Net Gain: Profit im Netz [1. Aufl.] 978-3-409-18959-0;978-3-322-84687-7

John Hagel ist Partner im McKinsey- Büro in Silicon Valley und zugleich Leiter des McKinsey-Gesamtbereichs "Interac

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German Pages 256 Year 1999

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Net Gain: Profit im Netz [1. Aufl.]
 978-3-409-18959-0;978-3-322-84687-7

Table of contents :
Front Matter ....Pages 1-9
Einleitung (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 10-13
Front Matter ....Pages 14-14
Die Schnellen gewinnen (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 15-27
Umgekehrte Märkte: Die Kunden profitieren (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 28-52
Die neue Ökonomie virtueller Communities (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 53-97
Das Kommende nimmt Gestalt an (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 98-126
Front Matter ....Pages 127-127
Die Wahl des Einstiegs (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 128-147
Den Grundstein legen: Groß genug werden (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 148-166
Das organische Wachstum managen (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 167-188
Die Wahl der richtigen Technologie (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 189-202
Front Matter ....Pages 203-203
Funktionales Management überdenken (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 204-222
Märkte und Organisationen neu gestalten (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 223-236
Epilog (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 237-237
Management-Agenda (John Hagel III, Arthur G. Armstrong)....Pages 238-241
Back Matter ....Pages 242-256

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Net Gain

John Hagel III Arthur G. Armstrang

Net Gain Profit im Netz Märkte erobern mit virtuellen Communities

FA LKEN

GABLER

1

Inhalt

Vorwort zur deutschen Ausgabe

7

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

Teil I Der wahre Nutzen virtueller Communities

14

1

Die Schnellen gewinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Wer profitiert von virtuellen Gemeinschaften? . . . . . . . . . . . . . . . 19 Wandel als Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24

2

Umgekehrte Märkte: Die Kunden profitieren . . . . . . . . . . . . . Der Bedarf an virtuellen Communities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Machtwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Dilemma des Anbieters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... und seine Chance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28 29 36 46 48

3

Die neue Ökonomie virtueller Communities . . . . . . . . . . . . . . Das Gesetz zunehmender Erträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einnahmequellen für die virtuelle Community . . . . . . . . . . . . . . . Ankurbelung des Ertragswachstums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbesserung der Rentabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Längerfristige Profitquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzfristige wirtschaftliche Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . .

53 54 56 61 76 83 87

Die Ersten werden den Markt erobern

90

4

4

.....................

Das Kommende nimmt Gestalt an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Die Entwicklungsstufen einer Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Ausblick auf die möglichen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

INHALT

Teil II Aufbau einer virtuellen Communlty

127

Die Wahl des Einstiegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikatoren für das kurzfristig realisierbare Gewinnpotenzial .. .. Typen von Communities . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Indikatoren für eine langfristige Expansion ..... . .......... . . Beurteilung Ihrer Fähigkeit zum Aufbau einer eigenen Community . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128 129 134 140

6

Den Grundstein legen: Groß genug werden ............ . . Erste Phase: Für regen Besuch sorgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweite Phase: Den Besuch verstärken ........ . ............ Dritte Phase: Den Besuch zum Dauergast machen .......... . .

148 151 158 163

7

Das organische Wachstum managen ...... . ............ Wachstumsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unabdingbare Fertigkeiten ............... . .............. Anforderungen an das Management . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167 168 174 186

8

Die Wahl der richtigen Technologie Prinzipien für die Technologiestrategie Wahl der richtigen Netzwerkplattform

189 190 192

5

144

Teil 111 Gewinnpositionen sichern 9

10

203

Funktionales Management überdenken . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Wie man Geschäfte mit mächtigeren Kunden macht. . . . . . . . . . . . 206 Andere Managementfunktionen beleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 Märkte und Organisationen neu gestalten . . . . . . . . . . . . . . . Virtuelle Communities definieren Märkte neu . . . . . . . . . . . . . . . . Virtuelle Communities verändern die industriellen Strukturen .... Virtuelle Communitie ge talten Unternehmen neu . . ..........

223 224 227 233

5

Epilog ............. . ... . ........................... . ..... 237 Management-Agenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Literatur ........ .. ................................ . ...... 242 Grundlegende Literatur ............. . .. . .......... . .. . ....... 242 Ergänzende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Register ......................................... . ....... 245 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 Die Autoren .. . .... . ... .... . ... . ......... ...... . .......... 255

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VORWORT

Vorwort zur deutschen Ausgabe Der Markt der virtuellen Communities hat ein phänomenales EntwicklungspotenziaL Eine modellhafte Beispielrechnung meiner OS-Kollegen John Hagel und Artbur Armstrang zeigt, wie sich eine virtuelle Community innerhalb von nur zehn Jahren zu einem Großunternehmen entwickeln könnte; aus 15 Millionen Dollar Anfangsinvestitionen erwächst in diesem Modell ein 700-MillionenDollar-Unternehmen mit einem Marktwert von circa vier Milliarden Dollar. Möglich wird eine solche wundersame Geldvermehrung durch die Ausnutzung des ökonomischen Gesetzes der zunehmenden Erträge. Wie immer bei Plattformtechnologien und Standards auf neuen Märkten gilt, dass jeder zusätzliche Teilnehmer als neuer "Kommunikationsknotenpunkt" zur Vervielfachung der Informations- und Leistungsströme im Netz beiträgt, von denen er selbst wiederum profitiert. Virtuelle Communities aus Netznutzern, Kunden und miteinander konkurrierenden Anbietern funktionieren nach diesem simplen Prinzip. Ihre Mitglieder kommunizieren im Netz und gruppieren sich dazu um ein organisierendes Unternehmen. Dieses sammelt Informationen, bereitet sie auf und stellt sie der jeweiligen Community zur Verfügung. Aber auch die Mitglieder selbst bieten der Community Informationsmaterial an, zum Beispiel an den virtuellen schwarzen Brettern, in den virtuellen Chatrooms oder auf ihrer eigenen Homepage. Mit jeder Aktion im Netz wächst das Wissen des Organisators über die Interessen und Schwerpunkte der Community und ihrer Mitglieder. Die so entstehenden Nutzerprofile erlauben es dem Organisator, seinen Service immer besser auf die Bedürfnisse der Gemeinschaft und ihrer einzelnen Mitglieder zuzuschneiden. Je größer die Mitgliederzahl, desto eher werden virtuelle Gemeinschaften zu Keimzellen für einen so genannten "umgekehrten Markt". Hier sind die Mitglieder (Käufer) im Besitz der Informationen und nicht mehr länger die Anbieter von Waren oder Dienstleistungen. So wird ein signifikanter Teil des Gewinnpotenzials vom Anbieter auf den Käufer übertragen. Aus diesen virtuellen Communities werden sich innerhalb der nächsten zehn Jahre neue Märkte mit einem enormen wirtschaftlichen Potenzial entwickeln.

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Die notwendige Technologie ist bereits vorhanden; sie muss allerdings noch benutzerfreundlicher werden. Doch die notwendigen Verbesserungen der Informations- und Kommunikationstechnologie sind bereits absehbar. Die physischen Liefer- und Leistungsströme, die sich aus den virtuellen Geschäften ergeben, werden auf "Logistikmärkten" stattfinden, die mit den virtuellen Gemeinschaften nur lose gekoppelt sind. Vieles am Entwurf, den Hagel und Armstrong hier zeichnen, mag dem europäischen Leser nach Zukunftsmusik klingen. Doch die beschriebenen Entwicklungen vollziehen sich bereits. Um die Erfolgsbeispiele aus den USA für uns nutzbar zu machen, müssen allerdings vielfach noch die Voraussetzungen geschaffen werden. Insbesondere sind weitere Liberalisierungen und Deregulierungen der Telekommunikation und des Handels dringend erforderlich. Aber es gibt auch Bereiche, in denen sich die amerikanischen Vorreiter an die höheren Standards in anderen Ländern angepasst haben. So kann etwa der mitunter doch recht "lockere" Umgang mit persönlichen Daten, wie es ihn in USA oft gibt, das europäische Bewusstsein für Datenschutz und informationeile Selbstbestimmung verletzen. Inzwischen haben sich nun auch in den USA Bewegungen gebildet, die den Schutz persönlicher Daten und damit der Privatsphäre des Individuums in den Vordergrund rücken. Sie konzentrieren sich vor allem darauf, die Sicherheit beim Datenaustausch zu verbessern und die Weitergabe persönlicher Nutzerdaten zu unterbinden. Erfreulicherweise scheint es, als setze sich allmählich ein internationales Einverständnis darüber durch, dass Daten, die ein Teilnehmer im Netz gegenüber einem Anbieter zu einem klar umrissenen Zweck offen legt, nicht ohne seine ausdrückliche Zustimmung weitergegeben werden dürfen. In vielen Ländern bestehen zudem bereits Instanzen, die der einzelne Nutzer im Falle eines Verstoßes gegen den Schutz persönlicher Daten anrufen kann. Diese Institutionen sind international aufeinander abzustimmen. Jenseits dieser Fragen lebt das Netzgeschäft nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung. Die Frage, die sich stellt, lautet nicht: Mitmachen oder nicht? Es geht vielmehr darum, so schnell wie möglich mit dabei zu sein. Wer nicht mitmacht, wird längerfristig verlieren. Gerade für die Situation in Deutschland stellen die neuen, expansiven Märkte der Online-Welt eine enorme Chance dar. Der Wettbewerb ist allerdings grenzenlos international. Glaubt man jüngeren Umfragen, müssen deutsche (Netz-) Unternehmen im Hinblick auf Attraktivität und Interaktivität ihrer Angebote gegenüber sich formenden virtuellen Communities kräftig aufholen, wenn sie wettbewerbsfähig werden und es bleiben wollen.

VORWORT

Meine Kollegen John Hagel III undArthur G. Armstrang beschreiben in "Net Gain- Profit im Netz", wie sich die neue Branche der virtuellen Communities entwickeln wird. Sie zeigen auch, welches wirtschaftliche Potenzial sich in den neuen Online-Märkten auftut, liefern aber keine "Kochrezepte". Sie werden jedoch so konkret, wie es angesichts der hohen Unsicherheit des Themas möglich ist, und geben viele Hilfen für einstiegswillige Unternehmer. John Hagel IIl und Artbur G. Armstrang ist mit diesem Buch ein echter intellektueller Weitwurf gelungen. Das Risiko der Autoren, die künftige Entwicklung mit der einen oder anderen Vermutung mehr oder weniger leicht zu verfehlen, ist die Chance der Leser, durch ihre zeitnahe Interpretation der Hypothesen eine Geschäftschance im Netzmarkt der Zukunft zu entdecken. Mit souveränem Weitblick haben meine Kollegen ein Bild unserer multimedialen Welt von morgen gezeichnet. Ich wünsche jedem Leser den Mut, dieses Buch als positive Möglichkeit aufzufassen, die Zukunft der virtuellen Communities aktiv mitzugestalten und die sich vollziehenden Veränderungen als persönliche und professionelle Chance zu verstehen.

Detlev J. Hoch Director, McKinsey & Company

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NET GAIN - PROFIT IM NETZ

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Einleitung

Angefangen hat alles Ende der 80er-Jahre. Damals war gerade "The Well" entstanden, eine pulsierende, faszinierende Online-Gemeinschaft von klugen Köpfen. Die Aufmerksamkeit, die innerhalb von The Well virtuellen schwarzen Brettern und E-Mail gewidmet wurde, machte uns bewusst, dass es bei Netzen letztendlich darum geht, Menschen miteinander zu verbinden. Sie unterstrich auch die Bedeutung neuer Inhalte, die von den Mitgliedern von The Well während ihrer Online-Interaktionen selbst geschaffen wurden. Die Mitteilungen, die sich auf den virtuellen schwarzen Brettern von The Well anhäuften, wurden mit der Zeit zu einer unschätzbaren Fundgrube an Informationen. Diese wiederum zogen weitere Menschen an und veranlassten sie, das gesammelte Wissen der Gemeinschaft zu kommentieren und mit eigenen Beiträgen zu bereichern. Durch The Well entdeckten wir auch eine hochfragmentierte "Untergrund"Kultur von unabhängigen virtuellen schwarzen Brettern, die über das Telefonnetz betrieben wurden. Diese schwarzen Bretter wurden in der Regel von einer Schlafzimmerecke oder Garage aus durch Leute mit starkem Interesse an einem bestimmten Thema eingerichtet und unterhalten. Sie wurden zu Online-Versammlungsstätten für andere, die ihr Interesse teilten. Sport, Rollenspiele, Krankheiten, Waffensammeln, Sanitärbedarf, Politik, soziale Beziehungen, Kapitalanlagen- die Vielzahl der Themen erschien endlos. Es gab Tausende solcher virtuellen schwarzen Bretter und obwohl den meisten nur wenige Hunderte von Mitgliedern angehörten, belief sich die Gesamtzahl auf Millionen von inund ausländischen Teilnehmern. Die Mehrzahl dieser Initiativen wurde lediglich aus Leidenschaft betrieben und hatte keinen kommerziellen Hintergrund. Genau genommen war die OnlineWelt sogar stark antikommerziell orientiert. Das galt insbesondere für das Internet, damals noch eine relativ neue Netzwerkplattforrn, die zahlreiche "news groups" beherbergte, in denen sich Menschen mit gemeinsamen Interessengebieten zusammenfanden. Ein Profitmotiv gab es fast nicht. Das änderte sich mit dem Aufkommen von kommerziellen Online-Diensten wie Prodigy, America Online und CompuServe. Den zweiten Anstoß zu dem vorliegenden Buch gab die Arbeit mit unseren Klienten bei McKinsey & Company. Diese Klienten kommen aus zahlreichen

EINLEITUNG

Branchen einschließlich Medien, Telekommunikation, Gesundheitsvorsorge und Finanzdienstleistung. Viele von ihnen hatten in der Erwartung, neue Märkte zu entwickeln, damit begonnen, Inhalte und Dienste im Netz anzubieten. Während wir mit ihnen arbeiteten, entdeckten wir bald, dass es darauf ankam, Inhalt und Kommunikation über diesen Inhalt zu verbinden, um von der neuen Marktchance in Online-Netzen zu profitieren. Wir realisierten, dass virtuelle Communities eine äußerst geeignete Umgebung für diese Verbindung lieferten und deshalb nicht nur ein interessantes soziales Phänomen darstellten. In der Tat waren sie der Kern eines grundlegend neuen Geschäftsmodells. Mit diesem Buch wollen wir die Aufmerksamkeit auf das Modell des Geschäfts mit virtuellen Communities lenken. Wir glauben, dass virtuelle Communities (beziehungsweise virtuelle Gemeinschaften) zu einem zentralen Merkmal der Unternehmenslandschaft des nächsten Jahrzehnts gehören werden. Dabei möchten wir viele unterschiedliche Zielgruppen erreichen. In allererster Linie sprechen wir diejenigen an, die eigene virtuelle Communities gründen wollen. Dazu gehört insbesondere das Topmanagement von Unternehmen, das dieses neue Modell in die Lage versetzt, auf viel breiterer Ebene Gewinne und Kundenbeziehungen aufzubauen, als es sich selbst das ehrgeizigste Management bisher erträumen konnte. Wir möchten auch jene kreativen Jungunternehmer erreichen, die bereits den Sprung ins Netz gewagt haben und auf vielfältige Art und Weise mit Elementen dieses neuen Geschäftsmodells experimentieren. Vielen von ihnen ist es schon fast gelungen, sein gewaltiges Potenzial freizusetzen. Dennoch hat bislang niemand den Code geknackt. Nicht zu vergessen ist auch die breite Öffentlichkeit, wobei wir insbesondere diejenigen ansprechen möchten, die einen Hauch der noch sehr neuen Wachstumsmöglichkeiten der elektronischen Netze wahrgenommen haben, sich aber über deren Konsequenzen für ihr Berufs- und Privatleben noch nicht im Klaren sind. Unsere Absicht ist zunächst, unseren Lesern ein Verständnis für dieses neue Geschäftsmodell der virtuellen Communities zu vermitteln. Vor allem aber wollen wir ihnen helfen, die Herausforderungen in den Griff zu bekommen, die mit Gründung und Management einer kommerziellen virtuellen Community verbunden sind. Dafür konzentrieren wir uns auf die Grundprinzipien einer erfolgreichen Entwicklung von Gemeinschaften. So wollen wir dazu beitragen, jene Kreativität und Innovationsfreudigkeit zu entfesseln, die erforderlich sind, um das enorme Potenzial virtueller Communities zu erkennen und zu nutzen. Wir wollen allerdings nicht verhehlen, dass unseren Ausführungen in dreierlei Hinsicht gewisse Grenzen gesetzt waren. In diesem Zusammenhang sind

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erstens die großen Unwägbarkeiten zu nennen, die mit den aufkommenden elektronischen Netzen und den unzähligen im Cyberspace entstehenden Geschäftsmodellen verbunden sind. Das Einzige, was wir im Moment sicher wissen, ist, dass die Weiterentwicklung dieserneuen Umgebung uns alle überraschen wird. Andererseits haben wir natürlich gewisse Vorstellungen davon, in welche Richtungen diese Entwicklung vermutlich gehen wird; wir haben unsere Annahmen deutlich gemacht, damit die Leser sie überprüfen und sich ein eigenes Urteil bilden können. Zweitens waren wir durch die Notwendigkeit, uns kurz zu fassen, zu ein paar Verallgemeinerungen über die wahrscheinliche Entwicklung von virtuellen Gemeinschaften und die zentralen Erfolgsprinzipien gezwungen. Wie immer gibt es auch hier unvermeidbare Ausnahmen von der Regel. Verallgemeinerungen sind nützlich, um dem Leser eine Orientierungshilfe in einer sehr verwirrenden Landschaft zu geben; sie sind aber gefährlich, wenn sie bedenkenlos und ohne Verfeinerungen auf alle Situationen angewandt werden. Wie wir ausführen werden, werden sich vermutlich sehr viele verschiedene virtuelle Communities entwickeln, die sich hinsichtlich ihrer Interessenschwerpunkte, ihrer Mitgliederbestände, ihrer wirtschaftlichen Eigenheiten, ihrer kulturellen Wurzeln und ihrer Entstehungszeit unterscheiden werden. Jede Gemeinschaft wird in diesem Sinne einzigartig sein und eigene Strategien und eine besondere Organisation erfordern, um erfolgreich zu sein. Drittens schließlich erwarten wir nicht, dass virtuelle Communities die einzige "Lebensform" in öffentlichen Netzen sein werden. In diesen Netzen werden auch viele andere kommerzielle und nicht kommerzielle Gebilde entstehen, zum Beispiel Web-Magazine, Unternehmensseiten oder Spielbereiche. Aber da wir uns auf einen Schwerpunkt konzentrieren mussten und der Meinung sind, dass virtuelle Communities dieErfolgversprechendste kommerzielle Online-Erscheinung sein werden, haben wir uns bewusst für eine Beschränkung auf diese Form entschieden. Um die Leser durch diese ihnen noch vielfach fremde Landschaft zu führen, haben wir "Net Gain- Profit im Netz" in drei Teile gegliedert. Der erste Teil, "Der wahre Nutzen virtueller Communities", beschreibt das Potenzial des Konzepts dieser virtuellen Gemeinschaften. Nach einem Überblick über die zentralen Annahmen, die in dem Buch dargelegt werden, erfolgt eine detailliertere Beschreibung von virtuellen Communities - ihre Rolle bei der Verlagerung des wirtschaftlichen Nutzens von den Anbietern auf die Kunden, ihr Profitpotenzial und ihre vermutliche Entwicklung über eine Reihe charakteristischer Stufen.

EINLEITUNG

Vor diesem Hintergrund konzentriert sich der zweite Teil, "Aufbau einer virtuellen Community", auf den Einstieg in dieses neue Geschäft. Es wird diskutiert, welche Art von Gemeinschaft gegründet werden sollte, auf welchen Prinzipien eine erfolgreiche Einstiegsstrategie beruht, welche besonderen Merkmale der Organisation von virtuellen Communities eigen sind und wie man die richtige Technologie auswählt. Der letzte Teil, "Gewinnpositionen sichern", verlagert den Diskussionsschwerpunkt weg von der virtuellen Community als solcher hin zu den Auswirkungen virtueller Gemeinschaften auf die traditionelle Unternehmensführung. Wir behaupten, dass die klassischen Unternehmensfunktionen in der Umgebung einer virtuellen Gemeinschaft bedeutsamen Veränderungen unterworfen sein werden. Das gilt insbesondere für jene Funktionen, die direkten Kundenkontakt haben wie Marketing und Verkauf. Wir erwarten darüber hinaus, dass virtuelle Gemeinschaften sowohl die traditionellen industriellen Strukturen als auch die Unternehmensorganisationen verändern werden. Virtuelle Gemeinschaften sind nicht eine Gelegenheit, auf die sich das Topmanagement entweder einlassen kann oder nicht. Sie verkörpern vielmehr einen grundlegenden Wandel, der die Unternehmenslandschaft unwiderruflich verändern wird - und der nur denen einen Vorteil erbringt, die sich ihm schnell und offensiv stellen.

