Moderne Anorganische Chemie [3rd. ed.] 9783110206852

The text book of modern inorganic chemistry addresses advanced students of chemistry. It presents the fundamentals of th

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German Pages 898 [900] Year 2008

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Moderne Anorganische Chemie [3rd. ed.]
 9783110206852

Table of contents :
Vorwort zur 3. Auflage
Inhalt
1 Nichtmetallchemie
2 Festkörperchemie
3 Komplex-/ Koordinationschemie
4 Organometallchemie
5 Bioanorganische Chemie
Biographische Daten der Autoren
Sachregister

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Moderne Anorganische Chemie Herausgeber Erwin Riedel

Moderne Anorganische Chemie mit CD-Rom Herausgeber Erwin Riedel Autoren R. Alsfasser, C. Janiak, T. M. Klapötke, H.-J. Meyer 3. Auflage

Walter de Gruyter · Berlin · New York

Herausgeber Prof. em. Dr. Erwin Riedel Institut für Anorganische und Analytische Chemie Technische Universität Berlin Straße des 17. Juni 135 10632 Berlin [email protected] Autoren Dr. Ralf Alsfasser Franz-Kohlhepp-Str. 7 79115 Freiburg [email protected]

Prof. Dr. Christoph Janiak Institut für Anorganische und Analytische Chemie Universität Freiburg Albertstr. 21 79104 Freiburg [email protected]

Prof. Dr. Thomas M. Klapötke Department Chemie Universität München (LMU) Butenandtstr. 5K13, Haus D 81377 München [email protected]

Prof. Dr. Hans-Jürgen Meyer Abt. für Festkörperchemie und Theoretische Anorganische Chemie Institut für Anorganische Chemie Eberhard-Karls-Universität Tübingen Auf der Morgenstelle 18 72076 Tübingen [email protected]

Das Buch enthält 381 Abbildungen und 133 Tabellen. ISBN 978-3-11-019060-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:..dnb.d-nb.de abrufbar. Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt. © Copyright 2007 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, 10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: META Systems GmbH, Wustermark. Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer“ GmbH, Bad Langensalza. Einbandgestaltung: Cmalsy, Kommunikation und Gestaltung, Bremen.

Vorwort zur 3. Auflage

Auch die 3. Auflage des Lehrbuches Moderne Anorganische Chemie enthält die vier Kapitel Nichtmetallchemie, Festkörperchemie, Komplex- und Koordinationschemie und Organometallchemie. Es wurden die Literaturangaben ergänzt, aktuelle Forschungsergebnisse berücksichtigt und es gibt neue Tabellen sowie neue und verbesserte Abbildungen. Anders als in der deutschen Rechtschreibung sind wieder statt der Dezimalkommata die im Englischen üblichen Dezimalpunkte verwendet worden. Dies sind die wichtigsten Erweiterungen: Nichtmetallchemie K Bindungstheoretische Aspekte K Valenz bzw. Hypervalenz des H-Atoms im LiHC-Kation K Aromazität an den Beispielen des Borazins und des S2N2-Ringsystems K Diskussion der elektronischen Verhältnisse im Disauerstoffmolekül K Hochdrucksynthese und Struktur einer polymeren Hochdruckmodifikation des elementaren Stickstoffs Festkörperchemie Neu aufgenommene Themen sind: K Ionische Flüssigkeiten K Metalle mit Formgedächtnis K TiO2 in der Photokatalyse K Leuchtstoffe.Leuchtdioden K Sol-Gel-Synthese K Nanochemie Aktualisiert wurde das Thema Lithiumbatterien. Komplex- und Koordinationschemie Von den zahlreichen Änderungen und Ergänzungen einige Beispiele: K Nicht-oktaedrische M (CH3)6-Strukturen K Radiopharmazeutika (99m-Tc-Komplexe) zur Diagnose K Neue Beispiele zu N2-Komplexen und ihrer Reaktivität K Metall-Metall-Bindungen mit Neu-Interpretation der CrdCr-Vierfachbindung in Chromacetat Neue Abschnitte: K Lumineszenz bei Metallkomplexen und ihre Anwendung in der Sensorik K Darstellung zahlreicher Untersuchungsmethoden für Metallkomplexe Organometallchemie Neue Abschnitte: K Bor-organische Verbindungen

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Vorwort

K Chiralität bei Halbsandwich-Komplexen K Metall-Nitrosyl-Komplexe mit NOC als CO-analogem Liganden K Wasserstoffübertragung von sek. Alkohol auf Keton als katalytische Reaktion Ergänzungen: K Katalysator und Mechanismus bei Shell-Higher-Olefin-Process (SHOP) K Künftige Bedeutung und Rohstoffbasis der Fischer-Tropsch-Synthese Im großen Bereich der Anorganischen Chemie hat sich die Bioanorganische Chemie als eigener Wissenschaftszweig und als selbständiges Lehrgebiet entwickelt. Es war daher erforderlich, das Lehrbuch Moderne Anorganische Chemie um das neue 5. Kapitel Bioanorganische Chemie zu erweitern. Die CD-ROM enthält für Studierende Aufgaben zum Selbststudium und ihre Lösungen. Die Abbildungen aus dem Buch sind für die Dozenten als Hilfe bei der Durchführung ihrer Lehrveranstaltungen geeignet. Gedankt sei für wertvolle Diskussionen und Hinweise zum Kap. 2 Prof. Dr. Thomas Jüstel (Münster) und Prof. Dr. Alois Kuhn (Madrid) und zu den Kap. 3 und 4 Frau Dr. med. Gabriele Tewes, Herrn Dr. Gunther Steinfeld und Herrn Dipl.-Chem. Patrick Gross. Christoph Bender und Sebastian Karsten (Berlin) haben das Register bearbeitet. Berlin, August 2007

Erwin Riedel

Inhalt

1 Nichtmetallchemie Thomas M. Klapötke 1.1 Arbeitstechniken und Analysemethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Arbeitstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Analysemethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Das H2-Molekül . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Die Wasserstoffverbindungen der 14., 15. und 16. Gruppe . . . . . . . . . . . 1.2.3 Die Dimerisierung von BH3 zu B2H6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Die Bindungsverhältnisse im Borazin, B3N3H6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Die VB-Beschreibung von elektronenreichen Molekülen: Hypervalenz und Hyperkoordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Increased-Valence-Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Die Beschreibung der Moleküle O2, O3 und einiger hyperkoordinierter Moleküle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die Chemie der Edelgase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Geschichtliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Das Xe2C-Kation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Die Edelgashalogenide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4 Die Xenonoxide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.5 Weitere Verbindungen mit XedO- und KrdO-Bindungen . . . . . . . . . . 1.4.6 Xenon- und Krypton-Stickstoffverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.7 Xenon-Kohlenstoffverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.8 Edelgas-Berylliumverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.9 Edelgas-Goldverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Die Sauerstofffluoride . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Die Halogenoxide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Stickstoff-Fluorverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4 Stickstoff-Chlor, -Brom- und -Iodverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Die Oxide des Stickstoffs und Nitroverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.1 Die Oxide des Stickstoffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.2 Umweltrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6.3 Nitroverbindungen als hochenergetische Materialien . . . . . . . . . . . . . . . 1.7 Chemie in supersauren Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.1 Supersäuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.7.2 Carbokationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8 Ketten, Ringe und Käfige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.1 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.8.2 Element-Modifikationen am Beispiel Schwefel und Stickstoff . . . . . . . . . 1.8.3 Vom Käfig über einen pseudoaromatischen Ring zum Polymer: S4N4, S2N2, (SN)x . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.9 Verbindungen mit Elementen in niedrigen Koordinationszahlen und mit Mehrfachbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

1.10 Elektronendomänen und das VSEPR-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10.1 Das Pauli-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10.2 Elektronenpaardomänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10.3 Mehrfachbindungsdomänen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.10.4 Die Elektronendichte und die Laplaceverteilung . . . . . . . . . 1.10.5 Die Halogenide der Erdalkalimetalle . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11 Struktur und Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11.1 Was ist Struktur? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11.2 Molekülzustandsmodelle und Energiehyperflächen . . . . . . . . 1.11.3 Intrinsische Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11.4 Hammonds Postulat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.11.5 Das Konzept der lokalisierten Bindungen: Die NBO-Analyse

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2 Festkörperchemie H.-Jürgen Meyer Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Festkörperreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Reaktionsbehälter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Fest-Fest-Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Reaktionen in Schmelzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Chemische Transportreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5 Reaktionen bei „tiefen“ Temperaturen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.6 Modifizierung von Feststoffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.7 Reaktionen bei hohen Drücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Beschreibung von Kristallstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Dichteste Packungen von Atomen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Lückenbesetzungen in dichtest gepackten Strukturen . . . . . 2.2.3 Beschreibung wichtiger Strukturtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Nanochemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Der Schmelzpunkt von Nanoteilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Die elektrische Leitfähigkeit von Nanoteilchen . . . . . . . . . . 2.3.3 Der Magnetismus von Nanoteilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Die optischen Eigenschaften von Nanoteilchen . . . . . . . . . . 2.3.5 Oberflächenchemie und Katalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.6 Synthesen von Nanoteilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.7 Gesundheitliche Risiken von Nanoteilchen . . . . . . . . . . . . . 2.4 Kristalldefekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Rotationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Versetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Punktdefekte nach Schottky und Frenkel . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Farbzentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Platztausch von Atomen (Ordnungs-Unordnungs-Vorgänge) 2.4.6 Fehlordnung über Leerstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7 Nicht stöchiometrische Phasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8 Dotierung und feste Lösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.9 Scherstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Elektrochemische Zellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Messung von Sauerstoff-Partialdrücken . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Brennstoffzellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.3 Batterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

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2.5.4 Wiederaufladbare Lithiumbatterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.5 Die Nickel-Metallhydrid-Batterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elektronische Strukturen fester Stoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Die lineare Anordnung von Wasserstoffatomen . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.2 Die Peierls-Verzerrung einer linearen Anordnung von H-Atomen . 2.6.3 Bandstrukturen in drei Dimensionen K Brillouin-Zonen . . . . . . . . 2.6.4 Beispiele für Bandstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.5 Metall-Metall-Bindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.6 Peierls-Verzerrung und Ladungsdichtewelle (CDW) . . . . . . . . . . . . Magnetische Eigenschaften von Feststoffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.1 Diamagnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.2 Paramagnetismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.3 Kooperative Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.4 Ferromagnetische Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.5 Magnetische Kopplungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.6 Antiferromagnetische Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7.7 Paramagnetismus der Leitungselektronen (Pauli-Paramagnetismus) Der metallische Zustand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.1 Metalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.2 Intermetallische Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.3 Legierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.4 Intermetallische Verbindungen mit Formgedächtnis . . . . . . . . . . . . 2.8.5 Hume-Rothery-Phasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.6 Laves-Phasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.8.7 Zintl-Phasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbindungen der Metalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.1 Metallhydride . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.2 Metallboride . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.3 Metallcarbide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.4 Metallnitride . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.5 Metalloxide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.6 Metallsulfide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.7 Metallfluoride . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.8 Metallchloride, -bromide und -iodide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.9 Halogenide der Seltenerdmetalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Keramische Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10.1 Herstellung von Hochleistungskeramiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10.2 Cermets und Komposite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10.3 Einteilung keramischer Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3 Komplex-. .Koordinationschemie Christoph Janiak 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nomenklatur von Komplexverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ligandenklassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oxidationszahl und Valenzelektronenzahl des Metallatoms in Komplexverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Gesamtelektronenzahl in Komplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Koordinationszahl und -polyeder von Komplexverbindungen . . . . . . . .

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X

Inhalt

3.8 Isomerie bei Komplexverbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.1 Valenzbindungstheorie (VB-Theorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.2 Kristallfeldtheorie (CF-Theorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.3 Stereochemische und thermodynamische Effekte der Kristallfeldaufspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.4 Kristallfeldaufspaltung K UV.VIS-Spektroskopie . . . . . . . . . . . . . . 3.9.5 Kristallfeldtheorie K Defizite des Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.6 Kristallfeldtheorie K Mehrelektronennäherung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.7 Ligandenfeldtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.9.8 Molekülorbitaltheorie (MO-Theorie) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10 Stabilität von Metallkomplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.1 Thermodynamische und kinetische Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.2 Stabilitätskonstanten und Komplexbildungsgleichgewichte . . . . . . . 3.10.3 Stabilitätstrends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.4 Der Chelateffekt K Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.10.5 Der Chelateffekt K Anwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen . . . . . . . . . . 3.11.1 Substitutionsreaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.11.2 Redoxreaktionen K Elektronentransfer zwischen Komplexen . . . . . 3.11.3 Ligandenreaktionen in der Koordinationssphäre von Metallatomen . 3.12 Disauerstoff-Metallkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.13 Distickstoff-Metallkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.14 Cyano-Metallkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.15 Metall-Metall-Bindungen und Metallcluster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.16 Medizinische Anwendungen von Metallkomplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.17 Koordinationspolymere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.18 Lumineszenz bei Metallkomplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.19 Methoden zur Untersuchung von Metallkomplexen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.20 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.20.1 Molkülsymmetrie und Gruppentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.20.2 Systematische Ermittlung von Russel-Saunders-Termen . . . . . . . . .

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403 410 410 411

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420 426 429 429 444 452 462 462 464 468 473 477 487 487 496 507 511 521 527 533 540 544 548 554 563 563 569

4 Organometallchemie Christoph Janiak 4.1 Einleitung und Metall-Kohlenstoff-Bindung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Alkalimetallorganyle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Erdalkalimetallorganyle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Organlye der 13. Gruppe: B, Al . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Organyle der 14. Gruppe: Si, Sn und Pb . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Elementorganyle 15. Gruppe: Phosphor . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Fluktuierende Hauptgruppenmetalloranyle . . . . . . . . . . . . . . 4.2.7 Hauptgruppenmetall-π-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.8 Subvalente Hauptgruppen-σ-Organyle und Element-ElementBindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.9 Kation-Aren-π-Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Übergangsmetallorganyle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Carbonylkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Carben-(Alkyliden-)Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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581 585 585 590 592 599 611 619 621

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628 633 635 635 674

Inhalt 4.3.3 Carbin-(Alkylidin-)Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Übergangsmetall-π-Komplexe . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Agostische Wechselwirkungen . . . . . . . . . . . . . . 4.3.6 Elementarreaktionen mit Metallorganylen . . . . . 4.3.7 Metallorganische Verbindungen der Lanthanoide 4.4 Katalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Homogenkatalytische Verfahren . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Heterogenkatalytische Verfahren . . . . . . . . . . . .

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XI

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685 688 712 714 723 725 725 757

5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Transport und Speicherung von Metallionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Ionenkanäle, Ionenpumpen, Ionophore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Funktionelle Metallionen: Eisen und Kupfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Kalium, Natrium und Calcium: Signalübertragung und biologische Struktur 5.3.1 Überlegungen zur Steuerung von biologischen Prozessen . . . . . . . . . . 5.3.2 Grundlagen der Nervenleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Kaliumkanäle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Calciumionen als intrazelluläre Signalübermittler . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Zink: Lewis-saure Katalyse und strukturgebende Funktion . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 Allgemeiner Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 Strukturgebende Wirkung von Zink . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 Zink in Enzymen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Wichtige bioanorganische Kupfer- und Eisenkomplexe . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.1 Allgemeiner Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.2 Kupferproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5.3 Eisenproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Elektronentransferketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Allgemeiner Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.2 Photosynthese und Atmungskette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.3 Grundlagen des Elektronentransfers in Proteinen . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Transport und Aktivierung von Sauerstoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.1 Sauerstofftransportproteine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.2 Enzymatische Katalyse von Reaktionen mit Sauerstoff . . . . . . . . . . . 5.7.3 Cytochrom P-450 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.4 Protocatechuat-3,4-Dioxygenase (3,4-PCD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.5 Tyrosinase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.6 Kupfer-Zink-Superoxiddismutase (SOD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8 Vitamin und Cofaktor B12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.1 Historisches und biologische Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.2 Allgemeine Strukturmerkmale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.8.3 Reaktivität von Cobalaminen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9 Biologische und medizinische Anwendungen von Metallkomplexen . . . . . . 5.9.1 Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9.2 Nickelchelatchromatographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9.3 Elektrochemische Hybridisierungssensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9.4 Radiopharmazeutika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.9.5 Carbonylmetallimmunoassays (CMIA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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779 780 780 784 795 795 796 798 800 802 802 802 804 811 811 811 814 820 820 821 827 834 834 836 839 841 843 844 845 845 846 848 850 850 851 852 853 859

5 Bioanorganische Chemie Ralf Alsfasser

XII

Inhalt

Biographische Daten der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 865

1 Nichtmetallchemie* Thomas M. Klapötke

1.1 Arbeitstechniken und Analysemethoden 1.1.1 Arbeitstechniken Die moderne Nichtmetallchemie befasst sich mit vielen luft- und feuchtigkeitsempfindlichen und oft auch thermisch labilen Verbindungen. Daher müssen die altbekannten Arbeitsmethoden durch besondere Vorkehrungen ergänzt und spezielle Arbeitstechniken entwickelt werden. Besonders bewährt haben sich hierbei die Schlenk-Arbeitstechnik und das Arbeiten im geschlossenen System unter dem Eigendampfdruck des betreffenden Lösungsmittels in Kombination mit der DryBox-Technik (Dry-Box Z Trockenkasten, auch als Glove-Box Z Handschuhkasten bezeichnet). Bei der Schlenk-Technik handelt es sich um eine Schutzgastechnik, bei der Glasgeräte verwendet werden, die so konstruiert sind, dass sich in ihnen eine Stickstoffoder Argonatmosphäre aufrecht erhalten lässt. Während die Schlenk-Arbeitstechnik besonders in der Komplexchemie und der Organometallchemie häufig angewendet wird (s. Kapitel 3 und 4), wird im Bereich der Nichtmetall-Molekülchemie oft das Arbeiten im geschlossenen System bevorzugt. Hierbei werden mit TeflonDruckventilen abgedichtete, bis 7 bar einsetzbare Glas-Reaktionsgefäße verwendet, die häufig ein, zwei oder auch drei Reaktionskolben von 15 bis 100 mL Volumen und eine eingebaute Glassinterfritte enthalten (Abb. 1.1). Der Reaktionskolben wird in der Regel über eine evakuierbare Schleuse in eine unter N2- oder Ar-Schutzgas stehende Dry-Box gebracht (Abb. 1.2), dort mit dem Reaktionsgut befüllt und mit Teflon-Ventilen verschlossen. Vor dem Einkondensieren des Lösungsmittels wird der Reaktionskolben dann in der Regel außerhalb der Dry-Box über Edelstahlschraubverbindungen an eine Metall-Hochvakuumanlage angeschlossen und evakuiert (ggf. unter Kühlung). Jetzt kann das zuvor geeignet getrocknete Lösungsmittel unter Kühlung direkt in den Reaktionskolben einkondensiert werden, wobei sich nach Schließen der Teflon-Ventile im Reaktionskolben der der jeweiligen Temperatur entsprechende Eigendampfdruck des Lösungsmittels aufbaut (siehe Tabelle 1.1). Es wird also nur unter dem Eigendampfdruck des Lösungsmittels und nicht in einer N2- oder Ar-Atmosphäre gearbeitet. Nach der Reaktion kann das Lösungsmittel wieder abgepumpt und das evakuierte Reaktionsge* Der Autor dieses Kapitels dankt Dr. Richard D. Harcourt (University of Melbourne) für die Mithilfe bei der Abfassung des Kapitels über Nichtmetallchemie. Er hat die increased-valenceTheorie und die in diesem Kapitel gezeigten VB-Strukturen bereits publiziert (s. Literatur). Ferner gilt der Dank Carmen Nowak (LMU München) für die Erstellung sämtlicher Abbildungen.

2

1 Nichtmetallchemie

Abb. 1.1 Typischer Zwei-Kugel-Reaktionskolben mit Teflon-in-Glas-Ventilen und eingebauter Glassinterfritte. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH J. D. Woollins, Inorganic Experiments, Wiley-VCH, Weinheim 1994, S. 218].

Abb. 1.2 Schematische Darstellung einer Dry-Box. Im Kasten unter dem Tisch befinden sich noch eine Umwälzpumpe und Absorptionssäulen, um stets eine Schutzgasatmosphäre mit ! 1 ppm O2 und H2O aufrechterhalten zu können. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Fa. M. Braun, Garching, aus M. Braun Nr. 950908c1.GEM].

fäß erneut in die Dry-Box gebracht werden, um die Reaktionsprodukte zu isolieren und sie für die anschließende analytische Charakterisierung vorzubereiten. Reaktionen bei höheren Drücken und Temperaturen werden in aller Regel in Edelstahl-, Nickel- oder Monel-Hochdruckautoklaven durchgeführt (Monel ist eine Cu.Ni-Legierung mit ca. 33 % Cu und 67 % Ni).

1.1.2 Analysemethoden Die am weitesten verbreiteten Analysemethoden im Bereich der Nichtmetallchemie sind neben Beugungsmethoden wie Röntgen-, Neutronen- und Elektronen-

1.1 Arbeitstechniken und Analysemethoden

3

beugung und der Massenspektrometrie vor allem die Schwingungsspektroskopie (Infrarot- und Raman-Spektroskopie) und die magnetische Resonanzspektroskopie (Kernspinresonanz [NMR] und Elektronenspinresonanz [ESR]). Da die Schwingungs- (IR- und Raman-) sowie die NMR-Spektroskopie die mit am häufigsten eingesetzten instrumentellen Analysemethoden in der Nichtmetall-Molekülchemie sind, wollen wir beide Methoden etwas näher betrachten, wobei sich jedoch die Anwendung gerade dieser Verfahren durch das gesamte erste Kapitel erstrecken wird. Tabelle 1.1 Häufige Lösungsmittel in der Nichtmetall-Molekülchemie. Lösungsmittel

Trockenmittel

Schmelzpunkt.(C Siedepunkt.(C (bei 1 bar)

Dampfdruck.bar (bei 20 (C)

SO2 NH3 HCN SO2CIF CFCl3 (R-11, Freon-11) HF b)

CaH2 Na P4O10 CaH2 P4O10

K 72.7 K 77.8 K 14.0 K125.0 K111.0

K10.0 K33.3 25.7 7.0 23.6

3.30 8.57 a) 0.82 1.64 0.89

BiF5

K 83.6

19.5

a)

b)

1.03

Beim Arbeiten mit Ammoniak als Lösungsmittel in geschlossenen Glasapparaturen sollte aus Sicherheitsgründen (s. Dampfdruck) eine Reaktionstemperatur von 0 (C nicht überschritten werden. Da Glas durch Fluorwasserstoff angegriffen wird, müssen beim Arbeiten mit HF alle Glasapparaturen durch PTFE (Polytetrafluorethylen) oder PFA (Perfluoralkoxy) ersetzt werden; Apparaturen aus PTFE sind weiß, solche aus PFA transparent.

1.1.2.1 NMR-Spektroskopie Die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR, engl. nuclear magnetic resonance spectroscopy) ist eine wichtige Methode, um Informationen über die chemische Umgebung eines Atomkerns und somit die Struktur eines Moleküls zu erhalten. Ebenso wie Elektronen besitzen auch Atomkerne einen inneren Spindrehimpuls, der durch eine Kernspinquantenzahl I charakterisiert wird. Da Kerne aus vielen Protonen und Neutronen zusammengesetzt sind, kann die Kernspinquanten1 zahl viele verschiedene Werte annehmen (I Z 0 , , 1 , ... 6). Einige Regeln er2 möglichen, die Kerne anhand ihrer Massenzahl A und ihrer Ladungszahl Z zu klassifizieren (siehe Tabelle 1.2). Tabelle 1.2 Klassifizierung von Kernen verschiedener Kernspinquantenzahl I. Massenzahl A

Ladungszahl Z

Kernspinquantenzahl I

ungerade gerade gerade

beliebig gerade ungerade

halbzahlig null ganzzahlig

4

1 Nichtmetallchemie

Im Wesentlichen entsprechen die Eigenschaften des Kerndrehimpulses denen des Elektronendrehimpulses, und wir wollen im Folgenden Kerne mit dem Spin 1 und allgemein mit beliebigem Spin I betrachten. (Achtung: Bei den meisten 2 Kernen ist das magnetische Moment anders als bei Elektronen parallel zum Spinvektor, eine Ausnahme ist 15N.) 1 Für Kerne mit dem Spin gibt es zwei Funktionen α und β, die Eigenfunktio2 nen von I 2 und Iz sind, wobei I der Operator des Kernspindrehimpulses und Iz der Operator für dessen z-Komponente ist. Es gilt

( ) ( )

I2 α Z

1 1 1 C 1 ћ 2 α und Iz α Z ћ α 2 2 2

I2 β Z

1 1 C 1 ћ2 β 2 2

sowie

und Iz β Z

1 ћβ 2

Allgemein können wir ganz analog zu den K den meisten Lesern sicher vertrauteren K Verhältnissen beim Elektronenspin für Kerne mit beliebigem I schreiben: I 2R (ρ) Z I (I C 1) ћ2 R (ρ) und Iz R (ρ) Z mI ћ R (ρ) wobei R(ρ) eine Eigenfunktion zu I 2 mit den Eigenwerten I (I C 1) ћ2 ist und die Quantenzahl mI Werte von I bis KI annehmen kann (mI Z I, I K 1, I K 2, ... KI). Der entsprechende Operator des magnetischen Moments µ ist µ Z gN βN I . ћ wobei gN der für jeden Kern charakteristische g-Faktor und βN das Kernmagneton ist (βN Z 5.0507866 ! 10K27 J TK1). 1 Wird ein Kern mit I Z in ein statisches Magnetfeld gebracht, so haben die 2 beiden Zustände α und β nicht mehr die gleiche Energie. Die klassische Wechselwirkungsenergie zwischen einem magnetischen Dipol µ und einem statischen Feld B0 ist $% E Z K µ $ B0 daher können wir den magnetischen Hamiltonoperator für diese Wechselwirkung als

%$

%$H Z K (gN βN I . ћ) $ B0 Z K gN βN √I (I C 1) $ B 0

%$schreiben. Da das Skalarprodukt zweier Vektoren (I $ B 0) gleich der Länge von B0 multipliziert mit der Länge der Projektion von I auf B0 ist und die Richtung von B0 gerade die z-Achse definiert, ist Iz die Projektion von I auf B0 (B0 ist der Betrag des Magnetfeldes) H Z K gN βN B0 Iz . ћ Z K gN βN B0 mI 1 Die Energien der Zustände α und β für Kerne mit I Z ergeben sich aus den 2 Eigenwertgleichungen

1.1 Arbeitstechniken und Analysemethoden

5

1 Abb. 1.3 Energieniveauschemata für Kerne mit I Z und I Z 1 bei Anlegen eines äuße2 $% ren Magnetfeldes B0.

zu

Hα Z Eα α und Hβ Z Eβ β

1 1 Eα Z K gN βN B0 und Eβ Z C gN βN B0 2 2

Die Energie der Zustände α und β divergiert also bei wachsendem B0. Abbildung 1 1.3 zeigt die Energieniveauschemata für Kerne mit I Z und zum Vergleich auch 2 $% für I Z 1 bei Anlegen eines äußeren Magnetfeldes B 0 . Die Resonanzbedingung ist ∆E Z h ν0 Z gN βN B0 oder nach Einführung des oft verwendeten gyromagnetischen Verhältnisses γ ∆E Z h ν0 Z gN βN B0 Z γ ћ B0 mit γ Z gN βN . ћ Die relativen Besetzungszahlen der Zustände unterschiedlicher Energie werden durch die Boltzmann-Verteilung beschrieben: ∆E NC K (N C, N K: Besetzungszahlen im energetisch höheren K Z e RT N bzw. tieferen Niveau)

Aufgrund der sehr kleinen Energiedifferenz ist die Besetzung der Energieniveaus nahezu gleich, wobei der energieärmere Zustand etwas stärker besetzt ist. Durch Energiezufuhr wird das Besetzungsverhältnis zugunsten des energiereicheren Zustandes verändert, bis Gleichbesetzung vorliegt. Da die Energiedifferenz proportional zur Feldstärke ist, wird in der Praxis bei möglichst hohen Magnetfeldstärken gearbeitet, um wegen der größeren Differenz der Besetzungszahlen eine stärkere Absorption und somit ein größeres Signal zu erreichen (Erhöhung der Empfindlichkeit). Man unterscheidet zwei unterschiedliche Relaxationsvorgänge. Bei der longitudinalen oder Spin-Gitter-Relaxation wird Energie vom Spinsystem an die Umgebung, das sogenannte Gitter, abgegeben. Die dazu notwendige Zeit wird longitudinale Relaxationszeit T1 genannt. Die transversale oder Spin-Spin-Relaxation basiert auf einem Energieaustausch innerhalb des Spinsystems; die dazu notwendige Zeit ist die transversale Relaxationszeit T2. Lange T1-Zeiten bewirken eine Reduktion der Signalintensität, d. h. es kommt zu einer Sättigung der Resonanzli-

6

1 Nichtmetallchemie

nie. Bei sehr kurzen T1-Zeiten erfolgt aufgrund der sehr kurzen Aufenthaltsdauer der Kerne in den einzelnen Energiezuständen eine Verbreiterung des Resonanzsignals. 1 Ferner gilt, dass alle Kerne mit I O ein Quadrupolmoment besitzen, das 2 durch die nicht kugelsymmetrische Ladungsverteilung der Kernladung hervorgerufen wird. In Tabelle 1.3 sind die Kerneigenschaften einiger für die NMR-Spektroskopie wichtiger Kerne aufgeführt. Tabelle 1.3 Eigenschaften einiger für die NMR-Spektroskopie wichtiger Kerne. Kern 1

H

nat. Häufigkeit.% 99.98

11

80.42

13

1.11

14

99.63

15

0.37

19

100.00

29

4.70

31

100.00

75

100.00

77

7.58

B C N N F Si P As Se

123

0.89

125

7.00

129

26.44

Te Te Xe

a)

Spin 1 2 3 2 1 2 1 1 2 1 2 1 2 1 2 3 2 1 2 1 2 1 2 1 2

rel. Empfänglichkeit, bezogen auf 13C a)

Quadrupolmoment. 10K28 e m2

5656

K

754

3.55 ! 10K2

1

K

5.7

1.60 ! 10K2

2.2 ! 10K2

K

4713 2.1

K K

377

K

143

0.3

3.0

K

0.9

K

12.5

K

31.8

K

Die relative Empfänglichkeit ist gleich der relativen Empfindlichkeit multipliziert mit der natürlichen Häufigkeit.

Zur Aufnahme eines NMR-Spektrums wird heute nur noch die Fourier-Transformationstechnik (FT-Technik) angewendet, bei der durch Erzeugung eines starken Pulses gleichzeitig alle Resonanzfrequenzen angeregt werden. Das hierbei erhaltene Empfängersignal, die so genannte frei abklingende Induktion (FID, engl. free induction decay), wird durch computergesteuerte Fourieranalyse in ein „konventionelles“ NMR-Signal umgewandelt. Der Vorteil dieser Methode liegt in der

1.1 Arbeitstechniken und Analysemethoden

7

sehr viel kürzeren Messzeit und der Verbesserung des Signal.Rauschverhältnisses durch Aufnahme einer größeren Anzahl von Spektren. Zur Erzeugung sehr starker (große Besetzungszahldifferenz) und möglichst homogener Magnetfelder (scharfe Signale) werden in den NMR-Spektrometern konventionelle (Feldstärke 1K2 T) oder supraleitende (Feldstärke bis zu 17 T) Elektromagnete eingesetzt. Die natürliche Häufigkeit eines Isotops ist für die NMR-Spektroskopie ein entscheidender Faktor (Tabelle 1.3). Lange Zeit war es z. B. sehr schwierig, ein NMR-Spektrum für 15N und 13C aufzunehmen. Erst durch Einführung der FTTechnik konnte diese Schwierigkeit gelöst werden. Eine andere Möglichkeit zur Überwindung dieses Problems liegt in der Verwendung isotopen-angereicherter Proben. Damit Resonanz eintritt, müssen die Sendefrequenz und die Magnetfeldstärke so aufeinander abgestimmt sein, dass sie die Resonanzbedingung erfüllen. Bedingt durch die Ab- bzw. Entschirmung der Kerne durch die Elektronenhülle wirkt auf einen Kern nicht das äußere Magnetfeld B0, sondern ein geringfügig verändertes Feld: Beff Z B0 (1 K σ) Die Abschirmkonstante σ setzt sich aus einem diamagnetischen, einem paramagnetischen und dem Anisotropieanteil zusammen (σ Z σ dia C σ para C σ aniso). Der diamagnetische Anteil wird in erster Linie durch die Elektronen der chemischen Bindung verursacht, die von dem betreffenden Kern ausgeht. Das äußere Magnetfeld B0 induziert hierbei ein magnetisches Moment µ, das dem Erregerfeld entgegengesetzt ist. Hierbei bewirken hohe Elektronendichten eine Hochfeldverschiebung (Tieffrequenzverschiebung). Der paramagnetische Anteil von σ kann dadurch erklärt werden, dass in Molekülen die sphärische Symmetrie der Elektronendichte um einen Kern durch andere (benachbarte) Kerne gestört wird, wodurch auch der Diamagnetismus des betreffenden Kerns herabgesetzt wird. Diese Verhältnisse lassen sich durch das Auftreten eines paramagnetischen Moments σ para beschreiben, das im Gegensatz zum diamagnetischen Moment zu einer Verstärkung des äußeren Feldes B0 führt. Magnetische Anisotropie σ aniso tritt z. B. in linearen Molekülen oder Molekülgruppen wie Ethin oder CO oder in aromatischen Verbindungen wie Benzol auf, wenn durch die Elektronendichten der chemischen Bindung zusätzliche magnetische Dipole erzeugt werden, die dem äußeren Feld entgegenwirken oder dieses verstärken. Dadurch wird die Lage des Resonanzsignals zum Teil erheblich anders registriert als man aufgrund der Elektronendichten erwarten würde. Die Lage der Signale im Spektrum (chemische Verschiebung) gibt Auskunft über die elektronische Umgebung der Atome. Aus der Feinstruktur, die durch die Spin-Spin-Kopplung entsteht, erhält man Auskunft über die Nachbaratome. Die chemische Verschiebung δ wird als dimensionslose Größe angegeben, die für Messungen in Frequenzeinheiten wie folgt definiert ist: δZ

νSubstanz K νStandard (ν0 Z Betriebsfrequenz des Spektrometers) ν0

Die δ-Skala ist dimensionslos; da die Differenz der Resonanzfrequenzen (νSubstanz K νStandard) im Bereich von einigen 10K6 mal der Betriebsfrequenz des Spektro-

8

1 Nichtmetallchemie

meters liegt, werden chemische Verschiebungen meist in ppm (parts per million) angegeben. Nach IUPAC-Konvention gilt δ O 0: Hochfrequenzverschiebung bzw. Tieffeldverschiebung bezogen auf das Standardsignal (δ Z 0), d. h. Entschirmung des Kerns. δ ! 0: Tieffrequenzverschiebung bzw. Hochfeldverschiebung bezogen auf das Standardsignal (δ Z 0), d. h. Abschirmung des Kerns. In Tabelle 1.4 sind die gebräuchlichsten Standards für die verschiedenen Atomkerne aufgeführt. Tabelle 1.4 Gebräuchliche Standards für die NMR-Spektroskopie. Untersuchter Kern 1

H,

13

C,

29

Si

19

F

14

N,

Standard (δ^0 ppm) Si(CH3)4 (Tetramethylsilan, TMS) CFCl3

15

N

CH3NO2

31

H3PO4 (85 %) in H2O

11

BF3 · OEt2

P B

77

Se

123

Te,

129

Xe

Se(CH3)2 125

Te

Te(CH3)2 XeOF4

Aufgrund magnetischer Wechselwirkungen der untersuchten Atomkerne mit benachbarten Kernen (Spin-Spin-Kopplung) zeigen die meisten Signale eine Feinstruktur. Jedes magnetische Moment eines Kernes verursacht durch seine Orientierung eine Veränderung der Feldstärke an den Kernen seiner Umgebung. Die koppelnden Kerne werden als Spinsystem betrachtet. Diskutieren wir zunächst ein Spinsystem AB (IA Z IB Z 1.2). Für den isolierten Kern A existieren im Magnetfeld zwei Energieniveaus mit einem Übergang dazwischen, d. h. im Spektrum wäre ein einzelnes Signal (Singulett) zu sehen. Durch Kopplung mit dem Kern B, für den ebenfalls zwei Spinzustände existieren, kommt es zu einer Aufspaltung der beiden Energieniveaus des Kernes A, da sich die Spins entweder parallel oder antiparallel zu den Spins des Kernes B einstellen können (Abb. 1.4). Der Zustand a, in dem beide Kerne parallel zum äußeren Feld ausgerichtet sind, ist der energieärmste. Im Zustand b ist Kern A parallel zu B0 ausgerichtet, aber Kern B ist antiparallel. Da jeweils nur ein Kern seinen Spin umkehrt (und nicht beide Kerne gleichzeitig), entsprechen die erlaubten Übergänge den zwei in Abb. 1.4a gezeigten Pfeilen. Da a $% c und b $% d entartet sind, sollten wir nur eine einzige Absorptionsfrequenz entsprechend der chemischen Verschiebung von A beobachten. Wenn nun A und B nahe genug benachbart sind, sodass sie das magnetische Feld des jeweils anderen Kerns spüren, beobachten wir, dass die Zustände a und d etwas stabilisiert werden, während die Zustände b und c um den gleichen Betrag destabilisiert werden (Abb. 1.4b). Die erlaubten Kernspin-Übergänge ergeben nun ein Zwei-LinienSpektrum (Dublett). Die Kopplungskonstanten J (s. Abb. 1.4) sind nicht immer positiv, wir wollen aber im Rahmen dieser Einführung nicht auf negative Werte

1.1 Arbeitstechniken und Analysemethoden

9

Abb. 1.4 Spin-Spin-Kopplung. (a) Energieniveaus eines Zweispinsystems ohne Kopplung; (b) Energieniveaus eines Zweispinsystems mit von A bei Wechselwirkung mit B (J-Kopplung). Für jeden Kern erscheinen zwei Signale im Spektrum (Dublett); (c) Spektrum des Systems aus (b) mit zwei Dubletts. In unserem einfachen Beispiel gibt es nun zwei Übergänge unterschiedlicher Energie und im Spektrum erscheint ein Dublett. Beide Signale des Dubletts zeigen die gleiche Intensität, da die Besetzung beider Niveaus annähernd gleich ist und die Schwächung oder Stärkung des Feldes am Kern A durch die Einstellmöglichkeiten der Kernspins von B annähernd gleich wahrscheinlich sind. Ebenso wie das Signal von Kern A durch die Kopplung mit B symmetrisch aufspaltet, wird auch das Signal von B durch Kern A aufgespalten.

von J eingehen. Wichtig ist, dass die Kopplungskonstanten feldunabhängig (konstant) sind. Der Einfluss der Spin-Spin-Kopplung nimmt mit der Entfernung zwischen den Atomen ab, d. h. der Zahl der Bindungen zwischen den koppelnden Kernen. Der Linienabstand, die sogenannte Kopplungskonstante, ist unabhängig von der Feldstärke und wird in Hz angegeben. Die Signalmultiplizität M beträgt 2n I C 1, wobei n die Anzahl der koppelnden Kerne der Nachbargruppe ist und I deren 1 Kernspinquantenzahl. Bei koppelnden Kernen mit I Z verhalten sich die rela2 tiven Linienintensitäten innerhalb der Signalgruppe wie Binomialkoeffizienten 1 (1, 1 : 1, 1 : 2 : 1, 1 : 3 : 3 : 1, 1 : 4 : 6 : 4 : 1, ...). Bei Kernen mit I O weichen die rela2 tiven Linienintensitäten von diesem Schema ab. Spin-Spin-Kopplung tritt zwischen verschiedenen Isotopen auf, z. B. zwischen 1H und 19F, aber auch zwischen gleichen Isotopen, wenn die Kerne unterschiedliche chemische Verschiebungen besitzen. Bei Kopplungen zwischen Kernen mit sehr unterschiedlicher natürlicher Häufigkeit wie z. B. 1H (99.98 %) und 13C (1.11 %) oder 77Se (7.58 %) werden die

10

1 Nichtmetallchemie

entsprechenden Resonanzlinien nur mit sehr geringer Intensität als sogenannte Satellitensignale registriert. Im NMR-Spektrum eines Isotops sind die Intensitäten der Resonanzsignale (die Flächen unter den Signalen) proportional zur Zahl der anwesenden Kerne. Daraus ergeben sich bei der Auswertung eines Spektrums wichtige Hinweise für die Strukturaufklärung einer Verbindung. Bei manchen Substanzen werden temperaturabhängige Veränderungen der Signale im Spektrum beobachtet, die z. B. auf schnelle Austauschprozesse oder intramolekulare Umwandlungen zurückgeführt werden können. Beispielsweise zeigen die cis- und trans-Methylgruppen in Dimethylformamid (Me2 N K C(O)H !% Me2 NC Z CHOK) unterschiedliche chemische Verschiebungen, die bei niedriger Temperatur, d. h. langsamer Umwandlungsgeschwindigkeit, als zwei Signale im Spektrum zu beobachten sind. Bei hoher Temperatur, d. h. schneller Umwandlungsgeschwindigkeit, fallen die beiden Signale zu einem Mittelwertsignal zusammen. Am Koaleszenzpunkt, an dem die Signale gerade zu einem Signal zusammenfallen, ist die Lebensdauer τ der einzelnen Komponenten durch folgenden Ausdruck gegeben: τZ

√2 (∆ν: Abstand der Einzelsignale in Hz) 2π ∆ν

Eine Näherungslösung für die Geschwindigkeitskonstante am Koaleszenzpunkt liefert folgende Beziehung kkoal. Z

π ∆ν

√2

Über die Eyring-Gleichung kann die freie Aktivierungsenthalpie berechnet werden:

(

∆G #. (kJ molK1) Z 19.13 (Tc . K) 9.97 C lg

Tc . K

)

∆ν . Hz

1.1.2.2 IR- und Raman-Spektroskopie Ein wichtiges Anwendungsgebiet schwingungsspektroskopischer Methoden ist neben der Identitäts- und Reinheitsprüfung bekannter Substanzen die Strukturaufklärung unbekannter Verbindungen. Aus der Zahl und Lage der beobachteten Banden lassen sich Hinweise auf die Bindungsverhältnisse und die Molekülsymmetrie ableiten. Sowohl die IR- als auch die Raman-Spektroskopie sind schwingungsspektroskopische Methoden, die jedoch auf unterschiedlichen physikalischen Grundlagen beruhen. Da mit beiden Methoden unterschiedliche Arten von Schwingungen erfasst werden, ergänzen sich IR- und Raman-Spektren optimal. Bevor die charakteristischen Merkmale von IR- und Raman-Spektroskopie diskutiert werden, sollen zuerst einige Grundlagen zur Theorie von Molekülschwingungen erörtert werden.

1.1 Arbeitstechniken und Analysemethoden

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Das einfachste schwingungsfähige System ist ein zweiatomiges Molekül, das sich durch zwei Massepunkte beschreiben lässt, die über eine elastische Feder miteinander verbunden sind. Wird der Gleichgewichtsabstand r0 dieser Massepunkte um ∆ r verändert, entsteht eine Schwingungsbewegung. Die rücktreibende Kraft F wird durch das Hooke’sche Gesetz beschrieben: F Z Kf∆ r Darin ist f die Kraftkonstante, die ein Maß für die Stärke einer Bindung ist. Ein System, welches das Hooke’sche Gesetz befolgt, heißt harmonischer Oszillator; seine potentielle Energie V ist als Funktion des Kernabstandes durch nachstehende Gleichung gegeben, die Potentialkurve hat die Form einer Parabel: 1 V Z f (∆ r)2 2 Die Schwingungsfrequenz ν eines zweiatomigen Oszillators hängt von den Massen M1 und M2 sowie von der Kraftkonstante f ab: νZ

1 2π



f

(M1 CM2) 1 Z M1 M2 2π



f µ

Die hier definierte Größe µ heißt reduzierte Masse. Die Energieeigenwerte der unterschiedlichen Schwingungszustände sind gegeben durch

( )

En Z h ν ns C

1 2

(ns: Schwingungsquantenzahl)

Mit der Auswahlregel ∆ns Z G1 ist die Energie des Übergangs gleich hc λ 1 oder nach Einführung der Wellenzahl ν˜ Z λ ∆ E Z h c ν˜ ∆E Z h ν Z

Realistischer muss ein zweiatomiges Molekül als anharmonischer Oszillator beschrieben werden, da das Auftreten von Kombinations- und Oberschwingungen sowie die Dissoziation eines Moleküls bei hinreichend großer Energiezufuhr in der harmonischen Näherung nicht verständlich wird. Die potentielle Energie des anharmonischen Oszillators kann näherungsweise z. B. durch das Morsepotential ausgedrückt werden. Vanharmonisch Z D(1 K eKa ∆ r)2 Darin ist D die Bindungsenergie, d. h. die Summe aus Nullpunktsenergie und Dissoziationsenergie (D0) und a eine für die Krümmung der Potentialkurve charakteristische empirische Konstante. Aus den Energieeigenwerten der unterschiedlichen Schwingungsniveaus, in die die Anharmonizitätskonstante x (x O 0) eingeht, ergibt sich, dass die Energieniveaus nun nicht mehr äquidistant sind wie beim harmonischen Oszillator, sondern mit steigender Schwingungsquantenzahl immer näher zusammenrücken, bis

12

1 Nichtmetallchemie

schließlich die Dissoziationsgrenze erreicht ist. Die Auswahlregel für Schwingungsübergänge lautet nun ∆ ns Z G1, G2, G3, ... wobei Übergänge mit ∆ns Z G1 als Grundschwingungen und Übergänge mit -∆ns - O 1 als Oberschwingungen bezeichnet werden. Aufgrund der Anharmonizität treten die Grundschwingungen bei niedrigerer Frequenz auf als nach dem harmonischen Ansatz erwartet: νZ

1 2π



E ns Z h ν

f (1 K 2x) µ

[(

ns C

) (

)]

1 1 K ns C 2 2

2

IR-Spektroskopie Das entscheidende Kriterium für die IR-Aktivität einer Schwingung ist, dass sich das Dipolmoment des Moleküls während der Schwingung ändert:

( )

∂µ s0 ∂∆r

Je größer diese Änderung ist, desto intensiver erscheint die Bande dieser Molekülschwingung im Spektrum. Der Übergang eines schwingungsfähigen Systems vom Schwingungsgrundzustand (ns Z 0) in einen höheren Zustand (ns O 0) beruht in der IR-Spektroskopie auf der Absorption von Lichtquanten. Zur Aufnahme eines IR-Spektrums wird die Probe daher einer polychromatischen Strahlung ausgesetzt (Abb. 1.5). Dabei wird zwischen drei Teilbereichen unterschieden: das nahe kurzwellige IR (λ Z 800 nm bis 2.5 µm, entspricht ν˜ Z 12500K4000 cmK1), das mittlere IR (λ Z 2.5K50 µm, entspricht ν˜ Z 4000K200 cmK1) und das ferne IR (λ Z 50K1000 µm, entspricht ν˜ Z 200K10 cmK1). Zur Identitätsprüfung und Strukturaufklärung wird hauptsächlich im Bereich des mittleren IR gearbeitet, in dem die meisten Fundamentalschwingungen beobachtet werden.

Abb. 1.5 Schematische Darstellung der IR-Absorbtion.

Im Spektrum werden die Transmission T, die Absorption A oder zur quantitativen Auswertung die Extinktion E als Funktion der Wellenzahl aufgetragen:

1.1 Arbeitstechniken und Analysemethoden

TZ

13

I ! 100 I0

A Z 100 K T E Z log

I Z εν c d I0

Dabei bedeutet c die Konzentration, d die Schichtdicke und εν den Extinktionskoeffizienten. Gleichzeitig mit dem Schwingungsübergang finden jedoch auch Rotationsübergänge statt. Die Auswahlregeln lauten: ∆ ns Z G1, G2, ... ∆ nr Z G1 (nr: Rotationsquantenzahl) Daraus ergibt sich, dass der reine Schwingungsübergang (∆ nr Z 0, Q-Zweig) verboten ist; im Spektrum erscheint eine Lücke zwischen dem P-Zweig (∆ nr Z K1) und dem R-Zweig (∆ nr Z C1). Im Spektrum kann die Rotationsstruktur jedoch nur bei gasförmigen Proben beobachtet werden. In kondensierten Phasen wird die Rotation durch intermolekulare Wechselwirkungen behindert, sodass nur unstrukturierte Banden beobachtet werden. Raman-Spektroskopie Eine Schwingung ist nur dann Raman-aktiv, wenn sich die Polarisierbarkeit α des Moleküls während der Schwingung ändert:

( )

∂α s0 ∂∆ r

Die Intensität der Raman-Linien nimmt mit zunehmender Polarität der Bindungen ab und mit zunehmendem Bindungsgrad zu. Die Auswahlregeln für den Raman-Effekt lauten: ∆ ns Z G1, G2, ... ∆ nr Z 0, G2, ... Die Anregung in einen höheren Schwingungszustand erfolgt nicht durch Absorption von Lichtquanten, sondern durch inelastische Streuung von Photonen. Generell kann man zwischen drei Arten von Streuung unterscheiden (Abb. 1.6). Bei der Rayleigh-Streuung ändert sich die Energie des Oszillators nicht, folglich ist auch die Frequenz der Streustrahlung gleich der Frequenz des Erregerlichts (elastische Streuung). Bei der Stokes- und der Anti-Stokes-Streuung handelt es sich um inelastische Streuvorgänge, bei denen der Oszillator in einen energetisch höheren bzw. niedrigeren Zustand versetzt wird. Das Streulicht hat entsprechend eine kleinere (Stokes) bzw. größere (Anti-Stokes) Frequenz als das Erregerlicht. Die Differenz ∆E entspricht der vom Oszillator aufgenommenen oder abgegebenen Schwingungsenergie. In der Praxis wird die Probe mit monochromatischem Licht (im Sichtbaren oder im nahen IR) bestrahlt (Abb. 1.7), das von der Probe nicht absorbiert werden darf.

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1 Nichtmetallchemie

Abb. 1.6 Schematische Darstellung der elastischen Rayleigh- und der unelastischen Stokes- bzw. Anti-Stokes-Streuung.

Nur ein sehr geringer Teil des Lichts wird von der Probe gestreut. Die Intensität der Rayleigh-Streuung beträgt nur ca. 10K4 und die der Stokes-Streuung ca. 10K8 derjenigen des eingestrahlten Lichts. Daher wird meist monochromatisches Licht verwendet, das mithilfe von Lasern (z. B. Kr-Laser: 647 nm, Ar-Laser: 488 und 514 nm, NdYAG-Laser: 1064 nm) erzeugt wird. Die Streustrahlung, die in der Regel im rechten Winkel zur eingestrahlten Laserstrahlung analysiert wird, wird mithilfe eines Monochromators in die Rayleigh-Strahlung (ν Z ν0) und die Stokes- (ν ! ν0) bzw. Anti-Stokes-Strahlung (ν O ν0) zerlegt. Die Linie der Rayleigh-Streuung wird als Bezugspunkt verwendet (Z Erregerlinie) und der Abstand der Stokes-Linien von der Erregerlinie (a ∆E) relativ dazu registriert. Im Spektrum wird die Intensität der Molekülschwingung (d. h. die Zahl der gestreuten Photonen) als Funktion der Wellenzahl (a ∆E) aufgetragen.

Abb. 1.7 Schematische Darstellung der Beobachtung von elastischer und unelastischer Streuung im rechten Winkel zur Erregerstrahlung.

Neben der Lage und der Intensität einer Bande ist der Depolarisationsgrad ρ ein weiteres wichtiges Hilfsmittel zur eindeutigen Zuordnung der Banden. I ρZ t Is Is ist die Intensität der Streustrahlung parallel zur Polarisationsrichtung des Erregerstrahls und It diejenige, die senkrecht zur Polarisationsrichtung gemessen

1.1 Arbeitstechniken und Analysemethoden

15

wird. Elektromagnetische Strahlung, die in der yz-Ebene polarisiert ist, induziert in Molekülen einen in dieser Ebene schwingenden Dipol, der Strahlung in der xRichtung abgibt (Is). Wird die Polarisationsebene des Erregerstrahls gedreht, ändert sich die Schwingungsrichtung des Dipols. Energie in Form von elektromagnetischer Strahlung kann nur parallel zur Schwingungsrichtung des Dipols abgegeben werden, sodass in diesem Fall in x-Richtung keine Strahlung auftritt, d. h. theoretisch ist It und somit ρ gleich null (Abb. 1.8). Eine Bande, die in einer zweiten Messung mit polarisiertem Licht nach Drehung der Polarisationsebene des Erregerstrahls stark an Intensität verliert, bezeichnet man als polarisiert. Dies ist z. B. bei den Banden von totalsymmetrischen Molekülschwingen der Fall. In Schwingungen, in deren Verlauf wenigstens ein Symmetrieelement des Moleküls 3 aufgehoben wird, hat ρ einen theoretischen Wert von . Durch Bestimmung des 4 Depolarisationsgrads lassen sich totalsymmetrische Schwingungen leicht zuord3 nen; allerdings kann ρ auch größere Werte annehmen (0 ! ρ ! ), sodass die 4 Zuordnung nicht in allen Fällen eindeutig ist.

Abb. 1.8 Schematische Darstellung zu Polarisationsmessungen in der Raman-Spektroskopie.

Probenpräparation und Spektrenauswertung Nach der Beschreibung der Voraussetzungen und der zugrunde liegenden physikalischen Vorgänge sollen im Folgenden noch einige Hinweise zur Spektrenauswertung und Probenpräparation gegeben werden. In einem mehratomigen Molekül treten neben Valenzschwingungen (Streckschwingungen) auch Deformationsschwingungen auf. Die Anzahl der Normalschwingungen entspricht der Zahl der Schwingungsfreiheitsgrade, d. h. für lineare Moleküle 3n K 5 und für gewinkelte Moleküle 3n K 6, wobei n die Anzahl der Atome im Molekül ist. Die Zahl der Valenzschwingungen entspricht immer der Zahl der Bindungen. Im Spektrum werden jedoch häufig weniger Schwingungen beobachtet, als man nach der Zahl der Schwingungsfreiheitsgrade erwarten würde. Das kann einerseits daran liegen, dass bestimmte Schwingungen IR- und Raman-inaktiv sind, andererseits treten bei bestimmten Molekülsymmetrien auch entartete, d. h. energiegleiche, Schwingungen auf. Bei Molekülen, die ein Inversionszentrum besitzen, gilt das Alternativverbot: Schwingungen, die IR-aktiv sind, sind Raman-inaktiv und umgekehrt. Es gibt auch Fälle, z. B. Moleküle

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1 Nichtmetallchemie

der Punktgruppe Oh, bei denen Schwingungen weder IR- noch Raman-aktiv sind (XY6, δ-YXY, ν6). Zusätzlich zu Normalschwingungen treten auch Kombinations- und Oberschwingungen im Spektrum in Erscheinung, meist jedoch in geringerer Intensität. In der Infrarot-Spektroskopie können Proben aller Aggregatzustände gemessen werden. Gasförmige Proben werden meist in 10 cm langen Glaszylindern mit strahlungsdurchlässigem Fenstermaterial gemessen, das aus Einkristallen von NaCl, KBr, CaF2, Si etc. besteht. Flüssige Proben werden als dünner Film zwischen Platten aus KBr, CsI, AgCl, Si etc. vermessen, für Lösungen verwendet man Flüssigkeitsküvetten mit einer Schichtdicke von ca. 0.3 cm aus den gleichen Materialien. Feststoffe werden entweder mit KBr, CsI etc. verrieben und zu einer Tablette gepresst, die dann direkt in den Strahlengang gebracht wird, oder zwischen Platten (KBr, CsI, etc.) als Nujol®-(Paraffinöl) oder Fluorolube®-(Polytrifluorchlorethylen) Suspension vermessen. In der Raman-Spektroskopie können prinzipiell ebenfalls Proben aller Aggregatzustände untersucht werden, die Messung gasförmiger Proben ist jedoch aufgrund ihrer geringen Dichte schwierig. Zur Messung wird das Probenmaterial in Glasgefäße (HF-Lösungen in Behälter aus Kel-F® [Polychlortrifluorethylen]) gefüllt und in den Strahlengang gebracht. Aus der unterschiedlichen Probenpräparation ergeben sich zwangsläufig einige Vor- und Nachteile beider Methoden. Für Routinemessungen ist die IR-Spektroskopie aufgrund der einfacheren Durchführbarkeit besser geeignet. Für temperatur- oder luftempfindliche Proben bietet die Raman-Spektroskopie den Vorteil, dass ein Umfüllen der Probe nicht unbedingt erforderlich ist und sie direkt im Reaktionsgefäß (Glas, Kel-F) vermessen werden kann. Obwohl in der Raman-Spektroskopie durch den Einsatz von Tieftemperaturund Lasertechnik einerseits sowie die Verwendung rotierender Proben (sample spinning) andererseits auch temperaturempfindliche oder farbige Substanzen vermessen werden können, sind doch zwei Probleme noch immer von entscheidender Bedeutung. Einerseits bereiten tieffarbige Verbindungen aufgrund von Absorption Schwierigkeiten (geringe Intensität der Streustrahlung, Zersetzung der Probe durch Erwärmung etc.), andererseits kann Fluoreszenz zur teilweisen oder vollständigen Überlagerung eines Raman-Spektrums führen. Besonders stark und häufig tritt Fluoreszenz bei organischen (speziell aromatischen) und polymeren Proben auf, aber auch viele farbige anorganische Stoffe sowie Uranund Thoriumverbindungen zeigen diesen unerwünschten Effekt. Die erst in jüngerer Zeit erfolgte Einführung der Fouriertransformationstechnik in die RamanSpektroskopie kann in Kombination mit der Verwendung von infraroter Erreger(Laser-) Strahlung die oben geschilderten Probleme umgehen. Speziell durch den Einsatz von Neodym-YAG-Lasern (engl. yttrium aluminium garnet, YttriumAluminium-Granat), die bei 1064 nm emittieren, werden Fluoreszenz- und Farbprobleme in der Regel vollständig ausgeschlossen. Aus der Wellenzahl einer Schwingung kann auf charakteristische Gruppen im Molekül geschlossen werden. Es können jedoch in Abhängigkeit von Aggregatzustand und Temperatur geringfügige Verschiebungen auftreten (ν˜ gas O ν˜ flüssig O ν˜ fest). Die genaue Bandenlage einer charakteristischen Gruppe eines Moleküls hängt ebenfalls von Einflüssen durch benachbarte Molekülteile

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

17

ab. Beispielsweise kann die C]O-Valenzschwingung zwischen 1620 und 1830 cmK1 erscheinen, d. h. in einem Bereich von etwa 200 cmK1. Stark elektronegative Substituenten bewirken eine Verstärkung der Bindung und somit eine Verschiebung zu höherer Wellenzahl. Wie bei der Besprechung der Grundlagen erwähnt wurde, hängt die Frequenz bzw. Wellenzahl einer Schwingung von der Masse der beteiligten Atome und der Kraftkonstante ab. Je größer die Kraftkonstante, d. h. je stärker die Bindung ist, desto größer ist die Wellenzahl. Wird in einem Molekül ein bestimmtes Atom durch ein anderes Isotop (z. B. 1H durch 2D) ersetzt, verschieben sich die Wellenzahlen der Schwingungen, an denen das Atom beteiligt ist. Durch Isotopenmarkierung kann der Einfluss der Atommasse für die Zuordnung einzelner Banden genutzt werden.

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle Die Eigenschaften des Elements Wasserstoff und seiner binären Verbindungen sowie deren Herstellung im Labor und in der Großtechnik sind in vielen einführenden Lehrbüchern umfassend dargestellt und sollen an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Ebenso sei bezüglich der Diskussion der Brønsted-Acidität und Basizität auf die Literatur verwiesen.

1.2.1 Das H2-Molekül Um es gleich vorweg zu sagen: Die Theorie der chemischen Bindung wollen wir an dieser Stelle nicht wiederholen. In den meisten einführenden Lehrbüchern werden das HC 2 -Molekülion und dann das H2-Molekül exemplarisch behandelt, wenn die kovalente Bindung eingeführt wird. Eine hervorragende Darstellung findet sich bei z.B. Kutzelnigg. In der Regel wird dabei zunächst die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung mit dem Hamilton-Operator H eingeführt: Hψ Z Eψ Danach werden mithilfe der LCAO-MO-Methode (engl. linear combination of atomic orbitals K molecular orbitals) Molekülorbitale (MOs) ψ aus den Atomorbitalen (AOs) φ im Molekül konstruiert: ψMO Z c1 φ1 C c2 φ2 C ... Unter Verwendung der so genannten Born-Oppenheimer-Näherung ergibt sich dann ein Energieausdruck der Form: EZ

Eψ* H ψ d τ E-ψ-2dτ

18

1 Nichtmetallchemie

Das nichtrelativistische Energieminimum wird dann nach dem Variationsprinzip gemäß

( )

∂E Z0 ∂ci

bestimmt. Für das HC 2 -Molekülion erhalten wir so einen Energieausdruck der Art αGβ EZ 1GS mit den Definitionen: K Coulomb-Integral: α Z H11 Z H22 Z Eφ1* H φ1 d τ (entspricht der Energie des Elektrons im Atomorbital φ1) K Austausch-Integral: β Z H12 Z Eφ1* H φ2 d τ (entspricht der Wechselwirkungsenergie zwischen den beiden Atomorbitalen) K Überlappungs-Integral: S12 Z S Z Eφ1* φ2 d τ Für die beiden Molekülorbitale ψb und ψa (b und a stehen für bindend und antibindend) können wir schreiben ψb Z ψa Z

1

√2 C 2S 1

√2 K 2S

(φ1 C φ2) (φ1 K φ2)

wobei die aus den allgemeinen Lehrbüchern bekanntere Darstellung die der Elektronendichte ist (Abb. 1.9), die proportional zum Betragsquadrat der Molekülorbital-Wellenfunktionen ψb und ψa ist:

( (

) )

1 - φ1 - 2 C - φ2 - 2 C 2φ1* φ2 2 C 2S 1 - φ1 - 2 C - φ2 - 2 K 2φ1* φ2 - ψa - 2 Z 2K2S - ψb - 2 Z

C

Abb. 1.9 Elektronendichte der Atom- und Molekülorbitale für das H 2 -Molekülion. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus: T. M. Klapötke, I. C. Tornieporth-Oetting, Nichtmetallchemie. Wiley-VCH, Weinheim 1994, Abb. 1K5.]

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

19

Wie bereits erwähnt, sollte diese kurze Zusammenfassung jedem Leser geläufig sein, und ebenso wird bekannt sein, dass die Interferenz der Orbitale zu einer Erniedrigung der Gesamtenergie, d. h. zu einem Minimum der Potentialkurve und damit zur chemischen Bindung führt (Abb. 1.10).

C

Abb. 1.10 H 2 -Potentialkurve (1 a.u. Z 27.2114 eV a 2621 kJ molK1). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1973, 85, 551.]

Nun aber wollen wir uns hier die entscheidende Frage stellen, die von manchen Studenten und auch in einigen Lehrbüchern falsch beantwortet wird: Welcher physikalische Mechanismus ist dafür verantwortlich, dass die positive Interferenz der AOs zur Energieerniedrigung und somit zur Bindung führt? Einige Leser mögen sich fragen, ob eine solche Thematik nicht eher in ein Buch der Physikalischen Chemie als in ein Lehrbuch der Anorganischen Chemie gehört. Aber seien wir einmal ehrlich: Ist es wirklich seriös, moderne Nichtmetallverbindungen, komplizierte chemische Moleküle, Komplexverbindungen, Organometallverbindungen und Cluster zu diskutieren, wenn wir nicht einmal eine Ahnung davon haben, warum H2 stabiler ist als zwei getrennte Wasserstoffatome? Es wird oft fälschlicherweise behauptet, dass die Anhäufung von Ladung in der Bindungsregion bei der Bildung von H2 (oder HC 2 ) zu einer Erniedrigung der potentiellen Energie führe, da sich die Elektronen (bzw. das Elektron) dann im Feld beider Kerne befänden. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn diese Bindungselektronendichte (vgl. Abb. 1.9) steht nicht zusätzlich zur Verfügung, da die Gesamtelektronenzahl durch die Interferenz ja nicht verändert wird. Bei der Ausbildung der Bindung handelt es sich vielmehr um eine Verschiebung von Elektronendichte in die Bindungsregion, und zwar aus Gebieten, die für die potentielle Energie viel günstiger sind, nämlich in unmittelbarer Nähe eines der Kerne. Insgesamt führt die Interferenz daher zu einer Erhöhung der potentiellen Energie K folglich muss die kinetische Energie für die Ausbildung der Bindung entscheidend sein. Diese Erkenntnis ist eng mit den Arbeiten von Hellmann und Ruedenberg verbunden und kann anschaulich wie folgt interpretiert werden. Beim Übergang von den getrennten Atomen zum Molekül vergrößert sich der

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1 Nichtmetallchemie

den Elektronen zur Verfügung stehende Raum, d. h. nach Heisenberg nimmt die Ortsunschärfe zu und damit die Unschärfe des Impulses p ab (vgl. p Z mυ; 1 T Z mυ 2; T Z p2. 2m). 2 1 ∆ px $ ∆ x R ћ 2 Da der mittlere Impuls null ist, werden insgesamt kleinere Impulse wahrscheinlicher, d. h. die kinetische Energie T wird kleiner. Drei Gründe dafür, dass sich die falsche Erklärung für die Ursache der chemischen Bindung K sie beruhe auf einer Erniedrigung der potentiellen Energie, sei also elektrostatischer Natur (!) K so lange gehalten hat, sind 1. die oft vorgenommene unzulässige Vernachlässigung der Überlappungsintegrale, 2. die unter Chemikern weit verbreitete Vorliebe für elektrostatische Modelle (d. h. die falsche Anwendung des Hellmann-Feynman-Theorems), 3. die falsche Anwendung des Virialsatzes, der nur für die exakte Lösung der Schrödingergleichung gilt. Und genau mit der exakten Wellenfunktion eines zweiatomigen Moleküls im Grundzustand wollen wir uns kurz beschäftigen (Achtung: die LCAO-MO-Methode liefert immer eine Näherungs-Wellenfunktion, nie die exakte). Nach dem Virialtheorem gilt: 2 "T# Z K2E Z K"V# Wenn ein Molekül stabiler ist als die getrennten Atome, dann muss weiterhin gelten: -EMolekül - O -Egetrennte Atome Da ferner T immer positiv ist (es gibt keine negative kinetische Energie), folgt: "T# Molekül O "T#getrennte Atome Demzufolge ist die kinetische Energie des H2-Moleküls größer als die der getrennten Atome! Dass die Interferenz, die für die Bindungsbildung verantwortlich ist, zu einer Erniedrigung der kinetischen Energie führt (s. o.), insgesamt im stabilen Molekül die kinetische Energie aber größer ist als die der getrennten Atome, ist kein Trugschluss, sondern kann leicht verstanden werden, wenn wir die Bindungsbildung gedanklich wie folgt in vier Einzelschritte „zerlegen“ (Abb. 1.11): einen ersten quasiklassischen Schritt, einen zweiten, bei dem die AOs der freien H-Atome zur Interferenz gebracht werden, einen dritten, in dem wir die Orts- und Impulsunschärfe im Molekül neu optimieren (Promotion, s. u.) und einen vierten, in dem wir berücksichtigen, dass die beiden Elektronen im H2 das gleiche MO besetzen und einander „sehr nahe kommen“ können (Elektronenkorrelation). Der letzte Schritt entfällt natürlich bei der Diskussion des HC 2 ; darüber hinaus muss man noch einen fünften Schritt einführen, wenn beide Bindungspartner unterschiedliche Elektronegativität besitzen (Ladungstransfer).

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

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Abb. 1.11 Beiträge der kinetischen (T) und potentiellen Energie (V) zur Bindungsbildung im H2-Molekül. [Abbildung gezeichnet nach Rev. Mod. Phys. 1962, 34, 326.]

Für die angegebenen vier Schritte gilt: 1. Die quasiklassische Wechselwirkung der Kerne und der Elektronendichteverteilungen der „ungebundenen“ Atome ist schwach anziehend bei neutralen Molekülen, schwach abstoßend bei einigen Molekülionen. 2. Die Interferenz kann konstruktiv (φ1 C φ2) oder destruktiv sein (φ1 K φ2). Bei konstruktiver Interferenz erfolgt Ladungsverschiebung aus der Kernnähe in die Region der Bindung, d. h. in die Gegend zwischen den Kernen. Diese Ladungsverschiebung bewirkt eine Erniedrigung der kinetischen Energie, die die Bindung zur Folge hat. 3. Die Promotion, d. h. die Deformation der AOs ist im Wesentlichen eine Kontraktion, wobei die dem Molekül angepassten AOs mehr in Kernnähe lokalisiert sind. Die Promotion führt im Fall des H2 lediglich zu einer Änderung der Bilanz der intraatomaren potentiellen und kinetischen Energie (Abb. 1.11), sie hat auf die Bindungsenergie keinen wesentlichen Einfluss. 4. Die Elektronenkorrelation (auch: sharing penetration) beruht darauf, dass die beiden Elektronen mit unterschiedlichem Spin im H2 dasselbe MO besetzen und einander „sehr nahe“ kommen können, sodass sich die beiden Elektronen ebenso häufig in der Nähe desselben Atoms wie an verschiedenen Atomen befinden. Dieser Effekt, der der Bindung entgegenwirkt und der u.a. dafür verantwortlich ist, dass die Bindungsenergie im H2 dem Betrage nach kleiner ist als zweimal die im HC 2 , beruht also auf der Anwesenheit beider Elektronen am gleichen Atom infolge der Bindung. Es besteht also eine gewisse Konkurrenz zwischen Interferenz und Elektronenkorrelation.

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1 Nichtmetallchemie

Die Berücksichtigung der Korrelation ist besonders bei großen Abständen wichtig, s. Abschnitt 1.2.3. Für das H2-Molekül müssen wir demzufolge zusätzlich zu der Konfiguration (1σg)2 (1ΣC g -Term) besonders für R $% N auch die Konfiguration (1σu)2 (1ΣC g -Term) beimischen. (Anmerkung: Zur Konfiguration 3 C (1σg)1(1σu)1 gehören zwei Terme 1ΣC u und Σ u , die beide ungerade Parität besitzen, sodass sie aus Symmetriegründen nicht mit dem Grundzustand mischen.) Es mag vielleicht verwirren, dass die Elektronenkorrelation in Abb. 1.11 einen positiven Wert zur Gesamtenergie E liefert, während wir später (vgl. Abschnitt 1.2.3, Tabelle 1.9) feststellen werden, dass die Elektronenkorrelation immer einen negativen (stabilisierenden) Beitrag zur Bindung liefert. Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich so erklären, dass wir bei der Diskussion des H2-Moleküls (Abb. 1.11) im einfachen HF-Bild die Wellenfunktion nur durch eine einzige antisymmetrische (Pauli-Prinzip) Slaterdeterminante approximieren, sodass die Wechselwirkung von Elektronen ungleichen Spins von vornherein nicht berücksichtigt wird und daher die so berechnete Gesamtenergie nicht mit der Energie aus der exakten Lösung der nichtrelativistischen Schrödingergleichung innerhalb der Born-Oppenheimer-Näherung übereinstimmt. Eine gewisse Elektronenkorrelation ist innerhalb des HF-Bildes bereits in dem Elektron-Elektron-Austauschterm (Korrelation zwischen Elektronen gleichen Spins, Fermi-Korrelation) enthalten. Der Anteil der von der HF-Näherung vernachlässigten Korrelationsenergie bezieht sich auf die Wechselwirkung zwischen gepaarten Elektronen (Korrelation zwischen Elektronen ungleichen Spins, Coulomb-Korrelation). Abbildung 1.12 zeigt das sogenannte Fermi- und Coulomb-Loch. Zwei Elektronen mit α-Spin können sich nicht gleichzeitig an einem Ort (r1 $% r2) aufhalten (Fermi-Loch). Für zwei Elektronen mit α- und β-Spin besitzt die Paardichte hier ihren kleinsten Wert, wird aber nicht null (Coulomb-Loch).

Abb. 1.12 Illustrationen des Fermi- und Coulomb-Lochs.

Im einfachen HF-Bild besetzen die beiden Elektronen mit unterschiedlichen Spins im H2-Molekül dasselbe MO und kommen sich daher „sehr nahe“. Dieser Effekt wirkt der Bindung entgegen und führt somit zu einer Erhöhung der Gesamtenergie, d. h. einer Abnahme der Bindungsenergie im H2 (Abb. 1.11). Wenn wir nun die (Coulomb-) Korrelation berücksichtigen, indem wir in der Wellenfunktion durch Erweiterung des Orbitalraums auch höhere Anregungen berücksichtigen (d. h. die Möglichkeit zulassen, dass sich Elektronen ungleichen Spins „ausweichen“), führt dies zu einer zusätzlichen Stabilisierung und damit zu einer Erniedrigung der Gesamtenergie (s. Abschnitt 1.2.3, Tabelle 1.9).

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

23

Die vorangegangene Diskussion zeigt ein interessantes „Paradoxon“ auf. Einerseits ist im Fall des H2 die Energie des Moleküls geringer als die der getrennten Atome, da die potentielle Energie im Molekül niedriger ist als die der getrennten Atome, und die molekulare kinetische Energie ist höher als die der getrennten Atome, was im Einklang mit dem Virialtheorem steht. Andererseits ist es ebenso richtig zu behaupten, dass der Energiegewinn bei der Molekülbildung im Wesentlichen aus der Abnahme der kinetischen Energie bei der Interferenz resultiert (Abb. 1.11), d. h. die Abnahme der kinetischen und nicht die der potentielle Energie führt zur Bindungsbildung. An dieser Stelle mag es vielleicht hilfreich sein, sich ein ähnliches „Paradoxon“ aus der Weltraumfahrt vor Augen zu halten. Betrachten wir ein Raumschiff, das sich auf einer stabilen Umlaufbahn mit dem Radius r um die Erde befindet. Das klassisch-mechanische Virialtheorem verlangt 2T Z mυ2 Z GmM.r Z KV wobei m und υ die Masse und Geschwindigkeit und r der Radius der Umlaufbahn des Raumschiffs, M die Masse der Erde und G die Gravitationskonstante sind (G Z 6.67 ! 10K11 N m2 kgK2). Um die Umlaufzeit des Raumschiffs um die Erde zu verkürzen, muss es auf eine niedrigere (erdnähere) Umlaufbahn gebracht werden, auf der es eine höhere kinetische Energie besitzt. Dazu wird eine Bremsrakete gezündet, die das Raumschiff augenblicklich abbremst. Seine kinetische Energie ist dann für die gegenwärtige Umlaufbahn kleiner als nach dem Virialsatz gefordert, und die Zentrifugalkraft ist zu schwach, um die Anziehung durch die Gravitationskraft zu kompensieren. Also fällt das Raumschiff in Richtung Erde, seine potentielle Energie nimmt ab, während die kinetische Energie wieder zunimmt. Das Raumschiff kann dann auf einer niedrigeren Umlaufbahn, auf der das Virialtheorem wieder erfüllt ist, erneut stabilisiert werden. Diese erdnähere Umlaufbahn hat eine niedrigere potentielle, eine höhere kinetische und eine niedrigere Gesamtenergie als die erste äußere Umlaufbahn. Dies bedeutet, dass der Gewinn an Gesamtenergie, der ursprünglich durch eine Abnahme an kinetischer Energie (Bremsrakete) induziert wurde, insgesamt einer Erniedrigung der potentiellen Energie und einem Anwachsen der kinetischen Energie entspricht. Die Situation unseres Bindungselektrons im HC 2 (oder der Bindungselektronen im H2) kann mit dem Raumschiff nach Abfeuern der Bremsrakete verglichen werden: Der Gewinn an Gesamtenergie (negativer) ist erreicht worden durch eine Abnahme an kinetischer Energie, in diesem Fall dadurch, dass dem Elektron mehr Raum zur Verfügung steht. Die darauffolgende Neuoptimierung von kinetischer und potentieller Energie durch Orbitalkontraktion (Promotion) ist in beiden Systemen sehr verwandt.

1.2.2 Die Wasserstoffverbindungen der 14., 15. und 16. Gruppe Für eine Reihe von Verbindungen von Elementen der zweiten Periode haben die analogen Verbindungen von Elementen der höheren Perioden deutlich verschiedene geometrische und physikalische Eigenschaften. Beispiele dafür sind die Paare CH2.SiH2, NH3.PH3 und H2O.H2S. Da wir im Folgenden öfter die Begriffe Hybridisierung und Valenzkonfiguration verwenden werden, seien hierzu einige Anmerkungen vorangestellt. Beide

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1 Nichtmetallchemie

Begriffe wurden ursprünglich für die Valence-Bond- (VB-) Näherung eingeführt, während die Molekülorbital- (MO-) Näherung ohne den Begriff der Hybridisierung auskommt. Oft ist es aber angebracht, im Anschluss an eine MO-Rechnung diese Begriffe zur Interpretation der Ergebnisse wieder einzuführen. Hierzu ist zunächst eine Populationsanalyse K etwa nach Mulliken oder nach Reed, Curtis und Weinhold K erforderlich, wobei die daraus gewonnenen Besetzungszahlen qs (X) und qp (X) ein Maß für den s- oder p-Charakter einer Elektronendichte im Molekül sind. Ergibt sich beispielsweise im CH4 die Besetzungszahl des 2sAO am C-Atom qs Z 1.1 und die der 2p-AOs insgesamt zu qp Z 3.1, so können wir sagen, dass die Valenzkonfiguration s1.1 p3.1 ist und der „idealen“ s1 p3-Hybridisierung sehr nahe kommt. Aus qs C qp Z 4.2 ergibt sich für das C-Atom formal eine Ladung von K0.2. Der Begriff der Hybridisierung kann immer dann zur Analyse der Bindungsverhältnisse herangezogen werden, wenn eine Beschreibung des Moleküls durch Zweizentren-MOs möglich ist. Nehmen wir an, dass für die lokalisierten Molekülorbitale (LMOs) zweier äquivalenter XdH-Bindungen in einem Molekül XHn (X z. B. Z N, O) gilt ψ1 Z αhy1 C βh1 ψ2 Z αhy2 C βh2 wobei hy1 und hy2 zwei Hybrid-AOs des X-Atoms und h1 und h2 zwei 1s-AOs von H-Atomen bedeuten und ψ1 zu ψ2 orthogonal ist. Die Ausgangs-AOs am Atom X (d. h. 2s und 2p) sind immer orthogonal zueinander. Konstruiert man nun durch eine orthogonale Transformation auch orthogonale Hybride hy1 und hy2, so kann ein Zusammenhang zwischen Hybridisierungsgrad und Valenzwinkel formuliert werden. Für den Winkel & zwischen gleichartigen Hybriden gilt folgender Zusammenhang mit dem s-Anteil a2 und dem p-Anteil 1Ka2 cos & Z Ka2 . (1K a2) Achtung: Dieser einfache Zusammenhang gilt nur, wenn orthogonale Hybride vorliegen, was weiter unten verdeutlicht wird.

1.2.2.1 Hybridisierung bei den Hydriden BeH2, BH3 und CH4 im Vergleich zu MgH2, AlH3 und SiH4 Abbildung 1.13 zeigt die Populationen der s-, p- und d-Valenz-AOs am jeweiligen Zentralatom in den Molekülen BeH2, BH3, CH4, MgH2, AlH3 und SiH4. X(G.K.) bedeutet „Grundkonfiguration“ (ohne Promotion und Hybridisierung), während XHn ideal für ideale spnK1-Hybridisierung steht. Abbildung 1.13 zeigt, dass die Zentralatome der zweiten Periode (Be, B und C) den Werten für eine ideale Hybridisierung recht nahe kommen, während dies bei den Vertretern der dritten Periode (Mg, Al und Si) nicht mehr der Fall ist. Betrachten wir zunächst die einfacher zu diskutierenden molekularen Metallhydride BeH2 und MgH2 und übertragen dann unsere Erkenntnisse auf die typischen Nichtmetallverbindungen BH3 und CH4.

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

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Abb. 1.13 Mulliken’sche Besetzungszahlen für die Valenz-AOs von X in XHn-Molekülen ohne freie Elektronenpaare (links s-, Mitte p- (schraffiert), rechts d-Orbital). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1984, 96, 262.]

Nach einer MO-Rechnung an BeH2 und MgH2 können wir für die kanonischen (d. h. delokalisierten) Valenz-MOs schreiben Ψ1 Z c1 s C c2 h1 C c2 h2 Ψ 2 Z c 3 p C c 4 h1 K c 4 h 2 wobei s bzw. p Valenz-AOs von Be oder Mg des s- bzw. pz-Typs (z Z Kernverbindungsachse) und h1 und h2 s-AOs der beiden H-Atome sind. Statt der beiden kanonischen MOs Ψ1 und Ψ2 können wir auch die äquivalenten MOs ψ1 und ψ2, die ebenfalls jeweils doppelt besetzt werden, schreiben: (c2 K c4) (c2 C c4) 1 c1 c3 ψ1 Z (Ψ1 C Ψ2) Z sC pC h1 C h2 √2 √2 √2 √2 √2 ψ2 Z

1

√2

(Ψ1 K Ψ2) Z

c1

√2

sK

c3

√2

pC

(c2 K c4)

√2

h1 C

(c2 C c4)

√2

h2

Wenn nun s und p gleichermaßen mit h1 und h2 binden, d. h. wenn c1 Z c3 und c2 Z c4 ist, so werden die äquivalenten MOs zu echten Zweizentren-MOs: 1 c1 ψ1 Z (Ψ1 C Ψ2) Z (s C p) C c2 √2h1 √2 √2 ψ2 Z

1

√2

(Ψ1 K Ψ2) Z

c1

√2

(s K p) C c2 √2h2

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1 Nichtmetallchemie

Oft gilt nun nicht streng c1 Z c3 und c2 Z c4, sondern nur annähernd c1 z c3 und c2 z c4 und wir können den sogenannten Lokalisierungsdefekt dl wie folgt definieren c Kc dl Z 2 4 c2Cc4 Analog verstehen wir unter dem Hybridisierungsdefekt dhy c Kc dhy Z 1 3 c1Cc3 Ist der Hybridisierungsdefekt klein, so erweist sich die Formulierung mit zwei zueinander orthogonalen Hybriden als eine gute Näherung, anderenfalls sind die an je einer XdH-Bindung beteiligten Hybrid-AOs nicht orthogonal zueinander und ihr Überlappungsintegral kann beträchtlich werden. Für das von uns diskutierte Paar BeH2.MgH2 ergeben sich die in Tabelle 1.5 gezeigten Werte. Tabelle 1.5 Lokalisierungs- und Hybridisierungsdefekte für das Paar BeH2.MgH2. XH2

dl

dhy

"hy1 - hy2#

"h1 - h2#

BeH2 MgH2

K0.065 K0.092

0.055 0.183

0.109 0.354

0.084 0.042

Tabelle 1.5 zeigt deutlich, dass weder BeH2 noch MgH2 an Lokalisierungsdefekten leiden, wohl aber zeigt MgH2 im Gegensatz zu BeH2 einen starken Hybridisierungsdefekt. Dieser Trend setzt sich auch in gleicher Weise bei den übrigen Paaren BH3.AlH3 und CH4.SiH4 fort, d. h. bei all diesen Hydriden sind die Lokalisierungsdefekte klein, und eine Beschreibung der Moleküle durch lokalisierte XdH-Bindungen ist zulässig. Da jedoch die Hybridisierungsdefekte nur bei BeH2, BH3 und CH4 klein sind, nicht aber bei MgH2, AlH3 und SiH4, ist die Annahme orthogonaler Hybride für die letztgenannten Moleküle nicht zulässig. Offenbar ist gute Hybridisierung nur dann möglich, wenn die s- und p-ValenzAOs in etwa dem gleichen Raumbereich lokalisiert sind, was nur möglich ist, wenn die Radialverteilung ungefähr gleich ist. Dies ist aber nur bei den Elementen der zweiten Periode der Fall, da in ihren Rümpfen nur s-AOs besetzt sind und deshalb auf die p-AOs keine Pauli-Abstoßung (Fermi-Abstoßung) des Rumpfes wirkt, anders als bei den Vertretern der dritten und der höheren Perioden.

1.2.2.2 Die Strukturen der Moleküle NH3 und H2O im Vergleich zu PH3 und H2S Zu den spektakulärsten Unterschieden zwischen Verbindungen von Elementen der zweiten und der höheren Perioden gehören die der geometrischen Parameter von H2O und H2S, H2Se etc. oder von NH3 und PH3, AsH3 etc. (Tabelle 1.6). Während die Valenzwinkel in H2O und NH3 fast Tetraederwinkel sind, betragen sie in H2S, H2Se, PH3 und AsH3 ungefähr 90( (s. Kutzelnigg, 1984).

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

27

Tabelle 1.6 Strukturparameter von Nichtmetall-Hydridverbindungen. XHn

d (XdH) . pm

:(HdXdH) . Grad

NH3 PH3 AsH3 SbH3 H2O H2S H2Se H2Te

101.7 142 152 171 95.8 134 146 169

107.3 93.8 91.8 91.7 104.5 92.1 90.6 90.3

Abb. 1.14 Mulliken’sche Besetzungszahlen für die Valenz-AOs von X in den lokalisierten MOs von XHn-Molekülen (links s-, Mitte p-Orbital (schraffiert); pyr Z pyramidal, pl Z planar). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1984, 96, 262.]

Oft wird fälschlicherweise angenommen, dass bei den Verbindungen mit Zentralatomen der dritten und der höheren Perioden fast reine p-AOs die Bindung vermitteln. Richtig aber ist, dass die Mulliken-Populationsanalyse zeigt, dass alle binären Nichtmetallhydride von einer so genannten isovalenten Hybridisierung Gebrauch machen (Abb. 1.14). Unter einer isovalenten Hybridisierung verstehen wir eine Hybridisierung, die die Wertigkeit nicht erhöht. Für eine isovalente Hybridisierung gibt es im Wesentlichen drei Gründe (Abb. 1.15), von denen Argument (b) in unserer Diskussion wohl das stärkste Gewicht zu besitzen scheint: a) Hybrid-AOs überlappen besser und ergeben festere Bindungen; b) durch p-Beimischung zu den freien Elektronenpaaren werden diese in Gegenrichtung zur XdH-Bindung verschoben, wodurch die Pauli-Abstoßung (Fermi-Abstoßung) zu den XdH-Bindungen verringert wird; c) die Hybridisierung führt zu einer Vergrößerung des Valenzwinkels und damit zu einer Verringerung der Pauli-Abstoßung zwischen den XdH-Bindungen.

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1 Nichtmetallchemie

Für H2O und NH3 sind die s : p-Verhältnisse der Hybride in den XdH-Bindungen 1 : 3.81 bzw. 1 : 2.90. Nach cos & Z Ka2 . (1Ka2) würde man aus den tatsächlichen Valenzwinkeln (Tabelle 1.6) auf s : p-Verhältnisse von 1 : 3.99 bzw. 1 : 3.38 schließen, was mit der Vorstellung orthogonaler Hybride befriedigend im Einklang steht. In H2O und NH3 sind die s : p-Verhältnisse der freien Elektronenpaare 1 : 2.25 bzw. 1 : 2.37. Für H2S bzw. PH3 findet man in den XdH-Bindungen s : p-Verhältnisse von 1 : 4.71 bzw. 1 : 3.83, von reinen p-Bindungen kann trotz der Valenzwinkel von nahe 90( hier also nicht ausgegangen werden. Ebensowenig besetzen die freien Elektronenpaare reine 3s-AOs; ihr s : p-Verhältnis beträgt 1 : 1.182 (H2S) bzw. 1 : 0.95 (PH3). Offensichtlich machen also sowohl H2O und NH3 als auch K wenn auch in geringerem Maße K H2S und PH3 von der isovalenten Hybridisierung Gebrauch. Zu klären bleiben somit die folgenden beiden Fragen: 1. Warum machen die Elemente der zweiten Periode stärker von der isovalenten Hybridisierung Gebrauch als die der dritten und höheren Perioden? 2. Warum besitzen die Hydride der dritten und der höheren Perioden trotz teilweiser isovalenter Hybridisierung Valenzwinkel von nahe 90(?

Abb. 1.15 Die drei wesentlichen Gründe für eine isovalente Hybridisierung. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1984, 96, 262.]

Eine Antwort auf die erste Frage ist, dass die drei in Abb. 1.15 gegebenen Gründe für eine isovalente Hybridisierung bei den Elementen der höheren Perioden weniger wirksam sind. Die Ursache hierfür können wir darin sehen, dass die 3s-AOs deutlich weiter innen liegen als die 3p-AOs und somit die Pauli-Abstoßung zwischen den XdH-Bindungen ebenso wie zwischen den Bindungen und den freien Elektronenpaaren in H2S und PH3 schwächer als in H2O und NH3 ist. Darüber hinaus ist die Hybridisierung bei den Vertretern der höheren Perioden aufgrund der unterschiedlichen radialen Ausdehnung von s- und p-Orbitalen auch weniger effektiv. Bezüglich der Größe der Valenzwinkel können wir argumentieren, dass nicht nur die Pauli-Abstoßung zwischen den H-Atomen (die elektrostatische Absto-

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

29

ßung ist vernachlässigbar klein!), sondern auch die Pauli-Abstoßung zwischen den H-Atomen und den einsamen Elektronenpaaren wichtig ist, wobei letztere kleinere Valenzwinkel begünstigt. Wenn diese Abstoßung dominiert, besitzen die freien Elektronenpaare größeren Platzbedarf als die XdH-Bindungen. Dieses Ergebnis stimmt qualitativ mit dem VSEPR-Modell überein, wobei wir die Hybridisierung differenzierter betrachtet haben, wohingegen das VSEPRModell immer ideale Hybridisierung voraussetzt.

1.2.2.3 Die Stabilität von Fluoroplumbanen des Typs PbH4-nFn Die meisten anorganischen Bleiverbindungen sind Pb(II)-Verbindungen. Die entsprechenden Pb(IV)-Vertreter (PbO2, PbCl4, PbF4 etc.) sind dagegen meist starke Oxidationsmittel, in denen Pb(IV) leicht zum stabileren Pb(II) reduziert wird. Im Gegensatz hierzu sind PbH4 und die meisten organischen Pb(IV)-Verbindungen (die Gruppenelektronegativität einer CH3-Gruppe entspricht mit 2.3 etwa der Elektronegativität von Wasserstoff mit 2.2; Pauling-Skala) in der Regel meist wesentlich stabiler als die entsprechenden divalenten Systeme. (Anmerkung: Bleitetraethyl, (C2H5)4Pb, wurde lange Zeit im Tonnenmaßstab produziert und Ottokraftstoffen als Antiklopfmittel zugesetzt.) Interessant ist auch anzumerken, dass die Stabilität gemischtsubstituierter Blei(IV)-Verbindungen des Typs RnPbX4-n (R Z H oder org. Rest; X Z elektronegativer, einbindiger Substituent, z. B. F, Cl) mit abnehmendem n ebenfalls abnimmt und außerdem gezeigt werden konnte, dass die PbdH-Dissoziationsenergie in PbH4 geringfügig größer ist als in PbH2. Demzufolge ist die nachstehende Reaktion für X Z H schwach exotherm und für X Z F stark endotherm: 2 PbX2 $% PbX4 C Pb (X Z H, F) Die Tatsache, dass Verbindungen des Bleis in hohen Oxidationsstufen generell instabiler sind als solche der leichteren Homologen Kohlenstoff bis Zinn, ist lange bekannt und kann auf den inert-pair-Effekt zurückgeführt werden. Dieser Effekt bewirkt, dass Verbindungen von Elementen der 6. Periode häufig in einer Oxidationsstufe vorliegen, die um zwei Stufen niedriger ist als die entsprechende Wertigkeit der Gruppe (vgl. auch die analoge Chemie von Thallium und Bismut). Der inert-pair-Effekt selbst kann wiederum auf die Zunahme relativistischer Effekte beim Übergang von der 5. zur 6. Periode erklärt werden, darüber hinaus „leiden“ Tl, Pb und Bi als Elemente der 6. Periode unter der LanthanoidenKontraktion. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass der inert-pair-Effekt durch die viel größere s-p-Lücke in der 6. Periode und die damit verbundene höhere Promotionsenergie erklärt werden kann. Wie aber können wir verstehen, dass der inert-pair-Effekt offensichtlich bei den Fluorverbindungen des Bleis viel stärker zum Tragen kommt als bei den Bleihydriden? Betrachten wir im Folgenden die Reihe der Fluoroplumbane der allgemeinen Zusammensetzung HnPbF4Kn (n Z 0, 1, 2, 3, 4) und vergleichen die Strukturen und Stabilitäten mit den entsprechenden divalenten Spezies H2Pb, HPbF und PbF2. Auffällig hinsichtlich ihrer Molekülstruktur bei den gemischtsubstituierten HnPbF4Kn Verbindungen ist, dass

30

1 Nichtmetallchemie

1. die Bindungswinkel in diesen Molekülen stark von den idealen Tetraederwinkeln abweichen, wobei a) die FdPbdF-Winkel kleiner als 109.5( sind, während b) die HdPbdH-Winkel über dem idealen Tetraederwinkel liegen und dass 2. sowohl die PbdH als auch die PbdF-Abstände mit zunehmender Fluorsubstitution abnehmen. In der Reihe der Pb(IV)-Verbindungen des Typs HnPbF4Kn lassen sich sowohl die Winkeldeformation als auch die Bindungsverkürzung mit dem Konzept der Hybridisierung erklären. Mit zunehmender Fluorsubstitution steigt die positive Ladung am Zentralatom, und die Beiträge der p-Orbitale zu den bei der Bindung verwendeten Blei-Hybridorbitalen nehmen ab. Es ist auch leicht einzusehen, dass die größeren s-Beiträge bei zunehmender F-Substitution zu der beobachteten Bindungsverkürzung führen. Da die auf die elektronegativen Fluor-Substituenten gerichteten Hybridorbitale viel höheren p-Charakter besitzen als die für die PbdH-Bindung verwendeten Orbitale, sind die FdPbdF-Winkel jeweils deutlich kleiner als die HdPbdH Winkel. Betrachten wir nun die Frage, warum die Oxidationsstufe (IV) in PbH4 stabiler ist als in PbF4. Die Eliminierung von Fluor, HF oder H2 aus der Reihe der Verbindungen des Typs HnPbF4Kn (n Z 0, 1, 2, 3, 4) führt zu Pb(II)-Derivaten, wie die nachstehenden Reaktionsgleichungen verdeutlichen: HnPbF4Kn $% HnPbF2Kn C F2 HnPbF4Kn $% HnK1PbF3Kn C HF HnPbF4Kn $% HnK2PbF4Kn C H2 Allgemein kann man für obige Reaktionen feststellen, dass diese 1,1-Eliminierungsreaktionen mit zunehmender Zahl von Fluorsubstituenten im Edukt weniger endotherm beziehungsweise stärker exotherm werden. Ganz offensichtlich destabilisiert die Fluorsubstitution die tetravalenten Bleiverbindungen. Analog zur bereits oben besprochenen Stabilität von PbH4 im Vergleich zum PbF4 ist auch die Disproportionierung von PbH2 exotherm, während die analoge Reaktion von PbF2 dagegen deutlich endotherm ist. 2 PbH2 $% Pb (3P) C PbH4 2 PbF2 $% Pb (3P) C PbF4 Betrachten wir den eben diskutierten Sachverhalt noch etwas genauer. Die durchschnittlich benötigte Energie zur Anhebung (Promotion) eines 6s-Elektrons in ein 6p-Orbital beträgt ca. 736 kJ molK1 für den Grundzustand von PbC, ca. 861 kJ molK1 für Pb2C und ca. 1078 kJ molK1 für Pb3C. Somit wird auch die s-pPromotionslücke mit zunehmender positiver Ladung auf dem Blei größer, und die kugelsymmetrischen s-Orbitale werden stärker kontrahiert als die p-Orbitale (Tabelle 1.7). Das bedeutet, dass mit zunehmender Substitution von Pb(IV)-Verbindungen mit elektronegativen Substituenten wie Fluor eine effektive Hybridisierung erschwert wird, mit anderen Worten die Hybridisierungsdefekte zunehmen und die Bindungen somit schwächer werden. Andererseits nimmt mit abnehmender Hybridisierung (d. h. mit zunehmendem s-Charakter) der PbdX-Bindung gleichzeitig auch der PbdX-Abstand ab. Das deutlich hö-

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

31

here p : s-Verhältnis des Beitrags von Pb zur PbdF-σ-Bindung in allen Blei(II)Verbindungen im Vergleich zu den entsprechenden Blei(IV)-Spezies steht ebenfalls mit den deutlich kürzeren Pb(II)dF-Bindungslängen im Vergleich zu Pb(IV)dF-Bindungslängen in Einklang. Tabelle 1.7 Ergebnisse einer Populationsanalyse für Verbindungen des Typs HnPbF4Kn.

Population des Pb(6s)-Orbitals Population des Pb(6p)-Orbitals Hybridisierung am Blei Ladung auf Blei . e p : s-Verhältnis des Blei-Beitrags zur PbdH-σ-Bindung p : s-Verhältnis des Blei-Beitrags zur PbdF-σ-Bindung Dissoziationsenergie . (kJ molK1)

PbH4

PbH3F

PbH2F2

PbHF3

PbF4

1.114 2.007 sp1.80 0.876 1.80

1.064 1.410 sp1.33 1.520 1.24

0.975 0.983 sp1.01 2.037 0.80

0.793 0.723 sp0.91 2.478 0.55

0.538 0.574 sp1.07 2.994 K

K

2.54

1.90

1.29

0.92

178

266

Betrachten wir abschließend noch die eng verwandten Fluoromethylplumbane des Typs (CH3)nPbF4Kn, deren Strukturparameter in Tabelle 1.8 zusammengestellt sind. Ganz analog zu den Wasserstoffverbindungen zeigt sich auch hier der allgemeine Trend, dass 1. die Bindungswinkel in diesen Molekülen stark von den idealen Tetraederwinkeln abweichen, wobei a) die FdPbdF-Winkel kleiner als 109.5( sind, während b) die CdPbdC-Winkel über dem idealen Tetraederwinkel liegen und dass 2. sowohl die PbdC- als auch die PbdF-Abstände mit zunehmender Fluorsubstitution abnehmen. Es ist interessant, sich noch einmal vor Augen zu halten, dass in der Reihe der Verbindungen HnPbF4Kn und (CH3)nPbF4Kn die Bindungen mit zunehmender Fluorsubstitution kürzer und schwächer werden! Tabelle 1.8 Strukturparameter von Fluoromethylplumbanen des Typs (CH3)nPbF4Kn und ihrer Pb(II)-Analoga. d (PbdC). d (PbdF). :(CdPbdC).( :(CdPbdF).( :(FdPbdF).( pm pm (CH3)2Pb (CH3)PbF PbF2

232.3 230.0

(CH3)4Pb (CH3)3PbF (CH3)2PbF2 (CH3)PbF3 PbF4

224.8 222.7 220.2 219.8

206.2 202.7 204.5 201.0 196.4 192.4

93.0

109.5 116.4 134.8

92.9

101.1 104.1 115.5

95.8

101.4 102.8 109.5

32

1 Nichtmetallchemie

Zusammenfassend können wir sagen, dass der häufig verwendete Begriff des inert-pair-Effekts impliziert, dass die s-Orbitale energetisch zu niedrig liegen, um an einer Bindung teilzunehmen. Während diese Sichtweise zwar den Sachverhalt bei Blei(II)-Verbindungen richtig wiedergibt, kann die im vorangegangenen Abschnitt diskutierte Destabilisierung von Blei(IV)-Plumbanen hierdurch nicht erklärt werden. Um die Schwäche der PbdF-Bindungen in PbF4 gegenüber den PbdF-Bindungen in PbF2 zu erklären, ist es also sinnvoller, Hybridisierungsdefekte zu diskutieren, als die energetisch tiefe Lage der 6s-Orbitale am isolierten Atom anzuführen.

1.2.2.4 Das LiH+-Kation Interessante Bindungsverhältnisse liegen auch in einigen zweiatomaren Species vor, die durch eine diatomare Einelektronenbindung zusammengehalten werden. Dies soll im Folgenden am LiHC-Kation veranschaulicht werden. Zweielektronenbindung Allgemein können wir eine Zweielektronenbindung zwischen den Atomen A und B wie folgt beschreiben:

. .

..

..

A : B b A B !% A B !% AB Die Valenzen für A und B können nach der Wiberg-Formel wie folgt ermittelt werden: mit

# Z Vba # Z Paa # Pbb # Vab Paa # C Pbb # Z2

wobei a und b die überlappenden AOs an den Zentren A und B bezeichnen # und Pbb # die entsprechenden AO-Populationen sind. Im Folgenden und Paa wollen wir die Notation verwenden, dass Elektronenpaarbindungen durch ein „#“ an den entsprecheden Größen gekennzeichnet werden. Wir erhalten nun für Paa # Z 2, 1 und 0 die Valenzen # Z Vbb # Z 0, 1 und 0 Vaa Allgemein können wir die AKB-Valenzen wie folgt schreiben: # Z Vba # Z Paa # Pbb # Vab . . Paa # Z Pbb # Z 1, A B, .. Paa # Z 2, Pbb # Z 0, A B, .. Paa # Z 0, Pbb # Z 2, AB,

Vab # Z Vba # Z1 Vab # Z Vba # Z0 Vab # Z Vba # Z0

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

33

Einelektronenbindung: Allgemein können wir eine Einelektronenbindung (siehe Harcourt (2005, 2007)) zwischen den Atomen A und B wie folgt beschreiben:

.

.

A · B b A B !% AB I II III Das Elektron besetzt hierbei das bindende MO zwischen A und B, wobei gilt: Ψab Z mit NZ

(a C k b)

√k 2C 2 k Sab C 1

Z N (a C k b) ;

1

√k

2

C2kSC1

und Sab Z Ea b d V Die AO-Ladungen sind somit

}

1 Paa Z Paa # 2 Vab # Z 4 Paa Pbb 1 Pbb Z Pbb # 2 mit Paa C Pbb Z 1. Für eine Einelektronenbindung können wir bzgl. der AB-Valenzen schreiben: Vab Z Vba Z 12 Vab # Z 12 Vba #

# Pbb # Z 2 Paa Pbb. Z 12 Paa

Daraus folgt, dass wir für Paa Z 1, 12 und 0 Vab Z 0, 12 und 0 erhalten. Für die Einelektronenbindung zwischen A und B

.

.

A · B b A B !% AB I II III sind Paa und Pbb ebenso . die Gewichte . für die Valenzen (Va und Vb) für die individuellen Strukturen A B und AB. Daraus folgt, dass wir für Paa Z 1, 12 und 0 Va Z 1, 12 und 0 bzw. Vb Z 0, 12 und 1 erhalten. Die gesamten Valenzen der Atome A und B („total valencies“) für A · B können dann wie folgt formuliert werden: VA Z Va C Vab Z Va C 2 Paa Pbb Z Paa (1 C 2 Pbb) Mit und

VB Z Vb C Vba Z Vb C 2 Paa Pbb Z Pbb (1 C 2 Paa) Va Z Paa Z N 2 (1 C kS) Vb Z Pbb Z N 2 k (k C S)

34

1 Nichtmetallchemie

ergeben sich Vab und Vba als Vab Z Vba Z 12 Vab # Z 12 Vba # Z 2 Paa Pbb 4 Z 2 N k (k C S)(1 C k S) Z 2 Paa Pbb Für die Grenzfälle k Z 0 und k Z N des Polaritätsparameters k können wir schreiben:

}

k Z 0 0 Ψab Z a V Z Vba Z 0 k Z N 0 Ψab Z b ab Demzufolge gilt für die Resonanzstrukturen II und III: II: Va Z 1 III: Vb Z 1 Diese Valenzen sind äquivalent sowohl zu den Populationen der a- und b-AOs als auch zu den Gewichten (WII und WIII) der VB-Strukturen II und III (ChirgwinCoulsen-Definition, siehe Abschnitt 1.8.3.2 über S2N2): Va Z Paa Z WII Z N 2 (1 C k S) Vb Z Pbb Z WIII Z N 2k (k C S) Die Gesamtvalenzen VA und VB können daher jetzt wie folgt formuliert werden: VA Z Va C Vab Z Paa (1 C 2 Pbb) Z WII (1 C 2 WIII) VB Z Vb C Vab Z Pbb (1 C 2 Paa) Z WIII (1 C 2 WII) Wie sich leicht zeigen lässt, liegt bei der obigen Definition für die Gesamtvalenzen VA und VB elektronische Hypervalenz (increased valence) für eines der beiden Atome dann vor, wenn entweder 0.5 ! Paa! 1.0 für VA oder 0.5 ! Pbb ! 1.0 für VB ist. Einen maximalen Wert von 1.125 nimmt VA genau dann an, wenn Paa Z 0.75 ist (dann besitzt VB einen Wert von 0.625). Wenn k Z 1 ist und demzufolge Paa Z Pbb Z 0.5, ergeben sich die Valenzen erwartungsgemäß zu VA Z VB Z 1. Die gesamte Valenz (VA C VB Z Va C Vab C Vb C Vba) für eine homonukleare Einelektronenbindung ist dann 0.5 C 0.5 C 0.5 C 0.5 Z 2 was auch der gesamten Valenz bei einer homonuklearen Elektronenpaarbindung entspricht: VA# C VB # Z Vab # C Vba # Z1C1Z2 (Anmerkung: Da die beiden Elektronen bei einer diatomaren Elektronenpaarbindung spingepaart sind, ist keines der beiden Elektronen zur Bindung mit einem einzelnen Elektron in der Lage, das ein an einem dritten atomaren Zentrum lokalisiertes Orbital besetzt. Es gilt daher Va# Z Vb# Z 0.)

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

35

Betrachten wir als einfaches Beispiel für eine reale (nicht homonukleare) Einelektronenbindung das LiHC-Kation mit einer Bindungslänge von 2.275 Å. Die Bindungsverhältnisse können durch die folgenden Resonanzstrukturen beschrieben werden:

.

[Li · H]C b LiCH !% Li·HC I II III wobei die Gewichte der Strukturen II und III mithilfe einer VB-Rechnung (STO3G-Basissatz) zu WII Z 0.93 und WIII Z 0.07 ermittelt wurden. Nach der im vorangegangenen Abschnitt abgeleiteten Formel zur Ermittlung der Gesamtvalenzen können wir für den konkreten Fall des LiHC-Kations schreiben: VLi Z 0.07 (1 C 2 · 0.93) Z 0.20 VH Z 0.93 (1 C 2 · 0.07) Z 1.06 Damit zeigt das H-Atom im LiHC-Kation elektronische Hypervalenz. Zusammenfassung: Zusammenfassend können wir sagen, dass wenn a und b die überlappenden AOs der Einelektronenbindung zwischen den Atomen A und B mit dem bindenden MO Ψ Z a C kb sind, entweder Atom A oder Atom B in der Einelektronenbindung (A · B) für den Fall k s 0, 1 oder N elektronische Hypervalenz zeigen, d. h. die Valenz von A oder B überschreitet den Wert von 1! Es erscheint schwierig, eine anschauliche Interpretation für diese elektronische Hypervalenz zu geben, aber es sollte grundsätzlich von Interesse sein (sowohl in wissenschaftlicher wie auch philosophischer Hinsicht), dass die Valenz eines einzelnen Elektrons den Wert von 1 überschreiten kann. Oder anders ausgedrückt mit den Worten von R. D. Harcourt, „One can be greater than unity“.

1.2.3 Die Dimerisierung von BH3 zu B2H6 Im Rahmen der einfachen MO-Theorie kann die Wechselwirkung von Elektronen ungleichen Spins nicht von vornherein mit berücksichtigt werden. Diesen Fehler der Eindeterminanten-Näherung bezeichnet man als Elektronenkorrelation. Die Elektronenkorrelation wirkt sich in mehrfacher Hinsicht auf die chemische Bindung aus. Vor allem zwei Effekte sind wichtig. Der erste hängt mit dem falschen asymptotischen Verhalten der MO-Wellenfunktion für große Kernabstände zusammen. Berücksichtigt man die Elektronenkorrelation, so gibt man den Elektronen ungleichen Spins die Möglichkeit, einander auszuweichen. Der Beitrag der Elektronenkorrelation wird verständlicherweise umso größer, je größer der Kernabstand ist. Dies bedeutet, für R $% N erlaubt die Elektronenkorrelation den Elektronen, einander in der Weise auszuweichen, dass sich das eine Elektron bevorzugt an Kern A aufhält, während das andere bei Kern B ist. Dieser Korrelationseffekt bezieht sich jeweils auf ein einziges Bindungselektronenpaar, man kann deshalb auch von Intrabindungskorrelation sprechen. Dieser Beitrag ist besonders dann wichtig, wenn in einer chemischen Reaktion ungepaarte Elektronen eine Bindung eingehen, wie man aus Tabelle 1.9 deutlich ersehen kann.

36

1 Nichtmetallchemie

Tabelle 1.9 Beitrag der Elektronenkorrelation bei der X2-Bindungsbildung. X2

∆E (MO) . eV

∆E (Korr.) . eV

H2 Li2 N2 F2

K3.64 K0.17 K5.27 C1.37

K1.11 K0.88 K4.63 K3.05

Man kann annehmen, dass sich die Korrelationsenergie in einer chemischen Reaktion wenig ändert, wenn sich bei der Dissoziation (oder Bildung) eines Moleküls keine Elektronenpaare trennen, sondern die Zahl der Elektronenpaare konstant bleibt, wie dies beispielsweise bei Säure-Base-Reaktionen der Fall ist: NH3 C HC $% NHC 4 NH3 C BH3 $% H3NC K BHK 3 Allerdings genügt die Erhaltung der Zahl der Elektronenpaare noch nicht, um die näherungsweise Konstanz der Korrelationsenergie bei einer Bindungsbildung oder Dissoziation zu gewährleisten. Außer der oben diskutierten Intrabindungskorrelation muss oft auch die Korrelation zwischen verschiedenen Bindungen berücksichtigt werden, die man als eine Art Van-der-Waals-Anziehung zwischen diesen Bindungen interpretieren kann (Interbindungskorrelation). Eines der eindrucksvollsten Beispiele für einen entscheidenden Beitrag der Interbindungskorrelation zur Bindungsenergie ist die Dimerisierung von Boran zu Diboran: 2 BH3 $% B2 H6 Für die Dimerisierungsreaktion ergibt die MO-Rechnung ohne Berücksichtigung der Elektronenkorrelation einen Wert von etwa K40 kJ molK1. Da die Änderung der Interbindungskorrelationsenergie ca. K105 kJ molK1 beträgt, entspricht die gesamte Dimerisierungsenergie etwa einem Wert von K145 kJ molK1. Als anschauliche Erklärung für dieses Phänomen können wir diskutieren, dass es in BH3 nur drei mögliche Paare von Bindungen mit einem gemeinsamen B-Atom gibt, während es in B2H6 aber elf solcher Paare sind, fünf mehr als in zwei getrennten BH3-Einheiten. Die mit der Änderung der Zahl von benachbarten Bindungen einhergehende Änderung der Korrelationsenergie ist für den größten Teil der Stabilität der Elektronenmangelbindung in B2H6 verantwortlich. An dieser Stelle ist anzumerken, dass aufgrund der oben dargelegten Argumente BH3 in der kondensierten Phase nicht stabil ist (Dimerisierung zu B2H6), wohl aber BF3, welches das Elektronenoktett am Bor-Atom formal durch die 1 Ausbildung von F(p) $% B(p)-π-Bindungen erreicht ( π-Bindungsanteil je 3 BdF-Bindung, Gesamtbimdungsordnung 1.33). Eine solche Art der Stabilisierung durch F(p) $% B(p)-π-Bindungen ist im B(CF3)3 nicht möglich. Daher ist B(CF3)3 in der kondensierten Phase unbekannt, bei Versuchen zu seiner Darstellung erfolgt im ersten Schritt stets Zersetzung zu (F3C)3B !$ - CF2 und FB(CF3)2: B(CF3)3 $% FB(CF3)2 C CF2 B(CF3)3 C CF2 $% (F3C)3B !$ - CF2

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

37

Das (hypothetische) B(CF3)3 ist aufgrund der fehlenden Stabilisierung durch die F $% B-Rückbindung auch extrem Lewis-sauer mit einem berechneten pFKWert von 11.8 (Anmerkung: Noch acider sind die fluorierten Carboran-Käfige CB11F11 und CHB11F10 mit pFK-Werten von 18.2 bzw. 17.8.). Obwohl B(CF3)3 in der kondensierten Phase unbekannt ist (s. o.), existiert das korrespondierende [B(CF3)4]K-Anion, welches aus KC[B(CN)4]K zugänglich ist und sich in der präparativen Chemie durch viele hervorragende Eigenschaften auszeichnet: 1. hohe Redoxstabilität in HF.F2 und NH3.Na; 2. sehr schwach koordinierendes, sehr wenig basisches Anion; 3. Cs-Salz ist bis 450 (C stabil. Es kann nach den folgenden Reaktionen hergestellt werden: KC[BF4]K C 4 KCN $% KC[B(CN)4]K C 4 KF KC[B(CN)4]K C 4 ClF3 $% KC[B(CF3)4]K C 2 Cl2 C 2 N2

1.2.4 Die Bindungsverhältnisse im Borazin, B3N3H6 „Anorganisches Benzol“ (Borazin) ist ein Lehrbuchbeispiel für einen sechsgliedrigen anorganischen 6-π-Elektronen-Ring. Borazin, B3N3H6 (Struktur A), wurde erstmals 1926 von A. Stock und E. Pohland als Reaktionsprodukt der Umsetzung von B2H6 und NH3 als farblose Flüssigkeit isoliert. Borazin besitzt eine planare Sechsringstruktur mit sechs π-Elektronen. Die physikalischen Eigenschaften ähneln stark denen des Benzols (Tabelle 1.10).

Tabelle 1.10 Vergleich zwischen Borazin und Benzol. Eigenschaft K1

M . (g mol ) Schmelzpunkt . (C Siedepunkt . (C ρ . (g cmK3) (flüssig am Schmp.) Punktgruppe Bindungslängen . Å

B3N3H6

C6H6

80.5 K57 55 0.81 D3h BdN 1.44 BdH 1.20 NdH 1.02

78.1 6 80 0.81 D6h CdC 1.42 CdH 1.08

38

1 Nichtmetalle

Wir wollen im Folgenden einige Fragen zur elektronischen Struktur und Aromatizität von Borazin etwas genauer studieren. Im Einzelnen möchten wir die strukturellen Gewichte der verschiedenen Kekulé- und Dewar-Strukturen von Benzol und Borazin vergleichen und darüber hinaus die Frage der aromatischen Stabilisierungsenergie (ASE) diskutieren. Wir wollen hier annehmen, dass die Resonanzenergie ein geeignetes Mittel zur Abschätzung der ASE ist. Eine ausführlichere Diskussion dieser Problematik findet sich in der weiterführenden Literatur. Um festzustellen, welche der Standard-Lewisstrukturen die wichtigsten Beiträge zum Resonanzschema für Borazin liefern, wurden quantitative VB-Rechnungen mit jeweils sechs π-Elektronen durchgeführt. Es ist bekannt und kann leicht nachvollzogen werden, dass 175 kanonische VB-Strukturen zur Wellenfunktion des Singulett-Grundzustandes von Borazin (oder Benzol) beitragen. Resonanz zwischen all diesen 175 Strukturen liefert die Energie des sogenannten „full-CI“-Limits. Im Folgenden wollen wir bei der Berechnung der lokalisierten Struktur des Borazins Resonanz zwischen einer Kekulé-Struktur und sieben weiteren Strukturen mit zwei, einer oder keiner π-Bindung berücksichtigen (Abb. 1.16).

Abb. 1.16 Lokalisierte VB-Strukturen für Borazin (oben: Nummerierungsschema, unten: VB-Strukturen und Hiberty-Gewichte).

Die delokalisierte Energie wurde aus einer VB-Rechnung mit Resonanz zwischen 30 VB-Strukturen ermittelt (Abb. 1.17). Hierzu wurden die beiden KekuléStrukturen, die Dewar-Strukturen sowie weitere Strukturen mit nur zwei, einer oder keiner π-Bindung mit einbezogen. In beiden Resonanz-Schemata (Abb. 1.16 und 1.17) wurden Strukturen mit einem freien Elektronenpaar auf dem B- und keinem Elektronenpaar auf dem N-Atom (B2K K N2C) aus Gründen der unvorteilhaften Ladungsverteilung weggelassen. Tabelle 1.11 fasst die berechneten VBEnergien für die lokalisierte und delokalisierte Form von Borazin sowie die daraus berechnete ASE Z ∆E Z Elok. K Edelok. zusammen.

1.2 Die Wasserstoffverbindungen der Nichtmetalle

39

Abb. 1.17 Delokalisierte VB-Strukturen für Borazin (oben: Nummerierungsschema, unten: VB-Strukturen und Hiberty-Gewichte).

40

1 Nichtmetalle

Tabelle 1.11 Lokalisierte und delokalisierte VB-Energien für Borazin und Benzol und berechnete aromatische Stabilisierungsenergien (ASE), ∆E Z Elok. K Edelok..

Anzahl lokalisierter Strukturen KEVB(lokalisiert) . a. u. Anzahl delokalisierter Strukturen KEVB(delokalisiert) . a. u. ∆E Z ASE . (kcal molK1)

B3N3H6

C6H6

8 240.988085 30 241.074396 54.1

15 230.590891 55 230.663981 45.8

Abb. 1.18 Ausgewählte, wichtige delokalisierte VB-Strukturen für Benzol (oben: Nummerierungsschema, unten: VB-Strukturen und Hiberty-Gewichte).

In analoger Weise wie für Borazin konnte auch die Delokalisierungsenergie für Benzol abgeschätzt werden. Auf der Basis der in Tabelle 1.10 gegebenen Strukturparameter für Benzol wurden sämtliche kanonischen Lewis-Strukturen, die keine der folgenden Einheiten enthielten, in die VB-Rechnungen einbezogen: CCd CC, CK d CK, CCd CCd CC und CK d CK d CK. Zur Berechnung von

1.3 Die VB-Beschreibung von elektronenreichen Molekülen

41

E(lokalisiert) K E(delokalisiert) wurden somit 15 bzw. 55 Resonanzstrukturen herangezogen (Abb. 1.18). Tabelle 1.11 zeigt, dass für die Delokalisierungsenergie von Borazin und Benzol 54.1 bzw. 45.8 kcal molK1 berechnet wurden. Danach sollte auch Borazin deutlichen aromatischen Charakter aufweisen. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass für Benzol die beiden Kekulé-Strukturen die wichtigsten Beiträge zum Resonanzschema liefern, während beim Borazin die Kekulé-Strukturen weniger wichtig sind. Dennoch kann festgestellt werden, dass die Delokalisierungsenergie für beide Moleküle annähernd gleich groß ist, wobei Borazin sogar die etwas größere Delokalisierungsenergie besitzt. Dieser scheinbare Widerspruch kann möglicherweise dadurch erklärt werden, dass bei Borazin die sechs äquivalenten Lewis-Strukturen mit einer Doppelbindung und zwei freien Elektronenpaaren auf zwei N-Atomen mit Gewichten von je 0.08 einer sehr stark delokalisierten Struktur entsprechen und zusammen bereits nahezu 50 % Gewicht besitzen.

1.3 Die VB-Beschreibung von elektronenreichen Molekülen: Hypervalenz und Hyperkoordination In den letzten Jahren hat das Interesse am Gebrauch von Valenzbindungs-Methoden (VB) zum Studium der elektronischen Strukturen von Molekülen wieder zugenommen. Heute stehen neben der qualitativen Beschreibung auch leistungsfähige ab initio VB-Programme zur Verfügung, mit deren Hilfe auch quantitative Aussagen möglich sind. Für das Verständnis der chemischen Bindung hat die VBTheorie mit ihren lokalisierten Zweizentrenbindungen zur Beschreibung dreiatomiger oder auch größerer Systeme konzeptionelle Vorteile gegenüber der qualitativen MO-Theorie, die delokalisierte Bindungen und Multizentren-MOs zur Diskussion verwendet. Beispielsweise ist eine qualitative, delokalisierte MO-Beschreibung der elektronischen Reorganisation in der nachstehenden Gleichung sehr schwierig, während der VB-Formalismus einfach entwickelt werden kann: NO C O3 $% NO2 C O2 Die Begriffe Hypervalenz und Hyperkoordination werden in der Literatur leider oft nur unsauber definiert und manchmal sogar gleichgesetzt, was falsch ist. Es gibt viele hyperkoordinierte Moleküle (besser: hyperkoordinierte Atome in Molekülen), die nicht hypervalent sind, und umgekehrt auch hypervalente Verbindungen, in denen keine Hyperkoordination vorliegt. Koordination ist die Anzahl nächster Nachbarn, Valenz dagegen die Anzahl von Elektronenpaaren, die von einem Atom ausgehen und an der Bindung beteiligt sind. Betrachten wir beispielsweise die bipyramidalen Teilchen NF5 (hypothetisch) und PF5. In beiden Verbindungen liegen eindeutig hyperkoordinierte Zentralatome vor. Allerdings sind N und P nur dann auch als hypervalent anzusehen, wenn ihre Valenz (Bindigkeit) in irgendeiner VB-Struktur, die zur elektronischen Struktur beiträgt, vier überschreitet. Falls nur Lewis-Oktettstrukturen benutzt werden, beträgt die Valenz von N und P vier, so wie es in den Standard-Lewis-

42

1 Nichtmetalle

strukturen 13 und 14 der Fall ist, es liegt also keine Hypervalenz vor (Abbildung C 1.19). Die Valenzen für N und P würden dann denen in NHC 4 und PH 4 entsprechen, und niemand würde das Ammonium- oder Phosphonium-Ion als hypervalente Spezies betrachten.

Abb. 19 Standard-Lewisstrukturen und increased-valence-Strukturen für NF5 und PF5.

Hypervalenz liegt bei NF5 und PF5 dann vor, wenn entweder die Atome N und P ihre Valenzschale aufweiten und fünf Elektronenpaarbindungen (15 und 16) oder Einelektronen- und Elektronenpaarbindungen ausbilden, wozu nicht unbedingt zusätzliche Orbitale am N und P herangezogen werden müssen (17 und 18). Nur dieser letzte Fall ist eine increased-valence-Struktur (siehe Harcourt 1982, 1996, 1997, 1998, 2000).

1.3.1 Increased-Valence-Strukturen In letzter Zeit gibt es wieder ein verstärktes Interesse am Einsatz von VB-Methoden zum Studium der elektronischen Struktur von Molekülverbindungen. Die einfache VB-Theorie besitzt mit ihren lokalisierten Zweizentrenbindungen viele konzeptionelle Vorteile gegenüber der qualitativen MO-Theorie, die mithilfe von Multizentren-MOs delokalisierte Bindungen beschreibt. Die erst in jüngerer Zeit eingeführte Einbeziehung von increased-valence Strukturen in die qualitative VB-Theorie stellt eine natürliche Erweiterung der jedem Chemiker vertrauten Lewis-VB-Theorie dar. In vielen Fällen konnte gezeigt werden, dass increased-valence-Strukturen äquivalent zu einer Resonanz zwischen Standard-Lewisstrukturen (Kekulé-Strukturen) und long-bond-Strukturen (Dewar-Strukturen) sind und normalerweise eine oder mehrere Pauling’sche Dreielektronenbindungen als diatomare Komponente enthalten. Standard-Lewisstrukturen besitzen eine maximale Anzahl von

1.3 Die VB-Beschreibung von elektronenreichen Molekülen

43

Elektronenpaarbindungen, die für einen gegebenen AO-Basissatz Paare von benachbarten Atomen verbinden. Falls es sich bei diesen Molekülen um Vertreter der zweiten Periode (Li ... Ne) handelt, gehorchen diese VB-Strukturen der Lewis-Langmuir-Oktettregel. Long-bond-Lewisstrukturen (Dewar-artige Strukturen), die z. T. auch der Oktettregel nicht gehorchen, enthalten immer mindestens eine Elektronenpaarbindung zwischen nicht benachbarten Atomen. Viele elektronenreiche drei- oder mehratomige Moleküle besitzen eine oder mehrere Vierelektronen-Dreizentrenbindungen. Die einfachste Beschreibung dieses Typs von Bindung verwendet vier Elektronen, die über drei überlappende Atomorbitale (AOs) an den drei Zentren verteilt sind. Ein typisches Beispiel einer symmetrischen Vierelektronen-Dreizentrenbindung sind die p-σ-Elektronen im Anion FK 3 (nur in Matrix bekannt). Allgemein können wir sagen, dass für drei Zentren Y, A und B und ihre AOs y, a und b die Resonanz zwischen den VB-Strukturen 1 und 2 eine gewohnte VBBeschreibung für eine Vierelektronen-Dreizentrenbindung liefert.

Die VB-Strukturen 1 und 2 sind Beispiele für Standard- oder Kekulé-VB-Strukturen einer Vierelektronen-Dreizentrenbindung; sie enthalten je ein freies Elektronenpaar und eine Zweielektronen-Zweizentrenbindung, die zwei benachbarte Atome verbindet. Die maximale Valenz des Atoms A in beiden Strukturen ist 1. Allerdings kann eines der nichtbindenden Elektronen in ein bindendes lokalisiertes MO delokalisiert werden, wie es in 1 $% 3 bzw. 2 $% 4 gezeigt ist.

In den VB-Strukturen 3 und 4 ist Atom A an einer zusätzlichen Einelektronenbindung beteiligt, sodass A in diesen VB-Strukturen elektronische Hypervalenz zeigt. Daher werden die letztgenannten Strukturen 3 und 4 auch als increasedvalence-Strukturen für eine Vierelektronen-Dreizentrenbindung bezeichnet. Wenn man ein AO pro Atomzentrum zulässt, gibt es zwei wesentliche Typen von Wellenfunktionen zur Beschreibung von Elektronenpaarbindungen: 1. Heitler-London (HL), bei denen die Elektronen AOs besetzen, und 2. lokalisierte MOs (LMOs), bei denen sich die Elektronen in bindenden Zweizentren-MOs aufhalten. Um die wesentlichen Aspekte der increased-valence-Theorie darzustellen, genügt es an dieser Stelle, die einfachere Beschreibung mit Heitler-London-Wellenfunktionen vorzunehmen. (Eine ausführlichere Diskussion mittels LMOs findet sich in der weiterführenden Literatur, siehe vor allem das Buch von Harcourt). Die Singulett-Wellenfunktionen (S Z 0) des HL-Typs für die Standard- oder Kekulé-Lewisstrukturen 1 und 2 mit einer AdB- bzw. einer YdA-Elektronen-

44

1 Nichtmetalle

paarbindung sind in Gleichung (1) und (2) gezeigt, in denen α und β den Spin1 1 funktionen sz Z C und sz Z K entsprechen möge. Die Slater-Determinanten 2 2 des Typs - yα yβ aα bβ - berücksichtigen ferner die Ununterscheidbarkeit der Elektronen und die Antisymmetrie der Vierelektronen-Wellenfunktionen. Ψ1 (HL) Z - yα yβ aα bβ - C - yα yβ bα aβ α

β

α

β

α

β

α

β

Ψ2 (HL) Z - y a b b - C - a y b a -

(1) (2)

Kanonische Lewis-VB-Strukturen repräsentieren die verschiedenen Möglichkeiten, mit denen vier Elektronen auf drei überlappende AOs aufgeteilt werden können. Für einen Spinzustand mit S Z 0 gibt es sechs kanonische Strukturen, die in Schema 1.1 gezeigt und deren Wellenfunktionen in Gleichung (3) zusammengefasst sind. ΨI

Z - y α y β aα b β - C - y α y β b α a β -

ΨII Z - yα yβ aα aβ ΨIII Z - yα yβ bα bβ ΨIV Z - aα aβ bα bβ ΨV Z - yα aβ bα bβ - C - aα yβ bα aβ ΨVI Z - yα aβ bα bβ - C - aα yβ bα bβ -

(3)

Die Strukturen I und V gehören zum Kekulé-Typ und entsprechen den VBStrukturen 1 und 2 mit den HL-Wellenfunktionen (1) und (2). Die Strukturen IIIV sind ionische Strukturen und die Struktur VI mit einer langen Bindung zwischen den nicht benachbarten Atomen Y und B gehört zum Dewar-Typ (longbond-, Dewar- oder Singulett-Biradikalstruktur). Oft werden solche long-bondStrukturen bei der qualitativen Beschreibung von VB-Strukturen außer Acht gelassen. Quantitative VB-Rechnungen haben aber gezeigt, dass diese oft sehr wesentliche Beiträge zum Resonanzschema des Grundzustands liefern. Dies ist besonders dann der Fall, wenn die Kekulé-Strukturen formale Ladungen besitzen und die Dewar-Strukturen nicht. Beispielsweise konnte durch quantitative VBRechnungen gezeigt werden, dass beim Ozon, O3, die long-bond- oder DewarStruktur die wichtigste einzelne kanonische VB-Struktur zur Beschreibung des Grundzustands ist (s. Abschnitt 1.3.2). Die beste Beschreibung einer Vierelektronen-Dreizentrenbindung ist die Linearkombination ΨI K ΨVI der angegebenen Wellenfunktionen, die die niedrigste Energie besitzt. Im Folgenden nehmen wir an, dass die AOs y, a und b so orientiert sind, dass die Überlappungsintegrale "y - a# und "a - b# beide größer als null sind. Die LMOs YdA und AdB, Ψya Z y C la und Ψab Z a C kb, sind dann die bindenden MOs, wenn die Polaritätskoeffizienten l und k beide größer als null * * sind. Die orthogonalen antibindenden MOs werden als ψya und ψab bezeichnet. Um wie bereits zuvor erwähnt die increased-valence-Strukturen 3 und 4 zu erzeugen, wollen wir nun die HL-Wellenfunktionen für diese Strukturen betrachten. Wenn ein Y-Elektron der VB-Struktur 1 in das zwischen Y und A bindende MO der Form Ψya Z y C la delokalisiert wird, ist die HL-Wellenfunktion der

1.3 Die VB-Beschreibung von elektronenreichen Molekülen

45

Schema 1.1 Kanonische Lewis-Strukturen mit S Z 0 für eine Vierelektronen-Dreizentrenbindung (ohne Formalladungen). Anmerkung: „Ionische Strukturen“ Z diskrete Ionen; „co-ionische“ Strukturen Z formale Ladungstrennung.

increased-valence-Struktur 3 für S Z 0 durch Gleichung (4) definiert, die identisch ist mit der in Gleichung (5) gezeigten Linearkombination. Ψ3 (HL) Z - yα ψβya aα bβ - C - ψβya yβ bα aβ -

(4)

Ψ3 (HL) Z ΨI C l ΨVI

(5)

Daher ist die HL-increased-valence-Struktur 3 äquivalent zu einer Resonanz zwischen den kanonischen Lewis-Strukturen I und VI. Analog kann die Delokalisierung eines B-Elektrons der HL-Kekulé-Struktur 2 in ein zwischen A und B bindendes MO des Typs Ψab Z a C kb erfolgen [Gleichung (6)], wodurch die HLWellenfunktion der increased-valence-Struktur 4 erzeugt wird. Daher ist die VBStruktur 4 auch äquivalent zu einer Resonanz zwischen der kanonischen KekuléStruktur V und der Dewar-Struktur VI. Ψ4 (HL) Z - yα aβ ψαab bβ - C - aα ψβab bα yβ - Z kΨV C ΨVI

(6)

Die Abwesenheit einer AdB-Bindung in der Dewar-Struktur VI bedeutet, dass die AdB-Bindungsordnung für die increased-valence-Struktur 3 kleiner als der Wert eins ist, den man für die AdB-Bindung der HL-Kekulé-Struktur 1 erhält. Daher wird die AdB-Bindung in 3 auch als fraktionell bezeichnet. Ganz analog muss natürlich auch die YdA-Bindung in der increased-valence-Struktur 4 als

46

1 Nichtmetalle

α

β

α

β

Abb. 1.20 Orbitaldiagramm für - Ψab Ψab Ψ*ab - f - aα Ψab bα - Z - aα aβ bα - C k - aα bβ bα * antibindendes MO (siehe Harcourt, (1982, 1990, 1998, (mit k Z 1) ψab bindendes, ψab 2000)).

fraktionell angesehen werden. Im Folgenden wollen wir dünne Bindungsstriche benützen, um solche fraktionellen Bindungen in den increased-valence-Strukturen anzuzeigen. Da die HL-increased-valence-Strukturen 3 und 4 äquivalent zu einer Resonanz I !% VI bzw. V !% VI sind, entspricht die Resonanz zwischen 3 und 4 (3 !% 4) auch der Resonanz zwischen den kanonischen Kekulé-Strukturen I und V und der kanonischen Dewar-Struktur VI. (Hinweis: Wenn LMOs wie z. B. CoulsenFischer-Orbitale benützt werden, dann schließt die Resonanz 3 !% 4 zusätzlich noch die ionischen Resonanzstrukturen IILIV ein). α β β α In Gleichung (6) treten die Konfigurationen aβ Ψab b und aα Ψ ab b auf. Linβ α α β * * - und - ψab ψab ψab - den Ausdrücken nett konnte zeigen, dass - ψab ψab ψab α β β α α β * b - und - aαΨ ab b - entsprechen (Abb. 1.20, für - ψab ψab ψab - ). - aβ Ψ ab * Der Ausdruck ψab Z k*a K b ist das antibindende MO, das orthogonal zum bindenden MO Ψab Z a C kb ist. [Die Orthogonalitätsbedingung ist: k* Z (k C "a - b#).(1 C k "a - b#)]. Daher kann Gleichung (6) für Ψ4 (HL) auch wie folgt formuliert werden: * * β ψab ψab - C - ψab y ψab ψab - Z kΨV C ΨVI Ψ4 (HL) f - yα ψab

(7)

Die Betrachtung von Gleichung (7) zeigt, dass die increased-valence-VB-Struktur * -Elekt4 einer Spinpaarung (S Z 0) des y-Elektrons und des antibindenden ψab * 1 ) entspricht, rons der Dreielektronenbindung mit der Konfiguration (ψab )2 ( ψab wie dies in Abb. 1.21 dargestellt ist. Dieses Ergebnis zeigt uns eine zweite Methode zur Erzeugung von increasedvalence-Strukturen, nämlich (für eine Vierelektronen-Dreizentrenbindung) * * 1 für die Konfiguration (ψab )2 ( ψab ) (y)1. durch Spinpaarung zwischen y und ψab Die maximale Bindungsordnung für eine Konfiguration einer Dreielektronenbindung mit (im Wesentlichen) nur einem bindenden Elektron ist 0.5, wenn das

1.3 Die VB-Beschreibung von elektronenreichen Molekülen

47

Abb. 1.21 Orbitalbesetzungen und bindende Eigenschaften für die HL-increased-valence-Struktur 4 unter Vernachlässigung des AO-Überlappungsintegrals "a - b# für die * . Wenn "a - b# berücksichtigt wird, sind die beiden Normierungskonstanten für ψab und ψab zwischen A und B nichtbindenden Elektronen mit parallelen Spins antibindend, ψab bin* antibindendes MO (siehe Harcourt, (1982, 1990, 1998)). dendes, ψab * verÜberlappungsintegral "a - b# in den Normierungskonstanten für ψab und ψab nachlässigt wird. Die HL-increased-valence-Struktur 3 kann ähnlich konstruiert werden. Die Wellenfunktion [Gleichung (4)] kann entsprechend Gleichung (8) ausgedrückt werden, um zu zeigen, dass die increased-valence-Struktur 3 einer * Spinpaarung eines b-Elektrons mit dem antibindenden ψya -Elektron der Drei2 * 1 elektronenbindung gemäß der Konfiguration (ψya ) ( ψya ) entspricht. * Um eine VB-Formulierung der Spinpaarung zwischen y und ψab zu erhalten, zeigen wir nur die Ausbildung einer fraktionellen Bindung zwischen Y und A * 1 und indizieren die Spins des y-Elektrons und der Elektronen der (ψab )2 ( ψab ) 1 1 1 Z (a) (ψab ) (b) Konfiguration nicht. Wir können somit schreiben: 5 $% 4. Ganz analog können wir, um die increased-valence-Struktur 3 durch Spinpaarung * zwischen b und ψya zu erhalten, schreiben: 6 $% 3: α β α β * * β Ψ3 (HL) f - bα ψya ψya ψya - C - ψya b ψya ψya - Z l ΨI C ΨVI

(8)

Zusammenfassend können wir sagen, dass zwei Techniken geeignet sind, um increased-valence-Strukturen zu erzeugen (dies gilt sowohl für HL- als auch für LMO-Wellenfunktionen): 1. Die Delokalisierung eines nichtbindenden Elektrons einer Kekulé-artigen Lewis-Struktur in ein bindendes LMO, wie z. B. in den Fällen 1 $% 3 und 2 $% 4.

48

1 Nichtmetalle

2. Die Spinpaarung eines antibindenden Elektrons in einer Dreielektronenbindung mit einem ungepaarten Elektron an einem weiteren Atom, wie z. B. in den Fällen 5 $% 4 und 6 $% 3.

1.3.2 Die Beschreibung der Moleküle O2, O3 und einiger hyperkoordinierter Moleküle Die VB-Struktur des 3S K g Grundzustandes von O2 umfasst eine Elektronenpaarσ-Bindung und zwei Dreielektronenbindungen (Abb. 1.19) mit den Konfigurationen (πx)2 ( π*x )1 und (πy)2 ( π*y )1. Die gesamte OdO-Bindungsordnung ist daher 1 C 0.5 C 0.5 Z 2.

K

Abb. 1.22 MO-Schema und VB-Repräsentation für den 3S g -Grundzustand von O2 (Linnett, 1964).

Aus einer einzigen MO-Konfiguration für das O2-Molekül können wir sechs unterschiedliche elektronische Zustände mit unterschiedlichen elektronischen Verteilungsmustern, Energien und magnetischen Eigenschaften erzeugen (Abb. 1.20). Es gibt einen nicht entarteten 1SC g -Zustand, zwei in nullter Nähe3 K rung entartete 1∆C g -Zustände und drei ebenfalls entartete S g -Zustände. Wie man es für eine einzige MO-Konfiguration erwarten könnte, besitzt die Potential1 C 3 K kurve für die Zustände 1SC g , ∆ g und Σ g nahezu identische Potentialminima 3 K (d (OdO) Z 1.207 Å für S g und 1.220 Å für 1∆C g ), was ähnliche Bindungsenergien andeutet (Abb. 1.20). Darüber hinaus dissoziieren die drei Zustände in einen gemeinsamen (3P C 3P) Zustand. In einer sehr primitiven MO-Betrachtung könnte man die Wellenfunktionen der drei energetisch niedrigsten elektronischen Zustände des O2-Moleküls wie folgt angeben: Ψ(1Σ C g ) Z πx (1)α(1) πy (2)β(2) 1 C Ψ( ∆ g ) Z πx (1)α(1) πx (2)β(2) Ψ(3Σ K g ) Z πx (1)α(1) πy (2)α(2)

1.3 Die VB-Beschreibung von elektronenreichen Molekülen

49

Allerdings sind diese Wellenfunktionen ungeeignet, da sie weder die Ununterscheidbarkeit der Elektronen berücksichtigen noch antisymmetrisch sind (PauliVerbot!). Unter Berücksichtigung nur einer MO-Konfiguration besitzt das O2Molekül die Konfiguration ... (1 πg* )2, die zu sechs verschiedenen elektronischen Unterzuständen führt, die in Tabelle 1.12 zusammengefasst sind. Die Spinkomponente mit Ms Z 0 kann einem Singulettzustand oder einem Triplettzustand (0Spin-Komponente, vgl. Abb. 1.23) entsprechen. Tabelle 1.12 Konfigurationskomponenten für das Disauerstoff-Molekül O2 (bei Verwendung reeller MOs).

Abb. 1.23 Vektordiagramm für die Spinzusammensetzung. Antiparallele Kopplung (S Z 0) ergibt nur einen Zustand (Singulettzustand). Bei paralleler Kopplung (S Z 1) kann die quantisierte Komponente in Feldrichtung bei Anlegen eines Magnetfelds in vertikaler Richtung drei Werte annehmen: Ms Z 1, 0, K1 (Triplettzustand).

Ohne Berücksichtigung der Konfigurationswechselwirkung (CI) und ohne explizite Angabe der übrigen Elektronen K insbesondere der (πx)2 (πy)2-Elektro-

50

1 Nichtmetalle

nen K sind die 3ΣK g -Wellenfunktionen für MS Z 0 und MS Z G 1 für die antibindenden π*-Elektronen: Ψ1 Z ( - πx*α πy*β - K - πy*α πx*β - ) . √2 , - πx*α πy*α -, - πx*β πy*β Z

Dabei

ist

[

1

√2



* x

]

)

(1) π*y (2) K π*y (1) π*x (2) T (Spin)

T (Spin) Z

[{α (1) β (2) C β (1) α (2)} . √2]

(für

S Z 1,

MS Z 0),

T (Spin) Z α (1) α (2) (für S Z 1, MS Z 1) oder T (Spin) Z β (1) β (2) (für S Z 1, MS Z K1); das heißt, die π*x -π*y -Elektronen besitzen parallele Spins. Die MO-Beschreibung für den ersten angeregten 1∆C g -Zustand umfasst die beiden entarteten Konfigurationen mit S Z MS Z 0: Ψ2 Z ( - πx*α πy*β - C - πy*α πx*β - ) . √2 Z

[

1

√2



* x

Ψ3 Z ( - πx*α πx*β - K - πy*α πy*β - ) . √2 Z

[

1

√2



* x

Hierbei ist S (Spin) Z

]

)

(1) π*y (2) C π*y (1) π*x (2) S (Spin)

]

)

(1) π*x (2) K π*y (1) π*y (2) S (Spin)

[{α (1) β (2) K β (1) α (2)} . √2] (für M π*x -

S

Z 0), das bedeutet

π*y -Elektronen.

und entgegengesetzte Spins der Ein zweiter angeregter Zustand mit S Z MS Z 0 besitzt 1ΣC g -Symmetrie; seine π-Elektronen-MO-Wellenfunktion lautet Ψ4 Z ( - πx*α πx*β - C - πy*α πy*β - ) . √2 Z

[

1

√2



* x

]

)

(1) π*x (2) C π*y (1) π*y (2) S (Spin)

Für Ψ2 sind die assoziierten VB-Strukturen die nachstehend gezeigten Linnettstrukturen (C) mit einer (σ)2 (πx)1(πy)1-Doppelbindung und entgegengesetzten Spins für die bindenden πx- und πy-Elektronen:

1.3 Die VB-Beschreibung von elektronenreichen Molekülen

51

Die VB-Strukturen, die mit den Wellenfunktionen Ψ3 und Ψ4 assoziiert werden können, sind die Lewis-Strukturen C mit (σ)2 (πx)2 und (σ)2 (πy)2-Doppelbindungen. Gemäß der ersten Hund’schen Regel, nach der bei orthogonalen Orbitalen der stabilere Zustand derjenige mit maximaler Spinmultiplizität ist, besitzt B eine höhere Energie als A, somit sollte Struktur A stabiler sein als Struktur B. Da die Wellenfunktionen Ψ2 für Struktur B und Ψ3 für die (K)-Komponente der Struktur C entartete Komponenten des 1∆C g -Zustands sind, besitzen die Lewis-Strukturen C ebenfalls höhere Energien als A. Daher kann die einfachste VB-theoretische Erklärung für die Existenz des Triplett-Grundzustands auf der Grundlage der MO-Beschreibung und durch die Äquivalenz zwischen den 3ΣK g -MO- und VB-Wellenfunktionen sowie zwischen den 1∆C g -MO- und VB-Wellenfunktionen gegeben werden.

Die häufig in der Literatur falsch verwendete VB-Struktur C für O2 mit einer Doppelbindung (vgl. Gleichung (9) und Abb. 1.22) entspricht dem angeregten 1 C ∆ g -Singulettzustand. Singulett-Sauerstoff kann im Labor leicht durch einleiten von Chlorgas in alkalische Wasserstoffperoxidlösung (basic hydrogen peroxide, BHP) hergestellt werden Cl2 C 2 OHK $% ClOK C ClK C H2 O

(9)

ClOK C H2O2 $% ClOOH C OHK

(10)

ClOOH $% HCl C 1O2

(11)

3 3 K 2 1 O 2 (1 ∆ C g ) $% 2 O2 ( Σ g )

(12)

Der Übergang von Singulett- in den stabileren Triplettzustand erfolgt nach der letzten Reaktion durch Zusammenstoß zweier 1O2-Moleküle unter Abgabe von 2 ! 23 kcal molK1 (ca. 650 nm, rote Lichterscheinung). Singulett-Sauerstoff spielt auch bei der Wirkungsweise des ersten rein chemischen Lasers, dem COIL-Laser (engl. chemical oxygenKiodine laser) eine wichtige Rolle. Der entscheidende Schritt ist die Kollision eines Singulett-Sauerstoff* moleküls (1∆C g , O2 ) mit einem Iodatom, das dabei angeregt wird und anschließend Laserstrahlung der Wellenlänge 1.31 µm emittiert: O*2 C I2 $% O2C I*2 O*2 C I*2 $% O2 C 2 I O*2 C I $% O2 C I* I* $% I C hν (1.31µm) In diesem Zusammenhang gelang erst kürzlich die Synthese von Singulett-Sauerstoff in einer Gas-.Festphasen-Reaktion aus Natriumperoxid und Chlorwasserstoffgas:

52

1 Nichtmetalle

Abb. 1.24 Potentialkurven für das O2-Molekül in den niedrigsten elektronischen Zuständen.

1 * O (1 ∆ C g , O2 ) C 2 NaCl C H2O 2 2 Gleichung (13) zeigt, wie man ausgehend von O2 im Grundzustand (A, 3Σ K g ) durch Spinpaarung mit einem O-Atom im Grundzustand (3P) leicht eine increased-valence-Struktur 7 für Ozon, O3, erzeugen kann. Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, ist unter Verwendung von HL-Wellenfunktionen die Resonanz der increased-valence-Strukturen 7 und 8 äquivalent zur Resonanz zwischen den Standard-Kekuléstrukturen 9 und 10, der Dewar-Struktur 11 und vier weiteren Lewis-Strukturen (siehe Harcourt (1982, 1990, 1998)). Quantitative VB-Rechnungen haben gezeigt, dass unter Berücksichtigung nur der sechs kanonischen Lewis-Strukturen 9L14 die Singulett-Biradikal- oder Dewar-Struktur 11 das bei weitem höchste Gewicht besitzt (Tabelle 1.13). Na2 O2 (s) C 2 HCl (g)

%$(13)

1.3 Die VB-Beschreibung von elektronenreichen Molekülen

53

Tabelle 1.13 Die Gewichtung der sechs kanonischen Lewis-Strukturen 9L14 für Ozon im Grundzustand. VB-Resonanzstruktur

Gewicht im O3-Grundzustand

9 10 11 12 13 14

0.13 0.13 0.70 0.01 0.01 0.01

Standard-Kekulé-, Dewar- und increased-valence-Strukturen sind besonders wichtig für elektronenreiche, hyperkoordinierte Moleküle wie z. B. ClF3, ClF4C, SF4, PF5 und SF6. Diese können wie in Abschnitt 1.3.1 ausführlich diskutiert erzeugt werden. Abbildung 1.25 zeigt die Standard-Lewis- und die increasedvalence-Strukturen für ClF3, ClFC 4 , SF4, PF5 und SF6. Für das hyperkoordinierte ClF3 sind drei Arten von increased-valence-Strukturen (die miteinander in Resonanz stehen) dargestellt.

C

Abb. 1.25 Standard-Lewis- und increased-valence-Strukturen für ClF3, ClF 4 , SF4, PF5 und SF6 (siehe Harcourt, Klapötke (2003)).

54

1 Nichtmetalle

1.4 Die Chemie der Edelgase 1.4.1 Geschichtliches Die Entdeckung der Edelgase ist eng mit dem Namen von Sir William Ramsay (1852K1916) verbunden, der an den Universitäten Glasgow, Bristol und London tätig war. Im Jahr 1904 erhielt er den Nobelpreis für Chemie in Anerkennung für die Entdeckung der Elemente Ar (1894), He (1895) sowie Ne, Kr und Xe (1898). Direkt nach der Entdeckung des Argons stellte Ramsay Moissan 100 mL des Gases zur Umsetzung mit Fluor zur Verfügung, welches dieser 1886 erstmals dargestellt hatte. Moissan versuchte 1895, die beiden Gase bei Zimmertemperatur und durch Anregung mit einer Funkenentladung zur Reaktion zu bringen, jedoch ohne Erfolg. In einer hervorragenden Arbeit sagte dann Linus C. Pauling im Jahr 1933 u. a. die Existenz der Verbindungen H4XeO6 und XeF6 voraus. Sicher haben die anfänglichen Misserfolge bei der versuchten Synthese von Edelgasverbindungen sowie die darauf folgende Aufstellung verschiedener Theorien, warum Edelgase keine stabilen Bindungen eingehen können, dazu beigetragen, den Fortschritt bei der experimentellen Erforschung der Chemie der Edelgase zu bremsen. Aus heutiger Sicht wurde die Edelgaschemie 1962 von Neil Bartlett entdeckt, seinerzeit an der University of British Columbia. Ein sehr lesenswerter Aufsatz über die Entdeckung der Edelgasverbindungen stammt von Laszlo und Schrobilgen (1988). Der Durchbruch gelang Bartlett basierend auf der Erkenntnis, dass Xe und O2 nahezu die gleichen Werte der ersten Ionisierungsenergie IA besitzen und dass Disauerstoff mit PtF6 leicht zum Dioxygenylkation oxidiert werden kann: IA . (kJ molK1): O2 Z 1180, Xe Z 1170 K O2 (g) C PtF6 (g) $% OC 2 PtF6 (s) Allerdings bildet sich bei der Umsetzung von Xenon mit PtF6 nicht, wie ursprünglich angenommen wurde, XeCPtFK 6 , sondern ein Gemisch aus Fluoroxenylverbindungen gemäß der idealisierten Reaktionsgleichung: Xe (g) C 2 PtF6 (g) $% XeF CPt2 FK 11 (s) Noch im gleichen Jahr gelang R. Hoppe in Münster die Synthese und Charakterisierung von XeF2 durch elektrische Entladung in einem Gemisch aus Xenon und Fluor (1 : 2). Wenig später glückte auch die Synthese von XeF4 und XeF6. Inzwischen sind auch KrF2 sowie Verbindungen mit direkten Xenon-Sauerstoff-, Xenon-Stickstoff- und Xenon-Kohlenstoff-Bindungen bekannt (s. u.). Darüber hinaus wurde ebenfalls über den Nachweis sehr instabiler Argon-, Krypton- und Xenon-Berylliumverbindungen sowie über Komplexe zwischen Xe und M(CO)5 berichtet (M Z Mo, W).

1.4.2 Das XeC 2 -Kation Das XeC2-Kation ist das bisher einzige gut charakterisierte Molekül mit einer direkten XedXe-Bindung. Das Fluoroxenylkation kann in SbF5 als Lösungsmit-

1.4 Die Chemie der Edelgase

55

tel unter Anwesenheit katalytischer Mengen an HF unter Xe-Überdruck bei Raumtemperatur zum XeC 2 -Kation reduziert werden: SbF5.HF

C K XeFCSb2 FK 11 C 3 Xe C 6 SbF5 #$#% 2 Xe2 Sb4 F21

Das XeC 2 -Kation ist mit 15 Valenzelektronen isoelektronisch zum ebenfalls paramagnetischen IK 2 -Anion und zeigt spektroskopisch wie erwartet starke Ähnlichkeit (Tabelle 1.14). Erst 1997 gelangen Seppelt et al. die Aufklärung der Struktur dieser Verbindung durch Röntgenbeugung. Abbildung 1.26 zeigt eine FormeleinK heit von XeC 2 Sb4 F21 mit einem kurzen Kation-Anion-Abstand von 322.6 pm.

C

K

Abb. 1.26 Eine Formeleinheit von Xe2 Sb4 F21 (ORTEP-Darstellung). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1997, 109, 264.] C

Tabelle 1.14 Strukturelle und spektroskopische Daten der isoelektronischen Ionen Xe2 K und I 2 . K

C

Eigenschaft

I2

Xe2

Farbe d (XKX) . pm ν˜ (XKX) . cmK1 (Raman-Daten)

dunkelgrün

dunkelgrün 308.7 123

115

1.4.3 Die Edelgashalogenide 1.4.3.1 Binäre Edelgashalogenide Zur Gruppe der gut charakterisierten binären Edelgasverbindungen zählen die thermodynamisch stabilen Xenonfluoride XeFn (n Z 2, 4, 6) sowie das endotherme, unterhalb von 0 (C metastabile KrF2. Tabelle 1.15 gibt eine Zusammenstellung der wichtigsten Daten dieser durchweg farblosen Verbindungen. Während die Molekülstrukturen der Verbindungen XeF2, XeF4 und KrF2 genau den Erwartungen nach dem VSEPR-Modell entsprechen, ist das XeF6-Molekül in der Gasphase überkappt oktaedrisch aufgebaut (C3v-Symmetrie) und fluktuierend (Abb. 1.27). Im kristallinen Zustand besteht XeF6 aus quadratisch-pyraK midal gebauten XeFC 5 -Einheiten, die über F -Brücken zu tetrameren und hexameren Ringen verknüpft sind (Abb. 1.27).

56

1 Nichtmetalle

Tabelle 1.15 Binäre Edelgasfluoride. Eigenschaft

XeF2

XeF4

XeF6

KrF2

Punktgruppe (Gas)

DNh

D4h

DNh

Schmelzpunkt.(C

129.0 120.0 Subl.

117.1

C3v (verzerrt oktaedrisch) 49.5

K164 Xe : F2 Z 2 : 1, 2 bar, 400 (C 131

K278 Xe : F2 Z 1 : 5, 6 bar, 400 (C 130

75.6 K361 Xe : F2 Z 1 : 20, 60 bar, 300 (C 126

C60 Kr C F2, K183 (C, elektr. Entl.

schwach

mittel

stark

sehr stark

schwach

mittel

stark

sehr stark

Siedepunkt.(C ∆fH( . (kJ molK1) Darstellung BDE(XeKF) . (kJ molK1) relative Oxidationskraft relative Fluorierungsstärke

metastabil

Abb. 1.27 Struktur von XeF6. Links: Gasphasenstruktur (überkappt oktaedrisch, C3v); rechts: Kristall, tetramere und hexamere Einheiten in der kubischen Modifikation von XeF6.

XeF2 ist ein einfach zu handhabendes und mildes Fluorierungsmittel, welches sogar in Wasser einige Zeit unzersetzt eingesetzt werden kann. Da XeF2 im Gegensatz zu XeF4 und XeF6 (s. u.) bei seiner Hydrolyse auch keine explosiven Xenonoxide bildet und im Gegensatz zu XeF6 auch Glas (SiO2) nicht angreift, wird es gerne im Bereich der elementorganischen Chemie als schonendes Fluo-

1.4 Die Chemie der Edelgase

57

rierungsmittel eingesetzt. Die einfache kommerzielle Zugänglichkeit von XeF2 erspart darüber hinaus das Arbeiten mit elementarem Fluor. KrF2 ist ein außerordentlich starkes Oxidations- und Fluorierungsmittel. Es kann Gold zu AuF5 oxidieren (mit F2 gelingt nur die Darstellung von AuF3). Durch Reaktion von Gold mit überschüssigem KrF2 gelingt die Darstellung von KrFCAuFK 6 , das oberhalb von 60 (C in AuF5 und die Elemente zerfällt: 5 KrF2 C 2 Au $% 2 AuF5 C 5 Kr 7 KrF2 C 2 Au $% 2 KrFCAuFK 6 C 5 Kr T R 60 (C

KrFCAuF6K ##$% AuF5 C Kr C F2 Betrachten wir nun noch die Bindungsverhältnisse im XeF2-Molekül, das wir als ein lineares, dreiatomiges Molekül mit π-Wechselwirkung ansehen wollen. (Anmerkung: Analoges gilt natürlich auch für das isovalenzelektronische IK 3 , wobei dort die energetische Lage der zu kombinierenden p-Orbitale dichter ist.) In erster Näherung können die drei σ-Orbitale wie folgt miteinander kombiniert werden (Abb. 1.28):

Abb. 1.28 Die Atomorbitale, die für die Konstruktion des MO-Schemas von XeF2 in erster und zweiter Näherung benötigt werden.

Ψ b Z c1φ2 C c2 (φ1 K φ3) Ψ a Z c1φ2 K c2 (φ1 K φ3) Ψ n Z c2 (φ1 C φ3) Zusätzlich kann in zweiter Näherung eine weitere, schwache Stabilisierung dadurch erreicht werden, dass das gefüllte gerade (bezüglich einer Spiegelung am Koordinatenursprung) nichtbindende σ-Orbital (Ψ n) mit dem leeren, ebenfalls geraden dz 2-Orbital des Xe in eine schwache Wechselwirkung tritt (0 Ψ gsb, sb: schwach bindend) (Abb. 1.29): Ψgb Z c3 (φ1 C φ3) C c4φ4 Ψga Z c3 (φ1 C φ3) K c4φ4 Somit erhalten wir für XeF2 das folgende qualitative MO-Schema (Abb. 1.29) 1 1 mit einem Bindungsgrad von b Z (in erster Näherung) und b O (in zweiter 2 2 Näherung). Quantitative MO-theoretische Berechnungen zeigen, dass dieses sehr einfache Bild der ersten und zweiten Näherung den Sachverhalt in etwa richtig beschreibt.

58

1 Nichtmetalle

Abb. 1.29 MO-Schema für XeF2 in erster und zweiter Näherung (nach T. M. Klapötke, I. C. Tornieporth-Oetting, Nichtmetallchemie, Wiley-VCH, Weinheim 1994).

Besser lassen sich die Bindungsverhältnisse im XeF2 durch ein Modell mit drei Näherungen beschreiben, das zusätzliche Wechselwirkungen mit den Xe(5dz 2)und Xe(5s)-Orbitalen berücksichtigt. Die erste Näherung entspricht exakt dem oben angegebenen qualitativen Modell und führt zur Bildung von Ψ b, Ψ n und Ψ a. In zweiter Näherung tritt Ψ n mit dem gefüllten Xe(5s)-σ-Orbital in Wechselwirkung, was zu einer geringen energetischen Stabilisierung von Xe(5s) (0 Ψ 1sb, sb: schwach bindend) und Destabilisierung von Ψ n (0 Ψ sa, sa: schwach antibindend) führt. Im nun folgenden Schritt der dritten Näherung kann eine Wechselwirkung des leeren Xe(5dz 2)-Orbitals, das ebenfalls σ-Symmetrie besitzt, mit dem Ψ sa-Orbital (erzeugt in der zweiten Näherung) formuliert werden, die dazu führt, dass das Xe(5dz2)-Orbital energetisch angehoben wird, während das Ψ sa-Orbital energetisch auf einen Wert unterhalb dessen, den es in der ersten Näherung angenommen hatte, abgesenkt wird, d. h. schwach bindenden Charakter erhält (0 Ψ 2sb). Somit liegen im XeF2 drei (besetzte) Dreizentrenorbitale vor, von denen ein stark bindendes (Ψ b) nahezu ausschließlich aus p-Orbitalen und die anderen, schwach bindenden Orbitale überwiegend aus p-Orbitalen, aber mit gewisser sund d-Orbitalbeteiligung des Xenons konstruiert wurden. Die Verhältnisse sind in Abb. 1.30 dargestellt. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die HOMOs durch die Xe(px, py)-Orbitale gebildet werden, während das LUMO Ψ a entspricht. Ein ebenso interessanter, aber etwas anderer Ansatz zur qualitativen Beschreibung der Bindungsverhältnisse im XeF2-Molekül findet sich in der weiterführenden Literatur.

1.4.3.2 Xenon-Fluor- und Krypton-Fluor-Kationen Sämtliche binären XeKF- und KrKF-Kationen können direkt aus den entsprechenden neutralen Edelgasfluoriden unter Einsatz starker Lewis-saurer Fluorid-

1.4 Die Chemie der Edelgase

59

Abb. 1.30 MO-Schema für XeF2 unter Xe(5dz2)- und Xe(5s)-Beteiligung (nach T. M. Klapötke, I. C. Tornieporth-Oetting, Nichtmetallchemie, Wiley-VCH, Weinheim 1994).

ionenakzeptoren erhalten werden. Tabelle 1.16 zeigt eine Zusammenstellung der am besten charakterisierten XedF- und KrdF-Kationen und Möglichkeiten zu deren Synthese.

1.4.3.3 Xenon-Fluor-Anionen Die am besten charakterisierten binären Xenon-Fluor-Anionen sind XeFK 7, XeF82K und XeFK 5 . Analog zu den XedF-Kationen können sie aus den entsprechenden neutralen Xenonfluoriden durch Umsetzung mit Lewis-basischen Fluoriddonatoren erhalten werden. XeF6 wirkt in der Reaktion mit Alkalimetallfluo2K riden als Lewis-Säure und bildet Fluoroxenate(VI) der Typen XeFK 7 und XeF8 K ( und XeF 5 . Cs2XeF8 ist bis 400 C stabil und ist damit die thermisch stabilste aller bekannten Edelgasverbindungen. 2K Mit ONF reagiert XeF6 analog unter Ausbildung von [NO]C . In bei2 [XeF8] C 2K C 2K den Verbindungen, [Cs] 2 [XeF8] und [NO] 2 [XeF8] , besitzt das XeF82K-Ion eine quadratisch-antiprismatische Struktur mit D4d-Symmetrie, wobei die Struktur im Fall der Nitrosylverbindung aufgrund schwacher F ··· NO-Wechselwirkungen leicht verzerrt ist. Das XeFK 7 -Ion besitzt wahrscheinlich die Struktur eines einfach überkappten trigonalen Prismas mit annähernder C2v-Symmetrie.

60

1 Nichtmetalle

Tabelle 1.16 Binäre XeKF- und KrKF-Kationen. Punktgruppe

Struktur

Darstellung

CNv

linear

Xe2F 3

C2v

V-förmig

C

C2v C4v

T-förmig quadr. pyramidal

CNv

eckenverknüpfte Oktaeder linear

XeF2 C MF5 (M Z As, Sb, Bi, V, Nb, Ta, Ru, Os, Ir, Pd, Pt) 2 XeF2 C MF5 (M Z As, Sb, Bi, V, Nb, Ta, Ru, Os, Ir, Pd, Pt) XeF4 C 2 MF5 (M Z Sb, Bi) XeF6 C MF5 (M Z As, Sb, Bi); XeF6 C MF3 (M Z B) 2 XeF6 C MF5 (M Z As, Sb)

C2v

V-förmig

C

XeF

C

XeF 3 C XeF 5 C

Xe2F 11 KrFC C

Kr2F 3

20 (C

KrF2 C MF5 (M Z As, Sb, Ta, Pt); K 7 KrF2 C 2 Au $% 2 KrFCAuF 6 C 5 Kr 2 KrF2 C MF5 (M Z As, Sb, Ta, Pt) O50 (C

CsF C XeF6 #% CsCXeF7K(gelb) ##% 20 (C

1 1 2K XeF6 C [Cs]C 2 [XeF8] 2 2

2 NOF C XeF6 #% [NO]2C[XeF8] 2K (farblos) Wie wir oben gesehen haben, kann man oft CsF als Quelle für stark basische FKIonen einsetzen, um ein „nacktes“ Fluoridion zu approximieren. Der Caesiumeffekt ist hier eine Folge der (im Sinne der Ionengröße) inversen NaCl-Struktur, d. h. das FK-Ion hat das starke Bestreben, seine Koordination zu vergrößern. In aprotischen Lösungsmitteln finden die Reaktionen aber nur auf der Oberfläche von festem CsF statt, was sich für die Überführung schwacher Lewis-Säuren (wie XeF4) als sehr nachteilig erweist. Dem „nackten“ Fluorid noch näher kommt man, wenn man wasserfreies Tetramethylammoniumfluorid, Me4NCFK, einsetzt, das wie folgt erhalten werden kann: H 2O

Me4 NCOHK C HF $$% Me4 NCFK $ xH2O 1. Umkrist. aus Isopropanol; 2. 150 (C, Vakuum

##############$#% Me4 NCFK Me4NCFK ist überraschend stabil gegenüber oxidativen Angriffen, was wahrscheinlich darauf beruht, dass die positive Ladung über die zwölf Wasserstoffatome verteilt ist, sodass diese gegenüber oxidativen Angriffen weitgehend geschützt sind. Somit eignet sich Me4 NCFK zur Umsetzung mit XeF4, wodurch die Synthese des Pentafluoroxenat(IV)-Anions möglich ist: Me4 NCFK C XeF4 $% Me4 NCXeFK 5 Das XeFK 5 -Ion ist pentagonal planar gebaut und besitzt D5h-Symmetrie.

1.4.4 Die Xenonoxide 1.4.4.1 Neutrale Xe-Oxide und binäre Oxoanionen XeO3 und XeO4 sind die einzigen in Substanz isolierten binären Oxide eines Edelgases. Beide Verbindungen sind stark endotherm und explosiv. Wichtige

1.4 Die Chemie der Edelgase

61

thermodynamische und strukturelle Daten sind in Tabelle 1.17 zusammengestellt. Die Darstellung von XeO3 erfolgt am besten durch schonende Hydrolyse von XeF6, wobei die reine, kristalline Verbindung durch Eindampfen der wässrigen Lösung erhalten werden kann: XeF6 C H2O $% XeOF4 C 2 HF XeOF4 C H2O $% XeO2F2 C 2 HF XeO2F2 C H2O $% XeO3 C 2 HF XeF6 C 3 H2O $% XeO3 C 6 HF Bei Zusatz von Lauge zu wässrigen XeO3-Lösungen erfolgt Bildung von Xe4K nat(VI), HXeOK 4 , welches zu Perxenat (VIII), XeO6 , und elementarem Xenon disproportioniert. XeO3 C OHK $% HXeOK 4 4K K 2 HXeOK C 2 OH $% HXeO 4 6 C Xe C O2 C 2 H2O Tabelle 1.17 Eigenschaften von XeO3 und XeO4. Eigenschaft

XeO3

XeO4

Punktgruppe d (XeKO) . pm :(OKXeKO) . Grad Farbe ∆fH( . (kJ molK1), für Gasphase Schmelzpunkt.(C BE (XeKO) . (kJ molK1)

C3v 176 103 farblos C402 Explosion 84

Td 173.6 109.5 farblos C643 K36

Aus den Perxenat(VIII)-Lösungen, die aus Xe(VI)-Lösungen durch Disproportionierung von HXeOK 4 erhalten werden, lässt sich XeO4 durch konzentrierte Schwefelsäure bei K5 (C als farbloses Gas freisetzen: XeO64K C 2 Ba2C $% Ba2XeO6 Ba2XeO6 C 2 H2SO4 (konz.) $% XeO4 C 2 BaSO4 C 2 H2O Im Gegensatz zu XeF6 hydrolysiert XeF2 in Wasser nur langsam und wird dabei zu elementarem Xenon reduziert: 2 XeF2 C 2 H2O $% 2 Xe C 4 HF C O2 XeF4 hingegen hydrolysiert spontan unter Disproportionierung nach einem sehr komplexen Mechanismus, der in nachstehenden Reaktionsgleichungen nur näherungsweise wiedergegeben werden kann: 6 XeF4 C 12 H2O $% 4 XeO C 2 XeO4 C 24 HF 2 XeO4 $% 2 XeO3 C O2 4 XeO $% 4 Xe C 2 O2 6 XeF4 C 12 H2O $% 24 HF C 3 O2 C 4 Xe C 2 XeO3

62

1 Nichtmetalle

1.4.4.2 Xenon-Oxofluoride und Xe

O-Anionen und -Kationen

Wir haben bereits gelernt, dass die partielle Hydrolyse von XeF6 zur Bildung von XeOF4 und XeO2F2 führt. Beide Verbindungen entstehen ebenfalls neben SiF4 bei der Reaktion von XeF6 mit SiO2 (Glas!). Präparativ allerdings wird XeOF4 am besten durch Umsetzung von XeF6 mit Caesiumnitrat oder mit Phosphoroxitrifluorid erhalten. Im ersten Fall kann das Nebenprodukt CsXeF7 durch thermische Zersetzung wieder in CsF und XeF6 überführt werden: CsNO3 C 2 XeF6 $% CsXeF7 C XeOF4 C FNO2 POF3 C XeF6 $% XeOF4 C PF5 Das so gewonnene XeOF4 lässt sich durch Reaktion mit N2O5 gezielt zu XeO2F2 umsetzen: XeOF4 C N2O5 $% XeO2F2 C 2 FNO2 Analog zur Darstellung der binären XeKF-Kationen und -Anionen können aus Xenonoxidfluoriden durch Umsetzung mit starken Lewis-Säuren (Fluoridionenakzeptoren) bzw. durch Umsetzung mit Fluoridionen in wasserfreiem Fluorwasserstoff sowohl kationische als auch anionische XedOdF-Spezies erhalten werden: K XeOF4 C SbF5 $% XeOF C 3 SbF 6 XeO2F2 C AsF5 $% XeO2FCAsFK 6 2 XeO2F2 C AsF5 $% FO2XeFXeO2FCAsFK 6 CsF C XeO2F2 $% CsCXeO2FK 3 CsF C XeOF4 $% CsCXeOFK 5 C K K NMe C 4 F C XeOF4 $% NMe4 XeOF 5

Die Molekülstrukturen der ternären XedOdF-Spezies entsprechen den nach dem VSEPR-Modell erwarteten: XeO2F2 (C2v), XeOF4 (C4v), XeOF C 3 (Cs), K XeO2FK 3 (Cs). Die Frage nach der Struktur des XeOF 5 -Anions ist noch immer nicht abschließend beantwortet, wahrscheinlich besitzt es eine C5v-Struktur, bei der das O-Atom und das stereochemisch aktive freie Elektronenpaar die axialen Positionen einer pentagonalen Bipyramide besetzen.

1.4.5 Weitere Verbindungen mit Xe

O- und Kr

O-Bindungen

Neben den bereits diskutierten binären und ternären XedOdF-Verbindungen sind auch Derivate mit O-koordinierten Liganden mit einer großen Gruppenelektronegativität bekannt. Tabelle 1.18 zeigt eine Zusammenstellung typischer Vertreter dieser Verbindungsklasse. Die Darstellung erfolgt in der Regel in wasserfreiem Fluorwasserstoff (aHF Z anhydrous HF), ausgehend von den binären Xenonfluoriden. Einige Xe(II)-Sauerstoffverbindungen können auch bequem durch Umsetzung von XeF2 mit den entsprechenden Alkalimetallsulfonaten bzw. -carboxylaten in Gegenwart von BF3 · OR2 erhalten werden:

1.4 Die Chemie der Edelgase

63

Tabelle 1.18 Xenonverbindungen mit O-koordinierten Liganden hoher Gruppenelektronegativität. Derivat von

Typ

R

XeF2

FdXedOR

SO2F, POF2, TeF5, trans-IOF4, SeF5, ClO3, SO2CF3, SO2CH3, COCF3, SO2C4F9, ROdXedOR SO2F, POF2, TeF5, trans-IOF4, COCF3, COC2F5 Xe(OR)4 TeF5

XeF4 Tabelle 1.19

17

O- und 19F-NMR-Daten von Kr (OTeF5)2 und verwandten Verbindungena).

Verbindung

δ (17O) . ppm δ (19FA) . ppm

δ (19FB) . ppm 2J (FAKFB) . Hz

T . (C

F5TeOOTeF5 F5TeOTeF5 Xe(OTeF5)2 FXe(OTeF5) Kr(OTeF5)2

314.6 140.7 152.1 128.8 95.2

K53.1 K39.2 K45.3 K46.7 K47.2

30 K70 K16 K16 K90

a)

K52.4 K49.1 K42.6 K40.8 K42.1

Lösungsmittel: SO2ClF, Standard für

17

200 182 183 180 181

O-NMR Z H217O, Standard für

19

F-NMR Z CFCl3.

aHF

XeF2 C IO2F3 #% F-Xe- (trans-OIOF4) aHF

FdXed (trans-OIOF4) C IO2F3 #% Xe(trans-OIOF4)2 aHF

XeF2 C B(OTeF5)3 #% F-Xe-O-TeF5 C „FB(OTeF5)2“ aHF

FdXedOdTeF5 C B (OTeF5)3 #% Xe(OTeF5)2 C „FB(OTeF5)2“ aHF

3 „FB(OTeF5)2“ #% BF3 C 2 B(OTeF5)3 CH2Cl2 . CH3CN

XeF2 C MCORK C BF3 #####% FXeOR C MCBF4 CH2Cl2 . CH3CN

FXeOR C MCORK C BF3 #####% Xe(OR)2 C MCBF4 Kryptonbis(pentafluorooxotellurat(VI)), Kr(OTeF5)2, ist das erste Beispiel einer Verbindung, die eine KrdO-Bindung enthält. Kr(OTeF5)2 kann durch Umsetzung von KrF2 mit B(OTeF5)3 bei Temperaturen zwischen K90 (C und K112 (C in SO2ClF als Lösungsmittel hergestellt werden. Die mit 17O angereicherte Verbindung konnte durch 17O- und 19F-NMR-Spektroskopie charakterisiert werden. Wie es typisch für dOTeF5-Verbindungen ist, so zeigt auch Kr(OTeF5)2 im 19FNMR-Spektrum ein AB4-Muster mit einem zu A korrespondierenden Quintett der relativen Intensität 1 und einem den B-Fluor-Atomen entsprechenden Dublett der relativen Intensität 4 (Tabelle 1.19). SO2ClF, K110 (C

KrF2 C B(OTeF5)3 ##$###% Kr(OTeF5)2 C „F2B(OTeF5)“ Im Gegensatz zu der analogen Reaktion mit XeF2 konnte in diesem Fall kein Hinweis auf die Bildung von FKr(OTeF5) gefunden werden. Dies ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass bei der tiefen Reaktionstemperatur KrF2 nur

64

1 Nichtmetalle

schlecht in SO2ClF löslich ist, während sich B(OTeF5)3 relativ gut löst. Somit herrscht immer ein „Überschuss“ an B(OTeF5)3, was die bevorzugte Bildung des symmetrisch substituierten Kr(OTeF5)2 verständlich macht. Auch aus dem Thermolyseverhalten von Kr(OTeF5)2 kann darauf geschlossen werden, dass intermediär kein FKr(OTeF5) gebildet wird. Wie die analoge Xenonverbindung zersetzt sich auch Kr(OTeF5)2 glatt zum elementarem Edelgas und dem entsprechenden Tellurperoxid. Bei der Thermolyse des Xenon-Monosubstitutionsproduktes hingegen wird auch immer die Bildung von Xenondifluorid beobachtet: T R K78 (C

Kr(OTeF5)2 ###% Kr C F5TedOdOdTeF5 T R C160 (C

Xe(OTeF5)2 ##$#% Xe C F5TedOdOdTeF5 T R C160 (C

2 FXe(OTeF5) #$##% XeF2 C Xe C F5TedOdOdTeF5

1.4.6 Xenon- und KryptondStickstoffverbindungen Während die Chemie der XenondFluor- und XenondSauerstoffverbindungen weit entwickelt ist, sind bis heute sehr viel weniger Verbindungen mit einer direkten XedN-Bindung beschrieben worden. Das erste Beispiel einer XenondStickstoffverbindung wurde 1974 von DesMarteau vorgestellt. Hierbei handelt es sich um die Verbindung FXeN(SO2F)2, deren Molekülstruktur mittels Röntgenbeugung bei tiefer Temperatur aufgeklärt werden konnte (Abb. 1.31). Charakteristisch ist die lineare NdXedF-Einheit mit einer relativ langen und schwachen XedN-Bindung (220 pm) und nahezu planar koordiniertem Stickstoff (Winkelsumme am N Z 360.7(). Die treibende Kraft der Synthese ist die thermodynamisch sehr begünstigte Bildung von HF (BE (HF) Z 567 kJ molK1). Durch weitere Umsetzung mit AsF5 kann das wenig stabile Addukt FXeN(SO2F)2 · AsF5 erhalten werden, welches sich leicht in das ebenfalls kristallographisch charakterisierte Hexafluoroarsenatsalz [F{Xe-N(SO2F) 2 } 2]C[AsF6]K überführen lässt:

Abb. 1.31 Molekülstruktur von FdXedN(SO2F)2 (C2-Symmetrie). CH2Cl2, 0 (C, 4 Tage

2 XeF2 C 2 HN(SO2F)2 #######% 2 FdXedN(SO2F)2 C 2 HF

1.4 Die Chemie der Edelgase

65

aHF

2 FdXedN(SO2F)2 C 2 AsF5 #% 2 FXeN(SO2F)2 $ AsF5 22 (C, Vacuum

2 FXeN (SO2F)2 $ AsF5 #$###% [F {XedN (SO2F)2} 2]C [AsF6]K C AsF5 Erst 1987 gelang G. Schrobilgen die Synthese des komplexen Kations [HCNdXeF]C, das ebenfalls eine direkte XedN-Bindung enthält. Schon ein Jahr später publizierte dann der gleiche Autor das erste Beispiel einer KryptondStickstoffverbindung: [HCNdKrF]C[AsF6]K. Wie bereits erwähnt, basieren beide Synthesen letztlich auf der thermodynamisch begünstigten Eliminierung von HF. Beispielsweise reagiert KrF2 bei tiefer Temperatur mit der protonierten Form des Cyanwasserstoffs glatt unter HF-Eliminierung und Ausbildung einer KrdN-Bindung: aHF

HCN C AsF5CHF #% [HCNH] C [AsF6]K aHF, K60 (C

[HCNH] C [AsF6]K C KrF2 #$##% [HCN#KrF]C[AsF6]K C HF Während [HCNdXeF]C[AsF6]K bei Raumtemperatur beständig ist, kann [HCNdKrF]C[AsF6]K nur bei Temperaturen unterhalb von K50 (C in Lösung gehandhabt werden. Beide Verbindungen eignen sich hervorragend zur NMRspektroskopischen Charakterisierung, Tabelle 1.20 zeigt eine Zusammenstellung der wichtigsten NMR-Daten. Tabelle 1.20 NMR-Daten von [HCNdXeF]C[AsF6]K und [HCNdKrF]C[AsF6]K. a) [HCNdXeF]C[AsF6]K [HCNdKrF]C[AsF6]K KrF2 Lösungsmittel BrF5 Temperatur.(C C 24 δ (19F, HCNKEFC) . 193.1 ppm K δ (19F, AsF 6 ) . ppm K 68.0 13 δ ( C) . ppm 104.1 δ (15N) . ppm 230.2 6.01 δ (1H) . ppm δ (129Xe) . ppm K1552 a)

Verwendete Standards:

19

F Z CFCl3,

BrF5 K 57 99.4

BrF5 K57 63.9

K 63.0 98.5 K200.8 6.09 13

C Z TMS,

15

N Z MeNO2, 1H Z TMS,

XeF2 BrF5 K 52 K 184.3

K1685 129

Xe Z XeOF4.

Betrachten wir die Ionisierungsenergien der Radikalfragmente EdF (E Z Ar, Kr, Xe) und vergleichen diese mit den Ionisierungsenergien potentieller Stickstoffbasen (B), so ist leicht einzusehen, dass kationische Komplexe des Typs B $% EdFC nur dann stabil sein sollten, wenn I (EdF) ! I (B) gilt, da sonst die Ionisierung der Stickstoffbase unter Elektronentransfer zu erwarten wäre (Tabelle 1.21). Demnach sollten die Xenon(II)-Kationen CF3CN $% XedFC, HCN $% XedFC und (FCN)3 $% XedFC stabil sein. Tatsächlich sind alle drei Kationen in Form stabiler Hexafluoroarsenatsalze beschrieben worden. Wenn wir nun unsere Betrachtungen auf das KrdF-Fragment ausdehnen, so finden wir, dass auch

66

1 Nichtmetalle

die Kationen CF3CN $% KrdFC und HCN $% KrdFC existieren sollten. In der Tat gelang es auch, HCN $% KrdFCAsFK 6 als erstes Beispiel einer Verbindung mit direkter KrdN-Bindung präparativ darzustellen. Durch ab-initio-Rechnungen konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass HCN $% KrdFC um 161 kJ molK1 stabiler ist als die getrennten Teilchen HCN und KrFC. Die ab-initio-Ergebnisse stimmen gut mit der Formulierung einer ionischen und einer kovalenten Komponente in der HCN $% KrdFC-Bindung überein. Im Sinne einer Dreizentren-Vierelektronenbindung (FdKrdN) können die wesentlichen zur Bindung beitragenden p-Orbitale wie in Abb. 1.28 gezeigt kombiniert werden. Somit erhalten wir im Bereich der FdKrdN-Bindung formal einen mittleren Bindungsgrad von b Z 0.5 (ab initio: b (KrdF) O 0.5, b (KrdN) ! 0.5). Tabelle 1.21 Ionisierungsenergien von EdF-Fragmenten und einiger Stickstoffbasen. Teilchen EdF ArdF KrdF XedF B CF3CN HCN (FCN)3

I . eV 15.2 13.2 10.9 13.9 13.6 11.5

Reaktion EdF $% EdFC C eK

B $% BC C eK

Abb. 1.32 Die Dreizentren-Vierelektronenbindung in [HCNdKrF]C (b Z bindend, n Z nichtbindend, a Z antibindend).

Durch genaue ab-initio-Rechnungen unter Berücksichtigung der Elektronenkorrelation konnte darüber hinaus gezeigt werden, dass auch HCN $% ArdFC um ca. 159 kJ molK1 stabiler sein sollte als die dissoziierten Bestandteile HCN

1.4 Die Chemie der Edelgase

67

und ArdFC.25 Dieser Befund steht nicht im Widerspruch zu den groben Abschätzungen im Hinblick auf die Ionisierungsenergien, die wir oben durchgeführt haben (Tabelle 1.21), da in den ab-initio-Rechnungen die Dissoziation zu HCN und ArdFC zugrunde gelegt wurde. Weitergehende experimentelle Studien werden aber zeigen müssen, ob eine solche Argonverbindung auch tatsächlich synthetisiert werden kann. Es ist nicht auszuschließen, dass HCN $% ArdFC kinetisch nicht genügend stabilisiert ist und unter Oxidation der Stickstoffbase zerfällt.

1.4.7 Xenon−Kohlenstoffverbindungen Die Entwicklung der Edelgas-Kohlenstoffchemie kann vereinfachend in vier wichtige Schritte unterteilt werden: 1979 berichteten Lagow et al. erstmals über den Nachweis einer XedC-Verbindung, wobei sich durch Plasmaentladung von XeF2 und C2F6 (2 CF3-Radikale) das instabile Xe(CF3)2 (t12 Z 30 min) gebildet haben sollte: Plasmaentladung

XeF2 C C2F6 $###$#% Xe(CF3)2 C {2 F} 1989 publizierten die Arbeitsgruppen von Naumann und Frohn unabhängig voneinander nahezu zeitgleich die Synthese der ersten kationischen Verbindung mit XedC-Bindung: CH2Cl2, K40 (C

XeF2 C B(C6F5)3 $####% [XedC6F5]C[BF2 (C6F5)2]K 1992 gelang Schwarz in einem NRMS-Experiment (Neutralisations-Reionisations-Massenspektrometrie) der massenspektrometrische Nachweis der endohedralen Spezies He@C60. 1992 wurde darüber hinaus von Stang und Mitarbeitern über erste 19F- und 129Xe-NMR-spektroskopische Hinweise auf eine Acetylenkohlenstoff(sp)dXe-Bindung berichtet. Das Alkinylxenonkation t BuC2XeC kann nach den folgenden Gleichungen erhalten werden. Die Triebkraft der Reaktion, die unter Bildung von Me3SiF abläuft, ist die Stärke der SidF-Bindung mit einer Bindungsenergie von ca. 598 kJ molK1 (!): t

BF3, K100 (C, CH2Cl2

BudC^CLi $#######% LiCtBudC^CdBFK 3 XeF2

$#% t BudC^CdXeCBFK 4 C LiF

t

BF3, Et2O

BudC^CdSiMe3 C XeF2 $###% t BudC^CdXeCBFK 4 C Me3SiF

Die wohl vielfätigste Xenon-Kohlenstoffchemie geht vom Pentafluorophenylxenonkation aus, das bei K40 (C aus XeF2 und B(C6F5)3 dargestellt werden kann. Das Kation selbst erwies sich als relativ starkes elektrophiles Alkylierungsmittel in der elementorganischen Chemie: C6F5XeC C Te(C6F5)2 $% Te(C6F5)C 3 C Xe C6F5XeC C I(C6F5) $% I(C6F5)C 2 C Xe Da die Lewis-Säure AsF5 eine höhere Fluoridionenaffinität als BF (C6F5)2 besitzt, kann das Hexafluoroarsenatsalz leicht durch eine Verdrängungsreaktion hergestellt werden:

68

1 Nichtmetalle

[XedC6F5]C[BF2(C6F5)2]K C AsF5 $% [XedC6F5]C[AsF6]K C BF(C6F5)2 Die Verbindung [XedC6F5]C[AsF6]K ist thermisch bis 125(C überraschend stabil und kann kurzzeitig in Wasser gehandhabt werden. Durch weitere Reaktion mit Caesiumpentafluorobenzoat gelingt die Darstellung der bis 85(C stabilen molekularen Acylverbindung C6F5dXedOCOC6F5, deren Struktur durch Röntgenbeugung ermittelt werden konnte. Wie erwartet ist das Xe-Atom mit einem CdXedO-Winkel von 178.1( nahezu linear koordiniert, der XedO-Abstand beträgt 237 pm, der XedC-Abstand 212 pm. Auffällig ist, dass im Kristall jeweils zwei Moleküle ein schwach gebundenes Dimer mit einer fast quadratischen XedOdXedO-Einheit bilden (Abb. 1.33).

Abb. 1.33 Struktur zweier schwach gebundener C6F5dXedOCOC6F5-Moleküle im Kristall. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1993, 105, 114.]

1.4.8 Edelgas-Berylliumverbindungen Genaue quantenchemische ab-initio-Rechnungen belegen, dass Helium in der Lage sein sollte, in neutralen, thermodynamisch stabilen Molekülen im Grundzustand Bindungen auszubilden. Ein Beispiel hierfür ist HeBeO, das wir im Folgenden kurz diskutieren wollen. HeBeO ist ein echtes Minimum auf der Energiefläche, wobei die Dissoziation von HeBeO zur Bildung von He und BeO führt, das einen 1ΣC-Grundzustand besitzt: HedBedO $% He C BeO Die Reaktionsenthalpie für die Dissoziation von HedBedO wurde zu C15 kJ molK1 berechnet. Die Struktur von HeBeO (CNv) wurde mit aufwändigen Methoden berechnet; sie ist in Abb. 1.34 wiedergegeben.

1.4 Die Chemie der Edelgase

69

Abb. 1.34 Ab-initio berechnete Bindungslängen (in pm) für HeBeO (complete active space SCF, CASSCF).

Abbildung 1.35 zeigt einen Vergleich der Konturliniendiagramme der Laplace/ verteilung [KV2ρ ( r ) ] von BeO und HeBeO. Die Laplaceverteilung (s. Abschnitt 1.10.4) von BeO (Abb. 1.35a) zeigt, dass das Berylliumatom in dieser Verbindung offensichtlich seine Valenzelektronen an das Sauerstoffatom abgegeben hat, wodurch es effektiv zum ionischen Be2C wird und somit gegenüber Helium gut als Elektronenakzeptor wirken kann. Allerdings gibt es kein Anzeichen für eine semipolare Bindung zwischen Beryllium und Helium. Die HedBe-Wechselwirkung in HeBeO wird besser durch eine closed-shell-Wechselwirkung beschrieben, wobei die elektronischen Strukturen von BedO und He nur äußerst schwach deformiert werden (Abb. 1.35b).

2

(/)

Abb. 1.35 Konturliniendiagramme der Laplaceverteilung KV ρ r (s. Abschnitt 1.10.4) von (a) BedO und (b) HedBedO. Das Termsymbol 1ΣC steht für „1“ Z Singulett-, „Σ“ Z Sigma (SL Z 0), „C“ Z symmetrischer (unter σv) Zustand. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung der American Chemical Society aus J. Am. Chem. Soc. 1987, 109, 5917.]

Anschaulich können wir uns die Bindungsverhältnisse in HeBeO vorstellen, wenn wir das in Abb. 1.36 dargestellte Orbitaldiagramm für den Grundzustand (1ΣC) von BeO betrachten. Das MO-Schema zeigt, dass eine Wechselwirkung des Heliumatoms (1s2) mit dem leeren 5σ-LUMO des BeO möglich ist. Da das BeO-Fragment vier π-Elektronen besitzt, ist das Abwinkeln des HeBeO-Moleküls energetisch ungünstig. HeBeO ist das erste Beispiel eines neutralen Moleküls, das auf hohem theoretischen Niveau als stabil vorausgesagt wurde. Solche ab-initio-Untersuchungen sollten Anlass und Ermutigung zu verstärkten Anstrengungen geben, eine solche Verbindung auch experimentell (Matrix) zu verifizieren. Tatsächlich gelang es 1994, zwar nicht HeBeO, aber immerhin seine stabileren schwereren Homologen ArBeO, KrBeO und XeBeO in einer Argonmatrix bei 10 K zu isolieren und mithilfe ihrer IR-Spektren eindeutig zu identifizieren (Tabelle 1.22).

70

1 Nichtmetalle

Abb. 1.36 Orbitaldiagramm für den Grundzustand (1ΣC) von BeO. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Spektrum Akademischer Verlag aus T. M. Klapötke, A. Schulz, Quantenmechanische Methoden in der Hauptgruppenchemie, Heidelberg 1996, S. 229.]

Tabelle 1.22 IR-Daten von EdBedO (E Z Ar, Kr, Xe): ν˜ as (EdBeK16O) . cmK1.

ArdBedO KrdBedO XedBedO a)

IR (Exp.)

MP2-Rechnunga)

1526 1522 1517

1516 1510 1501

MøllerKPlesset störungstheoretische Rechnung 2. Ordnung.

1.4.9 Edelgas-Goldverbindungen Kationische Edelgas-Goldverbindungen der Typen AuEC und EAuEC (E Z He, Ne, Ar, Kr, Xe) sind bislang experimentell noch nicht bekannt. Allerdings wurden solche Verbindungen speziell für die schwereren Edelgase in aufwändigen theoretischen Untersuchungen als existenzfähig vorausgesagt, sodass die Experimentalchemie nun aufgerufen ist, nach solchen Spezies zu suchen. Speziell die Matrixisolationstechnik in Kombination mit schwingungsspektroskopischer Charakterisierung sollte hier erfolgversprechend sein. Quasirelativistische ab-initio-Rechnungen sagen für das AudXeC-Kation eine Bindungsenergie von 0.9 eV und eine Bindungslänge von 276 pm voraus (Tabelle 1.23), was der Summe der Kovalenzradien nahe kommt. Bemerkenswert ist, dass im AudXeC-Kation ein starker Elektronentransfer vom Xe-Atom zum AuC stattfinden muss und dass über die Hälfte der AudXe-Bindungsenergie

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle

71

auf relativistische Effekte zurückzuführen ist. Ohne den Einfluss relativistischer Effekte würde die AudXe-Bindungsenergie nur ca. 0.38 eV betragen! Die AudKr- und AudAr-Bindungen sind bereits viel schwächer als die AudXeBindung, und He und Ne bilden nur noch sehr schwache Komplexe. Tabelle 1.23 Ab initio berechnete Daten für Edelgas-Goldverbindungen.a)

AuHeC AuNeC AuArC AuKrC AuXeC

d (AudE) . pm

BE . eV

ν˜ (AudE) . cmK1

275 290 274 271 276

0.03 0.05 0.27 0.51 0.91

93 71 118 120 129

a)

Ab-initio-Rechnung auf CCSD(T)-Niveau [coupled-cluster-Rechnung unter Berücksichtigung von einfachen (singles, S) und doppelten (doubles, D) Anregungen mit einem nichtiterativen Beitrag zur Abschätzung der Beiträge der Dreifachanregungen (triples, T)].

Die erste präparative Isolierung einer Verbindung mit direkter Gold-Xenonbindung gelang K. Seppelt durch Reduktion von Gold(III)fluorid, AuF3, mit elementarem Xenon. Die planar-quadratische Struktur des gebildeten [AuXe4]2C-Dikations konnte durch Röntgenbeugung am Einkristall der Substanz [AuXe4] [Sb2F11]2 aufgeklärt werden, wobei die AudXe-Bindungslänge 2.74 Å beträgt. Die Bindung zwischen Gold und Xenon entspricht einer σ-Donor-Bindung, wodurch die resultierende Ladung je Xe-Atom etwa C0.4 e beträgt. AuF3 C 6 Xe C 3 HC $% [AuXe4]2C C XeC 2 C 3 HF Auch die Reaktion von Au2C (in der Verbindung Au(SbF6)2) mit Xenon führt bei K40 (C in aHF-Lösung zur Ausbildung des [AuXe4]2C-Dikations, allerdings ist aufgrund der Reversibilität ein Xe-Überdruck von ca. 10 bar notwendig, um eine solche Lösung auch bei Raumtemperatur zu stabilisieren: Au2C C 4 Xe $% [AuXe4]2C, ∆H Z K200 kcal molK1

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle 1.5.1 Die Sauerstofffluoride Da nur Fluor elektronegativer ist als Sauerstoff, müssen die binären Fluorverbindungen des Sauerstoffs als Sauerstofffluoride bezeichnet werden, während die übrigen Halogenverbindungen (Cl, Br, I) des Sauerstoffs als Halogenoxide (s. Abschnitt 1.4.2) anzusehen sind. Sauerstoff bildet eine Reihe binärer Fluoride, von denen OF2 das bei weitem stabilste und am besten untersuchte ist, gefolgt vom deutlich instabileren FOOF. Sauerstoffdifluorid, OF2, wird durch Reaktion von Fluorgas mit 2 %iger wässriger NaOH-Lösung erhalten. Als unvermeidbare Nebenreaktion entsteht immer

72

1 Nichtmetalle

auch elementarer Sauerstoff durch Weiterreaktion des bereits gebildeten OF2 mit OHK-Ionen. 2 F2 C 2 NaOH $% OF2 C 2 NaF C H2O OF2 C 2 OHK $% O2 C 2 FK C H2O In Tabelle 1.24 werden einige physikalische Daten von OF2 und FOOF miteinander verglichen. Tabelle 1.24 Physikalische Daten von OF2 und FOOF. Eigenschaft

OF2

H2O

FOOF

HOOH

Farbe Punktgruppe d (OdX) . pm d (OdO) . pm :(XOX) . Grad :(XOO) . Grad BE(OdX) . (kJ molK1) ∆fH( . (kJ molK1) Schmelzpunkt. (C Siedepunkt. (C

gelblich C2v 140.5 K 103 K 187 K 22 K224 K145

farblos C2v 95.7 K 104.5 K

gelb C2 157.5 121.7 K 109.5 75 C 20 K154 K 57

farblos C2 95.0 147.5 K 94.8

0 100

Disauerstoffdifluorid wird am besten durch Einwirkung einer stillen elektrischen Entladung auf eine F2.O2-Mischung bei Unterdruck erhalten. Während reines OF2 bis ca. 200 (C stabil ist, zersetzt sich O2F2 bereits bei K160 (C langsam. Oberhalb von K100 (C erfolgt rasche Zersetzung über einen radikalischen Mechanismus unter intermediärer Bildung von F- und OOF-Radikalen. Obwohl beide Verbindungen C2-Symmetrie besitzen, entspricht die Struktur von FOOF nur bei oberflächlicher Betrachtung der von HOOH (Tabelle 1.24). Wenn wir beispielsweise die OdO-Bindungslängen vergleichen, so zeigt HOOH mit 147.5 pm einen typischen Wert für eine OdO-Einfachbindung (142K145 pm). In FOOF ist die OdO-Bindung dagegen nur um 1 pm länger als die der O]O-Bindung im Disauerstoffmolekül, wo (ungefähr) eine Doppelbindung vorliegt. Zur Erklärung dieses Phänomens wurden verschiedene Bindungsmodelle diskutiert und theoretische Rechnungen durchgeführt. Demzufolge scheint eine starke negative Hyperkonjugation eine wesentliche Ursache für dieses Phänomen zu sein. Wenn Elektronendichte aus einem bindenden Orbital oder einem freien Elektronenpaar in ein antibindendes Orbital übertragen wird, spricht man von (negativer) Hyperkonjugation. Es handelt sich also um eine intramolekulare Donor-Akzeptor-Wechselwirkung. Jeweils eines der beiden freien Elektronenpaare am Sauerstoff (p-LP) überträgt Elektronendichte in die unbesetzten σ*-Orbitale der OdF-Bindung (p-LP,O $% σ*-OF, Abb. 1.37). Im Vergleich dazu ist die entsprechende Wechselwirkung in H2O2 nur sehr gering. Vergleicht man die relativen aus der Hyperkonjugation resultierenden Stabilisierungen für O2F2 und H2O2, so liefern ab-initio-Rechnungen Werte von 2 ! 105 (O2F2) bzw. 2 ! 8 kJ molK1 (H2O2). Ursache für dies sehr unterschiedliche Bindungsverhalten von O2F2 und H2O2 ist der höhere s-Charakter in den antibinden-

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle

73

den σ*-HdO-Orbitalen im Vergleich zu den σ*-FdO-Orbitalen, der zu einer schlechteren hyperkonjugativen Überlappung mit dem freien p-Elektronenpaar am Sauerstoff im H2O2 führt. Somit erklärt die Hyperkonjugation in O2F2 sowohl die kurze OdO-Bindung (verringerte Abstoßung durch die nichtbindenden Elektronenpaare) als auch den langen OdF-Abstand (Elektronendichte in σ*FdO-Orbitalen; 158 pm; normale OdF-Einfachbindungen liegen im Bereich 141K144 pm).

Abb. 1.37 Negative Hyperkonjugation im FOOF; eines der freien Elektronenpaare am Sauerstoff (p-LP) überträgt Elektronendichte in ein unbesetztes antibindendes σ*(OdF)-Orbital.

Abb. 1.38 VB-Strukturen für das O2F2-Molekül. Struktur 1 enthält zwei Pauling’sche Dreielektronenbindungen. „x“ und „o“ symbolisieren unterschiedlichen Spin. In Struktur 2 symbolisieren die dünnen FdO-Bindungsstriche schwache Bindungen (siehe Harcourt (1982)).

Auch im Rahmen der VB-Theorie können wir die Bindungsverhältnisse im O2F2-Molekül verstehen. Wir haben oben bereits diskutiert, dass die OdO-Bindungslänge von 121.7 pm in O2F2 mit der einer typischen Doppelbindung vergleichbar ist, wie sie beispielsweise im Grundzustand des O2-Moleküls gefunden wird (120.7 pm). Die OdF-Bindung ist dagegen mit 157.5 pm deutlich länger als die OdF-Einfachbindung im OF2-Molekül (140.5 pm). Abbildung 1.38 zeigt die zu diskutierenden Strukturen. Normalerweise können wir zwei einfache Regeln anwenden, um festzustellen, welche Strukturen den wichtigsten Beitrag für den Grundzustand liefern:

74

1 Nichtmetalle

1. Für ein kovalentes Molekül werden die Lewisstrukturen am meisten zum Grundzustand beitragen, die eine maximale Zahl von kovalenten Bindungen zwischen Paaren benachbarter Atome in dem Molekül enthalten. 2. Für ein kovalentes Molekül werden die Lewisstrukturen am meisten zum Grundzustand, deren Formalladungen am besten mit dem Elektroneutralitätsprinzip übereinstimmen. Das bedeutet, dass für ein neutrales kovalentes Molekül die formalen Ladungen auf den Atomen am besten null, jedoch keinesfalls größer als G12 sein sollen. Die increased-valence-Struktur 2 ist äquivalent zu den Resonanzstrukturen 4L7, die alle die Lewis-Langmuir-Oktettregel befolgen. Sie beschreibt die Bindungsverhältnisse von F2O2 befriedigend, sie behält die im O2 vorliegende OdO-Doppelbindung bei und berücksichtigt auch lange Bindungen zwischen nicht benachbarten F- und O-Atomen. Dies entspricht einer schwachen FdO-Bindung mit großem Abstand. Die increased-valence-Struktur 2 erhält man entweder durch Spinpaarung der beiden antibindenden π*-Elektronen der O2-Einheit mit den ungepaarten 2p(σ)-Elektronen der beiden F-Atome wie in 1 gezeigt, oder durch Delokalisierung nichtbindender Sauerstoffelektronen der Standard-Lewisstruktur 3 in bindende OdO-MOs (Anmerkung: 3 ist identisch mit 4).

1.5.2 Die Halogenoxide Insgesamt sind etwa 27 binäre Halogenoxide (außer I2O5) als durchweg endotherme und teilweise explosionsfähige Verbindungen bekannt. Die Strukturen, physikalischen Eigenschaften und Herstellungsverfahren der wichtigsten Vertreter finden sich in umfassender Darstellung in vielen Lehrbüchern der Anorganischen Chemie. Wir wollen an dieser Stelle vor allem auf neuere Erkenntnisse im Hinblick auf die strukturelle Charakterisierung von Chlordioxid sowie einiger Brom- und Iodoxide näher eingehen. Speziell seit Ende der späten 70er Jahre hat dieses Arbeitsgebiet neuen Aufschwung erhalten, da viele binäre Chlor- und Bromoxide als umweltrelevante Spezies in der Ozondiskussion eine Rolle spielen. Tabelle 1.25 zeigt eine Zusammenstellung aller bekannten binären Halogenoxide.

1.5.2.1 ClO2, Cl2O6 und Cl2O7 Chlordioxid, ClO2 (Schmp. Z K59 (C, Sdp. Z C11 (C, ∆fH( Z 103 kJ molK1) wird in reiner Form am besten durch Reaktion von Cl2 mit AgClO3 gewonnen: 2 AgClO3 C Cl2 $% 2 ClO2 C O2 C 2 AgCl O3K

oder NF2 gehört ClO2 zur Gruppe der gewinkelten, paramagnetischen Wie Moleküle mit 19 Valenzelektronen. Die Struktur von ClO2 im Kristall konnte bei tiefer Temperatur durch Röntgenbeugung ermittelt werden. Auf den ersten Blick ist der Feststoff aus einzelnen ClO2-Molekülen aufgebaut (Abb. 1.39), die eine ähnliche Struktur wie in der Gasphase besitzen. Allerdings zeigt die genauere Betrachtung, dass der Bindungswinkel im Kristall (115.6() etwas kleiner als in der Gasphase ist und dass die beiden Sauerstoffatome sich unterscheiden.

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle

75

Tabelle 1.25 Binäre Halogenoxide. Halogenoxid

in reiner Form bekannt

Molekülstruktur bekannta)

Punktgruppea)

Kristallstruktur bekannt

CldOdCl CldCldO CldO CldOdCldO CldOdOdCl CldClO2 Cl2O3 OdCldO CldOdO CldOdClO3 ClO3 Cl2O6 Cl2O7 ClO4 BrdOdBr BrdBrdO BrdO Br2O2 Br2O3 OdBrdO BrdOdO Br2O5 IdO I2O4 I4O9 I2O5 I2O6

C K K K K K K C K C K C C K C K K K C K K K K C C C C

C K C K C C K C K C C K K C C K C K K C K C C K K K K

C2v

K K K K K K K C K K K C C K K K K K C K K C K C K C C

a) b)

CNv C2 Cs C2v C s b) C3v C2 C3v C2v CNv C2v Cs CNv C1 C2h

Gasphase. Chlorperchlorat.

Abb. 1.39 Struktur von ClO2 im Kristall. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH, aus Chem. Ber. 1997, 130, 307.]

Es fällt auf, dass ClO2 im Kristall einen recht kurzen intermolekularen CldOAbstand von 271 pm zeigt, der signifikant kürzer ist als die Summe der vander-Waals-Radien (300K320 pm). Die Situation ist vergleichbar mit der bei der Dimerisierung von NO zu N2O2 im festen Zustand (s. Abschnitt 1.6); die Struktur kann als eine Kopf-Schwanz-Verknüpfung zweier ClO2-Moleküle interpretiert

76

1 Nichtmetalle

werden, die durch die Überlappung der senkrecht zur Molekülebene stehenden p-Orbitale zustande kommt. Diese Dimerisierung führt auch zu der beobachteten Spinpaarung in festem ClO2, wobei die Verbindung bei K93(C vom paramagnetischen in den diamagnetischen Zustand übergeht. Dichlorhexaoxid, Cl2O6 (Schmp. Z C4 (C, Sdp. Z C203 (C), wird am besten durch Reaktion von ClO2 mit Ozon im Sauerstoffstrom erhalten. Im festen Zustand ist die Verbindung ionisch aufgebaut und besteht aus ClOC 2 -Kationen und ClOK 4 -Anionen. Dichlorheptaoxid, Cl2O7 (Schmp. Z K92(C, Sdp. Z C81(C, ∆ f H( Z 272 kJ molK1), besteht als Anhydrid der Perchlorsäure im Kristall aus isolierten O3CldOdClO3 Molekülen (Abb. 1.40). Die Symmetrie entspricht nahezu der Punktgruppe C2v , ist aber leicht zu C2 hin verzerrt. Im Vergleich zu den terminalen CldO-Bindungen (140 pm) sind die verbrückenden CldOdCl-Bindungen sehr lang (172 pm). Daher ist auch alternativ eine polare Beschreibung der Form (ClO3δC)2O2δK für das Cl2O7-Molekül vorgeschlagen worden.

Abb. 1.40 Struktur von Cl2O7 im Kristall. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber. 1997, 130, 307.]

1.5.2.2 Br2O3 und Br2O5 Während die Molekülstrukturen von BrO2 (C2v , 165 pm, 114() und Br2O (C2v , 184 pm, 112() in der Gasphase durch Mikrowellenspektroskopie aufgeklärt werden konnten, sind Br2O3 und Br2O5 die einzigen Bromoxide, deren Kristallstruktur ermittelt werden konnte (Abb. 1.41). Br2O3 kann durch Tieftemperaturozonolyse von elementarem Brom erhalten werden und ist nur unterhalb von K40 (C stabil. Br2O5, formal das Anhydrid der Bromsäure, konnte durch Tieftemperatur-Umkristallisation von BrOy aus C2H5CN hergestellt werden und existiert im Kristall als Br2O5 % C2H5CN-Addukt: CFCl3,K60 (C

Br2 C O3 $#$##% Br2O3

1.5.2.3 I2O4, I2O5 und I2O6 Diiodtetraoxid, I2O4, kann durch kontrollierte Hydrolyse von (IO)2SO4 gewonnen werden. Eine kombinierte Pulver-Röntgen- und Neutronenbeugungsstudie hat gezeigt, dass I2O4 monoklin kristallisiert und als eindimensionaler Feststoff

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle

77

Abb. 1.41 Strukturen von Br2O3 und Br2O5 und Br2O5 % C2H5CN im Kristall. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber. 1997, 130, 307.]

beschrieben werden kann, der aus dIdOdIO2KO-Ketten mit tri- und pentavalentem Iod besteht (Abb. 1.38). Beim Erhitzen disproportioniert I2O4 zu elementarem Iod und zum thermodynamisch stabilen I2O5, dem Anhydrid der Iodsäure, aus der es auch durch Entwässerung erhalten werden kann. Im Kristall besteht I2O5 aus zwei über ein gemeinsames O-Atom verknüpften, pyramidalen IO3-Einheiten, die so gegeneinander verdreht sind, dass das Molekül C1- und nicht C2v-Symmetrie besitzt (Abbildung 1.42). 135 (C

5 I2O4 ##% 4 I2O5 C I2 250 (C

2 HIO3 ##% I2O5 C H2O Diiodhexaoxid, I2O6, kann in kristalliner Form durch langsame Zersetzung einer Lösung von H5IO6 in konzentrierter Schwefelsäure bei 70 (C gewonnen werden.

78

1 Nichtmetalle

Abb. 1.42 Strukturen von polymerem I2O4 und von I2O5 im Kristall. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber. 1997, 130, 307.]

Der Kristallstrukturanalyse zufolge handelt es sich bei der Verbindung um ein gemischtvalentes I(V).I(VII)-Oxid, das aus I4O12-Einheiten mit annähernder C2h-Symmetrie aufgebaut ist. Die einzelnen I4O12-Einheiten sind über starke intermolekulare I(VII)dO / I(V)-Kontakte (232 pm) miteinander verbunden.

1.5.3 Stickstoff−Fluorverbindungen Während sämtliche binären NdCl-, NKBr- und NdI-Verbindungen thermodynamisch instabil sind (∆ f H( O 0), stellen einige, wenn auch bei weitem nicht alle der binären NdF-Verbindungen exotherme Spezies dar. Stickstofftrifluorid, NF3,

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle

79

ist thermodynamisch die stabilste aller binären Stickstoff-Halogenverbindungen. In den 60er Jahren war die anwendungsbezogene Forschung in der NdF-Chemie stark in Richtung Raketentreibstoffe ausgerichtet, heute werden einige NdFVerbindungen für den Einsatz im Bereich der chemischen Lasertechnik und als Energiespeichermaterialien (HEDM, engl. high-energy-density materials) diskutiert. Bisher jedoch hat keine der Verbindungen eine breite Anwendung gefunden. Im Bereich der präparativen anorganischen Chemie werden viele NdFVerbindungen als kräftige Oxidationsmittel und starke Fluorierungsmittel eingesetzt. Die hohe Elektronendichte in solchen Verbindungen hat einerseits theoretische Rechnungen erschwert, andererseits deren häufige Durchführung gefördert, weil sie als besondere Herausforderung erkannt wurde. Ein neuerer Übersichtsartikel über die Chemie der NdF-Verbindungen kann in der weiterführenden Literatur gefunden werden. Tabelle 1.26 zeigt eine Zusammenstellung der wichtigsten NdF-Verbindungen. Tabelle 1.26 Binäre NdF-Verbindungen. ∆ f H( . (kJ molK1)

Spezies

Symmetrie

NF3 C NF 4 N2F4 C N2F 3 cis-N2F2 trans-N2F2 N2FC NF2C FN3

C3v K125 Td C211 C2h (gestaffelt, trans)a) K7 Cs C2v C70 C2h C82 CNv C283 CNv Cs

a)

d (NdF) . pm 137 130 137 130K133 (berechnet) 141 140 122 110 (berechnet) 144

Auch das gauche-Isomer (C2) ist bekannt.

Stickstofftrifluorid, NF3 Stickstofftrifluorid, NF3, kann entweder durch Schmelzflusselektrolyse von NH4 F.HF oder durch kontrollierte Fluorierung von Ammoniak am Cu-Kontakt hergestellt werden: [Cu]

4 NH3 C 3 F2 $$% NF3 C 3 NH4 F Verglichen mit anderen N-Fluoraminen ist die NdF-Bindung in NF3 mit 137 pm relativ kurz, und die Energie für die Spaltung der ersten NdF-Bindung ist mit 239 kJ molK1 relativ hoch. Neuere Studien haben gezeigt, dass die NdF-Bindungslänge in der Reihe HnNF3Kn von 137 pm für NF3 über 140 pm für HNF2 auf 144 pm in H2NF stark ansteigt. Diese Bindungsaufweitung kann einfach mit einem elektrostatischen Modell erklärt werden. Die berechneten Mulliken-Partialladungen für NF3 deuten auf eine starke anziehende Wechselwirkung der Art NδCdFδK hin. Während diese elektrostatische Anziehung in HNF2 zwar noch vorhanden aber bereits deutlich schwächer ist, liegt im H2NF bereits eine absto-

80

1 Nichtmetalle

ßende Wechselwirkung der Art NδKdFδK vor (hier sind die beiden H-Atome stark positiv polarisiert). In der Reihe der Methylfluoramine MeNF2 und Me2NF beobachtet man gegenüber NF3 eine noch größere Variation der NdF-Bindungslängen: MeNF2 (142 pm) und Me2NF (145 pm). Dieser Effekt kann auf die starken Elektronendonoreigenschaften der Methylgruppen zurückgeführt werden, wodurch die negative Partialladung auf dem Stickstoff bei Me2NF deutlich größer ist als bei H2NF, was eine stärkere elektrostatische Abstoßung und eine längere NdF-Bindung im Methylderivat zur Folge hat. Das Tetrafluorammonium-Kation NF4C und das Nitrosyltrifluorid NOF3 Während NF3 bereits seit 1928 bekannt ist, konnte das NFC 4 -Kation erst 1966 hergestellt werden. Eine bequeme Laborsynthese ist die Tieftemperatur-UV-Photolyse gemäß der folgenden Gleichung: K196 (C, UV

NF3 C F2 C BF3 ##$#% NF4BF4 K C K Wie erwartet besitzt NFC 4 BF 4 im Kristall eine Struktur, die aus NF 4 - und BF 4 Tetraedern aufgebaut ist. Anstelle von BF3 können auch AsF5, PF5 oder GeF4 bei der Tieftemperatur-UV-Photolyse als Lewis-Säuren und Fluoridionenakzeptoren K eingesetzt werden. Mit BiF5 oder SbF5 gelingt die Synthese von NFC 4 BiF 6 und C K NF 4 SbF 6 am besten in einer Hochtemperatur-Hochdruckreaktion: 250 (C, 30 h, 170 bar

NF3 C F2 C (nC1) BiF5 $####$#% NF4 BiF6 $ nBiF5 280 (C, 15h, Vakuum

NF4 BiF6 $ nBiF5 $####$#% NF4 BiF6 C nBiF5 K Ausgehend von BiF3 kann NFC 4 BiF 6 sehr bequem in einer Einstufensynthese erhalten werden: 235 (C, 9 Tage, 200 bar

NF3 C BiF3 C 2 F2 #####$#% NF4 BiF6 K C K Durch den Einsatz von Graphitsalzen (CC 8 BF 4 , C 8 AsF 6 ) als oxidations- und supersäurebeständige stationäre Phase in Anionenaustauschern gelingt es in einer Metathesereaktion in wasserfreiem Fluorwasserstoff (mobile Phase) leicht, die in thermischer Reaktion einfach zugänglichen SbFK 6 -Salze in die entsprechenK den BFK 4 - oder AsF 6 -Verbindungen zu überführen; letztere sind sonst nur durch Tieftemperatur-Photolyse zugänglich (s.o.). Die Synthese der stationären Phase erfolgt gemäß 1 8 C C F2 C BF3 $% CC 8 BF4 2 oder C 8 C C OC 2 AsF6 $% C8 AsF6 C O2

Die Metathese-Reaktion in wasserfreiem Fluorwasserstoff (aHF) mit A Z BF3 oder AsF5 lautet: aHF

K K C K C CC 8 AF C NF4 SbF6 #% C8 SbF6 C NF4 AF

Von besonderem Interesse ist das Hexafluoronickelatsalz des NFC 4 -Kations aufgrund seines außerordentlich hohen verfügbaren Fluorgehalts (Tabelle 1.27).

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle C

81 2K

Tabelle 1.27 Gehalt an verfügbarem Fluor in flüssigem Fluor und in [NF4]2 [NiF6]

.

Substanz

d . (g cmK3)

verfügbares Fluor in Massenprozent

verfügbares Fluor in g cmK3

F2 (l), flüssiges Fluor 2K C [NF4] 2 [NiF6]

1.51 2.71

100 64.6

1.51 1.75

In der Synthesechemie haben sich Salze des NFC 4 -Kations als starke oxidative Fluorierungsmittel hervorragend bewährt, wobei NFC 4 ein stärkeres Fluorierungsmittel ist als IFC , aber immer noch schwächer als XeFC und KrFC. 4 C Als Mechanismus für die Bildung von NF 4 -Salzen wird heute allgemein der in den nachstehenden vier Gleichungen diskutierte Weg akzeptiert, wobei NFC 3Radikale mithilfe der ESR-Spektroskopie als Intermediat nachgewiesen werden konnten, nicht aber AsFK 6 -Radikale. F2 $% 2 F • F • C AsF5 $% AsF 6• AsF 6• C NF3 $% NFC• 3 C AsF6 • C• K NF 3 C AsF6 C F $% NFC 4 C AsF6 Mit diesem Reaktionsmechanismus steht das Ergebnis einer sehr ausgefeilten Studie im Einklang, die das intermediäre Auftreten von fünffachkoordiniertem K Stickstoff in NF5 bei der thermischen Zersetzung von NFC 4 HF 2 als sehr unwahrC scheinlich beurteilt. Dabei wurde die Thermolyse von NF 4 HFK 2 untersucht, wobei ein radioaktiv markiertes H18 FK 2 -Anion eingesetzt wurde. 18 F ist aufgrund seiner geringen Halbwertszeit von 109.7 min und seiner leichten Detektierbarkeit (0.51 MeV γ-Strahlung) gut für Isotopenmarkierungsexperimente und mechanistische Studien geeignet. 18 F kann direkt durch Beschuss von natürlichem Fluor in F2 oder stabilen Verbindungen wie z. B. SF6 mit schnellen Neutronen oder γ-Strahlung gewonnen werden: 19 F(n, 2n)18 F bzw. 19 F(γ, n)18 F. Eine andere Möglichkeit stellt die Kernumwandlung von Proben dar, die Neon oder Sauerstoff enthalten: 20Ne(d, α)18 F oder 16O(α, d)18 F. Besonders hat sich in der Praxis die Bestrahlung eines LidO-Targets (z. B. Li2CO3) mit thermischen Neutronen in einem Reaktor bewährt. 18 F zerfällt als Positronenstrahler (βC) gemäß der folgenden Gleichung: 18 9F



%$18 0 8O C C1e aHF

C 18 K C K K C 18 K NFC 4 PF6 C Cs H F2 #% Cs PF6 C NF 4 H F2 ∆T, Vakuum

18 K 18 18 NFC F 4 H F2 ####% NF3 C H F C F K

Die experimentell beobachtete Produktverteilung von 18 F zeigt deutlich, dass der Angriff des H18 FK-Anions am NFC 4 -Kation ausschließlich am Fluor und nicht am Stickstoff erfolgt, was überraschend ist, da die Polarität eher einen Angriff am N begünstigt hätte. Somit muss die Frage nach der Existenzfähigkeit von kovalentem NF5 oder K nach wie vor unbeantwortet bleiben. Auf der Basis von abionischem NFC 4 F

82

1 Nichtmetalle

initio-Rechnungen wurden NF5 und sogar NFK 6 als vibratorisch stabil vorausgesagt. Auf der Grundlage weiterer theoretischer und experimenteller Studien zur K Frage nach der Stabilität von NF5 im Vergleich zu ionischem NFC können 4 F bisher die folgenden Ergebnisse zusammengefasst werden: K haben vergleichbare Energien; 1. kovalentes NF5 und ionisches NFC 4 F C K 2. ionisches NF 4 F sollte experimentell leichter zugänglich sein als kovalentes NF5, da letzteres an starker sterischer Überladung leidet; K bei Temperatu3. experimentell konnte gezeigt werden, dass ionisches NFC 4 F ( ren oberhalb von K142 C nicht existiert (tiefere Temperaturen konnten experimentell nicht realisiert werden); K 4. die beobachtete Zersetzungsreaktion NFC 4 F (s) $% NF3 (g) C F2 (g) ist nach ab-initio-Rechnungen thermodynamisch begünstigt (∆H( Z K134 kJ molK1).

Das Nitrosyltrifluorid, NOF3, ist eine thermodynamisch stabile Verbindung (∆f H( Z K71 kJ molK1), die im präparativen Maßstab durch direkte Verbrennung von NO mit elementarem Fluor hergestellt werden kann: 2 NO C 3 F2 $% 2 ONF3 Kürzlich ist auch über eine einfache Synthese von NOF3 ausgehend von N2O berichtet worden: 15 (C

NF3C N2O C 2 SbF5 #% ONF2CSb2 FK 11 C N2 T O 180 (C

ONF2CSb2 FK 11 $##$% ONF3C 2 SbF5 Das zum oben diskutierten NFC 4 -Kation isoelektronische ONF3-Molekül weist mit 143 pm allerdings deutlich längere NdF-Bindungen auf als NFC 4 (130 pm), während die NdO-Bindung im NOF3 mit 116 pm kürzer ist als die in HdN]O (121 pm) und somit auf einen Bindungsgrad von etwa 2 hinweist. Diese strukturellen Verhältnisse lassen sich qualitativ richtig bereits mit einer einfachen LewisSchreibweise wiedergeben (Abb. 1.43). Bindungstheoretisch lässt sich das ONF3Molekül aber besser auf der Basis von starken intramolekularen Donor-Akzeptor-Wechselwirkungen erklären (negative Hyperkonjugation). Hierzu geht man von vier Einfachbindungen als wahrscheinlichster Lewis-Struktur aus (drei NdFund eine NdO-Bindung), wobei jeweils drei freie Elektronenpaare am O- und den drei F-Atomen lokalisiert sind, von denen je zwei nahezu reinen p-Charakter besitzen. Man berücksichtigt nun die nicht kovalenten Effekte durch einen starken Transfer von Elektronendichte von den freien p-Elektronenpaaren am Sauerstoff in eines der leeren antibindenden σ*(NdF)-Orbitale (Abb. 1.43). Hierdurch wird die NdF-Bindung gelockert und gleichzeitig die NdO-Bindung gestärkt. Diese Donor-Akzeptor-Wechselwirkung bewirkt eine energetische Absenkung des besetzten φ-Orbitals, welches eine Kombination aus σ*(NdF) und p-LP(O) ist, wodurch für das gesamte Molekül eine geringfügige Stabilisierung resultiert (Abb. 1.43). Weitergehende Betrachtungen zeigen, dass nun das φ-Orbital auch mit dem ebenfalls besetzten bindenden (NdF)-MO in Wechselwirkung treten kann. Dieser Schritt hat jedoch weniger Einfluss auf die Struktur des Moleküls als vielmehr auf die energetische Lage der einzelnen MOs.

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle

83

Abb. 1.43 Bindungsverhältnisse in NOF3; oben: Lewis-Strukturen; mitte: intramolekulare Donor-Akzeptor-Wechselwirkung; unten: Orbitalenergiediagramm. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Spektrum Akademischer Verlag aus T. M. Klapötke, A. Schulz, Quantenmechanische Methoden in der Hauptgruppenchemie, Heidelberg 1996.]

Die Umsetzung des aus NF3, N2O und SbF5 (s. o.) zugänglichen Kations mit Stickstoffwasserstoffsäure HN3 liefert durch HF-Abspaltung das ungewöhnliche N4OFC-Kation: [NOF2]C[SbF6]K C HN3 $% [N]N]NdN(]O)KF]C[SbF6]K C HF Distickstofftetrafluorid N2F4 und das N2F3C-Kation Distickstofftetrafluorid N2F4 existiert in zwei Konformationen: gestaffelt (C2hSymmetrie) und synclinal (gauche, C2-Symmetrie). Aus 19 F-NMR-spektroskopischen Untersuchungen kann geschlossen werden, dass bei tiefer Temperatur (K180 (C bis K130 (C) beide Konformere im Gleichgewicht miteinander vorliegen. N2F4 wird am besten durch quantitative Oxidation von Difluoramin durch alkalische Hypochlorit-Lösung gewonnen:

84

1 Nichtmetalle

C

Abb. 1.44 Die Struktur des N2 F 3 -Kations. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Gordon and Breach aus Comments Inorg. Chem., 1994, 15, 137.] F2 . N 2 H2SO4 NaOCl . H2O 1 (NH2)2CO #$% NH2CONF2 #$% HNF2 ####% N2F4 2

Die schwache und lange NdN-Bindung (149 pm) hat zur Folge, dass N2F4 in der Gasphase mit NF2 im Gleichgewicht steht: K(150(C) Z 0.03 bar; ∆H ( Z 83 kJ molK1

N2F4 $% 2 NF2

Mit starken Lewis-Säuren und Fluoridionen-Akzeptoren wie SbF5 oder AsF5 reagiert N2 F4 unter Ausbildung von N2 FC 3 -Salzen: aHF

N2 F4 C 2 SbF5 $$% N2 F3CSb2 FK 11 Aus spektroskopischen Daten (IR, Raman, 14.15N-, 19 F-NMR) und auf der Basis von ab-initio-Rechnungen kann für das N2 FC 3 -Kation auf die in Abbildung 1.44 dargestellte Struktur geschlossen werden. Distickstoffdifluorid N2 F2, das N2 FC-Kation und das N5C-Kation Distickstoffdifluorid, N2 F2, wird am besten durch Überleiten von Difluoramin über KF dargestellt: 25 (C 1 HNF2 C KF $$$% KHF2 C N2 F2 2 N2 F2 existiert in Form von zwei planaren Isomeren in cis- (C2v) und trans-Struktur (C2h), wobei das cis-Isomer thermodynamisch um 13 kJ molK1 gegenüber der trans-Form begünstigt ist. Allerdings unterscheiden sich beide Formen deutlich in ihrer Reaktivität. Beispielsweise reagiert nur das cis-Isomer mit starken LewisSäuren unter Ausbildung von N2 FC-Salzen, wobei die „Rückreaktion“ mit NOF ebenfalls wieder ausschließlich das cis-Isomer liefert. Das trans-Isomer lagert sich bei 70 (C langsam in die thermodynamisch stabilere cis-Form um: 70 (C, langsam

trans-N2 F2 #$###% cis-N2 F2 25 (C, schnell

cis-N2F2 C AsF5 ##$##% N2 FCAsF6K 25 (C, schnell

N2 FCAsF6K C NOF $$###$% cis-N2 F2 C NOCAsF6K Die stark unterschiedliche Reaktivität von cis- und trans-N2F2 kann nicht auf thermodynamische Ursachen zurückgeführt werden, sondern muss kinetische

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle

85

Gründe haben. Die Bindung in N2F2 kann auf der Grundlage zweier sp2-hybridisierter N-Atome beschrieben werden, wobei eine NdN-Bindung und zwei NdFσ-Bindungen ausgebildet werden. Die beiden stereochemisch aktiven freien Elektronenpaare besetzen die restlichen beiden sp2-Hybridorbitale. Das nicht mit in die Hybridisierung einbezogene p-Orbital ermöglicht die Bildung der pπdpπDoppelbindung senkrecht zur Molekülebene (Abb. 1.45). In linearem N2 FC sind nun die beiden N-Atome sp-hybridisiert, und zusätzlich zur NdN-σ-Bindung gibt es zwei zu ihr senkrecht stehende pπdpπ-Bindungen. Wenn sich nun eine LewisSäure wie AsF5 an das N2 F2-Molekül annähert, wird ein Fluoratom und mit ihm entsprechend Elektronendichte vom N2 F2 in Richtung AsF5 verschoben. Diese Entfernung von Elektronendichte von einem der N-Atome führt zu einer Abnahme von Elektronendichte in den schwach antibindenden (oder nichtbindenden) Orbitalen der freien Elektronenpaare, wodurch eine partielle Dreifachbindung ausgebildet wird. Das bedeutet, dass die Energie, die zur Dehnung einer der NdF-Bindungen benötigt wird, teilweise durch die Bildung einer partiellen N^N-Dreifachbindung kompensiert wird. Wie leicht einzusehen ist (Abb. 1.45), ist die Bildung einer solchen Dreifachbindung aber nur möglich, wenn wir von der cis-Form des N2F2 ausgehen, bei der die beiden freien Elektronenpaare auf derselben Seite des N2-Gerüstes liegen. Da bereits im N2 F2-Edukt eine NN-Doppelbindung vorliegt und somit keine freie Drehbarkeit um die NdN-Achse gegeben ist, besitzt die Bildung von N2 FC ausgehend von der trans-Form des N2 F2 eine sehr hohe Aktivierungsenergie.

Abb. 1.45 MO-Modell für cis- und trans-N2 F2. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Gordon and Breach aus Comments Inorg. Chem., 1994, 15, 137.]

Analog kann der basische Angriff von FK (aus NOF) an das Lewis-acide N2 FC-Kation verstanden werden. Da FdCN^N die wichtigste Lewis-Struktur für N2 FC ist, wird das FK am α-N-Atom angreifen, was zur intermediären Bildung von F2 N]N führen sollte. Diese instabile Verbindung kann leicht einer α-Fluor-Wanderung unterliegen, wobei ausschließlich cis-N2 F2 gebildet wird, da während der α-Fluor-Umlagerung die N]N-Doppelbindung stets erhalten bleibt, d. h. keine freie Drehbarkeit um die NdN-Achse vorliegt. Im N2 FC-Kation liegt nach den Ergebnissen einer Röntgenstrukturanalyse [monoklin, d (NN) Z 1.089(9) Å, d (NF) Z 1.257(6) Å] mit 1.257 Å die kürzeste experimentell beobachtete NdF-Bindung vor. Christe und Mitarbeiter haben das N2FC-Kation eingesetzt, um in einer überraschend einfachen Synthese mit HN3 die von Pyykkö als stabil vorhergesagte ionische Verbindung [N5]C[AsF6]K in wasserfreiem Fluorwasserstoff herzustellen:

86

1 Nichtmetalle

[N2F]C C [AsF6]K C HN3 $% [N5]C C [AsF6]K C HF Die Synthese des NC 5 -Kations kann als großer Durchbruch bei der Erforschung der homopolyatomaren Stickstoffverbindungen gesehen werden, da in diesem Salz erst das dritte (nach N2 und NK 3 ) stabile Mitglied der Nn-Familie gefunden wurde. Die Standard- und increased-valence-Strukturen des mit C (N2)2 und C (CO)2 isoelektronischen C2v-symmetrischen NC 5 -Kations sind nachstehend dargestellt. Die nähere Betrachtung der increased-valence-Struktur verdeutlicht, warum die inneren Bindungen des NC 5 -Kations mit 1.30 Å kürzer als NdN-Einfachbindungen (1.45 Å) und die terminalen Bindungen mit 1.11 Å ähnlich lang wie die N^N-Dreifachbindung in N2 (1.098 Å) sind.

