Muslimisierte Körper auf der Bühne: Die Islamdebatte im postmigrantischen Theater [1. Aufl.] 9783839430071

How are contemporary sociopolitical questions dealt with in the theater? This study throws light on theatrical productio

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Muslimisierte Körper auf der Bühne: Die Islamdebatte im postmigrantischen Theater [1. Aufl.]
 9783839430071

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Nora Haakh Muslimisierte Körper auf der Bühne

Theater | Band 72

Nora Haakh lebt in Berlin und ist als Dramaturgin, Dozentin und freischaffende Künstlerin tätig. Sie studierte Islamwissenschaft, Politik und Geschichte in Berlin mit Auslandsaufenthalten in Paris, Istanbul und Kairo. Während ihres Studiums begann sie, am Theater zu arbeiten, u.a. als Regieassistentin (»Dritte Generation«, Regie Yael Ronen, Schaubühne; »Schwarze Jungfrauen«, Regie Neco Çelik, Ballhaus Naunystraße) Dramaturgieassistentin (»Verrücktes Blut« von Nurkan Erpulat und Jens Hillje, Ballhaus Naunynstraße/Ruhtriennale), Produktionsleiterin und Übertitlerin. Das vorliegende Buch verfasste sie 2011 als Magisterarbeit. Zwischen 2012 und 2015 betreute sie am Ballhaus Naunynstraße zahlreiche Uraufführungen, Stückentwicklungen und interdisziplinäre Festivals als Dramaturgin, seitdem arbeitet sie freischaffend im Bereich Sprechtheater, Tanz, Performance, Film. 2020 schloss sie ihre Doktorarbeit über »Layla und Majnun. Übertragungen aus dem Arabischen ins Deutsche im Bereich des zeitgenössischen Theaters« ab. Mehr Informationen unter www.nora-haakh.de

Nora Haakh

Muslimisierte Körper auf der Bühne Die Islamdebatte im postmigrantischen Theater

Magisterarbeit im Fach Islamwissenschaft. Eingereicht von Nora Haakh an der Freien Universität Berlin 2012, Gutachterinnen: Prof. Dr. Gudrun Krämer, Prof. Dr. Iman Attia. Die Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies (BGSMCS) hat diese Veröffentlichung durch einen Druckkostenzuschuss unterstützt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagfoto: © Kathi Bonjour. Szene aus »Verrücktes Blut« von Nurkan Erpulat und Jens Hillje, Ballhaus Naunynstraße / Ruhrtriennale. Fotos im Buch: © Ute Langkafel MAIFOTO Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3007-7 PDF-ISBN 978-3-8394-3007-1 https://doi.org/10.14361/9783839430071 Buchreihen-ISSN: 2700-3922 Buchreihen-eISSN: 2747-3198 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload

Inhalt

Vorbemerkung ..................................................................... 9 Danksagung ....................................................................... 11 1. Einleitung.....................................................................13 Postmigrantische Perspektiven in Gesellschaft und Theater ......................... 14 Imaginierter Islam in der Debatte, fiktionaler Islam auf der Bühne .................... 19 Herangehensweise ................................................................. 22

Teil A: Theorie und Kontext 2. Theoretischer Rahmen ...................................................... 29 Stuart Halls postkoloniale Überlegungen zu Identitätspolitik ......................... 29 Identität und Prozesse der Identifizierung ........................................... 31 Identitätspolitik ................................................................... 36 3.

Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen ..................................................... 43 Ein »widerspenstiges Einwanderungsland« ......................................... 43 Muslim_innen und Islam-Debatten in Deutschland .................................. 49 Islamisierte Debatte, muslimisierte Subjekte ....................................... 58 Körperfixierung und Vergeschlechtlichung ........................................... 61 Darstellungen im deutschen Film .................................................. 66 4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater ................................. 69 Deutschtürkische Theaterprojekte................................................... 71 »Sozio«- und »Hochkultur« ........................................................ 74

Postmigrant_innen im institutionalisierten deutschen Theaterbetrieb ............... 77 »Authentische Stimmen« und »Kulturmakler_innen« ................................ 81

Teil B: Das postmigrantische Theater Ballhaus Naunynstraße 5.

Die postmigrantische Theaterinitiative am Ballhaus Naunynstraße .................................................. 89

6.

Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße zwischen 2006 und 2010 ...................................... 99 Komplexe Narrative der Gegenwart ................................................. 101 »Schwarze Jungfrauen« (2006) .............................................. 101 »Jenseits – Bist du schwul oder bist du Türke?« (2008) ...................... 103 Hybride Autobiographie gegen Essentialisierung.............................. 106 Islam als individuell interpretierte Lebenspraxis ............................... 111 Selbstbestimmung statt Befreiung ............................................ 114 Wer spricht?.................................................................. 121 Fazit erste Phase ............................................................. 127 Komplexe Narrative der Vergangenheit ............................................ 128 »Die Schwäne vom Schlachthof« (2008) und »Lö Bal Almanya« (2010) ......... 131 Wessen Gedächtnis? Marginalisierte Erinnerungen sprechbar machen......... 132 Aneignung: Ins deutsche Nationalarchiv eingreifen ........................... 134 Andere Seiten der Wende: Islam und Integration.............................. 137 Fazit zweite Phase........................................................... 142 Reflexion der Gesellschaft als Ganzes .............................................. 142 »Verrücktes Blut« (2010) .................................................... 144 »Schnee« (2010) ............................................................. 147 Islam als Grundlage politisierter Gruppengefühle ............................. 148 Dekonstruktionen des Primats der Befreiung ................................ 156 Bühne und Gesellschaft ....................................................... 161 Wer spricht (über) Deutschland? ............................................. 165 Fazit dritte Phase............................................................. 172

7. Schlussbemerkung ..........................................................175 Eintritt in die Repräsentationsverhältnisse, gebrochene Narrative und die Ausweitung der diskursiven Reichweite ............................................175

Neue Bilder: »Eine gewisse Leichtigkeit« im Sprechen über den Islam .............. 178 Nachwort zur Veröffentlichung 2021 ................................................ 181 8. Literaturverzeichnis ........................................................ 185 Inszenierungen ................................................................... 185 Literatur .......................................................................... 186 Webseiten ........................................................................ 207

Vorbemerkung

Die vorliegende Arbeit wurde 2011 als Magisterarbeit im Fach Islamwissenschaft unter dem Titel »Islamisierte Körper auf der Bühne. Identitätspolitische Positionierung zur deutschen Islamdebatte in Arbeiten des postmigrantischen Theaters Ballhaus Naunynstraße« eingereicht. Der Fokus auf der Islamdebatte, der die vorliegende Arbeit prägt, ist der Verortung in der akademischen Islamwissenschaft geschuldet, und bildet nicht die Schwerpunktsetzungen der postmigrantischen Theaterbewegung ab. Die künstlerischen Interventionen, die beschrieben werden, liegen im Zeitraum zwischen 2006 und 2010. In den zehn Jahren, die vom Verfassen bis zur Publikation dieser Arbeit verstrichen sind, ist aus der Zustandsbeschreibung die zeithistorische Betrachtung eines prägenden Moments in einer größeren Entwicklung geworden. Auf die Entwicklungen in künstlerischer Praxis, Diskurs und akademischer Reflektion, die seit dem Verfassen passiert sind, wird nur punktuell hingewiesen.

Danksagung

Viele lange Tage und Abende in der Naunynstraße boten den Nährboden für das vorliegende Buch. Die Studie wurde möglich und maßgeblich geprägt durch meine studienbegleitende Tätigkeit als Regie- und Dramaturgieassistentin am postmigrantischen Theater Ballhaus Naunynstraße 2009 bis 2012 (u.a. für die Produktionen »Schwarze Jungfrauen« und »Verrücktes Blut«). Mein Dank gilt deshalb zunächst allen Künstler_innen, deren hier untersuchte Arbeiten mich auch nach intensiver Auseinandersetzung immer weiter überraschen und inspirieren; den Impulsgeber_innen, die dafür Rahmen und Räume bereitstell(t)en: Shermin Langhoff mit ihrer Vision und ihrem Kampfgeist und dem ganzen Team, das es vom Kreuzberger Hinterhof aus ermöglichte, »mit einem Trabbi Formel 1 zu fahren«. Ich danke allen Kolleg_innen und Freund_innen auf, hinter und vor der Bühne für Zusammenarbeit und zahllose Gespräche, in denen sich die diesem Buch zugrunde liegenden Überlegungen formten. Ein besonderer Dank geht an Tunçay Kulaoğlu, Lutz Knospe und Verena Schimpf für die großzügige Bereitstellung von Stücktexten, Presse- und Dokumentationsmaterial. Ein herzlicher Dank gebührt meinen Gutachterinnen: Prof. Dr. Gudrun Krämer für die wohlwollende Bereitstellung akademischer Freiräume für islamwissenschaftlich eher unkonventionelle Ansätze und Prof. Dr. Iman Attia für die Richtungsweisung auf der Theorieebene. Vielen Dank an Ute Langkafel MAIFOTO für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Produktionsfotos und Kathi Bonjour für das Titelfoto. Die Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies (BGSMCS) der Freien Universität Berlin hat diese Publikation durch einen Druckkostenzuschuss mit ermöglicht. Meiner Familie und meinen Wegbegleiter_innen danke ich für die liebevolle Unterstützung.

1. Einleitung Die Kunst ist jene gesellschaftliche Betätigung, in der sich die Gesellschaft, stellvertretend durch die Künstler und ihr Publikum, vorführt, wie prekär ihre Identitäten und Formen sind und wie diese dennoch und zuweilen erst deswegen gesichert werden können.1

Künstlerische Auseinandersetzungen sind nicht nur in der Lage, gesellschaftliche Verhältnisse darzustellen und zu reflektieren, sondern beeinflussen diese auch.2 Mehr noch als andere künstlerische Genres ist das Theater ein Labor für Gesellschaft als Ganzes. Als »eine der radikalsten Formen der Erprobung des Sozialen«3 kann es Gesellschaft darstellen, sie reflektieren, ihr Utopien entgegenstellen und somit Ungewohntes erproben. Gleichzeitig ist das Theater selbst Schauplatz sozialer Interaktion,4 weil alles, was passiert, in einem konkreten Raum zwischen Schauspieler_innen und Zuschauer_innen funktionieren muss,5 und damit selbst von den Widersprüchen durchzogen ist, die es zu thematisieren sucht.6 Unter diesem Blickwinkel werde ich im Folgenden Arbeiten des postmigrantischen Theaters Ballhaus Naunynstraße in

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Baecker, Dirk (2005): »Kunst, Theater und Gesellschaft«, Dramaturgie 2, 9-15, hier: 9. Vgl. Türkmen, Ceren (2008): Migration und Regulierung, Münster, 25. Baecker 2005, 10. Vgl. Warstat, Matthias (2008): »Ausnahme von der Regel: Zum Verhältnis von Theater und Gesellschaft«, in: Weiler, Christel et al. (Hg.): Strahlkräfte: Festschrift für Erika Fischer-Lichte, Berlin, 116-133. Baecker 2005, 10. Dramaturg Tunçay Kulaoğlu, zitiert nach Langhoff et al. (2011): »Migration deuten und dichten«, in Pelka, Artur et al. (Hg.): Das Drama nach dem Drama: Verwandlungen dramatischer Formen in Deutschland nach 1945, Bielefeld, 399-408, hier: 401f.

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Berlin, die zwischen 2006 und 2010 entstanden sind, als theatrale Stellungnahmen zu aktuellen deutschen Debatten über Einwanderung und Islam in Deutschland untersuchen. Ein Theaterstück muss dabei im Kontext des gesellschaftlichen Horizonts, in den es sich eingliedert, sowie der Produktions- und Rezeptionsbedingungen betrachtet werden. Für künstlerische Produktion und laufenden Betrieb auf einen durch das Ineinandergreifen der verschiedenen Abteilungen sozial verzahnten Apparat angewiesen, zwingt das Theater Kulturschaffende konstant zur Konfrontation verschiedenster Sachzwänge. Der deutsche Theaterbetrieb zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist von exklusiven Zugangsmechanismen, immensem Leistungsdruck und an (Selbst-)Ausbeutung grenzenden Arbeitsbedingungen geprägt. Elitäre Selektion und auch die prekären Lebensumstände, die oftmals mit Theaterarbeit einhergehen, führen dazu, dass vorwiegend Angehörige privilegierter Schichten auf und hinter der Bühne tätig sind. Dennoch nimmt die Partizipation von Angehörigen weniger privilegierter oder als minoritär konstruierter, marginalisierter Gruppen deutlich zu. Leid, im Hintergrund Kulissen zu verschieben, wird zunehmend vehement auf Zugang zur Bühne gepocht. Es wäre doch eine eigenartige Geschichtsschreibung des zwanzigsten Jahrhunderts, die nicht berücksichtigte, daß die tiefste kulturelle Revolution durch den Einzug der Marginalisierten in die Repräsentation ausgelöst wurde – in der Kunst, der Malerei, der Literatur, überall in den modernen Künsten, in der Politik und im sozialen Leben im allgemeinen. Unser Leben wurde durch den Kampf der Marginalisierten um Repräsentation verändert.7

Postmigrantische Perspektiven in Gesellschaft und Theater In Deutschland haben Arbeitsmigration, Einbürgerung von (Spät-)Aussiedler_innen und der Zuzug von politisch Verfolgten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem besonders im urbanen Raum erheblichen demographischen Wandel geführt. 15 Millionen Menschen in Deutschland verfügten 2007 über den sogenannten »Migrationshintergrund«: Bei den unter 25-

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Hall, Stuart (1994c): »Das Lokale und das Globale: Globalisierung und Ethnizität«, in ders.: Rassismus und kulturelle Identität, Hamburg, 44-65, hier: 59.

1. Einleitung

Jährigen in deutschen Großstädten jede_r Vierte, Tendenz steigend.8 Im Zuge dieses demographischen Wandels und der Verschiebung der sozialen Verhältnisse in der bundesdeutschen Gesellschaft im Allgemeinen sowie im Verhältnis der »biodeutschen«9 Mehrheit und den als Minderheitenangehörige Konstruierten im Speziellen werden auch Künstler_innen und Kulturschaffende, die weder ihre deutschen Wurzeln noch die Verbindungen zum Herkunftsland der Eltern verstecken, sondern spielerisch als kreatives Potenzial nutzen, zunehmend sichtbar. Gesellschaftliche Realität und Debatte, gelebte Alltagserfahrung und mediale Darstellung klaffen jedoch oft weit auseinander. Die Zurückhaltung in der öffentlichen Debatte, den demographischen Wandel anzuerkennen oder gar als Bereicherung zu betrachten, und die Perspektiven von Angehörigen der zweiten und dritten Generation von Einwander_innen, deren Lebensrealität davon ganz selbstverständlich geprägt ist, stehen in einem deutlichen Spannungsverhältnis. Dieses versucht der Begriff der Postmigration zu fassen, wie es scholar-activist Ceren Türkmen in ihrer frühen Definition des Begriffs auf den Punkt brachte: Der Begriff der Post-Migration […] soll sich hiermit auf die sozialen Praxen, die staatlichen wie auch hegemonial umkämpften kulturellen Fixierungen ethnisierter und rassistisch diskriminierter Akteure beziehen, die z.B. als Nachfolgegeneration einer migrierten Gruppe im vermeintlichen »Ankunftsland« sozialisiert werden und leben [und beinhaltet so die widersprüchliche Erfahrung,] einerseits kulturell wie auch staatsrechtlich als

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Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (Hg.) (2007): Der Nationale Integrationsplan: Neue Wege – Neue Chancen, Berlin, 12. Der Begriff »biodeutsch« taucht z.B. in Arbeiten der Medienaktivist_innen von Kanak Attack auf, die zu den wichtigen Vorreiter_innen der postmigrantischen Theaterbewegung zählen, vgl. z.B. Kanak Attack (2002): Weißes Ghetto, Kurzfilm, www.kanakattak.de/ka/kanaktv/volume1.htm (10.7.2011). Vgl. Heidenreich, Nanna (2006): »Von Bio- und anderen Deutschen: Aspekte der Verkennung des deutschen Ausländerdiskurses«, in Tißberger, Martina et al. (Hg.): Weiss – Weisssein – whiteness: Kritische Studien zu Gender und Rassismus, Frankfurt a.M., 203-219. Vgl. zur wichtigen Arbeit von Kanak Attack weiterführend Heidenreich, Nanna (2013): »Die Kunst des Aktivismus. Kanak Attak revisited«, in: Dogramaci, Burcu (Hg.): Migration und künstlerische Produktion. Aktuelle Perspektiven, Bielefeld, 347-60.

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MigrantInnen behandelt zu werden und rassistische Diskriminierungen zu erfahren, und sich (nicht notwendig) als solche zu fühlen und zu leben.10 Auch in der US-amerikanischen Germanistik war der Begriff seit den frühen 1990ern verwendet worden, um sich dem Schaffen von in Deutschland wirkenden Schriftsteller_innen anzunähern, ohne deren Werk auf den Migrationshintergrund als simplifizierende Rahmungserklärung zu reduzieren. Literaturwissenschaftler_innen wie Leslie Adelson sahen darin eine Überwindung von Metaphern wie der »Brücke zwischen den Kulturen« oder dem »Sitzen zwischen zwei Stühlen«, die eine »reflektive Auseinandersetzung (in parodistischer, kritischer oder anklagender Weise) mit der verfehlten Integration der Minderheiten in die Majoritätsgesellschaft«11 ermöglichte. Deutlich ersichtlich ist die Abgrenzung vom Begriff der Migration, unter dem im deutschen Sprachgebrauch seit den späten 1990ern auffallend heterogene Themenfelder diskutiert werden, die sich vor allem auf das Verhältnis zwischen bereits Eingewanderten und Mehrheitsgesellschaft beziehen. Da »Migration« den Prozess der Wanderbewegung beschreibt, wird damit die Unabgeschlossenheit der Einwanderung in den Vordergrund gestellt. »Postmigration« hingegen verweist auf das, was im Anschluss an den Ortswechsel passiert, sobald Migration auch Sesshaftigkeit beinhaltet12 und bezieht sich dabei nicht allein auf zeitliche Abfolge, sondern als diskurstheoretischer Begriff auch auf die Reflexion der zurückliegenden Migrationserfahrungen.13

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Türkmen 2008, 13. Die Soziologin verweist dort auf den Begriff der Postmigration als treffendere Bezeichnung für die aktuell in Deutschland unter »Migration« verhandelten Themenfelder und nicht nur im temporalen Sinne, sondern bezüglich der spezifischen Komplexität. In der zitierten Studie spricht sie selbst noch weiterhin von »Migration«. Lornsen, Karin (2007): »Transgressive Topographien in der türkisch-deutschen PostMigranten-literatur«, Dissertation, University of British Columbia, https://circle.ubc.ca /handle/2429/420 (26.4.2011), 211. Siehe auch Adelson, Leslie (2001): »Against Between: A Manifesto«, in Salah Hassan/Iftikhar Dadi (Hg.): Unpacking Europe, Rotterdam, 244255; dies. (2005): The Turkish Turn in Contemporary German Literature: Towards a New Critical Grammar of Migration, New York; Cheesman, Tom (2007): Novels of Turkish German Settlement: Cosmopolite Fictions, Rochester/New York; Seyhan, Azade (2001): Writing outside the Nation, Princeton; Mani, Venkat B. (2007): Cosmopolitical Claims: TurkishGerman Literature from Nadolny to Pamuk, Iowa City. Foroutan, Naika (2010): »Neue Deutsche, Postmigranten und Bindungs-Identitäten«, Aus Politik und Zeitgeschichte 26/27, 9-15, hier: 10. Vgl. Lornsen 2007, Fußnote 175; Türkmen 2008.

1. Einleitung

Die politisch normative Verwendung des Begriffs fokussiert marginalisierte Perspektiven und fordert die Anerkennung weiterreichender Konsequenzen für die ganz Gesellschaft ein. Naika Foroutan etwa, die zunächst für die politisch noch eindeutigere Bezeichnung »Neue Deutsche« eintrat, erinnert: Wo Migration auch mit settlement verbunden wird, wandelt sich die Bevölkerungsstruktur – nicht nur demografisch und soziostrukturell, sondern auch identitär und ideell.14 Dass in Deutschland seit den Nullerjahren zunehmend von Postmigrant_innen die Rede ist, ist der aktivistischen Arbeit mit dem Begriff geschuldet, und dabei insbesondere einem kleinen Kreuzberger Theater, das angetreten war, besagten ideellen, gesellschaftlichen Wandel aktiv voranzutreiben und sich ambitioniert als »Identitätsmaschine«15 begriff. Seit der Neueröffnung 2008 unter Trägerschaft von Kultursprünge e.V. präsentiert sich das Ballhaus Naunynstraße als Plattform einer »neuen postmigrantischen Kulturpraxis.«16 Die Selbstbezeichnung »postmigrantisch« steht in diesem Kontext für die »Geschichten und Perspektiven derer, die selbst nicht mehr migriert sind, diesen Migrationshintergrund aber als persönliches Wissen und kollektive Erinnerung mitbringen«,17 und deren künstlerische Verhandlung als Teil deutscher Realität. Führte dies in der ersten Spielzeit noch regelmäßig zu irritierten Nachfragen,18 war der Begriff innerhalb kurzer Zeit in der Wissenschaft, 14

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Foroutan 2010, 10. In ihren aktuellen Arbeiten hat Naika Foroutan den Begriff es Postmigrantischen aufgegriffen und dazu beigetragen, den Begriff tiefer in soziologischer Forschung und politischer Debatte zu verwurzeln, vgl. Foroutan, Naika (2018): Die postmigrantische Perspektive. Aushandlungsprozesse in pluralen Gesellschaften, in: Hill, Marc; Yildiz, Erol (Hg.): Postmigrantische Visionen: Erfahrungen – Ideen, Reflektionen, Bielefeld, 15-28; Foroutan, Naika (2020): Die postmigrantische Gesellschaft: Ein Versprechen der pluralen Demokratie, Bielefeld. Ohr, Kristina (2010): »›Theater kann eine Identitätsmaschine sein‹: Interview mit Shermin Langhoff«, nah & fern: Das Kulturmagazin für Migration und Partizipation 43, Januar, 18-23, hier: 18. Langhoff, Shermin (2009a): »Beyond Belonging: Translokal«, in Ballhaus Naunynstraße/Hebbel am Ufer Theater (Hg.): Beyond Belonging: Translokal, Programmbroschüre, Berlin, o.S. Langhoff, Shermin et al. (2011) (im Ersch.): »Migration deuten und dichten«, in Pelka, Artur et al. (Hg.): Das Drama nach dem Drama: Verwandlungen dramatischer Formen in Deutschland nach 1945, Bielefeld, 399-408, hier: 400. Vgl. Knapp, Marcela/Utlu, Deniz (2009): »Der Hund steht für den Bastard: Gespräch mit Shermin Langhoff«, freitext, April, 43-46; Wildermann, Patrick (2008): »Aus der dritten

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im Feuilleton und unter Aktivist_innen geläufig geworden. Nach zwei Jahren Festivalformat am Hebbel am Ufer Theater und drei Spielzeiten in eigenen Räumlichkeiten im Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße war die postmigrantische Theaterinitiative bereits in den Blick überregionaler Medien und der Fachpresse geraten, ebenso wie wissenschaftlicher Untersuchungen.19 Auch die institutionalisierte Theaterszene gestand dem Ballhaus Naunynstraße zu, mit den ganz Großen mitspielen zu können, indem das Stück »Verrücktes Blut« durch die Einladung zum renommierten Berliner Theatertreffen als eine der zehn »bemerkenswertesten« Inszenierungen des Theaterjahrs 2011 des deutschsprachigen Raumes ausgezeichnet wurde.20 2012 folgte der Ruf der künstlerischen Leiterin Shermin Langhoff ans Maxim-Gorki-Theater. In den Inszenierungen, die in dieser Arbeit analysiert werden, setzten sich die Theatermacher_innen konstant mit den Schnittstellen von Politik und Kunst, Bühne und Gesellschaft auseinander: Theater ist natürlich kein luftleerer Raum und spiegelt als Mikrokosmos die sozialen Verhältnisse wider. Die gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen funktionieren im Kunstbetrieb genauso. Zugleich ist Theater als Kunst-Ort ein widersprüchlicher Raum. Denn zum einen werden bestehende gesellschaftliche Strukturen reproduziert, zum anderen aber entstehen Räume, die diese Strukturen zu überwinden versuchen, zumindest sie in Frage stellen.21 Neben der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Einwanderungsgesellschaft, der die meisten Stücke gewidmet waren, brach das Theater geläufige Exklusionsmechanismen und etablierte Sehgewohnheiten auf, indem es auch postmigrantischen Künstler_innen ohne lineare Theaterausbildung unkonventionelle Einstiegswege bahnte und so die kontinuierliche theatrale Reflexion aktueller Debatten und Ereignisse aus intersektional unerhörten Perspektiven ermöglichte. Die Interventionen des Ballhaus Naunynstraße im hier behandelten Zeitraum 2006 bis 2010 wirkten inhaltlich und

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Reihe bellen: Café Europa: Mit einem Festival für postmigrantisches Theater eröffnet das Ballhaus Naunynstraße«, Der Tagesspiegel, 9.11.; u.a. Unter den ersten Forschenden sei besonders hingewiesen auf die Arbeiten von Azadeh Sharifi, Onur Suzan Kömürcü Nobrega, Erol Boran, Lizzie Stewart und Katrin Sieg. Das war auch das erste Jahr, in dem überhaupt Produktionen der »Freien Szene« in die Auswahl mit einbezogen worden waren. Ballhaus-Dramaturg Tunçay Kulaoğlu, zitiert nach Langhoff et al. (2011), 399-408, hier: 401f.

1. Einleitung

strukturell und setzten neue Impulse zu den Debatten über Einwanderunggesellschaft und – und das soll der Analyseschwerpunkt der vorliegenden Untersuchung sein – Islam und Muslim_innen in Deutschland.

Imaginierter Islam in der Debatte, fiktionaler Islam auf der Bühne Seit den späten 1990er Jahren hat in Deutschland im Zuge der Neudefinition Deutschlands als Einwanderungsland eine deutliche Verschiebung der (Selbst-)Darstellung, Präsenz und Wahrnehmung von Einwander_innen stattgefunden. Die Debatte über das Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und konstruierten Minderheiten mutierte in der Bundesrepublik zunehmend zur Islam-Debatte. Diese Verschiebung zeigte sich verknüpft mit der Problematisierung eines meist wenig differenziert gezeichneten Bildes »des Islams«, der in stark populistischer Rhetorik einer als homogen und natürlich imaginierten biodeutschen Leitkultur als unvereinbar entgegengestellt wurde. Kulturalisierung und Ausgrenzung von Muslim_innen (bzw. als solchen Markierten oder Wahrgenommenen22 ), den zunehmend paradigmatischen »Anderen« der deutschen Gesellschaft, gingen mit dieser »Islamisierung« einher und wirken weiter fort. Bereits strukturell ist auch die akademische Disziplin der Islamwissenschaft, in deren institutionellem Rahmen diese Studie verfasst wurde, daran beteiligt, diese Tendenz fortzuschreiben. Das Fach definiert sich nicht über spezifische Methoden, sondern über die behandelten Inhalte. Im Fokus steht die Frage nach den, je nach sozialem, geographischem und historischem Kontext immens unterschiedlichen, Möglichkeiten der Art und Weise, wie diese Religion und Kultur sich innerhalb bestimmter Gesellschaften ausprägen und nicht nur Glauben und religiöse Praxis der Mus-

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Diese Differenzierung verwende ich mit Ilka Eickhof, die darauf hinweist, »[…] dass Personen unabhängig von ihrer tatsächlichen religiösen Zugehörigkeit oder Einstellung von der Mehrheitsgesellschaft als MuslimInnen gesehen und angesprochen werden, da signifikanten äußerlichen Merkmalen wie z.B. einem als türkisch oder arabisch kategorisierten Aussehen bestimmte religiöse-kulturelle Bedeutungen zugeschrieben werden.« Eickhof, Ilka (2010): Antimuslimischer Rassismus in Deutschland: Theoretische Überlegungen, Berlin, 9. Vgl. weiterführend z.B. Attia, Iman (2009): Die »westliche Kultur« und ihr Anderes: Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, Bielefeld.

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lim_innen bestimmen, sich in Philosophie und Recht, Literatur, Kunst und Architektur niederschlagen, sondern auch auf ihre gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse einwirken.23 Auch wenn im Gegensatz zur Mehrheit der die Islamwissenschaft primär philologisch betreibenden deutschen Fakultäten diese Frage nicht nur auf historische, sondern auch auf zeitgenössische sozialpolitisch relevante Problemfelder angewendet wird, bleibt ein Paradigma bestehen, das ich als problematisch empfinde: Den Islam, ob als Gesellschaftsordnungssystem oder Weltanschauungsperspektive, im Forschungsansatz bereits als bestimmendes Moment zu verankern, birgt die Gefahr einer unverhältnismäßigen religiösen Aufladung gesellschaftlicher Phänomene. Dennoch kann eine islamwissenschaftliche Herangehensweise auch dazu beitragen, sich dieser Überbewertung kritisch entgegenzustellen. Die »Islambilder«,24 die in Europa in historischer Kontinuität diskursiv hervorgebracht wurden und gegenwärtig in überraschender Breite weiter verhandelt werden, sehe ich als imaginierten Islam25 – als ein System von Motiven, das als Islam betitelt wird, und das unabhängig davon funktioniert, welche Rolle diese Motive im Leben verschiedener Muslim_innen spielen mögen. Wenn ich untersuche, wie Islam und Muslim_innen in Deutschland in einzelnen Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße dargestellt werden, beschäftige ich mich hingegen mit Bezugnahmen auf den deutschen Diskurs über Islam und Muslimisch-Sein in Deutschland, wie sie in einem konkreten Raum durch konkrete Akteur_innen mit den Mitteln eines künstlerischen Mediums produziert werden,26 man könnte sagen: damit, wie einige Menschen

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Krämer, Gudrun (o.D.): »Islamwissenschaft«, Institut für Islamwissenschaft, FU Berlin, www.geschkult.fu-berlin.de/e/islamwiss/institut/Islamwissenschaft/index.html (28.4.2011). Vgl. Attia, Iman (Hg.) (2007): Orient- und IslamBilder: Interdisziplinäre Beiträge zu Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, Münster. Vgl. Weidner, Stefan (2011): »Vom Nutzen und Nachteil der Islamkritik für das Leben«, Aus Politik und Zeitgeschichte 13/14, 9-15, hier: 14. Diese Positionierung auf der Metaebene führt dazu, dass ich die von kritischen Islamwissenschaftler_innen zu Recht sorgsam hochgehaltene Warnung vor der gefährlichen Vereinfachung durch die Verwendung der nicht weiter ausdifferenzierten Bezeichnung »der Islam« (vgl. z.B. Weidner, Stefan (2008): Manual für den Kampf der Kulturen: Warum der Islam eine Herausforderung ist, Frankfurt a.M.) in dieser Arbeit in den Wind schlagen werde.

1. Einleitung

darüber sprechen, wie von Menschen in Deutschland über den Islam gesprochen wird. Der Islam, der in der Darstellung von Motiven des Islam bzw. des Muslimisch-Seins in Stücken des postmigrantischen Theaters Ballhaus Naunynstraße präsentiert und in dieser Arbeit untersucht wird, ist somit ein rein fiktionaler. In den von mir untersuchten Theaterstücken und -inszenierungen wird u.a. auf deutsche, türkische, deutschtürkische, deutschkurdische Diskurse über den Islam Bezug genommen, es kommen als Muslim_innen (selbst-)identifizierte Figuren vor, deren unterschiedliches Religionsverständnis mal mehr, mal weniger thematisiert wird. Die Einflüsse der Quellen, die als muslimische (Selbst-)Zeugnisse gelesen werden könnten, und die in die Theaterstücke eingewoben wurden, werden jedoch durch die bühnengerechte Bearbeitung so weit verfremdet und abstrahiert, dass sie in der Fiktionalisierung aufgehen. Dieser fiktionale Islam muss deshalb analytisch auf einer anderen Ebene untersucht werden als der Islam als Religion, Weltanschauungs- und in einigen Kontexten gesellschaftsordnendes System, bei dem Praktiken, Interpretationen oder Symbole in islamwissenschaftlichen Studien beispielsweise als bestimmten Strömungen oder Auslegungen mehr oder weniger zugehörig bestimmt werden können, weshalb ich in der vorliegenden Arbeit auf diese Herangehensweise verzichte. Der Großteil wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Einwanderung und Islam in Europa konzentriert sich weiterhin auf religiös fundierte Organisationen oder Sprechpositionen.27 Der Islam funktioniert allerdings oft eher als thematische Klammer, die die Grenzen bestimmt, innerhalb derer soziale und politische Fragestellungen behandelt werden.28 Zunehmend schalten sich auch Akteur_innen »als Muslim_innen« in die Debatte ein, die ihr Muslimisch-Sein weniger als religiöse Überzeugung, sondern eher im Sinne einer sozialisierungsbedingten Teilprägung definieren.29 Dementsprechend 27

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Vgl. weiterführend Esposito, John (2003): Modernising Islam: Religion in the Public Sphere in the Middle East and Europe, London; Göle, Nilufer et al. (Hg.) (2004): Islam in Sicht: Der Auftritt von Muslimen im öffentlichen Raum, Bielefeld; Nökel, Sigrid et al. (Hg.) (2005): Islam and the New Europe: Continuities, Changes, Confrontations, Bielefeld; Al-Hamarneh, Ala et al. (2008): Islam and Muslims in Germany, Leiden; Cesari, Jocelyne (Hg.) (2008): Muslims in the West After 9/11, London; u.a. Thijl Sunier, zitiert nach Spielhaus, Riem (2011): Wer ist hier Muslim?: Die Entwicklung eines islamischen Bewusstseins in Deutschland zwischen Selbstidentifikation und Fremdzuschreibung, Würzburg, 33. Spielhaus 2011, 33.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

versuche auch ich, einen Impuls hin zur Wahrnehmung postmigrantischer Sprechpositionen zu setzen, die sich dem Primat des Muslimisch-Seins als maßgeblich bestimmendem Faktor entziehen oder es umdefinieren.30

Herangehensweise Die Entscheidung, meine erste umfassende eigenständige wissenschaftliche Forschungsarbeit der Schnittstelle von islamwissenschaftlichen Inhalten und politischem Theater zu widmen, hängt mit meinem persönlichen Engagement in diesem Bereich zusammen. Neben anderen Theaterprojekten in Deutschland und dem islamisch geprägten Raum war ich zwischen 2009 und 2012 als Regie- und Dramaturgieassistentin auch an einigen Produktionen des Ballhaus Naunynstraße beteiligt.31 Danach widmete ich der Arbeit der postmigrantischen Theaterinitiative die vorliegende arbeitsintensive Untersuchung unter islamwissenschaftlichen Gesichtspunkten. Freundlicherweise wurde mir ermöglicht, dafür auf interne Materialien wie die Stücktexte und das Pressearchiv zurückzugreifen.32 Wie andere Studien abseits ausgetretener Pfade wurde auch diese Arbeit aus einer Position der Verbundenheit heraus verfasst. Durch die anhaltende Virulenz von politisch und emotional hoch aufgeladenen Diskussionen über den Islam in Deutschland handelt es sich dabei auch um eine politische Positionierung. Insbesondere reihe ich mich mit meiner Untersuchung marginalisierter Sprechpositionen ein in

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Siehe Kosnick, Kira (2007): Migrant Media: Turkish Broadcasting and Multicultural Politics in Berlin, Bloomington; Türkmen 2008; Spielhaus 2011. Produktionsleitung und Regieassistenz bei »Das Märchen vom letzten Gedanken« nach Edgar Hilsenrath, Regie Miraz Bezar; Produktionsleitung und Regieassistenz bei der Wiederaufnahme des für das Festival »Beyond Belonging« entwickelten »Schwarze Jungfrauen« von Feridun Zaimoğlu und Günther Senkel, Regie Neco Çelik am Ballhaus Naunynstraße; sowie Dramaturgieassistenz bei »Verrücktes Blut« von Nurkan Erpulat und Jens Hillje, Regie Nurkan Erpulat. Nach dem Verfassen dieser Arbeit und dem Abschluss meines Studiums habe ich im Sommer 2012 als Dramaturgieassistentin und zwischen 2012 und 2015 als Dramaturgin am Ballhaus Naunynstraße gearbeitet. Einen herzlichen Dank für die hilfreiche Unterstützung an die Autoren der Stücke, an Shermin Langhoff, Oliver Kontny, Lutz Knospe, Tunçay Kulaoğlu, Paulina Papenfuß, Verena Schimpf und alle Kolleg_innen und Gesprächspartner_innen der letzten Jahre, in denen die Ideen, die dieser Arbeit zu Grunde liegen, langsam Gestalt annahmen.

1. Einleitung

ein eindeutig normatives Projekt, nämlich die Überzeugung, dass ein solches Sprechen, Wider- und Wiedersprechen sowie ein damit verbundenes Gehörtwerden notwendig sind und herbeigeführt werden müssen, um Orte zu transformieren und gerechter zu machen.33 Als ich diese Arbeit im Jahr 2011 verfasste, fand ich im deutschsprachigen Raum noch wenig Vorbilder für eine adäquate Herangehensweise. Während die (vorwiegend US-amerikanische) Germanistik analytische Rahmen entwickelt hatte, die antiquierte Literaturinterpretationen im Rahmen der vereinfachenden Metapher der »Brücke zwischen zwei Welten« zu überwinden versuchten,34 waren die mir bekannten theaterwissenschaftlichen Untersuchungen dieser damals noch weitgehend verhaftet. Zwar war auch die unter der Überschrift »interkulturelles Theater«35 internationale und Minderheitenprojekte behandelnde Theaterwissenschaft auf das postmigrantische Theater aufmerksam geworden.36 Die dort verfolgte Herangehensweise, mit Hilfe von Analyseinstrumenten, die zur Beschreibung einer Form entwickelt wurden, kontroverse Inhalte zu untersuchen, lief jedoch m.E. Gefahr, durch Dekontextualisierung und begriffliche Unschärfe zu kurz zu greifen. Mich interessierten hingegen primär die gesellschaftspolitische Relevanz und diskursive Beschaffenheit der inhaltlichen Schwerpunktsetzung – die ästhetischen Qualitäten des transitorischen Ereignisses der Theatralität in der Aufführung hingegen lediglich insofern sie als die untersuchten Diskursbeiträge prägend von direkter Relevanz waren. Die Auseinandersetzung mit für die Arbeit der postmigrantischen Theaterinitiative relevanten Themenfeldern wie Einwanderungsgeschichte, postkolonialer Theorie, Orientalismus und anti-muslimischem Rassismus, postmigrantischer Literatur, Film und Kunst- und Kulturproduktion mit politi33

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Dege, Martin et al. (2010a): »(Wieder)Sprechen!«, in dies. (Hg): Können Marginalisierte (wieder)sprechen? Zum politischen Potenzial der Sozialwissenschaften, Gießen, 471-496, hier: 471. Vgl. Adelson 2005; dies. 2001; Sieg, Katrin (2002): Ethnic drag: Performing Race, Nation, Sexuality in West Germany, Ann Arbor. Vgl. Fischer-Lichte, Erika (1998): Das eigene und das fremde Theater, Tübingen; Regus, Christine (2008): Interkulturelles Theater zu Beginn des 21. Jahrhunderts: Ästhetik – Politik – Postkolonialismus, Bielefeld. z.B. Christel Weiler und Hasibe Kalkan-Kocaby am Institut für Theaterwissenschaft der freien Universität Berlin. Ich danke auch den Teilnehmer_innen ihres Hauptseminars »Postmigrantisches Theater« im Wintersemester 2010/11 für kontroverse Diskussionen.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

schem Anspruch im Allgemeinen und meine Betreuerin Prof. Iman Attia im Besonderen führten mich schließlich zu den Überlegungen des britischen Medien- und Kulturwissenschaftlers Stuart Hall (1932-2014).37 Der in Kingston geborene Hall, der in den 1950ern als Stipendiat nach Oxford gekommen war, betrachtete künstlerische Arbeiten als politische Interventionen innerhalb eines breiten diskursiven Kontextes. Seine Konzeptualisierung verschiedener Strategien von Identitätspolitik, die er anhand künstlerischer Arbeiten insbesondere aus der Strömung des New Black British Film entwickelte, stellen die Grundlage dieser Arbeit dar. Dies erlaubt, das Auftreten des Theaters und die inszenierten Inhalte als Eingriffe in die Strukturen des Theaterbetriebs und die öffentliche Debatte und somit als inhaltliche und strukturelle Ebenen verwebende politische Positionierungen zu untersuchen. Wissenschaftliche Aufarbeitung unter diesen Vorzeichen beschränkte sich zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Studie allerdings auf einen einzigen Artikel, in dem die Germanistin Katrin Sieg die Ballhaus-Inszenierung »Schwarze Jungfrauen« (2006) erhellend diskursiv kontextualisierte.38 Andere Stücke waren noch nicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden – die Erfolgsinszenierung »Verrücktes Blut« (2010) war eben erst herausgekommen, die breite Rezeption dieser Schlüsselproduktion und im Zuge dessen der postmigrantischen Theaterbewegung insgesamt hatte noch nicht begonnen.39 Bei dieser ersten Analyse im Rahmen meiner Magisterarbeit konzentrierte ich mich inhaltlich auf Bezugnahmen zu aktuellen Debatten um Einwanderung und insbesondere Islam und Muslimisch-Sein in Deutschland, die mir besonders relevant und konstruktiv erscheinen. Schließlich handelte es sich um eine Abschlussarbeit im Fach Islamwissenschaft. Es sei nochmals nachdrücklich betont, dass die Verhandlung von Islam-Themen im Repertoire des Ballhaus Naunynstraße keineswegs die zentrale Rolle einnahm, die ich ihr in dieser Arbeit einräume. Diese Schwerpunktsetzung ist ausschließlich meiner

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Ich danke Prof. Dr. Iman Attia für ihre eigene inspirierende Arbeit und die konkreten Literaturhinweise. Vgl. Sieg, Katrin (2010): »Black Virgins: Sexuality and the Democratic Body in Europe«, New German Critique 109, Vol 37, No 1, 147-185. Unter den zahlreichen seitdem entstandenen Analysen sei hier hingewiesen auf die Überblicksdarstellung von Layne, Priscilla/Stewart Lizzie (2021): »Racialisation and Contemporary German Theatre«, in Morosetti, Tiziana et al. (Hg.): The Palgrave Handbook of Theatre and Race, 39-60.

1. Einleitung

persönlichen Auswahl geschuldet, die sich primär an der islamwissenschaftlichen Relevanz der Inhalte orientiert. Unter den über dreißig bis 2010 entstandenen, sich mit unterschiedlichsten Aspekten vorwiegend deutschtürkischer Befindlichkeiten befassenden postmigrantischen Theaterproduktionen untersuche ich die zwei Inszenierungen, die den Islam und Muslimisch-Sein in Deutschland explizit in den Mittelpunkt rücken: »Schwarze Jungfrauen« (2006) und »Schnee« (2010). Daneben führe ich Beispiele aus vier weiteren Inszenierungen an, die zwischen diesen beiden Stücken entstanden sind, und meine inhaltlichen Schwerpunkte eher beiläufig mit verhandeln: »Jenseits – Bist du schwul oder bist du Türke?« (2008), »Die Schwäne vom Schlachthof« (2008), »Lö Bal Almanya« (2010) und »Verrücktes Blut« (2010). Als Auftragsarbeiten, Eigenproduktionen oder freie Adaptionen, die teilweise auf zeitgeschichtlichem Quellenmaterial beruhen und neue Perspektiven auf aktuelle Debatten anbieten, treten diese Stücke als postmigrantische Stellungnahmen dezidiert politisch auf. Ich befrage die Inszenierungen und ihre Präsentation durch das Ballhaus inhaltlich auf (Gegen-)Bilder eines fiktiven Islam sowie strukturell auf ihre identitätspolitische Verfasstheit, wobei die Analyse gerade der Verflochtenheit dieser beiden Ebenen nachgeht. Wie wurde die Islam-Debatte auf die postmigrantische Bühne gebracht? Welche Themen, Positionen, Sprechweisen wurden aufgegriffen? Wie wurden sie verhandelt, was wurde kritisiert und in Frage gestellt, und welche Gegenentwürfe wurden angeboten? Wer zeigte wem wie welche Perspektive? Wie beeinflussten Textbeschaffenheit, Inszenierung und die gesellschaftliche Positionierung der Kulturschaffenden selbst die Darstellung der Inhalte? Können so emanzipatorische Räume kreiert werden? Dabei motiviert mich die Hoffnung, dass die herausgearbeiteten Strategien angesichts zunehmend verhärteter Fronten in der Rede über den Islam in Deutschland auch auf anderen Ebenen als der des Theaters als Inspiration dienen können. Sowohl in der Debatte als auch in deren theatraler Verhandlung kristallisierten sich Muslimisierung und Vergeschlechtlichung als zentrale Knotenpunkte heraus. Damit bezeichne ich essentialisierende und homogenisierende Sprechweisen über Islam und Muslim_innen in Deutschland sowie das bevorzugte Andocken öffentlicher Debatten an Themen von (weiblicher) Sexualität und deren Regulierung. Sie dominieren die Debatten über Einwanderung und Islam in Deutschland und bieten die Folie, von der sich das Ballhaus Naunynstraße abzuheben bemühte, die aber weiterhin den Hintergrund

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

bildet, vor dem muslimisierte Körper auch auf postmigrantischen Bühnen sichtbar sind. Ich beginne mit einer Einführung in Stuart Halls theoretische Grundannahmen, es folgt ein Überblick über Einwanderung und Islam-Debatten in Deutschland im Hinblick auf die Verankerung der Narrative der Muslimisierung und Vergeschlechtlichung. Nachdem ich so den »Diskussionshintergrund« muslimisierter Körper in Deutschland vorgestellt habe, erläutere ich in einem Überblick über (post-)migrantische Theaterarbeit deren weitgehende Abwesenheit auf deutschen Bühnen. Dieser hinführende Teil konzentriert sich auf die Darstellung der strukturellen Einschränkung der Entfaltung postmigrantischer Kulturproduktion in Deutschland. Im zweiten Teil stelle ich Entwicklung, institutionelle Einbettung und Agenda der postmigrantischen Theaterinitiative vor und analysiere anhand ausgewählter Inszenierungen identitätspolitische Positionierungen zur Islam-Debatte. Meine beiden Grundfragen lauten: Welche identitätspolitischen Strategien werden in der Präsentation angewandt? Welche Bilder eines fiktiven Islam werden damit dargestellt? Deren Entwicklung beleuchte ich durch die Einteilung der Theaterstücke in drei Etappen, innerhalb derer Entstehungsreihenfolge, inhaltlicher Schwerpunkt und identitätspolitische Stoßrichtung korrelieren.

2. Theoretischer Rahmen

Stuart Halls postkoloniale Überlegungen zu Identitätspolitik Postkoloniale Studien1 widmen sich neben der Sichtbarmachung der Kontinuitäten (post-)kolonialer Machtstrukturen auch der Untersuchung jener Diskurse, die die hegemonialen kritisieren, zurückweisen, durchkreuzen, verschieben, ironisieren etc. Hierzu beschäftigen sie sich mit populärund subkulturellen Werken sowie mit Migrationskultur unter der Fragestellung ihrer Potentiale als gegenhegemoniale, antiessentialistische und subversive.2 Als solche in Reaktion auf hegemoniale Narrative aktiv konstruierte Gegenangebote untersuche ich im Folgenden Arbeiten des postmigrantischen Theaters Ballhaus Naunynstraße, wofür ich Stuart Halls Überlegungen zu Identitätspolitik als theoretisches Fundament heranziehe.3 Das Aufkommen des Begriffes Identitätspolitik ist mit dem Erstarken von sozialen Bewegungen verknüpft, die die Unterdrückung marginalisierter Gruppen anprangern und gleiche Rechte einfordern. Bestrebungen, die die 1

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Als Schlüsselwerke gelten u.a. Said, Edward (1979): Orientalism, New York; Spivak, Gayatri Chakravorti (1988): »Can the Subaltern Speak?«, in: Nelson, Cary/Grossberg, Lawrence (Hg.): Marxism and the Interpretation of Culture, Urbana, 271-316; Bhabha, Homi K. (1990): Nation and Narration, New York. Für eine instruktive Einführung vgl. Castro Varela, María/Dhawan, Nikita (2005): Postkoloniale Theorie: Eine kritische Einführung, Bielefeld bzw. ebd. (2015): Postkoloniale Theorie: eine kritische Einführung. 2., komplett überarbeitete Auflage, Bielefeld. Attia 2009): Die »westliche Kultur« und ihr Anderes: Zur Dekonstruktion von Orientalismus und antimuslimischem Rassismus, Bielefeld, 23f. Trotz seiner Bedeutung für Medienwissenschaft und v.a. die britischen Cultural Studies lese ich Hall durch meine Schwerpunktsetzung maßgeblich als postkolonialen Theoretiker.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Anerkennung von Differenz in den Mittelpunkt stellen, haben im Verlauf des 20. Jahrhunderts erhebliche gesellschaftliche Veränderungen angestoßen, sind aber auch immer wieder Motor für gewalttätige Konflikte geworden.4 Inzwischen fungiert der Begriff als Container für ein überaus divergentes Feld, in dem individuelle und kollektive, psychologische und politische Themen Betrachtung finden.5 Stuart Hall unterstreicht besonders die politische Relevanz des Kunstund Kulturbereichs: What does it mean to take seriously, in our present conjuncture, the thought that cultural politics and questions of culture, of discourse, and of metaphor are absolutely deadly political questions? That is my purpose. I want to persuade you that that is so.6 Dafür analysiert er den Eintritt von Angehörigen marginalisierter Gruppen in die Repräsentationsverhältnisse mit dem Ziel der aktiven Mitgestaltung des kollektiven Bildrepertoires, z.B. anhand des »New Black British Film« der 1980er, zu dem sich zahlreiche Parallelen zur postmigrantischen Theaterinitiative aufzeigen lassen.7 Vor dem Hintergrund der Thatcher-Ära in Großbritannien entstanden Überlegungen zu Konstellationen von Rassismus und dem Verhältnis zwischen Mehr- und Minderheiten, die – analog zum oben angeführten Konzept »fiktionaler Islam« – »an account of ethnicity as it is produced within representation«8 darstellen.9 Stuart Hall, der 1932 in Kingston/Jamaica geboren und 1951 als Rhodes-Stipendiat nach Oxford gekommen war, beschäftigte sich seit den 1980ern intensiv mit Identitätspolitik und arbeitete dabei unter anderem mit Konzepten von Antonio Gramsci, Frantz Fanon, Michel Foucault, Jacques Derrida, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe. Hall präsentierte sich gleichzeitig als wissenschaftlicher Beobachter, der 4 5 6 7 8 9

Vgl. z.B. Fraser, Nancy (2000): »Rethinking Recognition«, New Left Review 3 (Juni). Vgl. z.B. Niethammer, Lutz (2000): Kollektive Identität: Heimliche Quellen einer unheimlichen Konjunktur, Reinbek. Stuart Hall, zitiert nach Supik, Linda (2005): Dezentrierte Positionierung: Stuart Halls Konzept der Identitätspolitiken, Bielefeld, 10. Ein solcher Vergleich wäre lohnenswert, würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Procter, James (2004): Stuart Hall, London/New York, 125. Meine Hervorhebung. Durch diese Nähe der behandelten Inhalte und Herangehensweise bietet sich Stuart Halls Theorie als Grundlage für diese Arbeit an, wodurch sich die Unterschiede zwischen Großbritannien und Deutschland überbrücken lassen.

2. Theoretischer Rahmen

Zusammenhänge zu verstehen versucht, und als politischer Aktivist, der Erklärungen und Strategien zur Selbstreflexion und Weiterentwicklung von Ermächtigungsbewegungen anbietet.10 Er hat keine einzige Monographie publiziert, aber eine unüberschaubare Anzahl von Aufsätzen, darunter zahlreiche Beiträge in Lehrbüchern.11 Der Einfluss seiner im akademischen Bereich sowie von politischen Aktivist_innen breit rezipierten Untersuchungen kann kaum unterschätzt werden. So mögen die hier zur Analyse postmigrantischer Theaterarbeiten genutzten Ideen auch deren Konzeption mit inspiriert haben.12 Im Folgenden wird kurz gezeigt, warum Hall das Konzept »Identität« für überholt ansah, wie er es in »Prozesse der Identifizierung« umfüllte, um es weiterhin nutzbar zu machen, und welche identitätspolitischen Strategien er in der Konstruktion von Gegennarrativen zu hegemonialen Diskursen beobachtete.

Identität und Prozesse der Identifizierung Im Rahmen von Marxismus, Psychoanalyse, Sprach- und Diskurstheorie angesiedelte erkenntnistheoretische Umwälzungen haben in den letzten 150 Jahren eine tiefgreifende Dezentrierung des für autonom und homogen

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Die Selbstverortung als politisch Handelnder prägte auch seine berufliche Laufbahn: Seine Promotion brach er ab, um Herausgeber der marxistischen Zeitschrift »New Left Review« zu werden, zurück im akademischen Betrieb entfaltete er seine Lehrtätigkeit maßgeblich im Rahmen der nicht zugangsbeschränkten und auch als Fernuniversität operierenden »Open University«. Er hatte seine Dissertation nie vollendet, dafür aber zum Zeitpunkt seines Todes 2014 17 Ehrendoktorwürden inne und zählte zu den bedeutendsten Theoretiker_innen im Bereich Medienanalyse und Cultural Studies. Eine »vorläufige Bibliographie« führt bis 1994 über 300 Aufsatztitel an ohne Vollständigkeit zu beanspruchen, vgl. Koivisto, Juha (1994): »Stuart Hall: Bibliographie seiner Schriften«, in Hall 1994, 223-234. Für diese Arbeitsweise ist er als Eklektizist kritisiert und als Bricoleur und »Produzent selbstreflexiven und kontextbewussten situierten Wissens« gelobt worden, vgl. Nora Räthzel, zitiert nach Supik, 2005, 11. Tatsächlich finden sich explizite Bezugnahmen auf Hall von Seiten postmigrantischer Theatermacher in Langhoff, Shermin (2011b) (im Erscheinen): »Aufklärung und Rassismus oder die komplizierte Sache mit dem Verrückten Blut – eine verkürzte Darstellung«, Theater Heute Jahrbuch, zitiert nach dem unveröffentlichten Manuskript, o.S.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

gehaltenen kartesianischen Subjekts bewirkt:13 Geschichte als Prozess mit Eigendynamik gibt die Handlungsmöglichkeiten des Menschen vor, der, von unbewussten Trieben gelenkt, keineswegs als selbst-bewusster »Herr im eigenen Haus« agiert.14 Sprache beschreibt die Welt nicht nur, sondern konstituiert in sich selbst Sinn, was die Möglichkeit, die Welt erfassen zu können, fundamental in Frage stellt.15 In die Positionen, die der Mensch in der Welt einnimmt, wird er durch ihn durchdringende Diskurse, disziplinierende Institutionen und »Technologien des Selbst« hineingerufen.16 Gegenüber dem Versprechen der Modernität von der großen Zukunft: »Ich bin, ich bin der westliche Mensch, also weiß ich alles. Alles beginnt mit mir«, sagt der Modernismus: »Immer langsam. Was ist mit der Vergangenheit? Was ist mit den Sprachen, die du sprichst? Was ist mit dem unbewussten Leben, über das du nichts weißt? Was ist mit all den anderen Dingen, die dich sprechen?«17 Wenn das Subjekt also so wenig mit-sich-eins ist, warum weiterhin über Identität sprechen? »Wir kehren zu »Identität« […] zurück, um wieder eine Position zu finden, von der aus wir politisch handeln können«,18 begründete bell hooks [sic!] die bewusste Entscheidung für den problematischen Begriff. Um das Konzept für das Erfassen gesellschaftlicher Prozesse gerade aus der Perspektive marginalisierter Gruppen wieder nutzbar zu machen, führte Hall für ein Verständnis von Identität im Sinne von Prozessen der Identifizierung Erkenntnisse unterschiedlicher Disziplinen zusammen.