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T E I L

Tei11

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e wa e tze v·rtue le Co un ties

KAPITEL

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Die Schnellen gewinnen

Mit dem Aufkommen virtueller Communities in Online-Netzen vollzieht sich eine bislang einzigartige Verlagerung der Macht von den Waren- und Dienstleistungsanbietern auf die Käufer. Anbieter, die diesen Machttransfer verstehen und ihn nutzen, können durch außergewöhnliche Kundenloyalität und eindrucksvolle Erträge belohnt werden. Aber nur jene Anbieter, denen es gelingt, schnell und energisch virtuelle Communities zu formen, werden letztlich gewinnen können und vorn bleiben.

ommerzielle Unternehmen sind in der Online-Welt noch vergleichsweise neu und nur wenige haben hier bisher Geld verdient. Die meisten heute im Internet und in anderen Netzen vertretenen Firmen sind allerdings auch wenig aktiv. Sie beschränken sich darauf, für ihre Produkte auf "Reklameflächen" im World Wide Web zu werben in der Hoffnung, dass ein Surfer lange genug verweilt, um etwas zu kaufen. Die Verwendung dieser eigentlich auf herkömmliche Medien zugeschnittenen Anzeigenform lässt erkennen, dass die Händler das revolutionäre Potenzial, das im Internet und in anderen Netzen steckt, noch nicht entdeckt haben. Wie bei jedem Kommunikationsnetz geht es auch beim Internet darum, Menschen miteinander zu verbinden. Es ist dies eine Tatsache, die Alexander Graham Bell, aus dessen Erfindung sich das größte und bekannteste der heutigen Kammunikationsnetze entwickelt hat, lange nicht wahrhaben wollte. Bell war zunächst davon überzeugt, dass der Wert seiner Erfindung primär darin lag, den

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Menschen Nachrichten und Musik zu übermitteln. Erst später erkannte er den Nutzen des Telefons als Kommunikationsmittel an. Auch das Fernsehen wurde anfänglich missverstanden. Man sah in ihm kaum mehr als ein Medium für Bühnenstücke. So wurde in den ersten Sendungen einfach ein Mikrofon am Bühnenrand aufgestellt und die Kamera auf die Schauspieler gerichtet. Auch die Werbung im Fernsehen glich der im Radio. Erst später erkannten Werbefachleute und Programmgestalter, dass das Fernsehen neue Methoden nicht nur ermöglichte, sondern geradezu verlangte. Ähnliches gilt heute für das Internet. Schon seit Beginn der 70er-Jahre nutzen Wissenschaftler das Internet und seine Vorgänger, um Daten auszutauschen, gemeinsam zu forschen und sich Mitteilungen zu übersenden. Die Wissenschaftler bildeten interaktive Forschergruppen, die unabhängig von einem physischen Ort im Internet existierten. Diese Forschergruppen waren die ersten virtuellen Communities. 1 Seit damals ist die Reichweite des Internet exponentiell gestiegen. 1996 hatten mehr als 30 Millionen Computeranwender auf der ganzen Welt Zugriff auf das World Wide Web und diese Zahl wird sich bis zum Jahr 2000 voraussichtlich auf weit über 100 Millionen erhöhen. Gleichfalls 1996 hatten kommerzielle Online-Dienste wie Prodigy, CompuServe und America Online mehr als zehn Millionen Kunden. Um Tausende einzelner kleinerer Bulletin-Board-Dienste ist zudem eine breite Subkultur entstanden. Aus dieser sind letztlich virtuelle Communities hervorgegangen, die es dem Netz ermöglichen, mehr Menschen miteinander zu verbinden und ihre spezifischen Kommunikations-, Informations- und Unterhaltungsbedürfnisse besser zu befriedigen. Eine der ersten und langlebigsten dieser virtuellen Communities ist "The Well", 1985 durch eine Gruppe von High-Tech-Freaks in Nordkalifornien gegründet. In den letzten zehn Jahren haben mehr als 10 000 Computeranwender über The Well miteinander kommuniziert und inner- und außerhalb des Netzes persönliche Beziehungen entwickelt. Mittlerweile sind die unterschiedlichsten Anbieter wie Blumen- oder Buchhändler, Getränkefirmen oder Gebrauchsgüterhersteller mit Seiten im World I Anmerkung der Autoren: Dieses Buch behandelt ganz allgemein das Entstehen virtueller Communities in allen elektronischen Netzen. Das Internet ist allerdings das bekannteste, jedoch bei weitem nicht das einzige bestehende elektronische Netz. Kommerzielle Online-Dienste wie America Online und private Netze wie Kapitaltransfer-Netze für Banken und Bulletin-Board-Dienste, die das Telefonnetz nutzen, sind ebenfalls Plattformen für virtuelle Communities. Weil jedoch das Internet zunehmend die Klammer füralldiese Netze liefert, greifen wir in unserem Buch- sofern nicht anders vermerkt- auf das Internet als die Netzwerkplattform schlechthin zurück.

DIE SCHNELLEN GEWINNEN KAPITEL

Wide Web vertreten, auf denen die Besucher Informationen über das Unternehmen und seine Produkte erhalten und die es ihnen ermöglichen, elektronische Mitteilungen zu versenden. Einige der raffinierteren Werbeseiten laden den Besucher ein, Spiele zu spielen und Produkte elektronisch zu bestellen. Selten jedoch fördern diese Seiten die Kommunikation zwischen den Besuchern. Und immer noch sind die meisten heute bestehenden Communities nicht kommerziell orientiert, sondern widersetzen sich dem Kommerz im Internet sogar. Wenn sich die Unternehmen jedoch an die Kultur der Netze anpassen und es ihren Kunden ermöglichen, sowohl miteinander als auch mit dem Unternehmen zu interagieren, werden sie in Zukunft neue und engere Kundenbeziehungen entwickeln können. Unserer Meinung nach werden diejenigen Firmen im OnlineBereich die Nase vom haben, die virtuelle Communities zur Befriedigung der vielfältigen sozialen und wirtschaftlichen Bedürfnisse organisieren. Nur Unternehmen, die starke virtuelle Communities ins Leben rufen, können letztlich die immer wichtiger werdenden festen Kundenbindungen aufbauen und zusätzliche Einnahmen aus Werbung sowie Nutzungs- und Mitgliedsgebühren erzielen. Das vorliegende Buch wurde geschrieben, um Führungskräfte und Unternehmer über die ungeheuren Möglichkeiten virtueller Communities aufzuklären und ihnen zu zeigen, wie mit virtuellen Communities Profite auf Online-Märkten erzielt werden können. Wir denken, dass es an der Zeit ist, dieses wirtschaftliche Potenzial zu erschließen. Das dazu notwendige Netzwerk sowie die technologische Infrastruktur stehen bereits zur Verfügung. Zumindest in den Vereinigten Staaten sind PCs im beruflichen wie privaten Bereich weit verbreitet und auch in anderen Ländern ist ein solcher Trend zu beobachten. Die zunehmende Übertragungsgeschwindigkeit von Modems, ISDN und Kabelmodems macht es zudem möglich, auch Grafiken in guter Qualität im Netz zu verbreiten; Hilfsdienste wie Adressbücher, Rechnungs- und Zahlungssysteme etablieren sich gerade. Und ein Großteil der Bevölkerung ist nicht nur PC-erfahren, sondern weiß auch, wie Daten mittels digitaler Netze übertragen und empfangen werden. In den Vereinigten Staaten gleicht sich somit das demographische Profil der Online-Nutzer insgesamt zunehmend schneller der allgemeinen demographischen Bevölkerungsstruktur an. Diese Faktoren weisen darauf hin, dass Unternehmen beim Aufbau virtueller Communities auf einen breiten und erfahrenen Anwendeckreis und eine umfangreiche technologische Infrastruktur zählen können. Da die für die Entwicklung einer virtuellen Community anfallenden Mehrinvestitionen verglichen mit den für die Infrastruktur aufgelaufenen Investitionen vergleichsweise gering sind,

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NET GAIN - PROFIT IM NETZ .......................................................

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ermöglicht das Internet den Organisatoren virtueller Communities, die vorausgegangenen Investitionen anderer in technologische Infrastruktur zu nutzen. 2 Diese Infrastruktur ist in den Vereinigten Staaten sicher am weitesten entwickelt; doch auch andere Länder sind derzeit dabei, Vergleichbares aufzubauen. Mittlerweile kann auf das Internet von überall auf der Welt zugegriffen werden (zumindest per Telefon). Manche Leser mögen dem entgegenhalten, dass das Internet die spezifischen Bedürfnisse ihrer Industrie oder ihres Marktes noch nicht befriedigen kann. Andere meinen vielleicht, dass das Wirtschaftspotenzial des elektronischen Handels bislang nicht bewiesen sei. Die Zweifel dieser Skeptiker sind verständlich angesichts der Tatsache, dass bisher erst wenige Unternehmen begriffen haben, wie man Handel auf einer Web-Seite betreibt, wie man Geschäfte mit plötzlich auftauchenden Besuchern macht oder wie man von den Kunden jene Informationen erhält, die andere an der Seite beteiligte Inserenten und Anbieter interessieren. Nach Ansicht dieser Skeptiker ist es kaum lohnenswert, sich auf einen Wettbewerb in elektronischen Netzen einzulassen, solange der ökonomische Nutzen nicht besser nachgewiesen ist. Diese Zweifel sind verständlich. Wir vermuten jedoch, dass die Skeptiker das Gesetz zunehmender Erträge und seine Auswirkungen auf die Spielregeln im Herstellungs- und Dienstleistungsbereich sowie in den wissensbasierten Industrien noch nicht genügend berücksichtigt haben. Vor dem großen Erfolg von Bill Gates und seinen Mitaktionären bei Microsoft gab es zunehmende Erträge eigentlich nur in Lehrbüchern. Nun ist ihre Existenz in High-Tech-Märkten (wie Software und Multimedia) und sogar in Lower-Tech-Branchen (wie Einzelhandel, Banken und Versicherungen) weithin anerkannt. Microsoft etwa erkannte und nutzte das Potenzial zunehmender Erträge von Unterriehmensnetzen, nämlich die Idee, dass das Netz umso wertvoller wird, je mehr Menschen an ihm beteiligt sind. In diesem Fall bestand das Netz aus einigen Unternehmen, die Produkte herausbrachten, die auf dem Betriebssystemstandard von Microsoft basierten. Je mehr Unternehmen sich diesem Netz anschlossen, desto nützlicher wurde es für Computerkäufer und desto häufiger wurde MS-DOS verkauft. Ausgehend von einem zunächst gemäßigten Anstieg zeigt Abbildung 1.1 das exponentielle Wachstum der Gewinne von Microsoft in jener Phase, in der das Unternehmen sein "Netz" von Anwendern aufbaute. 2 Anmerkung der Autoren: Wir beziehen den Begriff "Organisatoren virtueller Communities" im gesamten Buch gleichermaßen auf eigens für diesen Zweck gegründete Jungunternehmen wie auf Großunternehmen, die von ihren ursprünglichen Geschäften in die Welt der virtuellen Communities vordringen.

DIE SCHNELLEN GEWINNEN KAPITEL

Abb. 1.1

Einnahmen von Microsoft

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Milliarden Dollar

Das Umgekehrte gilt natürlich auch: Wenn ein Unternehmen bereits Verluste auf einem Markt einfährt, ist es sehr wahrscheinlich, dass es noch weiter zurückfällt. Deshalb sind in Märkten mit zunehmenden Erträgen jene Strategien, mit denen man anderen zuvorkommt, so wichtig: Wenn Sie nicht der Erste sind, sind Sie vielleicht zu spät dran! Wie man in Silicon Valley zu sagen pflegt: "Schnelligkeit ist Gott und Zeit der Teufel."

WER PROFITIERT VON VIRTUELLEN GEMEINSCHAFTEN? 19

Angesichts der Vorteile, zu den Ersten zu gehören, liegt es auf der Hand, sofort den Aufbau einer virtuellen Community zu planen. Wenn der Markt erst floriert, wird es zunehmend schwieriger (und teurer), die Marktführer einzuholen. Aber wir sind uns auch über jene Unwägbarkeiten im Klaren, die das Risiko der schnell Handelnden erheblich erhöhen. Das Risiko betrifft insbesondere die Fragen, wie sich virtuelle Communities über die Zeit entwickeln, wo Profit gemacht werden kann und welche neu entstehenden Technologien die wirtschaftliche Aktivität im Internet steigern können. Es wird nicht einfach sein, auszutarieren zwischen diesen Unwägbarkeiten und der Dringlichkeit, die sich aus der Dyna-

NET GAIN - PROFIT IM NETZ .......................................................

mik stark zunehmender Erträge ergibt. Aber wer effiziente Strategien anwendet und - wann immer möglich - beim Aufbau seiner Community auf die Ressourcen anderer zurückgreift, wird sowohl das Risiko reduzieren als auch die Entwicklung der Community beschleunigen.

Die Macht der Kunden

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Virtuelle Communities besitzen die Macht, die Beziehung zwischen Unternehmen und Kunden von Grund auf neu zu strukturieren. Sie benutzen Netze wie das Internet und versetzen die Kunden auf diese Weise in die Lage, ihren eigenen Wert als potenzielle Käufer von Waren und Dienstleistungen zu kontrollieren. Kaum ein Kunde weiß heutzutage, wie wertvoll Informationen über seinen demographischen Background und seine bisherigen Geschäftsaktivitäten sind. Zum Beispiel bezahlen Direktversand-Unternehmen horrende Summen für Kundenlisten, um sie auszuschlachten. Zeitschriftenverlage und Kreditkartenfirmen "vermieten" die Adressen ihrer Abonnenten und Karteninhaber an fast jedes Unternehmen, das Interesse hat, diese als Kunden zu gewinnen. Die Kunden selber aber profitieren kaum von dem wirtschaftlichen Wert ihrer persönlichen Daten. Dagegen erfreuen sich etwa zwei der größten Vertreiber von Adressenlisten für die amerikanische Direct-Marketing-lndustrie, die American List Corporation und die American Business Information, einer Marktkapitalisierung von mehr als acht beziehungsweise vier Milliarden Dollar. Das wird sich jedoch ändern, wenn die Kunden lernen, mit ihren persönlichen Daten geschickter umzugehen. Virtuelle Communities werden dabei eine wichtige Rolle spielen, indem sie die Informationsweitergabe und die Geschäftstüchtigkeit der Kunden organisieren und kanalisieren und ihnen somit ermöglichen, zunehmend stärker von den Anbietern zu profitieren. Virtuelle Communities werden im Wesentlichen als Agenten ihrer Mitglieder fungieren und ihnen helfen, von den Anbietern mehr Informationen über Produkte und Dienstleistungen sowie niedrigere Preise zu erhalten, während sie gleichzeitig einen Großteil des Bedarfs an zwischenmenschlicher Kommunikation abdecken. Die virtuellen Communities eröffnen also erhebliche Profitmöglichkeiten. Sie basieren auf fünf Merkmalen, die für das Managementmodell der virtuellen Community kennzeichnend sind:

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Ein spezifischer Interessenschwerpunkt: Virtuelle Communities zeichnen sich durch einen speziellen gemeinsamen Fokus aus. Dieser hilft den poten-

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zieHen Mitgliedern, schnell die Ressourcen einer Community zu erfassen, und unterstützt die Community-Organisatoren bei der Bestimmung jener Ressourcen, die für die Erfüllung der Bedürfnisse der Mitglieder mutmaßlich erforderlich sind. Der Fokus könnte zum Beispiel ein geographischer Bereich sein (sagen wir Atlanta oder Paris), ein bestimmtes Themengebiet (wie Sport oder Außenpolitik), eine vertikale Industrie (wie Anwaltskanzleien oder Hersteller sanitärer Eimichtungen) oder eine nützliche Fachkenntnis (wie Marktforschung oder Einkaufsmanagement). Das Vermögen, Inhalt und Kommunikation zu integrieren: Virtuelle Communities sammeln eine Vielfalt an veröffentlichtem Material zu dem spezifischen Interessenschwerpunkt der Community. Die Kommunikation über virtuelle schwarze Bretter, auf denen die Mitglieder allen verfügbare Mitteilungen hinterlassen können, virtuelle Chatrooms, in denen schriftliche "Konversation" betrieben werden kann, und E-Mail erlaubt den Mitgliedern, das Material zu nutzen und seinen Wert darüber hinaus zu maximieren. Dies geschieht, indem sie untereinander und mit dessen Herausgeber über Inhalte kommunizieren. Die Verwendung von Informationen, die die Mitglieder bereitstellen: Virtuelle Communities ermöglichen es ihren Mitgliedern, auch eigene Informationen zu verbreiten. Das ist vielleicht der größte Vorteil einer virtuellen Gemeinschaft. Die Mitglieder können vergleichen und Erfahrungen austauschen, ihr Spektrum an Informationen vergrößert sich und sie können die für sie wichtigen Ressourcen aus einer von Verkäufern und Inserenten unabhängigen Perspektive betrachten. Der Zugang zu konkurrierenden Anbietern: Virtuelle Gemeinschaften organisieren sich als Interessenvertretung für ihre Mitglieder. In dieser Funktion werden sie versuchen, die größtmögliche Vielfalt an hochwertigen Ressourcen, einschließlich konkurrierender Anbieter, aufzutreiben und die Informationen und verfügbaren Produktalternativen zu maximieren. Ihre Mitglieder können so sachlich besser begründete und kosteneffiziente Entscheidungen über die von ihnen benötigten Ressourcen treffen. Eine kommerzielle Orientierung: Virtuelle Communities werden zunehmend wie Wirtschaftsunternehmen organisiert sein. Sie werden auf finanzielle Erträge abzielen, indem sie ihre Mitglieder mit wertvollen Ressourcen ausstatten, die ihrerseits die Macht der Mitglieder erhöhen. Es ist genau dieser Profitameiz, der die Entwicklung virtueller Gemeinschaften als Instrument zur Steigerung der Macht ihrer Mitglieder prägen wird. Die Mitglieder

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werden diese Macht zu schätzen wissen und die Organisatoren jener Gemeinschaften, die sie ihnen am effektivsten verschaffen, reich belohnen, die anderen hingegen fallen lassen. Indem die Mitglieder von virtuellen Communities im Netz profitieren, werden auch deren Organisatoren selbst einen beträchtlichen Gewinn verbuchen. (Natürlich betreffen viele der frühen Beispiele virtueller Gemeinschaften nicht oder antikommerzielle Initiativen. Wir wollen uns jedoch auf die kommerziellen Möglichkeiten konzentrieren.) Für den Organisator einer kommerziellen virtuellen Community sind zwei Dinge unumgänglich: Er braucht Mitglieder und für diese interessante Ressourcen. Daraus ergibt sich fast zwangsläufig eine dritte Notwendigkeit, nämlich Informationen über die Netznutzung der Mitglieder und ihre geschäftlichen Aktivitäten im Netz zu sammeln. Die Organisatoren von Gemeinschaften lernen dadurch die Bedürfnisse ihrer Mitglieder besser verstehen und können die benötigten Ressourcen entsprechend effektiver zusammenstellen. Wir werden in den folgenden Kapiteln Methoden entwickeln, wie Organisatoren von virtuellen Communities diesen drei Anforderungen gerecht werden können.

• Der Profit für die Anbieter

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Die Kunden sind nicht die einzigen, die mit Sicherheit von virtuellen Communities profitieren. Für Anbieter (die wir im Rahmen des Buches als jene Unternehmen definieren, die Waren oder Dienstleistungen produzieren, verkaufen und/oder vertreiben) stellen virtuelle Gemeinschaften ein mächtiges Mittel dar, um ihre Märkte zu vergrößern. Virtuelle Communities helfen Anbietern in zweierlei Hinsicht, ihre Märkte zu erweitern: zum einen durch die Chancen, die einzig das Managementmodell der virtuellen Community bietet, und zum anderen durch die vielfältigen Möglichkeiten, die in Netzumgehungen zur Verfügung stehen. Die spezifischen Merkmale von virtuellen Communities, die den Anbietern helfen, ihre Märkte zu vergrößern, sind unter anderem:

+ Geringere Akquisitionskosten: Verkäufer und Käufer finden einfacher

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zueinander, weil es das Umfeld virtueller Communities den Anbietern erleichtert, potenzielle Kunden und Informationen über sie zu sammeln. Verstärkte Kaufneigung der Kunden: Die Kunden profitieren von einem geringeren Kaufrisiko, weil die Organisatoren von virtuellen Gemeinschaf-

DIE SCHNELLEN GEWINNEN KAPITEL

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ten vielfältige Informationen und Alternativen für ihre Mitglieder sammeln. Sie stellen ein angenehmes Umfeld zur Verfügung, in dem die Mitglieder sowohl miteinander als auch mit den Anbietern kommunizieren, wodurch aufregende Neuigkeiten über "heiße" Produkte sehr schnell verbreitet werden können. Beides steigert die Konsumbereitschaft Erhöhte Zielgenauigkeit: Virtuelle Communities werden detaillierte Profile der Mitglieder und ihrer bisherigen Geschäftsaktivitäten nicht nur von einem einzigen, sondern von zahlreichen Anbietern einer Produktgruppe zusammentragen. Wie wir später ausführen werden, wird das Eigentumsrecht an diesen Profilen im Laufe der Zeit wahrscheinlich an die Mitglieder der Gemeinschaft übergehen und den Anbietern nur unter bestimmten, von den Mitgliedern aufgestellten Bedingungen zur Verfügung stehen. Nichtsdestoweniger werden die Mitglieder bestrebt sein, diese Informationen ausgewählten Anbietern zugänglich zu machen. Diese erhalten somit Informationen über hochkarätige Kunden innerhalb der gesamten Produktgruppe und nicht nur über ihre eigenen. Darüber hinaus liefern virtuelle Communities auch Informationen über geäußerte Präferenzen, die vielleicht darauf hinweisen, dass ein attraktiver Interessent kurz vor einem Kaufabschluss steht. Solche Informationen würden die Anbieter in die Lage versetzen, attraktive Interessenten noch rechtzeitig anzugehen. Bessere Möglichkeiten, bestehende Produkte und Dienstleistungen auf die Kunden zuzuschneiden und dadurch im Wert zu steigern: Anbieter, die mehr über die bisherigen Geschäftsaktivitäten von Kunden und pozentiellen Käufern wissen, weil sie mit ihnen interagieren können, werden die individuellen Kundenbedürfnisse besser verstehen. Wenn die Anbieter diese Informationen konsequent nutzen, Produkte entsprechend zuschneiden und Produkt- und Servicepakete schaffen, können sie sowohl ihren potenziellen Kundenstamm ausbauen als auch höhere Gewinne pro Kunde erzielen.

