weisen im Vergleich zu Elementen, die als VVPP annotiert sind, einen höheren Anteil an ADJD im Ver-

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gleich zu anderen Domänen auf; in wissenschaftlichen Texten liegen zwar auch ADJD vor VVPP, aber hier werden VVPP im Vergleich häufiger gebraucht als in BE, GE und ZE. Das lässt sich besonders gut im Präteritum nachvollziehen: Hier werden die meisten VVPP im Bereich Wissenschaft gezählt, im Bereich der Belletristik sind es die ADJD. In den Bereichen GE und ZE gleichen sich das Verhältnis zwischen VVPP und ADJD stärker aneinander an. Anders gesagt: Die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben wird in WI mit ADJD oder VVPP im synthetischen Präsens und Präteritum, in BE im Präteritum mit ADJD oder VVPP gebraucht, die Domänen GE und ZE fallen dahinter zurück. In WI werden Elemente, die als VVPP annotiert sind, häufiger genutzt als in anderen Domänen: Zu vermuten ist (als eine Ausgangshypothese für weitere Untersuchungen), dass in WI – trotz der Fixierung eines Zustands – der im Perfektpartizip implizierte Vorgang, der zu einem Zustand führte, dem Modus wissenschaftlicher Darstellungen stärker entgegenkommt, als das in anderen Domänen notwendig wäre. Bezüglich der modalen Infinitive ist eine Präferenz für WI und ZE im Präsens zu attestieren, im Präteritum sind sie in BE häufiger. In den analytischen Tempora Perfekt, Plusquamperfekt und Futur I zeigt sich interessanterweise ein vergleichbares Bild, was die Domäne BE betrifft: Im Perfekt liegen die Domänen GE, WI und ZE auf einer Stufe, weit dahinter Texte aus dem Bereich BE - das Verhältnis zwischen Einbettung von ADJD und VVPP fällt bei allen, nun auch in WI, vergleichbar deutlich zugunsten der ADJD aus. Im Plusquamperfekt jedoch dominieren die Texte aus dem Bereich BE so deutlich, dass die Belege aller anderen Domänen in Summe genommen werden müssten, um an die Belegzahlen von BE im Plusquamperfekt heranzureichen – die Texte im Bereich BE zeichnen sich also nicht nur durch ein favorisiertes ‚Erzähltempus‘ Präteritum aus, sondern bevorzugen genereller abgeschlossene Vergangenheiten: Es bildet sich hier mit dem kollostruktionalen Verhältnis zwischen der resultativen Lesart der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben und Tempora, die eine abgeschlossene Vergangenheit bedeuten (vgl. oben Kap. 5.1.4), eine domänenspezifische Präferenz ab. In Bezug auf das analytische Futur I lässt sich hingegen eine Präferenz für die Texte in der Domäne ZE deutlich erkennen, die ähnlich dominant ausfällt wie die Präferenz für Texte aus dem Bereich BE im Plusquamperfekt. Diese Überlegungen basieren freilich auf den Schätzwerten, wie sie sich in Abb. 57 darstellen. Die Ergebnisse, die dort zusammengestellt worden sind, müssen nun auf die sich anschließende Auswertung der Belegzahlen übertragen werden. Im Gegensatz zur Analyse der Konstruktionen mit sein kann nun auch zum ersten Mal ein chronologischer Überblick über das gesamte KERN-Korpus und die Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben nach ver-

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schiedenen Kriterien gegeben werden. Da die Schichtung des KERN-Korpus nicht homogen ist, geben wir noch einmal Abb. 18 wieder (hier noch einmal zur Einführung in die Analysekapitel als Abb. 58, sonst oben Kap. 6), um Aussagen darüber zu machen, welche Dekaden wir in Relation setzen wollen, wenn wir über die Belegverteilung sprechen.

Abb. 58: Die Schichtung des KERN-Korpus unter der Angabe laufender Textwörter. Quelle: http://www.dwds.de/ressourcen/kernkorpus/. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/kv1nVA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Angesichts der Verteilung lassen sich 1. Dekade (1900–1910) und 10. Dekade (1991–2000) miteinander in Beziehung setzen (die höhere Menge an Zeitungstexten 2.346.961 gegen 2.805.608 sowie die daraus resultierende größere Gesamtmenge an Token sind zu berücksichtigen); auch die Dekaden 3 (1921–1930) und 6 (1951–1960) können miteinander verglichen werden: In Dekade 3 sind Zeitungstexte etwas häufiger vertreten, insgesamt halten sich die Abweichungen für eine qualitative Analyse aber im Rahmen. Für die Auswertung morphologischer Formen (Abb. 63) und die Verteilung der Qualitative (Abb. 63) muss dies leider genügen, für die chronologische Verteilung der Belege auf die Gebrauchsdomänen (Abb. 59) können wir zu einem anderen Mittel greifen: Hier können wegen der Genauigkeit der vorliegenden Teilkorpora und unter der Annahme der selben Prämissen wie bei den angegebenen Schätzwerten (vgl. oben Abb. 57) die Größen der Teilkorpora normalisiert werden. Die beobachteten Belege in den Kommunikationsdomänen werden dann noch einmal gerechnet unter der Maßgabe, dass je Dekade 10 Millionen Wortformen beobachtet worden wären und die Verteilung auf die vier Teilkorpora der Domänen gleich sei (vgl. oben Abb. 58 in Relation zu den errechneten normalisierten Belegzahlen in Abb. 60).

Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben | 233

Abb. 59: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/FraSN6; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 60: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im statistisch normalisierten Korpus. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/mr7wOl; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die chronologische Verteilung der Belege auf die Gebrauchsdomänen überrascht nach der Normalisierung dann zugegebenermaßen doch, auch wenn man zu einem ähnlichen Ergebnis gelangte, wenn man qualitativ erste und zehnte sowie dritte und sechste Dekade vergliche. Auf genau diese kommt es aber, was den Gebrauch betrifft, leider nicht an: Grundsätzlich ist eine Abnahme der Belegdichte zu verzeichnen, wobei besonders der starke Abfall der Belege von der vierten zur fünften Dekade in den Domänen Gebrauchsliteratur (GE), Zeitungssprache (ZE) und Wissenschaft (WI) auffällt (Abb. 60). Man darf annehmen, dass die Differenzen noch deutlicher ausfallen dürften, wäre der Schnitt 1945 gesetzt. Wie auch an anderer Stelle belegt (vgl. den Reichtum und Armut der deutschen Sprache, hg. von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung 2013), folgen belletristische Texte im Gebrauch den anderen Domänen deutlich nach – so verwundert es nicht, dass hier der Einschnitt bei den Belegzahlen erst in der nächsten Dekade zwischen 1951 und 1960 zu beobachten ist. Nach dem Einschnitt steigen die Belegzahlen in der Gebrauchsliteratur (GE) und im Bereich Wissenschaft (WI) wieder leicht an, in GE erreichen sie wieder den Stand vom Beginn des Jahrhunderts. Im Bereich der Zeitungstexte (ZE) nehmen sie nach dem Schnitt in der fünften Dekade beinahe weiter kontinuierlich ab; in BE verharren sie nach der sechsten Dekade auf niedrigem Niveau. Ob sich der Einschnitt der fünften (und verzögert der sechsten) Dekade ebenfalls in den

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Gebräuchen anderer Konstruktionsrealisierungen widerspiegelt, bleibt abzuwarten. Festgehalten werden kann im Hinblick auf die qualitative Auswertung jedoch, dass vorsichtige Aussagen bezüglich der Entwicklung der Belegzahlen im Korpus durch den Vergleich der ersten und zehnten sowie der dritten und sechsten Dekade möglich sind. Im nächsten Schritt stehen die Verteilungen der Belege in den Kommunikationsdomänen im Mittelpunkt (Abb. 61) – wir ergänzen die Überlegungen zu den Schätzwerten (oben Abb. 57 und 60). Zu bedenken ist ferner, dass in die folgenden Auswertungen nur die untersuchten Belege einbezogen werden und eine Inbezugsetzung zu chronologischen Verteilungen nur qualitativ erfolgen kann.

Abb. 61: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/yzK8Gq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Für Abb. 61 bspw. gilt: Die Z. 8–19 (analytische Tempora) bilden die Verhältnisse im KERN-Korpus direkt ab, die Frequenz der synthetischen Tempora (Z. 1–7) ist aber um ein Vielfaches höher (vgl. oben die jeweiligen Belegfaktoren in Abb. 51 und 52 für Präsens und Präteritum). Die folgenden Abbildungen sind also

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nicht sensitiv hinsichtlich der gebildeten zufälligen Samples in Präsens und Präteritum – das ist bei der Verteilung auf Gebrauchsdomänen (Abb. 61) und der Analyse verwendeter Qualitative (Abb. 62) ebenso zu berücksichtigen wie bei der Angabe der chronologischen Verteilung der morphologischen Varianten von bleiben (Abb. 63) und der Qualitative (Abb. 64). In Wissenschaft (WI) und Zeitungstexten (ZE) dominieren – eindeutig – die Formen der dritten Person in beiden Numeri, das gilt auch bei Formenzusammenfall, z.B. der ersten und dritten Person Singular Präteritum bzw. Plusquamperfekt Indikativ, Z. 5 und 13, sowie dem weit häufigeren Zusammenfall jeweils der ersten und dritten Person Plural, Z. 4, 7, 11, 14 und 18. Beobachtungen dieser Art waren Anlass dafür, das Untersuchungsdesign für sein und werden (vgl. Kap. 7.1 und 8.1) auf eben jene beiden Personalformen und Numeri zuzuschneiden. Einen detaillierten Überblick über die Verhältnisse im Korpus geben die ausführlichen Belegübersichten oben (Abb. 51–56) – in Belletristik (BE) und Gebrauchsliteratur (GE) sind erste und zweite Person in beiden Numeri häufiger oder überhaupt belegt, obwohl ihr Anteil im Hinblick auf die Gesamtzahlen des Untersuchungsausschnitts (n) deutlich unter dem von WI und ZE liegt. Wie zu Abb. 57 bereits erläutert, stechen drei Aspekte hier deutlich heraus, die wir noch einmal präzisieren können: Die dritte Person Singular Indikativ in den synthetischen Tempora wird typischerweise im Bereich WI verwendet (VVPP und ADJD, vgl. oben Abb. 57), im Präteritum treten zusätzlich belletristische Texte (hier eher mit ADJD als VVPP) als Domäne neben WI (VVPP und ADJD). In ZE und GE wird zwar auch der Gebrauch der dritten Person favorisiert, aber bereits im Präsens ist zu erkennen, dass das Verhältnis zwischen Singular und Plural ausgewogener ist als in den Domänen BE und WI (Z. 4 und 5). Im Präteritum schließlich dominiert im Bereich ZE die Pluralform (Z. 7). Der Zuschnitt des Untersuchungssamples hat – da es auf zufällig gewählten Belegen basiert – keine Auswirkung auf die hier untersuchten Belegzahlen, auch der Belegfaktor ist bei jeweils einer morphologischen Form von bleiben identisch (vgl. oben Abb. 51, 52 und 57), so dass die Verhältnisse als gesichert gelten können. Wie oben in Abb. 57 abzulesen, ist es vor allem der Gebrauch eines ADJD, der hier typisch für die Domäne ZE ist, doch auch hinsichtlich der Elemente, die als VVPP annotiert sind, übertreffen die beobachteten und die geschätzten Belegzahlen in ZE die anderen Domänen. Perfekt ist die Domäne von WI und ZE, in beiden Domänen werden die dritten Personalformen ausgewogen verwendet, anders in BE – welche im Perfekt wie oben skizziert recht niedrige Belegzahlen aufweist – und GE (Z. 10 und 11). Im Plusquamperfekt schließlich sticht der Gebrauch in BE überdeutlich heraus (Z. 13 und 14), ebenso wie der futurische Gebrauch in ZE (Z. 17 und 18). GE als Gebrauchsdomäne verhält sich vor den

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beschriebenen deutlichen Präferenzen des Gebrauchs der Konstruktion in Kommunikationsdomänen unauffällig – man könnte sagen, dass damit der unspezifische ‚Normalfall‘ vorliegt, wie sich auch in der chronologischen Verteilung zeigte (vgl. oben Abb. 59 und 60). Anders als in den Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein lassen sich für die Konstruktionen mit bleiben sehr konkret Gebrauchspräferenzen bezüglich Gebrauchsdomänen und Verschränkungen mit Tempuskonstruktionen beschreiben. Wir kommen darauf in der Analyse verwendeter Qualitative zurück. Auch ohne die Einrechnung der Schätzwerte bestätigt Abb. 62 die Tendenzen, die bezüglich der Verteilung der Belege im KERN-Korpus zu Abb. 57 und 61 angestellt worden sind.

Abb. 62: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von bleiben mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/KOP1qb; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Wie bereits angedeutet, ist das Formenspektrum, in welchem die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben erscheint, vielfältig. Es deckt, bis auf die Doppelperfektformen und das Futur II, alle hier untersuchten Tempuskonstruktionen im Modus Indikativ ab, selbst recht seltene Bildungen wie die zweite Person Plural Indikativ im analytischen Perfekt (in ideologisch nicht unbedenklichen Quellen): [K1782] 1935 / ZE / Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 02.03.1935 / Und ihr seid 15 Jahre lang treu geblieben.

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[K1792] 1926 / BE / Grimm, Hans, Volk ohne Raum, München: Langen 1926, S. 1232 / Auf der Karte stand: „Wir haben Euch wiederholt geschrieben, wir bekommen keine Antwort, wir wissen aber durch spanische Ermittlungen, daß Ihr bisher noch lebtet und gesund geblieben seid.“ In Kap. 7.1 war bereits thematisiert worden, dass die Konstruktion der ASKRIPTIPON mit bleiben neben der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden zur Verfügung steht, um die systematische Lücke der der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein im Perfekt zu schließen. Belege wie [K1782] und [K1792] zeigen diese Option ebenso an, wie der bereits in Kap. 7.1 diskutierte Beleg [K1482]: [K1482] 1999 / GE / Kurz, Robert, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 247 / Natürlich ist dieser Charakter des sozialdemokratischen Staatssozialismus auch den Zeitgenossen nicht völlig verborgen geblieben. Neben Adjektiven (treu und gesund) können deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien (verborgen) problemlos eingebettet werden. Die Relevanz der Qualitative ADJD, die in die Konstruktion mit bleiben eingebettet werden können, zeigt sich nicht nur in den absoluten Belegzahlen, sondern bei bleiben auch daran, dass Elemente, die als ADJD annotiert sind, im Gegensatz zu allen anderen in weniger typischen Personalformen und Numeri zu beobachten sind (Abb. 62, Z. 6, 8, 9, 12, 15, 16).

Abb. 63: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/PfjWt1; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Bei aller Vorsicht wegen der Heterogenität des Korpus (vgl. Abb. 58 und Abb. 59 und 60) kann man durchaus Abnahmetendenzen für die Konstruktionsrealisierungen mit bleiben behaupten, die in Summe aber im Vergleich zu sein ohnehin nur auf recht niedrigem Frequenzniveau liegen – wir kehren zu dieser Beobachtung nach der Beschreibung der Befunde mehrfach zurück. Die Konstruktion wird in den synthetischen Tempora durchgehend gebraucht und verwendet, in den analytischen Tempora scheinen insgesamt die Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben eher auf die erste Jahrhunderthälfte konzentriert, wobei sich aus dieser Übersicht nicht unbedingt eine sukzessive Abnahme der Konstruktionsrealisierungen im 20. Jahrhundert, sondern (wenn überhaupt) nur im KERN-Korpus ableiten ließe (vgl. zu diesen Fragen oben ausführlich Kap. 6). Es bedarf allerdings noch des Vergleichs mit anderen Konstruktionsrealisierungen, um übergreifende Effekte (die sich u.a. durch die Schichtung des Korpus ergeben können), aus der Interpretation auszuschließen; Abb. 60 deutete mit dem Einbrechen der Belegzahlen zwischen vierter und fünfter Dekade möglicherweise auf einen solchen übergreifenden Effekt. Abgesehen davon ist es aber in der Tat auffällig, dass man die Realisierungsformen in aller Breite in den ersten drei Dekaden des 20. Jahrhunderts nachweisen kann, zum Ende des Jahrhunderts die selteneren Formen (Personen und Numeri) die Ausnahme darstellen. Es ist also nicht nur so, dass die Belegzahlen in den analytischen Tempora am Ende des 20. Jahrhunderts etwas niedriger als erwartbar ausfallen, sondern dass es auch qualitative Veränderungen im Formenspektrum gibt. Ergänzend neben Abb. 63 kann Abb. 64 zur Beantwortung der Frage nach der Verteilung der Belege im KERN-Korpus hinzugezogen werden. Auch hier gilt, dass die Belegzahlen für ADJD und VVPP wesentlich höher ausfielen, wenn alle verfügbaren Belege untersucht worden wären (vgl. dazu oben Abb. 51 und 52 sowie 57).

Abb. 64: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben mit Angabe der Art der Annotation der eingebetteten Qualitative. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/zkXa3e; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Für sich genommen – also nach Art der Annotationsart – können davon abgesehen belastbare Aussagen bezüglich der Verteilung im KERN-Korpus gemacht werden. Eine übermäßige Abnahme der Belege lässt sich über das 20. Jahrhundert nicht argumentativ stark machen – zumindest was die VVPP betrifft. Elemente, die als VVPP annotiert sind, werden im Präsens und Präteritum besonders häufig in der Domäne Wissenschaft (WI) gebraucht, lassen sich aber auch in allen anderen Domänen in mittlerer bis hoher Freqenz nachweisen (vgl. oben Abb. 57). Der leichte Anstieg des Gebrauchs in dritter und vierter Dekade sowie der Rückgang in der fünften Dekade lässt sich vor der Beobachtung der tatsächlichen (Abb. 59) und geschätzten (Abb. 60) Belegzahlen begründen. Ähnlich, wenn auch tiefgreifender, ist die Entwicklung der Elemente, die als ADJD annotiert sind: Sie sind in allen Domänen und in allen Tempuskonstruktionen, in die die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben eingebettet werden kann, am häufigsten belegt: Sie unterstützen als Konstruktionen mit der Bedeutung ‚Eigenschaft‘ prototypisch die Bedeutung der Konstruktion der ASKRIPTION und sind als Kollokate für bleiben (ebenfalls als Konstruktion verstanden) ideal. Sie bilden gerade durch ihre Häufigkeit und gleichmäßige Verteilung die Entwicklung der Belegzahlen im Korpus im Kleinen deutlich ab. Modale Infinitive scheinen im Gegensatz zu ADJD und VVPP von den Veränderungen im 20. Jahrhundert nicht in gleichem Maße erfasst zu werden, auch wenn ihre ohnehin schon niedrige Frequenz gegen Ende des Untersuchungszeitraums noch weiter abzunehmen scheint. Werden modale Infinitive in Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben eingebettet, dann vor allem in den Domänen Wissenschaft und Zeitung (Präsens) bzw. Präteritum (Belletristik). Im Folgenden werden wir uns den Qualitativen, die in die Konstruktionen der ASKRIPTION mit bleiben eingebettet werden, besonders zuwenden. Sie sollten der Eigenschaft der Konstruktion genügen, einen durch sie bezeichneten ZUSTAND als dauerhaft zu markieren. Insgesamt wurden 761 unterschiedliche Qualitative in 2.406 untersuchten Belegen ermittelt (Verhältnis: 3,16). Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative können online eingesehen werden (https://goo.gl/sfAa8s; Stand: 05.08.2015). Die folgenden Abbildungen schließen die ausgewerteten Qualitative nach Annotationsart, Kommunikationsdomäne und temporaler Verwendung auf. Ausgewählt wurden dafür die je 30 häufigsten Qualitative. In Abb. 65 sind die je 30 häufigsten Qualitative nach Annotationsart sortiert – auch hier soll wieder der Hinweis vorangehen, dass diese absoluten Zahlen im Bereich der ADJD und VVPP nicht die tatsächlichen Verhältnisse im Untersuchungskorpus widerspiegeln (vgl. oben Abb. 57) und jede Art des Qualitativs für sich betrachtet werden muss.

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Die bisherigen Überlegungen lenken den Blick auf die Elemente, die als ADJD annotiert wurden. Das oben bereits erwähnte übrig ist mit 85 Belegen zweithäufigster Qualitativ (∑ / 2) und häufigstes Adjektiv (ADJD / 1). Direkt danach folgt treu mit 80 Belegen (ADJD / 2) – beide stehen in der Summe nur knapp hinter erhalten (∑ / 2). Das hochfrequente Kollokat treu ist es, das – wie übrig – in den Belegzahlen überdeutlich heraustritt und damit nicht nur die Stabilität und enge Bindung an bleiben ausstellt, sondern auch deutlich macht, wie aus solchen Kollokationen nach und nach Konstruktionen emergieren können. Rechnete man z.B. diese beiden (idiomatischen) Fälle (übrig bleiben und treu bleiben) aus den Belegen im Hinblick auf die oben kurz diskutierte Problematik der Partikelverben heraus, stellte sich das Gesamtbild der Entwicklung der Konstruktion mit bleiben wesentlich homogener dar.

Abb. 65: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bleiben nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/1CZU5V; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Aber: Will man das aus konstrukionsgrammatischer Perspektive? Übrig und treu bleiben gehen nach 1945 getrennte Wege – das eine weiter hin zum zusammengesetzten Verb (und damit zur lexikalisch voll spezifizierten Konstruktion mit

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einem Eintrag im Lexikon), beim anderen wird die Entwicklung möglicherweise unterbrochen. Um genauere Auskünfte über diese Entwicklung zu geben, schauen wir noch auf die Reduktion der Belege mit ADJD in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Faktisch sind drei Szenarien denkbar. Zum einen könnten es wenige ADJD sein, die nicht mehr realisiert werden und die für den Einbruch der Belegzahlen verantwortlich sind. Zum anderen könnte eine ganze Gruppe von Qualitativen erfasst worden sein, die nach 1945 nicht mehr realisiert werden. Zum dritten könnte es eine Entwicklung sein, die alle ADJD erfasst – dann wäre es die Konstruktion aus [[bleiben][ADJD]], die als Ganzes aus dem Gebrauch fällt. Um jedoch keine vorschnellen Schlüsse bezüglich der Abnahme der Belegzahlen zu ziehen, nutzen wir die Ergebnisse aus Abb. 65 sowie die Beobachtungen zur chronologischen Verteilung der Belege mit ADJD als Qualitativen, um nachvollziehen zu können, welche Qualitative als ADJD im KERN-Korpus nach 1945 tatsächlich weniger gebraucht worden sind.

Abb. 66: Die je 24 häufigsten Qualitative mit bleiben nach Annotationsart ADJD, die nach 1945 in WI, GE und ZE seltener verwendet werden. Direktlink: https://goo.gl/K5mOYI; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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In Abb. 66 sind die häufigsten Elemente verzeichnet, die als ADJD annotiert worden sind und die in Belegen gezählt werden, die zwischen 1931 und 1945 bzw. 1946 und 1960 in den Domänen WI, GE und ZE publiziert worden sind. BE haben wir ausgenommen, da diese Domäne den Abfall der Belege mit ADJD (konservativ) erst später verzeichnet (vgl. dazu die Überlegungen zu Abb. 59, 60 und 64). Zunächst ist zu prüfen, ob die Abnahme der Belege nur in unserem Untersuchungskorpus beobachtet werden kann, oder ob der hier beobachtete Trend sich auch im KERN-Korpus nachvollziehen lässt. Dafür stellen wir die Anzahl an Belegen aus der Zeitspanne 1931–1945 und 1946–1960 gegenüber, die wir – der Einfachheit halber – mit dem Suchstring near(X,bleiben,10) (‚suche nach [übrig, lebendig, erfolglos, treu usw.] und jeder morphologischen Form von bleiben in einem Wortabstand von 10‘) abrufen. Wir werden hier keine qualitative Analyse der Belege durchführen, sondern wollen nur die Tendenzen der Abnahme am KERN-Korpus überprüfen. Bestätigt sich eine Abnahme, besprechen wir exemplarische Belege aus unserem Untersuchungskorpus im Anschluss. Ergänzend zu Abb. 66 kann gesagt werden, dass insgesamt 124 Elemente, die als ADJD annotiert sind, zwischen 1931 und 1945 verwendet werden, die im Nachfolgezeitraum weniger oder nicht mehr in Gebrauch sind. Ohne quantitative Veränderung in den beiden Zeiträumen werden im Untersuchungskorpus angewiesen, bewusst, geheim, gleichgültig, sachlich, ungeschrieben, ungesühnt, unversehrt, wirkungslos und zart gebraucht. ADJD, die erst im zweiten Untersuchungszeitraum (allerdings niederfrequent) verwendet werden, sind u.a. frisch, fremd, konstant, offen, unangetastet, unbekannt und wirksam usw. Die ‚Neuzugänge‘ können aber offenbar den Abbau nicht kompensieren. Übrig verliert im Untersuchungskorpus ([Zeile] 1) beträchtlich, ein Blick ins KERN-Korpus offenbart aber, dass hier zwar die Tendenz ebenfalls zur Abnahme geht, aber der Trend bei weitem nicht so dramatisch ist, wie er sich im Untersuchungskorpus darstellt (Abb. 66). Anders ist das z.B. bei erfolglos (2), lebendig (3), treu (4), gesund (7), tapfer (9), unvergessen (10) und dividendenlos (11). Diese Fälle wollen wir genauer an ausgewählten Beispielen beschreiben. Hingewiesen sei außerdem noch auf zwei Belege, in dem die Tendenz im KERNKorpus der des Untersuchungskorpus entgegenläuft, die wir aber zu Illustrationszwecken in der Übersicht belassen haben: unbeantwortet (17) und in umgekehrter Richtung unberücksichtigt (18). Es sind also nicht nur wenige Vertreter, sondern eine ganze Gruppe von Adjektiven, die nach 1945 deutlich seltener gebraucht werden – übrig und treu

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gehen dabei, wie oben bereits angemerkt, nach 1945 getrennte Wege. Beginnen wir mit dem auf den ersten Blick überraschenden dividendenlos: [K1337] 1934 / ZE / Archiv der Gegenwart, 4, 1934 / Die Stollwerk A. G. (147 C), die im Vorjahre dividendenlos blieb, verteilt für 1932/33 auf ein A.-K. […]. Warum dividendenlos, welches genau in diesem Kontext vor 1945 äußerst häufig belegt ist, im Gebrauch nicht mehr gewählt wurde, ist aus der Perspektive, die wir gerade einnehmen, ohne Zusatzstudien nicht zu klären. Denkbar ist, dass man hier ein bestimmtes Publikationsorgan greift, welches nach 1945 schlicht nicht mehr existierte – man säße dann z.B. einem Redaktionsstil, bzw. dem eines Autors, der nach 1945 aus welchen Gründen auch immer nicht mehr publizierte, auf. Eine ebenfalls mögliche Erklärung könnte sich auf die allgemein wirtschaftliche Entwicklung nach 1945 beziehen, auch wenn diese Lesart unwahrscheinlicher ist. Eine dritte Option wäre die, die wir weiter unten als Hypothese entwickeln und die auch für dividendenlos in Anschlag gebracht werden kann: Danach verlöre die ganze Konstruktion [[bleiben][ADJD]] an Bedeutung. Eine Gruppe von Adjektiven deutet auf den zweiten Weltkrieg als Erfahrungshorizont, in dem man sich (wie in [K515] und [K512] gegenseitig) wünschte, gesund und lebendig oder zumindest unvergessen (bzw. unvergesslich) und lebendig in Erinnerung zu bleiben (jeweils nicht im Kriegskontext [K402] und [K2321]): [K515] 1940 / GE / Brief von Irene G. an Ernst G. vom 23.05.1940, FeldpostArchive mkb-fp-0270, S. 166 / Wenn es nur Dir besser geht und Du auch gesund bleibst. [K512] 1943 / GE / Brief von Ernst G. an Irene G. vom 11.06.1943, FeldpostArchive mkb-fp-0270, S. 168 / Ich möchte nicht, daß Du Dich bei dieser Rennerei noch etwas holst. Ich möchte das Du gesund bleibst. [K402] 1932 / GE / o.A., [Annonce: Mitten aus rastloser ...], in: Berliner Tageblatt (Morgen-Ausgabe) 02.03.1932, S. 10, S. 414 / Auch nach dem Tode bleibt er uns lebendig als der verehrungswürdige Mensch mit einem unendlich gütigen Herzen. [K2308] 1932 / GE / o.A., [Annonce: In der vergangenen ...], in: Berliner Tageblatt (Morgen-Ausgabe) 03.03.1932, S. 10, S. 414 / Sein Name wird in un-

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serem Unternehmen und in der deutschen Kunstseiden-Industrie unvergessen bleiben. Ein Teil der Adjektive, wie lebendig und gesund, wird (noch) verwendet, um die ‚Vitalität‘ von Institutionen wie Gemeinschaften oder Bräuchen zu bezeichnen: [K1862] 1940 / WI / Jahresberichte für deutsche Geschichte / Hrsg. v. Albert Brackmann u. Fritz Hartung. - Leipzig : Koehler. - 14. Jahrgang 1938. 1940. - XXII, 524 S., S. 341 / Bei der abschließenden Erörterung über Ursprung und Sinn des Brauches wendet er sich gegen Höflers Deutung der Wilden Jagd aus dem Brauchtum kultischer Geheimbünde der Germanen; im Anschlusse an die ältere Forschung sieht er die tiefste Wurzel dieses Vorstellungskreises im Totenglauben und in der Totenverehrung unserer Vorfahren, die trotz ihres vorgeschichtlichen Alters auch in anderen Brauchtumserscheinungen bis zum heutigen Tag lebendig geblieben sind. [K1420] 1936 / WI / Jahresberichte für deutsche Geschichte / Hrsg. v. Albert Brackmann u. Fritz Hartung. - Leipzig : Koehler. - 9./10. Jahrgang 1933/1934. - 1936. - XIV, 873 S., S. 644 / Er zeigt, daß trotz der ungeheuren Lasten und Verluste an wirtschaftlicher Kraft die Finanzen der Stadt gesund und geordnet blieben und daß eigentlich erst die Franzosenkriege die endgültige Zerrüttung gebracht haben. Der Rückgang der Belege in dieser Gruppe lässt sich auf zweierlei Art erklären, die verschränkt sind: Zum einen ist der Weltkrieg 1945 vorbei, womit die unmittelbare Gefährdung von Leben (das man sich zu erhalten wünscht) nicht mehr gegeben ist. Zum anderen sind es sprachliche Muster und vor allem die Auffassungen von Institutionen wie Gemeinschaften und Bräuchen als ‚organischen Wesen‘, die sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts sukzessive änderten. Das Ende einer politischen Epoche, die nahezu alles und jedes als ‚organisches Wesen‘ beschrieb und beschwor, dürfte ebenfalls dazu beigetragen haben. Auch diese Gemengelage kann hier nur hypothetisch als Erklärungshintergrund dienen, es bedürfte genauerer (diskurslinguistischer) Analysen, die sich auf die Suche nach diesen sprachlichen Mustern in größeren Aussagekomplexen machen. Kommen wir zur dritten Gruppe, die wir beschreiben werden: erfolglos, treu und tapfer. Tapfer (9) ist im Untersuchungskorpus zwar nicht häufig belegt, aber es wird zwischen 1946 und 1960 überhaupt nicht mehr gebraucht –

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gleiches gilt für das KERN-Korpus, in dem überhaupt kein einziger Beleg mehr verzeichnet ist. [K332] 1941 / GE / Brief von Irene G. an Ernst G. vom 25.05.1941, FeldpostArchive mkb-fp-0270, S. 247 / Ich bleibe auch bestimmt tapfer im Warten auf Dich. [K333] 1940 / GE Brief von Irene G. an Ernst G. vom 18.03.1940, FeldpostArchive mkb-fp-0270, S. 166 / Aber trotzdem ich bleibe schon tapfer. [K513] 1942 / GE / Brief von Ernst G. an Irene G. vom 03.02.1942, FeldpostArchive mkb-fp-0270, S. 117 / Also mein Bobelchen, Du siehst, ich bin gar nicht abgeneigt, wenn Du auch weiterhin tapfer, mutig bleibst, und Dich so gut Du kannst ernährst, Kräfte sammelst und aufsparst. Zwar sind im Untersuchungskorpus die drei Belege aus nur einem Briefwechsel entnommen (wie auch bereits [K515] und [K512] oben), aber sie zeigen dennoch überdeutlich, dass hier ein Durchhalten in militärisch dominierten Kontexten gemeint wird, welches, in anderen Kontexten, auf jene an allen Fronten, nämlich auch der ‚Heimatfront‘ bezogen war. Diese Überhöhung des ‚Durchhaltens‘ als tapfere und mutige ‚Leistung‘ kann kontextuell an die Kriegserfahrung gebunden sein und/oder auch nationalsozialistischem Sprachgebrauch entsprechen. Abschließend ist das allerdings hier nicht zu klären. Gleiches gilt, strukturell, für treu (4): [K1685] 1944 / ZE / Archiv der Gegenwart, 14, 1944 / Der Haß der Verschwörung dieser unserer inneren und äußeren Feinde ist der Bewegung seitdem treu geblieben durch die ganzen Jahre des Kampfes vor und nach der Macht. [K1782] 1935 / ZE / Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 02.03.1935 / Und ihr seid 15 Jahre lang treu geblieben. Der Sprachgebrauch bildet dabei ab, dass man konzeptuell nicht nur immer tapfer sein kann, sondern auch jedem und jeder Sache gegenüber treu: [K619] 1938 / ZE / Archiv der Gegenwart, 8, 1938 / Die Kleine Entente erklärt neuerlich, daß ihre Mitglieder dem Völkerbund treu bleiben.

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[K1336] 1936 / ZE / Pariser Tageblatt 13.01.1936, 13.01.1936 / Es kann ferner vom Kläger auch nicht als ehewidrig empfunden werden, dass die Beklagte auch nach der Machtübernahme der NSDAP ihrer Anschauung treu blieb und nicht mit dem Kläger zur NSDAP überging. [K1421] 1936 / ZE / Pariser Tageszeitung 12.06.1936 / In Punkto Liebe gehen die Ansichten der Befragten insoweit auseinander, als die einen dem Ehestand; in dem sie sich befinden, eine lebensverlängernde Wirkung zusprechen, indes die anderen die gleiche Wirkung für den Junggesellenstand, dem sie treu blieben, reklamieren. [K1639] 1940 / ZE / Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 19.03.1940 / Die Schreibmaschine ist der Leipziger Messe auch dieses Mal treu geblieben. [K1642] 1938 / ZE / Archiv der Gegenwart, 8, 1938 / Trotzdem ist sie den Sanktionen treu geblieben. [K1643] 1936 / WI / Jahresberichte für deutsche Geschichte / Hrsg. v. Albert Brackmann u. Fritz Hartung. - Leipzig : Koehler. - 9./10. Jahrgang 1933/1934. - 1936. - XIV, 873 S., S. 813 / Roemer ist seinem Sondergebiet mit seiner ausgezeichneten Doktorarbeit über den Ludwig-Missionsverein treu geblieben. Damit soll nicht gesagt werden, dass einem nach 1945 etwa das Glück nicht mehr treu sein konnte, aber die Überbetonung eines Treueverhältnis zu jeder und jedem lässt sich nach 1945 im Unterschungskorpus so nicht mehr beobachten. Mit einem letzten Beispiel wollen wir die Reihe schließen und noch einmal den militärischen Kontext aufrufen, indem wir uns eingangs schon bewegten: [K1251] 1945 / ZE / Archiv der Gegenwart, 15, 1945 / An der kurländischen Front blieben zahlreiche sowjetische Vorstöße in Kompanie- bis Bataillonsstärke erfolglos. [K1257] 1943 / ZE / Archiv der Gegenwart, 13, 1943 / Auch am mittleren Djnepr blieben erneute Angriffe der Sowjets gegen die deutschen Brückenköpfe erfolglos.

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Es ist also eine ganze Gruppe von Adjektiven, die nach 1945 im Sprachgebrauch keine Rolle mehr spielt, wenn sie unmittelbaren militärischen Bezug haben und auf die Ereignisse und Erfahrungen des WKII bzw. des Dritten Reichs ganz konkret oder konzeptuell zu beziehen sind. Zweifelsohne ließen sich offizielle und private Sprachgebräuche entflechten – das ist aber nicht Aufgabe dieser Studie, sondern könnte in einer diskurslinguistischen Arbeit weiter verfolgt werden. Weiter gibt es Anzeichen dafür, dass nach 1945 nicht nur eine Gruppe bestimmter und erwartbarer Adjektive (treu, tapfer) nicht mehr gebraucht wird, sondern dass auch der Gebrauch der Konstruktion selbst zurückgeht – nur mit der Abnahme der Belege von treu und tapfer ist der Belegeinbruch der Konstruktionen mit ADJD nach 1945 jedenfalls nicht zu erklären. Von dem Kahlschlag in den 50er und 60er Jahren scheint sich die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben und ADJD derzeit zu erholen – nach wenigen Dekaden zeigte sich, dass die Sprachbenutzer nicht auf sie, wohl aber auf bestimmte und negativ besetzte Kollokationen verzichten. Ohne, dass es also einen Diskurs darüber gegeben hätte, wird ein sprachliches Muster nicht mehr bedient, ein sprachlicher ‚Trampelpfad‘ (vorerst) domänenübergreifend nicht mehr begangen (das könnte dann auch dividendenlos getroffen haben, siehe oben [K1337]). Es soll jedoch nicht behauptet werden, dass die Konstruktion wegen negativ besetzter Realisierungen in Gänze weniger gebraucht wurde – um das nachzuweisen, wären umfangreiche Anschlusstests nötig. Hypothetisch kann aber an dieser Stelle noch formuliert werden, dass mit der Abwahl der Kollokation treu bleiben auch die Entwicklung hin zu einem zusammengesetzten Verb unterbleibt – anders als bei übrig bleiben, wo diese Option zumindest noch besteht. Das alles wäre im Rahmen einer Diskursanalyse genauer zu prüfen, die auch die Aussagenkomplexe, in denen die hier ausgemachten Konstruktionsrealisierungen eingesetzt werden, genau zu untersuchen hätte. Gezeigt werden kann an diesem kleinen Beispiel zweierlei: Zum einen kann eine konstruktionsgrammatische Analyse von und aus Sprache im Gebrauch etwa an eine Diskurslinguistik wichtige Indizien für Sprachwandel übergeben (vgl. dazu auch Lasch 2014b und Lasch 2015b), ohne dabei mehr als ‚phrasale Konstruktionen‘ (vgl. oben Kap. 2) beschreiben zu müssen. Zum zweiten kann der Übergangsbereich zwischen Grammatik und Lexikon, das Konstruktikon, mittels konstruktionsgrammatischer Annahmen modelliert werden im Gegensatz zu grammatischen Modellen, die modular nur die Grammatik, oder aber das Ergebnis von Konstruktionswandel im Wörterbuch beschreiben. Blicken wir in Bezug auf die Qualitative noch kurz auf die VVPP und die modalen Infinitive wie Progressive (vgl. Abb. 65). Die häufigsten deverbalen Adjektive aus Perfektpartizip sind z.B. erhalten ([QUAL] VVPP / [Zeile] 1 /

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[Belege] 83), verschont (VVPP / 2 / 67), vorbehalten (VVPP / 3 / 52), verborgen (VVPP / 4 / 47), erspart (VVPP / 5 / 46) und versagt (VVPP / 6 / 39). Sie genügen der Konstruktion, einen durch sie bezeichneten ZUSTAND als dauerhaft zu markieren – besonders erhalten darf diesbezüglich als prototypisch gelten. Bei den modalen Infinitiven sticht zu tun heraus (zuINF / 1 / 46) – es gibt nicht viele Qualitative, die so direkt der Bedeutung der eigenen Konstruktion entsprechen, die hier im Anschluss an die bisherigen Überlegungen eher als ‚obligativ‘ denn ‚situativ‘ anzugeben ist. Modale Infinitive sind insgesamt in der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben insgesamt niederfrequenter als etwa in der Konstruktion mit sein, was daran liegen mag, dass die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben gegenüber jenen mit sein deutlich an Nachdruck gewinnen. Die Bedeutung der Konstruktion, Zustände als dauerhaft zuzuweisen, macht die Aussagen verbindlicher und rückt die Realisierungen deutlich in Richtung der Konstruktionen mit gehören und deverbalem Adjektiv (vgl. unten Kap. 10.2.1): Neben der (als resultativ markierten) Eigenschaftszuweisung steht eine deontische Komponente, die heraushebt, dass der Sprecher einen nicht gegebenen Zustand herbeigeführt sehen will. Anders als bei sein blockiert die resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung die Einbettung der Infinitive scheinbar stärker. Systematisch werden deshalb stilistisch neutrale Verben des Sprechens und Sagens sowie Wahrnehmungsverben als modale Infinitive eingebettet, ergänzt um Verben, die die Erfüllung von Aufträgen im weitesten Sinne zum Inhalt haben – typischerweise fächern sie detaillierter auf, was zu tun in Summe ausdrückt. Auf die modalen Infinitive kommen wir noch einmal in Kap. 10.1.1 zurück. Mit insgesamt sieben Belegen sind die Progressive als Qualitative im KERN-Korpus nachweisbar – systematisch sind sie also für eine Einbettung qualifiziert, praktisch spielen sie im Sprachgebrauch keine Rolle. Zwei der Beispiele mit am Mahlen und im Glühen haben wir bereits oben zitiert: [K1481] 1902 / BE / Brief von Wilhelm Busch an Nanda Keßler vom 26.12.1902, S. 5499 / Es machte sich schön, von der Stube aus, und da der Dauerbrenner beständig im Glühen blieb, hab ich den Schrecken ganz gut überstanden. [K1990] 1923 / ZE / Vossische Zeitung (Abend-Ausgabe) 06.03.1923 / Im jahrhundertelangen Gang der Weltgeschichte hat es sich immer wieder gezeigt, daß Gottes Mühlen, wenn auch langsam, so doch tatsächlich am Mahlen geblieben sind.

Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben | 249

Abb. 67: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bleiben nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/KXjn8v; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Bevor wir eine Reihe prototypischer Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben in resultativer Lesart vorstellen, werfen wir abschließend noch einen Blick auf die Verteilung der Belege in den Kommunikationsdomänen und den Tempuskonstruktionen (vgl. oben Abb. 67 und 68). In der Domänenaufteilung lassen sich, trotz einiger Gemeinsamkeiten, doch auch deutliche Unterschiede in der Wahl von VVPP und ADJD als Fillern der Konstruktionen ausmachen. Das oben schon beschriebene erfolglos ist – textsortengebunden – vor allem in Zeitungstexten zu finden ([Domäne] ZE / [Zeile] 3 / [Belege] 27), dem systematisch auch ergebnislos beizuordnen ist (∑ / 30 / 12). Erfolglos ist sonst in dieser Übersicht nur noch in der Gebrauchsliteratur verzeichnet (GE / 30 / 3), dort allerdings in anderem Kontext als den zitierten [K1251] und [K1257]. Treu

250 | Konstruktionen der ASKRIPTION

hingegen lässt sich in jeder Domäne als relativ präsent nachweisen (BE / 1 / 20; GE / 6 / 13; WI / 5 / 16 und ZE / 2 / 31).

Abb. 68: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bleiben nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/J8ZZdw; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Verteilung auf die Tempusformen (Abb. 68) zeigt, wie niederfrequent die modalen Infinitive tatsächlich sind – dennoch besetzen sie im Präsens mit zu tun und 37 Belegen von insgesamt 46 Belegen (∑ / 10) die Spitzenposition (zu bedenken bleibt, dass hier keine Einrechung der zufälligen Samples erfolgte). Erhalten im Perfekt mit 54 Belegen von insgesamt 86 (∑ / 1) und unvergesslich mit 12 von insgesamt 17 Belegen (∑ / 26) im Futur I unterstützen nicht nur die Konstruktionsbedeutung der ASKRIPTION mit bleiben, sondern sie sind auch als Kollexeme von bleiben ausgezeichnet und dürfen auch in der jeweiligen Tempuskonstruktion als prototypisch angesehen werden. Auf Basis der Analyseergebnisse werden abschließend noch einige Beispiele gegeben, die sich als typisch bezüglich der realisierten Qualitative, der Kommunikationsdomänen und Tempuskonstruktionen sowie der gewählten Personalformen und Numeri als Verbalkategorien für die Konstruktion der ASKRIPTI-

Resultative Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: bleiben | 251

ON mit bleiben in resultativer Lesart erweisen – auf die oben problematisierten Beispiele (übrig, treu, erfolglos, tapfer usw.) verzichten wir dabei aber. Präsens [K67]

1940 / WI / Hartmann, Nicolai, Der Aufbau der realen Welt, Berlin: de Gruyter 1940, S. 391 / Die qualitative Mannigfaltigkeit gehört als solche der sekundären Inhaltssphäre der Erkenntnis an und bleibt auch dort auf bestimmte Stufen beschränkt […].

[K655] 1955 / WI / Girardon, Renée, Francoeur (Familie), in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart Band 4, Kassel: Bärenreiter 1955, S. 24013 / Über das mus. Wesen der Francoeurs als Solisten und Komp. bleibt wenig zu sagen. [K647] 1970 / ZE / Die Zeit 13.03.1970 / Für die Forschung bleibt noch genug zu tun. [K346] 1998 / GE / o.A., Bundessozialhilfegesetz (BSHG), in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Eine Verpflichtung zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe nach diesem Gesetz besteht nur in den Fällen der § § 92a und 92c; eine Verpflichtung zum Kostenersatz nach anderen Rechtsvorschriften bleibt unberührt. Präteritum [K785] 1994 / WI / o.A., T, in: Harald Olbrich (Hg.), Lexikon der Kunst Band 1: Stae - Z, Leipzig: Seemann 1994, S. 35901 / Wegen der Kosten für die Ausrüstung und bes. dressierte Pferde blieb es dem reichen Adel und den Höfen vorbehalten. [K805] 1933 / BE / Spoerl, Heinrich, Die Feuerzangenbowle, [Düsseldorf: Verl. d. Mittag-Bücherei] 1933, S. 144 / Dem mütterlichen Auge der Frau Windscheid blieb diese Wandlung nicht verborgen. [K870] 1998 / ZE / Die Zeit 20.02.1998 / Ihre Nachkommen blieben von BSE verschont.

252 | Konstruktionen der ASKRIPTION

[K1083] 1945 / GE / o.A., Fünfter Tag. Montag, 26. November 1945, in: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, Nürnberg: Internationaler Militärgerichtshof 1947, S. 1716 / Deshalb habe ich auch bei Rückschlägen, die mir während meiner Kampfzeit nicht erspart blieben, niemals den Glauben verloren. Perfekt [K1488] 1971 / WI / Klix, Friedhart, Information und Verhalten, Berlin: Deutscher Verl. der Wissenschaften 1971, S. 222 / Aber die primär auf die Einstellung zum Gegenstand bezogene Farbgebung ist auch hier erhalten geblieben. [K1723] 1992 / ZE / Archiv der Gegenwart, 62, 1992 / Die Nation und ihre Größe sind unverändert geblieben. [K1671] 1998 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1954 – 1974, Berlin: Aufbau-Verl. 1998, S. 334 / Dem Lehrer Arthur Sahm aber ist die Hildesheimer Justiz den fälligen Freispruch schuldig geblieben. Plusquamperfekt [K2065] 1922 / BE / Winckler, Josef, Der tolle Bomberg, Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. 1932 [1922], S. 319 / Er war ihr innerlich doch fremd geblieben. [K2118] 1954 / GE / Grzimek, Bernhard, Kein Platz für wilde Tiere, München: Kindler 1954, S. 226 / Daß ein Großsäugetier, welches noch dazu so auffällig gezeichnet und geformt ist, bis dahin der zoologischen Wissenschaft unbekannt geblieben war, das bildete für die Tageszeitungen in allen Ländern der Erde eine der ersten großen Sensationen des neuen Jahrhunderts. Futur [K2345] 1959 / ZE / Archiv der Gegenwart, 29, 1959 / Ein Hauptelement der Lage ist das Vertrauen der Bevölkerung Westberlins, daß sie frei bleiben wird. [K2362] 1926 / GE / Abel, Othenio, Amerikafahrt, Jena: Fischer 1926, S. 217 / Ununterbrochen rieseln und fallen kleinere und größere Gesteinsbrocken von

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 253

den Wänden in die Tiefe und das Geräusch der vielen tausend herabkollernden und herabrieselnden Steine und Steinchen klingt zu einem eigenartigen, leisen Akkord zusammen, der wohl jedem, der auf ihn achtet, unvergeßlich bleiben wird.

7.3 Konstruktionen der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung Wird die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben mit resultativer Lesart bisher nur in wenigen Grammatiken im Zusammenhang des ‚Passivs‘ oder genauer nonagentiver Konstruktionen beschrieben, so trifft das noch viel mehr für die Konstruktionen zu, in denen Verben in modaler Relation zur Konstruktionsbedeutung eingebettet werden.

Abb. 69: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung. Direktlink: https://goo.gl/ezVrvB; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Da wir uns hier also bis auf wenige Ausnahmen nicht auf Forschungsliteratur beziehen können, sollen einige Vorklärungen den dann folgenden Überlegungen zu scheinen, erscheinen, wirken und aussehen vorangehen. Wir beziehen uns auf Beispiele wie diese: „Die ganzen Bedenken des Mittelalters gegen das Zinsennehmen gehen darauf zurück, daß das Geld viel starrer, substanzieller, den Dingen geschlossener gegenüberstehend erschien und war als in der Neuzeit, in der es vielmehr dynamisch, fließend, sich anschmiegend wirkt und erscheint.“ (1900 / WI / Simmel, Georg, Philosophie des Geldes, Leipzig 1900, S. 61934) Stehen Konstruktions- und Verbbedeutung in einem modalen Verhältnis zuei-

254 | Konstruktionen der ASKRIPTION

nander, dann wird die Art und Weise einer Handlung bzw. eines Vorgangs oder eine Sprechereinstellung in den Vordergrund gerückt – die Sprechereinstellung bzgl. der Faktizität des Gesagten wird bei allen Verben im Folgendem markiert (vgl. oben Kap. 3.2.1). Dieser Zusammenhang wurde vor allem zu scheinen von Diewald (2005 und 2001) diskutiert – allerdings nicht in dem hier fokussierten Rahmen, sondern im Zusammenhang von Modalität, Faktizität und Evidentialität (vgl. zum Problem analytischer Modalkonstruktionen oben Kap. 5.1.4) u.a. an Konstruktionen des Typs [[scheinen][zuINF]], die uns hier ebenfalls beschäftigen werden. Konstruktionen mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung erben ihre Eigenschaften in Teil-Ganzes-Relationen von der lexikalisch nicht spezifizierten Konstruktion der ASKRIPTION (deren Instanz die Realisierung die Konstruktion mit sein ist). Ihre Bedeutung weicht faktisch nur in einem Punkt ab: Während in der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein das Gesagte durch den Sprecher nicht hinsichtlich seiner Faktizität markiert ist, was aber nicht heißt, dass gar keine Faktizitätshinweise in der kommunikativen Perspektivierung denkbar sind (Abendgarderobe ist wahrscheinlich angemessen), sind die Konstruktionen der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung hinsichtlich der Faktizität markiert. Die Bedeutung der Konstruktion bei modaler Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung ist: ‚Einem SOB wird eine mittels eines QUAL ausgedrückte Eigenschaft zugewiesen, deren Faktizität durch den Sprecher markiert wird.‘ Instanzen dieser Konstruktion werden realisiert mit scheinen, erscheinen, wirken und aussehen, die zueinander ebenfalls Teil-Ganzes-Relationen unterhalten.

7.3.1

Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit scheinen und erscheinen

7.3.1.1 scheinen [90]

Die Sendung scheint verschwunden. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit scheinen und damit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: ASKRIPTIONV(≈modal)(SOBNPNOM,QUALADJ)

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 255

Abb. 70: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung und scheinen. Direktlink: https://goo.gl/vFd1jg; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Anders als bei den bisherigen Analysekapiteln möchten wir die Gesamtzahlen, die für die Konstriktion der ASKRIPTION mit scheinen ermittelt werden konnten, zuerst präsentieren, bevor wir auf die detaillierten Belegübersichten näher eingehen.

Abb. 71: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen. In der Belegsumme des Präteritums (m) ist ein Beleg aus den Kontrollrechnungen berücksichtigt. Direktlink: https://goo.gl/GmHp3D; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Für die Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen können in den Doppelperfektformen sowie in Futurformen keine Belege nachgewiesen werden. Insgesamt konnten im KERN-Korpus mit den Abfrageroutinen 8.655 Belege ermittelt werden (N), von denen 6.661 Belege untersucht hätten werden können (N1). Für die Analyse wurde ein Sample gebildet von 3.019 Belegen (n), von denen insgesamt 2.464 Belege (m) der gesuchten Konstruktion entsprachen. Die Konstrukti-

256 | Konstruktionen der ASKRIPTION

on der ASKRIPTION mit scheinen ist also nicht niederfrequent, aber erstaunlich stabil nur in den synthetischen Tempora gebraucht. Das liegt mutmaßlich u.a. daran, dass scheinen in Perfektkonstruktionen mit haben eingebettet wird und dort vor allem in agentiven Konstruktionen realisiert wird (wir diskutieren unten in diesem Zusammenhang den Beleg [91] Die Sonne hat mir golden geschienen). Anders stellt sich dies bei der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen dar – diese deckt ein wesentlich breiteres Tempusspektrum ab (vgl. Kap. 7.3.1.2). Angesichts der Belegzahlen stellen wir lediglich die detaillierten Übersichten der synthetischen Tempora vor (vgl. unten Abb. 72 und 73). Die wenigen Belege in den analytischen Vergangenheitstempora entfallen jeweils auf die dritte Person Singular mit einem ADJD als Qualitativ, was vor dem Hintergrund bisheriger Überlegungen erwartbar ist. Die Übersichten für Perfekt und Plusquamperfekt sind online verfügbar (Perfekt: https://goo.gl/2htlcK; Plusquamperfekt: https://goo.gl/eDU72w; Stand: 16.09.2016). Alle Belege zu Konstruktionen der ASKRIPTION mit scheinen (https://goo.gl/5YvKiw; Stand: 05.08.2015) und eine vollständige Übersicht der ausgewerteten Qualitative können online eingesehen werden.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 257

Abb. 72: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/kFNugW; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

258 | Konstruktionen der ASKRIPTION

Abb. 73: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/qieiaq; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Ein weiterer Beleg aus den Kontrollabfragen mit anderen APPRART (beim und im) kommt hinzu, der nur in der Gesamtzählung aller Belege berücksichtigt ist (vgl. oben Abb. 71; Präteritum: 1.234).

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 259

Abb. 74: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs- und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/eX0dHq; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Progressive (QUAL) wurden für die Berechnung nicht berücksichtigt, da einzelne Werte in Kontrollabfragen ermittelt worden sind (vgl. dazu oben die Anmerkungen zu Abb. 73). Die Werte M1 und M sind je im Dreisatz ermittelte Schätzwerte zunächst unter der Annahme, dass die Zufallsstichprobe n repräsentativ für die Gesamteinheit (N1) ist. Weiter gehen wir davon aus, dass sich N strukturell nicht stark von N1 unterscheidet und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann. Eine Fehlerbereinigung der Schätzwerte ist nicht angezeigt (vgl. oben Anm. 61). Die Schätzwerte sind auf drei Nachkommastellen gerundet. Durch die Rundung können sich minimale Fehler in der Summenbildung ergeben, rechnete man bspw. die einzelnen Schätzwerte M für die Kommunikationsdomänen gegen die geschätzte Gesamtsumme M.

260 | Konstruktionen der ASKRIPTION

Nach den bisherigen Interpretationen der Schätzwerte für sein (Kap. 7.1) und bleiben (Kap. 7.2) spricht Abb. 74 deutlich für sich: Die Berücksichtigung von Schätzwerten ist nur für Realisierungen mit ADJD und modalem Infinitiv in Präsens und Präteritum angezeigt. Diewald (2001: 94) unterschied sechs Typen der Konstruktionen mit scheinen, wobei der erste Überblick über die Belege deutlich Typ II („scheinen als Kopula“) und Typ IV („scheinen mit zu Infinitiv“) heraustreten lassen. Typ III („scheinen als mit sein verstärkte Kopula“) haben wird durch die Definition unserer Suchroutinen ausgeschlossen. Für Typ II gibt Diewald an: Als Kopula steht scheinen in einer Reihe mit den Kopulaverben sein, werden und bleiben, wie in Sie ist/bleibt/wird/scheint krank. Die Bedeutung von scheinen in diesem Konstruktionstyp […] kann mit ‚allem Anschein nach sein’, ‚erscheinen als’, ‚wirken wie’ paraphrasiert werden. (Diewald 2001: 95)

Der Konstruktionstyp wird hier als ASKRIPTION mit scheinen in modaler Lesart angegeben. Die Bedeutung war so spezifiziert, dass ‚einem SOB eine mittels eines QUAL ausgedrückte Eigenschaft zugewiesen wird, deren Faktizität durch den Sprecher markiert wird.‘ Die von Diewald gewählte Paraphrase entspricht dem weitestgehend, wobei sie interessanterweise auch bereits wirken ins Spiel bringt und aussehen bereits andeutet, denen wir uns in Kap. 7.3.2 und 7.3.3 zuwenden werden. Der enge Zusammenhang zu Modalkonstruktionen deutet sich hier nicht nur an, sondern wird an jedem Beispiel greifbar. Wie einzelne Konstruktionen die Verschränkung mit Tempuskonstruktionen auf spezifische Weise besonders deutlich werden lassen (Stichwort: „Perfektlücke“), da je ein Verb sowohl in einer nonagentiven Konstruktion eingebettet werden kann als auch in einer Tempuskonstruktion, so machen andere Verben im Konstruktikon besonders den Zusammenhang von nonagentiven Konstruktionen und Modalkonstruktionen deutlich, in dem ein Verb sowohl in diese wie in jene eingebettet werden kann. Wie bei der Analyse der „Perfektlücke“ gesehen, ist es aus konstruktionsgrammatischer Perspektive nicht angezeigt, diese Knoten im Konstruktikon aus der Analyse auszuschließen, da man gerade an solchen Übergangsbereichen Strukturen und Zusammenhänge von sprachlichen Repräsentationsformen zwischen Grammatik und Lexikon beschreiben kann. Ein Großteil der Realisierungen entspricht weiter dem von Diewald beschriebenen Muster [[scheinen][zuINF]], wobei wir uns – wie Diewald das nennt – auf den ‚modal-passivischen Gebrauch‘ konzentrieren werden. Anders als Diewald sind wir der Meinung, dass der Konstruktionstyp nicht „relativ selten“ ist (Diewald 2001: 103). Aber wir können uns ihrer Einschätzung anschließen, dass

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 261

[d]ie Annäherung von scheinen an die Kopula-Verben, deren zentraler Vertreter sein ist, […] dazu geführt haben [könnte], daß auch die modal-passivische Verwendung von sein direkt von scheinen nachgebildet wurde (also wir scheinen zu trösten direkt nach dem Muster wir sind zu trösten) und daß auf diese Weise die Möglichkeit zur Anlagerung beliebiger Infinitive an scheinen bestärkt wurde. (Diewald 2001: 103)

Da unser Fokus nicht auf die diachrone Entwicklung der Konstruktion gerichtet ist, reicht es aus, zunächst zu betonen, dass die Nachbildung zuerst eine formale ist (Teil-Ganzes-Relation). Die beiden von Diewald gegebenen Beispiele lassen sich hinsichtlich der Bedeutung der Konstruktionen nicht aufeinander abbilden, was maßgeblich am erweiterten Infinitiv liegt. Wir werden auf diese Frage im Zusammenhang der Belegdiskussion zurückkommen. Im Präsens wird die Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen am häufigsten in der Domäne Wissenschaft (WI) gebraucht, danach folgen mit beträchtlichem Abstand Gebrauchsliteratur (GE) und Zeitung (ZE). Belletristische Texte (BE) werden wieder im Präteritum zur wichtigsten Domäne – hier zieht sich also ein Gebrauchsmuster aller bisher beschriebenen Konstruktionen durch –, gefolgt von GE und WI. In ZE ist die Realisierung etwas seltener. In die Realisierungen in den analytischen Vergangenheitstempora werden nur ADJD eingebettet. Perfekt z.B. ist nur an einem Beleg in der Domäne Wissenschaft zu beobachten: [K2366] 1932 / WI / Klages, Ludwig, Der Geist als Widersacher der Seele, 3. Band, Teil 1: Die Lehre von der Wirklichkeit der Bilder, Leipzig: Barth 1932, S. 801–1248, S. 1117 / Wem hat nicht in Gegenwart seines Mädchens die ganze Welt golden geschienen? Die oben angedeutete Problematik in Bezug auf die Einbettung in Perfektkonstruktionen mit haben wird an diesem Beispiel überdeutlich: Die Welt als Agens (AG) ist nicht in der Lage, einem Benefaktiv (BEN) golden zu scheinen (also ‚golden zu leuchten‘), sie erscheint (Kap. 7.3.1.2) oder wirkt (Kap. 7.3.2) oder sieht als SOB golden aus (Kap. 7.3.3). Da die analytische Tempuskonstruktion mit haben keine Argumenstrukturrolle des SOB spezifiziert und lizensiert, kommen solch ambigen Beispiele überhaupt zustande, die man – introspektiv – noch weiter auf die Spitze treiben kann: [91]

Die Sonne hat mir golden geschienen.