In einer Methathese-Reaktion gelang es, ausgehend von [N5]C[SbF6]K das sogar bei Zimmertemperatur stabile Salz [N5]C[B(CF3)4]K (Tdec Z 60 (C) herzustellen: [N5]C[SbF6]K C KB(CF3)4 $% [N5]C[B(CF3)4]K C KSbF6 Das bislang einzig bekannte NC 5 -Salz mit einem Kationen : Anionen-Verhältnis von 2 : 1, d. h. mit zwei sich im Kristallgitter „sehr nahe kommenden“ NC 5 -Kationen, ist die Verbindung [N5]2C[SnF6]2K, die aber bereits oberhalb von K20 (C gemäß der nachstehenden Reaktionsgleichung zerfällt: 1 2K $% [N5]C [SnF5]K C 2 N2 C trans-N2 F2 [N5]C 2 [SnF6] 2 Die Synthese der folgenden energiereichen Salze des NC 5 -Kations wurde versucht, war aber aufgrund der Instabilität der Zielverbindung nicht erfolgreich: K K Azid(NK 3 ), Nitrat(NO3 ) und Dinitramid (N(NO2)2 ). Anmerkung: Eine einfache Labor-Synthese für trans-N2 F2 wurde ebenfalls von Christe und Mitarbeitern durch die Umsetzung von billigen Natur-Graphit mit AsF5 und Tetrafluorhydrazin vorgestellt. Die Isomerisierung des so erhaltenen trans-N2 F2 zu thermodynamisch geringfügig stabilerem cis-N2 F2 gelingt in einer einfachen, durch AlF3 katalysierten Reaktion in 99 % Ausbeute: Cx (Natur-Graphit) C AsF5 $% CxAsF5 Cx AsF5 C N2 F4 $% [Cx][AsF6] C trans-N2F2 x Z 8 ... 15 [AlF3], 35 (C, 15h

trans-N2F2 $###$#% cis-N2 F2

1.5.4 Stickstoff-Chlor, -Brom- und -Iodverbindungen 1.5.4.1 Die Trihalogenonitride Alle binären NX3-Verbindungen (X Z Cl, Br, I) sind bekannt, endotherm und explosiv (Tabelle 1.28). Aufgrund der Bindungspolarität NδKdXδC sollten sie

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle

87

besser als Trihalogenonitride und nicht als Stickstofftrihalogenide bezeichnet werden. Diese Bindungspolarität wird bereits deutlich, wenn man die (langsame) Hydrolyse von NCl3 betrachtet: NCl3 C 3 H2O $% NH3 C 3 HOCl Tabelle 1.28 Trihalogenonitride (Daten von NF3 zum Vergleich).

∆fH( . (kJ mol ) BE(NKX) . (kJ molK1) Siedepunkt .(C Schmelzpunkt .(C K1

NF3 (g)

NCl3 (l)

NBr3 (g)

NI3 (g)

K125 278 K129 K207

C229 190 C 71 K 40

ca. C280 ca. 176

C286 169

OK100

Subl. K20, Vak.

NCl3 kann in H2O.CCl4-Lösung leicht durch direkte Chlorierung von NH4Cl oder (NH4)2CO3 erhalten werden: H2O.CCl4

NH4Cl C 3 Cl2 ###% NCl3 C 4 HCl NBr3 kann entweder als tiefroter, sehr temperaturempfindlicher und flüchtiger Feststoff durch Tieftemperatur-Bromierung von Bis(trimethylsilyl)bromamin oder in der verdünnten Gasphase aus BrN3 und Brom erhalten werden. Bisher ist es nicht gelungen, NBr3 als reine Verbindung zu isolieren. K85 (C, Pentan

(Me3Si)2 NBr C 2 BrCl $####% NBr3 C 2 Me3SiCl 2 Torr

BrN3 C Br2 $#% NBr3 C N2 NI3 wurde zuerst als polymeres Addukt mit einem, drei oder fünf Molekülen Ammoniak erhalten. Am einfachsten gelingt die Synthese aus elementarem Iod und wasserfreiem Ammoniak. Auch adduktfreies NI3 ist als sehr instabile Verbindung beschrieben worden. Seine Synthese gelingt durch die Umsetzung von Bornitrid (BN) mit IF in CFCl3-Lösung bei tiefer Temperatur. Reines NI3 ist bei K78(C ein schwarzroter Feststoff, der bereits bei dieser Temperatur langsam zerfällt: CFCl3

BN C 3IF #$% NI3 C BF3 Alle NX3-Moleküle besitzen, wie nach den VSEPR-Regeln zu erwarten, trigonalpyramidale Strukturen. Die Struktur von polymerem (NI3 · NH3)n besteht dagegen aus NI4-Tetraedern, die über Ecken zu unendlichen Ketten verknüpft sind, wobei je eines der vier Iodatome eines NI4-Tetraeders zusätzlich ein schwach koordiniertes NH3-Molekül besitzt (Abb. 1.46).

1.5.4.2 Die Halogenazide Vermutlich gibt es keine Klasse kovalent gebauter Azide, die intensiver studiert worden ist als die der Azide XdN1dN2dN3 (X Z H, F, Cl, Br, I). Die Strukturen sämtlicher Vertreter konnten experimentell bestimmt werden. In der Gas-

88

1 Nichtmetalle

Abb. 1.46 Struktur von polymerem (NI3 · NH3)n im Kristall. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Gordon and Breach aus Comments Inorg. Chem., 1994, 15, 137.]

phase existieren HN3 und die Halogenazide als monomere Spezies in einer trans-Cs-Konfiguration mit einem NNN-Bindungswinkel von 172 G 3( und zwei signifikant unterschiedlichen NdN-Bindungslängen: d (N1dN2) Z 124 G 2 pm, d (N2dN3) Z 113 G 2 pm (Tabelle 1.29 und Abb. 1.47). Diese auf den ersten Blick ungewöhnliche Struktur können wir anschaulich mithilfe von lokalisierten Orbitalen erklären. Die Lewis-Struktur eines kovalent gebauten Azids XN3 mit der größten Gewichtung ist in Abb. 1.48 wiedergegeben. Ein Vergleich mit den oben diskutierten Bindungslängen zeigt allerdings, dass die N1dN2-Bindung eher einer (schwachen) Doppelbindung entspricht, während die terminale N2dN3Bindung einer langen und damit schwachen Dreifachbindung zuzuordnen ist. Typische Werte für NN-Einfach-, Doppel- und Dreifachbindungslängen sind: d (NdN) Z 144.9 pm, d (N]N) Z 125.2 pm und d (N^N) Z 109.8 pm. Auf der Basis von quantenmechanischen Rechnungen (Populationsanalysen) konnte nun gezeigt werden, dass in typischen XN3-Molekülen (X Z H, F, Cl, Br, I) zwei Arten von starken intramolekularen Wechselwirkungen vorliegen: 1. eine Delokalisierung der π-Elektronendichte über das gesamte Molekül in den senkrecht zur Molekülebene stehenden π-Orbitalen führt zu einem deutlichen Energiegewinn und erklärt die Planarität des XN3-Moleküls (Cs-Symmetrie); 2. eine starke Donor-Akzeptor-Wechselwirkung (negative Hyperkonjugation), bei der Elektronendichte aus einem gefüllten und bindenden σ(XdN1)-Orbital in ein leeres und antibindendes π*(N2dN3)-Orbital übertragen wird (Abb. 1.48), führt ebenfalls zu einem weiteren Energiegewinn und erklärt a) die lange und schwache XdN1-Bindung, b) die relativ kurze und starke N1dN2-Bindung, c) die schwache N2dN3-Dreifachbindung und d) die Abwinkelung des XN3-Moleküls am zentralen N2-Stickstoffatom.

1.5 Die Halogenverbindungen der Nichtmetalle

89

Tabelle 1.29 Physikalische und Strukturdaten der Azide XN3 (X Z H, F, Cl, Br, I).

Farbe Schmelzpunkt.(C Siedepunkt.(C ∆fH( . (kJ molK1) d (XKN1) . pm d (N1KN2) . pm d (N2KN3) . pm :(XN1N2) . ( :(N1N2N3) . ( a)

HN3 (g) FN3 (g)

ClN3 (g)

BrN3 (g)

IN3 (g) IN3 (s)

farblos K 80 36 C270 101 124 113 109 171

farblos.gelblich ca. K100 ca. K 15 C389 175 125 113 109 172

rotbraun K 45

a)

a)

C426 190 123 113 110 171

C435 212 126 115 107 170

228 123 107 116 172

grüngelb K154 K 82 C343 144 125 113 104 171

gelb

tiefgelb

Sublimation bei 4 (C und 0.25 bar

Abb. 1.47 Molekülstruktur eines kovalent gebauten XN3-Azids in Cs-Komformation (X Z H, F, Cl, Br, I).

Abb. 1.48 (a) Wahrscheinlichste Lewis-Struktur für ein kovalent gebautes XN3-Azid (X Z H, F, Cl, Br, I); (b) negative σ(XdN1) $% π*(N2dN3)-Hyperkonjugation für ein kovalent gebautes XN3-Azid (X Z H, F, Cl, Br, I). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber., 1997, 130, 443.]

Im Kristall konnte bisher lediglich die Struktur von Iodazid aufgeklärt werden (Abb. 1.49). Festes Iodazid besitzt eine polymere Struktur, wobei der NdI-Abstand im Feststoff deutlich länger ist als in der Gasphase, da die IN3-Einheiten über linear koordinierte Iodstome verbrückt sind, d. h. der NdI-Bindungsgrad ist deutlich kleiner als b Z 1.

90

1 Nichtmetalle

Abb. 1.49 Struktur von festem, polymerem Iodazid. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem., 1993, 105, 289.]

1.6 Die Oxide des Stickstoffs und Nitroverbindungen 1.6.1 Die Oxide des Stickstoffs Stickstoff besitzt die bemerkenswerte Fähigkeit, nicht weniger als neun binäre, molekulare Oxide bilden zu können, darüber hinaus gibt es noch Hinweise auf das sehr instabile Nitrylazid, NO2dN3 (Tabelle 1.30). Sämtliche bekannten NOxide sind endotherme Molekülverbindungen, lediglich N2O5 besitzt im Feststoff eine negative Bildungswärme, liegt aber im Kristall auch nicht molekular sondern K ionisch als NOC 2 NO3 vor. Drei der bekannten N-Oxide sind paramagnetisch, die übrigen diamagnetisch. Die Laborsynthesen und technischen Darstellungen der Stickstoffoxide sowie deren weitere Umsetzungen zu den bekannten Sauerstoffsäuren des Stickstoffs sollen an dieser Stelle nicht besprochen werden, da man umfassende Abhandlungen meist bereits in den einführenden Lehrbüchern zur Anorganischen Chemie findet. Tabelle 1.30 Binäre Oxide des Stickstoffs.

N4O N2O NO N2O2 N2O3 NO2 N2O4 N2O5 NO3 a) b) c)

∆fH( a) . (kJ molK1)

Smp..(C

Sdp..(C

Cs CNv CNv C2v Cs

C467 C82 C90

K59 K91 K164

Zersetzung K88.5 K152 b)

C84

K101

C2v D2h C2v D3h

C33 C9 C11

c)

Farbe

Magnetismus Struktur

hellgelb farblos farblos farblos indigofarben braun farblos farblos

diam. diam. param. diam. diam. param. diam. diam. param.

a)

b)

b)

K11 C33 Subl.

b)

Zersetzung zu NO und NO2

c)

C21

Gasphase. NO steht im Gleichgewicht mit N2O2; in der flüssigen und festen Phase liegt immer auch das Dimere vor, ∆dH Z K15 kJ molK1 (bezogen auf N2O2). NO2 steht im Gleichgewicht mit N2O4; unterhalb des Schmelzpunktes liegt reines N2O4 vor, ∆dH Z K57 kJ molK1 (bezogen auf N2O4).

1.6 Die Oxide des Stickstoffs und Nitroverbindungen

91

1.6.1.1 Das Tetrastickstoffmonoxid N4O Tetrastickstoffmonoxid, N4O, ist bei Raumtemperatur instabil, kann aber bei K95 (C kurzzeitig gehandhabt werden. Aus einer kombinierten schwingungsspektroskopischen und ab-initio-Studie konnte die in Abb. 1.50 (links) dargestellte Struktur abgeleitet werden. Das Molekül besitzt demnach eine offenkettige Cs-Struktur mit einer trans-trans-Anordnung an den N1dN4- und N1dN2-Bindungen [:(OdN4dN1) Z 110.5(, :(N4dN1dN2) Z 107.1( und :(N1dN2dN3) Z 174.3(, vgl. Abschnitt 1.5.3.3). Die N1dN4-Bindung ist mit 148 pm etwas länger als eine typische NdN-Einfachbindung (z. B. H2NdNH2, d (NN) Z 145 pm), aber dennoch kürzer als die mit 178 pm sehr schwache NdNBindung im dimeren O2NdNO2 (s. u.), und entspricht hinsichtlich ihrer Länge etwa der schwachen NdN-Bindung im F2NdNF2 (149 pm, s. Abschnitt 1.5.3.1). Im Gegensatz hierzu ist die OdN4-Bindung mit 120 pm relativ lang und ähnelt der im N2O (119 pm), wo formal eine O]N-Doppelbindung vorliegt. Beide Tatsachen können mithilfe einer Populationsanalyse erklärt werden, die zeigt, dass in N4O eine starke Donor-Akzeptor-Wechselwirkung vorliegt, bei der Elektronendichte von einem der freien p-Elektronenpaare am Sauerstoff (p-LP) in ein unbesetztes und antibindendes σ*(N4dN1)-Orbital übertragen wird (negative Hyperkonjugation, Abb. 1.51). Diese intramolekulare Wechselwirkung stärkt die OdN4-Bindung und schwächt gleichzeitig die N1dN4-Bindung.

Abb. 1.50 Die Strukturen von kettenförmigen N4O (CS , links) und cis-cis-N4O (CS , rechts). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber., 1997, 130, 443.]

Abb. 1.51 LP(O) $% σ*(N4dN1)-Donor-Akzeptor-Wechselwirkung in N4O. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber., 1997, 130, 443.]

Interessanter als die Struktur von N4O ist vielleicht eine Diskussion des Zersetzungsmechanismus, nach dem N4O zu N2O und N2 zerfällt. Prinzipiell gibt es zwei Wege für den unimolekularen Zerfall, von denen der erste der energetisch günstigere ist.

92

1 Nichtmetalle

1. Nach Rotation um die N1dN4-Achse geht das kettenförmige trans-trans-N4O (tt) zuerst in das ebenfalls noch offenkettige cis-cis-Isomer (cc) über (Abb. 1.50 und 1.52), um dann auf der in Abb. 1.53 gezeigten Energiehyperfläche (Punkt a repräsentiert hier das offenkettige cis-cis-Isomer) über das kinetisch nur äußerst schwach stabilisierte cyclische, aromatische N4O (Punkt b in Abb. 1.53) schließlich in lineares N2O und N2 (Punkt c) zu zerfallen. 2. Ohne vorangegangene Isomerisierung in die cis-cis-Form kann das offenkettige trans-trans-N4O (Punkt a in Abb. 1.54) auf der in Abb. 1.54 dargestellten Energiehyperfläche entweder direkt zu N2O und N2 zerfallen (Punkt c) oder über N2 und cyclisches N2O ebenfalls lineares N2O und N2 liefern. Die experimentellen Befunde lassen den in den Abb. 1.52 und 1.53 dargestellten Weg a $% b $% c am wahrscheinlichsten erscheinen.

Abb. 1.52 Eindimensionale Energiehyperfläche für die Isomerisierung von trans-transN4O (tt) zum cis-cis-N4O (cc) durch Rotation um die N1dN4-Bindung. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber., 1997, 130, 443].

Abb. 1.53 Zweidimensionale Energiehyperfläche für die Zersetzung von cis-cis-N4O (a) über cyclisches, aromatisches N4O (b) zu N2O und N2 (c). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber., 1997, 130, 443.]

1.6 Die Oxide des Stickstoffs und Nitroverbindungen

93

Abb. 1.54 Zweidimensionale Energiehyperfläche für die Zersetzung von trans-trans-N4O (a) über cyclisches N2O und N2 (b) zu linearem N2O und N2 (c). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber., 1997, 130, 443.]

1.6.1.2 Das Distickstoffmonoxid N2O Im vorangegangenen Abschnitt haben wir die Bindungsverhältnisse des N4OMoleküls auf der Basis von ab-initio-MO-Rechnungen diskutiert und mit experimentellen Daten korreliert. Hierzu hat es sich als günstig erwiesen, die kanonischen, delokalisierten MOs mithilfe einer Lokalisierungsstrategie einer Populationsanalyse zu unterwerfen, um dann im Bild der lokalisierten Orbitale die nichtkovalenten Effekte beispielsweise auf der Grundlage von intramolekularen Donor-Akzeptor-Wechselwirkungen erklären zu können. Obwohl eine umfassende Diskussion den Umfang dieses Buches sprengen würde, sei an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich darauf hingewiesen, dass die VB-Methode nur ein anderes Verfahren zur Beschreibung der chemischen Bindung darstellt. Ursprünglich basierte das VB-Verfahren auf der Beschreibung von Zweizentren-Zweielektronenbindungen. Eine natürliche Erweiterung dieses Ansatzes gelang durch die Einführung von sogenannten „increased-valenceStrukturen“, die auch das Auftreten von „langen Bindungen“ (long bonds, d. h. Bindungen zwischen nicht benachbarten Atomen) und Pauling’schen Dreielektronenbindungen berücksichtigt. Obwohl der mathematische Aufwand für quantitative quantenmechanische Berechnungen nach diesem Schema deutlich höher ist als bei MO-Rechnungen, scheint doch Einigkeit darüber zu bestehen, dass die verallgemeinerte VB-Methode (GVB-Methode), bei der die AOs unabhängig voneinander variiert werden bis ein Energieminimum gefunden ist, sich im Ergebnis kaum von einer ab-initio-MO-Rechnung unterscheidet. Wir wollen an dieser Stelle nun kurz mithilfe der qualitativen VB-Methode die Bindungsverhältnisse in N2O (CNv) diskutieren. Die primären kanonischen Strukturen sind die Singulett-Diradikal- oder auch long-bond-Strukturen 1 und 2 sowie die zwitterionischen Oktettstrukturen 3L5 (Abb. 1.55). Man kann ferner zeigen, dass Resonanz zwischen den ersten drei dieser Strukturen (1L3) und

94

1 Nichtmetalle

Abb. 1.55 VB-Strukturen für N2O (s. Harcourt (1982)).

Struktur 6 zu der increased-valence-Struktur 7 äquivalent ist, die Einelektronenπx(NO)- und πy(NO)-Bindungen und zusätzlich zwei partielle (engl.: fractional) πx(NN)- und πy(NN)-Bindungen enthält. Die Bindungslängen NdN (113 pm) und NdO (119 pm) sind nur wenig größer als die einer NdN-Dreifachbindung und einer NdO-Doppelbindung, werden also durch die increased-valence-Struktur 7 richtig beschrieben. Die increased-valence-Struktur 7 kann ebenfalls sehr gut zur Erklärung des Zersetzungsmechanismus von N2O sowie zur Interpretation von Radikaltransfer und zur Deutung des Auftretens von 1.3-dipolaren Cycloadditionen herangezogen werden, da diese Struktur einen Singulett-Diradikalcharakter besitzt (siehe Harcourt, Hall (1995); Harcourt, Schulz (2000)).

1.6.1.3 Die Moleküle NO und N2O2 Die MO-Beschreibung von NO (11 Valenzelektronen) ähnelt der von CO oder N2 (beide 10 Valenzelektronen) mit der Ausnahme, dass sich im Fall des NO ein zusätzliches Elektron in einem antibindenden π*-Orbital befindet. Dies führt zu einer Erniedrigung der formalen Bindungsordnung von b Z 3.0 in CO und N2 auf b Z 2.5 bei NO, was auch gut mit dem experimentell bestimmten NdOAbstand von 115 pm in Einklang steht, da dieser Wert zwischen dem von NOC (106 pm, 10 Valenzelektronen, b Z 3.0) und den für typische N]O-Doppelbindungen (ca. 120 pm, b Z 2.0) gefundenen Werten liegt. Auch die niedrige Ionisierungsenergie des NO-Moleküls (9.25 eV) im Vergleich zu N2 (15.6 eV) und CO (14.0 eV) passt zu dieser Interpretation. Von dimerem NO, d. h. von N2O2, sind heute mindestens drei Isomere bekannt, von denen das in Abb. 1.56 gezeigte die niedrigste Energie besitzt. Diese auf den ersten Blick überraschende planare C2v-Struktur kann aber leicht mit dem Vorliegen einer π*dπ*-Bindung erklärt werden. Wie bereits oben erklärt, befindet sich das ungepaarte Elektron in einem antibindenden π*-Orbital, welches wir somit als SOMO bezeichnen können (engl. singly-occupied MO). Durch die Wechselwirkung von zwei SOMOs zweier vorerst getrennter NO-Radikale kommt es nun zu einer konstruktiven Überlappung der beiden π*-Orbitale etwa senkrecht zu den beiden NdO-Bindungsachsen (Abb. 1.56). Dies wiederum führt zu einer energetischen Aufspaltung der beiden π*-Niveaus in ein etwas

1.6 Die Oxide des Stickstoffs und Nitroverbindungen

95

Abb. 1.56 Struktur und Bindungsverhältnisse von N2O2 (siehe Harcourt (1990, 1991, 1998)).

stärker bindendes (weniger antibindendes) und ein leeres, stark antibindendes. Wenn diese energetische Aufspaltung wie im Fall des N2O2 hinreichend groß ist, werden die beiden π*-Elektronen mit gepaarten Spins das energetisch tiefere Orbital besetzen, und es resultiert ein diamagnetisches N2O2-Molekül. Dass N2O2 eine C2v- und keine D2h-Struktur besitzt (dass das Molekül also nicht quadratisch gebaut ist), können wir ebenfalls aus dem MO-Schema des monomeren NO ableiten. Da Sauerstoff elektronegativer ist als Stickstoff und die 2p-Orbitale des O-Atoms energetisch unter denen des N-Atoms liegen, werden im MOSchema des NO die beiden antibindenden π*-Orbitale energetisch näher an den 2p-Orbitalen des Stickstoffs und die beiden bindenden π-Orbitale energetisch näher an den 2p-Orbitalen des Sauerstoffs liegen. Dies hat zur Folge, dass das π*-Orbital, welches das eine ungepaarte π*-Elektron in der NO-Einheit enthält, mehr N- als O-Charakter besitzt. Demnach wird dieses π*-Elektron eher am Stickstoff anzutreffen sein, und bei der Überlappung der beiden SOMOs finden wir dann erwartungsgemäß eine resultierende kürzere NdN- (218 pm) und eine etwas längere OdO-Bindung (262 pm). Die Tatsache, dass die NO-Bindungslänge im Dimer auf 112 pm abnimmt (im Monomer waren es 115 pm), spiegelt die Verschiebung von Elektronendichte aus einem antibindenden π*-MO in NO in ein schwach bindendes MO zwischen den beiden NO-Einheiten wider. Ganz analoge Bindungsverhältnisse liegen übrigens auch im dimeren I42C vor, in dem zwei IC 2 -Einheiten (13 Valenzelektronen) über eine schwache Vierzentren-Zweielektronen-π*dπ*-Bindung zusammengehalten werden.

96

1 Nichtmetalle

1.6.1.4 NO2, N2O4 und N2O3 Stickstoffdioxid ist unterhalb seines Schmelzpunkts (K11 (C) vollständig aus N2O4-Molekülen aufgebaut, während das Gas bei C135 (C bereits zu 99 % aus monomeren NO2-Molekülen besteht. Die Dimerisierung von NO2 zu N2O4 können wir analog zu der des Stickstoffmonoxids als π*-π*-Wechselwirkung interpretieren. Die Konstruktion des MO-Schemas eines gewinkelten, dreiatomigen Moleküls mit π-Wechselwirkung ist nicht ganz trivial, findet sich aber in verschiedenen einführenden Lehrbüchern. Abbildung 1.57 zeigt die Aufspaltung der antibindenden π#*-Orbitale (oder antibindenden mobile-σ-Elektronen MO) bei gewinkelten AB2-Molekülen. Dies bedeutet, dass für den Fall von NO2 mit 17 Valenzelektronen das energetisch etwas niedrigere π#2*-Orbital einfach besetzt ist (SOMO), während das π#1*-Orbital leer ist (LUMO). Durch die stabilisierende Wechselwirkung von zwei π#*-SOMOs kommen wir nun zu einem planaren N2O4-Molekül mit einer sehr langen NdN-Bindung von 175 pm. In diesem Beispiel handelt es sich um eine Sechszentren-Zweielektronen-π#*-π#*-Wechselwirkung (Abb. 1.57).

Abb. 1.57 π#*-Orbitale bei gewinkelten AB2-Molekülen (links) und π#*-π#*-Wechselwirkung in N2O4 (D2h) (rechts) (siehe auch Brown, Harcourt (1961)). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus T. M. Klapötke, I. C. Tornieporth-Oetting, Nichtmetallchemie, Weinheim 1994.]

Die sehr lange NdN-Bindung von 175 pm in N2O4 wird noch von der NdNBindung übertroffen, die im planaren N2O3 (Cs-Symmetrie, d (NdN) Z 186 pm) vorliegt. Dieser strukturelle Befund stimmt gut mit den experimentellen Beobachtungen überein, dass sich N2O3 im Gleichgewicht mit NO und NO2 befindet und in reiner Form nur im Feststoff existent ist (Smp. Z K101 (C). Bei 25 (C enthält die Gasphase nur noch ca. 10 % N2O3. Die extrem lange und schwache NdN-Bindung im N2O3 K der berechnete Bindungsgrad beträgt b Z 0.2 K legt eine formale Beschreibung dieser Verbindung als Nitrosylnitrit nahe. Diese InterK

Tabelle 1.31 Strukturparameter von N2O3, NOC und NO2 .

d (NdN) . pm d (NaKO) . pm d (NbKO) . pm

OdNadNbO2 (s)

NOC

NO

189 112 121

106.5

115

K

NO 2

124

1.6 Die Oxide des Stickstoffs und Nitroverbindungen

97

pretation wird zudem auch durch die übrigen Strukturparameter im Vergleich mit denen von NOC und NOK 2 gestützt (Tabelle 1.31). Siehe auch Harcourt und Wolynec (2000) für eine alternative Erklärung.

1.6.2 Umweltrelevanz 1.6.2.1 Atmosphärisches NOx Die anthropogene Emission von NOx liegt heute in einer mit den natürlichen Mengen vergleichbaren Größenordnung. In der Natur entsteht NOx aus N2O, das von Bodenbakterien produziert wird (Denitrifikation); die N2O-Produktion der Böden tropischer Regenwälder beträgt etwa das Zehnfache von Böden in gemäßigten Klimazonen. Die troposphärische Chemie des NOx ist wesentlich komplizierter als die des SO2. Aus NO entsteht in Gegenwart von Kohlenwasserstoffen NO2, das zur Entstehung des photochemischen Smogs führt (verkehrsreiche Regionen in sonnenreichen Zeiten). Hierbei ist die Hauptreaktion die Photolyse von NO2, bei der die Radikale NO und O entstehen. Aus O und O2 bilden sich Ozon und andere Photooxidantien: hν

NO2 $% NO C O O C O2 $% O3 In der Stratosphäre reagiert NO mit Ozon zu NO2 C O2, wobei das so gebildete NO2 gemäß der obigen Gleichung wieder zu NO zerfallen kann. Dies bedeutet, dass nicht nur K wie allgemein bekannt K aus FCKWs (Fluorchlorkohlenwasserstoffen) gebildete Chlorradikale, sondern auch NOx-Verbindungen zur Verringerung der als UV-Filter dienenden Ozonschicht beitragen können: NO C O3 $% NO2 C O2

1.6.2.2 Das Ozonloch Der als Ozonloch bezeichnete Effekt beschreibt die Abnahme der für das Leben wichtigen Ozonschicht in der Stratosphäre. Harte, kurzwellige UV-Strahlung (λ % 300 nm) ist für das Leben auf der Erde schädlich (Hautkrebs, Verringerung der Sauerstoffproduktion von Meeresalgen etc.). In großen Höhen der Erdatmosphäre absorbieren N2 und O2 UV-Licht mit λ ! 200 nm und in mittleren Höhen absorbiert Ozon UV-Strahlung im Bereich 200 nm % λ % 300 nm. Ozon wird in der Erdatmosphäre dort gebildet, wo kurzwelliges Licht (λ ! 240 nm) auf Disauerstoff trifft: O2 C hν $% 2 O O C O2 $% O3 Das gebildete Ozon kann durch Photolyse oder durch Reaktion mit weiteren OAtomen wieder zerstört werden. Die natürliche Ozonkonzentration erreicht ein

98

1 Nichtmetalle

Maximum in der mittleren Stratosphäre (Gleichgewicht). Durch Ozon-Abbaureaktionen mit Radikalen (HO, NO, Cl) ist die tatsächlich vorhandene O3-Konzentration jedoch geringer, als man nach dem Gleichgewicht der o. g. Bildungs- und Abbaureaktionen erwarten sollte. Die Radikale HO, NO und Cl entstehen in der Stratosphäre photochemisch aus Spurengasen natürlichen Ursprungs (HO aus H2O und CH4, NO aus N2O, Cl aus CH3Cl). Die Wirksamkeit der nur in geringsten Mengen auftretenden Spurengase beruht darauf, dass die aus ihnen photochemisch gebildeten Radikale innerhalb eines Radikalzyklus zurückgebildet werden und erneut O3 abbauen können. Das Cl-Radikal durchläuft im Durchschnitt 10000 mal einen Reaktionszyklus, bevor es unter Bildung reaktionsträger Verbindungen wie HCl abgefangen wird. Neben den natürlich vorkommenden Spurengasen, die zum Ozonabbau beitragen, sind in den letzten Jahrzehnten Spurengase (d. h. Radikale) aus anthropogenen Quellen in vergleichbarer Größenordnung hinzugekommen, was zu einer Störung der in der Atmosphäre vorhandenen Gleichgewichtsreaktionen geführt hat. Über der Antarktis sinkt die Ozonmenge in jedem Frühjahr (September.Oktober) auf ein Minimum ab (starke Zunahme der Lichteinstrahlung) und steigt im November und Dezember wieder auf den Vorjahreswert an. Seit 1979 wurde beobachtet, dass die Maximalwerte im Frühjahr regelmäßig weiter absinken. Dabei werden als Hauptverursacher für das Ozonloch die Fluorchlorkohlenwasserstoffe ($% Cl-Radikale) sowie NOx-Verbindungen ($% NO-Radikale) diskutiert, die aufgrund ihrer Reaktionsträgheit mit einer Halbwertszeit von mehreren Jahren in die obere Stratosphäre gelangen, wo sie durch photolytische Spaltung Cl- und NO-Radikale freisetzen, die ihrerseits zu einem verstärkten O3-Abbau beitragen. Um den Ozonabbau in der Zukunft einzudämmen, werden auf internationaler Ebene Maßnahmen ergriffen, um die Produktion, den Handel und den Verbrauch von FCKWs einzuschränken bzw. ganz zu unterlassen. Maßnahmen zur Verringerung der Luftverunreinigungen mit NOx schließen die Entstickung von Rauch- und Verbrennungsgasen sowie die Einführung des Dreiwegekatalysators in Kraftfahrzeugen ein. Darüber hinaus wird derzeit an einer neuen Generation von hochfliegenden Überschallflugzeugen gearbeitet, die einen deutlich geringeren NOx-Ausstoß verursachen sollen. Die Entstickung von technischen Rauchgasen, vor allem in Kraftwerken und auch bei der Salpetersäureproduktion, erfolgt heute meist nach dem SCR-Verfahren (engl. selective catalytic reduction) etwa nach folgender Bruttogleichung: [TiO2]

4 NH3 C 4 NO C O2 $#% 4 N2 C 6 H2O Es hat sich als günstig erwiesen, die Entstickung nach der Entschwefelung vorzunehmen, die im Wesentlichen auf der Wäsche der Rauchgase mit Wasser beruht, welches die zur Neutralisation notwendigen Mengen an Calciumhydroxid oder Calciumcarbonat enthält. Die Endstoffe in diesem Verfahren sind Calciumsulfit-. Calciumsulfat-Schlämme oder bei vollständiger Oxidation Gips: SO2 C Ca(OH)2 $% CaSO3 $

1 1 H 2O C H 2O 2 2

1 SO2 C Ca(OH)2 C O2 C H2O $% CaSO4 $ 2 H2O 2

1.6 Die Oxide des Stickstoffs und Nitroverbindungen

99

1.6.3 Nitroverbindungen als hochenergetische Materialien 1.6.3.1 Explosivstoffe und Raketentreibstoffe Der Begriff der hochenergetischen Materialien ist oft nicht einheitlich definiert. Wir wollen hier zwei Substanzklassen unter dem Begriff hochenergetische Materialien (HEDM, engl. high-energy-density materials) zusammenfassen: 1. Explosivstoffe 2. Raketentreibstoffe Obwohl beide Verbindungsklassen verwandt sind, müssen sie doch aufgrund des unterschiedlichen Anwendungsprofils auch unterschiedliche Anforderungen erfüllen. Ein guter Explosivstoff zeichnet sich durch möglichst hohe Detonationsgeschwindigkeit vD und einen hohen Detonationsdruck pD aus. Eine Schlüsselstellung bei der Beschreibung beider Größen nimmt die Dichte ρ des Explosivstoffs ein, wobei gilt, dass pD direkt proportional zum Quadrat der Dichte ist. Darüber hinaus sind die Stoffmenge N der gebildeten gasförmigen Zersetzungsprodukte (je mol oder g Explosivstoff) und die pro Gramm freigesetzte Energie (entspricht der Reaktionsenthalpie ∆D H() entscheidende Größen: νD w N 0.5 ∆D H 0.25 pD w p2N ∆D H 0.5 Demzufolge besitzen gute Sprengstoffe die folgenden Eigenschaften: 1. eine große negative Reaktionsenthalpie für die Zerfallsreaktion; 2. eine hohe Dichte; 3. die Bildung einer großen Zahl gasförmiger Zerfallsprodukte mit möglichst niedriger Molmasse. Bei Raketentreibstoffen ist dagegen der spezifische Impuls Isp [kg Schub.(kg Treibstoff · SekundeK1)] die entscheidende Größe, wobei es sich hierbei um die theoretisch maximal mögliche Menge an mechanischer Arbeit handelt, die aus einer adiabatischen Zersetzung des Treibstoffs und Expansion der Zersetzungsprodukte in ein Vakuum (Weltraum) resultiert. Es lässt sich zeigen, dass der spezifische Impuls dann groß wird, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind (der Einfluss der Dichte ist hier indirekt, aber viel geringer): 1. die Brennkammertemperatur Tc soll möglichst hoch sein, 2. die mittlere Molmasse M der Brenngase soll möglichst klein sein. F$t Isp Z m (F Z Schub, t Z Zeit, m Z Masse des Treibstoffs) [Einheit: sK1] Isp w (Tc . M)0.5 (Isp ist proportional zur Wurzel aus dem Quotienten von Brennkammertemperatur und der mittleren Molmasse der Brenngase)

100

1 Nichtmetalle

Daraus wird deutlich, dass sowohl für Explosivstoffe als auch für Raketentreibstoffe der Einsatz von Verbindungen aus leichten Atomen vorteilhaft ist. Darüber hinaus wird gerade beim Einsatz von Raketentreibstoffen der Ruf nach immer signaturfreieren (taktische Raketen) und auch umweltfreundlicheren Materialien zunehmend lauter. Beispielsweise wird in den Feststoffraketen (Booster) des Space Shuttles und der Ariane noch immer Ammoniumperchlorat als Oxidationsmittel eingesetzt, wodurch bei der Verbrennung HCl entsteht, das anschließend als salzsaurer Regen zur Erdoberfläche zurückkehrt.

1.6.3.2 Synthese Die zunehmende Erforschung und der Einsatz von hochenergetischen Nitroverbindungen deuten eine Lösung vieler der im vorangegangenen Abschnitt diskutierten Probleme an. Tabelle 1.32 zeigt eine Übersicht über die wichtigsten stickstoffhaltigen und heute bereits eingesetzten Explosivstoffe und Oxidationsmittel. Die Nitrierung organischer oder elementorganischer Verbindungen erfolgte früher fast ausschließlich mithilfe von Nitriersäure. Nitriersäure ist eine Mischung aus konzentrierter Salpetersäure und konzentrierter Schwefelsäure, die durch die Anwesenheit von NOC 2 -Ionen stark nitrierend wirkt: K HNO3 C H2SO4 $% H2ONOC 2 C HSO4 K C K C H2ONOC 2 C HSO4 C H2SO4 $% NO2 C H3O C 2 HSO4

Aromatische Kohlenwasserstoffe werden durch Umsetzung mit Nitriersäure in elektrophiler Substitution in Nitroverbindungen überführt. Beispielsweise wird

Tabelle 1.32 Herkömmliche Explosivstoffe und Oxidationsmittel (vgl. Abb. 1.54). Substanz

Struktur

Name

Klasse

Dichte . Einsatz(g cmK3) gebiet

TNT RDX

1 2

Explosivstoff Explosivstoff, Treibstoff

1.67 1.8

HMX

3

AN

[NH4]C[NO3]K

Trinitrotoluol 1,3,5Trinitrohexahydro1,3,5-triazin Tetranitrotetraazacyclooctan Ammoniumnitrat

AP

[NH4]C[ClO4]K Ammoniumperchlorat 4 Nitroglycerin (H2N)2C] Diaminodinitroethen C(NO2)2

NG FOX-7

Explosivstoff, 1.9 Treibstoff Oxidationsmittel 1.72 Oxidationsmittel 1.95 Oxidationsmittel 1.6 Explosivstoff, 1.9 Treibstoff

Munition Munition, Raketenantrieb Munition zivile Sprengstoffe Raketenantrieb Dynamit Munition, Raketenantrieb

1.6 Die Oxide des Stickstoffs und Nitroverbindungen

101

Abb. 1.58 Strukturen der in Tabelle 1.32 aufgeführten Verbindungen.

Trinitrotoluol durch direkte Nitrierung von Toluol mittels Nitriersäure erhalten. K C K Ebenfalls gute Nitrierungsmittel sind NOC 2 BF4 und NO2 OSO2CF3 (Nitroniumtriflat) in CH2Cl2 unter gleichzeitiger Anwendung von Ultraschall. In der modernen Synthesechemie scheint sich nun der Einsatz von N2O5 als Nitrierungsmittel gegenüber Nitriersäure durchzusetzen, speziell weil man wasserfrei arbeiten kann und bei der Verwendung von reinem N2O5 auch keine Säureverunreinigungen zu befürchten hat. N2O5 wurde als Anhydrid der Salpetersäure technisch früher durch Wasserabspaltung aus dieser als leicht flüchtiger Feststoff (Subl. 32 (C, 1 bar) gewonnen: K10 (C

4 HNO3 C P4O10 $$#% 2 N2O5 C 4 HPO3 Seit 1983 erfolgt die technische Synthese meist durch Elektrolyse von Salpetersäure in der Anwesenheit von N2O4 nach einem im Lawrence Livermore National Laboratory entwickelten Verfahren, wodurch eine ca. 15K20 %ige Lösung von N2O5 in wasserfreier Salpetersäure erhalten wird: N2O4, K2e

K

2 HNO3 $###% N2O5 C H2O

102

1 Nichtmetalle

Wir wollen uns aber im Folgenden auf eine weitere Route konzentrieren, die reines und nahezu säurefreies N2O5 liefert und erst 1992 in den DRA-Laboratorien (Defence Research Agency) zur halbtechnischen Reife geführt wurde. Hierbei handelt es sich um die Gasphasen-Ozonisierung von N2O4 durch Einwirkung eines Ozon.Sauerstoff-Gemischses mit ca. 5K10 % Ozongehalt: N2O4 C O3 $% N2O5 C O2 Lösungen von reinem N2O5 in chlorierten organischen Lösungsmitteln (CH2Cl2, CFCl3) sind milde Nitrierungsmittel, die schon heute eine weite Anwendungspalette gefunden haben (Tabelle 1.33). Tabelle 1.33 Anwendung von CH2Cl2.N2O5-Lösungen in der Synthese. Reaktionstyp

Produkt

aromatische Nitrierung Nitrolyse Ringspaltung selektive Nitrierung

CdNO2 NdNO2 NdNO2 oder OdNO OdNO2 (seltener NdNO2)

Im Folgenden betrachten wir ein Beispiel für eine Ringöffnungsreaktion: N2O5, CH2Cl2, 0K10 (C

cyclo-(CH2)n X $####$##% O2NOd(CH2)ndXdNO2 [n Z 2 oder 3; X Z O oder NdR (R Z Alkyl)] Ist der Substituent am Stickstoffatom H und keine Alkylgruppe, so gelingt die Nitrierung unter Beibehaltung der cyclischen Vierringstruktur: N2O5, CH2Cl2, 0K10 (C

cyclo-(CH2)3NH $######$% cyclo-(CH2)3N(NO2) Auf ähnlichem Syntheseweg gelang nun auch die Darstellung des starken Oxidationsmittels TNAZ (Trinitroazetidin) und des Hochleistungssprengstoffs HNIW (Hexanitrohexaazaisowurtzitan) (Tabelle 1.34). Tabelle 1.34 Moderne hochenergetische Materialien (vgl. Abb. 55). Substanz

Struktur

Name

Klasse

TNAZ

5

Trinitroazetidin

Oxidationsmittel

HNIW oder CL-20

6

Hexanitrohexaazaisowurtzitan

Explosivstoff, (Oxidationsmittel)

ADN

7

Ammoniumdinitramid

Treibstoff, Explosivstoff

a)

Experimentierphase, noch nicht im allgemeinen Einsatz.

Dichte . Einsatzgebieta) (g cmK3) 1.85 O1.9 1.8

Munition und Raketenantrieb Explosivstoff und Raketenantrieb Raketenantrieb

1.6 Die Oxide des Stickstoffs und Nitroverbindungen

103

Abb. 1.59 Die Strukturen der in Tabelle 1.29 aufgeführten Verbindungen.

Abb. 1.60 Zwei verschiedene Ansichten des Dinitramidions in C2-Symmetrie. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung der American Chemical Society aus Inorg. Chem., 1996, 35, 5069].

Eine dritte in Tabelle 1.34 diskutierte Verbindung ist Ammoniumdinitramid (ADN). ADN ist unter den hochenergetischen Materialien einzigartig, da es weder Kohlenstoff noch Chlor oder Fluor enthält. ADN bildet farblose Kristalle und ist eine sehr sauerstoffreiche Stickstoffverbindung, die hervorragende Eigenschaften für den Einsatz in Explosivstoffen und (in Kombination mit starken Reduktionsmitteln wie Aluminium, Aluminiumhydrid oder organischen Verbindungen) in Festkörper-Raketentreibstoffen besitzt. Die Abwesenheit von Halogenen macht ADN darüber hinaus zu einem umweltfreundlichen Festkörper-Raketentreibstoff und erschwert zugleich die Radardetektion der Abgasspur der Rakete. ADN wird derzeit als einer der erfolgversprechendsten Ersatzstoffe für Ammoniumperchlorat erprobt. Das freie Dinitramidion N(NO2)K 2 besitzt nach den Ergebnissen von abinitio-Rechnungen C2-Symmetrie (Abb. 1.60), während es in Lösung und im

104

1 Nichtmetalle

Feststoff eher eine lokale C1-Symmetrie annimmt. Diese bereits durch schwache Kation-Anion-Wechselwirkungen oder Wechselwirkungen mit dem Lösungsmittel sehr leicht herbeizuführende Deformation des N(NO2)K 2 -Ions kann auf die sehr geringe NNO2-Rotationsbarriere (! 13 kJ molK1) zurückgeführt werden.

1.7 Chemie in supersauren Lösungen 1.7.1 Supersäuren Als Supersäure bezeichnet man ein System, dessen Protonendonorstärke gleich der von 100 %iger Schwefelsäure oder größer ist. Beispiele für Supersäuren sind wasserfreier Fluorwasserstoff (aHF) und Fluorschwefelsäure (HSO3F). Achtung: Während wasserfreier Fluorwasserstoff (aHF) eine sehr starke Säure ist, sind wässrige Lösungen von HF, die als Flusssäure bezeichnet werden, nur schwache Säuren. Allgemein nimmt bei den wässrigen Lösungen der Halogenwasserstoffe (Flusssäure, Salzsäure etc.) die Säurestärke vom HF zum HI hin zu. Der Befund, dass Flusssäure eine schwache Säure ist (pKs Z 3.2), während wässrige HI-Lösungen (pKs Z K10) sehr starke Säuren sind, ist insofern auf den ersten Blick überraschend, da die Bindungspolarität von HdF zu HdI stark abnimmt. Die geringe Acidität der Flusssäure kann am besten dadurch erklärt werden, dass die Aktivität der Protonen durch die Ausbildung starker Ionenpaare des Typs H3OC · nFK, die weniger sauer sind als H3OC · nH2O, stark herabgesetzt wird (vergleiche auch die Aciditäten H2Te O H2Se O H2O). Beim Konzentrieren verdünnter Flusssäure erhöht sich die Acidität, da gemäß der nachsteC henden Gleichung HFK 2 -Anionen und H3O -Kationen gebildet werden: 2 H3OC ··· FK $% H2O C H3OC C HFK 2 . Noch stärkere Protonendonoren sind Systeme, die aus einer sehr starken Brønstedsäure (aHF, HSO3F) und einer sehr starken Lewissäure (AsF5, SbF5, TaF5, NbF5 etc.) bestehen. Das System HSO3F.SbF5 wird nach Olah meist als magic acid (magische Säure) bezeichnet. Die hohe Protonendonorstärke solcher Brønsted-Säure.Lewis-Säure-Mischungen beruht auf der hohen Fluoridionenaffinität der Lewis-Säure, wie es in folgender Gleichung vereinfachend dargestellt ist: Autoprotolyse der Brønsted-Säure aHF: 3 HF $% H2FC C HFK 2 Brønsted-Säure.Lewis-Säure-Mischung: 2 HF C SbF5 $% H2FC C SbFK 6 Die Bestimmung der Acidität eines solchen supersauren Systems ist natürlich nicht ganz einfach, da weder der pH-Wert direkt gemessen werden kann, noch die Protonenkonzentration irgendeine Aussage über die wirkliche Aktivität beziehungsweise die Protonendonorstärke erlaubt. Man bedient sich zur Beschreibung der Protonendonorstärke eines supersauren Systems daher der so genannten Hammett’schen Aciditätsfunktion H0, die bei sehr starker Verdünnung in den pH-Wert übergeht. Um die Acidität einer Supersäure HX (HX Z aHF, HSO3F etc.) bestimmen zu können, setzen wir dem System eine geringe Menge einer schwachen (d. h. schwer zu protonierenden) Indikatorbase B zu. In der Praxis hat sich beispielsweise p-Nitroanilin als Indikatorbase bewährt. Die starke Super-

1.7 Chemie in supersauren Lösungen

105

säure HX wird nun die schwache Indikatorbase B teilweise protonieren, und wir können die folgende Gleichgewichtsreaktion anschreiben: HX C B $% BHC C XK Für die Dissoziationskonstante KD der Indikatorbase B gilt unabhängig von der verwendeten Supersäure: BHC $% HC C B, KD Z

[HC] [B] [BHC]

Führen wir nun die Hammett’sche Aciditätsfunktion analog zum pH-Wert als H0 Z Klg [HC] ein, so erhalten wir nach Umformung die folgenden Beziehungen: C

[H ] Z KD

[BHC] [B] C

H0 Z K lg [H ] Z K lg KD K lg

[BHC] [B]

Z pKD K lg

[BHC] [B]

Wir sehen also, dass der Hammett’sche Aciditätswert H0, der mit dem pH-Wert eines verdünnten Systems vergleichbar ist, durch die Dissoziationskonstante der Indikatorbase und das Verhältnis von protonierter zu unprotonierter Form der eingesetzten Indikatorbase gegeben ist. In der Praxis hat es sich bewährt, solche Indikatorbasen (z. B. p-Nitroanilin) einzusetzen, deren UV-VIS-Absorptionsspektrum in der protonierten und deprotonierten Form deutlich unterschiedlich ist, sodass das Verhältnis [BHC] . [B] leicht durch photometrische Untersuchungen bestimmt werden kann. Tabelle 1.35 zeigt eine Zusammenstellung der KH0-Werte einiger Supersäuren. Tabelle 1.35 Zusammenstellung der KH0-Werte einiger Supersäuren. Brønstedsäure H2SO4 CF3SO3H HSO3F aHF HSO3F aHF

Lewissäure

Verhältnis

KH0

SbF5 SbF5

100 % 100 % 100 % 100 % 4:1 200 : 1

11.9 13.8 15.1 15.1 20 21

Wie Tabelle 1.35 deutlich zeigt, erhöht die Zugabe von nur 0.5 % SbF5 zu reinem Fluorwasserstoff dessen Acidität von KH0 Z 15.1 auf KH0 Z 21, d. h. um sechs (!) Zehnerpotenzen. Umgekehrt setzt auch die Zugabe von nur geringen Spuren an Base zu einer Supersäure wie aHF die Acidität deutlich herab. Typische Basen sind in diesem Zusammenhang die Alkalimetallfluoride (da sie FK enthalten), aber auch H2O. Dies bedeutet, dass die Acidität von Fluorwasserstoff, der nur Spuren von Wasser enthält, bereits deutlich geringer ist als die des reinen Fluor-

106

1 Nichtmetalle

Abb. 1.61 Die Abhängigkeit des H0-Wertes von der Acidität und Basizität für die Supersäuren H2SO4 (•), CF3SO3H ($), HSO3F ( ■ ) und HF (B). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus T. A. O’Donnell, Super Acids and Acidic Melts, New York 1993].

wasserstoffs (Abb. 1.61). Diese Tatsache ist sicher auch dafür verantwortlich, dass in vielen Lehrbüchern für aHF auch heute immer noch ein H0-Wert von etwa K11 angegeben wird, der um vier Zehnerpotenzen zu niedrig ist. Die Autoren beziehen sich in diesem Fall nicht auf reinen Fluorwasserstoff, sondern unwissentlich und irrtümlich auf ein HF-System, das ca. 0.1 mol-% Wasser enthält (Abb. 1.61). Um HF wirklich wasserfrei zu erhalten, eignet sich BiF5 besonders gut als Trockenmittel, wobei HF stets über BiF5 gelagert und dann vor Gebrauch frisch abdestilliert werden soll. Wasserspuren in HF reagieren mit BiF5 unter Ausbildung von nichtflüchtigem OBiF3 und zwei Äquivalenten HF: H2O C BiF5 (s) $% 2 HF C OBiF3 (s) Zur experimentellen Handhabung von Supersäuren eignen sich natürlich weder Glas- noch Metallapparaturen. Am besten weicht man auf Fluorkunststoffe aus, die eine weitgehende Chemikalienresistenz und relativ geringe Gasdurchlässig-

1.7 Chemie in supersauren Lösungen

107

keit besitzen. PTFE [Poly(tetrafluorethylen), Teflon, Hostaflon] ist zwar sehr stabil, jedoch sind die daraus hergestellten Geräte weiß und nicht transparent. Daher werden oft Apparaturen aus PCTFE [Poly(chlortrifluorethylen), Kel-F] oder, aufgrund der besseren mechanischen Eigenschaften, aus PFA (PerfluoralkoxyCopolymeren) eingesetzt, die transparent und gegenüber HF und Supersäuren stabil sind. Um den genauen H0-Wert eines supersauren Systems zu ermitteln, erweist es sich als günstig, die „Titrationskurve“ der reinen Brønsted-Supersäure (z. B. aHF) im Bereich von G1 mol-% gegen eine Base und eine Lewis-Säure (z. B. AsF5, SbF5 etc.) aufzunehmen und den H0-Wert wie in Abb. 1.57 gezeigt aus dem Wendepunkt der Kurve zu ermitteln. In der präparativen Nichtmetallchemie können Supersäuren hervorragend zur Darstellung stabiler Lösungen von Oniumsalzen der Elemente N, P, As, O, S, Se, F und Cl eingesetzt werden. Die folgenden Gleichungen sollen diese Verhältnisse verdeutlichen: aHF

H2E C HF C SbF5 #% H3EC C SbF6 (E Z O, S, Se) aHF

H3E C HF C SbF5 #% H4EC C SbF6 (E Z N, P, As) aHF

HCl C HF C SbF5 #% H2FCSbF5ClK In diesem Zusammenhang ist auch die Lewis-Acidität von starken Lewis-Säuren wie z. B. BF3, AsF5, SbCl5, AuF5 etc. von entscheidender Bedeutung. Erst kürzlich haben Christe und Dixon eine quantitative Skala für die Lewis-Aciditäten solcher Systeme vorgeschlagen. Der pFK-Wert ist hierbei ein Maß für die LewisAcidität einer Verbindung. Der pFK-Wert ist definiert als die Fluoridionenaffinität in der Gasphase (in kcal molK1) dividiert durch 10: pFK Z FIA . (10 · kcal molK1) Tabelle 1.36 zeigt eine Zusammenstellung der pFK-Werte zahlreicher Lewis-acider Systeme. Interessant ist anzumerken, dass grundsätzlich die di- und trimeren Systeme acider sind als ihre monomeren Bausteine. So ist auch zu verstehen, dass die K Stabilität der Anionen Sb2FK 11 und Sb3F16 größer ist als die des einfachen K SbF6 -Ions. Wie auch in der klassischen Chemie gilt auch hier (für Lewis-Säuren) die Regel, dass „die stärkere Säure die schwächere aus ihren Salzen vertreibt“. So ist SbF5 eine stärkere Lewis-Säure als MnF4, wodurch die nachstehende Reaktion (d) erklärbar wird. Da aber das gebildete MnF4 nicht stabil ist und spontan zu 1 MnF3 und F2 zerfällt, ist das nachstehende Reaktionsschema (Gleichungen 2 aKe) die Grundlage für die erstmalige chemische (nicht elektrochemische) Synthese von Fluor: (a) CaF2 C H2SO4 $% CaSO4 C 2 HF (b) SbCl5 C 5 HF $% SbF5 C 5 HCl

108

1 Nichtmetalle

Tabelle 1.36 Lewis-Aciditäten (pFK-Werte) einiger Lewis-acider Systeme. F2 ClFO3 HF SeF6 SF2O2 PF3 KF ClF3O2 SF2O SO2 CF2O Cl2 OsO4 SF2 TeF6 ClFO IF5O ClFO2 ClF Br2 XeF4 XeO2 PF3O XeO XeF4O BrFO IF7 SeF2 SeF2O XeF4O2 I2 SF4 TcO3F SF4O LiF PFO XeF2O3 AsF3 XeF2O2 XeF6 SeF2O2 BrFO3 ReO3F BrF3O2 BrFO2 SiF4 BaF2 ClF3O BiF3

4.28 4.30 4.33 4.48 4.61 4.76 4.82 4.91 4.92 4.99 4.99 5.01 5.05 5.09 5.26 5.30 5.31 5.38 5.51 5.54 5.61 5.73 5.80 5.83 5.87 5.97 6.02 6.06 6.14 6.21 6.23 6.26 6.56 6.60 6.62 6.63 6.74 6.78 6.80 6.88 6.90 6.99 7.06 7.08 7.18 7.19 7.24 7.24 7.24

IF5 BrF ClF3 TeF2 XeF2O IF IFO2 TeF2O TcO2F3 SiF2 WF6 BFO MoF6 TcOF5 SO3 SrF2 BF3 ReOF5 ReO2F3 TiF4 OsO3F2 SeO3 IF3O IFO3 IF3 CaF2 ClF5 SbF3 BeF2 PF5 MgF2 AsF3O TeF4 IF3O2 [cis] SeF4 IF3O2 [trans] BrF3O VF5 BI3 TeF2O2 BCl3 BrF3 GeF4 SeF4O HfF4 ZrF4 BrF5 SbF3O BBr3

7.26 7.29 7.33 7.33 7.38 7.40 7.44 7.48 7.55 7.57 7.59 7.60 7.63 7.64 7.69 7.70 7.76 7.81 7.97 7.97 8.02 8.20 8.21 8.32 8.32 8.33 8.34 8.37 8.40 8.43 8.44 8.46 8.58 8.60 8.62 8.66 8.71 8.71 8.83 8.88 8.90 8.91 9.14 9.19 9.33 9.34 9.61 9.64 9.87

PFO2 SbFCl4 SbCl5 NbF5 SbF2Cl3 TeF4O TeO3 TaF5 TaF4Cl TaF2Cl3 AsF5 SbF3Cl2 SnF4 TaF3Cl2 TaFCl4 BiF5 SbF4Cl AlFCl2 AlF3 AlF2Cl AlCl3 TaCl5 GaF3 SbF5 SiF2O InF3 B(CF3)3CF2 Nb2F10 TaNbF10 BiNbF10 BiTaF10 Ta2F10 Bi2F10 SbNbF10 SbTaF10 BiSbF10 Sb2F10 AuF5 Sb3F15 Au2F10

9.94 10.10 10.22 10.23 10.28 10.32 10.40 10.42 10.49 10.51 10.51 10.54 10.56 10.59 10.68 10.91 10.96 11.02 11.04 11.12 11.19 11.22 11.27 11.30 11.31 11.41 11.77 11.80 11.86 11.89 12.02 12.06 12.13 12.21 12.36 12.44 12.69 12.88 13.18 14.41

1.7 Chemie in supersauren Lösungen

109

(c) 2 KMnO4 C 2 KF C 10 HF C 3 H2O2 $% 2 K2MnF6 C 8 H2O C 3 O2 (d) 2 SbF5 C K2MnF6 $% 2 KSbF6 C MnF4 1 (e) MnF4 $% MnF3 C F2 2

1.7.2 Carbokationen Nirgendwo in der Chemie ist die Grenze zwischen Organischer und Anorganischer Chemie so fließend wie in der Nichtmetallchemie. So wie jeder Chemiker CH4 und C2H6 problemlos als organische Verbindungen akzeptieren würde, so gäbe es sicher auch keinen Widerspruch, NH3, NHC 4 -Salze und N2H4 als typisch anorganische Verbindungen einzustufen. Was aber ist beispielsweise bindungstheoretisch der grundsätzliche Unterschied zwischen Methan und einem Ammoniumion? Diese Frage zu beantworten sollte keinem der Leser schwer fallen. Ebenso soll es uns im folgenden Absatz erlaubt sein, eines der aufregendsten Grenzkapitel zwischen Anorganischer und Organischer Chemie etwas näher zu betrachten: Die Chemie der Carbokationen. Im Jahr 1994 erhielt George Olah den Nobelpreis für Chemie in Anerkennung seiner bahnbrechenden Arbeiten auf den Gebieten der synthetischen und mechanistischen organischen Chemie, der reaktiven Zwischenstufen (Carbokationen) sowie der Supersäuren- und Kohlenwasserstoffchemie. Olahs Untersuchungen begannen in den frühen fünfziger Jahren und führten zur ersten direkten Beobachtung von Alkylkationen und in der Folge zur Untersuchung des gesamten Spektrums von langlebigen Spezies in supersauren Lösungen. Die niedrige NukK leophilie der Gegenionen SbFK 6 und Sb2F11 trug dabei erheblich zur Stabilität der carbokationischen Salze bei, die in einigen Fällen sogar kristallin isoliert werden konnten. Im Jahr 1962 gelang im supersauren System erstmals die NMRspektroskopische Charakterisierung eines stabilen Alkylkationensalzes: K C (CH3)3CCOF C SbF5 $% (CH3)3CCOCSbFK 6 $% (CH3)3C SbF6 C CO

In weiteren Arbeiten gelang es auch, die verwandten sec-Isopropyl- und tertAmylkationen herzustellen und zu untersuchen: (CH3)2CHF C SbF5 $% (CH3)2CHCSbFK 6 (CH3)2CFCH2CH3 C SbF5 $% (CH3)2CCCH2CH3 SbFK 6 Das 1H-NMR-Spektrum des i-C3H7F.SbF5-Systems zeigt für das CH-Proton ein enorm entschirmtes Septett bei δ Z 13.5 ppm, was das Vorliegen eines polarisierten DonorKAkzeptor-Komplexes ausschließt und eindeutig für ein (CH3)2CHCKation spricht. Diese neuartigen Carbokationen konnten ebenfalls schwingungsspektroskopisch charakterisiert werden. Tabelle 1.37 zeigt einen Vergleich der CdH-Absorptionen, die für das C(CH3)C 3 -Kation und die isoelektronische Verbindung B(CH3)3 beobachtet werden konnten. Nach der erfolgreichen Herstellung von langlebigen, stabilen Carbokationen in Antimonpentafluoridlösungen wurden die Untersuchungen verständlicher-

110

1 Nichtmetalle C

Tabelle 1.37 Beobachtete Raman- und IR-Frequenzen für C(CH3)3 und B(CH3)3. υ (CdX) . cmK1 C

C(CH3)3 C C(CD3)3 B(CH3)3 B(CD3)3

(X Z H) (X Z D) (X Z H) (X Z D)

2947, 2187, 2975, 2230,

2850 2090 2875 2185

weise auf eine Vielfalt anderer Supersäuren ausgedehnt. Protische Supersäuren wie FSO3H und CF3SO3H sowie die bereits im vorangegangenen Abschnitt diskutierten Systeme HF.SbF5 und FSO3H.SbF5 wurden ausgiebig genutzt, um darin Carbokationen zu studieren. Prinzipiell kennt man heute zwei Extremfälle von Carbokationen mit einem Kontinuum von Spezies zwischen diesen beiden: 1. Dreibindige („klassische“) Carbeniumionen enthalten ein sp2-hybridisiertes, elektronenarmes C-Atom, das in der Regel planar umgeben ist. Die Struktur dreibindiger Carbokationen kann immer adäquat mit Zweizentren-Zweielektronenbindungen beschrieben werden. CH3C ist das klassische Stamm-Carbeniumion. 2. Penta- oder höherkoordinierte (nichtklassische) Carboniumionen enthalten fünffach oder höherkoordinierte Kohlenstoffatome. Diese Verbindungen können nicht durch Zweizentren-Zweielektronenbindungen beschrieben werden, sondern erfordern die Verwendung von Drei- oder Mehrzentren-Zweielektronenbindungen. Das carbokationische Zentrum ist immer von acht Valenzelektronen umgeben, insgesamt sind diese Carboniumionen jedoch elektronenarm, da sich drei oder mehr Atome zwei Elektronen teilen. CH5C ist das nichtklassische Stamm-Carboniumion. Bindungstheoretisch kann man CHC 5 als „Komplex“ zwischen CHC 3 und einem H2-Molekül auffassen. Analoges gilt für die höheren, z. T. nur theoretisch bekannten Spezies CH 62C (Komplex zwischen CH22C und zwei H2-Molekülen), CH73C (Komplex zwischen CH 3C und drei H2-Molekülen) und CH 84C (Komplex zwischen C4C und vier H2-Molekülen). Klassische Alkylkationen (z. B. (CH3)3CC), in denen das elektronenarme Zentrum nur durch hyperkonjugative Wechselwirkungen mit CdH- oder CdC-Einfachbindungen stabilisiert wird, werden durch Solvatation in Supersäuren nochmals aktiviert. Die Ergebnisse von Rechnungen und experimentellen Studien (H.D-Austauschreaktionen) an langlebigen Alkylkationen in deuterierten Supersäuren (unter Bedingungen, unter denen keine Deprotonierung-Reprotonierung stattfinden kann) sprechen für die Existenz von Protoalkyldikationen als reale Zwischenstufen: HC

(CH3)3CC #$$% (CH3)2CC-CH2 / H2 !#$$ C KH

Um die bindungstheoretische Deutung von klassischen und vor allem nichtklassischen Carbokationen hat sich P. v. Rague Schleyer größte Verdienste erworben.

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

111

1.8 Ketten, Ringe und Käfige 1.8.1 Klassifizierung Es ist nicht einfach, eine umfassende, aber dennoch übersichtliche Klassifizierung für Ketten, Ringe und Käfige aufzustellen, die Gegenstand der Diskussion dieses Abschnitts sein sollen. Am einfachsten klassifizieren wir Ketten, vor allem aber Ringe und Käfige wahrscheinlich nach den folgenden Kriterien. Im Hinblick auf die Valenzelektronenzahl existieren 1. elektronenarme Systeme, 2. elektronenrichtige Systeme, die auch als klassische Systeme bezeichnet werden, und 3. elektronenreiche Systeme. Ein elektronen-richtiges oder klassisches System mit n Atomen besitzt die folgende Anzahl von Valenzelektronen: 1. Kette: 6n C 2, Beispiel: KSd(S)ndSK, PnHnC2 2. Ring: 6n, Beispiel: S8, P5 H5 3. Käfig: 5n (einschließlich evtl. exocyclischer Substituenten). Ein klassischer (d. h. elektronenrichtiger) Käfig lässt sich wiederum durch die folgenden Regeln beschreiben: a) es existieren lokalisierte Zweizentren-Zweielektronenbindungen, b) für jedes Atom gilt die Oktettregel, c) jedes Käfig-Gerüstatom bildet drei Bindungen zu weiteren Gerüstatomen aus und besitzt darüber hinaus entweder ein freies Elektronenpaar (z. B. P4) oder eine σ-gebundene exocyclische Gruppe (z. B. C4(t-Bu)4). Dementsprechend bezeichnen wir Systeme, die eine höhere Elektronenzahl enthalten als nach diesen Regeln zu erwarten, als elektronenreich, und solche mit weniger Elektronen als elektronenarm. Beispiele hierfür sind die elektronenarmen Bor-Wasserstoff-Cluster (z. B. B12 H122K) und die elektronenreichen Schwefel-Stickstoff-Ketten, -Ringe oder -Käfige. Allgemein führt das Entfernen von Elektronen (d. h. eine Oxidation) zu einer geschlosseneren Struktur und umgekehrt das Hinzufügen von Elektronen (d. h. eine Reduktion) zu einer offeneren Struktur: Oxidation

S8 (Ring) $#$#% S82C (Bizyklus) Reduktion

P4 (Käfig) $###% P42K (Bizyklus, „Butterfly“-Struktur) Ganz analog können wir natürlich auch durch das Zufügen oder Entfernen von Atomen oder Ionen, die eine höhere oder niedrigere Valenzelektronenzahl besitzen, als es dem Durchschnitt der Ausgangsverbindung entspricht, zu offeneren oder geschlosseneren Strukturen gelangen: P4 (Käfig, 5 Elektronen.P-Atom) C 3 S (Ring, 6 Elektronen.S-Atom) $% P4S3 (offene Käfigstruktur)

112

1 Nichtmetalle

Ein guter Einblick in diese Thematik findet sich in der weiterführenden Literatur z. B. in den Büchern von Woollins (1988) und Klapötke und Tornieporth-Oetting (1994). Wir wollen uns in diesem Abschnitt aber weniger mit der systematischen Erarbeitung von Ketten-, Ring- und Käfig-Strukturen befassen als vielmehr einige moderne Aspekte dieses Gebiets beleuchten.

1.8.2 Element-Modifikationen am Beispiel Schwefel und Stickstoff Aufgrund der relativ hohen Stabilität von Einfachbindungen gegenüber Doppelbindungen bilden die Elemente der dritten und der höheren Perioden bevorzugt (aber keinesfalls ausschließlich, s. Abschnitt 1.9 und 1.10) Einfachbindungen aus, während zwischen Vertretern der zweiten Periode oft stabile Doppel- und Dreifachbindungen existieren. Allgemein bekannte Beispiele hierfür sind die Elementmodifikationen O2 und S8 sowie N2 und P4. Natürlich ist die Strukturvielfalt bei der Ausbildung von Doppel- und Dreifachbindungen stark eingeschränkt. So kennt man bisher nur zwei Sauerstoffmodifikationen, Disauerstoff (O2) und Ozon (O3), aber unzählige Schwefelmodifikationen. Noch drastischer sind die Verhältnisse in der 15. Gruppe. Stickstoff ist bislang lediglich als N2 bekannt (abgesehen von einer kubischen Hochdruckmodifikation, s. 1.8.2.3), während Phosphor in verschiedenen Modifikationen auftritt: weißer Phosphor (P4, kubisch oder hexagonal), schwarzer Phosphor (Pn, orthorhombisch, rhomboedrisch oder kubisch), roter Phosphor (Pn, amorph) und violetter Phosphor (Pn, monoklin). Somit sind bis heute innerhalb der Elemente O, S, N und P von Schwefel die meisten und von Stickstoff die wenigsten Modifikationen bekannt. Ob dies für immer so bleiben muss, wollen wir am Ende dieses Abschnitts diskutieren. Schließlich galten Graphit und Diamant über Jahre als die beiden einzigen, strukturell gut charakterisierten Modifikationen des Kohlenstoffs. Im Jahr 1996 wurde dann jedoch der Nobelpreis für Chemie für die Erforschung neuer KohlenstoffFormen wie C60 und verwandter Verbindungen verliehen, der Buckminsterfullerene (C60, C70, ... C266).

1.8.2.1 Die Modifikationen des Schwefels Die homocyclischen n-gliedrigen Schwefelringe stellen mit insgesamt 6n Valenzelektronen eine wichtige Klasse elektronenrichtiger Ringverbindungen dar. Ringgrößen von n Z 6 bis n Z 30 konnten bisher beobachtet und häufig auch in reiner Form isoliert werden (n Z 6, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 15, 18, 20). Durch die Einführung von Titanocenpentasulfid Cp2TiS5 in die Synthesechemie zur Darstellung von Sn-Ringen durch Schmidt und die konsequente Weiterentwicklung durch Steudel gelang die gezielte Darstellung von Sn-Ringen verschiedener Größe. Da das Cp2Ti-Fragment als isolobal zu CH2 bzw. S angesehen werden kann, ist auch Cp2TiS5 isolobal zu S6. Aufgrund der hohen TiKCl-Bindungsenergie ist auch leicht verständlich, dass Cp2TiS5 mit Schwefelchloriden unter Ausbildung von Titanocendichlorid und homocyclischen S-Ringen reagiert:

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

113

Abb. 1.62 Der Mechanismus der Isomerisierung von Schwefel-Homocyclen. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley aus J. D. Woollins, Non-Metal Rings, Cages and Clusters, Chichester 1988].

Cp2TiS5 C SnCl2 $% Cp2TiCl2 C S5Cn (n Z 1, 2, 3, ...) Alle Schwefel-Homocyclen wandeln sich innerhalb kurzer Zeit in das thermodynamisch stabile S8 um, wobei bei Zimmertemperatur der in Abb. 1.62 gezeigte Mechanismus der Dimerisierung und anschließenden Dissoziation am wahrscheinlichsten ist.

1.8.2.2 Die Modifikationen des Stickstoffs Wie bereits erwähnt, ist Distickstoff N2 die bei Normaldruck bisher einzige experimentell gesicherte Modifikation dieses Elements. Allerdings gelang kürzlich mithilfe der Neutralisations-Reionisations-Massenspektrometrie (NRMS) der Nachweis und die Charakterisierung von N4 (und auch O4) als metastabile Spezies, deren Lebensdauer in der isolierten Gasphase mehr als 1 µs (10K6 s) beträgt. In den letzten Jahren ist die theoretische und experimentelle Suche nach weiteren, energiereicheren Formen des Stickstoffs intensiviert worden. Neben rein theoretischem Interesse lockt besonders die Möglichkeit des Einsatzes von metastabilen Nx-Formen als hochenergetische Materialien, bei deren Zersetzung nichts weiter als heiße Luft (heißer Distickstoff) entstehen sollte. Allgemein zeigen Berechnungen, dass die Zersetzung hochenergetischer Formen von Stickstoff zu N2 Energien von über 10 kJ gK1 liefern sollte, was den derzeitigen Stand der Energiefreisetzung pro Gramm kondensierter Materie eines Treibstoffs oder Ex-

114

1 Nichtmetalle

plosivstoffs bei weitem übertrifft. Einige der Stickstoff-Formen, die wir im Folgenden betrachten möchten, wurden bereits als vibratorisch stabile, thermodynamisch metastabile Nx-Moleküle identifiziert. Besonderes Interesse verdient in diesem Zusammenhang das N6-Molekül, welches der Gegenstand der bisher intensivsten theoretischen Untersuchungen war. Das Stickstofftriazidmolekül N(N3)3 ist ebenfalls theoretisch untersucht worden und Versuche zu seiner Darstellung wurden unternommen; hierbei konnte allerdings lediglich die Freisetzung von fünf Äquivalenten N2 und großen Energiemengen beobachtet werden. Die sechs wichtigsten denkbaren Strukturen von N6 sind in Abb. 1.63 zusammengestellt. Tabelle 1.38 zeigt eine Gegenüberstellung der N6-Moleküle im Vergleich zu einigen bekannten, isoelektronischen organischen CH-Verbindungen.

Abb. 1.63 Die Strukturen sechs verschiedener N6-Isomere (1L6). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung der American Chemical Society aus J. Phys. Chem. 1992, 96, 10789].

Von den verschiedenen N6-Strukturen (1L6) haben fünf (1L5) klassische Analoga in der organischen Chemie, wobei aber nur die N6-Analoga 2, 3 und 4 stabile Minimumstrukturen repräsentieren. Die Diazid-Struktur 6 besitzt als einzige kein klassisches Analogon in der organischen Chemie: Sie ist ein Übergangszustand. Da nur die Isomere 2, 3 und 4 stabile Minima besitzen, wollen wir uns in der folgenden Diskussion auf sie beschränken. Struktur 3 besitzt eine bereits weitgehend vorgebildete N2-Einheit (N1dN2) und tiefergehende Studien zeigen, dass diese Verbindung daher kinetisch nicht genügend stabilisiert ist, um von praktischem Interesse sein zu können. Die relativen Energien von 2 und 4 liegen mit 1037 und 1384 kJ molK1 oberhalb der von N2. Diese Werte entsprechen spezifischen Energien von 14 und 19 kJ gK1. Solche Energien metastabiler Moleküle sind beachtenswert hoch, wenn man sich vor Augen führt, dass heute eingesetzte Hochleistungssprengstoffe typische Werte von 6 kJ gK1 besitzen.

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

115

Tabelle 1.38 Zusammenstellung von N6-Isomeren und ihrer isoelektronischen organischen CH-Verbindungen.a) N6-Formb)

Punktgruppe

Stabilität

rel. Energie (in kJ molK1)

CH-Analogon

Punktgruppe

1 2 3 4 5a 5b 6a 6b N2

D5h C2v C2v D3h C2h C2v C1 C2 DNh

instabil stabil stabil stabil Übergangszustand Übergangszustand Übergangszustand Übergangszustand stabil

899 1037 890 1384 1020 1041 769 769 0

Benzol Dewar-Benzol Benzvalene Prisman Bicyclopropen Bicyclopropen K K Acetylen

D5h C2v C2v D3h C2h C2v K K DNh

a)

Die Strukturen, Stabilitäten und relativen Energien der N6-Spezies basieren auf einer MP2 ab-initio-Rechnung (Møller-Plesset-Störungsrechnung 2. Ordnung). b) Die Nummern beziehen sich auf die in Abb. 1.63 gezeigten Strukturen.

Beide Moleküle, 2 und 4, besitzen darüber hinaus relativ hohe Werte für die niedrigstfrequente Normalschwingung, die um etwa 450 cmK1 liegen. Dieser Wert deutet darauf hin, dass die Strukturen dieser beiden Isomere relativ starr sind und die thermodynamisch sehr begünstigte Zerfallsreaktion (s.o.) zu N2 kinetisch (vibratorisch) eine signifikante Aktivierungsenergie besitzen sollte. Zusammenfassend können wir somit feststellen, dass die N6-Analoga zum DewarBenzol (2) und zum Prisman (4) von den betrachteten Strukturen die geeignetsten Kandidaten für reale hochenergetische Materialien darstellen sollten. Struktur 4 erscheint präparativ am erfolgversprechendsten, da die unimolekulare Dissoziation in drei N2-Moleküle symmetrieverboten ist (4 C 4 C 4) und eine erhebliche Aktivierungsenergie besitzen wird. Ebenfalls auf der Basis von quantenmechanischen Rechnungen konnte kürzlich gezeigt werden, dass Azidopentazol (9, Abb. 1.64) vermutlich das globale Minimum auf der N8-Energiehyperfläche darstellt. Azidopentazol besitzt eine signifikante Energiebarriere für die Ringschlussreaktion (9 $% 7), und man kann erwarten, dass es auch bezüglich einer Cycloreversion stabil ist. Damit ist Azidopentazol wahrscheinlich nicht nur das globale Minimum auf der N8-Energiehyperfläche, sondern sollte auch synthetisch ein realistisches Ziel sein. Wie könnte man also versuchen, Azidopentazol herzustellen? Der vermutlich erfolgversprechendste Weg könnte eine Umsetzung von Phenylpentazol (aus dem entsprechenden Diazonium-Salz und Azidionen) mit einer kovalenten Azidverbindung sein: NaNO2, HCl, 0 (C

K C6 H5dNH2 $#####% C6 H5dNC 2 Cl C K K C6H5dNC 2 Cl C AgPF6 $% C6 H5dN2 PF6 C AgCl K C6 H5dNC 2 PF6 C NaN3 $% C6 H5dN5 C NaPF6

C6 H5dN5 C RdN3 $% N5dN3 (9) C C6 H5dR

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1 Nichtmetalle

133 pm 139 pm 3 N8 120° N 128 pm 109° 170° 133 pm 103° N1 N5 115 pm 6 110° N N7 133 pm 134 pm 110° N2 9 N4 133 pm

Abb. 1.64 Die Strukturen von drei verschiedenen N8-Isomeren (7L9). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Chem. Ber., 1996, 129, 1157].

Tabelle 1.39 Zusammenstellung von N8-Isomeren.a) Isomer

Punktgruppe

Stabilität

rel. Energie .(kJ molK1)

Pentalen-Bizyklus (7) N8-Kette (8) Azidopentazol (9) N2

D2h Cs Cs DNh

stabil stabil stabil stabil

245.1 246.9 229.7 0.0

a)

Die Strukturen, Stabilitäten und relativen Energien basieren auf MP2 ab-initio-Rechnungen.

Die Strukturen und relativen Energien der drei wahrscheinlichsten N8-Isomere sind in Abb. 1.64 und Tabelle 1.39 zusammengestellt. Polystickstoffverbindungen sind nicht nur als Explosivstoffe, sondern auch als potentielle Raketentreibstoffe von größtem Interesse. Beispielsweise wurden für N4 (Td) ein spezifischer Impuls von 408 s und eine Brennkammertemperatur von 7500 K abgeschätzt (für N8 sogar ein Isp von 500 s). Da erfahrungsgemäß eine Steigerung des spezifischen Impulses um 20 s eine Verdoppelung der Nutzlast (engl. payload) mit sich bringt, wäre dies ein gewaltiger Fortschritt. Darüber hinaus sind Polystickstoffverbindungen aufgrund ihres signaturfreien Abbrands auch für taktische Raketen interessant. Das homocyclische NK 5 -Anion ist experi-

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

117

mentell bislang nur aus massenspektrometrischen Untersuchungen bekannt. Es könnte beispielsweise als ein zum Cyclopentadienylanion (C5HK 5 ) analoger Ligand wirken und kationische Metallzentren wie z. B. Fe2C stabilisieren, was zum bisher aus Experimenten unbekannten aber quantenchemisch vorhergesagten K Fe(N5)2 führen sollte. Der Zerfall des NK 5 -Anions zu N2 und N3 (Azid) ist mit K1 einer Reaktionenthalpie von K11 kcal mol bei einer Aktivierungsbarriere von 28 kcal molK1 nur schwach begünstigt: K NK ∆H( Z K11 kcal molK1 5 (g) $% N3 (g) C N2 (g)

Die Stabilität der N^N-Dreifachbindung Die hohe Bindungsenergie der N^N-Dreifachbindung ist dafür verantwortlich, dass alle stickstoffreichen und Polystickstoffverbindungen stark exotherm zu N2 zerfallen. Zwar ist es ein allgemeiner Trend, dass Doppelbindungen stabiler sind als Einfachbindungen (s. Abb. 1.65 oben), allerdings gibt erst die pro Zweielektronenbindung errechnete Bindungsenergie darüber Auskunft, ob eine Doppelbindung wirklich doppelt so stabil ist wie zwei Einfachbindungen (Abb. 1.65 unten). Aus diesem Vergleich sehen wir, dass beim Kohlenstoff Einfachbindungen gegenüber Doppel- oder Dreifachbindungen bevorzugt sind, während es beim

Abb. 1.65 Bindungsenergien (kcal molK1) für Einfach-, Doppel- und Dreifachbindungen (oben) und gemittelte Bindungsenergien pro Zweielektronenbindung (unten).

118

1 Nichtmetalle

Stickstoff genau umgekehrt ist. So kann Acetylen HdC^CdH exotherm zu Benzol trimerisieren, während N^N thermodynamisch nicht zu Nx (x Z 4, 6, 8) oligomerisieren wird. Die Gründe für die besondere Stabilität der N^N-Dreifachbindung (auch im Vergleich zum Kohlenstoff) können einerseits in der geringeren Größe des N-Atoms (bessere Überlappung) im Vergleich zum C-Atom gesehen werden (Kovalenzradien: N Z 0.70 Å, C Z 0.77 Å), andererseits in der unterschiedlichen Hybridisierung von N und C in N2 bzw. HCCH, wobei die NdN-σ-Bindung in N2 einen deutlich höheren s-Charakter besitzt als die CdCBindung in Acetylen: :N^N: HdC^CdH

σ(NdN) σ-LP(N) σ(CdC) σ(CdH) C H

64 % 34 % 49 % 45 % 100 %

s s s s s

36 % 66 % 51 % 55 %

p p p p

1.8.2.3 Hochdruck-Modifikationen des Stickstoffs In den letzten Jahrzehnten ist es gelungen, statische Drücke bei der Synthese und Untersuchung von Materialien um mehr als einen Faktor 50 zu steigern. Nun ist ein Druckbereich zugänglich, der noch vor einiger Zeit unvorstellbar war. Dieser Entwicklungsschub wurde durch den großen Fortschritt ermöglicht, den die Diamantzellentechnik gemacht hat. Der Druck im Zentrum der Erde beträgt etwa 350 000 bar Z 3 500 kbar Z 3.5 Mbar. Der höchste Druck, der bisher mit einer Diamantzelle erreicht wurde, liegt bei 5.5 Mbar. Es wird angenommen, dass der Höchstdruck, der mit dieser Technik erreichbar ist, etwa 7.5 Mbar beträgt. Bei diesem Druck beginnt die Metallisierung von Diamant, die mit einer großen Volumenabnahme verbunden ist, sodass dann die verwendeten Diamanten bersten. Die Änderung der inneren Energie U eines Stoffs hängt von den Zustandsvariablen Temperatur (T) und Druck (p) ab ∆U Z T $ ∆S K p $ ∆V wobei S die Entropie und V das Volumen bedeutet. Der temperaturabhängige Term T $ ∆S ist für Änderungen des Aggregatzustands wichtig, z. B. beim Schmelzen oder Verdampfen; der druckabhängige Term p $ ∆V ist jedoch bedeutender, weil der Druck viel stärker gesteigert werden kann als die Temperatur. Die folgende Tabelle fasst die Effekte für einen Stoff zusammen, der eine Volumenabnahme von ∆V Z 20 cm3.mol zeigt und bei dem der angelegte statische Druck von 5 000 bar über 50 000 bar bis zu 500 000 bar gesteigert wird: p . bar 5 000 50 000 500 000

p $ ∆V . (kcal molK1) 2 20 200

Effekte Zusammendrücken der Stoffe Verbiegen von Bindungen Erzeugen neuer Bindungen mit neuen elektronischen Zuständen

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

119

Das Anlegen statischer Drücke von 5 000 und 50 000 bar bewirkt relativ kleine Effekte wie das Zusammendrücken der Stoffe oder das Verbiegen von Bindungen. Diese Effekte können auch durch Veränderung der Temperatur bei einem Druck von 1 bar erzielt werden. Wenn der angelegte Druck jedoch 500 000 bar erreicht, treten völlig neue Erscheinungen auf: Alte Bindungen können aufgebrochen, neue Bindungen geknüpft und neue elektronische Zustände besetzt werden, die eine drastische Änderung der physikalischen Eigenschaften bewirken. Als Höhepunkt sollen die Ergebnisse der Höchstdruckforschung an Stickstoff erwähnt werden. Wegen seiner Dreifachbindung ist das Distickstoffmolekül N2 eines der stabilsten zweiatomigen Moleküle. Bei niedrigen Temperaturen und Drücken lässt sich Stickstoff kondensieren, aber dieser Feststoff enthält noch zweiatomige N2-Moleküle und ist ein Isolator mit einer großen Bandlücke. McMahan und LeSar haben 1985 vorausgesagt, dass die Dreifachbindung in molekularem Stickstoff unter höchstem Druck gebrochen werden kann, wobei ein Feststoff aus dreibindigen N-Atomen entstehen soll. Solche Strukturen existieren bei Normaldruck schon für die Elemente Phosphor, Arsen, Antimon und Bismuth. Der Transformationsdruck sollte für Stickstoff im Bereich zwischen 500 und 940 kbar liegen. Abschätzungen der Bindungsenergien ergeben für eine Einfachbindung etwa 38 kcal molK1 und für eine Dreifachbindung 226 kcal molK1. Das ergibt eine Differenz von 188 kcal.mol entsprechend dem Wert von 200 kcal molK1, der in der vorangestellten Tabelle in der letzten Zeile angegeben ist. Die Herstellung des dreibindigen Stickstoffs gelang 2004 Eremets et al. in einer Diamantzelle bei 1 150 000 bar und 2 000 K. Die kristallographischen Daten für dreibindigen Stickstoff sind: Gitterkonstante a Z 3.4542(9) Å, Raumgruppe: I 213, zZ8, Lage 8 i (x, x, x) mit x Z 0.067(1). Es ergibt sich eine Raumnetzstruktur aus dreibindigen N-Atomen. Der Bindungsabstand NdN bei 1.1 Mbar beträgt 1.346 Å, der Bindungswinkel NNN ist 108.8( (Abb. 1.66). Die Stickstoffatome bilden Schrauben dreibindiger Atome, die zu einem Raumnetz verbunden sind. Eine kristallchemische Vorstufe dieses dreibindigen Raumnetzes wurde bereits in der Zintl-Phase HD-BaSi2 von Evers et al. und in ND-SrSi2 gefunden.

Abb. 1.66 Einfach gebundener polymerer Stickstoff (kubische Form). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von J. Evers, http:..www.cup.uni-muenchen.de.ac.evers. index.html].

120

1 Nichtmetalle

1.8.3 Vom Käfig über einen pseudoaromatischen Ring zum Polymer: S4N4, S2N2, (SN)x 1.8.3.1 Das Tetraschwefeltetranitrid S4N4 Tetraschwefeltetranitrid, S4 N4, ist eine der am längsten bekannten Käfigverbindungen und wurde bereits im Jahre 1835 erstmals beschrieben (Abb. 1.67). Die stark endotherme Verbindung ist explosiv und thermochrom, wobei die Farbe von farblos (77 K) über leuchtend orange (298 K) bis rot (373 K) mit zunehmender Temperatur intensiver wird. Tabelle 1.40 zeigt eine Gegenüberstellung von Stickstoffmonoxid und den Chalkogennitriden S4N4 und Se4N4. Die Synthese von S4N4 erfolgt am besten ausgehend von einer SCl2.S2Cl2-Mischung und Ammoniak in Methylenchlorid und anschließende Umkristallisation aus Toluol. Der Reaktionsmechanismus ist sehr komplex und bis heute nicht vollständig aufgeklärt, kann aber grob durch die folgenden Reaktionsgleichungen beschrieben werden: 9 12 S2Cl2 C 24 NH3 $% 6 NSCl C 18 NH4Cl C S8 4 6 NSCl C 3 S2Cl2 $% 3 [S3 N2Cl]C[Cl]K C 3 SCl2 3 [S3 N2Cl]C[Cl]K C S2Cl2 $% 2 [S4 N3]C[Cl]K C 3 SCl2 2 [S4 N3]C[Cl]K C 4 SCl2 C 8 NH3 $% 2 S4 N4 C 6 NH4Cl C 2 S2Cl2 9 14 S2Cl2 C 32 NH3 $% 2 S4 N4 C 24 NH4Cl C S8 C 2 SCl2 4

Abb. 1.67 Die Molekülstrukturen von S4N4 und des [RdCSNSCdR]C-Kations in [RdCSNSCR] [AsF6] (R Z perfluoroalkyl-Gruppe). Tabelle 1.40 Gegenüberstellung von Stickstoffmonoxid und den Chalkogennitriden S4 N4 und Se4N4.

Punktgruppe Farbe (bei 25 (C) ∆fH ( . (in kJ molK1) d (XdN) . pm d (XdX) . pm d (X ··· X) . pm

NO

S4 N4

Se4 N4

CNv farblos 328 (für vier Mol NO) 115

D2d orange 460

D2d rot-orange O460

163 259 271

178 276 297

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

121

Tetraschwefeltetranitrid ist einer der wichtigsten Ausgangsstoffe in der SchwefelStickstoff-Chemie. Beispielsweise kann S4N4 durch Chlorierung leicht in das cyclische Trimer des Thionitrosylchlorids (NSCl)3 überführt werden, welches selbst ein wichtiger Ausgangsstoff zur Darstellung von Thionitrosylsalzen (SNC) ist. Letztere eignen sich besonders zur Synthese kationischer SdN-Spezies wie beispielsweise des planaren, 10-gliedrigen S5NC 5 -Ringsystems: 6 S4 N4 C 6 Cl2 $% 6 {S4 N4Cl2} $% 4 (NSCl)3 C 3 S4N4 (NSCl)3 C 3 AgAsF6 $% 3 [NS] [AsF6] C 3 AgCl S4 N4 C [NS] [AsF6] $% [S5 N5] [AsF6] Darüber hinaus gelingt durch die Oxidation von Tetraschwefeltetranitrid in Anwesenheit von elementarem Schwefel auch die Synthese des präparativ wichtigen S2NC-Kations, dessen Einsatz in Cycloadditionen bereits eine umfangreiche Synthesechemie eröffnet hat, wie exemplarisch die Reaktionen mit verschiedenen Perfluoroalkinen zeigen: 1 S4 N4 C S8 C 6 AsF5 $% 4 [S2 N] [AsF6] C 2 AsF3 2 [S2N] [AsF6] C RdC^CdR $% [RdCSNSCdR] [AsF6] (R Z perfluoroalkyl-Gruppe) Besonders interessant sind die Bindungsverhältnisse im Tetraschwefeltetranitrid. Es sind hierzu viele MO-Rechnungen durchgeführt worden, wobei die von Gleiter vorgeschlagene Vorgehensweise zumindest didaktisch immer noch die einfachste zu sein scheint. Wir gehen hierbei von einem planaren S4 N4-Ring in D4hSymmetrie aus und betrachten den Einfluss einer Verzerrung dieser Struktur in Richtung C4v (Krone) und D2d (Käfig) auf die energetische Lage der MOs. Abbildung 1.68 zeigt das π-MO-Schema eines hypothetischen S4N4-Moleküls in D4hSymmetrie. Wie wir sehen, würde diese Konformation mit 12 π-Elektronen einem Triplett-Grundzustand entsprechen. Für die C4v-Kronenstruktur würden wir ebenfalls einen Triplett-Grundzustand erwarten (Abb. 1.68). Eine Verzerrung in Richtung der experimentell beobachteten D2d-Symmetrie führt nun zu einer deutlichen Stabilisierung des a2u-Niveaus aufgrund der starken Wechselwirkung der Schwefel-3p-Orbitale. Als Folge resultiert ein Singulett-Grundzustand. Da bei Bindungslängen im Bereich von 250 bis 280 pm (Tabelle 1.40) eine Schwefel 3pK3p-Überlappung günstiger ist als eine Stickstoff 2pK2p-Überlappung, besetzen die Schwefelatome auch in der beobachteten D2d-Struktur die Tetraederpositionen oberhalb und unterhalb der quadratischen N4-Ebene (Abb. 1.68). Wenn wir nun die Strukturen von S4 N4 und Se4 N4 mit denen der verwandten Moleküle P4S4 und As4S4 vergleichen, so stellen wir fest, dass auch P4S4 und As4S4 eine D2d-Käfigstruktur besitzen, dass in diesen Fällen aber die Phosphor- und die Arsenatome die tetraedrischen Positionen oberhalb einer quadratischen S4Ebene besetzen. Dieser auf den ersten Blick überraschende Befund steht aber mit quantenmechanischen Rechnungen in Einklang, nach denen die Überlappungsintegrale für eine P(3pK3p)- und eine As(4pK4p) Wechselwirkung größer sind als für eine S(3pK3p)-Wechselwirkung.

122

1 Nichtmetalle

Abb. 1.68 Die MO-Schemata für das S4 N4-Molekül in C4v- (Krone), D4h- (planar) und D2d-Struktur (Käfig). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley aus J. D. Woollins, Non-Metal Rings, Cages and Clusters (1988)].

Abb. 1.69 Standard-Lewisstruktur und increased-valence-Struktur für S4 N4 (siehe Harcourt (1982)).

Die käfigartige D2d-Struktur von S4 N4 kann ebenso auf der Grundlage von VB-Überlegungen verstanden werden. Es wurde hierzu vorgeschlagen, dass jeweils ein freies Elektronenpaar am Stickstoff der Standard-Lewisstruktur A merklich in ein antibindendes SdS-σ*-Orbital delokalisiert wird (Abb. 1.69).

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

123

Hierdurch wird die SdS-Bindungsordnung deutlich unter den Wert für eine Einfachbindung gesenkt, wie sie noch in der Standard-Struktur A vorliegt. Falls nun diese Elektronen in die benachbarten, bindenden SdN-Orbitale delokalisiert werden, erhalten wir die increased-valence-Struktur B mit einer SdS-Bindungsordnung kleiner als eins. Diese Struktur (B) deutet an, dass die SdS-Bindungen deutlich länger und die SdN-Bindungen deutlich kürzer sein sollten als für typische Einfachbindungen zu erwarten, und genau dies konnte experimentell bestätigt werden (vgl. Tabelle 1.40). Die beobachteten SdS- und SdN-Bindungslängen sind 259 und 163 pm, während die Summe der Kovalenzradien (typische Einfachbindung) für SdS 208 pm und für SdN 174 pm ergibt. Die in B gezeigte Struktur entspricht einer Zwölfelektronenachtzentren-increased-valence-Struktur, die acht Stickstoff-π-Elektronen und vier SdS-σ-Elektronen enthält.

1.8.3.2 Das Dischwefeldinitrid S2N2 Dischwefeldinitrid S2N2 ist das kleinste bisher isolierte binäre SdN-Ringsystem. Das planar gebaute Molekül besitzt formal sechs π-Elektronen und zählt damit zu den pseudoaromatischen Verbindungen (s. u.). Die Synthese von S2N2 erfolgt durch gezielte Thermolyse von S4N4 in einem Quarzrohr-Reaktionsgefäß. Hierzu wird S4 N4 im Vakuum (0.005 Torr) auf 80 (C erwärmt, wobei das verdampfende S4 N4 dann durch auf 300 (C erhitzte Silberwolle geleitet wird. Das am Silberwolle-Kontakt gebildete S2N2-Thermolyseprodukt wird in zwei Kühlfallen bei tiefer Temperatur aufgefangen (K80 (C, K196 (C) und aus Diethylether umkristallisiert, wobei reines S2N2 in Form weißer Kristalle erhalten wird. Oberhalb von K30 (C kann die Verbindung spontan (z. T. explosionsartig) zu polymerem (SN)x polymerisieren. Aus den Ergebnissen einer Röntgenstrukturanalyse kann geschlossen werden, dass S2N2 eine planare D2h-Molekülstruktur mit vier gleichlangen SdN-Bindungen von 165 pm besitzt. Die Bindungsverhältnisse im (pseudo-)aromatischen S2N2-Vierringsystem sind intensiv untersucht und z. T. kontrovers diskutiert worden. Am einfachsten K wenn auch theoretisch sicher nicht ideal K ist es, von einem simplen HückelAnsatz auszugehen. Hierbei können wir, da das Ringsystem vollkommen planar gebaut ist, die σ- und π-MOs vollständig voneinander separieren und für die Analyse der π-Bindungsverhältnisse lediglich die π-MOs betrachten, die aus den vier Orbitalen mit pπ-Symmetrie entstehen. Ferner machen wir die Näherung, dass alle Sij Z 0 und ebenfalls alle Hij Z 0 sind, außer wenn das i-te und j-te πOrbital an direkt benachbarten Atomen lokalisiert sind. Allgemein erhalten wir nach der einfachen Hückel-Theorie für n-gliedrige Ringsysteme mit n Z 3 bis 8 die in Abb. 1.70 gezeigten π-MO-Diagramme. Auf dieser sehr vereinfachten Vorgehensweise aufbauend können wir nun, wie aus der organischen Chemie allgemein bekannt ist, auf das Vorliegen eines aromatischen Systeme schließen, wenn die folgenden Anforderungen erfüllt sind: 1. das Ringsystem ist: K homozyklisch K konjugiert und K planar gebaut;

124

1 Nichtmetalle

2. das Ringsystem besitzt (4n C 2) π-Elektronen (n Z 0, 1, 2, ...); 3. das energetisch tiefste bindende MO besitzt keine Knotenebene, die der πElektronendelokalisierung entgegen wirkt (d. h. in der Ebene der π-Bindung). Da sich die Zahl der π-Elektronen aus der Gesamtelektronenzahl (ggf. Ladung beachten!) abzüglich der Elektronen für das σ-Gerüst und je Ringatom einer exocyclischen Bindung (z. B. CdH im Fall des C6H6) oder eines exocyclischen freien Elektronenpaares (z. B. bei S2N2) ergibt, besitzt das S2N2-Molekül sechs 1 π-Elektronen, und man sollte nach Abb. 1.70 einen π-Bindungsgrad von ca. 4 erwarten, da das Molekül zwei bindende und 4 nichtbindende π-Elektronen besitzt. Tatsächlich entsprechen die gefundenen SdN-Bindungslängen mit 165 pm einem Gesamtbindungsgrad von größer als eins, denn die Summe der Kovalenz-

Abb. 1.70 Die π-MO-Diagramme für n-gliedrige Ringsysteme (n Z 3, 4, ... 8).

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

125

radien (174 pm) ist deutlich unterschritten. Da wir mithilfe der einfachen HückelTheorie die Kriterien für die Aromatizität an homonuklearen Ringsystemen abgeleitet haben (aromatische Kohlenwasserstoffe), wollen wir im Folgenden homonukleare Ringsysteme der höheren Perioden (z. B. P6) und heteronucleare Ringsysteme (S2N2), die formal die Kriterien für das Vorliegen von Aromatizität erfüllen, als pseudoaromatisch bezeichnen. Im Rahmen der qualitativen VB-Theorie können wir S2N2 als ein Molekül auffassen, bei dem die sechs π-Elektronen in einer Sechselektronenvierzentrenbindung über alle vier pπ-Orbitale delokalisiert sind. Die Ergebnisse von abinitio-VB-Berechnungen mit unpolaren SdN-σ-Bindungen wie auch semiempirische VB-Rechnungen, die jeweils zehn Lewis-Strukturen im Resonanzschema berücksichtigten, haben gezeigt, dass die in Abb. 1.71 dargestellten increased-valence-Strukturen die beste Beschreibung des Grundzustandes von S2N2 liefern.

Abb. 1.71 Increased-valence-Strukturen für S2N2 (siehe Harcourt (1982, 1998)).

Eine Untersuchung im Rahmen der spin-coupled-VB-Methode kommt zu dem etwas überraschenden Ergebnis, dass die Stickstoffatome volle negative und die Schwefelatome volle positive Ladungen tragen. Hiernach liegen vier NdS-σ-Bindungen vor und jedes Ringatom besitzt ein exozyklisches freies Elektronenpaar. Die verbleibenden sechs π-Elektronen teilen sich nun in zwei zusätzliche freie πElektronenpaare (eines an jedem Stickstoffatom) und zwei weitere einzelne πElektronen auf (je eines an jedem Schwefelatom). Die beiden π-Elektronen an den Schwefelatomen sind direkt durch den Ring gekoppelt, sodass das S2N2Molekül insgesamt den Charakter polymeren Schwefelnitrids besitzt (s. u.). Neuere quantitative VB-Rechnungen mit einem double-zeta D95 Basissatz zeigen allerdings ganz klar, dass die wichtigste einzelne Lewis-Struktur für das S2N2Molekül die Stickstoff-Singulett-Diradikalstruktur (I, Abb. 1.72) mit einem Hiberty-Gewicht von 0.47 ist. Die Tabellen 1.41 und 1.42 geben die berechneten und normierten Ci-Koeffizienten und Gewichte der zehn VB-Strukturen für S2N2 und im Vergleich dazu für S42Can. Wie aus beiden Tabellen klar hervorgeht, spiegeln die Mulliken-, Löwdin- und Hiberty-Gewichte einen ähnlichen Trend. Die Definition der Gewichte für die individuellen VB-Strukturen ergeben sich wie folgt: (a) Mulliken (Chirgwin-Coulson): Wi Z Σj Cj Ci Sij (wobei Ci und Cj die Koeffizienten der Wellenfunktionen für die VB-Strukturen i und j sind und Sij die Überlappungsintegrale der Wellenfunktionen dieser Strukturen), (b) Löwdin: Wi Z (C#i)2 wobei C#i der Koeffizient der orthonormierten Wellenfunktion für die Struktur i ist, (c) Hiberty: Wi Z Ci2 . Σ Ci2. Es soll an dieser Stelle noch angemerkt

126

1 Nichtmetalle

Tabelle 1.41 Normierte Koeffizienten ci und Gewichte (nach Mulliken, Löwdin und Hiberty) für S2N2. Struktur, i

Koeffizient ci

Mulliken-Gewicht Wi, M

Löwdin-Gewicht Wi, L

Hiberty-Gewicht Wi, H

I II III IV V VI VII VIII IX X

0.6758 0.2281 K0.3040 K0.3040 K0.3040 K0.3040 K0.1644 K0.1644 K0.0936 K0.0936

0.47 0.06 0.10 0.10 0.10 0.10 0.02 0.02 0.01 0.01

0.47 0.06 0.10 0.10 0.10 0.10 0.02 0.02 0.01 0.01

0.47 0.06 0.10 0.10 0.10 0.10 0.03 0.03 0.01 0.01

Tabelle 1.42 Normierte Koeffizienten ci und Gewichte (nach Mulliken, Löwdin und Hi2C berty) für S4 . Struktur, i

Koeffizient ci

Mulliken-Gewicht Wi, M

Löwdin-Gewicht Wi, L

Hiberty-Gewicht Wi, H

XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX

K0.4710 K0.4710 0.3390 0.3390 0.3390 0.3390 0.1192 0.1192 0.1192 0.1192

0.23 0.23 0.12 0.12 0.12 0.12 0.02 0.02 0.02 0.02

0.26 0.26 0.12 0.12 0.12 0.12 0.01 0.01 0.01 0.01

0.23 0.23 0.12 0.12 0.12 0.12 0.01 0.01 0.01 0.01

werden, dass auch die Hiberty-Gewichte indirekt die Größe des Überlappungsintegrals S berücksichtigen: ψ Z c 1 ψ1 C c2 ψ2 c12 C c22 C 2 c1 c2 S12 Z 1 c12 C c22 Z 1 K 2 c1 c2 S12 c12 w1 Z z c12(1 C 2 c1 c2 S12) 1K2 c1 c2 S12 Die berechneten Gewichte für S2N2 zeigen klar, dass die wichtigste einzelne Lewis-Struktur die Stickstoff-Singulett-Diradikalstruktur (oder Dewar- oder „longbond“-Struktur) I ist. Diese Struktur besitzt bei weitem größeres Gewicht als die andere Dewar-artige Struktur II, die die Schwefel-Singulett-Diradikalstruktur darstellt. Ebenso ist der Beitrag der vier zwitterionischen Lewis-Strukturen

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

127

Abb. 1.72 Singulett-Diradikalstrukturen (I und II), zwitterionische Kekulé-Strukturen (IIIKVI) und co-ionische Strukturen (VIIKX) für S2 N2 (siehe Fujimoto, Yokoyama (1980)).

Abb. 1.73 Singulett-Diradikalstrukturen (XI und XII), Kekulé-Strukturen (XIIIKXVI) 2C und co-ionische Strukturen (XVIIKXX) für S4 (siehe Harcourt, Skrezenek (1987)).

IIIKVI zum Resonanzschema des Grundzustands deutlich größer als das Gewicht von Struktur II. Die vier co-ionischen Strukturen VIIKX tragen alle relativ wenig bei, wobei die Strukturen VII und VIII mit je einer positiven und negativen Ladung auf den N-Atomen etwas wichtiger sind als die Strukturen IX und X mit jeweils zwei negativen N-Atomen und einem zweifach positiv geladenen S-Atom. Unter einer „co-ionischen“ Struktur versteht man im Gegensatz zu einer „ionischen“ Struktur eine solche, bei der formale Ladungstrennung, aber keine Separation in diskrete Ionen erfolgt. Bei einer „ionischen“ Resonanzstruktur liegen formal diskrete Ionen vor. Diese Ergebnisse stimmen auch gut mit unserem „chemischen Empfinden“ überein, da die Lewis-Struktur mit der maximalen An-

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1 Nichtmetalle

zahl von Bindungen und den geringsten formalen Ladungen die wichtigste ist. Allgemein können wir als „Faustregel“ festhalten, dass die wichtigste einzelne Lewis-Struktur wie folgt ermittelt werden kann (Priorität von oben nach unten): 1. Maximale Anzahl von Bindungen (I und II haben jeweils fünf (4 σ-, 1 π-) Bindungen), möglichst zwischen benachbarten Atomen; 2. minimale Anzahl von formalen Ladungen (formale Ladungen: I: 0, IIIKVI: 2, II: 4, VIIKVIII: 2, IXKX: 4; 3. gleichnamige formale Ladungen möglichst weit entfernt; unterschiedliche formale Ladungen möglichst an benachbarten Atomen. Beim S 42C-Kation besitzen die beiden Singulett-Diradikalstrukturen XI und XII (Abb. 1.73) die größten Gewichte (Tabelle 1.42). Die vier äquivalenten KekuléStrukturen XIIIKXVI mit jeweils einer π-Bindung zwischen benachbarten SAtomen tragen hier ebenfalls deutlich zum Resonanzschema des Grundzustands bei, während die vier co-ionischen Strukturen XVIIKXX relativ kleine Gewichte besitzen. Das S2N2-Molekül ist auch mithilfe von Dichtefunktionalrechnungen (DFT) untersucht worden. In Übereinstimmung mit den experimentellen Befunden sagen die DFT-Ergebnisse die folgende Reihenfolge für die Stabilität der Strukturen von S2N2 voraus: Kette ! Vierring mit SSNN-Anordnung ! Vierring mit alternierender SNSN-Anordnung.

1.8.3.3 Pseudoaromatische anorganische Ringsysteme Im vorangegangenen Abschnitt haben wir am Beispiel des Moleküls S2N2 einige Kriterien für das Vorliegen einer pseudoaromatischen Verbindung diskutiert. Tabelle 1.43 zeigt eine Zusammenstellung verschiedener neutraler anorganischer Moleküle sowie einiger Kationen und Anionen, die formal den Kriterien für das Vorliegen einer pseudoaromatischen Verbindung genügen. Eine sehr wichtige strukturelle Eigenschaft von aromatischen und pseudoaromatischen Verbindungen ist neben der Planarität das Auftreten von stets gleichen Bindungslängen. Dieser „Bindungslängenausgleich“ wird in vielen Lehrbüchern, zumindest für die Vertreter der zweiten Periode, häufig auf die π-Elektronende-

Tabelle 1.43 Einige pseudoaromatische anorganische Ringsysteme. π-Elektronenzahl

Ringgröße

neutrales Molekül

Kation

2 6 6 6 10 10 14

3 4 5 6 6 8 10

RB(NR)BR (R Z tert.-Bu) 2C S2 N2 S4 2C 2C S3 N2 , Se3 N2 N6, P6 2C

S4 N4 C S5 N 5

Anion K

NS2

K

S3 N3

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

129

lokalisierung zurückgeführt. Neuere Studien haben allerdings gezeigt, dass man bei einer solchen Argumentation sehr vorsichtig sein muss. Im Fall der typischsten aller aromatischen Verbindungen, des Benzols, konnte gezeigt werden, dass die π-Elektronendelokalisierung lediglich die Folge einer durch das σ-Gerüst aufgezwungenen Struktur ist und selbst keine treibende Kraft darstellt. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass die resultierende Struktur immer das Ergebnis der relativen Stärke von σ- und π-Trends ist. Im Fall des Benzols wird die energetisch ungünstige π-Elektronendelokalisierung durch den Energiegewinn bei der Ausbildung eines σ-Gerüsts mit sechs gleichlangen CdC-Bindungen erzwungen. Trotzdem können viele physikalische und chemische Eigenschaften des Benzols, die charakteristisch für seine Aromatizität sind, nur durch die π-Elektronendelokalisierung erklärt und verstanden werden. Allgemein scheint in der Chemie der zweiten Periode die Delokalisierung von π-Elektronen sehr selten die eigentliche treibende Kraft zu sein. Berücksichtigen wir darüber hinaus, dass bei σ- und πBindungen zwischen Vertretern der dritten und der höheren Perioden häufig die relative Stärke der σ-Bindungen und nicht die Schwäche von π-Bindungen für viele Trends verantwortlich ist, so erscheint es zumindest angezeigt, sich auch bei den pseudoaromatischen Verbindungen der höheren Perioden Gedanken über den Einfluss von Effekten des σ-Gerüsts und der Delokalisierung von π-Elektronen zu machen.

1.8.3.4 Aromatizität Wenn wir annehmen, dass die Delokalisierungsenergie, E (lokalisiert) K E (delokalisiert) für S2N2 und C6H6 proportional zur aromatischen Stabilisierungsenergie (ASE) ist, können wir auch mithilfe der quantitativen VB-Theorie das Ausmaß der aromatischen Stabilisierung in diesen beiden Molekülen berechnen. Auf der Grundlage der Strukturparameter für E (delokalisiert) können die Resonanzenergien wie folgt berechnet werden: E (III, VIII,X) K E (IKX) für S2N2 [r (SN) Z 1.642 Å] und E (Kekulé) K E (delokalisiert) für C6H6 [r (CdC) Z 1.39 Å]. Für C6H6 wurden alle kanonischen Lewis-Strukturen, die keine der folgenden Anordnungen enthielten, in die Rechnungen einbezogen: CCdCC, CKdC, CCdCCdCC und CKdCKdCK. Dies sind 15 Kekulé- und 55 delokalisierte Strukturen zur Berechnung von E (Kekulé) und E (delokalisiert). Auf dieser Basis erhält man Werte von 2.1 und 10.5 kcal molK1 für die Delokalisierungsenergien in S2 N2 und C6 H6. Wenn wir annehmen, dass die Resonanzenergie ein geeignetes Maß zur Abschätzung der Aromatizität ist, kann daraus geschlossen werden, dass S2 N2 schwach aromatisch ist.

1.8.3.5 Polymeres Schwefelnitrid (SN)x Polymeres Schwefelnitrid (SN)x kann durch Vakuumpyrolyse von S4N4 an Silberwolle bei 300 (C hergestellt werden (vgl. Abschnitt 1.8.3.2), wobei intermediär S2N2 gebildet wird, welches nur bei tiefer Temperatur stabil ist und über einen radikalischen Mechanismus zu (SN)x polymerisiert. Lässt man eine Probe von

130

1 Nichtmetalle

Abb. 1.74 Der Mechanismus der radikalischen Polymerisierung von S2 N2 zu (SN)x.

S2N2 langsam auf K10 (C erwärmen, so färbt sich der weiße Feststoff (S2N2) zuerst tiefblau (paramagnetisches Intermediat) und geht innerhalb von 2K3 Tagen schließlich in kristallines (SN)x über, das einen metallisch-goldenen Glanz besitzt. Der Mechanismus dieser Polymerisationsreaktion ist mithilfe der ESRSpektroskopie untersucht worden. Es ist anzunehmen, dass die zuerst gebildete blaue radikalische Zwischenstufe einer freien SN-Einheit entspricht, die durch SdN-Bindungsspaltung entsteht und dann ein weiteres, benachbartes S2N2-Molekül im Feststoff angreift. Abbildung 1.74 zeigt schematisch den radikalischen Mechanismus der Polymerisation. Hierbei fällt auf, dass nur geringe Änderungen der Bindungslängen und -winkel erfolgen, die Stabilität der Verbindung im Polymer aber ungleich viel höher ist als im monomeren S2N2-Molekül. Alternativ kann (SN)x auch unter Umgehung der explosiven Vorstufen S4 N4 und S2N2 aus (NSCl)3 erhalten werden, das wiederum aus Ammoniumchlorid, S2Cl2 und Trimethylsilylazid, Me3SiN3, darstellbar ist: 5 4 S2Cl2 C 2 NH4Cl $% [S3N2Cl]Cl C 8 HCl C S8 8 3 [S3N2Cl]Cl C 3 Cl2 $% 2 (NSCl)3 C 3 SCl2 3 1 1 (NSCl)3 C Me3SiN3 $% x (SN)x C N2 C Me3SiCl 3 2 Polymeres Schwefelnitrid besitzt eine Reihe ungewöhnlicher Eigenschaften. Es ist ein faserartiges Material, welches elektrische Leitfähigkeit entlang der Fasern (SN-Ketten) besitzt, senkrecht dazu aber ein Isolator ist. Wir bezeichnen diese Eigenschaft als anisotrope Leitfähigkeit: (SN)x ist also ein anisotroper Leiter. Darüber hinaus war (SN)x die erste Nichtmetallverbindung, bei der Supraleitfähigkeit nachgewiesen werden konnte. Allerdings liegt die Sprungtemperatur mit Tc z 0.3 K sehr niedrig, sodass keine praktische Anwendung nahe liegt. Interessant erscheint es aber, in diesem Zusammenhang die Suche nach weiteren Chalkogen-Nitrid-Polymeren zu erwähnen, wobei besonders die Einbeziehung des Elements Selen (evtl. auch Tellur) wichtig sein sollte.

1.8 Ketten, Ringe und Käfige

131

Abb. 1.75 Eine Standard-Lewisstruktur von (SN)x (C) und eine daraus durch π-Elektronendelokalisierung erzeugte increased-valence-Struktur E (siehe Harcourt (1982, 2000)).

Die Struktur von kristallinem (SN)x konnte mittels Röntgenbeugung aufgeklärt werden. Bemerkenswert ist das Auftreten starker S ··· S-Kontakte zwischen benachbarten SN-Strängen sowie das Vorliegen relativ kurzer SdN-Bindungen mit Längen von 159 und 165 pm, die etwa denen im S2N2 entsprechen, was auf deutlichen π-Bindungscharakter hinweist. Die eindimensionale Leitfähigkeit sowie die relativ kurzen SdN-Bindungen im (SN)x können auf der Basis qualitativer VB-Überlegungen verstanden werden (Abbildung 1.75). Das Polymer (SN)x besteht aus alternierenden SchwefelStickstoff-Ketten. Jedes S- und jedes N-Atom liefert zwei beziehungsweise ein π-Elektron, um damit eine Zweizentren-3π-Elektronen-Bindungseinheit innerhalb einer SN-Kette zu bilden. Für eine solche SN-Kette können wir Standard-Lewisstrukturen wie beispielsweise Struktur C angeben, aus der wir dann mittels Elektronendelokalisierung (wie in C angedeutet) über D die increasedvalence-Struktur E erzeugen können. Alternativ können wir Struktur E auch aus der long-bond-Struktur F ableiten, die keine formalen Ladungen besitzt, indem wir durch Delokalisierung nichtbindende Schwefelelektronen in benachbarte SdN-π-Bindungen bringen. Eine genauere Analyse zeigt, dass die increasedvalence-Struktur E bezüglich der SdN-π-Elektronen aus polymerisierten Pauling’schen Dreielektronenbindungen aufgebaut ist. Zusammenfassend können wir sagen, dass die increased-valence-Struktur E partiellen Doppelbindungscharakter für jede SdN-Bindung enthält, was mit den experimentell gefundenen SdN-Bindungslängen von 159 und 163 pm gut in Einklang steht. Ein Vergleich der Standard-Lewisstruktur C mit der increased-valence-Struktur E zeigt, dass die π-Elektronendelokalisierung durch eine möglichst hohe Elektronegativität des Elements der 15. Gruppe und eine möglichst relativ ge-

132

1 Nichtmetalle

ringe Elektronegativität des Elements der 16. Gruppe begünstigt sein sollte. Daher darf erwartet werden, dass die derzeit noch hypothetischen Polymere (SeN)x und (TeN)x eine noch höhere Leitfähigkeit und interessantere Materialeigenschaften als (SN)x aufweisen werden.

1.9 Verbindungen mit Elementen in niedrigen Koordinationszahlen und mit Mehrfachbindungen Allgemein kann man Verbindungen, in denen Elemente der dritten und der höheren Perioden an Doppelbindungen beteiligt sind, wie folgt klassifizieren: 1. Verbindungen der höheren Perioden (n O 2) mit npπKnpπ-Bindungen, die thermodynamisch instabil bezüglich einer Di-, Tri-, Oligo- oder Polymerisierung, aber durch große, sperrige Reste kinetisch stabilisiert sind. Beispiele hierfür sind die Diphosphene und die Disilene des Typs RP]PR und R2Si]SiR2 (R Z sperriger organischer Rest). Seit der Isolierung des ersten Diphosphens Mes*P]PMes* (Mes* Z Supermesityl) durch Yoshifuji et al. und des ersten Disilens Mes2Si]SiMes2 (Mes Z Mesityl) durch West et al. im Jahr 1981 ist die Chemie der kinetisch stabilisierten Verbindungen mit npπdnpπ-Bindungen der höheren Perioden (n O 2) intensiv bearbeitet worden. 2. Pseudoaromatische Ringverbindungen, die thermodynamisch (und kinetisch) stabil sind und formal einen π-Bindungsgrad zwischen null und eins [0 ! BO(π) ! 1] und damit eine Gesamtbindungsordnung BO größer eins besitzen [BO Z BO(σ) C BO(π)]. Beispiele hierfür sind die anorganischen Ringsysteme S2N2 und S42C (vgl. Abschnitt 1.8.3.3). Es ist interessant, an dieser Stelle anzumerken, dass das pseudoaromatische Dikation S42C (BO Z 1.25) tatsächlich stabil gegenüber einer Dimerisierung zum nur einfach gebundenen hypothetischen S84C (isovalenzelektronisch zum S4 N4, vgl. Abschnitt 1.8.3.1) ist, da sämtlich Versuche, ein S84C herzustellen, stattdessen in der Synthese von zwei Äquivalenten S 42C endeten: S8 C 3 AsF5 $% [S8]2C[AsF6]K 2 C AsF3 2C [S8]2C[AsF6]K [AsF6]K 2 C 3 AsF5 $% 2 [S4] 2 C AsF3

3. Durch π*-π*-Wechselwirkung stabilisierte, thermodynamisch (und kinetisch) stabile Systeme mit einem π-Bindungsgrad kleiner eins [0 ! BO(π) ! 1] und somit einer Gesamtbindungsordnung BO von größer eins [BO Z BO(σ) C BO(π)]. Beispiele hierfür sind die Kationen I 42C und S2I 42C. Anmerkung: Obwohl es sich um eine sogenannte „π*-π*-Wechselwirkung“ handelt, besitzt diese Sechselektronen-Vierzentrenbindung σ-, aber keinen π-Charakter. 4. Durch Koordination an Übergangsmetallfragmente stabilisierte Systeme wie beispielsweise Cp (CO)2Mn]Pb]Mn (CO)2 mit Cp Z η5-C5H5.

1.9 Verbindungen mit Elementen in niedrigen Koordinationszahlen

133

Wir wollen im Folgenden Verbindungen mit π-Bindungen innerhalb der höheren Perioden der 14. Gruppe etwas näher betrachten. Die geringere Stabilität von Verbindungen mit Doppelbindungen zwischen Elementen der dritten und der höheren Perioden wird häufig auf der Basis einer geringeren pπKpπ-Überlappung diskutiert, wobei das Überlappungsintegral SAB als Maß für die Überlappung angesehen werden kann: * SAB Z E ΨA ΨB d τ

Bereits 1951 konnte Mulliken zeigen, allerdings durch ab-initio-Rechnungen auf HF-Niveau (HF steht für Hartree-Fock), dass die für dE]Ed (E Z Element der zweiten Periode, z. B. C, N, O) berechnete π-Überlappung überraschenderweise kleiner ist als die für dX]Xd (X Z Element der dritten Periode, z. B. Si, P, S). Damit wird das oben genannte Argument entkräftet. Weitere Untersuchungen konnten zeigen, dass die höhere relative σ-Bindungsstärke in der 3. Periode und damit die größere Differenz zwischen der Stärke einer σ- und einer π-Bindung für die bevorzugte Bildung von σ-Bindungen verantwortlich ist. Die im Wesentlichen auf der Grundlage von ab-initio-Rechnungen ermittelte Reihenfolge für die relative Bindungsstärke von π- im Vergleich zu σ-Bindungen ist: O O N z C [ S O P O Si z Ge O Sn Wir sehen, dass die Doppelbindungen zwischen den schwereren Elementen der 14. Gruppe besonders schwach sind, oder, anders ausgedrückt, dass diese Elemente relativ starke σ-Bindungen untereinander ausbilden. Präparativ sind Disilene am einfachsten durch Photolyse oder Enthalogenierung zugänglich (Mes Z Mesityl). hν, 254nm, K196 (C

Photolyse: Mes2Si (SiMe3)2 ######% {Mes2Si} C Me3Si-SiMe3 2 {Mes2Si} $% Mes2Si]SiMes2 Ultraschall

Enthalogenierung: 2 Mes2 SiCl2 C 4 Li #$#$% Mes2Si]SiMes2 C 4 LiCl Interessant ist, dass die Bindungsverkürzung beim Übergang von Disilanen (z. B. Mes2HSidSiHMes2, d(SidSi) Z 236 pm) zu Disilenen (z. B. Mes2Si]SiMes2, d(Si]Si) Z 216 pm) etwa der Abnahme der CdC-Bindungslänge beim Übergang von Alkanen zu Alkenen entspricht, wobei die Rotationsbarriere bei den Disilenen um die Si]Si-Doppelbindung nur etwa 70 % des Wertes der vergleichbaren Alkene beträgt. Auf letzteren Effekt ist auch zurückzuführen, dass sich bei den Disilenen, im Gegensatz zu den Alkenen, die (Z)- und (E)-Stereoisomere bei Zimmertemperatur langsam ineinander umwandeln. Anders als die Alkene sind die Disilene in der Regel farbige Verbindungen. Die Absorption ist auf einen bei den Disilenen im sichtbaren Bereich liegenden 3pπK3pπ*-Übergang zurückzuführen, während die entsprechende 2pπK2pπ*-Absorption bei den Olefinen im Vakuum-UV-Bereich liegt. Die energetische Lage von HOMO (npπ) und LUMO (npπ*) (n Z 2, C; n Z 3, Si) ist in Abb. 1.76 dargestellt. Aus dem MODiagramm wird deutlich, dass Disilene zugleich elektronenärmer (niedrigeres LUMO) und elektronenreicher (höheres HOMO) sind als Alkene. Daher reagieren Disilene sowohl mit nucleophil als auch mit elektrophil angreifenden Reagen-

134

1 Nichtmetalle

Abb. 1.76 HOMO und LUMO in Alkenen und Disilenen und zugehörige optische Übergänge.

Abb. 1.77 Der Faltungswinkel α in R2E]ER2-Verbindungen (E Z Si, Ge, Sn, Pb).

zien und ebenso leicht mit Radikalen. In jüngerer Zeit sind viele theoretische Untersuchungen zu Strukturen und Energien von Verbindungen des Typs H2E]EH2 (E Z Si, Ge, Sn, Pb) publiziert worden. Darüber hinaus stehen neben den Disilenen auch viele weitere experimentell gut charakterisierte Verbindungen des Typs R2E]ER2 (E Z Si, Ge, Sn, Pb; R Z sperriger organischer Rest) zur Verfügung. Auf der Basis von experimentellen und theoretischen Ergebnissen konnte gezeigt werden, dass innerhalb der 14. Gruppe von oben (C, Si) nach unten ein Trend zum Übergang von planaren H2E]EH2-Strukturen zu transbent-H2E]EH2-Strukturen existiert. Während doppelt gebundener Kohlenstoff (C]C) in der Regel planar koordiniert ist, sind beim Silicium (Si]Si) sowohl planare als auch trans-bent-Strukturen bekannt. Hieraus können wir schließen, dass beim Silicium die beiden Strukturen energetisch nahe beieinander liegen. Für Germanium und Zinn (Ge]Ge, Sn]Sn) sind bisher nur trans-bent-Strukturen theoretisch vorhergesagt und experimentell beobachtet worden, wobei der Winkel α für Zinnverbindungen in der Regel größer ist als für die GermaniumAnaloga (Abb. 1.77). Quantenmechanische Rechnungen bestätigen diesen experimentell beobachteten Trend. Während Ethylen auf jedem angewandten Niveau planar ist, hängt die berechnete Struktur von Disilenen stark vom theoretischen Niveau und der Berücksichtigung der Elektronenkorrelation ab (vgl. Abschnitt 1.2.3). Ab-initioRechnungen auf hohem Niveau sagen schließlich für Disilen eine trans-bentStruktur voraus. Dagegen werden für Digermen und Distannen auf jedem theoretischen Niveau trans-bent-Strukturen vorhergesagt. Im Grundzustand sind Diger-

1.9 Verbindungen mit Elementen in niedrigen Koordinationszahlen

135

Tabelle 1.44 Berechnete und experimentell beobachtete Strukturparameter für R2E] ER2-Verbindungen. E, R

d (E]E) . pm

α.(

Methode

Ge, CH(SiMe3)2 Ge, H Ge, H Sn, CH(SiMe3)2 Sn, H

235 233 231 277 270

32 39 38 41 41

Röntgenbeugung ab-initio-CI-Rechnunga) ab-initio-HF-Rechnung Röntgenbeugung ab-initio-HF-Rechnung

a)

Configuration interaction.

men und Distannen stabile Singulettmoleküle, woraus wir schließen können, dass die manchmal für die trans-bent-Strukturen diese Verbindungen vorgebrachte Erklärung auf der Grundlage eines Diradikalcharakters nicht zutreffend ist (Tabelle 1.44). Die Singulett-Energiehyperflächen (s. Abschnitt 1.6.1.1) für alle H2E]EH2Vertreter der 14. Gruppe (E Z C, Si, Ge, Sn, Pb) sind theoretisch untersucht worden, wobei für Zinn und Blei auch relativistische Effekte berücksichtigt wurden. Außer beim Kohlenstoff besitzen sämtliche Verbindungen stabile Minima in der verbrückten Struktur (Tabelle 1.45), wobei wiederum in allen Fällen das trans-Isomer gegenüber der cis-Form um ca. 9 kJ molK1 begünstigt ist. Für Kohlenstoff ist die trans-verbrückte Struktur ein Sattelpunkt. Die planaren oder trans-bent-konfigurierten doppelt gebundenen H2E]EH2-Strukturen sind für alle Vertreter außer der Bleiverbindung stabile Minima, im Fall von H2Pb]PbH2 handelt es sich um einen Sattelpunkt. Die stabilsten Minima, die als globale Minima bezeichnet werden, sind im Fall der Silicium- und Germaniumverbindungen durch die trans-bent-Isomere gegeben (Tabelle 1.45). Im Gegensatz hierzu besitzen die Verbindungen H2Sn]SnH2 und H2Pb]PbH2 ihr globales Minimum in der verbrückten trans-Struktur (Tabelle 1.45). Tabelle 1.45 Berechnete relative Energien von H2E]EH2-Verbindungen (in kJ molK1).a) C2H4 1

b)

2 EH2 ( A1) H3EdEH verbrückte cis-Struktur, 1 (Abb. 1.78) verbrückte trans-Struktur, 2 (Abb. 1.78) trans-bent (Abb. 1.77)

C2v Cs C2v , cis C2h , trans C2h

H2E]EH2, planar

D2h

a)

803 331, SP 587 688, SP K 0, GM

Si2H4

Ge2H4

225 150 41, M 10, M 105, M 48, M 94, M 0, GM ca. 0, TS

38, M 0, GM 13, SP

Sn2H4

Pb2H4

139 29, M 10, M

120 73, M 8, M

0, GM

0, GM

38, M

100, TS

77, SP

183, SP

M Z Minimumstruktur, GM Z globales Minimum, SP Z Sattelpunkt, TS Z Übergangszustand (transition state). b) Tabelle 1.46 zeigt die Energiedifferenzen zwischen dem Singulett- und dem Triplettzustand von EH2-Molekülen (E Z C, Si, Ge, Sn, Pb).

136

1 Nichtmetalle

Tabelle 1.46 Energiedifferenzen zwischen dem Singulett- und dem Triplettzustand von EH2-Molekülen (E Z C, Si, Ge, Sn, Pb).a)

Grundzustand ∆EST . (kJ molK1) a)

CH2

SiH2

GeH2

SnH2

PbH2

3 B1 K59

1 A1 C70

1

1

1 A1 C145

A1 C91

A1 C104

Ein negatives Vorzeichen bedeutet einen tieferen Triplettzustand, ein positives Vorzeichen einen tieferen Singulettzustand.

Abb. 1.78 Verbrückte cis-(C2v , 1)- und trans-(C2h, 2)-Strukturen von H2E]EH2.

Überraschenderweise besitzt die Bleiverbindung in der trans-bent-Form weder ein globales noch ein lokales Minimum, sondern nur einen Übergangszustand. Dies bedeutet, dass ein Diplumben nicht existieren sollte und lediglich die verbrückte Form als stabil zu erwarten ist. Tatsächlich konnten experimentell die Komplexe [E(TeSi(SiMe3)3)3]2 (E Z Sn, Pb) dargestellt und strukturell charakterisiert werden. Beide Verbindungen besitzen wie erwartet verbrückte Strukturen. Die energetisch sehr nahe erwarteten trans-Strukturen konnten bisher nicht beobachtet werden. Allgemein kann man feststellen, dass die geometrische Koordination an der H2E]EH2-Doppelbindung durch den Grad an Orbitalmischung im H2E]EH2Molekül bestimmt wird. Zunehmendes Mischen der Orbitale führt zu stärkerer Pyramidisierung am Zentrum E und damit zur Ausbildung einer trans-bent-konfigurierten Doppelbindung. Das Ausmaß des Orbitalmischens und damit die Größe des Faltungswinkels α (Abb. 1.77) werden hierbei durch folgende Parameter bestimmt: 1. Die intrinsische π-σ*-Orbitallücke an der Doppelbindung. Man bezeichnet diese Energielücke als „intrinsisch“, weil sie im Wesentlichen durch die σ- und π-Bindungsstärke bestimmt wird; stärkere Doppelbindungen haben größere π-σ*-Energielücken. 2. Die Substitution mit stark elektronegativen Substituenten, die das Mischen der Orbitale begünstigt. Für Ethen, H2C]CH2, ist die intrinsische π-σ*-Energielücke so groß, dass kein Ligand in der Lage ist, ein starkes Mischen der Orbitale zu bewirken, wodurch eine trans-bent-Koordination der C]C-Doppelbindung begünstigt werden könnte. Dagegen sind die intrinsischen π-σ*-Energielücken der Disilene, Distannene und Diplumbene deutlich kleiner, sodass ein Mischen der Orbitale möglich wird. Hier bewirken stark elektronegative Liganden ein stärkeres Mischen der Orbitale und begünstigen somit einen größeren Faltungswinkel α. Im Fall der Germanium- und Zinnverbindungen wird die Destabilisierung der EdE-σ(ag)-Bindung in der trans-bent-Form durch die Stabilisierung des höchs-

1.9 Verbindungen mit Elementen in niedrigen Koordinationszahlen

137

ten besetzten π(bu)-Orbitals, das mit dem σ*-Orbital der EdE-Bindung wechselwirkt, annähernd kompensiert. Zusammenfassend können wir feststellen, dass das Ausmaß der Orbitalmischung und damit der Faltungswinkel α von der Energiedifferenz zwischen dem π(bu)- und dem EdE-σ*-Orbital abhängt, wobei dieser Abstand innerhalb der Gruppe vom Kohlenstoff zum Blei hin abnimmt. Dies bedeutet, dass die Stabilität der trans-bent-Form im Vergleich zur planaren H2E]EH2-Struktur und damit auch der Faltungswinkel α innerhalb der 14. Gruppe mit zunehmender Atommasse zunimmt. Dieser Effekt steht auch mit der zunehmenden Energiedifferenz zwischen der Singulett- und der Triplettform der EH2-Monomere im Einklang (vgl. Tabelle 1.46). Lediglich Carben, CH2, besitzt einen Triplett-Grundzustand (3B1), während SiH2, GeH2, SnH2 und PbH2 Singulett-Grundzustände mit 1A1Symmetrie besitzen, wobei die Energiedifferenz zwischen dem 1A1- und dem 3B1Zustand innerhalb der Gruppe von oben nach unten hin zunimmt: Si ! Ge ! Sn ! Pb. Die berechneten Dissoziationsenergien für die Dissoziation von H2E]EH2 in zwei EH2-Fragmente betragen etwa 220K240 kJ molK1 für E Z Si, 125K190 kJ molK1 für E Z Ge und 90K120 kJ molK1 für E Z Pb: H2E]EH2 $% 2 EH2 Eine der aufregendsten Entdeckungen im Bereich der Chemie niedrigkoordinierter Molekülverbindungen war sicher die der einfach überbrückten Struktur des Silicium-Analogons von Ethin, des H2Si2 (Abb. 1.79). Die in Abb. 1.79 gezeigte einfach überbrückte Gleichgewichtsstruktur A (lokales Minimum) liegt energetisch nur 45 kJ molK1 oberhalb der zweifach überbrückten Butterflystruktur B, die für dieses System das globale Minimum darstellt. Das H2Si2-Molekül ist auch deshalb von Bedeutung, weil es nicht nur theoretisch berechnet wurde, sondern auch experimentell mithilfe der Mikrowellenspektroskopie intensiv untersucht werden konnte.

Abb. 1.79 Einfach und zweifach überbrückte (Butterfly-) Strukturen von H2Si2 und Vinylidenstruktur von H2Ge2.

Das höhere Germanium-Homologe H2Ge2 ist ebenfalls eingehend theoretisch untersucht worden, allerdings liegen hier noch weniger experimentelle Befunde vor. Es kann angenommen werden, dass von H2Ge2 zwei verbrückte Isomere analog zu dem in Abb. 1.79 gezeigten Si-System existieren und zusätzlich noch eine weitere Vinylidenform, GedGeH2 C, wobei die doppelt überbrückte Struktur das globale Minimum ist, während die einfach überbrückte Form 37 kJ molK1 und die Vinylidenform 46 kJ molK1 höher liegen.

138

1 Nichtmetalle

1.10 Elektronendomänen und das VSEPR-Modell Seit vielen Jahren ist das VSEPR-Modell (Valenzschalen-Elektronenpaarabstoßung, engl. valence shell electron pair repulsion) eine nützliche Basis für das Verständnis und die Erklärung von Molekülstrukturen. Bereits in einführenden Lehrbüchern wie auch in spezialisierten Monographien ist dieses Thema ausführlich dargestellt. Allerdings wurde das VSEPR-Modell häufig als rein empirisches Modell ohne physikalische Grundlage oder als klassische elektrostatische Theorie betrachtet. Wir wollen im Folgenden versuchen, eine physikalische Begründung für das VSEPR-Modell zu erarbeiten und die Strukturen auch ungewöhnlicher Moleküle auf dieser Grundlage zu verstehen. Insbesondere wollen wir zeigen, dass das VSEPR-Modell im Pauli-Prinzip eine physikalische Begründung besitzt und dass die Domänenversion des VSEPR-Modells, die durch die Analyse der Gesamtelektronendichte eines Moleküls mittels Elektronendichtedeformationskarten wie auch des Laplaceoperators der Elektronendichte gestützt wird, eine natürliche Erweiterung des ursprünglichen VSEPR-Modells darstellt.

1.10.1 Das Pauli-Prinzip Mit dem Auftreten der vier Quantenzahlen n, [, m[ und ms allein können viele Phänomene nicht erklärt werden. Beispielsweise musste zur Erklärung der physikalischen Ununterscheidbarkeit der Elektronen, der Periodizität im Periodensystem der Elemente oder der Multiplettstruktur von Atomspektren ein fundamentales Prinzip aufgestellt werden, das Pauli-Prinzip (1924): Es kann in einem Atom nicht zwei (oder mehr) Elektronen geben, deren Zustand durch den gleichen Satz der vier Quantenzahlen n, [, m[ und ms charakterisiert ist. Diese historische Formulierung lässt sich verallgemeinern, was wir schrittweise tun wollen. Denken wir uns zunächst ein Zweielektronensystem, z. B. Helium. Für ein solches elektronisches System muss die Wellenfunktion antisymmetrisch bezüglich der Vertauschung der Koordinaten beider Elektronen sein: Ψ(x1, x2) Z KΨ (x2, x1) oder PΨ Z K1 Ψ Wenn wir die beiden Elektronen näherungsweise als unabhängig betrachten, so lässt sich die Wellenfunktion als Produkt zweier Einelektronenfunktionen darstellen: Ψ(x1, x2) Z φa (x1) · φb (x2) Wenn wir berücksichtigen, dass beide Elektronen ununterscheidbar sind, sich Elektron 2 also auch in φa bzw. Elektron 1 in φb „aufhalten“ kann, und dass die Wellenfunktion antisymmetrisch bezüglich der Vertauschung der Koordinaten beider Elektronen sein muss, so können wir folgende Wellenfunktion konstruieren, die diese Bedingung erfüllt: Ψ(x1, x2) Z φa (x1) · φb (x2) K φa (x2) · φb (x1)

1.10 Elektronendomänen und das VSEPR-Modell

139

Würden beide Elektronen den gleichen Satz von Quantenzahlen besitzen (das bedeutet a Z b), dann verschwände die Wellenfunktion, es wäre also Ψ(x1, x2) Z 0. Damit wird die Übereinstimmung mit der historischen Formulierung des PauliPrinzips deutlich: Ein solcher Zustand existiert nicht! Wir können die Aussage über die Symmetrieeigenschaft der Wellenfunktion für Elektronen auch auf andere Teilchen erweitern, denn die Symmetrieeigenschaft der Wellenfunktion hängt vom Spin des zu beschreibenden Teilchens [x Z (r, σ)] ab: Ψ(x1, x2 ..., xi, xj ... xk) Z GΨ (x1, x2 ..., xj, xi ... xk) Sämtliche Wellenfunktionen für Teilchen mit halbzahligem Spin (Fermi-Teilchen oder Fermionen) müssen antisymmetrisch bezüglich einer Vertauschung der Koordinaten zweier beliebiger Teilchen sein. Für Teilchen mit ganzzahligem Spin (BoseEinstein-Teilchen oder Bosonen) muss die Wellenfunktion symmetrisch bezüglich der Permutation der Koordinaten (Orts- und Spinkoordinaten) zweier Teilchen sein. Will man ein elektronisches System adäquat beschreiben, so hat sich zur Konstruktion einer antisymmetrischen Wellenfunktion die Determinantenschreibweise nach Slater durchgesetzt. Eine Slater-Determinante zur Beschreibung einer elektronischen Wellenfunktion ist eine formale Determinante, gebildet aus N (Anzahl der Elektronen) Spinorbitalen Ψ1 ... ΨN und multipliziert mit einem Normierungsfaktor:

-

Ψ1(x1 ) $ Ψ SD Z $ √N! $ ΨN (x1 ) 1

$ $ $ $

$ $ $

$ $ $ $

Ψ1(xN ) $ $ $ ΨN (xN )

-

Hierbei hat es sich bewährt, die Einelektronenfunktion (das Spinorbital) eines Elektrons als Produkt einer Ortsfunktion und einer Spinfunktion zu formulieren: Ψi (r, σ) Z Ψi (x) Z φi (r) · χ(σ) [Hierbei ist Ψi (x) ein Spinorbital, φi (r) die Ortsfunktion und χ(σ) die Spinfunktion mit α- oder β-Spin]. Das Pauli-Prinzip ist aufgrund der mathematischen Eigenschaften einer Determinante automatisch erfüllt: 1. Das Vertauschen zweier Elektronen K entspricht der Vertauschung zweier Spalten K hat zur Folge, dass sich das Vorzeichen der Determinante ändert. 2. Bei Doppelbesetzung eines Spinorbitals (wenn also zwei Elektronen den gleichen Satz von Quantenzahlen besitzen) hat die Determinante zwei gleiche Zeilen und ist somit null.

1.10.2 Elektronenpaardomänen Anschaulich wird die Bedeutung des Pauli-Prinzips für die Molekülgeometrie, wenn wir eine Valenzschale aus acht Elektronen (das Oktett) betrachten, wie sie

140

1 Nichtmetalle

bei vielen Atomen in ihren Molekülen vorliegt. In einer solchen Valenzschale sind vier Elektronen mit α-Spin und vier Elektronen mit β-Spin vorhanden. Als Konsequenz des Pauli-Prinzips besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die vier Elektronen mit α-Spin eine tetraedrische Anordnung einnehmen, sowie eine ebenso hohe Wahrscheinlichkeit, dass auch die vier Elektronen mit β-Spin tetraedrisch angeordnet sind (Abb. 1.80). Aus dem Pauli-Prinzip leitet sich kein Zusammenhang zwischen diesen beiden tetraedrischen Anordnungen ab. Allerdings verstärkt die elektrostatische Abstoßung nicht nur die tetraedrische Anordnung der beiden Sätze von Elektronen, sondern sie trägt auch dazu bei, dass die Tetraeder auseinandergehalten werden. In einem einzelnen Atom wie dem Neonatom gibt es keine äußere Kraft, die die freie Beweglichkeit der beiden Tetraeder einschränken würde, sodass insgesamt eine kugelsymmetrische Elektronendichteverteilung resultiert. In Verbindungen dagegen ziehen die positiven Atomrümpfe von einem oder mehreren Ligandenatomen die Elektronen in der Valenzschale des Zentralatoms an. Im Einklang mit dem Pauli-Prinzip kann ein solcher Atomrumpf zwei Elektronen mit entgegengesetztem Spin in der gleichen Region zusammenführen, wobei eine Bindung gebildet wird. Bei einem Zentralatom A mit einer tetraedrischen Anordnung von Elektronen mit α-Spin und einer tetraedrischen Anordnung von Elektronen mit β-Spin in der Valenzschale gelangen bei der Bildung von zwei AdX-Bindungen (X Z einfach gebundener Ligand) die Tetraeder der beiden Elektronensätze annähernd zur Deckung. Dadurch werden vier Elektronenpaare gebildet, zwei bindende und zwei freie Elektronenpaare (Abb. 1.80). Da sich die beiden freien Elektronenpaare nur im Feld des Kerns A befinden, werden sie sich etwas mehr ausbreiten als die beiden bindenden Elektronenpaare (Abb. 1.80).

Abb. 1.80 Wahrscheinlichste Anordnung für Elektronen mit (a) α- und (b) β-Spin in der (Oktett)-Valenzschale, (c) Anordnung der Elektronen mit α- und β-Spin in einem AH2Molekül (z. B. H2O). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1996, 108, 539.]

Eine Valenzschale mit vier Elektronenpaaren kann somit in vier Elektronenpaardomänen eingeteilt werden, d. h. in Bereiche, in denen die Aufenthaltswahrscheinlichkeit für ein Elektronenpaar hoch ist. Liegen mehr oder weniger als vier Elektronenpaare vor, so ordnen sich die Elektronenpaardomänen so an, wie man es nach dem klassischen VSEPR-Modell erwarten würde: 1. zwei Elektronenpaardomänen 0 linear, 2. drei Elektronenpaardomänen 0 trigonal planar, 3. vier Elektronenpaardomänen 0 tetraedrisch,

1.10 Elektronendomänen und das VSEPR-Modell

141

4. fünf Elektronenpaardomänen 0 in der Regel trigonal bipyramidal. Hier sind die beiden axialen und die drei äquatorialen Positionen nicht mehr äquivalent, und große Substituenten und freie Elektronenpaare (vgl. Abb. 1.81) werden die äquatorialen Positionen bevorzugen (wie in SF4), während kleine (H) und stark elektronegative Substituenten (F) die axialen Positionen einnehmen [wie in (CH3)2PF3]. 5. sechs Elektronenpaardomänen 0 oktaedrisch, 6. sieben Elektronenpaardomänen 0 in der Regel pentagonal bipyramidal. Hier sind die beiden axialen und die fünf äquatorialen Positionen nicht mehr äquivalent, und große Substituenten und freie Elektronenpaare (vgl. Abb. 1.81) werden die axialen Positionen bevorzugen (wie in XeFK 5 ), während kleine und stark elektronegative Substituenten (F) die äquatorialen Positionen einnehmen (wie in XeOFK 5 ).

K

Abb. 1.81 Molekülstrukturen von SF4, ClF3, XeF2 und XeF5 .

Im nächsten Abschnitt werden wir sehen, dass es wichtig ist, auch die Form der Elektronenpaardomänen zu berücksichtigen. Das ursprüngliche VSEPR-Modell beruhte im Wesentlichen darauf, dass die Valenzelektronenpaare, die als Punkte betrachtet wurden, so weit wie möglich voneinander entfernt angeordnet sind. Diese Formulierung führte manchmal zu dem Missverständnis, dass nur elektrostatische Abstoßung zwischen den Elektronen für den Abstand zwischen den Elektronenpaaren ursächlich sei. Die Formulierung des Modells mithilfe von Elektronenpaardomänen verdeutlicht aber, dass die Anordnung von Elektronenpaaren in größtmöglichem Abstand eine Konsequenz dreier wichtiger Prinzipien ist: 1. des Pauli-Prinzips, 2. der Elektron-Kern-Anziehung und 3. der Elektron-Elektron-Abstoßung. Wir haben bereits gelernt, dass Elektronenpaare mehr Raum benötigen als Einfachbindungen, und somit würden wir innerhalb der Reihe CH4, NH3, H2O mit einer kontinuierlichen Abnahme der HdAdH-Valenzwinkel (A Z C, N, O) rechnen, was auch experimentell bestätigt werden konnte: :(HdAdH): CH4 109.5(; NH3 107.3(; H2O 104.5(. In der ursprünglichen Form des VSEPR-Modells wurde postuliert, dass die Stärke der Abstoßung zwischen den Elektronenpaaren in folgender Reihenfolge abnimmt: freies.freies Elektronenpaar O freies.Bindungselektronenpaar O Bindungs-.Bindungselektronenpaar.

142

1 Nichtmetalle

Diese Annahme führt zu den gleichen Schlüssen bezüglich der Bindungswinkel wie das Domänenmodell, wenn sie auch nicht immer so einfach gezogen werden können. Wegen der geringeren Wahrscheinlichkeit, dass sich Elektronen mit gleichem Spin dicht beieinander aufhalten, vermeiden die Elektronenpaardomänen Überlappungen. In diesem Sinne kann man sagen, dass die Domänen sich gegenseitig abstoßen und dass größere Domänen andere Domänen stärker abstoßen als kleinere Domänen. An dieser Stelle sei der Leser aufgefordert, die Bindungswinkeldiskussion in Abschnitt 1.2.2 zu lesen. Die Vorteile des Domänenkonzepts gegenüber dem rein elektrostatischen Punktladungsmodell werden besonders deutlich bei fünffach koordinierten Molekülen des Typs AX4 E, AX3E2 und AX2E3. Es ist nun leichter zu verstehen, warum ein freies Elektronenpaar immer eine äquatoriale Position besetzen wird: Die äquatoriale Position bietet mehr Platz als eine axiale Position, da sie von zwei benachbarten axialen Positionen im Winkel von 90( und von zwei benachbarten äquatorialen Positionen etwas weiter entfernt im Winkel von 120( umgeben ist, wohingegen eine axiale Position drei nächste Nachbarn im 90(-Winkel besitzt. Da die Domänen der freien Elektronenpaare größer sind als die der Bindungsdomänen, besetzen sie immer die äquatorialen Positionen in diesen Molekülen. Daher besitzen AX4E-Moleküle wie SF4 immer bisphenoidale (Wippe), AX3E2-Moleküle wie ClF3 immer eine T-förmige und AX2E3-Moleküle wie XeF2 immer eine lineare Struktur (Abb. 1.81). K

Tabelle 1.47 Strukturparameter von SF4, ClF3, XeF2 und XeF5 . Molekül oder Ion

dax . pm

däq . pm

XYX

:(XYX) . (

SF4

164.6

154.5

ClF3

169.8

159.8

XeF2 K XeF5

197.7

FaxdSdFax FäqdSdFäq FaxdCldFax FaxdCldFäq FaxdXedFax FäqdXedFäq

173.1 101.6 175 87.5 180.0 72

198K203

Ein weiterer Vorteil des Domänenmodells liegt darin, dass es verständlich macht, wie die Domäne eines freien Elektronenpaars gerichtete, abstoßende Kräfte ausüben kann. Die Winkel zwischen den Domänen in der Äquatorebene von AX4E-, AX3E2- und AX2E3-Molekülen sind größer als die Winkel zwischen den axialen und den äquatorialen Domänen. Folglich verteilt sich die Domäne eines freien Elektronenpaars in einer äquatorialen Position auch mehr in äquatorialer als in axialer Richtung, sodass sie eine nicht zylindersymmetrische Form annimmt und ein großer äquatorialer Bindungswinkel stärker verzerrt wird als ein kleinerer Winkel zwischen axialer und äquatorialer Position (Tabelle 1.47). In analoger Weise können wir auch die Struktur des planaren XeFK 5 -Ions verstehen (Abb. 1.81). Obwohl die strukturell günstigste Anordnung von sieben Elektronendomänen nicht mit Sicherheit vorhergesagt werden kann, ist es dennoch sinnvoll anzunehmen, dass die Struktur des XeFK 5 -Ions analog zu den Strukturen der eng verwandten Moleküle IF7 und TeFK 7 ebenfalls von der pentagona-

1.10 Elektronendomänen und das VSEPR-Modell

143

len Bipyramide abgeleitet werden kann. In der pentagonal bipyramidalen Anordnung von sieben Elektronenpaardomänen in der Valenzschale ist in den beiden axialen Positionen, die 90(-Winkel mit ihren Nachbarn bilden, mehr Platz vorhanden als in den äquatorialen Positionen, die mit ihren Nachbarn zwei Winkel von 72( und zwei von 90( einschließen. Daher kann angenommen werden, dass die großen Domänen freier Elektronenpaare in einer pentagonal bipyramidalen Anordnung von sieben Elektronendomänen die axialen Positionen besetzen, was zu der beobachteten pentagonal planaren Struktur des XeFK 5 -Ions führt.

1.10.3 Mehrfachbindungsdomänen Doppelbindungen entstehen im VSEPR-Bild dadurch, dass sich zwei Atome zwei Elektronenpaare teilen, Dreifachbindungen werden aus drei Elektronenpaardomänen gebildet, die sich zwischen zwei Atomen befinden. Oft erweist es sich als günstig, bei Doppelbindungen die beiden Elektronenpaardomänen als so überlappend zu betrachten, dass sie eine Doppelbindungsdomäne bilden, die vier Elektronen enthält, und in der die beiden Paare nicht unterscheidbar sind. Die Gesamtelektronendichteverteilung zeigt einen elliptischen Querschnitt mit einem Maximum auf der CdC-Achse. In Abb. 1.82 ist die Anordnung der Einfach(S) und Doppelbindungsdomänen (D) in einem planaren Ethenmolekül gezeigt. Analog können die drei Elektronendomänen einer Dreifachbindung als eine Sechselektronen-Dreifachbindungsdomäne aufgefasst werden. Abbildung 1.82 zeigt ebenfalls die Anordnung der Einfach- (S) und Dreifachbindungsdomänen (T) in einem linearen Ethinmolekül. Interessante Beispiele dafür, dass es notwendig ist, die Form einer Mehrfachbindungsdomäne zu berücksichtigen, liefern die Moleküle OSF4 und H2CSF4 (Abb. 1.83). Hier bewirkt der hohe Raumbedarf der SdO- und SdC-Doppelbin-

Abb. 1.82 Einfach- (S) und Doppelbindungsdomänen (D) in einem planaren Ethenmolekül sowie Einfach- (S) und Dreifachbindungsdomänen (T) in einem linearen Ethinmolekül. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1996, 108, 539.]

Abb. 1.83 Die Molekülstrukturen von OSF4, H3CNSF4 und H2CSF4.

144

1 Nichtmetalle

dungsdomänen, verglichen mit dem Raumbedarf der SdF-Einfachbindungsdomänen, dass alle FdSdF-Winkel kleiner als die idealen Winkel von 120( bzw. 90( sind (Tabelle 1.48). Die CdS-Doppelbindungsdomäne wird durch die CH2Gruppe in eine gestreckte ellipsoide Form gezwungen, deren lange Achse senkrecht zu der Ebene steht, in der die CH2-Gruppe liegt. Um ihre Wechselwirkung mit den axialen SdF-Bindungsdomänen zu minimieren, liegt die Doppelbindungsdomäne in der äquatorialen Ebene, während die CH2-Gruppe senkrecht zu dieser Ebene steht, sodass der FäqdSdFäq-Winkel von 120( auf 96.4( abnimmt, während der FaxdSdFax-Winkel nur von 180( auf 170( verringert wird. Im Gegensatz dazu wird die SdO-Doppelbindungsdomäne in OSF4 nicht durch Bindungen am Sauerstoffatom in eine ellipsoide Form gedrängt, sodass sie nahezu zylindersymmetrische Gestalt besitzt. Aus diesem Grund beeinflusst die SdODoppelbindungsdomäne in OSF4 den FäqdSdFäq-Winkel, der von 120( auf 114.1( verringert ist, weit weniger als dies die CdS-Doppelbindungsdomäne in H2CSF4 tut, während sie einen größeren Einfluss auf den FaxdSdFax-Winkel hat, der auf 160.4( komprimiert ist. Strukturell befindet sich das H3CNSF4-Molekül mit einem freien Elektronenpaar am Stickstoffatom und einem einfach gebundenen Substituenten genau zwischen den beiden Extremfällen OSF4 und H2CSF4 (Abb. 1.83). Die hinsichtlich der Formen der SdO- und der SdC-Doppelbindungsdomänen gewonnenen Erkenntnisse werden durch eine Analyse des Laplaceoperators der Elektronendichte dieser Moleküle eindrucksvoll bestätigt (s. Abschnitt 1.10.4). Tabelle 1.48 Strukturparameter für Moleküle des Typs X]SF4 (X Z O, H3CdN, H2C). Molekül oder Ion

:(FaxdSdFax) . (

:(FäqdSdFäq) . (

:(FaxdSdX) . (

O]SF4 H3CN]SF4 H2C]SF4

160.4 168.0 170.0

114.1 99.8 96.4

99. 98.0 und 94.0 95.0

1.10.4 Die Elektronendichte und die Laplaceverteilung Das in den vorangegangenen Abschnitten diskutierte Elektronendomänenmodell ist natürlich eine grobe Näherung zur Beschreibung der Elektronendichteverteilung in einem Molekül. Aus ab-initio-Rechnungen und zunehmend auch aus sehr präzisen Röntgenuntersuchungen bei tiefer Temperatur können heute jedoch immer mehr und genauere quantitative Informationen über die Elektronenverteilung in Molekülen gewonnen werden. Leider liefert die Gesamtelektronendichteverteilung nur wenig Informationen, die für die Diskussion der chemischen Bindung von Interesse wären. Dies gilt besonders für Verbindungen mit schweren (elektronenreichen) Elementen, da ja vorwiegend die Valenzelektronen an der chemischen Bindung beteiligt sind. Im Wesentlichen gibt es zwei Methoden, die Elektronendichteverteilung so zu analysieren, dass daraus auf lokalisierte bin-

1.10 Elektronendomänen und das VSEPR-Modell

145

dende und nichtbindende Elektronenpaare geschlossen und somit das Konzept der lokalisierten Elektronenpaare gestützt werden kann: 1. Die Berechnung von Deformationsdichtekarten. 2. Die Analyse der Gesamtelektronendichte mithilfe des Laplaceoperators. Im Folgenden wollen wir bezüglich der Deformationsdichtekarten nur erwähnen, dass man sie berechnet, indem man von der experimentell ermittelten oder berechneten Gesamtelektronendichte eines Moleküls die Elektronendichte eines fiktiven „Prämoleküls“ subtrahiert, das dieselbe Struktur besitzt wie das betrachtete Molekül, aber aus kugelförmigen Atomen mit ihrer atomaren Elektronendichte aufgebaut ist. Eine solche Deformationselektronendichtekarte zeigt dann Konzentrationen von Elektronendichte in bindenden Bereichen und in Bereichen, die freien Elektronenpaaren zugeordnet werden können, und spiegelt somit die Domänen der bindenden und freien Elektronenpaare wider. Bader et al. konnten zeigen, dass die Gesamtelektronendichte eines Moleküls durch Anwendung des Laplaceoperators V2 auf die Elektronendichte ρ analysiert werden kann: 2

V ρZ

∂ 2ρ ∂x 2

C

∂ 2ρ ∂y 2

C

∂ 2ρ ∂z 2

Die Laplacefunktion hat gegenüber der Gesamtelektronendichte den Vorteil, dass kleine Änderungen in der Elektronendichte deutlicher hervortreten und geringe lokale Konzentrationen, die in der Gesamtelektronendichteverteilung kaum auffallen, „sichtbar“ gemacht werden. Diesen Effekt können wir uns am besten anhand der mathematischen Eigenschaften einer allgemeinen Funktion V2f (x, y, z) veranschaulichen. Die Anwendung des Laplaceoperators V2 auf eine beliebige Funktion f (x, y, z), geschrieben als V2f (x, y, z), liefert die Summe der zweiten Ableitungen dieser Funktion nach x, y und z. Um anschaulich verstehen zu können, wie der Laplaceoperator Eigenschaften der Elektronendichteverteilung eines Moleküls hervorhebt, die nicht schon in der Gesamtelektronendichte offensichtlich werden, betrachten wir die eindimensionale Funktion: f (x) Z 8 exp{K7x} C exp{K10(xK0.5)2} In Abb. 1.84 ist (a) diese Funktion, (b) ihre erste Ableitung f#(x), (c) ihre zweite Ableitung f$(x) und (d) das Negative ihrer zweiten Ableitung Kf$(x) gezeigt. Die Funktion f (x) könnte beispielsweise das Radialverhalten der Elektronendichte eines Atoms beschreiben. Die erste Ableitung der Funktion ist für alle Werte von x negativ, was das Fehlen von Maxima in der Funktion f (x) anzeigt. Sie hat aber einen Wendepunkt bei x1. An diesem Punkt besitzt die zweite Ableitung ein ausgeprägtes Minimum, daher zeigt Kf$ (x) an dieser Stelle ein Maximum. Die Schulter in der Ausgangsfunktion f (x) bei x1 tritt also in der Funktion Kf$(x) viel deutlicher in Erscheinung. Falls diese Funktion das Radialverhalten der Elektronendichte beschreiben würde, könnten wir sofort sagen, dass die Elektronendichte in radialer Richtung lokal konzentriert ist. Gehen wir nun zum dreidimensionalen, realen Fall des Argonatoms über und betrachten die Gesamtelektronendichte in einem freien Ar-Atom mit zunehmendem

146

1 Nichtmetalle

Abb. 1.84 (a) Die Funktion f (x) Z 8 exp{K7x} C exp{K10(xK0.5)2}, (b) ihre erste Ableitung f#(x), (c) ihre zweite Ableitung f$(x) und (d) das Negative ihrer zweiten Ableitung Kf$(x). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1996, 108, 539.]

Abb. 1.85 (a) Darstellung der Elektronendichte ρ in einer Ebene durch den Kern des Argonatoms; (b) Darstellung der Wirkung des Laplaceoperators auf die Elektronendichte in derselben Ebene wie unter (a). [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von WileyVCH aus Angew. Chem. 1996, 108, 539.]

Abstand vom Atomkern (Abb. 1.85). Wie wir sehen, treten keine Minima und Maxima in der Gesamtelektronendichte auf, die auf eine Schalenstruktur der Elektronendichte hinweisen könnten. Nach Anwendung des Laplaceoperators sind die Elektronenschalen dagegen deutlich als lokale Konzentration von Elektronendichte in Form kugelförmiger Schalen erkennbar, wobei diese Schalen jeweils von kugelförmigen Bereichen verminderter Elektronendichte umgeben sind (Abb. 1.85). Betrachten wir nun abschließend noch die drei bereits in Abschnitt 1.10.3 diskutierten Moleküle mit Doppelbindungs-Elektronenpaardomänen, OSF4, HNSF4 und H2CSF4. Aus Abb. 1.86 können wir klar erkennen, dass der Laplaceoperator eine Bestätigung der zunehmend ellipsoid geformten Doppelbindungsdomänen in der Reihe der Moleküle OSF4, HNSF4 (der Einfachheit halber betrachten wir hier die NdH- anstatt der NdCH3-Verbindung) und H2CSF4 liefert, was wir bereits auf der Basis des qualitativen VSEPR-Modells diskutiert hatten. Die Anwendung des Laplaceoperators auf die Elektronendichte liefert somit einen Beweis dafür, dass die Domänenversion des VSEPR-Modells auf einer realen

1.10 Elektronendomänen und das VSEPR-Modell

147

Abb. 1.86 Konturliniendiagramme der Elektronendichte ρ (oben) und der Funktion KV2ρ (unten) in der Ebene senkrecht zur Bindungsachse und durch das Maximum von KV2ρ für die Doppelbindungen in OSF4, HNSF4 und H2CSF4. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH, Weinheim aus Angew. Chem. 1996, 108, 539.]

physikalischen Grundlage beruht, die letzten Endes quantenmechanisch auf das Pauli-Prinzip zurückgeht (vgl. Abschnitt 1.10.1). Obwohl die Elektronen nicht so stark zu Paaren lokalisiert sind, wie man es sich nach dem Domänenmodell vorstellen würde, gibt es lokale Konzentrationen von Elektronendichte, die bindenden und freien Elektronenpaardomänen entsprechen und auch die gleichen Eigenschaften und relativen Größen wie diese Domänen haben.

1.10.5 Die Halogenide der Erdalkalimetalle Generell zeigt sich bei den Erdalkalimetalldihalogeniden der allgemeine Trend, dass sowohl d-Orbitalbeteiligung als auch Rumpfpolarisation (core-Polarisation) wesentlich zur Abwinkelung dieser Moleküle beitragen. Tabelle 1.49 stellt für die Dihalogenide von Calcium, Strontium und Barium die ab initio berechneten und experimentell gefundenen Bindungswinkel zusammen. Die Ergebnisse aus Tabelle 1.49 zeigen deutlich, dass BaF2, BaCl2, SrF2 und auch BaBr2 stark gewinkelt sind. Im Gegensatz hierzu sind BaI2, SrCl2, SrBr2 und CaF2 linear beziehungsweise nur schwach gewinkelt. Für solche Moleküle können die Bindungswinkel selbst auf hohem theoretischen Niveau bisher nicht exakt vorhergesagt werden. CaCl2, CaBr2, CaI2 und SrI2 werden auf allen angewendeten theoretischen Niveaus linear vorhergesagt. Offensichtlich scheint in den oben betrachteten MX2-Erdalkalimetalldihalogeniden sowohl die Polarisierbarkeit des Zentralatoms (Rumpfpolarisation und d-

148

1 Nichtmetalle

Tabelle 1.49 XdMdX-Bindungswinkel (in () für die Erdalkalimetalldihalogenide CaX2, SrX2 und BaX2 (X Z F, Cl, Br, I). Methode

X

:(XdCadX)

:(XdSrdX)

:(XdBadX)

ab-initio-Rechnung a)

F Cl Br I F Cl Br I

157.5 180.0 180.0 180.0 142 180 180 180

138.8 159.5 164.2 180.0 108 (?) 120 (20) 180 180

123.0 141.4 142.9 152.0 95 (?) 100 (20) 150 (30) 170 (?)

Experiment b)

a) b)

ab-initio-Rechnung auf SDCI(Q).5d1f-Niveau. (?): nicht gesicherte Werte; Standardabweichung in Klammern.

Orbitalbeteiligung) als auch die „Härte“ des Liganden eine entscheidende Rolle bei der Bildung gewinkelter Strukturen zu spielen. Bei einer weitergehenden Quantifizierung können wir darüber hinaus von der engen Beziehung zwischen der Polarisierbarkeit und der „Weichheit“ σ eines Atoms Gebrauch machen. Die Weichheit σ eines Atoms (seine reziproke Härte, σ Z 1 . η) ist als σ Z 2 . (Iv K Av) definiert [Iv und Av in eV], wobei Iv und Av die Ionisierungsenergien und Elektronenaffinitäten des Valenzzustandes sind. Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass für ABC-Doppeloktettmoleküle dann eine Abwinklung erfolgt, wenn das Zentralatom weich ist und die Liganden große Ladungsdichte nahe dem Zentralatom konzentrieren können. Somit ist die Differenz zwischen der Weichheit des Zentralatoms und derjenigen der Liganden ein geeignetes Maß für die Vorhersage der Struktur dreiatomiger AB2-Doppeloktettmoleküle in der Gasphase. AB2-Doppeloktettmoleküle sind gewinkelt, wenn gilt: σA K σB O 0.290 eVK1 In Tabelle 1.50 sind die σ-Werte einiger Hauptgruppenatome zusammengestellt. Wir können somit vorhersagen, dass CaFCl, SrFCl, SrFBr, SrFI, SrFAt, SrClBr, Tabelle 1.50 Weichheit σ Z 2 . (Iv K Av) für AB2-Moleküle (in eVK1). A

Be

Mg

Ca

Sr

Ba

Ra

σ A σ

0.304 C 0.171

0.380 Si 0.251

0.446 Ge 0.239

0.480 Sn 0.345

0.509 Pb 0.314

0.542 N 0.150

B σ B σ

F 0.114 O 0.130

Cl 0.175 S 0.198

Br 0.196 Se 0.213

I 0.216 Te 0.237

At 0.20 N 0.154

1.10 Elektronendomänen und das VSEPR-Modell

149

Abb. 1.87 Eine einfache Darstellung des Gradientenvektorfeldes für CO mit der IAS (zero-flux surface) 1 und einer beliebigen Fläche 2. An jedem Punkt auf der IAS ist die Senkrechte zur IAS auch senkrecht zum Gradientenvektor Vρ (dies gilt nicht für die Fläche 2).

BaAt2, BaXX#, RaX2 und RaXX# in der Gasphase gewinkelte Strukturen besitzen sollten. CaFBr und SrClAt sind Grenzfälle, und SrClI und XSnN sollten linear sein. Es zeigt sich allgemein, dass die Laplaceverteilung (s. Abschnitt 1.10.3) für die Metall-Zentralatome in jedem der gewinkelten Moleküle beweist, dass die äußere Schale der Elektronenhülle durch das polarisierende Feld der Liganden so stark verzerrt wird, dass vier etwa tetraedrisch ausgerichtete Bereiche lokalisierter Ladungskonzentration entstehen (Abb. 1.88). Tabelle 1.51 enthält die berechneten Atomladungen sowie die Werte für die Elektronendichte ρ und die Laplaceverteilung V2ρ jeweils für den bindungskritischen Punkt (engl. bond critical point) zusammen mit den jeweiligen Abständen r (M) vom betreffenden Metallkern. Unter dem bindungskritischen Punkt versteht man den Schnittpunkt des Bindungspfads mit der zero-flux-Hyperfläche. Bei der zero-flux-Hyperfläche handelt es sich um die interatomare Fläche (IAS), bei der für jeden Punkt für den Vektor n, der senkrecht zu dieser Fläche steht, gilt, dass er auch senkrecht zum Gradientenvektor Vρ steht (Abb. 1.87): n t IAS, n t Vρ und n Vρ Z 0 Die niedrigen Werte von ρ sowie die positiven Werte von V2ρ zusammen mit den „ionischen“ Daten für die Radien stimmen alle mit dem Bild überein, dass die Metall-Ligand-Wechselwirkung von einem Ladungstransfer dominiert wird, der etwa der Übertragung von zwei Elementarladungen jeweils in einem der beiden atomaren Bereiche entspricht. Dieses Verhalten entspricht entweder einer closedshell-Spezies oder im anderen Bild einer ionischen Wechselwirkung. Somit kann

150

1 Nichtmetalle

Abb. 1.88 Laplaceverteilung V2ρ in der Ebene der Atomkerne für (a) SrF2 und (b) BaH2; Minimumstrukturen mit 138( bzw. 116( Bindungswinkel. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung der American Chemical Society aus Inorg. Chem. 1995, 34, 2407.]

Tabelle 1.51 Metall (M)-Ligand (L)-Daten am bindungskritischen Punkt und atomare Ladungen q. Molekül

r (MKL) . pm ρ

V2ρ

r (M) Å

q (M) . e

q (L) . e

MgF2 CaF2 CaH2 SrF2 SrH2 BaF2 BaH2

333.3 385.7 383.6 407.3 410.8 430.5 431.1

0.7381 0.4728 0.1202 0.4000 0.0896 0.3214 0.0669

1.826 1.982 2.215 2.162 2.446 2.358 2.652

C1.760 C1.778 C1.670 C1.806 C1.656 C1.798 C1.594

K0.880 K0.889 K0.835 K0.903 K0.828 K0.899 K0.797

0.0730 0.0730 0.0466 0.0695 0.0445 0.0671 0.0481

auch in diesem Bild die gewinkelte Struktur solcher Moleküle auf der Basis einer Wechselwirkung zwischen einem verzerrten Elektronenrumpf und den Liganden verstanden werden. Im Gegensatz hierzu zeigt die Verzerrung der Elektronendichte im MgF2 nur zwei Ladungskonzentrationen, wovon jeweils eine mit einer der beiden MgdF-Bindungen assoziiert werden kann (Abb. 1.89). Dies erklärt auch in diesem Fall die lineare Struktur von Magnesiumdifluorid. Häufig wird der VSEPR-Theorie vorgeworfen, dass sie die Strukturen von vielen Verbindungen, die Metallatome enthalten (z. B. BaF2), nicht richtig vorhersagt. Dies ist aber nur begrenzt richtig, weil man das einfachste elektrostatische Modell anwendet, das immer von einem sphärischen Potential der Rumpfelektronen ausgeht. Neuere Arbeiten haben jedoch gezeigt, dass es wichtig ist, zwischen Molekülen zu unterscheiden, die nur Nichtmetallatome enthalten, und solchen, die auch aus Metallatomen bestehen. Der wesentliche Unterschied ist, dass die Rumpfelektronen von Metallatomen oft kein sphärisches Potential besitzen und somit auch nach dem erweiterten VSEPR-Konzept direkten Einfluss auf die Anordnung der das Metallatom umgebenden Liganden haben. Nichtmetallatome besitzen dagegen fast immer ein sphärisches Rumpfelektronenpotential.

1.11 Struktur und Energie

151

Abb. 1.89 Laplaceverteilung V2ρ in der Ebene der Atomkerne für MgF2; Minimumstruktur mit 180( Bindungswinkel. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung der American Chemical Society aus Inorg. Chem. 1995, 34, 2407.]

Allgemein kann man sagen, dass die Werte der Laplaceverteilung V2ρ(r) am bindungskritischen Punkt (bcp) anzeigen, ob es sich um eine Donor-Akzeptor- oder eine kovalente Wechselwirkung handelt: V2ρ(r)- bcp O 0 : Ladungsverarmung

V2ρ(r)- bcp

$% Donor-Akzeptor-Wechselwirkung, d. h. Wechselwirkung zwischen zwei closed-shell-Fragmenten; ! 0 : Ladungskonzentration $% kovalente Wechselwirkung.

1.11 Struktur und Energie 1.11.1 Was ist Struktur? Wie wir es in den vorangegangenen Kapiteln auch intensiv getan haben, beschäftigen sich Chemiker häufig mit der Frage der Struktur bzw. Molekülstruktur. Häufig macht man sich nur wenig Gedanken, dass dies ein sehr komplexes Problem ist, das bestenfalls näherungsweise beantwortet werden kann. Wir werden im Folgenden sehen, dass ohne die Gültigkeit der Born-Oppenheimer-Näherung der Begriff „Struktur“ überhaupt nicht definiert ist, ja, dass keine Struktur existiert. Betrachten wir ein quantenmechanisches System aus N Elektronen und M Ker/ nen, so lässt sich die Schrödingergleichung wie folgt/formulieren ( r entspricht der Gesamtheit der Ortsvektoren für die Elektronen, R symbolisiert die Gesamtheit der Ortsvektoren für die Kerne): Hψ ( r , R ) Z Eψ ( r , R ) / /

/ /

Die so aufgestellte Schrödinger-Gleichung ist für ein Mehrelektronensystem nicht exakt lösbar. Born und Oppenheimer haben in einer grundlegenden, auch heute noch gültigen Arbeit im Jahre 1927 versucht, dieses Problem auf der Basis von Überlegungen aus der klassischen Mechanik zu lösen, welche sie durch einen

152

1 Nichtmetalle

störungstheoretischen Ansatz in die Quantenmechanik übertrugen. Sie gingen dabei davon aus, dass Atomkerne eine mehrere tausend Mal höhere Masse besitzen als ein Elektron [m (Proton) z m (Neutron) z 1840 m (Elektron)]. Bei einer klassischen Betrachtung ist zu erwarten, dass sich ein Atomkern mit der k-fachen Masse eines Elektrons um den Faktor √k langsamer bewegt als ein Elektron. Man kann daher annehmen, dass die Kerne bei der Beschreibung der Elektronenbewegung als ruhend angesehen werden dürfen. Das bedeutet, dass sich die Elektronen „augenblicklich“ auf jede neue Kernkonfiguration einstellen und jederzeit den Kernen „folgen“. Mathematisch betrachtet ist die Born-Oppenheimer-Näherung eine Störungsrechnung, die versucht, eine asymptotische Entwicklung um den wesentlichen Punkt m0.M Z 0 zu geben (m0 Z Elektronenmasse, M Z Kernmasse). An diesem Punkt ändert sich jedoch das Verhalten der molekularen Systeme qualitativ, sodass die Born-Oppenheimer-Entwicklung bestenfalls eine divergente asymptotische Entwicklung sein kann. Wir sehen also, dass der „klassische“ Strukturbegriff erst durch die Born-Oppenheimer-Näherung möglich wurde. Nur unter dieser Voraussetzung lässt sich / / die Wellenfunktion als Produkt einer elektronischen Funktion ψ el r , - R - , in die die Kernkoordinaten als feste Parameter eingehen, und einer Funktion / Θ (R), die die Kernbewegung beschreibt, formulieren:

(

(

(

)

/ /

/

/

)

)

() /

ψ r , R Z ψ el r , - R - $ Θ R

Mit diesem Ansatz gelangt man zur elektronischen Schrödinger-Gleichung mit dem elektronischen Hamilton-Operator Hel:

(

/

/

)

(

/

/

H el ψ el r , - R - Z Eel ψ el r , - R -

)

Löst man nun für alle denkbaren Kernkonfigurationen die elektronische Schrödingergleichung und berechnet die Gesamtenergien für alle Punkte gemäß E tot (R) Z E el (R) C V K-K (R) (V Z potentielle Energie der Kerne) /

/

/

so erhält man die F-dimensionale Born-Oppenheimer-Hyperfläche in einem (F C 1)-dimensionalen Raum. Es existieren F interne Koordinaten mit F Z 3M K 6 (für gewinkelte Moleküle) bzw. F Z 3M K 5 (für lineare Moleküle). Die lokalen oder globalen Minima auf der Born-Oppenheimer-Hyperfläche sind die Gleichgewichtsstrukturen der Moleküle. Treten mehrere lokale Minima auf, so definieren sie die verschiedenen Isomere eines Moleküls. Wir können also zusammenfassen, dass das Konzept einer molekularen Struktur eng mit der Gültigkeit der Born-Oppenheimer-Näherung verknüpft ist. Auch wenn eine eingehende Diskussion den Umfang dieses Lehrbuchs sprengen würde, soll zumindest nicht unerwähnt bleiben, dass es auch gegensätzliche Standpunkte gibt. Beispielsweise haben Woolley et al. die Zulässigkeit der BornOppenheimer-Näherung und somit die Molekülstruktur schlechthin in Frage gestellt, jedenfalls im Zusammenhang mit stationären vibronischen Zuständen isolierter Moleküle.

1.11 Struktur und Energie

153

1.11.2 Molekülzustandsmodelle und Energiehyperflächen Da Moleküle ihre Eigenschaften bei der Aufnahme und Abgabe von Energie ändern, lässt sich der jeweilige Molekülzustand durch seine Energiedifferenz zum vorausgegangenen bzw. nachfolgenden Zustand sowie durch die entsprechende Ladungsverteilung charakterisieren. Dies bedeutet, dass die eigentlichen chemischen „Bausteine“ mit definierter Struktur und charakteristischen Eigenschaften Moleküle mit bestimmter Energie und Ladungsverteilung (Elektronenverteilung) sind. Ein sehr geeignetes Modell zur Beschreibung von Molekülzuständen sind Molekülorbitale, die insbesondere einen Vergleich der Molekülzustände ähnlicher Verbindungen erlauben. Strukturen von Molekülen oder Molekülionen können durch geeignete Korrelation experimenteller oder quantenmechanischer Molekülzustände zusammen mit Energiehyperflächen-Berechnungen abgeschätzt und häufig auch gut vorausgesagt werden. Das einfachste Molekülzustandsmodell berücksichtigt hierbei nur die Verknüpfung der Zentren der räumlichen Anordnung, die effektiven Kernpotentiale und die resultierenden Elektronenverteilungen (Abb. 1.81).

Abb. 1.90 Qualitatives Molekülzustandsmodell. [Reproduziert mit freundlicher Genehmigung von Wiley-VCH aus Angew. Chem. 1992, 104, 564.]

Die Moleküldynamik verknüpft die Strukturparameter (Topologie und Symmetrie) mit denen der Energie (Potentiale und Elektronenverteilung). Selbst dieses einfache Modell zeigt bereits, dass jeder so definierte Molekülzustand eine bestimmte Struktur haben muss und dass Änderungen seiner Energie und Ladungsverteilung Strukturänderungen bewirken müssen. Ein Beispiel, das diesen Zusammenhang deutlich zeigt, sind die Strukturänderungen im System N4O, die wir bereits in Abschnitt 1.6.1.1 diskutiert haben. Betrachten wir beispielsweise die in Abb. 1.54 gezeigte Energie- oder Potentialhyperfläche des intrinsisch stabilen (s. nächster Abschnitt) trans-trans-N4O-Moleküls (a), so sehen wir, dass der Punkt a (trans-trans-N4O) zwar ein lokales, aber kein globales Minimum des Systems N4O ist. Variieren wir nun entweder den Bindungswinkel OdN4dN1 oder den Abstand N1dN2, so ändert sich nicht nur die Struktur des Moleküls, sondern bedingt durch die Moleküldynamik auch seine Energie. Beispielsweise führt eine Elongation der N1dN2-Bindung zuerst zu einem deutlichen Anstieg der Gesamtenergie, wobei dann das Molekül nach

154

1 Nichtmetalle

Überschreiten des Übergangszustandes unter weiterer, drastischer Veränderung der N1dN2-Bindung und Aufweitung des Bindungswinkels OdN4dN1 energetisch „bergab“ in Richtung zu Punkt (c) in das Tal fällt, das die getrennten Moleküle N2O und N2 beschreibt.

1.11.3 Intrinsische Stabilität Der Begriff der intrinsischen Stabilität (engl. intrinsic stability) spielt in der Molekülchemie eine wichtige Rolle, wird aber oft nicht sauber definiert. Um es gleich vorweg zu sagen: Moleküle, die nicht intrinsisch stabil sind, existieren nicht! Anschaulich können wir uns die Beantwortung der Frage nach der intrinsischen Stabilität eines Moleküls M wie folgt vorstellen. Ein Molekül M ist bei 0 K intrinsisch (wirklich, aus sich selbst heraus) stabil, wenn es im Vakuum, d. h. ohne jede Wechselwirkung zu benachbarten Teilchen, stabil ist, d. h. weder seine Struktur ändert noch in Fragmente (Atome, neue Moleküle) zerfällt. Analog können wir ein Molekül M als bei einer bestimmten Temperatur T intrinsisch stabil bezeichnen, wenn es den oben genannten Anforderungen bei dieser Temperatur T genügt. Wir wollen nun versuchen, diesen Sachverhalt etwas genauer zu definieren. Ein isoliertes Molekül besitzt eine Minimum-Grundzustandsstruktur auf seiner Energiehyperfläche (Potential-Energie-Hyperfläche, PES), wenn jede auch noch so geringe Auslenkung eines der Atome (besser: eines der Kerne) zu einem Anstieg seiner inneren Energie U führt. Das bedeutet, es liegt ein stationärer Punkt auf der Born-Oppenheimer-Hyperfläche vor. Die notwendige Bedingung hierfür ist ∂U (R) VU (R) Z 0, d. h. Z0 ∂xi /

/

und die hinreichende Bedingung ist ∂2U (R) O0 ∂xi ∂xj /

Bei 0 K besitzt ein Molekül weder Rotations- noch Translationsenergie, schwingt aber gemäß dem Heisenberg'schen Unschärfeprinzip noch um seine Gleichgewichtsstruktur, besitzt also eine Nullpunktschwingungsenergie 12 h ν0 (zpe, zero point energy). Wir können nun definieren, dass ein Molekül bei 0 K intrinsisch stabil ist, wenn 1. seine Struktur einer Minimum-Grundzustandsstruktur auf seiner Potentialhyperfläche entspricht, und 2. die Nullpunktschwingungsenergie 12 h ν0 kleiner ist als die K um die Nullpunktschwingungsenergie des Übergangszustands korrigierte K Aktivierungsbarriere εA der Zerfallsreaktion. Diese Verhältnisse sind graphisch anschaulich in Abb. 1.82 dargestellt.

1.11 Struktur und Energie

155

Wollen wir die intrinsische Stabilität eines Moleküls bei höherer Temperatur als 0 K diskutieren, so müssen zusätzlich zur Korrektur der Nullpunktschwingungsenergie auch noch die Translations- und Rotationsenergien sowie angeregte Schwingungszustände berücksichtigt werden.

1.11.4 Hammonds Postulat Wir haben uns in den vorangegangenen Abschnitten mit so wichtigen Begriffen wie der Molekülstruktur, Potentialhyperflächen und intrinsischer Stabilität vertraut gemacht. Bei Molekülumwandlungen, Zersetzungsreaktionen etc. „bewegt“ sich ein Molekül nun auf seiner Potentialhyperfläche von einem Minimum zu einem anderen, wobei der energetisch höchste Punkt entlang der Reaktionskoordinate als Übergangszustand bezeichnet wird (vgl. Abb. 1.91). Ein solcher Übergangszustand (engl. transition state) ist ein Sattelpunkt erster Ordnung auf der Born-Oppenheimer-Hyperfläche, d. h. es tritt nur eine imaginäre Frequenz auf. Betrachten wir beispielsweise die bereits in Abschnitt 1.6.1.1 diskutierte Umwandlung von cis-cis-N4O über zyklisches N4O (Ring) zu N2O und N2 (Abb. 1.53): cis-cis-N4O (lokales Minimum) $% {Übergangszustand 1} $% zyklisches N4O (Ring) $% {Übergangszustand 2} $% N2O (CNv) C N2 (globales Minimum) Die relative energetische Lage dieser fünf Strukturen, die alle stationären Punkte auf der Born-Oppenheimer-Hyperfläche entsprechen, ist in Abb. 1.92 wiedergegeben. Betrachten wir nun die Strukturen der Übergangszustände 1 und 2 (Abb. 1.93), so fällt auf, dass Übergangszustand 1 strukturell viel näher am Edukt cis-cis-N4O als am Produkt Ring-N4O liegt, während der Übergangszustand 2 ganz deutlich an ein zyklisches N4O und nicht an die getrennten Moleküle N2O und N2 erin-

Abb. 1.91 Eindimensionale Energiehyperfläche eines intrinsisch stabilen Moleküls.

156

1 Nichtmetalle

Abb. 1.92 Relative Energien von cis-cis-N4O, Übergangszustand 1, cyclischem N4O, Übergangszustand 2 und N2O (CNv) C N2.

Abb. 1.93 Die Strukturen von Übergangszustand 1 und Übergangszustand 2.

nert. Dies ist ein oft wenig beachtetes, aber allgemeines Prinzip in der Chemie, das zuerst von Hammond erkannt und nach ihm benannt wurde: Das Hammond’sche Postulat besagt, dass bei exothermen Reaktionen der Übergangszustand dichter bei der Seite der Edukte liegt und dass umgekehrt bei endothermen Reaktionen der Übergangszustand bereits strukturell die Seite der Produkte widerspiegelt. * Wir können nun eine sogenannte Reaktionsfortschritts-Variable XAB einführen, die wie folgt über die Bindungsordnungen BOAB für die aneinander gebundenen Atome A und B definiert ist: * XAB Z

BO*ABdBiAB BOfABdBiAB

Hierbei steht „i“ für den Zustand zu Beginn der Reaktion, „f“ für den Zustand nach beendeter Reaktion und „*“ indiziert den durch die ReaktionsfortschrittsVariable zu charakterisierenden Punkt. In unseren beiden betrachteten Beispielen würden wir natürlich „*“ durch „ÜZ“ (oder „TS“) für Übergangszustand * (oder transition state) ersetzen. Ist XAB ! 0.5, so liegt der betrachtete Punkt bei

1.11 Struktur und Energie

157

* * dichter auf der Seite der Edukte; ist umgekehrt XAB O 0.5, so liegt der betrachtete Punkt bei * dichter auf der Seite der Produkte. In unserem konkreten Beispiel der Zersetzung von zyklischem N4O zu N2 und ÜZ(2) ÜZ(2) N2O betragen die Reaktionsfortschritts-Variablen XOdN4 und XN4KN1 genau 0.38 und 0.21, was gut mit Hammond’s Postulat übereinstimmt.

zyklisches N4O (Ring) $% {Übergangszustand 2} $% N2O (CNv) C N2 ÜZ(2) XOdN4 Z 0.38 ÜZ(2) XN4KN1 Z 0.21

1.11.5 Das Konzept der lokalisierten Bindungen: Die NBO-Analyse Obwohl manchmal lokalisierte und ein anderes Mal delokalisierte Bindungsmodelle besser zur Beschreibung von chemischen Phänomenen geeignet erscheinen, sind sie doch letztlich (wenn richtig angewendet) in der Aussage nahezu äquivalent. Sicher gibt es einerseits keinerlei Zweifel darüber, dass kanonische MOs zur Beschreibung von Ionisierungsvorgängen benötigt werden (z. B. bei der Photoelektronenspektroskopie), andererseits konnte Hund bereits 1931 die notwendigen Bedingungen für die Lokalisierbarkeit von Bindungen angeben. Unter einem kanonischen MO verstehen wir eines von vielen delokalisierten MOs, welche die Basis für die irreducible Darstellung der Punktgruppe bilden; gleichbedeutend mit SCF-Orbital. In jüngerer Zeit haben sich besonders Weinhold et al. darum verdient gemacht, mithilfe der NBO-Analyse (engl. natural bond orbital analysis) die delokalisierten kanonischen Molekülorbitale in das oft vertrautere Bild von lokalisierten Bindungen und freien Elektronenpaaren zu „übersetzen“. Die NBO-Analyse transformiert den ursprünglichen Basissatz einer MO-Berechnung sukzessive in lokalisierte Orbitale: urspr. Basissatz 0 NAOs 0 NHOs 0 NBOs 0 NLMOs (NAO: natural atomic orbital, NHO: natural hybrid orbital, NBO: natural bond orbital, NLMO: natural localized molecular orbital.) Wir wollen dies im Folgenden ein wenig näher betrachten. Das NBO(φNBO) für eine lokalisierte Bindung zwischen den Atomen A und B wird aus gerichteten, zueinander orthogonalen Hybridorbitalen hA und hB gebildet (s. Anmerkung am Ende des Abschnitts). Diese Beschreibung der chemischen Bindung entspricht dem vertrauten Lewis-Bild und repräsentiert die kovalenten Effekte innerhalb des Moleküls: φ NBO AB Z cA hA C cB hB Die antibindenden NBOs (φ*NBO), die im Lewis-Bild unbesetzt sind, können dann herangezogen werden, um nichtkovalente Effekte in der Bindung zu beschreiben: φ*NBO Z cA hA K cB hB AB Allgemein sind die energetischen Korrekturen, die sich aus der teilweisen Besetzung der antibindenden NBOs ergeben (nichtkovalente Effekte), so gering (typi-

158

1 Nichtmetalle

Abb. 1.94 Störungstheoretischer Ansatz zweiter Ordnung zur Berücksichtigung nichtkovalenter Effekte im NBO-Bild.

scherweise ! 1 % der Gesamtenergie), dass der Energiegewinn ∆E(2) φφ* durch einen einfachen störungstheoretischen Ansatz zweiter Ordnung beschrieben werden kann, wobei hF der Fockoperator ist (Abb. 1.94): ∆E(2) φφ*

Z K2

)φ - hF - φ** 2 Eφ* KEφ

Die Bedeutung der Besetzung der antibindenden Zustände kann gut veranschaulicht werden, wenn wir aus den (nur teilweise besetzten) NBOs nun lokalisierte Molekülorbitale (LMOs) erzeugen, die wiederum mit zwei Elektronen voll besetzt sind. NBO *NBO C ... φ LMO AB Z φ AB C λ φ CD

Mit anderen Worten: Die LMOs φ LMO AB beschreiben die Delokalisierung eines Bindungsorbitals φ NBO AB und berücksichtigen nicht kovalente Wechselwirkungen, die wir in vielen Abschnitten als (negative) Hyperkonjugation kennengelernt haben. Auf den ersten Blick mag es unverständlich erscheinen, dass wir oben orthogonale Hybridorbitale hA und hB für die Bindungsbildung zwischen den Atomen A und B verwendet haben, da das Überlappungsintegral zwischen orthogonalen Funktionen definitionsgemäß null ist. Andererseits können wir argumentieren, dass der Energiegewinn ∆E bei der Wechselwirkung zwischen den Hybridorbitalen hA und hB durch den folgenden Integralausdruck beschrieben werden kann, der den Energieoperator V enthält und nicht einfach ein Überlappungsintegral des Typs SAB ist: SAB Z E hA hB dτ Z 0 ∆E w E hAV hB dτ Der Energieoperator V selbst resultiert aus einer Separation des Hamilton-Operators H in zwei Operatoren, von denen der eine, H(0), die intra- und der andere, V, die interatomaren Beiträge beschreibt: H Z H(0) D V

1.11 Struktur und Energie

159

Die Störungstheorie sagt uns nun, dass wir den aufgrund interatomarer Wechselwirkung resultierenden Energiegewinn ∆E mit den Eigenfunktionen hA und hB des ungestörten Hamilton-Operators bestimmen können, wobei für den hermiteschen Operator H(0) diese Eigenfunktionen (hA und hB) notwendigerweise orthogonal sind: (0) H(0) Z H (0) A C HB

Es ist also ein „glücklicher Umstand“, dass der Operator V gerade von den beiden Funktionen hA und hB eingeschlossen wird, da sonst die Wechselwirkung tatsächlich null würde (was ja gerade Grund für unsere Besorgnis war). Das wirklich Bemerkenswerte an unserer hier geführten Diskussion ist nicht, dass die Wechselwirkung der orthogonalen Hybride hA und hB zu einem Energiegewinn führt, sondern dass das physikalische Matrixelement E hA V hB dτ oft gut durch ein Überlappungsintegral der Form # dτ E h#A hB # abgeschätzt werden kann, mit den nicht orthogonalen Hybridorbitalen h#A und hB wobei gilt: # dτ E hAV hB dτ Z k E h#A hB

Diese Näherungsgleichung bezeichnen wir als Mulliken-Näherung. Sie ist die Grundlage für die Mulliken’sche Populationsanalyse. Der Gültigkeit der Mulliken-Näherung haben wir es auch zu verdanken, dass wir häufig in der bildlichen Darstellung der physikalischen Wechselwirkung von Orbitalen didaktisch sehr einleuchtend das Bild der überlappenden Orbitale benutzen können. Auch im NBO-Bild können wir diese vertraute Darstellung beibehalten, wenn wir die präorthogonalen NHOs betrachten, # dτ E h#A hB

die in der Regel eine gute bildliche (qualitative) Wiedergabe des physikalischen Matrixelements E hAV hB dτ liefern. Nun, wo wir uns über die Bedeutung der prä-orthogonalen NHOs und der orthogonalen NHOs im Klaren sind, wollen wir abschließend noch die Ermittlung von Bindungsordnungen diskutieren, die wir bisher zwar sehr oft im vorliegenden Kapitel in der Diskussion verwendet, aber noch nicht sauber definiert haben. Ausgangspunkt ist die Betrachtung der LMOs innerhalb der NBO-Analyse, wobei wir jedes LMO durch eine Linearkombination der NAO-Basis ausdrücken wollen. A ist hierbei die Anzahl der Basisfunktionen: φ iLMO Z

A



jZ1

cij φjNAO mit

A

∑c

jZ1

2 kj

Z1

160

1 Nichtmetalle

Für closed-shell-SCF-Wellenfunktionen ist jedes LMO doppelt besetzt. Die Anzahl der Elektronen niA, die zum Atom A „gehören“ und sich im i-ten LMO befinden, ergibt sich durch Summation der Quadrate der entsprechenden LMOKoeffizienten: niA Z 2

∑c

j2A

2 ij

Die Anzahl der kovalenten Elektronenpaare zwischen den beiden Zentren A und B ist nun das Minimum von ni A und ni B und ergibt den Bindungsindex bi AB für das i-te LMO: biAB Z min (ni A, ni B) Es ist nötig, zwischen bindenden und antibindenden Wechselwirkungen zu unterscheiden, weil sonst zu große Bindungsordnungen berechnet werden. Dies wird durch die Untersuchung des Vorzeichens des Überlappungsintegrals Si AB zwischen den entsprechenden Hybridorbitalen der Atome A und B für das betreffende LMO erreicht: mit

LMO LMO SiAB Z E h iA h iB d τ

hLMO iA

Z

[∑ ] j2A

cij2

1

K

2

∑c φ

j2A

ij

NONAO j

Die nicht orthogonalen NAOs (NONAOs) unterscheiden sich von den NAOs insofern, als während der Lokalisierung keine Orthonormierung vorgenommen wird, weil sonst die Überlappungsintegrale null würden. Für die Unterscheidung zwischen bindender und antibindender Wechselwirkung werden die Vorzeichen aber benötigt (der Betrag des Überlappungsintegrals ist nicht von Interesse!). Unter Einbeziehung des Vorzeichens (sgn) ergibt sich nun der Bindungsordnungsindex ganz analog: # Z sgn(SiAB ) min(niA , niB ) biAB # variiert linear mit der Anzahl der kovalent Der Bindungsordnungsindex biAB zwischen zwei Zentren A und B geteilten Elektronen sowie mit der Polarität der Bindung. Da die Dichtematrix in der LMO-Basis diagonal ist, ergibt die Summe der Bindungsordnungsindizes über alle M besetzten LMOs die gesamte Bindungsordnung: M

BOAB Z

∑b

iZ1

# iAB

Die Summe der Bindungsordnungen (elektronische Valenz) des Atoms A erhält man durch Summation über alle anderen Atome: VA Z

∑ BO

BsA

AB

In diesem Verfahren wurden „natürliche LMOs“ (NLMOs) innerhalb der NPA. NBO-Analyse verwendet. Ähnliche Ergebnisse würden erhalten werden, wenn man LMOs aus anderen Methoden benutzen würde.

Weiterführende Literatur

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2 Festkörperchemie Hans-Jürgen Meyer

Einleitung Die Festkörperchemie umfasst die Synthese, Struktur und die Eigenschaften fester Stoffe. Der Ausgangspunkt der Festkörperchemie ist die Synthese. Allerdings sind Reaktionsmechanismen in der Festkörperchemie weniger systematisiert als in der Molekül- oder Komplexchemie. Die am häufigsten verwendete Methode zur Synthese von Feststoffen ist die konventionelle Festkörper- oder fest-festReaktion. Konventionelle Festkörperreaktionen erfordern hohe Temperaturen, die aber in der Regel unterhalb der Schmelzpunkte ihrer Reaktionspartner liegen. Dabei bilden diffusive Teilchenbewegungen die Grundlage für Transportprozesse. Aber nicht alle Verbindungen können bei hohen Temperaturen über festfest-Reaktionen oder aus Schmelzen hergestellt werden. Manch eine Verbindung ist bei hohen Temperaturen nicht stabil oder weniger stabil als eine konkurrierende Verbindung. Zur Erschließung solcher thermisch metastabilen Feststoffe müssen Methoden angewandt werden, die unter milderen Bedingungen zum gewünschten Produkt führen. Neben fest-fest-Reaktionen gibt es eine breite Palette zusätzlicher Möglichkeiten, um Feststoffe zu synthetisieren, wie z. B. Reaktionen in Schmelzen, Reaktionen über die Gasphase, Precursor-Routen, Sol-Gel-Routen oder Reaktionen unter erhöhten Drücken. Entscheidend für die Wahl der Synthesemethode ist auch, in welcher Form ein Feststoff erhalten werden soll, z. B. als Einkristall, Pulver, Nanopulver oder dünne Schicht. Da es für die Synthese einer bestimmten Verbindung nicht immer ein Rezept gibt, erfordert eine erfolgreiche Synthese gute Ideen, Empirie und sorgfältige Beobachtungen. Bei den Stoffen, die für die Festkörperchemie von Interesse sind, handelt es sich um kristalline Stoffe mit Fernordnung, aber auch um Gläser oder amorphe Stoffe mit Nahordnung der Atome. Die Anordnung der Atome in kristallinen Strukturen lässt sich häufig vom Prinzip dichtest gepackter Kugeln ableiten. Die systematische Besetzung der dabei entstehenden Lücken führt zu bestimmten Strukturtypen. Durch das Auftreten solcher Strukturtypen oder durch Ähnlichkeiten mit bestimmten Strukturtypen können viele kristalline Festkörperverbindungen in verwandtschaftliche Beziehungen gesetzt werden. Sogar in molekular organisierten Strukturen bleibt das Prinzip dichtester Kugelpackungen durch Anordnungen von Atomgruppen oder Molekülen im Sinne hierarchischer Strukturen erkennbar. Kristalline Stoffe haben stets Defekte, die ihre mechanischen, optischen, chemischen und elektrischen Eigenschaften maßgeblich beeinflussen können. De-

170

2 Festkörperchemie

fekte wie Gitterleerstellen ermöglichen nicht nur diffusive Teilchenbewegungen für fest-fest-Reaktionen oder Ionenleitung, sondern bewirken auch andere Eigenschaften von kristallinen Stoffen. Defekte können aber auch gezielt in einem Stoff erzeugt werden. Oft genügt schon eine geringfügige Modifizierung, beispielsweise durch eine Dotierung mit einem Fremdatom, um die Eigenschaften eines Stoffes zu verändern. Die Festkörperforschung der Gegenwart befasst sich mit Eigenschaften oder Funktionalitäten, bei denen bestimmte Stoffsysteme im Mittelpunkt von Untersuchungen stehen. Zu den Stoffsystemen zählen Verbindungen der Metalle wie intermetallische Verbindungen, Hydride, Boride, Carbide, Nitride, Oxide, Halogenide, von denen die Metalloxide wegen ihrer vielfältigen Eigenschaften eine herausgehobene Stellung einnehmen. Wichtige Anwendungen haben solche Stoffe als Ferromagnetika, Ferroelektrika, Batterien, Leuchtstoffe, Supraleiter, Wasserstoffspeicher, Ionenaustauscher oder in der Photokatalyse. Die Nanowissenschaften üben einen zunehmenden Einfluss auf viele dieser Gebiete aus. Dieser Einfluss ist darauf zurückzuführen, dass eine Stoffeigenschaft nicht nur über die Variation der chemischen Zusammensetzung des Stoffes veränderbar ist, sondern auch über dessen Teilchengröße. Neben der Grundlagenforschung zeichnet sich für die Festkörperchemie eine stärker werdende Ausrichtung auf die Synthese und Strukturierung von Materialien ab, die für Anwendungen nutzbar gemacht werden können. Von den vielen Feststoffen, die Anwendungen in verschiedenen Bereichen der Technik gefunden haben, verdankt jedoch eine nicht zu vernachlässigende Anzahl ihre Entdeckung eher dem Zufall als einer gezielten Synthese. In jedem Stoff kann ein interessantes Potential stecken, das es zu entdecken gilt. Deshalb ist ein besseres Verständnis für die Ursachen von Stoffeigenschaften wichtig, um allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten zu entwickeln und um Stoffe mit neuen oder angereicherten Eigenschaften zu finden. Die Kenntnis der elektronischen Struktur von Stoffen ist ein wichtiger Schlüssel für das Verständnis von vielen Eigenschaften, da Elektronen für die meisten Eigenschaften von Stoffen verantwortlich sind. Wenn eine Festkörperstruktur nicht molekular aufgebaut ist, sondern aus vernetzten Atomanordnungen besteht, dann wird anstelle des für Moleküle üblichen MO-Schemas eine Bandstruktur zur Beschreibung der elektronischen Struktur verwendet. Bei der Untersuchung von Feststoffen werden zahlreiche Techniken angewandt. Hierzu zählen die Verfolgung von Reaktionen mittels Differenz-Thermoanalyse, Strukturbestimmungen an Pulvern und Einkristallen mittels Röntgenoder Neutronenbeugungsmethoden, magnetische Messungen, Messungen der elektrischen Leitfähigkeit, spektroskopische Messungen und Bestimmungen von Teilchengrößen. Einige dieser Techniken werden hier ein wenig beleuchtet, wobei ausgewählten Kapiteln der Synthese, Strukturchemie und Stoffchemie der Vorrang eingeräumt wird.

2.1 Festkörperreaktionen

171

2.1 Festkörperreaktionen Die schlechten Diffusionseigenschaften von Atomen oder Ionen im Festkörper sind ein zentrales Problem bei der Synthese fester Stoffe. Bei einer fest-festReaktion müssen Atome zunächst durch den Feststoff hindurch zu einem Partikel des Reaktionspartners diffundieren, um dann an dessen Oberfläche reagieren zu können. Danach müssen sich alle Atome in der neuen Struktur ordnen. Es ist im Allgemeinen schwer vorherzusagen, warum sich eine Verbindung mit einer bestimmten Zusammensetzung unter den gewählten Reaktionsbedingungen nicht bildet. Hierfür könnten thermodynamische (die Bildungsreaktion für die Verbindung erzeugt nicht den Zustand niedrigster Energie des Systems) oder kinetische (die Reaktionsbedingungen stellen nicht die notwendige Energie oder die notwendigen lokalen Konzentrationen zur Verfügung, um Atome in der gewünschten Anordnung zu erzeugen) Probleme verantwortlich sein. Zweifellos hat die bevorzugte Anwendung hoher Temperaturen in der Vergangenheit viele thermodynamisch stabile Verbindungen hervorgebracht. Die Arbeitstechniken bei fest-fest-Reaktionen unterscheiden sich demnach grundsätzlich von denen der Molekül- oder Komplexchemie, die in flüssigen Medien stattfinden. Diffusionsstrecken sind bei Reaktionen in Lösungen nicht von vorrangiger Bedeutung, weil die Diffusionsgeschwindigkeiten relativ hoch sind. Bei der Reaktion pulverförmiger Stoffe miteinander ist jedoch die Beweglichkeit der Teilchen im festen Körper geschwindigkeitsbestimmend. Die auftretenden Diffusionsstrecken sind aus atomarer Sicht selbst bei inniger Vermischung und Kompaktierung der Edukte lang (Korndurchmesser z. B. 10 µm, Atomdurchmesser z. B. 200 pm), und die Diffusionskonstanten klein („schlechte Kinetik“). Dies erzwingt oft hohe Reaktionstemperaturen mit der Konsequenz thermodynamisch kontrollierter Produktbildung. Mögliche Alternativen zur Anwendung hoher Temperaturen sind Reaktionen über eine Gasphase oder bestimmte Methoden bei tiefen Temperaturen („soft chemistry“ oder „chimie douce“). Diese Methoden überwinden die intrinsischen Diffusionsprobleme in Festkörpern durch Ausnutzung der erheblich höheren Mobilitäten im gasförmigen oder im flüssigen Zustand oder durch verkürzte Diffusionsstrecken. Festkörperchemische Präparationen können zum Ziel haben, Einkristalle (hochrein, ohne Defekte), modifizierte Einkristalle (spezielle Defekte, Dotierungen), Pulver (kleinste Kristalle mit einer bestimmten Korngröße), Keramiken (gesinterte Pulver) oder dünne Schichten zu erzeugen. Als gängige Technik zur Identifikation kristalliner Produkte dient die RöntgenPulverdiffraktometrie. Mit dieser Technik können (bekannte) kristalline Substanzen anhand ihres Pulverdiffraktogramms identifiziert werden. Zu diesem Zweck werden Datenbanken (ICDD Z International Center for Diffraction Data) mit gemessenen oder berechneten Diffraktogrammen herangezogen. Eine Ergänzung hierzu ist die in situ Pulverdiffraktometrie, die die Verfolgung chemischer festfest- oder fest-gas-Reaktionen in speziellen Reaktionskammern erlaubt. Für Verbindungen mit unbekannten Strukturen werden Strukturverfeinerungen aus rönt-

172

2 Festkörperchemie

genographischen Pulverdaten (Rietveld-Methode1) oder mittels der Einkristallstrukturanalyse herangezogen.

2.1.1 Reaktionsbehälter Bei der Auswahl eines geeigneten Reaktionsbehälters ist zunächst zu berücksichtigen, ob in einem offenen oder geschlossenen System mit oder ohne Schutzgas gearbeitet werden soll. Reaktionen bei hohen Temperaturen (z. B. 800K1 200 (C) stellen hohe Anforderungen an das Reaktormaterial. Nebenreaktionen wie die Verdampfung oder die Reaktion mit der Gefäßwand stören, weil dadurch das angestrebte Verhältnis der Reaktionspartner verändert oder Verunreinigungen in die Reaktion eingebracht werden. • Ein Reaktionsbehälter ist so auszuwählen, dass er sich unter den jeweiligen Reaktionsbedingungen chemisch inert verhält. Ebenso müssen Reaktionsbehälter absolut trocken, sauber und ohne Verunreinigung durch andere Elemente sein. Analoges gilt natürlich für die Ausgangsstoffe. Für viele Reaktionen kommen unter Vakuum abgeschmolzene Glas- oder insbesondere Quarzglasampullen zum Einsatz. So können Verlauf und Beendigung einer Reaktion direkt beobachtet werden (z. B. in einem Glasofen). Allerdings verhält sich Quarzglas nicht immer inert (z. B. beim Schmelzen von Alkali- oder Erdalkalimetall) und bildet mit zahlreichen Metallen Oxide, Silicide oder Silicate: 1 000 (C

11 Nb C 3 SiO2 $##% Nb5Si3 C 6 NbO Störend ist manchmal auch die unerwünschte Bildung von Oxidchloriden bei Reaktionen von Metallchloriden in Quarzglasampullen: 900 (C

2 YCl3 C SiO2 $##% 2 YOCl C SiCl4 Da viele dieser Nebenreaktionen langsam verlaufen, machen sie sich erst bei längeren Reaktionszeiten und hohen Temperaturen bemerkbar. Reaktionstiegel aus Porzellan, Korund, ZrO2 usw. sind für Reaktionen einsetzbar, bei denen die Reaktionspartner und das Produkt keinen signifikanten Dampfdruck entwickeln, weil sie sich ebenso wie Behälter aus Bornitrid oder Graphit nicht gasdicht verschließen lassen. Verschweißbare Rohre aus höchstschmelzenden Metallen mit geringstem Dampfdruck wie Niob, Tantal, Molybdän oder Wolfram kommen als inerte Reaktionsbehälter in Betracht. Behälter aus Niob und Tantal sind duktil und lassen sich relativ leicht verarbeiten. Zur Durchführung von Reaktionen werden die Ausgangsstoffe in einseitig verschlossene Metallrohre eingebracht und anschließend darin eingeschweißt. Verschlossene Metallrohre eignen sich zur Synthese von intermetallischen Verbindungen, von Verbindungen, in denen Metalle in niedrigen Oxidationsstufen vorliegen, für Alkali- und Erdalkalimetallschmelzen 1

Von dem niederländischen Physiker H. Rietveld entwickeltes Verfahren zur Kristallstrukturanalyse auf der Grundlage von Röntgen- oder Neutronen-Pulverdiffraktogrammen.

2.1 Festkörperreaktionen

173

sowie für sauerstofffreies Arbeiten; sie können aber von Schwefel oder Selen angegriffen werden. Für Reaktionen mit Fluoriden eignen sich zugeschweißte Edelmetallrohre (Gold, Platin) oder Monelampullen (eine Cu-Ni-Legierung mit rund 70 % Ni, z. B. Cu32Ni68). Allerdings sind Rohre aus Niob, Tantal und Edelmetallen teuer. Zur Vermeidung von Oxidation müssen die Metallreaktoren (außer Platin) bei Anwendung hoher Temperaturen unter Inertgas betrieben oder in evakuierte Quarzglasampullen eingeschlossen werden. Tabelle 2.1 Beispiele für geeignete Reaktoren für Festkörperreaktionen. Edukte

Produkt

Reaktionsbehälter und Reaktionstemperatur

Li2O, SiO2 Y2O3, BaCO3, CuO Na2MoO4, MoO3, Mo Ca, CaCl2, C (Graphit) Y, YCl3

Li2Si2O5 YBa2Cu3O7 NaMo4O6 Ca3Cl2C3 Y2Cl3

Y, N2 KHF2, NiF2 La, LaI3 Mo, Pb, MoS2

YN K2NiF4 LaI PbMo6S8

Pt-Tiegel (Luft), 1 100 (C Al2O3-Tiegel (Luft), 1 000 (C Mo-Ampullea, 1 100 (C Nb- oder Ta-Ampullea), 900 (C Nb- oder Ta-Ampullea), 800 (C (evtl. KClFlux) Mo-Schiffchen, N2-Gasstrom, 900 (C Pt-Tiegel, Schutzgas oder Vakuum, 700 (C Nb- oder Ta-Ampullea), 750 (C evakuierte Quarzglasampulle, 900 (C

a)

Verschweißte Metallampulle, eingeschlossen in eine evakuierte Quarzglasampulle.

2.1.2 Fest-Fest-Reaktionen Eine der häufigsten Syntheserouten der präparativen Festkörperchemie ist die direkte Reaktion der Einzelkomponenten miteinander. Reaktionen zwischen festen Stoffen (Verbindungen oder Elemente) erfordern oft Temperaturen um 1 000 (C, die in der Praxis durch widerstandbeheizte Öfen realisiert werden. Zur Erzeugung wesentlich höherer Temperaturen (2 000 (C und mehr) kommen die Induktionsheizung, der elektrische Lichtbogen oder ein (CO2-)Laser in Betracht. Bei fest-fest-Reaktionen werden die Ausgangsstoffe sorgfältig eingewogen, fein pulverisiert, vermengt (Mörser, Kugelmühle) und ggf. (heiß) tablettiert. Danach wird im einfachsten Fall hinreichend lange und hoch erhitzt, bis die Reaktion zum Stillstand kommt und der stabile Endzustand erreicht ist. Oft ist dieser Zustand durch das Vorliegen eines möglichst reinen Reaktionsprodukts gekennzeichnet. Reinigungsprozesse wie das Auswaschen des Produktes mit einem Lösungsmittel oder die Sublimation einer leichtflüchtigen Verbindung aus einem Produktgemisch sind nicht immer anwendbar. Bei der Reaktion zweier Feststoffe miteinander sind diese zunächst durch Phasengrenzen ihrer Kristallite separiert. Es handelt sich um eine heterogene Festkörperreaktion, die am Beispiel der Spinellbildung betrachtet werden soll: Spinellbildung: MgO C Al2O3 # MgAl2O4

174

2 Festkörperchemie

Die Reaktion von Edukten mit unterschiedlichen Strukturen macht eine erhebliche Neuorganisation der Teilchen erforderlich. Mit hinreichender thermischer Energie können Ionen ihre Gitterplätze verlassen und durch die Kristalle diffundieren. An der Interphase zwischen MgO- (NaCl-Typ) und Al2O3- (Korund-Typ) Kristallen bildet sich MgAl2O4. Durch die Diffusion von Mg2C-Ionen in Al2O3 und von Al3C-Ionen in MgO vergrößert sich die MgAl2O4-Produktschicht in beide Richtungen (Abb. 2.1). Die gegenläufige Diffusion von Mg2Cund Al3C-Ionen erfolgt schließlich durch die wachsende Spinell-Produktschicht hindurch. Dabei wird die Ladungsbilanz durch die Wanderung von drei Mg2CIonen in die eine und zwei Al3C-Ionen in die andere Richtung stets aufrechterhalten. Da bei der Wanderung von drei äquivalenten Mg2C auch drei Äquivalente MgAl2O4 gebildet werden, aber durch die Wanderung von zwei Äquivalenten Al3C nur ein Äquivalent MgAl2O4 entsteht, wächst die Produktschicht auf der Al2O3-Seite dreimal so schnell:

Abb. 2.1 Diffusion von Kationen zur Bildung von MgAl2O4 aus MgO- und Al2O3-Einkristallen. Auf der Seite von Al2O3 wächst die MgAl2O4-Produktschicht (schraffiert) dreimal so schnell an wie auf der Seite von MgO.

4 MgO K 3 Mg2C C 2 Al3C $% MgAl2O4 4 Al2O3 C 3 Mg2C K 2 Al3C $% 3 MgAl2O4 Das Anwachsen der Schichtdicke x des Produkts hängt von der Bildungskonstante k und der Reaktionszeit t über ein parabolisches Wachstumsgesetz ab: x Z (kt)1.2. Da sich die Diffusionsstrecken durch das Wachsen der Produktschicht verlängern, ist eine Unterbrechung der Reaktion zur erneuten Homogenisierung des Reaktionsgemenges für schnellere und quantitative Umsetzungen vorteilhaft. Allerdings ist hervorzuheben, dass die Reaktionsgeschwindigkeit stark temperaturabhängig ist und für die gegebene Reaktion bei Temperaturen ! 1 000 (C nahezu verschwindet. Ohne die Gegenwart einer Gasphase oder einer Schmelze ist die Geschwindigkeit einer fest-fest-Reaktion oft niedrig. Die Diffusionsstrecken der Atome verringern sich aber mit abnehmender Korngröße und zunehmender Homogenität des Ausgangsgemenges. Blockierende Schichten an den Oberflächen der Körner können Reaktionen nahezu zum Erliegen bringen (Passivierung). Reaktionszeiten können Tage bis Monate betragen.

2.1 Festkörperreaktionen

175

2.1.3 Reaktionen in Schmelzen Beim Zusammenschmelzen der Reaktionspartner nehmen die ionischen Mobilitäten stark zu, sodass sich Reaktionen rasch vollziehen können. Während im Kristall eine Fernordnung herrscht, bleibt in der „ionischen Flüssigkeit“ lediglich die Nahordnung erhalten. Dies zeigen Röntgen- und Neutronenbeugungsuntersuchungen an geschmolzenen Salzen. Außerdem enthalten geschmolzene Salze praktisch keine Leerstellen. Die Volumenzunahme von 5K10 % im geschmolzenen Zustand resultiert fast ausschließlich aus der Zunahme der Atomradien. Im Allgemeinen sind Schmelzen gut zur Züchtung von Einkristallen geeignet. Für Reaktionen in Schmelzen wie auch für fest-fest-Reaktionen ist die Kenntnis des jeweiligen Phasendiagramms hilfreich, um die Reaktionsbedingungen (Temperatur, Zusammensetzung) richtig einzustellen. Beispielsweise ist zu beachten, dass inkongruent schmelzende Stoffe nicht durch Abkühlung einer Schmelze rein erhalten werden können. Bei vielen hoch schmelzenden Systemen ist der Zusatz einer Fremdschmelze oder eines Flussmittels (Flux) von Interesse. Ein klassisches Beispiel ist die Verwendung von Kryolith (Na3AlF6), welches mit Al2O3 (Smp. 2 050 (C) ein Eutektikum (Smp. 960 (C) bildet, als Schmelzmittel bei der Aluminiumgewinnung (Schmelzelektrolyse). Schmelzflüssige Medien, in denen sich die Reaktionspartner lösen, erhöhen die Mobilitäten und machen kleinere Reaktionstemperaturen möglich. Auch eutektische Mischungen von Salzen können als Salzschmelzen eingesetzt werden. Beispiele für niedrig schmelzende Systeme sind LiCl.KCl (Smp. 355 (C) und NaCl.AlCl3 (Smp. 107 (C). Solche Salze verhalten sich jedoch in Reaktionen nicht immer inert. Klassische Anwendungen von Schmelzen sind Aufschlüsse für schwerlösliche Oxide oder Silicate: Aufschmelzen

2 SnO2 C 2 Na2 CO3 C 9 S $#####% 2 Na2SnS3 C 3 SO2 C 2 CO2 (Freiberger Aufschluss) Salzschmelzen können bei Reaktionen als reaktive Partner oder als Solvenzien dienen. In Schmelzen aus Calciumchlorid lösen sich Calcium-Metall, Graphit oder Calciumcarbid. Beim gleichzeitigen Auflösen von Calcium-Metall und Graphit in CaCl2 entsteht Ca3Cl2C3: 900 (C

CaCl2 C 2 Ca C 3 C $##% Ca3Cl2C3 Setzt man anstatt von Calciumchlorid eine Schmelze aus Calciumbromid ein, so entsteht bei 900 (C CaC2: 900 (C

CaBr2 C Ca C 2 C $##% CaC2 C CaBr2 Beim Auflösen eines Metalls in seinen Verbindungen tritt in einigen Fällen Synproportionierung im Sinne einer metallothermischen Reduktion auf: 850 (C

La C 2 LaI3 ##$% 3 LaI2

176

2 Festkörperchemie

Salzschmelzen wirken also nicht immer nur als Reaktionsmedium, sondern häufig auch als Reaktionspartner. Für Nitride oder für Reaktionen mit Stickstoff besitzen geschmolzene Lithiumsalze oder Metallschmelzen (Alkali-, Erdalkalimetall) gute Löslichkeiten. Für Reaktionen mit Chalkogeniden oder Oxiden dienen Flussmittel wie z. B. Na2Sx oder KOH, Bi2O3, PbO und PbF2. Reaktionen in Oxid- oder Hydroxidschmelzen werden zur Darstellung von Oxiden, wie Perowskiten, Granaten, usw. verwendet, wobei die Beteiligung des Flussmittels an der Reaktion erwünscht oder unerwünscht sein kann. Während direkte Feststoffreaktionen zur Synthese der Supraleiter EuBa2Cu3O7 und La2KxMxCuO4 Temperaturen von mindestens 800K1000 (C erfordern, entstehen bei Reaktionen in NaOH-Schmelzen bereits bei 320 (C Einkristalle der Verbindungen: NaOH, 320 (C

La2O3 C CuO ####$% La2KxNaxCuO4 Die Herstellung von NaCuO2 kann über eine Feststoffreaktion von Na2O2 und CuO unter Sauerstoff oder aus einer NaOH.Na2O2-Schmelze (bei 450 (C) erfolgen: NaOH

2 CuO C Na2O2 ##$% 2 NaCuO2 Eine weitere Möglichkeit zur Synthese von NaCuO2 ist die elektrolytische Abscheidung an Platinelektroden ausgehend von CuO in einer NaOH.KOHSchmelze (! 300 (C). Obwohl die Möglichkeiten der Schmelzflusselektrolyse allgemein nicht gut untersucht sind, konnten nach dieser Methode zahlreiche Oxide wie z. B. Wolframbronzen hergestellt werden.

2.1.3.1 Ionische Flüssigkeiten Ionische Flüssigkeiten sind Salze aus großen Anionen und Kationen, die bei niedrigen Temperaturen (! 100 (C) schmelzen. Von den Salzschmelzen grenzen sich ionische Flüssigkeiten durch ihr breiteres Anwendungspotential als Lösungsmittel ab, und von den herkömmlichen Lösungsmitteln unterscheiden sie sich durch ihren nichtmolekularen Aufbau. Ionische Flüssigkeiten haben keinen messbaren Dampfdruck und können bei Reaktionen sogar unter Vakuumbedingungen eingesetzt werden. Allgemein treten bei Reaktionen in ionischen Lösungsmitteln keine Verluste durch Verdampfung des Lösungsmittels auf. Dadurch entstehen für viele Prozesse Vorteile („Grüne Chemie“), die aber gegen die Feuchtigkeitsempfindlichkeit einiger ionischer Flüssigkeiten und die toxikologischen und entsorgungstechnischen Aspekte abgewogen werden müssen. Die dominanten anziehenden Kräfte, die beim Schmelzen von Salzen überwunden werden müssen, beruhen auf der Coulombanziehung zwischen den unterschiedlich geladenen Ionen. Mit zunehmenden Ionenradien verringert sich die Coulombanziehung in einer ionischen Verbindung und ihr Schmelzpunkt nimmt ab. Die Schmelztemperaturen der in Tabelle 2.2 zusammengestellten Natriumsalze nehmen mit steigendem Anionenradius von ClK ! [BF4]K ! [AlCl4]K ab. Eine weitere Verringerung des Schmelzpunkts wird durch größere Kationen wie z. B. [EMIM]C (1-Ethyl-3-methylimidazolium) anstatt von NaC erreicht.

2.1 Festkörperreaktionen

177

Tabelle 2.2 Ionengrößen und Schmelztemperaturen einiger Salze. Ion (Radius . Å)

ClK (1.7)

[BF4]K (2.2)

[AlCl4]K (2.8)

NaC(1.2) [EMIM]C(2.7 ! 2)

801 (C 87 (C

384 (C 15 (C

185 (C 7 (C

Ionische Flüssigkeiten werden als Lösungsmittel für Reaktionen in der anorganischen und metallorganischen Chemie eingesetzt. Aber auch andere Anwendungen wie z. B. der Einsatz als Flüssigelektrolyt in einer Batterie sind von Interesse.

2.1.4 Chemische Transportreaktionen Eine wichtige Alternative zu direkten fest-fest-Reaktionen (2.1) sind chemische Transportreaktionen (CVT Z chemical vapor transport). Chemische Transportreaktionen werden zur Synthese, Kristallzucht und zur Reinigung von Verbindungen oder Elementen eingesetzt. Für fest-fest- und chemische Transportreaktionen kann dieselbe Reaktionsgleichung geschrieben werden, obwohl verschiedene Mechanismen berücksichtigt werden müssen: A (s) C B (s) $% AB (s)

(1)

Vor der Betrachtung einer Transportreaktion gemäß Reaktion (1) muss zunächst die Teilreaktion eines festen Stoffes (A) genauer beleuchtet werden, denn bei einer chemischen Transportreaktion muss zumindest eines der Edukte über die Gasphase transportierbar sein. Die Mobilisierung des zu transportierenden festen Stoffes A erfolgt durch ein Transportmittel X, mit dem ein Gaskomplex gebildet wird: A (s) C X (g) # AX (g)

(2)

Zur Gewährleistung der Rückreaktion erfordern chemische Transportreaktionen die Existenz eines reversiblen Gleichgewichtes (kleines - ∆H( - s 0) zwischen dem Edukt, Transportmittel und dem (gasförmigen) Produkt. • Bei der chemischen Transportreaktion reagiert ein Stoff A unter Bildung eines gasförmigen Stoffes, der anschließend an einer anderen Stelle der Apparatur unter Abscheidung von A rückreagiert. Der Transport des festen Stoffes über die Gasphase hin zu einem anderen Ort des Reaktionsgefäßes setzt eine Gasbewegung durch Strömung, Diffusion oder thermische Konvektion voraus. Häufig wird im Temperaturgefälle einer geschlossenen Quarzglasampulle gearbeitet. Da es sich um temperaturabhängige Gleichgewichtsreaktionen handelt, hängt die Transportrichtung vom Vorzeichen der Reaktionsenthalpie ∆H( ab. • Verläuft die Reaktion zur Bildung eines Stoffes exotherm (negatives ∆H(), so resultiert ein Transport von der kalten zur heißen Zone; bei der endothermen

178

2 Festkörperchemie

Reaktion (positives ∆H() erfolgt ein Transport von der heißen zur kalten Zone der Apparatur. Beide Fälle, die exotherme und die endotherme Reaktion eines festen Stoffes mit einem Transportmittel, sollen im Folgenden anhand von Beispielen betrachtet werden. 1. Bildung und Zerlegung von exotherm gebildeten Verbindungen Der Mond-Prozess nutzt die Reversibilität der Reaktion (2) zur Darstellung von reinem Nickel aus. Dabei entsteht gasförmiges Ni (CO)4 in einer exothermen Reaktion aus Ni und CO (AXgas Z Ni (CO)4). Rohnickel wird bei etwa 50 (C mit Kohlenmonoxid behandelt und das dabei entstandene Ni (CO)4 wird bei rund 200 (C in reines Nickel-Metall zersetzt. In einem geschlossenen Glasrohr (Ni-Pulver C 1 bar CO2) scheidet sich Nickel in der heißen Zone des Temperaturgefälles (80.200 (C) ab. Nach dem gleichen Prinzip nutzt das van Arkel-de Boer-Verfahren die exotherme Reaktion zwischen Metallen (Ti, Hf, V, Nb, Ta, Cr, Fe, Th) und Iod, um ein gasförmiges Produkt zu bilden. Die Bildung von gasförmigem ZrI4, welches für den chemischen Transport genutzt wird, erfolgt bei der niedrigeren Temperatur (Abb. 2.2): 280 (C

Zr (s) C 2 I2 (g) 2))5 ZrI4 (g) 1 450 (C

An der heißen Stelle des Reaktors zersetzt sich ZrI4 unter Abscheidung von reinem Zr-Metall, und I2 wandert zurück in die kältere Zone. Je nachdem, ob die Reaktion zur Abscheidung von reinem Metall oder zur Synthese von ZrI4 unter Transportbedingungen eingesetzt werden soll, ist Iod in geringer (z. B. wenige Massenprozent des Metalls) oder formelgemäßer Menge einzusetzen. Bei der Synthese von ZrI4 entfällt die heiße Zone und damit auch die Rückreaktion. Eine praktische Anwendung findet der chemische Transport in Halogenlampen. Nachdem Wolfram-Metall teilweise vom Glühfaden „verdampft“ ist (tatsächlich wird W durch Sauerstoff transportiert) und sich am Glaskörper abgeschieden hat, erfolgt der Halogen-Rücktransport. Dabei reagiert W mit I2 und O2 zu WO2I2, welches an der heißesten (dünnsten) Stelle des Glühfadens zu Wolfram-Metall reduziert wird.

Abb. 2.2 Reinigung von Zirconium durch eine Transportreaktion in einer Quarzglasampulle. Bedingt durch die exotherme Reaktion zwischen Zr und I2 erfolgt die Zerlegung von ZrI4 an der heißen Stelle der Ampulle unter Abscheidung von Zirconium-Metall.

2. Bildung und Zerlegung einer endotherm gebildeten Verbindung Die bekannte Verflüchtigung von Platin in sauerstoffhaltiger Atmosphäre beruht auf einer Transportreaktion. Dabei wird glühendes Platin-Metall als PtO2 mobilisiert und im Temperaturgefälle an der weniger heißen Wand als Metall abgeschieden:

2.1 Festkörperreaktionen

179

1 500 (C

Pt (s) C O2 (g) 2))5 PtO2 (g) 3. Die Reaktion von zwei festen Stoffen miteinander Sollen zwei feste Stoffe (A und B) miteinander reagieren (1) und einer davon (A) ist mit einem Transportmittel (X) über die Gasphase (als AX) transportierbar (2), so kann eine Reaktion über chemischen Transport stattfinden. Dabei wird gewissermaßen die „gasförmige Lösung“ des einen Stoffes (AX) mit dem anderen Stoff (B) umgesetzt: AX (g) C B (s) $% AB (s) C X (g)

(3)

Selbst bei räumlicher Trennung der Ausgangsstoffe findet durch Wirkung des Transportmittels eine chemische Reaktion statt. Dabei wird gasförmiges AX an der Oberfläche von B unter Bildung des (nicht chemisch transportierbaren) Reaktionsproduktes (AB) zerlegt. Für die Bildung von AB spielen die Diffusionsgeschwindigkeit (von gasförmigem AX in B-Pulver oder von A und B in festem AB) sowie mögliche Oberflächenblockaden (an B) die geschwindigkeitsbestimmende Rolle. Mit einem geeigneten Transportmittel können so Reaktionen beschleunigt werden, die anderenfalls zu langsam oder unvollständig ablaufen würden. Beispiel: Bildung eines Nickel-Chrom-Spinells Bei der Synthese von NiCr2O4 aus NiO und Cr2O3 durch eine chemische Transportreaktion ist die Präsenz von Sauerstoff von besonderer Bedeutung. Das Edukt Cr2O3 gelangt durch eine Reaktion mit dem Transportmittel Sauerstoff als CrO3 in die Gasphase. Bei der Bildung von NiCr2O4 wandert gasförmiges CrO3 zum festen NiO und wird an dessen Oberfläche in Cr2O3 und O2 zerlegt: 3 Cr2O3 (s) C O2 # 2 CrO3 (g) 2 1 100 (C

NiOCCr2O3 $##% NiCr2O4 Bei Reaktionen in Quarzglasampullen genügen geringe Mengen Wasser aus der nicht völlig trockenen Gefäßwand, um durch H2O bzw. O2 einen chemischen Transport zu ermöglichen. Beispiel: Bildung von Al2S3 Die direkte Umsetzung von Aluminium mit gasförmigem Schwefel läuft wegen der Bildung einer passivierenden Deckschicht aus Al2S3 selbst bei 800 (C nur langsam ab. Bei Zugabe von Iod als Transportmittel wird Al2S3 transportierbar und scheidet sich in der kälteren Zone kristallin ab: 800 (C 3 Al2S3 C 3 I2 (g) 2)5 Al2I6 (g) C S2 (g) 2 700 (C Ausgehend von Al-Metall kann der Reaktionsverlauf durch zwei Teilreaktionen beschrieben werden: 2 Al (l) C 3 I2 (g) # Al2I6 (g) 3 Al2I6 (g) C S2 (g) # Al2S3 (g) C 3 I2 (g) 2

180

2 Festkörperchemie

Dabei wird Aluminium durch das Transportmittel Iod als gasförmiges AlI3 transportiert, welches dann mit Schwefeldampf Al2S3 bildet. Kristalle von Al2S3 scheiden sich in der Zone niedriger Temperatur ab. Beispiel: Reinigung, Trennung und Kristallisation von Cu und Cu2O Wenn zusätzlich auch noch das Reaktionsprodukt mit einem Transportmittel in die Gasphase überführbar ist, werden Diffusionsgeschwindigkeiten und Oberflächenblockaden bedeutungslos. Wird ein Produkt durch ein exothermes und ein anderes Produkt durch ein endothermes Gleichgewicht transportiert, dann lassen sich heterogene Reaktionsprodukte durch chemischen Transport voneinander trennen. Zur Reinigung eines Cu.Cu2O-Gemisches wird sehr wenig HCl als Transportmittel zugesetzt. Sowohl Cu als auch Cu2O sind als Cu3Cl3 über die Gasphase transportierbar. Die Reaktion von Kupfer mit HCl ist endotherm (vgl. Reaktion Pt C O2), während die Reaktion von Cu2O mit HCl exotherm ist (vgl. Reaktion von Zr C I2). Deshalb erfolgt die Zerlegung in Cu in der kälteren Zone und die Zersetzung in Cu2O an der heißen Zone einer Quarzglasampulle (Abb. 2.3): 3 Cu C 3 HCl (g) # Cu3Cl3 (g) C 1,5 H2 (g) 1.5 Cu2O C 3 HCl (g) # Cu3Cl3 (g) C 1.5 H2O (g)

∆ H(Z 19 kJ.mol (endotherm) ∆ H(ZK92 kJ.mol (exotherm)

Abb. 2.3 Die Trennung von Cu und Cu2O im Temperaturgefälle erfolgt über gasförmiges Cu3Cl3. Die Kristallisation von Kupfer erfolgt am kälteren Ampullenende und die Kristallisation von Cu2O erfolgt am heißeren Ampullenende.