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Vgl. Hall, Stuart (1994d): »Alte und neue Identitäten, alte und neue Ethnizitäten«, in ders. 1994, 66-88; ders. (1994g): »Die Frage der kulturellen Identität«, in ders. 1994, 180-222, hier: 193f. Vgl. Supik 2005, 19f. Hier nimmt Hall Bezug auf die Psychoanalyse nach Sigmund Freud und Jacques Lacan. Vgl. Hall 1997, 234. Er bezieht sich auf die Sprachtheorie nach Ferdinand de Saussure und Jacques Derrida. Vgl. Supik 2005, 21. Hier nimmt Hall Bezug auf Michel Foucaults Analyse der Diskursmacht. Als zwei weitere Dezentrierungen benennt Hall den Feminismus und den Postkolonialismus, mit Hilfe derer darauf hingewiesen wurde, dass das vorher »natürliche« Subjekt nicht nur männlich, und ebenfalls nicht nur weiß und westlich bleiben könne. Stuart Hall zitiert nach Supik 2005, 18. hooks, bell [sic!] (1996): Sehnsucht und Widerstand: Kultur – Ethnie – Geschlecht, Berlin, 62.

2. Theoretischer Rahmen

Differenz und Dichotomie Für die Entwicklung eines »Selbst« ist der Mensch auf die Konfrontation mit dem »Anderen« angewiesen:19 Der Psychoanalytiker Jacques Lacan beschrieb als Urerfahrung dessen den Moment, in dem ein Kind sich erstmals im Spiegel selbst erkennt, und sich gerade dadurch seiner Getrenntheit und Verschiedenheit von der primären Bezugsperson, die zum »signifikanten Anderen« wird, bewusst werde. Das »Andere« nehme ab diesem Moment den Platz dessen ein, was begehrt werde und wieder vereinnahmt werden wolle, aber niemals wieder so erreicht werden könne wie vor der ersten bewussten Trennung.20 Hall schreibt: [T]he Lacanian insight that the subject is constructed across a »lack«, the self by its »others« [is] an absolutely fundamental point. […] Difference, therefore, is not something that is opposed to identity, instead it is absolutely essential to it.21 Vertreter der Kulturanthropologie22 wollten in der Bildung binärer Klassifikationssysteme ein vorherrschendes Prinzip menschlichen Denkens erkannt haben. Sich gegenüberstehende Gegensatzpaare seien dabei mit unterschiedlicher Wertung und somit Hierarchie verbunden, wie etwa gekocht/roh, warm/kalt, oder mit so weitreichenden gesellschaftlichen Dominanzverhältnissen einhergehende Dichotomien wie Mann/Frau oder Weiß/Schwarz.23 Diese Arbeit befasst sich mit der in der diskursiven Formation der »Muslimisierung« konstruierten hierarchisierenden Gegenüberstellung deutsch (westlich)/muslimisch. Als grundlegende Ordnungskategorien versprechen Dichotomien wie diese Stabilität und Sicherheit. »[M]atter out of place«,24 das keiner der Kate-

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Hall, Stuart/Maharaj, Sarat (2001): Modernity and Difference, London, 41. Diese Kernthese der Dekonstruktion geht auf die linguistischen Theorien de Saussures zurück und wurde von Jacques Derrida generalisierend weiterentwickelt. Für Halls Rezeption von Lacan vgl. Stuart Hall (1994f): »Der Westen und der Rest: Diskurs und Macht«, in ders. 1994, 137-179, hier: 140f. Hall/Maharaj 2001, 40f. Hall bezieht sich v.a. auf Mary Douglas, die in der Tradition von Claude Lévi-Strauss arbeitete. Vgl. grundlegend de Beauvoir, Simone (1949) : Le deuxième Sexe, Paris; Fanon, Frantz (1971) : Peau noire, masques blancs, Paris. Hall, Stuart (1997): »The Spectacle of the Other«, in ders. (Hg.): Representation: Cultural Representation and Signifying Practices, London, 223-229, hier: 236

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

gorien eindeutig zugeordnet werden kann, wird innerhalb einer solchen auf »entweder-oder«-Prinzipien aufgebauten Ordnung als symbolische Grenzverletzung rezipiert und verstört als Tabubruch oder Verlockung – man denke an die von Fanon beschriebenen »Menschen ohne Ufer, ohne Grenzen, ohne Farbe, Heimatlose, Nicht-Verwurzelte, Engel«.25 Die Positionierung als Postmigrant_in wäre dann deshalb so kontrovers, weil sich Menschen damit ebensolchen vereinfachenden Einordnungen (»nur deutsch«/»nur türkisch«) entziehen.

Relationalität und Kontingenz Bedeutung ist dabei, der Sprachtheorie nach Ferdinand de Saussure zufolge, nicht etwas, was einem Ding innewohnt und lediglich benannt werden muss. Vielmehr entstehe Bedeutung erst durch den Differenzierungsprozess, der in der und durch die Sprache vollzogen werde: Was »schwarz« bedeutet wissen wir nicht etwa, weil es so etwas wie ein essentielles »Schwarz-Sein« gäbe, sondern weil wir es »weiß« gegenüberstellen.26 Bedeutung sei in der Beziehung zum »Anderen« ständig im Entstehen und bleibe immer dem Vorbehalt »bis auf weiteres« verhaftet. Dieses unaufhörliche in-Bewegung-Sein bezeichnete Jacques Derrida als »Spielbewegung«.27 Mit dem Konzept der »différance«,28 das die Begriffe »Verschiedenheit« und »Aufschub« kombiniert, bezeichnete er das unendlich gleitende Spiel der prozesshaften, netzartigen Verknüpfungen, und damit »die Möglichkeit der Begrifflichkeit, des Begriffsprozesses und -systems überhaupt.«29 Derrida generalisierte das linguistische Konzept für die Erkenntnistheorie (»alles funktioniert wie Sprache«) und betonte – und diesen Punkt hebt auch Hall hervor –, dass die Bedeutung schaffenden Differenz-

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Frantz Fanon, zitiert nach Hall, Stuart (1994b): »Kulturelle Identität und Diaspora«, in ders. 1994, 26-43, hier: 30. Hall 1997, 234. Derrida, Jacques (1988): Die différance, in ders.: Randgänge der Philosophie, aus dem Französischen von Eva Pfaffenberger-Brückner, Wien, 29-52, hier. 37. Vgl. ebd. Das französische Wort différer enthält beide Bedeutungen, die Kombination beruht auf dem Substantiv différence (Verschiedenheit, adv. unterschiedlich sein) und dem Partizip différant (unterscheidend, aufschiebend sein). Für Halls Rezeption von Derrida vgl. Hall 1994b, 33f. Jacques Derrida, zitiert nach Supik 2005, 47.

2. Theoretischer Rahmen

beziehungen immer von Macht durchzogen seien, indem das Dominante das Schwächere inkorporiere.30

Zeitweilige Verdichtung und Dominanz Hall distanzierte sich allerdings von Derridas Vorstellung des »ewigen Spiels«,31 da das Abgleiten in die absolute Beliebigkeit der politischen Handlungsfähigkeit im Wege stehe. Nach Chantal Mouffe und Ernesto Laclau wirken Diskurse der endlosen Spielbewegung entgegen und festigen den Bedeutungsfluss, indem sie sich partiell und temporär um als Nahtstellen oder Knotenpunkte fungierende privilegierte Signifikanten herum formieren. Die Verdichtung um möglichst bedeutungsleere Signifikanten generiere Äquivalenzketten, die unterschiedliche Identifizierungen in Abgrenzung von einem »radikal Anderen« verknüpfen.32 Diese dichotomen Gegensatzpaar seien wiederum immer auch Dominanzverhältnisse, bei denen der eine Pol seine Identität durch die Zuschiebung unterdrückter Eigenschaften auf den anderen Pol stabilisiere.33 Ein aktuelles Beispiel für eine solche Äquivalenzkette ist die diskursive Funktion der Dichotomie Westen/Islam in aktuellen US-amerikanischen und europäischen Debatten: Unterschiedliche Bereiche – Werte, Regionen, Gesellschaften – werden durch abgrenzende Gegenüberstellung mit dem mit Negativeigenschaften aufgeladenen signifikanten »Anderen« »Islam« unter dem einenden, aber in sich an sich leeren Begriff des »Westens« zusammengeführt. Durch die Verkettung müssen die einzelnen Bestandteile nicht mehr als solche benannt werden, was einen Anschein von Homogenität produziert, Stabilität verspricht und »Ordnung schafft.« Jedoch bleibt die Beziehung von Subjekt und diskursiver Formation im Sinne einer »Artikulation«,34 d.h. der Verbindung zweier heterogener Elemente zu einer Einheit, die wieder gelöst werden kann, immer konditional. Durch die Verfestigungen an kontingenten Nahtstellen entstehen nur zeitweilige »arbiträre Schließungen«.35

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Hall 1997, 235. Hall1994b, 33. Moebius, Stephan (2009): Kultur, Bielefeld, 159. Supik 2005, 52. Dieser Vorgang beschreibt auf einer generalisierten Ebene, was Edward Said als Orientalismus bezeichnet hat, vgl. Said 1979, XX-YY. Im Englischen verfügt der Begriff über die Doppelbedeutung Ausdruck/Verbindung. Supik 2005, 53.

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Identification is, then, a process of articulation, a suturing, an over-determination, not a subsumption. There is always »too much« or »too little« – an overdetermination or a lack, but never a proper fit to reality.36 Kurz: Identität in Bezug auf das dezentrierte Subjekt bezeichnet keine homogene, abgeschlossene Entität, sondern »die instabilen Identifikationspunkte oder Nahtstellen, die innerhalb der Diskurse über Geschichte und Kultur gebildet werden. Kein Wesen, sondern eine Positionierung.«37 Etwas vereinfacht: Identitäten sind die Namen, die wir den unterschiedlichen Verhältnissen geben, durch die wir positioniert sind, und durch die wir uns selbst anhand von Erzählungen über die Vergangenheit positionieren.38 Identität als Positionierung beinhaltet also immer eine passive und eine aktive Komponente. Prozesse der Identifizierung konstituieren sich im Austausch mit dem »Anderen« und stellen zeitweilige Positionierungen dar, in denen das Subjekt sowohl passiv als auch aktiv auftritt. Der Versuch, das Verhältnis zwischen passivem Positioniert-werden und aktiver Positionierung zugunsten erweiterter Spielräume und Handlungsfähigkeit zu verändern, manifestiert sich in Identitätspolitik.

Identitätspolitik Stuart Hall untersuchte als Identitätspolitik die Bestrebungen von marginalisierten Minderheiten insbesondere bezüglich der Beteiligung an Repräsentationsverhältnissen, die das gesellschaftliche Bildrepertoire bestimmen. Zur Veranschaulichung der Wirkmächtigkeit passiver Positionierungen, an denen Identitätspolitik andockt, griff Hall auf das Hegemonie-Konzept von Antonio Gramsci (1891-1937) zurück. Dieser verfasste den Großteil seiner Schriften im Gefängnis, als politischer Gefangener des Mussolini-Regimes. In Abgrenzung von einer reduktionistischen Marxismuslesart fokussiert Gramscis Denken nicht nur ökonomische Aspekte, sondern bezieht die von sozialen Antago-

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Hall, Stuart (1996): »Introduction: Who needs ›Identity‹?«, in ders./du Gay, Paul (Hg.): Questions of Cultural Identity, London/New Delhi, 1-17, hier: 3. Hall 1994b, 30. Meine Hervorhebung. Ebd., 29.

2. Theoretischer Rahmen

nismen durchzogenen »Strukturen und Institutionen der Zivilgesellschaft«39 mit ein, was ihn für Halls inhaltliche Schwerpunktsetzung attraktiv macht.

Hegemonie Hegemonie bezeichnet im Denken von Antonio Gramsci ein Stadium in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen, bei dem es der herrschenden Gruppe gelingt, ihre Dominanzposition in der Gesellschaft zu verankern, indem die Interessen möglichst vieler unterschiedlicher (auch marginalisierter und unterdrückter) Gruppen mit einbezogen werden. Je breiter die Bündnisbildung und die Verankerung in unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft, die solche Konsensbildung trägt, desto weniger ist Herrschaft für ihre Durchsetzung noch auf Gewalt angewiesen, sie manifestiert sich vielmehr in einem »hohen Grad an sozialer und moralischer Autorität, nicht nur bei ihren unmittelbaren Anhängern sondern in der Gesellschaft als Ganzes.«40 Hegemonie erklärt so für Hall beispielsweise das häufig beobachtete Paradoxon der »›Unterwerfung‹ der Opfer des Rassismus unter die Mystifikationen gerade der rassistischen Ideologien, die sie fesseln und definieren«.41 Als gegenhegemoniale Taktiken benannte Gramsci die beiden Herangehensweisen des Bewegungs- und des Stellungskriegs. Im durch dezentrale Machtausübung und -verankerung charakterisierten Zustand der Hegemonie sei es unwahrscheinlich, dass ein Bewegungskrieg (ein Frontalangriff im richtigen Moment soll die möglichst endgültige Zerschlagung herbeiführen) zu gesellschaftlichem Wandel führe. Stattdessen müsse er in einen Stellungskrieg (einen auf lange Dauer ausgerichteter und an vielen Fronten gleichzeitig geführten Kampf) eingegliedert werden. Ohne außer Acht zu lassen, dass Gramsci seine Ideen unter sehr spezifischen Umständen entwickelte,42 schlägt Hall vor »Gramscianisch zu denken«, um die Konzepte für ein radikales Verständnis von Gesellschaft und Ausgrenzung metaphorisch anzuwen39 40

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Supik 2005, 86. Vgl. zu Gramsci weiterführend Bellermann, Johannes (2021): Gramsci politisches Denken. Eine Einführung, Stuttgart. Hall, Stuart (1989a): »Antonio Gramscis Erneuerung des Marxismus und ihre Bedeutung für die Erforschung von ›Rasse‹ und Ethnizität«, in ders. (1989): Ideologie – Kultur – Rassismus, Ausgewählte Schriften 1, Hamburg, 56-91, hier: 71. Ebd. 90f. Gramsci ging in den frühen 1930ern davon aus, dass das Format des revolutionären Umsturzes als primäres Mittel im sozialistischen Kampf gegen den Kapitalismus auf Grund unterschiedlicher gesellschaftlicher Verhältnisse nicht einfach von Russland auf die europäischen Industrienationen übertragen werden konnte.

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den.43 Die beiden Formationen von Identitätspolitik als Bewegungs- und als Stellungskrieg sieht er als »zwei sich beständig überschneidende und ineinander verwobene Phasen derselben Bewegung,«44 die sich vor allem dadurch unterscheiden, dass Identitätspolitik als Bewegungskrieg die Vorstellung von Identität im Sinne eines homogenen Subjekts beinhaltet, Identitätspolitik als Stellungskrieg hingegen auf das sich durch Prozesse der Identifizierung konstituierende dezentrierte Subjekt aufbaut. Die Übernahme des Kriegs-Vokabulars illustriert die Dringlichkeit radikaler gesellschaftlicher Konfrontation, die Hall emanzipatorischen Bestrebungen bescheinigte. Ich möchte im Folgenden dazu einladen, eher von Identitätspolitik 1 (für Bewegungskrieg) und Identitätspolitik 2 (als Stellungskampf) zu sprechen.

Strategien der Identitätspolitik Etwas Neues zu sagen, heißt zum Teil zuallererst, all die alten Dinge zu verdrängen, die die Wörter bedeuten – ein ganzes System von Bedeutungen zu bekämpfen.45 Bis in die frühen 1980er Jahre beobachtet Hall eine Konzentration emanzipatorischer Bewegungen auf Identitätspolitik als Bewegungskrieg,46 deren maßgebliche Strategien er anhand der »Black Power« Bewegung als Namensgebung, Umwertung, Vereinheitlichung und Frontbildung benennt. Diese stärkten Kollektivgefühle und könnten deutliche Impulse setzen. Die Grenze zwischen Subversion und Selbst-Kulturalisierung47 sei jedoch schmal, zudem gehe die Vereinheitlichung nach außen mit der Marginalisierung interner Widersprüche wie Fragen von Geschlecht, Klasse oder Sexualität einher. Wenn die Bildung einer geschlossenen Front auf der Konstruktion eines 43

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Vgl. Hall, Stuart (1994e): »Rasse‹: Artikulation und Gesellschaften mit struktureller Dominante«, in ders. 1994, 89-136, hier: 123; ders. (1987) »Gramsci and us«, Marxism today, Juni, 16-21; ders. 1989a, 63; kritisch Davis, Helen (2004): understanding stuart hall, London, 170f. Stuart Hall (1994a): »Neue Ethnizitäten«, in ders. 1994, 15-25, hier: 15. Stuart Hall, zitiert nach Supik 2005, 76. Supik 2005, 75f. Kulturalisierung bezeichnet die essentialisierende Reduktion auf Eigenschaften und Merkmale, die als kulturell bedingt angesehen werden.

2. Theoretischer Rahmen

wesenhaft guten »anderen« Subjekts beruhe, kulminiere dies in einer »bloße[n] Umkehrung«.48 So führe Identitätspolitik 1 durch die Fortschreibung essentialistischer Kategorien, die auf der Vorstellung von homogenen und in sich geschlossenen Subjekten beruhen, letztlich in eine Sackgasse. Fatima El-Tayeb formuliert dies als Grunddilemma emanzipatorischer Bewegungen: Ist es möglich, sich auf eine Gruppenidentität als Basis politischen Handelns zu beziehen, ohne gleich wieder Ausschlüsse und Essentialismen zu produzieren, die zwangsläufig dazu führen, dass das Emanzipationsprojekt die Strukturen reproduziert, gegen die es sich wendet?49 Identitätspolitik als Stellungskrieg hingegen sucht den Ausweg im Plural. Wenn Essentialimus dekonstruiert werden solle, müsse auch das Paradigma einer einheitlichen, und somit vereinheitlichenden, Frontlinie verworfen werden, zugunsten des Agierens von verschiedenen Punkten gleichzeitig: Bewegliche Positionierung ersetzt die imitierende Übernahme der Werte einer Gruppe.50 In unterschiedlichen Kontexten stehen unterschiedliche Zugehörigkeiten im Vordergrund, die simultane Zugehörigkeit zu mehreren Gruppen wird im kritischen Dialog mit diesen ausgehandelt. Der zentrale Schritt vom Bewegungs- zum Stellungskrieg zeichnet so den Unterschied zwischen der Vorstellung von Identität als mit-sich-eins-Sein und dem dargestellten Verständnis von Identität im Sinne von sich kontinuierlich in Aushandlung befindlichen Prozessen der Identifizierung nach. Allerdings erfordere die Einnahme einer Sprechposition immer eine momentane Abgeschlossenheit, die eine aktive Setzung einer »arbiträren Schließung« erfordert. Bedeutung in diesem Sinn ist wie eine Wette. Sie schließen eine Wette ab, nicht auf die Wahrheit, sondern auf das, was Sie sagen. Sie müssen irgendwo positioniert sein, um zu sprechen. Selbst wenn Sie sich nur positionieren um diese Position später wiederaufzugeben, selbst wenn Sie es

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Stuart Hall, zitiert nach Supik 2005, 80. Fatima El-Tayeb, zitiert nach El-Tayeb, Fatima et al. (2007): »Experimentelle (Frei-)Räume: Materielle Realitäten von Künstler/-innen of Color, Roundtable«, in Ha, Kien Nghi et al. (Hg.): Re-, Visionen: postkoloniale Perspektiven von People of Color auf Rassismus, Kulturpolitik und Widerstand in Deutschland, Münster, 323-336, hier: 323. Supik 2005, 94f

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später zurücknehmen wollen: Sie müssen in die Sprache eintreten, um aus ihr herauszukommen. Das ist das Paradox der Bedeutung.51 So bieten auch arbiträre Schließungen weiterhin Haftfläche für Essentialismen. Bewusst eingesetzt, kann der Rückgriff auf vereinfachende Kategorien als »strategischer Essentialismus«52 nutzbar sein, um einen gemeinsamen Kampf von verschiedenen Punkten aus zu ermöglichen, Geschichten von Homogenität bleiben weiterhin notwendige Fiktion.53 Identitätspolitik 2 löst das von El-Tayeb formulierte Dilemma also nicht auf, versucht aber, es durch eine spielerische Miteinbeziehung der Kontingenz und Wandelbarkeit von Positionierung und vor allem Selbstreflexivität zu entzerren. Selbstreflexivität kann allerdings »lediglich in dem Bewusstsein bestehen, dass ich von einem bestimmten Standpunkt aus spreche und mein Blick immer von dieser Perspektive bestimmt ist. Welches genau dieser Ort des Sprechens ist, werde ich niemals erfassen können«,54 weil der Ort, von dem aus gesprochen wird, sich durch den Akt des Sprechens bereits weiter verändert: Positionierung entsteht in und durch Repräsentation.

Identitätspolitik und Repräsentation […A]ctually identities are about questions of using the resources of history, language and culture in the process of becoming rather than being: not »who we are« or »where we came from«, so much as what we might become, how we have been represented and how that bears on how we might represent ourselves. Identities are therefore constituted within, not outside representation.55 Repräsentation funktioniert als operativer Begriff zur Beschreibung politischer Prozesse mit dem Ziel der Sichtbarmachung Marginalisierter.56 Wie 51 52

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Hall 1994d, 77. Hall verwendet diesen Begriff mit Spivak u.a., vgl. Supik 2005, 95. Vgl. auch die Anmerkungen von Hito Steyerl zur Ambivalenz des Strategischen Essentialismus in Steyerl, Hito: Die Gegenwart der Subalternen, Vorwort zu Spivak, Gayatri Chakravorti (2008): Can the subaltern speak? Postkolonialität und subalterne Artikulation, Wien. Procter 2004, 123. Supik 2005, 90. Hervorhebung im Original. Hall 1996, 4. Castro Varela, María/Dhawan, Nikita (2007): »Migration und die Politik der Repräsentation«, in Broden, Anne/Mecheril, Paul (Hg.): Re-Präsentationen: Dynamiken der Migrationsgesellschaft, Düsseldorf, 29-46, hier: 31.

2. Theoretischer Rahmen

Gayatri Chakravorty Spivak im Rückgriff auf Marx angemerkt hat, überlappen dabei die Bedeutungsfacetten »darstellen« und »vertreten«:57 Das Sprechen von beinhalte oftmals das Sprechen für das Dargestellte und könne somit dazu beitragen, die Sprechposition, die eigentlich in den Fokus gestellt werden soll, effektiv zu verdecken.58 Hall betrachtete Repräsentation vorwiegend bezüglich der Sichtbarkeit und aktiven Einflussnahme Marginalisierter in medialen Debatten sowie Kunst- und Kulturproduktion.59 Wer produziert, was ist sichtbar, und wie wird es gezeigt? Auch hier führen die vorgestellten Formationen von Identitätspolitiken zu unterschiedlichen Herangehensweisen. Ziel von Identitätspolitik 1 ist es, den Eintritt in die Repräsentationsverhältnisse zu ermöglichen, um »sich selbst ins Bild setzen« zu können, anstatt als Objekt dargestellt zu werden. Dabei dominieren mimetische Darstellungsweisen, die eine imaginierte »eigentliche« Realität nachzuahmen versuchen. Repräsentation fungiert hier als nachträglicher Kommentar zur »authentischen« Identität des homogenen Subjekts, die es möglichst ungefiltert wiederzugeben gilt. Identitätspolitik 2 hingegen betrachtet Identität als nicht nur in Repräsentation dargestellt sondern durch den Prozess der Repräsentation produziert. Dies geschieht durch das Erzählen und Wieder-Erzählen von Geschichte(n), die sich sowohl einer verkürzten Umwertung als auch einer Annahme von »Authentizität« in der Darstellung als »Andere« entgegenstellen. Da wir, wie oben ausgeführt, nie aussprechen können, von wo wir sprechen, sind auch »der Sprechende und das Subjekt, über das gesprochen wird, niemals identisch.«60 Auch Autobiographie ist in diesem Sinne immer Fiktion. Neue, gebrochene Narrative sollen sich der Komplexität der Gegenwart annähern, das Erzählen von Geschichten der Vergangenheit (nicht als Enthüllung dessen, »wie es eigentlich gewesen«,61 sondern als die Erzählung der Vergangenheit,

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Spivak 1988. Ebd., 276. Hall ist deshalb vorgeworfen worden, die Unterscheidung zwischen dem politischen und rhetorischen Aspekt der Repräsentation zu vernachlässigen, vgl. Claudia Rademacher, zitiert nach Supik 2005, 96. Hall 1994b, 26. von Ranke, Leopold (1824): Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535, Leipzig/Berlin, IV. Es handelt sich hierbei um eine exemplarische Formulierung für die lange prägende geschichtswissenschaftliche Schule des Historismus.

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die jetzt Bedeutung hat) die selektive Amnesie nationaler Geschichtsschreibung angreifen. Als gelungene Umsetzung von Identitätspolitik 2 führte Hall den Film »My beautiful laundrette« (1985) an. Dessen Autor Hanif Kuraishi betonte den politischen Anspruch seiner ästhetischen Herangehensweise: Wenn man einen ernsten Versuch unternehmen möchte, das gegenwärtige Britannien in seinen »Rassen«- und Farbmischungen, seiner Hysterie und Verzweiflung zu verstehen, dann muß das Schreiben darüber komplex sein. Ich kann mich dafür nicht entschuldigen oder es idealisieren. Ich kann nicht sentimental darüber werden. Ich kann nicht versuchen, auch nur eine dieser Gruppen darzustellen, als ob sie im Besitz des totalen, ausschließlichen, wesentlichen Monopols der Tugend wäre. Eine langweilige Protest- oder Gemeindeliteratur, sei sie schwarz, schwul oder feministisch, ist langfristig politisch nicht effektiver als Arbeiten, die nur den Public Relations dienen. Was wir jetzt, an dieser Stelle, zu dieser Zeit brauchen, ist phantasievolles Schreiben, das uns einen Begriff von den Veränderungen und den Schwierigkeiten vermittelt, in denen unsere Gesellschaft als Ganzes sich befindet.62 Die in dieser Arbeit untersuchten identitätspolitischen Interventionen der postmigrantischen Theaterinitiative beziehen sich auf die Veränderungen »unserer Gesellschaft als Ganzes«, wie sie sich in hegemonialen Sprechweisen zu Einwanderung und Islam in Deutschland manifestieren.63 Dabei ist die Anwendung postkolonialer Ansätze auf den Umgang mit sogenannten Minderheiten in Deutschland hilfreich, denn sie lenken den Blick darauf, dass es sich bei der Debatte um Einwanderung, Integration und Ausschluss von (Post-)Migrant_innen maßgeblich um eine Verhandlung deutscher und zukünftiger Identität handelt.64 62 63

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Hanif Kureishi, zitiert nach Hall 1994d, 87f. Meine Hervorhebungen. Deutsch: »Mein wunderbarer Waschsalon«, Buch Hanif Kureishi, Regie Stephen Frears. Wer postkoloniale Ansätze auf deutsche Zustände anwendet, musste sich lange gegen die weit verbreitete Ansicht durchsetzen, die deutsche Kolonialvergangenheit sei zu vernachlässigen, postkoloniale Ansätze deshalb nicht relevant. Seit Verfassen dieser Studie ist die lang aufgeschobene Auseinandersetzung mit den bis ins 21. Jahrhundert weitgehend unaufgearbeiteten deutschen Kolonialverbrechen etwas breiter in Gang gekommen. Dies ist vor allem langjähriger aktivistischer Arbeit geschuldet und zeigt sich anlässlich von aktuellen Debatten etwa um das Berliner Humboldtforum oder die Frage von Reparationen. Vgl. Attia 2009, 17.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

Ein »widerspenstiges Einwanderungsland« Einwanderung hat die Bundesrepublik Deutschland in den letzten Jahrzehnten stark geprägt und in ihrer demographischen Zusammensetzung massiv verändert. Arbeitsmigrant_innen und (Spät-)Aussiedler_innen sowie deren Familien stellen neben den inzwischen Freizügigkeit genießenden EUBürger_innen die zentralen Einwanderungsgruppen im heutigen Deutschland dar,1 die Türkei und Russland sind zahlenmäßig die beiden wichtigsten Herkunftsländer. Für die vorliegende Studie ist die türkeistämmige Bevölkerung von besonderer Relevanz. Neben politischen Flüchtlingen, die im Kontext der Militärputsche und Repressionen gegen Kurd_innen Zuflucht in Deutschland suchten, speist sich diese zum größten Teil aus ehemaligen Arbeitsmigrant_innen und deren Familienangehörigen. 1

Ich beziehe mich in meiner Darstellung ausschließlich auf die Bundesrepublik. Auf die Geschichte der Ein- und Auswanderung vor 1950 gehe ich nicht ein. Mit dem Politikwissenschaftler Kien Nghi Ha sollte jedoch daran erinnert werden, dass die ethnisch relativ einheitliche Bevölkerungsstruktur, mit der die Bundesrepublik Deutschland in den 1950ern »dem zweifelhaften Ideal einer völkisch homogenen ›Kulturnation‹ so nah [kam] wie nie zuvor«, einen historischen Ausnahmefall darstellte, Ha, Kien Nghi (1999): Ethnizität und Migration, Münster, 20. Fremd waren so vor allem die 12 Millionen Geflüchteten aus Osteuropa, die zwischen 1945 und 1961 nach Westdeutschland kamen, siehe Flam, Helena (Hg.) (2007a): Migranten in Deutschland: Statistiken, Fakten, Diskurse, Konstanz, 293. Einen Überblick über die Kontinuitäten deutscher Einund Auswanderung bieten u.a. Froböse, Ulrike (2007): »Nation, Staat und Staatsbürgerschaft: Deutsche Ein- und Ausschlüsse in historischer Perspektive«, in Flam 2007a, 206-234. Man beachte auch den ausführlichen Überblick zu Zwangsarbeiter_innen in Herbert, Ulrich (2003): Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland: Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, Bonn.

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Nach Erreichen der nominellen »Vollbeschäftigung« schloss Deutschland, dessen arbeitsfähige Bevölkerung nach dem Krieg stark dezimiert war, zwischen 1955 und 1968 Abkommen über die Anwerbung von Arbeitskräften aus vorwiegend südeuropäischen Ländern ab.2 Die Einbeziehung der Türkei war erst umstritten.3 Als durch die sukzessive Schließung der Grenzen der DDR der Strom von Arbeiter_innen aus Ostdeutschland versiegte, kam das Abkommen mit der Türkei 1961 doch zustande. Besonders Berlin hatte aufgrund des Mauerbaus einen sprunghaft angestiegenen Bedarf an Arbeitskraft zu verzeichnen.4 Im Rahmen des Abkommens kamen über die Jahre rund 14 Millionen Menschen nach Deutschland. Ihr Aufenthalt war als temporärer geplant, und tatsächlich kehrten rund 80 % (ca. 11 Millionen) wieder in die Herkunftsländer zurück.5 Nach dem Anwerbestopp 1973 waren noch lediglich 1,8 Millionen ausländische Arbeitnehmer_innen im Land. Dennoch besiegelte paradoxerweise gerade der Anwerbestopp »den Beginn der faktischen und kontinuierlichen Einwanderung nach Deutschland«:6 Da eine legale Wiedereinreise nach Rückkehr in die Herkunftsländer kaum noch möglich gewesen wäre, entschlossen sich viele Arbeitsmigrant_innen zum Bleiben.7 Die teilweise bürgerkriegsähnliche Situation in der Türkei bewog viele Menschen, die Rückkehr weiter aufzuschieben und stattdessen Familienmitglieder nachzuholen. Seit den späten 1970er Jahren stieg die Zahl der langfristig in Deutsch-

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Italien (1955), Spanien und Griechenland (1960), Türkei (1961), Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965), Jugoslawien (1968). Dabei wurde angeführt, es handele sich um ein Entwicklungsland, dem am eigenen Aufbau gelegen sein sollte. Noch nicht aufgenommene Entsendungsländer könnten Ansprüche geltend machen, auch die Zweifel an der Kompatibilität der »fremden Mentalität« wurden angemeldet. Andererseits meldeten deutsche Arbeitgeber, die bereits Erfahrung mit türkischen Arbeitern gemacht hatten, weiteres Interesse an. Vgl. Die Arbeitsämter der Bundesrepublik (1961): »Die Türken kommen«, in Göktürk, Deniz et al. (Hg.) (2011): Transit Deutschland: Debatten zu Nation und Migration, München, 50f. Bade, Klaus/Oltmer, Jochen (2005): »Einwanderung in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg«, in: Kölnischer Kunstverein (Hg.): Projekt Migration: Ein Initiativprojekt der Kulturstiftung des Bundes, Ausstellungskatalog, Köln, S. 74-81. Meinhardt, Rolf (2005): »Einwanderungen nach Deutschland und Migrationsdiskurse in der Bundesrepublik – eine Synopse«, in Meinhardt, Rolf/Kerber, Anne (Hg.): Schule in der Einwanderungsgesellschaft: Ein Handbuch, Schwalbach, 24-55, hier: 35. Meinhardt 2005, 36. Allievi, Stefano (2005): »How the Immigrant has become Muslim: Public Debates on Islam in Europe«, Revue européenne des migrations internationales 21, no 3, 135-163, hier: 137.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

land Lebenden, die nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügten, kontinuierlich an. Stuart Hall beobachtet in postkolonialen Zusammenhängen eine Verschiebung von biologisierten Rassismen zu Marginalisierungen, die sich auf »kulturelle« Differenzen berufen und vor allem Einwander_innen betreffen.8 »Die ausgeschlossene Gruppe verkörpert das Gegenteil der Tugenden, die die Identitätsgemeinschaft auszeichnen.«9 Solche Ausgrenzungspraktiken basieren auf der Stabilität versprechenden Spaltung der Welt in Binaritäten (vgl. Kap. 2.2). Sie führen dazu, bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen oder symbolischen Gütern und somit symbolisch aus der Gemeinschaft (der Familie, der Nation) auszuschließen, und durch diesen Ausschluss den Konsens über die Mehrheitsidentität zu festigen, auf dem Hegemoniebildung beruht. Im deutschen Kontext stellte jahrzehntelang die Staatsbürgerschaft ein solches Gut dar, das einerseits stark symbolisch überzeichnet war, andererseits ganz praktisch politische und materielle Zugänge monopolisierte. Mit »Deutschland ist kein Einwanderungsland,«10 formulierte Helmut Kohl 1983 ein Paradigma, das bis zum Ende des 20. Jahrhunderts weitgehend unangefochten bestehen blieb. Die dauerhafte Niederlassung ausländischer Arbeitnehmer_innen erkannte der Gesetzgeber dennoch an, und schuf neben den im Rahmen von »Duldungen« institutionalisierten Ausschlüssen zahllose Sonderregelungen für die Eingliederung in Arbeitsmarkt und Sozialsysteme.11 Trotz unterschiedlicher Initiativen für eine auf mehr Nachhaltigkeit ausgerichtete Einwanderungspolitik blieben etwa staatsbürgerliche Rechte für einen großen Teil der Einwander_innen unzugänglich, während Verwal-

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Hall, Stuart (2000): »Rassismus als ideologischer Diskurs«, in Räthzel, Nora (Hg.): Theorien über Rassismus, Hamburg, 5-16, hier: 11. Hall 2000, 14. Kohl, Helmut (1991): Regierungserklärung zur 12. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, 30.1, http://helmut-kohl.kas.de/index.php?menu_sel=17&menu _sel2=&menu_sel3=&menu_sel4=&msg=609 (30. April 2011). Einen interessanten Ansatz zum Weiterdenken bietet die türkische Sozialwissenschaftlerin Yasemin Soysal, in diesem Kontext auf die Entstehung post-nationaler Formen der Mitgliedschaft hingewiesen hat, die das Primat der Staatsangehörigkeit in Frage stellen, vgl. Soysal, Yasemin (1995): Limits of Citizenship: Migrants and Postnational Membership in Europe, Chicago; Göktürk et al. 2011, 29.

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tungsinstanzen ihren Alltag durch »ad hoc regulations, ambiguous policies, cultural initiatives, and social programs«12 regulierten. Das Beharren auf der »staatsbürgerliche[n] ›Unsichtbarkeit‹«13 eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung hängt auch mit der quasi-ethnischen Definition des Deutsch-Seins zusammen, wie sie das Grundgesetz anlegt.14 Zurückgehend auf eine Klausel von 1913, bestand ein Anrecht auf die deutsche Staatsbürgerschaft bis in die 1990er im Sinne des »Blutrechts« (jus sanguinis) nur qua Nachkommenschaft. Die Beibehaltung dieser Regelung ist auf das Selbstverständnis Westdeutschlands als Aufnahmeland für Ostdeutsche und deutschstämmige Minderheiten aus Osteuropa während des Kalten Krieges zurückgeführt worden.15 Erst die Neuverhandlung deutscher Identität seit der Wiedervereinigung habe es erlaubt, die Frage der Einwanderung wieder aufzugreifen.16 Durch eine Gesetzesänderung wurde 1993 erstmals ein nicht-ethnisch begründetes Recht auf Einbürgerung eingeführt, bevor 2004 das neue »Zuwanderungsgesetz« Deutschland formell als Einwanderungsland bestätigte, wenn auch »[…] im Vergleich zur gesellschaftlichen Realität im DefactoEinwanderungsland um mindestens ein Vierteljahrhundert verspätet«.17 Deniz Göktürk kritisiert, dass die Neuprägung des Begriffs »Zuwanderung«, die die Verweigerung des Einwanderungsbegriffs kompensieren solle, die »Unterscheidung von Einheimischen und Dazugekommen«18 hartnäckig fortschreibe. So ermöglicht die im Zuge des Zuwanderungsgesetzes 2004 eingeführten Kategorie »Migrationshintergrund« weiterhin die statistische Mar12 13

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Göktürk, Deniz et al. (2007): »Introduction«, in dies. (Hg.): Germany in transit: Nation and Migration, 1955-2005, Berkeley, 3-17, hier: 3. D’Amato, Gianni (2000): »Die politische-rechtlichen Bedingungen«, in Chiellino, Carmine (Hg.): Interkulturelle Literatur in Deutschland: Ein Handbuch, Stuttgart, 18-35, hier: 18. Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelungen, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.«, Grundgesetz, Artikel 116. Christian Joppke, zitiert nach Rostock, Petra/Berghahn, Sabine (2008): »The ambivalent role of gender in redefining the German nation«, Ethnicities 8/3, September, 345364, hier: 348. Joppke, zitiert nach Rostock/Berghahn 2008, 349. Bade/Oltmer 2005, 81. Göktürk, Deniz et al. (2011a): »Einleitung«, in dies. 2011, 21-42, hier: 23.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

kierung auch seit mehreren Generationen in Deutschland Ansässiger. Das statistische Bundesamt erfasst mit dieser Kategorie Personen, die nach 1950 eingewandert sind, sowie deren Kinder,19 was um 2010 rund 18 % der deutschen Staatsbürger_innen betraf. Dabei ist eine deutliche Konzentration im urbanen Raum zu beobachten, bei in Großstädten heranwachsenden Kindern sind die mit sogenanntem Migrationshintergrund bereits in der Mehrheit.20 Des weiteren verfügt auch nach der Öffnung des Zuwanderungsrechts eine große Anzahl Menschen, die in Deutschland geboren und/oder sozialisiert sind, aus verschiedenen Gründen nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft und die damit einhergehenden Rechte. Allerdings ging die formaljuristische Gleichstellung keineswegs mit einer sozialen einher.21 In der Bezeichnung »Gastarbeiter_in«, nicht dem offiziellen, aber dem gängigen Begriff, war die »beruflich-soziale Klassifizierung mit dem Schwergewicht un- bzw. angelernten Arbeitern«22 bereits angelegt. Die importierte Arbeiter_innenklasse gestattete vielen deutschen Arbeiter_innen den sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg durch Beförderung und die staatlich geförderte Bildungsoffensive.23 Zudem fungierte sie (teilweise bis heute) als Puffer für den deutschen Arbeitsmarkt.24 Einwander_innen, die als Arbeitsmigrant_innen nach Deutschland kamen, und ihre Nachkommen sind weiterhin ungleich stärker von Diskriminierung und sozialer Prekarität betroffen.25 Bei Einwanderungsgruppen, bei denen mangelnde Bildung und schlechte Aufstiegschancen mit sexistischer Unterdrückung innerhalb

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Die Definition umfasst »alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil«, Statistisches Bundesamt (Hg.) (2010): Bevölkerung mit Migrationshintergrund: Ergebnisse des Mikrozensus 2009, Wiesbaden, 4f. Vgl. Statistisches Bundesamt 2010, dass. (Hg.) (2011): Ausländische Bevölkerung: Ergebnisse des Ausländerzentralregisters, Wiesbaden. Vgl. Emcke, Carolin (2010): »Liberaler Rassismus«, Die Zeit, 25.2., www.carolin-emcke.de/de/article/91.liberaler-rassismus.html (5. August 2010). Bade/Oltmer 2005, 73. Ebd. Herbert 2003, 219. Vgl. die im Rahmen einer groß angelegten europäischen Studie entstandenen Untersuchungen zu institutioneller Diskriminierung in Schule, Arbeitsmarkt und Gesellschaft in Flam 2007.

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von Familien und rassistischer Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft zusammentreffen, haben sich soziale Probleme tief eingefahren.26 Helena Flam spricht aufgrund der Breite der weiterhin bestehenden alltäglichen und strukturellen Benachteiligung und Prekarisierung deshalb von Deutschland als einem »widerspenstigen Einwanderungsland.«27 Dabei muss mit einbezogen werden, dass in Deutschland in den Nullerjahren ein kontroverses Verhältnis zum Umgang mit Rassismen vorherrschte, das von massiven Verdrängungsmechanismen (denial) geprägt war. Während in den USA oder Großbritannien Begriffe wie Ethnizität und race selbstverständliches Vokabular von Debatten um kollektive Identitäten, soziale Ungleicheit und Integration darstellten, waren diese in der deutschen Debatte weitgehend abwesend. Obwohl sich dies vor dem Hintergrund deutscher Geschichte begründen ließ, kritisierte etwa der Jurist Cengiz Barskanmaz, dass es so auch an Messkategorien für mit Fragen von Herkunft oder rassistischen Zuschreibungen verknüpfter Ausgrenzung mangele: Wo nicht über »Rasse« gesprochen werde, verschwinde Rassismus nicht, werde aber schwerer zu markieren.28 Stattdessen stieg der schon seit der Multikulturalismus-Debatte notorisch unterdefinierte Topos der »kulturellen Unterschiede« wieder hoch im Kurs, worin sich auch nach der Öffnung der Staatsbürgerschaftsrechts ein Wandel der »symbolischen Währungen« niederschlägt29 : Besonders seit dem Mauerfall wurde in Deutschland wieder vermehrt über die Rolle und Beschaffenheit von Werten und (»Leit-«)Kultur als Grundlage gesellschaftlichen Miteinanders diskutiert, etwa im Zuge von Versuchen […] to fill »Germanness« with new content. As a result of the lessons learned from the National Socialist regime, »german« is not referred to as an ethnic category. It is associated rather with secularity and gender equality, treated

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Leider bietet diese Arbeit keinen Raum, um auf so schwerwiegende Probleme wie beispielsweise die Missachtung von Frauenrechten in diesem Kontext einzugehen. Damit möchte ich die Virulenz der Problematik keineswegs relativieren, meinen Schwerpunkt aber dennoch auf die meines Erachtens vom Problem an sich trennbaren diskursiven Verhandlung desselben legen. Flam, Helena (2007a): »Einleitung«, in dies. 2007, 7-34, hier: 7. Barskanmaz, Cengiz (2008): »Rassismus und Recht: Postkolonialismus, ›Rasse‹ und Weißsein. Notwendigkeit einer deutschen Critical Race Theory«, Kritische Justiz 3, 296302. Göktürk et al. 2011a, 25.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

as general attributes of modern societies, and with a specific form of religion and religiosity and ›German Value System‹ (deutsche Werteordnung) supposedly originating from Christian Ethics.30 Dabei wird oft nicht berücksichtigt, dass die »Kultur«, auf die Bezug genommen wird, »niemals statisch und homogen gewesen ist, sondern durch Reibung und Einverleibung Gestalt angenommen hat.«31 In Anbetracht des oben dargestellten beträchtlichen demographischen Wandels verwundert es nicht, dass die deutsche Gesellschaft sich in Bezug auf Zusammensetzung und Selbstverständnis mit Reibungspunkten auseinanderzusetzen hat. Alarmierend ist jedoch, wie stark und agrressiv sich die Stoßrichtung dabei auf einzelne Themengebiete und Einwanderungsgruppen konzentriert.

Muslim_innen und Islam-Debatten in Deutschland Mit den Einwanderungsbewegungen aus der Türkei, aus dem Balkan, teilweise auch aus den arabischen Ländern und dem Iran, ist auch der Anteil von Muslim_innen an der deutschen Bevölkerung angewachsen. Schätzungen über die Anzahl von Menschen mit angenommener islamischer Prägung bewegten sich um 2010 zwischen 3,8 und 4,2 Millionen, was sich auf rund 5 % der deutschen Bevölkerung belaufen würde.32 Kriterien für die Messung von Religionszugehörigkeit sind allerdings schwierig zu definieren.33 Da die 30 31 32

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Rostock/Berghahn 2008, 347. Göktürk et al. 2011a, 25. Die Angaben entstammen einer im Auftrag der Islamkonferenz herausgegebene Studie, die durch die Miteinbeziehung auch der Nachkommen von Einwander_innen und einer größeren Zahl potenzieller Herkunftsländer bessere Ergebnisse erzielt haben will. Auch sie stellt die Frage nach dem individuellen Bekenntnis zur oder gegen die Religion erst in zweiter Instanz, definiert also über den Familienhintergrund. Danach gliedern sich die Muslim_innen in Deutschland in 74 % Sunniten, 13 % Aleviten, 7 % Schiiten und diverse kleinere Gruppen wie Ahmadiyya oder Sufis. Mit 45 % verfügt knapp die Hälfte der so berechneten Muslim_innen mit Migrationshintergrund über die deutsche Staatsbürgerschaft. Als Herkunftsländer rangieren hinter der Türkei (über 60 %) zunächst südosteuropäische Länder wie Bosnien, Bulgarien und Albanien (14 %), gefolgt vom arabischen Raum (8 % Naher Osten, 7 % Nordafrika). Vgl. Haug, Sonja/Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Hg.) (2009): Muslimisches Leben in Deutschland: Im Auftrag der Deutschen Islam-Konferenz, Nürnberg. Interessiert dabei das individuelle Bekenntnis zu einer Religion, zu bestimmten Werten oder Symbolen, oder eine angenommene familiäre Prägung? Wie sind die über

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Religionszugehörigkeit in Deutschland nicht erfasst wird,34 werden die Angaben durch Rückschlüsse aus anderen Kategorien hochgerechnet, meist im Rückgriff auf Statistiken, die eigentlich Migrationsbewegungen erfassen.35 Dabei organisierten sich muslimische Einwander_innen anfänglich wenig in religiösen Strukturen. Nina Clara Tiesler verortet den Beginn einer »Neuen Islamischen Präsenz« in den 1980er Jahren.36 Erst nach der durch Anwerbestopp und Familiennachzug zunehmend realisierten Sesshaftigkeit habe sich durch langsame Institutionalisierung, vor allem entlang der hierarchischen Gliederung nach deutschem Recht strukturierter Vereinsmodelle, muslimisches Leben in Europa auch über den privaten Raum hinaus konstituiert.37 Tiesler führt dies darauf zurück, dass die für Institutionalisierungsprozesse maßgeblich verantwortliche gebildete Mittelschicht erst zu diesem Zeitpunkt auf den Plan trat.38 Einwander_innen und ihre Nachkommen begannen, Präsenz zu zeigen und Respekt für Partikularitäten einzufordern. Tiesler weist darauf hin, dass es sich hier bereits nicht mehr ausschließlich um in den Heimatländern ausgeübte Praktiken handelte, sondern um eine im spezifischen Kontext konfigurierte »Europäisierung des Islam«.39 Theolo-

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zahlende Mitgliedschaft organisierten institutionalisierten christlichen Staatskirchen mit anderen Religionsgemeinschaften zu vergleichen? Das Standesamt erfasste nur die christliche Konfession. Vgl. Haug 2009; kritisch Spielhaus, Riem (2006a): »Migration und Sicherheit – Religion und Identität: Die Muslime in Deutschland sind kein homogenes Kollektiv, schon gar kein religiös definiertes«, Internationale Politik 61, 28-37, hier: 30f.; Thielmann, Jörn (2008): »Introductory Explanations«, in Al-Harmaneh/Thielmann 2008, 1-29, hier: 3. Die Mehrheitsreligion des Herkunftslands (auch der Eltern) wird dann als Religionszugehörigkeit angenommen. Die Fehlerquote dieses Verfahrens liegt auf der Hand: So werden Atheisten und nicht praktizierende Muslim_innen ebenso mit eingerechnet wie beispielsweise ein Nachkomme ägyptischer Kopten oder eine türkische Jüdin. Autochthone Muslim_innen hingegen würden nicht gezählt. Vgl. Tiesler, Nina Clara (2006): Muslime in Europa: Religion und Identitätspolitiken unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen, Münster, 142f. Der Begriff geht zurück auf Gerholm, Tomas/Lithman, Yngve (Hg.) (1988): The New Islamic Presence in Western Europe, London. Vgl. Tiesler, Nina Clara (2007): »Europäisierung des Islam und Islamisierung der Debatten«, Aus Politik und Zeitgeschichte 26/27, 24-32, hier: 25f. Vgl. Tiesler 2007, 26. Sie nennt ausländische Studierende sowie die ersten Vertreter einer in Deutschland herangewachsenen »zweiten Generation«. Tiesler 2007.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

gische Überlegungen zu einem »Euro-Islam«40 ebenso wie als »Pop-Islam«41 klassifizierte Trends unter Jugendlichen, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts Aufsehen erregten, zeugen von dieser »transition between an Islam in Europe and an Islam of Europe«.42 Schritt für Schritt bewegen sich Muslim_innen über die ihnen im Sinne einer »vorübergehenden« Ausländerpolitik zugewiesenen segregierten Räume hinaus und beanspruchen, zunehmend unter Berufung auf europäische Werte und Regularien wie das Recht auf Religionsfreiheit, Anerkennung und Sichtbarkeit auch innerhalb deutscher Institutionen und öffentlicher Räume.43 Von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit blieb muslimisches Leben in Deutschland lange weitgehend unbeachtet.44 Erst in den 1990er Jahren rückte das religiöse Leben der Einwander_innen ins Blickfeld von Forschung und öffentlicher Debatte, um schließlich jenen Platz »at the center of debates on regional, national, and European identities«45 einzunehmen, der die Religionswissenschaftlerin Clara Nina Tiesler bewegte, von einer »Islamisierung der Debatte«46 zu sprechen. Nach dem als »Ende der Geschichte«47 empfundenen Zusammenbruch der Weltaufteilung in ideologische Blocks haben andere Kategorisierungen an Wirkmacht gewonnen. Manche erkannten einen »Wettstreit der Werte«,48 andere eine »Rückbesinnung« auf die Religion.49 Mit einer Aufwertung des 40

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Dieser von Bassam Tibi geprägte Begriff wird als Selbst- und Fremdbezeichnung für unterschiedlichste Inhalte verwendet, vgl. Tibi, Bassam (2009): Euro-Islam, Darmstadt, Ramadan, Tariq (2001): Muslim-Sein in Europa, Marburg. Gerlach, Julia (2006): Zwischen Pop und Dschihad: muslimische Jugendliche in Deutschland, Berlin. Allievi 2005, 143. Vgl. ausführlich Benhabib, Seyla (2004): The Rights of Others: Aliens, Residents, and Citizens, Cambridge. Vgl. Spielhaus 2006, 29. Vgl. Shooman, Yasemin et al. (2010): »The concept of the Muslim enemy in the public discourse: Religion, Politics and Law«, in Cesari 2010, 198-228, hier: 228. Tiesler 2006, 124. Vgl. Fukuyama, Francis (1989): »The End of History?«, The National Interest, (Sommer), o.S. Vgl. Krämer, Gudrun (2005): »Wettstreit der Werte: Anmerkungen zum zeitgenössischen islamischen Diskurs«, in Joas, Hans/Wiegandt, Klaus (Hg.): Die kulturellen Werte Europas, Bonn, 469-493. Vgl. Tiesler 2006, 100f.

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Konzepts von einander gegenüberstehenden, abgeschlossenen »Kulturkreisen«50 ging auch eine Tendenz einher, die Religion, nachdem sie von Anhänger_innen von Säkularisierungstheorien als gesellschaftsformende Kraft schon verworfen worden war, als prägenden Faktor in einer post-säkularen Welt wieder miteinzubeziehen. Diese These scheint durch zahlreiche Konflikte und Bewegungen, in deren legitimierender Rhetorik ethnische oder religiöse Zugehörigkeiten einen prominenten Platz einnehmen, bestätigt zu werden.51 Ideologien, die am Islam andocken, wird dabei allerdings mehr Aufmerksamkeit zuteil als radikalen Ausformungen anderer Religionen.52 Seit den späten 1970er Jahren sind Strömungen des politischen Islams als Faktor in der internationalen Politik zunehmend präsent geworden. Ereignisse wie die »Islamische Revolution« im Iran (1979) und die Kontroverse um Salman Rushdies »Satanische Verse« (1989) konnten ab Beginn der 1990er Jahre vor der Folie gewalttätiger Konflikte in Algerien, Bosnien, Irak und im Nahen Osten als Symptome einer umfassenden und vorwiegend bedrohlich wirkenden Ausbreitung islamistischer Ideologie gesehen werden. Schließlich haben mit den Attentaten von Madrid, London und natürlich vor allem den Anschlägen vom 11. September 2001 schockierende Gewalttaten, die beanspruchen, sich islamisch legitimieren zu können, die lange Tradition einer Negativfärbung des Islambilds in europäischen Debatten in grellen Farben aufgefrischt. Seit die Terrorgefahr auch »Westler_innen« betrifft, scheint das »Konfliktfeld Islam«53 schlagartig in Europa angekommen zu sein. Auch in der innerdeutschen Auseinandersetzung spielte der Islam seit den 1990ern zunehmend eine Rolle. Dabei fällt auf, dass der Großteil prominent publizierter Maßnahmen des allgemeinen Feldes Integrations- und Einwanderungspolitik sich vorwiegend an Muslim_innen zu richten schienen, wie die 2006 ins Leben gerufene »Islamkonferenz«, oder die im gleichen Jahr in Baden Württemberg und Hessen eingeführten »Einbürgerungstests«: Neben Allgemeinwissen aus deutscher Geschichte, Gesellschaft und Politik werden 50

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Für die kontroverse These vom »clash of civilizations«, im Deutschen meist als »Kampf der Kulturen« übersetzt, vgl. Huntington, Samuel (1993): »The Clash of Civilizations?«, Foreign Affairs 72/3, Sommer, 22-49; ders. (1997): The Clash of Civilizations and the Remaking of World Rrder, New York. Vgl. Fraser 2000. Allievi 2005, 140. Wohlrab-Sahr, Monika/Tezcan, Levent (Hg.) (2007): Konfliktfeld Islam in Europa, München.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

auch religiös-weltanschauliche Einstellungen abgefragt, deren Antworten auf eine mögliche Unvereinbarkeit mit der »demokratischen Grundordnung« abzielen.54 Politische Initiativen wie die Anberaumung der »Islamkonferenz« oder die Einführung von islamischem Religionsunterricht an Schulen weisen einerseits auf die politischen Bemühungen hin, von staatlicher Seite Räume in gesellschaftsformenden Institutionen zu öffnen. Andererseits ist das Primat der kontrollierenden Anleitung muslimischer Selbstorganisation von staatlicher Seite konstitutiver Bestandteil der meisten Vorstöße in dieser Richtung – als hänge von der Regulierung der muslimischen Präsenz die Integrität der Gesellschaft ab.55 Daneben hat auch die wissenschaftliche Beschäftigung mit eingewanderten Bevölkerungsgruppen, die dem Islam zugerechnet werden, zugenommen. Bis in die 1990er hatten Migrationsforscher_innen sich mehrheitlich unter soziologischen Fragestellungen mit Einwander_innen beschäftigt, religiöse Komponenten dabei aber weitgehend ausgespart.56 Mit der hier nachgezeichneten Diskursverschiebung bildeten solche Forschungen plötzlich eine von Politik und Öffentlichkeit nachgefragte Ressource:57 The integration of Muslims into European societies has become a highly politicized central research focus. Research agendas on Islam in Europe increasingly follow the political priorities and goals formulated by national and local governments […] Integration has shifted from a political priority into a scientific paradigm which in turn feeds into political agendas.58 Der Großteil der neueren Studien beschäftigt sich mit radikalen islamischen Strömungen, mit deren Organisationsformen und den potenziellen Integrationshindernissen religiöser Vergemeinschaftung, mit der Darstellung und

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Rostock/Berghahn 2008, 353. Sossie Andezian, zitiert nach Tiesler 2006, 125. Vlg auch Amir-Moazami, Schirin (2009a): »Islam und Geschlecht unter liberal-säkularer Regierungsführung: Die Deutsche Islam Konfernez«, Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 37, 185-205; dies. (2009b): »Die Produktion des Tolerierbaren: Toleranz und ihre Grenzen im Kontext der Regulierung von Islam und Geschlecht in Deutschland«, in Dietze, Gabriele et al. (Hg.): Kritik des Okzidentalismus: Transdisziplinäre Beiträge zu (Neo-)Orientalismus und Geschlecht, Bielefeld, 151-167. Spielhaus 2011, 23. Vgl. Tiesler 2006, 125, sowie weiterführend: Amir-Moazami, Schirin (2018): Der inspizierte Muslim. Zur Politisierung der Islamforschung in Europa, Bielefeld. Thijl Sunier 2009, zitiert nach Spielhaus 2011, 33.