Das Perfekt macht aber nur offensichtlich, was ohnehin auch im Präteritum und Präsens der Fall ist:

262 | Konstruktionen der ASKRIPTION

[92]

1905 / BE / Brief von Wilhelm Busch an Grete Meyer vom 19.09.1905, S. 5662 / Blitzblank scheint die Sonne.

Ob die Realisierung einer agentiven Konstruktion oder einer nonagentiven Konstruktion vorliegt, hängt davon ab, ob ein AG kommunikativ realisiert wird. Scheinen als Verb lässt sowohl AG als auch SOB als Partizipantenrolle zu bei freilich je anderer Bedeutung: In [91] und [92] hängt von der Entscheidung, ob Sonne als AG oder als SOB eingeordnet wird, ab, ob die kommunikative Realisierung agentiv ist und bedeutet, dass die ‚Sonne golden oder blitzblank leuchte‘, oder ob sie nonagentiv ist und bedeutet, dass ‚dem Sprecher die Sonne golden oder blitzblank erscheint‘. In der Auswertung haben wir ambige Fälle wie [92] ausgeschlossen, da wir uns auf nonagentive Konstruktionen konzentrieren wollen. Ambiguitäten wie diese sind indes kein Einzelfall: Sie lassen sich z.B. in Konstruktionsrealisierungen mit wirken (vgl. 7.3.2 und 10.2.3) und haben (Kap. 10.2.2) ebenfalls beobachten. Im Plusquamperfekt ist die Konstruktion mit scheinen ebenfalls recht selten, dafür aber wird sie in jeder Domäne verwendet: [K2367] 1983 / WI / Sloterdijk, Peter, Kritik der zynischen Vernunft Band 2, Frankfurt: Suhrkamp 1983, S. 749 / Rückwirkend wuchs in ihnen der Traum von der Front, wo alles noch so klar geschienen hatte. [K2368] 1957 / GE / Klemperer, Victor, [Tagebuch] 1957, S. 630 / Elwert, der andere Mainzer Ordinarius (der mir in München kalt geschienen hatte, diesmal durchaus liebenswürdig, mindestens neutral vorkam) fand Schramms Worte aufbauschend u. nicht hingehörig. [K2369] 1953 / ZE / Brigitte (1953) Nr. 4, 31.12.1953 / Wo war die Welt, die mir mit zwanzig offen geschienen hatte? [K2370] 1920 / BE / Jacques, Norbert, Dr. Mabuse, der Spieler, Berlin: Ullstein 1920, S. 142 / Es war, als sei etwas Neues in sein Leben gekommen, das so unveränderlich geschienen hatte. [K2371] 1907 / BE / Meysenbug, Malwida von, Unerfüllt, in: dies., Der heilige Michael, Berlin: Loeffler 1907, S. 50260 / So war sie freudiger, als es nach dem Vorgefallenen ihr zuerst möglich geschienen hatte und es gelang ihr sogar, auf Paulinens Frage, ob sie etwas von den Gästen auf Lilienburg

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 263

gesehen, mit einer drolligen Beschreibung der alten, stolzen Dame zu antworten. Die Einbettung einer Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen in ein Perfekt mit haben ist also prinzipiell möglich, aber an den wenigen Beispielen wird deutlich, dass die Perspektivierungsleistungen der beiden Konstruktionen nicht passgenau und damit immer Ambiguitäten in Kauf zu nehmen sind. Deshalb bietet die Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen, sie wird in ein Perfekt mit sein eingebettet, eine Alternative zu diesen ambigen Konstruktionsrealisierungen (vgl. dazu unten Kap. 7.3.1.2). Die Verteilung der beobachteten Belege auf die Kommunikationsdomänen soll – wie bei bleiben – anhand der konkreten Daten und auf der Basis eines normalisierten Korpus besprochen werden, dazu ziehen wir wieder Abb. 18 (Kap. 6) bzw. erneut aufgenommen als Abb. 58 (Kap. 7.2, S. 214; beide unter https://goo.gl/kv1nVA; Stand: 16.09.2016) mit dem Überblick über die Schichtung des Korpus hinzu.

Abb. 75: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit scheinen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/pZxeN7; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 76: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit scheinen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/quY9wY; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

264 | Konstruktionen der ASKRIPTION

Die Verteilungen im normalisierten Korpus (Abb. 76) zeigen auch einen Abbruch der Belege von der vierten zur fünften Dekade, Vergleichbares war bereits für bleiben beobachtet worden – allerdings sind davon nur Gebrauchsliteratur (GE) und Zeitung (ZE) betroffen, Belletristik (BE) folgt eine Dekade nach. Nach dem Einbruch bleiben die Belegzahlen in diesen drei Domänen auf mittlerem Niveau. Anders bei der Domäne Wissenschaft (WI): Hier liegen die Belegzahlen über das gesamte Jahrhundert auf einem recht gleichbleibendem Niveau. Bei einem Blick auf die morphologischen Formen von scheinen (Abb. 77) und die Realisierung synthetischer und analytischer Tempora wird augenfällig, dass dieses Mal der Bereich Wissenschaft derjenige ist, in dem alle morphologischen Formen realisiert werden – im Bereich des analytisch gebildeten Präteritums wird die Konstruktion am häufigsten in BE realisiert – überall dominiert Singular den Plural.

Abb. 77: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit scheinen nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/XRnUVf; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Bezieht man die Verteilung der realisierten Qualitative in die Überlegung ein, dann kann man – ähnlich wie bei der Konstruktion mit bleiben – im KERNKorpus eine abnehmende Tendenz der Gesamtbelege feststellen. Anders als bei bleiben ist jedoch nicht ein Element einer bestimmten Annotationsart stärker betroffen als andere, wie Abb. 78 zeigt. Ob (1) die Abnahme der Belegzahlen in der zweiten Hälfte dem tatsächlichen Gebrauch entspricht oder ob (2) hier ein systematischer Fehler sichtbar wird, der durch die Anlage des Korpus bedingt ist, oder (3) andere Konstruktionsrealisierungen mit denen mit scheinen in Konkurrenz treten, werden wir als Fragen auch bei den noch zu analysierenden Konstruktionen weiter verfolgen.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 265

Abb. 78: Chronologische Verteilung der Qualitative in der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen. Direktlink: https://goo.gl/tiuBqr; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Bei der Beobachtung der Verteilung der Qualitative auf die jeweiligen Tempusformen und morphologischen Varianten des Verbs scheinen in der Konstruktionsrealisierungen (Abb. 79) ist ein Detail überraschend:

Abb. 79: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von scheinen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/bDo1XT; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die erweiterten Infinitive mit zu (annotiert als zuVVINF) werden sowohl im Präsens wie auch im Präteritum quantitativ genauso häufig (wenn nicht häufiger) im Plural verwendet (Z. 4 und 6) wie im Singular (Z. 3 und 5). Das konnte so bisher nicht beobachtet werden und die Belege wie [K307] sind dementsprechend besonders häufig: [K307] 1996 / WI / Hatt, Hanns, Chemosensibilität, Geruch und Geschmack, in: Josef Dudel / Randolf Menzel / Robert F. Schmidt (Hg.), Neurowissenschaft, Berlin: Springer 1996, S. 297–316, S. 315 / Ähnliche Mechanismen scheinen auch Spermien zum Auffinden der Eizelle zu benutzen. Postulieren wir eine Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen mit modaler Lesart, dann ist auch der Beleg [K307] dieser Konstruktion zuzuordnen. Wir hatten die Bedeutung so angegeben, dass ‚einem SOB eine mittels eines QUAL

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ausgedrückte Eigenschaft zugewiesen wird, deren Faktizität durch den Sprecher markiert wird.‘ Das interessante ist nun, dass der ‚modale Infinitiv‘ oder der Infinitiv mit zu in diesen Konstruktionen nicht mehr beiden Grundbedeutungen (‚Obligation‘: ‚alternativlose Notwendigkeit‘ und ‚Situation‘: ‚Option‘; vgl. oben Kap. 5.2.3.2) einbringt, sondern ausschließlich auf die ‚situative‘ Bedeutung festgelegt wird. So wird die Faktizitätsmarkierung des Sprechers durch den Gebrauch von scheinen in der Konstruktion der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung zusätzlich hervorgehoben. Wichtiger als das ist aber noch, dass im hier diskutierten Zusammenhang Spermien [K307] als spezifiziertes Objekt, dem eine Eigenschaft zugewiesen wird, und nicht als Agens (zum Infinitiv von benutzen) verstanden werden – denn es ist, wenn auch deutlich markiert, eine Zuweisung durch einen Sprecher, dass das SOB Spermien eine spezifizierte Eigenschaft besitzt und konzeptuell damit der Ausdruck eines ZUSTANDs und nicht eines VORGANGs oder einer HANDLUNG den Gebrauch der Konstruktion mit scheinen motiviert. In diesem Punkt weichen wir von Diewald 2000 ab, die eine modal-passivische Lesart dieser Konstruktion speziell heraushebt und markiert. Diese Entscheidung hängt maßgeblich davon ab, ob man bspw. Spermien [K307] als Agens auffasst oder nicht (es fiele im Falle von das Fenster scheint zu schließen leichter), dabei wird, so unsere Blickrichtung, die Argumentrolle SOB von der Konstruktion lizensiert. Für diese Analyse spricht weiter der auffällig häufige Gebrauch des Plurals – die spezifizierten Objekte werden besonders häufig in Mehrzahl in die Konstruktionen eingebettet, womit nicht einzelnen Vertretern, sondern einer Klasse eine Eigenschaft mit Faktizitätsmarkierung durch scheinen und den ‚situativ‘ zu lesenden Infinitiv mit zu zugewiesen wird. Das mögen alles Gründe sein, um die Konstruktion für Darstellungen und Texte in der Domäne Wissenschaft (und auch in der Gebrauchsliteratur) besonders attraktiv zu machen (vgl. z.B. oben Abb. 75–77). Selbst wenn das Element, welches als SOB eingebettet wird, wie in [K307] belebt oder menschlich ist oder Merkmale eines Agens trägt (vgl. Kap. 5.1.2), liegt eine nonagentive Konstruktion der ASKRIPTION vor und aus unserer Sicht keine Modalisierung einer agentiven Konstruktion. Dass die Positionen aber verhandelbar sind und im Falle aller Konstruktionen mit modaler Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung sehr nahe beieinander liegen, soll explizit hervorgehoben werden. Diewald 2000 schaut von der anderen Seite (nämlich der Modalität) auf dasselbe Phänomen und kommt aus der gewählten Richtung zu einer plausiblen Lesart, die hier mit dem Hinweis auf die Perspektivierungsleistung der nonagentiven Konstruktion zu ergänzen und zu modifizieren ist. Die Zusammenhänge zwischen Nonagentivität, Agentivität, Modalität

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und Reflexivität müssen in dieser Studie leider unterbestimmt bleiben (vgl. zur oben Kap. 5.1).

Abb. 80: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit scheinen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/pZxeN7; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die chronologische Verteilung der morphologischen Varianten des Verbs in analytischen und synthetischen Tempora (Abb. 80) hingegen folgt der bisher beobachteten chronologischen Verteilung der Belege im KERN-Korpus. Insgesamt wurden 1.399 unterschiedliche Qualitative in 2.464 untersuchten Belegen ermittelt (Verhältnis: 1,76). Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative können online eingesehen werden (https://goo.gl/5YvKiw; Stand: 05.08.2015). Die folgenden Abbildungen schließen die ausgewerteten Qualitative auf nach Annotationsart, Kommunikationsdomäne und temporaler Verwendung. Ausgewählt wurden dafür die je 30 häufigsten Qualitative. Im Bereich der ADJD und der modalen Infinitive ist für die ausgewerteten absoluten Zahlen in den Abb. 81–83 mit weit höheren Belegzahlen im KERN-Korpus zu rechnen (vgl. oben Abb. 74). Insofern spiegelt die Abb. 82 die Verhältnisse der Elemente nach Annotationsart die Verteilung im KERN-Korpus wider, bei der Zuordnung zu Tempusformen und Kommunikationsdomänen sind die überschlagenen Belegzahlen im KERN-Korpus (Abb. 74) in die Interpretation mit einzubeziehen. Blickt man in die Verteilung der Qualitative nach Annotationsart (Abb. 81), dann dominieren, trotz Reduktion durch die Bildung zufälliger Samples in Präsens und Präteritum, dennoch modale Infinitive und ADJD – das sind die beiden Typen, die auch mit Diewald 2000 als zwei der typischen Gebrauchsvarianten der Konstruktionen mit scheinen ausgemacht werden konnten. Es ist ein weiterer Hinweis darauf, dass die Elemente, die hier als VVPP annotiert sind, als Adjektive (aus Perfektpartizipien) in die Konstruktion eingebettet werden. Auch wenn wir an anderer Stelle (vgl. oben Kap. 5.2.3.2) behaupteten, dass sich die modalen Infinitive nur nach der Form, nicht aber nach ihrer Bedeutung unterschieden, so überrascht doch, dass sich

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hier in der Übersicht zumindest eine Gebrauchspräferenz abzeichnet – die Verben, die zu inkorporieren, sind einer Klasse zuzuordnen, die man semantisch fassen könnte als eine, in der Verben der Wahrnehmung und Klassifizierung zusammengefasst sind. Es sind Verben, die man im Zusammenhang mit der hier untersuchten Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen in modaler Lesart und der Einbettung eines modalen Infinitivs mit ‚situativer‘ Bedeutung in ihrer Vagheit intuitiv dem Frame WISSENSCHAFTLICHE DARSTELLUNG zuordnen würde (worauf sie aber freilich nicht beschränkt sind, wie wir sehen werden), deren Prinzip ist, stets vorläufige Ergebnisse zu formulieren und zur Diskussion zu stellen: [K667] 1900 / WI / Freud, Sigmund, Die Traumdeutung, Leipzig: Deuticke 1900, S. 35 / Ganz ähnlich Spitta ( p. 338 ), der anzunehmen scheint, daß wir überhaupt erst bei dem Versuche, den Traum zu reproduzieren, die Ordnung in die lose miteinander assoziierten Traumelemente einführen.

Abb. 81: Die je 30 häufigsten Qualitative mit scheinen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/Y9xeJY; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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[K704] thematisiert diesen Modus der wissenschaftlichen Darstellung im selben Kontext metasprachlich: [K704] 1910 / WI / Mauthner, Fritz, Wörterbuch der Philosophie, München: G. Müller 1910, S. 24708 / Ausnahmsweise, wenn Entlehnung oder Lehnübersetzung gar nicht zu übersehen ist, wird die Tatsache zugegeben; sonst aber redet die Wissenschaft, blind und taub, von einer Verwandtschaft, wo nur immer eine Ähnlichkeit vorliegt oder vorzuliegen scheint. [K625] 1994 / WI / Röhrich, Lutz, Knall, in: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Freiburg, Basel, Wien: Herder 1994 [1973], S. 3399 / Dabei handelt es sich um eine gedankenlose Weiterbildung, da der Fall dem Knall vorausgeht und nicht nachfolgt, wie die Redensart anzudeuten scheint. [K633] 1964 / WI / Konetzke, Richard, Überseeische Entdeckungen und Eroberungen, in: Propyläen Weltgeschichte Band 6, Berlin: Propyläen-Verl. 1964, S. 9794 / Wir kennen nicht die Zusammensetzung dieser Kommission, ihr sollen aber mehr Juristen und Theologen als Sachverständige in kosmographischen und nautischen Fragen angehört haben, was darauf hinzudeuten scheint, daß mehr die internationale Rechtslage der von Kolumbus vorgeschlagenen Fahrt zur Debatte stand als ihre wissenschaftliche Begründung. [K672] 1981 / WI / Habermas, Jürgen, Theorie des kommunikativen Handelns Band 2. Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1981, S. 131 / Einerseits befleißigt er sich der deskriptiven Einstellung eines Sozialwissenschaftlers, der geschichtliche Tendenzen bloß beobachtet; andererseits macht er sich das Konzept einer universalistischen Moral, das aus diesen Tendenzen, mindestens als ein allgemein akzeptiertes Ideal, hervorzugehen scheint, in normativer Einstellung auch zu eigen und erklärt lapidar zur Pflicht, „uns eine neue Moral zu bilden“. Durkheim (1977), 450. Demgegenüber ist die Gruppe der erweiterten Infinitive, in die zu nicht inkorporiert ist, wesentlich offener (was auch Diewald 2000 bereits so beschrieben hat). Der Überblick über die Kommunikationsdomänen offenbart, dass der intuitive Blick auf die modalen Infinitive noch zu modifizieren ist (Abb. 81).

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Abb. 82: Die je 30 häufigsten Qualitative mit scheinen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/uAN8qo; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Typisch sind für die Domäne Wissenschaft (WI) an erster Stelle zu liegen ([Domäne] WI / [Zeile] 1 / [Belege] 13), zu stehen (WI / 2 / 9) und erst an dritter Stelle anzunehmen (WI / 5 / 6). In anderen Domänen ist der Gebrauch des modalen Infinitivs in beiden Formen ebenso häufig, wenn nicht häufiger zu beobachten, wie bei nachzudenken (BE / 1 / 14), das ausschließlich in dieser Domäne nachgewiesen werden konnte und deshalb auch in Konstruktionen realisiert ist, die, wie für die belletristischen Texte typisch, in der 3. Person Singular im synthetischen Präteritum dokumentiert sind: [K2080] 1958 / BE / Apitz, Bruno, Nackt unter Wölfen, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verl. 1958, S. 76 / Er schien über etwas nachzudenken.

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[K2086] 1952 / BE / Dürrenmatt, Friedrich, Der Richter und sein Henker, Einsiedeln: Benziger 1952, S. 47 / Dann schwieg er und schien nachzudenken. [K2162] 1912 / BE / Bonsels, Waldemar, Die Biene Maja und ihre Abenteuer, Berlin: Schuster & Loeffler 1912, S. 88 / Das seltsame kleine Ungeheuer saß ganz still mit halbgeschlossenen Augen auf einem Blatt im Schatten im Duft der Himbeeren und schien nachzudenken. Dieser Befund sollte angesichts der zufälligen Zusammensetzung des Untersuchungskorpus bei eben diesem Qualitativ nicht überstrapaziert werden, aber eine domänenspezifische Präferenz ist zu postulieren. Dies ist aber hier von nachgeordnetem Interesse. Es mag der Hinweis genügen, dass sich – ähnlich wie beim Gebrauch der ADJD in der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben – hier eine mögliche Anschlussfrage formulieren ließe, die wir an dieser Stelle nicht weiter verfolgen.

Abb. 83: Die je 30 häufigsten Qualitative mit scheinen nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/8jUBmO; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 83 bestätigt die bisherigen Beobachtungen. Scheinen in der Konstruktion der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung wird in den synthetischen Tempora Präsens und Präteritum realisiert, Belege in Perfekt und Plusquamperfekt sind die Ausnahme, im Futur ist die Konstruktion nicht realisiert – auch das ist ein Hinweis auf die modale Lesart und die wechselseitige Beeinflussung mit Tempus-/Modalkonstruktionen (hier in Bezug auf werden). In der Überleitung zu erscheinen, welches anders als scheinen in einem breiteren Tempusspektrum beobachtet werden kann, möchten wir noch auf ein Phänomen hinweisen, das ebenfalls in unserem Korpus belegt werden kann. Hier zeigt scheinen in einer Modalkonstruktion, dass möglicherweise nicht wie bei der „Perfektlücke“ der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein vor allem Tempuskonstruktionen z.B. der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben und der KOMMUTATION mit werden den Sprachbenutzern als systematische Alternative zur Verfügung stehen, um Lücken zu schließen, sondern dass es auch Modalkonstruktionen sind, die hier in einem systematischen Zusammenhang mit den nonagentiven Konstruktionen beschrieben werden müssen: „In den Tagen und Nächten unter der Maske schien es [sc. hier pronominales es] noch härter und strenger und verschlossener geworden“ (Schaper, Edzard, Der Henker, Leipzig: Insel-Verl. 1940, S. 570). Die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden (und eingebetteten Adjektiven) ist hier in eine Modalkonstruktion mit scheinen eingebettet und trägt morphologisch die charakteristischen Merkmale einer analytischen Perfektkonstruktion. Man könnte dieses „analytische Präteritum“ (Begriff nach Leiss 1992: 288, die den Terminus aber für Funktionsverbgefüge verwendet), oder besser ‚analytisches Präteritum der Modalkonstruktionen‘, analog beschreiben zu den Konstruktionen, die die „Perfektlücke“ der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein systematisch schließen. Wir werden auf das Phänomen noch einmal zurückkommen, wenn wir die „Futurlücke“ der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden beschreiben (vgl. Kap. 8.1). Gemeint sind Formen, die analog als ein ‚analytisches Präsens der Modalkonstruktionen‘ betrachtet werden können/dürfen (‚situativ‘) oder müssen/sollen (‚obligativ‘), die auch bei Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen beobachtet werden können (vgl. dazu Kap. 7.3.1.2), in dieser Studie aber nicht systematisch untersucht werden. Dennoch werden wir die Überlegungen hierzu in Kap. 10.1.4 knapp zusammenführen.

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7.3.1.2 erscheinen Mit erscheinen beschreiben wir in dieser Studie exemplarisch das erste zusammengesetzte Verb – aussehen wird das zweite Verb sein (vgl. Kap. 7.3.3). Wir vertreten hier den Standpunkt, dass die Verben keine ‚Passivauxiliare‘ sind (vgl. Kap. 5.1.3), sondern dass sie Eigenschaften (erlangen und) tragen, die eine Einbettung in Konstruktionen mit spezifischer Perspektivierungsleistung erlauben (Kap. 5.1.1). Es handelt sich also um eine offene Gruppe von Verben, die systematisch nur durch die Anforderungen der Konstruktionen begrenzt ist (ebenso könnte man hier z.B. noch anmuten diskutieren). Erscheinen und aussehen sind zusammengesetzte Verben und entsprechen den Anforderungen, die die nonagentive Konstruktion der ASKRIPTION (in modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung) an sie stellt, und wurden deshalb hier exemplarisch für die Analyse ausgewählt. Erscheinen unterscheidet sich – auf den ersten Blick – nicht systematisch von scheinen, zumindest, wenn es in die Konstruktion der ASKRIPTION eingebettet wird. Wir konzentrieren uns deshalb vor allem auf die Besonderheiten bei erscheinen und werden die Analyse dementsprechend etwas knapper halten. [93]

Das Fenster erscheint geschlossen. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit erscheinen und damit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: ASKRIPTIONV(≈modal)(SOBNPNOM,QUALADJ)

Abb. 84: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung und erscheinen. Direktlink: https://goo.gl/spZ07z; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Neben den Übersichten, die in dieser Studie integriert werden, können alle Belege online eingesehen werden (https://goo.gl/Xj7EW6; Stand: 05.08.2015). Das schließt einen vollständigen Überblick über die ausgewerteten Qualitative ein, die in dieser Studie nur im Ausschnitt dokumentiert sind. Für die Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen können in den Doppelperfektformen sowie im einfachen Futur keine Belege nachgewiesen werden. Insgesamt wurden im KERN-Korpus 5.410 Belege ermittelt (N), von denen 4.580 Belege untersucht hätten werden können (N1). Für die Analyse wurde ein Sample gebildet von 1.770 Belegen (n), von denen insgesamt 824 Belege (m) der gesuchten Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen entsprachen. Insgesamt sind die Belegzahlen zwar etwas niedriger als für das Pendant scheinen (vgl. oben Abb. 71), dafür deckt erscheinen vor allem mit den analytischen Tempusformen Perfekt und Plusquamperfekt, die für die Konstruktionen der ASKRIPTION mit scheinen eine absolute Ausnahme darstellten, ein breiteres Tempusspektrum ab.

Abb. 85: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/t9DJLA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Es steht dem Sprachbenutzer u.a. zur Verfügung, um die Lücke zu schließen, die die Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen aufweist: Erscheinen wird in analytische Tempuskonstruktionen der Vergangenheit mit sein eingebettet. Strukturell ist damit eine weitere Option neben denen zu beschreiben, die bisher postuliert worden sind. (1) Nicht nur die Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben und die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden können als systematische Alternative im analytischen Perfekt gebraucht werden (vgl. Kap. 7.1, 7.2 und 8.1), auch (2) erscheinen in der Konstruktion der ASKRIPTION steht als Variante zur Verfü-

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gung. In den Abbildungen 86 bis 89 sind die Belegvorkommen für analytische und synthetische Tempusformen im Indikativ dokumentiert.

Abb. 86: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/lTIr6N; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 87: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/aOLv3U; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 88: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/DM7lA9; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 89: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/pfwTwM; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Anders als werden und bleiben stellt scheinen eine modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung zur Verfügung, um diese Perspektivierungsleistung in analytischen Tempora der Vergangenheit realisieren zu können (X ist geschlossen erschienen). Neben diesen beiden Möglichkeiten stehen weiter

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(3) das ‚analytische Präsens‘ und ‚analytische Präteritum der Modalkonstruktionen‘ als Alternativen zur Wahl (X muss/musste geschlossen erscheinen) ebenso wie die beiden hier nicht eingehender beschriebenen Formen des Futurpräteritums (vgl. grundsätzlich dazu Kap. 5.1.4, zum ‚analytischen Präsens/Präteritum‘ auch unten Kap. 8.1 und 10.1.4): Futurische Realisierungen sind für erscheinen nicht zu beobachten, was sich, wie bei scheinen, mit dem modalen Charakter, den erscheinen hat (es markiert wie scheinen Faktizität), erklären lässt. Das ‚analytische Präsens‘ der Modalkonstruktionen steht für den Sprachbenutzer allerdings zur Verfügung, um diese Lücke zu schließen. In Abbildung 90 werfen wir wieder einen Blick auf die geschätzten Belegzahlen, die wir aus den beobachteten Belegen interpolieren. Progressive (QUAL) wurden für die Berechnung nicht berücksichtigt, da sie zum einen durch die Kontrollabfragen erweitert wurden und zum anderen keine Belege ausweisen.

Abb. 90: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs- und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/TLd6Gd; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Die Werte M1 und M sind je im Dreisatz ermittelte Schätzwerte zunächst unter der Annahme, dass die Zufallsstichprobe n repräsentativ für die Grundgesamteinheit (N1) ist. Weiter gehen wir davon aus, dass sich N strukturell nicht stark von N1 unterscheidet und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann. Eine Fehlerbereinigung der Schätzwerte ist nicht angezeigt (vgl. oben Anm. 61). Die Schätzwerte in Abbildung 90 sind auf drei Nachkommastellen gerundet. Durch die Rundung können sich minimale Fehler in der Summenbildung ergeben, rechnete man bspw. die einzelnen Schätzwerte M für die Kommunikationsdomänen gegen die geschätzte Gesamtsumme M. Anders als bei scheinen sind es in den Konstruktionen der ASKRIPTION mit erscheinen die ADJD, die den Großteil der Belege stellen. Die zweite Gruppe an Elementen, die typisch für diese Konstruktionsrealisierung ist, sind die VVPP. Die modalen Infinitive hingegen sind hier – selbst in Präsens und Präteritum – Ausnahme. Im E-Valbu (http://hypermedia.ids-mannheim.de/evalbu/index.html, Stand: 16.09.2016, Hervorhebung von mir, A.L.) wird die Bedeutung für erscheinen (in der für uns relevanten Lesart) so angegeben: „jemand/etwas erweckt bei jemandem den Anschein, so/ein solcher/ein solches zu sein; scheinen, wirken“. Zwei Aspekte dieser Bedeutungsangabe sind für uns relevant. Zum einen ist das die Heraushebung der Sprecherposition als perspektivischer Fluchtpunkt, der in den Konstruktionen der ASKRIPTION aber nicht durch die Konstruktion lizensiert wird: [K5]

1990 / GE / Schreiben Kohl an Mitterrand vom 15. Mai 1990, S. 3294 / Ein enger Kontakt zwischen unseren Regierungen hinsichtlich des weiteren Vorgehens in dieser Frage erscheint mir geboten.

In diesem Punkt mag sich erscheinen hinsichtlich der Präferenz von scheinen unterscheiden („jemand/etwas erweckt den Anschein, ein solches/so zu sein; erscheinen“, ebd.), obwohl prinzipiell nichts gegen eine Hervorhebung der Sprecherposition auch mit scheinen spricht (der DUDEN 2009: 931 behandelt diese Frage in Bezug auf Satzbaupläne in diesem Sinne). In Kap. 5.1.1 waren Aspekte dieser Art als Fluchtpunkte markiert worden, die die kognitive Perspektivierung durch kommunikative Perspektivierung in der Realisierung unterstützen. Nichts anderes geschieht hier: Der Sprachbenutzer, der eine Konstruktion wie die der ASKRIPTION mit erscheinen wählt, hebt heraus, dass es spezifisch seine Perspektive (oder die Perspektive Dritter: scheint den Beteiligten geboten) auf einen Gegenstand ist, nicht aber eine objektivierbare Sicht auf die Dinge, obwohl diese freilich auch zum Ausdruck gebracht werden könnte, z.B. in Abwandlung von [K5]:

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[94]

Ein enger Kontakt zwischen unseren Regierungen hinsichtlich des weiteren Vorgehens in dieser Frage erscheint geboten.

Der zweite Aspekt, der in der Bedeutungsangabe von erscheinen zunächst recht unscheinbar ist, ist die Angabe von Synonymen in der Paraphrasierung. Neben sein sind das scheinen und wirken, für scheinen werden nur sein und erscheinen angegeben. Und damit kommen wir auf die Ausgangsfrage der modalen Infinitive zurück. Erscheinen öffnet anders als scheinen nicht den Raum für die Einbettung eines modalen Infinitivs mit ‚obligativer‘ oder ‚situativer‘ Bedeutung – hier steht es näher neben wirken (oder anmuten und aussehen), die diese Möglichkeit ebenfalls nicht offerieren, wobei es semantische Alternativen über die eigenschaftszuweisenden Adjektive gibt. Blicken wir auf zwei der wenigen Beispiele, die mit modalem Infinitiv realisiert sind. Sowohl in [K493] als auch in [K496] sind Konstruktionen der ASKRIPTION mit scheinen nicht nur möglich, sondern auch die erwartbare Alternative, wobei bei [K496] die Heraushebung der Sprecherposition ein Hinweis darauf sein könnte, weshalb dennoch erscheinen gewählt wurde. [K493] 1914 / GE / Wiener, Alfr., Geschäftsbauten und Reklame, in: Paul Ruben (Hg HS, Die Reklame, Berlin: Paetel 1914, S. 83–112, S. 87 / Am weitesten von der allgemeinen Anschauung entfernt erscheint dies Werbebedürfnis in dem Sinn und Zweck der Fabrikbauten zu liegen. [K496] 1900 / BE / Duncker, Dora, Großstadt, Berlin: Eckstein [H.J. Krüger] 1900, S. 17634 / Allein die letzten beiden Wochen seit dem Abend in der Konditorei erschienen ihr ein ganzes Leben voller Zweifel und Fragen zu enthalten. Kommen wir zurück auf die Verteilung der Belege (und damit Abb. 90). Im Bereich der ADJD dominiert im synthetischen Präsens eindeutig der Bereich Wissenschaft (WI) vor Gebrauchsliteratur (GE) und Zeitung (ZE). Im Bereich Belletristik (BE) wird die Konstruktion im Präsens so gut wie kaum realisiert. Anders im Präteritum: Hier liegen die Bereiche BE und GE sehr deutlich vor ZE und WI als Kommunikationsdomänen. Perfekt wird wieder durch WI dominiert (wenn man das bei Belegzahlen im einstelligen Bereich so sagen kann), Plusquamperfekt durch belletristische Texte – ein ähnliches Gebrauchsmuster war bei den Konstruktionen der ASKRIPTION mit bleiben zu beobachten (vgl. oben Kap. 7.2). Die Verteilung der beobachteten Belege auf die Kommunikationsdomänen wird anhand der konkreten beobachteten Daten (Abb. 91) und auf der Basis eines

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normalisierten Korpus (Abb. 92) besprochen werden, wozu wir wieder auf Abb. 18 (Kap. 6 bzw. https://goo.gl/kv1nVA; Stand: 16.09.2016) mit dem Überblick über die Schichtung des Korpus verweisen.

Abb. 91: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erscheinen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/80RYQK; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 92: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erscheinen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/5LSCKZ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Verteilungen im normalisierten Korpus (Abb. 92) zeigen nicht den schon häufiger beobachteten Abbruch der Belege von der vierten zur fünften Dekade. Im Bereich BE nimmt das Muster kontinuierlich ab, ebenso deutlich in den Bereichen GE. Am dramatischsten ist der Rückgang in ZE. Im Bereich WI jedoch wird die Konstruktion konstant gebraucht – wie bei scheinen ist damit langfristig der Kommunikationsbereich genannt, der in der Wahl auf die Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen setzt.

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Abb. 93: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erscheinen nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/3n31rs; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 93 bestätigt diese Verteilung im Untersuchungskorpus auch in Bezug auf die Verteilung auf Person und Numeri als Kategorien des Verbs – die dritten Personen sind in beiden Numeri die Regel, Realisierungen in erster Person sind die Ausnahme. Das ist auch auf die Konstruktionsbedeutung und das eingebettete Verb erscheinen zurückzuführen: Es hat kommunikativ wenig Sinn, als Sprecher das Gesagte bezüglich seiner Faktizität zu markieren, wenn man über sich selbst spricht. Da wissenschaftliche Texte zur wichtigsten Domäne für das Muster werden, wird auch die Perspektive wissenschaftlicher Darstellung für die Dominanz der Personalformen der dritten Person verantwortlich zu machen sein. Wie an der chronologischen Verteilung sichtbar wurde, müssen die zahlreichen Belege im Bereich Belletristik im Präteritum auf den Beginn des Jahrhunderts gelegt werden. Dieser Zusammenhang ließ sich weder in Abb. 90 noch lässt er sich in Abb. 93 abbilden. Durch den gesamten Rückgang des Gebrauchs der Konstruktion erscheint auch die Verteilung der verwendeten Qualitative (Abb. 94) insgesamt rückläufig. Allerdings ist auch hier zu beachten, dass der Gebrauch in der Domäne Wissenschaft (auf niedrigem Niveau) durchaus konstant ist.

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Abb. 94: Chronologische Verteilung der Qualitative in der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen. Direktlink: https://goo.gl/5YOo88; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 95: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von erscheinen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/elOyWQ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Auch das Verhältnis zwischen beobachteten morphologischen Varianten von erscheinen und verwendeten Qualitativen (Abb. 95) deutet zunächst nicht auf zu korrigierende Beobachtungen hin. Allerdings fällt auf, dass in den analytischen Tempora der Vergangenheit überhaupt keine Elemente verwendet werden, die als VVPP annotiert werden. Ein Überblick über die Qualitative, die in Perfekt und Plusquamperfekt realisiert werden, kann hier möglicherweise etwas Licht ins Dunkel bringen: albern, anmutend, ausreichend, beängstigend, befremdlich, bekannt, belastend, beziehungsreich, darstellungswürdig, dubios, dunkel, einfach, erforderlich, fortschrittlich, fremd, geheimnisvoll, glaubwürdig, grausam, groß, heiter, herausfordernd, herzlos, kostbar, lächerlich, leicht, liebenswürdig, merkwürdig, minderwertig, möglich, neu, notwendig, praktisch, rätselhaft, richtig, schön, schrecklich, sinnvoll, sympathisch, tatsächlich, übertrieben, unangreifbar, unannehmbar, unbegreiflich, ungeheuer, ungerecht, unglaublich, unheilverkündend, unschön, ursprünglich, verdächtig, vornehm, wert, wertlos, wesentlich, wichtig, wunderbar, zusammenhanglos, zweckmäßig, zweifelhaft, zwingend.

Formal fällt auf, dass einige deverbale Adjektive auf Basis eines Präsenspartizips in die Konstruktion eingebettet sind, die z.T nicht mehr als solche rekon-

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struierbar sind (anmutend, beängstigend), andere hingegen durchaus (belastend, herausfordernd, unheilverkündend, zwingend). Eine semantische Klassifikation der Adjektive deutet auf zwei Bezugsbereiche hin. Auf der einen Seite werden Eigenschaften aufgerufen, derer man, wie bei den Farbadjektiven, primär ansichtig werden kann (anmutend, bekannt, darstellungswürdig, dubios, dunkel, merkwürdig, vornehm, kostbar usw.) oder die man anderweitig wahrnimmt. Auf der anderen Seite sind es Adjektive, mit denen Bewertungen auch nicht nur in Bezug auf den Anschein vorgenommen werden (albern, ausreichend, herausfordernd, minderwertig, neu, richtig, schön, schrecklich, sympathisch, unschön, verdächtig, wert, wertlos, wesentlich, wichtig, zweckmäßig usw.). Zwar sind evaluierende Eigenschaften nicht nur über Adjektive zuweisbar, aber es ist primär ihre Gebrauchsdomäne und nicht etwa die der deverbalen Adjektive aus Perfektpartizipien, die Eigenschaften bei (implizierten) abgeschlossenen Vorgängen (Perfektivität) bedeuten. Bei erscheinen tritt diese Eigenschaft nun besonders deutlich heraus, da auf der Basis der wenigen Belege der Konstruktion mit scheinen (vgl. oben Abb. 83) keine belastbaren Aussagen möglich waren. Doch diese erscheinen nun ebenfalls in einem anderen Licht, wie (noch einmal) Beleg [K2366]: [K2366] 1932 / WI / Klages, Ludwig, Der Geist als Widersacher der Seele, 3. Band, Teil 1: Die Lehre von der Wirklichkeit der Bilder, Leipzig: Barth 1932, S. 801–1248, S. 1117 / Wem hat nicht in Gegenwart seines Mädchens die ganze Welt golden geschienen? Damit wird deutlich, dass scheinen und erscheinen nicht lediglich zur Modalisierung eingesetzt werden, sondern auch in der Konstruktion der ASKRIPTION in modaler Lesart ihre Eigensemantik insofern einbringen, als dass sich Gebrauchspräferenzen in Bezug auf bestimmte Kollokationen beschreiben lassen.

Abb. 96: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erscheinen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/H6tRBh; Stand: 16.09.2016. CC BYSA 4.0.

286 | Konstruktionen der ASKRIPTION

Die chronologische Verteilung der morphologischen Formen von erscheinen hingegen bringt keine neuen Erkenntnisse. Sie bestätigt die beschriebenen Tendenzen: Dadurch, dass die Konstruktion insgesamt in belletristischen Texten seltener wird (vgl. oben Abb. 91 und 92), sinkt freilich auch der Anteil an Realisierungen in den analytischen Vergangenheitstempora (vgl. Abb. 96). Der Analyse von Qualitativen haben wir bereits kurz vorgegriffen. Insgesamt wurden 602 unterschiedliche Qualitative in 824 untersuchten Belegen ermittelt (Verhältnis: 1,37). Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative können online eingesehen werden (https://goo.gl/Xj7EW6; Stand: 05.08.2015). Die folgenden Abbildungen schließen die ausgewerteten Qualitative auf nach Annotationsart, Kommunikationsdomäne und temporaler Verwendung. Ausgewählt wurden dafür die je 30 häufigsten Qualitative.

Abb. 97: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erscheinen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/9TN13W; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 287

Abb. 98: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erscheinen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/7ntT6X; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 99: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erscheinen nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/7jmRoj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Typische Konstruktionsrealisierungen sind: [K82]

1932 / BE / Schenzinger, Karl Aloys, Der Hitlerjunge Quex, Berlin: Zeitgeschichte-Verl. 1932, S. 127 / Auch ihre Augen und die Bewegungen ihrer Hände erscheinen ihm plötzlich verändert und fremd.

[K795] 1940 / BE / Schaper, Edzard, Der Henker, Leipzig: Insel-Verl. 1940, S. 60 / Was mochte hier stehen, das einem unbekannten Leser so wichtig erschienen war, daß ers mit einem Zeichen versah? [K501] 1930 / GE / Bode, Wilhelm von, Mein Leben, 2 Bde, Berlin: Hermann Reckendorf GmbH, 1930., S. 10593 / Eine weit größere Zahl erschien zur Abgabe an die Provinzialmuseen geeignet. [K272] 1942 / GE / Klemperer, Victor, [Tagebuch] 1942, S. 191 / Solch ein Lebenslauf (y en a tant) erscheint mir jetzt ebenso selbstverständlich wie ein Selbstmord oder Selbstmordversuch.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 289

[K21]

1956 / WI / Eschenburg, Theodor, Staat und Gesellschaft in Deutschland, Stuttgart: Schwab 1956, S. 73 / Aus diesem Grunde sieht Rousseau keine besonderen Freiheitsrechte vor; die Freiheit erscheint ihm durch sein System gesichert.

[K231] 1905 / WI / Mach, Ernst, Erkenntnis und Irrtum, Leipzig: Barth 1917 [1905], S. 51693 / Winkelmaß und Seitenmaß sind zwei auf dieselbe Tatsache anwendbare physikalische Begriffe, die uns so geläufig sind, daß sie uns nur als zwei verschiedene Merkmale derselben Tatsachenvorstellung, demnach als notwendig verbunden erscheinen. [K14]

1967 / ZE / Archiv der Gegenwart, 37, 1967 / Die Rückkehr der stark nach links orientierten Frau Bandaranaike an die Macht erscheint nicht ausgeschlossen.

[K289] 1927 / ZE / Berliner Tageblatt (Abend-Ausgabe) 01.03.1927 / Infolgedessen erscheint eine Differenzierung bei der Einschätzung der Aktienkurse notwendig. Abschließend soll noch ein Hinweis auf ein Desideratum gegeben werden, welches wir hier wegen des methodischen Zuschnitts der Studie bei erscheinen nicht weiter verfolgt haben (vgl. dagegen aber die Konstruktionen mit gehören unten Kap. 10.2.1). Wir untersuchten hier indikativische Formen und schlossen konjunktivischen Gebrauch sowie die Einbettung in Modalkonstruktionen aus (vgl. oben Kap. 5.1.4). Die Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen wird aber, dies verwundert nicht, in hoher Frequenz in beiden Formen beobachtet und besonders bei Verbletztstellung greifbar. Im Singular tritt erscheine als Konjunktivform der dritten Person (die formgleich ist mit der ersten Person) markant auf, im Plural dominieren Modalkonstruktionen mit sollen, wollen, dürfen, können, müssen, werden in ganzer Bandbreite, d.h. aber eher nicht als ‚analytisches Präteritum der Modalkonstruktionen‘ (vgl. Kap. 7.3.1.1) sondern als (als analoge Begriffsbildung) ‚analytisches Präsens‘ (wir werden darauf noch einmal im Kapitel 8.1 und 10.1.4 zurückkommen): [95]

1945 / GE / o.A., Vierundzwanzigster Tag. Donnerstag, den 20. Dezember 1945, in: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, Nürnberg: Internationaler Militärgerichtshof 1947, S. 3875 / Eine Fortsetzung dieser Versuche erscheine sachlich nicht begründet.

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[96]

1955 / ZE / Archiv der Gegenwart, 25, 1955 / Nun sind wir heute so weit, daß unsere Beziehungen auch nach außen hin als normalisiert erscheinen können.

[97]

1901 / GE / Baudissin, Wolf von / Baudissin, Eva von, Spemanns goldenes Buch der Sitte, Berlin, Stuttgart: Spemann 1901, S. 2344 / Nur wer in einer Familie wirklich verkehrt, darf als junger Mann an einem Geburtstage in der Familie mit dem Blumenstrauß in der Hand erscheinen, wenn er nicht aufdringlich und unbescheiden erscheinen will.

Auch die Ersatzformen des Konjunktivs II (Konstruktionen mit würden) müssten in diesem Kontext systematisch beschrieben werden: [98]

1915 / GE / Brief von Wilhelm Weidemann vom 10.12.1915, in: Witkop, Philipp (Hg.), Kriegsbriefe gefallener Studenten, Leipzig: Teubner 1918, S. 139 / Ich weiß, daß wir, wenn wir zusammen wären, manche schöne Stunde und gemeinsame Freude haben würden, auch manches Mal von Dingen reden würden, von denen nun unser Mund schweigt und die im geschriebenen Wort tot und unnatürlich erscheinen würden.

[98]

1929 / GE / Brenner, Max, Kulturfilme, in: Welt und Wissen 18 (1929) Nr. 1, S. 112–118, S. 114 / Doch manche anderen Szenen erscheinen angesichts des interessanten und bedeutenden Themas allzu „neckisch“ und wirken allzu genrehaft zurechtgestutzt.

So wie in [97] unterschiedliche Gebrauchsvarianten von erscheinen markiert worden sind (‚ankommen‘ [in recte] und ‚wirken‘), so möchten wir am Übergang zur Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken mit Beleg [99] u.a. die semantische Nähe von erscheinen und wirken demonstrieren: [99]

1929 / GE / Brenner, Max, Kulturfilme, in: Welt und Wissen 18 (1929) Nr. 1, S. 112–118, S. 114 / Doch manche anderen Szenen erscheinen angesichts des interessanten und bedeutenden Themas allzu „neckisch“ und wirken allzu genrehaft zurechtgestutzt.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 291

7.3.2 Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken Wirken ist aus verschiedenen Gründen für diese Studie wichtig. Zum einen haben wir es exemplarisch herangezogen, um das Untersuchungsdesign zu entwickeln (vgl. Kap. 6). Zum anderen – das wurde bereits erläutert – ist wirken, was seine Gebrauchsrestriktionen und die Einbettung in die nonagentive Konstruktion der ASKRIPTION betrifft, ein sehr spezieller Fall. Es wird – wie bereits erläutert (vgl. dazu Kap. 6.1 und 10.2.3) – in zwei Gebrauchsvarianten in die Konstruktion der ASKRIPTION eingebettet, die je gemeinsam mit spezifischen Qualitativen auftreten. (1) In Kap. 10.2.3 werden wir wirken in der Konstruktion der ASKRIPTION mit direkter Relation zwischen Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung postulieren, das hat vor allem darstellungstechnische und methodische Gründe. (2) An dieser Stelle werden wir uns mit wirken in der Konstruktion der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung auseinanderzusetzen haben. Das sind Konstruktionsrealisierungen, in die neben wirken ein deverbales Adjektiv auf der Basis eines Perfektpartizips bzw. Adjektive mit spezifischen semantischen Eigenschaften eingebettet sind, die der Perspektivierung der Konstruktion des Perfektpartizips entsprechen (vgl. dazu die Beispielstudie in Kap. 6.2). Sie müssen die Konstruktionsbedeutung ‚einem SOB wird eine mittels eines QUAL ausgedrückte Eigenschaft zugewiesen, deren Faktizität durch den Sprecher markiert wird‘ stützen.2 [100]

Leonard wirkt angegriffen.

Wirken und Perfektpartizip sind in [100], unabhängig vom Agentivitätsgrad des Elements, das in der Nominalphrase im Nominativ codiert ist, nicht in einem HANDLUNGs- oder VORGANGszusammenhang verstehbar, sondern müssen als hinsichtlich der Faktizitätsbehauptung durch einen Sprecher markierte Eigenschaftszuweisung aufgefasst werden – analog zu den Konstruktionen der ASKRIPTION mit scheinen, erscheinen und aussehen. Grund dafür ist auch die Konstruktionsbedeutung, die das Perfektpartizip mit in die Konstruktion der ASKRIPTION einbringt (vgl. dazu oben die Kap. 4.2.1 und 5.2.3.2). Das Perfektpartizip dient der Eigenschaftszuweisung, auch wenn es einen abgeschlossenen Vorgang impliziert. Wirken in [100] verhält sich strukturanalog zu den anderen hier besprochenen Realisierungen in diesem Kontext. Die Bedeutung der Kon-

|| 2 Die folgenden Überlegungen (und die in Kap. 10.2.3) bildeten auch die Grundlage des Artikels Lasch 2014a. Dieser wurde gänzlich überarbeitet, neu perspektiviert und aktualisiert. Die neu erhobenen Daten wurden bisher nicht anderweitig veröffentlicht.

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struktion der ASKRIPTION wird in dieser Relation dahingehend aktualisiert, dass der Sprecher eine Eigenschaftszuweisung hinsichtlich der Faktizität des Gesagten markiert. [101]

Das Fenster wirkt geöffnet. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit wirken und damit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: ASKRIPTIONV(≈modal)(SOBNPNOM,QUALADJ)

Abb. 100: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und wirken. Direktlink: https://goo.gl/ywmCmB; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Bereits in Lasch 2014a wurde aufgrund der Strukturanalogie von scheinen und erscheinen in der Konstruktion der ASKRIPTION (und damit gegen Eisenberg 2006 II) dafür plädiert, dass man angesichts der Beleglage davon ausgehen kann, dass die Rollen des spezifizierten Objekts (SOB) und des Qualitativs (QUAL) als Argumentstrukturrollen der Konstruktion und als Partizipantenrollen des Verbs fusionieren können und damit wirken auf einer Stufe mit scheinen und erscheinen steht, auch wenn nur unter besonderen Bedingungen mit Sicherheit von Konstruktionen der ASKRIPTIONV(≈modal) gesprochen werden kann – wir heben deshalb hier die Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung stets hervor. Favorisiert werden, wie an [100] gesehen, Adjektive spezifischer Semantik und deverbale Adjektive auf Basis des Perfektpartizips als Qualitative. Dass nicht alle Adjektive gleichermaßen als Qualitative in Frage kommen ebenso wie deverbale Adjektive auf Basis eines Präsenspartizips, zeigen [102] a und b:

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 293

[102]

a. Lewin wirkt rastlos. b. Das Medikament wirkt schnell/hemmend.

Zu diskutieren wäre an diesen Beispielen, ob man hier ohne Kontextinterpretation überhaupt noch zweifelsfrei eine Lesart (direkte [Kap. 10.2.3] oder modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung) favorisieren kann – die Adjektive rastlos und schnell und das deverbale Adjektiv aus Präsenspartizip hemmend können in beiden Fällen nämlich zum einen funktional als Adverbial beschrieben werden,3 wenn man Lewin und das Medikament als agentiv einstuft oder wirken zumindest als Verb des VORGANGs – wenn nicht gar als HANDLUNG – konzeptualisiert. Zum anderen ist es möglich, für [102a] analog zum Beispiel [100] eine nonagentive Lesart zu postulieren, in der sich in der Konstruktion der ASKRIPTION der QUAL auf das SOB bezieht (vgl. Abb. 100) und nicht als Adverbial eine andere (syntaktische) Funktion im satzwertigen Ausdruck übernimmt und damit Indikator für die Instanz einer anderen Konstruktion ist, die einen Knoten im Bereich der agentiven Konstruktionen des Konstruktikons bildet (vgl. Kap. 11). [102b] hingegen lässt sich prinzipiell als Konstruktion der ASKRIPTION mit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung auffassen (vgl. unten Kap. 10.2.3). Ohne verschiedene Angaben des Gebrauchs von wirken und damit ohne die Vorgaben von Partizipantenrollen, die das Verb (je nach Bedeutung) macht, ist eine systematische Beschreibung des Zusammenhangs von Konstruktions- und Verbbedeutung nicht möglich. Allerdings blicken wir hier nicht ausgehend vom Verb und seiner Valenz auf komplexere sprachliche Muster, sondern beschreiben diese sprachlichen Muster als Realisierungen komplexerer Konstruktionen, in die – neben u.a. scheinen, erscheinen und aussehen – eben auch wirken eingebettet werden kann. Mit dem Format der Konstruktion machen wir so strukturell übergreifende Zusammenhänge zwischen sprachlichen Einheiten in einem Konstruktikon nachvollziehbar. Im Kontext dieses Kapitels werden wir uns auf die Fälle beschränken, die nach der Belegdiskussion aus unserer Sicht als Instanziierungen der Kon|| 3 Abgesehen davon, dass der Status von wirken nicht geklärt ist, kann die Wortartendiskussion in diesem Bereich ebenfalls als – neutral gesagt – heterogen betrachtet werden. Eisenberg plädiert dafür, in solchen Fällen von einem „adverbialen Adjektiv“ (Eisenberg 2006 II: 223) zu sprechen, andere stufen das Adjektiv sogleich funktional als Adverb ein. Eisenberg (2006 II; zum gesamten Zusammenhang und der Forschungsdiskussion vgl. 223–230) ist hier allein schon deshalb zu folgen, weil formale und funktionale Aspekte in der Analyse nicht vermengt werden sollen oder man keine Diskussion um den Status der Wortart Adverb führen kann, wie hier.

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struktion der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung zu bestimmten sind. Neben den Übersichten, die in dieser Studie integriert werden, können alle Belege online (https://goo.gl/yCai8B; Stand: 05.08.2015) eingesehen werden. Das schließt einen Überblick über die ausgewerteten Qualitative ein, die in dieser Studie nur im Ausschnitt dokumentiert sind. Für die Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken können in den Doppelperfektformen sowie im Futur II keine Belege nachgewiesen werden. Insgesamt konnten im KERN-Korpus mit den Abfrageroutinen 4.072 Belege ermittelt werden (N), von denen 3.487 Belege untersucht hätten werden können (N1). Für die Analyse wurde ein Sample gebildet von 1.581 Belegen (n), von denen insgesamt 382 Belege (m) der gesuchten Konstruktion der ASKRIPTION entsprachen:

Abb. 101: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/24DvUe; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Wie bei scheinen wird angesichts der Beleglage offenkundig, dass wirken in der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) vor allem in den synthetischen Tempora Präsens und Präteritum verwendet wird, die analytischen Tempora wie Perfekt, Plusquamperfekt und Futur I sind nur durch wenige Belege nachweisbar. Auch wenn es insgesamt niederfrequenter auftritt als scheinen, ähnelt es dessen Gebrauchsmuster hinsichtlich der Verteilung auf Tempuskonstruktionen deutlich. Werfen wir zunächst einen Blick auf diese wenigen Belege: [K369] 1986 / BE / Maltzan, Maria von, Schlage die Trommel und fürchte dich nicht, Berlin: Ullstein 1986, S. 21 / Das hat ganz fabelhaft gewirkt! [K370] 1911 / ZE / Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe) 04.03.1911 / Diese geheimnisvolle Manier hat nicht gerade vorteilhaft gewirkt.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 295

[K372] 1931 / WI / Bölsche, Wilhelm, Das Leben der Urwelt, Leipzig: Dollheimer 1931, S. 50 / Die Erforscher der Erdgeschichte und meist auch die Anhänger der Entwicklungslehre haben sich seit längerer Zeit angewöhnt, für solche Maße der Urwelt von „Millionen von Jahren“ zu reden - eine Ausdrucksweise, die in entfernteren Kreisen manchmal etwas scherzhaft gewirkt hat - man hat den Naturforscher dort wohl mit dem messer millione (Millionenhans) verglichen, wie seine Zeitgenossen den alten Chinafahrer Marco Polo im Spott nannten wegen seiner (übrigens an sich richtigen) Angaben über die Kopfzahl in chinesischen Städten. [K373] 1999 / BE / Moers, Walter, Die 13 1/2 Leben des Käptʼn Blaubär, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 618 / Auf jemanden, der mich persönlich kannte, mußten die aufgeblasenen Interviews, die ich gegeben hatte, ziemlich lächerlich gewirkt haben. [K374] 1917 / WI / Köhler, Wolfgang, Zur Psychologie des Schimpansen, in: Psychologische Forschung 1 (1921) S. 2–46, S. 216 / Zu dergleichen wird wohl das Fehlen einer entsprechenden Zahl ausgewachsener Männchen beitragen, aber jedenfalls muß ich betonen, daß auch noch die kräftigsten Äußerungen des Sexuallebens bei diesen Tieren auf mich stets als extrem naiv gewirkt haben, und diesen glücklichen Charakter kann ihre Geschlechtserregbarkeit um so leichter behalten, als sie sich unter natürlichen Bedingungen kaum scharf als ganz Besonderes von den übrigen Gesellschaftsbeziehungen in der Gruppe abhebt. [K375] 1964 / BE / Neutsch, Erik, Spur der Steine, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verl. 1964, S. 877 / In den eisgrauen Augen, die stets so unangenehm forschend und eigensinnig gewirkt hatten, nistete eine müde, abweisende Gleichgültigkeit. [K371] 1954 / GE / Klemperer, Victor, [Tagebuch] 1954, S. 449 / Ich sagte: es wird scheinhaft wirken. Die Einbettung in futurische Tempuskonstruktionen ist bei wirken absolute Ausnahme – hier stehen die modalisierte Konstruktionsbedeutung der ASKRIPTION, die Bedeutung der futurischen Tempuskonstruktionen und Modalkonstruktionen im Gebrauch in Konkurrenz. Zur Erinnerung: Für scheinen und erscheinen konnten keine Belege im analytischen Futur nachgewiesen werden. In analytische Tempusformen der Vergangenheit wird wirken, wie scheinen, mit

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haben eingebettet. Deshalb sind etwa Belege wie [K369] und [K370] durchaus ambig (an [K369]: ‚das erschien fabelhaft‘ vs. ‚seine Wirkweise war fabelhaft‘) und bedürfen einer Klärung im Kontext – in beiden Fällen wird aber nach Prüfung des Kontextes die hier gesuchte Konstruktion realisiert. Der ambige Charakter, der sich bezüglich der Lesart einstellt, war auch bei scheinen zu beobachten (die Sonne hat golden geschienen) und ist als gewichtiger Grund dafür anzusehen, dass in den analytischen Vergangenheitstempora kaum Belege der gesuchten Konstruktion nachweisbar sind. Leider gezählt, obwohl streng genommen nicht hierher zu ordnen, ist Beleg [K373]. Hier ist ein ‚analytisches Präteritum‘ mit Modalkonstruktion realisiert (vgl. unten Kap. 10.1.4) – wir haben den Beleg dennoch hier dokumentarisch belassen, um (1) einen Fehler bei der Belegauswahl nicht zu verbergen (der Beleg fiel erst bei der Zusammenfassung auf), außerdem (2) darauf hinzuweisen, dass die Realisierung auch ohne Einbettung in eine Modalkonstruktion nicht ungrammatisch wäre und wir so (3) im direkten Vergleich das ‚analytische Präteritum‘, dem wir uns in Kap. 10.1.4 ausführlicher widmen, belegen können. [K375] stellt einen besonderen Fall dar. Hier werden ein deverbales Adjektiv auf Basis eines Präsenspartizips und ein Adjektiv eingebettet, die die Lesart der Konstruktion stützen, da Augen als SOB eben nicht agentiv im Sinne des Tätigwerdens aufgefasst werden können. Der Futurbeleg bei Klemperer [K371] ist ebenfalls nur kontextuell den nonagentiven Konstruktionen zuzuordnen. Es kann nicht entschieden werden, ob er ausschließlich epistemisch oder futurisch zu lesen ist. Interessantes Detail ist an diesen Belegen freilich, dass nur Elemente erscheinen, die als ADJD annotiert worden sind. Das war ebenfalls bei erscheinen zu beobachten. Dort (Kap. 7.3.1.2) hatten wir gezeigt, dass vor allem Adjektive als Qualitative eingebettet werden, die Eigenschaften herausheben, derer man ansichtig werden kann, oder die Attribute zuweisen, die man auf andere Weise wahrnehmen kann, und/oder die Bewertungen aufgrund von ansichtigen Eigenschaften vornehmen. Wie bei scheinen und erscheinen gilt also auch für wirken, dass Perfektpartizipien, die Eigenschaften bei (implizierten) abgeschlossenen Vorgängen (Perfektivität) bedeuten, offenbar in den analytischen Tempusformen nicht genutzt werden, wenn die Konstruktion überhaupt in eine analytische Tempusform eingebettet wird, was bei scheinen und wirken durch die Bildung mit haben beinahe total blockiert wird. Als vorläufiges Fazit gilt also auch hier: Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit erscheinen stellt unter den Konstruktionen mit modaler Lesart die einzige brauchbare Alternative dar, eine analytische Tempusform der Vergangenheit zu realisieren, wenn man von Formen des ‚analytischen Präteritums‘ (wie in [K373]) absieht.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 297

Wenden wir uns nun der detaillierten Belegübersicht zu (Abb. 101 und 102). Auf eine Übersicht der analytischen Tempusformen verzichten wir aus darstellungstechnischen Gründen; die wenigen relevanten Belege haben wir bereits kurz besprochen. Die Übersichten für Perfekt und Plusquamperfekt sowie Futur I sind aber online verfügbar (Perfekt: https://goo.gl/Umc0bV; Plusquamperfekt: https://goo.gl/VJHaEE; Futur I: https://goo.gl/dEJxaH; Stand: 16.09.2016). Wie in den beiden Abbildungen 102 und 103 augenfällig wird, sind die Konstruktionen der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken nicht nur hinsichtlich der Einbettung in analytische Tempuskonstruktionen beschränkt, sondern auch in Bezug auf die Art der eingebetteten Qualitative. Bei erscheinen waren modale Infinitive die absolute Ausnahme, Progressive konnten nicht belegt werden. Bei wirken entsprechen die aufgerufenen Belege für modale Infinitive und Progressive nicht der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) – die Konstruktionsrealisierungen bleiben auf Elemente, die als ADJD oder VVPP annotiert sind, beschränkt, wobei ADJD (wie oben in den wenigen Belegen für analytische Tempora gesehen) favorisiert werden.

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Abb. 102: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/kwYdAg; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 103: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/yJRNOj; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Ein Blick auf die geschätzten Belegzahlen im KERN-Korpus bestätigt diesen ersten Eindruck (vgl. Abb. 104).