Der chemische Transport ist nicht mit dem physikalischen Prozess der Sublimation zu verwechseln. Bei der Sublimation erfolgt der Stofftransport stets von der heißen zur kalten Zone der Apparatur (∆HSubl. ist immer positiv). Der grundsätzliche Unterschied zur Sublimation ist die Tatsache, dass die Gasphase bei einer Transportreaktion nicht dieselbe Zusammensetzung hat wie die feste Phase.

2.1.5 Reaktionen bei „tiefen“ Temperaturen Mit Precursoren („Vorläufern“) können Reaktionen, im Vergleich zu direkten fest-fest-Reaktionen oder zur Kristallisation aus Schmelzen, bei tieferen Temperaturen durchgeführt werden. Ein Vorteil von Precursorrouten ist außerdem, dass die Diffusionsstrecken der Atome oft nur in atomaren Größenordnungen liegen und (thermische) Konvertierungen in das gewünschte Produkt deshalb relativ

2.1 Festkörperreaktionen

181

schnell und vollständig erfolgen können. Allgemein sind derartige „Tieftemperaturmethoden“ von besonderem Interesse, weil damit auch (thermodynamisch) metastabile Verbindungen hergestellt werden können, die unter Hochtemperaturbedingungen nicht stabil und deshalb nicht zugänglich sind. Bei Zerlegungsreaktionen von Precursoren entstehen oft polykristalline Pulver mit kleinen Korngrößen oder sogar amorphe Produkte, was je nach Zielsetzung als Vorteil oder Nachteil angesehen werden kann. Als Precursoren eignen sich unterschiedlichste Verbindungen, Mischfällungen oder feste Lösungen, die thermisch in das gewünschte Produkt zerlegbar sind. Die thermische Zerlegung einer Verbindung, die über geeignete „Abgangsgruppen“ verfügt und dabei in ein gewünschtes Produkt transformiert, ist die vermutlich einfachste Synthesevariante: ∆ 3 (NH4)2Mg (CrO4)2 $ 6 H2O $% MgCr2O4 C 2 NH3 C 7 H2O C O2 2

Ist für ein gewünschtes Produkt kein direkter Vorläufer bekannt, so ist eine zweistufige Reaktion anzuwenden. Eisen- und Zinkoxalate scheiden sich aus übersättigter, wässriger Lösung als homogene Pulver (feste Lösungen) ab. Durch Erhitzen des festen Rückstandes entsteht das gewünschte Produkt. ∆

Fe2 (C2O4)3 C ZnC2O4 $% ZnFe2O4 C 4 CO C 4 CO2 Ein Precursor zur Darstellung des Minerals Spinell kann aus einer wässrigen Lösung der Metallhydroxide bei 100 (C als „Kopolymerisat“ der Metallhydroxide bzw. als so genanntes Gel gefällt werden. Das gewünschte Produkt entsteht durch Erhitzen des Gels auf 300K400 (C: ∆

Mg (OH)2 C 2 Al (OH)3 $% MgAl2O4 C 4 H2O Ein aus Lösung gefälltes Mehrkomponentenoxid ist natürlich stets ein besserer Precursor als ein aus Lösung gefälltes Gemisch der Einzeloxide, da bei der Zersetzung eines auch noch so homogenen Gemenges stets längere Diffusionswege resultieren. Alternativ zu Oxalaten oder Hydroxiden können u. a. Acetate, Alkoholate, Carbonate und Citrate für ähnliche Reaktionen zur Synthese unterschiedlichster Oxide verwendet werden. Eine Sol-Gel-Synthese von ternären Oxiden mit Granat-Struktur wird im Abschnitt 2.9.5.11 vorgestellt. Auch wenn vielleicht zumeist Oxide mit Precursormethoden hergestellt werden, folgt daraus keine Einschränkung. Eine gängige Methode zur Darstellung wasserfreier Seltenerdmetall-Trihalogenide ist die Zersetzung ihrer Ammoniumsalze im Vakuum: ∆

(NH4)3YbCl6 $% YbCl3 C 3 NH4Cl Der Vorteil dieser Methode gegenüber der Synthese aus den Elementen ist die Vermeidung des bei höheren Reaktionstemperaturen als Nebenprodukt entstehenden Oxidchlorids (MOCl). Auf ähnliche Weise kann das metastabile ternäre Chlorid KYb2Cl7 entweder aus (NH4)3YbCl6 in Gegenwart von KCl oder ausgehend von K(NH4)2YbCl6 hergestellt werden. Chevrel-Phasen AxMo6S8 (A Z Cu,

182

2 Festkörperchemie

Pb usw.) lassen sich aus Ax(NH4)2Mo3S9 durch thermische Zerlegung im Wasserstoffstrom herstellen.

2.1.6 Modifizierung von Feststoffen Bereits bestehende Strukturen können durch Interkalation oder Ionenaustausch modifiziert werden. Bei der Interkalation werden zusätzliche Atome in eine Wirtsstruktur eingebracht; beim Ionenaustausch werden Ionen in einer Struktur durch andere Ionen substituiert. Beide Prozesse können in Schmelzen oder in Lösungen erfolgen, wobei eine strukturelle Orientierungsbeziehung zur Ausgangsverbindung (Topotaxie) meistens erhalten bleibt. Eine strukturelle Klassifizierung von Interkalationsverbindungen (und Ionenaustauschern) ist anhand der Dimensionalität eines Wirtsgitters möglich. So kann eine Interkalation in eine Netzwerkstruktur (dreidimensional, z. B. Zeolith), Schichtstruktur (2 D, z. B. TiS2), Kettenstruktur (1 D, z. B. NbS3) oder in eine molekulare Struktur (0 D, z. B. C60) erfolgen.

2.1.6.1 Interkalation Typisch sind Einlagerungen in Schichtstrukturen, in denen starke Bindungen innerhalb der Schichten und schwache (oft Van der Waals-) Kräfte zwischen benachbarten Schichten wirken. Mit der Interkalation findet eine Aufweitung der Schichten statt. Die Ladung des Wirtsgitters kann durch Elektronen- oder Ionentransfer verändert werden. Graphit ist ein bekanntes Beispiel für ein Redoxsystem, in das Kationen (z. B. C8K) oder Anionen (z. B. C24HSO4 · 2.4 H2SO4) interkaliert werden können. Allgemein können aber auch neutrale Moleküle in Strukturen eingelagert werden. Die Schichtstrukturen von Metalldisulfiden mit Metallen der Gruppen 4 und 5 sind für kationische Interkalationen gut geeignet. Die Interkalation K vorzugsweise von Alkalimetallionen K erfolgt in Zwischenräume der Chalkogendoppelschichten: x Li C TiS2 # LixTiS2

(0 ! x ! 1)

Metallatome wirken bei der Interkalation als Elektronendonoren, da sie ihre Elektronen an die Wirtsstruktur abgeben. Die lokalisierte Betrachtung dieses Vorgangs entspricht einer Änderung des Oxidationszustands in der Wirtsstruktur: x LiC C x eK C Ti4C(S2K)2 # (LiC)x (Ti4C)1Kx (Ti3C)x (S2K)2 Auch die relativ offene WO3-Struktur (ReO3-Typ) erlaubt eine breite Palette topotaktischer Redoxchemie unter Bildung von Wolframbronzen AxWO3. Die reduktive Interkalation, beispielsweise mit Lithium, bewirkt dramatische Änderungen von Farbe und Eigenschaften: x Li C WO3

#

gelblich, transparent Isolator

LixWO3

blauschwarz Metall

(0 ! x ! 1)

2.1 Festkörperreaktionen

183

Die Farbänderung beruht auf der Einlagerung von Lithium, dessen Elektron in das Leitungsband der Wirtsstruktur übernommen wird. Durch die elektrochemisch reversibel steuerbare Einlagerung von unterschiedlichen Mengen x Lithium in die Strukturen von WO3 oder MoO3 können die Lichttransmissions- und Lichtemissionseigenschaften dieser Materialien gezielt moduliert werden. Daraus resultieren Anwendungen, z. B. in optischen Displays oder in selbstabblendenden Fahrzeugrückspiegeln. Auch die Interkalation von Protonen und Elektronen in die Struktur von MoO3 kann auf elektrochemischem Wege (reversibel) in verdünnten Säuren durchgeführt werden. Beispiele für metastabile Interkalationsverbindungen sind ZrClH und CsFBr2.x (x Z 1, 2). ZrClH wird bei der Reaktion von ZrCl und H2 durch Einlagerung von Wasserstoffatomen in die Struktur von ZrCl gebildet. Die interkalierten Wasserstoffatome befinden sich zwischen den Zr-Doppelschichten der Struktur (Abb. 2.108). CsFBr2.x entsteht durch Einwirkung von gasförmigem Br2 auf CsF bei 70 (C. Die Strukturen von CsF · Br2 und (CsF)2 · Br2 enthalten neutrale Br2Moleküle. Die Interkalation dieser relativ großen Moleküle erfordert eine erhebliche Umorganisation der CsF-Struktur (NaCl-Typ). Durch Gleitung in den Ebenen der Struktur entstehen deckungsgleich gestapelte, quadratisch planare CsFSchichten, die mit Schichten aus Br2-Molekülen abwechseln. CsF · Br2 und (CsF)2 · Br2 bilden Einlagerungsverbindungen der ersten und der zweiten Stufe. Interkalationen von organischen Molekülen (Amine, Amide, Phosphine, Isocyanate, N-Heterocyclen) in Metalldichalkogenide können unter striktem Wasserausschluss bei bis zu 200 (C erfolgen. Dabei werden die Gastmoleküle in die Chalkogendoppelschichten interkaliert. Öfter als vermutlich erwartet, spielt die Redoxchemie des Gastmoleküles dabei eine wichtige Rolle. Die direkte Reaktion von Pyridin mit 2H-TaS2 führt zu einem Produkt mit der Grenzzusammensetzung TaS2(Pyridin)1.2. Genauere Untersuchungen zeigen jedoch, dass eine partielle Oxidation des Pyridins zu Bipyridin durch TaS2 stattfindet. Außerdem erfolgt eine Änderung in der Schichtenfolge von BaBCaC für (2H-)TaS2 (vgl. Abb. 2.9) nach CbCCaC für die interkalierte Verbindung TaS2(Pyridin)1.2, in der alle Sulfidionen deckungsgleich gestapelt sind.

2.1.6.2 Ionenaustausch Beim Ionenaustausch wird die Gesamtladung des Wirtsgitters nicht verändert. Typisch ist eine anionische Wirtsmatrix mit mobilen Kationen, die durch andere Kationen ausgetauscht werden können. Austauschreaktionen können wie bei der Interkalation in Lösungen oder in Salzschmelzen durchgeführt werden. Hinsichtlich der Anwendungsmöglichkeiten und kommerziellen Bedeutung von Ionenaustauschern sind Zeolithe gegenwärtig die wichtigsten Ionenaustauschermaterialien. Zeolithe sind kristalline Alumosilicate mit innerkristallinen Kanalsystemen. Die Ladung der Al.Si.O-Matrix wird durch die mobilen und austauschbaren Kationen in den Kanälen der Struktur ausgeglichen. Ionenaustauscher aus Silicathydraten (SiO2 · xH2O) oder Zeolithen [Nax(AlO2)x (SiO2)y · mH2O] besitzen weit reichende Anwendungen in Lösungen (Wasserenthärter, Katalysatoren usw.). Andere Metallsilicate wie z. B. Na2Si2O5 sind für präparative Zwecke von

184

2 Festkörperchemie

Interesse. Im Gegensatz zu der hohen für die Festkörpersynthese von Li2Si2O5 benötigten Temperatur (Tabelle 2.1) kann Ag2Si2O5 durch Ionenaustausch bei relativ niedrigen Temperaturen hergestellt werden: AgNO3, 280 (C

Na2Si2O5 #####$% Ag2Si2O5 In Salzschmelzen können Natriumionen in „schnellen“ Ionenleitern, wie z. B. in Na-β-Aluminiumoxid, gegen andere einwertige Ionen (LiC, KC, RbC, AgC, CuC, NHC 4 ) ausgetauscht werden. Die Struktur von Na-β-Aluminiumoxid (Na1CxAl11O17Cx.2) besteht aus Al11O16-Spinellblöcken, die durch Schichten aus Natrium- und Sauerstoffionen voneinander getrennt sind. Der Austausch von Natriumionen erfolgt daher in den Leitungsschichten. Feste Lösungen mit der Zusammensetzung Na1KxZr2(P1KxSixO4)3 bilden für die Phase mit der Grenzzusammensetzung x Z 0 Netzwerke aus [Zr2(PO4)3]KIonen. Sie sind ein Beispiel für die große Familie von Phosphat-Ionenaustauschern. Ihre Lithium- und Natriumderivate bilden Stofffamilien (LISICON, NASICON), die sich durch hohe Ionenleitfähigkeiten auszeichnen (siehe Abschnitt 2.5.4.1, Batterien). Sogar in dicht gepackten Strukturen können Kationen ausgetauscht werden. β-NaAlO2 kristallisiert in einer Strukturvariante des Wurtzit-Typs. Darin besetzen die Kationen beider Sorten Tetraederlückenschichten. In Salzschmelzen, die AgC-, CuC- oder TlC-Ionen enthalten, werden die Natriumionen quantitativ substituiert: CuC, Schmelze

β-NaAlO2 $####% β-CuAlO2 In technischer Hinsicht sind Ionenaustauschreaktionen an ternären Niob- und Tantaloxiden interessant. Die rhomboedrische LiMO3-Struktur (M Z Nb, Ta) wandelt sich in wässriger Lösung in die kubische HMO3-Struktur vom PerowskitTyp um: C

H , 100 (C

LiNbO3 $###% HNbO3 Verbindungen des Typs HMO3 und die unvollständig ausgetauschten Verbindungen Li1KxHxMO3 sind wegen ihrer ferroelektrischen Eigenschaften und ihres nichtlinearen optischen Verhaltens von Interesse.

2.1.7 Reaktionen bei hohen Drücken Hochdruckreaktionen können mit einem reaktiven Gas, einer Flüssigkeit oder mit einem Feststoff durchgeführt werden.

2.1.7.1 Reaktive Gase Für Reaktionen mit Gasen dienen Druckbehälter (Autoklaven) aus inerten Metallen, in denen das reaktive Gas vor der Reaktion einkondensiert oder durch Zersetzung einer anderen Verbindung freigesetzt wird. Als besonders reaktives

2.1 Festkörperreaktionen

185

Gas lässt sich Wasserstoff in Metalle einlagern. Hydrierte Legierungen wie LaNi5H6 oder FeTiH2 kommen als Wasserstoffspeicher in Betracht. Die Einlagerung von H2 in LaNi5 erfolgt bereits bei 25 (C und 2 bar mit merklicher Geschwindigkeit: H2

LaNi5 $% LaNi5H6 Dagegen entstehen andere Hydride erst bei hohen Wasserstoffdrücken (z. B. 3000 bar H2, T Z 700 (C) in Autoklaven, in denen zuvor Wasserstoff einkondensiert wurde: 3 bar H2, 370 (C

2 NaH C Pd $####% Na2PdH2 Die Erfahrung zeigt, dass durch höheren Wasserstoffdruck höhere Oxidationszustände der Metalle erreicht werden können: 2 000 bar H2, 500 (C

2 NaH C Pd $######% Na2PdH4 Die Hochdruckfluorierung (Monel-Autoklav, bis 4500 bar F2, T Z 600 (C) setzt viel Erfahrung voraus. Weicht man nur wenig von den günstigen Bedingungen (Fluordruck, Zeit, Temperatur) ab, so sind die Präparate entweder nicht durchfluoriert oder haben bereits mit dem Reaktionsbehälter reagiert. Besonders interessant oder ungewöhnlich erscheinen Metallfluoride mit hohen Oxidationszahlen der Metallatome. Hierzu zählen Ni4C, Cu3C,4C, Fe4C, Cr4C,5C in Hexafluoroniccolaten (IV) wie SrNiF6 oder Hexafluorocupraten (IV) wie Cs2CuF6. Das Hexafluoroniccolat (IV) K2NiF6 entsteht bei der Reaktion von KF und NiF2 mit XeF2 als Fluorgenerator bei 600 (C unter Druck.

2.1.7.2 Solvothermalsynthesen Solvothermalsynthesen sind heterogene Reaktionen im flüssigen Medium oberhalb des Siedepunktes und bei Drücken über 1 bar. Neben Wasser (Hydrothermalsynthese) ist Ammoniak (Ammonothermalsynthese) das bis heute wichtigste solvothermale Reaktionsmedium. Als einfachste Reaktoren werden dickwandige Glasampullen oder Druckbehälter aus Metall (Autoklaven) verwendet. Zur Vermeidung der Korrosion von Metallautoklaven dienen Tefloneinsätze (bis zu 250 (C) oder Glasampullen, die in die Autoklaven eingebracht werden. Der Druck in der Glasampulle wird über einen Gasgegendruck im Autoklaven und über die Autoklavenwand kompensiert (Abb. 2.4). Unter hydrothermalen Bedingungen gehen schwer lösliche Stoffe als Komplexe in Lösung. Wasser dient dabei gleichzeitig als Lösungsmittel und als druckübertragendes Medium. Wird bei den gewählten Bedingungen eine Mindestlöslichkeit der schwerlöslichen Komponenten von 2K5 % nicht erreicht, so können Mineralisatoren wie Säuren, Basen oder leichtlösliche komplexbildende Stoffe zugesetzt werden. Lithiumtetraborat (LBO), auch Berlinit genannt, ist ein piezoelektrisches Material, das unter hydrothermalen Bedingungen in einem Autoklaven mit Tefloneinsatz aus wässriger Lösung kristallisiert:

186

2 Festkörperchemie

Abb. 2.4 Versuchsanordnung für das Solvothermalverfahren (bis 500 (C und 1K2 kbar Innendruck). Die mit Edukten und Solvens gefüllte, abgeschmolzene Quarzglasampulle (1) befindet sich in einem Stahlautoklaven. Der Gegendruck (2) verhindert das Zerplatzen der Ampulle. Verschlossen wird der Autoklav durch eine Überwurfmutter (3) mit Verschlusskegel (4).

2 LiBO2 C B2O3 $% Li2B4O7 (60 % Füllungsgrad, Ameisensäure als Mineralisator, 250 (C, 100 bar, 8 Tage) Hydrothermalreaktionen dienen zur Synthese und zur Einkristallzüchtung. Dabei gelten die Gesetzmäßigkeiten chemischer Transportreaktionen, als deren Spezialfall die Hydrothermalsynthese angesehen werden kann. Bei der Hydrothermalsynthese reagieren die festen Edukte über das fluide Medium Wasser. Durch die Wirkung eines Temperaturgradienten werden die Reaktionsprodukte durch Konvektion von Bereichen hoher Löslichkeit zu Bereichen niedriger Löslichkeit transportiert und dort kristallin abgeschieden. Auf ähnliche Weise haben sich in der Natur die Mineralien gebildet. Seltener als der Transport von heiß nach kalt ist die umgekehrte Transportrichtung im Falle retrograder Löslichkeit (z. B. bei Metallen). Die in Abb. 2.4 gezeigte Anordnung eignet sich z. B. zur Herstellung von Chalkogeniden oder Chalkogenidhalogeniden. AuITe2 bildet sich in einer Quarzglasampulle aus den Elementen in zehnmolarer HI beim Abkühlen von 450 auf 150 (C innerhalb von 10 Tagen: HI

Au C 2 Te $% AuITe2 Die bedeutendste Anwendung der Hydrothermalsynthese in der Technik ist die Fertigung von Quarzkristallen für piezoelektrische Anwendungen (Oszillatoren). Ihre Kristallisation erfolgt bei 380 (C aus alkalischer Lösung. Eine gewisse Rolle spielt auch die Kristallzüchtung künstlicher Edelsteine, wie Quarzvarianten

2.1 Festkörperreaktionen

187

(Amethyst, Citrin, Rauchquarz) oder Saphir, Rubin und Smaragd. Synthetische Smaragde stammen aus hydrothermaler Züchtung bei 500K600 (C und 1 kbar Druck. Magnetische Oxide für Informationsspeicher werden ebenfalls hydrothermal hergestellt. Ausgangsverbindungen zur Herstellung von ferromagnetischem Chrom (IV)oxid (für Magnetspeicherbänder) werden in hydrothermalen Druckprozessen bei 300K400 (C und 50K800 bar zu nadelförmigen CrO2-Kristallen umgesetzt: Cr2O3 C CrO3 $% 3 CrO2 1 CrO3 $% CrO2 C O2 2 Die Zersetzung von überschüssigem CrO3 liefert den Sauerstoffdruck, der in der geschlossenen Ampulle den hohen Druck aufbaut und CrO2 gegenüber Wasser stabilisiert. Auch viele andere Metalloxide mit magnetisch geordneten Strukturen, wie γFe2O3, Ferrite und Granate können hydrothermal hergestellt werden.

2.1.7.3 Fest-Fest-Reaktionen bei hohen Drücken Der Phasenübergang von einer Normal- in eine Hochdruckphase kann durch mechanischen Druck und Heizen (bis zu etwa 100 kbar und 1 800 (C) mittels spezieller Hochdruckapparaturen (Zylinder-Stempel-, Squeezer-, Belt-, Tetraeder- oder Würfelapparatur) induziert werden. Das pT-Phasendiagramm in Abb. 2.5 zeigt den Normalfall eines mit der Temperatur ansteigenden Umwandlungsdrucks. Eine Druckerhöhung bei konstanter Temperatur führt (reversibel) von der Normal- zur Hochdruckphase, während eine Temperaturerhöhung bei konstantem Druck von der Hochdruck- zur Normaldruckphase führt.

Abb. 2.5 Typisches Temperatur-Druck-Phasendiagramm mit Stabilitätsgebieten von Normaldruckphase, Hochdruckphase und Schmelze.

Entscheidend für die Isolierung einer Hochdruckphase ist die Reaktionsgeschwindigkeit. Verläuft eine Reaktion „ungehemmt“, d. h. mit hoher Geschwindigkeit in beide Richtungen, so ist die Hochdruckphase nicht isolierbar und muss

188

2 Festkörperchemie

in situ untersucht werden (unter Hochdruckbedingungen). Nur wenn die Druckumwandlung „gehemmt“ verläuft (d. h. nur bei hohen Temperaturen mit merklicher Geschwindigkeit), kann die Hochdruckphase stabilisiert werden. In der Praxis wird deshalb versucht, die Hochdruckphase vor der Druckentlastung durch rasches Abkühlen auf tiefe Temperaturen („quenching“) zu stabilisieren. • Beim druckinduzierten Phasenübergang resultiert für den Feststoff in der Hochdruckphase eine dichtere Packung der Atome (Volumenkontraktion), die im Allgemeinen zur Erhöhung der Koordinationszahl führt. Mit zunehmender Koordinationszahl werden Bindungen zunehmend ungerichtet; die Delokalisierung von Elektronen und die metallischen Eigenschaften nehmen zu. In einer vereinfachten Vorstellung sind die häufig größeren, weicheren Anionen stärker komprimierbar als die Kationen. Die Drucksteigerung bewirkt daher eine Vergrößerung des Radienquotienten r (KC).r (AK). Da die Koordinationszahl der Kationen mit steigendem Radienquotienten zunimmt (vgl. Abschnitt 2.2.2), sind für binäre Verbindungen Übergänge in der Abfolge der Strukturtypen Zinkblende (Koordinationszahl 4) $% NaCl (KZ 6) $% CsCl (KZ 8) zu erwarten. Tatsächlich sind viele strukturelle Umwandlungen vom Zinkblende-Typ in den NaCl-Typ und vom NaCl-Typ in den CsCl-Typ durch Beispiele belegt: 20 (C, 20 kbar

KCl (NaCl-Typ) $####% KCl (CsCl-Typ) Eine technisch wichtige Anwendung von Hochdruckreaktionen ist die Darstellung von Diamant aus Graphit. In der Praxis wird diese Phasenumwandlung mithilfe von Katalysatoren bei etwa 1600 (C und 70 kbar durchgeführt: 3 000 (C, O100 kbar

CGraphit $######% CDiamant Weitere wichtige Beispiele für druckinduzierte Phasenübergänge sind Umwandlungen zwischen einigen Quarzmodifikationen. Neben den zahlreichen bekannten Modifikationen unter atmosphärischen Druckbedingungen sind von SiO2 außerdem noch Hochdruckmodifikationen bekannt. Unter etwa 30 kbar (je nach Temperatur) Druck wandelt sich Quarz in Coesit (KZ unverändert 4, Dichtezunahme 20 %) und oberhalb von etwa 120 kbar in Stishovit (Rutil-Typ, KZ 6, Dichtezunahme um weitere 45 %) um. Eine Besonderheit von Hochdruckphasen sind ungewöhnliche Strukturen, Koordinationszahlen und elektrische Eigenschaften. Halbleitendes SmS geht bei 6.5 kbar unter Erhalt des NaCl-Strukturtyps in eine metallische Phase über. Bei der Umwandlung findet ein fKd-Konfigurationsübergang (f nd0 $% f nK1d1) eines 4fElektrons pro Formeleinheit SmS in die 5d-Zustände statt. Wegen der Elektronendelokalisierung in diesen Energiezuständen hat die Hochdruckmodifikation von SmS metallische Eigenschaften. Der gegenüber Sm2C(4f 65d0) kleinere Radius von Sm3C(eK) (4f 55d1) ist für die Volumenkontraktion in Sm3CS2K(eK) verantwortlich. Ein analoges elektronisches Verhalten (Übergang Nd2C $% Nd3C), jedoch gekoppelt mit einer Strukturumwandlung, findet man für NdI2. In einer BeltApparatur wird NdI2 vom SrBr2-Typ in den für intermetallische Verbindungen typischen MoSi2-Typ (auch Ti2Cu-Typ genannt) umgewandelt:

2.2 Die Beschreibung von Kristallstrukturen

189

450 (C, 20K40 kbar

NdI2 (SrBr2-Typ) $######% NdI2 (eK) (MoSi2-Typ) Der MoSi2-Strukturtyp wird für LaI2, CeI2 und PrI2 bereits unter Normalbedingungen gefunden. Dihalogenide dieses Strukturtyps mit dreiwertigen Seltenerdmetallen haben metallische Eigenschaften. Die Kristallstruktur und die Bandstruktur von LaI2 (eK) sind im Abschnitt 2.6.4.4 gezeigt.

2.2 Die Beschreibung von Kristallstrukturen Kristallstrukturen können anhand von verschiedenen Modellen beschrieben werden, die nicht miteinander konkurrieren, sondern nach ihrer Zweckmäßigkeit herangezogen werden. Die kristallographische Beschreibung orientiert sich an internationalen Konventionen. Danach werden Kristallstrukturen durch Gitterkonstanten (a, b, c) und Winkel (α, β, γ), die Anzahl der Formeleinheiten in der Elementarzelle (Z), ein Raumgruppensymbol und die Atomkoordinaten (x.a, y.b, z.c) aller Atome in der kleinsten Einheit der Elementarzelle angegeben. Die Größe der asymmetrischen Einheit richtet sich nach der Kristallsymmetrie. In der Raumgruppe P 1 ist die asymmetrische Einheit bedingt durch Inversionssymmetrie genau halb so groß wie die Elementarzelle. Die Raumgruppe Pmmm enthält drei senkrecht zueinander stehende Spiegelebenen, weshalb die asymmetrische Einheit nur ein Achtel der Elementarzelle einnimmt. Wenn die kristallographische Beschreibung für die Anschaulichkeit einer Struktur zu komplex ist, werden charakteristische Fragmente einer Struktur anhand von Koordinationspolyedern und ihren Verknüpfungen betrachtet. Eine häufig verwendete Beschreibung basiert auf dem Konzept dichtester Packungen von Atomen oder Ionen, wobei diese als harte Kugeln betrachtet werden.

2.2.1 Dichteste Packungen von Atomen Bei der Diskussion von Kristallstrukturen bedient man sich in der Festkörperchemie oft der Analogie zu bekannten oder typischen Kristallstrukturen. Die Strukturen vieler Festkörper können als dichteste Kugelpackungen von Atomen oder Ionen beschrieben werden. In einer dichtest gepackten Schicht sind die Atome an den Ecken gleichseitiger Dreiecke angeordnet. Packt man auf eine solche Schicht von Kugeln eine zweite dichtest gepackte Schicht, so wird die Packung am dichtesten, wenn die Kugeln der zweiten Schicht in den Senken der ersten liegen (Schichtenfolge AB). Für die dritte Schicht ergeben sich zwei Möglichkeiten: 1. Die Schichtenfolge ABAB ..., wobei die Kugeln der dritten Schicht in Senken der zweiten Schicht liegen, die deckungsgleich zur ersten Schicht sind.

190

2 Festkörperchemie

2. Die Schichtenfolge ABCABC ..., wobei die Kugeln der dritten Schicht in Senken der zweiten Schicht liegen, die nicht deckungsgleich zur ersten Schicht sind. Die Schichtenfolge ABAB ... wird als hexagonal dichteste Packung (hdP) und die Schichtenfolge ABCABC ... als kubisch dichteste Packung (kdP, kubisch flächenzentriert) bezeichnet (Abb. 2.6). Da Schichten natürlich auch in komplexer Weise übereinander liegen können, sind die hdP und kdP nur zwei häufige (kurzperiodische) Polytypen von (unendlich) vielen. Eine dritte häufig auftretende, aber weniger dichte Struktur ist die kubisch raumzentrierte Struktur (krz). Die meisten Metalle kristallisieren in einer der drei genannten Strukturen (Tabelle 2.3). Tabelle 2.3 Elementstrukturen, Raumerfüllung (RE) und Koordinationszahl (KZ) bei Normalbedingungen.

kdP hdP krz kub. primitiv Diamant a)

REa)

KZ

Beispiele

0.74 0.74 0.68 0.52 0.34

12 12 8C6 6 4

Ca, Sr, Al, Ni, Cu, Rh, Pd, Ag Be, Mg, Sc, Ti, Co, Zn, Y, Zr Alkalimetalle, V, Cr, Fe, Nb, Mo, Ta, W Po C, Si, Ge

4 3Z Z RE Z π r , mit r Z Radius der Kugeln, Z Anzahl der Kugeln pro Volumenelement. V V 3

Um Strukturen mit mehr als nur einer Atomsorte aufzubauen, kann man sich Anordnungen vorstellen, in denen die größeren Packungsteilchen (meistens die Anionen) dichteste Kugelpackungen bilden, deren oktaedrische oder.und tetraedrische Lücken durch die kleineren Lückenteilchen (meistens die Kationen) besetzt werden. Eine dichteste Packung aus N Kugeln enthält N Oktaederlücken und 2 N Tetraederlücken. Oktaederlücken werden durch kleine griechische Buchstaben bezeichnet, die ihre relative Position in den Schichten bezüglich der Packungsteilchen angeben. So liegt eine Oktaederlücke des Typs γ in Stapelrichtung deckungsgleich zur Lage der Packungsteilchen C der dichtest gepackten Schicht (analoges gilt für den Bezug der Positionen der Lagen α.A und β.B). Zwischen den Schichten A und B liegen Oktaederlücken der Position γ und zwischen den Schichten A und C oder B und C liegen die Oktaederlücken der Position β bzw. α. Beispiele hierfür sind die einfachen Abfolgen: AγBγAγBγ ... (hdP) und AγBαCβAγBαCβ ... (kdP) Tetraederlücken werden durch kleine lateinische Buchstaben gekennzeichnet. Zwischen den Schichten A und B liegen zwei Schichten von Tetraederlücken mit den Positionen b und a: AbaBabAbaBab ... (hdP) und AbaBcbCacAbaBcbCac ... (kdP). Da sich die Tetraederlücken in der hdP (... aBa ...) räumlich zu nahe kommen, ist kein Strukturtyp bekannt, in dem all diese Lücken besetzt wären.

2.2 Die Beschreibung von Kristallstrukturen

191

Abb. 2.6 (a) Die hexagonal dichteste Packung (Packungsfolge ABAB ...) und (b) die kubisch dichteste Packung (Packungsfolge ABCABC ...). Gezeigt sind jeweils die einfache Abfolge von Kugelschichten und der Bezug zur entsprechenden hexagonalen und kubischen Elementarzelle.

Für eine beliebige Abfolge von dichtest gepackten Schichten erhält eine Schicht A die Bezeichnung h (Z hexagonal), wenn sie von zwei gleichartigen (... BAB ...), und c (Z kubisch), wenn sie von zwei ungleichen (... CAB ...) Nachbarschichten umgeben ist. Danach wird die Schichtenfolge ABAC als chch oder (ch)2 bezeichnet (Jagodzinski-Symbolik).

2.2.2 Lückenbesetzungen in dichtest gepackten Strukturen Für die Lückenbesetzungen in dichtest gepackten Strukturen werden bei ionischen Verbindungen die sterischen Kriterien der Radienquotienten angewendet (Radius des Lückenteilchens.Radius des Packungsteilchens). Bei der Bestimmung der „idealen“ Radienquotienten geht man von den Berührungsradien der Packungsteilchen in einer Struktur aus. Daraus lässt sich der Wert für den Radius des Lückenteilchens als Berührungsradius mit den Packungsteilchen berechnen. Demnach beträgt der „ideale“ Radienquotient (alle Kugeln berühren sich) für die Besetzung einer tetraedrischen Lücke 0.22, für eine oktaedrische Lücke 0.41 und für eine kubische Umgebung (KZ Z 8) 0.73. Allerdings ist eine Unterschreitung des „idealen“ Radienquotienten kritisch, da die Lückenteilchen zu klein werden und Abstoßungen zwischen den Packungsteilchen erfolgen. Daher werden im Fall ionischer Bindung für Radienquotienten ! 0.73 Oktaederlücken und für Radienquotienten ! 0.41 Tetraederlücken besetzt. Abweichungen von der Radienquotientenregel ergeben sich u. a. durch den Einfluss der Polarisation (Z

192

2 Festkörperchemie

Verzerrung der Ladungsdichte eines Ions). Während bei der ionischen Bindung ungerichtete Kräfte zwischen Ionen wirken, werden mit zunehmender Polarisation kovalente Bindungsanteile wichtiger. Ein Beispiel für das Auftreten von Polarisationseffekten ist die CdI2-Struktur.

2.2.3 Beschreibung wichtiger Strukturtypen 2.2.3.1 Natriumchlorid-Struktur Die Struktur von Natriumchlorid (Abb. 2.7a) besteht aus einer kubisch dichtesten Packung von Anionen, in der die Kationen oktaedrische Lücken besetzen. Der Radienquotient liegt mit 0.56 [r (NaC) : r (ClK) Z 102 : 181 pm] über dem „idealen“ Wert einer Oktaederlückenbesetzung. Als Folge der „zu großen“ Natriumionen werden die Chloridionen auseinandergedrückt. Die Stapelfolge lautet AγBαCβAγBαCβ ... Diese Schreibweise soll zum Ausdruck bringen, dass Kationen der Position γ in der Projektion senkrecht zu den Schichten deckungsgleich zu Anionen der Position C liegen. In einer anderen Betrachtungsweise kann man sich die NaCl-Struktur als zwei ineinander gestellte kubisch flächenzentrierte Teilstrukturen aus NaC und ClK vorstellen (Raumgruppe Fm3m). Im Natriumchlorid-Typ kristallisieren z. B. folgende Verbindungen: LiCl, KBr, RbI, Ag (F, Cl, Br), (Mg, Ca, Sr, Ba)(O, S), TiO, FeO, NiO, SnAs, UC, ScN, alle Alkalimetallhydride

2.2.3.2 Caesiumchlorid-Struktur In der Caesiumchlorid-Struktur (Abb. 2.7b) ist die Koordinationszahl für beide Ionensorten acht, da ihre Ionenradien ähnlich sind (Radienquotient z 0.97). Ionen einer Sorte besetzen die acht Ecken und ein Ion der anderen Sorte das Zentrum der Elementarzelle (Raumgruppe Pm3m). Die Struktur kann man sich als zwei ineinandergestellte primitive Teilstrukturen aus CsC und ClK vorstellen. Hier wie in der Struktur von NaCl liegen kommutative (austauschbare) Teilgitter aus Kationen und Anionen vor. In einer Variation dieses Strukturtyps kristallisieren auch intermetallische Verbindungen wie β-Messing (CuZn), wobei Gitterplätze beider Sorten gleichmäßig von Kupfer und Zink besetzt werden. Im Caesiumchlorid-Typ kristallisieren z. B. folgende Verbindungen: CsBr, CsI, CaS, TlSb, CuZn (CsCN, NH4Cl, vgl. Abschn. 2.4.1).

2.2.3.3 Nioboxid-Struktur Die Struktur von NbO (Abb. 2.74a) kann als eine geordnete Defektstruktur des NaCl-Typs angesehen werden. Niobatome besetzen alle Flächenmitten und die O2K liegen auf allen Kantenmitten der kubischen Elementarzelle (Raumgruppe Pm3m). In der Struktur treten NbKNb-Wechselwirkungen auf. Die Koordinati-

2.2 Die Beschreibung von Kristallstrukturen

193

Abb. 2.7 Kristallstrukturen von (a) NaCl (b) CsCl, (c) NiAs, (d) Zinkblende und (e) Wurtzit. Metallatome sind als schwarze Kugeln gezeichnet. Zur besseren Übersicht sind alle Atome verkleinert dargestellt.

onsumgebung für beide Atomsorten, O um Nb und Nb um O, ist quadratisch planar und die Abstände (dNbKNb Z dOKO) betragen 298 pm. In Niob-Metall ist dNbKNb Z 286 pm.

2.2.3.4 Nickelarsenid-Struktur Die Nickelarsenid-Struktur (Abb. 2.7c) kann als hexagonal dichteste Packung der Anionen aufgefasst werden, in der entsprechend der Schichtfolge AγBγAγBγ ... alle oktaedrischen Lücken (γ) durch Ni-Atome besetzt sind (Raumgruppe P63. mmc). Die Arsenatome haben eine trigonal-prismatische Umgebung aus sechs Nickelatomen. Da die Nickelatome in allen Oktaederlückenschichten deckungsgleich liegen (Ni bildet ein primitive hexagonale Teilstruktur), hat jedes zwei zusätzliche Ni-Nachbarn aus benachbarten Schichten (dNidNi Z c.2). Außer kovalenten Bindungen zwischen den beiden Atomsorten treten NidNi-Bindungen auf. Verbindungen des NiAs-Strukturtyps sind: Ti (S, Se, Te), V(S, Se, Te, P), Cr (S, Se, Te, Sb) Mn (Te, As, Sb, Bi), Fe (S, Se, Te, Sb, Sn), Co (S, Se, Te, Sb) Ni (S, Se, Te, As, Sb, Sn), Pd (Te, Sb, Sn), Pt (Sb, Bi, Sn)

194

2 Festkörperchemie

2.2.3.5 Wolframcarbid-Struktur In der WC-Struktur (Abb. 2.62) sind alternierende Schichten von Nichtmetall und Metall entsprechend AβAβ ... gestapelt (Raumgruppe P6m2). Es handelt sich um zwei ineinander gestellte primitive hexagonale Untergitter von Anionen und Kationen. Daher besitzen beide Atomsorten trigonal-prismatische Umgebungen. Wichtige Vertreter dieses Typs sind ZrS und ScS.

2.2.3.6 Kubische Zinksulfid-Struktur (Zinkblende) In der Zinkblende-Struktur (Abb. 2.7d) bilden die Packungsteilchen eine kubisch dichteste Packung. Die Lückenteilchen besetzen die Hälfte der Tetraederlücken (Ab,Bc,Ca,Ab,Bc,Ca, ...). Alle Atome sind K wie in der DiamantStruktur K tetraedrisch koordiniert. Die Ionen bilden ähnlich wie im NaCl- und CsCl-Typ Teilgitter, in denen Kationen- und Anionenplätze vertauscht werden können. Der starke kovalente Einfluss bewirkt hier eine Abweichung von der Erwartung durch die Radienquotientenregel. Die kubische ZnS-Struktur ist als struktureller Vertreter der III-V-Halbleiter (Gruppe 13K15) bekannt. Wichtige Vertreter des Zinkblende-Typs sind: SiC, Be (S, Se, Te), B(N, P, As), AlSb, Ga (P, As, Sb), In (P, As, Sb), Zn (S, Se, Te), Cd (S, Te), Hg (S, Se, Te), Cu (Cl, Br, I), Mn (S, Se), γ-AgI

2.2.3.7 Hexagonale Zinksulfid-Struktur (Wurtzit) Das Mineral Wurtzit ist eine andere polymorphe Modifikation des Zinksulfids. Die größeren Packungsteilchen bilden in der Wurtzit-Struktur (Abb. 2.7e) eine hdP und die Lückenteilchen besetzen die Hälfte der tetraedrischen Lücken (Ab,Ba,Ab,Ba, ...). Manche Verbindungen existieren (wie ZnS) sowohl in der hexagonalen (Raumgruppe P63mc) als auch in der kubischen ZnS-Struktur (Raumgruppe F43m). Außerdem existieren für einige Modifikationen von SiC und ZnS komplizierte Strukturen, in denen Stapelvarianten (Polytypen) aus beiden dichtesten Kugelpackungen vorliegen. Wichtige Vertreter des Wurtzit-Typs sind: Be (O, S, Se, Te) MgTe, SiC, Zn (O, S, Se, Te), Cu (F, Cl) Cd (S, Se), Mn (S, Se, Te), (Al, Ga, In)N, β-AgI

2.2.3.8 Calciumfluorid-Struktur (Fluorit) Das Mineral Fluorit (Abb. 2.8a) kristallisiert in einer aufgefüllten Variante des Zinkblende-Typs. In der Struktur bilden die Kationen (Ca2C) eine kdP, deren Tetraederlücken (8 : 4 Koordination) entsprechend AbaBcbCacAbaBcbCac ... von Anionen (FK) besetzt sind (Raumgruppe Fm3m). Eine Struktur, in der um-

2.2 Die Beschreibung von Kristallstrukturen

195

Abb. 2.8 Kristallstrukturen von (a) CaF2, (b) TiO2 (Rutil), (c) SiO2 (β-Cristobalit), (d) Cu2O. Metallatome sind als schwarze Kugeln gezeichnet. Zur besseren Übersicht sind alle Atome verkleinert (nicht raumfüllend) gezeichnet.

gekehrt Anionen eine kdP aufbauen und Kationen darin tetraedrische Lücken besetzen, wird als Antifluorit-Struktur bezeichnet. In Strukturen des CaF2- und des anti-CaF2-Typs kristallisieren viele Fluoride und Oxide: (Ca, Sr, Ba, Cd, Hg, Pb)F2, Be2 (B, C), (Zr, Hf)O2 und (Li, Na, K, Rb)2 (O, S); intermetallische Verbindungen: (Ge, Sn)Mg2, PtAl2 oder Metallhydride (MH2Kx) von Ti, Zr und Hf

2.2.3.9 Titandioxid-Struktur (Rutil) Die Rutil-Struktur (Abb. 2.8b) beruht nicht auf einer dichtesten Packung. Die Anionen bilden gewellte „hexagonale“ Schichten, zwischen denen Kationen jede zweite Oktaederlücke besetzen (Raumgruppe P42.mnm). In der Struktur sind [TiO6]-Oktaeder durch gemeinsame Kanten zu Strängen verbunden (Abb. 2.69), die ihrerseits über alle Spitzen verknüpft sind. Die Anionen haben drei Kationen in leicht verzerrter trigonaler Anordnung als nächste Nachbarn (6 : 3 Koordination). Verbindungen mit nicht polarisierbaren Anionen wie Fluorid und Oxid kristallieren im Rutil-Typ: (Cr, Mn, Fe, Co, Ni, Cu, Zn, Pd)F2, (Ti, Nb, Ta, Cr, Mo, W, Mn, Ru, Os, Ir, Ge, Sn, Pb, Te)O2

196

2 Festkörperchemie

Wegen der Ligandenfeldeffekte in den d4- und d9-Konfigurationen sind die Strukturen von CrF2 und CuF2 verzerrt. Verzerrte Strukturen dieses Typs treten auch bei den Übergangsmetalldioxiden auf (vgl. VO2, Abb. 2.69).

2.2.3.10 β-Cristobalit-Struktur Die Struktur von β-Cristobalit (Abb. 2.8c) enthält wie andere Quarzmodifikationen eckenverknüpfte [SiO4]-Tetraeder. In der kubischen Struktur (Fd3m) nehmen Siliciumatome die Lagen der Kohlenstoffatome in der Diamantstruktur ein. Zwischen jedem Paar von Siliciumatomen sitzt ein Sauerstoffatom; daraus resultiert eine 4 : 2 Koordination. Beispiele sind β-SiO2 und BeF2.

2.2.3.11 Cuprit-Struktur Die Struktur von Cu2O (Abb. 2.8d) besteht aus einer kdP von Kupferionen, in der die Sauerstoffatome tetraedrische Lücken besetzen. Die Kupferionen sind linear von zwei Sauerstoffatomen umgeben (2 : 4 Koordination). Der Cuprit-Typ kann als zwei sich gegenseitig durchdringende Netzwerke des anti-β-CristobalitTyps betrachtet werden. Beispiele sind Cu2O und Ag2O. Eine Übersicht über Lückenbesetzungen in dichtesten Kugelpackungen gibt die Tabelle 2.4. Die Besetzung nur jeder zweiten Oktaederlückenschicht einer dichtesten Kugelpackung führt zu Schichtstrukturen. Beispiele hierfür sind die Strukturen des CdI2- und CdCl2-Typs.

2.2.3.12 Cadmiumiodid-Struktur Die Cadmiumiodid-Struktur entspricht einer im Kationenteilgitter ausgedünnten Nickelarsenid-Struktur (Abb. 2.94). In der hdP der Anionen (AγB,AγB, ...) besetzen die Kationen nur jede zweite Oktaederlückenschicht (Raumgruppe P3m1). Es resultiert eine Schichtstruktur mit 6 : 3 Koordination. Beispiele für diesen Strukturtyp sind Verbindungen mit Polarisationseffekten: (Ca, Cd, Ge, Pb, Th, Tm, Yb)I2, Mg (Br2, I2), Co (Br2, I2), Ti (Cl2, Br2, I2), V(Cl2, Br2, I2), (Ti, Zr, Pt) (S2, Se2, Te2), TaS2, (Co, Ni, Pd, Rh, Ir, Si)Te2 oder Antitypen wie Ag2F

2.2.3.13 Cadmiumchlorid-Struktur In der Cadmiumchlorid-Struktur bilden die Anionen eine kdP, in der jede zweite Oktaederlückenschicht durch Kationen besetzt ist. Eine Identitätsperiode beinhaltet jedoch sechs dicht gepackte Anionenschichten (vgl. 3 R-Typ in Abb. 2.9): AγB,CβA,BαC,AγB,CβA,BαC, ... (Raumgruppe R3m).

2.2 Die Beschreibung von Kristallstrukturen

197

Tabelle 2.4 Strukturen aus kubisch und hexagonal dichtesten Kugelpackungen mit besetzten Lücken. Oh

kdP

Td

Strukturtyp

Oh

alle alle K

alle K alle

Li3Bi NaCl CaF2

K

K

K

K

CdCl2

K

Anatas TiO2

1 2

Zinkblende ZnS

K

K

K

1 3

K

CrCl3

1 3

γ-Ga2S3

K

K

NbF4

1 4

1 4

HgI2

K

K

UCl5

K

K

1 2 1 2 K

K 1 4 K 1 5 K K 1 2 a) b)

1 6 1 8

hdP

K alle K 2 3 1 2 1 2 K 3 8 1 3

1 5 1 6

In2I6

K

Spinell MgAl2O4

1 2

Tda)

Strukturtyp

K K K

K NiAs K

K

Korund Al2O3

K

CdI2

K

CaCl2, Rutilb) TiO2

1 2

Wurtzit ZnO, ZnS

K

Nb3Cl8

K

ZrI3

1 3

β-Ga2S3

K

NbCl4

1 4

β-ZnCl2

K

MoCl5

K

WCl6

1 6 1 8

Al2Br6 Olivin Mg2SiO4

In der hdP kann maximal nur die Hälfte der Tetraederlücken besetzt werden, da sich die Lückenteilchen, z. B. b in der Packungsfolge ... bAb ..., räumlich zu nahe kommen. Verzerrt dichteste Packung.

Bei den typischen Vertretern des CdCl2-Typs sind Polarisationseffekte weniger ausgeprägt als im CdI2-Typ: (Mg, Mn, Fe, Co)Cl2, Ni (Cl2, Br2, I2), Zn (Br2, I2), Cd (Cl2, Br2), PbI2

2.2.3.14 Beschreibung von Schichtstrukturen Kristalline Feststoffe kommen oft in mehr als nur einer Modifikation vor. Tritt dieses Phänomen der Polymorphie in nur einer Dimension auf, spricht man von Polytypen. Polytypen mit trigonal-antiprismatischer oder trigonal-prismatischer Koordination der Metallatome werden durch unterschiedliche Abfolgen von

198

2 Festkörperchemie

Atomschichten erzeugt. Als Projektionsebene wird für trigonale, rhomboedrische und hexagonale Strukturen die hexagonale (110)-Fläche verwendet (auch (1120)Fläche genannt). Dies ist die Fläche, die die hexagonal aufgestellte Elementarzelle bei x Z a und y Z b schneidet und parallel zur z-Achse verläuft. In dieser Fläche liegen sowohl Packungs- als auch Lückenteilchen. Die Atomlagen in der 2 1 1 2 in Bezug auf die Positionen (110)-Fläche sind durch A (0, 0), B , , C , 3 3 3 3 in der hexagonalen ab-Fläche festgelegt (Abb. 2.9 oben). Für die Lagen von Anionen werden Großbuchstaben (A, B, C), für Kationen werden Kleinbuchstaben (a, b, c) verwendet. Diese für Polytypen verwendete Nomenklatur darf nicht mit der Lückenbesetzung dichtester Kugelpackungen verwechselt werden, in denen die Tetraederlücken mit Kleinbuchstaben a, b, c bezeichnet werden!

( ) ( )

Abb. 2.9 Projektionen der (110)-Flächen von fünf Schichtstrukturen. Die Positionen A, B, C, A in der (110)-Fläche einer hexagonal aufgestellten Elementarzelle (α Z β Z 90( und γ Z 120() sind in der Abbildung oben links gezeigt. In den einzelnen Darstellungen von (110)-Flächen sind Anionen als große leere Kugeln und Kationen als kleine schwarze Kugeln dargestellt. Die Stapelfolge der Anionen und Kationen entlang c ist gemäß ihrer Lage in der Abfolge von unten nach oben angegeben. Beispiel 1T-CdI2: Von unten nach oben gelesen besitzen Anionen die Orientierung A, danach folgt ein Kation der Orientierung b und ein Anion der Orientierung C. Für die Kationen können oktaedrische (z. B. ... AbC ...) oder trigonal-prismatische (z. B. ... CaC ...) Koordinationen auftreten. Für die Struktur von MoS2 sind zwei Polytypen gezeigt.

Im einfachsten Polytyp der CdI2-Struktur bilden zwei Anionenschichten zusammen mit einer Kationenschicht der Abfolge AbCAbC ... den 1T-Typ (T steht für trigonal). Metallatome können wie in der Struktur von CdI2 oktaedrisch (... AbC ...) oder wie in der Struktur von MoS2 trigonal-prismatisch (... AcA ... oder ... CaC ...) koordiniert sein. Die Projektion wichtiger Polytypen zeigt Abb. 2.9. Polytypen können mit wesentlich komplizierteren Schichtenfolgen (größeren Perioden) auftreten, die über den 2H-Typ (H steht für hexagonal) oder 3R-Typ (R steht für rhomboedrisch) hinausgehen. Zahlreiche Übergangsmetallchalkoge-

2.3 Nanochemie

199

nide kristallisieren in trigonalen, hexagonalen oder rhomboedrischen Schichtstrukturen aus XKMKX-Schichtpaketen (vgl. Abschnitt 2.9.6.3).

2.3 Nanochemie Die Nanochemie befasst sich mit der Chemie kleinster Teilchen. Dazu gehören die Herstellung und Strukturierung von Stoffen, die ihre Funktionalität aus ihren Abmessungen im Nanometerbereich beziehen.2 Der Durchmesser von Nanopartikeln oder Nanoteilchen (von griech. nanos Z Zwerg) beträgt weniger als 100 nm. Ein Nanoteilchen enthält damit höchstens einige 10 000 Atome, ähnlich wie ein sehr großes Molekül, wohingegen sich in einem kleinen Kristall mehrere Milliarden Atome befinden. Übliche metallische oder keramische Feststoffe bestehen aus Gefügen kleiner Kristalle oder Körner, deren Durchmesser einige Mikrometer bis Millimeter groß sind. Diese Körner stellen die homogenen Bereiche einer Keramik dar. Im Fall einer nanostrukturierten Keramik sind die Körner um bis zu einem Millionstel kleiner. Eine Grundlage der Nanochemie ist, dass neben der Variation der chemischen Zusammensetzung eines Stoffes auch die Variation der Teilchengröße und Teilchenanordnung zu veränderten chemischen und physikalischen Eigenschaften führt. Damit zählt die Strukturierung von Stoffen oder Materialien zu den wichtigen praktischen Aspekten der Nanowissenschaften. Die Strukturierung eines Materials zielt neben der Einstellung einer bestimmten Teilchengröße darauf ab, diese Teilchen im Festkörper in einer gewünschten Form anzuordnen. Über chemische und physikalische Methoden der Strukturierung gelingt die Herstellung interessanter und neuartiger Materialien. Ein Beispiel hierfür sind Aerogele. Aerogele sind Feststoffe, die Porositäten von 90 % aufweisen. Sie bestehen aus dendritischen Strukturen, deren verästelte Partikelketten große Poren erzeugen, die Gas bzw. auch Vakuum enthalten können. Diese leichten Feststoffe (z. B. aus Silikaten) mit geringer Dichte und hoher optischer Transparenz sind ausgezeichnete Wärmeisolatoren und werden als Wärmedämmstoffe verwendet. • Die Bedeutung der Nanowissenschaften beruht darauf, dass ein und derselbe kristalline Festkörper in Abhängigkeit von der Teilchengröße veränderliche Eigenschaften haben kann. Es ist schon seit langer Zeit bekannt, dass sich Nanoteilchen oder Keramiken aus Nanoteilchen gegenüber Licht, mechanischer Spannung oder Elektrizität völlig anders verhalten als kleine Kristalle. Somit bedarf es bei der Suche nach einem Material mit bestimmen Eigenschaften nicht unbedingt der Entdeckung eines neuen Stoffes, sondern ggf. nur der Einstellung oder Optimierung bestimmter Eigenschaften eines schon bekannten Materials über dessen Teilchengröße und Strukturierung. 2

Arbeiten auf diesem Gebiet wurden durch den amerikanischen Physiker R. Feynman im Jahre 1959 angeregt.

200

2 Festkörperchemie

Es soll nun der Frage nachgegangen werden, welche wesentlichen Ursachen für die Veränderung der intrinsischen Eigenschaften eines Elements oder einer Verbindung in Abhängigkeit von der Teilchengröße verantwortlich gemacht werden können. Die meisten kristallinen Strukturen beruhen auf dem Motiv einer kubisch oder hexagonal dichtesten Packung von Atomen, in der ein zentrales Atom von zwölf weiteren Atomen umgeben ist (Abb. 2.6). Ein solches Teilchen aus 13 Atomen hätte einen Durchmesser von weniger als 1 nm und die Oberflächenatome würden etwa 90 % aller Atome ausmachen (Abb. 2.10). In normalen Kristallen kann die Zahl der Oberflächenatome gegenüber der Zahl der Atome im Innern vernachlässigt werden. Ihre Eigenschaften werden durch ihre Hauptbestandteile (engl. bulk), nämlich ihre Atome im Kristallinneren bestimmt. Für Nanopartikel vollziehen sich bei der Teilchengrößenvariation zwischen 10 nm und 1 nm maßgebliche Veränderungen ihrer Eigenschaften, weil sich das Verhältnis zwischen inneren Atomen und Oberflächenatomen stark verändert. Mit abnehmender Teilchengröße nimmt der Anteil der Oberflächenatome zu. Atome im Inneren sind stärker gebunden und im Idealfall vollständig von benachbarten Atomen umgeben. Atome an der Oberfläche sind nur unvollständig von Atomen umgeben und deshalb schwächer gebunden. Der hohe Anteil von Atomen auf der Oberfläche hat einen starken Einfluss auf die Eigenschaften von Nanoteilchen. Aus diesen einfachen Gegebenheiten von Nanoteilchen lässt sich ihr abweichendes Verhalten gegenüber normalen kristallinen Stoffen näherungsweise beschreiben. Dazu gehören der niedrigere Schmelzpunkt, die geringere elektrische Leitfähigkeit, die schwächere magnetische Kopplung und die größere Bandlücke.

Abb. 2.10 Prozentualer Anteil von Metallatomen im Inneren und an der Oberfläche von Nanoteilchen in Abhängigkeit von der Teilchengröße.

2.3.1 Der Schmelzpunkt von Nanoteilchen Die Schmelztemperatur eines Stoffes ist eine physikalische Konstante, die von der Stärke der Bindungen zwischen den Atomen oder Ionen abhängt. Die Schmelztemperatur gilt für einen Stoff aber nur, solange die Zahl der Atome im

2.3 Nanochemie

201

Volumen dominiert und die Zahl der Atome an der Oberfläche vernachlässigbar ist. Der Schmelzprozess beginnt mit der Oszillation bzw. Deplatzierung der schwächer gebundenen Oberflächenatome, wodurch innere Atome an die Oberfläche treten können. Das darauf folgende Erreichen des Schmelzpunktes ist dadurch gekennzeichnet, dass die Ordnung in einem Stoff zerstört wird. Wenn ein Teilchen überwiegend aus Oberflächenatomen besteht, so resultiert ein deutlich niedrigerer Schmelzpunkt. Die Veränderung des Schmelzpunkts mit der Teilchengröße ist in Abb. 2.11 schematisch für Goldteilchen gezeigt. Mit abnehmender Teilchengröße nimmt die Reaktivität der Teilchen zu. In diesem Zusammenhang ist es interessant zu erwähnen, dass man bei Festkörpersynthesen typischerweise etwas unterhalb der Schmelztemperatur (des höher schmelzenden Stoffes) arbeitet.

Abb. 2.11 Die Änderung des Schmelzpunkts von Goldteilchen mit dem Teilchendurchmesser.

2.3.2 Die elektrische Leitfähigkeit von Nanoteilchen Metallisches Verhalten ist durch die lineare Abnahme der spezifischen Leitfähigkeit mit steigender Temperatur charakterisiert. Dieses Verhalten wird durch die Streuung der beweglichen Elektronen durch Gitterschwingungen (Phononen) und an Gitterdefekten erklärt. Die Leitfähigkeitseigenschaften von Stoffen lassen sich durch ihre Bandstrukturen erklären. Metalle und Stoffe mit metallischer Leitfähigkeit sind durch teilweise besetzte Leitungsbänder und frei bewegliche, delokalisierte Ladungsträger charakterisiert. Dabei sind ihre elektronischen Eigenschaften durch eine große Zahl von Energiebändern (hohe Zustandsdichten) am Fermi-Niveau, sowie durch steil ansteigende Energiebänder gekennzeichnet. Mit abnehmender Teilchengröße verringert sich die Zahl der Energiebänder und die Elektronendelokalisierung nimmt ab. Aus diesem Grund wird die elektrische Leitfähigkeit von Nanoteilchen mit abnehmender Teilchengröße immer geringer. Teilchen mit Durchmessern unterhalb von 30 nm zeigen vernachlässigbare Streuung für sichtbares Licht und können (trotz der verminderten Leitfähigkeit) als transparente Leiter verwendet werden. Die Bandstruktur kleinster Nanoteil-

202

2 Festkörperchemie

chen zeigt diskrete Energieniveaus, ähnlich wie bei einem großen Molekül (Abb. 2.24).

2.3.3 Der Magnetismus von Nanoteilchen Kristalline ferro- (Fe, Co, Ni) und ferrimagnetische (Fe3O4) Stoffe sind dadurch gekennzeichnet, dass ihre magnetischen Momente unterhalb der Curie-Temperatur zu einem erhöhten Gesamtmoment koppeln. Aufgrund der Domänenstruktur resultiert ein Hystereseverhalten, und die Sättigungsmagnetisierung wird durch parallele Ausrichtung der Momente mittels eines äußeren Magnetfeldes erreicht (vgl. magnetische Hysterese, Abb. 2.71). Mit abnehmender Teilchengröße bestehen Nanopartikel nur noch aus einer einzigen magnetischen Domäne (bei Fe z. B. !15 nm). Ein solches EindomänenNanoteilchen aus vielleicht tausend Atomen kann ein magnetisches Gesamtmoment (µ) von einigen tausend Bohr’schen Magnetonen haben und verhält sich (unterhalb seiner Ordnungstemperatur) wie ein Paramagnet mit einem riesigen magnetischen Moment und wird deshalb als Superparamagnet bezeichnet.3 Aus der Existenz nur einer einzigen Domäne resultiert eine charakteristische Eigenschaft von superparamagnetischen Stoffen, nämlich die Abwesenheit einer magnetischen Hysterese. In einem Eindomänenkristall verhält sich die Energie der Kopplung der magnetischen Momente proportional zum Volumen des Teilchens. Mit abnehmendem Volumen nimmt die Stärke der ferro- oder ferrimagnetischen Kopplung ab, bis sie schließlich in immer stärkerem Maße durch die thermische Energie (kT) gestört wird. Hieraus resultiert die zweite charakteristische Eigenschaft von superparamagnetischen Stoffen, nämlich die Temperaturabhängigkeit der Magnetisierung M im Magnetfeld H (insbesondere des Wertes der Sättigungsmagnetisierung, MS). Aus diesem Grund wird zur Beschreibung des superparamagnetischen Verhaltens die Auftragung der Magnetisierung gegen H.T gewählt (anstatt M gegen H wie in Abb. 2.71). Ferro- und ferrimagnetische Nanoteilchen zeigen superparamagnetische Eigenschaften und eignen sich als Ferrofluide. Ferrofluide sind Emulsionen von magnetischen Partikeln in Öl oder Wasser. Ohne äußeres Magnetfeld erscheinen Ferrofluide wie gewöhnliche Flüssigkeiten. In Gegenwart eines Magneten verhalten sie sich wie eine magnetische Flüssigkeit und lassen sich entgegen der Schwerkraft aus einem Behälter herausheben. Magnetische Flüssigkeiten können als Dicht- oder Kühlmittel, in Lautsprechern und zur Tumorbekämpfung eingesetzt werden. Bei der Magnetflüssigkeitshyperthermie werden superparamagnetische Nanoteilchen andauernd ummagnetisiert, wobei sie sich erwärmen und dabei ein Tumorgewebe erhitzen. 3

Das magnetische Moment von Stoffen wird je nach Art des Stoffs für unterschiedliche Zahlen von magnetischen Teilchen angegeben. Für Feststoffe wird das magnetische Moment auf das (oder die) magnetische(n) Atom(e) einer Formeleinheit bezogen. Bei molekularen Magneten werden alle magnetischen Atome eines Moleküls und bei Nanoteilchen alle magnetischen Atome eines Teilchens berücksichtigt.

2.3 Nanochemie

203

2.3.4 Die optischen Eigenschaften von Nanoteilchen Ein Feststoff mit einer Bandlücke ist für Licht bis zu einer gewissen Energie transparent. Erst wenn die Energie der Strahlung etwas größer als die Bandlücke ist, wird ein Elektron durch Absorption eines Photons in das Leitungsband angeregt und im Valenzband bleibt eine positive Ladung zurück (hC). Wenn das angeregte Elektron unter Rückkehr in das Valenzband mit der positiven Ladung rekombiniert, wird Fluoreszenzstrahlung emittiert. Die Emissionsfarbe von Stoffen hängt von der Größe der Bandlücke ab, die für kristalline Verbindungen eine Stoffkonstante ist. In Halbleitern mit einer Ausdehnung von nur wenigen Nanometern wird die Bandlücke mit abnehmender Teilchengröße größer, ähnlich wie beim Übergang vom vernetzten Festkörper zu einem großen Molekül (Abb. 2.24). Soweit die Bandlücke im Bereich des sichtbaren Lichts liegt, verändern sich die Farbigkeiten der Stoffe mit der Teilchengröße. So lassen sich Pigmente durch bloßes Verändern der Teilchengröße in fast jeder Spektralfarbe herstellen. Besonders gut untersucht ist die Änderung der Bandlücke von CdSe und anderen II-VI-Halbleitern in Abhängigkeit von der Teilchengröße. Halbleiter-Nanoteilchen mit Teilchendurchmessern von 1K10 nm werden als quantum dots bezeichnet. Die Lage ihrer Energieniveaus kann mithilfe der optischen Spektroskopie ermittelt werden. Bei UV-Bestrahlung emittieren sie Fluoreszenzstrahlung (sie lumineszieren, vgl. Abschn. 2.9.5.12), die je nach Teilchengröße im gesamten Bereich des sichtbaren Lichts, von rot (große Teilchen) bis nach blau (kleine Teilchen) liegen kann, wodurch die jeweiligen Bandlücken bestimmt werden können. Optisch aktive Nanoteilchen lassen sich durch Anbinden z. B. an Enzyme oder DNA zur Markierung in biologischen Systemen benutzen, aber auch für die Herstellung von Lasern, Displays oder Leuchtdioden.

2.3.5 Oberflächenchemie und Katalyse Mit abnehmendem Teilchendurchmesser nimmt der Anteil der Oberflächenatome immer weiter zu, während der Anteil der Atome im Innern abnimmt. Diese Tatsache wurde schon in Abb. 2.10 gezeigt. Für oberflächenaktive Stoffe wird oft das Verhältnis von Oberfläche.Volumen in Abhängigkeit von der Teilchengröße (Abb. 2.12) betrachtet. Atome an der Oberfläche haben gegenüber den Atomen im Inneren niedrigere Koordinationszahlen und daher freie Koordinationsstellen für Reaktionen. Sie verhalten sich chemisch aktiver, weshalb die Löslichkeit von Nanoteilchen mit abnehmender Teilchengröße zunimmt. Wegen ihrer großen Oberflächen sind Nanoteilchen bei Reaktionen mit Gasen, Flüssigkeiten und Feststoffen besonders effizient. Für solche Prozesse sind neben der möglichst großen Zahl von aktiven Atomen an der Oberfläche der Nanoteilchen weitere Einflüsse verantwortlich, die mit der erhöhten Energie der Oberflächenatome in Zusammenhang stehen. Durch die unterschiedlichen Oberflächenfunktionalitäten von Nanoteilchen unterschiedlicher Stoffe ergeben sich vielfältige Anwendungen auf den Gebieten der Katalyse, der Selbstreinigung von Oberflächen und der chemischen Reaktivität.

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2 Festkörperchemie

Abb. 2.12 Die Abhängigkeit des Verhältnisses von Oberfläche zu Volumen von Nanoteilchen vom Teilchendurchmesser.

2.3.6 Synthesen von Nanoteilchen Kleinste Goldpartikel wurden schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts hergestellt. Beispielsweise sind Gold-Nanoteilchen seit jener Zeit die farbgebenden Bestandteile von roten Gläsern in Kirchenfenstern. Heute werden Nanoteilchen im Allgemeinen durch zwei prinzipielle Vorgehensweisen hergestellt. Bei der einen Methode werden makroskopische Partikel zerkleinert (top-down-Methode), bei der anderen Methode formieren sich Atome zu Aggregaten mit zunehmender Größe (bottom-up-Methode). Bei nasschemischen Synthesen werden Niederschläge von Nanoteilchen erzeugt. Solche Synthesen basieren im Falle der edleren Metalle auf Reduktionen von Metallverbindungen in wässrigen Lösungen. Prominente Beispiele hierfür sind Reduktionen von AgBr mit Licht oder von [AuCl4]K mit Zitronensäure, wobei nanokristalline Ag- oder Au-Teilchen als so genannte Cluster (Agx, Aux) entstehen. Zur Herstellung von Goldkolloiden dient eine heiße Lösung von Goldsäure, HAuCl4 · 3 H2O, deren gelbe Lösung sich unter Zugabe von Natriumcitrat sofort entfärbt. Beim Kochen ändert sich die Farbe der Lösung mit zunehmender Zeit von violett nach rot. Diese Farben sind für das Reflektionsverhalten von kolloidal gelösten Gold-Nanoteilchen mit zunehmenden Teilchengrößen charakteristisch. Ein Beispiel für die Erzeugung einer magnetischen Flüssigkeit ist die Fällung von Magnetit-Nanopartikeln aus einer FeCl3.FeCl2-Lösung mit NH3-Wasser. Fällungsreaktionen, bei denen Nanoteilchen entstehen, werden von zwei grundsätzlichen Problemen begleitet: 1. Die Nanokristalle wachsen unter Zunahme ihrer Gitterenergie und verklumpen unter Bildung größerer Aggregate. Um das zu verhindern, werden den Nanoteilchen oberflächenaktive Substanzen (Stabilisatoren) zugesetzt, die ihre Oberflächen komplexieren und stabilisieren. 2. Die Nanoteilchen entstehen nicht ohne weiteres in monodisperser Form, d. h. nicht mit einer einheitlichen Teilchengröße. Da sich die Eigenschaften von

2.4 Kristalldefekte

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Nanopartikeln aber mit der Größe ändern, ist es für Anwendungen wichtig, einheitliche Teilchengrößen zu erzeugen. Zur besseren Einstellung von Teilchengrößen haben sich modifizierte Fällungsreaktionen bewährt, bei denen ein Reaktionspartner in eine heiße organische oder anorganische Lösung injiziert wird, die Stabilisatoren enthält. Zur Erzeugung homogener Teichengrößenverteilungen haben sich außerdem Reaktionen erwiesen, die von polynuklearen Metallkomplex-Precursoren oder von Sol-Gel-Synthesen ausgehen.

2.3.7 Gesundheitliche Risiken von Nanoteilchen Obwohl Nanoteilchen schon von je her existieren (Mehlstaub, Aerosole, Pollen, Sporen, Bakterien, Stäube aus Verkehr, Industrie, usw.), erfahren die von ihnen ausgehenden gesundheitlichen Risiken heute insbesondere durch die Entwicklung der modernen Nanowissenschaften erhöhte Aufmerksamkeit. Ihre größte Gefahr für den Menschen entfalten die Nanoteilchen, wenn sie eingeatmet werden. Toxikologische Untersuchungen deuten darauf hin, dass ultrafeine Teilchen oder Nanoteilchen (! 0.1 µm Durchmesser) in der Atemluft bei gleicher Massendosis eine deutlich höhere Gefahr darstellen als feine (! 2.5 µm) oder grobe Schwebteilchen (2.5K10 µm). Während sich grobe und feine Teilchen im Atemtrakt niederschlagen, werden Partikel mit Größen zwischen 10 und 20 nm auch im Alveolarbereich der Lunge (Lungenbläschen) abgeschieden. Ihre schädliche Auswirkung wurde in epidemiologischen Studien gezeigt. Da Nanopartikel je nach Art, Größe, Form und spezifischer Oberfläche unterschiedliche toxikologische oder immunologische Wirkungen hervorrufen können, ist ein universeller Schwellenwert, unterhalb dessen keine gesundheitsschädigende Wirkung gemessen werden kann, nur schwer fassbar. Gemäß der deutschen Feinstaubrichtlinie aus dem Jahr 2005 darf der Grenzwert von 50 µg.m3 Luft nur an 35 Tagen im Jahr überschritten werden.

2.4 Kristalldefekte Eine geordnete Besetzung aller Atomlagen in einer Struktur findet man nur in idealen Kristallen. Da ein Idealkristall jedoch nur am absoluten Nullpunkt existieren könnte, besitzen alle Realkristalle Defekte. Es mag überraschen, dass alle Kristalle im thermodynamischen Gleichgewicht derartigen Störungen unterliegen. Im Auftreten von Defekten äußert sich das Bestreben von Systemen, ihre Entropie (Unordnung der Gitterbausteine) zu erhöhen. Vereinfacht betrachtet bewirken hohe Entropien und Temperaturen und niedrige Enthalpien die Minimierung der freien Enthalpie (∆G Z ∆H K T∆S). Demnach sind hohe Defektkonzentrationen durch hohe Entropien und Temperaturen begünstigt. Deshalb

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2 Festkörperchemie

nimmt die Anzahl der Defekte mit der Temperatur zu, und bei jeder Temperatur stellt sich ein bestimmtes Gleichgewicht von Defekten ein, bei der die freie Enthalpie möglichst klein wird. Auch wenn Defektkonzentrationen nur gering sind, z. B. 1 %, wird damit streng genommen die Kristallsymmetrie durchbrochen, und die Elementarzelle gibt nur noch ein statistisch repräsentatives Bild wieder. In der Praxis bleiben kleine Defektkonzentrationen bei Strukturbestimmungen unbemerkt und ohne Konsequenzen. In der Struktur von NaCl ist bei Raumtemperatur ungefähr eine von 1015 Kationen- und Anionenlagen unbesetzt, während in der Nähe des Schmelzpunktes bereits eine von 105 Kationen- und Anionenlagen unbesetzt bleibt. Die größere Zahl von Leerstellen bei hohen Temperaturen begünstigt die Beweglichkeit von Atomen, wodurch Diffusionen (Reaktionen) und ionischer Ladungstransport im Festkörper erleichtert werden. Für die Form von Defekten gibt es im Prinzip keine Einschränkungen, jedoch sind manche theoretisch vorstellbaren Defekte energetisch ungünstig. Häufige Defekte sind Punktdefekte, verursacht durch fehlende Ionen (Gitterleerstellen), überschüssige Ionen (interstitielle Atome) oder „falsche“ Ionensorten (Verunreinigungen Dotierungen) in Kristallen.

2.4.1 Rotationen Moleküle oder unsymmetrisch gebaute Anionen können im Festkörper um eine oder mehrere Achsen rotieren. Die Rotation kann als Extremfall der thermischen Schwingung aufgefasst werden. Mit steigender Temperatur resultiert aus der K freien Rotation von nicht kugelsymmetrischen Teilchen (CNK, NHC 4 , NO3 ) eine Symmetrieerhöhung mit einfachen dicht gepackten Strukturen (vgl. CsCl-Typ von CsCN und NH4Cl).

2.4.2 Versetzungen Versetzungen sind für die mechanischen Eigenschaften von Verbindungen von Bedeutung. Bei der Stufenversetzung endet eine Netzebene im Inneren eines Kristalls. Die Wanderung einer Versetzungslinie ist für das Verständnis der plastischen Verformbarkeit eines Feststoffes wichtig. Bei der Schraubenversetzung sind Netzebenen nicht übereinander gestapelt. Eine Atomschicht windet sich wie eine Wendeltreppe um eine senkrechte Linie (Versetzungslinie). Schraubenversetzungen führen zu einem spiralförmigen Wachstum von Kristallen. Versetzungen haben nicht nur für mechanische Eigenschaften Bedeutung. Versetzungslinien sind auch schnelle Diffusionswege im Kristall, an ihnen stellen sich Punktfehlstellengleichgewichte ein, und es sind Stellen bevorzugter Keimbildung bei Phasenneubildungen. Mit der Erhöhung der Versetzungsdichte ist eine Erhöhung der katalytischen Aktivität gekoppelt. Mit der Elektronenmikroskopie können Versetzungen sichtbar gemacht werden.

2.4 Kristalldefekte

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2.4.3 Punktdefekte nach Schottky und Frenkel Die häufigsten Defekte in ionischen Festkörpern sind thermodynamisch bedingte Defekte nach Schottky und Frenkel (Abb. 2.13). Eine Schottky-Fehlstelle besteht aus einer Kationenleerstelle und einer Anionenleerstelle. Man kann sich vorstellen, dass Kation und Anion ihren Gitterplatz verlassen und sich an der Kristalloberfläche angelagert haben. Für die Zusammensetzung KA2 kommen zur Erhaltung der Elektroneutralität auf eine Kationenleerstelle zwei Anionenleerstellen. Typische Beispiele für das Auftreten von Schottky-Defekten sind Alkalimetallhalogenide und Erdalkalimetalloxide vom NaCl-Typ. Die Bildung von SchottkyDefekten führt zu einer Volumenvergrößerung, was bei Frenkel-Defekten nicht der Fall ist.

Abb. 2.13 Zweidimensionale Darstellung eines Schottky-Defekts am Beispiel von NaCl und eines Frenkel-Defekts am Beispiel von AgCl. Im ersten Fall wandern NaC und ClK an die Oberfläche des NaCl-Kristalls und hinterlassen zwei Leerstellen.

Frenkel-Fehlstellen entstehen, wenn Atome ihre normalen Gitterplätze verlassen und Zwischengitterplätze besetzen. Da die Ionengröße hierfür eine wichtige Rolle spielt, ist hierbei das Teilgitter des kleineren Ions energetisch bevorzugt; im Allgemeinen ist dies das Kation. Silberchlorid, das ebenfalls im NaCl-Typ kristallisiert, zeigt Frenkel-Defekte mit Leerstellen und Besetzungen von Zwischengitterplätzen durch Silberionen. Die fehlgeordneten Silberionen besetzen Tetraederlücken mit jeweils vier nächsten AgC- und ClK-Nachbarn. Bei FrenkelDefekten des Anionengitters („anti-Frenkel-Defekte“) besetzen die Anionen Zwischengitterplätze und hinterlassen Anionenleerstellen. Defekte dieser Art treten bei Verbindungen mit Fluorit-Struktur auf. In der Struktur von CaF2 besetzen die Anionen alle tetraedrischen Lücken der kubisch dichten Packung aus Metallatomen. Beim Anionen-Frenkel-Defekt besetzen einige Anionen oktaedrisch koordinierte Zwischengitterplätze.

2.4.4 Farbzentren Ein Elektron, das in einer Anionenleerstelle lokalisiert ist, bezeichnet man als Farbzentrum (F-Zentrum), weil es die Ursache einer optischen Absorption und damit für die Farbe eines Stoffes ist. Das Elektron besitzt einen ungepaarten Spin und daher ein magnetisches Moment. Die Erzeugung von Farbzentren in Alkalimetallhalogeniden erfolgt durch Erhitzen im Metalldampf (oder durch Bestrahlungen mit Röntgen- oder Gammastrahlung). Beim Erhitzen eines NaCl-

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2 Festkörperchemie

Kristalls im Na-Dampf werden einige aus dem Dampf kommende Natriumatome an der Oberfläche des Kristalls ionisiert. Gleichzeitig bilden sich so viele Anionenleerstellen wie Natriumionen aufgenommen werden. Die Anionenleerstellen fangen das bei der Ionisierung freigewordene Elektron ein. Farbzentren von NaCl sind gelb und von KCl violett. Wird ein F-Zentrum bestrahlt, so wird ein Emissionsspektrum emittiert, wobei die Verschiebung der Absorptions- zur Emissionsbande, verglichen mit typischen Werten in der Molekülspektroskopie, ungewöhnlich groß ist. Das F-Zentrum ist jedoch nicht die einzige bekannte Variante, durch Elektronen und Leerstellen farbige Alkalimetallhalogenide zu erzeugen. Andere sind Moder R-Zentren, die zwei oder drei Elektronen in benachbarte Anionenleerstellen einfangen. So genannte V- und H-Zentren enthalten Halogenidmoleküle, XK 2 . Im V-Zentrum besetzen die Halogenidmoleküle jeweils zwei Chloridlagen und im H-Zentrum eine Chloridlage. Die Substitution eines Kations mit einem Fremdatom gleicher Ladung nennt man FA-Zentrum.

2.4.5 Platztausch von Atomen (Ordnungs-Unordnungs-Vorgänge) In bestimmten Verbindungen können Atome des einen Teilgitters ihre Plätze mit Atomen des anderen Teilgitters tauschen. Es resultiert eine Fehlordnung von Atomen, die auch als Ordnungs-Unordnungs-Umwandlung bezeichnet wird. Platztauschvorgänge lassen sich bei Abwesenheit Coulomb’scher Abstoßungskräfte zwischen den Atomen realisieren. Intermetallische Systeme mit chemisch ähnlichen Atomen und Atomgrößen bieten hierfür gute Voraussetzungen. In Legierungen können Atome in geordneter Weise kristallographisch unterschiedliche Plätze besetzen oder über alle verfügbaren Positionen fehlgeordnet sein. Die Umwandlungen zwischen beiden Phasen verlaufen jedoch oft sehr langsam. Beispiel: β-Messing Die CuZn-Phase von β-Messing kristallisiert in einer geordneten Struktur vom CsCl-Typ. Oberhalb 470 (C liegt jedoch vollständige Unordnung der Atome vor. Atome beider Sorten sind gleichmäßig über die Positionen auf den Ecken und im Zentrum der Elementarzelle verteilt (α-Fe-Typ). Beim Abkühlen dieser ungeordneten Phase erfolgt bei langsamer Abkühlung ein Übergang von der innenzentrierten Struktur in die primitive Überstruktur vom CsCl-Typ (Abb. 2.14). Strukturen, in denen die Atompositionen im Gegensatz zu ihren ungeordneten Phasen regelmäßig besetzt sind, werden Überstrukturen genannt. Den Beweis für eine Überstruktur liefern so genannte Überstrukturreflexe im Röntgenpulverdiagramm. Ein möglichst vollständiger Ordnungsvorgang der Atome kann nur durch sehr langsames Abkühlen oder Tempern unterhalb der Umwandlungstemperatur erreicht werden. Der Übergang von der geordneten zur ungeordneten Struktur kann anhand der Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärme verfolgt werden. Die spezifische Wärmekapazität ist diejenige Wärmemenge, die benötigt wird, um die Tem-

2.4 Kristalldefekte

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Abb. 2.14 Geordnete Überstruktur von β-CuZn (CsCl-Typ) mit der kubisch primitiven Elementarzelle (links) und die ungeordnete Struktur mit der kubisch innenzentrierten Elementarzelle (rechts).

peratur von einem Gramm eines Stoffes um ein Grad zu erhöhen. Wird eine geordnete Phase erhitzt, muss nicht nur Energie für die zunehmenden Schwingungen der Atome aufgebracht werden, sondern im Falle auftretender Unordnung zusätzlich noch Energie, um einigen Atomen den Platzwechsel zu ermöglichen. Für den Temperaturbereich, in dem dieser Platzwechsel stattfindet (oft über mehrere hundert Grad), resultiert eine Anomalie der Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärmekapazität. Thermodynamisch gehören diese Phasenumwandlungen häufig zu denen zweiter Ordnung (kontinuierliche Änderung von Entropie und Volumen). Beispiel: Das System Cu-Au Beim Einbau von Kupfer in reines Gold werden Goldatome der kubisch dichtesten Packung durch Kupfer ersetzt. Durch Abschrecken von Kupfer-Gold-Schmelzen entsprechender Zusammensetzungen kann eine lückenlose Mischkristallreihe (feste Lösung) erhalten werden. Für die Zusammensetzungen CuAu und Cu3Au existieren jedoch zusätzlich noch geordnete Strukturen, die durch sehr langsames Abkühlen oder Tempern genau dieser Zusammensetzungen erhalten werden können (Abb. 2.15).

Abb. 2.15 Von links nach rechts: die geordneten Strukturen von CuAu (tetragonal) und Cu3Au (kubisch primitiv), sowie die ungeordnete Legierung CuxAu (kubisch flächenzentriert).

Entscheidend für das Auftreten einer gleichmäßigen Atomverteilung oder einer geordneten Struktur ist die thermische Energie der Atome und die Energiedifferenz zwischen beiden Zuständen. Ist die Energiedifferenz, wie für den Kation-Anion-Platztausch in ionischen Verbindungen sehr groß, so kommt ein Platztausch nicht in Betracht. Ist die Energiedifferenz sehr klein, so tritt niemals voll-

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2 Festkörperchemie

ständige Ordnung auf, wie in Silber-Gold-Legierungen. Das Ausbleiben eines Ordnungszustandes im System Ag-Au und das Auftreten geordneter Strukturen im System Cu-Au stehen mit der größeren chemischen Ähnlichkeit der Elemente (z. B. Elektronegativität, Atomgröße) im System Ag-Au gegenüber Cu-Au im Einklang. Wie schon erwähnt, lassen starke elektrostatische Abstoßungen keinen Kation-Anion-Platztausch in ionischen Strukturen zu. Aber der Platztausch von Kationen untereinander, z. B. in ternären Oxiden und in festen Lösungen (engl. solid solutions), ist hinreichend belegt. Beispiel: LiFeO2 LiFeO2 ist bei hohen Temperaturen (O 700 (C) kristallchemisch isotyp mit der Struktur von NaCl. Die Kationen beider Sorten (Li C Fe) nehmen in gleichmäßiger Verteilung diejenigen Lagen ein, die denen der Natriumionen in der NaClStruktur entsprechen. Bei tieferen Temperaturen erfolgt der Übergang in eine tetragonale Überstruktur (gegenüber der kubischen Zelle ist eine Gitterachse verdoppelt) mit unveränderter Anordnung der Sauerstoffionen und geordneter Kationenverteilung (Abb. 2.16).

Abb. 2.16 Geordnete (tetragonale) Überstruktur von α-LiFeO2 (kleine schwarze Kugeln: Li, große schwarze Kugeln: Fe) und die ungeordnete (kubische) Struktur von β-LiFeO2 (graue Kugeln repräsentieren die Lagen von Li und Fe).

2.4.6 Fehlordnung über Leerstellen Atompositionen können in Kristallstrukturen besetzt oder unbesetzt, manchmal auch partiell (geordnet oder ungeordnet) besetzt sein. Atome oder Ionen werden sich in einer Struktur auf diejenigen Gitterplätze verteilen, deren Besetzung ein Energieminimum ergibt. Gegebenenfalls können jedoch die Energien für die Besetzung alternativer Positionen ähnlich oder sogar gleich sein. Sind nämlich zwei Atomlagen kristallographisch äquivalent (z. B. durch eine Spiegelebene), dann

2.4 Kristalldefekte

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resultiert für die alternative Besetzung der einen oder der anderen Lage dieselbe Energie. Die Verteilung der Teilchen auf Gitterplätzen kann in Abhängigkeit von der Temperatur statisch oder dynamisch sein. Die Fehlordnung von Teilchen über Leerstellen, zumindest eines Teilgitters (fehlgeordnetes Untergitter), ist eine Voraussetzung für gute ionische Leitfähigkeit. Beispiel: Ag2HgI4 Bei der Umwandlung von gelbem β-Ag2HgI4 in rotes α-Ag2HgI4 (oberhalb 51 (C) entstehen Leerstellen, die Platzwechselvorgänge der Kationen erlauben. In der Hochtemperaturform liegt eine ternäre, ungeordnete Leerstellenvariante der Zinkblende-Struktur vor, in der drei Kationen (2 Ag C Hg) statistisch über vier äquivalente Gitterplätze verteilt sind. In der Tieftemperaturform ordnen sich Leerstellen und Kationen beider Sorten zu einer tetragonalen Überstruktur (geordnete Leerstellenvariante des Zinkblende-Typs) (Abb. 2.17).

Abb. 2.17 Geordnete (links) und ungeordnete (rechts) Struktur von Ag2HgI4.

Beispiel: AgI Hohe Ionenbeweglichkeiten resultieren für Strukturen mit großen Hohlräumen und kleinen Kationen. Klassische Beispiele sind RbAg4I5 (spezifische Leitfähigkeit: σ Z 0.25 S.cm bei RT) und die Hochtemperaturmodifikation von AgI, die oberhalb 145 (C stabil ist. Die Tieftemperaturmodifikation β-AgI kristallisiert im Wurtzit-Typ.4 In der Hochtemperaturmodifikation α-AgI bilden die Iodatome eine innenzentrierte Anordnung (Raumgruppe Im3m). Zwei Silberionen verteilen sich in der Elementarzelle über 12 kristallographisch äquivalente Positionen und sind tetraedrisch von Iod koordiniert. Die Entropiezunahme bei dem Phasenübergang β $% α ist größer als die Entropiezunahme beim Schmelzen von α-AgI (bei 557 (C). Der Phasenübergang β $% α wird als „Schmelzen“ des Silberionenteilgitters betrachtet, da die Silberionen danach mobil und ungeordnet sind. α-AgI gilt als ein nahezu idealer 4

Im Gegensatz zu der oft verwendeten Bezeichnung von Hoch- und Tieftemperaturphasen mit β und α wurden für AgI und Ag2HgI4 umgekehrte Zuordnungen getroffen!

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2 Festkörperchemie

Elektrolyt. Da alle Silberionen mobil sind, besitzt α-AgI eine hohe Konzentration mobiler Ladungsträger. Zudem ist die Energiebarriere (Aktivierungsenergie) für die Erzeugung von beweglichen Silberionen gering und daher ist die Silberionenleitfähigkeit der α-Phase relativ hoch (etwa 1 S.cm bei 147 (C).

2.4.7 Nicht stöchiometrische Phasen Stöchiometrie ist die Lehre von der mengenmäßigen Zusammensetzung chemischer Verbindungen und von den Gewichtsverhältnissen, in denen sich chemische Reaktionen vollziehen. Die Gesetze der konstanten und multiplen Proportionen sind jedoch für Feststoffe nicht immer gültig K Abweichungen treten sogar häufig auf. Daher existieren Verbindungen mit scheinbar nicht rationalen Zusammensetzungen wie z. B. Fe1KxO mit 0 ! x ! 0.1 oder NaxWO3 mit 0 ! x % 0.9. Verbindungen, die über einen bestimmten Bereich x variable Zusammensetzungen besitzen, zählen zu den nicht stöchiometrischen Verbindungen oder Phasen. In nicht stöchiometrischen Verbindungen ist die Anzahl der Atome in der Elementarzelle nicht mit der Zahl der äquivalenten Gitterplätze identisch, und es resultiert Mangel oder Überschuss einer Atomsorte. Die Abweichung von der idealen Zusammensetzung wird formal durch eine veränderte Ionenladung kompensiert (gemischtvalente Verbindungen). Für viele Verbindungen lässt sich die Richtung der Änderung vermuten: Beim Übergang von Fe2O3 in die kationenreichere Phase Fe2CxO3 werden einige Fe3C-Ionen zu Fe2C reduziert. Die Abweichung erfolgt in Richtung Magnetit (Fe3O4). Dagegen erfolgt der Übergang von Cu2O in die kationenärmere Phase Cu2KxO, unter Oxidation von CuC-Ionen zu Cu2C. Die mit diesen Zusammensetzungen assoziierten Defekte sind unvollständig besetzte Kationen- (Cu2KxO) oder Anionengitterplätze (CdO1Kx) oder Kationen auf Zwischengitterplätzen (Fe2CxO3). Da die veränderten Ionenladungen aber nicht lokalisiert sind, bedeutet Kationenüberschuss die Gegenwart zusätzlicher Elektronen (n-Leitung) und Kationenunterschuss das Auftreten von Defektelektronen (p-Leitung).

2.4.8 Dotierung und feste Lösungen Feste Lösungen sind kristalline Phasen, deren Komponenten eine Mischbarkeit im flüssigen und im festen Zustand zeigen. Allgemein gilt für das Auftreten von festen Lösungen, dass die reinen Stoffe gleiche Kristallstrukturen, möglichst ähnliche Radien und ein ähnliches chemisches Verhalten zeigen sollten. Beispiele für feste Lösungen sind die im Abschnitt 2.4.5 genannten Systeme Ag-Au und AgCu. Im System Ag-Au existiert eine vollständige Mischbarkeit über den gesamten Bereich der theoretisch möglichen Zusammensetzungen, ähnlich wie in Abb. 2.18 (links). Sehr viel häufiger ist aber der Fall einer nur begrenzten Mischbarkeit. Im System Ag-Cu lösen sich aufgrund der Unterschiedlichkeit dieser zwei Metalle nur etwa 15 Atomprozent Cu in Ag und etwa 5 Atomprozent Ag in Cu, ähnlich wie in Abb. 2.18 (rechts) dargestellt. Bei stark verdünnten festen Lösungen

2.4 Kristalldefekte

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spricht man von Dotierungen, die durch ihre eigene Schreibweise, wie z. B. im Fall eines Rubin-Laserkristalls als Al2O3 : Cr geschrieben werden.

Abb. 2.18 Phasendiagramm für ein binäres System AKB mit unbegrenzter (links) und begrenzter (rechts) Mischkristallbildung.

Beispiel: Vollständige Mischbarkeit im System Al2O3 . Cr2O3 Die Sesquioxide Al2O3 und Cr2O3 kristallisieren im Korund-Typ und bilden feste Lösungen Al2KxCrxO3 mit vollständiger Mischbarkeit (0 % x % 2). Bedingt durch den etwas größeren Ionenradius von Cr3C im Vergleich zu Al3C nehmen die Gitterkonstanten von Al2KxCrxO3 mit steigendem Gehalt x von Cr linear zu (Abb. 2.19). Dieses Verhalten entspricht der Vegard’schen Regel, wonach sich die Gitterkonstanten innerhalb einer Mischkristallreihe linear mit der Zusammensetzung ändern. Mit steigendem Anteil von Cr3C-Ionen ([Ar]3d3-Konfiguration) verändert sich auch die Farbe von Al2KxCrxO3 von rot (bis 8 mol-% Cr3C)

Abb. 2.19 Die Zunahme des Zellvolumens mit steigendem Anteil von Cr3C in Al2KxCrxO3.

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2 Festkörperchemie

nach grün (ab ca. 20 mol-% Cr3C). Ausschlaggebend hierfür ist der Einfluss der Kristallfeldaufspaltung der Cr3C-Ionen (reines Cr2O3 ist grün) und das daraus resultierende veränderte Absorptionsverhalten. Pulverförmige Präparate aus Al2KxCrxO3 lassen sich durch Reaktionen der Precursoren NH4Al (SO4)2 · 12 H2O und (NH4)2CrO4 durch langsames Aufheizen auf 1 100 (C herstellen. Einkristalle können aus Schmelzen bei über 2 000 (C erhalten werden. Mit Cr3C dotierte Al2O3-Einkristalle nennt man Rubine. Die wichtigste Komponente eines Rubin-Lasers ist ein Al2O3-Einkristall, der 0.05 Massenprozent Cr3C enthält (Al2O3 : Cr). Beispiel: Dotiertes ZrO2 Dotiert man ZrO2 mit einigen Prozenten der Oxide CaO oder Y2O3, dann wird das zahlenmäßige Verhältnis von Kationen und Anionen zu Gunsten der Kationen verschoben. Da die Kationen nicht auf Zwischengitterplätze eingebaut werden, resultiert pro eingebautes Ca2C-Ion eine Sauerstoffleerstelle (V) im Anionengitter: (Zr1KxCax)O2KxVx (0.1 % x % 0.2). Bedingt durch die vorhandenen Sauerstoffleerstellen ist dotiertes Zirconiumdioxid (bei hohen Temperaturen) ein guter Sauerstoff-Ionenleiter. Dotiertes Zirconiumdioxid kann als Sensor zur Messung von Sauerstoff-Partialdrücken oder als Elektrolyt in Brennstoffzellen eingesetzt werden (Abschnitt 2.5). Beispiel: Dotierung von Salzen − Transparente Leiter Metalle sind im Allgemeinen undurchsichtig und zeigen hohe Reflektivitäten, was ihre Anwendungen in vielen Bereichen einschränkt. Erst wenn Metallteilchen hinreichend klein bzw. in Form dünner Schichten präpariert werden, entstehen transparente leitfähige Schichten. Bekannte Beispiele für transparente Metalle sind dünne Schichten aus edlen Metallen wie Silber oder Platin. Die elektrische Leitfähigkeit von transparenten Halbleitern kann durch p- oder n-Dotierung erheblich verstärkt werden. In der Praxis eignen sich hierfür zahlreiche Oxide. Prominente Beispiele sind In2O3 : Sn (ITO), SnO2 : F (FTO), SnO2 : Sb (ATO) und ZnO : Al (AZO). Solche transparenten Leiter, die auch als „transparente Metalle“ bezeichnet werden, kommen in verschiedenen Bereichen der Technik wie z. B. in Displays oder in photovoltaischen Zellen zum Einsatz.

2.4.9 Scherstrukturen Punktdefekte haben Einfluss auf ihre lokale Umgebung. So bewirken Gitterleerstellen oder besetzte Zwischengitterplätze Verschiebungen der benachbarten Atome, z. B. die Bildung von Aggregaten (Clustern). Es gibt viele mögliche und bekannte leerstelleninduzierte lokale Verzerrungsmuster. Die einfachsten sind lokale Entspannungen von Atomen in Richtung einer Leerstelle (bei Metallen), oder umgekehrt, von der Leerstelle weg (bei ionischen Verbindungen). Bei geeigneter Anordnung von Gitterleerstellen sind kooperative Konsequenzen im Gitter möglich. Die Bildung einer Scherstruktur basiert auf einer Versetzung entlang einer Ebene im Kristall, die besonders viele Anionenleerstellen aufweist. Dabei

2.4 Kristalldefekte

215

ändern sich lokale Koordinationen und Anionenleerstellen werden vernichtet (Abb. 2.20). Im Kristall entstehen so Bereiche mit unterschiedlichen Strukturen und Zusammensetzungen.

Abb. 2.20 Kristallstruktur von ReO3 mit einem hervorgehobenen [ReO6]-Oktaeder und Projektion von zwei Strukturausschnitten der ReO3Kx-Struktur mit (rechts) und ohne Scherebene.

Werden MoO3 oder WO3 unter Sauerstoffausschluss mit ihren Metallpulvern erhitzt, so kann Reduktion zu MO2 (M Z Mo, W) stattfinden. Zwischen den Zusammensetzungen MO3 und MO2 liegt eine Palette farbiger Verbindungen.5 Solche Metalloxide mit Sauerstoffleerstellen (WO3Kx, MoO3Kx, TiO2Kx, VO2Kx) können bedingt durch Scherstrukturen weitreichende Zusammensetzungen aufweisen. Es handelt sich jedoch hierbei nicht um feste Lösungen mit bestimmten Phasenbreiten, sondern um stöchiometrisch zusammengesetzte Verbindungen mit eng benachbarten Zusammensetzungen. Im System TitanKSauerstoff gibt es im Bereich TiO1.9KTiO1.75 eine Serie stöchiometrisch zusammengesetzter Phasen TinO2nK1 mit 4 % n % 9. Das Sauerstoffdefizit wird in den Rutil-verwandten Strukturen von TiO2Kx und VO2Kx durch vermehrte Verknüpfungen von Rutilblöcken über Kanten und Flächen der [MO6]-Oktaeder in der Scherebene ausgeglichen. In der gezeigten Struktur von ReO3 (Abb. 2.20) sind alle [ReO6]-Oktaeder über Ecken mit ihresgleichen zu [ReO6.2] verknüpft. Beim Auftreten von Scherstrukturen resultiert in der Scherebene eine systematische Kantenverknüpfung der [ReO6]-Oktaeder. Durch fortschreitende Reduktion wird die Zusammensetzung eines solchen Oxids dahingehend verändert, dass die Zahl der Scherebenen steigt. Dabei werden zunehmend Elektronen an das Leitungsband abgegeben, und außer der Farbe ändern sich auch die elektrischen und magnetischen Eigenschaften. Scherebenen können nicht nur parallel, sondern auch senkrecht zueinander, in so genannten Blockstrukturen, angeordnet sein. 5

Nach dem schwedischen Chemiker A. Magnéli als Magnéli-Phasen bezeichnet.

216

2 Festkörperchemie

2.5 Elektrochemische Zellen Elektrochemische Zellen können als Energieumwandler wirken, indem sie die Energie einer chemischen Reaktion direkt in elektrische Energie umwandeln. Hierzu zählen Brennstoffzellen und Batterien, die aus den drei Komponenten Anode, Kathode und Elektrolyt bestehen.

2.5.1 Messung von Sauerstoff-Partialdrücken Dotiertes ZrO2 ist bei hohen Temperaturen ein guter Sauerstoff-Ionenleiter (vgl. Abschnitt 2.4.8) und wird als Festelektrolyt zur Messung von Sauerstoff-Partialdrücken eingesetzt. Ist der zu messende Partialdruck pO2 kleiner als der Referenzdruck pO# 2 (z. B. Luft), so erfolgt eine Wanderung von O2K-Ionen im Druckgefälle über Sauerstoffleerstellen in der dotierten ZrO2-Struktur (Abb. 2.21).

Abb. 2.21 Schema der Sauerstoff-Partialdruckmessung mit dotiertem ZrO2. Die Differenz der Sauerstoff-Partialdrücke auf beiden Seiten des ZrO2(Y2O3)-Sensors wird durch Diffusion von Sauerstoffionen in Richtung des niedrigeren Partialdrucks kompensiert. Sauerstoffmoleküle nehmen beim Eintritt in eine poröse Metallelektrode Elektronen auf und können als O2K durch den Sensor wandern, um an der Metallelektrode der gegenüberliegenden Seite Elektronen abzugeben. Die bei der Reaktion gemessene elektrische Spannung ist proportional zur Differenz der Partialdrücke.

Mittels poröser Metallelektroden wird ein Stromfluss gemessen, der der O2KIonenwanderung entgegengerichtet ist. Die Zelle arbeitet im Temperaturbereich zwischen 500 und 1 000 (C und kann kleinste pO2 messen (bis etwa 10K16 bar). Die Zellspannung für die Zelle Pt, pO2 - ZrO2 (Y2O3) - pO# 2 , Pt ergibt sich aus der Differenz der Partialdrücke nach der Nernst’schen Gleichung: E Z E( K

()

pO# 2 RT $ ln p 4F O2

Das Standardpotential E( der Konzentrationszelle ist gleich null, da der Sauerstoff-Partialdruck bei Standardbedingungen auf beiden Seiten der Zelle gleich ist und daher keine Potentialdifferenz besteht. Ist ein Partialdruck bekannt (z. B.

2.5 Elektrochemische Zellen

217

pO2, Luft ), so kann ein unbekannter Partialdruck durch die Messung von E bestimmt werden. Auf dieser Basis arbeiten die meisten Sauerstoffsensoren, die zur Analyse von Verbrennungsgasen sowohl industriell als auch in Fahrzeugen (λSonde) eingesetzt werden. Das Luft.Treibstoff-Verhältnis kann optimiert und der Wirkungsgrad eines Katalysators unter Verminderung von Abgasen (CO, NOx) verbessert werden. Sogar der Sauerstoffgehalt von flüssigem Stahl kann auf diese Weise kontrolliert werden.

2.5.2 Brennstoffzellen Brennstoffzellen sind eine Art von Batterien, denen die Reaktionspartner extern zugeführt werden. Dabei wird die freiwerdende Energie einer chemischen Reaktion in elektrische Energie umgewandelt. Hochtemperatur-Brennstoffzellen auf Oxidkeramik-Basis (SOFC, engl. solid oxide fuel cell) sind Energieumwandler, die in stationären Kraftwerken bei Betriebstemperaturen von 800K1 000 (C zum Einsatz kommen. In einem ähnlichen Aufbau wie in Abb. 2.21 wird dotiertes ZrO2 als Separator (Elektrolyt) für die Umsetzung von Brenngasen wie Wasserstoff, Kohlenwasserstoffen oder CO mit Sauerstoff verwendet: H2 - ZrO2 (Y2O3) - O2 In der Brennstoffzelle werden Sauerstoff oder Luft von einer Seite (Kathode) und H2 von der anderen Seite (Anode) zugeführt. Sauerstoff wandert als O2K durch die dotierte ZrO2-Schicht hindurch und verbrennt mit H2 zu Wasser. Dabei nimmt jedes Sauerstoffatom an der „Luftelektrode“ zwei Elektronen auf und wandert durch den Elektrolyten hindurch, um an der „Brennstoffelektrode“ mit H2 zu reagieren. Zuvor werden jedoch an der Anode Elektronen abgegeben, die durch den elektrischen Kreislauf (über einen Verbraucher) zurückgeführt werden. Da einzelne Zellen Spannungen von weniger als einem Volt erzeugen, werden solche Zellen zu Stapeln (engl. stacks) zusammengeschaltet. Polymerelektrolytmembran-Brennstoffzellen (PEFC, engl. polymer electrolyte fuel cell) mit einer für Protonen durchlässigen Kunststoffmembran werden für den mobilen Einsatz verwendet. Die Betriebstemperaturen solcher Zellen liegen unter 100 (C. Als Brenngase werden wieder Wasserstoff und Sauerstoff verwendet. Durch Oxidation von Wasserstoff entstehen an der Anode Protonen und Elektronen. Die Protonen wandern durch die Membran zur Kathode, an der Sauerstoff reduziert wird und die Reaktion zu Wasser stattfindet. Mit flüssigem Methanol betriebene Brennstoffzellen sind für den mobilen Einsatz (Pkw, PC, usw.) erhältlich. Als Brenngas dient wieder Wasserstoff, welcher durch Spaltung von Methanol an einem Pt.Rh-Katalysator erzeugt wird.

2.5.3 Batterien Eine Batterie besteht aus einer Anode und einer Kathode, die durch einen Elektrolyten voneinander getrennt sind. Anoden und Kathoden bestehen aus Stoffen, die vor allem ionische, aber auch elektronische Leitfähigkeit zulassen. Festelektrolyte müssen für Anwendungen in Batterien elektrische Isolatoren sein (damit

218

2 Festkörperchemie

kein innerer Kurzschluss erfolgt) und zugleich einer Ionensorte den Durchtritt erlauben. Der Aufbau einer Batterie ist für die Zellreaktion A C X # AX mit den Redoxpaaren A # AC C eK und X C eK # XK schematisch in Abb. 2.22 gezeigt. Bei der Entladung wandern A-Teilchen als AC-Ionen durch den Elektrolyten zur Kathode, während die Elektronen über den externen Stromkreis von der Anode zur Kathode fließen.

Abb. 2.22 Schema einer Batterie mit zwei reaktionsfähigen Substanzen A und X, die durch einen Elektrolyten getrennt sind.

Allgemein wird zwischen Primär- und Sekundärbatterie unterschieden: Bei Sekundärbatterien (Akkumulatoren) ist die ablaufende chemische Reaktion durch Zufuhr elektrischer Energie (Laden) umkehrbar, bei Primärbatterien nicht. Beispiele für Batterien, die mit Festkörperelektrolyten betrieben werden, sind der Natrium-Schwefel-Akkumulator und die Lithium-Iod-Primärbatterie. Beispiel: Der Natrium-Schwefel-Akkumulator Im Natrium-Schwefel-Akkumulator wird Natrium-β-Aluminiumoxid als NaCdurchlässige Festelektrolytmembran zur Trennung der flüssigen Elektroden verwendet: Na flüssig - Na-β-Al2O3 - S flüssig Der Akkumulator enthält Schmelzen aus Natrium und Schwefel, weshalb die Betriebstemperatur bei 300K350 (C liegen muss. Die an der Anode gebildeten Natriumionen wandern bei der Entladereaktion durch den Festelektrolyten in die Schwefelschmelze. Bei der Reaktion 2 Na C x.8 S8 Z Na2Sx entsteht zunächst Na2S5, das sich in der Schwefelschmelze anreichert. Die offene Batteriespannung einer geladenen Batterie beträgt etwa 2 V (bei 300 (C). Viele hundert Lade-Entlade-Zyklen sind möglich; die erhöhte Betriebstemperatur ist jedoch ein wesentliches Hindernis für den Einsatz dieses Akkumulators. Beispiel: Die Lithium-Iod-Batterie In dieser Primärbatterie werden Lithium als Anode, LiI als Festelektrolyt und Iod als Kathode eingesetzt. Bei der irreversiblen Reaktion diffundieren Lithiumionen durch die LiI-Schicht hindurch und reagieren mit Iod zu LiI. Für die Zell1 reaktion Li C I2 $% LiI wird Iod in der Festkörperkette 2 Li - LiI - I2-PVP

2.5 Elektrochemische Zellen

219

als Iodpoly (2-vinylpyridin) (PVP) bereitgestellt. Die offene Batteriespannung der geladenen Batterie beträgt 2.8 V. Dieser Batterietyp zeichnet sich durch eine hohe Zuverlässigkeit und lange Lebensdauer (O10 Jahre) aus und wird deshalb in Herzschrittmachern eingesetzt.

2.5.4 Wiederaufladbare Lithiumbatterien Das reversible Einbringen von Gastteilchen in ein Wirtsgitter wurde schon am Beispiel von LixTiS2 erwähnt (Abschnitt 2.1.6). Nach diesem Prinzip einer reversiblen Einlagerung arbeiten Interkalationselektroden, die aus ein-, zwei- oder dreidimensionalen Wirtsstrukturen bestehen können. Sie sind attraktive Elektroden für wiederaufladbare Batterien, deren Prinzip am folgenden Beispiel einer elektrochemischen Kette mit einem Flüssigelektrolyten gezeigt werden soll: Li - Propylencarbonat-LiPF6 - TiS2 Bei der reversiblen Reaktion x Li C TiS2 $% LixTiS2 (0 ! x ! 1) wird Lithium oxidiert und als LiC in die Hohlräume zwischen den Schichten der TiS2-Struktur eingelagert (vgl. Abschnitt 2.1.6). Der Akku ist entladen, wenn LixTiS2 seine obere Grenzzusammensetzung erreicht hat. Zum Aufladen des Akkumulators wird eine Spannung an die Elektroden angelegt, die die Rückreaktion erzwingt. Dabei wird LiC deinterkaliert und an der Anode zu Lithium-Metall reduziert. Batterien dieser Art besitzen offene Zellspannungen um 2.5 V. Auch hier sind viele hundert Lade-Entlade-Zyklen möglich, bevor die Batterieleistung abfällt.

2.5.4.1 Elektrolyte für Lithiumbatterien Allgemein sind nur wenige Festelektrolyte bekannt, die gute Ionenleitfähigkeiten für Lithium- oder Natriumionen zeigen. Unter diesen zählen (dotiertes) Li3N und LISICON zu den besten bekannten Lithium-Ionenleitern. Das binäre Nitrid Li3N kommt wegen seines geringen Zersetzungspotentials (0.44 V) nicht für Anwendung in Batterien in Betracht. Zur Stofffamilie der so genannten LISICONs (engl. lithium super ionic conductor) gehören Derivate von LixM2 (PO4)3 (M Z Metallatom), die unterschiedliche chemische Zusammensetzungen haben können. Aber nicht nur feste, sondern vor allem flüssige Elektrolyte haben sich in der Batterietechnik bewährt. Allgemein können drei Arten von Elektrolyten unterschieden werden: 1. Festelektrolyte, häufig aus LISICON, NASICON (AxM2 (PO4)3 mit A Z Li oder Na) oder Na-β-Al2O3, 2. Flüssigelektrolyte aus organischen Lösungsmitteln (z. B. Ethylencarbonat, Propylencarbonat oder Dimethylcarbonat) und einem Leitsalz (z. B. LiPF6, LiBF4 oder LiClO4) und 3. Polymerelektrolyte aus einer polymeren Matrix [z. B. Poly (ethylenoxid)] und einem Leitsalz (z. B. LiPF6, LiBF4 oder LiClO4).

220

2 Festkörperchemie

2.5.4.2 Anodenmaterialien für Lithiumbatterien Lithium gilt als das wichtigste Anodenmaterial für Lithiumbatterien, weil es im Vergleich zu anderen Metallionen (wie z. B. Na oder Mg) einen kleineren Ionenradius, eine geringere Masse und höhere Ionenbeweglichkeit zeigt. Zu den Nachteilen von Li-Anoden zählt die Neigung von Lithium, mit Feuchtigkeit sowie teilweise auch mit nichtwässrigen Elektrolyten zu reagieren. In der Praxis können bei wiederaufladbaren Lithiumbatterien Sicherheitsprobleme auftreten, die dadurch bedingt sind, dass mehrmaliges Laden und Entladen der Batterie zu einem dendritischen Wachstum von Li-Nadeln auf der Li-Anode führt, welches zum Kurzschluss mit der Kathode und in der Folge zum (explosionsartigen) Überhitzen der Zelle führen kann. Als Alternative zu Lithium-Anoden kann mit Lithium interkalierter Graphit als LixC6-Anode eingesetzt werden. Aber auch andere Interkalationsverbindungen des Lithiums kommen als Anodenmaterialien in Betracht. In der defekten Spinellstruktur des Titanats Li1CxTi2KxO4 (0 % x % 1.3) bilden die Kationen feste Lösungen. Die Phase mit der Zusammensetzung Li4.3Ti5.3 O4 kann (alternativ zu LixC6) als Anodenmaterial verwendet und in Kombination mit einem Kathodenmaterial zu einer Sekundärbatterie kombiniert werden (vgl. Abb. 2.23). In Sekundärbatterien werden die Lithiumionen beim Entladen und Laden zwischen zwei Wirtsstrukturen hin und her transportiert. Wirtsstrukturen für Lithiumionen müssen für Anwendungen in Batterien verschiedenen Ansprüchen gerecht werden. Allgemein kommen robuste Stoffe (LixMXn) in Betracht, die möglichst viele Lithiumionen reversibel ein- und auslagern können. Dabei muss ein Atom (M) im Wirtsgitter unterschiedliche Oxidationsstufen einnehmen können. Von einer Batterie, die in mobilen Geräten zum Einsatz kommen soll (Telefon, Computer, usw.), erwartet man eine hohe Zellspannung (O 3 V), eine gute Zyklenstabilität (O 1 000 Lade- und Entladezyklen) und eine hohe (auf die Masse bezogene) Kapazität (O 200 mAh.g).

Abb. 2.23 Schematische Wiedergabe der Fermi-Energien verschiedener Anoden- und Kathodenmaterialien, woraus mögliche Kombinationen dieser Materialien und die relativen Zellspannungen hervorgehen.

2.5 Elektrochemische Zellen

221

2.5.4.3 Kathodenmaterialien für Lithiumbatterien Im Zusammenspiel mit Graphit (oder bestimmten Arten von Ruß) als Anode zählen die Lithiumverbindungen LiCoO2, LiNiO2, LiMn2O4 und neuerdings auch LiFePO4 zu den wichtigsten Kathodenmaterialien für sekundäre Lithiumbatterien, die vorzugsweise mit flüssigen Elektrolyten betrieben werden. Da die Ruheklemmenspannung solcher Batterien im geladenen Zustand bei bis zu 4 V liegt, ist der Einsatz aprotischer Elektrolyte mit hoher Leitfähigkeit und hoher chemischer bzw. elektrochemischer Stabilität erforderlich.

2.5.4.4 Wichtige Lithiumakkumulatoren Das System LixC6-Li1KxMn2O4 Metalloxide des (defekten) Spinelltyps LiM2O4 mit A Z Ti, V, Mn enthalten Leerstellen und Kanäle und ermöglichen so eine Beweglichkeit der LiC-Ionen. Unter diesen hat LiMn2O4 großes Interesse als Kathodenmaterial für Festkörperbatterien geweckt. Der normale Spinell LiMn3CMn4CO4 ist ein Mischleiter. Die Ionenleitfähigkeit erfolgt durch Diffusion der LiC-Ionen durch Kanäle der dreidimensionalen Struktur. Die elektronische Leitfähigkeit hingegen beruht auf einem hopping-Mechanismus von Elektronen zwischen Mn3C und Mn4C. Durch diese Eigenschaften ist Li1KxMn2O4 ein wertvolles Kathodenmaterial für den Einsatz in einer Lithiumbatterie. Beim Entladevorgang wandern LiC-Ionen aus der Anode (Li oder LixC6) durch den Elektrolyten hindurch auf Leerstellen der Spinellstruktur. Die offene Zellspannung dieser Anordnung beträgt bis zu 4 V. Die mit der reversiblen Lithiumeinlagerung verbundene Jahn-Teller-Verzerrung durch das Auftreten von Mn3C bei jedem Redoxzyklus geht mit einer Phasenumwandlung von kubisch nach tetragonal einher. Die damit verbundene Volumenänderung bei jedem Entlade-Lade-Zyklus verursacht neben anderen Effekten beträchtliche Kapazitätsverluste, die den kommerziellen Einsatz dieses Batterietyps einschränken. Bemerkenswert ist, dass die verwandte Verbindung Li4.3Ti5.3O4 mit defekter Spinellstruktur nicht als Kathoden- sondern als Anodenmaterial in Betracht kommt (vgl. Abb. 2.23). Das System LixC6-Li1KxCoO2 Metalloxide des Typs LiMO2 mit M Z V, Cr, Co und Ni kristallisieren in Schichtstrukturen, in denen die LiC- und M3C-Ionen alternierende Schichten besetzen (aufgefüllter 3R-CdCl2-Typ, vgl. Abb. 2.9). LiCoO2 dient als Kathodenmaterial in kommerziell hergestellten Lithiumbatterien (Knopfzellen). Beim Entladevorgang diffundieren die LiC-Ionen aus der LixC6-Struktur (Anode) durch den Elektrolyten hindurch in die Schichten der Li1KxCoO2-Struktur. Die Zellspannung dieses Systems liegt bei 4 V. Das System LixC6-Li1KxFePO4 LiFePO4 kristallisiert in einer Variante des Olivin-Typs (vgl. Tabelle 2.4) und ist ein Beispiel für ein Kathodenmaterial mit einem Polyanion. Mit einer Zellspannung von etwa 3 V gilt dieses System als ein viel versprechender Batterietyp.

222

2 Festkörperchemie

2.5.5 Die Nickel-Metallhydrid-Batterie Nickel-Metallhydrid-Akkumulatoren sind seit den 1980er Jahren kommerziell erhältlich. Als negatives Elektrodenmaterial (Anode) werden intermetallische Verbindungen verwendet, die große Mengen Wasserstoff als Metallhydrid (MH) speichern können. Die Verbindung LaNi5 kann maximal sechs HC-Ionen reversibel ein- und auslagern. In der Praxis verwendet man ein modifiziertes LaNi5H6Kx, in dem Lanthan durch das billigere Mischmetall6 und Nickel partiell durch andere Metalle ersetzt ist. Als Elektrolyt dient eine 20 % KOH-Lösung (pH Z 14). Beim Entladen wird der gespeicherte Wasserstoff oxidiert. Die an der Anodenoberfläche gebildeten HC-Ionen reagieren mit dem an der Kathode gebildeten OHK zu Wasser. An der Kathode wird Ni3C in NiO (OH) zu Ni2C in Ni (OH)2 reduziert: MH C OHK $% M C H2O C eK NiO (OH) C H2O C eK $% Ni (OH)2 C OHK Der Aufbau eines Nickel-Metallhydrid-Akkumulators und die Gesamtreaktion können folgendermaßen formuliert werden: MH - KOHaq - NiO (OH)

Entladen

MH C NiO (OH) $###% M C Ni (OH)2 Die offenen Zellspannungen für den Nickel-Metallhydrid-Akkumulator liegen mit etwa 1.3 V am oberen Grenzwert für wässrige Elektrolyte, der durch das (pH-abhängige) Zersetzungspotential von Wasser gegeben ist. Ni-MetallhydridBatterien werden z. B. in Funktelefonen und Hybridautos verwendet.

2.6 Elektronische Strukturen fester Stoffe Für das Verständnis der Eigenschaften fester Stoffe ist die Kenntnis ihrer elektronischen Struktur von Interesse, da die meisten Eigenschaften direkt vom Verhalten ihrer Elektronen abhängen. Hierzu zählen: K Elektrische Eigenschaften: Isolatoren, Halbleiter und Metalle K Optische Eigenschaften: Absorption und Emission von Licht K Magnetische Eigenschaften: Dia-, Para-, Ferri-, Ferro- und Antiferromagnetismus K Strukturelle Organisationsformen: Verzerrung der Koordinationsgeometrie, Phasenübergänge

6

Mischmetall besteht aus Mischungen von Lanthanoidmetallen gemäß ihrer Anteile in den Mineralien (z. B. Monazit, Bastnäsit).

2.6 Elektronische Strukturen fester Stoffe

223

Diese Eigenschaften können zwar durch Messungen untersucht und charakterisiert, aber für eine neue Struktur oder Verbindung nicht ohne weiteres vorhergesagt werden. Die elektronische Struktur eines Stoffes kann basierend auf der Kristallstruktur und den sie konstituierenden Atomen berechnet werden. Hierzu dienen mehr oder weniger aufwändige K aber auch in ihrer Kapazität begrenzte K Algorithmen, je nachdem, ob ein qualitatives oder quantitatives Ergebnis erwünscht ist. Für einfache Betrachtungen einer elektronischen Struktur können die Ansätze der Molekülorbitaltheorie herangezogen werden. Ausgehend von einem einzigen Atom oder Molekül werden die Verhältnisse bei einem großen Molekül oder einem unendlich großen Molekül (Festkörper) zunehmend komplizierter, da sich die Anzahl der zu berücksichtigenden Orbitale vervielfacht (Abb. 2.24). Wenn sich die intramolekularen Bindungsstärken den intermolekularen Bindungsstärken annähern, ist ein Übergang von einer Molekülstruktur in eine Netzwerkstruktur zu berücksichtigen. In diesem Fall muss zur Beschreibung der elektronischen Struktur anstatt einer Rechnung für ein Molekül (MO-Rechnung) eine Bandstrukturrechnung herangezogen werden, aus der sich die Zustandsdichte ableitet. Die Zustandsdichte N(E) beschreibt die Anzahl der Energiezustände in einem Energieintervall zwischen E und ECdE. Ist N(E) Z 0, liegt an dieser Stelle eine Bandlücke vor. Je nach der Größe der Bandlücke zwischen dem Valenz- und Leitungsband (in der MO-Theorie: HOMO und LUMO) werden Stoffe in elektrische Isolatoren, Halbleiter und Leiter eingeteilt. Zur Ableitung einer einfachen Bandstruktur kann von der LCAO-MO-Methode ausgegangen werden, die jedoch für (vernetzte) Feststoffe nur unter Einbindung in die Bloch-Funktion (s. Abschnitt 2.6.1) anwendbar ist.

Abb. 2.24 Orbitalenergien (a) eines Atoms, (b) eines Moleküls, (c) eines großen Moleküls, (d) eines Festkörpers, (e) Zustandsdichte eines Festkörpers. EF kennzeichnet die Fermi-Energie und Eg die Bandlücke.

224

2 Festkörperchemie

2.6.1 Die lineare Anordnung von Wasserstoffatomen Eine lineare Anordnung von Wasserstoffatomen soll als Modell für den wohl einfachsten wie eindrucksvollsten Fall einer Bandstruktur dienen. Die fiktive lineare Anordnung aus Wasserstoffatomen besteht aus unendlich vielen Atomen (n Z 0, 1, 2, ...) oder 1s-Orbitalen (φ0, φ1, φ2 ...) mit der Gitterkonstante a (Abb. 2.25).

Abb. 2.25 Modell einer linearen Kette aus n Wasserstoffatomen mit der Gitterkonstante a.

Mit einem H-Atom (entsprechend einem 1s-Orbital) in der Elementarzelle der N1 [H]-Kette resultiert nur ein Energieband, dessen Verlauf in Abhängigkeit vom Wellenvektor parallel zur Anordnung der linearen Kette angegeben wird. Der Wellenvektor oder reziproke Raumvektor ist für eine Bandstruktur als % k Z2 π.a% s (a Z Gitterkonstante, % s Z Einheitsvektor) definiert. Eine Translationsperiode a entspricht dem Intervall Kπ.a % k % π.a im reziproken Raum. Für die Betrachtung einer Bandstruktur ist es aber sinnvoll, die so genannte reduzierte erste Brillouin-Zone darzustellen. Dieser Ausschnitt reicht von k Z 0 bis k Z π.a (vgl. Abschnitt 2.6.3). In diesem Bereich müssen Energiewerte an möglichst vielen k-Punkten berechnet werden. Die graphische Darstellung der Bandstruktur erfolgt als Auftragung der Funktion E(k) über k. Zur Berechnung der Wellenfunktionen von unendlich vernetzten Strukturen dient die BlochFunktion. Aus der Lösung der Bloch-Funktion (1) an verschiedenen k-Punkten wird auch der Verlauf von Energiebändern deutlich: Ψk Z

∑e

ikna

n

φn

(1)

Aus den Lösungen für k Z 0 und π.a resultieren die Kombinationen und

b Z ΨkZ0

∑e φ Zφ 0

n

n

a Z ΨkZπ.a

∑e

πin

n

0 C φ1 C φ2 C φ3 C ...

∑ (K1) φ Z φ K φ C φ K φ C ...

φnZ

n

n

n

0

1

2

3

die als bindende und antibindende Kombinationen der eindimensionalen Anordnung von Wasserstoffatomen angesehen werden können. Wie nicht anders zu erwarten ist, liegt dazwischen eine nichtbindende Kombination. Obwohl zwischen diesen Grenzkombinationen viele weitere Mischungen von ls-Orbitalen liegen, wird der mit k ansteigende Verlauf der Energie des Bandes der N1 [H]-Kette deutlich (Abb. 2.26). Auch der Verlauf eines beliebigen anderen Orbitaltyps in dieser Anordnung wird vorhersehbar. So würde eine Kette von px-Orbitalen demnach einen umgekehrten, mit k abfallenden Verlauf zeigen.

2.6 Elektronische Strukturen fester Stoffe

225

Abb. 2.26 Bandstruktur für eine lineare Anordnung von Wasserstoffatomen (oben) und für eine lineare Anordnung von p-Orbitalen (unten) mit eingezeichneten bindenden und antibindenden Orbitalkombinationen. Das Fermi-Niveau EF kennzeichnet den Besetzungs1 zustand mit einem Elektron pro Atom im Energieband der N [H]-Kette.

Das Fermi-Niveau (EF) gibt den höchsten besetzten Energiezustand bei 0 K an. Im Prinzip ist die Mobilität eines Elektrons pro Wasserstoffatom im Enerπ giebereich der Bandbreite E (k Z 0) K E k Z a möglich. Tatsächlich nimmt

-

(

)-

die Delokalisierung von Elektronen mit zunehmender Bandbreite und mit abnehmendem Abstand der Atome zu. Ist ein Energieband nur partiell (z. B. mit einem einzigen Elektron) besetzt, dann resultieren aus der Steigung des Energiebandes die Grenzfälle von lokalisiertem und delokalisiertem Verhalten (Abb. 2.27). Aus der Besetzung und dem Zusammenspiel der Energiebänder, wie beispielsweise dem Auftreten von Bandlücken oder von Bandkreuzungen in der Nähe der Fermi-Energie, lassen sich die elektrischen Eigenschaften von Stoffen ableiten. Aus einer Bandstruktur wird die Zustandsdichte abgeleitet. Bei der Konstruktion einer Zustandsdichte resultieren hohe Zustandsdichten aus Bereichen horizontal verlaufender Energiebänder und niedrige Zustandsdichten aus Bereichen steil verlaufender Energiebänder. Die Zustandsdichte oder DOS (engl. density of states) beinhaltet die Rückkehr vom reziproken Raum, in dem die Bandstrukturen dargestellt werden, in den realen Raum und hat den Vorteil einer spektroskopischen Überprüfbarkeit (IR.UV, Photoelektronenspektroskopie, Röntgenabsorption, Röntgenemission). Die bindenden oder antibindenden Bereiche einer Bandstruktur können aus der Darstellung einer hinsichtlich bindender und antibindender Kombinationen gewichteten Zustandsdichte entwickelt werden, der so genannten Überlappungspopulation (Abb. 2.28). Die bindenden und antibindenden Bereiche der Überlappungspopulation werden für den Fall der linearen Anordnung von H-Atomen aus den Lösungen (Vorzeichen) der Bloch-Funktion am jeweiligen k-Punkt deutlich. Liegt das Fermi-Niveau nicht (wie in Abb. 2.28) am Wendepunkt zwischen bindenden und antibindenden Zuständen, dann sind antibindende Zustände besetzt

226

2 Festkörperchemie

Abb. 2.27 Energiebänder zur Beschreibung lokalisierter, semilokalisierter und delokalisierter Elektronenzustände (von links nach rechts) für verschiedene HdH-Abstände in einer linearen Anordnung von H-Atomen.

Abb. 2.28 Bandstruktur, Zustandsdichte und Überlappungspopulation einer linearen Anordnung von H-Atomen (von links nach rechts).

oder nicht alle bindenden Zustände gefüllt, und man kann eine chemische Modifizierbarkeit der Verbindung im Sinne einer Oxidation oder Reduktion erwarten (siehe Abschnitt 2.6.4.1). Die Analyse der Bandstruktur einer linearen Anordnung von Wasserstoffatomen erklärt, weshalb H2-Moleküle stabiler sind als metallischer Wasserstoff (siehe Abschnitt 2.6.2). Die Existenz einer solchen metallischen Wasserstoffmodifikation ist eher unwahrscheinlich.

2.6 Elektronische Strukturen fester Stoffe

227

2.6.2 Die Peierls-Verzerrung einer linearen Anordnung von H-Atomen Für eine eindimensionale Anordnung von Atomen mit einem halbbesetzten Energieband ist eine Peierls-Verzerrung zu erwarten. Sie kann als ein Festkörperanalogon zur Jahn-Teller-Verzerrung betrachtet werden. Der Energiegewinn, der aus der Peierls-Verzerrung resultiert, wird deutlich, wenn man die Gitterkonstante a (mit einem H-Atom in der Elementarzelle) auf 2a (zwei H-Atome) verdoppelt. Die Anzahl der Energiebänder in einer Bandstruktur ist gleich der Anzahl der Orbitale in der Elementarzelle. Für eine lineare Anordnung von Wasserstoffatomen mit der Gitterkonstante 2a existieren zwei Energiebänder. Die Konstruktion des neuen Bandstrukturdiagramms erfolgt durch Rückfaltung der Bandstruktur bei π.(2a), wodurch zwei Energiebänder entstehen, die bei π.(2a) entartet sind (Abb. 2.29). Das Fermi-Niveau liegt genau an der Stelle der Entartung. Der Energiegewinn resultiert durch das Aufbrechen der Entartung, d. h. durch die Absenkung des unteren besetzen Energiebandes (I) unter gleichzeitiger Anhebung des oberen Energiebandes (II) bei π.(2a) Z π.a# (Abb. 2.30). Das Aufbrechen der Entartung ist mit der paarweisen Annäherung von H-Atomen zu H2-Molekülen verknüpft. Entscheidend für das Auftreten einer solchen Verzerrung ist ein möglichst hoher Energiegewinn, der im Allgemeinen durch ein möglichst steil ansteigendes halbbesetztes Energieband gewährleistet wird. Bei der Peierls-Verzerrung resultiert ein Metall-Halbleiter-Übergang, der in Abb. 2.30 anhand eines Blockschemas verdeutlicht wird. Dieser einfachste Fall einer Peierls-Verzerrung zeigt den Effekt, dem bei einer komplizierteren Struktur alle Energiebänder folgen würden.

Abb. 2.29 Faltung einer Bandstruktur zur Verdoppelung der Gitterkonstante a. Die Zahl der Energiebänder und Atome wird durch die Faltung verdoppelt. Die gefaltete Bandstruktur der linearen Anordnung von H-Atomen enthält die gezeigten Grenzfälle einer bindenden, einer antibindenden und zweier nichtbindender Orbitalkombinationen (bei k Z 0 und π π bei k Z Z ). (2a) a#

228

2 Festkörperchemie

Abb. 2.30 Peierls-Verzerrung der eindimensionalen Anordnung von H-Atomen, die zur Bildung von H2-Molekülen führt, und ein Blockschema des Metall-Halbleiter-Übergangs. Das Blockschema links repräsentiert den metallischen unverzerrten Zustand der linearen Anordnung von Wasserstoffatomen (entsprechend Abb. 2.28). Bei der Verzerrung spalten die entarteten Energiebänder der Bandstruktur auf, wobei die Energie einer Orbitalkombination energetisch abgesenkt (I, bindend) und die der anderen angehoben (II, antibindend) wird. Das aus der Verzerrung resultierende Blockschema (rechts) beschreibt einen Halbleiter.

2.6.3 Bandstrukturen in drei Dimensionen − Brillouin-Zonen Bei der Berechnung einer Bandstruktur stellt sich die Frage, entlang welcher Richtungen diese projiziert werden soll. Einer möglichst vollständigen Darstellung entspräche eine Darstellung von Energieflächen, von der jede mit maximal zwei Elektronen besetzt werden könnte. Üblich sind jedoch Projektionen von Energiebändern entlang bestimmter Richtungen der ersten Brillouin-Zone. Die erste Brillouin-Zone ist die kleinste Einheit der Kristallstruktur im reziproken Raum. Die Festlegung der ersten Brillouin-Zone sei anhand eines zweidimensionalen reziproken Gitters veranschaulicht. Errichtet man von einem reziproken Gitterpunkt (Г) ausgehend Normalen auf der halben Strecke der gedachten Verbindungslinien zwischen benachbarten reziproken Gitterpunkten, so ergibt die eingeschlossene Fläche die erste Brillouin-Zone (Abb. 2.31). In Einheiten des reziproken Raumvektors ausgedrückt, hat die erste Brillouin-Zone entlang einer π π Richtung die Ausdehnung K a % k % a . Punkte spezieller Symmetrie werden mit Großbuchstaben gekennzeichnet, und entlang ihrer Verbindungslinien werden kPunkte gewählt, die zur Berechnung der Bandstruktur dienen. Werden Energien an hinreichend vielen k-Punkten berechnet, so wachsen diese in der Auftragung von E(k) über k zu Linien bzw. Energiebändern zusammen. Ausgehend vom Ursprung des reziproken Gitters (des sog. Г-Punkts mit k Z 0, 0, 0) entsprechen die speziellen Punkte X, Y und S in Abb. 2.31 den Eckpunkten der asymmetrischen Einheit einer zweidimensionalen (orthorhombischen) Brillouin-Zone. Bei der Berechnung von Bandstrukturen entlang der verschiedenen Raumrichtungen verwendet man einen Satz von k-Punkten, der auf den direkten Verbindungslinien zwischen speziellen Punkten liegen. Typisch wäre hier der Verlauf ГKXKSKYKГ.

2.6 Elektronische Strukturen fester Stoffe

229

Abb. 2.31 Konstruktion der ersten Brillouin-Zone (großes Rechteck) anhand einer Ebene von zweidimensional angeordneten reziproken Gitterpunkten (schwarze Punkte) mit den Gitterkonstanten a und b. Die speziellen Punkte Γ Z 0, 0, 0; X Z 0, 1.2, 0; Y Z K1.2, 0, 0; S Z K1.2, 1.2, 0 (in Einheiten von 2 π.a, 2 π.b, 2 π.c) markieren Punkte mit bestimmten Symmetrien des Gitters. Die asymmetrische Einheit der orthorhombischen Brillouin-Zone (REBZ Z reduzierte erste Brillouin-Zone) ist als graues Feld eingezeichnet.

2.6.4 Beispiele für Bandstrukturen Die elektrischen Eigenschaften von Feststoffen können auf der Basis von Bandstrukturen interpretiert werden. Für einen guten metallischen Leiter (oder einen Supraleiter) müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: 1. In unmittelbarer Nähe des Fermi-Niveaus muss eine möglichst große Anzahl von Energiebändern für möglichst viele Ladungsträger zur Verfügung stehen (hohe Zustandsdichte am Fermi-Niveau). 2. Einige Energiebänder müssen am Fermi-Niveau möglichst große Steigungen besitzen, damit die Ladungsträger hohe Beweglichkeiten (Geschwindigkeiten) haben. Wenn beide Bedingungen erfüllt sind, schneiden sich „flache“ und „steile“ Energiebänder. Ist nur die erste Bedingung erfüllt, so sind die Ladungsträger lokalisiert, und die Substanz ist möglicherweise ein Halbleiter (z. B. Mott-Isolator). Gilt nur die zweite Bedingung, so ist die elektrische Leitfähigkeit womöglich durch eine geringe Anzahl von Ladungsträgern eingeschränkt. Viele Bandstrukturen können durch einfache Überlegungen qualitativ konstruiert werden. Die Grundlage hierfür und für das Verständnis von Bandstrukturen ist die Ligandenfeldtheorie, mit der zunächst ein Ausschnitt aus einer Festkörperstruktur betrachtet werden kann. Aus der Ligandenfeldtheorie ist wohlbekannt, dass die d-Energieniveaus von Metallatomen durch Wirkung der umgebenden Liganden (z. B. in Komplexverbindungen) aufspalten. Auch in einem vernetzten Festkörper ist die Aufspaltung der d-Energiezustände eines MLx-Fragmentes für das Verständnis von Bandstrukturen hilfreich. So können lokale Koordinationsgeometrien von Metallato-

230

2 Festkörperchemie

men im Festkörper zum Ausgangspunkt der Entwicklung von Bandstrukturen werden. Beispielsweise liegt das Pt2C-Ion in der Struktur von K2 [Pt (CN)4] · 3 H2O in einer quadratisch-planaren Koordination von CNK-Ionen vor. Varianten des NaCl-Strukturtyps enthalten oktaedrisch koordinierte Metallatome (z. B. ReO3); MoS2- und WC-Strukturen sind als Beispiele trigonal-prismatischer Koordinationen der Metallatome bekannt, und in der Struktur von LaI2 ist Lanthan quadratisch-prismatisch koordiniert.

2.6.4.1 Die Bandstruktur der [Pt (CN)4]-Säulen in der Struktur von K2 [Pt (CN)4] · 3 H2O In der Kolumnarstruktur von Kaliumtetracyanoplatinat (II) (KCP) sind die quadratisch planaren PtL4-Einheiten gestaffelt angeordnet. Die PtKPt-Abstände entlang der Stapelrichtung betragen rund 330 pm. Durch Oxidation mit Cl2 oder Br2 verringern sich diese Abstände. In K2 [Pt (CN)4]Cl0.3 · 3 H2O (Krogmann’sches Salz) betragen PtKPt-Abstände nur noch 290 pm. Dadurch besitzt K2 [Pt (CN)4]Cl0.3 · 3 H2O metallische Leitfähigkeit parallel zur Stapelrichtung der PtL4-Einheiten (die Leitfähigkeit nimmt mit steigender Temperatur ab, σ Z 103 S.cm bei RT), und die Kristalle glänzen metallisch. Zum Verständnis der elektronischen Struktur genügt die Betrachtung eines einzelnen unendlichen PtL4-Stranges, da zwischen den benachbarten Strängen nur schwächere Bindungskräfte wirken. Für eine isolierte PtL4-Einheit erfolgt eine Aufspaltung der 5d-Energiezustände entsprechend einer quadratisch planaren Ligandenumgebung, wobei hauptsächlich die x2Ky2-Orbitale mit den Ligandenorbitalen in Wechselwirkungen treten. Dabei bilden sich eine zwischen Metall und Ligand bindende und eine zwischen Metall und Ligand antibindende Kombination (Abb. 2.32). Für Pt2C sind die Orbitale xy, xz, yz und z2 mit Elektronen gefüllt, und die zwischen Metall und Ligand antibindenden x2Ky2-Orbitale sind leer. Mit der Stapelung der quadratisch-planaren PtL4-Einheiten übereinander erfahren die diskreten Energieniveaus Verbreiterungen zu Energiebändern. Diese Verbreiterungen beruhen auf Wechselwirkungen zwischen Orbitalen der benachbarten Pt-Atome längs zur Stapelrichtung. Bei der Annäherung der Pt-Atome verbreitern sich die Energiebänder mit dz 2 - und pz-Anteilen. Obwohl die KCP-Struktur eine gestaffelte PtL4-Anordnung enthält, wird hier aus Gründen der Vereinfachung eine ekliptische PtL4-Anordnung verwendet, die nur eine Formeleinheit PtL4 für die Konstruktion der Bandstruktur erfordert. Die für die [Pt (CN)4]-Kette entwickelte Zustandsdichte ist in Abb. 2.32 (rechts) gezeigt. Der qualitative Verlauf der Energiebänder kann unter Verwendung der Bloch-Funktion über die Orbitalkombinationen konstruiert werden. Daraus folgt für k Z 0, dass alle Orbitale mit dem gleichen Vorzeichen (φ0 C φ1 C φ2 C φ3 C ...) und für k Z π.a, dass alle Orbitale mit alternierenden Vorzeichen (φ0 K φ1 C φ2 K φ3 C ...) kombiniert werden. Aus diesen Anordnungen werden für die Kombinationen der d-Orbitale bindende (z2 bei k Z 0; xz, yz bei k Z π.a), nichtbindende (xy) und antibindende (xz, yz bei k Z 0; z2 bei

2.6 Elektronische Strukturen fester Stoffe

231

Abb. 2.32 MO-Schema einer PtL4-Einheit und die daraus entwickelte Zustandsdichte durch die Kombination quadratisch planarer PtL4-Einheiten zu einem eindimensionalen Polymer.

k Z π.a) Wechselwirkungen erkennbar, aus denen die Bandverläufe in Abb. 2.33 rekonstruiert werden können.

Der von k Z 0 nach k Z π.a leicht abfallende Verlauf der Energiebänder der entarteten xz- und yz-Orbitale (Überlappung vom π-Typ) beschreibt den Übergang von schwach antibindend nach schwach bindend. Von besonderer Bedeutung ist das z2-Band, weil es die Pt-Atome miteinander verbindet und die Lage der Fermi-Energie bestimmt. Das z2-Band steigt stetig von k Z 0 nach k Z π.a an und ähnelt in seinem Verlauf dem 1s-Band der linearen Anordnung von Wasserstoffatomen. Dabei ändern sich die Eigenschaften der z2-Orbitale von bindend nach antibindend. • Durch die Besetzung antibindender Energiezustände in K2 [Pt (CN)4] · 3 H2O wird eine Oxidation zu K2 [Pt (CN)4]Cl0.3 · 3 H2O möglich, wodurch ein Übergang in den metallischen Zustand erfolgt.

232

2 Festkörperchemie

Abb. 2.33 Berechnete eindimensionale Bandstruktur (links), Zustandsdichte (Mitte) und PtKPt-Überlappungspopulation (rechts) einer linearen [Pt (CN)4]2K-Kette (PtKPt-Abstände 300 pm). Grau ausgezeichnete Bereiche markieren besetzte Energiezustände, EF den höchsten besetzten Energiezustand. Durch die Besetzung PtKPt-antibindender Zustände in K2 [Pt (CN)4] · 3 H2O wird die Oxidation zu K2 [Pt (CN)4]Cl0.3 · 3 H2O möglich. Dabei wird das zuvor gefüllte Energieband (entsprechend Pt2C) teilweise entleert (Pt2C.3C) und das Fermi-Niveau abgesenkt.

Durch Oxidation werden Elektronen aus antibindenden PtKPt-Zuständen entfernt, das gefüllte Valenzband (z2) wird teilweise geleert und das Fermi-Niveau abgesenkt. Bei Entzug von 0.3 Elektronen pro Pt2C ist das höchste besetzte Ener1.7 gieband nur noch zu gefüllt. K2 [Pt (CN)4]Cl0.3 · 3 H2O ist ein eindimensionaler 2 metallischer Leiter. Als eindimensionale Leiter werden Stoffe bezeichnet, die den elektrischen Strom in einer Richtung um Größenordnungen besser leiten als in den anderen. Die sukzessive Erniedrigung der Zahl von Elektronen in antibindenden Zuständen verursacht eine Verringerung der PtKPt-Abstände (von 330 pm auf 290 pm). Unterhalb 150 K erfolgt jedoch eine Peierls-Verzerrung entlang der Richtung der eindimensionalen Säulen.

2.6.4.2 Die Bandstruktur von ReO3 − ein dreidimensionales d1-Metall Die lokale Umgebung des Rheniumatoms in ReO3 (Raumgruppe Pm3m, Abb. 2.20) ist oktaedrisch. Die 2p-Orbitale der Sauerstoffatome (2s-Orbitale sind nicht in Abb. 2.34 gezeigt) bilden zusammen mit kleineren Mischungen aus (d-, s- und p-) Orbitalen des Rheniums das Valenzband, oder anders betrachtet, die RedO-bindenden Zustände. Für die Zuordnung der hieraus resultierenden

2.6 Elektronische Strukturen fester Stoffe

233

Energiebänder sollte das Zählen von Bändern in einer Bandstruktur stets an einem allgemeinen Punkt erfolgen (z. B. zwischen X und M in Abb. 2.34), da entlang spezieller Richtungen oder an speziellen Punkten symmetriebedingte Bandentartungen vorliegen können. • Für eine Formeleinheit ReO3 in der Elementarzelle resultieren für das Valenzband 3 O · 3 (p-Orbitale) Z 9 Energiebänder und für das Leitungsband 1 Re · 5(d-Orbitale) Z 5 Energiebänder. Großbuchstaben kennzeichnen Symmetriepunkte im reziproken Raum. Im Ursprung des reziproken Gitters (Г-Punkt, k Z 0, 0, 0) liegt in der kubischen ReO3Struktur Oh-Symmetrie vor. Für die oktaedrische Koordination der Rheniumatome in ReO3 resultiert eine Aufspaltung der 5d-Energiezustände in drei t2gund zwei darüber liegende eg-Orbitale. Diese Anordnung ist am Г-Punkt der Bandstruktur zu erkennen (Abb. 2.34).

Abb. 2.34 Ausschnitt aus der berechneten Bandstruktur und Zustandsdichte von ReO3. Die Unterteilung der Re-5d-Bänder in „eg“ und „t2g“ soll den Bezug zu den Energieniveaus eines isolierten [ReO6]-Fragments herstellen. Grau ausgezeichnete Bereiche kennzeichnen besetzte Energiezustände, und die Fermi-Energie (EF) markiert den höchsten besetzten Energiezustand. Die d-Bänder enthalten ein Elektron pro ReO3-Formeleinheit.

• Ein wichtiges Beispiel für Bandentartungen an Punkten bestimmter Symmetrie sind die t2g- und eg-analogen Energiezustände der Oh-Symmetrie am Γ-Punkt. Bei räumlicher Entfernung vom Γ-Punkt können die p- und d-Orbitale auf unterschiedliche Weise miteinander mischen, soweit die lokale Symmetrie des jeweiligen k-Punkts dies erlaubt. Die Bandbreite der d-Bänder (∆E) resultiert nicht nur aus direkten ReKRe-Wechselwirkungen, sondern auch aus Wechselwirkungen zwischen Rhenium-d- und Sauerstoff-p-Orbitalen. Die Breite der mit einem Elektron pro ReO3 besetzten Leitungsbänder ist für die metallischen Eigenschaften von ReO3 von entscheidender Bedeutung. Die

234

2 Festkörperchemie

E(k)-Kurven der Bandstruktur beschreiben die Beweglichkeiten von Elektronen im Festkörper entlang bestimmter Richtungen in der Struktur. ReO3 ist ein sehr guter metallischer Leiter (Leitfähigkeit sinkt mit steigender Temperatur) mit einer spezifischen Leitfähigkeit von σ z 107 S.cm bei tiefen Temperaturen. Für die strukturell eng verwandten kubischen Wolframbronzen, NaxWO3 mit 0.3 % x % 0.9 können ähnliche elektronische Strukturen angenommen werden.

2.6.4.3 Die Bandstruktur von MoS2 − ein d2-Halbleiter In der Serie ZrS2, NbS2 und MoS2 ist (d0-) Zirconiumdisulfid ein Isolator und (d1-) Niobdisulfid ein Metall. Anders als man vielleicht erwarten könnte, ist Molybdändisulfid mit der d2-Konfiguration ein Halbleiter. Die Kristallstruktur von MoS2 kann als eine Schichtstruktur aus SKMoKS-Schichtpaketen angesehen werden (der 2 H-Polytyp ist in Abb. 2.91 gezeigt). Darin haben die Molybdänatome eine trigonal-prismatische Koordination. Aus der Ligandenfeldaufspaltung eines molybdänzentrierten [MoS6]-Prismas der MoS2-Struktur resultiert eine Abfolge der 4d-Orbitale, wonach z2 unter x2Ky2 und xy und diese unter xz, yz liegen.7 Dieses Aufspaltungsmuster findet sich am Г-Punkt der Bandstruktur von MoS2 wieder. Pro Formeleinheit MoS2 liegen sechs besetzte S-3p-Bänder unter fünf Mo-4d-Bändern (Abb. 2.35). Letztere sind mit zwei Elektronen besetzt. Tatsächlich mischen die 3p-Bänder mit kleineren Anteilen von (d-, s- und p-) Orbitalen des Molybdäns, denn diese Orbitale sind zwischen Mo und S bindend. Das höchste besetzte Energieband enthält zwei Elektronen pro Formeleinheit und besitzt hauptsächlich Orbitalanteile von z2 sowie geringe Anteile von x2Ky2- und xy-Orbitalen. An der Oberkante dieses Energiebandes liegt das Fermi-Niveau (EF). Oberhalb des Fermi-Niveaus erstreckt sich eine Bandlücke, deren Größe auch für die Farbe der Verbindung verantwortlich ist. Halbleiter wie MoS2 mit kleinen Bandlücken (z. B. 0.1 eV) sind schwarz, da ihre Leitungselektronen durch Zufuhr thermischer Energie (kT) leicht angeregt werden. Das Fermi-Niveau schneidet die MoKMo-Überlappungspopulationen am Wendepunkt zwischen bindenden und antibindenden Zuständen. Daraus wird deutlich, dass die Stabilität der trigonal-prismatischen Koordination für d2-Systeme ausgeprägt ist. In einer vereinfachten Betrachtungsweise kann angenommen werden, dass die d2-Elektronen paarweise in Dreizentrenbindungen von MoS2 (semi)lokalisiert sind, die aus dreieckigen Anordnungen von Metallatomen aufgespannt werden, und nicht durch Schwefelatome überdacht sind. Korrespondierende d1-Systeme mit einem Elektron pro Formeleinheit im Leitungsband, wie NbS2 und TaS2, haben metallische Eigenschaften und sind oft reduzierbar (HxTaS2 mit 0 ! x ! 0.9). Im Gegensatz hierzu sollte MoS2 nicht reduzierbar sein, weil dadurch antibindende Zustände besetzt werden müssten. Aus diesem Grund ist die Existenz von Molybdänbronzen (LixMoS2, HxMoS2) 7

Die Abfolge der Energiezustände im trigonal-prismatischen Ligandenfeld kann sich in Abhängigkeit von den Kantenlängen eines Prismas (mit zunehmendem c.a-Verhältnis) von a, e, e (wie in MoS2) nach e, a, e ändern (nach steigender Energie geordnet). Die Buchstaben a und e stehen für nicht bzw. zweifach entartete Energiezustände.

2.6 Elektronische Strukturen fester Stoffe

235

Abb. 2.35 Bandstruktur, Zustandsdichte und MoKMo-Überlappungspopulation von MoS2. Das Fermi-Niveau ist als gestrichelte Linie eingezeichnet. Von Interesse ist ein einzelnes gefülltes d-Band, welches energetisch separiert unterhalb der übrigen 4d-Bänder liegt. Dazwischen erstreckt sich eine Bandlücke (Halbleiter). Mit Elektronen besetzte Zustände sind grau. Dominante d-Orbitalanteile der Zustandsdichten sind angegeben.

oder anderen kationischen Interkalationsverbindungen (KMoS2) auf Basis der 2 H-MoS2-Struktur nicht zu erwarten. Tatsächlich existieren solche Verbindungen aber. In den Strukturen des Formeltyps AxMoS2 sind die Molybdänatome jedoch nicht trigonal-prismatisch (wie in 2 H-MoS2) sondern oktaedrisch koordiniert. Die Synthese des metastabilen 1 T-MoS2 mit oktaedrischer Umgebung der Molybdänatome gelingt durch Kalium-Deinterkalation aus KMoS2. 1 T-MoS2

95 (C

$$

%$metastabil Mo: oktaedrische Koordination Metall

2 H-MoS2

stabil Mo: trigonal-prismatische Koordination Halbleiter

1 T-MoS2 hat, wie viele andere d1-Systeme mit Metallatomen in oktaedrischer Koordination (z. B. ReO3, YSe), metallische Eigenschaften.

2.6.4.4 Die Bandstruktur von LaI2 − ein d1-Metall LaI2 kristallisiert im MoSi2-Strukturtyp und enthält dreiwertiges Lanthan. Jedes La3C ist in der Struktur von acht IK in einer würfelförmigen Formation umgeben, die entlang der vierzähligen Drehachse leicht gestaucht ist. Die vierzählige Drehachse entspricht der kristallographischen z-Richtung (Abb. 2.36). Aus einem (ideal) würfelförmigen Ligandenfeld der Lanthanatome resultiert eine Aufspaltung der Lanthan-5d-Zustände von „zwei unter drei“ mit den Orbitalanteilen z2, x2Ky2 unter xz, yz, xy. Von den fünf d-Orbitalen pro Formeleinheit LaI2 sind

236

2 Festkörperchemie

zwei durch die Wirkung der vierzähligen Drehachse symmetrieäquivalent (xz, yz). Analoges gilt für die px- und py-Orbitale der Iodatome. Deshalb resultiert entlang der vierzähligen Drehachse zwischen den speziellen Punkten Г und Z eine zweifache Entartung dieser Energiebänder (Abb. 2.37). Im Bereich der 5dBänder befindet sich zusätzlich das 6s-Band.

Abb. 2.36 Kristallstruktur von LaI2 (Raumgruppe I 4.mmm).

Abb. 2.37 Ausschnitt aus der berechneten Bandstruktur von LaI2 und berechnete Zustandsdichte von LaI2. Die Zustandsdichte ist für La- und I-Anteile getrennt dargestellt. Graue Bereiche kennzeichnen besetzte Energiezustände, EF markiert den höchsten besetzten Energiezustand. Formal ist nur ein d-Band mit einem Elektron pro Formeleinheit LaI2 besetzt. LaI2 ist ein metallischer Leiter.

2.6 Elektronische Strukturen fester Stoffe

237

Die mit einem Elektron besetzten Leitungsbänder von LaI2(eK) werden von z2und x2Ky2-Orbitalanteilen dominiert, deren relative Anteile entlang des Wellenvektors variieren. Die Breite des Leitungsbandes hängt nicht nur von direkten Überlappungen der Metallatome ab (die kürzesten LaKLa-Abstände betragen 392 pm), sondern auch vom Mischen der p-Ligandenorbitale mit den d-Orbitalen des Metallatoms (vgl. ReO3). Die hierdurch bedingten Steigungen und Bandkreuzungen der Leitungsbänder verursachen hohe elektronische Beweglichkeiten und die metallische Leitfähigkeit (σ z 105 S.cm bei RT). In LaI2 und ReO3 sind die Elektronen in Leitungsbändern delokalisiert. Dem erfahrenen Betrachter verrät häufig schon die Kristallstruktur, ob eine Lokalisierung von Elektronen an irgendeinem Ort in einer Struktur möglich ist (MoS2) oder nicht (LaI2, ReO3, Metalle).

2.6.5 Metall-Metall-Bindungen Die Leitungsbänder von Übergangsmetallverbindungen mit metallischen Eigenschaften sind oft einige Elektronenvolt breit. Dennoch sind die Metallatome in den Strukturen oft zu weit voneinander entfernt, um direkte Metall-Metall-Bindungen miteinander eingehen zu können. Wie in der Struktur von ReO3 liegen oftmals keine direkten Überlappungen zwischen benachbarten d-Orbitalen vor. Für das Auftreten metallischer Eigenschaften ist das Auftreten von Metall-Metall-Bindungen demnach keine Voraussetzung. Direkte Überlappungen zwischen d-Orbitalen werden aber als Ursache für die metallischen Eigenschaften der Oxide TiO und VO (defekte NaCl-Struktur) angesehen, in deren Anionen- und Kationenteilgittern Leerstellen vorliegen, wie auch in der Struktur von NbO, in der die Defekte jedoch geordnet sind. Am deutlichsten werden MdM-Bindungen in einigen metallreichen Verbindungen der Übergangs- oder Seltenerdmetalle, die mehr Elektronen besitzen, als zur Absättigung der anionischen Valenzen notwendig sind. Beispiele für das Auftreten von MdM-Bindungen, die sich häufig in einer oder in zwei Richtungen durch Strukturen ziehen, sind Verbindungen wie NaMo4O6, Y2Cl3 oder ZrCl. Das Auftreten von MdM-Bindungen erzeugt aber nicht gleichzeitig metallische Eigenschaften, da die mit Elektronen gefüllten MdM-bindenden Zustände durch eine Bandlücke von den leeren d-Zuständen (Leitungsband) getrennt sein können, wie in den Bandstrukturen von Y2Cl3 oder MoS2. Da MdM-Bindungen wesentlich schwächer sind als heteroatomare MdOoder MdCl-Bindungen, können starke Gitterschwingungen bei erhöhten Temperaturen das Aufbrechen von MdM-Bindungen bewirken (vgl. VO2, Abschnitt 2.9.5.3). Am Beispiel der Verbindung Na2Ti3Cl8 kann die reversible Bildung von TidTi-Bindungen verfolgt werden. Die Struktur kann vereinfacht als interkalierte Variante der Nb3X8-Struktur aufgefasst werden (vgl. Abb. 2.115). In dem in Abb. 2.38 (links) gezeigten CldTidCl-Schichtpaket besetzen die Titanatome drei Viertel der oktaedrischen Lücken in einer dichtest gepackten Chloriddoppel-

238

2 Festkörperchemie

Abb. 2.38 Projektionen eines [Ti3Cl8]2K-Ausschnitts aus der Struktur von Na2Ti3Cl8 auf die hexagonale ab-Ebene. Beim Übergang von der Hochtemperaturmodifikation (Raumgruppe R3m, links) in die Tieftemperaturmodifikation (Raumgruppe R3m, rechts) entstehen TidTi-Bindungen bzw. [Ti3]6C-Cluster.

schicht (Aγ3.4B). Die TidTi-Abstände innerhalb der Schichten betragen einheitlich 372 pm. Die Verbindung kann salzartig als (NaC)2 (Ti2C)3(ClK)8 mit (isolierten) Ti2C-Ionen beschrieben werden. In der Tieftemperaturmodifikation (unterhalb von 200 K) rücken die Titanatome zu gleichseitigen Dreiecken zusammen, und es entstehen TidTi-Bindungen (Abstand TidTi Z 300 pm) mit [(Ti4C · 2eK)3]6C-Clustern. Für die drei TidTi-Bindungen eines [Ti3]6C-Clusters stehen sechs Elektronen zur Verfügung [2 · 1 (NaC) C 3 · 4 (Ti4C) K 8 · 1 (ClK) Z 6 Elektronen].

2.6.6 Peierls-Verzerrung und Ladungsdichtewelle (CDW) Das Theorem von Peierls postuliert, dass ein eindimensionales Metall gegenüber einer periodischen Gitterdeformation labil ist. Wenn die elektronischen Bedingungen erfüllt sind (z. B. halbbesetztes, steil ansteigendes Energieband), kann eine Änderung der Periodizität des Gitters erfolgen. Die Peierls-Verzerrung tritt nur dann auf, wenn unterhalb einer bestimmten Übergangstemperatur ein thermodynamisch stabilerer Zustand resultiert. Dabei erfolgt ein Metall-HalbleiterÜbergang. Bei Temperaturerhöhung bewirken die Schwingungen der Atome die Rückkehr in den unverzerrten Zustand. Ein Beispiel ist die lineare Anordnung von Wasserstoffatomen, deren Periodizität unter Bildung von Dimeren zusammenbricht (Abschnitt 2.6.2). Streng genommen gilt die Peierls-Verzerrung nur für „eindimensionale“ Strukturen. Natürlich können Kristallstrukturen nur quasieindimensional sein, wenn sie eine ausgeprägt anisotrope Struktur haben. Analoge elektronisch induzierte Verzerrungen können in Strukturen auch entlang von zwei oder drei Richtungen auftreten. Dabei führt die Stabilisierung des elektronischen Grundzustandes zu dem prinzipiell gleichen Effekt wie bei der Peierls-Verzerrung. Es erfolgt eine periodische Modulation der elektronischen

2.7 Magnetische Eigenschaften von Feststoffen

239

Tabelle 2.5 Peierls-Verzerrung quasi-eindimensionaler Systeme. Verbindung.Struktur unter Normalbedingung

Bedingung für Strukturänderung

H2-Molekülea) K2 [Pt (CN)4]Cl0.3 · 3 H2O NbI4 (Paarung der Metallatome)a) α-VO2 (Paarung der Metallatome)a) VS4 (Paarung der Metallatome)a) NbS3 (Paarung der Metallatome)a)

unbekannt ! 150 K (Paarung der Metallatome)a) unter Druck einheitliche NbKNb-Abstände β-VO2, O340 K (Rutil-Typ)b) unbekannt unbekannt

a) b)

Phase mit Verzerrung nach Peierls. Die Betrachtung von VO2 als quasi-eindimensionales System ist eine Vereinfachung.

Dichte, die als Ladungsdichtewelle (engl. CDW, charge-density wave) bezeichnet wird. Beispiele für eine Verzerrung nach Peierls sind Strukturen aus eindimensional verbrückten [MX6]-Oktaedersträngen. Die Struktur von ZrI3 besteht aus flächenverknüpften (ZrI6.2)-Oktaedersträngen (Abb. 2.107) und die Struktur von NbI4 enthält kantenverknüpfte (NbI2I4.2)-Oktaederstränge (vgl. Abb. 2.106). Die Tieftemperaturmodifikationen beinhalten die Verzerrung (MdM-Paare), die bei einer Temperaturerhöhung durch zunehmende Gitterschwingungen aufgehoben werden kann. Da viele Verbindungen beim Erhitzen nicht stabil sind, kann die unverzerrte metallische Phase auch unter Druck (NbI4) beobachtet werden (Abschnitt 2.9.8.2).

2.7 Magnetische Eigenschaften von Feststoffen Die magnetischen Eigenschaften von Feststoffen werden durch die elektronischen Gegebenheiten (Oxidationszustand, Bindungsverhältnisse) der beteiligten Atome bestimmt. Von entscheidender Bedeutung ist die elektronische Konfiguration. Verbindungen, die ausschließlich gepaarte Elektronen enthalten, wie die meisten organischen Verbindungen oder typische Salze wie NaCl oder CaF2, zeigen diamagnetisches Verhalten. Durch ungepaarte Spins, die hauptsächlich in Verbindungen der Übergangs- und Seltenerdmetalle vorkommen, wird paramagnetisches Verhalten (Curie-Paramagnetismus) hervorgerufen. Metalle, die leicht bewegliche, nicht lokalisierte Leitungselektronen haben, zeigen einen (nahezu) temperaturunabhängigen Pauli-Paramagnetismus. Der temperaturunabhängige Van-Vleck-Paramagnetismus kann durch gebundene Atome hervorgerufen werden, deren Ladungsverteilung (im Zusammenhang mit angeregten Zuständen) von der Kugelsymmetrie abweicht. Eine große und interessante Gruppe von magnetischen Materialien ist durch kollektive Ordnungszustände ihrer Spins gekennzeichnet, die durch interatomare magnetische Wechselwirkungen hervorgerufen werden. Eine für die Praxis be-

240

2 Festkörperchemie

sonders wichtige Gruppe sind permanent magnetische Materialien, deren Eigenschaften das Resultat ferri- oder ferromagnetischer Ordnungszustände sind. Diamagnetismus und Paramagnetismus sind magnetische Eigenschaften, die nur durch ein von außen einwirkendes magnetisches Feld beobachtbar werden. Deshalb werden Verbindungen zur Messung ihres magnetischen Verhaltens in das Magnetfeld eines Magnetometers eingebracht. Dabei wird durch das äußere Magnetfeld H eine zusätzliche Magnetisierung M in der Probe induziert. In einem Magnetometer wird diese zusätzliche Magnetisierung über das gesamte Probenvolumen gemessen (Volumenmagnetisierung Mv). Für diamagnetische Stoffe ist die Magnetisierungsrichtung dem äußeren Feld entgegengerichtet, Mv ist negativ. In paramagnetischen Stoffen ist die Magnetisierungsrichtung dem äußeren Feld gleichgerichtet, weshalb Mv positiv ist. Die Kenngröße für dieses Verhalten ist die magnetische Suszeptibilität χ. Sie ist definiert als das Verhältnis der zusätzlichen Magnetisierung Mv in der Probe zum äußeren angelegten Magnetfeld. Für die Volumensuszeptibilität gilt M χv Z v H Die Volumensuszeptibilität ist dimensionslos. In der Praxis verwendet man häufig die Molsuszeptibilität χmol (in cm3.mol) und gelegentlich die Massensuszeptibilität χg (in cm3.g, früher als „Grammsuszeptibilität“ bezeichnet): m χv $ V Z χg $ m Z χmol $ Mmol Hierbei ist V das Volumen (in cm3), m die Masse (in g) und Mmol die Molmasse (in g.mol) der Probe. Die verschiedenen Arten des Magnetismus werden u. a. nach dem Vorzeichen und der Größenordnung der magnetischen Suszeptibilität sowie nach ihrer Temperaturabhängigkeit unterschieden (Abb. 2.39 und Tabelle 2.6).

Abb. 2.39 Die Temperaturabhängigkeit der magnetischen Suszeptibilität diamagnetischer, Curie-paramagnetischer und Pauli-paramagnetischer Substanzen.

2.7 Magnetische Eigenschaften von Feststoffen

241

Tabelle 2.6 Typische Größenordnungen der Molsuszeptibilitäten magnetischer Stoffe. Magnetismus Diamagnetismus Pauli-Paramagnetismus Curie-Paramagnetismus Ferromagnetismus

χmol

Änderung mit steigender Temperatur K6

K10 10K5 10K6 10K2

bis bis bis bis

K4

K10 10K3 10K1 106

keine nahezu keine abnehmend abnehmend

Im Allgemeinen liegen in Feststoffen verschiedene Arten des Magnetismus nebeneinander vor und machen zusammen die Gesamtsuszeptibilität aus: χges Z χdia C χpara C χTUP Die Einordnung einer Substanz als Dia- oder Paramagnet oder auch als temperaturunabhängiger Paramagnet (TUP) wird danach vorgenommen, welcher der Beiträge zur Suszeptibilität dominiert.

2.7.1 Diamagnetismus Diamagnetisches Verhalten von Verbindungen wird beobachtet, wenn die Atome und Ionen abgeschlossene Elektronenschalen oder ausschließlich gepaarte Elektronen besitzen. Durch die Wechselwirkung mit einem äußeren Magnetfeld wird beim Diamagnetismus die Bahnbewegung der Elektronen gestört. Dabei erzeugt das äußere Magnetfeld durch Induktion eines Stromes ein zusätzliches Magnetfeld, das dem Erregerfeld (H) entgegen gerichtet ist. Durch die Schwächung des Magnetfeldes ergibt sich für reinen Diamagnetismus χ ! 0. Die magnetische Suszeptibilität ist im diamagnetischen Fall von der Magnetfeldstärke und von der Temperatur unabhängig. Insgesamt sind die diamagnetischen Effekte schwach (mit Molsuszeptibilitäten in der Größenordnung von 10K5 cm3.mol). Ein diamagnetischer Anteil zur Gesamtsuszeptibilität tritt bei allen Verbindungen auf. Selbst paramagnetische Stoffe sind durch die Beiträge innerer Elektronenschalen und durch diamagnetische Bausteine von diamagnetischen Eigenschaften begleitet. Die praktische Bedeutung der diamagnetischen Suszeptibilität liegt vor allem darin, durch ihre Kenntnis und durch eine gemessene Gesamtsuszeptibilität die paramagnetische Suszeptibilität einer Substanz genau quantifizieren zu können. Für die meisten anorganischen Strukturfragmente (z. B. Alkaliund Erdalkalimetallionen sowie einfache und komplexe Anionen wie ClK, SO 42K, CO 32K, CNK, BFK 4 ) liegen die diamagnetischen Suszeptibilitätswerte tabelliert vor. Ebenso sind diamagnetische Korrekturwerte für die inneren Schalen paramagnetischer Übergangs- und Seltenerdmetalle bekannt.

2.7.2 Paramagnetismus Paramagnetismus zeigen Stoffe, deren Gesamtspin ungleich null ist. Die daraus resultierenden magnetischen Momente sind in einem Festkörper zunächst regel-

242

2 Festkörperchemie

los angeordnet, weshalb ohne äußeres Magnetfeld auch keine messbare Magnetisierung resultiert. Durch das Anlegen eines externen Magnetfeldes entsteht eine energetisch günstigere Situation, wenn sich die einzelnen magnetischen Momente parallel zum externen Feld anordnen. Dieser Ordnung wirkt die thermische Bewegung der Atome und ihrer Spins entgegen. Für paramagnetische Substanzen resultiert daraus ein stark temperaturabhängiger Verlauf der magnetischen Suszeptibilität, der durch das Gesetz von Curie beschrieben wird: χmol Z

C T

mit C Z

NA$µ 2 3k

Darin steht C für die Curie-Konstante, µ ist das magnetische Moment eines Teilchens, NA ist die Avogadro-Konstante und k die Boltzmann-Konstante. Das Curie-Gesetz gilt für freie Atome und Ionen bei nicht zu starken Magnetfeldern und nicht zu tiefen Temperaturen. Sobald die Atome sich zu Molekülen oder Kristallverbänden zusammenschließen, treten Abweichungen auf, deren Erklärung differenzierte Modelle erfordert. Eine Erweiterung des Curie-Gesetzes ist das Curie-Weiss-Gesetz: χmol Z

C TKΘ

mit C Z

NA$µ 2 3k

Das Curie-Weiss-Gesetz berücksichtigt Wechselwirkungen zwischen den magnetischen Momenten im Kristallverband. Nach dem Curie-Weiss-Gesetz werden parallele bzw. antiparallele Wechselwirkungen zwischen den Spins benachbarter Atome durch eine positive bzw. negative Weiss-Konstante Θ berücksichtigt. Eine Auftragung der reziproken Suszeptibilität gegen die Temperatur ergibt eine Gerade, die im Curie-Fall durch den Ursprung verläuft, und im Curie-Weiss-Fall die Temperaturachse bei Θ schneidet (Abb. 2.40).

Abb. 2.40 Graphische Darstellung von paramagnetischem Verhalten nach Curie und Curie-Weiss.

Bei einer paramagnetischen Substanz ist im Allgemeinen die Curie-Konstante C und das magnetische Moment µ (bezogen auf ein magnetisches Teilchen) von Interesse. Die Einheit, in der magnetische Momente angegeben werden, ist das Bohr-Magneton (BM Z µB). Das magnetische Moment erlaubt Aussagen über

2.7 Magnetische Eigenschaften von Feststoffen

243

den Oxidationszustand und die Symmetrie des Ligandenfeldes eines magnetischen Zentralteilchens. Den theoretischen Zusammenhang zwischen ungepaarten Elektronen und den daraus resultierenden magnetischen Momenten liefern die Elektrodynamik und die Quantenmechanik. Danach werden durch kreisförmig bewegte Ladungen magnetische Momente induziert. Im Fall von Elektronen sind hierfür der Bahnund Eigendrehimpuls (Spin) verantwortlich. Mit dem Bahndrehimpuls eines Elektrons resultiert sein magnetisches Bahnmoment und mit dem Spin eines Elektrons dessen magnetisches Spinmoment

%

l Z √l (l C 1) ћ

% µl %

Z √l (l C 1) µB

% µs

Z g √s (s C 1) µB

s Z √s (s C 1) ћ

wobei durch g die gyromagnetische Anomalie des magnetischen Spinmoments zum Ausdruck kommt. Der Wert für g beträgt ungefähr 2, d. h. das induzierte magnetische Spinmoment ist etwa doppelt so stark wie das magnetische Bahnmoment. Die elektronische Konfiguration von freien Atomen oder Ionen mit mehreren Elektronen gehorcht den Regeln von Hund und dem Pauli-Prinzip. Daraus resultiert für jedes Atom (Ion) ein elektronischer Grundzustand, der durch ein bestimmtes Bahn- und Spinmoment charakterisiert ist. Die einzelnen Spin- und Bahnmomente in einem magnetischen Atom koppeln miteinander zu einem Gesamtmoment. Diese Kopplung wird für 3d- und 4f-Metalle in guter Näherung durch die Russel-Saunders-Kopplung (auch LS-Kopplung genannt) beschrie% ben. Sie geht davon aus, dass die einzelnen Bahnmomente l zu einem Gesamt% % % bahnmoment L Z S l und die einzelnen Spinmomente s zum Gesamtspinmo% % ment S Z S s koppeln. In einer sekundären Wechselwirkung koppeln dann das Gesamtbahn- und das Gesamtspinmoment zum magnetischen Gesamtmoment % % % % J . Für die stabilste Konfiguration gilt J Z L K S , wenn der Orbitalsatz (z. B. 3d) % % % weniger als halbbesetzt ist, und J Z L C S , wenn der Orbitalsatz mehr als halbbesetzt ist. Daraus ergeben sich die Russel-Saunders-Grundterme der freien Atome und Ionen in der generellen Form 2SC1LJ , wobei für das Bahnmoment eine spezielle Symbolik gilt. Für die Bahnmomente 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6 werden die Termsymbole S, P, D, F, G, H, I gesetzt. Für die Beispiele Fe3C (3d5-Konfiguration, fünf parallele Spins ergeben S Z 5.2, L Z 0) und Co2C (3d7-Konfiguration, mit 5 · (1.2) C 2 · (K1.2) folgt S Z 3.2, L Z 3) resultieren die Grundterme 6 S5.2 und 4F9.2. Die magnetischen Eigenschaften freier Ionen lassen sich aus den Grundtermen ableiten: J (J C J ) C S (S C 1)KL (L C 1) µJ Z g √J (J C 1) µB mit g Z 1 C 2 J (J C 1) Der Landé-Faktor g berücksichtigt wiederum die gyromagnetische Anomalie des Spinanteils und damit die Konfiguration des Atoms, die durch die Spin-BahnKopplung verursacht wird. Für reinen Spinmagnetismus wäre g z 2.

244

2 Festkörperchemie

Tabelle 2.7 Berechnete und gemessene magnetische Momente dreiwertiger Ionen der Lanthanoidmetallea). Ion

Konfiguration

Grundterm

µJ.µBb)

µexp.µBd)

Ce3C Pr3C Nd3C Pm3C Sm3C c) Eu3C c) Gd3C Tb3C Dy3C Ho3C Er3C Tm3C Yb3C

4f1 5s2 5p6 4f2 5s2 5p6 4f3 5s2 5p6 4f4 5s2 5p6 4f5 5s2 5p6 4f6 5s2 5p6 4f7 5s2 5p6 4f8 5s2 5p6 4f9 5s2 5p6 4f10 5s2 5p6 4f11 5s2 5p6 4f12 5s2 5p6 4f13 5s2 5p6

2

2.54 3.58 3.62 2.68 0.84 0 7.94 9.72 10.63 10.60 9.59 7.57 4.54

2.4 3.5 3.5 K 1.5 3.4 8.0 9.5 10.6 10.4 9.5 7.3 4.5

a) b)

c)

d)

F5.2 H4 4 I9.2 5 I4 6 H5.2 7 F0 8 S7.2 7 F6 6 H15.2 5 I8 4 I15.2 3 H6 2 F7.2 3

Nahe Raumtemperatur. Der Gesamtdrehimpuls J ist gleich - LKS -, wenn die Schale weniger als halbbesetzt ist, und gleich L C S, wenn sie mehr als halbbesetzt ist. Ist die Schale genau halbbesetzt, folgt L Z 0 und J Z S. Der Grundzustand ist durch die Maximalwerte von S und L charakterisiert. Für die Ionen Eu3C und Sm3C ist es notwendig, außer dem Grundzustand auch höhere Energiezustände des LS-Multipletts zu berücksichtigen, da die Energieunterschiede zwischen benachbarten Energiezuständen bei Raumtemperatur im Vergleich gegenüber kT nicht groß sind. Repräsentative Werte.

Beispiele zur Berechnung von µJ : • Ce3C besitzt ein f-Elektron. Für ein f-Elektron gilt L Z 3 (ml kann die Werte 3, 2, 1, 0, K1, K2, K3 annehmen) und S Z 1.2. Nach - L K S - Z 3 K 1.2 Z 5.2 hat J den Wert 5.2 und µJ errechnet sich zu 2.54 BM. • Pr3C besitzt zwei f-Elektronen, also ist S Z 1 und L Z 5. Zwei Elektronen mit parallelen Spins (S Z 1) können nach dem Pauli-Verbot nicht das gleiche Orbital besetzen, weshalb nur eines ml Z 3 annehmen kann; für das andere gilt folglich ml Z 2. Damit resultiert für J der Wert - L K S - Z 4, und µJ errechnet sich zu 3.58 BM. Die magnetischen Eigenschaften der dreiwertigen Lanthanoidionen werden durch die für µJ angegebene Formel gut beschrieben. Tabelle 2.7 enthält die Grundterme sowie die berechneten (µJ) und experimentell bestimmten (µexp) magnetischen Momente der Reihe der dreiwertigen 4f-Ionen. In den meisten Fällen findet man eine gute Übereinstimmung, obwohl die betrachteten Ionen in Verbindungen nicht „frei“ vorkommen, sondern durch Ligandenfeldeffekte von umgebenden Anionen beeinflusst werden. Diese wirken sich jedoch auf die abgeschirmten, innen liegenden f-Schalen nur schwach aus und können in den meisten Fällen vernachlässigt werden. Im Gegensatz dazu sind Ligandenfeldeffekte auf d-Schalen in Verbindungen der Übergangsmetalle nicht vernachlässigbar. Sie wirken sich in der Regel so aus,

2.7 Magnetische Eigenschaften von Feststoffen

245

dass die Bahnmomente für diese Ionen nahezu ganz (Konfigurationen: d1Kd5) oder zumindest teilweise (Konfigurationen: d6Kd9) unterdrückt werden. Zur näherungsweisen Berechnung von magnetischen Momenten von Übergangsmetallionen kann die so genannte spin-only-Formel verwendet werden: µs Z g √S (S C 1) µB Die nach der spin-only-Formel berechneten magnetischen Momente (µs) einiger Übergangsmetallionen und repräsentative experimentell bestimmte Momente (µexp) sind in Tabelle 2.8 zusammengestellt. Tabelle 2.8 Berechnete und gemessene magnetische Momente von Übergangsmetallionen. Ion

Konfiguration

Grundterm

µs.µB

µexp.µBa)

Sc3C Ti3C V3C Cr3C, V2C Mn3C, Cr2C Fe3C, Mn2C Fe2C Co2C Ni2C Cu2C

3d0 3d1 3d2 3d3 3d4 3d5 3d6 3d7 3d8 3d9

1

0 1.73 2.83 3.87 4.90 5.92 4.90 3.87 2.83 1.73

0 1.8 2.8 3.8 4.9 5.9 5.4 4.8 3.2 1.9

a)

S0 D3.2 3 F2 4 F3.2 5 D0 6 S5.2 5 D4 4 F9.2 3 F4 2 D5.2 2

Repräsentative Werte.

Der Vergleich von berechneten magnetischen Momenten mit Ergebnissen einer Messung wird wie folgt vorgenommen: Aus den um die diamagnetischen Anteile korrigierten Messdaten werden die molaren Suszeptibilitäten ermittelt. Aus einer Auftragung der inversen molaren Suszeptibilitäten gegen die Temperatur kann entschieden werden, ob ein ideal paramagnetisches Verhalten nach Curie oder ob ein Verhalten nach Curie-Weiss (Ermittlung der Weiss-Konstante Θ durch Extrapolation von χK1 auf die T-Achse) vorliegt. Die experimentellen magnetischen Momente µexp folgen dann aus der Beziehung: µexp Z

√χ

mol

3k (T K Θ) mit Θ Z 0 für Curie-Verhalten NA

Die so ermittelten experimentellen magnetischen Momente werden anschließend mit den berechneten Werten verglichen. Das Curie- und das Curie-Weiss-Gesetz gelten für nicht zu tiefe Temperaturen und nicht zu hohe äußere Felder. Bei tiefen Temperaturen und hohen Feldern tritt Sättigungsmagnetisierung auf, d. h. alle magnetischen Momente sind genau in Feldrichtung ausgerichtet. Für die Sättigungsmagnetisierung gilt µ Z g · J · µB für Stoffe mit magnetischen Ionen, die der Russel-Saunders-Kopplung folgen, bzw. µ Z g · S · µB für Stoffe, die durch die spin-only-Formel beschrieben werden.

246

2 Festkörperchemie

Die in der Praxis wichtige Größe der Sättigungsmagnetisierung wird für permanentmagnetische (z. B. ferro- oder ferrimagnetische) Materialien experimentell durch Hysteresemessungen ermittelt (vgl. Abb. 2.71).

2.7.3 Kooperative Eigenschaften Außer Diamagnetismus und Paramagnetismus können in Feststoffen Wechselwirkungen zwischen den magnetischen Zentren auftreten und so magnetische Ordnungszustände erzeugen. Feststoffe zeigen, sofern sie nicht diamagnetisch sind, bei hohen Temperaturen Paramagnetismus. Erst beim Übergang zu niedrigeren Temperaturen können magnetische Ordnungszustände auftreten. Dabei formieren sich die magnetischen Momente zu einer ein- bis dreidimensional geordneten Spinstruktur, die nicht mit der kristallographisch ermittelten Elementarzelle und der Symmetrie der Kristallstruktur konsistent sein muss, sondern eine Überstruktur zur Kristallstruktur darstellen kann. Demnach geht von jedem magnetischen Teilchen ein magnetisches Moment aus, dessen Richtung aber selbst für kristallographisch äquivalente Atome unterschiedlich sein kann. Je nach Einstellung der Spins relativ zueinander wird zwischen Ferromagnetismus (parallele Anordnung der magnetischen Momente), Antiferromagnetismus (antiparallele Anordnung der magnetischen Momente) und Ferrimagnetismus

Abb. 2.41 Die Projektion von Elementarzellen und ihrer Spinstrukturen (Kreise stehen für Atome und Pfeile für ihre Spins). Oben: Innenzentrierte Elementarzellen mit (rechts) und ohne (links) Magnetfeld H. Bei tieferen Temperaturen kommt unterhalb der CurieTemperatur TC oder der Néel-Temperatur TN ein ferromagnetischer, ferrimagnetischer oder antiferromagnetischer Ordnungszustand in Betracht. Im antiferromagnetischen Zustand sind gleich große magnetische Momente antiparallel gekoppelt (das gezeigte Beispiel entspricht der Anordnung der Metallatome im Rutil-Typ, z. B. FeF2). Im ferromagnetischen Zustand sind alle magnetischen Momente parallel zueinander ausgerichtet (das gezeigte Beispiel entspricht α-Fe). Ferrimagnetismus tritt auf, wenn ungleich große magnetische Momente antiparallel gekoppelt sind.

2.7 Magnetische Eigenschaften von Feststoffen

247

(ungleiche Größe oder Zahl antiparalleler magnetischer Momente) unterschieden (Abb. 2.41). Ferro- oder ferrimagnetische Materialien haben ein spontanes magnetisches Moment und werden aufgrund ihres Hystereseverhaltens für viele Zwecke verwendet. Tatsächlich sind die Möglichkeiten der Anordnung magnetischer Momente (Spins) zahlreicher als die hier aufgeführten Beispiele: K K K K K K K

ungeordneter paramagnetischer Zustand parallele Spins, Ferromagnetismus antiparallele Spins, Antiferromagnetismus nicht kompensierte antiparallele Spins, Ferrimagnetismus helixartige Spinanordnungen (parallele oder antiparallele Spins) verkantete Spins (parallele oder antiparallele Spins) magnetische Frustration (zu Dreiecken angeordnete parallele und antiparallele Spins).

2.7.4 Ferromagnetische Ordnung In ferromagnetischen Stoffen sind die magnetischen Momente durch kooperative Wechselwirkungen parallel zueinander ausgerichtet. Tatsächlich zeigen ferromagnetische Stoffe aber nicht unbedingt ein nach außen wirksames spontanes magnetisches Moment. Ursache hierfür sind ferromagnetische Bereiche (Weiss-Domänen), die im Kristall unterschiedliche Orientierungen haben und deshalb zur Schwächung und sogar Auslöschung des magnetischen Gesamtmoments führen können. Durch Wirkung eines externen Magnetfeldes werden die Domänen und damit alle magnetischen Momente parallel zum Feld ausgerichtet. Dieser Vorgang entspricht einer Magnetisierung, die durch das Auftreten eines spontanen magneti-

Abb. 2.42 Die Temperaturabhängigkeit der magnetischen Suszeptibilität für Paramagnetismus (links) und das Auftreten ferromagnetischer (Mitte) und antiferromagnetischer (rechts) Ordnungszustände in Feststoffen. Ferrimagnetische Stoffe verhalten sich wie ferromagnetische Stoffe, jedoch mit abgeschwächtem Verhalten, da antiferromagnetisch gekoppelte Momente die Suszeptibilität verringern.

248

2 Festkörperchemie

schen Momentes gekennzeichnet ist. Die magnetische Suszeptibilität erreicht bei tiefen Temperaturen und hohen externen Feldern ihr Maximum (Abb. 2.42, Mitte). Bei höheren Temperaturen nehmen die thermischen Bewegungen zu, und die parallele Spinordnung wird gestört. Oberhalb der ferromagnetischen CurieTemperatur TC erfolgt ein Übergang in den magnetisch ungeordneten paramagnetischen Zustand. Zu den ferromagnetischen Materialien zählen Fe, Co, Ni, Gd, Dy, CrTe, CrO2 und EuO. Aus der Möglichkeit, die Magnetisierungsrichtung von ferro- oder ferrimagnetischen Materialien im externen magnetischen Feld umzukehren (siehe magnetische Hysterese), resultieren Anwendungen als magnetische Informationsspeicher.

2.7.5 Magnetische Kopplungsmechanismen Im ferro- und antiferromagnetischen Zustand erfolgt eine spontane Ausrichtung der magnetischen Momente. Obwohl die genauen Ursachen dieser Ordnungszustände nicht vollständig aufgeklärt sind, kann zwischen direkten und indirekten Kopplungsmechanismen der magnetischen Momente unterschieden werden. Direkte Wechselwirkungen kennzeichnen die ferromagnetischen Metalle Fe, Co, Ni, Gd und Dy, aber auch einige Verbindungen wie z. B. Europiumchalkogenide EuX (X Z Chalkogen). Zu den indirekten Wechselwirkungsmechanismen zählt der Superaustausch. Superaustausch beschreibt die antiferromagnetische Kopplung magnetischer Momente von Metallatomen über verbrückende diamagnetische Teilchen.

Abb. 2.43 Antiferromagnetische Kopplung der Spins zweier dz 2 -Orbitale benachbarter Mn2C-Ionen über ein Sauerstoff-pz-Orbital (Superaustausch).

In MnO sind die Mn2C-Ionen linear über O2K-Ionen verbrückt (NaCl-Typ). Die Sauerstoff-p-Orbitale enthalten jeweils zwei Elektronen, die antiparallel gekoppelt sind, da sie wegen des Pauli-Verbots antiparallele Spins haben müssen. Durch pKd-Wechselwirkungen werden die magnetischen Momente von benachbarten Mn2C-Ionen antiparallel gekoppelt (Abb. 2.43). Der Superaustausch ist nur bei annähernd linearen Konfigurationen effektiv, da bei kleineren Winkeln, z. B. für :(MnOMn) Z 90(, zwei magnetisch unabhängige p-Orbitale (z. B. pz und px) mit den d-Orbitalen der Metallatome überlappen. Beispiele für das Auftreten von Superaustausch sind MnO, CoO, NiO, α-Fe2O3 (Korund-Typ), FeF2 (Rutil-Typ) und Ferrite (Spinell-Typ). Die antiferromagnetischen Manganchalkogenide und die ferromagnetischen Europiumchalkogenide kristallisieren im NaCl-Typ. Diese zwei Verbindungsgruppen repräsentieren zwei unterschiedliche Arten von magnetischen Wechselwirkungen im selben Strukturtyp. In der Reihe der Manganchalkogenide MnO, MnS, MnSe nimmt TN kontinuierlich zu. Die antiferromagnetische Ordnung

2.7 Magnetische Eigenschaften von Feststoffen

249

bleibt bis zu immer höheren Temperaturen erhalten, da die Ausdehnung der pOrbitale in dieser Reihe zunimmt und größere MdX-Überlappungen den Superaustausch verstärken. Bei den ferromagnetischen Europiumchalkogeniden EuX nimmt die CurieTemperatur in der Reihe EuO, EuS, EuSe ab, da mit steigendem Anionenradius auch die MdM-Abstände zunehmen, wodurch direkte magnetische MdMWechselwirkungen schwächer werden.

2.7.6 Antiferromagnetische Ordnung Im antiferromagnetischen Zustand heben sich die magnetischen Momente bedingt durch ihre antiparallele Orientierung gegenseitig auf. Deshalb sind unterhalb der Néel-Temperatur niedrige Suszeptibilitäten zu erwarten. Mit steigender Temperatur unterstützt die Temperaturbewegung das Bestreben eines äußeren Magnetfeldes, die magnetischen Momente parallel zum Feld auszurichten. Hierdurch wird bei der Néel-Temperatur TN zunächst ein Maximum der magnetischen Suszeptibilität erreicht, bevor der Übergang in den magnetisch ungeordneten paramagnetischen Zustand erfolgt (Abb. 2.42).

2.7.7 Paramagnetismus der Leitungselektronen (Pauli-Paramagnetismus) Da jedes Elektron ein magnetisches Moment hat, könnte für Metalle ein Curieähnliches, paramagnetisches Verhalten erwartet werden. In einem externen Magnetfeld zeigen Metalle aber einen temperaturunabhängigen Paramagnetismus (TUP), der als Pauli-Paramagnetismus bezeichnet wird (Abb. 2.39). Dieses Verhalten kann ausgehend vom Modell des freien Elektronengases (alle Valenzelektronen sind von den Atomrümpfen gelöst und können sich als „Gas“ im Potential der positiven Atomrümpfe bewegen) erklärt werden. Die Elektronen besetzen diskrete Energieniveaus, die so dicht beieinander liegen, dass sie als quasi-Kontinuum betrachtet werden können. Abbildung 2.44 zeigt die Auftragung der Zustandsdichte dieser Energieniveaus gegen die Energie. Nach der Fermi-Statistik besetzen die Elektronen bei 0 K alle Energieniveaus bis zum Fermi-Niveau, wobei jeder Energiezustand mit zwei Elektronen mit antiparallelen Spins besetzt wird, sodass kein magnetisches Moment resultiert. Durch Anlegen eines äußeren Magnetfelds wird die Energie der Elektronen mit Spins parallel zum angelegten Feld abgesenkt und die der Elektronen mit Spins antiparallel zum Feld angehoben. Die höhere Zahl von Elektronen mit Spins parallel zum Feld erzeugt ein Ungleichgewicht am Fermi-Niveau, welches einen paramagnetischen Effekt verursacht. Die schwache, nahezu temperaturunabhängige Suszeptibilität (in Größenordnungen von 10K5 bis 10K3 cm3.mol) macht deutlich, dass beim PauliParamagnetismus nur eine relativ geringe Zahl von Spins der ausrichtenden Wirkung des äußeren Magnetfelds folgen kann.

250

2 Festkörperchemie

2.8 Der metallische Zustand 2.8.1 Metalle Die Metalle machen vier Fünftel aller Elemente aus. In ihnen führen ungerichtete Bindungskräfte zu geometrisch einfachen Strukturen mit hohen Koordinationszahlen (vgl. Tabelle 2.3). Die relativen Stabilitäten der drei Metallstrukturen kdP, hdP und krz können für die Übergangsmetalle mit d2- bis d8-Konfiguration aus den Bandenergien berechnet werden. Mit Ausnahme der Metalle Mn, Fe, Co stimmen die Ergebnisse der Berechnungen mit den beobachteten Strukturen überein. Metalle enthalten delokalisierte Elektronen, die sich „frei“ durch den Feststoff hindurch bewegen können. Daher rührt auch die Bezeichnung Elektronengas. Allerdings ist ein Vergleich mit einem molekularen Gas nicht ganz zutreffend. Ein Grund hierfür ist die Gültigkeit von Auswahlregeln, wonach ein einzelnes Orbital maximal zwei Elektronen mit entgegengesetztem Spin aufnehmen kann. Die meisten Elektronen besetzen Energiezustände weit unterhalb der FermiEnergie. Da diese Elektronen keine Mobilitäten aufweisen, sind die elektrischen Leitfähigkeitseigenschaften der Metalle nicht von der gesamten Elektronendichte, sondern von der Elektronendichte in einem kleinen (thermisch anregbaren) Energieintervall (∆E Z kT ) am Fermi-Niveau abhängig (Abb. 2.44).

Abb. 2.44 Zustandsdichte eines Metalls bei T Z 0 K (gestrichelte Linie, EF Z Fermi-Energie) und bei höherer Temperatur (S-förmige Linie) zur Verdeutlichung thermisch anregbarer Elektronen.

Nur diese Elektronen können Energie aufnehmen und Energieniveaus oberhalb der Fermi-Energie besetzen. Zu den daraus resultierenden Eigenschaften der Metalle zählen: 1. 2. 3. 4.

Lineare Temperaturabhängigkeit der spezifischen Wärme Pauli-Paramagnetismus (temperaturunabhängig) Metallischer Glanz (Reflektivität) Elektrische Leitfähigkeit (O104 S.cm, mit steigender Temperatur abnehmend).

2.8 Der metallische Zustand

251

Der ausrichtenden Wirkung eines äußeren magnetischen Feldes auf ein Metall (magnetische Polarisation) kann nur ein kleiner Bruchteil der Elektronen (Elektronenspins) an der Fermikante folgen. Dabei tritt der für Metalle typische PauliParamagnetismus der Leitungselektronen auf, der weitgehend temperaturunabhängig mit stets positivem, aber kleinem Wert der magnetischen Suszeptibilität χ ist. Da für Metalle ein Pauli-Paramagnetismus zu erwarten ist, ist der ferromagnetische Zustand der Eisenmetalle Fe, Co und Ni eine Besonderheit. Ferromagnetische Materialien zeigen auch ohne ein äußeres Magnetfeld ein permanentes magnetisches Moment, für das ungepaarte Elektronenspins verantwortlich sind. Eine vereinfachte Erklärung für den ferromagnetischen Zustand liefert eine Betrachtung der elektronischen Struktur der Metalle. Die d-Valenzorbitale der Übergangsmetalle sind viel stärker kontrahiert als die s- und p-Valenzorbitale. Daher gehen von den d-Orbitalen kompakte Zustandsdichten (Abb. 2.45) und horizontal verlaufende Energiebänder aus.

Abb. 2.45 Zustandsdichten aus 3d-, 4s- und 4p-Orbitalen für Metalle der ersten Übergangsmetallreihe. Die Fermi-Energie (EF) markiert die Halbbesetzung dieser Zustände, bei der normalerweise alle Metall-Metall-bindenden Orbitale gefüllt sind.

Da eine Zustandsdichte im unteren Teil stets bindend und im oberen Teil antibindend ist, erwartet man für eine Halbbesetzung mit Elektronen allgemein maximale Bindungsstärken. Allerdings werden nicht nur die d-Bänder, sondern zusätzlich noch Anteile der s- und p-Valenzbänder mit Elektronen besetzt, sodass maximale Bindungsstärken mit etwas mehr als fünf Valenzelektronen erwartet werden (z. B. für Metalle der Gruppe 6). Diese Tatsache steht mit dem Verlauf der Sublimationsenthalpien der Übergangsmetalle im Einklang (Abb. 2.46): Höhere Bindungsstärken bedeuten höhere Sublimationsenthalpien. Bemerkenswert ist allerdings der Einbruch der Energie für die Metalle um Fe, die offenbar schwächere Bindungen besitzen, als der Trend der Sublimationsenthalpien erwarten lässt (Abb. 2.46). Die Metalle Cr und Mn haben komplizierte antiferromagnetische Eigenschaften. Die Metalle Fe, Co und Ni haben unter Normalbedingungen (unterhalb der Curie-Temperatur) ferromagnetische Eigenschaften. Im ferromagnetischen Zustand sind die magnetischen Momente parallel gekoppelt.

252

2 Festkörperchemie

Abb. 2.46 Relative Sublimationsenthalpien der d-Metalle.

Normalerweise enthalten Elemente gepaarte Elektronen und sind daher diamagnetisch. Die destabilisierende Wirkung der Elektron-Elektron-Abstoßung muss dabei in Kauf genommen werden. Beim Auftreten eng benachbarter Energiezustände gewinnt die Elektron-Elektron-Abstoßung an Bedeutung, und es können auch höher liegende Energiezustände mit einzelnen Elektronen besetzt werden. Diese Konfiguration ist stabil, wenn der Energiegewinn durch die Verminderung der Elektron-Elektron-Abstoßung größer ist als die aufzuwendende Energie zur Besetzung höher liegender Energiezustände. Die erhöhte Zahl paralleler Spinmomente wird für die Abnahme der Bindungsstärke und die ferromagnetischen Eigenschaften der Metalle Fe, Co und Ni verantwortlich gemacht. Das Auftreten von magnetischen (oder high-spin-) Konfigurationen bei den Eisenmetallen und von nicht magnetischen (oder low-spin-) Konfigurationen bei anderen Metallen zeigt Analogien zum Auftreten von high-spin- und low-spin-Konfigurationen bei Komplexverbindungen der 3d-Metalle.

2.8.2 Intermetallische Systeme Intermetallische Verbindungen oder Phasen bestehen aus Kombinationen von Metallen. Sind die Metalle in der Schmelze miteinander mischbar, so kann diese Mischbarkeit beim Abkühlen erhalten bleiben, oder es kann Entmischung auftreten (Abb. 2.18). In den Systemen Cu-Au und Ag-Au treten unbegrenzte Mischbarkeit und damit vollständige Mischkristallreihen auf (Abschnitt 2.4.5). Begrenzte Mischbarkeit gilt für das System Cu-Ag mit einer maximalen Löslichkeit von 4.9 % Ag in Cu. Sind Metalle nur in der Schmelze, nicht aber im festen Zustand löslich, dann kristallisiert beim Abkühlen ein eutektisches Gemisch aus, in dem beide Metalle mikrokristallin nebeneinander vorliegen. Nichtmischbarkeit im festen Zustand als Folge vollständiger Entmischung beim Abkühlen einer Schmelze kann aber zur Bildung von Verbindungen führen, wie z. B. Mg2Ge im System Mg-Ge.

2.8 Der metallische Zustand

253

Außer bei polaren intermetallischen Verbindungen (Zintl-Phasen) existieren keine allgemeingültigen Modelle zur Erklärung von Zusammensetzungen und Strukturen. So ist selbst das Auftreten von stöchiometrischen Verbindungen nicht immer mit der chemischen „Wertigkeit“ der Bindungspartner erklärbar. Elektronenabzählregeln sind nur manchmal hilfreich, um strukturelle Klassifizierungen vorzunehmen, und möglicherweise auch, um eine neue Verbindung vorherzusagen. Jedoch kann eine formale Methodik nicht immer als verlässliches Konzept dienen, da sie die Individualität der Elemente nicht berücksichtigt. Mangels universell gültiger elektronischer Konzepte sind manchmal geometrische Kriterien zur Vorhersage der Anordnungen von Gitterbausteinen hilfreich (Laves-Phasen).

2.8.3 Legierungen Homogene Legierungen sind intermetallische Phasen, die wie die reinen Metalle geometrisch einfache Strukturen bilden. Wenn zwei Metalle gleiche Atomradien und ähnliche Elektronegativitäten besitzen und im gleichen Gittertyp kristallisieren, dann ist die Bildung einer ungeordneten Legierung mit unbegrenzter Mischbarkeit im flüssigen und im festen Zustand zu erwarten. In so einem Fall besetzen die Atome beim Abkühlen aus der Schmelze in ungeordneter Verteilung Positionen des Stammgitters. Im festen Zustand kann eine lückenlose Mischkristallreihe erhalten werden, die am besten durch die Bezeichnung feste Lösung beschrieben wird (Abb. 2.18). Beispiele hierfür sind z. B. die Systeme K-Rb, Ca-Sr, Mg-Cd, Si-Ge, Nb-Ta, Cr-Mo, Mo-W, Cu-Au, Ag-Au, Cu-Ni. In einer solchen Mischkristallreihe ändern sich die Gitterkonstanten linear mit der Zusammensetzung (Vegard’sche Regel, vgl. Abb. 2.19). Sehr langsames Abkühlen oder Tempern einer ungeordneten Legierung kann jedoch zu einer geordneten Struktur führen, sofern die Unterschiede zwischen den Metallen hinreichend ausgeprägt sind. Das Beispiel Cu-Au (lückenlose Mischkristallreihe, plus geordnete Phasen) wurde in Abschnitt 2.4.5 diskutiert. Häufiger als lückenlose Mischkristallreihen ist begrenzte Mischbarkeit.

2.8.4 Intermetallische Verbindungen mit Formgedächtnis Intermetallische Verbindungen der Systeme Ti-Ni, Cu-Al-Ni, Cu-Zn-Al, Au-Cd, Mn-Cu, Ni-Mn-Ga sowie bestimmte Fe-Legierungen zählen zu den Formgedächtnis-Legierungen (engl. shape-memory alloys). Das bekannteste Beispiel ist die Legierung mit der ungefähren Zusammensetzung NiTi, weil sie aufgrund ihrer guten Verformbarkeit zahlreiche Anwendungen ermöglicht. Beim Formgedächtnis-Effekt nimmt ein Draht einer intermetallischen Formgedächtnis-Legierung beim Erhitzen immer wieder seine ursprüngliche Form an, unabhängig davon, auf welche Weise er zuvor verformt worden ist. Als Ursache für dieses Verhalten wird ein kooperatives Phänomen in Zusammenhang mit einer Domänenstruktur angesehen, ähnlich wie bei den magnetischen Ordnungsvorgängen.

254

2 Festkörperchemie

Beim Abkühlen geht NiTi bei 1 090 (C von der kubisch innenzentrierten Struktur in eine Phase mit geordneter kubisch primitiver Struktur vom CsCl-Typ über (vgl. β-CuZn). Beim weiteren Abkühlen entsteht eine monokline, so genannte martensitische Phase, die durch die Präsenz von unterschiedlich gearteten Zwillingsdomänen charakterisiert ist. An den Domänengrenzen ist die Phase über Scherungen mechanisch verformbar. Diese Verformung ist jedoch reversibel und wird durch moderates Erhitzen (Flamme oder heißes Wasser) durch einen Übergang in die ursprüngliche martensitische Phase wieder rückgängig gemacht. Formgedächtnis-Verbindungen finden Anwendungen in der Dentaltechnik (Zahnspangen), der Medizintechnik (Gefäßimplantate), der Automobiltechnik (Thermoschalter), für Brillengestelle und vieles mehr.

2.8.5 Hume-Rothery-Phasen Hume-Rothery-Phasen sind Legierungen, deren Strukturen von der Anzahl der Valenzelektronen der beteiligten Metallatome abhängig sind. Es werden fünf Phasen unterschieden, die nicht stöchiometrisch zusammengesetzt sind und bestimmte Phasenbreiten besitzen. Diese Phasen werden als α-, β-, γ-, ε- und ηPhasen bezeichnet und kristallisieren nach Motiven dicht gepackter Strukturen (kdP, krz, kdP, hdP und in einer verzerrten hdP). Die Endglieder dieser Strukturen, die kdP und die (verzerrte) hdP, sind mit 1 und 2 Valenzelektronen stabil. Diese Zahlen von Valenzelektronen treffen auf die Elemente Kupfer und Zink zu. Die Valenzelektronenkonzentration resultiert aus der Summe der Valenzelektronen der Atome dividiert durch die Anzahl der Atome (VEK Z Σ (Valenzelektronen).Zahl der Atome). Ein bekanntes Beispiel für eine Hume-Rothery-Phase ist das System Kupfer-Zink (Messing). Wird reines Kupfer (ein Valenzelektron) mit Zink (zwei Valenzelektronen) legiert, dann erfolgt ein Einbau von Zinkatomen auf Gitterplätze der kubisch dichtesten Packung von Kupferatomen, und die VEK nimmt zu; es entsteht eine feste Lösung von Zink in Kupfer. Da die so genannte α-Phase maximal 38 % Zink enthalten kann, nimmt die VEK Werte zwischen 1 und 1.38 an. Mit steigendem Anteil von Zink entsteht die β-Phase. In der β-Phase sind die Atome (Cu und Zn) statistisch auf den Lagen eines innenzentrierten Kristallgitters (krz) verteilt. Zusätzlich existiert für CuZn eine Struktur mit einer geordneten Verteilung der Atome (Abschnitt 2.4.5). In der εPhase liegen die Atome auf den Lagen einer hexagonal dichtesten Packung (hdP). Jede dieser Phasen ist über einen bestimmten Bereich ihrer Zusammensetzung stabil. Das Kriterium dieses Stabilitätsbereiches ist die Valenzelektronenkonzentration (vgl. Tabelle 2.9). Obwohl den charakteristischen β-, γ- und ε-Phasen in der Regel bestimmte Summenformeln zugeordnet werden, ist zu beachten, dass diese Phasen über einen Bereich ihrer Zusammensetzung existieren (Phasenbreite). Typische Vertreter für Hume-Rothery-Phasen sind binäre Legierungen, deren eine Komponente ein edles Metall (z. B. Cu, Ag, Au) ist. Diese Legierungen kristallisieren in einer, mehreren oder der gesamten Abfolge von Phasen (αKη). Tabelle 2.10 zeigt eine Auswahl von Vertretern der β-, γ- und ε-Phasen.

2.8 Der metallische Zustand

255

Tabelle 2.9 Strukturen und Valenzelektronenkonzentrationen (VEK) für das System Cu1dxZnx. Phase

Beispiel

Zusammensetzung x

VEK

Struktur

α β γ ε η

Cu Cu (Zn) CuZn Cu5Zn8 CuZn3 (Cu)Zn Zn

0 0K0.38 0.45K0.49 0.58K0.66 0.78K0.86 0.98K1 1

1 1K1.38 1.45K1.49 1.58K1.66 1.78K1.86 1.98K2 2

kdP kdP krz kubisch hdP verzerrt hdP hdP

Tabelle 2.10 Beispiele für Hume-Rothery-Phasen und ihre Valenzelektronenkonzentrationen (VEK). β-Phasea) VEK Z CuZn Cu3Al Cu5Sia) Cu5Sn AgZn AgCd AuZn AuMg FeAlb) CoAlb) NiAlb) a) b)

3 21 oder 2 14

γ-Phase VEK Z Cu5Zn8 Cu9Al4 Cu31Si8 Cu31Sn8 Ag5Zn8 Ag5Cd8 Au5Zn8 Au5Cd8 Fe5Zn 21b) Co5Zn 21b) Pt5Be 21b)

21 13

ε-Phase VEK Z

21 7 oder 4 12

CuZn3 CuCd3 Cu3Si Cu3Sn AgZn3 AgCd3 AuZn3 Au5Al3 Ag3Sn Au5Al3

Außer in der β-Phase kristallisieren einige Verbindungen dieser VEK im β-Mn-Typ (z. B. Ag3Al, Au3Al, Cu5Si, CoZn3). Bei Metallen der Gruppen 8K10 ist die Zahl der Valenzelektronen als null anzusetzen, damit entsprechende Verbindungen die Regel erfüllen.

Wie Tabelle 2.10 zeigt, hängt das Auftreten eines bestimmten Strukturtyps von der Anzahl der Valenzelektronen pro Atom ab (β-Phase 21 : 14, γ-Phase 21 : 13, ε-Phase 21 : 12), sodass auch unterschiedlich zusammengesetzte Phasen dieselbe Kristallstruktur bilden können. Ein gutes Beispiel dafür sind die unterschiedlich zusammengesetzten γ-Phasen. Da die Struktur der kubischen γ-Phase aus insgesamt 52 Atomen in der Einheitszelle besteht, enthalten die Summenformeln dieser Phasen oft 13 oder 26 Atome, die mit Z Z 4 oder 2 Formeleinheiten in der Elementarzelle vorkommen. Die Formulierung ganzzahliger Zusammensetzungen täuscht aber über die existierenden Phasenbreiten, wie z. B. CuZn0.58K0.66, hinweg. So gehören zu der γ-Phase des Systems CudZn die Phasen 21 Z 1.62) Cu5Zn8 (VEK Z (5 C 2 $ 8).13 Z 13 und 43 Z 1.65). Cu9Zn17 (VEK Z (9 C 2 $ 17).26 Z 26

256

2 Festkörperchemie

2.8.6 Laves-Phasen Als Laves-Phasen bezeichnet man bestimmte intermetallische Verbindungen der allgemeinen Zusammensetzung AB2. Diese topologisch dicht gepackten Strukturen sind durch drei eng miteinander verwandte Strukturen repräsentiert (MgCu2, MgZn2 und MgNi2). Die Strukturen werden durch Packungen von A-Atomen verwirklicht, in denen die kleineren B-Atome als Tetraeder angeordnet sind. Dies und die Koordination von A durch 12 B C 4 A dokumentieren die Bedeutung des Atomradienverhältnisses zur Realisierung der drei Strukturtypen. Das ideale Atomradienverhältnis der korrespondierenden Strukturen liegt bei rA rB Z

3

√2 z 1.225.

Das Atomradienverhältnis bekannter Strukturen dieses Typs variiert aber von 1.1 bis 1.7. Die größeren A-Atome sind häufig elektropositive Metalle wie Alkali-, Erdalkali-, Übergangsmetalle der Gruppen 4K6 oder Seltenerdmetalle. Die B-Atome sind weniger elektropositive Metalle wie Übergangsmetalle der Gruppen 7K8 oder Edelmetalle (Tabelle 2.11). Obwohl der Einfluss elektronischer Faktoren für viele Laves-Phasen dokumentiert ist, existiert kein allgemein gültiges Konzept zur Vorhersage einer der drei Strukturen.

Abb. 2.47 Kristallstrukturen von MgCu2 (Raumgruppe Fd3m), MgZn2 und MgNi2 (beide P63.mmc). Die B-Teilchen dieser AB2-Strukturen bilden annähernd tetraedrische oder trigonal-bipyramidale Anordnungen. Verbindungslinien zwischen A-Atomen sind nur zur Verdeutlichung ihrer Anordnungen gezeigt.

2.8 Der metallische Zustand

257

Im MgCu2-Typ dieser AB2-Strukturfamilie entspricht die Anordnung der AAtome einer Diamantstruktur. In den Tetraederlücken dieser Anordnung liegen B4-Tetraeder, die über alle gemeinsamen Ecken verknüpft sind. Im MgZn2-Typ entspricht die Anordnung der A-Atome einer hexagonalen Diamantstruktur und die B-Atome bilden ecken- und flächenverknüpfte Tetraeder. Der MgNi2-Typ kann als eine Kombination dieser beiden Strukturen angesehen werden (Abb. 2.47). Außer binären Phasen treten auch ternäre Laves-Phasen mit der Zusammensetzung A2B3X auf, z. B. als Mg2B3Si (B Z Cu, Ni) oder SE2Rh3X (SE Z Pr, Er, Y; X Z Si, Ge). Tabelle 2.11 Beispiele für binäre Laves-Phasen. MgCu2-Typ a)

AAl2 (A Z Ca, SE ) CaB2 (B Z Rh, Ir, Ni, Pd, Pt) AFe2 (A Z SE, Zr, U) ACr2 (A Z Hf, Nb) ACo2 (A Z SE, Ti, Zr, Ta, Nb) ZrB2 (B Z V, Mo) ErSi2 a)

MgZn2-Typ

MgNi2-Typ

HfAl2, CaLi2 CsB2 (B Z K, Na) AFe2 (A Z Sc, Ti, Nb, Ta, Mo, W) ACr2 (A Z Ti, Zr, Hf, Nb, Ta) AMn2 (A Z SE, Ti, Zr, Hf) AZn2 (A Z Ti, Ta) ARe2 (A Z SE, Zr, Hf)

CdCu2 TaCo2 AFe2 (A Z Sc, Zr, Hf) ACr2 (A Z Ti, Zr, Hf) HfB2 (B Z Mo, Mn, Zn) AZn2 (A Z Nb, Ta)

SE Z Seltenerdmetall

2.8.7 Zintl-Phasen Zintl-Phasen sind Verbindungen von Metallen mit Halbmetallen, deren elektropositives Metallatom formal Elektronen auf den elektronegativen Partner überträgt (nach Zintl und Klemm). Dabei wird ein Anionenteilgitter aufgebaut, dessen Atomanordnung einer Elementstruktur gleicher Valenzelektronenkonfiguration entspricht (nach Busmann und Klemm). Durch diese strukturelle Äquivalenz entsprechen z. B. die zu erwartenden Anionenanordnungen von Si2K oder P1K topologisch der Struktur einer Kette aus Schwefelatomen (S0). Die Zintl-Anionen erhalten damit die Oktettkonfiguration. Diese beiden Konzepte gelten auch für polare intermetallische Verbindungen, wie z. B. NaTl, in der Natrium der elektropositivere Partner ist. TlK besitzt dieselbe Valenzelektronenkonfiguration wie Kohlenstoff und baut wie Kohlenstoff ein Diamantgitter auf. Natriumionen besetzen die tetraedrischen Lücken dieser Anordnung. Die Struktur enthält kovalente TldTl-Bindungen, die kürzer als im elementaren Thallium sind (Abb. 2.48). Die Zahl der Nachbaratome, die ein Atom in einem Zintl-Ion oder in einer Nichtmetall-Elementstruktur besitzt, folgt aus der (8 K N)-Regel (nach Hume-Rothery). Danach bildet ein Atom mit N Valenzelektronen 8 K N kovalente Bindungen zu seinen Nachbarn aus. Dabei entspricht N der Anzahl der Valenzelektronen des Atoms plus der aufgenommenen Elektronen. In der Struktur von NaTl resultieren deshalb für jedes TlK 8 K 4 Z 4 Bindungen.

258

2 Festkörperchemie

Abb. 2.48 Elementarzelle von NaTl. Obwohl beide Atomsorten kommutative Teilgitter aufbauen, wurden nur die TlK durch Bindungslinen verbunden.

2.8.7.1 Die Synthese von Zintl-Phasen 1. Reduktion in Lösung Zintl untersuchte Reaktionen von Natrium, das in flüssigem Ammoniak gegenüber Metallen der Gruppen 14 oder 15 als Reduktionsmittel wirkt. Da diese Reaktionen relativ langsam verlaufen, wurden anstelle von Metallen auch Metallsalze verwendet. Dabei werden die Kationen des Metallsalzes in situ zum Metall reduziert, bevor sie reduktiv gelöst werden: NH3

22 Na C 9 PbI2 $$$% Na4Pb9 $ nNH3 C 18 NaI Viele der auf diese Weise hergestellten Verbindungen sind jedoch nur als Ammoniakate stabil und wurden früher nur als röntgenamorphe Produkte erhalten. Inzwischen konnten einige dieser Ammoniakate strukturell charakterisiert werden (z. B. Rb4Ge9 " 5 NH3, K4Sn4 " 2 NH3). Die Zintl-Anionen verleihen ihren Lösungen intensive Farben. Beispiele sind 3K 3K 3K 3K die Anionen Sn 94K, Pb 4K 9 , As 7 , Sb 7 , Sb 3 oder Bi 5 . Die Verbindungen zersetzen sich jedoch bei Versuchen, das Lösungsmittel zu entfernen. Der Befund, dass sich auf diese Weise Elemente der vierten (Gruppe 14), nicht aber die der dritten Hauptgruppe (Gruppe 13) lösen lassen, bildete die Grundlage für die Grenzziehung zwischen Anionen- und Kationenbildnern (Zintl-Linie). Zum Auflösen nicht nur von Elementen, sondern auch von vorpräparierten intermetallischen Verbindungen erwiesen sich Ethylendiamin („en“) oder auch Polyamine erfolgreich (z. B. Na4 (en)5Ge9, Na4 (en)7Sn9 oder Na3 (en)4Sb7). Beim Auflösen einer intermetallischen Verbindung kann zusätzlich noch ein Kryptand (makrobicyclischer Aminopolyether) zur Komplexierung von Kationen verwendet werden: en

2 KTlTe C 2 (2,2,2)Cryptand $% [(2,2,2)Cryptand-K]2Tl2Te2 Weitere Beispiele sind die Verbindungen [(2,2,2)Cryptand-Na]4Sn9 und [(2,2,2)Cryptand-K]2Pb5, die anionische Cluster enthalten, die in den Ausgangsverbindungen so nicht vorliegen. 2. Direkte Reaktionen der Elemente miteinander Der Hauptweg der präparativen Erschließung von Zintl-Phasen führt über die Umsetzung von Gemengen der Elemente in Festkörper- oder Schmelzreaktio-

2.8 Der metallische Zustand

259

nen. Für Reaktionen der Alkali- und Erdalkalimetalle mit den Metallen, Nichtmetallen und Halbmetallen der Gruppen 13 bis 16 eignen sich geschlossene Metallbehälter: Ca C Si $% CaSi Da die Systeme manchmal phasenreich sind, wirft die Darstellung reiner Produkte, wie hier durch die Bildung der Nebenprodukte CaSi2 und Ca2Si, oft Schwierigkeiten auf. 3. Kathodische Auflösung einer Verbindung Bereits Zintl gelang die kathodische Auflösung von Zink. Eine einfache Erweiterung dieser Idee ist die Verwendung einer binären Verbindung als Kathode bei der Elektrolyse. Bei Verwendung von Sb2Te3 als Kathode gehen Anionen in Lösung. Als Gegenionen werden für den Kristallisationsprozess Tetraalkylammoniumionen in „en“ angeboten. Im Kathodenraum entstehen bei der Elektrolyse zwei Verbindungen mit den Ionen [Sb4Te4]4K und [Sb9Te6]3K. Wie bei den vorherigen Reaktionen in „en“ zeigen die Anionen keinerlei strukturelle Bezüge zu ihrer Ausgangsverbindung.

2.8.7.2 Beispiele für Zintl-Phasen Zintl-Phasen sind Verbindungen zwischen Metallen und Halbmetallen. Allerdings ist die Zuordnung als Halbmetall nicht in allen Fällen eindeutig (z. B. für P, Se, Te). Die Linie, die die Metalle von den Halbmetallen trennt (Zintl-Linie), verläuft durch die dritte und vierte Hauptgruppe (Gruppe 13 und 14). Eine Zusammenstellung ausgewählter Zintl-Phasen zeigt Tabelle 2.12. Das Zintl-Konzept lässt sich problemlos auf Verbindungen ausdehnen, die formal nicht zu den Zintl-Phasen gehören. Tabelle 2.12 Beispiele für Zintl-Phasen mit Polyanionen. Verbindung

N a)

Formalladungb)

Bindigkeitb)

Anionenteilstruktur

NaTl CaIn2 CaGa2 CaSi2 KSi LiAs CaAs2 CaSi CaAs CaC2 Na3As

4 4 4 5 5 6 6 6 7 5 8

K1 K1 K1 K1 K1 K1 K1 K2 K2 K1 K3

4 4 4 3 3 2 2 2 1 3 0

Diamant-Typ verzerrter Diamant-Typ graphitähnlich Arsen-Typ Tetraeder (Si4)4K Spiralketten (Se-Typ) Vierringe (As4)4K planare Zickzackketten (As2)4K-Dimere (C2)2K-Dimere isolierte Atome

a) b)

N ist die Anzahl der Valenzelektronen des elektronegativeren Atoms in der ionischen Grenzstruktur. 8 K N ist die Bindigkeit des Anions. Pro (elektonegativeres) Atom der Verbindung.

260

2 Festkörperchemie

2.8.7.3 Salzartige Zintl-Phasen mit isolierten Anionen Alkali- und Erdalkalimetalle bilden mit Elementen der Gruppen 14 und 15 stöchiometrisch zusammengesetzte Salze, in denen die Anionen Edelgaskonfigurationen haben. Zu diesen salzähnlichen Phasen zählen Verbindungen der Zusammensetzung A3X (Na3As-Strukturtyp), die für nahezu alle Kombinationen der Alkalimetalle mit Elementen der Gruppe 15 (ausgenommen Stickstoff) bekannt sind. Im Gegensatz hierzu ist die nahe liegende Zusammensetzung A4X für Kombinationen von Alkalimetallen mit einem Element der Gruppe 14 in keinem Fall belegt. Die Erdalkalimetalle bilden mit den Elementen der Gruppen 14 und 15 Verbindungen der Zusammensetzung A2X und A3X2. Der Formeltyp A3X2 ist für Kombinationen von A Z Mg mit Elementen der Gruppe 15 sowie der Erdalkalimetalle mit X Z P bekannt. Der Formeltyp A2X ist für alle möglichen Kombinationen der Metalle A Z Mg, Ca, Sr, Ba mit den Anionenbildnern X Z Si, Ge, Sn, Pb durch Verbindungen belegt.

2.8.7.4 Zintl-Phasen mit polyatomaren Anionen Zusätzlich zu den salzartigen Verbindungen mit isolierten Anionen existiert eine Vielfalt von Verbindungen mit polyatomaren Anionen (Abb. 2.49). Solche Verbindungen treten für Kombinationen der Alkali- und Erdalkalimetalle mit Elementen der Gruppen 13K16 auf. Die Verbindung NaTl wurde bereits erwähnt. Die Diamantstruktur tritt per se nur für die Elemente C, Si, Ge oder Sn auf. Die Elemente Al, Ga, In oder Tl besitzen nur drei Valenzelektronen und damit ein Elektron zu wenig, um eine Diamantstruktur bilden zu können. Durch Aufnahme eines zusätzlichen Elektrons von einem elektropositiveren Atom (Alkalimetall) wird für die Verbindungen LiAl, LiGa, LiIn, NaIn und NaTl eine Diamantstruktur des Anionenteilgitters realisiert. Alkalimetallionen besetzen die Hohlräume in der Struktur und bilden hinsichtlich ihrer Anordnung ebenfalls eine Diamantstruktur aus. Wird das Atomverhältnis jedoch wie in CaIn2 oder CaGa2 verändert, dann resultieren verzerrte Strukturvarianten, vermutlich in Folge der ungleichmäßigen Lückenbesetzungen durch die Kationen (Tabelle 2.12). Tetraedrische Netzwerke treten auch in den ternären Verbindungen LiAlGe, LiAlSi und LiGaGe auf. Für den Aufbau des Netzwerks sind ein Metall der Gruppe 13 zusammen mit einem Konstituenten der Gruppe 14 verantwortlich. Einfach negativ geladene Anionen der Gruppe 14 können drei Bindungen eingehen. Hexagonale (SiK)n-Netze mit drei kovalenten Bindungen findet man in struktureller Analogie zum metallischen Arsen, in der Struktur von CaSi2. In Alkalimetallverbindungen der Zusammensetzung AB sind die Anionen analog zum weißen Phosphor aufgebaut. AB-Verbindungen zwischen A Z Na, K, Rb, Cs und B Z Si, Ge, Sn, Pb enthalten mehr oder weniger verzerrte B 4K 4 -Tetraeder. Planare Zickzackketten mit kovalenten Bindungen resultieren für Elemente der Gruppe 14, wenn sie zwei negative Ladungen aufnehmen. Dies gilt für AB-Kombinationen von Ca, Sr, Ba mit Si, Ge, Sn (vgl. CrB-Typ). Dieselbe Bindigkeit (8 K N) resultiert für Elemente der Gruppe 15, wenn sie ein Elektron aufnehmen. Allerdings bilden diese Strukturen Spiralketten vom Selen-Typ. Beispiele hierfür sind LiAs und

2.8 Der metallische Zustand

261

Abb. 2.49 Strukturen und Strukturausschnitte von polyatomaren Anionen- und Element4K strukturen: Tetraedrische Koordination (TlK), Tetraeder (Si 4 ), gewellte hexagonale Schicht 6K 2K K 2K (Si ), Zickzackkette (Si ), Dimer (Si 2 ), gewinkeltes Trimer (Te 3 ). Bindungsstriche können formal als Elektronenpaare angesehen werden; freie Elektronenpaare sind nicht gezeigt.

Kombinationen von Na, K, Rb oder Cs mit Sb. Bei gleicher Bindigkeit in CaAs2 resultieren As 44K-Ionen mit rechteckiger Gestalt. Durch die Erhöhung der Ladung auf formal As2K in CaAs wird die Bindigkeit auf eins herabgesetzt und es resultieren dimere As 24K-Ionen (isovalenzelektronisch mit S 2K 2 ). Weitere Beispiele für dimere Anionen sind neben SrAs, (Ca,Sr)P auch CaC2, BaS2, Na2S2 oder FeS2. Wie man sieht, lässt sich die Systematik zur Konstruktion von Anionenstrukturen auch auf Verbindungen ausdehnen, die nicht zu den Zintl-Phasen gehören. Für C 2K 2 -Ionen ist die Bindigkeit.Atom gleich drei (hier liegt eine Dreifachbindung vor) und für S 2K 2 Ionen eins. Dimere Einheiten treten auch in den ternären Verbindungen BaMg2Si2 6K oder BaMg2Ge2 (ThCr2Si2-Typ) als Si 6K 2 - oder Ge 2 -Ionen mit der Bindigkeit. Atom von eins auf (ThCr2Si2-Typ siehe Abb. 2.63). Verteilen sich negative Ladungen ungleichmäßig auf das elektronegativere Element einer Verbindung, dann können in einer Struktur verschiedenartige Anionen vorliegen. In der Struktur von Ca5Si3 (Cr5B3-Typ) liegen dimere Si 6K 2 -Einheiten und isolierte Si4K-Ionen im Verhältnis 1:1 vor. Ketten aus drei- bis sechsatomigen Anionen enthalten K2Te3, Sr3As4, Rb2Se5 und Sr2Sb3. Die Struktur von Sr2Sb3 enthält eine sechsgliedrige Kette („Zickzackkette“) aus Antimonatomen. Von den insgesamt acht Elektronen der Strontiumatome in der verdoppelten Formeleinheit Sr4Sb6 werden vier auf die vier Antimonatome der Kettenglieder (4 SbK: Bindigkeit 2) und zweimal zwei Elektronen auf die Antimonatome an den Enden der Kette (2 Sb2K: Bindigkeit 1) übertragen.

2.8.7.5 Zintl-Ionen, die Käfigstrukturen bilden Käfigstrukturen, die frei von Liganden sind, bezeichnet man auch als nackte Cluster. Nackte Cluster können in Lösungen, Feststoffen und in Schmelzen auftreten. Eine Gruppe von Verbindungen, für die Na4Si4 mit dem tetraedrischen Si 44K-Ion ein Beispiel ist, wurde bereits im vorhergehenden Abschnitt erwähnt. In der Struktur von Ba3Si4 bilden die Siliciumatome ein verzerrtes Si 6K 4 -Tetraeder, in dem anstatt von sechs (Na4Si4) nur fünf kovalente Bindungen vorliegen. Entlang einer Kante des Tetraeders fehlt eine Bindung (Schmetterlings-Motiv), und es liegen zwei Si2K (der Bindigkeit 2) an der geöffneten Kante und zwei SiK (der

262

2 Festkörperchemie

6K

Abb. 2.50 Die Struktur des Si 4 -Ions, dem formal eine Bindung fehlt (gestrichelte Linie). Je zwei Elektronenpaare der Si2K an der geöffneten Kante und je ein Elektronenpaar der SiK sind nicht dargestellt.

Bindigkeit 3) vor. Zwei zusätzliche Elektronen in Si 46K bewirken hier im Vergleich zu P4 oder Si 4K 4 die Öffnung der Tetraederstruktur (Abb. 2.50). Alternativ kann die Si 6K 4 -Einheit (22 Valenzelektronen) auch als verzerrte trigonale Bipyramide mit einem fehlenden Eckpunkt betrachtet werden. Die formale Ergänzung dieses Eckpunktes führt zu fünfkernigen Clustern. Strukturen mit Sn 52Koder Pb 2K 5 -Ionen bilden trigonale Bipyramiden mit D3h-Symmetrie (Abb. 2.51). Darin sind zwei Atome dreibindig und tragen ein freies Elektronenpaar (2 PbK), und drei sind vierbindig (3 Pb0). Insgesamt resultieren damit für Pb 2K 22 Valenze5 lektronen (vgl. Tabelle 2.13). In den As 3K -Käfigen der Strukturen von Na 7 3As7 oder Ba3As14 bilden vier Atome drei kovalente Bindungen (As0) und drei As zwei kovalente Bindungen (AsK). Dieses auch für Sb 3K bekannte Strukturmotiv entspricht 7 dem des isosteren P4S3 Moleküls.

2K

8K

3K

4K

2K

Abb. 2.51 Strukturen der Clusteranionen Pb 5 , Tl 6 , As 7 , Sn 9 , Ge 9 rechts).