Über diese spezifischen Merkmale hinaus werden die Anbieter auch von den allgemeinen Vorteilen der Netzumgehungen profitieren. Dazu gehören:

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Geringere Bauinvestitionen: In einer Online-Umgebung müssen die Anbieter keine kostspieligen Filialen oder Ladengeschäfte errichten, um potenzielle Käufer anzusprechen. Wir schätzen, dass beispielsweise eine ausschließlich im Netz arbeitende Privatkundenbank 30 bis 40 Prozent der Kosten einer traditionellen Bank mit Zweigstellen einsparen kann.

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Größere geographische Reichweite: Die Anbieter können - frei von geographischen Zwängen -breiter gestreute Kundensegmente erreichen. Ausgeschalteter Zwischenhandel: Verringerte Bauinvestitionen und verbesserte Informationen über ihre Endverbraucher verbessern die Möglichkeiten von Produzenten und Dienstleistern, direkt mit den Endverbrauchern zu verhandeln, also ohne traditionelle Vermittler wie Einzel-, Groß-, Vertragshändler oder Makler.

Insgesamt bieten virtuelle Communities den Anbietern also beträchtliche Möglichkeiten. Aber virtuelle Communities sind kein isoliertes wirtschaftliches Betätigungsfeld, auf das sich das Management entweder einlassen kann oder nicht. Durch die Verlagerung der Macht von den Anbietern auf die Käufer werden virtuelle Communities vielmehr unwiderruflich das Management von Unternehmen grundsätzlich verändern. Betroffen sind davon wahrscheinlich insbesondere die Bereiche mit Kundenkontakt, also Marketing und Verkauf.

WANDEL ALS HERAUSFORDERUNG

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Das mit Abstand größte Problem für das Topmanagement von Unternehmen wird darin liegen, die breite Kluft zu überwinden, die sich auftut zwischen der Art, wie Unternehmen bisher geführt wurden, und der Art, wie virtuelle Communities aufgebaut und betrieben werden. In den meisten Fällen ist ein völlig neues Denken nötig und die Manager werden ihre Vorstellungen, wo und wie Profit gemacht werden kann, verändern müssen. Die Quellen möglicher neuer Gewinne zu erkennen und zu verstehen, erfordert vom Organisator einer virtuellen Gemeinschaft eine große mentale Anstrengung, nämlich dem bisherigen Marktprinzip entgegen zu denken: Die Organisationen, die sich am besten auf ihre Mitglieder einstellen und deren Interessen im Umgang mit den Anbietern vertreten- und nicht diejenigen, denen es nur darum geht, den Verkauf zugunsten der Anbieter anzukurbeln -, werden am meisten profitieren. Aus einem Denken, bei dem die Firmen den Zielkunden Waren und Dienstleistungen quasi "aufdrängen", wird ein Modell, bei dem sie als legale Agenten ihrer Kunden fungieren und deren Interessen auf der Suche nach einem verbesserten Ressourcenzugang wahrnehmen und verteidigen. Auf diese Weise schaffen virtuelle Communities "umgekehrte Märkte", in denen sich die Kunden

DIE SCHNELLEN GEWINNEN KAPITEL

die Anbieter aussuchen können und beide mehr oder weniger denselben Informationszugang besitzen. Diese Machtverlagerung impliziert vor allem drei wesentliche Voraussetzungen:

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Die Mitglieder einer virtuellen Community müssen die für die Ausübung ihrerneuen Macht erforderlichen Mittel erhalten: Das bedeutet für den Community-Organisator insbesondere, dass er die Macht der zwischenmenschlichen Kommunikation erkennt und ein Umfeld erzeugt, das die Verbreitung und Verwendung von Informationen fördert, die von den Mitgliedern selbst stammen; genau dies ist der entscheidende Wert virtueller Communities. Es bedeutet für alle Community-Organisatoren ebenfalls, die größtmögliche Vielfalt an qualitativ hochwertigem und für die Mitglieder relevantem Inhalt zusammenzutragen. Es bedeutet schließlich ebenfalls, die Mitglieder mit EDV-basierten Dienstleistungen auszustatten (zum Beispiel Suchmaschinen, Agenten und Bulletin-Boards), um ihnen zu helfen, zu anderen Mitgliedern Kontakt aufzunehmen und Informationen schnell, einfach und kostensparend zu sammeln. Die Mitglieder müssen genügend Gelegenheiten bekommen, ihren gestiegenen Einfluss auszuüben: Dazu müssen sie Zugang zu einer Vielzahl konkurrierender und komplementärer Anbieter in einer stabilen Geschäftsumgebung erhalten. Nur so können sie die Waren und Dienstleistungen schnell und effektiv vergleichen, Abschlüsse tätigen und auf einen anderen Anbieter zurückgreifen, falls ihren Erwartungen nicht entsprochen wird. Die Mitglieder von virtuellen Communities müssen die Möglichkeit erhalten, den größtmöglichen Nutzen aus ihren persönlichen Daten zu ziehen: Persönliche Informationen sind ein wichtiger Aktivposten; auch für die Mitglieder. Die Organisatoren von Communities, die es den Mitgliedern am leichtesten machen, sich dieser Informationen zu bedienen und daraus Kapital zu schlagen, werden die Gewinner sein. Der Nutzen liegt einerseits im finanziellen Bereich, andererseits betrifft er Dienstleistungen wie insbesondere Informationssuche, -auswahl und -analyse. Statt die Anbieter bei der Kundengewinnung zu unterstützen, müssen sich die Organisatoren von virtuellen Gemeinschaften nämlich darauf konzentrieren, den Kunden zu helfen, passende Anbieter für ihre Bedürfnisse aufzuspüren.

Daneben gibt es drei weitere relevante Prinzipien, die das Management bei der Planung und beim Aufbau einer erfolgreichen virtuellen Community berücksichtigen muss.

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Das erste Prinzip lautet, dass das Sammeln von Mitgliedern wichtiger ist als die Art oder Menge der augeeigneten Ressourcen. Natürlich werden Ressourcen benötigt, um Mitglieder an Land zu ziehen. Es wird aber oft der Fehler begangen, sich auf die Aneignung von Ressourcen zu konzentrieren, da sich diese in einer Bilanz eindeutig ausweisen lassen. Mitglieder sind dagegen keine berechenbaren Aktivposten und in den ersten Jahren vielleicht nicht einmal eine sonderliche Ertragsquelle. Dennoch ist das Sammeln von Mitgliedern wichtiger. Das zweite Prinzip betrifft das zukünftige Wachstum und besagt, dass der Einstieg in den Aufbau einer virtuellen Community für das künftige Wachstum sehr wichtig ist. In Kapitel 5 werden wir ausführen, dass dieses Wachstum je nach dem vom Organisator gewählten Einstiegspunkt beziehungsweise dem Interessenschwerpunkt der Gemeinschaft variieren wird. Allerdings wird es angesichts der großen Unsicherheiten schwierig sein, diese Wachstumsmöglichkeiten von vomherein abzuschätzen. Das dritte Prinzip fordert abermals ein neues Denkmodell von den Managern und betrifft die Untemehmensorganisation. Im Gegensatz zu einer herkömmlichen Aktien- oder Kapitalgesellschaft verlangt eine virtuelle Community eine flexible, lebendige Organisation. Die Begriffe "säen, hegen und pflegen" stellen - bildlich gesprochen - den Aufbau und die Entwicklung von OnlineOrganisationen viel besser dar als detaillierte Blaupausen und Pläne. Diese organische Betrachtungsweise resultiert teilweise aus dem Muss, auf die auftauchenden Bedürfnisse der Mitglieder der Gemeinschaft einzugehen, und teilweise aus der Notwendigkeit, neue Fertigkeiten, die innerhalb der Gemeinschaft entstehen werden, zu kultivieren. Die für den Aufbau von virtuellen Communities notwendigen Einstiegsstrategien erfordern zudem, dass man ein breites Netzwerk von Partnern und Anbietern managen und geeignete Profitverteilungsmechanismen erfinden muss, um diese Partner und Anbieter zu motivieren und zu fokussieren. Lebendige Organisationen müssen im Allgemeinen durch eine starke Konzentration auf die zentralen wirtschaftlichen Druckmittel, die zu langfristigem Profit führen, geformt und stabilisiert werden. Die herkömmliche Art von Kontrolle, wie sie für Unternehmen typisch ist, wird mit diesen neuen Organisationsformen nicht in Einklang zu bringen sein. Es lässt sich also zusammenfassen: Unser Buch will zum Handeln motivieren, indem es erstens klarstellt, dass virtuelle Communities bestens geeignet sind, Profit zu machen, zweitens die allgemeinen Prinzipien aufzeigt, die zum Erfolg führen, und drittens die Leser davon überzeugt, dass den Gewinn höchstwahrscheinlich diejenigen einheimsen werden, die zuerst und schnell agieren.

DIE SCHNELLEN GEWINNEN KAPITEL

Auch so gesehen ist nicht zu handeln das Riskanteste, was ein Unternehmen tun kann. Nicht nur, dass es Gefahr läuft, die Chancen der virtuellen Communities zu verpassen! Es riskiert auch, dass ihre zentralen Geschäftsbereiche den Angriffen jener ausgesetzt sind, die den Aufbau virtueller Communities energisch vorantreiben. Die Entstehung von virtuellen Gemeinschaften ist erst der Anfang. Ihre kontinuierliche Ausbreitung wird weit reichende Konsequenzen für die meisten traditionellen Unternehmen haben. Wer ihren Einfluss auf die Geschäftswelt von morgen ignoriert, geht das Risiko ein, von risikobereiten Newcomern an die Wand gespielt zu werden, die die wechselnden Spielregeln begreifen.

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KAPITEL

Umgekehrte Märkte: Die Kunden profitieren Die ersten Fans von Online-Netzen - insbesondere des lnternets widersetzten sich dem Gedanken, Netze für kommerzielle Zwecke zu nutzen, und manche tun das Immer noch. Aber virtuelle Community und Kommerz müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Die virtuelle Gemeinschaft liefert vielmehr ein einmaliges Umfeld für Geschäfte, da sich die Kunden selbst gegenseitig mit besseren Informationen ausstatten. Das Ergebnis ist ein "umgekehrter Markt", in dem die Geschäftsmacht auf die Kunden übergeht. Der Organisator einer virtuellen Community muss die Bedürfnisse dieser mächtig werdenden Kunden verstehen und ansprechen. Nur dann kann auch er von allen neuen Gewinnmöglichkeiten virtueller Communities profitieren.

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enn es um die Beziehung zu ihren Kunden ging, hatten Anbieter lange Zeit die Oberhand. Das lag nicht zuletzt an den Informationen. Der Zugang zu Informationen stärkt entscheidend die individuelle Verhandlungsmacht Jene Partei, die über mehr Informationen verfügt, kann in aller Regel auch den größeren Profit aus einem Geschäftsabschluss ziehen. Auf den meisten Märkten besitzen die Anbieter heute weit mehr Informationen als ihre Kunden. Sie nutzen diese Informationen, um die attraktivsten Käufer für ihre Waren oder Dienstleistungen zu bearbeiten, und betreiben Preisdifferenzierung, um auf Kosten der Kunden einen Mehrgewinn einzufahren.

UMGEKEHRTE MÄRKTE: DIE KUNDEN PROFITIEREN KAPITEL

Virtuelle Communities werden diese Marktdynamik wahrscheinlich "auf den Kopf stellen". Sie werden Märkte erzeugen, in denen die Kunden über zunehmend mehr Informationen verfügen und diese dazu verwenden, jene Anbieter ausfindig zu machen, die sich durch das jeweils beste Preis-Leistungs-Verhältnis auszeichnen. Mehr Informationen zu besitzen und dadurch Profit von den Anbietern abziehen zu können, wird letztlich einer der größten Anreize sein, sich einer virtuellen Gemeinschaft anzuschließen. Aber deren Mitglieder werden diesen Vorteil erst erkennen, wenn ihre Community eine bestimmte Größe erreicht hat. Ein erfolgreicher Organisator der Community muss die Interessen und Bedürfnisse der Community-Mitglieder von Anfang an voll ansprechen, um eme lebensfähige, hinreichend große Gemeinschaft aufzubauen.

DER BEDARF AN VIRTUELLEN COMMUNITIES Der Zweck virtueller Gemeinschaften ist keineswegs nur, Informationen und andere Ressourcen zu sammeln. In der Hauptsache sind sie dafür da, Menschen zusammenzuführen. Die Leute werden von virtuellen Communities angezogen, weil sie ein angenehmes Umfeld darstellen, in dem sie Kontakt zueinander aufnehmen können- mitunter einmal, manchmal aber auch öfter. So kann eine Vertrauensatmosphäre entstehen und können neue Einblicke vermittelt werden. Diese Interaktionen basieren im Wesentlichen auf dem individuellen Wunsch, vier Grundbedürfnisse zu befriedigen, nämlich Interessen zu pflegen, zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen, die Fantasie auszuleben und Geschäfte abzuwickeln beziehungsweise zu tauschen. Virtuelle Communities werden sich deutlich darin unterscheiden, welche dieser Bedürfnisse bei ihnen jeweils befriedigt werden. Aber sie werden kaum erfolgreich sein, wenn sie sich nur auf ein Bedürfnis konzentrieren und alle anderen ausklammern. Die Stärke virtueller Gemeinschaften wird vielmehr in ihrer Fähigkeit liegen, viele Bedürfnisse gleichzeitig zu befriedigen.

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Interessen

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Die meisten Menschen haben irgendeine Leidenschaft. Manche lieben Sport, andere suchen Unterhaltung, wieder andere buchen begeistert Urlaubsreisen. Einige sind besessen von ihren Hobbys, angefangen vom Briefmarkensammeln über das Schreiben von Horrorgeschichten und das Halten von tropischen Zierfischen bis hin zum Sammeln von Schallplatten mit Volksmusik aus verschiedenen Ländern. Andere spekulieren an der Börse in der ständigen Hoffnung auf den ganz großen Gewinn. Wieder andere sind vor allem an ihrer Arbeit interessiert. Sie möchten vielleicht allgemeine industrielle Trends besser verstehen, etwas über die neuesten Verkaufstechniken lernen oder sich vergewissern, dass sie bezüglich der Komponenten, die für ihr Geschäft wichtig sind, die bestmögliche Kaufentscheidung getroffen haben. Viele der ersten virtuellen Communities zielten lediglich auf einen Interessenbereich ab, indem sie Menschen zusammenführten, die ein Faible für ein spezielles Thema hatten und Fachwissen besaßen. Eine der bis heute erfolgreichsten Gemeinschaften dieser Art ist Motley Pool, ein elektronisches Forum, das von zwei charismatischen Brüdern, David und Tom Gardner, in America Online geführt wird und für Leute mit Interesse an Kapitalanlagen gegründet wurde. Die Gehrüder Gardner entwickelten ein Wertpapier-Portfolio und forderten alle auf, die getroffenen Entscheidungen zu kommentieren. Mittlerweile ist eine breite Subkultur um unabhängige Bulletin-Board-Dienste entstanden, die von einzelnen, stark an einem Thema interessierten Personen (selten Unternehmen) gestartet und geleitet werden, bekannt als Sysops (kurz für Systembetreiber). In der Regel erfolgt der Zugang zu diesen Bulletin-BoardDiensten über ein Modem und die Wahl einer ganz bestimmten Telefonnummer, zunehmend sind sie aber auch über das Internet erreichbar. Diese BulletinBoards sind auf denkbar unterschiedliche Personenkreise ausgerichtet: auf Waffensammler bis hin zu Amateurastronomen, die das Neuste über einen jüngst aufgetauchten Kometen erfahren wollen. Die Möglichkeit des Austauschs mit anderen, die annähernd die gleichen Interessen besitzen, übt eine starke Anziehungskraft auf viele Menschen aus, die sich ansonsten nie vor einen Computer setzen würden. Fachspezifische Bulletin-Boards sind ebenfalls erfolgreich. So haben in den Vereinigten Staaten mehrere industrielle und berufsständische Interessenverbände Online-Dienste kreiert, über die ihre Mitglieder Informationen zu Themen von allgemeinem Interesse austauschen können.

UMGEKEHRTE MÄRKTE: DIE KUNDEN PROFITIEREN KAPITEL

Beziehungen In verschiedenen Lebensphasen machen wir neue, oft intensive Erfahrungen, die uns auf Menschen mit ähnlichen Erfahrungen zugehen lassen. Traumatische Ereignisse wie der Tod eines geliebten Menschen, eine Scheidung oder die Diagnose einer unheilbaren Krankheit bringen oft Leidensgefährten zusammen. Viele Menschen werden süchtig und benötigen Hilfe, um die Sucht zu überwinden. In jeder Lebensphase - ob als Teenager, junge Eltern oder Senioren - stehen wir praktisch vor neuen Problemen und haben das Bedürfnis, über unsere Erfahrungen mit Gleichgesinnten zu sprechen. Daraus entwickeln sich häufig enge persönliche Beziehungen. Über virtuelle Communities können Menschen mit ähnlichen Erlebnissen orts- und zeitungebunden zusammenkommen und sinnvolle persönliche Beziehungen aufbauen. Zum Beispiel unterstützt das Cancer Forum in CompuServe Krebspatienten und ihre Familien. Die Teilnehmer sprechen über ihren Umgang mit der Krankheit und tauschen Informationen über medizinische Forschungsergebnisse, Schmerzmittel, Testergebnisse und Berichte aus. Und sie können Literatur über Krebs aus der Bibliothek des Forums abrufen. Der primäre Nutzen dieser Art von Gemeinschaft scheint aber darin zu liegen, dass sie Menschen zusammenbringt, um persönliche Erfahrungen austauschen zu können. Zahlreiche andere Communities im Internet konzentrieren sich ebenfalls auf den Beziehungsbereich. Es gibt Gruppen zum Thema Scheidung, Tod des Lebenspartners und Unfruchtbarkeit. Eine der am schnellsten wachsenden Gemeinschaften dieser Art in den Vereinigten Staaten ist SeniorNet. Mit mittlerweile über 18 000 Mitgliedern ist SeniorNet eine nicht kommerzielle Organisation, die versucht, eine Gemeinschaft von computernutzenden Senioren aufzubauen. Ihr Ausgangspunkt war ein Forschungsprojekt an der University of San Francisco im Jahre 1986 unter der Leitung von Dr. Mary Furlong. 1990 erfolgte dann die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft. Auf ihrer Web-Seite beschreibt Mary Furlong, wie ihr die Idee für SeniorNet in den Sinn kam: "Vorbild war das Leben meiner Großmutter. Sie war eine Frau mit Freunden, mit denen sie jeden Tag Kontakt hatte. Immer wenn ich sie besuchte, ging sie irgendwann in den nahe gelegenen Park mit Menschen, die sich alle mit Namen kannten. Und ich erkannte, dass es dieses Gefühl von Gemeinschaft ist, das in unserer heutigen Welt fehlt." SeniorNet unterhält Foren in America Online, Microsoft Network und im Internet. Diese Foren decken ein breites Gebiet ab. So gibt es beispielsweise die

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"Christliche Ecke", die "Geschiedenen Freunde", die "Pensionisten" und die "Senior Entrepreneure". Die Begeisterung der Mitglieder spiegelt sich in dem Satz eines älteren Mannes wider, der an einer Gruppe im SeniorNet zum Thema Gartenpflege teilnimmt und eine "elektronische Datenbank für Rosen" entwickelt: "Wir beginnen erst allmählich zu begreifen, mit welchen Leuten wir zusammenarbeiten können." Furlong ist sich über die Rolle von SeniorNet im Klaren: "Der wichtigste Aspekt von SeniorNet ist, dass die Inhalte von den Mitgliedern selbst stammen. Sie sind die Produzenten. Sie sind das Talent. Wir koordinieren nur alles." Der Erfolg von SeniorNet erscheint - angesichts der Zielgruppe - auf den ersten Blick besonders überraschend. Allerdings zeigt eine von SeniorNet zitierte Umfrage aus dem Jahr 1994, dass sich die Zahl der Senioren, die in den Vereinigten Staaten einen Computer besitzen, rapide erhöht. Die Aussicht, gemeinsame Lebenserfahrungen austauschen zu können, ohne das Haus verlassen zu müssen, hat viele ältere Bürger veranlasst, sich einen Computer zuzulegen und an einem Trainingsseminar für die Benutzung von SeniorNet teilzunehmen. Um noch mehr Senioren mit der Online-Welt vertraut zu machen, hat SeniorNet mitgeholfen, mehr als 80 entsprechende Lernzentren in den Vereinigten Staaten einzurichten.