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Abb. 104: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs- und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/8squNJ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Progressive (QUAL) mussten für die Berechnung nicht berücksichtigt werden, was sie im Fall von wirken nicht unterscheidet von modalen Infinitiven. Die Werte M1 und M sind je im Dreisatz ermittelte Schätzwerte zunächst unter der Annahme, dass die Zufallsstichprobe n repräsentativ für die Grundgesamteinheit (N1) ist. Weiter gehen wir davon aus, dass sich N strukturell nicht stark von N1 unterscheidet und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann. Eine Fehlerbereinigung der Schätzwerte ist nicht angezeigt (vgl. oben Anm. 61). Die Schätzwerte sind auf drei Nachkommastellen gerundet. Durch die Rundung können sich minimale Fehler in der Summenbildung erge-

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 301

ben, rechnete man bspw. die einzelnen Schätzwerte M für die Kommunikationsdomänen gegen die geschätzte Gesamtsumme M. Anders als bei scheinen und erscheinen gestaltet sich allerdings die Verteilung auf die Kommunikationsdomänen. Im Präsens werden die meisten Belege in der Gebrauchsliteratur (GE) gezählt und erwartet, wobei Elemente, die als ADJD annotiert sind, klar favorisiert werden – sie sind als Konstruktionen Eigenschaftsträger und unterstützen damit die Perspektivierungsleistung der Konstruktion der ASKRIPTION. Danach folgen mit großem Abstand Wissenschaft (WI) und Zeitung (ZE) mit je der Hälfte an Belegen. Im Präsens stehen belletristische Texte (BE) wiederum eher am Rande. Das Verhältnis dreht sich, wie bereits häufig beobachtet, im synthetischen Präteritum wieder: Nun treten die Belege in BE am häufigsten auf – alle anderen Belege in den anderen Gebrauchsdomänen erreichen in Summe nicht die Höhe der Frequenz in BE. GE liegt aber mit großem Abstand vor WI und ZE. Überall bleiben die Elemente, die als ADJD annotiert sind, dominant: Hier verhalten sich die Verteilungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen analog, bei scheinen tritt die Domäne GE nicht so deutlich heraus (vgl. oben Abb. 74 und 90).

Abb. 105: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit wirken mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/PNKGiV; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 106: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit wirken mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/MR2kRs; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

302 | Konstruktionen der ASKRIPTION

Wie bei scheinen und erscheinen werden wir auf die Verteilung der Belegdaten (Abb. 105) auf der Basis eines normalisierten Korpus (Abb. 106) genauer eingehen, weshalb wir wieder auf Abb. 18 (Kap. 6 bzw. https://goo.gl/kv1nVA; Stand: 16.09.2016) mit dem Überblick über die Schichtung des Korpus verweisen möchten. Anders als bei scheinen und erscheinen kann für Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken postuliert werden, dass der Gebrauch im Verlauf des 20. Jahrhunderts, wenn auch noch auf quantitativ recht niedrigem Niveau, tendenziell zunimmt – vor allem in den Domänen Belletristik (BE) und Gebrauchsliteratur (GE). Das zeigt strukturell auch der Überblick über die Verteilung der morphologischen Formen von wirken auf die Kommunikationsdomänen (vgl. Abb. 107): Belege in BE und GE werden nicht nur in einem breiteren Tempusspektrum verwendet, sondern auch in Summe häufiger.

Abb. 107: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit wirken nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/rnHXhR; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Nimmt der Gebrauch der nonagentiven Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken tendenziell leicht zu und war oben mehrfach betont worden, dass vor allem deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien die Bedingungen erfüllen, um in in diese Konstruktionen als Qualitative eingebettet werden zu können, so konnte keine der Übersichten einen Hinweis darauf bieten. Die chronologische Verteilung der Qualitative offenbart jedoch, warum:

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 303

Abb. 108: Chronologische Verteilung der Qualitative in der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken. Direktlink: https://goo.gl/Y5Zjwr; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Elemente, die als ADJD annotiert sind, werden über das 20. Jahrhundert hindurch mit leichten Schwankungen als Qualitative gebraucht. Bei den Elementen, die als VVPP annotiert sind, zeigt sich ein Anstieg vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Kurz: Die Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken ist eine „Konstruktion im Werden“ (in Bezug auf werden vgl. Diewald 2005: 23), in der die Perfektpartizipien als Filler etabliert werden. Möglicherweise führt längerfristig die Einbettung der Perfektpartizipien dazu, dass die Perfektivität der Partizipien (‚Eigenschaft als Resultat eines implizierten, abgeschlossenen Vorgangs‘) eine VORGANGslesart wie bei Konstruktionen der KOMMUTATION (vgl. Kap. 8) oder denen der AKZEPTATION (Kap. 9) als neuen Konstruktionssubtyp etabliert. Besonders in den Domänen Belletristik (BE) und Wissenschaft (WI) wird das Muster häufiger verwendet, in ZE ist der Anstieg weniger dramatisch, in GE lässt sich diese Dynamik nicht beobachten:

Abb. 109: Anzahl der Realisierungen von Konstruktionen der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken und VVPP als QUAL. Direktlink: http://goo.gl/5vrXKa; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Auch die Abnahme der Frequenz anderer Konstruktionsrealisierungen (etwa derer mit scheinen in BE) kann anzeigen, dass hier zwei Konstruktionen miteinander in Konkurrenz treten. Wirken befindet sich im Konstruktionswandel, um der Perspektivierungsleistung der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) zu ent-

304 | Konstruktionen der ASKRIPTION

sprechen. Der Weg führt dabei zunächst über ADJD als Qualitative; nach und nach werden aber auch VVPP in die Konstruktion mit wirken eingebettet – allerdings nur in den dritten Personen Singular und Plural der synthetischen Tempora Präsens und Präteritum:

Abb. 110: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von wirken mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/7nrpfv; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Wenden wir uns nun den Qualitativen zu, wobei wir uns auf die Elemente konzentrieren werden, die als VVPP annotiert worden sind. Insgesamt wurden 337 unterschiedliche Qualitative in 382 untersuchten Belegen ermittelt (Verhältnis: 1,13). Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative können online eingesehen werden (https://goo.gl/yCai8B; Stand: 05.08.2015). Für die Abbildungen wurde je abgefragten Paramenter die je 30 häufigsten Qualitative ausgewählt. Im Fokus werden im Folgenden die Realisierungen mit VVPP an wenigen exemplarischen Beispielen stehen (Abb. 111), die Übersichten über die Verteilung der Qualitative auf Kommunikationsdomänen (Abb. 112) und Tempora (Abb. 113) werden nur der Vollständigkeit halber gegeben. Bei einem Blick auf die Elemente, die als VVPP annotiert sind, wird man stellenweise kein Perfektpartizip mehr annehmen können, sondern muss von einem ADJD sprechen. Es handelt sich dann um ‚Annotationsfehler‘, die sich möglicherweise mit der formalen Gestalt der Elemente begründen lassen. Das gilt vor allem für deplatziert und deprimiert. [K13]

1966 / GE / o.A., Eva und das Auto, Hamburg: BP Benzin und Petroleum Aktiengesellschaft Verl. 1966, S. 23 / Ein Hut im Auto wirkt auf der Landstraße deplaciert.

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Abb. 111: Die je 30 häufigsten Qualitative mit wirken nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/dDU9IC; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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[K311] 1999 / BE / Moers, Walter, Die 13 1/2 Leben des Käptʼn Blaubär, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 405 / Es war ein durchsichtiger Tropfen aus pulsierendem Licht, der schon auf den ersten Blick irgendwie deprimiert wirkte. Den verwendeten Adjektiven wie lächerlich und komisch, elegant, hübsch oder gemütlich (Abb. 111) ist mit deplatziert [K13] und deprimiert [K311] gemeinsam, dass sie keine semantischen Potentiale haben, die im Kontext ihrer Kollokationen auf eine Dynamik verweisen (vgl. dazu ausführlich Lasch 2014a). Sie qualifizieren ein SOB hinsichtlich einer (sichtbaren) Eigenschaft. Das ist der Grund, weshalb auch schon zitierte Beispiele ambiger Natur und/oder Instanzen anderer Konstruktionstypen sind: [103]

Lewin wirkt rastlos.

[104]

Das Medikament wirkt schnell/hemmend.

Aber: [105]

a. Leonard wirkt angegriffen. b. Mathilde wirkt blass.

Die in die Konstruktion eingebetteten Perfektpartizipien wie in [105a] sind Adjektiven ohne dynamisches Potential wie in [105b] strukturell vergleichbar: Sie bezeichnen aus semantischer Perspektive eine Eigenschaft einer „Person, einer Sache oder eines Sachverhaltes, nicht aber die Art und Weise eines Ereignisses oder Zustandes“ (DUDEN 2009: 358 und vor allem oben Kap. 5.2.3.2). So ist auch nicht relevant, ob sie als Perfektpartizipien transparent sind oder nicht: [K243] 1954 / WI / Ilberg, Werner, Was liest Westdeutschland?, in: Neue deutsche Literatur 2 (1954) Nr. 1, S. 99–109, S. 103 / Immerhin, das Mädchen ist von einer quirligen Lebhaftigkeit und Ursprünglichkeit, die manchmal etwas gemacht wirkt, und hat einen unbändigen Unabhängigkeitswillen. [K234] 1993 / WI o.A., P, in: Harald Olbrich (Hg.), Lexikon der Kunst Band 1: Mosb - Q, Leipzig: Seemann 1993, S. 24972 / Dabei nähert sich seine

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 307

Landschaftsdarstellung, die anfänglich stark konstruiert wirkt, immer mehr der Realität. [K313] 1994 / BE / Jentzsch, Kerstin, Seit die Götter ratlos sind, Berlin: Verl. Das Neue Berlin 1994, S. 17 / […] nuschelte der Fahrer, ein schmächtiges Männchen, das in dem großen Auto verloren wirkte. [K232] 1993 / WI / Busch, Werner, Das sentimentalische Bild, München: Beck 1993, S. 9 / Wenn in einer Landschaft Vorne und Hinten auf einer Ebene erscheinen, konstatiert sie zwar das Ende der wissenschaftlichen Perspektive, wenn ein Gesicht verzerrt wirkt – ‚en face‘ und Profilansicht offenbar ineinander geblendet sind -, dann wird ihr zwar bewußt, daß dies etwas mit der Thematisierung neuer Raum- und Zeiterfahrung zu tun hat […]. [K129] 1986 / GE / Ketman, Per / Wissmach, Andreas, DDR - ein Reisebuch in den Alltag, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1986, S. 271 / Die meisten wirkten ausgesprochen servil und vor allem gestreßt. [K17]

1929 / ZE / Völkischer Beobachter (Reichsausgabe) 02.03.1929 / Der Kelch des Annaberger Meisters E. L. von 1661 wirkt daneben überladen und kleinlich.

[K5]

1998 / ZE / Die Zeit 02.01.1998 / Die Bauchmuskulatur des Mannes wirkt angespannt.

[K245] 1924 / GE / o.A., Kleine Mitteilungen, in: Die Landfrau 06.09.1924, S. 528–529, S. 529 / Was der gertenschlanken Zwanzigjährigen stehen mag, was, wenn die Figur dazu geschaffen ist, ausgezeichnet wirkt, hier wirdʼs zur Karikatur. [K116] 1996 / BE / Jentzsch, Kerstin, Ankunft der Pandora, Berlin: Verl. Das Neue Berlin 1996, S. 20 / Das Lächeln der Schalterhostessen wirkte gequält. Weiter oben war herausgehoben worden, dass in die Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken vor allem Adjektive als Qualitative eingebettet werden können, die Eigenschaften bezeichnen, derer man ansichtig werden kann und/oder die Bewertungen ansichtiger Eigenschaften vornehmen. In den exemp-

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larischen Belegen mit Elementen, die als VVPP annotiert sind, und die im Verlauf des 20. Jahrhunderts in der Frequenz leicht zunehmen, tragen die (deverbalen) Adjektive (aus Perfektpartizipien) wenigstens eben diese Eigenschaften: Besonders deutlich wird das bspw. im Beleg [K311], wo der Blick als Kontext mitgeliefert wird.

Abb. 112: Die je 30 häufigsten Qualitative mit wirken nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/6RCI9c; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Wie bei scheinen und erscheinen gilt also auch für wirken, dass Perfektpartizipien, die Eigenschaften bei (implizierten) abgeschlossenen Vorgängen (Perfektivität) bedeuten, eingebettet werden können, wenn sie als Kollokate von wirken in Frage kommen. Der Konstruktionswandel von wirken ist keinesfalls abgeschlossen.

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Abb. 113: Die je 30 häufigsten Qualitative mit wirken nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/wnggvq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Wie die Beispiele [103] bis [105] zeigten, kann wirken auch in agentiven Konstruktionen stehen ([103] kann so gelesen werden) oder in nonagentiven Konstruktionen der ASKRIPTION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung (wie in [104]). Dass wirken als Filler in so viele verschiedene Konstruktionen eingebettet werden kann, ist auch auf seine Eigensemantik zurückzuführen (vgl. dazu im Detail auch Lasch 2014a) – es ist (wie werden) nicht nur eine „Konstruktion im Werden“ (um mit Diewald zu sprechen), sondern auch eine, die (konstruktions-)grammatische Beschreibungsmodelle auf die Probe stellt, indem es verschiedene kognitive Perspektivierungen kommunikativ realisieren hilft (die Realisierung also Ausweis von Polysemie-Relationen ist). Aspekte wie diese werden wir in Kap. 10.2.3 noch einmal aufgreifen und eingehend diskutieren. Mit einem letzten Beleg möchten wir zu Konstruktionen der ASKRIPTION mit aussehen überleiten:

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[K317] 1972 / BE / Enzensberger, Hans Magnus, Der kurze Sommer der Anarchie, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1972, S. 261 / Ich achtete nicht sonderlich auf den Chauffeur, aber ich erinnere mich, daß er erregt wirkte und traurig aussah.

7.3.3 Die Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit aussehen Aussehen soll in dieser Studie als Stellvertreter stehen für Wahrnehmungsverben, die wie aussehen (das Bild sieht gut aus) nicht in reflexive Konstruktionen eingebettet sind und selbst in ihrem Rollenplan kein Reflexivum als Partizipanten festgeschrieben haben, der durch die Konstruktion der ASKRIPTION nicht lizensiert wäre (ein anderes Beispiel wäre: anmuten). Gemeint sind damit Konstruktionsrealisierungen wie oben [K317] zu wirken oder [K327] aus der Belegsammlung zu aussehen: [K327] 1908 / BE / Altenberg, Peter, Märchen des Lebens, Berlin: S. Fischer 1908, S. 1235 / Er war glatzköpfig und sah sehr bedrückt aus. Sich anfühlen oder sich anhören bspw. können im Gegensatz dazu nicht in Konstruktionen der ASKRIPTION eingebettet werden (vgl. zum eigenen Status reflexiver Konstruktionen oben u.a. Kap. 5.1.5). Auf regionalsprachliche (ausschauen: er schaute bedrückt aus) oder umgangssprachliche Varianten ([rüber-]kommen: er kam bedrückt [rüber]) soll hingewiesen sein, untersucht werden sie hier nicht. [106]

Die Einrichtung sah zusammengeborgt aus. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit aussehen und damit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: ASKRIPTIONV(≈modal)(SOBNPNOM,QUALADJ)

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Abb. 114: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und aussehen. Direktlink: https://goo.gl/WmhInI; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Ziel dieses knappen Kapitels ist, neben wirken noch wenigstens ein weiteres Beispiel zu diskutieren, welches bisher nicht im Rahmen nonagentiver Konstruktionen besprochen worden ist. Damit ist freilich längst nicht jedes Beispiel erschöpfend diskutiert und jedes nur denkbare Verb beschrieben, welches in nonagentive Konstruktionen eintreten könnte – erinnert sei vor dem Hintergrund an die Frage der Auxiliarität und das Postulat der offenen Gruppe von Verben, die sowohl in nonagentive wie modale Konstruktionen eingebettet werden können. Aussehen wird wie scheinen, erscheinen und wirken in die Konstruktion der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung eingebettet, indem es einen Bedeutungsaspekt, der in Kap. 7.3. hier immer wieder hervorgehoben wurde, als Teil seiner Eigensemantik explizit macht: den Anschein. Es expliziert die Modalisierung der Konstruktionsbedeutung, dass einem SOB eine mittels eines QUAL ausgedrückte Eigenschaft zugewiesen wird, deren Faktizität durch den Sprecher markiert wird, indem er einen Wahrnehmungseindruck wiedergibt, der dem Zustand des SOB entsprechen kann, aber nicht muss. Auch die Belege für diese Konstruktionsrealisierungen mit aussehen können online eingesehen werden (https://goo.gl/xUng8v; Stand: 05.08.2015). Inbegriffen ist, wie bei den anderen Analysekapiteln auch, ein vollständiger Überblick über die ausgewerteten Qualitative. Für die Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen können in den Doppelperfektformen sowie im Futur II keine Belege nachgewiesen werden.

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Abb. 115: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/ODVKHo; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Ebenfalls sind keine modalen Infinitive und Progressive zu beobachten. Insgesamt wurden im KERN-Korpus mit den Abfrageroutinen 2.025 Belege ermittelt (N), von denen 1.417 Belege untersucht hätten werden können (N1). Für die Analyse wurde ein Sample gebildet von 950 Belegen (n), von denen insgesamt 771 Belege (m) der gesuchten Konstruktion der ASKRIPTION entsprachen.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 313

Abb. 116: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen im Präsens und Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/dWzowo; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Die Konstruktion mit aussehen ist hinsichtlich der Kollexeme, die als Qualitative in Frage kommen, äußerst restriktiv: Nur ADJD und VVPP können belegt werden, modale Infinitive und Progressive sind nicht zu beobachten und werden dementsprechend auch nicht abgebildet.

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Abb. 117: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen im Perfekt und Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/7c6jZD; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

In den analytischen Vergangenheitstempora sind nur noch Elemente, die als ADJD annotiert sind, als Qualitative belegt. Das ist eine Tendenz, die sich bei den meisten hier untersuchten Verben in Konstruktionen der ASKRIPTION beobachten ließ. Im analytischen Futur ist die Konstruktion kaum nachweisbar, deshalb haben wir hier keine separate Übersicht geführt. Einzig Beleg [K771] kann futurisch interpretiert werden:

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 315

[K791] 1942 / ZE / Völkischer Beobachter (Norddt. Ausgabe) 06.01.1942 / daß auch diese Wege einmal deutsch aussehen werden und nicht mehr polnisch.

Abb. 118: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs- und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/hnYDwl; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Die Übersicht über die Schätzwerte (Abb. 118) fällt bei niedriger Belegzahl weniger überraschend aus. Wie nicht anders zu erwarten, ist anzunehmen, dass die Elemente, die als ADJD annotiert sind, noch wesentlich häufiger im KERNKorpus vertreten sind. In die Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen werden fast ausschließlich Elemente eingebettet, die als ADJD annotiert sind. Die

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Werte M1 und M sind je im Dreisatz ermittelte Schätzwerte zunächst unter der Annahme, dass die Zufallsstichprobe (n) repräsentativ für die Grundgesamteinheit (N1) ist. Weiter gehen wir davon aus, dass sich N strukturell nicht stark von N1 unterscheidet und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann. Eine Fehlerbereinigung der Schätzwerte ist nicht angezeigt (vgl. oben Anm. 61). Die Schätzwerte sind auf drei Nachkommastellen gerundet. Durch die Rundung können sich minimale Fehler in der Summenbildung ergeben, rechnete man bspw. die einzelnen Schätzwerte M für die Kommunikationsdomänen gegen die geschätzte Gesamtsumme M. Die Konstruktionsrealisierungen weisen eine interessante Verteilung auf die Kommunikationsdomänen auf: Präsens wird durch Texte der Gebrauchsliteratur (GE) dominiert, danach folgen Belletristik (BE) und Zeitung (ZE). Im Präteritum sind die meisten Belege wieder in BE verzeichnet, danach in GE und ZE. Im Bereich der Wissenschaft (WI) sind die wenigen Belege in beiden synthetischen Tempora Randerscheinung: Ist bei aussehen die Faktizitätsmarkierung zu stark und erscheinen z.B. Ergebnisse zu vage, wenn sie ‚nur‘ nach X aussehen? Die Eigensemantik von aussehen könnte den domänenspezifischen Gebrauch in WI blockieren, da damit (allein) direkt ein Modus visueller Wahrnehmung aufgerufen wird, wie wir sehen werden. In den analytischen Tempora sind die Belegzahlen beinahe vernachlässigbar – wie scheinen und wirken bildet aussehen die analytischen Tempora der Vergangenheit mit haben, was der Perspektivierung der Konstruktion der ASKRIPTION weniger entspricht. Wie bei scheinen und erscheinen werden wir auf die Verteilung der Belegdaten (Abb. 119) auf der Basis eines normalisierten Korpus (Abb. 120) genauer eingehen, weshalb wir wieder auf Abb. 18 (Kap. 6, S. 137 bzw. https://goo.gl/kv1nVA; Stand: 16.09.2016) mit dem Überblick über die Schichtung des Korpus verweisen möchten.

Abb. 119: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/XjFYnP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 317

Abb. 120: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/3iFxNz; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die chronologische Verteilung der Belege offenbart, dass in den Domänen GE, WI und ZE die Belegzahlen über das 20. Jahrhundert hindurch systematisch abnehmen und – trotz teils recht großer Schwankungen – im Bereich BE relativ konstant bleiben. In Bezug auf die Verteilung auf Kommunikationsdomänen zeigt aussehen in der Konstruktion der ASKRIPTION eine deutliche Präferenz für BE und mit Abstrichen für GE (Abb. 119 und 120). Zum Vergleich: scheinen war besonders dominant in BE und WI (Kap. 7.3.1.1), erscheinen in GE und WI (Kap. 7.3.1.2) und wirken in GE, während BE, ZE und WI auf einem niedrigeren Niveau lagen (vgl. Kap. 7.3.2).

Abb. 121: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/1wmU8O; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

So deutlich wie bei aussehen stellten sich die Präferenzen für Kommunikationsdomänen bisher jedoch nicht dar. Das könnte damit zusammenhängen, dass

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sich für aussehen – anders als scheinen, erscheinen und wirken – hinsichtlich der Qualitative, mit denen es gemeinsam in die Konstruktion der ASKRIPTION eingebettet werden kann, sehr spezifische semantische Restriktionen beschreiben lassen (vgl. unten Abb. 124–126). Dass die Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen in ZE und WI eher seltener gebraucht wird, lässt sich auch am Spektrum der realisierten morphologischen Formen von aussehen in synthetischen und analytischen Tempora ablesen: Es dominieren die dritte Personen in beiden Numeri (Abb. 121).

Abb. 122: Chronologische Verteilung der Qualitative in der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen. Direktlink: https://goo.gl/tgrxId; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 123: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von aussehen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/EzTfhv; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die chronologische Verteilung der Qualitative (Abb. 122) bestätigt die oben skizzierten Tendenzen. Die Belegzahl nimmt vom Beginn des Jahrhunderts tendenziell ab. Die Elemente, die als VVPP realisiert werden, werden auf niedrigem Niveau konstant verwendet, bei den ADJD zeichnet sich der Rückgang der Belege in GE, ZE und WI ab. Dabei ist, wie bei den anderen hier schon besprochenen Verben, offensichtlich, dass die Elemente, die als VVPP annotiert sind, ausschließlich auf die synthetischen Tempora beschränkt bleiben (Abb. 123). Mit dem Rückgang des Gebrauchs in verschiedenen Domänen – in denen bestimmte Darstellungsformen präferiert werden – wird freilich auch das Spektrum mor-

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 319

phologischer Varianz von aussehen im Verlauf des 20. Jahrhunderts im KERNKorpus enger (Abb. 124).

Abb. 124: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/Oh6XZB; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Blicken wir abschließend auf die Qualitative, die in der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen typischerweise eingebettet werden. Insgesamt wurden 465 unterschiedliche Qualitative in 771 untersuchten Belegen ermittelt. Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative können online eingesehen werden (https://goo.gl/xUng8v; Stand: 05.08.2015). Die folgenden Abbildungen schließen die ausgewerteten Qualitative auf nach Annotationsart, Kommunikationsdomäne und temporaler Verwendung. Ausgewählt wurden dafür die je 30 häufigsten Qualitative. Bei der Beurteilung dürfte entscheidend sein, die Elemente, die als VVPP annotiert worden sind, hinsichtlich ihrer Semantik genauer in Augenschein zu nehmen (Abb. 126).

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Abb. 125: Die je 30 häufigsten Qualitative mit aussehen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/BVpF9F; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 321

Abb. 126: Die je 30 häufigsten Qualitative mit aussehen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/nbQWwO; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

322 | Konstruktionen der ASKRIPTION

Die häufigsten Elemente, die als VVPP annotiert wurden, sind mit äußerst überschaubarer Frequenz: angegriffen ([Belege] 5), gepflegt (3), reizend (2), verstört (2), angestrengt (2), bekümmert (2), gestochen (2), verjüngt (2) und verweint (2). Von diesen sind als Perfektpartizipien bezüglich ihrer Semantik (Markierung von Perfektivität als Eigenschaft bei impliziertem abgeschlossenen Vorgang) transparent: angegriffen, gepflegt, angestrengt und gestochen; verjüngt und bekümmert gehen auf reflexiv gebrauchte Verben zurück. Reizend wurde bspw. häufiger als ADJD (ADJD / [Zeile] 29 / [Belege] 4) annotiert und erscheint so auch in der Summenbildung (∑ / 17 / 6) aller Qualitative. Das gilt ebenfalls für verstört, welches im Ausschnitt der Übersicht allerdings nur als VVPP geführt wird. Es wurde in einem Beleg als ADJD annotiert. Andere Beispiele für die Unentschiedenheit in der Annotation sind für diese Belegsammlung zu aussehen: bezaubernd, gealtert oder verkleidet.

Abb. 127: Die je 30 häufigsten Qualitative mit aussehen nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/DhoiCF; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 323

In Summe stellen die Elemente, die als VVPP annotiert sind, die Ausnahme dar – einige sind ohne Not als ADJD einzustufen. Ziehen wir die un-Affigierung als Test heran (vgl. oben Kap. 5.2.3.2 sowie weiter Lenz 1995: 17–24, Rapp 1998: 239 und Maienborn 2007: 91–92), um zu prüfen, welche der Perfektpartizipien als Adjektive analysiert werden können: unangegriffen (5), ungepflegt (113), unangestrengt (11) und ungestochen (4); unverjüngt (1) und unbekümmert (554) – alle sind im KERN-Korpus des DWDS als Adjektive (Belegzahl in Klammern) nachweisbar. Das Kapitel zur Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen wollen wir mit einem Blick auf typische und illustrative Belege für die Konstruktionsrealisierungen schließen, da diese angesichts der Ausführungen in den Kap. 7.3.1 und 7.3.2 mit der Zuspitzung auf 7.3.3 für sich sprechen. Was für wirken noch vorsichtig formuliert wurde, kann nun angesichts der realisierten Qualitative für aussehen als notwendige Bedingung für die Einbettung eines Qualitativs und damit Kollexems von aussehen formuliert werden, was angesichts der Eigensemantik nicht verwundert: Diese Elemente müssen die Eigenschaften bezeichnen, derer man ansichtig werden kann und/oder mittels derer Bewertungen ansichtiger Eigenschaften möglich sind (Abb. 125–127). Das erklärt, wie eingangs vermutet, möglicherweise auch, weshalb in der Domäne Wissenschaft nicht auf aussehen in der Konstruktion der ASKRIPTION zurückgegriffen wird. Werden deverbale Adjektive aus (Perfekt-)Partizipien eingebettet, müssen sie ebenfalls zwingend diese Eigenschaften bei (implizierten) abgeschlossenen Vorgängen (Perfektivität) bedeuten: [K89]

1953 / GE / Chamrath, Gustav, Lexikon des guten Tons, Wien: Ullstein 1953, S. 18 / Das sieht nicht gut aus und hört sich auch schlecht an.

[K319] 1956 / WI / Sandermann, Wilhelm, Grundlagen der Chemie und chemischen Technologie des Holzes, Leipzig: 1956, S. 397 / Nach der Entfernung der überschüssigen Feuchtigkeit durch Absaugen wird die Chlorierung und die anschließende Behandlung mit dem Lösegemisch in der gleichen Weise so oft wiederholt, bis der Rückstand nach der Chlorierung weiß aussieht und sich bei Zugabe des heißen Lösungsmittels nicht mehr in deutlich erkennbarer Weise nach Gelb- oder Rotbraun hin verfärbt. [K219] 1956 / GE / Graudenz, Karlheinz / Pappritz, Erica, Etikette neu, München: Südwest-Verl. 1956, S. 407 / Herren mit Hosenträgern und ohne Kragen sehen ebenso unschön aus wie Damen mit großzügig geöffneten Blusen.

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[K449] 1926 / ZE / Die Weltbühne 21.09.1926 / In einem schönen Zimmer des Wohlfahrtsministeriums, desselben, das für die Wohlfahrt der kranken Untersuchungsgefangenen sorgt, fand ich einen ältern, hagern Herrn, der alle unanständigen Bücher und Fotografien durchzusehen hatte, und der infolgedessen recht angegriffen aussah. [K304] 1971 / GE / Braun, Anne / Nell, Edith, Man muß sich nur zu helfen wissen, Leipzig: Verl. für die Frau 1971, S. 224 / Verteile nun alles nach deiner eigenen Phantasie so auf die Teller, daß es richtig appetitlich aussieht. [K397] 1955 / GE / Oheim, Gertrud, Einmaleins des guten Tons, Gütersloh: Bertelsmann 1955, S. 141 / Man muß den Kleinen begreiflich machen, daß sie beim Nasebohren häßlich aussehen, daß man sich auch appetitlich die Nase putzen kann, wie man artig Händchen gibt oder eine kleine Verbeugung macht. [K331] 1940 / WI / Gehlen, Arnold, Der Mensch, Berlin: Junker und Dünnhaupt 1940, S. 371 / Und hierhin gehört, was paradox aussieht. [K23]

1925 / GE / Klemperer, Victor, [Tagebuch] 1925, S. 296 / Die in ihrer altneuen Haartracht ausgezeichnet u. um viele Jahre verjüngt aussieht.

[K444] 1946 / GE / o.A., Neunundsechzigster Tag. Mittwoch, 27. Februar 1946, in: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof Nürnberg, Nürnberg: Internationaler Militärgerichtshof 1947, S. 9009 / Als die Deutschen am Abend fortgingen, ging ich in das Spital hinein und sah, daß meine Frau vollständig verweint aussah. [K324] 1953 / GE / Spoerl, Alexander, Mit dem Auto auf Du, München: Piper 1953, S. 269 / Mit den vielen Unfällen, wenn noch kein Schnee ist, die Straße schön-grau-trocken aussieht, und noch keiner daran denkt. [K70]

1999 / BE / Lebert, Benjamin, Crazy, Köln: 1999, S. 72 / Es sieht schön aus.

[K71]

1999 / BE / Lebert, Benjamin, Crazy, Köln: 1999, S. 78 / Mein Gesicht sieht furchtbar aus.

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7.4 Zusammenfassung und Ausblick In den vorangegangen Kapiteln wurde die Konstruktion der ASKRIPTION aus dem Sprachgebrauch, das heißt hier konkret aus dem Sprachgebrauch, wie er im KERN-Korpus dokumentiert ist, rekonstruiert. Dabei zeigte sich, dass neben der nonagentiven Konstruktion der ASKRIPTION mit sein (Kap. 7.1) auch Konstruktionsrealisierungen mit bleiben (Kap. 7.2), scheinen und erscheinen (Kap. 7.3.1), wirken (7.3.2) und schließlich (exemplarisch) aussehen (Kap. 7.3.3) plausibel modelliert und aus dem Sprachgebrauch heraus anhand ihrer Konstruktionsrealisierungen genau analysiert werden können. Das ist ein Hinweis darauf, dass die vorgeschlagenen Konstruktionstypen als Muster von Sprachbenutzern gelernt, erkannt, gebraucht und modifiziert werden können und sich damit als Sprachwissen verfestigt haben. Die Ergebnisse der Untersuchung rechtfertigen es, die Konstruktionen der ASKRIPTION als Knoten im Konstruktikon zu postulieren, die miteinander in enger Verbindung stehen und im Zusammenhang mit den Konstruktionen der KOMMUTATION und AKZEPTATION als nonagentive Konstruktionen sich durch eine spezifische Perspektivierungsleistung z.B. von agentiven und reflexiven Konstruktionen abgrenzen lassen. Sie können von Modus- und Tempuskonstruktionen eingebettet werden, die ihrerseits eine Abstraktionsebene unter der Negation von periphrastischen Ausdrücken stehen (vgl. dazu Kap. 11). Besonders in Bezug auf die Verschränkung mit Tempuskonstruktionen konnte illustriert werden, dass eine möglichst ganzheitliche Sicht auf einen Phänomenbereich gegenstandsadäquat ist. Die Analyse stand aber auch vor einigen Hindernissen, die bisher noch nicht in Gänze aus dem Weg geräumt sind. Da sind zum ersten die z.B. für die Konstruktion mit sein diagnostizierte „Perfektlücke“, der wir uns im Zusammenhang der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden (vgl. Kap. 8.1) noch einmal zuwenden. In diesem Kontext wurde ebenfalls über die Rolle von Modalkonstruktionen nachgedacht (‚analytisches Präsens/Präteritum‘), denen wir uns noch einmal ebenfalls an späterer Stelle widmen (vgl. Kap. 10.1.4). Zum anderen sind es die modalen Infinitive in der Konstruktion mit sein, bleiben und scheinen, denen wir noch einmal besondere Aufmerksamkeit schenken wollen (vgl. Kap. 10.1.1). Zum dritten ist es die Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken, die wir hier nur im Zusammenhang modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung berücksichtigten – die Einbettung in die Konstruktion der ASKRIPTION mit direkter Lesart haben wir, wie die anderen noch offenen Probleme, ebenfalls in das zehnte Kapitel dieser Studie verlegt (Kap. 10.2.3).

8 Konstruktionen der KOMMUTATION Die Konstruktionen der KOMMUTATION bilden eine wesentlich kleinere Gruppe als die der ASKRIPTION (Kap. 7) und auch als die der AKZEPTATION (Kap. 9) – dennoch wird sie als eigenständiger Konstruktionstyp modelliert. (1) Werden hat einen besonderen Stellenwert im Sprachgebrauch: Es ist in traditioneller Terminologie ‚Vollverb‘, wird in Modalkonstruktionen und/oder für Tempuskonstruktionen im Futur verwendet, ist Kopulaverb und eines der wichtigsten Verben im Bereich nonagentiver Konstruktionen – Alternativen zu werden, die nicht die direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung etablieren, haben sich bis auf eine Ausnahme im Sprachgebrauch nicht etabliert (so wie bleiben, scheinen, erscheinen, wirken und aussehen usw. zu sein). Denn: Mit Abstrichen, wie noch zu erläutern ist, ist auch das Verb gehören den Konstruktionen der KOMMUTATION zuzurechnen. Oder besser: Es ist nicht zu entscheiden, ob es eine Perspektivierung etabliert, die eher den Konstruktionen der ASKRIPTION oder der KOMMUTATION entspricht. Wir werden uns diesem Fall später zuwenden (vgl. dazu Kap. 10.2.1). Wie bei den Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein können auch die Konstruktionen der Kommutation mit werden durch andere Konstruktionen, die in sie eingebettet werden, so aktualisiert werden, dass eine alternative Lesart erzwungen wird. Das gilt für das so genannte ‚unpersönliche‘ Passiv, welches wir deshalb zusammen mit anderen Phänomenen in Kap. 10 erneut aufgreifen. Wie zu sehen, werden wir diese spezifischen Realisierungen aber grundsätzlich nicht von jenen scheiden, die wir in diesem Kapitel genauer untersuchen. Ein weiteres interessantes Thema ist die Einbettung der Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden in die analytischen Tempora der Vergangenheit (im Hinblick auf die „Perfektlücke“ der Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein, vgl. oben Kap. 7.1) und die Herausforderung, epistemische und futurische Lesarten in den analytischen Futurkonstruktionen zu scheiden – hier verschränken sich Modalkonstruktionen, Tempuskonstruktionen und nonagentive Konstruktionen (in die werden jeweils eingebettet wird) in einer Weise, die in dieser Form einzigartig ist in der Grammatik des Deutschen. (2) Werden wird ein besonderer Status innerhalb der Grammatikschreibung zugestanden – das ist der zweite Grund, weshalb wir einen eigenständigen Konstruktionstyp der KOMMUTATION postulieren. Der eigene Status lässt sich zunächst sprachhistorisch ableiten, da die Konstruktionen mit werden mit zu den ersten analytischen Formen gehören. Zum anderen kann er mit der hohen Frequenz gerechtfertigt werden, mit der Konstruktionen mit werden verwendet werden. Schließlich auch damit, dass das analytische werden-Passiv als prototypisches Passiv als Konversenmodell in der Gramma-

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tikschreibung eine lange Tradition hat und als etabliertes Modell gilt. Dass wir dieser Einteilung deshalb folgen, indem wir werden den Status zugestehen, prototypisch in die Konstruktion der KOMMUTATION eingebettet zu werden (Kap. 8.1), heißt nicht, dass es keine konstruktionsgrammatische Alternative gäbe. Diese erläutern wir in Kap. 8.2. Wie andere hier beschriebene Konstruktionen weisen auch die Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden systematische Lücken auf. Allerdings sind diese nicht so deutlich ausgeprägt wie die „Perfektlücke“ der Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein (vgl. Kap. 7.1) und betreffen, neben den Restriktionen in Bezug auf die Qualitative, vor allem die Realisierungen im analytischen Futur. Strukturell ist für diese „Futurlücke“ ebenfalls die Überlagerung durch die Tempuskonstruktionen bzw. Modalkonstruktionen verantwortlich: Während das Präsens mit werden zumindest potentiell auch modal bzw. futurisch interpretiert werden kann, ist die Verdopplung von werden durch die futurische Tempuskonstruktion bzw. Modalkonstruktion bei der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden der Grund dafür, weshalb bspw. keine Realisierungen mit Verbletztstellung zu beobachten sind: ?Es ist absehbar, dass die Briefe eines Tages versendet werden werden. Diese Restriktion gilt für das Futur II nicht mehr, da hier eine Überschneidung der Konstruktionen nicht gegeben ist – dafür ist hier mit epistemischen Lesarten zu rechnen.

8.1 Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden Die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden wurde in Bezug auf ihre kognitive wie kommunikative Perspektivierungsleistung in Kap. 5.2.1.3 knapp vorgestellt. Wie bei der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein (vgl. Kap. 7.1) erweist sich auch hier wegen der zahlreichen Funktionen, die werden (als Konstruktion) im Deutschen einnimmt, ein quantitativer Zugriff forschungspraktisch als schwierig. Die Konstruktionsrealisierung mit werden ist Instanz der lexikalisch nicht spezifizierten Konstruktion der KOMMUTATION.

[107]

Die Sendung wird frankiert. Verben der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit werden und damit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: KOMMUTATIONV(=direkt)(AOBNPNOM,QUALADJ)

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 329

Abb. 128: Konstruktion der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit werden. Direktlink: https://goo.gl/Znu59I; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Werden als Verb tritt in den Prädikationsrahmen KOMMUTATION (als Subtyp der Prädikatsklasse der VORGANGsverben) ein und steht hinsichtlich seiner Bedeutung in direktem Verhältnis zur Konstruktionsbedeutung (=). An Argumenten lizensiert die Konstruktion ein affiziertes Objekt (AOB) und einen Qualitativ (QUAL), beide Argumente werden auch durch das Verb aufgerufen (die Rollen fusionieren damit). In die Argumentstellen der Konstruktion werden unterschiedliche Filler eingebettet; der QUAL ist hinsichtlich seiner Spezifizierung recht stark eingeschränkt. Die Bedeutung wurde oben (Kap. 5.2.1.3) angeben mit: ‚Ein AOB wird hinsichtlich seines Zustands durch einen im QUAL spezifizierten Vorgang verändert. Subtyp des AOB ist der PAT.‘ Die Forschungsdiskussion um die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden ist auf einem erfreulich aktuellen Stand (vgl. oben Kap. 4.2.3): Neben dem generativen Vorschlag (Abraham 2015) liegt neben der (primär) valenzgrammatischen Interpretation (Welke 2015) nun mit dieser Studie auch eine konstruktionsgrammatische Modellierung vor. Anders als Abraham 2015 und Welke 2015 werden wir diese konstruktionsgrammatische Alternative vor dem Hintergrund der erhobenen Belege aus dem KERN-Korpus diskutieren. Wie bei den Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein (vgl. Kap. 7.1) stehen wir zu Beginn allerdings vor dem Problem, dass wir diesen Gebrauch nur im Ausschnitt erfassen und dokumentieren können. Wendeten wir das feingliedrige Untersuchungsdesign auf hochfrequente Konstruktionen mit werden an (Kap. 6), müssten in der Untersuchung nach quantitativer Erfassung allein im Präsens 239.055 Belege (N1) Belege in die Untersuchung einbezogen werden (vgl. Abb. 129), was seriös nicht zu machen ist:

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Abb. 129: Konstruktion der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit werden im Präsens Indikativ. Erfasst sind nur die mittels der Suchstrings ermittelten Belege. Die vollständige Übersicht (über alle Tempora) kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/2hoQmA; Stand: 16.09.2016. Legende: Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Die Belegzahlen sind damit, obwohl die Konstruktionen mit werden bezüglich der möglichen Qualitative wesentlich stärkeren Restriktionen unterworfen sind, kaum wesentlich niedriger als die Belegzahlen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein (N1: 266.669). Wie explorative Vorstudien (und die Forschungsliteratur) zeigen, können nur Adjektive und deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien in die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden eingebettet werden, andere Qualitative werden deshalb auch nicht erhoben. Mit der gemeinsamen Erhebung von Adjektiven und deverbalen Adjektiven aus Perfektpartizipien ist aber ein wichtiger Unterschied zur traditionellen Forschung markiert – u.a. zu Abraham 2015 und Welke 2015, die wir in diesem Zusammenhang bereits diskutierten (vgl. oben Kap. 4.2.3). D.h., dass wir nicht unterscheiden zwischen ‚Kopulakonstruktionen‘ und ‚nonagentiven Konstruktionen‘ mit werden. Bevor wir auf den Zuschnitt des Untersuchungskorpus eingehen, möchten wir diese Entscheidung kurz begründen. Bei den Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein wird diese Unterscheidung in der Forschung bereits nicht mehr aufrecht erhalten (vgl. dazu oben Kap. 4.2.1 sowie 7.1 sowie schließlich unten Kap. 10.1.1). Die Unterscheidung

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 331

erscheint dort künstlich und willkürlich, wenn man sich mit Daten des Sprachgebrauchs auseinandersetzt. Das kann man mit guten Gründen auch für die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden behaupten: Denn neben den Adjektiven, die zweifelsohne nicht aus Partizipien hervorgegangen sind (Peter wird nass), und Partizipien, die zweifelsfrei aus Verben der Prädikatsklasse HANDLUNG (oder VORGANG) gebildet werden können (frankiert aus frankieren), stehen eine große Gruppe deverbaler Adjektive, die nach und nach als Adjektive klassifiziert werden, aber dennoch in den analytischen Tempora mit dem Partizip worden in der Konstruktion der Kommutation mit werden zusammengehen, wie bspw. in diesem Beleg: [K157] 1998 / GE / o.A., Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes, in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / An Gebühren sind zu erheben (DM) […] für ein zweites und jedes weitere Stück einer Personenstandsurkunde, wenn es gleichzeitig beantragt und in einem Arbeitsgang hergestellt wird. Hergestellt wurde bei der Annotation des KERN-Korpus in diesem Beleg als Adjektiv (ADJD) klassifiziert und auf diese Weise durch die automatischen Suchroutinen auch erfasst. Beispiele wie diese sind zwar nicht hochfrequent, weisen aber auf ein systematisches Problem hin, welches wir bereits mehrfach diskutiert haben: Bei der Annotation in den analytischen Tempora der Vergangenheit wäre hergestellt (wenn es gleichzeitig beantragt und in einem Arbeitsgang hergestellt worden ist) wegen der Kombination mit der Partizipialform worden mutmaßlich als VVPP annotiert worden, im Präsens jedoch wird es als ADJD kategorisiert und annotiert (und so auch in dieser Studie gezählt). Dieses und weitere Beispiele sind Indiz für die Grauzone, die nur in den analytischen Tempora der Vergangenheit und im Futur II morphologisch sichtbar wird. In Präsens und Präteritum sowie der einfachen Zukunft verhalten sich Adjektive und deverbale Adjektive aus Perfektpartizip formal identisch – solange sie die Perspektivierung der nonagentiven Konstruktion der KOMMUTATION stützen. Wie in Kap. 4.2.3 erläutert, werden wir die auf dieser Varianz aufbauende traditionelle Differenzierung zwischen ‚Kopula‘ und ‚Passivauxiliar’ werden nicht übernehmen. (1) Neben dem oben genannten Grund, der unsicheren Klassifizierung, die daraus resultiert, dass zwei prototypisch organisierte Kategorien einander dichotomisch gegenübergestellt werden, gibt auch die (2) Frequenz der Belege zu denken: Nicht einmal ein Zehntel der Belege weist auf die Varianz hin; grenzte mal allerdings ‚Kopulakonstruktionen‘, also alle Bildungen mit

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Adjektiv (wir sahen exemplarisch in [K157] bereits, dass dieses Differenzierungskriterium leicht zu bezeichnen, aber z.B. schwer zu annotieren ist) aus, träfe das streng genommen knapp ein Drittel aller Belege, obwohl die Perspektivierungsleistung der Konstruktion identisch ist und die Qualitative diese mal besser und mal schlechter unterstützen. (3) Da wir von der Konstruktion der KOMMUTATION ausgehen, ist eine Ausgrenzung weiter nicht angezeigt, da die formale Varianz nicht unabhängig von der Einbettung in abstraktere Konstruktionen (wie das analytische Perfekt) betrachtet werden sollte. Das heißt aber nicht zugleich, dass die Varianten nivelliert werden. Im Gegenteil: Wir möchten vorschlagen, zu den Adjektivtests (vgl. oben Kap. 5.2.3.2) jenen hinzuzufügen, der die Partizipialbildung in Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden im analytischen Perfekt prüft. Dieser Test, und das ist reizvoll, gibt einen Hinweis darauf, wann ein Sprachbenutzer einen Filler als Adjektiv oder als deverbales Adjektiv aus Perfektpartizip eingestuft hat: [K3139] 1998 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1954 – 1974, Berlin: Aufbau-Verl. 1998, S. 166 / Aber man weiß aus dem, was trotz Beratungsgeheimnis aus Erfahrungsberichten von Schöffen bekannt geworden ist, wie solche Beratungen verlaufen. [K3203] 1999 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1975 – 1995, Berlin: Aufbau-Verl. 1999, S. 322 / Darüber hinaus ist unsere Blockade auch ein Akt der Solidarität mit Hunderten von Mitbürgern, die eben wegen einer solchen Blockade VON STAATSANWÄLTEN angeklagt und VON RICHTERN verurteilt worden sind. Angeklagt und verurteilt [K3203] werden demnach durch einen Sprachbenutzer als (deverbale) Adjektive aus Perfektpartizipien, bekannt hingegen in [K3139] durch denselben Sprachbenutzer (Heinrich Hannover) als Adjektiv eingestuft. Da die Verhältnisse zwischen Adjektiv und Perfektpartizip alles andere als deutlich sind – man hat mit breiten Übergangsbereichen zweier prototypisch motivierter Konstruktionen zu rechnen –, verwundert es, dass ein einfaches Merkmal wie dieses also schlussendlich nicht nur darüber Klarheit bringen soll, wie Adjektive und deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien zu unterscheiden sind, sondern auch darüber, welche Konstruktionsrealisierung (werden-Passiv vs. ‚Kopulakonstruktion’) vorläge (vgl. zur Diskussion ob Kap. 5.2.3.2). Aus unserer Sicht tut es dies auch nicht. Dennoch: Man kann aus dem Befund eine tragfähige konstruktionsgrammatische Hypothese modellieren, die wir an Belegmaterial prüfen werden. Die Idee ist, hier einleitend kurz gesagt, die Bedeu-

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 333

tung des Perfektpartizips (als Konstruktion auch erkennbar an spezifischen Formmerkmalen) argumentativ zur Basis einer Begründung für die Differenzierung zu machen. Sehen wir aber von dieser Frage zunächst noch einmal ab und wenden uns wieder den Belegen zu (ausgehend von Abb. 129). Für die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden ist mit 267.604 Belegen in N bei Anwendung der Standardsuchroutinen für das KERN-Korpus allein im Präsens ein ebenso individueller Zuschnitt wie für die Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein notwendig.

Abb. 130: Vergleich der mittels der Standardsuchroutinen aufgerufenen Belegzahlen (N und N1) für die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein und der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden. Direktlink: https://goo.gl/lP6G2E; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Dafür möchten wir – neben den ersten Belegzahlen – auch noch einmal auf den Überblick verweisen, der bereits in Kap. 7.1 verwendet wurde (dort Abb. 37, hier Abb. 130 im Ausschnitt, ohne die wenigen Realisierungen im Futur II). Wie bei der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein beschränken wir uns bei der Erhebung auf die dritte Person im Singular und Plural sowie die Doppeljahrgänge 1908–1909; 1948–1949 und 1998–1999 aus dem KERN-Korpus. Freilich sind damit auch die Schwierigkeiten bei der Einschätzung der (chronologischen) Verteilung der Belege im KERN-Korpus mit denen der ASKRIPTION mit sein identisch (vgl. oben Kap. 7.1). Alle Übersichten und Belege können online eingesehen werden (https://goo.gl/PcKaN2; Stand: 16.09.2016). Im KERNKorpus wurden mit den modifizierten Abfrageroutinen 25.227 Belege ermittelt (N), von denen 21.913 Belege untersucht hätten werden können (N1). Für die Analyse wurde ein Sample gebildet von 6.127 Belegen (n), von denen insgesamt 4.372 Belege (m) der gesuchten Konstruktion der KOMMUTATION entsprachen:

Abb. 131: Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden nach Anpassung der Abfrageroutinen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/0KEVHc; Stand: 16.09.2016. CC BYSA 4.0.

Konstruktionen mit [[werden][Infinitiv]] diskutieren wir wie bisher nur dann, wenn eine futurische Lesart nicht ausgeschlossen ist. Modalkonstruktionen klammerten wir theoretisch (vgl. Kap. 5.1.4) und methodisch (Kap. 6) aus. Wir berücksichtigen sie nur (wie analytische Tempuskonstruktionen) in den Bereichen, in denen sie für die Erklärung und Analyse nonagentiver Konstruktionen relevant werden – das sind u.a. das ‚analytische Präsens‘ und ‚analytisches Präteritum‘ der Modalverben, die in Kap. 10.1.4 kurz thematisiert werden. Dort wird auch Platz sein für die Modalkonstruktionen mit werden.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 335

Abb. 132a: Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden nach Anpassung der Abfrageroutinen. Direktlink: https://goo.gl/xJNWBA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Schon in den ersten Übersichten (Abb. 131 und 132a und b der Übersichtlichkeit halber auf der Folgeseite) wird deutlich, dass werden in der Konstruktion der KOMMUTATION ein breites Tempusspektrum abdeckt, welches – auch wenn man Modalkonstruktionen mit werden ausschließt – das Futur I und Futur II (als Randerscheinung) mit abdeckt:

336 | Konstruktionen der KOMMUTATION

Abb. 132b: Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden nach Anpassung der Abfrageroutinen. Direktlink: https://goo.gl/xJNWBA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Es verhält sich hier analog zu bleiben, welches die analytischen Vergangenheitstempora ebenfalls mit sein bildet und damit eine wichtige Ressource für Sprachbenutzer darstellt, um die systematische „Perfektlücke“ der Konstruktionen mit der ASKRIPTION mit sein (vgl. oben Kap. 7.1) zu schließen. Ähnlich wie bei sein ist durch den restriktiven Zuschnitt des Untersuchungskorpus bezüglich der Verteilung der Belege anhand von Schätzwerten (vgl. Abb. 133) eine vorsichtige Interpretation angeraten. Wie Abb. 132 deutlich macht, wurden in den synthetischen Tempora und den analytischen Vergangenheitstempora zufällige Samples gezogen (was man an den Belegfaktoren erkennt), wobei Belege, in denen ein VVPP als Qualitativ annotiert ist, wesentlich stärker betroffen sind.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 337

Abb. 133: Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/5LH62O; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Werte M1 und M sind ermittelte Schätzwerte zunächst unter der Annahme, dass die Zufallsstichprobe n repräsentativ für die Grundgesamteinheit (N1) des Korpusausschnitts ist. Weiter gehen wir davon aus, dass sich N strukturell nicht stark von N1 unterscheidet und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann. Eine Fehlerbereinigung der Schätzwerte ist nicht angezeigt (vgl. oben Anm. 61). Die Schätzwerte sind auf drei Nachkommastellen gerundet. Durch die Rundung können sich minimale Fehler in der Summenbildung ergeben, rechnete man bspw. die einzelnen Schätzwerte M für die Kommunikationsdomänen gegen die geschätzte Gesamtsumme M. Auf den ersten Blick sind die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden Domäne von Zeitung (ZE) und Wissenschaft (WI) vor Gebrauchsliteratur (GE) und Belletristik (BE) sowohl in Präsens als auch in Präteritum. In den analytischen Tempora der Vergangenheit sticht der Gebrauch in GE heraus, der auf einer Ebene mit ZE liegt. Erinnert sei aber an die Heterogenität der drei ausgewählten Doppeljahrgänge, in denen der Bereich GE im Doppeljahrgang 1998 und 1999 besonders durch verschiedene Gesetzestexte herausgehoben ist (vgl. dazu z.B. unten Abb. 134 und 137). In allen Domänen dominieren Konstruktionsrealisierungen mit Elementen, die als VVPP annotiert sind, eindeutig. Die Übersicht über die Verteilung der Belege nach realisierten morphologischen Formen von werden in synthetischen und analytischen Tempuskonstruktionen fächert diese Verteilung anhand der beobachteten Belege noch einmal detailliert auf (Abb. 134): Die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden ist, so

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stellt es sich – unabhängig von der Dominanz der Texte aus dem Bereich GE im letzten Doppeljahrgang (vgl. unten Abb. 137) – in Zeitungstexten zu Hause: Besonders augenfällig wird dies beim analytischen Futur I. Beinahe alle Belege sind in Zeitungstexten realisiert, die – so könnte eine Arbeitshypothese lauten – für sich in Anspruch nehmen, zukünftig erwartbare Ereignisse, die auch gesichert sein können wie in [K44], aus einer Überblicksposition heraus verlässlich zu prognostizieren, ohne dabei auf eine agentive Perspektivierung zu setzen: [K3]

1908 / ZE / Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe) 05.03.1908 / Mit der Beschaffung von Zwanzigtonnenwagen wird von der preußisch-hessischen Eisenbahnverwaltung weiter vorgegangen werden.

[K44] 1948 / ZE / Archiv der Gegenwart, 18, 1948 / Die Verwaltung der Besetzungszonen in Deutschland und Österreich wird in Zukunft innerhalb der allgemeinen Verantwortlichkeit des Außenministers wahrgenommen werden. [K77]

1998 / ZE / Die Zeit 09.01.1998 / Helmut Kohl wird noch oft genug an sein illusionäres Versprechen erinnert werden.

Abb. 134: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit werden nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/TD8RHm; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 339

Ein so klares Bild ließ sich bei der ebenfalls hochfrequenten Konstruktion der ASKRIPTION mit sein so nicht zeichnen. Daneben ist auffällig, dass belletristische Texte eher weniger auf die Perspektivierungsleistung setzen, die die Konstruktionen der KOMMUTATION offerieren – allerdings ist auch hier die Präferenz für die Tempora abgeschlossener Vergangenheit (Präteritum und Plusquamperfekt) wie in den anderen hier schon beschriebenen Konstruktionen überdeutlich. Sichtbar wird aber anhand der Abb. 134 auch, dass ohne die Interpolation und Schätzung das Bild stark verzerrt wäre: Durch die Wahl von zufällig gebildeten Samples für besonders hochfrequente Korpusausschnitte entsteht der Eindruck, dass in Texten der Domäne Gebrauchsliteratur die gesuchte Konstruktionsrealisierung häufiger zu finden sei als in wissenschaftlichen Texten – das geht allerdings an den Realitäten (selbst wenn sie auf Schätzungen beruhen) meilenweit vorbei (vgl. Abb. 133). Im Hinblick auf Abb. 135, die die Verhältnisse der verwendeten Qualitative und die morphologischen Formen von werden in verschiedenen Tempora aufschlüsselt, wenden wir uns einer Frage zu, die wir schon mehrfach in dieser Studie aufgeworfen haben: Wie ist die Varianz der Partizipialform von werden (worden vs. geworden) in den analytischen Tempora der Vergangenheit (und im Futur II) zu erklären, die offenbar von der Konstruktion abhängig ist, die der Qualitativ bereitstellt? Oben hatten wir angedeutet, dass wir die Erklärung dieser Varianz semantisch motivieren werden. Ausgangspunkt sind zwei Beobachtungen. Zum einen die, dass die meisten Fälle, die wir zu dieser Frage zu beschreiben haben, analytische Tempusformen der Vergangenheit sind. Diese werden bspw. in folgenden Formen realisiert: [K3381] 1998 / GE / o.A., Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Das Bundesverwaltungsgericht prüft, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. Die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden werden in analytische Tempuskonstruktionen des Perfekts mit sein eingebettet. An der Bedeutung der Konstruktion der KOMMUTATON (Kap. 5.2.1.3), ‚ein affiziertes Objekt (AOB) wird hinsichtlich seines Zustands durch einen im QUAL spezifizierten Vorgang verändert‘, ändert das freilich prinzipiell nichts, aber durch die Einbettung in ein analytisches Tempus der Vergangenheit mit sein wird eben die Konstruktionsbedeutung der abstrakteren Tempuskonstruktion erzwungen – womit sie

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sich anbietet, die „Perfektlücke“ der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein zu schließen (vgl. oben Kap. 7.1). Nach Reichenbach ist die temporale Bedeutung für das Perfekt so anzugeben, dass dieses als analytisch gebildetes Tempus markiere, dass die Referenzzeit gleich der Sprechzeit sei, die beide nach der Ereigniszeit liegen. In dieser ist der Aussagezusammenhang platziert, den die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden ausdrückt. Kurz: Zur Sprechzeit wird eine Eigenschaft zugewiesen, die auf einen abgeschlossenen Vorgang in der Vergangenheit zurückzuführen ist, wie in [K3381]. Die Einbettung der Konstruktion der KOMMUTATION (die Revision wurde eingelegt und begründet) in eine Tempuskonstruktion mit sein (die Revision ist eingelegt und begründet worden) führt dazu, dass eine Bedeutung realisiert wird, die strukturell der des Perfektpartizips vergleichbar ist mit einer wichtigen Besonderheit, dass der abgeschlossene Vorgang nicht mehr impliziert ist, sondern (mit einigem Aufwand, nämlich der gesamten Realisierung der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden) expliziert wird. Das liegt auch daran, dass das VORGANGSsverb werden in der Form eines Perfektpartizips in die Konstruktion eingebettet ist, wodurch es zu einer Verdopplung der strukturellen Bedeutung des Perfektpartizips kommt. Es entsteht der Eindruck (vgl. Kap. 7.1), dass das AOB der Konstruktion der KOMMUTATION von einem shading-Prozess (d.h. die Ausblendung des AOB) oder Prozessen des role mergings (AOB und SOB verschmelzen in der kommunikativen Realisierung der Konstruktion) betroffen ist. Das gilt besonders, wenn Adjektive in die Konstruktion eingebettet werden, die keinen abgeschlossenen Vorgang implizieren wie Perfektpartizipien: Dann ist die Interpretation als SOB nicht weit hergeholt. Da systematische Untersuchungen zu analytischen Tempora der Vergangenheit aus konstruktionsgrammatischer Perspektive noch ausstehen, können diese Effekte hier nur als Hypothese formuliert werden.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 341

Abb. 135: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von werden mit Angabe der Stellung des finiten Verbs im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/L9zxzr; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Dennoch bleibt der VORGANG implizit Teil der ausgestellten Eigenschaft – er ist zwei Mal in Perfektpartizipien impliziert und wird durch die Einbettung der Konstruktion der KOMMUTATION explizit herausgestellt. Und genau dies ist es, so die Hypothese, was die eingebetteten Qualitative in [K3381] und [K3525] perspektivisch unterscheidet: [K3525] 1909 / WI / Reinhardt, Ludwig, vom Nebelfleck zum Menschen, München: Reinhardt 1909, S. 150 / Manchmal durchlaufen die Jungen die stets ähnlich wie bei den Muscheln stattfindende Metamorphose innerhalb der Eierkapsel und verlassen letztere erst, wenn das Schwimmsegel verschwunden, der Fuß ausgebildet und die Körpergröße recht ansehnlich geworden ist, so beim Wellhorn Buccinum und andern Arten. In [K3381] liegen mit eingelegt und begründet zwei deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien vor, die als solche (u.a. an der ge-Form) erkennbar sind. Sie be-

342 | Konstruktionen der KOMMUTATION

deuten eine Eigenschaft, die nach einem abgeschlossenen Vorgang zu beobachten ist. Werden markiert diese Bedeutung mit seiner Partizipialform worden nicht noch einmal erneut, sondern kann dies sichtbar mit der Partizipialform geworden in Realisierungen tun, in denen der Qualitativ diese Eigenschaft als Konstruktion nicht (mehr) trägt – typischerweise sind das Adjektive, selbst wenn sie aus Perfektpartizipien hervorgegangen sind, aber als solche nicht mehr erkennbar, d.h. hinsichtlich der Bildung transparent sind (wie begabt oder bekannt). In [K3525] wird ansehnlich als Qualitativ eingebettet. Es bezeichnet eine Eigenschaft und war daher wie andere Adjektive prototypisch für Konstruktionen der ASKRIPTION. Hier in der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden bedeutet es eben nicht strukturell Perfektivität. Worden als Partizipialform würde, so die These, diese Eigenschaft auch nicht erkennbar anzeigen, geworden mit seiner für Perfektpartizipien typischen ge-Bildung aber schon. Denn: Wird kein Partizip in der Konstruktion realisiert, kann nicht auf den (abgeschlossenen) Vorgang der Veränderung als konstitutiv für die Konstruktion der KOMMTATION abgehoben werden – das Partizip geworden in Verbindung mit Elementen, die nicht (mehr) als Perfektpartizip rekonstruiert werden, ist die systematische Möglichkeit, auf eine ‚Eigenschaft bei (impliziertem) abgeschlossenen Vorgang‘ zuzugreifen. Die in Abb. 135 dargestellten Ergebnisse öffnen noch eine weitere Fragestellung, die wir bisher in verschiedenen Kontexten bereits kurz angerissen haben. Bemerkenswert ist, dass in der ersten und dritten Person Plural bei Verletztstellung weder Realisierung der Konstruktion mit VVPP noch mit ADJD zu beobachten sind (Abb. 135 mit Z. 14). Das wären Belege wie [108]: [108]

?Es ist zu erwarten, dass die Ergebnisse vorgelegt werden werden.