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Kategorisierung islamischer Organisationen und Moscheelandschaften sowie mit Ausprägungen religiösen Empfindens in verschiedenen Bevölkerungsgruppen.59 Sie sind somit vorwiegend im »Dreieck der Politikfelder Integration, Sicherheit und nationale Identität«60 verortet. Auch bei der (post-)migrantischen Selbstorganisation erscheint der Fokus auf Religion in der derzeitigen Breite als eine relativ neue Entwicklung. Gökçe Yurdakul beobachtet in ihrer Untersuchung der türkischstämmigen Minderheit in Deutschland, dass sich deren Interessensvertretungen von Anfang an sowohl über religiöse Gemeinschaften als auch im Rahmen von Gewerkschaften und entlang Zugehörigkeitslinien von Herkunft und Ethnizität bildeten.61 Seit 2000 seien besonders die religiösen Verbände als Gesprächspartner gefragt, während sich andere Vereine aus der Verhandlung ausgeschlossen sähen. Dass sich dadurch auch andere Organisationen bemühen, einen stärkeren Islambezug herauszustellen, illustriert etwa das Beispiel der »Türkischen Gemeinde Deutschland«, die sich trotz dezidiert säkularer Ausrichtung 2006 mit »14 religionspolitische[n] Thesen« in die Debatte einbrachte.62 Nicht nur Organisationen, auch individuelle Akteur_innen zeigen zunehmend Bereitschaft, »als Muslim_innen« in der Debatte Stellung zu nehmen. Nachdem zunächst Stimmen dominierten, die explizit kritische Positionen zum Islam einnahmen, melden sich auch Akteur_innen zu Wort, deren Selbstverortung als Muslim_in nicht zwangsläufig mit religiösen Bekenntnissen verknüpft ist, die sich aber für eine tendenziell positive Wahrnehmung von Muslim_innen und islamischen Gemeinschaften einsetzen.63 Bei der Untersuchung der deutschen Debatte stellt Riem Spielhaus einen Wandel in der Art der diskursiven Ereignisse fest, die sie durch erhöhte mediale Aufmerksamkeit und öffentliche Verhandlung markiert sieht.64 Während zu Beginn der 2000er noch vorwiegend reale, oftmals gewalttätige

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Ebd., 23f. Sie bietet einen breiten und aktuellen Überblick über das Forschungsfeld Islam und Muslim_innen in Deutschland. Spielhaus 2011, 33. Yurdakul, Gökçe (2009): From Guest Workers into Muslims: The Transformation of Turkish Immigrant Associations in Germany, Newcastle. Spielhaus 2011, 57f. Ebd., 131f. Ebd., 64f; dies. (2006b): »Religion und Identität: Vom deutschen Versuch, ›Ausländer‹ zu ›Muslimen‹ zu machen«, Internationale Politik, 28-36.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

Geschehnisse Mediendebatten auslösten,65 überwogen in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts Stellungnahmen und Publikationen von Politiker_innen und Institutionen.66 Die Entwicklung hin zur nahezu täglichen und überwiegend negativen Berichterstattung über Islam-Themen sind in umfangreichen Medienanalysen nachgezeichnet worden.67 Dabei hat die deutsche Islam-Debatte im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends zunehmend ideologische bis populistische Aufladung erfahren. Während als »Islamkritiker_innen« auftretende Publizist_innen und zivilgesellschaftliche Akteur_innen wie die Internetplattform »Politically Incorrect« oder die Anti-Moschee-Bewegung »Pro-Köln« sich als Gegner_innen einer diagnostizierten schleichenden Unterwanderung Europas durch eine islamische Ausbreitung auf den Plan gerufen sehen,68 formieren sich auf der anderen Seite langsam Organisationen, die eine zunehmend feindliche Haltung gegenüber Muslim_innen anprangern.69 Dessen Virulenz sehen sie

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Wie etwa die Anschläge in Madrid und London 2003 und 2005, die Morde an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh und der Berliner ElektrikerAuszubildenden Hatun Sürücü 2004 und 2005 und die Reaktionen auf den sogenannten Karikaturenstreit 2006. Wie etwa der baden-württembergische Einbürgerungstest und die Islamkonferenz 2006, die Diskussion um die Absetzung von »Idomeneo« an der Deutschen Oper aus Furcht vor Anschlägen 2006, die Moscheebaukonflikte in Köln, München und Berlin 2008, die europäischen Verhandlungen von Verboten des Kopftuch, der Burka und des Minarettbaus bis hin zu den Publikationen von Necla Kelek, Kirsten Heisig oder Thilo Sarrazin. Die Entwicklungen, Mechanismen und vor allem die Rolle bestimmter Medien, die beider den Debatten über den Islam eine Rolle spielen und bis zur Konstruktion eines regelrechten Feindbildes reichen können, sind detailliert untersucht worden, vgl. Said, Edward (1981): Covering Islam: How the Media and the Experts Determine how we see the Rest of the World, New York; Schiffer, Sabine (2005): Die Darstellung des Islams in der Presse: Sprache, Bilder, Suggestionen, Würzburg; Hafez, Kai (2009): »Mediengesellschaft – Wissensgesellschaft? Gesellschaftliche Entstehungsbedingungen des Islambildes deutscher Medien«, in Schneiders, Thorsten Gerald (Hg.): Islamfeindlichkeit: Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, Wiesbaden, 101-119; Schönfeld, Anne (2008): »Islamdebatten in der deutschen Öffentlichkeit: Der Karikaturenstreit«, unveröffentlichte Magisterarbeit, Freie Universität Berlin. Im Nachhinein muss man sagen, dass es sich hierbei um die Steigbügelhalter von Bewegungen wie Pegida und der erstarkenden AfD handelte. Zu nennen wäre hier beispielsweise das Netzwerk gegen antimuslimischen Rassismus (NARI) in Berlin, http://nari-online.org/; oder das Netzwerk gegen Islamophobie und Rassismus in Leipzig, http://nir-leipzig.de. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen

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durch Gewalttaten wie den Mord an Marwa al-Sharbini in Dresden (2009) oder die Brandanschläge auf Berliner Moscheen (2010/11) bestätigt.70 Ihnen wird vorgeworfen, dass eine solche Kritik an der Mehrheitsgesellschaft von als gefährlich eingeschätzten, islamistischen Gruppen als Propaganda missbraucht werden könnte.71 Die Diskussion wird teilweise hoch emotional geführt, nicht zuletzt durch die Verknüpfung mit dem Themenbereich des Antisemitismus.72 So hat in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen zu Beginn des 21. Jahrunderts die Kategorie »Muslim« an breiter Sichtbarkeit gewonnen.73 Diese thematische Einseitigkeit in der Auseinandersetzung mit den durch Einwanderung veränderten Begebenheiten qualifiziert sich für den Sozialanthropologen Werner Schiffauer als »moral panic«:74 Das Verhalten und die Überzeugungen einer Gruppe rücken plötzlich in das Zentrum des öffentlichen Augenmerks: Phänomene, die vorher allenfalls zu Irritationen geführt haben, werden plötzlich zum zentralen Problem, wenn nicht zur entscheidenden Gefahr für die Zivilgesellschaft erklärt. Sie werden einer Gruppe zugerechnet, die damit zum öffentlichen Feind erklärt wird. Dabei gibt es einen weitgehenden Konsens, der ansonsten einander mit Distanz gegenüberstehende politische Lager umfasst: Rechte und linke

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u.a. am Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, http://zfa.kgw.tu-berlin.de, am Institut für Medienverantwortung in Erlangen, www.medienverantwortung.de, im Rahmen des Jahrbuchs für Islamophobie-Forschung, http:/ /jahrbuch-islamophobie.de. Das Ausmaß rassistischer Gewalt wurde etwas später mit dem Bekanntwerden des NSU-Komplexes auch von einer medialen Öffentlichkeit rezipiert, die Aufarbeitung insbesondere der instititutionellen Vernetzung aber dennoch nicht in Angriff genommen. Vgl. Allen, Chris (2010) : Islamophobia, London. Ist für die eine Seite der unter Muslim_innen als hoch eingeschätzte Antisemitismus eine weitere Begründung für die Notwendigkeit eines entschlossenen Vorgehens gegen die »islamische Ausbreitung«, macht die andere Seite strukturelle Parallelen zwischen Antisemitismus und aktuellen Diskriminierungen gegen Muslim_innen aus. Für letzteres vgl. Benz, Wolfgang (Hg.) (2009): Islamfeindschaft und ihr Kontext: Dokumentation der Konferenz »Feindbild Muslim – Feindbild Jude«, Berlin; Schiffer, Sabine (2009): Antisemitismus und Islamophobie ein Vergleich, Wassertrüdingen. Für theoretische Überlegungen siehe Eickhof 2010. Vgl. Allievi 2005. Der Begriff geht zurück Cohen, Stanley (1972): Folk Devils and Moral Panics: The Creation of the Mods and the Rockers, London.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

Journalisten, Politiker, Sicherheitsbehörden und Wissenschaftler sind sich in einem überraschenden Ausmaß einig. Auch eine hohe Bereitschaft, Gerüchten zu glauben, ist bezeichnend dafür. Existierende Gefährdungen werden zum Teil maßlos übertrieben, differenzierende Meinungen dagegen als absurd oder grenzenlos naiv stigmatisiert. Kurzum: Eine ganze Gesellschaft rückt gegenüber einer Außenseitergruppe eng zusammen.75 Empirische Studien verzeichneten derweil einen kontinuierlichen Anstieg antimuslimischer Einstellungen bei Befragten in Deutschland.76 Ablehnung gegen Muslim_innen (oder als solche Markierte oder Wahrgenommene) erreichte, unabhängig von politischen Entwicklungen oder tagespolitischen Ereignissen, einen »konstanten Eigenwert«.77 Damit befassen sich Studien zu Islamophobie bzw. antimuslimischem Rassismus. Betrachtungen zu Orientalismus bzw. kritischem Okzidentalismus78 weisen auf die Kontinuität der Stereotype hin. An dem Konzept »Islamophobie« ist sowohl die generalisierende »Unterstellung einer psychologisch fundierten kategorischen Abwehrhaltung«79 kritisiert worden, als auch, dass die Formulierung »Islamophobie«, wenn auch implizit, wiederum den Islam als Ausgangspunkt der Ängste setze. Ansätze, die von antimuslimischem Rassismus sprechen, gehen hingegen mehr von den Stigmatisierungs-

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Schiffauer, Werner (2007): »Der Unheimliche Muslim: Staatsbürgerschaft und zivilgesellschaftliche Ängste«, in Wohlrab-Sahr/Tezcan 2007, 111-132, hier: 11f. So bekundeten in der Umfrage zu »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer 2009 fast vier von fünf Befragten ihre Zustimmung zu der Aussage »Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden«, vgl. Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld, www.uni-bielefeld.de/ikg/gmf/einfuehrung.html (17. Mai 2011). Wohlrab-Sahr, Monika/Tezcan, Levent (2007a): »Einleitung«, in dies. 2007, 9-20, hier: 13. Vgl. Runnymede Trust (Hg.) (1997): Islamophobia: A challenge for us all, www.runnymedetrust.org/uploads/publications/pdfs/islamophobia.pdf (21. Juli 2011); Eickhof 2010. Den Begriff Okzidentalismus benutze ich hier nicht im Sinne anti-westlicher Ressentiments (Buruma, Jan/Margalit, Avishai (2004): Occidentalism: The West in the Eye of its Enemies, London), sondern in Orientierung an Coronil, Fernando (2002): »Jenseits des Okzidentalismus: Unterwegs zu nichtimperialen geohistorischen Kategorien«, in Conrad, Sebastian/Randeria, Shalini (Hg.): Jenseits des Eurozentrismus: Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a.M., 176-219, sowie die Weiterentwicklung seines Ansatzes durch Dietze et al. 2009. Hafez 2009.

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und Ausgrenzungserfahrungen der als Muslim_innen Wahrgenommenen aus und beziehen strukturelle Dynamiken mit ein.80

Islamisierte Debatte, muslimisierte Subjekte Wenn im Kontext dieser Arbeit von Islamisierung gesprochen wird, bezieht sich das weder auf die Konversion zum Islam noch auf die Eroberungsfeldzüge der islamischen Frühzeit oder antikoloniale politische Bewegungen. Stattdessen soll damit beschrieben werden, wie Menschen und Inhalte mit (angenommenem) Islam-Bezug vorwiegend im Hinblick auf ebendiesen behandelt werden – analog zu Prozessen der racialisation: [Racialisation is used] […] for describing the processes by which racial meanings are attached to particular issues – often treated as social problems – and with the manner in which race appears to be a, or often the, key factor in the ways they are defined and understood.81 In diesem Verständnis stellt Islamisierung eine diskursive Formation dar, die nach Michel Foucault dann vorliegt, wenn sich anhand der Zahl und des Typus von Äußerungen, Begriffen und thematischen Entscheidungen ein System der Streuung oder eine Regelmäßigkeit beschreiben lässt.82 Im Hinblick auf Identitätspolitiken handelt es sich bei einer solchen diskursiven Formation, die sich in Subjekte ein- und bestimmte Bahnen für ihre Handlungsfähigkeit vorschreibt, um Formen von passiver Positionierung (also einer Positionierung von außen), die aktive (also eigenständige, selbstbestimmte) Positionierungen einschränken und notwendig machen.

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Eickhof 2010, 10. Murji, Karim/Solomos, John (Hg.) (2005): »Introduction: Racialization in Theory and Practice«, in dies. (Hg.): Racialization: Studies in Theory and Practice, Oxford/New York, 1-27, hier: 3. Vgl. Foucault, Michel (1988): Archäologie des Wissens, Frankfurt a.M., 58. Stuart Hall begründet den Rückgriff auf den Diskursbegriff damit, dass dieser einen Ausweg sowohl aus der Vorstellung einer Dichotomie von Geist und Körper (bzw. Ideologie und Praxis) als auch aus ökonomistischem Reduktionismus biete. Wenn so mit einbezogen werde, dass alle Praxen durch Ideen bestimmt und alle Ideen in Praxen eingeschrieben sind, und ideologische Praxen und politische und ökonomische Existenzbedingungen einander bestimmen, erlaube dies eine komplexe Analyse, wie sie für die Untersuchung von Ausgrenzungspraxen und Identitätspolitik notwendig sei. Vgl. Hall 2000, 8.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

Der Historiker Aziz Al-Azmeh sprach bereits in den 1990ern von einer »Islamisierung des Islam«.83 Diese manifestiere sich in der Tendenz, Muslim_innen (als Einzelpersonen und Gruppen) unter Vernachlässigung des jeweiligen Kontextes »auf ein Wesen namens Islam zu reduzieren«:84 Die Reduktion der muslimischen Völker und Gemeinschaften auf ein geschichtstranszendentes Wesen unterwirft sie einer Überislamisierung, verwandelt sie aus konkreten sozialen, historischen, politischen, ideologischen Gebilden mit bestimmten Tendenzen und Perspektiven in Hypostasen eines seines historischen Charakters gänzlich entkleideten Islam.85 Sein Essentialismusvorwurf richtet sich gegen die Komplizenschaft muslimischer Sprecher_innen und (westlicher) Islamkenner_innen in der Fortschreibung der Vorstellung von einem »idealtypischen« Islam, der als solcher nur imaginiert sein kann.86 Da beim Sprechen über diesen imaginierten Islam verschiedenste lokale und globale Phänomene verschränkt werden, umfasst die diskursive Kategorie Islam, die als Muslim_innen Markierte oder Wahrgenommene durchdringt, essentialisierende Anrufungen, die sich aus der ganzen Breite der Themenbereiche speisen, welche inzwischen unter der Überschrift Islam verhandelt werden können. In der Sprechweise der Islamisierung überschneiden sich also zwei Erscheinungen: Die zunehmende Präsenz von Islam-bezogenen Themen auf lokaler und globaler Ebene zum einen, eine diese rahmende essentialisierende Sprechweise zum anderen. Diese wirkt wiederum auf die in diesen Themenbereich gezogenen Topoi und Subjekte zurück. Im Sinne einer Äquivalenzkette können muslimische Einwander_innen in Europa so als Teil einer »sogenannte[n] islamische[n] Welt als homogene[r] Block«87 positioniert werden. Diese wird einer »westlichen Welt« gegenübergestellt, die gerade durch diese Kontrastierung inhaltlich leer verbleiben kann (vgl. Kap. 2, Zeitweilige Verdichtung). Die inhaltliche Auffüllung des imaginären Islams funktioniert in beide Richtungen: Pars pro toto werden bestimmte Inhalte als dem Islam inhärente Charakteristika behandelt, während

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Al-Azmeh, Aziz (1996): Die Islamisierung des Islam: Imaginäre Welten einer politischen Theologie, Frankfurt a.M., 7. Ebd. Ebd. Spielhaus 2011, 32. Schiffer 2005, 3.

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islamisierte Subjekte toto pro pars maßgeblich in Bezug auf diese Charakteristika gesehen und bewertet werden. Auch wenn die Bewertung das betreffende Subjekt freispricht, geht dies (»die Ausnahme bestätigt die Regel«) mit einer Festschreibung der Bewertungsskala einher. Unabhängig von dem Stellenwert, den Religion in der individuellen Weltsicht und Alltagspraxis einnimmt, werden Menschen, die als Muslim_innen markiert oder wahrgenommen werden, durch die Annahme, sich der Prägungen durch den imaginierten Islam nicht entziehen zu können, zu Muslim_innen gemacht: Sie werden muslimisiert.88 Dieses Primat der wirkmächtigen Bestimmung führt auch dazu, dass eine immer größere Anzahl von Menschen als Muslim_innen wahrgenommen werden. Werner Schiffauer erklärt die Vermutung von Bedrohlichkeit, die in der Sprechweise der Islamisierung mitschwingt, mit der Annahme, Muslim_innen seien alle einer Meinung.89 Durch den jahrzehntelangen Negativfokus in Berichterstattung und populärwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Islam-Themen90 existiert ein breites Repertoire an Themen und Motiven, die sich nicht zuletzt aus lang erprobten Stereotypen orientalistischer Vorstellungen speisen.91 Die als bedrohlich wahrgenommenen Facetten werden in einer »Semantik der Eigentlichkeit«92 zum angenommenen Wesen eines islamisierten Islam aufgewertet: Die unterschiedlichen Formen muslimischen Lebens und muslimischen Selbstverständnisses […] verbleiben im Schatten des vermeintlich »ei-

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In meiner Magisterarbeit habe ich noch den Begriff der Islamisierung der ebenfalls verwendeten Formulierung Muslimisierung vorgezogen, um zu verdeutlichen dass es sich weniger um die Zuschreibung eines persönlichen, Verhältnisses zu jenem »geschichtstranszendenten Wesen Islam« handelt, das Al-Azmeh benannt hat (also: Muslim sein), als das die Verknüpfung mit dem Islam dem Individuum gewissermaßen übergestülpt wird (also: dem Islam angehörig sein). Aufgrund der Vielzahl der Bedeutungen, mit der der Begriff der Islamisierung in verschiedenen Kontexten verwendet wird, und aufgrund des objektivierenden Beiklangs, spreche ich inzwischen von Muslimisierung. Schiffauer 2007, 115. Vgl. z.B. Attia 2007; Hafez 2009; Schiffer 2005; Klemm, Verena (1993): Das Schwert des »Experten«: Peter Scholl-Latours verzerrtes Araber- und Islambild, Heidelberg. Vgl. Attia 2009, 39f. Shooman, Yasemin (2011): »Kronzeuginnen der Anklage? Zur Rolle muslimischer Sprecherinnen in aktuellen Islam-Debatten«, in Schmidt, Sibylle et al. (Hg.): Politik der Zeugenschaft: Zur Kritik einer Wissenspraxis, 331-352, hier: 340.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

gentlichen« Islams, der nach wie vor mit Fanatismus, Autoritarismus und Militanz assoziiert wird.93 Aufgrund der Mehrfachbesetzung des Begriffs Islamisierung, werde ich im Verlauf dieser Arbeit zunehmend von Muslimisierung sprechen, wenn ich beschreibe, wie Menschen im Kontext der deutschen Islamdebatte das alsMuslim_innen-gelesen-Werden übergestülpt wird. Theoretiker_innen eines »kritischen Okzidentalismus« teilen die Annahme, dass Prozesse der Muslimisierung vorwiegend der Neukonstruktion europäischer Mehrheitsidentität dienlich sein sollen, und weisen auf einen Knotenpunkt hin, den ich in dieser Arbeit weiter verfolgen werde: Unter »Okzidentalismus« wird hier ein Diskurs abendländischer Hegemonieproduktion verstanden, der ein »orientalisches« Anderes in der muslimischen Diaspora und im politischen Islamismus verkörpert sieht. »Okzidentalismuskritik« begreift Neo- Orientalismen und antimuslimische Rassismen nicht als Folge von Migration und internationalen Konflikten, sondern als Kristallisation neuer nationaler und europäischer Identitätsbildungen, in der Gender und Sexualpolitik eine strategische Rolle spielen.94

Körperfixierung und Vergeschlechtlichung Simonetta Tabboni merkt an, dass »der Skandal, der von einem ›andersartigen‹ Körper in der Öffentlichkeit verursacht wird, oft größer ist als der durch ›andersartige‹ Reden verursachte«:95 »Seeing comes before words«96 , wie es John Berger ausdrückte. Die öffentliche Präsentation »Anderer« Körper etwa durch der Norm widersprechende Handlungen ebenso wie durch das Sichtbarmachen diverser Abzeichen und Symbole, werde ungleich stärker sanktioniert als andere Praxen von Positionierung. Leider vernachlässigt sie dabei die 93 94

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Bielefeldt, Heiner (2008): Das Islambild in Deutschland: Zum öffentlichen Umgang mit der Angst vor dem Islam, Berlin, 14. Dietze et al. 2009, Klappentext. Meine Hervorhebung. Beim Verfassen dieser Studie habe ich noch nicht mit dem Begriff der Intersektionalität gearbeitet, dieser bietet sich aber an, um die komplexen Verschränkungen mehrerer Ausgrenzungssysteme begreifen zu können. Tabboni, Simonetta (2004): »Verkörperte Alterität im öffentlichen Raum«, in Göle/Amman 2004, 326-341, hier: 327. Berger, John (1986): Ways of seeing, London, 7.

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zentrale Symbolfunktion, die noch lang vor den von ihr untersuchten Handlungen bzw. Spuren von Formung oder individueller Gestaltung der »verkörperten Alterität«97 bestimmter phenotypischer Merkmalen zukommt. Haut-, Augen-, Haarfarbe sind auch in der Einwanderungsgesellschaft weiterhin alltäglich breit genutzte Kategorien, anhand derer entschieden wird, wer als »fremd« markiert wahrgenommen und behandelt wird.98 In rassistischen Diskursen funktionieren, so Stuart Hall, »körperliche Merkmale als Bedeutungsträger, als Zeichen innerhalb eines Diskurses der Differenz.«99 Dabei handelt es sich nicht um Kategorisierungen nach biologisierenden Kriterien sondern um die Sprechweisen, Repräsentationssysteme und sozialen Praktiken (Diskurse), die einen lockeren, oft unspezifizierten Zusammenhang von Unterscheidungen nach physischen Charakteristiken – Hautfarbe, Haarform, physische und körperliche Eigenschaften – als symbolische Markierungen dazu benutzen, um eine Gruppe gesellschaftlich von einer anderen zu unterscheiden.100 Im Falle der Muslimisierung beinhaltet dies, dass an äußeren Merkmale die Annahme einer bestimmten kulturellen Prägung festgemacht wird. »Der Islam ist eine Hautfarbe«,101 spitzt die Kolumnistin Kübra Yücel ihren Eindruck zu, dass auch »unauffällige Bürger Deutschlands, die sich bis dato nie mit Religion oder dem Islam beschäftigt hatten« im Alltag damit konfrontiert würden, dass ihnen »plötzlich ein »Muslim«-Etikett verpasst« wird.102 Hierbei handelt es sich um ein wirkmächtiges Positioniert-Werden, das wenig Spielraum für aktive Positionierungen lässt – auch, weil diese teilweise einfach nicht wahrgenommen, nicht gehört oder gesehen werden. Die Muslimisierung individueller Körper, deren soziale Handlungsmöglichkeiten durch Zuschreibungen vorgezeichnet werden, passiert so Tag für Tag mit der »Banali-

97 98

Tabboni 2004. Vgl. Heidenreich, Nanna (2000): »Das sieht man doch! Die Erkennungsdienste des Ausländerdiskurses am Beispiel von Berlin«, Ästhetik und Kommunikation 111/31, 31-38. 99 Hall 2000, 7. 100 Hall 1994g, 207. 101 Yücel, Kübra (2010): »Der Islam ist eine Hautfarbe«, Die Tageszeitung, 10.11., Berlin, ww w.taz.de/1/debatte/kolumnen/artikel/1/der-islam-ist-eine-hautfarbe/ (21. Juli 2011). 102 Yücel 2010.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

tät des Rassismus«,103 die Mark Terkessidis und andere ausführlich beschrieben haben.104 »Zentrales Thema in der Essenzialisierung und Gegenüberstellung ›westlicher‹ und ›islamischer‹ ›Kulturen‹ ist das Geschlechterverhältnis,«105 stellte Iman Attia bei ihrer Analyse von Interviews mit jungen Mehrheitsdeutschen fest. Die Einschreibung in Körper wird im Falle der Muslimisierung dadurch verstärkt, dass sich die durch sie geprägten Debatten – so die Annahme, die hier vorgestellt werden soll – mit Vorliebe um Fragen von Körperlichkeit und gender anordnen.106 In der islamisierten Debatte kreuzen sich so thematische Stränge, die Essentialisierung und die Konstruktion von Bedrohung mit Vergeschlechtlichung verknüpfen. Ob Kopftuch oder Burka, die Teilnahme am Schwimmunterricht oder die Bekleidung im öffentlichen Schwimmbad, die Empörung über Zwangsehen, »Ehrenmorde« oder patriarchale Unterdrückung im Allgemeinen: Der Großteil der Konflikte, in denen die Sichtbarkeit des Islam in Europa verhandelt wird, behandelt Formen der Regulierung von als muslimisch und weiblich markierten Körpern bzw. deren Zugänglichkeit.107 Muslimisierung beinhaltet damit »als Kernstück des Herrschaftsmusters einen okzidentalistischen Geschlechterpakt, der an der Figuration der unterdrückten Muslimin einen imaginären abendländischen Emanzipationserfolg konstruiert.«108 Die Bezugnahme auf Geschlechterverhältnisse durch Beschreibung und Regulierung ist als ein wichtiges Machtinstrument (post-)kolonialer Dominanzstrukturen vielfältig untersucht worden.109 María Castro 103 Terkessidis, Mark (2004): Die Banalität des Rassismus: Migranten zweiter Generation entwickeln eine neue Perspektive, Bielefeld. 104 Vgl. für unterschiedliche theoretische Herangehensweisen Räthzel 2000; Kilomba, Grada (2008): Plantation memories: Episodes of Everyday Racism, Münster. Zu institutioneller rassistischer Diskriminierung in Deutschland Flam 2007, 93f. 105 Attia 2009, 139. 106 Die Konzentration auf die diskursive Funktion dieses Themenkomplexes soll keineswegs die Virulenz realer sexistischer Gewalt und Unterdrückung relativieren oder negieren. 107 Vgl. auch Yildiz, Benhabib, Yildiz, Yasemin (2009): »Turkish Girls, Allah’s Daughters and the contemporary German Subject: Itinierary of a Figure«, German Life and Letters 62/4, 465-481; Benhabib, Seyla (2002): Claims of Culture: Equality and Diversity in the Global Era, Woodstock/Oxfordshire, 82f; dies. (2004): The Rights of Others: Aliens, Residents, and Citizens, Cambridge, ix. 108 Dietze et al. 2009, 15f. 109 Vgl. Hall Stuart Hall 1994, 160f.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Varela und Nikita Dhawan beobachten die lange Tradition der »Viktimisierung der anderen Frau […] im Westen«110 auch in der deutschen Debatte, die »Repräsentationen eines explizit vergeschlechtlichten Islams«111 beinhalte: Es ist kaum zufällig, dass innerhalb westlicher Debatten um den Islam die sozialen Positionierungen muslimischer Frauen im Mittelpunkt stehen, gelten die Geschlechterbeziehungen der Anderen dem Westen doch bereits seit der Kolonialzeit als das Symbol für die Rückständigkeit und den Barbarismus der Kolonisierten. Die Viktimisierung […] ist durchaus funktional. So dient sie als Folie gegen die sich die europäisch-christliche Frau und Gesellschaft als ausnehmend emanzipiert abheben kann.112 Dass das Niveau der Gleichberechtigung auch in der deutschen Gesellschaft keineswegs selbstverständlich als Vorbild präsentiert werden muss, ist ersichtlich, wenn die anhaltende Ungleichheit in Gehalt, Zugang zu Führungspositionen oder strukturelle Förderung wie Kinderbetreuung etc. betrachtet wird. Mehr noch: Der in »postfeministischen« Zeiten geläufige Verweis auf das juristisch verankerte Recht auf Gleichbehandlung und Chancengleichheit verschiebt die Verantwortung für die Inanspruchnahme und Verwirklichung von Emanzipation umso wirksamer in den privaten Bereich und die Selbstverantwortung einzelner Frauen.113 Die Konstruktion einer Hierarchie in Bezug auf den Grad der Gleichberechtigung verdeckt so im Zuge der Stigmatisierung muslimisierter Geschlechterverhältnisse auch den Handlungsbedarf in Bezug auf die deutsche Gesellschaft. Die Viktimisierung der muslimisierten »Anderen« Frau fällt mit einer paternalistischen Instrumentalisierung der Problematisierung von Gewalt gegen Frauen zusammen, »that labels gender violence among migrants as cultural, while dismissing it in the majority society as individual.«114 Dietze illustriert dies mit dem Verweis auf Männer, die, von Verlassenwerden oder Scheidung bedroht, ihre Partnerin oder die ganze Familie ermorden. Solche Handlungen stünden an Häufigkeit den als »Ehrenmord« publik gemachten Verbrechen, denen sie auch strukturell ähnelten, nicht nach, seien aber in der

110 111 112 113 114

Castro Varela, María/Dhawan, Nikita (2006): »Das Dilemma der Gerechtigkeit: Migration, Religion und Gender«, Das Argument 266, 427-440, hier: 427. Ebd., 434. Ebd., 427. Vgl. Guénif-Souilamas, Nacira/Macé, Éric (2004) : Les féministes et le garçon arabe, Paris. Rostock/Berghahn 2008, 360.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

medialen Verhandlung ungleich weniger präsent.115 Analog zur oben dargestellten diskursiven Verschiebung von der »Türk_in« bzw. »Ausländer_in« zur »Muslim_in« scheint auch eine (zeitliche korrelierende) Veränderung im policy-making vorzuliegen, wie sie hier anhand von Berichten der Kommission Zuwanderung festgestellt wurde: At this point [2001], the situation of women played only a marginal role, with the commission merely affirming the need for protection of women from gender-specific persecution. In January 2005, the new Immigration Act came into effect, recognizing gender-specific violence. Women’s organizations voiced criticism over the fact, that no women’s organisation participated in the legislative process.116 Das bekannte Narrativ der »white men [who are] saving brown women from brown men«117 trägt also die Annahme weiter, bei sexistischer Gewalt handele es sich um ein Problem der Migrant_innen, das innerhalb der deutschen Mehrheitsgesellschaft bereits überwunden sei. Diese laufe aber Gefahr, durch die Rückständigkeit der Migrant_innen unter das bereits erreichte Level zurückzufallen.118 Neben Konservativen tragen gerade auch feministische Stimmen zur Essentialisierung und einer Festschreibung muslimisierter Frauen in Unselbstständigkeit bei.119 Das Motiv unterdrückter Weiblichkeit beinhaltet die Vorstellung problematisierter Männlichkeit. In diesem Narrativ müssten muslimisierte Frauen um die Assimilation deshalb kämpfen, weil Männer und Jungen in einer rückständigen Position ohne Entwicklung gefangen seien.120 Die logische Konsequenz dieser Erzählung ist das Motiv der »(Selbst-)Befreiung«, zu dessen Illustration hier – um den Blick langsam der Kunst- und Kulturproduktion zuzuwenden – auf die Kontinuität vergeschlechtlichender Erzählweisen im Film hingewiesen sei.

115

Vgl. Dietze, Gabriele (2009): »Okzidentalismuskritik: Möglichkeiten und Grenzen einer Forschungsperspektivierung«, in Dietze et al. 2009, 23-54, hier 37f. 116 Rostock/Berghahn 2008, 350. 117 Spivak 1988. 118 Rostock/Berghahn 2008, 352. 119 Guénif-Souilamas/Macé, 2004, 35f. 120 Ewing, Katherine Pratt (2008): Stolen Honor: Stigmatizing Muslim Men in Berlin, Stanford., 71.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Darstellungen im deutschen Film Erste Darstellungen von Arbeitsmigrant_innen, wie in Fassbinders »Katzelmacher« (1969) und »Angst Essen Seele Auf« (1973) waren dem Anprangern ihrer sozialen Lage gewidmet: Die dargestellten Migrant_innen dienten als Folie, vor der Mehrheitsidentitäten ausgehandelt wurden, blieben aber selbst holzschnittartig und weitgehend sprachlos.121 Für diese dem Opferdiskurs verpflichteten Darstellungen hat Georg Seeßlen den Begriff »Kino der Fremdheit«122 geprägt: Bei diesem »Kino der sozialen Anklage, das sich zum Anwalt einer wachsenden Bevölkerungsgruppe machte, die keine politische Stimme hatte«, handele es sich um »eher melodramatische Appelle an die deutsche Kultur als authentische Darstellungen der Migration selber.«123 Als prägend wurden die Tendenz zur Viktimisierung, die Objektivierung der migrantischen Protagonisten sowie eine generelle Undifferenziertheit in der Repräsentation ausgemacht.124 So besteht eine deutliche Ähnlichkeit zum britischen »cinema of duty«, dessen Fokussierung von Migrationsthematiken als mehr politisch motiviert denn künstlerisch legitimiert kritisiert wurde.125 In den 1970er Jahren ist eine Veränderung der filmischen Darstellung von »guestworkers who are represented as the exploited victims of German capitalism« hin zu »Muslim foreigners who are represented in negative terms as the oppressors of their women«126 zu beobachten, also eine Verschiebung von »Klasse« zu »Kultur« – und damit einhergehend eine Vergeschlechtlichung des Opferdiskurses. Als Beispiele können Filme wie »Shirins Hochzeit« (1975) von Helma Sanders, »Yasemin« (1988) von Hark Bohm sowie Tevfik Başers »40 Qadratmeter Deutschland« (1986) und »Abschied vom falschen Paradies« (1988) herangezogen werden. In der Dramaturgie von Melodrama und/oder

121

Vgl. für die Figur des »sprachlosen Türken« auch ausführlich Bhabha, Homi K.: (2004) »DisSemination: Time, Narrative and the Margins of the Modern Nation«, in ders.: The Location of Culture, New York, 199-244, hier: 236f [Org. 1994]. 122 Seeßlen, Georg (2000): »Das Kino der doppelten Kulturen – Le Cinema du métissage – The Cinema of inbetween: Erster Streifzug durch ein unbekanntes Kino-Terrain«, epd Film 12, 22-29, hier: 23. 123 Georg Seeßlen, zitiert nach Türkmen 2008, 56. 124 Türkmen 2008, 49f; Göktürk, Deniz (2000b): »Jenseits der subnationalen Leidkultur: Transnationale Rollenspiele im Kino«, Transversal, http://eipcp.net/transversal/0101/g oektuerk/de (26.5.2011), o.S. Türkmen 2008, 45. 125 Türkmen 2008, 45. 126 Ewing 2008, 64.

3. Deutsche Debatten über Einwanderung, Islam und Muslim_innen

Befreiungsgeschichte fokussieren die Filme Frauenschicksale, die sich inhaltlich und ästhetisch auf Situationen des Eingeengt- und Gefangenseins konzentrieren.127 Den Eintritt in die deutsche Gesellschaft erreichen die meisten Protagonistinnen durch einen vollständigen Bruch mit Ehemann oder Familie. Seit den 1990er Jahren scheint sich ein spielerischerer Umgang mit der Materie entwickelt zu haben. Unter Schlagwörtern wie das dem französischen Kontext entlehnte »cinéma de métissage« (Kino der Vermischtheit oder Bastardisierung) werden neuere Suchbewegungen nach Hybridität und Subjektivität gelobt.128 Göktürk meint, dessen Ausgangspunkt in den Berliner Filmfestspielen 1998 zu erkennen, wo Filme wie »Dealer« von Thomas Arslan oder auch »Ich Chef, Du Turnschuh« von Hussi Kutlucan gezeigt wurden, mit dem der Trend zu »Integration zum Lachen«129 angelegt wurde. Martina Priessner weist hingegen darauf hin, dass bereits seit Mitte der 1990er Filmemacher_innen wie Ayşe Polat, Fatih Akın oder Miraz Bezar in Kurz- und Langfilmen daran gearbeitet hätten, »bisher verworfene Realitäten sichtbar [zu] machen und kulturelles Bilderrepertoire zu erweitern.«130 Ceren Türkmen sieht in dem von Akın repräsentierten »Neuen Film« allerdings nur teilweise einen Widerspruch gegen die Grammatik des »Kinos der Fremdheit«, teilweise werde diese weiterhin reproduziert.131 Sie konstatiert eine lediglich »modifizierte Kontinuität in der identitär-vereindeutigenden Darstellung und Inszenierung ›türkischer‹ kultureller Identitäten«,132 in »Berlin in Berlin« (2005) werde z.B. ebenso wie in »Yasemin« (1988) durch den

127 128

Türkmen 2008, Kap 4.3 »Klaustrophobie und sozialer Realismus«. Ebd., 57; Priessner, Martina (2005): »Verworfene Realitäten: Neue Bilder, Transkulturalität und Repräsentation der Filmkunst in der BRD«, in interface (Hg.): WiderstandsBewegungen: Antirassismus zwischen Alltag & Aktion, Berlin/Hamburg, 241. 129 Sadigh, Parvin (2011): »Film ›Almanya‹: Integration zum Lachen«, Die Zeit, 10.3. www.zeit.de/kultur/film/2011-03/almanya-film. (30.3.2011). Dies rekurriert auf die lange Tradition deutschtürkischen Kabaretts und verknüpft sie mit amerikanischen Comedy-Elementen. Das neuerdings im Fernsehen präsente Genre der »Ethno-Soap«, wie die Familienserien »Türkisch für Anfänger« (seit 2006 auf ARD) oder »Alle lieben Jimmy« (seit 2006 auf RTL), zeugt vom Erfolgszug dieser Tendenz. 130 Priessner 2005, 241. Vgl. weiterführend: Kulaoğlu, Tunçay/Priessner, Martina (2017): »Stationen der Migration«, in Alkın, Ömer (Hg.): Deutsch-Türkische Filmkultur im Migrationskontext, Wiesbaden, 25-44. 131 Türkmen 2008, 56. 132 Ebd., 137.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Rückgriff auf eine deutsche männliche Retterfigur vergeschlechtlichte Viktimisierung fortgeschrieben.133

133

Vgl. ebenfalls kritisch Ewing 2008, 71f.

4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater Der Bereich der künstlerischen Produktion ist in entscheidendem Maße an der Debatte über Migration in Deutschland beteiligt und bringt Bewegung in überkommene Wahrnehmungsmuster.1

Im Zuge von demographischem Wandel und sozialem Aufstieg werden postmigrantische Akteur_innen in den öffentlichen Debatten, in der Politik und in der Kulturproduktion in den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts zunehmend sichtbar. Einerseits ist dieser »Eintritt in die Repräsentationsverhältnisse« (vgl. Kap. 2) ein Symptom für eine Öffnung der Einwanderungsgesellschaft. Andererseits scheint die Sichtbarkeit von postmigrantischen Kulturschaffenden weder mit der Sprechbarkeit sämtlicher Inhalte einherzugehen noch in allen Bereichen gleichermaßen möglich zu sein.2 Wenn die Diskurse, die den Ausschluss von Postmigrant_innen aus der Mehrheitsgesellschaft durch Sprechweisen der Muslimisierung und Vergeschlechtlichung fortschreiben (vgl. Kap. 3), im Sinne Halls durch die Breite ihrer Verankerung in der Gesellschaft als hegemonial verstanden werden können, durchdringen sie auch den Bereich der Kunst- und Kulturproduktion und formen Handlungsgmöglichkeiten und Narrative vor. Im Folgenden wird auf die Nachzüglerposition, die das Theater im Vergleich zu anderen Genres einnimmt, eingegangen und gezeigt, wie die oben dargestellten Sprechweisen die Kulturproduktion von (Post-)Migrant_innen inhaltlich beeinflussen.

1 2

Göktürk et al. 2011, 32. Vgl. für den deutschen Kontext grundlegend Türkmen 2008; Gelbin, Cathy et al. (Hg.) (1999): AufBrüche: Kulturelle Produktionen von Migrantinnen, Schwarzen und jüdischen Frauen in Deutschland, Königstein; Steyerl, Hito et al. (Hg.) (2003): Spricht die Subalterne deutsch?: Migration und postkoloniale Kritik, Münster.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Mit Literat_innen wie Aras Ören, Feridun Zaimoğlu, Emine Sevgi Özdamar oder Zafer Şenocak oder Filmemacher_innen wie Teyfik Başer, Ayşe Polat, Miraz Bezar, den Samdereli-Schwestern und natürlich Fatih Akın sind postmigrantische Kulturschaffende in Literatur und Film einem breiteren Publikum bekannt, wie auch in Fernsehen, Kabarett und Comedy.3 Wissenschaftliche Untersuchungen betrachten diese Bewegungen zunehmend nicht mehr als »litérature mineure«,4 »Ausländerliteratur« oder »Kino der Fremdheit«, sondern als selbstbewusste postmigrantische Literatur oder neuen deutschen Film (vgl. Kap.1 und 3). Initiativen wie »Kanak Attack«, die als selbstorganisierte Zusammenschlüsse von Aktivist_innen und Künstler_innen mit Popund Subkulturbewegungen verbunden sind, wandten sich provokant gegen Fremdbeschreibungen und unterkomplexe Genreschubladen zugleich.5 Im Sinne einer Positionierung »against between«6 konstatiert Özkan Ezli beispielhaft für andere Literatur- und Filmwissenschaftler_innen: Wollten die Schriftsteller der ersten Einwanderungsgeneration noch die Sorgen und Nöte ihrer Landsleute in der Diaspora vertreten, so kann davon heute keine Rede mehr sein. Weder die türkische noch die deutsche noch eine irgendwie geartete deutsch-türkische Kultur des Dazwischen wird hier repräsentiert. Die Schreibweisen der Migration sind »trans-kulturell« nicht nur in dem Sinne, dass sie nicht einer bestimmten Kultur zuzuordnen sind; hier wird »Kultur« vielmehr »transzendiert« in einem kritischen Sinne, der die Zwänge jeglicher kultureller Repräsentation aufgreift, unterläuft und vor allem ironisiert.7

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Vgl. Terkessidis, Mark (2000a): »Kabarett und Satire deutsch-türkischer Autoren«, in Chiellino 2000, 294-301; Boran, Erol (2004): »Eine Geschichte des deutsch-türkischen Theaters und Kabaretts«, Dissertation, Ohio State University; Koch, Lars (2008): »Das Lachen der Subalternen: Die Ethno-Comedy in Deutschland«, in Wende, Waltraut (Hg.): Wie die Welt lacht: Lachkulturen im Vergleich, Würzburg. Deleuze, Gilles/Guattari, Felix (1976): »Was ist eine kleine Literatur?«, in dies., Kafka: Für eine kleine Literatur, Frankfurt a.M., 24-39. Vgl. z.B. Zaimoğlu, Feridun (1996): »sicarim süppkültürünüze, züppeler! Ich scheiße auf eure Subkultur, ihr Schmöcke!«, in Holert, Tom/Terkessidis, Mark (Hg.): Mainstream der Minderheiten: Pop in der Kontrollgesellschaft, Berlin, 86-95; Mayer, Ruth/Terkessidis, Mark (1998) (Hg.): Globalkolorit: Multikulturalismus und Populärkultur. St.Andrä/Wördern; Kanak Attack (1999): »Dieser Song gehört uns!«, Die Tageszeitung: taz, 28. Januar 1999. Adelson 2001. Ezli, Özkan et al. (Hg.) (2009): »Vorwort«, in dies. (Hg.): Wider den Kulturenzwang: Migration, Kulturalisierung und Weltliteratur, Bielefeld, 9-22, hier: 13.

4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater

Das Theater allerdings schien bis in die Nuller-Jahre aus diesen Entwicklungen ausgespart.

Deutschtürkische Theaterprojekte Seit der Ankunft der »Gastarbeiter_innen« in der Bundesrepublik spielten sie auch Theater,8 anfänglich als klassisches Arbeiter_innentheater vornehmlich im Rahmen selbst organisierter Amateurprojekte. Ein Sprecher der Hannoveraner Theatergruppe »Teatro Popular« formulierte ihre Motivation 1965 mit unverkennbar links geprägtem Vokabular: Wir spielen Theater, weil es eine Form ist, für uns zu manifestieren, daß es neben der Arbeit in der Fabrik auch für uns eine Realität gibt, und außerdem ist es eine Möglichkeit für uns, einen Zusammenhang zu entwickeln.9

8

9

Ich beschränke mich hier auf die Darstellung deutschtürkischer Projekte, die, analog zur demographischen Situation, die größte Zahl der migrantischen Theaterprojekte stellen. Bei den neueren Untersuchungen lassen sich zwei maßgebliche Richtungen zusammenfassen: Zum einen solche Arbeiten, die nach Herkunftshintergrund differenzieren, vgl. Baykul, Yalcin (1995): »Türkisches Theater in Deutschland/Berlin«, unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität der Künste Berlin; Boran 2004. Zum anderen Studien, die mit der Kategorie »interkulturelles Theater« arbeiten, vor allem im Umfeld der Theaterwissenschaftlerinnen Erika Fischer-Lichte und Christel Weiler. Mir erscheint dieser Ansatz, unter dem migrantische Theaterproduktionen in Deutschland auf Profi- und Laienniveau mit internationalen Projekten und folkloristischen Ansätzen gleichermaßen betrachtet werden, zu generalisierend. Christine Regus untersucht als »interkulturelles« Theater Projekte, die lediglich durch ihre Produktion im außereuropäischen Raum unter diese Kategorie fallen, vgl. Regus 2008. Inzwischen sei auf die Arbeit von Azadeh Sharifi hingewiesen, z.B. Sharifi, Azadeh (2011): Theater für Alle? Partizipation von Postmigranten am Beispiel der Bühnen der Stadt Köln, Frankfurt a.M.; ebd. (2016): Theater und Migration: Dokumentation, Einflüsse, Perspektiven, in: Brauneck, Manfred (Hg.): Das Freie Theater im Europa der Gegenwart: Strukturen – Ästhetik – Kulturpolitik, Bielefeld. Zitiert nach Brauneck, Manfred (1983): Ausländertheater in der Bundesrepublik Deutschland und in West-Berlin: 1. Arbeitsbericht zum Forschungsprojekt »Populäre Theaterkultur«, Hamburg, 174. Teatro Popular unter der Leitung von Jesus Carretero hatte etwa 30 Mitglieder und probte im spanischen Kulturzentrum von Hannover. Aufschluss über ihre zunehmend politische Positionierung gibt auch der Titel eines selbst entwickelten Stücks von 1981 »Die Gastarbeiter – oder wie aus einem stolzen Spanier eine deutsche Arbeitskraft wurde.« Vgl. ebd.

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Gerade in der Anfangszeit scheint die Fluktuation und Kurzlebigkeit dieser Projekte so hoch wie die überlieferte Textproduktion gering gewesen zu sein.10 Sie befanden sich jedoch ganz im Einklang mit der staatlichen Doktrin, Aktivitäten im kulturellen Bereich seien Angelegenheit der »Eigeninitiative und Selbstorganisation der Ausländer«11 . Ab Mitte der 1970er Jahre stieg die Zahl der Gruppen an, Volkshochschulen, Gemeinde- und Jugendhäuser etc. stellten Infrastruktur zur Verfügung. Analog zum Zahlenverhältnis in der Bevölkerung dominierten besonders in Berlin türkische Gruppen bei weitem. Sie begannen, aktuelle türkische Dramen auf die Bühne zu bringen, um den Türken, die einen beachtlichen Anteil der Kreuzberger Bevölkerung bilden, Theaterwerke zeitgenössischer Schriftsteller zu präsentieren und mit diesen Aktivitäten auch die deutsche Bevölkerung anzusprechen und ihnen das Kulturgut der Türken nahezubringen.12 Diese, im Vergleich zu vorigen Initiativen veränderte, Agenda muss im Zusammenhang mit der veränderten Perspektive der auch nach dem Anwerbestopp 1973 in Deutschland verbliebenen ehemaligen »Gastarbeiter_innen« gesehen werden. Aus finanziellen Gründen lösten sich die meisten Gruppen rasch wieder auf. Andere Projekte entstammten einem intellektuellen Milieu, wie die Theateraktivitäten des Stuttgarter Studenten und späteren Dramatikers Yüksel Pazarkaya, der Schauspielerin und Schriftstellerin (allerdings auch als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommenen) Emine Sevgi Özdamar oder der professionellen Theaterkompagnie »Birlik Tiyatrosu« (Kollektiv-Theater) um den aus der Türkei geflüchteten, renommierten Schauspieler und Regisseur Vasif Öngören, die zumeist zweisprachig oder auf deutsch inszenierten. Ab den frühen 1980er Jahren begannen auch deutsche Theater, den Blick auf die aus der Türkei stammende Minderheit als künstlerische Ressource und potenzielles Publikum zu lenken. Beispielhaft dafür ist die Berliner »Schaubühne« unter der Leitung Peter Steins. 1981 debütierte dort eine

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Die sind auch die von Sven Sappelt angeführten Gründe für die mangelnde wissenschaftliche Aufarbeitung des Phänoments, Sappelt, Sven (2000): »Theater der Migrant/Innen«, in: Chiellino, Carmine (Hg.): Interkulturelle Literatur in Deutschland: Ein Handbuch, Stuttgart, 275-293, hier: 276. Kommission Ausländerpolitik der CDU/CSU, zitiert nach Brauneck 1983, 12. Aus einem Bericht der Volkshochschule, an der Kreuzberg Halk Sahnesi (Kreuzberger Volksbühne) angesiedelt war, zitiert nach Baykul 1995, 12.

4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater

der ersten als türkeistämmige Einwander_innen der zweiten Generation identifizierte Theatercharaktere (Tayfun Bademsoy als »Kebab« in Steins Inszenierung von Nigel Williams »Klassenfeind«). Kurz zuvor hatte Stein ein parallel zum Schaubühne-Betrieb agierendes »Türkisches Ensemble« ins Leben gerufen. Zu Anfang auf den Import fertiger Produktionen aus der Türkei ausgerichtet, mündete das Projekt in der Gründung einer Gruppe, die aus der Türkei angeworbene Theatermacher_innen mit Protagonist_innen der Berliner Amateurtheaterszene Berlins zusammenbrachte. Sie zeigten zeitgenössische türkische Dramen und Kinderstücke in türkischer Sprache. Sowohl die mangelnde Auseinandersetzung mit türkischer Alltagserfahrung in Berlin13 als auch die (im Vergleich zu den mit geringsten Mitteln auskommenden freien Theatergruppen) relativ umfangreiche finanzielle Förderung des Projekts wurden massiv kritisiert, das Projekt nach vier Jahren wegen mangelnden Publikums und interner Konflikte für gescheitert erklärt. Den wechselnden Kooperationen und Zerwürfnissen einer recht überschaubaren Gruppe türkischstämmiger Theatermacher_innen entsprangen im Verlauf der 1980er mehrere kontinuierlichere Projekte wie das Berliner »Tiyatrom« (dt.: mein Theater, seit 1984), das »Arkadaş-Theater« (dt.: FreundTheater, seit 1986) in Köln und das »Wupper-Theater« (seit 1991).14 Unter ihnen ist besonders das »Tiyatrom« vorwiegend türkisch ausgerichtet und verfolgt weiterhin das Bestreben, »die kulturellen Werte zu bewahren, sie an [die] Nachkommen weitergeben [zu] wollen.«15 Bis 2003 war das Tiyatrom das einzige fest subventionierte türkische Theater in Deutschland,16 danach stellte der Senat die Förderung mit der Begründung eines Mangels an künstlerischem Anspruchs und internationaler Ausrichtung ein (es besteht aber weiterhin). Das Arkadaş-Theater führt inzwischen eine Gruppe von Theatermachern verschiedener Hintergründe, das Wupper-Theater präsentierte sich von Anfang an als »interkulturelles Theater mit türkischen Wurzeln«.17 Dieser (im Vergleich zu früheren Initiativen und dem Tiyatrom) breiteren

13

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Kritik u.a. von Aras Ören, vgl. Stenzaly, Georg (1984): »Ausländertheater in der Bundesrepublik und West- Berlin am Beispiel der türkischen Theatergruppen«, Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 14/56, 125-141, hier: 131. Bei der Beschränkung auf diese Gruppen orientiere ich mich an Erol Boran, der diese zu den »bedeutendsten« zählt. Natürlich gab es auch noch andere Initiativen. Niyazi Turgay, zitiert nach Boran 2004, 120. Boran 2004, 131. Vgl. Boran 2004, 171; www.wuppertheater.kulturserver-nrw.de/.

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konzeptuellen Grundlage zum Trotz, verharrten auch diese Initiativen in prekären Umständen und weitgehend ohne große Aufmerksamkeit.