(von links nach

Die bisher erwähnten Cluster werden als elektronenpräzise Cluster bezeichnet, weil die Anzahl ihrer bindenden Elektronenpaare (Gerüstelektronen) der Anzahl der Kanten der Cluster entspricht. Diese Gerüstelektronen plus die freien Elektronenpaare ergeben zusammen die Anzahl der Valenzelektronen pro Cluster. Für viele der nackten Cluster können die Bindungsverhältnisse aber nicht mit lokalisierten Zweizentren-Zweielektronenbindungen über den Polyederkanten beschrieben werden. In diesen Fällen sind Mehrzentrenbindungen zu berücksichtigen, wodurch das Bild der lokalisierten Bindungsbeschreibung zugunsten einer delokalisierten Beschreibung verschwimmt. 4K 4K Die Strukturen der isoelektronischen Clusteranionen Si 94K, Ge 4K 9 , Sn 9 , Pb 9 können als einfach µ4-überdachte quadratische Antiprismen mit C4v-Symmetrie beschrieben werden. Quantenchemische Rechnungen ergaben, dass die C4v-Symmetrie zwar dem absoluten Energieminimum des freien Si 4K 9 -Anions entspricht, die Konfiguration mit D3h-Symmetrie aber nur geringfügig (um 2.5 kJ.mol) ungünstiger ist. Ein Übergang zum dreifach µ4-überdachten trigonalen Prisma mit D3h-Symmetrie erfordert eine Änderung der Clusterkonfiguration, wobei eine zusätzliche Bindung geknüpft wird. Die elektronischen Situationen beider Clusterkonfigurationen können über die Bindungseigenschaften von nido- und closo-Clustern erklärt wer-

2.8 Der metallische Zustand

263

den (Tabelle 2.13). Ein Beleg für die Existenz eines dreifach µ4-überdachten trigonal-prismatischen Clusters, wie z. B. Ge 92K, konnte bisher nicht eindeutig erbracht werden. Die Zuordnung der Bindungselektronen auf die Kanten oder Flächen des Sn 94KPolyeders kann formal nicht eindeutig vorgenommen werden. Auf der Basis von Atomabständen und -winkeln kann die Elektronenverteilung durch Mehrzentrenbindungen beschrieben und interpretiert werden. Eine andere Möglichkeit zur Beschreibung der Bindungsverhältnisse dieser Elementcluster lehnt sich an die Beschreibung der Bindungsverhältnisse von Boranen durch die Wade-Regeln an. Demnach ist ein nido-Cluster, der aus n Atomen aufgebaut ist, durch 2n C 4 Gerüstelektronen gebunden. Hinzu kommen 2n Elektronen als Elektronenpaare. Damit stimmt der Erwartungswert (4n C 4) für die Stabilität eines nido-[Sn9]-Clusters mit 36 C 4 Z 40 Valenzelektronen, nach Wade mit der tatsächlichen Valenze(9 " 4 C 4 Z 40) überein. lektronenzahl für Sn 4K 9 Tabelle 2.13 „Nackte“ Cluster der Hauptgruppenmetalle mit der klassischen Anzahl von Valenzelektronen. Cluster

4K

4K

4K

Si 4 , Ge 4 , Sn 4 , 4K Pb 4 2K 2K 2C Sb 4 , Bi 4 , Se 4 , 2C Te 4 2K 2K 3C Sn 5 , Pb 5 , Bi 5 8K 8K Ga 6 , Tl 6 2K d) Ge9 4K

4K

4K

Si 9 , Ge 9 , Sn 9 , 4K Pb 9 a)

b) c)

d)

idealisierte Symmetrie

Gestalt

Cluster Typa) Valenzelektronenzahl nach Wadeb)

Td

tetraedrisch

nidoc)

4n C 4 (20)

D4h

quadratisch-planar

arachno

4n C 6 (22)

D3h Oh D3h

trigonale Bipyramide oktaedrisch dreifach überdachtes trigonales Prisma überdachtes quadrat. Antiprisma

closo closo closo

4n C 2 (22) 4n C 2 (26) 4n C 2 (38)

nido

4n C 4 (40)

C4v

closo: ein Käfig, im Sinne eines deltaedrischen Systems; nido: deltaedrische Struktur mit einer fehlenden Ecke; arachno: deltaedrische Struktur mit zwei fehlenden Ecken. Eine deltaedrische Struktur (vom griechischen ∆ abgeleitet) ist ausschließlich von dreieckigen Flächen begrenzt. n ist die Anzahl der Atome im Cluster. Homologe von Si 4K 4 werden am einfachsten durch Zweizentren-Zweielektronenbindungen über den Kanten des Si 44K-Tetraeders beschrieben (siehe Text). Bei der Betrachtung als Wade-Cluster ist das Tetraeder als trigonale Bipyramide mit einer fehlenden Ecke anzusehen (nido-Cluster). Die Existenz von Ge 2K ist unbelegt. 9

2.8.7.6 Eigenschaften von Zintl-Phasen Die Eigenschaften von Zintl-Phasen heben sich von denen der intermetallischen Systeme ab. Die homöopolaren Bindungen im Anionenteilgitter gleichen denen kovalent gebundener Elemente, während die Kation-Anion-Wechselwirkungen io-

264

2 Festkörperchemie

nischen Charakter haben. Wie bei salzartigen Verbindungen resultiert eine Bandlücke zwischen dem gefüllten Valenzband und dem unbesetzten Leitungsband, die bei Zintl-Phasen jedoch eher klein ist. Wegen ihrer kleinen Bandlücken (! 1 eV) erscheinen Kristalle meistens undurchsichtig, schwarz. Trotz ihres metallischen Aussehens sind Kristalle in dünnen Schichten intensiv farbig und durchsichtig. Zintl-Phasen sind meistens Halbleiter und haben diamagnetische oder paramagnetische (TUP) Eigenschaften. Im Gegensatz zu Metallen steigt ihre elektrische Leitfähigkeit mit der Temperatur an.

2.9 Verbindungen der Metalle 2.9.1 Metallhydride In Verbindungen mit den Elementen der zweiten Periode des Periodensystems zeigt Wasserstoff (Elektronegativität 2.2) sowohl negative (LiH, BeH2, B2H6) als auch positive (CH4, NH3, H2O, HF) Polarität. Daher kann Wasserstoff in seinen Verbindungen entweder als Hydrid oder als Proton aufgefasst werden, wobei der Übergang fließend ist. Metallhydride können überwiegend ionische oder überwiegend kovalente Bindungsverhältnisse aufweisen. Entsprechend ist eine Unterteilung in salzartige, kovalente oder metallische Metallhydride üblich. Die Erweiterung dieser Systematik auf Kombinationen von Metallen, die zur Bildung von salzartigen (A) und metallischen (M) Hydriden in der Lage sind, führt zu ternären Hydriden AxMyHz, die als Hydridokomplexe oder Hydridometallate aufgefasst werden können. Zur strukturellen Charakterisierung von Metallhydriden oder Metalldeuteriden wird die Neutronenbeugung eingesetzt (die Struktur von LiH wurde mittels Röntgenbeugung aufgeklärt), da die relative Streukraft von H-Atomen gegenüber schweren Metallatomen bei der Röntgenbeugung gering ist.

2.9.1.1 Salzartige Metallhydride Zu den salzartigen Metallhydriden zählen stöchiometrisch zusammengesetzte Hydride der Alkalimetalle und der Erdalkalimetalle (ausgenommen Be). Die farblosen Feststoffe bilden typische salzartige Strukturen mit hydridischem Wasserstoff (HK). Die Alkalimetallhydride LiH, NaH, KH, RbH und CsH kristallisieren im Natriumchlorid-Typ und die Erdalkalimetallhydride CaH2, SrH2 und BaH2 (α-Form) im Bleidichlorid-Typ. In der PbCl2-Struktur bilden die Kationen eine annähernd hexagonal dichteste Packung, in der die Anionen verzerrt tetraedrisch oder verzerrt quadratisch-pyramidal von ihren nächsten Nachbarn umgeben sind (Abb. 2.52). Bei hohen Temperaturen werden für CaH2, SrH2 und BaH2 Hochtemperaturmodifikationen (β-Form) mit Fluorit-Strukturtyp diskutiert. Das weniger ionische Magnesiumdihydrid kristallisiert im Rutil-Typ. Berylliumdihydrid zählt zu den kovalenten Metallhydriden. Die Synthese der meisten salzartigen Metallhydride erfolgt durch Erhitzen der Metalle unter Wasserstoff (400K800 (C und 1 bar H2-Druck).

2.9 Verbindungen der Metalle

265

Abb. 2.52 Kristallstruktur der Erdalkalimetalldihydride (PbCl2-Typ) als Projektion aus verzerrten [M4H]-Tetraedern (hellgrau) und [M5H]-Pyramiden (dunkelgrau) und als Kugelmodell. Schwarze Kugeln kennzeichnen Metallatome (Anzahl der Formeleinheiten.Elementarzelle: Z Z 4).

Der Anionenradius des Hydridions wird (nach Pauling) mit 208 pm angesetzt. Der experimentelle Wert liegt jedoch in Alkalimetallhydriden (Koordinationszahl Z 6) als Folge der starken Polarisierbarkeit von HK („weiches Ion“) erheblich niedriger. In der Reihe der Alkalimetallhydride nehmen die Radien der Hydridionen gemäß steigender Elektronegativitätsdifferenz zwischen Metall und Wasserstoff von LiH nach CsH zu (135K150 pm). Analog begründet sich diese Zunahme in der Reihe der Erdalkalimetallhydride von MgH2 nach BaH2. Festes LiH ist ein ionischer Leiter, und bei der Elektrolyse von geschmolzenem LiH (Smp. 692 (C) wird an der Anode Wasserstoff gebildet, wodurch der hydridische Charakter von Wasserstoff in LiH belegt wird. Mit Wasser treten heftige Reaktionen unter Wasserstoffentwicklung und Bildung von OHK auf, während sich schwere Alkalimetallhydride bereits an feuchter Luft entzünden.

2.9.1.2 Kovalente Metallhydride Hierzu zählen die Hydride der Gruppen 11 und 12 (CuH, AuH, ZnH2, CdH2, HgH2), mit Ausnahme von Silberhydrid, sowie AlH3, GaH3 und BeH2. Da diese kovalenten Metallhydride nur bei tiefen Temperaturen stabil sind (AuH zersetzt sich bei Raumtemperatur), erfolgen ihre Darstellungen durch Hydridolyse. Dazu werden Metallhalogenide (z. B. ZnI2, AuCl3) in organischen Lösungsmitteln mit hydridischem Wasserstoff (hierzu dienen LiH, NaBH4 oder LiAlH4) umgesetzt.

266

2 Festkörperchemie

2.9.1.3 Metallartige Metallhydride Übergangsmetalle der Gruppen 3K6 und 10 sowie Metalle der Lanthanoide und Actinoide bilden mit Wasserstoff binäre Hydride. Die Synthesen erfolgen durch direkte Reaktionen hochreiner Metallpulver mit Wasserstoff bei hohen Temperaturen und häufig unter Druck. Dabei entstehen nichtstöchiometrische Metallhydride mit großer Phasenbreite, deren obere Grenzzusammensetzungen als MH, MH2 oder MH3 realisierbar sind. Die meisten haben metallisches Aussehen und metallische oder halbleitende Leitfähigkeit. Das Strukturprinzip metallartiger Metallhydride beruht auf dichtesten Kugelpackungen von Metallatomen, deren Lücken durch Wasserstoffatome aufgefüllt werden. Daher können die Metallhydride als Einlagerungsverbindungen betrachtet werden. Bei der Einlagerung in eine dichteste Packung aus N Metallatomen können maximal N Oktaederlücken und 2N Tetraederlücken besetzt werden (Abb. 2.53). Beim sukzessiven Einbau von Wasserstoffatomen in eine Metallstruktur entsteht zunächst eine feste Lösung (α-Phase) mit relativ geringem Wasserstoffgehalt MHx (x / 1), in der die Metallstruktur unverändert erhalten bleibt (z. B. α-ScH0.33, α-YH0.176 oder α-Nb0.1). Unter Erhöhung von Temperatur oder H2-Druck findet ein fortschreitender Einbau von Wasserstoffatomen bevorzugt in tetraedrische Lücken statt (β-Phase). Während in einer hexagonal dichtesten Packung nur maximal die Hälfte aller tetraedrischen Lücken sterisch günstig besetzt werden kann (vgl. Tabelle 2.4), ist in einer kubisch dichtesten Packung die Besetzung aller tetraedrischen Lücken möglich. Daher findet man für hexagonal dichtest gepackte Metallstrukturen mit zunehmendem Wasserstoffeinbau einen Übergang in eine kubisch dichtest gepackte Metallstruktur. Durch die Lückenbesetzung in einer kdP können die Grenzzusammensetzungen MH (Oktaederlücken), MH2 (Tetraederlücken) und MH3 (Tetraeder- und Oktaederlücken) realisiert werden: MH: NaCl-Typ (Monohydride und defekte Monohydride, z. B. CeH0.7, NiH1Kx, PdH1Kx) MH2: CaF2-Typ (Grenzzusammensetzung für Metallhydride der Gruppen 3K6) MH3: Li3Bi-Typ (Grenzzusammensetzung der Lanthanoidmetallhydride)

Abb. 2.53 Besetzung von Oktaederlücken und von Tetraederlücken in einer kubisch dichtesten Kugelpackung (Li3Bi-Typ).

2.9 Verbindungen der Metalle

267

Tabelle 2.14 Maximal möglicher Wasserstoffgehalt von strukturell belegten Metallhydriden der Übergangsmetallen und 4f-Elementen. ScH2 TiH, TiH2 VH, VH2 d) c) YH2, YH 3 ZrH 2 NbH, NbH2 c) HfH 2 TaH LaH2, LaH3 4f-Elemente: Dihydride und Trihydrided) (ausgenommen Eu, Yb)e) a) b) c) d) e)

CrHa), CrH2

Kb)

NiH PdH

Elektrolytisch aus CrO3 darstellbar, CrH kristallisiert im anti-NiAs-Typ mit einer hdP von Cr. Mo, W und Metalle der Gruppen 7 und 8 bilden keine thermodynamisch stabilen Hydride. MHz1.5 ^ defekter CaF2-Typ, bei höherem Wasserstoffgehalt MH2 ^ ThH2-Typ. Für die Trihydride gilt LaKNd: Li3Bi-Typ und Y, Sm, GdKTm, Lu: LaF3-Typ. Für Eu und Yb existieren nur die Dihydride EuH2 und YbH2 (PbCl2-Typ).

Durch die variablen Zusammensetzungen gemäß MH1Kx, MH2Kx und MH3Kx sind die strukturellen Verhältnisse einzelner Verbindungen komplizierter, weil sowohl Überstrukturen als auch individuell verzerrte Strukturen beobachtet werden. Um bei Hydrierungen die oberen Grenzzusammensetzungen der Mono-, Di- oder Trihydride zu erreichen (vgl. Tabelle 2.14), müssen in vielen Fällen Druckhydrierungen in Autoklaven durchgeführt werden. Bei Titanhydrid tritt über den gesamten Bereich von TiH bis TiH2 der kubische Fluorit-Typ auf. Dagegen findet man bei Zirconiumhydrid und Hafniumhydrid mit steigendem Wasserstoffgehalt einen Übergang vom defekten Fluorit-Typ MH2Kx in den ThH2-Typ. Dihydride der 4f-Metalle treten wie die Übergangsmetalldihydride im FluoritTyp auf. Auch hier existieren Phasenbreiten entsprechend MH2Kx. Bei Überschreitung der Grenzzusammensetzung MH2 in Richtung Trihydrid werden zusätzlich zu den tetraedrischen Lücken (wie im Fluorit-Typ) noch oktaedrische Lücken (wie im NaCl-Typ) besetzt. Damit kristallisieren die Trihydride der leichten Lanthanoidmetalle (LaKNd) im Li3Bi-Typ. Bei den schwereren Lanthanoidmetallen tritt beginnend mit Samarium eine hexagonale Struktur (LaF3-Typ) auf. Trihydride zählen zu den Verbindungen bei denen Nichtstöchiometrie auftreten kann (MH3Kx). Dihydride der Seltenerdmetalle sind (mit Ausnahme von EuH2 und YbH2) Halbleiter oder Metalle, da ihre Metallatome im dreiwertigen Zustand vorliegen [M3CH2 (eK)]. Trihydride (MH3) sind Isolatoren. Bindungssituation in metallischen Metallhydriden In Einlagerungshydriden sind MetallKMetall-Bindungen dominant, und Wasserstoffatome besetzen die Lücken der dichtesten Packungen aus Metallatomen. Die Beweglichkeiten von Wasserstoffatomen in der Metallmatrix sind mit denen von Molekülen in Flüssigkeiten vergleichbar. In Niob-Metall führt Wasserstoff bei Raumtemperatur 1011 bis 1012 Platzwechsel pro Sekunde aus. In Metallhydriden wird Wasserstoff protonisch (gibt ein Elektron an das Leitungsband des Metalls ab), hydridisch (nimmt ein Elektron aus dem Leitungs-

268

2 Festkörperchemie

Abb. 2.54 Wechselwirkungsdiagramm zur Verdeutlichung der elektronischen Situation eines dreiwertigen (metallischen) Lanthanioddihydrids.

band auf) oder im legierungsartigen System (feste Lösung im Metallgitter) diskutiert. Die Bindungsverhältnisse sind nicht ausreichend verstanden. Da in manchen Verbindungen selbst die Festlegung von Partialladungen (HδC oder Hδ-) nicht möglich ist, erscheint eine Diskussion als kovalentes Modell nahe liegend. Bei der Wechselwirkung eines Wasserstoff 1s-Orbitals mit einem (gefüllten) Orbital des Metallatoms resultiert eine MetallKH-bindende (mit Elektronen gefüllte) und eine MetallKH-antibindende (unbesetzte) Kombination (Abb. 2.54). Die Bildung eines Dihydrids mit einem d3-Lanthanoidmetall, Ln3C(HK)2 (eK), kann als Wechselwirkung zweier 1s-Orbitale mit geeigneten d-Orbitalen des Metalls aufgefasst werden. Bei dieser Wechselwirkung entstehen zwei bindende Kombinationen, die mit vier Elektronen besetzt werden. Ein Elektron pro MH2 besetzt das Leitungsband. Wechselwirkungen zwischen H-Atomen unter Bildung von HdH-Bindungen werden nicht nur für den postulierten (festen) metallischen Wasserstoff, sondern auch bei Metallhydriden in Betracht gezogen. Eine paarweise Kopplung zwischen benachbarten Wasserstoffatomen wird angenommen, wenn der HdH-Abstand im Festkörper 210 pm unterschreitet (Switendick-Kriterium). Derartige Wechselwirkungen werden in festen Lösungen von Metallhydriden mit geringem Wasserstoffgehalt (α-Phasen) diskutiert.

2.9.1.4 Ternäre Metallhydride Die Klassifizierung ternärer Metallhydride lässt sich aus der Systematik binärer Metallhydride entwickeln. Die Kombination zweier Metalle, die salzartige (oder metallartige) Hydride bilden, ergibt wieder ein salzartiges (oder metallartiges) Hydrid. Viele salzartige Hydride der ternären Alkali-Erdalkalihydride AEH3 kristallisieren in perowskitverwandten Strukturen (z. B. KMgH3, LiBaH3, LiEuH3) oder im K2NiF4-Typ (Cs2CaH4). Bei der Kombination eines salzartigen (A) und eines metallartigen Hydridbildners (M) entsteht ein ternäres Metallhydrid AxMyHz, welches als Hydridokomplex oder -metallat aufgefasst werden kann. Komplexe Metallhydride sind (aus Metallgemengen oder Legierungen) oft nur bei hohen Temperaturen und Was-

2.9 Verbindungen der Metalle

269

Tabelle 2.15 Ternäre Metallhydride AxMyHz mit A Z Alkali- oder Erdalkalimetall und M Z Metall der Gruppen 7K10. A3MnH5 Mg2FeH6 Mg2CoH5 (A Z KKCs) K2TcH8 Mg2RuH4 Li3RhH4 A2RuH6 A2RhH5 (A Z Ca, Sr) K2TcH9 (A Z MgKBa, Yb, Eu) A3RhH6 (A Z Li, Na) A8Rh5H23 (A Z Ca, Sr) Mg3RuH6 Na3RuH7 K3ReH6 K2ReH8 K2ReH9 BaReH9

A2OsH6 (A Z MgKBa) A2IrH5 (A Z Ca, Sr) Na3OsH7 A3IrH6 (A Z Li, Na)

Mg2NiH4 CaMgNiH4 LiPdH CaPdH2 A2PdH2 (A Z Li, Na) NaPdH3 A3PdH3 (A Z KKCs) A2PdH4 (A Z NaKCs) A3PdH5 (A Z KKCs) LiPtH Li2PtH2 A2PtH4 (A Z NaKCs) A3PtH5 (A Z KKCs) A2PtH6 (A Z NaKCs)

serstoffdrücken zugänglich (einige hundert (C und bar). Die meisten Verbindungen sind extrem luft- und feuchtigkeitsempfindlich. Bei den Strukturen der ternären Hydridometallate fallen Verwandtschaften zu bekannten Komplexverbindungen auf. Die Strukturen von AAlH4, E(AlH4)2 (E Z Mg, Ca) und A3AlH6 (A Z Li, Na) enthalten tetraedrische [AlH4]K-Einheiten (NaAlH4 kristallisiert im Scheelit-Typ) oder oktaedrische [AlH6]3K-Einheiten (Kryolith-Typ). Noch deutlicher wird diese Beobachtung bei Hydridometallaten vom Typ AxMyHz (A Z Alkali- oder Erdalkalimetall, M Z Übergangsmetall), die in Tabelle 2.15 zusammengestellt sind. Das einzige bisher bekannte Eisenhydrid ist das dunkelgrüne Mg2FeH6, das wie andere Metallhydride dieser Summenformel im K2PtCl6-Typ kristallisiert. Dieser Strukturtyp ist auch für die Hochtemperaturmodifikationen von Verbindungen der Zusammensetzung A2MH4 bekannt, in denen die korrespondierenden Positionen der Wasserstoffatome nur zu 4.6 besetzt sind. Vermutlich handelt es sich hier um eine dynamische Fehlordnung der Wasserstoffatome. In den Tieftemperaturmodifikationen von A2PtH4 resultiert eine geordnete Struktur, die eng mit dem K2PtCl4-Typ verwandt ist und planare [PtH4]2K-Ionen enthält (Abb. 2.55). Außer quadratisch planaren [PtH4]-Gruppen und tetraedrischen [NiH4]-Gruppen [Mg2NiH4 mit Ni (0)] treten lineare [MH2]-Gruppen auf (Na2PdH2). Durch Kombinationen von oktaedrischen und quadratischen Baugruppen (K3PtD5) oder quadratischen und linearen Baugruppen (K3PdD3) in einer Struktur können verschiedenste Strukturen und Zusammensetzungen realisiert werden (Tabelle 2.15). Die wasserstoffreichen Verbindungen K2ReH9 und K2TcH9 enthalten komplexe Anionen, deren Metallatome sich in dreifach überdachten trigonalen Prismen aus Wasserstoffatomen befinden (Abb. 2.56).

270

2 Festkörperchemie

Abb. 2.55 Phasenübergang in Na2PtD4: Tieftemperaturmodifikation mit planaren [PtD4]2K-Einheiten (links) und Hochtemperaturmodifikation mit statistischer Besetzung von nur 4.6 der D-Positionen in den [PtD6]2K-Oktaedern (rechts).

Abb. 2.56 Die Elementarzelle von BaReH9 mit zwei Formeleinheiten und ein einzelnes [ReH9]2K-Ion. Rheniumatome sind schwarz gezeichnet, Bariumatome grau und Wasserstoffatome weiß.

Das 1H-NMR-Spektrum von K2ReH9 zeigt nur ein einziges Signal, was mit der durch Austauschvorgänge bedingten Äquivalenz der Wasserstoffatome erklärt wird. Aus Hydrierungsversuchen an unpolaren intermetallischen Verbindungen wurden zahlreiche Verbindungen bekannt, die als potentielle Hydridspeichermaterialien in Betracht kommen. Spektakulär ist die Einlagerung von Wasserstoff in LaNi5 bei Raumtemperatur bis zur Grenzzusammensetzung LaNi5H6 (vgl. Abschnitt 2.1.7.1).

2.9.1.5 Eigenschaften der Metallhydride LiAlH4 wird als selektives Hydrierungsreagenz eingesetzt. Die Insertion von Wasserstoff in Palladium und Nickel wird im Rahmen der Katalyse genutzt.

2.9 Verbindungen der Metalle

271

Der Vorgang der Bildung und der anschließenden Zerlegung von Metallhydriden dient im Bereich der Synthese zur Erzeugung von Metallpulvern aus Spänen oder kompakten Metallbrocken. Fein verteiltes Metallpulver verhält sich in Festkörperreaktionen extrem reaktiv.8 Bei hoher oder niedriger thermischer Stabilität eines Metallhydrids kommen Anwendungen als Neutronenfänger (Moderator), wie z. B. ZrH2, oder als Wasserstoffspeicher („Energiespeicher“) in Betracht. Wasserstoff kann als effektive und umweltfreundliche Energiequelle fungieren. Viele Metalle oder Legierungen sind zur reversiblen Hydridbildung befähigt und damit zur relativ sicheren Speicherung von Wasserstoff. Solche Metallhydride können bei einer bestimmten Temperatur (unter H2-Druck) gebildet und bei einer höheren Temperatur wieder in die Edukte zerlegt werden. Die Energiebilanz bei der Einlagerung von Wasserstoff (Dissoziation von H2, Einbau des Protons und seines Elektrons) kann dazu führen, dass Energie frei oder verbraucht wird. Exotherme Hydrierungsreaktionen erfolgen mit den Metallen Ti, Zr, V, Nb, Ta, Pd und endotherme Reaktionen mit Mg, Cr, Mo, Fe, Co, Ni, Pt, Cu, Ag und Au. Bei der Hydrierung von Metallen findet bei der Bildung salzartiger Metallhydride (einschließlich EuH2 und YbH2) eine Volumenkontraktion statt, während bei der Bildung metallischer Hydride eine Volumenexpansion erfolgt. In vielen Metallhydriden ist die Anzahl der H-Atome pro Volumeneinheit größer als in flüssigem H2. Als Hydridspeicher kommen Verbindungen in Betracht, die Wasserstoff geregelt und bei mäßigen Temperaturen abgeben. MgH2 verliert bei etwa 280 (C Wasserstoff (Druck bis zu 2 bar). Auch Mg2NiH4 zeigt bei höheren Temperaturen reversible Wasserstoffabspaltung.9 Etwas ungünstiger ist das Gewichtsverhältnis Wasserstoff.Metall in CuTiH0.9, welches reversibel aus γCuTi gebildet wird. Die gegenwärtig interessantesten Hydridspeichersysteme sind die Verbindungen FeTi (H2) und LaNi5 (H6).

2.9.2 Metallboride Zu den Metallboriden gehören Strukturen, in denen isolierte Boratome oder Dimere, Ketten und Netzwerke aus Boratomen mit stabilen BdB-Bindungen vorliegen. Die erstaunliche Vielfalt von Zusammensetzungen der Metallboride reicht von metallreichen Boriden mit Metall-Metall-Bindungen und isolierten BAnionen bis zu borreichen Metallboriden mit kondensierten Borgerüsten ohne Metall-Metall-Bindungen. Ein in vielen Strukturen typisches Koordinationspolyeder ist das trigonale Prisma aus Metallatomen, welches ein einzelnes Boratom einschließt (M6B).

8

9

Wenn Metalle bei Festkörperreaktionen noch Restwasserstoff enthalten, dann entstehen oft unerwartete Produkte, in denen Wasserstoffatome röntgenographisch nicht oder nicht genau lokalisiert werden können, z. B. CaClH, LaBr2H oder YSeH. Mg2NiH4 und FeTiH2 wurden für wasserstoffbetriebene Automobile erprobt.

272

2 Festkörperchemie

2.9.2.1 Synthese von Metallboriden 1. Der häufigste Syntheseweg für Metallboride ist die direkte Reaktion zwischen Metall und Bor bei hinreichend hohen Temperaturen: 900(C

Ca C 6 B $$$$$% CaB6 Besitzt das Metall bei der Reaktionstemperatur einen hohen Dampfdruck (Alkali-, Erdakalimetall, Sm, Eu, Tm, Yb), muss in einem geschlossenen Reaktionsbehälter gearbeitet werden. Bei hochschmelzenden Metallen geht man am besten von einem Pressling der innig vermengten Edukte aus. Reaktionen werden dann durch Aufschmelzen im elektrischen Lichtbogen oder durch Hochfrequenzheizung eingeleitet, wobei Reaktionen mit dem Reaktionsbehälter auftreten können. 2. Reduktion von Oxiden. a) Metallothermisch, durch Al, Mg oder andere Metalle: 3 CaO C 9 B2O3 C 20 Al $% 3 CaB6 C 10 Al2O3 b) Borothermisch, oberhalb 1 500 (C unter Vakuum (B2O2 verdampft bei diesen Bedingungen vollständig): 2 Cr2O3 C 10 B $% 4 CrB C 3 B2O2 c) Carbothermisch, durch Kohlenstoff und.oder Borcarbid, im Vakuum oberhalb 1 500 (C. Dabei besteht die Gefahr der Kohlenstoffkontamination (MB6KxCx): 2 TiO2 C B4C C 3 C $% 2 TiB2 C 4 CO V2O5 C B2O3 C 8 C $% 2 VB C 8 CO 3. Elektrolytische Reduktion von Borat.Metalloxid-Gemischen oder Metallboraten in geeigneten Salzschmelzen (Alkali- oder Erdalkalimetallhalogenid). Die Reduktion findet an der Anode statt. Metallborid bildet sich an der Kathode.

2.9.2.2 Strukturen der Metallboride Die Kristallstrukturen von Metallboriden können anhand ihrer Bor-Teilstrukturen klassifiziert werden. In den metallreichsten Verbindungen, den Einlagerungsboriden (Verhältnis Metall : Bor O 8 : 1), besetzen isolierte Boratome die oktaedrischen Lücken intermetallischer Wirtsstrukturen. Es resultieren stöchiometrische Verbindungen oder feste Lösungen. Die trigonal-prismatische [M6B]-Koordination ist für Strukturen mit dem Verhältnis Metall zu Bor im Bereich 8 : 1 O Metall : Bor O 1 : 4 typisch. Die fünf häufigsten Formeltypen von Übergangsmetallboriden sind in Tabelle 2.16 hervorgehoben (M2B, MB, MB2, MB4 und MB6). Isolierte Boratome befinden sich in Strukturen der metallreichen Verbindungen wie Fe2B (antiCuAl2-Typ) oder Ni3B (Fe3C-Typ). In Strukturen M3B2 und Cr5B3 treten dimere B2-Einheiten mit BdB-Abständen von rund 180 pm auf. Mit steigendem Borgehalt von Metallboriden entstehen zwischen Boratomen weitere Bindungen, wobei

2.9 Verbindungen der Metalle

273

Abb. 2.57 Bor-Strukturelemente in Boriden (BdB-Abstände: 170K180 pm) des Typs MB, M3B4 und MB2 mit und ohne Metallatomen (unten und oben). In den Strukturen der Metallboride ist die Projektion jeweils eines trigonalen borzentrierten [M6B]-Prismas auf die pseudo-dreizählige Achse hervorgehoben. Tabelle 2.16 Einordnung wichtiger Metallboride nach steigendem Borgehalt und zunehmender Vernetzung der Bor-Teilstruktur. Formeltyp

Beispiele für M

Bor-Teilstruktur

M3B M2B M3B2 (Cr5B3) MB

isolierte B-Atome isolierte B-Atome isolierte Paare, B2 Zickzackketten

MB4

Re, Co, Ni, Pd Ta, Mo, W, Mn, Fe, Co, Ni, Pd V, Nb, Ta Ti, Hf, V, Nb, Ta, Cr, Mo, W, Mn, Fe, Co, Ni Ti, V, Nb, Ta, Cr, Mn Mg, Al, Sc, Y, Ti, Zr, Hf, V, Nb, Ta, Cr, Mo, W, Mn, (Re, Tc, Ru) Cr, Y, Mo, W, La, U, Th

MB6 MB12 MB66

Ca, Sr, Ba, Y, La, U, Th Y, Zr, U, Th Y, Th

M3B4 MB2

Bänder planare (oder gewellte) hexagonale Netze B2-verbrückte B6-Oktaeder oder verbrückte B4-Netze verbrückte B6-Oktaeder verbrückte B12-Kuboktaeder verbrückte B12-Ikosaeder

für die Boratome Zickzackketten (CrB), Bänder (Ta3B4) oder graphitähnliche Schichten (AlB2) resultieren (Abb. 2.57). Metallboride, die reicher an Bor sind (Metall : Bor ! 1 : 4), bilden Strukturen mit verbrückten Borpolyedern. Diese Borpolyeder können oktaedrisch (CaB6), kuboktaedrisch (YB12) oder ikosaedrisch (YB66) aufgebaut sein.

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2 Festkörperchemie

Abb. 2.58 Perspektivische Projektion der Kristallstruktur und Bandstruktur von MgB2 (Raumgruppe P6.mmm). Die Elementarzelle enthält eine Formeleinheit MgB2. Bandstruktur entlang der speziellen Punkte Γ Z (0, 0, 0), M Z (0, 1.2, 0) A Z (0, 0, 1.2), L Z (0, 1.2, 1.2) und K Z (K1.3, 2.3, 0) der hexagonalen Brillouin-Zone. Das Fermi-Niveau ist als EF eingezeichnet.

Binäre und ternäre Boride kristallisieren in mehr als 80 Strukturtypen. Strukturen von borreichen Verbindungen können anhand der Verbrückungsmuster ihrer Boratome diskutiert werden. In Monoboriden bilden die Boratome unendliche Zickzackketten und in Diboriden zweidimensionale planare oder gewellte BorNetze. Bor-Zickzackketten in den Boriden MB entsprechen den Si2K-Ketten der Zintl-Phase CaSi. Die meisten Boride der Zusammensetzung MB2 kristallisieren im AlB2-Typ (Abb. 2.58). Der prominenteste Vertreter dieses Strukturtyps ist MgB2. Für die seit langem bekannte Verbindung MgB2 wurde im Jahre 2001 Supraleitfähigkeit (Tc Z 39 K) nachgewiesen. In der Kristallstruktur bilden die Boratome hexagonale Netze, die topologisch denen in der Struktur von Graphit entsprechen. Allerdings sind diese Netze primitiv gestapelt. Die Struktur kann als vollständig interkalierte, primitive Graphitstruktur angesehen werden, in der alle hexagonalprismatischen Hohlräume mit Metallatomen besetzt sind. Die Energiebänder, die in Abb. 2.58 fast vollständig unterhalb des Fermi-Niveaus verlaufen, entsprechen den bindenden sp2-(σ)Orbitalen in den BoridSchichten. Elektronen in den flach verlaufenden Energiebändern zwischen den speziellen Punkten Г und A haben keine hohen Mobilitäten und dienen als Ladungsreservoirs. Die über das Fermi-Niveau hinaus steil ansteigenden Energiebänder werden durch die senkrecht zu den Schichten stehenden pz-(π)Orbitale repräsentiert und sind für die hohen Beweglichkeiten der Ladungsträger verantwortlich. Von den Tetraboriden MB4 sind CrB4 und UB4 Vertreter zweier verschiedener Strukturtypen. In der Struktur von CrB4 bilden die Boratome vierfach verbrückte rechteckige B4-Netze. In der Struktur von UB4 (alle Lanthanoide, außer Eu und einige Actinoide) bilden die Boratome ein Netzwerk aus B2-Atomen und oktaedrischen B6-Clustern. Parallel zur tetragonalen Achse sind B6-Oktaeder über Bindungen zwischen ihren Spitzen zu Strängen verknüpft, während sie in der Ebene

2.9 Verbindungen der Metalle

275

Abb. 2.59 Strukturen von CrB4 (links) und UB4 (rechts). Die BdB-Abstände in den B4Rechtecken von CrB4 betragen 166K169 pm und die Abstände zwischen Rechtecken 191 pm.

senkrecht hierzu über B2-Einheiten verbunden sind. Eine B2-Einheit verknüpft in der ab-Ebene vier B6-Cluster (Abb. 2.59). Strukturen der Boride MB6 bestehen aus B6-Oktaedern und Metallatomen, die analog zu Atomen der CsCl-Struktur angeordnet sind (B6-Oktaeder ersetzen ClAtome). Durch BdB-Verbrückungen benachbarter B6-Oktaeder über alle sechs Ecken entsteht ein dreidimensionales B6-Netzwerk (Abb. 2.60). Die elektronische Situation der B6-Cluster kann von vergleichbaren Boranen abgeleitet werden. Für einen deltaedrischen closo-Cluster vom Typ [B6H6] sind 4n C 2 Z 26 Valenzelektronen erforderlich (vgl. Tabelle 2.13). Da [B6H6] aber nur 24 Valenzelektronen besitzt, werden zwei weitere Elektronen benötigt, um, gemäß B6H 62K, alle bindenden Energiezustände mit Elektronen zu füllen. Da für die verbrückten B6-Cluster in MB6 die gleiche elektronische Situation zutrifft, sind Verbindungen des Typs M2CB6 Halbleiter und M3CB6 oder M4CB6 metallische Leiter. Für M3C (Seltenerdmetall) befindet sich ein formal überzähliges Elektron pro Metallatom im Leitungsband (M3C(B6)2K (eK)), und man findet elektrische Leitfähigkeiten (σ Z 104K105 S.cm bei RT), die die der reinen Metalle übertreffen können.

Abb. 2.60 Struktur von CaB6 (links) und UB12 (rechts) mit B6-Oktaedern und B12-Kuboktaedern. Die Metallatome sind in MB12 von sechs quadratischen Flächen der B12-Kuboktaeder umgeben und besitzen die Koordinationszahl 24.

276

2 Festkörperchemie

Die Struktur des Borids MB12 zeichnet sich durch große, elektropositive Metallatome und Bor-Kuboktaeder aus. Metallatome und B12-Kuboktaeder bilden eine Packung analog zu den Atomen in der NaCl-Struktur (B12-Kuboktaeder ersetzen Cl-Atome). Darin sind die Kuboktaeder über BdB-Bindungen miteinander zu einem dreidimensionalen Netzwerk verbrückt, und jedes M-Atom befindet sich in einer 24-fachen Koordination (vgl. Abb. 2.60). Derart verbrückte Kuboktaeder benötigen 26 Elektronen für interne Bindungen und 12 Elektronen für externe Bindungen. Da 12 B-Atome aber nur 36 Elektronen besitzen, muss jedes Metallatom in MB12 zwei Elektronen liefern. Entsprechend sind die Dodekaboride dieses Typs mit dreiwertigen Kationen (YB12) elektrische Leiter mit einem Elektron pro Metallatom im Leitungsband. Im Metallborid MB66 umgeben 12 B12-Ikosaeder ein zentrales B12-Ikosaeder, die über BdB-Bindungen zu einem B12 (B12)12-Superikosaeder aus 156 Boratomen verbunden sind.

2.9.2.3 Bor-Bor-Bindungen in Metallboriden Bisher ist noch fraglich, ob Bor in einem Metallborid zur Erlangung seines Elektronenoktetts die Oxidationszahl K5 annehmen kann. Typisch ist die Ausbildung kovalenter BdB-Bindungen. Die topologische Zuordnung von dimeren Einheiten, Ketten, Bändern, Netzen (Abb. 2.57) und Netzwerken folgt aus den BdBAbständen. Zwischen den Boratomen liegen Einfachbindungen vor. Typische BdB-Einfachbindungslängen liegen bei 170K174 pm. Obwohl in manchen Festkörperstrukturen auch kürzere BdB-Bindungen auftreten, sind BdB-Doppelbindungen in Metallboriden nicht belegt. Auf der Basis von Einfachbindungen könnten Bor-Teilstrukturen formal als B 28K-Ionen isolierter Dimere (M3B2), B3K-Ionen in Zickzackketten (MB) oder BK-Ionen graphitähnlicher Schichten (MB2) geschrieben werden. Diese einfache Beschreibung von polyanionischen Bor-Teilstrukturen steht mit der Beschreibung der analog aufgebauten Zintl-Ionen im Einklang (Tabelle 2.12). Die Bindungsverhältnisse in den hexagonalen Schichten aus Boratomen der Diboride (z. B. MgB2 oder AlB2) sind demnach gut mit denen der Kohlenstoffatome der Graphitstruktur, bzw. mit einer vollständig interkalierten Graphitstruktur vergleichbar. Für viele Verbindungen stellt diese Betrachtung jedoch eine zu grobe Vereinfachung dar, auch weil zusätzliche Bindungen der Art MdB und MdM mit kovalenten Anteilen zu berücksichtigen sind.

2.9.2.4 Eigenschaften von Metallboriden Zu den Eigenschaften der Übergangsmetallboride zählen hohe thermische und mechanische Stabilitäten sowie hohe elektrische und thermische Leitfähigkeiten. Allgemein besitzen metallreiche Metallboride ähnliche Schmelzpunkte wie ihre Metalle, während borreiche Metallboride höhere Schmelzpunkte aufweisen. Die meisten Übergangsmetallboride sind metallische Leiter (σ z 105 S.cm bei RT für TiB2, ZrB2), einige wenige Supraleiter (MgB2, NbB, YB6, ZrB12). Boride der

2.9 Verbindungen der Metalle

277

elektropositiven Metalle (Alkali-, Erdalkalimetall) sind überwiegend Halbleiter. Hexaboride der Lanthanoide gehören zu den besten Elektronenemittern (LaB6 wird als Hochleistungselektrode in Elektronenmikroskopen eingesetzt). Das ternäre Borid Nd2Fe14B zählt aufgrund seiner hartmagnetischen Eigenschaften zu den wichtigsten Dauermagnetwerkstoffen. Zwar sind Metallboride chemisch resistent gegen den Angriff von Säuren und Basen, neigen aber bei hohen Temperaturen zu Reaktionen mit anderen Metallen, was sie zum Einsatz als Schneidwerkstoff für Stahl gegenüber anderen Materialien benachteiligt. Eines der anwendungstechnisch bedeutendsten Boride ist das hartmetallische TiB2. Es besitzt unter allen bekannten Boriden die größte Härte und ist eine elektrisch leitende Verbindung, die bei etwa 3 225 (C schmilzt.10 Keramiken aus Übergangsmetallboriden wie TiB2 werden zur Herstellung von Formteilen (Elektroden, Verschleißteile im Motorenbau) eingesetzt. Hartstoffe aus ternären Boriden lassen sich wie Hartmetalle sintern und besitzen ein großes Potential als Werkstoff. Aus Sinterwerkstoffen auf Basis von Mo2FeB2 werden Dichtungen, Ventilsätze, Ziehringe und Verschleißteile für Spritzgießmaschinen gefertigt. Metallreiche Boride werden als verschleißfeste Schichten durch Plasmaspritzen auf Stahlteile aufgebracht.

2.9.3 Metallcarbide Metallcarbide sind Verbindungen von Metallen mit Kohlenstoff, in denen Kohlenstoffatome als Cn-Einheiten mit n Z 1, 2, 3 vorliegen. Eine Unterteilung binärer Metallcarbide kann wie folgt vorgenommen werden: 1. Salzartige Metallcarbide der Alkali- und Erdalkalimetalle sowie des Aluminiums mit Cn-Einheiten (n Z 1K3). Sie sind meist farblose (Be2C ist rot, Al4C3 ist gelb) kristalline Stoffe und elektrische Isolatoren. 2. Metallcarbide der Übergangsmetalle mit isolierten Kohlenstoffatomen. Hierzu zählen die so genannten Einlagerungscarbide (interstitielle Metallcarbide), in denen Kohlenstoffatome oktaedrische Lücken dichtester Packungen von Metallatomen bis zur Grenzzusammensetzung „MC“ besetzen. 3. Metallcarbide der Seltenerdmetalle und der Actinoide mit Cn-Einheiten (n Z 1K3) zeigen sowohl Ähnlichkeiten zu salzartigen Metallcarbiden als auch zu den kovalenten oder interstitiellen Carbiden der Übergangsmetalle. Zusätzlich sind im System Metall-Kohlenstoff Intercalationsverbindungen des Graphits und der Fullerene mit schweren Alkalimetallen (z. B. AxC60 mit x Z 1K6) und Erdalkalimetallen bekannt.

2.9.3.1 Synthese von Metallcarbiden 1. Direkte Reaktion von Metall und Kohlenstoff (Carborierung) bei hohen Temperaturen: 10

Für TiB2 wie auch für andere hoch schmelzende Materialien werden in der Literatur stark voneinander abweichende Schmelzpunkte angegeben.

278

2 Festkörperchemie

Aufschmelzen des Gemenges (Pulver) bei 1 000K2 000 (C: 1 000 (C

Ca C 2 C $##% CaC2 Haben die reinen Metalle Schmelzpunkte oberhalb von 2 000 (C, so wird das Gemenge (Pressling) im elektrischen Lichtbogen unter Argon-Atmosphäre geschmolzen. 2. Reduktion von Metalloxid mit Kohlenstoff (häufig in Gegenwart von Wasserstoff): O2 000 (C

TiO2 C 3 C $##% TiC C 2 CO 3. Reaktion von Kohlenwasserstoffen mit elektropositiven Metallen als Feststoff-Gas-Reaktion: n-Pentan, 700 (C

Mg $#####% Mg2C3 oder in flüssigem Ammoniak, insbesondere zur Darstellung der thermisch instabilen (explosiven) Acetylide CuC2, AgC2 und AuC2 oder von hydrolyseempfindlichen Carbiden: NH3, K80 (C

4 K C 3C2H2 ####% 2 K2C2 C C2H4 C H2 Je nach Reaktionsführung kann bei dieser Reaktion K2C2 oder KHC2 anfallen. K70 (C

2 CuI C KHC2 C NH3 $##% Cu2C2 C KI C NH4I

2.9.3.2 Salzartige Metallcarbide Die Metalle der Gruppen 1 bis 3 zählen zu den salzartigen Metallcarbiden. Von diesen bilden lediglich Be2C und Al4C3 Carbide mit isolierten C4K-Ionen, die in Anlehnung an das Hauptprodukt ihrer Hydrolyse Methanide genannt werden. Die Alkalimetalle (LidCs) bilden Metallcarbide der Zusammensetzung M2C2 mit C 22K-Ionen (Acetylide). Erdalkalimetallacetylide MC2 sind für die Metalle Magnesium, Calcium, Strontium und Barium belegt. Als einziges Erdalkalimetall bildet Magnesium zusätzlich ein Carbid mit der Zusammensetzung Mg2C3 mit einem linearen C 34K-Ion (Abb. 2.61). Auch die Verbindung Ca3Cl2C3 enthält ein C 34K-Ion. Die roten Kristalle wurden früher fälschlich für „Calciummonochlorid“ gehalten, welches im festen Zustand unbekannt ist. Zur Synthese von Ca3Cl2C3 werden Calcium-Metall, Graphit und CaCl2 bei 900 (C zur Reaktion gebracht (Abschnitt 2.1.3). Die verwandte Verbindung Ca3Cl2 (CBN) enthält ein linear gebautes [CBN]4K-Ion. Bei der stark exothermen Hydrolyse von Mg2C3 entstehen Propadien (Allen) und Propin (Allylen), deren Bildungsverhältnis von der Reaktionstemperatur abhängig ist (bei Temperaturerniedrigung nimmt die Allenbildung zu): Mg2C3 C 4 H2O $% 2 Mg (OH)2 C C3H4 Die Struktur von Li4C3 ist unbekannt. Jedoch belegen Reaktionen in organischen Lösungsmitteln und Massenspektren des Hydrolyseproduktes das Vorliegen

2.9 Verbindungen der Metalle

279

Abb. 2.61 Strukturen von MgC2 (links) und Mg2C3 (rechts). Die Umgebung von einem 4K C 3 -Ion mit Mg2C-Ionen ist gezeigt.

von C 34K-Ionen. In Analogie zum linearen [ C C C ]4K-Ion sind noch andere lineare dreiatomige Anionen [X]Y]Z] mit 16 Valenzelektronen bekannt (Tabelle 2.17). Tabelle 2.17 Dreiatomige lineare Anionen mit 16 Valenzelektronen. X]Y]Z-Ion

Name

ideale Symmetriea)

Atomabstand XdY (YdZ) in pm

Beispiel

[C]C]C]4K [N]C]N]2K [C]B]C]5K [N]B]N]3K [C]B]N]4K

Allenid Dinitridocarbonatb) Dicarbidoborat Dinitridoborat Carbidonitridoborat

DNh DNh DNh DNh CNv

133 122 148 134 144 (138)

Mg2C3 CaCN2 Sc2BC2 Li3BN2 Ca3Cl2CBN

a) b)

Häufig sind die Ionen in ihren Verbindungen nicht exakt linear. Oder Carbodiimid.

Die Strukturen salzartiger Metallcarbide Zur Realisierung der Strukturen von Methaniden könnten je nach Ionengröße kubisch dichteste Packungen aus Kohlenstoff- oder Metallatomen dienen. Da der Radius von C4K nach Pauling 260 pm beträgt, kommt eine dichteste Packung von Kohlenstoffatomen in Betracht. Allerdings vermindern kovalente Bindungsanteile den Anionenradius beträchtlich (vgl. Abschnitt 2.9.3.3). Die Anwendung der Radienquotientenregel ist daher problematisch. In der Struktur von Be2C besetzen die Be2C-Ionen tetraedrische Lücken einer dichtesten Packung aus C4K-Ionen. Die ziegelroten Kristalle von Be2C kristallisieren im anti-Fluorit-Typ. Die gelben Kristalle von Al4C3 kristallisieren in einer eigenen Struktur und enthalten ebenfalls isolierte C4K-Ionen.

280

2 Festkörperchemie

Alle Erdalkalimetallacetylide lassen sich als Defektstrukturen des NaCl-Typs beschreiben, in denen individuelle Ausrichtungen der C2-Einheiten unterschiedliche Strukturen erzeugen. Von Calciumcarbid sind vier Modifikationen (IKIV) bekannt. Von SrC2 und BaC2 kennt man bisher nur die Modifikationen I, II und IV. In der tetragonalen Form I (Raumgruppe I4.mmm) sind die CdC-Kernverbindungsachsen parallel zur vierzähligen Achse ausgerichtet (Abb. 2.63). In der Struktur der monoklinen Modifikation II (α-ThC2-Typ) sind die CdC-Achsen, ähnlich wie in der Struktur von MgC2, alternierend angeordnet (Abb. 2.61). Die Struktur der kubischen Hochtemperaturform IV enthält orientierungsfehlgeordnete bzw. rotierende C2-Einheiten. Die monokline Form III wurde bisher nur bei CaC2 beobachtet. Sie entsteht durch langsames Erhitzen der Phase II auf O150 (C. Die Strukturen der Phasen II und III sind eng miteinander verwandt. Anstatt einer einzigen Sorte von C-Atomen enthält die Struktur von CaC2-III zwei kristallographisch unterschiedliche C2-Einheiten und zeigt deshalb zwei Resonanzlinien im 13C-Festkörper-NMR-Spektrum. Die Rückreaktion der Phase III in die Phase II wird durch Zerreiben des Kristallpulvers bewirkt: O 150 (C

O 460 (C

Zerreiben

! 460 (C

CaC2-II &)))* CaC2-III &)))* CaC2-IV monoklin (C 2.c)

monoklin (C 2.m)

kubisch (Fm3¯ m)

Bei Raumtemperatur können bis zu drei CaC2-Phasen (I, II, III) nebeneinander existieren.11 Tetragonales CaC2 (I) verhält sich ähnlich wie die unter Normalbedingungen stabilen Modifikationen I von SrC2 und BaC2. Bei hohen Temperaturen finden Phasenübergänge erster Ordnung in die kubischen Hochtemperaturformen (IV) statt. Aber Umwandlungen in die Tieftemperaturmodifikationen (II) vollziehen sich nur langsam und unvollständig: SrC2-II monoklin (C 2.c)

! K30 (C

+))), O K30 (C

SrC2-I

O 370 (C

&)))* ! K370 (C

tetragonal (I4.mmm)

SrC2-IV kubisch (Fm3¯ m)

2.9.3.3 Metallcarbide der Übergangsmetalle Einige Carbide der Übergangsmetalle werden, analog zu Metallhydriden, -boriden und -nitriden, als Einlagerungsverbindungen klassifiziert. Im Gegensatz zu den salzartigen Metallcarbiden enthalten diese eher kovalenten Metallcarbide isolierte Kohlenstoffatome, haben metallische Eigenschaften und sind hydrolysebeständig. Für die Kohlenstoffatome resultiert in diesen Verbindungen ein Radius von nur etwa 77 pm. Im Vergleich hierzu würden die Ionenradien von C4K 260 pm und von C4C 15 pm betragen. Erfahrungsgemäß muss der Radius der Metallatome über 130 pm liegen, um eine dichte Kugelpackung zu bilden (kdP, 11

Die Stabilisierung von tetragonalem CaC2-I könnte durch Defekte begünstigt werden. Das Verhältnis der koexistierenden Phasen I und II kann durch unterschiedliche Einwaagen Ca zu C zu Gunsten hoher Anteile von I oder II gesteuert werden.

2.9 Verbindungen der Metalle

281

hdP oder hexagonal primitiv), in der die Kohlenstoffatome oktaedrische oder trigonal-prismatische Lücken besetzen können. Beispiele für die Besetzung oktaedrischer Lücken mit Strukturen vom NaClTyp sind Verbindungen von Metallen der Gruppe 4K6, wie TiC, ZrC, HfC, VC, NbC, TaC und CrC, die auch als nicht stöchiometrische Phasen (MC1Kx) oder als geordnete Defektvarianten dieses Typs, wie Ti2C, Zr2C, V6C5, Nb6C5, V8C7 auftreten können. In den hexagonal dichtesten Packungen der Strukturen von W2C, Mo2C und Ta2C ist gemäß Aγ½ Bγ½ ... nur die Hälfte der oktaedrischen Lücken mit Kohlenstoffatomen besetzt. In hexagonal primitiv gepackten Metallstrukturen sind trigonal-prismatische Lücken durch Kohlenstoff besetzt. Ein wichtiges Beispiel ist das superharte Carbid WC (Abb. 2.62).

Abb. 2.62 Kristallstruktur der WC-Typs. Darin bilden Kationen und Anionen hexagonal primitive Untergitter.

Die Strukturen anderer Übergangsmetallcarbide sind oft komplex und nicht mit denen der Einlagerungscarbide zu vergleichen. Strukturen metallreicher Carbide zeigen manchmal Analogien zu entsprechenden Boriden, in denen die Nichtmetallatome trigonal-prismatische Hohlräume besetzen. Beispiele hierfür sind Fe3C und Cr3C2.

2.9.3.4 Metallcarbide der Seltenerdmetalle und einiger 5f-Elemente Metallreiche Carbide (oder Subcarbide) der Seltenerdmetalle haben die Formeln M3C, M2C und MC. Die Carbide M3C (M Z Y, GdKLu) kristallisieren in Defektstrukturen des NaCl-Typs mit statistischer Verteilung der C-Atome auf einem Drittel der Oktaederlücken. In geordneten Strukturen der Zusammensetzung MC (M Z Sc, Th, U, Pu) sind die Oktaederlücken vollständig besetzt. Die Carbide M2C (M Z Y, Tb, Ho) kristallisieren wie Ba2N im anti-CdCl2-Typ. Analog zu den Dicarbiden der Erdalkalimetalle bilden alle Lanthanoidmetalle sowie Y, Th, U und Pu Metallcarbide des Formeltyps MC2 mit C2-Anionen. Die Dicarbide der Lanthanoide (sowie YC2) kristallisieren alle im tetragonalen CaC2I-Typ. Zwei weitere häufige Formeltypen sind M2C3 mit M Z Y, LaKHo (außer Eu, Pm), U und M4C5 mit M Z Y, Gd, Tb, Dy, Ho. Die meisten Sesquicarbide M2C3 kristallisieren im Pu2C3-Typ und enthalten gemäß der Schreibweise M4 (C2)3 ebenfalls C2-Ionen, die aber für die unterschiedlichen Verbindungen stark voneinander abweichende CdC-Abstände aufweisen (124K154 pm). Im Un-

282

2 Festkörperchemie

terschied hierzu enthalten die Carbide M4C5 gemäß der Schreibweise M4 (C2)2C sowohl C4K- als auch C 24K-Ionen. Eine Besonderheit sind die Strukturen mit der Zusammensetzung M3C4, weil sie C-, C2- und C3-Anionen enthalten (M Z Sc, Ho, Er, Tm, Yb, Lu). Der Inhalt einer Elementarzelle besteht aus 10 Formeleinheiten M3C4. So lässt sich Sc30C40 formal als (Sc3C)30 (C4K)12(C 22K)2(C 34K)8 (eK)6 schreiben. Die C2-Einheit ist wie in der Struktur von CaC2 oktaedrisch von Metallatomen umgeben. Die mittels Röntgenstrukturanalyse bestimmte CdC-Bindungslänge der C2-Einheit liegt jedoch mit 125 pm zwischen den erwarteten Werten für eine Doppelbindung (133 pm für C 34K) und für eine Dreifachbindung (120 pm in Acetylen). Die verbleibenden sechs Elektronen pro Sc30C40 besetzen Leitungsbänder und sind für die metallische Leitfähigkeit von Sc3C4 verantwortlich. Wie bei UC2 werden die Leitungsbänder von MdC-bindenden, MdM-bindenden und von CdC-antibindenden Mischungen aus πg*-Orbitalen der C2-Einheit und d-Orbitalen geprägt (Abb. 2.65). Anhand des CdC-Abstandes wird auch hier die Bindungsordnung der C2-Einheit von drei (C 22K) in Richtung zwei (C 24K) herabgesetzt.

2.9.3.5 Ternäre Metallcarbide Die ternären Metallcarbide des Formeltyps AM3C (A Z Ca, Mg, Al, Ga, Pb, Sn; M Z Ti, Mn, Fe, Co, Ni, Cr, Pd) kristallisieren im anti-Perowskit-Typ, wobei die C-Atome oktaedrische Lücken besetzen. Bei den ternären Alkalimetall-Verbindungen A2MC2 (M Z Pd, Pt) und AMC2 (M Z Cu, Ag, Au) gilt für die M-Atome die d10-Konfiguration. Gemäß einer salzartigen Beschreibung können diese Verbindungen als (AC)2M0 (C 22K) und ACMC(C 22K) betrachtet werden. In den Strukturen bilden die M-Atome mit den C 22K-Ionen lineare Anordnungen gemäß N1 [MdC^Cd]. Die d-Energieniveaus der M-Atome und MC-Ionen liegen im Energiebereich unterhalb des πg*Niveaus der Dicarbid-Ionen. Dieser Befund liefert interessante Aufschlüsse darüber, warum Dicarbide der d-Elemente metastabil sind. Die ternären Verbindungen SE2Fe (C2)2 und UCoC2 enthalten Dicarbid-Ionen, die anhand ihrer CdC-Abstände als C 24K- und C 26K-Ionen eingeordnet werden können. Die Kristallstruktur von UCoC2 kann durch Insertion von Kobaltatomen in die CaC2-Struktur abgeleitet werden und liefert zugleich den Übergang zur ThCr2Si2-Struktur (Abb. 2.63). Die CdC-Abstände in den Strukturen CaC2-I (119 pm), Er2Fe (C2)2 (133 pm) und UCoC2 (148 pm) beschreiben drei verschiedene Bindungssituationen von C2-Ionen, die in der Nähe der erwarteten Werte für Dreifach- (120 pm), Doppel- (133 pm) und Einfachbindungen (154 pm) liegen. Die mit den Carbiden verwandte ThCr2Si2-Struktur ist durch mehr als 600 Vertreter belegt. Beispiele sind die Verbindungen des Formeltyps SEM2X2 mit SE Z Seltenerdmetall, M Z d-Metall und X Z Si, Ge, Pb, P, As, Sb. Hierzu lassen sich auch supraleitende Verbindungen SENi2 (B2C) (fast alle SE) zählen, die anstatt von Si2-Einheiten, wie in der ThCr2Si2-Struktur, linear gebaute [BCB]-Einheiten enthalten. Analog zu UCoC2 kristallisieren Verbindungen mit [BN]-Einheiten wie z. B. CaNi (BN), SENi (BN) (SE Z La, Ce, Pr) und mit [BC]-Einheiten, wie z. B. LuNi (BC).

2.9 Verbindungen der Metalle

283

Abb. 2.63 Kristallstrukturen von CaC2-I (links), UCoC2 (mitte) und ThCr2Si2 (rechts).

Die Bindungssituation in Carbiden mit C2-Anionen In binären und ternären Metallcarbiden mit C2-Anionen variiert die CdC-Bindungslänge über einen weiten Bereich, z. B. 119 pm in CaC2, 128K129 pm in Lanthanoiddicarbiden, 134 pm in UC2. Eine Erklärung hierfür liefert das MOSchema einer C2-Einheit (Abb. 2.64, links). Werden nur die Valenzorbitale betrachtet, dann erhält man für das C 22K-Ion (10 Valenzelektronen) die Konfiguration (2σg)2 (2σu)2 (πu)4 (3σg)2. Das Mischen von zwei 2s- und zwei 2pz-Orbitalen ergibt vier Orbitale vom σ-Typ: eine stark bindende Kombination (2σg), zwei nahezu nichtbindende Kombinationen (2σu und 3σg, oder lone pairs) und eine antibindende Kombination (3σu). Durch das Mischen von je zwei 2px- und zwei 2py-Orbitalen entstehen zweifach entartete bindende (πu) und zweifach entartete antibindende (πg*) Kombinationen. Im Falle des C 22K-Ions ist das 3σg-Orbital das höchste besetzte Molekülorbital (HOMO). Erst die Besetzung der antibindenden πg*-Orbitale wird kritisch. Die Besetzung dieser antibindenden πg*-Orbitale führt zur Vergrößerung des CdC-Abstandes, wobei die Bindungsordnung von drei für C 22K auf zwei für C 24K herabgesetzt wird. Mit steigender Elektronenzahl lassen sich daher C 24K und C 26K formulieren, die mit O2 und F2 isoelektronisch sind. In Metallcarbiden mischen Orbitale der Metallatome mit geeigneten Orbitalen der C2-Einheiten. Die Zustandsdichten für die isotypen Verbindungen CaC2 und UC2 sind in Abb. 2.64 dargestellt. Das mit dem MO-Schema einer C2-Einheit verwandte Muster der Zustandsdichten bleibt erkennbar. Dies trifft insbesondere für die Zustandsdichte von CaC2 zu, da die CadC2-Wechselwirkungen überwiegend ionischen Charakter haben und die Orbitale des Calciums nur wenig mit C2Orbitalen mischen. Andere Metalle wie z. B. Uran können kovalente MetalldC2Bindungen eingehen. Der Energieblock von UC2 am Fermi-Niveau ist MetalldC2-bindenden Kombinationen zuzuordnen, von denen eine in Abb. 2.65 gezeigt ist. Durch die Halbbesetzung dieses Energieblocks (mit zwei Elektronen pro Formeleinheit UC2) werden gleichzeitig d-Orbitale und πg*-Orbitale besetzt. Eine Halbbesetzung der πg*-Orbitale (C 24K) entspräche der salzartigen Formel U(4C)C2(4K). Der CdC-

284

2 Festkörperchemie

2K

Abb. 2.64 Ausschnitt aus dem MO-Schema (links) von C 2 (Bindungslänge 119 pm) und berechnete Zustandsdichten für CaC2 und UC2. Das MO-Aufspaltungsmuster der C2-Einheit ist in der projizierten Zustandsdichte von CaC2 gut zu erkennen (die mit 3σg korrespondierende Zustandsdichte ist durch bindende CaKC-Wechselwirkungen geringfügig abgesenkt). Die Verbreiterung der Zustände für UC2 resultiert aus kovalenten Wechselwirkungen zwischen Metall und C2-Anion. Besetzte Energiezustände sind grau gezeichnet. 2K Die Lage des Fermi-Niveaus entspricht für CaC2 einem C 2 -Ion. Für UC2 sind die πg*4K analogen Zustände etwa zur Hälfte besetzt, was einem C 2 -Ion entspräche.

Abb. 2.65 Lokalisiertes Bild einer MetalldC2-bindenden Kombination der UC2-Struktur, aus einem der zwei CdC-antibindenden πg*-Orbitale und d-Orbitalen der Metallatome. Es liegt eine Kombination aus MdM- und MdC-bindenden und CdC-antibindenden Orbitalen vor.

Abstand (134 pm) stimmt mit dem für eine CdC-Doppelbindung zu erwartenden Wert überein. Diese salzartige oder lokalisierte Beschreibung hat wegen der Delokalisierung der Leitungselektronen (siehe Abb. 2.65) nur Modellcharakter. Die metallischen Eigenschaften von UC2 und die isolierenden Eigenschaften von CaC2 sind experimentell belegt und stehen mit ihren berechneten Zustands-

2.9 Verbindungen der Metalle

285

dichten im Einklang (Abb. 2.64). Für UC2 verläuft das Fermi-Niveau durch einen halbbesetzten Energieblock, und für CaC2 liegt eine Bandlücke von mehr als 2 eV zwischen dem gefüllten Valenzband und dem leeren Leitungsband. Eine vergleichbare elektronische Struktur wie UC2 haben Lanthanoidmetalldicarbide mit Metallen im dreiwertigen Oxidationszustand.

2.9.3.6 Eigenschaften von Metallcarbiden Bei der kontrollierten Hydrolysereaktion salzartiger Metallcarbide mit C4K, C 22K oder C 34K entstehen die entsprechenden Kohlenwasserstoffe (CH4, C2H2 oder C3H4) als Hauptprodukte. Calciumcarbid wurde in der Technik als Ausgangsstoff zur Acetylengewinnung eingesetzt, Mg2C3 zur Darstellung von Allylen oder Allen. Hydrolyse tritt ebenfalls bei Metallcarbiden der Gruppen 4f und 5f, wie z. B. bei UC und MC2, auf. Die meisten Einlagerungscarbide sind chemisch inert, zeigen metallische Eigenschaften und außergewöhnliche Härte. Wie bei Einlagerungsnitriden wird die Härte mit Lückenbesetzungen durch Nichtmetallatome und den Bindungen zwischen Metall und Nichtmetall erklärt, die das Gleiten dicht gepackter Metallschichten verhindern. Wolframmonocarbid ist etwa so hart wie Diamant („Widia“) und ist das wichtigste Carbid der Hartmetalltechnik als Härteträger in allen technischen Hartmetallen (Smp. z 2 800 (C). Titanmonocarbid besitzt ebenfalls eine hohe Härte, ist chemisch sehr widerstandsfähig und wird von Salz- und Schwefelsäure kaum angegriffen. Zu den höchstschmelzenden Stoffen zählen die Carbide HfC und TaC (beide z 3 900 (C), NbC (z 3600 (C), ZrC (z 3 420 (C) und TiC (z 3 070 (C).

2.9.4 Metallnitride In Strukturen von Metallnitriden liegen isolierte Nitridionen (N3K), Dinitridionen (N 22K) oder Azidionen (N 3K) vor. Metallnitride der Alkali- und Erdalkalimetalle sind farbige, hydrolyseempfindliche Feststoffe. Von den Alkalimetallen sind die binären Nitride Li3N und Na3N bekannt. Die Erdalkalimetalle bilden salzartige Nitride, Pernitride und Subnitride. Die Metallnitride AlN, GaN und InN werden den kovalenten Metallnitriden zugeordnet. Übergangsmetalle und Seltenerdmetalle bilden Metallnitride, die in gut bekannten Strukturtypen kristallisieren, und solche, die analog zu den Metallcarbiden als Einlagerungsverbindungen betrachtet werden können. Ternäre Metallnitride aus Alkali- oder Erdalkalimetallen (A) und Übergangsmetallen (M) bilden Nitridometallate (AxMyNz). Die Kristallchemie von Metallnitriden, -aziden, -amiden und -imiden, ihre Strukturdaten und die technologische Bedeutung von Metallnitriden wurden in mehreren Beiträgen zusammengefasst.

286

2 Festkörperchemie

2.9.4.1 Synthese von Metallnitriden Bedingt durch die hohe Bindungsenergie im Stickstoffmolekül (941 kJ.mol) sind direkte Reaktionen von N2 mit Metallen energetisch ungünstig. Die Reaktionen mit Stickstoff erfordern hohe Temperaturen, bei denen die Metall-N-Bindungen bereits destabilisiert werden. Aus diesem Grund sind Metallnitride thermodynamisch weniger stabil und weniger häufig belegt als Metalloxide. Trotzdem gibt es mehrere Syntheserouten, die mit Erfolg zu Metallnitriden führen. 1. Direkte Nitridierung Reaktion von Metall oder Metallhydrid im Stickstoffstrom. Dabei ist unter striktem Sauerstoffausschluss zu arbeiten (zum Abfangen von Sauerstoff lässt man Stickstoff vor der Reaktion durch Oxysorb hindurchströmen): 400 (C 1 3 Li C N2 $$$% Li3N 2 750 (C

3 Ca C N2 $$$% Ca3N2 Zur Herstellung von Nitriden der Übergangs- oder Seltenerdmetalle werden die reinen Metalle zunächst hydriert und nach anschließendem Verreiben des Metallhydrides nitridiert:12 H2, 500 (C

N2, 900 (C

Y C H2 $$$$$$% YH2 $$$$$$% YN 2. Nitridierung in Schmelzen Ternäre Metallnitride und Nitride mit hohen Oxidationsstufen der Metallatome können in Schmelzen aus Li3N hergestellt werden: Schmelze

14 Li3N C 6 Ta C 5 N2 $$$$$% 6 Li7TaN4 3. Ammonolyse Reaktion von Metallverbindungen mit gasförmigem Ammoniak: 1 000 (C 1 1 NH4VO3 C NH3 $$$$$% VN C 3 H2O C N2 C H2 2 2 4. Metathese Reaktion eines Metallhalogenids mit Lithiumnitrid: 600 (C

LaCl3 C Li3N $$$$$% LaN C 3 LiCl Die Reaktionen werden durch Aufheizen oder Zünden mit einem Heizdraht initiiert. Festkörper-Metathesereaktionen sind exotherme Reaktionen und können (z. B. mit NbCl5 oder MoCl5) explosiv verlaufen. Ein generelles Problem bei der Synthese von Metallnitriden sind mögliche Kontaminationen durch leichte Elemente wie z. B. C, H oder O. In Strukturen von Oxidnitriden ist eine Zuweisung von Atomsorten nur dann möglich, wenn O2K und N3K nicht gleichmäßig über äquivalente Positionen verteilt sind. Ein Beispiel für eine Kohlenstoffkontamination ist das Carbodiimid-Nitrid Ca11 (CN2)2N6, das 12

Metallpulver, besonders der Seltenerdmetalle, sind oft mit nicht unwesentlichem Hydridgehalt im Handel!

2.9 Verbindungen der Metalle

287

früher als ein reines Nitrid mit der Zusammensetzung „Ca11N8“ beschrieben wurde.

2.9.4.2 Salzartige und metallische Metallnitride der Alkaliund Erdalkalimetalle Salzartige Metallnitride der Alkali- und Erdalkalimetalle sind farbige, hydrolyseempfindliche Feststoffe. Das metastabile Na3N (anti-ReO3-Typ) und Li3N sind die einzigen bisher bekannten Alkalimetallnitride. In der ungewöhnlichen Struktur von Li3N bilden die Nitridionen eine hexagonal primitive Anordnung. Jedes Nitridion ist von einer hexagonalen Bipyramide aus Lithiumionen umgeben (Abb. 2.66). Li3N zählt zu den besten Ionenleitern. Für die nicht gut definierten Defektvarianten Li3KxHxN wurden bei Raumtemperatur spezifische Leitfähigkeiten von σ Z 10K3 S.cm (in den Schichten) und σ Z10K5 S.cm (senkrecht zu den Schichten) gemessen. Einer praktischen Anwendung als Elektrolyt in Batterien steht jedoch das niedrige Zersetzungspotential (0.45 V) von Li3N entgegen.

Abb. 2.66 Die Kristallstruktur von Li3N (Raumgruppe P6.mmm). Lithiumionen bilden hexagonale Bipyramiden, in deren Zentren sich N3K-Ionen befinden. Die hexagonalen Schichten der Lithiumionen einer Sorte gleichen primitiv gestapelten Graphit- oder BNSchichten.

Die salzartigen Erdalkalimetallnitride M3N2 (M Z Be, Mg, Ca) kristallisieren im anti-Bixbyit-Typ, in dem die Kationen tetraedrisch von N3K-Ionen umgeben sind. Die für Ca3N2 zusätzlich beschriebenen Hoch- und Tieftemperaturmodifikationen existieren wahrscheinlich nicht. An ihre Stelle rücken vermutlich ternäre Verbindungen, wie das gelbe Carbodiimid-Nitrid Ca4 (CN2)N2. Die Dinitridoborat(-Nitrid)e Ca3 (BN2)N und Ca3 (BN2)2 entstehen durch Reaktionen von Ca3N2 mit hexagonalem Bornitrid. Die Diazenide (oder Pernitride) SrN2 (CaC2-I-Typ) und BaN2 (CaC2-II-Typ) enthalten N 22K-Ionen mit NdN-Abständen von 122 pm. Sie entstehen als dunkle luftempfindliche Pulver aus M2N (M Z Sr, Ba) unter hohen Stickstoff-Drücken.

288

2 Festkörperchemie

Metallreiche Nitride (oder Subnitride) M2N (M Z Ca, Sr, Ba) mit anti-CdCl2Struktur können weder ionischen noch metallischen Nitriden zugeordnet werden. Die durch die Schreibweise Ca2N(eK) ausgedrückte unausgeglichene Elektronenbilanz verdeutlicht, dass es sich hierbei um elektrische Leiter (hier Halbleiter) handelt. Die Hydrolyseempfindlichkeit aller Alkali- und Erdalkalimetallnitride (Ca2N bildet außer Ca (OH)2 C NH3 zusätzlich noch H2) unterstreicht aber ihre ionischen Eigenschaften. Bei der Einlagerung von Wasserstoff in die Struktur von Sr2N entsteht Sr2HN. Dabei werden alle noch unbesetzten Oktaederlückenschichten (des anti-CdCl2-Typs) durch HK aufgefüllt (α-NaFeO2-Typ). Geordnetes Sr2HN ist gelb, Sr2N ist schwarz. Paradox mögen die Subnitride Na5Ba3N, NaBa3N und Ba3N (anti-TiI3-Typ) erscheinen, deren gemeinsames Strukturelement stickstoffzentrierte [Ba6N]-Oktaeder sind, die über gemeinsame Dreiecksflächen zu linearen Strängen verknüpft sind. Ba3N ist wie andere Subnitride metallisch (σ Z 104 S.cm bei RT). Es entsteht aus NaBa3N beim Abdestillieren von Natrium im Vakuum. Bei höherer Temperatur zerfällt Ba3N in Ba2N: 300K400 (C

560 (C

KNa

KBa

NaBa3N $####% Ba3N $##% Ba2N NaBa3N und Ba3N sind Beispiele für thermisch metastabile Verbindungen, die bei Anwendung (zu) hoher Temperaturen nicht entstehen. NaBa3N kristallisiert im hexagonalen anti-Perowskit-Typ (vgl. CsNiCl3-Typ, Abb. 2.98). Die Ladungsverteilung kann als NaC(Ba2C)3N3K(eK)4 beschrieben werden. Das Calciumauridsubnitrid Ca3AuN kristallisiert im kubischen anti-PerowskitTyp und enthält gemäß (Ca2C)3AuKN3K(eK)2 anionisches Gold. In beiden antiPerowskit-Strukturen bilden Metallatome beider Sorten die dichten Packungen.

2.9.4.3 Kovalente Metallnitride Aluminium, Gallium und Indium bilden graue bis dunkelbraune Nitride AlN, GaN und InN, die im Wurtzit-Typ kristallisieren. Sie sind Halbleiter und mit den III-V-Halbleitern (Gruppe 13K15) verwandt, die in der Zinkblende-Struktur kristallisieren.

2.9.4.4 Metallnitride der Übergangsmetalle Die Übergangsmetallnitride zeigen weitreichende Analogien zu den Übergangsmetallcarbiden. In vielen metallartigen Nitriden besetzen die Stickstoffatome oktaedrische Hohlräume der dichtest gepackten Anordnungen der Metallatome. Die Eigenschaften dieser Metallnitride (Aussehen, Härte, elektrische Leitfähigkeit) gleichen denen von Metallen. Die Strukturen und Zusammensetzungen von Übergangsmetallnitriden sind vielfältig, viele bilden Antitypen zu bekannten Strukturen (Tabelle 2.18). Strukturen vom Typ M4 N bestehen aus kubisch flächenzentrierten Anordungen aus Metallatomen, in denen die Nitridionen auf unterschiedlichen oktaedrischen Lücken ausordnen.

2.9 Verbindungen der Metalle

289

Tabelle 2.18 Strukturen einiger Übergangsmetallnitride. Verbindung

Strukturtyp

TiN, VN, CrN, ZrN, TaN δ-WN, δ-TaN δ-NbN Ti2N

NaCl WC anti-NiAs anti-Rutil (ε-Form) oder geordnete Überstruktur des NaCl-Typs (δ-Form) anti-CdCl2 anti-ReO3 anti-Perowskit Th3P4

Co2N Cu3N Mn4 N, Fe4 N Zr3N4, Hf3N4

2.9.4.5 Ternäre Metallnitride und Nitridometallate Eine große Gruppe von ternären Metallnitriden enthält gerichtete MdN-Bindungen aus Übergangsmetall- (M) und Stickstoffatomen sowie ein Alkali- oder Erdalkalimetall als Gegenion. Solche Verbindungen können als Nitridokomplexe aufgefasst werden, in denen überwiegend ionische und überwiegend kovalente Bindungen vorliegen. Darunter finden sich Strukturen mit diskreten [MNx]Anionen, die lineare [MN2]-, trigonal-planare [MN3]- oder tetraedrische [MN4]Anordnungen bilden können (Abb. 2.67). Der strukturelle Bezug dieser Anionen zu bekannten Ionen der Hauptgruppenelemente ist unverkennbar, z. B. zwischen dem Trinitridoferrat (III)-Ion [FeN3]6K und dem CO 32K-Ion. Außerdem existieren höher vernetzte Strukturen, in denen die [MNx]-Anionen Stränge, Schichten oder Netzwerke bilden. Einen Hinweis auf das Vorliegen komplexer Anionen selbst in Schmelzen liefert die Reaktion von [MoN4]6K in einer Lithiumchloridschmelze zu [Mo2N7]9K.

Abb. 2.67 Die Strukturen einiger Nitridometallatanionen.

Für die Übergangsmetallatome findet man in diesen Verbindungen oft niedrige Koordinationszahlen (z. B. KZ Z 2) und kurze MdN-Bindungslängen (etwa 180K195 pm in quasi-isolierten Anionen), die wie bei klassischen Übergangsmetallkomplexen auf eine Überlagerung zwischen einer σ- und zweier d (π)Kp (π)Wechselwirkungen hindeuten. Eine Anzahl ternärer Metallnitride und ihre Anionenstrukturen sind in Tabelle 2.19 zusammengestellt. Einige Metallnitride mit quasi-polymeren Anionenstrukturen sind metallische Leiter. Die Besetzung der Leitungsbänder mit Elektronen ist eine Voraussetzung für das Auftreten von metallischer Leitfähigkeit. LiMoN2 besitzt z. B. 17 Valenzelektronen (1 C 6 C 2 · 5). Von diesen besetzen 16 Elektronen die acht anionischen s- und p-Zustände (2 N3K) und ein weiteres Elektron die von d-Orbitalen des Molybdäns dominierten Leitungsbänder. Über eine höhere Anzahl von Lei-

290

2 Festkörperchemie

Tabelle 2.19 Ternäre Metallnitride AxMyNz mit A Z Alkali- oder Erdalkalimetall und M Z Metall der Gruppen 5K10. Verbindung (en) quasi-isolierte Anionen Li4FeN2 Sr3MN3 (M Z V, Cr, Mn, Fe, Co) A2FeN2 (A Z Ca, Sr) Ba3MN4 (M Z Mo, W)

Anion

Gestalt des [MNx]-Polyeders

[NdFedN]4K [FeN3]6K

linear (isostrukturell mit CO2) trigonal-planar (isostrukturell 2K mit CO 3 ) zwei kantenverknüpfte Dreiecke tetraedrisch (isostrukturell 2K mit SO 4 ) eckenverknüpfte Tetraeder 2K (isostrukturell mit S2O 7 )

[NFedN2dFeN]4K [MoN4]6K

LiBa4M2N7 (M Z Mo, W)

[N3ModNdMoN3]9K

quasi-polymere Anionen CaNiN ANiN (A Z Sr, Ba) Li3FeN2

2K 1 N [NiN2.2] 2K 1 N [NiN2.2] 3Ka) 1 N [FeN4.2]

Ba2NbN3

4K 1 N [NbN2N2.2]

AMN2 (M Z Nb, Ta; A Z Na, K, Rb, Cs)

K 3 N [TaN4.2]

BaZrN2

2K 2 N [ZrNN4.4]

NaMN2 (M Z Nb, Ta)

K 2 N [NbN6.3]

LiMoN2

K 2 N [MoN6.3]

a)

b) c)

lineare Ketten Zickzackketten Stränge kantenverknüpfter Tetraeder Stränge eckenverknüpfter Tetraeder Raumnetzstruktur eckenverknüpfter Tetraeder (aufgefüllter β-Cristobalit-Typ) kantenverknüpfte quadratische Pyramiden (Kanten der quadr. Fläche) zu Schichten flächenverknüpfte Oktaederb) zu Schichten flächenverknüpfte trigonale Prismenc)

Die Niggli-Schreibweise [FeN4.2] verdeutlicht die Koordination des Eisens durch vier Stickstoffatome, die aber ihrerseits an je zwei Eisenatome gebunden und deshalb jedem Eisenatom nur zur Hälfte zuzurechnen sind. Die genauere Beschreibung wäre hier eine kdP von N3K mit alternierender Besetzung von Oktaederlückenschichten durch Na und Nb. Aufgefüllte Variante des 3 R-MoS2-Typs.

tungselektronen verfügt beispielsweise CaNiN (metallischer Leiter, σ Z 2.5 · 104 S.cm bei RT). In einzelnen Verbindungen werden auch NdN-Wechselwirkungen diskutiert. Hierzu zählen die Wechselwirkungen zwischen benachbarten N1 [NidNd]-Ketten in ANiN (A Z Sr, Ba) und paarweise Wechselwirkungen zwischen N-Atomen (NdN-Abstand Z 256 pm) innerhalb der trigonalen [MoN6]-Prismen von LiMoN2 (parallel zur dreizähligen Richtung eines Prismas). In allen diesen Verbindungen sind Bindungen zwischen dem Übergangsmetallatom und Stickstoff überwiegend kovalent und die zwischen dem Alkali- oder Erdalkalimetall und N überwiegend ionisch.

2.9 Verbindungen der Metalle

291

2.9.4.6 Eigenschaften von Metallnitriden Metallnitride sind im Allgemeinen weniger stabil als Metalloxide. Die thermische Zersetzung eines Metallnitrids unter Abgabe von N2 wird durch die vergleichsweise hohe Bindungsenergie von N2 (941 kJ.mol) gegenüber O2 (499 kJ.mol) begünstigt, weshalb auch umgekehrt die Oxidbildung gegenüber der Nitridbildung begünstigt ist. Ionische Metallnitride sind farbig, Li3N (rot), Ca3N2 (dunkelviolett), und hydrolyseempfindlich. Einlagerungsmetallnitride zeichnen sich wie Metallcarbide durch mechanische Härte, chemische Resistenz und hohe Schmelzpunkte aus. Titannitrid ist ein metallischer Leiter (σ Z 4 · 104 S.cm). Wegen der goldenen Farbe wird TiN zur dekorativen Oberflächenbeschichtung verwendet. Als Carbidnitrid kann die Farbe von gold (TiC0.1N0.9) bis dunkelviolett (TiC0.4 N0.6) variieren. Ternäre Übergangsmetallnitride mit Lithium sind oft Ionenleiter und zeigen reversible Interkalationseigenschaften für Lithium. Für eine Anwendung in Batterien (vgl. LiTiS2) wurde Li3KxFeN2 (mit x % 1) in Betracht gezogen.

2.9.4.7 Metallnitride der Seltenerdmetalle und 5f-Elemente Die Metalle Sc, Y sowie die meisten Lanthanoide und Actinoide bilden mit Stickstoff binäre Nitride, die wie YN, ScN und LaN im NaCl-Typ kristallisieren. Oft zeigen die harten Einlagerungsnitride ein geringes Stickstoffdefizit (zum Beispiel YN1Kx). In Analogie zu Carbiden bilden einige ternäre Metallnitride der Zusammensetzung M3AlN (M Z Ce, La, Nd, Pr, Sm) Strukturen vom anti-Perowskit-Typ. Im Gegensatz hierzu treten Perowskit-Strukturen bei Oxidnitriden auf (LaWO0.6N2.4). In der Struktur von Th3N4 bilden die Thoriumatome die dichte hhc-Packung (vgl. Abschnitt 2.2.1), in der die Stickstoffatome zur Hälfte oktaedrische und tetraedrische Lücken besetzen. Unter Druck können Dinitride wie UN2 (Fluorit-Typ) und MN2 für M Z Ce, Nd, Pr sowie Sesquinitride wie U2N3 (C-M2O3-Typ) dargestellt werden.

2.9.5 Metalloxide Metalloxide sind von allen Metallen des Periodensystems bekannt. Die meisten Metalloxide sind unter Normalbedingungen nichtflüchtig, obwohl einige wenige von ihnen niedrige Schmelzpunkte haben, wie z. B. OsO4 (Smp. 40 (C). Analog zu Metallnitriden, -halogeniden usw. kann auch bei Metalloxiden eine grobe Unterscheidung zwischen ionischen, kovalenten und metallischen Verbindungen getroffen werden. Schon das Gebiet der binären Metalloxide ist komplex, weshalb hier systematisch nur Oxide der Alkalimetalle und die Oxide der ersten Übergangsmetallreihe betrachtet werden. Hinsichtlich der Eigenschaften von Metalloxiden sind aber auch viele polynäre Metalloxide von Interesse, von denen einige wichtige Vertreter vorgestellt werden. Eine Übersicht über einige Eigenschaften gibt Tabelle 2.20.

292

2 Festkörperchemie

Tabelle 2.20 Eigenschaften einiger Metalloxide. Verbindung

Eigenschaft.Anwendung

CrO2 PbZr1KxTixO3 (PZT) YBa2Cu3O7Kx Y3Al5O12 (YAG), Y3Fe5O12 (YIG) β-NaAl11O17 ZrO2 (CaO) Y2O2S:Eu

Ferromagnetikum (magn. Informationsspeicher) Ferroelektrikum Supraleiter Lasermaterialien, Leuchtstoffe, Magnetika schneller Ionenleiter Sauerstoff-Sensor Leuchtstoff

2.9.5.1 Sauerstoffverbindungen der Alkalimetalle Durch Erhitzen von Alkalimetallen (A) an Luft oder Sauerstoff entstehen die Oxide Li2O, Na2O2, KO2, RbO2 und CsO2, die in Tabelle 2.21 durch Fettdruck hervorgehoben sind. Alle anderen Alkalimetalloxide sind nur durch Umsetzung der Metalle mit abgemessenen Mengen Sauerstoff zugänglich. Alkalimetallozonide enthalten Radikalanionen und zeigen deshalb Paramagnetismus. Sie kristallisieren in Strukturen, die sich vom CsCl-Typ ableiten. Alkalimetallhyperoxide enthalten OK 2 -Ionen. Ihre Strukturen sind eng mit der Struktur von Calciumcarbid bzw. NaCl verwandt. Von den Alkalimetallperoxiden entsteht nur Na2O2 durch direkte Reaktion an Luft. Wegen ihrer Reaktionen mit CO2 gemäß A2O2 C CO2 $% A2CO3 1 C O2 werden leichte Alkalimetallperoxide als Atemluftregulatoren in der 2 Raumfahrt eingesetzt. Von den Dialkalimetallmonoxiden ist nur Li2O unter Normalbedingungen stabil. Die höheren Metallmonoxide reagieren bereits an Luft durch Spuren von Wasser oder CO2 zu Hydroxiden oder Carbonaten. Dialkalimetallmonoxide von LiKRb kristallisieren im anti-CaF2-Typ, Cs2O im anti-CdCl2-Typ.

Tabelle 2.21 Sauerstoffverbindungen der Alkalimetalle.

Li Na K Rb Cs

Ozonide

Hyper- Sesqui- Peroxide oxide oxide

Monoxide

Suboxide

AO3

AO2

A4O6

A11O3

NaO3 KO3 RbO3 CsO3

NaO2 KO2 RbO2 CsO2

Rb4O6 Cs4O6

A2O Li2O Na2O K2O Rb2O Cs2O

A2O2 Li2O2 Na2O2 K2O2 Rb2O2 Cs2O2

A4O

Cs11O3 Cs4O

A9O2

A6O

Rb9O2 Rb6O

A7O

Cs7O

2.9 Verbindungen der Metalle

293

Abb. 2.68 Ein sauerstoffzentrierter [A6O]-Cluster und Ausschnitte aus den Strukturen von Rb9O2 und Cs11O3 (von links nach rechts).

Alkalimetallsuboxide sind von den schweren Alkalimetallen Rubidium und Caesium bekannt. Rb6O zersetzt sich bereits bei K7.3 (C in das kupferfarbene Rb9O2, welches bei 40.2 (C in Rb2O und Rb zerfällt. Cs7O ist bronzefarben und schmilzt bei 4.3 (C. Das rotviolette Cs4O zerfällt oberhalb 10.5 (C in das ebenfalls rotviolette Cs11O3. Die Kristallstrukturen der Alkalimetallsuboxide bestehen aus zwei oder drei sauerstoffzentrierten Metalloktaedern [A6O], die über gemeinsame Flächen zu Clustern verknüpft sind. Eine Verknüpfung über eine gemeinsame Fläche ergibt den Cluster Rb9O2. Teilen drei A6O-Oktaeder jeweils eine Fläche miteinander, entsteht der Cluster Cs11O3 (Abb. 2.68). In diesen Verbindungen herrschen starke Metall-Sauerstoff-Bindungen und schwache Metall-Metall-Bindungen. Die gemäß der salzartigen Formeln (RbC)9 (O2K)2 (eK)5 und (CsC)11 (O2K)3 (eK)5 vorhandenen Elektronen bewirken Bindungen zwischen den Metallatomen, die aber über den ganzen Kristall delokalisiert sind und die metallische Leitfähigkeit der Verbindungen verursachen. Die Metall-Metall-Abstände innerhalb der Cluster sind kürzer als die Abstände im reinen Metall. Letztere sind eher mit den Abständen zwischen benachbarten Clustern vergleichbar (z. B. Rb9O2: RbKRbintra Z 354K403 pm, RbKRbinter z 530 pm, RbKRbMetall Z 448K 563 pm). Die Strukturen von Rb6O und Cs7O können als (Rb9O2)Rb3 und (Cs11O3)Cs10 beschrieben werden. Die ternären Verbindungen A3 AuO mit A Z K, Rb, Cs enthalten gemäß der salzartigen Formulierung (AC)3 AuKO2K anionisches Gold. Diese Ladungsverteilung ist durch die Elektronegativitäten der Elemente vorgezeichnet und entspricht den Verhältnissen in salzartigen Auriden, wie z. B. CsCAuK. Cs3AuO kristallisiert im hexagonalen anti-Perowskit-Typ, K3AuO und Rb3AuO im kubischen anti-Perowskit-Typ.

2.9.5.2 Oxide der Erdalkalimetalle und des Aluminiums Erdalkalimetalloxide des Formeltyps MO kristallisieren für die Metalle M Z MgKBa im NaCl-Typ und für M Z Be im Wurtzit-Typ. Erdalkalimetallperoxide MO2 sind für M Z Ca, Sr und Ba bekannt. Polykristallines (α-)Al2O3 ist als Korund bekannt. Korund ist wegen seines hohen Schmelzpunktes und seines chemisch inerten Verhaltens ein wichtiges ke-

294

2 Festkörperchemie

ramisches Material. Einkristalle aus Al2O3 repräsentieren den farblosen Edelstein Saphir. Bei „β-Al2O3“ handelt es sich um eine mit Natriumionen stabilisierte Verbindung, die heute als Na-β-Al2O3 bekannt ist. γ-Al2O3 kristallisiert in einer defekten Struktur des Spinell-Typs. Al2O3 bildet mit Cr2O3 feste Lösungen mit der allgemeinen Zusammensetzung Al2KxCrxO3 (vgl. Abb. 2.19). Mit Cr3C substituierte Al2O3-Einkristalle nennt man Rubine. In2O3 kristallisiert im Bixbyit-Typ. Mit Zinn dotiertes Indiumoxid (In2O3:Sn) wird aufgrund seiner guten Leitfähigkeit als „transparentes Metall“ verwendet.

2.9.5.3 Binäre Metalloxide der Übergangsmetalle Bei den binären Oxiden kann eine Einteilung nach Eigenschaften oder Strukturen vorgenommen werden. Metalloxide können Isolatoren (TiO2), Halbleiter (VO2), metallische Leiter (CrO2, ReO3, RuO2) oder Supraleiter (NbO) sein. Manche Metalloxide zeigen Übergänge vom metallischen in den halbleitenden Zustand, die durch Änderungen der Temperatur (VO2), des Drucks (V2O3) oder der Zusammensetzung (NaxWO3) induziert werden. Andere Verbindungen zeigen interessantes magnetisches (CrO2) oder optisches (TiO2) Verhalten. Tabelle 2.22 Kristallstrukturen einiger binärer Metalloxide. Formeltyp

Strukturtyp

Beispiele

M2O MO M2O3 MO2

Cuprit Natriumchlorid Korund Rutil

MO2 MO3

Fluorit ReO3

Cu2O, Ag2O TiO, VO, MnO, FeO, CoO, NiO, CdO, EuO Al2O3, Ti2O3, V2O3, Cr2O3, Fe2O3, Rh2O3 TiO2, VO2, NbO2, TaO2, CrO2, MoO2, WO2, MnO2, TcO2, ReO2, RuO2, OsO2, RhO2, IrO2, PtO2 ZrO2, HfO2 WO3

Tabelle 2.22 fasst einige wichtige Formeltypen, Strukturtypen und einige wichtige Beispiele zusammen. Monoxide kristallisieren im NaCl-Typ. Sesquioxide treten im Korund-Typ auf. Metalldioxide mit größeren Metallionen bevorzugen den Fluorit-Typ mit der Koordinationszahl acht und mit kleineren Metallionen den Rutil-Typ mit der Koordinationszahl sechs. Titanoxide Zu den bekannten Titanoxiden gehören Ti3O, Ti2O, TiO, Ti2O3, TiO2 und die Mitglieder von Scherstrukturen der homologen Serie TinO2nK1 (4 % n % 9) (vgl. Abschnitt 2.4.9). Bei der Oxidation von Titan-Metall (hdP) entstehen die Suboxide TiO0.33 und TiO0.5. Die Schichtstruktur von Ti3O ist eng mit der anti-BiI3Struktur verwandt. Ti2O kristallisiert im anti-CdI2-Typ. Die TidTi-Bindungslängen betragen in Ti2O 286 pm und entsprechen denen im reinen Titan-Metall (286 pm). TiO bildet wie VO eine Defektstruktur vom NaCl-Typ. Dabei treten Kationen- und Anionenleerstellen auf, wodurch in den Strukturen von TiO und

2.9 Verbindungen der Metalle

295

VO etwa 16 % der Gitterpositionen unbesetzt bleiben. Zudem existieren für TiOx und VOx Phasenbreiten, bei deren oberen Grenzzusammensetzungen (x Z 1.3) die Zahl der Sauerstoffleerstellen in der Struktur gegen null geht. Bei der Zusammensetzung TiO kommt es unterhalb von 900 (C zu einer Ordnung beider Fehlstellensorten. Dabei treten eckenverknüpfte [Ti6]-Oktaeder auf, die nach Art von [M6X12]-Clustern von Sauerstoffatomen umgeben sind (vgl. Abb. 2.74a). Ti2O3 entsteht bei der Reaktion von TiO2 mit Titan-Metall bei 1 600 (C oder bei der Reaktion von TiO2 mit CO bei 800 (C und kristallisiert als violetter Feststoff im Korund-Typ. Das höchste Oxid des Titans, TiO2, kommt unter Normaldruck in der Natur in drei polymorphen Formen als Rutil, Anatas und Brookit vor. Von allen ist Rutil die bei Normalbedingungen thermodymamisch stabilste Form. Alle drei Strukturen sind aus oktaedrischen [TiO6]-Einheiten aufgebaut. Im Rutil sind diese über jeweils zwei gemeinsame Oktaederkanten zu linearen Strängen verknüpft und teilen zusätzlich noch ihre Ecken mit benachbarten [TiO6]-Oktaedern. Das Resultat ist eine dreidimensionale Verknüpfung mit den Koordinationszahlen sechs für Ti4C und drei für O2K (Abb. 2.8b). Rutil besitzt eine Reihe von interessanten optischen Eigenschaften. Seine Bandlücke beträgt etwa 3 eV und liegt damit gerade außerhalb des sichtbaren Spektrums des Lichtes. Da Stoffe mit kleineren Bandlücken farbig bis schwarz sind, ist Rutil ähnlich wie Anatas und Brookit ein farbloser Feststoff mit einer hohen Lichtdurchlässigkeit. Zwischen der Größe der Bandlücke und der Reflektivität einer Verbindung existiert eine reziproke Beziehung. Die hohe Reflektivität und die Abwesenheit von Absorptionseffekten für sichtbares Licht sind die Grundlage für die Anwendung von TiO2 als am häufigsten verwendetes Weißpigment in Farben, Textilien und in Kosmetikartikeln. Anwendungen findet Titanoxid beispielsweise in der Photokatalyse. Bei der Photokatalyse wird ein Katalysator angeregt und bewirkt in der Folge die Umwandlung eines anderen Stoffes. Im Gegensatz zu sichtbarem Licht vermag kurzwelliges Licht im UV-Bereich selbst feinkörniges TiO2 oder ZnO nicht zu durchdringen, weil es absorbiert oder gestreut wird. Bei der photokatalytischen Anwendung wird TiO2 durch das UV-A-Licht der Sonne oder durch künstliche UVQuellen angeregt und entfaltet dabei sowohl reduktive als auch oxidative Eigenschaften. Die oxidativen Eigenschaften von photoaktiviertem TiO2 können genutzt werden, um Keime oder organische Moleküle abzubauen, sodass Oberflächen desinfiziert oder gereinigt werden. Dieser Prozess wird wie folgt erklärt: Die Anregung eines Halbleiters mit Licht, dessen Energie größer als die Bandlücke Eg ist, erzeugt ein Elektron (eK) im Leitungsband und ein Loch (hC) im Valenzband. Die Rückkehr in den Grundzustand kann über unterschiedliche Prozesse erfolgen, wie z. B. durch Emission von Licht bei der Rekombination des Elektron-Loch-Paares. Alternativ kann das Loch im Valenzband (hC) mit Elektronendonoren (H2O.OHK) an der Oberfläche des TiO2-Teilchens reagieren. Dabei entstehen OH-Radikale, die in der Lage sind, die meisten organischen Verbindungen zu oxidieren:13 13

Die photokatalytische Spaltung von Wasser an TiO2-Elektroden wurde 1972 von A. Fujishima und K. Honda entdeckt. Eine auf TiO2 basierende photovoltaische Zelle wurde 1991 von M. Grätzel vorgestellt.

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2 Festkörperchemie

TiO2 C hν $% TiO2 (eK.hC) Z TiO 2* TiO 2* C H2O $% TiO2 C ·OH C ·H 2 ·OH $% H2O2 Die Anwendungen von TiO2 in der Photokatalyse betreffen verschiedenste Bereiche, von denen der oxidative Abbau von Schadstoffen wie Kohlenwasserstoffen, NOx, SOx, NH3, CO, Herbiziden, Tensiden oder Anwendungen zur Reinigung von Wasser oder von Oberflächen einige Beispiele sind. Auch der Modebegriff der selbstreinigenden Oberfläche steht mit photokatalytischen Eigenschaften in Zusammenhang, wobei eine solche Oberfläche idealerweise zusätzliche Beschaffenheiten wie die Nanostrukturierung, Hydrophobizität und einen möglichst großen Kontaktwinkel zwischen Wassertropfen und Oberfläche (Abperleffekt) aufweisen sollte. Die zwei häufigsten TiO2-Modifikationen sind Rutil und Anatas. Kristallines Anatas wandelt sich beim Erhitzen auf 800K1 000 (C in Rutil um. Anatas ist wegen seiner etwas größeren Bandlücke von 3.2 eV, entsprechend einer Wellenlänge von 388 nm, photochemisch aktiver. Die photochemische Aktivität von TiO2 kann durch die oxidative Zersetzung von organischen Farbstoffen oder Indikatoren in Gegenwart von TiO2 (und UV-Licht) gezeigt werden. Vanadiumoxide Vanadium bildet die Oxide V2O, VO, V2O3, VO2, V2O5 und die homologe Serie von Scherstrukturen VnO2nK1 (3 % n % 8). Allgemein zeigen die Vanadiumoxide weitgehende strukturelle Ähnlichkeiten zu analogen Titanoxiden, wobei V2O3, VO2 und VnO2nK1 im Vergleich zu ihren Titan-Homologen stärkere Verzerrungen der oktaedrischen [VO6]-Koordinationen aufweisen. V2O3 kristallisiert im Korund-Typ und zeigt beim Abkühlen auf etwa TN Z 150 K einen Metall-Halbleiter-Übergang, der auch als Mott-Übergang bezeichnet wird. Bei diesem Übergang erfolgen in der Struktur nur leichte Atomverschiebungen, die mit der Lokalisierung der Elektronen zusammenhängen: V2O3 (Korund-Typ)

rhomoedrich Pauli-paramagnetisch Metall (bei RT: σ z 104 S.cm)

! 150 K

$##%

V2O3 (verzerrter Korund-Typ) monoklin antiferromagnetisch Halbleiter (bei 130 K: σ z 10K4 S.cm)

Durch die Anwendung von hydrostatischem Druck wird die Übergangstemperatur TN erniedrigt, bis (bei etwa 26 kbar) die Tieftemperaturmodifikation nicht mehr existiert. Analoge Metall-Nichtmetall-Übergänge, jedoch mit höheren Übergangstemperaturen, zeigen auch andere Sesquimetalloxide der ersten Übergangsmetallreihe vom Korund-Typ (Ti2O3, Cr2O3, α-Fe2O3). VO2 kommt nur in seiner Hochtemperaturmodifikation (O 68 (C) im unverzerrten Rutil-Typ vor. In der Tieftemperaturmodifikation tritt eine monoklin verzerrte Strukturvariante auf, in der die Metallatome paarweise angeordnet sind (Abb. 2.69). Scherstrukturen vom Typ VnO2nK1 (3 % n % 8) und VO2Cx (x Z 0,

2.9 Verbindungen der Metalle

297

Abb. 2.69 Ausschnitt aus der tetragonalen (P42.mnm) Rutil-Struktur von VO2 mit gleich langen VdV-Abständen (288 pm) und der monoklinen (P 21.c) Tieftemperaturmodifikation von VO2 mit alternierend langen (312 pm) und kurzen (265 pm) VdV-Abständen entlang der [VO6]-Oktaederstränge.

0.17, 0.25, 0.33) bestehen aus verzerrten ecken- und kantenverknüpften [VO6]-Oktaedern, deren Strukturen zwischen dem Rutil- und ReO3-Typ einzuordnen sind. Eigenschaften von verzerrten Rutil-Strukturen am Beispiel von VO2. Die Tieftemperaturmodifikationen der Übergangsmetalldioxide VO2, NbO2, MoO2, WO2, TcO2 und ReO2 kristallisieren in verzerrten Strukturen vom Rutil-Typ. Die monokline Struktur von VO2 enthält alternierend lange und kurze Metall-Metall-Abstände nach Art einer elektronisch induzierten Peierls-Verzerrung (Abb. 2.69). Deshalb kann angenommen werden, dass die Elektronen des d1Systems paarweise in den kurzen VdV-Bindungen (semi)lokalisiert sind, was mit dem halbleitenden Verhalten von VO2 im Einklang steht. Beim Erhitzen wandelt sich VO2 bei etwa 68 (C in seine Hochtemperaturmodifikation um, wobei sich gravierende Veränderungen der optischen, magnetischen und elektrischen Eigenschaften vollziehen. Beim Übergang in die Hochtemperaturphase nimmt die elektrische Leitfähigkeit sprunghaft um 5 Größenordnungen zu, wobei sich ein Halbleiter-Metall-Übergang vollzieht (Abb. 2.70), und man beobachtet Pauli-Paramagnetismus. Materialien auf VO2-Basis können aufgrund ihrer thermochromen Eigenschaften als wärmeregulierende Fensterglasbeschichtungen verwendet werden. Unterhalb der Übergangstemperatur von 68 (C ist VO2 durchlässig für Licht und UVStrahlung. Beim Übergang in die Hochtemperaturphase nehmen die elektrische Leitfähigkeit und damit die Infrarot-Reflektivität stark zu, während die Lichtdurchlässigkeit nahezu unverändert bleibt (Abb. 2.70). Durch die erhöhte IRReflektivität kann eine übermäßige Raumaufheizung unterbunden werden. Durch Atomsubstitutionen in der Struktur von VO2 (z. B. mit W) kann die Übergangstemperatur verändert werden.

298

2 Festkörperchemie

Abb. 2.70 Links: Elektrischer Widerstand von VO2 in Abhängigkeit von der Temperatur. Rechts: Transmission einer dünnen VO2-Schicht bei unterschiedlichen Wellenlängen, aufgenommen unterhalb und oberhalb der Übergangstemperatur.

Chromoxide Zu den bekannten Chromoxiden gehören Cr2O3, CrO2 und CrO3. Die Oxide Cr2O5 und Cr5O12 [Z (Cr3C)2 (Cr6CO4)3] entstehen bei der thermischen Zersetzung von CrO3 unter Sauerstoffdruck. CrO3 kristallisiert in einer Struktur aus [CrO4]-Tetraedern, die über zwei gemeinsame Ecken zu N1 [CrO2O2.2]-Strängen verknüpft sind. Cr2O3 kristallisiert wie V2O3 in einer Struktur vom Korund-Typ und ist ein wichtiges Grünpigment (Chromoxidgrün). CrO2 kristallisiert im RutilTyp und ist wegen seiner ferromagnetischen Eigenschaften bekannt. Ferromagnetismus am Beispiel von CrO2. Die Frage, ob eine Substanz ferromagnetisch (parallele Spins) oder antiferromagnetisch (antiparallele Spins) ist, kann näherungsweise mit dem energetischen Abstand der Energieniveaus am Fermi-Niveau erklärt werden. Ist der Abstand zwischen Energiebändern am Fermi-Niveau klein, so kann durch Parallelstellung der Spins Abstoßungsenergie zwischen den Elektronen eingespart werden, sodass die Substanz ferromagnetisch ist. Wenn der Abstand bzw. Energieunterschied zwischen dem höchsten besetzten und dem tiefsten unbesetzten Energieband aber größer als die Elektronenabstoßungsenergie ist, ist die Substanz antiferromagnetisch. CrO2 besitzt unterhalb der Umwandlungstemperatur (TC Z 119 (C) ein spontanes ferromagnetisches Moment. Gegenläufige Orientierungen der magnetischen Domänen in ferromagnetischen (oder ferrimagnetischen) Kristallen können jedoch für eine Kompensation der magnetischen Momente sorgen, sodass kein nach außen wirksames Moment auftritt:

Entscheidend für die Anwendung als magnetischer Informationsspeicher ist aber, dass die unterschiedlichen Domänen in den CrO2-Kristallen entlang einer

2.9 Verbindungen der Metalle

299

Richtung orientiert (magnetisiert) werden können. Bei der Magnetisierung im Magnetfeld H kippen die Domänenwände, bis bei der Sättigungmagnetisierung MS eine maximale Ausrichtung der magnetischen Momente erreicht wird (Abb. 2.71). Das spontane magnetische Moment von CrO2-Kristallen bleibt auch nach dem Abschalten des orientierenden, externen magnetischen Feldes als sogenannte Remanenz erhalten. Weiterhin ist auch eine Umpolung der Magnetisierungsrichtung möglich, die die Verwendung von CrO2 als ferromagnetischen Informationsspeicher ermöglicht.

Abb. 2.71 Die Hystereseschleife für die Magnetisierung von ferromagnetischen (oder ferrimagnetischen) Materialien. Durch Wirkung eines Magnetfelds H werden die Elektronenspins parallel zum Feld ausgerichtet (z. B. Neukurve). Die Sättigungsmagnetisierung MS wird bei der Sättigungsfeldstärke HS unter Ausrichtung (fast) aller Spins erreicht. Wird das Magnetfeld umgepolt, so resultiert eine umgekehrte Magnetisierung. Auch die Größe und Anzahl der Kristallite bestimmen die Magneteigenschaften im Speichermedium, die als Koerzitivfeldstärke (Hc Z Widerstand gegen Entmagnetisierung) und Remanenz (Mr Z verbleibende Restmagnetisierung nach Abschalten des magnetischen Feldes) angegeben werden.

Manganoxide Mangan bildet die stabilen Oxide MnO, Mn3O4, Mn2O3, Mn5O8 und MnO2. Die Oxide MnO, Mn3O4 und Mn2O3 zeigen enge Analogien zu den Strukturen der entsprechenden Eisenoxide. So kristallisiert MnO in der NaCl-Struktur. Mn3O4 entsteht durch Erhitzen eines beliebigen Manganoxids an Luft auf 1 000 (C und kristallisiert in einer tetragonal verzerrten Spinell-Struktur. Mn2O3 kristallisiert dimorph als α-Mn2O3 im C-Typ der Seltenerdmetallsesquioxide M2O3 (gelegentlich auch nach dem Mineral (Fe,Mn)2O3 als Bixbyit-Typ bezeichnet) und als γMn2O3 in einer defekten Struktur vom Spinell-Typ. Das Oxid Mn5O8 bildet eine CdI2-ähnliche Schichtstruktur, deren Oktaederlückenschichten alternierend zu 3.4 mit Mn4C und zu 1.2 mit Mn2C besetzt sind [(Mn2C)2 (Mn4C)3O8].

300

2 Festkörperchemie

Abb. 2.72 Die Tunnelstruktur von Mn0.98O2.

MnO2 kristallisiert nicht nur im Rutil-Typ sondern auch in Schicht- oder Netzwerkstrukturen. In diesen Strukturen sind einfache oder mehrfache Mangandioxid-Oktaederstränge mit benachbarten Oktaedersträngen über gemeinsame Ecken verknüpft. Allerdings weichen viele in der Literatur beschriebene polymorphe MnO2-Formen leicht von der Zusammensetzung MnO2 ab oder enthalten Kationen, wie das so genannte α-MnO2, das nur in Gegenwart von großen Kationen (z. B. KC) hergestellt werden kann. Diese Formen von MnO2 sind als Kationenaustauscher ebenso wie für präparative Zwecke von Interesse (Abb. 2.72). Antiferromagnetismus und magnetische Struktur von MnO. MnO sowie die Oxide FeO, CoO und NiO zeigen unterhalb der Néel-Temperatur (TN) Antiferromagnetismus. Hierbei kommt es unterhalb von TN zu gegenläufigen Orientierungen gleich großer Spinmomente, sodass nach außen hin kein magnetisches Moment erscheint. Mit steigender Temperatur stört die thermische Bewegung die antiferromagnetische Spinordnung. Oberhalb von TN resultiert für die meisten Oxide der magnetisch ungeordnete, paramagnetische Zustand (Tabelle 2.23). Tabelle 2.23 Ordnungstemperaturen von Metalloxiden mit NaO-Struktur. Verbindung

TN in K

MnO FeO CoO NiO

122 198 293 523

2.9 Verbindungen der Metalle

301

Abb. 2.73 Projektionen der röntgenographischen (links) und der magnetischen Elementarzelle (rechts) von MnO unterhalb TN Z 122 K. In der magnetischen Elementarzelle ist die antiparallele Kopplung der magnetischen Momente von benachbarten Mn2C durch Pfeile hervorgehoben. Wegen der antiferromagnetischen Kopplung dieser Momente ist die Gitterkonstante der magnetischen Struktur (rechts) etwa doppelt so groß wie die der Röntgenstruktur (links). Tatsächlich erzeugt die antiferromagnetische Ordnung geringe Strukturverzerrungen. MnO wird unterhalb TN rhomboedrisch. Die Winkel der Elementarzelle weichen nur um 0.62( von 90( ab. Dies ist eine Folge attraktiver und repulsiver Kräfte zwischen benachbarten Ionen mit antiparallelen (Abstand MnKMn Z 331.1 pm) und parallelen (331.4 pm) Spins (Magnetostriktion).

Die Entstehung antiferromagnetischer Eigenschaften kann über den Superaustausch erklärt werden. Manganionen sind in der NaCl-Struktur linear über Sauerstoffionen verbrückt. Durch die lineare Anordnung KationKAnionKKation in einem MnO-Kristall überlappen die Mn-d-Orbitale mit den O-p-Orbitalen. Die antiparallele Einstellung der Elektronen eines p-Orbitals (Pauli-Verbot) erzwingt eine antiparallele Kopplung mit den Elektronen in benachbarten d-Orbitalen des Mn2C. Dadurch werden die magnetischen Momente benachbarter Kationen antiparallel zueinander gekoppelt (vgl. Abb. 2.43). Für die magnetische Elementarzelle folgt, im Unterschied zur röntgenographischen Elementarzelle, eine Verdoppelung der (kubischen) Gitterkonstanten, die der Spinordnung der Metallatome Rechnung trägt (Abb. 2.73). Während die mittels Röntgenbeugung bestimmte Kristallstruktur nur von den Lagen der Atome abhängig ist, ermöglicht die Neutronenbeugung aufgrund der magnetischen Streuung zusätzlich auch die Ermittlung der Spinstruktur (Größe und Richtung der magnetischen Momente). Obwohl die Oxide MnO, FeO, CoO und NiO d-Elektronen besitzen, sind diese Verbindungen keine metallischen Leiter. Da die Energiebänder in der Nähe des Fermi-Niveaus flach verlaufen, existieren Bandlücken, und die Verbindungen sind deshalb elektrische Halbleiter.14 Verbindungen mit elektrisch halbleitenden oder isolierenden Eigenschaften, die aus partiell gefüllten Energiebändern resul14

Die Zuordnung von halbleitenden oder isolierenden Eigenschaften wird nur durch die Größe der Bandlücke bestimmt und ist deshalb fließend.

302

2 Festkörperchemie

Tabelle 2.24 Wichtige Eigenschaften einiger binärer Metalloxide. Verbindung

Eigenschaften

TiO2, ZrO2, HfO2, V2O5, Nb2O5, Ta2O5, CrO3, MoO3, WO3 TiO, VO, NbO MnO, FeO, CoO, NiO

diamagnetisch, halbleitend

VO2, NbO2, MoO2, WO2, TcO2, ReO2 CrO2 a)

Pauli-paramagnetisch, metallisch unterhalb TN antiferromagnetisch, halbleitend unterhalb TN antiferromagnetisch, halbleitend ferromagnetisch, metallischa)

Das gleichzeitige Auftreten von ferromagnetischer Ordnung und metallischen Eigenschaften für CrO2 gilt als anomal.

tieren, werden als Mott-Isolatoren bezeichnet. Mott-Isolatoren sind Verbindungen mit lokalisierten d-Elektronen.

Oxide von Eisen, Cobalt und Nickel Zu den Oxiden dieser Metalle zählen FeO, Fe3O4, Fe2O3 sowie CoO, Co3O4 und NiO. Stöchiometrisches FeO ist unter Normalbedingungen nicht stabil. Die defekte NaCl-Struktur von Fe1KδO oder Wüstit enthält Leerstellen im Eisenteilgitter. Die Ladungsneutralität wird durch die Gegenwart von Fe3C-Ionen hergestellt, von denen zumindest einige die Tetraederlücken in der Struktur besetzen, sodass eine Verwandtschaft zur Struktur des Magnetits Fe3O4 gegeben ist. Die Oxide Fe3O4 und Co3O4 gehören zu den Spinellen (Abschnitt 2.9.5.8). Fe2O3 und Al2O3. Das rotbraune α-Fe2O3 oder Hämatit ist ein wichtiges Rotpigment und besitzt antiferromagnetische Eigenschaften. Die α-Formen von Fe2O3 und Al2O3 kristallisieren im Korund-Typ. β-Fe2O3 kristallisiert im C-Typ der Seltenerdmetallsesquioxide. Ein β-Al2O3 existiert nicht (aber Na-β-Al2O3). 1 γ-Fe2O3 und γ-Al2O3 bilden defekte Spinellstrukturen, in denen 21 Kationen 3 in statistischer Verteilung auf den sechzehn oktaedrischen und acht tetraedrischen Lücken der Spinell-Struktur (A8)Tet. [B16]Okt.O32 verteilt sind. Entsprechend einfach sind γ-Fe2O3 und Fe3O4 ineinander überführbar. Zwischen γ-Al2O3 und der Struktur des Minerals Spinell Mg8Al16O32 besteht ein offensichtlicher Zusammenhang. γ-Al2O3 und Mg8Al16O32 bilden über den kompletten Mischbereich feste Lösungen miteinander, wobei die höher geladenen Al3C-Ionen stets die höher koordinierten Oktaederplätze der Spinellstruktur einnehmen. Die Kombination von Na und γ-Al2O3 ergibt den schnellen Ionenleiter Na-βAl2O3 (Abschnitt 2.1.6.2). Die Struktur besteht aus Spinellblöcken. Vier kubisch dicht gepackte Sauerstoffschichten bilden einen Spinellblock, der durch Schichten mit mobilen Natriumionen von anderen Spinellblöcken separiert ist („Parkhausstruktur“).

2.9 Verbindungen der Metalle

303

2.9.5.4 Ternäre Metalloxide und Oxometallate Die Strukturen einiger ternärer Oxide A(C)M(3C)O2 sind eng mit denen binärer Oxide M(2C)O verwandt. Manchmal treten Defektvarianten der NaCl-Struktur (β-LiFeO2, vgl. Abb. 2.16) mit tetragonal (α-LiFeO2, LiScO2) oder rhomboTabelle 2.25 Ternäre Metalloxide AxMyOz mit A Z Alkalimetall und M Z Metall der Gruppen 5K12. Verbindung quasi-isolierte Anionen K3MO2 (M Z Fe, Co, Ni), Na3MO2 (M Z Ag, Hg) A2NiO2 (A Z K, Rb, Cs) Na4MO3 (M Z Fe, Co) A6M2O5 (M Z Fe, Co; A Z K, Rb, Cs) K2CoO2 Na6MO4 (M Z Mn, Fe, Co, N,) K2M2O7 (M Z Cr, Co) Na6Au2O6 AMO (A Z Li K Cs; M Z Cu, Ag), CsAuO quasi-polymere Anionen PbM2O2 (M Z Cu, Ag)

Anion (Beispiel)

Gestalt des [MOx]-Polyeders

[OdFedO]3K

linear (isostrukturell mit CO2)

[OdNidO]2K [FeO3]4K

linear (isostrukturell mit CO2) trigonal-planar (isostrukturell 2K mit CO 3 ) zwei eckenverknüpfte Dreiecke (Butterfly-Motiv) zwei kantenverknüpfte Dreiecke tetraedrisch (isostrukturell mit 2K SO 4 ) zwei eckenverknüpfte Tetraeder zwei kantenverknüpfte Tetraeder quadratische Ringe (O an den Ecken)

[O2FedOdFeO2]6K [OCodO2dCoO]4K [MnO4]6K [O3CrdOdCrO3]2K [O2AudO2dAuO2]6K [Cu4O4]4K

2K 1 N [CuO2.2]

Zickzackketten aus linearen [O1.2KCuKO1.2]-Einheiten 2K 1 Li2MO2 (M Z Pd, Cu) zu Bändern kantenverknüpfte N [PdO4.2] Rechtecke K 1 NaCuO2 zu Bändern kantenverknüpfte N [CuO4.2] Rechtecke 6Ka) 1 Rb2Na4Fe2O6 Stränge eckenverknüpfter N [FeO2O2.2] Tetraeder 2K 1 K2ZnO2 Stränge kantenverknüpfter N [ZnO4.2] Tetraeder KKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKKK K 1 zu Schichten verknüpfte OktaLiNiO2 N [NiO6.3] ederb) K 1 LiNbO2 [NbO ] zu Schichten verknüpfte trigoN 6.3 nale Prismen (aufgefüllter 2 H-MoS2-Typ) a)

b)

Die Schreibweise [FeO2O2.2]6K verdeutlicht die Koordination des Eisens durch vier Sauerstoffatome, von denen aber zwei durch ihre verbrückende Funktion (Stränge eckenverknüpfter Tetraeder) dem Eisenatom nur zur Hälfte zuzurechnen sind. Die genauere Beschreibung wäre in diesem Fall eine kdP von O2K mit alternierender Besetzung von Oktaederlückenschichten durch Li und Ni. Der Sauerstoffgehalt in LiNiO2 gilt als unsicher. Außerdem zeigt LiNiO2 ein interessantes magnetisches Verhalten (Spinglas).

304

2 Festkörperchemie

edrisch (LiVO2, NaFeO2, LiNiO2) verzerrten Strukturen und Überstrukturen auf. Besetzen die Metallatome in den Strukturen gleichberechtigte Lagen, so werden die Verbindungen als Doppeloxide bezeichnet. Eine andere Gruppe von Oxiden des Formeltyps AMO2 kristallisiert im CuFeO2-Typ (Delafossit) mit A Z Ag, Cu und M Z Al, Cr, Co Fe, Ga, Rh. In diesen Strukturen treten lineare [OdAdO]-Einheiten und oktaedrisch koordinierte M-Atome auf. Hier zeigt sich ähnlich wie bei Nitridometallaten, dass zahlreiche ternäre und polynäre Metalloxide befähigt sind, Oxometallate mit spezifischen Anionenstrukturen auszubilden. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Oxometallat und Doppeloxid oft nicht eindeutig. In Oxometallaten besetzen Alkalimetalle und Übergangsmetalle ungleich koordinierte Plätze. Sie können anhand der überwiegend kovalenten Wechselwirkungen in ihren OxometallatAnionen und überwiegend ionischen Wechselwirkungen mit den elektropositiveren (Alkali-)Metallionen klassifiziert werden. In Oxometallaten mit quasi-isolierten Anionenstrukturen fällt die strukturelle Analogie zu Molekülen (CO2) oder einfachen Anionen (CO 32K, SO 42K) auf. Das dunkelrote Oxoniccolat (II) K2NiO2 enthält ein lineares [OdNidO]2K-Ion mit kurzen NidO-Abständen (168 pm) und zeigt paramagnetisches Verhalten nach dem Curie-Weiß-Gesetz (µ Z 3.0 BM, Θ Z K30 K). K3CoO2 enthält [OdCodO]3d-Ionen mit einwertigem Cobalt (Abstand CodO: 175 pm). Das in dieser Verbindung für CoC experimentell bestimmte magnetische Moment liegt in der Nähe des spin-only-Wertes für ein d8-System von µ Z 2.83 BM. Die Herstellung der granatroten Einkristalle von Na4FeO3 erfolgt durch Reaktion eines Gemenges von 2 Na2O und FeO in einer Metallampulle. Die Struktur des [FeO3]4K-Ions entspricht der des CO 32K-Ions. Beispiele für vernetzte Anionenstrukturen sind Blei (II)oxocuprat (I) PbCu2O2 mit eindimensional unendlichen [CudOd]-Zickzackketten und NaCuO2 mit planaren Bändern aus [CuO4]-Rechtecken, die zwei gemeinsame Kanten miteinander teilen. Verbindungen mit hochvernetzten Anionenstrukturen sind oft besser auf der Basis dichter Kugelpackungen beschreibbar. Das gilt insbesondere für die Strukturen von LiNiO2 und LiNbO2.

2.9.5.5 Metallreiche Oxometallate − Metallcluster Metallreiche Metalloxide können Metall-Metall-Bindungen und dadurch Strukturen mit isolierten oder verbrückten Metallclustern bilden. Unter diesen sind zahlreiche Oxoniobate und Oxomolybdate bekannt. Das vermutlich häufigste Strukturelement sind oktaedrische Metallcluster mit der [M6O12]-Einheit. Dasselbe Motiv, aber verknüpft über alle sechs Ecken eines [Nb6]-Oktaeders, enthält die Struktur von NbO. Da NbO in einem geordneten NaCl-Defekttyp kristallisiert, in dem 1.4 der Positionen unbesetzt sind (Kationen und Anionen), wird die daraus resultierende Verminderung der Gitterenergie vermutlich durch die Bildung von Metall-Metall-Bindungen kompensiert. Die Metall-Metall-Abstände in Metallclustern sind oft mit denen reiner Metalle vergleichbar. In Nioboxidclustern beträgt der kürzeste NbdNb-Abstand etwa 285 pm, in Niob-Metall 286 pm. Die Strukturen dieser Verbindungen können durch verschiedenartige Verknüp-

2.9 Verbindungen der Metalle

305

Abb. 2.74 (a) Die Elementarzelle der Struktur von NbO enthält die für viele Oxoniobate typische [M6O12]-Einheit. (b) Eckenverknüpfte Doppeloktaeder aus zwei [Nb6]-Clustern in der Struktur von K4Al2Nb11O21. (c) Kantenverknüpfte [Mo6]-Oktaeder der Struktur von NaMo4O6. (d) Ausschnitt aus der Struktur von BaNb4O6 mit zweidimensional eckenverknüpften [Nb6]-Clustern.

fungen von [M6O12]-Einheiten nach einem Baukastenprinzip konstruiert werden (Tabelle 2.26). Das strukturelle Konzept dieser Oxometallate mit Metallclustern enthält Verbrückungen von Metallclustern durch Sauerstoffatome („isolierte Metallcluster“) oder durch Ecken- oder Kantenverknüpfungen der Metallcluster selbst (dimere, trimere, ... oligomere Cluster oder „kondensierte Metallcluster“) (Abb. 2.74).

306

2 Festkörperchemie

Tabelle 2.26 Beispiele für metallreiche Oxide mit isolierten und kondensierten Metallclustern. Verbindung

Metallcluster

Verknüpfung der Metallcluster

Mg3Nb6O11

[Nb6]

K4Al2Nb11O21 NaMo4O6

[Nb11] 1 N [Mo2Mo4.2]

BaNb4O6

2 N [Nb4.2Nb2]

isolierte (bzw. sauerstoffverbrückte) Metalloktaeder spitzenverknüpfte Doppeloktaeder zu Strängen kantenverknüpfte Metalloktaeder zu Schichten spitzenverknüpfte Metalloktaeder

Isolierte (sauerstoffverbrückte) Metallcluster liegen in der Struktur von Mg3Nb6O11 vor. Jede [Nb6O12]-Einheit teilt zwei verbrückende Sauerstoffatome mit benachbarten Clustern ([Nb6O10O2.2]6K). Damit stehen jedem [Nb6]-Cluster 14 Elektronen zur Bildung von Metall-Metall-Bindungen zur Verfügung (zur elektronischen Struktur vgl. Abschnitt 2.9.8.5). Doppeloktaeder aus zwei eckenverknüpften [Nb6O12]-Einheiten enthält die Struktur von K4Al2Nb11O21. Zwei Sauerstoffatome verbrücken die Ecken benachbarter Doppeloktaeder von [Nb11O20O2.2]10K. Wenn sich oktaedrische Metallcluster gemeinsame Ecken teilen, können auch Strukturen mit zwei- oder dreidimensional verbrückten Metallclustern realisiert werden, wofür die Strukturen von BaNb4O6 oder NbO Beispiele sind. Analog zur Eckenverknüpfung existieren kantenverknüpfte Oktaeder, die Dimere, Trimere usw. bilden können. In der Struktur von NaMo4O6 sind [Mo6O12]Einheiten über gemeinsame Kanten der Metalloktaeder zu eindimensionalen Strängen verknüpft. Dabei entfallen die über diesen Kanten liegenden Sauerstoffatome und acht weitere erhalten verbrückende Funktionen zwischen benachbarten Metallclustern eines Stranges in der Struktur von [Mo2Mo4.2O2O8.2]K. Alternativ zu dieser Betrachtung könnten diese Strukturen anhand von Lückenbesetzungen in dichtest gepackten Kugeln aus Sauerstoffatomen beschrieben werden.

2.9.5.6 Perowskite Mehrere hundert ternäre Metalloxide und viele ternäre Metallhalogenide kristallisieren in der nach dem Mineral CaTiO3 benannten Perowskit-Struktur des allgemeinen Formeltyps ABX3 oder einer verzerrten Strukturvariante davon. Im Falle ternärer Oxide entsteht die ABO3-Struktur formal durch Auffüllen der relativ offenen ReO3-Struktur mit einem weiteren Kation A (Abb. 2.75). Dabei ist das größere Kation A (Koordinationszahl 12) etwa so groß wie ein Sauerstoffion und bildet gemeinsam mit diesem eine kubisch dichte Kugelpackung (AO3). Im Gegensatz hierzu entsteht die Ilmenit-Struktur, wenn die Kationen A und B in ABO3 etwa gleich groß sind (Beispiele sind MTiO3 mit M Z Fe, Co, Ni). Die Struktur des Ilmenits ist eng mit der des Korunds (vgl. Tabelle 2.4) verwandt.

2.9 Verbindungen der Metalle

307

¯ Abb. 2.75 Die Struktur des Minerals Perowskit CaTiO3 (Raumgruppe Pm3 m) in zwei Ansichten. Links: Die Sauerstoffionen bilden zusammen mit Calciumionen (A-Teilchen von ABO3) eine kubisch dichte Kugelpackung (flächenzentrierte Anordnung), in der ein Viertel der Oktaederlücken durch Titan-Ionen (B-Teilchen) besetzt ist.

In der Ilmenit-Struktur bilden die Sauerstoffionen eine hexagonal dichteste Kugelpackung. Kationen zweier Sorten besetzen jeweils ein Drittel der Oktaederlückenschichten, sodass die Schichten alternierend jeweils ein Kation einer Sorte enthalten. Genauer betrachtet erfordert die Geometrie der kubischen Perowskit-Struktur, dass die Ionenradien im richtigen Verhältnis zueinander stehen (τ Z 1), um allseitigen Ionenkontakt zu gewährleisten: rACrO τZ √ 2 (rB CrO) Die meisten Perowskite mit Toleranzfaktoren τ zwischen 0.9 und 1.0 kristallisieren in einer kubischen Struktur. Die Abweichung des Toleranzfaktors von seinem Idealwert (τ Z 1) wird von den Radien der Teilchen A und B beeinflusst und bewirkt verschiedenartig verzerrte Perowskit-Strukturen oder den Übergang in eine andere Struktur. Tabelle 2.27 Verbindungen mit Strukturen vom Perowskit-Typ. (Ideal) Kubisch SrTiO3, SrZrO3, SrHfO3, SrFeO3, SrSnO3, BaCeO3, EuTiO3, LaMnO3 Strukturen mit mindestens einer verzerrten Perowskit-Variantea) BaTiO3 (kubisch, tetragonal, orthorhombisch, rhomboedrisch) KNbO3 (kubisch, tetragonal, orthorhombisch, rhomboedrisch) RbTaO3 (kubisch, tetragonal) PbTaO3 (kubisch, tetragonal) a)

Mit steigender Temperatur treten Phasenübergänge in Richtung höherer Kristallsymmetrie auf (z. B. von tetragonal nach kubisch).

308

2 Festkörperchemie

Bariumtitanat bildet fünf kristalline Modifikationen, von denen drei ferroelektrische Eigenschaften besitzen. Da die Ti4C-Ionen (r (Ti4C) Z 61 pm) im [TiO6]-Oktaeder Bewegungsspielraum besitzen, resultieren in Abhängigkeit von der Temperatur verschiedene Strukturverzerrungen, die mit Phasenübergängen verknüpft sind (Abb. 2.76). Die verschiedenen Strukturen sind dadurch gekennzeichnet, dass die Ti4C-Ionen um rund 10 bis 15 pm aus den Oktaedermittelpunkten verschoben sind (Ti-O-Abstand rund 195 pm). Unterhalb der Curie-Temperatur (TC Z 120 (C) treten drei strukturelle Verzerrungsvarianten der kubischen Perowskit-Struktur von BaTiO3 auf, die in nicht zentrosymmetrischen Raumgruppen kristallisieren:

Abb. 2.76 Die Strukturen der rhomboedrischen (R3m), orthorhombischen (hier: Subzelle von Amm2), tetragonalen (P4mm) und kubischen (Pm3m) Modifikationen von BaTiO3 (von links nach rechts). Die Verschiebungen der Titanionen sind übersteigert dargestellt und durch Pfeile markiert. In der rhomboedrischen Struktur sind die Titanionen entlang einer Raumdiagonale [111], in der orthorhombischen Struktur entlang einer Flächendiagonale [110] der Subzelle und in der tetragonalen Struktur parallel zur vierzähligen Drehachse verschoben.

Die ferroelektrischen Eigenschaften von BaTiO3. Die ferroelektrischen Eigenschaften von Feststoffen lassen sich mit den ferromagnetischen Eigenschaften vergleichen. Ferroelektrische Substanzen sind im ferroelektrischen Zustand elektrisch polarisierbar, und es entsteht ein spontanes Dipolmoment. Beim Phasenübergang in eine Hochtemperaturphase verschwindet die spontane elektrische Polarisation. Analog zu den Ferromagnetika wird die Übergangstemperatur Curie-Temperatur und die Hochtemperaturphase paraelektrische Phase genannt. Wird eine elektrisch nichtleitende kristalline Substanz, die in diesem Zusammenhang als Dielektrikum bezeichnet wird, durch ein elektrisches Feld polarisiert, dann verschieben sich die in der Substanz vorhandenen elektrischen Ladungen. Da positive und negative elektrische Ladungen in entgegengesetzte Richtungen verschoben werden, entstehen im Kristall elektrische Dipole. In der tetragonalen Struktur von BaTiO3 sind vor allem die Ti4C-Ionen parallel zur vierzähligen Drehachse verschoben, und es resultieren elektrische Dipole. Unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes können die Dipole unterschiedlicher Domänen im Kristall parallel zueinander zu einem Eindomänen-Zustand ausgerichtet werden (ferroelektrischer Effekt). Die Orientierung dieser Momente bleibt auch nach dem Abschalten des elektrischen Feldes erhalten, sodass ein nach außen wirksames Dipolmoment resultiert. Ferroelektrische Materialien verhalten sich unter dem Einfluss eines elektrischen Feldes analog zur Hysteresekurve von ferromagnetischen Materialien im

2.9 Verbindungen der Metalle

309

magnetischen Feld. Durch elektrische Polarisation im externen elektrischen Feld können alle Domänen im Kristall parallel zur Feldrichtung orientiert werden. Wenn alle Dipole parallel zueinander ausgerichtet sind, ist die Sättigungspolarisation erreicht. Nach dem Abschalten des elektrischen Feldes bleibt die remanente Polarisation erhalten. Zur Entpolarisation muss die Koerzitivkraft aufgewendet werden. Das Hystereseverhalten entspricht vollständig dem der ferromagnetischen Materialien (vgl. Abb. 2.71, unter Austausch von H gegen die elektrische Feldstärke und M gegen die elektrische Polarisation). Bariumtitanat ist ein wichtiges ferroelektrisches Material mit piezoelektrischen Eigenschaften und einer hohen Dielektrizitätskonstante für Anwendungen in Kondensatoren, Ultraschallgebern und elektrooptischen Modulatoren und Schaltern. Ebenfalls von kommerziellem Interesse sind PZT-Keramiken aus Bleizirconiumtitanoxid PbZr1KxTixO3 (0 ! x ! 1), die optische, ferro- und piezoelektrische Eigenschaften besitzen.

2.9.5.7 Wolframoxide und Oxidbronzen Nichtstöchiometrie, bedingt durch unvollständig besetzte A-Plätze, tritt in den kubischen Wolframbronzen AxWO3 (A Z H, Alkalimetall, Cu, Ag, Tl, Pb) auf. Allgemein wird der Name „Bronzen“ für eine Reihe ternärer Metalloxide AxMyOz verwendet, in denen A Z H, NH4, Alkali-, Erdalkali-, Seltenerdmetalle, Metalle der Gruppen 11 oder 12 und M Z Ti, V, Mn, Nb, Ta, Mo, W oder Re vorhanden sind. Wolfram- und Molybdänbronzen entstehen durch Reduktion der entsprechenden Trioxide mit A-Metall. Die resultierenden Verbindungen AxWO3 sind in Abhängigkeit von x farbig (orange, rot, blauschwarz) und besitzen metallischen Glanz. Im Bereich von 0.3 % x % 0.9 tritt die aufgefüllte WO3-Struktur auf. Darin besetzen A-Atome wie in der Perowskit-Struktur die Hohlräume einer ReO3-Gerüststruktur. Für AxWO3 (A Z einwertiges Ion) befinden sich x Elektronen im Leitungsband (vgl. die Bandstruktur von ReO3). Besondere Eigenschaften von Oxidbronzen sind topotaktische Redoxreaktionen, die je nach Zusammensetzung zu Verbindungen mit veränderten Eigenschaften führen (Farbe, elektrische Leitfähigkeit, Reflektivität usw.). Bei den Wasserstoff-Molybdänbronzen HxMoO3 (0 ! x % 2) können durch Interkalation in die MoO3-Struktur vier Phasen unterschieden werden: blaues orthorhombisches H0.23K0.40MoO3, blaues monoklines H0.85K1.04MoO3, rotes monoklines H1.55K1.72MoO3 und grünes monoklines H2MoO3.

2.9.5.8 Spinelle Von dem Mineral Spinell MgAl2O4 leitet sich die gleichnamige Verbindungsklasse der Spinelle mit der allgemeinen Formel AB2X4 ab. X ist meistens ein Chalkogenatom, am häufigsten Sauerstoff oder Schwefel. Die notwendige Ladungssumme der Kationen von acht wird in Chalkogenid-Spinellen durch die

310

2 Festkörperchemie

Abb. 2.77 Struktur des Minerals Spinell MgAl2O4 (AB2O4). Der Anionenparameter wurde auf den Idealwert (x Z 0.375) gesetzt, um unverzerrte Würfel (Oktaeder) zu erhalten und somit einen besseren Einblick in die Struktur geben zu können (Raumgruppe Fd3m).

Kationenkombinationen A2C C 2 B3C oder A4C C 2 B2C oder A6C C 2 BC erreicht, was zu den so genannten (2,3)-, (4,2)- oder (6,1)-Spinellen führt. Die Elementarzelle der Spinell-Struktur (Abb. 2.77) enthält acht Formeleinheiten AB2O4. Die Sauerstoffionen bilden die kubisch dichteste Packung, deren tetraedrische Lücken bei normalen Spinellen zu einem Achtel von A-Ionen und deren oktaedrische Lücken zur Hälfte von B-Ionen besetzt sind. In Spinellen mit inverser Struktur BTet. [AB]Okt.O4 besetzen Ionen vom Typ B tetraedrische Lücken und Ionen vom Typ A und B oktaedrische Lücken. Von den insgesamt acht Tetraederlücken und vier Oktaederlücken sind nur 1.8 bzw. 1.2 mit Kationen besetzt: Normale Spinellstruktur: (A)Tet. [B2]Okt.O4 Inverse Spinellstruktur: (B)Tet. [AB]Okt.O4 Für das Auftreten von normalen oder inversen Spinellstrukturen sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Die wichtigsten hiervon sind: 1. Anionenparameter und die relativen Größen der Kationen A und B Die kubisch-flächenzentriert angeordneten Oxidionen besetzen die spezielle Lage (x, x, x), wobei der Idealwert des so genannten Anionenparameters x 0.375 beträgt. Wenn der Anionenparameter von seinem Idealwert abweicht, treten Verzerrungen der oktaedrischen Koordination auf. Außerdem werden bei Zunahme des Anionenparameters die Oktaederlücken kleiner und die Tetraederlücken größer (und umgekehrt bei Abnahme des Anionenparameters). Für den Anionenparameter sind auch die relativen Größen von Anionen und Kationen von Bedeutung. Der Radienquotient r (K).r (A) sollte bei der Besetzung tetraedrischer Lücken nicht kleiner als 0.22 und bei oktaedrischen Lücken nicht kleiner als 0.41 sein, sofern keine Polarisationseffekte wirksam sind.

2.9 Verbindungen der Metalle

311

2. Madelung-Konstante In einer Spinell-Struktur ist die Ionenkonfiguration mit der größeren Madelung-Konstante die stabilere, da sie eine größere Gitterenergie bewirkt. 3. Ligandenfeldstabilisierungsenergie Die Differenz der Ligandenfeldstabilisierungsenergien eines Übergangsmetallions im tetraedrischen oder oktaedrischen Ligandenfeld beeinflusst die Kationenanordnung in einer Verbindung. In Oxiden besitzen Übergangsmetalle in der Regel eine high-spin-Konfiguration. Die Energieaufspaltung ist im oktaedrischen Ligandenfeld unter vergleichbaren Bedingungen größer als im 4 tetraedrischen Feld (∆Tet. z ∆Okt.). Somit ergibt sich für fast jede mögliche 9 Elektronenkonfiguration für die oktaedrische Koordination eine höhere Ligandenfeldstabilisierungsenergie (LFSE) als für die tetraedrische Koordination (Tabelle 2.28). Für die d5- (high-spin-) und d10-Konfiguration sind oktaedrische und tetraedrische Ligandenfelder energetisch gleichwertig. Die hinsichtlich der Ligandenfeldeffekte präferenzlosen Ionen mit d5- oder d10-Konfiguration (Mn2C, Fe3C, Zn2C, Ga3C, In3C) werden auch als kugelsymmetrische Ionen bezeichnet und können oktaedrische oder tetraedrische Lücken besetzen. In Kombinationen mit anderen Übergangsmetallen entstehen normale Spinell-Strukturen, wenn die kugelsymmetrischen Ionen zweiwertig sind (z. B. ZnCr2O4 Z Zn2C[(Cr3C)2]O4) und inverse Spinell-Strukturen, wenn die kugelsymmetrischen Ionen dreiwertig sind (z. B. NiFe2O4 Z Fe3C[Ni2CFe3C]O4). Bei der Kombination von nicht kugelsymmetrischen zwei- und dreiwertigen Kationen entscheidet die höhere LFSE, ob eine normale oder inverse Spinell-Struktur gebildet wird. Wegen ihrer hohen LFSE bevorzugen Chrom (III)-Spinelle wie FeCr2O4 stets die normale Spinell-Struktur, Ni (II)-Spinelle meist die inverse Spinell-Struktur (zur LFSE vgl. Tabelle 2.28). Tabelle 2.28 Ligandenfeldstabilisierungsenergien (LFSE) für die oktaedrische und die tetraedrische Koordination. Anzahl der Elektronen

Oktaederplatz Konfiguration

1

t 2g

2

2 t 2g 3 t 2g 3 t 2g eg1 3 t 2g eg2 4 t 2g eg2 5 t 2g eg2 6 t 2g eg2 6 t 2g eg3

3 4 5 6 7 8 9 a)

1

Tetraederplatz Konfiguration

LFSE in Dq Okt a)

K4

e1

K2.7

K8

2

LFSE in Dq

K12 K6 0

e

K5.3

e2 t 2

1

K3.6

2 t2 3 t2 3 t2 3 t2 4 t2 5 t2

K1.8

2

e e

2

K4

e3

K8

e4

K12

e

4

K6

e4

0 K2.7 K5.3 K3.6 K1.8

Für die Berechnung wird angenommen, dass die tetraedrische Ligandenfeldaufspaltung 4.9 der oktaedrischen beträgt.

312

2 Festkörperchemie

Die Kationenanordnung in einer Spinell-Struktur kann nicht immer genau vorhergesagt werden, da sie vom Zusammenspiel der erwähnten Einflussgrößen abhängt. Letztlich entscheidet die Energiedifferenz zwischen den möglichen Anordungen, welche Struktur realisiert wird. Tabelle 2.29 Beispiele für Spinellstrukturen. Typ Normale Spinelle 2,3

Inverse Spinelle 2,3 4,2 Partiell inverse Spinelle 2,3 a)

b) c)

d)

Verbindung MgB2O4 ZnB2O4 CdB2O4 CoB2O4 FeCr2O4

B Z Al, Ti, V, Cr, Mna), Rh B Z Al, Ga, V, Cr, Mna), Fe, Co, Rh B Z Ga, Cr, Mna), Fe, Rh B Z Al, V, Cr, Mna), Cob)

FeB2O4 AFe2O4 AMg2O4 ACo2O4 AZn2O4

B Z Ga, Fe A Z Co, Ni, A Z Ti, Vd), A Z Ti, Vd), A Z Ti, Vd),

MgFe2O4 CuAl2O4

λ Z 0.45 λ Z 0.2

Cuc) Sn Sn Sn

Für die d4-Konfiguration (high-spin) von Mn3C tritt im oktaedrischen Ligandenfeld eine JahnTeller-Verzerrung auf, die eine tetragonale Strukturverzerrung bewirkt (analoges gilt für Ionen mit d7-low-spin- und d9-Konfigurationen). In Co2C[(Co3C)2]O4 besetzen die magnetisch anormalen low-spin-Co3C-Ionen wegen ihrer günstigeren LFSE im oktaedrischen Ligandenfeld oktaedrische Lücken. Kubisch bei hohen Temperaturen (und nach Abschrecken von 760 (C), aber tetragonale Struktur durch Jahn-Teller-Verzerrung der oktaedrischen [CuO6]-Koordination durch (d9-) Cu2C. Die V4C-Spinelle sind nur in Gegenwart einiger V3C-Ionen beständig.

Am häufigsten treten (2,3)-Spinelle auf, deren dreiwertige Ionen oktaedrische Lücken besetzen. (4,2)-Spinelle sind meistens invers (B2C)Tet. [A4CB2C]Okt.O4, da das Kation mit der höheren Ladung den höher koordinierten Platz bevorzugt. Dieser Trend wird zusätzlich durch große A4C-Ionen unterstrichen, wenn die Radienquotientenregel [r (A4C).r (O2K) O 0.41] die Koordinationszahl sechs vorhersagt. Außer normalen oder inversen Spinellstrukturen gibt es Defektvarianten, in denen der Fehlordnungsgrad λ den Anteil der B-Kationen auf Tetraederplätzen angibt. Daher kann der Fehlordnungsgrad für Spinelle zwischen λ Z 0 und λ Z 0.5 liegen. Für normale Spinelle gilt λ Z 0, (A)Tet. [B2]Okt.O4, und für inverse Spinelle λ Z 0.5, (B)Tet. [AB]Okt.O4. Der Fehlordnungsgrad λ nimmt für eine bestimmte Verbindung nicht unbedingt einen festen Wert an, da λ von den Reaktionsbedingungen abhängt (z. B. Abkühlgeschwindigkeit).

2.9 Verbindungen der Metalle

313

Magnetit und Ferrite Viele Verbindungen der allgemeinen Zusammensetzung MFe2O4 kristallisieren wie die gemischtvalente Verbindung Fe3O4 (Magnetit) in der inversen Spinellstruktur. In (Fe3C)Tet. [Fe2CFe3C]Okt.O4 besetzen Fe2C- und Fe3C-Ionen in ungeordneter Weise die Hälfte aller B-Oktaederplätze. Aus dem Ladungsaustausch zwischen den Eisenionen auf Oktaederlücken resultiert die hohe elektrische Leitfähigkeit des Magnetits (σ z 200 S.cm bei Raumtemperatur). Unterhalb 119 K nimmt die Leitfähigkeit sprunghaft ab, da eine Struktur mit geordneter Anordnung der Fe2C- und Fe3C-Ionen entsteht.

Abb. 2.78 Schematische Darstellung der magnetischen Struktur ferrimagnetischer Spinelle am Beispiel von Fe3O4 zwischen Tc z 850 K und Tt Z 119 K (Phasenübergang). In der Struktur von (Fe3C)Tet. [Fe2CFe3C]Okt.O4 sind Spins der tetraedrisch koordinierten Fe3C-Ionen antiparallel zu allen oktaedrisch koordinierten Ionen orientiert (Superaustausch über Sauerstoff-p-Orbitale). Daher heben sich die Momente der Fe3C-Ionen gegenseitig auf, und übrig bleiben die magnetischen Momente der Fe2C-Ionen. Zum Vergleich siehe Spinell-Struktur in Abb. 2.77.

Zu den besonderen Eigenschaften von Magnetit und der Ferrite MFe2O4 zählt ihr Magnetismus.15 Ursache der magnetischen Ordnung im Magnetit sind antiparallele Kopplungen zwischen allen Kationen auf A-Plätzen (Fe3C) mit Kationen auf B-Plätzen durch Superaustausch [:(AKOKB) etwa 135(]. Deshalb sind alle Kationen auf B-Plätzen (Fe2C und Fe3C) parallel zueinander gekoppelt. Durch die Kompensation der Spins zwischen den Fe3C-Ionen auf tetraedrischen und oktaedrischen Plätzen ist das Spinmoment der Fe2C-Ionen für die ferrimagnetischen Eigenschaften des Magnetits ausschlaggebend (Abb. 2.78). Analoges gilt für die M2C-Ionen mit ungepaarten Spins von MFe2O4-Ferriten mit inversen Spinell-Strukturen. Magnesiumferrit sollte als vollständig inverser Spinell antiferromagnetisch sein, (Fe3CY)Tet. [Mg2CFe3C[]Okt.O4, da sich die Momente der Fe3C-Ionen gegenseitig aufheben. Tatsächlich verursacht die ungleiche Zahl von Fe3C15

Die magnetischen Eigenschaften von Magnetit werden seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, in Kompassnadeln genutzt. Aber auch in Bakterien und Zellen wurde Magnetit nachgewiesen, welches Mikroorganismen und Kleinlebewesen offenbar bei der Orientierung relativ zum magnetischen Feld der Erde dient.

314

2 Festkörperchemie

Ionen auf A- und B-Plätzen des unvollständig (Fe2λYMg1K2λ)Tet. [Mg2λFe2(1Kλ)[]Okt.O4 Ferrimagnetismus.

inversen

Spinells

2.9.5.9 Magnetoplumbit Ferrite wie das Mineral Magnetoplumbit PbFe12O19 und die analoge Bariumverbindung BaFe12O19 (kurz: BaM) gehören zu den hartmagnetischen Ferriten. Hartmagnetische Materialien sind durch hohe Werte ihrer Remanenz gekennzeichnet und werden als Dauermagnete verwendet. Die Darstellung erfolgt beispielsweise aus α-Fe2O3 und Metallcarbonat: ∆, KCO2

6 Fe2O3 C BaCO3 $###% BaFe12O19 Die Struktur von PbFe12O19 besteht aus alternierenden Schichten von Magnetit (Fe3O4) und Pb2C-Ionen. Wie in der Struktur von Na-β-Al2O3 liegen Spinellschichten vor, von denen jede fünfte Schicht Sauerstoffleerstellen sowie zweiwertige Kationen (Pb2C oder Ba2C) enthält. Die Fe3C-Ionen besetzen fünf kristallographisch unterscheidbare Positionen. In einer Formeleinheit PbFe12O19 sind die Spins von acht Fe3C-Ionen parallel zueinander angeordnet und die von vier Fe3C-Ionen antiparallel zu diesen. Das magnetische Moment für ein Fe3C beträgt µ Z g · S Z 2 · 5.2 Z 5 BM (vgl. Abschnitt 2.7.2). Für PbFe12O19 folgt µ Z 8 · 5 BM K 4 · 5 BM Z 20 BM. Verwendung finden hartmagnetische Ferrite in Relais, Lautsprechern, Gleichstrommotoren und -generatoren sowie in Haftmagneten für Schließsysteme.

2.9.5.10 Granate Die Struktur des Minerals Granat Ca3Al2Si3O12 (Abb. 2.79) lässt verschiedene Kationenkombinationen zu. In dem siliciumfreien Granat Y3Al5O12 besetzen die Aluminiumatome zusätzlich Siliciumpositionen. Yttrium-Aluminium-Granate (YAG) können, wenn sie z. B. mit Seltenerdmetallen dotiert sind, für Fluoreszenzlampen, Festkörperlaser und Fernsehbildschirme verwendet werden. Mit Neodym dotierter Yttrium-Aluminium-Granat, Y3Al5O12 : Nd (kurz YAG : Nd), ist das Lasermedium der leistungsstärksten Laser. Die Aluminiumionen können in Y3Al5O12 durch andere dreiwertige Ionen oder durch Kombinationen dieser ersetzt werden (Fe3C, Co3C, Cr3C, In3C, Ga3C, Sc3C). Ebenso kann Yttrium durch Lanthanoidionen (Eu, Gd, Tb, .) substituiert werden. Granate wie Ferrite mit magnetisch inäquivalenten Metalluntergittern zählen zu den wichtigen magnetischen Metalloxiden. Ein wichtiges Beispiel ist der Yttrium-Eisen-Granat (YIG) mit Anwendungen in Mobiltelefonen und magnetischen Datenspeichern. Yttrium-Eisen-Granat Y3Fe5O12 kristallisiert kubisch mit 8 Formeleinheiten in der Elementarzelle. Fe3C-Ionen besetzen entsprechend Y3 (Fe2)Okt. [Fe3]Tet.O12 oktaedrische und tetraedrische Gitterplätze, und die Y3C-Ionen sind dodekaedrisch koordiniert. Das magnetische Untergitter der Eisenionen auf Tetraederplätzen steht antiparallel zu dem der Eisenionen auf Oktaederplätzen:

2.9 Verbindungen der Metalle

315

Abb. 2.79 Ausschnitt aus der Granat-Struktur Ca3Al2Si3O12 (Raumgruppe Ia3d) mit hervorgehobenen Sauerstoff-Koordinationspolyedern um die Kationen. Die Granat-Struktur besteht aus einem Netzwerk von [AlO6]-Oktaedern und [SiO4]-Tetraedern, die grau hervorgehoben sind. Calcium (große schwarze Kugeln) hat die Koordinationszahl acht. Ein verzerrtes [CaO8]-Dodekaeder ist ebenfalls hervorgehoben.

Y3 (Fe2[)Okt. [Fe3Y]Tet.O12 (unterhalb TC Z 545 K für Y3Fe5O12) Das resultierende magnetische Moment entspricht 15 BM[Fe3Y] K 10 BM(Fe2[) Z 5 BM. Die magnetischen Eigenschaften können durch (partielle) Atomsubstitutionen auf den Eisenplätzen verändert werden. Erwartungsgemäß führt der Austausch nicht magnetischer Ionen gegen einige Fe3C-Ionen auf oktaedrischen oder gegen einige Fe3C-Ionen auf tetraedrischen Plätzen zur Erhöhung oder zur Erniedrigung der Magnetisierung: Y3 (Fe1.75[Sc0.25)Okt. [Fe3Y]Tet.O12 oder Y3 (Fe2[)Okt. [Fe2.75YGa0.25]Tet.O12 Durch Austausch des nicht magnetischen Yttriums durch ein magnetisches Lanthanoidion resultiert eine parallele Kopplung der magnetischen Momente mit den Momenten der oktaedrisch koordinierten Ionen. Beispiele sind GadoliniumEisen-Granat (GIG) Gd3[(Fe2[)Okt. [Fe3Y]Tet.O12 oder Dysprosium-Eisen-Granat (DIG) Dy3[(Fe2[)Okt. [Fe3Y]Tet.O12.

2.9.5.11 Synthesen von Metalloxiden über wässrige Lösungen, Sol-Gel-Synthese von YAG Lösungen sind durch homogene Verteilungen der Atome oder Partikel und hohe Diffusionskonstanten gekennzeichnet. Deshalb erfordern Reaktionen in Lösun-

316

2 Festkörperchemie

gen im Vergleich zu fest-fest-Reaktionen nur relativ niedrige Reaktionstemperaturen, sodass auch thermisch metastabile Verbindungen leicht hergestellt werden können, die über fest-fest-Reaktionen nicht direkt zugänglich sind. Weiterhin können Stoffe über Sol-Gel-Synthesen durch bestimmte Trocknungsprozesse in unterschiedlicher Weise strukturiert werden. Unterschiedliche Varianten von SolGel-Synthesen kommen bei der Biomineralisation (z. B. bei der Bildung von Zähnen und Knochen) vor oder werden bei der Herstellung neuartiger Materialien (Nanokeramiken, Aerogele, photoaktive Beschichtungen aus TiO2 usw.) eingesetzt. Der erste Schritt einer Sol-Gel-Synthese ist die Herstellung eines Sols. Ein Sol ist eine Suspension aus Molekülen, Clustern oder kolloidal gelösten Teilchen. Häufig wird in wässrigen oder polaren Lösungsmitteln gearbeitet. Bei löslichen Ausgangsverbindungen wird anstatt eines typischen Sols eine Lösung aus Metallsalzen hergestellt. Wässrige Lösungen aus Al (NO3)3 · 9 H2O und Y(CH3COO)3 · 4 H2O werden bei der Sol-Gel-Synthese von Granaten wie Y3Al5O12 (YAG) eingesetzt. Um bereits im Sol Vernetzungen zu erzeugen, sind verbrückende Liganden oder Hydrolysereaktionen der Konstituenten erforderlich. Im Fall der YAG-Synthese wird der wässrigen Lösung unter mildem Heizen (ca. 60 (C) EDTA, Glykol oder Zitronensäure zugesetzt. Wenn das Sol durch Entzug des Lösungsmittels (Erhitzen auf ca. 110 (C) destabilisiert wird, nimmt die Vernetzung (Kondensation) unter Gelierung zu. In einem Gel ist jedes Teilchen in ein unregelmäßiges dreidimensionales kontinuierliches Netzwerk mit einer flüssigen Phase eingebaut. Durch die Art der Zersetzung eines Sols oder Gels ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten, einen Stoff zu strukturieren und daraus z. B. Nanoteilchen, Keramiken, Aeorgele oder Schichten zu erzeugen (Abb. 2.80). Gut kristalline Verbindungen vom Granat-Typ, wie SE3Al5O12 (SE Z Seltenerdelement, können über die Zersetzung eines Gels unterhalb von 1 000 (C herge-

Abb. 2.80 Unterschiedliche Möglichkeiten zur Strukturierung von Materialien ausgehend vom Sol oder Gel bei der Sol-Gel-Synthese. Nicht enthalten ist die Erzeugung von Schichten durch Eintrocknen der Lösung auf einem Substrat.

2.9 Verbindungen der Metalle

317

stellt werden. Allerdings nimmt die Stabilität von Granaten des Typs SE3Al5O12 zu den großen Seltenerdionen ab. So kann das thermisch metastabile Eu3Al5O12 zwar über die Sol-Gel-Synthese, nicht aber über eine direkte Feststoffreaktion der Oxide hergestellt werden. Auch andere Oxide, wie z. B. Perowskite oder Oxocuprate, können über SolGel-Synthesen hergestellt und strukturiert werden. Zur Synthese von BaTiO3 werden Ba (OH)2 und TiCl4 in alkalischer Lösung (pH Z 12K14) bei 90 (C zur Reaktion gebracht. Anschließend wird das Sol eingeengt und das Hydroxidgel getrocknet: Ba (OH)2 C TiCl4 C 4 NaOH $% BaTiO3 C 4 NaCl C 3 H2O Modifizierte Verbindungen mit Perowskit-verwandter Struktur, wie Bleizirconiumtitanoxide (PZT-Materialien) lassen sich auf analoge Weise herstellen. Entsprechende Festkörpersynthesen aus den binären Oxiden würden Temperaturen von über 1 000 (C erfordern. Unter solchen Bedingungen lassen sich die genauen Zusammensetzungen von PbZr1KxTixO3 wegen der Flüchtigkeit von PbO nicht gewährleisten.

2.9.5.12 Leuchtstoffe Ein Leuchtstoff (oder Phosphor) ist ein Material, welches in der Lage ist, nach der Aufnahme von Energie Licht zu emittieren K zu lumineszieren. Zur Herstellung eines Leuchtstoffs werden farblose, salzartige Wirtsstrukturen gezielt mit Metallionen dotiert (! 5 mol-%). Diese Ionen oder Aktivatoren verursachen in den Strukturen Substitutionsdefekte. Gemäß der üblichen Nomenklatur wird eine Dotierung durch einen Doppelpunkt gekennzeichnet. Beispielsweise ist die dotierte Verbindung La2O3 : Eu durch die Zusammensetzung La2KxEuxO3 (typischerweise mit x ! 0.1) charakterisiert. Die in Feststoffen inkorporierten Metallionen (Aktivatoren) können Licht emittieren, nachdem sie angeregt worden sind. Je nach Art der Anregung unterscheidet man u. a. zwischen Elektrolumineszenz (Anregung durch elektrischen Strom) und Photolumineszenz (Anregung durch UV-Licht). Bei diesen Prozessen werden Elektronen in energetisch höher liegende Energiezustände angeregt, um anschließend unter Aussendung von Licht (Lumineszenz) in ihren Grundzustand zurückzufallen. Ein schematisches Photolumineszenzspektrum ist in Abb. 2.81 gezeigt. Dabei wird ein Leuchtstoff mit höherer Energie, z. B. Röntgen- oder UV-Strahlung, angeregt und emittiert spontan Lumineszenzstrahlung niedrigerer Energie. Die Wellenlänge der Emission und damit die Farbe der Lumineszenz kann durch die Wirtsstruktur beeinflusst werden. Dabei bestimmt die Umgebung, in der sich ein Metallion (Aktivator) in einer Wirtsstruktur befindet, über die Kristallfeldaufspaltung den genauen Abstand zwischen den Energiebändern und somit die Wellenlänge der Emission. Zur Erklärung der Lumineszenzeigenschaften von Ionen können die Termdiagramme der Ionen herangezogen werden. Durch die Einbindung von Ionen in Kristallstrukturen werden die Übergangsenergien der Ionen mehr oder weniger stark verändert, je nachdem, wie stark die Wechselwirkung mit den umgebenden

318

2 Festkörperchemie

Abb. 2.81 Die Anregung eines Leuchtstoffs (Absorption) und die daraus resultierende Emission (Lumineszenz) von Licht.

Atomen der Wirtsstruktur ist. Für lichttechnische Anwendungen sind im Allgemeinen 5sK5p-, 6sK6p-, 3dK3d-, 4fK5d- und 4fK4f-Übergänge von Bedeutung. Bei fKf-Übergängen hat die Anordnung der umgebenden Matrix einen vernachlässigbaren Einfluss auf die energetische Lage der f-Energieniveaus, weshalb 4fIonen stets nahezu unveränderte Spektren (Emissionsfarben) zeigen. Aktivatoren mit diskreten 4fK4f-Übergängen erzeugen in den meisten Fällen schmale Linienbanden mit charakteristischen Lumineszenzfarben, wie z. B. bei Sm3C (rotviolett), Eu3C (rot), Tb3C (grün), Er3C (grün), Dy3C (gelb) und Tm3C (blau). Leuchtstoffe, die weißes Licht aussenden, entstehen aus Kombinationen von farbigen Leuchtstoffen. Dabei gilt das Prinzip der additiven Farbmischung, wonach weißes Licht durch die Überlagerung der drei Grundfarben rot, grün und blau erzeugt werden kann. Das CIE-Diagramm (Commission Internationale d’Eclairage) ordnet alle durch additive Mischung von Spektralfarben erzeugbaren Farbtöne in einer Ebene mit Weiß im Zentrum an. Gemäß diesem Prinzip kann aus drei Leuchtstoffen (Dreibandenleuchtstoff) weißes Licht erzeugt werden. In einer Leuchtstoffröhre werden beispielsweise die Leuchtstoffe Y2O3 : Eu(3C) (Lumineszenzfarbe rot), CeMgAl11O19 : Tb (grün) und BaMgAl10O17 : Eu(2C) (blau) kombiniert und durch UV-Strahlung zur Emission von weißem Licht angeregt. Breite Emissionsbanden entstehen durch starke Wechselwirkungen zwischen den Aktivatoren und den umgebenden Atomen einer Wirtsstruktur (starke Kristallfeldaufspaltungen), vorzugsweise bei sKp- oder 4fK5d-Übergängen. Beispiele hierfür sind die Aktivatoren Eu2C, Bi3C und Ce3C in BaFCl : Eu, YPO4 : Bi und Y3Al5O12 : Ce (Tabelle 2.30). Eu2C-Leuchtstoffe können in Abhängigkeit von der Wirtsstruktur Licht in nahezu jeder Spektralfarbe aussenden. BaFCl : Eu dient zur Konvertierung von Röntgenstrahlung in sichtbares Licht und wird in Bildplatten zur Detektion von Röntgenstrahlen verwendet. Leuchtstoffmischungen aus YPO4 : Ce oder BaSi2O5 : Pb (UV-A) und LaPO4 : Ce (UV-B) ähneln dem UV-Strahlungsanteil des Tageslichts und können in Bräunungslampen eingesetzt werden. Die modifizierten Granate YAG : Ce (Y3Al5O12 : Ce) und TAG : Ce

2.9 Verbindungen der Metalle

319

Tabelle 2.30 Ausgewählte Leuchtstoffe, Aktivatoren und ihre Emissionen. Leuchtstoff

Aktivator

Anregung

Wellenlänge, Farbe der Emission, B Z Breitband-Emission, L Z Linienbande

Y2O3 : Eu BaFCl : Eu Y3Al5O12 : Ce Zn2SiO4 : Mn Al2O3 : Cr Y3Al5O12 : Nd BaSi2O5 : Pb LaPO4 : Ce YPO4 : Bi

Eu3C Eu2C Ce3C Mn2C Cr3C Nd3C Pb2C Ce3C Bi3C

4fK4f 4fK5d 4fK5d 3dK3d 3dK3d 4fK4f 6sK6p 4fK5d 6sK6p

611 390 540 530 694 1064 350 320 240

nm, nm, nm, nm, nm, nm, nm, nm, nm,

orangerot, L violett, B grüngelb, B grün, L tiefrot, L (Rubin-Laser) IR, L (YAG : Nd-Laser) UV-A, B UV-B, B UV-C, B

Abb. 2.82 Absorption (4f 15d0 $% 4f 05d1) und Emission (4f 05d1 $% 4f 15d0) von Ce3C in Y3Al5O12:Ce.

(Tb3Al5O12 : Ce) werden in Leuchtdioden verwendet. Der Ce3C-Leuchtstoff YAG : Ce sendet eine breite Emissionsbande zwischen 560 und 680 nm aus. Bei dieser Emission erfolgt ein Übergang von 4f 05d1 nach 4f 15d0, wobei die Aufspaltung des Grundzustands (2F5.2 C 2F7.2) zur Bandenverbreiterung beiträgt (Abb. 2.82). Zur Modifizierung ihrer Emissionseigenschaften werden komplex substituierte Granat-Leuchtstoffe, wie z. B. (Y,Gd)3 (Al,Ga)5O12 : Ce, durch SolGel-Methoden oder aus Schmelzen synthetisiert.

Leuchtdioden Licht emittierende Dioden (LED) enthalten Stoffe, die rotes, grünes, blaues oder auch weißes Licht aussenden können.16 Für Leuchtdioden, die weißes Licht aussenden, wird das Prinzip der additiven Farbmischung ausgenutzt. In der Praxis wird dazu ein (In1KxGax)N-Halbleiterchip verwendet, der blaues Licht mit hoher Intensität aussendet. In einer Leuchtdiode wird dieser Chip in einen Reflektor 16

Dem japanischen Materialforscher S. Nakamura gelang zu Beginn der 1990er Jahre die Herstellung von blauen, später auch grünen und weißen Leuchtdioden.

320

2 Festkörperchemie

Abb. 2.83 Emissionsspektrum einer Leuchtstoff-LED mit blauer Lumineszenz eines (In1KxGax)N-Halbleiterchips und gelber Lumineszenz eines Leuchtstoffes.

eingebettet und mit einem Leuchtstoff wie z. B. YAG : Ce oder TAG : Ce bedeckt. Ein Teil des blauen Lichts wird von dem Ce3C-Leuchtstoff absorbiert, der daraufhin gelbes Licht aussendet. Die komplementären Farben erzeugen zusammen ein weißes Licht, das als „cool white“ charakterisiert wird (Abb. 2.83). Der in diesem Licht unterrepräsentierte Rotanteil kann durch rote Leuchtstoffe wie CaS : Eu oder (Ca,Sr)2Si5N8 : Eu ergänzt werden. Leuchtdioden zeichnen sich gegenüber herkömmlichen Lichtquellen durch ihre Energieersparnis, ihre hohe Lebensdauer und schnellere Ansprechzeiten aus.

2.9.5.13 Supraleitfähigkeit Das Phänomen Supraleitung wurde erstmals im Jahre 1911 an metallischem Quecksilber beobachtet, nachdem die Verflüssigung von Helium gelungen war.17 Die intermetallischen Supraleiter NbTi, Nb3Sn oder Nb3Ge sind seit vielen Jahren bekannt und in der Technik im Einsatz. Niob und Titan bilden über einen weiten Bereich ihrer möglichen Zusammensetzungen feste Lösungen Nb1KxTix, die kubisch innenzentriert kristallisieren. Nb3Sn oder Nb3Ge kristallisieren in geordneten Strukturen des so genannten A15-Typs (Abb. 2.84), deren auffälliges Strukturmerkmal die kurzen Nb-Nb-Abstände sind. Da das Auftreten von Supraleitung bei höheren Temperaturen zunächst unerwartet war, wurden Materialien, die bei höheren Temperaturen Supraleitung zeigten, als Hochtemperatur-Supraleiter bezeichnet. Das außergewöhnliche Interesse für eine neuere Klasse von Supraleitern geht auf die Entdeckung von Hochtemperatur-Supraleitfähigkeit in der Perowskit-verwandten Phase La2KxBaxCuO4 im Jahre 1986 zurück.18 Die hierdurch ausgelöste Forschungswelle erreichte mit einer Sprungtemperatur von über 90 K für 17 18

Beide Entdeckungen gehen auf H. Kamerlingh-Onnes zurück, dem im Jahr 1913 der Nobelpreis für Physik verliehen wurde. K. A. Müller und J. G. Bednorz erhielten hierfür im Jahr 1987 den Nobelpreis für Physik.

2.9 Verbindungen der Metalle

321

Abb. 2.84 Struktur von Nb3Ge (Raumgruppe Pm3n). Niobatome (schwarz) bilden lineare Anordnungen mit NbdNb-Abständen von 258 pm (der Abstand NbdNb in Niob-Metall beträgt 286 pm).

Abb. 2.85 Die höchsten Sprungtemperaturen von Supraleitern, aufgetragen über dem Jahr ihrer Entdeckung.

YBa2Cu3O7Kx einen vorläufigen Höhepunkt. Diese auch als „123“ oder „YBCO“ bezeichnete Verbindung war der erste bekannte Feststoff, der unter Kühlung mit flüssigem Stickstoff supraleitend wurde (Abb. 2.85). Der zweite für Anwendungen wichtige Oxocuprat-Supraleiter gehört der Stofffamilie Bi2Sr2CanK1 CunO4C2nCδ mit n Z 1, 2, 3 an. Die Strukturen dieser Verbindungen sind aus n benachbarten [CuO4.2]-Schichten aufgebaut. Die höchste Sprungtemperatur von 110 K wurde für die mit Blei stabilisierte Verbindung (Bi, Pb)2Sr2Ca2Cu3O10Cδ [kurz: (Bi,Pb)-2223] gefunden. Supraleitfähige Verbindungen mit Thallium oder Quecksilber kommen wegen ihrer schlechten Umweltver-

322

2 Festkörperchemie

Tabelle 2.31 Übergangstemperaturen von einigen supraleitfähigen Materialien. Die angegebenen Übergangstemperaturen hängen z. T. stark von der Reinheit, Kristallgröße und vom Gefüge des Materials ab. Supraleiter

Tc . K

Supraleiter

Tc . K

Hg Nb NbTi PbMo6S8 La3Ni2 (BN)2N NbN LuNi2 (B2C) Nb3Sn

4 9 10 14 14 15 17 18

Ba0.6K0.4BiO3 Cs2RbC60 Nb3Ge MgB2 YBa2Cu3O7Lx (Bi, Pb)2Sr2Ca2Cu3O10Dδ Tl2Ba2Ca2Cu3O10Cδ HgBa2Ca2Cu3O8Cδ

30 33 23 39 93 110 125 133 (unter Druck 164)

träglichkeiten nicht für Anwendungen in Betracht. Nach der Entdeckung der supraleitenden Eigenschaften von MgB2 im Jahre 2001 rückt diese Verbindung trotz ihrer relativ niedrigen Sprungtemperatur von 39 K als möglicher Konkurrent für NbTi in das Interesse der Anwender. Eine Zusammenstellung von ausgewählten supraleitfähigen Verbindungen, zu denen auch Chevrel-Phasen (PbMo6S8), defekte Perowskit-Strukturvarianten (Ba0.6K0.4BiO3) und Fulleride (Cs2RbC60) gehören, zeigt die Tabelle 2.31. Bisher lässt sich die Frage, ob es Supraleiter mit sehr viel höheren Sprungtemperaturen K vielleicht sogar im Bereich der Raumtemperatur K als die bisher gefundenen geben kann, nicht beantworten.

Eigenschaften von Supraleitern Ein Supraleiter setzt dem elektrischen Strom im supraleitenden Zustand keinen messbaren Widerstand entgegen (R Z 0). Wichtige Parameter von Supraleitern sind: 1. Die kritische Temperatur (oder Sprungtemperatur) Tc Die kritische Temperatur ist die Temperatur, bei der der Übergang in den supraleitenden Zustand erfolgt. Die elektrische Leitfähigkeit und der Magnetismus ändern sich beim Übergang zwischen dem normalleitenden Zustand und dem supraleitenden Zustand sprunghaft (Abb. 2.86). Unterhalb der Sprungtemperatur ist die magnetische Suszeptibilität stark negativ. In diesem Zustand werden magnetische Felder aus dem Inneren des Supraleiters verdrängt, weshalb eine Abstoßung zwischen Magnet und Supraleiter erfolgt (Meissner-Ochsenfeld-Effekt). Ein eindrucksvoller Versuch hierzu ist das bekannte Schweben eines Magneten über einem Supraleiter im supraleitenden Zustand. 2. Die kritische Magnetfeldstärke Hc (T) Die kritische Feldstärke ist die Feldstärke, oberhalb derer Feldlinien in den Supraleiter eindringen können und den Übergang in den normalleitenden Zustand erzwingen. Der kritische Wert des Magnetfelds hängt von der Temperatur ab und nimmt im Intervall 0 K % T % Tc mit steigender Temperatur ab.

2.9 Verbindungen der Metalle

323

Dadurch resultiert ein Zusammenhang zwischen Hc und Tc, weshalb eine hohe Magnetfeldstärke die Übergangstemperatur (Tc) absenkt. Man unterscheidet zwischen Supraleitern vom Typ I und dem für Anwendungszwecke interessanteren Typ II (Abb. 2.87). 3. Die kritische Stromstärke Ic Die kritische Stromstärke ist die Stromstärke, oberhalb derer die Supraleitung zusammenbricht.

Abb. 2.86 Elektrischer Widerstand R (unten) und magnetische Suszeptibilität χ (oben) von YBa2Cu3O7 als Funktion der Temperatur. Beim Übergang in den supraleitenden Zustand (Tc z 93 K) verschwindet der elektrische Widerstand. Gleichzeitig wird ein externes magnetisches Feld aus der supraleitenden Substanz verdrängt (Meissner-Ochsenfeld-Effekt). Im supraleitenden Zustand ist die Suszeptibilität stark negativ.

Verarbeitung und Anwendung von wichtigen Supraleitermaterialien Neben einer möglichst hohen Sprungtemperatur müssen die kritische Stromstärke und die kritische Feldstärke von Supraleitern hinreichend groß sein. Für Anwendungen werden supraleitfähige Drähte oder dünne Schichten benötigt. Drähte aus den intermetallischen Verbindungen NbTi (Hc 2 z 14 T) und Nb3Sn (Hc 2 Z 25K30 T) lassen sich nach bekannten Verfahren herstellen und werden für Magnetfeldanwendungen in Bereichen wie NMR, SQUID oder Kernspintomographie verwendet. Wesentlich aufwendiger ist die Herstellung von Drähten

324

2 Festkörperchemie

Abb. 2.87 Die Magnetisierung M von Supraleitern der Typen I und II im Magnetfeld H. Mit zunehmender Magnetfeldstärke wird der Supraleiter immer stärker aus dem Magnetfeld herausgedrückt. Dabei steigt die Magnetisierung negativ an. Beim Überschreiten des kritischen Magnetfelds Hc durchdringen die Feldlinien den Supraleiter vom Typ I (gepunktete Linie), und die Supraleitung bricht zusammen. Beim technisch relevanten Typ II treten zwei kritische Feldstärken Hc 1 und Hc 2 auf. Beim Überschreiten von Hc 1 dringt magnetischer Fluss in den Supraleiter ein und es entsteht ein Mischzustand (Shubnikov-Phase) aus supraleitenden und normalleitenden Bereichen. Die Supraleitung bleibt bis zu hohen kritischen Feldstärken Hc 2 erhalten.

aus den keramischen Oxocupraten oder MgB2, da sie flexibel genug sein müssen, um den Anforderungen der Technik zu genügen. Mit Silber oder anderen Metallen ummantelte Drähte aus keramischen Supraleitern werden nach der PIT-Methode (engl. powder in tube) hergestellt. Dabei wird ein Metallrohr mit einem Pulver des Supraleiters (oder Precursors) gefüllt und zu einem dünnen Draht umgeformt, dessen Kern die supraleitende Füllung enthält. Nach verschiedenen Umformungsprozessen und thermischen Behandlungen dieses Verbundstoffs entsteht daraus der fertige, ummantelte Leiter (engl. coated conductor). Mit Silber ummantelte Drähte aus (Bi,Pb)2Sr2Ca2Cu3O10Cδ haben Stromtragfähigkeiten von mehr als 100 000 A.cm2. Für Drähte aus reinem Kupfer beträgt die maximale Stromtragfähigkeit nur 100 A.cm2. Als Alternative zu den metallummantelten Drähten werden Supraleiter als dünne Schichten auf geeigneten Substraten abgeschieden. Im einfachsten Fall werden dazu Salzlösungen der entsprechenden Metallverbindungen auf einem Substrat eingedampft und thermisch in den Supraleiter konvertiert. Zur Herstellung von dünnen Schichten aus YBCO dienen Lösungen aus Yttrium-, Bariumund Kupfer-Trifluoracetaten. Anwendungsbereiche für Hochtemperatursupraleiter sind: K K K K K K K

Energietransport (Hochspannungskabel) Energiespeicherung (SMES, engl. superconducting magnetic energy storage) Kurzschlussstrombegrenzer Elektromotoren (Schiffe) Magnetschwebebahnen (maglev Z magnetic levitation) Hochenergiephysik Sensorik: NMR, SQUID (engl. superconducting quantum interference device). SQUIDs können als hochempfindliche Sonden eingesetzt werden, da sie

2.9 Verbindungen der Metalle

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selbst auf kleinste Änderungen von Magnetfeldern ansprechen. Sie kommen in der Forschung zur Untersuchung magnetischer Eigenschaften oder in der Medizin zur Messung von Bioströmen zum Einsatz. Die BCS-Theorie der Supraleitfähigkeit Wie in einem Metall sind in einem metallischen Supraleiter, der sich im normalleitenden (nicht supraleitenden) Zustand befindet, einzelne Elektronen die Ladungsträger. Diese stoßen sich aufgrund Coulomb’scher Kräfte zwischen gleichen Ladungen gegenseitig ab. Durch Streuung der Elektronen an Störstellen des Kristallgitters und durch Kollisionen mit Gitterschwingungen (Elektron-PhononStreuung) steigt der elektrische Widerstand von Metallen mit steigender Temperatur an. Die Grundlage zur Theorie der Supraleitung wurde 1957 von Bardeen, Cooper und Schrieffer entwickelt.19 Demnach sind Elektronen im supraleitenden Zustand als Paare assoziiert (Cooper-Paare), deren einzelne Elektronen jedoch im Kristallgitter recht weit voneinander entfernt sind. Die mittlere Ausdehnung eines Cooper-Paars, die so genannte Kohärenzlänge, liegt bei 100K1 000 nm. Der Bewegung von Elektronenpaaren durch den supraleitenden Festkörper liegen kooperative Wechselwirkungen mit den Schwingungen des Kristallgitters (Phononen) zugrunde, die Kollisionen zwischen Elektronen und Phononen vermeiden (Elektron-Phonon-Kopplung). Die BCS-Theorie wurde für die bis dahin bekannten isotropen (kubischen) Strukturen entwickelt und sagte eine theoretisch nicht überschreitbare Grenze von 30 K für das Auftreten von Supraleitung voraus. Sie kann auf nichtisotrope Kristallstrukturen, z. B. die oxidischen Hochtemperatur-Supraleiter, nicht streng angewendet werden. Beispiele neuerer Hochtemperatursupraleiter deuten darauf hin, dass ein schichtartiger Aufbau der Strukturen wichtig ist. Die Frage, ob Supraleitung mit einer spezifischen Bindungssituation verknüpft werden kann, ist bisher nicht geklärt. Der 1 2 3-Supraleiter: YBa2Cu3O7 Verbindungen vom 123-Typ besitzen einen variablen Sauerstoffgehalt. Bei der Festkörpersynthese werden Y2O3, BaO2 und CuO innig vermengt und bei 900 (C zur Reaktion gebracht. Dabei entsteht zunächst die nicht supraleitende, sauerstoffarme Hochtemperaturphase von YBa2Cu3O7Kx (x z 1), die tetragonal kristallisiert. Durch anschließendes Tempern findet bei 500 (C eine Oxidation (x z 0) statt. Die Sauerstoffaufnahme bewirkt eine Verzerrung der tetragonalen Hochtemperaturphase in die orthorhombische, supraleitfähige Tieftemperaturphase mit geordneter Besetzung der Sauerstoffpositionen (Abb. 2.88). Im Allgemeinen erfordert die Erzeugung homogener Präparate langes Tempern an Luft oder Sauerstoff unterhalb der Bildungstemperatur. Dennoch ist die genaue Kontrolle der 19

J. Bardeen, L. N. Cooper und J. R. Schrieffer erhielten 1972 den Nobelpreis für Physik.

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2 Festkörperchemie

Abb. 2.88 Idealisierte Elementarzelle von YBa2Cu3O7 (Raumgruppe: Pmmm). Die Struktur kann aus drei übereinander gestellten Perowskit-Elementarzellen (z. B. CaTiO3) abgeleitet werden, in der 2.9 der Sauerstoffpositionen unbesetzt bleiben. Die Struktur enthält zwei kristallographisch unterscheidbare Kupferionen (kleine schwarze Kugeln) mit Koordinationszahlen 4 (eines pro Elementarzelle, quadratisch planar von Sauerstoff koordiniert) und 5 (zwei pro Elementarzelle, quadratisch pyramidal von Sauerstoff koordiniert). Für die Zusammensetzung YBa2Cu3O7Kx sind x Sauerstoffpositionen der nahezu quadratisch koordinierten Kupferionen nicht besetzt, wodurch einige Kupferionen nur noch linear von Sauerstoffionen koordiniert sind. Bariumionen (große schwarze Kugeln) haben die KZ Z 10 und Yttriumionen (große graue Kugel) die KZ Z 8.

Zusammensetzung von Oxocuprat-Supraleitern kritisch, weshalb oft die Fraktion der supraleitenden Phase in einem Präparat angegeben wird. Die Struktur von YBa2Cu3O7 kann als eine defekte Überstruktur des Perowskit-Typs (ABX3) aufgefasst werden, in der 2.9 der Sauerstoffpositionen unbesetzt sind. Eine verdreifachte Perowskit-Elementarzelle verdeutlicht den strukturellen Bezug zu Cuprat-Supraleitern: 3 ABX3 Z (A3) (B3) (X9) z (YBa2) (Cu3) (O7,2) In Abhängigkeit vom Sauerstoffpartialdruck entsteht beim Tempern YBa2Cu3O7Kx mit 0 % x % 0.9, wobei die genaue Zusammensetzung (x) der nichtstöchiometrischen Phase die Sprungtemperatur bestimmt. Durch eine reversible topotaktische Reaktion werden in Abhängigkeit vom Sauerstoffpartialdruck selektiv Sauerstoffionen in den a,b-Grundflächen der Elementarzelle entfernt oder eingebaut:

2.9 Verbindungen der Metalle

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YBa2Cu3O7 # YBa2Cu3O7Kx C x.2 O2 Die zwei Sorten von Kupferionen sind in der Struktur von YBa2Cu3O7 quadratisch-pyramidal und quadratisch-planar von Sauerstoffionen koordiniert. Eine einfache ionische Formulierung entspricht Y3C(Ba2C)2 (Cu2C)2 (Cu3C)O7. Damit haben einige Kupferionen die ungewöhnliche Oxidationszahl C3. Leitungsschichten sind ein gemeinsames Merkmal von Cuprat-Supraleitern. Die planaren Kupferoxidschichten der pyramidal koordinierten Kupferionen gelten als die Leitungsschichten (Cu2C) und die quadratisch-planar koordinierten Kupferionen als Ladungsreservoirs (Cu3C). Die höchste Sprungtemperatur wird bei der Zusammensetzung YBa2Cu3O7 beobachtet. Sinkt der mittlere Oxidationszustand für Kupfer auf unter zwei (nahe YBa2Cu3O6.4), so bricht die Supraleitung zusammen.

2.9.5.14 Oxide der Seltenerdmetalle Die Seltenerdmetalle (Sc, Y und die Lanthanoide) und die Actinoide bilden Monoxide MO, Sesquioxide M2O3 und Dioxide MO2. Monoxide kristallisieren im NaCl- und Dioxide im CaF2-Typ. Von den Monoxiden sind unter Normalbedingungen nur EuO und YbO bekannt. Sie sind farblose, salzartige Oxide mit zweiwertigen Metallen und entstehen durch Reduktion der Sesquioxide mit Metall, Kohlenstoff oder Wasserstoff. Die goldmetallisch aussehenden Hochdruckmodifikationen der dreiwertigen Seltenerdmetallmonoxide werden durch Reduktionen von Sesquioxiden mit ihren Metallen unter Hochtemperatur- und Hochdruckbedingungen (500K1 200 (C, 15K18 kbar) hergestellt. Für die Verbindungen M(3C)O(2K) gilt die 4f n5d1-Konfiguration. Die Dioxide von Cer, Praseodym und Terbium sind gut bekannt und kristallisieren im Fluorit-Typ. Außer diesen am höchsten oxidierten Metalloxiden vom Typ MO2 existiert eine Reihe geordneter fluoritverwandter Phasen mit Sauerstoffdefizit, die oft durch die allgemeine Formel MnO2nK2 beschrieben werden (z. B. Ce11O20, Tb7O12). Sesquioxide entstehen durch Zerlegungsreaktionen ihrer Salze (Nitrate, Carbonate, Hydoxide, Oxalate, usw.) zwischen 600 und 900 (C. Sie existieren von allen Seltenerdmetallen und können in einer oder sogar mehreren der fünf beschriebenen Strukturen A, B, C, X und H auftreten. Allerdings sind die Phasen X und H nur bei hohen Temperaturen stabil (O 2 000 (C). Der A-Typ tritt bei den Sesquioxiden von Lanthan bis Neodym (Pm2O3 ist unbekannt) auf, der BTyp für Vertreter der mittleren Serie von Samarium bis Terbium. Die Seltenerdmetallsesquioxide Sc2O3, Y2O3 und von Nd2O3 bis Lu2O3 kristallisieren im CTyp. Wenn wie bei Nd2O3 und einigen folgenden Sesquioxiden Polymorphie auftritt, so stehen die A-, B-, C-Strukturen für Hoch-, Mittel- und Tieftemperaturmodifikationen: La2O3 Ce2O3 Pr2O3 Nd2O3 (Pm) Sm2O3 Eu2O3 Gd2O3 Tb2O3 Dy2O3 Ho2O3 Er2O3 Tm2O3 Yb2O3 Lu2O3

A-Typ

B-Typ C-Typ

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2 Festkörperchemie

Abb. 2.89 Struktur des A-Typs der Sesquioxide (M2O3) der Seltenerdmetalle am Beispiel von A-La2O3 (Raumgruppe P3m1). Die Koordinationszahl des Metallatoms ist sieben.

Im A-Typ der Sesquioxide haben die Metallatome die ungewöhnliche Koordinationszahl sieben (Abb. 2.89). In der wenig symmetrischen, monoklinen Struktur des B-Typs haben die Metallatome verzerrt trigonal-prismatische und verzerrt oktaedrische Sauerstoffkoordinationen. Die kubische C-M2O3-Struktur (auch α-Mn2O3-Typ oder Bixbyit-Typ genannt (Fe,Mn)2O3) kann als geordnete Defektvariante des CaF2-Typs angesehen werden. Hier bilden die Metallatome eine kubisch dichteste Kugelpackung, und 3.4 der Tetraederlücken sind in geordneter Weise gemäß MO1.5,0.5 ^ CaF2 durch Anionen besetzt. Tatsächlich sind alle Atomlagen geringfügig gegenüber den Ideallagen im CaF2-Typ verschoben. Dadurch resultieren für die Metallatome in der Struktur von M2O3 keine würfelförmigen Koordinationen wie in der Struktur von CaF2, sondern verzerrt oktaedrische Koordinationen mit Sauerstoffionen. Seltenerdmetallsesquioxide eignen sich als Hochtemperaturwerkstoffe, da bis 2 000 (C keine Strukturumwandlungen auftreten. Mit Yttriumsesquioxid stabilisiertes Zirconiumdioxid ZrO2 (Y2O3) bildet ebenfalls eine geordnete Defektvariante der CaF2-Struktur: Zr1KxYxO2Kx.2 ,x.2. Bedingt durch zusätzliche Sauerstoffleerstellen in der Struktur werden Anwendungen wie Sauerstoffpartialdruckmessungen möglich (z. B. λ-Sonde, vgl. Abschnitt 2.5.1). Y2O2S kristallisiert im A-Typ der Sesquioxide. Durch Dotierung mit Europium entsteht ein Leuchtstoff (Y2O2S:Eu), der rotes Licht aussendet (vgl. Abschnitt 2.9.5.12).

2.9.6 Metallsulfide Die Strukturen und Eigenschaften der meisten Metallsulfide unterscheiden sich wesentlich von denen der korrespondierenden Oxide. Diese Unterschiede sind zumindest teilweise auf die stärkere Kovalenz von Metall-Schwefel-Bindungen zurückzuführen. Auffallend sind Strukturen mit Metallatomen in trigonal-prismatischer Koordination und die Ausbildung von SdS-Bindungen. Die höhere Polarisierbarkeit der Anionen ermöglicht die Bildung von Schichtstrukturen und Vander-Waals-Bindungen zwischen diesen Schichten.

2.9 Verbindungen der Metalle

329

Einige Ähnlichkeiten zu Metalloxiden finden sich dennoch bei Verbindungen der elektropositivsten Metalle. Die Dialkalimetallmonosulfide M2S (M Z LidCs) kristallisieren analog zu den Dialkalimetallmonoxiden M2O (M Z LidRb) im anti-Fluorit-Typ und die Erdalkalimonosulfide MS und -oxide MO (MgdBa) im NaCl-Typ. Viele Metallsulfide sind hydrolyseempfindlich und bilden H2S. Zur Synthese von Metallsulfiden dienen häufig zwei Methoden: 1. Die direkte Reaktion der Elemente in einer Quarzglasampulle: 400 (C

Ti C S $##% TiS 1 100 (C

3 Nb C 4S $##% Nb3S4 Für metallreiche Sulfide werden oft höhere Reaktionstemperaturen benötigt: 1 375 (C

TiS C Ti $##% Ti2S (im Wolframtiegel unter Vakuum) Die Verwendung von Transportmitteln (z. B. I2) oder Flussmitteln (z. B. NaCl oder KCl) begünstigt die Ausbildung von Einkristallen. 2. Die Reaktion von Metalloxiden (oder -carbonaten) mit H2S oder CS2: 800 (C

BaTiO3 C 3 H2S $##% BaTiS3 C 3 H2O Reaktionen von Metalloxid-Precursoren mit H2S oder CS2 verlaufen oftmals schneller und bei niedrigeren Temperaturen als direkte Kombinationen der Elemente. Bei binären und ternären Verbindungen der Metallsulfide sind außerdem noch Interkalations- und Ionenaustauschreaktionen wichtig.

2.9.6.1 Schwefelreiche Metallsulfide Polysulfide mit Sn2K-Ionen sind von den elektropositiveren Alkali- und Erdalkalimetallen bekannt. Typische Beispiele sind M2Sn (n Z 2 für Na, n Z 2K6 für K, n Z 6 für Cs) sowie BaSn (n Z 2, 3, 4). Die Reaktion von Natrium mit S8 wird in der Natrium-Schwefel-Batterie genutzt (Abschnitt 2.5.3). Polysulfide haben niedrige Schmelzpunkte und eignen sich daher als Flussmittel zur Synthese von Übergangsmetall (poly)sulfiden. Hinsichtlich ihrer Strukturen können Polysulfidionen formal als Zintl-Anionen betrachtet werden, zu denen eigentlich nur die Polyselenide und Polytelluride gezählt werden. Das Tetrasulfid VS4 (Patronit) entsteht beim Erhitzen der Elemente auf 400 (C und zersetzt sich bei nur wenig höheren Temperaturen. Die Struktur von V(S2)2 enthält S 22K-Ionen mit SdS-Bindungslängen von etwa 204 pm. Wie in anderen eindimensionalen d1-Systemen bilden die Metallatome in VS4 lineare Stränge mit alternierend kurzen und langen VdV-Abständen (283 und 322 pm; Peierls-Verzerrung). Amorphes Re2S7 wird aus einer sauren Perrhenatlösung durch Fällung mit H2S erhalten. Beim Erhitzen entsteht ReS2.

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2 Festkörperchemie

2.9.6.2 Trisulfide Die Chalkogenide TiS3, ZrS3, ZrSe3, HfS3 werden durch Reaktionen aus den Elementen hergestellt. Sie enthalten Disulfidionen und Sulfidionen gemäß M4CS2K(S2)2K. Ihre Strukturen enthalten Stränge aus metallzentrierten dreieckig-prismatischen [MS2 (S2)2]-Einheiten, die über gemeinsame Dreiecksflächen zu einer Kolumnarstruktur verbrückt sind. Analog hierzu lässt sich die Struktur von NbS3 beschreiben. Allerdings tritt in der Struktur von NbS3 infolge der Bildung von NbdNb-Paaren eine Deformation in der Struktur auf (Abb. 2.90). Diese Deformation wird als Resultat einer Peierls-Verzerrung angesehen. Im Einklang mit dieser Vorstellung ist NbS3 (wie auch TaS3) diamagnetisch.

Abb. 2.90 Ein Ausschnitt aus der Kristallstruktur von NbS3. Die Niobatome bilden linear angeordnete Dimere (NbdNb-Abstand 304 pm). Jedes Niobatom ist von acht Schwefelatomen in Form eines zweifach überdachten dreieckigen Prismas umgeben. Der SdS-Abstand der (S2)2K-Ionen beträgt 205 pm.

2.9.6.3 Disulfide Metalldisulfide sind von allen Metallen der Gruppen 4 bis 10 (ausgenommen Cr) bekannt. Die meisten kristallisieren in einer der folgenden drei Strukturen: 1. CdI2-Typ: TiS2, ZrS2, HfS2, VS2, (1 T-)TaS2, PtS2 2. MoS2-Typ: MoS2, NbS2, (2 H-)TaS2, WS2, OsS2, IrS2 3. Pyrit-Typ: FeS2, MnS2, CoS2, NiS2, RuS2, RhS2, OsS2, CuS2, ZnS2 Übergangsmetalldisulfide mit Metallen der Gruppen 4, 5 und 6 bilden Schichtstrukturen, in denen die Metallatome trigonal-antiprismatische oder trigonalprismatische Lücken besetzen. Die Strukturen bestehen aus Schichtpaketen SdMdS. Im CdI2-Typ besetzen die Metallatome jede zweite Oktaederlückenschicht der hexagonal dichtesten Anionenpackung. Im MoS2-Typ besetzen die Metallatome trigonal-prismatische Lücken zwischen paarweise primitiv gestapelten Anionenschichten (AA, BB oder CC) (Abb. 2.91).

2.9 Verbindungen der Metalle

331

Abb. 2.91 Strukturen von (1 T-)TiS2 (CdI2-Typ) und (2 H-)MoS2. Im 1 T-Typ liegt ein Schichtpaket, im 2 H-Typ liegen zwei Schichtpakete SdMdS entlang einer Translationsperiode in z-Richtung vor. Die Abfolge einzelner Schichten kann im 1 T-Typ als AbC und im 2 H-Typ als BcBCbC geschrieben werden.

Disulfide der Gruppen 5 und 6 vom CdI2- und MoS2-Typ sind für ihre Stapelvarianten (Polytypie) bekannt. Polytypen werden gemäß der geläufigen Notation durch die Projektion der (1120)-Fläche der hexagonalen Aufstellung der Elementarzelle wiedergegeben, aus der die Abfolge der Schichten entlang der hexagonalen z-Richtung deutlich wird (vgl. Abb. 2.9). Gemäß dieser Notation werden besetzte trigonal-antiprismatische Lücken durch Abfolgen wie „AbC“ und besetzte trigonal-prismatische Lücken durch Abfolgen wie „AbA“ beschrieben, wobei Kleinbuchstaben die Lagen der Metallatomschichten angeben.20 Ein 2 H-Typ mit besetzten trigonal-prismatischen Lücken kann durch Abfolgen mit deckungsgleich übereinander angeordneten Metallatomen (BaBCaC ...) oder durch Abfolgen mit nicht deckungsgleich übereinander angeordneten Metallatomen (BaBCbC ...) beschrieben werden. Allgemein kann zwischen drei 2 H-Typen unterschieden werden (Tabelle 2.32). Tabelle 2.32 Polytypen von Dichalkogeniden der Gruppen 4 bis 6. Polytyp Schichtenfolge

Raumgruppe

MX2-Beispiele

M-Koordinationa)

1T 2 H(a) 2 H(b) 2 H(c) 3R 4H

P3m1 P63.mmc P6m2 P63.mmc R3m P63.mmc

(Ti, Zr, Hf, V) (S, Se, Te)2 (Nb, Ta) (S, Se)2 TaSe2, NbSe2 (Mo, W) (S, Se)2, MoTe2 (Nb, Ta, Mo) (S, Se)2, WS2 TaS2, TaSe2

TAP TP TP TP TP TP C TAP

AbC BaBCaC BaBCbC BcBCbC BcBCaCAbA BaBCaBCaCBaC

a)

TP Z trigonal prismatisch, TAP Z trigonal antiprismatisch.

20

An dieser Stelle sei auf den Unterschied zum Konzept dichtester Kugelpackungen verwiesen, nach dem Tetraederlückenschichten mit a, b, c und Oktaederlückenschichten mit α, β, γ bezeichnet werden.

332

2 Festkörperchemie

Die drei Schichtpakete des 3 R-Typs können durch die Periode AbABcBCaC ... beschrieben werden (vgl. Abb. 2.9). 2 H(a)-NbS2 ist oberhalb von 850 (C stabil und 3 R-NbS2 wird unterhalb von 800 (C hergestellt. 1 T-TaS2 entsteht aus den Elementen bei 1 000 (C und kristallisiert im CdI2-Typ (AbC ...). Durch längeres Tempern bei 500 (C entsteht 2 HTaS2, das zu 2 H-NbS2 isotyp ist. Außerdem existieren noch 3 R-TaS2, 6 R-TaS2 und 4 H-TaS2. Letzteres ist eine Mischung aus 1 T- und 2 H-TaS2 mit trigonalantiprismatischer und trigonal-prismatischer Umgebung der Metallatome. Die Thermodynamik solcher Phasenübergänge zwischen Polytypen wurde noch nicht ausgiebig untersucht. Da in MS2-Strukturen nur jede zweite Lückenschicht mit Metallatomen besetzt ist, liegen Schichtabfolgen der Art SMS ··· SMS vor. Der Schichtencharakter dieser Sulfide lässt sich durch schwache S ··· S Van der Waals-Bindungen zwischen benachbarten SMS-Schichtpaketen erklären. Die Aufnahme von Gastatomen zwischen diese Schichtpakete ermöglicht eine reiche Interkalationschemie. Festkörperchemisch können Verbindungen der Zusammensetzung AxMX2 (A Z Alkalimetall; M Z V, Nb, Ta; X Z S, Se) durch direkte Reaktionen der Elemente oder durch Reaktionen der Dichalkogenide mit Alkalimetallen dargestellt werden. Die Einlagerung von Lithiumionen in die Struktur von TiS2 wurde im Abschnitt 2.1.6.1 und einige elektronische Kriterien für Einlagerungen wurden am Beispiel von MoS2 (Abschnitt 2.6.4.3) diskutiert.

Abb. 2.92 Ausschnitt aus einem SdRedS-Schichtpaket der Struktur von ReS2. Die Struktur kann als verzerrte Variante der CdI2-Struktur aufgefasst werden. Bindungen zwischen den Rheniumatomen sind schwarz gezeichnet.

ReS2 kristallisiert in einer verzerrten Variante des CdI2-Typs (Abb. 2.92) in der RedRe-Bindungen vorliegen. Wie in der Struktur von CsNb4Cl11 bilden die Metallatome ein Motiv aus paarweise kantenverknüpften Dreiecken. Entlang dieser Kanten liegen fünf Zweizentren-Zweielektronenbindungen. Im Fall von ReS2 sind diese rautenförmigen Anordnungen der Rheniumatome durch zwei zusätzliche Bindungen miteinander verbunden. In Übereinstimmung mit der Anzahl der RedRe-Bindungen resultieren sechs Elektronenpaare (4 · [ReS2 (eK)3] Z 12 Elektronen). ReS2 ist ein diamagnetischer Halbleiter. Die zwei polymorphen Formen von Eisendisulfid, Pyrit und Markasit enthalten Fe2C- und S22K-Ionen. Es besteht ein interessanter Zusammenhang zur Struktur von CaC2.

2.9 Verbindungen der Metalle

333

Die tetragonale Form von CaC2 kann von der NaCl-Struktur abgeleitet werden, indem Na gegen Ca und Cl gegen C2 substituiert werden. In der Struktur von CaC2-I sind die C2-Einheiten parallel zur tetragonalen Achse ausgerichtet. Im Vergleich hierzu sind die entsprechenden S2-Einheiten in der Pyrit-Struktur mit ihrer Kernverbindungsachse parallel zu den Raumdiagonalen der kubischen Elementarzelle angeordnet. Eine andere Verdrehungsvariante der S2-Einheiten ergibt die Markasit-Struktur. Erhält das [SdS]2K-Ion formal zwei weitere Elektronen, so erfolgt ein Bindungsbruch, über den sich ein struktureller Bezug zwischen den Strukturen von Pyrit und Fluorit sowie Markasit und Rutil herstellen lässt (vgl. Abb. 2.93). Die Strukturen von PdS2 und PdSe2 können als verzerrte Varianten des PyritTyps aufgefasst werden.

Abb. 2.93 Der strukturelle Zusammenhang zwischen der Struktur von CaC2-I (die pseudokubische Elementarzelle ist angedeutet) mit den Strukturen von Pyrit und Markasit. Zum weiteren Vergleich sind die Strukturen von Fluorit und Rutil gezeigt, um strukturelle Bezüge zu den Pyrit- und Markasit-Strukturen aufzuzeigen.

334

2 Festkörperchemie

2.9.6.4 Monosulfide Die Erdalkalimetalle bilden Monosulfide vom NaCl-Typ. In diesem Strukturtyp kristallisieren auch MnS und Monosulfide der Seltenerdmetalle, obwohl in all diesen Verbindungen keine einheitlichen Bindungsverhältnisse vorliegen. Die Erdalkalimetallsulfide sind ionisch aufgebaut. MnS hat kovalente MndS-Bindungsanteile und ist antiferromagnetisch (TN Z 152 K). Von den meisten Übergangsmetallen existieren Monosulfide, von denen jedoch viele mehr oder weniger große Abweichungen von der Idealzusammensetzung aufweisen (V1KxS, Nb1KxS). Tabelle 2.33 Die Kristallstrukturen einiger Metallmonosulfide. Strukturtyp

Beispiele

NaCl NiAs Zinkblende Wurtzit WC Cooperit Covellit

MgS, CaS, SrS, BaS, MnS, PbS TiS, VS, FeS, CoS, NiS BeS, ZnS, CdS, HgS, MnS BeS, ZnS, CdS, HgS, MnS ZrS, HfS PtS CuS

Mangansulfid kristallisiert in drei Modifikationen: Die grüne Form α-MnS kristallisiert im NaCl-Typ, und das metastabile, pinkfarbene β-MnS wird durch Fällung mit Sulfidionen in Lösung als Wurtzit- oder Zinkblende-Typ erhalten. Monosulfide mit NiAs-Struktur besitzen Eigenschaften, die mit denen intermetallischer Phasen vergleichbar sind. Sie zeigen metallischen Glanz und elektrische Leitfähigkeit. Verbindungen vom Typ M1KxS bilden eine im Metallteilgitter ausgedünnte NiAs-Struktur, wodurch formal ein Übergang zur CdI2-Struktur möglich wird (Abb. 2.94).

Abb. 2.94 Strukturzusammenhang zwischen NiAs-Typ (links) und CdI2-Typ (rechts).

Zwischen diesen beiden Zusammensetzungen existieren zahlreiche Strukturen von Metallsulfiden mit individuellen Ordnungsvarianten für die Kationen sowie auch unterschiedlichen Abfolgen der dichtest gepackten Sulfidschichten. Somit entstehen Strukturen mit unterschiedlich modulierten Abfolgen aus kubisch und hexagonal dichten Anionenpackungen mit teilweise besetzten oktaedrischen (trigonal-antiprismatischen) und trigonal-prismatischen Lücken, die Motive der

2.9 Verbindungen der Metalle

335

NiAs- und der NaCl-Strukturen aufweisen. Beispiele hierfür sind Zwischenglieder der Titansulfide TiS2 und TiS, wie Ti5S8, Ti2S3, Ti3S4, Ti5S9 und Ti8S9. Der WC-Typ und der eng verwandte MoS2-Typ sind für viele Verbindungen mit d2-Konfiguration stabil (vgl. Abschnitt 2.6.4.3). In der PtS-Struktur (Cooperit) sind die Platinatome rechteckig von vier Schwefelatomen umgeben. CuS (Covellit) ist eine gemischtvalente Verbindung, die gemäß (CuC)2Cu2C(S2)2KS2K sowohl S2K als auch S 22K-Ionen enthält.

2.9.6.5 Metallreiche Metallsulfide Direkte oder indirekte Wechselwirkungen zwischen Metallatomen sind in metallreichen Verbindungen selbst bei einfachen Strukturtypen wie NaCl oder WC zu berücksichtigen. Solche Verbindungen sind schwarz oder zeigen metallischen Glanz. Die Kovalenz der Metall-Schwefel-Bindung in Übergangsmetallsulfiden bewirkt niedrige Ladungen der Metallatome. Diese „weicheren“ Metallzentren erlauben die Ausbildung von Metall-Metall-Bindungen und beeinflussen in entscheidender Weise die Eigenschaften der Metallsulfide. Hf2S kristallisiert im anti-NbS2-Typ. Die Zuordnung von Strukturtyp und Antityp mag K wie hier K irreführend sein, da im NbS2-Typ nur schwache Van der Waals-Bindungen zwischen benachbarten Schwefelatomen herrschen, während zwischen den Metallatomen des Antityps substantielle HfKHf-Wechselwirkungen auftreten. Die kürzesten HfdHf-Abstände (306 pm) unterscheiden sich nur wenig von denen im Hafnium-Metall (312 pm). Außerdem zeigt Hf2S metallische Leitfähigkeit. In den Strukturen vieler metallreicher Chalkogenide sind unterschiedlich verbrückte oktaedrische Metallcluster zu erkennen. Im Unterschied zu den [M6X12]Einheiten der Metalloxide und vieler Metallhalogenide bewirken die größeren Chalkogenatome (S, Se und Te) die Ausbildung von [M6X8]-Einheiten mit acht Chalkogenatomen über den Flächen des Metalloktaeders. Dieser Kategorie sind auch die Verbindungen Ti2S und Zr2S zuzuordnen, deren Strukturen Stränge aus kanten- und eckenverknüpften Metalloktaedern erkennen lassen (Abb. 2.95). Ein bemerkenswertes und zugleich übersichtlicheres Beispiel ist die Struktur von Ti5Te4. Die Struktur enthält zu Säulen gestapelte Würfel, an deren Ecken sich Telluratome und auf deren Flächenmitten sich Ti-Atome befinden. Anders betrachtet enthält die Struktur gestauchte N1 [Ti4Ti2.2]-Oktaeder, die über gemeinsame Spitzen zu Strängen verknüpft sind (Abb. 2.96). Zwischen den Metallatomen herrschen bindende Wechselwirkungen. Dieser Strukturtyp ist für 12K18 Elektronen in den Metall-Metall-Zuständen bekannt: Ti5Te4 besitzt 12, Ta5As4 13, Nb5Te4 17 und Mo5As4 18 Elektronen in diesen Zuständen. Die Palette eindimensionaler Verknüpfungen aus [M6X8]-Einheiten umfasst neben der Spitzenverknüpfung in Ti5Te4, die Kantenverküpfung in Gd2Cl3 (Abb. 2.121) und die Flächenverknüpfung von Metalloktaedern in A2Mo6X6 (A Z Alkalimetall, In, Tl; X Z S, Se, Te). Bei der Flächenverknüpfung von [M6X8]-Einheiten zu linearen Strängen entfallen zwei über diesen Flächen liegende X-Atome. 1 Außer der polymeren Struktur A2Mo6X6 mit N [Mo3S3]-Strängen existieren oligomere Einheiten mit unterschiedlichen Kettenlängen. In der allgemeinen

336

2 Festkörperchemie

Abb. 2.95 Ausschnitt aus der Struktur von Ti2S.

Abb. 2.96 Projektion und Einzelstrang der Struktur von Ti5Te4.

Summenformel zur Beschreibung all dieser Oligomere, AxMo3nC3X3nC5 (X Z S, Se, Te), steht n für die Anzahl der trigonal-antiprismatischen [M6]-Cluster (Abb. 2.97, Tabelle 2.34). Mit steigendem n werden die Verbindungen zunehmend metallreicher (elektronenreicher). Tabelle 2.34 Beispiele für Molybdänchalkogenide des Formeltyps AxMo3nC3X3nC5. Verbindung

n

Mo.X

AxMo6S8 Ag3.6Mo9Se11 Cs2Mo12Se14 Rb4Mo18Se20 Cs6Mo24Se26 Tl2Mo6S6

1 2 3 5 7 N

0.75 0.82 0.86 0.9 0.92 1.0

2.9 Verbindungen der Metalle

337

Abb. 2.97 Die kleinste Einheit der Chevrel-Phase Mo6X8 im Vergleich zu oligomeren 1 Clustern N[Mo3nC3X3nC5] mit n Z 2, 5 und N. Die Struktur von Tl2Mo6S6 kann als K 1 hexagonal dichteste Stabpackung von N[Mo3X3] -Strängen aufgefasst werden, deren ACIonen sich in Kanälen dieser Anordnung befinden. In der gestreckten trigonal-antiprismatischen Anordnung der [Mo6]-Fragmente betragen die ModMo-Abstände 266 und 272 pm.

Das kleinste und vielleicht wichtigste Glied dieser Reihe ist Mo6X8 (n Z 1). Durch Interkalation von Kationen in diese Struktur entstehen hieraus die Chevrel-Phasen AxMo6X8 (Abb 2.114). Die Strukturen der Chevrel-Phasen enthalten oktaedrische [M6]-Cluster. Die ModMo-Abstände zwischen benachbarten Clustern betragen 310K360 pm, die innerhalb eines Clusters 265K280 pm (272 pm in Molybdän-Metall). Weitere Clusterverbindungen mit [M6S8]-Einheiten sind für Rhenium und Technetium bekannt. Hier sind die [M6S8]-Einheiten durch S2K oder S 22K-Ionen verbrückt. So gilt für die Zusammensetzung der Alkalimetallverbindung A4M6S11 die Verbrückung [M6S8]S6.2, für A4Re6S12 die Verbrückung [M6S8]S4.2 (S2)2.2 und für A4Re6S13 die Verbrückung [M6S8]S2.2 (S2)4.2.

2.9.6.6 Ternäre Metallsulfide der Übergangsmetalle Von den zahlreichen Strukturen ternärer Metallsulfide kristallisiert nur eine kleine Zahl von Verbindungen in Strukturen, die auch für Oxide oder Halogenide belegt sind (Tabelle 2.35). Es existiert eine große Zahl individueller Strukturen.

338

2 Festkörperchemie

Tabelle 2.35 Die Strukturen einiger ternärer Metallsulfide der Übergangsmetalle. Strukturtyp

Beispiele

AxMS2 GdFeO3 CsNiCl3 ThCr2Si2 Spinell K2NiF4

Na0.8TiS2, LiTiS2, NaCrS2, CuCrS2, CrxNbS2, InTaS2 AMS3 (A Z Sr, Ba; M Z Zr, Hf) BaMX3 (M Z Ti, V; X Z S, Se), LaMS3 (M Z Mn, Fe, Co) TlM2X2 (M Z Fe, Co, Ni; X Z S, Se) CuM2S4 (M Z Ti, Zr, V, Cr, Rh), MCr2S4 (M Z Mn, Fe, Co, Ni, Zn, Cd) Ba2MS4 (M Z Zr, Hf)

Der Formeltyp AMS3 Eine gängige Methode zur Darstellung ternärer Metallsulfide ist die Reaktion von ternären Metalloxiden mit H2S oder CS2. Die Umsetzung von BaTiO3 (Perowskit-Typ) ergibt BaTiS3, welches im CsNiCl3-Typ kristallisiert. Dieser Strukturtyp ist unter allen bekannten ternären Sulfiden der Zusammensetzung ABS3 am häufigsten. Die Struktur enthält Stränge aus trigonal-antiprismatischen 1 N[MS6.2]-Einheiten. In Kanälen der hexagonalen Anordnung dieser Stränge befinden sich die A-Kationen (Abb. 2.98). Entsprechende Vanadiumverbindungen, wie z. B. BaVS3 sind gemäß der d1Konfiguration von V4C Pauli-paramagnetisch und zeigen bei tiefen Temperaturen die für solche eindimensionalen Systeme (im Abschnitt 2.6.6) diskutierten Metall-Halbleiter-Übergänge. Als Vertreter von Perowskit-Sulfiden AMS3 sind M Z Zr und Hf in Verbindungen mit zweiwertigen Anionen bekannt. Sie kristallisieren in einer verzerrten Perowskit-Struktur, die durch den GdFeO3-Typ repräsentiert ist. Die Ursache

Abb. 2.98 Projektion der Elementarzelle und eines von BaTiS3 (CsNiCl3-Typ).

1 N [TiS6.2]-Einzelstrangs

der Struktur

2.9 Verbindungen der Metalle

339

der Verzerrung ist vermutlich die zu geringe Größe des A-Kations. Eine analoge Verzerrung tritt in der Struktur der „leeren Perowskit-Variante“ von VF3 auf (Abb. 2.103). Der Formeltyp AM2 S4 Die binären Verbindungen Fe3S4, Co3S4, Ni3S4 und Zr3S4 bilden Thiospinelle. Fe3S4 und Ni3S4 werden unter hydrothermalen Bedingungen bei etwa 200 (C hergestellt. Oberhalb von 280 (C (400 (C) findet bereits Zersetzung in FeS und FeS2 (NiS und NiS2) statt. Von den zahlreichen ternären Thiospinellen (AM2S4) sind insbesondere solche bekannt, in denen A und M Übergangsmetalle sind (Tabelle 2.35). In den Cu-Thiospinellen (CuM2S4) hat Cu die Oxidationszahl C1.

2.9.6.7 Sulfide der Seltenerdmetalle Bei den Seltenerdmetallen sind Monosulfide und Sesquisulfide bekannt. Letztere bilden fünf Strukturtypen. Monosulfide Monosulfide sind von allen Seltenerdmetallen bekannt. Sie kristallisieren alle im NaCl-Typ. Insbesondere vier Lanthanoidmetalle zeigen die Tendenz, die Oxidationszahl zwei auszubilden. Ihre Stabilität folgt der Reihenfolge: Eu2C O Sm2C O Yb2C O Tm2C (vgl. Difluoride) Aber nur drei Monosulfide, nämlich EuS, SmS und YbS, enthalten zweiwertige Metalle mit der 4f n5d0-Konfiguration und werden deshalb als salzartige Sulfide bezeichnet. Alle übrigen sind metallisch und besitzen die 4f nK15d1-Konfiguration. Bei ersteren besteht die Möglichkeit, sie in ihre „metallische“ Konfiguration zu überführen. Der fLd-Konfigurationsübergang (ICF, engl. interconfiguration fluctuation). Monosulfide der Lanthanoide können „ionisch“ als M2CS2K mit der 4f n5d0-Konfiguration oder aber „metallisch“ gemäß M3CS2K(eK) in der 4f nK15d1-Konfiguration auftreten. Als Kennzeichen für den jeweils vorliegenden Zustand kann der ermittelte Ionenradius herangezogen werden. Die signifikante Verringerung der Ionenradien von M2C nach M3C (oder M3C nach M4C) ist für Lanthanoide stärker ausgeprägt als für Übergangsmetalle (z. B. 21 % für das Paar EuF2.EuF3). Daher ist es möglich, durch mechanischen Druck ein f-Elektron in den energetisch höher liegenden d-Zustand zu überführen, sofern der Energieunterschied zwischen beiden Zuständen nicht zu groß ist. Druckexperimente zeigen, dass der fKdKonfigurationsübergang für SmSe und SmTe in der 4f 55d1-Konfiguration eingefroren werden kann, für SmS aber Reversibilität und damit die Rückkehr in die 4f 65d0-Konfiguration resultiert.

340

2 Festkörperchemie

Sesquisulfide Bei den Sesquisulfiden werden fünf Strukturen gemäß A, B, C, D und E unterschieden (zuvor: α, β, γ, δ, ε). Von diesen treten aber hauptsächlich der A-, Dund der E-Typ auf. Der A- oder Gd2S3-Typ kristallisiert orthorhombisch und ist für die Metalle LaKDy belegt (außer Eu, Pm). Der D- oder Ho2S3-Typ kristallisiert monoklin und wird durch die kleineren Metallatome DyKTm und Y2S3 repräsentiert. Den E-Typ mit der rhomboedrischen Struktur vom Korund-Typ bilden die kleinsten Lanthanoide Yb und Lu. Der B-Typ wurde bisher nicht bestätigt:21 La2S3 Ce2S3 Pr2S3 Nd2S3 (Pm) Sm2S3 (Eu) Gd2S3 Tb2S3 Dy2S3 Ho2S3 Er2S3 Tm2S3 Yb2S3 Lu2S3

A-Typ C-Typ

D-Typ

E-Typ

Zusätzlich existiert für die Sesquisulfide von LaKSm eine Hochtemperaturmodifikation. Dieser C-Typ oder Ce2S3-Typ kristallisiert kubisch in einer Defektvariante des Th3P4-Typs. Sesquisulfide vom C-Typ haben in der Th3P4-Struktur variable Zusammensetzungen zwischen M2.67S4 (M2S3) und M3S4. Während das Zellvolumen für den Übergang von M2S3 nach M3S4 für die Metalle La und Ce nahezu konstant bleibt, nimmt es für Sm zu. Für die Volumenvergrößerung wird der Übergang von M3C nach M2C verantwortlich gemacht. Demnach tritt für Metallsulfide der Grenzzusammensetzung M3S4 neben dem metallischen Fall (M3C)3 (S2K)4 (eK) auch der gemischtvalente Fall (M2C) (M3C)2 (S2K)4 auf. In Einklang mit dieser Betrachtung ist Ce3S4 (eK) ein metallischer Leiter und die gemischtvalente Verbindung Sm3S4 ein Halbleiter.

2.9.7 Metallfluoride Fluor bildet mit fast allen Elementen des Periodensystems Verbindungen. Wegen der hohen Elektronegativität und des kleinen Ionenradius von Fluoridionen können Metallfluoride mit hohen Oxidationsstufen ihrer Metallatome auftreten. Die fluorreichsten Metallfluoride MF7 und MF6 kristallisieren in molekular aufgebauten Strukturen und haben niedrige Schmelzpunkte oder sind unter Normalbedingungen gasförmig. UF6 sublimiert bei etwa 57 (C und findet bei der Anreicherung von 235U Verwendung. Eine universell anwendbare Methode zur Synthese von Metallfluoriden ist die Fluorierung, ausgehend von Metallen oder Metallverbindungen im F2- oder HF-Strom (im Pt-Schiffchen). Zur Darstellung von Fluoriden mit hohen Oxidationsstufen werden die Fluorierungen unter F2-Druck (Metall-Druckbehälter) durchgeführt. Wegen der Aggressivität von HF und F2 erfordern solche Versuche geeignete Schutzmaßnahmen und Apparaturen.

21

Beim B-Typ handelt es sich vermutlich um eine durch Sauerstoff stabilisierte Form, wie z. B. M10S14CxO1Kx.

2.9 Verbindungen der Metalle

341

UF4 C F2 $% UF6 Mo C 3 F2 $% MoF6 Re C 7.2 F2 $% ReF7 Einfacher lassen sich Metallfluoride durch sanftes Heizen von festen Gemengen aus Metalloxiden und Ammoniumfluorid an Luft herstellen, wobei den formelgemäßen Reaktionen ein leichter Überschuss an NH4F zugesetzt werden muss. Bei Reaktionen von Metalloxiden des Formeltyps MO2, M2O3 oder M2O entstehen beim Zerreiben oder unter leichtem Erhitzen komplexe Ammoniumsalze, wie z. B. (NH4)2MF6, (NH4)3MF6 oder (NH4)MF3, die thermisch (bei 200K400 (C) in die entsprechenden Fluoride MF4, MF3 oder MF2 konvertierbar sind. Beispiele hierfür sind Reaktionen von TiO2, ZrO2, Al2O3, MnO2, Fe2O3 oder Cu2O mit Ammoniumfluorid: Fe2O3 C 12 NH4F $% 2 (NH4)3FeF6 C 6 NH3 C 3 H2O Bei den Reaktionen mit Metalloxiden zersetzt sich NH4F in Ammoniak und (NH4)HF2, in dessen Schmelze (bei etwa 125 (C) die Bildung des komplexen Ammoniumfluorometallats erfolgt. Die thermische Zersetzung des Ammoniumfluorometallats führt unter milden Temperaturbedingungen zum Metallfluorid und NH4F, welches durch Sublimation abgetrennt werden kann: (NH4)3FeF6 $% FeF3 C 3 NH4F Die Zersetzung des Ammoniumsalzes wird mitunter durch die Eigenschaften des Ammoniumions beeinflusst, welches als Oxidationsmittel (HC) oder als Reduktionsmittel (N3K) wirken kann: 3 (NH4)2MnF5 $% 3 MnF2 C 5 NH4F C 12 N2 C 4 HF Ternäre Fluoride werden häufig durch festkörperchemische Konversionen von binären Fluoriden bei hohen Temperaturen hergestellt. Solche Reaktionen stellen höchste Ansprüche an den Reaktionsbehälter (häufig werden verschweißte Pt-Ampullen verwendet, vgl. Abschnitt 2.1.1), der sich gegen Fluoride, Oxide oder Sauerstoff inert verhalten muss. Dennoch lassen sich auf diese Weise sehr reine Fluoride herstellen: NiF2 C 2 KF $% K2NiF4 Einige ternäre Fluoride können aber auf einfachere Weise durch Fällung hergestellt werden. So entstehen in wässrigen Lösungen aus Metalldichloriden und Alkalimetallfluoriden Niederschläge von ternären Fluoroperowskiten, AMF3 mit z. B. A Z NH4, K und M Z Mn, Fe, Co, Ni: MnCl2 · 4 H2O C 3 KF $% KMnF3Y C 2 KCl C 4 H2O Weniger stabile Metallfluoride reagieren mit Luftfeuchtigkeit. Besonders aktive Fluoride greifen Gefäße aus Glas oder Metall sogar unterhalb der Raumtemperatur an. Bei höheren Temperaturen besteht die Gefahr von Kontaminationen mit Sauerstoff.

342

2 Festkörperchemie

2.9.7.1 Heptafluoride Das einzige thermisch stabile Heptafluorid (neben IF7) ist ReF7. Die Existenz von OsF7 bei tiefen Temperaturen (! K100 (C) ist möglich. ReF7 ist eine gelbe, flüchtige Substanz (Smp. 48 (C). In Lösung und in der Gasphase zeigen IR- und 19 F-NMR-Untersuchungen für die ReF7-Moleküle eine annähernd pentagonalbipyramidale Symmetrie (D5h). Die Anhäufung von fünf Liganden in der pentagonalen Ebene bewirkt eine sterische Enge, der die Struktur vermutlich durch Fluktuation und Pseudorotation der Fluoratome bzw. Wellung der pentagonalen Ebene ausweicht. In einer kubischen Struktur von festem ReF7 sind die Moleküle fehlgeordnet bzw. rotieren. Unterhalb von K90 (C erfolgt ein Phasenübergang in eine geordnete Struktur. In der Tieftemperaturmodifikation sind die ReF7Moleküle hexagonal dicht gepackt. Die Fluoridionen sind nicht äquivalent, da die axial angeordneten Fluoridionen nicht linear zueinander stehen und die Fluoridionen der pentagonalen Ebene gewellte Ringe bilden (Abb. 2.99).

Abb. 2.99 Ausschnitt aus der Struktur der Tieftemperaturmodifikation von ReF7.

2.9.7.2 Hexafluoride Hexafluoride MF6 der Übergangsmetalle sind niedrig schmelzende, flüchtige Verbindungen. Ihre Flüchtigkeit steht vermutlich mit der Gegenwart von [MF6]-Einheiten im Festkörper im Zusammenhang: 4

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MoF6 TcF6 RuF6 RhF6 WF6 ReF6 OsF6 IrF6 PtF6

Unter Normalbedingungen ist MoF6 (Smp. 17 (C) flüssig und WF6 (Sdp. 17 (C) gasförmig. Alle Hexafluoride bilden in der Gasphase Moleküle mit oktaedrischer Gestalt, von denen nur die d0-Systeme MoF6 und WF6 unverzerrt und farblos sind. In festen Hexafluoriden bilden Fluoratome dichteste Kugelpackungen, deren Oktaederlücken zu 1.6 mit Metallatomen besetzt sind, sodass auch im Festkörper [MF6]-Oktaeder vorhanden sind. Die Existenz von CrF6 ist selbst bei tiefen Temperaturen (! K100 (C) fraglich. Wegen ihrer Flüchtigkeit und hohen Reaktivität sind Hexafluoride zur Abscheidung von Metallatomen auf Silizium (ICs) geeignet:

2.9 Verbindungen der Metalle

343

! 400 (C

2 WF6 C 3 Si $$$$$$% 2 W C 3 SiF4 Die für Pt (und Ir) ungewöhnliche Oxidationszahl C6 macht PtF6 zu einem der stärksten Oxidationsmittel. Gasförmiges PtF6 reagiert mit Sauerstoff zu K C K OC 2 [PtF6] , mit reinem Xenon entsteht XeF [PtF6] .

2.9.7.3 Pentafluoride Das vorherrschende Strukturmotiv der Pentafluoride sind spitzenverknüpfte Oktaeder [MF4F2.2]. 4

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VF5 CrF5 NbF5 MoF5 TcF5 RuF5 RhF5 TaF5 WF5 ReF5 OsF5 IrF5 PtF5 AuF5

Die Strukturen von VF5, CrF5, ReF5 und AuF5 bestehen aus unendlichen Strängen. NbF5, TaF5, MoF5 und WF5 bilden tetramere Einheiten [MF4F2.2]4 auf der Basis kubisch dichter Kugelpackungen der Fluoratome. Analoge Strukturen bilden die Pentafluoride RuF5, RhF5, OsF5, IrF5 und PtF5 auf der Basis hexagonal dichter Kugelpackungen der Fluoratome (Abb. 2.100). WF5 ist unter Normalbedingungen instabil und disproportioniert in WF6 und WF4.

Abb. 2.100 Strukturen mit spitzenverknüpften [MF6]-Oktaedern: cis-spitzenverknüpfte Stränge der Struktur von VF5 und tetramere [MF6]-Oktaeder der Strukturen von NbF5 sowie RuF5.

2.9.7.4 Tetrafluoride Tetrafluoride sind durch viele Beispiele mit unterschiedlichen Strukturen belegt: 4

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TiF4 VF4 CrF4 MnF4 ZrF4 NbF4 MoF4 HfF4

WF4

RuF4 RhF4 PdF4 OsF4 IrF4 PtF4

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2 Festkörperchemie

CrF4 wurde im Monelautoklaven aus einem Gemisch von HF, F2 und Chrompulver bei 300 (C hergestellt. Die Struktur besteht aus [Cr2F10]-Oktaederdimeren, die über Spitzen zu [Cr2F6F4.2]-Säulen verknüpft sind. In der Struktur von TiF4 bildet ein [Ti3F15]-Ring eine analoge [Ti3F9F6.2]-Kolumnarstruktur (Abb. 2.101). Die von den Platinmetallen bekannten Tetrafluoride bilden Strukturen aus spitzenverknüpften [MF2F4.2]-Oktaedern. In den Strukturen von HfF4 und β-ZrF4 liegen spitzenverknüpfte quadratische [MF8.2]-Antiprismen vor und in α-ZrF4 [MF8.2]-Dodekaeder. VF4 und NbF4 kristallisieren in Schichtstrukturen aus zweidimensional spitzenverknüpften [MF2F4.2]-Oktaedern. Durch Einlagerung von Kationen zwischen diesen Schichten entsteht der K2NiF4-Typ (Abb. 2.102).

Abb. 2.101 Ausschnitte aus den Kolumnarstrukturen von CrF4 (links) und TiF4 (rechts).

Abb. 2.102 Die Strukturen von NbF4 und K2NiF4 (Kaliumatome sind grau dargestellt). Die Struktur von K2NiF4 ist mit der Perowskit-Struktur verwandt und gilt als struktureller Prototyp von Oxocuprat-Supraleitern (La2KxSrxCuO4).