• Fantasie

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In digitalen Netzen haben Menschen auch die Möglichkeit, zusammenzukommen und gemeinsam neue Fantasiewelten zu erkunden. Diese Netzumgehungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Teilnehmer in andere Persönlichkeiten "schlüpfen" und sich an Rollenspielen beteiligen können. Eine der ersten und dunkelsten Formen solcher Gemeinschaften, die im Netz auftauchten, waren die so genannten MUDs. 3 MUDs sind organisierte Netzumgebungen, in denen die Spieler eine Vielzahl von Fantasierollen annehmen und mit anderen Teilnehmern in sich kompliziert entwickelnden Spielen interagieren können, die sich mitunter über Jahre hinziehen. Das kann zur Sucht werden. In den Vereinigten Staaten etwa haben Gesundheitsbehörden bereits ernsthafte Bedenken geäußert, weil Studenten es vorzogen, ihre Zeit lieber in ihrer Lieb3 MUDs stand ursprünglich für Multi-User-Dungeons und spiegelte das Interesse an Rollenspielen wider, die sich an dem amerikanischen Spiel "Dungeons and Dragons" (Kerker und Drachen) orientierten. Mittlerweile repräsentiert MUDs die ausgeklügelteren Multi-User-Dimensionen.

UMGEKEHRTE MÄRKTE: DIE KUNDEN PROFITIEREN

lings-MUD-Umgebung zu verbringen statt Vorlesungen zu besuchen. Mittlerweile ist in den USA eine ganze Sammlung von ähnlichen Rollenspiel-Umgebungen aufgeblüht, die unter Namen wie MOO, MUSH, MUCK, MUSE und MUX laufen. Um das Ganze an einem Beispiel zu illustrieren: In einem MUD in America Online kann ein Teilnehmer am Red Dragon Inn (Gasthof zum roten Drachen) in die Rolle eines mittelalterlichen Freiherrn schlüpfen. In dieser Fantasiewelt können die Besucher (über das elektronisch ausgetauschte Gespräch) ihre Vorstellungen einbringen und so gemeinsam die fortlaufende Geschichte über das Leben im Gasthof gestalten. Innerhalb von zwei Monaten können die Spieler genügend Gewinne ansammeln, um die komplexe Hierarchieleiter von Titeln hinaufzusteigen und vom Lehrling über Zauberer und Magier zum Hexenmeister zu werden. Nicht alle Fantasiespiele sind allerdings so weit vom täglichen Leben entfernt. So können beispielsweise die Teilnehmer an der Sport-Gemeinschaft ESPNet im Internet ihre eigenen Sportteams (unter Rückgriff auf die Namen wirklich existierender Spieler) zusammenstellen. Diese treten dann gegen Mannschaften an, die von anderen Teilnehmern ausgesucht worden sind. Die Gewinner werden über die ins Netz eingegebenen Leistungsbeurteilungen der wirklichen Spieler in der laufenden Saison ermittelt. Es ist nicht schwer, sich derartige Simulationsspiele in virtuellen Communities von Unternehmen zu Unternehmen auszumalen, die den Mitgliedern helfen, zentrale Geschäftsprinzipien zu verinnerlichen und zu beobachten, wie gut ihre Interaktion mit anderen ist. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Händler im virtuellen Land konkurrieren, indem sie die neuesten Techniken des "Continuous Relationship Marketings" anwenden, um zu simulieren, wie sie den größeren Marktanteil erlangen können. Oder bis Rechtsanwälte Scheinprozesse in virtuellen Gerichtssälen ausfechten, um auszuprobieren, welche Strategien vor Gericht zum Erfolg führen.

Die Abwicklung von Geschäften Die Begriffe Tauschhandel oder fairer Austausch standen in der Anfangszeit des Internets hoch im Kurs. Aber es wird noch einige Zeit dauern, bis virtuelle Communities wirtschaftlichen Tauschbedürfnissen nachkommen können. Ausschlaggebend dafür mögen sowohl technologische Zwänge (wie beispielsweise Befürchtungen bezüglich Sicherheit und Rechtsgültigkeit im Internet) als auch

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die wenigen Mitglieder und Anbieter sein, die sich bislang in einem Produktbereich zusammengefunden haben. Dennoch wird es irgendwann ganz selbstverständlich dazugehören, dieses wirtschaftliche Tauschbedürfnis anzusprechen. Das gilt vor allem für Initiativen, in denen sich Mitglieder mit einem starken Interesse an bestimmten Waren und Dienstleistungen zusammentun, um Kaufinformationen und -erfahrungen auszutauschen. Motley Fool verkauft beispielsweise bereits Bücher und andere Produkte zum Thema Kapitalanlagen. Wie lange wird es noch dauern, bis Motley Fool seinen Kunden für ihre Aktiengeschäfte eine direkte Verbindung mit Brokern anbietet? Schon jetzt stellen viele unabhängige Bulletin-Board-Dienste, die auf Sammler abzielen, Räume für "Kleinanzeigen" zur Verfügung, in denen sie Stücke aus ihren Sammlungen kaufen oder verkaufen können. Einige Initiativen, die speziell für Verkaufszwecke ins Leben gerufen worden sind, werden sich wahrscheinlich zu voll funktionsfähigen virtuellen Communities entwickeln. Virtual Vineyards, ein Web-Dienst, bei dem Weine verkauft werden, spricht ein sehr spezifisches Kaufbedürfnis an. Den Besuchern werden Informationen über Weine und Listen mit attraktiven Sonderpreisen angeboten. Die meisten der aufgeführten Weine stammen von kleineren Weinbauern und sind im normalen Handel in der Regel kaum zu bekommen. Besucher können die Weine direkt von Virtual Vineyards beziehen, indem sie ein Online-Formular ausfüllen oder den Online-Dienst anrufen. Obgleich die Besucher über E-Mail mit dem Organisator der Seite kommunizieren können, ist ein Informationsaustausch untereinander noch nicht möglich. Diese Leistungserweiterung wäre von echtem Nutzen für die Besucher der Seite und würde sie zu einer wirklichen virtuellen Community machen. Nets, Inc. ist ein Beispiel für einen Unternehmen-zu-Unternehmen-Kontext. Hier treffen sich Käufer und Verkäufer bestimmter Produkte aus dem Maschinenbau. Nets bringt mehr als 200 000 Käufer und 4 500 Verkäufer von Industrieprodukten zusammen. Die abgedeckten Produktgruppen umfassen im wesentlichen Messgeräte und Sensoren, Regler sowie Herstellungs- und Konstruktions-Software. Nets, Inc. unterstützt die Abwicklung von Geschäften durch eine ganze Reihe von Dienstleistungen. Dazu gehört etwa eine Firmenkatalog-Bibliothek, in der die Käufer detaillierte Produktkataloge von Herstellern und Händlern durchforsten können. Der Hot-New-Products-Dienst liefert zudem Informationen über brandaktuelle Produkte. Ein Surplus-Equipment-Dienst hilft den Mitgliedern, eingestellte, schwer zu findende oder gebrauchte Waren zu Discount-Preisen auf-

UMGEKEHRTE MÄRKTE: DIE KUNDEN PROFITIEREN KAPITEL

zustöbern. Ein Online-Career-Fair schließlich sorgt dafür, dass freie Stellen oder auch Seminare über bestimmte Produkte oder Technologien angeboten werden.

• Eine starke Mischung Da die Fähigkeit einer virtuellen Community, alle der eingangs genannten vier Bedürfnisse und nicht nur eines anzusprechen, so wertvoll ist, erscheint es sinnvoll, ein paar Beispiele genauer unter die Lupe zu nehmen. Auf ESPNet wurde bereits hingewiesen. ESPNet offeriert ein reichhaltiges Angebot von Informationen und Interaktionen zu bestimmten Sportarten und spricht damit die Interessen seiner Mitglieder genau an. Virtuelle Sportteams aufzustellen und gegen andere Mitglieder zu "spielen", befriedigt zudem die Fantasie. Die von ESPNet in ihrem "ZoneStore" angebotenen Sporttrophäen entsprechen ebenfalls dem Bedürfnis, Geschäfte zu tätigen. Darüber hinaus wird auch eine ESPN-MasterCard-Kreditkarte angepriesen, die online angefordert werden kann. Durch zahlreiche Kommunikationszirkel erhöht ESPNet schließlich auch die Chance, dass sich persönliche Beziehungen zwischen seinen sportbegeisterten Mitgliedern entwickeln. Auch im Unternehmen-zu-Unternehmen-Kontext können virtuelle Gemeinschaften einer Vielzahl von Bedürfnissen gerecht werden. Man stelle sich eine virtuelle Community vor, die auf die Eigentümer kleiner Unternehmen abzielt und es ihnen ermöglicht, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Informationen auszutauschen (zum Beispiel über die Entwicklung eines Lohn- und Gehaltssystems). Eine virtuelle Community könnte auch Simulationsspiele anbieten, mit denen die Eigentümer kleiner Unternehmen bestimmte Finanzierungstechniken lernen und testen. Das Angebot einer virtuellen Gemeinschaft könnte Informationen über die besten Fotokopierer für die Zielgruppe anbieten und darüber, wie sie online gekauft werden können. Die Einrichtung von virtuellen schwarzen Brettern und Chatrooms kann den Mitgliedern darüber hinaus ermöglichen, etwa ihre Erfahrungen in den verschiedenen Entwicklungsphasen kleiner Unternehmen (Gründung, Umwandlung in eine Aktiengesellschaft) auszutauschen oder die charakteristischen Probleme zu besprechen, vor denen Inhaber kleiner Unternehmen stehen.

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EIN MACHTWECHSEL

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Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass das kommerzielle Potenzial von virtuellen Communities vornehmlich darauf beruht, Menschen in Umgehungen zusammenzuführen, die irgendeine Kombination der vier Grundbedürfnisse in ihrem Berufs- und Privatleben ansprechen. Dieses kommerzielle Potenzial kommt allerdings erst dann voll zum Tragen, wenn eine hirneichend große Mitgliederzahl erreicht ist und umfangreiche Möglichkeiten zum Geschäftemachen entwickelt worden sind. Deshalb beabsichtigen etwa Online-Foren wie Nets, Inc. und Agriculture Online (Zielgruppe Bauern), ihre bisherigen Informations- und Kommunikationsseiten zu Diensten auszubauen, die für geschäftliche Transaktionen geeignet sind. Das hat Folgen für das Kräfteverhältnis von Anbietern und Kunden. Denn virtuelle Communities besitzen das Potenzial, eine bedeutsame Machtverlagerung von den Anbietern auf die Kunden zu bewirken, in deren Verlauf der Mehrwert von den Anbietern zunehmend auf die Kunden übergeht. Abbildung 2.1a veranschaulicht eine klassische mikroökonomische Angebot-Nachfrage-Kurve. Die gestrichelte horizontale Gerade markiert den Schnittpunkt zwischen Angebot und Nachfrage und stellt den Marktpreis in einer normalen Käufer-Verkäufer-Beziehung dar. Abbildung 2.1b illustriert den Einfluss von virtuellen Communities, in dessen Folge ein Großteil des Mehrwerts von den Anbietern auf die Kunden übergeht. Wie ersichtlich, nähert sich der Marktpreis nun stärker der Angebotskurve an. Dieser Effekt spiegelt die an Auktionen erinnernden Umgehungen wider, die in virtuellen Communities vorherrschen, weil sich hier umgekehrte Märkte etablieren. Wenn die Kunden etwas kaufen möchten, holen sie sich Angebote von geeigneten Anbietern ein. Die Abgabe von Angeboten erzeugt einen eigenständigen "Minimarkt", in dem der Preis dem siegreichen Angebot entspricht. Dieses stammt im Normalfall von dem Anbieter, der Preis und Ware am besten auf die Bedürfnisse der Konsumenten zuschneidet. Diese Machtverlagerung in Richtung Kunden wird maßgeblich von den folgenden Elementen vorangetrieben: der Anhäufung von Kaufkraft, einem verbesserten Informationszugang der Konsumenten, der Auswahl an Anbietern und der Existenz eines hoch motivierten Vermittlers, der dafür belohnt wird, dass er die ersten drei Elemente bereitstellt. Diese Elemente liefern die Grundlage für eine systematischere Untersuchung der fünf Charakteristiken einer virtuellen Community, wie sie in Kapitel 1 bereits beschrieben wurden:

UMGEKEHRTE MÄRKTE: DIE KUNDEN PROFITIEREN KAPITEL

Abb. 2.la Marktpreis

Angebot

Mehrwert des Kunden Normaler Preis

Mehrwert des Anbieters

Nachfrage

Menge

Abb. 2.lb Marktpreis

Angebot

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Mehrwert des Kunden

Preis in der virtuellen Community

des Anbieters

Nachfrage

Menge

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ein spezifischer Interessenschwerpunkt als Fokus für die Mitglieder f) die Integration von Inhalt und Kommunikation f) die Konzentration auf Informationen, die von den Mitgliedern selbst stammen G die Auswahl zwischen konkurrierenden Anbietern 8 kommerziell motivierte Organisatoren von Gemeinschaften

• Die Aggregation von Kaufkraft

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Virtuelle Gemeinschaften fördern die Anhäufung von Kaufkraft, da die angenehme Umgebung neue Mitglieder anzieht und zahlreiche Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme zwischen den Mitgliedern bietet. Die Aggregation von Kaufkraft wird durch das erste Merkmal von virtuellen Communities, das heißt einen spezifischen Interessenschwerpunkt im Hinblick auf die Mitglieder, unterstützt. Erstes charakteristisches Merkmal: Ein spezifischer Interessenschwerpunkt als Fokus für die Mitglieder. Virtuelle Communities unterscheiden sich von allgemeineren Netzumgehungen wie dem Internet oder traditionellen Online-Diensten wie America Online oder CompuServe insofern, als sie auf einen spezifischen Mitgliedertyp abzielen. Der spezifische Interessenschwerpunkt ist von Anfang an sehr wichtig für die Mitglieder. Sie müssen wissen, wo sie andere Menschen mit ähnlichen Interessen und Bedürfnissen suchen und Ressourcen wie publizierte Inhalte und Anbieter finden können. Die virtuelle Gemeinschaft sollte eine Fundgrube für Informationen sein, die von den Mitgliedern selbst stammen und für ihre spezifischen Interessen relevant sind. Durch die Konzentration auf einen Interessenschwerpunkt beschleunigt die virtuelle Community die Aggregation von Kaufkraft. Fast jede denkbare Gemeinschaft pflegt ihre eigenen Geschäftsinteressen. In einer Gemeinschaft zum Thema persönliche Finanzen versammeln sich Menschen, die in Aktienund Investmentfonds investieren. Eine virtuelle Community für Juristen bringt Individuen und Firmen zusammen, die stark am Zugang zu juristischen Informationsdiensten und bestimmten Fachkenntnissen interessiert sind. Diese Leute stellen oft die attraktivsten Käufer für ausgewählte Waren und Dienstleistungen dar. Marktforschungsergebnisse weisen beispielsweise darauf hin, dass Leser von Reisemagazinen im Durchschnitt dreimal mehr verreisen als "Otto Normalverbraucher". Es ist zu erwarten, dass - besonders in den ersten Jahren - Mitglieder von reiseorientierten virtuellen Communities im Vergleich zu Nichtmitgliedern eine ähnliche Asymmetrie aufweisen werden.

UMGEKEHRTE MÄRKTE: DIE KUNDEN PROFITIEREN KAPITEL

Der besondere Interessenschwerpunkt macht virtuelle Communities zu einem Magneten für Kunden mit gleichen Kaufprofilen, deren Kaufaktivitäten sich von der Masse der Konsumenten abheben werden. Für sich betrachtet, wäre dieses Merkmal einer virtuellen Gemeinschaft für Inserenten genauso interessant wie Fachzeitschriften, die in ihrer Leserschaft eine ähnlich konzentrierte Kaufkraft aufweisen. Aber in Kombination mit den anderen Merkmalen stellt diese Ansammlung von Kaufkraft den ersten Schritt in Richtung auf eine grundlegende Kaufkraftveränderung dar.

Verbesserter Informationszugang Virtuelle Communities versammeln nicht nur potenzielle Kunden, sie statten sie auch mit weit mehr Informationen aus, als sie sonst bequem und kostensparend erlangen können. Wie bereits dargelegt, erzeugt das Verschwinden dieser traditionellen Informationsasymmetrie umgekehrte Märkte, in denen sich die Macht auf die Konsumenten verlagert. Diese umgekehrten Märkte werfen ein Schlaglicht auf zwei andere Merkmale virtueller Gemeinschaften, nämlich die Integration von Inhalt und Kommunikation und die Konzentration auf Informationen, die von den Mitgliedern selbst stammen. Zweites charakteristisches Merkmal: Die Integration von Inhalt und Kommunikation. Netzwerke wie America Online und das Internet unterscheiden sich von herkömmlichen Netzen und traditionellen Medien durch ihr Vermögen, Inhalt und Kommunikation zu integrieren. Traditionelle Medien - wie Zeitschriften, Bücher, Schallplatten, das Fernsehen oder Kino - sind eher Einweg-Übertragungskanäle, die eine Zielgruppe mit Inhalt beliefern. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (etwa Leserbriefe, Rundfunksendungen mit Zuhörerbeteiligung und Fernseh-Talkshows), bieten diese Medien dem Publikum nur geringe Möglichkeiten, mit den Urhebern der Informationen oder gar miteinander zu kommunizieren. Auch herkömmliche Netzwerke wie das Telefonnetz haben entscheidende Nachteile. Sie liefern zwar reichhaltige Gelegenheiten zur Kommunikation, aber es ist kaum möglich, an Inhalte heranzukommen, sie zu speichern und bei Bedarf abzurufen. Virtuelle Communities machen sich nun die einzigartigen Fähigkeiten der neuen Netze zunutze. Sie tun dies, indem sie Umgehungen bereitstellen, in denen Inhalte und Kommunikationsmöglichkeiten nicht nur verfügbar, sondern auch eng miteinander verknüpft sind. Die Leute können in einem virtuellen Chatroom zusammenkommen und für die Diskussion relevante Informationen abfragen und

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einbringen. Teilnehmer an einem virtuellen schwarzen Brett können Nachrichten abrufen und die Urheber befragen. Die Moderatoren von schwarzen Brettern können eine neue Meldung verbreiten oder aus einem Buch zitieren, um eine neue Diskussionsrunde zwischen den Teilnehmern in Gang zu bringen. Die Autoren von Veröffentlichungen können viel leichter um Klarstellung oder genauere Informationen ersucht werden, als es bei herkömmlichen Druckmedien möglich ist. Diese Art der Integration von Kommunikation und Inhalt soll am Beispiel einer hypothetischen virtuellen Community zum Thema Reisen illustriert werden. Eine solche Gemeinschaft könnte eine Vielfalt an veröffentlichten Informationen ansammeln, angefangen von konventionellen Reiseführern über Reisemagazine bis hin zu ausgewählten Mitteilungsblättem, Online-Broschüren und Informationen von Reisebüros oder Spezialanbietern (Flugpläne, Hotelinformationen usw.). Gleichzeitig würde die Reise-Community ein breites Spektrum an Kommunikationszirkeln für Reisende bieten, einschließlich virtueller schwarzer Bretter, auf denen sie sich austauschen können (Eltern, die kinderfreundliche Ferienorte suchen; Senioren, die nach Reisegefährten Ausschau halten), und spezieller Talkstunden, in denen Experten Fragen beantworten. Will der Organisator der Gemeinschaft erfolgreich sein, so muss er geeignete Informationen für die Mitglieder zusammentragen. Das bedeutet, dass er weitgehend als Vertreter agiert, der relevante Informationen sucht und sammelt und gleichzeitig unzuverlässige oder minderwertige aussortiert. 4 Dabei muss er für die Einhaltung eines gewissen Qualitätsstandards sorgen. Da manche der Informationen eher von den Mitgliedern der virtuellen Gemeinschaft als von ausgewiesenen "Experten" stammen, spielt der Organisator auch im Hinblick auf die "Garantie" der Glaubwürdigkeit. und Qualifikation der die' Informationen liefemden Mitglieder eine wichtige Rolle. Mitglieder, die regelmäßig falsche oder eigennützige Informationen einbringen, können aus der Gemeinschaft ausgeschlossen oder zumindest auf wirkungsvolle Weise mundtot gemacht werden. Durch die Verschmelzung von Inhalt und Kommunikation verfügen die kaufwilligen Mitglieder einer virtuellen Community über eine wertvolle Informationsressource. So könnte in einer Gemeinschaft zum Thema Reisen das eine 4 Wer je durch das Netz "gesurft" ist, sich durch unglaubliche Mengen von "hinübergeschaufelten Infonnationen" und Pressemitteilungen gewühlt und vergeblich versucht hat, von einer zuverlässigen Quelle die Antwort auf eine bestimmte Frage zu erhalten, wird es zu schätzen wissen, wenn der Organisator der virtuellen Gemeinschaft die Infonnationen vorab gesichtet und geordnet hat.