»Sozio«- und »Hochkultur« Erol Boran, der von den von ihm befragten Protagonist_innen der deutschtürkischen Theaterszene zu Beginn der Nullerjahre eine gewisse Frustration übernommen zu haben scheint, fragt: Wie ist es möglich, dass das türkische Theater in Deutschland auch vier Jahrzehnte nach seinen Anfängen noch so »unsichtbar« ist, nur geringe öffentliche Mittel erhält und mehr oder minder »unintegriert« in die einheimischen Theaterszene ein Dasein in […] kultureller Isolation fristet?18 Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, einen Blick auf die Förderpolitik zu werfen. Unter dem Schlagwort »Soziokultur« sollte in den 1970ern die Zugangserweiterung zur Kulturproduktion erreicht werden – durch einen Paradigmenwechsel im Bereich der Nutzung, aber auch der Produktion: The focus thereby shifted from performative, public-oriented forms of cultural production towards the recognition of cultural production as a form of self-realization and social partcipation, not geared toward a public audience but toward the transformation of its active participants. The concept of Soziokultur emphasized the importance of creative activities for personal growth and social cohesion, and sought to radically democratize cultural landscapes, particularly at the grassroots level of the communes.19 Diese Bemühungen resultierten allerdings weniger in einer Öffnung der Bereiche des (»Hoch«-)Kulturbetriebs, in denen sowohl bezüglich der Produzent_innen als auch des Publikums elitäre Zugangsbeschränkungen fortwirkten und weiter fortwirken. Vielmehr bildeten sich parallele, weitgehend voneinander getrennte Strukturen aus, die sich aus unterschiedlichen Vorstellungen von Qualitätsmerkmalen und Zielsetzung künstlerischer Arbeit speisen.

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Boran 2004, 78. Kosnick, Kira (2004): »The Gap between Culture and Cultures: Cultural Policy in Berlin and its Implications for Immigrant Cultural Production«, EU Working Paper RSCAS No.2004/41, http://cadmus.eui.eu/bitstream/handle/1814/2783/04_41.pdf?seque nce=1(30.5.2011), 4.

4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater

Dies erklärt die oben erwähnte Zunahme deutschtürkischer Theatergruppen in den 1970ern sowie ihre Anbindung an Gemeindehäuser und Volkshochschulen. Theaterprojekte mit Jugendlichen sind als »interkulturelle« Maßnahme anerkannter Teil von Jugendarbeit, die in sozialen Vereinen, aber auch durch etablierte Theater weitergeführt wird. Der Schriftsteller und Theatermacher Aras Ören prangerte allerdings bereits in den 1980ern die Abstemplung auch professioneller Kulturproduktion von Migrant_innen als »Soziokultur« an: Statt die türkische Kunst und Kultur, die in dieser Stadt [Berlin] gedeihen, als einen integralen Bestandteil der Stadtkultur zu betrachten, werden sie ständig in eine andere Kategorie gedrängt. Anders gesagt, wird die Kultur der Türken von vornherein als zweitklassig betrachtet, und so betreibt man eine Politik, die sich auf diese »zweite Klasse« einrichtet. Sie existiert nur zum Schein. Wenn wir Künstler haben, die in unserer Kultur wurzeln, und wenn die Stadt unsere Kultur akzeptiert, dann müssen diese Künstler als ein nicht zu verleugnender Teil Berlins betrachtet werden. Sie sind ein Teil der Stadt. Aber noch wird dies nicht so bewertet. Man kann mit unfreiwillig bereitgestellten Geldern keine Künstler fördern, und die von solchen Künstlern produzierte Kunst kann nicht als wahre Kunst bezeichnet werden.20 Bestimmte Bereiche der Kulturproduktion wurden per se als »Soziokultur« angesehen – beispielsweise Kulturproduktion von Migrant_innen.21 Statt Barrierefreiheit wurden Zugangsbeschränkungen verstärkt. In einer Analyse der Berliner Kulturlandschaft hat Kira Kosnick das Fortwirken der Trennung zwischen »Sozio-« und »Hochkultur« bestätigt. Das »Kultur« in »Soziokultur« fungiere anstatt als Bezeichnung für künstlerische und intellektuelle Auseinandersetzung maßgeblich als Marker ethnischer Gruppenidentität (wie beim von der »Werkstatt der Kulturen« organisierten »Karneval der Kulturen«22 ). Gleichzeitig würden als ethnisiert markierte Kulturproduktionen per se soziokulturellen Förderungen zugeordnet. So symbolisiere die Ausrichtung des »Haus der Kulturen der Welt« im Gegensatz zur »Werkstatt der Kulturen« im Berlin der Nullerjahre die fortbestehende Annahme einer unvereinbaren

20 21 22

Aras Ören, zitiert nach Baykul 2002, 17. Vgl. Allmanritter, Vera/Siebenhaar, Klaus (Hg.) (2010): Kultur mit allen! Wie öffentliche deutsche Kultureinrichtungen Migranten als Publikum gewinnen, Berlin/Kassel, 10. Vgl. Frei, Kerstin (2003): Wer sich maskiert, wird integriert: Der Karneval der Kulturen in Berlin, Rieden; Kosnick 2004, 8.

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Trennung zwischen internationaler Kunstszene und der Kulturproduktion in Berlin ansässiger (Post-)Migrant_innen. Die Kluft beschränke sich allerdings nicht auf die qualitative Bewertung, durchschlagender seien die quantitativen Unterschiede: Die Zuschüsse für »Soziokultur« belaufen sich auf einen Bruchteil der Ausgaben für »Hochkulturförderung,« und ermöglichen in den seltensten Fällen eine langfristige Förderung, was gerade im Theater die Möglichkeiten einer künstlerischen Entwicklung stark beschränkt.23 Theaterberufe sind mit einem hohen Grad an finanzieller und planerischer Unsicherheit verbunden, in der »freien Szene« noch mehr als in den staatlich subventionierten Betrieben.24 Projekte bleiben auf Fördergelder, Zuschüsse oder private Spenden sowie die Bereitschaft zu einem an Selbstausbeutung grenzenden Arbeitspensum angewiesen. Diese generellen Schwierigkeiten werden im Falle migrantischen Theaters zusätzlich durch die diagnostizierte Festschreibung auf »Soziokultur« verstärkt. Auch Yüksel Pazarkaya, Gründer der ersten türkischen Theatergruppe in Deutschland, prangerte die Konsequenzen einer solchen Festlegung an: Die türkischen Theater können nicht ohne Subventionen überleben; doch subventioniert werden sie mehr schlecht als recht aus Sozialetats, nicht aus Kulturbudgets. Nicht von der Landes- oder Bundesregierung, sondern von kommunalen Behörden, und da von sozialen Mitteln. Wenn man die Kulturarbeit von Migranten aus diesem Auge sieht, dann wird daraus ein leidiger sozialer Pflegefall.25 Im Zuge der Integrationsdebatte des beginnenden 21. Jahrhunderts sind zunehmend Fördergelder explizit für »interkulturelle« Projekte bereitgestellt worden. Terkessidis weist jedoch darauf hin, dass dies in der Praxis wieder zu 23

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Anders als andere Genres ist das Theater nicht nur für die Produktion eines Kunstwerks, sondern auch für deren Konsumierbarkeit auf einen laufenden Betrieb angewiesen. Die Strukturen sind dadurch institutionalisierter und elitärer als in anderen künstlerischen Bereichen. Die Trennung zwischen Institutionen in Form der Landes-, Stadt- oder Staatstheater und der sogenannten »freien Szene«, der weder besonders viel finanzielle Unterstützung noch Aufmerksamkeit zu Teil wird, ist in Deutschland ungleich stärker vorhanden als in anderen Ländern. Möglicherweise ist das allerdings im Wandel begriffen: Beim Berliner Theatertreffen 2011 waren erstmalig auch zwei Arbeiten der »freien Szene« unter den zehn ausgewählten Produktionen vertreten. Yüksel Pazarkaya, zitiert nach Boran 2004, 79.

4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater

bestimmten Förderbereichen führe, bei denen »die Leute mit den komischen Namen Anträge stellen können«.26 Dies beeinflusst auch, was für Inhalte von Kulturschaffenden mit Migrationshintergrund bearbeitet werden können. Wie personelle und inhaltliche Festschreibungen sich verschränken, ist für den deutschtürkischen Film vielfach aufgezeigt worden.27 Die Jahrzehnte lang vorherrschende Einseitigkeit in der Darstellung mit Einwanderung assoziierter Themen im Film sei maßgeblich der »Reservatskultur«28 der deutschen Filmförderung geschuldet gewesen. Anhand ihrer Untersuchung deutschtürkischer Filmproduktion beschreibt Göktürk den direkten Einfluss solcher Paradigmen in der Fördermittelvergabe auf die Inhalte, die bearbeitet werden (können): Mit einer gewissen Herablassung wurde den »Ausländern« ihr kultureller Platz zugewiesen, und FilmemacherInnen sahen sich häufig festgelegt auf leidvolle Geschichten vom Verlorensein »zwischen den Kulturen«. Um der Förderung teilhaftig zu werden, reproduzierten in Deutschland lebende AutorInnen und RegisseurInnen ausländischer Herkunft in ihren Drehbüchern und Filmen häufig Klischees über die »eigene« Kultur und deren archaische Sitten und Bräuche. Wer aus der Türkei stammte und in Deutschland Filme machen wollte, hatte lange Zeit nur Chancen mit einem Drehbuch, das von der Unterdrückung einer rückständigen Landbevölkerung handelte.29

Postmigrant_innen im institutionalisierten deutschen Theaterbetrieb Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist eine faktische Trennung zwischen kulturschaffenden (Nachkommen von) Arbeitsmigrant_innen und internationalen Künstler_innen in der erläuterten Unterscheidung zwischen »Sozio-« und »Hochkultur« ebenso präsent wie in der akademischen Behandlung von »Ausländertheater«, von Georg Stenzaly recht holprig definiert als 26

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Terkessidis, Mark (2011): Vortrag bei der Jahrestagung der Deutschen Dramaturgischen Gesellschaft, www.dramaturgische-gesellschaft.de/word press/wp-content/uploads/mydata/57PDF/vortragterkessidis.pdf (30.5.2011), 7. Vgl. Türkmen 2008, Priessner 2005, Göktürk 2000. Göktürk 2000. Ebd.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

die theatralischen Darbietungen in der BRD durch Nationalitätsangehörige der ehemaligen Anwerbeländer. Dieser Begriff schließt insbesondere Theaterunternehmungen von Nord- und Westeuropäern und Nordamerikanern aus.30 Einzelne postmigrantische Kulturschaffende wie der Dramatiker Feridun Zaimoğlu, der Regisseur Nuran David Calis und eine zunehmende Zahl von Schauspieler_innen arbeiteten auch vor dem Auftreten der postmigrantischen Theaterinitiative bereits innerhalb der institutionalisierten Strukturen der Stadt- und Staatstheater. Allgemein waren im etablierten deutschen Theaterbetrieb und dessen klassischen Ausbildungsstätten unter den Kulturschaffenden solche mit Migrationshintergrund, vor allem türkischer Herkunft, auf allen Ebenen unterrepräsentiert,31 und das im Gegensatz zu Künstler_innen aus der europäischen Union oder dem englischsprachigen Raum, denen keinerlei Benachteiligung im Kulturbetrieb bescheinigt wurde.32 Für diese niedrige Quote mag die relative Unsicherheit des Berufszweiges, die wenige Arbeiter_innenkinder anzieht, mitverantwortlich sein.33 Entscheidungsträger_innen aus Theaterinstitutionen argumentierten auch damit, dass die Berufschancen etwa für Schauspieler_innen mit Migrationshintergrund besonders wackelig seien, da sie sich nicht ohne weiteres in die auf klassisches Repertoire ausgerichteten Ensembles eingliedern ließen.34 Diese Aussage beinhaltet eine ganze Kette von Setzungen: Einerseits impliziert die 30 31

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Stenzaly 1984, 125. Vgl. Sappelt 2000, 276; Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2007, Katrin Sieg 2010, 148; Jeschonnek, Günther (Hg.) (2010): Report darstellende Künste: Wirtschaftliche, soziale und arbeitsrechtliche Lage der Theater- und Tanzschaffenden in Deutschland, Essen, 155. Die Zahl der Türkischstämmigen unter den Tanz- und Theaterschaffenden in Deutschland liege hingegen bei lediglich 2 %, womit diese im Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen deutlich unterrepräsentiert seien, Jeschonnek 2010, 155. Vgl. Jens Hillje, zitiert nach Behrendt, Eva et al. (2011): »Im Feld der Verhandlung: Das Gespräch«, Theater Heute 1 (Januar) 12-17, hier: 16. Vgl. Sappelt 2000, 276. Siehe. in diesem Zusammenhang auch die Kontroverse um Alexander Langs Hamburger Inszenierung von Bernar Marie Koltès’ »Retour au Désert«. Der Autor griff den Regisseur dafür an, dass er als arabischstämmige Franzosen und Afrikaner identifizierte Figuren mit biodeutschen Schauspieler_innen besetzte, wo sich für den deutschen Kontext zumindest türkische angeboten hätten. Die Verantwortlichen verteidigten sich, es gäbe nicht genug professionellen migrantischen Schauspieler_innen, die Zusammenarbeit würde sich problematisch gestalten, und

4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater

Aussage, Schauspieler_innen mit Migrationshintergrund könnten nicht auf die gleiche Weise besetzt werden wie ihre autochthonen Kolleg_innen. Die meisten postmigrantischen Schauspieler_innen berichten von einer Festlegung auf nicht-deutsch markierte Rollen. Als eine der prominentesten wies Sibel Kekili im Zusammenhang mit dem Berlinale-Gewinn von Fatih Akıns »Gegen die Wand« 2004 darauf hin, dass »Türken […] in Deutschland immer Türken spielen [müssen].«35 »Deutsche Bühnen sind immer noch blond,« soll der Intendant eines etablierten deutschen Theaters nach dem Vorsprechen einer postmigrantischen Schauspielerin seine Absage begründet haben.36 »We have no Ausländer characters; there are no Turks in this play [film, commercial]«, bekam die Schauspielerin Ayşe bei Vorsprechen häufig als Absagebegründung zu hören.37 Ihr Kollege Emre Aksızoğlu, SchauspielAbsolvent der renommierten Falckenberg-Schule, hat die Einschätzung, dass, obwohl seine türkische Herkunft ihm am Gesicht wenig abzulesen sei, die Erwähnung seines türkischen Namens dafür sorge, dass er für »deutsche Rollen« abgelehnt werde.38 Demnach scheint die assoziative Aufladung eines (post-)migrantischen Körpers im Blick der Mehrheitsgesellschaft in den frühen 2000ern so stark zu sein, dass sie nicht durch die Annahme einer Figurenidentität kompensiert werden kann. Mark Terkessidis beschreibt diese angenommenen Einheit von Schauspieler_in und Figur in seiner Analyse deutschtürkischen Kabaretts:

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eine solche Besetzung sei zu naturalistisch. Vgl. Dramaturgische Gesellschaft (Hg.) (1990): MordsWeiber. Tanztheater. Koltès, Berlin; kritisch Sieg 2002, 7f. Adorjan, Johanna (2004): »Sibel Kekilli im Interview: Es ist mein Leben«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.2., www.faz.net/artikel/C30964/sibel-kekilli-im-interview-esist-mein-leben-30074334.html (30.5.2011). Shermin Langhoff, zitiert nach Publikumsgespräch nach »Verrücktes Blut« auf Gastspiel im Thalia Theater Hamburg, 23.1.2011, persönliche Mitschrift. Mandel, Ruth (2008): Cosmopolitan Anxieties. Turkish Challenges to Citizenship and Belonging in Germany, Durham, 188. Publikumsgespräch nach »Verrücktes Blut« auf Gastspiel im Thalia Theater Hamburg, 23.1.2011, persönliche Mitschrift. Vgl. auch Cherrat, Nisma (2005): »Mätresse – Wahnsinnige – Hure: Schwarze SchauspielerInnen am deutschsprachigen Theater«, in Eggers, Maisha et al. (Hg.): Mythen, Masken und Subjekte: Kritische Weißseinsforschung in Deutschland, Münster, 206-219. Cherrat hadert damit, dass ihr Festgeschrieben-Sein auf »schwarze« Rollen durch die meist klischeehafte Anlage der Figuren – durch die literarische Vorlage oder die Interpretation der Regisseur_in – auch zur Fortschreibung rassistischer Stereotype beitrage.

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Zum einen fällt der deutsch-türkische Kabarettist mit seiner »Rolle« zusammen, womit er aufzeigt, daß der »Türke« in der deutschen Gesellschaft von mannigfaltigen Zuschreibungen erfaßt ist und aus diesem Grund seine »Rollen« nicht an- und ablegen kann wie der Einheimische. Dabei sieht sich auch der deutsch-türkische Kabarettist selbst vom autochthonen Publikum dauernd mit einer Authentizitätsunterstellung konfrontiert: In dessen Augen kann er den »Türken« eigentlich gar nicht spielen, weil er ja einer »ist«. Auf der anderen Seite jedoch entzieht er sich dieser Unterstellung, indem er ja gerade nicht er selbst »ist« bzw. das Subjekt, das man unter einem bürgerlichen Namen kennt – denn dieses spielt er ja nur. So hebt das allochthone Kabarett den Unterschied zwischen Künstlichkeit (Rolle) und Echtheit (Bürgerlicher Name, Ich) auf.39 Nun ist die Bedeutung von Figuren im Theater eine andere als im Kabarett und Besetzungen erfolgen trotz der zeitgenössischen Tendenz, die Bühnenillusion der Einheit von Figur und Schauspieler_in brechen zu wollen, weiterhin auch nach »Typ«. Nicht nur Migrant_innen bleiben bestimmte Rollen verwehrt. Während »Typ« gemeinhin an Körperlichkeit festgemacht wird, scheint diese Festschreibung bei Einwander_innen aber über die individuelle Äußerlichkeit hinauszugehen (vgl. Kap. 3).40 Die oben angeführte Aussage, Schauspieler_innen mit Migrationshintergrund ließen sich nicht in die auf ein klassisches Repertoire ausgerichteten Ensembles deutscher Theater eingliedern, impliziert auch, das deutsche Theater sei auf einen bestimmten Kanon beschränkt. Wird von der oben dargestellten Festlegung (post)migrantischer Schauspieler_innen auf als fremd markierte Rollen ausgegangen, folgt, dass in diesem Kanon als Einwander_innen oder Fremde identifizierbare Figuren anscheinend nicht vorkommen –

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Terkessidis 2000, 298. Als diese Studie verfasst wurde, gab es noch kein empirische Studie, die beleuchtete, ob die augenscheinliche Ähnlichkeit der oben angeführten persönlichen Erfahrungen sich statistisch belegen ließe, oder eher Aufschluss über die Erwartungen von Schauspieler_innen mit Migrationshintergrund gewährt, mit Diskriminierung konfrontiert zu werden. Hier hat sich – maßgeblich durch die postmigrantische Theaterinitiative – in Analyse und Praxis einiges verändert. Zum Zeitpunkt der Publikation sei exemplarisch verwiesen auf Voss, Hanna (2014): Reflexion von ethnischer Identität(szuweisung) im deutschen Gegenwartstheater, Marburg; Koban, Ellen/Kreuder, Friedemann/Voss, Hanna (Hg.) (2017): Re/produktionsmaschine Kunst: Kategorisierungen des Körpers in den Darstellenden Künsten, Bielefeld sowie weiterführend Schmidt 2019.

4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater

denn sonst könnten sie ja zumindest als solche besetzt werden. Somit bliebe dem institutionalisierten Theater aber, der dargestellten demographischen und gesellschaftlichen Verhältnisse (vgl. Kap. 3) zum Trotz, die Aushandlung der Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft verschlossen.41

»Authentische Stimmen« und »Kulturmakler_innen« Auch Kulturproduktion ist eine Industrie, die auf Vermarktung und Konsumierbarmachung aufbaut. »Realitätsgerechte Empörung wird zur Warenmarke dessen, der dem Betrieb eine neue Idee zuzuführen hat,«42 kritisierten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer das ambivalente Verhältnis von Subversion und Marktförmigkeit in der Kulturproduktion. bell hooks diagnostiziert bei der Untersuchung der Vereinnahmung afroamerikanischen Gegenkultur ein »Einverleiben des Anderen«: Die Massenkultur ist gegenwärtig der Bereich, in dem die Idee, das Bejahen und Genießen »rassischer Differenz« hätte Vergnügungswert, verbreitet und weitergetragen wird. Die Vermarktung des Andersseins verläuft bisher so erfolgreich, weil sie neue Freuden verspricht, intensiver und befriedigender als das normale Tun und Treiben. In einer Warenkultur wird Ethnizität zur Würze. Sie macht die langweilige Kost pikant, nämlich die weiße Kultur des mainstream.43 Dieser »Hype um Hybridität«44 bedeute eine Domestizierung, die zur Entpolitisierung der Inhalte führe, während die »Anderen« Kulturschaffenden in eine Lieferantenposition gedrängt und auf angenommene Expertise für die verlangte »Würze« festgeschrieben würden. Die Darstellungen von marginalisierten Lebenswelten bleibe Kulisse, eine Szenerie für Geschichten, die im wesentlichen auf Mehrheitsangehörige ausgerichtet sind.45 41

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Vgl. Kiyak, Mely (2011): »Was für ein Theater! Interkulturelle kulturelle Bildung«, Bundeszentrale für politische Bildung, 10.3, www.bpb.de/themen/S3LLEH,1,0,Was_f %FCr_ ein_Theater %21.html (31.5.2011), 2. Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, zitiert nach Moebius 2009, 48. hooks, bell (1994): »Das Einverleiben des Anderen: Begehren und Widerstand«, in dies.: Black Looks: Popkultur – Medien – Rassismus, Berlin, 33-56, hier: 33. Vgl. Ha, Kien Nghi (2005): Hype um Hybridität: Kultureller Differenzkonsum und postmoderne Verwertungstechniken im Spätkapitalismus, Bielefeld. hooks 1994, 47.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

In seiner Untersuchung von Literatur aus Minderheitenkontexten beobachtete Graham Huggan, dass hier auch anderen Genres zuzuordnende Werke maßgeblich in der Kategorie der Autobiographie verortet und vermarktet würden.46 Er diagnostizierte einen »Authentizitätskult«, durch den Kulturproduktion von Minderheitenangehörigen durch das Versprechen indirekter Einblicke in verschlossene Welten für den »Appetit auf das Andere«47 der Mehrheitsgesellschaft Warenförmigkeit erlange. Im hier behandelten Kontext scheint dies in besonderem Maße Projekte zu betreffen, die als Jugend- oder Laienprojekte dem Bereich der »Soziokultur« zugerechnet werden: [Man setzt voraus], dass diese Jugendlichen zu nichts anderem fähig sind als dazu, vollkommen authentisch zu sein […]: sie können nichts darstellen – stets erzählen sie die Geschichte ihres eigenen Lebens.48 Die Anrufung als Expert_innen für Themen aus dem Bereich von Migration, Integration und Islam beschreiben Politiker_innen mit (angenommenem) Migrationshintergrund jedoch ebenso wie professionelle Kunst- und Kulturschaffende. Postmigrantische Eliten finden sich so, wie die Anthropologin Ruth Mandel in ihrer Studie über Berliner_innen mit türkischem Hintergrund festgestellt hat, in einem ambivalenten Verhältnis sowohl zur Mehrheitsgesellschaft als auch zu der Minderheit, mit der sie in Verbindung gebracht werden. Häufig übernähmen sie als »Kulturmakler_in« eine Art Übersetzer_innenposition für die Arbeiter_innenklasse: Their situation is paradoxical, since for some it is only in their association with their worker/peasant compatriots that they are able to differentiate themselves successfully from them. They often find that in Germany they are accepted as cultural and intellectual elites (artists, writers, musicians, filmmakers, professionals, politicians, academics) only if they reinvent themselves as ethnic elites. Many of them willy-nilly become cultural brokers and spokespeople for the workers, as they write about, film, paint, represent, and study them. […] [W]hile immigrant workers find it demeaning to be labeled and assigned an identity solely on the basis of their labor, such as

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Huggan, Graham (2001): The postcolonial Exotic: Marketing the Margins, London/New York, 155f. Castro Varela/Dhawan 2006, 436. Terkessidis, Mark (2010): Interkultur, Frankfurt a.M., 198.

4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater

Gastarbeiter, the elites strive precisely for this, yet are denied it – unless the work is dressed in ethnic garb.49 Diese klassenübergreifende Vertreter_innenrolle besteht auch nach der semantischen Verschiebung von der »Ausländer_in« zur »Muslim_in« weiterhin fort, so beobachtet Riem Spielman, dass im Verlauf der islamisierten Debatte immer mehr postmigrantische Akteur_innen sich »als Muslim_innen« zu Wort melden – auch solche, für deren Selbstverständnis Religion nur eine geringe Rolle spiele. Viele berichten dabei über den schmalen Grat zwischen Selbstpositionierung und zuschreibender Einordnung durch Gesprächspartner_innen oder Medien.50 Auch wenn Wortmeldungen, die sich in diesen Zusammenhang stellen, durch den Wunsch nach Differenzierung motiviert und so als Korrektiv gemeint seien, werde darin, so Mandel, oft schlussendlich dennoch die (Selbst-)Festschreibung auf »ethnifizierte« Inhalte fixiert: Gerade das Aufgreifen und Wiedererzählen der hegemonialen Narrative gewähre migrantischen Eliten autonomen und legitimen Raum in der deutschen Öffentlichkeit.51 So führt der Authentizitätskult gewissermaßen zu einem Autobiographiezwang, also zu einer Festlegung auf Themen, deren Verhandlung als die Auseinandersetzung mit eigenen Erfahrungen angesehen wird. Selbstessentialisierung und teilweise -exotisierung bedingen so die Einspeisung von Einwander_innen in die Sphäre öffentlicher Auseinandersetzung.52 Auch hier sind besonders Erzählungen weiblicher Sexualität und mit Vorliebe (Selbst-)Befreiung präsent, wie ein Blick auf die Bestsellerlisten des beginnenden 21. Jahrhunderts bestätigt.53 Auch die Art und Weise wie Postmigrant_innen in den 2000ern gemeinhin an deutschen Theatern sichtbar wurden, scheint dies zu bescheinigen.

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Mandel 2008, 186; 190. Vgl. Spielhaus 2011. Mandel 2008, 186f. Terkessidis, Mark (2000b): »Vertretung, Darstellung, Vorstellung. Der Kampf der MigrantInnen um Repräsentation«, Transversal, http://eipcp.net/transversal/0101/terkessi dis/de (22.7.2011), o.S. Vgl. z.B. Reulecke, Anne-Kathrin (1993): »›Die Befreiung aus dem Serail‹: Betty Mahmoodys Roman Nicht ohne meine Tochter«, in Klemm 1993; Winckler, Barbara (2004): »Geschlechtertransgressionen: Einleitung«, in Neuwirth, Angelika et al. (Hg.): Arabische Literatur, postmodern, München, 295-302.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Zwar ist in dieser Zeit ein großes Interesse an Migration als Thema erkennbar, was sich in den Themensetzungen zahlreicher Festivals niederschlug. In Berlin und anderen Großstädten spielt unter dem Stichwort »Diversity« die Präsentation kultureller Differenz zunehmend eine Rolle als Vermarktungskriterium.54 Allerdings herrschten dabei Herangehensweisen vor, die postmigrantisches Schaffen entweder als immer noch »unterwegs« oder aber als relevant vor allem im Kontext des Herkunftslandes zu betrachten. So stand das »1. Migrantentheaterfestival« 2008 im Ruhrgebiet unter dem Motto »Auf zu neuen Ufern«,55 andere Festivals, bei denen postmigrantische Produktionen gezeigt wurden, waren u.a. die »Dusiburger Akzente« 2009 unter dem Motto »Bosporus – Tor der Kulturen«,56 oder der Heidelberger Stückemarkt 2011, der sich der Türkei widmete. Eine dritte Tendenz beweist die Durchdringung auch des Theaters durch Diskurse, wie sie oben unter den Begriffen der Islamisierung/Muslimisierung und Vergeschlechtlichung vorgestellt wurden (Vgl. Kap. 3).57 Auch auf der Bühne fanden sich die klassischen Opfer- und Befreiungsnarrative, die die Geschichten weiblicher Migrantinnen erzählen. Beispielhaft dafür waren in Berlin etwa Nicole Oders Inszenierungen »Arab Queen oder Das andere Leben« (2011) am Heimathafen Neukölln und »Ayla, Alis Tochter« (2011) am Kindertheater Atze zu sehen.58 Ein Blick auf eine wohlwollende Rezension verdeutlicht, wie exotisierende hegemoniale Erzählweisen vom ersten Moment an in der Inszenierung mit angelegt sind: 54

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Vgl. Woźniak, Urszula (2010): »Sprechblasen und Importprodukte: Zur Verhandlung von Differenz in Berliner Kulturprojekten«, unveröffentlichte Magisterarbeit, Institut für europäische Ethnologie, Humboldt-Universität Berlin; Kömürcü, Onur Suzan (2010): »Rassifizierte kreative Arbeit im kognitiven Kapitalismus«, Kulturrisse, Januar, http://kulturrisse.at/ausgaben/creative-bubbles/oppositionen/rassifizierte-kreativearbeit-im-kognitiven-kapitalismus (30.1.2011). Vgl. www.migrantentheaterfestival.de/Migranten_Theater_Festival/_willkommen.ht ml (15. August 2011). Vgl. www.duisburger-akzente.de/archiv_2009/de/pressetexte/literaturprogramm_sta dtbibiliothek.php (15. August 2011). Vgl. Erel, Umut (2007): »Auto/biografische Wissensproduktionen von Migrantinnen«, in Ha et al. 2007, 147-160. »Ayla, Alis Tochter« von Thomas Sutter, Regie Nicole Oder, Dramaturgie Hülya Karci, Uraufführung 9. Januar 2010 im Atze Kinder- und Jugendtheater. »Arab Queen oder Das andere Leben«, nach dem Roman von Balci, Güner (2010): ArabQueen oder der Geschmack der Freiheit, Frankfurt a.M. Regie Nicole Oder, Dramturgie Elisabeth Tropper, Uraufführung 12. November 2010, Heimathafen Neukölln, Berlin.

4. (Post-)Migrant_innen im deutschen Theater

Am Anfang schwingt die leise Klage einer türkischen Volksweise, wunderbar gesungen von Begüm Tüzemen, über die dunkle Bühne. Sie erzählt von »fremder Heimat« und vom Schmerz fehlender Liebe, doch plötzlich durchschneidet ein Schuss die Stimmung, eine Meute türkisch-deutscher Jugendlicher nimmt tanzend, lachend die schräg abfallende Spielfläche in Besitz.59 Postmigrantische Akteur_innen, die Inhalte in die Debatte einbringen wollten, die weder der Nachfrage nach der »Würze« befriedigen, noch sich in das hegemoniale Narrativ (in diesem Fall der Islamisierung) einreihen, stellten sich so einem von Mehr- und Minderheitenangehörigen getragenen hegemonialen Diskurs entgegen. Die Betrachtung von Muslimisierung anhand des Konzepts der Hegemonie lenkt den Blick darauf, wie gerade Angehörige der Minderheit, die durch den Diskurs essentialisierend konstruiert und ausgegrenzt wird, als Bestätigung in diesen eingegliedert werden. Castro Varela und Dhawan bezeichnen diese ambivalente Position als »authentische Stimme«: Die authentische Stimme spricht und sagt das, was die Mehrheit hören will. In diesem Moment verquickt sich ein hegemoniales Zuhören, welches nur das hört, was die dominanten Verhältnisse stabilisiert mit der Forderung der politisierten Minorisierten für das Recht auf eine eigene, eben authentische Stimme.60 Zudem sei hier auf die von Spivak und anderen angemerkte Überlappung der Konzepte Darstellen und Vertreten in der Repräsentation erinnert, die ein konstitutives Moment der »Kulturmakler_in« darstellt. Die Sprechposition beinhaltet das Dilemma »of displacing those she claims to represent,«61 von Stuart Hall als die »Bürde der Repräsentation«62 bezeichnet, die auf dem lastet, der die Darstellung einer ganzen Gruppe übernimmt oder übernehmen soll. Im Kontext der vergeschlechtlichten Muslimisierung bezeichnet Yasemin Shooman Sprechpositionen, die durch Berufung auf die »authentische« Innenperspektive das hegemoniale Narrativ untermauern, als »Kronzeuginnen der Anklage«.63 59 60 61 62 63

Rezension der Berliner Zeitung, zitiert nach www.atzeberlin.de/seiten/home/seiten/Ayla-Pressestimmen.php (3. August 2011). Castro Varela/Dhawan 2006, 436. Sieg 2010, 160. Hall 1994a, 17. Shooman 2011.

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Katrin Sieg schlug vor, das Konzept der »Kulturmakler_in« als Ausgangspunkt für weitergehende Überlegungen über die Verfasstheit und Verflochtenheit von Sprechpositionen und Inhalten in der islamisierten Debatte aufzugreifen: The concept of cultural brokering, in which individuals make truth claims about an entire ethnic group, raises the stake of ethnic performance and lends urgency to the project of theorizing not only new emplotments of ethnicity in their institutional, communicative context but also how rivaling self-representations are contested and adjudicated in ethnically heterogenous publics.64 In diesem Zusammenhang möchte ich nun die postmigrantische Theaterinitiative, die sich im Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße formierte, so vorstellen, wie sie sich selbst präsentiert: Als Kulturmaklerin, die mit den Mitteln des zu diesem Zeitpunkt im Zusammenhang (post-)migrantischer Identitätspolitik noch wenig genutzten Mediums des Theaters im Diskurs interveniert, Gegenbilder anbieten und diese zur Diskussion stellen möchte.

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Sieg 2010, 150.

5. Die postmigrantische Theaterinitiative am Ballhaus Naunynstraße Wenn Sie sich äußern wollen, dann gehen Sie bitte auf die Bühne. (Nurkan Erpulat/Jens Hillje: »Verrücktes Blut«)

Berlin, Frühjahr 2009: Die Schaubühne präsentiert »Dritte Generation«, eine Koproduktion mit dem israelischen Nationaltheater Habimah.1 Der deutsche Schauspieler Niels Bormann eröffnet diese Verhandlung deutsch-israelischpalästinensischer Verwobenheiten mit einer Entschuldigung »im Namen des deutschen Volkes … der Bundesrepublik Deutschland … den Deutschen«. Ob denn Juden im Publikum seien? Sinti und Roma vielleicht, Behinderte, Homosexuelle? Und, wenn es schon ums Entschuldigen gehe, vielleicht sogar ein oder zwei Türken? Bormanns Frage zielte auf die Konfrontation wunder Punkte deutscher Geschichte und Gesellschaft ab, als Ansprache war sie rein rhetorisch. Schon die Möglichkeit, dass sich türkeistämmige Theaterbesucher im Publikum befinden könnten, zweifelte er an. Während konstatiert wurde, dass (Post-)Migrant_innen eigentlich an sich thematisch in die Verhandlung deutschen Selbstverständnisses mit einbezogen werden müssten, wurde gleichzeitig ihr faktischer Ausschluss aus der Auseinandersetzung bezeugt. In der Premiere allerdings übertönte eine selbstbewusste Antwort aus dem hinteren Drittel des Zuschauerraums das irritiert-belustigte Gemurmel des Publikums: »Wir sind hier – und wir werden immer mehr!«2 1

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»Dritte Generation« von Yael Ronen und Team, Regie Yael Ronen, Dramaturgie Irina Szodruch, Schaubühne am Lehniner Platz Berlin und Habimah Theater Tel Aviv, Uraufführung in Berlin 20. März 2009. Persönliche Mitschrift. Als Regieassistentin bei »Dritte Generation« war ich anwesend und notierte aus persönlichem Interesse und für den obligatorischen Vorstellungsbericht die Publikumsreaktionen.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Wer diese Konfrontation deutscher Empfindlichkeiten nutzte, um auf die Präsenz von (Post-)Migrant_innen – in der deutschen Gesellschaft, im Zuschauerraum eines etablierten deutschen Theaters, in der Verhandlung deutscher Vergangenheit und Zukunft – hinzuweisen, war Shermin Langhoff, die künstlerische Leiterin des Berliner Ballhaus Naunynstraße. Wenige Monate zuvor hatte es als Deutschlands erstes postmigrantisches Theater in Kreuzberg die Pforten geöffnet, bemüht, in der Theaterlandschaft ebenso unverfroren »aus der dritten Reihe [zu] bellen«3 wie seine künstlerische Leiterin aus dem Zuschauerraum. Das Ballhaus Naunynstraße beruht auf einem Netzwerk von vorwiegend postmigrantischen Akteur_innen aus Kunst- und Kulturproduktion, Wissenschaft und Politik. Die teilweise seit den frühen 1990ern bestehende Zusammenarbeit (vorwiegend im Filmbereich)4 wurde 2004 durch die Gründung des Vereins Kultursprünge, der heute als Betreiber des Ballhauses zeichnet, institutionalisiert. Den Schritt auf die Theaterbühne ermöglichte zunächst eine Kooperation mit dem Berliner Hebbel am Ufer Theater (HAU), das sich einen Ruf für die Förderung innovativer Projekte aus der Schnittstelle zwischen Kunst und Politik erworben hat.5 Shermin Langhoff, treibende Kraft hinter Kultursprünge, kuratierte hier 2004 den Perfomance-Parcours »x wohnungen«, bei dem der bereits prominente Filmregisseur Fatih Akın erstmalig mit einer Theaterarbeit in Erscheinung trat.6 Mit der Zielsetzung, »dem bekannten Bilderrepertoire neue Perspektiven vom Leben in Deutschland [hinzuzufügen]«7 , präsentierte dann ab 2006 die Festivalreihe »Beyond Belonging« in unregelmäßigen Abständen interdisziplinäre Beiträge von postmigrantischen und internationalen Künstler_innen aus dem Bereich von Literatur, Musik und Film und leitete eine systematische Förderung professioneller postmigrantischer Theaterprojekte ein.

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Wildermann 2008. U.a. bei der Gründung des »Türkei Film Festival« 1992 in Nürnberg, vgl. www.fftd.net (31.3.2011), und beim Filmfestival »Europe in motion«, vgl. www.kulturspruenge.net/europeinmotion/deutsch.html (26.4.2011). So wurde u.a. die Wahl zum »Theater des Jahres« 2004 begründet, vgl. o.V. (2004): »Kritikerumfrage: Hebbel am Ufer ist Theater des Jahres«, SPIEGEL online, 9.9, www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/0,1518,317381,00.html (30.3.2011) Vgl. u.a. Stefke. Martin (2009): »Jenseits von Herkunft«, Kunst und Kultur, 3.10. Hebbel am Ufer Theater (Hg.) (2007): Beyond Belonging: Autoput Avrupa von Istanbul bis Berlin; Programmbroschüre, Berlin, o.S.

5. Die postmigrantische Theaterinitiative am Ballhaus Naunynstraße

Im gleichen Jahr wurde Kuratorin Langhoff als potentielle Nachfolgerin des scheidenden Leiters des Ballhaus Naunynstraße ins Gespräch gebracht. Da es sich beim Ballhaus Naunynstraße, das als Spielstätte für ein buntes Gastspielprogramm diente, um eine Einrichtung des Bezirks FriedrichshainKreuzberg handelt, steht die Besetzung des Leitungspostens am Ende eines kommunalpolitischen Aushandlungsprozesses,8 Langhoff erhielt den Posten zwei Jahre später. Langhoffs Einsetzung als künstlerische Leiterin eines unabhängigen Hauses ermöglichte seit 2008 eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der bisherigen Festival-Thematik im stärker institutionalisierten und zugleich unabhängigeren Rahmen einer eigenständigen Spielstätte. Der Bezirk stellte die Grundfinanzierung des Hauses, die durch 16 feste Mitarbeiter_innenstellen in Leitung und Konzeption, Pressearbeit, Verwaltung und Technik die Wartung und den laufenden Verwaltungsbetrieb ermöglichte.9 Nach einer Spielzeit erfolgte die Aufnahme in die Konzeptförderung des Hauptstadtkulturfonds. Die Realisierung eigener Projekte erforderte jedoch weiterhin die Einwerbung von Drittmitteln.10 Das Ballhaus verfügte über kein festes Ensemble, sondern schöpfte für jede Produktion neu aus einem kontinuierlich wachsenden Netzwerk von Künstler_innen, Kompetenten und Kooperationen. Durch die wiederholte Zusammenarbeit mit einigen Schauspieler_innen und Regisseur_innen ergab sich dennoch eine Art fester Kern. Die Schwerpunktsetzung bestimmten maßgeblich Shermin Langhoff als künstlerische Leiterin und Hausdramaturg Tunçay Kulaoğlu, in Kooperation mit weiteren Dramaturg_innen und Kurator_innen wie Oliver Kontny oder Wagner Carvalho. Letzterer trat 2013, zunächst gemeinsam mit Kulaoğlu, die

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Da es sich beim Ballhaus Naunynstraße um eine Einrichtung des Bezirks handelt, ging der Stellenvergabe eine umfangreiche kulturpolitische Auseinandersetzung voraus, vgl. u.a.Bündnis 90/Die Grünen Friedrichshain-Kreuzberg (Hg.) (2006): »Erhalt und Neustart des Ballhauses Naunynstraße«, Stachel x-hain 20,Mai, 9; Laux, Silke (2006): »Im Multikulti-Kessel: Wie das Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße eine neue Ära einleitet und den Kiez nicht vergessen soll«, Der Tagesspiegel, 17.9., www.tagesspiegel.de/kultur/im-multikulti-kessel/752716.html (30.3.2011) Slevogt, Esther (2006): »Ein Scout in der Sübkültür«, Die Tageszeitung, 9.2., 26. Allmanritter/Siebenhaar 2010, 179. Langhoff, Shermin (2009b): »Das Ballhaus Naunynstraße in Berlin: Eine kleine Erfolgsgeschichte des postmigrantischen Theaters?«, inter/kultur: politik und kultur, Juni; Lengers, Birgit (2009): »Ballhaus Naunynstraße: Bühne für postmigrantische Geschichten: Ein Gespräch mit Tuncay Kulao(g)lu«, dramaturgie: Zeitschrift der Dramaturgischen Gesellschaft 2, 17-19; Ohr 2010; Kulaoğlu 2010.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Nachfolge Langhoffs als künstlerische Leitung des Ballhaus Naunynstraße an, als dieser die Leitung des Berliner Maxim-Gorki-Theaters übertragen wurde. Das Ballhaus verfügt über einen rund 100 Plätze fassenden »großen Saal«, der unterschiedlich aufgeteilt und genutzt werden kann. Mit üppiger Stuckverzierung und Kronleuchtern bleibt der Ballsaal als solcher erkennbar und somit auch, dass der Raum für Theater genutzt, aber nicht konzipiert wurde. Neben dem Innenraum ist für ein Theater auch die Positionierung in der »›kognitiven Kartographie‹ einer Stadt«11 von Bedeutung, da die Lage maßgeblich beeinflusst, welche Zuschauer_innen mit welcher Erwartungshaltung ins Theater kommen. Das Ballhaus schien sich schon durch die Lage im Herz von Kreuzberg 36 als »Soziokultur« zu qualifizieren (vgl. Kap. 4): Neben dem Erstaunen darüber, dass das Theater sich in deutscher Sprache auch an ein deutsches Publikum richte, sei das Theater anfänglich häufig mit dem gegenüberliegenden Jugendzentrum »Naunynritze« verwechselt worden.12 Von Seiten der Macher_innen waren ortsspezifische Bemühungen ersichtlich, sowohl Kreuzberger_innen zu Theaterpublikum zu machen als auch Theaterpublikum nach Kreuzberg zu holen.13 »Was will Niyazi in der Naunynstraße?« fragte Aras Ören 1973 in seinem Langpoem gleichen Namens, das den verwobenen Alltag deutscher und türkischer Arbeiter in der Naunynstraße beleuchtete:

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Balme, Christopher (2008): Einführung in die Theaterwissenschaft, Berlin, 155. Kulaoğlu 2010, 174. Auch in einigen Publikationen, die den Anspruch vertreten, sich reflektiert mit der Situation von Postmigrant_innen auseinanderzusetzen, kommt es vor, dass – ob oberflächlicher Recherche oder sprachlicher Nachlässigkeit geschuldet – professionelle Arbeiten des Ballhauses als Laienproduktionen besprochen werden. So berichten Ilka Eickhof und Mark Terkessidis von den Stücken »Dritte Generation« respektive »Schwarze Jungfrauen« als Laienproduktionen, Kira Kosnick hält es trotz der Analyse bestimmter Momente von »Jenseits« weder für nötig den Namen des Theaters noch den der Autoren anzuführen, während dies bei im gleichen Artikel erwähnten Filmen, selbstverständlich der Fall ist. Vgl. Terkessidis 2010, 199; Eickhof 2010, 88; Kosnick, Kira (2010): »Sexualität und Migrationsforschung: Das Unsichtbare, das Oxyymoronische und heteronormative Othering«, in Lutz, Helma et al. (Hg.): Fokus Intersektionalität: Bewegungen und Verortungen eines vielschichtigen Konzepts, Wiesbaden, 154-163. Dies spiegelt sich in der Arbeit im »Kiez« z.B. Rahmen von Jugendarbeit (Kiez Monatsschau, Akademie der Autodidakten) und Kooperation mit lokalen Insititutionen wie Jugendhaus »Naunynritze« rsepektive der Entscheidung, die zum Berliner Theatertreffen eingeladene Inszenierung nicht in deren renommierter Spielstätte in Wilmersdorf zu präsentieren, sondern das etablierte Theatertreffenpublikum nach SO 36 zu locken.

5. Die postmigrantische Theaterinitiative am Ballhaus Naunynstraße

Ein verrückter Wind eines Tages/wirbelte den Bart eines Türken/und der Türke rannte hinter seinem Schnurrbart/her und fand sich in der Naunynstraße14 Stand in Örens Poem noch die unverhofft frische Ankunft im Vordergrund, betonte die postmigrantische Theaterinitiative durch die explizite Anknüpfung daran15 bereits die Kontinuität (post-)migrantischer Präsenz und Kulturschaffens, aber auch deren weiterhin kontroverse Verhandlung, wie auf einem Örens Poem frei zitierenden, zur Eröffnung quer über die Straße gespannten Transparent anklingt: Die Naunynstraße füllt sich mit dem Geruch von frischem Thymian, mit Hoffnung, aber auch mit Hass.16 So wurde deutlich, dass neben der Kontinuität auch die anhaltende Ambivalenz thematisiert und dazu neue Impulse gegeben werden sollen. Mit der Einführung der Selbstbezeichnung »postmigrantisch«, die mit der Wiedereröffnung des Ballhaus Naunynstraße einen konzeptuellen Neuanfang propagierte, ging eine klare Agenda einher, die sich auf die vorherrschenden Tendenzen (post)migrantischer Präsenz im Theaterbetrieb (vgl. Kap. 4) bezog und davon abgrenzte. Die Selbstdarstellung von Kultursprünge e.V., dem Trägerverein des Ballhaus Naunynstraße, verdeutlichte dies:17 Der sich an der Schnittstelle von Politik und Kunst verortende Verein benennt als Zielsetzung das Aufbrechen von Diskurse[n] und Praktiken der Mehrheitsgesellschaft, die das Schaffen von PostmigrantInnen auf ihre vermeintliche Herkunft reduzieren oder es unter dem Aspekt der Integration soziokulturell zu erklären versuchen.18

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Ören, Aras (1974): Was will Niyazi in der Naunynstraße? Ein Poem, Berlin, 21. Dies schlägt sich auch im häufigen Anführen von Zitaten aus Örens Poem nieder (vgl. u.a. Langhoff 2009b sowie in der Inszenierung eines Performance- Parcours in der Naunynstraße, der sich an Örens Poem orientierte (»Was will N. in der Naunynstraße?«, kuratiert von Tunçay Kulaoğlu, Premiere 22. September 2009. Fanizadeh, Andreas (2009): »Wir inszenieren kein Ghetto-Theater«, Die Tageszeitung, 18.4. Kultursprünge e.V. (o.D.): »Über kulturSPRÜNGE«, www.kulturspruenge.net/de/03/0 301.html (30. März 2011). Ebd.

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Als Problem wird primär die diskursive Verfasstheit der Mehrheitsgesellschaft ausgemacht, die es anzusprechen und letztlich zu verändern gelte. Die Verfasser_innen diagnostizierten neben der Festlegung auf den Bereich der »Soziokultur« ein Festschreiben des Schaffens der Postmigrant_in in außerdeutschen Bezügen aufgrund der Reduzierung auf eine vermeintliche Herkunft. Ein solchermaßen »ethnisch, national und kulturessentialistisch definierte[s] Kunstverständnis«19 als Form von Ausgrenzung verfüge über eine weit zurückreichende Tradition und werde von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft und postmigrantischen Kulturschaffenden selbst fortgeschrieben: »Fremdzuschreibungen und Selbstethnifizierung gehen dabei Hand in Hand.«20 In welchen Bildern dies münde, wurde im Programmheft des Eröffnungsfestival erläutert: Inzwischen stellen komplexe Migrationsprozesse unsere vertrauten und oftmals festgefahrenen Blickweisen gründlich auf den Kopf. Das gesellschaftliche Bilderrepertoire ist vielfältiger geworden und trotz aller Dynamik, die diesen Prozessen innewohnt, herrschen bestimmte Stereotypen und Machtverhältnisse immer noch vor. »Migrantenkunst« ist hip wie nie zuvor, doch oft nur dann, wenn sie unsere Sehnsucht nach dem Exotischen oder dem Anderen erfüllt.21 Festschreibung auf »Soziokultur«, die ambivalente Positionierung als »Kulturmakler_in« und Lieferant_in hybrider »Würze« (vgl. Kap. 4) wurden also auch hier kritisiert, aber was sollte dem entgegengesetzt werden? Das Manifest von Kultursprünge e.V. verwies auf eine Doppelstrategie, die Strukturen und Inhalte betraf: Die Bereitstellung von Infrastruktur für die Förderung postmigrantischer Kulturschaffender in Kombination mit durch interdisziplinäre Auseinandersetzungen befruchtete inhaltliche Weiterentwicklung.22 In der dargestellten Entwicklung ist eine Ausweitung des Handlungsrahmens – von einem losen Netzwerk über Vereinsstruktur und das punktuelle Wiederauftauchen im Festivalformat hin zu einer kontinuierlichen, inhaltlich und strukturell (wenn auch nicht finanziell) selbstbestimmten eigenen

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Ebd. Ebd. Ballhaus Naunynstraße (Hg.) (2009): DogLand: Junges postmigrantisches Theaterfestival, Programmbroschüre, Berlin, o.S. Kultursprünge e.V. o.D.

5. Die postmigrantische Theaterinitiative am Ballhaus Naunynstraße

Spielstätte – ersichtlich, die später in die Übernahme eines regulären Stadttheaters, des Maxim-Gorki-Theaters, münden sollte. Zur Kompensation des Mangels vieler postmigrantischer Künstler_innen an spezifischer und geradliniger Ausbildung wurde der Austausch in der »Akademie der Autodidakten« konzipiert: Unbekanntere Nachwuchskünstler_innen profitierten von Erfahrung und Bekanntheit etablierterer Kulturschaffender auch zu Fragen der Navigation im ausgrenzenden Kunstbetrieb. Als Mitbegründerin der Nürnberger Türkei Filmtage und des Vereins Kultursprünge e.V., Regieassistentin u.a. für Fatih Akın und Mitglied der renommierten Theaterfamilie der Langhoffs verfügt vor allem die ausgebildete Verlagskauffrau und Produzentin Shermin Langhoff über erstklassige Netzwerke, die hier zum Einsatz kamen. Auch die bereits etablierten postmigrantischen Theatermacher_innen – zahlenmäßig überschaubar – wie Feridun Zaimoğlu oder Nuran David Calis kooperierten für Ballhaus-Projekte. Viele kamen als Quereinsteiger_innen aus anderen Genres dazu, ausgebildete Filmregisseure wie Miraz Bezar, Hakan Savaş Mican und Fatih Akın selbst produzierten so erstmals Theaterarbeiten. Andere arbeiteten am Ballhaus, weil sie zwar eine klassische Theaterausbildung durchlaufen hatten, aber sich im mehrheitsdeutschen Betrieb wenig Chancen versprachen. Nurkan Erpulat, nach einer Schauspielausbildung in der Türkei erster türkischer Regieabsolvent der renommierten Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch, formulierte nach seiner ersten Inszenierung in den Strukturen der postmigrantischen Theaterinitiative die Hoffnung »[…] dass ich mit meinem Stück den Intendanten und anderen Dramaturgen irgendwie Eindruck machen kann, dass ich auch Shakespeare inszenieren kann.«23 Die gezielte Förderung, Professionalisierung und Sichtbarmachung migrantischer Kunst- und Kulturproduktion sticht so als die zentrale Zielsetzung heraus. In Verknüpfung struktureller und inhaltlicher Ansätze wurden von den geförderten Akteur_innen auch neue Perspektiven auf die Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft, die mehrheitlich Geschichten von (Post-)Migrant_innen »noch immer nicht als Teil dieses Landes«24 begriff, erwartet:

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Nurkan Erpulat, zitiert nach Bilger, Anna (2007): »Verwirsspiel um Identität: Nachwuchsregisseur Nurkan Erpulat inszeniert zwischen den Welten«, Deutschlandradio, 15.3., www.dradio.de/dkultur/sendungen/profil/604743/ (15. August 2011). Tunçay Kulaoğlu, zitiert nach Lengers, 2009, 18.

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Die Migration prägt dieses Land noch immer. Es geht sowohl um die gesellschaftliche Realität als auch um individuelle Geschichten, die so bisher nicht dargestellt wurden, oder eben nur aus der Perspektive der Mehrheitsgesellschaft.25 Langhoff beschrieb die thematische Schwerpunktsetzung als »die Geschichten und Perspektiven derer, die selbst nicht mehr migriert sind, diesen Migrationshintergrund aber als persönliches Wissen und kollektive Erfahrung mitbringen.«26 Da Künstler_innen immer auch aus ihrem persönlichen Erfahrungsschatz schöpfen, begriff die postmigrantische Theaterinitiative dies als »ein kulturelles Kapital […], das überhaupt nicht gefördert wird.«27 Ein Blick in den Spielplan zeigte diese Verschiebung als inhaltlichen Schwerpunkt besonders der Eigenproduktionen. Da es kaum postmigrantische Stoffe gab, sollte durch diese auch ein neuer Textkanon geschaffen werden.28 Neben Kooperationen und Gastspielen aus dem Bereich zeitgenössischer Tanz, Performance, Film und Intermedialität standen eigene Theaterproduktionen im Vordergrund. Auch im Rahmen von »Beyond Belonging« entwickelte Produktionen waren, nun als Ballhaus-Projekte, weiterhin im Programm. Dabei handelte es sich meist um direkte Kommentare zu vieldiskutierten Themen der Integrations- bzw. Islam-Debatte: »Schwarze Jungfrauen« und »Jenseits – bist du schwul oder bist du Türke?« widmeten sich den Themen Sexualität und Islam, »Die Schwäne vom Schlachthof« untersuchte, warum die Mauer »den Türken auf den Kopf gefallen ist« und wessen Erinnerungen sprechbar sind, »Verrücktes Blut« reflektierte die populäre Problematisierung der Bildungsferne junger (Post-)Migrant_innen. Inszenierungen widmeten sich verschiedenen Facetten postmigrantischer Realitäten,29 teilweise

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Ebd. Langhoff et al. 2011, 400. Shermin Langhoff, zitiert nach Bombosch, Frederik/Göroglu, Rana (2009): »›Wir führen einen harten Kampf!‹«, zitty, 15.1., 24-25. Nurkan Erpulat, zitiert nach Wildermann, Patrick (2010): »Menschen zu besseren Menschen machen: Der Autor und Regisseur Nurkan Erpulat im Gespräch«, Theater der Zeit, S. 48. Z.B. die Dokumentartheaterstücke »Klassentreffen – Zweite Generation« und »Ferienlager – Dritte Generation«, Regie Lukas Langhoff, vgl. dazu Sieg 2011.