2.9 Verbindungen der Metalle

345

2.9.7.5 Trifluoride Metalltrifluoride kristallisieren oft in Verzerrungsvarianten des kubischen ReO3-Typs: 4

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TiF3 VF3 CrF3 MnF3 FeF3 CoF3

MoF3

RuF3 RhF3 PdF3 IrF4

AuF3

VF3 und CrF3 können durch direkte Fluorierung ihrer Metalle oder durch Einwirkung von HF auf ihre Trichloride als grüne Substanzen erhalten werden. Ihre Strukturen leiten sich von der ReO3-Struktur ab und bestehen aus dreidimensionalen Netzwerken eckenverknüpfter Oktaeder [VF6.2] (Abb. 2.103). Rhomboedrisch verzerrte Strukturen des ReO3-Typs bilden die Fluoride FeF3, CoF3, RuF3, RhF3, PdF3, IrF3 und CoF3 (AlF3).

Abb. 2.103 Ausschnitt aus der Struktur von VF3 mit einer verzerrt würfelförmigen Anordnung aus acht spitzenverknüpften [VF6.2]-Oktaedern.

Bei Trifluoriden des (unverzerrten) kubischen ReO3-Typs handelt es sich möglicherweise um Oxidfluoride der Art M (O,F)3. In der Struktur von MnF3 sind die Mn3C-Ionen wegen des Jahn-Teller-Effekts verzerrt oktaedrisch koordiniert. PdF3 ist eine gemischtvalente Verbindung Pd2CPd4C(FK)6, die als Palladium (II)hexafluoropalladat (IV) aufzufassen ist. Das dazugehörige magnetische Moment liegt in der Nähe des spin-only-Werts von 2.83 BM für Pd2C (d8), da das diamagnetische low-spin-Pd4C (d6) keinen Beitrag liefert. In weiteren Defektvarianten des ReO3-Typs kristallisieren auch ternäre Verbindungen AMF6 (mit A Z Alkali- oder Erdalkalimetall und M Z Übergangsmetall). In AuF3 hat Au3C die Elektronenkonfiguration d8 und bildet quadratisch-planare [AuF4]-Einheiten. Die Struktur besteht aus Bändern mit cis-eckenverknüpften [AuF2F2.2]-Quadraten, die sich räumlich zu einer hexagonalen Helix anordnen (Abb. 2.104).

346

2 Festkörperchemie

Abb. 2.104 Ausschnitt aus der Struktur von AuF3.

Eine große Klasse ternärer Verbindungen, die sich von den Trihalogeniden [MF6.2] mit ReO3-verwandter Struktur ableitet, kristallisiert im Perowskit-Typ AMF3 (z. B. A Z Alkalimetall und M Z Übergangsmetall).

2.9.7.6 Metalldifluoride und -subfluoride Difluoride der ersten Übergangsmetallreihe von Vanadium bis Zink kristallisieren im Rutil-Typ oder in einer verzerrten Variante hiervon: 4

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TiF2 VF2 CrF2 MnF2 FeF2 CoF2 NiF2 CuF2 ZnF2 PdF2 AgF2 CdF2 HgF2

Allerdings wurde nicht jede dieser Substanzen in reiner Form hergestellt. Das violette, hydrolyseempfindliche PdF2 (Rutil-Typ) ist das einzige bekannte Difluorid der zweiten und dritten Serie der Gruppen 4 bis 10. Durch die Spitzenverknüpfung der [MF6]-Oktaeder in der Rutil-Struktur resultieren für viele Difluoride (z. B. MnF2, FeF2, CoF2, NiF2) unterhalb ihrer Néel-Temperaturen (50K100 (C) antiferromagnetische Kopplungen der magnetischen Spinmomente. Dadurch treten aber keine Überstrukturen auf, da der Spin des magnetischen Kations im Zentrum der Elementarzelle antiparallel zu den Spins der Kationen an den Ecken gekoppelt ist (Rutil-Typ, vgl. Abb. 2.8 und 2.41). AgF2 ist die bisher einzige binäre Silberverbindung mit Ag2C-Ionen, denn AgO ist gemäß AgC[Ag3CO2] ein Silber (I)argentat (III). In der Struktur von AgF2 sind die Ag2C-Ionen verzerrt quadratisch-planar koordiniert. Es liegt eine 2 Schichtstruktur aus gewellten N [AgF4.2]-Schichten vor. Bedingt durch die 9 d -Konfiguration des Silbers kann aufgrund der Jahn-Teller-Verzerrung auch eine gestreckte oktaedrische Koordination um Ag2C angenommen werden (4 ! AgdF 209 pm, 2 ! 259 pm) (Abb. 2.105). Weniger deutlich ausgeprägt ist die Verzerrung des Koordinationsoktaeders um Cu2C in CuF2. Bei der Elektrolyse einer konzentrierten AgF-Lösung entstehen an der Kathode Kristalle des Silbersubfluorides Ag2F, das im anti-CdI2-Typ kristallisiert.

2.9 Verbindungen der Metalle

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Abb. 2.105 Die Struktur von AgF2.

2.9.7.7 Fluorometallate In komplexen Fluoriden oder Fluorometallaten dominiert die oktaedrische [MF6]nK-Einheit. Bekannte Vertreter mit dieser Einheit sind die Verbindungen KNbF6, K2PtF6, Na3AlF6 (Kryolith) oder K2NaAlF6 (Elpasolith). Hexafluorocobaltate (III) A3CoF6 mit A Z LidCs zählen zu den wenigen bekannten highspin-Komplexen von Co3C (paramagnetisch, µ Z 5.4 BM). Die Verbindungen A2CoF6 mit A Z KdCs (K2PtCl6-Typ) enthalten sogar Co4C. Analoge Hexafluoroniccolate (IV) sind für dieselben Alkalimetalle durch A2NiF6 belegt. Auch vierwertiges Kupfer wurde erstmals in den orangefarbenen Verbindungen A2CuF6 (A Z KdCs) durch Hochdruckfluorierung erhalten. K3CuF6 bildet grüne Kristalle mit quadratisch planaren [CuF4]K-Einheiten und enthält paramagnetisches Cu3C (µ Z 2.83 BM). In Strukturen, in denen Verknüpfungen der Oktaeder über Ecken zu linearen Anordnungen dMdFdMd führen, sind Bedingungen für antiferromagnetische Kopplungen bzw. für den Superaustausch gegeben. In Trifluoriden (z. B. CrF3, FeF3, CoF3) und in kubischen und orthorhombischen Fluoroperowskiten (AMF3 mit M Z Mn, Fe, Co, Ni) ist dreidimensionaler Antiferromagnetismus möglich. Im Fluoroperowskit KCoF3 liegt Co2C in einer high-spin d7-Konfiguration vor. Das magnetische Moment für Co2C liegt wenig unterhalb des nach der spin-onlyFormel zu erwartenden Werts (4.8 BM). Die antiferromagnetische Kopplung setzt unterhalb TN z 130 K ein. In der tetragonalen Struktur von K2NiF4 ist der Superaustausch nur noch entlang zweier Richtungen im Kristall möglich (Abb. 2.102). Unterhalb TN resultiert eine magnetische Überstruktur entsprechend amagnetisch Z akristallographisch $ √2. Die Einordnung eines Metallfluorids als Fluorometallat und die damit verbundene Zuordnung von überwiegend ionischen (z. B. NadF) und überwiegend kovalenten Bindungen (z. B. AldF) in einer Verbindung (z. B. Na3AlF6) ist nicht immer eindeutig. Besetzen verschiedene Kationen äquivalente Positionen, so liegt strukturchemisch ein Doppelfluorid vor. Zu den Doppelfluoriden zählen MgMnF6 (ReO3-Typ) oder Verbindungen mit der allgemeinen Formel AMF6 mit

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2 Festkörperchemie

A Z Erdalkalimetall, Cd, Hg und M Z Ti, Cr, Mn, Pd, Pt oder solche mit A Z (Mn, Co,) Ni, Zn und M Z Ti, Mn, Cr.

2.9.8 Metallchloride, -bromide und -iodide Die Metallchloride, -bromide und -iodide der Übergangsmetalle unterscheiden sich von den Fluoriden in vielerlei Hinsicht, z. B. durch ihre Fähigkeit, Verbindungen mit niedrigen Oxidationsstufen der Metallatome und Metall-Metall-Bindungen (Metallcluster) auszubilden. Zur Darstellung von Metallhalogeniden existieren eine Reihe von Methoden: 1. Direkte Reaktion von Metall und Halogen: im Einschlussrohr, Temperaturgradient 300 (C.30 (C

Nb C 5.2 Br2 (5.2 I2) $################% NbBr5 (NbI5) Zur Beseitigung von Sauerstoffresten wird verunreinigtes Metall zuvor im H2Strom reduziert. 2. Reaktion von Metall und Halogenwasserstoff: 900 (C

Cr C 2 HCl $$$$% CrCl2 C H2 (Bei der Reaktion von Cr mit Cl2 entsteht CrCl3.) 3. Halogenierung von Metalloxiden Reaktion mit flüssigem Thionylchlorid durch Erhitzen im Einschlussrohr: 200 (C

Nb2O5 C 5 SOCl2 $$$$% 2 NbCl5 C 5 SO2 4. Synthese metallreicher Metallhalogenide: a) Reduktion mit demselben Metall (Synproportionierung): 450 (C

8 NbCl5 C 7 Nb $$$$% 5 Nb3Cl8 b) Reduktion mit Aluminium-Metall: 370 (C

3 WCl6 C 2 Al $$$$% 3 WCl4 C 2 AlCl3 c) Reduktion mit Wasserstoff: 500 (C 1 CrCl3 C H2 $$$$% CrCl2 C HCl 2 d) Disproportionierung: 470 (C

3 WCl4 $$$$% WCl2 C 2 WCl5 800 (C

5 Nb3Cl8 $$$$% 2 Nb6Cl14 C 3 NbCl4

2.9.8.1 Hexahalogenide und Pentahalogenide Hexahalogenide sind nur von wenigen Metallen bekannt. Gegenüber den Fluoriden zeigt sich bei den übrigen Metallhalogeniden die geringere Tendenz zur Ausbildung hoher Oxidationsstufen. Besonders flüchtig sind die Hexahalogenide MoCl6 (Smp. 17 (C) und ReCl6 (Smp. 29 (C):

2.9 Verbindungen der Metalle 4

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MoCl6 WCl6 ReCl6 WBr6

Die Strukturen der Pentachloride sowie der Pentabromide von Niob und Tantal bestehen aus paarweise kantenverknüpften [MX4X2.2]-Oktaedern, [M2X10]. Dabei treten selbst für die d1-Systeme MoCl5 und WCl5 unter Normalbedingungen keine Bindungen zwischen den Metallatomen auf. 4

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NbX5 MoCl5 WCl5 ReCl5 TaX5 WBr ReBr OsCl5 5 5 X = Cl, Br, I

2.9.8.2 Tetrahalogenide Die Tetrahalogenide TiCl4 und VCl4 sind unter Normalbedingungen flüssig, und Chromtetrahalogenide sind nur bei tiefen Temperaturen in der Gasphase stabil. 4

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TiX4 VCl4 ZrX4 NbX4 MoX4 TcCl4 HfX4 TaX4 WX4 ReCl4

OsCl4 OsBr4

PtCl4 PtI4

X = Cl, Br, I

Auch wenn für viele Tetrahalogenide keine genauen Strukturbestimmungen vorliegen, sind die meisten Strukturen zumindest ungefähr bekannt. Im gasförmigen Zustand sind die tetraedrischen Moleküle TiCl4, TiBr4, TiI4, ZrBr4 und ZrI4 monomer. Im Festkörper findet man Motive kubisch dichtester Packungen der Halogenatome mit zu 1.8 besetzten Tetraederlücken. Typisch für Tetrahalogenide sind kantenverknüpfte [MX2X4.2]-Oktaeder. So bilden NbCl4, α-MoCl4, WCl4, OsCl4 und ReCl4 Strukturen mit linearen Anordnungen. In den Strukturen der (d1-) Tetrahalogenide des Niobs sind die Metallatome aus den Oktaederschwerpunkten paarweise aufeinander zugerückt (Abb. 2.106). Die Bildung von Metall-Metall-Bindungen kann als Resultat einer Peierls-Verzerrung aufgefasst werden. Da beim Erhitzen Disproportionierungsreaktionen

350

2 Festkörperchemie

Abb. 2.106 Ausschnitt aus der Struktur von NbCl4. Die Abstände NbKNb entlang der Oktaederstränge betragen abwechselnd 286 und 306 pm. Die Struktur kann angenähert durch eine hdP der Halogenatome beschrieben werden, in der die Niobatome 1.4 der oktaedrischen Lücken besetzen.

auftreten, lässt sich das Aufbrechen der Metallbindungen in α-NbI4 nur unter Druck nachweisen. Als Resultat entsteht metallisches β-NbI4 mit äquidistant angeordneten Metallatomen entlang der Oktaederstränge.

2.9.8.3 Trihalogenide Ausgehend von kantenverknüpften [MX2X4.2]-Oktaedern in Tetrahalogeniden ist die Flächenverknüpfung von [MX6.2]-Oktaedern eine nahe liegende strukturelle Organisationsform für Trihalogenide. Im ZrI3-Typ teilen [ZrI6.2]-Oktaeder zwei gegenüberliegende Dreiecksflächen miteinander und bilden eindimensionale Stränge. Trihalogenide sind durch viele Beispiele belegt: 4

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TiX3 VCl3 CrX3

FeX3

ZrX3 NbX3 MoX3

RuX3 RhX3

HfI 3

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W6Cl18 PtCl3 Re X OsX3 IrX3 AuX3 W6Br18 3 9 PtBr3

X = Cl, Br, I

Die meisten Trihalogenide kristallisieren in einer der folgenden drei Strukturen: 1. ZrI3-Typ, hdP der Halogenatome: Aγ1.3 Bγ1.3 ... ZrX3, β-TiCl3, MoBr3, MoI3, RuCl3, RuX3, TiI3, HfI3 2. BiI3-Typ, hdP der Halogenatome: Aγ2.3 B, ... α-TiCl3, α-TiBr3, VX3, Tief-CrCl3, CrBr3, CrI3, FeCl3, FeBr3 3. Hoch-CrCl3-Typ, kdP der Halogenatome: Aγ2.3 B,Cβ2.3 A,Bα2.3C, ... RhX3, IrX3, α-MoCl3, YCl3, α-RuCl3 In zwei dieser Strukturtypen sind Beispiele für Bindungen zwischen Metallatomen bekannt. Die Struktur von MoCl3 enthält [Mo2Cl10]-Einheiten, die aus den Strukturen der Pentahalogenide bekannt sind. Anders als bei den Pentahalogeniden sind die Molybdänatome hier paarweise aus ihren Oktaederzentren aufei-

2.9 Verbindungen der Metalle

351

Abb. 2.107 Die Struktur von ZrI3 (Raumgruppe Pmmn). Einzelstrang aus flächenverknüpften [ZrI6.2]-Einheiten und perspektivische Projektion entlang der Richtung der Stränge. Die kurzen ZrdZr-Abstände (317 pm) sind durch Bindungslinien markiert.

nander zu verschoben und bilden ModMo-Bindungen. Die kürzesten ModMoAbstände in MoCl3 (276 pm) gleichen den Abständen in Molybdän-Metall (272 pm). In den quasi-eindimensionalen Strukturen von Trihalogeniden des ZrI3-Typs ist für die d1-Konfiguration eine paarweise Anordnung der Metallatome gemäß einer Peierls-Verzerrung möglich. In der Struktur von ZrI3 sind die Metallatome nach dem gleichen Prinzip wie bei Niobtetrahalogeniden aus den Oktaederschwerpunkten (oder genauer: trigonal-antiprismatischen Lücken) paarweise aufeinander zugerückt (Abb. 2.107). Die ZrdZr-Abstände entlang der Oktaederstränge betragen alternierend 317 und 351 pm. Trihalogenide des Wolframs und Rheniums bilden Strukturen mit Metallclustern. Tantal bildet Halogenide mit der Zusammensetzung TaX2.8 (X Z Cl, Br), die vermutlich [Ta6X12]-Einheiten enthalten.

2.9.8.4 Dihalogenide und Monohalogenide Bei den meisten Dihalogeniden der Gruppen 4 und 6 zeigt sich ein Trend zu Metall-Metall-Bindungen. Titandihalogenide kristallisieren bei hohen Temperaturen im CdI2-Typ (β-TiX2). Bei tiefen Temperaturen ordnen sich die Titanatome jedoch innerhalb der Schichten zu dreieckigen Metallclustern (α-TiX2). Niob bildet kein binäres Halogenid NbX2, sondern die Metallhalogenide Nb3X8 und Nb6Cl14. Die Strukturen von Halogeniden des Typs Nb3X8 enthalten dreieckige Metallcluster und leiten sich vom CdI2-Typ durch unvollständig besetzte Metallteilgitter ab.

352

2 Festkörperchemie

Die Dihalogenide von Molybdän und Wolfram, Mo6X12 und W6X12, enthalten oktaedrische Metallcluster vom [M6X8]-Typ. Das Motiv oktaedrisch angeordneter Metallatome eines [M6X12]-Typs zeigen auch die Strukturen von M6Cl12 mit M Z Pd, Pt, wobei aber keine MdM-Bindungen auftreten. Die Metallatome haben d10- bzw. d9s1-Konfigurationen, weshalb für Pt6Cl12 6 · 10 K 12 · 1 Z 48 Elektronen für Bindungen zwischen Metallatomen zur Verfügung stehen. Da Cluster vom [M6X12]-Typ aber maximal nur 8 bindende Molekülorbitale für Bindungen zwischen den Metallatomen haben, müssten zusätzlich noch alle antibindenden Orbitale besetzt werden (vgl. Abb. 2.112). Die zweite Modifikation von PdCl2 besteht aus rechteckigen [PdCl4.2]-Einheiten, die über zwei gegenüberliegende Kanten zu Bändern verknüpft sind. 4

5

6

7

8

9

10

TiX2 VX2 CrX2 MnX2 FeCl2 CoX2 NiX2

HfX2

11

12 ZnX2

Mo6X12

PdX2

CdX2

W6X12

PtX2

HgX2

X = Cl, Br, I

Die meisten anderen Dihalogenide kristallisieren in einer der folgenden drei Strukturen: 1. CdI2-Typ: β-TiX2, CrBr2, CrI2, MnBr2, MnI2, FeBr2, FeI2, CoBr2, NiBr2 2. CdCl2-Typ: MnCl2, FeCl2, CoCl2, NiCl2 3. Rutil-Typ: CrCl2 Die einzigen bekannten Monohalogenide der Übergangsmetalle sind ZrCl und ZrBr. Die Identitätsperiode dieser Strukturen besteht aus drei XdZrdZrdXSchichtpaketen. Die Zirconiumatome bilden innerhalb dieser Schichtpakete zweidimensional vernetzte trigonale Antiprismen aus. Zwischen den Zirconiumatomen bestehen direkte Wechselwirkungen. Der kürzeste ZrdZr-Abstand in ZrCl beträgt etwa 309 pm innerhalb einer Schicht und 342 pm zwischen zwei benachbarten Zr-Schichten (Abb. 2.108). Kristalle dieser Verbindungen sind von graphitähnlichem Aussehen und weisen elektrische Leitfähigkeit auf. Die Verbindungen ZrCl und ZrBr nehmen bei 200K300(C Wasserstoff auf. Die Wasserstoffatome besetzen in den isostrukturellen Verbindungen ZrClH und ZrBrH Positionen in der Nähe der Metallschichten a, b und c (vgl. Abb. 2.108). Die Koordination der Wasserstoffatome ist nahezu trigonal-planar, wobei sie geringfügig innerhalb der Metalldoppelschichten liegen. Der nicht bindende DdDAbstand beträgt in ZrBrD etwa 220 pm. Er entspricht dem erwarteten Wert für die Radiensumme zweier Hydridionen.

2.9.8.5 Metallhalogenide mit Metallclustern Metallreiche Verbindungen enthalten eine höhere Anzahl von Metallatomen, als zur Absättigung der Valenzen der Nichtmetallatome notwendig ist. Der vorhan-

2.9 Verbindungen der Metalle

353

Abb. 2.108 Struktur von ZrCl (R3m). Die Struktur enthält Metalldoppelschichten, die oktaedrische Einzelmotive erkennen lassen. Die Lagen der Atome in den Schichten einer Identitätsperiode lauten für den 3 R-Typ von ZrCl AbcABcaBCabC und für 3 R-ZrBr AcbABacBCbaC. Die Anordnung der Metallatome innerhalb eines Schichtpakets in der Form „kondensierter Oktaeder“ ist in einem Ausschnitt (rechts) gezeigt.

dene Überschuss an Elektronen kann bindende, nicht bindende oder antibindende Wechselwirkungen zwischen Metallatomen bewirken. Eine Anzahl von Metallen ist besonders befähigt, in Verbindungen stabile Metall-Metall-Bindungen oder Metallcluster auszubilden.22 Zu diesen gehören die Metalle Nb, Ta, Mo, W, (Tc,) Re, die sich durch hohe Schmelzpunkte und hohe Sublimationsenthalpien auszeichnen (Abb. 2.46). In den Verbindungen mit Halogeniden (oder Oxiden) sind die Metall-Metall-Bindungen jedoch schwächer als die Metall-Halogen-Bindungen. Dieses unterstreichen Phasenübergänge in ein(NbX4) oder zweidimensionalen (Na2Ti3Cl8) Strukturen, die lediglich durch das Aufbrechen von Metall-Metall-Bindungen gekennzeichnet sind. Das häufigste Strukturmotiv bei den metallreichen Metallhalogeniden (und -chalkogeniden) ist der oktaedrische Metallcluster [M6]. Hinsichtlich der Koordination mit Halogenatomen können zwei Typen unterschieden werden (Abb. 2.109). In Metallhalogeniden vom [M6X12]-Typ liegen zwölf Halogenatome über den Kanten, und in Metallhalogeniden vom [M6X8]-Typ liegen acht Halogenatome über den Flächen des oktaedrischen Metallclusters. Das Auftreten von Verbindungen in der einen oder der anderen Struktur unterliegt folgenden allgemeinen Kriterien, die allerdings nicht streng gelten: 22

Der Begriff „Cluster“ steht für die Anhäufung gleichartiger Atome. Bei Verwendung des Wortes „Metallcluster“ wird oft das nicht zwingend notwendige Auftreten von Metall-MetallBindungen angenommen.

354

2 Festkörperchemie

Abb. 2.109 Metallhalogenide vom [M6X8]-Typ (links) und [M6X12]-Typ (rechts) mit oktaedrischen Metallclustern. In vielen Strukturen sind diese Einheiten durch äußere X-Atome verbrückt (weiß Kugeln).

[M6X8] • kleine M, große X • elektronenreicher mit max. 24 Elektronen in den MdM-Bindungen • z. B. Mo6Cl12 mit 6 $ 6 eK K 12 $ 1 eK Z 24 eK

[M6X12] • große M, kleine X • elektronenärmer mit max. 16 Elektronen in den MdM-Bindungen • z. B. Nb6Cl14 mit 6 $ 5 eK K 14 $ 1 eK Z 16 eK

Die Summenformeln von Clusterverbindungen mit [M6X8]- und [M6X12]-Einheiten variieren mit der Anzahl von Halogenatomen in der äußeren Koordination

Abb. 2.110 Art und Nomenklatur (i Z innen, a Z außen) möglicher Verbrückungen von [M6X12]-Einheiten durch Halogenatome. Bindungen, die die Koordinationen der X-Atome aus der Sicht eines Metallclusters bezüglich der Bezeichnungen iKi, aKa, iKa usw. betreffen, sind hervorgehoben. Zur besseren Übersicht ist die Anordnung der Halogenatome in den [M6X12]-Einheiten mithilfe von Würfeln hervorgehoben.

2.9 Verbindungen der Metalle

355

Abb. 2.111 Struktur von Nb6F15 (links) und Ausschnitt aus einer Schicht der Struktur von Mo6Cl12 (rechts). Zur besseren Übersicht sind die Halogenatome der inneren Koordination i nicht gezeigt. Die Struktur von (Nb6F 12)F6.2aKa enthält sechs verbrückende Fluoratome i a aKa enthält vier innerhalb einer Schicht verbrückende und und die von (Mo6Cl 8) Cl2 Cl4.2 zwei terminale Chloratome.

(Xa). Bei halogenverbrückten Clustern werden die Positionen der Halogenatome aus Sicht des Metallclusters als außenKaußen (aKa) bezeichnet, wenn eine einfache Verbrückung zweier Cluster durch ein äußeres X-Atom vorliegt, oder als außenKinnen (aKi), wenn das verbrückende Halogenatom zum inneren (i) Koordinationsbereich einer benachbarten [M6X i12]-Einheit gehört (Abb. 2.110). Nb6F15 ist das einzige bekannte Metallfluorid mit einem oktaedrischen Metallcluster. Die [Nb6F12]-Einheiten sind dreidimensional über lineare aKa NbKF aKaKNb-Brücken entsprechend (Nb6F12i )F6.2 verknüpft (Abb. 2.111). Diese Brücken sind in der Struktur von Ta6Cl15 gewinkelt. Ebenfalls gewinkelte Brücken, aber zwischen benachbarten [Nb6I8]-Einheiten, enthält die Struktur von aKa Nb6I11 gemäß (Nb6I8)I6.2 . Aber nur vier verbrückende Halogenatome (XaKa) plus zwei endständige Halogenatome (Xa) kennzeichnen den schichtartigen Aufbau der Strukturen von Mo6Cl12 und W6Cl12 (Tabelle 2.36). Die Struktur von W6Br16 enthält polyanionische (Br4)2K-Brücken. Ungewöhnlich ist die elektronische Situation der Struktur von W6Cl18, deren isolierte (W6Cl i12)Cl6a-Moleküle 18 (anstatt von 16) Elektronen in den Metall-Metall-Zuständen des Clusters enthalten. Die elektronischen Strukturen von Metallhalogeniden mit [M6X12]- und [M6X8]-Einheiten Elektronen können in metallreichen Verbindungen lokalisiert oder delokalisiert sein. In Strukturen aus isolierten bzw. halogenverbrückten Metallclustern sind die Elektronen meistens in Metall-Metall-bindenden Orbitalen der Cluster lokalisiert. Obwohl die Zahl der Elektronen für einen bestimmten Clustertyp variieren kann (Tabelle 2.36), gelten für oktaedrische Metallcluster bestimmte elektronische Erfordernisse: In einer [M6X8]-Einheit mit acht X-Atomen über den Dreiecksflächen des Metalloktaeders liegen die Metall-Metall-Bindungen über den zwölf Oktaeder-

356

2 Festkörperchemie i

i

Tabelle 2.36 Binäre Metallhalogenide mit [M6X 8]- und [M6X 12]-Einheiten, ihre Verbrückung und Anzahl der Elektronen.Cluster in Metall-Metall-Zuständen. Verbindung (en)

Verbrückung

Nb6F15

(Nb6F12)F6.2

i

Ta6X15 (X Z Cl, Br) Nb6Cl14 Ta6X14 (X Z Br, I) Nb6I11 Mo6X12 (X Z Cl, Br, I) W6X12 (X Z Cl, Br, I) W6Br 16

b)

W6X18 (X Z Cl, Br) a)

b)

aKa

i aKa (Ta6Cl12)Cl6.2 i iKa aKi aKa (Nb6Cl10Cl2.2 ) Cl2.2 Cl4.2 i iKa aKi aKa (Ta6Br10Br2.2 ) Br2.2 Br4.2 i aKa (Nb6I8 )I6.2 i a aKa (Mo6Cl8 )Cl2 Cl4.2 i a aKa (W6Cl8 )Cl2 Cl4.2 i a aKa (W6Br8 )Br4 (Br4)2.2 a i (W6Cl 12)Cl6

Elektronen.Clustera) 15 15 16 16 19 24 24 22 18

Die Anzahl der Elektronen in den Metall-Metall-Zuständen ergibt sich aus der Anzahl der Valenzelektronen des Metalls, vermindert um die Anzahl der Elektronen, die formal auf die Halogenatome (X) übertragen werden (z. B. Ta6Cl15: 6 · 5 eK K 15 · 1 eK Z 15 eK). Enthält lineare (Br4)2K-Ionen (BrK ··· Br2 ··· BrK).

kanten und können als zwölf Zweizentren-Zweielektronenbindungen beschrieben werden. In einer [M6X12]-Einheit mit zwölf X-Atomen über den Oktaederkanten liegen die Metall-Metall-Bindungen über den acht Dreiecksflächen des Oktaeders und können als acht Dreizentren-Zweielektronenbindungen beschrieben werden. Diese vereinfachten Betrachtungen stehen mit den Resultaten von MO-Rechnungen im Einklang. Werden nur die Wechselwirkungen der 6 · 5 d-Orbitale eines [M6]-Clusters berücksichtigt, so ist ein Orbital eines jeden Metallatoms (z. B. x2Ky2) an Bindungen mit den vier X-Atomen beteiligt, die nahezu quadratisch um das Metallatom angeordnet sind (vgl. Abb. 2.109). Ein weiteres Orbital (z. B. z2) ist zu Wechselwirkungen mit äußeren X-Atomen befähigt. Dieses z2-Orbital und die drei „t2g“-Orbitale des MX5-Fragmentes bilden zusammen vier d-Orbitale, die zur Ausübung von Metall-Metall-Wechselwirkungen in der Lage sind (Abb. 2.112). Aus den 6 · 4 d-Orbitalen eines [M6]-Clusters entstehen für die [M6X8]-Einheit zwölf bindende Orbitalkombinationen, die entlang der Oktaederkanten und in das Oktaederzentrum gerichtet sind. Für die [M6X12]-Einheit entstehen acht bindende Orbitalkombinationen, die entlang der Dreiecksflächen des Metalloktaeders und in das Oktaederzentrum gerichtet sind. Bindungen zwischen Metallatomen werden stets entlang derjenigen Richtungen gebildet, entlang derer keine Metall-Halogen-Bindungen vorliegen, um so interelektronischen Abstoßungen auszuweichen. Die bindenden Zustände für einen [M6X8]-Cluster ordnen sich mit steigender Energie in der Reihenfolge a1g, t1u, t2g, t2u und eg, die für einen [M6X12]-Cluster in der Reihenfolge a1g, t1u, t2g und a2u. Stimmt die Anzahl der verfügbaren Elektronenpaare mit der Anzahl der Kanten (oder auch der Flächen) des Clusters

2.9 Verbindungen der Metalle

357

Abb. 2.112 Energieniveaudiagramme der Metall-Metall-Zustände oktaedrischer Metallcluster in [M6X8]X6- und [M6X12]X6-Einheiten (Oh-Symmetrie).

überein, so spricht man von elektronenpräzisen Clustern. Dieses trifft für Einheiten [M6X8]4C wie z. B. Mo6Cl12 mit 6 · 6 eK K 12 · 1 eK Z 24 eK (oder [M6X12]2C wie z. B. Nb6Cl14 mit 6 · 5 eK K 14 · 1 eK Z 16 eK) zu, in denen alle MdM-bindenden Zustände vollständig mit Elektronen besetzt sind. Stehen mehr oder weniger Elektronen zur Verfügung, so werden die Metall-Metall-Bindungen geschwächt und eine Verzerrung des Metalloktaeders wird möglich. Während die Besetzung mit weniger als 16 oder 24 Elektronen keine Seltenheit ist, tritt eine Besetzung mit mehr als diesen idealen Elektronenzahlen nur selten auf (vgl. W6Cl18). Oft ist der Abstand zwischen den Metallatomen im Cluster ein Maßstab für dessen Oxidationszustand. Bei der Oxidation von Nb6Cl14 werden Elektronen aus bindenden Metall-Metall-Zuständen entfernt, und die Abstände zwischen den Metallatomen nehmen zu: NbKNbAbstände:

[Nb6Cl12]2C(16 eK) $% [Nb6Cl12]3C(15 eK) $% [Nb6Cl12]4C (14 eK) 292 pm

297 pm

302 pm

In Clustern der Metalloxide vom Typ [Nb6O12] und in interstitiell zentrierten Zirconiumclustern vom Typ [Zr6 (Z)X12] liegt der a2u-Energiezustand im Bereich antibindender Nb-O-Zustände, weshalb diese Cluster mit 14 Elektronen stabil sind. Durch Nichtmetallatome verbrückte Metallcluster sind elektrische Halbleiter, da ihre Elektronen in Metall-Metall-Bindungen (semi-)lokalisiert sind. Werden zwischen benachbarten Metallclustern direkte Metall-Metall-Bindungen wirksam, so gelten veränderte elektronische Kriterien.

358

2 Festkörperchemie

Zentrierte oktaedrische Metallcluster Die elektronenärmeren Metalle der Gruppe 4, insbesondere aber Zirconium, bilden metallreiche Metallhalogenide, deren oktaedrische Cluster stets durch (interstitielle) Atome zentriert sind. Da die Strukturen von Verbindungen mit zentrierten Metallclustern manchmal zu Strukturen mit leeren Metallclustern isotyp sind, kann angenommen werden, dass die zentrierenden Atome den Elektronenmangel von Metallclustern kompensieren. Ein Beispiel hierfür sind die isotypen Strukturen von Nb6Cl14 und Ti6CCl14. Aus MO-Rechnungen an [M6ZX12]-Clustern mit einem interstitiellen Hauptgruppenelement (Z) wurde abgeleitet, dass die Wechselwirkungen zwischen den Orbitalen der [M6X12]-Einheit mit den 2sund 2p-Orbitalen des Hauptgruppenelements keine zusätzlichen bindenden Energiezustände unterhalb der Fermi-Energie erbringen. Die Valenzelektronen des Hauptgruppenelements werden deshalb zu den Clusterelektronen hinzugerechnet. Für Ti6CCl14 resultiert daraus die formale Zählweise: 6 · 4 C 4 K 14 Z 14. Zentrierte Metallcluster des [M6X12]-Typs sind oft mit nur 14 (vgl. Zr6CCl14) anstatt mit 16 (vgl. Zr6CCl12) Clusterelektronen stabil, da der bindende Charakter der a2u-Kombination dem Einfluss verschiedener Faktoren, wie z. B. den Metall-Metall-Abständen im Cluster und dem Grad der Kontraktion der d-Orbitale unterliegt.

Abb. 2.113 Ausschnitte aus den Strukturen von Nb6HI11 (links) und Zr6CoCl15 (rechts). Die den Cluster zentrierenden Co- und H-Atome und innere Halogenatome sind grau gezeichnet. Verbrückende Halogenatome der äußeren Koordination sind als leere Kugeln dargestellt.

In metallzentrierten (Z) Clustern des Typs M6ZCl14 spalten die 3d-Energiezustände des interstitiellen Atoms Z im oktaedrischen Ligandenfeld des Clusters in Orbitalsätze mit t2g- und eg-Symmetrie auf. Die t2g-Orbitale des 3d-Metalls bringen keine neuen Energiezustände unterhalb der Fermi-Energie hinzu, weil sie ähnlich wie die s- und p-Orbitale der Hauptgruppenelemente mit den Orbitalen des Clusters mischen (bindende und antibindende Kombinationen bilden). Lediglich durch die eg-Zustände des 3d-Metalls kommen zwei Energieniveaus hinzu. Da die a2u-Energieniveaus eher antibindend sind, benötigen Cluster vom [M6ZX12]-Typ 18 Elektronen pro Cluster, um alle MdM-bindenden Energiezustände zu besetzen. Beispiele sind Zr6CoCl15 mit 6 · 4 C 9 K 15 Z 18,

2.9 Verbindungen der Metalle

359

Tabelle 2.37 Beispiele für zentrierte oktaedrische Metallcluster und ihre Verknüpfung. Verbindung (en)

Verbrückung

Strukturtyp

Nb6HI11

i aKa (Nb6HI8 )I6.2 i iKi aKa (Nb6HI6 S2.2)I6.2 i iKa aKi aKa (Ti6CCl10Cl2.2 )Cl2.2 Cl4.2 i iKa aKi aKa (Zr6ZCl10Cl2.2 )Cl2.2 Cl4.2 i iKa aKi (Zr6ZCl6Cl6.2 )Cl6.2 i aKa (Zr6ZCl12)Cl6.2 i iKa aKi aKa (Hf6ZCl10Cl2.2 )Cl2.2 Cl4.2

gefüllter Nb6I11-Typ

Nb6HI9S Ti6CCl14 Zr6ZCl14 (Z Z H, Be, B, C, Fe) Zr6ZCl12 (Z Z H, Be, B, C) Zr6ZCl15 (Z Z Co, Ni) K

[Hf6ZCl14] a)

(Z Z B, C)

gefüllter Nb6I9S-Typa) gefüllter Nb6Cl14-Typ gefüllter Nb6Cl14-Typ K gefüllter Nb6F15-Typ gefüllter Nb6Cl14-Typ

Über innere Schwefelatome und äußere Iodatome zu eindimensionalen Strängen verknüpft.

Zr6FeCl14 mit 6 · 4 C 8 K 14 Z 18 (Tabelle 2.37) und Y6NiI10 mit 6 · 3 C 10 K 10 Z 18 Elektronen (Tabelle 2.40). Zirconiumhalogenide sind typische Vertreter für zentrierte Metallcluster mit über 100 bekannten Strukturbeispielen. Die Hydridhalogenide Nb6HI11und Nb6HI9S werden durch Erhitzen der wasserstofffreien Verbindungen in Gegenwart von H2 dargestellt. Die Wechselwirkung eines interstitiell eingebauten Wasserstoffatoms mit dem Metallcluster verhält sich wie folgt: Durch die Wechselwirkung des H 1s-Orbitals mit dem gefüllten a1g-Zustand wird die bindende 1sKa1g-Kombination abgesenkt und die antibindende 1sKa1g-Kombination über das Fermi-Niveau angehoben. Damit bleibt die Anzahl bindender Energiezustände unverändert, nur die Anzahl der Elektronen wird um ein Elektron (auf 20 eK pro Cluster für Nb6HI11 und Nb6HI9S) erhöht. Halogenokomplexe mit oktaedrischen Metallclustern lassen sich von den binären Verbindungen mit [M6X12]- oder [M6X8]-Einheiten ableiten. Strukturen des Formeltyps A4M6Cl18 (A Z Alkalimetall, In, Tl; M Z Nb, Ta) enthalten isolierte [M6Cl i12Cl 6a]4K-Ionen. Entsprechende Verbindungen werden durch Reaktionen wie Nb6Cl14 C 4 ACl $% A4 Nb6Cl18 bei 800 (C hergestellt. Solche luftstabilen Niob- und Tantalhalogenide lösen sich wie auch Nb6Cl14 in polaren Lösungsmitteln (Alkohole, Wasser), wobei durch die [Nb6Cl12]2C-Ionen olivgrüne Lösungen entstehen. Die Rekristallisation aus Wasser liefert z. B. das Hydrat Nb6Cl14 · 8 H2O. Die feuchtigkeitsempfindlichen Zirconiumhalogenide bilden eine breite Palette von Verbindungen mit der allgemeinen Zusammensetzung Ax[Zr6 (Z)Cl12]Cln (0 % n % 6 und 0 % x % 6) mit leicht variierenden Zahlen von Clusterelektronen. Strukturen mit [M6X8]-Einheiten und Chevrel-Phasen Die elektronenärmeren Metalle der Gruppe 5 bevorzugen mit einer Ausnahme (Nb6I11) die Bildung von Metallhalogeniden mit [M6X12]-Einheiten. Strukturen mit [M6X8]-Einheiten sind für die elektronenreicheren Metalle der Gruppe 6 typisch (vgl. Tabelle 2.36). Ausgehend von binären Molybdänhalogeniden, wie z. B. Mo6Br12 existiert eine Reihe von Verbindungen, in denen Halogenatome sukzessive durch Chalkogenatome ersetzt sind. Allerdings werden diese Verbin-

360

2 Festkörperchemie

dungen nicht durch Ionenaustauschreaktionen, sondern durch gezielte Einzelreaktionen erzeugt. Die binären Verbindungen Mo6X8 (X Z S, Se) entstehen durch Deintercalation des Metallatoms A aus AxMo6X8. Bei der formalen Substitution von zwei einwertigen Anionen gegen ein zweiwertiges Anion wird die Anzahl der Anionen am Metallcluster vermindert. Dabei gehen Brücken der Verknüpfung aKa zugunsten von Verbrückungen durch innere Nichtmetallatome iKa und aKi verloren. Durch die engere Verknüpfung werden direkte Wechselwirkungen zwischen benachbarten [M6]-Clustern möglich.

Bedingt durch direkte Metall-Metall-Wechselwirkungen zwischen benachbarten Clustern verlieren die für die isolierten Cluster berechneten MO-Schemata ihre Gültigkeit. Die auf Basis der dreidimensionalen Verknüpfung vorliegende elektronische Struktur kann anhand einer Bandstruktur beschrieben werden. Mit weniger als 24 Elektronen in den MdM-Bindungen in einer [M6X8]-Einheit treten für Molybdän (halogenid)chalkogenide metallische und bei tiefen Temperaturen auch supraleitende Eigenschaften auf. Mit 24 Elektronen in diesen Zuständen liegt eine Bandlücke zwischen den bindenden und antibindenden Zuständen, und die Verbindungen sind Halbleiter. Die ternären Molybdänchalkogenide AxMo6Y8 (Y Z S, Se, Te; A Z Pb, Sn, Ba, Au, Cu, Li, Lanthanoid usw.) werden als Chevrel-Phasen bezeichnet. Unter diesen ist die Verbindung PbxMo6S8 (0.9 ! x ! 1) wegen ihrer supraleitenden Eigenschaften und wegen ihrer hohen kritischen Feldstärke die bekannteste (Abb. 2.114).

Abb. 2.114 Vier Elementarzellen der Chevrel-Phase PbMo6S8. Die MoKMo-Abstände zwischen benachbarten Clustern betragen 327 pm, die innerhalb eines Clusters 267K274 pm (Molybdän-Metall: 272 pm).

2.9 Verbindungen der Metalle

361

Da Rhenium noch elektronenreicher als ein Element der Gruppe 6 ist, sind zweiwertige Anionen zur Bildung von Strukturen mit [M6X8]-Einheiten erforderlich, um die Besetzung antibindender Zustände zu vermeiden. Ähnlich wie bei den Molybdänverbindungen werden diskrete Cluster (Re6S4Cl10 Z M6X 8iX6a-Typ) mit steigendem Chalkogengehalt zunehmend enger verknüpft. Trigonale Metallcluster Zu den metallreichen Metallhalogeniden mit dreieckigen Metallclustern gehören die Verbindungen Nb3X8 und Re3X9 mit X Z Cl, Br, I. Während von Nb3Cl8 nur eine (α-) Phase bekannt ist, bilden sich Nb3Br8 und Nb3I8 je nach Herstellungstemperatur als Modifikationen ihrer Tieftemperaturphase (α) oder ihrer Hochtemperaturphase (β). Bedingt durch Fehlstellen im Metallteilgitter zeigen die Verbindungen α-Nb3X8 Phasenbreiten (Nb3Kδ X 8), die sich in die Richtung ihrer Trihalogenide bewegen. Die Strukturen (Abb. 2.115) zeigen Analogien zu den Strukturen der Cadmiumhalogenide, wobei die Niobatome in Nb3X8 nur 3.4 der vorhandenen Oktaederlücken in jeder zweiten Oktaederlückenschicht besetzen, und in den Strukturen unterschiedliche Stapelvarianten der XdNbdX-Schichtpakete auftreten: α-Nb3X8 (X Z Cl, Br, I) hdP der Anionen: Aγ3.4 B, ...

(defekter CdI2-Typ)

Für elektronenpräzise dreikernige Cluster kommen sechs Elektronen für die Besetzung von drei Metall-Metall-Bindungen in Betracht (vgl. α-Na2Ti3Cl8). Die berechneten Bandstrukturen von Nb3X8 zeigen noch ein weiteres Energieband (mit schwach bindender NbdNb-Überlappungspopulation), welches mit einem Elektron besetzt ist. Daher sind Verbindungen mit der Nb3X8-Struktur mit sechs

Abb. 2.115 Ausschnitt aus einem BrdNbdBr-Schichtpaket der Nb3Br8-Struktur, als Projektion auf die hexagonale ab-Ebene (Raumgruppe R3). Die NbdNb-Abstände innerhalb der trigonalen Cluster betragen 288 pm und die zwischen benachbarten Metallclustern 420 pm. Die hervorgehobene [Nb3Br13]-Einheit entspricht dem Motiv dreier [NbBr6]-Oktaeder, die gemeinsame Kanten miteinander teilen.

362

2 Festkörperchemie

Abb. 2.116 Ausschnitt aus der Struktur von Re3I9 mit einer hervorgehobenen [Re3I9]-Einheit.

bis acht Elektronen pro Formeleinheit stabil (Nb3SBr7, Nb3Cl8, NaNb3Cl8). Die reinen Halogenide Nb3X8 mit X Z Cl, Br, I sind paramagnetische Halbleiter. Die Strukturen der Rheniumtrihalogenide (ReX3)3 enthalten dreieckige Rheniumcluster, die in Re3Cl9 und Re3Br9 zu Schichten und in Re3I9 zu Bändern verknüpft sind (Abb. 2.116). Re3Cl9 löst sich in HCl als [Re3Cl12]3K. In [Re3Cl12]3K wie auch in Re3Cl9 und Re3Br9 sind die Rheniumatome verzerrt quadratisch-pyramidal von Halogenatomen umgeben. Werden nur Wechselwirkungen der 3 · 5 d-Orbitale berücksichtigt, so sind drei d-Orbitale einer [Re3Cl9]-Einheit an RedCl-Bindungen beteiligt und die übrigen zwölf bilden sechs bindende und sechs antibindende Kombinationen. Da alle bindenden Kombinationen von Re3Cl9 mit Elektronen besetzt sind (3 · 7 K 9 · 1 Z 12 Elektronen), enthält jede RedRe-Bindung vier Elektronen und damit die Bindungsordnung zwei (Re3Cl9 ist diamagnetisch). Im Vergleich zu RheniumMetall (274 pm) liegen daher in Re3Cl9 kürzere (249 pm) ReKRe-Abstände vor. Trigonal-prismatische Metallcluster Nach dem Symmetrieprinzip der Kristallchemie haben kristalline Festkörper das Bestreben, Anordnungen mit der höchstmöglichen Symmetrie zu bilden. Vielleicht sind aus diesem Grund trigonal-prismatische Cluster seltener. Dabei können leere und gefüllte Metallcluster unterschieden werden: i

a

aKa 3K

[Nb6SBr17]3K

[(Nb6SBr 12)Br 4Br2.2 ]

W6CCl18

(W6CCl 12)Cl6

W6CCl16 Re6Br12 [Tc6Cl14]3K a)

i

a

i a aKa (W6CCl 12)Cl 2Cl4.2 a i (Re6Br 6)Br6 i i a [(Tc6Cl 6Cl2)Cl 6]3K a)

In der Struktur von [Tc6Cl14]3K (und [Re6Cl14]K) sind zusätzlich noch die dreieckigen Flächen der Metallcluster durch Halogenatome (µ3-) überdacht. Es stehen folglich 31 (und 29) Elektronen für MdM-Bindungen zur Verfügung.

2.9 Verbindungen der Metalle

363

Abb. 2.117 Trigonal-prismatische Metallcluster Re6Br12 (links) und [Nb6SBr17]3K (rechts). Die Metall-Metall-Abstände in und zwischen den dreieckigen Basisflächen betragen für Re6Br12 265 und 226 pm und für [Nb6SBr17]3K 297 und 328 pm. Unter den Strukturbildern sind die MKM-Bindungsverhältnisse schematisch dargestellt. Für Re6Br12 stehen 30 Elektronen für RedRe-Bindungen zur Verfügung. In [Nb6SBr17]3- verteilen sich zweimal sechs Elektronen auf Bindungen innerhalb der Metalldreiecke und zwei weitere sind an Bindungen in und zwischen Metalldreiecken beteiligt.

Die Verbindungen A3 [Nb6SBr17] (A Z Alkalimetall) enthalten schwefelzentrierte trigonal-prismatische [Nb6S]-Einheiten, die entlang ihrer pseudo-dreizähligen Achse gestreckt sind (Abb. 2.117). Die Bindungsverhältnisse können aus der Nb3X8-Struktur abgeleitet werden, in der sieben Elektronen (pro [Nb3]-Cluster) bindende Metallzustände besetzen. Mit insgesamt 3 C 6 · 5 K 2 (S) K 17 Z 14 Elektronen bestehen demnach für eine Clustereinheit in A3 [Nb6SBr17] nur schwache NbdNb-Bindungen zwischen den Metalldreiecken. Bei dieser Zählweise wird Schwefel als S2K berücksichtigt (wie bei Nb3SBr7). Die kohlenstoffzentrierten trigonal-prismatischen Wolframcluster vom Typ [W6CCl18]nK mit n Z 0, 1, 2, 3 haben gemäß dieser Zählweise 6 · 6 K 4 (C) K 18 C n Z 14 bis 17 Elektronen. Beim Erhitzen zersetzen sie sich in W2C. Die leeren Re6Br12-Cluster mit der trigonal-prismatischen [M6X12]-Einheit sind entlang der pseudo-dreizähligen Achse gestaucht. Für die Metall-MetallBindungen sind in Re6Cl12 30 Elektronen verfügbar. Diese verteilen sich formal auf sechs Einfachbindungen in den Metalldreiecken und auf drei Dreifachbindungen zwischen den Metalldreiecken. Zwei zusätzliche Elektronen besetzen im analog gebauten Cluster [Tc6Cl12]2K partiell antibindende Orbitale. Die Kristallstruktur des achtkernigen Technetiumclusters Tc8Br12 lässt sich aus der Struktur von Re6Br12 konstruieren, wenn man sich vorstellt, dass zwei trigonal-prismatische Cluster eine gemeinsame Rechtecksfläche teilen. Der Metallcluster benötigt 44 Elektronen für zehn Einfach- und vier Dreifachbindungen.

2.9.9 Halogenide der Seltenerdmetalle Bedingt durch die bevorzugte Dreiwertigkeit sind von den Seltenerdmetallen vor allem Trihalogenide bekannt, aber auch eine Anzahl von Dihalogeniden. Außer-

364

2 Festkörperchemie

dem existieren einige wenige Tetrahalogenide, wie z. B. CeF4, und LaI als bisher einziges Monohalogenid. Bei den Dihalogeniden werden salzartige und metallische Verbindungen unterschieden, je nachdem, ob das Seltenerdion im zwei- oder dreiwertigen Oxidationszustand vorliegt. Metallreiche Halogenide der Seltenerdmetalle sind durch die Zusammensetzungen wie z. B. Y2Cl3, Pr2Br5 oder Sc7Cl10, sowie durch ternäre Verbindungen belegt.

2.9.9.1 Trihalogenide Die Ammoniumhalogenid-Route dient zur Darstellung von Seltenerdmetalltrihalogeniden (Fluoride, Chloride, Bromide und einige Iodide) in einer zweistufigen Reaktion. Zur Synthese der feuchtigkeitsempfindlichen Chloride, Bromide und Iodide dienen Reaktionen mit Ammoniumhalogeniden. Dabei bilden sich unterschiedlich zusammengesetzte Ammoniumsalze (wie z. B. (NH4)3YCl6 oder (NH4)2LaCl5): 230 (C

Y2O3 C 12 NH4Cl $$$$% 2 (NH4)3YCl6 C 6 NH3[ C 3 H2O[ Die Ammoniumsalze werden nachfolgend im Vakuum in Trihalogenide zersetzt: 360 (C

(NH4)3YCl6 $$$$% YCl3 C 3 NH4Cl[ Bei dieser Methode wird die bei hohen Temperaturen (z. B. durch direkte Halogenierung mit Cl2) kaum zu vermeidende Bildung von Oxidhalogenid (YOCl) unterdrückt. Im Gegensatz zu den schweren Halogeniden sind Trifluoride der Seltenerdmetalle gegen Feuchtigkeit stabil. Sie entstehen bei Reaktionen der Seltenerdmetalloxide mit NH4F über die Stufe der Ammoniumsalze (z. B. als NH4LaF4, (NH4)2CeF6 oder (NH4)3Tb2F9), die in die binären Fluoride zersetzt werden können: 100 (C

La2O3 C 8 NH4F $$$$% 2 NH4LaF4 C 6 NH3 [ C 3 H2O [ 300 (C

NH4LaF4 $$$$% LaF3 C NH4F [ Die Seltenerdmetalltrifluoride LaF3KHoF3 kristallisieren im trigonalen LaF3Typ.23 Die Seltenerdmetallfluoride mit den kleineren Kationen in SmF3KLuF3 kristallisieren im orthorhombischen YF3-Typ: LaF3

CeF3

PrF3

NdF3 (Pm) SmF3

EuF3

LaF3-Typ

23

GdF3 TbF3

DyF3

HoF3

ErF3 TmF3 YbF3

LuF3

YF3-Typ

Die LaF3-Struktur (Raumgruppe P3c1) wird in der Literatur oft als Tysonit-Typ bezeichnet, obwohl für die Struktur des Minerals Tysonit (La1KxCexF3) eine andere, möglicherweise falsche Raumgruppe berichtet wurde (P63.mmc).

2.9 Verbindungen der Metalle

365

Die Existenzbereiche dieser beiden Formen überlappen für die Trifluoride von Sm, Eu, Gd, Tb, Dy und Ho, für die der LaF3-Typ die Tieftemperaturmodifikation und der YF3-Typ die Hochtemperaturmodifikation sind. In beiden Strukturen sind die Metallatome von Fluoratomen in dreifach überdachter trigonal-prismatischer Formation umgeben. Dasselbe Motiv enthält der UCl3-Typ, in dem die Trichloride von LadGd unter Normalbedingungen kristallisieren (Abb. 2.118). Die auf diese Elemente folgenden Trichloride von DyKLu kristallisieren im YCl3-Typ (Hoch-CrCl3-Typ, vgl. Punkt 3 in Abschnitt 2.9.8.3). Der für die Triiodide (LaI3, CeI3, PrI3 und NdI3) und auch einige Tribromide bekannte PuBr3-Typ (Abb. 2.118) enthält zweifach überdachte trigonal-prismatische Koordinationspolyeder aus Halogenatomen und zeigt Ähnlichkeiten zu Strukturen vom Typ Pr2Br5 (Abb. 2.120). Tabelle 2.38 Strukturen von Trihalogeniden der Seltenerdmetalle. Strukturtyp

Beispielea)

LaF3 YF3 UCl3 YCl3 PuBr3 BiI3

MF3 mit M Z LadHo MF3 mit M Z SmdLu MCl3 mit M Z LaKGd; LaBr3, CeBr3, PrBr3 MCl3 mit M Z DydLu MI3 mit M Z LadNd; NdBr3, SmBr3 und TbCl3 MI3 mit M Z SmdLu

a)

Halogenide von Pm wurden nicht untersucht.

Abb. 2.118 Die Strukturen von UCl3 und PuBr3.

Nur wenige Fluoride sind mit zwei- oder vierwertigen Lanthanoidionen bekannt. Die Tetrafluoride CeF4, PrF4 und TbF4 entstehen durch direkte Fluorierung der Trifluoride. Bei der Reduktion von Trifluoriden mit ihren Metallen entstehen die Difluoride SmF2, EuF2, TmF2 und YbF2 oder aber feste Lösungen aus MF3.MF2.

366

2 Festkörperchemie

2.9.9.2 Dihalogenide Von den meisten Lanthanoidmetallen sind Dihalogenide MX2 mit X Z Cl, Br und I bekannt. Die meisten sind salzartige Verbindungen M2C(XK)2 mit der [Xe]4f n5d06s0-Konfiguration der Metallatome. Die Diiodide LaI2, CeI2, PrI2, GdI2 und ScI2 werden als „metallische“ Dihalogenide bezeichnet, weil in ihnen die Metallatome im dreiwertigen Oxidationszustand vorliegen und die Verbindungen oft metallische Eigenschaften haben. Im dreiwertigen Oxidationszustand besitzen die Lanthanoidmetalle die [Xe]4f nK15d16s0-Konfiguration (Tabelle 2.39). Durch ein d-Elektron pro Formeleinheit im (5d-) Leitungsband, ausgedrückt durch die Schreibweise MI2 (eK), tritt bei LaI2 metallisches Verhalten auf (vgl. die Bandstruktur von LaI2, Abschnitt 2.6.4.4). Analoges gilt für CeI2 und PrI2. Im Gegensatz hierzu ist NdI2 ein salzartiger d0-Halbleiter. NdI2 zeigt jedoch unter Druck einen fKd-Konfigurationsübergang gemäß 4f n5d06s0 $% 4f nK15d16s0 vom zwei- in den dreiwertigen Oxidationszustand. Dieser Übergang ist mit einer strukturellen Veränderung und mit einem Halbleiter-Metall-Übergang gekoppelt (Abschnitt 2.1.7.3). Dabei entsteht der für intermetallische Verbindungen typische MoSi2-Typ. In diesem Strukturtyp kristallisiert LaI2 (eK) bereits unter Normalbedingungen (Abb. 2.36). Tabelle 2.39 Die „metallischen“ Diiodide der Seltenerdmetalle. Verbindung

Konfiguration

Strukturtyp

ScI2

[Ar] 3d1

CdI2

LaI2

[Xe] 5d1

CeI2

1

[Xe] 4f 5d

Ti2Cu (MoSi2)

PrI2

[Xe] 4f 2 5d1

(I) Ti2Cu (MoSi2), (II) 2 H-MoS2, (III) 3 RMoS2, (IV) CdCl2, (V) Pr4I8-Einheit

GdI2

[Xe] 4f 7 5d1

2 H-MoS2

Ti2Cu (MoSi2) 1

Von PrI2 sind fünf Modifikationen bekannt. Die Modifikation V kann von der Spinell-Struktur abgeleitet werden: MgAl2O4 z ,Pr2I4. Dabei rücken die PrAtome jedoch aufeinander zu, sodass [Pr4]-Cluster gebildet werden. GdI2 kristallisiert im 2 H-MoS2-Typ. Die magnetischen Momente der Gd3CIonen sind innerhalb der Schichten ferromagnetisch geordnet (unterhalb Tc Z 313 K). Die magnetischen Kopplungen zwischen benachbarten Schichten sind schwach antiferromagnetisch. In Dihalogeniden vom MoS2-Typ (PrI2, GdI2) sind die Elektronen in Dreizentrenbindungen (semi)lokalisiert und es resultieren halbleitende Eigenschaften. Allerdings sind zahlreiche Halogenidhydride der allgemeinen Formel MX2H bekannt, die im aufgefüllten MoS2- oder NbS2-Typ kristallisieren. In den Verbindungen CeI2H, LaBr2H und GdI2H besetzen die Wasserstoffatome Positionen in den von Metallatomen aufgespannten Dreiecksflächen, die nicht durch Halogenatome überdacht sind (Abb. 2.119). In diesen Halogenidhydriden sind die Seltenerdionen dreiwertig und die Wasserstoffatome hyd-

2.9 Verbindungen der Metalle

367

Abb. 2.119 Die Struktur von LaBr2H. Wasserstoffatome sind grau gezeichnet.

ridisch entsprechend Ce3C(ClK)2HK. Mit dem Wasserstoffgehalt n Z 1 ist für MX2Hn die obere Grenzzusammensetzung erreicht, und es liegen farblose Verbindungen vor. Mit niedrigerem Wasserstoffgehalt (n ! 1) sind die Verbindungen schwarz und halbleitend. Die Verbindungen M2X5 (eK) (M Z La, Ce, Pr; X Z Br, I) enthalten dreiwertige Metallatome. Pro Formeleinheit M2X5 ist ein Elektron in einer Dreizentrenbindung (semi-) lokalisiert, die durch Metallatome aufgespannt wird. Die bronze farbenen Verbindungen sind Halbleiter und zeigen bei tiefen Temperaturen antiferromagnetische Ordnungszustände. Dabei sind die magnetischen Momente der Metallatome in Pr2Br5 paarweise antiparallel ([[ C YY) zueinander gekoppelt (Abb. 2.120). Die einzigen binären Halogenide der Seltenerdmetalle mit Metallclustern sind Y2Cl3, Gd2Cl3 (Abb. 2.121), Tb2Cl3, einige analoge Bromide und Sc7Cl10. Die Strukturen der Sesquihalogenide bestehen aus trans-kantenverknüpften Clustern vom [M6X8]-Typ. Bei dieser Verknüpfung entfallen die Halogenpositionen über den Dreiecksflächen längs der Clusterstränge. Die Verbindungen enthalten, wie z. B. Gd2Cl3 (eK)3, Elektronen in den Metall-Metall-Bindungen. Wie Bandstrukturrechnungen, Photoelektronenspektren und Leitfähigkeitsmessungen zeigen, sind diese Elektronen in Metall-Metall-Bindungen semilokalisiert. Mit Bandlücken um 1 eV sind diese schwarz aussehenden Verbindungen Halbleiter. Eine ähnliche Anordnung jedoch mit Doppelsträngen aus trans-kantenverknüpften [Sc6Cl8]-Bausteinen prägt die Struktur von Sc7Cl10. Seltenerdmetallhalogenide bilden oktaedrische Cluster mit [M6 (Z)X12]-Einheiten, die ein interstitielles Atom (Z) im Clusterzentrum enthalten. Als interstitielle Atome kommen Nichtmetallatome (H, B, C, N, Si) sowie Metallatome (Gruppen 7 bis 10) in Betracht. Für ternäre Seltenermetallhalogenide des

368

2 Festkörperchemie

Abb. 2.120 Die Kristallstruktur von Pr2Br5 (Z Z 2). Pfeile deuten die Richtungen der magnetischen Momente unterhalb des antiferromagnetischen Ordnungspunktes bei TN Z 49 K an. Praseodymatome bilden lineare Bänder (gestrichelte Linien) aus eckenverknüpften Metalldreiecken entlang der Blickrichtung aus. Die Elektronen sind vermutlich in Dreizentrenbindungen dieser Metalldreiecke semilokalisiert, die im Mittel jeweils ein Elektron enthalten.

[M6 (Z)X12]-Typs (Abb. 2.113, rechts) dominieren drei Formeltypen, für die in Tabelle 2.40 einige Beispiele angegeben sind. Die Strukturen der Verbindungen M6 (Z)X10 bestehen aus (CliKa, aKi) verbrückten Clustern vom [M6 (Z)X12]-Typ. Die Strukturen M7 (Z)X12 enthalten gemäß M [M6 (Z)X12] ein zusätzliches Metallatom, welches die Verbrückung zu einem benachbarten Cluster herstellt. Die bindenden MdM-Zustände beider Strukturen können bis zu 18 Elektronen pro Cluster aufnehmen (z. B.: Y6NiCl10: 6 $ 3 eK C 1 $ 10 eK K 10 $ 1 eK Z 18 eK pro Cluster; oder Y7CoI12: 7 $ 3 eK C 1 $ 9 eK K 12 $ 1 eK Z 18 eK pro Cluster). Die Bindungseigenschaften solcher Cluster wurden im Abschnitt 2.9.8.5 behandelt. Außer einzelnen interstitiellen Atomen (Z) können in den großen Hohlräumen oktaedrischer Metallcluster auch C2-Gruppen untergebracht werden, wie in Sc6 (C2)I11 und einer Reihe von Verbindungen mit kondensierten Metallclustern. Aus den ermittelten CdC-Abständen lassen sich Bindungsordnungen zwischen eins und zwei abschätzen. In der C2-zentrierten trigonal-bipyramidalen [Pr5]-Einheit in RbPr5 (C2)Cl10 bleiben mit C 26K (CdC-Abstand 149 pm) keine Elektronen für die PrdPr-Bindungen übrig.

2.9 Verbindungen der Metalle

369

Abb. 2.121 Ausschnitte aus der Struktur von Gd2Cl3. Die Struktur enthält [M4.2M2]-Metalloktaeder, die über zwei gegenüberliegende Kanten zu Strängen verknüpft sind. Halogenatome überdachen alle freien Metalldreiecke nach Art eines [M6X8]-Clusters. Die Verbrückung der Einzelstränge miteinander zeigt das untere Bild. Tabelle 2.40 Metallreiche Seltenerdmetallhalogenide mit halogenverbrückten [M6 (Z)X12]-Einheiten. Formeltyp

Beispiele

M6 (Z)X10

Y6 (Z)I10 mit Z Z Co, Ni, Ru, Rh, Os, Ir, Pt; Pr6 (Z)Br10 mit Z Z Co, Ru, Rh Sc7 (C)Cl12, Sc7 (B)Cl12, Sc7 (Co)I12, Gd7 (C)Cl12, Y7 (Z)I12 mit Z Z Mn, Fe, Co, Ru Pr12 (Fe)2I17, Pr12 (Re)2I17, La12 (Fe)2I17

M7 (Z)X12a) M12 (Z)2I 17b) a) b)

[M6 (Z)X12]-Einheiten plus ein isoliert vom Metallcluster vorliegendes M3C in oktaedrischer Umgebung von X. Zwei oktaedrische Cluster pro Formeleinheit.

2.9.9.3 Monohalogenide Das einzige bisher bekannte Monohalogenid der Seltenerdmetalle ist LaI mit einer Struktur vom NiAs-Typ. Die Verbindung enthält La3C mit der [Xe]5d26s0-

370

2 Festkörperchemie

Konfiguration. Zwei Elektronen pro Formeleinheit besetzen das (5d-) Leitungsband, woraus Pauli-Paramagnetismus und vermutlich metallische Leitfähigkeit resultieren. LaI entsteht durch Reduktion von LaI3 mit Lanthan-Metall bei 750 (C. Bei höheren Reaktionstemperaturen bildet sich LaI2. Andere in der Vergangenheit als Monohalogenide bekannt gewordene Verbindungen der Seltenerdmetalle enthalten Wasserstoff. Diese Halogenidhydride MXH existieren für alle Seltenerdmetalle. Bei den Halogenidhydriden MXH sind farblose salzartige und dunkle metallische Verbindungen zu unterscheiden. Halogenidhydride MXH der zweiwertigen Ionen M Z Eu, Yb und Sm kristallisieren im salzartigen PbFCl-Typ, der auch von den Halogenidhydriden der Erdalkalimetallverbindungen MXH mit M Z Ca, Sr, Ba eingenommen wird. Die Halogenidhydride der dreiwertigen Seltenerdmetallionen in MXHx mit der oberen Grenzzusammensetzung x Z 1 kristallisieren in aufgefüllten Stapelvarianten des ZrCloder ZrBr-Typs, in denen Wasserstoffatome tetraedrische Lücken innerhalb der Metalldoppelschichten besetzen. Diese Verbindungen sind gemäß der Formulierung M3CXK(HK) (eK) elektrische Leiter. Durch Erhitzen von MXHx (mit x % 1) unter Wasserstoff entstehen in topochemischen Reaktionen die Verbindungen MXH2 (YClH2, CeClH2, PrClH2, usw.). Alle Elektronen befinden sich entsprechend der salzartigen Formulierung M3CXK(HK)2 in heteropolaren Bindungen, und die Verbindungen sind Halbleiter. Die zusätzlichen Wasserstoffatome besetzen oktaedrische Lücken innerhalb der Metalldoppelschichten. Ebenfalls eng verwandt mit den Strukturen von Monohalogeniden des Typs ZrX (X Z Cl, Br) sind die Strukturen von Halogenidcarbiden, wie M2X2C, M2X2C2 und M2XC, die Abfolgen ihrer Schichtpakete gemäß ... XM (C) MX ..., ... XM (C2) MX ... und ... XM (C) M ... enthalten. Wie in den Strukturen der Zirconiummonohalogenide können die Metalldoppelschichten als zu Schichten verknüpfte trigonale Antiprismen betrachtet werden. Die Zentren der trigonalen Antiprismen sind in Gd2Br2C2 mit C2-Einheiten und Gd2Br2C und C-Atomen besetzt (Abb. 2.122). Die ionischen Formulierungen lauten (Gd3C)2 (BrK)2 (C2)4K (CdC-Abstand 127 pm) und (Gd3C)2 (BrK)2C4K. Die aus Raman-Spektren für die CdC-Streckschwingung (1 578 cmK1) berechnete Kraftkonstante ergibt die Bindungsordnung 1.9. Obwohl in der ionischen Formulierung keine überschüssigen Elektronen vorhanden sind, zeigen die goldfarbenen Plättchen von Gd2Br2C2 metallische Leitfähigkeit. Für den Fall eines C 24K-Ions sind die antibindenden πg*-Zustände mit zwei Elektronen besetzt. Da die πg*-Orbitale im Falle von Gd2Br2C2 mit leeren Gadolinium d-Orbitalen mischen (πg*Kd-Bindung), resultiert eine Delokalisierung von Elektronen (vgl. UC2, Abschnitt 2.9.3.4), die für Gd2Br2C mit dem C4K-Ion nicht auftreten kann. Für die graphitartig aussehenden Plättchen von Gd2ClC lautet die ionische Formulierung (Gd3C)2ClKC4K(eK). In der Struktur wechseln sich Doppelschichten aus Metallatomen mit Einfachschichten aus Halogenatomen ab. Aus der Delokalisierung eines Elektrons pro Formeleinheit resultiert metallische Leitfähigkeit, die wie bei Gd2Br2C2 innerhalb der Schichten erheblich stärker ausgeprägt ist als senkrecht zu den Schichten. Zudem wird für Verbindungen M2X2C2 bei niedrigen Temperaturen Supraleitung beobachtet.

2.10 Keramische Materialien

371

Abb. 2.122 Ausschnitte aus den Schichtstrukturen von Gd2Br2C2 (links) und Gd2ClC (rechts).

2.10 Keramische Materialien Zu den keramischen Materialien zählen feste Stoffe, die weder metallische, intermetallische noch organische Verbindungen sind. Neben traditionellen Vertretern wie Ton und Porzellan bilden die Hochleistungskeramiken eine eigenständige Gruppe von Materialien, der ein hohes Potential für technische Verwendungen zugeschrieben wird. Hochleistungskeramiken enthalten bestimmte Oxide, Nitride, Carbide oder Boride vorzugsweise des Aluminiums, des Siliciums und der Metalle.

2.10.1 Herstellung von Hochleistungskeramiken Die Darstellung von vielen Keramiken erfolgt durch fest-fest-Reaktionen (vgl. Abschnitt 2.1.2), die in diesem Zusammenhang auch als „keramische Methode“ bezeichnet werden. Hiernach werden Hochleistungskeramiken aus Pulvern hoher Reinheit hergestellt, die zu einem so genannten Grünkörper gepresst und anschließend durch Sintern verdichtet werden. Die Präparation des Ausgangsmaterials ist für die Qualität des Produktes von entscheidender Bedeutung. Zur Herstellung eines gleichmäßigen Grünkörpers müssen die Teilchengrößen der Pulver im Submikrometerbereich (0.1 bis 0.005 µm) liegen. Die Bildung von Agglomeraten im Grünkörper erzeugt Probeninhomogenitäten, die nach dem Sintern als festigkeitsmindernde Fehler im Werkstück erhalten bleiben. Die wichtigsten Verfahrensschritte zur Darstellung von Keramiken sind: Pulverherstellung, Pulveraufbereitung, Formgebung, Ausheizen von Dispersionsmitteln und Sintern des Grünkörpers zum so genannten Weißkörper.

372

2 Festkörperchemie

2.10.2 Cermets und Komposite Eine nachteilige Eigenschaft von Keramiken ist ihre Sprödigkeit. Ein eingetretener Bruch oder Haarriss führt zu einer drastischen Verringerung der Festigkeit des Materials. Bei aus mehreren Komponenten aufgebauten Keramiken können bestimmte Eigenschaften in Abhängigkeit von der Zusammensetzung optimiert werden (vgl. stabilisiertes ZrO2). Cermets sind aus zwei getrennten Phasen zusammengesetzte Verbundwerkstoffe. Die Abkürzung Cermet steht für die Kombination von ceramics und metals. Ihre Herstellung erfolgt gemäß der keramischen Methode von Hochleistungskeramiken aus homogenen Gemengen keramischer Pulver und Metallpulver. In WC.Co-Cermets ist die Härte von WC mit der Zähigkeit des Metalls zu einem bedeutenden Hartstoff kombiniert. Analog hergestellte Kombinationen keramischer Materialien werden Komposite (Composites) genannt (z. B. Si3N4.SiC-Komposite).

2.10.3 Einteilung keramischer Materialien Die Einteilung keramischer Materialien (Tabelle 2.41) gemäß ihrer chemischen Zusammensetzung führt in einfachsten Fällen zu binären oder ternären Silicaten, Oxiden, Boriden, Carbiden, Nitriden und Siliciden (vgl. Abb. 2.123). Von diesen zählen Silicate zu den traditionellen Keramiken, soweit sie aus Naturstoffen wie Tonen, Sanden und Kaolinen dargestellt werden. Tabelle 2.41 Klassifizierung keramischer Materialien gemäß ihrer chemischen Zusammensetzung. Silicate

Oxide

Boride

Carbide

Nitride

Silicide

3 Al2O3 · 2 SiO2 Al2SiO5 Al2 (OH)2Si4O10

Al2O3 ZrO2 TiO2 Ferrite (MO · Fe2O3) Titanate (BaTiO3) Oxocuprat-Supraleiter

TiB2 ZrB2 LaB6

SiC B4C WC TiC TaC NbC

Si3N4 BN AlN TiN ZrN

MoSi2 WSi2

Glaskeramiken

Hochleistungskeramiken können grob in Struktur- und Funktionskeramik unterteilt werden. Zur Strukturkeramik zählen Werkstoffe, die vorwiegend mechanischen Belastungen standhalten können. Funktionskeramiken sind Werkstoffe, die z. B. bestimmte elektrische, magnetische oder optische Eigenschaften haben.

2.10.3.1 Silicatkeramik Silicatkeramik ist durch ihren SiO2-Gehalt gekennzeichnet. Entsprechende Werkstoffe werden in Grob- und Feinkeramik eingeteilt. Zur Grobkeramik gehö-

2.10 Keramische Materialien

373

Abb. 2.123 Die Nichtmetalle Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff sowie die Halbmetalle Bor und Silicium bilden zusammen mit einem geeigneten Metall ein Sechsstoffsystem, deren Konzentrationssimplex in die Bildebene projiziert ist. Aus den möglichen Kombinationen ergeben sich insgesamt 15 binäre, 20 ternäre, 15 quaternäre und 6 quinternäre Mischungssysteme für keramische Materialien.

ren Baustoffe wie Ziegel, Klinker und feuerfeste Steine, zur Feinkeramik Porzellan (Geschirr, Dentalporzellan) und Steingut (Fliesen, Sanitärwaren). Zur Darstellung von Porzellan dient eine Mischung aus Kaolinmineralien (Kaolinit: Al2 (OH)4Si2O5), Quarzsand (SiO2) und Feldspat (z. B. Natronfeldspat: NaAlSi3O8). Vom Mischungsverhältnis dieser drei Komponenten hängen die Eigenschaften eines Porzellans ab. Der Anteil an Kaolinit beeinflusst die Hitzebeständigkeit von Porzellan. Weitere wichtige keramische Rohmaterialien auf Alumosilicatbasis sind: • Mullit (2 Al2O3 · SiO2 bis 3 Al2O3 · 2 SiO2) entsteht bei der thermischen Zersetzung von Kaolinit, Sillimanit oder Montmorillonit unter Abscheidung von SiO2. Es ist Bestandteil in feuerfesten Werkstoffen und dient als Trägersubstanz von Abgaskatalysatoren. • Sillimanit (Al2O3 · SiO2 bzw. Al [AlSiO5]) ist ein Rohstoff für feuerfeste Materialien. • Montmorillonit [Al2 (OH)2Si4O10 · xH2O] ist ein Rohstoff für keramische Materialien.

2.10.3.2 Oxidkeramik Aluminiumoxid ist als Sinterkorund der am weitesten verbreitete oxidkeramische Werkstoff. Gesintertes α-Al2O3 ist chemisch und mechanisch resistent, thermisch belastbar (Smp. 2 045 (C) und zeichnet sich durch elektrische Isolation sowie hohe thermische Leitfähigkeit aus. Zirconiumdioxid bildet mehrere Modifikationen. Die stabilste Form ist das Mineral Baddeleyit. Es wandelt sich bei etwa 1 100 (C reversibel in eine tetragonale Modifikation um, die bei etwa 2 350 (C in den kubischen Fluorit-Typ übergeht.

374

2 Festkörperchemie

Bemerkenswert ist die Volumenänderung, die beim Phasenübergang zwischen der monoklinen und der tetragonalen Form auftritt: 1 100 (C

2 350 (C

ZrO2 (monoklin) 2)5 ZrO2 (tetragonal) 2)5 ZrO2 (kubisch, Fluorit-Typ) ρ Z 5.6 g.cm3 ρ Z 6.1 g.cm3 ρ Z 6.3 g.cm3 In der monoklinen Struktur besitzen die Zirconiumatome die Koordinationszahl sieben. Die tetragonale Struktur entspricht einem verzerrten Fluorit-Typ. Anstatt von acht Sauerstoffnachbarn im Abstand ZrKO von 220 pm wie in der kubischen Struktur von ZrO2 hat jedes Zr der tetragonalen Form vier kürzere (207 pm) und vier längere (246 pm) ZrKO-Abstände. Die Anwendung einer reinen ZrO2Keramik ist durch die Phasenumwandlung bei 1 100 (C eingeschränkt. Beim Abkühlen erfolgt stets ein Übergang in die monokline Form, wobei die mit dem Phasenübergang verbundene Volumenzunahme Risse im Material erzeugt. Die kubische ZrO2-Struktur kann aber durch Zusätze von MgO, CaO oder Y2O3 zu einem temperaturwechselbeständigen Material stabilisiert werden. Feste Lösungen von stabilisiertem ZrO2 [z. B. ZrO2 (Y2O3)] mit kubischer Fluorit-Struktur sind beim Abkühlen bis auf Raumtemperatur stabil. Allgemein wird zwischen teil- und vollstabilisiertem tetragonalen oder kubischen ZrO2 unterschieden. Tritt in teilstabilisiertem tetragonalen ZrO2 ein Riss auf, so erfolgt an dieser Stelle beim Abkühlen ein druckinduzierter Phasenübergang in die monokline Form. Die dabei freiwerdende Energie und die Volumenzunahme heilen den Riss aus. Neben binären Oxidkeramiken kommen zahlreiche ternäre Verbindungen für technische Anwendungen in Betracht (Tabelle 2.39), von denen einige Beispiele im Abschnitt 2.8.5 vorgestellt sind.

2.10.3.3 Boridkeramik Siehe Abschnitt 2.9.2.4.

2.10.3.4 Carbidkeramik Siliciumcarbid entsteht bei der carbothermischen Reduktion von SiO2 oder durch thermische Zersetzung von CH3SiCl3. Reines SiC ist ein farbloser Feststoff von hoher Härte und zählt zu den diamantartigen Carbiden. In Anlehnung an das ebenfalls sehr harte Korund wird technisches SiC auch als Carbokorund bezeichnet. Die kubische Tieftemperaturmodifikation β-SiC kristallisiert im ZinkblendeTyp. Diese wandelt sich bei etwa 2 100 (C in α-SiC um. α-SiC repräsentiert im Allgemeinen verschiedene Strukturen mit komplizierten Schichtabfolgen (Polytypen), die alle mit dem Zinkblende- und Wurzit-Typ verwandt sind: 2 100 (C

β-SiC $$$$$% α-SiC Für α-SiC sind die Schichtsequenzen von mehr als 70 Polytypen bestimmt worden.

2.10 Keramische Materialien

375

Abb. 2.124 Die Strukturen von Diamant, kubischem Bornitrid (β-BN) und des Borcarbids B12 (CBC).

Borcarbid wird technisch durch carbothermische Reduktion von Bor (III)oxid dargestellt: 1 500K2 500 (C

2 B2O3 C 7 C $####% B4C C 6 CO B4C bildet schwarzglänzende Kristalle mit einer Phasenbreite von B4C bis B10.4C. Die Struktur von Borcarbid der Zusammensetzung B13C2 enthält B12-Ikosaeder, die in der Struktur von B12 (CBC) durch lineare CBC-Einheiten verbrückt sind. Die Struktur der borarmen Phase B4C kann durch die Formel (B11C)CBC beschrieben werden. Im B12-Ikosaeder wird ein B-Atom durch ein C-Atom ersetzt. Unter den superharten Materialien wie Diamant und dem kubischen Bornitrid (β-BN) stellt Borcarbid (B4C) das dritthärteste aller gegenwärtig bekannten Materialien dar (Abb. 2.124).

2.10.3.5 Nitridkeramik Bornitrid wird in der Technik durch Ammonolyse von Bor (III)oxid dargestellt: 800K1 200 (C

B2O3 C 2 NH3 $####% 2 BN C 3 H2O Im Gegensatz zum Graphit besitzt hexagonales Bornitrid (α-BN) keine frei beweglichen Elektronen und ist ein (weißer) Isolator. In der Struktur von α-BN liegen die hexagonalen BN-Schichten deckungsgleich übereinander, wobei jeweils B-Atome über N-Atomen liegen. Jedoch sind die Schichten gegeneinander

376

2 Festkörperchemie

verschiebbar, worauf die Eigenschaft als Schmierstoff basiert. Im Gegensatz zu anderen Festschmierstoffen (Graphit, MoS2) ist α-BN selbst bei hohen Temperaturen einsetzbar (bis zu etwa 1 000 (C in Gegenwart von O2). Hexagonales Bornitrid geht unter hohem Druck und bei hoher Temperatur in seine kubische Modifikation über. Dabei wird die katalytische Wirkung von Lithium- oder Calciumdinitridoboraten (Li3BN2 oder Ca3 (BN2)2) genutzt, die lineare [N]B]N]3K-Ionen enthalten: 1 400K1 800 (C, 60 kbar

α-BN (hexagonal) $#######% β-BN (kubisch) Die kubische Hochtemperaturmodifikation (β-BN) kristallisiert im diamantartigen Zinkblende-Typ (Abb. 2.124). Diese als anorganischer Diamant (unter dem Warenzeichen Borazon) bekannte Modifikation ist nach Diamant das zweithärteste Material. Im Vergleich zu Diamant ist β-BN wesentlich oxidationsbeständiger. Während Diamant an Luft bereits bei 800 (C verbrennt, ist β-BN an Luft bis zu 1 400 (C stabil. Zur Herstellung von Siliciumnitrid eignet sich eine Synthese, die von einem molekularen Vorläufer ausgeht. Bei der Ammonolysereaktion von Siliciumtetrachlorid entsteht bei Raumtemperatur Siliciumdiimid, das sich bei der Hochtemperaturpyrolyse bei 900K1 200 (C in amorphes Si3N4 zerlegt: 2 ∆T, K NH3 3

RT,K4 NH4Cl

SiCl4 C 6 NH3 $####% Si (NH)2 ####%

1 Si N 3 3 4

Hier, wie auch bei anderen Reaktionen über Precursorstufen, entstehen zunächst röntgenamorphe Produkte, die bei höheren Temperaturen kristallisieren können. Die Tieftemperaturform α-Si3N4 wandelt sich oberhalb von 1 700 (C irreversibel in die Hochtemperaturform β-Si3N4 um: 1 300K1 500 (C

O 1 700 (C

O 1 700 (C, 15 GPa

Si3N4 (amorph) $####% α-Si3N4 ###% β-Si3N4 $##$##% γ-Si3N4 In der Struktur von α- und β-Siliciumnitrid (Abb. 2.115) bilden die [SiN4]-Tetraeder ein dreidimensionales Netzwerk. Die Stickstoffatome sind trigonal-planar koordiniert und bilden die Eckpunkte dreier [SiN4]-Tetraeder. Beim Übergang in die Hochdruckmodifikation nimmt die Dichte von 3.2 g. cm3 (für α- und β-Si3N4) auf 3.9 g.cm3 zu. γ-Si3N4 kristallisiert im kubischen

Abb. 2.125 Die Strukturen von α- (links) und β-Si3N4 (rechts).

2.10 Keramische Materialien

377

Spinell-Typ, in dem gemäß SiTet. [Si2]Okt. N4 vierfach und sechsfach koordinierte Siliciumatome vorliegen. Für γ-Si3N4 wird eine hohe Härte erwartet, ähnlich der des Stishovits (Hochdruckmodifikation von Quarz mit oktaedrisch koordinierten Si-Atomen). Da β-Si3N4 bei höheren Temperaturen schmilzt (Smp. z 1 900 (C) als viele Legierungen, kommt es als Hochtemperaturwerkstoff in Betracht. Zu den interessantesten Anwendungen von Si3N4 zählt der Apparatebau zur Fertigung von Motoren und Turbinen. Polykristalline Si3N4.SiC-Komposite verfügen über die kombinierten Eigenschaften ihrer Einzelkonstituenten Si3N4 und SiC. Über die Existenz von Kohlenstoffnitrid C3N4 mit β-Si3N4-Struktur wird spekuliert. Die im ternären System SidCdN bekannten Verbindungen SiC2N4 und Si2CN4 sind formal Substitutionsvarianten der vorgenannten binären Verbindungen. Die Struktur von Si (CN2)2 gleicht topologisch dem anti-Cuprit-Typ. Die Siliciumatome sind tetraedrisch durch verbrückende lineare [N]C]N]-Einheiten koordiniert. Oberhalb von 900 (C findet Zersetzung in Si2CN4 (Z Si2N2 (CN2)) statt: 920K1 000(C

4 SiC2 N4 $####% 2 Si2CN4 C 3 (CN)2 C N2 Sialone können als Substitutionsvarianten der Si3N4-Struktur angesehen werden. Sie entstehen durch Sintern von Si3N4 bei etwa 1 900 (C unter Zusatz von Al2O3. In den festen Lösungen der Sialone ist Si4C partiell gegen Al3C, und N3K partiell durch O2K substituiert. In den resultierenden Verbindungen vom Typ (Si3KxAlx) (N4KxOx) bleibt eine ausgeglichene Ladungsbilanz erhalten. Der Name „Sialon“ leitet sich aus den vier konstituierenden Elementen ab, die diese Gruppe keramischer Materialien enthält.

2.10.3.6 Silicidkeramik Molybdändisilicid wird bei hohen Temperaturen direkt aus den Elementen dargestellt. Die Strukturen der isostrukturellen Verbindungen MoSi2, WSi2 und ReSi2 sind mit der Struktur von tetragonalem CaC2 verwandt, wobei die Siliciumatome nicht wie C 22K in CaC2 zu Paaren assoziiert sind. Molybdänsilicidkeramiken werden als Hochtemperaturheizleiter bis 1 700 (C und zur Auskleidung von Verbrennungskammern und Gasturbinen eingesetzt.

2.10.3.7 Glaskeramik Glaskeramiken werden aus glasbildenden Materialien und Zusätzen erzeugt. In ihnen sind die Eigenschaften von Gläsern und Keramiken kombiniert. Zur Herstellung werden in einer Glasschmelze (z. B. SiO2) Zusätze wie TiO2, ZrO2, P2O5, Sulfide oder auch Edelmetalle gelöst oder dispergiert. Danach wird der Glasgegenstand bei einer niedrigeren Temperatur, der so genannten Keimbildungstemperatur (z. B. 500 (C), kontrolliert getempert, bis genügend Kristallkeime in der

378

2 Festkörperchemie

Glasphase entstanden sind („gesteuerte Entglasung“). Wenn die gebildeten Kristallite (Nanoteilchen) deutlich kleiner sind als die Wellenlänge des sichtbaren Lichtes (etwa 50 nm), entstehen transparente Glaskeramiken. Glaskeramiken zeichnen sich gegenüber Gläsern durch ihre hohe Formbeständigkeit bei hohen Temperaturen, mechanische Härte und ggf. Transparenz aus. Gegenüber anderen Keramiken sind sie leichter formbar und besitzen hervorragende Resistenz gegen Korrosion. Als Werkstoffe werden Glaskeramiken für Herdplatten, in der Luft- und Raumfahrttechnik (Flugzeugteile, Radarantennen) und für ferroelektrische oder photosensitive Anwendungen genutzt.

Weiterführende Literatur Abschnitt 2.1: Festkörperreaktionen Bronger, W.: Angew. Chem. 1991, 103, 776. Clearfield, A.: Chem. Rev. 1988, 88, 125. Corbett, J. D.: Inorg. Synth. 1983, 22, 15. DiSalvo, F. J.: Nature 1990, 247, 649. Dislich, H.: Angew. Chem. 1971, 83, 428. Hoppe, R.: Angew. Chem. 1981, 93, 64. Laurent, Y.: Rev. de Chim. Minerale, 1969, 6, 1145. Meyer, G.: Inorg. Synth. 1989, 25, 146. Müller-Buschbaum, H.: Angew. Chem., 1981, 93, 1. Müller-Warmuth, W., Schöllhorn, R.(Hrsg.): Progress in Intercalation Research, Kluwer (1994). Rabenau, A.: Angew. Chem. 1985, 97, 1017. Range, K.-J.: Chem. unserer Zeit 1976, 10, 180. Schäfer, H.: Chemische Transportreaktionen, Verlag Chemie, Weinheim (1962). Schmalzried, H.: Solid State Reactions, Verlag Chemie, (1981). Schöllhorn, R.: Angew. Chem. 1988, 100, 1446. Sundermeyer, W.: Angew. Chem., 1965, 77, 241. Wasserscheid, P., Keim, W.: Angew. Chem., 2000, 112, 3926. Welton, T.: Chem. Rev., 1999, 99, 2071. Abschnitt 2.2: Beschreibung von Kristallstrukturen Brown, B. W., Beernstein D. J.: Acta Cryst., 1965, 18, 31. International Tables for Crystallography, Kluwer, Dordrecht u. a. (1996). Shannon, R. D., Previtt, C. T.: Acta Cryst. 1976, A32, 751. (Ionenradien) Murray, C. B., Kagan, C. R., Bawendi, M. G.: Annu. Rev. Mater. Sci. 2000, 30, 545K610. Abschnitt 2.3: Nanochemie Klabunde, K. J. (Hrsg.): Nanoscale Materials in Chemistry, Wiley, Weinheim (2001). Abschnitt 2.4: Kristalldefekte Patzke, G. R., Binnewies, M.: Chem. unserer Zeit 1999, 33, 33.

Weiterführende Literatur

379

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380

2 Festkörperchemie

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3 Komplex-/ Koordinationschemie Christoph Janiak

3.1 Einleitung Eine Metall-Komplex- oder Koordinationsverbindung MXaLb besteht aus einem zentralen Metallatom oder Metallkation (M), an das eine bestimmte Anzahl (a C b) von Liganden (X, L) gebunden ist. Ein Metallkomplex ist eine neue Verbindung, mit anderen Eigenschaften als die Bindungspartner. Komplexe können neutral, negativ oder positiv geladen sein. Zur Kennzeichnung der Komplexeinheit kann eine eckige Klammer verwendet werden. Metallorganische Verbindungen, d. h. Spezies mit einer Metall-Kohlenstoff-Bindung, zählen auch zu den Komplexverbindungen. Metallkomplex:

[MXaLb]cK

[MXaLb](0)

[MXaLb]cC

Beispiele:

V(CO)K 6 − MnO4 [Fe(CN)6]4K [Pd2Br6]2K [AlF6]3K

TiCl4 Cr(C6H6)2 Ni(PF3)4 [PtCl2(NH3)2] Sn(CH3)4

[Ti(H2O)6]3C [CrCl(NH2CH3)5]2C [Fe(H2O)5NO]2C [CoNO2(NH3)5]2C [Cu(pyridin)4]2C

Die Metall-Ligand-Wechselwirkung ist eine kovalente Bindung mit polaren Anteilen. Die Metall-Ligand-Bindung kann eine normale kovalente Bindung sein, zu der beide Bindungspartner ein Elektron beisteuern (s. Abschn. 3.4). M· + ·X

M–X

Beispiel:

δ+

M

δ–

Cl

Eine Metall-Ligand-Bindung kann auch aus der Überlappung eines freien Elektronenpaars des Liganden mit einem leeren Orbital am Metallatom gebildet werden (früher auch als koordinative Bindung bezeichnet): L Elektronenpaar-Donor Lewis-Base

Beispiel: H3N M -Akzeptor-Wechselwirkung -Säure-Wechselwirkung

M

Die Schreibweise L $% M soll anzeigen, dass beide Elektronen vom Liganden L stammen. Im Rahmen eines ionischen Modells kann unter Berücksichtigung der Elektronegativitätsdifferenz auch die MdX-Bindung als ElektronenpaarDonor-Akzeptor-Wechselwirkung MC !$ - XK betrachtet werden. Eine derartige Elektronenpaar-Donor-Akzeptor-Wechselwirkung zwischen Ligand (LewisBase) und Metallatom (Lewis-Säure) ist immer ein wichtiger Beitrag der MetallLigand-Bindung.

382

3 Komplex-. Koordinationschemie

Diese σ-Donorbindung vom Liganden zum Metallatom kann durch π-Donorbindungen oder durch π-Akzeptorbindungen ergänzt werden. Verbindungen mit nur σ- und evtl. zusätzlichen π-Donorbindungen sind die klassischen Metall-LigandKomplexe. L

σ-Donorund π-Donorbindung

e– L

M

σ-Donorbindung Mz+

"klassische" Metall-Ligand-Komplexe

e– L

M~–1←z→~+1

σ-Donorund π-Akzeptorbindung

vorwiegend Organometall-Komplexe

Diese σ- und π-Donorkomplexe mit Halogeno-, Sulfido-, Oxo-, Hydroxo-, Aqua-, Ether-, Am (m)in-, Amido-, Nitrido-, Cyano- und ähnlichen Liganden werden hier in Kapitel 3 behandelt. Die Metallatome liegen dabei in oxidierter Form und durchaus auch einer höheren Oxidationsstufe (zC) vor. Über die π-Donorbindungen kann zusätzliche Elektronendichte vom Liganden zum positiven, elektronenarmen Metallion (zurück-)fließen. (Eine σ-Bindung bedeutet Rotationssymmetrie der Elektronendichte um die M-L-Bindungsachse. Bei einer π-Bindung liegt die M-L-Bindungsachse in einer Knotenebene.) Verbindungen mit σ-Donor- und π-Akzeptorbindungen finden sich vielfach unter den Organometallkomplexen der Übergangsmetalle, d. h. Komplexen mit direkten Metall-Kohlenstoff-Bindungen. Metall-Kohlenstoff-Bindungen können allerdings auch als reine σ-Bindungen, mit guten σ-Donoren, z. B. Metall-Alkyl, MdCR3, ausgebildet werden. Liganden ohne Kohlenstoff-Donoratome, aber mit ähnlichen σ-Donor- und π-Akzeptoreigenschaften, wie Nitrosyl (NO) oder ähnlich guten σ-Donoren, wie Hydrid (-H) oder Phosphane (PR3), werden deshalb zusammen mit den metallorganischen Komplexen in Kapitel 4 beschrieben. Die Metallatome in π-Akzeptorkomplexen liegen eher in einer reduzierten Form, d. h. niedrigen Oxidationsstufe vor [z(K1) !$ z $% z(C1)]. Die π-Akzeptorbindungen benötigen und verlagern verfügbare Elektronendichte vom elektronenreichen Metallatom in die leeren Ligandenorbitale. Die grundlegenden Ausführungen von Abschn. 3.3 bis 3.9 beziehen sich auch auf metallorganische Komplexe. Komplexe können mit Hauptgruppen-, Übergangs-, Lanthanoid- und Actinoidmetallen gebildet werden. Übergangsmetalle zeigen durch ihre unvollständig gefüllte d-Schale und wegen der d-Orbitalbeteiligung an der Metall-Ligand-Bindung besondere Effekte, sodass dieses Kapitel hauptsächlich die Koordinationschemie der Übergangsmetalle behandelt.

3.2 Geschichte Die Erforschung der Koordinationsverbindungen begann Ende des 19. Jahrhunderts und ist eng mit den Namen der beiden Chemiker Alfred Werner und Sophus Jørgensen verknüpft.

3.2 Geschichte

383

Werner erkannte, dass jedes Metall zu seiner Oxidationsstufe (Hauptvalenz) eine feste Koordinationszahl besitzt (Nebenvalenz). Die Hauptvalenz führt zu einer entsprechenden Zahl von Gegenanionen oder anionischen Liganden. Die Nebenvalenz kann durch anionische oder neutrale Liganden erfüllt werden. Alfred Werner erhielt für seine grundlegenden Erkenntnisse, dass Liganden in der inneren Koordinationssphäre eines Übergangsmetallatoms fest gebunden sein können und zusammen eine neue eigenständige Verbindung ergeben, 1913 als erster Anorganiker den Nobelpreis für Chemie und leitete den Beginn der modernen Komplexchemie ein. Einen wesentlichen Aspekt der Werner’schen Arbeiten bildeten Leitfähigkeitsuntersuchungen, aus denen die genaue Zahl der Ionen bestimmt werden konnte, die in Lösung vorlagen. So kannte man die in der Tabelle 3.1 aufgeführten vier Amminchlorocobalt-Komplexe, die sich in ihrer Farbe unterschieden und deshalb in der damaligen Literatur auch entsprechend benannt wurden. Ein Verständnis und eine Formulierung für die Konstitution der Komplexe wurden von Werner durch die Reaktion mit Silber-Ionen und die Bestimmung der gefällten Silberchlorid-Äquivalente entwickelt. Eine Erklärung für das Zustandekommen der unterschiedlichen Farben wird in Abschn. 3.9.4 gegeben. Tabelle 3.1 Problematik und Konstitutionsermittlung bei Amminchlorocobalt (III)-Komplexen durch Werner. Zusammensetzung Farbe

Name

Reaktion mit AgC Formulierung durch Werner

CoCl3 CoCl3 CoCl2 CoCl2

Luteo-Salz Purpureo-Salz Praseo-Salz Violeo-Salz

3 AgCl 2 AgCl 1 AgCl 1 AgCl

· · · ·

6 NH3 5 NH3 4 NH3 4 NH3

gelb purpur grün violett

Y Y Y Y

[Co (NH3)6]Cl3 [CoCl (NH3)5]Cl2 [CoCl2(NH3)4]Cl [CoCl2(NH3)4]Cl

Der Beitrag Werners zum Verständnis der Koordinationschemie ging jedoch noch weiter: Er postulierte räumlich gerichtete Metall-Ligand-Bindungen und bei sechs Liganden um ein Zentralatom eine oktaedrische Anordnung. Der zugehörige Nachweis gelang bereits Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Zahl der möglichen und gefundenen Isomere bei Vorliegen verschiedener Ligandenarten oder Chelatliganden. So sind z. B. für Komplexe des Typs [MA4B2] bei oktaedrischer Gestalt nur zwei Isomere möglich, nämlich cis und trans, während andere geometrische Ligandenanordnungen wie hexagonal-pyramidal, hexagonal-planar und trigonal-prismatisch zu mehr Isomeren führen müssten. Über diese cistrans-Isomere erklärt sich das Vorliegen zweier [CoCl2 (NH3)4]Cl-Komplexe in vorstehender Tabelle. Für Komplexe mit Chelatliganden [M (AhA)2B2], [M (AhA)2BC] und [M (AhA)3] konnte dann durch die Zahl der gefundenen geometrischen Isomere und durch die Racematspaltung der möglichen Enantiomere in den Jahren 1911.12 der endgültige Nachweis der oktaedrischen Geometrie und damit der Beleg für Werner’s Theorie zur Konstitution von Komplexverbindungen erbracht werden (vgl. Abschn. 3.8).

384

3 Komplex-. Koordinationschemie

denkbare geometrische Anordnungen von 6 Donoratomen um ein Metallatom dazu mögliche geometrische Isomere für

M M

M

M

hexagonalpyramidal

hexagonalplanar

trigonalprismatisch

oktaedrisch

[MA4B2] [M(A∩A)2B2]

3 2

3 2

[M(A∩A)3]

1

1

3 2 4, davon 1 2, davon 1 Enantiomerenpaar 2 1 Enantiomerenpaar

3.3 Nomenklatur von Komplexverbindungen Bei der Nomenklatur ist zwischen der Formel und dem Namen einer Komplexverbindung zu unterscheiden. In der Formel von Koordinationsverbindungen wird als erstes das Zentralatom geschrieben, dann die Liganden. Anionische Liganden treten vor die neutralen Liganden. Innerhalb der Gruppe der anionischen oder neutralen Liganden erfolgt eine alphabetische Reihung nach den ersten Ligandensymbolen. Eventuelle Gegenionen ergänzen ein Komplexion zur Neutralformel. Diese wird wie bei Salzen in der Reihenfolge Kation-Anion geschrieben. Ein Komplex sollte durch eckige Klammern gekennzeichnet werden. (jeweils alphabetische Reihenfolge nach Ligandensymbol/Atom) Zentralatom - anionische - neutrale Liganden

Formel: Kation

Beispiele:

Gegenionen

Anion

[CoCl2 (NH3)4]Cl [IrCl(CO)(PPh3)2] Na[PtBrCl(NO2)NH3]

Im Namen von Komplexverbindungen werden zuerst die Liganden in alphabetischer Reihenfolge genannt, dann das Zentralatom. Anionische und neutrale Liganden werden eingereiht. Das Zahlwort (Präfix) für die Anzahl der jeweiligen Liganden wird bei der alphabetischen Reihung nicht berücksichtigt. Die Anzahl der Liganden wird normalerweise durch die multiplikativen Präfixe (Mono-) Di-, Tri-, Tetra- in speziellen Fällen aber durch Bis-, Tris-, Tetrakis- usw. angegeben. Letztere werden bei komplizierten Namen und zur Vermeidung von Mehrdeutigkeiten verwendet. So heißt es z. B. Triphosphan für (PH3)3, aber Tris(methylphosphan) für (PH2Me)3 zur Unterscheidung von Trimethylphosphan für PMe3. Wird die zweite Art der multiplikativen Präfixe verwendet, dann setzt man den Ligandennamen zusätzlich in runde Klammern.

3.3 Nomenklatur von Komplexverbindungen

385

Der Name des Zentralatoms endet bei einem anionischen Komplex auf -at. Die Oxidationszahl des Zentralatoms wird in eingeklammerten römischen Ziffern nachgestellt. Name:

alphabetische Reihenfolge der Liganden - Zentralatom - (Oxidationszahl) (Einreihung von ionischen und neutralen Liganden, ohne Berücksichtigung der multiplikativen Präfixe)

Beispiele:

[CoCl2 (NH3)4]Cl [IrCl(CO)(PPh3)2] Na[PtBrCl(NO2)NH3]

-at (Endung im anionischen Komplex)

Tetraammin-dichloro-cobalt(III)-chlorid Carbonyl-chloro-bis(triphenylphosphan)-iridium(I) Natrium-ammin-bromo-chloro-nitrito-N-platinat(II)

Der Name von Liganden bleibt für neutrale Liganden unverändert, aber sie werden in runde Klammern gesetzt. Eine Ausnahme bilden die folgenden vier Moleküle, die als Liganden einen anderen Namen bekommen und nicht in Klammern gesetzt werden: H2O K Aqua (in der älteren Literatur Aquo) NH3 K Ammin CO K Carbonyl NO K Nitrosyl Beispiel:

[Ni(H2O)2(NH3)4]SO4 Tetraammin-diaqua-nickel(II)-sulfat

Anionische Liganden enden auf -o. Beispiele: Cl− − Chloro OH− − Hydroxo S2− − Thio oder Sulfido NH2− − Imido

In mehrkernigen Komplexen werden verbrückende Liganden, die zwei oder mehr Zentralatome verknüpfen, durch das Präfix µ- im Namen und in der Formel gekennzeichnet. Die Zahl der Zentralatome, die in der Koordinationseinheit durch den Brückenliganden verknüpft sind, wird durch den Brückenindex n als µn- angegeben. Für n Z 2 wird der Index oft weggelassen. Beispiele: [{PtCl(PPh3)}2 (µ-Cl)2] Di-µ-chloro-bis{chloro-(triphenylphosphan)-platin(II)} [{Hg(CH3)4}4(µ4-S)]2C µ4-Thio-tetrakis{methyl-quecksilber(II)}-Ion

Tabelle 3.2 enthält Beispiele für Liganden und deren Namen. Für organische Liganden haben sich häufig spezielle Abkürzungen eingebürgert, die auch in der Formelschreibweise der Komplexe verwendet werden (s. auch Abschn. 3.4). Beispiele: [PtCl2(NH3)(py)] [Cr(ox)(en)2][Cr(ox)2(en)]

Ammin-dichloro-(pyridin)-platin(II) Bis(ethylendiamin)-oxalato-chrom(III)ethylendiamin-bis(oxalato)-chromat(III)

Bei Liganden, die über mehrere Donoratome verfügen, wird die Anbindung an das Zentralatom auch in der Benennung gekennzeichnet. Für ambidente Liganden (Abschn. 3.8) wird häufig entweder die Donor-Atomsymbol-Konvention (anfügen der Donoratome als kursiv geschriebene Symbole an den Ligandennamen) oder ein eigenständiger Name verwendet. Tetraammin-nitrito-N-nitrito-O-cobalt(III) Beispiele: [Co(NO2)(ONO)(NH3)4]C (NnBu4)2[ReBr4(NCS)(SCN)] Bis(tetra-n-butylammonium)-tetrabromoisothiocyanato-thiocyanato-rhenat(IV)

Bei mehrzähnigen und komplizierteren Liganden wird die Zahl der Donoratome (n), die Haptizität und ihre Art besser durch die Kappa-Notation (κ n) gekenn-

386

3 Komplex-. Koordinationschemie

zeichnet. Die koordinierenden Atome werden durch kursiv geschriebene Elementsymbole angegeben, denen der griechische Buchstabe κ vorangestellt wird. Bei C-gebundenen Liganden wird die Haptizität durch den griechischen Buchstaben Eta als ηn (manchmal auch hn) kenntlich gemacht. Beispiele:

O2CCH2 O

N O

Pt

N O

CH2CO2

2–

Ni

O

Ethylendiamin-κ2N,N 'tetraacetato-κ2O,O''''-platinat(II)

(η3-Allyl)(η5-cyclopentadienyl)nickel(II), (η3-C3H5)(η5-C5H5)Ni

Für den scheinbar einfachen ambidenten Nitrito-Liganden NOK 2 gibt es weitere, durch korrekte Benennung zu unterscheidende Möglichkeiten der Metallkoordination. NO2-Koordinationsarten zusätzlich zu Nitrito-N und Nitrito-O: O M

O

M

N

M

O

N >2.5 Å O N O cistranseinzähnig einzähnig nitrito-κO

chelatisierend nitrito-κ2O,O'

M

L

N

L

N O

Cu O O

NO N N Cu

N

N

O L= N

N

N

N ≡

O

·

M

M M η1-O-Brücke µ-nitrito-κO

2

N N

Cu

N

O

NN

O N

N

N

O N

N O

O

+

N

N O N

N O

unsymmetrische Brücke µ-nitrito-κN:κO

Beispiele: O L L N O O O Ni Ni N N O O O

O

O

O

· 2

O

O O N

O

N O

Cu

2–

O

O

O N

N N

Komplexe, bei denen alle Liganden identisch sind, werden auch als homoleptisch bezeichnet. Bei verschiedenen Liganden spricht man von heteroleptischen Komplexen. Im allgemeinen chemischen Sprachgebrauch, in der älteren und auch der heutigen Literatur werden Nomenklaturregeln oft nicht oder nur ungenau befolgt. Eine gewisse Flexibilität in der Schreibweise ist allerdings wünschenswert, um einen bestimmten Sachverhalt bei Reaktionen usw. besser zum Ausdruck bringen zu können. Die Regeln gelten im Übrigen genauso für die in Kapitel 4 behandelten metallorganischen Komplexverbindungen. Zur Verwendung von Stereodeskriptoren (cis, trans, fac und mer) und Chiralitätssymbolen (Λ, ∆, λ, δ) s. Abschn. 3.8.

3.3 Nomenklatur von Komplexverbindungen

387

Tabelle 3.2 Beispiele und gängige Namen von einfachen Liganden in Koordinationsverbindungen.

388

3 Komplex-. Koordinationschemie

3.4 Ligandenklassen In einem Komplex bestimmt das Zusammenwirken aller Liganden dessen charakteristische Eigenschaften. Bei Reaktionen anscheinend unbeteiligte, so genannte Zuschauer- oder inerte Liganden (Abschn. 3.11.1), haben auch ihre Funktion. Als Liganden können neutrale oder geladene Atome oder Atomgruppen dienen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, Liganden zu klassifizieren: • Elektronenbedarf, -beitrag zur Metall-Ligand-Bindung, X-.L-Konzept Liganden, die im neutralen Zustand ein nur einfach besetztes Orbital haben, benötigen für die Bildung einer kovalenten Zweielektronen-Bindung ein Elektron. Solche Liganden können mit X bezeichnet werden. Beispiele X-Liganden:

-H

R = H, Alkyl, Aryl, SiMe3

-CR3 -CN -CR=CR2 -C≡CR -C6R5 -CH2-C=CH2

-NR2a) -NCS -NCO -N3 -NO b) -NO2

-OR -OC(O)R -ONO -ONO2 -OSO2R

-SiR3

-PR2

-SR -SCN

-F -Cl -Br -I

Elektronenbeitrag an das Metallatom: 1 a) b)

N pyramidal N gewinkelt

Liganden mit zwei oder drei nur einfach besetzten Orbitalen können entsprechend als X2 oder X3 bezeichnet werden. Für die Bindung werden entsprechend 2 oder 3 Elektronen benötigt. Beispiele X2-Liganden:

=NR a)

=CR2

S

Beispiele X3-Liganden:

≡CR

S

=O CO3 SO4 O

O

O

O

≡N

Elektronenbeitrag an das Metallatom: 2 a)

N gewinkelt

3

Das Symbol L, L2 oder L3 wird allgemein zur Kennzeichnung eines neutralen Ein-, Zwei- oder Dreielektronenpaar-Donorliganden verwendet. Abgesehen von Rückbindungsbeiträgen bei C-gebundenen Liganden werden keine Elektronen benötigt. (Hinweis: In Abschn. 3.10 u. 11 steht L für einen allgemeinen Liganden.) Beispiele L-Liganden:

CO CNR R2C=CR2 RC≡CR

R = H, Alkyl, Aryl, SiMe3

NR3 NCR

OR2

N PR3 P(OR)3

SR2

AsR3

SeR2

verbrückender X-Ligand gegenüber M' in M–X

M'

Elektronenbeitrag an das Metallatom: 2

3.4 Ligandenklassen Beispiele L2-Liganden:

NR2

R2N

RO

OR

RS

SR

Elektronenbeitrag an das Metallatom: 4

(Diene) N

N

R2P

PR2

R

Beispiele L3-Liganden:

Elektronenbeitrag an das Metallatom: 6

Si η6-Arene

389

R2P

R2P

PR2

Eine Stärke des X-.L-Konzepts ist die Klassifizierung von komplizierteren Liganden mit sowohl X- als auch L-Funktionalität. Die Einordnung dieser LbXaLiganden wird bei ihrer Besprechung in den angegebenen Abschnitten verständlich. Für jede X-Funktionalität der LbXa-Liganden wird ein Elektron zur kovalenten Bindung benötigt. Beispiele: LX M

M

η3-Allyl, π-Allyl

R

NO a) (Abschn. 4.3.1.4)

O

NR2 b)

O

Acetylacetonato, acac

(Abschn. 4.3.4.3)

O R

O

O

H2N

LX2

R

R η2-Carboxylato

α-Aminoacetato-κ2N,O

O

NR a)

O

a) b)

N linear N planar

für Bindung benötigte Elektronen: 1

Elektronenfür Bindung beitrag an benötigte das Metallatom: Elektronen: 4 2 a)

LX3

Elektronenbeitrag an das Metallatom: 3

N O

O O

O

O

Nitrilo-triacetato-κ4N,O,O'',O''''

N linear 5

3

390

3 Komplex-. Koordinationschemie

L2X

Elektronen- für Bindung beitrag an benötigte das Metallatom: Elektronen: 5 1

η5-Cyclopentadienyl M

(Abschn. 4.3.4.4)

M

L2X3

η7-Cycloheptatrienyl M

M

7

3

8

4

(Abschn. 4.3.4.4) O O

L2X4

Ethylendiamin-κ2N,N 'tetraacetato-κ4O,O'',O'''',Ov', EDTA

N

O O

N

O O

O O

Weitere Möglichkeiten zur Liganden-Klassifierung sind: • Zähnigkeit Z Zahl der Donoratome. Beispiele: R N

N Pyridin, py einzähnig

N

R

1,10-Phenanthrolin, phen zweizähnig

R

N N

N

R

2,6-Diiminopyridin dreizähnig

N N–



N N

Porphyrinato vierzähnig

Mehrzähnige Liganden sind vielfach Chelatliganden (Chelat, griech. Krebsschere). Die geometrische Anordnung der Donoratome ist oft so gewählt, dass mit dem Metallatom thermodynamisch günstige Fünf- oder Sechsringe erhalten werden. Drei- und höherzähnige Liganden erzeugen dabei zwei und mehr Ringsysteme (zum Chelateffekt s. Abschn. 3.10.4). Stickstoff und Sauerstoff stellen die Hauptzahl der Donoratome in mehrzähnigen Liganden, gefolgt von Phosphor und Schwefel. Mehrzähnige Liganden werden häufig mit dem Ziel maßgeschneidert oder ausgesucht, eine bestimmte Konformation der Donoratome und damit eine festgelegte Koordinationsgeometrie zu haben (s. Abschn. 3.7). Donoratome mit zusätzlichen freien Elektronenpaaren, z. B. bei einzähnigen Halogeno-, Hydroxo-, Alkoholato-Liganden können auch zwischen Metallatomen verbrücken. Beispiele:

Cl H Cl O Cl Ru Ru Cl Cl O Cl H Cl [{RuCl4(µ-OH)}2] Cl

Cl

Cl

Pd

Cl

Cl

Pd

Cl

[{Pd(µ-Cl)Cl2}2]2–

Cl

2–

3.4 Ligandenklassen

391

• Art der Donoratome oder Donoratom-Kombinationen, z. B. als Nx-, Ox-, Sx-, Px-, NxOy-, PxSy- usw. Liganden. Beispiele:

N N N

N –

O–

N

2,2',6',2''-Terpyridin, terpy

O

MeS

N,N'-Bis(salicyliden)ethylendiamino, salen

P,S-Ligand

N,N,O,O- od. N2O2-Ligand

N,N,N- od. N3-Ligand

PPh2

(2-(Methylthio)phenyl)diphenylphosphan

• Hart-weich-Charakter (s. auch Abschn. 3.10.3). Hart Z schwer polarisierbare Liganden FK, ClK H2O, OHK, O2K, ROH, ROK, R2O K 2K K 3K 2K ClO4 , SO 4 , NO3 , PO 4 , CO 3 NH3, RNH2

Weich Z leicht polarisierbare Liganden IK, HK R2S, RSK, KSCN R3P, R3As CO, KCN, CNR, (K)CR3, C2H4, C6H6

• σ-, π-Donor- oder π-Akzeptorcharakter (Ligandenstärke) (s. Abschn. 3.9.8). σ-Donoren und starke π-Donoren schwache π-Donoren I–, Br–, S2–, –SCN, Cl–, NO3–, F–, OH–, C2O42– schwache Liganden

reine σ-Donoren H2O, –NCS, NCCH3, NH3, en σ-Donoren und starke π-Akzeptoren schwache π-Akzeptoren CO, NO+ bipy, phen, NO2–, –CN, PR3 starke Liganden

• Räumlicher Bau. Beispiele: Tripodliganden

Kryptanden (krypta = Gruft)

Calix[n]arene (calix = Kelch)

O

HN

HN

Kronenether

NH

1,4,7-Triazacyclononan, 9aneN3

O

O

O

O O

18-Krone-6

N

O

O

O

O

O

N

O

2,2,2-crypt oder cryptand 222

O–

O–

O–



O

p-tert-Butylcalix[4]aren

392

3 Komplex-. Koordinationschemie

Brückenliganden (s. Abschn. 3.17) O – C O

N

N 4,4'-Bipyridin, 4,4'-bipy

O O C – O

O

Benzol-1,4-dicarboxylato, terephthalato, bdc





C

O

C O

C O

O –

Benzol-1,3,5tricarboxylato, btc

3.5 Oxidationszahl und Valenzelektronenzahl des Metallatoms in Komplexverbindungen Die formale Oxidationszahl eines Metallatoms in einem Komplex [MXaLb]c ist die Ladung, die das Metallatom bei ionogener Anbindung der aX-Liganden hätte. Die M-X-Bindungen werden gedanklich in MC und XK zerlegt. Die Gesamtladung c eines Komplexions muss berücksichtigt werden. Gesamtladung Oxidationszahl = Zahl der X-Liganden + c a Beispiele:

Na[PtBrCl(NO2)NH3] [WCl3N] [Re(NtBu)3(OSiMe3)] [Cr(ox)(en)2]+

Na+[Pt X3 L]– [W X3 X3] [Re (X2)3 X] [Cr X2 (L2)2]+

+2 = 3 +6 = 6 +7 = 7 +3 = 2

+ + + +

(–1) 0 0 1

Der Oxidationszahl des Metallatoms kann direkt seine formale Valenzelektronenzahl zugeordnet werden. Dies ist die Elektronenzahl, die im freien Metallion mit der zugehörigen Oxidationszahl vorhanden wäre. bei Übergangsmetallen: Metall-Valenzelektronenzahl Z Gruppennummer K Oxidationszahl Beispiele: Ti4C 0 Z 4 K 4 Co3C 6 Z 9 K 3

Cr2C 4 Z 6 K 2 Ni2C 8 Z 10 K 2

Für die Atome der d-Elemente (Übergangsmetalle) sind die Elektronenkonfigurationen in der Regel ns2 (nK1)dx. Bei der Elektronenbesetzung in der n-ten Periode liegen die ns-Orbitale zunächst energetisch niedriger als die (nK1)dOrbitale und werden daher vor diesen besetzt. Bei einer Ionisierung findet man allerdings, dass als erstes die ns-Elektronen entfernt werden. Ionisierung:

Co (4s2 3d7)

I1

–e–

Co+ (4s1 3d7)

Co+ (4s0 3d8)

Das 4s-Orbital wird vor dem 3d-Orbital ionisiert, weil die Orbitalenergie ε(3d) ! ε(4s) ist, wenn beide Orbitale innerhalb derselben Elektronenkonfiguration zwischen Sc und Zn berechnet werden. Gleichzeitig bleibt im Atom das 4s-Orbital bei der Konfiguration 4s2 3dx anstelle von 3d besetzt, weil die Gesamtenergie

3.6 Gesamtelektronenzahl in Komplexen

393

E des Zustandes für die Elektronenkonfiguration 4s2 3dx kleiner ist als die Gesamtenergie für die alternative Elektronenkonfiguration 4s1 3dxC1: E(4s2 3dx) ! E(4s1 3dxC1). Der Grundzustand hat mit Ausnahme von Cr und Cu eine 4s2Besetzung. Bei Cr (4s1 3d5) und Cu (4s1 3d10) wird durch den Elektronenübergang eine energetisch günstigere halb- und vollbesetzte d-Schale (d5 und d10) erreicht. Bei Ionisierung oder Metall $% Ligand-Elektronentransfer in einem Komplex führt die Kontraktion der Elektronenhülle weiterhin zu einer starken Stabilisierung der d-Orbitale und damit zu einer starken Erhöhung der nsK(nK1)d-Orbitalenergiedifferenz [ε((nK1)d) !! ε(ns)], sodass auch deshalb die ns-Elektronen zuerst ionisiert werden und für MC-Ionen oder M-Atome in Komplexen die Leerung des ns-Orbitals und die alleinige Besetzung von (nK1)d günstiger wird. Die Valenzelektronen eines Übergangsmetallions oder eines neutralen Übergangsmetallatoms in einem Komplex besetzen formal nur die d-Orbitale. Beispiele: Cr0(C6H6)2 Fe0(CO)5 Ni0(PF3)4

Cr0-Valenzelektronenkonfiguration: d6 Fe0-Valenzelektronenkonfiguration: d8 Ni0-Valenzelektronenkonfiguration: d10

Oxidationszahl und die daraus abgeleitete Valenzelektronenzahl sind formale Rechengrößen und in kovalenten Komplexen nur Näherungen für die reale Ladung und verbliebene Elektronenzahl am Metallatom (s. Abschn. 3.10.3, Elektroneutralität). Oxidationszahl und Valenzelektronenzahl erlauben aber sehr weitgehende Vorhersagen und Interpretationen der Koordinationspolyeder (Abschn. 3.7) und zusammen mit dem Ligandenfeld Aussagen zur optischen (UV. VIS-)Spektroskopie und zum Magnetismus (Abschn. 3.9) der Komplexe.

3.6 Gesamtelektronenzahl in Komplexen Die Gesamtvalenzelektronenzahl eines Komplexes ergibt sich aus der (Valenz-)Elektronenzahl des Metallatoms und den Elektronen, die die Liganden beisteuern: kovalentes Modell der Elektronenbilanz: Gesamtelektronenzahl Komplex [M Xa Lb]c

Elektronenzahl 2 x Zahl der Zahl der = (Gruppennummer) + X-Liganden + L-Liganden – Ladung c neutrales Metallatom a 2b

Die Gesamtelektronenzahl ist vor allem für die Interpretation der Stabilität und Reaktivität bei Übergangsmetallkomplexen von Bedeutung (18-Elektronenregel, Abschn. 3.10.3). Die vorstehende Gleichung bezieht sich auf die Elektronenbilanz nach dem so genannten kovalenten Modell, in dem Metallatom und X-Liganden als neutrale Teilchen gerechnet werden. Die Gruppennummer des 18erPeriodensystems ist die Valenzelektronenzahl des neutralen Übergangsmetallatoms. In einem alternativen ionischen Modell können Metallatom und X-Liganden auch als Ionen betrachtet werden, mit XK als 2eK-Donorligand.

394

3 Komplex-. Koordinationschemie

ionisches Modell der Elektronenbilanz: Gesamtelektronenzahl Komplex [M(a+c)+ (X-)a Lb]c

=

2 x Zahl der 2 x Zahl der Valenzelektronen- + X-Liganden + L-Liganden zahl Metallion 2b 2a

Beide Modelle sind äquivalent und führen zum selben Ergebnis (wenn sie nicht versehentlich, z. B. bezüglich M0 und XK, vermischt werden). Beispiele:

Elektronenbilanz: kovalentes Modell ionisches Modell

Na[PtBrCl(NO2)NH3]

Na+[Pt X3 L] – 0

[WCl3N]

Pt 10e 3X 3e L 2e Ladung –1 1e 16e

Pt 2+ 3X– L

[W 3X X3]

[W 6+ 3X– X3 ]

W0 6X

[Cr(ox)(en)2] +

[Nb(CHPh)(NAr')(C 5Me5)(PMe3)] 176° Ph

C H

iPr

Nb PMe3

N

iPr

pro Tantal: t

t

t

[{TaCl(µ-Cl)(N Bu)(NH Bu)(NH2 Bu)}2] tBu tBu

H N

tBuNH

2

N Ta Cl

Cl

Cl

126°

Cl Ta N

NH2tBu

N tBu H NAmido tBu planar

Na+[Pt 2+ (X – )3 L] – 8e 6e 2e 16e

3–

6e 6e 12e

W 6+ 3X – 3– X3

0e 6e 6e 12e

[Cr X2 (L2)2] +

+ [Cr 3+ X2– 2 (L2)2]

6e Cr0 2e 2X 4L 8e Ladung +1 –1e 15e

Cr 3+ 2– X2 4L

2–

3e 4e 8e 15e

2–

[Nb X2 LX2 L2X L]

[Nb5+ (X2 ) (LX 2 ) L2X – L]

Nb0 = CHPh = N-Ar C 5Me5 PMe3

Nb5+ CHPh2– N-Ar 2– C 5Me5– PMe3

5e 2e 4e 5e 2e 18e

0e 4e 6e 6e 2e 18e 2–

[Ta 2X (µ-L) X2 LX L]

[Ta5+ 2X– (µ-L) (X 2 ) LX – L]

Ta0 Cl+(µ-)Cl µ-Cl =NR NR 2 NR 3

Ta5+ Cl –+(µ-)Cl – µ-Cl NR 2– – NR 2 NR 3

5e 2e 2e 2e 3e 2e 16e

0e 4e 2e 4e 4e 2e 16e

3.7 Koordinationszahl und -polyeder von Komplexverbindungen

395

3.7 Koordinationszahl und -polyeder von Komplexverbindungen Wichtige Strukturmerkmale von Komplexen sind die Koordinationszahl und das Koordinationspolyeder. Beide sind eng miteinander verknüpft. Die Koordinationszahl ist die Zahl der an das Metallatom gebundenen X- und L-Donoratome. Bei C-gebundenen Liganden wird meist die Zahl der Elektronenpaare für die Metall-Ligand-Bindungen gezählt. Das entspricht der Summation der L- und XZahl des Liganden. η3-Allyl (LX) besetzt also zwei, η5-C5H5 (L2X) und η6-C6H6 (L3) besetzen drei Koordinationsstellen. Das Koordinationspolyeder ist die geometrische Figur, die die Ligandenatome um das Zentralatom bilden. Es ist zu beachten, dass wichtige geometrische Körper wie Tetraeder, Oktaeder, Dodekaeder und Ikosaeder nach der Zahl der Dreiecksflächen („-eder“, 4, 8, 12, 20) und nicht nach der Zahl der Ecken (4, 6, 8, 12) benannt sind. Die niedrigste Koordinationszahl in Übergangsmetallkomplexen ist zwei, die höchste neun. Höhere Koordinationszahlen bis 12 werden bei den Lanthanoiden und Actinoiden (f-Elementen) gefunden. Die wichtigste Koordinationszahl ist sechs, mit Abstand gefolgt von vier. Die Koordinationszahl wächst tendenziell mit der Größe des Metall (ionen)radius und abnehmender Größe der Liganden. Vergleiche dazu die sehr ähnliche Beziehung der Koordinationszahl von Ionen zu deren Radienverhältnis in Festkörperstrukturen (Abschn. 2.2.1). Die Koordinationszahlen zwei und drei gelten als selten. Man kennt aber mittlerweile jeweils etwa 4000 Beispiele für derartige Strukturen. Unter Vernachlässigung längerer Kontakte werden die Strukturen dabei häufig idealisiert interpretiert. Koordinationszahl 2: Die meisten Strukturen enthalten das d10-Ion AuC, gefolgt von den d10-Ionen Hg2C, AgC und CuC. Einige wenige Strukturen wurden auch für die d10-Ionen und -Atome Zn2C, Cd2C, Ni0, Pd0, Pt0 und für Metallatome mit anderen Elektronenkonfigurationen beschrieben. Die Komplexe sind weitgehend linear gebaut. Typische Beispiele:

P Au C C H Ethinyl(tri-p-tolylphosphan)gold(I)

H2N

N Ag+ N

NH2

Hg

NO3– Bis(4-aminopyridin)-silber(I) nitrat

Diphenyl-quecksilber(II)

Koordinationszahl 3: Die meisten Strukturen enthalten das d10-Ion CuC, gefolgt von AgC, AuC, Hg2C und bereits weniger häufig Zn2C, Fe2C u. a. Die Geometrie um das Metallatom reicht von trigonal-planar über pyramidal bis T-förmig.

396

3 Komplex-. Koordinationschemie

Typische Beispiele: Cl

H2N H2N

S

Cu

N

NH2 S

+

H2N H2N

NH2

Chloro-bis(thioharnstoff-κS)-kupfer(I)

N

Ag NH2

CF3CO2–

N

Bis(2-amino-6-methylpyridin-κN)(2-amino-κN '-6-methylpyridin)-silber(I) trifluoroacetat

Cl

H P

Au

Au

P H

Cl

3.11 Å

Bis(chloro-{mesityl(phenyl)phosphan}-gold(I))

Allgemein gilt für die im Periodensystem rechts stehenden d-elektronenreichen Metalle, dass sie niedrige Koordinationszahlen wie zwei oder drei aufweisen. Koordinationszahlen kleiner als vier werden außerdem durch große, sterisch anspruchsvolle Liganden begünstigt. Die Anbindung weiterer Liganden wird durch abstoßende, repulsive Wechselwirkungen zwischen diesen verhindert. Die sterische Abschirmung durch Liganden mit voluminösen Substituenten führt weiterhin zu einer kinetischen Stabilisierung von koordinativ ungesättigten Metallatomen. Die Koordinationszahl 4 ist mit eine der wichtigsten Koordinationszahlen. Die beiden möglichen Koordinationspolyeder sind das Tetraeder und das Quadrat. Das Tetraeder findet man allgemein bei der Kombination von großen Liganden und kleinen Metallen und elektronisch kontrolliert bei Metallatomen mit einer d0- oder d10-Valenzelektronenkonfiguration (Abb. 3.1).

Gruppe 4 Koordinationszahl 4 Tetraeder

Ti4+

L L

M L

L

(Symmetrie: Td)

M:

Zr4+

5

6

7

8

V: Mn: (Fe2+) Cr: (3+) 4+,5+ (2+),5+ 3+ 6+ 4+,5+ 6+,7+ (Fe )

9

10

11

12

Co2+

Ni0 Ni+

Cu+ Cu2+

Zn2+

Ag+

Mo6+

Tc7+

Ru8+ Ru7+

Pd0

W6+

Re7+

Os: 6+,7+ 8+

Pt0

Hg2+

Abb. 3.1 Metall-Oxidationsstufen mit tetraedrischen Koordinationspolyedern. d0- und d10-konfigurierte Metallatome sind durch Fettdruck hervorgehoben. Für viele der aufgeführten Ionen findet man auch oktaedrische Komplexe (vgl. Abb. 3.4) und für die d10Metalle auch Komplexe mit niedrigerer Koordinationszahl (s. o.).

Für die Stabilisierung der bei den d0-Metallatomen auftretenden formal hohen Oxidationsstufen C4 bis C8 sind gute Donorliganden wie Chloro (dCl), Oxo (]O), Nitrido (^N), Imido (]NdR) oder Amido (dNR2, N planar) notwendig (s. Abschn. 3.10.3).

3.7 Koordinationszahl und -polyeder von Komplexverbindungen Beispiele:

d0-Metallatome

Cl

O

Cl

Ti Cl

O

Cl

3–

2–

O

V O

O

O



O

Cr O

Mn O

O

O

MoO42– WO42–

397

O

O

TcO4– ReO4–

O

Os O

O

N iPr

Me2N

N

iPr

Cl

Nb NMe 2

NMe2

Ph2N

Re NtBu

NtBu

Re=N–C 157-165°

N

alle N-amido planar

Mo NPh 2

NPh2

d10-Metallatome

Beispiele: O C

3–

N C

Ni CO

NC

CO

PHPh2 Ph2HP

tBuN

WCl3N

Nb=N–C 167°

OC

OSiMe3

Mo Cl Cl

2–

Cl

Cu CN

Cl

CN

Zn Cl

Cl

X

Pd PHPh 2

Ph3P

PHPh2

Ag PPh 3

PPh3

X = Cl, Br, I, CN PMe2

2–

Cl

Me Pt P 2

Cl

P Me2 P

Hg Cl

Cl

Me2

Die neutralen d10-Metallatome Ni0, Pd0 und Pt0 werden gut durch größere Phosphanliganden stabilisiert, Ni0 auch durch CO. Eine tetraedrische Geometrie kann auch durch sterisch anspruchsvolle Tripodliganden erzwungen werden („sterische Kontrolle“): Prinzip:

Beispiel: N N

voluminöse Gruppen R

M X

R

H B N N

MR X



Tris(pyrazolyl)borato, Tp

N N

R

R = tBu, cyclohexyl, aryl

398

3 Komplex-. Koordinationschemie

Quadratisch-planare Komplexe findet man häufig bei den d8-Ionen RhC, IrC, Ni2C (mit starken Liganden), Pd2C, Pt2C und Au3C (Abb. 3.2). Gruppe 4

5

6

7

8

9

10

11

12

Ni2+

Cu2+ Cu3+

Zn2+

Rh+

Pd+ Pd2+

Ag2+ Ag3+

Ir+

Pt2+

Au2+ Au3+

Koordinationszahl 4 Quadrat L

L

M

L

M:

L

(Symmetrie: D4h)

Abb. 3.2 Metallionen mit quadratisch-planarer Koordinationsgeometrie. Bei d8-Elektronenkonfiguration Hervorhebung durch Fettdruck. Für die Ionen Ni2C, Cu2C, Cu3C findet man in ähnlicher Häufigkeit auch oktaedrische Komplexe (vgl. Abb. 3.4). d8-Metallionen

Beispiele:

NC

NC Ph3P

Ph3P

Rh

PPh3

Cl

Cl

Cl

3+

Ni

Pd

CN

H

2–

CN Cl

H

Ph3P

Ir

N

Cu

N N

H

H N

H

N H

2–

3CF3SO3–

Cl

N N N S

(Wilkinson-Katalysator) OC

N



N

PPh3

H3N

H3N

Cl

(Vaska-Komplex)

Pt

N N S N N Au S S N N N N N N NEt4+ N N

Cl

Cl

(cis-Platin)

Quadratisch-planare Komplexe sind vielfach als Katalysatoren relevant (Abschn. 4.4). Die Verbindung Bis(diethylammonium)-tetrachlorocuprat(II), [Et2NH2]2[CuCl4] ist ein Beispiel für eine reversible Umwandlung zwischen (verzerrt) quadratischplanarer und (verzerrt) tetraedrischer Koordination im Festkörper, gekoppelt mit Thermochromie (Farbänderung mit der Temperatur). + H Et2N

H

Cl

Cl

Cu

Cl

2–

Cl

hellgrün, T < 45 °C

∆T

2–

Cl Cu Cl Cl

Cl

gelb, T > 45 °C

Untersuchungsmethoden: - Einkristall-Röntgenbeugung - DSC - temperaturvariables UV/VIS - temperaturvar. IR [ν(N–H), ν(Cu–Cl)]

Ligand···Ligand-Abstoßung begünstigt die tetraedrische Geometrie. Kristallfeldstabilisierungsenergie (s. Abschn. 3.9.3) fördert die quadratisch-planare Anord-

3.7 Koordinationszahl und -polyeder von Komplexverbindungen

399

nung. In [Et2NH2]2[CuCl4] tragen bei Raumtemperatur NdH···Cl-Wasserstoffbrücken entscheidend zur Stabilisierung der planaren CuCl4-Anordnung im Festkörper bei. In der Hochtemperaturphase verlängern sich die H-Bindungen, begleitet von einer Entropiezunahme durch Fehlordnung des Et2NH2-Ions. Generell gilt jedoch die tetraedrische Koordination in Komplexen als starr. Bei vier unterschiedlichen Liganden können deshalb Stereoisomere isoliert werden (Abschn. 3.8). Die Energie zur Umwandlung in einen planaren Übergangszustand für den Platztausch der Liganden ist aufgrund der Ligandenabstoßung zu hoch. Die Koordinationszahl 5 ist weniger häufig als vier oder sechs, aber doch bedeutend. Für die geometrische Anordnung gibt es den Grenzfall der trigonalen Bipyramide und der tetragonalen oder quadratischen Pyramide. trigonale Bipyramide (Symmetrie: D3h)

A E M E A

A E M E

E

E

E

tetragonale oder quadratische Pyramide (Symmetrie: C4v)

Beide sind Grenzstrukturen mit fast gleicher Energie K die trigonale Bipyramide ist geringfügig stabiler K, die sich über eine Pseudorotation (Berry-Mechanismus) in Lösung rasch ineinander umwandeln können (Abb. 3.3). Jede der drei äquatorialen Positionen E der trigonalen Bipyramide kann die apikale Position A der quadratischen Pyramide einnehmen. Wiederholung des Umwandlungsprozesses vertauscht alle axialen (A) und äquatorialen (E) Liganden der trigonalen Bipyramide. Turnstile-Prozess:

Pseudorotation, Berry-Mechanismus: A

E

E M E A trigonale Bipyramide

A

E M E

E

A quadratische Pyramide

EA

E M

E

A

trigonale Bipyramide

...

A A E E Z E E Z E E A A trigonale trigonale Bipyramide Bipyramide

Abb. 3.3 Darstellung der Umwandlung trigonale Bipyramide K quadratische Pyramide K trigonale Bipyramide (Pseudorotation, Berry-Mechanismus), die zu einem Platztausch von äquatorialen (E) und axialen (A) Liganden in der linken trigonal-bipyramidalen Ausgangsstruktur führt. Eine mechanistische Alternative zur Pseudorotation wären Turnstile(engl. für Drehkreuz-)Prozesse, die ebenfalls in Platzwechselvorgängen der Liganden bei der trigonalen Bipyramide (ohne quadratisch-pyramidale Zwischenstufe) resultieren. Theoretische Studien legen allerdings stets einen Berry-Mechanismus nahe.

Moleküle mit der Koordinationszahl fünf sind in Lösung in der Regel fluktuierend, d. h. zeigen schnelle intramolekulare Umwandlungen, sodass alle fünf Liganden z. B. auf der NMR-Zeitskala äquivalent erscheinen. Das 13C-NMR-Spektrum von [Fe (CO)5] oder [Fe (CNBu)5] zeigt nur ein Signal bis hinunter zu K170 oder K80 (C. 19F- und 31P-NMR-Untersuchungen zeigen die Äquivalenz aller Liganden in [M(PF3)5] (M Z Fe, Ru, Os) bis hinunter zu K160 (C (in CHClF2).

400

3 Komplex-. Koordinationschemie

Bei Komplexen mit unterschiedlichen Liganden kann im Festkörper eine Form bevorzugt werden. Die (höher) negativ geladenen Liganden haben dabei meistens einen größeren Platzbedarf. Für Halogenokomplexe mit einzähnigen Phosphan- oder Phosphitliganden beobachtet man in der Regel die trigonale Bipyramide mit den Halogenoliganden in den weniger gehinderten äquatorialen Positionen. trigonale Bipyramide

X M P P

P X M X P

X

Beispiele: [NiBr(PMe3)4]BF4 [NiBr{P(OMe)3}4]BF4

P

P

P X M P P

X

Beispiele: [CoBr2(PF2Ph)3] [CoBr2(PHPh2)3]

[NiBr2(PMe3)3] [NiI2{P(OMe)3}3]

Beispiele: (M3+) [TiCl3{P(SiMe3)3}2]

[CoI3(PMe3)2] [MnI3(PMe3)2] [VCl3(PMePh2)2] [FeBr3(PMe2Ph)2] [NiBr3(PMe2Ph)2]

[AuI3(PMe3)2]

Für Monooxo- und -nitridokomplexe findet man häufig eine quadratische Pyramide mit dem höher geladenen Oxo- oder Nitridoliganden in der weniger gehinderten apikalen Position. quadratische Pyramide



O Cl

Cl

M Cl

Cl



N

M5+ = V Cr Nb Mo Tc W Re

Cl

Cl

M Cl

Cl

M6+ = Mo Tc Ru Re Os

Zwischen den beiden Grenzformen gibt es in Festkörperstrukturen häufig fließende Übergänge, d. h. verzerrte fünffach-koordinierte Metallatome, deren Zuordnung zu oder Abweichung von den beiden Grenzfällen mithilfe des „Addisonτ“ oder „Winkel-Struktur-Parameters τ“ unabhängig von der graphischen Darstellung berechnet werden kann. τ=

(β – α) 60°

β, α = größte Winkel 180°

M

120°

ideale trigonale Bipyramide: τ = 1

M α = β (< 180°) ideale quadratische Pyramide: τ = 0

Beispiele: Trigonale Bipyramide oder quadratische Pyramide? (Die Kugel-Stab-Darstellungen repräsentieren Atomanordnungen aus Kristallstrukturanalysen.)

3.7 Koordinationszahl und -polyeder von Komplexverbindungen größte Winkel (°):

N C

NH3

NH3

H3N

NH3

Ni 173 141

Cu 179 123

NC

NH3

C N τ = (173 – 141)/60 = 0.53 dazwischenliegend

NH3

τ = (179 – 123)/60 = 0.93 relativ ideale trigonale Bipyramide

Cl

NC

CN

Cu 171 152

CN

CN

NH3

401

NC

τ = (171 – 152)/60 = 0.32 näher an quadr. Pyramide

O O N 163 164 H2 ArCH2 τ = (164 – 163)/60 = 0.02 relativ ideale quadr. Pyramide N

N

Cu

Eine Fünffachkoordination kann auch durch sterisch anspruchsvolle vierzähnige Liganden erzwungen werden („sterische Kontrolle“): Prinzip:

Beispiele:

N

M Me3Si

X

N

N Cr

N

Br

SiMe3

SiMe3 Tris(2-(N-trimethylsilylamido)ethyl)amin

voluminöse Gruppen R

+

P Ph2P Pt

PPh2

PPh2 Cl– Cl Tris(2-diphenylphosphinoethyl)phosphan

Die Koordinationszahl 6 ist die wichtigste Koordinationszahl überhaupt. Das Oktaeder in idealer oder tetragonal verzerrter Form ist das zugehörige dominierende Koordinationspolyeder (Abb. 3.4). Die oktaedrische Koordination erlaubt die Maximierung der Metall-Ligand-Bindungsenergie bei Minimierung der Ligand···Ligand-Abstoßung. C4 Streckung (Stauchung)

C3

C3 C4

Streckung (Stauchung)

entlang C4

entlang C3

L L

L

M

L

L

L

L

L tetragonal verzerrtes Oktaeder = tetragonale Bipyramide (Symmetrie: D4h)

L M L

L

L

L

L

L

M

L

Oktaeder, ideal (Symmetrie: Oh)

L

trigonales Antiprisma (Symmetrie: D3d)

L

trigonales Prisma (Symmetrie: D3h)

Das trigonale Antiprisma und das trigonale Prisma werden bei Molekülkomplexen selten gefunden. Das trigonale Antiprisma ist eine trigonale Verzerrung des Oktaeders, d. h. die Metall-Ligand-Abstände werden entlang einer der dreizähligen Achsen gestaucht oder gestreckt.

402

3 Komplex-. Koordinationschemie Gruppe 4

Koordinationszahl 6 Oktaeder

Ti: 2+,3+ 4+

L L

L

L

M

L

L

Zr4+

M:

5

6

V: Cr: (JT) 3+ 0,1+,2+ 4+,5+ 3+,4+,5+ Mo: 0,3+ Nb4+ (6+)

10

12

8

Mn: 1+,2+ 3+,4+ Tc: 3+,4+ 5+,6+

Fe2+ Fe3+

Co2+ Ni2+ Cu2+(JT) Zn2+ 3+ Co Ni3+(JT) Cu3+

Ru2+ Ru3+

Rh3+ Rh4+

Pd4+

Ir3+ Ir4+

Pt4+

W: Re: Os2+ 0,3+ 1+,2+,3+ 3+ 6+ 4+,5+,6+ Os

9

11

7

Cd2+

Abb. 3.4 Metallionen mit oktaedrischer Koordinationsgeometrie. Durch Fettdruck hervorgehoben sind diejenigen Ionen, für die die Koordinationszahl sechs und das oktaedrische Koordinationspolyeder fast ausschließlich gefunden wird. Der Zusatz JT bei den Ionen Cr2C (d4-high-spin), Ni3C (d7-low-spin) und Cu2C (d9) soll andeuten, dass hier aus elektronischen Gründen stets (Jahn-Teller-)verzerrte, tetragonal-bipyramidale Strukturen gefunden werden (s. Jahn-Teller-Effekt in Abschn. 3.9.3).

Beispiele: Trigonales Prisma Ph Ph

S S

N

S

Ph

S

Ph

S

Re

NCS

N

Ph

D3h

N

Cd

NCS

[Nb(CH3)6]–

Verzerrung

N

S

[Zr(CH3)6]2– [Ta(CH3)6]– [Re(CH3)6]

[W(CH3)6] [Mo(CH3)6]

C3v

Ph

Zur Theorie der nicht-oktaedrischen [M(CH3)6]-Strukturen s. Abschn. 3.9.1. Generell gilt die oktaedrische Koordination in σ- und π-Donorkomplexen als starr. Die Energiebarriere für den Platztausch von Liganden mittels eines trigonal-prismatischen Übergangszustandes ist hoch. Bei unterschiedlichen Liganden können deshalb Stereoisomere (cis, trans, fac, mer) isoliert werden (Abschn. 3.8). Die Koordinationszahl 7 ist wieder seltener. Symmetrische Koordinationspolyeder mit ähnlichen Stabilitäten sind die pentagonale Bipyramide, das überkappte Oktaeder (siebenter Ligand über einer Fläche) und das überkappte trigonale Prisma (siebenter Ligand über einer Rechteckfläche).

überkapptes trigonales Prisma

überkapptes Oktaeder

pentagonale Bipyramide

Ph

Beispiele:

NC

NC

N C V C N

4–

CN

CN

CN

Cl Ph

O

O O

O

Zr

O

Ph

Ph

Ph

O

MeNC

Ph

CNMe

Mo MeNC

2+

CNMe CNMe

CNMe

CNMe

2BF4–

3.8 Isomerie bei Komplexverbindungen

403

In Lösung zeigen NMR-Spektren für Komplexe mit sieben identischen einzähnigen Liganden fluktuierendes Verhalten. Die Bedeutung der Koordinationszahl 8 ist in den letzten Jahren stark gewachsen, bedingt durch zunehmende Untersuchungen der Koordinationschemie der Lanthanoide und Actinoide, bei deren großen Metallionen diese und höhere Koordinationszahlen möglich werden. Symmetrische Koordinationspolyeder für Molekülkomplexe sind das (etwas stabilere) quadratische Antiprisma, das (trigonale*) Dodekaeder und das zweifach-überkappte trigonale Prisma. (*Aus Fünfecken lässt sich ein pentagonales Dodekaeder.„Zwölfflächner“ mit 20 Ecken aufbauen, s. Bsp. in Abschn. 3.15). Der Würfel ist als Koordinationspolyeder bei molekularen Komplexen sehr selten.

quadratisches Antiprisma (Symmetrie: D4d)

Dodekaeder (Symmetrie: C2v)

Beispiele: Cd2[Mo(CN)8] Na3[Mo(CN)8]·4H2O

zweifach überkapptes trigonales Prisma (Symmetrie: C2v)

K4[Mo(CN)8]·3H2O (Bu4N)4[Mo(CN)8]

Cs3[Mo(CN)8]

Würfel (Symmetrie: Oh)

in Koordinationschemie sehr selten

Die Geometrie der [M(CN)8]nK-Anionen (M Z Nb, Mo, W) hängt im Festkörper stark vom Kation und damit verbundenen Kristallpackungseffekten ab. In Lösung belegen temperaturvariable 95Mo- und 14N-NMR-Linienbreiten-Untersuchungen für [Mo (CN)8]4K eine dodekaedrische Struktur. Für die Koordinationszahl 9 und höher wird die Zahl der bekannten Strukturen bei den d-Elementen immer kleiner. Erst bei den Komplexverbindungen der Lanthanoiden und Actinoiden werden solche Koordinationszahlen sehr häufig ausgebildet (s. Abschn. 3.10.4). Als reguläres Koordinationspolyeder kennt man das dreifach überkappte trigonale Prisma (ein Ligand über jeder Rechteckfläche). Beispiel:

H H

H

H

dreifach überkapptes trigonales Prisma

H Re

H

H

H

H [ReH9]2–

3.8 Isomerie bei Komplexverbindungen Isomerie ist allgemein die Erscheinung, in der Verbindungen bei gleicher Summenformel unterschiedliche Atomanordnungen (Strukturen) aufweisen. In der Koordinationschemie sind die geometrische Isomerie, die optische Isomerie und die Bindungsisomerie von Bedeutung.

404

3 Komplex-. Koordinationschemie

Die geometrische Isomerie beinhaltet die cis-.trans-Isomerie bei oktaedrischen MA4B2- oder MA4BC- und (quadratisch-)planaren MA2B2- oder MA2BCKomplexen. A

A

A M A cis

B

A

B

B

A M A trans

B

A

A

A

A M A cis

B

A

C

C

A M A trans

A

B

A

A

cis H3N

Beispiel: Isomeren-Unterscheidung mit – Einkristall-Röntgenstruktur – Dipolmoment – UV/VIS-Absorptionsspektroskopie (s. Abschn. 3.9.4)

M

Pt

B

A

C

C A trans

Cl H3N

M

Pt

B

Cl

Cl Cl NH3 cistrans-Platin ⇒ unterschiedliche cytostatische Aktivität als Antitumormittel: hoch niedrig (s. Abschn. 3.16) H3N

Bei vier verschiedenen Liganden in einem planaren Komplex MABCD gibt es drei Stereoisomere. A D

M

B

A

C

D

M

C

A

B

C

M

B D

Bei oktaedrischen MA3B3-Komplexen sind faciale und meridionale Ligandenanordnungen möglich. A

facies = Fläche

A

B M

B

A

B

A

A facial, fac-

B M

B

A

B Meridian = Längskreis meridional, mer-

Die Schwingungsspektroskopie erlaubt gegebenenfalls über die unterschiedliche Anzahl der IR- und Raman-aktiven Normalschwingungen für die verschieden symmetrischen isomeren MAnB6Kn-Spezies (n Z 2K4) eine Zuordnung (s. Carbonylkomplexe in Abschn. 4.3.6). Einfache Farbvergleiche können auch zu einer Zuordnung führen: So wird aus dem blau-roten cis-Carbonatocobaltkomplex in einer Reaktionsfolge über den rot-violetten zweifach verbrückten cis-Dihydroxokomplex das Violeo-Salz, [CoCl2(NH3)4]Cl synthetisiert. In einer anderen Reaktionsfolge wird mit einem Farbwechsel über grüne Intermediate das grüne Praseo-Salz mit derselben Summenformel erhalten. Die andere Färbung des Praseo-Salzes gegenüber dem cisEdukt weist auf einen Konfigurationswechsel zu trans hin. Damit deutet der während der Reaktionsfolge zum Violeo-Salz beibehaltene rot-violette Farbton einen Konfigurationserhalt an und ordnet dem Violeo-Salz die cis-Konfiguration zu (s. auch Abschn. 3.9.4).

3.8 Isomerie bei Komplexverbindungen H3N

H3N

H3N

Co

H3N

+

O

O

C O

1. verd. H2SO4 2. NH3

H3N H NH3 NH3 O Co Co

2+

H3N

H3N

konz. HCl Kälte

H3N

H3N

3. 100 °C

blau-rot

H3N

rot-violett

verd. HCl

grün

H2SO4 + HCl

dunkel- BaCl2 grün

Co

H3N

NH3 O H3N H NH3

H3N

H3N

+

Cl Co Cl

NH3

NH3

405 +

Cl

Cl

Cl–

violett, Violeosalz – cis

Cl–

grün, Praseosalz – trans

Die optische Isomerie oder Spiegelbildisomerie hat allgemein zur Voraussetzung, dass ein Molekül dissymmetrisch oder chiral ist. Ein Molekül ist dissymmetrisch, wenn es keine Drehspiegelachse Sn besitzt, worin die Spiegelebenen σ Z S1 und das Inversionszentrum i Z S2 eingeschlossen sind. Ein asymmetrisches Molekül, also ohne Symmetrieelemente, wird nicht gefordert. Drehachsen Cn können vorliegen. Ist die Bedingung der Dissymmetrie erfüllt, so können zwei optische Antipoden oder Enantiomere vorliegen, die optisch aktiv sind, d. h. die Ebene des polarisierten Lichts um den gleichen Betrag, aber in die jeweils entgegengesetzte Richtung zu drehen vermögen. Die Mischung der beiden Enantiomere ist das Racemat. Metallkomplexe können ohne chirale organische Liganden optische Isomere bilden. Beim Tetraeder ist dafür (wie in der organischen Chemie) die Koordination von vier unterschiedlichen Liganden notwendig. +

Beispiele: ON

Mn

CO

PF6–

ON

PPh3

MABCD-Komplex dessen Racematspaltung als erstes durchgeführt wurde

Fe

C

PPh3

Der Cp-Ring wird hier als Ligand angesehen, der eine Koordinationsstelle besetzt.

O Me

kommerziell als Enantiomere verfügbar

Quadratisch-planare Komplexe werden chiral, wenn voluminöse Gruppen in Liganden deren Rotation um die Metall-Donoratom-Bindung verhindern und damit keine Sn-Symmetrie mehr gegeben ist (K nur wenige gut charakterisierte Beispiele). Beispiel:

Prinzip: A

D M D

A

oder

B

D M B

A

u.a. Substitutionsmuster

Et N

N Pt I

I

Et

(im Kristall)

Bei oktaedrischen Komplexen findet man beobachtbare optische Isomerie vor allem bei Anwesenheit von Chelatliganden. Je nach Unterschiedlichkeit der übrigen Liganden können bereits bei einem Chelatring optische Isomere auftreten. Die nachfolgenden Darstellungen illustrieren die enantiomeren Formen für Komplexe mit einem bis drei Chelatliganden. Für den Komplex M(AhA)2B2 mit

406

3 Komplex-. Koordinationschemie

zwei Chelatliganden ist die C2-Achse angedeutet, für den Tris-Chelatkomplex M(AhA)3 eine der drei C2-Achsen. Zusätzlich liegt bei M(AhA)3 noch eine C3-Achse vor. Der Bis-Chelatkomplex ist nur in der cis-Form optisch aktiv, die trans- oder meso-Form ist optisch inaktiv. M(A∩A)B2C2: A

C

A M C

B

B

B

B

M(A∩A)2B2 oder M(A∩A)2BC: A M C

A

A

C

A

A

A

A M A

B

B

B

B

A

A

A

A

A M A

A

A

M(A∩A)3: A

A

A M A

A

A

A

A

Λ

A M A

A

C2

A



A M A

Linkshelix – Λ

A M A

C2

A

A

B M

A

A

B trans-/mesoForm optisch inaktiv

A

A

Rechtshelix – ∆

Die enantiomeren Konfigurationen werden durch die griechischen Buchstaben Λ und ∆ gekennzeichnet. Der Buchstabe Λ bezeichnet eine Linkshelix, ∆ eine Rechtshelix, die die Chelatliganden in den Tris-Chelatkomplexen M(AhA)3 um die dreizählige Achse bilden. Aus den Orientierungen der Tris-Chelatkomplexe gehen entsprechend die chiralen Beziehungen für die Bis-Chelatkomplexe hervor, für die die gleiche Λ-, ∆-Konvention gilt. Weiterhin sind Konformationen, die z. B. ein fünfgliedriger Chelatring einnehmen kann, dissymmetrisch, und es können prinzipiell jeweils zwei Isomere (λ und δ) erhalten werden. A

λ

A

M

M

A

A

δ

Mit dem Buchstaben λ wird wieder eine Links-, mit δ wieder eine Rechtshelix bezeichnet. Als Bezugsachse dient die Gerade, die die beiden Donoratome des Chelatrings miteinander verbindet. Da es sich bei dieser Dissymmetrie in den Chelatringen um Konformationen handelt, werden zur Kennzeichnung Kleinbuchstaben verwendet. Bei unsubstituierten Chelatliganden wie Ethylendiamin ist die Energiebarriere zwischen den λ- und δ-Konformeren sehr klein. Die beiden enantiomeren Konformationen können sich über einen planaren Übergangszustand ineinander umwandeln, vergleichbar den Umwandlungen in organischen Ringsystemen. Wenn zwei oder drei Chelatringe in einem Komplex vorhanden sind, werden bestimmte Konformationen als Ergebnis verminderter Abstoßungen stabilisiert. Auch bei Verwendung sterisch anspruchsvoller Chelatliganden lassen sich Enantiomere nachweisen. Bereits beim Liganden Propylen-1,2-diamin, H2NdC (CH3)HdCH2dNH2, bewirkt die Methylgruppe, dass der Chelatring eine Konformation einnimmt, bei der sich der Methylsubstituent in einer äquatorialen Position befindet. In oktaedrischen Tris-Chelatkomplexen kann man aus der Dissymmetrie in den Chelatringen zusätzlich zur Λ- und ∆-Konfiguration prinzipiell jeweils die Konformere

3.8 Isomerie bei Komplexverbindungen

407

δδδ, δδλ, δλλ und λλλ erwarten, also insgesamt acht verschiedene Isomere. Gewöhnlich werden aber weniger gefunden. Ist der Ligand wie etwa Propylen-1,2diamin optisch aktiv, dann kann jedes Isomer noch in die R- und S-Form des Liganden differenziert werden. Die Dissymmetrie in Chelatringen tritt auch in planar-quadratischen und tetraedrischen Komplexen auf. Für die Trennung des Racemats ist das Vorliegen kinetisch inerter Komplexe wichtig (s. Abschn. 3.10). Eine Racematspaltung gelingt unter intermediärer Einführung enatiomerenreiner Liganden oder Gegenionen und Trennung der dadurch erhaltenen Diastereomere aufgrund ihrer Löslichkeitsunterschiede (fraktionierte Kristallisation oder chirale HPLC). +

Beispiel Tetraeder: ON

Mn

CO

i

PF6–

Beispiel Oktaeder:

Co

NaO *

*

COO– R OH Ba2+ HO R COO– (Ba-L(+)-tartrat) HCl

3

–SO42– 2

N NH2 H2 NH2

–BaSO4↓

(Racemat, Enantiomerenpaar)

Mn

O iPr C

PPh3

O (Diastereomerenpaar → Trennung)

(Na-(–)-mentholat)

3+

NH2

ON

* / –NaPF6

PPh3

(Racemat, Enantiomerenpaar)

H2H2N N

Pr

COO– R OH HO R COO–

3+

H H2N 2

N

NH2

Co

N NH2 H2 NH2

Cl– (Diastereomerenpaar, frakt. Kristall. → zuerst [∆-Co(en)3]{L(+)-tartrat}Cl↓ [Λ-Co(en)3]{L(+)-tartrat}Cl in Mutterlauge)

Die Abtrennung der optisch aktiven Hilfsgruppe vervollständigt die Racemattrennung. (Freisetzen der Enantiomere)

Beispiel Tetraeder: ON

Mn

O iPr C

PPh3

O

+ HCl + PF6–

–Cl–

H H2N 2

N

Co

NH2

N NH2 H2 NH2 (Diastereomer)

COO– R OH HO R COO–

Mn

CO

PF6– + HO

PPh3

3+

Cl–

Pr

(Enantiomer)

(Diastereomer)

Beispiel Oktaeder:

ON

i

+

3+

+ 3 NaI (Überschuss)

konz. NH3 –NaCl

H H2N 2

N

Co

NH2

N NH2 H2 NH2

3I–

COO– R OH HO R + COO– 2Na+

(Enantiomer)

Für die gezielte, prädeterminierte (d. h. ohne Racemattrennung) Darstellung der Λ- oder ∆-Konfiguration in oktaedrischen Komplexen müssen in der Regel enantiomerenreine chirale Chelatliganden verwendet werden, mit hinreichenden

408

3 Komplex-. Koordinationschemie

determinierenden Wechselwirkungen zwischen den stereochemisch aktiven Gruppen. Beispiele:

ChiragenLigandentyp

N

Ph2 P O (S) O–

S

Λ-[M(S-O∩O')3]

R

∆-[M(R-O∩O')3]

(O∩O')

N

N

N

M = Fe3+, V3+

2-Diphenylphosphinoyl1,1'-binaphthalen-2'-olato

∆-[RuCl2{(–)-4,5-Chiragen[m-xyl]}]

In seltenen Fällen kann eine Racematspaltung bei der Kristallisation beobachtet werden (vgl. die Entdeckung der Chiralität durch Pasteur bei der Kristallisation von Weinsäure). Ursache sind supramolekulare (H-Brücken-, Aren···Aren-)Wechselwirkungen, die eine homochirale Anordnung von gleichartigen Enantiomeren in der Kristallpackung bedingen. Beispiel: Spontane Racematspaltung Λ

H N

Dipyridylamin, dpa

N

HN

N N Co

N

O

O

+ Tetraacetylethan, tae O

Co(II)-acetat

–2HOAc

O

O

N Co

O + Co(OAc)2

O

O

O

'R' 'R'

OH

HO

O

Λ

HN

N

O

Λ

Co N

OO

'R' 'R'

O

NH

N

O

O Co O

O

N

N

NH

Λ

homochirale Quadrate [(Λ-Co)4('R'-µ-tae)4(dpa)4] oder [(∆-Co)4('S'-µ-tae)4(dpa)4] in jeweiligen Kristallen

Die Chiralität in Komplexen kann außer durch die Drehung der Ebene des polarisierten Lichts auch mithilfe der anomalen optischen Rotationsdispersion (ORD) und mit dem Circulardichroismus untersucht werden (Abschn. 3.19). Bindungsisomerie bezeichnet das Phänomen, dass Liganden bei ansonsten identischer Komplexzusammensetzung verschiedenartig über ihre mehreren Donoratome an das Metallatom koordinieren. Vielfältige Beispiele kennt man für K ambidente Liganden wie Nitrito, NOK 2 und Thiocyanato, NCS . Ein Beispiel ist die Verbindung [CoNO2(NH3)5]Cl2. Bei Umsetzung des Komplexes [CoCl (NH3)5]Cl2 mit Natriumnitrit (NaNO2) erhält man eine Lösung, aus der beim Stehenlassen in der Kälte die Nitrito-O-Form, CodONO als roter Komplex kristallisiert. Wird die Lösung dagegen mit konzentrierter Salzsäure versetzt, erhitzt und dann gekühlt, so wird die Nitrito-N- (oder Nitro-)Form CodNO2 als gelber Komplex erhalten. Außerdem kann der rote Komplex durch Erhitzen in konzentrierter Salzsäure in den gelben Komplex umgewandelt werden.

3.8 Isomerie bei Komplexverbindungen Lösung

[CoCl(NH3)5]Cl2 + NaNO2

1. konz. HCl 2. ∆ 3. kühlen

kühlen [CoONO(NH3)5]Cl2 rot, Nitrito-O-Form, kinetisches Produkt Zuordnung durch Farbvergleich mit

409

[CoNO2(NH3)5]Cl2 gelb, Nitrito-N-(Nitro-)Form, thermodynamisches Produkt

∆ konz. HCl

[CoH2O(NH3)5]3+ rot [CoNO3(NH3)5]2+ 1 O-, 5 N-gebundene Liganden

[Co(NH3)6]3+ gelb [Co(en)3]3+ alle Liganden N-gebunden

Tabelle 3.3 Beispiele für Bindungsisomere. MdNO2 und MdONO

a)

MdCN und MdNC

[CoNO2 (NH3)5]2C und [CoONO(NH3)5]2C 2K (Gegenion z. B. SO 4 ) C [Co(NO2)2(en)2] , [Co(NO2)ONO(en)2]C und [Co(ONO)2(en)2]C [Co(NO2)2(NH3)4]C, [Co(NO2)ONO(NH3)4]C und [Co(ONO)2 (NH3)4]C

a)

trans-[CoCN(dimethylglyoximato)2 (H2O)] und -[CoNC(dimethylglyoximato)2 (H2O)] dimethylglyoximato Z diacetyldioximato Z –

O N

N OH

trans-[Co(NCS)NO2(en)2]X und -[Co(NCS)ONO(en)2]X, X Z I, ClO4

cis-(C6F5)2Pd[(µ-NC)-trans-Pd(C6F5)(PPh3)2]2 und cis-(C6F5)2Pd[(µ-CN)-trans-Pd(C6F5)(PPh3)2]2 cis.trans-[Co(NO2)X(en)2]nC und K2FeII [CrIII(CN)6] und FeII3 [MnIII(CN)6]2 -[Co(ONO2)X(en)2]nC, X Z NH3, NCSK, CNK mit MIIdCNdMIII und MIIdNCdMIII MdNCO und MdOCN

a)

Mdtetrazolato-N1 und LN2

[RhNCO(PPh3)3] und [RhOCN(PPh3)3]

R N LnM N N N

LnM N

N

R

N N

3C

LnM Z Co(NH3) 5 , R Z Me, Ph und substituiertes Phenyl

MdNCS und MdSCN [Pd(NCS)2(AsPh3)2] und [Pd(SCN)2(AsPh3)2] [Pd(NCS)2(bipy)] und [Pd(SCN)2(bipy)] [Co(CN)5SCN]3K und [Co(CN)5NCS]3K [PdNCS(Et4dien)]PF6 und [(C5H5)FeSCN(CO)2] und [PdSCN(Et4dien)]PF6 [(C5H5)FeNCS(CO)2] [Fe(CN)5SCN]3K und [Fe(CN)5NCS]3K H Et4dien Z Et2N a)

N

NEt2

Für MdNO2, MdNCO und MdCN ist das zuerst genannte Isomer die stabilere Form.

410

3 Komplex-. Koordinationschemie

Es wurde früh erkannt, dass der Unterschied der beiden Komplexe auf der Anbindung der NO2-Gruppe an das Cobaltatom beruhen muss. Ein Farbvergleich führte zu einer korrekten Zuordnung. Für den NO2-Liganden ist die Nitrito-OForm gewöhnlich weniger stabil und isomerisiert zur Nitrito-N-Form. Beispiele für Bindungsisomere sind in Tabelle 3.3 zusammengestellt. Die Zahl der jeweiligen Eintragungen zeigt klar die große Bedeutung von Nitrito- und Thiocyanato-Komplexen für das Phänomen der Bindungsisomerie. Grundsätzlich hängt der Bindungsmodus eines ambidenten Liganden von der Natur des Metallatoms, seinem weichen oder harten Pearson-Säurecharakter ab (s. Abschn. 3.10.3). Ein weiches Metallion wird bevorzugt das weichere Donoratom eines ambidenten Liganden binden, ein hartes Metallion umgekehrt ein härteres Donoratom bevorzugen. Diese Tendenz kann durch die Gegenwart anderer Liganden, die Synthesebedingungen oder die Matrix (Festkörper, Lösung) beeinflusst werden.

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte 3.9.1 Valenzbindungstheorie (VB-Theorie) Eine erste Beschreibung der Bindung in Metallkomplexen wurde 1923 von Nevil V. Sidgwick gegeben. Er formulierte eine koordinative Donor-Akzeptor-Bindung. Die Komplexe werden danach durch Anlagerung einer Lewis-Base, des Donoratoms des Liganden, an eine Lewis-Säure, das Metallatom, gebildet (s. Abschn. 3.1). Linus C. Pauling baute diese Vorstellung um 1930 zusammen mit Sidgwick zur Valenzbindungstheorie (Valence-Bond-, VB-Theorie) aus. Die VB-Theorie setzt 3d-

4s-

4p-Orbitale d2sp3-Hybridisierung

[Cr(H2O)6]3+ O O H2 H2

O H2

O O O H2 H2 H2

L L

L

L L L

[Co(NH3)6]3+

d2sp3-Hybridisierung 4d-Orbitale F– F– F–



Cl

Cl– Cl–Cl–

CN–

CN–

– CN–

X–

X–

[NiCl4]2–

F– F– sp3-Hybrid.

[Ni(CN)4]2–

Oktaeder diamagnetisch

[CoF6]3– F–

Oktaeder 3 ungepaarte Elektronen

sp3d2-Hybrid. Oktaeder, 4 ungepaarte Elektronen Tetraeder 2 ungepaarte Elektronen

dsp2-Hybrid.

Quadrat, diamanget.

dsp3-Hybrid.

trig. Bipyr./ quadr.

CN

[Ni(CN)5]2– –

X

X–

X–

Pyr., diamagnet.

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

411

lokalisierte Metall-Ligand-Bindungen voraus. Die VB-Theorie erlaubt über die dxspy-Hybridisierung häufig eine rasche Korrelation von dn-Valenzelektronenkonfiguration, Struktur und magnetischen Eigenschaften. Die VB-Theorie gibt den realen elektronischen Zustand aber nicht annähernd wieder. Elektronisch angeregte Zustände können nicht berücksichtigt werden. Es ist keine Interpretation von Farbspektren der Komplexe möglich. Die Verwendung der 4d-Orbitale bei [CoF6]3K zu einer sp3d2-Hybridisierung, um oktaedrische Struktur und Paramagnetismus mit vier ungepaarten Elektronen in Einklang zu bringen, ist wenig verständlich. Mit dem VB-Modell konnten allerdings die nicht-oktaedrischen, C3v-verzerrten trigonal-prismatischen Strukturen der d0-[M(CH3)6]0-Verbindungen (M Z Mo, W) vorhergesagt und gedeutet werden. Vernachlässigt man den Beitrag der Valenz-p-Orbitale, so haben die sd5-Hybridorbitale am Metallatom bevorzugte Winkel von 63( und 117( mit der C3v-Geometrie als energieniedrigster Koordination für WH6 (vgl. Oktaederwinkel von 90( und 180(). In [W(CH3)6] sind die gefundenen Winkel durch Ligandenabstoßung etwas aufgeweitet. Der Erfolg des VB-Modells hängt hier mit den sehr kovalenten, reinen σ-Metall-Ligand-Bindungen zusammen. Gestalt eines sd5-Hybridorbitals

Bindungswinkel und idealisierte Molekülgestalt

[W(CH3)6]-Struktur 75.9°

63° 117°

2.187 Å 2.102 Å

C3v

H3C H3C

95.2°

CH3 W

CH3

CH3 CH3

132.1° 76.2° (Mittelwerte)

3.9.2 Kristallfeldtheorie (CF-Theorie) Parallel zur Valenzbindungstheorie wurde von Physikern (Hans A. Bethe, John H. van Vleck) die Kristallfeldtheorie (Crystal-Field-, CF-Theorie) entwickelt. Die reine Kristallfeldtheorie geht von einer ausschließlich elektrostatischen Wechselwirkung zwischen den Liganden und dem Zentralatom aus. Es werden keine kovalenten Überlappungen zwischen Metall- und Ligandenorbitalen berücksichtigt. Die Liganden werden als negative Punktladungen behandelt, und am Metallion werden nur die d- (oder f-)Orbitale betrachtet. Übergangsmetallatome haben in ihren Verbindungen eine teilweise besetzte d-Schale. Diese bestimmt zu einem großen Teil die physikalischen und chemischen Eigenschaften des Übergangsmetalls. Die CF-Theorie erlaubt ein gutes qualitatives Verständnis von elektronischen Spektren bei Übergangsmetallkomplexen, ihrer Farben, magnetischen Eigenschaften und Strukturen. Die Kristallfeldtheorie kann in zwei Ausprägungen behandelt werden: (i) als Einelektronennäherung, bei der keine Kopplungen der Elektronen untereinander zugelassen werden, die d-Orbitale also unabhängig voneinander sind; (ii) als Mehrelektronennäherung mit gekoppelten Elektronen. Für die Behandlung der Kopplungen gibt es verschiedene Näherungen. Eine Möglichkeit ist das Russell-

412

3 Komplex-. Koordinationschemie

Saunders- (oder LS-)Kopplungsschema, welches gut für 3d-Orbitale geeignet ist (Abschn. 3.9.6). Einelektronennäherung. Die d-Orbitale werden durch die negativen Punktladungen der Liganden beeinflusst. In einem freien Ion in der Gasphase sind alle fünf d-Orbitale gleichwertig, d. h. entartet. Die Elektronen besetzen gemäß der Hund’schen Regel die Orbitale mit maximaler Spinmultiplizität. Unter dem Einfluss eines sphärischen Kristallfeldes, d. h. kugelsymmetrischer Ladungsverteilung, werden die entarteten Orbitale in ihrer Energie angehoben (Abb. 3.5). Gelangen dabei die Liganden nun auf spezielle Punkte, z. B. an den Eckpunkten eines Oktaeders um das Zentralion, erfolgt eine Aufspaltung der Orbitale. Ursache ist die repulsive Wechselwirkung der d-Elektronen mit den Liganden-Punktladungen. Orbitale mit Elektronen, die räumlich stärker auf die Liganden gerichtet sind, werden energetisch noch weiter angehoben. Nicht auf die Liganden gerichtete Orbitale mit Elektronen werden energetisch abgesenkt, jeweils bezogen auf das gleichstarke sphärische Kristallfeld. Der Orbitalschwerpunkt bleibt erhalten, d. h. die Summe der Orbitalenergien bei Aufspaltung ist gleich der Summe der Orbitalenergien im sphärischen Kristallfeld. Der Energiebetrag, um den die einen Orbitale noch weiter angehoben werden, ist gleich groß wie der Betrag, um den die übrigen Orbitale abgesenkt werden. Orbitalenergie

x2–y2, z2

eg

3∆ 5 O

d-Valenzorbitale

x2–y2

2∆ 5 O xy, xz, yz t2g



Mn+ –

freies Ion

∆O ≡ 10 DqO

xy

xz

yz

z



Mn+

z2



M x

y

Ion im sphärischen Ion im oktaedrischen Kristallfeld Kristallfeld

Abb. 3.5 Anhebung der d-Orbitale ausgehend vom freien Ion und Aufhebung der Orbitalentartung im oktaedrischen Kristallfeld. Die Aufspaltung in die zwei eg- und in die drei t2g-Orbitale verläuft unter Erhaltung des Schwerpunktsatzes der Orbitalgruppe. Die Summe der Energieverschiebungen gegenüber dem sphärischen Kristallfeld ist gleich Null.

In einem oktaedrischen Kristallfeld zeigen zwei der fünf d-Orbitale des Metallions direkt auf die negativen Punktladungen, nämlich das dz2- und das dx2Ky2Orbital (bezogen auf das kartesische Koordinatensystem, Abb. 3.5). Diese Orbitale würden also bei Elektronenbesetzung destabilisiert oder energetisch angehoben. Umgekehrt werden die zwischen den Achsen liegenden Orbitale dxy, dxz und dyz energetisch begünstigt, d. h. stabilisiert. Ihre Wechselwirkung mit den orientierten Punktladungen ist geringer als bei einer sphärischen Ladungsverteilung. Energetisch sind dz2 und dx2Ky2 und die dxy-, dxz- und dyz-Orbitale unterei-

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

413

nander jeweils weiter entartet. Bezüglich der Symmetrieoperationen im Oktaeder lassen sich die Orbitalsätze einer irreduziblen Darstellung (Abschn. 3.20.1) zuordnen. Wendet man die Symmetrieoperationen auf die xy-, xz- und yz-Orbitale an, so verhalten sich diese in ihrer Gesamtheit wie die irreduzible Darstellung t2g, sodass man zur Beschreibung dieser drei energiegleichen Orbitale auch das Symbol t2g verwendet. Das x2Ky2- und das z2-Orbital verhalten sich wie die Darstellung eg. Aus den Charaktertafeln kann das Symmetrieverhalten von Orbitalen entnommen werden, wie in Abschn. 3.20.1 dargelegt ist. Die Nützlichkeit der Symmetriebezeichnungen für die Orbitale wird im weiteren Verlauf deutlicher werden. Die Buchstaben A, B, E, T der irreduziblen Darstellungen geben die Entartung an (vgl. Tabelle 3.23). Ein einzelnes Orbital kann immer nur mit dem Buchstaben a oder b gekennzeichnet sein, zwei energiegleiche Orbitale sind immer e-Orbitale und bei Dreifachentartung liegen immer t-Niveaus vor. Orbitale werden mit Kleinbuchstaben bezeichnet. Die Größe der Aufspaltung ∆O zwischen den t2g- und eg- Orbitalen in einem oktaedrischen Kristallfeld liegt typischerweise zwischen 7 000 und 40 000 cmK1. Der Energiebereich erstreckt sich vom nahen Infrarot (IR) (1400 nm) über das sichtbare Spektrum (VIS) bis in das nahe Ultraviolett (UV) (200 nm). Die d-dAufspaltung kann aus den entsprechenden Spektren entnommen werden (s. Abschn. 3.9.4, 6 u. 7) (1 cmK1 Z 11.963 J.mol Z 1.2398 · 10K4 eV). Im tetraedrischen Kristallfeld liegen die xy-, xz- und yz-Orbitale näher an den vier Punktladungen der Liganden als das x2Ky2- und das z2-Niveau. Erstere werden also energetisch angehoben, letztere energetisch abgesenkt (Abb. 3.6). Im Vergleich zum Oktaeder ergibt sich eine umgekehrte Reihenfolge der Aufspaltung. Aus Symmetriegründen heißen die Orbitalsätze beim Tetraeder nur t2 und e. Das Tetraeder besitzt kein Inversionszentrum, welches den Index „g“ oder „u“ bedingen würde. z

M

Orbitalenergie

xy, xz, yz

t2

2 ∆ 5 T 3 ∆ 5 T

y

x2–y2, z2

x Ion im sphärischen Kristallfeld

∆T ≡ 10 DqT e

Ion im tetraedrischen Kristallfeld

Abb. 3.6 Aufhebung der d-Orbitalentartung im tetraedrischen Kristallfeld. Für die Orbitalaufspaltung gilt der Schwerpunktsatz. Die energetisch angehobenen t2-Orbitale sind auf die Mitte der Würfelkanten gerichtet und liegen damit etwas näher an den Punktladungen als die e-Orbitale, die entlang der Koordinatenachsen auf die Mitte der Würfelseiten zeigen. 1

Aus Gründen der Einfachheit werden für die d-Orbitale im Folgenden häufig nur die Indizes geschrieben. Statt dx2Ky2 heißt es also x2Ky2 oder statt dxz xz. Gleiches gilt für die p-Orbitale, wo z für pz geschrieben wird.

414

3 Komplex-. Koordinationschemie

Vergleicht man die Orientierung der Orbitale relativ zu den Punktladungen zwischen Oktaeder und Tetraeder (Abb. 3.5 und 6), so erkennt man, dass beim Tetraeder die destabilisierten Orbitale (xy, xz, yz) nicht direkt auf die Liganden zeigen, im Unterschied zu denen im Oktaeder (x2Ky2, z2). Die Wechselwirkung zwischen den Punktladungen und den Orbitalen und damit die d-Orbitalaufspaltung im Kristallfeld ist beim Tetraeder geringer als beim Oktaeder. Die Aufspaltungsenergie 10 DqT ist kleiner als 10 DqO. Bei gleicher Ladung des Metallions und gleichen Metall-Ligand-Abständen ist ∆T z 4.9∆O (s. Tab. 3.5). Bei einer tetragonalen Verzerrung des Oktaeders wird die Entartung der egund der t2g-Orbitale aufgehoben (Abb. 3.7). Nur das xz- und yz-Niveau bleiben energiegleich. Bei Streckung der Liganden entlang der z-Achse werden die Orbitale mit z-Komponente stabilisiert. Bei einer Stauchung der z-Liganden werden z2, xz und yz destabilisiert. Relativ dazu werden die Orbitale ohne z-Anteil destabilisiert oder stabilisiert. Die Aufspaltung der t2g-Niveaus ist dabei kleiner als die Aufspaltung der eg-Orbitale, da bei ersteren die Wechselwirkungen mit den Liganden-Punktladungen geringer sind. Eine tetragonale Verzerrung ist auch durch unterschiedliche Liganden in einem trans-MA4B2-Komplex gegeben. z M

M

Symmetrie: D4h Orbitalenergie a1g b1g eg b2g

x

Oh

M

D4h

D4h

Streckung entlang z

Stauchung entlang z z2

M y

eg

x2–y2

x2–y2, z2 x2–y2

z2

xz, yz

xy

xy

Ion im quadratischbipyramidalen Kristallfeld

xy, xz, yz t2g Ion im oktaedrischen Kristallfeld

xz, yz

b1g a1g b2g

x2–y2

xy z2

eg

Ion im quadratischbipyramidalen Kristallfeld

xz, yz z2 Ion im quadratischen Kristallfeld

Abb. 3.7 Orbitalaufspaltung bei einer tetragonalen Verzerrung des Oktaeders zur quadratischen Bipyramide und zur quadratisch-planaren Anordnung als Extremfall. Die Lage des z2-Niveaus in der quadratisch-planaren Anordnung (oberhalb oder unterhalb von xz.yz) hängt vom Metall und den Liganden ab. Die Bezeichnungen a1g, b1g, eg, t2g usw. geben die Entartung der Orbitale und ihre Symmetrie an (s. Tabelle 3.23).

Der Grenzfall des tetragonal gestreckten Oktaeders ist bei unendlicher Entfernung der z-Liganden die quadratisch-planare Anordnung. Die energetische Absenkung der Orbitale mit z-Anteil wird entsprechend größer, wobei die genaue

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

415

Lage des z2-Orbitals vom Charakter des Metallatoms und der Liganden abhängt: Mit Ni2C oder Cu2C liegt das z2-Niveau knapp oberhalb der xz.yz-Orbitale, bei Pd2C, Pt2C oder Au3C wird das z2-Niveau soweit abgesenkt, dass es zum energetisch niedrigsten d-Orbital wird. Elektronenbesetzung der Orbitale beim Oktaeder. Ein bis drei Elektronen werden nach der Hund’schen Regel („maximale Spinmultiplizität“) derart auf die t2g-Zustände verteilt, dass jedes Orbital im Grundzustand einzeln besetzt ist. Orbitalenergie

eg

ε0 t2g Konfiguration:

6 Dq 4 Dq d1, t2g1

CFSE: Ion im sphärischen

–4 Dq

Beispiele für Metallionen:

Ti3+

d2, t2g2

d3, t2g3

–8 Dq –12 Dq Ion im oktaedrischen Kristallfeld V3+

V2+, Cr3+

Die Energie des Ions im Ligandenfeld ist häufig kleiner als im freien Ion mit sphärischem Kristallfeld. Dieser Energiegewinn wird als Kristallfeldstabilisierungsenergie (CFSE) bezeichnet. Wenn ε0 die Energie der Orbitale vor der Aufspaltung ist, so ist z. B. für die Konfiguration t 22g die Energie ε0K2·4 DqO. Der Wert von K8 DqO ist die Kristallfeldstabilisierungsenergie. Für Komplexe mit vier bis sieben Elektronen am Metallatom gibt es zwei Möglichkeiten der Orbitalbesetzungen (Abb. 3.8). Im Beispiel der d4-Konfiguration kann das vierte Elektron entweder in eines der leeren eg-Orbitale eingebracht werden (Konfiguration t 32geg1) oder eines der t2g-Niveaus wird mit zwei Elektronen besetzt (t 42g). Im ersten Fall liegen vier ungepaarte Elektronen vor, mit gleichem Spin im Grundzustand. Bei der t 42g-Konfiguration sind die Spins der zwei Elektronen im doppelt besetzten Orbital gepaart (Pauli-Prinzip) und nur noch zwei ungepaarte Elektronen vorhanden. Man spricht daher auch von t 32geg1 als der high-spin-Konfiguration und von t 42g als der low-spin-Anordnung für ein d4Ion. Entsprechend wird die Metall-Ligand-Verbindung als high-spin- oder als low-spin-Komplex bezeichnet. Die Kristallfeldstabilisierungsenergie beträgt im high-spin-Fall K6 DqO , im low-spin-Fall K16 DqO . Dafür muss die Spinpaarungsenergie P aufgebracht werden. Die beiden prinzipiell unterschiedlichen Möglichkeiten der Orbitalbesetzungen finden sich in analoger Weise auch bei den d5-, d6- und d7-Metallionen. Die Konfiguration mit der maximalen Zahl an ungepaarten Elektronen wird jeweils high-spin-Form genannt, die mit der minimalen Zahl an ungepaarten Elektronen low-spin-Form. Die verschiedene Zahl von ungepaarten Elektronen in der high- und low-spin-Form äußert sich in unterschiedlichen magnetischen Suszeptibilitäten (magnetischen Momenten), die über entsprechende Messungen ermittelt werden können. Die magnetischen Momente µ lassen sich für einen spin-only-Paramagnetismus, der für die meisten einkernigen Komplexe recht gut gilt (keine Beiträge

416

3 Komplex-. Koordinationschemie high-spin d4

low-spin

eg Cr2+, Mn3+

t2g Konfiguration: CFSE: d5

Bsp. für Metallionen:

t2g3eg1

t2g4

–6 DqO

–16 DqO (+ P)

eg Mn2+, Fe3+ t2g

Konfiguration: CFSE: d6

t2g3eg2 0 DqO

t2g5 –20 DqO (+ 2 P)

eg Fe2+, Co3+ t2g

Konfiguration: CFSE: d7

t2g4eg2 –4 DqO

t2g6 –24 DqO (+ 3 P)

eg Co2+ t2g

Konfiguration: CFSE:

t2g5eg2

t2g6eg1

–8 DqO

–18 DqO (+ 3 P)

Abb. 3.8 Orbitalbesetzungen und Kristallfeldstabilisierungsenergien (CFSE) beim highspin- und low-spin-Fall im Oktaeder für die Konfigurationen d4 bis d7. Die jeweils verschiedene Größe der Orbitalaufspaltungsenergie für die beiden Fälle ist schematisch durch einen unterschiedlichen Abstand der t2g- und eg-Orbitale angedeutet.

durch Spin-Bahn-Wechselwirkungen) näherungsweise nach der spin-only-Formel berechnen (vgl. Abschn. 2.6): µ Z g √S (S C 1)µB

oder µ z

√n (n C 2)µB

mit g z 2.002, S Z Gesamtspin, S Z 1.2 n, n Z Zahl der ungepaarten Elektronen, µB Z Bohr’sches Magneton, 1 µB Z eZ.2m Z 9.274015(3) · 10K24 J.T. Bei den Ionen der ersten Hälfte der 3d-Elemente (bis d5) stimmen die experimentell gefundenen magnetischen Momente gut mit den spin-only-Werten überein. Bei den Ionen der zweiten Hälfte sind hingegen durch das Kristallfeld die Bahnmomente nur teilweise unterdrückt (Tabelle 3.4).

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

417

Tabelle 3.4 Berechnete und experimentell beobachtete magnetische Momente für oktaedrische high-spin-Komplexe der 3d-Metallionen. Ion

Konfiguration

n

S

µ.µB berechnet

µ.µB gefunden

Ti3C V3C V2C, Cr3C Cr2C, Mn3C Mn2C, Fe3C Fe2C, Co3C Co2C Ni2C Cu2C Zn2C

t 12g t 22g t 32g t 32geg1 t 32geg2 t 42geg2 t 52geg2 t 62geg2 t 62geg3 t 62geg4

1 2 3 4 5 4 3 2 1 0

1.2 1 3.2 2 5.2 2 3.2 1 1.2 0

1.73 2.83 3.87 4.90 5.92 4.90 3.87 2.83 1.73 0

1.7K1.8 2.7K2.9 3.7K3.9 4.8K4.9 5.7K6.0 5.0K5.6 4.3K5.2 2.9K3.9 1.9K2.1 0

Die Konfiguration K high-spin oder low-spin K in einem 3d-Metallkomplex hängt von der Größe der Oktaederaufspaltungsenergie ∆O Z 10 DqO ab (relativ zur Spinpaarungsenergie P): high-spin 5 ∆O klein(er P); low-spin 5 ∆O groß (größer P). Liganden, die nur eine kleine Aufspaltung bewirken, also ein schwaches Kristallfeld (weak-field) ausbilden und damit zu einem high-spin-Komplex führen, werden als schwache Liganden bezeichnet. Umgekehrt nennt man Liganden, die über ein starkes Kristallfeld (strong-field) zu einer großen Aufspaltung und damit zu einem low-spin-Komplex führen, starke Liganden. Die Begriffe high-spin.weak-field und low-spin.strong-field sind synonym. Für die Elektronenkonfigurationen d8, d9 und d10 im Oktaeder, wie sie etwa bei den Ionen Ni2C, Cu2C und Zn2C mit t 62geg2, t 62geg3 und t 62geg4 vorliegen, kann keine Unterscheidung zwischen low- und high-spin-Anordnung mehr getroffen werden. Die Aufspaltung ∆Τ z 4.9∆O bedingt, dass beim Tetraeder nur high-spinZustände für die dortigen d3- bis d6-Konfigurationen von Bedeutung sind. Die Aufspaltungsenergie kann experimentell aus den UV.VIS(d $% d-)Spektren von Übergangsmetallkomplexen, d. h. den Elektronenübergängen zwischen verschiedenen Zuständen zur dn-Konfiguration im Ligandenfeld, entnommen werden (Tabelle 3.5, s. Abschn. 3.9.6 u. 7). Anhand der ∆-Werte in Tabelle 3.5 lassen sich folgende Verallgemeinerungen nachvollziehen: K Die Aufspaltung ∆ nimmt mit der Oxidationsstufe zu. Grund ist der kleinere 1 Ionenradius von M3C gegenüber M2C (s. Abb. 3.9). Im CF-Modell ist ∆ ~ 5 r mit r als Abstand zwischen dem Metallion und der Donoratom-Punktladung. Für M3C ist r etwa 7K8 % kürzer als für M2C. Damit lässt sich abschätzen: 1 1 ∆ (Μ3C) : ∆ (Μ2C) z : 5 Z 1.44 bis 1.51, d. h. die Kristallfeld5 (0.93 bis 0.92r) r

418

3 Komplex-. Koordinationschemie

Tabelle 3.5 Experimentelle ∆O.T -(10 Dq-)Werte ausgewählter oktaedrischer und tetraedrischer homoleptischer Metall-Ligand-Komplexe [MA6.4]cC. Zentralion Mz+ (dn)

Liganden ( 6 I– 6 Br – – 4I 4 Br –

3d Ti3+ (d1) V2+ (d3) V3+ (d2) V4+ (d1) Cr2+ (d4) Cr3+ (d3)

12 700

Mn2+ (d5) Mn3+ (d4) Mn4+ (d3)

Co3+ (d6) Ni2+ (d8) 4d Mo3+ (d3) Ru2+ (d6) Rh3+ (d6) 5d Ir3+ (d6) Pt4+ (d6) a)

13 000 6 000 7 200 12 000 15 400 9 000 10 200 13 200 6 700 17 500 17 900

Fe2+ (d6) Fe3+ (d5) Co2+ (d7)

) 6 Cl – 4 Cl –

3 100

6 F–

6 H2O

18 900

20 100

16 100 20 100 14 900

12 300 19 000 14 000 17 400

6 N a)

15 900 b

6 CN –

23 900

21 600 a 21 900 e 10 000 e

26 700

10 400 13 700

13 100 p

33 000

9 200

10 200 a

14 500

20 800

22 900 a

7 300

8 500

10 800 a 12 700 b

19 800

28 100 e 34 000 a

21 700 21 800

4 100 11 600 5 200

2 700

2 900

3 300

3 700

6 800 3 800

7 000 4 100

16 600

18 300

19 200

19 000

20 400

23 300

23 100 25 000

25 000 29 000

33 000

7 300 21 000

31 000

32 200

45 500

41 200 a

Am(m)inliganden mit 6 Stickstoff-Donoratomen: a Z 6 NH3, b Z 3(2,2'-Bipyridin), e Z 3(Ethylendiamin), p Z 3(1,10-Phenanthrolin).

aufspaltung für dreiwertige Ionen sollte 1.4K1.5 mal so groß wie die des zweiwertigen Ions mit denselben Liganden sein. ∆ zunehmend $% M2C ! M3C ! M4C

K Die Aufspaltung ∆O ist bei 4d- und 5d-Metallen viel größer als bei 3d-Metallen (s. Abschn. 3.9.6). Die Ausbildung von oktaedrischen high-spin-Komplexen ist nur bei der ersten Übergangsmetallreihe (3d) von Bedeutung. Für die oktaedrischen 4d- und 5d-Metallionen findet man nur low-spin-Komplexe. ∆ zunehmend $% M(3d) ! M(4d) ! M(5d)

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

419

K Bei gegebenem Ligand findet man für die Änderung der Aufspaltung mit dem Metallion in etwa folgende Reihung: ∆ zunehmend $% Mn2C ! Ni2C ! Co2C ! Fe2C ! V2C ! Cr2C ∆ zunehmend $% Fe3C ! Cr3C ! Co3C ! Mn3C.

Für die gefundene Reihung entlang der 3d-Periode gibt es keine einfache Erklärung. K Die Liganden lassen sich unabhängig vom Metallion nach steigender Aufspaltung ∆ in der so genannten spektrochemischen Reihe anordnen: I–, Br–, S2–, –SCN, Cl–, NO3–, F–, OH–, C2O42– schwache Liganden

H2O, –NCS, NCCH3, NH3, en bipy, phen, NO2–, –CN, PR3, CO, NO+

∆ zunehmend

starke Liganden

In Bezug auf das Donoratom gibt es ungefähr folgende Abhängigkeit: ∆ zunehmend $% I ! Br ! S ! Cl ! F ! O ! N ! P ! C

Die spektrochemische Reihe lässt sich mit dem elektrostatischen CF-Modell nicht erklären. Für weitere homo- und heteroleptische Komplexe lässt sich die Oktaederaufspaltung anhand der f- und g-Werte in Tabelle 3.6 nach ∆O Z f · g mit evtl. Gewichtung der Ligandenanteile abschätzen. Der Wert f beschreibt die Stärke eines Liganden relativ zu Wasser, dem ein f-Wert von 1.00 zugeordnet wurde. Tabelle 3.6 f- und g-Werte von ausgewählten Liganden und Metallionen. Ligand

f

Ligand

f

Metallion

g [cmK1]

Metallion

g [cmK1]

6 BrK 6 SCNK 6 ClK 6 FK 6 H2O

0.72 0.73 0.78 0.9 1.00

6 NCSK 6 py 6 NH3 3 en 3 bipy 6 CNK

1.02 1.23 1.25 1.28 1.33 1.7

V2C Mn2C Co2C Ni2C Ru2C Cr3C

12 000 8 000 9 300 8 700 20 000 17 400

Fe3C Co3C Rh3C Ir3C Mn4C Pt4C

14 000 18 200 27 000 32 000 23 000 36 000

Zum Beispiel berechnet sich aus Tabelle 3.6 ∆O für [Co (NH3)6]3C zu 22 750 cmK1 und für [CoCl6]3K zu 14 200 cmK1. Gewichtet nach Ligandenanteilen erhält man dann für [CoCl2 (NH3)4]C ∆O Z 19 900 cmK1 (s. Abb. 3.12). Bei dieser Abschätzung für gemischte Komplexe ist allerdings zu beachten, dass die Abweichung der Symmetrie vom Oktaeder nicht zu groß werden darf, da sich die Orbitalaufspaltung sonst nicht mehr durch einen einzelnen spektralen Übergang und damit nur einen Parameter ∆ charakterisieren lässt. Bei geringer Abweichung von der Oh-Symmetrie kommt es nur zu einer Verbreiterung, aber noch nicht zu einer Aufspaltung der Bande.

420

3 Komplex-. Koordinationschemie

3.9.3 Stereochemische und thermodynamische Effekte der Kristallfeldaufspaltung

Kristall-Ionenradius [Å] x

Ionenradien. Eine nicht-kugelsymmetrische Elektronenverteilung des Metallions durch die Aufspaltung seiner d-Orbitale beeinflusst den beobachteten Ionenradius (Abb. 3.9). Generell erwartet man innerhalb einer Periode aufgrund der zunehmenden Kernladung eine kontinuierliche Kontraktion der Elektronenhülle und damit eine stetige Abnahme der Radien. Eine solche Abnahme findet man für die Ionenradien mit kugelsymmetrischer (sphärischer) Ladungsverteilung, d. h. für Konfigurationen bei denen alle fünf d-Orbitale gleichartig besetzt sind, also entweder alle leer (d0, t 02geg0), einfach (d5-high-spin, t 32geg2) oder doppelt besetzt (d10, t 62geg4). Die kleineren Werte der Ionenradien der übrigen 3d-Ionen und die relativen Minima bei d3- und d8- oder d6-Metallionen können über die Orbitalaufspaltung und die damit unsymmetrische Ladungsverteilung der d-Elektronen erklärt werden. Bei d1 bis d3 besetzen die Elektronen zunächst die t2g-Niveaus und damit Orbitale, die zwischen den Liganden liegen. Die Abschirmung des Metallions gegenüber den Liganden oder die Abstoßung der negativen Elektronenwolken zwischen Ligand und Metallatom ist dadurch etwas verringert. Die Liganden können sich dem Metallatom weiter nähern, als es bei einer symmetrischen Verteilung der Metall-Valenzelektronen der Fall wäre. Bei d4-high-spin gelangt dann ein Elektron in die eg-Orbitale, die entlang der Metall-Ligand-Verbindungsachse liegen, woraus gegenüber dem d3-Ion eine Radienzunahme resultiert. Der Kurvenverlauf wiederholt sich für high-spin-Ionen noch mal von d6 bis d9. Im low-spin-Fall werden bis d6 die t2g-Niveaus und erst ab d7 die eg-Orbitale besetzt. 1.15 1.05

M

sphärische d-Elektronenverteilung

2+

0.95

high-spin

0.85

high-spin

M3+

0.75

low-spin

low-spin

0.65 M2+ M3+

d 0 Ca2+ Sc3+

1 Sc2+ Ti3+

2 Ti2+ V3+

3 V2+ Cr3+

4 Cr2+ Mn3+

5 6 7 Mn2+ Fe2+ Co2+ Fe3+ Co3+ Ni3+

8 Ni2+ Cu3+

9 Cu2+

10 Zn2+

Abb. 3.9 Radien zwei- und dreiwertiger 3d-Ionen mit oktaedrischer Ligandenumgebung. Die Werte für d4-high-spin (Cr2C) und d9 (Cu2C) sind mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, da es aufgrund des Jahn-Teller-Effekts (s. u.) von diesen Ionen keine symmetrischen, sondern nur verzerrt-oktaedrische Komplexe gibt.

Der Energiegewinn durch die Kristallfeldstabilisierungsenergie (Abb. 3.10) liegt in der Größenordnung von 100 kJ.mol. Es treten Maxima bei oktaedrischen Komplexen für d3, d8 und ein absolut höchster Wert für low-spin-d6 auf, bei

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

421

CFSE [Dq] x

-25 -20 -15

Tetraeder (high-spin)

low-spin

Oktaeder, high-spin

-10

Oktaeder, low-spin

high-spin

-5 0 0

1

2

3

4

5 n d

6

7

8

9

10 n

Abb. 3.10 Kristallfeldstabilisierungsenergien (CFSE) in Abhängigkeit von der Elektronenkonfiguration (ohne Berücksichtigung der Spinpaarungsenergie P). Für die Eintragung von ∆T in ein gemeinsames Diagramm mit ∆O wurde 10 Dq (T) Z 4.9 10 Dq (O) angesetzt.

tetraedrischen Komplexen (mit kleineren Werten) für d2 und d7. Diese Maxima können zur Erklärung der folgenden Beobachtungen herangezogen werden: K Kinetische Stabilität (Inertheit) von oktaedrischen Cr3C-(d3-)Komplexen und d6-low-spin-Komplexen von Co3C, Ru2C, Rh3C, Ir3C und Pt4C (s. Abschn. 3.10.3 u. 3.11). K Auftreten tetraedrischer Komplexe für d7 bei Co2C. Beispiele:

d7 Tetraeder CFSE rel. Maximum

(div. Kationen)

2–

Cl Cl

Co Cl

Cl

SCN SCN

2–

Co NCS

NCS

Tetraedrische Komplexe für d2 sind selten. Man kennt aber z. B. die d2-Spezies Cr4CO 44K, Mn5CO 43K und Fe6CO 42K mit den Metallatomen in ansonsten ungewöhnlichen Oxidationsstufen. K Verlauf der (berechneten) Hydratationsenthalpien ∆HH zur Bildung der MnC-Hexaaquakomplexe der ersten Übergangsreihe (Abb. 3.9.7). Da ∆HH für die Reaktion MnC(g) C 6 H2O $% [M(H2O)6]nC nicht direkt messbar ist, muss eine Berechnung z. B. aus der experimentell zugänglichen Reaktionsenthalpie ∆HF eines festen Metalls mit einer Säure und der Verdampfungs- und Ionisationsenthalpie ∆HV,I erfolgen: M(s) + 6 H2O + n H+(aq) M(s) Mn+(g) + 6 H2O + n H+(aq) + n e–(g)

[M(H2O)6]n+(aq) + n/2 H2(g) ∆HF Mn+(g) + n e–(g)

∆HV,I



[M(H2O)6]n+(aq) + n/2 H2(g) ∆HF – ∆HV,I = ∆HH

Bei den Hexaaquakomplexen handelt es sich von d4 bis d7 um high-spin-Komplexe. Die Auftragung der Reaktionsenthalpien ∆HH ähnelt der in Abb. 3.9 gegebenen Radienauftragung und folgt dem in Abb. 3.10 gegebenen Verlauf der Kristallfeldstabilisierungsenergien für die oktaedrischen high-spin-Komplexe. Die experimentellen Hydratationsenthalpien liegen wieder auf Kurven mit relativen Minima. Eine Subtraktion von berechneten Energiebeiträgen aus der Ligandenfeld-

422

3 Komplex-. Koordinationschemie

stabilisierung (Berechnung mit einer über das einfache Kristallfeldmodell hinausgehenden Parametrisierung unter Verwendung von Racah-Werten; s. Abschn. 3.9.7) ergibt dann Enthalpien, die entsprechend weniger negativ sind. Diese Werte liegen auf einer stetig abnehmenden und nur leicht gekrümmten Kurve, die auch Ca2C, Mn2C und Zn2C, bzw. Sc3C, Fe3C und Ga3C miteinander verbindet, jene Ionen, die keine Kristallfeldstabilisierung erfahren. d -2400

0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Ca2+ Sc2+ Ti2+ V2+ Cr2+ Mn2+ Fe2+ Co2+ Ni2+ Cu2+ Zn2+ Sc3+ Ti3+ V3+ Cr3+ Mn3+ Fe3+ Co3+ Ga3+ -4900 -5100

M2+

" H [kJ/mol] #

"H [kJ/mol] X

-2600

-5300

-2800 -3000

-5500 M

3+

-5700

-3200

-5900

-3400

-6100 2C

Abb. 3.11 Experimentelle Hydratationsenthalpien (B B,B B) für die M - und M3C-Hexaaquaionen der ersten Übergangsreihe und durch Subtraktion der Energiebeiträge aus der Ligandenfeldstabilisierung erhaltene Werte (C, C). Zu beachten ist die unterschiedliche Ordinatenachse.

Ganz ähnliche Kurven wie für die Hydratationsenthalpien ergeben sich bei der Auftragung der Gitterenergien mit und ohne den Ligandenfeldstabilisierungsbeitrag für die Metalldihalogenide, bei denen im Festkörper das Metallion oktaedrisch von den Halogenidionen koordiniert wird (s. E. Riedel, Anorganische Chemie, 5.-7. Aufl., de Gruyter, Abb. 5.25). Die Verschiebung der erwarteten Energieminima von d3 und d8 nach d4 und d9 ist auf die Jahn-Teller-Verzerrung bei d4 (high-spin) und d9 zurückzuführen (s. u.). Daraus ergibt sich ein Maximum der Stabilität bei diesen Ionen. Mit einem Gewinn an Kristallfeldstabilisierungsenergie lassen sich auch Verzerrungen des Oktaeders erklären: K Für Ni2C (d8) findet man ein Maximum der Stabilisierungsenergie beim Oktaeder. Gleichzeitig gibt es zahlreiche vier- und fünffach koordinierte Ni2CKomplexe, und oktaedrische Ni2C-Komplexe sind nicht auffallend inert. Die Entfernung der zwei Liganden in z-Richtung zur quadratisch-planaren Koordination stabilisiert vor allem das z2-Orbital. Der Übergang von der Konfiguration (xy, xz, yz)6 (z2, x2Ky2)2 (Oh) zu (xz, yz)4 (z2)2 (xy)2 (D4h) verringert die Energie der Orbitale mit z-Komponente und erhöht die CFSE (s. Abb. 3.7 u. Abschn. 3.9.8). Oktaedrische Ni2C(AhA)2B2-Komplexe stehen häufig im Gleichgewicht mit quadratischen Ni2C(AhA)2-Komplexen, gemäß

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte Ni2+(A∩A)2B2

423

Ni2+(A∩A)2 + 2 B

Beispiel mit Temperatur-Fluoreszenz-Korrelation:

L N

N H

Ni

H N

N H

2+

∆T

N

N H

27-65 °C

L pseudo-oktaedrisch ⇒ "high-spin", paramagnetisch ⇒ niedrige Fluoreszenz

Ni

2+

H N

+ 2L

N H

quadratisch-planar ⇒ "low-spin", diamagnetisch ⇒ hohe Fluoreszenz

Im vorstehenden Beispiel nimmt die Intensität der Fluoreszenzemission im Bereich 27K65 (C stetig mit der Temperatur zu. Grundlage ist das temperaturabhängige Spingleichgewicht des Nickelatoms. Der bei niedriger Temperatur überwiegende pseudo-oktaedrische Solvenskomplex (L Z Solvens) hat zwei ungepaarte Elektronen und löscht die Fluoreszenz des Naphthyl-Fluorophors. In der Solvens-freien, quadratisch-planaren Form bei höherer Temperatur sind alle Elektronen gepaart, und die Naphthyl-Fluoreszenz wird nicht beeinflusst. K Für Cu2C (d9) und high-spin-Cr2C (d4) findet man fast ausschließlich tetragonal-gestreckt-verzerrte Komplexe. Wie vorstehend zeigt eine einfache CFAnalyse (s. Abb. 3.7), dass die Verlängerungen der beiden MdL-Bindungen in z-Richtung das z2-Orbital und etwas weniger die xz- und yz-Orbitale stabilisieren. Durch gleichzeitige Verringerung der Interligand-Abstoßung können die äquatorialen Liganden etwas näher an das Metallatom heranrücken. Der Übergang von der d9-Konfiguration (xy, xz, yz)6 (z2, x2Ky2)3 (Oh) zu (xz, yz)4 (xy)2 (z2)2 (x2Ky2)1 (D4h) und entsprechend für d4 geht mit einer Erniedrigung der Orbitalenergien mit z-Komponente einher und erhöht die CFSE. Jahn-TellerVerzerrung

Beispiele: H2O

M

H2O

OH2 Cu

OH2

OH2

2+

2.3-2.4 Å

1.95-2.0 Å

OH2 diverse Anionen

Cl 2.8 Å Cl

Cl

Cr

Cl

Cl

2.4 Å

Cl in {[(H3NCH2CH2)2NH2]3+ [Cr2+Cl2(µ-Cl)2]2–Cl–}n

Die gleiche Tatsache kann auch auf der Basis der vorliegenden Orbital-entarteten Zustände erklärt werden: Für das Beispiel des d9-Cu2C-Ions mit seiner t 62g eg3Konfiguration gibt es für die Verteilung der drei eg-Elektronen die beiden Möglichkeiten (z2)2 (x2Ky2)1 und (z2)1 (x2Ky2)2 (entsprechend bei d4). Es liegt damit ein zweifach Orbital-entarteter Zustand vor. Nach dem Jahn-Teller-Theorem ist ein nichtlineares Molekül, welches sich in einem Orbital-entarteten Zustand befindet, instabil. Durch Kopplung zwischen Schwingungs- und elektronischen Zuständen kommt es zu einer Verzerrung, die zur Aufhebung der Entartung, Erniedrigung der Symmetrie und Energie des Systems führt.

424

3 Komplex-. Koordinationschemie

2 2 2 2 1 2 1 2 2 2 d9 (z ) (x –y ) (z ) (x –y ) Oh eg3

Eg-Zustand, Orbitalentartung = 2 Jahn-Teller-Theorem

beobachtete Verzerrung = Jahn-Teller Effekt

(x2–y2)1 (z2)2

Verzerrung Symmetrie-Erniedrigung Aufhebung der Entartung Energie-Erniedrigung

d9 D4h a1g2b1g1

Die experimentell beobachtete Verzerrung ist dann der Jahn-Teller-(JT-)Effekt (im Festkörper Peierls-Verzerrung genannt, s. Abschn. 2.6.2). Das Theorem allein trifft aber keine Vorhersage, was für eine Verzerrung auftreten wird, außer dass das Symmetriezentrum unverändert bleibt. Im Fall eines oktaedrischen Cu2CKomplexes besteht die Möglichkeit einer tetragonalen Verzerrung (Stauchung oder Streckung), was zur Aufhebung der Entartung der eg-Niveaus und damit zu einem elektronisch nicht mehr entarteten Zustand führt. Gleichzeitig wird die Symmetrie erniedrigt (Oh $% D4h, s. Abb. 3.7). Aus der doppelten Besetzung der energetisch abgesenkten ursprünglichen eg-Komponente (z2 oder x2Ky2) resultiert ein Energiegewinn. Dieser Energiegewinn ist die treibende Kraft der Verzerrung. Ob eine Stauchung oder Streckung auftreten wird, lässt sich aus dem Jahn-Teller-Theorem nicht herleiten. Experimentell findet man aber in Cu2CKomplexen fast immer vier kurze und zwei längere Metall-Ligand-Abstände, d. h. die Bildung eines tetragonal-gestreckten Oktaeders (s. dazu auch Abschn. 3.9.8). Bei heteroleptischen Cu-Komplexen tritt die Jahn-Teller-Verzerrung (längste M···L-Kontakte) in Richtung der beiden schwächsten Liganden auf. Cl

Beispiele: O=

O

O

O

Cu

O

O

. HOCH3

2.69 Å

H3N

2.0 Å

H3N

Cl

H2N

Cu

NH3

NH3

2+

2.46 Å

2.02-2.06 Å

. HOCH3

Eine kleine Anzahl von regulären oktaedrischen Cu-Komplexen, typischerweise mit sechs identischen Liganden in einer isotropen Umgebung mit hoher Raum¯ ), lässt sich als dynamische Umwandlung von gruppen-Lagesymmetrie für Cu (3 drei entarteten Verzerrungen entlang der drei orthogonalen Achsen mit gleicher potentieller Energie E und 1.3-Besetzung interpretieren. E M

M

M

beobachtete Bsp.: Struktur HN M

ε 1/3

1/3

1/3

reguläres Oktaeder

HN

N

N NH

2+

N HN Cu N

N

N NH

H N

Cu–N 2.14 Å

2 AsF6–

Für ε ! kT liegt eine schnelle Umwandlung vor; Struktur und spektroskopische Eigenschaften werden gemittelt (dynamischer Jahn-Teller-Effekt). Sind nur zwei der Energiemulden gleich und besetzt und die dritte von höherer Energie und unbesetzt, dann führt eine Mittelung der beiden tetragonal-gestreck-

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

425

ten Oktaeder zur Beobachtung der Struktur in Beugungsuntersuchungen als gestauchtes Oktaeder, für das man ebenfalls einige wenige Beispiele kennt. E M

M

M

beobachtete Struktur M

1/2

tetragonal gestaucht

1/2

T = 325 K Cu–OMe OMe O 2.137 O OH2 Cu–OH2 Cu 2.155 O H2O Cu–OOC MeO 1.934 O Å

Bsp.:

Ein solches gestauchtes Oktaeder ist damit Ausdruck einer dynamischen JahnTeller-Verzerrung. Temperatur-variable Einkristall-Struktur- oder ElektronenSpin-Resonanz-(ESR-, EPR-)Untersuchungen können bei genügend niedriger Temperatur einen Wechsel zur Grundzustandsstruktur des tetragonal-gestreckten Oktaeders zeigen. E M

M

M

beobachtete Struktur M

1/1

tetragonal gestreckt

T = 4.2 K Cu–OMe OMe O 2.209 O OH2 Cu–OH2 Cu 2.031 H2O O Cu–OOC MeO O 1.955 Å

Bsp.:

Schwache Kräfte zwischen dem Cu-Komplex und benachbarten Molekülen oder zwischen den Liganden führen in kondensierten Phasen selbst bei sechs gleichen Liganden in der Regel dazu, dass eine Mulde auf der Energiehyperfläche eine deutlich geringere Energie hat und damit als einzige besetzt ist, sodass ein tetragonal-gestrecktes Oktaeder beobachtet wird. Diese Bevorzugung einer Verzerrung wird auch als kooperativer JT-Effekt oder JT-Kooperativität bezeichnet. In einer (hypothetischen) Gasphase würde man aber die grundlegende dynamische Natur des Jahn-Teller-Effekts anhand der Oszillation des JT-aktiven Moleküls zwischen einer Anzahl von energetisch entarteten Strukturen beobachten können. Für zahlreiche Elektronenkonfigurationen, beginnend mit t 12g und t 22g, sollte man nach dem Jahn-Teller-Theorem wegen der entarteten Zustände eine Verzerrung erwarten. Tatsächlich ist der Energiegewinn aus der Aufspaltung der t2gOrbitale oft zu klein, um eine merkliche Verzerrung hervorzurufen. Experimentell zeigt sich, dass eine große Verzerrung nur dann auftritt, wenn (eg-)Orbitale beteiligt sind, die direkt auf die Liganden gerichtet sind, also bei e g1- und e g3Konfigurationen. Diese liegen beim d4-high-spin, d7-low-spin-Fall und bei d9 vor. Es sind auch Komplexe mit tetraedrischer oder trigonal-planarer Ligandenanordnung bekannt, die einen Jahn-Teller-Effekt zeigen. So konnte z. B. für MnF3 in der Gasphase das Vorliegen einer C2v-symmetrischen trigonal-planaren Struktur mit zwei längeren und einer kürzeren MndF-Bindung nachgewiesen werden, als deren Ursache der Orbital-entartete Grundzustand eines D3h-symmetrischen Moleküls gilt (s. Übungsaufgabe 3.10).

426

3 Komplex-. Koordinationschemie

3.9.4 Kristallfeldaufspaltung − UV/VIS-Spektroskopie Eine der größten Leistungen der Kristallfeldtheorie war eine erste erfolgreiche Interpretation der Spektren und Farben von Übergangsmetallkomplexen. Die Energiedifferenzen zwischen den aufgespaltenen d-Orbitalen, etwa den t2g- und eg-Niveaus beim Oktaeder, liegen im Bereich der Energie des sichtbaren Lichts. Unter den verschiedenen Arten von Elektronenübergängen und damit Ursachen von Lichtabsorption und Farbigkeit 1. Metall-lokalisierten d $% d- (oder f $% f-)Übergängen, 2. Ligand-lokalisierten σ $% σ*-, π $% π*- oder n $% π*-Übergängen oder 3. Charge-Transfer Metall $% Ligand- oder Ligand $% Metall-Übergängen, interessieren für die Anwendung der Kristallfeldtheorie die Metall-lokalisierten d $% d-Elektronenübergänge. Beim Vergleich der Farben von Verbindungen ist die absorbierte Farbe komplementär zur sichtbaren Farbe (Tabelle 3.7). Tabelle 3.7 Korrelation von absorbierter Wellenlänge und Farbe beim sichtbaren Spektrum. absorbiertes Licht Wellenlänge λ [nm] Wellenzahl ˜νZ 1.λ [cmK1] Lichtfarbe ! 400 400K435 435K480 480K490 490K500 500K560 595K610 610K680 680K700 O 780

O 25 22 20 20 20 16 16 14 !

25 000 000K22 988K20 833K20 408K20 000K17 806K16 393K14 705K14 12 820

988 833 408 000 857 393 705 285

ultraviolett violett blau grün.blau blau.grün grün orange rot rot.violett infrarot

sichtbare Komplexfarbe gelb.grün gelb orange rot rot.violett grün.blau blau.grün grün

Einige Beispiele sollen die Anwendungen des einfachen Kristallfeldmodells zur Spektreninterpretation im Rahmen der Einelektronennäherung (in der wir uns immer noch befinden) verdeutlichen. Der einfachste Fall ist eine d1-Konfiguration, wie sie etwa beim Ti3C-Ion gegeben ist. Dieses Ion besitzt in wässriger

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

427

Lösung als Hexaaquakomplex eine rötlich-violette Farbe, die dadurch entsteht, dass der grüne Anteil des eingestrahlten weißen Lichts absorbiert wird. Das Absorptionsmaximum liegt bei etwa 500 nm oder ca. 20 000 cmQ1. Der Elektronen1 0 0 1 eg /t2g eg entspricht gerade der Oktaederaufspaltungsenergie, soübergang t2g 3C dass [Ti(H2O)6] ein 10Dq-Wert von etwa 20 000 cmQ1 zugeordnet werden kann (s. Tabelle 3.5). eg hν

d1

10 Dq

t2g

Ein weiterer einfacher Fall ist, abgesehen vom Jahn-Teller-Effekt, noch die d9Konfiguration, bei der ein Elektron in den eg-Niveaus fehlt. Die d1- und d9Konfiguration sind über die „Elektron-Loch“-Analogie verwandt. Bei d9 kann man in Umkehrung der Anhebung eines Elektrons die Absenkung eines „positiven Lochs“ mit der Aufspaltungsenergie 10 Dq von eg nach t2g formulieren. eg hν

d9

10 Dq

d1- und d9-Konfiguration: Elektron-Loch-Analogie

t2g

Die Fälle mit zwei bis acht Elektronen am Metallatom (d2 bis d8) sind komplizierter und oft nicht mehr im Rahmen einer Einelektronennäherung zu behandeln. Zusätzlich müssen hier die Kopplungen der d-Elektronen berücksichtigt werden. Das nächste Anwendungsbeispiel zeigt, dass für ein qualitatives Verständnis häufig die Einelektronennäherung noch ausreicht, wohingegen das zweite Beispiel schon ihre Grenzen verdeutlicht. Streng genommen haben die meisten Komplexe in diesen beiden Beispielen keine Oktaedersymmetrie mehr, aber der Einfachheit halber wird hier von der Oktaederaufspaltung gesprochen, und es werden die Orbitalsymbole t2g und eg verwendet. In solchen Fällen wird angenommen, dass die durch Symmetrieerniedrigung erfolgende Aufspaltung der entarteten Orbitale sehr gering ist, sodass man anhand der engen energetischen Orbitalabfolge noch den ursprünglichen „t2g“- bzw. „eg“-Satz erkennt. [CoH2O(NH3)5]Cl3 [CoNH3 (NH3)5]Cl3 Beispiel 1: [CoCl(NH3)5]Cl2 sichtbare Komplexfarbe: purpur rot gelb-orange 0 absorbierte Farbe: grün blaugrün blau (Tab. 3.7) Energie der Lichtabsorption zunehmend $% ! NH3 Kristallfeldstärke Ligand: Cl ! H 2O 0 (Oktaeder-)Aufspaltung ∆ zunehmend $% 6 5 (Voraussetzung bei Interpretation: gleicher Übergang, „t 2g“ $% „t 2g eg1“ des low-spin d6Co3C-Ions ist farbbestimmend.)

Beispiel 2: Farbunterschiede des isomeren trans-Praseo- und cis-Violeo-Salzes [CoCl2(NH3)4]Cl. NH3 ist ein stärkerer Ligand als ClK, sodass bei der trans-Form das x2Ky2-Orbital (in der Ebene der Amminliganden) stärker destabilisiert

428

3 Komplex-. Koordinationschemie

wird, als das z2-Orbital, welches auf die Chloroliganden zeigt. Bei der cis-Form sollte man hingegen nur eine geringe Aufspaltung des eg-Niveaus erwarten (Abb. 3.12). Für die trans-Form würde man danach zwei Banden erwarten, für die cis-Form eine, allerdings unsymmetrische Absorptionsbande, die energetisch zwischen den beiden Banden der trans-Form liegen sollte. Experimentell wird dies auch beobachtet. Für den Farbunterschied ist allerdings eine zusätzliche dritte Bande verantwortlich, die bei beiden Komplexen auftritt, mit einem Absorptionsmaximum bei ca. 28 000 cmK1 im violetten Bereich. Diese sehr energiereiche Bande kann einem Zweielektronenübergang („t 62g“ $% „t 42g eg2“) zugeordnet werden. Dieser ist bei der trans-Form zugleich am intensivsten und bestimmt damit deren grüne Farbe. Die Farbe bei der cis-Form wird vom energieärmeren, aber intensiveren Einelektronen-„t 62g“ $% „t 52g eg1“-Übergang hervorgerufen (vgl. Text zu Tab. 3.6). Die generell höheren Intensitäten von Banden bei cis- im Vergleich zu trans-Komplexen sind durch das fehlende Symmetriezentrum bedingt (s. Auswahlregeln für d $% d-Übergänge, Abschn. 3.9.6). Der Farbunterschied zwischen Praseo- und Violeo-Salz oder allgemein zwischen einem transund einem isomeren cis-Komplex kann also noch ansatzweise im Rahmen einer CF-Einelektronennäherung erklärt werden. Allerdings ergibt sich ein Verständnis für das Auftreten von drei Banden sehr viel zwangloser mit einer Mehrelektronennäherung im Rahmen der CF-Theorie. Diese Mehrelektronennäherung, verbunden mit der Parametrisierung zur Ligandenfeldtheorie, ermöglicht eine quantitative Interpretation der Lage der Absorptionsbanden (Abschn. 3.9.7).

H3N

H3N

Farbe, ~ νmax:

Cl Co

+

NH3

NH3

H3 N

Cl–

H3N

Cl Praseo-Salz, trans grün, ~28000 cm–1

Oktaeder eg

Cl Co

+

NH3

Cl

Cl–

NH3 Violeo-Salz, cis violett, ~19000 cm–1

x2-y2 z2

t2g erwartete Absorptionsbanden: exp. gefundene Absorptionsbanden: ~ ν [cm–1] (relative Intensität) "Zuordnung"

2

1, unsymmetrisch 6

~17000 (schwach) "t2g →t2g

5

(z2)1"

~22000 (schwach) "t2g6→t2g5(x2-y2)1" ~28000 (mittel) "t2g6→t2g4(z2)1(x2-y2)1"

~19000 (stark) "t2g6→t2g5eg1" ~28000 (mittel) "t2g6→t2g4eg2"

Abb. 3.12 Interpretation der Farbunterschiede bei einem isomeren trans- und cis-Komplex am Beispiel des Praseo- und Violeo-Salzes im Rahmen der Einelektronennäherung des Kristallfeldmodells. Da keine exakt oktaedrischen Komplexe mehr vorliegen, wurden die Zuordnungen der Elektronenübergänge unter Verwendung der oktaedrischen Symmetriebezeichnungen in Anführungsstriche gesetzt.

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

429

3.9.5 Kristallfeldtheorie − Defizite des Modells Ein Verständnis, warum man für die 4d- und 5d-Metalle nur low-spin-Komplexe findet oder gar eine Begründung für die Anordnung der Liganden innerhalb der spektrochemischen Reihe (s. Abschn. 3.9.2), lässt sich mit der rein ionischen Kristallfeldtheorie nicht geben. Die spektrochemische Reihe steht sogar im Widerspruch zu den Annahmen von Punktladungen für die Liganden. Denn wenn die Aufspaltung der d-Orbitale einfach von Ladungen in Form von Ionen oder Dipolen herrühren würde, so sollten die anionischen Liganden und die neutralen Moleküle mit dem höchsten Dipolmoment den größten Effekt bewirken. Die Reihung der Halogenide IK ! BrK ! ClK ! FK (Dq zunehmend) entspricht noch der Erwartung. Aber diese anionischen Liganden, einschließlich des Fluoridions, liegen auf der schwachen Kristallfeldseite. Das anionische Hydroxidion erzeugt außerdem ein schwächeres Feld als das neutrale Wassermolekül. Dieses wiederum ist trotz seines höheren Dipolmoments (1.85 Debye) ein schwächerer Ligand als das Ammoniakmolekül (1.47 Debye). Das neutrale und fast unpolare Kohlenmonoxidmolekül dagegen ist einer der stärksten Liganden. Diese Tatsachen lassen die Annahme einer rein elektrostatischen Wechselwirkung zwischen Liganden und Metallion zweifelhaft erscheinen und verlangen nach einer Erweiterung der CF-Theorie. ESR-, NMR- und magnetische Messungen zeigen, dass die Metall-d-Elektronen auch über die Liganden verteilt sind, d. h. die d-Elektronen befinden sich in Molekülorbitalen, die deutlichen Ligandencharakter haben (MO-Theorie, s. Abschn. 3.9.8). Mit dem nephelauxetischen Effekt berücksichtigt ein erweitertes Kristallfeldmodell diese Delokalisierung der Metall-d-Elektronen (Ligandenfeldtheorie, s. Abschn. 3.9.7). Das CF-Modell mit seiner konzeptionelle Einfachheit der d-Orbitalaufspaltung und Elektronenbesetzung ist für viele Erklärungen (s. Abschn. 3.9.3) aber gut geeignet. Die nachvollziehbare Deutung der obigen strukturchemischen und thermodynamischen Effekte zeigt, dass das Kristallfeldmodell trotz der erwähnten Defizite seine Berechtigung hat. Mit einer Mehrelektronennäherung der CFTheorie und ihrer Parametrisierung in der Ligandenfeldtheorie kann die weiterhin alleinige Berücksichtigung der „fünf-d-Orbitale“ eine sehr gute quantitative Interpretation von Farbspektren zu liefern.

3.9.6 Kristallfeldtheorie − Mehrelektronennäherung Bisher wurde im Rahmen der Kristallfeldtheorie eine Einelektronennäherung verwendet, d. h. die Elektronen wurden als voneinander unabhängig, als ungekoppelt betrachtet. Man bezeichnet dies auch als „Methode des starken Feldes“. Sobald aber mehr als ein Elektron oder im Rahmen der Elektron-Loch-Analogie mehr als ein positives Loch in einem System relevant ist, müssen für eine richtigere Darstellung Kopplungen zwischen den Elektronen miteinbezogen werden. Dieser Ansatz wird auch als „Methode des schwachen Feldes“ bezeichnet. Die Adjektive starkes und schwaches Feld werden in ähnlicher Weise wie für die Größe der Orbitalaufspaltung verwendet. Sie drücken die Größe des Kristallfeldeffekts im Vergleich zu den zwischenelektronischen Abstoßungsenergien aus. Die

430

3 Komplex-. Koordinationschemie

beiden Grenzfälle der Methode des starken und schwachen Feldes lassen sich zusammenführen (s. Abb. 3.17 u. 18). Das einzelne Elektron im Atom ist durch die Hauptquantenzahl n, die (Nebenoder) Bahndrehimpulsquantenzahl l % n K 1, die magnetische Quantenzahl ml Z Kl, ., Cl und die Spin- oder Eigendrehimpulsquantenzahl s Z 12 mit ms Z C12, K12 charakterisiert. Eine Möglichkeit der Behandlung von Mehrelektronensystemen im Rahmen des CF-Modells ist das Russell-Saunders- oder LS-Kopplungsschema. Es geht davon aus, dass unter den Valenzelektronen jeweils zuerst eine Kopplung der Einelektronen-Quantenzahlen l und s zu den Mehrelektronen-Quantenzahlen L $% $% und S erfolgt. Der Gesamtbahndrehimpuls L und der Gesamtspin S eines Atoms$% werden durch die Vektorsumme der individuellen Orbitalbahndrehim$% pulse li und der Spins si der n einzelnen Elektronen gegeben.

Die Größe des Impulses (Betrag des Vektors) wird durch die zugehörigen Quantenzahlen l, s oder L, S bestimmt. Die Mehrelektronen-Quantenzahlen L und S beschreiben das Atom mit seiner Gesamtheit an Valenzelektronen.

In einem äußeren Feld gibt es eine Richtungsquantelung des Bahndrehimpulsvektors mit 2lC1 bzw. 2LC1 Orientierungsmöglichkeiten zum Feld:

In einem äußeren Feld gibt es für die Spinquantenzahl s oder S je 2sC1 oder 2SC1 Einstellungen (Projektionen) des Vektors des Eigendrehimpulses in Feldrichtung:

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

431



%$Weiterhin koppeln Bahn- und Eigendrehimpuls zum Gesamtdrehimpuls j bzw. $% J :



%$

%$

%$

%$Bei der Russell-Saunders-Kopplung ist die Kopplung von l zu L und si zu S der $% i $% Elektronen größer als die Wechselwirkung zwischen l und s eines einzelnen Elektrons. Sie ist insbesondere gut für die Elemente bis Lanthan geeignet. Bei der jj-Kopplung für$% die schwereren Elemente ist die Wechselwirkung zwi$% s jedes einzelnen Elektrons größer als schen Bahnmoment l und Spinmoment $% $% die Kopplung der verschiedenen li und si miteinander. Erst nach der Kopplung von Bahn- und Spinmoment der einzelnen Elektronen wird dort eine Kopplung $% der resultierenden Momente ji betrachtet. Wichtig ist, dass im Rahmen der Mehrelektronennäherung keine anschaulichen Orbitale mehr vorliegen, sondern dass mit abstrakteren Zuständen gearbeitet wird. Die zu einer Elektronenkonfiguration möglichen Kombinationen von ML und MS werden als Mikrozustände bezeichnet. Aus diesen Mikrozuständen leiten sich LS-Paare ab, die wiederum einem spektroskopischen Term entsprechen. Die Gesamtspinquantenzahl S wird als Spinmultiplizität 2 SC1 (hochgesetzter Index) zum Term angegeben. SZ 2 S C1 Z

0 1

1.2 2

Termsymbol: 2 SC1LJ

1 3

3.2 4

2 5

... ...

(L als Buchstabe) (die Spin-Bahn-Kopplung J wird im Folgenden nicht verwendet)

Aus der Bahnmultiplizität (Bahnentartung) 2 LC1 und der Spinmultiplizität 2 SC1 ergibt sich die Gesamtentartung eines Terms zu (2 SC1) · (2 LC1).

432

3 Komplex-. Koordinationschemie

Für die systematische Ermittlung aller Mikrozustände und darüber aller möglichen spektroskopischen Terme eines Atoms wird auf die ausführlichere Behandlung in Abschn. 3.20.2 verwiesen. Grundterm des freien Ions (Term mit der niedrigsten Energie). Der Grundterm muss nach der ersten Hund’schen Regel die maximale Spinmultiplizität (2 SD1), d. h. den maximalen S-Wert haben. Bei Spingleichheit ist dann nach der zweiten Hund’schen Regel jener Zustand unter den maximalen Spintermen der Grundzustand, der den höchsten L-Wert aufweist (Grundterme für d1 bis d9 in Tabelle 3.8). Grundterm: 1. maximale Spinmultiplizität 2 S C 1 2. bei Spingleichheit K höchster L -Wert Gesamtspin Beispiel: Freies Ion mit d3-Konfiguration ms1 = ms2 = ms3 = 1/2: MS = Σmsi = 3/2 ml +2 +1 0 –1 –2

d-Orbitale

Spinmultiplizität Grundterm 2S +1 = 4 4

maximaler Bahndrehimpuls L ⇔ ML = Σmli = maximal ml1 = +2, ml2 = +1, ml3 = +0: ML = Σmli = 3 L=3

F

Der 4F-Grundterm für die d3-Konfiguration enthält (2 SC1) · (2 LC1) Z 4 · 7 Z 28 Mikrozustände (ML.MS-Paare), ist also 28-fach entartet. Die Ableitung aller Terme zur d2-Konfiguration wird in Abschn. 3.20.2 als Beispiel vorgeführt. Tabelle 3.8 Grundterme von freien Ionen mit dn-Konfigurationen. dn

Orbitalbesetzung für die Ableitung des Grundterms

Gesamtspin (S), SpinGrundterm, multiplizität (2 SC1) ML (max.) $% L (max.)