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Fl !!(

Florenzreise planende Mitglied schnell zehn verschiedene Hotelführer überfliegen, sich Hotelbeurteilungen von anderen Mitgliedern einholen und eine Nachricht ans virtuelle schwarze Brett "hängen", auf der es um Tipps von den Florenz-erfahrenen Mitgliedern bittet. Der Wert dieser Hinweise könnte schließlich durch einen Blick auf die Mitgliederprofile evaluiert werden, um zu sehen, ob sie ähnliche Interessen und Erfahrungen haben. Falls dem Mitglied widersprüchliche oder unvollständige Informationen vorliegen, könnte es einzelne Urheber oder Mitglieder kontaktieren, um Klarheit zu erhalten. Wenn sich virtuelle Communities entwickeln, stehen den kaufwilligen Mitgliedern - verglichen mit den herkömmlichen Medien - also weit mehr, zuverlässigere und aktuellere Informationen zur Verfügung. Die Wahrscheinlichkeit eines Kaufabschlusses erhöht sich dadurch. Drittes charakteristisches Merkmal: Konzentration auf eingebrachte Informationen von den Mitgliedern. Eine die Bildung von virtuellen Gemeinschaften vorantreibende Annahme ist, dass die Mitglieder über lange Sicht stärker von selbst geschaffenen Inhalten als von konventionelleren Formen "publizierter" Informationen profitieren werden. Diese von den Mitgliedern stammenden Informationen werden normalerweise in virtuellen Chatrooms erzeugt und sammeln sich auf virtuellen schwarzen Brettern. Einige Leute bezweifeln immer noch, dass diese Mitglieder-Infol1J)ationen wertvoller sind als Veröffentlichungen namhafter "Experten" auf ihrem Gebiet. Michael Kinsley etwa, früher Herausgeber der New Republic und nun geschäftsführender Herausgeber des Online-Verlags Slate von Microsoft, wird weithin mit seiner Beobachtung zitiert, nach der es den Restaurantgästen viellieber ist, wenn ihr Essen von einem ausgebildeten Koch als der Person zubereitet wird, die zufällig am Nebentisch sitzt. Solche Beobachtungen, obgleich unterhaltsam, übersehen einen grundlegenden Aspekt. In virtuellen Communities wird nämlich eine geballte Sachkenntnis angehäuft, die von einem einzelnen Experten möglicherweise nie erreicht werden kann, unabhängig davon, wie erfahren oder geübt er auch sein mag. In vielen Communities liegt der Wert also nicht so sehr in der Erfahrung und dem Wissen jedes Einzelnen, sondern in den Erfahrungen und Perspektiven zahlreicher Individuen. Ein gutes Beispiel für diesen Gedanken sind die Zagats-Führer, die zur Massenware für Restaurantliebhaber in den gesamten Vereinigten Staaten geworden sind. Der Wert dieser Führer basiert nicht darauf, dass sie die Meinung eines Experten wiedergeben, sondern dass sie einen breiten Querschnitt an Ansichten und Erfahrungen von Leuten widerspiegeln, die alle sehr gern essen.

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Genau wegen dieser Sachkenntnis und Erfahrung sind virtuelle Communities so besonders geeignet für die Bereitstellung von Informationen. Keine Kombination "publizierter" Expertenmeinungen reicht an die geballten Einsichten und Erfahrungen einer Gemeinschaft von Menschen heran, die ein leidenschaftliches Interesse verbindet. Amazon.com (in Deutsch auch Amazon.de), ein schnell wachsender Treffpunkt für Buchliebhaber im Internet, illustriert die Konzentration auf MitgliederInformationen besonders gut. Neben einer Zusammenstellung von Buchbesprechungen von Kritikern der New York Times hat Amazon.com auch die "Amazon.com-Community" ins Leben gerufen. Deren Mitgliedern ist es nicht nur erlaubt, eigene Kritiken abzugeben, sondern sie werden geradezu dazu aufgefordert. In einem Wettbewerb um die beste Buchempfehlung bietet Amazon.com den Mitgliedern sogar Buchpreise im Wert von bis zu 1 000 Dollar an. Durch solche Einrichtungen können die Mitglieder nicht nur auf mehr Informationen zurückgreifen, sie fördern auch ein Gefühl stärkerer Einbezogenheil in die Community und kurbeln nebenbei noch den Buchverkauf an. Auf diese Art und Weise vermehren virtuelle Communities jene Informationen und Sachkenntnisse, die ihren Mitgliedern bei Kaufentscheidungen zur Verfügung stehen. Informationen untereinander auszutauschen, war für Kunden bislang ein ziemlich unsicheres und unzuverlässiges Unterfangen. Aber genau diese Fäqigkeit macht die angehäufte Kaufkraft in einer virtuellen Gemeinschaft aus und wandelt sie in gemeinschaftliches Handeln um, das schnell über Erfolg oder Misserfolg eines Anbieters entscheiden kann. Von allen Merkmalen einer virtuellen Gemeinschaft behagt das des Informationsaustauschens zwischen Kunden den Anbietern am wenigsten. Ein Forum, in dem Konsumenten fortwährend miteinander kommunizieren, ist bedrohlich. Wenn den Kunden eine Ware oder eine Dienstleistung gefällt, macht das zwar schnell die Runde und die Anbieter profitieren davon. Aber das Gegenteil passiert ebenso: Anbieter, die minderwertige Waren oder Dienstleistungen vertreiben, werden schnell und effektiv ausgegrenzt.

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Auswahl an Anbietern Virtuelle Communities führen nicht nur Mitglieder, sondern auch Anbieter von Waren oder Dienstleistungen zusammen, die für ihre Mitglieder interessant sein könnten. Viertes charakteristisches Merkmal: Die Auswahl zwischen konkurrierenden Anbietern und Angeboten. Virtuelle Communities beginnen möglicherweise mit dem Produkt- oder Dienstleistungsangebot ausschließlich eines Anbieters. Dies gilt wahrscheinlich insbesondere für jene Gemeinschaften, die von einem einzigen Anbieter organisiert oder gesponsert werden. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass diese virtuellen Communities kaum lange weiterbestehen werden. Versetzen Sie sich in die Situation eines potenziellen Gemeinschaftsmitgliedes, das an Audio-Video-Geräten interessiert ist. Würden Sie erwägen, einer Gemeinschaft zum Thema Audio-Video beizutreten, die von einem Anbieter für Audio-Video-Geräte gesponsert wird, der die verfügbaren Informationen und die Produktauswahl auf seine eigenen Waren begrenzt? Oder würden Sie sich lieber einer anderen Gemeinschaft anschließen, die Informationen und Produktangebote einer ganzen Reihe konkurrierender Anbieter sammelt und Ihnen die Gelegenheit bietet, mit "Audiophilen" und "Videophilen" zu sprechen, die über die Leistungen dieser Anbieter diskutieren? Die Möglichkeit zur Auswahl zwischen konkurrierenden Anbietern wird die Bindung der Mitglieder an eine Community langfristig wahrscheinlich forcieren. Es ist genau diese Selektionsmöglichkeit, die die Kunden in die Lage versetzt, einen größeren Teil des Mehrwerts von den Anbietern abzuziehen, und die es virtuellen Communities ermöglicht, umgekehrte Märkte aufzubauen. Einige der ersten Beispiele für einen funktionierenden umgekehrten Markt stammen von Amazon.com. Die Verzeichnisse von Amazon.com erlauben den Mitgliedern, mehr als eine Million lieferbarer Buchtitel zu durchstöbern und zu kaufen. Es kann unter einem Schlagwort, dem Autor, dem Titel oder dem Thema gesucht werden. Ein Bekanntmachungs-Service des Organisators weist die Mitglieder auch auf neue Titel hin, die in vorgegebenen Sachregistern verzeichnet sind. Bücherfans in Bahrain, Bosnien und auf Guam verfügen über mehr Buchtitel und mehr Informationen als jeder Besucher der größten Buchläden in New York oder Frankfurt. Damit wird das traditionelle Marktmodell, nach dem die Anbieter die Kunden aussuchen, auf den Kopf gestellt. Virtuelle Communities versetzen die Kun-

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den in diese mächtigere Position, indem sie sie mit einer Vielzahl von Anbieterinformationen ausstatten, ihnen Foren liefern, in denen sie miteinander über ihre Erfahrungen mit einzelnen Anbietern sprechen können, und ihnen ermöglichen, selbst mit speziellen Anbietern in Interaktion zu treten. In vielen Fällen bieten virtuelle Communities auch Auktionsräume an, in denen die Kunden ihre Wünsche bekannt geben und Angebotsschlachten zwischen konkurrierenden Anbietern anzetteln können, um den besten Preis zu bekommen. Ungemein wichtig wird auch eine Technologie sein, die es dem Organisator der Gemeinschaft ermöglicht, als Vertreter für die Mitglieder zu agieren und schnell und effizient das beste Angebot herauszusuchen. Amazon.com etwa arbeitet mit Eyes, einem Suchauftragsprogramm, das einem Mitglied automatisch eine E-Mail sendet, sobald ein bestimmtes Buch als Taschenbuch erscheint oder ein beliebter Autor ein neues Buch veröffentlicht hat.

• Motivierte Vermittler

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Es ist nicht einfach, alle diese Elemente zu koordinieren, um eine erfolgreiche virtuelle Community aufzubauen. In einigen Fällen wird diese Aufgabe- in Fortsetzung der nicht kommerziellen Tradition des frühen Irrtemets - freiwillig von Leuten übernommen werden, die stark an einem bestimmten Themenbereich interessiert sind. Ihr werden sich jedoch zunehmend Individuen und Unternehmen widmen, die das kommerzielle Potenzial, das in diesem neuen Geschäftsmodell liegt, erkennen und es nutzen wollen. Fünftes charakteristisches Merkmal: Kommerziell motivierte Organisatoren von virtuellen Communities. Wir schätzen und ehren die Netz-Pioniere, die bei der Organisation von virtuellen Communities nicht von kommerziellen Motiven getrieben, in vielen Fällen sogar von antikommerziellen Werten motiviert waren. Sie lehrten uns einiges. Zahlreiche nicht kommerzielle virtuelle Gemeinschaften werden weiter entstehen und eine nützliche Rolle in Netzwerken spielen. Allerdings wird es nur den kommerziell motivierten Organisatoren von Gemeinschaften gelingen, die Verlagerung der Macht von den Anbietern auf die Kunden zu bewirken. Eine hinreichend große Kaufkraft in virtuellen Communities anzuhäufen, erfordert Ressourcen und Zeit. In vielen Fällen werden diese Ressourcen wahrscheinlich erst dann verfügbar sein, wenn man mit ihnen Geld verdienen kann. In anderen Fällen sind diese Ressourcen vielleicht verfügbar, aber erst die Aussicht auf attraktive Einnahmen beschleunigt ihre Entfaltung. Der Wettbewerb zwischen den Organisatoren von virtuellen Communities um

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hohe Erträge wird außerdem Innovationen unterstützen und dabei helfen, dass sich virtuelle Gemeinschaften schneller entwickeln und funktionsfähig werden. Wie wir in Kapitel 3 zeigen werden, können die ökonomischen Anreize von virtuellen Communities für deren Organisatoren sehr stark sein. Starke Profitanreize werden deshalb Bildung und Wachstum von Communities im Netz vorantreiben. Da ein Großteil dieses Profits davon abhängt, die Möglichkeit der Machtverlagerung von den Anbietern auf die Kunden zu erkennen und auszunutzen, werden die Organisatoren von Gemeinschaften sehr motiviert sein, den potenziellen Widerstand der Anbieter zu brechen und die notwendigen Ressourcen bereitzustellen. Jene Organisatoren, die gegenüber den Anbietern als Fürsprecher ihrer Mitglieder auftreten, werden reich belohnt werden. Hingegen werden jene, die Geschäfte weiterhin aus der Anbieterperspektive betreiben, immer mehr zu den Verlierern gehören. Je weiter virtuelle Communities im Netz entwickelt sind, desto wertvoller werden sie für ihre Mitglieder. Der anfangliehe Nutzen von Gemeinschaften wird größtenteils auf ihrer Fähigkeit beruhen, die Interessen ihrer Mitglieder anzusprechen. Wenn eine Gemeinschaft dann eine hinreichend große Mitgliederzahl und Kaufkraft erreicht hat, wird sie den Mitgliedern ermöglichen, noch kräftiger von jenen Anbietern zu profitieren, mit denen sie Geschäfte machen. Auf späteren Stufen werden virtuelle Communities wahrscheinlich für eine noch breitere Masse von Menschen profitabel sein. Diese eher zufälligen Käufer werden an Gemeinschaften weitgehend deshalb teilnehmen, um Waren und Dienstleistungen zu kaufen, und weniger, um einem leidenschaftlichen Interesse nachzukommmen. Die Erkundung von virtuellen Communities wird für sie eine Alternative zum Besuch des Einkaufszentrums oder ortsansässiger Händler sein. An diesem Punkt wird der Nutzen virtueller Communities zu ihrer Überlegenheit werden. Aufgrund der zahlreichen Geschäftsabschlüsse, die sie bewirken, werden sie zum bevorzugten Einkaufsort für einen Großteil der Konsumenten im Netz.

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DAS DILEMMA DES AN BIETERS ...

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Mancher Leser könnte sich an dieser Stelle ganz zu Recht fragen, warum sich ein Anbieter überhaupt an virtuellen Communities beteiligen (und sie nicht organisieren) sollte, wenn sie doch nur die Macht von den Anbietern auf die Kunden verlagern. Wäre es nicht sinnvoller, diese neuen Geschäftsumgehungen zu boykottieren und den Kunden keine Chance zu geben, ihre Macht auszuspielen? Wenn es virtuelle Communities nicht schaffen, eine hinreichend große Mitgliederzahl zu erreichen, müssen sich Anbieter natürlich wenig Sorgen machen. Sie können praktisch ruhig abwarten, bis sich diese Modeerscheinung wieder gelegt hat. Wenn es virtuellen Communities allerdings gelingt, eine hinreichend große Zahl von Mitgliedern zusammenzubekommen, stehen Anbieter vor einem schwierigen Problem. Nehmen wir zum Beispiel Motley Fool. Wenn der Gemeinschaft erst einmal Millionen von aktiven Kapitalanlegern angehören, würde sie dann nicht Anbietern von Investmentfonds und anderen Finanzdienstleistungen ein sehr attraktives Publikum bieten? Sofern sich alle Anbieter der Teilnahme an virtuellen Communities widersetzten, könnten sie unterbinden, dass virtuelle Gemeinschaften die nächste Stufe erreichen und ihren Mitgliedern helfen, mehr Profit von den Anbietern abzuziehen. Aber die Anbieter sind nicht alle gleich. Der kleinere Anbieter und insbesondere der Neueinsteiger auf dem Markt werden mit Sicherheit von der Teilnahme an virtuellen Communities profitieren. Weil sie typischerweise nur einen relativ geringen Marktanteil besitzen, ist eine Herabsetzung der Gewinnspanne, die aus der Machtverlagerung von den Anbietern auf die Kunden resultiert, längst nicht so bedrohlich wie für Anbieter mit gut etablierten Marktpositionen. Abbildung 2.2 verdeutlicht die guten Nachrichten für die Anbieter. Durch die Kombination aus niedrigeren Transaktionskosten für Anbieter und Kunden rutscht sowohl die Angebots- (1) als auch die Nachfragekurve (2) und entsprechend der Schnittpunkt beider Kurven weiter nach rechts (verglichen mit der Zeit vor dem Aufkommen virtueller Gemeinschaften). Ein Effekt, der darauf hinweist, dass sich die Geschäftsaktivitäten insgesamt erhöhen (3). Wie stark die Geschäftsaktivitäten zulegen werden und was letztendlich unter dem Strich bleibt, sobald man die Verlagerung eines Großteils des Mehrwerts von den Anbietern auf die Kunden berücksichtigt, variiert signifikant von Markt zu Markt.

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Abb. 2.2 Angebot der virtuellen Community

Normales Angebot

Preis Geringere Tra nsa ktio nskosten steigern die Nachfrage

~Geringere

Marketing-/ Distributionskosten vergrößern das Angebot

~

I I

: Erweiterung : der Märkte

Nachfrage der virtuellen Comrnunity Normale Nachfrage

I

I

Normales Marktvolumen

Marktvolumen der virtuellen Community

Menge

Wenn ein kleinerer Anbieter oder ein Neueinsteiger ausbricht und beschließt, in der virtuellen Community mitzuspielen, ist das für die größeren ungeheuer riskant. Sollten sie sich heraushalten und hoffen, dass sich virtuelle Communities als geschäftliche Nebenschauplätze für Produkt- und Dienstleistungen entpuppen? Wenn sie sich nun zurückhalten und virtuelle Gemeinschaften doch zu wichtigen Geschäftsfeldern werden, riskieren sie, Marktanteile an die mitmachenden Anbieter zu verlieren. Und es dürfte schwer werden, diesen einmal verlorenen Marktanteil wieder zurückzuerobern. Mit zunehmender Loyalität und Zahl der Gemeinschaftsmitglieder verringert sich allerdings in jedem Fall die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu einer anderen Gemeinschaft wechseln. Sollten sich die großen Anbieter andererseits doch zu einer Teilnahme entschließen, dann wird dies die wirtschaftliche Attraktivität der virtuellen Community und damit das Risiko einer Machtverlagerung noch steigern.

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Angesichts der Attraktivität einer Mitgliedschaft in vielen virtuellen Gemeinschaften und dem zu erwartenden Profit der Mitglieder bei Geschäftsabschlüssen innerhalb der Gemeinschaft ist es wahrscheinlich, dass kleineAnbieterund Neueinsteiger sehr energisch die Chance ergreifen werden, ihre Märkte zu vergrößern. Insofern ist es nur eine Frage der Zeit, bis große Anbieter sich dazu entschließen werden, ebenfalls mitzumachen. Bislang ist es für viele praktische Beispiele noch zu früh. Erwähnt sei jedoch ParentsPlace, eine Web-Seite, die auf die Bedürfnisse von Eltern abzielt. ParentsPlace bietet bestimmte Produkte zum Kauf an, einschließlich Baby-Nahrung und Shampoos. Die Anbieter sind vergleichsweise klein: Earths Best Baby Foods beziehungsweise Mustela. Größere Anbieter sind bislang noch unentschlossen, ob sie teilnehmen sollen oder nicht. Aber wenn die Gemeinschaft eine hinreichend große Mitgliederzahl erreicht hat und die Geschäftsabschlüsse zunehmen, können sie es sich dann leisten, nicht mitzumachen? ParentsPlace hat bereits kleinere Zwischenhändler wie Delivered with Love, The Breastfeeding Shop und Natural Baby Company für sich gewonnen, die gemeinsam eine auf Eltern von Kleinkindem abzielende breite Produktpalette anbieten. Noch allerdings fehlen die größeren Händler bei ParentsPlace .

. . . UND SEINE CHANCE

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Vor nicht so langer Zeit stellten kommerziell ausgerichtete virtuelle Communities noch etwas Neues und Innovatives dar. Gar zu bald müssen jedoch selbst zufällige Beobachter den Überblick über die Zahl der Initiativen verloren haben, die sich Gemeinschaften nannten und im Internet und anderen Netzumgehungen aus dem Boden schossen. Heutzutage scheint es so, als ob sich jede Web-Seite als Gemeinschaft bezeichnen kann, auch wenn die Angebote auf der Seite ausschließlich aus ein paar Textzeilen und Grafiken bestehen. Die Flut so genannter Gemeinschaften löst sich jedoch in Wohlgefallen auf, wenn wir die bereits aufgezeigten fünf charakteristischen Merkmale virtueller Communities zugrunde legen. Tatsächlich gibt es zur Zeit noch nicht ein einziges Beispiel einer virtuellen Gemeinschaft, die allen Merkmalen wirklich hinreichend genügt. Um aber ihr kommerzielles Potenzial entfalten zu können, müssen virtuelle Communities letzten Endes alle fünf Merkmale aufweisen. Alles andere verringert den potenziellen Einfluss der Gemeinschaft.