Für die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden ist wie für alle anderen Konstruktionen nicht nur die bisweilen schwierige Verschränkung von Tempusund Modalkonstruktion zu konstatieren. Hinzu kommt eine systematische „Futurlücke“, die strukturanalog zu der „Perfektlücke“ mit sein zu beschreiben ist. Dort war es das Verb sein, welches sowohl in der Perfektkonstruktion als auch in der Konstruktion der ASKRIPTION eingebettet wird, wodurch sich Gebrauchsrestriktionen ergeben (vgl. oben Kap. 7.1). Bei werden sind es das analytische Futur, die Modalkonstruktion mit werden und die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden, die miteinander verschränkt sind: Im grammatisch fragwürdigen Beispiel [108] käme es zu einer Verdopplung von werden in Verbletztstellung, was im Sprachgebrauch vermieden wird. Bei sein können die Konstrukti-

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on der ASKRIPTION mit bleiben und die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden im Perfekt (vgl. oben Kap. 7.1) oder das ‚analytische Präteritum der Modalkonstruktionen‘ (Kap. 10.1.4) systematisch gebraucht werden, um die Lücke zu schließen, bei werden sind es z.B. Modalkonstruktionen im ‚analytischen Präsens‘ (vgl. Kap. 10.1.4), die als Alternativen genutzt werden können. Da wir Modalkonstruktionen systematisch aus der Untersuchung ausgeschlossen haben, können wir an dieser Stelle auch nicht mit einer detaillierten Übersicht aufwarten über die Konstruktionen, die als Gebrauchsvarianten zur Verfügung stehen, um die „Futurlücke“ zu schließen. Eine Schnellabfrage beim DWDS mit dem Suchstring "$p=VVPP #0 @werden #0 $p=VMFIN" (‚suche in Verbletztstellung ein ‚Modalverb‘, dem ohne Abstand ein VVPP und die morphologisch spezifizierte Form werden vorausgehen‘) gibt für das gesamte KERNKorpus 53.614 Belege aus (N), von denen 48.444 (N1) zur Untersuchung zur Verfügung stehen. Wählt man die hier abgefragten Doppeljahrgänge (1908/09, 1948/48, 1998/99), dann stehen von insgesamt 2.875 (N) Belegen 2.587 (N1) Belegstellen für eine Untersuchung zur Verfügung. ‚Analytisches Präteritum‘ und ‚analytisches Präsens‘ sowie konjunktivischer Gebrauch (hätte abgesetzt werden können) sind hierbei zwar nicht geschieden (vgl. Kap. 10.1.4), aber alleine die Belegzahlen für diese spezielle Kombination aus nonagentiver, Tempusund Modalkonstruktion bei genau definierter Verbstellung zeigen an, dass die Hypothese nicht abwegig ist, dass sich dem Sprachbenutzer z.B. mit dem ‚analytischen Präsens‘ der Modalkonstruktionen eine Gebrauchsalternative öffnet, um kommunikativ die „Futurlücke“ zu schließen. Werfen wir einen Blick auf einige Beispiele (die nicht im Untersuchungskorpus dokumentiert sind): [109]

1999 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1975 – 1995, Berlin: Aufbau-Verl. 1999, S. 293 / Der Oberstaatsanwalt weiß sich gegen den Verdacht der Menschlichkeit zu schützen: Der Unterzeichnete ist sich dessen bewußt, daß auf Todesstrafe lautende Urteile gegen Polen in der Regel schonungslos vollstreckt werden müssen. Aber nur, um auf dieser Folie ein gutes Wort für den kleinen Walerjan einzulegen, gegen den er das Todesurteil beantragt hatte: Andererseits hält er es nicht für angängig, ein Todesurteil an einem Knaben (im Entwurf stand: Todesstrafe an Kindern; H.H.) zu vollstrecken.

[110]

1998 / ZE / Die Zeit 03.12.1998 / Im neuen Zeitalter von Amsterdam wird es deshalb allein darum gehen, wie durchlässig der Beton ist, oder ob man in die Festung Europa allenfalls noch über Zugbrücken gelangt, die nach Belieben hochgezogen werden können.

344 | Konstruktionen der KOMMUTATION

[111]

1999 / GE/ Kurz, Robert, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 49 / Im Zuge seiner Abrechnung mit dem »übertriebenen Mitleid« fällt Mandeville sogar über die »Armenschulen« her, die bürgerliche Heuchelei und schlechtes Gewissen ins Leben gerufen hatten. Und wieder sind seine Argumente so ätzend, daß sie in ihre eigene radikale Kritik umzukippen drohen: Als nächstes müssen wir gutes Benehmen und Höflichkeit in Betracht ziehen, die den Armen in den Armenschulen beigebracht werden sollen. Ich bekenne, daß es nach meiner Meinung völlig unnütz, wenn nicht gar schädlich ist, diese Eigenschaften in irgendeinem Maße zu besitzen; zumindest gibt es für die arbeitenden Armen nichts Überflüssigeres.

Durch die Einbettung in Modalkonstruktionen (statt Tempuskonstruktionen) wird freilich erkauft, dass futurische Lesarten in den Hintergrund treten. Besonders deutlich wird das in [110], welches sich nicht futurisch lesen lässt, während das in [109] und [111] noch mit Abstrichen möglich ist. Die Einbettung von Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden in Modalkonstruktionen z.B. mit können, die ihrerseits in analytische Futur- bzw. Modalkonstruktionen mit werden eingebettet sein können, sind schwer zu fassen. Dennoch stehen sie faktisch als Gebrauchsalternative zur Verfügung: [112]

1999 / ZE / Die Zeit 15.04.1999 / Der Krieg wird irgendwann für alle Beteiligten zu Ende sein, und dann wird finanzielle Aufbauhilfe geleistet werden müssen.

Ob man angesichts von [112] von einem ‚analytischen Futur der Modalkonstruktionen‘ wird sprechen können, müssen systematische Anschlussarbeiten zu Polysemierelationen verschiedener Konstruktionen klären (vgl. zu dieser Frage auch noch einmal Kap. 10.1.4).

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 345

Abb. 136: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit werden mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/4kQcCF; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die chronologische Verteilung der morphologischen Varianten von werden in synthetischen und analytischen Tempuskonstruktionen (Abb. 136) sowie die chronologische Verteilung auf die Kommunikationsdomänen (Abb. 137) suggeriert, dass die Konstruktion der KOMMUTATION zunehmend weniger in das analytische Futur eingebettet wird. Vor dem Hintergrund der bisherigen Argumentation wären hier vor allem Modalkonstruktionen als Alternativen zu vermuten (siehe oben [109]–[112]). Durch die Wahl der Doppeljahrgänge und die Heterogenität des Korpusauschschnitts (vgl. auch zur Dominanz der Gebrauchsliter im letzten Doppeljahrgang Kap. 7.1) werden diesbezüglich hier Hypothesen formuliert.

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Abb. 137: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit werden mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/GpbqFn; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Kommen wir nun zu den Qualitativen, die in die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden eingebettet sind. Insgesamt wurden 1.574 unterschiedliche Qualitative in 4.372 Belegen ermittelt (Verhältnis: 2,78). Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative stehen online zur Verfügung (https://goo.gl/PcKaN2; Stand: 16.09.2016). Die folgenden Abbildungen schließen die ausgewerteten Qualitative auf nach Annotationsart, Kommunikationsdomäne und temporaler Verwendung. Ausgewählt wurden dafür die je 30 häufigsten Qualitative. In Abb. 138 sind die Qualitative nach Annotationsart differenziert. Bei gemacht ([Annotationsart] VVPP / [Zeile] 1 / [Belegzahl] 52) wird man bereits aufmerken: Einige der typischen Elemente, die als VVPP annotiert worden sind, sind Teile von komplexeren so genannten ‚Funktionsverbgefügen‘.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 347

Abb. 138: Die je 30 häufigsten Qualitative mit werden nach Annotationsart im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/TQXEfg; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Dazu zählen im Untersuchungskorpus bspw. in Verbindung bringen, zum Erliegen bringen, in Kenntnis setzen, zur Verfügung stellen, zum Vorwurf machen, in Angriff nehmen, in Betrieb nehmen, in Alarm setzen usw. Wie mehrfach in dieser Studie erwähnt (vgl. Kap. 5.2.3.2 und 6.3.3), sind ‚Funktionsverbgefüge‘, selbst wenn sie produktiv sind wie die hier genannten, als Konstruktionen systematisch nur schwer zu fassen. Da sich an der kommunikativen Perspektivität der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden durch die Einbettung eines ‚Funktionsverbgefüges‘ im Gegensatz zur Einbettung eines Elementes, welches als VVPP annotiert ist, nichts wesentlich ändert, verzichten wir hier auf eine differenziertere Beschreibung.

Abb. 139: Die je 30 häufigsten Qualitative mit werden nach Kommunikationsdomäne im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/AiCsRl; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 349

Denn: Eine dringendere Frage kann man angesichts der Verteilung von VVPP und ADJD in Abb. 133 und 135 sowie 139 direkt im Anschluss stellen, deren Antwort auch einen Hinweis auf die Rolle von ‚Funktionsverbgefügen‘ als Qualitativ in Konstruktionen der KOMMUTATION gibt. Zwar ist es so, dass die Elemente, die als ADJD annotiert sind, weit hinter den Elementen, die als VVPP annotiert sind, zurückstehen. In den analytisch gebildeten Tempora Perfekt und Plusquamperfekt nimmt ihr Anteil an den beobachteten Belegen jedoch deutlich zu. Adjektive haben als Konstruktionen die Bedeutung, Eigenschaften zuzuweisen. Perfektpartizipien haben diese Bedeutung ebenfalls, aber wesentliches Kennzeichen ist ihre Perfektivität, d.h. eine Eigenschaft, die sich aus einem (implizierten) Vorgang ableitet (vgl. zu dieser Diskussion oben 5.2.3.2). In der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden, die den VORGANG einer Zustandsänderung bedeutet, wird dieser mitgemeinte Vorgang der Perfektpartizipien, der zu einer Eigenschaft führt, direkt angesprochen: Deshalb sind es besonders Perfektpartizipien, die als Qualitative in die Konstruktion der KOMMUTATION eingebettet sind. [K232] 1999 / GE / Schwanitz, Dietrich, Bildung, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 275 / Das Innere selbst wird nicht autonom, weil es nicht objektiv wird, und die äußere Maske wird nicht wahr, weil sie innerlich abgelehnt wird. Ausgerechnet im Beispiel [K232] sind neben dem Perfektpartizip abgelehnt noch drei Adjektive realisiert, die ihrerseits je in eine Konstruktion der KOMMUTATION mit werden eingebettet sind: autonom, objektiv, wahr. Die Adjektive, die eine Eigenschaft bedeuten, waren vor allem für Konstruktionen der ASKRIPTION als typische Qualitative bezeichnet worden (vgl. Kap. 7.1). Hier in der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden wird im Kontrast deutlich, warum das so ist: Abgelehnt bedeutet eine Eigenschaft, die aus einem implizierten Vorgang resultiert. Diese Eigenschaft des Perfektpartizips unterstützt die Konstruktionsbedeutung und wird umgekehrt durch die Konstruktion der KOMMUTATION hervorgehoben. Diese Perfektivität fehlt den zitierten Adjektiven als Eigenschaft, hier muss auf den VORGANG, der im Perfektpartizip erkennbar mitgemeint und mitgesagt ist, geschlossen werden: Perfektpartizipien werden, solange primär ein VORGANG zum Ausdruck gebracht wird, bevorzugt. Das ändert sich in den analytischen Tempora der Vergangenheit, in die die Konstruktionen der KOMMUTATION mit sein eingebettet werden. Wie oben und an anderer Stelle skizziert (u.a. in Kap. 7.1), wird durch diese Einbettung die Konstruktionsbedeutung der abstrakteren Konstruktion erzwungen – und hier sind Adjektive (wie in der

350 | Konstruktionen der KOMMUTATION

Konstruktion der ASKRIPTION) als Qualitative eine echte Alternative, da nicht mehr der VORGANG, sondern der ZUSTAND primär perspektiviert wird. [K3862] 1999 / ZE / Archiv der Gegenwart, 69, 1999 / 3. Luftangriffe ausgesetzt; UN-Resolution 1244; KFOR-Truppen rücken in Kosovo ein; Rede Clintons. Am 10. Juni stellte die NATO ihre Luftangriffe ein, nachdem bekannt geworden war, daß die jugoslawische Armee mit dem Rückzug aus Kosovo begonnen hatte. Kommen wir nach dieser Beobachtung zurück zu den ‚Funktionsverbgefügen‘. Auch wenn wir diese nicht detailliert analysieren werden, so ist doch zweierlei zu konstatieren. ‚Funktionsverbgefüge‘ bezeichnen in der Regel einen VORGANG, unterstützen damit also die Bedeutung nicht nur der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden, sondern sind auch als Kollokat zu werden prädestiniert – wie die Perfektpartizipien. Zum anderen wird mit der Verwendung von ‚Funktionsverbgefügen‘ z.B. einem domänenspezifischen Bedarf in Zeitungstexten, Wissenschaften und Gebrauchsliteratur nach Nominalisierung (vgl. Abb. 139) Rechnung getragen wie in [K241]und [K812]: [K241] 1999 / ZE / Die Zeit 21.10.1999 / […] und ich glaube, dass er Klarheit gewinnen muss, dass die Schönheitstheorie, die im ,Faustus‘ faktisch zum Ausdruck gebracht wird, mit Humanismus nichts zu tun hat. [K812] 1948 / ZE / Archiv der Gegenwart, 18, 1948 / Die Ansprüche werden den deutschen Stellen nur von Fall zu Fall zur Kenntnis gebracht. Darauf sind sie, wie in [K1303] zu sehen, aber nicht beschränkt: [K1303] 1909 / BE / Suttner, Bertha von, Memoiren, Stuttgart: Dt. Verl.-Anst. 1909, S. 70719 / Der Prozeß Zola wird noch einmal vor Gericht gebracht. Auch darf vom Auftreten des Perfektpartizips gebracht nicht direkt auf ein ‚Funktionsverbgefüge‘ geschlossen werden: [K1587] 1908 / WI / Goldfriedrich, Johann, Geschichte des Deutschen Buchhandels vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn der klassischen Litteraturperiode, Leipzig: Verl. des Börsenvereins der Dt. Buchhändler 1908, S. 1932 / In der Herstellung dieser Verbindung war Leipzig mit seinem Meßbezirk das abhängige Glied, weil es der Bücher notwendig bedurfte,

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: werden | 351

die in der Stadt, in der die Verleger Antwerpens, Basels, Lyons und Venedigs zusammentrafen, auf die Messe gebracht wurden; jetzt, wo jene anfänglichen Verhältnisse immer mehr abklangen, tritt deutlich das von jenen Erscheinungen befreite Verhältnis zu Tage, daß die Frankfurter die Leipziger erwarten, die Leipziger, deren ausländische Bücher für einen gedeihlichen Sortimentsbetrieb unentbehrlich waren, nach Frankfurt kommen, um sich dort neues zu schaffen. Blicken wir die Übersichten abschließend, mit Abb. 140, noch auf einen der Belege im Futur II, die in dieser Untersuchung besonderen Stellenwert genießen: [K84] 1908 / ZE / Berliner Tageblatt (Abend-Ausgabe) 07.03.1908 / Der Arbeiterbund nimmt, da die Arbeiterentlassungen fortdauern, an, daß zum 1. April ungefähr ein Drittel des gesamten Durchschnittsbestandes des amerikanischen Eisenbahnpersonals beschäftigungslos geworden sein wird. Zwei Dinge sollen an diesem Beleg noch einmal hervorheben werden. Zum einen ist es die bereits oben erwähnte typische domänenspezifische prognostische Aussage, die in [K84] zum Ausdruck kommt. Zum zweiten, dass trotz der Absteckung eines zukünftig erwartbaren Ergebnisses der Beleg nicht rein temporal interpretiert werden kann – damit möchten wir noch einmal auf das Kapitel 10.1.4 hinweisen. Abschließend werden noch Themen diskutiert, die darstellungstechnisch und argumentationslogisch bisher im Überblick über die Verteilung und Spezifika der Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden im Untersuchungskorpus schlecht angeschlossen hätten werden können. Zum einen ist das die Einbettung einer freien Agensangabe in die Konstruktionsrealisierung, die wir noch einmal knapp ansprechen möchten. Einer der Fluchtpunkte der Forschung zu den Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden ist immer wieder die Frage nach der Agensangabe, die z.B. durch eine von-Periphrase die kommunikative Perspektivierung der Konstruktion erweitern kann. Diese wurden, in Analogie zu dem hier vorgeschlagenen Begriff von Perspektivität (vgl. zur Diskussion oben Kap. 4.2.3, 5.1.1, 5.1.2 und 5.2.1.3), als weiterer Fluchtpunkt definiert, der die Perspektive erweitert, aber nicht grundsätzlich die Perspektivierungsleistung betrifft: Von-Periphrasen (bzw. Realisierungen mit durch oder vonseiten) mit Agensangabe stellen einen dieser Fluchtpunkte dar.

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Abb. 140: Die je 30 häufigsten Qualitative mit werden nach Tempus im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/su0OeS; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Durch die von-Periphrase wird nicht der Agens in nonagentiven Konstruktionen ‚rehabilitiert‘, sondern er wird funktional als Adverbial, als Modifikator, eingestuft, als valenzgrammatisch freie Angabe wie Orts- (an der Südseite) oder Zeitangaben (am Vormittag): An der Südseite wird das Fenster von ihm am Vormittag geöffnet. Angaben wie diese können Konstruktionsrealisierungen modifizieren; sie, um mit Köller zu sprechen, kommunikativ perspektivieren als Konstruktionen niederer Ordnung im Sprachgebrauch. Für eine Bestimmung der kognitiven Perspektivität der Konstruktion der KOMMUTATION sind sie zu vernachlässigen. Um einen Anstoß zu geben und zu zeigen, dass die Interpretation der Agensphrase kontextgesteuert ist (und eben nicht durch die Konstruktion vorgeben), zitieren wir einen ambigen Beleg aus dem KERN-Korpus, der (leider) nicht Teil des (zugeschnittenen) Untersuchungskorpus geworden ist: [113]

1935 / ZE / Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 02.03.1935 / Heut ist dieser Tag. Ihr Saarländer wurdet von uns gerissen in Zeiten der tie[f]sten Schmach Deutschlands. (gerissen in den Lesarten ‚weggerissen‘ vs. ‚zerrissen‘)

Zentraler ist der zweite noch nicht thematisierte Aspekt. Wir möchten nämlich vor dem Hintergrund der Analyse der Konstruktionen der KOMMUTATION noch einmal auf das ‚unpersönliche Passiv‘ zurückkommen, welches schon knapp in Kap. 4.2.6 im Kontext seiner Erforschung vorgestellt worden ist (vgl. weiter auch besonders Vogel 2006 und Eisenberg 2006: II 129f.). In Sätzen wie [114]

Es/Hier wird nicht gearbeitet/abgewaschen/eingeschlafen/gestorben/ gestunken.

schlug Eisenberg vor, dass die Setzung von es durch den Zwang der Vorfeldbesetzung notwendig würde: Es ist „im unpersönlichen Passiv […] nicht das grammatische Subjekt, sondern dient der Sicherung des Verbzweitschemas.“ (Eisenberg 2006: II 129) Ähnlich expliziert das auch Czicza, der (aus einer mehr valenz- als konstruktionsgrammatischen Perspektive) von einer „Simulierung der Subjektstelle“ spricht (Czicza 2014: 134). Das müsste aber konstruktional abgesichert sein – und hier kommen wir auf den ersten Blick an die Grenze dessen, was mittels der Konstruktion der KOMMUTATION erfasst werden kann. Denn: Es hat in [114] keine Stellvertreterfunktion. Es ist also zunächst hier nicht „Ankerkonstruktion“ (vgl. Lasch 2015a) und verweist nicht konkret auf eine andere semantische Rolle aus einem anderen Aussagezusammenhang, die man

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antizipieren könnte. Zur Illustration: Der schon zitierte Beleg [K157] sowie [K1364] lassen die Annahme eines „Ankers“ zu: [K157] 1998 / GE / o.A., Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes, in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / An Gebühren sind zu erheben (DM) […] für ein zweites und jedes weitere Stück einer Personenstandsurkunde, wenn es gleichzeitig beantragt und in einem Arbeitsgang hergestellt wird. [K1364] 1908 / BE / Wassermann, Jakob, Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1908, S. 57 / Es wird nicht aufgemacht. Aber [K1364] kann auch als ‚unpersönliches Passiv‘ aufgefasst werden, wenn es sich nicht als Anker auf eine andere Aussage oder ein Konkretum, das geöffnet werden kann, beziehen ließe. Auch mit temporalen oder lokalen Adverbialen wie in [K435] und [K444] kann ein ‚unpersönliche Passiv‘ realisiert werden: [K435] 1999 / GE / Schwanitz, Dietrich, Bildung, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 408 / Und am Schluß wird geheiratet. [K444] 1999 / ZE / Die Zeit 01.07.1999 / Aber es ist klar: An der Stelle wird noch gearbeitet. Mit anderen Worten: Es kann in [K1364] auch nicht auf ein konkretes Anderes in einem größeren Aussagezusammenhang verweisen, sondern es muss möglicherweise strukturanalog zu am Schluss oder an dieser Stelle zu beschreiben sein. Damit wird ein Fluchtpunkt der gewählten Perspektive (vgl. oben Kap. 5.1.1) fokussiert: Ein Locativ (LOC) wie in [K444] oder Temporativ (TE) wie in [K435] des in der Konstruktion der KOMMUTATION konzeptualisierten VORGANGs stehen im Mittelpunkt, es wie in [K585] fasst diese Rollen genereller. Es steht für eine Situation, es ist als Situativ (SIT), ein Oberbegriff für LOC und TE, aufzufassen. Das macht es für Generalisierungen offen. Haben wir dann noch eine Konstruktion der KOMMUTATION vor uns? Schließlich lässt sich in den Realisierungen nicht der VORGANG beobachten, der sich an einem AOB (Henrike wird geheiratet) vollzieht – dieses wird in der kommunikativen Perspektivierung ausgeblendet (shading). Man sieht nur Raum und Zeit (am Schluss/hier/jetzt wird geheiratet) oder (genereller) eine Situation (es wird geheiratet) vor sich,

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in der sich der VORGANG vollzieht. Wir würden dies bejahen, denn: Erfasst man Raum (LOC), Zeit (TE) oder allgemeiner eine Situation (SIT), in der sich ein VORGANG vollzieht, erfasst man indirekt über die Situation auch ein AOB, das durch den VORGANG (typischerweise) betroffen ist. Blicken wir dazu noch einmal auf Beleg [K444], den wir für die Diskussion umformen: [115]

An der Stelle wird noch gearbeitet.

[116]

Diese Stelle wird noch bearbeitet.

[115] kann [116] mitbedeuten und umgekehrt, man denke etwa an die Korrektur einer Passage in einem Manuskript: [115] und [116] können sowohl den Text (AOB) in [116] meinen als auch die Stelle (LOC) als Umgebung des Textes (AOB) wie in [115]. Es wird also nicht nur das ‚Verbzweitschema gesichert‘ oder eine ‚Subjektstelle simuliert‘, sondern eine spezifische Konstruktion eingebettet, die eine Situation (SIT) bezeichnet, in der das vom Verb geforderte AOB selbst situiert gedacht (aber ausgeblendet) ist. Damit wird die Perspektivierungsleistung der nonagentiven Konstruktion und speziell der Konstruktion der KOMMUTATION erhalten, aber von einem konkreten VORGANG an einem konkreten AOB auf eine Situation abstrahiert, in der sich der VORGANG an einem in dieser Situation gedachten AOB vollziehen kann. [117]

Es wird an dieser Stelle an jedem dritten Montag im Monat gearbeitet.

Über diese Argumentation kann man auch [117] erklären. Es gibt hier einen nicht spezifizierten Hinweis auf eine allgemeine Situation (SIT), in der sich ein VORGANG an einem nicht explizierten AOB vollzieht. Diese abstrakte Situationsbestimmung (SIT) wird durch an dieser Stelle (LOC) und an jedem dritten Montag im Monat (TE) spezifiziert – allerdings wiederum fakultativ: [118]

Es wird gearbeitet.

Wenn es nicht fokussiert wird, sondern ein Lokativ (LOC) oder Temporativ (TE), ist eine Angabe der Situation (SIT) mit es – dann z.B. im Mittelfeld – nicht mehr möglich. Mit anderen Worten: Die Situationsbestimmung (SIT) ist zwingend erforderlich, aber sie ist durch die Konstruktion und damit semantisch motiviert:

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Abb.141: Das ‚unpersönliche Passiv‘ als Konstruktion der KOMMUTATION mit werden. Direktlink: https://goo.gl/athrpy; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Konstruktion fordert nicht mehr ein AOB, sondern überblendet diesen durch eine Situation (SIT), die auch ganz konkret als Locativ (LOC) oder Temporativ (TE) ausmodelliert sein kann. Im Rollenplan des Verbs ist diese Rollenabstraktion (noch) nicht etabliert, weshalb hier keine Fusionierung erfolgen kann und die Rolle durch die abstrakte Argumentstruktur bestimmt wird. Ein interessantes Detail ist, dass als Filler für diese Konstruktion deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien gewählt werden, die sich hinsichtlich ihrer Form von denen unterscheiden, die mit einem AOB eingebettet werden (bearbeitet vs. bearbeitet, oben [115] und [116]). Die Wahl dieser Kollexeme von werden wird in diesem Fall auch durch die Konstruktion gesteuert – werden kann dies nicht leisten (vgl. dazu die Wahl des Perfektpartizips je nach eingebettetem Filler im analytischen Perfekt). Das ‚unpersönliche Passiv‘ entspricht damit einem besonderen Typ der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden und wird als solcher noch einmal in Kap. 10.1.2 besprochen.

8.2 Die konstruktionsgrammatische Alternative: nonagentive Konstruktionen mit werden als Konstruktionen der ASKRIPTION Anstatt einer Zusammenfassung des Kapitels 8 soll in diesem Kapitel knapp gezeigt werden, dass eine konstruktionsgrammatische Modellierung der nonagentiven Konstruktionen auch Alternativen öffnen kann. Das ist möglich, da die Modellierung von Konstruktionen aus ihren Realisierungen aus dem Sprachge-

Die Alternative: Konstruktionen mit werden als Konstruktionen der ASKRIPTION | 357

brauch heraus erfolgt und auf Konstruktionen als kognitive Repräsentationen nur aus dem Sprachgebrauch geschlossen werden kann – so zumindest ist eine theoretische Prämisse dieser Arbeit (vgl. oben Kap. 2.2). Eine solche Alternative öffnet sich erst, wenn man eine Gruppe von Konstruktionen beschreibt, die sich durch eine spezifische Perspektivierungsleistung auszeichnen. Bei einer isolierten Betrachtung eines Phänomens oder Phänomenbereichs lassen sich alternative Beschreibungsmodelle schlechter plausibilisieren. In dieser Studie konnte z.B. an der Verzahnung von nonagentiven Konstruktionen auf der einen und (analytischen) Tempuskonstruktionen sowie Modalkonstruktionen auf der anderen Seite gezeigt werden, dass systematische Zusammenhänge bestehen: Die „Perfektlücke“ (Kap. 7.1) und die „Futurlücke“ (Kap. 8.1) konnten nicht nur beschrieben werden, sondern es konnten auch semantisch motivierte Alternativen aufgezeigt werden, die den Sprachbenutzern zur Verfügung stehen (und die diese auch verwenden). Für die folgenden Überlegungen werden Aspekte wie diese eine Rolle spielen. Wir wollen ein Diskussionsangebot unterbreiten, welches die traditionelle Dreiteilung der nonagentiven Konstruktionen, der auch wir folgen, nämlich nach Konstruktionen der ASKRIPTION (Kap. 7), der KOMMUTATION (Kap. 8) und der AKZEPTATION (Kap. 9), zur Disposition stellt. Da hierfür noch kein Bezug zu den Konstruktionen der AKZETAPTION notwendig ist, können wir die Alternative hier nach der Analyse der Konstruktion der KOMMUTATION diskutieren. Ziel der Überlegungen ist zu zeigen, dass man einen Ausschnitt des Konstruktikons so remodellieren kann, dass nur zwei Typen von Konstruktionen zu unterscheiden sind, nämlich jene der ASKRIPTION und jene der AKZEPTATION. Denn wie die Untersuchung zeigte, ist die Perspektivierungsleistung der Konstruktionen der KOMMUTATION zwar eine spezifische, aber bis auf werden tritt kein Verb in die Konstruktion ein; lediglich bei gehören kann postuliert werden, dass es Eigenschaften der Konstruktionen der KOMMUTATION mit ererbt (vgl. weiter unten Kap. 10.2.1). Ordnete man Konstruktionen mit werden jenen der ASKRIPTION unter, dann hätte das zwar zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Beurteilung der Vererbungsbeziehungen von nonagentiven Konstruktionen, in die gehören eingebettet wird, aber das wäre eine vergleichsweise überschaubare Herausforderung. Dagegen ist schon die Möglichkeit, über eine Alternative in einem grammatischen Modell überhaupt nachdenken zu können, interessant. Welche Argumente sprechen konstruktionsgrammatisch für eine solche Remodellierung des Systems nonagentiver Konstruktionen? Blickt man von der Konstruktion und ihrer Bedeutung aus, dann sind die Konstruktion der ASKRIPTION mit der Relation intendiertes Resultat zwischen Konstruktionsbedeu-

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tung und Verbbedeutung und die Konstruktion der KOMMUTATION mit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung kaum voneinander zu scheiden – vor allem, wenn kein deverbales Adjektiv aus Perfektpartizip, welches einen abgeschlossenen VORGANG impliziert, wie in [153], sondern ein Adjektiv, welches mit einer Eigenschaft einen ZUSTAND charakterisiert, wie in [140] eingebettet wird (Belege aus der Belegsammlung werden): [K140] 1999 / BE / Lebert, Benjamin, Crazy, Köln 1999, S. 161 / Janoschs Ohren werden dunkelrot. [K153] 1998 / GE / o.A., Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG), in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Monatliche Förderungsbeträge werden auf volle Deutsche Mark abgerundet. Wortgenau bezeichnet die KOMMUTATION sogar terminologisch diese modale Variante der Konstruktion der ASKRIPTION. Theoretisch ist es also möglich, eine Verwandtschaft zwischen diesen beiden Perspektivierungen zu postulieren. Weiter ist von einer Gruppe von Konstruktionen der KOMMUTATION nicht zu sprechen: Werden und gehören (dieses nur mit Abstrichen) können in die Konstruktionen mit dieser Perspektivierungsleistung eingebettet werden. Damit unterscheiden sie sich, was die Varianz hinsichtlich der Filler angeht, nicht wesentlich von den anderen modalen Konstruktionen der ASKRIPTION mit scheinen, erscheinen, wirken und aussehen. Selbst das andere ‚Kopulaverb‘ bleiben subsummierten wir unter die Konstruktionen der ASKRIPTION. Auch das könnte ein Punkt sein dafür, dass man Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden als eine Form der ASKRIPTION bewertet. Zum dritten fällt auf, dass die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden wie die der ASKRIPTION mit bleiben systematisch in die Perfektkonstruktion mit sein eingebettet werden können, die die Lesart – da abstrakter – erzwingt und die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden in den analytischen Vergangenheitstempora so formt, dass sie systematisch die „Perfektlücke“ der Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein schließen können, ebenso wie bleiben (Belegsammlungen werden und bleiben, vgl. Kap. 8.1 und 7.2 sowie das Verzeichnis in Kap. 15.2): [K3283] 1999 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1975 – 1995, Berlin: Aufbau-Verl. 1999, S. 277 / Aber dieses Ende war schamlos und

Die Alternative: Konstruktionen mit werden als Konstruktionen der ASKRIPTION | 359

bestätigte noch einmal alles, was von Kurt Tucholsky bis Peggy Parnass über deutsche Justiz geschrieben worden ist. [K1528] 1947 / WI / Vogt, Oskar / Vogt, Cecilie, Über Wesen und Ursache des Alters der Hirnzelle, in: Forschungen und Fortschritte. Nachrichtenblatt der deutschen Wissenschaft und Technik 21/23 (1947) Nr. 4/5/6, S. 61– 62, S. 62 / Auf die Frage, wie nun diese inhaerente Lebensschwäche entstanden und erhalten geblieben ist, können wir eine etwas gesichertere Antwort geben. Wir sprachen oben davon (vgl. Kap. 8.1), dass man auch in Betracht ziehen kann, dass durch die analytische Tempuskonstruktion mit sein in [K3282] shading-Phänomene (d.h. die Ausblendung des AOB) oder Prozesse des role mergings (AOB und SOB verschmelzen in der kommunikativen Realisierung der Konstruktion) eine Rolle spielen könnten – systematische Anschlussarbeiten müssten diese Hypothese verfolgen. Diese Punkte sprechen dafür, dass man ein alternatives Netzwerk von Konstruktionen aufspannt, d.h. ein alternatives Konstruktikon entwirft. Während das erste um die Verben sein (prototypisch ASKRIPTION), werden (prototypisch KOMMUTATION) und bekommen (prototypisch AKZEPTATION) gebaut ist, bilden im zweiten die drei ‚Kopulaverben‘ den Kern der Konstruktionen der ASKRIPTION mit je unterschiedlichen Relationen zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung (sein = direkt; werden ≈ intendiertes Resultat; bleiben ≈ resultativ). Die Konstruktionen mit werden erbten dann wie die mit bleiben ihre Eigenschaften von der Konstruktion, in die prototypisch das Verb sein eingebettet wird. Andere Konstruktionsrealisierungen mit anderen Verben, wie etwa gehören, säßen dann nicht mehr als interlokale Konstruktionen zwischen zwei kognitiven Perspektivierungen (wie in Kap. 10.2.1 beschrieben), sondern wären Konstruktionen mit einer spezifischen deontischen Qualität, die man wiederum als eine spezielle Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung auffassen könnte und die sich aus anderen Konstruktionsrealisierungen ableiten ließe. Welche Gründe sprechen aus konstruktionsgrammatischer Perspektive gegen das Postulat eines alternativen Konstruktikons? Zentrales Kriterium für das Postulat einer eigenständigen nonagentiven Konstruktion der KOMMUTATION ist die ihr eigene kognitive (und damit dann im Gebrauch realisierte kommunikative) Perspektivität. Die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein, die der KOMMUTATION mit werden und die Konstruktionen der AKZEPTATION mit bekommen/kriegen zeichnen sich durch eine je eigenständige und abgrenzbare

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Perspektivität aus. Die in sie eingebetteten Verben etablieren je eine direkte Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und Instanzen der Konstruktion. Von diesen erben in Teil-Ganzes-Relationen andere Konstruktionen mit anderen Relationen zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung ihre Eigenschaften, die dann Instanzen mit anderen Verben, die in sie eingebettet werden, etablieren. Diese Varianten sind diesen drei Grundtypen zuzuordnen. Auch wenn die theoretische Modellierung eines alternativen Modells wie gezeigt möglich ist, so sind doch die je eigene Perspektivität der Konstruktionen ein Argument gegen ein alternatives Konstruktikon. In Konstruktionen der KOMMUTATION wird die Veränderung eines Zustands, also ein VORGANG, zum Ausdruck gebracht. Wie gesehen hat das u.a. massive Auswirkungen darauf, welche Qualitative in die Konstruktion eingebettet werden. Diese müssen zwar auch als Kollokate von werden bestehen, unterscheiden sich aber deutlich von denen, die in der Regel in Konstruktionen der ASKRIPTION eingebettet sind. Dort waren es vor allem Adjektive, die die Bedeutung der Konstruktion ‚Eigenschaftszuweisung an ein spezifiziertes Objekt‘ stützen (vgl. Kap. 7). In Konstruktionen der KOMMUTATION werden zwar auch Adjektive, aber vor allem Perfektpartizipien eingebettet, die als Konstruktion Perfektivität (d.h. ‚Eigenschaft als Resultat eines [implizierten] Vorgangs‘) bedeuten. Dieser ‚implizierte Vorgang‘ ist es, der sie zu bevorzugten Kollexemen von werden und zu Qualitativen in der Konstruktion der KOMMUTATION macht. Zwar sind sowohl in der einen wie der anderen Konstruktion auch Perfektpartizipien bzw. Adjektive als Qualitative zu beobachten, aber gerade bei der Einbettung der Konstruktion der KOMMUTATION in das analytische Perfekt mit sein war zu beobachten, dass die dadurch erzwungene alternative Perspektive dazu führt, dass verstärkt die Elemente eingebettet werden, die sonst Domäne der Konstruktionen der ASKRIPTION sind: Adjektive. Alleine diese Differenzierung zeigt, dass die Perspektivierungsleistung der Konstruktionen nicht über ein Abhängigkeitsverhältnis erklärt werden kann. Auch die Frequenz der Konstruktionsrealisierungen ist ein gewichtiges Argument gegen den alternativen Entwurf. Untersucht man Sprache im Gebrauch und leitet Konstruktionen aus dem Sprachgebrauch ab (da diese selbst sich im Sprachgebrauch etablieren und emergieren), kann man sich der Frage nach der Frequenz sprachlicher Einheiten nicht verschließen. Besonders die Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein und die der KOMMUTATION mit werden treten hier rein quantitativ deutlich gegenüber allen anderen Konstruktionsrealisierungen heraus und können allein schon aus diesem Grund einen eigenen Konstruktionstyp beanspruchen. Erinnert sei ferner an das Beispiel Henrike abgeholt! (vgl. Kap. 4.3): Konstruktionen der ASKRIPTION und KOMMUTATION werden auch unabhängig voneinander gelernt.

Die Alternative: Konstruktionen mit werden als Konstruktionen der ASKRIPTION | 361

Auch wenn wir deshalb dem dreigeteilten Modell nonagentiver Konstruktionen weiter folgen, so zeigt diese Diskussion knapp, dass die Modellierung alternativer Ordnungsmuster mit einem theoretischen Konzept wie dem Konstruktikon als einem Netzwerk von Konstruktionen zwischen Grammatik und Lexikon möglich ist und Hypothesen für die Beschreibung von Sprache und Sprachmustern öffnet. Außerdem sind in dieser Studie Phänomenbereiche aus forschungspraktischen und methodischen Gründen zurückgestellt worden (vgl. Kap. 5.1.4– 5.1.6 sowie Kap. 6). Es ist vor diesem Hintergrund zu betonen, dass das hier entworfene Konstruktikon (Kap. 11) vorläufig ist.

9 Konstruktionen der AKZEPTATION Mit den Konstruktionen der AKZEPTATION beschreiben wir im folgenden Kapitel den dritten Typus nonagentiver Konstruktionen, der sich durch eine eigene Perspektivierungsleistung auszeichnet (vgl. oben Kap. 5.2.1). Vorweg sei gesagt: Das Kapitel 9.2 weicht etwas vom übrigen Darstellungsmodus ab. Ursprünglich war geplant, hier eine quantitative Studie zu behalten in der Konstruktion der AKZEPTATION vorzustellen, da in einigen grammatischen Studien (darunter Eroms 2000) dieses Verb im Kontext des bekommen-Passivs geführt wird. Allerdings ist u.a. im KERN-Korpus kein einziger Beleg für diese Konstruktion nachweisbar. Das stellt uns vor das Problem, dass wir die von Eroms postulierte Konstruktion nicht aus dem Sprachgebrauch rekonstruieren können. Seine Position diskutieren wir vor diesem Befund aber. Statt einer ausführlichen Analyse schließen wir an die Diskussion eine Zusammenfassung des Kapitels an. Wir möchten einleitend ein Beispiel (aus dem KERN-Korpus) knapp diskutieren, welches uns auf wesentliche Aspekte der folgenden Untersuchung aufmerksam macht (aber wegen seines ambigen Charakters nicht im Untersuchungskorpus geführt wird): [119]

1946 / GE / Klemperer, Victor, [Tagebuch] 1946, S. 255 / Und hier noch ein Päckchen ausgeliefert bekommen: ein Stück Rinderfett, 6 Eier, weißes Mehl u. Zucker.

Man ist möglicherweise versucht, und hier noch ein Päckchen ausgeliefert bekommen, nicht als nonagentiv aufzufassen. Kontextuell wird man aber zu dieser Lesart gedrängt, wenn man weiß, dass man Lebensmittelpakete bekommen kann, und wenn man außerdem weiß, dass Viktor Klemperer in der Regel keine Lebensmittel lieferte, sondern vermutlich empfing: und hier noch ein Päckchen geliefert bekommen wäre demnach für uns die erwartete Realisierung der Konstruktion. Ausgeliefert stellt sich der kognitiven Perspektivierung der Konstruktion etwas quer, aber man sieht sie dennoch als kommunikativ realisiert (und tatsächlich entspricht das auch dem Gemeinten). Ist Kontextwissen nicht gegeben, dann wird man die Äußerung als Realisierung einer agentiven Konstruktion auffassen können, in dem Sinne, dass es jemandem gelungen sei, ein Päckchen auszuliefern. Grenzfälle wie diese zeigen auf, wie stark sprachliches Wissen konstruktional organisiert und gebunden ist: Da andere Anhaltspunkte eine Bewertung nicht vereinfachen (kein AG, kein BEN) und nicht zu entscheiden ist, welche Lesart für das Verb bekommen hier angemessen ist, und schließlich als einziger Indikator für die Bewertung der Qualitativ ausgeliefert/geliefert

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bleibt, erkennt man entweder das sprachliche Muster als Realisierung der Konstruktion der AKZEPTATION, oder eben nicht. Aber man erkennt es in beiden Fällen nur als Ganzes, nicht als Summe seiner Teile, obwohl es sich nicht um eine idiomatische Struktur handelt. Dass es sich schließlich bei [119] um eine ‚unpersönliche Variante‘ der Konstruktionen mit bekommen handelt (und nicht um eine Ellipse), wirkt zu bemüht. Wir werden auf diesen Aspekt in Kap. 10.1.2 zurückkommen.

9.1 Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung Anders als bei den Konstruktionen der ASKRIPTION und der KOMMUTATION bilden bei den Konstruktionen der AKZEPTATION zwei Verben prototypisch Realisierungen der Konstruktion mit direkter Relation zwischen Konstruktionsund Verbbedeutung, bekommen (Kap. 9.1.1) und kriegen (Kap. 9.1.2). Kriegen ist dabei die Variante, die in schriftsprachlichen Kontexten weniger frequent auftritt, sie ist stilistisch markiert (vgl. zu diesen Fragen oben Kap. 4.2.4). Konstruktionen mit bekommen und kriegen sind als Instanzen der lexikalisch nicht spezifizierten Konstruktion der AKZEPTATION aufzufassen; darüber sind sie einander Instanz. Mit erhalten wird zwar ebenfalls eine direkte Lesart zwischen Verbund Konstruktionsbedeutung etabliert, allerdings fusionieren die wenigsten Rollen, was zur Folge hat, dass die Konstruktionsrealisierungen mit erhalten starken Restriktionen unterworfen sind (vgl. 9.1.3). Konstruktionen mit erhalten stehen in einer Teil-Ganzes-Relation sowohl zur Konstruktion der AKZEPTATION als auch zu ihren Instanzen mit bekommen und kriegen. Konstruktionen der AKZEPTATION setzen ein effiziertes Objekt (EOB) in den Fokus, das nach einem VORGANG als jemand oder etwas charakterisiert wird, das oder der etwas erhalten (ADD für Additiv) oder verloren (PRI für Privativ, vgl. Kap. 5.2.1.4) habe – die kognitive Perspektivität der Konstruktion stellt diese zwei Optionen für die kommunikative Perspektivierung in der Argumentstrukturrolle des Partitivs (PAR) zur Verfügung. Der Fokus der gewählten Perspektive wird deutlich dann erkennbar, wenn das EOB als Benefaktiv (BEN) spezifiziert wird, der den VORGANG im Kontext einer satzwertigen Äußerung als alternativlos akzeptiert – das ist auch der häufigste Gebrauchsfall.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 365

9.1.1 bekommen [120]

Der Gartenzaun bekommt einen neuen Anstrich verpasst. Verben der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit bekommen und damit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: AKZEPTATIONv(=direkt)(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUALADJ)

Abb. 142: Konstruktion der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit bekommen. Direktlink: https://goo.gl/IiXaC1; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Bekommen wird prototypisch in die Konstruktion der AKZEPTATION eingebettet; kriegen ist Variante und – aus grammatischer Perspektive – als synonym aufzufassen. Beide Verben werden im Folgenden separat anhand der Belege beschrieben, die wir systematisch aus dem KERN-Korpus extrahiert haben. Alle Belege können online eingesehen werden (https://goo.gl/aEw9rC; Stand: 05.08.2015). Das schließt einen vollständigen Überblick über die ausgewerteten Qualitative ein, die in dieser Studie nur im Ausschnitt dokumentiert sind. Für die Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen können in den Doppelperfektformen sowie im Futur II keine Belege nachgewiesen werden. Im KERNKorpus wurden mit den Abfrageroutinen 2.404 Belege ermittelt (N), von denen 1.808 Belege untersucht hätten werden können (N1). Für die Analyse wurde ein Sample gebildet von 1.751 Belegen (n), von denen insgesamt 925 Belege (m) Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION entsprachen. Wie an der ersten summarischen Übersicht in Abb. 143 zu sehen, ist bekommen als wichtigster Filler der Konstruktion der AKZEPTATION im Vergleich zu anderen Konstruktionsrealisierungen, die wir beschrieben haben, als niederfrequent einzustufen. So deutet sich für diese Studie eine bisher einmalige Chance an: Das gezogene Sample (n) entspricht beinahe allen zur Verfügung stehenden Belegen (N1), so dass die Aussagen bezüglich der Verteilung der Belege im KERN-Korpus

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verlässlich sind, wenn man einmal das methodische Problem in den Hintergrund stellt, dass die Bewertung der Belege (m) durch den Verfasser der Studie (und damit nicht objektivierbar) erfolgte.

Abb. 143: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/9DQh0D; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Reduktion der Belegzahl – dies sei den folgenden Übersichten vorausgeschickt – betrifft zudem ein spezielles Phänomen, nämlich die Einbettung von Infinitiven mit zu in die Konstruktion im synthetischen Präteritum (vgl. dazu Abb. 145 mit den Z. 108 und 110): [K594] 1913 / GE / Francke, Alexander, Fünf Wochen im Osten der Vereinigten Staaten und Kanadas, Bern: A. Francke 1913, S. 116 / Dank der Findigkeit meines treuen Führers bekam ich am nächsten Tage noch mehr Sorollas zu geniessen. Modale Infinitive in der Konstruktion der AKZEPTATION deuteten wir anders als Lenz (2013) (vgl. dazu oben Kap. 5.2.1.4 und die Diskussion zum Qualitativ in Kap. 5.2.3.2) – in Beleg [K594] wird man dem eingebetteten modalen Infinitiv die Bedeutung ‚situativ‘ statt ‚obligativ‘ zuweisen. Der modale Infinitiv aktualisiert die Konstruktionsbedeutung spezifisch. Fälle wie [K594] sind als einzige von der Datenreduktion betroffen, wie die Abb. 144 bis 148 im Detail ausweisen werden. Was bereits in der Belegzahlenübersicht (Abb. 143) deutlich wurde und sich in den Detailübersichten (Abb. 144–148) bestätigen wird, ist, dass das Tempusspektrum, in welches die Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen eingebettet ist, recht ausgewogen erscheint. Das ist umso bemerkenswerter, als bekommen in analytische Tempuskonstruktionen der Vergangenheit mit haben eingebettet wird. Bei Konstruktionen der ASKRIPTION z.B. mit scheinen (Kap.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 367

7.3.1.1), wirken (Kap. 7.3.2) und aussehen (Kap. 7.3.3) war zu beobachten, dass diese – da in den analytischen Vergangenheitstempora mit haben eingebettet – beinahe ausschließlich im synthetischen Präsens und Präteritum nachgewiesen werden können.

Abb. 144: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/JXTRsJ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 145: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/JXTRsJ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BYSA 4.0.

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Abb. 146: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/ssuYKo; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 147: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/MecV0J; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 148: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Futur I. Direktlink: https://goo.gl/icMBM3; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Einzig erscheinen (Kap. 7.3.1.2) erwies sich als Gebrauchsvariante, um die modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung der Konstruktion der ASKRIPTION im Perfekt (da aber mit sein) auszudrücken. Bei den Konstruktionen der AKZEPTATION ist das anders, hier blockiert haben in der abstrakteren

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Konstruktion offenbar nicht die Perspektivierung der nonagentiven Konstruktion. Bereits bei der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden war beobachtet worden, dass diese durch die Einbettung in das analytische Perfekt mit sein in die Perspektivierung gezwungen wird, die durch die abstraktere Tempuskonstruktion vorgegeben ist (vgl. Kap. 7.1 und 8.1). Gleiches gilt hier: Das Perfekt mit haben dominiert perspektivisch die eingebetteten Konstruktionen der AKZEPTATION (hier mit bekommen, gleiches gilt aber auch für kriegen und erhalten). Die Semantik von haben bleibt – wie bei sein und werden – nicht vor der Tür, wenn das Verb in eine Tempuskonstruktion eingebettet ist, was die Einbettung der Konstruktion der AKZEPTATION begünstigt: [K775] 1983 / GE / Ichenhäuser, Ernst Z., Erziehung zum guten Benehmen, Berlin: Volk u. Wissen 1983, S. 27 / Die sechsjährige Anke hat von der Großmutter eine Puppe geschenkt bekommen. Die Bedeutung des Perfekts hatten wir oben angegeben damit, dass ein ‚Ereignis markiert wird, welches vor einem Referenzzeitpunkt liegt, der mit der Sprechzeit zusammenfällt‘. Das implizierte, dass das vergangene Ereignis bis zur aktuellen Äußerungszeit reicht. Bettet man haben in eine solche Konstruktion ein, dann bringt es Eigenbedeutung ein, die die Einbettung der Konstruktionen mit bekommen befördern: Anke nahm als Benefaktiv (BEN) in der Vergangenheit einen VORGANG hin, der darin beschrieben ist, dass ihr ihre Großmutter eine Puppe (ADD) bescherte. Die Puppe ging in Ankes Besitz über, sie hat die Puppe nach Abschluss des VORGANGs. Von den insgesamt 18 Lesarten, die das Elektronische Valenzwörterbuch E-VALBU für haben angibt (http://hypermedia.idsmannheim.de/evalbu/index.html, Stand: 16.09.2016), stehen acht Lesarten für ‚Besitzanzeige‘ und ‚Verfügungsgewalt‘ bzw. ‚Eigenschaftsbezeichnung‘: – haben – etwas besitzen – haben – durch etwas charakterisiert sein – haben – mit etwas ausgestattet sein – haben – über etwas verfügen – haben – aus etwas bestehen – haben – ein Bestandteil von etwas sein – haben von – etwas aufweisen, das von etwas stammt – haben – etwas irgendwo aufweisen Mit anderen Worten: Haben fungiert zum einen zwar als Verb im analytischen Perfekt, unterstützt aber semantisch zusätzlich die Perspektivierung, durch die

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die Konstruktion der AKZEPTATION ausgezeichnet ist: Der VORGANG der AKZEPTATION wird von der Sprechzeit aus in die Vergangenheit gelegt und als abgeschlossen markiert (woran auch die Perfektivität des Perfektpartizips semantisch großen Anteil hat). Das Ergebnis ist ein ‚Besitz‘ oder eine ‚Verfügungsgewalt‘ als Eigenschaft als Resultat eines nun explizierten VORGANGs. Haben zeigt dieses Ergebnis (außer bei privativen Lesarten) an: [K781] 1986 / GE / Ketman, Per / Wissmach, Andreas, DDR - ein Reisebuch in den Alltag, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1986, S. 219 / Das Faltboot haben wir von Ostberliner Freunden geliehen bekommen. Dass im Untersuchungskorpus die Belege im Plusquamperfekt häufiger sind als im Perfekt, kann in diesem Zusammenhang reiner Zufall sein und ist möglicherweise plausibel mit der Domänenspezifik für belletristische Texte zu erklären, wie in [K876] (vgl. weiter unten die Anmerkungen zu Abb. 149): [K876] 1926 / BE / Traven, B., Das Totenschiff, Berlin: Büchergilde Gutenberg 1926, S. 72 / Verglichen mit jenem Napf, in dem ich meine belgische Henkersmahlzeit vorgesetzt bekommen hatte, stand mir hier kein Kartoffelsalat mit Leberwurst bevor. Die Semantik von haben ist vermutlich nicht nur für die Einbettung der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im analytischen Perfekt günstig, sondern macht das Verb auch für das so genannte ‚haben-Passiv‘ attraktiv (vgl. dazu unten Kap. 10.2.2). Nicht nur bei sein (vgl. Kap. 7.1 und 8.1) und werden (Kap. 8.1), sondern auch bei haben kann also gezeigt werden, dass die Annahme, dass alle analytischen Tempuskonstruktionen ebenso semantisch zu bestimmen sind wie nonagentive Konstruktionen, konstruktionsgrammatisch plausibel und gegenstandsadäquat ist. Kommen wir nun zu den interpolierten Schätzwerten und der Verteilung der Belege im KERN-Korpus (vgl. Abb. 149). Wie bereits kurz ausgeführt, basieren die Schätzwerte auf robusten Zahlen, da weitestgehend ohne zufällige Samples gearbeitet werden konnte. So sind recht präzise Aussagen über die Verteilung der Belege auf Kommunikationsdomänen und Qualitative im KERNKorpus möglich. Progressive (QUAL) wurden wie bei allen Berechnungen nicht berücksichtigt, für die Konstruktionen der AKZEPTATION sind sie abgesehen davon nicht nachweisbar. Die Werte M1 und M sind je im Dreisatz ermittelte Schätzwerte zunächst unter der Annahme, dass die Zufallsstichprobe n repräsentativ für die Grundgesamteinheit (N1) ist. Weiter gehen wir davon aus, dass

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sich N strukturell nicht stark von N1 unterscheidet und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann. Eine Fehlerbereinigung der Schätzwerte ist nicht angezeigt (vgl. oben Anm. 61). Die Schätzwerte sind auf drei Nachkommastellen gerundet. Durch die Rundung können sich minimale Fehler in der Summenbildung ergeben, rechnete man bspw. die einzelnen Schätzwerte M für die Kommunikationsdomänen gegen die geschätzte Gesamtsumme M.

Abb. 149: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs- und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/g9pP2v; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

In die Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen werden primär Elemente eingebettet, die als Infinitive mit zu und als VVPP annotiert sind. Elemente, die als ADJD annotiert sind, spielen faktisch keine Rolle. Nur in der Gebrauchsliteratur (GE), die zudem die meisten Belege im Präsens bereitstellt (gefolgt von Zeitung [ZE], Belletristik [BE] und Wissenschaft [WI]), liegen im Präsens VVPP vor Infinitiven mit zu, in allen anderen Formen der synthetischen Tempora liegen die VVPP als Qualitative hinter den Infinitiven. Im Präteritum und Plus-

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 375

quamperfekt wird die Konstruktion in BE favorisiert, im Perfekt in GE und ZE. In wissenschaftlichen Texten nimmt die Frequenz in den analytischen Tempora sehr stark ab. Wie in anderen Konstruktionen beobachtet, bleibt der Infinitiv mit zu weitestgehend auf die synthetischen Tempora und das Futur konzentriert – in den analytischen Tempora der Vergangenheit dominieren Konstruktionsrealisierungen mit VVPP eindeutig: Offenbar unterstützt der dem Perfektpartizip implizite und abgeschlossene VORGANG in besonderem Maße die Konstruktionsbedeutung der AKZEPTATION, die durch die Konzeptualisierung eines VORGANGs ausgezeichnet ist. Dieses Bild wird auch unterstützt von der Verteilung der Belege nach Kommunikationsdomänen und morphologischer Realisierung von bekommen in verschiedenen Tempora (Abb. 150). Deutlich wird auch hier noch einmal, dass die Konstruktion der AKZEPTATION in wissenschaftlichen Kontexten weit weniger verwendet wird als in anderen Domänen, von denen sich wiederum deutlich die Gebrauchsliteratur von Zeitungstexten und belletristischen Texten absetzt.

Abb. 150: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/cOZXKv; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

An der Verteilung der morphologischen Formen von bekommen (Abb. 150), die gleichzeitig ein Ausweis der verwendeten Tempora ist, werden die eben beschriebenen Tendenzen noch einmal im Detail sichtbar. Wissenschaftliche Tex-

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te verwenden Konstruktionen der AKZEPTATION in Relation zu anderen Domänen eher wenig, auch das Verwendungsspektrum der Tempora ist sehr eng: Bis auf die dritten Personen im Singular und Plural in Präsens und Präteritum (Z. 3– 5 und 7 in Abb. 150) sind nur vereinzelt Belege in anderen morphologischen Formen von bekommen nachweisbar. In Belletristik, Gebrauchsliteratur und Zeitung stellt sich das anders dar: Präsens wird durch die Gebrauchsliteratur dominiert, Perfekt durch die Zeitungstexte, Präteritum und Plusquamperfekt durch belletristische Texte, wobei das ganze Formenspektrum abgedeckt wird. Auffällig sind die recht hohen Belegzahlen in der ersten Person Singular im Präsens in Gebrauchsliteratur und Belletristik.

Abb. 151: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/vSgLRo; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 152: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/O6gbDP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die chronologische Verteilung der Belege im KERN-Korpus ist für die Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen dieses Mal außerordentlich genau nachvollziehbar (Abb. 151 mit absoluten Zahlen, in Abb. 152 im normalisierten Korpus). Wie schon in anderen Konstruktionen zu sehen, brechen auch für bekommen die Belegzahlen in der fünften Dekade nach einer Spitze in der dritten und vierten Dekade massiv ein, die belletristischen Texte folgen (wie bei bleiben, vgl. oben Kap. 7.2) eine Dekade später. Danach nehmen die Belegzahlen sukzessive wieder zu, bis sie am Ende des 20. Jahrhunderts das Ausgangsniveau erreichen. Im Bereich der Gebrauchsliteratur fallen die Schwankungen am

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 377

deutlichsten aus. Allerdings wird gleich zu sehen sein, dass für die Belegverteilung nicht nur kontextuelle Gründe anzuführen sind wie bei bleiben.