5. Die postmigrantische Theaterinitiative am Ballhaus Naunynstraße

unter Bezugnahmen auf türkische Populärkultur30 oder politische Kontroversen der Türkei.31 Stuart Hall benannte als Strategien, mithilfe derer durch Identitätspolitik als Bewegungskrieg der Eintritt in die Repräsentationsverhältnisse ermöglicht werden soll, Namensgebung, positive Umdeutung, Homogenisierung und Frontbildung. Anhand dieser lässt sich die ambivalente Verwendung von »postmigrantisch« als Selbstbezeichnung aufzeigen. Der Begriff sollte Aufmerksamkeit erregen, provozieren, Haftfläche für Identitätskonstruktionen bereitstellen und gleichzeitig innerhalb des konkurrenzgeprägten Berliner Kulturbetriebs als Warenmarke dienen.32 Der Begriff distanzierte sich vom Fokus auf Herkunft, um »polymigrantische«,33 im Kulturbetrieb von ähnlichen Ausschlussmechanismen Betroffene zu vereinen. Dabei wurde jedoch verdeckt, dass am Ballhaus keineswegs unterschiedslos Akteur_innen aus den verschiedenen Einwanderungsgruppen tätig waren. Trotz der inkludierenden, universalisierenden Selbstbezeichnung als postmigrantisch überwogen deutschtürkische Themen und Protagonisten bei weitem, auch wenn eine »translokale«34 Ausrichtung angestrebt wurde.35 Projekte, die sich auf postmigrantische Gemeinschaften jenseits der Türkeistämmigen bezogen, blieben vereinzelt. Daneben fällt auf, dass es sich bei den am Ballhaus geförderten Regisseur_innen fast ausschließlich um Männer handelte, mit wenigen Ausnahmen beschränkte sich die weibliche Präsenz auf die Bühne selbst.36 Mit den beiden Regisseuren Nurkan Erpulat und Hakan Savaş Mi30 31 32 33 34 35

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Z.B. die Musikrevue »Gazino Arabesk«, Regie Neco Çelik. Z.B. »Das Märchen vom letzten Gedanken« über den Genozid an den Armeniern, frei nach dem gleichnamigen Romen von Edgar Hilsenrath, Regie Miraz Bezar. Vgl. Knapp/Utlu 2009. Langhoff et al. 2011, o.S. Vgl www.ballhausnaunynstrasse.de (17. August 2011). Vgl. Fanizadeh 2009 u.a. Mit dem Festival »Happy Revolution« und den zwischen Berlin und Teheran entstehenden Choreographien von Modjgan Hashemian wird Richtung Iran geblickt, auch eine afrodeutsche Inszenierung war im Programm. (»Der kleine Bruder des Ruderers« von Kossi Efoui, Regie Simone Dede Ayivi). Ausnahmen bilden die Regisseurinnen Idil Üner und Simone Dede Ayivi sowie die Choreographin Modjgan Hashemian. Auch dies hat sich nach dem Verfassen dieser Studie geändert: Als ich 2012 selbst begonnen hatte, als Dramaturgin am Ballhaus zu arbeiten, hatte ich z.B. das Vergnügen, mit der Arbeit »Scheppernde Antworten auf dröhnende Fragen« die Debütinszenierungen der Regisseurinnen Nora Abdel-Maksoud, Salome Dastmalchi und Theresa Henning zu begleiten, die Frage der weiblichen Präsenz auf der Bühne als Ausgangspunkt nahmen.

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can werden in dieser Arbeit zudem Inszenierungen von Künstlern behandelt, die als klassische Bildungsmigranten erst zum Studium nach Deutschland kamen. Es wurde also keineswegs nur auf Künstler_innen zurückgegriffen, die in Deutschland aufgewachsen waren. Die postmigrantische Theaterinitiative traf einen Nerv: Seit Eröffnung des Ballhauses lag die Auslastung bei über 90 %, in der ersten Spielzeit fanden 30.000 Besucher ihren Weg in den Kreuzberger Hinterhof.37 In der dritten Spielzeit erlangte Erpulats Inszenierung von »Verrücktes Blut«, eine Koproduktion mit der Ruhrtriennale, dessen Premiere im September 2010 auf dem etablierten Festival in Duisburg stattfand, breite Aufmerksamkeit. Von meinungsführenden Medien vom »Spiegel« bis zur »Bild« als »Hit der Saison«38 empfohlen, wurde das Stück im Mai 2011 durch die Einladung zum Berliner Theatertreffen als eins der zehn »bemerkenswertesten« Inszenierungen gefeiert. Die Jury entschied sich 2011 erstmals auch für Produktionen aus der »freien Szene«. Dieses Signal für eine Anerkennung von Theaterproduktion jenseits der etablierten Stadt- und Staatstheaterstrukturen führte zu einer in Theaterkreisen und Feuilletons breit geführten Diskussion über die »freie Szene« im allgemeinen und die Rolle postmigrantischen Theaters im besonderen, was die über Jahre gestellten. Forderungen nach mehr »Interkultur«39 auch im Theaterbetrieb stärkte. Das Ballhaus galt als »Zentrum einer Bewegung, von der Strahlkraft ausgeht«.40 Für erfolgreiche Ballhaus-Macher_innen bedeutete dies plötzlich geöffnete Türen auch im zuvor so skeptischen etablierten Theaterbetrieb.41

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Allmanritter/Siebenhaar 2010, 179. Höbel, Wolfgang (2010): »Vernumft: Das Stück ›Verrücktes Blut‹, aufgeführt in BerlinKreuzberg, ist der Hit der Saison«, Spiegel, 20.9., www.spiegel.de/spiegel/print/d73892447.html (7.8.2011). Terkessidis 2010. Trotier, Kilian (2011): »Bist Du schwul oder Türke? Das große Thema unserer Zeit ist die Migration: Es erreicht nun endlich auch die deutschen Bühnen: Eine Reise zu den zentralen Orten des ›postmigrantischen Theaters‹«, Die Zeit, 14. Juli, www.zeit.de/2011/29/Theater-Migration (3.8.2011). Nurkan Erpulat inszenierte ab Spielzeit 2011/12 u.a. am Schauspielhaus Düsseldorf, Shermin Langhoff, der zunächst die künstlerische Leitung der Wiener Festwochen angetragen wurde, übernahm gemeinsam mit Dramaturg Jens Hillje das Berliner Maxim-Gorki-Theater. Viele andere Protagonist_innen der Zeit im Ballhaus sind mit ans Gorki gewechselt oder haben ihren Weg durch andere Häuser gefunden.

6. Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße zwischen 2006 und 2010

»Gegenbilder« titelte eine der Filmreihen im Rahmen des BallhausVorgängers »Beyond Belonging« und bezog sich damit auf einen in der postmigrantischen Theaterinitiative oft verwendeten Begriff: Im Kontext eines gesellschaftlichen Diskurses, der den »Anderen« immer wieder reproduziert und oft genug zum defizitären, zu integrierenden Objekt degradiert, auch im Kontext einer antiislamischen Stimmung, fand ich es wichtig, Gegenbilder zu schaffen.1 »Gegenbilder« impliziert zunächst einmal Reaktion: Am Anfang steht eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Debatten, in denen bestimmte Bilder – gängige Motive, Topoi oder Tendenzen – als hegemonial identifiziert werden. Dementsprechend lässt die inhaltliche Schwerpunktsetzung der Stücke Schlüsse darüber zu, welche Motive der Debatte die postmigrantischen Theatermacher_innen in Relation zur eigenen politischen Agenda als besonders relevant, exponiert, kontrovers oder kritikwürdig ansahen. Während der Recherchen für diese Arbeit kristallisierten sich in der Untersuchung von Debatte und Theater Knotenpunkte heraus, die als Islamisierung/Muslimisierung und Vergeschlechtlichung (vgl. Kap. 3) gefasst wurden. Mit Beispielen aus diesen Bereichen illustrierte auch die künstlerische Leiterin Langhoff in einem Interview von 2007 ihre Unzufriedenheit mit dem hegemonialen Bildrepertoire:

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Shermin Langhoff, zitiert nach Opel, Anna (2010): »›Wir wollen Gegenbilder schaffen‹: Drei Fragen an Shermin Langhoff, die Leiterin des Ballhaus Naunynstraße«, Theater der Zeit 1, Januar, 27.

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Was ist präsent? Präsent ist Necla Kelek, präsent sind Ehrenmorde, präsent sind Kopftuchdebatte, das war die Motivation zu sagen: okay, es lohnt sich nach neuen Bildern zu suchen im Kontext von Migration.2 »Gegenbilder« sollen aktuelle Themen und Motive nicht nur aufgreifen, sondern deren Neuverhandlung anregen. Stuart Hall theoretisierte die Bestrebungen von Minderheitsangehörigen, auf hegemoniale diskursive Formationen, die als Ausgrenzungpraxen empfunden werden, transformierend einzuwirken, als Identitätspolitik (Kap. 2). Nachdem die Debatten um Einwanderung und Islam in Deutschland (Kap. 3) und deren Auswirkungen auf den Bereich der Kulturproduktion (Kap. 4) dargestellt wurden, an denen sich die postmigrantische Theaterinitiative abarbeitete (Kap. 5), sollen nun einige Inszenierungen genauer betrachtet werden. Als Diskursbeiträge, die gezielt identitätspolitisch agieren wollen, müssen in der Analyse der Theaterstücke bei der Untersuchung der Inhalte die identitätspolitischen Strategien in der Form der Präsentation miteinbezogen werden. Meine Analyse stützt sich deshalb auf zwei Grundfragen: Welche identitätspolitischen Strategien werden in der Präsentation angewandt? Welche Bilder eines fiktiven Islam werden damit dargestellt? Dafür führe ich punktuelle Beispiele aus insgesamt sechs Inszenierungen an, wobei sich meine Schwerpunktsetzung an der Relevanz bezüglich der Positionierung zu den bisher dargestellten Debatten orientiert. Der Fokus auf Islam-Themen ist dem Repertoire des Ballhaus nicht etwa inhärent, sondern meiner selektiven Auswahl geschuldet. Lediglich zwei Stücke von zum Zeitpunkt des Verfassens dieser Studie über 30 Produktionen der frühen postmigrantischen Theaterinitative stellten die Auseinandersetzung mit dem Islam in den Mittelpunkt:3 »Schwarze Jungfrauen« (2006) und »Schnee« (2010). Daneben greife ich auf weitere Inszenierungen zurück, in denen Islam-Themen eher am Rande gestreift werden, die sich aber durch die identitätspolitische Stoßrichtung für eine Kontextualisierung eignen. Ich unterscheide dabei drei unterschiedliche Zielsetzungen: In der ersten Etappe stellten »Schwarze Jungfrauen »(2006) und »Jenseits – bist du schwul oder bist du Türke?« (2008) individuelle Lebensgeschichten im Spannungsfeld

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Shermin Langhoff, zitiert nach Brendel, Gerd (2007): »Kein Ort nirgends von Istanbul bis Berlin: Theaterfestival im HAU Berlin,« Deutschlandfunk, 2.3. Für einen Überblick über inhaltliche Schwerpunkte vgl. Kap. 5.

6. Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße

von Fremdzuschreibung und Selbstbestimmung im Kontext der Einwanderungsdebatte vor. Eine zweite Herangehensweise, die sich mit »Die Schwäne vom Schlachthof« (2009) und »Lö Bal Almanya« (2010) der Präsenz von türkischen Einwander_innen in zentralen Momenten deutscher Geschichte widmete, werde ich weniger detailliert behandeln. In einer dritten Phase kommentierten »Verrücktes Blut« (2010) und »Schnee« (2010) aktuelle Debatten über Integration und Islam in Deutschland. Stuart Halls Vokabular hilft mir dabei, die Verschiebung identitätspolitischer Strategien aufzuzeigen, die ich zwischen dem ersten »Beyond Belonging« Festival 2006 und der dem Ballhaus Ende 2010 zuteil werdenden breiten Aufmerksamkeit beobachte.

Komplexe Narrative der Gegenwart »Schwarze Jungfrauen« (2006) In einem Wirbel aus greller elektronischer Musik und Lichtblitzen lösen fünf junge Frauen synchron ihre Gürtel, ziehen ihre schwarzen Mäntel aus, legen ihre schwarzen Kopftücher ab, entledigen sich schließlich ihrer Haarpracht. Die Musik bricht ab. Uniforme glatzköpfige Gestalten, durch lange hautfarbene Anzüge selbst der Illusion sexualisierter Nacktheit beraubt, bleiben in den Kabinen eines haushohen weißen Setzkastens zurück, der die Bühne bildet. Herausfordernd erwidern die »Schwarzen Jungfrauen« die Blicke der Zuschauer, bevor sie zu sprechen beginnen und poetisch, vulgär und angriffslustig von ihrem persönlichen Verständnis von Islam und Sexualität berichten. »Schwarze Jungfrauen«, das erste Theaterstück des »Beyond Belonging«Festivals, das nicht als fertiges Gastspiel eingeladen, sondern selbst konzipiert und produziert wurde, feierte im März 2006 Premiere in Berlin. Der Text wurde bei dem etablierten Dramatiker-Duo Feridun Zaimoğlu und Günter Senkel in Auftrag gegeben, Regie führte Neco Çelik, der als autodidaktischer Filmemacher bereits von sich Reden gemacht hatte,4 unterstützt von Dramaturg Tunçay Kulaoğlu, Mitbegründer von Kultursprünge e.V. Das Stück über junge radikale Musliminnen in Deutschland erschien während der Diskussionen um die Einführung von auf Muslim_innen zugeschnittenen Einbürgerungstests, der Vorbereitung der ersten deutschen »Islamkonferenz« und den medialen Nachwehen der Ermordung der jungen Berlinerin 4

U.a. »Alltag« (2002), »Urban Guerrillas« (2003).

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Hatun Sürüncü. Wenige Tage nach der Uraufführung wurde auch außerhalb Berlins über das Stück berichtet. Im Mai 2006 zierten die fünf glatzköpfigen »Jungfrauen« das Titelblatt der Fachzeitschrift »Theater Heute«, die auch den Stücktext abdruckte.5 Zaimoğlu und Senkel wurden dafür in Mühlheim als Dramatiker des Jahres nominiert. Zahlreiche Gastspiele im deutschsprachigen Raum folgten – ein durchaus bemerkenswerter Erfolg für eine »Hinterhoftheater«6 -Produktion. Der Hinterhof, von dem die Rede war, lag noch nicht in der Naunynstraße, sondern beherbergte die kleinere Spielstätte des HAU Theaters, das das Festival »Beyond Belonging« ausrichtete. Das Stück beruht auf Interviews mit radikalen deutschen Neo-Musliminnen.7 Aus mitgeschnittenen oder in Gedächtnisprotokollen notierten Interviews, die Zaimoğlu mit jungen Frauen führte, erarbeiteten die Autoren Zaimoğlu und Senkel durch Auswahl, Zuspitzung und schließlich sprachliche Verdichtung und Rhythmisierung zehn Monologe.8 Die Inszenierung präsentiert nur fünf, einer davon, der politisch radikalste, ist in der veröffentlichten Textfassung nicht enthalten und wurde so wohl von Zaimoğlu und Senkel für Çeliks Inszenierung nachgeliefert. Bei der Literarisierung von Interviewmaterial handelt es sich um eine Technik, die Zaimoğlu bereits mehrfach in literarischen Werken und Theatertexten erfolgreich angewandt hatte.9

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Zaimoğlu, Feridun/Senkel, Günther (2006): »Schwarze Jungfrauen«, Theater Heute (Mai), 46-55. Joerdens, Thomas (2006): »Erschreckende Macht der Worte: Schwarze Jungfrauen im Berliner Hinterhoftheater HAU 3 treffen wie ein Faustschlag«, Oranienburger Generalanzeiger, 21.3. Für empirische Studien zum Selbstverständnis selbstbewusster junger Muslima in Deutschland vgl. Nökel, Sigird (2004): »Muslimische Frauen und öffentliche Räume: Jenseits des Kopftuchstreits«, in Göle/Amman 2004, 283-308. Auf theoretischer Ebene behandelt die »Neomuslima als Figuration der Kulturkritik« Dietze 2009, 37f. Vgl. Zaimoğlu, Feridun/Senkel, Günter (2008): »Wir haben mit unseren Mündern ihre Melodien gepfiffen«, Interview, Theater Heute 7, www.theaterheute.de/de/archiv/2008/ausgabe_07_08/index.html?inhalt=20080626144743#20080626144743 (30.3.2011). Zaimoğlu, Feridun (1995): Kanaksprak: 24 Mißtöne vom Rande der Gesellschaft, Hamburg; ders. (1998): Koppstoff: Kanaka Sprak vom Rande der Gesellschaft, Hamburg; ders./Günther Senkel (2007): Schattenstimmen, Theaterstück, Reinbek.

6. Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße

Abbildung 1: »Schwarze Jungfrauen«, Foto: Ute Langkafel MAIFOTO.

»Jenseits – Bist du schwul oder bist du Türke?« (2008) Das zweite Stück, dass die erste Phase illustrieren soll, ähnelt »Schwarze Jungfrauen« in Form und Inhalt. Es beruht auf dem selben semi-dokumentarischen Verfahren der Textproduktion und befasst sich ebenfalls mit Motiven marginalisierter Sexualität im Kontext der Integrationsdebatte. Bereits in einer früheren Inszenierung10 von Regisseur Erpulat wunderte sich eine der Figuren: Ich bin schwul und das ist auch gut so. Und ich bin Türke, das ist auch gut so. Oder nicht? Das ist komisch, meine Freunde oder Bekannte finden, mein Schwulsein ist viel sympathischer als mein Türkesein.11

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Faked«, frei nach »Gefälschte Identitäten« von Kerem Kurdoğlu und Ümit Ünal, Uraufführung 2007 bei »Beyond Belonging«, Hebbel am Ufer Theater Berlin. Es handelte sich dabei um die erste Langinszenierung des damaligen Regiestudenten Erpulat. Zitiert nach Bilger 2007.

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Das Aufgreifen der berühmt gewordenen Aussage des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit, die zur Parole für die selbstbewusste Einforderung von Akzeptanz für Homosexualität wurde, wird zum Hinweis auf den Mangel daran in Bezug auf türkische Herkunft. Das Überlappen beider Identitätskategorien scheint unmöglich, wie es der Titel von Erpulats nächstem Stück »Jenseits – Bist du schwul oder bist du Türke?«12 als Grundkonflikt formuliert. Das Stück wurde von Erpulat und Kulaoğlu, der auch bei der Adaption von »Schwarze Jungfrauen« als Dramaturg beteiligt war, auf der Grundlage von Interviews mit vorwiegend Türkeistämmigen homosexuellen Berlinern erarbeitet und am 3. Mai 2008, also zwei Jahre nach dem Erfolg der »Jungfrauen«, im Rahmen von »Beyond Belonging« uraufgeführt. Neben Rezensionen in Spartenmedien wie der »Siegessäule« und »Radio Multikulti« berichteten neben Berliner Tages- und Kulturzeitungen teilweise auch überregionale Medien über das Stück, unter anderem druckte die Bildzeitung eine Vorankündigung.13 Auch die türkischen Zeitungen »Sabah« und »Hürriyet« berichteten in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung über das Stück,14 in »Cumhuriyet« wurde ein Interview mit Erpulat abgedruckt.15 Dieses wurde von Dramaturg Kulaoğlu geführt, was darauf hinweist, dass es sich dabei um eine von Seiten des Projekts initiierte Platzierung einer Vorankündigung handelt, die verdeutlicht, dass »Jenseits« sich explizit auch an ein türkischsprachiges Publikum richtet. Bei beiden Inszenierungen besteht eine klare Trennung zwischen Bühne und Zuschauerraum, die nur durch gelegentliche Sprechmomente, in denen

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Meine Hervorhebung. Ich zitiere aus der unveröffentlichten Spielfassung, Stand 23. April 2008, im Folgenden Jenseits SF. Keitsch, Roland (2008): »Türke macht Theater mit schwulen Landsleuten«, Bild, 2.5. O.V. (2008): »Almanya’da tartışma yaratacak Türk tiyatrosu« (In Deutschland sorgt türkisches Theater für Diskussionen), Sabah, 3. Mai; o.V. (2008): »Eşcinsel misin yoksa Türk mü« (Bist du schwul oder bist du Türke?), Hürriyet, 7. Mai. Der Sabah-Artikel bezieht sich auf die Meldung in der Bild-Zeitung. Leider ist aus dem mir vorliegenden HürriyetArtikel, den ich dem Pressearchiv des Hebbel am Ufer Theaters entnommen habe, nicht zu ersehen, ob es sich um die deutsche oder die türkische Ausgabe handelt. Ein Vergleich der türkischen und deutschen Rezeption wäre aufschlussreich, würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Kulaoğlu, Tunçay (2008): »Aynalara ayna tutmak: Nurkan Erpulat, Ahret' ile cüretli bir denemenin içinde« (Spiegeln den Spiegel vorhalten: Nurkan Erpulat, ein verwegener Versuch mit »Jenseits«), Cumhuriyet, 2. Mai.

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das Publikum sich direkt angesprochen fühlen kann, zeitweise überbrückt wird, beide stützen sich maßgeblich auf Monologe. Çeliks Inszenierung von »Schwarze Jungfrauen« geht darin so weit, auf jegliche szenische Handlung oder Dialog zu verzichten. Die fünf Schauspielerinnen sprechen ihre Monologe ineinander collagiert abwechselnd in den getrennten Kabinen, die das Bühnenbild bereitstellt. Reaktionen der anderen Figuren auf die gerade Sprechende sind höchstens angedeutet. Die Schauspielerinnen stehen dem Publikum zugewandt in ihren Kabinen und sprechen ihre Texte direkt zu den Zuschauer_innen, die durch Fragen oder Kommentare manchmal auch explizit adressiert werden. Die Inszenierung zielt auf eine größtmögliche Natürlichkeit in Intonation und Sprechweise ab, die in der Körperlichkeit lediglich durch Mimik und sparsame Gesten unterstrichen wird. Durch die uniforme Aufmachung in hautfarbenen Ganzkörperanzügen, identischen hochhackigen Schuhen und vor allem die stark verfremdenden Glatzen ist eine starke Konzentration auf die Erzählungen erforderlich, um die Figuren auseinanderhalten zu können, zumal sie immer wieder die Position in dem weißen Setzkasten, der als Bühnenbild fungiert, verändern. Auch in Erpulats »Jenseits« geht es vor allem um die in Monologform vorgetragenen Erzählungen der Protagonisten, die allerdings in eine surreale Rahmenhandlung eingekleidet werden. Eine fiktive weibliche Figur strukturiert diese als Moderatorin und trennt durch den Vortrag verschiedener Popsongs auch den Theaterabend in rhythmische Intervalle. Die Monologe werden hier durch gemeinsame szenische Darstellungen unter Zuhilfenahme verschiedener Requisiten illustriert und so teilweise durch dialogische Sequenzen unterbrochen. So erzählt etwa die Figur des Azad über die Machtspiele in seinen Beziehungen, während er mit einem der anderen Darsteller einen Ölringkampf vollführt, der auf dem währenddessen schnell herbeigeschafften Bett endet. Levents Bericht über sexuelle Eskapaden in deutschtürkischen Milieus schildert er, während ein anderer Darsteller ihn als Barbier einseift und rasiert. Die beiden Erzählebenen, (Rahmenhandlung und lebensgeschichtliche Episoden) gehen organisch ineinander über. Es handelt sich also bei beiden Stücken um individuelle Innenperspektiven beleuchtende semi-dokumentarische Texte, die im Kontext der Einwanderungs- und Islam-Debatte Erzählungen marginalisierter Sexualitäten in den Vordergrund stellen. Interessanterweise mündete die Bearbeitung des Interviewmaterials in beiden Inszenierungen in Monologen von jeweils fünf Figuren. In »Schwarze Jungfrauen« und »Jenseits« liegt so der Schwerpunkt sowohl in der Verfasstheit der Texte als auch in deren inszenatorischer

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Umsetzung auf der weitgehend unkommentierten Nebeneinanderstellung potentiell autobiographischer Lebensgeschichten, die so unterschiedlich sind, wie das verbindende Oberthema generalisierend vage ist. Anhand von »Jenseits« soll zunächst gezeigt werden, wie die so präsentierten Identitätskonstruktionen gestrickt sind. Ähnliche Grundannahmen über die Konfiguration von Identitätskonstruktionen formen die Verhandlung des Muslimisch-Seins in »Schwarze Jungfrauen«. Schließlich werde ich den beiden Stücken inhärenten Authentizitätsanspruch kritisch beleuchten.

Abbildung 2: »Jenseits – bist du schwul oder bist du Türke?«, Foto: Ute Langkafel MAIFOTO.

Hybride Autobiographie gegen Essentialisierung »Jenseits« beginnt mit einer surrealen Ausgangssituation: Eine im Stil einer Pop-Diva der 1980er Jahre gekleidete Dame begrüßt fünf Männer. Irgendwo zwischen Stewardess-Gesäusel und Beamtendeutsch erläutert sie das Problem: Sie befänden sich in einer Zwischenstation auf dem Weg in den Himmel. Da dieser nur kollektiv zurückgelegt werden könne, müssten sie sich mittels eines auszufüllenden Fragebogen auf eine Gruppenidentität – entwe-

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der schwul oder türkisch – einigen, sonst, so die Drohung, würden sie für den Rest der Wartezeit bis zum jüngsten Gericht in Sauerkirschen verwandelt. DAME: Genau… Als saftige, süße Sauerkirschen in ewige Verdammnis verbannt zwischen hier und dort, weder Paradies noch Höllenreich. Also: Stellt euch nicht an, macht das Kreuzchen an der richtigen Stelle, wo das auch immer sein mag und wir können Feierabend machen.16 Im Laufe der Diskussion um die »richtige« Positionierung bekommt jeder der Männer die Möglichkeit, eine prägende Episode aus seinem Leben zu erzählen. Hier findet sich das Interviewmaterial, das den Hauptteil des Stückes ausmacht. Die Erzählungen illustrieren, wie komplex und ambivalent sich die Positionierungen die Kategorien transzendieren, anstatt ihnen zu genügen, und heben die Rolle des sozialen Umfelds hervor. Unterwegs in biodeutschen, deutschtürkischen und türkischen Zusammenhängen werden die Figuren mit Rassismus, Homophobie sowie vereinnahmender Exotisierung konfrontiert. Dabei gibt es keine klaren Handlungsnormen, ambivalente Positionierungen gestalten sich höchst unterschiedlich. So geht Eren bereitwillig über die rassistischen Beleidigungen in einer Schwulenkneipe hinweg, wenn das willkürlich erteilte Hausverbot wieder aufgehoben wird, Levent kritisiert das homophobe Macho-Gehabe mancher türkischer Männer und fühlt sich dennoch sexuell davon angezogen, und Burak genießt seinen Ausnahmestatus in der Homosexuellenszene:17 BURAK: Mich hat Deutschland überhaupt nicht angekotzt! Ich genoss die Früchte des positiven Rassismus hier. Es gab mal den »Alternativen Schwullesbischen Gipfel« in Kreuzberg. Alles weiße Köpfe, bis ich da auftrat: Wow, ein Türke und dann auch noch homosexuell! Alle bewunderten mich: »Der ist hierher gekommen, um sich zu emanzipieren. Lasst uns ihn mit vereinten Kräften befreien! Und ich dachte: Na dann, erlöst mich mal!«18 Besonders die Erzählungen von Azad verdeutlichen anschaulich, wie sehr die jeweilige Sprechposition durch einen bestimmten Kontext beeinflusst ist: Der

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Jenseits, 2. Jenseits, 7f.; 16f.; 5. Jenseits, 5.

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in Deutschland aufgewachsene Sohn einer yesidischen Mutter und eines türkischen Vaters verändert je nach Situation die seine inhaltliche Schwerpunktsetzung, nur die prinzipielle Oppositionshaltung, mit der er sie vertritt, bleibt sich gleich: AZAD: Ich bin in einem kurdischen Verein aktiv und auch bei einem Verein von schwulen Türken. Im Schwulenverein bin ich der Kurde. Und im Kurdenverein bin ich der Schwule. Entsprechend engagiere ich mich im Kurdenverein für schwule Fragen, im Schwulenverein für kurdische Fragen.19 Dabei betont er durch die Formulierung, er »repräsentiere die Minderheit in der Minderheit, das Andere des Anderen«,20 dass er sich sowohl der Stellvertreterrolle bewusst ist, die er damit einnimmt, als auch, dass es sich bei seinen unterschiedlichen Positionierungen um bewusst eigenständig gewählte Selbstdarstellungen handelt. Dennoch geht sein konsequenter Drang zur aktiven Positionierung auf Kosten eines Gefühls von Zugehörigkeit: »Überall, aber nirgends glücklich.«21 In »Jenseits« dient somit gerade die Aufforderung, sich einer essentialisierenden, vereinfachenden Identitätskategorisierung zu unterwerfen, als Katalysator für Erzählungen, die weder versuchen, sich einzuordnen, noch eine alternative Kategorie zu konstruieren. Stattdessen verhandeln sie gerade die Unmöglichkeit einer verkürzt homogenisierenden Positionierung. Der Titel, »Jenseits«, assoziiert dabei sowohl das in der Rahmenhandlung thematisierte Paradies als auch den Wunsch, die Kategorisierungen überschreiten und hinter sich lassen zu können. Die verschlossene Tür zum Paradies steht dabei metaphorisch für die Zugangsbeschränkungen hegemonial strukturierter Räume für jene, die als »matter out of place«22 die bestehenden Ordnungskategorien sprengen. Das Paradiesmotiv stellt zwar unweigerlich die Assoziation zur Religion her, diese wird jedoch nicht weiter ausgeführt. Das Bekenntnis, das hier verlangt wird, bezieht sich nicht auf den Glauben an ein transzendentales Wesen, sondern auf das Abschwören transgressiver Selbstpositionierung, die verwendete Rhetorik ist weder die der Kirche noch der Moschee, sondern die der Ausländerbehörde. Das versprochene Paradies wäre somit die Integration in eine säuberlich geordnete Gesellschaft.

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Jenseits, 29. Ebd. Ebd. Hall 1997, 236.

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Die Rahmenhandlung konstruiert zudem die ultimative arbiträre Schließung, also das zeitweilige Innehalten, das notwendig ist, um eine Sprechposition einnehmen zu können (vgl. Kap. 2). Obwohl der Tod an sich nicht angesprochen wird, ist die Setzung doch, dass die vorgestellten Leben bereits beendet und somit sprech- und interpretierbar sind. Doch selbst da bleibt die Schließung kontingent, denn die Erzählung der positionierenden Lebensepisoden führt keineswegs zu einer klaren Wahl. Die auf Druck der Dame letztendlich getroffenen Entscheidungen werden in ihrer Willkürlichkeit ausgestellt, entstanden aus dem Kontext der Gruppe heraus, in Reaktion auf und in Verhandlung mit den Gesprächspartnern: EREN: Vielleicht sollten wir uns alle für Schwul-Sein entscheiden. AZAD: Ich dachte, du kämpfst wirklich für etwas. Dabei suchst du immer den einfacheren Weg… Ich bin Türke.[…] Wenn ihr als Türken nicht in der Lage seid, das zu sagen, dann übernehme ich diese Aufgabe gern. […] Schwulsein ist leicht, es ist viel schwieriger, Türke zu sein. Türke zu sein, ohne nationalistisch oder chauvinistisch zu sein. […] BURAK: Du hast die ganze Zeit erzählt, dass du Kurde bist. […] EREN: Wenn sogar ein schwuler Kurde von sich sagt, er ist Türke, dann bin ich das sowieso. Ich habe mich entschieden. […] BURAK: Aufgrund der vorangeschrittenen Zeit entscheide ich mich für… Türke! Nein, für schwul!23 Nach einer längeren Diskussion steht es zwei zu zwei. Der Fünfte aber verweigert die Entscheidung. Er nimmt keinerlei Appelle an Loyalität gegenüber den anderen an, entkräftet die Drohung der »Reiseleiterin«, indem er das Sauerkirschendasein als wünschenswert umdeutet, und beschließt das Stück mit einer regelrechten Ode an die Freuden hybrider Selbst-Positionierung: LEVENT: Ich bin gern Sauerkirsche! Und es gibt so viele Arten davon! Heute bin ich ein Topaz und morgen schon Schöne Morina! In den Supermarkt gehe ich als Morellenfeuer rein, in der Moschee bin ich mehr Gerema. Jeden Tag ein anderer Duft, ein anderer Geschmack! Eigentlich bin ich ein Obstsalat […] Einen einzigen unverfälschten Geschmack hab ich nicht. In mir kann man alles schmecken, je nachdem, was man schmecken will. Die Figur des Transvestiten Levent stellt am radikalsten von allen sich ausschließende Kategorien in Frage: Sein Freundeskreis besteht nur aus Biodeutschen, und obwohl er die Grobheit dominanter türkischer Männer ver23

Jenseits, 40f.

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abscheut, sind sie doch Zielscheibe seiner sexuellen Vorlieben, von denen er ausführlich und vulgär berichtet. Er hat keinen Bezug zur Türkei, kann aber bittere Tränen vergießen bei türkischen Telenovelas, die er ausgiebig konsumiert, und zum Freitagsgebet geht er regelmäßig, aber im Paillettenoberteil, denn »[…] es ist mir wichtig, dass mich die Leute vom Markt in der Moschee sehen. Klar irritiere ich die, aber es ist ein Statement: Ich bin auch hier.«24 In konsequenter Verweigerung einer Positionierung von außen (von Seiten der Mehrheitsgesellschaft ebenso wie von Angehörigen der muslimischen Minderheit) verzichtet er zugunsten einer ungewissen, aber immer wieder spontan selbst gestaltbaren Perspektive lieber auf das wartende Paradies, als der Aufforderung zur Selbstessentialisierung nachzukommen. Die in den Stücken angebotenen Erzählungen beanspruchen, die breit geführte Debatte um Motive der vergeschlechtlichten Islamisierung um Innenperspektiven zu erweitern. Sie genügen damit der von Huggan postulierten Annahme, von Postmigrant_innen werde vor allem erwartet, ihre eigene Geschichte zu erzählen und reihen sich ein in den oben skizzierten, in »soziokulturellen« Projekten und auf dem Buchmarkt stark vertretenen, Trend zur Autobiographie innerhalb (post-)migrantischen Kulturschaffens (vgl. Kap. 4). Die Inszenierungen können also durchaus als Präsentationen »authentischer Stimmen« verstanden werden. Die Klippe, dem Diskurs Gegenbilder zuzuführen, die zeigen »wie es eigentlich« ist, und so doch wieder essentialisierende, homogenisierende Narrative anzubieten umschiffen die Stücke durch Collage mehrerer widersprüchlicher, teils gegensätzlicher Erzählungen. Die Stücke entsprechen somit Stuart Halls Aufforderung, durch »Wieder-Erzählen« von Geschichten neue, gebrochene Narrative von Identitäten in Bewegung auf die Bühne zu bringen, gleich in fünffacher Ausfertigung. Obwohl in »Schwarze Jungfrauen« monologisches Sprechtheater, in »Jenseits« szenische Situationen präsentiert werden, erlaubt es das Nebeneinanderstellen der ausgesprochen heterogenen Geschichten in beiden Konzepten, das in der gesellschaftlichen Debatte oft verkürzt diskutierte jeweilige Oberthema einerseits vielfältig zu illustrieren, gleichzeitig aber durch den Fokus auf Verschiedenartigkeit die Kategorisierung an sich in Frage zu stellen. Der Selbstdarstellung dient die kritische Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft sowie Angehörigen der türkischen Minderheit, in deren Einflussbereich sie sich bewegen.

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Jenseits, 20.

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Die fiktive Rahmenhandlung beinhaltet beispielhaft die von Stuart Hall als konstitutiv für dezentrierte Identität (im Sinne von Prozessen der Identifizierung) ausgemachten Paradigmen: Kontingenz, Differenz und Selbstreflexivität. Im Mittelpunkt steht so eine Kritik an Essentialisierung, der als Kontrapunkt ein Plädoyer für Hybridität25 entgegengestellt wird.

Islam als individuell interpretierte Lebenspraxis In der Figurenkonstellation von »Schwarze Jungfrauen« liegt der Fokus auf religiöser Selbstidentifikation. Auffälligerweise werden arabisch(stämmig)e Musliminnen gar nicht erwähnt, zwei der Figuren werden als Türkeistämmig identifiziert, eine stammt aus einer muslimischen Familie aus Bosnien, eine geht überhaupt nicht auf Herkunft ein. Die in der Debatte vorherrschende Gleichsetzung von Muslimin und Türkin (vgl. Kap. 3) wird damit aufgebrochen. Am drastischsten veranschaulicht dies die Figur der Konvertierten, die ihrem Selbstverständnis als »deutsche Muslima« mit nationalistischen Parolen Ausdruck verleiht. Ebenso wie »Jenseits« präsentiert »Schwarze Jungfrauen« vielschichtige Identitäten in Bewegung. Die Berichte der Figuren Berlin und Konvertierte über ihre Hinwendung zum Islam illustrieren anschaulich die Wandelbarkeit im Verhältnis zur Religion. Während die Konversion bei der Konvertierten aus der Sinnsuche nach dem Tod einer nahen Freundin zu resultieren scheint, wird diese bei Berlin als plötzliches und unvorhergesehenes Erweckungserlebnis erzählt: BERLIN: Plötzlich knallt’s bei mir: ich seh’ mir die frommen Schwestern an, und denke: Irgendwas stimmt nicht mit ihnen, und irgendwas stimmt andererseits doch. […] Der Allmächtige hat mich eingefangen. In wenigen Tagen hab’ ich mich umorientiert. Ich hab’ mich meinem schönen Gott ergeben. […] Es ist doch wirklich seltsam – ich hau’ von zu Hause ab, ich gönn’ mir

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Der Begriff »Hybridität« wird inzwischen in unterschiedlichen Bereichen von postkolonialer Theorie bis Technologieinnovation verwendet (vgl. Ha 2005). Urprünglich bezeichnet Hybridität Vermischung oder Bastardisierung, und die Verwurzelung des Begriffs in der »Rassenlehre« ist einer der Kritikpunkte, die gegen seine weitere Verwendung angeführt werden. Andere merken an, der Begriff sei zu schwammig, auch impliziere er die Existenz einer nicht-hybriden Reinheit, die so nirgends existieren könne. Stuart Hall bezeichnet damit in Anlehnung an Homi Bhabha vornehmlich einen Übersetzungs- und Übertragungsprozess, vgl. Hall 1994g, 218.

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die Freiheit aus der Werbung, ich wähle aus und ich lehne ab, ich hab’ fast nur schöne Tage in der Großen Stadt, und dann bin ich islamisiert.26 Sie kontrastiert ihre eigene Erfahrung mit dem internalisierten Narrativ, das die Islamisierung – hier im Sinne von Hinwendung zur Religion gebraucht – einem neoliberalen Lebensentwurf gegenüberstellt, der Selbstverwirklichung in der Wahlfreiheit der Konsument_in verwirklicht sieht. Ihre »Umorientierung« findet innerhalb kürzester Zeit statt, sie ist nicht durch den Einfluss einer Gruppe zustande gekommen, sondern in expliziter Abgrenzung davon. Obwohl bei beiden Figuren das (Wieder-)Erwachen der Religiosität mit einem hedonistischen und promiskuitiven Lebensstil zusammenfällt, resultieren sie in höchst unterschiedlichen Alltagspraxen, ohne ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer muslimischen Gemeinschaft hervorzurufen: Die Konvertierte beginnt, ein weitgehend zurückgezogenes Leben zu führen, Berlin hingegen hat keinerlei Schwierigkeiten, sich als »Islamistin, die aussieht wie ein Partymädchen«27 weiterhin in der Berliner Clubszene zu bewegen und auch ihren promiskuitiven Lebenswandel aufrechtzuerhalten. Mit dieser selbstverständlichen Kontingenz und Wandelbarkeit scheint besonders die Figur der Bosnierin regelrecht zu kokettieren: BOSNIERIN: Ich schmück mich nach meinem Islamstil mit siebzehn hat man noch n ganzes Leben vor sich kann viel passieren vielleicht kleid ich mich in paar Jahren anders was zählt is daß ich hier und jetzt siebzehn bin der Rest is Nebensache.28 Dabei handelt es sich um höchst individuelle, schon vereinzelte Stimmen. Als einzige der Figuren fühlt sich die Studentin – die Figur, die in Çeliks Inszenierung, nicht aber der veröffentlichten Textfassung vorkommt – als Mitglied einer muslimischen Gemeinschaft: Einerseits in ihrer Rolle als Autoritätsperson in einem Zirkel junger Musliminnen, die die »jungen Schwestern«29 berät und in theologischer wie intellektueller Auseinandersetzung anleitet, gleichzeitig als Teil einer globalen islamischen Ausbreitung, die (in idealtypischer Verknüpfung von Bewegungs- und Stellungskrieg im Wortsinne) sowohl durch 26

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Da sich die veröffentlichte (Zaimoğlu/Senkel 2006) und die der Inszenierung zugrunde liegennde Textfassung stark unterscheiden zitiere ich aus der unveröffentlichten Spielfassung, Stand 23.2.2006, im Folgenden Jungfrauen, hier: 21. Jungfrauen, 28. Jungfrauen, 4. Jungfrauen, 5.

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»Gottkriminalität«30 als auch durch langsames, unbemerktes Aufrücken von der Peripherie ins Zentrum vorangetrieben werden soll. STUDENTIN: Die jungen Schwestern fragen: ist es Zeit, daß wir zurückschlagen? Gehen wir jetzt an die Öffentlichkeit? Sind wir stark genug? Noch bleiben wir im geistigen Untergrund. Was sollen wir uns vergeuden in unnützen Kämpfen? Wenn wir den Kopf heben, pfeifen uns doch nur die Kugeln um die Ohren. […] Ich studiere Jura, ich werde Rechtsanwältin, eine andere Ärztin, und wieder eine andere gründet eine Firma. Die schleichende Landnahme ist in vollem Gange: wir sind gebildet, wir sprechen ein ausgesucht gutes Deutsch, wir sind hochmotiviert. Wenn man so will kann man von einer Bewegung sprechen.31 Als einzige benutzt sie den auf andere Musliminnen bezogenen Begriff »Schwestern« im Sinne einer positiven Solidargemeinschaft. Interessanter Weise wird gerade die Studentin, die sich als Einzige als Teil einer islamischen (Frauen-)Bewegung sieht, als unter den »Jungfrauen« marginalisiert dargestellt. Sie hat zwar im Stück das letzte Wort, in dem sie auch noch ein die anderen integrierendes Kollektivs zu vertreten scheint, spricht dies aber allein in ihrer Box, während sich die vier Anderen zu einem gemeinsamen Schlussbild zum ersten Mal in einem der Kästen zusammengefunden haben: STUDENTIN: […] sie sind gezwungen, immer mehr gläubige Schwestern auf den Straßen zu sehn. Darüber beklagen sie sich, sie sagen: Das geht vorüber, die jungen Frauen wissen nicht, was sie tun, sie werden diese unkleidsamen Mittelaltersäcke schon noch ablegen, habt keine Angst. Wer hat Angst vor der schwarzen Jungfrau? Wer hat Angst vor uns?32 Das Zugehörigkeitsgefühlt der Studentin weist erst recht darauf hin, dass für die anderen ihr Selbstverständnis als Muslimin nicht an die Zugehörigkeit zu einem realen Kollektiv gebunden ist. Möglicherweise kennen sie keine einzige andere Person, mit der sie sich tatsächlich als Teil einer Gemeinschaft fühlen. Auf ein muslimisches Kollektiv im Sinne einer »imagined community«33 wird jedoch Bezug genommen, um die eigene Position nach außen zu stärken:

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Jungfrauen, 14. Jungfrauen, 5. Jungfrauen, 29. Meine Hervorhebung. Vgl. Anderson, Benedict (1991): Imagined Communities: Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London.

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KRÜPPEL: Solange solche Schlampen wie du vor so einem bösen Krüppel wie mir Angst bekommen weiß ich, ich liege richtig, tritt doch über, wenn du willst, aber eins sage ich dir, ob Vollkraft oder Krüppel, solange wir leben werden wir euch degeneriertes Gesocks bekämpfen.34 So sehr sie damit verschiedene bestehende Diskursstränge (angreifend) aufgreifen, handelt es sich um höchst individuelle, eigentlich schon vereinzelte Stimmen, ihre Attacken bleiben Monologe: Ein Austausch untereinander würde unweigerlich ebenfalls zum unerbittlichen Streitgespräch mutieren. So wird darauf hingewiesen, dass die vorgestellten Selbstpositionierungen als Muslimin in höchst unterschiedlichen Rahmen passieren, und jede in sich logisch zu höchst unterschiedlichen Praxen führen. Das Verhältnis zu Umwelt und der Umgang mit Sexualität dienen als maßgebliche Schaufenster für diese Vielfältigkeit der Lebenspraktiken.

Selbstbestimmung statt Befreiung »Jenseits« fokussierte also die Positionierung zwischen homogenisierenden Kategorien, die mit der Aufforderung, Stellung zu beziehen, kontrastiert wird. Die Forderung zur Eingliederung, die hier an der Figur der Reisebegleiterin festgemacht wird, füllt die Kategorien allerdings inhaltlich nicht auf: Es geht ihr nicht darum, Schwul- oder Türke-Sein zu definieren, sondern darum, bestehende Ordnungskategorien aufrechtzuerhalten. Die Entscheidung bleibt den Protagonisten ausdrücklich selber überlassen. Dies unterscheidet ihre Situation von der der »Schwarzen Jungfrauen«. Diese haben aus unterschiedlichen Gründen alle bereits die Entscheidung getroffen, sich in bestimmendem Maße als Muslimin definieren zu wollen, müssen sich aber damit auseinandersetzen, dass diese Kategorie von ihrer Umwelt anders aufgefüllt wird, als es ihrem eigenen (Selbst-)Verständnis entspricht. So unterschiedlich die Weltanschauungen der fünf Figuren, einen sie ihre klaren Abwehrhaltungen gegen jene, die sie durch Normsetzungen oder Interpretationen in der selbstbestimmten Selbstdefinition einzugrenzen versuchen. Dies beginnt bei der Entscheidung für die Religion: BOSNIERIN: Was is’n dabei, zu Gott zu finden das is für mich kein Problem und die andren Pilzmaden die ich zu Gesicht bekomm die Tetrapackfressen 34

Jungfrauen, 12.

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die Arschritzenfressen die hier rumlaufen was soll ich mir n Kopf machen was die wolln.35 Gerade ihr Kehrvers »das is für mich kein Problem«, das wie ein autosuggestives Mantra in ihren Reden immer wieder auftaucht, verweist darauf, dass ihre Religiosität den Umgang mit ihrem Umfeld anscheinend sehr wohl verkompliziert. Dieses Umfeld bezieht sich sowohl auf die Mehrheitsgesellschaft als auch auf Angehörige der muslimischen Minderheit, wobei explizit und implizit auf gängige Motive und Protagonist_innen der islamisierten Debatte verwiesen wird: Die »Jungfrauen« wettern gegen Islamkritiker_innen, die den Islam an sich verteufeln genauso wie gegen »gute Menschen«, die die Durchsetzungsfähigkeit von Muslim_innen unterschätzen;36 sowohl gegen »Traditionstürken«, die einen patriarchalen »Dorfislam« pflegen,37 als auch gegen säkulare Muslim_innen, denen sie vorwerfen, sich den Anforderungen der Mehrheitsgesellschaft unterworfen zu haben. Hierunter fassen sie sowohl die Abkehr vom Glauben als auch das Praktizieren eines »weichgespülten Islam«,38 der als selektive Übernahme anpassungsfähiger Teilbereiche des Islams verworfen wird. So wird verdeutlicht, dass es sich bei den jeweils eigenen Versionen der »wahren Religion« um einige von vielfältigen Interpretationen handelt, die durch die Einpassung in die jeweiligen Lebensumstände, abwägende Reflexion und bewusste Abgrenzungsentscheidungen entstanden sind. Dabei beanspruchen sie vor allem, in ihrer jeweiligen Entscheidung ernst genommen zu werden, ein bevorzugtes Thema der Figur des »Krüppels«. Sie hadert damit, dass ihre durch den Gesichtsschleier demonstrierte Religiosität als Verzweiflungsreaktion auf ihre Behinderung abgetan werden könne: KRÜPPEL: [W]äre ich ein Vollkraftmensch, würde auch ich solch ein abgeklatschtes Insekt wie mich anstarren[.] […] Wie krank muß dieses Persönchen sein, wenn es sich auch noch schwarz verhängt! […] [D]ann ginge mir ein Lichtlein auf, […] was ist das für ein schlechtes schlimmes Leben, ja, da hat sich also die Maus fürs Normale und Bodenständige abgemeldet, und

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Jungfrauen, 6. Jungfrauen, 14. Jungfrauen, 26. Jungfrauen, 28.

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seht her, da sitzt es, das grausam entstellte … das grausam behinderte … das grausam zum Glauben gezwungene Geschöpf.39 Der Schleier fungiert als Selbstschutz, aber auch als zusätzliche Provokation gegenüber Mitleidsreaktionen. Kritisiert jemand ihren Glauben, reagiert sie aggressiv: KRÜPPEL: Diese Türkin sagte, wie furchtbar sie es findet, daß ich in meiner Verzweiflung eine falsche Wahl [die Religion] getroffen habe. Hör mal zu, habe ich gesagt, du bist ein Haufen Hundescheiße, der stinkt, was laberst du mich voll?40 In allen Geschichten wird die selbstbestimmte Entscheidung für die eigenverantwortliche Gestaltung der religiösen Lebenspraxen als konstitutiv herausgestellt, als einendes Moment fungiert der alltägliche Kampf gegen Positionierungen von außen. Die Bereitschaft zu und Lust an der Konfrontation wird immer wieder hervorgehoben. BERLIN: Ich lande den Erstschlag, er kommt mit Gegenfeuer, und am Ende stellt man fest: Guter Feind ist tausendmal besser als ein toleranter Arschlecker.41 Als dies illustrierende thematische Schauplätze dienen das Verhältnis zum sozialen Umfeld, vor allem aber der Umgang mit Sexualität. Während für eine Figur vor der Ehe »nicht mal Händchenhalten oder leicht auf die Lippen küssen«42 in Frage kommen, sieht eine andere keinerlei Widerspruch zwischen religiöser Überzeugung und ihrem promiskuitiven Lebenswandel, während eine dritte ein sexuelles Verhältnis zwar als unmoralisch empfindet, aber doch nicht davon lassen möchte. Das Verhältnis zu und Ausleben von Sexualität dient als Hauptmotiv, Diversität illustrativ zu postulieren und die Erzählungen ordnend zu verbinden. In Kapitel 3 wurde ausgeführt, wie die islamisierte Debatte vergeschlechtlicht wird, indem Motive der Regulierung von Sexualität in der Verhandlung deutscher Mehr- und Minderheitenidentitäten als Währung fungieren. Das Paradigma des vergeschlechtlichten Islams wird in »Schwarze Jungfrauen« aufgegriffen und gleichzeitig als Maßstab für die Überwindung passiven 39 40 41 42

Jungfrauen, 7. Jungfrauen, 12. Jungfrauen, 3. Jungfrauen, 16.

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Positioniert-Werdens aus unterschiedlichen Richtungen beibehalten: Nicht notwendigerweise die ausgelebte, sondern die selbstbestimmte Sexualität stehen im Vordergrund. Ein genauerer Blick auf die Figur der Bosnierin soll dies veranschaulichen. Als einzige betrachtet sie Keuschheit als Ideal und prinzipiellen Teil ihres Islamverständnisses, und bestätigt so in diesem Punkt ein Motiv der vergeschlechtlichten Islam-Debatte. Die Art und Weise, wie sie ihre Prinzipien kontextualisiert und präsentiert, bricht jedoch explizit mit dem hegemonialen Narrativ. Einerseits gelingt es ihr über ihre Sexualmoral, sich positiv von sexuell aktiveren Frauen (»bürgerliche Pornoschlampen«) abzusetzen. Dabei handelt es sich allerdings um implizite Systemkritik: Während Prostituierte mit Geld bezahlt würden, setzten normale Frauen sexuelle Dienstleistungen ein, um »Gefallen im realen Leben, in der Berufswelt« zu erkaufen, so der Impetus der Bosnierin. Dabei ist sie sich auch bewusst, dass gerade ihre selbstgewählte Markiertheit als Muslimin Blicke auf sie lenkt, die einen Reiz des Verbotenen suchen und sexualisierte Fantasien auf sie projizieren: BOSNIERIN: Er daraufhin: Ich weiß das was wir hier machen is ne verbotene Romanze. Und ich daraufhin: Die hat nicht mal angefangen was fantasierst du fürn Scheiß geh mir nicht auf die Nerven. Sieht nicht schlecht aus aber träumt wohl nachts von mir in der Porno-Hauptrolle er träumt daß er’s nem Moslemmädchen innen Mund stecken kann weil er’s nicht riskieren will dem Mädchen das Jungfernhäutchen zu zerstören aber ohne mich. Gegen seine feuchten Träume kann ich nix machen gegen die Realität aber schon und vielleicht sitzt der mit vollgespritzter Unterhose mir gegenüber. Ja ich hatte diese perversen Gedanken während er sprach. Für ihn war’s Spass, für mich war’s blutiger Ernst. Sie lässt nicht zu, dass der Keuschheitsanspruch, den sie an sich selbst (und idealerweise an andere) stellt, von anderen instrumentalisiert würde, weder als Provokation noch zu ihrer Regulierung und Disziplinierung. Obwohl in Andeutungen eine externe bewertende moralische Instanz heraufbeschworen wird (»Bist du einmal ne Schlampe, wirst Du wie ne astreine Schlampe behandelt«43 , »wär das für mich ne Niederlage gewesen, meine Ehre wär im Arsch gewesen«)44 , setzt sie diese als legitim, an keiner Stelle scheint es sich um äußeren, von ihr nicht gebilligten Zwang zu handeln. Ihre Eltern stellt sie 43 44

Jungfrauen, 15. Jungfrauen, 2.

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zwar als Autoritätspersonen vor (die sie beispielsweise als Grund anführt, zu Hause keine Anrufe von Jungen annehmen zu können, möglicherweise auch nur als willkommene Ausrede). Deren Regulierungsversuche rechtfertigt sie als liebevolles und verständliches Handeln, beispielsweise wenn sie die Warnung ihrer Mutter, ihren »Schatz«, also ihre Jungfräulichkeit, nicht zu verlieren, als »mütterliche Fürsorge« rechtfertigt.45 Nimmt sie auch elterliche Einflüsse an, werden Regulierungsversuche von Männern jedoch entschieden abgewehrt, wie in einem Streitgespräch mit einem entfernten Bekannten, von dem sie ausführlich berichtet, deutlich wird. Das Gespräch wirkt wie ein rasanter Schlagabtausch, was durch die Figur der Bosnierin charakterisierende Floskeln (»und ich daraufhin – er daraufhin«) rhetorisch zugespitzt wird. Der wiedergegebene Dialog wird durch einen unbefangen vulgär formulierten inneren Monolog kommentiert. Der Konflikt beginnt mit einer Bemerkung des namenlosen Gegenübers, der sie – durch ihr Kopftuch erkennbar als Muslimin markiert – als solche anspricht, indem er bemerkt, er würde als Ehefrau nur eine Jungfrau in Betracht ziehen. BOSNIERIN: […] ich draufhin: Ach ja? Du fickst rum wie Sau […] und wenn’s darum geht daß du heiratest willst du ne Unberührte mit ner heilen Jungfernhaut. Da war der Teufel los und er hat mir verboten so mit ihm zu sprechen und überhaupt er könne echt nicht glauben daß ne bekennende Muslima wie ich so vulgär reden würde.46 Die Aussage ist in zweierlei Hinsicht feministisch: die Prostituierte ist nicht Konkurrenz, Gefahr oder das verlockende Übel, dass den Mann vom Weg abbringt, sondern das vom Mann objektivierte Mittel zum Zweck seines Lustgewinns.47 Des Weiteren steht die Attacke gegen den »moralisch korrekten« Bekannten im Zeichen der Gleichberechtigung: Unterschiedliche Maßstäbe an Männer und Frauen anzulegen, ist für sie inakzeptabel. Der Streitpartner versucht daraufhin, genau die von ihr angegriffene »männliche« Autorität auszuspielen, sie gleichzeitig als moralisch fragwürdig zu konstruieren

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Jungfrauen, 20. Jungfrauen, 5. Allerdings findet sich hier die Fortschreibung eines problematischen Motivs, in dem eine Schwarze Frau ein weiteres Mal als Symbol von Erotik, Begehren und Verfügbarkeit festgeschrieben wird, denn die Betonung des Schwarzseins, für die zudem das N-Wort herangezogen wird, dient hier offensichtlich dazu, die hedonistische Komponente des Bordellbesuchs zu betonen.