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Wenn die virtuelle Community ein solch mächtiges Unternehmen ist, wie wir es beschrieben haben, warum finden wir darm aber nicht mehr blühende Beispiele? Die Antwort ist vielleicht, dass es nicht einfach ist, virtuelle Communities aufzuziehen. Sie erfordern einen fundamentalen Wandel im Denken, und zwar insbesondere für die Manager gut etablierter Unternehmen, die in einer anderen Welt aufgewachsen sind und von anderen Annahmen bezüglich des Geschäftserfolgs getrieben werden. So gesehen ist es also nicht verwunderlich, dass wir noch nicht mehr Beispiele gut entwickelter virtueller Communities finden. Vielmehr ist es sogar besonders bemerkenswert, dass es bereits so viele Beispiele gibt, bei denen mit den Elementen des Modells der virtuellen Community experimentiert wird. Zur Verdeutlichung der nötigen neuen Denkweise erscheint es sinnvoll, das Modell eines traditionellen Anbieters dem Modell gegenüberzustellen, das ein Organisator einer virtuellen Community besitzen sollte. Herkömmliche Anbieter glauben wahrscheinlich, dass Online-Kunden am meisten vom Zugang zu individuellen Ressourcen - wie etwa Online-Zeitschriften, einer Privatkundenbank oder einem Anbieter von Audio-Geräten - profitieren würden. Sie würden vermutlich nur einräumen, dass Interaktivität bei Geschäften zwischen Mitglied und Autor/Herausgeber oder Mitglied und Waren-/Dienstleistungsanbieter von Nutzen ist. Schließlich würden die Anbieter folgern, dass man durch die Anhäufung von Ressourcen im Netz zwar einen Profit erzielen könnte, der Löwenanteil des Gewinns aber dem individuellen Herausgeber oder Anbieter zufallen würde und nicht demjenigen, der die Ressourcen sammelt. Demgegenüber würde der Organisator einer virtuellen Community argumentieren, dass der besondere Nutzen von Online-Umgebungen in ihrer Fähigkeit liegt, von den Mitgliedern selbst erzeugte Informationen aufzutun und zu sammeln (zum Beispiel Angebotsprüfungen, Erfahrungen und "Tipps"). Wenn dem so ist, folgt daraus, dass im Mittelpunkt der Interaktivität die Interaktion zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern steht und die Interaktion mit Herausgebern und Anbietern nur dazu dient, den Nutzen der Mitgliederinteraktion zu erhöhen. Diese Perspektive führt zu der Ansicht, dass sich der langfristige Nutzen in "gemeinsamen" Räumen wie virtuellen schwarzen Brettern, Chatrooms etc. konzentrieren und weitgehend den Mitgliedern und Organisatoren dieser Räume zufallen wird. Die Unterschiede zwischen beiden Denkmodellen werden deutlich, wenn wir uns ein paar pragmatische Entscheidungen anschauen, die Manager treffen müssen, sofern sie erwägen, ins Online-Geschäft einzusteigen. Würde beispielswei-

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se ein Anbieter einen Raum bereitstellen, in dem sich die Kunden frei versammeln und Informationen und Meinungen über die Produkte des Anbieters austauschen können? Die meisten heutigen Anbieter würden dies ablehnen. Oder noch extremer: Würde ein Anbieter oder Herausgeber einen Raum schaffen, in dem die Mitglieder nicht nur Zugang zu seinen eigenen Produkten, sondern auch zu denen der Konkurrenz hätten? Eine solche Vorgehensweise würde in den meisten der heutigen Vorstandsetagen als Ketzerei gewertet werden. Im Netz tummeln sich derzeit verblüffend viele Geschäftsinitiativen, von denen einige Elemente des Modells der virtuellen Community enthalten, viele aber wenig Ähnlichkeit mit ihm besitzen. Große Online-Dienste wie America Online und CompuServe sind keine virtuellen Communities in unserem Sinne. Sie konzentrieren sich nicht auf einen spezifischen Interessenschwerpunkt oder Inhalt, den sie zu sammeln versuchen. Stattdessen probieren sie, eine breite Mischung von Abonnenten mit grundverschiedenen Interessen zu akquirieren und sie mit einer Netzumgebung zu versorgen, die die meisten ihrer OnlineBedürfnisse erfüllt. Wenn wir uns jedoch diese Online-Dienste genauer ansehen, erkennen wir einige Anzeichen für aufkommende virtuelle Gemeinschaften. Insbesondere America Online (AOL) scheint sich des Begriffs Gemeinschaft stark bemächtigt zu haben und präsentiert Beispiele für entstehende Gemeinschaften in seinem Motley Fool und Red Dragon Inn. Dass AOL seine Abonnentenzahl viel schneller vergrößern konnte als CompuServe oder Prodigy, lässt sich tatsächlich weniger auf sein Marketing als vielmehr darauf zurückführen, dass die Bedeutung der Interaktion und Kommunikation zwischen den Nutzern verstanden worden ist. In nur zwei Jahren, zwischen 1993 und 1995, erhöhte America Online die Abonnentenzahl um fast 3,6 Millionen Mitglieder, während CompuServe nur 1,9 Millionen Mitglieder zulegte und Prodigy mit weniger als 200 000 neuen Mitgliedern fast überhaupt nicht wuchs. Prodigy gelang der Übergang von einem "Inhalts-Verbreitungs-Modell" zu einem Gemeinschaftsmodell nur langsam. Als Folge wurde Prodigy abgehängt und kämpft darum, eine Architektur zu entwickeln, die besser zu der Nutzerkommunikation passt als der Zugang zu OnlineZeitschriften. Online-Informationsdienste wie Lexis-Nexis sind ebenfalls keine virtuellen Communities -zumindest jetzt noch nicht. Obgleich Lexis eine Vielfalt an Inhalt anbietet und das charakteristische Merkmal besitzt, der juristischen Welt zu dienen, fehlen Kommunikationsmöglichkeiten, die den Benutzern erlauben würden, miteinander zu interagieren. Augenblicklich handelt es sich um einen Online-

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Dienst, der sich darauf konzentriert, den Infonnationsbedürfnissen von Juristen gerecht zu werden, und nicht um eine virtuelle Community. Eine andere Fonn einer Online-Seite stellt die virtuelle Ladenstraße dar, für die der "Marktplatz" MCI ein Beispiel ist. Diese Straßen fördern- wie Infonnations-Dienste- ebenfalls nicht die Teilnehmerkommunikation und weisen- wie AOL - kein einziges charakteristisches Merkmal einer virtuellen Community auf. Folgerichtig sehen sie sich einem echten Problem gegenüber, nämlich den Kunden eine bessere Produktpalette oder bessere Preise oder einfachere Kaufmöglichkeiten anzubieten, als diese vorfinden würden, wenn sie in ein Geschäft gingen oder einen Katalog zur Hand nähmen. Deshalb hat MCI auch kürzlich angekündigt, seinen Marktplatz ersatzlos zu schließen. In ähnlicher Weise gelingt es vielen Unternehmensseiten im World Wide Web ebenfalls nicht, die Interaktion zwischen den Besuchern anzuregen. Diese Web-Seiten bieten dem Nutzer mit Blick auf Grafiken und Produktinfonnationen zwar sicherlich mehr als eine Anzeige in einer Zeitschrift, aber ist das alles, was der Kunde möchte? Viele Medienunternehmen bringen ihren Inhalt in das Internet oder in Online-Dienste ein. So hat beispielsweise Time-Warner beträchtlich investiert, um einige seiner größeren Publikationen online nutzbar zu machen. Aber viele Online-Publikationen bleiben nach wie vor das, was sie sind- herkömmliche Publikationen, die kaum Nutzen aus dem Angebot der virtuellen Community ziehen. Oftmals beschränkt sich die Online-Interaktion auf ein Forum für "LeserbriefSchreiber". Die Herausgeber scheinen sich dagegen zu sträuben, die Kontrolle des Mediums an ihre "Leser" abzugeben, da sie doch traditionell dem Journalisten zusteht. Das trifft wohl auf die Printmedien zu, bei Online-Publikationen liegt der Fall jedoch anders. Der Journalist besitzt keine Kontrolle mehr über die Online-Welt, zumindest nicht offenkundig. Stattdessen wird er zu einem Katalysator für die Interaktion zwischen den Gemeinschaftsmitgliedern. Wir werden noch zeigen, wie virtuelle Communities auch andere traditionelle Rollen auf überraschende Weise verändern werden. Und gerade weil diese Veränderungen so unerwartet und tiefgreifend sind, gehört unsere Sympathie den Unternehmen, die mit diesem neuen Medium experimentieren, um seine Herausforderungen und Möglichkeiten besser zu verstehen und sich darauf einzustellen. Angesichts dessen, was online bereits alles passiert, ist dabei zu vennuten, dass Individuen und Unternehmen das Angebot dieser neuen Arena aus einem eher praktischen denn ehrgeizigen Blickwinkel heraus betrachten. Über 100 000 Ärzte erhalten zum Beispiel medizinische Nachrichten und Rezeptin-

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formationen online und zunehmend mehr besprechen diagnostische Fallbeispiele in Diskussionszirkeln; ein Beispiel ist Physicians Online. Ein weiteres Beispiel ist das Virtual Garment Center. Hier sammeln sich Repräsentanten der Bekleidungsindustrie, um Informationen auszutauschen und Geschäftsmöglichkeiten auszuloten. Anbieterund Unternehmer aus der Farben- und Beschichtungsindustrie schließlich tauschen Informationen über Produkte und Anwendungen im Paint/Coatings Net aus. Obgleich keine Organisation bislang das Potenzial der erfolgreichen virtuellen Community ausgeschöpft hat, stimmt es optimistisch, dass dieses Geschäftsmodell existiert und dass einige Organisationen bereits viel versprechende Initiativen in diese Richtung unternommen haben. Für den dynamischen Anbieter stellt diese Situation eine außergewöhnliche Chance dar, eine oder mehrere Initiativen zur Entwicklung virtueller Communities zu starten. Das nächste Kapitel umreißt die hierfür ökonomisch relevanten Fakten und die impliziten Profitmöglichkeiten.

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Die neue Okonomie virtueller Communities Eine virtuelle Community ist nicht nur ein Mittel für die Verlagerung der Macht von den Anbietern auf die Kunden, sondern sie ermöglicht es dem Organisator der Gemeinschaft auch, selbst reich zu werden. Die traditionelle Wirtschaftsanalyse liefert allerdings keine Erklärung dafür. Sie erkennt weder die Größe des Potenzials noch welche Faktoren entscheidend zum Profit beitragen. Tatsächlich werden die Gewinnpotenziale virtueller Communities maßgeblich durch das ökonomische Gesetz zunehmender Erträge aktiviert.

islang kostet es nicht viel, in das Geschäft mit virtuellen Communities einzusteigen. Die Vorabinvestitionen sind gering, und das Gros wird nicht für die Technologie, sondern für die Mitgliederakquisition und -betreuung benötigt. Wer jedoch annimmt, dass sich diese Investitionen prompt auszahlen werden, mag vom hohen kurzfristigen Rentabilitätsdruck entmutigt werden; dieser bewirkt vermutlich auch, dass für den Organisator einer Gemeinschaft die Wirtschaftlichkeit von virtuellen Communities zunächst ungewiss und herausfordernd ist. Das vorliegende Kapitel behandelt die wirtschaftlichen Aspekte der Organisation einer virtuellen Community. Wir werden die Einnahmequellen und die Kostenfaktoren darlegen und sehen, wie das Gesetz zunehmender Erträge genutzt werden kann, um Erträge und lnvestitionsrentabilitäten zu steigern.

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DAS GESETZ ZUNEHMENDER ERTRAGE

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Die Möglichkeit, mit virtuellen Communities Geld zu verdienen, wird maßgeblich durch die sich summierenden und verstärkenden Effekte geschaffen, die sich aus dem Gesetz der wachsenden Erträge ergeben. Für die Organisatoren von virtuellen Communities ist es deshalb sehr wichtig, die Dynamik zunehmender Erträge zu verstehen. Deren Wachstumsmuster zeigt einen allmählichen Ertragszuwachs, gefolgt von einem plötzlichen starken Anstieg, der mit einer stetigen Verringerung der Stückkosten über die Zeit gekoppelt ist. Unternehmen wie Microsoft und Federal Express- Giganten, deren Einnahmen letztendlich die Milliardenhöhe erreichten -brauchten viele Jahre, bis sie signifikante Erträge einfahren konnten. Abbildung 3.1 zeigt das klassische, durch zunehmende Erträge angekurbelte Wachstumsmuster am Beispiel dieser beiden Unternehmen. Auch die Organisatoren von virtuellen Communities werden erst dann ernst zu nehmende Einnahmen erzielen, wenn bestimmte Schwellen überwunden worden sind. Das heißt, dass die Anfangsinvestitionen aller Voraussicht nach unter Unsicherheit beziehungsweise Risiko getätigt werden müssen. Die Unsicherheit wird allerdings etwas gemildert, wenn man bedenkt, dass die Organisatoren zunächst keine übermäßigen finanziellen Verpflichtungen eingehen müssen, um die Dynamik wachsender Erträge in Gang zu setzen - vorausgesetzt, dass sie frühzeitig in das Geschäft einsteigen. Die Kosten eines späteren Einstiegs werden dann allerdings schnell unerschwinglich. Zunehmende Erträge können eine Vielzahl von Formen annehmen. In ihrer einfachsten Form entstehen sie, wenn ein Unternehmen zunächst große Ausgaben hat, um eine neue Ware oder Dienstleistung zu entwickeln, die späteren Stückkosten allerdings gering sind. Das gilt oft für den Software-Bereich, wo die Kosten für die Software-Entwicklung sehr hoch sein können, die Herstellungskosten dagegen kaum ins Gewicht fallen. Eine andere allgemeine Form wachsender Erträge hat mit Lern- oder Erfahrungskurveneffekten zu tun, die die meisten Unternehmen im Laufe der Zeit zu nutzen verstehen. Mit jeder Verdoppelung der verkauften Einheiten verringern sich prozentual die Herstellungs- und Auslieferungskosten für ein Produkt. Je mehr man also verkauft, desto stärker profitiert man von den geringeren Stückkosten.

DIE NEUE ÖKONOMIE VIRTUELLER COMMUNITIES KAPITEL

Eine dritte Art zunehmender Erträge nutzt die Wirkung von Vemetzung aus: Je mehr Stücke einer Ware oder einer Dienstleistung verkauft werden, desto profitabler wird jedes einzelne Stück. Ein einfaches Beispiel für diese Form wachsender Erträge ist die Einführung von Faxgeräten, eines Produkts also, dessen Nutzen von seiner Verbreitung abhängig ist. Das Vorhandensein nur eines Faxgerätes ist nutzlos- an wen will sein Besitzer Faxe versenden? Aber sobald mehr Personen Faxgeräte besitzen, steigt der Wert jedes anderen, weil die Kommunikationsmöglichkeiten zunehmen. Denken Sie auch an Federal Express. Je mehr Verteilerknoten Federal Express aufweist, desto nützlicher wird der gesamte Paketdienst Im Gegensatz zu den ersten beiden Formen wachsender Erträge, die eher eine gleichmäßige exponentielle Ertrags- oder Kostenkurve aufweisen, zeichnet sich diese dritte Form oft durch einen oder mehrere Schwellenwerte aus - die Einnahmen werden langsam ansteigen, bis der Schwellenwert erreicht ist, und dann rasch zulegen. Betrachten wir nochmals das Faxgeräte-BeispieL Mit Sicherheit existiert eine Schwelle in der Marktpenetration, unterhalb derer ein Faxgerät praktisch nutzlos ist, aber wenn diese Schwelle überwunden ist, zieht

Abb. 3.1

Einnahmen von Federal Express (in Milliarden Dollar)

Einnahmen von Microsoft (in Milliarden Dollar)

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1980

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ln den USA installierte Faxgeräte (in Millionen)

lntemet-Hosts (in Millionen)

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die Nachfrage nach weiteren Faxgeräten enorm an. Dieses Muster wird bei allen vier Grafiken in Abbildung 3.1 deutlich. Bei virtuellen Communities sind alle drei Formen der Dynamik wachsender Erträge anzutreffen. So sind erstens zunächst Investitionen erforderlich, um die Umgebung der virtuellen Community aufzubauen (die Benutzeroberfläche zu entwickeln, die anfänglichen Dienstleistungen und Angebote der virtuellen Gemeinschaft einzurichten, die Möglichkeit zur Datenerfassung zu schaffen) und eine hinreichend große Mitgliederzahl zu erreichen. Zweitens treten - da die Geschäftsentwicklung noch am Anfang steht - sicherlich entscheidende Lerneffekte auf (eine Verdoppelung der Stückmenge wird schneller erreicht als bei reiferen Geschäftszweigen, bei denen eine Verdoppelung lange Zeit dauern kann). Drittens werden mit Initiativen zu virtuellen Communities, durch die Interaktion zwischen den Mitgliedern erhebliche Vernetzungseffekte entstehen. Eine Community mit wenigen interagierenden Mitgliedern ist viel wertloser als eine mit vielen Mitgliedern. Darüber hinaus wird eine geringe Anzahl von Mitgliedern auch nur wenige Provider von Inhalten, Inserenten oder Anbieter anlocken, wodurch sich der Nutzen der Community sowohl für ihre Mitglieder als auch den Organisator weiter verringert. Insgesamt also erscheint es wahrscheinlich, dass virtuelle Communities dem ökonomischen Gesetz wachsender Erträge folgen .

..

EINNAHMEQUELLEN FUR DIE VIRTUELLE COMMUNITY 56

Um die Bedeutung des Gesetzes von den wachsenden Erträgen zu ermessen, müssen die verschiedenen Formen wachsender Erträge im Rahmen einer virtuellen Community näher betrachtet werden. Im Folgenden werden wir deshalb zunächst einmal die Einnahmequellen in einer virtuellen Gemeinschaft ausführlicher beschreiben. Anschließend sollen dann die sich selbst verstärkenden dynamischen Schleifen erörtert werden, die das Ertragswachstum über die Zeit gesehen prägen. Virtuelle Communities können theoretisch auf zahlreiche, durch Gebühren gespeiste Einnahmen zurückgreifen, wie sie heute für Online-Seiten üblich und in der folgenden Tabelle (Seite 57) zusammengefasst sind:

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Art der Einnahmen

Beschreibung

Mitgliedsgebühren

Ein fester monatlicher Betrag für die Mitgliedschaft in der virtuellen Community

Benutzungsgebühren

Ein Betrag, der sich nach der Benutzungszeit oder der Anzahl der eingesehenen "Seiten" oder einer Kombination aus beiden richtet

Teilnahmegebühren - Bereitstellungsgebühren

Ein Betrag für den Abruf bestimmter Informationen wie zum Beispiel eines Investmentberichts oder eines Zeitschriftenartikels

- Bearbeitungsgebühren

Ein Betrag für Spezialdienste wie zum Beispiel einen Benachrichtigungsdienst, wenn bestimmte Produkte zu vorher festgesetzten Preisen zum Kauf angeboten werden

Wenn die virtuelle Community ihre Mitgliedschaft aufbaut, kommen zusätzlich noch profitable Einnahmen aus der Werbung und Geschäftsprovisionen hinzu. Im Gegensatz zu den Mitglieds- oder Benutzungsgebühren, die von der Mitgliederzahl abhängen, erfordern Werbe- und Provisionseinnahmen ein hinreichend großes Kundenpotenzial, denn sonst werden Inserenten und Anbieter kaum daran interessiert sein, an der virtuellen Gemeinschaft mitzuwirken. Die kritische Größe, die für diese Einnahmenquellen erforderlich ist, richtet sich nach dem Markt der für die Community relevanten Inserenten und Anbieter sowie der Reichweite und den Preisen konkurrierender Medien und Kanäle. Die anfänglichen Online-Werbeeinnahmen flossen aus "Symbol"- oder Markenzeichen-Anzeigen, die in eine oder mehrere Seiten einer Online-Seite eingeschaltet waren. Über kurz oder lang werden diese Einnahmen vermutlich stärker zielgerichtete Werbeformen beinhalten, etwa Spruchbänder oder E-Mail-Mitteilungen, die auf den Bedarf der Benutzer zugeschnitten sind. Daneben wird sich wahrscheinlich auch die Festsetzung des Anzeigenpreises verändern, der sich gegenwärtig noch an den für die herkömmlichen Medien üblichen CPM orien-

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tiert (Kosten in Dollar beziehungsweise Deutsche Mark pro Tausend Treffer, wobei Treffer für die Anzahl von Personen steht, die sich die Anzeige anschauen). Gleichwohl gibt es Bestrebungen- etwa bei Procter & Gamble -, die Kosten nach der Menge der "Durchklicker" zu berechnen, das heißt nach der Anzahl von Personen, die sich durch die Anzeige klicken, um mehr Informationen vom Inserenten zu bekommen. Diese Preisfestsetzungsmodelle werden sich vennutlich noch weiterentwickeln und die in Online-Umgebungen bestehende enge Verbindung zwischen Werbung und Kauf widerspiegeln. Sobald die Anzeigen einem Betrachter ermögliehen, eine Ware oder eine Dienstleistung zu kaufen, verwischen sich die Unterschiede zwischen Werbung und Verkauf. Als Folge wird sich die Preisfestsetzung eher in ein Direkt-Marketing-Modell verwandeln, bei dem die Inserenten nach dem Absatz, den eine Anzeige bewirkt, bezahlen und nicht nach der Anzahl von Treffern oder Klickern. So stimmte beispielsweise ein Anbieter von Musik-CDs (CD Now) kürzlich zu, der Online-Seite, die seine Anzeigen herausbringt, eine Provision in Abhängigkeit der direkt über seine Spruchband-Anzeigen gewonnenen Kunden zu bezahlen. Sobald virtuelle Communities nicht mehr nur Werbeträger sind, sondern zu einem Forum für Geschäftsaktivitäten werden, kann der Organisator vom Anbieter eine "Provision" für jeden Kaufabschluss verlangen. Diese Provisionen belaufen sich zurzeit auf rund zwei bis zehn Prozent des Kaufpreises. Sobald sich das Geschäftsvolumen erhöht, besteht für die virtuelle Community ferner die Möglichkeit, traditionelle Vennittler wie Einzel- und Großhändler "hinauszudrängen", sodass die Mitglieder direkt mit den Produktherstellern verhandeln können. Dadurch kann der Organisator zusätzliche Einnahmen erzielen, indem er die Handelsspanne, die vorher der Zwischenhändler eingesteckt hat, zwischen sich und dem Hersteller aufteilt. Eine weitere Einnahmequelle für den Organisator einer virtuellen Community besteht schließlich in dem Verkauf oder der Vermietung von Nutzungs- oder Kaufprofilen der Mitglieder an Dritte. Obgleich es bei herkömmlichen Unternehmen viele Präzedenzfälle für derartige Einnahmequellen gibt, werden wir sie im Folgenden nicht berücksichtigen. Der Grund ist, dass dieses Handeln mit Mitgliederprofilen die Beziehung zwischen dem Organisator der Community und ihren Mitgliedern entscheidend untergraben könnte. In der Folge könnte damit die Fähigkeit der Gemeinschaft gefährdet werden, Einnahmequellen aus Werbung und Kaufaktivitäten zu entwickeln, die auf lange Sicht viel mehr Profit abwerfen als der Handel mit Mitgliederprofilen. Selbst wenn ein Organisator