Abb. 153: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/1wtlPJ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 154: Realisierung der 20 häufigsten Qualitative in den Konstruktionsrealisierungen mit bekommen in der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Domänen ZE und GE. Direktlink: https://goo.gl/g68eYn; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die chronologische Verteilung der realisierten Qualitative (Abb. 153) überrascht – erstmals kann eine Konstruktionsrealisierung beschrieben werden, bei der der Anteil der Elemente, die als VVPP annotiert sind, im Verlauf des 20. Jahrhunderts so deutlich und stark zunimmt, während die erweiterten Infinitive gleichzeitig nach und nach abgewählt werden. Auch diese Konstruktion der

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AKZEPTATION mit bekommen ist wie die der ASKRIPTION mit wirken eine ‚Konstruktion im Werden‘, deren Entwicklung man im 20. Jahrhundert nachvollziehen kann: Die Wahl der VVPP, so eine erste Hypothese, kann mit dem Konstruktionswandel von bekommen erklärt werden. Wir vergleichen in der Analyse die Entwicklung in den Domänen Gebrauchsliteratur (GE) und Zeitung (ZE). In Abb. 154 haben wir die Verteilung der Qualitative in den Domänen ZE und GE einander gegenübergestellt – wie bei bleiben haben wir dafür den Schnitt 1945 gewählt. Anders als bei bleiben sind es jedoch nicht einzelne Qualitative, die durch die Sprachbenutzer nicht mehr verwendet werden, sondern tatsächlich zeigt die Abb. 154 deutlich, dass eine Verschiebung hin zu den Perfektpartizipien zu beobachten ist und die Frequenz der erweiterten Infinitive in beiden Domänen abnimmt. Besonders deutlich wird dies in der Domäne der Gebrauchsliteratur an geschenkt und vorgesetzt, die wir deshalb gesondert hervorgehoben haben – deren Frequenz verdoppelt sich in GE, während sie in ZE nicht zunimmt. Bei den erweiterten Infinitiven bleiben zu sehen, zu hören und zu spüren die häufigsten, begleitet werden sie von einer Reihe von Infinitiven, die semantisch auf Nahrungsaufnahme im konkreten (zu essen, zu fressen, zu kosten) oder übertragenen Sinne (zu lesen, zu kosten) hinweisen. Daneben lassen sich noch Varianten beobachten, die sich auf die ersten drei Infinitive zurückführen lassen (zu fühlen, zu verspüren). Zu spüren bleibt, anders als zu hören und zu sehen, durchgehend in Verwendung, wobei der Kontext (zumeist ‚Strafe‘) an zeitaktuelle Ereignisse angepasst wird. Wie stark die kollokative Wirkung ist, zeigt Beleg [K915], den man intuitiv auch als Drohung auffassen könnte, was aber wohl tatsächlich nicht gemeint ist. [K223] 1941 / ZE / Der Angriff 11.01.1941 / Geldhamsterer bekommen die ganze Schärfe des Gesetzes zu spüren. [K277] 1942 / ZE / Völkischer Beobachter (Norddt. Ausgabe) 24.01.1942 / Diese Umstände führen nun ganz zwangsläufig zu einem zeitweisen Waggonmangel, den naturgemäß die Bevölkerung zu spüren bekommt. [K915] 1942 / ZE / Archiv der Gegenwart, 12, 1942 / Die Leute auf unseren Feldern und unsere Fabriken werden eure Brüderlichkeit zu spüren bekommen. [K609] 1945 / ZE / Frankfurter Presse 21.04.1945 / Ueber die Folgen alliierter Luftangriffe auf Essen erklärte Alfred Krupp: „Im Jahre 1943 und in verstärktem Maße im Jahre 1944 bekamen wir die Folgen der alliierten Luftangriffe zu spüren“.

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[K732] 1948 / ZE / Archiv der Gegenwart, 18, 1948 / An diesen Verträgen sind die genannten Länder, die die deutsche Aggression zu spüren bekamen, besonders interessiert. Wie in Kap. 5.2.3.2 erläutert, interpretieren wir diese Beispiele als Konstruktionen der AKZEPTATION mit bekommen, in denen der modale Infinitiv als ‚obligativ‘ zu lesen ist. Man kann die Bedeutung angeben mit: ‚Geldhamsterer, die Bevölkerung, die Leute, wir, die genannten Länder nehmen hin, dass sie die Schärfe des Gesetzes, den Waggonmangel, die Brüderlichkeit, die Folgen der Luftangriffe, die deutsche Aggression erdulden bzw. spüren müssen‘ (Hinnahme eines VORGANGs durch ein BEN als Subtyp des EOB). Die Verwendungskontexte von zu sehen (meist in ‚situativer Bedeutung‘, außer [K676]) deuten – anders als bei bleiben – nicht auf eine kontextuell gesteuerte Abwahl der Kollokation durch die Sprachbenutzer hin. [K845] 1939 / ZE / Völkischer Beobachter (Berliner-Ausgabe) 01.03.1939 / Die Ausstellung enthält auch hier eine große Zahl von Rollbildern, wie man sie in dieser künstlerischen Vollendung in Europa noch niemals zu sehen bekommen hat. [K382] 1940 / ZE / Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 16.03.1940 / Auch an den anderen Tagen laufen diese Meisterpaare im Schaulaufen, so daß alle Besucher die besten deutschen Kunstlauspaare zu sehen bekommen. [K633] 1940 / ZE / Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 17.03.1940 / Nachdem man monatelang immer dieselben Pferde in Ruhleben zu sehen bekam, bedeutet das Erstauftreten der Dreijährigen eine große Abwechslung. [K676] 1945 / ZE / Deutsche Volkszeitung 19.06.1945 / Denn an der Grenze hatte man ihnen alle guten Kleidungsstücke weggenommen, damit das deutsche Volk recht zerlumpte Sowjetmenschen zu sehen bekam, ein besonders gemeiner Propagandatrick von Goebbels. [K267] 1957 / ZE / Der Tagesspiegel 27.08.1957 / Das zweite Stück des amerikanischen Autors, das Deutschland jetzt zu sehen bekommt, heißt „Mädchen im Sommer“ (Girls of Summer). [K569] 1983 / ZE / Der Spiegel 19.09.1983 / Den Text bekam ich nie zu sehen.

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[K249] 1999 / ZE / Die Zeit 16.12.1999 / Wer jetzt Fritz Kortners Sturm oder Karin Beiers Sommernachtstraum frei Haus zu sehen bekommt, wird nicht mehr fragen, wer hier warum die Schirmherrschaft übernommen hat. Man kann nur konstatieren, dass bis auf wenige Ausnahmen (zu spüren) die gesamte Konstruktion mit erweitertem Infinitiv deutlich seltener gebraucht wird. Möglicherweise verhält es sich wie bei bleiben, dass nach dem Ende des zweiten Weltkriegs ein Sprachmuster kollektiv nicht mehr bedient wird – auch hier ist anzunehmen, dass es ein Bewusstsein dafür gab, dass das, was man zwischen 1933 und 1945 zu sehen bekam und nicht aktiv und selektiv sah, beständiger Kontrolle (und propagandistischen Zielen) und damit Selektion unterworfen war. Andererseits ist es ebenso gut möglich, hier liegt ein deutlicher Unterschied zu bleiben, dass der Konstruktionswandel von bekommen so weit fortgeschritten ist, dass es durch die Sprachbenutzer zunehmend stärker mit deverbalem Adjektiv aus Perfektpartizip gebraucht wird: Das Perfektpartizip stützt dann einen Aspekt der Konstruktionsbedeutung, den VORGANG, den es als Konstruktion impliziert. Es gilt dann hier Ähnliches wie für die Wahl des Perfektpartizips in der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden (vgl. oben Kap. 8.1). Auch dafür bietet die Abb. 154 zahlreiche Indizien. Ohne Anschlussstudien sind diese Fragen nicht befriedigend zu beantworten. Nach dieser ausführlicheren Besprechung der Verteilung der Qualitative im KERN-Korpus in der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen sind die folgenden Abb. 155 und 156 als Ergänzungen zu verstehen, sie müssen nicht ausführlich diskutiert werden und bestätigen – da Detailübersichten – die beschriebenen Entwicklungstendenzen.

Abb. 155: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/kQyAOO; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 156: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von bekommen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/2zPGe8; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Als Überleitung zur Diskussion der Qualitative möchten wir für die Einbettung der beiden häufigsten Perfektpartizipien in GE, geschenkt und vorgesetzt, je zwei ausgewählte Beispiele geben: [K73]

1974 / GE / Klee, Ernst, Behinderten-Report, Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch-Verl. 1974, S. 184 / Ein bißchen komm ich mir vor wie ein kleiner Junge, der ein bißchen Geld geschenkt bekommt, damit er sich ein Brötchen kaufen kann, ein bißchen dadurch herabgesetzt fühl ich mich, aber nur ein klein wenig.

[K162] 1968 / GE / Dänhardt, Reimar, Fein oder nicht fein, Berlin: Deutscher Militärverl. 1968, S. 195 / Was aber, wenn wir etwas geschenkt bekommen, was uns gar nicht gefällt; wenn einer glaubt, wir seien die nächste Station für den „Wanderpokal“, der ein Gartenzwerg sein kann oder eine rauchschluckende Eule und was es an dergleichen Kitsch noch gibt? [K51]

1999 / GE / Schwanitz, Dietrich, Bildung, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 479 / Wer chinesisches Essen ablehnt, weil er aus sicherer Quelle weiß, daß man Hundefleisch vorgesetzt bekommt, zeigt eine kleinbürgerliche Angst vor dem Fremden, der auch einem Haß auf Fremdworte entsprechen dürfte.

[K81]

1967 / GE / Schwarz, Peter-Paul (Hg.), Gepflegte Gastlichkeit, Wiesbaden: Falken-Verl. Sicker 1967, S. 30 / Es kommt vor, daß ein Gast kein

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Fleisch vom Grill mag und dafür einen Ersatzhappen, von der Hausfrau schnell gezaubert, vorgesetzt bekommt. Insgesamt wurden 192 unterschiedliche Qualitative in 925 untersuchten Belegen ermittelt (Verhältnis: 4,82) – dieses Verhältnis ist sehr auffällig. Es zeigt an, dass die Wahl der Qualitative anders als bei allen anderen bisher beschriebenen Konstruktionsrealisierungen bisher stärkeren Restriktionen unterworfen ist. Wir werden darauf in der Analyse zurückkommen. Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative sind online (https://goo.gl/aEw9rC; Stand: 16.09.2016) verfügbar. Die folgenden Abbildungen schließen die ausgewerteten Qualitative auf nach Annotationsart, Kommunikationsdomäne und temporaler Verwendung. Ausgewählt wurden dafür die je 30 häufigsten Qualitative.

Abb. 157: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bekommen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/FWai7z; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

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Wie an den eben zitierten Beispielen zu sehen, sind in Realisierungen mit eingebettetem Perfektpartizip die die Regel, in denen der Partitiv (PAR) in der kommunikativen Perspektivierung als Additiv (ADD) ausgestaltet wird – selbst wenn die Konsequenzen negativ zu bewerten sind (aufgebürdet), so wird doch immer eher ‚ergänzt‘ (ADD) als ‚entfernt‘ (PRIV). Wir werden auf diese Frage gleich noch einmal zurückzukommen haben. Wir schließen direkt an die Beobachtung an, dass die Konstruktion der ASKRIPTION zwar mit der Argumentstrukturrolle des Partitivs (PAR) die kommunikative Realisierung von Additiv (ADD) und Privativ (PRI) prinzipiell ermöglicht, diese tatsächlich im Sprachgebrauch jedoch kaum beide in vergleichbarem Maße realisiert werden. Es dominiert eindeutig der VORGANG des Bekommens, ob in einem konkreten (Puppe) oder abstrakten Sinne (Strafe), ob positiv (geschenkt) oder negativ bewertet (zu spüren). Das in der Forschung beliebte Beispiel X bekommt Y entzogen lässt sich zwar kaum nachweisen, aber es ist für bekommen und kriegen überhaupt möglich, während erhalten die Einbettung eines Privativs (PRI) blockiert (vgl. unten Kap. 9.1.3). In der Abb. 157 mit den 30 häufigsten Qualitativen nach Annotationsart ist nicht ein Qualitativ aufgeführt, der darauf hindeuten könnte, dass ein PRI in die Konstruktionsrealisierung eingebettet ist. Außerdem wird deutlich, dass im Vergleich nicht nur weniger verschiedene Qualitative als in anderen Konstruktionsrealisierungen eingebettet werden, sondern dass zusätzlich einige als besonders favorisierte Kollokate von bekommen und als Filler der Konstruktion der AKZEPTATION gewählt werden: geschenkt, zu sehen, zu hören. Die wenigen Adjektive, die aufgelistet werden, sind zum Teil eigenwillig als ADJD annotiert, obwohl sie – z.B. durch den Test im Perfekt mit sein in der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden – alle als VVPP zu annotieren gewesen wären. Allerdings: Die Annotation deutet auf Realisierungen, in denen ambige Lesarten (Adjektive funktional als Adverbial) die Verwendung der Konstruktion erschweren. Hier ist besonders diktieren zu nennen in [K810] – ‚bekam er das diktierte Thema‘ oder ‚bekam er das Thema diktiert‘? [K810] 1981 / BE / Hildesheimer, Wolfgang, Marbot, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1981, S. 261 / Sofern er das Thema nicht von seinem Auftraggeber diktiert bekommen hat, offenbart er für jeden […] die Tiefe seiner Seele, in der die Themenwahl sich vollzog, das gewählte Thema Gestalt annahm, die Rollen zu seiner Darstellung verteilt und deren Positionen bestimmt wurden. Auch die Verteilung der Qualitative auf die Kommunikationsdomänen (Abb. 158) zeigt, dass hier Konstruktionsrealisierungen abgebildet sind, die durchweg

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Additive einbetten. Typische Konstruktionsrealisierungen im Präsens Indikativ sind bspw.: [K86]

1960 / BE / Walser, Martin, Halbzeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1960, S. 109 / Wenn es aber einer geschenkt bekommt, muß er sich schämen und ärgern.

[K243] 1911 / GE / Ganghofer, Ludwig, Lebenslauf eines Optimisten. Stuttgart: Adolf Bonz, 1909–1911., S. 24417 / Seit zwölf Jahren hause ich dort oben im Waldgrün hinter dem Wettersteine, kenne da jeden Weg und Steg, das Nahe und das Ferne, jede Farbe und jeden Klang, jeden hellen Platz und jede dunkle Stätte - und weiß doch, daß ich diesen meinen Wald nicht besser kenne, als ein Kind sein Leben kennt - und weiß auch, daß ich mit jedem neu erblühenden Jahre noch tausendmal mehr zu sehen bekomme, als ich schon gesehen habe. [K183] 1926 / GE / o.A., [Annonce: Wunderschönes Räumungs-Paket. ...], in: Vossische Zeitung (Abend-Ausgabe) 03.03.1926, S. 10, S. 185 / Gartenbesitzern, denen es nicht darauf ankommt, welche bestimmte Sorten sie geliefert bekommen, sondern nur darauf Wert legen, daß sie ihren Garten mit schönen, reichblühenden Blumenzwiebeln ausschmücken, möchte ich gern dieses große Räumungs-Paket ganz besonders empfehlen. [K74]

1971 / WI / Bauer, Friedrich L. / Goos, Gerhard, Informatik, Berlin: Springer 1971, S. 82 / Sie werden eingeführt durch eine Identitätsdeklaration ref proc real a = loc proc real, abgekürzt proc real a, die entweder sogleich initialisiert wird […] oder erst später eine Rechenvorschrift zugewiesen bekommt.

[K59]

1997 / ZE / Die Zeit 02.05.1997 / Nur die Geschichte, wie die Magd mit dem Kind flieht durch irgendwelche nördlichen Gebirge, verfolgt von Panzerreitern, die das Kind des Gouverneurs aufspießen wollen; wie die Magd später das Kind vom Richter Azdak zugesprochen bekommt, weil sie es aus dem Kreidekreis nicht mit der Gouverneursfrau im Wettkampf auseinanderreißen will?

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Abb. 158: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bekommen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/L9a3Lz; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Erst die Übersicht in Abb. 159 weist erste Qualitative aus, die darauf hinweisen, dass ein Privativ (PRI) in die Konstruktion der AKZEPTATION eingebettet ist. Gemeint sind verweigert ([Spalte] Plusquamperfekt / [Zeile] 28 / [Belege] 1), abgelehnt (Plusquamperfekt / 24 / 1) und gekündigt (Perfekt / 12/ 1): [K857] 1926 / BE / Grimm, Hans, Volk ohne Raum, München: Langen 1926, S. 673 / Ihr Vater hatte den Rücktritt in das preußische Heer verweigert bekommen. [K870] 1977 / GE / Corino, Karl, Interview mit Reiner Kunze, in: Der Spiegel (1977), Nr. 18, o.S., S. 359 / Ein junger Mann, der einen Ausreiseantrag

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gestellt hatte, der ihn abgelehnt bekommen hatte, öffnete sich die Pulsadern, kam auf Station eines Krankenhauses, wurde geheilt. [K771] 1933 / BE / Goote, Thor [d.i. Werner v. Langsdorff], Die Fahne Hoch!, Berlin: Zeitgeschichte-Verlag 1933, S. 229 / Eben habe ich gekündigt bekommen!

Abb. 159: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bekommen nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/cP9P1E; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Bei allen drei Belegen rückt die Semantik des Bekommens in weite Ferne – zwar kann man argumentieren, dass speziell in [K870] und [K771] man eine Ablehnung oder Kündigung ebenso bekommen kann wie einen Brief (das ist sicher auch die konzeptionelle Folie), aber in [K857] ist diese konzeptionelle Vorlage kaum mehr zu rekonstruieren. Mit diesen Belegen schließen wir die Diskussion zu bekommen in der Konstruktion der AKZEPTATION ab. Nur noch einmal soll kurz darauf hingewiesen

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 387

werden, dass sich hinter den annotierten VVPP nicht nur Perfektpartizipien verbergen, sondern durchaus auch Funktionsverbgefüge, die, ähnlich wie bei werden, die Perspektivierungsleistung der Konstruktion der AKZEPTATION als VORGANG stützen (z.B. zur Verfügung gestellt – Abb. 159 Präsens / 21 / 4). Nun wenden wir uns den Realisierungen mit kriegen zu, die, wie zu sehen, sich nur durch das Verb als Variante unterscheiden.

9.1.2 kriegen [121]

Der Gartenzaun kriegt einen neuen Anstrich verpasst. Verben der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit kriegen und damit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: AKZEPTATIONv(=direkt)(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUALADJ)

Abb. 160: Konstruktion der AKZEPTATION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und kriegen. Direktlink: https://goo.gl/idsVhd; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Kriegen verhält sich identisch zur Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen, insofern wird die Analyse – auch angesichts der Belegzahlen im KERNKorpus – knapper gehalten. Dennoch hoffen wir damit einen Beitrag zu leisten, die „Konkurrenz der Auxiliare kriegen, bekommen und erhalten“ (Lenz 2013: 239) präziser zu fassen. Deshalb werden wir vor allem auf die Unterschiede im Gebrauch der Alternativen bekommen und kriegen hinweisen. Neben den Übersichten, die in dieser Studie integriert werden, können alle Belege online eingesehen werden (https://goo.gl/zaUHBH; Stand: 16.09.2016). Das schließt einen vollständigen Überblick über die ausgewerteten Qualitative ein, die in dieser Studie nur im Ausschnitt dokumentiert sind. Für die Konstruktion der AKZEP-

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TATION mit kriegen können in den Doppelperfekt- sowie Futurformen keine Belege nachgewiesen werden. Insgesamt konnten im KERN-Korpus mit den Abfrageroutinen nur 336 Belege ermittelt werden (N), von denen lediglich 189 Belege untersucht werden konnten (N1 und n). Für die Analyse musste kein Sample gebildet werden. Insgesamt entsprachen lediglich 62 Belege (m) der gesuchten Konstruktion der AKZEPTATION:

Abb. 161: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/VXO2r5; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Auf den ersten Blick bestätigen sich anscheinend die „Thesen bezüglich der Steuerungsfaktoren der Auxiliarselektion“ (Lenz 2013: 240), d.h. der Wahl zwischen bekommen und kriegen in schriftsprachlichen, standardnahen Kontexten – kriegen wird in der Forschung traditionell dem mündlichen Sprachgebrauch als Gebrauchsvariante zugeordnet. Diese These können wir hier weder entkräften noch bestätigen, aber wir können prüfen, ob sich Selektionsregeln in schriftsprachlichen, standardnahen Kontexten ermitteln lassen, die für oder gegen die Verwendung von kriegen in der Konstruktion der AKZEPTATION sprechen.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 389

Abb. 162: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/sd9sjQ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 163: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/1TU88M; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 391

Abb. 164: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/oCK5u0; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 165: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/r5KWlZ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

In den Übersichtsgrafiken (Abb. 162–165) fällt schon ein Unterschied zur Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen auf: In den analytischen Vergangenheitstempora werden keine Elemente mehr verwendet, die als VVPP annotiert sind. Angesichts der niedrigen Belegzahlen ist zwar bei der Interpretation

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 393

Vorsicht geboten, aber das ist – in Summe – auffällig. Das Ergebnis stellt Abb. 166 noch einmal deutlicher aus:

Abb. 166: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von kriegen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/d32bYs; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Elemente, die als VVPP annotiert sind, erscheinen in den synthetischen Tempora, liegen aber in Summe weit hinter den Belegzahlen zurück, die für Konstruktionen mit eingebettetem modalen Infinitiv zu verzeichnen sind. Der eine adjektivische Belege, der im Perfekt der 3. Person Singular gezählt wird, ist falsch annotiert und als ein deverbales Adjektiv aus Perfektpartizip aufzufassen - gebimst. [K57]

1980 / BE / Merian, Svende, Der Tod des Märchenprinzen, Hamburg: Buntbuch-Verl. 1980, S. 37 / Daß jeder Mann so viel frauenfeindliche Ideologie in den Kopf gebimst gekriegt hat, daß die nicht von alleine weg ist, wenn mann sich nie mehr frauenfeindlich verhalten will.

Bimsen darf als umgangssprachlich gelten. Es wird als Synonym zu büffeln, einhämmern, einpauken, lernen oder pauken aufgefasst (Wortschatzportal Leipzig, http://wortschatz.uni-leipzig.de/abfrage/, Stand: 16.09.2016). Davon abgesehen ist gebimst aber erkennbar nicht als ADJD zu annotieren, sondern als VVPP, als deverbales Adjektiv aus Perfektpartizip – es wird in das Perfekt der KOMMUTATION mit werden mit der Partizipialform worden eingebettet (vgl. zum Test oben Kap. 5.2.3.2 und 8.1). Wie [K57] sind die meisten Belege belletristischen Texten zuzuordnen, was sich sowohl in den absoluten Belegzahlen widerspiegelt (Abb. 167) als auch im normalisierten Korpus (Abb. 168) – in allen anderen Domänen sind Belegzahlen im einstelligen Bereich zu beobachten (verteilt auf das ganze 20. Jahrhundert und 100 Millionen Wortformen). Im Be-

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reich der Belletristik jedoch stellt die Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen eine Option zur Realisierung mit bekommen dar.

Abb. 167: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit kriegen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/3D3KgF; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 168: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit kriegen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/za2R49; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Zur Erinnerung: Belletristische Texte lagen, was den Gebrauch der Konstruktion mit bekommen betrifft, zusammen mit den Zeitungstexten weit hinter denen der Gebrauchsliteratur (vgl. oben Abb. 151 und Abb. 152). Für kriegen kehren sich die Verhältnisse vollkommen um: In belletristischen Texten waren 246 von 925 Belegen im Untersuchungskorpus für Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen beobachtet worden (vgl. Abb. 151) im normalisierten Korpus waren immer noch 234 von 973 Belegen zu erwarten (vgl. Abb. 152). Kriegen ist also mit 44 (Abb. 167) bzw. 42 Belegen im normalisierten Korpus (Abb. 168) eine Gebrauchsalternative zu bekommen – allerdings nur in belletristischen Texten, was angesichts der anfangs gestellten Frage zumindest ein erstes Ergebnis ist, welches auch in Abb. 169 noch einmal dokumentiert ist. Was interessant ist, ist, dass obwohl die meisten Belege in der Belletristik realisiert sind, nicht das Erzähltempus Präteritum (oder Plusquamperfekt) im Vordergrund steht, sondern die meisten Belege im Präsens gezählt werden. [K8]

1960 / BE / Walser, Martin, Halbzeit, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1960, S. 112 / Schau zum Fenster hinaus, und schon bist du dafür, daß der Rest der Welt unsere Türklinken aufgebrummt kriegt.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 395

[K16]

1942 / BE / Seghers, Anna, Das siebte Kreuz, Mexico: El libro libre 1942, S. 282 / Aber er kriegt mein Gesicht nicht zu sehen.

Abb. 169: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/vpEdhC; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Es sind eben keine narrativen Passagen in [K8] und [K16], sondern (intradiegetische) Figurenreden in narrativen Entwürfen, die u.a. zur Hervorhebung der direkten Wiedergabe in einer vom Erzähltempus abweichenden Konstruktion gegeben werden, meist ist das Präsens (insofern spiegelt das Korpus die Gebrauchsangabe für kriegen in konzeptioneller Mündlichkeit). Die Konstruktionen der AKZEPTATION mit kriegen, so kann man bis hierhin festhalten, werden in schriftsprachlichen Kontexten (d.h. im KERN-Korpus beim DWDS) vor allem in belletristischen Texten und im synthetischen Präsens als Gebrauchsvariante zu Konstruktionsrealisierungen mit bekommen verwendet. Leider lassen sich in diesem Korpus keine belastbaren Aussagen bezüglich der chronologischen Verteilung der Belege auf die Kommunikationsdomänen machen. Das gilt auch für die Verteilung der in den Realisierungen eingebetteten Qualitative (vgl. Abb. 170). Die Realisierungen sind zu selten, um Hypothesen die Verteilung betreffend aufzubauen. Eine erste könnte aber für weitere Anschlussstudien sein: Die Entwicklung der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen läuft mit der Entwicklung der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen parallel. Die chronologische Verteilung der morphologischen Formen, die sich für kriegen beobachten lassen, bringt auch keine neuen Erkenntnisse. Die Konstruktion ist in den dritten Personen Singular und Plural in Präsens und

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Präteritum mehr oder weniger kontinuierlich in Gebrauch, Belege in anderen Tempora können als Streubefund bezeichnet werden (vgl. Abb. 171).

Abb. 170: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit kriegen mit Angabe der Qualitative. Direktlink: https://goo.gl/kIwBqU; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 171: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit kriegen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/BFf7uD; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Auch die in den Konstruktionen realisierten Qualitative lassen bei der geringen Belegdichte mehr Fragen offen, als dass sie Antworten geben. Insgesamt wurden lediglich 26 unterschiedliche Qualitative in 62 untersuchten Belegen ermittelt (Verhältnis: 2,38). Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative können online eingesehen werden (https://goo.gl/zaUHBH; Stand: 05.08.2015). Die folgenden Abbildungen schließen die ausgewerteten Qualitative auf nach Annotationsart, Kommunikationsdomäne und temporaler Verwendung. Die folgenden Übersichten bieten darüber hinaus keine neuen Erkenntnisse zur Distribution der Konstruktionen. Die Qualitative entsprechen im Wesentlichen denen, die bereits für die Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen bestimmt worden sind. Neben zu sehen, zu hören und zu spüren sind es Infinitive, die Nahrungsaufnahme im konkreten (zu essen, zu beißen, zu futtern, zu kosten, zu schlucken, zu trinken) oder übertragenen Sinne (zu wissen, zu lesen, zu kosten) bedeuten.

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Abb. 172: Die Qualitative mit kriegen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/KqNllj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Wie bei den annotierten VVPP verpasst, aufgebrummt, ausgewischt, geklebt, gescheuert oder bei gebimst wird durch einige der Infinitive ein alternatives stilistisches, umgangssprachliches Register bedient. Interessant an den Perfektpartizipien ist, dass sie in unserem Kontext des KERN-Korpus schon eine besondere Gruppe darstellen, die sich auf körperliche Handlungen, nämlich Backpfeifen, Ohrfeigen, (Maul-)Schellen oder Watschen beziehen: [K2]

1999 / BE / Moers, Walter, Die 13 1/2 Leben des Käptʼn Blaubär, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 95 / Nur eine Sekunde unachtsam und schon kriegt man eine verpaßt!

[K6]

1980 / BE / Merian, Svende, Der Tod des Märchenprinzen, Hamburg: Buntbuch-Verl. 1980, S. 281 / Und ich hoffe, daß ich nicht die letzte Frau sein werde, von der du eine gescheuert kriegst.

[K9]

1942 / GE / Klemperer, Victor, [Tagebuch] 1942, S. 42 / Eva lachend: „Man wird sich so hübsch jung fühlen, wenn man eine geklebt kriegt“.

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Die Wendungen sind stark verfestigt und idiomatisiert und in Figurenrede im Präsens in belletristischen Texten realisiert, bis auf Beleg [K9], der der Gebrauchsliteratur zugerechnet wird. Wie aber am Beispiel zu sehen, dürfte die Klassifikation der Gebrauchsdomänen bisweilen ebenso schwer fallen wie die zwischen VVPP und ADJD. Die Belege [K2], [K6] und [K9] sind als typische Belege für die Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen anzusehen, was realisierte Qualitative, Kommunikationsdomänen und Tempus betrifft, zumindest im KERN-Korpus beim DWDS. Werfen wir noch einen Blick auf die Belege in anderen Domänen (Abb. 173). [K49]

1938 / GE / Klemperer, Victor, [Tagebuch] 1938, S. 95 / Erst die zweite Fahrt, vorgestern, nach dem Kaffee angetreten, endend beim Abendbrot in dem Großmarkthallenrestaurant, verschaffte uns vollen Genuß; die erste war entstellt, da wir zwischen Pirna und Königstein vom Wege abkamen, sehr schwierige und geradezu gefährliche Pfade hinauf und hinab irrten, viel Zeit und Nervenkraft einbüßten und in Schandau einen ebenso scheußlichen wie teuren Kaffee vorgesetzt kriegten.

Man darf annehmen, dass Klemperer mit kriegen hier nicht nur einen VORGANG in einem bestimmten stilistischen Register bezeichnet, sondern zugleich auch den scheußlichen Kaffee ein zweites Mal abwertet, ebenso wie den Service. Von der Perspektivierung her entspricht die Konstruktion sonst ihrer Gebrauchsalternative mit bekommen. In den wissenschaftlichen Texten [K33] und [K44] sind beide Belege als Figurenrede markiert. [K33]

1946 / WI / Auerbach, Erich, Mimesis, Bern: Francke 1946, S. 29 / Ich glaube nicht, daß auch nur der zehnte Teil davon je seinen Herren zu sehen kriegt.

[K44] 1911 / WI / Braun, Lily, Memoiren einer Sozialistin, München: Langen 1911, S. 10298 / Da hab' ich mir gesagt: Der soll was Besseres werden als seine Eltern, der soll auch mal wissen, wie schön und wie reich die Welt ist, und nicht, wie wir, bloß durch soʼn schmales Guckloch ein Endchen von ihr zu sehen kriegen. [K48] fügt sich nahtlos in die Gruppe ein, die wir oben in Bezug auf die Ohrfeigen herausgehoben hatten:

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 399

[K48] 1988 / ZE / Der Spiegel 09.05.1988 / Auf dem Sofa, wo das Kissen den scharfen Knick per Handkantenschlag verpaßt kriegte, wurde eingeübt, für zwei Weltkriege und ein Wirtschaftswunder, was das deutsche Wesen so über alles unvergleichlich gemacht hat in der Welt: Pflichterfüllung, Gehorsam, Ordnung und Unterordnung, Treue, Fleiß, Bescheidenheit, Disziplin, Enthaltsamkeit - das “ganze verdammte innere Preußentum”, wie der Soziologe Helmut Klages es komprimiert.

Abb. 173: Die Qualitative mit kriegen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/4KvhaL; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Und [K51], der zweite zeitungssprachliche Beleg, verhält sich wieder strukturanalog zu den Belegen, die wir oben im Zusammenhang der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen beschrieben hatten. [K51]

1988 / ZE / Der Spiegel 09.05.1988 / Die Medizinalräte kriegten Volkers indirekte Abrechnung mit dem eigenen schwachen Beamten-Vater zu spüren.

400 | Konstruktionen der AKZEPTATION

Zusammenfassend: Die Differenzen zwischen Konstruktionen der AKZEPTATION mit bekommen und kriegen sind – konstruktionsgrammatisch – nur in Bezug auf die Wahl von unterschiedlichen Qualitativen zu fassen, die in Bezug auf kriegen ein anderes, umgangssprachliches Register bedienen. Die Gebrauchsdomänen von kriegen sind stark eingeschränkt. Konstruktionsrealisierungen sind beinahe ausschließlich in belletristischen Texten zu finden. Die Belegstellen sind zudem besonders markiert: Meist handelt es sich um (intradiegetische) Figurenrede und damit Äußerungen (im Medium der Schriftlichkeit nachgebildeter) konzeptioneller Mündlichkeit (so bspw. auch in den wenigen wissenschaftlichen Texten!), die im Präsens widergegeben ist.

9.1.3 erhalten [122]

Der Gartenzaun erhält einen neuen Anstrich verpasst. Verben der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit erhalten und damit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung: AKZEPTATIONv(=direkt)(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUALADJ)

Abb. 174: Konstruktion der AKZEPTATION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und erhalten. Direktlink: https://goo.gl/7xZaZF; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten weist einige Besonderheiten auf, auf die wir bereits einführend in Kap. 4.2.4 hingewiesen haben. Diese Aspekte möchten wir der Beleganalyse vorschalten, um die Argumentationslinie der Untersuchung zu plausibilisieren. Alle Belege, die in diesem Kapitel besprochen werden, sind online (https://goo.gl/GBm2vT; Stand: 05.08.2015) in einer Übersicht zusammengestellt. Das schließt auch einen vollständigen Überblick

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 401

über die ausgewerteten Qualitative ein, die in dieser Studie nur im Ausschnitt dokumentiert sind. Erhalten begegnet bevorzugt in schriftsprachlichem, eher gehobenen Register und kriegen im mündlichen Register. Darüber hinaus scheint erhalten in höherem Ausmaß als bekommen bei Verben des Nehmens und ähnlichen „negativen“ Vollverbkonstruktionen vermieden zu werden. Das bedeutet, dass erhalten sich nicht so weit in Richtung eines Hilfsverbs entwickelt hat wie bekommen (s. dazu Eroms 2000:396) (Zitat nach DUDEN 2009: 551; ebenfalls bei Lenz 2013: 240).

Oder auch Leirbukt mit Verweis auf Askedal: Ferner deutet die eingeschränkte Distribution von erhalten gegenüber bekommen und kriegen darauf hin, daß es weniger auxiliarisiert ist als diese Hilfsverben. (Leirbukt 1997: 207)

Auch wenn wir das Verständnis von Auxiliarität hier nicht teilen (siehe oben Kap. 5.2.2), so werden wir in der Analyse zu vergleichbaren Schlüssen kommen und mit der beobachtbaren Abnahme der Frequenz der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten in Relation setzen (ohne freilich Kausalität behaupten zu wollen): Die erfolgreiche Erzwingung der Lesart der AKZEPTATION mit Partitiv (PAR) bei bekommen (Kap. 9.1.1) und den stilistisch markierten, aber in Bezug auf den konstruktionalen Status strukturell analogen Realisierungen mit kriegen (Kap. 9.1.2) und die Aufnahme des Partitivs (und damit Privativs) in den Rollenplan der Verben bekommen und kriegen geht wohl chronologisch parallel mit der Abnahme der Realisierungen mit erhalten – auch wenn vereinzelt Belege mit eingebettetem Privativ beobachtet werden können (Askedal 1984 und Leirbukt 1997 weisen ebenfalls auf diese Fälle hin): [K154] 1934 / ZE / Archiv der Gegenwart, 4, 1934 / Im Wirtschaftsjahr 1933/34 wurden die Übernahmepreise durch die beiden Boards etwas zu hoch angesetzt, so daß die Landwirtschaft außerordentlich hohe Lieferungen anbot und auch abgenommen erhielt. Häufiger hingegen sind Fälle, in denen zwar semantisch ein ‚Verlust‘, perspektivisch und sprachlich jedoch ein Additiv (ADD) realisiert ist: [K75]

1906 / ZE / Berliner Tageblatt (Morgen-Ausgabe) 16.01.1906, 16.01.1906 / Wenn ein junger, „von einseitigen studentischen Anschauungen befangener Mensch“ für zwei beleidigende Briefe eine Strafe von 600 Mark zudiktiert erhält, und wenn außerdem das Urteil über die Persönlichkeit

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des Beleidigers recht hart herzieht, so sollten wir meinen, daß damit selbst von dem subtilsten Ehrenschilde eines Offiziers ein dunkler Flecken mehr als reichlich abgewaschen worden sei. An diesen Beispielen lässt sich der Zusammenhang von postulierter Konstruktion der AKZEPTATION und Rollenvorgaben der eingebetteten Verben deutlich herausarbeiten. Der von der Konstruktion lizensierte Partitiv (der je nach Aussageabsicht Additiv oder Privativ einschließt) soll auch in den Rollenplan von erhalten gezwungen werden, doch sperrt sich erhalten dem Konstruktionswandel stärker als bekommen und kriegen – PAR und QUAL bleiben nicht profiliert und können daher nicht fusionieren (das zeigen in Abb. 174 die gestrichelten Linien an). Erhalten stellt nur einen ADD als Partizipanten zur Verfügung, so dass es in letzter Konsequenz als alternativer Filler für die Konstruktion der AKZEPTATION stark eingeschränkt ist und von Sprachbenutzern abgewählt wird – angesichts der Ergebnisse der Korpusanalyse wird eine Einschätzung wie die, dass die Konstruktionsrealisierungen ‚textsortenfunktional für gehobene Sprachregister‘ stehen, nicht mehr zu halten sein. Statt dessen wird aus konstruktionsgrammatischer Perspektive zu konstatieren sein, dass erhalten einen Konstruktionswandel nicht vollzieht, der sich bei bekommen und kriegen beobachten lässt. Aus diesem Grunde können Argumentstrukturrollen der Konstruktion der AKZEPTATION und Partizipantenrollen des Verbs erhalten nicht fusionieren: Neben dem Partitiv (PAR) ist im Rollenplan des Verbs auch kein QUAL (Qualitativ) vorgesehen; dieser wird ebenfalls durch die Konstruktion lizensiert (vgl. oben Abb. 174).

Abb. 175: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/V86Fvm; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Für die Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten können in Doppelperfektformen sowie im Futur keine Belege nachgewiesen werden (vgl. Abb. 175). 2.078

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 403

Belege konnten ermittelt werden (N), von denen 1.875 Belege untersucht hätten werden können (N1). Für die Analyse wurde ein Sample gebildet von 1.473 Belegen (n), von denen insgesamt 236 Belege (m) der gesuchten Konstruktion entsprachen. Bereits in Abb. 175 fällt das Verhältnis zwischen synthetischen und analytischen Tempora ins Auge – offenbar kann die Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten im Gegensatz zu bekommen und kriegen nicht ohne Weiteres in Perfektkonstruktionen mit haben eingebettet werden. Wir haben bei der Analyse also nicht nur mit Beschränkungen zu rechnen, weil Argumentstruktur der Konstruktion und Rollenplan des Verbs erhalten nicht passgenau sind (um das neutral zu formulieren), sondern auch, weil die Konstruktionsrealisierungen auf die synthetischen Tempora beschränkt bleiben. Das sind, wie wir sehen werden, zwei Seiten derselben Medaille. Da Konstruktion und Verb in Bezug auf die Rolle des Qualitativs nicht fusionieren, konkurrieren im Perfekt nonagentive Konstruktion (mit Qualitativ) und Konstruktionen, in denen das Besitzwechselverb (vgl. zu bekommen und kriegen) ohne Qualitativ realisiert wird. Das ist möglich, weil erhalten nur bei der Einbettung eines Additivs in die Konstruktion zur Verfügung steht und dies auch durch den Qualitativ gestützt werden muss. Im Perfekt ergibt sich dann die Situation, dass das Perfektpartizip von erhalten und der Qualitativ der nonagentiven Konstruktionen nicht nur dieselbe strukturelle Bedeutung haben (es sind, wie wir sehen werden, meist Perfektpartizipien), sondern auch inhaltlich weitestgehend synonym sind in Bezug auf den VORGANG des Bekommens: [123]

Mathilde erhält ein kleines Spielzeug geschenkt.

[124]

Mathilde hat ein kleines Spielzeug geschenkt erhalten.

[125]

Mathilde hat ein kleines Spielzeug erhalten/bekommen/gekriegt.

Bettet man [123] vollständig in die Perfektkonstruktion mit haben ein, erhält man [124]. Im Sprachgebrauch wird [125] (heute), wie wir sehen werden, der Vorzug gegeben, vermutlich um eine Verdopplung des VORGANGS des Besitzwechsels (einmal mit geschenkt aus der Perspektive des Gebenden und einmal mit erhalten aus der des Empfängers markiert) in strukturell vergleichbarer Position zu vermeiden. Diese Gebrauchsweise hat zur Folge, dass die meisten Sprachbenutzer heute geschenkt in [124] wohl funktional als Adverbial auffassen werden. Das muss nicht zwangsläufig immer korrekt sein und ist Wandlungsprozessen unterworfen, lässt sich aber aus dem aktuellen Sprachgebrauch genauso rekonstruieren, denn selbst in [123] ist die Rolle des Qualitativs ge-

404 | Konstruktionen der AKZEPTATION

schenkt entbehrlich – man hätte dann eine einfache Konstruktion eines Besitzwechsels vor sich, deren Perfekt in [125] realisiert ist, und die semantisch (wie bei bekommen und kriegen) sehr nah an den Konstruktionen der AKZEPTATION steht.

Abb. 176: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/2McNjI; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 177: Realisierungen der AKZEPTATION mit erhalten im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/wlJn3u; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

406 | Konstruktionen der AKZEPTATION

Abb. 178: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/YzCgpn; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

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Abb. 179: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/LfcigV; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BYSA 4.0.

Die detaillierten Übersichten (Abb. 176–179) weisen die Elemente, die als VVPP annotiert sind, als wichtigste Ressource für die Qualitative in Konstruktionen der AKZEPTATION mit erhalten aus (das zeigt auch Abb. 180 noch einmal deutlich). Weder ADJD noch modale Infinitive, die in den Konstruktionen mit be-

408 | Konstruktionen der AKZEPTATION

kommen und kriegen eine zentrale Rolle spielten, werden für Konstruktionen mit erhalten als Qualitative gewählt: Wie wir weiter unten sehen werden, beziehen sich die modalen Infinitive nur konkret auf Dinge, die man erhalten kann. Wie für bekommen und kriegen gilt in Bezug auf Adjektive als Eigenschaftsträger, dass diese keinen VORGANG implizieren und daher nicht als Filler für die Konstruktion gewählt werden.

Abb. 180: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs- und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/XgYbwm; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Die Werte M1 und M sind je im Dreisatz ermittelte Schätzwerte zunächst unter der Annahme, dass die Zufallsstichprobe n repräsentativ für die Grundgesamteinheit (N1) ist. Weiter gehen wir davon aus, dass sich N strukturell nicht stark von N1 unterscheidet und aufgrund geringer Differenz ein Schätzwert M angegeben werden kann. Eine Fehlerbereinigung der Schätzwerte ist nicht angezeigt (vgl. unten Anm. 61). Die Schätzwerte sind auf drei Nachkommastellen gerundet. Durch die Rundung können sich minimale Fehler in der Summenbildung ergeben, rechnete man bspw. die einzelnen Schätzwerte M für die Kommunikationsdomänen gegen die geschätzte Gesamtsumme M. Neben der Wahl von Qualitativen und einem Überblick über die Verteilung von Belegen auf synthetische und analytische Tempora gibt die Abb. 180 auch

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 409

einen ersten Eindruck von der Verteilung der Belege auf Kommunikationsdomänen. Die Verteilung stellt sich hier vollkommen anders dar als bei bekommen und kriegen: Erhalten wird vor allem in den Domänen Gebrauchsliteratur (GE) und Zeitung (ZE) gebraucht, also eben gerade nicht im ‚eher gehobenen Register‘ (wenn wir die Umschreibung richtig interpretieren). Auch in wissenschaftlichen Texten (WI) ist erhalten in der Konstruktion der AKZEPTATION noch häufiger als in belletristischen Texten (BE) nachgewiesen. Interessanterweise bleiben diese Verhältnisse auch im Präteritum und Perfekt bestehen, nur im Plusquamperfekt sind – wenn man das bei einer Gesamtbelegzahl von 10 im Plusquamperfekt für alle Domänen überhaupt sagen sollte – Belege in BE häufiger als in anderen Domänen (hier in chronologischer Reihe gegeben): [K234] 1908 / BE / Wassermann, Jakob, Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens, Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1908, S. 349 / Sodann öffnete er ein Glasschränkchen, nahm eine Flasche Whisky heraus, die er vom Grafen Stanhope geschenkt erhalten hatte, füllte ein nettes silbernes Becherchen damit und trank es in einem Zuge leer. [K233] 1918 / BE / Stehr, Hermann, Der Heiligenhof, Berlin: S. Fischer 1918, S. 241 / Darum hörten sie in der Stimme, die die Schwerdtnerin, und dem neuen Leben, das die Rütschin von dem hübelheiligen Mädchen geschenkt erhalten hatte, die Verheißung des Herannahens einer besseren, höheren Zeit […]. [K232] 1919 / BE / Nabl, Franz, Die Augen, in: ders., Der Tag der Erkenntnis - 2 Erzählungen, Wien: Linde-Verl. 1919, S. 104 / Die junge Verkäuferin band, sobald sie zu Hause war, ein Lichtbild des Herrn Krumholz und einige andere Kleinigkeiten, die sie von ihm geschenkt erhalten hatte, zu einem Päckchen zusammen. [K230] 1946 / BE / Plievier, Theodor, Stalingrad, Berlin: Aufbau-Verl. 1946, S. 143 / […] und was er aus dem Stab an Neuigkeiten mitgebracht und bei der in Pitomnik liegenden Flakabteilung bestätigt erhalten hatte, das war auf den Flakkommandeur und dessen Gehilfen von solchem Eindruck gewesen, daß sie wie vor den Kopf geschlagen dahockten. Die vier Belege in BE im Plusquamperfekt sind in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts belegt – offenbar haben die Autoren der zitierten Quellen genauso Gebrauch von der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten gemacht, wie

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sie die Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen genutzt hätten. Warum sind dann aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts keine Belege mehr verzeichnet? Die Antwort ist mit dem Blick auf die Abb. 181 und 182 recht banal: Die Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten stellt eine Gebrauchsvariante dar, die nicht im ‚eher gehobenen Register‘ verwendet wird, sondern eine ‚Konstruktion im Vergehen‘ ist. In Gebrauchsliteratur und Zeitung hält sie sich bis in die Gegenwart (wenn auch mit vernachlässigbaren Belegzahlen) gerade noch, in belletristischen Texten ist sie seit der Mitte des Jahrhunderts nicht mehr nachweisbar.

Abb. 181: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/5vAxqC; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 182: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/Wks3bd; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 183: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten mit Angabe der realisierten Qualitative. Direktlink: https://goo.gl/STGFsk; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 411

Der sukzessive Abbau der Konstruktionsrealisierungen zeigt sich – zwangsläufig – auch bei den realisierten Qualitativen (Abb. 183). ADJD (hier ist noch zu prüfen, ob es sich um Adjektive handelt) und modale Infinitive sind durch Streubelege nachgewiesen. Deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien (als VVPP annotiert), die den Konstruktionen der AKZEPTATION mit erhalten als wichtigste Quelle für Qualitative dienen, nehmen im Gebrauch ab der Mitte des Jahrhunderts stark ab. Interessant ist in diesem Zusammenhang die chronologische Verteilung der morphologischen Formen von erhalten im KERN-Korpus (vgl. Abb. 184), die so in dieser Studie noch nicht so beobachtet werden konnte:

Abb. 184: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/Db6xEv; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten wird also – so unsere Beobachtung – nicht nur in einer ganzen Domäne nicht mehr verwendet (Belletristik, vgl. Abb. 181 und 182). Nach der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gehen die Belege für die dritte Person im Singular in den synthetischen Tempora spürbar zurück. Damit werden die wichtigsten morphologischen Formen domänenübergreifend durch die Sprachbenutzer (so dies im KERN-Korpus dokumentiert ist) nicht mehr gewählt – dramatischer als in BE macht sich der Rückgang in GE und ZE bemerkbar, in denen die dritte Person Singular Präsens und Präteritum in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts die häufigsten verwendeten morphologischen Formen sind (vgl. Abb. 185). Der Rückgang der Belegzahlen mit eingebettetem deverbalen Adjektiv aus Perfektpartizip lässt sich ab dem zweiten Viertel des 20. Jahrhunderts fassen, einer Phase, in der die Perfektpartizipien in der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen – einer ‚Konstruktion im Werden‘ – an Bedeutung gewinnen. Ob hier ein Zusammenhang besteht (und wenn ja welcher), kann und soll hier nicht weiter verfolgt werden. Lohnend wäre es aber allemal, die Verteilung speziell dieser beiden Konstruktions-

412 | Konstruktionen der AKZEPTATION

realisierungen in großen schriftsprachlichen Korpora in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu prüfen.

Abb. 185: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/4BKThq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen ist eine differenzierte Aufschlüsselung der Verteilung der morphologischen Formen in Kombination mit spezifischen Qualitativen nur noch als Ergänzung angezeigt (vgl. Abb. 186).

Abb. 186: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von erhalten mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/74W2EP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Einleitend hatten wir bereits kurz die Fragen bezüglich der Einbettung spezifischer Qualitative in Konstruktionen der AKZEPTATION mit erhalten diskutiert.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 413

Es sollte deutlich geworden sein, dass diese Konstruktion nicht nur im Hinblick auf die Einbettung des Partitivs (PAR), sondern auch in Bezug auf die Realisierungen von analytischen Tempuskonstruktionen und schließlich in der Einbettung des Qualitativs wesentlich stärkeren Restriktionen unterworfen ist als die Konstruktion mit bekommen und kriegen. Wie zu sehen war, haben wir eine ‚Konstruktion im Vergehen‘ vor uns, die von Sprachbenutzern als Gebrauchsvariante zu bekommen und kriegen immer seltener verwendet wird. In Bezug auf die Analyse der eingebetteten Qualitative ist diese Argumentationslinie als Folie zu denken. Insgesamt wurden 90 unterschiedliche Qualitative in 236 untersuchten Belegen ermittelt (Verhältnis: 2,62). Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative können online (https://goo.gl/GBm2vT; Stand: 05.08.2015) eingesehen werden. Die folgenden Abbildungen schließen die ausgewerteten Qualitative auf nach Annotationsart, Kommunikationsdomäne und temporaler Verwendung. Ausgewählt wurden dafür die je 30 häufigsten Qualitative. Wie an anderer Stelle schon vermutet wurde, handelt es sich bei den Elementen, die als ADJD annotiert worden sind, um deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien (vgl. Abb. 187). Das sind abgeschickt, angewiesen (im Sinne von: ‚Geld geschickt’), zugesandt und dargeboten sowie die auf den ersten Blick im Kontext recht eigenwilligen Perfektpartizipien befriedigt und gegengenäht: [K98]

1915 / ZE / Der Bazar 11.10.1915 / Weiche Stoffe erhalten bei glockigem Schnitt innen eine Roßhaarspitze als Stütze gegengenäht.

[K99]

1945 / ZE / Archiv der Gegenwart, 15, 1945 / Nach einem Kommentar der “Times” entspreche es dem Wesen des Pfundblocks, daß dessen Mitglieder ihre Eingänge an starken Devisen den Sterlingsbehörden zur Verfügung stellen, aber andererseits auch ihren Bedarf an solchen Devisen in vernünftigen Grenzen befriedigt erhalten.

Die anderen Qualitative reihen sich nahtlos ein in die Elemente, die als VVPP annotiert worden sind und sämtlich den VORGANG des Bekommens bedeuten. Das gilt auch für verliehen, welches etwas aus der Reihe der Qualititative herauszustechen scheint: [K132] 1938 / GE / Harmjanz, Heinrich, Ostpreußische Bauern, Königsberg: Reichsnährstand Verl. Ges. 1938, S. 19 / Alle Siedler erhielten ihr Land zu Kulmer Recht verliehen.

414 | Konstruktionen der AKZEPTATION

Das Verb erhalten sperrt sich gegen das in der Konstruktion angelegte Argument des Partitivs (PAR), der den Privativ (PRI) mit einfasst. Es lässt sich nur zusammen mit Additiven (ADD) in die Konstruktion der AKZEPTATION einbetten. Die modalen Infinitive zu trinken, zu essen und zu tun geben ebenfalls einen Hinweis auf die starken Beschränkungen, da die bisher in der Konstruktion der AKZEPTATION typischen modalen Infinitive nicht realisiert werden: zu sehen, zu hören und zu spüren.

Abb. 187: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erhalten nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/dwFnla; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung | 415

In der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten erscheinen nur die modalen Infinitive, die sich – sieht man einmal von zu tun ab – sehr konkret auf Dinge beziehen, die man tatsächlich erhalten kann, wie Nahrung: [K209] 1985 / GE / Commer, Heinrich, Managerknigge, Düsseldorf u.a.: EconVerlag 1985, S. 5244 / Es kann nicht schaden, wenn man kurz festhält, wann, wer, was mit welcher Tischordnung zu essen und zu trinken erhielt.

Abb. 188: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erhalten nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/Wtlws4; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

416 | Konstruktionen der AKZEPTATION

Abb. 189: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erhalten nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/PZGyTZ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Zum Abschluss dieses Kapitels seien noch einige Beispiele angegeben, die im Hinblick auf die Abb. 188 und 189 zum einen typisch für die jeweiligen Kommunikationsdomänen sind, zum anderen für die Realisierung in synthetischen Tempora: [K1]

1925 / BE / Kisch, Egon Erwin, Der rasende Reporter, Berlin: Reiss 1925, S. 151 / Ich lache mich noch toter und erhalte dafür weitere Scherze ge schenkt.

behalten in Konstruktionen der AKZEPTATION und Zusammenfassung | 417

[K106] 1985 / GE / Zimmermann, Hartmut (Hg.), DDR-Handbuch, Köln: Verlag Wissenschaft u. Politik 1985, S. 2262 / Hierdurch erhielt die Geld- und Finanzpolitik eine Fülle neuer Anreiz- und Lenkungsaufgaben zugewiesen. [K35]

1961 / WI / Lienert, Gustav A., Testaufbau und Testanalyse, Weinheim: Beltz 1961, S. 75 / Nun erhält der erste Pb vom Tl die erste Aufgabe ausgehändigt, beantwortet sie auf seinem Antwortblatt oder -heft und gibt sie auf ein Zeichen des Tl an seinen Nachbarn weiter, worauf er selbst vom Tl die zweite Aufgabe zugeteilt erhält.

[K115] 1934 / ZE / Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 03.03.1934 / Carnera erhielt nach 15 Runden den Punktsieg zugesprochen.

9.2 Überlegungen zu behalten in Konstruktionen der AKZEPTATION und Zusammenfassung Um es vorwegzuschicken – in dieser Studie werden wir die andernorts beschriebenen Konstruktionen mit behalten nicht analysieren. Zum einen sind sie bezüglich ihrer Grammatikalität höchst diskussionswürdig – das betrifft auch z.T. Konstruktionen mit erhalten. Eroms (2000: 421) widmet dieser Form einen knappen Absatz, auf den wir kurz Bezug nehmen wollen (Hervorhebung von mir. A.L.): Die systematische Parallele zu den bleiben-Fügungen beim Akkusativpassiv ist auch beim Dativpassiv bildbar, wenn auch selten zu belegen. (33) Offenbar behalten wir diese Wertehierarchie noch lange überdehnt. (34) Sie behalten die Tür geöffnet. Die Deutung ist eine intransformative Aktionsartfestlegung, wofür sicher selten Veranlassung besteht.

Zumindest im KERN-Korpus ist eine Realisierung einer solchen Konstruktion systematisch nicht nachweisbar. In allen anderen Referenzkorpora des DWDS gibt die Anfrage near(behalten,geöffnet,10) ebenfalls keinen Beleg einer solchen Konstruktionsrealisierung aus (Stand: 16.09.2016). Aus diesem Grund könnte man zwar Hypothesen zu diesen Konstruktionen im Anschluss an die Forschungsdiskussion bilden, was aber den Prämissen des konstruktionsgrammatisch-gebrauchsbasierten Ansatzes entgegenliefe: Wie sollte man Konstruktionen postulieren, die man gänzlich nicht auf der Basis von Realisierungen im Sprachgebrauch rekonstruieren kann? (vgl. dazu oben Kap. 2.2) Vor dem Hintergrund der Überlegungen in Kap. 9.1 kann nur konstatiert werden, dass das

418 | Konstruktionen der AKZEPTATION

Auftreten einer solchen Konstruktion höchst unwahrscheinlich ist, was primär nicht auf die ‚intransformative Aktionsartfestlegung‘ zurückzuführen ist. Wichtig scheint (1) zunächst zu sein, dass – so zeigen es die (nicht belegten) Beispiele, die Eroms anführt, – keine Konstruktionsrealisierung eine eindeutige Lesart offerierte und ihr Grammatikalitätsstatus (egal, ob man einen AG oder ein EOB[BEN] codiert sähe) darüber hinaus höchst fragwürdig ist. Auch stehen (2) ausreichend Alternativen zur Verfügung, um selbst die ‚intransformative Aktionsartfestlegung‘ zu realisieren, für die laut Eroms ‚selten Veranlassung bestehe‘. Durch die Einbettung und Verschränkung von Konstruktionen der AKZEPTATION mit Tempuskonstruktionen kann ‚Intransformativität‘ bedeutet werden. Erinnert sei daran, dass Konstruktionen mit bekommen, kriegen und erhalten in analytische Tempuskonstruktionen der Vergangenheit mit haben eingebettet werden können, die z.B. im Perfekt einen Bezug zur Sprechzeit offenhalten und dabei die Abgeschlossenheit eines Vorgangs und eine daraus resultierende Eigenschaft bedeuten (die zumindest zur Sprechzeit in der Regel noch gegeben ist, Ähnliches wurde für die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden beobachtet, vgl. dazu speziell Kap. 7.1 und 8.1):1 [K772] 1933 / BE / Toller, Ernst, Eine Jugend in Deutschland, Amsterdam: Querido 1933, S. 16 / Ich habe eine Eisenbahn geschenkt bekommen. [K57]

1980 / BE / Merian, Svende, Der Tod des Märchenprinzen, Hamburg: Buntbuch-Verl. 1980, S. 37 / Daß jeder Mann so viel frauenfeindliche Ideologie in den Kopf gebimst gekriegt hat, daß die nicht von alleine weg ist, wenn mann sich nie mehr frauenfeindlich verhalten will.

[K214] 1910 / GE / Friedländer, Hugo, Die Ermordung der Medizinalrätin Molitor auf der Promenade in Baden-Baden, in: ders., Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung Band 2, Berlin: Barsdorf 1910, S. 402 / Angekl.: Das ist richtig; mit diesem Revolver ist in Belgrad ein Attentat verübt worden; ich habe ihn in der Türkei geschenkt erhalten. Für alle drei Belege – je mit bekommen, kriegen und erhalten – ist eine ‚intransformative Aktionsartfestlegung‘ zu postulieren, allerdings in der im Sprachgebrauch typischen Form, nämlich durch die Einbettung in eine analytische Tem|| 1 Die Belege sind den Sammlungen zu bekommen (Kap. 9.1.1), kriegen (Kap. 9.1.2) und erhalten (Kap. 9.1.3) entnommen und dort wie in Kap. 15.2 nachgewiesen.

behalten in Konstruktionen der AKZEPTATION und Zusammenfassung | 419

puskonstruktion der Vergangenheit. Dabei wird der in der Konstruktion der AKZEPTATION herausgestellte VORGANG so perspektiviert, dass der VORGANG zwar als solcher noch präsent gehalten wird (das muss er, damit die Perspektivierungsleistung der Konstruktion der AKZEPTATION noch kommunikativ realisiert wird), aber nun vor allem hinsichtlich seines Ergebnisses (als Eigenschaft) fokussiert wird, welches bis (wenigstens) zur Sprechzeit gesetzt bleibt, was in [K57] zusätzlich expliziert wird. Gleiches war für die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden beschrieben worden, die interessanterweise in [K214] im analytischen Perfekt mit sein ebenfalls realisiert ist (und deshalb alternativ in recte hervorgehoben ist). Wollte man die Perspektivierungsleistung der analytischen Tempuskonstruktionen und ihre Bedeutung im Konstruktikon beschreiben (denn sie betten auch agentive, modale und reflexive Konstruktionen ein), dann wäre Beleg [K214] als idealtypisches Beispiel zu zitieren. Das werden wir deshalb auch erneut in Kap. 10.1.3 tun, wenn wir Konstruktionen mit der Prädikatsklasse VORGANG in analytischen Vergangenheitstempora noch einmal zusammenfassend beschreiben. Die Konstruktionen der AKZEPTATION mit bekommen, kriegen und erhalten zeichnen sich durch eine eigene Perspektivierungsleistung aus, die in der Analyse an Belegmaterial ausgestellt werden konnte. Sie bilden ein eigenes Format und haben sich als Konstruktionen neben denen der ASKRIPTION und der KOMMUTATION etabliert. Dass sie mit Letzteren vergleichbar einen VORGANG konzeptualisieren, wird deutlich daran, dass sie (zunehmend) konsequent Perfektpartizipien (und Funktionsverbgefüge) einbetten. Diese unterstützen die Konstruktionsbedeutung in besonderem Maße – dies konnten wir auch für die Konstruktion der KOMMUTATION zeigen (vgl. oben Kap. 8.1). Die Konstruktionen der AKZEPTATION bilden eine recht homogene Gruppe um Konstruktionen, in die bekommen, kriegen und mit Abstrichen auch erhalten eingebettet werden. Dabei wird immer die direkte Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung etabliert. Allerdings stehen die Varianten bekommen und kriegen nur im Modell gleichberechtigt nebeneinander, im Sprachgebrauch wird in schriftsprachlichen, standardnahen Kontexten eindeutig die Realisierung mit bekommen bevorzugt. Kriegen erschien im KERN-Korpus des DWDS nur in belletristischen Texten in nicht-narrativen Aussagezusammenhängen (hier: [intradiegetischer] Figurenrede) im Präsens Indikativ als Gebrauchsvariante der Realisierungen mit bekommen. Erhalten hingegen steht abseits: Es vollzieht den Konstruktionswandel nicht in der Art, wie er sich bei bekommen und kriegen im 20. Jahrhundert beobachten lässt. Es etabliert keine Instanz der Konstruktion wie bekommen und kriegen, sondern es verhält sich, als ob es in einer Teil-Ganzes-Relation zur Kon-

420 | Konstruktionen der AKZEPTATION

struktion der AKZEPTATION stünde. Es öffnet seinen Rollenplan nicht und lässt nur die Einbettung von Additiven (ADD) zu, ist bezüglich der Qualitative weitestgehend auf deverbale Adjektive aus Perfektpartizipien beschränkt und blockiert bis auf wenige Ausnahmen die Einbettung der Konstruktion der AKZEPTATION in analytische Tempuskonstruktionen der Vergangenheit mit haben. Das sind drei mögliche Gründe dafür, dass Sprachbenutzer die Konstruktion nach und nach abwählen. Mit der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten sehen wir eine ‚Konstruktion im Vergehen‘. Wie bei der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden gibt es auch bei denen der AKZEPTATION im direkten Umfeld eine intermediäre Konstruktion: die nonagentive Konstruktion mit haben. Diese werden wir – wie die Konstruktionen mit gehören – in Kap. 10.2 näher beschreiben.