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und in ihrer Frömmigkeit anzugreifen, indem er sie einem imaginierten Idealbild der »bekennenden Muslima« als unvereinbar gegenüberstellt. Sie lässt sich keineswegs einschüchtern, sondern führt ihr Plädoyer für Gleichberechtigung mit einer Metapher aus, die in eine direkte Beleidigung mündet und ihrerseits seine Frömmigkeit fraglich erscheinen lässt: BOSNIERIN: Was willst du hab ich gesagt du bist echt kaputt du bist n kaputter Heuchler nur n unberührter Mann kommt mit ner unberührten Frau zusammen denn wenn du klares reines Wasser in die Kloake kippst wird das Wasser doch schmutzig. Er daraufhin: Was jetzt bin ich die Kloake oder was? Klar hab ich gesagt du bist Kloake weil du n unberührtes Dorfmädchen aus nem Kaff da unten importierst und du hast aber hier die Sau rausgelassen was isn das fürn Islam?48 Der argumentative Rückgriff auf eine Metapher erinnert an theologische Dispute und Ausführungen, wie sie in der Sunna überliefert sind. Gleichzeitig rekurriert sie auf die gängige Opferfigur der »Importbraut«, von der sie sich dadurch klar abgrenzt. Ihr Eintreten für Enthaltsamkeit als islamisch korrektes Verhalten spiegelt ihre freie Entscheidung wider und überwindet sexistische Diskriminierung. Sie bricht so gängige islamisierte Narrative auf, die weibliche Sexualität per se als der »Befreiung« bedürftig betrachten. Diese werden anderswo im Stück detailliert vorgestellt: STUDENTIN: Das Moslemmädchen kommt in die europäische Metropole, es läßt sich den Wind der Freiheit um die ungepuderte Nase wehen, das Mädchen bekommt eine große Sehnsucht – es will in die Discothek, es will einen Freund, es will einen Job, es will den Discount-Schund kaufen, und es will sich endlich auch die Nase pudern. Da kommt das Moslemmädchen auf die Idee, daß es sich ein wenig ausziehen muß, um als tolle fremde Frau zu gelten. Also geht der Krieg gegen die Eltern und gegen die Männer los. Am Ende darf das kleine fremde Mädchen ein Proseccoglas in der Hand halten, und irgendwelchen anderen deutschen Mädchen seine Befreiungsgeschichte erzählen: Ja, ich war so schlimm unterdrückt, und jetzt, da ich alles Islamtürkische zum Teufel gejagt habe, darf ich mir die Nase pudern. Das nacherzählte Narrativ, in dem dem bedeutungsleeren Block »Europa« »alles Islamtürkische« homogenisierend gegenübergestellt wird, wird als inhärent sexistischer Regulierungsversuch kritisiert. Verschiedene Gegenbilder 48

Jungfrauen, 5.

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werden angeboten. Zum einen bewerten die »Jungfrauen« die in Aussicht gestellte »westliche Freiheit«49 keineswegs rein positiv, sondern kritisieren die Vermengung der Möglichkeit zum freien Ausleben von Sexualität mit dem Zwang zu (weiblicher) sexueller Verfügbarkeit: BOSNIERIN: Ich seh keinen Unterschied zwischen ner Bürgerlichen die’s illegal macht und ner Pornonutte die legal Geld verdient für Fick und Fick und Fick.50 Zum anderen wird die Dichotomie »aufgeklärt, rational/unterdrückt« umgedreht: Als vernünftiger, objektiver Betrachtung nicht fähig werden die Verfasserinnen besagter »Befreiungsgeschichten« deklassifiziert: STUDENTIN: Wir nehmen jedes Schlampenbuch durch, wir lesen es Zeile für Zeile, Seite für Seite. Dann kommt die Analyse. Im Gegensatz zu diesen emotionalen Weibchen gebrauchen wir Schwestern unseren Verstand – wir studieren und analysieren … und stoßen auf große Lügen, auf Propaganda. Wir prüfen die billigfeministischen Schundbücher auf ihren Wahrheitsgehalt, wir finden Polemik und schlechten Stil. Wir bekommen sehr gute Laune.51 Katrin Sieg analysierte die Inszenierung von Çelik in ihrem Artikel »Black Virgins: Sexuality and the Democratic Body in Europe« in Bezug auf die diskursiven Rivalitäten rund um das »cultural brokering« (vgl. Kap. 4), die sich um den Diskursstrang Sexualität und Gender formieren. Das Stück zeige how a specifically female migrant narrative, which is commonly understood as feminist by Europeans and which has become normative, is being contested and refashioned […]. [Black Virgins] actually offers an important feminist revision to the European discourse of democracy by linking religious difference, social inclusion, and sexual autonomy.52 Neben der Herausstellung der Heterogenität und Selbstbestimmtheit werden mit der Herausstellung der Oppositionshaltung gegenüber bekannten Positionierungen der Islam-Debatte auch die Erwartungen der Zuschauer gebrochen. Auch dies wird teilweise direkt ausgesprochen:

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Ebd. Jungfrauen, 9. Jungfrauen, 2. Sieg 2010, 152.

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KRÜPPEL: Stört es euch, daß ich so offen rede? Wollt ihr euch abwenden? Ich weiß doch, daß ich Zumutung gegen Vermutung setze, ihr glaubt, zu wissen, wie ich bin, und ich spreche dagegen an, um einen richtig vulgären Eindruck zu hinterlassen.53 In solchen Aussagen findet sich auch ein inhaltliches Aufgreifen der Frage nach der Authentizität der Aussagen, die nun abschließend diskutiert werden soll.

Wer spricht? Was macht die semidokumentarische Form der Stückentwicklung so attraktiv, dass gleich zwei Produktionen auf das gleiche Muster zurückgreifen? Die Interviews an sich stellen zeitgeschichtliche Quellen dar, wie sie Historiker als oral history gerade in Bezug auf marginalisierte Gruppen verwenden. Im Falle des Theaters wird allerdings ein dokumentarischer Anspruch innerhalb der Gegebenheiten eines künstlerischen Genres vermittelt, die eine umfassenden Modifizierung des Quellenmaterials einschließen. In beiden Fällen wurden weit mehr Interviews geführt als verwendet,54 auf dem Weg hin zum finalen Theatertext dürften Veränderungen durch Kürzung, Collagierung und Zuspitzung ebenso eine Rolle gespielt haben wie das Hinzufügen rein fiktionaler Elemente oder spontaner Probeneinfälle. Gerade im Hinblick auf einige Passagen der »Schwarzen Jungfrauen« kann davon ausgegangen werden, dass ihre Radikalität auch auf Kombination und Verdichtung zurückzuführen ist. »Was uns vor allem interessierte, waren die Extreme«,55 beschreibt Zaimoğlu die Zielsetzung. Bei »Schwarze Jungfrauen« noch mehr als bei dem literarisch weniger anspruchsvollen Text von »Jenseits« kommt neben der inhaltlichen Modifizierung die »Übersetzung« in Zaimoğlus rhythmisierte Kunstsprache hinzu.56 Zudem geht jeder Probenpro-

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Jungfrauen, 24. Im Falle von »Jenseits« waren es 14 Interviews, vgl. Saal, Ulla (2009): »Entscheidung im Jenseits: Das Berliner Theater Hebbel am Ufer gastierte bei den Akzenten mit Jenseits – bis du schwul oder bist du Türke?«, NRZ, 7.5. Ebd. Diese »Kanaksprak« ist kontinuierlicher Teil seiner literarischen Handschrift, vgl. Zaimoğlu, Feridun (1996): »sicarim süppkültürünüze, züppeler! Ich scheiße auf eure Subkultur, ihr Schmöcke!«, in: Holert, Tom und Mark Terkessidis (Hg.): Mainstream der Minderheiten: Pop in der Kontrollgesellschaft, Berlin, 86-95.

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zess mit zahllosen Änderungen einher – durch Kürzungen, Hinzufügungen und die Anpassung an den erzählerischen Bogen der Inszenierung und die Sprech- oder Spielweise der Schauspieler_innen. Grenze und quantitatives Verhältnis zwischen Interviewmaterial und dessen künstlerischer Bearbeitung wurden also durch die Stückentwicklung unsichtbar gemacht, und an sich ist das in Bezug auf ein Theaterstück, an das gewöhnlich andere Erwartungen gestellt werden als an eine Quellenedition oder eine empirische Studie, eine recht banale Erkenntnis. Die Rezeption, etwa die Pressereaktionen, scheint allerdings auf den umgekehrten Schluss aufzubauen: Wo nicht klar ist, was Selbstaussage, was Bearbeitung ist, kann potenziell alles als Autobiographie gelesen werden. So gab es Journalist_innen, die sich bei den Produzent_innen dafür bedankten, dass sie es angesichts dieser unbekannten »neuen Wirklichkeit« einer »deutschtürkischen Bewegung«57 übernehmen würden, »den Schleier zu lüften«.58 Die Musliminnen würden – wiederum je nach Medium – das Wort ergreifen,59 revoltieren,60 »selbstbewusst mit Sätzen schießen«,61 wie ein Faustschlag treffen62 oder uns das Fürchten lehren.63 Gemeinsam ist den meisten der Kritiken, dass sie dem Stück zugestehen, einem (als mehrheitsdeutsch angenommenen) Publikum einen Einblick in unerhörte Perspektiven verschaffen zu können – un-erhört im Sinne von provokativ und neuartig, sowohl im Inhalt als auch in der Form. Kurz: »Schwarze Jungfrauen« verleihe »der« Muslimin, über die so viel gesprochen werde, ein eigene Stimme – und die klinge ganz anders als gemeinhin angenommen.

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Suchsland, Rüdiger (2006): »Wir sind die neue Wirklichkeit: Deutschtürkische Bewegung: Zaimoğlus ›Schwarze Jungfrauen‹«, Kölner Stadt-Anzeiger, 21.3. o.V. (2006a): »Zaimoğlu lüftet den Schleier«, Welt Kompakt, 22.3. Ackermann, Tim (2006): »Zornige Schwestern: Muslimas ergreifen im Theaterstück ›Schwarze Jungfrauen‹ das Wort«, Märkische Allgemeine Potsdamer Tageszeitung, 21.3. Oberländer, Jan (2006): »Allah ist kein Ausländer: Regeln, Rituale, Revolten: Neco Çelik inszeniert Feridun Zaimoğlus ›Schwarze Jungfrauen‹ im Berliner HAU 3«, Der Tagesspiegel, 20.3. Riesselmann, Kirsten (2006): »Radikaler glauben: Selbstbewusst mit Sätzen schießen: Im HAU 3 inszeniert Neco Çelik ›Schwarze Jungfrauen‹, Ein sprachmächtiges Theaterstück über Neomusliminnen von Feridun Zaimoğlu und Günther Senkel«, Die Tageszeitung, 20.3. Joerdens 2006. Ruppel, Ulrike (2006): »Seine Jungfrauen lehren uns das Fürchten: Feridun Zaimoğlus Theaterstück zeigt, wie radikale Musliminnen denken«, B.Z., 17.3.

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Diese Lesart wird durch die ergänzenden Ausführungen von Seiten der Künstler über die Genealogie des Textes unterstützt. Für »Schwarze Jungfrauen« weist Zaimoğlu mit Nachdruck darauf hin, dass es sich um authentische Selbstaussagen, fast schon Botschaften an die Mehrheitsgesellschaft, handele, die die Frauen durch die Interviews ihm als Vermittler übergeben hätten. Dabei war ich nicht der journalistische Fragesteller, eher ein Stichwortgeber. Die meiste Zeit habe ich nur zugehört, weil man sie nicht besonders motivieren musste, auszupacken. […] Sie wollten sich offenbaren […]64 beschreibt Zaimoğlu die Gesprächssituation. Man beachte die Formulierung »offenbaren«, die auf das Zutagetreten einer innersten »Wahrheit« hinweist. Die Gespräche seien durch bestehende Kontakte aus dem persönlichen und Arbeitsumfeld zustande gekommen, zum Teil hätten ihn junge Frauen etwa bei Lesungen angesprochen und regelrecht bestürmt, ihre Geschichten zu erzählen. Mit der Aussage, sie als Autoren hätten lediglich »mit unseren Mündern ihre Melodien gepfiffen«,65 behauptet er im gleichen Atemzug, in dem das Interesse an den Extremen (s.o.) bekundet wird, die Bearbeitung hätte sich weitgehend auf Verdichtung und Stil beschränkt. Die Entscheidung, den Selbstaussagen einer bestimmten Sprechergruppe (ob selbstbewusste Neo-Musliminnen oder Homosexuelle türkischer Herkunft) eine Theaterproduktion zu widmen, weist darauf hin, dass diese gemeinhin ungehört bleiben, denn wären diese bereits umfassend präsent und vertreten, wäre die theatrale Auseinandersetzung weder interessant noch relevant. Es wird auf eine Lücke in der öffentlichen Auseinandersetzung hingewiesen, während gleichzeitig ein Angebot gemacht wird, diese zu füllen. Das Theater geriert sich so als »Sprachrohr« für Stimmen vom »Rande der Gesellschaft«,66 was auch Regisseur Çelik unterstreicht: ISLAMISCHE ZEITUNG: Was ist die Botschaft dieses Theaterstücks vor dem Hintergrund der Debatte, die momentan um die muslimische Frau geführt wird? NECO ÇELIK: Die Botschaft ist, dass die muslimische Frau zu Wort kommt!67 64 65 66 67

Zaimoğlu/Senkel 2008. Ebd. So der Untertitel von Zaimoğlus Roman »Kanaksprak«, Zaimoğlu 1995. o.V. (2006b): »›Die Polemik vergiftet das soziale Klima‹: Gespräch mit dem Regisseur Neco Çelik und dem Schriftsteller Feridun Zaimoğlu über ihr Projekt ›Schwarze Jungfrauen‹«, Islamische Zeitung, 29.3, www.islamische-zeitung.de/?id=7602 (30. März 2011).

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Die darin angelegte Vertretungsposition wird dadurch verstärkt, dass Produzenten und Interviewte in einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit verschwimmen. Dies verleiht den Produzenten eine besondere Legitimität: Implizit schwingt die Annahme mit, dass geteilte Gruppenzugehörigkeit eine notwendige Bedingung für Erfassen und In-Szene-Setzen der Ressource »authentische Stimmen« im Produktionsprozess darstellte. Dies ist in der oben zitierten Aussage Zaimoğlus ebenso angedeutet wie in Interviews zu »Jenseits«, in denen vorwiegend Regisseur Erpulats eigene Erfahrung als homosexueller Türke in Deutschland thematisiert wird.68 Den dokumentarischen Anspruch von »Jenseits« verdeutlicht die Beschreibung als »Theaterrecherche«.69 Für »Schwarze Jungfrauen« spielen dabei zwei unterschiedliche vorgestellte Gemeinschaften eine Rolle: Die Zugehörigkeit zur Türkeistämmigen und zur muslimischen Minderheit in Deutschland. Dabei fällt auf, dass Autor Zaimoğlu, der sich immer wieder von der Anrufung als gläubiger Muslim distanziert hat, in Aussagen, die an die muslimische Bevölkerung gerichtet sind, sich durchaus als Gläubiger präsentiert (oder es geschehen lässt, dass das Medium ihn so darstellt).70 Mit Çelik fungiert als Regisseur für »Schwarze Jungfrauen« einer der wenigen Akteur_innen im Umfeld der postmigrantischen Theaterinitiative, der sich explizit als gläubiger Muslim präsentiert. Gleichzeitig sind die Theaterproduzenten gegenüber den Interviewpartner_innen, die ihre Erfahrungsberichte als Ressource bereitstellen, in einer privilegierten Position: Sie können nicht nur eine bestimmte Interpretation vollziehen, sondern verfügen auch über die Infrastruktur, das Medium Theater zu nutzen, um diese Interpretation einem breiten Publikum zu präsentieren. Dabei ist die Vertretungsposition, in der das Sprechen über und das Sprechen für verschwimmen, unterschiedlich stark ausgeprägt. Bei Erpulat als homosexuellem Türken in Deutschland handelt es sich um ein Mitglied der Gruppe, von der sein Stück handelt, während Zaimoğlu, ein männlicher, meist höchstens säkular-muslimisch auftretender erfolgreicher Schriftsteller,

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Zaimoğlu/Senkel 2008. Hebbel am Ufer Theater (Hg.) (2008): Jenseits – bist du schwul oder bist du Türke?, Programmbroschüre, Mai 2008, o.S.; Ballhaus Naunynstraße 2008. So zitiert die Islamische Zeitung ihn im Interview, gefragt danach, woher er die Kraft für seine aufreibenden Lesetourneen nähme, mit der Antwort: »Die einzige Allmacht, die Kraft spendet und entzieht, ist Allah, der Erhabene. Wenn Er will, werde ich weitermachen. Gelobt sei seine Einheit.« Zitert nach o.V. 2006b.

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der sich die Erzählungen junger Muslima über ihre streng religiösen Ansichten und insbesondere über ihre Sexualität erst aneignen muss, deutlich weiter von seinen Figuren entfernt ist. In diesem Sinne problematisiert Katrin Sieg die Präsentation und Rezeption der Stücke als semi-dokumentarisch, denn dieses Vorgehen contributes to a certain willful confusion about the material’s epistemological status. In the eyes of the press, the playwright’s claim to give voice to a social group that is at the center of ideological debates but has not previously articulated itself warrants the German public’s attention for that very reason; not one reviewer wondered why women who are such eloquent critics of male privileges would petition a man to speak for them.71 Um die politischen Implikationen dieser Konstellation zu veranschaulichen, sei darauf hingewiesen, dass Zaimoğlu zur ersten Islamkonferenz eingeladen wurde, über deren Zusammensetzung er sich kritisch äußerte. Insbesondere bemängelt er das Fehlen junger Neo-Musliminnen, die »mit sehr viel mehr Berechtigung in der Islam-Konferenz [säßen], als ich das tue.«72 Obwohl er darauf hinweist, dass diese »Schwarzen Jungfrauen« (interessanter Weise wird das Stück im Interview nicht erwähnt) eigentlich selber sprechen sollten, ist es sowohl im politischen Gremium als auch in der künstlerischen Auseinandersetzung im Kulturbetrieb faktisch eben doch Zaimoğlu, dem die (Für-)Sprechposition zugestanden wird, die er auch übernimmt. Die Prägung durch den Autor scheint auch in Bezug auf den Schwerpunkt Sexualität auffällig. Es ist nicht selbstverständlich, dass Frauen in einem ersten Interview so offen über intime Details ihres Sexuallebens sprechen. Einerseits spiegelt die Schwerpunktsetzung, die Sexualität so stark in den Mittelpunkt rückt, eine Sprechweise der islamisierten Debatte wider (vgl. Kap.3), die inhaltlich in Frage gestellt wird. Andererseits ist die Darstellung dieser im Falle einiger Protagonistinnen in vollen Zügen ausgelebte Sexualität teilweise so detailliert, dass sie schon ans Pornographische grenzt, zumal die Nutz-

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Sieg 2010, 171f. Schlagenwerth, Michaela (2007): »Wo sind die jungen Schamtuchträgerinnen? Der Schriftsteller Feridun Zaimoğlu kritisiert die Zusammensetzung der Islam-Konferenz«, Berliner Zeitung, 25.4.

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nießer dessen die männlichen Randfiguren sind, deren sexuelles Begehren bedient wird.73 Die Bekenntnisse der Frauen werden so durch Zaimoğlus Position als Schriftsteller gefiltert, und einem »männlichen Blick«74 unterworfen. »Schwarze Jungfrauen« als semidokumentarisches Material, das der Mehrheitsgesellschaft Inneneinsichten in unbekannte Welten ermöglicht, lässt sich also auf doppelter Ebene auf Voyeurismus ein: in Bezug auf die »Authentizität« und in Bezug auf sexualisierte Weiblichkeit. Mehrere inszenatorische Entscheidungen stellen sich diesen Anlagen des Textes jedoch entgegen. Die Aufführung beginnt damit, dass die Schauspielerinnen – in knielange Mäntel gehüllt, mit langen Perücken und Kopftüchern, ganz in schwarz – sich zu Musik und blitzenden Lichtern langsam synchron entkleiden. Die Zuschauer werden so für wenige Sekunden in den Erwartungen bestärkt, die junge Musliminnen als züchtig schwarz verhüllt erwarten. Der symbolische Striptease weist einerseits metaphorisch darauf hin, dass die Figuren gleich auch in ihren Erzählungen mit nackten Tatsachen aufwarten, sich vor dem Publikum entblößen werden. Andererseits wird durch den Akt des Entkleidens die voyeuristische Faszination und Erwartung gefördert, im Zuge ihrer Erfüllung aber gleichzeitig gebrochen: Am Ende des Striptease ist das Publikum mit dem Gegenteil sexualisierter Weiblichkeit konfrontiert. Die Kostüme verweisen zwar auf Nacktheit, versuchen aber nicht, eine Illusion davon herzustellen – zu offensichtlich ist die Unförmigkeit der hautfarbenen langen Skiunterwäsche, aus der sie gefertigt sind. Eine stark entsexua-

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Vgl. »BERLIN: Der Türke von nebenan war zehn Jahre älter als ich, und er hatte sich ein Leben aufgebaut, in seinem Reisebüro haben drei Frauen gearbeitet. Die hat er eine nach der anderen durchgenudelt, er versprach nur schöne Nächte, und sonst gar nix, das ist mal etwas anderes als die große Liebe, die die Männer sonst beschwören. Ich mochte das. […]«, Jungfrauen SF, 8; »Mein Pfleger […] macht vor meinen Augen einen Strip, daß ich schlucken muß […]. Und als er nackt vor mir steht bin ich vor Lust knallrot geworden, er sieht mich an, und sagt, er würde jetzt gerne näher herankommen […]. Ich nicke, er kommt näher, und ohne daß ich es ihm ausdrücklich sage spürt er meinen Wunsch und … na gut, was soll jetzt noch die Scham, ich erzähle einfach weiter, er steckt ihn mir in den Mund, nein falsch, ich schnappe gierig nach seinem Schwanz. Das erste Mal, daß ich einen Schwanz schmecke, das ist ein Geschenk für einen Krüppel wie mich […]«, ebd., 24. Vgl. Mulveys Ausführungen über den »männlichen Blick« im Film, Mulvey, Laura (1975): »Visual Pleasure and Narrative Cinema«, Screen 16/3, Herbst, 6-18.

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lisierende und entindividualisierende Wirkung kommt auch den künstlichen Glatzen zu, die die Schauspielerinnen die ganze Vorstellung über tragen. Des weiteren ist in Bezug auf inszenatorische Entscheidungen für den Umgang mit dem Text die Figur der Studentin aufschlussreich, die Zaimoğlus Theatertext für die Inszenierung nachträglich hinzugefügt wurde. Ihr erster Satz thematisiert zwar ihre Sexualität, aber nur, um diesen Punkt für den Rest des Stücks auszuklammern: »Mich juckt es nicht.«75 Danach erzählt sie im Gegensatz zu den anderen Figuren keinerlei persönliche Erfahrungen sondern legt ihre Weltsicht dar, die im tiefen Vertrauen auf den Siegeszug eines politisierten Islam gründet. Während auch die radikaleren Aussagen ihrer Kolleginnen als Provokation eher amüsieren, handelt es sich bei ihrem Monolog um eine nüchterne und konsequente Kampfansage an die Mehrheitsgesellschaft. Das Hinzufügen dieser Figur relativiert so die vorherrschende Sexualisierung der Monologe und unterstreicht dafür Radikalität auf politischer Ebene: Bedrohlichkeit statt Sexualisierung.

Fazit erste Phase Wir können nicht mehr länger exakt über »eine Erfahrung, eine Identität sprechen, ohne ihre andere Seite anzuerkennen: Die Brüche und Diskontinuitäten […].76 »Schwarze Jungfrauen« und »Jenseits« präsentieren gebrochene Narrative von Selbsterzählungen, in denen verschiedene individuelle Lebensgeschichten nebeneinander gestellt werden. Deren Präsentation als »authentische Stimmen« wird durch die semi-dokumentarische Verfasstheit des Textes, inszenatorische Entscheidungen sowie in Selbstdarstellungen der Produzenten und Begleitmaterial unterstrichen und macht den Kern der positiven Rezeption aus. So scheint zunächst Identitätspolitik 1 zu dominieren: Neben der strukturellen Komponente, dass Quereinsteiger_innen und Theateranfänger_innen durch die Zusammenarbeit mit arrivierten Kulturschaffenden gefördert werden und so ein Zugang zu repräsentativen Plattformen etabliert wird das

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Jungfrauen, 3. Hall 1994b, 29.

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Theater dazu genutzt, Licht auf marginalisierte Perspektiven zu werfen, um zu zeigen, wie es »eigentlich« ist. Der Falle von Identitätspolitik 1, in Reaktion lediglich neue Essentialismen zu produzieren, entziehen sich die Stücke inhaltlich, indem höchst unterschiedliche, widersprüchliche Erzählungen neben einander gestellt werden. Diese sehr persönlichen und subjektiven Perspektiven betonen Kontingenz, Wandelbarkeit und Kontextgebundenheit der Positionierungen und stellen so gemäß Stuart Halls Ansatz von Identitätspolitik 2 gebrochene Narrative von Identifizierungen in Bewegung vor. Während in »Jenseits« auf den Islam eher am Rande rekurriert wird, stehen individuelle muslimische Lebenspraxen im Mittelpunkt von »Schwarze Jungfrauen«. Der geteilte Glaube führt bei den fünf Figuren zu höchst unterschiedlichen Überzeugungen und Lebenspraxen und stellt sich so islamisierenden Sprechweisen entgegen. Die Abgrenzung von Regulierungsversuchen der Umwelt und die selbstbestimmte Entscheidung über den Umgang mit ihrer Sexualität stehen im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. »Schwarze Jungfrauen« bietet so für Sprechweisen, die muslimisierte Weiblichkeit als per se unterdrückt und nicht handlungsfähig beschreiben, fruchtbare Gegenbeispiele an.

Komplexe Narrative der Vergangenheit Stuart Hall benennt als maßgebliche identitätspolitische Strategie das Erzählen und Wieder-Erzählen gebrochener Narrrative der Gegenwart und der Vergangenheit (vgl. Kap. 2). Ersteres wurde anhand von »Schwarze Jungfrauen« und »Jenseits« erläutert. Um der zentralen Bedeutung von Geschichte und Gedächtnis für Identitätspolitik Genüge zu tun, soll hier auf zwei weitere Stücke hingewiesen werden: »Die Schwäne vom Schlachthof« (2008) von Hakan Savaş Mican und »Lö Bal Almanya« (2010) von Nurkan Erpulat und Tunçay Kulaoğlu. Mit ihren Untersuchungen zum »kollektiven Gedächtnis«77 unterstrichen Jan und Aleida Assmann die Bedeutung von institutionalisierter Erinnerung und Geschichtspolitik für individuelle Identität und soziale Zusammen-

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Den Begriff des kollektiven Gedächtnis prägte Maurice Halbwachs, vgl. ders. (1950): La Mémorie Collective, Paris.

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hänge.78 Aleida Assmann unterscheidet dabei zwischen »kommunikativem« und »kulturellem« Gedächtnis: Während die Inhalte des kommunikativen Gedächtnisses im Alltag beständig ver- und neu ausgehandelt werden, bezeichnet das kulturelle Gedächtnis den im Alltag nicht unbedingt präsenten, aber für Rückgriffe fixierten »Fundus«. Die von ihnen praktizierte dominante Strömung der deutschen Erinnerungs- und Gedächtnisforschung betrachtet »die Frage nach der Vergangenheit als [eine] Konstruktion, die von Menschen nach den Bedürfnissen und Möglichkeiten ihrer aktuellen Gegenwart hervorgebracht wird.«79 Diese Herangehensweise trifft sich mit Stuart Halls Verständnis von Prozessen der Identifizierung, die durch das dem jeweiligen Kontext der arbiträren Schließung geschuldete Erzählen und Wieder-Erzählen von Geschichten über das Selbst zustande kommen: »Die Vergangenheit muss in Erzählungen verwandelt werden.«80 In bedeutenden sozialen Bewegungen wie Feminismus, Antikolonialismus und Antirassismus spielte und spielt die Suche »Verborgener Geschichten«81 eine zentrale Rolle. Da diese abseits offizieller Institutionen und Strukturen entwickelt werden mussten, wurde auf alternative Formen der Wissenstradierung zurückgegriffen ebenso wie auf andere Medien zur Vermittlung, wie Film oder eben Theater. Wenn es gelingt, Essentialisierung zu vermeiden, betrachtet Hall solche Repräsentationen als Ressourcen des Widerstandes und der Identität, anhand derer wir uns mit den fragmentarischen und pathologischen Formen auseinandersetzen können, in denen diese Erfahrungen innerhalb des dominanten Regimes der filmischen und visuellen Repräsentation des Westens rekonstruiert wurden.82

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Vgl. u.a. Assmann, Jan (1992): Das kulturelle Gedächtnis: Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München; Assmann, Aleida (2007): Der lange Schatten der Vergangenheit, Bonn. Assmann, A. 2007, 16. Hall 1994d, 88. Hall 1994a, 24. Hall 1994a, 25. Dies gilt für die schwarzen Bewegungen, auf die er sich bezieht, natürlich in besonderem Maße, da es sich dabei um eine erzwungene Diaspora handelte, die in stärkerem Maße Entfremdung und Fragmentierung nach sich zog als andere Migrationsformen. Jedoch ist auch im Hinblick auf eingewanderte Minderheiten in Deutschland zu beobachten, dass Fragmentarisierung die Eingliederung von Postmigrant_innen ins Kollektive Gedächtnis verhindert.

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Die wenigen Studien, die sich geschichtspolitisch mit der deutschen Einwanderungsgeschichte und deren Platz im kollektiven Gedächtnis befasst haben, konstatieren »ein deutliches Gedächtnisvakuum in Bezug auf Einwanderung«,83 was sich in »weitgehenden Leerstellen«84 in relevanten Medien wie Schulbüchern, Straßennamen und anderen Erinnerungsorten sowie der wissenschaftlichen Forschung niederschlägt. Auch in den ritualisierten Formen der kollektiven Selbstvergewisserung fehlen sie oft, so konnte inmitten des deutschen Trends zu Gedenkfeiern etwa das 50-jährige Jubiläum des Anwerbeabkommens weitgehend unbemerkt verstreichen. Die Perspektiven von Eingewanderten bleiben bezüglich des hegemonialen Geschichtsnarrativs, in dem ihnen weitgehend noch kein Platz eingeräumt wird, marginalisiert und vereinzelt. Nur in wenigen Zusammenhängen besteht die Möglichkeit, die eigene postmigrantische Familiengeschichte in breite historische Entwicklungen einzuordnen: Ein beachtlicher Teil der heute in Deutschland lebenden jungen Menschen verfügt über Familien- und Kollektivgeschichten sowie über tradierte historisch-politische Erfahrungen, die sich von den »deutschen« unterscheiden.85 Motte und Ohliger konstatieren deshalb eine Parallelgesellschaft in der Erinnerung: Oftmals handelt es sich nicht um geteilte Erinnerungen (»shared memories«) im Sinne des beiderseitigen Anteilhabens, sondern um geteilte Erinnerungen (»divided memories«) im Sinne von separaten Erinnerungen.86 Diese Leerstellen bieten den Ausgangspunkt für zwei postmigrantische Geschichtsstücke.

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Motte, Jan/Ohliger, Rainer (2004b): »Einwanderung – Geschichte – Anerkennung: Auf den Spuren geteilter Erinnerungen«, in dies. (Hg.): Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderunsgesellschaft: Migration zwischen historischer Rekonstruktion und Erinnerungspolitik, Essen, 17-52, hier: 18. Der Sammelband liefert insgesamt einen interessanten Überblick über verschiedene existierende Bestrebungen. Ebd. Georgi, Viola (2003): Entliehene Erinnerung: Geschichtsbilder junger Migranten in Deutschland, Hamburg, 9. Motte, Jan/Ohliger, Rainer (2004a): »Geschichte und Gedächtnis in der Einwanderungsgesellschaft: Einführende Betrachtungen«, in Motte/Ohliger 2004, 7-16, hier 13.

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»Die Schwäne vom Schlachthof« (2008) und »Lö Bal Almanya« (2010) »Lö Bal Almanya« bietet in Anlehnung an die filmische Geschichtsrevue »Le bal« (1983) von Ettore Scola einen Überblick über türkische Präsenz in Deutschland seit Beginn der Arbeitsmigration, »Die Schwäne vom Schlachthof« greift mit der Wende ein herausragendes Ereignis deutscher Nachkriegsgeschichte heraus. Während »Lö Bal« stark überspitzte und mit deutschem Liedgut untermalte Bebilderungen zentraler Momente der Einwanderungsgeschichte aneinanderreiht, präsentiert »Schwäne« vier Episoden, in denen, ähnlich wie in »Jenseits«, der Monolog eines IchErzählers spielerisch inszeniert wird. Beide beruhen auf dokumentarischem Material. Für »Schwäne« führte Autor und Regisseur Mican Interviews mit Zeitzeug_innen und recherchierte Aktenmaterial. Der Text von »Lö Bal« besteht fast ausschließlich aus zeitgeschichtlichem Quellenmaterial, das teils in Spielszenen eingegliedert, größtenteils aber einfach wörtlich zitiert wird. Erwin Piscator entwickelte die Herangehensweise des »Dokumentartheaters«, für das historisches Quellenmaterial in bühnengerechte Form gebracht wird, um damit dem bürgerlichen Publikum durch Konfrontation mit authentischem [sic!] Material und Fakten die Flucht in eine verharmlosende Vergangenheitsbewältigung unmöglich zu machen.87 In »Lö Bal« und »Schwäne« dient das Dokumentartheater der Sichtbarmachung postmigrantischer Perspektiven, mit denen durch die Verortung in prekären Verhältnissen auch »Geschichte von unten«88 geschrieben wird. Die dokumentarische Qualität ist allerdings nicht unmittelbar ersichtlich und wird erst im Begleitmaterial explizit kenntlich gemacht.89 Die Schärfe der entkontextualisierten Zitate und die plakativ-groteske Übertreibung in der Bebilderung wirken in »Lö Bal Almanya« der Wahrnehmung der Texte als Zitate eher entgegen.90 In »Die Schwäne vom Schlachthof« trägt die Margi-

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Regus 2008, 201. Vgl. Thompson, Edward Palmer (1966): »History from below«, Times Literary Supplement 3345, Winter, S. 279-280. Ballhaus Naunynstraße (Hg.) (2009): Die Schwäne vom Schlachthof, Abendzettel, Berlin, o.S., dass. (Hg.) (2010): Lö Bal Almanya, Abendzettel, Berlin, o.S. Der Politisierungseffekt, wenn dem Zuschauer das dann doch irgendwie bewusst wird, ist natürlich um so größer je weniger sie das für real sprechbar hielt.

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nalisiertheit der beschriebenen Lebenswelten dazu bei, dass die Geschichten leicht als Fiktion lesbar sind. Dies trifft sich allerdings mit Halls Ansatz, dass Geschichte durch die Verwandlung in Geschichten für Identitätspolitik nutzbar gemacht werden muss. Hier soll auf drei maßgeblich Strategien hingewiesen werden: Verweis auf unbeachtete Perspektiven, Aneignung und inhaltliche Umdeutung bekannter Motive. Die Annahme bestätigend, dass es sich mit der Konzentration auf Islam-Themen in der Einwanderungsdebatte um ein junges Phänomen handelt, beschäftigen sich diese Geschichtsstücke nur am Rande mit dem Islam, weshalb dieser Teil im Vergleich zu den anderen Phasen kürzer ausfällt.

Wessen Gedächtnis? Marginalisierte Erinnerungen sprechbar machen (Post-)Migrant_innen werden einerseits als in ihren Lebensgeschichten untrennbar mit deutscher Geschichte verwoben, andererseits als diese aktiv prägende Mitgestalter_innen gezeigt, wodurch hegemonial gängige Narrative in Frage gestellt oder durch unerwartete Perspektiven ergänzt werden. Sie weisen so auf die Dauer, Kontinuität und Breite türkischer bzw. muslimischer Präsenz in Deutschland hin. So präsentiert »Schwäne« beispielsweise neben Erzählungen aus dem Arbeitermilieu in Kreuzberg auch die Lebensgeschichte einer türkischen Kommunistin im DDR-Exil, oder erlaubt dem Publikum Zugang zum Seelenleben einer nachgeholten anatolischen Ehefrau, die selbst verdeutlicht, dass sie vom mehrheitsdeutschen Publikum außerhalb des Theaters schon allein durch die Sprachbarriere nicht oder ganz anders wahrgenommen würde: CENGAVER: Ich kann kein Wort Deutsch, Cetin, ich kann nicht mal auf Türkisch lesen und schreiben. Aber ich bin nicht blind! Und klüger als du bin ich sowieso!91 Auch in dieser Episode, wie in allen anderen, sprechen die Protagonist_innen bühnendeutsch, nur während eines kurzen Intermezzo, das eine Interviewsituation mit einer deutschen Journalistin darstellen soll, wechseln sie in gebrochenes Deutsch mit starkem Akzent. Wie in der ersten Phase fungiert das Theater hier wenn nicht mehr als Sprachrohr, so doch als das Vergrößerungsglas, das marginalisierte Erinnerungen in den Blick rückt. 91

Ich zitiere aus der unveröffentlichten Spielfassung, Stand 4. März 2010, im Folgenden: Schwäne, hier: 27.

6. Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße

Abbildung 3: »Die Schwäne vom Schlachthof«, Foto: Ute Langkafel MAIFOTO.

Noch deutlicher zeigt sich dies in der Rahmenhandlung von »Die Schwäne vom Schlachthof«. Als Ausgangspunkt dient der Tod zweier Kinder: Cengaver Katrancı und Çetin Mert, 8 und 5 Jahre alt, waren unter den mindesten vier Kindern, die zwischen 1972 und 1975 am Kreuzberger Ufer in der Spree ertranken. Obwohl in beiden Fällen Rettungskräfte zur Stelle waren, kam den Kindern auf Grund der Grenzflussproblematik niemand zur Hilfe, sie zählen somit zu den jüngsten Maueropfern.92 Diese Ereignisse werden im Stück sowohl konkret als auch poetisch-assoziativ aufgegriffen. Während sämtliche Figuren im Stück die Namen der realen Vorbilder Çetin und Cengaver tragen, erhält das tote Kind einen anderen Namen. Das Stück beginnt mit der Erzählung eines Traums von vier Schwänen, die vielleicht vier Kinder sind. Einer von ihnen ist

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Vgl. www.chronik-der-mauer.de/index.php/de/Start/Index/id/593918, www.chronikder-mauer.de/index.php/de/Start/Index/id/593915 (15.3.2011). Für den Briefwechsel zwischen DDR und Westberliner Senat: Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen (Hg.) (1980): Zehn Jahre Deutschlandpolitik, Bonn, 287.

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[…] schöner als alle anderen. Schwan! Du bist frei wie eine Wolke. Dein Name ist – Jeremy. Ja, ich nenne ihn Jeremy. Jeremy! Jeremy!93 Der Name Jeremy, der so einer spontanen Eingebung entstammend eingeführt wird, wird das ganze Stück über für das tote Kind verwendet. Die klangliche Ähnlichkeit der Anfangssilben der für deutsche Ohren »fremd« klingenden Namen Çetin, Cengaver und Jeremy ist offensichtlich, allerdings verweist der Name Jeremy assoziativ eher nach Hollywood als nach Anatolien. So wird implizit darauf hingewiesen, dass ein Jeremy leichter zu betrauern sei als ein Çetin oder eine Cengaver.94 Die Figur des Jeremy dient dazu, die einzelnen Episoden miteinander zu verknüpfen. Während die Geschichten ineinander verschwimmen, wird die Figur des Jeremy universalisierend aufgewertet. Durch die punktuellen Verknüpfungen der Geschichten und das wiederholte, teilweise unlogische Auftauchen einzelner Motive in den verschiedenen Narrativen wird die Widersprüchlichkeit und Traumhaftigkeit der Geschichten herausgestellt und so auch auf den nachträglichen Konstruktionscharakter von Erinnerungen hingewiesen. Beginn und Ende des Stücks erzählen die fiktive »Erinnerung« des im Kindsalter Verstorbenen und dadurch per se unschuldigen Opfer des Systems. Diese Sprechbarmachung der per Definition unsprechbaren Geschichte bringt so poetisch verdichtet den Anspruch des Dokumentartheaters auf den Punkt, und betont, dass die politische Agenda die Verpflichtung zu historischer Faktentreue überwiegt.

Aneignung: Ins deutsche Nationalarchiv eingreifen Indem auf marginalisierte Perspektiven hingewiesen wird, untermauern die Stücke den Anspruch auf Mitgestaltung des »deutschen Nationalarchivs« – anstatt weiterhin auf das Türkische verwiesen zu werden.95 Besonders »Lö Bal« greift umfassend auf unterschiedlichstes Quellenmaterial deutscher Nachkriegsgeschichte zurück. Darunter findet sich neben bekannten Aussprüchen von Politiker_innen auch nur im Original türkischsprachiges Material, wie diese Informationsbroschüre der türkischen Arbeitsvermittlung von 1963: 93 94 95

Schwäne, 2. Vgl. zu der Frage, wer wann warum betrauert wird ausführlich Butler, Judith (2003): Kritik der ethischen Gewalt, Frankfurt a.M. Adelson 2005, 12.

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Da die deutschen Arbeitergeber gehört haben und wissen, dass auch die Türken fleißig und disziplinliebend sind, verlangen sie von uns Arbeiter. Ihr dürft nicht zulassen, dass dieses gute Bild der Türken befleckt wird.96 Teilweise werden die Texte durch die Eingliederung in eine Spielszene leicht verfremdet oder ergänzt, wie in diesem Ausschnitt, der wörtlich einen hessischen Leitfaden für den Einbürgerungskurs von 2006 zitiert: Liebe Kursteilnehmer, mein Name ist Petra Müller und ich bin Ihre Orientierungskurs-Kurslehrerin! Sie haben nach reiflicher Überlegung beschlossen, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen. Sie haben Vorund Nachteile abgewogen und sind letztlich zu der Entscheidung gelangt: Ich möchte Deutscher werden! Das finde ich super!97 Solche Zitate werden oftmals ineinander collagiert vorgetragen, was die inhaltlichen Spitzen – wie etwa in einer Collage subtil bis offen rassistischer Politiker_innenkommentare der letzten Jahrzehnte – weiter zuschärft, und durch Entkontextualisierung bis ins Absurde übersteigert. Quellenmaterial wird so herangezogen, selektiv zusammengefasst und zum Beweismittel für die Lesart der Produzent_innen umfunktioniert, die auch durch die Bebilderung unterstrichen wird. So bekommt eine Figur im Verlauf einer wörtlich zitierten Rede des Bürgermeisters von Solingen zum zehnten Jahrestag des Brandanschlags98 das Bundesverdienstkreuz verliehen – weil es immer wieder herunterfällt, wird es ihr schließlich an die Stirn getackert. Während die meisten Szenen Unrechtserfahrungen von Eingewanderten thematisieren, vollzieht sich parallel dazu eine selbstverständliche Aneignung des Raumes. Das Bühnenbild von »Lö Bal« wird durch eine ca. zwei Meter hohe »spanische Wand« begrenzt, die dem tatsächlichen Interieur des dahinter sichtbar bleibenden Ballsaals nachempfunden ist. Dem erst kargen Interieur

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Ich zitiere aus der unveröffentlichten Spiefassung, Stand 9.5.2010, im Folgenden Lö Bal SF, hier: 4; Türkische Anstalt für Arbeit und Arbeitsvermittlung (Hg.) (1963): »Wie der türkische Arbeiter sich in einem fremden Land verhalten und seine Identität bewahren soll«, zitiert nach Göktürk et al. 2011, 56-57. Lö Bal SF 8f, vgl. Hessisches Ministerium des Inneren und für Sport (Hg.) (2006): Leitfaden: Wissen & Werte in Deutschland und Europa, Wiesbaden, 3. Haug, Franz (o.D., verm. 2003): »10. Jahrestag des Brandanschlages auf die Familie Genç«, in: Aktuelles Solingen: Das wichtigste auf einen Blick, http://www2.solingen. de/C12572F80037DB19/html/09EDDE22BA1ED1BEC12574DB00370FB8 (30. März 2011).

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werden kontinuierlich Accessoires hinzugefügt, die muslimische und anatolische Lebenswelten symbolisieren: Der »erste Gastarbeiter« kommt mit einem Teppich im Gepäck, mit jeder Szene werden weitere auf dem Boden ausgebreitet. Das Konterfei Ayatollah Chomeinis ersetzt das gerahmte Porträt Friedrich Wilhelms II, ein Wandteppich mit Bild der Kaaba und Glücksbringer wie das »Blaue Auge« (nazar boncuğu) werden aufgehängt, dazwischen Schafsköpfe. So dient die Kulisse als greifbares Symptom für die tiefgreifenden Veränderungen, die das Stück durch seinen historischen Überblick vorstellt. Die Verortung im deutschen kollektiven Gedächtnis verdeutlicht besonders die musikalische Untermalung. Die meisten Szenen kommen mit wenig Text aus und sprechen mehr durch metaphorische Bilder, die Lieder tragen maßgeblich zu Atmosphäre und Interpretation bei. Erpulat und sein musikalischer Leiter Tobias Schwencke greifen hauptsächlich auf deutsches Volksliedgut zurück, darunter Wanderlieder, die die Situation des Unterwegs-Seins, des Nicht-Ankommens beschreiben, aber positiv bewerten: Wem Gott will rechte Gunst erweisen,/den schickt er in die weite Welt;/dem will er seine Wunder weisen/in Berg und Wald und Strom und Feld.99 Das sehr schnelle Arrangement sorgt für eine Grundatmosphäre leicht hysterischer guter Laune. Die Texte scheinen so passend, als würden die Jahrhunderte alten Lieder erst als Illustration der Einwanderungsgeschichte überhaupt wieder mit Sinn besetzt. Um mit den Begriffen Assmanns zu sprechen: Durch die Verknüpfung mit Einwanderungsgeschichte werden sie vom kulturellen ins kommunikative Gedächtnis rücküberführt.100 So fungiert »Unrasiert und fern der Heimat« von Gustav Schulten (1897-1944), bekannt für seine im Nationalsozialismus breit rezipierten Liedersammlungen, das Stück über als Kehrvers – wodurch der Text nun anstelle des Soldaten den stereotyp bärtigen Einwanderer vor Augen ruft. Die Grenze zwischen Volkslied und nationalsozialistischem Liedgut ist fließend, wie bei »O Deutschland hoch in Ehren«101 Da es sich bei den Sänger_innen aber um postmigrantische Schau-

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Lö Bal, 5. Text: Joseph von Eichendorff (1788-1857), Melodie: Friedrich Theodor Fröhlich (1803-1836). 100 Vgl. Erll, Astrid (2005): Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, Stuttgart, 28. 101 Text: Ludwig Bauer, Melodie: Hugo Pierson. Das Lied stammt zwar ursprüngliche aus den 1860ern, gehörte aber zu den Liedern, die nach dem Putsch von 1923 gesungen wurden, und war während des Nationalsozialismus in Schulen gebräuchlich.

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spieler_innen handelt, wird die Assoziation nicht entkräftet, aber dennoch zur Ermächtigung umgewertet. So wird halb vergessenes deutsches Kulturgut durch Neukontextualisierung für Aneignung nutzbar gemacht während gleichzeitig darauf hingewiesen wird, wie ambivalent gerade das deutsche Kollektivgedächtnis gestrickt ist.

Andere Seiten der Wende: Islam und Integration Anhand der Verknüpfung von Mauerfall und Integrationsdebatte soll nun noch die Strategie der Umdeutung bekannter Narrative dargestellt werden. Mit Plakaten wie »Wir sind auch das Volk!« demonstrierten Arbeitsmigrant_innen 1990 in Berlin,102 und protestierten dagegen, dass ihre Präsenz damals wie heute in der geschichtspolitischen Auseinandersetzung mit der Wiedervereinigung weitgehend ausgeblendet wird. In »Jenseits« wird ein Narrativ angeführt, das die Auffassung, der Fall der Mauer sei für die Situation der Türkeistämmigen in Deutschland eine Wende zum Schlechteren gewesen: EREN: Ich meine damals in den Siebzigern. Das waren noch schöne Zeiten. Es gab Arbeit, Türkenverbrennen war noch kein Volkssport […]. Tja, dann fiel die Mauer und ich sag euch, das war die Hölle! Diese bananengeilen Ostaffen fielen über uns her! Und als erstes wurden wir Türken gefickt! Ich mein, da lebst du in einem Land seit 30 Jahren, fühlst dich irgendwie heimisch, hast es fast liebgewonnen, trotz der Ureinwohner, und dann fällt da irgendne scheiß Mauer und du hast die Verwandten der Gastgeber am Hals. Die Türken waren bis dahin Bürger zweiter Klasse, aber nach 89 sind wir bodenlos versunken. Es gibt nichts schlimmeres, als wenn Deutschland sich vermehrt.103 Rassistische Gewalt und die Fixierung Türkeistämmiger als Prekariat sind hier die spürbarsten Konsequenzen der Wiedervereinigung. Auch »Lö Bal« zeigt massivere Ausgrenzung von ehemaligen Arbeitsmigrant_innen als Resultat der Eingliederung der neuen Bundesländer: Während der lautstarken Feier zum Mauerfall verstummt die Heiterkeit abrupt, sobald sich die als

102 Vgl. Titelbild Motte/Ohliger 2004, Foto Andreas Schoelzel. 103 Jenseits, 6.

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»Gastarbeiter« identifizierte Figur unter die Feiernden mischt, unmissverständlich wird ihm klar gemacht, dass er dort nichts zu suchen hat. Selbst als er seinen Besen zückt und beginnt, sauberzumachen, wird er weggeschickt, während die »ostdeutsche« Figur als Willkommensgeschenk einen elektrischen Handstaubsauger überreicht bekommt. Die Verwendung solcher bildhaften Symbolen ist typisch für Erpulats Inszenierung. In der gleichen karikierenden Überspitzung thematisiert »Lö Bal« auch die auf die Wiedervereinigung folgenden Forderungen nach Integration, die sich nicht an die ostdeutsche, sondern die nun als muslimisch wahrgenommene Minderheit richten. Eine schmale Gestalt mit schwarzem Kopftuch und Sonnenbrille huscht auf eins der Tischchen auf der Bühne zu. Eine Wirtin nimmt ihre Bestellung auf und knallt ihr kurz darauf achtlos einen Pappteller auf den Tisch. Darauf: Ein Wiener Würstchen. Lange zögert die junge Frau, nimmt die Wurst in die Hände, begutachtet sie. Plötzlich schiebt sie sie sich in den Mund, kaut wie wild, dann fängt sie an, unkontrollierte Geräusche von sich zu geben, Stöhnen, Schreien, hysterisches Lachen, während ihr Halbzerkautes aus dem Mund quillt. Sie reißt das Kopftuch ab, da scheint sie sich zu verschlucken, fällt zu Boden, kommt wieder hoch, lacht erneut hysterisch, fällt wieder zu Boden, irgendwo zwischen Orgasmus und Erstickungstod. Quälend lange dauert die ins Absurde überspitzte Szene, die die satirische Illustration einer Anekdote von Necla Kelek darstellt, in der sie ihren ersten Bratwurstkauf als Ablösung vom Islam und Befreiungserlebnis erzählt.104 Parallel dazu versucht ein Mann immer wieder, einen Wecker in Moscheeform in einem viel zu kleinen Pappkarton zu verstauen, und löst das Problem schließlich, indem er die Minarette abbricht.

104 »Ich selbst musste mir meine Freiheit nehmen, sonst hätte ich sie nicht bekommen. Ich war achtzehn Jahre alt, also volljährig und im letzten Ausbildungsjahr zur technischen Zeichnerin, als ich auf dem Nachhauseweg von der Arbeit allen Mut zusammennahm, um – was ich lange beschlossen hatte – eine Bratwurst zu essen. Bratwürste aßen nur die gavur, die Ungläubigen, denn sie bestehen meist aus Schweinefleisch – und Schweinefleisch ist haram, verboten. Ich bestellte also die Wurst und erwartete, dass mit dem ersten Biss sich entweder die Erde auftat und mich verschlang oder ich vom Blitz erschlagen wurde. Die Wurst war nicht besonders lecker, aber das Entscheidende war, dass – nichts geschah.« Kelek, Necla (2007b): »Freiheit, die ich meine«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.12, www.faz.net/artikel/S31443/integration-freiheitdie-ich-meine-30099343.html (16.8.2011).

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Abbildung 4: »Lö Bal Almanya«, Foto: Ute Langkafel MAIFOTO.

Für das in diesen Szenen veranschaulichte Spannungsfeld zwischen Wende und Integrationsdebatte bietet »Schwäne« durch eine simple Wendung eine Perspektive an, die sich sowohl der Lücke im Narrativ der Mehrheitsgesellschaft als auch der negativen Konnotation der dargestellten Minderheitenperspektive entgegenstellt und erzählt, wie in der frisch vereinigten Bundesrepublik die Rolle des »Anderen« kurzzeitig durch den seinerseits marginalisierten »Neuankömmling« Ostdeutschland übernommen wird. Auch hier wird die Umkehrung des Machtverhältnisses über Motive der Feminisierung dargestellt. So wird der wirtschaftliche Erfolg eines Türkeistämmigen westdeutschen Ehepaars, das die Nach-Wende-Zeit dazu nutzt, Ostdeutschland mit einem Netzwerk von Dönerläden zu überziehen, mit explizit machtdurchtränktem, vergeschlechtlichtem Vokabular beschrieben: Ostdeutschland war eine heiße Muschi. Und wir haben ruhig und sanft den Schwanz reingesteckt!105

105 Schwäne, 28.

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Während auf die wirtschaftliche Relevanz der (Post-)Migrant_innen für die Bundesrepublik hingewiesen wird, werden gleichzeitig die neuen Bundesländer in einer unterlegenen Situation festgeschrieben. Indem Mican die Figur des »Anderen« auf die frisch eingebürgerten Deutschen aus den »neuen Bundesländern« verschiebt, erscheinen auch muslimische Lebenswelten plötzlich als selbstverständlich westdeutsche Ressource in der Aushandlung deutschdeutscher Identität. Der Schauplatz, den Mican nutzt, um den diskursiven Spieß umzudrehen, ist eine deutsch-deutsche Ehe, der die dritte Episode in »Schwäne« gewidmet ist. Zwei Teenager aus West- und Ostberlin lernen sich kurz nach dem Mauerfall kennen. Will Çetin vor allem endlich seine Jungfräulichkeit verlieren, scheint seine Attraktivität auf das Mädchen Cengaver aus Mahrzahn vor allem im »Reiz des Exotischen« zu bestehen, als dessen Lieferanten sie den Kreuzberger anruft: CENGAVER106 : Wie bestellst du dann Kaffee, wenn du mich [im Café wo ich arbeite] besuchst? CETIN: Einen Kaffee bitte. CENGAVER: Nein. In deiner Sprache. CETIN: Bir kahve lütfen.107 CENGAVER: Bir kahve lütfen.108 Weil sie schwanger wird, heiraten sie. Die Faszination, sich fremde Lebenswelten anzueignen, bricht nicht ab, sondern führt wie nebenbei zur Konversion: CENGAVER: Was ist das? VATER: Chai. CENGAVER: Bir chai lütfen. [(dt.: Einen Tee bitte.) Nimmt vom Tee.] Und das? MUTTER:109 Börek. CENGAVER: Bir börek lütfen. [Nimmt vom Börek.] Und das? MUTTER: Kopftuch. CENGAVER: Bir Kopftuch lütfen. [Zieht sich einen neonfarbene Perücke über.]110 Als Sprecher fungiert in der Episode die Figur des Türkeistämmigen Muslim, der, durch kurze, eher illustrative Dialoge ergänzt, als Ich-Erzähler über die Figur des ost-deutschen Mädchens spricht und ihr Handeln retrospektiv interpretiert. Die Frauenfigur wird so entlang der Machtlinien von 106 Da jede_r Schauspieler_in mehrere Rollen spielt, sind die Figurennamen (durchgängig Cetin, Cetin 1 für die männlichen, Cengaver, Cengaver 1 für die weiblichen Figuren) besonders in kürzeren Textausschnitten leicht verwirrend. Ich habe deshalb zugunsten besseren Verständnisses die Figurennamen teilweise durch Funktionsbezeichnungen ersetzt. Im Original fehlen türkische Sonderzeichen. 107 Dt.: Einen Kaffee, bitte. 108 Schwäne, 19. 109 In der Spielfassung nicht Mutter, sondern Cengaver 2. 110 Schwäne, 20f.