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sich für den Handel mit Profilen entscheidet, dürften Datenschutzgesetze, wie sie heute in vielen europäischen Ländern üblich sind, einem solchen Geschäftsgebaren ebenfalls Grenzen setzen. Unseres Erachtens sind Organisatoren, die Erträge für ihre virtuelle Community erwirtschaften wollen, am besten beraten, wenn sie sich ausschließlich auf Werbe- und Provisionseinnahmen konzentrieren. Dadurch werden Mitgliedsoder Benutzungsgebühren vermieden, die sich lähmend auf die Mitgliederakquisition auswirken. Zwar konnten Dienste wie America Online und The Weil trotz einer Kombination aus Mitglieds- und Benutzungsgebühren (Jahresmindestbeitrag 120 Dollar respektive 180 Dollar)- einen bedeutsamen Mitgliederbestand aufbauen. Aber die Erfahrungen von Unternehmen, die das Gleiche im Internet versucht haben, waren eher enttäuschend. Die amerikanische BoulevardZeitung USA Today versuchte ursprünglich, einen monatlichen Mitgliedsbeitrag von 15 Dollar für den Zugang zu seiner Anfang 1995 eingerichteten InternetSeite zu erheben. Die Mitgliederzahl nahm jedoch erst dann merklich zu, als das Unternehmen den Beitrag im Laufe des Jahres wieder strich. Ein Grund, warum private Nutzer des Internets sich so vehement gegen Mitgliedsgebühren sträuben, ist, dass sie allein für den Zugang zum Internet bezahlen müssen. Seither ist im reinen Unternehmen der Widerstand gegen Mitgliedsgebühren wahrscheinlich wesentlich geringer, denn der Zugang zum Internet wird üblicherweise von den Unternehmen finanziert und der wirtschaftliche Nutzen der Teilnahme kann leichter quantifiziert werden. Nets, lnc. beispielsweise stellt den Anbietern Tausende von Dollars an Anmeldegebühren für ihre Teilnahme an seinem elektronischen Markt in Rechnung (während Käufer, zumindest bis jetzt, nichts bezahlen). Sogar im Verbraucherbereich mögen bestimmte Communities Mitgliedsgebühren erheben, etwa solche, die sich an Leute wenden, die an einer besonderen Krankheit leiden. Dafür spricht der eindeutige Nutzen für die Teilnehmer und ihre wahrscheinliche Abneigung gegenüber einer Dauerberieselung mit Werbung oder einem größeren geschäftlichen Engagement. Die aufgezeigten Einnahmequellen sollen im Folgenden anband des Beispiels einer hypothetischen virtuellen Community für den amerikanischen Freizeitreisenden illustriert werden. Wir nehmen an, dass der Organisator dieser Community den Betrieb Anfang 1997 mit einem Startkapital von 15 Millionen Dollar aufnimmt und die Gemeinschaft dann offensiv aufbaut, um die Einnahmen und den Kapitalwert zu optimieren. Abbildung 3.2 verdeutlicht, dass der Organisator, sofern er Erfolg hat, im fünften Jahr der Gemeinschaft theoretisch bereits Einnahmen in Höhe von unge-

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Abb. 3.2 Millionen Dollar

Jahr

60

1

5

10

fähr 90 Millionen Dollar und im zehnten Jahr von circa 620 Millionen Dollar erzielen könnte. (Diese Ertragszahlen - wie auch die folgenden Abbildungen und Zahlen - stammen aus einem Computermodell, das speziell für unsere Klienten entwickelt worden ist.) Die Werbeeinnahmen machen im fünften Jahr etwas mehr als 75 Prozent der Einkünfte aus und liegen im zehnten Jahr knapp darunter. Im zehnten Jahr belaufen sich die Provisionseinnahmen aus Reisebuchungen auf 170 Millionen Dollar. Diese Zahl impliziert, dass (bei einer Provision von fünf Prozent pro gebuchter Reise) die Community mehr als 3,3 Milliarden Dollar mit dem Tourismusgeschäft umgesetzt hat. Selbst bei dieser immensen Summe würde die Gemeinschaft im zehnten Jahr nur einen Anteil von weniger als vier Prozent an den geschätzten Gesamtausgaben für Freizeitreisen halten (und zwar sowohl in der virtuellen als auch der realen Welt). Die Ertragsaussichten werden im zehnten Jahr rund achtmal so hoch sein wie die Einnahmen von Travel & Leisure, einem der größten Reisemagazine in den Vereinigten Staaten mit einem Ertrag von 78 Millionen Dollar, und werden die Einnahmen eines durchschnittlichen Reisebüros um mehr als das Zweihundertfache übersteigen. Wie man sieht, können virtuelle Communities ihren Organi-

DIE NEUE ÖKONOMIE VIRTUELLER COMMUNITIES KAPITEL

satoren aufgrund ihrer Geschäftstüchtigkeit und großen geographischen Reichweite erhebliche Einnahmen bescheren. Der Anteil jeder Einnahmequelle am Gesamtertrag hängt natürlich von dem jeweiligen Interessenschwerpunkt der Community ab. Einige virtuelle Communities- wie etwa eine Gemeinschaft zum Thema Designerkleidung- sind vermutlich sehr werbeintensiv, während bei anderen eher die Provisionsseite überwiegt, etwa bei geschäftsspezifischen oder Unternehmen-zu-UnternehmenGemeinschaften.

ANKURBELUNG DES ERTRAGSWACHSTUMS Nach der Identifizierung der Einnahmequellen von virtuellen Communities sollen im Folgenden die zentralen Faktoren betrachtet werden, die das Ertragswachstum beeinflussen. Gemeint sind insbesondere eine Reihe interagierender und sich verstärkender Zyklen, die aktiv gemanagt werden können, um das Ertragswachstum zu beschleunigen. Abbildung 3.3 gibt einen Überblick über diese Zyklen. Abb. 3.3 Mitglieder werben und

Mehr Mitglieder in die Community locken ~ Mitglieder

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Werbung und Kauf· angebote " ' - Informationen über Mitarbeiter sammeln

/

Loyalität von Mitgliedern zur Community

1nteraktion zwischen Mitgliedern fördern

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Die Zyklen können - wie in Abbildung 3.4 veranschaulicht- noch detaillierter aufgegliedert werden, obgleich selbst diese Darstellung noch eine stark vereinfachte Wiedergabe der komplexen Interaktionen ist, die das Wirtschaftswachstum in der virtuellen Community vorantreiben. Als erstes wollen wir die dynamische Schleife der Inhalts-Attraktivität betrachten. Sie reflektiert eine der zentralen Annahmen, die dem Modell der virtuellen Community zugrunde liegen: Die Attraktivität der Inhalte beruht darauf, dass sie von den Mitgliedern selbst stammen und sie Menschen dazu veranlassen, einer virtuellen Community dauerhaft beizutreten. Abbildung 3.4a verdeutlicht, wie die dynamische Schleife der Inhalts-Attraktivität funktioniert. Durch die Anhäufung von Inhalten, die von den Mitgliedern selbst stammen, erhöhen sich beispielsweise die Attraktivität der Community und die Effektivität von Marketingausgaben. Wichtig ist, dass die Inhaltsmenge sowohl von der Anzahl der Mitglieder als auch von der Länge der Zeit, die die Mitglieder online in der Gemeinschaft verbringen, um mit anderen zu interagieren, angekurbelt wird. Deshalb ist diese Schleife selbstverstärkend: Je mehr Mitglieder eine Gemeinschaft besitzt, desto mehr Inhalt wird vermutlich von ihr erzeugt; dieser Inhalt wiederum wird sich anhäufen und wiederum neue Mitglieder anziehen. Die dynamische Schleife der Mitgliederloyalität (vgl. Abbildung 3.4b) hebt die Rolle von Schlüsselvariablen hervor, die das Mitgliederkarussell (beziehungsweise die Zuwanderung von Mitgliedern) und die Nutzungsquoten antreiben. Je stärker eine Community zum Beispiel persönliche Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern fördert, desto stärker wird vermutlich deren Loyalität gegenüber der Community, desto häufiger werden sie an Gemeinschaftsforen teilnehmen und desto unwahrscheinlicher wird es, dass sie die virtuelle Community verlassen werden. Oder je kundenspezifischer zum Beispiel die Interaktion ist, die eine Gemeinschaft anbietet (zum Beispiel Software, die die Präferenzen eines Mitglieds aufgrund seiner vorherigen Aktivitäten "gelernt" hat), desto loyaler werden die Mitglieder zu der Gemeinschaft stehen. Die selbstverstärkende Natur der Schleife ist offenkundig: Eine höhere Loyalität erzeugt eine häufigere Nutzung, eine verstärkte Teilnahme an Gemeinschaftsforen und mehr persönliche Beziehungen zwischen den Mitgliedern. Das alles führt wiederum zu einer höheren Loyalität. Mit der wachsenden Zugkraft der Gemeinschaft und der steigenden Loyalität ihrer Mitglieder tritt eine weitere mächtige Schleife in Aktion: Die dynamische Schleife der Mitgliederprofile (vgl. Abbildung 3.4c).

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Abb. 3.4a

Attraktivität des Inhalts

Abb. 3.4b

.M~~g!~~~~x!~Y.~~~~~~- .................................................................

63

Mitglieder·

Ioyaiität

64

Abb. 3.4c

.M~~g~~~~~XP.r.C?~~~- ................................................................... .

Abb. 3.4d

.~.~_~!.!.~.~:'.~~~~~~......................................................................... .

Kauf· angebote

DIE NEUE ÖKONOMIE VIRTUELLER COMMUNITIES KAPITEL

Diese Schleife betont die Rolle, die Mitgliederprofile bei der Erzeugung von wirtschaftlichem Nutzen für die Gemeinschaft spielen. Ihre Wirksamkeit hängt von zentralen Annahmen bezüglich der Verfügbarkeit und Entwicklung robuster Technologien ab, um an Informationen zu gelangen. Das funktioniert ganz gut bei Diensten wie America Online, während beim Internet noch Nachholbedarf besteht. (Wir werden darauf später zurückkommen.) Durch Mitgliederprofile kann Werbung gezielter eingesetzt werden, was wiederum die Zahl der Durchklicker erhöht und zu noch mehr Inserenten führt. Aufgrund von Mitgliederprofilen können auch mehr geeignete Anbieter angelockt werden, wodurch sich die Geschäftsaktivitäten erhöhen und noch mehr Anbieter in die Gemeinschaft hineingezogen werden. Durch Mitgliederprofile werden aber nicht nur mehr geeignete Anbieter und Inserenten gewonnen, sondern sie unterstützen diese Anbieter und Inserenten auch, die richtigen Mitglieder zu erreichen. Das wiederum verhilft dem Organisator der Community zu höheren Einnahmen aus Werbung und Geschäftsabschlüssen. Auch hier lässt sich eine selbstverstärkende Dynamik erkennen: Mehr detaillierte Mitgliederprofile locken mehr Inserenten und Anbieter an und lassen sie besser ihr Ziel erreichen, während die Interaktion der Mitglieder mit den Inserenten und Anbietern detailliertere Mitgliederprofile erzeugt, womit die Schleife von neuem beginnt. Die dynamische Schleife der Kaufangebote (vgl. Abbildung 3.4d) zielt schließlich auf die sich verstärkenden Effekte einer Erweiterung der Waren- und Dienstleistungspalette der virtuellen Community ab. Wenn sich das Angebot vergrößert, werden wahrscheinlich mehr Mitglieder der Gemeinschaft beitreten, während die Mitglieder, die der Community bereits angehören, in der Regel eine größere Kauflust entfalten werden. Diese Entwicklungen steigern wiederum die Attraktivität der Community für die Anbieter, sodass noch mehr Anbieter angelockt werden, wodurch sich die Zahl an verfügbaren Produkten erhöht. Mehr Produkte bewirken eine verstärkte Geschäftsaktivität, die zu mehr Angeboten führt, und das Ganze beginnt von vom. Alle vier dynamischen Schleifen sind Beispiele für wachsende Erträge, die durch Vemetzungseffekte erreicht werden. Sei es beim Sammeln von Mitgliedern, von Inhalten, die von den Mitgliedern selbst stammen, von Mitgliederprofilen und Anbietem, überall sind wachsende Erträge im Spiel. Je mehr eine Gemeinschaft· anzubieten hat, desto stärker ist der Anreiz für andere, ihr beizutreten, und desto mehr Mitglieder wird daher die Gemeinschaft bekommen. Der Nutzen des "Netzes" steigt mit der Anzahl der Netzknoten exponentiell an.

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Statische versus dynamische Ertragsmodelle

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Organisatoren von virtuellen Communities, die wissen wollen, was ihre Investitionen in zehn Jahren noch wert sind, sollten diese Schleifen verstehen. Denn die Beurteilung einer virtuellen Community ist sehr schwierig, wenn man nicht begreift, wie schnell die Einnahmeströme voraussichtlich zulegen. Sofern die herkömmlichen Finanzanalysetechniken benutzt werden, ist zu erwarten, dass sowohl das steile Ertragswachstum über die Zeit als auch die Höhe der Einnahmen unterschätzt werden. Organisatoren, die diese Techniken verwenden, werden vermutlich das Potenzial ihrer Investitionen in die virtuelle Gemeinschaft weit unterbewerten und deshalb die Investitionen von vomherein gänzlich streichen oder zu gering ansetzen und somit das Risiko erhöhen, dass andere ihnen zuvorkommen oder sie einen geschäftlichen Fehlschlag erleiden. Der Grund ist, dass nach der herkömmlichen statischen Bewertungsmethode lediglich "Momentaufnahmen" gemacht werden. Diese Momentaufnahmen stützen sich auf Annahmen, bei denen jede Schlüsselvariable zu jedem Zeitpunkt betrachtet wird. Ohne zu wissen, wie sich die Leistung von virtuellen Communities entwickelt, müssen Analogien für diese Variablen gefunden und auf ihre Plausibilität überprüft werden. Weil Manager dazu neigen, selbst linearen Wachstumsprognosen vorsichtig gegenüberzustehen, und weil kaum einer Erfahrungen mit den sich beschleunigenden Wachstumsmustern von Geschäften nach dem Gesetz zunehmender Erträge hat, ist die Konsequenz, dass plausible Annahmen systematisch zu niedrig angesetzt werden. Demgegenüber zwingt ein dynamischer Ansatz die Organisatoren dazu, die sich selbstverstärkenden dynamischen Schleifen von Geschäften mit wachsenden Erträgen klar und systematisch zu identifizieren und zu verstehen. Folglich wird das dynamische Modell der virtuellen Gemeinschaften- bei gleichen Startvoraussetzungen im ersten Jahr- im Normalfall wesentlich höhere Einnahmen für die folgenden Jahre vorhersagen. Zur Illustration wollen wir nochmals unsere hypothetische virtuelle ReiseCommunity betrachten. Abbildung 3.5 stellt für diese hypothetische Community eine herkömmliche Hochrechnung der Einnahmen einem stärker dynamischen Ansatz gegenüber, der sich auf die Effekte der vorab diskutierten dynamischen Schleifen konzentriert. Bereits im fünften Jahr der virtuellen Community fallen die nach der herkömmlichen Methode berechneten Einnahmevorhersagen - verglichen mit dem dynamischen Ansatz - um etwa 25 Prozent geringer aus und im zehnten Jahr ergibt sich eine Unterschätzung um das 22fache.

DIE NEUE ÖKONOMIE VIRTUELLER COMMUNITIES KAPITEL

Abb. 3.5 ----------~------

22

618

X

4X 87 ~----------[]

I I

I I

I

28

24 Statisch*

Dynamisch

5. Jahr

Statisch*

Dynamisch 10. Jahr

* basierend auf einer linearen Hochrechnung unter denselben Startvoraussetzungen

Selbst wenn die Organisatoren die Funktionsweise der einzelnen dynamischen Schleifen in einer virtuellen Gemeinschaft begriffen haben, werden sie doch kaum in der Lage sein, den kumulativen Effekt vorauszuahnen, der sich aus ihrer Wechselwirkung ergibt. Das ist der klassische Fall, in dem das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Wie Abbildung 3.6 verdeutlicht, ist zwar jede Schleife für sich alleine schon eine starke Antriebsfeder für die wirtschaftliche Leistung, ihre Kombination

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------------,------, 618 Kombinierter Einfluss

Kaufangebote Attraktivität des Inhalts Mitgliederprofile Mitgliederloyalität

Einnahmen ohne Dynamik im 10. Jahr

68

Einfluss der einzelnen Dynamik

Gesamtertrag im 10. Jahr

übersteigt aber bei weitem die Wirkung jeder einzelnen Schleife. EDV-gestützte dynamische Geschäftsmodelle können die sich verstärkenden Effekte von dynamischen Schleifen abbilden und quantifizieren, statische Kalkulationsmodelle können dies nicht. Das ist der entscheidende Clou des dynamischen Modells. Da sich die Schleifen in einem dynamischen Geschäftsmodell auf eine kaum vorhersehbare Art und Weise gegenseitig beeinflussen, müssen sie immer gemeinsam betrachtet werden.

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• FOLGEN FUR DAS MANAGEMENT Eine virtuelle Community besitzt eine Reihe zentraler wirtschaftlicher Güter, die ihr Wachstum ankurbeln. An erster Stelle stehen dabei ihre Mitglieder, deren individueller Nutzen für die Gemeinschaft jedoch variieren wird. Das Abzielen auf Wachstumsgüter. Dadurch, dass der Organisator einer Gemeinschaft beobachtet, wie die dynamischen Zyklen arbeiten, kann er die für das Wachstum relevanten Aktivposten allmählich identifizieren und sich auf sie konzentrieren. Diese Wachstumsgüter sind:

+

+ + + +

eine hinreichend große Anzahl von Mitgliedern eine hinreichend große Anzahl von Nutzungsprofilen eine hinreichend große Anzahl von Inserenten/Anbietern eine hinreichend große Anzahl von Kaufprofilen eine hinreichend große Anzahl von Geschäftsabschlüssen

Ziel am Anfang der Entwicklung der Community ist, das erste Wachstumsgut anzuhäufen, nämlich eine hinreichend große MitgliederzahL Ein Großteil des Nutzens der Gemeinschaft für ihre Mitglieder hängt von der Möglichkeit ab, mit anderen in Kontakt zu treten. Und ein Großteil des wirtschaftlichen Nutzens für den Organisator der Gemeinschaft ist davon abhängig, hinreichend viele Mitglieder zu akquirieren, die für relevante Inserenten und Anbieter von Interesse sind. Durch eine hinreichend große Anzahl von Mitgliedern ergeben sich weitere Möglichkeiten, wovon die wichtigste das Anhäufen von Nutzungsprofilen der Mitglieder ist, das heißt des zweiten entscheidenden Wachstumsgutes der Gemeinschaft. So ist eine hinreichend große Anzahl von Nutzungsprofilen wesentlich, um den dynamischen Zyklus der Mitgliederprofile mit den sich verstärkenden Effekten auf die Anzeigen- und Geschäftsaktivitäten anzukurbeln. (Aufgrund inadäquater Informationserfassungstechnologien bleiben viele Communities im Internet heute noch genau an diesem Punkt stecken.) Das dritte Wachstumsgut bezieht sich auf die Akquisition von Inserenten und Anbietern. Nutzungsprofile unterstützen den Organisator, gewerbliche Teilnehmer in die Community zu locken, und die dadurch gesteigerte Werbe- und Geschäftsaktivität wirkt sich nicht nur positiv auf die Anreicherung von Nutzungsprofilen aus, sondern zugleich auch auf die Erzeugung von Kaufprofilen der Mitglieder. Der Organisator der Gemeinschaft erfährt auf diese Art und Weise, welche Mitglieder verstärkt online kaufen und welche Waren und Dienstleistungen sie

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bevorzugen. Diese Informationen machen das vierte Wachstumsgut aus, das wiederum dabei hilft, die Informationen zu sammeln, die für den Aufbau des fünften und letzten Wachstumsgutes notwendig sind, nämlich eine hinreichend große Anzahl von Geschäftsabschlüssen innerhalb der Gemeinschaft. Je mehr der Organisator einer virtuellen Community über die Kaufgewohnheiten der Mitglieder weiß, desto leichter wird es ihm fallen, diese zu noch mehr Käufen zu bewegen. An irgendeinem Punkt werden viele Communities wahrscheinlich einen gewichtigen Teil der Geschäfte einer spezifischen Produktgruppe abwickeln, und zwar nicht nur verglichen mit anderen virtuellen Communities und Online-Seiten, sondern auch mit der realen Welt außerhalb des Netzes. Dadurch werden weitere Geschäftsinitiativen möglich. Die fünf Wachstumsgüter besitzen nicht für alle Gemeinschaften den gleichen Nutzen und für manche Gemeinschaften mag der eine oder andere Aktivposten sogar irrelevant sein. So werden in Unternehmen-zu-Unternehmen-Communities wahrscheinlich Geschäftsaktivitäten vorherrschen, während verbraucherorientierte virtuelle Gemeinschaften vermutlich werbeintensiver sein werden. Deshalb wird für stark geschäftsorientierte Communities das Anhäufen einer hinreichend großen Menge an Anbietern, Kaufprofilen und Geschäftsakti-

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vitäten einen weitaus größeren Nutzen besitzen als für werbeintensivere Gemeinschaften, bei denen sich die Aktivposten stärker auf die Nutzungsprofile und das Ansammeln von Inserenten konzentrieren. Wie in Abbildung 3.7 dargestellt, werden Organisatoren versuchen, diese Wachstumgüter fast gleichzeitig aufzubauen, obgleich sie sich vermutlich erst nach und nach der erforderlichen Menge annähern werden. Der Organisator einer Gemeinschaft mag aber - insbesondere da sich die Anzeigenpreise immer mehr nach der Menge der Durchklicker berechnen werden - bis zu einem gewissen Grad in der Lage sein, einfach durch das Erreichen einer hinreichend großen Mitgliederzahl auch eine bedeutende Zahl von Inserenten anzulocken, ohne dass bereits hinreichend viele Nutzungsprofile vorliegen. In ähnlicher Weise erzielt vielleicht eine geschäftsorientierte Unternehmenzu-Unternehmen-Community eine hinreichend große Anzahl von Geschäftsabschlüssen, bevor detaillierte Nutzungs- oder Kaufprofile ihrer Mitglieder vor-

handen sind. Angesichts der beträchtlichen Vorlaufzeit für das Gedeihen einiger dieser Wachstumsgüter (beispielsweise die Entwicklung der Datenerfassungstechnologie oder die Anhäufung von Nutzungsprofilen) müssen Organisatoren von Gemeinschaften so schnell wie wirtschaftlich möglich mit dem Aufbau eines Wachstumsgutes beginnen.