2 SC1

L

ml C2 C1 0 K1 K2

d1, d9 d2, d8 d3, d7 d4, d6 d5

S Z 12, (2 S C 1) Z 2 ML Z C2 $% L Z 2 S Z 1, (2 S C 1) Z 3 ML Z C3 $% L Z 3 S Z 32, (2 S C 1) Z 4 ML Z C3 $% L Z 3 S Z 2, (2 S C 1) Z 5 ML Z C2 $% L Z 2 S Z 52, (2 S C 1) Z 6 ML Z 0 $% L Z 0

2

D

3

F

4

F

5

D

6

S

Die Beiträge der grauen Elektronen für d6-d9 heben sich gegeneinander auf. Elektron-LochAnalogie.

Analog zur Aufhebung der Entartung der Orbitale eines Atoms.Ions im nichtkugelsymmetrischen Kristallfeld (Abschn. 3.9.2) erfolgt eine Aufhebung der Entartung der Zustände des freien Ions. Die Termaufspaltung entspricht dabei der Orbitalaufspaltung. Ein sphärisches s-Orbital wird nicht aufgespalten. Es bleibt ein total-symmetrisches a(1)-Orbital. Ebenso werden alle drei p-Orbitale von einem oktaedrischen oder tetraedrischen Kristallfeld gleich beeinflusst, d. h. nicht

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

433

aufgespalten. Die p-Orbitale bleiben dreifach entartet mit T1-Symmetrie. Die dOrbitale spalten im Oktaeder- oder Tetraederfeld in einen dreifach entarteten t2und einen zweifach entarteten e-Satz auf (s. Abschn. 3.9.2). Die sieben f-Orbitale spalten in einen a2-, t2- und t1-Satz auf (s. Übungsaufgabe 3.7). Grundterm des freien Ions

Termaufspaltung im kubischen Kristallfeld

S P D F G H I

A1 T1 E C T2 A2 C T2 C T1 E C T1 C T2 C A1 E C T2 C 2 T1 A1 C T1 C 2 T2 C E C A2

a)

$% $% $% $% $% $%

%$Vergleich der Bahnmultiplizitäten

a)

1 3 5 7 9 11 13

$% $% $% $% $% $%

%$1 3 2C3 1C3C3 2C3C3C1 2C3C2 · 3 1C3C2 · 3C2C1

Kubisches Kristallfeld Z Oktaeder oder Tetraeder. Im oktaedrischen Kristallfeld muss noch der Index g (gerade) beim Termsymbol ergänzt werden.

Das Termsymbol im Kristallfeld kennzeichnet in gleicher Weise wie die Orbitalbezeichnung eine Entartung: Ein A-Zustand ist einfach, E zweifach und T dreifach entartet. Bei der Aufspaltung der Grundterme des freien Ions wird die Bahnmultiplizität beibehalten. Das gleiche gilt für die Spinmultiplizität, sodass sich am Gesamtentartungsgrad des Grundzustands bei der Aufspaltung in die einzelnen Terme nichts ändert. Für die Spaltterme gilt unter Berücksichtigung ihrer Entartung der Schwerpunktsatz (Abb. 3.13). Energie

2E

2D

(d1) 2T

Schwerpunktsatz:

g

2g

6 Dq

2 x 6 Dq

4 Dq

3 x –4Dq Dq

0 Dq

Energie

3A

2g 3T

3F

(d2)

3T

2g

Schwerpunktsatz: 10 Dq 1 x 12 Dq 2 Dq

3 x 2 Dq

6 Dq

3 x –6 Dq 0 Dq

1g

Dq

Abb. 3.13 Termaufspaltung im oktaedrischen Kristallfeld unter Beibehaltung des Schwerpunktes für einen 2D (d1) und einen 3F (d2) Grundterm. Mit Umkehrung der Aufspaltungsreihenfolge bei 4F (d3), 5D (d4) usw. wird der energetische Abstand beibehalten (vergleiche Abb. 3.14).

Die Termaufspaltung für die dn-Elektronenkonfigurationen im oktaedrischen Kristallfeld ist in Abb. 3.14 zusammengestellt. In einem tetraedrischen Kristallfeld ist die Reihenfolge der Termaufspaltung genau umgekehrt zu der beim Oktaeder (vgl. Umkehrung der Orbitalaufspaltung, Abb. 3.19 u. 20), sodass die gleiche Anzahl möglicher Übergänge resultiert. Wie schon erwähnt, ist die Aufspaltung beim Tetraeder kleiner als beim Oktaeder, sodass die Absorptionsbanden bei niedrigerer Energie liegen.

434

3 Komplex-. Koordinationschemie

Bei der Termaufspaltung lassen sich Beziehungen beim Vergleich der Elektronenkonfigurationen erkennen: K Über die Elektron-Loch-Analogie verbundene Konfigurationen dn.d10Kn haben eine umgekehrte Reihenfolge der Spaltterme. Das Kristallfeld beeinflusst Elektronen und Löcher genau umgekehrt. K Man findet die gleiche Reihenfolge für die Spaltterme bei dn und d5Cn, sodass sich das Aufspaltungsmuster von d1-d4 bei d6-d9 genau wiederholt (nur die Spinmultiplizität ändert sich). K Der T2-Term aus der Aufspaltung des F-Grundzustandes befindet sich energetisch immer zwischen dem A2- und dem T1-Term. Elektronenkonfiguration: d1 d2 d3 Beispiel: Ti3+

d4

d5

d6

V3+

Cr3+,V2+ Mn3+,Cr2+ Fe3+,Mn2+ Co3+,Fe2+ Grundterm des freien Ions: 2 3 4 5 6 5 D F F D S D und Aufspaltung in Oktaederfeld: 3P 3T 1g

2D

A2g

∆ 2T 2g

3

F

3T 1g

d9

Co2+

Ni2+

Cu2+

4

4

T2g

T2g 6S 6 A1g

5

D



∆ 4A 2g

5

Eg

∆ 5

T2g

Zahl der erwarteten Spin-erlaubten Übergänge/Absorptionsbanden: 1 3 3 1 0 1

D

3P 3T 1g

4F

4T 2g

T2g

T1g

3

F

3T 2g

2D





4T 1g 3

A2g

3

2

3

∆ 5D

2

F

4A 2g

Eg

5

T1g

4F

3

F

5 4

∆ 3T 2g

d8

4P 4 T1g

4P 4T 1g

3

2E g

d7

3

2E g

1

Abb. 3.14 Aufspaltungsmuster der Grundterme in einem oktaedrischen Kristallfeld (schwaches Feld, high-spin-Komplex!). Linke (d1-d4) und rechte Hälfte (d6-d9) der Grundterme und ihre Aufspaltung sind um d5 inversions- oder C2-symmetrisch zueinander. Ursache der Spaltterm-Umkehr für dn.d10Kn ist die Elektron-Loch-Analogie. Im tetraedrischen Kristallfeld kehrt sich die Richtung der Aufspaltung um. Der Symmetrieindex g entfällt beim Tetraeder. Die F-Grundterme werden noch von einem angeregten P-Term mit gleicher Spinmultiplizität begleitet. ∆ kennzeichnet den Übergang mit der Kristallfeldaufspaltungsenergie ∆O Z 10 Dq oder ∆T im Tetraederfall.

Energetische Reihenfolge der Spaltterme im oktaedrischen Kristallfeld L DTerme. Eine anschauliche Herleitung zeigt, wann T2g und wann Eg der stabilere Spaltterm ist. Es gilt: (i) Eine gefüllte (d10) oder halbgefüllte (d5) Schale mit Elektronen (oder Löchern) hat sphärische Symmetrie und kann in ihrem Beitrag zum Spaltterm vernachlässigt werden. (ii) Eine t 12g-Konfiguration ergibt den Term T2g. Eine e g1-Konfiguration gibt den Eg-Term. (iii) Ein Loch in, d. h. ein fehlendes Elektron zu einer halbbesetzten Schale verhält sich wie ein Elektron (ElektronLoch-Analogie).

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

435

Für die d1-Konfiguration (2D-Term im freien Ion) besetzt im oktaedrischen Kristallfeld im Grundzustand ein Elektron ein t2g-Orbital, d. h. der Grundterm ist 2T2g. Im angeregten Zustand gelangt das Elektron in ein eg-Orbital, d. h. 2Eg ist der energetisch höhere Spaltterm. Die Energiedifferenz der Spaltterme ist wie bei den Orbitalen ∆O Z 10 Dq. Die d4-Konfiguration (5D-Term) hat im Grundzustand (high-spin) die Orbitalbesetzung t 32geg1. Alternativ fehlt ein Elektron zur sphärischen d5-Schale, d. h. es befindet sich im Grundzustand ein Loch (,) in den eg-Orbitalen. Der Grundterm ist damit 5Eg. Im angeregten Zustand ist das Loch in den t2g-Orbitalen, d. h. 5 T2g ist der höhere Spaltterm. d1-Konfiguration

d4-Konfiguration

eg

eg

t2g Grund- angeregter Zustand ⇒ 2T2g < 2Eg

t2g Grund- angeregter Zustand ⇒ 5Eg < 5T2g

Die d6-Konfiguration (5D-Term, high-spin), mit der Orbitalbesetzung t 42geg2 unterscheidet sich von einer sphärischen Elektronenverteilung (halbbesetzte d5Schale) durch ein zusätzliches Elektron. Dieses zusätzliche Elektron ist am stabilsten in den t2g-Orbitalen, d. h. 5T2g ist der Grundterm, 5Eg der angeregte Term. Bei der d9-Konfiguration (2D-Term) fehlt ein Elektron zur sphärischen d10Schale, d. h. es befindet sich im Grundzustand ein Loch in den eg-Orbitalen. Der Grundterm ist damit 2Eg. Der energetische höhere Term (Loch in t2g) ist 2T2g. In der Sequenz der D-Terme von d1 bis d9 alterniert der T2g- und Eg-Grundterm, d. h. die Reihenfolge der T2gKEg-Aufspaltung. d6-Konfiguration

d9-Konfiguration

eg

eg

t2g

t2g

Grund- angeregter Zustand ⇒ 5T2g < 5Eg

Grund- angeregter Zustand ⇒ 2Eg < 2T2g

F-Terme. F-Terme spalten (wie f-Orbitale) in einen T1-, T2- und A2-Zustand im oktaedrischen Kristallfeld auf. Es lässt sich anschaulich zeigen, ob der symmetrische A2-Term mit jeweils leeren, halbbesetzten und vollen eg- und t2g-Orbitalen energetisch am tiefsten oder höchsten liegt. Da T2g immer der mittlere Term ist, ergibt sich so die vollständige energetische Reihenfolge. Die d2-Konfiguration (3F-Term) enthält im Grundzustand zwei Elektronen in den t2g-Orbitalen. Angeregte Zustände entsprechen den Besetzungen t2geg und e g2. Die am höchsten liegende e g2-Konfiguration mit halbbesetzten eg- und leeren t2g-Orbitalen hat A2g-Symmetrie.

436

3 Komplex-. Koordinationschemie d2-Konfiguration

d3-Konfiguration

eg

eg

t2g 3A Energie 2g Grundangeregte Zustände

t2g

3A 2g Grund-

Energie angeregte Zustände

Bei der d3-Konfiguration (4F-Term) hat der Grundzustand mit t 32g halbbesetzte t2g- und leere eg-Orbitale und damit A2g-Symmetrie. Für die d7-Konfiguration (4F-Term) hat der zweite angeregte Zustand halbbesetzte t2g- und volle eg-Orbitale. Mit der Konfiguration t 32geg4 liegt A2g unter den 4 F-Spalttermen energetisch am höchsten. Die d8-Konfiguration (3F-Term) hat mit t 62geg2 im Grundzustand volle t2g- und halbbesetzte eg-Orbitale und so A2g-Symmetrie. In der Sequenz der F-Terme von d2 bis d8 alterniert der T1g- und A2g-Grundterm, d. h. die Reihenfolge der T1gKT2gKA2g-Aufspaltung. d7-Konfiguration

d8-Konfiguration

eg

eg

t2g 3A Energie 2g angeregte GrundZustände

t2g

3A 2g Grund-

Energie angeregte Zustände

Eine d5-Konfiguration mit 6S-Grundterm im schwachen oktaedrischen Feld besitzt keine Orbital- oder Bahnentartung (2 LC1 Z 1, L Z 0 für S). Es erfolgt keine Kristallfeldaufspaltung. Die halbbesetzte d5-Schale besitzt sphärische Symmetrie und ist parallel zum Verhalten des total-symmetrischen s-Orbitals A1gsymmetrisch. Abb. 3.15 illustriert in Ergänzung zu Abb. 3.14 die elektronischen Spektren für die (high-spin-)Hexaaquakomplexe der 3d-Ionen. Bei den in Abb. 3.14 gezeigten Termen handelt es sich in allen Fällen, in denen eine solche Unterscheidung getroffen werden kann, um high-spin-Zustände. Die Grundterme der freien Ionen, von denen diese Aufspaltung ausging, entsprechen aufgrund der ersten Hund’schen Regel ja ebenfalls high-spin-Zuständen. Zu jeder Konfiguration existieren aber eine Reihe höherenergetischer oder angeregter Terme. Einige dieser Terme werden später bei der Betrachtung von low-spinZuständen auftreten. Für die F-Grundterme ist einer der angeregten Terme bereits im high-spin-Fall von Bedeutung, nämlich ein P-Term mit gleicher Spinmultiplizität. Aus dem P-Term wird im oktaedrischen Kristallfeld ein T1g-Term. Je nach energetischem Abstand zum T1g-Term aus dem F-Grundterm kommt es zu einer mehr oder weniger starken Termwechselwirkung zwischen den symmetriegleichen Zuständen. Diese Wechselwirkung ist besonders stark im Falle des 4F(d3)und des 3F(d8)-Zustands. Bei der Aufspaltung kommt der T1g(F)-Term energetisch am weitesten oben zu liegen und damit dem T1g(P)-Term relativ nahe. Das

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

437

Abb. 3.15 Elektronische Spektren der (high-spin-)Hexaaquametall-Ionen [M(H2O)6]nC der 3d-Reihe in wässriger Lösung mit Zuordnung der Banden zu den Termübergängen in Abb. 3.14. Die Übergänge gehen immer vom Grundterm aus. Bei mehreren gleichnamigen Termen ist der Ursprungsterm des freien Ions in Klammern angegeben. Dublettstrukturen der Banden für Ti3C und Fe2C werden auf die (Jahn-Teller-)Aufspaltung des angeregten 1 3 Eg-Zustandes (e g bzw. e g) zurückgeführt, die Asymmetrie für Cu2C auf die Jahn-TellerAufspaltung des Grundzustands. Für V3C liegt der 3T1g(P)-Zustand energetisch unter dem 3 A2g(F)-Niveau. Eine schwache dritte Bande für 3T1g $% 3A2g wird bei 36 000 cmK1 im Charge-Transfer-Bereich erwartet. Bei Cr3C ist die erwartete dritte Bande für 4 A2g $% 4T2g(P) bei etwa 37 000 cmK1 nur eine Schulter des Charge-Transfer-Übergangs. Die schwachen Banden für [Mn (H2O)6]2C (vgl. die Extinktionskoeffizienten ε) werden Spin-verbotenen Übergängen zugeordnet. Die Banden für Spin-verbotene Übergänge der anderen Ionen sind auf der Extinktionsskala zu klein.

438

3 Komplex-. Koordinationschemie

Ausmaß der Wechselwirkung ist eine Funktion des energetischen Abstands. Je näher sich die Terme kommen, desto mehr Mischung tritt auf, mit der Folge, dass die Energie des oberen Terms erhöht, die des unteren erniedrigt wird. In Abb. 3.14 sind alle Terme enthalten, die für Spin-erlaubte d $% d-Übergänge von Bedeutung sind. Aus diesem Grunde wurden die angeregten P-Terme in das Diagramm mit aufgenommen. Die Zahl der erwarteten d $% d-Banden nach der Spinauswahlregel ist angegeben. 4

P

4

T1g

4

T1g

4T 1g 4

F

freies Ion

4

T2g

4A

2g

4T 1g 4

T2g

4

A2g

Aufspaltung im Oktaederfeld ohne mit Termwechselwirkung

Die Intensitäten von Absorptionsbanden (Farbigkeit), die auf d $% d-Übergängen beruhen, sind relativ schwach verglichen mit Liganden-lokalisierten oder Charge-Transfer-Banden. Die Farbintensität typischer Übergangsmetallsalze von Chrom, Eisen, Cobalt, Nickel und Kupfer wirkt blass, wenn man sie z. B. mit der von Permanganat, MnOK 4 oder Berliner Blau, {Fe4 [Fe (CN)6]3}n vergleicht. Die Farbigkeit resultiert dort aus Charge-Transfer-Übergängen. Dies kann mit dem CF-Modell anhand der Auswahlregeln für die Wahrscheinlichkeit der elektronischen Übergänge erklärt werden: Regel 1: Übergänge zwischen Termen verschiedener Multiplizität (∆S s 0) sind verboten. Der Spinzustand oder die Spinmultiplizität muss gleich bleiben (∆S Z 0). Es sind nur Übergänge zwischen Termen mit gleicher Spinmultiplizität erlaubt. Als Ergebnis einer Spin-Bahn-Kopplung (zunehmend bedeutend bei schwereren Metallen) wird das Verbot für ∆S s 0 aufgehoben. Derartige Interkombinationsbanden sind aber schwach (ε ~ 10K2K1) im Vergleich zu Spin-erlaubten Übergängen (ε ~ 10K102) (vgl. Mn2C-Spektrum in Abb. 3.15). Regel 2: Übergänge zwischen Termen gleicher Parität (g $% g oder u $% u) sind verboten (LaPorte Regel). Derartige verbotene Übergänge heißen „LaPorte verboten“. Die Parität (g Z gerade.u Z ungerade) muss sich bei einem Übergang ändern. Es sind nur Übergänge von ungeraden nach geraden Zuständen (und umgekehrt) erlaubt. Die Zuordnung der Parität setzt das Vorhandensein eines Inversionszentrums (i) voraus, z. B. im Oktaeder oder Quadrat. Als Ergebnis unsymmetrischer Schwingungen wird die Inversionssymmetrie gestört und die g.u-Klassifierung der Zustände (Orbitale) aufgehoben. Die Kopplung von Schwingungen mit elektronischen Übergängen ermöglicht so genannte vibrations.elektronische Z vibronische Übergänge in zentrosymmetrischen Verbindungen.

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

A

A

A M A

439

A

A

Die Intensitäten von Absorptionsbanden in nicht-zentrosymmetrischen Komplexen sind allgemein höher als in Verbindungen mit Inversionssymmetrie: K cis-Komplexe haben etwas höhere Extinktionskoeffizienten als ihre isomeren trans-Komplexe (vgl. cis.trans-[CoCl2(NH3)4]Cl, in Abb. 3.12), K tetraedrische Komplexe (kein Inversionszentrum bei Td) haben deutlich höhere Extinktionskoeffizienten als vergleichbare oktaedrische Komplexe: Extinktionskoeffizient εmax Z 600 für [CoCl4]2K (intensiv blau), εmax Z 10 für [Co (H2O)6]2C (schwach rosa)

Regel 3: Reine d $% d-Übergänge sind verboten. Bei elektronischen Übergängen muss ∆l Z G1 sein. Erlaubt sind also z. B. Übergänge s $% p und p $% d. Verboten sind Übergänge zwischen Orbitalen mit gleicher Nebenquantenzahl, also s $% s, p $% p und d $% d. Diese Regel wird aufgeweicht, wenn d-Zustände mit anderen Zuständen gleicher Symmetrie aus s- und p-Orbitalen mischen können. Im Rahmen des Kristallfeldmodells ist dieses Mischen allerdings nicht zu berücksichtigen, da per Definition nur d-Zustände.Orbitale betrachtet werden. Mit der MO-Theorie ergibt sich je nach Symmetrie ein Mischen der d- mit s- und p-Metallorbitalen (Abschn. 3.9.8). In einem Oktaeder kann wegen der unterschiedlichen Symmetrie keine Wechselwirkung der d- mit den p-Orbitalen erfolgen. Beim Tetraeder haben aufgrund der fehlenden Inversionssymmetrie die dxy, xz, yz-Orbitale dieselbe t2-Symmetrie wie die px, y, z-Orbitale und können mischen. Auch dies trägt zur höheren Intensität der Absorptionsbanden bei tetraedrischen gegenüber oktaedrischen Komplexen bei (s. o.). Breite (Halbwertsbreite) von d $% d-Banden. Absorptionsbanden zu Spin-erlaubten Übergängen haben eine Halbwertsbreite (Breite bei der halben Höhe von εmax) von ~3000 cmK1. Gleichzeitig können Spin-verbotene Interkombinationsbanden mit einer Halbwertsbreite von ~300 cmK1 deutlich schmaler sein (vgl. Abb. 3.15). Zur Erklärung zeigt Abb. 3.16 die Potentialkurven für den Kernabstand eines (zweiatomigen) Moleküls im Grund- und angeregten Zustand jeweils mit ihren Schwingungsniveaus. Nach dem Franck-Condon-Prinzip ändert sich die Position

440

3 Komplex-. Koordinationschemie

der schweren Atomkerne bei der schnellen Elektronenanregung im Molekül nicht. Die Atomkerne verharren während der Veränderung der Elektronenverteilung beim ursprünglichen Abstand (daher die senkrechten elektronischen Übergänge). Ist die Elektronenkonfiguration im Grund- und angeregten Zustand gleich, ist auch der Kernabstand identisch (Abb. 3.16 links). Der nach dem Franck-CondonPrinzip erwartete Übergang erfolgt im Wesentlichen zwischen den Schwingungsgrundzustandsniveaus des elektronischen Grund- und angeregten Zustands (0 $% 0-Übergang). Falls bei gegebener Temperatur das erste Schwingungsniveau ebenfalls besetzt ist, kommt ein 1 $% 1-Übergang hinzu. Die unveränderte Elektronenkonfiguration belässt die Kerne auch beim selben Gleichgewichtsabstand. Die wenigen erwarteten Übergänge führen zu einer relativ scharfen Bande. Bei veränderter Elektronenkonfiguration im Grund- und angeregten Zustand ist auch der Kern-Gleichgewichtsabstand verschieden (Abb. 3.16 rechts, hier größerer Kernabstand im angeregten Zustand). Es erfolgen Übergänge in eine größere Zahl von Schwingungsniveaus des elektronisch angeregten Zustands. Die Veränderung der Elektronendichte übt eine veränderte Kraft auf die Atomkerne aus und versetzt diese in Schwingungen aus ihrer Ruhelage. Es ergeben sich breitere Absorptionsbanden.

elektronisch angeregter Zustand

Energie

4 3 2 1 0

2 1 ν'' 0

Potential für Kern-KernAbstand Re

ν''

elektronischer Grundzustand

1 0

ν'

2 1 ν' 0

Schwingungsgrundzustand, ν0'

Re' = Re''

Re' = Re''

Elektronenkonfiguration (t2ga egb)' = (t2ga egb)''

(t2ga egb)' = (t2ga egb)''

⇒ Bandenbreite ε

ε ~ ν

~ ν

Abb. 3.16 Elektronische Übergänge bei gleicher (links) und verschiedener (rechts) Elektronenkonfiguration im Grund- (#) und angeregten Zustand ($) zur Verdeutlichung der (unterschiedlichen) Bandenbreite von elektronischen Absorptionsbanden. Die Pfeile kennzeichnen den wahrscheinlichsten Übergang zwischen den Schwingungszuständen ν (mit maximaler Amplitude der Schwingungswellenfunktion), Re ist der Gleichgewichtsabstand der Kerne.

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

441

Normale Spin-erlaubte d $% d-Übergänge in Komplexen führen zu veränderten Elektronenkonfigurationen und damit unterschiedlichen Kern-Gleichgewichtsabständen im Grund- und angeregten Zustand. Gewisse Spin-verbotene Übergänge ändern die Elektronenkonfiguration nicht. Beispiele: 3 +3 d -Cr

5

+2

d -Mn

6

+3

d -Co (low-spin)

Grundzustand 4 3 A2g (t2g )

6

3

2

A1g (t2g eg )

1

6

A1g (t2g )

angeregte Zustände Spin-erlaubt: vgl. Abb. 3.15 u. 22 4 2 1 T2g (t2g eg ) 4 2 1 T1g(F) (t2g eg ) 4 1 2 T1g(P) (t2g eg ) 2 2 3 Spin-verboten: Eg, T1g (t2g ) –1 (schwach, 650-680 nm, ~15000 cm ) Spin-verboten: vgl. Abb. 3.15 4 4 4 T1g und T2g (t2g eg) 3 2 4 Eg(G) und 4A1g (t2g eg ) 4 4 3 2 T2g(D) und Eg(D) (t2g eg ) Spin-erlaubt: vgl. Abb. 3.18 u. 23 1 1 5 1 T1g und T2g (t2g eg ) Spin-verboten: 3 5 1 T1g (t2g eg ) –1 (schwach, ~770 nm, ~13000 cm )

Banden-Halbwertsbreite breit, –1 ~3000-4000 cm schmal, ~200-300 cm

–1

breit scharf schmal breit breit

Im Vergleich zu schmalen Banden in optischen Atomspektren kommen die breiteren Banden in UV.VIS-Molekülspektren durch eine nichtaufgelöste Schwingungsstruktur zustande. Mit den Elektronenübergängen werden gleichzeitig Schwingungen angeregt. Die breiten Banden bei Komplexen kann man allgemein auch dadurch erklären, dass die Metall-Ligand-Schwingungen dazu führen, dass die Termaufspaltungsenergien oszillieren, sich also ständig etwas ändern. Zusätzlich beobachtet man bei manchen Banden eine Feinstruktur, etwa eine Aufspaltung. Diese beruht auf der oben erwähnten Spin-Bahn-Kopplung, d.$% h. der Wech$% selwirkung zwischen dem Bahnmoment L und dem Spinmoment S , die zur Gesamtdrehimpulsquantenzahl J führen (J-Kopplung). Zusammenhang zwischen Einelektronen- und Mehrelektronennäherung oder der Methode des starken und schwachen Feldes. Der Zusammenhang zwischen Zustand (Term) und t a2gegb-Elektronenbesetzung wird am Beispiel des d2- und d6Ions erläutert (Abb. 3.17 und 18). Im linken Teil der Abbildungen ist die Termaufspaltung für die freien Ionen im Oktaederfeld gezeigt. Wenn die Energiedifferenz zwischen den Termen des freien Ions groß ist im Vergleich zu den Termaufspaltungen im Kristallfeld, liegt ein schwaches Feld vor. Im rechten Teil der Abbildungen findet sich die Kristallfeldaufspaltung der Orbitale. Wenn diese Orbitalaufspaltung groß ist gegenüber dem energetischen Abstand der aufgespaltenen Terme, dann hat man es mit einem starken Feld zu tun. Zur Orbitalaufspaltung sind die Energieniveaus für die verschiedenen Grund- und angeregten Einelektronenkonfigurationen (t a2gegb) gezeigt. Diesen Elektronenkonfigurationen lassen sich ebenfalls Terme zuordnen, die ihre Entsprechung in Termen aus der Aufspaltung des freien Ions finden. Eine Verbindung der Terme gleicher Symmetrie unter Beachtung der Nichtkreuzungsregel zeigt dann qualitativ, wie sich die Termenergie mit steigender Feldstärke ändert und deutet den Zustand bei einer mittleren Feldstärke an, wie er in vielen realen Komplexen vorliegt.

442

3 Komplex-. Koordinationschemie 3

Energie

1

P

D

3

T1g

1E

3

g

2g 3

3A 3F

Terme freies Ion

eg2

10 Dq 1T

groß

A2g

3

3

2g

T2g 10 Dq 8 Dq

3

T1g

T1g

klein

1

klein

Termaufspaltung im Oktaederfeld schwaches Feld = kleine Termaufspaltung

1

Zunahme von Dq Bereich mittlerer Feldstärke

eg

T2g groß

10 Dq Eg

T2g

3

t2g1eg1

T1g

Terme

t2g2

t2g Orbitale

Einelektronenkonfigurationen

starkes Feld = große Orbitalaufspaltung

Abb. 3.17 Ausschnitt aus einem Korrelationsdiagramm für die Termaufspaltung eines d2(d8)-Ions im Oktaeder-(Tetraeder-)feld nach der Methode des schwachen und des starken Feldes. Aus Gründen der Übersicht sind hauptsächlich die Triplett-Terme enthalten. Die Singulett-Terme sind nur angedeutet. Als Folge der Wechselwirkung der 3T1g-Terme ändert sich der energetische Abstand zwischen dem 3T1g- und dem 3T2g-Term von 8 Dq (links) auf 10 Dq (rechts) mit steigender Feldstärke. Energie

1I

t2g3eg3 1A

5E

1g

g

10 Dq 5T 2g

t2g4eg2

groß

10 Dq 5E

klein

5D

Terme freies Ion

t2g5eg1

g

klein

Termaufspaltung im Oktaederfeld schwaches Feld = kleine Termaufspaltung

10 Dq

3T 1g

5T 2g

eg

3T 2g

t2g6 Zunahme von Dq

1A

1g

Terme Bereich mittlerer Feldstärke

groß t2g

Orbitale Einelektronenkonfigurationen

starkes Feld = große Orbitalaufspaltung

Abb. 3.18 Ausschnitt aus einem Korrelationsdiagramm für die Termaufspaltung eines d6Ions im Oktaederfeld nach der Methode des schwachen und des starken Feldes. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind fast nur die wesentlichen Quintett- und Singulett-Terme enthalten. Das Korrelationsdiagramm kann mit dem Tanabe-Sugano-Diagramm in Abb. 3.23 verglichen werden.

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

443

Das Beispiel des d6-Ions stellt den Übergang vom schwachen zum starken Feld und dabei den Übergang von der high-spin- zur low-spin-Konfiguration heraus. Bei der Einelektronennäherung des Kristallfeldmodells wurde auf die Änderung der Orbitalaufspaltung als Funktion der Liganden hingewiesen. Für das Termsystem eines Komplexions lassen sich nun quantitative Berechnungen durchführen. Die Ergebnisse werden in Energieniveau-Diagrammen dargestellt, in denen die Termenergien als Funktion der Aufspaltungsenergie und eventuell weiterer das Ligandenfeld charakterisierender Parameter angegeben sind. Solche Darstellungen sind z. B. die Orgel-Diagramme. Hier werden die relativen Energien der verschiedenen elektronischen Zustände für ein konkretes Metallion in Abhängigkeit von dem Kristallfeldstärkeparameter ∆ in Dq oder 10 Dq aufgetragen. Die einfachsten Orgel-Diagramme sind jene für Ionen mit einem D-Grundterm, also zu einer d1, d4, d6 oder d9-Konfiguration (Abb. 3.19). Der D-Grundterm spaltet in einen T2(g)- und einen E(g)-Term auf, deren energetischer Abstand mit zunehmender Feldstärke steigt. 2S+1

Energie T2(g) 2S+1

2S+1

E(g) schwaches Feld high-spin Komplexe

D

10 Dq

10 Dq 2S+1 2S+1

Dq

E(g)

T2(g) Dq

Konfiguration - Polyeder: d1, d6 - Tetraeder d1, d6 - Oktaeder 9 4 d , d - Oktaeder d9, d4 - Tetraeder

Umkehrung Elektron-LochAnalogie Umkehrung Oktaeder-Tetraeder

Abb. 3.19 Qualitatives Energieniveau- (Orgel-)Diagramm für Ionen mit einem D-Grundterm (d1, d4, d6 und d9) im schwachen oktaedrischen (high-spin-Komplex) und tetraedrischen Feld. Die Werte für die Spinmultiplizität 2S C1 können 2 oder 5 betragen. Man beachte die Umkehrung der Aufspaltung zwischen d1 und d9 sowie d4 und d6 und vom oktaedrischen zum tetraedrischen Feld. Im oktaedrischen Feld gilt der Symmetrieindex g.

Bei den anderen Elektronenkonfigurationen werden die Orgel-Diagramme komplizierter. Das Orgel-Diagramm für ein Cr3C(d3)-Ion zeigt die Aufspaltung und den Verlauf der Quartett-Terme mit steigender Feldstärke (Abb. 3.20). Während sich die A2g- und T2g-Termenergien weitgehend linear mit der Feldstärke ändern, sind die beiden T1g-Termenergien gekrümmt. Dieser nichtlineare Verlauf ist eine Folge der Termwechselwirkung zwischen dem 4T1g(F)- und dem 4T1g(P)-Zustand (s.o.). Die gestrichelten Linien im Diagramm stellen die Energien der T1g-Terme vor ihrem „Mischen“ dar. Man erkennt, dass die Linien sich schneiden würden. Es gilt aber allgemein, dass Terme gleicher Symmetrie sich nicht kreuzen dürfen (Nichtkreuzungsregel). Je näher sich die Energien symmetriegleicher Zustände im Prinzip kommen, desto mehr Mischung tritt auf, mit der Folge einer Energieerhöhung des oberen Terms und einer Energieerniedrigung des unteren Terms.

444

3 Komplex-. Koordinationschemie

Abb. 3.20 Orgel-Diagramme für Cr3C(d3) im schwachen oktaedrischen Feld und ein Co2C(d7)-Ion im tetraedrischen und schwachen oktaedrischen Feld (high-spin). Die gestrichelten Linien deuten die Energien der T1g-Terme vor dem Mischen an.

Im Orgel-Diagramm für ein Co2C(d7)-Ion im tetraedrischen und oktaedrischen Feld erkennt man wieder, dass die tetraedrische Aufspaltung die Umkehrung der Oktaederaufspaltung ist. Die T1-Terme mischen stärker im tetraedrischen als im oktaedrischen Feld. Grund des Unterschiedes ist ihr verschiedener energetischer Abstand. Beim Tetraeder ist der T1(F)-Term energetisch der oberste und nähert sich mit ansteigendem Feld dem T1(P)-Term weiter an, während T1g(F) im Oktaederfeld von vorneherein energetisch am tiefsten liegt und sich mit steigender Feldstärke von T1g(P) noch weiter entfernt. Orgel-Diagramme enthalten nur den weak-field- oder high-spin-Fall. Energiereichere low-spin-Zustände sind nicht enthalten, obwohl es natürlich möglich wäre, diese zu berücksichtigen. Aber die Orgel-Diagramme sind zu einer Konfiguration quantitativ nur für ein bestimmtes Ion erstellt und auszuwerten.

3.9.7 Ligandenfeldtheorie Für eine gemeinsame Behandlung von high- und low-spin-Termen in Übergangsmetallkomplexen müssen die zwischenelektronischen Abstoßungen berücksichtigt werden, die zu den Energieunterschieden zwischen den verschiedenen Termen führen. Die so genannten Racah-Parameter B und C drücken diese zwischenelektronische Abstoßung aus. Quantenmechanisch handelt es sich um Linearkombinationen von Coulomb- und Austauschintegralen. Sie können berechnet werden, aber im Allgemeinen behandelt man sie als empirische Parameter, die aus den Spektren der freien Ionen erhalten werden. Bei einer solchen oder ähnlichen Parametrisierung des Kristallfeldmodells spricht man von der Ligandenfeldtheorie. Der Begriff Ligandenfeldtheorie wird fälschlicherweise oft als Anwendung der MO-Theorie für Metallkomplexe verwendet. Tatsächlich ist die semiempirische Ligandenfeldtheorie eine Erweiterung der Kristallfeldtheorie, bei der eine näherungsweise Berücksichtigung der elektronischen Struktur der Liganden erfolgt. Dies geschieht über Parameter, die an experimentelle Daten, z. B. aus elektronischen Absorptionsspektren, angepasst werden. Der Parameter B ist gewöhnlich ausreichend, um die Energiedifferenz zwischen Zuständen mit gleicher

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

445

Spinmultiplizität zu berechnen. So beträgt z. B. die Differenz zwischen einem Fund dem begleitenden P-Term im freien Ion 15B. Für den Energieunterschied von Zuständen verschiedener Spinmultiplizität sind beide Racah-Parameter B und C notwendig. Die Differenz zwischen dem 4F-Grundterm und dem niedrigsten Dublettzustand 2G ist 4 B C 3 C. Für die meisten Übergangsmetalle kann B mit ungefähr 1 000 cmK1 und C z 4 B angenommen werden (Tabelle 3.9). Tabelle 3.9 Racah-Parameter B und C für freie Übergangsmetallionen. Ion

B [cmK1]

C [cmK1]

C.B

Ti2C V2C Cr3C Mn2C Fe2C Co2C Co3C Ni2C Rh3C Ir3C Pt4C

718 766 918 960 1 058 971 1 100 1 041 720 660 720

2 629 2 855 3 850 3 325 3 901 4 366

3.66 3.73 4.19 3.46 3.69 4.50

4 831

4.64

Der Racah-Parameter B für Metallkomplexe ist kleiner als der des zugehörigen freien Ions und wird zur Unterscheidung mit B# bezeichnet. Der Wert für B# kann aus den Spektren der Komplexe (mit F-Grundtermen des freien Ions) erhalten werden, wenn alle drei Übergänge beobachtet werden. Es gilt dann die Beziehung 15 B# Z ν˜3 C ν˜2 K3 ν˜1 mit ν˜3 O ν˜2 O ν˜1.

Die Ableitung dieser allgemeinen Beziehung ist in Abb. 3.21 anhand der Aufspaltung eines F-Terms für eine d3-, d8-Konfiguration im Oktaederfeld mit der Termwechselwirkung illustriert x T1g(P)

P 15B

A2g→T2g:

15B' x T1g(F)

F d3,d8 freies Ion

12 Dq

Ligandenfeldtheorie: Racah-Parameter B, B'

18 Dq

T2g 10 Dq A2g

~ ν1 = 10 Dq

A2g→T1g(F): ~ ν2 = 18 Dq – x ν3 = 12 Dq + 15 B' + x A2g→T1g(P): ~

Aufspaltung im Oktaederfeld ohne mit Termwechselwirkung

~ ν2 + ~ ν3 = 30 Dq + 15 B' 3~ ν1 = 30 Dq

~ ν2 + ~ ν3 – 3 ~ ν1 = 15 B' oder B' =

~ ν3 + ~ ν2 – 3 ~ ν1 15

Abb. 3.21 Aufspaltung und Wechselwirkung der Terme F und P zu einer d3- oder d8Konfiguration im Oktaederfeld mit Gleichungssystem zur Bestimmung von B# aus den Absorptionsbanden. Zum energetischen Dq-Abstand der Spaltterme vgl. Abb. 3.13.

446

3 Komplex-. Koordinationschemie

Wenn statt drei nur zwei Übergänge beobachtet werden, weil die energiereichste Absorption z. B. durch Charge-Transfer-Banden verdeckt wird, ist es möglich, B# graphisch aus Tanabe-Sugano-Diagrammen zu ermitteln (s. u.) oder anhand von algebraischen Gleichungen zu berechnen (Tabelle 3.10). Tabelle 3.10 Gleichungen zur Berechnung von Dq und B' aus der Wellenzahl ν˜ von Absorptionsbanden.

a) ˜ ν3

Oν˜ 2 O ν˜ 1, gleichzeitig aber ν˜ 3 Z T1 (F) $% T1 (P) bei T1 Grundzustand.

Beispiele: [Ni(H2O)6]2C: ν˜ 1 z 8700, ν˜ 2 z 14900, ν˜ 3 z 25300 cmK1 (vgl. Abb. 3.15) 0 B# Z 940 cmK1 [Ni(NH3)6]2C: ν˜ 1 z 10750, ν˜ 2 z 17500, ν˜ 3 z 28200 cmK1 0 B# Z 897 cmK1 vergleiche freies Ni2C-Ion: B Z 1041 cmK1 (Tabelle 3.9 u. 11) für weiteres Beispiel, siehe Text zu Abb. 3.22

Es wird darauf hingewiesen, dass die Berechnung der B#-Werte und ihre Ordnung gemäß der nephelauxetischen Reihe aus den Angaben von spektroskopischen Absorptionsbanden für Nickelkomplexe in Lehrbüchern oft variiert. Es gilt allgemein, dass die zwischenelektronischen Abstoßungsparameter B# für Metallkomplexe kleiner sind, als die B-Werte der zugehörigen freien Ionen (Tabelle 3.11), d. h. B#.B Z β ! 1.

Tabelle 3.11 Beispiele für Racah-Parameter B und B# für die freien Ionen und Komplexe von ausgewählten d-Metallen. Ligand \ B# [cmK1]

Cr3C

Mn2C

Co3C

Ni2C

Rh3C

-- freies Ion, B

918

960

1 100

1 041

720

6 FK 6 H2O 6 NH3 3 en 6 ClK 6 BrK

820 725 650 620 560

845 835

720 660 620

960 940 890 850 760

785 785

510 430 420 350 280

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

447

Der Quotient β heißt nephelauxetisches Verhältnis. Mit dem nephelauxetischen oder wolkenausdehnenden Effekt (nephéle Z griech. Nebel, Wolke, auxésis Z griech. Ausdehnung) wird die geringere Abstoßung zwischen den d-Elektronen im Komplex im Vergleich zum freien Ion bezeichnet. Grund für die verminderte repulsive Wechselwirkung ist die Delokalisierung der Metall-d-Elektronen über Molekülorbitale, die sich auch über die Liganden erstrecken, was zu einer effektiven Vergrößerung der Orbitalwolken führt (daher der Name). Daneben gelangt über die Metall-Ligand-Bindung Elektronendichte in die ns- und np-Orbitale (vergleiche dazu das MO-Diagramm in Abb. 3.25). Diese Orbitale haben mehrere relative Aufenthaltsmaxima, von denen einige recht nahe am Kern liegen. Eine zunehmende Elektronendichte in diesen Orbitalen führt zu etwas stärkerer Abschirmung der d-Elektronen von der Kernladung im Komplex gegenüber dem freien Ion. Eine stärkere Abschirmung hat dann wiederum eine etwas größere Ausdehnung des Orbitals zur Folge. Der Vergleich der B#-Werte für die Liganden (Tabelle 3.11) zeigt, dass sich diese relativ zueinander unabhängig vom Metallatom anordnen lassen. Für die Liganden und für die Metallionen lässt sich eine so genannte nephelauxetische Reihe aufstellen, die die Stärke der Delokalisierung angibt: nephelauxetischer Effekt.d-Elektronendelokalisierung (1Kβ ) nimmt zu $% (B# oder β Z B#.B nimmt ab $% ) 2K K FK ! H2O ! dmf ! OC(NH2)2 ! NH3 ! en ! C2O 4 ! NCSK ! ClK ! CNK ! BrK !N3 ! S2K z IK Donoratom: F ! O ! N ! Cl ! Br ! S ~ I Mn2C ! V2C ! Ni2C z Co2C ! Mo2C ! Cr3C ! Fe3C ! Rh3C z Ir3C ! Co3C ! Mn4C ! Pt4C ! Pd4C

Die Ordnung der Liganden untereinander ist relativ unabhängig von den Metallatomen und umgekehrt. Es drängt sich ein Vergleich mit der spektrochemischen Reihe auf (Abschn. 3.9.2). Die nephelauxetische Reihe für die Liganden entspricht von links nach rechts aber der Reihenfolge, die man intuitiv für eine zunehmende Kovalenz in der Metall-Ligand-Bindung erwarten würde. Kleinere B#-Werte im Vergleich der Liganden zeigen eine höhere Kovalenz in der MetallLigand-Wechselwirkung an, z. B. ist B# für NH3 kleiner als für H2O. Ligandenfeld- und MO-Theorie konvergieren hier zum gleichen Ergebnis (vgl. MO-Theorie, Abschn. 3.9.8). Die nephelauxetischen Reihen von Liganden und Metallionen können mit h- und k-Werten quantifiziert werden (Tabelle 3.12): (BKB#).B Z (1KB#.B) Z (1Kβ ) z h(Ligand) · k(Metall)

Je größer die Werte für h oder k sind, desto stärker wirken die Liganden oder Metallionen delokalisierend. In einem Komplex MLn ist der nephelauxetische Gesamteffekt dann das Produkt h (nLigand) · k (Metall). Darstellungen für eine zusammenfassende Beschreibung der Termenergien verschiedener elektronischer Zustände in Übergangsmetallkomplexen, d. h. eine vollständige Interpretation von optischen Spektren, sind die Tanabe-Sugano-Diagramme. Sie sind mit den Orgel-Diagrammen verwandt, aber leistungsfähiger. Im Unterschied zu den Orgel-Diagrammen enthalten die Termschemata nach Tanabe und Sugano auch die low-spin-Terme. Die Verwendung der Racah-Parameter B und C führt zu einer Allgemeingültigkeit des Diagramms einer dn-Konfigu-

448

3 Komplex-. Koordinationschemie

Tabelle 3.12 Quantifizierte nephelauxetische Reihen für Liganden und Metallionen. Ligand K

6F 6 H2O 6 NH3 3 en 6 ClK 6 CNK 6 BrK 6N3 6 IK

h 0.8 1.0 1.4 1.5 2.0 2.1 2.3 2.4 2.7

Metallion 2C

Mn V2C Ni2C Cr3C Fe3C Rh3C, Ir3C Co3C Mn4C Pt4C Ni4C

k 0.07 0.1 0.12 0.20 0.24 0.28 0.33 0.5 0.6 0.8

ration für verschiedene MzC-Ionen. Bei der Auftragung der Tanabe-Sugano-Diagramme wird der jeweilige Grundzustand als Abszisse genommen und die Energien der anderen Terme werden relativ dazu dargestellt. Wie bei den Orgel-Diagrammen wird die Energie als Funktion des Kristallfeldstärkeparameters ∆ (Dq) aufgetragen. Für die Allgemeingültigkeit in Bezug auf verschiedene Metallionen mit einer dn-Konfiguration werden die Skalen der beiden Achsen auf B normiert, die Einheiten sind also E.B und Dq.B. Gleichzeitig sind zur genauen Energieniveaudarstellung Annahmen über den relativen Wert C.B enthalten. Diese notwendige Annahme eines zweiten Parameters zur Beschreibung der zwischenelektronischen Abstoßung ist ein Nachteil der Tanabe-Sugano-Diagramme, der ihre Allgemeingültigkeit etwas einschränkt. Die Diagramme wurden für Verhältnisse berechnet, die am wahrscheinlichsten für die Ionen der ersten Übergangsreihe sind (vgl. Tabelle 3.9). Die Kurvenverläufe in den Diagrammen sind gegenüber Änderungen des C.B-Verhältnisses nicht sehr empfindlich. Das C.B-Verhältnis ist nur für die Abstände von Termen mit verschiedener Multiplizität von Bedeutung. Sofern für d $% d-Absorptionsbanden nur Terme mit der Multiplizität des Grundterms betrachtet werden, ist deren Energie nur eine Funktion von B, und das Diagramm gilt dann für jedes Ion mit der entsprechenden Konfiguration. Der Parameter B für die Interpretation eines Metallkomplex-Spektrums ist allerdings kleiner als im freien Ion (B# ! B). Abhängig von den Liganden werden für das gleiche Zentralion verschiedene B#-Werte erhalten oder angenommen (s. o.). Im Tanabe-Sugano-Diagramm für das d3-Ion (Abb. 3.22) sind die für die Spinerlaubten Übergänge wesentlichen Quartett-Energieniveaus hervorgehoben. Die scheinbare Andersartigkeit der Energieverläufe im Vergleich zum Orgel-Diagramm für d3 (vgl. Abb. 3.20) ist auf die Verwendung des 4A2g-Grundterms als Abszisse zurückzuführen. Die folgenden Regeln gelten für ein Term-Diagramm: 1. Zustände 2SC1Γ mit gleicher Symmetrie (Γ) und Multiplizität (2SC1) können sich nicht kreuzen (Nichtkreuzungsregel).

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

449

2. Die Energien von nur einmal auftretenden Zuständen ändern sich linear mit der Ligandenfeldstärke. Mehrmals auftretende Zustände zeigen aufgrund von Termwechselwirkungen einen Kurvenverlauf. 3. Für Zustände aus einem gemeinsamen Ursprungsterm 2SC1L des freien Ions gilt im Ligandenfeld der Schwerpunktsatz, wenn keine Termwechselwirkungen auftreten.

Abb. 3.22 Tanabe-Sugano-Diagramm für ein d3-Ion im oktaedrischen Ligandenfeld (C. B Z 4.50) und Illustration der graphischen Abschätzung von B# aus der Beobachtung von nur 2 Absorptionsbanden.

Anhand des Tanabe-Sugano-Diagramms für das d3-Ion soll eine graphische Abschätzung für B# aus der Beobachtung von nur zwei Banden demonstriert werden. Der [Cr (en)3]3C-Komplex zeigt zwei Absorptionsbanden bei 21 800 cmK1 und bei 28 500 cmK1, die den d $% d-Übergängen 4A2g $% 4T2g und 4 A2g $% 4T1g(F) zugeordnet werden können. Ein dritter Übergang 4 [ A2g $% 4T1g(P)] ist durch zusätzliche energiereichere Charge-Transfer-Banden verdeckt. Das Verhältnis der beiden Energien dieser Banden von 1.31 (Abb. 3.22) wird durch Ausmessen der Ordinatenstrecken der beiden Übergänge mit einem Lineal bei Dq.B z 3.5 erreicht. An dieser Stelle hat E.B (im Komplex E.B#) für den Übergang 4A2g $% 4T2g den Wert von ungefähr 35, also 4

4

K1 A2g $% T2g 21 800 cm E Z Z z 35 0 B# Z 623 cmK1. B# B# B#

450

3 Komplex-. Koordinationschemie

Auflösung der Beziehung nach B# ergibt einen Wert von 623 cmK1. Zur Kontrolle kann zusätzlich der Übergang 4A2g $% 4T1g(F) bei Dq.B z 3.5 verwendet werden: 4

4

K1 A2g $% T1g (F) 28 500 cm E Z Z z 46 0 B# Z 620 cmK1. B# B# B#

Der Wert für B# kann mit der Eintragung in Tabelle 3.11 verglichen werden. Natürlich ist die Genauigkeit einer solchen graphischen Auswertung begrenzt. Eine algebraische Berechnung nach Tabelle 3.10 ergibt B# Z

(ν˜2K2ν˜1)(ν˜2Kν˜1) K15 100 $ 6700 K1 K1 cm Z 628 cm . Z 3(K53 700) 3(5 ν˜2K9 ν˜1)

Mit B# kann dann die Wellenzahl des energiereichsten Überganges ˜ν 3 berechnet werden. Für B# Z 620 cmK1 errechnet sich ν˜3 Z 15 B# C 3 ν˜1 Kν˜2 Z (9300 C 3 · 21 800 K 28 500) cmK1 Z 46 200 cmK1.

Ein Tanabe-Sugano-Diagramm für eine d6-Konfiguration, bei der high- und lowspin-Anordnungen als Grundzustand möglich sind, zeigt Abb. 3.23. Der freie-Ion high-spin-Grundzustand 5D spaltet im oktaedrischen Feld in den 5T2g-Grundzustand und den angeregten 5Eg-Zustand auf. Ihr energetischer Abstand nimmt mit steigender Feldstärke zu. Der low-spin-1I-Term (L Z 6, Bahnmultiplizität 13) liegt im freien Ion bei sehr hoher Energie und spaltet unter dem Einfluss des Ligandenfeldes in 1A1g, 1A2g, 1Eg, 1T1g, 1T2g (2x) auf. Von diesen wird der lowspin-1A1g-Term durch das Ligandenfeld stark stabilisiert. Seine Energie fällt steil ab, bis er bei Dq.B Z 2 energetisch unter den 5T2g-Zustand sinkt. An diesem Punkt wird der low-spin-1A1g-Term der Grundzustand, und es erfolgt Spinpaarung. Mit der Änderung des Grundterms tritt eine scheinbare Diskontinuität im Diagramm auf, denn die Energien der anderen Terme werden jetzt auf den neuen Grundzustand bezogen. Für high-spin-d6-Komplexe sind die Quintettzustände mit einem Spin-erlaubten Übergang 5T2g $% 5Eg relevant. Die blaue Farbe des high-spin-Komplexes [CoF6]3K rührt von einem Peak bei 13 000 cmK1 her, wenn man außer Acht lässt, dass der angeregte 5Eg-Zustand durch den Jahn-Teller-Effekt aufgespalten ist und daher eigentlich zwei Peaks auftreten. Für low-spin-d6-Komplexe sollte man die Übergänge 1A1g $% 1T1g und 1A1g $% 1T2g im Sichtbaren und nahen UV erwarten. Weitere potentielle Übergänge liegen energetisch zu hoch. Für die beiden beobachteten Übergänge muss wegen der unterschiedlichen Steigungen der zugehörigen Termenergien die Energie des $% 1T2g-Überganges mit stärkerem Feld etwas mehr zunehmen, als die des $% 1T1g-Überganges. Die zwei d $% d-Absorptionsbanden von d6-low-spin-Komplexen sollten bei größeren Dq-Werten also weiter auseinander liegen. Insbesondere für d6-Ionen gibt es gut untersuchte Fälle, bei denen der energetische Unterschied zwischen high-spin- und low-spin-Form sehr klein ist und im Bereich der thermischen Anregungsenergie liegt. Häufige Beispiele sind Eisen (II)-Komplexe mit sechs Stickstoff-Donorliganden. In vielen Fällen kann man hier einen Spinübergang (Spincrossover), d. h. ein Spingleichgewicht beobachten. Der Spinübergang zwischen dem energetisch stabileren, hier diamagnetischen low-spin-Zustand und dem paramagnetischen high-spin-Zustand mit vier unge-

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

451

Abb. 3.23 Tanabe-Sugano-Diagramm für ein d6-Ion im oktaedrischen Ligandenfeld (C. B Z 4.8), links vollständiges Energiediagramm mit Einbeziehung der Triplett- und aller Singulett-Terme, rechts nur mit den relevanten Quintett-und Singulettzuständen. Die scheinbare Diskontinuität bei Dq.B Z 2 resultiert aus dem Wechsel des Grundzustands von 5T2g-high-spin nach 1A1g-low-spin. In das rechte Diagramm eingezeichnet sind die im sichtbaren und nahen UV-Bereich beobachtbaren Spin-erlaubten Übergänge.

paarten Elektronen lässt sich durch Variation der Temperatur, des Drucks und mit Licht induzieren. Spinübergang, Spincrossover, Spingleichgewicht: bei d6-Fe2+ N N

N

Fe N

N

N

notwendiger Bereich für 10 Dq: Änderung der Fe–N-Bindungslänge:

1

A1g, low-spin

Temperatur-Erhöhung, grünes Licht, Druck-Erniedrigung

(eg)

Temperatur-Erniedrigung, rotes Licht, Druck-Erhöhung

(t2g)

~20 000 (±1000) cm–1 1.9–2.0 Å Fe N

5T

2g,

high-spin

~12 000 (±500) cm–1 2.1–2.2 Å Fe N

Zunahme des Komplex-(Kristall-)volumens

Im Festkörper findet man als kollektives Phänomen einen relativ abrupten Spinwechsel (Umklappen von Domänenbereichen, vgl. Magnetismus). In Lösung erfolgt ein allmählicher Spinübergang (Boltzmann-Verteilung). Temperaturvariable magnetische Suszeptibilitätsmessungen, UV.VIS- und 57Fe-Mößbauer-Spektro-

452

3 Komplex-. Koordinationschemie

skopie sowie die dynamische Differenzkalorimetrie (DSC) gestatten eine optimale Untersuchung dieses Phasenübergangs. (Für ein weiteres Beispiel zum Spincrossover, siehe die substituierten Manganocenverbindungen in Abschn. 4.3.4.4.)

N

N

N

N N N N

Fe

N

N N N

temperaturvariable Messungen: 5

H B

N

N

4

N µ [µ B ]

Beispiel:

N

3 2 1

Festkörper magnetische Messung

N N N B 0 H 290 330 370 Temperatur [K] Übergangstemperatur T1/2 ≈ 65 °C (50% low- und high-spin)

3.9.8 Molekülorbitaltheorie (MO-Theorie) Die Molekülorbitaltheorie kann anders als das Kristallfeldmodell gut kovalente Bindungsanteile berücksichtigen. Die MO-Theorie enthält die soeben behandelte Kristallfeldaufspaltung und erweitert das CF-Modell um den Bereich der kovalenten Bindung. Quantitative Berechnungen gestalten sich bei der MO-Theorie jedoch schwieriger. Die Darstellung der Bindung in Komplexen nach der MOTheorie erfolgt hier ohne mathematische Abhandlungen in einer anschaulichen Betrachtungsweise. Molekülorbitale werden durch Linearkombination der Atomorbitale erhalten (LCAO-Beschreibung). Die Orbitalbasis des Metallatoms wird gebildet aus den fünf (nK1)d-Orbitalen, dem einen ns- und den drei np-Orbitalen. Diese Orbitale werden mit den Valenzorbitalen der Liganden kombiniert. Sofern es sich bei den Liganden um mehratomige Ionen oder Moleküle handelt, ist es sinnvoll, zunächst die Molekülorbitale solcher Liganden getrennt aufzubauen und erst dann die relevanten Fragmentorbitale der Liganden mit den Metallorbitalen zu kombinie-

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

453

ren. Der Fragment-Molekülorbital-Ansatz (kurz FMO-Ansatz) ist eine wichtige Methode zum qualitativen Verständnis der elektronischen Situation von Verbindungen, gerade auch in Metallkomplexen. Die Idee des Fragment-MO-Ansatzes ist, die wichtigen Valenzorbitale eines Moleküls aus den Valenzorbitalen der es aufbauenden Fragmente zu bilden. So können z. B. die Molekülorbitale eines L5MdCO-Komplexes aus der Wechselwirkung der Valenzorbitale von ML5 und den σ-, π- und π*-Niveaus von Kohlenmonoxid entwickelt werden (vgl. Abb. 3.29). Für die Kombination von Orbitalen gelten die folgenden Regeln: 1. Es ist nur eine Wechselwirkung solcher Orbitale möglich, die die gleiche Symmetrie haben. 2. Der Energiegewinn aus einer Fragmentorbital-Wechselwirkung, d. h. die Aufspaltung zwischen bindendem und antibindendem Molekülorbital ist umso größer K je ähnlicher die Energien der beteiligten Fragmentorbitale sind und K je besser ihre Überlappung aufgrund ähnlicher Größe der bindenden Atome und Kürze der Bindung ist. MO-Beschreibung eines oktaedrischen σ-Komplexes. Ein Komplex, bei dem die Bindung der Liganden an das Metallatom nur über zur Bindungsachse rotationssymmetrische σ-Orbitale erfolgt, wird auch als σ-Komplex bezeichnet. Diese σ-Orbitale können reine s- oder p-Funktionen oder auch aus s und p zusammengesetzte Orbitale sein. In einem ML6-Komplex soll sich an den Liganden (L) jeweils nur ein σ-Orbital befinden, d. h. L soll ein reiner σ-Donorligand sein. Aus sechs solcher σ-Orbitale an den Ecken eines Oktaeders können sechs Linearkombinationen für das L6-Fragment gebildet werden (Abb. 3.24). Die energetische Aufspaltung dieser Linearkombinationen ist aufgrund ihres großen Abstands nur sehr gering. Mit einer Symmetrie-angepassten Darstellung dieser L6-Fragmentorbitale erkennt man, welche Metallorbitale für eine Wechselwirkung in Frage kommen. oktaedrische Anordnung, Oh mit Symmetriebezeichnung zweifach entartet

Überlappungspartner am tetraedrische Anordnung, Td mit Symmetriebezeichnung Metallatom Oh Td z x2–y2-, eg x z 2y t1u

dreifach entartet a1g

p-

p-, xz-, yz-, xy-

ssOrbitale

t2 dreifach entartet a1

Abb. 3.24 Darstellung der sechs (vier) Linearkombinationen von sechs (vier) σ-Orbitalen in oktaedrischer (tetraedrischer) Anordnung mit Angabe der Symmetrie und der möglichen Bindungspartner eines zentralen Metallions (quadratisch-planar, s. Abb. 3.32).

Abbildung 3.25 zeigt das Wechselwirkungsdiagramm der Orbitale des L6-Fragments mit den neun Metallorbitalen. Die sechs energetisch niedrigsten (unters-

454

3 Komplex-. Koordinationschemie

ten) Molekülorbitale (1a1g bis 1eg) sind die bindenden Orbitale für die sechs MdL-Bindungen. Sie haben hauptsächlich Ligandencharakter oder sind, wie man sagt, an den Liganden zentriert. Ihnen entsprechen sechs MdL-antibindende Niveaus, die am Metallatom lokalisiert sind. Es sind dies die sechs obersten oder energetisch am höchsten liegenden Orbitale (2eg* bis 2t1u*). Die unterschiedlichen Beiträge der beteiligten Fragmentorbitale werden für drei in der Abbildung beispielhaft skizzierte Molekülorbitale durch die unterschiedlich großen Orbitaldarstellungen zum Ausdruck gebracht. Als prinzipielle energetische Reihenfolge der Orbitale erkennt man Ligandenorbitale ! Metall-d ! Metall-s ! Metall-p. Die drei entarteten d-Niveaus mit t2g-Symmetrie verbleiben in einem reinen σ-Komplex als nichtbindende Orbitale. Sind neben den sechs MdL-bindenden auch diese t2g-Orbitale vollständig mit Elektronen gefüllt, dann liegt ein 18-Elektronenkomplex vor. Die neun untersten Orbitale können als das Valenzbindungskonzept interpretiert werden, das sich in der MO-Theorie auf diese Weise wiederfindet. Im MO-Diagramm ist 18 die maximal mögliche Elektronenzahl bevor mit der Auffüllung der antibindenden Orbitale begonnen wird. In der MO-Theorie ist ein 19- oder 20-Elektronenkomplex zwanglos möglich, anders als im VB-Konzept, wo dafür die nächste d-Schale herangezogen werden müsste. Besonders wichtig ist der Metall-zentrierte d-Orbitalteil des Diagramms, bestehend aus den t2g- und den eg*-Orbitalen, der gleichzeitig den fünf d-Orbitalen des Kristallfeldmodells entspricht. Der energetische Abstand zwischen t2g und eg* ist die von dort vertraute Oktaederaufspaltungsenergie ∆O oder 10 Dq. So findet sich auch die Kristallfeldaufspaltung in der MO-theoretischen Beschreibung eines Komplexes wieder. Zu beachten ist, dass in der weitergehenden MOTheorie eine Aussage zum bindenden Charakter der Orbitale getroffen wird, was in der Kristallfeldtheorie nicht enthalten war. Im CF-Modell waren die eg-Orbitale gegenüber den t2g-Niveaus destabilisiert, im MO-Modell sind sie darüber hinaus noch MdL-antibindend. Die Ursache der d-Orbitalaufspaltung ist auch eine andere, nämlich die Orbitalwechselwirkung. Weiterhin wird jetzt ein Verständnis der Ligandenanordnung in der spektrochemischen Reihe möglich. Der energetische Abstand zwischen t2g und eg* ist eine Funktion der σ-Donorund der π-Donor- oder Akzeptorstärke des Liganden. Was bedingt aber nun eine „gute“ oder im Vergleich „bessere“ σ-Donorstärke? Für eine gute Orbitalwechselwirkung und damit einen großen Energiegewinn aus der Aufspaltung der resultierenden Molekülorbitale muss (i) der energetische Abstand zwischen der egLigandenkombination und dem Metall-d-Orbitalsatz möglichst gering sein, (ii) die Größe der Orbitale möglichst ähnlich und (iii) die Bindung möglichst kurz sein. Je besser diese MdL-Orbitalwechselwirkung ist, desto stärker werden die MdL-bindenden eg-Orbitale energetisch abgesenkt und die eg*-Niveaus angehoben. Da in einem σ-Komplex die t2g-Niveaus als nichtbindende Orbitale ihre Energie nicht ändern, resultiert nur aus einer stärkeren Destabilisierung von eg* ein größerer t2gKeg*-Abstand und damit eine größere Oktaederaufspaltung (Abb. 3.26). Das freie Elektronenpaar, z. B. eines Aminliganden, liegt energetisch höher und damit näher an den Metall-d-Niveaus als etwa die freien Elektronenpaare eines Sauerstoff-Donoratoms. Die geringere Elektronegativität des Stickstoffatoms im Vergleich zum Sauerstoff führt dazu, dass bei ersterem die Orbitale

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte

455

2t1u*

Energie t1u a1g

p 2a1g* s 2eg*

eg + t2g

CF

d

∆O t2g eg t1u a1g

VB

1eg z x

1t1u

y

1a1g

L

L

M

M

L

L

L

L

L

L

L L

L

L

Abb. 3.25 Molekülorbitaldiagramm eines oktaedrischen σ-Komplexes, entwickelt aus der Wechselwirkung der sechs Liganden-Fragmentorbitale mit den Metallorbitalen. Die Verwendung gestrichelter und durchgezogener Linien im Diagramm soll den unterschiedlichen Beitrag der jeweiligen Fragmentorbitale zum Molekülorbital andeuten. Von den Molekülorbitalen wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit lediglich drei exemplarisch gezeichnet (je eines aus dem 1t1u-, 2eg*- und dem 2t1u*-Satz). Energie schlechter σ-Donor eg* d

t2g

guter σ-Donor eg*

∆O

∆O d

M

L

eg

großes ∆E zwischen M- und L-Orbitalen →geringe Orbitalwechselwirkung →kleine d-Orbitalaufspaltung →schwacher σ-Donor

t2g

eg

Vergleich σ-Donorstärke Energie

Größe

N O≈N

M

L

O

S

kleines ∆E zwischen M- und L-Orbitalen →starke Orbitalwechselwirkung →große d-Orbitalaufspaltung →starker σ-Donor

Abb. 3.26 Schematische Darstellung der d-Orbitalaufspaltung am Metallatom in einem σ-Komplex in Abhängigkeit von der Stärke der MdL-Orbitalwechselwirkung anhand des Energieunterschieds.

456

3 Komplex-. Koordinationschemie

energetisch höher liegen. Als Folge dessen sind Stickstoffliganden bessere σ-Donoren und bauen ein stärkeres Ligandenfeld auf als Sauerstoff-Donorliganden. Eine bessere σ-Donorstärke liegt auch bei besserer Überlappung zwischen den Ligand- und Metallorbitalen aufgrund einer kürzeren MdL-Bindung oder einer passenderen Orbitalgröße vor. Aus diesem Grund sind etwa Liganden mit Schwefeldonoren schwächere Liganden als Sauerstoffsysteme. Die kontrahierten d-Orbitale am Metallatom können mit den diffuseren Orbitalen des weichen Schwefelatoms schlechter überlappen als mit den kleinen Orbitalen des harten Sauerstoffatoms, obwohl die Orbitalenergien beim Schwefel noch günstiger liegen als beim Stickstoff. Für ein vollständiges Verständnis müssen wir aber noch die πEffekte betrachten. Wenn zusätzliche π-Funktionen an den Liganden vorliegen, wird der nichtbindende Charakter der t2g-Orbitale aufgehoben. Die p-Orbitale des Liganden wirken wechselseitig ausschließlich mit den im σ-Komplex noch unbeteiligten t2gOrbitalen (Abb. 3.27). Energie

t2g

L

L

L M L

L

L

L

L M L

L





Abb. 3.27 Darstellung der π-Wechselwirkung in einem oktaedrischen Komplex mit nur einem σ-π-Liganden (Lπ) und fünf reinen σ-Liganden (L), ML5(Lπ). Grundsätzlich liegen die π-Funktionen näher an den d-Orbitalen als die σ-Funktionen der Liganden.

Für eine weitergehende Betrachtung gilt es, eine Fallunterscheidung nach Art der π-Funktion zu treffen: (i) Es liegt eine π-Donorfunktion vor, also ein besetztes π-Orbital, wie es z. B. bei einer Amidogruppe oder in Halogeniden anzutreffen ist (letztere verfügen sogar über zwei π-Donorfunktionen). (ii) Es handelt sich um ein leeres π-Orbital, also eine π-Akzeptorfunktion, wie sie z. B. bei dem π*-Orbital des CO-Liganden vorliegt (Abb. 3.28). Ursache der unterschiedlichen Wechselwirkung von π-Donor- und -Akzeptorfunktion mit den Metall-t2g-Orbitalen und die sich daraus ergebende Konsequenz für die d-Orbitalaufspaltung ist die verschiedene relative Lage der Orbitale zueinander. Eine π-Akzeptorfunktion liegt in der Regel energetisch oberhalb der Metall-t2g-Niveaus, sodass die Orbitalwechselwirkung zu einer energetischen Absenkung, einer Stabilisierung der t2g-Niveaus gegenüber dem σ-Komplex und damit zu einer größeren t2gKeg*-Aufspaltung führt. Die t2g-Orbitale erhalten so

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte (i) π-Donorligand – besetztes π-Orbital

(ii) π-Akzeptorligand – leeres π-Orbital

Energie dσ* Bsp.:





R2N– F–,Cl– Br–,I–

π

→antibindend

N



π (2x)

X

π*

eg* ∆Oπ

L6π-Donor

→Destabilisierung der Metall-t2g-Orbitale →∆Oπ-Donor< ∆Oσ →schwacher (weak-field) Ligand

457

∆Oσ t2g nichtbindend

∆Oπ

C O Bsp.: CO

→bindend

ML6σ

L6π-Akzeptor →Stabilisierung der Metall-t2g-Orbitale →∆Oσ < ∆Oπ-Akzeptor →starker (strong-field) Ligand

Abb. 3.28 Effekt von π-Donor- (links) und π-Akzeptorfunktionen (rechts) am Liganden auf die Metall-t2g-Orbitale und damit die d-Orbitalaufspaltung im Vergleich zu einem oktaedrischen σ-Komplex (mitte). Die Folgerungen gelten in gleicher Weise für d-Orbitale in anderen Koordinationsgeometrien. An jedem der sechs Liganden soll eine π-Funktion vorliegen, sodass eine Wechselwirkung mit dem kompletten t2g-Niveau erfolgt. Die beiden senkrechten Striche beim π-Donorsatz sollen eine vollständige Elektronenbesetzung andeuten. Entsprechend ihrer Orbitalwechselwirkung können die Metall-d-Orbitale allgemein in dσ und dπ unterschieden werden.

etwas bindenden Charakter. Anders eine π-Donorfunktion, die normalerweise etwas tiefer als die Metall-t2g-Niveaus liegt, sodass die stärker Metall-lokalisierten Molekülorbitale aus dieser Wechselwirkung destabilisiert werden. Die t2gOrbitale werden dabei leicht antibindend. Gegenüber dem σ-Komplex führt eine π-Donorfunktion so zu einer kleineren d-Orbitalaufspaltung. Weiterhin wird bei einer π-Akzeptorfunktion Elektronendichte vom wenigstens teilweise gefüllten Metall-t2g-Niveau in das leere π*-Orbital übertragen. Umgekehrt fließt bei einer π-Donorfunktion Elektronendichte vom Liganden zum Metallatom. Angesichts dieser σ- und π-Effekte lässt sich die Ligandenanordnung der spektrochemischen Reihe wie folgt deuten: I–, Br–, S2–, –SCN, Cl–, NO3–, F–, OH–, C2O42– schwache Liganden, high-spin-Komplexe H2O, –NCS, NCCH3, NH3, en bipy, phen, NO2–, –CN, PR3, CO, NO+ starke Liganden, low-spin-Komplexe ∆ zunehmend Halogenide ≈ S-Liganden < O-Liganden < N-Liganden < P- ≈ C-Liganden σ−Donoren und σ−Donoren und starke π- < schwache π-Donoren < reine σ-Donoren < schwache π- < starke π-Akzeptoren schwache Liganden = π-Donoren

starke Liganden = π-Akzeptoren

458

3 Komplex-. Koordinationschemie

Als weiteren Fall kann man noch Liganden betrachten, bei denen eine π-Akzeptor- und eine π-Donorfunktion, also ein leeres und ein besetztes π-Orbital im Molekül vorliegen. Beispiele dafür sind die Liganden CO, NOC und CNR (Isocyanid). Hier kommt es darauf an, welche π-Funktion stärker ausgeprägt ist, d. h. eine bessere Wechselwirkung mit den t2g-Metallorbitalen eingeht. Im Fall des CO-Liganden (Abb. 3.29) ist die π-Donorfunktion nur relativ schwach, da dieses π-Orbital hauptsächlich am Sauerstoffatom lokalisiert ist. Aufgrund des größeren Atomorbitalkoeffizienten am Kohlenstoffatom im π*-Niveau hat dieses π*-Orbital eine bessere Überlappung mit den Metall-d-Orbitalen als das π-Niveau. Die sich daraus ergebende bessere Metall-dKCO-π*-Wechselwirkung führt dazu, dass der CO-Ligand insgesamt ein π-Akzeptor ist, mit einem Elektronenfluss vom Metall-t2g-Niveau zur Carbonylgruppe. Energie

3e π* b2 "t2g" b2 + e

2e

C

O

π 1e L

L

L M L

L

L

L

L M L

L

CO

C–O

Abb. 3.29 Orbitaldiagramm für die π-Komponenten in einem ML5(CO)-Komplex, in dem L ein reiner σ-Donorligand ist. Vom Metall-„t2g“-Niveau wirken zwei Komponenten mit den jeweils zwei π- und π*-Orbitalen am CO im Wechsel. In der verringerten Symmetrie des Komplexes werden daraus Orbitalsätze mit e-Symmetrie. In das 2e-Niveau mischen π und π* ein, sodass sich ein Orbital mit fast ausgelöschter Elektronendichte am Kohlenstoffatom und erhöhter Elektronendichte am Sauerstoffatom ergibt. Die beiden senkrechten Striche beim π-Satz sollen eine vollständige Elektronenbesetzung andeuten.

Bei sechs π-Liganden mit zusammen sechs π-Fragmentorbitalen um das Metallatom in einem ML6π-Komplex gibt es nur drei π-Kombinationen mit t2gSymmetrie. Die übrigen drei π-Kombinationen besitzen t1u-Symmetrie und wären nur für Wechselwirkungen mit den Metall-p-Orbitalen geeignet (vgl. Abb. 3.30). Liegen an jedem Liganden zwei π-Funktionen vor, z. B. bei Halogenidliganden, gelangt man zu insgesamt zwölf π-Fragmentorbitalen für ein L 6π-Fragment. Von diesen zwölf π-Kombinationen verbleiben sechs als nichtbindend, da sie aus Symmetriegründen (t1g und t2u) auf der Metallseite keinen geeigneten Partner finden (Abb. 3.30). Die Herleitung des MO-Schemas für einen quadratisch-planaren ML4-σ-Komplex mit D4h-Symmetrie erfolgt wieder ausgehend von den neun Metall- und den

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte Energie t1u a1g

459

3t1u*

p 2a1g* s

t1g-Symmetrie

2eg*

dσ*

∆O eg+t2g

d



2t2g t1g t2u

t2u-Symmetrie t1g t2u t2g t1u

2t1u

eg t1u a1g

1t2g 1eg

π-Orbitale t2g-Symmetrie σ-Orbitale t1u-Symmetrie

1t1u 1a1g M

L

L

L M L

L

L

L

L

L L

L

L

Abb. 3.30 Wechselwirkungsdiagramm für einen oktaedrischen ML6-Komplex mit einem σ- und zwei π-Orbitalen an jedem Liganden. Bei den beiden π-Orbitalen handelt es sich um π-Donorfunktionen. Die beiden senkrechten Striche bei den π-Sätzen sollen eine vollständige Elektronenbesetzung andeuten.

vier σ-Fragmentorbitalen der Liganden über eine Wechselwirkung der symmetrieäquivalenten Orbitale (Abb. 3.31). Im Unterschied zur Kristallfeldtheorie findet man bei der MO-Theorie in einem σ-Komplex keine deutliche Aufspaltung der xz-, yz- und xy-Niveaus (vgl. Abb. 3.7). Symmetriebedingt erfolgt keine Wechselwirkung der Liganden- mit diesen Metallorbitalen. Deutlich ist aber die erwartete Aufspaltung des z2- und des x2Ky2-Niveaus. Das wichtige z2-Orbital ist Bestandteil eines 3-Orbital-Musters aus der Wechselwirkung der drei a1g-symmetrischen Fragmentorbitale. Das 1a1g-Molekülorbital entspricht hauptsächlich dem Ligand-a1g-Niveau mit einer bindenden Wechselwirkung zum z2- und s-Orbital des Metallatoms. Das 3a1g-Molekülorbital ist das dazu antibindende Pendant, mit im Wesentlichen Metall-s-Charakter. Das mittlere Niveau 2a1g kann man zunächst als hauptsächlich z2-antibindend zum Liganden-a1g-Orbital auffassen. Des Weiteren mischt aber das Metall-s-Niveau bindend gegenüber den Liganden ein und wirkt der antibindenden z2KL4-Wechselwirkung entgegen. Aufgrund der sLz2-Mischung wird das 2a1g-Molekülorbital damit nichtbindend und seine Energie erniedrigt (s. Teilbild in Abb. 3.31). Aus dem MO-Schema für einen quadratisch-planaren Komplexe wird eine günstige Zahl von 16 anstelle von 18 Valenzelektronen verständlich. Zu den acht Elektronen von den vier Liganden können am Metallatom noch weitere acht

460

3 Komplex-. Koordinationschemie

Elektronen vorliegen, die das b2g- und das eg-Niveau sowie das weitgehend nichtbindende 2a1g-Orbital besetzen. Die Auffüllung des MdL-antibindenden 2b1g*Niveaus ist dagegen ungünstig. Energie

2eu* 3a1g* a2u p eu a1g

1a2u 2b1g*

antibindend

dσ*

s

+

16 e– 2a1g

b1g a1g d eg b2g



nichtbindend

1eg dπ

1b2g

z x

+

b1g eu a1g

1b1g y 1eu 1a1g M

L

L

M

L

L

L

L

L

L

Abb. 3.31 Molekülorbitalschema für einen quadratisch-planaren ML4-σ-Komplex (Punktgruppe D4h). Das Teilbild verdeutlich die sKz2-Mischung zur Energieerniedrigung von z2. Durchgezogene und gestrichelte Linien deuten wieder einen unterschiedlichen Beitrag der beteiligten Fragmentorbitale an.

Eine tetragonale Verzerrung des Oktaeders führt zu einer tetragonalen Bipyramide, ebenfalls mit D4h-Symmetrie. In der Punktgruppe D4h kann nur das z2aber nicht das x2Ky2- mit dem s-Orbital mischen. Ist das z2-Orbital doppelt besetzt, wie z. B. bei d9-Cu2C oder d8-Ni2C, resultiert aus der sLz2-Mischung ein Energiegewinn. Mit dieser sKz2-Mischung wird die ausschließlich beobachtete tetragonale Streckung (anstatt einer Stauchung) beim Jahn-Teller-Effekt im MOModell verständlich. Die sKz2-Mischung hilft auch beim Übergang Oktaeder $% Quadrat in Ni2C-Komplexen (s. Abschn. 3.9.3). Eine Symmetrieerniedrigung durch Mischen eines besetzten Orbitals (hier z2) mit einem leeren Orbital (hier s) in elektronisch nichtentarteten Systemen unter Energiegewinn wird manchmal als Jahn-Teller-Effekt 2. Ordnung bezeichnet. Eine analoge pLd-Orbitalmischung findet man im MO-Diagramm von tetraedrischen ML4-σ-Komplexen. In der Tetraedersymmetrie Td stellen die x-, y-, z(p-) und die xy-, xz-, yz-(d-)Orbitale jeweils einen dreifach entarteten Satz mit t2-Symmetrie (vgl. Abb. 3.24). Die leeren p-Orbitale mischen mit den Metall-t2Orbitalen, sodass der antibindende Charakter und die Energie des 2 t2*-Satzes

3.9 Die Bindung von Komplexen und ihre Effekte Energie t2 a1

3t2*

p

+

2a1*

d

dσ*

∆T 1e

+ schwächer antibindend

dπ t2

z x

stark antibindend

s 2t2*

e + t2

461

1t2

a1

y 1a1 M

L

M LL

L

L

L LL

Abb. 3.32 Molekülorbitalschema für einen tetraedrischen ML4-σ-Komplex (Punktgruppe Td). Das Teilbild verdeutlich eine px, yKdxz, yz-Mischung zur Energieerniedrigung der Metall-2t2*-Orbitale.

erniedrigt wird (Abb. 3.32). Bei Vorliegen einer d10-Konfiguration (2 t2* gefüllt) kann mit diesem pKd-Mischen die Bevorzugung von tetraedrischen gegenüber oktaedrischen Koordinationen z. B. bei Zn2C erklärt werden. In der oktaedrischen Koordination kann aus Symmetriegründen keine entsprechende Stabilisierung des gefüllten 2 eg*-Satzes erfolgen. Ein Schlüsselschritt im Fragment-Molekülorbital-Ansatz ist die Entwicklung eines Katalogs von Valenzorbitalen für MLn-Fragmente, in denen L allgemein ein 2-Elektronen-Donorligand sei. Man könnte dazu einen Satz von Ln-Funktionen mit M verknüpfen, wie am Beispiel des Oktaeders oder des Quadrats gerade gezeigt wurde. Eine alternative Methode geht von den Valenzorbitalen, z. B. des Oktaeders, aus und betrachtet die Änderungen bei Entfernung eines oder mehrerer Liganden, ähnlich der Ableitung eines tetragonal verzerrten Oktaeders in der Kristallfeldtheorie. Durch Entfernen eines Liganden aus dem ML6-Oktaeder erhält man die Valenzorbitale eines C4v-symmetrischen, quadratisch-pyramidalen ML5-Fragments (Abb. 3.33). Valenzorbitale sind hier die Orbitale mit hauptsächlich d-Charakter. Bei Entfernen eines σ-Liganden aus dem ML6-Oktaeder bleibt der t2g-Satz in guter Näherung unverändert. Er wird aufgrund der Symmetrieerniedrigung.-änderung zu C4v nur in eCb2 umbenannt. Im Gegensatz zum Kristallfeldmodell (vgl. Abb. 3.7) erfolgt im MO-Diagramm keine Energieänderung beim t2g-Satz, da das σ-Elektronenpaar des fehlenden Liganden von vorneherein keine Wechselwirkung mit den t2g-Orbitalen hatte. In einem reinen σ-Komplex haben die t2g-Orbitale nichtbindenden Charakter (s.o.). Nur im Falle der Entfernung eines π-Liganden würde t2g eine Veränderung erfahren. Die Energie der

462

3 Komplex-. Koordinationschemie

x2Ky2-Komponente des ursprünglichen eg-Niveaus bleibt aus denselben Gründen ebenfalls konstant. Die Hauptveränderung erfährt die z2-Komponente des eg-Niveaus. Dieses Orbital wird als a1-Niveau in C4v stark stabilisiert, da eine antibindende Wechselwirkung zu einem Liganden wegfällt. Außerdem wird dieses a1-Orbital durch Einmischen der s- und z-Metallniveaus in seinem Charakter verändert (hybridisiert), sodass die noch vorhandenen antibindenden Metall-Ligand-Wechselwirkungen weiter verringert werden. Der Grund für eine derartige Hybridisierung liegt in der Symmetrieerniedrigung von Oh (ML6) zu C4v (ML5), womit das z2-, s- und pz-Orbital alle a1-symmetrisch werden und daher mischen können (vgl. sKz2-Mischung in Abb. 3.31). Energie

eg

3e

b1 dσ* a1

x

y

L

L

+

+

dπ e b2

t2g z



L M L

L

L

L

L

M L

L

L

Abb. 3.33 Korrelation der Valenzorbitale (hier Metall-d-Orbitale) für die Ableitung eines quadratisch-pyramidalen C4v-symmetrischen ML5-Fragments aus einem ML6-Oktaeder. Durch Mischung mit den a1-symmetrischen Metall-s- und -pz-Orbitalen ändert sich der Charakter von z2 zu einem eher nichtbindenden Orbital mit größerem Orbitallappen zur freien Koordinationsstelle. Wenn dieses a1-Orbital besetzt ist, würde man von einem freien Elektronenpaar sprechen.

3.10 Stabilität von Metallkomplexen 3.10.1 Thermodynamische und kinetische Stabilität Beim Begriff Stabilität sollte zwischen thermodynamischer und kinetischer Stabilität.Instabilität unterschieden werden (Abb. 3.34). Im eigentlichen Sinne sind stabil.instabil thermodynamische Begriffe, während kinetisch stabil.instabil besser als inert.labil bezeichnet wird (s. auch Abschn. 3.11). Beispiel K kinetisch inert und thermodynamisch instabil: Das [Co (NH3)6]3CIon sollte in saurer Lösung zersetzt werden, da die thermodynamische Triebkraft der Säure-Base-Reaktion von sechs Ammoniakmolekülen mit den Hydroniumionen sehr hoch ist und der Reaktion eine Gleichgewichtskonstante von ca. 1025 verleiht. C

[Co(NH3)6]3C C 6 H3OC $% [Co(H2O)6]3C C 6 NH4

K z 1025

3.10 Stabilität von Metallkomplexen (a)

∆G

(b) ∆G‡

A

463

∆G A

∆G‡

B

B Reaktionskoordinate

Abb. 3.34 Energie-Reaktionsdiagramme zur Illustration des Unterschiedes von thermodynamischer und kinetischer Stabilität.Instabilität. A ist thermodynamisch instabil gegenüber B, d. h. B ist unter den gegebenen Bedingungen das stabile System mit einer stark negativen freien Enthalpie ∆G. In (a) ist A inert in Bezug auf die Reaktion zum stabileren Produkt B, da die Reaktionsbarriere.Aktivierungsenergie ∆G‡ hoch und daher die Geschwindigkeit für den Übergang in den thermodynamisch stabileren, energieärmeren Zustand zu gering ist. A wird dann auch als metastabil bezeichnet. In (b) ist A labil bezüglich der Reaktion zu B, da die Aktivierungsenergie nur klein ist.

Tatsächlich ist beim Ansäuern einer Hexaammincobaltlösung keine merkliche Änderung zu beobachten. Für den Abbau des Amminkomplexes werden bei Raumtemperatur mehrere Tage benötigt. Der inerte Charakter der Verbindung erklärt sich aus dem Fehlen eines energetisch günstigen Reaktionsweges für die Acidolyse. Diese Reaktion muss entweder eine instabile siebenfach koordinierte Spezies enthalten oder sie läuft über einen fünffach koordinierten Übergangszustand mit Verlust eines Liganden, was gleichfalls ein energetisch ungünstiger Prozess ist (s. Abschn. 3.11.1). Beispiel K kinetisch labil und thermodynamisch stabil: Die drei Cyanokomplexe [Ni (CN)4]2K, [Mn (CN)6]3K und [Cr (CN)6]3K besitzen sehr große thermodynamische Stabilitäten, ausgedrückt durch die Bruttokomplexbildungskonstanten β (s. Abschn. 3.10.2). K

M C nCN

# M(CN)n

βZ

[M(CN)n ] K n

[M][CN ] Ni(CN)42K: β z 7.1·1021 l4.mol4 bei T Z 25 (C ∆G Z KRT lnβ 0 ∆G Z K124.7 kJ.mol für [Ni]0 Z 0.01 mol.l und [CNK] Z 1 mol.l 0 [Ni(CN)4]Gleichgewicht z 0.01 mol.l, [CNK]Ggw Z 0.96 mol.l 0.01 mol.l 0 [Ni]Gleichgewicht z Z 0.166·10K23 mol.l z 1 freies Ni-Ion pro Liter 21 7.1$10 $0.85

Die Hexacyanomanganat (III)- und -chromat (III)-Komplexe sind thermodynamisch noch stabiler als der Tetracyanonickelat (II)-Komplex. Bezüglich der kinetischen Stabilität verhalten sich diese drei Cyanokomplexe jedoch unterschiedlich. Misst man die Geschwindigkeit der Selbstaustauschreaktion (∆GA Z ∆GB) mit radioaktiv markierten Cyanidionen, 14CNK, so findet man, dass der Nickelkomplex extrem labil ist, der Mangankomplex etwas labil, und nur der Chromkomplex kann als inert betrachtet werden. Labil oder kinetisch instabil bedeutet, dass ein Austausch der Cyanidliganden sehr schnell erfolgt. So beträgt die Halbwertszeit für die Austauschreaktion am Nickelkomplex ca. 30 Sekunden. [Ni(CN)4]2K C 4

14

CNK $% [Ni(14CN)4]2K C 4 CNK

t1.2 z 30 s

464

3 Komplex-. Koordinationschemie

Für den Mangankomplex findet man eine Halbwertszeit von etwa einer Stunde und für den Hexacyanochromat (III)-Komplex von ca. 24 Tagen. Die Begriffe labil und inert sind relativ. Von H. Taube wurde vorgeschlagen, Komplexe, die innerhalb einer Minute bei 25 (C vollständig reagieren, als labil anzusehen, die übrigen als inert. Die Labilität des planar-quadratischen [Ni (CN)4]2K-Komplexes kann man mit der relativ leichten Bildung von fünf- oder sechsfach koordinierten Komplexen durch Anlagerung an die freien Koordinationsstellen des d8-Ions erklären (s. Abschn. 3.11.2).

3.10.2 Stabilitätskonstanten und Komplexbildungsgleichgewichte In diesem Abschnitt geht es um die Stabilität von Metallkomplexen in wässriger Lösung. Die Stabilitäten von metallorganischen Komplexen werden hier nicht behandelt. Für die nachfolgenden Betrachtungen wird die Bildung eines Metall-LigandKomplexes vereinfachend unter Weglassung von Ladungen und Lösungsmittelmolekülen (einschließlich Aqualiganden) formuliert: M + nL

MLn

n = 1, 2, 3, ..., 6, ...

Die Aktivitäten a der Spezies M, L und MLn für obige Reaktion stehen bei gegebener Temperatur nach dem Massenwirkungsgesetz zueinander in einem konstanten Verhältnis t

βn Z

aMLn n

aMaL

mit t βn Z thermodynamische Bruttostabilitäts- oder Bruttokomplexbildungskonstante. Unabhängig von ihrer Vernachlässigung in der Komplexbildungsreaktion taucht eine Konzentration von eventuellen Aqualiganden im Quotienten der Komplexbildungskonstanten nicht auf, da Wasser als Lösungsmittel dient, dessen Konzentration als konstant angesehen und in die Gleichgewichtskonstante miteinbezogen werden kann. Erfolgt die Komplexbildung schrittweise über isolierbare Zwischenstufen MLi M + L

ML1

+L

ML2

+L

ML3

+L

...

+L

MLn

dann lässt sich jeder Stufe eine so genannte thermodynamische Stufenstabilitätsoder Stufenkomplexbildungskonstante tKi zuordnen. t

aMLi . MLiK1aL

Ki Z a

Voraussetzung für die Isolierung von individuellen Stufen ist eine gewisse kinetische Stabilität, d. h. die Geschwindigkeiten für Ligandenaustauschprozesse müssen langsam sein. Einzelne Stufen gemischter (Aqua-)Ligandkomplexe sind gerade bei einzähnigen Liganden häufig nicht durch die Umsetzung bestimmter stöchiometrischer Verhältnisse zugänglich, da in Lösung mehrere Stufen MAiB6Ki, i Z 0K6, im Gleichgewicht nebeneinander vorliegen (s. Abb. 3.35).

3.10 Stabilität von Metallkomplexen

465

Das Produkt der Stufenstabilitätskonstanten Ki ist die Bruttostabilitätskonstante βn. βn Z K1 · K2 · K3 · . · Kn

Die Aktivität a von Spezies ist nur in Ausnahmefällen direkt zugänglich, z. B. aus potentiometrischen Messungen mit ionenselektiven Elektroden. Dagegen liefern chemische oder chromatographische Analysen, IR-, UV.VIS- oder NMR-spektroskopische Messungen oder polarographische Bestimmungen, die Konzentration [X] der Spezies X und damit die stöchiometrischen Stufen- oder Bruttostabilitätskonstanten Ki oder βn. Ki Z

[MLi ] [MLiK1][L]

, βn Z

[MLn ] n

[M][L]

Für eine Reaktionsfolge M

+L K1 = β1

ML1

+L K2

ML2

+L K3

ML3

...

β2 = K1 · K2 β3 = K1 · K2 · K3

gilt in der Regel K1 O K2 O K3 O ... und β1 ! β2 ! β3 ! ..., d. h. die Stufenstabilitätskonstanten werden mit steigender Substitution kleiner, die Bruttostabilitätskonstanten größer (s. Abb. 3.35 bis 38). Ausnahmen können bei Änderung des elektronischen Grundzustandes (high- $% low-spin) oder der Koordinationszahl auftreten. Beispiel: lgK1 Z 4.4 O lgK2 Z 3.5 ! (!) lgK3 Z 9.5 für [Fe(2,2'-bipy)n ]2C, weil low-spin für n Z 3.

Sind [M]gesamt und [L]gesamt die Ausgangs-, d. h. Gesamtkonzentrationen an Metall und Ligand, dann genügt nach [M]gesamt Z [M] C [ML] [L]gesamt Z [L] C [ML]

die Kenntnis einer Gleichgewichtskonzentration [M], [L] oder [ML] zur Bestimmung von K1. Bei einem Gleichgewicht zwischen verschiedenen Stufen MLi (i Z 1Kn) gilt: [M]gesamt Z [M] C [ML] C [ML2] C . C [MLn ] [M]gesamt Z [M](1 C K1[L] C K1 · K2[L]2 C . C (K1 · K2 · . · Kn)[L]n) n

[M]gesamt Z [M](1 C β1[L] C β2[L]2 C . C βn[L]n) Z [M] (

∑ β [ L] ) mit β Z 1

iZ0

i

i

[L]gesamt Z [L] C [ML] C 2[ML2] C . C n[MLn ] [L]gesamt Z [L] C β1[M][L]] C 2β2[M][L]2 C . C nβn [M][L]n Z [L] C [M] (

0

n

∑ iβ [ L] )

iZ1

i

i

¯ am Metallatom hängt nur von der freien Die durchschnittliche Ligandenzahl n Ligandenkonzentration [L] und nicht von [M]gesamt, [L]gesamt oder [M] ab, gemäß:

466

3 Komplex-. Koordinationschemie n

n¯ Z ([L]gesamt K[L]).[M]gesamt Z (



n

i

iβi [ L] ). (

iZ1

∑ β [ L] )

iZ0

i

i

Die Konzentrationen der individuellen Komplexspezies MLi (s. Abb. 3.35) oder die Konzentrationen von M und L in einer Gleichgewichtsmischung können durch Auftrennung über Ionophorese, Ionenaustausch-, Dünnschicht- oder die Hochleistungsflüssigchromatographie (HPLC) bestimmt werden, solange die Lebensdauer der Spezies MLi größer ist, als die zur Trennung notwendige Zeit. Ohne Trennung der Spezies lassen sich deren Anteile evtl. potentiometrisch, polarographisch, UV.VIS- oder NMR-spektroskopisch ermitteln. Bei Rhodiumkomplexen wie [RhBriCl6Ki]3K sind z. B. quantitative 103Rh-NMR-Messungen in-situ möglich. Viele organische Liganden sind protonierbar und damit konjugierte Basen zu schwachen Säuren. Für eine mehrbasige Säure H+ + L

HL

+H+

H2L

+H+

gilt für die Gesamtacidität [H]gesamt mit βnH Z

+L

...

[Hn L] n

[H] [L]

HnL

Z

1 als Stabilitätskonstante KSn

für die HnL-Verbindung (KS Z Säurekonstante):

[H]gesamt Z [HC] K [OHK] C [HL] C 2[H2L] C . C n[HnL] [H]gesamt Z [HC] nK [OHK] C βH1[HC][L] C 2βH2[HC]2[L] C . C nβHn [HC]n [L] = [H+] − [OH−] + [L] (

∑ β [H

iZ1

H i

C i

])

Mit abnehmendem pH-Wert, d. h. zunehmender HC-Konzentration, wird das Komplexbildungsgleichgewicht auf die Seite des protonierten Liganden und des freien Metallions (als Aquakomplex) verschoben K der Komplex wird zerstört (s. Abb. 3.36). Höhere pH-Werte K unter Beachtung der irgendwann einsetzenden Metall-Hydroxid-(Niederschlags-)Bildung K führen zu einer effektiveren Komplexierung. Bei komplexometrischen Titrationen (Komplexometrie, quantitative Metall-Bestimmungen durch Komplexbildung) ist daher eine sorgfältige pHWert-Einstellung und -Einhaltung eine wichtige Grundforderung. n Hm L + M

β n, β H m H2O

MLn + (m·n) H

Mit Kenntnis der einzelnen Stabilitätskonstanten βHi (Z 1.KSi) lassen sich durch eine potentiometrische Titration, d. h. pH-Wert-Messungen bei kontinuierlich veränderter Gesamtacidität der Metall-Ligand-Lösung, nach obigen Gleichungen die Bruttostabilitätskonstanten βn für die Metall-Ligand-Komplexe berechnen. Das Prinzip der Methode liegt in der Bestimmung des Gleichgewichts, welches sich zwischen der protonierten und metallierten Form des Liganden einstellt und über eine Messung der Protonenaktivität erfasst werden kann. Die Ergebnisse solcher quantitativen Bestimmungen lassen sich in Gleichgewichtsdiagrammen darstellen (Abb. 3.35 u. 36). Quantitative Daten zu Stabilitätskonstanten sind Grundlagen für Planungen und ein Verständnis von Prozessen in Technologie, Geochemie, Umweltchemie,

3.10 Stabilität von Metallkomplexen

467

% formation

Abb. 3.35 Gleichgewichtsdiagramm für die Reihe [OsBriI6Ki]2K (i Z 0K6). Die Überlappung der Kurven zeigt, dass für definierte Ligandenverhältnisse zahlreiche Spezies nebeneinander vorliegen. Durch die Vorgabe eines bestimmten Ligandenverhältnisses lässt sich keine individuelle Komplexspezies erhalten. Der starken Überlappung der Kurven entsprechen sehr ähnliche Stufenstabilitätskonstanten: K1 Z 13.22, K2 Z 7.03, K3 Z 4.48, K4 Z 2K 2.37, K5 Z 1.43, K6 Z 0.87 mit K1: OsBr 6 C IK # OsBr5I2K C BrK usw.; Bruttokom2K plexbildungskonstante für OsI 6 β6 Z 1228. 70

H3C

60

Cu

N

N

CH3

5,5'-Dimethyl-2,2'-bipyridin, bpy

O

H N

O – O O – Iminodiacetat, IDA

CuIDA

50 Cubpy

40 bpyH 30

Spezies

IDAH bpy

Cubpy2

bpyH2

CuIDAbpy

20 IDAH3 IDAH2

10 CuIDAH

CuIDA2

0 2

3

4

sauer zunehmender Anteil

Cu2+ IDAH2 bpyH2 IDAH3

5 pH

6

7

8

pH Cu(bpy) bpyH Cu(IDAH)

bpyH+ bpyH22+ IDAH – IDAH 2 IDAH 3+ Cu(bpy)2+ Cu(bpy)22+ Cu(IDA)0 Cu(IDA) 22– Cu(IDAH)+ Cu(IDA)(bpy) 0

lg β 5.18 7.28 9.46 12.37 14.14 6.24 11.08 10.56 16.30 12.86 13.90

schwach basisch Cu(IDA) IDAH Cu(bpy)2

Cu(IDA) bpy Cu(bpy)(IDA) Cu(IDA)2

Abb. 3.36 Gleichgewichtsdiagramm aus der potentiometrischen Titration eines 1 : 1 : 1Gemisches von Iminodiessigsäure (IDAH2).Iminodiacetat (IDA), 5,5'-dimethyl-2,2'-bipyridin (bpy) und Cu (NO3)2. bpy- und IDA-Spezies Z graue durchgezogene bzw. gestrichelte Linien, Cu2C Z graue dicke Linie, Cu (bpy)- und Cu (IDA)-Spezies Z schwarze durchgezogene bzw. gestrichelte Linien, Cu (IDA) (bpy) Z dicke schwarze Linie. Eventuelle Aqualiganden sind nicht aufgeführt. Diskussion der Cu-Spezies: Im stark Sauren (pH 2K3) zeigen Cu (bpy)2C (bis zu 40 %) und Cu (IDAH)C ihre Maxima. Oberhalb pH 4 sind Cu (IDAH)C und Cu2C verschwunden. Im stark Sauren bilden sich bereits Cu (IDA)0 und Cu (bpy)22C, die ihr relatives Maximum zwischen pH 4K5 bzw. pH 5K6 erreichen. Oberhalb pH ~3.2 ist Cu (IDA)0 mit einem Anteil von 40K50 % das Haupt-Cu-Ligand-Teilchen. Oberhalb pH ~3.5 beginnt die zunehmende Bildung von Cu (IDA) (bpy)0. Cu (IDA)22K bildet sich ab pH 5. Ab pH ~ 8 beginnt die Fällung von Cu-hydroxid, sodass die Titration endet.

468

3 Komplex-. Koordinationschemie

Biochemie, Analytischer u. a. Zweigen der Chemie. Komplexbildungskonstanten sind wichtige Größen für die gezielte Auswahl und das Maßschneidern von Liganden, für Extraktionsprozesse bei der Metallgewinnung und -aufbereitung, für analytische Methoden mit Ionenaustauschprozessen, Ionenchromatographie oder komplexometrische Titrationen, für die Interpretation von Metall-Ligand-Gleichgewichten in der Natur. Die Toxizität von Metallionen wird häufig erst problematisch, wenn sie durch pH-Wert-Änderungen oder die Gegenwart von Liganden aus Mineralien oder Mülldeponien in Grund- oder Oberflächenwasser solubilisiert werden. Pflanzen verwenden geeignete Liganden mit hohen Stabilitätskonstanten für Metallkomplexe zur Solubilisierung und Aufnahme essentieller Spurenmetalle (Abschn. 3.10.5). Die Verabreichung komplexierter Metallionen führt zu einer besseren Aufnahme von Mineralstoffen in Organismen. Sehr stabile Komplexe eignen sich zum Einsatz als Diagnostika (Gd-Kontrastmittel) und zur gezielten Entfernung (Entgiftung, Dekorporierung) von Metallen (Abschn. 3.10.5).

3.10.3 Stabilitätstrends Es bestehen die folgenden Trends zur Bewertung der thermodynamischen oder kinetischen Stabilität bei Komplexen. Metall Ladung. Bei gegebenem Metall und gleichen Liganden ist die Stabilität des Komplexes mit dem dreiwertigen Metallion (M3C) in vielen Fällen größer als die mit dem zweiwertigen Ion (M2C) des gleichen Metalls. Ursachen sind die kürzere Bindung und die deutlich höhere Bindungsenergie für M3C (s. Abschn. 3.9.3, Abb. 3.11). Stabilität M2C- ! M3C-Komplexe

Irving-Williams-Reihe. Für die Stabilitätskonstanten von zweiwertigen Komplexionen der ersten Übergangsreihe mit jeweils gleichen Liganden wird folgende Reihe (nach Irving und Williams) gefunden (Abb. 3.37 u. 38): Stabilitätskonstanten Mn2C ! Fe2C ! Co2C ! Ni2C ! Cu2C O Zn2C

Die Zunahme der Stabilität Mn $% Ni und Zn $% Cu kann mit dem kleineren Metallionenradius, der größeren Bindungs- und Kristallfeldstabilisierungsenergie erklärt werden (vgl. Abschn. 3.9.3). Die höhere Stabilität von Kupfer- gegenüber vergleichbaren Nickelkomplexen verwundert zunächst, denn das Minimum des Ionenradius und CFSE-Maximums findet sich beim Ni2C-Ion. Das Maximum beim Kupfer wird aus den Stabilitätskonstanten (Ki) für einen schrittweisen Ligandenaustausch verständlich. Beispiel: Bildung der Ethylendiamin-(en-)Komplexe K1: [M(H2O)6]2C C en $% [M(en)(H2O)4]2C C 2 H2O K2: [M(en)(H2O)4]2C C en $% [M(en)2(H2O)2]2C C 2 H2O K3: [M(en)2(H2O)2]2C C en $% [M(en)3]2C C 2 H2O

3.10 Stabilität von Metallkomplexen

469

Abb. 3.37 Logarithmus der Stufenstabilitätskonstanten Ki für die schrittweise Bildung der 1 : 1-, 1 : 2- und 1 : 3- Ethylendiaminkomplexe.

Eine graphische Auftragung des Logarithmus der Stabilitätskonstanten als Funktion des Metallions zeigt, dass das Maximum beim Kupferion nur von den sehr hohen Werten für die ersten beiden Stabilitätskonstanten herrührt (Abb. 3.37). Der Austausch der letzten beiden Aqualiganden ist bei Cu2C nicht mehr begünstigt, lgK3 ist negativ. Die hohen Werte für K1 und K2 beim Kupfer sind auf die sehr kurzen Metall-Ligand-Bindungen bedingt durch die Jahn-TellerVerzerrung zurückzuführen (s. Abschn. 3.9.3). Diese Kupfer-Ligand-Abstände sind kürzer und stärker als man es bei sechs gleichlangen Bindungen für Cu2C erwarten würde. Die Umkehrung des Stabilitätstrends für den Austausch der letzten beiden schwächeren Aqualiganden gegen den stärkeren EthylendiaminLiganden hängt mit der Tendenz zusammen, die langen Cu-Ligand-Kontakte auch mit schwächeren Liganden zu besetzen. Da die Stabilitätskonstanten meistens in wässriger Lösung bestimmt werden, gilt streng genommen die oben angegebene Irving-Williams-Reihe nur für den Austausch von vier Aqualiganden. Eine weitere Besonderheit findet sich noch beim Zink. Es fällt auf, dass die Werte für die ersten beiden Stabilitätskonstanten noch relativ hoch sind, sie entsprechen in etwa den Werten für Cobalt, obwohl für das d10-Zn2C-Ion kein CFSE-Beitrag vorliegt. Zink ist aber aufgrund seiner d10-Konfiguration mehr als die anderen Metallionen in dieser Reihe in tetraedrischer Umgebung stabil (s. Abschn. 3.9.8), womit die relativen hohen Stabilitätskonstanten K1 und K2 erklärt werden, entsprechend ist die Konstante für den oktaedrischen Komplex sehr viel kleiner. Als Amminkomplex ist [Zn (NH3)4]2C stabil. Ein Hexaammin-Zinkkomplex [Zn (NH3)6]2C konnte bis jetzt nur mit Fullerid-C602K-Anion als Ammoniak-Solvat (6NH3) strukturell charakterisiert werden. Koordinationspolyeder und Elektronenkonfiguration. Oktaedrische Komplexe mit Cr3C (d3, t 32g) und mit Co3C, Rh3C, Ir3C und Pt4C (alle low-spin-d6, t 62g) sind kinetisch inert (jeweils Maximum der CFSE, s. Abschn. 3.9.3). Ligandensubstitutionsreaktionen an Komplexen mit diesen Metallatomen sind vergleichsweise langsam, was auf eine hohe Aktivierungsbarriere zurückzuführen ist. Eine dissoziative Ligandenabspaltung zu einer fünffach-koordinierten Übergangsstufe ML5 ist für d3- und low-spin-d6-Spezies mit einem deutlichen Verlust an CFSE verbunden. Es liegt keine MdL-Destabilisierung durch Besetzung der eg*-Niveaus vor, was ebenfalls eine Dissoziation erschwert (s. Abschn. 3.11.1). Tetraedrische Komplexe sind neben d0 und d10 (s. Abschn. 3.9.8, pKd-Mischung) insbesondere bei Co2C-d7-high-spin anzutreffen (relatives Maximum der CFSE, s. Abschn. 3.9.3).

470

3 Komplex-. Koordinationschemie

Quadratisch-planare Komplexe sind vor allem für eine d8-Konfiguration relativ stabil (aber nicht inert). Ursache ist der Energiegewinn durch Erniedrigung des z2-Orbitals (CFSE s. Abschn. 3.9.3, sKz2-Mischung s. Abschn. 3.9.8). Liganden (Donor-)Stärke. Stärkere Liganden bilden in der Regel stabilere Komplexe als schwächere Liganden (höhere CFSE, Ausnahme s. unter HSAB-Prinzip). Bei den meisten Kationen nimmt die Stabilität der Halogenokomplexe in der Reihe IK ! BrK ! ClK !! FK zu. Für die Kationen der Irving-Williams-Reihe nehmen die Stabilitätskonstanten zu, wenn Sauerstoffdonor- mit Stickstoffdonorliganden ersetzt werden (Abb. 3.38). Cyanidliganden bilden mit die stabilsten Komplexe. Stabilitätskonstante schwächerer Ligand ! stärkerer Ligand

Chelat- vs. einzähnige Liganden. Komplexe mit Chelatliganden haben höhere Stabilitätskonstanten als Komplexe mit vergleichbaren einzähnigen Liganden. Die Stabilitätskonstante nimmt mit der Zahl der Chelatringe zu (Abb. 3.38). Weiteres siehe unter Chelateffekt, Abschn. 3.10.4. Bruttostabilitätskonstante ML6 ! M(LhL)L4 ! M(LhL)2L2 ! M(LhL)3

14

12

M(L∩L)2, L∩L = 2,2'-Bipyridin 10

Stabilitätszunahme mit Zahl der Chelatringe, β (M(L∩L)) < β (M(L∩L)2)

lg β n

8

M(L∩L), L∩L = 2,2'-Bipyridin

6

Chelateffekt, β (ML2) < β (M(L∩L))

4

ML2, L = Pridin 2

K1 > K2; β 1 < β 2 (lgK2 = lgβ2–lgβ1)

ML, L = Pridin – MX, X = ClCH2CO2

0 0

1 2+ Fe 2 2 Co 32+ Ni42+ Cu 52+ Zn 6 2+ Mn

Donorstärke zunehmend

7

Abb. 3.38 Logarithmus der Bruttostabilitätskonstanten βn für die Bildung der MLn-Komplexe und seine Interpretation.

3.10 Stabilität von Metallkomplexen

471

Metall-Ligand-Kombinationen Gesamtvalenzelektronenzahl, 18-Elektronenregel . . . Die 18-Elektronenregel besagt, dass Übergangsmetallkomplexe dann thermodynamisch stabil sind, wenn die Summe aus den Metall-d-Elektronen und den Elektronen, die die Liganden beisteuern, 18 beträgt (s. Abschn. 3.6 und Abb. 3.25). In einem Komplex mit der Gesamtvalenzelektronenzahl 18 erreicht das Metallatom formal die Elektronenkonfiguration des folgenden Edelgases. Die 18-Elektronenregel lässt sich noch am besten auf Cyano-, Carbonyl-, Nitrosyl-, Hydrido- und metallorganische Komplexe anwenden (für Bsp. s. Kap. 4). In diesen Komplexen liegen sehr starke σ-Donor- (CNK, HK) oder π-AkzeptorLiganden (CO, NOC, organische π-Liganden) vor (s. spektrochemische Reihe). In einem oktaedrischen Komplex liegen die dσ*-Orbitale (s. Abschn. 3.9.8) daher relativ zu den anderen Orbitalen energetisch hoch, sind schlechte Akzeptororbitale und wahrscheinlich unbesetzt. Die dπ-Orbitale dagegen liegen bei niedriger Energie, sind gute Akzeptororbitale und müssen in einem stabilen Komplex besetzt sein. Ansonsten wäre aufgrund ihrer niedrigen Energie das Metallatom sehr elektrophil und würde versuchen, weitere Elektronen durch Anbindung von Liganden oder die Ausbildung von Metall-Metall-Bindungen aufzunehmen. Mit CNK, CO, NOC und HK liegen außerdem räumlich kleine Liganden vor. Damit kann die erforderliche Anzahl an diesen Liganden sterisch an das Metallatom binden (Bsp. [Mo (CN)8]4K, [ReH9]2K, s. Abschn. 3.7). . . . und ihre Grenzen. Die 18-Elektronenregel lässt sich weniger gut auf Komplexe mit schwachen Liganden anwenden. Die Hexaaqua-Ionen [M(H2O)6]2C (M Z VKCu) und [M(H2O)6]3C (TiKCr) haben unabhängig von der Elektronenzahl die gleiche Formel und oktaedrische Struktur. Diese wird durch die günstige Packung von sechs H2O-Molekülen um ein Metallion bestimmt. Quadratisch-planare oder d8-Ionen folgen einer 16-Elektronenregel, da eines der neun Orbitale (dσ*) energetisch deutlich höher liegt. (s. Abschn. 3.7 u. Abb. 3.31). Kleinere Metallcarbonylcluster Ma(CO)b mit a % 5 folgen noch gut der 18Elektronenregel. Für a R 6 gibt es aber Abweichungen, und es müssen spezielle Cluster-Zählregeln angewendet werden (s. Abschn. 4.3.1.1) Elektroneutralitätsprinzip. Nach Pauling bevorzugen Atome in isolierbaren Verbindungen eine reale Partialladung zwischen C1 und K1. Bezogen auf Metallkomplexe werden die Metallionen als elektropositive Partner also zwischen C1 und 0 liegen, die Liganden mit ihren elektronegativeren Donoratomen zwischen 0 und K1. Der bevorzugte Ladungsbereich hängt von der Elektronegativität des betreffenden Elements ab. Nach dem Elektroneutralitätsprinzip sind stabile Metall-Ligand-Komplexe demnach aus komplementären Partnern aufgebaut, die einen entsprechenden Ladungsausgleich zu elektroneutralen Spezies ermöglichen. Ein isoliertes Co3C-Ion wird versuchen, seine viel zu hohe Ladung durch gute Elektronendonorliganden, wie NH3 zu kompensieren ($% [Co (NH3)6]3C). Ein neutrales Cr0-Atom kann sich unter geringer Elektronenabgabe mit neutralen πAkzeptorliganden zusammenlagern ($% Cr (CO)6, Cr (η6-C6H6)2). Ein exzessiv hoch geladenes Mn7C-Ion muss für einen stabilen Komplex starke π-Donorligan-

472

3 Komplex-. Koordinationschemie

den wie O2K binden. Im deutlich kovalenten MnOK 4 -Komplexion hat das Manganion dann eine geringere reale positive Ladung. Umgekehrt geben O2K-Ionen ihre negative Überschussladung durch Bindung an hochgeladene, stark elektrophile Metallkationen ab ($% [MoO4]2K, [WO4]2K, [ReO4]K). Prinzip der harten und weichen Säuren und Basen (HSAB-Prinzip, engl. hard and soft acids and bases). Das Zentralmetallatom oder -ion in einem Komplex ist eine Lewis-Säure, der Ligand eine Lewis-Base. Kleine, hochgeladene und schwer polarisierbare Kationen, die also eine hohe lokalisierte Ladungskonzentration und wenige Elektronen in der Valenzschale haben, sind hart. Große Kationen, mit leicht verschiebbaren Elektronenwolken, die also in niedrigeren Oxidationsstufen vorliegen und eine große Zahl von Elektronen in der Valenzschale aufweisen, sind weich (Abb. 3.39). Analog sind kleine, schwer polarisierbare Liganden hart, und große, leicht polarisierbare Liganden sind weich (Tabelle 3.13). Tabelle 3.13 Beispiele für harte und weiche Säuren und Basen. Metallkationen – Säuren hart H+, Li+, Na+, K+ Be2+, Mg2+, Ca2+, Sr2+ Al3+, Ga3+, In3+ Sc3+, Cr3+, Fe3+, Co3+ Ti4+, Zr4+, Hf 4+ Ce4+, Ln3+

Liganden – Basen – Alkalimetalle – Erdalkalimetalle ~ hochgeladene Kationen – ~ frühe Übergangsmetalle – Lanthanoide

F–, Cl– – leichte Halogenide H2O, OH–, O2–, ROH, RO–, R2O O-Liganden ClO4– , SO42– , NO3– , PO43– , CO32– NH3, RNH2 – aliphatische Amine – Donoratome aus der 1. Achterperiode + Cl – (ausgenommen Kohlenstoff)

dazwischenliegend Sn2+, Pb2+ Fe2+, Co2+, Ni2+, Cu2+, Zn2+ Ru3+, Rh3+ Os2+, Ir3+

mittlere Übergangsmetalle

Br– NO2– , SO32– N2, N3– , NH2Ph

weich Pd2+, Pt2+ Cu+, Ag+, Au+ Cd2+, Hg2+, Hg22+ Tl+, Tl 3+

~ späte und ~ schwere Übergangsmetalle

I– R2S, RS–, SCN–, S2O32– R3P, R3As CO, CN –, RNC, C2H4, C6H6, R– H–

Li Be Na Mg 3+ 2+ 3+ 2+ Fe Co Co K Ca Sc Ti V Cr Mn Fe Ru Rh Rb Sr Y Zr Nb Mo Tc Cs Ba La Hf Ta W Re Os Ir hart dazwischenliegend

Ni Pd Pt

Cu

2+

Cu Ag Au weich

– – – – – –

+

schwere Halogenide S - Liganden P- und As-Liganden C-Liganden Hydridion Donoratome ab der 2. Achterperiode + C und H –

B Al hart Zn Ga Ge Cd In Sn Hg Tl Pb Bi

Abb. 3.39 Ungefähre Zuordnung der Metallionen zu den harten, dazwischenliegenden oder weichen Säuren nach dem HSAB-Konzept.

3.10 Stabilität von Metallkomplexen

473

Nach dem von Pearson eingeführten empirischen HSAB-Konzept entstehen stabile Komplexe aus harten Säuren (Kationen) und harten Basen (Liganden) oder aus weichen Säuren und weichen Basen. Die Kombinationen hartKweich oder weichKhart führen danach zu weniger stabilen Komplexen. Stabilität hartKweich ! hartKhart oder weichKweich Kombinationen

Entgegen dem üblichen Trend nach der Donorstärke zeigen die Halogenokomplexe für weiche Metallkationen eine umgekehrte Stabilitätsreihenfolge: für AgC, CuC, Hg2C, Tl3C Stabilität FK ! ClK ! BrK ! IK

Das HSAB-Prinzip sollte bezüglich der Komplexstabilität mit Vorsicht verwendet und nicht überinterpretiert werden. Es bestehen zahlreiche Ausnahmen zu den erwarteten Trends. Zum Beispiel bindet Pb2C (dazwischenliegend) stark an Thiolgruppen (weich) und bildet auch stabile Komplexe mit OHK (hart). In einigen Eisen-Schwefel-Proteinen bindet Schwefel (weich) sowohl an Fe2C (dazwischenliegend) und Fe3C (hart). Die hart-weich-Eingruppierung der Metallkationen hängt stark von ihrer Ladung ab (Beispiel Fe3C K hart . Fe2C, Cu2C K dazwischen . CuCK weich). Alle Metalle können zu weichen Säuren werden, wenn sie genügend reduziert vorliegen (M % 0). Die Besonderheit der als typisch weich bekannten Metallionen CuC, AgC, AuC, Hg 22C ist, dass sie normal in niedrigen Oxidationsstufen auftreten. Aufgrund ihrer niedrigen Oxidationsstufe haben diese und andere reduzierte Metallatome eine überschüssige Elektronendichte. Sie bevorzugen daher Liganden, mit denen sie kovalente Bindungen ausbilden können und die freie Orbitale zur Delokalisierung und Aufnahme der überschüssigen Elektronen haben. Harte Säuren und Basen zeichnen sich durch ein energetisch höher liegendes LUMO bzw. ein tieferes HOMO aus, als weiche Säuren und Basen. Dementsprechend sind die hart-hart-Wechselwirkungen eher elektrostatischer, d. h. ionischer Natur (ladungskontrolliert), während eine weich-weich-Wechselwirkung eher kovalent (orbitalkontrolliert) ist. Energie HOMO

LUMO HOMO

harte Säure

S←B Addukt

LUMO weiche Säure

harte Base

– ladungskonstrollierte bzw. – Grenzfall Ionenbindung

S←B Addukt

weiche Base

– orbitalkonstrollierte Wechselwirkung – hohe Kovalenz

3.10.4 Der Chelateffekt − Grundlagen Experimentelle Befunde zeigen, wenn vergleichbare einzähnige und mehrzähnige Liganden (gleiche Donoratome in ähnlicher chemischer Umgebung) miteinander um ein Metallatom konkurrieren, dann werden die mehrzähnigen Liganden die

474

3 Komplex-. Koordinationschemie

entsprechende Zahl an einzähnigen Liganden ersetzen. Voraussetzung ist dabei, dass das oder die vom mehrzähnigen Liganden mit dem Metallion gebildeten Ringsysteme nicht zu sehr gespannt sind. 3

L L

L

+ ML6

L

vergleichbare Liganden! Beispiel:

3 en + [Ni(NH3)6]2+

M + 6L 3

→ Gleichgewicht liegt rechts [Ni(en)3]2+ + 6 NH3

Dieser Effekt wird als Chelateffekt bezeichnet und durch die Komplexbildungskonstanten (β) der beiden Metallkomplexe oder der Gleichgewichtskonstanten für die Gesamtreaktion (K) quantitativ ausgedrückt werden: βLhL O βL oder K O 1 (Tabelle 3.14, s. auch Abb. 3.37 u. 38). Stehen Enthalpiewerte (∆H() für die Reaktion zur Verfügung, kann man aus den thermodynamischen Beziehungen ∆G( Z KRTln β und ∆G( Z ∆H( K T∆S( Werte für die freie Enthalpie (GibbsEnergie) ∆G( und die Entropie ∆S( berechnen. Vergleicht man diese ∆S(-Werte

Tabelle 3.14 Komplexbildungskonstanten und thermodynamische Daten von Nickel(II)- und Kupfer(II)-Ammin- und Ethylendiaminkomplexen zur Quantifizierung des Chelateffekts.a) b)

∆H( b) ∆S( b) [kJ.mol] [J.mol K]

lgβ

[Cu (H2O)4(NH3)2]2C [Cu (H2O)4(en)]2C

7.83 10.54

K46.5 K54.8

K4.2 25.1

2.71

K8.3

29.3

[Cu (H2O)2(NH3)4]2C [Cu (H2O)2(en)2]2C

13.00 19.60

K92.1 K106.8

K58.6 29.3

6.60

K14.7

87.9

[Ni (H2O)4(NH3)2]2C [Ni (H2O)4(en)]2C

5.08 7.35

K32.7 K37.7

K12.6 16.7

2.27

K5.0

29.3

[Ni (H2O)2(NH3)4]2C [Ni (H2O)2(en)2]2C

8.12 13.54

K65.3 K76.6

K62.8 12.6

5.38

K11.3

75.4

[Ni (NH3)6]2C [Ni (en)3]2C

9.08 17.71

K100.5 K117.2

K163.3 K41.9

8.63

K16.7

121.4

a) b)

c)

∆lgβ Z lg K c)

∆(∆H() c) ∆(∆S() c) [kJ.mol] [J.mol K]

Komplex

Daten bei 25 (C und einer Ionenstärke von 1.0 mol.l. lgβ, ∆H( und ∆S( sind der Logarithmus der Stabilitätskonstante, die Enthalpie und Entropie 2C [M(aq)(NH3)2n ] 2C für die Reaktionen M(aq)2C C 2n NH3 # M(aq)(NH3)2n mit β Z und 2C 2n [M(aq) ][NH ] 2C 3 [M(aq)(en)n ] , n Z 1, 2, 3. M(aq)2C C n en # M(aq)(en)n2C mit β Z 2C n [M(aq) ][en] Die jeweils aus Spalte 2, 3 und 4 berechneten Werte ∆lgβ Z lg K (Gleichgewichtskonstante), ∆(∆H() und ∆(∆S() sind der Logarithmus der Komplexbildungskonstante, die Enthalpie und 2C C n en # Entropie für die formale Gleichgewichtsreaktion M(H2O)6K2n(NH3)2n M(H2O)6K2n(en)n2C C 2n NH3.

3.10 Stabilität von Metallkomplexen

475

miteinander, so ist der Chelateffekt hauptsächlich den günstigeren Entropieveränderungen bei der Reaktion zuzuschreiben. Bei der Bildung des Chelatkomplexes nimmt durch die freigesetzten einzähnigen Liganden die Entropie deutlich zu, ∆(∆S() O 0 (Tabelle 3.14). Chelatkomplexe sind auch enthalpisch etwas günstiger als entsprechende einzähnige Komplexe, da die vorgebildeten Chelatringe eine Verringerung der abstoßenden Ligand4Ligand-Wechselwirkungen nach sich ziehen, ∆(∆H() ! 0 (Tabelle 3.14). In konjugierten Systemen wie Acetylacetonat kommt bei der Chelatbildung noch eine Resonanzstabilisierung hinzu.

3

L L

+

L

L

L M L

L

L

L

L

L M L

L

L

+ 6L

∆S > 0 ∆H < 0 ⇒ ∆G < 0

je 3 je 4 repulsive Wechselwirkungen jedes L-Donors mit seinen Nachbarn

Mit ∆S O 0 und ∆H ! 0 ist durch ∆G Z ∆H K T∆S ! 0 die thermodynamische Triebkraft für die Chelatkomplexbildung verständlich. Je mehr Chelatringe in einem Komplex vorliegen, desto größer ist die gesamte Stabilitätszunahme (Tabelle 3.14, s. auch Abb. 3.37 u. 38). Thermodynamisch sind Chelatkomplexe viel stabiler als vergleichbare Komplexe mit einzähnigen Liganden, sodass ansonsten instabile Metall-Donoratom-Kombinationen zugänglich sind. Der Chelateffekt kann neben dem thermodynamischen auch über ein statistisches Entropieproblem gedeutetet werden. Das Modell von Schwarzenbach interpretiert den Chelateffekt mit einer Wahrscheinlichkeitsproblematik (Abb. 3.40). Liegen einzähniger und zweizähniger Ligand L und LhL in ähnlichen Konzentrationen vor und konkurrieren um die Koordinationsstellen am Metallion, so ist die Wahrscheinlichkeit der Koordination eines L-Donoratoms für beide Liganden zunächst gleich groß. Sobald jedoch das eine Donoratom von LhL koordiniert, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass die zweite Koordinationsstelle vom anderen LhL-Ende besetzt wird, anstatt von einem einzähnigen Liganden. Diese höhere Wahrscheinlichkeit resultiert aus der Nähe und damit höheren effektiven Konzentration des zweiten LhL-Donoratoms zur Koordinationsstelle im Vergleich zu L. Dies gilt umso mehr, je verdünnter die Lösung ist. Der Vorteil von Chelatliganden gegenüber einzähnigen Liganden ist umso größer, je geringer die Konzentration ist. In sehr konzentrierten Lösungen von einzähnigen Liganden beobachtet man eine Abnahme des Chelateffekts. Der Chelateffekt ist allgemein bei Fünf- und Sechsringen am ausgeprägtesten. Kleinere Ringe habe eine zu hohe Spannung. Bei größeren Ringen nimmt der Vorteil bei der Konkurrenz um die zweite Koordinationsstelle im Allgemeinen rasch ab. Aus sterischen Gründen bevorzugen große Metallionen fünfgliedrige Ringe, während für sechsgliedrige Ringe kleinere Metallionen günstiger sind (Abb. 3.41). In Abschn. 3.10.2 wurde dargelegt, dass sich beim Austausch zwischen einzähnigen Liganden durch stöchiometrische Ligandenzugabe keine einzelnen defi-

476

3 Komplex-. Koordinationschemie

Modell von Schwarzenbach:

Koordinationssphäre 1. 2. M L

L

Dissoziation von L

M L

Lösung L schnelle Diffusion in umgebende Lösung, Abnahme der effektiven Konzentration von L in Metallnähe

L'

hohe effektive Konzentration von L' in Metallnähe

M

L L'

Dissoziation von L'

L'

L' wird in Nähe der Koordinationsstelle gehalten, hohe Wahrscheinlichkeit der Re-Koordination

Abb. 3.40 Schematische Darstellung der Wahrscheinlichkeitsproblematik nach dem Modell von Schwarzenbach zur Deutung des Chelateffekts. Die höhere Stabilität von Chelatkomplexen kann man auch über die Dissoziation der MdL-Bindung erklären: In erster Näherung ist die Wahrscheinlichkeit der Dissoziation eines Donoratoms eines einzähnigen Liganden oder eines Arms eines Chelatliganden ähnlich groß, während die gleichzeitige Trennung aller MdL-Bindungen zu einem Chelatliganden deutlich weniger wahrscheinlich ist. Ein einzähniger Ligand wird durch Diffusion schnell vom Metallatom entfernt, wohingegen der dissoziierte Arm eines Chelatliganden noch in der räumlichen Nähe verbleibt und wieder koordinieren kann.

N 69° M

2.5 Å

N

N 109.5° M N 1.6 Å

Abb. 3.41 Darstellung der idealen geometrischen Bedingungen für einen fünf- und sechsgliedrigen Chelatring bei dem sich das Metallatom im Schnittpunkt der beiden freien Elektronenpaare des Diaminliganden befindet, der gleichzeitig im Zustand geringster Spannungsenergie vorliegt. In den Sechsring passen Metalle mit kurzer MdN-Bindungslänge, während für den Fünfring lange MdN-Bindungen besser sind. Dies kann für die Ligandenoptimierung in Bezug auf unterschiedliche Metallionen genutzt werden. Eine Vergrößerung des Chelatrings von fünf- auf sechsgliedrig wird danach die Komplexstabilität der kleineren gegenüber den größeren Metallionen erhöhen.

nierten Spezies ergeben (s. Abb. 3.35). Die Stufenstabilitätskonstanten unterscheiden sich für diesen Fall häufig nicht stark genug voneinander. Die Verfolgung eines solchen Reaktionsverlaufs mit spektroskopischen oder potentiometrischen Methoden ergibt keine sprunghaften Änderungen. Bei der Substitution einzähniger Liganden gegen Chelatliganden können die Stufen und definierten Spezies dagegen fassbar sein, da die Komplexbildungskonstanten sich leicht um mehrere Zehnerpotenzen unterscheiden.

3.10 Stabilität von Metallkomplexen

477

3.10.5 Der Chelateffekt – Anwendungen Stöchiometrische Ligandenaustauschreaktionen mit mehrzähnigen Chelatliganden lassen sich zur quantitativen Bestimmung von Metallionen einsetzen. Bei dem maßanalytischen (titrimetrischen) Verfahren der Komplexometrie (Chelatometrie) wird das zu bestimmende Metallion mit dem Komplexbildner (Komplexon) als Maßlösung in einen definierten, stabilen wasserlöslichen Chelatkomplex überführt. Als kommerziell verfügbare Chelatbildner werden z.B. eingesetzt Nitrilotriessigsäure, Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) und ihr Dinatriumsalz. CH2COOH HOOCCH2 N CH2COOH Nitrilotriessigsäure, NTA, Titriplex I® Anwendung:

–OOC

H2C

–OOC

H2C

N

N

CH2 COO– CH2 COO–

Ethylendiamintetra-acetat, EDTA4–, -essigsäure ('EDTA', EDTAH4) Titriplex II®, - als Dinatriumsalz (EDTAH2Na2) Titriplex III®

Komplexone in der Chelatometrie, Builder in Waschmitteln, Stabilisatoren durch Komplexierung von Metall-Katalysatoren

Metallkomplexe von EDTA: Sequestren®, Sequestren®138Fe, Sequestren®Na2Cu, Sequestren®Na2Mn zur Pflanzenernährung in Düngemitteln

Die Komplexbildner NTA und EDTA spielten zeitweise eine große Rolle in der Wasserenthärtung. Sie eignen sich gut als Builder, also als funktionelle Inhaltsstoffe von Waschmitteln, die im Waschprozess zur Enthärtung des Wassers durch Komplexieren von Calcium- und Magnesiumionen dienen und zugleich die Waschwirkung durch ihre Alkalität und durch das Dispergieren von Pigmentschmutz unterstützen. Lange Zeit wurde diese Aufgabe vom multifunktionellen Pentanatriumtriphosphat wahrgenommen, bevor es wegen seiner eutrophierenden Wirkung auf stehende oder langsam fließende Oberflächengewässer verboten wurde. Zwischenzeitlich kam es dann zum Einsatz von mehrzähnigen Chelatliganden, wie NTA und EDTA. Da die eingesetzten Komplexbildner jedoch zur Remobilisation von in Sedimenten abgelagerten Schwermetallen führten, wurden in Deutschland Empfehlungen erlassen, ihre jährliche Einsatzmenge und maximale Konzentration in Gewässern zu begrenzen. Mittlerweile wird der Markt für Builder von einem Dreikomponentensystem aus Zeolith A, Soda und Polycarboxylaten beherrscht. Nitrilotriessigsäure ist in einer Reihe von Ländern (z. B. Kanada, Niederlande) aber noch als Phosphat-Substitut im Gebrauch, da es zu 95 % biologisch abbaubar und mindergiftig ist. Stabilisatoren. Komplexbildner können gezielt zur Bindung von Schwermetallionen durch Chelatisierung eingesetzt werden. Als Bestandteil von Waschmitteln bindet EDTA Schwermetallspuren, die sonst die Zersetzung der als Bleichmittel enthaltenen Peroxoverbindungen katalysieren würden. Auch in der Papier- und Zellstoffindustrie eingesetzte Peroxidbleichmittel und empfindliche Komponenten z. B. in Kosmetika werden so durch Chelatbildner stabilisiert. Als Schwermetallkomplex findet EDTA in der Pflanzenernährung Anwendung. Aus Düngemitteln lassen sich als Metallchelate gelöste Spurenelemente den Wurzeln von Kulturpflanzen z. B. zur Stimulierung des Wachstums und der

478

3 Komplex-. Koordinationschemie

Behebung von Eisen-, Kupfer-, Mangan- und Zinkmangel zuführen. Die Metallchelate auf Basis von EDTA sind unter der Bezeichnung Sequestren® im Handel, z. B. als Sequestren®138Fe, Sequestren®Na2Cu und -Na2Mn mit den angegebenen Metallen. Chelatliganden werden in der Medizin zur Dekorporierung von Metallen, insbesondere als Antidota, d. h. Gegenmittel bei Schwermetallvergiftungen des Organismus eingesetzt. Das Dinatriumsalz von EDTA findet Anwendung bei der Dekorporierung von Calcium-Depots. Über die Veränderung des Serum-Calciumspiegels lassen sich Wechselwirkungen mit Herzglykosiden, Antiarrhythmika und mit Mitteln zur Blutgerinnung steuern. Das Calcium-dinatrium-Salz von EDTA (Natriumcalciumedetat, Calcium vitis®) dient ebenso wie das verwandte Calcium-trinatrium-diethylentriamin-N,N,N#,N$,N$-pentaacetat (DTPA, Ditripentat-Heyl®) als Diagnostikum und zur Therapie von akuten, chronischen und latenten Bleivergiftungen. Außerdem ermöglichen sie die Eliminierung der Schwermetalle Cadmium, Cobalt, Kupfer, Nickel, Chrom, Mangan, Quecksilber, Vanadium, Zink und von Radioisotopen des Urans. Eine weitere Applikation ist die Diagnose und Therapie der Eisen-Speicherkrankheit (s. u.). Bei Vergiftungen mit Quecksilber, aber auch chronischen Bleivergiftungen und zur möglichen Steigerung der Elimination von Arsen, Kupfer, Antimon, Chrom und Cobalt, wird 2,3-Dimercapto-1-propansulfonsäure in Form des Natriumsalzes (Dimaval®, DMPS-Heyl®, Mercuval®) als effizienter Chelatbildner eingesetzt. Eliminierung / Dekorporierung von Calcium-Depots

Dinatriumsalz von EDTA

Calcium-dinatrium-Salz von EDTA, Natriumcalciumedetat Calcium vitis® –



OOCCH2 OOCCH2

CH2COO– N CH2 CH2 N CH2 CH2 N

CH2COO– CH2COO–

Pb, V, Cr, Mn, Co, Ni, Cu, Zn, Cd, Hg, U

Diethylen-triamin-N,N,N',N'',N''-pentaacetat, DTPA – als Ca-Na3-Salz: Ditripentat-Heyl® * H2C CH CH2S(O)2OH 2,3-Dimercaptopropan-1-sulfonsäure, DMPS HS NH2 – als Natriumsalz: Dimaval®, DMPS-Heyl®, Mercuval®

Hg, Pb As, Sb, Cr, Co, Cu

Die Verbindung Deferoxamin (Desferrioxamin, Desferal®) wird in Form des Methansulfonats als ein Eisen-bindendes Antidot therapeutisch bei akuter Eisenvergiftung und bei der Eisen-Speicherkrankheit (Hämochromatose) eingesetzt. O C(O)CH3 O H Fe – akute Eisenvergiftung H2N (CH2)5 N C (CH2)2 C N (CH2)5 N – bei Eisen-Speicherkrankheit 2 OH OH (Hämochromatose) ® – als Methansulfonat: Desferal Deferoxamin, Desferrioxamin

Die Substanz D-Penicillamin, als Kurzbezeichnung für D-2-Amino-3-mercapto3-methylbuttersäure oder 3-Mercapto-D-valin (β, β-Dimethylcystein), zeigt ein breites therapeutisches Wirkungsspektrum und wird u. a. bei chronischer Poly-

3.10 Stabilität von Metallkomplexen

479

arthritis (Wirkungsmechanismus hier noch unbekannt) und als Komplexbildner bei Vergiftungen mit Schwefel-affinen Schwermetallen, wie Kupfer, Blei, Quecksilber, Arsen und Zink eingesetzt (Metalcaptase®, Trisorcin®, Trovolol®). Insbesondere ist seine Verwendung bei der Kupfer-Speicherkrankheit Morbus Wilson zu erwähnen. Die Aminosäure Penicillamin ist ein Abbauprodukt des Penicillins und durch Hydrolyse aus diesem zu gewinnen, daher der Name. Als therapeutisches Mittel kann nur die D-Form eingesetzt werden, die L-Form ist toxisch. Ebenfalls bei Morbus Wilson und als Antidot gegen Schwermetallvergiftungen, insbesondere mit Quecksilber, Eisen, Polonium, Zink und Cadmium, wird N-(2Mercaptopropionyl)-glycin (Thiopronin, Captimer®) eingesetzt. CH3 D-Penicillamin, * H3C C CH COOH D-2-Amino-3-mercapto-3-methylbuttersäure, 3-Mercapto-D-valin, β,β,-Dimethylcystein HS NH2 Metalcaptase®, Trisorcin®, Trovolol® O H H H3C C* C N CH2 COOH HS

Thiopronin, N-(2-Mercaptopropionyl)-glycin

S-affine Schwermetalle Cu, Zn, Pb, Hg, As - bei Kupfer-Speicherkrankheit (Morbus Wilson)

Fe, Cu (Morbus Wilson), Zn, Hg, Cd, Po

Captimer®

Unter den Metall-Speicherkrankheiten versteht man Stoffwechselstörungen, die zu einer erhöhten und damit toxischen Aufnahme von ansonsten essentiellen Metallen wie Eisen und Kupfer führen. Bei der Wilson'schen Krankheit (Morbus Wilson) werden, genetisch bedingt, durch das Fehlen von Caeruloplasmin, einem Kupfer-Transportprotein, Kupferverbindungen vermehrt in Gehirn, Leber, Auge u. a. Geweben abgelagert. Die Krankheit führt unbehandelt zum Tode. Für medizinische Anwendungen von Metallkomplexen mit nicht-Chelatliganden s. Abschn. 3.16. Als Kontrastmittel für die magnetische Resonanz- oder Kernspintomographie (MRT, MRI, I Z imaging)1 werden paramagnetische Gadolinium (III)-Komplexe (Spin 7.2) mit Chelatliganden diagnostisch eingesetzt. Beispiele sind der Gadoliniumkomplex mit DTPA (Gadopentetsäure, Magnevist®) oder mit DTPA-Bismethylamid (Gadodiamid, Omniscan®) und der Komplex mit dem 1,4,7,10-Tetraazacyclododecan-1,4,7,10-tetraacetat-(DOTA-)Macrocyclus (Dotarem®) oder dem verwandten Hydroxypropyl-tetraazacyclododecan-triacetato-(HP-DO3A-)Liganden (Gadoteridol, ProHance®) (Abb. 3.42). Alle vier Liganden umgeben das Gadoliniumatom mit den vier oder drei Amin-Stickstoffatomen und den vier oder fünf Sauerstoffatomen der Carboxylat-, Amid-, oder Hydroxylfunktion. Ergänzt wird die Koordinationssphäre dann noch durch einen labilen Aqualiganden, sodass insgesamt eine Koordinationszahl von neun erreicht wird. Im freien ionischen Zustand ist Gadolinium toxisch. Die anionischen Komplexe Gd (DTPA)2K und Gd (DOTA)K waren die ersten klinisch angewandten MRI-Kontrastmittel und stellen Referenzsubstanzen für Neuentwicklungen dar. Sie werden für die Ganzkörper-NMR-Tomographie eingesetzt. Das nichtionische Gd-DTPA-BMA und Gd-HP-DO3A sind Kontrastmittel für das Zentralnervensystem. 1

Der Medizin-Nobelpreis 2003 wurde an P. C. Lauterbur und P. Mansfield für ihre grundlegenden Arbeiten zu MRI verliehen.

480

3 Komplex-. Koordinationschemie OH2

O– O

O



3+

O N

Gd

O N

N

O



2–

O



O

O







O

N

Gd

3+

N

N

O

N

O

O

0

O

O N –

NHCH3

O

Gd-DTPA-BMA 0



O

N

O

3+

Gd-DTPA

O



O

Gd

O N

H3CNH

O

O



OH2

O– O



O



O

OH2

N

O



O

N

Gd N

3+

N

O



O

OH2

HO O

Gd-DOTA

CH3

Gd-HP-DO3A

Abb. 3.42 Strukturen von klinisch angewandten Gadoliniumkomplexen als Kontrastmittel für die magnetische Resonanz- oder Kernspintomographie. Es kommt zur Ausbildung von sieben oder acht fünfgliedrigen Chelatringen zwischen Ligand und Gadoliniumion. Die hohe Zahl an Donoratomen in den Liganden (8-zähnig!) und Chelatringen ist zu einer effektiven Chelatisierung des toxischen Gd3C-Ions notwendig. Der labile, schnell austauschende Aqualigand in der neunten Koordinationsstelle am Metallatom ist für den Kontrastmittel-Effekt relevant.

MRI-Kontrastmittel werden im Gegensatz zu Röntgenkontrastmitteln oder Radiopharmaka nicht direkt abgebildet, sondern über ihren Einfluss auf das Relaxationsverhalten der Wasserprotonen detektiert. Paramagnetische Substanzen haben durch die ungepaarten Elektronenspins ein lokales magnetisches Feld, das über dipolare Wechselwirkungen eine Verkürzung der Relaxationszeiten T1 und T2 der sie umgebenden Kerne (hier Protonen) bewirkt (T1 Z Spin-Gitter- oder longitudinale Relaxationszeit, T2 Z Spin-Spin- oder transversale Relaxationszeit). Dies führt im NMR-Tomogramm zu einer erhöhten Bildintensität und zu verkürzten Aufnahmezeiten. Das magnetische Feld des paramagnetischen Zentrums fällt schnell mit der Entfernung ab (~1.r6), sodass für die Übertragung des paramagnetischen Effekts eine räumliche Nähe (innerhalb 5 Å) der Wassermoleküle zum Metallion wichtig ist. Die Erhöhung der Protonen-Relaxationsgeschwindigkeiten setzt sich aus Beiträgen des Aqualiganden-Austauschs in der inneren, ersten Koordinationssphäre und der Wassermolekül-Diffusion entlang des Gadoliniumkomplexes zusammen (Abb. 3.43). Der erste Beitrag wird auch als „innersphere-Relaxation“, der zweite als „outer-sphere-Relaxationsmechanismus“ bezeichnet. Wasserstoffbrücken-gebundene Wassermoleküle in der zweiten Koordinationssphäre werden dabei nicht von einer outer-sphere-Relaxation unterschieden. Die gesamte paramagnetische Relaxationsbeschleunigung normiert auf die Konzentration des Gd-Chelatkomplexes wird Relaxivität genannt und hängt von der Messfrequenz ab. Für Komplexe der Größe von Gd-DTPA und Gd-DOTA ist der outer-sphere-Anteil etwa 40K50 % der beobachteten Relaxivität. Für eine höhere inner-sphere-Relaxivität wäre eine größere Zahl von freien Koordinationsstellen für schnell austauschende Aqualiganden am paramagneti-

3.10 Stabilität von Metallkomplexen

H2O

H2O

481

H2O H2O H O H2O H2O 2

H2O H2O H O Ros Liganden2 H2O 3+ H2O Gd OH2 H2O is hülle R H O H2O H2O Ros 2 H2O H2O H2O H2O H2O H2O H2O

H2O

Abb. 3.43 Schematische Darstellung der Relaxationsmechanismen in der wässrigen Lösung eines paramagnetischen Gd-Chelatkomplexes. Ris Z inner-sphere-Relaxation, Ros Z outer-sphere-Relaxationsmechanismus.

schen Zentrum günstig. Dem steht die Notwendigkeit einer effektiven Chelatisierung des toxischen Gd3C-Ions mit einem mehrzähnigen Liganden zu einem inerten, nichttoxischen Komplex entgegen. Kontrastmittel der nächsten Generation sollen als in-vivo-Sensoren für pHWerte, Konzentrationen von physiologisch relevanten Metallionen, krankheitsrelevante Enzyme oder den Sauerstoff-Partialdruck dienen. Neuentwicklungen basieren häufig auf funktionalisierten Derivaten der DTPA- oder DOTA-Liganden. Der nachstehende zweikernige Gadoliniumkomplex wäre ein Kontrastmittel, dessen Effekt auf die Spinrelaxationszeiten der Wasserprotonen durch die Calcium-Ionenkonzentration moduliert wird. Das Calciumion schaltet den innersphere-Relaxationsmechanismus an, indem es durch Komplexierung von Acetatgruppen diese aus der Gadoliniumkoordination löst. Die innere Koordinationssphäre des paramagnetischen Gd3C wird erst dann für Aqualiganden zugänglich. COO–

– O OC



OOC

–N

N

N

N

CO O–

OOC Gd3+ –OOC O

– O OC

H2O

N

O

O Ca2+

COO– N

N

OC – O N

N

N

N

N

COO– Gd3+ COO–

O– CO

O



OOC

CO OC N N – O– O 3+ – Gd – COO Ca2+ OOC N N N COO– –OOC N N O O O O N

Gd3+

O– CO OH2

482

3 Komplex-. Koordinationschemie

Als Radiopharmazeutika zur Diagnose werden Komplexe mit den γ-Strahlern 99m Tc (141 keV) und 111In (245, 172 keV) eingesetzt, bis auf wenige Ausnahmen (z. B. 99mTc-Sestamibi, Abschn. 3.16) als Chelatkomplexe. In der Regel dienen lipophile kationische 99mTc-Komplexe aufgrund ihrer Affinität zur Abbildung der Herzdurchblutung. Neutralkomplexe können die Blut-Hirn-Schranke überwinden und ermöglichen die Untersuchung der Hirndurchblutung. Anionische 99mTcKomplexe werden für Nieren-Abbildungen verwendet. Beispiele für 99mTc-Chelatkomplexe zur radiopharmazeutischen Diagnose Herzmuskel-Durchblutung:

+

R2 O R2 5+ P P

Tc

P R2 O

N

P R2

R = -CH2CH2OEt 99mTc-Tetrafosmin, Myoview® Gehirn-Durchblutung: N

N O

N

Tc

H

S

COO–

Technescan-MAG3®

N

Tc

N

5+

S

CO2Et

Neurolite®

N

5+

99mTc-Mertiatid,

0

O

99mTc-Bicisat,

O

N

Tc

O

2–

O O N

H

S

Ceretec®

O

O

R = -CH2CH2CH2OMe 99mTc-Q12 Technescan Q12®

99mTc-HMPAO,

Nieren-Abbildung:

3+ N

Tc

PR3

EtO2C

N O

5+

O

O

0

O

+

PR3

[99mTc-Pentetat]n–, DTPA-Komplex (Struktur unbekannt), Techneplex®

Für zielspezifische Radiopharmazeutika werden bifunktionale Chelatliganden (BFCs) eingesetzt, die das Radiometall mit einem rezeptorspezifischen Biomolekül, z. B. einem Peptid verknüpfen. Ein BFC mit DTPA dient zum Anbringen von 111In an Octreotid, ein 8-Aminosäurepeptid als Somostatin-Analogon. Das 14-Aminosäurepeptid Somostatin ist ein Hormon im menschlichen Organismus. Zahlreiche normale Organe und auch eine große Zahl menschlicher Tumore besitzen Somostatin-Rezeptoren. 111In-DTPA-Octreotid (OctreoScan®) ist für die Abbildung von bestimmten hormonproduzierenden (neuroendocrinen) Tumoren zugelassen. 99mTc-Deptreotid (Neotect®) dient zur Abbildung von Somostatinrezeptortragenden Lungentumoren. –

O O

N O O

O O

N

N

In

3+

O

O

H N (D)Phe Cys Phe (D)Trp S

O

111In-DTPA-Octreotid,

S Thr(ol) Cys OctreoScan®

Thr

Lys

3.10 Stabilität von Metallkomplexen NH2

NH2 O

H2N O

483

N H

O N

S

(N-Me)Phe

O O

N

Tc

N H2

5+

H N

99mTc-P829, 99mTc-Deptreotid,

Hcy

Tyr

(D)Trp

Val

Lys

O Neotect®

Einige Metalle, die zum Mineralstoffhaushalt menschlicher (und tierischer) Organismen gehören, werden als so genannte Mineralstoffpräparate zur Steigerung der Metallzufuhr und zur Behebung von nachgewiesenen Mangelzuständen angeboten. Dazu gehören Verbindungen des Eisens, Kupfers und Zinks, also Mikroelemente mit Spurenelement-Charakter, die hauptsächlich eine katalytische Funktion ausüben. Die Makroelemente Calcium, Natrium, Kalium und Magnesium sind als Baustoffe unentbehrlich. Viele dieser Präparate enthalten einfache anorganische Salze, wie etwa Eisen (II)-Sulfat, Zinksulfat, Natriumchlorid oder -fluorid, Kaliumchlorid oder -hydrogencarbonat, Magnesiumoxid, -hydrogenphosphat, -carbonat, -chlorid oder -sulfat und Calciumcarbonat oder -phosphat. Zahlreiche Präparate enthalten die Metalle aber als Salze oder Komplexe organischer Säuren, die chelatisierend koordinieren. Häufig anzutreffen sind DL-Aspartate (Zn, Mg, Ca), Citrate (Na, Mg, Ca), Orotate (Cu, Zn, Mg, Ca), Gluconate (Fe, Zn, Ca) und Adipate (K, Mg). Im Falle von Calciumcarbonat erfolgt häufig auch eine Formulierung mit einem Überschuss an Citronensäure. Anionen organischer Säuren in Mineralstoffpräparaten



OOC CH2

Aspartat/Hydrogenaspartat (Salz der Asparaginsäure) O NH –

OOC

N H

O

Orotat (Salz der Orotsäure)

H HO H H

COO– OH H OH OH CH2OH

H2C COO–

NH2 * COO– H

Gluconat (Salz der D-Gluconsäure)

HO C COO– H2C COO– Citrat (Salz der Citronensäure)



OOC

COO–

Adipat (Salz der Adipinsäure)

Medikamente können durch Komplexbildung in ihrer Wirkung beeinträchtigt werden oder es kann zu unerwünschten Nebenreaktionen kommen. Ein Beispiel sind die Breitbandantibiotika aus der Reihe der Tetracycline. Mit Ca2C- und anderen Ionen reagieren Tetracycline unter Chelatisierung. Sie müssen daher mit 2 Stunden Abstand zu Milchprodukten eingenommen werden. Als Calciumphosphatkomplexe werden Tetracycline in Gewebe eingelagert, die reich an Ca2CIonen sind, z.B. die wachsenden Knochen und die Zahnanlagen des ungeborenen Kindes sowie auch noch in der Phase des schnellen Knochenwachstums und der ersten Zahnbildung. Knochen und Zähne können dadurch geschädigt werden. Bei Zähnen ist die Schädigung durch gelbfarbene Streifen erkennbar. Diese

484

3 Komplex-. Koordinationschemie

Komplexierung von Calcium in wachsenden Knochen und Zähnen begründet die Kontraindikation für Tetracycline bei Kindern und Schwangeren. H3C OH

H

N(CH3)2 OH

OH OH O

OH O

C(O)NH2

Tetracyclin

Chelatkomplexe in der Natur. Wichtig ist die Häm-Gruppe für den Sauerstofftransport im Blut (Hämoglobin), die Sauerstoffspeicherung in den Muskeln (Myoglobin) und die Sauerstoffumsetzung in den Zellen (Cytochrom-c) (s. Abschn. 3.12). Im Blattgrün (Chlorophylle, Dihydroporphyrin- oder ChlorinRing als vierzähniger Chelatligand), im Vitamin B12 und Coenzym B12 (CorrinRing als zugrunde liegender Chelatligand) finden sich weitere Beispiele für Chelatkomplexe in Organismen, die zugleich die hohe Komplexität biologischer Chelatliganden verdeutlichen. R3

R2 R1

N

R4

N

Fe 2+ N N

R8 R7

R5 R6

Häm-Gruppe (mesomere Grenzform) Porphyrinato-Fe2+-Komplex

CH2

R2

H3C

H 3C R3OOC

CH2

R1

*

N N L Mg N N

CH3

*

* H3COOC

Chlorophyll a R1 = CH3 R2 = C2H5 R3 = Phytyl

O

Chlorophyll b R1 = CHO R2 = C2H5 R3 = Phytyl

R2

H 3C

H 3C HOOC

Chlorophyll

R1

*

N N L Mg N N

CH3

*

* H3COOC

O

Chlorin-(Dihydroporphyrin-) Ligand (eine Doppelbindung weniger als in Porphyrin-Ligand). Das Mg-Ion ist fünffach koordiniert; Anbindung an Proteinrückgrat oft durch Imidazolring (L) einer HistidinAminosäure (das vierfach-koordinierte Mg in Chlorophyll ist eine häufige, ungenaue Darstellung).

Chlorophyll c c1 R1 = CH3, R2 = C2H5 Phytyl: c2 R1 = CH3, R2 = CH=CH2 1 2 c3 R = COOCH3, R = CH=CH2

CH3 H 3C

H3C

3

3.10 Stabilität von Metallkomplexen C(O)NH2 H2N(O)C

H2N(O)C O

L

H3C H3C

N

N

O–

HN H

O CH3

P O

N

CH3

C(O)NH2

CH3

CH3 O

N

HO N O

HO

N

Hervorhebung des Corrin-Liganden

CH3

CH3

C

Co

Vitamin B12 und Coenzym B12

C(O)NH2

CH3

485

CH3

C(O)NH2

L = H2O, Aquacobalamin, evtl. native Form von Vitamin B12 L = CN, Cyanocobalamin, Artefakt der Isolierung von Vitamin B12 in Gegenwart von CN– L = CH3, Methylcobalamin, Reagenz für Biomethylierungen HO

CH3 L = 5'-Desoxyadenosyl, Adenosylcobalamin, Cobamamid, Coenzym B12

H2C (Co)

OH O

N N

N N NH2

Solubilisierung und Mobilisierung von Metallionen zur Bioverfügbarkeit. Natürliche Eisen (III)-Vorkommen zeichnen sich bei neutralem pH-Wert durch eine weitgehende Unlöslichkeit aus, sodass selbst in eisenreichen Böden nur sehr geringe Konzentrationen des hydratisierten Ions in Lösung zur Verfügung stehen. Gleichzeitig ist Eisen ein biologisch essentielles Metall (s. Kap. 5). Es ist z. B. von Bedeutung in Oxidasen (Oxidationsenzymen), bei Sauerstofftransport und speicherung (Hämo- und Myoglobin, Abschn. 3.12), in Proteinen für die Elektronenübertragung (Cytochrome) oder bei der Stickstofffixierung (Abschn. 3.13). In der Natur mussten deshalb spezielle Mechanismen für die Eisenaufnahme entwickelt werden. Die Pflanzenwurzeln scheiden Verbindungen aus, die z. B. mit Eisenionen des Bodes leicht resorbierbare Chelate bilden. Diese sind am besten bei Bakterien verstanden, die dafür kleine Moleküle, die so genannten Siderophore synthetisieren, die unter Eisenmangel gebildet werden. Es handelt sich um chelatisierende Verbindungen, die vom Bakterium an die Umgebung abgegeben werden, wo sie das Fe3C mit hoher Affinität binden und so durch Komplexierung in eine lösliche Form bringen, in der es die Zelle aufnehmen kann. Dort erfolgt eine Reduktion zu Fe2C zu dem die Siderophore nur noch eine geringe Affinität besitzen, sodass auf diese Weise das Eisenion leicht ausgetauscht werden kann (Stabilität M2C ! M3C, Abschn. 3.10.3). Die Verbindung Enterobactin (H6ent) ist eines der am besten untersuchten Siderophore. Die Anbindung des Metallions erfolgt über die Sauerstoffatome der deprotonierten Hydroxylgruppen der Brenzkatechin- oder Catecholeinheiten als Tris (chelat)komplex. Dies konnte aus der Ähnlichkeit des Absorptionsspektrums mit dem eines Tris (catecholato)metallat (III)-Komplexes geschlossen werden und ist auch durch Kristallstrukturuntersuchungen belegt. Die Bruttostabilitätskonstante β für den Eisen (III)-Komplex des Enterobactins [Fe (ent)]3K beträgt 1049 l.mol. Die [M(ent)]-Metallverbindungen sind optisch aktiv, d. h. eines der beiden optischen Isomere (Λ oder ∆, Abschn. 3.8) eines Tris (chelat)komplexes überwiegt. Aus dem Vergleich der Circulardichroismus(CD-)Spektren des Komplexes [Cr (ent)]3K mit den Spektren der beiden Λ- und

486

3 Komplex-. Koordinationschemie

Enterobactin H6ent→ent6– OH



O



O O O

OH Catechol, Brenzkatechin

Tri-Ester-Ring (12-Ring)

*

* O

O–

NH O

O HN

Blick entlang der 3-zähligen Achse eines ∆-M(ent)-Komplexes, (geometrieoptimiertes Modell, M-catecholat-Teil nach vorne, Esterring ist verdeckt)

Catechol(at)Seitenketten

O O

O *

O



O

N H

O–

O–

∆-Tris (catecholato)chromat (III)-Konfigurationen konnte für den Enterobactinkomplex auf ein ∆-Isomer geschlossen werden (Abb. 3.44, zum CD-Effekt s. Abschn. 3.19). Die zusätzlichen chiralen Atomgruppen (alle S-Konfiguration) im zwölfgliedrigen Trilactonring von Enterobactin bedingen, dass die Λ- und ∆-Konfiguration des [M(ent)]-Komplexes zueinander diastereomer und nicht enantiomer sind.

[Cr(ent)]3–

∆-[Cr(ent)]3–

Cr

3–

O O

3

Abb. 3.44 Circulardichroismus-(CD-)Spektren von Chrom (III)-Enterobactin (oben) und der enantiomeren Λ- und ∆-Konfiguration von Tris (catecholato)chromat (III) (unten) für einen analogen elektronischen Übergang. Der Vergleich legt die ∆-Konfiguration für den [Cr (ent)]3K-Komplex nahe.

Die Überführung der Schwermetalle in lösliche Komplexe wird auch Sequestrierung (engl. sequester Z entfernen, beschlagnahmen) genannt. Die Chelatliganden sind dann Sequestrierungsmittel (engl. sequestrants).

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

487

Mit Kronenethern erhält man Alkalimetallkomplexe mit hohen Stabilitätskonstanten (β O 1020). Je nach Größe des Ringes bzw. Länge der Polyetherbrücken kann man eine Selektivität innerhalb der Alkalimetallkationen LiC, NaC oder KC einstellen. Organische Reaktionen unter Beteiligung von Salzen können mit Hilfe von Kronenethern in unpolaren, aprotischen Lösungsmitteln in homogener Phase durchgeführt werden. Eine Metallkomplexierung in Ionenpaaren bewirkt die Aktivierung des Anions und beeinflusst daher stark dessen Basenstärke und Nucleophilie, etwa in Carbanionenreaktionen, Alkylierungen und Umlagerungen. Durch die alleinige Solvatisierung des Kations mit dem Kronenether werden sehr reaktive, nichtsolvatisierte Anionen freigesetzt, die unter milden Bedingungen und im neutralen Medium in der organischen Synthese als starke Nucleophile, Basen oder Oxidationsmittel fungieren können. Umgekehrt wird das Kation deaktiviert und Reaktionswege, die unter Metallionen-Beteiligung ablaufen, werden inhibiert. Durch Zusatz dieser Komplexbildner können auf diese Weise auch die Mechanismen von Ionenreaktionen, die Bedeutung der Anionenaktivierung und die Beteiligung von Kationen aufgeklärt werden. Die Phasentransferkatalyse ist ein weiteres Anwendungsgebiet.

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen Viele Reaktionen sind in der anorganischen Chemie (noch) nicht in der gleichen Weise verstanden wie in der organischen Chemie. In der anorganischen Chemie sind allgemeine Voraussagen von Reaktionen für eine Vielzahl von Zentralatomen und unterschiedlichen Liganden prinzipiell schwieriger.

3.11.1 Substitutionsreaktionen Die Reaktionsrichtung oder die Lage des Gleichgewichts für den Austausch (Substitution) von Liganden lässt sich aus den thermodynamischen Stabilitäten der Komplexe, d. h. unter Berücksichtigung der Ligandenstärke, des HSAB-Prinzips und des Chelateffekts abschätzen (s. Abschn. 3.10): Ligandenstärke: M(schwacher Lig.) C starker Lig.

M(starker Lig.) C schwacher Lig.

HSAB-Prinzip: hartes-M(weicher Lig.) C harter Lig. weiches-M(harter Lig.) C weicher Lig.

hartes-M(harter Lig.) C weicher Lig. weiches-M(weicher Lig.) C harter Lig.

Chelateffekt: M(L)2 C LhL

M(LhL) C 2 L

In quadratisch-planaren Komplexen ermöglicht der trans-Effekt eine Vorhersage der Substitutionsrichtung. Der trans-Effekt bezeichnet die Labilisierung von Liganden in trans-Stellung zu trans-dirigierenden Liganden T.

488

3 Komplex-. Koordinationschemie T

trans-Effekt A,B,C < T T A

M

B

A

M

B D

+D

C

T D

M

B C

,

D A

M

B C

T

,

A

M

D C

Der Ligand T mit der stärksten trans-dirigierenden Fähigkeit labilisiert die Bindung des ihm gegenüber (trans-)stehenden Liganden (C) und bringt damit in einer Substitutionsreaktion den neuen Liganden (D) in diese Position. Der transEffekt ist ein kinetischer Effekt, der hauptsächlich bei planar-quadratischen Komplexen ausgeprägt ist, untersucht und angewendet wird. Er findet sich aber auch bei oktaedrischen Komplexen (s. u.). Aus dem Vergleich einer Vielzahl von Substitutionsreaktionen lassen sich die Liganden nach der Stärke ihres transEffekts in der trans-dirigierenden Reihe anordnen: < NH3 < Cl– < Br– < I– ~ < SCN– ~ < NO2– < S=C(NH2)2 ≈ CH3– H2O < OH– < RNH2 < Pyridin ~ Zunahme des trans-dirigierendes Einflusses (trans-Effekt)

< R2S < R3P ≈ H– < NO ≈ C2H4 ~ < CO ~ < CN–

Deutung: Zunahme der Polarisierbarkeit der Liganden (Grinberg-Modell) bessere σ-, π-Wechselwirkung der Liganden (Chatt-Orgel-Modell)

Der trans-Effekt kann für die gezielte Darstellung von isomeren Platinkomplexen eingesetzt werden kann. Dabei muss die höhere Labilität einer PtdCl- gegenüber einer PtdN-Bindung berücksichtigt werden. Das Interesse am transEffekt in Platinkomplexen hängt mit der Bedeutung von cis-Diammindichloroplatin (Cisplatin) als Cytostatikum zusammen (Abschn. 3.16). Cl Cl Cl Cl Cl Cl

Pt

Pt

Pt

Cl

2–

NH3

Cl Cl

Cl 2–

py

Cl Cl Cl

Cl

Cl Cl

2–

2NH3

Cl Cl

Pt

Pt

Pt



Br–

Cl

+Labilität

Cl

Br–

Cl

+Labilität

Cl

NH3

py

py

NH3

Labilität!

Cl

NH3 Cl py Cl



= stärkster trans-dirigierender Ligand

Pt

Pt

Pt



NH3

py

Br py

Cl –

NH3

Br NH3

py

H3N Cl

+

Br–

NH3

py Cl

Pt

Pt

Pt

NH3 Br py Br Br NH3

py = Pyridin, C5H5N

Zur Unterscheidung von cis- und trans-[PtX2A2]-Komplexen (X Z Halogenid, A Z Amin) dient die Reaktion mit Thioharnstoff (th). Im Komplex trans[PtA2th2]2C labilisieren sich die beiden Amingruppen nicht, sodass kein weiterer Einbau von Thioharnstoff erfolgt. Die Reaktion ist nach Umsetzung von zwei thÄquivalenten zu Ende (Kurnakov-Test).

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen Cl Cl

Pt

Cl H3N

NH3

th

th

Pt

NH3 Labilität! Cl

Pt

th

NH3 th Cl

Pt

H3N

+

NH3

th

th

NH3

Cl +

NH3

th

th

Cl

H3N

Pt

Pt

+

NH3

th

th

Labilität! th

th

Pt

NH3 th

2+

th

th th

Pt

489 th

2+

th

2+

NH3 th

NH2 th = Thioharnstoff, S C NH2

= stärkster trans-dirigierender Ligand

Deutung des trans-Effekts. Nach Grinberg führen unterschiedlich gut polarisierbare Liganden um ein Metallion zu einer unsymmetrischen Ladungsverteilung im Metallion selbst. Dadurch wird die MdL-Bindung trans zu einem besonders gut polarisierbaren und damit trans-dirigierenden Liganden T gelockert. Dieses Modell erklärt für viele Liganden deren Stellung in der trans-dirigierenden Reihe recht gut, versagt bei einigen aber auch. Es erklärt z.B. nicht, weshalb der neutrale CO-Ligand stärker trans-dirigierend ist als etwa die negativ geladenen Halogenidionen. Grinberg Modell: Unsymmetrische Ladungsverteilung + A –

gut polarisierbarer Ligand T T

+



Abgangsgruppe

+ M– – L + – A +

Abstoßung durch Polarisation

Nach Chatt und Orgel konkurrieren die trans-zueinander stehenden Liganden um die σ- und π-Bindungen zum Metall (MO-theoretischer Ansatz). Das Einmischen von p-Funktionen in die d-Orbitale verstärkt dabei die Bindung zu dem Liganden, der mit seinen Orbitalen aufgrund ihrer energetischen Lage und Größe eine bessere Orbitalwechselwirkung aufbaut. Gleichzeitig wird durch die pQd-Orbitalmischung am Metallatom die Bindung zu dem trans dazu stehenden Liganden geschwächt. Aufgrund der besseren Orbitalüberlappung erhält der Ligand T auf diese Weise trans-dirigierende Eigenschaften. Chatt und Orgel Modell: Wettbewerb um σT

L

M

M Metallp–dMischung

M

T

L

und π-Bindungen/Orbitale T

M

L

M Metallp–dMischung

T

M

L

⇒ komplementäre Stärkung und Schwächung von trans-Bindungen

490

3 Komplex-. Koordinationschemie

Unabhängig vom verwendeten Modell beruht die Beeinflussung der trans-zueinander stehenden Bindungen auf Gegenseitigkeit. Während die eine Bindung geschwächt wird, wird die gegenüberliegende gestärkt. Der trans-Effekt existiert auch in oktaedrischen Komplexen (Abb. 3.45). Cl

Cl

Cl

Cl

Cl Os Cl

Cl

Cl

Br Os Cl

I

Br

I

Cl

Br–

I

Br

Cl

I

Cl Os Cl

Br Os Cl

Cl

Br

Br

Cl

Br

Br

I

Cl

I

I

Br–

I

Os

(Ladung der Komplexe jeweils 2–)

I

Cl Os Cl

Br

I

Br Cl

Cl Os Cl

Cl

Abb. 3.45 Zweistufige Reaktionsfolge von cis-[OsCl4I2]2K mit BrK. Es sind sowohl die durch den trans-Effekt erhaltenen als auch die nicht gebildeten Isomere gezeigt. Eine weitere Umsetzung von [OsCl2Br2I2]2K mit BrK führt dann unter Verzweigung (Ersatz von ClK oder IK) und über alle möglichen Zwischenstufen zu [OsBr6]2K.

I

Os

I

Cl

Br

I

Der kinetische trans-Effekt darf nicht mit dem statischen trans-Einfluss verwechselt werden. Die gegenseitige Beeinflussung von trans-zueinander stehenden Liganden, die im Vergleich von thermodynamischen Grundzuständen bei Komplexen zum Ausdruck kommt, wird trans-Einfluss genannt. Die thermodynamische trans-Wechselwirkung führt z. B. zu Unterschieden in Bindungslängen, in Absorptions- oder Schwingungsspektren und Redoxpotentialen. Die statische trans-PdPddN- und trans-SdPddN-Konfiguration im gemischten Isothiocyanato-thiocyanato-Palladiumkomplex kann über eine π-Bindungskontrolle nach dem Chatt-Orgel-Modell gedeutet werden. Die Phosphangruppe ist ein schwacher π-Akzeptor, das Thioatom ein π-Donor. Die Aminogruppe und das N-Atom in SCNK bilden keine π-Bindungen (s. spektrochemische Reihe in Abschn. 3.9.8). Im Wettbewerb um die π-bindenden d-Orbitale am Metallatom ist die gefundene Anordnung, in der eine Konkurrenz zwischen P und S vermieden wird, thermodynamisch günstig. NMe2 P Pd N C Ph2 S C N

NMe2

NMe2 S

N C S

P

N C

P

S

S

S

C

C

N

N

Mechanistisch verläuft die Substitutionsreaktion bei quadratisch-planaren Komplexen nach einem Assoziationsmechanismus (A oder SN 2-Reaktion). Quadrat: Assoziationsmechanismus, A +E T

A

M

A

T

L

A

E M

A

L

T = trans-dirigierender Ligand L = Abgangsgruppe, Nucleofug

T

A

E M

A

T

–L

A

M

L E = eintretende Gruppe, Nuclophil A = unbeteiligte Liganden

A

E

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

491

Die eintretende Gruppe, das Nucleophil (E) bindet senkrecht zur Fläche des Quadrates in Richtung des z2- und pz-Orbitals an das Metallatom. Die zunächst quadratisch-pyramidale Ligandenanordnung kann sich über eine Pseudorotation (s. Abb. 3.3) in eine trigonal-bipyramidale Geometrie umlagern. Durch das Verlassen der trigonalen Ebene seitens des Nucleofugs (L) geht die ungünstigere Fünffachkoordination in ein quadratisch-planares Produkt über. Eine experimentelle Bestätigung für einen solchen Assoziationsmechanismus erhält man über die Abhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit von den Konzentrationen der beiden Edukte MTA2L und E sowie über eine Änderung der Geschwindigkeit mit der Art des eintretenden Nucleophils E oder bei einer Änderung des sterischen Anspruchs der inerten Liganden (Tabelle 3.15). Tabelle 3.15 Geschwindigkeitskonstanten für die Chlorid-Substitutionsreaktion [PtCl (R) (PEt3)2] C py $% [Pt (R) (PEt3)2 (py)]C C ClK (in Ethanol, py Z Pyridin). –1 –1 k [l mol s ] trans-Komplex (25 °C)

inerter Ligand R

–4

1.2 · 10

(Pt)

CH3 (Pt) CH3 H 3C

(Pt)

Zunahme des sterischen Anspruchs

1.7 · 10 –5 3.4 · 10 – 6

cis-Komplex (0 °C) 8 · 10 –2

Zunahme der 2 · 10 – 4 Reaktionsgeschwindigkeit 1 · 10 –6 (25 °C)

CH3

Für beide Isomere trans- und cis-[PtCl (R) (PEt3)2] ist der Trend bei den Geschwindigkeitskonstanten k in Übereinstimmung mit einem assoziativen Austausch. Die Änderung des sterischen Anspruchs des inerten Liganden R von Phenyl- über ortho-Tolyl- zum Mesitylrest bedingt eine zunehmende repulsive sterische Wechselwirkung mit dem eintretenden Pyridinliganden und behindert dessen Anlagerung. Die Reaktionsgeschwindigkeit wird langsamer. Falls die Reaktion nach einem dissoziativen Mechanismus abliefe (s. u.), wäre der Geschwindigkeitstrend gerade umgekehrt, da ein größerer Raumbedarf von R die Abspaltung des Chloridliganden fördern sollte. Die stärkere Variation in den Geschwindigkeitskonstanten beim cis-Isomer (10K2 !$ k $% 10K6 l.mol·s) stützt zudem die Formulierung eines trigonal-bipyramidalen Zwischenprodukts in dem die eintretende und die Abgangsgruppe sowie der ursprünglich trans zu ihr stehende Ligand die drei äquatorialen Positionen besetzen. Beim cis-Isomer muss die RGruppe dann die sterisch ungünstigere axiale Position einnehmen (drei 90(-Winkel zu den nächsten Liganden), während sie beim trans-Isomer auch in der äquatorialen Ebene zu liegen kommt (nur zwei im 90(-Winkel dazu stehende Liganden). Die für das Phenylderivat noch um über eine Größenordnung höhere Reaktionsgeschwindigkeit im cis-Komplex wird zum Mesitylderivat deshalb relativ viel stärker verringert.

492

3 Komplex-. Koordinationschemie Zwischenstufen py

+ py

cis-Komplex: Et3P

Et3P

Pt

Et3P

Cl CH 3

trans-Komplex:

Et3P

Et3P

Pt Cl

CH3

Pt

axiale Position von R mit dessen wachsendem CH3 sterischen Anspruch zunehmend R axial ungünstiger

CH3

+ py

PEt3

Cl

Et3P

py

PEt3

Pt

R equatorial

Cl

Für Substitutionsreaktionen bei oktaedrischen Komplexen kennt man verschiedene Mechanismen: Die Grenzfälle des Assoziationsmechanismus (A oder SN 2) und des Dissoziationsmechanismus (D oder SN 1) sowie dazwischenliegende Mechanismen mit wechselseitigem Austausch (Ia und Id). Beim assoziativen Mechanismus erfolgt die Anlagerung des neu eintretenden Liganden E zu einer heptakoordinierten Zwischenstufe, z. B. als pentagonale Bipyramide. Die Koordinationszahl des Metallions wird also zunächst erhöht, und erst dann wird die Abgangsgruppe L abgespalten. Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt von beiden Eduktkonzentrationen (MA5L und E) ab sowie von der Art der eintretenden Gruppe E. Oktaeder: Assoziationsmechanismus, A A

A

A M A

A

L

A

A

+E

A

M

L

A

A

E

A

A

A M A

A

E

+L

Beim dissoziativen Mechanismus erfolgt im ersten Schritt die Abspaltung eines Liganden (L) unter Erniedrigung der Koordinationszahl. Es tritt eine fünffach koordinierte Zwischenstufe auf. Die Koordinationslücke wird dann von dem neu eintretenden Liganden E gefüllt. Die Reaktionsgeschwindigkeit hängt nur von der Konzentration des oktaedrischen Komplexes MA5L ab, der Verlust von L ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt. Oktaeder: Dissoziationsmechanismus, D A

A

A M L

A

A

–L

A

A

A M

A

A

oder

A M

A

A

A

A

+E

A

A

A M E

A

A

Der assoziative und dissoziative Mechanismus A und D sind Grenzfälle, nach denen nur wenige Reaktionen eindeutig ablaufen. Häufig liegt der Mechanismus dazwischen. Es werden konzertierte Prozesse mit einer gleichzeitigen Handlung der ein- und austretenden Gruppe diskutiert. Solche Prozesse werden assoziative (Ia) oder dissoziative (Id) Austausch- (Interchange-)Mechanismen genannt. Die Unterscheidung zwischen einem (A- oder D-)Grenzfall- und einem (assoziativen oder dissoziativen) Austauschmechanismus wird nach dem Vorliegen von Zwischenprodukten getroffen. Als Zwischenprodukt wird eine nachweisbare Spezies

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

493

in einer Energiemulde, mit einer möglicherweise sehr kurzen aber doch endlichen Lebensdauer betrachtet, im Unterschied zu einem Übergangszustand oder aktivierten Komplex als dem Maximum des Energieprofils. Kann eindeutig ein Zwischenprodukt mit höherer oder niedrigerer Koordinationszahl als das Edukt nachgewiesen werden, so liegt der assoziative oder dissoziative Grenzfallmechanismus vor. Die Bindungen werden nacheinander gebildet und gelöst oder umgekehrt. Bei den Austauschmechanismen fehlt ein eindeutiger Hinweis auf ein Zwischenprodukt (Abb. 3.46). Je nachdem, ob im Übergangszustand die Bindungsaufnahme oder der Bindungsbruch eine größere Bedeutung hat, liegt ein assoziativer oder dissoziativer Austausch vor. Beim Ia-Mechanismus hängt die Reaktionsgeschwindigkeit stärker von der Art der eintretenden Gruppe ab, beim IdMechanismus stärker von der Art der austretenden Gruppe. Grenzfälle A:

D: Energie

A A M A L A A

+E

–L

A

A

A

A M E LA

Austauschmechanismen

–L

A A M A +E A A

Zwischenprodukt

Ia:

Id :

A

A

A M LA +E A

A

A M L A

A

E –L

A

E

Übergangszustand

A A M A E A A

A A M A L A A

A A M A E A A

Reaktionskoordinate

Abb. 3.46 Unterschiedliche Energieprofile für den assoziativen oder dissoziativen Mechanismus (Grenzfall A oder D) mit nachweisbarem sieben- bzw. fünffach-koordiniertem Zwischenprodukt und dem assoziativen oder dissoziativen Austauschmechanismus (Ia oder Id) ohne eindeutiges Zwischenprodukt. Die Unterschiede zwischen Ia und Id liegen in der Stärke der Bindung zur eintretenden und austretenden Gruppe (E und L), was mit durchgezogenen oder gestrichelten Linien symbolisiert wird.

Für die Grenzfälle des assoziativen und dissoziativen Mechanismus wurde auf die prinzipielle Unterscheidungsmöglichkeit durch das Geschwindigkeitsgesetz hingewiesen. Allerdings hat das ableitbare Geschwindigkeitsgesetz bedingt durch die Bildung eines vorgelagerten Ionenpaars oder Präassoziationskomplexes häufig eine Form, die keine sichere Differenzierung zulässt. Man versucht daher eine Klassifizierung der Substitutionsreaktionen nicht nur über die Konzentrationsabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit zu erreichen. In einer Trendanalyse werden stattdessen Eigenschaften der Reaktanden systematisch variiert und die Änderung der Reaktionsgeschwindigkeit in Abhängigkeit davon untersucht. Aus dieser Abhängigkeit wird, insbesondere bei den Austauschmechanismen, dann auf den wahrscheinlichen Reaktionsablauf geschlossen. Die Erhöhung der Größe der Abgangsgruppe L z. B. sollte bei einem A- oder Ia-Mechanismus zu einer

494

3 Komplex-. Koordinationschemie

Verringerung, bei einem D- oder Id-Mechanismus zu einer Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit führen. Änderung der Größe der Abgangsgruppe L

A

A

A A M L

A

Zunahme Größe L

A

A

A A M L

A Ia (A) Id (D)

Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit

Mit das erfolgversprechendste Unterscheidungskriterium ist die Größe der inerten Liganden A. Ein höherer sterischer Anspruch dieser Zuschauerliganden sollte die Wechselwirkung mit der eintretenden Gruppe und damit einen Ia-Mechanismus erschweren. Die Loslösung der Abgangsgruppe bei größer werdenden Inertliganden verringert dagegen die sterischen Spannungen und erhöht die Reaktionsgeschwindigkeit bei einem Id-Mechanismus. Änderung der Größe der inerten Liganden A

A

A

A A M L

A

Zunahme Größe A

A

A

A A M L

A

Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit

Ia (A) Id (D)

Beispiel: Die Geschwindigkeitskonstanten für einen Chloro $% Aqua-Ligandenaustausch in Ammin- und Methylamin-Komplexen von Cobalt (III) und Chrom (III) zeigen bei zunehmender Größe der inerten Liganden eine Zunahme der Substitutionsgeschwindigkeit am Cobalt und eine Abnahme der Substitutionsrate am Chrom (Tabelle 3.16). Es liegt daher nahe, diesen Trend mit einem dissoziativen Mechanismus (Id) beim Cobalt zu erklären, aber einen assoziativen Mechanismus (Ia) beim Chrom anzunehmen. Tabelle 3.16 Geschwindigkeitskonstanten für die Substitutionsreaktion. [MCl (A)5]2C C H2O $% [M(H2O) (A)5]3C C ClK (M Z Co, Cr; A Z NH3, NH2Me). Komplex

k [10K6 sK1] (bei 25 (C)

[CoCl (NH3)5]2C [CoCl (NH2Me)5]2C

1.72 39.6

Zunahme Größe A

Komplex

k [10K6 sK1] (bei 25 (C)

[CrCl (NH3)5]2C [CrCl (NH2Me)5]2C

8.7 0.26

Anhand dieses Beispiels soll aufgezeigt werden, wie problematisch die Interpretation solcher Daten sein kann und wie kontrovers die mechanistischen Details vieler Substitutionsreaktionen an oktaedrischen Komplexen häufig diskutiert werden. Bei einer Neuinterpretation der Daten in Tabelle 3.16 wurde die Länge der CrdCl-Bindung berücksichtigt. Sie ist im Methylaminkomplex entgegen der Erwartung um 0.03 Å kürzer als im Amminkomplex. Der Chrom-Methylaminkomplex reagiert danach lediglich infolge der kürzeren und wahrscheinlich stärkeren CrdCl-Bindung langsamer, sodass auch für die Chromkomplexe ein dissoziativer Id-Mechanismus vorgeschlagen wurde. Neben der Reaktionsgeschwindigkeit hat sich deren Druckabhängigkeit als wichtiges Werkzeug für die mechanistische Deutung erwiesen. Die Druckabhän-

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

495

gigkeit der Geschwindigkeitskonstanten der Hinreaktion (k1) ist durch das van’t Hoff’sche Gesetz gegeben.

( ) ∂lnk1 ∂p

T

)

ZK

∆V1 RT

∆V1* Z VEdukt K VÜbergangszustand

Dabei ist ∆V1* als das Aktivierungsvolumen des Vorwärtsschrittes definiert, das gleich der Differenz der partiellen molaren Volumina zwischen Edukt und Übergangszustand ist. Das Aktivierungsvolumen erhält man aus der Messung der Reaktionsgeschwindigkeit bei T Z const. und verschiedenen Drücken im Bereich p z 200K300 MPa (2K3 kbar). ∆V1* ergibt sich aus der Steigung der Auftragung von lnk gegen p. Die Reaktionsgeschwindigkeit unter Hochdruck kann man aus UV.VIS- und NMR-spektroskopischen Messungen oder elektrochemisch erhalten. Für einen assoziativen Mechanismus (Ia oder A) wird man ein negatives Aktivierungsvolumen erwarten, da der Komplex zunächst um die eintretende Gruppe vergrößert wird, während die Abgangsgruppe noch gebunden ist. Assoziationsmechanismus, A oder Ia ∆V1* < 0, negativ

A

A

A A M A

L

A

+E

A

-1 -1 0-1 0 0-1 00-1Å ÅÅÅÅ

A M

L A

negatives Aktivierungsvolumen ↔ Druckerhöhung beschleunigt Reaktion

A

E

VEdukt < VIntermediat, Übergangszustand höhere Koordinationszahl niedrigere

-1-1Å 000-1 ÅÅ 0-1 Å

Bei einem dissoziativen Mechanismus (Id oder D) wird das Aktivierungsvolumen positiv sein, da die Abgangsgruppe bereits weitgehend gelöst ist, während die Koordination des Nucleophils noch gering ist. Dissoziationsmechanismus, A A A D oder Id M

A

∆V1* > 0, positiv

L

A

A

–L

A

A A M

A

oder -1

-1-1 -1ÅÅ -1 0 -1Å 000 0 Å 0-1 Å Å

A

A

L

A A M

A

E

positives Aktivierungsvolumen ↔ Druckerhöhung verlangsamt Reaktion

VEdukt > VIntermediat, Übergangszustand 0-1 Å höhere niedrigere Koordinationszahl

-1 Å 000-1 Å 0-1-1Å Å

Für die weitergehende Unterscheidung zwischen Ia und A oder Id und D kann die Größe der Werte in einer vergleichenden Betrachtung herangezogen werden, wie nachstehendes Beispiel zeigt. Eine der am häufigsten untersuchten Reaktionen von Übergangsmetallkomplexen ist der Lösungsmittel-Ligandenaustausch, darunter vor allem der Wasseraustausch an Hexaaqua-Metallionen. In Tabelle 3.17 sind die Geschwindigkeitskonstanten und Aktivierungsvolumina dieser Umsetzung für einige Übergangsmetallionen zusammengestellt. Man erkennt einen weiten Bereich der Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten, aus dem sich eine labil.inert-Einstufung der Komplexe ergibt. Die Geschwindigkeitskonstanten lassen aber keine Aussage in Bezug auf den Substitutionsmechanismus zu, eine solche kann erst aus dem Vergleich der Aktivierungsvolumina erhalten werden. Das experimentelle Aktivierungsvolumen für den H2O-Austausch an [Ti (H2O)6]3C liegt nahe dem Grenzwert für den assoziativen Grenzfallmechanismus (A). Die kleineren negativen Werte für V3C, Cr3C und Fe3C legen dann die Zuordnung zu einen assoziati-

496

3 Komplex-. Koordinationschemie

Tabelle 3.17 Geschwindigkeitskonstanten und Aktivierungsvolumina für den H2O-Austausch [M (H2O)6]nC C H2O* $% [M (H2O)5(H2O*)]nC C H2O an drei- und zweiwertigen Übergangsmetallionen (O* Z 18O oder 17O). MnC

Ionenradius [Å]

Elektronenkonfiguration

Ti3C V3C Cr3C Fe3C

0.67 0.64 0.61 0.64

t 2g 2 t 2g 3 t 2g 3 t 2geg2

V2C Mn2C Fe2C Co2C Ni2C

0.79 0.83 0.78 0.74 0.69

t 2g 3 t 2geg2 4 t 2geg2 5 t 2geg2 6 t 2geg2

a) b)

k [sK1]

∆V* a),b) [cm3.mol]

1

1.8 · 105 5.0 · 102 2.4 · 10K6 1.6 · 102

K12.1 K8.9 K9.6 K5.4

3

8.7 · 101 2.1 · 107 4.4 · 106 3.2 · 106 3.2 · 104

K4.1 K5.4 C3.8 C6.1 C7.2

Die Genauigkeit von ∆V* ist etwa G1 cm3.mol. Die Grenzwerte der Aktivierungsvolumina ∆V*lim wurden zu G13.5 cm3.mol für dreiwertige und zu G13.1 cm3.mol für zweiwertige Metallionen für die A- (negativer Wert) und D- (positiver Wert) Grenzfallmechanismen aus semiempirischen Rechnungen abgeschätzt.

ven Austauschmechanismus (Ia) nahe. Für die aufgeführten zweiwertigen Ionen kann man den graduellen Wechsel von einem assoziativen zu einem dissoziativen Austauschmechanismus zwischen Mn2C und Fe2C annehmen. Der dissoziative Grenzfall D wird bei den Beispielen nicht erreicht. Die graduelle Abstufung und den Wechsel im Mechanismus kann man nicht alleine mit der Größenänderung im Kation erklären. Eine wichtige Rolle wird der Valenzelektronenkonfiguration zugeschrieben. Eine zunehmende Besetzung der in σ-Komplexen nichtbindenden t2g-Orbitale (die zwischen den Liganden liegen) erschwert aus elektrostatischen Gründen die notwendige Annäherung und Koordination eines siebenten Liganden senkrecht zu den Flächen oder Kanten des Oktaeders im Rahmen eines assoziativen Mechanismus. Entsprechend wird eine Auffüllung der antibindenden eg-Niveaus die Tendenz zu einer Bindungsspaltung für einen dissoziativen Mechanismus erhöhen.

3.11.2 Redoxreaktionen − Elektronentransfer zwischen Komplexen Redoxreaktionen zwischen Metallkomplexen werden durch die Ligandenhüllen der reagierenden Metallatome beeinflusst. Auch die Wassermoleküle bei Aquakomplexen sind Ligandenhüllen. Der Elektronentransfer zwischen Metallatomen ist wichtig in fundamentalen Reaktionen des Lebens wie der Photosynthese und der Stickstofffixierung (s. Abschn. 3.12 u. 3.13). Grundlegende experimentelle Arbeiten zu Elektronenübertragungen zwischen Metallkomplexen wurden von Henry Taube (Nobel-Preis, 1983), theoretische Arbeiten zum Elektronentransfer von Rudolf A. Marcus (Nobel-Preis, 1992, Marcus-Theorie) geleistet.

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

497

Taube und Mitarbeiter konnten zeigen, dass Redoxreaktionen von Metallkomplexen in „outer-sphere“- und „inner-sphere“-Reaktionen unterschieden werden können. Der outer-sphere- (Außensphären-)Mechanismus. Die Koordinationssphären der beiden miteinander reagierenden Komplexe bleiben während des Elektronentransfers intakt. Es werden vor der Elektronenübertragung keine chemischen Bindungen gebildet und gelöst. Die reaktiven Teilchen müssen sich in der Lösung nur treffen und einen losen Begegnungskomplex bilden. Das Elektron gelangt dann durch zwei intakte Koordinationssphären vom Metallion A zum Metallion B. Nach dem Elektronentransfer trennen sich aus dem nun vorliegenden losen Folgekomplex die individuellen Metallspezies wieder (Abb. 3.47). L 2+ L A L L L L

+

L 3+ L B L L L L

L L 2+ L L 3+ L A B L L L L L L L

Eduktkomplexe

Folgekomplex

Begegnungskomplex

Elektronentransfer L L 3+ L L 2+ L A B L L L L L L L

schnell

L 3+ L A L L L L

+

L 2+ L B L L L L

Produktkomplexe

Abb. 3.47 Schematische Darstellung eines outer-sphere-Elektronenübertragungsmechanismus zwischen zwei oktaedrischen Komplexen. Die Liganden der inneren Koordinationssphäre sind der Einfachheit halber alle gleichartig mit dem Buchstaben L bezeichnet. Die zweite Koordinationshülle aus Lösungsmittelmolekülen ist durch eine Umrandung angedeutet. In einer Gleichgewichtsreaktion wird zunächst der Begegnungskomplex gebildet, aus dem heraus der Elektronentransfer erfolgt. In einer schnellen Reaktion „dissoziiert“ der entstandene Folgekomplex dann in die Produktkomplexe. Zur Verdeutlichung des Elektronentransfers sind den Metallatomen A und B willkürlich die Oxidationszahlen 2C und 3C zugeordnet.

Der inner-sphere- (Innensphären-)Mechanismus. Die beiden Metallkomplexe werden über einen Brückenliganden miteinander verknüpft, bevor der Elektronentransfer über eben diesen Brückenliganden stattfindet. Der zweikernige Komplex vor dem Elektronenaustausch wird als Vorläufer oder Precursorkomplex bezeichnet, er ist das Äquivalent zum Begegnungskomplex beim outer-sphereMechanismus. Die Bildungsreaktion des Precursorkomplexes ist eine gewöhnliche Substitutionsreaktion an einem der beiden Metallatome. Nach dem Elektronentransfer zerfällt der Folgekomplex je nach der thermodynamischen Stabilität der Bindungen zum Brückenliganden mit oder ohne Ligandenübertragung zu den Endprodukten (Abb. 3.48). Die kinetische Präferenz für einen outer- oder inner-sphere-Reaktionsweg hängt davon ab, K ob der outer-sphere-Elektronentransfer schnell oder langsam ist, verglichen mit der Substitutionsgeschwindigkeit in der Koordinationssphäre des labilsten Metallkomplexes,

498 L 2+

3 Komplex-. Koordinationschemie

L

L A X +

L

L

L 3+

L B

L

L

L

–L

L 2+

L A

L

L

L

L X

L

Eduktkomplexe

3+

L

B

L

L

Vorläufer-/Precursorkomplex

L

Elektronentransfer L

Folgekomplex

3+

L A

L

L

L

L X

2+

L

B

L

L

L

+L

3+

L

L 2+

L A L + X B

L

L

L

L

...

L

L L Produktkomplexe

Abb. 3.48 Schematische Reaktionsfolge bei einer inner-sphere-Redoxreaktion zwischen zwei oktaedrischen Komplexen. Der Einfachheit halber ist außer dem Brückenliganden (X) nicht zwischen verschiedenen Liganden an den Metallatomen unterschieden worden; willkürliche Zuordnung der Oxidationszahlen. Der Brückenligand kann, muss aber nicht auf das andere Metallatom übertragen werden.

K ob einer der Liganden des weniger labilen Metallkomplexes als Brückenligand fungieren kann, K wie die Änderungen in der freien Enthalpie für beide Reaktionswege sind, K wie die elektronische Struktur von oxidiertem und reduziertem Metallkomplex ist. Die Effektivität eines σ-Brückenliganden, z. B. eines Halogenids, hängt stark von der elektronischen Struktur der Reaktionspartner ab. Der inner-sphere- ist um einen Faktor von 107-108 gegenüber dem outer-sphere-Reaktionsweg bevorzugt, wenn Elektronendonor- und -akzeptororbital am Metallatom σ-(eg*-)Symmetrie haben. Die Reaktionswege sind ähnlich schnell, wenn Elektronendonor- und -akzeptororbital π-(t2g-)symmetrisch zur AdXdB-Bindung sind. Der outer-sphere-Mechanismus wird immer dann vorliegen, wenn die redoxaktiven Metallatome keinen zweikernigen Komplex bilden können, in dem ein gemeinsamer Ligand beide Metallatome verbrückt. Man beobachtet diesen Mechanismus also bei Fehlen geeigneter Brückenliganden oder substitutionsträgen (inerten oder kinetisch stabilen) Metallkomplexen, d. h. wenn die Reaktionsgeschwindigkeit des Elektronentransfers sehr viel größer ist, als die Geschwindigkeit, mit der die Substitution durch einen Brückenliganden an den miteinander reagierenden Komplexen ablaufen kann. Beispiel: Outer-sphere Reaktion L keine Liganden für Brückenbildung trotz Vorliegen wenigstens eines labilen Komplexes. Die Redoxreaktion zwischen dem substitutionsträgen Komplex [Co (NH3)6]3C und dem sehr labilen [Cr (H2O)6]2CIon verläuft über einen outer-sphere-Mechanismus, weil die Amminliganden nicht als Brückenliganden fungieren können, da sie kein zweites freies Elektronenpaar haben. 3+

2+

[Co(NH3)6]3+ + [Cr(H2O)6]2+

H2O/H3O+

2+

3+

[Co(H2O)6]2+ + 6 NH4+ + [Cr(H2O)6]3+

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

499

Als Folge der Redoxreaktion kann eine Veränderung in der Ligandenhülle eintreten. Im zunächst gebildeten labilen Hexaammincobalt (II)-Komplex werden die Ammin- gegen Aqualiganden vom Lösungsmittel ausgetauscht. Die Halbwertszeit für Ligandenaustauschreaktionen bei Co2C-Komplexen beträgt weniger als 10K6 s. Beispiel: Outer-sphere Reaktion L substitutionsträge Komplexe. Die Redoxreaktion zwischen [Fe (CN)6]4K und [IrCl6]2K verläuft nach einem outer-sphereMechanismus, obwohl beide Metallatome Liganden besitzen, die zur Brückenbildung geeignet sind. Beide Komplexe sind aber inert. Der Elektronentransfer ist mit einer Geschwindigkeitskonstante k Z 3.8 · 105 l molK1 sK1 bei 25 (C außerordentlich schnell, verglichen mit einem wesentlich langsameren Ligandenaustausch an diesen beiden Metallatomen. 2+

4+

[Fe(CN)6]4– + [IrCl6]2–

3+

3+

[Fe(CN)6]3– + [IrCl6]3–

Beispiel: Inner-sphere Reaktion. Die Redoxreaktion zwischen [CoCl (NH3)5]2C und [Cr (H2O)6]2C verläuft nach einem inner-sphere-Mechanismus. Cr2C-Komplexe sind mit einer Halbwertszeit von ca. 10K9 s für die Ligandenaustauschreaktion extrem labil, und mit dem Chloroliganden am inerten Co3C-Komplex steht ein Brückenligand zur Verfügung. Die Redoxreaktion verläuft mit k Z 6 · 105 l · molK1 · sK1, bei 15 (C relativ schnell. Im labilen Co2C-Produktkomplex erfolgt wieder eine Substitution der Ammin- durch Aqualiganden. 3+

3+

2+

[CoCl(NH3)5]2+ + [Cr(H2O)6]2+

–H2O

Folgekomplex

2+

[(NH3)5Co–Cl–Cr(H2O)5]4+

Precursorkomplex

Elektronentransfer 2+ 3+ 2+ +5H3O+ [Co(H2O)6]2+ + 5 NH4+ [(NH3)5Co–Cl–Cr(H2O)5]4+ +H2O 3+ + [CrCl(H2O)5]2+

Der sicherste Beweis für einen inner-sphere-Mechanismus ist die Übertragung des Brückenliganden vom Metallatom A auf Metallatom B. Dabei muss natürlich sichergestellt sein, dass z. B. das Chloridion nicht nach dem Zerfall des labilen [CoCl (NH3)5]C- vom [Cr (H2O)6]3C-Komplex aufgenommen wurde. Die Redoxreaktion verläuft jedoch viel schneller als die Bildung von [CrCl (H2O)5]2C aus dem inerten [Cr (H2O)6]3C (typische Halbwertszeiten für den Ligandenaustausch bei Cr3C- und Co3C-Komplexen betragen 103K106 s). Ein weiterer Beweis für vorstehende inner-sphere-Reaktion lässt sich erhalten, wenn man die Reaktion in einem mit radioaktiven Chloridionen angereichertem Medium ablaufen lässt. Dabei ist der eingesetzte [CoCl (NH3)5]2C-Komplex nicht markiert. Im isolierten [CrCl (H2O)5]2C-Reaktionsprodukt findet sich ebenfalls keine Radioaktivität, sodass also kein Chloridion aus der Lösung eingebaut wurde. Ein Ligandentransfer ist jedoch keine zwingende Notwendigkeit für einen inner-sphere-Elektronentransfer, wie die Oxidation von [Cr (H2O)6]2C mit [IrCl6]2K zeigt. 4+

2+

[IrCl6]2– + [Cr(H2O)6]2+ –H2O rot-braun

+H2O 3+ 3+ {[Cl5Ir–Cl–Cr(H2O)5]} grün, Folgekomplex

3+

3+

[IrCl6]3– + [Cr(H2O)6]3+

500

3 Komplex-. Koordinationschemie

Nur weil der Folgekomplex [Cl5IrdCldCr (H2O)5] stabil genug für eine Abtrennung und Untersuchung seines Zerfalls war, konnte nachgewiesen werden, dass seine Dissoziation teilweise mit Cl-Transfer (61 %) und teilweise ohne (39 %, bezogen auf den inner-sphere-Reaktionsweg) erfolgt. Weiterhin konkurrieren in dieser Reaktion inner- und outer-sphere-Mechanismus mit vergleichbaren Geschwindigkeiten. Intervalenz-Elektronentransfer. Ein spezieller inner-sphere-Mechanismus ist der intramolekulare Elektronentransfer in einem gemischtvalenten verbrückten Komplex. Im Beispiel des stabilen Creutz-Taube-Ions sind zwei Rutheniumatome in gleicher chemischer Umgebung, aber formal unterschiedlichen Oxidationsstufen über Pyrazin verbrückt. 2+

(H3N)5Ru N

3+

5+

N Ru(NH3)5

Creutz-Taube-Komplexion

Man unterscheidet derartige gemischtvalente Komplexe in drei Gruppen (RobinDay-Klassifizierung) (s. auch Abb. 3.49a). Klasse I: Vollständig Valenz-.Elektronen-lokalisiert mit den Metallatomen in ihrer jeweiligen Oxidationsstufe. Die Wechselwirkung zwischen den Redoxzentren ist aufgrund eines zu großen Abstandes oder stark unterschiedlicher Umgebung so schwach, dass die gemischtvalenten Komplexe nur die Eigenschaften der isolierten Zentren zeigen. Klasse II: Intermediär mit lokalisierten, gemischt-valenten Komplexen. Eine schwache elektronische Wechselwirkung verändert die Charakteristika der Redoxzentren leicht, sodass auch andere Eigenschaften als die der isolierten Zentren auftreten können. Klasse III: Vollständig Valenz-.Elektronen-delokalisiert mit exakt identischen Metallatomen. Die elektronische Kopplung zwischen den Redoxzentren ist sehr groß und die Eigenschaften des gemittelt-valenten Komplexes sind vollständig verschieden von denen der isolierten Zentren. Bei kurzen Brücken wird eine delokalisierte Form wahrscheinlicher, bei langen Brücken festgelegte unterschiedliche Oxidationsstufen. Das Creutz-Taube-Ion gehört zur Klasse III mit einer charakteristischen, Lösungsmittel-unabhängigen Intervalenzbande bei 6400 cmK1 (kurzwelliges IR). Im Falle des 4,4'-Bipyridinverbrückten [(H3N)5RudLdRu (NH3)5]5C-Komplexes ermöglicht der Brückenligand unterschiedliche geometrische Einstellungen der beiden Pyridylfragmente und führt zu einer deutlichen Barriere für den intramolekularen Elektronentransfer. 2+

(H3N)5Ru N

3+

5+

N Ru(NH3)5

Abhängig vom Lösungsmittel findet man eine Intervalenzbande im nahen IR zwischen 8 000 und 9 500 cmK1, weshalb der bipy-Komplex in die Robin-DayKlasse II eingeordnet wird. Ein Intervalenzübergang entspricht der Anregung des Elektrons vom einen zum anderen Metallatom. Die blaue Farbe in der gemischtvalenten Verbindung Berliner Blau, Fe4[Fe (CN)6]3 (s. Abschn. 3.14), resultiert aus einem Intervalenzübergang.

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

501

Für die Einstufung von gemischtvalenten Komplexen ist das Zeitfenster der spektroskopischen Untersuchungsmethode wichtig: IR, NIR a)

Resonanz- UV.VIS ESCA b) Raman

Technik

NMR

Mößbauer ESR

Zeitfenster [s]

10K3-10K8

10K7-10K9 10K7-10K11 10K11-10K13 10K13

a)

NIR Z nahes Infrarot.

b)

10K14

10K17

ESCA Z electron spectroscopy for chemical analysis (ZXPS).

Ein schnellerer Elektronentransfer als das Zeitfenster der Methode lässt den Komplex delokalisiert erscheinen. Ist der Elektronentransfer langsam im Vergleich zum Zeitfenster, dann wirkt der Komplex elektronenlokalisiert. Experimentelle Methoden zur Bestimmung von Elektronentransfergeschwindigkeiten hängen in ihrer Anwendbarkeit davon ab, ob die Reaktion eine chemische Umsetzung wie in vorstehenden Beispielen zeigt oder ob eine Selbstaustauschreaktion mit chemisch identischem Edukt und Produkt vorliegt (Bsp. s. u.). Reaktionen mit chemischer Umsetzung werden hauptsächlich über die Änderung der Absorption bei Reaktanden oder Produkt verfolgt. Je nach Schnelligkeit der Änderung können UV.VIS-Spektrometer (Lebensdauern O1 s), stopped-flowTechniken (O50 µs), konventionelle Blitzlichtphotolyse (~µs-ms) oder Laserpulsphotolyse (~ps-ns-Bereich) eingesetzt werden. Selbstaustauschreaktionen können über Isotopenmarkierung, Racemisierung optischer Isomere oder NMR-Linienverbreiterung verfolgt werden. NMR oder massenspektrometrische Isotopenuntersuchungen erlauben die Bestimmung von Reaktionszeiten im Millisekundenbereich. Elektronentransfer-induzierte Racemisierungen können mit stopped-flow-Techniken zur Verfolgung relativ schneller Reaktionen kombiniert werden. Linienbreitenanalysen sind durch die natürlichen Linienbreiten der Relaxationsprozesse begrenzt und lassen sich typischerweise für Reaktionszeiten im Bereich Mikrosekunden bis Millisekunden einsetzen. Bedeutung der Metall-Ligand-Bindungslänge für den Elektronentransfer. Die Beiträge zu den internen Metall-Ligand-Bindungslängen können zur Definition einer Reaktionskoordinate verwendet werden. Die Energie eines Elektronentransfersystems als Funktion dieser Koordinate zeigt Abb. 3.49. Bevor es innerhalb des Begegnungs- oder Precursorkomplexes zu einer Elektronenübertragung kommen kann, muss eine Reorganisation der Metall-LigandBindungslängen beider Reaktanden erfolgen. Diese Bindungslängenänderung macht einen ganz wesentlichen Beitrag der Aktivierungsenthalpie aus und hat damit Einfluss auf die Geschwindigkeitskonstante der Elektronenaustauschreaktionen. Nach dem Franck-Condon-Prinzip ändert sich die Position der schweren Atomkerne bei der schnellen Elektronenübertragung nicht. Die Atomkerne verharren während der Veränderung der Elektronenverteilung beim ursprünglichen Abstand. Während des Elektronenübergangs bleiben die Bindungslängen unverändert (vgl. Abb. 3.16 und zugehörigen Text). Vor dem Elektronentransfer müssen sich bereits die Bindungslängen der aktivierten Edukte an die der aktivierten Produkte nach dem Transfer angeglichen haben. Mit der Bindungslänge hängen die Energien der beteiligten Orbitale zusammen, die dadurch ursächlich angeglichen werden. Diese Angleichung kann durch Streckung oder Stauchung der Bin-

502

3 Komplex-. Koordinationschemie

(a) pot. Energie

4 3

(b) 2

2 3

1

∆G‡

4 A2+

B3+ A3+

Edukte

B2+

Produkte

A2+···A3+ Edukte

A3+···A2+ Produkte A2.5+--A2.5+

A2+ aktivierte Komplexe

B3+ Elektronentransfer

A3+

B2+

Reaktionskoordinate aus Beiträgen der Metall–Ligand-Bindungslängen

Abb. 3.49 (a) Potentialkurven für eine Selbstaustauschreaktion. Die sich kreuzenden Potentialkurven 1 entsprechen den vollständig Valenz-.Elektronen-lokalisierten Systemen A2C.A3C und A3C.A2C ohne elektronische Wechselwirkung (kein Elektronenaustausch, vollständig lokalisierte Wellenfunktionen). Die Paare sich nichtkreuzender Kurven entsprechen den gemischten Wellenfunktionen mit zunehmender elektronischer Wechselwirkung zwischen A2C···A3C von Kurve 2 nach 4. Die Potentialkurve 4 mit nur einem Minimum beschreibt einen Valenz-.Elektronen-delokalisierten stabilen symmetrischen Komplex A2.5C--A2.5C. (b) Potentialkurve für eine allgemeine Elektronentransferreaktion zwischen A2C und 3C B . Die Aktivierungsenergie ∆G‡ ist die Franck-Condon-Barriere. Am lokalen Maximum der Potentialkurve haben sich die MdL-Bindungslängen für das zwei- und dreiwertige Ion angeglichen, was durch die Größe der Kreise illustriert wird.

dungslängen über die Valenzschwingungen erreicht werden. So beträgt z. B. in [Fe (H2O)6]nC-Komplexen der FedO-Bindungsabstand 2.21 Å für Fe2C und 2.05 Å für Fe3C. Erst wenn beide Ionen einen gleichen FedO-Abstand von etwa 2.09 Å haben, kann der Elektronentransfer stattfinden. Die dafür notwendige Energie ist die Aktivierungsenergie für die Redoxreaktion und wird auch als FranckCondon-Barriere bezeichnet (Abb. 3.49b). Wenn der Elektronentransfer ohne vorherige Reorganisation der Ligandenhülle stattfände, lägen hinterher ein Fe3CKomplex mit zu großen Abständen (2.21 Å) und ein Fe2C-Komplex mit zu geringen Abständen (2.05 Å) vor. Beide Komplexe würden sich dann unter Energieabgabe reorganisieren. Damit würde der 1. Hauptsatz der Thermodynamik verletzt, da man aus einer solchen Selbstaustauschreaktion ständig Energie erhalten würde. Das Ausmaß der Bindungslängenangleichung ist proportional zur Aktivierungsenergie und korreliert umgekehrt mit der Reaktionsgeschwindigkeit. Bei der Selbstaustauschreaktion der Co2C.3C-Amminkomplexe ist der Unterschied

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

503

in den Bindungslängen mit 0.17 Å relativ groß. Ursache ist ein unterschiedlicher Spinzustand. Co3C liegt als low-spin-Komplex, Co2C als high-spin-Komplex vor. Für eine Angleichung der CodN-Kontakte ist damit eine starke Verlängerung oder Kompression der Bindungsabstände notwendig. 3+

2+

2+

Co–N:

1.94 Å d6 low-spin

2.11 Å d7 high-spin

3+

*[Co(NH3)6]2+ + [Co(NH3)6]3+

*[Co(NH3)6]3+ + [Co(NH3)6]2+

* = 15N isotopenmarkierter Komplex

k = (8±1)·10–6 l mol–1 s–1

Der RudN-Unterschied bei den Ru2C.3C-Amminverbindungen mit nur 0.04 Å erfordert bei der Bindungslängenangleichung lediglich eine kleine Veränderung. Die Reaktionsgeschwindigkeitskonstante ist deshalb beim Ruthenium-System viel größer als bei der Cobalt-Reaktion. 3+

2+

2+

[Ru(NH3)6]3+ + [Ru(NH3)6]2+ Ru–N:

2.11 Å d5 low-spin

2.15 Å d6 low-spin

3+

[Ru(NH3)6]2+ + [Ru(NH3)6]3+ k = (6.6±1.0)·103 l mol–1 s–1

aus 1H-NMR Linienverbreiterung

Hinweis: Geschwindigkeitskonstanten variieren etwas mit den Bedingungen (Gegenion, Elektrolyt, Ionenstärke, Temperatur) und der Bestimmungsmethode. Unter den für das Redoxpaar [Ru (NH3)6]3C.2C in der Literatur angegebenen Werten von 8.2 · 102, 4.3 · 103 und 3.2 · 103 l · molK1 · sK1 ist der Wert von 6.6 · 103 l · molK1 · sK1 der jüngste und anscheinend verlässlichste. Biologische metallhaltige Redoxsysteme zeigen bei einem Elektronenaustausch keine Änderung des Spinzustands und damit nur eine geringe oder gar keine Ligandenbewegung, sodass die Aktivierungsenergie niedrig ist. Beispiele für bioanorganischen Redoxsysteme sind tetraedrisch koordiniertes Fe3C.Fe2C (high-spin) in Eisen-Schwefel-Clustern, z. B. in Ferredoxinen, oktaedrisch koordiniertes Fe3C.Fe2C (low-spin), z. B. in Cytochromen mit der Häm-Gruppe als aktivem Zentrum und pseudotetraedrisch koordiniertes Cu2C.CuC in Cu-Proteinen (siehe Abschn. 3.12 u. 13 und Kap. 5). Ligandeneinfluss. Beim inner-sphere-Mechanismus ist der Einfluss der Brücke offensichtlich. Die Stärke der AdXdB-Brückenbindungen beeinflusst die Stabilität des Übergangszustands. Gleichzeitig zeigen Brückenliganden eine unterschiedliche „Elektronenleitfähigkeit“. In einer Reihe von inner-sphere-Reaktionen mit unterschiedlichen Halogenoliganden findet man für das gut leitende Iodid die höchste Reaktionsgeschwindigkeit. 3+

2+

[CrX(H2O)5]3+ + *[Cr(H2O)6]2+ X = F < Cl < Br < I

2+

3+

[Cr(H2O)6]2+ + *[CrX(H2O)5]3+ Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit

Beim outer-sphere-Mechanismus kann die Elektronenübertragung als Metall-zuLigand Charge-Transfer erfolgen. Der outer-sphere-Elektronentransfer erfolgt schneller bei Komplexen mit Liganden wie Pyridin, 2,2'-Bipyridin oder anderen aromatischen π-Systemen. Diese Liganden können das reduzierende Elektron in

504

3 Komplex-. Koordinationschemie

ein energetisch tiefliegendes, unbesetztes Molekülorbital aufzunehmen. Der Effekt kann aber zu einem großen Teil auf die dabei zunehmende Größe des Komplexes zurückgeführt werden. Eine Auftragung von lgk gegen den reziproken mittleren Metall···Metall-Abstand im Begegnungskomplex zeigt eine gute lineare Abhängigkeit (Tabelle 3.18). Tabelle 3.18 Geschwindigkeitskonstanten für outer-sphere-Elektronentransfer zwischen Ru3C.2C-Redoxpaaren in einer Selbstaustauschreaktion (bipy Z 2,2'-Bipyridin).

[Ru (NH3)6]3+/2+ b) [Ru (bipy) (NH3)4]3+/2+ c) [Ru (bipy) (NH3)4]3+/2+ d) [Ru (bipy)2 (NH3)2]3+/2+ d) [Ru (bipy)3]3+/2+ d) a)

b) c) d)

k [l mol–1 s–1]

Ru···Ru a) r [Å]

9.00

6.6 · 103 7.7 · 105 2.2 · 106 8.4 · 107 4.2 · 108

6.6 8.8 8.8 11.2 13.6

7.00

Mittlerer Metall···Metall-Abstand im Begegnungskomplex für die kürzeste Annäherung, abgeschätzt aus CPK-Modellen. Medium in 0.125 mol.l [Ru(NH3)6]Cl2. in 0.1 mol.l CF3SO3H. in 0.1 mol.l HClO4.

lg k

Redoxpaar

5.00 3.00 0.06 0.08 0.1 0.12 0.14 0.16 1/r [Å –1]

Theorie des outer-sphere-Mechanismus (Marcus-Theorie). Von Marcus u. a. wurde unter Anwendung eines elektrostatischen Ansatzes eine Theorie zur Berechnung der Reorganisationsenergie der Eduktkomplexe entwickelt. Grundlage ist das Franck-Condon-Prinzip, nach dem sich die Bindungslängen der Edukte schon auf dem Weg zum Übergangszustand verändern müssen. In der formalen Reaktion zwischen einen komplexen Reduktionsmittel AK und einem Oxidationsmittel B kAKB K K ACB A C B $$

%$bildet sich ein Begegnungskomplex [(AK‡) (B‡)]. Der Elektronentransfer zum energiegleichen Folgekomplex [(A‡) (BK‡)] (s. Abb. 3.50) wird dann als adiabatischer Prozess, d. h. ohne Zufuhr oder Entnahme von Energie angesehen. Aufgrund der vorhergehenden Wechselwirkung zwischen den Edukten sollte im Übergangszustand die Wahrscheinlichkeit für den Elektronentransfer gleich eins werden. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, werden Unterschiede in Theorie und Experiment hinsichtlich der Geschwindigkeitskonstanten einer „Nichtadiabatizität“ des Elektronentransfers zugeschrieben. Ein wichtiges Ergebnis der Marcus-Theorie ist die Marcus-Kreuzbeziehung, nach der die Geschwindigkeitskonstante einer Reaktion zwischen Reduktionsmittel AK und einem Oxidationsmittel B aus den Konstanten der Selbstaustauschreaktion *AK.A und *BK.B berechnet werden kann. Die Ableitung der Kreuzbeziehung folgt aus dem Energieprofil in Abb. 3.50. Ausgehend von den freien Enthalpien G( der Reaktionsteilnehmer sind die freien Aktivierungsenthalpien ∆G‡ für die Vor- und Rückreaktion dann gegeben durch

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen ∆G

505

[(A–‡)(B‡)] [(A‡)(B–‡)] ∆G‡A-B

∆G‡AB-

A– + B

∆G°A-B A+

B–

Reaktionskoordinate

Abb. 3.50 Energieprofil einer outer-sphere-Reaktion mit den freien Aktivierungsenthalpien für die Hin- und Rückreaktion. ∆G‡A-B Z G((AK‡) C G((B‡) K G((AK) K G((B) ∆G‡AB- Z G((A‡) C G((BK‡) K G((A) K G((BK)

Die freie Reaktionsenthalpie ∆G(A-B ist die Summe und Differenz der freien Enthalpien G( der Reaktionsteilnehmer (Produkte positiv, Reaktanden negativ) oder die Differenz der freien Aktivierungsenthalpien ∆G‡ für die Vor- und Rückreaktion. ∆G(A-B Z G((A) C G((BK) K G((AK) K G((B) Z ∆G‡A-B K ∆G‡AB-

Mit den freien Aktivierungsenthalpien der zugehörigen Selbstaustauschreaktionen, K

k

K

K

A A A C A $$$% ACA ∆G‡A-A Z G((AK‡) C G((A‡) K G((AK) K G((A) 0 G((AK‡) K G((AK) Z ∆G‡A-A K G((A‡) C G((A)

K

k

K

K

BB B CB B C B $$$% ∆G‡BB- Z G((B‡) C G((BK‡)KG((B) K G((BK) G((BK‡)KG((BK) Z ∆G‡BB- K G((B‡) C G((B)

und unter der Annahme, dass die freien Enthalpien G( der Reaktionsteilnehmer unabhängig vom Reaktionspartner B oder A sind, kann man die Umformungen in die Gleichungen für ∆G‡A-B und ∆G‡AB- einsetzen und die Folgegleichungen addieren. ∆G‡A-B C ∆G‡AB- Z ∆G‡A-A C ∆G‡BB-

Durch Ersatz von ∆G‡AB- kommt man auf die Marcus-Kreuzbeziehung, ausgedrückt durch die freien Enthalpien. ∆G‡A-B Z 1.2 (∆G‡A-A C ∆G‡BB- C ∆G(A-B)

Wichtig für diese Kreuzbeziehung ist, dass der Aktivierungsprozess und die aktivierte Spezies unabhängig vom jeweils anderen Reaktanden sind, dass also zwischen AK und A, AK und B, A und BK sowie B und BK die Wechselwirkungen alle ähnlich sind. Sobald zwischen den Reaktionspartnern unterschiedliche Kräfte wirken, wie es bei einer inner-sphere-Reaktion z. B. zwischen AK und B der Fall wäre, dann gilt die Kreuzbeziehung nicht mehr. Aus der Theorie des aktivierten Komplexes resultiert eine Verknüpfung zwischen der freien Aktivierungsenthalpie ∆G‡AB und der Geschwindigkeitskonstante kAB einer Reaktion zwischen A und B.

506

3 Komplex-. Koordinationschemie ∆G‡ABZKRT ln

kAB ZAB

ZAB ist die Kollisionsfrequenz oder Stoßzahl. Zusammen mit ∆G(A-B Z KRT ln KA-B erhält man aus der Marcus-Kreuzbeziehung der freien Enthalpien die Marcus-Kreuzbeziehung in Form der Geschwindigkeitskonstanten. kAKB Z



2

kAKAkBBKKAKB

(ZAKB) Z ZAKAZBBK

√kA

AkBB

K

KAKBFAB

K

Die thermodynamische Gleichgewichtskonstante KA-B der Reaktion zwischen AK und B ist mit der Geschwindigkeitskonstanten kA-B der Reaktion und den Geschwindigkeitskonstanten für die beiden Selbstaustauschreaktionen kA-A und kBB- verknüpft. Je größer der Wert der Gleichgewichtskonstanten KA-B ist, desto schneller sollte demnach auch die Reaktion ablaufen. Eine genauere theoretische Analyse sagt jedoch voraus, dass die Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeit nur bis zu einem gewissen Wert für KA-B bzw. ∆G(A-B voranschreiten sollte. Mit weiterer Zunahme von KA-B bzw. ∆G(A-B sollte eine Abnahme der Reaktionsgeschwindigkeit eintreten (Abb. 3.51). Diese Vorhersage konnten anhand von Un-

(a) ∆G

Edukte A– + B

Produkte A + B–

lnk

kmax

(b)

invertierter Bereich

∆G‡

∆G‡ invertierter Bereich

∆G‡ = 0

Produkte (kmax) Produkte

–∆G°

∆G°A-B

energetische Veränderung der Produkt-Parabel Zunahme Reaktionsbeschleunigung von ∆G° bis kmax dann wieder Verlangsamung Reaktionskoordinate

Abb. 3.51 (a) Die Parabeln beschreiben die freien Enthalpien der Edukt- und Produktsysteme und schneiden sich im Übergangszustand. Die Differenz zwischen den Minima der Parabeln ist ∆G(A-B. Wenn der freie Enthalpie-Unterschied zwischen den Edukten und Produkten in der gezeigten Richtung zunimmt, wird die Reaktion schneller, da die Energiebarriere ∆G‡ für den Übergangszustand kleiner wird. Wenn die Produktparabel die Eduktparabel im Minimum schneidet, ist das Maximum der Reaktionsgeschwindigkeit kmax erreicht. Dort ist die Aktivierungsenergie ∆G‡ gleich null, die Reaktion ist diffusionskontrolliert. Eine weitere Zunahme von ∆G( führt dazu, dass sich die Edukt- und Produktparabeln im „invertierten Bereich“ schneiden. Die Aktivierungsbarriere nimmt wieder zu, die Reaktion wird langsamer. (b) Eine andere Darstellung des gleichen Sachverhalts ist durch die Auftragung des Logarithmus der Geschwindigkeitskonstanten gegen die freie Reaktionsenthalpie gegeben. Die Funktion entspricht einer umgekehrten Parabel mit einem Maximum für die Reaktionsgeschwindigkeit.

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

507

tersuchungen zu photoinduzierten Elektronentransferreaktionen und strahlenchemisch erzeugten energiereichen Spezies experimentell bestätigt werden. Der Quotient aus den Stoßfaktoren Z wird oft noch zu einem Faktor FAB zusammengefasst, der in guter Näherung dann eins gesetzt werden kann, wenn die Reaktion eine Ladungssymmetrie zeigt, wie z. B. in A2C C B3C $% A3C C B2C, weil dann auch bei den Austauschreaktionen Spezies gleicher Ladung miteinander reagieren, sodass man sehr ähnliche Kollisionsfrequenzen annehmen kann. Ändert sich die Oxidationszahl am reduzierenden und oxidierenden Metallatom jeweils um den gleichen Betrag, spricht man von komplementären Redoxreaktionen. Unterscheiden sich die Beträge der Oxidationsstufenänderungen voneinander, wie in 2 A2C C B3C $% 2 A3C C BC, liegt eine nichtkomplementär Redoxreaktion vor. Die Gleichung kAKB Z √kAKAkBBKKAKB

mit FAB Z 1 wird als vereinfachte Marcus-Kreuzbeziehung bezeichnet. Tabelle 3.19 vergleicht einige experimentelle Geschwindigkeitskonstanten mit den über die vereinfachte Marcus-Kreuzbeziehung berechneten Werten. Die Kreuzbeziehung kann auch zur Abschätzung von Selbstaustauschgeschwindigkeiten verwendet werden, falls diese nicht direkt gemessen werden können. Tabelle 3.19 Anwendung der vereinfachten Marcus-Kreuzbeziehung zur Berechnung der Geschwindigkeitskonstanten kA-B für eine outer-sphere-Reaktion. Reaktanden AK

B

[V(H2O)6]2C C [Ru(NH3)6]3C [Fe(CN)6]4K C [Mo(CN)6]3K [Fe(CN)6]4K C [IrCl6]2K [Ru(NH3)6]2C C [Co(phen)3]3C

KA-B

kA-A kBBkA-B kA-B [l molK1 sK1] [l molK1 sK1] [l molK1 sK1] [l molK1 sK1] exp. Wert exp. Wert berechnet exp. Wert

1.55 · 105 1.00 · 102 1.20 · 104 1.78 · 106

1.0 · 10K2 7.4 · 102 7.4 · 102 6.6 · 103

6.6 · 103 3.0 · 104 2.3 · 105 40

3.2 · 103 4.7 · 104 1.4 · 106 6.9 · 105

1.3 · 103 3.0 · 104 3.8 · 105 1.5 · 104

Die Vorhersage der Geschwindigkeitskonstante für eine outer-sphere-Reaktion gelingt nur innerhalb einer gewissen Abweichung. Ein Faktor von 25 gilt noch als akzeptabel. Oft wird eine Übereinstimmung zwischen beobachteter und nach der Marcus-Theorie berechneter Reaktionsgeschwindigkeit als Kriterium für eine outer-sphere-Reaktion gewertet. Dies sollte allerdings mit Vorsicht geschehen, da es sich gezeigt hat, dass auch inner-sphere-Reaktionen mit der Differenz der freien Enthalpien korrelieren können.

3.11.3 Ligandenreaktionen in der Koordinationssphäre von Metallatomen Die Koordination eines Liganden an ein Metallatom beeinflusst nicht nur die elektronische Situation am Metallatom, sondern auch den Liganden selbst. Insta-

508

3 Komplex-. Koordinationschemie

bile, reaktive Teilchen können bei Anbindung an ein Metallatom stabilisiert werden (Bsp. Cyclobutadien, Carben, s. Kap. 4). Wenig reaktive Teilchen können bei Koordination an ein Metallatom aktiviert werden (Bsp. O2, H2O, N2, H2, CO, Olefine, Prinzip der Katalyse, s. Kap. 4). Die Neubildung und die Spaltung von kovalenten Bindungen innerhalb der Liganden ist ein wichtiges Phänomen in der Koordinationschemie. Bedeutende Reaktionen mit biologischem Bezug sind z. B. die Reduktion eines Disauerstoffliganden zu Wasser in den Cytochromen, die Oxidation von an Mangan gebundenen Aqualiganden zu Disauerstoff im Photosystem II und die Stickstofffixierung in Nitrogenase-Enzymen (s. Abschn. 3.12 u. 13). Im Folgenden werden beispielhaft einige stöchiometrische Reaktionen an σund π-Donorliganden in der Koordinationssphäre von Metallatomen vorgestellt. Für Reaktionen an komplexiertem N2 s. Abschn. 3.13. Reaktionen an C-gebundenen organischen und π-Akzeptorliganden (CO, NO) werden in Kap. 4 behandelt. Katalytische Reaktionen mit Metallkomplexen sind unabhängig vom Ligandentyp in Abschn. 4.4 zusammengefasst. Die Koordination eines Aminosäureesters an ein Metallatom führt zu einer „long-range“-Polarisation der Carbonylfunktion, die den elektrophilen Charakter des Kohlenstoffatoms erhöht. Gegenüber der Esterhydrolyse in neutralem Wasser wird in der Koordinationssphäre des Metallatoms die Hydrolysegeschwindigkeit um den Faktor 104-106 erhöht, wenn das Carbonyl-Sauerstoffatom im Verlauf der Reaktion ebenfalls an das Metallatom koordinieren kann. Esterhydrolyse

H2N

H2 N

2+

NH2 H2 N

Co NH2

Cl

H2O

O

H2N

H2 N

OR

3+

NH2 H2 Co

N

OH2

NH2

+ Cl– + HOR

O

OH

Die Metallkoordination von Nitril- (Alkyl- oder Arylcyanid-)Liganden erleichtert den nucleophilen Angriff für die Hydrolyse zu Amiden. Im Falle des Pentaammin (alkylcyanid)cobalt-Komplexes erfolgt mit Hydroxidionen eine sofortige Reaktion zu einem N-gebundenen deprotonierten Amid, das als kinetisch inerter Komplex isoliert werden kann. 3+

NH3 Nitrilhydrolyse zu Amid H3N NH3 Co

H3N

H3N

OH–

N C R

H3N

H3N

2+

NH3 Co

H3N

NH3

N C R H O

Der nucleophile Angriff von Hydridionen auf Nitrile reduziert diese zu Aminen. Die Koordination an ein Metallatom bedingt wieder eine Aktivierung der N^CBindung durch Verringerung der Elektronendichte und Positivierung, sodass die Hydridübertragung etwa 103 mal schneller als auf den freien Liganden verläuft. Nitrilreduktion mit H– zu Aminen

H C Ph2As N MeC

H C

2+

AsPh2

Ru

N

AsPh2

N

CMe

CMe

BH4–

Ph2As H2N MeCH2

+

AsPh2

Ru

H

AsPh2

NH2 CH2Me

3.11 Reaktivität von Metallkomplexen, Kinetik und Mechanismen

509

Drei Moleküle Acetonitril reagieren mit Dysprosium- oder Thuliumdiiodid unter CdC-Kupplung zu 2,4-Diimino-3-methylpentan-3-amin, das als Ligand im Komplex isoliert wird. Die Protonen stammen aus dem Lösungsmittel. C–C-Kupplung Me von Nitril 3 C

Me

N

Me C

Me C

C

+ LnI2

Me

C

NH2 NH

HN

N Überschuss

3+

N C Me Me C N Ln N N N C C N Me C Me C Me Ln = Dy, Tm Me 3 I–

Die Reaktion von freiem Acetylaceton oder anderen 1,3-Diketonen mit H2S führt nur zur Thiocarbonylverbindung und nicht bis zum 1,3-Dithioketon. Die komplexierte Monothioverbindung kann mit H2S in ein chelatisiertes 1,3-Dithioketonat umgewandelt werden. Me

Me O

Me

Me

H2 S

O

O

S Me

Umwandlung einer Ketogruppe in Thioketogruppe

O

Pt

Me

S

S Me

S

Me

Me

O

Me

Me S

2H2S

S

S Me

Pt

S S

Me

Me

Die Anbindung ambidenter Liganden an ein Metallatom kann zur Kontrolle der Reaktivität der unterschiedlichen Donoratome genutzt werden. Der nucleophile Angriff eines Aminothiolatliganden am Nickelatom auf die kohlenstoffzentrierten Elektrophile Methyliodid oder Biacetyl ergibt im ersten Fall eine selektive Methylierung am Schwefelatom, während im zweiten Fall ausschließlich eine NdC-Bindung geknüpft wird. Die derart erhaltene Diiminverbindung kann auch nur in Gegenwart des Metallatoms synthetisiert werden. Reaktivitätskontrolle der nucleophilen Angriffe von unterschiedlichen Donoratomen: 2+

Me S Me S

Ni

NH2

O 2MeI

NH2 S-Methylierung

S S

Ni

NH2 NH2

Me S

O

Me

S

Ni

N

Me

N

Me

N–C-Kupplung

Eine elektrochemisch reversible Bindung von Ethen an die S-Donoratome des Liganden zeigt der Bis (1,2-dithiolat)-Nickelkomplex. Die oxidierte Form bindet Ethen, aus der reduzierten Form wird es wieder freigesetzt.