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Geschlecht und der Hierarchien Westdeutscher/Ostdeutsche und Herkunftsmuslim/Konvertitin in einer rein reaktiven Position konstruiert. Dabei wird der Status der Ostdeutschen als »Andere« in der jung vereinten Bundesrepublik als Folie genutzt, eine »Integrationshierarchie« aufzustellen: Für sie und im Vergleich zu ihr haben die Türkeistämmigen Kreuzberger_innen Teil an westdeutscher Hegemonie und machen somit einen veritablen Teil Westdeutschlands aus, zumindest für, wie Çetin seine Frau beschreibt, ein »einfaches Mädchen aus Marzahn, das nur irgendwo im Westen ankommen wollte. Das war dann meine türkische Familie.«111 Cengaver arbeitet hingebungsvoll an ihrer Integration: Sie trägt Kopftuch, studiert die Werke islamischer Gelehrter, trifft andere Konvertitinnen, um Detailfragen korrekter Lebensführung zu diskutieren und genießt die Anerkennung, die Çetins Familie ihr dafür zollt. Çetin selbst bezeichnet sich als »jemand, der sich auch für den Islam interessiert«112 – eine Aussage, der anscheinend sofort eine Einschränkung nachgeschoben werden muss: »[…] aber ich kann damit umgehen. Es ist nie ein Fanatismus in mir aufgekommen.«113 Diese Beschreibung rückt den Islam in die Nähe einer leichten Droge, die nur vorsichtig und in Maßen konsumiert werden darf – eine Vorsicht, die er seiner Frau nicht zutraut, was er auf ihre ostdeutsche Sozialisation zurückführt: CETIN: Sie hatte einen DDR-Schaden. So einen Charakter hatte sie. Sie hängt mit Menschen ab, die den Islam gut finden, dann findet sie auch den Islam gut. […] Wenn sie Eskimos getroffen hätte, dann würde sie auch tun, was die Eskimos machen. Hier ist es die Ostdeutsche, die durch eine ihrer Herkunft zugeschriebenen »natürlichen« Prägung zum Opportunismus als wirkmächtig bestimmt dargestellt wird, was schlussendlich auch ihre »Integration« in die türkische Familie scheitern lässt. Tatsächlich wendet sich das »Chamäleon«, wie Cengaver im Episodentitel des Stücktexts bezeichnet wird, nach einiger Zeit mit dem gleichen Enthusiasmus anderen Zusammenhängen zu und verlässt Çetin und die gemeinsame Familie. Sobald die Marginalisierung durch die (westdeutsche) Mehrheitsgesellschaft überwunden ist, ist die Anerkennung durch die westdeutsche Minderheit nicht mehr notwendig. Diese nimmt wieder den Platz am Rande ein. So 111 112 113

Cetin, Schwäne, 20. Ebd. Ebd.

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wird zeitweilig ein Gegennarrativ entwickelt, das allerdings durch die kurze Dauer und den Ausnahmecharakter, der mitschwingt, wiederum implizit auf das gängige Narrativ verweist. Die Figur der Ostdeutschen als der »Anderen« funktioniert also nur zeitweise, um den Islam als Teil Deutschlands zu integrieren.

Fazit zweite Phase […A]ctually identities are about questions of using the resources of history, language and culture in the process of becoming rather than being: not »who we are« or »where we came from«, so much as what we might become, how we have been represented and how that bears on how we might represent ourselves.114 In den hier angeführten Stücken wird Dokumentartheater zur Aneignung und Ausweitung deutscher Nachkriegsgeschichte für postmigrantische Perspektiven genutzt. Während »Schwäne« die Interviews mit Zeitzeug_innen dazu nutzt, auf unsichtbare Facetten postmigrantischer Involviertheit hinzuweisen, werden in »Lö Bal« bekannte Ereignisse mit Hilfe von bekanntem dokumentarischem Material für eine neue Perspektive angeeignet, deren umdeutende Funktion sich vor allem in den interpretativ illustrierenden Spielszenen niederschlägt. Als drei maßgebliche Strategien wirken der Hinweis auf marginalisierte Perspektiven, die spielerische Aneignung und Umformung von Motiven des deutschen Kollektivgedächtnisses sowie die Umdeutung gängiger Narrative. Dies dient dazu, auf die Kontinuität und Verflochtenheit (post-)migrantischer Präsenz im Verlauf deutscher Nachkriegsgeschichte hinzuweisen, durch die sich auch muslimische Lebenswelten als selbstverständlicher Teil (West-)Deutschlands verwurzelt haben.

Reflexion der Gesellschaft als Ganzes Die bisher vorgestellten Stücke dienten vornehmlich dazu, gemäß Stuart Halls Aufforderung zum »Erzählen und Wieder-Erzählen gebrochener Geschichten der Vergangenheit und der Gegenwart« auf die postmigrantische

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Hall 1996, 4.

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Präsenz in Deutschland hinzuweisen. Dafür stellten sie deren Heterogenität, Vielschichtigkeit und Kontinuität heraus, wobei im weitesten Sinne dokumentarisches Material verwendet wurde. Die dritte Phase, für die die Inszenierungen »Verrücktes Blut« (2010) und »Schnee« (2010) betrachtet werden sollen, hebt sich deutlich davon ab. Zum einen handelt sich mit freien Adaptionen bekannter Vorlagen erstmals um rein fiktionale Stoffe.115 »Verrücktes Blut« basiert auf dem erfolgreichen Film »La Journée de la Jupe« (2009) von Jean-Paul Lilienthal,116 »Schnee« auf dem gleichnamigen Roman des türkischen Nobelpreisträgers Orhan Pamuk.117 Auch personell ist eine neue Tendenz zu erkennen: Den Text für »Schnee« schrieb in Zusammenarbeit mit Regisseur Mican der Turkologe und Übersetzer Oliver Kontny, zur Erarbeitung von »Verrücktes Blut« wurde Erpulat der freie Dramaturg Jens Hillje zur Seite gestellt, bis vor kurzem Mitglied der künstlerischen Leitung der renommierten Berliner Schaubühne. Bei »Verrücktes Blut« handelte es sich zudem um eine Koproduktion mit dem etablierten Theaterfestival »Ruhrtriennale«. Die Auseinandersetzung mit den Vorlagen durch nach ersten erfolgreichen Inszenierungen bereits erfahrenere Regisseure mit fachkundiger Unterstützung resultierte in sehr freien Interpretationen mit gezielt eigener Schwerpunktsetzung höchster Aktualität. Die Premiere von »Verrücktes Blut« korrelierte zeitlich und inhaltlich mit Thilo Sarrazins Publikation »Deutschland schafft sich ab« im Sommer 2010. »Schnee« nahm im Dezember 2010 Bezug auf die zwei Monate zurückliegende Kontroverse um Bundespräsident Christian Wulffs Rede, in der er den Islam als »inzwischen auch zu Deutschland«118 gehörig bezeichnete.

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Die postmigrantische Theaterinitiative präsentierte auch vorher schon fiktionale Stoffe sowie Stücke, die sich auf kanonische Vorlagen bezogen. Das waren allerdings Inszenierungen fertiger Adaptionen und keine so umfassend eigene Abarbeitung am Stoff. (Zu nennen wären »Romeo und Julia« und »Nathan Messias«, beide von Zaimoğlu/Senkel, inszeniert von Neco Çelik). »La journée de la jupe« wurde 2010 als bester Film für den französischen Filmpreis César nominiert, Isabelle Adjani dort zur besten Hauptdarstellerin gekürt. Pamuk, Orhan (2002). Kar, İstanbul. Christian Wulff, zitiert nach o.V. (2010): »Wulff-Rede im Wortlaut: ›Der Islam gehört zu Deutschland‹«, Handelsblatt, 3.10., www.handelsblatt.com/politik/deutschland/derislam-gehoert-zu-deutschland/3553232.html (16. August 2011).

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Die breite und weitgehend positive Rezeption für »Verrücktes Blut« leitete für das Ballhaus eine neue Epoche ein. Die Premiere auf der Ruhrtriennale führte noch zu einem gemischten Echo in der lokalen Presse, innerhalb weniger Tage entdeckten überregionale Medien die Inszenierung als »Stück zur Debatte«. Der »Spiegel« bezeichnete es als den »Hit der Saison«,119 die Fachzeitschrift »Theater der Zeit« druckte den Stücktext ab.120 Es folgten Einladungen zu Festivals, beim Wettbewerb um die besten Stücke des Jahres am Theater in Mühlheim gewann »Verrücktes Blut« 2011 den Publikumspreis. Als größte Auszeichnung gilt die Einladung zum Berliner Theatertreffen, das als einer der Höhepunkte des Theaterjahres die zehn »bemerkenswertesten« Inszenierungen des deutschsprachigen Raumes kürt und sich mit der Einladung des Ballhaus-Stückes auch das erste Mal für die »freie Szene« öffnete. Konnte davor noch ein Spaziergang im Kreuzberger »Kiez« spontan in einen Theaterbesuch münden, waren die Vorstellungen seitdem meist lange im Voraus ausgebucht. Vorbestellungen im Internet führten nun vorwiegend Kreditkartenbesitzer_innen ins Ballhaus.121 Von der gesteigerten Aufmerksam profitierte auch »Schnee«, obwohl sich dessen mediale Rezeption auf Berlin beschränkte.122 Im Folgenden wird »Schnee« vornehmlich bezüglich der inhaltlichen Verhandlung von Islamisierung untersucht, »Verrücktes Blut« eher zur Veranschaulichung der identitätspolitischen Positionierung herangezogen.

»Verrücktes Blut« (2010) »Verrücktes Blut« ist die wörtliche Übersetzung von »delikanlı«, einer vieldeutigen türkischen Bezeichnung für den Energieüberschuss junger Männer.123 119 Höbel 2010. 120 Erpulat, Nurkan/Hillje, Jens (2010): »Verrücktes Blut«, Theater der Zeit, November, 4961. Im Folgenden zitiert als Verrücktes Blut. 121 Kontny, Oliver (2011): Vortrag über das Ballhaus Naunynstraße, Ringvorlesung »Europe in Move: Intersections, Interactions, Interventions in Artistic Practice«, Institut für Künste und Medien, Universität Potsdam, 12.5. 122 An der Entwicklung von »Verrücktes Blut« war ich als Dramaturgieassistentin beteiligt. Beide Inszenierungen wurden am Maxim-Gorki-Theater weitergespielt, »Schnee« in einer stark überarbeiteten Version. 123 »Das Wort delikanlı benutzt man in der türkischen Umgangssprache für junge Leute zwischen Pubertät und noch frischem Erwachsengewordensein. Viele meinen damit Halbstarke mit dieser in unzähligen Filmen zelebrierten und an Straßenecken der ganzen Welt ausgelebten Mischung aus Coolness und Unberechenbarkeit. Delikanlı kann

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Im Sommer 2010 bekräftigte das Buch »Das Ende der Geduld« der Neuköllner Jugendrichterin Kirsten Heisig124 das Bild von jungen, vorzugsweise männlichen Migranten als latent gewalttätig und inhärent kriminell,125 das durch jahrelange Berichterstattung über »Ausländerkriminalität« und Ehrenmorde, spätestens seit der unrühmlichen Medienpräsenz der Rütli-Schule, zum Repertoire der Einwanderungsdebatte gehört.126 Eine chaotische Schulklasse par excellence präsentiert der erste Akt von »Verrücktes Blut«. Mit aller Kraft boykottieren sie den Friedrich Schiller gewidmeten Projekttag. Als Musa, dem Klassenrüpel, eine mitgebrachte Pistole aus der Tasche fällt, ergreift Lehrerin Sonia Kelich die Waffe. Nach kurzer Verwirrung nutzt sie die Gelegenheit, den Schülern endlich Schillers Idee von der ästhetischen Erziehung nahezubringen: Der Mensch soll im Spiel und durch das Spiel lernen, was sie im zweiten Akt in die Praxis umsetzt: Mit vorgehaltener Waffe zwingt sie ihre Schüler zum Spiel verschiedener Szenen aus den Dramen von Schiller. Das Einfühlen in die Figuren soll sie dazu bringen, die Erkenntnisse der Aufklärung im Theaterspiel nachzuvollziehen und sich im Zuge dessen anzueignen. Die Spielebenen der Unterrichtssituation, der Geiselnahme und der Schiller-Szenen als Spiel im Spiel gehen dabei ineinander über. Das Ensemble besteht neben zwei ausgebildeten Schauspielerinnen erstmals auch aus Schauspielanfänger_innen. Regisseur Erpulat greift ein bereits in »Lö Bal« erprobtes inszenatorisches Rezept wieder auf: Die spannungsgeladene Spielsituation der Geiselnahme wird durch chorisch arrangierte deutsche Volkslieder aufgebrochen, die die Szenen voneinander abtrennen. Dabei handelt es sich teils um wohlbekanntes deutsches Liedgut wie »Wenn ich ein Vöglein wär’«, teils um in Vergessenheit geratene Werke des frühen Deutschnationalismus wie »Gelübde« mit Texten wie: auch eine bestimmte Form von Ritterlichkeit bezeichnen, für Robin-Hood-mäßige Tapferkeit. Die, für die man Mut der halsbrecherischen Sorte braucht.« Haakh, Nora (2010): »Ruhrtriennale-Blog«, Kulturkenner, http://blog.kulturkenner.de, 22. August. 124 Heisig, Kirsten (2010): Das Ende der Geduld: Konsequent gegen jugendliche Gewalttäter, Freiburg. 125 Für einen genaueren Blick auf die Entstehung der Debatte um die stark mediatisierten Äußerungen von Berliner Jugendlichen nach dem Mord an Hatun Sürücü vgl. Ewing 2008, 151f. 126 Vgl. weiterführend zu problematisierter Männlichkeit Ewing (2008), GuénifSouilamas/Macé 2004, sowie allgemein Connell, Robert (1999): Der gemachte Mann: Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen.

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Ich hab mich ergeben/mit Herz und mit Hand/dir Land voll Lieb’ und Leben/mein deutsches Heimatland.127 Über der Bühne hängt, einem Damoklesschwert der Bildungsbürgerlichkeit gleich, schief an Seilen befestigt ein Flügel, dessen Tasten sich zur Musik bewegen. Immer wieder ertönt ein Knarzen, als sei er im Begriff, auf die Bühne zu stürzen. Diese besteht aus einem erhöhten, quadratischen Podest mit matt spiegelndem Boden. Die Ränder sind mit Neonröhren versehen, die, ab Beginn der Geiselnahme erleuchtet, die Abtrennung der Bühne vom Theaterraum bzw. des Klassenzimmers von der Außenwelt unterstreichen. Als Requisiten genügen gewöhnliche Schulstühle und zahllose gelbe Reclam-Hefte.

Abbildung 5: »Verrücktes Blut«, Foto: Ute Langkafel MAIFOTO.

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von Hans Ferdinand Maßmann (1797-1874), Philologe und Aktivist in der Jahnschen Turnerbewegung, zitiert nach Ballhaus Naunynstraße/Ruhrtriennale (Hg.) (2010): Verrücktes Blut, Programmheft, Duisburg/Berlin, 35.

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»Schnee« (2010) Orhan Pamuks Roman »Kar« (2002), in Deutschland in der Übersetzung »Schnee« 2005 erschienen, ist eines der bekanntesten Werke des Schriftstellers, der 2006 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Der Roman zeichnet anhand der Erlebnisse des in Deutschland lebenden Dichters Ka im ostanatolischen Provinzstädtchen Kars die Machtkämpfe zwischen Militär, Säkularisten und Islamisten nach, die das politische Geschehen der Türkei in den 1990er Jahren bestimmten. Im Mittelpunkt stehen die Selbstmorde junger Frauen im Zusammenhang mit dem Kopftuchverbot an Universitäten, deren politische Deutungen und Instrumentalisierungen. Regisseur Mican entschied sich bewusst für eine freie Adaption, die aktuelle deutsche Debatten als Ausgangspunkt nimmt: Nachdem ich das gesehen hatte [die Debatte um Sarrazin], war ich ein bisschen verzweifelt. Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht? Ich dachte, dass es viel spannender und interessanter wäre, wenn ich die Geschichte Pamuks in diesen deutschen Konflikt einbringen könnte.128 Mican und Kontny verlegten die Handlung vom anatolischen Kars in ein fiktionales westdeutsches Städtchen mit Namen Karsberg, dessen Bewohner angesichts sozialer Misere zunehmend Zuflucht in der Hinwendung zum Islam suchen. Dorthin kehrt der frustrierte Schriftsteller Ka zurück, um über die Selbstmordwelle unter jungen Kopftuchträgerinnen zu berichten – vor allem aber will er seine frisch geschiedene Jugendliebe Seide wiedersehen. Karsberg ist finanziell am Ende und politisch tief gespalten: HERBERT: Du hast ja keine Vorstellung, was aus unserer Stadt geworden ist. Unsere schöne Stadt ist erst verarmt und dann ist Islam gekommen. […] Die Islamisten sind gewieft. Sie gehen von Tür zu Tür, schenken den Frauen Töpfe, Orangenpressen, Seife, Milchpulver und Waschmittel. Und den Kindern stecken sie mit Stecknadeln Goldstücke an die Schultern. […] So fangen sie die Leute ein. Und die Leute fallen drauf rein. Und das sind keine Zugezogenen. Das sind unsere Müllers und Schmidts. Selbst Bösche ist Moslem geworden! […] Und die Heike trägt Kopftuch!129 128 129

Hakan Savaş Mican, zitiert nach Tsil (2011): »Umzingelt von Feinden: Orhan Pamuks ›Schnee‹«. Unique 54, 17-18, hier:17. Ich zitiere aus der unveröffentlichten Spielfassung, Stand 19.11.2010, im Folgenden: Schnee, hier: 5. Dem aufmerksamen Leser wird auffallen, dass lediglich die letzten drei

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Die Islamisten stehen unter der Führung von Grün, charismatischer Ideologe und Produzent von Streetwear-Mode. Seides Schwester Samt, Vorkämpferin der Kopftuchmädchen, die ihre Polit-Slogans mit Punkrock auf der Gitarre begleitet, unterstützt ihn tatkräftig. Ihnen gegenüber steht die Organisation »Freies Karsberg« für die Seides Ex-Mann Herbert als Bürgermeister kandidiert. Als der Leiter der örtlichen Schule wegen seines Vorgehens gegen verschleierte Schülerinnen durch die »Islamische Befreiungsfront der Rußlanddeutschen aus der Fränkischen Schweiz« tödlich verletzt wird, eskaliert die Situation: Eine gemeinsame Veranstaltung der gegnerischen Gruppen mündet in gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen der junge Koranschüler Johann getötet wird. Auch die aufkeimende Romanze zwischen Ka und Seide scheitert. Als Bühnenbild für das notorisch verschneite Karsberg dient eine Landschaft aus Schaumstoffquadern, die während des Spiels verschoben und zur Darstellung unterschiedlicher Räume und Gegenstände herangezogen werden. Während die meisten Kostüme unauffällig bleiben, stechen Grün und Samt modisch extravagant hervor: Grün trägt ausgestopften Fuchspelz zu engen Schlaghosen, Samts Minirock und dezente Kopfbinde glitzern beide leuchtend grün.

Islam als Grundlage politisierter Gruppengefühle Die Frage, welche Position der Islam in Karsberg einnehmen darf bzw. soll, wird verhandelt, indem er als zentrales Moment in verschiedene politische Bewegungen eingegliedert wird, die im kommunalen Wahlkampf in Erscheinung treten. Das Setting ist insofern utopisch, als die Islamisten in Karsberg bereits breiten Rückhalt gefunden haben – zumindest wird Grün von Herbert als ernstzunehmender Konkurrenz bei den Wahlen wahrgenommen. Das Stück bietet so eine Versuchsanordnung, in der die von Islamkritikern prognostizierte und gefürchtete Ausbreitung des Islams in Europa experimentell weiter durcherxerziert wird. Die »neue islamische Präsenz«130 in Karsberg ist dabei nicht durch Einwanderung, sondern durch Konversion zustande gekommen, wodurch die Sätze durch die Adaption hinzugefügt wurden, beim ersten Teil des Zitats handelt es sich um die wörtliche Übernahme aus der Romanvorlage. 130 Vgl. Tiesler 2006, 36f.

6. Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße

Abbildung 6: »Schnee«, Foto: Ute Langkafel MAIFOTO.

Islam-Thematik vordergründig von der Integrationsdebatte entkoppelt wird. Die Identifizierung als Muslim wird so radikal vom Migrationshintergrund getrennt: Sämtliche Figuren werden über ihre Namen als autochthone Deutsche vorgestellt.131 Die der Islamisierung inhärente Dichotomie, die Muslim_innen und Deutsche in Opposition positioniert, wird so aufgedeckt und in Frage gestellt. Kontinuierlich tauchen Bezüge auf aktuelle Debatten auf. Während das Ereignis, um das sich die Handlung dreht – die Selbstmorde junger Kopftuchträgerinnen – Pamuks Vorlage treu bleibt, handelt es sich in der Adaption nicht um Universitätsstudentinnen, sondern analog zu deutschen Kontroversen um Schülerinnen, die den Schwimmunterricht in Badekleidung verweigern. »Ich sah das Ende der Geduld,«132 kommentiert Ka die gewalttätigen Ausschreitungen gegen Muslim_innen, und zitiert dabei die Neuköll-

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Aus İpek und Kadife werden in wörtlicher Übersetzung Seide und Samt, weitere Figuren erhalten plakativ deutsche Namen, z.B. Scheich Konrad Wahdadullah Schlüter, Imam Bösche, »die Heike trägt Kopftuch« etc. Schnee, 30.

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ner Richterin Kirsten Heisig.133 Auch die Ähnlichkeiten zwischen anti-islamischen Gruppierungen wie beispielsweise »ProKöln« und Herberts »Freies Karsberg« stechen ins Auge. Die Figur Grün, dessen Name auf die Symbolfarbe des Islam rekurriert, erinnert an den unter europäischen Muslim_innen berühmten, von Kritiker_innen als radikaler Demagoge angegriffen islamischen Theologen Tariq Ramadan, der ebenfalls als charismatischer Rhetoriker bekannt ist. Der Islam in Karsberg stützt sich dabei wesentlich auf Elemente eines »Pop-Islam«,134 der sich als trendige Subkultur auf Mode und neue Technologien stützt. Dabei bevorzugt Regisseur Mican in seiner Inszenierung Bilder, die islamische Motive aufgreifen und spielerisch umdeuten, wie wenn der Karsberger Gebetsruf auf Deutsch ertönt: »Allah ist der allerallerallerallergrößte«.135 Die Zuschauer folgen Ka auf seiner Odyssee durch die verschiedenen Gruppierungen und Milieus von Karsberg. Alle Charaktere versuchen, ihn für ihre jeweilige Sicht zu begeistern und zu instrumentalisieren, oder erhoffen sich vom weitgehend passiv bleibenden Ka den Anstoß zur Veränderung in einer stagnierenden Situation. Die beiden Hauptströmungen, die die politische Arena von Karsberg dominieren, werden durch die Figuren Herbert und Grün verkörpert, letzterer unterstützt von Samt, der feministisch-anarchistischen Anführerin der »Kopftuchmädchen.« Zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Aufladungen des Islam als Identifikationsgrundlage wird neben diesen noch detailliert auf die Figur des Koranschülers Johann eingegangen. Die Figuren illustrieren das Heranziehen des Islam als Grundlage für in einer erodierenden Gesellschaft attraktive Gruppengefühle und stehen stellvertretend für Islam als Globalisierungskritik, Islam als jugendliche Rebellion, und Islam als Feminismus. Die beiden politischen Gegenspieler Herbert und Grün führen den großen Missionserfolg in Karsberg auf die sozialen Missstände zurück. Unternehmen haben sich samt der raren Arbeitsplätze davongemacht, ganze Viertel wurden abgerissen, die Kürzungen staatlicher Mittel schlagen sich auf kommunaler Ebene im Zusammenbruch basaler Infrastruktur nieder. Die Islamisten nutzen die vorherrschende Frustration und finden mehr Anhänger, indem sie alternative soziale Netzwerke bereitstellen, die die gesellschaftliche Erosion

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Vgl. Heisig 2010. Vgl. Gerlach 2006. Schnee, 2.

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auffangen. Herbert sieht sich, vom Staat alleingelassen, als letzte Bastion gegen die die Islamisten, die die sozialen Missstände nutzen, um ihre Ideologie in der Gesellschaft zu verbreiten: HERBERT: Immer mußte ich auffangen, was Vater Staat gerade kaputt macht. Sie bauen die Sozialleistungen ab, wir müssen uns um die gescheiterten Existenzen kümmern, bevor die Islamisten mit ihren Saftpressen kommen und zack sind sie konvertiert. Die Krankenkassen zahlen keine Behandlungskosten mehr, wir müssen Selbsthilfegruppen gründen, bevor es die Islamisten tun. Aber sie tun es früher!136 Die Reminiszenz an Gruppierungen wie Hamas oder Hisbollah in der arabischen Welt, deren breiter Rückhalt in der Bevölkerung ebenfalls auf ein Monopol auf soziale Grundversorgung zurückgeführt wird, liegt auf der Hand. Herbert unterscheidet dabei konsequent zwischen der Bezeichnung »Islamist« für die politischen Anführer_innen der Bewegung und »Moslems« für die konvertierten Bürger_innen. Auch eine Antwort auf die vermeintliche Attraktivität des durch den Karsberger Islam bereitgestellten Gemeinschaftsgefühls formuliert er in bester Wahlkampfrhetorik: HERBERT: Wir beugen uns nicht dem Gruppenzwang. Wir sind auch eine Gruppe. Freies Haar für freie Bürger. Aufklärung statt Verklärung. Unsere Bürger werden den Fanatikern bei den Wahlen eine Ohrfeige verpassen. Wir werden den Islam mit demokratischen Mitteln besiegen.137 Grün hingegen begrüßt die Not als Katalysator für ein längst überfälliges Umdenken, und präsentiert den Islam als Grundlage für einen globalisierungskritischen Gegenentwurf, in dem Karsberg nur Modellprojekt für breitere Entwicklungen ist. GRÜN: Karsberg, das ist ein Ort, wo sich die Widersprüche im System offener zeigen als sonst wo. Das schwächste Glied in der Kette, wie Lenin gesagt hätte. Die Wirtschaft ist tot, es gibt keine Arbeit mehr, die sozialen und moralischen Bindungen sind kaputt, und der Konsumterror, der das Ego des Menschen aufpumpt und seine Seele in Ketten legt, ist wie von alleine abgeebbt, weil die Truppen des internationalen Finanzmarkts an andere, lukrativere Kampfplätze weiter gezogen sind. Der Samen des Glaubens ist

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Schnee, 36. Schnee, 6.

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hier in Karsberg auf fruchtbaren Boden gefallen, wo die Pestizidbomber der Aufklärung die Felder nicht mehr besprühen. In seinem bildhaften Vokabular finden sich Reminiszenzen an Klassenkampf, Jugendbewegung und Popkultur neben Anspielungen auf Koran und Sunna. Aufklärung wird von Grün auf die Seelenlosigkeit einer globalisierten Konsumgesellschaft reduziert, die die Menschen sich selbst und einander entfremde, die er jedoch durch Aneignung ihrer eigenen Mittel zu schlagen gedenkt: […] wenn Allah den Kosmos erschaffen hat, hat er auch die freie Marktwirtschaft erschaffen, und sie ist seine Gabe an uns Moslems. Wir nutzen sie gegen unsere Feinde, wie der Prophet s.a.v. die Kriegstechnologien des byzantinischen Reiches genutzt hat, um den grausamen Stammesfürsten von Mekka und Medina das Schwert aus der Hand zu reißen. Wir haben Shirts und Kapuzis produziert, die wirklich sitzen, made in Karsberg, nicht in China. High Quality For The Low Classes. Weil du es dir wert bist. Allah Loves You.138 Für den Bezug zu nostalgisch besetzter jugendlicher Rebellion steht die Figur des Schülers Johann, der durch verkindlichende Darstellung als Sympathieträger inszeniert wird. Von Ka erbittet er sich Kontakte zur Frankfurter Verlegern. Anders als sein Vorbild in Pamuks Roman schreibt er keine Romane, sondern zeichnet Comics, die er dem Genre »Islamic Science Fiction« zuordnet. JOHANN: Also, der Titel ist: »the struggle of Ali«. Das ist Ali. Und das sind Alis Eltern. Ali hat ein hartes Leben, weil seine Eltern ihm verbieten, zu Hause zu beten. Hier schmeißt seine Mutter seinen Gebetsteppich in die Mülltonne. Und da schneidet er das Deutschland Fußballtrikot von seinem Vater auf – darauf betet er hier. […] Und da sitzt Velvet im Klassenzimmer. Und Ali ist wahnsinnig in Velvet verliebt. Ali sieht sie immer nur von hinten, aber sie hat ein schönes Kopftuch auf. Und da ist Velvet im Negligé.139 Die zentralen Motive dieses Comics, den er für Ka und die Zuschauer_innen zusammenfasst, spiegeln seine eigenen Konflikte wider, was spätestens bei der Erwähnung des durchschaubaren Pseudonyms für seine Angebetete

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Schnee, 11. Schnee, 19.

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Samt deutlich wird. Auch hier geht also künstlerischer Ausdruck nicht über die Verarbeitung persönlicher Erfahrung hinaus, allerdings wird dies auf Johanns durch sein jugendliches Alter bedingte Emotionalität zurückgeführt. Diese offenbart er Ka, indem er sich islamisierter Motive so selbstverständlich bedient, wie der Spezial-Jargon von Subkulturen eben Teil des Vokabulars ihrer glühenden Anhänger ist. Das Gebet fungiert hier als Inbegriff trotzigen Widerstand gegen die als Kontrollversuche wahrgenommenen Regulierungsversuche der Eltern. Mit dem Islam assoziierte Motive werden in gängige und somit nostalgisch besetzte, breites Identifikationspotential bereitstellende Pubertätserzählungen eingegliedert, und so einer emotionalen Umwertung unterzogen. Hier ist es eben der Name des Prophetenenkels, der die als Alter-Ego konstruierte Comicfigur aufwertet, und der Gebetsteppich, durch dessen eigenmächtige Vernichtung weitreichende Rebellionsversuche des Kindes unterbunden werden sollen. Die Reaktion darauf verbindet Radikalität mit symbolischer Aufladung: Das für den Vater wohl emotional stark besetzte (denn warum sonst sollte es als Racheakt zerstört werden?) Fußballtrikot wird so in einem Zug als Gegenspieler zu Johanns Identifikationsgrundlage, dem Islam, konstruiert, zerstört und dafür angeeignet. Indem er es als Ersatz für den entsorgten Gebetsteppich verwendet, wird durch den spielerischen Umgang damit die symbolische der materiellen Ebene vorgezogen. Dabei verweist die Erwähnung des Fankults um die deutsche Fußballnationalmannschaft auf die Debatte um deutschen Nationalismus und die Zugehörigkeitsgefühle von Postmigrant_innen, die im Rahmen der Fußballweltmeisterschaft 2006 an Boden gewann. Samt, Johanns heimlich Angebetete, beansprucht hingegen unter Rückgriff auf linkspolitische Parolen Teilhabe am deutschen Nationalgefühl: SAMT: Randale auf der Straße, Streiks in der Fabrik, das ist unsere Antwort auf eure Politik. Islam – Kopftuch – Freiheit – Emanzipation, das ist der Weg unserer Deutschen Nation. Ihre Haltung ist rein reaktiv, sie bezieht sich ausschließlich in Abgrenzung auf die von ihr diagnostizierte Diskriminierung und Einschränkung von Muslim_innen durch die hegemoniale Mehrheitsgesellschaft, für die im Stück Herbert und seine Organisation »Freies Karsberg« stehen. Ihr erster Auftritt im Stück verläuft in Form eines Gedenkvideos für eine Selbstmörderin, die ihr lediglich als Anlass für politische Stellungnahme dient. Gleichzeitig geriert sie sich als Sprecherin der »Kopftuchmädchen«, aus deren Reihen die jugendlichen Selbstmörderinnen stammen, und die im Stück selbst nicht auf-

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tauchen. Sie spricht häufig in der ersten Person Plural und benutzt auch die Solidarbezeichnung »Schwestern«. SAMT: Hallo meine Lieben, dieses Video geht raus an Marianne. An die Marginalisierten Muslime Karsbergs. Während die islamophoben Affen in diesem Kaff weiterhin versuchen, uns, den Muslimas Karsbergs unser Recht auf Religionsfreiheit vorzuenthalten, schreitet der verachtete und verspottete Islam ruhig und sicher voran. In einem Land, […] das behauptet für die Freiheit und Gleichberechtigung von uns Muslimas zu kämpfen, werden jährlich 50.000 Silikongefüllte Kissen in weibliche Brüste eingenäht. In die Brüste der Frauen, die bis heute für die gleiche Arbeit 23 % weniger verdienen als ihre Männer. […] Wenn der Freitod die letzte Möglichkeit zur Selbstbefreiung meiner Schwestern ist, dann werden sie diese Möglichkeit wählen. Eine Schweigeminute für Marianne. Allah loves you.de140 Samt verweist inhaltlich auf klassisch feministische Agenden, indem sie Lohnunterschiede und die Schönheitsindustrie anprangert, was ihr dazu dient, die Bestrebungen um die Emanzipation von Muslimas als Lippenbekenntnis abzuweisen. Sie geht nicht darauf ein, wie das eingeforderte Recht auf Religionsfreiheit inhaltlich gefüllt ist oder sein sollte. Es geht weniger um eine Agenda, die verfolgt wird, vielmehr beschränkt sie sich darauf, die diagnostizierte Unterdrückung und Marginalisierung von Muslim_innen anzuprangern. Der Islam wird hier als Grundlage vorgeführt, an dem verschiedenste politische Richtungen und Ideologien andocken können. Die Verknüpfung von Gewaltbereitschaft und Islam bleibt zwar innerhalb deutscher Lokalbezüge, wird aber aus Karsberg selbst ausgelagert: Für das Attentat am Schulleiter zeichnet die »Islamische Befreiungsfront der Rußlanddeutschen aus der Fränkischen Schweiz« verantwortlich. Das im Primat der Islamisierung enthaltene angenomme Monopol des Islam auf politisierten und bedrohlichen Extremismus wird aufgebrochen. Während politische Überzeugungen in ihrem Konstruktionscharakter dargestellt werden, werden gleichzeitig islamisch assoziierte Symbole durch die Eingliederung in vertraute Ideologien einer emotionalen Umwertung unterzogen. Obwohl sich die in den beschriebenen Figuren verdichteten Gruppenidentitäten auf den Islam beziehen, werden damit einhergehende religiöse Praxen kaum verhandelt: Der vorgestellte Islam bleibt in sich leer. »Schnee« nähert 140 Schnee, 7.

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sich dem Thema Islam also grundlegend anders an als »Schwarze Jungfrauen«, das ausschließlich auf individuelle muslimische Lebensführungen eingeht, die teilweise in der Mehrheitsgesellschaft nicht einmal als solche sichtbar sind. Der Islam in »Schnee« ist hingegen inhaltlich kaum gefüllt, dafür in höchstem Maße performativ. Hier geht es weniger um das Ausleben religiöser Überzeugungen als um Sichtbarkeit und die Aneignung öffentlicher Räume und medialer Repräsentation. So spricht Grün vom Islam als einer neuen Subkultur, die sich strategisch an den Strukturen der »neuen Medien« orientiert. GRÜN: [Der Grundstock für den Samen des Glaubens] war für Karsberg der Scheich Konrad Wahdadullah Schlüter. Seine Lehre war ein Interface zur sozialen Kommunikation. Der Content liegt in deinem Herzen, du musst dich nur anmelden und einloggen, turn on, tune in and drop out. […] Das war dann wie Facebook, plötzlich sind all deine Freunde drin und du bekommst von überall Einladungen. Al-Umma al-Islamiyya – keeps you warm – hell yeah. […] In jedem Zeitalter gab es Menschen, die sich gegen das Neue gesperrt haben, erst haben sich die Swinger gegen Be-Bop gesperrt, dann die Be-Bopper gegen den Freejazz, dann die Freejazzer gegen Fusion, und dann die Fusion-Leute gegen den Rap. […] Die Feinde des gesprochenen Wortes, die Style-Hasser, haben sich so verhalten, wie sich Deutsche immer verhalten, wenn sie eine Neuerung nicht mitmachen wollten: Aggressiv und diffamatorisch.141 Als Gegenmaßnahme nutzt Herbert seine Kontrolle über die Medien in Form der Karsberger Tageszeitung, die schon heute die noch nicht eingetroffenen Ereignisse von morgen abdruckt. Sein Beitrag zum gemeinsamen »Bunten Abend«, das anti-islamische Theaterstück »Vaterland oder Kopftuch«, wirkt neben dem Internet-Sprech von Grün und Samt rettungslos veraltet. Die Beschreibungen, mit denen Herbert auf die aus seiner Sicht hoch gefährliche Ausbreitung des Islam in Karsberg hinweist, sind vornehmlich mit Fragen der Sichtbarkeit im öffentlichen Raum verknüpft, und somit auf symbolischer Ebene angesiedelt. Ein Muslim im »Allah Loves You«-T-Shirt sei Schützenkönig, ein Mädchen mit Kopftuch Schönheitskönigin geworden, beklagt Herbert die Symptome der fortschreitenden Ausbreitung des Islam unter der Karsberger Bevölkerung, »[…] wo soll das denn hinführen?«142 141 Schnee, 11f. 142 Schnee, 5.

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Obwohl auf die Virulenz sozialer Missstände als Kernproblem immer wieder hingewiesen wird, verbleiben Bestrebungen zu gesellschaftlicher Veränderung auf dieser symbolische Ebene. Dabei dient auch hier die Frage nach Sichtbarkeit und symbolischer Aufladung weiblicher Körper als Katalysator für die Auseinandersetzung.

Dekonstruktionen des Primats der Befreiung Momente der Vergeschlechtlichung, insbesondere das Motiv der »Befreiung«, bilden einen der Knotenpunkte in der Diskursformation der Islamisierung (vgl. Kap.3), die in der Debatte und den vorgestellten Theaterstücken immer wieder auftauchen. In »Schwarze Jungfrauen« wurde dieses Narrativ in Form von »Selbstbefreiungsbücher[n][,] Comics für bildungsarme Spießer« in reiner Abgrenzung vorgestellt: STUDENTIN: Das Moslemmädchen kommt in die europäische Metropole, es läßt sich den Wind der Freiheit um die ungepuderte Nase wehen, das Mädchen bekommt eine große Sehnsucht – es will in die Discothek, es will einen Freund, es will einen Job, es will den Discount-Schund kaufen, und es will sich endlich auch die Nase pudern. Da kommt das Moslemmädchen auf die Idee, daß es sich ein wenig ausziehen muß, um als tolle fremde Frau zu gelten. Also geht der Krieg gegen die Eltern und gegen die Männer los. Am Ende darf das kleine fremde Mädchen ein Proseccoglas in der Hand halten, und irgendwelchen anderen deutschen Mädchen seine Befreiungsgeschichte erzählen: Ja, ich war so schlimm unterdrückt, und jetzt, da ich alles Islamtürkische zum Teufel gejagt habe, darf ich mir die Nase pudern. Doch am Ende seiner Geschichte kommt immer die gleiche Pointe: Der Islam ist schlimm. Die westliche Freiheit ist toll.143 Die einzelnen Lebensgeschichten illustrierten hingegen die Unnötigkeit einer solchen Befreiung, der die »Jungfrauen« sich in ihren Erzählungen widersetzten. Sie wiesen auf die eigene selbstbestimmte Entscheidung bezüglich Lebensführung und (Nicht-)Auslebung von Sexualität hin, oder deklassifizierten die »westliche Freiheit«144 als kurzlebig hedonistisch bzw. ihrerseits inhärent sexistisch und daher wenig erstrebenswert.

143 Jungfrauen, 9. 144 Ebd.

6. Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße

Die Frage von Selbstbestimmung und der Notwendigkeit weiblicher Befreiung wird auch in der dritten Phase als konstitutives Moment für die Reflexion der Debatte beibehalten. So ist eines der Ideale, die die ambitionierte Lehrerin in »Verrücktes Blut« verficht, die »Selbstbefreiung« ihrer Kopftuch tragenden Schülerin Mariam. Im zweiten Akt hat sie sie bereits soweit gebracht, in der Rolle der Amalia aus Schillers »Die Räuber« ihren Mitschüler Hasan, hier als Franz von Moor aus dem gleichen Stück, ordentlich zu verprügeln um ihre Befreiung von der patriarchalen Gewalt durch ihre männlichen Mitschüler zu erleben. Ab einem gewissen Punkt scheint Mariam den Ausbruch durchaus zu genießen, sie schlägt auf Hasan ein, bis er am Boden liegt, wendet sich dann Stühlen und Textheften zu, die sie unter Gebrüll um sich schmeißt, begeistert angefeuert von ihrer Lehrerin. Als die sie auffordert, ihre Befreiung zu komplettieren, indem sie sich entschleiert, lehnt Mariam entschieden ab. Um sich dem Befehl der Lehrerin zu entziehen, versucht Mariam zunächst, den Blick auf die Motivation hinter der Aufforderung zu lenken. MARIAM: Was gefällt ihnen denn nicht an meinem Kopftuch? [LEHRERIN]: Es unterdrückt dich. MARIAM: Nein. [LEHRERIN]: Doch.145 Für die Lehrerin spielt Mariams Aussage keine Rolle, innerhalb der aufklärerischen Mission, die sie zu verfolgen meint, fühlt sie sich absolut im Recht. Die Entscheidung zwischen Kopftuch und Entschleierung ist innerhalb dieser Logik, die für sich Universalität beansprucht, keine Frage von Meinungen, sondern eine Frage von Richtig und Falsch. Die Lehrerin als beurteilendes und handelndes Subjekt, das Mariam in ihrer Objektposition festschreibt, wird somit unsichtbar gemacht, die ganze Argumentation scheint »natürlich« aus Mariams Zustand zu entspringen. Obwohl Mariam bereits die Stimme erhoben, Raum für sich beansprucht und sogar Gewalt angewendet hat, bleibt das Ablegen des Kopftuchs für die Lehrerin der einzige Indikator für Emanzipation, auch entgegen der expliziten Selbstverortung Mariams, die sie den auf gängige Floskeln rekurrierenden Suggestivfragen der Lehrerin entgegenstellt.

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Verrücktes Blut, 59. Für leichteres Verständnis wird die Figur der Lehrerin, im Text: »Sonia«, hier als »Lehrerin« bezeichnet.

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[LEHRERIN]: Ich möchte einfach, dass Du Dich frei entfaltest, als Mensch! MARIAM: Ich bin frei entfaltet. [LEHRERIN]: Bist du nicht. MARIAM: Bin ich wohl. [LEHRERIN]: Ein Scheißdreck bist Du! (richtet die Pistole auf sie)146 Unter dem Regime der Lehrerin kann Mariam nicht für sich selbst sprechen, denn jede Aussage, die nicht deren Erwartungen bestätigt, wird als weiteres Beweismittel für ihre Unterdrückung und somit die Notwendigkeit der Emanzipation (nach Frau Kelichs Spielregeln) gegen sie verwandt. Durch drastische Wortwahl macht Frau Kelich klar, was sie von Mariam hält, bis diese sich befreit haben und erst dadurch Mensch-Sein erreicht haben wird. Das Paradox eines Zwangs zur Selbstbefreiung erscheint der Lehrerin völlig legitim, sie will ja nur Mariams Bestes, nämlich »in deinen Augen diese Angst nicht mehr sehen«147 , ohne sich dessen gewahr zu werden, dass Mariams angsterfüllter Blick zuallererst der auf sie gerichteten Pistole gilt. Als selbst die sie nicht umstimmen kann, droht die Lehrerin, ihren Mitschüler Hasan zu erschießen, wenn Mariam sich weiterhin weigert, ihr Kopftuch abzulegen. Unter Tränen und einem »Guck weg, du Spast!« in Hasans Richtung beginnt Mariam, ihr Kopftuch zu lösen, bis Frau Kelich eingreift: SONIA: Stopp. Du machst es doch wieder für einen Mann. Du solltest es doch für Dich machen. Verdammt.148 Obwohl so das Paradox einer von außen geforderten Selbstbefreiung benannt wird, gesteht die Lehrerin hier lediglich ein, das falsche Druckmittel gewählt zu haben, die Mission an sich bleibt von ihr unhinterfragt. Der Prototyp der Befreiungsgeschichte, den die Lehrerin in die Tat umzusetzen versucht, wird in »Schnee« in Form des Theaterstückes, das Herbert während der interreligiösen Gedenkveranstaltung in Karsberg aufführt, auf die Bühne gebracht. Bereits der Titel »Vaterland oder Kopftuch« impliziert die Annahme von deren Unvereinbarkeit. Der Inhalt des Stücks wird im Umweg über Erzählungen der anderen Figuren wiedergegeben und in Auszügen bildlich dargestellt. SEIDE: Erster Akt – eine Frau mit furchtbar dunkler Burka kam auf die Bühne. Sie redete mit sich selbst und dachte nach. KA: Sie wirkte sehr unglücklich. SEIDE: Zweiter Akt – sie zog ihre Burka aus und erklärte sich für frei. 146 Verrücktes Blut, 46. 147 Verrücktes blut, 48. 148 Ebd.

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Jetzt war sie ohne Burka und glücklich. KA: Dritter Akt – Ihre Familie, ihr Verlobter und muslimische Männer mit Bart sprachen sich aus verschiedenen Gründen gegen diese Freiheit aus und versuchten, die Frau wieder in die Burka zu hüllen. Einer hob mit einer Hand einen Dolch und hielt mit der anderen die Frau fest, und – dann bin ich rausgegangen. SEIDE: Vierter Akt – Die junge Frau wurde gerettet von einem blonden Recken. Es war Herbert. Als er auf die Bühne trat, warfen sich die bärtigen Männer furchterfüllt auf den Boden. Herbert hielt einen Monolog an die deutsche Nation, die sich auf ihre christlich-jüdischen Grundwerte besinnen müsse. Der Islam gehöre nicht zu uns, und niemand könne uns unsere Freiheit nehmen.149 Herbert übernimmt alle Rollen, inklusive der zu befreienden Frau selbst. Das Theaterstück stellt in diesem Zusammenhang das politische Statement von »Freies Karsberg« dar, die sich also bei der Gelegenheit der öffentlichen Präsentation ihrer politischen Agenda ausschließlich auf die Kritik an islamischer Frauenunterdrückung beschränken. Dazu stehen sich in »Schnee« zwei Narrative gegenüber: Die Feministin Samt sieht in der sichtbaren Auslebung von Religion die Verwirklichung emanzipatorischer Freiheiten Herberts »Freies Karsberg« dagegen einen Angriff auf die demokratische Grundordnung. Deren gegensätzlicher Bezugsrahmen äußert sich auch darin, dass Herbert den Schleier als ganzkörperverhüllende Burka zeigt, während über Samts Kostüm, in der ihr Kopftuch aus einem schmalen Stück grünglänzenden Stoffs besteht, gezeigt wird, dass sie dessen Symbolcharakter über die Verhüllungsfunktion stellt. Für die Selbstbestimmung über die Verfasstheit weiblicher Körper, für die sie eintritt, legitimiert Samt den Selbstmord als finalen performativen Akt:150 SAMT: Meine Toten Schwestern waren individueller als alle anderen Individuen hier in Karsberg! Weißt du warum? Weil sie sich ganz allein entschlossen haben politisch zu handeln und ihrem Leben ein Ende zu setzen! […] Menschen nehmen sich nicht das Leben, wenn sie ihre Würde verloren haben, sondern wenn sie zeigen wollen, dass sie ihre Würde noch nicht verloren haben. Selbstmord als letzte, der von außen geforderten Variante entgegengesetzte Form von Befreiung anzusehen, impliziert, dass die soziale Regulierung so stark ist, dass die Vernichtung des eigenen Körpers

149 Schnee, 21. 150 Vgl. auch Spivaks Darstellungen zu weiblichem Suizid, Spivak 1988.

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paradoxerweise als einzige Möglichkeit erfasst wird, sich diesen wieder anzueignen.151 Eine andere Wendung des Motivs der Selbstbefreiung bietet »Verrücktes Blut« an, wenn das Motiv der Entschleierung zu einem späteren Zeitpunkt im Stück wieder aufgegriffen wird. Im dritten Akt wird die Lehrerin überwältigt, zufällig ist es Mariam, die die Waffe in die Hände bekommt. Sie orientiert sich am Vorbild der Lehrerin: Mit Hilfe der Waffe versucht sie, temporär eigene Utopien zu verwirklichen; so soll Musa, der Klassenrüpel, außer Gefecht gesetzt werden, indem er gefesselt wird – aber es ist nichts zum Fesseln zur Hand. Mariam zögert nur eine Sekunde, dann zieht sie in einer bis ins Absurde verlangsamten Bewegung ihr Kopftuch ab. Das hoch aufgeladene Symbol, für das sie, mit dem Befehl zur Entschleierung konfrontiert, hätte sterben wollen, ist in diesem Moment nur ein Stück Stoff. Da ihre selbstbestimmte Handlungsfähigkeit durch Waffengewalt garantiert ist, nutzt Mariam das Stück Stoff, das in den Augen der Lehrerin mit Unterdrückung gleichgesetzt ist, um Musa die Hände zu binden. Für diesen Moment wird das Tuch seiner eindimensionalen Symbolfunktion beraubt, ähnlich wie in der Perspektive von Berlin in »Schwarze Jungfrauen«, die ihre Abneigung gegen das Kopftuch rein pragmatisch begründet: BERLIN: [I]ch find die Schleier einfach unbequem im Alltag, ich würd’ ständig über den Mantelsaum stolpern, ich würd’ wegen des Kopftuchknotens am Hals keine Luft kriegen.152 In »Verrücktes Blut« folgt diesem Moment der symbolischen Entladung des Kopftuchs allerdings eine weitere Wendung: Der als spontan erfolgt und pragmatisch motiviert präsentierten Entscheidung zur Abnahme des Tuches folgt Mariams »Ausbruch«: Die tatsächliche Entschleierung wird in cineastischer Zeitlupe gezeigt und durch ausgiebiges, laszives Zurückwerfen der nun gelösten Haare im visuellen Codesystem klischierter Softpornoästhetik verortet, wodurch die mit der Idee der Befreiung verknüpfte voyeuristische Befriedigung thematisiert wird. Dann beginnt Mariam wild zu zittern, ein unkontrollierter Schrei bricht aus ihr hervor, sie befühlt ihr Haar, als sähe sie es zum ersten Mal, reißt sich die Jacke ab, befühlt ihre Brüste und vollführt mit ihrer Klassenkameradin Latifa einen wilden, körperbetonten Tanz. Die Pistole

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Schnee, 33. Jungfrauen, 26.

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hat sie mit einem lakonischen »Halt mal, du Affe« einem Klassenkameraden übergeben: Wenn die Selbstbestimmung über Körper und Handeln vollzogen ist, wird das Machtinstrument, das notwendig war, den Prozess in Gang zu setzen, nicht mehr gebraucht. Hier wird also eine »andere Befreiung« gezeigt, die durch die inszenatorische Anspielung auf Horrorfilmszenen monströser Mutationen daran gemahnt, dass deren Ergebnis nicht vorhersehbar ist. Der Schluss von »Schnee« geht im Vergleich zu diesem Alternativangebot noch einen Schritt weiter, denn dort wird eine fundamentale Infragestellung des Primats der Vergeschlechtlichung in der islamisierten Debatte an sich angeboten. Eine der Schlussszenen zeigt die politischen Akteur_innen, die darüber verhandeln, wie mit der Gewalteskalation umgegangen werden soll. Eine Lösung ist schnell gefunden: Dem getöteten Schüler Johann soll das Attentat am Karsberger Schulleiter angehängt werden, wodurch die Suche nach den tatsächlichen Täter_innen obsolet würde. Die verschiedenen Parteien stellen so die Aufrechterhaltung der eigenen Machtposition über eine Konfrontation der bestehenden Konflikte. Erst ganz am Schluss des Stücks, als Samt ihren Ausschluss aus dem Entscheidungsprozess realisiert, benennt sie den »Fehler im System«: SAMT: Ihr führt einen ganzen Kommunalwahlkampf über die Frage, wie ich denn bitteschön auszusehen habe, wenn ich in ein Schwimmbad gehe, das faktisch nicht mehr existiert, weil die Stadt keine Gelder hat, um den Bäderbetrieb aufrecht zu erhalten. Das hat keiner von euch beiden Affen thematisiert!153 Die Schwimmhalle wird mangels öffentlicher Gelder längst nicht mehr betrieben, der Schwimmunterricht über dessen Bekleidungsvorschriften so intensiv gestritten wurde, wird in Form eines grotesken Trockenschwimmens betrieben. Die Kontroverse, die die Regulierung weiblicher Sexualität in den Vordergrund stellt, verschleiert gesellschaftliche Missstände auf breiter ökonomischer und sozialer Ebene, die nicht verhandelt werden.