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Abb. 3.7

Die Meilensteine im Leben virtueller Communities Einnahmen/ Profit

Dollar Hinreichend große Anzahl von Geschäftsabschlüssen Hinreichend groBe Anzahl von Kaufprofilen Hinreichend große Anzahl von Inserenten/Anbietern Hinreichend groBe Anzahl von Nutzungsprofilen Hinreichend große Anzahl von Mitgliedern

Zeit

Die Mitgliederentwicklung steuern. Da für Organisatoren von virtuellen Communities der Aufbau einer hinreichend großen Mitgliederzahl so ungemein wichtig ist, erscheint es zweckmäßig, die wirtschaftlichen Aspekte der Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Mitglieder sind, selbst wenn sie in keiner Bilanz erscheinen, im wahrsten Sinne des Wortes das zentrale Wirtschaftsgut einer virtuellen Community. In diesem Zusammenhang sind drei Punkte entscheidend: Erstens, die Mitglieder werden in Bezug auf ihre Rolle und ihren wirtschaftlichen Beitrag zur Gemeinschaft wahrscheinlich zunehmend aktiver werden. Zweitens, die Mitglieder unterscheiden sich im Hinblick auf ihr wirtschaftliches Potenzial für die Community. Drittens wird das wirtschaftliche Gesamtergebnis wie in allen Dienstleistungsbereichen maßgeblich von ein paar Schlüsselvariablen abhängen: von den Kosten der Mitgliederakquisition, vom Nettoprofit, den jedes Mitglied während seiner Mitgliedschaft erwirtschaftet; von der Fluktuationsrate, die die durchschnittliche Dauer der Mitgliedschaft bestimmt.

-~~--~-~-~-~. :::. ~~9.m.!.!'!'!..~.~;?;

Abb. 3.8

.Y~~~--~~~~~.t:t..~.~r..M!~_g_t.i.~~~~~~~~~~-~-•.~;~.t:t.g...................................

Fahre Profit ein Geschäftsmöglichkeiten Gezielte Werbung Gebühren für Sonderdienste

Baue Loyalität auf Beziehungen zwischen Mitgliedern Beziehungen zwischen Mitgliedern und dem Host der Community Kundenspezifische Interaktion

Fördere die Beteiligung Mitglieder zur Erstellung eigener Inhalte anregen Veröffentlichtes/ Herausgebermaterial Gastredner

Locke Mitglieder an Marketing Attraktiver Inhalt Keine Mitglieds- und Benutzungsgebühren

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Im Hinblick auf den ersten Punkt, das heißt die Entfaltung der Rolle und des wirtschaftlichen Beitrags von Gemeinschaftsmitgliedern, sollte der Organisator mit vier Entwicklungsstufen arbeiten, die es zu fördern gilt. Abbildung 3.8 verdeutlicht die vier Stufen sowie einige Instrumente, mit denen sie zu erreichen sind. Das erste Problem besteht, wie bei den meisten Waren und Dienstleistungen darin, potenziellen Kunden das Angebot schmackhaft zu machen; wenn es nie-

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mand ausprobiert, wird auch niemand dabei bleiben. Sobald die Leute der virtuellen Community dann angehören, besteht das nächste Problem darin, sie zum aktiveren Mitmachen zu bewegen. Im Idealfall sollten sie oft hereinschauen und immer lange bleiben. Wenn dies gelungen ist, wird der Organisator ihre Loyalität erhöhen und sie an die Gemeinschaft binden wollen; man sollte kein Mitglied verlieren, weil es kein Interesse mehr oder eine andere attraktivere Community gefunden hat. Zu guter Letzt wird der kommerziell orientierte Organisator einer Community von den Mitgliedern finanziell profitieren wollen. Je nach dem wirtschaftlichen Schwerpunkt der Community könnte sich der Profit in Form von Werbeeinnahmen, Geschäftsprovisionen oder Mitgliedsgebühren einstellen. Diese Beschreibung eines "typischen" Ablaufs der Mitgliederentwicklung unterstreicht die Bedeutung des zweiten Punktes: Die Gemeinschaftsmitglieder unterscheiden sich im Hinblick auf ihr wirtschaftliches Potenzial für die Community und ihre wirtschaftlichen Beiträge können deutlich variieren. Mitglieder nehmen üblicherweise zunächst unverbindlich an einer virtuellen Community teil und sondieren das Terrain. Manche werden bleiben, viele nicht und diejenigen, die bleiben, machen gewöhnlich von dem Angebot nur wenig Gebrauch. Solange sich ihr Verhalten nicht ändert, sind diese so genannten "Browser" für eine virtuelle Community nur von geringem wirtschaftlichem Wert. Sie können allenfalls in anderen Netzforen verbreiten, dass die Community "ganz gut" ist, und somit weitere veranlassen, einfach mal hereinzuschauen, die dann vielleicht zu aktiven Mitgliedern werden. Der Browser entwickelt sich im Laufe der Zeit meist entweder zum "Builder" oder zum "User". Builder haben viel Spaß an der Gemeinschaft und stellen am eifrigsten Inhalte zur Verfügung. Sie verbringen viel Zeit in der Gemeinschaft und halten sie in vielerlei Hinsicht zusammen. Die Organisatoren von Communities werden vom Builder auch direkt finanziell profitieren, weil er eben viel Zeit dort verbringt und ein lohnendes Ziel für Inserenten sein könnte. Darüber hinaus ist diese Gruppe von Mitgliedern oft auch von enormem indirektem Nutzen, da sie das Erzeugen von Mitglieder-Inhalten ankurbeln. Deswegen bezahlen Organisatoren von Communities die Builder vielleicht sogar, um sie für ihren Beitrag zu belohnen (und sie zu einem noch größeren zu bewegen). Als Stewart Brand The Well einrichtete, war er darauf bedacht, gezielt eine Kernmannschaft von Hackern und Journalisten anzuwerben, indem er ihnen freien Zugang anbot (die monatlichen 15 Dollar Mitgliedsgebühren entfielen). Seiner Meinung nach würden sie aktiv zu den verschiedenen Foren von The Well beitragen und ihrerseits viele andere Mitglieder einbringen. Brand hatte Recht.

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Dass The Weil so schnell erfolgreich wurde, erklärt sich zum großen Teil aus diesem früh vorhandenen Kern der Builder. "User", manchmal auch "Lurker" genannt, sind Leute, die mehr Zeit in der Community verbringen als Browser. Sie nutzen die Informationen, tragen aber selbst wenig Inhalt bei und zeigen auch keine ausgeprägte Kaufbereitschaft Aufgrund der Zeit, die sie in der Gemeinschaft verbringen, kann der Organisator jedoch möglicherweise ergiebige Nutzungsprofile von ihnen erstellen und diese wiederum dazu verwenden, geeignete Inserenten anzulocken. Allerdings werden User für Communities, bei denen Werbung keine allzu große Rolle spielt, vermutlich nur von geringem Wert sein. "Buyer" schließlich sind jene Mitglieder, die innerhalb der Gemeinschaft aktiv Waren und Dienstleistungen erwerben. Sie tragen im großen Maße zu den Geschäftsprovisionen bei und treiben möglicherweise auch die Werbeeinnahmen deutlich in die Höhe. Je nachdem, wie wichtig geschäftliche Aktivitäten für die Community sind, können sie zu den wertvollsten Mitgliedern gehören. In der Realität - oder zumindest im virtuellen Raum - wird ein Mitglied voraussichtlich nur selten einer der beschriebenen Gruppen eindeutig zuzuordnen sein, sondern eine Mischung aller vier Kategorien darstellen. Der Organisator einer Community ist gefordert, den ökonomischen Beitrag jedes Mitglieds ansatzweise zu verstehen und Methoden zu entwickeln, mit denen er die ökonomischen Beiträge des Einzelnen im Laufe der Zeit erhöhen kann. Der sehr unterschiedliche wirtschaftliche Nutzen jeder Gruppe von Mitgliedern ist deutlich bei unserer hypothetischen virtuellen Community zum Thema Reisen ersichtlich. Die Builder stellen in diesem Beispiel die wertvollsten Mitglieder dar, da sie verglichen mit den Buyern (260 Dollar) und den Usern (175 Dollar)- im zehnten Jahr Einnahmen in Höhe von 305 Dollar pro Kopf generieren. Der Anteil dieser vier beschriebenen Mitgliedergruppen variiert wahrscheinlich über die Zeit. Da geplant ist, dass unsere Reise-Community schnell anwächst, werden Browser vermutlich immer in der Überzahl sein. Der Organisator einer Gemeinschaft sollte aber alles daransetzen, dass sich diese Browser rasch in eine der anderen, weit profitableren Gruppen umwandeln. Generell werden Community-Organisatoren neue Mitglieder so kostengünstig wie möglich anwerben, pro Mitglied den größtmöglichen Profit erwirtschaften und jedes Mitglied so lange in der Gemeinschaft halten wollen, wie es nur eben geht. Eines der größten Probleme des heutigen Internets ist nämlich der Drehtür-Effekt bei den Web-Seiten. Die Leute kommen und gehen, bleiben aber selten; das ist eben Netz-Surfen.

DIE NEUE ÖKONOMIE VIRTUELLER COMMUNITIES

Selbst bei gut etablierten Online-Diensten wie America Online gibt es ein schnelles Kommen und Gehen, das in einer geschätzten jährlichen Größenordnung von 30 bis 40 Prozent liegt. Solche Fluktuationsraten sind dann besonders ärgerlich, wenn beträchtliche Summen für die Mitgliederakquisition ausgegeben werden. So investiert AOL zum Beispiel zwischen 40 Dollar und 90 Dollar, um ein neues Mitglied anzuwerben. Die Tatsache, dass das Durchschnittsmitglied bereits nach relativ kurzer Zeit wieder geht, ist ein Grund, warum America Online - trotz kräftiger Mitgliedsgebühren - nicht in der Lage ist, eine höhere Rentabilität zu erreichen. Unser Modell einer Reise-Community lässt vermuten, dass sich - getragen von Faktoren wie wachsende Loyalität der Mitglieder und Attraktivität des Inhalts- die Kosten für die Mitgliederakquisition von 25 Dollar im ersten Jahr auf neun Dollar im zehnten Jahr reduzieren könnten. Selbst eine dynamische Reise-Community könnte wesentlich geringere Akquisitionskosten haben als America Online. Das liegt zum einen daran, dass eine Reise-Gemeinschaft ein viel zielgenaueres Marketing betreiben würde. AOL möchte jeden, die ReiseGemeinschaft aber nur den aktiven Freizeitreisenden. Zum anderen beliefert AOL- zumindest bisher- potenzielle Kunden mit Start-up-Disketten (die seinen Markennetzschwerpunkt widerspiegeln), statt anzunehmen, dass diese sich die erforderliche Sofware besorgen und dann von einem spezialisierten Provider Zugang zum Online-Dienst erhalten würden, wie es eine Gemeinschaft im Internet machen würde. In einem solchen Fall könnte sich die Fluktuationsrate von 32 Prozent im ersten Jahr auf 13 Prozent im zehnten Jahr verringern. Der jährliche Nettogewinn pro Mitglied stiege über die Lebensdauer einer Gemeinschaft stetig an und erreichte im zehnten Jahr etwa 80 Dollar. Um es nochmals zu betonen: Herkömmliche statische Bewertungstechniken werden den Organisator einer virtuellen Community in Schwierigkeiten bringen. Ein statisches Bewertungsmodell, das die Effekte der dynamischen Zyklen innerhalb der virtuellen Gemeinschaft ignoriert, unterschätzt systematisch den Wert individueller Mitglieder. Der Organisator wird letztlich nicht nur zu wenig in die Mitgliederakquisition, sondern auch in Maßnahmen zur Reduzierung der Fluktuation investieren. Das statische Bewertungsmodell missachtet zudem einen wichtigen Aspekt des Nutzens von Mitgliedern. In einem solchen Modell wird in der Regel der durchschnittliche Profit, den ein Mitglied in einem bestimmten Jahr erwirtschaftet hat, mit der durchschnittlichen Anzahl von Jahren, die es in der Community verweilt, multipliziert. Völlig unberücksichtigt bleibt der zusätzliche Profit, den

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NET GAIN - PROFIT IM NETZ .......................................................

jedes Mitglied in zukünftigen Jahren infolge des Wachstums der gesamten Gemeinschaft und dessen verstärkender Wirkung auf die individuellen Aktivitäten des betreffenden Mitglieds erzeugen wird. Wenn sich die Community vergrößert, besitzt jedes Mitglied mehr Interaktionsmöglichkeiten, wodurch sich wahrscheinlich der von Mitgliedern stammende Inhalt vermehrt und die Nutzungsprofile detaillierter werden. Das wiederum wirkt sich positiv auf die Werbe- und Geschäftsmöglichkeiten aus. Eine verstärkte Interaktion mit anderen führt möglicherweise auch direkt zu mehr Käufen, da sich die Mitglieder gegenseitig von den Vorzügen bestimmter Produkte "vorschwärmen". Grundsätzlich gilt, dass jedes Mitglied den wirtschaftlichen Nutzen einer Gemeinschaft entscheidend antreibt. In unserer hypothetischen Reise-Gemeinschaft steigen die pro Mitglied erzeugten Einnahmen im Durchschnitt von sieben Dollar im ersten Jahr auf 159 Dollar im zehnten Jahr. Diejenigen, die den wahren Nutzen der Mitglieder verstehen, haben die beste Ausgangsposition, aus virtuellen Communities große und profitable Unternehmen zu machen.

VERBESSERUNG DER RENTABILITÄT Durch das Gesetz der wachsenden Erträge wird aber nicht nur das Ertragswachstum beschleunigt, es sinken mit der Zeit auch die Stückkosten erheblich. Dieser Kostendämpfungseffekt führt in Verbindung mit dem starken Ertragswachstum zu einem beträchtlichen Cashflow auf Kapitalwertbasis und einem ansehnlichen Profit für die Aktionäre. 76

• Kostendynamik einer virtuellen Community Wenn man den Blick von den Einnahmen auf die Kosten richtet, dürfen drei zentrale Aspekte nicht aus den Augen verloren werden. So sind erstens die für den Start einer virtuellen Gemeinschaft erforderlichen Investitionen, zumindest gemessen an dem Standard eines großen Unternehmens, nicht sonderlich hoch. Zweitens betreffen die anfänglichen Betriebskosten einer virtuellen Community weniger die Technologie als vielmehr die Akquisition von Mitgliedern und die Beteiligung von Inserenten und Anbietern. Drittens unterliegt ein Großteil dieser Betriebskosten der bereits beschriebenen Dynamik wachsender Erträge, die im Laufe der Zeit zu geringeren Stückkosten führt.

DIE NEUE ÖKONOMIE VIRTUELLER COMMUNITIES KAPITEL

Unser Modell einer hypothetischen Reise-Community geht davon aus, dass der Organisator mit 15 Millionen Dollar beginnt und eine Einstiegsstrategie verfolgt, die sich verstärkt vorhandener Fremdmittel bedient (vgl. Kapitel6). Durch eine offensive Akquisitionskampagne gelingt es ihm, die Zahl der Mitglieder in der Gemeinschaft von rund 80 000 im ersten Jahr auf etwa 900 000 im fünften

Abb. 3.9

Anlaufkosten für die Reise-Gemeinschaft

Ursprünglicher Inhalt

Geschätzte Kosten

Anteil

(in Millionen Dollar)

(in Prozent)

0,3-0,6

30

0.4-0,8

40

0 ,2 - 0,4

20

0,1-0,2

10

1,0 - 2 ,0

100

- Herausgeberinhalt - Veröffentlichungen Technik

-

Server Leitungen Entwicklung der Site PCs Systemadministrator

Datenerfassung; kundenspezifische Interaktion

- Hardware/Software - Datenbankeinrichtung -Statistiker Mitarbeiter und Allgemeines

-

Management Kundendienst Verwaltung Anzeigenverkäufe Kunden-I Anbieter-Marketing BüroräumejAusstattung

Gesamt

77

78

Jahr zu erhöhen (was ungefähr der verkauften Auflage des Travel & LeisureMagazins entspricht). Abgesehen von einer weiteren Kapitalspritze im dritten Jahr in Höhe von fünf Millionen Dollar finanziert sich die virtuelle Community - ungeachtet des kräftigen Wachstums - im Wesentlichen selbst. Abbildung 3.9 verdeutlicht, dass die Anlaufkosten für die Community - die weitgehend in den Aufwendungen für die anfängliche Gemeinschaftsplattform und für die Entwicklung der ersten Gemeinschaftsseite bestehen -mit insgesamt eins bis zwei Millionen Dollar relativ gering sind. Voraussetzung ist natürlich eine stark auf Fremdmitteln aufbauende Einstiegsstrategie im Internet, bei der die ersten Gemeinschaftsangebote nur aus ein paar grundlegenden VerzeichnisDiensten und Foren für Mitgliedermaterialien bestehen. Höhe und Art der Anlaufkosten werden sicherlich je nach dem Interessenschwerpunkt der virtuellen Gemeinschaft wie auch der Einstiegsstrategie variieren. Unseres Erachtens sollten sie im Normalfall höchstens um zwei Millionen Dollar über der vorliegenden Modellrechnung liegen, sofern der Organisator der Community die in Kapitel 6 beschriebene Einstiegsstrategie verfolgt. Die potenziellen Betriebskosten für die Reise-Community sind für das erste und fünfte Jahr in Abbildung 3.10 wiedergegeben. Tatsächlich machen die Technologieaufwendungen, zu denen Ausgaben für die Betriebsanlagen, die Datenerfassung und die Anpassung an den Kundenbedarf gehören, nur einen relativ kleinen Teil der gesamten Betriebskosten aus, der zudem schnell abnimmt (von 35 Prozent im ersten Jahr auf zwölf Prozent im fünften Jahr). Und selbst diese Prozentsätze sind noch zu hoch angesetzt, da ein Großteil der Ausgaben auf die Statistiker entfällt, die jene Nutzungs- und Kaufprofile entwickeln, die benötigt werden, um Inserenten und Anbieter in die Gemeinschaft zu locken. Die Technologieaufwendungen werden von den Kosten für die Mitgliederakquisition, die Inserentenakquisition und die Beschaffung von Mitgliederinhalten bei weitem übertroffen; deren Anteil an den Gesamtbetriebskosten klettert in den fünf Jahren insgesamt von 61 Prozent auf 66 Prozent. In den meisten Communities dürften die Kosten für die Anbieterakquisition vermutlich um einiges höher ausfallen als in unserer Reise-Community, bei der die Verbindung zu einem einzigen EDV-gestützten Buchungssystem genügt, um Zugriff auf alle Flugpläne und eine Auswahl sonstiger touristischer Dienstleistungen zu haben. Im Großen und Ganzen weisen virtuelle Communities dieselben Kostenfaktoren auf wie traditionelle nicht technologische Unternehmen. Es geht also nicht um die Technologie, sodass es keinen Grund zu der Annahme gibt, dass Technologie-Unternehmen beim Umgang mit solchen Ausgaben im Vorteil wären.

DIE NEUE ÖKONOMIE VIRTUELLER COMMUNITIES KAPITEL

Abb. 3.10

.~.~~~~~.~~!:~~~~!:. ~~.~. ~~!~~. .~~~~~~!~.Y.................................... . 100%

100% 19

Mitgliederakquisition

lnserenten/Anbieterakquisition Datenerfassung' kundenspezifische Interaktion Betriebsanlagen/ andere Aufwendungen im Technikbereich

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