510

3 Komplex-. Koordinationschemie

elektrochemisch reversible Ethenanbindung

F3C

CF3

S S Ni S S

0

F3C

H2C CH2

CF3

F3C hohe Ethen-Affinität

H2C CH2 S S Ni S S

F3C +e–



Oxidation, –e F3C Recyclen –

CF3

S S Ni S S

F3C

CF3



CF3

0

CF3

H2C CH2 Reduktion

niedrige Ethen-Affinität

Eine starke Reaktionsbeschleunigung erfahren Umesterungsreaktionen in der Koordinationssphäre eines Metallatoms durch die Polarisierung und Nachbarstellung der reaktiven Zentren. Der nucleophile Angriff eines koordinierten Alkoxidliganden erfolgt auf das elektrophile Carbonyl-Kohlenstoffatom der ebenfalls koordinierten Estereinheit. Umesterung N O

C

OAr

+

+

H2N

H2N Zn2+

HN

N

–H+

O C

HO

N

Zn NH –OAr–

O

–Zn2+

OAr

O

C O

H N Ar =

NH2 NO2

Metallzentrierte Umsetzungen können gezielt in Ringschlussreaktionen zum Aufbau makrocyclischer Liganden genutzt werden. Die Orientierung der Reaktionszentren durch das Metallatom ist dabei wesentlich, sodass es zu einer Ringschluss- anstelle einer Polymerisationsreaktion kommt. Die sterische Präkonformation durch eine zumindest vorübergehende Koordination an das Metallatom ist für den Reaktionsverlauf entscheidend. Das generelle Phänomen der Beeinflussung des Reaktionsverlaufs durch die Gegenwart eines Metallions wird auch als Templat-Effekt bezeichnet (engl. template Z Schablone, Matrix). Der Templat-Effekt dient z. B. zur Synthese von Kronenethern, Kryptanden und Catenanen. Catenane sind Verbindungen, bei denen die einzelnen Moleküle jeweils aus mindestens zwei ineinandergreifenden Ringen bestehen ([2]-Catenane), ohne dass zwischen diesen Ringen kovalente Bindungen bestehen. Templat-Effekt von K+ zur Synthese von 18-Krone-6

Ts O– O

+

O O

K O

O–

O

O –2Ts–

+

O

O O

Ts

O

K

Ts =

O O S O

Me

3.12 Disauerstoff-Metallkomplexe

511

Prinzip der koordinativen Catenansynthese B-A

C-D

C-A

A-B

A-C

+ 2

M

–4D–B

A-B B-A

M

A-C

C-D

HO

+

C-A

Beispiel Catenansynthese O

OH N

N

Base

Cu N

O O

O

+ 2 ICH2(CH2OCH2)4CH2I

N

+

O

N

O

–4HI

N

N

O

Cu N

O

O HO

OH

+CN– freies [2]-Catenan

O

O –CuCN

[2]-Catenat

O

Das freie Catenan kann dann durch Abspaltung des Metallatoms aus dem Catenatkomplex erhalten werden.

3.12 Disauerstoff-Metallkomplexe Die Synthese von MetalldO2-Komplexen erfolgt in der Regel durch Zugabe von O2 zu einem Metallkomplex. Koordination. Die Bindung von O2 an ein Metallatom geht mit einem Transfer von Elektronendichte vom Metallatom zum O2-Liganden einher. Metallkoordiniertes O2 kann formal in Superoxo- (Einelektronenreduktion zu „OK 2 “) und Peroxoliganden (Zweielektronenreduktion zu „O 22K“) unterschieden werden. Diese Differenzierung und die Namensgebung beruht auf einer Ähnlichkeit der OdO-Abstände und -Schwingungsfrequenzen des O2-Liganden mit den Werten im Superoxid- und Peroxidion (Tabelle 3.20). Abstände aus Kristallstrukturanalysen sowie die IR- und Raman-Spektroskopie dienen als Methoden zur Einordnung. Bei Kristallstrukturbestimmungen findet man insbesondere für Mdη1-O2Komplexe häufig Fehlordnungen der O2-Gruppe, die, wenn sie nicht korrekt behandelt werden, zu unrealistisch kurzen OdO-Abständen (!1.1 Å) führen. Disauerstoff kann einzähnig gewinkelt (end-on) und zweizähnig (side-on) an ein Metallatom koordinieren oder zwischen Metallatomen verbrücken. Die Koordinationsart korreliert größtenteils mit der elektronischen Superoxo-.PeroxoEingruppierung. Ein Superoxoligand hat fast immer eine gewinkelte end-on-Koordination. Die side-on-Koordination zeigt fast immer einen Peroxoliganden an.

512

3 Komplex-. Koordinationschemie

Tabelle 3.20 Abstände und Schwingungsfrequenzen in freiem O2 und im Superoxidund Peroxidion. K

2K

O2

Superoxid, O2

Peroxid, O 2

Bindungsordnung d (OdO) [Å]

2 1.21

1 1.49

ν˜ (OdO) [cmK1]

1 580

1.5 1.34 a) 1.28 [KO2] b) 1 145 [KO2]

a)

b)

[Na2O2]

842 K

[C6H4(NMe3)2-1,3][O2]2 · 3 NH3, in dieser Verbindung ist das O2 -Anion nur von NdH$$$Ound CdH···O-Wasserstoffbrücken durch das Kation umgeben und damit nicht durch starke Wechselwirkungen in seiner Struktur gestört. Die Werte für Superoxid-OdO-Bindungsabstände erstrecken sich über einen weiten Bereich: 1.19 Å in CsO2 (Phase 2), 1.28 Å in α-KO2, 1.32 Å in NaO2 (Phase 2) und 1.37 Å in NaO2 (Phase 1).

Superoxo, "O2–"

Peroxo, "O22–"

gewinkelt end-on

M η1-Superoxo

M

side-on

O

O

M

M

O

O

Beispiele: η1-Superoxo N

O

Co

η2-Peroxo

∴ O O

O tBu

N O2 /

M

O

M O µ-η2:η2-Peroxo

η2-Peroxo

N

tBu

O M

µ-η1:η1-Peroxo (trans-)

µ-η1:η1-Superoxo (trans-)

O

M

N CH2Ph

O 1.27 Å O 117° N

O

Co N N

N

O



O

O

Cl

Ph3P

+ PPh 3 Ir CO

1.4-1.5 Å O O 2.04 Å 2.09 Å

Ph3P

(Vaska-Komplex)

Cl

Ir

PPh3

CO

CH2Ph

Bedeutung. Metall-O2-Komplexe spielen in Schlüsselreaktionen des Lebens wie der Atmung und der Photosynthese eine fundamentale Rolle. Bei der Atmung der Wirbeltiere wird das Disauerstoffmolekül durch das Hämoglobin (Hb) von den Lungen in die Muskelzellen transportiert, wo es zur Verwendung und Speicherung auf das strukturell sehr ähnliche Myoglobin (Mb) übertragen wird, welches eine größere Affinität zum Sauerstoff besitzt. Von dort gelangt das O2Molekül auf die Cytochrome, eine Gruppe weiterer Häm-Proteine, die als Redoxkatalysatoren die Endglieder der Atmungskette sind.

3.12 Disauerstoff-Metallkomplexe Atmungskette: Blut Hb(O2)2-3 Lunge O2

513

Gewebe Mb

Transport

Speicherung

Hb

Mb(O2)

H2O Cytochrome Umsetzung 2 H+

Das Hämoglobin-Molekül als tetrameres Protein kann bis zu vier Disauerstoffmoleküle binden. Nach Anbindung des ersten O2-Liganden wird die Aufnahme der weiteren O2-Moleküle durch einen Rückkopplungsmechanismus beschleunigt. Unter normalen physiologischen Bedingungen findet man im Schnitt die Anbindung von zwei bis drei O2-Molekülen. Das O2-Molekül wird an der HämGruppe koordinativ an ein Fe2C-Ion im Zentrum eines dianionischen vierzähnigen Porphyrinrings gebunden (Abb. 3.52). In den Häm-Proteinen Hämoglobin und Myoglobin ist die fünfte Koordinationsstelle des Fe2C mit der Imidazolgruppe eines Histidinbausteins der Proteinkette besetzt. Die sechste Koordinationsstelle ist entweder mit O2 besetzt (Oxyhämoglobin, Oxymyoglobin) oder sie ist unbesetzt (Desoxyhämoglobin, Desoxymyoglobin). Anstelle der Fe2C-Oxidationsstufe kann auch die Fe3C-Form auftreten und wird durch den Vorsatz met gekennzeichnet (metHb, metMb). Die Oxidation des Eisenatoms im Hämoglobin und Myoglobin führt zur Inaktivierung. Die Cytochrome (von cyto Z Zelle und chroma Z Farbe abgeleitet) sind Gruppen von lebenswichtigen und weitverbreiteten Häm-Proteinen, die als Redoxkatalysatoren für das Funktionieren der Atmungskette wichtig sind. Die Cytochrome können als Redoxproteine die Eisenatome reversibel zwischen Fe2C und Fe3C bewegen: Fe2C (Ferrohäm) # Fe3C (Ferrihäm) C eQ. Je nach Substitutionsmuster des Porphyrinrings bezeichnet man die Cytochrome mit den Buchstaben a bis d. Das Cyctochrom-c der Atmungskette ist das bestuntersuchte Cytochrom. Ein Vergleich verschiedener Cytochrome-c zeigt, dass sich die Cytochrome-c seit 2 Milliarden Jahren durch Mutation nur relativ wenig verändert haben. Das muss als Hinweis auf die große Bedeutung der Cytochrom-c Funktion für die Lebewesen gesehen werden. Die Cytochrom-c-Oxidasen übertragen die von reduziertem Cytochrom-c empfangenen vier Elektronen nebst vier Protonen auf ein Sauerstoffmolekül und tragen so zur Energiegewinnung und -erhaltung der Zelle bei: 4 Cyt-c (Fe2C) C 4 HC C O2 $% 4 Cyt-c (Fe3C) C 2 H2O. Die Giftwirkung von Molekülen wie CNQ oder CO, die anstelle des Disauerstoffs an die Eisenatome binden, erstreckt sich vor allem auf diesen Teil der Atmungskette. Die Protein-Kristallstruktur von RinderherzCytochrom-c-Oxidase (M Z 200 000) zeigt im Molekül zwei Eisen- und zwei Kupferatome. Durch Herauslösen des Kupfers lässt sich das Enzym reversibel deaktivieren. In Desoxy-Hb und Desoxy-Mb liegt das quadratisch-pyramidal koordinierte Fe2C-Atom in einem high-spin-Zustand mit vier ungepaarten Elektronen vor (Gesamtspin S Z 2). Durch die Disauerstoff-Koordination (Triplett-Grundzustand 3O2, S Z 1) erhält man einen diamagnetischen Komplex HbO2 bzw. MbO2. Für die möglichst schnelle, nicht gehemmte Anbindung des Disauerstoff-Diradi-

514

3 Komplex-. Koordinationschemie Desoxyhämoglobin HämGruppe

H3C

H3C – OOC

N

N

N H 2C

CH3

N Fe

Oxyhämoglobin O

N

CH3

O N

N Fe

N

N

N

COO–

ImidazolNH ring

O C C N H H O

O2

...

NH

HistidinAminosäure

Abb. 3.52 Darstellung eines Hämoglobin-(Hb-)Monomers, mit der α-Globin-Kette als Band in der charakteristischen Faltung und der Häm-Gruppe in einer Tasche der Polypeptidkette. Das gesamte Hb-Protein enthält vier solcher Monomereinheiten, die durch zwischenmolekulare Kräfte zu einem globulären Makromolekül mit M Z 64 500 verbunden sind. Die Häm-Gruppe ist ein Porphyrinato-Fe2C-Komplex und liegt auch im strukturell ähnlichen aber monomeren Myoglobin vor (M Z 17 000). Die Häm-Gruppe ist über das Eisenatom durch Koordination an den Imidazolring eines Histidinrestes an der GlobinKette befestigt. Die Zeichnung der Häm-Gruppe soll auch zeigen, dass im Sauerstoff-freien Zustand (Desoxy-Form) das high-spin-Fe2C-Atom außerhalb der Porphyrin-Ringebene liegt (0.36K0.40 Å). Bei Aufnahme von Disauerstoff mit einer end-on-Anbindung des O2Moleküls erfolgt Spinpaarung und das wahrscheinlich jetzt low-spin-Fe3C-Atom bewegt sich in einen Bereich innerhalb von G0.12 Å in die Ringebene.

3.12 Disauerstoff-Metallkomplexe

515

kals, also mit möglichst kleiner Aktivierungsenergie, ist das Vorliegen des FeKomplexes als paramagnetische Verbindung günstig. Für einen Tetrapyrrol-Eisen-Komplex gilt eine high-spin-Situation als ungewöhnlich. O

z-Achse N

N

N Fe

O N

N Fe

N

N ...

z2 xz, yz xy

N

N

NH

...

Fe2+ in Desoxy-Hb, -Mb x2–y2

N

NH

Fe3+ in Oxy-Hb, -Mb x2–y2 z2

xz, yz xy

Die HbO2- und MbO2-Addukte werden am besten als Fe3C-Komplexe des Superoxid-Radikalions, OK· 2 angesehen. Die mit der erhöhten Metalloxidationsstufe zunehmende Kristallfeldaufspaltung (s. Abschn. 3.9.2) begünstigt für Fe3C die low-spin-Form mit noch einem ungepaarten Elektron. Eine magnetische Kopplung, d. h. die Bildung eines gemeinsamen Orbitals, zwischen dem ungepaarten Elektron am Eisenatom und dem OK· 2 -Ion ergibt den diamagnetischen Grundzustand. Natürlich ließe sich der Diamagnetismus auch über eine Kombination der diamagnetischen Komponenten low-spin-Fe2C (Ionenradius 1.9K2.0 Å) und Singulett-Disauerstoff 1O2 deuten. Als experimentelle Entscheidungskriterien kann man die OdO-Schwingungsfrequenz von ca. 1 100 cmK1, die nahe der des Superoxid-Anions liegt, und Daten aus Mößbauer-Spektren heranziehen. Bezüglich der Positionsänderung des Fe-Atoms ist im high-spin-Zustand der Radius des Fe2C-Ions so groß (2.1K2.2 Å), dass es nicht in die Ebene der vier N-Atome hereinpasst. Der Übergang zu Fe3C-low-spin im O2-Addukt verringert den Radius des Eisenatoms, und dieses kann sich in die Ringebene bewegen. Bei der Diskussion von formalen Oxidationsstufen bleibt festzuhalten, dass die Koordination eines nach der spektrochemischen Reihe relativ schwachen Disauerstoffliganden von einem high-spin- zu einem low-spin-Zustand des Metallatoms führt. Eisenkomplexe mit Stickstoffdonorliganden zeichnen sich weiterhin dadurch aus, dass sie sich nahe am Spincrossover-Punkt oder in einem thermisch verschiebbaren Spingleichgewicht befinden (s. Abschn. 3.9.7). Der Spinübergang des Eisenatoms mit geringer Aktivierungsenergie kann durch einen kooperativen Effekt aus der Kontraktion des Metallatoms und der Relativbewegung um ca. 0.3 Å in das Zentrum des Makrocyclus, der dadurch besser („stärker“) komplexieren kann, unterstützt werden.

516

3 Komplex-. Koordinationschemie

Zur Häm-Gruppe gibt es zahlreiche Fe2C-Porphyrin-Modellkomplexe mit einem axialen Imidazolring am Eisenatom, die die physikalischen und strukturellen Eigenschaften im Desoxyhämoglobin und -myoglobin nachempfinden sollen. Die Fe2C-Atome in diesen „freien“ Häm-Gruppen werden aber von Sauerstoff sofort irreversibel zu Fe3C oxidiert. Über Peroxo-Zwischenstufen (PorphyrinFe3CdOdOdFe3C-Porphyrin) wird ein Oxo-verbrücktes Dimer gebildet (Porphyrin-Fe3CdOdFe3C-Porphyrin). Erst wenn man durch geeignete sterisch anspruchsvolle Substituenten am Porphyrinring die Ausbildung einer solchen dimeren Eisenspezies verhindern kann, erhält man funktionale Hämoglobin-Modellverbindungen, die in der Lage sind, reversibel Sauerstoff zu binden. Für die Stabilität des Fe2C im Hämo- oder Myoglobin ist der Globin-Teil des Proteins wesentlich, der sich um die Häm-Gruppe faltet und in gleicher Weise eine Dimerisierung und damit irreversible Deaktivierung verhindert. funktionale Häm-Modellverbindungen t

R

O

Bu

t

Bu

t

NH

O

t

Bu

O

N

Fe

O2

N R

sterisch gehindertes, so genanntes Zaunpfahl(picket fence) Porphyrin

N N

Bu

t

O

NH

N

N

t

NH

O

HN

NH

O

Bu

N

N

O Fe

Bu

O

HN

N

N R

N N

O–O 1.24 Å Fe–O–O 136°

Der Tetrakis (naphthyl)porphinato-eisen (II)-Komplex mit intramolekular-koordiniertem N-imidazolring ist paramagnetisch (S Z 2) und bildet in Toluol bei 25 (C ein stabiles diamagnetisches O2-Addukt. Die Sauerstoffaufnahme ist in Abhängigkeit des O2-Partialdrucks reversibel. Mit einer Halbwertszeit von 22 h bei 25 (C zersetzt sich die Verbindung irreversibel zum Porphyrinato-Fe3C(OH)Komplex, wobei die Oxidationsgeschwindigkeit stark vom Wassergehalt der Lösung abhängt. Die sperrigen Ringsubstituenten verhindern die Bildung eines µOxo-Dimers. O

t

Bu

R

tBu

t

Bu

NH

O

HN

NH N

N

N N

O O

Fe

(CH2)7

N

N R

O

3.12 Disauerstoff-Metallkomplexe

517

Die bimetallischen Eisen- oder Cobalt-Kupfer-Komplexe sind funktionale Modelle für Cytochrom-c-Oxidase. Sie binden O2 in einer 1 : 1-Stöchiometrie und katalysieren die 4-Elektronen-Reduktion von O2 in wässriger Lösung bei physiologischen pH-Werten um 7. Cytochrom-c-Oxidase Funktionsmodelle

O NH

N

N

N

HN

N

Cu+X–

O

N

X– = Br–, CF3SO3–

N

M

O

O HN

N

2+

Fe

N H

HN O

N =

O

N

N N

CF3SO3–

N N

O

,

N

N

HN

M = Co2+, Fe2+ =

N HN

O

HN

N

+

N Cu

N

N

NH

N N

N

N ,

Die Funktion des Hämoglobins als O2-Träger wird in vielen niederen Tieren (z. B. Weichtieren wie Tintenfischen, Schnecken, Krebsen, Muscheln) von einem Kupfer (I)-Protein, dem farblosen Hämocyanin, übernommen. Bei Sauerstoffkoordination liegt zweiwertiges Kupfer vor, und das Oxyhämocyanin ist blau gefärbt. Hämocyanin ist im Blut frei gelöst und nicht wie Hämoglobin an rote Blutkörperchen gebunden. Die Molmasse von Hämocyaninen varriiert sehr stark: Hummer 770 000, Seepolypen 2.78 Mio, Weinbergschnecke 6.7 Mio. Damit ist Hämocyanin eines der am häufigsten natürlich vorkommenden Moleküle. Aus Schnecken-Hämocyanin kann man das Kupfer durch einen Cyanidpuffer (pH Z 8.4, in Gegenwart von Calcium-Ionen) reversibel entfernen, wobei das Bindungsvermögen gegenüber O2 ebenfalls reversibel wiederkehrt. Das Sauerstoff-freie, farblose Desoxyhämocyanin enthält zwei einwertige Kupferatome, die jeweils von drei Histidin-Resten (His) koordiniert sind, mit einem Metall-Metall-Abstand von 3.7 G 0.3 Å. Der zweikernige Kupferkomplex mit substituierten Tris (pyrazolyl)boratliganden wird als sehr gutes strukturelles Modell für die Ο2-Koordination an die beiden Kupferatome im Hämocyanin zum blauen Cu2C-haltigen Oxyhämocyanin angesehen. Aufgrund der im Gegensatz zu anderen Cu2dO2-Modellkomplexen sehr guten Übereinstimmung der spektroskopischen Daten wird für Oxyhämocyanin eine µ-η2 : η2-Peroxid-Koordination an die beiden Kupferatome angenommen. Eine Struktur von Oxyhämocyanin aus Limulus polyphemus mit 2.4 Å Auflösung scheint die Bindung des Peroxidliganden in einer planaren µ-η2:η2-Koordination zu bestätigen.

518

3 Komplex-. Koordinationschemie

Hämocyanin His

+

+

His Cu

R

His

Cu

His

2+

His Cu

His

O

2+

His

Cu

N

2+

N

R

R

R

His

Oxyhämocyanin 340 (20 000) 580 (100) 744-752 3.5-3.7

His

Oxyhämocyanin mit Cu2O2-Strukturvorschlag

R N R R Cu N N B H

R

H B N N Cu R

O

R N N

His

O2 His

O–O 1.41 Å Cu–O 1.90, 1.92 Å

Struktur-Modell His

O O 137°

N

2+

N N

R

UV/Vis [nm] (ε) ~ν(O-O) [cm–1] d(Cu···Cu) [Å]

R = iPr

R

Modell (*R=Me,Ph,iPr) 338-355* (~20 000) 530-551* (~900) 731-759* 3.56 (R = iPr)

Eine reversible Spaltung der OdO-Bindung im Peroxidion konnte in einem zweikernigen Triazacyclononan-Kupferkomplex beobachtet werden. In Aceton als Lösungsmittel findet man bei tiefer Temperatur ein Gleichgewicht zwischen dem Disauerstoff-Addukt und seinem Isomer mit zwei Oxobrücken und fehlender OdO-Bindung. Hämocyanin Funktionsmodell R

R N

Cu

N R

O O

N Cu

R

2+

R

N

N R

Aceton < –50 °C

N R

R=

iPr

R N

R

N

O Cu

N

2+

R

N

Cu O

N R

N R

Bei der in grünen Pflanzen ablaufenden Photosynthese erfolgt die Wasserspaltung und die Freisetzung von Disauerstoff an einem vierkernigen Mangancluster (Mn4Ca-Cluster) (wasseroxidierender Komplex, WOC; oxygen evolving complex OEC) im aktiven Zentrum des so genannten Photosystems II (PSII). PSII verwendet Lichtenergie, um Wasser an einem solchen Metallradikalcluster und einem Tyrosylradikal zu Sauerstoff zu oxidieren. Pro Sekunde können dabei bis zu 50 Sauerstoffmoleküle freigesetzt werden. Die Elementarreaktionen bei der Photosynthese, so auch die Abspaltung des für die Bildung der O2-haltigen Atmosphäre verantwortlichen Disauerstoffmoleküls, werden auf molekularer Ebene erst langsam verstanden. Ein Problem ist u. a. die noch nicht vollständig bekannte Struktur des Manganclusters. In einem schon länger diskutierten Mn4Ca-Modell (!) bilden die vier Manganatome einen C-förmigen Cluster (Abb. 3.53a). Bei diesem Modell wird die O2-Entwicklung zwischen den terminalen Manganatomen angenommen (Abb. 3.54). In einer neueren Strukturbestimmung wurde das Photosystem mit der Röntgen-Absorptionsspektroskopie (EXAFS) untersucht. Die Ergebnisse wurden mit kristallograpischen Daten verknüpft und führten zu Vorschlägen einer gestreckten Grundstruktur des Mn4CaClusters (Abb. 3.53b). Ein mechanistisches Modell für die O2-Entwicklung in einem solchen Cluster steht noch aus. In jedem Fall sind die benachbarten Manganatome immer durch zwei Sauerstoffatom- oder Carboxylatbrücken verbunden.

3.12 Disauerstoff-Metallkomplexe (a)

O

Cl

O

C O Mn O Mn

CO

O

O

Mn

(b)

Histidin

O O

Mn

Tyrosin

Mn

O

O

Mn

Mn

O

C

Ca O

Ca Ca

O C-Cluster

O

Mn O

519

O

Mn

Mn

O

OMn O

O

Mn

Abb. 3.53 Strukturvorschläge (!) für mögliche räumliche Anordnungen der Manganatome im Mn4Ca-Cluster des Photosystems II. (a) C-Cluster des so genannten Berkeley-Modells. Die Zahl und Art der verbrückenden Carboxylatgruppen ist unbekannt. Für die N-Koordination eines Histidinrests und die räumliche Nähe eines Ca2C- und ClK-Cofaktors gibt es spektroskopische Hinweise. Ihre relativen Positionen zueinander sind aber unbekannt. (b) Neue Strukturvorschläge aus der Verknüpfung von EXAFS- mit kristallographischen Daten.

Eine feste Positionierung der Manganatome minimiert die Kernbewegung innerhalb des Clusters und führt so zu einer hohen katalytischen Aktivität. Der Mangancluster durchläuft während der Wasseroxidation fünf Oxidationszustände, die mit S0 bis S4 bezeichnet werden. In dem mechanistischen Modell (!) für die Sauerstoffentwicklung am C-Cluster (Abb. 3.54) bleibt die Gesamtladung des Clusters unverändert (Cluster-Elektroneutralität). Damit werden keine unnötigen Energiebarrieren durch eine Akkumulation von Ladung aufgebaut. In jedem Schritt zwischen den Si-Zuständen läuft eine sehr ähnliche Chemie ab. Für die Erzeugung von O2 sind nur geringe Atombewegungen notwendig. Für die Spaltung von Wasser ist die energetische Triebkraft nur gering, andererseits die Katalysegeschwindigkeit hoch. Die Umsatzzahl beträgt bis zu 200 Elektronen pro Sekunde für den Sauerstoff-entwickelnden Komplex. wasseroxidierender Komplex (WOC) in PSII Funktionsmodelle

Ar Ar

N

N 3+

N

N 3+

N Mn

H2O

N

O

O

N

3+

Mn

Ar

N Ar

OH2

4+

Mn N

N

N

N 3NO3

2+

3+

Mn

N

N



Ar

2ClO4–

Ar

Ar =

- C6F5

Modellkomplexe für den WOC in Photosystem II haben sich hauptsächlich auf den Mangan-Anteil konzentriert. Der Komplex [H2O(terpy)Mn (µ-O)2Mn (terpy)H2O](NO3)3 und ein Phenylen-verbrücktes Mn (III)-Porphyrin-Dimer ka-

520

3 Komplex-. Koordinationschemie O 4+ O 2+ CO Mn O Mn OH2 CO 4+ O O OH2 Mn

2H2O

O2

O

Cl

0

O 4+ O 4+ CO Mn O Mn O CO 4+ O Mn O O O

O

O

Tyrosylradikal

O

OAc Ca

4

3+

Mn

NH



Mn3+

AcO

1

e–, H+

O 4+ O 3+ • CO Mn O Mn O OH CO 4+ O Mn O OH2 O

O

OAc AcO Ca

Cl

AcO

3

O 4+ O 4+ CO Mn O Mn OH CO 4+ O O Mn O O

4+

2 •

Mn OAc AcO Ca

O

O

O

e–, H+

3+

Mn

OAc Ca

Cl

O 4+ O 4+ • CO Mn O Mn O OH CO 4+ O OH Mn O O

e–, H+

O

e–, H+

3+

Mn

OAc AcO Ca

Abb. 3.54 Vorschlag (!) für die Oxidation von Wasser zu Disauerstoff am Mn4Ca-C-Clustermodell im Photosystem II. Bei der Gesamtreaktion fungiert viermal ein stabiles Tyrosylradikal als Wasserstoffatom- (Protonen- und Elektronen-)Akzeptor. Die gleichzeitige Abgabe von Proton und Elektron erlaubt es dem Mangancluster, während des ganzen Zyklus weitgehend neutral zu bleiben. Die Oxidation von Tyrosyl zur Rückbildung des Radikals führt zur Abgabe eines Protons an die umgebende Wasserphase. Chlorid- und Calciumionen sind für die Aktivität notwendig (vgl. Abb. 3.53). Die letzte Wasserstoffabstraktion (Schritt 3 nach 4) erfolgt konzertiert mit der Bildung einer Sauerstoff-Sauerstoff-Bindung und der Reduktion eines Manganions von 4C nach 3C. Am Ende eines Zyklus werden die MndPeroxo-Bindungen gespalten, das O2-Molekül freigesetzt und zwei neue Wassermoleküle können an die wieder freigewordenen Koordinationsstellen anbinden. Der postulierte Zustand 4 konnte bis jetzt allerdings nicht beobachtet werden. Änderungen zu benachbarten Zuständen sind durch Grauunterlegung hervorgehoben.

talysieren als funktionale Modelle für den vierkernigen Mangancluster in PSII die Bildung von O2 aus wässriger Lösung (Nachweis durch 18O-Isotopenmarkierung) mit niedrigen Umsatzzahlen.

3.13 Distickstoff-Metallkomplexe

521

3.13 Distickstoff-Metallkomplexe Synthese. Distickstoffkomplexe lassen sich durch direkte Synthese aus Metallsalzen unter reduzierenden Bedingungen erhalten, [MoCl4(PR3)2]

Na, N2 –NaCl

[Mo(N2)2(PR3)4]

durch die Oxidation von N2H4 [C5H5Mn(CO)2(N2H4)] + 2 H2O2

[C5H5Mn(CO)2(N2)] + 4 H2O

oder NH3 zu N2 in der Koordinationssphäre eines Metallatoms. [Os(NH3)5(N2)]2+ + HNO2

[Os(NH3)4(N2)2]2+ + H2O

Die Darstellung der ersten N2-Koordinationsverbindung gelang 1965 durch Umsetzung von RuCl3 mit Hydrazin in wässriger Lösung. RuCl3 + N2H4

[Ru(NH3)5(H2O)]2+ + N2

[Ru(NH3)5(N≡N)]2+

[Ru(NH3)5(H2O)]2+ Überschuss [(H3N)5Ru–N≡N–Ru(NH3)5]4+

Die anfangs mit dieser Entdeckung verbundene fast euphorische Erwartung, dass mit der Metallkoordination der Stickstoff aktiviert werde und leicht zu reduzieren wäre, sodass man kurz vor einer energiesparenden Ammoniaksynthese stünde, hat sich bis heute erst ansatzweise erfüllt. Die Entdeckung führte jedoch zu einer regen Forschungstätigkeit, sodass heute einige hundert N2-Komplexe bekannt sind. Koordination. Distickstoff kann in einer σ-Koordination end-on terminal oder verbrückend mit annähernd linearer MdN^N-Anordnung an Metallatome koordinieren. Die η2-side-on-Koordination an ein Metallatom über die N2-π-Bindung wurde für die Verbindung [{(C5Me5)2Sm}(N2)] nachgewiesen. Häufiger ist eine verbrückende side-on-Koordination zwischen zwei Metallatomen (µ-η2 : η2). Eine end-on.side-on Verknüpfung ist selten (Bsp. Tantalkomplex, s. u.). end-on

M'

N

N

N

N

M terminal, η1

M verbrückend, µ-η1:η1

selten: end-on/side-on M

N N

M' verbrückend, 1 2 µ-η :η

side-on M

N N

selten: η2

M

N N

M

verbrückend, µ-η2:η2

522

3 Komplex-. Koordinationschemie R

Beispiele:

P

P

Ar(tBu)N N(tBu)Ar Ar(tBu)N

N N–N = 1.13 Å N W

U

P

N N–N = N 1.23 Å

N 1.12 Å N P Ph(tBu)N

P = PMe2Ph

Mo

Ph(tBu)N

N(tBu)Ph

Ar = -C6H3-3,5-Me2

N N

R

R N

U N

N

N

N N

U N

Ar = -C6H3tBu2-2,6

N

R R R R = SitBuMe2 N–N = 1.11 Å

Vergleich N2: N–N = 1.097 Å

ArO O

O

Nd ArO

N–N = 1.24 Å

OAr N

N

Nd O

O

OAr

Die MdN2-Bindung kann analog zur end-on-Metallanbindung einer terminalen CO-Gruppe (s. Abschn. 4.3.1.1) oder der side-on-π-Koordination eines Alkins (s. Abschn. 4.3.4.2) als Kombination aus einer σ-Hinbindung und M(d) $% N2(π*) π-Rückbindungen angesehen werden. Analogie zu M C O M

N

σ-Hinbindung

N

M

N

N

π-Rückbindung

Analogie zu R N C M M C N R σ-Hinbindung

M

N N

π-Rückbindung

Das N2 σ-Orbital liegt energetisch tiefer und das N2 π*-Orbital energetisch höher als die betreffenden Orbitale in den isoelektronischen CO- oder Alkinliganden, sodass bei N2 eine schlechtere Wechselwirkung mit den Metallorbitalen resultiert. Im Vergleich zu CO und RC^CR ist N2 ein schwächerer σ-Donor und π-Akzeptor (s. Abschn. 3.14). Ähnlich dem CO-Liganden wird die N^N-Bindungslänge von 1.097 Å im freien Molekül bei Koordination an ein Metallatom nur wenig auf etwa 1.12 Å verlängert. Erst eine zweifache side-on- oder end-on-Metallanbindung führt in der Regel zu einer deutlichen Verlängerung der NdN-Bindung und damit zu einer gewissen Aktivierung. Bedeutung. Die Erforschung von Metall-N2-Komplexen hat die NH3-Synthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren sowie durch N2-Fixierung als technischen und biologisch-biochemischen Hintergrund. Beim Haber-Bosch-Verfahren wird aus N2 und H2 mit Hilfe eines Eisenkatalysators bei hoher Temperatur und hohem Druck Ammoniak erzeugt. Typische Temperaturen liegen zwischen 400K500 (C und Drücke zwischen 100K1 000 bar. Unterschiede bei Anlagen bestehen hinsichtlich der Katalysatoren sowie der Erzeugung und Reinigung des Synthesegases. Als Katalysator wird metallisches α-Eisen mit geringen Mengen oxidischer Materialien eingesetzt. Eine typische Zusammensetzung des Katalysator-Vorprodukts besteht aus Fe3O4 (94.3 % Masseanteil Magnetit, Ausgangsprodukt für α-Eisen), K2O (0.8 %, aus K2CO3; erhöht die Aktivität, senkt aber die Temperaturbeständigkeit), Al2O3 (2.3 %), SiO2 (0.4 %) und CaO (1.7 %, macht unempfindlich gegen Schwefel- und Chlorverbindungen). Die letzten drei Komponenten schützen vor Versinterung und erhöhen dadurch die Temperaturbeständigkeit des Katalysators. Die Reduktion des Magnetits ist von entscheidender Bedeutung für die Katalysatorqualität. Früher erfolgte die Reduktion im Druckreaktor der

3.13 Distickstoff-Metallkomplexe

523

Ammoniak-Produktionsanlage, neuerdings führt man zum Teil eine Vorreduktion in separaten Anlagen durch. Die Eisenkatalysatoren sind pyrophor und reagieren äußerst empfindlich auf Katalysatorgifte. Diese verkleinern durch Chemisorption die aktive Oberfläche des Katalysators und senken so seine Aktivität. Katalysatorgifte sind O-, S-, P- und As-Verbindungen. Störend wirken auch Kohlenwasserstoffe sowie andere Inertgase wie Argon. Letztere behindern durch physikalische Adsorption die Diffusion von Stickstoff und Wasserstoff in die Katalysatorporen. Trotz seines Erfolges und der weltweiten Anwendung sind die Verwendung einer hohen Temperatur und des hohen Drucks Kostenfaktoren, die die Entwicklung von ökonomischeren Alternativen wünschenswert erscheinen lassen. Mit Rutheniumkatalysatoren ist möglicherweise eine effizientere Ammoniaksynthese möglich. Die Natur hat ebenfalls einen Weg zur NH3- (oder NHC 4 -)Synthese entwickelt. Organismen in den Wurzelverdickungen mancher Pflanzen (Hülsenfrüchte), mehrere Bakterien und Grünalgen können Stickstoff unter „milden“ physiologischen Bedingungen, d. h. bei Raumtemperatur und Normaldruck, binden und spalten. Das Enzym Nitrogenase führt diese Reaktion unter anaeroben Bedingungen durch. Als Energielieferant wird von der Natur ATP (Adenosintriphosphat) eingesetzt und die Reduktionshalbreaktion kann folgendermaßen formuliert werden: Nitrogenasereaktion, Stickstoff-Fixierung N2 + 8 H+ + 16 MgATP + 8 e– ATP = Adenosintriphosphat

Nitrogenase Raumtemperatur Normaldruck

2 NH3 + H2 + 16 MgADP + 16 PO43– ADP = Adenosindiphosphat

Je nach den Metallatomen, die sie enthalten, unterscheidet man FeMo-, FeV- und FeFe-Nitrogenasen. Die am besten untersuchten FeMo-Nitrogenase-Enzymkomplexe bestehen aus zwei Metallprotein-Komponenten, einem Fe- und einem MoFe-Protein (Azoferredoxin und Molybdoferredoxin). Das dimere Fe-Protein ist eine Nitrogenasereduktase, besitzt einen Fe4S4-Cluster und fungiert als Einelektronen-Reduktionsmittel für das MoFe-Protein, die eigentliche Nitrogenase. FeMo-Nitrogenase e–

MoFe-Protein (eigentliche Nitrogenase) in Azotobacter vinelandii 2 P-Cluster 2 FeMo-Cofaktoren

Fe-Protein (Fe4S4-Cluster)

Nach der Kristallstrukturanalyse mit 1.6 Å Auflösung des Fe- und des MoFeProteins von Azotobacter vinelandii enthält das MoFe-Protein als metallhaltige Spezies zwei so genannte P-Cluster und zwei FeMo-Cofaktoren. Die Proteinketten können in zwei α- und zwei β-Untereinheiten unterschieden werden, sodass man auch von einem α2β2-Tetramer spricht. Die P-Cluster befinden sich an der Schnittstelle zwischen den α- und β-Untereinheiten. Die FeMo-Cofaktoren sind innerhalb der α-Untereinheiten lokalisiert. Die P-Cluster sind aus zwei Fe4S4-

524

3 Komplex-. Koordinationschemie

Cubaneinheiten aufgebaut, die über zwei Cystein-Thiolatbrücken verbunden sind. Eine dritte Brücke kann durch eine SdS-Bindung oder durch ein gemeinsames S-Atom gebildet werden (Abb. 3.55). Die beiden etwa 70 Å voneinander entfernten FeMo-Cofaktoren stellen die aktiven Zentren des MoFe-Proteins dar, an denen die Bindung, Reduktion und Aktivierung des N2-Moleküls erfolgt. Jeder Cofaktor besteht aus zwei Cubanfragmenten der Stöchiometrie Fe4S3 und MoFe3S3, die über drei Sulfidbrücken verknüpft sind. Das Molybdänatom sitzt am Ende dieses für ein Enzym ungewöhnlich großen und komplexen Clusters und ist über ein Hydroxid- und ein Carboxylat-Sauerstoffatom an Homocitrat koordiniert. Eisen-Schwefel-Cluster, hauptsächlich als Fe2S2, Fe3S4 und Fe4S4, finden sich in allen Formen des Lebens. Sie können oxidiert und reduziert, in Proteine insertiert oder daraus entfernt werden und die Proteinstruktur beeinflussen. Neben ihrer vorwiegenden Elektronentransferfunktion dienen sie als katalytische Zentren und Sensoren für Eisen und Sauerstoff (s. Kap. 5). Für den Mechanismus der biologischen Stickstoffaktivierung nimmt man eine N2-Bindung an den FeMo-Cofaktor des MoFe-Proteins an. Es erfolgt eine Elektronenübertragung zum Metall-N2-Komplex, der die Protonierung von N2 erleich-

(a) P-Cluster S

Cys-β95 S Fe Fe S

Cys-β153 S Fe S S Cys-β70 S Fe O Ser-β188 Fe S (b) FeMo-Cofaktor

S

S

Cys = Cystein

Cys-α62 Fe S

Fe S

Fe S S Cys-α88

S

Cys-α154

–O CCH Homocitrat 2 2 Fe S O CH2CH2CO2– N Fe S Fe S Mo O S Fe S O Cys-α275 N N S Fe Fe S S N His-α442

S Fe

O H2N CH C OH CH2 SH Ser = Serin O H2N CH C OH CH2 OH

H

Abb. 3.55 Darstellung eines P-Clusters (a) und des FeMo-Cofactors (b) aus Azotobacter vinelandii. Die für die direkte Anbindung der Cluster an das Protein wichtigen Cystein-, Serin- und Histidingruppen sind angedeutet. Die Bezeichnungen α und β kennzeichnen die Proteinuntereinheiten. Gebogene Pfeile markieren die niedrig (nur 3-fach) koordinierten Eisenatome. Eine mögliche Einbindung des N2-Moleküls in die Öffnung zwischen den beiden Cubanfragmenten ist grau angedeutet. Die doppelte end-on-Koordination von N2 sollte entsprechend der Lewis-Valenzstruktur zu einer Verringerung der NdN-Bindungsordnung und damit N2-Aktivierung führen K vgl. Beispiele im Text. Eine neue Röntgenstrukturanalyse von Azotobacter vinelandii mit 1.16 Å Auflösung zeigte ein hexakoordiniertes Atom im Fe6-Käfig des FeMo-Cofaktors. Aus der Elektronendichte wäre eine Zuordnung als C, N oder O möglich. Ein N-Atom wurde aufgrund der enzymatischen Aktivität als Überbleibsel eines katalytischen Zyklus von N2 zu NH3 vorgeschlagen. Die hohe Oxophilie (Sauerstoffempfindlichkeit) der FeMo-Nitrogenase macht aber eher die Anbindung eines O-Atoms wahrscheinlich.

3.13 Distickstoff-Metallkomplexe

525

tert und schließlich zur Reduktion zu NH3 führt. ATP ist die Energiequelle oder besser der Energieüberträger von der ursprünglichen Quelle, der Oxidation von Zucker zu CO2. Der natürliche Prozess ist auf seine Weise auch sehr energieintensiv: Für die Bindung von 14 g N2 muss 1 kg Glucose oxidiert werden. Mit Metall-N2-Komplexen gelingt mittlerweile unter milden Bedingungen eine stöchiometrische NH3-Synthese. Es können Teilschritte der N2-Reduktion nachvollzogen werden. Durch das Zusammenwirken von [RuCl (dppp)2]C zur Aktivierung von H2 (durch Bildung des H2-Adduktes) und cis-[W(N2)2(PMe2Ph)4] wird unter milden Bedingungen in 45 %-Ausbeute NH3 erhalten. 6 [RuCl(dppp)2]+

N P

P

N W

H2 (1 atm)

P

N

N

+

P P = PMe2Ph

55 °C

6 [RuCl(H2)(dppp)2]+

2 NH3 + 6 [RuHCl(dppp)2] + ...

dppp = Ph2P(CH2)3PPh2

Auch als Hydrosulfidoligand gebundener Wasserstoff kann zur Protonierung von koordiniertem N2 in cis-[W(N2)2(PMe2Ph)4] verwendet werden. Mit den Hydrosulfido-verbrückten Komplexen [Cp*Ir (µ-SH)3IrCp*]C oder [P3Fe (µSH)3FeP3]C wurde in 78 % oder 38 % Ausbeute NH3 erhalten. N P

P

N W P

+

P

N

HH SS

Cp*Ir

+

IrCp* oder P3Fe

S H Cp* = C5Me5

N

HH SS

+

55 °C

FeP3

NH3 + ....

S H P3 = PhP(CH2CH2PPh2)2

Die Reduktion des Thorium (IV)-Komplexes mit Kalium-Naphthalenid, KC10H8 führt zu einer niedervalenteren Zwischenstufe, die N2 in Amid überführt, das sich als Ligand im Produktkomplex wiederfindet. –

t

Bu

Bu

O Th

O tBu

t

Bu

O

O

K-Naphthalenid

Cl O

O

N2

O

O

Th

O t

Bu



t

O Lösungsmittel

tBu

O

t

–2H

Bu

O

O

NH2 O

t

Bu

526

3 Komplex-. Koordinationschemie

Die lange NdN-Bindung in der zweikernigen Tantalverbindung ([NPN]Ta)2 (µ-H)2(µ-η1:η2-N2) mit einer ungewöhnlichen end-on.side-on-Verbrückung wird durch Hydrosilylierung vollständig gespalten. Die Reduktion der N2-Gruppe zu den Silylimiden wird von der Oxidation der Hydridliganden zu H2 begleitet (vgl. H2-Entwicklung bei Nitrogenasereaktion). Ph

Ph Ph

Me2Si

H

N

Ta

N

Me2Si

P Ph

= NPN

H

P N

Ta

N

N

N

SiMe2

n

BuSiH3

Ph

Ph

N–N = 1.32 Å n

SiMe2

H = NPN

n

Ta[NPN] n

H2SiBu

N

Nachweis durch Kristallstruktur

–H2

N N

Ta[NPN]

N

H2SiBun

BuSiH2

[NPN]Ta

H

H

[NPN]Ta

BuSiH3 –H2

N Ta[NPN]

[NPN]Ta N

H

Kristallstruktur

1 n

H2SiBu

H-,15NNMR

In Anlehnung an die Struktur des FeMo-Cofaktors in Azotobacter vinelandii wurde eine niedrig koordinierte Eisenverbindung erfolgreich für die Anbindung von N2 benutzt. Die Reduktion der dreifach koordinierten Fe-Verbindung mit Naphthalenid unter N2-Atmosphäre führt zu einem Dimetall-Distickstoff-Komplex mit verbrückender, zweifacher end-on-Koordination. Dieser konnte mit Natrium- oder Kaliummetall unter weiterer Aufweitung der NdN-Bindung nochmals reduziert werden. tBu

tBu

N N

Ar Fe Cl

M+

Ar

N N niedrig 1.10 Å koordiniertes Eisen ...

Ar =

iPr

iPr

tBu

tBu

N N

Ar Fe Ar

Ar

N N 1.18 Å

Fe

Ar

N N

M = Na, K M / Ether ... zur Aktivierung von Distickstoff

tBu

t

Bu tBu

tBu

N N

Ar Fe Ar

M N N 1.24 Å M

Ar

Fe

Ar

N N

tBu

t

Bu

Aus einer zweifachen end-on-Koordination heraus kann die Spaltung der NdNBindung zu Metall-Nitrido-Komplexen gelingen. Bei der reduktiven Arylierung von MoCl4 mit MesMgBr (Mes]Mesityl) unter Stickstoff wird zunächst der Distickstoffkomplex erhalten. Durch UV-Bestrahlung wird darin die NdN-Bindung photochemisch gespalten und über einen noch nicht ganz geklärten Mechanismus der Dimolybdän-Nitrido-Komplex gebildet.

3.14 Cyano-Metallkomplexe Photochemisch induzierte N2-Spaltung 8MesMgBr N2, C6H6

2 MoCl4 (·dme)

–8MgBrCl –2Mes·

527

Mes = Mesityl,

hν Mes Mes Mes Mes Mes Mes 365 nm Mo N Mo N N Mo –1/2N2 1.24 Å Mes Mes Mes

Me

Mes Mo

Mes

Mes

Me

Me

Ein vorläufiger Höhepunkt der Forschung zu Distickstoffkomplexen ist die katalytische N2-Reduktion zu NH3 (~4 Zyklen) mit einem Molybdänkatalysator (2,6Lutidinium)BAr'4 als Protonenquelle und Decamethylchromocen als Elektronenlieferant (Reduktionsmittel). Neben dem Distickstoffkomplex (a) wurden als Zwischenstufen des vorgeschlagenen katalytischen Zyklus der Diiminidokomplex (b), der iso-Diiminkomplex (c), der Nitridokomplex (d), der Imidokomplex (e) und der Amminkomplex (f) isoliert. Die kationischen Komplexe (c), (e) und (f) wurden als Tetraarylborat-, BAr'4-Salze erhalten. Sowohl mit dem Distickstoffkomplex (a) als auch mit den Zwischenstufen (b), (d) und (f) wurde der Katalysezyklus gestartet und führte zu sehr ähnlichen Ausbeuten (ca. 66 %) nach im Mittel vier Durchläufen. iPr

+

iPr

iPr

R

HIPT

HIPT

iPr

N

N

H3C

CF3

= BAr'4 Cr

+

= HIPT

molares Verhältnis 1 : 48 : 36

e–

N2

R Mo

N :

3+

Mo (a)

H2 N

N

N

Heptan, 1 atm, 23-25 °C

N

H

H+, e–

N 4+

Mo (b)

H+

4

iPr

iPr

Mo N

B

CH3

N H



CF3

+

N 6+

Mo

2 NH3

+ +

H H+, 2e–

(c)

–NH3

+N2

–NH3

N 6+

Mo

H+

N 6+

Mo (e)

(d)

H+, 2e–

H3 N

+

4+

Mo (f)

+e–

3.14 Cyano-Metallkomplexe Synthese. Cyanokomplexe werden am häufigsten durch Zugabe von überschüssigem Cyanid (z. B. als NaCN oder KCN) zu einem Metallkomplex in wässriger Lösung synthetisiert. In vielen Fällen erfolgt eine vollständige Ligandensubstitution durch CNK.

528

3 Komplex-. Koordinationschemie H2O

[MXaLb]c + (a+b) CN– (Überschuss)

[M(CN)a+b](c–b) + a X– + b L

Oxidations- oder Reduktionsmittel können die CNK-Substitutionsreaktion zwecks Änderung der Metall-Oxidationszahl begleiten. Cyanid kann auch selbst als Reduktionsmittel dienen. Es wird leicht zu Dicyan, (CN)2 oder Cyanat, CNOK oxidiert. Beispiele: [Co(H2O)6]2+ + 5 CN–

2+

[Co(CN)5]3– + 6 H2O 3+

2+

2 [Co(CN)6]3– + 2 OH–

2 [Co(CN)5]3– + 2 CN– + H2O2 2+

2 [Cu(H2O)4]2+ + 10 CN–

1+

2 [Cu(CN)4]3– + (CN)2↑ + 8 H2O

Eine oxidative Addition von HCN oder Inter-Halogen-Pseudohalogen-Verbindungen XCN führt ebenfalls zu Cyano-Metallkomplexen. Beispiel:

Ni(PR3)3 + HCN

(R3P)3Ni

H CN

s. Butadien-Hydrocyanierung, Adiponitril-Synthese, Abschn. 4.4.1.4

Cyanid bildet mit vielen Metallen homoleptische und sehr stabile Cyanometallatkomplexe (s. Abschn. 3.10.1). Mit dem kleinen Liganden werden in zahlreichen Fällen koordinativ gesättigte und bis zu 18-Elektronenkomplexe erhalten. Dabei kann ein weiter Bereich von Oxidationsstufen am Metallatom stabilisiert werden. Beispiele sind die tetraedrischen d10-Komplexe [M(CN)4]2K (mit M Z CuC, Zn2C, Cd2C, Hg2C), die analogen quadratisch-planaren d8-Komplexe (mit M Z Ni2C, Pd2C und Pt2C), die oktaedrischen Komplexe [M(CN)6]cK (M Z V, Cr, Mn, Fe, Co), und die achtfach koordinierten Verbindungen [M(CN)8]4K.5K (M Z Nb, Mo, W) (s. Abschn. 3.7). Koordination. Der Cyanidligand kann terminal und verbrückend an Metallatome koordinieren. Für den terminalen Liganden wurden bis jetzt keine signifikanten Abweichungen von einer linearen Anordnung gefunden. Die weitgehend lineare MdC^NdM'-Brücke ist die häufigste Brückengeometrie. Andere Verbrückungen sind sehr selten. M C N 180° terminal, η1

M C N M' verbrückend, µ-κC:κN

selten: M C N

M'

M'

M''

M

verbrückend, µ-κC:κ2N

C N M''

verbrückend, µ-κ2C:κN

Das Cyanidion bindet terminal ausschließlich über das freie Elektronenpaar am Kohlenstoffatom an Metallatome. Cyanid bildet sehr starke σ-Donorbindungen mit Metallionen. Die Metall-CN-Bindung ist eine der stabilsten Metall-LigandBindungen. Cyanoverbindungen gehören mit zu den stabilsten bekannten Übergangsmetallkomplexen (s. Abschn. 3.10). Über seine guten σ-Donoreigenschaften kann der Cyanoligand Metallatome in formal hohen Oxidationsstufen stabilisieren. Das Cyanidion lC^NlK ist isoelektronisch zu lN^Nl, lC^Ol und lN^OlC. Die π-Akzeptoreigenschaften von CNK sind aufgrund von Abstoßungseffekten

3.14 Cyano-Metallkomplexe

529

durch seine negative Ladung jedoch bedeutend geringer als die von CO oder NOC (s. auch Abschn. 4.3.1.1. u. 4). Anders als die Nitrosyl- und Carbonylliganden sind die Cyanidionen häufig ohne wesentliche d $% π*-Rückbindungsanteile gebunden. Das Cyanidion ist ein hervorragender und oft nahezu reiner σDonorligand. Die besseren σ-Donor- und schlechteren π-Akzeptoreigenschaften von CNK gegenüber CO und NOC sind auf die durch die negative Ladung höhere Energie der σ- und π*-Orbitale zurückzuführen. Das CNK-σ-Orbital kann mit den energetisch näher liegenden Metall-d-Orbitalen besser überlappen. Die Wechselwirkung der hochliegenden CNK-π*-Akzeptorniveaus mit den Metall-dOrbitalen ist weniger effektiv. Energie

π*

π* π*

π*

π-Akzeptorstärke zunehmend

M

C N

σ

Metall-d σ

σ

N2

NO+

σ

M

CO

CN–

C N

σ-Donorstärke zunehmend

Die hervorragenden σ-Donoreigenschaften bei nicht relevanten π-Donororbitalen machen CNK (anders als z. B. die Halogenide) zu einem starken Liganden in der spektrochemischen Reihe (s. Abschn. 3.9.8). Oktaedrische Cyanometallkomplexe weisen ausschließlich low-spin-Zustände auf. Der quadratisch-planare d7Komplex [Co2C(CN)4]2K weist eine für diese Koordinationsgeometrie und Elektronenkonfiguration seltene low-spin-Anordnung auf, was ein Beleg für das starke Ligandenfeld von CNK ist. Im tetraedrischen [Mn2C(CN)4]2K d5-Komplex liegt wegen der gegenüber dem Oktaeder geringeren Kristallfeldaufspaltung beim Tetraeder (Abschn. 3.9.2) aber noch ein high-spin-Grundzustand vor. Die guten σ-Donoreigenschaften und die starke Metall-Ligand-σ-Bindung bedingen auch den starken nephelauxetischen Effekt des Cyanidions, gleichbedeutend mit einem hohen Kovalenzanteil in der MdCN-Bindung (s. Abschn. 3.9.7) und den starken trans-Effekt (s. Abschn. 3.11.1). Aufgrund der guten σ-Donoreigenschaften von CNK und der starken MetallCN-Bindung können nur wenige andere Liganden einen Cyanoliganden direkt substituieren. Neben der Zersetzung durch starke Säuren gelingt eine direkte Substitution nur mit starken π-Akzeptorliganden wie CO und NOC oder mit aromatischen Chelatliganden wie 2,2'-Biypridin oder 1,10-Phenanthrolin. Für viele Substitutionsreaktionen in Cyano-Metallkomplexen benötigt man daher eine photochemisch induzierte Dissoziation eines oder mehrerer Cyanoliganden. [Cr(CN)6]3–

hν (380 nm) +MeOH/–CN–

[Cr(CN)5(MeOH)]2–

NH3 –MeOH

[Cr(CN)5NH3]2–

(vgl. analoge intermediäre Einführung eines labilen Solvensmoleküls bei Carbonylkomplexen)

Ein niedriger pH-Wert (saures Medium) begünstigt auch die Cyano-Substitution, da Protonierung die MdCN-Bindung schwächt und das Komplexbildungs-

530

3 Komplex-. Koordinationschemie

gleichgewicht auf die Seite von HCN und M verschiebt (s. Abschn. 3.10.2). Im Komplex trans-[Cr (CN)2(NH3)4]C begünstigt zusätzlich der trans-Effekt der Cyanoliganden die Substitution bei Protonierung, sodass die Bildung von trans-[Cr (H2O)2(NH3)4]3C ca. 1000mal schneller abläuft als die von cis[Cr (H2O)2(NH3)4]3C. Die Metallanbindung von CNK lässt sich mit der Schwingungsspektroskopie gut untersuchen. Die Streckschwingung von freiem Cyanid in wässriger Lösung liegt bei 2 080 cmK1 (CdN-Bindungslänge 1.16 Å). Terminale Cyanokomplexe zeigen scharfe und intensive CN-Valenzschwingungen zwischen 2 000 und 2 200 cmK1. Die Erhöhung der Schwingungsfrequenz und damit die Stärkung der CdN-Bindung bei Komplexierung geht mit der fast ausschließlichen σ-Donorund nur geringfügigen π-Akzeptorfunktion konform. Die positive Ladung eines Metallatoms am Kohlenstoffatom übt einen elektrostatischen Effekt auf den Cyanoliganden aus. Durch Anziehung der Elektronendichte vom Stickstoff- zum Kohlenstoffatom wird die Polarisierung der CdN-bindenden σ- und π-Orbitale zum elektronegativeren Stickstoff-Ende verringert. Damit wird die Kovalenz der CdN-Bindung vergrößert, die Bindung gestärkt und die Schwingungsfrequenz erhöht. elektrostatischer Effekt

δ+

M

e– C

N

δ–

Verringerung der Orbitalpolarisierung (vgl. M–CO-Bindung, Abschn. 4.3.1.1)

Eine merkliche π-Rückbindung aus besetzten d-Orbitalen am Metallatom in die leeren π*-Niveaus am Cyanoliganden würde hingegen die CdN-Bindung schwächen und die Schwingungsfrequenz erniedrigen, wie es in der Regel beim Kohlenmonoxidliganden beobachtet wird (s. Abschn. 4.3.1.1). Vergleichende Studien an [FeII(CN)6]4K und [FeIII(CN)6]3K belegen, dass insbesondere bei Metallatomen in niedriger Oxidationsstufe kleine Rückbindungsanteile vorliegen können.

FedC [Å] ν˜ (C^N) [cmK1]

[FeII (CN)6]4K

[FeIII (CN)6]3K

1.90 2098

1.93 2135

Die Verkürzung der FedC-Bindung und niedrigere CN-Schwingungsfrequenz bei Fe2C im Vergleich zu Fe3C wird als Argument für eine größere Rolle der πRückbindung in der niedrigeren Oxidationsstufe beim Eisenatom gesehen. Die Veränderung der CdN-Schwingungsfrequenz bei Verbrückung ist etwas komplizierter. Die zusätzliche Koordination des Stickstoffatoms an eine Lewis-Säure in einer reinen σ-Donorbindung führt zu einer Erhöhung von ν˜ (C^N): Vergleiche K2[Ni (CN)4] mit 2 130 cmK1 und K2[Ni (CN)4] · 4 BF3 mit NidC^NdBF3-Brücke und 2 250 cmK1. Der Effekt wird am besten über eine Kopplung der Schwingungen erklärt. Auch mit Metallatomen als Lewis-Säuren erhöht sich häufig die Schwingungsfrequenz (s. u.). In Einzelfällen kann es über die MdN-Bindung aber zu einer stärkeren π-Rückbindung kommen, sodass die CdN-Schwingungsfrequenz unter den Wert für die terminale Streckschwingung sinken kann (s. u.).

3.14 Cyano-Metallkomplexe

531

Cyanid ist ein potentiell ambidenter Ligand. Eine Anbindung MdN^C wird als Isocyano bezeichnet (s. Abschn. 3.3). Terminales Cyanid ist aber immer Kohlenstoff-gebunden, und normalerweise bleibt die ursprüngliche MdCN-Bindung bei einer Verbrückung intakt. +

N

2+

3+

2 Cp(dppe)Fe C N + FePcCl

MeOH NaSbF6 –NaCl

Ph2P 1.89 1.96 N N 172° PPh2 Fe C N N Fe N N C Fe Ph2P 1.15 Å N N 180° PPh2

Pc = Phthalocyaninato2–

N

[SbF6]–

~ ν(CN) = 2062 cm–1

Beispiel für eine Isomerisierung ist die Verbindung K2FeII[CrIII(CN)6], die als grünes Isomer mit FeIIdCNdCrIII-Brücken [ν˜ (C^N) Z 2 092 cmK1] und als rotes Isomer mit FeIIdNCdCrIII-Einheiten [ν˜ (C^N) Z 2 168, 2 114 cmK1] vorliegt (Bindungsisomerie, Abschn. 3.8). Für die Festlegung der Cyanidbrücken zwischen unterschiedlichen Metallatomen eignet sich die Röntgenbeugung in einer Kristallstrukturuntersuchung nicht. Grund sind die ähnlichen Elektronendichten und damit die nur leicht unterschiedlichen Streufaktoren für die benachbarten Elemente Kohlenstoff und Stickstoff. Die MdC- und MdN-Bindungsabstände bei verbrückenden Cyanidliganden sind ebenfalls ähnlich. Unterscheidungskriterien liefern die Neutronenbeugung oder IR-spektroskopische Untersuchungen. Bedeutung. Im Unterschied zu salzartigen Cyaniden wie KCN oder Ca (CN)2 ist bei den komplexen Cyaniden die Giftigkeit stark herabgesetzt. Die Cyanidionen können häufig erst nach Zerstörung des Komplexes nachgewiesen werden. Kalium-hexacyanoferrat (II) ist als Antibackmittelzusatz (gegen Verklumpen) bis zu 15 ppm für Kochsalz zugelassen. Außerdem wird es bei der Blauschönung als Teil des Klär- und Stabilisationsverfahrens (Weinschönung) in der Weinherstellung verwendet. Bei der Blauschönung werden Metallionen, z. B. Eisen, Zink und Kupfer, die zu Nachtrübungen im Wein führen können, durch den Zusatz des gelben Blutlaugensalzes gefällt. Der Name Blauschönung ist auf die Blaufärbung des Niederschlags durch das gefällte Eisen (Berliner Blau) zurückzuführen. Anwendung finden Cyanokomplexe ferner bei der Gewinnung der Edelmetalle Gold und Silber durch Extraktion mit Alkalicyaniden und Solubilisierung als Cyanometallate (Cyanidlaugerei). Ag2S C 4 CNK $% 2 [Ag(CN)2]K C S2K

Über die Anwendung von Berliner Blau, {Fe4[Fe (CN)6]3}N als Antidot bei Vergiftungen durch Thallium und radioaktives Caesium, s. Abschn. 3.16. Ein Großteil des Interesses an CyanodMetall-Verbindungen gilt ein-, zweiund dreidimensionalen koordinationspolymeren Strukturen. Die Hofmann’schen Clathrate sind Wirt-Gast-Komplexe auf der Basis hauptsächlich zweidimensionaler Gitternetzwerkstrukturen, aufgebaut durch Cyanoverbrückung zwischen Metallatomen (Abb. 3.56). Als Gäste können organische Moleküle, insbesondere Aromaten, eingelagert und zum Teil auch reversibel entfernt werden.

532

3 Komplex-. Koordinationschemie

C N C

N

H3N

N

C

Ni

NH3

N

C

N

C

C

N

Ni

N

C

C

N

Ni

C

C

N

H3N

N

Ni

C

NH3

N

N

H3N

C

Ni

NH3

N

C

N

C

C

N

Ni C

N

C

C

N

Ni

N

C

C

N

C

N

H3N

Ni

N

H3N

Ni

NH3

N

C

C

N

N C

NH3

N

C

Ni

N

C

C

N

Abb. 3.56 Teil des zweidimensionalen Cyano-Metall-Netzwerks, das alternierend aus quadratisch-planaren NiII(CN)4-Einheiten und oktaedrischen NiII(NC)4(NH3)2-Gruppen aufgebaut ist. Gastmoleküle sind nicht gezeigt. Für Nickel in der oktaedrischen Position kann auch Cadmium eingesetzt werden. Werden anstelle der NH3-Gruppen verbrückende Aminliganden, z. B. 4,4'-Bipyridin, eingesetzt, kommt es zu einer vertikalen Verknüpfung der unendlichen Schichten.

Mit tetraedrisch koordinierten Metallatomen, z. B. in Cd (CN)2 oder Zn (CN)2, werden Adamantan-artige, dreidimensionale Gitterstrukturen erhalten, die sich auch gegenseitig durchdringen können (Abb. 3.57). Weiterhin kann Cyanid als Brückenligand in gemischtvalenten Verbindungen und zwischen Metallatomen mit ungepaarten Elektronen fungieren. Zwei- und dreidimensionale koordinationspolymere Cyano-Metall-Verbindungen mit solchen Metallatomen zeigen bei relativ hohen Temperaturen ferro- und ferrimagnetische Ordnungsphänomene (Magnetismus, s. Abschn. 2.7). Bedeutung kommt hier den komplexen Cyaniden aus der Berliner-Blau-Familie mit dem allgemeinen Formeltyp (MI)AII-[BIII(CN)n] zu. Das [BIII(CN)n](3K.4K)-Ion wirkt als mehrzähniger, verbrückender Komplexligand gegenüber den AII-Kationen und M N M

C M

N

M

C

C N

M

M

C

M M

M N

M

M

M M = Zn, Cd

M

M

M

M

M

M M

M

M

M

M

M M

M

M

Abb. 3.57 Strukturprinzip in Cd (CN)2 und Zn (CN)2. Links ist die tetraedrische Baueinheit und rechts zwei unabhängige sich durchdringende adamantoide Gitter gezeigt. Die Verbindungsstriche zwischen den Metallatomen stehen jeweils für eine Cyanidbrücke (M Z Zn, Cd).

3.15 Metall-Metall-Bindungen und Metallcluster

533

bildet mit diesen eine starre dreidimensionale Struktur in der zwei magnetische Zentren alternieren. Das CNK-Ion kann als einfacher magnetischer Mediator zwischen Metallionen gesehen werden. Beispiele für polymere Cyano-MetallVerbindungen mit höheren kritischen Temperaturen (Tc) für eine ferromagnetische Ordnung sind MnII2(H2O)5[MoIII(CN)7] · nH2O (Tc Z 51 K), K2MnII3(H2O)6[MoIII(CN)7]2 · nH2O (Tc Z 39 bis 72 K), KVII[CrIII(CN)6] · 2 H2O (Tc Z 103 K), gemischtvalente Cr (II)-Cr (III)-Cyanide [Cr2.12(CN)6] (Tc Z 270 K) und [Cr5(CN)12] · 10 H2O (Tc Z 240 K). Berliner Blau, {Fe4[Fe (CN)6]3}N, ist ein dreidimensionales, gemischtvalentes Koordinationspolymer. Es kristallisiert in einem kubischen Gitter. Cyanid verbrückt zwischen oktaedrisch koordinierten Eisenatomen. Fe2C wird vom CAtom, Fe3C vom N-Atom des Brückenliganden koordiniert. Für das 4 : 3-Verhältnis der Fe3C : Fe2C-Atome bleibt ein Viertel der Gitterplätze der [Fe (CN)6]4KGruppen unbesetzt. Die derart frei gewordenen Koordinationsstellen an Fe3C sind mit H2O-Liganden besetzt. C C

N N

3+

N

OH2

Fe

N

2+

C N

Fe C N

C

H2 O 3+ OH2 N Fe OH2

C

C C

2+

Fe

C

C

N

C

N C

O C 3+ N 2+ C H2 N Fe N Fe C C H2O N C N N C 3+ H2O Fe N

OH2 H2

N N

O

3.15 Metall-Metall-Bindungen und Metallcluster Eine direkte oder nicht durch Liganden unterstützte Metall-Metall-Bindung besitzt keine Brückenliganden. Klassische Beispiele sind HgdHg-Bindungen im [HgdHg]2C-Kation und in CldHgdHgdCl (Kalomel) oder MdM-Bindungen in einigen Metallcarbonylkomplexen wie (OC)5MndMn (CO)5 und Ir4(CO)12 (s. Abschn. 4.3.1.1). In diesen Beispielen kann die MdM-Bindung als 2-Zentren. 2-Elektronen-σ-Bindung beschrieben werden. Neuere Beispiele für direkte Metall–Metall-Einfachbindungen (s. auch Abschn. 4.2.6.3)

Cl Au

PPh2py Pt0 pyPh2P

Tl1+

Ph2P

Cl Au

Cl Au PPh2

Zn

PPh2py

py = o-pyridyl M–M (Å) 2.9

Zn

Ph 2.925, 2.967

2.31

534

3 Komplex-. Koordinationschemie

Eine Metall-Metall-σ-Bindung kann durch π- und δ-Überlappungen der d-Orbitale zu einer Mehrfachbindung erweitert werden. Beispiele für nicht durch Liganden unterstützte Metall-Metall-Mehrfachbindungen sind (s. auch Abschn. 4.2.6.3):

π-Bindungen

σ-Bindungen

Dreifachbindungen Sb

Me3Si

Me3Si

N

N

Et2Et2 P P

SiMe3 Cl

W N

δ-Bindungen

W

Et2 Et2 P P

Ge

Ge

P P Et2Et2

N

M–M (Å) 2.526

W

Re

Cl Cl

Cl

P P Et2

Et2

Cl

W≡Ge 2.309 (Ge–Ge 2.362)

Vierfachbindungen

Cl Cl

Cl

Cl Cl

Re Cl Cl

M–M (Å) 2.23–2.25*

Cl

Cl

Os

Os

Cl

Cl Cl

2–

Cl

2.18–2.21* * abhängig vom Kation

Fünffachbindung(?)

iPr

iPr

2– iPr

Re(oep)]+

[(tpp)Mo tpp = meso-tetraphenylporphyrin oep = octaethylporphyrin 2.236

iPr

1.835

iPr

Cr

Cr

iPr

iPr

iPr

Zur theoretischen Deutung der Dreifachbindung in [Os2Cl8]2K und der Vierfachbindung in [Re2Cl8]2K kann der Fragmentorbitalsatz für das C4v-symmetrische ML5-Fragment aus Abb. 3.33 verwendet werden. Für die gestaffelte Konformation in [Os2Cl8]2K (D4d-Symmetrie) ergibt sich anhand des Wechselwirkungsdiagramms in Abb. 3.58 aus der Kombination der beiden d5-Os3C-Fragmente die Elektronenkonfiguration σ2π4δ2δ*2, d. h. es besteht zwischen den Metallatomen eine σ- und zwei π-Bindungen. Die Bindungsordnung von vier im Octachloro-dirhenat-Anion [Re2Cl8]2K resultiert aus der ekliptischen Kombination zweier d4-Re3C-Fragmente zu einem zweikernigen Metallkomplex mit der d-Elektronenkonfiguration σ2π4δ2. Im UVPhotoelektronenspektrum (157 nm Anregung) werden für [Re2Cl8]2K drei aufgelöste Ionisierungen bei niedrigen Bindungsenergien (1.16, 2.32 und 2.96 eV) beobachtet, die den δ-, π- und σ-MdM-Orbitalen zugeordnet werden (MdCl- und Cl-Orbitale folgen ab 3.63 eV). Für die δ-Wechselwirkung des xy- oder des x2Ky2-Orbitals, die zu einer sehr kleinen, aber vorhandenen Aufspaltung in bindende und antibindende δ1.δ1*- oder δ2.δ2*-Molekülorbitale führt, ist die ekliptische Ligandenkonformation wichtig. In einer gestaffelten, D4d-symmetrischen Anordnung wäre aus Symmetriegründen keine Überlappung der δ-Orbitale möglich. Dort hätte man jeweils zwei entartete, nichtbindende d-Niveaus. Im Fall von

3.15 Metall-Metall-Bindungen und Metallcluster

535

σ*

Energie

δ2*

b1

δ2 a1 HOMO M = d7 HOMO M = d6

π1,2* δ1* δ1

e b2

L x y

z

HOMO M = d4 π1,2

L

M

(L)

L

HOMO M = d5

σ

L

L (L)

L

M

L

L

L

L

M L

L

M L

HOMO M = d3

L

2+Rh

Rh2+ Ru2+

3+ Ru 3+Os

Ru3+ Os3+ Mo2+ W2+ Re3+

2+Ru

2+Mo

2+W 3+Re

(L)

L

(L)

L

Abb. 3.58 Orbitalwechselwirkung des d-Blocks zweier flächenverknüpfter ML5-oder ML4-Fragmente in der ekliptischen Anordnung. Das σ-Orbital kann je nach Ligandenfeld, der Art der axialen Liganden und dem Metall-Metall-Abstand auch oberhalb des π-Niveaus liegen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit ist nur jeweils eine Kombination der beiden π-Orbitale gezeichnet. Eine Einmischung der leeren s- und p-Orbitale bleibt der Einfachheit halber unberücksichtigt. Für die Bindungsordnung ist die dx-Valenzelektronenzahl (Oxidationszahl) des Metallatoms entscheidend. [Os2Cl8]2K: Zwei d5-Os3CL4-Fragmente; Besetzung der Orbitale von σ bis δ1* mit 10 Elektronen; obwohl hier eine gestaffelte Konformation vorliegt, kann das Wechselwirkungsdiagramm verwendet werden, denn die gleichzeitige Besetzung der bindenden und antibindenden Komponente der δ-Überlappung oder richtiger von zwei entarteten δ-Niveaus führt ohnehin zu keinem Bindungsbeitrag. [Re2Cl8]2K: Zwei d4-Re3CL4-Fragmente; Besetzung der Orbitale von σ bis δ1 mit 8 Elektronen. [Rh2(µ-O2CMe)4(H2O)2]: Zwei d7-Rh2CL4(L)-Fragmente; Besetzung von σ bis π1,2*; Metall-Metall-σ-Einfachbindung zwischen den a1(z2)-Orbitalen. [Ru2(µ-O2CMe)4(H2O)2]: Zwei d6-Ru2CL4(L)-Fragmente; Besetzung von σ bis π1*; Doppelbindung. [Ru2(µ-O2CMe)4(O2CMe)2]: Zwei d5-Ru3CL4(L)-Fragmente; Besetzung von σ bis δ1*; Dreifachbindung. [Mo2(µ-O2CR)4(thf)2]: Zwei d4-Mo2CL4(L)-Fragmente; Besetzung von σ bis δ1; Vierfachbindung. [W2(hpp)4]: Zwei d4-W2CL4-Fragmente; Besetzung von σ bis δ1; Vierfachbindung.

acht Elektronen für die M2L8-Einheit wären die δ1.δ1*-Molekülorbitale dann nach der Hund’schen Regel einzeln besetzt. Beim Rheniumkomplex findet man eine ekliptische Konformation der Liganden mit D4h-Symmetrie. Diese Beobachtung wird als Indiz für das Vorliegen einer Vierfachbindung in diesem klassischen Beispiel gewertet.

536

3 Komplex-. Koordinationschemie

δ1* δ1

LL

L

M

LL

L

M

LL

M

LL

LL

ekliptische Ligandenanordnung D4h

L

L

M

L

L

gestaffelte Ligandenanordnung D4d

Eine Fünffachbindung im dimeren Chrom-terphenyl-Komplex kann aus der Überlappung der fünf d-Orbitale zu einer z2Kz2-σ-Bindung, zwei xzKxz- und yzKyz-π- und zwei xyKxy- und (x2Ky2)K(x2Ky2)-δ-Bindungen resultieren (Bindung entlang der z-Achse). Die fünf bindenden Molekülorbitale sind vollständig mit den 10 Elektronen der beiden d5-Cr1C-Teilchen gefüllt. Die CrdLigand-Bindung würde dann hauptsächlich von den Cr-s- und p-Orbitalen gebildet. Eine indirekte oder durch Liganden unterstützte Metall-Metall-Bindung besitzt Brückenliganden. Der Metall-Metall-Abstand in solchen Verbindungen kann sich einfach aus den geometrischen Zwängen der Ligandenbrücken ergeben und muss nicht mit einer bindenden Metall-Metall-Wechselwirkung einhergehen (s. u.). In der Konsequenz hat man für eine substanzielle Metall-Metall-Bindung bei Liganden-Verbrückung nur indirekte Hinweise aus den magnetischen Eigenschaften der Verbindung in Kombination mit dem Metall-Metall-Abstand. Beispiele für indirekte, Liganden-überbrückte Metall-Metall-Bindungen (s. auch Abschn. 4.2.6.3) Einfachbindungen OC

OC

CO

Co

OC

Co

C O

CO

C O

O C

OC

CO OC

Fe

OC

Ph2P

CO

CO

Fe

C O

CO

C O

u.a. Metallcarbonylkomplexe, s. Abschn. 4.3.1.1 M–M (Å) 2.54

2.523

Doppelbindungen Me O Cl

Cl Me

W O

H

H Me O

O W

O Me O

Me

M–M (Å) 2.481

Cl

Cl

H2O O

Me

Ru

O Me C

O

C O O

PPh2

O

X M

M X

H2O

Ph2P

PPh2

O

C H2

M X Pd Br Pt Cl

Me

O

Ru OH 2

C Me 2.262

O

Rh

Me C O Me C

O

C O O

Rh

C Me

2.669 2.652

O

O

2.385

Dreifachbindung

Me C

O

Me

H2 C

Me C

O MeCO2 O

Me

Ru

O Me C

O

C O O

O

Ru O CMe 2

C Me 2.265

O

OH2

3.15 Metall-Metall-Bindungen und Metallcluster Vierfachbindungen

Ad C

O

Ad = Adamantyl

O O

Ad

Mo

C O O

M–M (Å)

N

O Ad C

O

O

Mo O

C Ad 2.087

O

N

W N

N N

N

W N

N

N

N=

537

N N



N

Hexahydropyrimidopyrimidinato, hpp

2.162

Bei [Rh2 (µ-O2CMe)4(H2O)2] führen die zahlreichen besetzten antibindenden MdM-Orbitale zu repulsiven 4-Elektronen-Wechselwirkungen, sodass für die Stabilität der Metall-Metall-Bindung die Brückenliganden von grundsätzlicher Bedeutung sind. Der Vergleich von [Ru2 (µ-O2CMe)4(H2O)2] mit einer formalen Doppelbindung und [Ru2 (µ-O2CMe)4(O2CMe)2] mit einer gleichlangen formalen Dreifachbindung zeigt, dass bei verbrückten Metall-Metall-Bindungen die Korrelation zwischen Bindungslänge und Bindungsordnung problematisch sein kann. Für die Bindungsordnung ist die dx-Valenzelektronenzahl (Oxidationszahl) des Metallatoms entscheidend. Ungerade d-Elektronenzahlen in gemischtvalenten zweikernigen MdM-Verbindungen ergeben einfach besetzte MdM-Orbitale und ungerade Bindungsordnungen, z. B. d6-(L)L4Ru2CdRu3CL4(L)-d5 σ2 π4 δ2 δ*2 π*1, Bindungsordnung 2.5 (s. Abb. 3.58). Der Komplex [W2(hpp)4] hat als erste in Substanz hergestellte Verbindung eine niedrigere Ionisierungsenergie (Beginn 3.51 eV, Maximum 3.76 eV) als das am leichtesten zu ionisierende Element Caesium (3.89 eV). In [M2Cl2(µ-Ph2PCH2PPh2)2] (M Z Pd, Pt) liegt eine Wechselwirkung zweier C2v-symmetrischer ML3-Fragmente vor, deren relevante Orbitale sich aus dem MO-Diagramm für die quadratisch-planare ML4-Anordnung ergeben (Abb. 3.59; vgl. Abb. 3.31). Bei Entfernung eines σ-Liganden aus ML4 wird von den d-Orbitalen lediglich das 2b1g*-Niveau etwas abgesenkt. Die Orbitalwechselwirkung der beiden so erhaltenen ML3-Fragmente mit neun Elektronen an jedem d9-M1CMetallatom ergibt eine MdM-Einfachbindung aus der Überlappung der beiden x2Ky2-Niveaus (Abb. 3.59). Für die MdM-Orbitale in [{WCl2 (OMe) (µOMe) (MeOH)}2] und das Wechselwirkungsdiagramm zweier kantenverknüpfter Oktaeder, s. Übungsaufgabe 3.24. Wenn die MdM-bindenden und -antibindenden d-Orbitale in Abb. 3.58 und 59 sehr eng beieinander liegen (etwa innerhalb 1 eV), dann hängt die MetallMetall-Bindung kritisch von der Elektronenkonfiguration ab, mit einer low- und high-spin-Anordnung als Grenzfällen. Für die Aufspaltung zwischen den MdMbindenden und -antibindenden d-Orbitalen ist u. a. die Ausdehnung (Größe) der beteiligten Metallorbitale relevant. Die Reihe der zweikernigen isovalenzelektronischen, flächenverknüpften d3Kd3-bi-Oktaeder [Cr2Cl9]3K, [Mo2Cl9]3K und [W2Cl9]3K illustriert diesen Effekt (und ist ein weiteres Beispiel für indirekte Hinweise zum Vorliegen von Metall-Metall-Bindungen).

538

3 Komplex-. Koordinationschemie Energie

x

z

y

"2b1g*"

"2b1g*"

"2a1g"

"2a1g"

"1eg"

"1eg"

"1b2g"

"1b2g"

L L M L

L L M L

L M L L

L M L L

Abb. 3.59 Orbitalwechselwirkung des d-Blocks zweier d9-ML3-Fragmente, z. B. in [M2Cl2(µ-Ph2PCH2PPh2)2] (M Z Pd, Pt). Es resultiert eine Metall-Metall-σ-Einfachbindung zwischen den x2Ky2-Orbitalen. Die besetzten antibindenden MdM-Orbitale führen zu repulsiven 4-Elektronen-Wechselwirkungen, sodass für die Metall-Metall-Bindung die Brückenliganden von fundamentaler Bedeutung sind. Die ML3-Grenzorbitale ergeben sich aus dem d-Block der quadratisch-planaren ML4-Anordnung (vgl. Abb. 3.31) durch Entfernung eines Liganden (hier geändertes Koordinatensystem). Die D4h-Symmetriebezeichnungen für ML4 wurden beibehalten. Die zwei senkrechten Striche bei den Orbitalen deuten eine vollständige Elektronenbesetzung aller Niveaus an. Eine Einmischung der leeren s- und p-Orbitale wurde der Einfachheit halber nicht berücksichtigt.

3–

Cl

Cl

Cl

Cl Cr

Cl

Cl

Cl

M–M (Å)

3.12

Cr

Cl

Cl

Cl

Cl

3–

Cl

Cl

Mo

Cl

Cl 2.65

Cl

Mo

Cl

Cl

Cl

Cl

3–

Cl

Cl

W

Cl

Cl

Cl

W

Cl

Cl

2.41

Die kontrahierten Cr-3d-Orbitale geben nur eine schwache Überlappung und dadurch nur eine kleine dKd*-Aufspaltung. Antiferromagnetische Kopplung, d. h. ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Spinzuständen mit S Z 0, 1, 2, 3 ist die Konsequenz und führt zur Metall-Metall-Abstoßung. Der CrdCr-Abstand in [Cr2Cl9]3K ist weiter als der Abstand der Mittelpunkte der von den Chloroliganden gebildeten Oktaeder. Die größere dKd*-Aufspaltung in [Mo2Cl9]3K aufgrund der größeren und diffuseren Mo-4d-Orbitale bedingt die Paarung von zwei Elektronen in einer Metall-Metall-Bindung. Der Wolframkomplex mit den größten und diffusesten W-5d-Orbitalen zeigt die beste dKd-Wechselwirkung mit der größten dKd*-Aufspaltung. Alle sechs M2-Elektronen sind im low-spin-Zustand gepaart und bilden eine Metall-Metall-Dreifachbindung. Die Zunahme der Metall-Metall-Bindungsordnung von [Cr2Cl9]3K über [Mo2Cl9]3K nach [W2Cl9]3K spiegelt sich in der Abnahme der Metall-Metall-Abstände. Ebenso relativiert ein Vergleich in der Reihe der Tetra (µ-arylbenzoato)-bis (tetrahydrofuran)-dimetallKomplexe die typischerweise getroffene Zuordnung der CrdCr-Bindung als

3.15 Metall-Metall-Bindungen und Metallcluster

539

Vierfachbindung. Auch hier ist der CrdCr-Abstand etwas größer als der Abstand der Mittelpunkte der von den O-Liganden gebildeten Quadrate. Ar' = O O O

Ar' C

Cr

C

? Cr

C O O O Ar' C Ar' 2.315

M–M (Å)

O

O Ar'

O

O

O

O O

Mo

Ph C O

O

O Ph C

O

O

Mo O

O

C O O O Ph C

W

Ar = OMe

Ar C O

O Ar C

W

C O O O Ar C

Ph 2.099

O

O

Ar 2.203

Erst mit stärker Orbital-aufspaltenden Methylliganden (sehr guter σ-Donor, starker Ligand) erhält man in den Octamethyldimetallat (II)-Anionen die kürzesten Abstände beim Chrom. CH3 Cr

CH3

CH3 CH3

Cr H3C CH CH3 3 CH3 M–M (Å)

1.980

4–

CH3 Mo

CH3

CH3

4–

CH3

CH3

Mo H3C CH3 CH3 CH3 jeweils mit 4[Li(ether)]+ 2.149

H3C

W

CH3

CH3 W

4–

CH3

CH3 CH3 CH3 2.264

Als Metallcluster werden Verbindungen mit Metall-Metall-Bindungen bezeichnet. Das würde auch zweikernige MdM-Komplexe einschließen, allerdings impliziert der Begriff Metallcluster meistens mehr als zwei verbundene Metallatome. In einer erweiterten Definition werden inzwischen häufig auch Mehrkernkomplexe, die keine MdM-Bindungen aufweisen, als Cluster bezeichnet, z. B. Eisen-Schwefel-Cluster (s. Abschn. 3.13 u. Kap. 5), bis hin zu einer Anhäufung gleichartiger (metallfreier) Atome oder Verbindungen, z. B. Wassercluster. Zu den Metallclustern zählen die an anderen Stellen ausführlicher behandelten mehrkernigen Metallcarbonyle, z. B. [Fe3 (CO)12], [Rh6 (CO)16] (s. Abschn. 4.3.1.1), und Metallhalogenidcluster, z. B. [M6X8], [M6X12] (s. Abschn. 2.9.8.5). Auch Hauptgruppenmetall-Zintl-Anionen, z. B. [Pb5]2K, [Sn9]4K oder [As7]3K (s. Abschn. 2.8.7.4), gehören zu Metallclustern. Kennzeichen der Metallcarbonyl- und ähnlicher -cluster sind niedrige MetallOxidationsstufen Mz [z(K1) !$ z $% z(C1)] mit π-Akzeptorliganden (CO, PR3) und eher späten, elektronenreichen Übergangsmetallen (Fe-, Co-, NiTriaden). Gemeinsames Merkmal der Metallhalogenidcluster sind mittlere Oxidationsstufen (z Z C2, C3) mit π-Donorliganden (Halogenid XK, S2K, Se2K, KOR) und eher frühen 4d- und 5d-Übergangsmetallen (Zr, Hf, Nb, Ta, Mo, W, Re). Festkörperverbindungen mit Zintl-Anionen wie K2Pb5 lösen sich in Ethylendiamin (en), und die nackten Anionencluster können als [Na4(en)7] [Sn9] oder in Gegenwart des Kryptanden 2,2,2-crypt (zur Komplexierung des KC-Ions) als [K(2,2,2-crypt)]2[Pb5] kristallisiert werden (s. Abschn. 2.8.7.1). Auch gemischte Zintl-Anionen und Übergangsmetallcluster sind möglich. Aus einer Ethylendiamin-Lösung von K3As7 und Ni (cod)2 (cod Z Cyclooctadien) in

540

3 Komplex-. Koordinationschemie

Gegenwart von [Bu4P]Br fand eine Aufweitung des Zintl-Anions statt. Es wurde ein pentagonales As20-Dodekaeder erhalten, das ein Ni12-Ikosaeder umschließt. Im Zentrum der beiden platonischen Körper befindet sich dann noch ein einzelnes Arsenatom. Das Clusterion hat die Formeleinheit [As@Ni12@As20]3K (mit Bu4P-Kationen). In der Zeichnung von [As@Ni12@As20]3K werden die beiden platonischen Körper hervorgehoben. Die Arsenatome des äußeren As20-Dodekaeders sind verkleinert. Bindungen zwischen dem As20-Dodekaeder und dem Ni12Ikosaeder wurden aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht gezeichnet.

3.16 Medizinische Anwendungen von Metallkomplexen Medizinische Anwendungen von Chelatliganden als Antidota gegen Schwermetallvergiftungen, von Gadolinium-Chelatkomplexen als Kontrastmittel in der Kernspintomographie und von 99mTechnetium-Chelatkomplexen als Radiopharmazeutika zur Diagnose wurden in Abschn. 3.10.5 beschrieben. Die Goldkomplexe Auranofin und Natriumaurothiomalat werden als Wirkstoffe in den Medikamenten Ridaura® und Tauredon® bei der Behandlung der chronischen Polyarthritis als Antirheumatika eingesetzt. Goldkomplexe als Antirheumatika

O

O

NaO

H3C C O CH2

O H3C C O

H3C C O O

O

S

Au

PEt3

O C CH3

O 2,3,4,6-Tetra-O-acetyl– oral 1-thio-β-D-glucopyranosato) (triethylphosphan)gold(I) Auranofin, Ridaura®

ONa O

S

Au

Dinatriumsalz 2(aurothio)succinat –zur Injektion Natriumaurothiomalat, Tauredon®

Kolloidales Eisen (III)-hexacyanoferrat (II), Berliner Blau (engl. Prussian Blue, s. Abschn. 3.14), wird in oralen Dosen von bis zu 20 g.Tag als Antidot bei Thalliumvergiftungen und zur Dekorporierung bzw. Verhinderung der Resorption von Radiocaesium (137Cs) verwendet (Antidotum Thallii Heyl®, Radiogardase®-Cs). Eisen (III)-hexacyanoferrat (II) wird im Verdauungstrakt nicht resorbiert und ist auch nicht toxisch. Zahlreiche Anwendungen an Menschen und Tieren in klini-

3.16 Medizinische Anwendungen von Metallkomplexen

541

schen Studien und nach Nuklearunfällen, auch in hohen Dosen von bis zu 10 g und längeren Zeiträumen bis zu einem Monat, ergaben keinerlei Nebeneffekte, führten aber zu einer ausgezeichneten Verringerung der Caesiumwerte. Nach dem Reaktorunfall von Tschernobyl 1986 wurde Berliner Blau in vielen europäischen Ländern als Futterzusatz bei Tieren eingesetzt. Eine größere Anwendung bei Menschen erfolgte nach einem Unfall mit einer medizinischen RadiotherapieStrahlenquelle in Goiânia (Brasilien, 1987), bei der 1400 Curie 137Cs freigesetzt und 244 Menschen kontaminiert wurden. Die therapeutische Wirkung beruht wohl auf dem Austausch der noch im Kristallgitter des Berliner Blau vorhandenen KC-Ionen gegen die im Darm im Rahmen der enterosystemischen Zirkulation ausgeschiedenen TlC- und CsC-Ionen. Der histologische Eisennachweis, z. B. in Feinschnitten, wird mit Kaliumhexacyanoferrat (II) ebenfalls als Berliner Blau geführt. Der Komplex Natriumpentacyanonitrosylferrat, Na2[Fe (CN)5NO] · 2 H2O (Nitroprussidnatrium, Natriumnitroprussiat, Nipruss®), wird als stark und schnell wirkender Vasodilatator zur Senkung des arteriellen Blutdrucks, z. B. bei Hochdruckkrisen, während Operationen und bei frischen Herzinfarkten eingesetzt. Das Medikament lässt durch die Freisetzung von NO (s. Abschn. 4.3.1.4) die glatte Muskulatur, d. h. unter anderem die der Blutgefäße, erschlaffen und bewirkt dadurch eine kurzfristige Senkung des Blutdrucks. Das Mittel wird intravenös und zur Vermeidung einer Cyanidintoxikation gleichzeitig mit Natriumthiosulfat appliziert (Bildung von SCNK). In Heilsalben und Zäpfchen zur Behandlung von Hautentzündungen und Hämorrhoiden kann basisches Bismutgallat als Bismutester der Gallussäure (zusammen mit Zinkoxid) zum Einsatz kommen (Combustin® Heilsalbe, Hämo-ratiopharm® u. a. Hersteller). Das basische Bismutgallat wirkt als Adstringens und Antiseptikum. Das fungizid und bakterizid wirkende Pyrithion wird als Zinkkomplex in Antischuppen-Präparaten verwendet. als BiO(OH)-Ester in Heilsalben und Zäpfchen

als Zinkkomplex in AntischuppenPräparaten

COOH O N HO

SH

OH OH

Gallussäure

Pyrithion

Silbersulfadiazin wird als Salbe (Brandiazin®, Flammazine®) bei schweren Verbrennungen zur Vorbeugung gegen bakterielle Infektionen eingesetzt. Aus der unlöslichen koordinationspolymeren Verbindung werden langsam die antimikrobiell wirkenden AgC-Ionen freigesetzt.

542

3 Komplex-. Koordinationschemie Silberverbindung gegen Mikroben und Pilzinfektionen H N 2

N N Ag N

N

N

O

O

O2S

SO2

N Ag N N

NH2 Silber-Sulfadiazin-Koordinationspolymer, N1-(2-Pyrimidinyl)sulfanilamid-Silbersalz, Brandiazin®, Flammazine®

Die Komplexe cis-Diammindichloroplatin(II) (Cisplatin, Platinex® u. a. Namen) und cis-Diammin(1,1-cyclobutandicarboxylato)platin(II) (Carboplatin, Carboplat® u. a. Namen) sind cytostatisch wirksam und werden zur Behandlung von Eierstock-, Gebärmutterhals-, Hoden-, Prostata-, Harnblasen- und kleinzelligen Bronchialkarzinomen sowie Tumoren im Kopf-Hals-Bereich eingesetzt. Der Vorteil von Carboplatin gegenüber Cisplatin liegt in einer geringen Nierentoxizität. Oxaliplatin {(1R,2R)-1,2-Cyclohexadiamin-N,N#}(oxalato-O,O$) platin(II) (Eloxatin®) ist ein Cytostatikum der 3. Generation gegen das colorektale Karzinom (Dickdarmkrebs). Die Mittel werden intravenös verabreicht. Als intakte neutrale Moleküle diffundieren die Platinkomplexe durch die Zellmembranen in das Cytoplasma, wo als wichtiger und geschwindigkeitsbestimmender Reaktionsschritt eine Hydrolyse zu kationischen Spezies erfolgt. Platinkomplexe in der Tumortherapie H3N H3N

Pt

Cl

H3N

Cl

H3N

Pt

O

O

O

O Carboplatin, Carboplat®

Cisplatin, Platinex® R * R *

H2 N N H2

Pt

O

O

O

O

Oxaliplatin, Eloxatin®

H3N H3N

Pt

Cl

+H2O

H3N

Cl

–Cl–

H3N

Pt

OH Cl

+

+H2O

H3N

–Cl–

H3N

Pt

OH2 OH2

2+

H3N –H+

H3N

Pt

OH OH2

+

3.16 Medizinische Anwendungen von Metallkomplexen

543

Abb. 3.60 Schematische Darstellungen der bevorzugten Bindungsarten von cis-Diamminplatin (II)-Fragmenten an die DNA zur Verhinderung weiterer Replikation und Transkription: (a) inter-Strang-, (b) intra-Strang- und (c) DNA-Protein-Verknüpfung (G Z Guanin, C Z Cytosin, gestrichelte Linien sollen die Wasserstoffverbrückung der Stränge andeuten). Die Donoratome sind planar um das Platinatom angeordnet.

Das Diamminplatin-Fragment bleibt dabei unverändert. Die erhaltenen drei kationischen Komplexe sind alle antitumoraktiv und können zum Polyanion der Desoxyribonukleinsäure (DNA) diffundieren, mit der sie cytotoxische Addukte bilden. Wichtig ist die cis-Stellung der Amminliganden, die analoge trans-Verbindung ist inaktiv. Über die Bildung von Pt-DNA-Addukten verhindern die PlatinCytostatika die weitere Replikation und Transkription der DNA und damit die Zellvermehrung. Es handelt sich meistens um Quervernetzungen zwischen den Nucleobasen Guanin-Guanin oder Adenin-Guanin innerhalb eines Stranges des DNA-Doppelstranges. Aber auch inter-Strang-Verknüpfungen scheinen möglich (Abb. 3.60). Die Struktur eines Cisplatin-DNA-Hauptadduktes einer doppelsträngigen DNA wurde durch Röntgenstrukturanalyse und NMR-Untersuchungen aufgeklärt (Abb. 3.61). Der Hexaisocyanidkomplex des γ-Strahlers 99mTc (99mTc-Sestamibi) wird in der nuklearmedizinischen Diagnostik zur visuellen Darstellung der Herzdurchblutung (Cardiolite®) und von Brusttumoren (Miraluma®) eingesetzt. Lipophile, kationische Komplexe verhalten sich wie Kaliummimetica und werden vom Herzmuskel aufgenommen (weitere radiopharmazeutische 99mTc-Chelatkomplexe s. Abschn. 3.10.5). Technetiumkomplexe zur nuklearmedizinischen Diagnostik + R N 2– S2O4 RN≡C C – RN TcO4 1+ C NR C Tc EtOH/H2O R = –CH2C(Me2)OMe 99m Tc-Sestamibi, Cardiolite®, Miraluma®

RN

C

C N R

C

NR

544

3 Komplex-. Koordinationschemie O O P O– O N H2C O O– H3N N O P O N O H N Pt

H2C O– O P O O

NH2 NH O

3

O

N

N

O N

NH NH2

Abb. 3.61 Skizze der cis-Diamminplatin-Bindungsstelle an die Guanin-Nucleobasen in einer doppelsträngigen DNA. Aus Gründen der Einfachheit ist nur der Strang gezeigt, an den das Platin in einer intra-Strang-Verknüpfung bindet. Die Kristallstrukturanalyse zeigt die Bildung einer Wasserstoffbrückenbindung von einem der Amminliganden zum terminalen Sauerstoffatom der einem Guaninrest benachbarten Phosphatgruppe. Die intraStrang-Adduktbildung des cis-Pt (NH3)2-Fragments führt zu einer Krümmung des DNADoppelstrangs, ohne jedoch die Watson-Crick-Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Basenpaaren (hier angedeutet durch die von den Guaninringen ausgehenden gestrichelten Linien) zu zerstören. Die Platin-modifzierten Guanin-Cytosin-, aber auch die benachbarten Basenpaare werden um 8 bis 37( verdreht, bleiben aber H-Brücken gebunden.

3.17 Koordinationspolymere Koordinationspolymere, auch „metal-organic frameworks“ (MOFs) genannt, sind aus Metallatomen und organischen Brückenliganden aufgebaute Verbindungen, die sich „unendlich“ in ein, zwei oder drei Dimensionen (1D, 2D, 3D) erstrecken. Im Unterschied zu polymeren Metallcyanid-Netzwerken muss bei Koordinationspolymeren im engeren Sinne in wenigstens einer Dimension ein organischer Brückenligand vorliegen.

3.17 Koordinationspolymere

545

Strukturen und Bauprinzip von Koordinationspolymeren (schematisch) Metall-Ionen oder Metall-Ligand-Fragmente mit freien Koordinationsstellen M M

M

M

M

1D-Koordinationspolymer, Kette M

M

M

M

2D-Koordinationspolymere, Netze M

M

M M

M

M

M

M

M

M

M

M

M M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

M

3D-Koordinationspolymere, Gitter

M

mehrzähnige Brückenliganden

Typische Brückenliganden N

N

Pyrazin O

N

N 4,4'-Bipyridin

N

O

O Isonicotinat

O

O

O O Oxalat

O N

O

O O

O

N

Benzol-1,3,5-tricarboxylat, Trimesat

N

N

O

O

O O Benzol-1,4-dicarboxylat, Terephthalat

Hexamethylentetramin

Eigenschaften. Mit aromatischen Dicarboxylat-Brückenliganden und vierkernigen Zink-Baueinheiten bilden sich 3D-Gitter, die nach Entfernen der Gast-Lösungsmittelmoleküle hoch porös sind (bis zu 91 % Porenvolumen). Derartige MOFs werden industriell im Technikumsmaßstab hergestellt und für die Gasspeicherung von Wasserstoff und Methan untersucht. Poröse Netzwerke lassen sich für eine größenselektive Katalyse und selektive Absorption nutzen. Bei homochiralen Netzwerken kann eine Enantioselektivität hinzukommen (Abb. 3.62).

546

3 Komplex-. Koordinationschemie

poröse Koordinationspolymere (MOFs) für die Gasspeicherung O – O +{Zn4(µ4-O)(MeOH)4}

O



O

91% Porenvolumen

N

O *

O

*



O –

O

O

=

HN

N

N

=L

O

Zn2+

O Zn O O O

O

N

2

∞{(H3O)2[Zn3(µ3-O)L6]·12H2O}

= Kat - homochiral - chirale 1D-Kanäle - 47% freies Volumen

OO N

O

O

Zn O

Zn O

O

O

O

N

N

N

N O2N

O2N CH3CO2

N

N

NO2 + ROH

Kat

CH3C(O)OR + HO

NO2

Reaktionsgeschwindigkeit für R = Et > iBu > tBuCH2 ≈ Ph3CCH2CH2; keine Umesterung in Abwesenheit von Kat für R = Ph

(racemische Mischung) 8% ee * Me

Abb. 3.62 Der chirale Weinsäurederivat-Ligand L reagiert mit Zinkionen zu einem homochiralen, porösen 2D-Netzwerk der Formel (H3O)2 [Zn3(µ3-O)L6] · 12 H2O. Das Koordinationspolymer entsteht durch Vernetzung der Bausteine über die Pyridylgruppen des Liganden L. Es werden dazu allerdings nur drei der sechs Pyridylgruppen benötigt. Die übrigen drei Pyridylringe ragen in die chiralen 1D-Kanäle hinein und stehen dort als Ankergruppen für Substratmoleküle zur Verfügung. Die Kanäle haben die Form eines gleichseitigen Dreiecks mit ca. 13 Å Kantenlänge. Das Kanalvolumen beträgt etwa 47 % des Gesamtvolumens. Die poröse Struktur ist in Gegenwart von Lösungsmitteln stabil. Die H3OC-Kationen und die Kristallwassermoleküle können gegen andere Gastmoleküle ausgetauscht werden. Die gezeigte Umesterung kann in Gegenwart des porösen Netzwerks größenselektiv in Bezug auf den eingesetzten Alkohol durchgeführt werden, was nahe legt, dass die Reaktion hauptsächlich in den Kanälen abläuft. Bei Verwendung sterisch anspruchsvoller Alkohole sinkt die Raum-Zeit-Ausbeute. Bei Einsatz eines chiralen Alkohols als Racemat wurde ein geringfügiger Enantiomerenüberschuss beobachtet. Beim Kationenaustausch von H3OC gegen ∆.Λ-[Ru (2,2'-bipy)3]2C aus einer racemischen Mischung lagert sich bevorzugt die ∆-Form (66 % ee) ein.

3.17 Koordinationspolymere

547

Heterometallische 2D- und 3D-Metalloxalatnetze und -gitter zeigen (bei tiefer Temperatur) weitreichende ferro-, ferri- oder verkantete antiferromagnetische Ordnungen (Magnetismus, s. Abschn. 2.7). Im Allgemeinen werden 2D-Schichtstrukturen mit [MIIMIII(ox)3]K-Einheiten erhalten, wenn das Gegenion [ER4]C ist (E Z N, P; R Z Alkyl). 3D-Gerüststrukturen ergeben sich mit Tris-Chelat[M(2,2#-bipy)3]2C.3C-Kationen. Verbindung mit MIICrIII verhalten sich als Ferromagnete, während MIIFeIII antiferromagnetisch zu Ferrimagneten (MII Z Fe, Co) oder verkanteten Antiferromagneten (MII Z Mn) koppelt. Koordinationspolymere mit magnetischen Eigenschaften –

M

O C O M' O C O–

Von koordinationspolymeren Eisen (II)- oder Eisen (III)-Verbindungen wie z. B. [Fe (1,2,4-triazol)3]2C.3C erhofft man sich eine erhöhte Kooperativität der Metallatome in Bezug auf das Spinübergangsverhalten (vgl. Abschnitt 3.9.7). Koordinationspolymere mit Spincrossover-Eigenschaften

R N

R N

N

N N Fe N N

N

N R

N R

N

Fe

N

R N N N

N N N R

R N

R N

N

N N Fe

N N N R

N

N

N R

Fe

N

R N N N

N N N R

Fe

R = fehlt(Triazolat-Anion), H, NH2, n-Alkyl, -(CH2)2/3OH Gegenionen: ClO4–, BF4–, Tosylat, 3-O2NC6H4SO3– u.a.

Das Spincrossover-Phänomen bei den Eisen-Koordinationspolymeren hängt häufig stark von der An- oder Abwesenheit von Kristall-Lösungsmittelmolekülen ab. Im (leeren) Fe2C-Netzwerk mit dem trans-4,4'-Azopyridinliganden (L) wird kein Spingleichgewicht beobachtet. Die Verbindung N2 [Fe (NCS)2(L)2] bleibt im highspin-Zustand bis zu tiefen Temperaturen. Mit Gastmolekülen wie z. B. Ethanol findet man einen teilweisen Spinübergang zwischen 50K150 K. Ursache dieses Verhaltens ist eine Aufweitung des Gitters durch die Gastmoleküle und die Aus-

548

3 Komplex-. Koordinationschemie

bildung von H-Brücken zu den S-Atomen der Isothiocyanotoliganden, welches die elektronische Situation am Eisenatom ein klein wenig ändert. Gast-Einfluss auf Spincrossover-Eigenschaften bei Koordinationspolymeren Bsp.: ∞2 {[Fe(NCS)2(L)2] . 1/2EtOH} (EtOH-Gastmoleküle fehlgeordnet – raumerfüllend eingezeichnet) N

N

N

+Fe2+ +NCS– +EtOH ohne Gast kein Spincrossover

N trans-4,4'-Azopyridin (= L)

Die koordinationspolymere Silbersulfadiazinverbindung zur langsamen Freisetzung von AgC-Ionen wurde in Abschn. 3.16 beschrieben.

3.18 Lumineszenz bei Metallkomplexen Lumineszenz ist der Oberbegriff für die Emission von Licht im sichtbaren, UVund IR-Spektralbereich aus Substanzen durch Übergang eines Elektrons aus einem energetisch höheren in einen unbesetzten, energetisch tieferen Zustand. Nach der Anregung unterscheidet man Photolumineszenz (Anregung des Elektrons durch elektromagnetische UV-, Röntgen- oder γ-Strahlung), Chemolumineszenz (Anregung durch chemische Reaktion), Thermolumineszenz (thermische Elektronenanregung mit zunehmender Probentemperatur) und Radiolumineszenz (Anregung durch auftreffende Elektronen oder α-Teilchen). Elektronisch angeregte Koordinationsverbindungen spielen in interdisziplinären Arbeiten inzwischen eine Schlüsselrolle. Lumineszierende Metallkomplexe sind wichtig in der Sensorik und der bioanalytischen Chemie. Komplexe mit Übergangsmetallen und Lanthanoiden besitzen häufig einzigartige spektroskopische, photophysikalische oder sonstige (magnetische, elektrochemische) Eigenschaften, die für sensorische und diagnostische Anwendungen genutzt werden können (s. auch paramagnetische Gd-Komplexe und radioaktive 99mTc-Komplexe als Diagnostika in der Medizin, Abschn. 3.10.5). Beispiele NO-Sensoren. Der Cobalt (II)-Komplex mit zwei Dansylgruppen (Dansyl Z 5-Dimethyl-amino-1-naphthalin-sulfonyl) ermöglicht in Gegenwart von Sauerstoff den Nachweis von NO. Stickstoffmonoxid reagiert mit dem nur schwach fluoreszierenden Komplex unter Dissoziation eines Fluorophor-Molekülarms. Das gebildete Cobalt-dinitrosyladdukt zeigt eine intensive Fluoreszenz, da die Lumineszenz des einen Arms nicht mehr durch das Metallion gelöscht wird. Es wird eine Nachweisgrenze für NO von 50K100 µmol.l erreicht.

3.18 Lumineszenz bei Metallkomplexen Me2N

hν = 350 nm

Me2N

hν = 350 nm SO2 N N

Co

Me2N

hν = 505 nm

SO2

NO

SO2

549

N

N

N

N

NO

Co

NMe2

NO N

HN SO2

NO-Nachweisgrenze: 50-100 µmol/L

Der mit dem Fluorphor Methoxycumarin substituierte Eisen-Cyclam-Komplex fungiert über die Verdrängung des ebenfalls Fluoreszenz-markierten Tetramethylpyrrolidin-N-oxid-Derivates als NO-Sensor. Ohne Gegenwart von NO erfolgt über einen Fluoreszenz-Resonanz-Energietransfer (FRET) die Lumineszenz aus dem Pyrrolidin-N-oxid-Derivat bei 470 nm. Nach Abspaltung dieser Gruppe durch NO kommt die Emission aus dem Methoxycumarin-Fluorophor bei 410 nm. Es konnten NO-Konzentrationen von weniger als 100 nmol.L detektiert werden. – –OOC

HO

OOC O HO

O Emission bei 470 nm

N

N Anregung bei 360 nm

FRET N H H

N N Fe N N

+NO

O

O

O

O H

OMe

NO

Anregung bei 360 nm

N

H H

N N Fe N N

O O

H

NO (FRET = Fluoreszenz-Resonanz-Energietransfer)

Emission bei 410 nm OMe

Beispiele Metall-Sensoren. Metallkoordination an die Ethylendiamingruppen des Chinacridonderivats löscht die Lumineszenz des Metall-freien Chinacridon-Fluorophors. Die Metall-Chelateinheit steht nicht in einer konjugierten Wechselwirkung zum Fluorophor. Selbst schwache Fluoreszenzlöscher wie Hg2C und Zn2C können detektiert werden. Die ursprüngliche Fluoreszenz liegt im sichtbaren Bereich bei 558 nm, und die Löschung kann mit bloßem Auge verfolgt werden. Das Angebot stärkerer Chelatliganden sollte entsprechend ihrer Konzentration die Fluoreszenz des Chinacridonderivats wieder ansteigen lassen.

550

3 Komplex-. Koordinationschemie hν

H 2N

485 nm

NHO



2+ NH

558 nm

M

NH2

m

N

N m

O M = Co, Ni, Cu, Zn, Hg m = 1,2,3 Fluoreszenz-Löschung durch Metall-Chelatisierung

Der Tetraazacyclododecan-Ligand mit einer Xanthenongruppe ist ein selektiver Fluoreszenzindikator für Zinkionen in Gegenwart von NaC, KC, Ca2C oder Mg2C. Die Fluoreszenz der Sonde kann durch sichtbares Licht über einen weiten pH-Bereich angeregt werden und steigt mit der Zinkkonzentration. Die Verwendung von sichtbarem Licht für die Fluoreszenzaktivität bei dieser Verbindung wäre nützlich für die Messung von Zinkkonzentrationen in lebenden Zellen ohne den Einsatz von biologisch schädigender UV-Strahlung. CH3



N

495 nm H3C

N

Zn

N

CH3 hν

N

515 nm

X

X

HO

O

O

X=H oder Cl

Zn in Gegenwart von Na, K, Ca oder Mg

Die Unterscheidung zwischen Mg2C und Ca2C mittels eines optischen Ionensensors gelingt mit einem modifizierten Ruthenium-tris(bipyridin)-Metallrezeptor. Die Phosphinatgruppen am fluoreszierenden Tris(bipyridin)ruthenium-Fragment komplexieren innerhalb der Alkali- und Erdalkalimetalle selektiv Mg2C unter Fluoreszenzverstärkung. Ursache ist das signifikante Maximum der Ladungsdichte bei Mg2C, das deshalb auf der Basis elektrostatischer Wechselwirkungen die Orientierung der Phosphinatgruppen erreichen kann. hν 489 nm

MeO

O N

N

N 2+

Ru

N

N

N O



O

P



N H

O

H N

O–

Mg2+ P MeO

1 oder 2

O

selektiver, zwitterionischer Rezeptor für Magnesium

FluoreszenzVerstärkung

3.18 Lumineszenz bei Metallkomplexen

551

Ein zweikerniger Gold (I)-Komplex kann für die Detektion von Kaliumionen genutzt werden. Zugabe von KC und seine Koordination im Benzo-15-krone-5Ring „schaltet“ die Gold-Gold-Wechselwirkung an, die dann zu einer intensiv roten Lumineszenz führt. hν 390 nm

O

O R2P

Au

O R2P

Au

S

O



O

O

S

O

O K+

O O

547 nm +K+ R = Phenyl, Cyclohexyl

Beispiel DNA-Sensor. Ruthenium (II)-Komplexe mit (modifizierten) 2,2’-Biypridin-, 2,2’:6’,2’’-Terpyridin- oder 1,10-Phenanthrolinliganden haben vielfältige, mit Licht induzierbare Elektronen- und Energie-Transfereigenschaften. Derartige Ru-Komplexe dienen als lumineszierende DNA- oder Protein-Marker, als Modellsysteme für Elektronentransferproteine, als lumineszierende analytische Sensoren zur Detektion neutraler organischer Moleküle oder anorganischer Kationen (s. o.). Die photochemischen Eigenschaften können über die Liganden am Ruthenium gesteuert werden. Der Ru (bipy)2(tactp)-Komplex zeigt erhöhte Lumineszenzintensität bei Bindung durch Interkalation des tactp-Rest (4,5,9,18Tetraazachrysen[9,10-b]triphenylen) in destabilisierte, fehlgepaarte DNA.

Beispiele Sensoren für organische Moleküle. Der Terbium(III)-Komplex mit dem 1,4,7,10-Tetraazacyclododecantriamid- und zwei Aqualiganden erfährt bei Anbindung von aromatischen Carbonsäuren, z. B. Salicylsäure in Wasser, eine starke Erhöhung der Fluoreszenz.

552

3 Komplex-. Koordinationschemie

N



3+

O

– 2H2O

H N

N

OH2

N

OH2

Tb

O

N

N

O

+aromatische Carbonsäure FluoreszenzVerstärkung

N

Flüchtige organische Verbindungen können mit Gold(I)-Dimeren, die in einer linearen Kette angeordnet sind, oder mit einem Iodo(4-picolin)kupfer(I)-Polymer detektiert werden. Die Wechselwirkung der Metallkomplexe mit den organischen Dämpfen führt zu einer Farbänderung und einem „Anschalten“ oder Änderung der Lumineszenz. Bei der Iodokupferverbindung wird die Änderung der Emissionseigenschaften wahrscheinlich mit einem reversiblen Strukturwechsel von polymerer Kette zum Cuban-Tetramer begleitet. NR2

hν 366 nm S Au

S Au

S

S

NR2 S

S

Au

S

R = C5H11 NR2

Au

S NR2

NR2 S Au S

S Au S NR2

NH2

NH2

hν = 426 nm

N

N

(blaue Fluor.)

Cu

Cu



Aceton, CH3CN, hν + CH2Cl2 631 nm oder CHCl3

hν =578 nm

H2N

UV

I

I

I

Cu

Cu

N

N

NH2

NH2

I

NH2

N

Cu

+Toluol

I

Cu

Cu

I

+Pentan

N

Cu

IN

I

gelbe Fluoreszenz

N NH2

H2N

Beispiel pH-Sensor. Im Nickelkomplex des Tetraamin-Makrocyclus, funktionalisiert mit Sulfonamid- und Naphthylgruppe, führt eine pH-Erhöhung zur Deprotonierung der Aminogruppe zum Amidoliganden, der dann an das Nickelatom koordiniert. Die Änderungen in der Nickelgeometrie von planar-quadratisch nach pseudo-oktaedrisch zieht eine Änderung in der Elektronenkonfiguration, des Spinzustandes und damit der Fluoreszenz nach sich. Im quadratisch-planaren d8-Komplex, der bei niedrigen pH-Werten überwiegt, sind alle Elektronen ge-

3.18 Lumineszenz bei Metallkomplexen

553

paart, und die Naphthyl-Fluoreszenz wird nicht beeinflusst. Die oktaedrische Form bei höheren pH-Werten hat zwei ungepaarte Elektronen und löscht die Fluoreszenz des Naphthyl-Fluorophors. pH-Änderungen werden so über eine pH-kontrollierte Fluoreszenzemission angezeigt (vgl. die Temperatur-Fluoreszenz-Korrelation an einem ähnlichen Ni-Gleichgewicht in Abschn. 3.9.3).



Emission bei 337 nm

Ni

N

O2S

SO2

HN N

FluoreszenzLöschung

hν N

2+

N

pK = 4.8

N

N

N

Ni

H2 O

quadratisch-planar ⇒ "low-spin", diamagnetisch ⇒ hohe Fluoreszenz

Zunahme pH-Wert

N

+

N

pseudo-oktaedrisch ⇒ "high-spin", paramagnetisch ⇒ niedrige Fluoreszenz

Beispiele für logische Schalter. Die UND-Schaltlogik von Computern konnte mit einem Tetraacetato- und Anthracenylmethylenamin-enthaltenden Komplexliganden nachgestellt werden. Der Ligand zeigt eine Fluoreszenzantwort (nach Anregung) des Anthracenyl-Fluorophors, wenn Ca2C- und H3OC-Ionen gleichzeitig zugegen sind. Liegt nur eines oder keines der beiden Ionen vor, tritt keine Fluoreszenz auf. UND Logik:

Ca2+ O O O

O–O

O



–O

O–

N O

N

nur Ca2+ nur H3O+ keines Ca2+ und H3O+

O

hν = 419 nm hν = 369 nm x 0 0 1 1

y 0 1 0 1

N

H3O+

x UND y 0 0 0 1

Der Terbium (III)-Komplex des Tetraazacyclododecan-triphospinato-Liganden mit einer Chinolingruppe zeigt eine NICHT-Schaltlogik. Es wird nur dann eine positive Fluoreszenzantwort des Chinolinrests erhalten bei Gegenwart von Protonen und der Abwesenheit von Disauerstoff.

554

3 Komplex-. Koordinationschemie NICHT Logik: O H3C P O N

O N O P CH3 hν 330 nm

N

Tb

kein H3O+, kein O2 kein H3O+, O2 H3O+, O2

CH3 P O O

H3O+, kein O2

N

O

hνmax = 547 nm

NH

H3O+ N

CH3

x 0 0 1 1

y 0 1 0 1

x NICHT y 0 0 1 0

3.19 Methoden zur Untersuchung von Metallkomplexen Es werden hier nur kurze Hinweise für die Bedeutung von Untersuchungsmethoden in der Koordinationschemie gegeben, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Bei vielen der nachfolgenden Methoden kann die Temperatur variiert werden, um dynamische Phänomene (z. B. Ligandenaustausch, Spingleichgewicht, Elektronentransfer, Reaktionskinetik) zu untersuchen und Aktivierungsenergien, Geschwindigkeitskonstanten oder Enthalpien zu erhalten. Generell ist bei der Interpretation der Messdaten zu beachten, in welcher Phase (fest, gelöst, gasförmig) die Verbindung vorliegt und in welchem Zeitfenster der Messvorgang erfolgt. Ein fluktuierendes Verhalten von Metallkomplexen manifestiert sich häufig nur in Lösung, nicht aber im festen Zustand. Eine schnellere Fluktuation als das Zeitfenster der Methode zeigt bei der Messung eine gemittelte Form, einen gemittelten Wert für die Verbindung. Ist die Dynamik langsam im Vergleich zum Zeitfenster, dann werden die Grenzformen der Verbindung gemessen. Im Zeitbereich der Methode treten Bandenverbreiterungen auf. CHN-, Elementar-, Metallanalyse. Hinweise auf Komplexzusammensetzung, Metall : Ligand-Verhältnis. Infrarot- und Raman-Schwingungsspektroskopie. (s. auch Abschn. 1.1.2.2) Bandenlagen (Wellenzahl, cmK1) und relative Bandenintensitäten (%-Absorption) von Liganden können sich bei Metallanbindung ändern (neue Banden, Aufspaltung von Banden). Aus dem Vergleich der Spektren des freien Liganden und des Metallkomplexes können Hinweise auf die Koordinationsart erhalten werden (Bsp. O2-Liganden, Abschn. 3.12), insbesondere wenn aus analogen Komplexen die Koordination über Kristallstrukturanalyse abgesichert wurde. Aus der Frequenz und Zahl der wenig gekoppelten Valenzschwingungen von Carbonyl- u. ä. Liganden lassen sich Aussagen zur Metall $% Ligand-π-Rückbindung und zur Symmetrie des Carbonylkomplexes ableiten (s. Abschn. 4.3.1.1). NMR-Spektroskopie. (s. auch Abschn. 1.1.2.1) Eine Voraussetzung für die Anwendbarkeit der NMR-Spektroskopie sind in der Regel diamagnetische Komplexe. Paramagnetische Metallkomplexe zeigen oft sehr starke Bandenverbreiterungen und eine große Änderung der chemischen Verschiebungen. Wichtige

3.19 Methoden zur Untersuchung von Metallkomplexen

555

NMR-Kerne bei Metallkomplexen sind 1H, 13C neben evtl. 19F, 29Si, 31P und zunehmend auch 15N in organischen Liganden. Relevante Spin-1.2-Metallkerne sind 103Rh, 107.109Ag, 111.113Cd, 117.119Sn, 195Pt, 203.205Tl, 207Pb. Bei höherer Symmetrie um das Metallatom können auch Spin-3.2- und -5.2-Kerne sinnvolle NMR-Informationen liefern; Beispiele sind 27Al (5.2), 65Cu (3.2), 91Zr (5.2). Die Zahl der Signale (Peaks) gibt die Zahl der (chemisch) unterschiedlichen X-Atome an. Eine Integration der Signale entspricht dem Verhältnis der unterschiedlichen X-Atome; bei 1H-entkoppelten Spektren von Heterokernen (13C, 15 N, 31P u. a) allerdings nicht mehr gut anwendbar. Die chemische Verschiebung (δ in ppm) korreliert mit der Umgebung des Kerns. Eine Peakverbreiterung zeigt dynamische Phänomene im Zeitfenster der NMR-Spektroskopie an (10K3-10K8 s). Signalaufspaltungen (in Hz) sind auf Kopplungen mit anderen (1.2-)Kernspins zurückzuführen und liefern Aussagen zur Zahl und Geometrie der Nachbarkerne. Beispiel: Im 31P-NMR-Spektrum von Platin-bis (triarylphosphan)Komplexen zeigt eine 1J(31P-195Pt)-Kopplung größer als 3 000 Hz eine cis-, kleiner als 3 000 Hz eine trans-Stellung der Phosphanliganden an. ESR.EPR-Spektroskopie. (ESR Z Elektronenspinresonanz, EPR Z elektronenparamagnetische Resonanz) Messung der paramagnetischen Eigenschaften von Atomen oder Molekülen im Magnetfeld. Die ungepaarten Elektronen koppeln mit den magnetischen Momenten der Atomkerne im Molekül, sodass aus der resultierenden Hyperfeinstruktur der Resonanzlinien Aussagen zur Molekülstruktur möglich werden. ESR erlaubt z. B. die Charakterisierung von elektronisch labilen Übergangsmetallverbindungen oder die Identifizierung der Ligandensphäre von Metallproteinen. UV.VIS-Spektroskopie. Die elektronischen Übergänge (in Wellenlänge nm oder Wellenzahl cmK1) (d $% d, f $% f, Metall4Ligand-Charge-Transfer) geben Aussagen zur elektronischen Situation in Metallkomplexen (Kristall-.Ligandenfeldaufspaltung, Ligandenstärke, s. Abschn. 3.9.4 u. 7). Die Intensität der Extinktion ist direkt proportional zur Konzentration (Lambert-Beer’sches Gesetz). Mit einem Zeitfenster von 10K14 s ist es eine sehr schnelle Methode für kinetische Untersuchungen. CD-Spektroskopie. (CD Z Circulardichroismus) Optische Aktivität kann durch die Drehung der Ebene von linear polarisiertem monochromatischem Licht bei Durchtritt durch eine Lösung verifiziert werden. Die Lichtebene wird durch eine optisch aktive Verbindung, in der ein Enantiomer allein vorliegt oder überwiegt, gedreht. Für ein Verständnis der Ebenendrehung bei linear polarisiertem Licht kann man sich einen solchen Lichtstrahl als eine Überlagerung eines rechts- und links-circular polarisierten Strahls mit gleicher Amplitude und gleicher Phase vorstellen. λ/2 l

r

optisch aktive Verbindung: Ausbreitungsrichtung des Lichtstrahls

∆nl,r → α α = f(λ) = normale optische Rotationsdispersion (ORD) ∆ε l,r → Circulardichroismus (CD)

elektrische Feldvektoren: links circular polaril r rechts siertes Licht

resultierendes linear polarisiertes Licht (mit Schwingungsebene als Kurve)

556

3 Komplex-. Koordinationschemie

Bei einem circularpolarisierten Lichtstrahl dreht sich der elektrische Feldvektor einmal um 360( innerhalb einer Wellenlänge. Rechts- und links-circular polarisiertes Licht sind wie Spiegelbilder, also enantiomorph zueinander. Dementsprechend sind auch die physikalischen Wechselwirkungen der beiden circular polarisierten Strahlen mit den enantiomeren Molekülen verschieden. Die wichtigsten Unterschiede sind ein veränderter Brechungsindex für das links- und rechts-drehende Molekül (nl und nr) und ein anderer molarer Extinktionskoeffizient (εl und εr). Aus den verschiedenen Brechungsindizes resultiert eine unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeit für den links- und rechts-circular polarisierten Strahl. Damit ergibt sich die optische Drehung mit dem Drehwinkel α. Durch die anderen Extinktionskoeffizienten werden die beiden Teilwellen unterschiedlich stark absorbiert. Sie weisen nach Durchtritt durch die Probe eine andere Amplitude auf, sodass aus der Überlagerung der circularen Anteile kein linear, sondern ein elliptisch polarisiertes Licht resultiert. Die Differenz der molaren Extinktionskoeffizienten ∆ε Z εl K εr heißt Circulardichroismus (CD). Sowohl der Drehwinkel α als auch der Circulardichroismus sind eine Funktion der Wellenlänge λ des polarisierten Lichts. Die Abhängigkeit des Drehwinkels α von der Wellenlänge wird normale optische Rotationsdispersion (ORD) genannt. Der Circulardichroismus wird vor allem bei elektronischen Übergängen im sichtbaren oder ultravioletten Bereich des Spektrums beobachtet. In diesem Bereich wird auch die ansonsten stetige Ab- oder Zunahme der Drehwertänderung gestört. Die spezifische Drehung ändert sich stark, wenn man sich einer Absorptionsbande nähert. Es treten ein lokales Minimum, ein Nulldurchgang und ein Maximum für den Drehwinkel im Bereich einer Absorptionsbande auf. Der Grund ist, dass sich in diesem Bereich die Brechungsindizes schnell mit der Wellenlänge ändern. Diese Anomalie in der Rotationsdispersionskurve bezeichnet man als anomale optische Rotationsdispersion (anomale ORD). Sie wurde von dem französischen Physiker Aimé Cotton erstmals beschrieben und nach ihm Cotton-Effekt genannt. Unter dem Begriff Cotton-Effekt werden teilweise CD und ORD zusammengefasst. Das Vorzeichen des Circulardichroismus im Bereich der Absorptionsbande oder die Reihenfolge, in der Minimum und Maximum der optischen Rotationsdispersion in Richtung kürzerer Wellenlänge durchlaufen werden, erlauben im Vergleich von analogen Substanzen die Festlegung der absoluten Konfiguration von chiralen Verbindungen. Der Verlauf der CD- und der ORD-Kurve für den Bereich der Absorptionsbanden von zwei enantiomeren Chromophoren ist spiegelbildlich zur Abszisse (Abb. 3.63). Als Regel gilt, dass analoge Verbindungen die gleiche absolute Konfiguration haben, wenn die entsprechenden elektronischen Übergänge Cotton-Effekte (ORD und CD) mit dem gleichen Vorzeichen zeigen (vgl. Abb. 3.43). Probleme bereiten aber die Voraussetzung der „entsprechenden“ elektronischen Übergänge und die Auflösung von Spektren mit überlappenden Cotton-Effekten. Mößbauer-Spektroskopie. Die rückstoßfreie Kernresonanzabsorption von γStrahlen aus einer radioaktiven Quelle des zu untersuchenden Elements (notwendige Voraussetzung) ermöglicht über die Isomerieverschiebung (IS oder δ in mm.s) eine Aussage zur Oxidationsstufe und chemischen Umgebung des absorbierenden Kerns. Energieunterschiede zwischen Quelle und Absorber werden durch eine Relativbewegung mit unterschiedlicher Geschwindigkeit (Doppler-Ef-

3.19 Methoden zur Untersuchung von Metallkomplexen

557

Absorptionsbande enantiomere ←Komplexe→

+α +∆ε λmax –∆ε –α

CD, negativ

+α +∆ε

λ anomale ORD, negativer Cotton-Effekt

anomale ORD, positiver Cotton-Effekt

CD, positiv λmax

λ

–∆ε –α

Abb. 3.63 Idealisierte Kurven für den Circulardichroismus (CD) und die anomale optische Rotationsdispersion (ORD) im Bereich einer isolierten Absorptionsbande für zwei Moleküle mit entgegengesetzter absoluter Konfiguration. CD ist die Differenz der Extinktionskoeffizienten ∆ε und ORD die Abhängigkeit des Drehwinkels α von der Wellenlänge λ. Die anomale ORD, d. h. das Auftreten von Maxima und Minima im Bereich der Absorptionsbande, wird Cotton-Effekt genannt. Ein positiver Cotton-Effekt liegt vor, wenn von längeren zu kürzeren Wellenlängen zuerst ein lokales Maximum und dann ein Minimum durchschritten wird. Der Nulldurchgang der anomalen ORD, d. h. die Umkehrung der Drehrichtung des polarisierten Lichts erfolgt bei der Wellenlänge des Absorptionsmaximums. Für ein Enantiomerenpaar unterscheiden sich CD und anomale ORD nur im Vorzeichen und nicht im Betrag. Bei nahe benachbarten Absorptionsbanden überlagern sich die ORD-Kurven.

fekt) kompensiert. Es genügen Geschwindigkeiten zwischen G10 mm.s, um z. B. die Hyperfeinstruktur des wichtigsten Mößbauer-Kerns 57Fe (nur 2.5 % natürliche Häufigkeit) aufzulösen. Eine Quadrupolaufspaltung (QS in mm.s), d. h. ein Dublett der Resonanzlinie tritt bei unsymmetrischer Ladungsverteilung der dElektronen (z. B. Fe2C-d6 high-spin oder Fe3C-d5 low-spin im Oktaeder) oder einer unsymmetrischen Ligandengeometrie auf. Bei Eisenverbindungen können so z. B. temperaturabhängige Spingleichgewichte verfolgt werden (s. Abschn. 3.9.7). Eine magnetische Wechselwirkung der Atome äußert sich in einer magnetischen Hyperfeinaufspaltung, bei 57Fe in einer Sextett-Struktur. Intensiver untersucht und als Strahlenquellen genutzt werden neben 57Fe (entsteht aus 57Co), 99 Ru, 119Sn (entsteht aus 119mSn), 121Sb, 125Te, 127I, 129I, 129Xe, 133Cs, 151Eu, 181Ta, 182 W und 195Pt. Massenspektrometrie. Die Probe wird mit verschiedenen Methoden in die Gasphase überführt und ionisiert. Die Ionen werden entsprechend ihrem Verhältnis Masse.Ladung (m.z) getrennt und registriert. Unzersetzt verdampfbare Neutralkomplexe, z. B. Metallcarbonlye, Metallocene u. a. metallorganische Verbindungen, können gut aus der Festsubstanz identifiziert werden. Für die Untersuchung thermisch empfindlicher Moleküle eignen sich Felddesorptionsprozesse, mit der Elektrospray-Ionsisation (ESI) als moderner Ausprägung. Nicht unzersetzt verdampfbare Metallkomplexe und Komplexionen werden als Lösung in ein ESIMS eingebracht. Die ESI erfolgt aus homogener Lösung unter Normaldruck und bei Raumtemperatur. Durch Sprühen der Analytlösung werden Nebel von kleinen geladenen Tröpfchen erzeugt, aus denen anschließend Ionen gebildet werden. Es lassen sich weitere im Rahmen von Komplexgleichgewichten vorliegende

558

3 Komplex-. Koordinationschemie

Spezies erkennen und so das Verhalten eines Komplexes in Lösung untersuchen. Eine gewisse Vorsicht ist allerdings bei der Interpretation geboten, da solche Spezies auch erst während der Elektrospray-Ionisation entstehen können und eine Quantifizierung sehr schwierig ist. Magnetische Messungen. Die magnetische Suszeptibilität (χ) ist ein Maß für die Magnetisierung M eines Stoffes in einem Magnetfeld der Stärke H gemäß M Z χ · H. Zur Bestimmung der magnetischen Suszeptibilität dient eine magnetische (Gouy- oder Faraday-)Waage oder ein SQUID-Magnetometer (superconducting quantum interference device). Ein SQUID dient zur genauen Messung extrem schwacher Magnetfelder. Nimmt man die Messung von paramagnetischen Proben bei verschiedenen Temperaturen vor, so lassen sich gegebenenfalls ferrooder ferrimagnetische Anteile erkennen. Man misst zunächst die Massensuszeptibilität χg (in SI m3.kg oder cm3.g). Multiplikation mit der Molmasse M (in g. mol) des Stoffes gibt die Molsuszeptibilität χmol Z χg · M (in m3.mol oder cm3. mol). Eine Korrektur um den diamagnetischen Anteil χdia gibt die paramagnetische Suszeptibilität χpara Z χmol K χdia. Bei einem temperaturunabhängigen paramagnetischen Curie-Verhalten eines isolierten Metallatoms gilt 2

χpara Z µ0

2

NA µB µeff 3kB T

.

Man erhält das effektive magnetische Moment µeff in Bohr’schen Magnetonen µB nach

µeff Z

oder µeff Z



3kB Tχpara 2

µ0 NA µB

Z

797.7 (m $K$mol

0.7977 3

(cm $K$mol

K1 1.2

)

3

K1 1.2

√χpara $ T

)

√χpara $ T

(χpara in m3.mol, Temperatur T in K)

(χpara in cm3.mol, Temperatur T in K).

Der Faktor 797.7 oder 0.7977 ergibt sich aus K23

√3k / (µ N B

0

A).µB

mit der

J.K, der magnetischen FeldkonBoltzmann-Konstante kB Z 1.380658 · 10 stante µ0 Z 4 π · 10K7 V · s.A · m, der Avogadro-Zahl NA Z 6.022 · 1023 molK1 und dem Bohr’schen Magneton µB Z 9.2740 · 10K24 J.T ^ A · m2 (1 J Z 1 V · A · s, 1 T(esla) Z 1 V · s.m2 und 10K6 m3.cm3) (zum Magnetismus s. auch Abschn. 2.7). Cyclovoltammetrie. In einem üblichen cyclovoltammetrischen Experiment wird ausgehend von einem Anfangspotential Ei dieses über die Zeit bis zu einem Umkehrpotential Eλ geändert und von dort zeitlich linear wieder zum Ausgangswert zurückgeführt. Die Vorschub- oder Potentialänderungsgeschwindigkeit in mV.s bis V.s ist dabei eine wichtige Variable. Der gemessene Strom I (in µA) als Funktion des Potentials ist das Cyclovoltammogramm.

3.19 Methoden zur Untersuchung von Metallkomplexen

559

Cyclovoltammogramm für einen reversiblen Ladungstransfer I [µA] 1 0 –1

Ei

Epa = anodisches Spitzenpotential mit ipa = anodischem Spitzenstrom Eλ

Oxidationswelle

ipc = kathodischer Spitzenstrom zur Grundlinie Epc = kathodisches Spitzenpotential –0.2 +0.2 E (vs. Referenzelektrode) [V]

Metallkomplexe mit stabilisierenden organischen Liganden lassen sich häufig reversibel oxidieren und.oder reduzieren. Die Redoxreaktionen können metalloder ligandenzentriert sein, was durch Vergleich z.B. mit den Redoxreaktionen des freien Liganden ermittelt werden kann. Die Zahl der übertragenen Elektronen n ergibt sich aus n Z ipa.ipc. Bei einer Oxidationswelle (Eλ O Ei) zeigt ein positiveres (höheres) Halbstufenpotential E1.2 Z (Epa C Epc).2, dass der Komplex im Vergleich schwieriger zu oxidieren ist. Bei einer Reduktionswelle (Eλ ! Ei) zeigt ein negativeres (niedrigeres) Halbstufenpotential im Vergleich eine schwierigere Reduktion an. Mit der Cyclovoltammetrie können die Donor- und Akzeptororbitale für Einelektronen-Transferreaktionen lokalisiert werden. Im Vergleich von Komplexen desselben Metalls mit verschiedenen Liganden lassen die Redoxpotentiale sich mit den Molekülorbitalen des Komplexes und dem elektronenziehenden oder -schiebenden Charakter von funktionellen Gruppen korrelieren. Eine Zunahme des Redoxpotentials E1.2 einer Oxidationswelle entspricht einer Abnahme der Orbitalenergie des (höchsten) besetzten Donororbitals, aus dem das entfernte Elektron stammt, z. B. durch stärker elektronenziehende Gruppen. Elektronenziehende Gruppen begünstigen die reduzierte Form [ML]cC eines Komplexes gegenüber der oxidierten Form, d. h. der Komplex ist schwieriger zu [ML](cC1)C zu oxidieren. Gleichzeitig erleichtern elektronenziehende Gruppen die Reduktion eines Komplexes, d. h. diese erfolgt bei weniger negativen Potentialen. Das Potential einer Reduktionswelle korreliert mit der Energie des (niedrigsten) unbesetzten Akzeptororbitals, in das das Elektron gelangt. Ein Cyclovoltammogramm liefert nicht nur das Redoxpotential als thermodynamischen Parameter, sondern auch Aussagen zur Kinetik von Elektrodenreaktionen, die die heterogenen und homogenen Elektronentransferschritte und angekoppelten chemischen Reaktionen umfassen. Die Cyclovoltammetrie eignet sich weiterhin zur Charakterisierung von reaktiven Zwischenstufen. Röntgenbeugung. Die Einkristallstrukturanalyse durch Röntgenbeugung (Kristallstrukturanalyse) ist die zur Untersuchung der Kristall- und Molekülstruktur kristalliner Substanzen am häufigsten verwendete Methode. Mit ihr lässt sich die räumliche Anordnung der Atome in einkristallinen Festkörpern mit Hilfe von Röntgenstrahlen ermitteln. Die Wellenlängen von Röntgenstrahlen (z.B. Mo-KαLinie mit λ Z 0.71073 Å) entsprechen den Atomabständen in Kristallgittern

560

3 Komplex-. Koordinationschemie

(1K3 Å). Die Röntgenstrukturanalyse basiert auf der Beugung (Diffraktion) und Interferenz der Röntgenstrahlen an den Elektronen der Gitteratome. Grundlage ist die Bragg’sche Gleichung. Als Ergebnis erhält man eine Verteilung der Elektronendichte. Wasserstoffatome sind mit Röntgenbeugung neben schweren (Metall-)Atomen allerdings nur schlecht erfassbar. Im Periodensystem benachbarte Elemente (z. B. C und N) können ebenfalls kaum unterschieden werden (Alternative: Neutronenbeugung, s. u.). Bei röntgenkristallinen (nicht aber bei amorphen) Pulvern kann die RöntgenPulverdiffraktometrie als Beugungsverfahren zur schnellen Identifizierung („Fingerprint“), Charakterisierung und gegebenenfalls auch Strukturbestimmung dienen. Das Ergebnis der Messung ist ein Pulverdiffraktogramm (Auftragung der Intensität der Reflexe als Funktion des Beugungs-(Bragg-)Winkels 2θ). Pulveruntersuchungen kann man bei tiefen oder hohen Temperaturen, aber auch unter Druck in Diamant-Stempelzellen durchführen. Dadurch können z. B. Phasenumwandlungen detektiert werden. Der Vergleich eines anhand einer größeren Probenmenge gemessenen Pulverdiffraktogramms mit dem simulierten Diffraktogramm aus Einkristalldaten ermöglicht eine Überprüfung, ob der verwendete Einkristall repräsentativ für die Gesamtprobe und diese phasenrein war. Gelingt es nicht, hinreichend große und qualitativ gute Einkristalle zu züchten, so kann man versuchen, anhand eines hochaufgelösten Pulverdiffraktogramms mit Hilfe eines Strukturmodells über Rietveld-Methoden die Strukturparameter zu verfeinern. Neutronenbeugung. Von Kernreaktoren gelieferte thermische Neutronen besitzen ähnliche Wellenlängen und vergleichbare Querschnitte für die Streuung an Materie wie Röntgenstrahlung, weshalb mit ihnen gleichartige Beugungsexperimente zur (Kristall-)Strukturuntersuchung möglich sind. Röntgenstrahlen werden an den Elektronen gestreut, sodass die Streuintensität stark mit der Ordnungszahl ansteigt und mit dem Streuwinkel stark abfällt. Neutronen werden an den Atomkernen gestreut. Dadurch wird eine aus Kernwechselwirkungskräften resultierende Kernstreuung und bei paramagnetischen Atomen eine magnetische Streuung aufgrund von Dipol-Dipol-Wechselwirkungen erzeugt. Mit der Neutronenbeugung können magnetische Strukturen z. B. von Antiferromagnetika und Ferrimagnetika, insbesondere Form und Größe der magnetischen Elementarzelle und die Richtung der magnetischen Momente bestimmt werden. Der Neutronenkann im Gegensatz zum Röntgenstrahl wegen seines eigenen magnetischen Vektors zwischen Atomen bzw. Ionen unterschiedlicher Spinausrichtung differenzieren. Die Streufaktoren steigen nur sehr wenig und unregelmäßig mit der Ordnungszahl an. Elemente ähnlicher Ordnungszahl (∆Z % 3) aber mit verschiedenen Streufaktoren können so unterschieden werden. Wasserstoffatome sind, insbesondere als Deuteriumatome (D deutlich höherer Streufaktor als H), mit Neutronenbeugung auch neben schweren Atomen gut messbar. Die Neutronenbeugung besitzt eine unterschiedliche Empfindlichkeit gegenüber verschiedenen Isotopen desselben Elements, z. B. Wasserstoff und Deuterium. Isotopenverteilungen können ermittelt werden.

3.19 Methoden zur Untersuchung von Metallkomplexen

561

Thermische Analysemethoden. Thermische Analysen bezeichnen Methoden, bei denen physikalische und chemische Eigenschaften einer Substanz als Funktion der Temperatur oder der Zeit gemessen werden, wobei die Probe einem kontrollierten Temperaturprogramm ausgesetzt wird. Methoden und Techniken beruhen auf Vorgängen, die mit Enthalpieänderungen verbunden sind. Die Probe wird nach einem festgelegten Programm erhitzt oder abgekühlt. Die physikalischen Eigenschaften des Stoffs werden als Funktion der Temperatur in einem Thermogramm aufgezeichnet. Es werden darin Änderungen der Aggregatzustände, Phasenänderungen und der Ablauf chemischer Reaktionen angezeigt. Bei der Thermogravimetrie (TG) oder thermogravimetrischen Analyse (TGA) wird die Massen- („Gewichts-“)änderung der Probe im Verlauf eines Temperaturprogramms gemessen. Eine Massenänderung tritt ein, wenn bei thermischer Probenreaktion durch Trocknung oder Zersetzung (Oxidation) flüchtige Bestandteile, z. B. Wasser, Kohlendioxid, freie Liganden usw. gebildet werden (Abb. 3.64). Jede Stufe in einem solchen Thermogramm entspricht einer bestimmten Reaktion und kann der Freisetzung eines Stoffs oder der Bildung eines neuen Stoffs zugeordnet werden. Die Stufenhöhe entspricht der Massendifferenz. Zur genauen Identifizierung des freigesetzten gasförmigen Stoffs ist es möglich, die Thermogravimetrie mit einem Massenspektrometer zu koppeln (TG.MS) (Abb. 3.64). Wird unter Luft- oder Sauerstoffatmosphäre gemessen, sind neben Zersetzungen auch Oxidationsreaktionen denkbar, die sowohl zu einer Gewichtsabnahme, als auch zu einer Gewichtszunahme führen können. Die Differentialthermogravimetrie (DTG) zeichnet die 1. Ableitung der TGKurve auf, mit besser zu erkennenden Umwandlungstemperaturen als Peak-Temperaturen (Tp) (Abb. 3.64). In der Differentialthermoanalyse (DTA) (und Thermoanalyse) wird die Temperaturdifferenz zwischen der untersuchenden Probe und einer bekannter Vergleichsprobe gemessen. Beide Proben durchlaufen das gleiche Temperatur-ZeitProgramm, d. h. befinden sich im gleichen Ofen, mit gleichem Heizelement, aber separaten Thermoelementen. Die Vergleichssubstanz zeigt im untersuchten Temperaturbereich keine thermischen Effekte. Die Aufheizgeschwindigkeit wird so gewählt, dass die Temperatur der Vergleichssubstanz linear mit der Zeit ansteigt. Die jeweilige Temperatur von Probe und Vergleichssubstanz wird gemessen. Die thermischen Effekte in der Probe führen zu einer Temperaturdifferenz. Positive Signale bedeuten eine Umwandlung der Probe unter Aufnahme von Energie (Wärme), d. h. eine endotherme Reaktion (Abb. 3.64). Negative Signale entsprechen einer Umwandlung der Probe unter Freisetzung von Energie (Wärme), d. h. einer exothermen Reaktion. Die Signalfläche korreliert mit der Masse der reaktiven Substanz, der thermischen Leitfähigkeit und der Reaktionsenthalpie. Schärfe und Form des Signals hängen mit der Art der Umwandlung zusammen. Ein relativ scharfes Signal kennzeichnet einen physikalischen Übergang, ein breites Signal eine chemische Veränderung und ein teilweise gezackter Kurvenverlauf eine Zersetzung der Probe. Bei der dynamischen Differenzkalorimetrie (Differential Scanning Calorimetry, DSC) wird die Differenz der Energiezufuhr zu einer Probensubstanz und einem bekannten Referenzmaterial als Funktion der Temperatur gemessen.

562

3 Komplex-. Koordinationschemie

Abb. 3.64 DTG-, TG, DTA- und MS-Trend-scan-Kurven für die Verbindung [Cd (NH3)6]2C [BINOLAT]2K(BINOL)2 (m.z Z 17: NH3, m.z Z 44: CO2, m.z Z 268: Dinaphthofuran und m.z Z 286: BINOL). Die Zahlenwerte zu den Kurven beziehen sich auf die Peak-Temperatur (Tp) in (C (DTG) und auf den Masseverlust in % (TG). Die TGund DTG-Kurven zeigen drei Masseverluste. Alle entsprechen endothermen Vorgängen, wie die DTA-Kurve illustriert. Der erste TG-Masseverlust (Peak-Temperatur Tp Z 116 (C) entspricht dem Verlust aller Amminliganden (MS-trend-scan m.z Z 17; ∆mexp: 6.3, ∆mtheo: 6.4 %). Im nächsten TG-Schritt (Tp Z 302 (C) gehen die beiden freien BINOL-Moleküle verloren (m.z Z 286, ∆mexp: 55.0, ∆mtheo: 54.9 %). Das letzte TG-Ereignis (Tp Z 443 (C) entspricht dem gleichzeitigen Verlust von BINOLAT als BINOLAT K O2K (m.z Z 268, äquivalent zum Derivat Dinaphtho[1,2-b:1',2'-d]furan) und Kohlendioxid (m.z Z 44) (∆mexp: 27.4, ∆mtheo: 25.0 %; berechnete Werte sind nur für das Furan, ohne CO2). Das CO2 kann durch partielle Oxidation des BINOLATs gebildet werden. Die Intensität der Peaks im Massenspektrum gibt keine Aussage zu den relativen Mengen von Dinaphthofuran und CO2.

Beide Proben habe ihr eigenes Heiz- und Thermoelement. In sehr kurzen Zeitabständen werden die Temperaturen an beiden Messzellen verglichen. Die Temperaturdifferenzen führen über einen Regelkreis zu einer Änderung der Heizleistung, sodass beide Proben auf gleicher Temperatur gehalten werden (Temperaturausgleich). Die dazu erforderliche Wärmerate dH.dT wird in Abhängigkeit von der Temperatur gemessen. Es werden Reaktionen und Umwandlungen aufgrund von Temperaturdifferenzen registriert. Die Methode ist besonders geeignet für quantitative Untersuchungen von Enthalpieänderungen (endotherm und exotherm), die damit konkret in J.g oder J.mol erfasst werden können (s. Beispiel zum Spinübergang in Abschn. 3.9.7).

3.20 Anhang

563

3.20 Anhang 3.20.1 Molekülsymmetrie und Gruppentheorie An dieser Stelle kann nur eine kurze Einführung in die Gruppentheorie gegeben werden. Für eine vertiefte Behandlung wird auf die weiterführende Literatur verwiesen. Die Molekülsymmetrie ist eine Punktsymmetrie. Es finden sich, anders als bei der Kristallsymmetrie, keine translatorischen Symmetrieelemente. Man unterscheidet bei der Punktsymmetrie zwischen den Symmetrieelementen und den sich daraus ergebenden Symmetrieoperationen. Es gibt vier grundlegende Symmetrieelemente: Drehachsen Cn, Spiegelebenen σ, Symmetrie- oder Inversionszentrum i und Drehspiegelachsen Sn (Tabelle 3.21). Tabelle 3.21 Symmetrieelemente und Symmetrieoperationen. Symmetrieelement - geometrisches Objekt -

Beispiel

1) Linie $% Drehachse, Cn

C4 2

3

1

4

Symmetrieoperation - mathematische Operation -

Beispiel

eine oder mehrere Drehungen um diese Achse Cn(1), Cn2, ..., CnnK1

C4, C 4 (Z C2) und C 4 sind die Symmetrieoperationen, die sich aus einer C4-Achse ergeben. C4 C4

2

3

2

1

3

4

2

4

4

1

3

1

2

3

C 42 = C 2

2) Ebene $% Spiegelebene, σ (σh, σv, σd) a) 3) Punkt $% Symmetriezentrum oder Inversionszentrum, i

σ 2 4

1

2

1

Spiegelung in der Ebene σ

i 6

3

4

4) Drehachse gekoppelt S6 mit senkrechter Spiegel2 3 ebene b) $% Drehspie- 1 gelachse, Sn 6 5 4

4

1

3 5

2

Spiegelung aller Atome am Zentrum, Punktspiegelung i eine oder mehrere Wiederholungen der Sequenz: Drehung gefolgt von Spiegelung in einer Ebene senkrecht zur Drehachse S n(1), Sn2 , ..., S nnK1

2

1

2

σ

5 6

3

3

1

3 i

4

4

3

2

4 6

1

2

5

3

4

12

3

5

4

S6

6

45

6

S6

2

1

K

Identität E, keine Veränderung des Moleküls

2

1

5 6

3

4

E

2

1

5 6

31 4

3

S62 = C3

K

2

5

S6, S 6 (Z C3), S 6 (Z i), S 6 (Z C 3) und S 6 sind die Symmetrieoperationen, die sich aus einer S6-Achse ergeben

3

4

2 5

6

564 a)

3 Komplex-. Koordinationschemie

Die Spiegelebenen werden üblicherweise noch mit einem kleinen Index versehen, der ihre Lage zur Hauptdrehachse anzeigt. Der Index h K horizontal (σh) bezeichnet eine Spiegelebene senkrecht zur Hauptachse, die Indizes v K vertikal (σv) und d K diedrisch (σd) Spiegelebenen, die die Hauptachse enthalten. Der Unterschied zwischen den letzten beiden besteht darin, dass es sich um zwei verschiedene Sätze von Spiegelebenen handelt. Vertikale Spiegelebenen können nicht durch Symmetrieoperationen in diedrische überführt werden. So enthält die Punktgruppe D4h (siehe nachfolgende Skizze) jeweils zwei vertikale und zwei diedrische Spiegelebenen. Innerhalb des Satzes sind die Spiegelebenen über die C4-Operation ineinander überführbar [σv(1) $% σv(2) usw.]. Bei der Punktgruppe D4h ist es beliebig, welcher der beiden Sätze als vertikale und welcher als diedrische Spiegelebene bezeichnet wird. In anderen Punktgruppen, bei denen nur ein Satz von Spiegelebenen vorliegt, spricht man in der Regel von vertikalen Spiegelebenen (σv), es sei denn, die Spiegelebenen des alleinigen Satzes sind gleichzeitig Winkelhalbierende von C2-Achsen. Dann bezeichnet man sie als diedrische Spiegelebenen (σd). C4

C4

C4

σh σv(1) b)

σv(2)

σd(1) σd(2)

Bei Vorliegen einer Drehspiegelachse Sn können gleichzeitig noch eine Drehachse gleicher Zähligkeit (Cn) und eine dazu senkrechte Spiegelebene (σh) als separate Symmetrieelemente vorliegen. Dies ist in den Punktgruppen Cnh und Dnh der Fall. In den Punktgruppen Dnd und Sn dagegen liegen Drehspiegelachsen vor, aber die gedankliche Drehachse und senkrechte Spiegelebene, aus denen sie sich aufbauen, sind keine eigenständigen Symmetrieelemente.

Bei einer Drehachse Cn und Drehspiegelachse Sn ergibt sich der Drehwinkel 360( aus der Zähligkeit, d. h. dem Index n gemäß n Z Drehwinkel. Eine zweizählige Drehachse C2 führt zu einer Drehung um 180(. Eine C3-Achse gibt eine Drehung um 120( für die Operation C3 und um 240( für die Operation C 32. Eine vierzählige Achse C4 entspricht einer Drehung um 90(, 180( oder 270( für die Symmetrieoperationen C4, C 42 (ZC2) und C 43. Die Drehachse mit der höchsten Zähligkeit wird immer als Hauptachse gewählt. Symmetrieoperationen zu verschiedenen Symmetrieelementen können identisch sein (s. Tabelle 3.21). So ist die S6-Achse colinear mit einer C3-Achse, die Symmetrieoperationen S 62 Z C3 und S 64 Z C 32 sind damit identisch. Außerdem ist hier die Symmetrieoperation S 63 gleich der Punktspiegelung am Inversionszentrum i. Die Gesamtheit aller Symmetrieoperationen für ein Molekül oder allgemein einen geometrischen Körper bildet eine Punktgruppe. Für eine Punktgruppe gilt die mathematische Gruppendefinition (Gültigkeit des Assoziativgesetzes, Abgeschlossenheit bezüglich der inneren Verknüpfung, neutrales Element, inverses Element zu jedem Element). Die Punktgruppen werden mit den so genannten Schönflies-Symbolen C2v , D4h, Oh, Td usw. gekennzeichnet. Die in den Punktgruppen enthaltenen Symmetrieoperationen sind in Charaktertafeln tabelliert. Für die Zuordnung einer Punktgruppe zu einem Molekül oder allgemein einem geometrischen Gebilde kann das Schema in Abb. 3.65 verwendet werden.

3.20 Anhang

565

1) Das Molekül gehört zu einer speziellen Gruppe: a) Lineares Molekül: C∞v, D∞h b) Liegen mehrere Achsen höherer Ordnung vor: T, Th, Td, O, Oh, I, Ih 2) Existieren keine Dreh- oder Drehspiegelachsen: C1, Cs, Ci 3) Es gibt es nur eine Sn-Achse (n gerade): S4, S6, S8, ... 4) Es gibt eine Cn-Achse (unabhängig von evtl. vorliegender S2n-Achse)

keine C2- senkrecht zu Cn-Achse

keine σ's Cn

n C2- senkrecht zu Cn-Achse

σh

n σv's

keine σ's

σh

n σd's

Cnh

Cnv

Dn

Dnh

Dnd

Abb. 3.65 Schema zur Symmetrieeinordnung von Molekülen und geometrischen Körpern.

Die oberste Reihe jeder Charaktertafel enthält ganz links das Schönflies-Symbol für die Gruppe und dann die Symmetrieoperationen, die in Klassen zusammengefasst sind (Tabelle 3.22). So gehören z. B. die Symmetrieoperationen C4 und C 43 in der Punktgruppe D4h (s. u.) zu einer Klasse. Es ergibt sich so der Eintrag 2C4, d. h. 2 Operationen finden sich in der Klasse C4. Wie oben dargelegt, gehören auch jeweils die beiden σv- oder σd-Spiegelebenen zu einer Klasse, sodass sich damit die Eintragungen 2σv oder 2σd erklären. Die Gesamtzahl der Symmetrieoperationen einer Gruppe ist die Gruppenordnung. Tabelle 3.22 Allgemeine Darstellung zum Aufbau und der Bedeutung einer Charaktertafel. PunktgruppenSchönfliesSymbol

Klassen der Symmetrieoperationen und Zahl der Operationen je Klasse (s. Tabelle 3.21)

Symmetrie der p-Orbitale; Infrarot-Aktivität der irreduziblen Darstellung

Symmetrie der d-Orbitale; Raman-Aktivität der irreduziblen Darstellung

Symmetriesymbol der irreduziblen Darstellung (A, B, E, T, s. Tabelle 3.23)

(Zahlenblock) Charaktere der irreduziblen Darstellungen Zahlenreihe Z irreduzible Darstellung

p-Orbitale x, y, z; die p-Orbitale verhalten sich wie die IRaktiven Translationskomponenten; Rotationskomponenten Rx, Ry , Rz

d-Orbitale xy, xz, yz, z2, x2Ky2; die d-Orbitale verhalten sich wie die Komponenten der Ramanaktiven Polarisierbarkeit

566

3 Komplex-. Koordinationschemie

Tabelle 3.23 Symmetriesymbolik der irreduziblen Darstellungen, der Schwingungen und Orbitale. Bedeutung Symbol

A, a

eindimensionale Darstellung, symmetrisch bezüglich der Drehung um die Hauptachse, rotationssymmetrisch B, b eindimensionale Darstellung, antisymmetrisch bezüglich der Drehung um die Hauptachse E, e zweidimensionale Darstellung, zweifach entartete Schwingungen oder Orbitale, Auftreten in Molekülen mit einer Drehachse Cn und nR3 T, t dreidimensionale Darstellung, dreifach entartete Schwingungen (F, f) oder Orbitale, Auftreten in Molekülen mit mehr als einer C3-Achse (z. B. Tetraeder, Oktaeder) Index, unten 1 symmetrisch bezüglich σv oder einer C2-Achse senkrecht zur Hauptachse 2 antisymmetrisch bezüglich σv oder einer C2-Achse senkrecht zur Hauptachse g symmetrisch bezüglich Punktspiegelung i u antisymmetrisch bezüglich Punktspiegelung i Index, oben # symmetrisch bezüglich σh, wenn kein Symmetriezentrum vorliegt $ antisymmetrisch bezüglich σh, wenn kein Symmetriezentrum vorliegt C symmetrisch bezüglich σv in linearen Molekülen K antisymmetrisch bezüglich σv in linearen Molekülen

Neben der obersten Reihe besteht jede Charaktertafel aus vier Bereichen (Tabelle 3.22). Im Hauptblock mit den Zahlen finden sich die Charaktere der irreduziblen Darstellungen (Repräsentationen) zu den jeweiligen Klassen. Jede Zahlenreihe ist eine irreduzible Darstellung. Die Zahl der Klassen ist gleich der Zahl der irreduziblen Darstellungen, sodass das Zahlenschema immer quadratisch sein muss. Den irreduziblen Darstellungen und der Gruppentheorie kommt eine große Bedeutung in der Atom- und Molekülspektroskopie zur Klassifizierung von Zuständen und zur Aufstellung von Auswahlregeln zu. Die Charaktere leiten sich aus einer Matrixdarstellung der Symmetrieoperationen her. Anschaulich kann man sagen, dass der Charakter angibt, wie sich eine Schwingung oder ein Orbital des Moleküls in Bezug auf eine Symmetrieoperation verhält. Der Eintrag 1 drückt zum Beispiel ein symmetrisches Verhalten, K1 ein antisymmetrisches Verhalten aus (s. u.). Jeder irreduziblen Darstellung in der Punktgruppe wird entsprechend ihrer Dimension und ihrem Symmetrieverhalten (vgl. Tabelle 3.23) ein Symmetriesymbol (A, B, E, T) zugeordnet, das sich in der ganz linken Spalte befindet. Bei der Symmetriebeschreibung von Schwingungen und Orbitalen werden die entsprechenden Kleinbuchstaben verwendet (a, b, e, t). Diesen Buchstabensymbolen können noch tief- oder hochgestellte Indizes (1, 2, g, u, #, $, C, K) angefügt sein (Tabelle 3.23). Sodann gibt es noch zwei Bereiche rechts vom Zahlenblock. In diesen Bereichen sind Sätze von algebraischen Funktionen oder Vektoren also auch die Winkelfunktion von Orbitalen angegeben, die als Basis für

3.20 Anhang

567

die jeweilige irreduzible Darstellung dienen können. Im ersten Bereich findet man die sechs Symbole x, y, z, Rx, Ry , Rz. Die ersten drei stehen für die Koordinaten x, y, z oder für die p-Orbitale oder die IR-aktiven Translationskomponenten, während die Rs für die Rotationen um die jeweiligen Achsen stehen. Im ganz rechten Bereich sind formal die Quadrate und binären Produkte der Koordinaten ihren Symmetrieeigenschaften zugeordnet. Die jeweiligen d-Orbitale mit diesen Indizes werden entsprechend transformiert. Hinweis: Das s-Orbital am Zentralatom wird immer gemäß der total symmetrischen irreduziblen Darstellung (A, A1, A# oder A1g, je nach Punktgruppe) transformiert, da es keine Winkelabhängigkeit aufweist. Abbildung 3.66 verdeutlicht die Transformation von ausgewählten Orbitalen für die Punktgruppe C2v . C2 z

Charakter

C2 y

–1

σv(xz)

x σv(xz)

(dxz)

σv(yz)

1

σv(yz)

C2 IR

σv(xz)

B1 (dxy)

–1

σv(yz)

Charakter 1 –1

IR A2

–1

Abb. 3.66 Schematische Darstellung der Transformation ausgewählter Orbitale in der Punktgruppe C2v und ihre Zuordnung zu einer irreduziblen Darstellung (IR).

Die Charaktertafeln für die in der Koordinationschemie wichtigen Punktgruppen C2v , D4h, Oh, Td sind im Folgenden wiedergegeben. Zur jeweiligen Punktgruppe sind Beispiele für Koordinationspolyeder angegeben. C2v: A

A

A M A

B

A

B

A

M

B

B

cis-MA4B2 und cis-MA2B2

C2v

E

C2

σv(xz)

σv#(yz)

A1 A2 B1 B2

1 1 1 1

1 1 K1 K1

1 K1 1 K1

1 K1 K1 1

z Rz x, Ry y, Rx

x2, y2, z2 xy xz yz

568

3 Komplex-. Koordinationschemie

D4h: A A

A

M

B A

A

A

A

M

A

A

A

A

M

A

A

tetragonal-verzerrtes Oktaeder MA6, transMA4B2, quadratisch-planare Koordination MA4

B

A

D4h

E 2 C4

A1g A2g B1g B2g Eg A1u A2u B1u B2u Eu

1 1 1 1 2 1 1 1 1 2

C2

2 C2# 2 C2$

1 1 1 1 1 K1 K1 1 1 K1 1 K1 0 K2 0 1 1 1 1 1 K1 K1 1 1 K1 1 K1 0 K2 0

1 K1 K1 1 0 1 K1 K1 1 0

i 2 S4 1 1 1 1 2 K1 K1 K1 K1 K2

1 1 K1 K1 0 K1 K1 1 1 0

σh 2σv 2σd 1 1 1 1 K2 K1 K1 K1 K1 2

1 K1 1 K1 0 K1 1 K1 1 0

1 K1 K1 1 0 K1 1 1 K1 0

Rz (Rx, Ry)

x2Cy2, z2 x2Ky2 xy (xz, yz)

z (x, y)

Td: A A

M A

A

reguläres Tetraeder

Td

E

8 C3

3 C2

6 S4

6 σd

A1 A2 E T1 T2

1 1 2 3 3

1 1 K1 0 0

1 1 2 K1 K1

1 K1 0 1 K1

1 K1 0 K1 1

x2Cy2Cz2 (Rx, Ry , Rz); (x, y, z)

(2 z2Kx2Ky2, x2Ky2) (xy, xz, yz)

3.20 Anhang

569

Oh: A

A

A M A

A

A

reguläres Oktaeder 2

Oh

E 8 C3 6 C2 6 C4 3 C2(ZC 4)

i 6 S4 8 S6 3 σh 6 σd

A1g A2g Eg

1 1 1 1 1 1 K1 K1 2 K1 0 0

1 1 2

1 1 1 1 K1 1 2 0 K1

T1g T2g A1u A2u Eu T1u T2u

3 0 K1 1 3 0 1 K1 1 1 1 1 1 1 K1 K1 2 K1 0 0 3 0 K1 1 3 0 1 K1

K1 K1 1 1 2 K1 K1

x2Cy2Cz2

1 1 1 K1 2 0

3 1 0 K1 K1 3 K1 0 K1 1 K1 K1 K1 K1 K1 K1 1 K1 K1 1 K2 0 1 K2 0 K3 K1 0 1 1 K3 1 0 1 K1

(Rx, Ry , Rz)

(2 z2Kx2Ky2, x2Ky2) (xz, yz, xy)

(x, y, z)

3.20.2 Systematische Ermittlung von Russell-Saunders-Termen Beispiel Kohlenstoffatom. Die Elektronenkonfiguration des C-Atoms ist 1s2 2s2 2p2. Vollständig gefüllte Schalen oder Unterschalen sind für das Auffinden der Terme unwichtig, da für sie immer ML Z 0 und MS Z 0 gilt. Zu berücksichtigen sind also nur die beiden p-Elektronen. Für die p-Unterschale ist l Z 1 und jedes p-Elektron kann die ml-Werte C1, 0 und K1 annehmen. Die möglichen ML-Werte liegen daher zwischen C2 und K2 (ML Z Smli) (s. Abschn. 3.9.7). Für jedes der beiden p-Elektronen ist außerdem ms Z C1.2 oder K1.2, sodass die möglichen MS-Werte C1, 0 und K1 sind (MS Z Smsi). In Tabelle 3.24 sind alle erlaubten Kombinationen von ml und ms den ML- und MS-Werten zugeordnet. Die 15 möglichen Kombinationen ergeben sich anschaulich aus den Besetzungsvariationen der drei p-Orbitale mit zwei Elektronen. Dabei muss nur auf das Pauli-Prinzip geachtet werden, darauf, dass nicht beide Elektronen ein Orbital mit gleichem Spin besetzen. Die Gesamtzahl der möglichen Mikrozustände N ergibt sich nach [2 (2l C1)]! mit l Z Nebenquantenzahl und x Z Elektronenzahl x![2 (2l C1) K x]! ml

+1 0 –1

usw.

Kurznotation (1+,1–)

ML 2

MS 0

(1+,0+)

1

1

(0+,–1–)

–1

0

570

3 Komplex-. Koordinationschemie

Aufgrund seiner Entartung von (2 S C 1) · (2 L C 1) bildet jeder 2 SC1L-Term in der Tabelle eine Anordnung von Mikrozuständen, die aus (2 S C 1)-Spalten und (2 L C 1)-Zeilen besteht. Ein 1D-Term mit S Z 0 und L Z 2 ist 1 · 5 Z 5-fach entartet. Zu ihm gehören fünf ML.MS-Kombinationen in einer Spalte mit fünf Zeilen (hellgrau unterlegt in Tabelle 3.24). Ein 3P-Term mit S Z 1 und L Z 1 ist 3 · 3 Z 9-fach entartet. Er besteht aus neun ML.MS-Kombinationen in drei Spalten mit je drei Zeilen (dunkelgrau unterlegt). Der 1S-Term (S Z 0, L Z 0) ist nicht entartet und besitzt nur eine Anordnungsmöglichkeit der Elektronen, d. h. eine ML.MS-Kombination (keine Schattierung). Die ML.MS-Kombinationen für p2 führen zu den drei Zuständen 3P, 1D und 1S. Tabelle 3.24 ML.MS-Zustände für die Elektronenkonfiguration p2. Als Eintragungen in die Tabelle sind noch die einzelnen ml -Werte angegeben, die dann den ML-Wert ergeben. Entsprechendes gilt für die ms-Werte, von denen der Übersichtlichkeit halber C1.2 und K1.2 nur mit einem hochgesetzten C und K gekennzeichnet sind. Zur Schattierung siehe Text. ML

MS 0

C1

K1 C

2 1 0 K1 K2

(1C, 0C) (1C,K1C) (K1C, 0C)

C

(1C, 0K) (1C,K1K) (K1C, 0K)

K

(0 , 0 )

K

(1 , 1 ) (1K, 0C) (1K,K1C) (K1K, 0C) (K1C,K1K)

(1K, 0K) (1K,K1K) (K1K, 0K)

Beispiel Übergangsmetallatom mit einer d2-Konfiguration. Zu berücksichtigen sind zwei d-Elektronen. Für die d-Unterschale ist l Z 2 und jedes d-Elektron kann die ml -Werte C2, C1, 0, K1 und K2 annehmen. Die möglichen ML-Werte Tabelle 3.25 ML.MS-Zustände für die Elektronenkonfiguration d2. Als Eintragungen in die Tabelle sind noch die einzelnen ml-Werte angegeben, die dann den ML-Wert ergeben. Entsprechendes gilt für die ms-Werte, von denen der Übersichtlichkeit halber C1.2 und K1.2 nur mit einem hochgesetzten C und K gekennzeichnet sind. Zur Schattierung siehe Text. ML

MS 0

C1 4 3 2 1 0 K1 K2 K3 K4

C

(2C, 1C) (2C, 0C) (1C, 0C) (2C,K1C) (1C,K1C) (2C,K2C) (0C, 0K) (K1C, 0C) (K2C, 1C) (K2C, 0C) (K2C,K1C)

(2C, 1K) (2C, 0K) (2C,K1K) (2C,K2K) (K2C, 1K) (K2C, 0K) (K2C,K1K)

K1

K

(2 , 2 ) (2K, 1C) (2K, 0C) (2K,K1C) (2K,K2C) (K2K, 1C) (K2K, 0C) (K2K,K1C) (K2C,K2K)

(1C, 1K) (1C, 0K) (1K, 0C) (1C,K1K) (1K,K1C) (K1C, 0K) (K1K, 0C) (K1C,K1K)

(2K, 1K) (2K, 0K) (2K,K1K) (1K, 0K) (2K,K2K) (1K,K1K) (K2K, 1K) (K1K, 0K) (K2K, 0K) (K2K, 1K)

3.20 Anhang

571

liegen daher zwischen C4 und K4 (ML Z Smli). Für jedes der beiden d-Elektronen ist außerdem ms Z C1.2 oder K1.2, sodass die möglichen MS-Werte wiederum C1, 0 und K1 sind (MS Z Smsi). In Tabelle 3.25 sind alle erlaubten Kombinationen von ml und ms den ML- und MS-Werten zugeordnet. Es gibt NZ

[2 (2l C 1)]! x![2 (2l C 1) K x]!

Z

10! Z 45 2! · 8!

mögliche ML.MS-Mikrozustände für l Z 2 und x Z 2.

Man beginnt die Auflösung der Mikrozustände immer mit der oder den längsten Spalten. In Tabelle 3.25 findet man eine (2 S C 1 Z 1) Spalte, die aus neun (2 L C 1 Z 9) Zeilen besteht. Diese (1 · 9)-Anordnung gehört einem 1G-Term (L Z 4). Außerdem ist die (1 · 1)-Anordnung eines 1S-Terms zu erkennen. Denkt man sich diese grau unterlegten Zustände heraus, so verbleibt die nachstehende Tabelle. Als längste Spalten finden sich hier solche, die aus sieben (2 L C 1 Z 7) Zeilen aufgebaut sind und zwar deren drei (2 S C 1 Z 3) (hell schattierte Bereiche). ML 4 3 2 1 0 K1 K2 K3 K4

MS 0

C1

(1C, 0C) (1C,K1C) (K1C, 0C)

(2C, 1C) (2C, 0C) (2C,K1C) (2C,K2C) (K2C, 1C) (K2C, 0C) (K2C,K1C)

(2C, 1K) (2C, 0K) (2C,K1K) (2C,K2K) (K2C, 1K) (K2C, 0K) (K2C,K1K)

(1C, 1K) (1C, 0K) (1C,K1K) (K1C, 0K) (K1C,K1K)

K1 (2K, 1K) (2K, 0K) K C (1 , 0 ) (2K,K1K) (1K, 0K) (1K,K1C) (2K,K2K) (1K,K1K) (K1K, 0C) (K2K, 1K) (K1K, 0K) (K2K, 0K) (K2K, 1K)

Diese (3 · 7)-Anordnung aus 21 Mikrozuständen gehört zu einem 3F-Term (L Z 3). Des Weiteren verbleiben noch eine (1 · 5)-Anordnung (dunkle Schattierung) und eine (3 · 3)-Anordnung (keine Unterlegung). Erstere entspricht einem 1 D-Term, letztere einem 3P-Term. Zu einer d2-Konfiguration gehören somit die Terme: 3F, 3P, 1G, 1D und 1S. In Tabelle 3.26 sind die Russel-Saunders-Terme für die Elektronenkonfigurationen d1-d9 angegeben, der erste Term ist jeweils der Grundterm. Der Gleichartigkeit in den Termen für dn und d10Kn liegt die Elektron-Loch-Analogie zugrunde. Tabelle 3.26 Russell-Saunders-Terme für die Elektronenkonfigurationen d1-d9. Konfiguration

2 SC1

d1, d2, d3, d4, d5

2

d9 d8 d7 d6

L-Terme

D F, 3P, 1G, 1D, 1S 4 F, 4P, 2H, 2G, 2F, 2x2D, 2P 5 D, 3H, 3G, 2x3F, 3D, 2x3P, 1I, 2x1G, 1F, 2x 1D, 2x 1S 6 S, 4G, 4F, 4D, 4P, 2I, 2H, 2x 2G, 2x2F, 3x2D, 2P, 2S 3

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3 Komplex-. Koordinationschemie

Weiterführende Literatur Allgemeines Übersicht zu Bindungslängen von Organometall- und Koordinationsverbindungen der Metalle des d- und f-Blocks: A. G. Orpen, L. Brammer, F. H. Allen, O. Kennard, D. G. Watson, R. Taylor, J. Chem. Soc. Dalton Trans. 1989, S1KS83.

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Abschnitt 3.15: Metall-Metall-Bindungen und Metallcluster Metall-Metall-Bindungen: F. A. Cotton, R. A. Walton, Multiple Bonds Between Metal Atoms, 2. Aufl., Clarendon Press, Oxford, 1993. F. A. Cotton et al., Science 2002, 298, 1971. F. A. Cotton in Perspectives in Coordination Chemistry (Hrsg. A. F. Williams, C. Floriani, A. E. Merbach), Verlag Helvetica Chimica Acta, Basel, 1992, S. 321ff. PtdTl-Bindung: V. J. Catalano et al., J. Am. Chem. Soc. 2001, 123, 173. Au3-Komplex: J. Zank et al., J. Chem. Soc. Dalton Trans. 1998, 323. Zn2(C5Me5)2: I. Resa et al., Science 2004, 305, 1136. W^Sb: G. Balazs, M. Sierka, M. Scheer, Angew. Chem. 2005, 117, 4999. W^Ge-Ge^W: A. C. Filippou et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2005, 44, 5979. ModRe: J. P. Collman et al., Angew. Chem. 2001, 113, 1311K1314. CrdCr-Fünffachbindung: T. Nguyen et al., Science 2005, 310, 844K847. 2K UV-PES zu Re2Cl 8 : X.-B. Wang, L.-S. Wang, J. Am. Chem. Soc. 2000, 122, 2096K2100. Co2 (CO)8: P. C. Leung, P. Coppens, Acta Cryst. B 1983, 39, 535. Fe2 (CO)9: F. A. Cotton, J. M. Troup, J. Chem. Soc., Dalton Trans. 1974, 800. Ru2(µ-O2CMe)4 (H2O)2: A. J. Lindsay et al., J. Chem. Soc., Dalton Trans. 1985, 2321. Ru2 (µ-O2CMe)4 (O2CMe)2: M. G. B. Drew et al., Chem. Comm. 1987, 1385. Mo2(OCAd)4 (thf)2: F. A. Cotton et al., Inorg. Chim. Acta 1992, 197, 149. [M2Cl9]3K: C. Janiak et al., Chem. Ber. 1993, 126, 631K643 und dort zit. Lit. Cr2 (O2CAr')4 (thf)2: F. A. Cotton, J. L. Thompson, Inorg. Chem. 1981, 20, 1292. Mo2(O2CPh)4 (thf)2: F. A. Cotton, Jianrui Su, J. Cluster Sci. 1995, 6, 39. W2 (O2CAr)4 (thf)2: F. A. Cotton, W. Wang, Inorg. Chem. 1984, 23, 1604. [Li4 (THF)4] [Cr2 (CH3)8]: J. Krausse et al., J. Organomet. Chem. 1970, 21, 159K168. [Li4 (THF)4] [Mo2 (CH3)8]: F. A. Cotton et al., J. Am. Chem. Soc. 1974, 96, 3824. [Li4 (Ether)4] [W2 (CH3)8]: D. M: Collins et al., Inorg. Chem. 1978, 17, 2017. [As@Ni12@As20]3K: M. J. Moses et al., Science 2003, 300, 778.

Abschnitt 3.16: Medizinische Anwendungen von Metallkomplexen Rote Liste, Arzneimittelverzeichnis, Editio Cantor Verlag, Aulendorf, 2006. Z. Guo, P. J. Sadler, Angew. Chem. 1999, 111, 1610K1630. Goiânia-Nuklearunfall: L. Roberts, Science 1987, 238, 1028.

578

3 Komplex-. Koordinationschemie

Cisplatin und -DNA-Addukte: S. E. Sherman, S. J. Lippard, Chem. Rev. 1987, 87, 1153. J. Reedijk, Pure Appl. Chem. 1987, 59, 181K192. S. J. Lippard, Pure Appl. Chem. 1987, 59, 731K742. P. M. Takahara et al., Nature 1995, 377, 649. H. Huang et al., Science 1995, 270, 1842. C. W. Schwietert, J. P. McCue, Coord. Chem. Rev. 1999, 184, 67K89. [Tc (CNR)6]C: S. Liu, Chem. Soc. Rev. 2004, 33, 445K461.

Abschnitt 3.17: Koordinationspolymere Übersichtsartikel: Eddaoudi et al., Acc. Chem. Res. 2001, 34, 319. C. Janiak, Dalton Trans. 2003, 2781. Kesanli, Lin, Coord. Chem. Rev. 2003, 246, 305. Rao et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2004, 43, 1466. Kitagawa et al., Angew. Chem. Int. Ed. 2004, 43, 2334. Kitagawa, Uemura, Chem. Soc. Rev. 2005, 34, 109. Rowsell, Yaghi, Angew. Chem. Int. Ed. 2005, 44, 4670. Mueller et al., J. Mater. Chem. 2006, 16, 626. Kepert, Chem. Commun. 2006, 695. Kitagawa et al., Chem. Commun. 2006, 701. Gasspeicherung: M. Eddaoudi et al., Science 2002, 295, 469. N. L. Rosi et al., Science 2003, 300, 1127. Katalyse: J. S. Seo et al., Nature, 2000, 404, 982. Magnetismus: S. Batten, Murray, Coord. Chem. Rev. 2003, 246, 103. D. Maspoch et al., J. Mater. Chem. 2004, 14, 2713K2723. Spincrossover: O. Kahn et al., Chem. Mater. 1997, 9, 3199. G. J. Halder et al., Science 2002, 298, 1762.

Abschnitt 3.18: Lumineszenz bei Metallkomplexen NO-Sensoren: K. J. Franz et al., Angew. Chem. 2000, 39, 2194. N. Soh et al., Chem. Commun. 2002, 2650. Metall-Sensoren: G. Klein et al., Chem. Commun. 2001, 561. T. Hirano et al., Angew. Chem. 2000, 112, 1094. V. W.-W. Yam et al., Angew. Chem. Int. Ed. 1998, 37, 2857. DNA-Sensor: X.-J. Yang et al., Inorg. Chim. Acta 2001, 318, 103K116, und dort zit. Lit. E. Rüba et al., Inorg. Chem. 2004, 43, 4570K4578. Organische Moleküle: T. Gunnlaugsson et al., Chem. Commun. 2002, 2134. M. A. Mansour et al., J. Am. Chem. Soc. 1998, 120, 1329. E. Cariati et al., Chem. Commun. 1998, 1623. pH-Sensor: L. Fabbrizzi et al., Inorg. Chem. 2002, 41, 4612. L. Fabbrizzi et al., Chem. Eur. J. 2002, 8, 4965. Logische Schalter: A. P. de Silva, N. D. McClenaghan, J. Am. Chem. Soc. 2000, 122, 3965. A. P. de Silva, Nachr. Chemie 2001, 49, 602K606. T. Gunnlaugsson et al., Chem. Commun. 2000, 93.

Abschnitt 3.19: Methoden zur Untersuchung von Metallkomplexen 31

P-NMR: P. S. Pregosin, R. W. Kunz, 31P and 13C NMR of transition metal phosphine complexes, in NMR Basic Principles and Progress, Bd. 16 (Hrsg. P. Diehl, E. Fluck, R. Kosfeld), Springer, Heidelberg 1979, S. 94K95. Magnetismus: H. Lueken, Magnetochemie, Teubner Verlag 1999. Cyclovoltammetrie: J. Heinze, Angew. Chem. 1984, 96, 823K840. DTG-, TG-, DTA- und MS-Trend-scan-Kurven: B. Paul et al., CrystEngComm 2004, 6, 293K297.

Weiterführende Literatur

579

Abschnitt 3.20: Anhang Molekülsymmetrie und Gruppentheorie: F. A. Cotton, Chemical Application of Group Theory, 1.K3. Auflage, Wiley-Interscience, New York. I. Hargittai, M. Hargittai, Symmetry through the Eyes of a Chemist, VCH, Weinheim, 1986. Für eine stärker mathematisch ausgerichtete Behandlung der Gruppentheorie, siehe D. Wald, Gruppentheorie für Chemiker, VCH, Weinheim, 1985.

4 Organometallchemie Christoph Janiak

4.1 Einleitung und Metall-Kohlenstoff-Bindung Definition. Komplexe mit organischen Kohlenstoff-Donorliganden werden als organometallische oder metallorganische Verbindungen bezeichnet. MetallcyanidVerbindungen zählen nicht zur metallorganischen Chemie, Metallcarbonyl-Komplexe sehr wohl. Auch molekulare Metallhydride, Phosphan-, Nitrosyl- u. a. Komplexe können aufgrund eines ähnlichen Metall-Ligand-Bindungscharakters und chemischen Verhaltens zur Organometallchemie gerechnet werden, ohne dass eine direkte Metall-Kohlenstoff-Bindung vorliegt. Auch ohne eine solche Ähnlichkeit werden in der Literatur manchmal Koordinationsverbindungen mit organischen Liganden, die nur über Heteroatome wie Sauerstoff oder Stickstoff an das Metallatom binden, in einer stark erweiterten Definition als metallorganische Verbindungen bezeichnet. Unter dem Begriff Organometallchemie wird andererseits oft nur eine Übergangsmetall-organische Chemie verstanden und der Bereich der Hauptgruppenverbindungen ausgeklammert. Die organische Chemie der Halbmetalle Bor, Silicium, Arsen und auch des Phosphors gehört ebenfalls zur Organometallchemie und wird genauer mit dem Begriff elementorganische Chemie beschrieben. Diese Bezeichnung kann allerdings auch die gesamte Hauptgruppenmetall-organische Chemie meinen. Übergangsmetall- versus Hauptgruppenmetall-organische Chemie. Die häufig vollzogene Trennung in der Organometallchemie zwischen Übergangs- und Hauptgruppenmetallen hat eine Berechtigung im chemischen Verhalten und dem Metall- oder Element-Kohlenstoff-Bindungscharakter. Bei den Übergangsmetallen und auch den Actinoiden findet man kovalente σ- und vor allem π-MdCKomplexe. Letztere sind bei den Hauptgruppenelementen seltener anzutreffen. Die Übergangsmetall-organische Chemie ist wesentlich durch π-Rückbindungen zwischen Metallatom und π-Akzeptorligand geprägt. Bei den Hauptgruppenmetallen findet man typischerweise kovalente Mehrzentren- („Elektronenmangel“-)Verbindungen (Li, Be, Mg, B, Al), ionogene Komplexe (NaKCs, CaKBa), oder kovalente σ-MKC-Komplexe (übrige Hauptgruppenelemente). Die d10-Metalle Zn, Cd und Hg bilden fast ausschließlich kovalente σ-MKC-Komplexe und zählen daher zu den Hauptgruppenmetall-organischen Verbindungen. Die Organolanthanoide sind überwiegend ionogen gebaut und in ihrer Chemie den Organoverbindungen der Erdalkalimetalle ähnlich.

582

4 Organometallchemie

Überblick zum vorherrschenden MdC-Bindungscharakter der Elemente

Die ionischen MdC-Bindungen bei den Alkali-, Erdalkalimetallen und den Lanthanoiden mit Metallkationen und den organischen Gruppen als Carbanionen sind sehr reaktiv gegenüber Wasser oder Sauerstoff. Das Carbanion ist eine starke Base. Übergangsmetallkomplexe mit ausschließlich kovalenten σ-Metall-Alkyl-Bindungen sind selten. Sie sind wegen unvollständig gefüllter d-Orbitale und der Tendenz des Alkylrestes zur Abspaltung über eine β-Wasserstoffeliminierung instabil: α

β CH2 CH R

β-Wasserstoffeliminierung (β-H-Eliminierung)

H

Hydrometallierung

LnM

LnM–H + H2C=CH–R

Generell sind Alkylkomplexe stabiler, wenn keine β-Wasserstoffatome vorhanden sind, wie z. B. in MdCH3, MdCH2dSiMe3, MdCH2dPh (s. Abschn. 4.3.6). Trotz ihres geringeren sterischen Anspruchs sind Methylkomplexe deshalb häufig stabiler als analoge Ethylverbindungen. Organometall- versus klassische Werner-Komplexchemie. Die Bindungen in Organo-Übergangsmetall- und verwandten Spezies sind kovalenter, und das Metallatom liegt in einer reduzierteren Form als in klassischen Werner-Metallkomplexen vor. In klassischen Metallkomplexen binden die Liganden L über freie Elektronenpaare der Donoratome an das Metallatom. In metallorganischen Verbindungen können Liganden vorliegen, die wie Ethen, H2C]CH2, oder Diwasserstoff, HdH, kein freies Elektronenpaar besitzen. Ethen koordiniert über sein C]C-bindendes π-Orbital und -antibindendes π*-Orbital in einer M !$ L-σHin- und M $% L-π-Rückbindung an das Metallatom (s. Abschn. 4.3.4.1). Die fast immer bindenden Beiträge der M $% L-π-Rückbindung sind wichtig und charakteristisch in typischen Übergangsmetall-organischen Verbindungen. Diwasserstoff koordiniert über sein bindendes σ-Orbital und das antibindende σ)Orbital in einer σ-Donor- und π-Akzeptorbindung an das Metallatom. Es entsteht ein σ-Bindungskomplex. Analoge σ-Bindungskomplexe werden bei Koordination von CdH-, SidH- oder BdH-Bindungen an ein Metallatom gebildet (s. Abschn. 4.3.5, agostische Wechselwirkungen). Die wesentliche M $% L-π-Rückbindung in ein leeres antibindendes Orbital des Liganden schwächt dortige Atombindungen. Dies führt zur Aktivierung von starken und ursprünglich wenig reaktiven Bindungen im freien Liganden und ist die Grundlage der Metallkatalyse. Beispiele sind die Aktivierung von CO, von Olefinen oder von H2 durch Metallkoordination (s. Abschn. 4.3.6). Auf der ande-

4.1 Einleitung und Metall-Kohlenstoff-Bindung

583

ren Seite können sehr reaktive und in freier Form instabile Teilchen durch Metallkoordination stabilisiert werden, indem ihre reaktiven HOMOs oder LUMOs in einer Metall-Ligand-Bindung eingebunden werden. Beispiele sind die Bildung von Cyclobutadien- oder Carben-Metallkomplexen. Ein Merkmal der metallorganischen Chemie der Übergangsmetalle ist die Aktivierung von inerten Verbindungen und die Stabilisierung von labilen Teilchen durch Metallkoordination. Die metallorganische Chemie behandelt vor allem stöchiometrische und katalytische Reaktionen von C-gebundenen Liganden. In der klassischen Koordinationschemie steht dagegen eher das Metallatom mit seinen Eigenschaften im Mittelpunkt, und die Liganden spielen eine mehr passive Rolle. In vielen metallorganischen Verbindungen sind fluktuierendes, dynamisches Verhalten und Platzwechsel der Liganden typische Eigenschaften. Die Reaktivitäten von Organometallverbindungen hängen auch eng mit der Natur und Stabilität der MdC-Bindung selbst zusammen. Allgemein haben Metall-Kohlenstoff-Bindungen im Vergleich mit Metall-Stickstoff-, -Sauerstoff- und -Halogen-Bindungen eine niedrigere Bindungsenthalpie. Diese Schwäche der MdC-Bindung führt zu ihrer höheren Reaktivität, die für Anwendungen, z. B. in der Katalyse, gezielt genutzt wird (s. Abschn. 4.4). Geschichtliches. Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden metallorganische Verbindungen intensiv untersucht und konnten trotz ihres oft luftempfindlichen Charakters gehandhabt werden. Grundlegende Arbeiten zu vielen Metallalkylen wurden seit 1849 durch Edward Frankland geleistet. Diese Studien waren jedoch hauptsächlich auf σ-gebundene Organometallderivate der Hauptgruppenelemente und der d10-Übergangsmetalle beschränkt. Die Synthese der Organoverbindungen von Mg, Zn, Cd, Hg, Al, Sn, Pb, Sb und anderer Hauptgruppenmetalle diente vielfach dem Studium von Radikalen. Die Verbindungen fanden als Alkylüberträger Anwendungen in organischen Reaktionen (Stichwort: Grignard). Die Entwicklung der Organometallchemie vollzog sich in dieser Zeit am Rand der klassischen organischen Chemie. Ab 1928 entwickelte Walter Hieber die Chemie der Metallcarbonyle, die zunächst wie klassische Koordinationsverbindungen behandelt wurden. Mit der Entdeckung des Ferrocens im Jahre 1951 und dem Verständnis für einen neuartigen Bindungstyp zwischen Metallatomen und ungesättigten organischen Gruppen (π-Bindungen) begann die moderne Ära der Organometallchemie, die durch die Übergangsmetallkomplexe dominiert wurde. Die Verfügbarkeit physikalischer Analysemethoden wie der EinkristallStrukturanalyse und der NMR-Spektroskopie war dabei von enormer Bedeutung für die Entwicklung des Forschungsgebiets. Mittlerweile sind katalytisch und stöchiometrisch eingesetzte metallorganische Reagenzien aus der organischen Synthese nicht mehr wegzudenken. Wichtige anorganische Materialien, z. B. Halbleiterschichten, werden aus metallorganischen Vorstufen über Gasphasenabscheidungen (Gasphasenepitaxie) dargestellt. Bio- und Umwelt-organometallische Chemie sind Teilbereiche der Organometallchemie. Das Methylcobalamin (s. Vitamin B12) und das Adenosylcobalamin (Coenzym B12, s. Abschn. 3.10.5 und 5.8) sind bekannte Beispiele für das Auftreten direkter Metall-Kohlenstoff-Bindungen in lebenden Organismen. In Abhängigkeit von der Art der CodC-Bindungsspaltung können Vitamin B12 und sein · Coenzym als natürliches Grignard-Reagenz (CRK 3 -Überträger), als CR3 -RadiC kalquelle oder auch als CR3 -Überträger dienen. Sie haben Bedeutung für Bio-

584

4 Organometallchemie

methylierungen (allgemein Bioalkylierungen), womit die Überführung von Metallatomen aus anorganischen Verbindungen in Metall-CH3-Komplexe bezeichnet wird. Mit der Biomethylierung werden Metallatome aus ihren Verbindungen mobilisiert und in sehr viel toxischere Metall-Methyl-Spezies überführt. Prinzipiell handelt es sich bei Biomethylierungen um natürlich ablaufende Prozesse. Mit der Verwendung von Metallen in Konsumgütern oder unsachgemäßer Beseitigung von Metallabfällen kam es durch Biomethylierungen aber zu unrühmlichen Vergiftungserscheinungen, bei der auch Todesfälle nicht ausblieben. Eine anorganische Kupfer-Arsen-Verbindung der Formel [3 Cu (AsO2)2 · Cu (OOCCH3)2], das Schweinfurter Grün, wurde im 19. Jahrhundert vielfach als grüner Farbstoff für Tapeten eingesetzt. Durch den Schimmelpilz Penicillium brevi caule wurde aus der anorganischen Komplexverbindung das gasförmige, sehr giftige Trimethylarsan, Me3As, entwickelt. Auf die Einleitung anorganischer Quecksilberabfälle in die Minamata-Bucht (Japan) von 1930 bis in die späten 1960er Jahre war eine Massenerkrankung (Minamata-Krankheit) mit über 14 000 irreparabel Geschädigten und 55 Todesfällen zurückzuführen. In den Meeressedimenten kam es durch Biomethylierung zur Bildung des stabilen Methylquecksilberkations, MeHgC, das sich über die Nahrungskette durch kontaminierten Fisch im Körper der küstennahen Bewohner der Bucht anreicherte. 1971K72 kam es zu einer Massenvergiftung von 40 000 Personen im Irak nach dem Verzehr von Brot aus Getreide, das mit Methylquecksilber als Fungizid behandelt worden war. Das hochgiftige MeHgC bindet vor allem an Cystein-Thiolgruppen. Es kann dadurch die Blut-Hirn-Schranke überwinden, schädigt das Gehirn und das Zentralnervensystem durch Zerstörung von Nervenzellen. Methylquecksilber wird im Organismus langsam zu anorganischem Quecksilber demethyliert. Die Ausscheidung als hauptsächlich anorganisches Quecksilber beträgt etwa 1 % der Gesamtbelastung an Methylquecksilber pro Tag. Ein reaktives NidCH3-Fragment wurde im Enzym Kohlenmonoxid-Dehydrogenase.Acetyl-Coenzym-A-Synthase (CODH.ACS) aus Moorella thermoacetica (früher Clostridium thermoaceticum) nachgewiesen. Die Methylierung des Nickelatoms erfolgt durch Heterolyse einer CH3-Cobalt (III)-Bindung eines corrinoiden-FeS-Proteins. In der ACS-Untereinheit reagiert die Nickel-CH3-Gruppe mit CO zu einer Acetylfunktion, die dann auf Coenzym A (CoA) übertragen wird. Die Bildung von Acetyl in CODH.ACS ist das biologische Äquivalent zum Monsanto-Essigsäure-Prozess (s. Abschn. 4.4.1.2). Das CO stammt aus einer CO2-Reduktion in der CODH-Untereinheit. CO2 + 2 H+ + 2e–

CH3-CoIII-CFeSP

–H2O

-CFeSP

O

Cys [Fe4S4]

S

O CH3-C-SCoA + H+

CoI CH3

C M

Cys O

S

L S unbekannt

Ni

N

N

O CFeSP = corrinoides-FeS-Protein CoA = Coenzym A

[Fe4S4] O

S

HSCoA

O C M

CH3 O S

L S unbekannt

Ni

N

N

O

O Cys = Cystein M = Cu oder Ni (noch Gegenstand von Diskussionen)

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

585

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle Die ionogenen Alkali- und Erdalkalimetallorganyle werden zusammen mit den organischen Verbindungen des Thalliums (und der Zinktriade) auch als polare metallorganische Reagenzien bezeichnet. (Die organischen Verbindungen der d10-Metalle Zink, Cadmium und Quecksilber werden oft zu den Hauptgruppenorganylen gerechnet.) Die polaren organischen Verbindungen von Lithium, Magnesium und Zink sowie teilweise von Natrium und Kalium sind Schlüsselreagenzien für die moderne organische Synthese. Gemeinsam ist den polaren Reagenzien, dass das metallgebundene Kohlenstoffatom eine negative Ladung trägt und das Metallatom kationischer Natur ist. Der ionische Bindungscharakter ist in allen Fällen stärker ausgeprägt als der kovalente. Eine verallgemeinernde Sicht als rein ionische Spezies aus Carbanionen und Metallkationen ist aber eine zu starke Vereinfachung. Für die Unterschiede im Reaktionsverhalten von polaren metallorganischen Reagenzien muss man die zusätzlichen kovalenten Wechselwirkungen des Metallatoms mit dem organischen Rest, den umgebenden Lösungsmittelmolekülen und schließlich auch dem Substrat berücksichtigen.

4.2.1 Alkalimetallorganyle Alkalimetallorganyle können aus Alkalimetall und organischen Halogen- oder CdH-aciden Verbindungen durch Metall 4 Halogen- oder Metall 4 H-Austausch in einer Redoxreaktion synthetisiert werden: RKHalogen C 2 M $% RKMC C MCHalogenidK 1

RKHδC C M $% RKMC C H2 2

Die ionischen Alkalimetallorganyle sind alle sehr luft- und feuchtigkeitsempfindlich, in reiner Form zum Teil pyrophor (selbstentzündlich) und müssen in inerter Atmosphäre, d. h. unter Schutzgas, gehandhabt werden. Die Reaktion mit Sauerstoff führt zur Bildung von Alkoxiden: 2 RKMC C O2

$% 2 R K OKMC

Mit Wasser und anderen protischen Reagenzien reagieren die stark basischen Carbanionen unter Rückbildung der zugrunde liegenden Kohlenwasserstoffe: RKMC C H2O $% RH C MOH

Im Vergleich mit Organolithiumverbindungen kommt den Organylen der höheren Alkalimetalle nur eine sehr geringe Bedeutung zu. Eine Ausnahme bildet lediglich Cyclopentadienylnatrium (C5H5Na, CpNa) als Cyclopentadienyl-Transferreagenz. Lithiumorganyle sind löslich in Ethern oder Kohlenwasserstoffen. Sie sind empfindlich gegen Sauerstoff, Kohlendioxid und protische Reagenzien (Feuchtigkeit), mit denen die Organyle jeweils unter Bildung von Lithiumalkoxiden, -carboxylaten und den zugrunde liegenden Kohlenwasserstoffen reagieren. In reinem Zustand sind Organolithiumverbindungen pyrophor. Lithiumorganyle werden als

586

4 Organometallchemie

Grignard-analoge Reagenzien für die Übertragung von organischen Gruppen, als Metallierungsreagenz oder als Reduktionsmittel in organischen und metallorganischen Synthesen eingesetzt (Tab. 4.1). Die Produktionsmenge an Organolithiumverbindungen wird auf 1 800 t.Jahr geschätzt. Die technische Darstellung erfolgt in einer Direktsynthese aus Lithiummetall und Alkyl- oder Arylhalogeniden: RKHalogen C 2 Li $% RLi C LiCHalogenidK

R Z n.sec.tBu, Me, Ph Halogen Z Cl, Br, I

Die Verbindungen werden als Lösung in Kohlenwasserstoffen bei 25K70 (C unter Stickstoff als Schutzgas synthetisiert. Die Gegenwart von 0.5K2 % Natrium Tabelle 4.1 Eigenschaften und Anwendungen wichtiger Organolithiumverbindungen. Verbindung

Eigenschaften

n-Butyllithium, BuLi

farblose, brennbare Flüssigkeit; Schmp. K76 (C; destilliert bei 1 mbar und 80K90 (C; kommerziell als 15 %ige (und konzentrierte) Lösung in Kohlenwasserstoffen (Hexan) erhältlich

n

sec-Butyllithium, BuLi tert-Butyllithium, t BuLi sec

Methyllithium, MeLi

Phenyllithium, PhLi

Anwendungen

Metallierungsreagenz für organische Verbindungen durch Metall 4 Halogenaustausch oder durch Deprotonierung von CdHaciden Verbindungen, d. h. Darstellung lithiierter Zwischenstufen RLi; derart erhaltene Carbanionen (RKLiC) werden dann weiter mit Elektrophilen umgesetzt; Anionischer Initiator zur Herstellung von Synthesekautschuk des Styrol-Butadien-Typs, Polybutadien und Polyisopren durch anionische Polymerisation farblose Flüssigkeit, nucleoAnionischer Initiator für Styrolphiler und instabiler als nBuLi Butadien Block-Copolymere feste, kristalline Substanz; zur Einführung von tert-Butylsublimiert bei 10K3 bar und gruppen in organische oder metall70K80 (C; kommerziell als organische Verbindungen; 15K20 %ige Lösung in Kohlen- durch sterische Hinderung selekwasserstoffen erhältlich; tives Deprotonierungsmittel reaktivste der Butyllithiumverbindungen; größte Basizität bei reduzierter Nucleophilie bedingt durch sterische Effekte praktisch unlöslich in Kohlendirekte Addition der Methylgruppe wasserstoffen; stabiler als nBuLi; an C]C-, C]O- oder C^N-Mehrkommerziell als 5 %ige Lösung fachbindungen. Die 1,4-Addition in Diethylether erhältlich an C]CdC]O erfolgt in Gegenwart von CuI in reiner Form farblose Kristalle; kommerziell als 20K25 %ige Lösung in Cyclohexan.Diethylether (70.30) erhältlich

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

587

im Lithiummetall beschleunigt die Reaktion. Durch Zentrifugieren und Filtrieren werden das überschüssige Lithiummetall und das gebildete Lithiumhalogenid abgetrennt. Als Nebenreaktion bei der Darstellung ist die Wurtz-Fittig-Reaktion von Bedeutung: RKHalogen C RLi $% RKR C LiCHalogenidK

Kommerziell erhältliche Lithiumorganyle, wie Methyllithium oder n-Butyllithium können über Ligandenaustauschreaktionen zur Darstellung anderer Lithiumorganyle verwendet werden (Metallierungsreagenzien): C6F5Br C nBuLi $% C6F5Li C nBuBr C5Me5H C MeLi $% C5Me5Li C MeH

Lösungen von Butyllithiumverbindungen zersetzen sich selbst in Kohlenwasserstoffen durch β-Wasserstoffeliminierung langsam zum Olefin und Lithiumhydrid (vgl. die Strukturbeschreibung von nBuLi). Im Falle von n-Butyllithium beträgt die Zersetzung 0.06 % pro Monat bei 20 (C. Für Methyllithium steht dieser Reaktionsweg nicht zur Verfügung, und die Verbindung ist entsprechend stabiler als Butyllithium (s. Abschn. 4.1). In etherischen Lösungsmitteln, insbesondere Tetrahydrofuran, erfolgt zusätzlich Zersetzung durch Spaltung der Etherbindung. Weitere Schwankungen im Gehalt von Organolithiumlösungen können durch das Verdunsten des Lösungsmittels und die Reaktion der aktiven Spezies mit Sauerstoff zu Lithiumalkoxiden auftreten. Vor der stöchiometrischen Verwendung von Alkyllithiumreagenzien ist deshalb eine Gehaltsbestimmung empfehlenswert. Experimentelle Durchführung der maßanalytischen Doppelbestimmung nach Gilman: Eine definierte Menge (z. B. 1 ml) der Organolithiumlösung wird mit Wasser (10 ml) hydrolysiert und nach Zusatz eines Indikators (z. B. Phenolphthalein) mit verdünnter Salzsäure (z. B. 0.1 mol.l) titriert: RLi C ROLi C 2 H2O $% RH C LiCOHK C ROH C LiCOHK

Aus dieser Titration erhält man den Gesamtanteil an basischen RLi- und ROLiBestandteilen. Zur Ermittlung des Gehalts an Alkoxiden wird eine zweite definierte Menge der Organolithiumlösung zu einem flüssigen Alkylhalogenid (typischerweise 1,2-Dibromethan, 1 ml) gegeben. An der Reaktion nimmt nur die aktive Organolithiumkomponente teil, die dadurch in „neutrale“ Komponenten überführt wird, während das Alkoxid noch unverändert vorliegt: RLi C ROLi C BrCH2CH2Br $% RBr C LiBr C C2H4 C ROLi

Eine jetzt durchgeführte Hydrolyse (10 ml H2O) und volumetrische Hydroxidbestimmung ergibt nur den Gehalt an Lithiumalkoxid. Aus der Differenz der beiden Analysen lässt sich der gesuchte Gehalt an Organolithium berechnen. Diese Rechnung gestaltet sich am einfachsten, wenn jeweils 1 ml Alkyllithiumlösung hydrolysiert und mit Salzsäure der Konzentration 0.1 mol.l titriert wird. Der Organolithiumgehalt (in mol.l) ist dann die dimensionslose Differenz der verbrauchten HCl-Volumina multipliziert mit 0.1 mol.l (und eventuell dem Faktor der Salzsäure). Eine andere Möglichkeit der Gehaltsbestimmung verwendet die Bildung intensiv gefärbter organischer Dianionen zur Endpunktsanzeige in der umgekehrten

588

4 Organometallchemie

Titration einer geeigneten Maßlösung, die zugleich Indikator ist, wie z. B. Diphenylessigsäure, N-Pivaloyl-o-toluidin, N-Pivaloyl-o-benzylanilin oder 1,3-Diphenyl-2-propanon-p-toluolsulfonylhydrazon. Ein abgemessenes Äquivalent des Indikators (etwa zwischen 0.9 und 2.0 mmol) wird unter Schutzgas in einem Schlenkkolben als Lösung in trockenem Tetrahydrofuran (THF) vorgelegt. Die zu bestimmende Organolithiumlösung wird über ein Septum aus einer graduierten Spritze zu der gerührten THF-Lösung getropft. Das Auftreten einer Farbänderung zeigt den Endpunkt an, d. h. die Zugabe eines Äquivalents Alkyllithium. Eine dritte titrimetrische Gehaltsbestimmung nutzt die Zersetzung einer definierten Menge der Alkyllösung mit einer sec-Butanol-Maßlösung. Zur Endpunktsanzeige wird der Alkyllösung ein chelatisierender Stickstoffheterocyclus (wie 2,2’Bipyridin, 1,10-Phenanthrolin) als Indikator zugesetzt. Dieser bildet mit den Metallionen einen gefärbten Komplex, dessen Farbe am Äquivalentspunkt durch Zersetzung verschwindet. Lithium als Element der ersten Achterperiode unterscheidet sich wie erwartet stärker von seinen schweren Homologen. Die Besonderheit von Lithiumorganylen ist ihre ausgeprägte Tendenz, oligomere Einheiten (RLi)n zu bilden. Strukturuntersuchungen an Festkörpern, Molmassenbestimmungen an Lösungen und massenspektroskopische Messungen belegen das Vorliegen der Oligomere, wenn auch eventuell mit unterschiedlichem Assoziationsgrad in allen drei Phasen. oligomere (RLi)n-Strukturen im Festkörper: (MeLi)4

H3C

(tBuLi)4

CH3

Li

Li

(nBuLi)6

Li

H2C

H2C Li

CH3

Li

Li

CH3

H2C

Li

Li

Me3C

Li

Li CMe3

CH2 Li

CMe3

Li

CH2

Li

CH2

Li

Li

CMe3

CH3 (angedeutete Wechselwirkung zwischen Nachbarwürfeln) in Lösung: tetramer in THF, Et2O monomer in Me2NCH2CH2NMe2 (tmeda)

hexamer in KWST tetramer in Et2O (KWST = Kohlenwasserstoffe)

tetramer in KWST dimer in Et2O monomer in THF

Die tetramere Anordnung von MeLi und tBuLi kann als Li4-Tetraeder beschrieben werden, bei dem jede Fläche von einer Methyl- oder tert-Butylgruppe überdacht ist. Das gesamte (RLi)4-Oligomer stellt sich in Bezug auf die Lithiumund die direkt angebundenen Kohlenstoffatome als Würfel dar, dessen Ecken alternierend von Li und C besetzt sind. Im MeLi-Festkörper kommt es darüber hinaus zu Wechselwirkungen zwischen benachbarten Würfeln, die sich über alle acht Ecken erstrecken. Die Koordinationssphäre der Lithiumatome wird von einer Methylgruppe aus dem Nachbarwürfel vervollständigt, d. h. jede Methylgruppe ist noch an ein Lithiumatom eines benachbarten Li4-Tetraeders koordiniert. Die starken intermolekularen Wechselwirkungen bedingen und erklären die Unlöslichkeit von Methyllithium in nichtkoordinierenden Lösungsmitteln. In

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

589

der Festkörperstruktur von n-BuLi liegt ein Grundgerüst aus sechs Lithiumatomen in verzerrt oktaedrischer Anordnung als trigonales Antiprisma vor. Sechs der acht Dreiecksflächen des Li6-Gerüsts sind durch eine n-Butyl-Einheit überdacht, zwei Dreiecke bleiben frei. In der Festkörperstruktur beobachtet man weiterhin relative kurze Kontakte von Lithiumatomen zu den β-C-Atomen der Butylkette. Der Alkyllithium-Aggregationsgrad ist in unpolaren Kohlenwasserstoff-Lösungen höher als in etherischen Lösungsmitteln. Stärker koordinierende Donormoleküle (Tetrahydrofuran, Tetramethylethylendiamin) können die Assoziate bis hin zu Monomeren abbauen. Ein größerer sterischer Anspruch der organischen Gruppen verringert die Tendenz zur Assoziation wie der Vergleich von nBuLi und tBuLi zeigt. Das chemische Verhalten von polaren metallorganischen Spezies wird nicht nur durch die Stellung des Metallatoms zum organischen Rest, sondern sehr wesentlich auch durch die Aggregation und Solvatation beeinflusst, sodass Kenntnisse dieser Details für ein Verständnis der Reaktivität wichtig sind. Im Allgemeinen ist bei lithiumorganischen Verbindungen (und anderen assoziierten metallorganischen Reagenzien) die reagierende Spezies das Monomer und nur gelegentlich ein Dimer oder höheres Aggregat. Zunächst muss also eine teilweise Dissoziation erfolgen. Die relativ fest gebundene tetramere MeLi-Struktur führt dazu, dass Methyllithium ab einer Konzentration von 0.5 mol.l in THF sogar weniger reaktiv ist als Phenyllithium. Die Bildung oligomerer Einheiten bei Lithiumorganylen kann auf die ausgeprägten kovalenten Anteile der Lithium-C-Bindung zurückgeführt werden. Betrachtet man den Grenzfall eines kovalenten RLi-Moleküls, so wird deutlich, dass am Lithiumatom ein Elektronenmangel herrscht. Eine Orbitalbeschreibung macht die tetramere Li4-Anordnung und Flächenüberdachung sowie bei (MeLi)4 die Wechselwirkung mit benachbarten Einheiten verständlich. Aus 12 der 16 (sp3Hybrid-)Orbitale der vier Lithiumatome lassen sich in der tetraedrischen Anordnung vier energiegleiche (entartete) Fragmentorbitale bilden, die jeweils über eine Dreiecksfläche Li3-bindend sind: 4 sp3-Hybridorbitale an Li

Li

Li x4 Li

Li

Li

4 bindende Fragmentorbitale, je eins über jede Tetraederfläche

Die 8 weiteren Orbitalkombinationen, die über die Dreiecksflächen möglich sind, sind LidLi-nichtbindende Orbitale. Die vier Li3-bindenden Fragmentorbitale können mit den Orbitalen der vier CH3-Gruppen zu je vier LidC-bindenden und -antibindenden Molekülorbitalen überlappen. Aufgrund der Elektronegativitätsdifferenz zwischen Lithium und Kohlenstoff sind die bindenden Li3C-Orbitale mehr an den C-Atomen lokalisiert, die antibindenden Kombinationen entsprechend an den Lithiumatomen (s. relativer Beitrag der Fragmentorbitale zu den Molekülorbitalen):

590

4 Organometallchemie Li

Li

Li

Li

Li

Li

Li

Li

Li

Li

CH3 Li

CH3

CH3 (vollständige Besetzung)

Li

Die vier LidC- und gleichzeitig Li3-bindenden Molekülorbitale sind mit acht Elektronen (je eins von jedem Lithiumatom und jeder Methylgruppe) vollständig besetzt, sodass für die Struktur die optimale Elektronenzahl zur Verfügung steht. Jedes bindende Li3C-Molekülorbital entspricht einer 4-Zentren.2-ElektronenBindung. An den Lithiumatomen verbleibt aber jeweils noch ein Orbital, das für die bisherigen Wechselwirkungen nicht in Betracht gezogen wurde. Diese Orbitale sind entlang der C3-Achsen des Tetraeders nach außen gerichtet und können mit „rückwärtigen“ Orbitallappen der CH3-Gruppe einer benachbarten tetrameren Einheit überlappen. Unter Berücksichtigung der Verknüpfung von vier Lithiumatomen durch eine Methylgruppe liegt dann eine 5-Zentren.2-ElektronenBindung vor. Li

Li

Li

Li

Li

CH3

Li

Li

Li

Die ionischen π-Komplexe der Alkalimetalle werden in Abschn. 4.2.7 erwähnt.

4.2.2 Erdalkalimetallorganyle In dieser Gruppe kommt den Verbindungen des Magnesiums, die als vielseitige Reagenzien in der organischen Synthese eingesetzt werden, die Hauptbedeutung zu. Wichtig sind Organomagnesiumhalogenid- oder so genannte Grignard-Verbindungen. Diese RMgX-Verbindungen entstehen in einer radikalischen Reaktion an der Oberfläche des Metalls bei der Umsetzung von Alkyl- oder Arylhalogeniden mit Magnesium-Spänen in wasserfreien polaren Lösungsmitteln wie Diethylether oder Tetrahydrofuran (Direktsynthese): Ether

RKHalogen C Mg $$$% RKMgKHalogen

Halogen (X) Z Cl, Br, I

Die Formulierung von Grignard-Verbindungen als RdMgdX ist eine starke Vereinfachung. In Lösung besteht, abhängig vom verwendeten Lösungsmittel,

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

591

der Konzentration und der organischen Gruppe, ein kompliziertes Gleichgewicht zwischen momomeren solvatisierten und oligomeren Magnesium-Spezies, unter denen sich auch Diorganylmagnesium und Magnesiumhalogenid befindet. Dieses komplexe System wird auch als Schlenk-Gleichgewicht bezeichnet. In Tetrahydrofuran (THF) als Lösungsmittel liegt das Gleichgewicht über einen weiten Konzentrationsbereich auf der Seite der monomeren solvatisierten RMgX (THF)2Spezies. In Diethylether überwiegen halogenverbrückte Oligomere, die in Form von Ringen oder Ketten vorliegen können: Lösungsgleichgewichte von Grignard-Verbindungen R' R' R' O X O R R'

Mg

R

O R' R'

R

R' O

Mg

R2Mg(OR'2)2 + MgX2(OR'2)2

2 R Mg X

Mg X

O

R'

R'

R'

X

X

R

Mg

R

(X = Cl, Br, I)

n

R' O R'

Mg X

O R' R'

Anders als bei Alkalimetallorganylen weist die Magnesium-Kohlenstoff-Bindung vorwiegend kovalente Anteile auf. Die leichte Darstellung von RMgX-Verbindungen und der Carbanionen-Charakter der Organylgruppe begründen die vielfältige Verwendung der Grignard-Reagenzien in der organischen Synthese für nucleophile Additionsreaktionen. Die eigentliche Grignard-Reaktion ist die Addition von RMgX an die Carbonylfunktion in Aldehyden oder Ketonen, die nach Hydrolyse des intermediären Magnesiumalkoxids zu primären (R1,2 Z H), sekundären (R1 Z H) oder tertiären Alkoholen führt: R–Mg–X + R1

O C

O

Ether R2

R1

C

R

Mg–X R2

OH

H2O R1

C

R

R2

+ MgX(OH) (X = Cl, Br, I)

In ähnlicher Weise kann auch eine Reaktion der Grignard-Reagenzien mit Carbonsäureestern, Kohlendioxid, Nitrilen oder Epoxiden erfolgen. Auf π-Komplexe der Erdalkalimetalle Beryllium und Magnesium wird in Abschn. 4.2.7 eingegangen.

592

4 Organometallchemie

4.2.3 Organyle der 13. Gruppe: B, Al Organoborverbindungen Bororganische Verbindungen sind luftempfindliche, teilweise pyrophore Stoffe. Die Entdeckung der Hydroborierungsreaktion, d. h. der Addition von Boranen an Doppelbindungen durch Herbert C. Brown lieferte ab 1960 einen eleganten Zugang zu Trialkylborverbindungen. Später zeigte sich das präparative Potential dieser Organoborverbindungen durch ihre alkalische Oxidation mit H2O2 zu Alkoholen: Hydroborierung zu Trialkylboranen 3

R1

R3

R2

H

BH3

R2

R1 R3

und deren Anwendung zur Synthese von Alkoholen

B H H

3

H2O2/NaOH –B(OH)3

entspricht Addition von H2O

3

anti-Markownikoff-Hydratisierung des Alkens

R2

R1 R3 OH H H

Weiterentwickelte nützliche Hydroborierungsreagenzien mit hoher Regioselektivität sind z. B. 9-Borabicyclo[3.3.1]nonan (9-BBN) und Lithium-cyclododecacis,cis,trans-1,5,9-triylborat: regioselektive Organoborane als Hydroborierungsreagenzien H B



H B

H B

H



H

H

9-Borabicyclo[3.3.1]nonan 9-BBN-H ("Banana-Boran")

Li+

Lithium-cyclododecacis,cis,trans-1,5,9-triylborat

Boronsäuren sind organische Derivate der Borsäure mit der allgemeinen Formel RdB (OH)2. Boronsäuren reagieren mit Alkoholen unter Abspaltung von Wasser zu Boronsäureestern (Boronate). Erste Anwendungen waren der Schutz und die Derivatisierung von 1,2- und 1,3-Diolen. Derartige cyclische Boronate wurden als flüchtige Derivate auch vielfach für GC- und GC.MS-Zwecke benutzt.

HO H

R1

OH R2

H

+

R B

HO OH Boronsäure

O –2H2O

R1

R B

O R2

Boronsäuren sind enorm wichtige Edukte (Intermediate) für Palladium-katalysierte Suzuki- (auch genannt Suzuki-Miyaura-)Kreuzkupplungen:

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

Z

B(OH)2 +

+2H2O –H3O+

Pd(PPh3)4 (3 Mol%)

X

oxid. Add.

Z' Pd0

2Na2CO3 Benzol/H2O

Z

Z'

+

+2

Ar'–Pd–OH

X = Cl, Br, I

reduktive Eliminierung unter C–C-Kupplung

+2

Ar'–Pd–X +Na+/OH– –NaX

[Ar–B(OH)3]–

593

+2



–[B(OH)4]

Ar–Pd–Ar'

vorgeschlagener Reaktionsmechanismus (Pd-katalysiert)

Triethylboran, Et3B wird zusammen mit Lithium-tert-butoxyaluminiumhydrid für die reduktive Spaltung von Ethern oder Epoxiden eingesetzt. Es desoxygeniert zudem primäre und sekundäre Alkohole. Organoaluminiumverbindungen Diese sind industriell seit etwa 1950 von Bedeutung durch die Arbeiten von Karl Ziegler zur Aufbaureaktion für Ethenoligomere und die Entdeckung der Niederdruck-Olefinpolymerisation (Ziegler-Natta-Katalyse). In diesen industriellen Verfahren werden Aluminiumorganyle als stöchiometrische Reagenzien oder Cokatalysatoren eingesetzt. Entsprechend ihrer Bedeutung haben in der Literatur Abkürzungen für aluminiumorganische Verbindungen Eingang gefunden. Gebräuchlich sind TMA für Trimethylaluminium, TEA für Triethylaluminium, TIBA für Triisobutylaluminium, DEAC für Diethylaluminiumchlorid, DIBAH für Diisobutylaluminiumhydrid und MAO für Methylalumoxan. TEA ist vom Produktionsvolumen her das wichtigste Aluminiumorganyl. Pro Jahr werden etwa 50 000 Tonnen Organoaluminiumverbindungen hergestellt. Eigenschaften. Trialkylaluminiumverbindungen sind farblos und bei Raumtemperatur Flüssigkeiten, die fast alle Schmelzpunkte unter 0 (C aufweisen; Ausnahmen sind TMA (15.3 (C) und TIBA (1.0 (C). Mit Luftsauerstoff und Wasser (allgemein protischen Reagenzien) erfolgen sehr heftige, z.T. explosionsartige, und stark exotherme Reaktionen. Die kurzkettigen Alkyle sind an Luft selbstentzündlich (pyrophor). Die Handhabung von Aluminiumalkylen verlangt ein sorgfältiges Arbeiten (Transport usw.) unter Inertgas. Beim Umfüllen größerer Mengen sind entsprechende Sicherheitsbestimmungen zu beachten. Die Reaktivität der Verbindungen gegenüber Luft wird durch Verdünnen mit organischen Lösungsmitteln verringert, sodass im Laborbereich die Aluminiumalkyle besser als Lösung verwendet werden. Organoaluminiumhalogenide sind bereits deutlich weniger reaktiv. Aus Gründen der Einfachheit sind in den nachfolgenden Formeln die Organoaluminiumderivate nur monomer angegeben. Tatsächlich findet man in nichtkoordinierenden Lösungsmitteln bei nicht zu großen organischen Resten eine Alkylverbrückung der Aluminiumtrialkyle über Mehrzentrenbindungen und das Vorliegen dimerer Spezies (vgl. oligomere Lithiumorganyle). Zwischen Monomer und Dimer besteht bei Aluminiumalkylen ein Gleichgewicht in Abhängigkeit von Temperatur, Konzentration, Lösungsmittel und dem organischen Rest:

594

4 Organometallchemie R 3C 2

R 3C

Al CR3

R 3C

R 3C

R3 C Al

Al C R3

CR3

CR3

Der Grad der Dimerisierung nimmt in der Reihe CR3 Z Me O Et O iPr O tBu ab, wobei das Gleichgewicht für das tert-Butylderivat vollständig auf der linken Seite liegt, d. h. die Verbindung AltBu3 ist monomer. Das stabilste Dimer Al2Me6 besitzt eine Dissoziationsenthalpie von 84 kJ.mol und liegt auch in der Gasphase als solches vor. Für die Ethylverbindung sinkt die Enthalpie auf 71 kJ.mol und für Al2 iPr6 beträgt sie nur noch etwa 34 kJ.mol. Die Abnahme der Dissoziationsenthalpie spiegelt die schnelle Zunahme der sterischen Hinderung für eine verbrückende Dimerisierung wider. Die Alkylverbrückung ermöglicht dem Aluminiumatom, seinen Elektronenmangel in der monomeren Form mit einem formalen Elektronensextett etwas zu beheben. Die beiden Aluminiumatome und die beiden Alkylbrücken bilden zwei 3-Zentren.2-Elektronen-Bindungen. Die Linearkombinationen der vier (R3C)2Al- und der zwei R3C-Fragmentorbitale führen zu zwei bindenden, zwei nichtbindenden und zwei antibindenden Molekülorbitalen, für deren Besetzung vier Elektronen zur Verfügung stehen. Die dimere Spezies ist deshalb keine Elektronenmangelverbindung mehr (obwohl oft als solche bezeichnet), da es die korrekte Elektronenzahl zur Besetzung aller bindenden MOs aufweist:

Molekülorbitalschema für die beiden 3-Zentren/2-Elektronen-Bindungen der Al2C2-Einheit in einem dimeren Aluminiumtrialkyl antibindend nichtbindend

bindend (R3C)2Al

Al(CR3)2

R3 C

R3 C Al(CR3)2

(R3C)2Al C R3

C R3

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

595

Die Organoaluminiumhalogenide sind ebenfalls dimer. Die Verbrückung erfolgt über die Halogenatome. Die Halogenatome bilden über ihre freien Elektronenpaare eine 2-Zentren.2-Elektronen-Bindung zu jedem der Aluminiumatome aus. Für die Synthese der Trialkylaluminiumverbindungen bietet sich in vielen Fällen das Ziegler-Direktverfahren („three-for-two process“) an, bei dem in der Bruttoreaktion aus Aluminiummetall, Wasserstoff und Olefin das Trialkylaluminiumprodukt dargestellt wird: Bruttoreaktion: Al C

3 2

H2 C 3 RCH]CH2 $% (RCH2CH2)3Al

Die Reaktion gliedert sich in zwei Schritte: Zunächst werden aus dem Metall, Wasserstoff und zwei Äquivalenten Trialkylaluminium drei Äquivalente Dialkylaluminiumhydrid erhalten („Vermehrung“): Vermehrung: Al C

3 2

80K160 (C

H2 C 2 (RCH2CH2)3Al ####$% 3 (RCH2CH2)2Al H 100K200 bar

Das Hydrid addiert sich dann in einer Hydroaluminierungsreaktion an das Olefin („Anlagerung“). Die Hydroaluminierung ist reversibel, die Umkehrung ist die Olefinabspaltung oder Dehydroaluminierung durch β-Wasserstoffeliminierung.

Die Stabilität von Aluminium-Alkyl-Bindungen nimmt in der Reihe -CH2CHR2 ! -CH2CH2R ! -CH2CH3 zu. Je weniger Verzweigungen in β-Stellung, desto stabiler ist das Aluminiumalkyl. Entsprechend steigt mit den Verzweigungen in β-Stellung die Bereitschaft zur Dehydroaluminierung. Über die Dehydro-.Hydroaluminierung-Gleichgewichtsreaktion können Alkylreste ausgetauscht werden. Triisobutylaluminium kann so als Edukt für andere Aluminiumalkyle eingesetzt werden. Höhere Aluminiumalkyle wie Tri-n-hexyl- und -octylaluminium werden über die Dehydroaluminierung aus Triisobutylaluminium dargestellt:

Die Konkurrenzreaktion der Carboaluminierung, d. h. der Einschub eines Olefins in die AldC-Bindung (s. u.) wird durch Temperaturkontrolle und Entfernung des Isobutens minimiert. Das Ziegler-Direktverfahren kann nicht für die Darstellung von Trimethylaluminium eingesetzt werden. Hierfür und auch zur Synthese einiger Organoaluminiumhalogenide wird die Umsetzung von Aluminiummetall mit Alkylhalogeniden zum Aluminiumsesquichlorid Me3Al2Cl3 verwendet. Bedeutung hat diese Route für Alkyl]Methyl und Ethyl: 4 Al C 6 MeCl $% 2 Me3Al2Cl3 Aluminiumsesquichlorid

596

4 Organometallchemie

In Verknüpfung mit einer Reduktion durch Natrium gelangt man vom Sesquichlorid zum Trimethylaluminium, TMA: 6 Me3Al2Cl3 + 6 NaCl

3 (Me2AlCl)2 (löslich) + 6 Na[MeAlCl3] (fest) 6 Na 4 Me3Al + 2 Al + 6 NaCl

Die Sesquichlorid-Reduktion ist zurzeit die ökonomischste Synthese für die Produktion von TMA. Trotzdem ist Trimethylaluminium das teuerste Aluminiumalkyl, was Bedeutung für das daraus gewonnene Methylalumoxan (MAO) hat (s. u.). Organoaluminiumhalogenide, die unter anderem wegen der Problematik von Eliminierungsreaktionen nicht aus Aluminiummetall und Alkylhalogenid erhalten werden können, z. B. iBu2AlCl und iBuAlCl2, können in Ligandenaustauschreaktionen aus Trialkylaluminium und AlCl3 synthetisiert werden: 2 R3Al C AlCl3 $% 3 R2AlCl R3Al C 2 AlCl3 $% 3 RAlCl2

Alumoxane (oder auch Aluminoxane) beinhalten die Baugruppe d(RAl)dOd, d. h. über Sauerstoffatome verbrückte (RAl)-Einheiten (vgl. Siloxane, Abschn. 4.2.4). Wenn R eine organische Gruppe ist, liegt ein Organoalumoxan vor. Diese werden durch kontrollierte partielle Hydrolyse von Aluminiumalkylen in einem organischen Lösungsmittel erhalten: H2O

n R3Al

Al O R

–2nRH

n

R2AlO Al O AlR2 R n–2

cyclische / lineare Oligomere

Der Wasserzusatz erfolgt im Labor am besten in Form von Eis oder als Kristallwasser anorganischer Salze, z. B. CuSO4 # 5 H2O oder Al2 (SO4)3 # w15 H2O. Auf diese Weise erreicht man eine relativ langsame heterogene Reaktion, und die vollständige Hydrolyse zum Aluminiumoxid wird verhindert. Je nach Größe des Alkylrestes variiert der Oligomerisationsgrad der Organoalumoxane. Alumoxane können als cyclische oder lineare Oligomere oder mit Käfigstrukturen vorliegen. Käfigstruktur des hexameren t-Butylalumoxans tBu

Al

O

O

tBuAl

AltBu O

O

AltBu

tBuAl

O

O

Al tBu

Methylalumoxan, MAO (R Z Me), hat als Cokatalysator für Metallocene in neuer Generation von Ziegler-Natta-Katalysatoren inzwischen eine größere Bedeutung erlangt (s. Abschn. 4.4.1.10). Dem Methylalumoxan kann man keine genaue

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

597

Struktur zuordnen. Vielfältige Versuche, MAO eindeutig zu charakterisieren, führten zu keinen befriedigenden Ergebnissen. Herstellungsbedingt liegen noch größere Mengen Trimethylaluminium im Gemisch mit Methylalumoxan vor. MAO wird wohl am besten als dynamisches System aus linearen, cyclischen und käfigförmigen Oligomeren beschrieben. Die Größe der Oligomere verändert sich mit der Lagerung und Konzentration. Kommerziell erhältliches Methylalumoxan hat als 10 Gew. %-ige Lösung in Toluol eine mittlere Molmasse von ca. 1100 g.mol.