10 Intermediäre Konstruktionen In diesem Kapitel möchten wir uns einigen besonderen Fällen zuwenden, die in der Analyse bisher häufig nur knapp angesprochen wurden. Wir tragen Einzelbeobachtungen zusammen, die in den Kapiteln bei einzelnen beschriebenen Konstruktionsrealisierungen zu beobachten waren, aber systematisch nicht zusammengefasst werden konnten – diese einzelnen losen Enden führen wir in diesem Kapitel zusammen, indem wir noch einmal ausgewählte Beispiele zitieren und in die Einzelkapitel zurückverweisen, wo dies notwendig ist. Außerdem möchten wir die Gelegenheit nutzen, an diesen Außenbereichen unseres Gegenstands Desiderata für mögliche Anschlussarbeiten zu formulieren. Es werden hier im Wesentlichen drei Phänomene zusammengeführt: Aktualisierungen der Perspektivierungsleistung von nonagentiven Konstruktionen (Kap. 10.1), intermediäre Konstruktionen, die ihre Eigenschaften von mehreren Konstruktionen ererben, nämlich nonagentive Konstruktionen mit gehören und haben (Kap. 10.2), und ein besonderer Fall, der eine ‚Konstruktion im Werden‘ betrifft, nämlich wirken in der Konstruktion der ASKRIPTION mit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung. Alle diese Konstruktionsrealisierungen sind systematisch auf verschiedenen Ebenen als intermediär zu charakterisieren; die ersten nähern sich in einer spezifischen Realisierung der kognitiven Perspektivierung einer anderen Konstruktion, die zweiten haben ihren (festen) Platz als intermediäre Konstruktionen zwischen zwei Knoten im Konstruktikon und die letztere ist als ‚Konstruktion im Werden‘ noch nicht an einem bestimmten Platz im Konstruktikon zu verorten. Die jetzt auf der Basis des Untersuchungsmaterials erfolgte Verortung ist vorläufiger Natur. Das Kapitel ist – wie die gewählte Kapitelüberschrift und die Hinführung andeuten – nicht in derselben Art homogen wie die Kap. 7 bis 9; es weicht darstellungstechnisch von den bisherigen ab. Die Gründe dafür sind, dass die Ergebnisse systematischer Analysen hier nicht wiederholt werden (das betrifft vor allem Kap. 10.1). Für die Beschreibung der Konstruktionen mit gehören und haben und die Einbettung von wirken in die Konstruktion der ASKRIPTION (Kap. 10.2) hingegen werden je eigene Formate und Zugriffe notwendig, um die Konstruktionsrealisierungen adäquat beschreiben zu können.

422 | Intermediäre Konstruktionen

10.1 Aktualisierung der kommunikativen Perspektivität nonagentiver Konstruktionen Das Bemerkenswerte bei den Konstruktionen, die nun noch einmal separat besprochen werden sollen, ist, dass sie durch die Einbettung anderer bzw. Integration in andere Konstruktionen so aktualisiert werden, dass sich die Perspektivierungsleistung der jeweiligen Konstruktion teils beträchtlich erweitert. Wir hatten in der Analyse immer wieder auf diese Fälle hingewiesen: – Einbettung modaler Infinitive als QUAL (Kap. 7.1, 7.2, 7.3.1.1, Kap. 9.1.1 und 9.1.2), – Einbettung der Konstruktionen der KOMMUTATION und AKZEPTATION in analytische Tempuskonstruktionen (Kap. 8.1 und Kap. 9.1.1 und 9.1.2), – Fokuswechsel und Einbettung von das AOB umfassender Situation (SIT) in Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden (Kap. 8.1), – Einbettung nonagentiver Konstruktionen in das ‚analytische Präsens und Präteritum der Modalkonstruktionen‘ (vor allem Kap. 8.1).

10.1.1 Einbettung des modalen Infinitivs in Konstruktionen der ASKRIPTION und AKZEPTATION In den Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein und bleiben spielen die Qualitative aus modalen Infinitiven eine gewichtige Rolle. Sie sind hier vor allem in den synthetischen Tempora Präsens und Präteritum vertreten, eine Einbettung in analytische Tempora kann eher als die Ausnahme gelten – wenn, dann wurde aber das analytische Futur bedient (vgl. Kap. 7.1. und 7.2). Modale Infinitive (als Qualitative) wurden charakterisiert als Konstruktionen, die mit Stefanowitsch 2009 ‚Obligation‘ oder ‚Situation‘ bedeuten – der ZUSTAND eines spezifizierten Objektes (SOB) wird als ‚nicht-verhandelbar notwendig‘ oder als ‚in der Situation möglich‘, in jedem Fall aber zugleich als ‚nicht gegeben‘ charakterisiert. Damit wird sowohl den Konstruktionsrealisierungen mit sein als auch jenen mit bleiben eine deontische Qualität eigen, die in der Konstruktionsbedeutung der ASKRIPTION mit direkter und resultativer Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung in dieser Form nicht angelegt ist. Der Benutzer der Konstruktion bringt zum Ausdruck, dass der ‚nicht gegebene ZUSTAND notwendig oder möglich sei‘ (Belegsammlungen sein und bleiben, vgl. oben Kap. 7.1 und 7.2 sowie das Verzeichnis in Kap. 15.2):

Aktualisierung der kommunikativen Perspektivität nonagentiver Konstruktionen | 423

[K2268] 1998 / GE / o.A., Personenstandsgesetz, in: Sartorius 1: Verfassungsund Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Bei Zwillings- oder Mehrgeburten ist jede Geburt besonders einzutragen. [K752] 1989 / GE / Brandt, Willy, Erinnerungen, Frankfurt a.M.: Propyläen 1989, S. 407 / Auf dem Weg zu neuer Klärung der Begriffe war und bleibt viel Schutt wegzuräumen. [K773] 1985 / GE / Rapczynski, Hans-Dieter, Erfahrungen der politischen Führung der Volksaussprache vor dem XI. Parteitag, in: Neuer Weg 40 (1985) Nr. 8, S. 297–299, S. 299 / Nichts sehe ich, was den Siegen Eurer Majestäten noch hinzuzufügen bleibt als die Wiedereroberung des Grabes des Heilandes in Jerusalem. Man kann also von einer deontischen Modalisierung sprechen, ohne dass zugleich die Perspektive der ASKRIPTION mit direkter oder resultativer Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung aufgegeben würde – die Realisierung hat durch die Einbettung eines modalen Infinitivs als intermediären Charakter. Das wird durch eine mehrstufige Zuweisung möglich: Der Sprecher markiert (1) einen ZUSTAND eines SOB als nicht gegeben. (2) Er wünscht, dass dieser ZUSTAND herbeigeführt wird (‚obligativ‘) oder dass der ZUSTAND zumindest im Rahmen des Möglichen liegt (‚situativ‘). Dieser zweite Bedeutungsaspekt, der die kommunikative Perspektivität der Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein und bleiben aktualisiert und verschiebt, geht nicht in die kognitive Perspektivität der Konstruktion ein. Man müsste sich nun konstruktionsgrammatisch nicht weiter mit diesen Fälle auseinandersetzen, wenn nicht die Deontik auch zum Merkmal anderer Konstruktionen würde. Denn auch dem so genannten ‚unpersönlichen Passiv‘ (Kap. 10.1.2) wird bisweilen eine Deontik zugewiesen und die nonagentiven Konstruktionen mit gehören (Kap. 10.2.1) denotieren Inhalte, die nicht als faktisch, sondern als notwendig oder erwünscht markiert werden. Die Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen jedoch, die ohnehin eine modale Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung ausweist, profitiert massiv von der Bedeutung, die der modale Infinitiv beiträgt (Belegsammlung scheinen, vgl. oben Kap. 7.3.1.1 und unten Kap. 15.2): [K2456] 1913 / GE / Francke, Alexander, Fünf Wochen im Osten der Vereinigten Staaten und Kanadas, Bern: A. Francke 1913, S. 72 / Der Sinn für diese

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Zierde unseres Hauses und unseres Gartens scheint dem Durchschnittsamerikaner fast gänzlich abzugehen. [K2462] 1906 / WI / Fischer, Emil, Untersuchungen über Aminosäuren, Polypeptide und Proteine, in: Berichte der Deutschen chemischen Gesellschaft 39 (1906), S. 530 ff., S. 51 / Diese Umwandlung scheint unter denselben Bedingungen auch bei den Estern der Tripeptide einzutreten. Für die Konstruktion hatten wir die Bedeutung angegeben, dass ‚einem SOB eine mittels eines QUAL ausgedrückte Eigenschaft zugewiesen wird, deren Faktizität durch den Sprecher markiert wird.‘

Abb. 190: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs- und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/eX0dHq; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0.

Aktualisierung der kommunikativen Perspektivität nonagentiver Konstruktionen | 425

Der modale Infinitiv kann hier nicht mehr beide Grundbedeutungen einbringen, sondern kann nur noch ‚Situation‘, also ‚Option‘ bedeuten. So wird die Faktizitätsmarkierung des Sprechers durch den modalen Infinitiv zusätzlich hervorgehoben – wenn man so will, stützt besonders der modale Infinitiv als Qualitativ diese Konstruktion, er ist für die Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen die ideale als Qualitativ einzubettende Konstruktion, wie man deutlich auch an den beobachteten und geschätzten Belegzahlen der Konstruktion im KERN-Korpus ablesen kann (wie nehmen hier von oben noch einmal Abb. 74 als Abb. 190 auf). Der modale Infinitiv ist in den Konstruktionen der ASKRIPTION mit scheinen der mit Abstand am häufigsten eingebettete Qualitativ und zwar sowohl in Präsens als in Präteritum. Ähnliches war weder für sein und bleiben (hier dominieren eindeutig Elemente, die als ADJD oder VVPP annotiert werden), noch für bekommen und kriegen zu beobachten. Der Konstruktionstyp mag angesichts der Belegzahlen, die andere Konstruktionsrealisierungen erreichen, zwar „relativ selten“ (Diewald 2001: 103) sein, aber betrachtet man die Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen für sich, dann hat der Konstruktionswandel von scheinen, den Diewald (als ‚Grammatikalisierungspfad‘) zeichnet (Nachbildung der „modal-passivischen Verwendung von sein“, Diewald 2001: 103), wohl maßgeblich dazu beigetragen, dass man die Einbettung des modalen Infinitivs in die Konstruktionen der ASKRIPTION mit scheinen heute als prototypisch bezeichnen kann. In der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen und kriegen kann der modale Infinitiv als Qualitativ ebenfalls eingebettet werden (vgl. Kap. 9.1.1 und 9.1.2). In Konstruktionen mit erhalten ist er, wie oben erläutert, eher die Ausnahme (vgl. oben Kap. 9.1.3); Konstruktionen mit kriegen wurden als Gebrauchsvariante von bekommen (in belletristischen Texten) bestimmt. Wir werden uns deshalb hier auf Realisierungen mit bekommen konzentrieren, genauer die Einbettung von zu sehen, zu hören, zu spüren, zu essen, zu lesen und zu fühlen als den häufigsten Qualitativen betrachten (Belegsammlung bekommen, vgl. Kap. 9.1.1 und unten Kap. 15.2): [K231] 1979 / WI / Lorenz, Konrad, Das Jahr der Graugans, München: Piper 1979, S. 5 / Wenn ich auf einer Kiesbank des Almflusses mit meinen Gänsen sitze oder daheim in Altenberg vor meinem großen Aquarium mit tropischen Meeresfischen, vergehen kaum ein paar Stunden, in denen ich nicht irgend etwas mir völlig Unerwartetes zu sehen bekomme, etwas, wofür ich keine Erklärung habe und was vor allem neue Fragen aufwirft, die weitere Beobachtungen und sehr häufig auch experimentelle Untersuchung fordern.

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[K217] 1930 / ZE Berliner Tageblatt (Morgen-Ausgabe) 02.03.1930, 02.03.1930 / Insbesondere bekommt der Tulpenmann etliche scharfe und plumpe Bemerkungen zu hören. [K209] 1986 / GE / Giesder, Gabriele, Gutes Benehmen, Düsseldorf: EconTaschenbuch-Verl. 1986, S. 167 / Krebse sind ein wahres Diätgericht: Man arbeitet angestrengt und bekommt nur wenig zu essen. [K214] 1939 / GE / Brief von Irene G. an Ernst G. vom 24.10.1939, FeldpostArchive mkb-fp-0270, S. 454 / Aber bekommt ihr nicht auch Zeitungen zu lesen? [K317] 1925 / BE / Kafka, Franz, Der Proceß, o.O. 1925, S. 147 / „Jetzt bin ich ihm nicht gewachsen“, sagte sich K., „wenn aber meine persönlichen Schwierigkeiten einmal beseitigt sein werden, dann soll er wahrhaftig der erste sein, der es zu fühlen bekommt und zwar möglichst bitter.“ Schließen wir noch einmal an die Interpretation des modalen Infinitivs an, dann wird angesichts der Konstruktionsrealisierungen in den Beispielen deutlich, dass hier nicht die Grundbedeutungen ‚Obligation‘ oder ‚Situation‘ gleichermaßen aufgerufen werden und die Konstruktionsbedeutung stützen. Alle Belege drücken Handlungsoptionen aus, die das EOB (bzw. der BEN) als notwendig (‚obligativ‘, Stefanowitsch 2009: 586 u.ö.) zu akzeptieren hat – alle Qualitative bezeichnen rezeptive Kontexte, entweder der konkreten oder übertragenen ‚Nahrungs‘-Aufnahme bzw. einer ‚Behandlung‘ (meist in den Kontexten der Strafe). Dass vor allem diese Kontexte durch die Konstruktionsrealisierungen bedient werden, ist ein Hinweis darauf, dass hier zum einen die Konstruktionsbedeutung nur eine Einbettung von Qualitativen dieser Art zulässt und zum anderen starke kollokative Bezüge zwischen bekommen und den eingebetteten Qualitativen bestehen. Hier ist also von Verfestigungen auszugehen, die teils idiomatische Qualität haben können. Für die Idiomatisierung spricht auch, dass einzelne der eingebetteten Qualitative ein Trend hin zur Nominalisierungen erkennen lassen – wir fächern hier die verwendeten Qualitative etwas auf, um zu zeigen, dass die oben erwähnten Kontexte zwar dominieren, aber nicht ausschließlich bedient werden:1

|| 1 Die Belege wurden ermittelt im KERN-Korpus des DWDS (http://dwds.de; Stand: 16.09.2016) mit dem Suchstring near(bekommen,zum,5).

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[126]

1954 / BE / Koeppen, Wolfgang, Der Tod in Rom, Stuttgart: Scherz & Govert 1954, S. 475 / Erst wenn Dietrich arbeitslos wird, erst wenn er kein Automobil zum Spielen bekommt, […] wird er bedenkenlos in jeden falschen Krieg ziehen.

[127]

1953 / GE / Klemperer, Victor, [Tagebuch] 1953, S. 359 / Volksleben an der Theke der Friedrichstraße. Bisher bekam man dort Kaffee u. Wurstschrippen zum Dort-Essen ohne Weiteres.

[128]

1941 / GE / Brief von Alois Scheuer an Friedchen Scheuer vom 24.07.1941, Feldpost-Archive mkb-fp-0079, S. 247 / Brief folgt, sobald ich Zeit zum Schreiben bekomme.

[129]

1939 / GE / Hahn, Christian Diedrich, Bauernweisheit unterm Mikroskop, Oldenburg i.O.: Stalling 1939, S. 65 / Pünktlich stellen sie sich vor den Almhütten ein, wenn sie von fern die Lockstimme des Sennen hören, um sich melken zu lassen, und sie wissen ganz genau, wann sie ihren größten Leckerbissen, Salz, zum Lecken bekommen.

Selbst in der Nominalisierung bleibt aber die Bedeutung einer alternativlosen Handlungsoption noch erkennbar.

10.1.2 Werden in der Konstruktion der KOMMUTATION mit deontischer Lesart? Das so genannte ‚unpersönliche Passiv‘ Das ‚unpersönliche Passiv‘ wurde in engem Zusammenhang mit den Konstruktionen der KOMMUTATION beschrieben, was auf die zugrundeliegende Perspektivierung grundsätzlich hinweist. Es ist nicht wahrscheinlich (aber auch nicht undenkbar), dass auch Konstruktionen der ASKRIPTION und AKZEPTATION durch Fokussierung einer SIT (bzw. spezifisch von LOC oder TE) aktualisiert werden. Noch kann man sie aus dem Sprachgebrauch nicht rekonstruieren (siehe zu diesem Problem auch Kap. 9.2) – anders als bei behalten formuliert Eroms (2000: 430f.) hier klar in Bezug auf das sein-Passiv: „Da in der Literatur zum unpersönlichen Passiv keine Textbelege angeführt werden, muss dies weiteren Forschungen vorbehalten bleiben.“ Und weiter: „Vom Dativpassiv lassen sich keine unpersönlichen Konstruktionen bilden.“ Wir hatten oben in Kap. 9 angekündigt, noch einmal auf den Beleg [119] aus Klemperers Tagebüchern zurückzukommen: Und hier noch ein Päckchen ausgeliefert bekommen. Aller-

428 | Intermediäre Konstruktionen

dings interpretieren wir diese Realisierung nicht als ‚unpersönliche Variante‘, sondern als Ellipse. Eroms (2000: 431) ist bezüglich seiner Einschätzung (im Moment jedenfalls) recht zu geben. Auch Vogel (2006) bespricht ausschließlich Konstruktionen mit werden zum ‚unpersönlichen Passiv‘, auf das wir uns ebenfalls konzentrieren möchten: [K435] 1999 / GE / Schwanitz, Dietrich, Bildung, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 408 / Und am Schluß wird geheiratet. [K444] 1999 / ZE / Die Zeit 01.07.1999 / Aber es ist klar: An der Stelle wird noch gearbeitet. [K1378] 1908 / ZE / Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe) 05.03.1908 / Nur selten wird da mal gelüftet. [K1386] 1908 / ZE / Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe) 04.03.1908 / Aus Konstanz wird uns geschrieben. Wie in Kap. 8.1 ausgeführt, ist nicht davon auszugehen, dass das ‚unpersönliche Passiv‘ (schon) einen eigenen Konstruktionstyp etabliert, sondern dass hier statt eines AOB in der Argumentstruktur ein größerer situativer Kontext (SIT [LOC, TE]) angelegt ist. Warum greifen wir die Konstruktion hier dann noch einmal auf? Dafür gibt es zwei Gründe. (1) Durch die Generalisierung und Erfassung des AOBs in einer mehr oder weniger spezifizierten Situation (SIT) lassen sich Aussagen wie es wird geheiratet/gearbeitet/gelüftet/geschrieben im Sprachgebrauch auch verwenden, um den Wunsch eines Sprechers zum Ausdruck zu bringen. Konstruktionsgrammatisch lassen sich pragmatische und Kontextfaktoren aber nicht fassen. Deshalb wurde nach der Deontik im Titel dieses knappen Kapitels gefragt. Andererseits: Es ist zum jetzigen Zeitpunkt zumindest nicht unwahrscheinlich, dass sich auch für andere Konstruktionstypen ‚unpersönliche‘ Varianten etablieren, z.B. für nonagentive Konstruktion mit gehören: [130]

Und am Schluss gehört geheiratet.

[131]

An der Stelle gehört noch gearbeitet.

[132]

Nur selten gehört da mal gelüftet.

Aktualisierung der kommunikativen Perspektivität nonagentiver Konstruktionen | 429

[133]

Aus Konstanz gehört uns geschrieben.

Konstruktionsrealisierungen mit gehören wie in [130] bis [133], in denen eine Situation (SIT), bzw. ein Locativ (LOC) oder Temporativ (TE) fokussiert werden, lassen sich im KERN- und ZEIT-Korpus (noch) nicht nachweisen – dieser Gegenstand sei eingedenk dessen, dass es sich gehört (Reflexivkonstruktionen untersuchten wir explizit ebenfalls nicht), als Desideratum formuliert. [K68]

ZEIT / Die Zeit, 23.05.2009 / Man mag das alles gutheißen. Aber es gehört in einer demokratischen Gesellschaft diskutiert.

[K68] gibt dabei (schwach) die Richtung vor. Es ist gut möglich, dass sich es hier auf das im vorangegangenen Satz bezieht; aber ebenso, dass es das gerade nicht tut und hier eine allgemeine Situation (SIT) aufgerufen wird, wie für die Realisierungen mit werden soeben beschrieben. Möglicherweise kommt diese Frage für den Nachweis im Sprachgebrauch zu früh. Konstruktionen mit gehören werden als Konstruktionen deontischer Modalisierung gefasst (vgl. Kap. 10.2.1) – allerdings rührt hier die deontische Qualität von der Konstruktion und dem eingebetteten Verb her und nicht von der Realisierung eines Situativs (SIT), Locativs (LOC) oder Temporativs (TE). Könnte man systematisch mehrere Belege dieser Art auch in anderen Korpora nachweisen, dann wäre nicht nur die Nähe zu Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden aufgezeigt, sondern man könnte auch daran gehen, für diese Perspektivierungsleistung einen eigenständigen Konstruktionstyp zu postulieren. Bis dahin ordnen wir ihn (auch in Kap. 11) (primär) der Konstruktion der KOMMUTATION zu.

10.1.3 Konstruktionen mit der Prädikatsklasse VORGANG in analytischen Vergangenheitstempora In diesem Kapitel werden zwei Detailbeobachtungen zusammengeführt, die sich bei den Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden und den Konstruktionen der AKZEPTATION mit bekommen, kriegen und erhalten beschreiben ließen (Belegsammlungen werden und bekommen, vgl. oben Kap. 8.1 und 9.1.1 sowie den Nachweis in Kap. 15.2): [K3305] 1998 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1954 – 1974, Berlin: Aufbau-Verl. 1998, S. 356 / Auf die Frage, ob Petra Schelm von vorn odervon hinten erschossen worden ist, haben wir verzichtet.

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[K3362] 1998 / GE / o.A., Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes, in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Wird von einer Frau, deren Ehemann für tot erklärt oder dessen Todeszeit gerichtlich festgestellt worden ist, ein Kind geboren, so sind der gerichtliche Beschluß und die festgestellte Todeszeit im Geburtseintrag anzugeben. [K214] 1910 / GE / Friedländer, Hugo, Die Ermordung der Medizinalrätin Molitor auf der Promenade in Baden-Baden, in: ders., Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung Band 2, Berlin: Barsdorf 1910, S. 402 / Angekl.: Das ist richtig; mit diesem Revolver ist in Belgrad ein Attentat verübt worden; ich habe ihn in der Türkei geschenkt erhalten. Die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden werden, wie in [K3305] und [K3362], in analytische Tempuskonstruktionen des Perfekts mit sein eingebettet – an der Bedeutung der Konstruktion der KOMMUTATON, nämlich anzuzeigen, dass ‚ein affiziertes Objekt (AOB) hinsichtlich seines Zustands durch einen im QUAL spezifizierten Vorgang verändert wird‘ (Petra Schelm wird erschossen und die Todeszeit wird gerichtlich festgestellt und das Attentat wird verübt) ändert das zunächst nichts. Durch die Einbettung ins Perfekt wird die Konstruktionsbedeutung der abstrakteren Konstruktion erzwungen. Die VORGÄNGE der Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION sind abgeschlossen und werden vor die Referenzzeit gelegt, die identisch mit der Sprechzeit ist. Zur Sprechzeit sind ‚Petra Schelm bereits erschossen‘, ‚die Todeszeit gerichtlich festgestellt‘ und ‚das Attentat verübt‘ – Eigenschaften, die auf einen abgeschlossenen VORGANG in der Vergangenheit zurückzuführen sind, der mit Perfektpartizip (erschossen, festgestellt und verübt, zur Bedeutung des Perfektpartizips vgl. Kap. 5.2.3.2) und der gesamten Realisierung der Konstruktion der KOMMUTATION expliziert wird. Das analytische Perfekt mit sein erzwingt hier die Lesart, in die die Konstruktion mit werden eingebettet ist (vgl. Kap. 8.1). Perspektivisch so aktualisiert, können u.a. die Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden als systematische Gebrauchsalternative zur Verfügung stehen, um die „Perfektlücke“ zu schließen, die für die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein zu konstatieren ist (vgl. Kap. 7.1). Ähnliches lässt sich auch für die Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen postulieren, wobei haben als Verb in der Perfektkonstruktion eine besondere Rolle spielt (aus den Belegsammlungen von bekommen und erhalten, vgl. Kap. 9.1.1 und 9.1.3 sowie Kap. 15.2):

Aktualisierung der kommunikativen Perspektivität nonagentiver Konstruktionen | 431

[K214] 1910 / GE / Friedländer, Hugo, Die Ermordung der Medizinalrätin Molitor auf der Promenade in Baden-Baden, in: ders., Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung Band 2, Berlin: Barsdorf 1910, S. 402 / Angekl.: Das ist richtig; mit diesem Revolver ist in Belgrad ein Attentat verübt worden; ich habe ihn in der Türkei geschenkt erhalten. [‚Ich habe, also besitze, den Revolver‘ ohne Vereindeutigung der temporalen Lesart] [K788] 1985 / ZE / Der Spiegel 24.06.1985 / Im fernsehüblichen Trott erregt zuweilen nur noch „Monitor“ Aufsehen, das ja auch schon einstweilige Verfügungen zugestellt bekommen hat. [‚Monitor hat, also besitzt, einstweilige Verfügungen‘] Haben im analytischen Perfekt ist nicht nur für die analytische Tempuskonstruktion unabdingbar, sondern unterstützt semantisch zugleich die Perspektivierung der Konstruktion der AKZEPTATION: Der VORGANG der AKZEPTATION wird – strukturanalog zu den besprochenen Beispielen der Konstruktion der KOMMUTATION – in die Vergangenheit gelegt und als abgeschlossen charakterisiert. Das Ergebnis ist ein ‚Besitz‘ oder eine ‚Verfügungsgewalt‘ als Eigenschaft als Resultat eines (explizierten) VORGANGs – im Anschluss an die Zitate ist diese Aktualisierung der Konstruktionsbedeutung paraphrasiert. Dabei ist strittig, ob die Einlassung des Angeklagten sachlich richtig nicht im Plusquamperfekt hätte erscheinen müssen (ich hatte ihn in der Türkei geschenkt erhalten), was nämlich implizieren kann, dass er den Revolver nicht mehr besitzt. Zusammenhänge wie diese lassen sich – auch wenn man dies anstrebt – nur bedingt in einem zweidimensionalen Konstruktikon darstellen. Streng genommen müssten die Einbettungen in Tempuskonstruktionen in einem Mehrebenenmodell erfasst werden, in welchem die Bezüge und die Einbettungsregeln der Konstruktionen für jede einzelne Tempuskonstruktion (vor allem analytische Tempora) abgebildet wären.

10.1.4 ‚Analytisches Präsens‘ und ‚analytisches Präteritum der Modalkonstruktionen‘ Analytische Modalkonstruktionen waren an verschiedenen Punkten dieser Darstellung in den Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Wir hatten sie z.B. als ‚analytisches Präsens‘ und ‚analytisches Präteritum‘ dort charakterisiert, wo aufgrund verschiedener Restriktionen die Einbettung in analytische Tempora

432 | Intermediäre Konstruktionen

blockiert war (vgl. vor allem Kap. 7.1 und 8.1). Dazu gehören auch die Möglichkeiten, die sich eröffnen, wenn man werden als Verb in analytischen Modalkonstruktionen beschreibt. In Kap. 5.1.4 war darauf hingewiesen worden, dass sich hier ein Übergangsbereich zwischen analytischem Futur und Modalkonstruktion mit werden öffnet, den man konstruktionsgrammatisch auch als Übergangsbereich zwischen zwei prototypisch geordneten Konstruktionen fassen muss: [134]

1908 / WI / Fischer, Hermann, Grundzüge der Deutschen Altertumskunde, Leipzig, S. 32 / Mit der Erleuchtung wird es nicht sehr üppig bestellt gewesen sein.

[135]

1927 / WI / Rafaeli, Max / Le Mang, Erwin, Die geheimen Liebesmächte, Dresden: Rudolph 1927, S. 15–200, S. 119 / Auch das Weib der Vorzeit hat bestimmte Rassenmerkmale, körperliche und seelische Eigenschaften gehabt, durch die es dem vorhistorischen Mann besonders begehrenswert erschienen sein wird.

[134] und [135] sind nur epistemisch lesbar, d.h., dass hier eine analytische Modalkonstruktion mit werden vorliegt (ein ‚analytisches Präsens der Modalkonstruktion‘), die man nicht als analytische Futurkonstruktion verstehen kann. Ein großer Teil der Belege, die formal als Futurkonstruktion aufgerufen worden sind, sind Realisierungen der Modalkonstruktion, wie [134] und [135] – nichts garantiert die Stabilität eines Kontinuums zwischen zwei Konstruktionen offenbar besser als formgleiche Konstruktionsrealisierungen. Das ‚analytische Präsens‘ und das ‚analytische Präteritum der Modalkonstruktionen‘, also eine analytische Modalkonstruktion mit z.B. können, müssen, sollen, dürfen, wollen usw. im Präsens oder Präteritum, in die (hier) eine nonagentive Konstruktion eingebettet wird, steht prinzipiell immer zur Verfügung: [136]

1999 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1975 – 1995, Berlin: Aufbau-Verl. 1999, S. 293 / Der Oberstaatsanwalt weiß sich gegen den Verdacht der Menschlichkeit zu schützen: Der Unterzeichnete ist sich dessen bewußt, daß auf Todesstrafe lautende Urteile gegen Polen in der Regel schonungslos vollstreckt werden müssen. Aber nur, um auf dieser Folie ein gutes Wort für den kleinen Walerjan einzulegen, gegen den er das Todesurteil beantragt hatte: Andererseits hält er es nicht für angängig, ein Todesurteil an einem Knaben (im Entwurf stand: Todesstrafe an Kindern; H.H.) zu vollstrecken.

Aktualisierung der kommunikativen Perspektivität nonagentiver Konstruktionen | 433

[137]

1955 / ZE / Archiv der Gegenwart, 25, 1955 / Nun sind wir heute so weit, daß unsere Beziehungen auch nach außen hin als normalisiert erscheinen können.

[138]

1999 / GE/ Kurz, Robert, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 49 / Im Zuge seiner Abrechnung mit dem »übertriebenen Mitleid« fällt Mandeville sogar über die »Armenschulen« her, die bürgerliche Heuchelei und schlechtes Gewissen ins Leben gerufen hatten. Und wieder sind seine Argumente so ätzend, daß sie in ihre eigene radikale Kritik umzukippen drohen: Als nächstes müssen wir gutes Benehmen und Höflichkeit in Betracht ziehen, die den Armen in den Armenschulen beigebracht werden sollen. Ich bekenne, daß es nach meiner Meinung völlig unnütz, wenn nicht gar schädlich ist, diese Eigenschaften in irgendeinem Maße zu besitzen; zumindest gibt es für die arbeitenden Armen nichts Überflüssigeres.

[139]

1901 / GE / Baudissin, Wolf von / Baudissin, Eva von, Spemanns goldenes Buch der Sitte, Berlin, Stuttgart: Spemann 1901, S. 2344 / Nur wer in einer Familie wirklich verkehrt, darf als junger Mann an einem Geburtstage in der Familie mit dem Blumenstrauß in der Hand erscheinen, wenn er nicht aufdringlich und unbescheiden erscheinen will.

Durch die Einbettung in Modalkonstruktionen (statt Tempuskonstruktionen) wird mit dem ‚analytischen Präsens der Modalkonstruktionen‘ wie in [136] bis [139] jedwede futurische Lesart verdeckt. Um zu zeigen, wie weit sich die Auffassung von ‚analytischen Tempora durch Modalkonstruktionen‘ treiben lässt, diskutieren wir noch einmal einen Beleg der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein: [K4135] 1999 / GE / Schwanitz, Dietrich, Bildung, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 193 / Die Würfel sind gefallen. ‚Analytisches Präsens der Modalkonstruktionen‘: Die Würfel müssen/können/sollen/dürfen/werden gefallen sein. ‚Analytisches Präteritum der Modalkonstruktionen‘: Die Würfel mussten/konnten/sollten/durften gefallen sein. Neben diesen Einbettungen ist, das haben wir nur an einer Stelle angedeutet, auch ein ‚analytisches Futur der Modalkonstruktionen‘ konstruktionsgramma-

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tisch modellierbar: Die Würfel werden morgen gefallen sein müssen/sollen/ können/dürfen. Allerdings hatten wir bereits darauf hingewiesen (Kap. 8.1), dass ohne systematische Anschlussarbeiten zu Polysemierelationen verschiedener Konstruktionen keine belastbaren Aussagen zu der Frage möglich sind, ob hier tatsächlich Tempuskonstruktionen (vereindeutigt durch das Temporaladverbial) oder mehrstufige Modalkonstruktionen vorliegen.

10.2 Multiple Vererbung In diesem Kapitel werden drei besondere Konstruktionen beschrieben, nämlich die nonagentiven Konstruktionen mit gehören und haben und – noch einmal im Rückblick – wirken in alternativem Gebrauchszusammenhang. Ausgangspunkt sollen die Prämissen der Konstruktionsgrammatik zur Vererbung von Konstruktionseigenschaften sein, die wie in Kap. 2.1 vorgestellt haben. Darstellungstechnisch mussten erst die Typen der nonagentiven Konstruktionen in den Kap. 7 bis 9 entwickelt werden, um nun zu zeigen, wie die Konstruktionen mit gehören und haben ihre Eigenschaften von verschiedenen Konstruktionen erben und so als intermediäre Konstruktionen (zwischenliegend in Bezug auf ihre Position im Konstruktikon) zu beschreiben sind, nämlich zum einen zwischen den Konstruktionen der ASKRIPTION und KOMMUTATION (gehören) und zwischen den Konstruktionen der AKZEPTATION und ASKRIPTION (haben). So bilden die Randerscheinungen die Klammer dieser Arbeit und sie stellen die letzten Lücken im Konstruktikon dar, welches wir in Kap. 11 aufspannen werden. Bei allen anderen Verben wurde bisher ausschließlich das KERN-Korpus befragt. Von dieser Setzung werden wir in Bezug auf gehören und haben abweichen müssen. Der Grund: Die Belegzahlen sind im KERN-Korpus zu niedrig, um spezifische Aussagen darüber zu machen, wie die Konstruktionen aktualisiert werden, wenn eines der beiden Verben in sie eingebettet wird. Ist von Vererbung in konstruktionsgrammatischen Kontexten die Rede, dann sollen die Beziehungen, in denen Konstruktionen miteinander stehen, beschrieben werden (vgl. dazu Kap. 2 und zu den jeweiligen Konstruktionen Kap. 5.2.1). Bei den bisher besprochenen Konstruktionen in den Kap. 7 bis 9 sind diese Beziehungen einfach herzustellen. Sie stellen in der Regel Instanzen einer lexikalisch nicht spezifizierten Konstruktion dar, die je nach Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung als Instanz abstrakterer Konstruktionen aufzufassen ist (Konstruktionen mit direkter Relation, vgl. zum Beispiel 7.1) oder in einer Teil-Ganzes-Relation dazu steht (Konstruktionen mit modaler Relation, vgl. zum Beispiel 7.3) Semantisch stehen sie über Teil-Ganzes-Relationen zueinander in Verbindung oder sind Instanzen voneinander. Phänomene der

Multiple Vererbung | 435

multiplen Vererbung sind etwas komplexer organisiert. Hier erben Konstruktionen ihre Eigenschaften von verschiedenen Konstruktionen derselben oder anderer Abstraktionsebene. Konstruktionen mit gehören erben ihre Eigenschaften nach dem Teil-von-Modell von der Konstruktion der KOMMUTATION (prototypisch mit werden), stehen aber gleichzeitig semantisch in einer Teil-vonRelationen mit der Konstruktion der ASKRIPTION. Haben erbt nach dem TeilGanzes-Modell Eigenschaften von der Konstruktion der AKZEPTATION, etabliert subpart links (Teil-Ganzes-Relationen) zur abstrakteren analytischen Perfektkonstruktion mit haben und schließlich zur Konstruktion der AKZEPTATION und ASKRIPTION. Wirken erbt in der hier vorgeschlagenen Interpretation in einer Gebrauchsvariante nach dem Teil-Ganzes-Modell sowohl formale wie semantische Eigenschaften der Konstruktion der ASKRIPTION. Der Konstruktionswandel ist aber keinesfalls abgeschlossen, so dass diese ‚neue‘ Gebrauchsvariante mit den Vererbungsmechanismen agentiver Konstruktionen konkurriert (vgl. zur Terminologie ausführlich Goldberg 1995: 74–97 und zur Erläuterung Smirnova & Mortelmans 2010: 149–156 sowie Ziem & Lasch 2013: 95–102).

10.2.1 gehören in nonagentiven Konstruktionen Konstruktionsrealisierungen mit gehören und deverbalem Adjektiv auf der Basis des Perfektpartizips sind nonagentiven Konstruktionen zuzurechnen, da ihnen eine spezifische kommunikative Perspektivität eignet, die auf eine kognitive Perspektivität schließen lässt, der das Merkmal der Nonagentivität zuzuweisen ist. Konstruktionsrealisierungen mit gehören weisen formal und bedeutungsseitig sowohl eine Nähe zu Realisierungen von Konstruktionen der KOMMUTATION auf (vgl. dazu auch Eroms 2000), als auch bedeutungsseitig zu Konstruktionen der ASKRIPTION mit deontischer Modalisierung (vgl. Stathi 2010) – Konstruktionsrealisierungen mit gehören haben als Modalisierungen dieser beiden Typen intermediären Charakter.2 Für Realisierungen mit gehören wird eine Sonderstellung im Konstruktikon postuliert (vgl. Kap. 11). Sie sind kognitiv an ASKRIPTION und KOMMUTATION gebunden und erben von dort her ihre Eigenschaften. Diese Zwischenstellung ist Indiz dafür, dass die Konstruktionen, die hier auf der Basis ihrer Realisierungen zu beschreiben sind, produktiv sind und der Übergang zwischen einzelnen Typen von Konstruktionen fließend ist. Engel 2009 und Stathi 2010 bemerkten, dass sich für gehören kein vollständiges Tem|| 2 Einzelne Aspekte dieses Kapitels sind zur Veröffentlichung vorbereitet in Lasch im Druck. Sie wurden für diese Studie aktualisiert und neu bearbeitet.

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pusparadima beschreiben lässt (das analytische Perfekt wird mit haben gebildet), was sie als Hinweis auf den ‚Grammatikalisierungsgrad‘ interpretieren. Zu diesem Schluss kann man kommen, allerdings war in der Analyse bisher zu sehen, dass fast alle Konstruktionen und die darin eingebetteten Verben Restriktionen unterliegen, wenn sie in analytische Tempora eingebettet werden, was für die hier vorgeschlagene Differenzierung zwischen analytischen und synthetischen Tempora spricht. Dass gehören noch im Konstruktionswandel befindlich ist, kann man aus konstruktionsgrammatischer Perspektive im Vergleich zu anderen Konstruktionsrealisierungen nicht allein an dieser Beobachtung festmachen: Man denke vor allem an die „Perfektlücke“ der ASKRIPTION mit sein (Kap. 7.1) oder andere Konstruktionsrealisierungen, etwa beispielsweise die mit scheinen oder wirken (Kap. 7.3.1), die ebenfalls in analytische Vergangenheitstempora mit haben eingebettet werden (müssten) und die deshalb kaum analytische Vergangenheitsformen aufweisen, da diese Realisierungen in direkte Konkurrenz treten mit agentiven Konstruktionen. Wir haben bereits angedeutet, dass die Konstruktionen mit gehören zwischen denen der ASKRIPTION und der KOMMUTATION stehen. Um dies zu verdeutlichen, präsentieren wir nicht wie üblich ein Schema der internen Struktur, sondern geben zunächst zwei verschiedene an (als Ausdruck multipler Vererbung). Im Anschluss diskutieren wir beide Varianten und stellen dann abschließend ein Strukturschema zur Diskussion.

Abb. 191: Konstruktion der ASKRIPTION mit Relation des intendierten Resultats zwischen Verbund Konstruktionsbedeutung mit gehören. Direktlink: https://goo.gl/8xYSLS; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Zweifellos ist gehören mit deverbalem Adjektiv auf der Basis des Perfektpartizips eine nonagentive Konstruktion, aber im Moment ist keine klare Angabe

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bezüglich der Frage möglich, ob es sich entweder um eine Eigenschaftszuweisung handelt, die deontischer Qualität ist (Abb. 191), oder ob eine Zustandsänderung und damit die KOMMUTATION der angemessene Rahmen sei, in den das Verb gehören eingebettet werden kann, wie der Eintrag beim E-VALBU (http://hypermedia.ids-mannheim.de/evalbu/index.html; Stand: 16.09.2016) nahelegt mit der Bedeutungsangabe für gehören in unserem Kontext: ‚etwas sollte/müsste getan werden‘ (Abb. 192).

Abb. 192: Konstruktion der KOMMUTATION mit Relation des intendierten Resultats zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung mit gehören. Direktlink: https://goo.gl/Ry4tKM; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Wird gehören in eine nonagentive Konstruktion eingebettet, dann wurde zunächst der Qualitativ (QUAL) durch die Konstruktion lizensiert, da diese Rolle zunächst nicht im Belegplan des Verbs gehören angelegt war. Nur die Rolle des spezifizierten Objektes (SOB) bzw. affizierten Objektes (AOB) konnte zunächst fusionieren, da sowohl in der Konstruktion als auch im Rollenplan des Verbs eine entsprechende Position vorgesehen war – diese Voraussetzung musste erfüllt sein, damit gehören in die Konstruktion eingebettet werden konnte. Wir gehen auch auf der Basis von Stathi 2010 davon aus, dass dies angesichts gegenwärtigen Sprachgebrauchs allerdings eine nicht mehr gegenstandsadäquate Beschreibung wäre, sondern ein früheres Stadium des Konstruktionswandels des Verbs gehören abbildet. Der QUAL ist nun auch im Belegplan des Verbs verankert, wie auch die Einträge u.a. im elektronischen Valenzwörterbuch nahelegen. Durch gehören wird jede der Konstruktionen so aktualisiert, dass in beiden eine Relation des intendierten Resultats zwischen Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung etabliert wird, die auf ein intendiertes Resultat entweder als

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nicht gegebenen aber erwünschten ZUSTAND (ASKRIPTION) oder als VORGANG mit dem Ergebnis eines erwünschten und damit herbeizuführenden Zustand (KOMMUTATION) konzeptualisiert ist. Dass sich beide Konstruktionsbedeutungen in der kommunikativen Perspektivierung kaum voneinander scheiden lassen (und zweifelsfrei auf eine der beiden kognitiven Perspektivitäten geschlossen werden kann), ist die eigenständige Leistung der Konstruktion und beschert den Konstruktionsrealisierungen mit gehören und deverbalem Adjektiv auf Basis eines Perfektpartizips eine Sonderstellung im Konstruktikon neben denen mit haben: Die Konstruktion mit gehören erbt ihre Eigenschaften sowohl von den Konstruktionen der ASKRIPTION wie auch der KOMMUTATION. Da in den gebrauchsbasierten Ansätzen der Konstruktionsgrammatik nicht von einem Modell vollständiger Vererbung (complete inheritance model) ausgegangen wird, sondern sowohl die partielle Vererbung von Eigenschaften (partial inheritance) als auch die Vererbung von Eigenschaften von mehreren hierarchiehöheren Konstruktionen (multiple inheritance) (vgl. dazu Goldberg 1995 und in der Zusammenschau vor allem Zeschel 2009 und 2011) beschrieben werden kann, ist die Zwischenstellung theoretisch und methodisch gut zu fassen. Die Konstruktionen, die hier zu beschreiben sind, stellen genau solch einen Fall dar, wenngleich die Belegdiskussion ans Licht bringen wird, dass auf den VORGANG zur Zustandsänderung nur geschlossen wird (KOMMUTATION, Abb. 192), während der Ausdruck eines erwünschten, aber nicht gegebenen ZUSTANDs primär ist (ASKRIPTION, Abb. 191). In diesem Kapitel weichen wir wie angekündigt von der bisherigen Analysepraxis ab. Das Problem ist nämlich (das gilt auch für die Konstruktion mit haben), dass die Belegzahlen im KERN-Korpus zu gering sind. Wir greifen daher zusätzlich auf das ZEIT-Korpus zurück. Doch zunächst blicken wir auf die Belege, die durch die Suchroutinen im KERN-Korpus erfasst werden konnten. Alle Belege können online eingesehen werden (https://goo.gl/YlPuaN; Stand: 16.09.2016). Das schließt einen vollständigen Überblick über die ausgewerteten Qualitative ein, die in dieser Studie nur im Ausschnitt dokumentiert sind. Im Untersuchungsdesign dieser Studie haben wir mehrfach erklärt, weshalb wir uns bei der Analyse auf indikativische Formen beschränken werden. Zum einen war es so, dass wir nicht nur nonagentive Konstruktionen beschreiben und analysieren, sondern zugleich auch synthetische und analytische Tempora einbeziehen. Aus diesem Grunde schlossen wir konjunktivische Formen aus. Zum zweiten waren diese, wie auch die Modalkonstruktionen, in die nonagentive Konstruktionen eingebettet sein können, nicht systematisch erfassbar. Das war der forschungspraktische Grund, der gegen eine Beschreibung und Analyse konjunktivischer Formen und Modalkonstruktionen sprach. Bei

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gehören werden wir von dieser Beschränkung absehen. Denn es zeigte sich in ersten Vorstudien, dass Engels (2009: 240) und Stathis (2010) Beobachtungen sich auch an KERN-(und später auch ZEIT-)Korpus bestätigen: Die Perfektformen der Konstruktion mit gehören sind einzig im Konjunktiv zu erwarten. Im KERN-Korpus konnten, siehe Abb. 193, insgesamt 1.055 Belege ermittelt werden (N), von denen 832 hätten untersucht werden können (N1) und 605 (n) den Untersuchungsausschnitt bildeten. Nur 10 (!) Belege konnten überhaupt als Konstruktionsrealisierungen ausgemacht werden, in anderen Tempora als dem Präsens (Indikativ) ist die Konstruktion im KERN-Korpus nicht nachweisbar. Das muss verwundern, war doch das analytische Präteritum bisher stets realisiert. Der Grund liegt im besonderen Zuschnitt der Untersuchung: Obwohl seltener vertreten als die Formen im Präsens, entspricht keiner der abgefragten Belege (das waren insgesamt 18) der gesuchten Konstruktion, da diese wenigen, nämlich zwei Belege als präteritale Konjunktivformen einzustufen sind, die die Deontik der Konstruktionsbedeutung besonders unterstützen.

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Abb. 193: Realisierungen der Konstruktionen mit gehören (KERN-Korpus) im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/zO0gjr; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BYSA 4.0.

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Abb. 194: Realisierungen der Konstruktion gehören quantifiziert nach morphologischer Form, Kommunikationsdomäne und chronologischer Einordnung. Direktlink: https://goo.gl/7zFTdg; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die sonst recht detaillierten Übersichten haben wir hier in Abb. 194 für die Konstruktionen mit gehören im KERN-Korpus zusammengefasst. Aus denen kann man lediglich ablesen, dass die Konstruktion in wissenschaftlichen Texten (WI) nicht, etwas in der Gebrauchsliteratur (GE), kaum nennenswert in Zeitungstexten (ZE) und am ‚häufigsten‘ in der Belletristik (BE) verwendet wird. Die Abb. 195 stellt diese ‚Verteilung‘, die zumindest keine Präferenz für WI und GE erkennen lässt, noch einmal in Bezug zu den Qualitativen, die in die Konstruktionen mit gehören eingebettet sind:

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Abb. 195: Verwendete Qualitative in Konstruktionen mit gehören geordnet nach Kommunikationsdomäne und Tempus. Direktlink: https://goo.gl/sM2dTL; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Zwei Beobachtungen sind Grund dafür, dass noch eine zweite Erhebung im ZEIT-Korpus durchgeführt wurde: (1) In Zeitungstexten sind (vgl. Abb. 195) Belege für nonagentive Konstruktionen mit gehören erwartbar. (2) Die Unterscheidung nach Modus ist durchaus relevant. Aber: Das Untersuchungsdesign (Kap. 6) ist nicht auf konjunktivische Konstruktionen ausgerichtet. Deshalb ist die Integration detaillierter Überblicke, wie wir sie sonst verwendeten, hier nicht zielführend. Anders als bei der Vorstellung des Untersuchungsdesigns (vgl. oben Kap. 6) greifen wir nicht auf die Textbasis zurück, die im Retro-DWDS zur Verfügung gestellt wird, sondern setzen auf das stetig erweiterte Korpus der ZEIT auf der überarbeiteten Plattform des DWDS. Das ZEIT-Korpus ist für die unterschiedlichen Plattformen je unterschiedlich dimensioniert: Während das Korpus auf http://retro.dwds.de/textbasis (Stand: 01.09.2015) einen Umfang von 106 Millionen Token hat, wird das Korpus in einer aktualisierten Version auf http://dwds.de/ressourcen/korpora/ (Stand: 01.09.2015) ständig erweitert und hat heute einen Umfang von 225 Millionen Token. Durch die stetige Erweiterung sind die Belegzahlen, die wir im Folgenden präsentieren, nicht am aktuellen Stand des Korpus direkt nachvollziehbar, da das Korpus nach März 2014, dem Zeitpunkt der Erhebung der hier präsentierten Daten, stetig weiter gewachsen ist: Der Suchstring "@gehört #10 $p=VVPP" && !\, (‚dritte Person Singular Präsens Indikativ mit Perfektpartizip im Abstand von 10 Wörtern, nicht getrennt durch Komma als Satzzeichen‘) rief im März 2014 insgesamt 508 Belege auf (N), die alle frei zugänglich sind, Mitte November 2015 wurden bereits 591 Belege (N) erfasst. Der überproportionale Zuwachs ist mit der Heterogenität des Korpus zu erklären: Die jüngeren Jahrgänge sind im Gegensatz zu den früheren Jahrgängen geschlossen erfasst und davon abgesehen ohnehin wesentlich umfangreicher, da seit 1990 auch der Anteil der Texte von ZEIT-Online dramatisch stieg

Multiple Vererbung | 443

und spätestens ab 2000 signifikant ist (2000–2009: 17.179.938; 2010–heute: 26.806.929).

Abb. 196: Schichtung des ZEIT-Korpus (Stand: 13.10.2014). Direktlink: https://goo.gl/P609YI; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Schon jetzt ist abzusehen, dass die Dekade 2010 bis 2019 denselben Umfang haben wird wie die Jahre 1946 bis 1979. Selbst eine Normalisierung ist vor diesem Hintergrund problematisch – methodisch ist für Anschlussstudien, die nicht qualitativ angelegt sind, zu schließen, dass man sich auf die Jahre 1980 bis 1999 konzentrieren sollte. Damit erreicht man zwar lediglich einen Korpusumfang von ca. 66 Millionen Token, kann aber über die chronologische Verteilung von Belegen wesentlich präzisere Aussagen machen. Für unsere Studie ist das nicht notwendig, da die Belegzahlen ohnehin nicht mit denen anderer Konstruktionsrealisierungen vergleichbar wären, da wir ein alternatives Korpus nutzen. Auch den strengen Zuschnitt auf den Indikativ geben wir, wie erläutert, für gehören auf. Insgesamt wurden im März 2014 432 Belege ermittelt. Alle Belege können online eingesehen werden (https://goo.gl/VPJbAb; Stand: 05.08.2015). In Abb. 197 (und in Ergänzung 198 und 199) sind die Verteilungen der Elemente, die als VVPP annotiert worden sind, auf die zwei unterschiedlichen Modi und die morphologischen Formen von gehören sowie die Einbettungen in analytische Tempora (und die Verteilung im Korpus) aufgeschlüsselt. Präsensformen im Indikativ dominieren nicht nur in der ZEIT, es sind zugleich die einzigen (!) indikativischen Formen. Geht man davon aus, dass man angesichts der Heterogenität des Korpus trotzdem Prognosen zur Entwicklung der Konstruktion wagen könne (vgl. Abb. 198), so fällt schon auf, dass die Zahl der Konstruktionsrealisierungen im Präsens Indikativ in den letzten Dekaden stärker angestiegen ist, als im Hinblick auf die Erweiterung der Teilkorpora zu erwarten gewesen wäre – wir haben hier also, wie mit bekommen, eine Konstruktion vor uns, die durch die Sprachbenutzer immer häufiger gewählt wird (wenn sie in der Redaktion der ZEIT Autoren oder Redakteure sind).

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Abb. 197: Realisierungen der Konstruktion mit gehören (ZEIT-Korpus) nach morphologischer Form des Verbs und Modus. Direktlink: https://goo.gl/qjnAsv; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 198: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit gehören mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/EIhlsT; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Abb. 199: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit gehören nach Modus. Direktlink: https://goo.gl/Fbd5Wx; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Weder im synthetischen Präteritum noch in den analytischen Tempuskonstruktionen wird die Konstruktion mit gehören im Indikativ eingebettet. Auffällig ist das hohe Aufkommen von Konjunktivformen im Präsens (Grundtempus des Konjunktivs I) zur Wiedergabe indirekter Rede (Referatsfunktion des präsenti-

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schen Konjunktivs; DUDEN 2009: 523ff.) auf der einen und das Fehlen der Konjunktivformen im Perfekt (Perfekttempus des Konjunktivs I) (Abb. 197 und 198). Im Präteritum hingegen sind ausschließlich konjunktivische Formen (Grundtempus des Konjunktivs II) auszumachen, die insgesamt aber wie die Konstruktionsrealisierungen im Plusquamperfekt Konjunktiv (Perfekttempus des Konjunktivs II) niederfrequent sind und bleiben (vgl. Abb. 197–198). Dennoch kommt letzten besonders markierten Konstruktionen eine herausragende Rolle zu, die sich im Hinblick auf die Grundbedeutung der Konstruktion erklären lässt: Zu vermuten ist, dass die Formen des Konjunktivs II durch ihre spezifische Markiertheit die Deontik, die der Konstruktion durch gehören eingeschrieben wird, besonders hervorheben. Während präsentische Konjunktivformen vor allem Referatsfunktion haben, ist für Konjunktivformen im Präteritum und Plusquamperfekt anzunehmen, dass sie ‚Irrealität‘ bzw. ‚Kontrafaktizität‘ bedeuten (vgl. DUDEN 2009: 516–523). Bevor wir eingehender ausgewählte Beispiele im Hinblick auf die Frage diskutieren, ob die kommunikative Perspektivität einer Konstruktionsrealisierung Rückschlüsse erlaubt auf die kognitive Perspektivität der ASKRIPTION oder KOMMUTATION, wenden wir uns zunächst der Frage zu, weshalb gehören mit deverbalem Adjektiv auf der Basis des Perfektpartizips im Indikativ nicht in analytisch gebildeten Tempora verwendet wird, sondern lediglich im Konjunktiv II in den Belegen greifbar wird. Als einer der Gründe war genannt worden, dass durch die Bildung des Konjunktivs II in Grund- und Perfekttempus die Deontik der Konstruktionsbedeutung maßgeblich unterstützt wird. Das erklärte die hohe Zahl an Belegen im Konjunktiv II (vgl. Abb. 197), aber nicht das Ausbleiben von Belegen im Perfekt und Plusquamperfekt Indikativ. Hier darf also noch eine andere Wechselwirkung vermutet werden, die anzeigt, dass gehören in der nonagentiven Konstruktion in direkte Konkurrenz mit einer anderen Konstruktion tritt, in die gehören im analytischen Perfekt mit haben eingebettet ist – und mit dieser Option rechnet man zunächst nicht. Anders als Engel 2009 und Stathi 2010 würden wir daher nicht behaupten, dass man damit auf die ‚Grammatikalisierung‘ von gehören schließen könne, sondern nur darauf, dass der Sprachbenutzer (in zeitungssprachlichen Korpora!) ambige Konstruktionen – wo möglich – vermeidet und damit durchaus anzeigt, dass er sowohl die eine wie die andere Konstruktion als etabliert begreift und Ambiguitäten deshalb vermeidet. Anderes werden wir bei haben (vgl. Kap. 10.2.2) beobachten, wo ebenfalls Ambiguitäten auszumachen sind, die systematisch aber anders begründet werden müssen (und sich nicht durch Abwahl einer Konstruktion vermeiden lassen). Einer der möglichen Gründe für die Konkurrenz unterschiedlicher Konstruktionsrealisierungen mit gehören könnte sein, dass das Perfektpar-

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tizip gehört selbst zweideutig ist. Es lässt sich nicht nur von gehören, sondern auch von hören ableiten. Hören in Verbindung mit der Konstruktion des Perfekts mit haben im Indikativ steht im Vordergrund und deshalb werden konkurrierende Realisierungen mit gänzlich anderer kommunikativer Perspektivität im Sprachgebrauch (der überregionalen und standardnahen ZEIT) unterdrückt, um Missverständnisse zu vermeiden (in Auswahl [140]–[142]): [140]

2012 / ZEIT; 20.02.2012 / Wie oft hat man den Beginn der Fantasie C-Dur D934 schon vernuschelt gehört, fad, in klaviristischen Mühen verhaftet.

[141]

ZEIT; 22.03.1968 / Eine eigene kleine kompositorische Leistung der Lerchen bestand nun darin, daß sie die drei Pfiffe des Schäfers nicht einzeln in ihre Lieder einbauten, sondern stets aneinandergereiht vortrugen. Sie haben sie niemals zusammengefaßt gehört, mindestens doch mit längeren Pausen dazwischen [...].

[142]

ZEIT / Die Zeit, 06.03.2003 / Tatjana Smilga hatte den Namen des Rebellen von Workuta schon früher mit Respekt erwähnt gehört und ihn inzwischen bei der Gründung der Gesellschaft Memorial erlebt.