Bühne und Gesellschaft Beide Stücke der dritten Phase präsentieren Prozesse der Aushandlung gesellschaftlicher Identität, die an öffentlichen Orten vorgenommen werden. In »Verrücktes Blut« ist es die Schule, während in »Schnee« die städtische 153

Schnee, 34.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Schwimmhalle als der zentrale Ort der Handlung und Auseinandersetzung präsentiert wird: Schülerinnen bleiben sitzen, weil sie verhüllt zum Schwimmunterricht erscheinen, was als Grund für das Attentat auf den Schuldirektor angeführt wird; die Islamisten wollen aus der Halle eine Moschee machen, Herbert dies unbedingt verhindern. Die Schwimmhalle ist auch der Ort, an dem die gemeinsame Gedenkveranstaltung abgehalten wird, die in gewalttätige Ausschreitungen mündet. In beiden Stücken verwandeln sich diese öffentlichen Orte in Theaterräume, was in den Vorlagen nur angelegt ist, in den Adaptionen hingegen genüsslich weiterentwickelt wird. So ist das Setting des Theaterunterrichts in der Filmvorlage für »Verrücktes Blut« zwar enthalten, spielt aber während der Geiselnahmesituation keine Rolle mehr, während die Adaption maßgeblich auf dem im Film nur strukturell angeschnittene Paradoxon – spielen müssen – aufbaut. Sowohl die Lehrerin als auch der konservative Politiker Herbert, der sich von seiner Aufführung von »Vaterland oder Kopftuch« in der Karsberger Schwimmhalle propagandistische Erfolge verspricht, erwarten vom Theater Anstoß zu Veränderungen. Das Theater wird so in seinem widersprüchlichen Anspruch, als bessernde Lehranstalt zu wirken, zur Debatte gestellt – womit das Ballhaus Naunynstraße implizit auch sich selbst zur Diskussion freigibt. In beiden Stücken verschwimmen mit dem Spiel im Spiel auch verschiedene Erzählebenen. Als während Herberts Theatervorstellung in »Schnee« bekannt wird, dass das Attentatsopfer, das den Anlass zum »friedlichen Zusammenkommen« der verfeindeten Parteien bot, seinen Verletzungen erlegen ist, wird die als Theatersaal genutzte Schwimmhalle der Ausgangspunkt für gewalttätige Krawalle gegen Karsberger Muslim_innen. Dabei vermischen sich die Spielebenen in der Figur von Herbert und der gerade von ihm im Spiel im Spiel dargestellten »Retterfigur«: SEIDE: Inmitten des Monologs trat aufgeregt der Moderator an Herbert heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. HERBERT: »Ehrenvolle Deutsche Nation! Sei unbesorgt. Reaktionäre, Geschmeiss, spinnwebverhangene Köpfe können den Lauf der Geschichte nicht aufhalten. Hände, die sich feindlich gegen die Freiheit und den Fortschritt recken, werden gebrochen werden! Wir haben soeben erfahren, dass der Direktor des Kautsky Gymnasiums Norbert Meier im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen ist. Dieser fei-

6. Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße

ge Mord wird der letzte Angriff auf die islamfreie Zukunft Deutschlands gewesen sein!«154 Während so die Grenzen zwischen Theater und gesellschaftlicher Realität innerhalb der Erzählung angesprochen werden, wird in »Verrücktes Blut« auch das Prekäre des konkreten Theaterraums Ballhaus Naunynstraße ins Spiel gebracht. Im Gegensatz zu den anderen Inszenierungen, in denen die klare Trennung von Bühne und Zuschauerraum höchstens kurzfristig durch direkte Ansprachen überbrückt wird, ist der Bühnenraum in »Verrücktes Blut« nicht mehr nur den Figuren vorbehalten: Hinter ihnen tauchen die Schauspieler_innen auf. Wenn die Zuschauer_innen den Saal betreten und langsam ihre Plätze aufsuchen, sind sie schon da, sitzen in privater Kleidung auf den Stühlen, die rund um das Bühnenpodest aufgebaut sind, unterhalten sich, treten auch teilweise mit dem Publikum in Kontakt. Unter den Augen der Zuschauer_innen wechseln sie in ihre Bühnenkleidung, erst auf der Bühne wird der Eintritt der Schauspieler_in in die Figur demonstrativ vollzogen, indem sie stark übertriebene Posen einnehmen, die wildeste Klischees von »Ghettokids« zelebrieren: Sie kratzen sich im Schritt, kreischen ins Telefon, spucken und pöbeln Richtung Publikum, immer unterbrochen von einem Moment der Stille zurück in privater Haltung mit offenem Blick ins Publikum. Die Trennung zwischen Schauspieler_in und Figur wird am Ende des Stücks wieder aufgegriffen, als die Lehrerin kurz davor ist, Klassenrüpel Musa zu exekutieren. Die Pistole ist schon an seiner Schläfe angelegt, als sie langsam den Arm sinken lässt und die Spielebene wechselt: [LEHRERIN]: Was mache ich hier? Was spielen wir? Für wen? Ich fühle mich… (blickt ins Publikum) Ich fühle mich beobachtet. Ich bin… was bin ich? Es tut mir leid… Was machen wir? Es tut mir wirklich leid. Musa, kusura bakma, (löst seine Fesseln) canin yaktim galiba. Cocuklar, kusura bakmayin. MUSA: Canim ne önemi var? FERIT: Bazen geliverir öyle bosver. [LEHRERIN]: Ey, ich hab grad echt kein Bock mehr. Immer diese Kanakenselbsthassnummer, das steht mir echt bis hier. Was bringt das denn? Bak iste bunlara oynuyoruz. Cok birsey anladilar sanki… .155

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Schnee, 30. Verrücktes Blut, 61. Im Original ohne türkische Sonderzeichen. Korrekt: »[LEHRERIN]: Musa, kusura bakma, (löst seine Fesseln) canını yaktım galiba. Çocuklar, kusura bakmayın. (Deutsch: Musa, verzeih. Ich habe wohl deinem Herzen Schmerzen zugefügt.

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Sie »erwacht« wie aus einem Rausch, was eben noch einvernehmlich als theatrale Handlung gelebt wurde, wird nun als das herausgestellt, was es ist: Als Spiel für ein Publikum, für und mit dessen Erwartungen. Gleichzeitig wird im Raum eine neue Trennung aufgemacht: Indem sie auf der Bühne türkisch spricht, teilt sich der Zuschauerraum entlang anderer Wissenshierarchien, nun ist es das theatererprobte Mehrheitspublikum, dass auf seine Unwissenheit zurückgeworfen wird, während die türkischsprachigen Zuschauer_innen nicht nur verstehen, was gesagt wird, sondern auch erkennen, dass es sich bei den angeführten Sätzen um wohlbekannte, in türkischen Arabesk-Filmen das »Happy End« einleitende Floskeln handelt. Das türkischsprachige Publikum erkennt einen ironisiert spielerischen GenreWechsel, wo für das Mehrheitspublikum nur ein »Ausstieg aus dem Spiel« sichtbar ist. Dies wird allerdings im nächsten Moment gebrochen: »Schaut, für die spielen wir. Sie denken, sie haben total viel verstanden«, lästert die Figur, die eben noch die Lehrerin war, auf türkisch über das Publikum. Der nicht-türkischsprachige Teil bekommt nur mit, dass über sie gesprochen wird. Die Situation gestattet den postmigrantischen Schauspieler_innen, sich kritisch von der geleisteten Arbeit zu distanzieren. [LEHRERIN]: Lass uns aufhören! Die Schuhe drücken wie Sau. Die Perücke löst sich auch langsam auf. Außerdem hab ich Hunger. […] FERIT: Ja Mann, außerdem ich schwitze, ich stinke, (ab hier alle Sätze zum Publikum) hep aynem bok bu teater [dt.: immer die selbe Scheiße, dieses Theater […] MARIAM: Es reicht auch mit Kopftuch, ich hab keinen Bock mehr eure Kümmeltürken zu spielen. Ich mach jetzt nen Tarantino-Film…[…] HAKIM: Kacinci oynadigim Kanacke rolü [dt.: immer spiele ich Kanakenrollen], […] MUSA: Benim de… Hep adam vur, döv, öldür… Normal bir rol oynayamadim…156

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Kinder, nichts für ungut.) MUSA: Canım ne önemi var? (Meine Liebe, wen kümmert’s?) FERIT: Bazen geliverir öyle boşver. (Solche Dinge passieren mitunter, mach dir darüber keine Sorgen.) [LEHRERIN]: Ey, ich hab grad echt kein Bock mehr. Immer diese Kanakenselbsthassnummer, das steht mir echt bis hier. Was bringt das denn? Bak işte bunlara oynuyoruz. Çok birşey anladılar sankı… (Schaut, für die spielen wir hier. Sie denken, sie verstehen total viel…). Meine Übersetzung. Ebd. Im Original ohne türkische Sonderzeichen. Korrekt: FERIT: Ja Mann, außerdem ich schwitze, ich stinke, (ab hier alle Sätze zum Publikum) hep aynem bok bu teater [dt.: immer die selbe Scheiße, dieses Theater, N.H.] […] MARIAM: Es reicht auch mit Kopftuch, ich hab keinen Bock mehr eure Kümmeltürken zu spielen. Ich mach jetzt nen Tarantino-Film…[…] HAKIM: Kaçıncı oynadığım Kanacke rolü [dt.: Zum wievielten Mal spiele ich die Kanakenrolle […] MUSA: Benim de… Hep adam vur, döv, öldür… Normal

6. Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße

Die Verhandlung einer beträchtlichen Bandbreite von Stereotypen über Jugendliche mit Migrationshintergrund sowie des Wunsches, sie durch die Werte der Aufklärung zur Vernunft zu bringen, wird so umrahmt durch die Thematisierung der Rolle der Schauspieler_innen, ihrer Möglichkeiten und der Erwartungen des Publikums. Neben allgemeinen Problematiken der Schauspielerei wird vor allem die Fixierung als postmigrantische Schauspieler_in auf bestimmte Rollen thematisiert, deren Einseitigkeit als »Kanakenrollen«, »Kümmeltürken« und Verbrecherfiguren kritisiert wird. Der letzte Schuss, der fällt, wird ins Publikum abgegeben, lächelnd wendet die Lehrerin sich abschließend den Zuschauern zu: »Der Unterricht ist beendet.«157 Nicht nur die Figuren der Schüler sollen sich, im Sinne Schillers, durch das Theater selbst verwirklichen, auch das Publikum angesichts der Lehranstalt Theater Lernbereitschaft zeigen.

Wer spricht (über) Deutschland? Als Vorlagen dienen in beiden Fällen Werke, die, auf sehr unterschiedliche Weise, zum klassischen Hochkultur-Kanon gezählt werden dürfen: Der erfolgreiche französische Film »La journée der la jupe« wurde mit Ausschnitten aus Theatertexten und philosophischen Schriften von Friedrich Schiller ergänzt. Bei »Schnee« handelt es sich um den Roman, in dem Orhan Pamuk sich am offensten kritisch mit der türkischen Gesellschaft auseinandergesetzt hat, und der als maßgeblich für die Verleihung des Nobelpreises angesehen wird.158 Die Adaption erfolgreicher Vorlagen ist kein leichtes Unterfangen – daraus eine kreative Eigenleistung zu schustern, verlangt, der Qualität der Vorlage gerecht zu werden (und ein hoher Bekanntheitsgrad der Originalvorlage lenkt die kritischen Blicke automatisch in Richtung Vergleich) und dem Stoff eine neue und eigenständige Qualität zu entlocken. Dies ist die übliche Herangehensweise zeitgenössischer Stadt- und Staatstheateraufführungen – wenn auch nicht bei (post-)migrantischen Kulturprojekten (vgl. Kap.

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bir rol oynayamadım… [dt.: Ich auch… Jeder Mann schlägt, prügelt, tötet… ich habe keine normale Rolle spielen können…, N.H.] Verrücktes Blut, 61. Nebenbei ist durch die Figur des Ka, der auch im Roman als almancı, als türkischer Besuch aus Deutschland dargestellt wird, der Hinweis auf deutschtürkische Verflochtenheiten angelegt.

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4). Auch die postmigrantische Theaterinitative punktete zuvor, wie oben gezeigt wurde, eher mit Projekten, die als Formen von Dokumentartheater eher als »Selbstdarstellung« denn als Intervention gesehen werden konnten. Hier wird nun ausgiebig Schiller angewandt und interpretiert, auch in »Schnee« wird durch die Figur des jugendlichen Comiczeichners Johann, der aus dem »Westöstlichen Diwan« seines Namensvetters zitiert,159 auf klassisches deutsches Bildungsgut zurückgegriffen. Dramaturg Jens Hillje bezeichnete diese Taktik als »kulturellen Diebstahl«.160 Das macht ja, denke ich, für den deutschen Zuschauer die Ambivalenz des Abends aus: Einerseits freut er sich, seinen Schiller da glühen und blühen zu hören, andererseits wird er ihm aber auch weggenommen. […] [Gleichzeitig gibt es] Momente von Selbstermächtigung, der Aneignung von Sprache, die zwar [für die Schauspieler] die eigene ist, die ihnen aber nicht immer gestattet wird, als die eigene zu betrachten. […] Und wenn sie plötzlich zu Schillers »Räubern« werden, dann wird aus muslimischen migrantischen Jugendlichen traditionelle deutsche Problemjugend.161 Neben der Bereitschaft, sich ungeniert am Kanon zu bedienen, bieten die Beteiligten nun eigene Interpretationen bestehender Texte, die auf aktuellste Knotenpunkte der gesamtgesellschaftlichen Debatte angewandt werden. Aussagen der Vorlagen werden zwar aufgegriffen, aber gleichzeitig vielfach gewendet: Beide Stücke nutzen die Weiterentwicklung der Vorlage, um sich mit Extremsituationen am Rand deutscher Gesellschaft auseinanderzusetzen und verhandeln dabei auch (in »Schnee« zentral, in »Verrücktes Blut« eher am Rande) die Rolle der Religion Islam im sozialen Gefüge. Bestimmte Positionen der islamisierenden Debatte sind deutlich erkennbar. Auf diese wurde zwar auch in den früheren Stücken Bezug genommen, jedoch immer in simultan verdeutlichter Abgrenzung. Wenn die Studentin in »Schwarze Jungfrauen« etwa gängige Narrative von islamkritischen »Selbstbefreiungsbüchern« zusammenfasst, werden sie nicht nur durch die persönliche Wertung aus Sicht der Studentin, sondern unter Rekurs auf eine mehrheitstaugliche Argumentation diskreditiert:

159 z.B. Schnee, 31. 160 Jens Hillje, zitiert nach Behrendt, Eva et al. 2011, 17. 161 Ebd.

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STUDENTIN: Natürlich zähle ich diese Schlampen zu meinen Feinden. […] Sie betreiben ein kleines mieses Geschäft: es bringt ein bißchen Geld, ein bißchen Ruhm. Morgen sind sie schon vergessen […].162 Die personifizierende Darstellung einer islamisierenden Sprechpositionen tauchte auch in Erpulats »Lö Bal Almanya« (2010) auf: Die Figur der Preisträgerin in einer der letzten Szenen bestreitet einen Vortrag, in dessen Verlauf sie mit Preisen und Orden überhäuft wird, fast ausschließlich aus Zitaten der Soziologin und »Islamkritikerin« Necla Kelek. PREISTRÄGERIN: Der Einzelne ist per Geburt Muslim, wie ein anderer große Ohren oder blonde Haare hat. Der Islam kennt keine Hierarchie, keinen Klerus, keine verbindliche Lehre, sondern nur die Tradition! Er kennt keine Individualität, sein Menschenbild ist nicht gerüstet für die Moderne! ZUHÖRER: Aber, die Religionen unterliegen wie alle Ideen dem gesellschaftlichen Wandel, das haben Sie geschrieben! PREISTRÄGERIN (unterbricht ihn): Ich spreche hier als Muslimin […]!163 Hier erfolgt die Abgrenzung durch die Ausstellung der essentialisierenden Aussagen, die durch das Zusammenschneiden der aus dem Kontext gerissenen Sätze sowie dem schauspielerisch ins Groteske überspitzten Vortrag unterstrichen wird. Zusätzlich werden sie durch die Gegenüberstellung gegensätzlicher Aussagen Keleks relativiert. Die Figuren des konservativen Politikers Herbert oder der Lehrerin Frau Kelich (auch hier steckt im Figurennamen eine Anspielung auf Kelek), die selbst nur das Beste für ihre Schüler_innen zu verfolgen meint, vertreten ihre Positionen hingegen überzeugend, die logischen Brüche innerhalb ihres Verhaltens müssen selbst erkannt werden. »Verrücktes Blut« basiert darauf, dass sich der Spannungsbogen konstant auf dem schmalen Grat zwischen Verständnis für die Motivation der Lehrerin und Entsetzen über die Wahl ihrer

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Jungfrauen, 9. Lö Bal, 28. Die Preisträgerin zitiert wörtlich aus Kelek, Necla (2009): »Muslime missbrauchen Rassismusbegriff: Der menschliche Makel«, Die Tageszeitung, 15.3, www.taz.de/!31846/ (31.7.2011); dies. (2007a): »Integration der Muslime: Bist du nicht von uns, dann bist du des Teufels«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.4., www.faz.net/artikel/C31315/integration-der-muslime-bist-du-nicht-von-uns-dannbist-du-des-teufels-30100225.html (31. Juli 2011); dies. 2007b. Der Einruf des Zuhörers bezieht sich auf dies. (2002): Islam im Alltag: Religiösität und ihre Bedeutung in der Lebenswelt von Schülerinnen und Schülern türkischer Herkunft, Münster, 85.

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Mittel bewegt. Obwohl besonders in Erpulats Inszenierung mit Überspitzung gearbeitet wird, bleibt die Darstellung der Figuren menschlich und erlaubt ein empathisches Mitfiebern auch mit islamisierenden Positionen, was in »Lö Bal« oder »Schwarze Jungfrauen« effektiv unterbunden wird. In der dritten Phase geht es also nicht mehr darum, dem Publikum Einblick in »verborgene Welten« zu geben, als falsch empfundene Darstellungen als solche zu markieren und dadurch zu kompensieren, wie nicht über Einwander_innen gesprochen wird. Stattdessen reflektieren die Stücke, wie von Postmigrant_innen die Rede ist und halten somit dem Mehrheitspublikum einen Spiegel vor. Die Stücke befassen sich mit den Themen Integration und Islam in Deutschland nicht deskriptiv, sondern diskursiv, sie stellen in der deutschen Debatte vorherrschenden Redefiguren dar und untersuchen diese Motive, wie Regisseur Erpulat hervorhebt: Mir war es wichtig, eine bestimmte Sichtweise auf die Jugendlichen erst mal zu zeigen, um sie dann wieder dekonstruieren zu können. Ich inszeniere nicht, wie sie sind, sondern wie sie betrachtet werden.164 Bei dieser Positionierung handelt es sich um konstruktive Interpretationen der gesellschaftlichen Situation, die von der Grundlage selbstverständlichen Rückgreifens auf und Hantierens mit gesamtgesellschaftlichen Ressourcen aus getätigt werden, und die Übersetzungsposition der »authentischen Stimme« verweigern: Was ist die Realität? Kennen Sie die Jugendlichen oder einen davon? Darum geht es. […] Welche Bilder haben wir im Kopf, welche Bilder davon sind die Wirklichkeit? […] [I]ch weiß ganz genau, dass die Realität in den Augen so ist. Das ist es. Darum geht es im Theater.165 Das Theater stellt, wie anfänglich erwähnt wurde, »eine der radikalsten Formen der Erprobung des Sozialen«166 dar (vgl. Kap. 1). Der Theaterwissenschaftler Matthias Warstat sieht das Verhältnis von Theater und Gesellschaft auf drei Ebenen angesiedelt: Neben seiner als Schauplatz sozialer Interaktionen verankerten Eigenschaft als gesellschaftlicher Ort kann, was das Theater

164 Nurkan Erpulat, zitiert nach Wildermann 2010, 48. 165 Nurkan Erpulat, zitiert nach Schwengsbier, Jutta (2010): »Das Leben mit den Anderen: Vom Umgang mit Migranten«, NDR Inforadio, 8.11. 166 Baecker 2005, 10.

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zeigt, entweder als Ausnahme von der Gesellschaft oder aber als Modell für sie betrachtet werden.167 Auf die beiden letzten Möglichkeiten greift das Ballhaus in den verschiedenen Phasen aktiv zurück: Überwiegt in den ersten beiden Phasen die Nutzung des Theater als Schaufenster für marginalisierte Perspektiven, so liegt der Fokus in der dritten Phase auf dem Theater als Versuchsanordnung, in der verschiedene Sichtweisen auf gesellschaftliche Kontroversen experimentell durchgespielt werden. Letztlich bleibt es jedoch auf das Theater als Schauplatz eben derer gesellschaftlicher Interaktionen zurückgeworfen, die es kritisch reflektiert: Im Kontext des Erfolgs von »Verrücktes Blut« haben sich Kontroversen ergeben, die daran gemahnen, dass es nicht ausreicht, Inhalte und Perspektiven sprechbar zu machen – sie müssen auch verstanden werden können. Warum ist das Stück nun so erfolgreich? Weil es sehr gut ist, würde ich gerne sagen. Das stimmt auch, aber die anderen Arbeiten von Erpulat sind es auch. »Lö Bal Almanya« zum Beispiel, ein Stück über fünfzig Jahre Gastarbeiter/innengeschichte. Was ist mit »Jenseits – bist du schwul oder bist du Türke?« Ganz zu schweigen von anderen Produktionen vom Ballhaus, die immer politisch, immer aktuell, immer auf den Punkt sind? Was ist das mit »Verrücktes Blut«, warum trifft es so ›den Nerv der Zeit‹ wie alle Kritiker/innen aus einem Mund schreien? Warum lacht man hier? Worüber?168 So reflektierten Protagonist_innen des Ballhauses, wiederholt mit Lesarten von »Verrücktes Blut« konfrontiert zu werden, die der formulierten Intention diametral entgegengesetzt zu sein scheinen. Befreiend fand die Bekannte das Stück, weil sie sich in ihrer Antipathie gegen Kopftüchern bestätigt sah. In dem Wunsch, den sie manchmal verspürt, nämlich den jungen Kreuzberger Mädchen das Tuch einfach vom Kopf zu reißen. … Ein Mädchen reißt sich das Tuch vom Kopf und ist – oh, Wunder – ab sofort befreit und glücklich. Natürlich ist das ironisch gemeint. Aber

167 Warstat 2008. 168 Salzmann, Marianna (2012): »Sie missüberschätzen uns. Über den Versuch, das Mittelstandsperlen-kettchen wie ein Lasso um das Ballhaus Naunynstraße zu werfen – Eine Komödie«. Transit 8 (1), online verfügbar unter https://escholarship.org/uc/item/6q656 7pf (letzter Abruf 26. Juni 2021.)

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diese Ironie vermittelt sich, wie das Beispiel meiner Bekannten zeigt, nur begrenzt…169 Es ist also nicht nur die Frage, welche Geschichten erzählt, sondern auch, welche gehört und verstanden werden können.170 Stuart Hall widmete sich dieser Frage in seinem Konzept des »en/decoding«, das, ursprünglich anhand des Konsums von Fernsehsendungen entwickelt, das Verhältnis von Produzent_in und Rezipient_in theoretisiert. Beide müssen innerhalb ihrer Rahmenbedingungen gesehen werden: Die »Sender« produzieren innerhalb technischer und ideologischer Maßgaben, die »Empfänger« nehmen die Inhalte innerhalb ihrer spezifischen Situation, Blickrichtung und des bestehenden Wissenshorizonts, in den Neues eingeordnet wird, auf. Bedeutung entsteht erst durch die Aufnahme durch die Empfänger_in, kein Augenblick garantiert die Lesart des nächsten Moments: Es herrscht radikale Unberechenbarkeit. Halls Lehrbuchfrage, »[d]oes this [representation] reinforce or subvert the stereotype?«171 muss also immer mit »sowohl als auch!« beantwortet werden. Der Spielraum der Bedeutungsbildung ist begrenzt, die Empfänger_in kann nur innerhalb eines bestimmten Rahmens ihre eigene Bedeutung produzieren, der wiederum durch den hegemonialen Diskurs vorgeformt wird.172 Dieser bleibt auch im Theater bestehen und führt dazu, dass auch Bilder, die Stereotype unterlaufen wollen, diese auch bestätigen. Im Falle von »Verrücktes Blut« zeichnen so die unterschiedlichen Sehweisen wiederum Trennlinien nach, die die Debatte an sich spalten. Autorin Sasha Marianna Salzmann beschreibt ihre Publikumserfahrung: Bis jetzt habe ich das Stück vier Mal gesehen. Jedes Mal war es ein anderes Stück. Das Lachen des Publikums verändert von Grund auf den Kontext. Bei der Premiere dachte ich noch, wir lachen alle gemeinsam über den Irrsinn dessen, was diese von allen Seiten ausgerufene Integration von uns will. Bei der dritten musste ich mich schon umdrehen, um zu sehen, wer gerade an der Stelle (rasende Lehrerin mit Pistole schreit) »Und ihr haltet jetzt

169 Schlagenwerth, Michaela (2010): »Ballhaus N.: Das Missverständnis«, Berliner Zeitung, 22.12., www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2010/1222/feuilleton/0068/index.html (16.8.2011). 170 Auch Spivaks oft missverstandener Aufsatz bezieht sich nicht auf die Unfähigkeit der Subalternen, zu sprechen, sondern auf ihr Nicht-gehört-werden, vgl. Spivak 1988. 171 Hall 1997, 234. Es handelt sich dabei um einen stark vereinfachenden Lehrbuchtext. 172 Davis 2004, 60f.

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ein Mal die Klappe!« geklatscht hat. Das unwillkürliche Lachen und Klatschen in deutschen Zuschauersälen ist nicht besonders gängig. »Verrücktes Blut« erzwingt das Positionieren. Lachen ist hier aber viel mehr als Meinungsbekundung, Lachen ist hier Kriegsführung. Eine Vorstellung ist beispielhaft für die Kontroverse um »Verrücktes Blut«: Schulklassen und das Mittelstandspublikum im Alter der Eltern- und Großelterngeneration im Zuschauerraum. Bald teilt er sich in zwei Lager auf, die gegeneinander anlachen, man verhandelt durch Zurufe und Klatschen den Kampf, den man alltäglich führt. Die Schulklassen freuen sich über die Stupidität der Lehrerin, die mit Schaum vor dem Mund und Pistole in der Hand Theaterunterricht erzwingen will und unterstützen die Darsteller/innen der Schulklasse mit Grölen. Der Mittelstand lacht aus der Befreiung heraus, dass die Lehrerin all das ausspricht, was man wegen Political Correctness nicht sagen darf, doch wohl aber denkt.173 Für Shermin Langhoff schlägt sich der inhaltliche Bruch zwischen Sender_in und Empfänger_in in der Frage nach dem angenommenen Publikum nieder:174 Denn immer wieder forderten sogenannte erwachsene Zuschauer und auch manche Kolleg_innen energisch, dass sich das doch eigentlich »diese Jugendlichen« anschauen müssten. Dass in dieser Konstellation die Erwachsenen »deutsch« und die Jugendlichen »migrantisch« sind, kann man sich schon fast denken. Nicht alle Zuschauer_innen scheinen zu bemerken, dass sich »Verrücktes Blut« genau an die Menschen richtet, die es anschauen, und eben deren Blick auf »diese« Jugendlichen thematisiert.175 Obwohl »Verrücktes Blut« sich (wie gezeigt wurde) von der Funktionsweise der »authentischen Stimme« abwendet, tritt in der angeführten Frage weiterhin die Erwartung an postmigrantisches Theater im Sinne der identitätspolitischen Positionierung der ersten Phase zutage. Die Frage entlarvt die anhaltende Suche nach der »authentischen Stimme«, die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft Einblicke verschaffen, sie unterhalten soll, ihnen aber nichts

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Salzmann 2012. Für den wiederkehrende Motive in Publikumsgespräche vgl. auch Haakh 2010. Langhoff, Shermin (2011b) (im Erscheinen): »Aufklärung und Rassismus oder die komplizierte Sache mit dem Verrückten Blut – eine verkürzte Darstellung«, Theater Heute Jahrbuch, zitiert nach dem unveröffentlichten Manuskript, o.S.

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zu sagen habe: Belehren könne es höchstens die Angehörigen der Minderheit. Die Autorin und Theatermacherin Sasha Marianna Salzmann bezeichnete diese sich selbst entlarvenden Rezeptionsdynamiken als »den Versuch, das Mittelstandsperlenkettchen wie ein Lasso um das Ballhaus Naunynstraße zu werfen.«176 So bleibt die Diagnose einer andauernden Schleife: Debatte und Sichtweisen müssen sich ändern, damit die theatralen Eingriffe in sie wirksam werden können, und die Förderung postmigrantischer Kulturschaffender über die mit dem anscheinend bestehenden Authentizitätszwang einhergehende »Ausstellung der Körpers als soziale Tatsache«177 hinausgehen kann.

Fazit dritte Phase Was wir jetzt, an dieser Stelle, zu dieser Zeit brauchen, ist phantasievolles Schreiben, das uns einen Begriff von den Veränderungen und den Schwierigkeiten vermittelt, in denen unsere Gesellschaft als Ganzes sich befindet.178 Indem in »Schnee« unterschiedliche politische Bewegungen vorgestellt werden, die sich alle auf den Islam als Grundlage berufen, wird der Islam an sich entpolitisiert und vielfältigen emotionalen und assoziativen Umdeutungen unterzogen. Individuelle religiöse Praktiken und Überzeugungen werden nicht thematisiert, es geht im Sinne eines Islam als Performance um Sichtbarkeit und Mitgestaltung öffentlicher Räume. Im Mittelpunkt steht auch hier die Frage nach der Zugänglichkeit weiblicher Körper, die hier erstmals explizit am Schleier festgemacht wird. Der postulierte Zwang zur Selbstbefreiung wird als solcher exponiert und relativiert. In der dritten Phase findet eine deutliche Weiterentwicklung statt. Es handelt sich um fiktive Geschichten, die auf den klassischen deutschen Kanon zurückgreifen und als freie Adaptionen bekannter Vorlagen aktuelle Debatten 176 177

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Salzmann 2012. Kurzenberger, Hajo (1997): »Die ›Verkörperung‹ der dramatischen Figur durch den Schauspieler«, in Berg, Jan et al. (Hg.): Authentizität als Darstellung, Hildesheim, 106121, hier: 115f Hanif Kureishi, zitiert nach Hall 1994, 87f. Vgl. Kap. 2.3.

6. Analyse identitätspolitischer Strategien in Inszenierungen des Ballhaus Naunynstraße

aufgreifende Interpretationen und Schwerpunkte entwickeln. Gängige Motive der Debatte werden nicht aufgegriffen, um durch un-erhörte Selbsterzählungen aus der Blickrichtung der Minderheit relativiert zu werden, sondern dienen der Untersuchung hegemonialer Blicke auf die verhandelte Problematik. Das Theater funktioniert also nicht mehr als Schaufenster für marginalisierte Perspektiven, sondern als Labor für die Reflexion von Problematiken, die (wie Hanif Kuraishi fordert) die deutsche Gesellschaft als Ganzes betreffen, und hält so auch der Mehrheitsgesellschaft einen Spiegel vor. Gleichzeitig werden in Kontroversen um die Rezeption von »Verrücktes Blut« die Grenzen des Theaters als emanzipatorischer Raum deutlich, wenn das postmigrantische Theater gerade dann, wenn es sich der Funktion der »authentischen Stimme« wirksam entzieht, daraufhin angerufen wird.

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7. Schlussbemerkung

Eintritt in die Repräsentationsverhältnisse, gebrochene Narrative und die Ausweitung der diskursiven Reichweite Die Analyse einiger Inszenierungen bestätigte die Selbstdarstellung der postmigrantischen Theaterinitiative, sich sowohl strukturell als auch inhaltlich als Ausgrenzungspraktiken empfundenen Tendenzen in öffentlicher Debatte und Kulturbetrieb entgegenzustellen zu wollen. Von Stuart Hall ausgemachte Strategien im Sinne von Identitätspolitik 1 und 2 sind deutlich erkennbar. Die konsequente, durch zunehmende Institutionalisierung und geschicktes Netzwerken vorangetriebene Förderung und Professionalisierung postmigrantischer Theatermacher_innen verfolgt mit dem Eintritt in die Repräsentationsverhältnisse das Hauptziel von Identitätspolitik 1. Diese soll es marginalisierten Gruppen ermöglichen, anstatt dargestellt zu werden »sich selbst ins Bild zu setzen«, und so die Auswahl der Inhalte und deren Verhandlung mit lenken zu können – im Falle des Ballhaus Naunynstraße durch den Schwerpunkt auf die postmigrantische Verortung als bereichernden Bestandteil innerhalb der deutschen Gesellschaft, die gleichermaßen als Ausgangspunkt, Themenlieferant und Adressat fungiert. Das Theatermacher_innen wenden sich so gegen die (Selbst-)Beschränkung auf Themen, die dem imaginierten Herkunftsland zugehören, sowie die Festschreibung im Bereich der »Soziokultur«. Zwar findet so ein Perspektivwechsel statt, inhaltlich dominieren jedoch weiterhin Themen der Einwanderungsdebatte. Darin schlägt sich die ambivalente Wirkungsweise von Identitätspolitik 1 nieder, innerhalb derer auch solche Künstler_innen als »Kulturmakler_innen« auftreten (müssen), die in ihrem Schaffen Kulturalisierung kritisieren. Der Eintritt in die Repräsentationsverhältnisse ist jedoch erfolgt: Das Ballhaus Naunynstraße als professionelles Theater mit politischem Anspruch hat sich innerhalb weniger Jahre in

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der Theaterszene etabliert und eine breite Diskussion über Zugangbeschränkungen und thematische Öffnung des Kulturbetriebs mit angestoßen. Der nächste Schritt der Etablierung, die Übernahme des Maxim-Gorki-Theaters durch Shermin Langhoff und Jens Hillje, bestätigte dies. Inhaltlich orientieren sich diese frühen Stücke der postmigrantischen Theaterbewegung durch das (Wieder-)Erzählen neuer, gebrochener Narrative von dezentrierten Prozessen der Identifizierung, die sich durch die Repräsentation konstituieren, eher an Identitätspolitik 2. Die Einteilung der untersuchten Inszenierungen in drei verschiedene Phasen bewies eine Veränderung insbesondere bezüglich der Reichweite, die die postmigrantische Theaterinitiative mit ihren Stücken als Diskursbeitrag beansprucht. In der ersten Phase präsentieren »Schwarze Jungfrauen« (2006) und »Jenseits – bist du schwul oder bist du Türke?« (2008) gebrochene Narrative von Selbsterzählungen der Gegenwart, »Die Schwäne vom Schlachthof« (2008) und »Lö Bal Almanya« (2010) in der zweiten Phase Umdeutungen und Ergänzungen zu zentralen Motiven der jüngeren deutschen Vergangenheit. Sie unterstreichen die Vielfalt und Wandelbarkeit postmigrantischer Perspektiven, aber auch deren langfristige Verflochtenheit mit der deutschen Geschichte. Diese Erzählungen postmigrantischer Perspektiven werden unter Heranziehung (semi-)dokumentarischen Materials auf die Bühne gebracht. Die Kulturschaffenden, die mit der Ressource »authentischer Stimmen« hantieren, treten so in ihrer Funktion als »Kulturmakler_innen« wiederum als Fürsprecher_innen und Vertreter_innen für die Perspektiven, die sprechbar gemacht werden, auf. Erst die dritte Phase entfernt sich von der Innenperspektive: »Verrücktes Blut« (2010) und »Schnee« (2010) versuchen nicht mehr, Lücken der Debatte zu füllen und marginalisierte Sprechweisen ans Licht zu bringen, sondern reflektieren hegemoniale Sprechweisen: Theater als Labor für gesamtgesellschaftliche Problematiken anstatt als Schaufenster in Minderheitenperspektiven. Wenn sich die beiden ersten Phasen noch darauf konzentrierten, auf postmigrantische Präsenzen hinzuweisen, werden diese in der dritten Phase bereits vorausgesetzt. Die Stücke überwinden so die durch Kulturförderung und Konsumhaltung weit verbreitete Annahme, postmigrantisches Kulturschaffen erschöpfe sich im Erzählen der »eigenen Geschichten«, der zuvor überwiegend genügt wurde. Die Theatermacher_innen nutzen nun den Rückgriff auf klassische Stoffe und die im Stadttheater übliche Herangehensweise der Adaption, um unterschiedliche Positionen der Debatte vorzuführen, nebeneinanderzustellen und miteinander in Dialog treten zu lassen.

7. Schlussbemerkung

Dabei wird neben dem Konstruktionscharakter dieser Positionen auch das Verhältnis von Theater und Gesellschaft thematisiert und dessen transformatorisches Potential problematisiert. Bleiben postmigrantische Körper nicht auch auf der Bühne muslimisiert? Was kann Theater bewirken? Die thematisierten Grenzen von Identitätspolitik im Bereich künstlerischer Repräsentation stehen auch im Zentrum des ambivalenten Umgangs der Macher_innen mit dem breiten Erfolg der letzten Stücke, bei dem nicht klar zu sein scheint, ob das Aufbrechen oder die Bestätigung von Klischees gefeiert werden. Zuletzt sei noch darauf verwiesen, dass zunehmende Inklusion im Bereich der künstlerischen Repräsentation stets Gefahr läuft, als Alibi für weiter bestehende Exklusion in der politischen Vertretung herangezogen zu werden,1 die Präsenz von »Vorzeigemigrant_innen« kann im Sinne einer »Elitenwippe«2 die Festschreibung der repräsentierten Minderheit im Prekariat verstärken. Dennoch versprechen die Debatten um »Hoch-« als »Interkultur«, dass zumindest deutsche Theater dabei sind, die demographischen Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft mit auf den Spielplan zu setzen – und dies maßgeblich aufgrund der Initiative postmigrantischer Theatermacher_innen, die es leid sind, Kulissen zu schieben, und beanspruchen, auf der Bühne mitzumischen.

1 2

Steyerl, Hito (1999): »Was ist Kunst?« in: Gelbin et al. 1999, 155-171, hier: 166f. Türkmen 2008, 16.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

Neue Bilder: »Eine gewisse Leichtigkeit« im Sprechen über den Islam Je länger man sich mit den aktuellen Debatten befasst, desto weniger fällt einem noch auf, wie schwer und lastend die Rede über den Islam geworden ist. Alles Leichte, Spielerische, Uneindeutige scheint sich zu verflüchtigen. Alles wird […] zum Problem.3 Die untersuchten Theaterstücke greifen zentrale Motive aus der deutschen Islam-Debatte auf. Implizit und explizit wird eine hegemoniale Sprechweise der Debatte identifiziert, verhandelt und verschiedenen alternativen Deutungen gegenübergestellt. Die hegemoniale und als Ausgrenzungspraxis wirkende Sprechweise, auf die Bezug genommen wird, wurde in dieser Studie als Islamisierung bzw. Muslimisierung konzeptualisiert. In islamisierenden Sprechweisen gelingt es, Facetten muslimisch geprägter Lebenswelten zu entkontextualisieren, zu generalisieren und »auf ein Wesen namens Islam zu reduzieren«,4 das einem ebenso bedeutungsleeren »Westen« oder der deutschen Gesellschaft als signifikant »anders« und fremd gegenübersteht. Als Muslim_innen Markierte und Wahrgenommene als diesem »eigentlichen Islam« unterworfen Subjekte können als von ihm wirkmächtig bestimmt homogenisiert und aus verschiedenen Ebenen gesellschaftlicher Aushandlung ausgeschlossen werden. Das Verhältnis von Individuum und Kollektiv steht somit im Mittelpunkt der Auseinandersetzung. Die beiden untersuchten Stücke, die den Islam in den Mittelpunkt stellen, nähern sich diesem aus entgegengesetzten Richtungen an. Während »Schwarze Jungfrauen« Ausprägungen individueller muslimischer Lebensführung beleuchtet, betrachtet »Schnee« politische Ideologien und Gruppierungen, die sich auf den Islam als Handlungsgrundlage beziehen. Beides wird als selbstverständlich innerhalb der deutschen Gesellschaft angesiedelt präsentiert, die Dichotomie muslimisch/deutsch wird so explizit

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Krämer, Gudrun (2010): Distanz und Nähe: Fragen einer kritischen Islamwissenschaftlerin, Verleihung des Gerda Henkel Preises 2010, Münster, 48. Al-Azmeh 1996, 7.

7. Schlussbemerkung

aufgelöst und das Primat der Fremdheit in Frage gestellt. In Geschichtstheaterstücken wie »Die Schwäne vom Schlachthof« oder »Lö Bal Almanya« wird auch dadurch auf die seit Jahrzehnten selbstverständliche Ausbreitung und Kontinuität muslimischer Lebenswelten in (West-)Deutschland hingewiesen, dass sie den neuen Bundesländern als Alteingesessene gegenübergestellt werden. Dabei wird sowohl die individuelle als auch die kollektive Bezugnahme auf den Islam als heterogen, wandelbar und sich in Verhandlung mit dem Umfeld konstituierend dargestellt. Dies illustrieren die fünf Monologe junger Musliminnen in »Schwarze Jungfrauen«, die das klare Bekenntnis zum Islam teilen, das jedoch in zutiefst unterschiedlichen Kausalannahmen, Lebensführungsprinzipien und Selbsterzählungen mündet. In »Schnee« berufen sich Stellvertreter für modebewusste Subkultur, Feminismus und jugendliche Rebellion sämtlich auf islamische Grundlagen, während der konservative Machterhalt in anti-islamischer Rhetorik verbleibt. So wird die Vielfalt der ideologischen Aufladungen, mit denen der Islam besetzt werden kann, herausgestellt, während gleichzeitig als islamisch assoziierte Motive einer positiven Umdeutung unterzogen werden. Als einer der Knotenpunkte der muslimisierenden Diskursformation werden Topoi weiblicher Sexualität, Unterdrückung und Befreiung in die theatrale Verhandlung übernommen. Aufgrund der Annahme einer prinzipiellen Unterdrückung und Regulierung weiblicher Körper durch dem islamisierten Islam zugerechneten Handlungsvorgaben predigen Sprechweisen vergeschlechtlichter Muslimisierung die Notwendigkeit einer (Selbst-)Befreiung. Dieses Narrativ wird in den Stücken wiederholt angeführt und durch Abgrenzung, Ironisierung und Relativierung dekonstruiert. Inhaltlicher Schwerpunkt von »Schwarze Jungfrauen« ist die detaillierte Beschreibung des Sexuallebens der Figuren. Indem unterschiedliche Figuren sowohl Promiskuität als auch Abstinenz als legitime Lebensführung schildern, wird nicht eine bestimmte Interpretation, sondern die selbstbestimmte Entscheidung der Frauen über ihre Körper in den Mittelpunkt gestellt. Dabei entziehen sie sich Regulierungsversuchen anderer Muslim_innen und Eingriffen von Seiten der Mehrheitsgesellschaft und entziehen dem Primat der »Befreiung« die Grundlage. Islamkritiker_innen, die dieses verfolgen, werden explizit angegriffen und karikiert. Das Paradoxon eines äußeren Zwangs zur Selbstbefreiung wird herausgestellt, während die Fixierung auf Motive der Vergeschlechtlichung als Ablenkungsmanöver, das die Auseinandersetzung mit tiefgreifenden sozialen Probleme aufschiebt, in Frage gestellt wird.

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So werden mit Islam und Muslimisierung assoziierte Motive spielerisch aufgegriffen und durch die Eingliederung in phantasievolle Versuchsanordnungen umverhandelt. In den untersuchten Arbeiten der postmigrantischen Theaterbewegung ist ein vielfältiges Repertoire zu De-Essentialisierung anregender Gegenbilder entstanden. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Islam-Debatte (inhaltlicher Schwerpunkt dieser Studie, nicht der postmigrantischen Theaterarbeit!) mündet in phantasievollen und konstruktiven Beiträgen dazu, die einen breiteren und unverkrampfteren Umgang mit dem Islam als Element deutscher Gesellschaft anregen. Gemäß der Hoffnungen, die ich in politische Kunst als Katalysator für gesellschaftliche Veränderung setze, sehe ich darin nachahmenswerte Versuche, das »Leichte, Spielerische, Uneindeutige«5 ins Sprechen über Islam und Einwanderung zurückzubringen, an dem es deutschen Debatten derzeit so bitter mangelt.

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Krämer 2010, 48.

7. Schlussbemerkung

Nachwort zur Veröffentlichung 2021 Diese Studie wurde im Jahr 2011 verfasst. Der Kreuzberger Hinterhof des Ballhaus Naunynstraße, die damalige Wirkstätte der postmigrantischen Theaterbewegung war ein Hoffnungsort, in dem Vereinzelungserfahrungen umgeschrieben, Pläne geschmiedet und Inspirationsfunken angefacht wurden: »Banden bilden, Räume schaffen, Diskurse verändern«.6 In den zehn Jahren, die seitdem vergangen sind, haben sich Gesellschaft, Diskurs und deren Abbildung und Verhandlung in Theater und Kulturpolitik weiter verändert. Die künstlerische Leiterin des Ballhaus Naunynstraße, Shermin Langhoff, übernahm mit dem Dramaturgen Jens Hillje zur Spielzeit 2013 das Berliner Maxim-Gorki-Theater. Dieses gilt seitdem als Inbegriff (und oft auch Alibi) für Aushandlungen von »Diversität« im deutschsprachigen Kulturbetrieb. Am Ballhaus Naunynstraße, zunächst von Wagner Carvalho und Tunçay Kulaoğlu fortgeführt, stehen unter der künstlerischen Leitung von Wagner Carvalho vor allem Schwarze deutsche,7 translokale und queere Perspektiven und Re-Narrationen im Fokus. Viele Protagonist_innen der frühen postmigrantischen Theaterbewegung arbeiten und wirken inzwischen an Bühnen im ganzen deutschsprachigen Raum. Die Frage, wie Diversität auf der Bühne und an allen Stellen der künstlerischen (Entscheidungs-)Prozesse gelebt werden kann, sind Teil der Auseinandersetzung, vor denen sich heute kaum ein Theater noch verschließen kann – theoretisch zumindest, denn die Veränderungen auf inhaltlicher, weltanschaulicher, kulturpolitischer, aber auch personeller, administrativer und rechtlicher Ebene8 zeigen sich durchaus träge. Präsenz, künstlerische Arbeiten und politische Forderungen der postmigrantischen Theaterbewegung und ihrer Kompliz_innen haben den deutschsprachigen Kulturbetrieb nachhaltig verändert, während viele Herausforderungen und Knotenpunkte der Debatte weiterhin geblieben sind. 6

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Haakh, Nora (2013): »Banden bilden, Räume schaffen, Diskurse durchkreuzen. Politisch Theater machen wie am Ballhaus Naunynstraße«. freitext Kultur- und Gesellschaftsmagazin 22: 36-42. Vgl. z.B. Layne, Priscilla (2018): »Space is the Place: Afrofuturism in Olivia Wenzel’s Mais in Deutschland und anderen Galaxien (2015)«, in: German Life and Letters Band 71 Nr. 4, 511-528. Hier sei exemplarisch auf die 2017 von Regisseurin Julia Wissert und Anwältin Sonja Laaser entwickelte »Anti-Rassismus Klausel« für Verträge von Theaterschaffenden hingewiesen.

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Das zeigt sich zum Beispiel daran, wie breit der Begriff des »Postmigrantischen«, anfänglich ein Insider-Begriff in aktivistischen und akademischen Kreisen, vom Feuilleton bis zur politischen Analyse aufgegriffen worden ist. Insbesondere die Soziologin Naika Foroutan stützt ihre Gesellschaftskritik auf den Begriff.9 Für manche ist er schon zu sehr »Establishment«, um noch als empowernde Selbst-Ermächtigung zu gelten. Am Maxim-Gorki-Theater unter Shermin Langhoff wird statt dem Begriff des Postmigrantischen der Fokus auf intersektionalen Ansätzen betont. Mit den in Folge der gewaltsamen Niederschlagung der Bewegungen des sogenannten »arabischen Frühling« und der Proteste in der Türkei Exilierten ist eine neue Generation translokaler Akteur_innen in Gesellschaft und Kulturbetrieb präsent geworden, die teilweise in Kooperation mit, teilweise in Abgrenzung von Institutionen und Strategien der postmigrantischen Bewegung nach Handlungsmacht und neuen Spielräumen suchen.10 Auch die Konfigurationen der »islamisierten Debatte« haben sich verschoben, wenn auch nicht entschärft.11 Gleichzeitig wächst die allgemeine Kritik an autoritären Strukturen im Theater12 ebenso wie die Experimente zur Ausweitung von Spielräumen, in neuen Texten, performativen Formaten und kollektiveren Arbeitsformen bis hin zu Leitungsteams auch in den Stadt- und Staatstheaterinstitutionen. Der unter dem Einfluss der postmigrantischen Theaterbewegung entstandene Kanon neuer deutschsprachiger Dramatik und die kulturpolitischen Strategien, die in dieser Studie an Hand weiterhin diskursprägender Fallbeispiele im Kontext ihrer Entstehung beschrieben werden, haben eine

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Vgl. Foroutan, Naika (2010): »Neue Deutsche, Postmigranten und BindungsIdentitäten«. Herausgegeben von Bundeszentrale für politische Bildung. Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 26-27: 9-15; ebd. (2018): »Die postmigrantische Perspektive: Aushandlungsprozesse in pluralen Gesellschaften«, in: Hill, Marc und Erol Yıldız (Hg.): Postmigrantische Visionen: Erfahrungen – Ideen – Reflexionen, Bielefeld, 15-28; ebd. (2019): Die postmigrantische Gesellschaft: ein Versprechen der pluralen Demokratie, Bielefeld. Vgl. weiterführend meine Dissertation Haakh, Nora (2019): Layla und Majnun in der Contact Zone. Übertragungen aus dem Arabischen ins Deutsche im Bereich des zeitgenössischen Theaters, Hochschulschrift, Freie Universität Berlin. Vgl. weiterführend z.B. Hark, Sabine/Villa, Paula-Irene (2017): Unterscheiden und herrschen. Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart, Bielefeld. Vgl. Schmidt, Thomas (2019): Macht und Struktur im Theater. Asymmetrien der Macht. Wiesbaden

7. Schlussbemerkung

neue, dezentral agierende Generationen in ihrer aktivistischen, theoretischen und künstlerischen Arbeit mit inspiriert.13 Neue Generationen von Theatermacher_innen und Aktivist_innen schöpfen aus dem entwickelten Bildrepertoire, beziehen sich mit einer wachsenden »Neuen Selbstverständlichkeit«14 auf Diskursverschiebungen und finden und erweitern neue Spielräume. Ich freue mich, wenn dieser Band dazu beiträgt.

Berlin, im Oktober 2021

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Vgl. exemplarisch Sharifi, Azadeh (2016): »Mentality X: Jugendtheaterbüro Berlin and its Theatrical Space for Urban Youth of Color«. Otherness: Essays and Studies 5 (1): 65-81; ebd. (2016): »Theater und Migration. Dokumentation, Einflüsse, Perspektiven«. In Das Freie Theater im Europa der Gegenwart: Strukturen – Ästhetik – Kulturpolitik, herausgegeben von Manfred Brauneck, Bielefeld, 335-439; ebd. (2018): »Antirassistische Interventionen als notwendige ›Störung‹ im deutschen Theater«. In Postmigrantische Visionen: Erfahrungen – Ideen – Reflexionen, herausgegeben von Marc Hill und Erol Yıldız, Bielefeld, 207-22; sowie Stewart, Lizzie/Layne, Priscilla (2021): »Racialisation and Contemporary German Theatre«, in: Morosetti, Tiziana/Okagbue, Osy A. (Hg.): The Palgrave Handbook of Theatre and Race, London, 39-60. Royale, Tucké: »Plädoyer für das Ausbüchsen«, in: Theater Heute 12/2020, 42-45.

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8. Literaturverzeichnis

Inszenierungen »Schwarze Jungfrauen« von Feridun Zaimoğlu und Günther Senkel, Regie: Neco Çelik. Dramaturgie: Tunçay Kulaoğlu, Bühne und Kostüm: Mascha Mazur. Mit Nermin Çelik, Melek Erenay, Pınar Erincin, Pegah Feridony, Katja Zinsmeister. Uraufführung 17. März 2006, Hebbel am Ufer Theater Berlin (Festival »Beyond Belonging«). Text zitiert nach der unveröffentlichten Spielfassung, Stand 23. Februar 2006 . Abweichende Textfassung: Zaimoğlu, Feridun/Senkel, Günther (2006): »Schwarze Jungfrauen«, Theater Heute, Mai, S. 46-55. »Jenseits – Bist du schwul oder bist du Türke?« von Nurkan Erpulat und Tunçay Kulaoğlu, Regie: Nurkan Erpulat. Dramaturgie: Tunçay Kulaoğlu, Bühne und Kostüm: José Eduardo Luna. Mit İsmail Deniz, Pınar Erincin, Ercan Altun, Cem Sultan Ungan, Mehmet Yılmaz, Mürtüz Yolcu. Uraufführung 3. Mai 2008, Hebbel am Ufer Theater Berlin (Festival »Beyond Belonging«). Text zitiert nach der unveröffentlichten Spielfassung, Stand 23. April 2008. »Die Schwäne vom Schlachthof« von Hakan Savaş Mican, Uraufführung 19. November 2009, Ballhaus Naunynstraße Berlin (Festival »Beyond Belonging«). Regie: Hakan Savaş Mican, Dramaturgie: Barbara Kastner, Bühne und Kostüm: Lea Walloschke, Musik: Turgay Ayaydınlı. Mit Hendrik Arnst, Henny Reents, Sesede Terziyan, Michael Wenzlaff, Mehmet Yılmaz. Text zitiert nach der unveröffentlichten Spielfassung, Stand 4. März 2010.

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Muslimisierte Körper auf der Bühne

»Lö Bal Almanya« von Nurkan Erpulat und Tunçay Kulaoğlu. Uraufführung 11. Mai 2010 Ballhaus Naunynstraße Berlin. Regie: Nurkan Erpulat, Dramaturgie: Tunçay Kulaoğlu, Bühne: Justus Saretz, Kostüm: Lea Walloschke, Musik: Tobias Schwencke. Mit Melek Erenay, Katharina Koch, Tobias Schwencke, Muri Seven, Tim Seyfi, Sesede Terziyan, Cem Sultan Ungan, Michael Wenzlaff, Mehmet Yılmaz. Text zitiert nach der unveröffentlichten Spielfassung, Stand 9. Mai 2010. »Verrücktes Blut« von Nurkan Erpulat und Jens Hillje, frei nach dem Film »La journée de la jupe« von Jean-Paul Lilienfeld. Uraufführung 2. September 2010, Gebläsehalle, Duisburg (Festival »Ruhrtriennale«). Regie: Nurkan Erpulat, Dramaturgie: Jens Hillje, Bühne und Kostüm: Magda Willi, Musik: Tobias Schwencke. Mit Sesede Terziyan, Nora Abdel-Maksoud, Erol Afşin, Emre Aksızoğlu, Tamer Arslan, Sohel Altan G., Rahel Johanna Jankowski, Gregor Löbel. Text zitiert nach Erpulat, Nurkan/Hillje, Jens (2010): »Verrücktes Blut«, Theater der Zeit, November, S. 49-61. »Schnee« von Hakan Savaş Mican und Oliver Kontny, frei nach dem Roman von Orhan Pamuk. Uraufführung 25. November 2010, Ballhaus Naunynstraße Berlin. Regie: Hakan Savaş Mican, Dramaturgie: Irina Szodruch, Bühne und Kostüm: Lea Walloschke. Mit Godehard Giese, Nora Abdel-Maksoud, Sesede Terziyan, Aleksandar Tesla, Mehmet Yılmaz. Text zitiert nach der unveröffentlichten Spielfassung, Stand 19. November 2010.

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Pina Bausch's Dance Theater Company, Artistic Practices and Reception 2020, 440 p., pb., col. ill. 29,99 € (DE), 978-3-8376-5055-6 E-Book: PDF: 29,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5055-0

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Oktober 2016, 448 S., kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3453-2 E-Book: 26,99 € Wie können Menschen, die auf der Flucht vor Krieg, Verfolgung, Hunger und wirtschaftlicher Not in Deutschland ankommen, ihre Rechte auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe wahrnehmen? Was sind geeignete Formate der Kulturellen Bildung, um auf die Realität der Geflüchteten aufmerksam zu machen und um Vernetzung und Solidarisierung herzustellen? Die Beiträge des Bandes gehen diesen Fragen nach und zeigen: Die Kulturelle Bildung ist ein Feld, in dem viele ambitionierte Projekte mit Geflüchteten realisiert werden. Das Phänomen Flucht bietet so Möglichkeiten für eine macht- und differenzsensible Veränderung von Kultur- und Bildungsinstitutionen und eröffnet Chancen für die Revision etablierter Handlungsroutinen.

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