Anders ist auch mit Engel 2009 und Stathi 2010 die Lage im Bereich der Formen des Konjunktivs II (in Grund- und Perfekttempus) zu fassen. Hier scheint die Tempus- und Modalkonstruktion die deontische kognitive Perspektivität der Konstruktion in der Realisierung zu stützen. Betrachten wir also zunächst einige der Belege in Auswahl: [K387] ZEIT / Die Zeit, 20.02.1984 / Dieser Schnee. Das Rennen hätte abgesagt gehört. Behle war im falschen Winter. [K391] ZEIT / Die Zeit, 22.11.1991 / Trotzdem ist die Mannschaft aus dem Europacup geflogen, und so verteilen die Gescheithuber aus dem Dunstkreis des Klubs weiter öffentliche Watsch’n. Ein Fleischverarbeiter namens Houdek, Präsidiumsmitglied, aber ansonsten vor allem Fachmann dafür, was in eine gute Wurst gehört, hat, wie er sagt, immer schon gesagt, daß Trainer Heynckes eine Niete ist; der alte Schmähschreiber Max Merkel ist ebenfalls der Meinung, dem Heynckes hätten schon lange die Haferlschuhe vor die Tür gestellt gehört, und der CSU-Politiker Edmund Stoiber rät in seiner eher konstruktiv-zurückhaltenden Art, es müsse un-

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bedingt etwas geschehen. Auch der alte Kampfgenosse Paul Breitner spuckt Galle – in homöopathischen Dosen. Einer der herausragenden Belege für eine qualitative Beschreibung ist der Beleg [K391] mit Heynkes Haferlschuhen, die diesem schon lange vor die Tür gestellt gehört hätten. Der Grund hierfür ist zum einen, dass gehören wenige Zeilen vorher in einer Konstruktion eingebettet ist, die mit der hier beschriebenen wie alle Auftretensformen des Perfektpartizips gehört im Zusammenhang analysiert werden müsste (ist ein Fachmann dafür, was in eine gute Wurst gehört). Zum anderen wird direkt danach Stoiber zitiert mit einer Modalkonstruktion im Konjunktiv für die Redewiedergabe (Referatsfunktion des präsentischen Konjunktivs): es müsse unbedingt etwas geschehen. Die Bedeutungskonstitution für die konjunktivische Form im Perfekttempus der hier beschriebenen Konstruktionsrealisierung wäre in Anlehnung an Engel (2009: 240) so anzugeben: ‚Der Komplex hätten vor die Tür gestellt gehört bedeutet also, dass der geschehensbezogen gesehene Akt des ‚vor die Tür Stellens‘ als nicht realisiert, aber – und zwar ‚in der Vergangenheit‘ – ‚zu realisieren‘ zu verstehen ist.‘ Engel nimmt, wie bereits gesagt, die Perspektive ein, dass das gehören-Passiv den formalen Restriktionen des werden-Passivs unterliegt, dieses aber eine eigenständige Form bilde. Wie in der Paraphrase zu sehen, konzeptualisiert er die Bedeutung des ‚Komplexes‘ als die eines VORGANGs, der in der Vergangenheit hätte realisiert werden müssen. Ähnlich würde wohl auch Eroms die Bedeutung dieses Komplexes interpretieren, Stathi vermutlich aber, wie auch wir, nicht. Aus konstruktionsgrammatischer Perspektive ist die Lage nämlich nicht so eindeutig bzw. die Setzung, dass damit ein VORGANG bedeutet sei (und damit eine Konstruktion der KOMMUTATION vorliege), eben nur eine Setzung. Denn man könnte ebenfalls plausibel argumentieren: Es gab eine Topikzeit, zu der galt, dass vor ihr in einer Ereigniszeit eine als notwendig erachtete Zustandsänderung hätte liegen sollen (die Haferlschuhe dem Heynkes vor die Tür stellen) (vgl. zu den Tempuskonzeptionen oben Kap. 5.1.4). Da diese Änderung nicht erfolgte, wird der erwünschte ZUSTAND als fehlende Eigenschaft konzeptualisiert (die Haferlschuhe gehören dem Heynkes vor die Tür gestellt heißt ‚Heynkes Haferlschuhe stehen nicht vor der Tür, obwohl sie da hingestellt worden sein sollten‘). Mit anderen Worten: Obwohl eine Zustandsänderung vorausgesetzt wird, fokussiert die Konstruktionsrealisierung auf einen erwünschten ZUSTAND, der durch eine fehlende Eigenschaft charakterisiert ist. Diese Lesart deckt weiter den engeren „Funktionsbereich“ des Konjunktivs II als Irrealis und Marker für Kontrafaktizität ab:

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Der Konjunktiv II dient als Zeichen dafür, dass der Sprecher/Schreiber seine Aussage nicht als Aussage über Wirkliches, sondern als eine gedankliche Konstruktion verstanden wissen will. Er gibt zu verstehen, dass das Gegenteil von dem, was der entsprechende Aussagesatz im Indikativ ausdrückt, aus seiner Sicht zutrifft oder wenigstens nicht auszuschließen ist. (DUDEN 2009: 516)

Diese Charakterisierungen machen es schwierig, nicht die kognitive Perspektivität der Konstruktionen der ASKRIPTION anzunehmen, schließen aber die kognitive Perspektivität der KOMMUTATION zugleich schon allein wegen der Ererbung formaler Eigenschaften der Konstruktion nicht aus. Blicken wir zunächst noch auf das Beispiel [K387]: [K387] 1984 / ZEIT; 20.02.1984 / Dieser Schnee. Das Rennen hätte abgesagt gehört. Behle war im falschen Winter. Die Topikzeit liegt im Verhältnis zur Sprechzeit in der Vergangenheit (Behle war im falschen Winter). Die Ereigniszeit fasst einen Zeitraum, in dem eine Zustandsänderung nicht erfolgte (das Rennen absagen). In der Topikzeit wird ein erwünschter aber nicht realisierter Zustand (abgesagtes Rennen) bezeichnet. Das „Gegenteil von dem, was der entsprechende Aussagesatz im Indikativ ausdrückt“ (DUDEN 2009: 516), wäre aus Sprecherperspektive wünschenswert. Am nicht erwünschten Zustand wird dabei faktisch nichts geändert, es wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass ein anderer ZUSTAND gehört, oder bleibt: Unter diesen Umständen bezieht sich der Konjunktiv II (wie im ersten Beispiel) auf Nichtvergangenes: Diese Verwendungsweise [sc. des Perfekttempus des Konjunktivs II] ist möglich, wenn das beschriebene Geschehen zwar in der Zukunft (oder Gegenwart) situiert ist, seine Realisierung jedoch durch Umstände verhindert wird, die in der Vergangenheit liegen. (DUDEN 2009: 518)

Die Konstruktionsrealisierung ist die einer ASKRIPTION; es wird ein erwünschter Zustand ausgedrückt – die konjunktivische Realisierung unterstützt dabei die Konstruktionsbedeutung und die durch gehören eingeschriebene Deontik, multiple Vererbung ist damit wahrscheinlich und die Nähe zu Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein und eingebettetem modalen Infinitiv (vgl. 10.1.1) unübersehbar, was aber nicht zugleich bedeutet, dass eine Teil-Ganzes-Ererbung formaler Eigenschaften über die Konstruktion der KOMMUTATION nicht möglich ist. Die Grundlage, nicht vollzogener VORGANG, ist für die kommunikative Perspektivität allerdings nicht zweifelsfrei die entscheidende – relevant ist und

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bleibt, dass der ZUSTAND, wie er beschrieben wird, nicht dem Zustand entspricht, wie er sein sollte. Die Frage, welcher kognitiven Perspektivität man beim Blick auf kommunikative Perspektivitäten den Vorzug geben mag, ist möglicherweise leichter zu beantworten, wenn man zusätzlich auf Belege blickt, die nicht durch zusätzliche Konstruktionstypen (Modus und Tempus) überlagert werden (Beleg aus dem KERN-Korpus): [K1]

1929 / BE / KERN; Baum, Vicky, Menschen im Hotel, Berlin: Ullstein 1929, S. 150 / Eigentlich gehöre ich eingesperrt.

Der einzige Beleg in KERN- und ZEIT-Korpus in der ersten Person Singular Präsens Indikativ wird leider ohne Kontext zitiert, bietet aber für unsere Überlegungen zahlreiche Hinweise, die Rückschlüsse auf die kommunikative Perspektivität der Konstruktionsrealisierung erlauben. Sprechzeit und Topikzeit fallen in der Aussage eines Sprecher-Ichs zusammen; Temporaladverbien fehlen und damit ist eine weitere Einschätzung bezüglich der Temporalität (und damit darüber, wie lange sich die Topikzeit erstrecke) nicht möglich. Die Ereigniszeit wird von der Topikzeit eingeschlossen und ist dieser vorgelagert: Das SprecherIch sagt nicht, dass es zur Sprechzeit (oder danach) eingesperrt werden solle (KOMMUTATION), sondern dass es zur Sprechzeit bereits eingesperrt sein sollte (ASKRIPTION), da dieser Einschätzung die Evaluation eines Ereignisses (hier nicht expliziert) zwangsläufig vorausgeht. Da auf das Ausbleiben einer Handlung (eingesperrt werden) in der Ereigniszeit geschlossen werden kann, bleibt auch die KOMMUTATION als die Herbeiführung eines intendierten Resultats als Zustandsänderung in der ASKRIPTION als Merkmal der kommunikativen Perspektivität präsent, auch wenn sie nicht primär ist (vgl. dazu oben noch einmal Abb. 191 und 192). Das Beispiel eigentlich gehöre ich eingesperrt scheint idiomatische Qualität zu besitzen – eine nicht gesteuerte und nicht systematische Schnellabfrage (google books; http://goo.gl/W5dSHD; Stand: 16.09.2016) bringt zahlreiche Belege in Belletristik und Gebrauchsliteratur zum Vorschein, die unsere Lesart stützen, wie z.B. [143]: [143]

Kerstin Schönemann. 2013. Brücken ohne Herzen. Kriminalroman. Norderstedt: BoD, S. 121 / Ich will jetzt nicht denken, nicht mehr Nachdenken (sic!) was ich getan habe, sonst werde ich irre. Nein, ich werde nicht irre, ich bin irre! So etwas kann ja nur eine Irre getan haben. Ich

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gehöre eingesperrt, gehöre hinter Gitter, gehöre in eine Gummizelle! Mich darf man nicht länger frei rumlaufen lassen! Neben der hier beschriebenen Konstruktion mit gehören werden auch zwei Realisierungen einer Konstruktion aufgerufen [[gehören][LOC]], die die Etablierung der nonagentiven Konstruktionen mit gehören maßgeblich beeinflusst haben dürfte (vgl. auch oben Beleg [K391]). Das Beispiel illustriert augenfällig, dass die Evaluation eines Ereignisses und damit die Ereigniszeit der Topikzeit vorangestellt ist, was durch die Aspektmarkierung des Perfektpartizips zusätzlich unterstützt wird: Die ASKRIPTION eines intendierten Resultats steht im Vordergrund, die KOMMUTATION und damit ein VORGANG wird vorausgesetzt und bleibt implizit. Um diese Lesart weiter zu untermauern, betrachten wir abschließend noch eine Auswahl an Belegen, in denen temporale Adverbien eingebettet sind: [K33]

ZEIT / Die Zeit, 28.09.2012 / »Diese Bestie gehört für immer weggesperrt.«

[K57]

ZEIT / Die Zeit, 02.08.2010 / Champagner gehört zügig getrunken.

[K170] ZEIT / Die Zeit, 14.08.2013 / Geheimdienste sind deswegen eine Gefahr für jede freie Gesellschaft und gehören auch aus der Post-Privacy-Perspektive eher heute als morgen abgeschafft. Beleg [K57] scheint die bisherigen Interpretationen ins Wanken zu bringen, wäre er nicht ein Beleg mit besonderer Qualität. Die Verschiebeprobe zeigt, dass das Adjektiv zügig modal gebraucht wird und zwar in einer Weise, die es nicht zweifelsfrei erlaubt, dass es beliebig im Satz verschoben werden kann: Die Grammatikalität von ?Zügig gehört Champagner getrunken darf durchaus angezweifelt werden; ein Auslassen hingegen ist möglich (Champagner gehört getrunken), verändert aber die Satzaussage beträchtlich. Die Verbindung zu trinken ist also eng, so dass von einem adverbialen Adjektiv gesprochen werden muss (Eisenberg II 2006: 212 und 224), die sich auch dann erhält, wenn getrunken als Perfektpartizip und deverbales Adjektiv in die Konstruktion als Qualitativ eingebettet wird. Der Beleg [K170], hier der Einfachheit halber in Geheimdienste sind eine Gefahr und gehören eher heute als morgen abgeschafft eingekürzt, zeigt das Dilemma auf, welches sich aus den unterschiedlichen Interpretationen der Konstruktion gehören mit deverbalem Adjektiv ablesen lässt. Die Deontik tritt

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augenscheinlich als wesentliches Merkmal heraus, doch kann man diese – wie das u.a. in den vorangegangenen Strukturangaben der Konstruktion in Abb. 191 und 192 ersichtlich wurde – sowohl für Konstruktionen der ASKRIPTION wie der KOMMUTATION postulieren, wenn Konstruktionsbedeutung und Verbbedeutung wie im konkreten Fall in einem modalen Verhältnis (intendiertes Resultat) stehen. Blicken wir auf das Verhältnis von Topikzeit und Äußerungszeit: Diese ist auf ein heute festgelegt, die Notwendigkeit eines geänderten ZUSTANDs (ASKRIPTION) bzw. einer Zustandsänderung als VORGANG (KOMMUTATION) wird dringlich auf das heute der Sprech- und Topikzeit gelegt, durch das als morgen wird keine Spanne etabliert, sondern ein späterer Zeitpunkt, zu dem der zu ändernde und gewünschte Zustand bzw. die gewünschte Zustandsänderung sich als zu spät herbeigeführt erwiese. An der Bezeichnung des erwünschten ZUSTANDs durch gehören (der schon heute als gesollt konzeptualisiert wird) ändert das nichts. Die Aspektualität des Perfektpartizips ist auch hier Indiz dafür, dass eine Situation in der Ereigniszeit schon evaluiert ist (implizit), bevor in der Topikzeit die tatsächliche Bewertung erfolgt (explizit): Durch die Deontik von gehören wird so konstruktional Kontrafaktizität bedeutet. Auch wenn man nicht von Adverbialen ausgeht, die einen Zeitpunkt benennen, sondern von Adverbialen, die eine (unbestimmte oder bestimmte) Zeitdauer ausdrücken, ändert sich an dieser Charakterisierung nichts, wie an Beispiel [K33] zu sehen: Diese Bestie gehört für immer weggesperrt. Die Topikzeit liegt nahe an der Sprechzeit in der Gegenwart des Sprechers, dieser geht eine Evaluation voraus (was sich wiederum aus der Aspektualität des deverbalen Adjektivs ablesen lässt), die einen Soll-Zustand, der in der Gegenwart nicht gegeben ist, auf Dauer erwünscht – eine Zustandsänderung von einem Ist- in einen Soll-Zustand ist lediglich vorgelagert als gewünscht impliziert, aber nicht Teil der Eigenschaftszuweisung. Letztere wird lediglich modal modifiziert (eher heute als morgen, zügig, für zwei Tage, für immer, im Bahnhof, von der Polizei usw.). Kurz: Konstruktionen mit gehören erben ihre Eigenschaften nach dem TeilGanzes-Modell von der Konstruktion der KOMMUTATION (prototypisch mit werden), stehen aber gleichzeitig semantisch primär mit der Konstruktion der ASKRIPTION und sekundär der KOMMUTATION in Teil-Ganzes-Relation – so werden sie auch als intermediäre Konstruktion im Konstruktikon (Kap. 11) verortet. Der schon zitierte Beleg [K170] gab einen Hinweis auf den bei weitem häufigsten Qualitativ, der in Konstruktionen mit gehören realisiert wird: abgeschafft.

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Abb. 200: Die je 30 häufigsten Qualitative mit gehören nach Modus und Tempus. Direktlink: https://goo.gl/vFTKUf; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Die nonagentive Konstruktion mit gehören bettet eine Vielzahl von Qualitativen ein (227 bei 432 ermittelten Belegen im ZEIT-Korpus), wobei nur eine sehr kleine Gruppe an Qualitativen offenbar als Kollexem von gehören bevorzugt gewählt wird. Das sind: abgeschafft, verboten und bestraft. Alle anderen Qualitative stehen – allein wenn man sich die quantitativen Verhältnisse mit Vorsicht betrachtet – weit dahinter. Darunter sind dann reformiert, gesetzt und gestellt in Funktionsverbgefügen (vgl. zu diesem Problem die Analyse der Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden, von der diese Konstruktion ihre Eigenschaften formal erbt), beendet, eingesperrt, diskutiert usw. Alle aus den Belegen extrahierten Qualitative können online eingesehen werden (https://goo.gl/lyRNxQ; Stand: 05.08.2015). Wir geben zum Abschluss noch einige typische Beispiele aus dem Untersuchungskorpus und berücksichtigen dabei indikativische und konjunktivische Verwendung ebenso wie die Verteilung auf die Tempuskonstruktionen. [K12]

ZEIT / Die Zeit, 04.01.2014 / Die KMK gehört abgeschafft.

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[K396] ZEIT / Die Zeit, 01.03.2010 / Der 46-jährige Abgeordnete nennt den Koran vergleichbar mit Adolf Hitlers Mein Kampf, weshalb er verboten gehöre. [K384] ZEIT / Die Zeit, 26.06.2000 / Der Europäische Rat und die Kommission gehörten abgeschafft. [K371] ZEIT / Die Zeit, 28.04.1997 / Solche Ignoranz gehörte jedoch mit Bußgeld bestraft. [K429] ZEIT / Die Zeit, 16.06.2005 / Nach dem Russland-Spiel jedenfalls erläuterten die Spieler sehr viel eindeutiger als ihr Trainer (»Natürlich hätte ich lieber gewonnen«), dass der Gegner eigentlich besiegt gehört hätte. Die Konstruktionen mit gehören und deverbalem Adjektiv auf der Basis des Perfektpartizips nehmen als nonagentive Konstruktion im (bedeutungsseitig strukturierten) Konstruktikon eine Sonderstellung ein, da sie Eigenschaften von Konstruktionen der ASKRIPTION und KOMMUTATION erbten. Die hier vorgeschlagene Positionierung der recht jungen Konstruktion im Netzwerk von Konstruktionen ist Postulat auf der Basis des aktuellen Sprachgebrauchs: Die beschriebene Konstruktion weist in den Realisierungen eine kommunikative Perspektivität auf, die darauf schließen lässt, dass die kognitive Perspektivität primär als eine Modalisierung der Konstruktion der ASKRIPTION aufzufassen ist, die Aspekte der Konstruktion der KOMMUTATION impliziert und Letzterer auch formal nahesteht. Als Konstruktionsbedeutung ist im Hinblick auf Aussagerahmen und Prädikatsklasse anzugeben, dass eine gewünschter ZUSTAND als intendiertes Resultat zugewiesen wird, der als nicht gegeben anzusehen ist, da ein implizierter VORGANG der Zustandsänderung unterblieb: Auf Konstruktionsebene wird Kontrafaktizität bedeutet. Diese Konstruktionsbedeutung wird in den Belegen dadurch unterstützt, dass sich die Konstruktion in einer beachtlichen Zahl ihrer Realisierungen vor allem in Grund- und Perfekttempus des Konjunktivs II beobachten ließ. Insgesamt ist die Konstruktion niederfrequent. Die Möglichkeit, dass Konstruktionsrealisierungen mit gehören eine Situation (SIT), bzw. ein Locativ (LOC) oder Temporativ (TE) fokussieren können (vgl. oben Kap. 10.1.2), diskutieren wir hier (anhand eines schwachen Beleges) nicht erneut. Damit gilt zunächst für diese das, was für erhalten gesagt wurde (Kap. 9.1.3): Ohne Realisierung kann in einem sprachgebrauchsbasierten Ansatz keine Aussage über eine Konstruktion gemacht werden und der bereits oben zitierte Beleg kann für eine vereindeutigende Interpretation eher nicht herangezogen werden:

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[K68]

ZEIT / Die Zeit, 23.05.2009 / Man mag das alles gutheißen. Aber es gehört in einer demokratischen Gesellschaft diskutiert.

Dennoch: Konstruktionen mit gehören als Konstruktionen deontischer Modalisierung sind in einer ‚unpersönlichen Variante‘ aufgrund ihrer Perspektivierungsleistung erwartbar. Wir werden sie deshalb als eine Möglichkeit im Konstruktion (Kap. 11) zumindest andeuten, selbst wenn wir sie als Desideratum markieren.

10.2.2 haben in nonagentiven Konstruktionen Die Konstruktionen mit haben werden wir nicht systematisch beschreiben können. Das hat überwiegend methodische Gründe. Das KERN-Korpus gibt bei eine Anfrage nach haben mit VVPP vor allem analytische Perfektkonstruktionen mit haben aus, die manuell sortiert werden müssten. So werden bspw. mit der Suchroutine "@hat #3 $p=ART #0 $p=NN #5 $p=VVPP" && !\, (‚dritte Person Singular Indikativ Präsens von haben in einem Abstand von drei Wörtern zu einer Nominalphrase mit Artikel und einem Perfektpartizip im Abstand von weiteren fünf Wörtern, bei Ausschluss des Kommas als Satzzeichen‘) 7.564 Belege (N) aufgerufen, von denen 6.198 (N1) nutzbar sind. Dabei erfasst man u.a. Belege wie diesen: [144]

1999/ BE / Engler, Wolfgang, Die Ostdeutschen, Berlin: Aufbau-Verl. 1999, S. 286 / Der Meister hätt ihm gern zur Kur die Kelle aus der Hand genommen. Er aber hat den Ofen repariert. Er trug die Fahne, schaffte mehr, weil er Fabrik und Land als Eigen spürt.

Gemeint ist freilich nicht, dass er den Ofen als reparierten besitzt (das wäre die kommunikativ realisierte kognitive Perspektivität der nonagentiven Konstruktion mit haben), sondern dass er ihn aktiv in Stand setzte: Ein Großteil der Belege, die man systematisch erfasst (und das wären allein bei diesem String im KERN-Korpus über 6.000 für die Untersuchung), sind wegen Formgleichheit Realisierungen agentiver Konstruktionen. So auch Eroms: Die Belege mit haben sind so selten nicht, wie man annehmen möchte. Es ist auch deutlich gemacht worden, dass die Sätze, die isoliert stehen, fast immer ambig sind. (Eroms 2000: 420)

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Forschungspraktisch ist dies wie bei sein und werden eine Herausforderung; ein Zuschnitt des Korpus scheidet aber hier aus, da die Frequenz nonagentiver Konstruktionen mit haben – hier teilen wir Eroms’ Einstellung nicht - zu niedrig ist: Ein zusätzlich gebildetes Untersuchungskorpus (vgl. im Detail dazu die Kap. 6, 7.1 und 8.1) würde vermutlich nicht die relevanten Konstruktionen umfassen. Aus diesen Gründen werden wir uns bei den Konstruktionen mit haben auf eine qualitative Analyse beschränken. Wie bei gehören werden wir dazu auf das ZEIT-Korpus zugreifen, da erste Vorstudien (und auch die Analyse der Konstruktionen von gehören) zeigten, dass hier die Belegbasis deutlich höher liegt. Wir konzentrieren uns weiter auf eine ausgewählte Gruppe von Qualitativen, die wir in Anlehnung an die Beispiele von Eroms (2000: 420) auswählten. Er nennt: [145]

Die Weichen haben Propangasbrenner eingebaut.

[146]

Chef, ich möchte von Ihnen selber die Haare geschnitten haben.

Konstruktionsgrammatisch gesprochen wird haben hier in eine Konstruktion eingebettet, die sich als resultative Variante der Konstruktion der AKZEPTATION auffassen lässt: Der Vorgang, der zu einem Resultat führte, welches die Konstruktion bedeutet, ist nur noch im Perfektpartizip mitbedeutet – dessen Perfektivität bedeutete, dass eine Eigenschaft ausgestellt wird, die sich nach einem (impliziten) Vorgang einstellt. Erinnert sei an den Zusammenhang zwischen der Perfektkonstruktion mit haben und der nonagentiven Konstruktionen der AKZEPTATION mit bekommen. In Kap. 9.1.1 wiesen wir darauf hin, dass haben in diesen Fällen zwar als Verb im analytischen Perfekt auftritt, aber auch semantisch die Perspektivierung der Konstruktion der AKZEPTATION unterstützt. Der in der nonagentiven Konstruktion bedeutete VORGANG wird in die Vergangenheit gelegt und als abgeschlossen markiert. Im Ergebnis werde ‚Besitz‘ oder ‚Verfügungsgewalt‘ als Eigenschaft als Resultat eines VORGANGs bedeutet. [147]

Die Weichen haben Propangasbrenner eingebaut bekommen.

[148]

Die Weichen haben Propangasbrenner eingebaut.

Nun wäre es verknappt zu behaupten, dass [148] die ökonomisch verkürzte Variante von [147] darstelle und sie irgendwie auch Ähnliches bedeuten. Konstruktionsgrammatisch gesprochen: Das Verb haben zeigte im analytischen

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Perfekt, dass es die Konstruktionsbedeutung ideal unterstützen konnte und bildet nun mit der Bedeutung ‚Besitz‘ und/oder ‚Verfügungsgewalt‘ in der Konstruktion der AKZEPTATION seinen eigenen Knoten. In die Konstruktion der AKZEPTATION eingebettet wird eine resultative Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung etabliert. Dieser spezifische Konstruktionstyp erbt also Eigenschaften von der Konstruktion der AKZEPTATION, der Konstruktion des analytischen Perfekts mit haben und rückt, um das nicht zu vergessen, in die Nähe der Konstruktion der ASKRIPTION. Konstruktionsgrammatisch kann man damit Businger (2011 und 2013) zum haben-Passiv – auf dem Konstruktionsniveau des Verbs – bestätigen. Er geht davon aus, dass das Perfektpartizip als deverbales Adjektiv aufzufassen ist und sich dadurch eine Gruppe von Konstruktionen um das Verb haben systematisch fassen lässt, die formale und semantische Gemeinsamkeiten aufweisen. Er vergleicht dafür Sätze wie sie hat den Arm verbunden und sie hat das Fenster offen (vgl. etwa in Variation Businger 2011: 26, 32, 39, 60 u.ö.). Bezüglich des Verbs haben ist diese Analyse treffend, allerdings weisen unterschiedliche Tiefenkasus der NP im Nominativ auf einer höheren Konstruktionsebene auch auf systematische Unterschiede hin. Während sie im zweiten Beispiel das spezifizierte Objekt (SOB) der ASKRIPTION ist, ist sie im ersten Satz das effizierte Objekt (EOB), da belebt auch als Benefaktiv (BEN) kategorisierbar, der Konstruktion der AKZEPTATION.

[149]

Sie hat einen Delfin auf die Schulter tätowiert. (‚Sie ist tätowiert.‘) Verben der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit haben und resultativer Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung: AKZEPTATIONv(≈resultativ)(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUALADJ)

Abb. 201: Konstruktion der AKZEPTATION mit resultativer Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und haben. Direktlink: https://goo.gl/X45rNB; Stand: 16.09.2016. CC BYSA 4.0.

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Anders als bekommen und kriegen ist der Qualitativ nicht im Rollenplan von haben angelegt, sondern wird von der Konstruktion der AKZEPTATION vorgegeben. Daraus resultieren u.a. die ambigen Lesarten. Die Konstruktion rückt ein effiziertes Objekt (EOB), ein Subtyp ist der Benefaktiv (BEN) wie in [149], in den Fokus, das einen ZUSTAND hat, der als Resultat eines VORGANGs konzeptualisiert ist. In diesem VORGANG wurde dem EOB etwas hinzugefügt (ADD) oder etwas genommen (PRIV), strukturell ist die Rolle auf Konstruktionsebene als Partitiv (PAR) zu bezeichnen. Kennzeichen der kognitiven Perspektivität der Konstruktionen der AKZEPTATION war dabei, dass das EOB den Zustand (als Resultat eines VORGANGs) als alternativlos hinnehmen muss. Wichtigste formale Gemeinsamkeit zu Konstruktionen der AKZEPTATION, die auch eine Gemeinsamkeit auf der Ebene kognitiver Perspektivität anzeigt, ist die Lizensierung der Rolle des Partitativs (PAR) auf Konstruktionsebene. Kein anderer Konstruktionstyp weist dieses markante Merkmal auf. Andererseits: Durch die Einbettung von haben wird der VORGANG, der für die Konstruktion der AKZEPTATION wie für die Konstruktion der KOMMUTATION wesentliches Merkmal ist, so weit in den Hintergrund gerückt, dass in der resultativen Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung nicht mehr bleibt als der dem eingebetteten Perfektpartizip implizite Vorgang, worauf Businger (2011) mit dem Vergleich u.a. der oben genannten Beispiele abhebt. Verschärft wird dies dadurch, dass der Qualitativ als Rolle nicht fusioniert. Und das ist ein deutlicher qualitativer Unterschied, der sich oben an [147] und [148] oder dann auch an [150] und [151] deutlich zeigen lässt: [150]

Die Weichen haben Propangasbrenner eingebaut bekommen.

[151]

Die Weichen haben Propangasbrenner eingebaut gehabt.

Die Konstruktionen mit haben rücken damit semantisch in die Nähe zur Konstruktion der ASKRIPTION – sie schlagen die Brücke zwischen AKZEPTATION und ASKRIPTION, während gehören (Kap. 10.2.1) näher an der Konstruktion der ASKRIPTION als an der KOMMUTATION steht (so wird das auch in Kap. 11 dargestellt). Anders als Businger (2013) lösen wir sie deshalb auch nicht aus dieser Vererbungshierarchie. Betrachtet man die beiden Beispiele von Eroms (2000: 420; oben [145] und [146]), dann lassen sich aus diesen beiden Belegen einige Qualitative ableiten, die wir exemplarisch analysieren werden: Eingebaut, integriert, angebaut, verbaut, geschnitten, abgeschnitten, frisiert, gekämmt, gefärbt, getönt, rasiert, geputzt, abgeputzt, gesäubert, eingesalbt, tätowiert, geschminkt, eingeritzt,

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aufgemalt, angemalt, aufgeklebt, eingeklebt, aufgetragen, aufgedruckt, aufgeprägt und eingeprägt wurden mit dem Suchstring nach dem Muster near(haben,@eingebaut,10) && !\, im ZEIT-Korpus abgefragt – die fettgedruckten Qualitative konnten wir nachweisen. Da bisher in der Forschungsliteratur kaum Daten zugänglich gemacht worden sind und wir für haben aus genannten Gründen keine systematische Untersuchung vorlegen können, zitieren wir im Folgenden eine größere Anzahl an ermittelten Belegen in exemplarischer Auswahl. Eingebaut ist tatsächlich recht häufig im ZEIT-Korpus als Qualitativ nachweisbar: [152]

ZEIT / Die Zeit, 02.03.2015 / Neu ist ein Programm für verschlüsselte Telefonkonferenzen und eine Software, mit der Firmen die Geräte der Mitarbeiter verwalten können. Ein E-Mail-Programm hat das System allerdings nicht eingebaut.

[153]

ZEIT / Die Zeit, 21.06.2012 / Allen Entwicklern will Microsoft eine Sprachsteuerung zur Verfügung stellen, die die von Apple (Siri) weit übertreffen soll. Zudem wird das neue System die Nahfeld-Mobilfunktechnik NFC eingebaut haben.

[154]

ZEIT / Die Zeit, 11.10.2012 / Wink sieht wie eine altmodische Schreibtischlampe aus und eigentlich auch so ähnlich wie das launische Lampenduo aus dem ersten Pixar-Kurzfilm „Luxo Jr.“ (1986). Wink hat eine Kamera vorne eingebaut.

[155]

ZEIT / Die Zeit, 15.07.2010 / Besonders leicht haben es Nutzer des Internet-Browsers Chrome von Google. Dieses Programm hat den Synchronisierungsdienst eingebaut.

[156]

ZEIT / Die Zeit, 07.09.2000 / Normale Spaßhämmer haben nicht diese schmucke Wünschelrutenform, sehen billiger aus und sind meist in ekligen Farben. Viele haben eine Trillerpfeife eingebaut. Einige sind auch aufblasbar und dann viel größer.

Wie an Beleg [157] zu sehen sein wird, hängt die Lesart offenbar (aber nicht nur) stark vom Agentivitätsgrad der eingebetteten Elemente ab. Es ist also nicht ihre ‚Isoliertheit der Sätze‘, die Eroms (vgl. Eroms 2000: 420) als Grund für ihre Ambiguität nannte, sondern das Problem, dass man in der Konstruktionsrealisie-

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rung mit Hotels nicht eindeutig einen Agens (AG) oder ein spezifiziertes Objekt (SOB) fassen kann (vgl. zum mehrstufigen Agens oben Kap. 5.1.2): [157]

ZEIT / Die Zeit, 22.02.1974 / Eislaufen, Eisschießen, Rodeln – das wird es gewiß auch demnächst geben, aber bislang scheinen es die Gäste nicht zu vermissen. Hallenbäder und eine Sauna haben zwei Hotels inzwischen ein- oder angebaut – aber das alles hält sich in Grenzen. Warum also nach Kühtai fahren?

Das ist ein typisches Problem bei der Identifizierung von nonagentiven Konstruktionen mit haben – es wird eben auch für die Perfektkonstruktionen mit agentiven Konstruktionen verwendet, so dass ein Großteil der nächsten Belege hinsichtlich seiner Lesart mal mehr und mal weniger ambig ist. Eine nonagentive Konstruktion mit haben ist – so könnte man andererseits formulieren – in keinem der Fälle ausgeschlossen, wenn auch nicht sonderlich plausibel: [158]

ZEIT / Die Zeit, 20.06.1969 / „Dann steht Aussage gegen Aussage“, meinte er. Arnold P. hatte die Haare in seine Stirn frisiert und trägt eine teure Sonnenbrille.

[159]

ZEIT / Die Zeit, 20.09.2012 / Heute ist er 53, ein schlanker Mann, hochgewachsen und ungewöhnlich blass für einen Italiener. Das graue Haar hat er zum Seitenscheitel gekämmt.

[160]

ZEIT / Die Zeit, 16.10.2003 / Bernard Lacoste hat die grauen Haare von links vorne nach rechts hinten gekämmt.

[161]

ZEIT / Die Zeit, 30.03.2000 / Larissa trägt eine weiße Stretchhose mit Schlag und ein silber glitzerndes Oberteil. Sie hat dunkelroten Lippenstift aufgetragen. Zwei Stunden zuvor stand sie noch schwitzend in der Küche eines italienischen Restaurants.

[162]

ZEIT / Die Zeit, 29.06.2000 / Aus ihrem grünen Seidenkäppchen quellen feuerrot gefärbte Stirnlocken, vom Hinterkopf fällt das Haar in langen schwarzen Zöpfen. Finger- und Fußnägel hat sie mit Henna gefärbt.

[163]

ZEIT / Die Zeit, 06.07.1990 / Beim Gemeinschaftsempfang von Interviews in der Familie kommentiert das Familienoberhaupt die Erscheinungsweise

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des Interviewten: Hat er die Brille geputzt? Hat er die passenden Socken an? Anders sieht das in diesen Fällen aus: [164]

ZEIT / Die Zeit, 16.01.2012 / Der 21-Jährige, der Sohn eines Kriminalbeamten, wurde nach eigenen Angaben aus der Bundeswehr entlassen, weil er verfassungswidrige Symbole auf Wände gesprüht hatte. Der Ältere hat ein Hakenkreuz auf seinen rechten Unterarm tätowiert.

[165]

ZEIT / Die Zeit, 17.09.2009 / Auf seine linke Glatzenhälfte hat Edwards „Fuck the SPLC!“ tätowiert.

[166]

ZEIT / Die Zeit, 23.03.2006 / Die Sonne ist da, die Mennonitenkirche mit ihrem roten Spitzdach, die breite Straße. Das Mädchen in der Tankstelle hat je einen Delfin auf die Schultern tätowiert.

Bemerkenswert ist, dass die Identifikation einer nonagentiven Konstruktion nicht per se vom Agentivitätsgrad z.B. von Edward in [165] oder dem Interviewten [163] abhängig ist, denn darin unterscheiden sie sich nicht. Vielmehr ist relevant, ob sie die Eigenschaft, die als Resultat eines VORGANGs konzeptualisiert ist, selbst verantworten und herbeigeführt haben. Das ist für Edward, der eine Tätowierung auf der linken Kopfhälfte trägt, unwahrscheinlicher als für den Interviewten, der die Brille geputzt hat. Alle anderen Fällen sind analog zu betrachten: Geräte, die ein bestimmtes Element eingebaut haben oder Menschen, die wie Edward ein Motiv tätowiert haben, können – vor dem Hintergrund des Erfahrungs- und Weltwissens der Sprachbenutzer - diese Eigenschaft i.d.R. nicht selbst herbeigeführt haben. Auf der Grenze steht die Tätowierung des Älteren in [164], die er durchaus selbst vorgenommen haben kann und alle Belege. Der Gegensatz in der Bewertung von [164] und [165] markiert die unscharf gezogene Grenze zwischen agentiven Konstruktionen im Perfekt mit haben und nongentiven Konstruktionen mit haben im Präsens. Die Formgleichheit dieser beiden unterschiedlichen Konstruktionsrealisierungen bedeutet nicht zugleich, dass nicht zwei voneinander unabhängige Konstruktionen postuliert und aus dem Sprachgebrauch rekonstruiert werden können. Ähnliches war bei werden zu beobachten, welches sowohl in der Konstruktion des analytischen Futurs als auch in einer Modalkonstruktion eingebettet werden kann (vgl. oben Kap. 5.1.4, Kap. 8.1 und Kap. 10.1.4).

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10.2.3 Ein Rückblick: wirken in der Konstruktion der ASKRIPTION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung? Einen ähnlicher Fall der Beobachtung ambiger Lesarten haben wir bereits an anderer Stelle genannt: Die Konstruktionsrealisierungen mit deverbalem Adjektiv auf Basis des Präsenspartizips bzw. hinsichtlich ihrer perspektivierenden Qualität vergleichbare Adjektive hatten wir aus der Diskussion um die Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken (vgl. oben Kap. 7.3.2) bisher ausgeklammert. Ausführlich wurde dieses Problem bereits in Lasch 2014a diskutiert. Hier soll die Diskussion nur noch einmal kurz aufgenommen werden, da sich unserer Ansicht nach abzeichnet, dass sich aus diesen Realisierungen mit deverbalem Adjektiv aus Präsenspartizip und vergleichbaren Adjektiven eine Variante der Konstruktion der ASKRIPTION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung entwickeln kann:

Abb. 202: Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken in direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung. Direktlink: https://goo.gl/rpEulq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Diese kommunikative Perspektivität der Konstruktion der ASKRIPTION stellt sich dabei nur dann ein, wenn, wie in Abb. 202 zu sehen, einem SOB eine Eigenschaft zugewiesen wird (vgl. oben Kap. 5.2.1.2 und Kap. 7). Anders als bei sein ist bei wirken in dieser Gebrauchsalternative kein QUAL im Rollenplan angelegt, die Rolle ist nicht profiliert. Konstruktions- und Verbbedeutung können nur über die Argumentstrukturrolle und Partizipantenrolle des SOB fusio-

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nieren; der QUAL wird durch die Konstruktion lizenziert.3 Ob in einer Konstruktionsrealisierung aber ein SOB eingebettet ist, hängt von der Interpretation seiner Agentivität ganz wesentlich ab – da im Rollenplan von wirken sowohl agentive wie nonagentive Rollen vorgesehen sind, ist mit ‚fließenden Übergängen‘ bei der Bewertung nicht nur hier, sondern auch bei der Einbettung von Adjektiven zu rechnen. Sehen wir uns dazu zunächst zwei Beispiele an: Regisseur und das Mittel stellen dabei exemplarisch die Pole eines mehrdimensionalen Agensbegriffs dar (Beleg [167] aus dem KERN-Korpus nach der Abfrage near(wirken,lähmend,4)). [167]

1953 / ZE / Brigitte (1953) Nr. 17, 31.12.1953 / Man fand deshalb „bakteriostatische“ Mittel, die auf die Bakterien lähmend wirken, ihre Fortpflanzung drosseln, und es nun dem Körper leichtmachen, auf seine eigene „natürliche“ Weise mit den Eindringlingen fertig zu werden.

[168]

?Der Regisseur wirkt lähmend.

Der Status von wirken in [167] und [168] ist keinesfalls eindeutig. Wenn man [167] als Testbildung zu [168] nicht gänzlich als ungrammatisch einstuft, wird man [168] in agentiver Lesart auffassen (‚die momentane Aktivität des Regisseurs lähmt‘), weshalb [168] hier sowohl als agentive Konstruktion mit Regisseur als Agens als auch im Hinblick auf die fragliche Grammatikalität ausgeklammert werden kann. [167] hingegen ist im Sinne der Konstruktion der ASKRIPTION akzeptabel: ‚Das Mittel hat die Eigenschaft, lähmend zu wirken‘. Man ist geneigt, den Agentivitätsgrad von Mittel als Grund für die Begünstigung der nonagentiven Lesart zu sehen. Voraussetzung dafür wäre, dass zumindest eine Rolle, die die Konstruktion der ASKRIPTION zur Verfügung stellt, mit den Rollen, die das Verb einbringt, fusioniert (hier ist es das SOB). Allerdings – dies ist eine gewichtige Einschränkung - sieht man in diesem Beispiel noch die Vollverbsemantik von wirken im Sinne von [168] mehr durchscheinen. Letzteres lässt sich strukturell belegen: Liest man [167] in der vorgeschlagenen Art, interpretierte man wirken in [167] als Verb, welches die Perspektivierungsleistung nonagentiver Konstruktionen der ASKRIPTION stützt, wie sein. Wie bei allen anderen Konstruktionen dieses Typs zu sehen, stellen aber deverbale Adjektive aus Präsenspartizip eine absolute Ausnahme dar und werden häufig direkt als Adjektive begriffen. Denn es gilt (in traditioneller Terminologie) für ‚kopulafä|| 3 Das wird im Schaubild durch die gestrichelte Linie und die nicht durch Fettdruck hervorgehobene Rolle des QUAL auf Ebene des Verbs visualisiert.

Multiple Vererbung | 463

hige Verben‘ in der Regel, dass das „Partizip I [...] nicht als Prädikativ bei einem Kopulaverb (sein, werden, bleiben) oder einem Kausativverb (machen, lassen) stehen [kann], außer es hat sich zu einem eigenständigen Adjektiv entwickelt“ (DUDEN 2009: 358). Wie in Kap. 4.2.1 und 7.1 gesehen, klammerte Maienborn 2007 das Präsenspartizip für die Bestimmung des sein-Passivs weitestgehend aus; Welke 2007 jedoch vollzog diese Ausgrenzung aus formaler Perspektive nicht mehr: Auch das Präsenspartizip kann eingebettet werden, wenn es „zur Aufgabe der Kopula-Konstruktion Zuweisung einer Eigenschaft zum Subjektreferenten“ (Welke 2007: 134) beiträgt. Das ist unter bestimmten Bedingungen möglich, unter anderen nicht. Nämlich dann nicht, wenn das für die nonagentive Perspektivierung notwendige semantische Potential des Präsenspartizips mit anderen in Konkurrenz tritt. Für das Präsenspartizip konnten Welke (2005: 196) oder Lübbe & Rapp (2011) in einem anderen Kontext plausibel zeigen, dass es Merkmale der Imperfektivität und deshalb für aktivische perspektivierende Eigenschaften prädestiniert sei, die aus den aspektuellen folgen. Das hat zur Konsequenz, dass, selbst wenn man lähmend in [168] als Adjektiv auffasste, dieses deverbale Adjektiv (auf der Basis des Präsenspartizips) u. a. „die Art und Weise eines Ereignisses oder eines Zustandes beschreib[t]“ (DUDEN 2009: 358) und damit funktional als Adverbial in satzwertigen Ausdrücken interpretiert werden kann. Setzt man [167] und [168] ins Perfekt mit haben wie in [169] und [170], wird das Dilemma hinsichtlich der Einstufung des Status von wirken (wie schon in anderen Fällen, vgl. dazu besonders oben 10.1.3) noch deutlicher: [169]

Das Mittel hat auf Bakterien lähmend gewirkt.

[170]

?Der Regisseur hat lähmend gewirkt.

Man kann beide Beispiele [169] und [170], wiederum mit den Einschränkungen für [170], in agentiver Lesart auffassen, wofür, wie gesagt, die Annahme eines spezifischen Agentivitätsgrades von Regisseur und Mittel jedoch Voraussetzung zu sein scheint. Die nonagentive Lesart in [169] wird, anders als im Präsens, hier stärker blockiert, da wirken das Perfekt mit haben und nicht mit sein bildet und lähmend funktional als Adverb eingestuft werden kann. Ähnliche Konkurrenzen waren in Kap. 10.2.2 für die Konstruktion der AKZEPTATION mit haben zu beobachten gewesen. Die Optionen, die [167] und [169] im Hinblick auf die Einbettung von wirken mit Präsenspartizip in nonagentive Konstruktionen dennoch offerieren, sind möglicherweise ein Reflex auf die Etablierung von wirken und deverbalem Adjektiv auf der Basis des Perfektpartizips in Konstruktionen der

464 | Intermediäre Konstruktionen

ASKRIPITON analog zu den Konstruktionsrealisierungen mit scheinen, erscheinen und aussehen (vgl. dazu Kap. 7.3). Nimmt man an, dass in [167] und [169] diese nonagentive Lesart als Möglichkeit noch ausstehenden Konstruktionswandels ernst zu nehmen (und zumindest nicht gänzlich auszuschließen) ist, könnte man die Struktur der Konstruktion für diese Fälle (schon jetzt) wie oben in Abbildung 202 darstellen. Dass der QUAL allerdings durch die Konstruktion lizensiert wird, ist zum einen der Grund für die strittige Beurteilung von wirken – auch hier sind Parallelen zur Konstruktion von haben nicht von der Hand zu weisen – , zum anderen für die ambige Beurteilung der Lesart eines Satzes wie [167] und zum dritten Indiz dafür, dass ein Konstruktionswandel noch nicht abgeschlossen ist, der von semantischen Potentialen des Verbs wirken beeinflusst wird – auch hier sind strukturelle Ähnlichkeiten zu scheinen, erscheinen sowie werden und haben in nonagentiven Konstruktionen deutlich erkennbar. Je nach verwendetem Partizip als deverbalem Adjektiv und mutmaßlich in Abhängigkeit zum Agentivitätsgrad des in der Nominalphrase im Nominativ Codierten liegen Realisierungen unterschiedlicher Konstruktionen vor: Von Konstruktionen der ASKRIPTION kann mit Sicherheit nur dann gesprochen werden, wenn neben wirken ein deverbales Adjektiv auf der Basis eines Perfektpartizips als Qualitativ in die Konstruktion eingebettet ist (vgl. Kap. 7.3.2); strittig hingegen bleibt die Interpretation dann, wenn ein Adjektiv auf der Basis eines Präsenspartizips in die Konstruktion eingebettet wird. Bei Adjektiven schließlich können kaum formale Aspekte für eine Differenzierung vorgelegt werden, semantisch aber müssen sie zu einer der beiden Perspektivierungen, wie in Lasch 2014a gezeigt, passen. Da zum jetzigen Zeitpunkt diese Diskussion mehr Fragen öffnet als Antworten bietet, wird auch die Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken als Diskussionsangebot offeriert (und im Konstruktikon auch als solches dargestellt).

10.3 Zusammenfassung In Kapitel 10 wurden eine Reihe von Konstruktionen besprochen, die entweder in Wechselwirkung zueinander stehen oder die durch die Einbettung in eine andere Konstruktion hinsichtlich ihrer Perspektivität beeinflusst werden. Zahlreiche Phänomene, die darstellungstechnisch in die Untersuchungen zu einzelnen Konstruktionen eingelassen waren, sind nur über diese Zusammenhänge adäquat zu beschreiben, in denen die (semantische) Nähe zu anderen prototypisch organisierten Konstruktionen betont wird. Die behandelten Phänomene sind:

Zusammenfassung | 465



– –

– – –



Aktualisierung der Konstruktionen der ASKRIPTION und AKZEPTATION durch die Einbettung des modalen Infinitivs (das Fenster ist zu schließen und er bekommt es zu spüren), das so genannte ‚unpersönliche Passiv‘ und seine deontische Qualität (hier wird gearbeitet), die Aktualisierung von Konstruktionen mit der Prädikatsklasse VORGANG in analytischen Vergangenheitstempora (die Todeszeit ist festgestellt worden und er hat die Verfügung zugestellt bekommen), ‚analytisches Präsens‘ und ‚analytisches Präteritum‘ der Modalkonstruktionen (die Würfel müssen/mussten gefallen sein), gehören in nonagentiven Konstruktionen als intermediäre Konstruktion zwischen ASKRIPTION und KOMMUTATION (das Rennen gehört abgesagt), haben in nonagentiven Konstruktionen als intermediäre Konstruktion zwischen ASKRIPTION und AKZEPTATION (sie hat einen Delphin auf die Schulter tätowiert) sowie wirken in der Konstruktion der ASKRIPTION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung (das Mittel wirkt lähmend).

Die besonderen Phänomene bezüglich kommunikativer und kognitiver Perspektivierung konnten konstruktionsgrammatisch beschrieben werden, da davon ausgegangen wird, dass Konstruktionen prototypisch kategorisiert sind. Das macht Übergangsbereiche und intermediäre Konstruktionen theoretisch wahrscheinlich, die nun – wenn auch nicht erschöpfend – an einigen Beispielen beschrieben worden sind. Ziel ist es, auf der Basis dieser Überlegungen Konstruktionsnetzwerke zu entwerfen, die semantisch organisiert sind (Kap. 11) und neben prototypischen Konstruktionen eben auch solche aufnehmen, die eher an der Peripherie einer Kategorie oder zwischen zwei Kategorien stehen. Die Konzentration auf formale Eigenschaften kann u.U. den Blick verstellen: Deutlich war das an der Konstruktion der nonagentiven Konstruktion mit gehören zu sehen, die wir letztlich eher der kognitiven Perspektivierung der ASKRIPTION zuschlagen, die aber ihre formalen Eigenschaften von der Konstruktion der KOMMUTATION ererbt (vgl. Kap. 10.2.1). Ähnlich wurden die Konstruktionen mit haben diskutiert, die zwischen der ASKRIPTION und AKZEPTATION stehen.

| Teil 5: Ergebnisse und Resümee

11 Ergebnisse und Resümee 11.1 Nonagentive Konstruktionen im Konstruktikon Ziel dieser abschließenden Kapitel wird es sein, die Überlegungen und Ergebnisse dieser Studie zusammenzufassen im Hinblick auf die Beziehung zwischen den beschriebenen Konstruktionen im Konstruktikon. Die Auffassung, dass Konstruktionen unterschiedlichen Abstraktionsgrades in einem Netzwerk mit anderen Konstruktionen in Verbindung stehen, ist eine der zentralen Prämissen sprachgebrauchsbasierter konstruktionsgrammatischer Ansätze. Daneben wird postuliert, dass das Konstruktikon als Kontinuum zwischen Lexikon und Grammatik das strukturierte Sprachwissen der Sprachbenutzer adäquat darstelle. Die Abbildung 203 hier im Fließtext ist reiner Platzhalter zur Dokumentation. Empfohlen wird, das beiliegende Faltblatt zu verwenden oder die frei skalierbare PDF-Grafik online aufzurufen. Das Konstruktionsnetzwerk, welches wir hier aufspannen werden, ist semantisch motiviert. Es ordnet die nonagentiven Konstruktionen in einem Bereich des Konstruktikons auf einer Ebene mit agentiven und reflexiven Konstruktionen an. Ausschlaggebend für diesen Anordnungsversuch war die je eigene Perspektivierungsleistung nonagentiver Konstruktionen – Knoten werden dann gebildet durch die Konstruktionen der ASKRIPTION (Kap. 7, [171]), der KOMMUTATION (Kap. 8, [172]) und der AKZEPTATION (Kap. 9, [173]) sowie der Konstruktionen, die Eigenschaften von zwei Konstruktionstypen erben (Kap. 10, [174] und [175]): [171]

Das Fenster ist geöffnet.

[172]

Die Puppe wird verschenkt.

[173]

Der Gartenzaun kriegt einen neuen Anstrich verpasst.

[174]

Diese Stelle gehört bearbeitet.

[175]

Sie hat zwei Delphine (auf die/der Schulter) tätowiert.

Die ausführliche Analyse von Sprachdaten, die systematisch in einem schriftsprachlichen Korpus erhoben worden sind, diente der Beschreibung nicht nur der Realisierungen der jeweiligen Konstruktionstypen und damit der Rekonstruktion kognitiver Perspektivität von Konstruktionen aus der kommunikati-

470 | Ergebnisse und Resümee

ven Perspektivierung ihrer Realisierungen im Sprachgebrauch (vgl. Kap. 5), sondern auch der Beziehungen der Konstruktionen zueinander, um mehr über die Verbindungen, die sie untereinander unterhalten, in Erfahrung bringen zu können.

Abb. 203: Die nonagentiven Konstruktionen im Konstruktikon, Ausschnitt. Das Konstruktikon ist am Schluss des Buches auf einer Doppelseite abgedruckt und kann als frei skalierbares PDF abgerufen werden unter: http://goo.gl/WjFizb; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0.

Nonagentive Konstruktionen im Konstruktikon | 471

Zentral sind dabei vor allem Polysemie-Relationen auf der semantischen Ebene, wie man deutlich etwa an den Konstruktionen der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung ablesen konnte, die, wie [176]–[179] immer stärker auf den Ausdruck ansichtiger Eigenschaften (des gewählten Ausschnitts) eines Wahrnehmungsobjekts zulaufen. Die Konstruktionen mit scheinen, erscheinen, wirken und aussehen werden durch die Konstruktion der ASKRIPTION (prototypisch) mit sein dominiert und stehen zu dieser wie untereinander in Polysemie-Relationen (vgl. Kap. 7): [176]

Die Welt scheint golden.

[177]

Die Welt erscheint golden.

[178]

Die Welt wirkt golden.

[179]

Die Welt sieht golden aus.

Gleiches gilt für die Konstruktionen der AKZEPTATION mit direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung, wobei erhalten Privative (PRI) blockiert (vgl. Kap. 9.1.3). Auch hier lassen sich Polysemierelationen bzw. TeilGanzes-Relationen (für erhalten) postulieren: [180]

Das Kind bekommt die Puppe geschenkt.

[181]

Der Gartenzaun kriegt einen neuen Anstrich verpasst.

[182]

Die Apotheke erhält die Medikamente zugesandt.

Wie besonders und im Vorgriff auf dieses Kapitel in Kap. 8.2. deutlich geworden sein dürfte, lassen die Analysen des Materials (wenigstens) zwei mögliche Vernetzungsmuster zu, von denen die zweite zwar von traditionellen Kategorisierungen abweicht, dafür aber den Reiz hat, Vererbungsbeziehungen und Linkings zwischen den Konstruktionen wenigstens so plausibel zu erklären wie das ‚traditionelle Modell‘, welches wir hier darüber hinaus um weitere Konstruktionsrealisierungen etwa mit den Verben wirken und aussehen, scheinen und erscheinen erweitert und an Belegmaterial beschrieben haben. Das Konstruktikon (Abb. 203) ist ein Ergebnis dieser Analysen und der Entscheidung, der traditionellen Dreiteilung weiterhin zu folgen (vgl. dazu ausführlich Kap. 8.2).

472 | Ergebnisse und Resümee

Die Darstellung des Konstruktikons orientiert sich an der Netzwerkidee, die in den Prämissen der gebrauchsbasierten Konstruktionsgrammatik (vgl. Kap. 2) diskutiert wurde. Abstraktere Konstruktionen (bis zur Ebene agentiver, nonagentiver, reflexiver Konstruktionen) sind in der Mitte dieses Netzwerks abgebildet, während an der Außenseite weniger abstrakte Konstruktionen (Nominale wie diese Stelle, die Puppe oder Perfektpartizipien wie gearbeitet, geschenkt) stehen. Auch Verben wie sein, scheinen, bleiben, werden, bekommen usw. oder Progressive wie am Mahlen (aus Artikel mit Pronomen und substantiviertem Verb) oder modale Infinitive wären hier als Konstruktionen zu platzieren. Sie alle können in verschiedene Konstruktionen abstrakterer Art eingebettet werden und die Perspektivierungsleistung von Konstruktionen stützen, indem sie als Partizipanten eines Verbs und damit als Filler einer durch die Argumentstruktur der Konstruktion geforderten Rolle in diese eingebettet werden. Die Konstruktionen stehen untereinander in Beziehung – dargestellt sind nur Vererbungsbeziehungen (als Teil-Ganzes-Relationen) zwischen Konstruktionen unterschiedlicher Abstraktionsebenen, Polysemiebeziehungen zwischen Konstruktionen gleicher Abstraktionsebene wie etwa zwischen denen der Konstruktion der ASKRIPTION mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung oder jenen zwischen den Perfektpartizipien bilden wir an dieser Stelle nicht ab. Die einzelnen Abstraktionsstufen sind in Graustufen markiert, wobei abstraktere Konstruktionen weiter innen stehen und dunkler hervorgehoben sind, während weiter außen die Konstruktionen und ihre Realisierungen weniger abstrakt und konkreter werden. Eine Ausnahme bilden die eingeklammerten reflexiven und agentiven Konstruktionen, die wir nicht systematisch beschrieben, die aber auf derselben Abstraktionsebene wie nonagentive Konstruktionen stehen. Abstraktere Konstruktionen als diese sind: Modalkonstruktionen, analytische Tempuskonstruktionen und schließlich – so wie auf jeder Abstraktionsebene bis zur Wortebene – Negationen (vgl. zu diesem Thema die Kap. 5.1.4 bis 5.1.6). Interessant könnte im Anschluss sein, nach reflexiven und agentiven Konstruktionen diese Abstraktionsebenen weiter zu beschreiben. Wie in der Analyse an verschiedenen Stellen gezeigt werden konnte (vgl. Kap. 7.1, 7.2, 8.1, 9.1.1 und 10.1.3), ist die semantische Beschreibung analytischer Tempora mit den Verben sein, haben und werden besonders dringlich. Semantische Beschreibung der Tempora heißt dabei nicht nur, sich über die Perspektivierung der einzelnen Zeitstufen Gedanken zu machen (vgl. Kap. 5.1.4), sondern auch und besonders die Verben hinsichtlich ihrer Eigensemantik und deren Beitrag zur Konstruktionsbedeutung zu berücksichtigen: [183]

Die Puppe wird verschenkt.

Nonagentive Konstruktionen im Konstruktikon | 473

[184]

Die Puppe ist verschenkt worden.

Die exemplarische Untersuchung der Konstruktionsrealisierung Henrike abgeholt! in Kap. 4.3 deutete auf eine Konstruktion abstrakten Typs, die auf einem Niveau zwischen agentiven, nonagentiven, reflexiven Konstruktionen auf der einen und Modalkonstruktionen, Tempuskonstruktionen sowie der Negation periphrastischer Ausdrücke gedacht werden kann. Es ist das grundlegende Muster, einem Argument (Referenz) eine Eigenschaft (Prädikation) zuzuweisen – die Basisoperation des Sprachhandelns. Ob und wie weit sich hier sprachliche Entwicklungslinien (im Spracherwerb) in das Konstruktikon einzeichnen lassen, ist eine weitere noch offene Frage. Die nonagentiven Konstruktionen bilden eine Gruppe um drei zentrale Konstruktionstypen im Konstruktikon. Diese lassen sich aufgrund der ihnen eigenen Perspektivierungsleistung gut voneinander scheiden, auch formal unterscheiden sie sich hinreichend. Sie sind prototypisch um Realisierungen mit sein, werden und bekommen geordnet und vererben ihre formalen Eigenschaften in Teil-Ganzes-Relationen weiter. Der großen Gruppe von Konstruktionen, die eine Eigenschaft zuweisen, um einen ZUSTAND zu bedeuten (ASKRIPTION), stehen zwei kleinere Gruppen gegenüber, in denen ein VORGANG konzeptualisiert wird (KOMMUTATION und AKZEPTATION). Für den Sprachgebrauch sind alle Konstruktionen und damit ihre kognitive Perspektivität mal mehr und mal weniger relevant; einige Konstruktionen sind ‚im Werden‘ (KOMMUTATION mit werden, ASKRIPTION mit wirken, AKZEPTATION mit bekommen), andere ‚im Vergehen‘ (AKZEPTATION mit erhalten). Wieder andere stehen zwischen etablierten Konstruktionstypen und partizipieren von den Eigenschaften verschiedener Typen. Die Konstruktionen mit gehören stehen zwischen KOMMUTATION und ASKRIPTION (wobei sie semantisch der ASKRIPTION näher stehen, was die durchgezogene im Gegensatz zur gestrichelten Linie bedeutet); Konstruktionen mit haben zwischen AKZEPTATION (der sie semantisch näher liegen) und der ASKRIPTION. [185]

Diese Stelle gehört bearbeitet.

[186]

Sie hat zwei Delphine (auf die/der Schulter) tätowiert.

Diese Zwischenräume lassen sich konstruktionsgrammatisch beschreiben (Kap. 10.2.1 und 10.2.2) und im Netz des Konstruktikons darstellen. Ist dieses semantisch motiviert, so wie hier, dann stellen sich die Vererbungsbeziehungen dar wie in Abb. 203. Begründete man das Konstruktikon formal, dann würde gehö-

474 | Ergebnisse und Resümee

ren der Konstruktion der KOMMUTATION zugeordnet mit Polysemiebeziehungen zur Konstruktion der ASKRIPTION; bei haben würde sich im Darstellungsmodus nichts ändern. In Abb. 203 weisen wir außerdem auf zwei randständig diskutierte Phänomene hin (grau unterlegt; Vererbungsbeziehungen durch grau gestrichelte Linien angedeutet): Das sind die Konstruktionen der ASKRIPTION mit wirken in direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung (vgl. Kap. 10.2.3) und die ‚unpersönliche‘ Variante der Konstruktionen mit gehören, die wir kurz in Kap. 10.1.2 im Kontext des ‚unpersönlichen Passivs‘ beleuchteten. [187]

Das Medikament wirkt hemmend.

[188]

Jetzt gehört gearbeitet.

Die Konstruktion mit wirken in modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung (Kap. 7.3.2) (die Welt wirkt golden) wurde als eine ‚Konstruktion im Werden‘ charakterisiert. Es ist mit dem Blick auf den Sprachgebrauch zu vermuten, dass hier die Einbettung deverbaler Adjektive auf Basis von Perfektpartizipien noch weiter voranschreiten muss (vgl. Kap. 7.3.2), bis z.B. auch Konstruktionsrealisierungen wie [187] eindeutiger einem Konstruktionstyp zugeordnet werden können. Andererseits hielten wir im Zusammenhang des ‚analytischen Präsens‘ und ‚Präteritums der Modalkonstruktionen‘ (Kap. 10.1.4) fest, dass nichts die Stabilität eines Kontinuums zwischen zwei Konstruktionen besser garantiere als formgleiche Konstruktionsrealisierungen. Gleiches gilt in Bezug auf wirken. In Bezug auf den konstruierten Beleg [188] ist zu vermuten, dass aus diesen ‚unpersönlichen‘ Varianten im Sprachgebrauch ein eigener Konstruktionstyp erwachsen kann, der möglicherweise die Fokussierung einer Situation (und nicht die ‚Subjektlosigkeit‘) als zentrales semantisches Merkmal aufweist (vgl. dazu Kap. 8.1 und 10.1.2). Für das Postulat eines solchen Konstruktionstyps ist im Moment die Datengrundlage aus dem Sprachgebrauch aber noch zu dünn – Konstruktionsrealisierungen mit gehören konnten im schriftsprachlichen KERN-Korpus nicht nachgewiesen werden und auch die ‚unpersönlichen‘ Varianten mit werden sind eher selten. Die rezeptive Bedeutung der Konstruktionen der AKZEPTATION macht – zumindest nach heutigem Stand – eine Variante dieser Konstruktion mit bekommen/kriegen unwahrscheinlich, für einzelne Vertreter der Konstruktion der ASKRIPTION ist die Einbettung in eine Konstruktion, die auf eine Situation fokussiert, nicht ausgeschlossen. Einfallstor kann das analytische Perfekt mit sein werden [191], in das Konstruktionen der KOMMUTATION wie [K435] eingebettet werden (können):

Zusammenschau | 475

[K435] 1999 / GE / Schwanitz, Dietrich, Bildung, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 408 / Und am Schluß wird geheiratet. [189]

Und am Schluss ist geheiratet worden.

11.2 Zusammenschau Gegenstand dieser Studie waren nonagentive Konstruktionen des Deutschen, die sich maßgeblich durch die ihnen eigene Perspektivierungsleistung auszeichnen: Der Agens steht nicht im Fokus kognitiver und kommunikativer Perspektivität. Nonagentive Konstruktionen werden als eigenständiges Format aufgefasst, das eine konkrete Form und spezifische Bedeutung aufweist. Damit wird das ‚Konversenmodell‘ der ‚aktivischen und passivischen Handlungsformen des Verbs‘ suspendiert. Konstruktionsgrammatisch stehen nicht mehr das Verb und seine Partizipantenrollen im Mittelpunkt, sondern die Konstruktion als Form-Bedeutungspaar, in die ein Verb als Filler (und Konstruktion niedrigeren Abstraktionsniveaus) eingebettet werden kann, wenn es die kognitive Perspektivität der nonagentiven Konstruktion unterstützt (vgl. Kap. 5). Mit den Konstruktionen der ASKRIPTION, der KOMMUTATION und der AKZEPTATION wurden drei Formate sprachlichen Wissens vorgeschlagen (Modellierung in Kap. 5, Analyse in den Kap. 7–9), die eine zentrale Rolle im semantisch motivierten Konstruktikon (vgl. Kap. 11), als dem prototypisch geordneten Netzwerk von Konstruktionen unterschiedlichen Abstraktionsniveaus, spielen: [190]

Das Fenster ist geöffnet. Verben der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) prototypisch mit sein und direkter Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung: ASKRIPTIONV(=direkt)(SOBNPNOM,QUALADJ)

[191]

Die Puppe wird verschenkt. Verben der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) prototypisch mit werden und direkter Relation zwischen Konstruktionsund Verbbedeutung: KOMMUTATIONV(=direkt)(AOBNPNOM,QUALADJ)

[192]

Der Gartenzaun bekommt einen neuen Anstrich verpasst. Verben der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) prototypisch mit bekommen und direkter Relation zwischen Konstruktionsund Verbbedeutung: AKZEPTATIONv(=direkt)(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUALADJ)

476 | Ergebnisse und Resümee

Im Mittelpunkt des Interesses standen sein (Kap. 7.1), bleiben (Kap. 7.2), scheinen, erscheinen (beide Kap. 7.3.1), wirken (Kap. 7.3.2 und 10.2.3), aussehen (Kap. 7.3.3), werden (Kap. 8, 10.1.2 und 10.1.3), bekommen (Kap. 9.1.1), kriegen (Kap. 9.1.2), erhalten (Kap. 9.1.3), behalten (Kap. 9.2), gehören (Kap. 10.2.1) und haben (Kap. 10.2.2). Wir vertreten hier den Standpunkt, dass diese Verben nicht als ‚Passivauxiliare‘ aufzufassen sind (vgl. Kap. 5.1.3), sondern dass sie Eigenschaften (erlangen und) tragen, die eine Einbettung in Konstruktionen mit spezifischer Perspektivierungsleistung erlaubt (Kap. 5.1.1). Diese Studie ist einem sprachgebrauchsbasierten konstruktionsgrammatischen Ansatz verpflichtet. Das heißt, dass diese Arbeit in zweierlei Hinsicht einen Beitrag zur aktuellen Forschungsdiskussion leistet. Zum einen wird der konstruktionsgrammatische Ansatz und damit die inhaltsseitige Modellierung grammatischer Strukturen das erste Mal konsequent auf einen großen Ausschnitt eines Kernbereichs der Grammatik des Deutschen angewendet. Zum anderen werden nonagentive Konstruktionen als aus dem Sprachgebrauch emergierende Formen beschrieben. Dafür waren zwei Schritte nötig. Zum einen musste ein belastbares Modell der internen Struktur von Konstruktionen entwickelt werden (Kap. 3), welches sowohl den Prämissen der Konstruktionsgrammatik entspricht (Kap. 2) als sich auch als anschlussfähig für die Forschung zum ‚Passiv im Deutschen‘ erweist. Dieses zweite Ziel motivierte die detaillierte Vorstellung der internen Struktur der Konstruktionen mit Bezug auf die Satzsemantik Peter von Polenz‘ und den transparenten Zuschnitt der Untersuchung des Sprachgebrauchs (vgl. Kap. 6). Mittels eines eigens für diese Studie entwickelten feinteiligen Designs ist es möglich gewesen, ein maschinenlesbares Korpus (das KERN-Korpus beim DWDS) systematisch zu den Gebrauchskontexten der nonagentiven Konstruktionen zu befragen: Die nonagentiven Konstruktionen wurden auf der Basis von insgesamt ca. 18.500 Belegen rekonstruiert. Die Ergebnisse (Kap. 7–10) sind dokumentiert und darüber hinaus der weiteren wissenschaftlichen Diskussion frei zugänglich gemacht (vgl. die Verzeichnisse über die Belegsammlungen im nächsten Teil) – es sind in Summe die ersten, die in dieser Breite zu nonagentiven Konstruktionen des Deutschen vorliegen. In der Studie wurden nicht nur Entwicklungslinien im 20. Jahrhundert nachgezeichnet, sondern auch Verteilungen von Konstruktionsrealisierungen auf unterschiedliche Kommunikationsdomänen beobachtet und eingeordnet. Auch deshalb besteht die Hoffnung, dass durch die Dokumentation des Untersuchungsdesigns dieses auf andere Phänomene, die wir noch als Desiderata zusammenfassen werden, übertragen werden kann. Welche Vorteile bietet der konstruktionsgrammatische Ansatz außer der sprachgebrauchsbasierten Modellierung von nonagentiven Konstruktionen?

Zusammenschau | 477

(1) Uns ist bewusst, dass besonders in Bezug auf die Konstruktion der KOMMUTATION mit werden die ‚Konverse‘ in traditionellen Darstellungen zwar nicht mehr als ‚Ableitungsmaschinerie‘ verstanden wird (vgl. Kap. 4.2.3), aber ebendiese Beschreibungstradition setzt sich ohne sprachgebrauchsbasierte Untersuchungen bereits in konstruktionsgrammatischen Arbeiten fort, wenn das ‚Passiv‘ vor der ‚Aktivfolie‘ beschrieben wird (vgl. etwa Ackermann & Webelhuth 1998, Smirnova & Mortelmans 2010 und Welke 2015). Um es deutlich zu sagen: Damit soll nicht etwa ein valenzgrammatischer Ansatz in seiner Relevanz bestritten werden. Ohne eine Beschreibung der Partizipantenrollen eines Verbs würde sich auch keine Konstruktion rekonstruieren lassen. Dennoch sind wir nicht davon überzeugt, dass das Perfektpartizip als Valenzträger aufzufassen sei oder mit der nonagentiven Konstruktion eine ‚Mikrokonstruktion‘ vorläge, die konzeptionell in einer (aktivischen) ‚Makrokonstruktion‘ verankert ist, wenn werden – um am konkreten Beispiel zu bleiben - in den Konstruktionen der KOMMUTATION das einzige Verb mit Partizipantenrollen ist (wenn die Konstruktion nicht in andere abstraktere Konstruktionen eingebettet wird). Ferner sind wir nicht der Meinung, dass ein AG in der ‚Passivkonverse‘ durch shading ausgeblendet werde (Smirnova & Mortelmans 2010) – er ist von vorherein in der kognitiven Perspektivität der Konstruktion nur als Fluchtpunkt und nicht im Fokus angelegt (vgl. dazu Kap. 5 und 8, Belegsammlung werden, vgl. unten Kap. 8.1 und Kap. 15.2): [K3203] 1999 / GE / Hannover, Heinrich, Die Republik vor Gericht 1975 – 1995, Berlin: Aufbau-Verl. 1999, S. 322 / Darüber hinaus ist unsere Blockade auch ein Akt der Solidarität mit Hunderten von Mitbürgern, die eben wegen einer solchen Blockade VON STAATSANWÄLTEN angeklagt und VON RICHTERN verurteilt worden sind. Die Studie hat auch gezeigt, dass die Wahl der Qualitative auch ganz wesentlichen durch die Konstruktionen gesteuert war. Wird ein VORGANG konzeptualisiert wie in den Konstruktionen der KOMMUTATION (Kap. 8 und [K3203]) und AKZEPTATION (Kap. 9), dann wird eher eine Konstruktion wie das Perfektpartizip eingebettet, das eine Eigenschaft bedeutet, die aus einem abgeschlossenen Vorgang resultiert (wie angeklagt oder verurteilt). In Konstruktionen der ASKRIPTION werden eher Adjektive als Qualitative eingebettet, die einen ZUSTAND bedeuten und damit der Perspektivierungsleistung der Konstruktion eher entsprechen:

478 | Ergebnisse und Resümee

[K2366] 1932 / WI / Klages, Ludwig, Der Geist als Widersacher der Seele, 3. Band, Teil 1: Die Lehre von der Wirklichkeit der Bilder, Leipzig: Barth 1932, S. 801–1248, S. 1117 / Wem hat nicht in Gegenwart seines Mädchens die ganze Welt golden geschienen? (2) Hat man sich einmal von der Idee der ‚Konverse‘ gelöst und stellt die kognitive Perspektivität nonagentiver Konstruktion in den Vordergrund (Ähnliches wäre für agentive und reflexive Konstruktionen zu postulieren), sind auch komplexe Einbettungsstrukturen plausibel darstellbar. So wurde gezeigt, dass durch Einbettung von z.B. Konstruktionen der KOMMUTATION mit werden in analytische Vergangenheitstempora mit sein wie in [K4280] Prozesse der Um- und Überschreibung von Konstruktionsbedeutungen durch die abstraktere analytische Tempuskonstruktion sichtbar gemacht werden können, die für Sprachbenutzer eine Funktion übernehmen können (nämlich die „Perfektlücke“ der Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein zu schließen) (vgl. dazu besonders die Kap. 7.1, 8.1 und 10.1.3): [K4280] 1909 / WI / Braun, Lily, Memoiren einer Sozialistin, München: Langen 1909, S. 9313 / Sie sprachen niemals von dem, was sich vorbereitete; und erst als mein Schwesterchen geboren worden war, wurde mir das Ereignis vom Vater angekündigt. Diese Sichtweise auf Konstruktionen als Formate sprachlichen Wissens hat u.a. Konsequenzen für die Bewertung der in die Konstruktionen eingebetteten Verben, die nicht mehr hinsichtlich ihrer ‚Auxiliarität‘ gradiert werden (vgl. Kap. 5), sondern als Verben (wie besonders wirken oder bekommen z.T. im ‚Konstruktionswandel‘, vgl. Kap. 7.3.2 und 10.2.3 sowie 9.1.1) aufzufassen sind, die mal besser (scheinen, Kap. 7.3.1.1) und mal schlechter (erhalten, Kap. 9.1.3) den Bedingungen der Konstruktionen genügen, deren kognitive Perspektivität sie unterstützen. Dabei kommt es zu Verschränkungen vor allem mit analytischen Tempuskonstruktionen, die ihrerseits die spezifischen Verben haben, sein und werden und nonagentive Konstruktionen als Ganzes einbetten. Je nach Perspektivität der nonagentiven Konstruktion und dem in sie eingebetteten Verb können Tempuskonstruktionen mit sein und haben begünstigt werden (analytische Tempora mit sein: bleiben, erscheinen, werden; analytische Tempora mit haben: bekommen, kriegen; Belegsammlungen bleiben, erscheinen und bekommen, vgl. Kap. 7.2, 7.3.1.2 und 9.1.1 bzw. Kap. 15.2):

Zusammenschau | 479

[K1482] 1999 / GE / Kurz, Robert, Schwarzbuch Kapitalismus, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 247 / Natürlich ist dieser Charakter des sozialdemokratischen Staatssozialismus auch den Zeitgenossen nicht völlig verborgen geblieben. [K778] 1964 / BE / Neutsch, Erik, Spur der Steine, Halle (Saale): Mitteldeutscher Verl. 1964, S. 855 / Fast war ihm ihr Lächeln ein wenig zu heiter und zu oberflächlich erschienen. [K776] 1939 / GE / Brief von Irene G. an Ernst G. vom 27.11.1939, FeldpostArchive mkb-fp-0270, S. 454 / Herr W. hat seinen Urlaub bis Ende dieser Woche verlängert bekommen. Andererseits können analytische Tempuskonstruktionen der Vergangenheit mit sein und haben blockiert werden. Das traf auf Konstruktionen der ASKRIPTION mit sein, scheinen, wirken, aussehen, die Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten sowie die Konstruktionen mit gehören und haben zu. Analytische Tempuskonstruktionen, das zeigen diese Beobachtungen, unterscheiden sich von synthetischen Tempuskonstruktionen (die morphologisch codiert sind) dadurch, dass sie als abstrakte Konstruktionen hinsichtlich ihrer Einbettungsbedingungen spezifisch sind. Sie verändern dabei die Perspektivierungsleistung agentiver, nonagentiver, reflexiver und modaler Konstruktionen nicht (oder nur unwesentlich) und sind lexikalisch, bis auf die Festlegung auf bestimmte Verben, die sie einbetten, nicht spezifiziert. Es ist zu hoffen, dass eine inhaltsseitige Bestimmung von analytischen Tempuskonstruktionen unter Berücksichtigung der Eigensemantik der Verben haben und sein sowie werden diese Studie ergänzt. In traditionellen Grammatikmodellen, die meist nicht sprachgebrauchsbasiert arbeiten, stellen sich solche Fragen systematisch meist nicht – wie gezeigt, ist es aber nicht damit getan, bspw. Tempus als ‚Kategorie des Verbs‘ zu verbuchen und damit aus der Analyse auszuklammern (Belegsammlung werden, Kap. 8.1 und Kap. 15.2): [K77]

1998 / ZE / Die Zeit 09.01.1998 / Helmut Kohl wird noch oft genug an sein illusionäres Versprechen erinnert werden.

[K3381] 1998 / GE / o.A., Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), in: Sartorius 1: Verfassungs- und Verwaltungsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, München: Beck 1998, S. 75 / Das Bundesverwaltungsgericht prüft, ob die

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Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist. (3) Gleiches gilt für die Wechselbeziehungen zu reflexiven und Modalkonstruktionen, die wir zumindest im ‚analytischen Präsens und Präteritum der Modalkonstruktionen‘ (Kap. 10.1.4 u.ö.) berücksichtigt haben. Gemeint ist damit, dass die analytischen Modalkonstruktionen Möglichkeiten offerieren, gesamte Konstruktionen einzubetten ([K373] aus Belegsammlung wirken, vgl. oben Kap. 7.3.2 und unten Kap. 15.2): [193]

1955 / ZE / Archiv der Gegenwart, 25, 1955 / Nun sind wir heute so weit, daß unsere Beziehungen auch nach außen hin als normalisiert erscheinen können.

[K373] 1999 / BE / Moers, Walter, Die 13 1/2 Leben des Käpt‘n Blaubär, Frankfurt a.M.: Eichborn 1999, S. 618 / Auf jemanden, der mich persönlich kannte, mußten die aufgeblasenen Interviews, die ich gegeben hatte, ziemlich lächerlich gewirkt haben. Auch hier gibt es im Sprachgebrauch Überlagerungen, Übergangsbereiche, die noch systematisch zu beschreiben und mit valenzgrammatischen Annahmen schwer zu greifen sind. Oder liegen in [194] vier Valenzträger vor? [194]

1999 / ZE / Die Zeit 15.04.1999 / Der Krieg wird irgendwann für alle Beteiligten zu Ende sein, und dann wird finanzielle Aufbauhilfe geleistet werden müssen. Ist dann die Allianz bereit, sich die Wunden des Krieges, emotioneller wie finanzieller Art, ebenso engagiert aufzubürden?

Konstruktionsgrammatisch ist, wie in Kap. 10.1.4 im Ausgang angedeutet, sogar an ein ‚analytisches Futur der Modalkonstruktionen‘ zu denken: In [194] ist in das analytische Futur mit werden eine Modalkonstruktion eingebettet (mit müssen), die wiederum eine nonagentive Konstruktion der KOMMUTATION modalisiert. Systematische Anschlussarbeiten zu Polysemierelationen müssen klären, ob hier tatsächlich Tempuskonstruktionen oder mehrstufige Modalkonstruktionen vorliegen. (4) Wie an den Konstruktionen mit gehören besonders deutlich wurde (vgl. Kap. 10.2.1), kann ein Zuschnitt auf die indikativischen Formen eines Verbs (auch das ist in traditionellen Darstellungen üblich) wesentliche Aspekte des Gebrauchs einer Konstruktion verdecken. Der Zuschnitt ist in dieser Studie me-

Zusammenschau | 481

thodisch gerechtfertigt worden (vgl. Kap. 6), wurde aber in Bezug auf die Konstruktion mit gehören erweitert. Denn: Es deuten sich hier noch weitere Arbeitsfelder an, die konstruktionsgrammatisch zu erschließen sind. Neben den Verhältnissen der synthetischen Tempora ist weiter den Modi Indikativ und Konjunktiv besonderes Interesse zu schenken. (5) Konstruktionsgrammatisch lassen sich Phänomene des Übergangs fassen. Das beginnt bei der Wortartenfrage des Perfektpartizips (vgl. 5.2.3.2), geht weiter über den ‚Auxiliaritätsstatus‘ von werden als ‚Kopula‘ oder ‚Passivhilfsverb‘ bis hin zur temporalen oder modalen Interpretation der Konstruktionen mit [[werden][Infinitiv]] (vgl. u.a. Kap. 8.1) und schließlich nonagentiven Konstruktionen mit gehören und haben (Kap. 10), die sich zwischen etablierten nonagentiven Konstruktionstypen im semantisch motivierten Konstruktikon (Kap. 11) positionieren lassen, um einige Beispiele zu nennen. Da Konstruktionen und damit Konstruktionsnetzwerke prototypisch geordnet sind, sind Kontinua nicht nur allgemein zwischen Grammatik und Lexikon auf der einen Seite, sondern auf der anderen Seite auch zwischen prototypisch konstruierten Konstruktionen zu beschreiben. So zeigte die Annotation des KERN-Korpus zahlreiche Beispiele auf, in denen die Annotation zwischen Adjektiv und Perfektpartizip changierte (bekannt) oder die Formgleichheit zweier Konstruktionen einen breiten Übergangsbereich markierte (wie etwa bei temporalem und modalem werden oder zwischen agentiven und nonagentiven Konstruktionen mit haben). Kontinua wie diese lassen sich auf den unterschiedlichsten Abstraktionsebenen von Konstruktionen beschreiben und sie markieren die Bereiche des Konstruktikons, in denen ‚Konstruktionen im Werden‘ (z.B. Konstruktionen der ASKRIPTION mit wirken) und ‚Konstruktionen im Vergehen‘ (z.B. Konstruktionen der AKZEPTATION mit erhalten) (Begriffe analog nach Diewald 2005: 23 gebildet) zu beobachten sind. Auch konnten Konstruktionen beschrieben werden, die konsequent von Sprachbenutzern aus anderen Gründen abgewählt werden. Erinnert sei an Realisierungen wie [K1782] (Belegsammlung bleiben, oben Kap. 7.2 und im Verzeichnis in Kap. 15.2): [K1782] 1935 / ZE / Völkischer Beobachter (Berliner Ausgabe) 02.03.1935 / Und ihr seid 15 Jahre lang treu geblieben. Zwar können in einer konstruktionsgrammatischen Studie mit einer Konzentration auf phrasale Konstruktionen nicht die Kontexte oder die bewusstseinsgeschichtlichen Hintergründe kollektiver Mentalitäten näher untersucht werden, die Erklärungen dafür bieten mögen, warum eine bestimmte Konstruktion reali-

482 | Ergebnisse und Resümee

siert oder nicht mehr realisiert wird. Aber es können Ergebnisse an z.B. diskurslinguistisch motivierte Studien übergeben werden. Konstruktionsgrammatische Analysen können so als Hypothesengenerator fungieren. Da die Konstruktionsgrammatik die Bedeutung sprachlicher Einheiten erschließt (und in semantisch motivierten Konstruktionsnetzwerken ordnet), ist die Brücke zur an Aussagen orientierten Diskurslinguistik schon gebaut – sie muss nur noch überschritten werden (vgl. Lasch 2014b, 2015a und 2015b). (6) Der konsequent verfolgte sprachgebrauchsbasierte Ansatz resultiert zunächst aus einer theoretischen Prämisse: Konstruktionen emergieren aus dem Sprachgebrauch. Was nicht zumindest beobachtbar ist, kann zwar gedacht werden (ist also prinzipiell als Wissensform möglich, vgl. die Diskussion zu Konstruktionen der AKZEPTATION mit behalten in Kap. 9.2). Dennoch läuft man immer Gefahr, Sprachgebrauch und Grammatik sprachlicher Muster anhand introspektiv gewonnener Beispiele nicht adäquat zu beschreiben. Aus diesem Grunde wurde die Analyse eines maschinenlesbaren Korpus angestoßen. Nebeneffekt ist, dass zu den nonagentiven Konstruktionen (neben Lenz 2013) erste Ergebnisse über Verteilungen und Wechselbeziehungen nonagentiver Konstruktionen in einem standardnahen schriftsprachlichen Korpus vorgelegt werden konnten. Einschätzungen für so zentrale Konstruktionen aus dem insgesamt intensiv untersuchten Bereich des ‚Passivs im Deutschen‘ wie die, dass eine Konstruktion ‚vor allem im gehobenen Register‘, ‚höchst selten‘ oder ‚ziemlich oft vorkomme‘, konnten auf einer belastbaren Datenbasis geprüft und notfalls präzisiert oder korrigiert werden. Die Einzelergebnisse in den Analysekapiteln (vgl. Kap. 7–10) geben darüber zu jeder Konstruktion im Detail Auskunft. Welche Anschlussfragen lassen sich an diese Studie formulieren? Immer wieder wurde hier die Bedeutung der inhaltsseitigen konstruktionsgrammatischen Analyse von analytischen Tempuskonstruktionen gefordert. Diese Studie hat gezeigt, dass in der Erfassung und Beschreibung zum Beispiel der analytischen Tempora der Vergangenheit mit der Konkurrenz der beiden eingebetteten Verben haben und sein nicht nur der Schlüssel zum Verständnis anderer (hier: nonagentiver) Konstruktionen liegen kann. Auch sind über diese Analyse erst Aussagen möglich, weshalb bestimmte Konstruktionsrealisierungen im Gebrauch massiven Restriktionen unterliegen. Eine systematische Untersuchung wäre hier ebenso zu wünschen wie für die Modalkonstruktionen, die agentive, reflexive und nonagentive Konstruktionen einbetten und selbst in analytische Tempuskonstruktionen eingebettet werden. Auch die Gruppe der Konstruktionen der Negation, die auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus von Konstruktionen angreifen, sind Forschungsdesiderat.

| Teil 6: Verzeichnisse

12 Verzeichnisse 12.1 Abkürzungen 12.1.1 Semantische Rollen –





– – – – – – – –

AGENS (AG) – Handelnder ‣ COMITATIV (COM) – Begleiter des Handelnden ‣ SUBSTITUTIV (SUB) – Stellvertreter des Handelnden PATIENS (PAT) – Person als „BETROFFENES OBJEKT einer HANDLUNG […] Subtyp des AOB, Überschneidung mit BEN und CAG“ (von Polenz 2008: 170) ‣ CONTRAAGENS (CAG) – Partner einer Handlung als (verbaler) Interaktion ‣ EXPERIENCER (EXP) – „Person, die einen psychischen VORGANG oder ZUSTAND an sich ERFÄHRT“ (von Polenz 2008: 170) ‣ BENEFAKTIV (BEN) – Nutznießer oder Geschädigter einer Handlung, Subtyp des EOB OBJEKT (OB) – Betroffener oder Betroffenes einer Handlung oder eines Vorgangs, Oberbegriff für AOB, EOB und SOB ‣ AFFIZIERTES OBJEKT (AOB) – von einer Handlung oder einem Vorgang betroffene Person oder Sache; Überschneidung mit PAT, CAG, BEN und EXP; Subtypen sind ADD und PRIV ‣ EFFIZIERTES OBJEKT (EOB) – durch eine Handlung oder einen Vorgang entstehende Person oder Sache ‣ SPEZIFIZIERTES OBJEKT (SOB) – Person oder Sache, die durch eine Eigenschaftszuweisung (z.B. mittels eines QUAL) eine Spezifizierung erfährt CAUSATIV (CAU) – Sachverhalt, der ursächlich für einen anderen Sachverhalt ist INSTRUMENT (IN) – Werkzeug, Mittel, Methode, Verfahren einer Handlung PARTITIV (PAR) – Teil von etwas QUALITATIV (QUAL) – Eigenschaft von etwas POSSESSIV (POSS) – etwas in Besitz oder zur Verfügung Stehendes ADDITIV (ADD) – etwas Hinzugefügtes, welches im Resultat PAR oder POSS ist; Subtyp des AOB PRIVATIV (PRI) – etwas Entferntes, welches im Resultat nicht mehr PAR oder POSS ist, Subtyp des AOB SITUATIV (SIT) – Situation, Oberbegriff für LOC und TE ‣ LOCATIV (LOC) – Ort oder Raum ◊ ORIGATIV (OR) – Ausgangspunkt einer Handlung oder eines Vorgangs ◊ DIREKTIONAL (DIR) – Charakterisierung einer zeitlich oder räumlich zurückgelegten (Weg-)Strecke zwischen OR und DES ◊ DESTINATION (DES) – örtliches oder räumliches Ziel einer Handlung oder eines Vorgangs ‣ TEMPORATIV (TE) – Zeitpunkt oder Zeitraum einer Handlung oder eines Vorgangs

486 | Verzeichnisse

12.1.2 Tagset und Annotationen – – – – – – – – – – – – –

ADJD – adverbiales oder prädikatives Adjektiv APPR – Präposition APPRART – Präposition mit Artikel BE – Texte aus der Kommunikationsdomäne „Belletristik“ GE – Texte aus der Kommunikationsdomäne „Gebrauchsliteratur“ NN – Nomen PTKZ – Infinitiv, voll, in Kombination mit zu VVINF – Infinitiv, voll VVIZU – Infinitiv mit inkorporiertem zu, voll VVPP – (Perfekt-)Partizip und damit auch unsystematisch ‚Funktionsverbgefüge‘ WI – Texte aus der Kommunikationsdomäne „Wissenschaft“ ZE – Texte aus der Kommunikationsdomäne „Zeitung“ zuVVINF bzw. zuINF – Kürzel für VVINF mit zu bzw. PTKZ oder VVIZU in den Belegdaten und Übersichten

12.2 Abbildungen Alle in der Arbeit verwendeten Abbildungen können entweder über die Produktseite des Verlags de Gruyter (https://www.degruyter.com/view/product/476133; Stand: 16.09.2016) oder via Direktlink bezogen werden. Um den Zugriff wesentlich zu erleichtern, sind Abbildungsverzeichnis und das folgende Verzeichnis der Belege online über ein separates PDF-Dokument verfügbar (http://goo.gl/TVQKhg; Stand: 16.09.2016). Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4: Abb. 5: Abb. 6: Abb. 7:

Abb.8:

Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein. Direktlink: https://goo.gl/Aew7P6; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 8 Das Verb mail in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 53). Direktlink: https://goo.gl/lPEkbL; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 26 Das Verb send in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 55). Direktlink: https://goo.gl/tmbRwj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 28 Interne Struktur einer Konstruktion nach Croft (2001: 176). Direktlink: https://goo.gl/tmbRwj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 31 Das Verb send in der Ditransitiv-Konstruktion (nach Goldberg 1995: 55). Direktlink: https://goo.gl/tmbRwj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 34 Das Verb pflücken in der Transitiv-Konstruktion im Aussagerahmen NEHMEN. Direktlink: https://goo.gl/38IrNZ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 47 Die Einbettung des Verbs geben in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘. Direktlink: https://goo.gl/HvZMra; Stand: 16.09.2016. CC BYSA 4.0 | 48 Die Einbettung des Verbs bauen in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘. Direktlink: https://goo.gl/FkQpqL; Stand: 16.09.2016. CC BYSA 4.0 | 49

Abbildungen | 487

Abb. 9:

Abb. 10:

Abb. 11: Abb. 12: Abb. 13: Abb. 14: Abb. 15: Abb. 16: Abb. 17: Abb. 18:

Abb. 19: Abb. 20:

Abb. 21:

Abb. 22:

Abb. 23:

Abb. 24:

Abb. 25:

Abb. 26:

Die Einbettung des Verbs pflücken in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘. Direktlink: https://goo.gl/pKjfsE; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 50 Die Einbettung der Verben geben, bauen und pflücken in die Ditransitiv-Konstruktion im Aussagerahmen HANDLUNG ‚GEBEN‘ in verschiedenen Relationen zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung. Direktlink: https://goo.gl/135cLU; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 52 Perspektivische Darstellung mit einem Fluchtpunkt. Direktlink: https://goo.gl/kO42gP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 100 Perspektivische Darstellung mit zwei Fluchtpunkten. Direktlink: https://goo.gl/2aQxAe; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 101 Modell der Origo nach Bühler (1934/1982: 102). Direktlink: https://goo.gl/i4xQNs; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 103 Interferenzen von „Zeigfeld“ und „Symbolfeld“. Direktlink: https://goo.gl/BG761z; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 105 Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein. Direktlink: https://goo.gl/Aew7P6; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 123 Konstruktion der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit werden. Direktlink: https://goo.gl/Znu59I; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 125 Konstruktion der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit bekommen. Direktlink: https://goo.gl/IiXaC1; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 127 Die Schichtung des KERN-Korpus unter der Angabe laufender Textwörter. Quelle: http://www.dwds.de/ressourcen/kernkorpus/. Direktlink: https://goo.gl/kv1nVA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 152 Auszug aus der Übersicht über die Belegzahlen; alphabetische Sortierung der Qualitative. Direktlink: https://goo.gl/Ve8bnc; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 159 Auszug aus der Übersicht über die Belegzahlen; Sortierung nach der ermittelten Differenz der Belegzahlen je nach Suchstring im Korpus BERLINER ZEITUNG. Direktlink: https://goo.gl/CT3ZW3; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 160 Auszug aus der Übersicht über die Belegzahlen; Sortierung nach der ermittelten Differenz der Belegzahlen je nach Suchstring im KERN-Korpus. Direktlink: https://goo.gl/7L3eXu; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 161 Auszug aus der Übersicht über die Belegzahlen; Sortierung nach der ermittelten Differenz der Belegzahlen je nach Suchstring im Korpus ZEIT. Direktlink: https://goo.gl/zNfYsU; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 161 Signifikanztests (Auszug) für die Types, die mit der Suchabfrage near(wirken,@[QUAL],5) ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/O95xP5; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 163 Signifikanztests (Auszug) für die Types, die mit der Suchabfrage near(wirken,[QUAL],5) ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/Hth8je; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 164 Signifikanztests (Auszug) für die Types, die mit der Suchabfrage near(wirken,@[QUAL],5) ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/NTqL3N; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 166 Signifikanztests (Auszug) für die Types, die mit der Suchabfrage near(wirken, [QUAL],5) ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/sKsfHL; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 167

488 | Verzeichnisse

Abb. 27: Abfrageroutinen und Belegzahlen für die Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken im Kernkorpus des DWDS (Präteritum und Perfekt Indikativ, ADJD). Direktlink: https://goo.gl/NN0y7s; Stand: 15.08.2016. CC BY-SA 4.0 | 172 Abb. 28: Exemplarische Auswahl der Belege nach der halbautomatischen Sortierung und Vorauswahl, die mittels "@wirkte #10 $p=ADJD" && !\, im KERN-Korpus des DWDS ermittelt worden sind. Direktlink: https://goo.gl/Vyj3iX; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 175 Abb. 29: Belege für Konstruktion wirken mit ADJD im Präteritum und Perfekt Indikativ, differenziert nach Art des annotierten QUAL (ADJD), Kommunikationsbereich (BE, GE, WI, ZE), Dekade (des 20. Jh.) und morphologischer Form des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/AGTpRr; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 177 Abb. 30: Schätzwerte der Belege für Konstruktion wirken mit ADJD im Präteritum, differenziert nach Kommunikationsbereich (BE, GE, WI, ZE) und morphologischer Form des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/Ohz6lJ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 179 Abb. 31: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein. Direktlink: https://goo.gl/Aew7P6; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 185 Abb. 32: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit sein im Präsens Indikativ. Erfasst sind nur die mittels der Suchstrings ermittelten Belege. Direktlink: https://goo.gl/otdaul; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC-BY-SA 4.0 | 187 Abb. 33: Vergleich der ermittelten Belege N1 im KERN-Korpus nach eingebettetem Verb im Präsens Indikativ. Direktlink: https://goo.gl/NRS3Qq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 188 Abb. 34: Vergleich der ermittelten Belege N1 im KERN-Korpus nach eingebettetem Verb im Präsens Indikativ nach Anpassung der Erhebungsroutinen. Direktlink: https://goo.gl/TFF9MV; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BYSA 4.0 | 189 Abb. 35: Verteilung der abgefragten Belege N im KERN-Korpus auf die ausgewählten Jahrgänge. Direktlink: https://goo.gl/6nimrB; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 190 Abb. 36: Verteilung der abgefragten Belege N1 im KERN-Korpus auf die ausgewählten Jahrgänge. Direktlink: https://goo.gl/5mzjmg; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 191 Abb. 37: Vergleich der mittels der Standardsuchroutinen aufgerufenen Belegzahlen (N und N1) für die Konstruktion mit sein und mit werden. Direktlink: https://goo.gl/lP6G2E; Stand: 16.08.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 192 Abb. 38: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein im Präsens und Präteritum Indikativ nach Anpassung der Erhebungsroutinen. Direktlink: https://goo.gl/bppnbC; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 194 Abb. 39: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein im Perfekt und Plusquamperfekt nach Anpassung der Erhebungsroutinen. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/8QxfOs; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 195 Abb. 40: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein im Futur I nach Anpassung der Erhebungsroutinen. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/bkQG7I; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BYSA 4.0 | 196

Abbildungen | 489

Abb. 41: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/ogfQzJ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BYSA 4.0 | 197 Abb. 42: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungsausschnitt nach angepassten Abfrageroutinen. Direktlink: https://goo.gl/O8pXON; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 198 Abb. 43: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von sein mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/Tzl2v6; Stand: 16.09.2016. CC BYSA 4.0 | 200 Abb. 44: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit sein mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/0gtseK; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 201 Abb. 45: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit sein nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/tdRMWP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 202 Abb. 46: Die je 30 häufigsten Qualitative mit sein nach Annotationsart. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/h12MFi; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 204 Abb. 47: Lexikalisch maximal spezifizierte Realisierung der Konstruktion der ASKRIPTION mit sein zu den Belegen [K2582], [K44268] sowie [K2489] und [K3891]. Direktlink: https://goo.gl/jNfvLp; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 206 Abb. 48: Die je 30 häufigsten Qualitative mit sein nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/Btx9oN; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 213 Abb. 49: Die je 30 häufigsten Qualitative mit sein nach Tempus. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/eCxzvA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 215 Abb. 50: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit bleiben mit resultativer Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung. Direktlink: https://goo.gl/quq4Hm; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 219 Abb. 51: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Präsens. Zu dem Beleg mit [[bleiben][[am][N]]] in Z. 66 kommen noch vier Belege aus Kontrollabfragen mit anderen APPRART (beim und im) hinzu, die nur in der Gesamtzählung aller Belege berücksichtigt sind (vgl. unten Abb. 56; Präsens: 782). Direktlink: https://goo.gl/pcN5r8; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BYSA 4.0 | 222 Abb. 52: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Präteritum. Ein weiterer Beleg aus Kontrollabfragen mit anderen APPRART (im) kommt hinzu, der nur in der Gesamtzählung aller Belege berücksichtigt ist (vgl. unten Abb. 56; Präteritum: 699). Direktlink: https://goo.gl/MvEnRU; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 223 Abb. 53: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/kJCDAf; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BYSA 4.0 | 224 Abb. 54: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/DbXnYq; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 225

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Abb. 55: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben im Futur I. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/Ciyk26; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 226 Abb. 56: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben. In den Belegsummen von Präsens und Präteritum (m) sind die Belege aus den Kontrollrechnungen berücksichtigt. Direktlink: https://goo.gl/bM8Oyo; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 227 Abb. 57: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit bleiben unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs- und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/aWO4WK; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 230 Abb. 58: Die Schichtung des KERN-Korpus unter der Angabe laufender Textwörter. Quelle: http://www.dwds.de/ressourcen/kernkorpus/. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/kv1nVA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 232 Abb. 59: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/FraSN6; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 233 Abb. 60: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im statistisch normalisierten Korpus. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/mr7wOl; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 233 Abb. 61: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/yzK8Gq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 234 Abb. 62: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von bleiben mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/KOP1qb; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 236 Abb. 63: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/PfjWt1; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 237 Abb. 64: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bleiben mit Angabe der Art der Annotation der eingebetteten Qualitative. Die Abbildung kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/zkXa3e; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 238 Abb. 65: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bleiben nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/1CZU5V; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 240 Abb. 66: Die je 24 häufigsten Qualitative mit bleiben nach Annotationsart ADJD, die nach 1945 in WI, GE und ZE seltener verwendet werden. Direktlink: https://goo.gl/K5mOYI; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 241 Abb. 67: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bleiben nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/KXjn8v; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 249 Abb. 68: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bleiben nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/J8ZZdw; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 250 Abb. 69: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung. Direktlink: https://goo.gl/ezVrvB; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 253

Abbildungen | 491

Abb. 70: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung und scheinen. Direktlink: https://goo.gl/vFd1jg; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 255 Abb. 71: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen. In der Belegsumme des Präteritums (m) ist ein Beleg aus den Kontrollrechnungen berücksichtigt. Direktlink: https://goo.gl/GmHp3D; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 255 Abb. 72: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/kFNugW; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 257 Abb. 73: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/qieiaq; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 258 Abb. 74: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungsund Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/eX0dHq; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 259 Abb. 75: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit scheinen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/pZxeN7; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 263 Abb. 76: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit scheinen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/quY9wY; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 263 Abb. 77: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit scheinen nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/XRnUVf; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 264 Abb. 78: Chronologische Verteilung der Qualitative in der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen. Direktlink: https://goo.gl/tiuBqr; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 265 Abb. 79: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von scheinen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/bDo1XT; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 265 Abb. 80: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit scheinen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/pZxeN7; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 267 Abb. 81: Die je 30 häufigsten Qualitative mit scheinen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/Y9xeJY; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 268 Abb. 82: Die je 30 häufigsten Qualitative mit scheinen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/uAN8qo; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 270 Abb. 83: Die je 30 häufigsten Qualitative mit scheinen nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/8jUBmO; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 271 Abb. 84: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Konstruktions- und Verbbedeutung und erscheinen. Direktlink: https://goo.gl/spZ07z; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 273 Abb. 85: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/t9DJLA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 274

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Abb. 86: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/lTIr6N; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 275 Abb. 87: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/aOLv3U; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 276 Abb. 88: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/DM7lA9; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 277 Abb. 89: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/pfwTwM; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 278 Abb. 90: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit erscheinen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungsund Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/TLd6Gd; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 279 Abb. 91: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erscheinen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/80RYQK; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 282 Abb. 92: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erscheinen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/5LSCKZ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 282 Abb. 93: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erscheinen nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/3n31rs; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 283 Abb. 94: Chronologische Verteilung der Qualitative in der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen. Direktlink: https://goo.gl/5YOo88; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 284 Abb. 95: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von erscheinen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/elOyWQ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 284 Abb. 96: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erscheinen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/H6tRBh; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 285 Abb. 97: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erscheinen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/9TN13W; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 286 Abb. 98: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erscheinen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/7ntT6X; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 287 Abb. 99: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erscheinen nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/7jmRoj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 288 Abb. 100: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und wirken. Direktlink: https://goo.gl/ywmCmB; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 292 Abb. 101: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/24DvUe; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 294

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Abb. 102: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/kwYdAg; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 298 Abb. 103: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/yJRNOj; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 299 Abb. 104: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungsund Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/8squNJ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 300 Abb. 105: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit wirken mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/PNKGiV; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 301 Abb. 106: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit wirken mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/MR2kRs; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 301 Abb. 107: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit wirken nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/rnHXhR; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 302 Abb. 108: Chronologische Verteilung der Qualitative in der Konstruktion der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken. Direktlink: https://goo.gl/Y5Zjwr; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 303 Abb. 109: Anzahl der Realisierungen von Konstruktionen der ASKRIPTIONV(≈modal) mit wirken und VVPP als QUAL. Direktlink: http://goo.gl/5vrXKa; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 303 Abb. 110: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von wirken mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/7nrpfv; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 304 Abb. 111: Die je 30 häufigsten Qualitative mit wirken nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/dDU9IC; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 305 Abb. 112: Die je 30 häufigsten Qualitative mit wirken nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/6RCI9c; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 308 Abb. 113: Die je 30 häufigsten Qualitative mit wirken nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/wnggvq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 309 Abb. 114: Konstruktion der ASKRIPTION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit modaler Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und aussehen. Direktlink: https://goo.gl/WmhInI; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 311 Abb. 115: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/ODVKHo; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 312 Abb. 116: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen im Präsens und Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/dWzowo; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 313 Abb. 117: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen im Perfekt und Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/7c6jZD; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 314 Abb. 118: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungs-

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und Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/hnYDwl; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 315 Abb. 119: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/XjFYnP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 316 Abb. 120: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/3iFxNz; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 317 Abb. 121: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/1wmU8O; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 317 Abb. 122: Chronologische Verteilung der Qualitative in der Konstruktion der ASKRIPTION mit aussehen. Direktlink: https://goo.gl/tgrxId; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 318 Abb. 123: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von aussehen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/EzTfhv; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 318 Abb. 124: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/Oh6XZB; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 319 Abb. 125: Die je 30 häufigsten Qualitative mit aussehen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/BVpF9F; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 320 Abb. 126: Die je 30 häufigsten Qualitative mit aussehen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/nbQWwO; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 321 Abb. 127: Die je 30 häufigsten Qualitative mit aussehen nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/DhoiCF; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 322 Abb. 128: Konstruktion der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit werden. Direktlink: https://goo.gl/Znu59I; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 329 Abb. 129: Konstruktion der KOMMUTATION (Subtyp der Prädikatsklasse ZUSTAND) mit werden im Präsens Indikativ. Erfasst sind nur die mittels der Suchstrings ermittelten Belege. Die vollständige Übersicht (über alle Tempora) kann abgerufen werden unter: https://goo.gl/2hoQmA; Stand: 16.09.2016. Legende: Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 330 Abb. 130: Vergleich der mittels der Standardsuchroutinen aufgerufenen Belegzahlen (N und N1) für die Konstruktion der ASKRIPTION mit sein und der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden. Direktlink: https://goo.gl/lP6G2E; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 333 Abb. 131: Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden nach Anpassung der Abfrageroutinen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/0KEVHc; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 334 Abb. 132a und b: Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden nach Anpassung der Abfrageroutinen. Direktlink: https://goo.gl/xJNWBA; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 335f Abb. 133: Realisierungen der Konstruktion der KOMMUTATION mit werden unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/5LH62O; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 337

Abbildungen | 495

Abb. 134: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit werden nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/TD8RHm; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 338 Abb. 135: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von werden mit Angabe der Stellung des finiten Verbs im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/L9zxzr; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 341 Abb. 136: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit werden mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/4kQcCF; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 345 Abb. 137: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit werden mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/GpbqFn; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 346 Abb. 138: Die je 30 häufigsten Qualitative mit werden nach Annotationsart im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/TQXEfg; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 347 Abb. 139: Die je 30 häufigsten Qualitative mit werden nach Kommunikationsdomäne im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/AiCsRl; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 348 Abb. 140: Die je 30 häufigsten Qualitative mit werden nach Tempus im Korpusausschnitt. Direktlink: https://goo.gl/su0OeS; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 352 Abb.141: Das ‚unpersönliche Passiv‘ als Konstruktion der KOMMUTATION mit werden. Direktlink: https://goo.gl/athrpy; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 356 Abb. 142: Konstruktion der AKZEPTATION (Subtyp der Prädikatsklasse VORGANG) mit bekommen. Direktlink: https://goo.gl/IiXaC1; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 365 Abb. 143: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/9DQh0D; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 366 Abb. 144: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/JXTRsJ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 367 Abb. 145: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/JXTRsJ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 368 Abb. 146: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/ssuYKo; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 369 Abb. 147: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/MecV0J; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 370 Abb. 148: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen im Futur I. Direktlink: https://goo.gl/icMBM3; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 371 Abb. 149: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit bekommen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungsund Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/g9pP2v; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 374

496 | Verzeichnisse

Abb. 150: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/vSgLRo; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 375 Abb. 151: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/vSgLRo; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 376 Abb. 152: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/O6gbDP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 376 Abb. 153: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/1wtlPJ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 377 Abb. 154: Realisierung der 20 häufigsten Qualitative in den Konstruktionsrealisierungen mit bekommen in der ersten und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Domänen ZE und GE. Direktlink: https://goo.gl/g68eYn; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 377 Abb. 155: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit bekommen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/kQyAOO; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 380 Abb. 156: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von bekommen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/2zPGe8; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 381 Abb. 157: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bekommen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/FWai7z; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 382 Abb. 158: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bekommen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/L9a3Lz; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 385 Abb. 159: Die je 30 häufigsten Qualitative mit bekommen nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/cP9P1E; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 386 Abb. 160: Konstruktion der AKZEPTATION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und kriegen. Direktlink: https://goo.gl/idsVhd; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 387 Abb. 161: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/VXO2r5; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 388 Abb. 162: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/sd9sjQ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 389 Abb. 163: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/1TU88M; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 390 Abb. 164: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/oCK5u0; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 391 Abb. 165: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit kriegen im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/r5KWlZ; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 392

Abbildungen | 497

Abb. 166: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von kriegen mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/d32bYs; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 393 Abb. 167: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit kriegen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/3D3KgF; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 394 Abb. 168: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit kriegen mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/za2R49; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 394 Abb. 169: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit aussehen nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/vpEdhC; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 395 Abb. 170: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit kriegen mit Angabe der Qualitative. Direktlink: https://goo.gl/kIwBqU; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 396 Abb. 171: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit kriegen mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/BFf7uD; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 396 Abb. 172: Die Qualitative mit kriegen nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/KqNllj; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 397 Abb. 173: Die Qualitative mit kriegen nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/4KvhaL; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 399 Abb. 174: Konstruktion der AKZEPTATION mit direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und erhalten. Direktlink: https://goo.gl/7xZaZF; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 400 Abb. 175: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten nach Tempora. Direktlink: https://goo.gl/V86Fvm; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 402 Abb. 176: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/2McNjI; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 404 Abb. 177: Realisierungen der AKZEPTATION mit erhalten im Präteritum. Direktlink: https://goo.gl/wlJn3u; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BYSA 4.0 | 405 Abb. 178: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten im Perfekt. Direktlink: https://goo.gl/YzCgpn; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 406 Abb. 179: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten im Plusquamperfekt. Direktlink: https://goo.gl/LfcigV; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 407 Abb. 180: Realisierungen der Konstruktion der AKZEPTATION mit erhalten unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungsund Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/XgYbwm; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 408 Abb. 181: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/5vAxqC; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 410

498 | Verzeichnisse

Abb. 182: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen im normalisierten Korpus. Direktlink: https://goo.gl/Wks3bd; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 410 Abb. 183: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten mit Angabe der realisierten Qualitative. Direktlink: https://goo.gl/STGFsk; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 410 Abb. 184: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/Db6xEv; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 411 Abb. 185: Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit erhalten nach morphologischen Formen des Verbs und mit Angabe der jeweiligen Gebrauchsdomänen. Direktlink: https://goo.gl/4BKThq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 412 Abb. 186: Verteilungen Qualitative und morphologische Formen von erhalten mit Angabe der Stellung des finiten Verbs. Direktlink: https://goo.gl/74W2EP; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 412 Abb. 187: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erhalten nach Annotationsart. Direktlink: https://goo.gl/dwFnla; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 414 Abb. 188: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erhalten nach Kommunikationsdomäne. Direktlink: https://goo.gl/Wtlws4; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 415 Abb. 189: Die je 30 häufigsten Qualitative mit erhalten nach Tempus. Direktlink: https://goo.gl/PZGyTZ; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 416 Abb. 190: Realisierungen der Konstruktion der ASKRIPTION mit scheinen unter Berücksichtigung der Kommunikationsdomänen; Schätzung der Verteilung im Untersuchungsund Gesamtkorpus. Direktlink: https://goo.gl/eX0dHq; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 424 Abb. 191: Konstruktion der ASKRIPTION mit Relation des intendierten Resultats zwischen Verbund Konstruktionsbedeutung mit gehören. Direktlink: https://goo.gl/8xYSLS; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 436 Abb. 192: Konstruktion der KOMMUTATION mit Relation des intendierten Resultats zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung mit gehören. Direktlink: https://goo.gl/Ry4tKM; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 437 Abb. 193: Realisierungen der Konstruktionen mit gehören (KERN-Korpus) im Präsens. Direktlink: https://goo.gl/zO0gjr; Stand: 16.09.2016. Legende: https://goo.gl/GRkY8p. CC BY-SA 4.0 | 440 Abb. 194: Realisierungen der Konstruktion gehören quantifiziert nach morphologischer Form, Kommunikationsdomäne und chronologischer Einordnung. Direktlink: https://goo.gl/7zFTdg; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 441 Abb. 195: Verwendete Qualitative in Konstruktionen mit gehören geordnet nach Kommunikationsdomäne und Tempus. Direktlink: https://goo.gl/sM2dTL; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 442 Abb. 196: Schichtung des ZEIT-Korpus (Stand: 13.10.2014). Direktlink: https://goo.gl/P609YI; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 443 Abb. 197: Realisierungen der Konstruktion mit gehören (ZEIT-Korpus) nach morphologischer Form des Verbs und Modus. Direktlink: https://goo.gl/qjnAsv; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 444

Literatur | 499

Abb. 198: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit gehören mit Angabe der morphologischen Formen. Direktlink: https://goo.gl/EIhlsT; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 444 Abb. 199: Chronologische Verteilung der Konstruktionsrealisierungen mit gehören nach Modus. Direktlink: https://goo.gl/Fbd5Wx; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 444 Abb. 200: Die je 30 häufigsten Qualitative mit gehören nach Modus und Tempus. Direktlink: https://goo.gl/vFTKUf; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 452 Abb. 201: Konstruktion der AKZEPTATION mit resultativer Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung und haben. Direktlink: https://goo.gl/X45rNB; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 456 Abb. 202: Konstruktion der ASKRIPTION mit wirken in direkter Relation zwischen Verb- und Konstruktionsbedeutung. Direktlink: https://goo.gl/rpEulq; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 461 Abb. 203: Die nonagentiven Konstruktionen im Konstruktikon, Ausschnitt. Das Konstruktikon ist am Schluss des Buches auf einer Doppelseite vollständig abgedruckt und kann als frei skalierbares PDF abgerufen werden unter: http://goo.gl/WjFizb; Stand: 16.09.2016. CC BY-SA 4.0 | 470

12.3 Literatur 12.3.1 Untersuchungsbasis und Internetverweise Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) (http://www.dwds.de; Stand: 16.09.2016) und Retro-DWDS (http://retro.dwds.de, Stand: 29.05.2015). Elektronisches Valenzwörterbuch des Instituts für deutsche Sprache Mannheim (E-VALBU) (http://hypermedia.ids-mannheim.de/evalbu/index.html; Stand: 16.09.2016). FrameNet (https://framenet2.icsi.berkeley.edu/fnReports/data/frameIndex.xml; Stand: 16.09.2016). STTS - Stuttgart-Tübingen Tagset (http://www.ims.unistuttgart.de/forschung/ressourcen/lexika/TagSets/stts-table.html; Stand: 16.09.2016). Wortschatzportal Leipzig (http://wortschatz.uni-leipzig.de/abfrage/; Stand: 16.09.2016).

12.3.2 Belegsammlungen 12.3.2.1 ASKRIPTION sein (https://goo.gl/LS5aNK; Stand: 16.09.2016). bleiben (https://goo.gl/sfAa8s; Stand: 16.09.2016). scheinen (https://goo.gl/5YvKiw; Stand: 16.09.2016). erscheinen (https://goo.gl/Xj7EW6; Stand: 16.09.2016). wirken (https://goo.gl/yCai8B; Stand: 16.09.2016). aussehen (https://goo.gl/xUng8v; Stand: 16.09.2016).

500 | Verzeichnisse

12.3.2.2 KOMMUTATION werden (https://goo.gl/PcKaN2; Stand: 16.09.2016).

12.3.2.3 AKZEPTATION bekommen (https://goo.gl/aEw9rC; Stand: 16.09.2016). kriegen (https://goo.gl/zaUHBH; Stand: 16.09.2016). erhalten (https://goo.gl/GBm2vT; Stand: 16.09.2016).

12.3.2.4 Intermediäre Konstruktionen gehören im KERN-Korpus (https://goo.gl/YlPuaN; Stand: 16.09.2016). gehören im ZEIT-Korpus (https://goo.gl/VPJbAb; Stand: 16.09.2016).

12.3.3 Forschung Abbot-Smith, Kirsten F. & Heike Behrens. 2006. How known constructions influence the acquisition of other constructions: the German passive and future constructions. In: Cognitive Science 30/6. 995–1026. Abraham, Werner. 2000. Das Perfektpartizip: seine angebliche Passivbedeutung im Deutschen. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 28. 141–166. Abraham, Werner. 2015. Konstruktionsgrammatik ist analytische Grammatik unter empirischen Frequenzvoraussetzungen. Die ‚Passivfamilie‘. In: Deutsche Sprache 43. 74–96. Ackerman, Farrell & Gert Webelhuth. 1998. A Theory of Predicates (CSLI lecture notes 76). Stanford. Admoni, Wladimir. 1970. Der deutsche Sprachbau. München. Ágel, Vilmos. 1995. Valenzrealisierung, Grammatik und Valenz. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 23. 2–32. Ágel, Vilmos. 1997. Reflexiv-Passiv, das (im Deutschen) keines ist. Überlegungen zu Reflexivität, Medialität, Passiv und Subjekt. In: Christa Dürscheid & Karl Heinz Ramers & Monika Schwarz (Hg.). Sprache im Fokus. Festschrift Heinz Vater. Tübingen. 147–187. Ágel, Vilmos. 2000. Valenztheorie. Tübingen. Askedal, John Ole. 1984a. Grammatikalisierung und Auxiliarisierung im sogenannten bekommen/kriegen/erhalten-Passiv des Deutschen. In: Kopenhagener Beiträge zur germanistischen Linguistik 22. 5–47. Askedal, John Ole. 1995. Zur Konversionsanalyse deutscher Passivkonstruktionen. In: Arbeitsberichte des Germanistischen Instituts der Universität Oslo 7. 25–76. Behrens, Heike. 2009a. Konstruktionen im Spracherwerb. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik 37. 427–444. Behrens, Heike. 2009b. Usage-Based and Emergentist Approaches to Language Learning. In: Linguistics 47/2. 383–411. Behrens, Heike. 2011a. Die Konstruktion von Sprache im Spracherwerb. In: Alexander Lasch & Alexander Ziem (Hg.). Konstruktionsgrammatik III: Aktuelle Fragen und Lösungsansätze. Tübingen. 165–179.

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Teil 7: Anhang

514 

 Konstruktikon

[KONSTRUKTIKON] Nonagentive Konstruktionen des Deutschen // CC BY-SA 4.0 Alexander Lasch

[NP(das Medikament)]

[NP(der Gartenzaun)]

[NP(zwei Delphine)] [VVPP(tätowiert)] [NP(sie)]

[AKZEPTATIONerhalten(=direkt)(die Apotheke, das Medik

[AKZEPTATION(ASKRIPTION)haben(≈resultativ)(sie, zwei Delphine, tätowiert)]

[AKZEPTATION(ASKRIPTION)haben(≈resultativ)(BENNPNOM,ADDNPAKK,QUAL)]

[AKZEPTATION(ASKRIPTION)V(≈resultativ)(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUAL)]

[VVPP(hemmend)]

[AGENTI KONSTRUKT

[ASKRIPTIONwirken(=direkt)(Das Medikament, hemmend)]

[REFLEXIVE KONSTRUKTIONEN]

[ASKRIPTIONwirken(=direkt)(SOBNPNOM,QUAL)] [ASKRIPTIONV(SOBNPNOM,QUAL)]

[ASKRIPTIONV(=direkt)(SOBNPNOM,QUAL)]

[ASKRIPTIONsein(=direkt)(SOBNPNOM,QUAL)]

[ASKRIPTIONV(≈resultativ)(SOBNPNOM,QUAL)]

[ASKRIPTIONbleiben(≈resultativ)(SOBNPNOM,QUAL)]

[ASKRIPTIONV(≈modal)(SOBNPNOM,QUAL)]

[ASKRIPTIONscheinen(≈modal)(SOBNPNOM,QUAL)]

[ASKRIPTIONsein(=direkt)(das Fenster, geöffnet)]

[ASKRIPTIONV(≈inten

[ASKRIPTIONwirken(≈modal)(SOBNPNOM

[ASKRIPTIONerscheinen(≈modal)(SOBNPn,QUAL)] [ASKRIPTIONscheinen(≈modal)(die Welt, golden)]

[ASKRIPTIONwirken(≈modal)(die We

[ASKRIPTIONbleiben(≈resultativ)(das Fenster, geöffnet)] [ASKRIPTIONerscheinen(≈modal)(die

[NP(das Fenster)]

[VVPP(geöffnet)]

[NP(die Welt)]

Welt, golden)]

[ADJD(gol

Konstruktikon 

[VVPP(verpasst)]

[NP(einen neuen Anstrich)]

[NP(das Kind)]

[VVPP(geschenkt)]

[NP(die Puppe)]

[AKZEPTATIONkriegen(=direkt)(der Gartenzaun, einen neuen Anstrich, verpasst)]

kament, zugesandt)]

 515

[AKZEPTATIONbekommen(=direkt)(das Kind, die Puppe, geschenkt)]

[AKZEPTATIONkriegen(=direkt)(EOBNPNOM,ADDNPAKK,QUAL)]

[AKZEPTATIONerhalten(=direkt)(BENNPNOM,ADDNPAKK,QUAL)]

[AKZEPTATIONbekommen(=direkt)(BENNPNOM,ADDNPAKK,QUAL)]

[VVPP(verschenkt)] [AKZEPTATIONV(=direkt)(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUAL)]

IVE TIONEN] [AKZEPTATIONV(EOBNPNOM,PARNPAKK,QUAL)]

[KOMMUTATIONwerden(=direkt)(die Puppe, verschenkt)]

[NONAGENTIVE KONSTRUKTIONEN] [KOMMUTATIONwerden(=direkt)(AOBNPNOM,QUAL)] [KOMMUTATIONV(AOBNPNOM,QUAL)]

[KOMMUTATIONV(=direkt)(AOBNPNOM,QUAL)]

ndiertes Resultat)(SOBNP

,QUAL)]

[KOMMUTATIONV(≈intendiertes Resultat)(AOBNPNOM,QUAL)]

NOM

[KOMMUTATIONwerden(=direkt)(SIT,QUAL)] ,QUAL)]

M

[ASKRIPTION(KOMMUTATION)gehören(≈intendiertes Resultat)(SOBNPNOM,QUAL)]

[ASKRIPTIONaussehen(≈modal)(SOBNPNOM,QUAL)] [KOMMUTATIONwerden(=direkt)(TE,QUAL)]

elt, golden)] [ASKRIPTIONaussehen(≈modal)(die Welt, golden)]

lden)]

[ASKRIPTION(KOMMUTATION)gehören(≈intendiertes Resultat)(SIT,QUAL)]

[ASKRIPTION(KOMMUTATION)gehören(≈intendiertes Resultat)(diese Stelle, bearbeitet)]

[KOMMUTATIONwerden(=direkt)(jetzt, gearbeitet)]

[ASKRIPTION(KOMMUTATION)gehören(≈intendiertes Resultat)(TE,QUAL)]

[ASKRIPTION(KOMMUTATION)gehören(≈intendiertes Resultat)(jetzt,gearbeitet)]

[NP(diese Stelle)]

[VVPP(bearbeitet)]

[ADV(jetzt)]

[VVPP(gearbeitet)]