Me O

Me Al Me2Al

Me

O

Al

Al

O

Al

O

Me Al

Me

O Al

O

Al

O

Me

Me

O

Me

O Me

Al

O

Al

O

Al

O

Al

Al

Me AlMe2

Me

Me

Strukturvorschläge für käfigförmige Oligomere in Methylalumoxan, MAO

Al Me

OO

Me Al

Al

Al

O

O

Al

Me

O Me

Me O Al Me

Technische Anwendung. Organoaluminiumhalogenide und Aluminiumtrialkyle werden als Aktivatoren (Cokatalysatoren) in der Ziegler-Natta-Katalyse zur Olefinpolymerisation eingesetzt. Als Präkatalysatoren dienen Titanhalogenide (TiCl3, TiCl4). Für die Katalysatoren der 1. Generation (bis etwa 1970) und 2. Generation (1970K80) fanden vor allem Et2AlCl oder Et3Al2Cl3 als Cokatalysatoren Verwendung. Für die 3. Generation der MgCl2-geträgerten TiCl4-Katalysatoren werden chlorfreie Aluminiumalkylverbindungen verwendet, insbesondere Et3Al. Bei den Zirconocenkatalysatoren der neuesten Generation kommt das Methylalumoxan zum Einsatz. Der genaue Mechanismus der Cokatalysatorwirkung ist noch nicht vollständig geklärt, was bei den klassischen Ziegler-NattaKatalysatoren mit deren heterogenem Charakter (Festkörperkatalysatoren) und bei den löslichen Metallocensystemen mit der Undefiniertheit des Methylalumoxans zusammenhängt. Folgende Cokatalysatorwirkungen seitens der Aluminiumorganyle gelten aber als gesichert: (i) Eine Alkylierung der ÜbergangsmetallKChlorid-Spezies, d. h. ein Chlorid 4 Alkyl-Austausch, und damit Bildung einer Übergangsmetall-Kohlenstoff-Bindung für die Insertion des Olefins; (ii) die Schaffung einer freien Koordinationsstelle für das Olefin durch Chlorid- oder Alkyl-Abstraktion vom Übergangsmetallatom und Übertragung auf das Aluminium; (iii) eine Putzmittel- (Scavenger-)wirkung gegenüber Verunreinigungen im Monomer, sodass eine zu schnelle Katalysatorvergiftung oder -desaktivierung verhindert wird. Trialkylaluminiumverbindungen finden weiterhin technische Anwendungen zur Herstellung linearer, primärer Alkohole. Das Verfahren wird nach seinem Entdecker auch als Ziegler-Prozess bezeichnet. Zunächst erfolgt der Aufbau höherer Aluminiumalkyle aus Triethylaluminium durch Insertion von Ethen in die AldC-Bindungen (Carboaluminierung, „Aufbaureaktion“):

598

4 Organometallchemie 160 (C

Aufbaureaktion: Et3Al C 3n CH2]CH2 ##$% 3 {EtK(CH2CH2)nK}3Al 100 bar

Die Formulierung der Aluminiumspezies mit jeweils gleich langen Alkylketten ist dabei eine Vereinfachung. Richtiger sind diese natürlich mit drei verschieden langen Alkylresten zu schreiben als {Et (CH2CH2)x} {Et (CH2CH2)y} {Et (CH2CH2)z}Al usw. Die Kettenlänge kann bei der Aufbaureaktion nicht beliebig lang werden, da die Insertionsreaktion in Konkurrenz zur Verdrängungsreaktion (Kettenübertragung) durch das Monomer (s. u.) und zur β-Wasserstoffeliminierung steht. Bevor die Kettenabspaltung an Bedeutung gewinnt, wird das Produkt der Carboaluminierung mit Luft zu Aluminiumalkoxiden oxidiert: Luftoxidation: {EtK(CH2CH2)nK}3Al C

3 2

O 2 $% {EtK(CH2CH2)nK O }3Al

Die Aluminiumalkoxide werden dann zu Alkoholen hydrolysiert: Hydrolyse: {EtK(CH2CH2)nKO}3Al C 3 H2O $% 3 EtK(CH2CH2)nKO H C Al( OH )3

Man erhält ein Alkoholgemisch mit Kettenlängen- (Poisson-)Verteilung zwischen etwa C6 und C20 und einem Maximum von 20K35 Gew. % für C12. Die zu über 95 % linearen Alkohole werden z. B. zu biologisch abbaubaren Tensiden und PVC-Weichmacherestern weiterverarbeitet. Daneben gibt es noch eine katalytische Variante der Ethenoligomerisierung, die die Aufbaureaktion mit der Verdrängungsreaktion oder Kettenübertragung durch das Monomer kombiniert: {Et–(CH2CH2)n–}3Al + 3 H2C=CH2

(CH3CH2)3Al + 3 Et–(CH2CH2)n–1–CH=CH2

CH2 CHR' R2Al H2C

H CH2

Übergangszustand

Auch hier ist die Schreibweise der Aluminiumalkyle mit drei gleich langen Alkylketten und deren gleichzeitige Abspaltung als Vereinfachung zu sehen. Das Ergebnis der Kettenübertragung durch das Monomer, das α-Olefin, ist identisch mit dem Produkt der β-Wasserstoffeliminierung. Die Kinetik beider Reaktionen ist allerdings eine andere: Während die Reaktionsgeschwindigkeit der β-Wasserstoffeliminierung nur von der Aluminiumalkyl-Konzentration abhängt, wird die Verdrängungsreaktion zusätzlich durch die Monomerkonzentration beeinflusst. Durch Re-Insertion der gebildeten α-Olefine in die Aluminium-Kohlenstoff-Bindung kommt es bei der katalytischen Ethenoligomerisierung mit zunehmender Kohlenstoffzahl auch zur Bildung eines höheren Anteils β-verzweigter Olefine (Vinyliden-Doppelbindungen):

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

599

R2 R2Al–CH2CH–CH2CH2R1

R2 R2Al–CH2CH2R1 + CH2=CH

+ CH2=CH2 R2 R2Al–CH2CH3 + CH2=C–CH2CH2R1

Die subvalenten Organyle der 13. Gruppe (mit Metallatomen in den Oxidationsstufen C1 und C2) werden in Abschn. 4.2.7 und 4.2.8 behandelt.

4.2.4 Organyle der 14. Gruppe: Si, Sn und Pb Organosiliciumverbindungen Das Gebiet der Organosiliciumchemie ist sehr forschungsintensiv mit über 1000 Veröffentlichungen pro Jahr. Zahlreiche grundlegende Arbeiten wurden von Kipping in England in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts geleistet, aber erst das Auffinden einer ökonomischen Darstellung der Organohalosilane RnSiCl4Ln führte zur heutigen wirtschaftlichen Bedeutung der Polyorganosiloxane (Silicone) als Werkstoffe. Rochow (USA) und Müller (Deutschland) entwickelten Anfang der 1940er Jahre die Direktsynthese von Organohalosilanen, die seitdem die ökonomische Basis der Siliconherstellung bildet. Man spricht auch von der Rochowoder Müller-Rochow-Synthese. Die Direktsynthese geht aus von relativ reinem Silicium (Reinheit O 99 %), welches fein vermahlen an einem Kupferkatalysator mit organischen Halogenverbindungen bei höheren Temperaturen zu einem Organohalosilangemisch umgesetzt wird: Rochow-Synthese Cu-Katalysator Si + MeCl 250-320 ºC 2-5 bar

Me3SiCl + Me2SiCl2 + MeSiCl3 2-4

typische Produktverteilung

70-90

5-15 Masse%

+ MeSiHCl2 + Me2SiHCl + MenSi2Cl6–n 1-4

0.1-0.5

3-8 Masse%

Als organische Halogenverbindungen werden fast nur Methyl- und Phenylchlorid eingesetzt, da längerkettige oder auch ungesättigte organische Halogenverbindungen nur niedrige Ausbeuten und schwer trennbare Mischungen ergeben. Das wichtigste Produkt der Direktsynthese ist Dimethyldichlorsilan, Me2SiCl2. Die Auftrennung des Rohsilangemischs erfolgt durch Destillation in langen, bis zu 85 m hohen Kolonnen. Die Auftrennung ist wegen der eng beieinander liegenden Siedepunkte der Silane kein triviales Problem. Die Produktverteilung kann über Zusätze etwas gesteuert werden: Zink, Magnesium und Aluminium haben einen stark methylierenden Effekt und wirken unter Bildung der Metallchloride als Chlorfänger, sodass der Anteil von Me3SiCl auf 5K20 % gesteigert werden kann. Mit H2 oder HCl wird der Anteil der HSilane MeSiHCl2 und Me2SiHCl erhöht. Außerdem sind Promotoren zur Aktivitätssteigerung des Cu-Katalysators notwendig, der alleine nur eine langsame Re-

600

4 Organometallchemie

Methylchlorsilan

Siedepunkt . (C

Me2SiCl2 MeSiCl3 Me3SiCl MeSiHCl2 Me2SiHCl

70 66 57 41 35

aktion mit niedrigen Umsätzen und ungenügender Selektivität für Me2SiCl2 erlaubt. Als Promotoren werden z. B. eingesetzt Antimon, Cadmium, Aluminium, Zink, Zinn oder Kombinationen dieser Elemente. Eine Katalysatormischung mit den Massenanteilen 94.49 % Si, 5 % Cu, 0.5 % Zn und 0.01 % Sn gibt Me2SiCl2 in 80 % Selektivität. Das gewünschte Dimethyldichlorsilan wird zusätzlich durch Ligandenumverteilung zwischen Trimethylchlorsilan und Methyltrichlorsilan erhalten: AlCl3

Me3SiCl C MeSiCl3 $$$$$% 2 Me2SiCl2

Der Mechanismus der Silanbildung bei der Rochow-Synthese ist noch nicht vollständig verstanden, u. a. weil es sich um eine schwierig zu verfolgende Gas-Feststoff-Reaktion mit einer relativ großen Zahl an beteiligten Komponenten handelt. Die räumliche Nähe von Kupfer und Silicium ist wichtig. Man nimmt an, dass Kupferatome an der Oberfläche mit MeCl zunächst zu MedCudCl-Fragmenten reagieren, die dann sukzessive die Liganden auf benachbarte Si-Atome übertragen, sodass Silanmoleküle aus der Oberfläche „herausgeschält“ werden. Probleme beim industriellen Prozess, der als kontinuierliche Wirbelschicht gefahren wird, liegen in der Korrosionswirkung des Methylchlorids, sodass eine halogenfreie Direktsynthese, d. h. die Darstellung halogenfreier Verbindungen, eine gesuchte Alternative darstellt. Für die Weiterverarbeitung des Hauptteils der Organohalosilan-Zwischenprodukte zu Siliconen ist das Vorhandensein der SidCl-Bindung nicht unbedingt notwendig. Mögliche Ersatzstoffe sind Methoxymethylsilane, die sich prinzipiell aus der Reaktion von Silicium mit Dimethylether erhalten lassen. Diese Reaktion erfordert aber bisher zu drastische Bedingungen und liefert zu niedrige Ausbeuten. Die Produktionsmenge an Organohalosilanen beträgt über eine Million Jahrestonnen, wovon 95 % für die Siliconherstellung verwendet werden. Ein kleiner Teil an hochwertigen Spezialsilanen dient als Vernetzungsmittel und zur Oberflächenbehandlung, als Silylierungsmittel in der pharmazeutischen Industrie und als Katalysatorzusatz bei der Polypropensynthese. Polyorganosiloxane (Silicone). Der Begriff Silicone oder nach IUPAC Polyorganosiloxane bezeichnet über Sauerstoffatome verbrückte RnSi-Einheiten (vgl. Alumoxane). Bei den industriell bedeutenden Siloxanen ist der Rest R im Wesentlichen Methyl und Phenyl. Je nach den Materialeigenschaften liegen unterschiedliche Struktureinheiten in verschiedenen Verhältnissen in den Siliconen vor. Silicon-Flüssigkeiten, -Kautschuke und -Elastomere sind lineare Polymere. Bei Siliconharzen für Farben, Imprägniermittel und Gebäudeschutz liegen verzweigte (T) und vernetzte (Q) Polysiloxane vor:

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle Silicon-Struktureinheiten T-Verzweigung Me Me Si O Me

Me Si O Me

Kettenende Monomereinheit

m

Me Si O O

Me Si Me O

Me Si O Me

p

O Me Si Me

n

r

O Si O O

Me Si Me O

601

Me Si O Me

q

o

Q-Verzweigung

Die Darstellung der Silicone erfolgt durch die Hydrolyse oder Methanolyse von Organohalosilanen, in der Praxis also von Methylchlorsilanen. Die Methanolyse bietet als Vorteil die direkte Zurückgewinnung von MeCl für die Rochow-Synthese. Die Salzsäure wird mit Methanol zu MeCl umgesetzt und auf diese Weise in den Prozess zurückgeführt: Hydrolyse: (nCm) Me2SiCl2 C (nCmC1) H2O $% [Me2SiO]n C HOL[Me2SiO]mLH C 2(nCm) HCl Methanolyse: (nCm) Me2SiCl2 C (nCmC1) MeOH $% [Me2SiO]n C HOL[Me2SiO]mLH C 2(nCm) MeCl cyclisch linear n Z 3, 4, 5, ... m Z 4 bis O100

Me2 Si Me Me O O SiMe2 + HO Si O Me2Si Si OH O O Me Me Si m–1 Me2 Gemisch aus cyclischen und OH-terminierten linearen Oligomeren ringöffnende Gleichgewichtspolymerisation

Polykondensation

hochmolekulare Polyorganosiloxane

Neben Polymeren entstehen cyclische und lineare oligomere Produkte. Die niedriger siedenden, cyclischen Oligomere können destillativ aus der Gleichgewichtsmischung entfernt werden. Die hochmolekularen Polyorganosiloxane werden aus den cyclischen Oligomeren durch eine ringöffnende Gleichgewichtspolymerisation und aus den Hydroxyl-terminierten linearen Oligomeren durch eine Polykondensationsreaktion erhalten. Bei den als Fugendichtmasse im Sanitärbereich eingesetzten Siliconen handelt es sich um einen kalt-vulkanisierenden Siliconkautschuk aus Polymeren und Oligomeren mit SidOOCCH3-Endgruppen im Gemisch mit einem RdSi (OOCCH3)3-Vernetzer. Mit Wasser (Luftfeuchtigkeit) erfolgt Hydrolyse zu Essigsäure (Geruch bei der Verarbeitung!) und SidOH-Einheiten, die dann eine Kondensationsreaktion eingehen:

602

4 Organometallchemie

Vernetzung des kalt-vulkanisierenden Siliconkautschuks Me Me Si OOCCH3 + R Si(OOCCH3)3 CH3COO Si Vernetzer Me Me Poly- und Oligomere +H2O Me HO Si Me

Me Si OH Me

–CH3COOH (Geruch!) +

{R Si(OH)3}

Kondensation = Aushärtung

Allgemeine Eigenschaften von Polymethylsiloxanen sind eine höhere Temperatur-, UV- und Wetterbeständigkeit und damit langsamere Alterung als organische Polymere, eine niedrige Oberflächenspannung (Antihaftmittel), gute elektrische Isoliereigenschaften und eine geringe Temperaturabhängigkeit der physikalischen Eigenschaften. Die Viskosität von Silicon-Ölen bleibt über einen weiten Temperaturbereich von Raumtemperatur bis 200 (C nahezu unverändert. SiliconÖle sind daher ideal für die Kraftübertragung in Flüssigkeitskupplungen (ViskoKupplung) und als Hydrauliköle. Polymethylsiloxane sind schwer entflammbar. Der Flammpunkt liegt bei 750 (C und die Zündtemperatur bei 450 (C. Im Brandfalle entstehen nur geringe Rauchmengen ohne Freisetzung toxischer Gase wie HCl und Dioxinen (aus PVC) oder Schwefelverbindungen (aus vulkanisiertem Kautschuk). Silicone sind physiologisch relativ inert. Trotz vielfältiger Einträge in die Umwelt in Form von Ölen oder Emulsionen sind keine negativen Einflüsse auf Ökosysteme bekannt. Durch Mikroorganismen erfolgt langsamer Abbau zu Silanolen. Katalytische Zersetzung an Tonmineralien führt zu einem chemischen Abbau. Die Einwirkung von UV-Licht und Nitraten führt zu SiO2. Es ist eine unproblematische Verbrennung (mit Hausmüll) zu CO2, H2O und SiO2 möglich. Polyorganosiloxane gelten als toxisch unbedenklich für den menschlichen Organismus. Bei Hautkontakt treten keine Irritationen auf. Silicone besitzen nur eine geringe Wasserlöslichkeit und können nicht in Zellen eindringen. Im menschlichen Körper erfolgt keine SidC- oder SidO-Bindungsspaltung. Silicone sind für Kontakt mit Lebensmitteln zugelassen und können bei der Herstellung von Lebensmittelbehältnissen verwendet werden (Bsp. Backformen). Eine tägliche Aufnahme von 1.5 mg Polydimethylsiloxan (Molmasse O 200 g.mol) pro Kilogramm Körpergewicht gilt als unbedenklich. Silicone sind wasserabweisend, dabei aber Gas- und Wasserdampfdurchlässig. Durch Oberflächenbehandlung mit Siliconen lassen sich wasserabweisende Textilien herstellen, die dennoch atmungsaktiv sind. Dazu verwendet man langkettige Siloxane, die über Aminogruppen auf der Textilfaser haften bleiben. Die geringe Temperaturabhängigkeit der physikalischen Eigenschaften ist auf die SidOdSi-Bindung zurückzuführen, die eine hohe konformative Beweglichkeit besitzt. Zwischen 140( und 220( ist das Potential für die SidOdSi-Biegeschwingung sehr flach. Die lineare SidOdSi-Anordnung liegt nur 1 kJ.mol über dem gewinkelten Grundzustand. Gleichzeitig ist die SidC-Rotationsbarriere mit

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

603

7 kJ.mol geringer als die CdC-Rotationsbarriere mit 18 kJ.mol. Eine Feinabstimmung der Eigenschaften wird durch die Art der Endgruppen, den Copolymeranteil, die organischen Gruppen (Me oder Ph), den Vernetzungsgrad und die Kettenlänge erreicht. Silicon-Öle finden Anwendung als Heiz- und Kühlmittel, Antihaftmittel, Zusätze bei wasserabweisenden Polituren, Imprägniermittel für Textilien und als Schutzschichten für Baumaterialien (dabei vorteilhafte Wasserdampfdurchlässigkeit), als Antischaummittel in wässrigen Systemen, als Zusätze für Salben und Kosmetika, als Getriebe- und Hydraulikflüssigkeiten. Silicon-Elastomere dienen als vielfältige Dichtungsmaterialien im Haushalts- und Sanitärbereich, im Automobil- und Flugzeugbau, bis hin zu Kunststoffteilen für Implantate, Katheter, Membranen und Kontaktlinsen im medizinischen Sektor. Silicon-Harze werden als Schutzschichten und Beschichtungsmaterialien (Antihaftmittel), kratzfeste Beschichtungen für Gläser, Kunststoffe usw. verwendet. Im Jahre 2002 betrug der Weltmarkt für Silicone ca. 8 Mrd. Euro bei einem Produktionsvolumen von 2 Mio. Tonnen. Polysilane. Als Nebenprodukte bei der Direktsynthese finden sich im Rohsilangemisch 3K8 Gew. % Disilane, der Formel MenSi2Cl6Kn (n Z 1K 6). Hexamethyldisilan ist außerdem in größerer Menge durch die Wurtz-Reaktion zugänglich: 2 Me3SiCl C 2 Na $% Me6Si2 C 2 NaCl

Polysilane finden industriell zunehmendes Interesse zum Aufbau von SidC-Bindungen durch eine katalytische Spaltung der SidSi-Bindung. Außerdem werden Polysilane als Ausgangsmaterial für Siliciumcarbid-Keramiken und -Fasern genutzt. Das Polysilan K(Me2Si)nK wird dabei unter Schutzgas in einem Autoklaven bei erhöhter Temperatur zunächst in ein Polycarbosilan K[Si (H) (Me)CH2]nK umgewandelt. Nach einer fraktionierten Destillation zur Entfernung von niedermolekularen Anteilen erhält man aus dem Polycarbosilan mit einer Molmasse von etwa 1 500 g.mol durch Schmelzspinnen bei 350 (C Fasern, die an Luft bei 190 (C vernetzt werden und durch Tempern bei 1 200 (C unter Stickstoff in Fasern aus β-SiC.Graphit.Si überführt werden. Hydrosilylierung. Unter der Hydrosilylierung versteht man die Addition einer Si H-Bindung an C C-Mehrfachbindungen. An das Produkt der Alkin-Addition ist noch eine Zweitaddition möglich: X3SidH C R2C]CR2 $% X3Sid CR2KCR2 dH X3SidH C RC^CR $% X3Sid CR]CR dH

Die Hydrosilylierung ist eine stark exotherme Reaktion mit einer Enthalpie von etwa 160 kJ.mol. Die SidH-Bindung lässt sich leicht aktivieren, entweder durch Spaltung in Si- und H-Radikale (thermisch, durch Radikalstarter oder UV-Bestrahlung) oder mit Hilfe von Übergangsmetallkatalysatoren. Die radikalische Addition führt aber zu einer größeren Menge von Nebenprodukten und wird nur in Ausnahmefällen genutzt. Für die industrielle Anwendung der Hydrosilylierung hat fast ausschließlich die übergangsmetallkatalysierte Addition Bedeutung. Als Katalysatoren werden Pt.Holzkohle, Pt.Silicagel, H2PtCl6 · 6 H2O.Vinylsiloxan (Karstedt-Lösung), H2PtCl6 · 6 H2O (Speier-Katalysator), PtdOlefin-Komplexe,

604

4 Organometallchemie

Palladium- und Rhodiumverbindungen eingesetzt. Mechanistisch nimmt man (1) eine reversible oxidative Addition der Silan-Spezies an ein vierfach koordiniertes Platin (II)-Fragment an. Gleichzeitig erfolgt die Bildung eines Olefinkomplexes. In einem zweiten Schritt (2) wandert das Silanwasserstoffatom auf das Olefin, d. h. das Olefin insertiert in die PtdH-Bindung (Hydrometallierung). Die Ptkatalysierte SidH-Addition an Olefine erfolgt nach anti-Markownikoff mit der Silylgruppe an das Kohlenstoffatom der geringsten sterischen Hinderung (β-Addition zu terminalen Alkylsilanen). Mit speziellen Pd- oder Rh-Katalysatoren kann das α-Additionsprodukt (interne Silylgruppe) als Hauptprodukt isoliert werden. Die reduktive Eliminierung des Organosilans (3) beschließt dann den katalytischen Zyklus. Terminale Olefine reagieren schneller als interne Olefine und letztere geben über eine Isomerisierung ebenfalls terminale Additionsprodukte. Die Reaktivität der Silane nimmt in der Reihe Chlorsilane O Alkoxysilane OO (reine) Organosilane, Siloxane ab. Mechanismus der übergangsmetallkatalysierten Hydrosilylierung +2

X3SiH + PtL4 +

R C C

R

–L +L

H L C +4 Pt SiX3 C L L

–L

+L

- oxidative Addition von Silan - Bildung Olefin-Komplex

2

- Olefin-Insertion, Hydrometallierung

3

- reduktive Eliminierung

H C R

β-Additionsprodukt R H C C

1

C SiX3

L

+4

L

Pt

SiX3

L L

Die Hydrosilylierung findet industrielle Anwendung zur Darstellung von Alkylsilanen, funktionellen Silanen, für die Anbindung von Siliconen an organische Polymere und für Vernetzungsreaktionen. Eine derartige Vernetzungsreaktion wurde auch bei der Herstellung der elastomeren Hülle der Silicon-(Brust-)implantate der Firma Dow Corning eingesetzt. Dabei ging man von einem Vinylfunktionalisierten Silicon mit etwa 300 K(Me2SiO)K-Monomereinheiten aus. Me Me Si Me

Me

Me O

Si Me

O

Si m

Me O

CH=CH2

Si n

Me

Me

Anfang der 90er Jahre häuften sich dann die Klagen von Frauen über Krankheitsbeschwerden, die auf diese Implantate zurückgeführt wurden und in den USA zu millionenschweren Schadensersatzzahlungen des Herstellers führten, mit dem Ergebnis, dass die Firma Dow Corning sich Bankrott erklären musste. Niedermolekulare Silicone und der im Elastomer verbliebene Platin-Hydrosilylierungskatalysator sind wahrscheinlich die Ursache der Beschwerden. Eine Laborstudie

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

605

ergab, dass sie aus dem Implantat heraus diffundieren können. Von niedermolekularen Siliconen, insbesondere wenn sie funktionalisiert sind, wird angenommen, dass sie anders als die hochmolekularen Polymere nicht biologisch inert sein müssen. Die Cytotoxizität von Platinverbindungen wurde in Abschn. 3.16 erwähnt. Eine subvalente Organosilicium (II)-Verbindung wird in Abschn. 4.2.7 genannt. Organozinnverbindungen Ab etwa 1940.50 begann die Anwendung von Organozinnverbindungen. Zu etwa 70 bis 90 % werden zinnorganische Verbindungen als Stabilisatoren in Kunststoffen eingesetzt, z. B. Dibutylzinnderivate als Licht- und Hitzestabilisatoren für PVC-Kunststoffe. Weitere 15 bis 20 % der Produktion werden als Biozide verwendet. In der Landwirtschaft werden Tributylzinn- und Triphenylzinnverbindungen als Fungizide gegen Kartoffelfäule oder Schimmelpilze verwendet. Tributylzinnoxid und -verbindungen waren früher die biozide Komponente in Antifouling-Farben für (Unterwasser-)Schiffsanstriche. Damit wurde der Bewuchs der Schiffsrümpfe mit Meeresorganismen verhindert, der zur einer erhöhten Reibung und damit einem erhöhten Treibstoffverbrauch (und CO2-Emission) führt. Nach Schätzungen hat allein die US-Marine durch Antifouling-Anstriche jährlich 150 Mio. US-Dollar an Treibstoffkosten gespart. Die Freisetzung der Tributylzinnverbindungen aus den Farben ins Meerwasser führte in Konzentrationen von 1 ng.l zur nachgewiesenen Impotenz in Meeresschnecken. Aufgrund der Nebenwirkungen wurde die Verwendung von Tributylzinnverbindungen in Antifouling-Farben im Jahr 2003 durch die Internationale Seeschifffahrts-Organisation weltweit verboten. Industriell sind ausschließlich die organischen Verbindungen des vierwertigen Zinns von Interesse. Organozinn (II)-Verbindungen (s. Abschn. 4.2.7 und 4.2.8) sind ohne technische Bedeutung. Das Produktionsvolumen liegt bei ca. 50 000 Jahrestonnen (1996). Entsprechend der Anzahl der SndC-Bindungen unterscheidet man fünf Klassen von Organozinnverbindungen: Tetraorganozinn (R4Sn), Triorganozinn (R3SnX), Diorganozinn (R2SnX2), Monoorganozinn (RSnX3) und Hexaorganodizinn (R6Sn2). X kann dabei für Halogen, OH, OR, SR, Säurerest, Hydrid usw. stehen. Von kommerziellem Interesse sind die Verbindungen mit R Z Methyl, Butyl, Octyl, Cyclohexyl und Phenyl. Die SndC-Bindung (Dissoziationsenergie etwa 209 kJ.mol) ist gegenüber einer SndO-Bindung (Dissoziationsenergie etwa 318 kJ.mol) reaktiv, für praktische Anwendungen aber ausreichend inert. Die symmetrischen Tetraorganozinnverbindungen sind gegen Luft und Wasser beständig, obwohl bei der Oxidation von Me4Sn eine Enthalpie von 3590 kJ.mol frei wird. Trotz seiner geringen thermodynamischen Stabilität (∆H f0 Z K19 kJ.mol) und seiner Instabilität im System mit O2 ist Tetramethylzinn luftstabil, also kinetisch stabil oder inert. Gründe sind die gute Abschirmung des Zinnatoms durch die tetraedrische Koordination der Liganden und die kleine Bindungspolarität der SndC-Bindung. Unter Normalbedingungen steht dem Angriff des Sauerstoffmoleküls kein niederenergetischer Reaktionsweg offen (vgl. dazu den pyrophoren Charakter und die leichte

606

4 Organometallchemie

Hydrolyse des mit ∆H f0 Z C173 kJ.mol endothermen, koordinativ und elektronisch ungesättigten Me3In mit einer höheren IndC-Bindungspolarität). Durch Licht, Sauerstoff und Mikroorganismen erfolgt nach Spaltung der Zinn-Kohlenstoff-Bindung der Abbau zu anorganischen Verbindungen, wie SnO2 · aq. Die Diorganozinndihalogenide R2SnHal2 und die aromatischen Organozinnhalogenide ArnSnHal4Kn sind bei Zimmertemperatur fest. Aliphatische Organozinnmono- und -trihalogenide, R3SnHal und RSnHal3 sind flüssig. Viele Organozinnverbindungen können fast unzersetzt destilliert werden. Triorganozinnverbindungen besitzen eine breite biozide Wirksamkeit gegen Mikroorganismen (Pilze, Bakterien) sowie „schädliche“ tierische und pflanzliche Wasserbewohner (Algen, Rohrwürmer, Muscheln). Das Wirkungsoptimum liegt bei Tributyl-, Tricyclohexyl- und Triphenylzinnderivaten. Diorganozinnverbindungen mit R Z Methyl, Butyl oder Octyl und speziellen organischen Resten, die über Sauerstoff oder Schwefel an das Zinnatom gebunden sind, können licht- und temperaturempfindliche Polymere, z. B. PVC, stabilisieren. Außerdem werden sie als Polyurethanschaum-Katalysatoren eingesetzt. Monoorganozinnverbindungen werden im Gemisch mit Diorganozinnderivaten als PVC-Stabilisatoren verwendet (Tab. 4.2). Tetraorganozinnverbindungen selbst sind kommerziell nur insofern bedeutend, als sie Startverbindungen für die wichtigen Mono- bis Triorganozinnderivate sind. Sie werden z. B. aus SnCl4 durch Alkylierung oder Arylierung mit Grignard- oder Organoaluminiumverbindungen erhalten: SnCl4 C 4 RMgHal $% 3 SnCl4 C 4 R3Al

R4Sn C 4 MgCl(Hal)

$% 3 R4Sn C 4 AlCl3

In der Praxis wird auch die Wurtz-Reaktion von Natrium oder Magnesium mit Organylchloriden und SnCl4 unter in-situ-Bildung von RNa oder RMgCl angewendet: SnCl4 C 8 Na C 4 RCl

$% R4Sn C 8 NaCl

SnCl4 C 4 Mg C 4 BuCl $% Bu4Sn C 4 MgCl2

Die Organozinnhalogenide werden dann durch Ligandenumverteilung (Kocheshkov-Redistribution) der entsprechenden Tetraorganozinnverbindung mit Zinntetrachlorid im geeigneten stöchiometrischen Verhältnis erhalten: 1

4

3

3

R4Sn C SnCl4 $% R4Sn C SnCl4

R3SnCl

$% 2 R2SnCl2

R4Sn C 3 SnCl4 $% 4 RSnCl3

Mit metallischem Zinn und organischen Halogeniden ist in Gegenwart von Tetraalkylammonium- oder -phosphoniumhalogeniden als Katalysator bei höheren Temperaturen auch ein katalytisches Direktverfahren (oxidative Addition) möglich: Kat.

Sn C n RHal $$$% Rn SnHal4Kn

Ungesättigte organische Ester reagieren mit Zinnmetall oder Zinn (II)-chlorid und Salzsäure in polaren Medien unter Bildung von so genannten Zinn-Carbonsäure-Derivaten (Ester-Zinn-Verfahren):

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

607

2 MeOOCdCH]CH2 C Sn C 2 HCl $% [MeOOCdCH2CH2]2SnCl2 MeOOCdCH]CH2 C SnCl2 C HCl $% [MeOOCdCH2CH2]SnCl3

Zur Darstellung von Organozinnverbindungen mit anderen Resten als Chlor werden die Organozinnchloride im alkalischen Medium vollständig in Organozinnoxide oder Stannoxane umgewandelt: n R2SnCl2

H2O/OH –2n Cl–

(R2SnO)n

Die Bildung der Stannoxane bei Hydrolyse der Organozinnhalogenide beruht auf der Instabilität der meisten Alkylzinnhydroxide (vgl. Siliconherstellung). Erst die Aryl- und Cycloalkylzinnhydroxide sind isolierbar. Auch Me3SnOH ist gegenüber Wasserabspaltung bemerkenswert stabil. Aus den Organozinnoxiden lassen sich dann im sauren Medium andere Halogenide, Pseudohalogenide, Alkoholate, Carboxylate, Thiolate usw. (Z X) erhalten: (R2SnO)n

H3O+/X– –n H2O

n R2SnX2

Diese Umwandlungsreaktionen sind wichtig für die praktische Handhabung. Die Organozinnoxide dienen als wasserunlösliche, luftbeständige, leicht zu transportierende und unbegrenzt lagerfähige Zwischenspeicher, aus denen zu gegebener Zeit eine Überführung in die gewünschten Verbindungen erfolgen kann. Ein Vergleich der Verbindungen in Tab. 4.2 zeigt, dass für die Anwendung hauptsächlich Carboxylat- und Thioessigsäurereste mit Organozinnfragmenten kombiniert werden. Die Wirkung von Organozinnderivaten als Katalysatoren der Reaktion von Diisocyanaten mit Diolen zur Bildung von Polyurethanen beruht auf der Aktivierung der Isocyanatgruppe. Diese wird elektrophiler und die Reaktion wird so um den Faktor 1 000 beschleunigt. Der Kunststoff PVC ist durch Defekte in der Polymerkette inhärent instabil. Chloratome, die in Nachbarstellung zu Doppelbindungsdefekten stehen, können leicht, z. B. beim Erhitzen ab 100 (C, als Radikale abgespalten werden und führen dann unter HCl-Entwicklung und der Bildung von Polyen-Sequenzen im Polymer zu einer autokatalytischen Zersetzung. Die Stabilisatoren reagieren mit diesen labilen Chloratomen unter Ligandenaustausch in einer nucleophilen Substitution und neutralisieren so die Defektstellen: –CH=CH–CH– + R2Sn(SR')2 Cl

–CH=CH–CH– + R2SnCl(SR') SR'

Je nach Anwendung bedarf es einer Mischung verschiedener Stabilisatoren. So sind etwa Organozinnthioverbindungen exzellente Hitze-, aber nur schlechte Lichtstabilisatoren. Umgekehrt sind Organozinncarboxylate hervorragende Lichtstabilisatoren, bei nur mittlerer Hitzestabilisierung. Zinn ist ein essentielles Spurenelement. Während Zinnmetall und anorganische Zinnverbindungen als relativ ungiftig gelten, finden sich unter den Zinnorganylen zahlreiche toxische Stoffe, allerdings mit unterschiedlicher Wirkung. Mo-

608

4 Organometallchemie

Tabelle 4.2 Beispiele für technisch wichtige Organozinnverbindungen mit Anwendungsbereichen. Verbindung Methylverbindungen Me2Sn (SCH2COOC5H10CHMe2)2 und MeSn (SCH2COOC5H10CHMe2)3, Dimethyl- und Methylzinn-bis- und tris (thioessigsäureisooctylester) Butylverbindungen (nBu3Sn)2O, Bis (tributylzinn)oxid

n

Anwendung PVC-Stabilisatoren, auch im Lebensmittelbereich

vielseitiges Biozid, ehem. für AntifoulingAnstriche bei Schiffen, zur Entschleimung von Industrie-Kreislaufwässern, Bekämpfung der Bilharziose-verursachenden Süßwasserschnecken, als Holzschutzmittel, zur Desinfektion Polyurethanschaumstoff-Katalysatoren

Bu2Sn (OCOMe)2 und Bu2Sn (OCOC11H23)2, Dibutylzinndiacetat und -dilaurat n Bu2Sn (OCOCH]CHCOOC5H10CHMe2)2 PVC-Stabilisatoren und nBu2(SCH2COOC5H10CHMe2)2, Dibutylzinn-bis (isooctylmaleat) und bis (thioessigsäureisooctylester) n

Octylverbindungen (n-C8H17)2Sn (SCH2COOC5H10CHMe2)2 und n-C8H17Sn (SCH2COOC5H10CHMe2)3, Dioctyl- und Octylzinn-bis- und tris (thioessigsäureisooctylester) Cyclohexylverbindungen (c-C6H11)3SnOH

Phenylverbindungen Ph3SnOH und Ph3SnOCOMe

Stabilisatoren für PVC-Folien zur Lebensmittelverpackung

starkes Acaricid zur Bekämpfung von pflanzenschädigenden Milbenarten im Obst- und Weinbau unter Schonung von Pflanzen und Nutzinsekten breit wirksame Fungizide, besonders zur Bekämpfung der Blattfleckenkrankheit bei Rüben und der Knollenfäule bei Kartoffeln

noalkyl- und Dialkylzinnderivate zeigen bei Ratten noch LD50-Werte1 von mehr als 1 000 mg.kg, aber Trialkylzinnkomplexe sind starke Nervengifte. Für Triethylzinnverbindungen wurde bei der Ratte ein LD50-Wert von 4 mg.kg gefunden. Im Jahr 1954 kam es in Frankreich bei der Einnahme eines Medikaments, das Et2SnI2 zur Behandlung von Staphylokokken-Hautinfektionen enthielt, zu einer größeren Zahl von Todesfällen und Gehirndauerschäden. Diese Wirkung war vermutlich auf 1

LD Z letale Dosis; LD50 Z Substanzmenge, bei der 50 % der Individuen sterben.

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

609

eine 10 %ige Verunreinigung mit Et3Sn-Verbindungen zurückzuführen. Kurzkettige Alkylzinnverbindungen werden im Magen-Darm-Kanal resorbiert und auch gut über die Haut aufgenommen. Triarylzinnkomplexe sind bei einem LD50-Wert von 150 mg.kg für die Ratte als mäßig toxisch einzuordnen. Auf bepflanzten Feldern haben die Moleküle eine Halbwertszeit von 3K14 Tagen. Unter den Tetraorganozinnderivaten ist Et4Sn ein starkes Nervengift mit guter Hautresorption. R4Sn-Derivate sind sonst nicht akut toxisch. Im Stoffwechsel erfolgt jedoch eine langsame Umwandlung zu giftigen Triorganozinnverbindungen. Organozinn (II)-Derivate werden in Abschn. 4.2.7 und 4.2.8 behandelt. Organobleiverbindungen Anwendungsrelevante Organobleiverbindungen enthalten das Metall nur in der vierwertigen Oxidationsstufe. In rein anorganischen Bleiverbindungen ist die zweiwertige Oxidationsstufe die stabilere. Die zweiwertigen Bleiorganyle werden in Abschn. 4.2.7 und 4.2.8 erwähnt. Die Blei-Kohlenstoff-Bindung ist bei den vierwertigen Organylen hydrolysestabil, weist aber innerhalb der Gruppe-14-Organometallverbindungen die geringste thermische Stabilität auf. Die schwache PbdC-Bindung neigt zu radikalischem Zerfall. Die Zersetzung erfolgt bereits bei 100 bis 200 (C. Die Verbindungen sind aber nicht explosiv. Bleiorganyle sind etwas lichtempfindlich. Von industriellem Interesse waren vor allem Tetramethyl- und Tetraethylblei, die seit 1922 als Antiklopfmittel dem Benzin zugesetzt wurden (Entdeckung durch Midgley und Boyd). Die Verwendung als Antiklopfmittelzusatz stellte den Durchbruch für die Anwendung von Organobleiverbindungen dar. Da die Verbindungen aber gleichzeitig hochtoxisch sind und starke Umweltgifte darstellen, blieben die Anwendungen bis auf den Benzinzusatz begrenzt. Die Einführung von Tetraethylblei als Antiklopfmittel im Benzin kann als Beispiel für unmoralisches K gewissenloses bis kriminelles K Verhalten von Industriemanagern bei General Motors, Du Pont, Standard Oil und später Ethyl Co. gesehen werden. Die gesundheitlichen Gefahren von Bleiverbindungen waren bekannt. Gleichzeitig stand mit Ethanol bereits ein bewährtes Antiklopfmittel für Viertaktmotoren zur Verfügung. Der Nachteil von Ethanol war, dass es nicht mehr patentiert werden konnte. Verkauf und Einsatz von Ethanol hätten nicht annähernd den Profit von Tetraethylblei gebracht. Organobleiverbindungen sind bei Aufnahme in den Körper giftiger als anorganische Bleisalze. Als lipophile Verbindungen erlauben sie außerdem eine leichte Hautresorption. Organobleiverbindungen wirken auf das Zentralnervensystem. Erregungszustände, epileptische Krämpfe und Delirien, als Spätfolgen Lähmungen und die Parkinson’sche Krankheit können die Folge sein. Bei chronischer Einwirkung treten Bleivergiftungen auf. Die Toxizität der Tetraalkylbleiverbindungen wird auf Alkylradikale und das R3Pb-Radikal zurückgeführt. Über Alkylierungen ist eine carcinogene Wirkung möglich. Daneben ist die Toxizität von Organobleikationen zu beachten: R3PbC hemmt die oxidative Phosphorylierung, R2Pb2C hemmt Enzyme mit benachbarten Thiolgruppen. Die Ionen können durch Biomethylierung anorganischer Verbindungen gebildet werden oder über eine Metabolisierung von R4Pb. Bereits frühzeitig wurden deshalb Grenzwerte

610

4 Organometallchemie

für den Bleigehalt im Benzin eingeführt. In vielen Ländern wurde zusammen mit der Einführung des Abgaskatalysators, für den die Bleizusätze ein Katalysatorgift darstellen, mittlerweile das bleihaltige Benzin durch bleifreie Kraftstoffe ersetzt. Langfristig ist mit einer vollständigen Eliminierung der Bleialkyle zu rechnen. Ersatzadditive sind Methyl-tert-butylether (MTBE), tert-Butylalkohol und Methylcyclopentadienyl (tricarbonyl)mangan. Weitere Organobleiverbindungen, die Anwendung finden, sind z. B. Ph3PbSMe (Antipilzmittel, Baumwollkonservierungsmittel, Schmiermitteladditiv), Bu3PbOAc (Holzschutzmittel, Baumwollkonservierungsmittel), Ph3PbOAc (Zusatz für Schiffsrumpfanstriche). Daneben dienen diese Bleikomplexe auch als Stabilisatoren und biozide Komponente für organische Polymere. Tetramethyl- und Tetraethylblei. Beide Verbindungen sind farblose, stark lichtbrechende, giftige Flüssigkeiten mit Siedepunkten von 110 (C.1 mbar für Me4Pb und 78 (C.10 mbar für Et4Pb. Der MAK-Wert beträgt für beide Alkyle 0.075 mg.m3 oder 0.01 ml.m3 (0.01 ppm). Unter Normalbedingungen sind sie licht-, wasser- und luftstabil, zersetzen sich aber thermisch leicht in Blei, Alkan, Alken und Wasserstoff. Die Darstellung kann in Form einer Direktsynthese aus einer Blei-Natrium-Legierung und Methyl- oder Ethylchlorid erfolgen: 4 PbNa + 4 EtCl

110 °C Autoklav

Et4Pb + 3 Pb + 4 NaCl

Ein Nachteil dieses Verfahrens ist die unvollständige Umsetzung. Drei Bleiäquivalente müssen in den Prozess zurückgeführt werden. Eine weitere Synthesemöglichkeit bietet der elektrolytische Grignard-(NALCO-)Prozess. Hier wird die Lösung eines Alkylmagnesium-Grignards in Tetrahydrofuran mit einer Blei-Anode und einer Magnesium-Kathode elektrolysiert. Die bei der Anodenreaktion gebildeten Alkylradikale reagieren mit dem Elektrodenmaterial zu Tetraalkylblei: Anode: 4 EtMgCl2– Kathode: Gesamtreaktion:

4 MgCl+

–4e– –4MgCl2 +4e– –2MgCl2

4 Et· 2 Mg

2 EtMgCl + 2 EtCl + Pb

Pb 2EtCl

Et4Pb 2 EtMgCl Et4Pb + 2 MgCl2

Antiklopfmittel sind Zusätze im Motorenbenzin zur Erhöhung der Oktanzahl zwecks Verhinderung der vorzeitigen Zündung während der Kompressionsphase in Verbrennungsmaschinen. Tetraethylblei wurde z. B. in Konzentrationen von 0.1 % zugesetzt. Die Wirkungsweise der Bleialkyle besteht in einer Desaktivierung von Hydroperoxiden durch Bildung von Bleioxid (PbO) und dem Abbruch radikalischer Kettenreaktionen des Verbrennungsvorganges durch Abfangen der Radikale mittels der homolytischen (radikalischen) Zersetzungsprodukte von R4Pb oder in einer direkten Reaktion mit den Radikalen: Et4Pb $% Et3Pb . C Et .

Et4Pb C R . $% RdH C Et3PbCH2CH2 .

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

611

In älteren Motoren dient das Blei außerdem als Schmiermittel für Ventildichtungen. Zur Entfernung des im Motor gebildeten Bleioxids wird dem Benzin 1,2Dibromethan, BrCH2CH2Br, zugesetzt, womit sich wiederum flüchtige Bleiverbindungen bilden.

4.2.5 Elementorganyle der 15. Gruppe: Phosphor Mit den Organophosphorverbindungen liegt ein Gebiet der elementorganischen Chemie vor. Innerhalb dieses Abschnitts sollen einige wichtige Verbindungen mit einer Phosphor-Kohlenstoff-Bindung vorgestellt werden. In der Literatur und Technik werden allerdings im weiteren Sinne auch die Ester der diversen Phosphorsäuren als Organophosphorverbindungen bezeichnet. Insgesamt kommt all diesen Organophosphorverbindungen (mit und ohne PdC-Bindung) eine enorme Bedeutung als Schädlingsbekämpfungsmittel, Flotationshilfsmittel, Antioxidantien, Flammschutzmittel, Stabilisatoren, Schmieröladditive, Weichmacher usw. zu. Organophosphane (-phosphine). Nach IUPAC wird für die organischen Derivate des PH3 die Bezeichnung Phosphan vorgeschlagen. Chemical Abstracts verwendet den Begriff Phosphine. Nach Anzahl der organischen Reste unterscheidet man primäre, sekundäre und tertiäre Phosphane. Die niederen Alkylderivate sind Flüssigkeiten mit einem unangenehmen, knoblauchartigen Geruch, der noch im ppb-Bereich wahrgenommen wird. Sie sind teilweise recht reaktionsfähig, bis zur Selbstentzündlichkeit. Triarylverbindungen sind fest. Phosphane verhalten sich wie schwache Basen und bilden mit Säuren Phosphoniumsalze. Das freie Elektronenpaar am Phosphor determiniert die drei grundlegenden Eigenschaften von Phosphanen: die Oxidierbarkeit, die Nucleophilie und die Eignung als Donorligand für Metallkomplexe. Für die Darstellung von primären und sekundären Phosphanen eignet sich mit guter Selektivität, sofern keine linearen α-Olefine verwendet werden, die radikalische Addition von PH3 an Alkene. Azoisobutyronitril, AIBN, dient als Radikalstarter. Bei entsprechender Substitution des Olefins wird das Phosphoratom an das am wenigsten gehinderte Kohlenstoffatom gebunden (anti-MarkownikoffProdukt): 2

+ PH3

AIBN 2

PH

Primäre und sekundäre Phosphane sind meistens nicht isolierte Zwischenprodukte bei der Herstellung von tertiären Phosphanen mit verschiedenen Substituenten, wie z. B. das Eicosen-Addukt. Das Eicosylphosphan wird als Ligand in Katalysatoren für die Hydroformylierung und Hydrierung von langkettigen αOlefinen eingesetzt: PH3 +

AIBN 80-150 bar 80-100 °C

PH

C20H40 (Eicosen)

P–C20H41

612

4 Organometallchemie

Die Verwendung von linearen α-Olefinen (ohne sterische Hinderung) bei der radikalischen Addition führt zu tertiären Phosphanen. Eine gute Selektivität für primäre Phosphane zeigt die säurekatalysierte Addition von PH3 an Alkenen. Entsprechend der Stabilität des intermediär gebildeten Carbeniumions wird das Phosphoratom an das Kohlenstoffatom mit der größeren sterischen Hinderung addiert (Markownikoff-Produkt). Tertiärbutylphosphan wird als Ersatz für PH3 bei der Abscheidung von III-V-Halbleitern (z. B. InP, GaP) aus der Gasphase (Gasphasenepitaxie) verwendet: + PH3

MeSO3H

PH2

Trimethylphosphan, PMe3, und Triarylphosphane, z. B. PPh3, sind durch Additionsreaktionen nicht zu erhalten. Auch Phosphane mit sterisch gehinderten Gruppen sind auf diese Weise nicht zugänglich. Hierfür und auch als weiterer Zugang zu Phosphanen steht die Reaktion von Phosphortrichlorid mit Grignard-Verbindungen oder anderen Organylüberträgern zur Verfügung: PCl3 C 3 RMgCl $% PR3 C 3 MgCl2

Insbesondere für die Synthese von Triphenylphosphan wird eine Variante der Wurtz-Reaktion mit Natriummetall und der in-situ-Erzeugung von Phenylnatrium verwendet (vgl. die Darstellung von R4Sn): PCl3 C 3 PhCl C 6 Na $% PPh3 C 6 NaCl

Die Problematik der letzten beiden Reaktionsvarianten liegt in den Coprodukten MgCl2 oder NaCl, die durch notwendige Deponierung zusätzliche Kosten verursachen. Die größte wirtschaftliche Bedeutung aller tertiären Phosphane hat Triphenylphosphan, PPh3, (TPP) als Ligand für Übergangsmetalle in der homogenen Katalyse (Hydroformylierung, Oligomerisierung, Hydrierung, s. Abschn. 4.4). Außerdem ist es Ausgangsmaterial für Wittig-Reaktionen. Industriell wird die Wittig-Reaktion in der Vitamin-A- und β-Carotin-Synthese eingesetzt. Moderne Verfahren der Hydroformylierung verwenden ein Zweiphasensystem mit dem Katalysator in der wässrigen Phase. Über die Sulfonierung von TPP wird die Wasserlöslichkeit und damit leichte Abtrennbarkeit der Metallkomplexe in zweiphasigen Homogenkatalysen erreicht. Die Synthese von Triphenylphosphan-trisulfonat (TPPTS) gelingt mit Oleum: SO3H SO3

P TPP

3

Oleum

P

SO3Na NaOH 3

–H2O

P

3

TPPTS

Als Liganden für enantioselektive Metallkatalysatoren sind chirale Phosphane von Bedeutung, speziell chelatisierende Phosphane mit C2-Symmetrie (für enantioselektive Katalysatoren s. Abschn. 4.4.1.7 und 4.4.1.8):

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

613

Beispiele für chirale, C2-symmetrische Phosphane

MeO Ph

MeO

* P

* P

Ph

Dipamp

Me Me

O * CH2PPh2 O

*

Me

CH2PPh2

H

H * *

Me

PPh2

PPh2

Chiraphos

Diop

* * * *

PPh2 *

HH

PPh2 PPh2

PPh2

Norphos

Binap

Halophosphane RPX2 und R2PX sind nur als Zwischenprodukte bei der Synthese von Pflanzenschutzmitteln, Kunststoffstabilisatoren usw. von Bedeutung. Es sind allgemein farblose Flüssigkeiten von hoher Dichte und hoher Reaktivität. Sie sind wasser- und luftempfindlich. Die Herstellung kann als freie Radikalreaktion aus Kohlenwasserstoffen und PCl3 in der Gasphase bei höheren Temperaturen mit RCl als Katalysator erfolgen: CH4 + PCl3

CCl4-Kat. 550-650 °C

MePCl2

Mit aromatischen Kohlenwasserstoffen ist unter milderen Bedingungen eine Friedel-Crafts-Reaktion möglich. Die dabei anfallenden Aluminiumtrichlorid-Addukte müssen mit POCl3 zersetzt werden: + 2 PCl3

1. AlCl3 2. POCl3

Cl2P

PCl2

Für die Darstellung von Perfluoriodalkanen wird industriell die Synthese aus den Alkyliodiden und rotem Phosphor verwendet: 3 CnF2nC1I C 2 Prot $% (CnF2nC1)2PI C CnF2nC1PI2

Die Weiterreaktion der in den Beispielen vorgestellten Halophosphane wird bei den entsprechenden Anwendungsprodukten dargelegt. Phosphoniumsalze, [RnPH4Ln]DXK, sind allgemein feste, kristalline Substanzen, die gut bis sehr gut wasserlöslich sind. Liegen kurze (C1KC4) und lange (OC8) Alkylketten im gleichen Molekül vor, so handelt es sich um oberflächenaktive Stoffe. Phosphoniumsalze entfalten wie die entsprechenden Ammoniumverbindungen, nur schwächer, eine biozide Wirkung. Sie sind nur sehr langsam biologisch abbaubar. Phosphoniumsalze zeichnen sich durch mengenmäßig kleinere, aber sehr vielfältige Einsatzmöglichkeiten bei technischen Anwendungen aus. Sie dienen als Phasentransfer-Katalysatoren oder -Promotoren. Man nutzt die bioziden Eigenschaften in Kühlwasserzusätzen, für Antifoulingfarben, als Additive in Bohrölen, als Wachstumsregulator in Pflanzen und zur Mottenbekämpfung. Des Weiteren sind Phosphoniumsalze Intermediate für Flammschutzmittel bei Baumwolltextilien. Die Nucleophilie des Phosphoratoms ermöglicht die Darstellung über die Quarternierung von Phosphanen: Rn PH3Kn C HX $% [Rn PH4Kn]CXK R3P C R’X

$% [R3R’P]CXK

614

4 Organometallchemie

Mit Hilfe von Anionenaustauschern können die leicht zugänglichen Halogenide in andere Phosphoniumsalze überführt werden. In Gegenwart eines Äquivalents Säure reagieren Phosphane mit Carbonylverbindungen unter Bildung von α-Hydroxyalkylphosphonium-Salzen. Die C]O-Bindung insertiert dabei in die PdHBindung des aus dem Phosphan und der Säure gebildeten Phosphoniumsalz-Zwischenproduktes: R3P + R'CHO

HX

OH [R3(R'CH)P]+X–

Weiterhin ist eine Addition von 1,3-Dienen an Halophosphane möglich (McCormack-Reaktion). Diese Reaktion kann in Analogie zur Diels-Alder-Reaktion gesehen werden: R1 R2

+

Cl P Cl R

POCl3

R1 P R2

Cl

Cl–

R

Phosphinoxide und -sulfide, R3P Z E, (E Z O, S) werden meistens als Extraktionsmittel verwendet. Die primären Phosphinoxide und -sulfide, RH2P]E (E Z O, S), sind unter Normalbedingungen nur stabil, wenn sie durch sterisch anspruchsvolle Gruppen, wie z. B. den Supermesitylliganden (-C6H2-2,4,6-tBu), kinetisch stabilisiert werden. Dagegen sind die sekundären und tertiären Phosphinoxide und -sulfide kristallin, geruchlos und bei Raumtemperatur stabil. Von besonderer Bedeutung ist Trioctylphosphinoxid, TOPO, zur Extraktion von Metallionen, Carbonsäuren, Alkoholen oder Phenolen aus wässrigen Lösungen. Triisobutylphosphinoxid wird zur Extraktion von Edelmetallen (Ag, Pd, Pt, Hg) aus stark sauren Lösungen eingesetzt. Bifunktionelle Phosphinoxide, wie sec Bu (HOCH2CH2CH2)2P]O, dienen als Flammschutzmittel. Mono- und Bisacylphosphinoxide kommen als Initiatoren für die Aushärtung von photopolymerisierbaren Materialien durch UV-Strahlung zum Einsatz. Die wichtigste Darstellungsreaktion ist die Oxidation von sekundären und tertiären Phosphanen mit Wasserstoffperoxid oder Schwefel: H2O2.S8

Rn PH3Kn $$$$$$% Rn H3Kn P]E

(E Z O, S; n Z 2,3)

Grignard-Verbindungen reagieren mit P]O-Chloriden, wie POCl3, RPOCl2 und R2POCl, zu tertiären Phosphinoxiden. Industriell wird diese Route für die Synthese von Trioctylphosphinoxid verwendet: POCl3 C 3 RMgX $% R3P]O C 3 MgCl(X)

In glatter Reaktion und hoher Ausbeute werden Phosphinoxide auch durch die Umsetzung von Estern der Phosphinigen Säure mit Alkylhalogeniden erhalten. Es handelt sich bei dieser Darstellung um eine Anwendung der Michaelis-Arbusov-Reaktion: R1 R2 POR3 C R4 Cl $% R1 R2 R4 P]O C R3Cl

Die Michaelis-Arbusov-Reaktion bezeichnet die Umsetzung einer dreifach koordinierten Phosphorverbindung, die wenigstens eine Alkoxy- oder Alkylthio-

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

615

gruppe enthält, mit einem Alkylhalogenid. Es erfolgt zunächst Alkylierung des Phosphoratoms und die Bildung eines intermediären Phosphoniumsalzes. Dieses kann in Ausnahmefällen auch isoliert werden. Aus dem Phosphoniumsalz wird dann bei der Weiterreaktion wieder Alkylhalogenid abgespalten, wobei die Alkylgruppe jetzt aus der Alkoxy- oder Alkylthiogruppe stammt. Das Produkt enthält vierfach koordinierten Phosphor mit einer neuen PdC-Bindung und einem doppelt gebundenen Sauerstoffatom: + R' P–OR X–

P–OR + R'X

R' P O + R–X

Für den Fall, dass die Reste R und R’ gleich sind, hat man es mit einer Isomerisierung zu tun. In diesem Fall genügen katalytische Mengen Alkylhalogenid. Die Reste R und R’ können in weiten Grenzen variiert werden. Organische Derivate von Phosphorsäuren. Von den in Tabelle 4.3 aufgelisteten Phosphorsäuren leiten sich Organophosphorverbindungen ab. Dies geschieht durch formalen Ersatz der am Phosphor gebundenen Wasserstoffatome mit organischen Resten. Als Säure oder Ester finden diese Derivate eine Anwendung. Tabelle 4.3 Phosphorsäuren, von denen sich organische (RdP-)Derivate ableiten. einbasig

zwei-(„zwo“-)basig

Bindigkeit.Koordination 3 an P, freie Säure wegen freiem Elektronenpaar an P und Tautomerie nicht existent

Phosphinige Säure H2POH $% RHPOH R2POH

Phosphonige Säure HP(OH)2 $% RP(OR)2

Bindigkeit.Koordination 5 an P

Phosphinsäure H2P(O)OH $% RHP (O)OH R2P (O)OH

Phosphonsäure HP (O) (OH)2 $% RHPOH

Die Mischungen von Perfluoroalkyliodophosphanen werden zu PerfluoroalkylPhosphiniger Säure und -Phosphinsäure hydrolysiert. Das Produktgemisch dient als Reinigungs- und Entfettungsmittel (Fluowet PP®): (CnF2nC1)2PI C CnF2nC1PI2 C 3 H2O $% (CnF2nC1)2POH C CnF2nC1HP(O)OH C 3 HI

Ein Beispiel für ein Derivat der Phosphonigen Säure ist ein Tetraester, der sich von dem unter den Halophosphanen erhaltenen Tetrachlorid ableitet. Dieser Tetraester wird für die thermische Stabilisierung von Kunststoffen verwendet: Cl2P

tBu

PCl2 +

t

Bu

4 HO

–4HCl t

Bu

Bu

O

Bu

t

t

P t

O

Bu t

Bu

O

t

O

t

Bu

P t

Bu

Bu

616

4 Organometallchemie

Die industriell wichtigste Methode für die Darstellung von Phosphinsäurederivaten ist die Oxidation von sekundären Phosphanen: O2.H2O2

R2PH $$$$$% R2P(O)OH S8

R2PH $$$% R2P(S)SH

Aber auch die Hydrolyse von Halophosphanen unter nichtoxidierenden Bedingungen ist eine mögliche Syntheseroute. Über letzteren Weg wird aus MePCl2 (s.o.) die Methylphosphinsäure MeHP(O)OH erhalten. Sie dient zur Herstellung des Kontaktherbizids Glufosinat-ammonium (Basta®): MePCl2 C 2 H2O $% MeHP(O)OH C 2 HCl

MeHP(O)OH

O O CH3 P CH2 CH2 CH C OH NH4+ O– NH2

Basta® Kontaktherbizid

Tabelle 4.4 gibt Beispiele für weitere Phosphinsäurederivate und deren Anwendungen. Tabelle 4.4 Beispiele für anwendungsrelevante Phosphinsäurederivate. Phenylphosphinsäure und Natriumsalz, PhHP(O)OH.Na

Verbesserung der Stabilität von Polyamiden gegen Licht und Hitze; Antioxidationsmittel; Promotor in der Emulsionspolymerisation

Bis (hydroxymethyl)phosphinsäure, (HOCH2)2P(O)OH

Zwischenprodukt für Ernteschutzmittel; Calcium- und Magnesiumsalz dienen als Bindemittel für feuerhemmende Materialien

Bis (2,4,4-trimethylpentyl)phosphinsäure, (tBuCH2CHMeCH2)2P(O)OH

bildet stabile Komplexe mit zweiwertigen Metallkationen; Flotations- und Extraktionsmittel; Verwendung für die hydrometallurgische Trennung von Co und Ni

Bis (2-methylpropyl)dithiophosphinsäurenatriumsalz, (iPrCH2)2P(S)SNa

Flotationsmittel für sulfidische Erze

Bis (2,4,4-trimethylpentyl)dithiophosphinsäure, Extraktion von Zink und anderen Schwermetallen (tBuCH2CHMeCH2)2P(S)SH

Phosphonsäurederivate werden allgemein als Herbizide, zur Wasserbehandlung und Metallverarbeitung und als Flammschutzmittel verwendet. Die Phosphor-Kohlenstoff-Bindung in den Phosphonsäurederivaten ist sehr stabil gegenüber Oxidation oder Hydrolyse. Der reine biologische Abbau erfolgt oft nur langsam, wird aber in Verknüpfung mit der Photolyse schnell. Die Synthese der Alkylphosphonsäuredichloride gelingt durch Oxidation von MePCl2 (wichtig für Thiophosphonsäurederivate)

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

617

S8, Katalysator

MePCl2 $$$$$$$$$$% MeP(S)Cl2

oder durch die Alkylierung von PSCl3 mit Organoaluminiumverbindungen: 3 PSCl3 C Et3Al $% 3 EtP(S)Cl2 C AlCl3

Phosphonsäurehalogenide dienen zur Synthese von Ernteschutzmitteln und Insektiziden. Mit Hilfe der Michaelis-Arbusov-Reaktion werden industriell Trialkylphosphite in Dialkylester der Alkylphosphonsäure umgewandelt: RX-Katalysator

P(OR)3 $$$$$$$$$$% RP(O)(OR)2

In einer quasi-Mannich-Reaktion werden aus Ethylendiamin oder Oligo (ethylen)aminen zusammen mit Formaldehyd und Phosphonsäure die wichtigen Poly (methylenphosphonsäuren) erhalten. Sie dienen als Wasch- und Reinigungsmittel sowie als Peroxidstabilisatoren. H2N

NH2 + 4 CH2O + 4 HP(O)(OH)2

H+

(HO)2(O)P-CH2 (HO)2(O)P-CH2

N

N

CH2-P(O)(OH)2 CH2-P(O)(OH)2

Poly(methylenphosphonsäure)

Tabelle 4.5 gibt eine Übersicht zu Phosphonsäurederivaten und deren Anwendungen. Tabelle 4.5 Anwendungsbeispiele für Phosphonsäurederivate. Methylphosphonsäure, MeP (O) (OH)2

Verwendung in der Produktion von Schmiermitteladditiven und zur Textilbehandlung

Octylphosphonsäure, C8H17P (O) (OH)2

selektives Flotationsmittel für Zinnerze

Vinylphosphonsäure, H2C]CHP(O)(OH)2

zur Oberflächenbehandlung von Aluminium für die Druckplattenherstellung

Phenylphosphonsäure, PhP (O) (OH)2

Katalysator bei der Herstellung von Harzen und Stabilisatoren für Kunststoffe

N-(Carboxymethyl)aminomethylphosphonsäure, HOOCCH2NHCH2P (O) (OH)2

als Isopropylammoniumsalz Verwendung als effektives und leicht biologisch abbaubares Totalherbizid

2-Chlorethylphosphonsäure-Natriumsalz, Verwendung zur schnelleren Fruchtreifung durch Freisetzen des Reifungshormons ClCH2CH2P (O) (ONa)2 Ethylen in der Pflanze Alkylphosphonsäure-dialkylester, RP (O) (OR)2, R Z Alkyl

allgemein als Flammschutzmittel, Extraktionsmittel für Metalle, Weichmacher, Schmiermitteladditive usw.

Poly (organophosphazene). Polyphosphazene sind anorganische Polymere, deren Rückgrat alternierend aus P- und N-Atomen aufgebaut ist. Die Monomereinheit ist dN]PX2d. Bei den Poly (organophosphazenen) sind die Substituenten X am Phosphoratom organische Gruppen, die über ein Kohlenstoffatom an

618

4 Organometallchemie

den Phosphor gebunden sind. Die vorliegende Gruppierung dN]PR2d ist isoelektronisch mit der Siloxangruppe dOdSiR2d. Entsprechend zeigen auch die Polyphosphazene sehr niedrige Schwingungsenergien für die Rückgratbindungen. Die Potentiale sind bis zu 0.4 kJ.mol klein. Damit stehen direkt die sehr niedrigen Glastemperaturen der Polymere in Zusammenhang. Die elastomeren Eigenschaften von Polyphosphazenen bleiben von K60 bis 200 (C über einen noch größeren Temperaturbereich bestehen als bei den Siliconen (vgl. Abschn. 4.2.4). Ein großer Nachteil der Polyphosphazene sind ihre hohen Herstellungskosten. Sie müssen in der Anwendung also anderen Materialien deutlich überlegen sein. Ein Zielbereich für Polyphosphazene sind medizinische Materialien und zwar sowohl langlebige Organersatzteile, wie auch gezielt kurzlebige biologisch abbaubare Materialien (z. B. Operationsfäden). Poly (organophosphazene) sind anders als Poly (dichlorphosphazene) nicht mehr hydrolyseempfindlich. Poly (organophosphazene) sind auf direktem Wege aus molekularen Organophosphorverbindungen zugänglich. Halophosphane als Organophosphor-Edukte werden umgesetzt mit K Ammoniumhalogeniden: n R2PX3 C n NH4X $% (R2PN)n C 4n HX

R Z Alkyl, Aryl; X Z Cl, Br

K Trimethylsilylazid: Ph2PCl C Me3SiN3 $% Ph2PN3 C Me3SiCl ∆ n Ph2PN3 $% (Ph2PN)n C n N2

K oder Lithiumazid: (CF3)2PCl C LiN3 $% (CF3)2PN3 C LiCl ∆ n (CF3)2PN3 $% [(CF3)2PN]n C n N2

Intermediär gebildete Azide R2PN3 werden thermisch unter Stickstoffabspaltung in die Phosphazene überführt. Ähnlich können Organophosphoniumsalze thermisch zu Poly (organophosphazenen) zersetzt werden: ∆

n [Me2P(NH2)2]CClK $% (Me2PN)n C n NH4Cl

Substitutionsreaktionen an cyclischen Dichlorphosphazenen sind noch bedingt für die Einführung von Organoresten und die Bildung der kettenförmigen Polyphosphazene geeignet. Allerdings geben nur die teilweise mit organischen Gruppen substituierten Phosphazene beim Erhitzen oder in Gegenwart von Katalysatoren eine Ringöffnungspolymerisation: Cl N

P

Cl N

Cl P P Cl N Cl Cl

R 2 RMgX –2MgCl2

N

P

R N

Cl P P Cl N Cl Cl

∆ oder Kat.

1 n

R Cl P N P N R Cl 2

n

Für vollständig organo-substituierte cyclische Phosphazene, bei denen also keine Chloratome mehr am Phosphor vorliegen, erfolgt unter entsprechenden Bedingungen nur eine Vergrößerung der Ringe im Gleichgewicht.

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle R R P N N R P P R R N R

∆ oder Kat.

619

nur Ringvergrößerung

Organogruppen lassen sich anders als Alkoxy- oder Amingruppen nicht durch Umsetzung von vorgebildetem Poly (dichlorphosphazen) mit Grignard- oder Organolithium-Reagenzien einführen. Stattdessen führt eine Koordination der metallorganischen Alkylüberträger an die Ketten-Stickstoffatome zur Kettenspaltung: Cl P N Cl

Cl→R

X

n

R P N R

n

Cl P N Cl

RMgX oder RLi

Kettenabbau

n

4.2.6 Fluktuierende Hauptgruppenmetallorganyle Eine gut untersuchte Klasse von fluktuierenden Verbindungen sind σ- (oder η1-)gebundene Cyclopentadienyl-(Cp-)Komplexe. Ein dynamisches oder fluktuierendes Verhalten solcher η1-Cp-Verbindungen ist bei Übergangsmetallen und Hauptgruppenelementen anzutreffen, bei beiden im qualitativ gleichen Sinne. Die Fluktuation mit σ-gebundenen Cyclopentadienylringen wird durch konzertierte sigmatrope Umlagerungen verursacht, also durch die Wanderung einer an das π-System gebundenen σ-Bindung in eine andere Position. Für das Verständnis der Fluktuation erwies sich die Verwendung von temperaturvariablen NMRMessungen mit Linienformanalysen als sehr wichtig. Allerdings bestimmen diese Techniken auch das Energiefenster der zu untersuchenden Systeme, was zwischen etwa 20 und 150 kJ.mol für die Aktivierungsenergie des dynamischen Prozesses liegen muss. In Abhängigkeit von der Art des Hauptgruppenelements, seinen weiteren Liganden und den Substituenten am Cyclopentadienylring können starke Unterschiede im fluktuierenden Verhalten von Cp-Komplexen der Hauptgruppenelemente beobachtet werden. Die genannten Faktoren beeinflussen erheblich die Geschwindigkeiten der prototropen Verschiebungen und die Gleichgewichtsanteile der verschiedenen Isomere. In Cyclopentadienylverbindungen der allgemeinen Form C5H5EXn sind zwei verschiedene sigmatrope Umlagerungsprozesse möglich (Abb. 4.1): (i) Eine nicht-entartete 1,2-H-Wanderung, die einer 1,5-sigmatropen Umlagerung entspricht. Die dabei auftretenden Isomere sind in Bezug auf das EXn-Fragment allylischer (a) oder vinylischer (v,v’) Natur. (ii) Eine entartete 1,2-Wanderung des EXn-Fragments. Die 1,2-EXn-Wanderung führt zu identischen Verbindungen, in denen sich die EXn-Gruppe stets in allylischer Position befindet. Es entscheiden die relative energetische Lage der Allyl- und Vinylisomere und die Aktivierungsenergien für die 1,2-H- und 1,2-EXn-Wanderungen darüber, welcher oder ob beide sigmatropen Umlagerungsprozesse möglich sind. Hierbei können drei Fälle unterschieden werden (Abb. 4.2). Im Fall I ist die Energie der Vinylisomere sehr viel niedrigerer als die der Allylisomere. Eine solche Situation wird insbesondere bei den Cyclopentadienyl-

620

4 Organometallchemie H v

H

E a

E

E a

E

v'

a

H-Wanderung

H E

E-Wanderung

E

v'

a

H

a

E

v

E E

H

Abb. 4.1 Sigmatrope Umlagerungsprozesse in C5H5EXn-Verbindungen. Das EXn-Fragment ist der Einfachheit halber nur als E gekennzeichnet. Die Buchstaben a, v und v’ kennzeichnen die allylische (a) oder vinylische (v,v’) Position des EXn-Fragments. Vergleiche dazu die Energieprofile der Umlagerungen in Abb. 4.2.

Energie

a

I

v

II

v'

Bsp.: C5H5BX2 X = Halogenid (Hal), Alkyl, Alkoxid

v'

a

a

III

v,v'

C5H5SiX3 C5H5PX2 C5H5GeX3 C5H5AsX2, X≠Hal

a

a

v,v'

C5H5AlX2 C5H5GaX2 C5H5AsHal2 C5H5InX2 C5H5SnX3 C5H5SbX2 C5H5TlX2 C5H5PbX3 C5H5BiX2

Abb. 4.2 Energieprofile für drei mögliche Umlagerungsprozesse in C5H5EXn-Verbindungen. a Z allylische, v,v’ Z vinylische Position des EXn-Fragments, vgl. dazu Abb. 4.1.

Bor-Verbindungen beobachtet. Die Stabilitäten der Vinylisomere dort können mit der Elektronenlücke im dreifach koordinierten Bor und einer starken Rückbindung vom Vinyl-π-System in das leere Orbital begründet werden. Im Fall II sind die Allyl- und Vinylisomere der C5H5-Verbindung von ähnlicher Energie und auch die Aktivierungsenergien für die 1,2-H- und EXn-Wanderung liegen in der gleichen Größenordnung. Entsprechend findet man ein Isomerengemisch und beide Umwandlungsprozesse werden über einen größeren Temperaturbereich gleichzeitig beobachtet. Die Situation ist typisch für Cyclopentadienylsilane und wahrscheinlich auch -germane sowie für die meisten Cyclopentadienylphosphane und -arsane. Für die letzten beiden Elemente werden aber auch einige Verbindungen im Grenzbereich zwischen Situation I und II gefunden.

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

621

Im Fall III sind die Energien von allylischem und vinylischem Isomer wieder ähnlich, aber die Aktivierungsenergie für die 1,2-EXn-Wanderung ist sehr viel niedriger als für die 1,2-H-Wanderung. Entsprechend wird unter Normalbedingungen nur das dynamische Allylisomer beobachtet. Die H-Wanderungen werden, wenn überhaupt, erst bei höherer Temperatur bedeutsam. Diese Situation findet man bei den angeführten Cyclopentadienylverbindungen der schwereren Elemente der 13., 14. und 15. Gruppe (Al, Ga, In, Tl, Sn, Pb, Sb, Bi) und bei den Cyclopentadienylarsendihalogeniden. Die drei Fälle illustrieren den starken Einfluss des Hauptgruppenelements auf den dynamischen Prozess. In vergleichbaren Verbindungen weisen die schwereren Hauptgruppenelemente jeweils niedrigere Energiebarrieren für die sigmatropen Element-Umlagerungen auf.

4.2.7 Hauptgruppenmetall-π-Komplexe Der Begriff π-Komplex wird in der Organometallchemie meistens mit Übergangsmetallen in Verbindung gebracht (Abschn. 4.3.4.4). Aber auch bei den Hauptgruppenmetallen kennt man zahlreiche ionische und kovalente π-Komplexe, insbesondere bei niedervalenten Hauptgruppenmetallorganylen. Ionische Carbanion-π-Komplexe, Kontaktionenpaare der Alkali- und Erdalkalimetalle und von Indium und Thallium. Im Festkörper zeigen die unsolvatisierten Cyclopentadienyl-Alkalimetall-Verbindungen mit dem C5H5-Grundkörper eine polymere Kettenstruktur. Die gewinkelte Kettenstruktur bei Kalium ähnelt der bei Indium und Thallium. C5H5Li und C5H5Na – fast lineare Kettenstruktur M

M

M

M

M = Li 1.969 Å (Abstand M–Cp-Mittelpunkt) M = Na 2.357 Å C5H5K, C5H5In und C5H5Tl – gewinkelte Kettenstruktur M M M

M M = K 2.816 Å (Abstand M–Cp-Mittelpunkt) M = In, Tl 3.19 Å

Solvatmoleküle können die Koordinationssphäre der Alkalimetallatome im Rahmen einer Kettenstruktur ergänzen oder zu einer Monomerisierung des Kontaktionenpaares führen. Die π-Komplexe der Alkalimetalle (M) kann man allgemein mit der Formel [RMm · Ln]k beschreiben (R Z Carbanion mit delokalisiertem Elektronensystem, L zusätzlicher Donorligand, k Z Aggregationsgrad). Für Indium- und Thalliumverbindungen findet man eine Monomerisierung beim Übergang in die Gasphase oder bei Vorliegen geeigneter voluminöser organischer Reste am Cyclopentadienylring.

622

4 Organometallchemie

Monomerisierung durch Solvatisierung des Kations Me2 N

Me2N

Übergang in Gasphase

Me2 N

M

NMe2

K

sterisch anspruchsvolle Cp-Liganden M

In: 2.32 Å Tl: 2.41 Å

CH2Ph

PhCH2

PhCH2

M = In, Tl

CH2Ph

In: 2.38 Å Tl: 2.49 Å

CH2Ph

Die Strukturänderung von einer polymeren Kette zu einem monomeren Komplex ist bei Indium und Thallium mit einer starken Verkürzung des CyclopentadienylMetall-Abstandes verbunden, was mit einem gleichzeitigen Übergang zu einer deutlich kovalenteren Bindung interpretiert wird. Von den Alkalimetallen kennt man anionische Metallocenkomplexe (vgl. hierzu auch die Cp-Metallat-Anionen des Thalliums und Bleis, Tabelle 4.6): Beispiel: Lithocen-Anion Synthese Ph4P+Cl– + 2 C5H5Li



Struktur Li

[Ph4P]+[(C5H5)2Li]– + LiCl

2.01 Å

In den Komplexen des Lithiums kommen zur hauptsächlich ionischen Wechselwirkung oft noch relevante kovalente Beiträge hinzu (vgl. Abschn. 4.2.1). Diese kovalenten Beiträge können zu beträchtlichen Verzerrungen der CarbanionenStruktur führen. Zum Caesium hin nimmt der ionogene Charakter der Bindung stetig zu. Die Strukturen der Carbanionen mit Kalium entsprechen fast denen der freien Anionen. Die Darstellung von Organoalkali-π-Komplexen gelingt durch Reduktion einer ungesättigten organischen Verbindung zum Carbanion verbunden mit Spaltung einer CdHalogen- oder CdH-Bindung (diamagnetisches Kation-Anion-Paar) H

H + nBuLi

H H H

H Li+ + nBuBr

H H

H

H H + Na

H



H

Br

H

H

H

H

H

H



H Na+ + 1/2 H2

H

oder durch Elektronenübertragung vom Alkalimetallatom auf ein ungesättigtes organisches Molekül ohne Bindungsspaltung (paramagnetische Anionen möglich): + Na

–•

Na+

Natrium-naphthalid

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle + 2K

2–

2 K+

623

Kalium-cyclooctadienid

π-Komplexe der Erdalkalimetalle. Von einigem theoretischen Interesse sind die Verbindungen Beryllocen, (C5H5)2Be, und Magnesocen, (C5H5)2Mg. Die ionische Beryllocen-Struktur besteht aus Be2C-Kationen, die mit unterschiedlichen Abständen zwischen zwei C5HK 5 -Anionen liegen. In der Gasphase scheint zu beiden Ringen eine pentahapto-Koordination zu bestehen. Im festen Zustand ist einer der Liganden im Kristall monohapto-gebunden. In Lösung ist die Struktur fluktuierend, denn beide Ringe erscheinen in NMR-Untersuchungen als äquivalent. Beryllocen Gasphase

fester Zustand



1.90 Å Be+

1.47 Å

1.81 Å Be

1.52 Å

In Magnesocen sind beide Ringe im festen Zustand identisch in pentahapto-Koordination gebunden. Magnesocen ähnelt in seiner Struktur bereits stark den kovalenten Sandwichverbindungen der Übergangsmetalle. Eigenschaften wie schnelle Hydrolyse mit protischen Reagenzien oder elektrische Leitfähigkeit in THF legen aber eine ionische Formulierung als Mg2C(C5HK 5 )2 nahe. Magnesocen fester Zustand –

Mg2+ 1.98 Å –

π-Komplexe der Elemente aus den Gruppen 13L15. Die π-Komplexe der pBlock-Elemente zeichnen sich durch stärker kovalente Metall-Ligand-Wechselwirkungen aus. Für die π-Koordination des Cyclopentadienylringes sollte das Element in der Regel in einer niedrigeren als der Gruppenwertigkeit vorliegen, da sonst eher eine σ-Anbindung (η1-η2) in einem fluktuierenden System erfolgt (s. o.). Eine Ausnahme ist Aluminium, das auch dreiwertig in CpdAlX2-Verbindungen (Cp meistens C5Me5) pentahapto-gebunden vorliegt. Beispiele sind das dimere {(η5-C5Me5)AlCl (µ-Cl)}2 und [(η5-C5Me5)2Al]C[(η1-C5Me5)AlCl3]K mit linearer Sandwich-Struktur des Kations. Als sub- oder niedervalente π-Cp-Komplexe existieren Verbindungen des Aluminiums, Galliums, Indiums und Thalliums in der Oxidationsstufen C1, des Siliciums, Germaniums, Zinn und Bleis in der Oxidationsstufe C2 und des Arsens, Antimons und Bismuts in der Oxidationsstufe C3 (Tab. 4.6). Die Stabilität der niedrigen Wertigkeitsstufe nimmt in

624

4 Organometallchemie

der Gruppe von oben nach unten zu. Der Cyclopentadienyl-π-Ligand hilft bei der Stabilisierung und Ausbildung von Organokomplexen mit den Metallatomen in der angegebenen niedrigen Wertigkeitsstufe. Zur Stabilisierung solcher Oxidationsstufen mittels σ-Liganden siehe nachfolgenden Abschnitt. Tabelle 4.6 Beispiele für subvalente π-Cyclopentadienyl-Hauptgruppenmetallverbindungen der Elemente AlKTl, SiKPb und AsKBi mit kurzer Beschreibung der Struktur.a) Gruppe 13

Gruppe 14

Gruppe 15

C5Me5Al tetramer im Festkörper und in Lösung, monomer in der Gasphase

(C5Me5)2Si gewinkelter und linearer Sandwich, zwei unabhängige Moleküle in der Elementarzelle der Kristallstruktur

C5Me5Ga hexamer im Festkörper

(C5H5)2Ge gewinkelter Sandwich

[(C5Me5)2As]DBF4 gewinkelter Sandwich, mit η2und η3-verzerrter As-RingBindung

C5H5In polymere Zickzackkette im Festkörper, monomer in der Gasphase

Cp2Sn b) gewinkelter Sandwich, linearer Sandwich für Cp Z C5Ph5

[(C5Me5)2Sb]DBF4 gewinkelter Sandwich, mit η2und η3-verzerrter Sb-RingBindung

Cp2Pb b) Kettenstruktur für Cp Z C5H5, monomerer gewinkelter Sandwich für substituierte Cp-Liganden

(C5H2tBu3)2BiCl und L [(C5H2tBu3)2Bi]DAlCl4 gewinkelter Sandwich

L

L

C5Me5In hexamer im Festkörper, monomer in Lösung und in der Gasphase C5(CH2Ph)5In dimer im Festkörper, monomer in Lösung CpTl b) polymere Zickzackkette oder Monomere (Oligomere) im Festkörper, Kontaktionenpaare oder Monomere in Lösung, monomer in der Gasphase

[(C5H5)2nD1Pbn]L [(C5H5)nD1Tln]L Ausschnitt aus der Ketten- Ausschnitt aus der Kettenstruktur von C5H5Tl struktur von (C5H5)2Pb a) b)

Wenn nicht anders angegeben, liegt eine pentahapto- (η5-)Koordination des Cyclopentadienylliganden an das Metall- oder Metalloidatom vor. Cp Z Cyclopentadienylligand mit relativ vielfältigem Substitutionsmuster, z. B. C5H4Me, C5Me5, C5HMe4, C5H2(SiMe3)3, C5iPr5, C5(CH2Ph)5, C5Ph5.

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

625

Schematische Darstellung von Strukturtypen bei neutralen binären Cyclopentadienylverbindungen der Gruppe-13-Metalle M

Al Al

M

Al

Al

M

M

M

M

M C5Me5M M = Ga, In (Festkörper)

C5Me5Al (Festkörper, Lösung)

M

M

M

C5H5M M = In, Tl (Festkörper)

Tl M

M

C5(CH2Ph)5M M = In, Tl (Festkörper) = M M

M

Tl

Tl

Tl

Tl Tl

C5H3(-1,3-SiMe3)2Tl (Festkörper)

M CpM M = Al, Ga, In, Tl (Gasphase, Lösung)

Cyclopentadienylligand C5H5 oder substituiertes Derivat C5H5–nRn

gestrichelter Cp--M-Kontakt bedeutet stärker ionische und längere Bindung normaler Cp–M-Kontakt bedeutet eher kovalente und kürzere Bindung M

>3.6 Å, nur schwache Wechselwirkung

Bei der 13. Gruppe beschränken sich die einwertigen Aluminium- und GalliumCyclopentadienylverbindungen auf den Pentamethyl-Cp-Liganden C5Me5. Für Indium kann das Substitutionsmuster am Cyclopentadienylring etwas stärker variiert werden. Beim Thallium (I) sind von fast allen auch funktionell substituierten Cyclopentadienen die CpTl-Verbindungen beschrieben worden. Die Cp-Verbindungen von Al und Ga sind gegenüber Sauerstoff und Wasser sehr empfindlich. C5H5Tl ist schwerlöslich und luftstabil, C5H4MeTl pyrophor, C5Me5Tl löslich und sehr luftempfindlich, C5(CH2Ph)5Tl löslich und luftstabil. Die Cp-Verbindungen der 13. Gruppe liegen im Festkörper meistens oligomer vor. Die CpdM-Bindungslänge verkürzt sich mit Abnahme des Aggregationsgrades, also beim Übergang vom polymeren zum oligomeren oder monomeren Festkörper durch Variation der Ringsubstituenten oder vom Festkörper zum Monomer in der Gasphase oder Lösung (s. auch oben bei Alkalimetallen). Die Bindungsverkürzung korreliert mit einer Zunahme des kovalenten Bindungscharakters. Die Cp-Verbindungen von Thallium (I) sind leicht zugänglich und haben im Labor eine gewisse Bedeutung als milde und häufig stabile, gut handhabbare CpTransferreagenzien in Ergänzung zu den Cyclopentadienyl-Alkalimetallsalzen erlangt. Meistens wird das CpTl-Reagenz in einer Salzeliminierungsreaktion mit

626

4 Organometallchemie

einer Übergangsmetallspezies umgesetzt, die noch wenigstens ein Halogenid (Hal) enthält. Triebkraft der Reaktion ist die Bildung von schwerlöslichem Thalliumhalogenid (TlHal): CpTl C M(Hal)mLn $% CpM(Hal)mK1Lo C TlHalY C (nKo) L

Es besteht auch die Möglichkeit, den Cyclopentadienylrest vom Thalliumatom in einer Redoxreaktion auf aktivierte Metalle zu übertragen, was vor allem bei Lanthanoiden genutzt werden kann: 3 CpTlC1 C M0 $% Cp3MC3 C 3 Tl0

CpTl-Komplexe sind, sofern sie wasserstabil sind, aus der Umsetzung des Cyclopentadiens mit einer basischen Thallium (I)sulfat-Lösung zugänglich, aus der sie als Niederschlag ausfallen. Kaliumhydroxid reagiert dabei mit dem Thalliumsalz unter Bildung von Thalliumhydroxid, das dann mit dem Dien in einer SäureBase-Reaktion das Cyclopentadienylthalliumsalz ergibt: 2 CpH + 2 KOH + Tl2SO4 CpH + TlOH

H2O

2 CpTl↓ + K2SO4 + 2 H2O

H2O

CpTl↓ + H2O

In einer Variante der Säure-Base-Reaktion ist die Umsetzung des kommerziell verfügbaren flüssigen Thallium (I)-ethoxids, TlOEt, eine elegante alkalifreie Route, die auch für empfindliche CpTl-Verbindungen geeignet ist: CpH C TlOEt $% CpTl C EtOH

Einen dritten Zugang stellt die Salzeliminierungsreaktion zwischen Alkalimetallcyclopentadienid und Thalliumsalz dar: CpM C TlX $% CpTl C MX

M Z Li, Na, K

In der 14. Gruppe sind die monomeren Metallocene von zweiwertigem Silicium, Germanium, Zinn und Blei in den allermeisten Fällen gewinkelte Moleküle: Schematische Darstellung von Strukturtypen bei Metallocenen der Gruppe 14

M M = Ge, Sn, Pb, (C5Me5)2Si (alle Phasen) =

Si,Sn (C5Me5)2Si (C5Ph5)2Sn (alle Phasen)

Pb Pb

Pb Pb

(C5H5)2Pb (Festkörper)

Cyclopentadienylligand C5H5 oder substituiertes Derivat C5H5–nRn

Die Stabilität nimmt vom Silicocen zum Plumbocen und mit steigender Substitution am Cyclopentadienylring zu. Die Darstellung gelingt leicht aus dem Metallchlorid und Cyclopentadienylnatrium: Synthese: MCl2 C 2 CpNa $% Cp2M C 2 NaCl

M Z Ge, Sn, Pb

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

627

Die gewinkelte Struktur der Sandwichverbindungen wird im Allgemeinen nach dem VSEPR-Modell auf die stereochemische Aktivität des freien Elektronenpaars zurückgeführt. Das freie Elektronenpaar in den Carben-analogen Metallocenen ist nach theoretischen Berechnungen bei den schweren Homologen des Kohlenstoffs aber nicht mehr das höchste besetzte Orbital (HOMO), sondern findet sich z. B. beim Stannocen etwa fünf Orbitale oder 2 eV unter diesem. Es steht deshalb für die Bildung von Lewis-Säure-Base-Addukten nicht zur Verfügung, sondern man findet bei der Umsetzung mit Lewis-Säure einen Angriff am Cp-lokalisierten HOMO, der zur Abspaltung eines Cyclopentadienylrings führt:

Sn Sn

BF3

+BF3 +

Sn

BF4– + C5H5BF2

Der Grad der Winkelung kann durch die Substituenten am Cyclopentadienylring in weiten Bereichen beeinflusst werden, wie ein Vergleich von vier Stannocenen illustriert: Änderung des Bindungswinkels am Zinnatom mit dem Substitutionsgrad in Stannocenen H H

H

H

H

H

H

Me Me

Me

Sn

H H

Me H

Me

Me3Si Sn

Me

Me Me

Me3Si Me

SiMe3

H

Me

H

SiMe3

H H

Ph

Ph

Sn

Ph

Ph

Ph

Sn

SiMe3

SiMe3

Ph

Ph

Ph

Ph

Ph

Winkel: 133° 144° 164° 180° (zwischen den Normalen vom Metallatom auf die Ringebenen – der Winkel zwischen den Ringebenen errechnet sich daraus als Differenz zu 180°)

Cyclopentadienyl-Metallat-Anionen. Als molekulare Ausschnitte aus der Struktur von polymerem C5H5Tl können die Cyclopentadienyl-Thallat (I)-Anionen [(C5H5)2Tl]K und [(C5H5)3Tl2]K angesehen werden. Sie kristallisieren aus der Reaktionslösung von C5H5Tl mit (C5H5)2Mg und C5H5Li. Das gewinkelt gebaute, metallocenartige [(C5H5)2Tl]K ist isoelektronisch mit den neutralen Metallocenen (C5H5)2E der 14. Gruppe (E Z Si, Ge, Sn, Pb; vgl. auch LithocenAnion). Entsprechende Cyclopentadienyl-Metallat (II)-Anionen findet man für die Elemente Zinn und Blei. Die Einwirkung von C5H5Li auf (C5H5)2Pb in Gegenwart eines Kronenethers (12-Krone-4) führt zu molekularen Anionen unterschiedlicher Größe. [(C5H5)5Pb2]K und [(C5H5)9Pb4]K konnten im Festkörper isoliert werden:

628

4 Organometallchemie

Cyclopentadienyl–Metallat-Anionen –







Pb Tl

Tl

Pb Pb

Pb Pb

Pb

Tl , C5H5

= [(C5H5)2Tl]–

[(C5H5)3Tl2]–

[(C5H5)5Pb2]–

[(C5H5)9Pb4]–

4.2.8 Subvalente Hauptgruppen-σ-Organyle und Element-ElementBindungen Das Prinzip der kinetischen Stabilisierung durch sterische Überfrachtung ermöglicht Isolierungen von monomeren und oligomeren subvalenten, d. h. niederwertigen Hauptgruppenorganylen mit σ-gebundenen Alkyl- oder Arylliganden. Sterisch anspruchsvolle Liganden müssen auch zur Stabilisierung von reaktiven Element-Element-Mehrfachbindungen verwendet werden. Gruppe 13. In den Dialkylmetallverbindungen ({(Me3Si)2CH}2M)2 haben die Metallatome M Z Al, Ga und In die formale Oxidationsstufe D2. Es liegt eine unverbrückte Metall-Metall-Bindung vor. Die Tendenz zur Disproportionierung in die ein- und dreiwertige Stufe wird durch den voluminösen Bis (trimethylsilyl)methylliganden, (Me3Si)2CH-, abgeblockt. Die Aluminiumverbindung ist aus der dreiwertigen Vorstufe des Dialkylaluminiumhalogenids durch Reduktion mit Kalium zugänglich: (Me3Si)2CH

(Me3Si)2CH Al Cl + 2 K

(Me3Si)2CH

CH(SiMe3)2 + 2 KCl Al (Me3Si)2CH CH(SiMe3)2 2.660 Å Al

Zur Synthese der Digallium- und Diindiumverbindung eignen sich besser anorganische Halogenide der zweiwertigen Element, mit bereits bestehender MetallMetall-Bindung: L

Br Br

M

M

(Me3Si)2CH + 4 (Me3Si)2CHLi

–2L L M = Ga, L = Dioxan M = In, L = Tetramethylethylendiamin Br

Br

M (Me3Si)2CH

CH(SiMe3)2 + 4 LiBr M CH(SiMe3)2

Ga–Ga 2.541 Å In–In 2.828 Å

Für die Monoalkylmetall (I)-Verbindungen der 13. Gruppe mit entsprechenden voluminösen Alkylliganden ist die Bildung von tetrameren (RM)4-Clustern im festen Zustand das Hauptstrukturmerkmal. Zur Stabilisierung dieser Wertigkeitsstufe hat sich der sterisch anspruchsvolle Tris (trimethylsilyl)methylligand,

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

629

(Me3Si)3C- bewährt. Der Zugang gelingt beim Aluminium durch reduktive Enthalogenierung des dreiwertigen Alkylaluminiumdiiodids: C(SiMe3)3 (Me3Si)3CAlI2·THF + Na/K

1 4

–THF

Al (Me3Si)3C Al

Al

C(SiMe3)3

+ NaI + KI

Al (Me3Si)3C Al–Al 2.74 Å

Die Gallium (I)- und Indium (I)-Derivate werden aus den dimeren Dihalogeniden der zweiwertigen Metalle in einer Disproportionierungsreaktion erhalten: C(SiMe3)3 L Br

Br Br

M

M

+ 3 (Me3Si)3CLi

Br

–2L

L M = Ga, L = Dioxan M = In, L = Tetramethylethylendiamin

1 4

M (Me3Si)3C M

M (Me3Si)3C

M

+ "[(Me3Si)3C]2MBr" + 3 LiBr

C(SiMe3)3

Ga–Ga 2.69 Å In–In 3.00 Å

Ursache dieses Reaktionsverlaufs ist vermutlich der sterische Anspruch der Liganden, der verhindert, dass in Analogie zu obigen R2MdMR2-Produkten vier Liganden um eine MdM-Einheit angeordnet werden können. Die Thalliumverbindung wird in direkter Ligandenaustauschreaktion aus Cyclopentadienylthallium und dem Lithiumalkyl dargestellt: (Me3Si)3C 4 C5H5Tl + 4 (Me3Si)3CLi (Me3Si)3C

Tl

Tl Tl

C(SiMe3)3

+ 4 C5H5Li

Tl Tl–Tl 3.33–3.64 Å C(SiMe3)3

In den Ga4- und In4-Tetraedern sind die Metall-Metall-Abstände fast gleich lang, und die Alkylgruppen zeigen radial vom Zentrum weg. In der Festkörperstruktur des Thalliumtetraeders findet man stark unterschiedliche Abstände und eine Abwinkelung der Liganden von etwa 35( von der Tetraedermittelpunkt-Tl-Achse. In benzolischer Lösung konnte die Existenz des Tetramers auch für die Aluminium- und Indiumverbindung gezeigt werden. Eine kryoskopische Molmassenbestimmung für den Galliumkomplex ergab je nach Konzentration trimere bis monomere Spezies. Das Thallium (I)-alkyl liegt in Lösung nur monomer vor. In der Gasphase konnten für alle vierkernigen Cluster nur Monomere beobachtet werden. Die Reaktion von tBuLi mit GaCl3 liefert als Nebenprodukt zu tBu3Ga den Cluster tBu9Ga9 als schwarzgrüne Kristalle und mit der Struktur eines dreifach überdachten Prismas.

630

4 Organometallchemie Ga9-Cluster in tBu9Ga9 (tBu nicht gezeigt) Ga

Ga Ga

Ga

Ga

Ga–Ga (Mittelwerte) 2.59 Å 2.67 Å 2.99 Å

Ga

Ga

Ga

Ga

Bei der Enthalogenierung von (2,6-Dimesitylphenyl)-dichlor-gallan mit Natrium bildet sich das Cyclotrigallan-Dianion. Dieses Cyclooligogallan sollte aufgrund seiner zwei π-Elektronen aromatischen Charakter besitzen.

3 R1GaCl2 + 8 Na

–6NaCl

2 Na+ +

2–

R1 Ga R1Ga

GaR1

Ga–Ga 2.44 Å R= (Ga)

R1:

= Me

R2:

= iPr

Variation des Liganden führt zu einem Digallin. Für die tiefrote, fast schwarze Verbindung Na2[R2Ga^GaR2] wurde die ursprünglich vorgeschlagene GadGaDreifachbindung kontrovers diskutiert und mittlerweile eher Richtung Doppelbindung eingeordnet. 2 R2GaCl2 + 6 Na

–4NaCl

2 Na+ +

2–

R2 2.32 Å Ga Ga 2

~131° R Ga–Ga-Bindungsordnung?

Ein metastabiles Gallylen-Dimer (Digallen) (R2Ga)2 ist ebenfalls bekannt. R2

2.63 Å Ga Ga ~123°

R2

Gruppe 14. Die Synthese und Isolierung von niedervalenten Dialkyl- oder Diarylmetallverbindungen der Metalle Ge, Sn und Pb setzt ebenfalls die Verwendung kinetisch stabilisierender sterisch anspruchsvoller Gruppen voraus. Die ersten Beispiele von Germylenen (Germenen), Stannylenen (Stannenen) und Plumbylenen (Plumbenen) wurden mit dem Bis (trimethylsilyl)methylliganden aus Metalldihalogenid und Lithiumorganyl synthetisiert:

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle 2 MCl2 + 4 (Me3Si)2CHLi

–4LiCl

2

(Me3Si)2CH

(Me3Si)2CH

M (Me3Si)2CH

M (Me3Si)2CH

631

CH(SiMe3)2 M CH(SiMe3)2

M = Ge, Sn, Pb

Die Carben-analogen Verbindungen sind in Lösung monomer. Für Germanium und Zinn konnte im Festkörper eine Dimerisierung zu einem Olefin-analogen Digermen (Digermylen) und Distannen (Distannylen) belegt werden. Die Metall-Metall-Bindung wird meistens als Doppelbindung formuliert. Anders als bei den Kohlenstoffolefinen und größtenteils auch noch den Systemen mit Si]SiDoppelbindung liegen bei den Digermenen und Distannenen die Liganden nicht mehr mit den beiden Metallatomen in einer Ebene, sondern zeigen eine transFaltung oder -Abwinklung. Wenngleich die theoretische Beschreibung der Metall-Metall-Bindung in diesen Dimeren etwas komplizierter ist, so kann man die trans-Faltung doch anschaulich über die Wechselwirkung zweier Singulett-Carben-Analoga als ein doppeltes Donor-Akzeptor-Addukt nachvollziehen (s. Abschn. 1.9).

M = Ge 32° M = Sn 41°

M = Ge 2.35 Å R R M = Sn 2.77 Å M M R

R R

M

R

M

R

R

Auch mit substituierten Arylliganden, z. B. C6H3-2,6-iPr2 oder C6H2-2,4,6-(CF3)3, können Germylene, Stannylene und Plumbylene synthetisiert werden. Mit letzterem Liganden wird im Festkörper ein monomeres Stannylen (Sn···Sn O 3.6 Å) und Plumbylen gefunden. Die voluminösen Liganden verhindern die Oligomerisierung zu (R2M)n, wie sie ansonsten für Germylene und Stannylene mit kleineren organischen Resten beobachtet wird (s. u.). Heterodimetallene der 14. Gruppe sind sehr selten. Ein Beispiel ist das Silylen-Stannylen.

26°

t Bu3Si tBu Si 3

2.42 Å Si Sn

C6H2iPr3 C6H2iPr3

10°

Die Struktur des Distannens mit der großen SndSn-Bindungslänge und der unterschiedlichen Winkelung an den beiden Zinnatomen weist darauf hin, dass nicht ein Molekül der Form R2Sn]SnR2, also ein doppeltes Donor-AkzeptorDimer, sondern eher eine polare Verbindung R2SnDdLSnR2 vorliegt. Dieses Distannen wird in Form schwarzer Kristalle erhalten.

632

4 Organometallchemie Me

MeMe Me

Me

Sn t

Bu

t

Bu

2.91 Å

Me 21°

Sn

t

Me

Bu tBu

MeMe

64°

Me

Me

Me

Als formales Alkin-Homologe kennt man bei der 14. Gruppe das PlumbylinDimer (R2Pb)2, dessen Bindungsordnung allerdings wie die des analogen Digallins sicher geringer als drei ist. R2 Pb

3.19 Å 94°

(R2 s. oben) Pb R2

Pb–PbBindungsordnung?

Sind die Liganden Heteroatome mit freien Elektronenpaaren oder enthalten diese, findet man statt der Dimerisierung (oder Oligomerisierung) über Metall-MetallBindungen eine Verbrückung über diese freien Elektronenpaare der Liganden. Ein Beispiel ist das im Festkörper dimere Mono-σ-organoblei (II)-chlorid: (PhMe2Si)3C 2 PbCl2 + 2 (PhMe2Si)3CLi

Cl

Pb

Cl

Pb

+ 2 LiCl

C(SiPhMe2)3

Anstelle der vorstehend beschriebenen Dimerisierung der schwereren CarbenAnaloge des Kohlenstoffs finden bei kleineren Resten R Oligomerisierungen zu Ketten oder Ringen unter Metall-Metall-Verknüpfung statt:

n Me2GeCl2

R2SnH2

+2nLi –2nLiCl

n Me2Ge

∆ HC(O)NMe2 (DMF)

Me2 GeMe2 Ge

Me2Ge

Ge Ge Me2 Me2

R2Sn

SnR2

R2Sn

SnR2 R2 Sn

R2Sn

R2Sn

R2 Sn

+

Me2Ge

R = CH2Ph

SnR2 R = Ph

Sn Sn R2 R2

R2 Sn

Me2 Ge

SnR2

Sn R2 Sn R2

R = C6H4-4-Me

Me2 Ge

GeMe2

Ge Me2 Ge + (Me2Ge)n' Me2

4.2 Hauptgruppenmetall- und -elementorganyle

6 Ph2SnCl2

Na-naphthalid (C10H8Na)

Ph2 Sn Ph2 SnPh2 Sn

Sn(C6H2iPr3)2

Na-naphthalid (C10H8Na)

3 (iPr3C6H2)2SnCl2

Sn Ph2 Sn Ph2

Ph2Sn

–12NaCl

633

(iPr3C6H2)2Sn

–6NaCl

Sn(C6H2iPr3)2

Auch ungesättigte Cyclopropen-analoge Dreiringe sind möglich, vor allem als Cyclotrigermene. Sie werden z. B. aus sterisch überladenen Silyl-Alkalimetallverbindungen und Germaniumdichlorid-Dioxan erhalten: t

Bu3Si

5 tBu3SiNa + 3 GeCl2·Dioxan

–Dioxan

tBu

3Si

Ge

Cl

Ge Ge

anstatt Cl auch Br, I, SiMe3 oder SitBu3 möglich + 5 NaCl SitBu3 + tBu3Si–SitBu3

Gruppe 15. Für die schweren Elemente der 15. Gruppe existiert ein stabiles Distiben und Dibismuthen mit Element-Element-Doppelbindung. (Me3Si)2CH

Sb–Sb = 2.64 Å Sb–Sb–C = 101° CH(SiMe3)2

(Me3Si)2CH E

(Me3Si)2CH

E

Bi–Bi = 2.82 Å Bi–Bi–C = 100°

CH(SiMe3)2

CH(SiMe3)2

4.2.9 Kation-Aren-π-Wechselwirkungen Kationen können an das π-System von neutralen aromatischen Verbindungen durch überraschend starke, nichtkovalente Kräfte gebunden werden, die man allgemein als Kation-π-Wechselwirkungen bezeichnet. In erster Näherung kann die Wechselwirkung als eine elektrostatische Anziehung zwischen einer positiven Ladung und dem Quadrupolmoment des aromatischen Systems angesehen werden. Ein besonderes Merkmal aromatischer Systeme ist die Kombination zweier sich eigentlich ausschließender Eigenschaften, nämlich die Möglichkeit zur Anbindung von Ionen und der hydrophobe Charakter.

634

4 Organometallchemie Kation-π-Wechselwirkung +

+



+









+

+







Beispiele für Kation-π-Wechselwirkungen finden sich bei den Alkalimetallen, bei den Metallen Gallium, Indium und Thallium in ihrer einwertigen Stufe, bei Zinn und Blei in der zweiwertigen und bei Bismut in der dreiwertigen Stufe. Zahlenmäßig die meisten derartigen Komplexe kennt man von Ga, In und Tl. Die Arenkomplexe werden relativ einfach durch Aufnahme der zugrunde liegenden MnC(M’XK 4 )n-Salze in den aromatischen Lösungsmitteln, in denen zum Teil eine erstaunliche Löslichkeit besteht, und Kühlung der Lösung in kristalliner Form erhalten. Es liegen dimere und häufiger polymere Strukturen vor, bei denen die Aren-koordinierten Metallatome über Halogen- oder Halogenmetallatgruppen verbrückt sind. Die Koordinationssphäre um die niedervalenten Metallionen wird durch eine größere Zahl von Halogenatomen ergänzt, die direkt als Gegenion vorliegen oder aus Tetrahalogenmetallat-Ionen stammen. Bei Ga, In, Tl, Sn und Pb besteht eine zentrische (hexahapto-, η6-)Koordination. Es werden Mono- und Bis (aren)komplexe gebildet. Beispiele für Kationen-π-Aren-Wechselwirkungen X X

M

X

M' X

X M'

In

X

Br

X M= M=

Ga: {[(π-C6H6)2GaI][GaIIICl4]}2 Tl: {[(π-C6H3Me3)2TlI][AlIIICl4]}2

Cl Cl

Sn

Cl Cl

Al

Cl

Cl ...

Cl

Cl

Sn

Cl

Cl

(π-C6H6)SnIICl(AlCl4)

Cl

Cl

Pb

Cl

Cl

In

Cl

... Al

Al...

Sb

Br

...

Cl

{[(π-C6H3Me3)2InI][InIIIBr4]}2

Cl Al Cl

Cl

Br

Br

... Cl ... Al

Br

In

Br

M

...

Br

Br X

Al Cl

Cl

Cl

Cl

Cl Cl

Sb

(π-C10H8)(SbIIICl3)2 Cl Al

...

Cl

(π-C6H6)PbII(AlCl4)2·C6H6

Kationen-π-Wechselwirkungen, darunter auch der Alkalimetalle, sind in einer Vielzahl von Proteinen von biologischer Relevanz. Die π-Systeme finden sich in den aromatischen Seitenketten der Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan. Das Vorliegen von Kationen-π-Wechselwirkungen in Proteinstrukturen schließt konventionelle Ionenpaar-Wechselwirkungen nicht aus, sondern

4.3 Übergangsmetallorganyle

635

beide Bindungsarten existieren nebeneinander. Kation-π-Wechselwirkungen sind eine von vielen nichtkovalenten Kräften, die zu biologischen Strukturen beitragen. In Wasser findet man für die Affinität von Alkalimetallen für eine π-Wechselwirkung die Ordnung KC O RbC OO NaC, LiC. Die Abfolge ist ein Kompromiss aus den gegenläufigen Trends der besseren Anbindung der kleineren Ionen an Arene, wie man es für Gasphasenkomplexe findet, und ihrer besseren Hydratisierung. Die absoluten Bindungsenergien von Ionen wie Kalium an πSysteme in Wasser dürften nicht sehr groß sein. Für die Selektivität und den Transport in Ionenkanälen, wo man solche Kalium-π-Wechselwirkungen annimmt, ist aber deren Schwäche gerade erwünscht. Dort ist ein hoher Ionendurchfluss gefordert, und die Selektivität muss von inhärent schwachen Wechselwirkungen herrühren. Solche Kalium-Ionenkanäle zeigen eine Selektivität von Kalium über andere Ionen wie Natrium von bis zu 1 000 : 1. Aus der Sequenzierung von zahlreichen Ionenkanälen zeigt sich, dass die kaliumselektiven Kanäle in dem Porenbereich, der für die Selektivität primär verantwortlich ist, immer vier Glycin-Tyrosin-Glycin-Sequenzen enthalten. Bei Kanälen, wo diese Sequenz fehlt, wird dementsprechend keine hohe Selektivität beobachtet.

4.3 Übergangsmetallorganyle 4.3.1 Carbonylkomplexe Das Kohlenmonoxidmolekül ist einer der wichtigsten σ-Donor.π-Akzeptor-Liganden. Metallverbindungen mit dem CO-Molekül werden Metallcarbonyle oder auch nur kurz Carbonylkomplexe genannt. In vielen Metallcarbonylen kann die Stöchiometrie durch die 18-Valenzelektronenregel erklärt und vorhergesagt werden. Kohlenmonoxid ist ein 2-Elektronen-Donorligand. Die CO-Gruppe bindet über das Kohlenstoffatom an das Metallatom. Metallcarbonyle sind strukturell interessant, von bindungstheoretischem Interesse und vor allem wegen ihrer katalytischen Wirkung technisch wichtig. Carbonylverbindungen sind aktive homogene oder heterogene Katalysatoren bei vielen großtechnischen Verfahren wie dem Monsanto-Essigsäureverfahren, der Hydroformylierung oder der Fischer-Tropsch-Synthese (s. Abschn. 4.4). Carbonylkomplexe und ihre Chemie sind im Prinzip auf die Übergangsmetalle oder d-Elemente als Zentralatome beschränkt. Kohlenmonoxid vermag die Übergangsmetalle in niedrigen, sogar negativen Oxidationsstufen zu stabilisieren. Für die Hauptgruppenmetalle, die Lanthanoide und Actinoide gibt es nur vereinzelte Beispiele für Metall-CO-Bindungen. Geschichtliches. Als erstes Metallcarbonyl wurde 1888 durch Mond und Langer das Nickeltetracarbonyl, Ni (CO)4, entdeckt. Langer versuchte Wasserstoff von Kohlenmonoxid zu reinigen und beobachtete, dass CO mit grüner Flamme brannte, wenn es vorher über Nickel geleitet worden war. Es zeigte sich dann, dass dieses Gas Nickeltetracarbonyl enthielt, welches sich beim Überleiten von CO über fein verteiltes Nickel bildet. Aus dieser Zufallsentdeckung wurde das

636

4 Organometallchemie

Mond-Verfahren zur Reinigung von Nickel entwickelt. Nickeltetracarbonyl zerfällt bei thermischer Belastung unter Umkehrung seiner Bildung. Im Jahr 1891 wurde das Eisenpentacarbonyl, Fe (CO)5, entdeckt, welches gleichfalls aus dem Metall und Kohlenmonoxid gebildet werden kann. Ab 1928 setzte eine intensive Erforschung der Metallcarbonyle durch Walter Hieber in Würzburg, später in München ein. Diese Untersuchungen erschlossen eine neue Chemie mit Metallatomen in der Oxidationsstufe null.

4.3.1.1 Binäre Metallcarbonyle − Synthesen, Strukturen, Eigenschaften Die meisten Übergangsmetalle können mit Kohlenmonoxid isolierbare Verbindungen bilden, die nur aus dem Metall und CO-Liganden aufgebaut sind, daher die Bezeichnung binär. Ausnahmen sind die Metalle der 4. Gruppe (Ti, Zr, Hf), die schwereren Metalle der 5. und 10. Gruppe (Nb, Ta und Pd, Pt) und die Münzmetalle (Cu, Ag, Au). Auf die Gründe, weshalb von den genannten Metallen unter Standardbedingungen keine binären Carbonyle existieren, werden wir weiter unten zu sprechen kommen. Bei den Carbonylkomplexen unterscheidet man oft zwischen einkernigen und mehrkernigen Verbindungen. Da CO ein Elektronenpaar liefert, können binäre einkernige Verbindungen gemäß der 18-Elektronenregel eigentlich nur von Metallen mit gerader (Valenz-)Elektronenzahl gebildet werden, also von den Elementen der Chrom- und Eisentriade sowie von Nickel (6., 8. und 10. Gruppe). Eine Ausnahme ist Vanadium, von dem es eine 17-Valenzelektronen-Spezies, das Vanadiumhexacarbonyl, gibt. Dieses V(CO)6Radikal nimmt jedoch bereitwillig ein Elektron auf, lässt sich also leicht zum stabileren Hexacarbonylvanadat (K1)-Anion reduzieren. Die zunächst merkwürdig anmutende Oxidationsstufe K1 für ein Metallatom wird uns später bei den Carbonylmetallaten (Abschn. 4.3.1.3) wieder begegnen. Metalle mit einer ungeraden Elektronenzahl aus der Mangan- und Cobalttriade (7. und 9. Gruppe) bilden zwei- und mehrkernige Carbonylcluster. Es treten Metall-Metall-Bindungen auf, womit die Metallatome jeweils die 18-Elektronenkonfiguration erreichen. Die oktaedrische Ligandenumgebung verhindert beim V(CO)6 eine entsprechende Dimerisierung. Tabellen 4.7 und 4.8 geben eine vergleichende Übersicht zu den binären ein- und mehrkernigen Metallcarbonylen. Die Bildung mehrkerniger Carbonyle ist auf die Gruppen 7 bis 9 beschränkt. Die Eisentriade ist die einzige Gruppe, in der ein- und mehrkernige Carbonyle gebildet werden. Die einkernigen Carbonyle in der Gruppe 8 mit der Formel M(CO)5 genügen der 18Valenzelektronenregel. Sie besitzen jedoch die ungünstige Koordinationszahl 5. Mit der Bildung mehrkerniger Carbonyle erreichen das Eisenatom und seine Homologen die Koordinationszahl 6. Darstellungen der binären Metallcarbonyle (a) Direkte Reaktion zwischen Metall und CO. Dieses ist die älteste Darstellungsmethode. Der erste Carbonylkomplex, das Nickeltetracarbonyl, wurde auf diese Weise erhalten. Die Umsetzung von aktiviertem Metall, d. h. in einer genügend feinen Verteilung mit Kohlenmonoxid bei erhöhter Temperatur ohne oder

4.3 Übergangsmetallorganyle

637

Tabelle 4.7 Binäre einkernige Metallcarbonyle. Gruppe 4 Ti, Zr, Hf

5 V, Nb, Ta

unter Normalbedingungen werden keine binären Carbonyle gebildet a)

Cr (CO)6 V(CO)6 von Niob und Mo (CO)6 Tantal kennt W(CO)6 man unter Normalbedingungen keine binären Carbonyle

allgemeine V(CO)6 bilEigendet schwarze schaften: Kristalle, Zersetzung bei K70 (C, sublimiert im Vakuum Struktur: oktaedrisch

a) b)

6 7 Cr, Mo, W Mn, Tc, Re

8 Fe, Ru, Os

9 Co, Rh, Ir

10 Ni, Pd, Pt

11 Cu, Ag, Au

Fe (CO)5 Ru (CO)5 Os (CO)5

Ni (CO)4 von Palladium und Platin kennt man unter Normalbedingungen keine binären Carbonyle

unter Normalbedingungen werden keine binären Carbonyle gebildet b)

farblose Kristalle, sublimieren im Vakuum

gelbe bis farblose Flüssigkeiten mit Schmelzpunkten um K20 (C

farblose Flüssigkeit, Schmelzpunkt K25 (C

oktaedrisch

trigonalbipyramidal

tetraedrisch

In der Matrix hat man ein Ti(CO)6 nachgewiesen. Bei den Münzmetallen sind in der Argonmatrix die folgenden einkernigen Carbonyle belegt: Cu(CO)3 (17-VE-Komplex), Ag(CO)n (n Z1K3), Au(CO)n (n Z 1, 2).

mit gleichzeitiger Anwendung von Druck ergibt aber nur im Fall von Nickel, Cobalt und Eisen die Carbonyle Ni (CO)4, Co2 (CO)8 und Fe (CO)5: Ni + 4 CO 2 Co + 8 CO Fe + 5 CO

80 °C (drucklos) 150-200 °C CO-Druck 150-200 °C CO-Druck

Ni(CO)4 (Mond-Verfahren) Co2(CO)8 Fe(CO)5

(b) Reduktion von Metallsalzen in Gegenwart von CO (reduktive Carbonylierung). Dieser Reaktionstyp ist für jede Carbonylverbindung unter jeweils speziellen Bedingungen möglich. Kohlenmonoxid kann dabei selbst als Reduktionsmittel wirken, wie die Darstellung von Re2 (CO)10 und Ru (CO)5 zeigt: Re2O7 C 17 CO $% Re2 (CO)10 C 7 CO2 2 RuI3 C 13 CO $% 2 Ru(CO)5 C 3 COI2 ( $% CO D I2)

638

4 Organometallchemie

Tabelle 4.8 Binäre mehrkernige Metallcarbonyle. Gruppe 4 Ti, Zr, Hf

5 V, Nb, Ta

6 7 8 9 Cr, Mo, W Mn, Tc, Re Fe, Ru, Os Co, Rh, Ir

10 Ni, Pd, Pt

11 Cu, Ag, Au

unter Normalbedingungen werden keine binären Carbonyle gebildet

keine binären mehrkernige Carbonyle bekannt

keine binären mehrkernige Carbonyle bekannt

Mn2 (CO)10 Fe2 (CO)9, Fe3 (CO)12 Tc2 (CO)10 Ru2 (CO)9 Ru3 (CO)12 Re2 (CO)10 Os2 (CO)9 Os3 (CO)12

keine binären mehrkernige Carbonyle bekannt

unter Normalbedingungen werden keine binären Carbonyle gebildet

allgemeine Eigenschaften:

gelbe bis weiße Feststoffe mit Schmelzpunkten zwischen 154 und 177 (C

Co2 (CO)8, Co4 (CO)12 Rh4 (CO)12, Rh6 (CO)16 Ir4 (CO12

Fe2 (CO)9: glänzende, goldene Plättchen; Ru2 (CO)9 und Os2 (CO)9 orange und leicht zersetzlich

Anmerkung zu Tabelle 4.7 und 4.8: Bei Metallen ohne neutrale binäre Metallcarbonyle kennt man allerdings reduzierte homoleptische Carbonylmetallate [Ti(CO)6]2K [Zr(CO)6]2K [Nb(CO)6]K [Hf(CO)6]2K [Ta(CO)6]K [Nb(CO)5]3K [Ta(CO)5]3K oder homoleptische Carbonylkomplex-Kationen (s. Abschn. 4.2.1.3): [Cu(CO)1K4]C 2C [Pd(CO)4] [Ag(CO)1K3]C [Pt(CO)4]2C [Au(CO)2]C

Eine Reduktion von Hexaamminnickel (II) mit CO zu Ni (CO)4 ist in wässriger Lösung möglich: [Ni(NH3)6]2C C 5 CO C 2 H2O $% Ni(CO)4 C (NH4)2CO3 C 2 NHC 4 C 2 NH3

Für Reduktionen in wässrigen Systemen eignet sich auch Dithionit, S2O 42K: 2K

2K

Ni2C C S2O 4 C 4 OHK C 4 CO $% Ni(CO)4 C 2 SO 3 C 2 H2O

Die Synthese der Hexacarbonyle der 6. Gruppe gelingt durch Reduktion der Metalltrichloride mit Aluminiumpulver in Gegenwart von Kohlenmonoxid:

4.3 Übergangsmetallorganyle CrCl3 + Al + 6 CO

140 °C 300 bar CO Benzol

639

Cr(CO)6 + AlCl3

Weitere Reduktionsmittel sind z. B. Zinkorganyle 2 MnI2 C 2 ZnR2 C 10 CO $% Mn2 (CO)10 C 2 ZnI2 C 2 RdR

und Wasserstoff: 10 RhCl3 (H2O)3 C 28 CO C 15 H2 $% Rh4 (CO)12 C Rh6 (CO)16 C 30 HCl C 30 H2O

(c) Oxidation von Carbonylmetallaten und Carbonylhydriden. In einigen Fällen sind Carbonylmetallate oder Carbonylhydride (Abschn. 4.3.1.3) durch direkte Synthesen gut zugänglich und können für die Darstellung der binären Metallcarbonyle genutzt werden. Beispiele finden sich in der elektrochemischen Oxidation von Co (CO)K 4 zu Dicobaltoctacarbonyl K

Elektrolyse

2 Co(CO)4 $$$$$$$% Co2 (CO)8 C 2 eK

und in der thermisch induzierten Eliminierung von Wasserstoff aus HV (CO)6: 25 (C

1

HV(CO)6 $$$$% V(CO)6 C H2 2

(d) Thermische oder photochemische Umwandlung einkerniger in mehrkernige Carbonyle. Die einkernigen Metallcarbonyle von Eisen, Ruthenium und Osmium reagieren bei Einwirkung von Licht- oder thermischer Energie unter Bildung der höhernuklearen Cluster, z. B. Fe (CO)5, zu Dieisennona- und Trieisendodecacarbonyl: 6 Fe(CO)5

hν (UV) –3CO

3 Fe2(CO)9

Fe3(CO)12 + 3 Fe(CO)5

Die Photo- oder Thermolyse eines Metallcarbonyl-Gemischs kann für die Bildung heteronuklearer mehrkerniger Metallcarbonyle genutzt werden: –1 Mn2(CO)10 + –12 Re2(CO)10 2

hν oder 220 °C

(OC)5Mn–Re(CO)5

Fe(CO)5 hν, –CO

(OC)5Mn–Fe(CO)4–Re(CO)5

(e) Kopplungsreaktion zwischen Metallcarbonylhalogeniden und Carbonylmetallaten. Durch diese Reaktion sind gemischte mehrkernige Metallcarbonyle zugänglich: Re(CO)5Cl C NaMn(CO)5 $% (OC)5ReKMn(CO)5 C NaCl

Molekülstrukturen der binären Metallcarbonyle Die einkernigen Carbonyle zeigen die erwartete oktaedrische, trigonal-bipyramidale und tetraedrische Koordination für M (CO)6, M (CO)5 und Ni (CO)4.

640

4 Organometallchemie

OC

OC

O C M

O C

O C CO

OC

CO

M

CO

CO

C O M = Fe, Ru, Os D3h

C O M = Cr, Mo, W Punktgruppe Oh

OC

Ni CO

CO

Ni(CO)4 Td

Beim Dimangandecacarbonyl und seinen Homologen M2 (CO)10 liegen unverbrückte Metallhanteln vor. Jedes Metallatom ist von fünf Carbonylliganden und dem anderen Metallatom koordiniert. Im Festkörper besteht eine gestaffelte Anordnung der jeweils vier equatorialen CO-Liganden zueinander. OC

CO

M

OC

OC

OC

CO M

CO

CO

CO

CO M = Mn, Tc, Re D4d

In der Eisentriade findet man für die mehrkernigen Cluster zwei- und dreikernige Strukturen. Von den zweikernigen ist nur das Dieisennonacarbonyl, Fe2 (CO)9, genauer strukturell charakterisiert. Drei CO-Brücken verknüpfen hier die beiden Eisenatome, von denen jedes noch drei terminale CO-Liganden trägt. Das Vorliegen der FedFe-Bindung war lange Zeit Gegenstand von Diskussionen. Die Fe2 (CO)9-Struktur kann als flächenverknüpftes Di-Oktaeder betrachtet werden. O C

OC

OC

OC

Fe

C O

C O

CO

Fe

CO

CO

Fe2(CO)9 D3h

Den dreikernigen Carbonylen M3 (CO)12 der Eisentriade ist ein Dreieck aus den Metallatomen als Fragment gemeinsam. Im Trieisendodecacarbonyl, Fe3 (CO)12, ist eine der drei FedFe-Bindungen durch zwei CO-Liganden überbrückt. Die betreffenden Eisenatome haben nur noch drei terminale Carbonylgruppen. Man kann sich diese Struktur auch vom Fe2 (CO)9 durch Ersatz einer der CO-Brücken mit einer OFe (CO)4-Gruppe ableiten. Es liegen zwei verschiedene Eisenatome im Verhältnis 2 : 1 vor. Ein erster Hinweis auf diese Struktur wurde durch die 57 Fe-Mößbauer-Spektroskopie gegeben, mit der die unterschiedlichen Eisenatome detektiert werden konnten. Bei Ruthenium und Osmium liegen nur unverbrückte Metall-Metall-Bindungen vor, und entsprechend trägt jedes Metallatom vier terminale CO-Liganden.

4.3 Übergangsmetallorganyle

OC

CO

O Fe C C

OC

OC

O C

Fe

O

Fe

C O

OC

CO

OC

CO

OC

O C M

OC

O C

641

CO

M O C C O

M

C O

CO

CO

C O M3(CO)12, M = Ru, Os D3h

CO

Fe3(CO)12 C2v

Dicobaltoctacarbonyl, Co2 (CO)8, ist das einzige Dimer aus seiner Gruppe und weist zwei Strukturen auf, die miteinander im Gleichgewicht stehen. Die verbrückte Festkörperstruktur kann man aus Fe2 (CO)9 durch Entfernen einer Carbonylbrücke abgeleitet denken. In der Gasphase liegt nur die unverbrückte Struktur mit trigonal-bipyramidaler Fünffachkoordination an jedem Cobaltatom vor. OC

CO

OC

OC

Co

OC

C O

CO

Co

C O

O C

CO

OC Co

CO

C O

Co2(CO)8 C2v (Festkörper)

Co CO

OC

CO

Co2(CO)8 D3d (Gasphase)

Bei den vierkernigen Tetrametalldodecacarbonyl-Clustern findet man im Festkörper für Co4 (CO)12 und Rh4 (CO)12 C3v-symmetrische Strukturen. Drei Kanten einer Tetraederfläche sind von insgesamt drei CO-Liganden überbrückt. Es ergeben sich zwei verschiedene Metallatome im Verhältnis 3 : 1. Beim Tetrairidiumdodecacarbonyl, Ir4 (CO)12, liegt die hochsymmetrische tetraedrische Struktur mit ausschließlich terminalen Carbonylliganden vor. O

O

OC C CO M OC M OC C O

OC C CO Ir

O C

CO OC O OC Ir C M OC M C CO

C O

O

M4(CO)12, M = Co, Rh C3v

CO

Ir CO

OC

Ir C O

CO

CO

Ir4(CO)12 Td

Im hexanuklearen Carbonylcluster Rh6 (CO)16 bilden die sechs Rhodiumatome einen oktaedrischen Grundkörper und jedes trägt zwei terminale CO-Liganden. Die verbleibenden vier CO-Gruppen überdachen vier Oktaederflächen, wobei sie die Ecken eines gedachten Tetraeders besetzen.

642

4 Organometallchemie CO

OC Rh

OC

CO

CO

CO OC OC Rh

Rh OC

OC

OC

Rh

Rh

CO

Rh OC

CO CO

CO

Rh6(CO)16 Td

Elektronische Struktur der binären Metallcarbonyle Die polyedrischen Strukturen der Metallcarbonyle können je nach Clustergröße und Fragestellung nach verschiedenen Konzepten gedeutet werden. Valenzbindungstheorie und 18-(Valenz-)Elektronenregel (s. Abschn. 3.9.1 und 3.10.3). Die VB-Theorie erlaubt über die dxspy-Hybridisierung eine rasche Korrelation von dn-Valenzelektronenkonfiguration, Koordinationszahl und Struktur der Metallcarbonyle. Jedes Metallatom benutzt seine neun Valenzorbitale. Für ein stabiles Metallcarbonyl muss die Summe aus den Metall-d-Elektronen und den Elektronen der CO-Liganden 18 betragen. Jeder CO-Ligand steuert 2 Elektronen bei. Die Koordinationszahl folgt aus der 18-Elektronenregel. Die 18-Elektronenregel lässt sich gut auf Carbonyl- u. ä. Komplexe mit starken σ-Donor(CNK, HK) oder π-Akzeptorliganden (CO, NOC, organische π-Liganden) anwenden. In derartigen Komplex liegen die antibindenden dσ*-Orbitale energetisch hoch und sind wahrscheinlich unbesetzt. Die bei π-Akzeptorliganden bindenden dπ-Orbitale liegen bei relativ niedriger Energie und müssen in einem stabilen Komplex besetzt sein. Kleinere Metallcarbonylcluster Ma(CO)b mit a % 5 folgen gut der 18-Elektronenregel. Die Metall-Gerüstatome werden in diesen kleineren Metallcarbonylclustern durch 2-Zentren.2-Elektronen-(2Z.2E-)Metall-Metall-Bindungen zusammengehalten. Für a R 6 gibt es Abweichungen von der 18-Elektronenregel aufgrund von Metall-Metall-Mehrzentrenbindungen, und es müssen spezielle Cluster-Zählregeln angewendet werden. Beispiele zur Deutung von Metallcarbonylstrukturen mit der Valenzbindungstheorie/18-Elektronenregel dspOrbitale Cr(CO)6 C C O O

C O

Oktaeder

sp3-Hybridisierung

Tetraeder

C C C O O O

Ni(CO)4 C O

d2sp3-Hybridisierung

C C C O O O

4.3 Übergangsmetallorganyle

643

•Mn(CO)5 Mn2(CO)10

C O

C O

C C C O O O

C O

C O

C C C O O O

•Mn(CO)5

Fe2(CO)9

CO CO

CO C C C O O O C C C O O O

jeweils d2sp3-Hybridisierung am Metallatom und damit oktaedrische Koordination

C O

C C C O O O

C O

C C C O O O

C O

C C C O O O

Ru3(CO)12

Ebenfalls noch mit dem VB-Konzept.18-Elektronenregel zu beschreiben sind die vierkernigen Metallcluster der Cobaltgruppe. Der Leser möge eine solche Beschreibung einmal selber versuchen. Vielleicht wird man an dieser Stelle einwenden, dass für die Anwendung der 18-Elektronenregel die zugrunde liegende Metallfragmentstruktur ja bereits bekannt sein muss. Dem ist jedoch nicht so, wie folgende Rechnung für die vierkernigen Cluster zeigen soll: In den Metallcarbonylen M4 (CO)12 (M Z Co, Rh, Ir) tragen die zwölf CO-Liganden 24 Elektronen zur Gesamtbilanz bei. Die vier d9-Metallatome liefern 36 Elektronen. Von der Summe von 60 Elektronen fehlen aber noch 12 Elektronen zu den für vier Metallatome benötigten (4 ! 18 Z) 72 Elektronen. Die fehlenden 12 Elektronen müssen sich aus der Teilung zwischen den Metallatomen in Form von MetallMetall-Bindungen ergeben. Wenn jede Metall-Metall-Bindung zwei Elektronen enthält, entspricht dies 6 Metall-Metall-Bindungen, wie sie zum Beispiel im Tetraeder vorliegen. M4 (CO)12 (M Z Co, Rh, Ir) 12 CO ! 2 eK Z C 4 M ! 9 eK Z

24 eK 36 eK 60 eK benötigt werden 4 M ! 18 eK Z 72 eK K12 eK : 2 Z 6 MdM-Bindungen

Die VB-Methode.18-Elektronenregel scheitert aber bei der Charakterisierung z. B. des höherkernigen Rh6 (CO)16-Clusters. Eine analoge Rechnung ergibt nämlich 11 MdM-Bindungen. Der Rh-Oktaeder wäre aber mit 12 lokalisierten 2 Z. 2 E-MdM-Bindungen zu beschreiben. Ursache ist das Vorliegen delokalisierter Metall-Metall-Bindungen. Diese Clusterstruktur ist also mit der 18-Valenzelektronenregel oder dem VB-Konzept nicht mehr zu deuten. Allgemein ist die 18Elektronenregel für Carbonylcluster mit mehr als fünf Metallatomen ungeeignet. Die 18-Elektronenregel erlaubt auch keine Voraussage hinsichtlich der Anordnung der Carbonylliganden um das Metallgerüst. Strukturen mit verbrückenden und mit ausschließlich terminalen CO-Gruppen werden identisch beschrieben.

644

4 Organometallchemie Rh6 (CO)16 16 CO ! 2 eK Z C 6 M ! 9 eK Z

32 eK 54 eK 86 eK benötigt werden 6 M ! 18 eK Z 108 eK K22 eK : 2 Z 11 MdM-Bindungen

Isolobalanalogie. Ein zweiter Ansatzpunkt zur Deutung der Carbonylcluster ergibt sich aus der MO-Theorie im Rahmen der Isolobalanalogie. Der Begriff „isolobal“ geht auf Roald Hoffmann zurück und bezeichnet eine Ähnlichkeit in den Grenzorbitalen zweier Fragmente. Da die Grenzorbitale eines Fragmentes seine Chemie sehr wesentlich prägen, kann sich aus der isolobalen Beziehung eine Verwandtschaft im chemischen Verhalten und in den gebildeten Strukturen ergeben. Bei den Fragmenten, die zueinander isolobal sind, kann es sich um offenschalige, in Substanz nicht existente Teilchen oder um stabile Moleküle handeln. Definition: Zwei Fragmente sind isolobal, wenn Anzahl, Symmetrieeigenschaften, ungefähre Energie und Gestalt ihrer Grenzorbitale sowie die Anzahl der Elektronen in diesen ähnlich sind K nicht gleich, aber ähnlich. Eine Isolobalbeziehung wird durch einen zweiköpfigen Pfeil mit einem in der Mitte hängenden halben Orbital symbolisiert. Grundlegende Isolobalbeziehungen organisches Fragment

Übergangsmetallfragment

Beispiel

H 3C

C

d7-ML5

M

(OC)5Mn

H2C

C

d8-ML4

M

(OC)4Fe

HC

C

d9-ML3

M

(OC)3Co

dx = Valenzelektronenzahl am Metallatom, L = 2-Elektronen-Donorligand Erweiterungen L Bsp. H2C

Beziehung zu Wade-Regeln 2 e– d6-ML5 d8-ML4 d10-ML3

CH d7-ML5 d8-ML4 d9-ML3

BH– Gerüstelektronen 5 4 3

Wade-Regeln Zunächst wird die Zahl der Gerüstelektronen oder -paare n’ ermittelt: K jede :BdH Einheit liefert 2 Gerüstelektronen : BdH $% K jede rCdH Gruppe liefert 3 Gerüstelektronen rCdH $% K jedes zusätzliche H-Atom liefert 1 Gerüstelektron ·H $% K Ionenladungen cK sind zusätzlich zu berücksichtigen cK

%$2 eK 3 eK 1 eK c eK

4.3 Übergangsmetallorganyle

645

(Zahl der Gerüstelektronen) : 2 Z Zahl der Gerüstelektronenpaare n’ Zahl der Bor-, Kohlenstoff- oder Metallatome Z Gerüstatome n Vergleich Gerüstelektronenpaare

Gerüstatome

Strukturtyp

Strukturgeometrie

n’ Z n’ Z n’ Z n’ Z n’ Z n’ Z

nK1 n nC1 nC2 nC3 nC4

K K closo nido arachno hypho

(nK2)-Eck-Polyeder, 2 Flächen überdacht (nK1)-Eck-Polyeder, 1 Fläche überdacht n-Eck-Polyeder, 0 Ecken frei (nC1)-Eck-Polyeder, 1 Ecke frei (nC2)-Eck-Polyeder, 2 Ecken frei (nC3)-Eck-Polyeder, 3 Ecken frei

Anorganische oder metallorganische Fragmente und Moleküle werden durch die Isolobalanalogie auf organische Teilchen zurückgeführt. Die Isolobalanalogie bildet Brücken zwischen der anorganischen, organischen und metallorganischen Chemie und erlaubt partiell eine einheitliche Betrachtungsweise dieser drei Gebiete. Strukturen von Metallcarbonylclustern werden durch die Verknüpfung mit den Wade-Regeln anhand der Bor-Polyeder in Boranen erklärt. So kann z. B. die zweikernige Mn2 (CO)10-Struktur auf das Ethanmolekül zurückgeführt werden. Auch das gemischte Pentacarbonyl (methyl)mangan ist bekannt: d7-ML5

H3C (OC)5Mn–Mn(CO)5

(OC)5Mn–CH3

H3C–CH3

Die dreikernigen Cluster der Eisentriade sind mit dem Cyclopropan verwandt: H 2C

d8-ML4

(OC)4Os

Os(CO)4

(OC)4Os

H 2C

H 2C

CH2

Die Metallstruktur der vierkernigen Cluster der Cobaltgruppe kann durch den Vergleich mit dem Tetrahedranmolekül verstanden werden: HC

H C

(CO)3 Ir

d9-ML3 (OC)3Ir

Ir(CO)3

Ir (CO)3

HC

CH

C H

Anhand dieser Beispiele wird deutlich, dass die Isolobalanalogie zwar das Metallgerüst plausibel machen, für das Auftreten oder Nichtauftreten von BrückenCOs aber keine Erklärung bieten kann und hier an Grenzen stößt. Weiterhin ist zu beachten, dass die Isolobalanalogie bezüglich der Stabilität von Metallkomplexen, die sich umgekehrt aus der Vorgabe von organischen Molekülen ableiten lassen, keine Voraussage erlaubt. Ein Beispiel hierfür ist der zweikernige Komplex (OC)4Fe]Fe (CO)4, der sich aus dem Ethylen ableiten lässt, aber lediglich

646

4 Organometallchemie

im Rahmen einer Tieftemperaturmatrixisolation erhalten werden konnte. Als CO- oder als Fe (CO)4-Addukt ergeben sich aus diesem Komplex die bekannten zwei- und dreikernigen Eisencarbonylkomplexe Fe2 (CO)9 und Fe3 (CO)12, die dann wiederum zum Cyclopropan und zum Tetracarbonyl (ethylen)eisen isolobal sind: nur Matrixisolation

(OC)4Fe

Fe(CO)4

CO H 2C

CH2

(OC)4Fe

C O

Fe(CO)4 (OC)4Fe

Fe(CO)4

Fe(CO)4

C O (COUmlagerung) O C

OC

OC

OC

Fe

C O

C O

R 2C

Fe (CO)4

CO

Fe

CO

OC

OC

CO

Fe

OC

OC

O C

C O

CR2

Fe (CO)4 O C Fe C O

CO CO

Fe

CO

CO

Mit der Isolobalanalogie lässt sich die oktaedrische Struktur des Rh6 (CO)16Clusters verstehen. Über den gegenseitigen Ersatz von 2-Elektronen-Donorliganden (L) und Metallelektronenpaaren (2eK) wird zunächst die Zahl der Carbonylliganden auf 18 gebracht, sodass der Cluster gedanklich in sechs d9-Rh (CO)3Fragmente aufgespalten werden kann, die zur CH-Gruppe isolobal sind. Mittels der Isolobalbeziehung zwischen CH-Gruppe und BHK-Fragment kann dann der Rh6 (CO)16-Cluster auf das Boranation B6H 62K zurückgeführt werden, für das sich nach den Wade-Regeln eine closo-Struktur mit einem Oktaeder als Gerüst ergibt. Alternativ kann eine direkte Zuordnung von Rh (CO)x-Fragmenten (x Z 2, 3) zu Gerüstelektronen erfolgen. alternative direkte Zuordnung dx-MLy zu Gerüst-e– Rh6(CO)16 = 4 x Rh(CO)3 + 2 x Rh(CO)2 oder = 6 x Rh(CO)2 + 4 CO 4 x d9-ML3 = 4 x 3 = 12 Gerüst-e– 2 x d9-ML2 = 2 x 1 = 2 Gerüst-e– oder 6 x d9-ML2 = 6 x 1 = 6 Gerüst-e– 4 x CO = 4 x 2 = 8 Gerüst-e– 14 Gerüst-e– : 2 = n' = 7 Gerüstatome n = 6

Rh6(CO)16

+2L/–4e–

[Rh6(CO)18]4+ d9-ML3 /CH

[B6H6]2– closo

[(CH)6]4+ CH/BH–

Konzept der Liganden-Polyeder. Ein Ansatz zur Erklärung für eine verbrückende oder ausschließlich terminale Anordnung der CO-Liganden könnte in den Größenunterschieden der Metallatome liegen. Die einfache Annahme, dass Ruthenium-, Osmium- und Iridiumatome zu groß sind und die Metall-Metall-Bindung zu lang, um durch CO überbrückt werden zu können, greift aber zu kurz. Man kennt zahlreiche Verbindungen mit CO-überbrückten RhdRh-, OsdOs- und IrdIr-Bindungen, darunter solche mit zu Fe3 (CO)12 und Co4 (CO)12 ähnlichen Strukturen:

4.3 Übergangsmetallorganyle Beispiele für CO-überbrückte M–M-Bindungen, M = Ru, Os, Ir

OC

OC

OC

Ru

OC

O C

O Ru C C O

C O

CO

Ru

OC

N

C N O

Ru–Ru 2.76, 2.80, 2.80 Å

OC

OC

Os

OC

H C O

O C Os C O

O

OC C CO Ir

+

CO

OC

CO

Os

CO

CO

Os–Os 2.81, 2.86, 2.86 Å

647

CO O C Ir OC C Ir C CO O O Ph2P Au–PPh3 Ir

Et4N–

O C

Ir–Ir 2.70-2.75 Å

Den bisherigen Erklärungsansätzen mit der 18-(Valenz-)Elektronenregel oder der Isolobalanalogie war gemeinsam, dass die Struktur ausgehend von den Metall-Polyedern betrachtet wurde. Eine alternative Sicht zum Aufbau mehrkerniger Metallcarbonyle geht über die Liganden-Polyeder und beruht auf folgenden Annahmen: K Die Geometrie der Ligandenhülle und damit die Verteilung der verbrückenden und terminalen Carbonylliganden wird bestimmt durch vergleichsweise schwache, nichtbindende Ligand 4 Ligand-Wechselwirkungen (inter-Carbonyl-Abstoßungen; der effektive CO-Radius beträgt 3.0 Å). K Bei der Anordnung der Ligandenhülle wird der Raumbedarf des zentralen Mn-Gerüsts berücksichtigt. K Die Grundzustandsstruktur wird nicht durch starke gerichtete Metall-LigandBindungen bestimmt. Die CO-Liganden in den binären Carbonylclustern besetzen Positionen, die in guter Näherung, also bei nur geringer Verzerrung den Ecken von regulären oder halbregulären Polyedern entsprechen. Polyederdarstellungen sind in Abb. 4.3 den konventionellen Kugel-Stab-Darstellungen gegenübergestellt. Bei Mn2 (CO)10 bilden die CO-Liganden ein zweifach überdachtes quadratisches Antiprisma, bei Fe2 (CO)9 ein dreifach überdachtes trigonales Prisma. Die optimale Anordnung von 12 Liganden auf einer Kugeloberfläche (unter Minimierung der Ligandenwechselwirkungen) ist das Ikosaeder. Etwas weniger günstig sind das Anti-Cuboktaeder oder das Cuboktaeder. Bei den kleineren Clustern Fe3 (CO)12 und M4 (CO)12 (M Z Co, Rh) sind die sterischen Wechselwirkungen der CO-Liganden stärker bestimmend, sodass hier das Ikosaeder ausgebildet wird. Bei den größeren Clustern M3 (CO)12 (M Z Ru, Os) und Ir4 (CO)12 mit mehr Platz auf der Kugeloberfläche des Metallclusters sind die sterischen CO-Wechselwirkungen weniger wichtig, und die Ligandenhüllen können den weniger günstigen anticuboktaedrischen Typ einnehmen. Allgemein zeigt sich, dass mit zunehmender Größe der zentralen Mn-Metallclustereinheit sterisch weniger günstige, d. h. weniger dicht gepackte Carbonyl-Polyeder ausgebildet werden. In das CarbonylPolyeder wird die Metallclustereinheit entsprechend ihrem Raumbedarf eingebettet. Zwischen verbrückter und unverbrückter Form bestehen nur geringe Energieunterschiede, was durch den beobachteten stereochemisch fluktuierenden Charakter von Carbonylclustern in Lösung gestützt wird. Aus NMR-Untersuchungen an 13CO-markierten Carbonylclustern wurde eine Aktivierungsenergie von etwa

648

4 Organometallchemie

Mn

Fe

Mn

Fe

Mn2(CO)10, zweifach überdachtes quadratisches Antiprisma

Fe

Fe

Fe2(CO)9, dreifach überdachtes trigonales Prisma

Fe

Os

Fe3(CO)12, Ikosaeder

Os

Os

Os3(CO)12, Anti-Cuboktaeder

Abb. 4.3 Vergleich der Liganden-Polyeder und Kugel-Stab-Darstellungen von Metallcarbonylclustern zur Deutung von verbrückenden und terminalen CO Ligandenanordnungen. In den Polyedern sind die Metallatome als schwarze Kugeln angedeutet. Bei beiden Darstellungen wurden die CO-Moleküle aus Gründen der Übersichtlichkeit weggelassen, sie befinden sich an den Ecken der Polyeder bzw. an den Spitzen, der vom Metallatom ausgehenden (Bindungs-)Striche. Zu den Kugel-Stab-Darstellungen vergleiche auch die obigen Zeichnungen der Carbonylstrukturen.

50 kJ.mol für CO-Wanderungen über Teile oder den ganzen Cluster abgeleitet. Zusätzliche Strukturen sind also bei angeregten Zuständen zugänglich. Metallcarbonylcluster mit mehr als 6 Metallatomen. Die vorstehenden drei Konzepte zur Deutung der Strukturen von Metallcarbonylen sind gut zur Behandlung von Clustern mit etwa bis zu acht Metallatomen geeignet. Bei noch größeren Metallclustern, z. B. [Rh14 (µ-CO)16 (CO)9]4K und 3K [Rh15 (µ-CO)14 (CO)13] , finden sich die Metallatome in parallelen Ebenen nach Art der dichtesten Packung im Metallgitter angeordnet. [Rh14(µ-CO)16(CO)9]4– O

O C

O

C

C

C O

O

O

C

O C C

C C O

C O

Metallatom-Teilstruktur

O

C

C

C

CO C

O

C

O C

O

O

C C C C O O O O O (zwei rückwärtige CO-Liganden aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht gezeichnet) O

4.3 Übergangsmetallorganyle

649

Bei sehr großen Metallclustern lassen sich die Struktur- und Bindungsverhältnisse in Analogie zum Metall erklären. Solche Cluster oder Clusterionen werden oft als kleine Metallkristalle mit an der Oberfläche chemisorbierten Liganden (hier CO) angesehen. Diese Cluster werden als Modellsysteme mit Bezug zur heterogenen Katalyse und für den Übergang vom molekularen zum submikrokristallinen metallischen Zustand untersucht. Die Metallcarbonylcluster enthalten teilweise noch zusätzliche Wasserstoffatome im Gerüst, deren genaue Zahl nicht immer leicht oder nur mit Hilfe der Neutronenbeugung zu bestimmen ist, z. B. bei [Rh13 (CO)24H5Kn]nK. Die Metall-Carbonyl-Bindung Die für die Anbindung des Kohlenmonoxids an das Metallatom wichtigen Orbitale sind das vorwiegend am Kohlenstoffatom lokalisierte σ- und das π*-Orbital. Das C-Ende des CO-Moleküls kann als σ-Donor und als π-Akzeptor fungieren. Das höchste besetzte CO-Molekülorbital (HOMO) ist CdO-bindend und kann als das freie Elektronenpaar am Kohlenstoffatom angesehen werden. Die Lokalisierung der σ-Elektronendichte im Grenzorbitalbereich am C-Atom lässt den CO-Liganden mit diesem Ende an das Metallatom binden. (Anmerkung: In der Literatur wird das HOMO des CO manchmal als leicht antibindend beschrieben. Theoretische Berechnungen zeigen jedoch eindeutig, dass dieses Orbital CdObindend ist! Die auf dem antibindenden Charakter des HOMO aufbauende Begründung der CdO-Bindungsverstärkung.Erhöhung der Schwingungsfrequenz durch Entfernung von Elektronendichte aus diesem Niveau bei einer σ-Anbindung eines Metallions ist demnach nicht richtig [siehe dazu den nächsten Absatz].) Energie LUMO

π*

HOMO

σ

π σ

C

O

Bei Anbindung des CO-Liganden an ein Metallatom wird Elektrondichte aus dem σ-HOMO des CO-Liganden in ein leeres Orbital am Metallatom gegeben. Es liegt eine rotationssymmetrische Bindung um die Metall-Ligand-Achse vor, die auch als σ-Donor- oder „Hinbindung“ bezeichnet wird. Diese σ-Donor-Wechselwirkung allein ist aber zur Ausbildung einer stabilen Metall-CO-Bindung in den „klassischen“ Metallcarbonylen zu schwach. Zur Bindungsverstärkung bedarf es gleichzeitig der Wechselwirkung und des Transfers von Elektronendichte aus besetzten d-Orbitalen am Metallatom in die leeren π*-Akzeptororbitale des Liganden. Diese π-symmetrische Bindung mit einer Knotenebene nennt man

650

4 Organometallchemie

auch „Rückbindung“. Quantitative theoretische Betrachtungen führen zu dem Schluss, dass der Beitrag der π-Rückbindung für die gesamte Metall-KohlenstoffBindungsstärke wichtiger ist als der der σ-Hinbindung. Besonders ausgeprägt ist der Beitrag der π-Rückbindung bei den reduzierten Carbonylmetallaten. Beiträge zur Metall–CO-Bindung kovalente M–C-Bindung e– M

σ C O

σ-Hinbindung

e– M

π*

C O

π-Rückbindung

e– M

π

C O

π-Hinbindung

Konsequenz für C–O-Bindungsordnung/-Wellenzahl: nimmt ab nimmt ab elektrostatischer Effekt

e– M C O Konsequenz für C–O-Bindungsordnung/-Wellenzahl: nimmt zu δ+

Mit der σ-Hinbindung vom CO zum Metallatom wird Elektronendichte aus dem bindenden CO-HOMO entfernt. Trotzdem resultiert eine CdO-Bindungsstärkung, erkennbar an einer Verkürzung der CdO-Bindungslänge und Erhöhung der Schwingungsfrequenz (s. Abschn. 4.3.1.2). Der kovalente OC $% Metall- oder Donor $% Akzeptor-Bindungseffekt wird durch einen elektrostatischen Effekt überkompensiert, den die positive Ladung des Metallatoms auf den CO-Liganden ausübt. Ein positiviertes Metallatom bewirkt eine Anziehung der Elektronendichte vom Sauerstoff- zum Kohlenstoffatom. Dadurch wird die Polarisierung der CdO-σ- und π-Bindungen, deren Schwerpunkt beim elektronegativeren Sauerstoff-Ende liegt, verringert. Die Kovalenz der CdO-Bindung wird so vergrößert, die Bindung gestärkt und verkürzt sowie die Schwingungsfrequenz erhöht. Mit der Rückbindung und partiellen Auffüllung der CdO-antibindenden π*Orbitale ist eine Abnahme der CdO-Bindungsstärke (und Schwingungsfrequenz) verknüpft. Aufgrund von Symmetrieüberlegungen sollte auch das gefüllte π-CO-Orbital mit leeren d-Orbitalen am Metallatom wechselseitig wirken und eine π-Hinbindung eingehen können. Der Beitrag dieses Orbitals zur Metall-COBindung kann aber in erster Näherung vernachlässigt werden. Dieses Orbital liegt energetisch in größerer Entfernung zu den Metall-d-Orbitalen, und der Orbitalkoeffizient am Kohlenstoffatom ist bedeutend kleiner als in den π*-Orbitalen, da die π-Orbitale am Sauerstoffatom lokalisiert sind. Beide Effekte führen zu einer schlechteren Überlappung und damit geringeren Wechselwirkung mit den Metallorbitalen. Ein Orbitaldiagramm für die Anbindung eines CO-Liganden an ein Metallfragment wurde in Kapitel 3, Abb. 3.29 als Beispiel für π-Wechselwirkungen in Komplexen vorgestellt. Der Übergang von einem zu mehreren CO-Liganden um ein Metallatom bringt keine neuen Wechselwirkungen. Die energetische Veränderung der Metallorbitale wird lediglich stärker. Das MO-Schema für einen okta-

4.3 Übergangsmetallorganyle Energie

651

2t2g* 3t1u* t1g-Symmetrie

t1u

t1g

a1g s

eg t2g

2a1g*

p

t1g t2u t2g t1u

t2u 2t1u 2eg*

d

t2u-Symmetrie π*-Orbitale t2g-Symmetrie

∆O

1t2g 18Elektronenregel

t1u-Symmetrie

dπ eg t1u a1g

1eg

σ-Orbitale

1t1u

M

OC

OC

1a1g O C M C O

CO

CO

OC

OC

O C C O

CO

CO

Abb. 4.4 Wechselwirkungsdiagramm für einen oktaedrischen M(CO)6-Komplex. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden vom CO nur das σ-HOMO und das π*-LUMO und deren Wechselwirkungen mit den Metallorbitalen (σ-Hin- und π-Rückbindung) gezeigt. Die besetzten π-Orbitale der CO-Liganden und ihre Wechselwirkung zum Metallatom wurden nicht aufgenommen (s. Text und Abb. 3.29). Zwei senkrechte Striche deuten eine vollständige Elektronenbesetzung der Orbitale an. Im Rahmen der für Metallcarbonyle gültigen 18-Elektronenregel werden die 1t2g-Niveaus (dπ) mit weiteren sechs Elektronen vom Metallatom vollständig besetzt sein (vgl. das MO-Schema eines ML6-Komplexes mit sechs π-Donorliganden in Abb. 3.30).

edrischen M(CO)6-Komplex zeigt Abb. 4.4 (vgl. das MO-Schema eines ML6Komplexes mit sechs π-Donorliganden in Abb. 3.30). Schwingungsspektroskopie an Metallcarbonylen Für Untersuchungen an Metallcarbonylen und Derivaten sind die Infrarot- (IR) und Raman-Spektroskopie hervorragend geeignet. Die Struktur der Komplexe und die elektronische Situation der Metall-CO- und anderen Metall-Ligand-

652

4 Organometallchemie

Bindungen können mit schwingungsspektroskopischen Methoden sehr gut analysiert werden. Die CdO-Streckschwingung lässt sich in erster Näherung gut isoliert von anderen Schwingungen des Moleküls betrachten. Es treten nur geringe Kopplungen mit anderen Schwingungen auf. Die Schwingungsspektroskopie ist der Kristallstrukturanalyse zum Studium der CO-Bindung überlegen. Die Frequenz der CO-Valenz-(Streck-)schwingung reagiert viel empfindlicher auf elektronische Veränderungen als die Länge der CO-Bindung. Das CO-Molekül weist ein sehr schmales Potentialminimum um den Gleichgewichtsabstand der beiden Atome auf. Beträchtliche Änderungen in der Streckfrequenz sind nur mit geringen Änderungen im Bindungsabstand verknüpft. Die Bindungslänge im freien CO beträgt 1.1282 Å. Sie verändert sich bei Anbindung an ein Metallatom nur um maximal 0.1 Å zu längeren Werten bei normalen Metallcarbonylen (zu kürzeren Werten bei „nichtklassischen“ Metallcarbonylen, Abschn. 4.3.1.2). Die Lage der CO-Valenzschwingung wird durch die MetalldC-Bindung beeinflusst. Umgekehrt können aus der CO-Valenzschwingung Rückschlüsse auf die MdC-Bindungsordnung gezogen werden. Generell gilt, dass eine Zunahme der MdC-Bindungsordnung im Rahmen der synergistischen σ-Donor.π-Akzeptorbindung eine Abnahme der CdO-Bindungsordnung nach sich zieht, da über die wichtige π-Rückbindung Elektronen in antibindende CO-Orbitale gelangen. Der CO-bindungsverstärkende Beitrag der σ-Hinbindung, genauer des elektrostatischen Effekts eines Metallatoms, wird dabei überkompensiert. Je schwächer die CO-Bindung, desto weniger Energie ist zur Anregung der entsprechenden Schwingung notwendig. Aus einer schwächeren Bindung resultiert eine Erniedrigung der Schwingungsfrequenz oder der direkt proportionalen Wellenzahl. Terminale und Brücken-CO-Liganden können anhand von charakteristischen Bereichen für die Wellenzahlen der CO-Valenz-(Streck-)schwingung unterschieden werden. CO-Anbindung freies CO terminales MdCO µ2-CO, M

µ3-CO,

M

O C

O C

M

Valenzschwingung νCO . cmK1

w

2143 1850K2120

M

1750K1850

M

1620K1730

In isoelektronischen Reihen von Metallcarbonylkomplexen wird eine höhere negative Ladung vom Metallatom durch Rückbindung auf die Liganden verteilt. Dadurch steigt die MdC-Bindungsordnung, gleichzeitig nimmt die CdO-Bindungsordnung und damit die Wellenzahl der CO-Valenzschwingung ab.

4.3 Übergangsmetallorganyle

653

Korrelation zwischen Ladung am Metallatom und CO-Valenzschwingung (IR) Komplex w

ν CO . cmK1 1747

a)

K

C

Ti(CO)2K V(CO)6 Cr(CO)6 Mn(CO)6 ! d6-Metallatom 6 K 10 d -Metallatom % Fe(CO)2K Co(CO)4 NiCO4 4 a)

1860

2000

2090

1790 a) 1890 2060 Zunahme der Ladung und π-Rückbindung

Sehr niedrige Wellenzahl für einen terminalen Carbonylliganden, die bereits im Bereich der Brücken-CO’s liegt.

Innerhalb einer Periode nimmt die Elektronegativität des Übergangsmetalls von links nach rechts zu. Die späten Übergangsmetalle sind relativ elektronegativ und stellen ihre Valenzelektronen weniger für die π-Rückbindung zur Verfügung. Die CO-Valenzschwingung steigt innerhalb einer Periode mit der Elektronegativität des Metalls an. Korrelation zwischen Elektronegativität des Metallatoms und CO-Valenzschwingung (IR) Komplex

V(CO)6

Elektronegativität nach Pauling w ν CO . cmK1

1.6 1.6 1.6 Zunahme der Elektronegativität 1976 2000 2013 (av) a) Abnahme der π-Rückbindung

a) b)

Cr(CO)6

Mn2 (CO)10

Fe(CO)5

Co2 (CO)8

Ni(CO)4

1.8

1.9

1.9

2023 (av) a)

2044 (av)

a,b)

2057

Mittelwert von mehreren beobachteten Banden für die CO-Valenzschwingung. D3d-Isomer ohne Brücken-CO-Liganden.

Die Schwingungsspektroskopie erlaubt über die unterschiedliche Anzahl der IRund Raman-aktiven Normalschwingungen für die M(CO)xLy-Spezies eine Aussage zur Stellung und Anzahl der L-Liganden. Allein mittels der Infrarotspektroskopie können bei M(CO)6KnLn-Spezies (n Z 0K3) die cis- und trans- oder facund mer-Isomere unterschieden werden (siehe nachfolgende Tabelle). Die Akzeptor- und Donoreigenschaften anderer Liganden lassen sich anhand der CO-Valenzschwingung in Reihen analoger Komplexe, z. B. der Formel M(CO)6KnLn, studieren. Das Ausmaß der MdCO-π-Rückbindung hängt von den Donor-.Akzeptoreigenschaften des Liganden L ab (siehe nachfolgende Tabelle). PF3 ist danach ebenfalls ein sehr guter π-Akzeptorligand. Er entspricht in seiner π-Akzeptorstärke etwa dem CO. Im Vergleich zu anderen Phosphanliganden helfen die elektronegativen Fluorgruppen, die Elektronendichte vom Metallatom abzuziehen. Durch die Konkurrenz der starken Metall $% PF3-π-Rückbindung gelangt weniger Elektronendichte in die antibindenden CO-Orbitale. Die COBindung wird in Cr (CO)5dPF3 am wenigsten geschwächt, sodass die CO-Valenzschwingung energetisch am höchsten liegt. Analoge Phosphan-, Arsan- und Stibankomplexe, z. B. Cr (CO)5 !$ EPh3, unterscheiden sich nur wenig. Alkylamine sind reine σ-Donorliganden. Sie erhöhen die Elektronendichte, d. h. π-Basizität des Metallatoms. Es stehen bei gleichzeitig geringerer Zahl an CO-Liganden mehr Elektronen für die M $% CO-π-Rückbindung zur Verfügung. Die CdO-

654

4 Organometallchemie

Komplex

OC

OC

OC

OC

OC

OC

OC

OC

OC

OC

OC

L

a)

O C M C O L M C O

L M C O L M L L M C O L M C O

Punktgruppe

Zahl der CO-Banden im IR

Charakter

Oh

1

T1u

C4v

3

2 A1 + E

C2v

4

2 A1 + B1 + B2

D4h

1

Eu

C3v

2

A1 + E

C2v

3

2 A1 + B2

CO

CO

CO

CO

CO

L

cis CO

CO

trans

L

L

fac L

CO

mer

Zur Zuordnung der Charaktere und Bedeutung der Symmetriesymbole siehe den Anhang zu Kapitel 3, Abschn. 3.20.1.

Korrelation zwischen Donor- und Akzeptoreigenschaften anderer Liganden und der CO-Valenzschwingung L in Cr(CO)5L

ν CO (A1) . cmK1

w

Ln in ν CO . cmK1 (IR) [Mn(CO)6KnLn]C

CO PF3 PCl3 P(OMe)3 PPh3 AsPh3 SbPh3 AsMe3 PMe3 NHMe2

2119 (A1g, Raman) 2110 2088 2073 2066 Zunahme der 2066 π-Akzeptor2065 stärke von L, 2065 Abnahme der 2063 M $% CO-π1987 Rückbindung

6CO L Z NH2Me L2 Z en L3 Z dien a)

a)

w

dien Z H2NdCH2CH2dNHdCH2CH2dNH2

2090 2043 (av) 2000 1960 Zunahme der Zahl an σ-Donorliganden, Zunahme der Elektronendichte (π-Basizität) des Metallatoms, Zunahme der M $% CO-πRückbindung

4.3 Übergangsmetallorganyle

655

Bindung wird stärker geschwächt, erkennbar an der deutlichen Abnahme der Wellenzahl der CO-Valenzschwingung. Aus der relativen Lage der CO-Banden in gemischten Komplexen können so die Liganden in einer Reihe nach zunehmender π-Akzeptorfähigkeit oder π-Acidität geordnet werden (vgl. spektrochemische Reihe). OR2 y NR3 ! NCR ! SbR3 y AsR3 y PR3 ! P(OR)3 ! PCl3 ! PF3 y CO ! NO reiner σ-Donor-

Zunahme der π-Akzeptorstärke, π-Acidität starker π-Akzeptorligand

Metallcarbonyle früher und später Übergangsmetalle Mit den Kenntnissen über die Bindung zwischen Metallatom und CO-Ligand können wir nun der Frage nachgehen, weshalb an beiden Seiten des d-Blocks keine binären Carbonyle und zum Teil auch nur wenige Carbonylderivate bekannt sind. Von den frühen Übergangsmetallen der 3. und 4. Gruppe (Sc, Y, La und Ti, Zr, Hf), aber auch von den späten Metallen Palladium und Platin sowie den Metallen der 11. und 12. Gruppe (Cu, Ag, Au und Zn, Cd, Hg), kennt man keine stabilen binären Carbonyle. Aus der Notwendigkeit einer π-Rückbindung für die Stabilität der MdCO-Bindung kann man für die frühen Übergangsmetalle annehmen, dass ihr Mangel an d-Elektronen keine genügend starke π-Rückbindung ermöglicht. Die binären, neutralen Metallcarbonyle hätten bei den Elementen Titan, Zirconium und Hafnium die hypothetische Formel M(CO)7 für das Erreichen der 18-Elektronenkonfiguration am Metallatom. Die Metallatome verfügen aber nur über vier Valenzelektronen für die notwendige Rückbindung zu den CO-Liganden, was für die Bildung von sieben stabilen Bindungen nicht ausreicht. Reduzierte homoleptische Carbonylmetallate der Formel [M (CO)6]2K (M Z Ti, Zr, Hf) sind allerdings bekannt (s. Tab. 4.8). Diese Carbonylmetallate sind isoelektronisch zu Cr (CO)6. Es stehen sechs Valenzelektronen für die πRückbindungen zu sechs Carbonylliganden bereit. Ionisierungsenergien von Metallen der Platingruppe (Gruppe 10) Metall

1. Ionisierungsenergie [eV]

Ni Pd Pt

5.81 8.33 8.20

Palladium und Platin verfügen über zehn Valenzelektronen, und das Gruppenhomologe Nickel vermag ein Tetracarbonyl zu bilden. Die Valenzelektronen sind beim Palladium und Platin aber bedeutend fester gebunden als beim Nickel, sodass sie bei ersteren ebenfalls nicht für eine Rückbindung zur Verfügung stehen. Ausdruck einer festeren Bindung der Valenzelektronen sind die deutlich höheren ersten Ionisierungsenergien beim Palladium und Platin gegenüber Nickel. Carbonylkomplexe beim Palladium und Platin sind als Carbonylderivate mit oxidierten Metallatomen (z. B. d8-M2C) als 16-Valenzelektronenkomplexe bekannt (Abschn. 4.3.1.3). Durch Reduktion von PtO2 mit Kohlenmonoxid in konzent-

656

4 Organometallchemie

rierter Schwefelsäure wird ein homoleptischer, dinuklearer Pt (CI)-Komplex erhalten. Für die Stabilisierung dieses Kations ist die schwache Koordination durch das supersaure Medium entscheidend (s. nachfolgenden Abschnitt): OC Pt

konz. H2SO4

2 PtO2 C 9 CO C 3 HC $$$$$$$$% [{Pt(CO)3}2]2C C 3 CO2 C H2O

OC

CO

CO

Pt

2+

CO

CO

Entsprechend sind auch die effektiven Kernladungen bei den Münz- und Gruppe-12-Metallen zu hoch, um eine ausreichend starke Metall $% CO-, d $% π*-Rückbindung zu erlauben. Man kennt isolierbare Carbonylderivate von z. B. Silber und Quecksilber seit Anfang der 1990er Jahre als so genannte „nichtklassische“ Metallcarbonyle.

4.3.1.2 „Nichtklassische“ Metallcarbonyle Lewis-Supersäuren wie SbF5 können als Reaktionsmedien für die Herstellung von „nackten“ Metallkationen genutzt werden. Solche „nackten“ Metallkationen lassen sich unter sehr milden Bedingungen carbonylieren, d. h. mit CO umsetzen und sind als thermisch stabile Salze von Metallcarbonylkationen mit [Sb2F11]K als Gegenion isolierbar. Ein Beispiel ist die reduktive Carbonylierung von Platin (CIV)-fluorsulfonat zum Tetracarbonylplatin (CII)-Kation [Pt (CO)4]2C: [Pt(SO3F)4] C 5 CO C 8 SbF5 $% [Pt(CO)4][Sb2F11]2 C CO2 C S2O5F2 C 2 Sb2F9 (SO3F)

Auf ähnlichem Weg sind die Carbonylkomplexkationen [Pd2 (µ-CO)2]2C, [Pd (CO)4]2C, [Pt2 (CO)6]2C, [Au (CO)2]C, [Hg2 (CO)2]2C und [Hg (CO)2]2C als [Sb2F11]K-Salze zugänglich. Die Silbercarbonylkomplexe bilden sich, wenn Silber (CI)-Salze mit schwachkoordinierenden und gleichzeitig sterisch anspruchsvollen Anionen einer COAtmosphäre ausgesetzt werden (CO-Druck 1 bar oder niedriger). Als Anionen fungieren Pentafluorooxotellurat- („Teflat-“)Komplexe [E (OTeF5)n]K mit E Z B, Zn (n Z 4) oder Nb, Ti (n Z 6). Diese großen, schwach-koordinierenden Anionen verhindern, dass sich das Silberkation ausschließlich durch energetisch günstigere Kation-Anion-Wechselwirkungen zu stabilisieren vermag. In einer Gleichgewichtsreaktion kann daher AgC im festen Zustand oder in Lösung ein oder zwei CO-Liganden reversibel koordinieren:

Ag+

+CO –CO

[Ag(CO)]+

+CO –CO

[Ag(CO)2]+

[Ag(CO)][B(OTeF5)4] – Silber-Koordination F F F5TeO

F5Te

B

O

Ag CO

O F5TeO F5Te F F (Ag···F > 3.0 Å)

Die Bildung des Mono- oder Dicarbonylsilberkations hängt vom Gegenion, dem Medium und dem CO-Druck ab. Silbersalze mit stärker koordinierenden Anio-

4.3 Übergangsmetallorganyle

657

nen wie AgCl und AgClO4 oder kleineren „nicht“-koordinierenden Anionen wie AgSbF6 zeigen keine messbare CO-Aufnahme unter vergleichbaren Bedingungen. Trotz der reversiblen CO-Bindung an AgC sind die Verbindungen als kristalline Festkörper unter einer CO-Atmosphäre stabil. In „nichtklassischen“ Metallcarbonylen liegen die CO-Valenzschwingungen fast alle bei höheren Wellenzahlen als im freien CO. Die Änderung ist vergleichbar dem Anstieg der Wellenzahl beim Übergang von CO zu COC. CO-Valenzschwingungen und -Bindungsabstände in „nichtklassischen“ Metallcarbonylen. Komplex

w

νCO . cmK1

CdO-Abstand . Å

freies CO COC Cu (CO) (C2H5SO3) Cu (CO)Cl [Ag (CO)] [B (OTeF5)4]

2143 2184 2117 2127 2204 IR 2206 Raman 2196 IR 2220 Raman 2162 2279 2218

1.1282 1.115 1.116 1.11 1.08

[Ag (CO)2] [B (OTeF5)4] Au (CO)Cl [Hg (CO)2] [Sb2F11]2 Pd (CO)2 (SO3F)2

1.08 1.11 1.10 1.102, 1.114

In den klassischen Metallcarbonylen führt die Besetzung der CO-π*-Niveaus durch die Metall $% CO-π-Rückbindung zu einer Abnahme der CO-Schwingungsfrequenz. In „nichtklassischen“ Metallcarbonylen wird die Erhöhung mit einer fast alleine vorliegenden Metall !$ CO-σ-Donorbindung erklärt. Die Erhöhung der CO-Schwingungsfrequenz.Wellenzahl ist eine Folge der CO-Bindungsverstärkung durch den elektrostatischen Effekt des Metallkations auf den COLiganden. Durch Verschiebung der Elektronendichte vom Sauerstoff- zum Kohlenstoffatom wird die Polarisierung der CdO-σ- und -π-Bindungen, deren Schwerpunkt sonst beim elektronegativeren Sauerstoff-Ende liegt, verringert. Damit wird die Kovalenz der CdO-Bindung vergrößert, die Bindung gestärkt und die Schwingungsfrequenz erhöht. Diese Beobachtung und weitere spektroskopische Untersuchungen an „nichtklassischen“ Metallcarbonylkomplexen lassen die Annahme einer nur geringen M $% CO-π-Rückbindung plausibel erscheinen. Mit dem Vorliegen von weitgehend σ-gebundenen Metallcarbonylen und dem Fehlen der wichtigen π-Rückbindung wurde der Begriff „nichtklassische“ Metallcarbonyle begründet.

4.3.1.3 Metallcarbonylderivate Metallcarbonyle zeichnen sich durch eine hohe Reaktionsfähigkeit aus. Carbonylmetallate. Metallcarbonyle weisen eine ausgeprägte Tendenz zur Bildung anionischer Komplexe auf, die als Carbonylmetallate bezeichnet werden. In einigen Fällen existiert zwischen dem Carbonylmetallat und dem zugrunde

658

4 Organometallchemie

liegenden neutralen Metallcarbonyl eine formale Beziehung über den isolobalen Ersatz eines Einelektronen-Metallfragmentes oder Zweielektronen-CO-Liganden durch die gleiche Zahl an Elektronen. Entsprechend kennt man Carbonylmetallate zu fast allen Metallcarbonylen. Daneben existieren mehrkernige Anionen, deren neutralen Carbonyle nicht bekannt sind. Beispiele von Carbonylmetallaten und ihre Beziehung zu den neutralen Metallcarbonylen Carbonylmetallat

Metallcarbonyl

[MnK1 (CO)5]K [FeK2 (CO)4]2K [FeK2.33 (CO)11]2K [CrK2 (CO)5]2K [CrK12 (CO)10]2K [NiK1.24 (CO)9]2K

Mn2 (CO)10 Fe (CO)5 Fe3 (CO)12 Cr (CO)6 unbekannt unbekannt

Man kann zwischen ein- und mehrkernigen Carbonylmetallaten unterscheiden. Allgemein lässt sich formulieren, dass Übergangsmetalle mit ungerader Elektronenzahl nur einkernige, einfach negativ geladene Anionen bilden. Von Metallatomen mit gerader Elektronenzahl existieren ein- und mehrkernige Carbonylmetallate, die stets zweifach negativ geladen sind. Ein interessanter Aspekt der Carbonylmetallat-Anionen ist die negative Oxidationszahl des Metallatoms: Carbonylmetallate M ungerade Elektronenzahl 0 einkernig [M(CO)y]1−

M gerade Elektronenzahl 0 ein- und mehr kernig [M(CO)y] 2K oder [Mx(CO)y] 2K

Für die Überführung der Metallcarbonyle in ihre isoelektronischen Anionen gibt es keine für alle Metalle anwendbare Vorschrift. Eine elegante Synthesemethode ist die Reduktion der neutralen Metallcarbonyle mit elektropositiven Metallen, im Allgemeinen den Alkali- und Erdalkalimetallen. Als Lösungsmittel eignen sich besonders gut flüssiger Ammoniak oder Ether. Die Alkalimetalle werden auch als Amalgame, z. B. Na.Hg, in diesen Reduktionsreaktionen eingesetzt: M2 (CO)10 C 2 Na $% 2 NaC[M(CO)5]K 2C 2 M(CO)6 C 2 Na $% Na 2 [M2 (CO)10]2K C 2 CO

M Z Mn, Re

Eine weitere Synthesemöglichkeit ist der nucleophile Angriff starker Hydroxidbasen mit reduktiver Decarbonylierung. Metallcarbonyle mit gerader Elektronenzahl am Metallatom, wie das einkernige und die mehrkernigen Eisencarbonyle reagieren unter Beibehaltung der Clustergröße. Als Reduktionsmittel fungiert Kohlenmonoxid, das dabei zu Carbonat oxidiert wird: 2K

CO als Reduktionsmittel: CO C 4 OHK $% CO 3 C 2 H2O C 2 eK 2K Fe(CO)5 C 4 OHK $% [Fe(CO)4]2K C 2 H2O C CO 3 2K Fe2 (CO)9 C 4 OHK $% [Fe2 (CO)8]2K C 2 H2O C CO 3 2K K 2K Fe3 (CO)12 C 4 OH $% [Fe3 (CO)11] C 2 H2O C CO 3

Bei Metallcarbonylen, in denen das Metallatom eine ungerade Elektronenzahl besitzt, z. B. bei Co2 (CO)8 und Mn2 (CO)10, findet gleichzeitig mit der Basenreak-

4.3 Übergangsmetallorganyle

659

tion eine Disproportionierung statt. Ein Teil der Carbonylmetallat-Moleküle, die im Rahmen der Gesamtreaktion entstehen, bildet sich über die Disproportionierungsreaktion. Durch die Disproportionierung werden CO-Moleküle bereitgestellt, die reduzierend wirken. Ansonsten bleibt die Zahl der CO-Gruppen pro Metallatom im Carbonylmetallat gegenüber dem neutralen Metallcarbonyl unverändert: Disproportionierung: 3 Mn2 (CO)10 $% 2 Mn2C C 4 [Mn(CO)5]K C 10 CO 2K Basenreaktion: 10 CO C 40 OHK $% 10 CO 3 C 20 H2O C 20 eK 10 Mn2 (CO)10 C 20 eK $% 20 [Mn(CO)5]K 2K

Gesamtreaktion: 13 Mn2 (CO)10 C 40 OHK $% 2 Mn2C C 24 [Mn(CO)5]K C 20 H2O C 10 CO 3

Die Disproportionierung ist von alleiniger Bedeutung für den nucleophilen Angriff schwacher Basen, wie Amine, Pyridin (py) oder Ether. Bei einem nucleophilen Angriff schwacher Basen wirkt CO nicht mehr als Reduktionsmittel, reagiert also nicht zu Carbonat weiter. Die Donoreigenschaften der schwachen Base ergänzen die Disproportionierungsreaktion durch eine Komplexbildung des Metallkations: Disproportionierung: 3 Co2 (CO)8 $% 2 Co2C C 4 [Co(CO)4]K C 8 CO 2C Komplexbildung: 2 Co C 12 py $% 2 [Co(py)6]2C Gesamtreaktion: 3 Co2 (CO)8 C 12 py $% 2 [Co(py)6][Co(CO)4]2 C 8 CO

Beim nucleophilen Angriff schwacher Basen auf Metallcarbonyle mit gerader Elektronenzahl am Metallatom entstehen durch die Disproportionierung mehrkernige Carbonylmetallate: Gesamtreaktion: 5 Fe(CO)5 C 6 py $% [Fe(py)6][Fe4 (CO)13] C 12 CO

Übersicht zu Basenreaktionen nucleophiler Angriff auf Metallcarbonyle mit starken Basen (OHK)

schwachen Basen (L)

gerade

ungerade gerade Elektronenzahl am Metallatom

Basenreaktion, CO als Reduktionsmittel

Disproportionierung C Basenreaktion, CO als Reduktionsmittel

ein- und mehrkernige Carbonylmetallate [Mx(CO)y] 2K

MnC C einkernige Carbonylmetallate [M(CO)y]1L

ungerade Disproportionierung C Komplexbildung

[M(L)x]nC C mehrkernige Carbonylmetallate [M x (CO)y] 2K

[M(L)x]nC C einkernige Carbonylmetallate [M(CO)y]1L

Für einige Carbonylmetallate kennt man auch eine direkte Carbonylierung von Metallsalzen mit Alkalimetallen

660

4 Organometallchemie diglyme

VCl3 C 3 Na C 6 CO $$$$$$% [Na(diglyme)2]C C [V(CO)6]K

oder mit CO als Reduktionsmittel: CO, 95 bar

[Co(NH3)6]Cl2

H2O, 120 °C

3

[Co(CO)4]– + 6 NH4+ + 2 Cl– + – CO32– 2

Carbonylmetallate sind stets sauerstoffempfindlich. Carbonylhydride. Carbonylhydride enthalten eine direkte Metall-WasserstoffBindung. In vielen Fällen führt die Protonierung der Carbonylmetallate zu Carbonylhydriden. Die Protonierung kann durch einfaches Ansäuern im wässrigen System erfolgen: [Co(CO)4]K C H3OC $% HCo(CO)4 C H2O

Sehr stark basische Carbonylmetallate wie [Fe (CO)4]2K bilden aufgrund des Protolysegleichgewichtes bereits in alkalischen Lösungen Carbonylhydride, hier [HFe (CO)4]K. Aus reaktiven Metallen oder Metallverbindungen ist mit CO in Gegenwart von Wasserstoff auch eine direkte Synthese möglich. Ein Beispiel ist die Bildung von Cobaltcarbonylwasserstoff: 1

250 bar, 180 (C

Co C 4 CO C 2 H2 $$$$$$$$$% HCo(CO)4 30 bar, 25 (C

Co2 (CO)8 C H2 $$$$$$$$$$% 2 HCo(CO)4

Nach diesen Reaktionen wird bei der Cobalt-katalysierten Hydroformylierung (Oxo-Synthese) die Vorstufe HCo (CO)4 erhalten, aus der dann unter CO-Abspaltung die aktive Spezies HCo (CO)3 für den Katalysezyklus gebildet wird (siehe Abschn. 4.4.1.3). Die substituierten Rhodiumcarbonylhydride RhH (CO) (PPh3)2 (CHR]CH2) und Rh (H)2 (CO) (PPh3)2 [C (O)CH2CH2R] sind Zwischenstufen bei der Rhodium-katalysierten Hydroformylierung (siehe Abschn. 4.4.1.3). Beispiele für mehrkernige Carbonylhydride sind H2 [Fe2 (CO)8], H2 [Fe3 (CO)11] und H2 [Ni2 (CO)6]. Die Bezeichnung „Hydride“ für die Wasserstoff-Metallcarbonyl-Verbindungen ist allerdings irreführend und gründet sich allein auf den Oxidationszahl-Formalismus, mit einer höheren Elektronegativität des Wasserstoffatoms als die der meisten Übergangsmetalle. Aus dem Namen „Hydrid“ darf nicht auf das chemische Verhalten geschlossen werden. Die chemischen Eigenschaften der Übergangsmetallhydride überstreichen den ganzen Bereich von hydridischem über inertes bis zu protischem Verhalten. Für die Strukturaufklärung von Hydridkomplexen wird sinnvollerweise die Neutronenbeugung verwendet, da durch Röntgenbeugung eine genaue Lokalisierung des Wasserstoffatoms in der Nachbarschaft eines Schweratoms nur schlecht möglich ist. Nach Neutronenbeugungsuntersuchungen liegen die MdH-Abstände in Carbonylhydriden zwischen 1.5 und 1.7 Å.

4.3 Übergangsmetallorganyle

661

Strukturen und Eigenschaften von Carbonylhydriden O C OC Mn CO

OC

H

CO

O C OC Fe H

OC

C O

H

O C OC Mn CO

OC

H

CO

K K K K

farblose Flüssigkeit, Schmp. K25 (C stabil bei Raumtemperatur schwache Säure, pKS Z 7 (entspricht H2S) 1 H NMR: K7.5 ppm

K farblose Flüssigkeit, Schmp. K70 (C, gasförmig bei Raumtemperatur K Zersetzung oberhalb K10 (C K schwache Säure, pKS1 Z 4.7 (entspricht CH3COOH), pKS2 Z 14 K 1H NMR: K11.1 ppm K K K K

gelbe Flüssigkeit, Schmp. K26 (C oberhalb K26 (C langsame Zersetzung in H2 und Co2 (CO)8 starke Säure, pKS Z 1 (entspricht H2SO4) 1 H NMR: K10 ppm

Im Protonen-NMR-Spektrum beobachtet man für das Hydridatom eine starke Hochfeldverschiebung. Das Resonanzsignal liegt zwischen 0 und K50 ppm. Bei Spin-1.2-Metallkernen treten MdH-Kopplungen auf. Carbonylhalogenide. Verbindungen der allgemeinen Form {MXm(CO)n}k mit X Z Halogen erhält man durch elektrophilen Angriff von Halogenatomen auf Metallcarbonyle

Fe(CO)5 + X2

O C

oxidative Addition

OC Fe CO

OC

–CO

X = Cl, Br, I

X

X

oder durch Einwirkung von Kohlenmonoxid auf Metallhalogenide:

RuI3 + 2 CO

O C

200 °C

1 n



Cl 2 PtCl2 + 2 CO

RhCl3(H2O)4 + CO

OC MeOH

Ru C O

Pt

Cl Cl

Pt

I

1

+ – I2

I

2

n

CO Cl

[RhCl(CO)2]2

Das bei tiefen Temperaturen erhaltene Tetracarbonyldihalogenoeisen [FeX2 (CO)4] zersetzt sich bei höherer Temperatur (für X Z Cl ab 10 (C) unter Abgabe von CO und der Bildung dimerer und polymerer Eisencarbonylhalogenide:

662

4 Organometallchemie O C OC Fe CO

OC

X

X

O C

∆ –CO

X

OC Fe

OC

X

X

X



Fe CO C O

CO –CO

O C Fe C O

X

X n

X = Cl, Br, I

Metallcarbonylhalogenide sind kovalente Verbindungen, die als Monomere in der Regel leicht flüchtig sind. Die Verbrückung der Metallatome in dimeren und polymeren Carbonylhalogeniden erfolgt stets über Halogenbrücken, da diese über ihre freien Elektronenpaare zu beiden Metallatomen 2-Zentren.2-Elektronen-Bindungen ausbilden können. Während es von den Metallen Palladium, Platin, Kupfer und Gold keine bei Raumtemperatur stabilen binären Carbonyle gibt, sind Carbonylhalogenide mit diesen Metallen gut bekannt und wichtige Edukte für Folgereaktionen. Die Reaktion von Carbonylhalogenid und Carbonylmetallat kann zur Darstellung heteronuklearer Metall-Metall-Bindungen in Metallcarbonylen, z. B. (OC)5MndRe (CO)5 genutzt werden. Carbonylderivate mit Donorliganden der 15. und 16. Gruppe. Einen breiten Raum nehmen Substitutionsreaktionen ein, in denen ein oder mehrere CO-Liganden durch andere Donormoleküle ersetzt werden. Die CO-Gruppen in Metallcarbonylen und Carbonylderivaten können thermisch oder photochemisch gegen zahlreiche andere Liganden ausgetauscht werden. Für eine derartige nucleophile Substitution kommen als Donormoleküle allgemein alle Lewis-Basen in Betracht: Amine, Phosphane, Arsane, Stibane, Ether, Thioether, Seleno- und Telluroether. Des Weiteren können Olefine und Arene auf diese Weise elegant als Ligand eingeführt werden. Komplexe mit π-Liganden werden in Abschn. 4.3.4 besprochen. Der Austausch der CO-Gruppen gegen andere Liganden ist ein Standardverfahren für die Darstellung von Metallkomplexen in niedrigen Oxidationsstufen. Für die unzähligen Reaktionen dieser Art können hier nur einige wenige Beispiele gegeben werden: [RhCl(CO)2]2 + 4 PPh3

hν –CO

Ph3P

Rh

Cl ∆

Cr(CO)6 + 3 CH3CN

Cr(CO)6 + THF

2

CO

+ 2 CO

PPh3

Cr(CO)3(NCCH3)3 + 3 CO

Cr(CO)5(THF)

+L –THF

Cr(CO)5L

L = beliebiger 2e-Ligand

Es ist aber selten, dass wie bei Ni (CO)4 alle CO-Gruppen ersetzt werden. Ni(CO)4

+PF3 –CO

Ni(CO)3PF3 + Ni(CO)2(PF3)2 + Ni(CO)(PF3)3 + Ni(PF3)4

Die Carbonylsubstitution an 18-Valenzelektronenkomplexen erfolgt nach einem dissoziativen Mechanismus. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist die Abspaltung des Carbonylliganden:

4.3 Übergangsmetallorganyle Cr(CO)6

langsam CO

18 VE

{Cr(CO)5}

rasch, +L

16 VE

663

Cr(CO)5L 18 VE

Es treten Zwischenstufen mit niedrigerer Koordinationszahl auf. An diese lagert sich dann rasch ein Ligand an, sodass wieder ein 18-Elektronenkomplex entsteht. Bei dem Liganden L muss es sich nicht gleich um den eigentlichen Substratliganden des Zielmoleküls handeln. L kann auch ein Solvensmolekül sein, wie bei Cr (CO)3 (NCCH3)3 oder Cr (CO)5 (THF). Die intermediäre Einführung labil gebundener Solvensliganden ist eine elegante Möglichkeit, nachfolgend unter milden Bedingungen thermisch oder photochemisch labile Liganden einzuführen. Unter den Carbonylderivaten mit Donorliganden der 15. und 16. Gruppe sind besonders die Komplexe mit Phosphanliganden interessant und als Katalysatoren wichtig. Ein Beispiel ist der modifizierte Wilkinson-Katalysator RhH (CO) (PPh3)3 in der Hydroformylierung (s. Abschn. 4.4.1.3).

4.3.1.4 Isoelektronische Liganden zu CO Die folgenden Teilchen K Ionen oder Neutralmoleküle K sind zu Kohlenmonoxid isoelektronisch und in Analogie zu CO auch Komplexliganden: -C^C-2K RdC^CdR (Alkine)

-C^O-

-C^N-K -N^N-C^NdR 4 -C]NdR (Isonitrile, Isocyanide)

-N^O-C (Nitrosyl)

Metall-Nitrosyl-Komplexe Mit Nitrosyl wird die Atomgruppierung NO als Ligand in Komplexverbindungen bezeichnet. Das Nitrosylkation NOC ist isoelektronisch zu CO usw. Im Vergleich zu CO ist NOC mit seiner positiven Ladung elektronegativer und ein schwächerer σ-Donor-, aber besserer π-Akzeptorligand (s. Abschn. 3.14). Der NO-Ligand kann in einkernigen Komplexen linear oder gewinkelt gebunden werden, wobei auch die so genannten linearen MdN^O-Bindungen leicht (bis zu 10() gewinkelt sind: O N >170° Beispiele:

M [Fe(CN)5NO]2– [RuCl3(NO)(PMePh2)2 ]

O N

70% Ausbeute 80 °C, 5 atm

Der Unterschied in der Reaktivität und das grundsätzliche Problem der so genannten CdH- oder auch CdC-Aktivierung in Alkanen ist thermodynamischer Natur, wie ein Vergleich der Dissoziationsenergien der hierfür relevanten Bindungen zeigt. Relevante Bindungsenergien für die CdH-, CdC- und HdH-Aktivierung Bindung

Dissoziationsenergie [kJ.mol]

HdH CdH CdC MdH MdC

436 ca. 410 ca. 375 210K250 125K170

Bei der oxidativen Addition von H2 an ein Metallatom wird die HdH-Dissoziationsenergie von 436 kJ.mol durch die Summe der beiden erhaltenen MdH-Bindungen von 2 ! (210K250) kJ.mol meistens erreicht oder übertroffen. Eine CdH-Bindung ist etwas schwächer als eine HdH-Bindung. Die Summe an MdC- und MdH-Bindungsenergie (maximal 420 kJ.mol) entspricht aber wegen der deutlich schwächeren MdC-Bindung nur selten der notwendigen CdH-Bindungsenergie von 410 kJ.mol. Stattdessen besteht eine thermodynamische Triebkraft, aus einem Hydrido-Alkyl-Komplex das Alkan abzuspalten. Noch stärker ist der Unterschied beim Vergleich der CdC-Bindungsenergie mit dem zweifachen Wert der MdC-Dissoziationsenergie für den Fall einer CdC-Aktivierung. Dagegen ist die thermodynamische Triebkraft für die Abspaltung oder reduktive Eliminierung eines Alkans aus einem Dialkylkomplex sehr groß. CdC-Bindungsaktivierungen sind außerordentlich selten. Mit die stärksten MdC-Bindungen findet man für RhdCAryl und IrdCAryl. Es sind Rhodium- und Iridiumkomplexe bekannt, aus denen das Metallatom in CAryldC-Bindungen insertiert: Beispiel:

C–H-Aktivierung t Bu2 P

PtBu2 C CH3 PtBu2

[{RhCl(L)2}2] RT, –2L L = Olefin

H2 C

H

Rh Cl

P t Bu2

C–C-Aktivierung t Bu2 P + RT mehrere Stunden

C Rh

Cl

CH3

P t Bu2

4.3 Übergangsmetallorganyle

717

H-Übertragungen Darunter fällt z. B. die Übertragung eines Wasserstoffatoms vom Liganden auf das Metallatom. Sie wird auch als Wasserstoff- oder Hydrideliminierung bezeichnet: H-Eliminierung, L nM Ligand H-Übertragung H auf das Metallatom Voraussetzung: - freie Koordinationsstelle am Metallatom

Je nach der Position des Kohlenstoffatoms im Liganden, von dem das Wasserstoffatom entfernt wird, unterscheidet man α-, β-, γ- oder δ-H-Eliminierungen: α-H-Eliminierung

+z

LnM

α

CR3

CR3

+z+2

LnM

H

H

entspricht einer intramolekularen oxidativen Addition

H

H

Bei der kinetisch sehr schnellen α-H-Eliminierung erfolgt die Hydridübertragung von der α-Position am Liganden auf eine freie Koordinationsstelle des Metallatoms. Die Metall-Ligand-Bindungsordnung vergrößert sich dabei um eine Einheit. Das Produkt ist ein Alkyliden- oder Alkylidin-Hydrid-Komplex. Die formale Oxidationsstufe des Metallatoms wird um zwei erhöht. Die α-Wasserstoffeliminierung kann als eine intramolekulare oxidative Addition angesehen werden. Die Produkte einer α-H-Eliminierung sind sicher häufig Zwischenstufen in Reaktionsabläufen, gerade auch bei Methylkomplexen. Sie werden aber nur selten als isolierbare Spezies erhalten. Das nachfolgende Beispiel eines Methylen-Hydrid-Komplexes konnte über einen nucleophilen Angriff am Carben-Kohlenstoffatom abgefangen werden: Beispiel für abgefangenen Alkyliden-Hydrid-Komplex (Cp = η5-C5H5) +4

CH3

Cp2Mo PR3

+ +4

–PR3

Cp2Mo

CH3

+ +6

CH2

Cp2Mo H

+

+PR3

+4

CH2 PR3+

Cp2Mo H

Die β-H-Eliminierung ist eine sehr häufige Reaktion in der metallorganischen Chemie. Sie ist die bedeutendste Wasserstoffübertragung. Der β-H-Eliminierung kommt große Bedeutung als Kettenabbruchreaktion bei der Olefinpolymerisation und -oligomerisation zu (Aufbaureaktion, SHOP, Ziegler-Natta-Katalyse, s. Abschn. 4.2.3, 4.4.1.6, 4.4.1.10, 4.4.2.3). Aus der β-Position des Liganden wird über einen Vierzentren-Übergangszustand eine Metall-H-Bindung gebildet und gleichzeitig die Metall-Ligand-Bindung gelöst. Das dabei entstehende Olefin oder Alkin kann eventuell am Metallatom koordiniert bleiben:

718

4 Organometallchemie

β-H-Eliminierung

α R 2C

Ln M

β CR2

β-H-Eliminierung

H

Hydrometallierung

R 2C

CR2

LnM H + R2C

Ln M H

CR2

Voraussetzung für eine β-Wasserstoffeliminierung ist wieder eine freie Koordinationsstelle. Eventuell muss dazu eine Ligandabspaltung der Hydridübertragung vorangehen: Ligandabspaltung vor β-H-Eliminierung Pt Ph3P

CH2CH2Et

CH2CH2Et

Ph3P

CH2CH2Et

Ph3P

–PPh3

Pt H CH Et

CH2CH2Et

Ph3P H

CH2

Pt

CH2

HC Et

Die β-H-Eliminierung ist eine häufige Ursache für die Instabilität vieler koordinativ ungesättigter Komplexe mit Alkylliganden. Zur Verhinderung einer β-Hydrideliminierung kann man Alkylliganden verwenden, die keine β-Wasserstoffatome enthalten. Beispiele hierfür sind die Methylgruppe, der Neopentyl- oder Silyl-neopentylrest (-CH2CMe3 oder -CH2SiMe3), der Benzylligand (-CH2Ph) und Alkinylgruppen (-C^CdR). Des Weiteren können Alkylreste eingesetzt werden, bei denen keine Orientierung der β-Wasserstoffposition zum Metallatom hin und keine weitere Eliminierung möglich ist, z. B. bei der linearen -C^CdH Gruppe. Im Zusammenwirken mit anderen Liganden lässt sich auch bei sterisch anspruchsvollen Alkylgruppen, wie dem tert-Butyl- oder iso-Propylrest, trotz vorhandener β-Wasserstoffatome, die Aufnahme einer Bindungsbeziehung zwischen dem Metall- und einem β-H-Atom verhindern. Ebenfalls einen stabilisierenden Effekt haben Alkylliganden, bei denen eine β-Wasserstoffübertragung zu keinen stabilen Olefinen führt. Das klassische Beispiel hierfür ist der 1-Norbornylrest, bei dem sich zum Brückenkopfatom aufgrund der fehlenden Planarität der Substituenten keine Doppelbindung ausbilden kann: Liganden, bei denen keine β-H-Eliminierung möglich ist M CH3

M

H2 C

CMe3

M

H2 C

SiMe3

M

H2 C

Ph

β-H M C C R M C C H

X

M

Durch koordinative Absättigung des Metallatoms mit stark gebundenen Liganden, wie z. B. π-C5H5 oder CO, kann die Schaffung einer freien Koordinationsstelle und damit der Reaktionsweg für die Hydrideliminierung blockiert werden. Neben der α- und β-Wasserstoffeliminierung sind Hydridübertragungen von der γ-, δ- oder auch ε-Position des Liganden möglich:

4.3 Übergangsmetallorganyle Beispiel: γ-H-Eliminierung

H

PhMe2P

PhMe2P

Ir

+

γ α

+

β H

PMe2

PMe2Ph

PhMe2P

PMe2

Ir

PMe2Ph

PhMe2P Beispiel: δ-H-Eliminierung

H2 CH3 C CH3 H δ γC

t

Bu3SiO tBu SiO 3

Ta

α O

β SitBu

2

719

CH3

H3C

H2C

C SitBu2

t

Bu3SiO

tBu SiO 3

Ta

Reaktion, speziell: Orthometallierung ⇑ C–H-Aktivierung, Produkte: Metallacyclen ⇓ Reaktion, allgemein: Cyclometallierung

O

H

Die Produkte derartiger CdH-Aktivierungen sind Metallacyclen. Man bezeichnet diese oxidativen Additionsreaktionen von γ- oder δ-CdH-Bindungen an das Metallatom auch als Cyclometallierungen. Die aus sterischen Gründen leichte Metallinsertion in die ortho-CdH-Bindung der Arylgruppe des Phosphanliganden wird Orthometallierung genannt. Die Umkehrung der β-Wasserstoffeliminierung ist die Hydrometallierung, d. h. der Einschub eines Alkens oder Alkins in die MdH-Bindung. Alternativ kann die Hydrometallierung als Addition der MdH-Bindung an eine CdC-Mehrfachbindung gesehen werden. Je nach verwendetem Metallatom wird diese Reaktion auch als Hydroaluminierung (s. Abschn. 4.2.3), Hydrosilylierung (s. Abschn. 4.2.4), Hydrostannierung oder Hydrozirconierung bezeichnet. Die Hydroaluminierung war von Bedeutung für die Synthese von Trialkylaluminiumverbindungen. Außerdem bildet sie wie die Hydrozirconierung und Hydronickelierung die erneute Startreaktion bei der Olefinoligomerisation (Aufbaureaktion und SHOP) und Olefinpolymerisation (Ziegler-Natta) nach erfolgtem Kettenabbruch durch β-H-Eliminierung. Weitere Hydrometallierungsreaktionen finden sich als Teilschritte in der Hydroformylierung (siehe Abschn. 4.4.1.3), der Butadienhydrocyanierung (Abschn. 4.4.1.4) und in Hydrierungsreaktionen (z. B. bei der Synthese von L-Dopa, Abschn. 4.4.1.7). Eine Sequenz aus β-H-Eliminierung und Wasserstoffübertragung vom Metallatom auf ein Olefin bildet die Grundlage der enantioselektiven Olefinisomerisierung bei der L-Menthol-Synthese (Abschn. 4.4.1.8). Unter der Hydrozirconierungsreaktion versteht man speziell die Umsetzung eines Olefins mit der Verbindung (C5H5)2ZrCl (H) (Schwartz’ Reagenz). In einer Folge von schnellen ZrdH-Insertions- und β-H-Eliminierungsreaktionen isomerisieren interne Olefine dabei zu einer terminalen Alkylgruppe (Abb. 4.8). Das Zirconiumfragment bevorzugt aus thermodynamischen Gründen die am wenigsten sterisch gehinderte Position am Kettenende. Dort sind die repulsiven Wechselwirkungen mit den Cyclopentadienylringen am geringsten. Mit Hilfe von Schwartz’ Reagenz, (C5H5)2ZrCl (H), werden aus terminalen und internen Olefinen (mit Ausnahme von tetrasubstituierten Olefinen) terminale Zirconium-Alkylkomplexe erhalten. Tetrasubstituierte Olefine und trisubstituierte Olefine mit größeren Resten reagieren aufgrund von zu starken sterischen Wechselwirkungen mit den übrigen Liganden nicht mit (C5H5)2ZrCl (H) in einer

720

4 Organometallchemie H

Cp2Zr

Cl

H Cp2Zr

+

+

1-Hexen

H Cp2Zr

Cl Cp2Zr

H

Cl H

thermodynamisches Produkt

3-Hexen

Cp2Zr

Cp2Zr

Cl

Cp = C5H5 Cl 2-Hexen

Cl

+ Cp2Zr

H

H Cl

Abb. 4.8 Hydrozirconierungsreaktion von Hexenisomeren mit Schwartz’ Reagenz, (C5H5)2ZrCl (H). Die internen Hexene isomerisieren durch eine Folge von β-H-Eliminierungs- und erneuten ZrdH-Insertionsreaktionen zu einer terminalen Alkylgruppe. Das Zirconiumfragment wandert entlang der Kohlenstoffkette bis zur thermodynamisch stabilsten Position. Auf diese Weise wird aus 1-Hexen, cis- und trans-2-Hexen oder cis- und trans3-Hexen dasselbe primäre Hexylprodukt erhalten. Der Einfachheit halber wurde jeweils nur die trans-Form gezeichnet. In zwei Fällen ist außerdem die Koordination des Olefins an das Metallatom vor dem Einschub in die ZrdH-Bindung oder nach der β-Wasserstoffeliminierung angedeutet.

Hydrozirconierungsreaktion. Die resultierende ZrdC-Bindung wird leicht durch Elektrophile gespalten. Es werden substituierte Alkane erhalten. Auch eine Insertion von CO in die ZrdC-Bindung und ein nachfolgender elektrophiler Angriff auf das Acyl-Kohlenstoffatom unter Bildung von Carbonsäurederivaten sind möglich. Olefine werden so in terminal substituierte Alkane oder Acylderivate überführt: Cp2Zr + R–H

R–Br R–OH

H Cl

Derivatisierung von Zirconium–Alkyl-Komplexen nach der Hydrozirconierungsreaktion von Olefinen mit Schwartz' Reagenz, (C5H5)2ZrCl(H)

H+ Br+ OH+

H+

Cp2Zr

R Cl

Carbonylierung C(O)–R +CO Cp2Zr Cl

Beispiele für häufige Elektrophile

Br+ OH+

R–C(O)–H

R–C(O)–Br

R–C(O)–OH

Die Synthese von Schwartz’ Reagenz erfolgt durch Reaktion von Zirconocendichlorid mit Lithiumaluminiumhydrid. Das gleichzeitig erhaltene Dihydrid wird mit Methylenchlorid in (C5H5)2ZrCl (H) umgewandelt: Synthese von Schwartz' Reagenz

(C5H5)2ZrCl2

LiAlH4

(C5H5)2ZrCl(H) + (C5H5)2ZrH2 CH2Cl2

4.3 Übergangsmetallorganyle

721

Unter H-Übertragungen fällt auch der α-Wasserstoffatomtransfer auf einen benachbarten Liganden. Hydridabstraktion, Deprotonierung durch benachbarten Liganden

Ligand H

LnM Ligand

–Ligand-H

keine freie Koordinationsstelle am Metallatom nötig

Die α-Hydridabstraktion oder Deprotonierung durch einen benachbarten Liganden kann erfolgen, wenn die Übertragung eines Wasserstoffatoms vom Liganden auf das Metallatom nicht möglich ist. Die formale Oxidation des Metallatoms um zwei Einheiten schließt aus, dass eine α-H-Eliminierung bei d0- oder d1-Komplexen auftreten kann. In diesen Fällen kann die verwandte Reaktion der α-Hydridabstraktion oder Deprotonierung eintreten. Hierbei wird das α-Wasserstoffatom auf einen benachbarten Liganden übertragen. Dieser wird dann abgespalten, sodass keine Änderung in der Oxidationsstufe des Metallatoms erfolgt. Anders als bei der H-Eliminierung muss bei der Hydridabstraktion keine freie Koordinationsstelle am Metallatom vorliegen. Beispiel:

Ph +5

C

(C5Me5)Cl(PhCH2)Ta

Ph

H

+5

H

(C5Me5)Cl(PhCH2)Ta

C H + H3C–Ph

CH2 Ph

α-H-Eliminierungen und -Deprotonierungen treten vor allem auf, wenn eine βWasserstoffeliminierung als Reaktionsweg nicht zur Verfügung steht (s.o.). Alkylwanderung.Substratinsertion in MetalldC-Bindung.CdC-Bindungsknüpfung.Carbometallierung Eine Alkylwanderung auf das Kohlenstoffatom eines Substratliganden, d. h. die Insertion eines Substratliganden in eine Metall-Alkyl-Bindung, ist ein wichtiger Aufbauschritt zur CdC-Bindungsknüpfung. Bei den Substratliganden kann es sich um eine weitere Alkylgruppe, ein CO-Molekül oder ein π-koordiniertes Olefin handeln: Alkylwanderung, Substratinsertion Substrat: R3C Alkylgruppe M CR3 (+ L)

(L)

Substrat: CO CO-Insertion

(L)

R3C M CO

R3C Substrat: Olefin Carbometallierung M

CR2 CR2

(+ L)

CR3 M + CR 3

M C

(L) (+ L)

CR3

M

O

R3C C R2

CR2

C–C-Bindungsknüpfung - intramolekular - cis-ständig

722

4 Organometallchemie

Thermodynamische Triebkraft der Reaktion ist die Bildung einer neuen CdCBindung (vgl. MdC- und CdC-Bindungsenergien). Die Alkyl-C-Kette wird um die Zahl der Substrat-Kohlenstoffatome verlängert. Am Metallatom wird wieder eine freie Koordinationsstelle geschaffen, die von einem neuen (Substrat-)Liganden besetzt werden kann. Beispiele für derartige Alkylwanderungen sind die CO-Insertion beim Monsanto-Verfahren (Abschn. 4.4.1.2) und der Hydroformylierung (Abschn. 4.4.1.3), der Einschub eines Alkens bei der Olefinoligomerisation der Aufbaureaktion (Abschn. 4.3.2), beim SHOP (Abschn. 4.4.1.6) und der Olefinpolymerisation (Abschn. 4.4.1.10 und 4.4.2.3). Die Addition einer MdC-Gruppe an eine CdCMehrfachbindung wird in Analogie zur Hydrometallierung als Carbometallierung bezeichnet. Die CO-Insertion führt zu einer Kettenverlängerung um eine C-Einheit und der Bildung einer Acylfunktion. Bei Monsanto-Verfahren und Hydroformylierung wird diese Acylgruppe unter reduktiver Eliminierung abgespalten. Eine intramolekulare Alkylwanderung auf eine cis-ständige koordinierte CO-Gruppe wurde durch Isotopenmarkierungs- und Kinetikexperimente bewiesen. Es wurde so ausgeschlossen, dass ein CO-Molekül aus der Gasphase direkt in die MdCBindung insertiert, dass eine intermolekulare Wanderung zwischen zwei Komplexmolekülen vorliegt oder dass eine Alkylwanderung auf trans-ständige COLiganden erfolgen kann. Bei den mechanistischen Untersuchungen wurde die Reversibilität der CO-Insertion durch Temperaturerhöhung genutzt. Am Modellsystem der reversiblen Umwandlung des Pentacarbonyl (methyl)mangan-Komplexes in den Acetylkomplex unter Verwendung von 13CO und CH3 13CO konnte IR-spektroskopisch kein Einbau von 13CO aus der Gasphase in den Acetylrest nachgewiesen werden. Es wurde bei der Rückreaktion der 13CO-Ligand nur in cis- und nicht in trans-Stellung zur Methylgruppe gefunden:

Nachweis intramolekulare CO-Insertion

Nachweis cis-ständige CO-Insertion

CH3 OC

OC

H3C OC

OC

Mn C O 13

C

Mn C O

CO

CO

O

+13CO Et2O, 25 °C

13C

OC

OC

Mn

CO

O kein 13CO C in Acetylgruppe C CH3 O

O C

O

13

CO

Heptan, 100 °C

CO

–CO

OC

OC

Mn C O

CO

CH3

13

CO und CH3 cis zueinander

Substrataktivierung Relativ stabile Verbindungen, wie CO, H2 oder Olefine, müssen als Substrate für Umsetzungen in Reaktionen aktiviert werden. Eine derartige Aktivierung erfolgt durch Metallkoordination des Substrats als Ligand (S). Die Substrataktivierung durch Metallkoordination ist ein Merkmal der metallorganischen Chemie der Übergangsmetalle. Grundlage der Aktivierung ist die Entfernung von Elektro-

4.3 Übergangsmetallorganyle

723

nendichte aus bindenden Orbitalen des Substrats über die M !$ S-σ-Hinbindung und ein Elektronentransfer vom Metallatom in leere antibindende Orbitale des Substrats über die M $% S-π-Rückbindung. Bei der Metallkoordination von Diwasserstoff über sein bindendes σ-Orbital und das antibindende σ)-Orbital in einer σ-Donor- und π-Akzeptorbindung kommt es dabei in der Regel zum Bruch der HdH-Bindung. Ergebnis ist die oxidative Addition von H2 zum Metalldihydrid. Dieser HdH-Bindungsbruch ist thermodynamisch begünstigt. Die Substrataktivierung lässt sich aus spektroskopischen und Strukturuntersuchungen erkennen: Substrataktivierung durch Metallkoordination CO

LnM

δ+

C

O

freies CO M–CO

nucleophiler Angriff H2

L nM

LnM + H–H

oxidative Addition

H H

R2C CR2 L nM Olefin-Addukt

LnM Metallacyclopropan

CO-Valenzschwingung 2143 cm–1 1850-2120 cm–1

Dissoziationsenthalpie H–H 436 kJ mol–1 M–H 210-250 kJ mol–1 - Substituenten-Abwinkelung - C–C-Bindungsaufweitung nucleophiler elektrophiler Angriff

LnM elekronenarm LnM elektronenreich

4.3.7 Metallorganische Verbindungen der Lanthanoide Die Vertreter der Lanthanoide (Ln), d. h. die auf das Lanthan folgenden inneren f-Übergangsmetalle Cer bis Lutetium, nehmen unter den Organometallverbindungen eine Sonderstellung ein. Diese Sonderstellung ist keine Folge ihrer vermeintlichen Seltenheit, wie sie in dem Namen „Seltene Erden“ immer noch suggeriert wird. (Selbst das seltenste Lanthanoid Thulium kommt in der Erdrinde noch häufiger vor als Gold oder Platin.) Die Sonderstellung ist eine Konsequenz ihres sehr ähnlichen chemischen Verhaltens. Die chemische Ähnlichkeit wird mit der einheitlichen d0-Valenzelektronenkonfiguration erklärt, die diese meist dreiwertigen Metallionen in ihren Verbindungen aufweisen. Die weiter innen liegenden f-Orbitale haben mit ihrer unterschiedlichen Elektronenzahl nur einen geringen Einfluss auf das chemische Verhalten. Eher dominiert die Änderung der Atom- oder Ionenradien die Unterschiede in der Chemie dieser Metalle. Mit ihren stärker polaren bis hin zu ionischen Metall-Ligand-Bindungen entsprechen die Organolanthanoide mehr den Erdalkalimetall- als den d-Block-Übergangsmetallorganylen. Die Elemente der 3. Gruppe Scandium, Yttrium und Lanthan ähneln in ihrem chemischen Verhalten mit ihrer d0-Konfiguration in Verbindungen stark den Lanthanoiden.

724

4 Organometallchemie

Die Synthese und Handhabung von organischen Derivaten der Lanthanoide ist generell problematischer als die der d-Elemente. Erschwerend wirkt der stark elektropositive Charakter, verbunden mit dem großen Radius der dreifach positiv geladenen Kationen. Daraus resultiert eine sehr hohe Reaktivität der Organolanthanoidverbindungen gegenüber vielen Substanzen. Organolanthanoide sind allgemein sehr luft- und feuchtigkeitsempfindlich. Für eine erfolgreiche Isolierung und Verwendung sind gute Schutzgastechniken erforderlich. Die Lanthanoide besitzen aufgrund ihrer Größe die Tendenz, sich mit möglichst vielen Liganden zu umgeben, die dann aber oft nur recht locker gebunden sind. Von der Oxidationsstufe her zu erwartende einfache Tris (alkyl)lanthanoidVerbindungen mit kleinen Alkylgruppen, wie Ln (CH3)3, können nicht erhalten werden. Die Umsetzung von Lanthanoidtrichloriden mit Methyllithium führt zu anionischen Komplexen der Form [Ln (CH3)6]3K, die mit Chelatliganden zur Stabilisierung der Lithiumkationen isoliert werden können. Das Lanthanoidmetallatom ist oktaedrisch von sechs Methylgruppen umgeben. Je zwei benachbarte Methylgruppen bilden Brücken zu einem Lithiumkation: Me2N

LnCl3 + 6 CH3Li + 3

Me2N NMe2 (tmeda)

–3LiCl

Me2 N Li N Me2

H C H3 3 C

Ln

C H3 H3C

Li

N Me2

CH3

CH3 Li

NMe2

Me2N

Als erste Organolanthanoide wurden die Tris (cyclopentadienyl)lanthanoid-Verbindungen (C5H5)3Ln synthetisiert. Sie sind aus der Umsetzung von wasserfreien Lanthanoidtrichloriden mit Cyclopentadienylnatrium zu erhalten: LnCl3 C 3 C5H5Na $% (C5H5)3Ln C 3 NaCl

In den Festkörperstrukturen liegen allerdings nur für Ln]Y, Er, Tm und Yb monomere Einheiten mit drei pentahapto-(η5-)koordinierten C5H5-Liganden um das Metallion vor. Die übrigen Lanthanoide bilden polymere Zickzackketten aus (η5-C5H5)2Ln (µ-η1 : η1-C5H5)- (Ln Z Sc, Lu) oder (η5-C5H5)2Ln (µ-η5 : η1K2C5H5)-Einheiten (Ln Z La, Pr, Nd). Die Verbrückung durch Cyclopentadienylliganden erhöht für die großen Metallatome Lanthan, Praseodym und Neodym die Koordinationszahl von 9 im hypothetischen Monomer auf 10 oder 11 (η5C5H5 zählt als dreizähniger Ligand). In Kombination mit Cyclopentadienyl- und.oder Lösungsmittel-Donorliganden lassen sich σ-gebundene Alkyl- oder Arylliganden in neutralen Lanthanoidkomplexen stabilisieren. Beispiele sind [(C5H5)2Ln (µ-Me)]2 und LnPh3 (thf)3.

4.4 Katalyse

725

4.4 Katalyse Eine wesentliche Triebkraft für die Erforschung metallorganischer Verbindungen der Übergangsmetalle ist ihre Bedeutung als katalytisch aktive Spezies in industriellen Prozessen.

4.4.1 Homogenkatalytische Verfahren In der Homogenkatalyse existiert nur eine K typischerweise K flüssige Phase (Lösung). Homogenkatalysatoren liegen in der gleichen Lösung mit den Substrat- und Produktmolekülen vor. Die Bildung der Produkte erfolgt mit hoher Selektivität und in der Regel auch mit hoher Ausbeute. Die hohe Selektivität lässt sich auf die Einheitlichkeit, die Homogenität der aktiven Zentren zurückführen. Der Begriff homogene Katalysatoren hat damit eine doppelte Bedeutung. Die aktiven Zentren sind außerdem in ihrer chemischen Struktur gut definiert. In vielen Fällen sind die Katalysezyklen in weiten Teilen verstanden.

4.4.1.1 Acetaldehyd durch Ethenoxidation und Aceton durch Propenoxidation (Wacker-Hoechst-Verfahren) Die Basischemikalien Ethen und Propen (s. u.) werden durch partielle Oxidation an einem Palladiumkatalysator in die Produkte Acetaldehyd und Aceton überführt. Bruttoreaktion:

1

[PdCl2.CuCl2]

H2C]CH2 C O2 $####% CH3dCHO 2

Das Verfahren wurde 1957K1959 bei den Firmen Wacker und Hoechst entwickelt. Es war die erste metallorganische Oxidationskatalyse. Die Herstellung von Acetaldehyd nach diesem Direktoxidationsverfahren hatte seine Blütezeit in den 1970er Jahren mit einer Weltkapazität von etwa 2.6 · 106 Jahrestonnen. Seitdem hat die Bedeutung von Acetaldehyd als organisches Zwischenprodukt jedoch ständig abgenommen. Für einige Acetaldehydderivate wurden neue Verfahren entwickelt. Insbesondere ist hier der Monsanto-Prozess zur Essigsäuredarstellung, dem wesentlichen Acetaldehyd-Folgeprodukt, zu nennen (s. Abschn. 4.4.1.2). In Zukunft werden neue Prozesse für die noch verbliebenen Derivate Essigsäureanhydrid, Vinylacetat und Alkylamine die Bedeutung von Acetaldehyd als Ausgangsmaterial evtl. weiter vermindern. Das Prinzip des Direktoxidationsverfahrens ist eine homogen-katalysierte, sehr selektive Oxidation von H2C]CH2 zu CH3dCHO. Sie läuft über π- und σ-Komplexe des Palladium (2C)-Katalysators (Abb. 4.9). Kennzeichen des Oxdiationsmechanismus ist ein nucleophiler Angriff eines Lösungsmittelmoleküls (hier H2O) an die Doppelbindung des π-koordinierten Ethens. Der künftige Aldehydsauerstoff entstammt dem wässrigen Medium, in dem die Reaktion abläuft. Der Palladiumkatalysator wird dabei zum Metall reduziert.

726

4 Organometallchemie Cl

PdCl2 + H2C CH2 + H2O

2 Cu+ + 1/2 O2

1

+2 Cl–

+2 H3O+ –3 H2O 2 Cu2+

H2O

+2 H2O –H3O+

Cl

Pd CH2

CH2

2 Cl

7

H2O

Pd0 3 –H3O+ –Cl–

CH3CHO Cl

H2O

6 5

Pd CHO-H CH3

Cl

H2O

Pd

H

CHOH

4

Pd

Cl CH2OH

CH2 –Cl–

H Cl

H2O



H

C OH

Pd CH2

CH2

Abb. 4.9 Katalysezyklus für die Herstellung von Acetaldehyd durch Ethenoxidation nach dem Wacker-Hoechst-Verfahren. Schritt 1: Bildung des PalladiumKH2O-σ-Komplexes und des Ethen-π-Komplexes. Schritt 2: Nucleophiler Angriff von H2O an Ethen. Schritt 3: Chloridabspaltung als geschwindigkeitsbestimmender Schritt. Schritt 4: β-Wasserstoffeliminierung mit Verbleib des gebildeten Olefins als Ligand. Schritt 5: Re-Insertion des Olefins in PddH-Bindung, Hydrometallierung. Schritt 4 und 5 führen zu einer Isomerisierung des β- in den α-Hydroxyethylliganden. Schritt 6: Reduktive Eliminierung des α-Hydroxyethylliganden und von HCl. Schritt 7: Oxidative Regenerierung des Palladiumkatalysators durch das Redoxsystem CuC.Cu2C.

Diese Reaktion war in ihrer stöchiometrischen Ausprägung schon seit 1894 bekannt: H2C]CH2 C PdCl2 C 3 H2O $% CH3CHO C Pd0 C 2 H3OC C 2 ClK

Sie konnte aus ökonomischen Gründen wegen des teuren Edelmetalls nicht kommerzialisiert werden. Entscheidend für eine katalytische Verfahrensweise war die Entdeckung, dass Cu2C das nullwertige Palladium zur zweiwertigen Stufe zurück oxidieren konnte: Pd0 C 2 Cu2C C 2 ClK $% PdCl2 C 2 CuC

Das dabei gebildete Kupfer (C1) (als Chlorid) wird durch Luftsauerstoff wieder zur Oxidationsstufe 2C regeneriert: 2 CuC C 2 H3OC C

1 2

O2 $% 2 Cu2C C 3 H2O

In der Bruttoreaktion (s. o.) ergibt sich damit die Oxidation des Ethens, scheinbar durch den Luftsauerstoff. Die mechanistische Aufklärung des Katalysezyklus gelang durch stereochemische Experimente und Isotopenmarkierung. Durch Verwendung prochiraler Al-

4.4 Katalyse

727

kene konnte gezeigt werden, dass der nucleophile Angriff des Wassermoleküls aus der umgebenden Lösung trans zum Palladium erfolgt: Wacker-Prozess: Mechanistische Aufklärung Schritt 2: Nucleophiler Angriff inter- oder intramolekular? Cl

H2O

Pd

H

Cl

C

D

+2 H2O –H3O+

transD H Angriff prochirales Olefin

Cl

H2O

Pd

H

Cl

C C

D

D

ClC

Pd

C

D

OH



CuCl2 LiCl

H

D

C

OH

threo-Chlorhydrin

C

Cl D H

H

Cl–

+2 H2O –H3O+

X

H

Cl

H2O

C

D

H

Cl

H2O

Pd

cis-Angriff



ClH D

H

C C

HO

D

HO

H

D

C C

D

Cl

erythro-Chlorhydrin H

Aus (E)-1,2-Dideuteroethan wird nach nucleophilem Angriff mit H2O und Spaltung der Palladium-Kohlenstoff-σ-Bindung mit CuCl2.LiCl (letzteres in einer SN 2-Reaktion unter Inversion am C-Atom) selektiv threo-Chlorhydrin gebildet. Es liegt kein intramolekularer Angriff des cis-ständigen, komplexgebundenen Aqualiganden vor. Die Verwendung von D2O als Medium belegte, dass das Acetaldehydprodukt nicht bereits aus dem Vinylalkohol-π-Komplex, sondern erst in Schritt 6 aus dem α-Hydroxyethyl-σ-Komplex gebildet wird. Sonst hätte Deuterium im Produkt vorhanden sein müssen: Schritt 5 und 6: Wann Produktabspaltung? Cl

D2O

Pd

Cl

CH2

+2 D2O –D3O+

Cl

D2O

CH2

Pd H CHO–D

CH2

falls Produktabspaltung in Schritt 5 DO H2DC–CHO X H2C CH

D-Abspaltung in Schritt 6

Werden anstelle von Wasser andere nucleophile Reagenzien als Reaktionsmedium verwendet, kann die Produktpalette erweitert werden. Mit Essigsäure erhält man Vinylacetat, mit Alkoholen Vinylether: Wacker-Prozess: Produktvariation durch andere Nucleophile anstatt H2O Pd CH2

CH2

+ NuH –H+

Pd

H

CHNu CH2

NuH = CH3COOH

CH3OH

H H2C C Nu H H2C C Vinylacetat OOCCH3 H H2C C OCH3

Vinylether

728

4 Organometallchemie

Mit Propen als Olefin wird analog zu Ethen an einem Palladiumchlorid.Kupferchlorid-Katalysator Aceton durch Direktoxidation erhalten: 1

H2C=CH–CH3 + – O2

PdCl2/CuCl2-Kat.

2

110-120 °C 10-14 bar

H3 C

O C

CH3

Die Direktoxidation ist allerdings für die Acetonherstellung gegenüber der Coproduktion beim Phenol-Verfahren und der Isopropanol-Dehydrierung von weit nachgeordneter Bedeutung. Zahlreiche Quellen, bei denen Aceton als Co- und Nebenprodukt gewonnen wird, vermindern das Interesse an einer direkten Herstellung. Gegenwärtig wird in Japan noch eine Acetonproduktion nach dem Wacker-Hoechst-Verfahren betrieben, mit einer Kapazität von etwa 40 000 Jahrestonnen. Weitere Umsetzungen von Olefinen zu Ketonen mittels Direktoxidation sind möglich, z. B. 1-Buten zu Methylethylketon, werden jedoch technisch nicht genutzt.

4.4.1.2 Essigsäureherstellung durch Carbonylierung von Methanol (BASF- und Monsanto-Verfahren) Nur der Tafelessig wird heute noch durch Fermentation.Essigsäuregärung erhalten. Die technisch in vielfältigster Form K als Essigsäureester (Vinylacetat, Butylacetat, Celluloseacetat), Essigsäureanhydrid, Acetylchlorid, Chloressigsäure usw. K genutzte Essigsäure wird hauptsächlich durch Methanolcarbonylierung dargestellt: K

[RhI (CO) ] -Kat.

2 2 CH3OH C CO $#####% CH3COOH

Die Oxidation von Acetaldehyd (s. o.) oder die Flüssigphasenoxidation von gesättigten linearen Kohlenwasserstoffen, insbesondere n-Butan, sind oder waren weitere Möglichkeiten der Essigsäureherstellung. Die Gesamtkapazität für Essigsäure über alle Verfahren liegt bei etwa 5 Mio. Jahrestonnen. Mehr als die Hälfte der Herstellkapazitäten beruhen auf dem Monsanto-Verfahren, mit steigender Tendenz. Im Wettbewerb der Essigsäure-Herstellverfahren hat der Erfolg des Monsanto-Verfahrens gegenüber dem Wacker-Hoechst-Verfahren ökonomische Gründe in der Rohstoffbasis. Das im Wacker-Prozess eingesetzte Ethylen wird überwiegend aus der thermischen Spaltung (Cracken) gesättigter Kohlenwasserstoffe und damit aus Flüssiggas oder Naphtha gewonnen. Es hat eine petrochemische Basis. Die C1-Bausteine Methanol und Kohlenmonoxid für das MonsantoVerfahren können aus Kohle erhalten werden. Methanol wird aus Synthesegas durch Heterogenkatalyse dargestellt. Wegen des Preisanstiegs für Ethen nach den Erdölkrisen war die seit 1970 kommerzialisierte Methanolcarbonylierung nach Monsanto erfolgreicher.

4.4 Katalyse

729

Rohstoffbasis des Wacker- und Monsanto-Verfahrens zur Essigsäureherstellung Erdöl

H2C=CH2

1/2 O2 Pd/Cu-Kat.

CH3CHO

Wacker-HoechstVerfahren

1/2 O2 Kohle

Kat. CO/H2 Synthesegas

CH3OH

CO Rh-Kat.

CH3COOH

MonsantoVerfahren

Die Anfänge der Direktcarbonylierung von Methanol gehen auf Arbeiten der BASF um 1913 mit Cobaltkatalysatoren zurück. Unter den Reaktionsbedingungen von 700 bar und 250 (C wird aus Cobalt (II)-iodid, CO.H2 und wenig H2O in-situ der Cobaltcarbonyl-Katalysator gebildet. Im Katalysezyklus, der dem nachfolgend ausführlicher diskutierten Monsanto-Prozess sehr ähnlich ist, liegen die Spezies Co (CO)K 4 , CH3dCo (CO)4, CH3C(O)dCo (CO)3 und CH3C(O)dCo (CO)4 vor. Beim Monsanto-Verfahren wird ein Rhodium (I)- oder -(III)-Komplex eingesetzt, der mit einem Iodid-Promoter und CO in alkoholischem Medium zu [RhI2 (CO)2]K reagiert. Das Dicarbonyldiiodorhodat (I) ist isolierbar und wurde unter den Reaktionsbedingungen der Direktcarbonylierung spektroskopisch nachgewiesen. Abb. 4.10 illustriert den vollständig aufgeklärten Katalysezyklus. Im ersten und gleichzeitig geschwindigkeitsbestimmenden Schritt (1) wird Methyliodid oxidativ an [RhI2 (CO)2]K addiert. Die Reaktiongeschwindigkeit ist jeweils 1. Ordnung in CH3I- und Rhodium-Konzentration. Eine Abhängigkeit von der CO- und CH3OH-Konzentration besteht nicht. Aus dem quadratisch-planar koordinierten Rh (I)-Komplex entsteht ein oktaedrisch-koordiniertes Rhodium (III)-Intermediat. Es schließt sich eine Methylwanderung auf einen COLiganden (alternativ CO-Insertion in die RhdCH3-Bindung) an (Schritt 2). An die freie Koordinationsstelle des fünffach koordinierten Rhodium (III)KAcetylIntermediats kann sich wieder ein CO-Molekül anlagern und die reduktive Eliminierung (Schritt 3) von Acetyliodid unter Regeneration der aktiven [RhI2 (CO)2]K-Spezies einleiten. Acetyliodid reagiert mit Wasser zu Essigsäure. Es wird Iodwasserstoff zurück erhalten, der mit Methanol wiederum Methyliodid bildet. Wichtig für den Katalysezyklus ist der reversible Oxidationsstufenwechsel zwischen RhI und RhIII. Im Vergleich benötigt der BASF-Prozess eine höhere Metallkonzentration und weitaus drastischere Bedingungen (höherer Druck und höhere Temperatur) als das Monsanto-Verfahren. Dabei liefert er niedrigere Selektivitäten (90 % bezogen auf CH3OH, 70 % auf CO) als das Monsanto-Verfahren (O99 % bezogen auf CH3OH, O90 % auf CO). Beim BASF-Prozess fallen etwa 4 % Nebenprodukte wie CH4, CH3CHO, C2H5OH, CO2 und C2H5COOH an. Für das Monsanto-Verfahren sind die maßgeblichen Nebenprodukte nur CO2 und H2. Sie werden über eine katalysierte Einstellung des Wassergas-Gleichgewichts erhalten. CO C H2O # CO2 C H2 [RhI2 (CO)2]K C 2 HI # [RhI4 (CO)]K C H2 C CO [RhI4 (CO)]K C 2 CO C H2O # [RhI2 (CO)2]K C CO2 C 2 HI

730

4 Organometallchemie

CH3I + + CH3OH

I

I

+I

Rh

CO

+III CO

I

CO

1

–H2O



CH3



Rh

I

CO

I

HI 3 CH3COOH

2

+H2O CH3COI O C I

I



+III CO

Rh I

C

O



+ CO

I

I

+III

Rh

CH3

I

CO

C

O

CH3

Abb. 4.10 Katalysezyklus für das Monsanto-Verfahren zur Essigsäureherstellung. Schritt 1: Oxidative Addition. Schritt 2: Methylwanderung.CO-Insertion. Schritt 3: Reduktive Eliminierung.

Eine Produktion nach dem BASF-Verfahren begann 1960. Inzwischen sind wohl nur noch Direktcarbonylierungsanlagen nach dem Monsanto-Verfahren in Betrieb. Da ein verlustarmer Rhodium-Kreislauf heute beherrscht wird, hat sich das 1970 eingeführte wirtschaftlichere Monsanto-Verfahren durchgesetzt. Wegen des hohen Preises im Zusammenhang mit der vielseitigen Verwendung und begrenzten Verfügbarkeit von Rhodium (Weltproduktion 8 t.a) sind Untersuchungen zu alternativen Katalysatorsystemen weiterhin interessant. Verfolgt wird auch die Entwicklung von festbettfixierten Rhodiumkatalysatoren. Materialtechnisch ist die Korrosionswirkung der Halogene problematisch.

4.4.1.3 Aldehyde aus Olefinen durch Hydroformylierung („Oxo-Synthese“) Das Prinzip der Hydroformylierung ist die katalytische Addition von CO und H2 (aus Synthesegas) an Olefine unter Kettenverlängerung um ein C-Atom zum Aldehyd: R–CH=CH2 + CO + H2

[RhH(CO)(PPh3)2]-Kat.

R–CH2–CH2–CHO

+

R–CH–CH3

CHO linearer n-Aldehyd verzweigter iso-Aldehyd

Der Name Hydroformylierung ergibt sich aus der formalen Addition eines HAtoms (Hydro) und einer CH]O-Gruppe (Formyl) an die Doppelbindung. Die wichtigsten Produkte und Folgereaktionen aus diesem Prozess sind heutzutage

4.4 Katalyse

731

n-Butanol und 2-Ethylhexanol (aus Propen über Butyraldehyld durch Hydrierung der primär anfallenden Aldehyde) sowie Propionsäure (aus Ethen über Propionaldehyd gefolgt von dessen Oxidation). Propen-Hydroformylierung und Folgereaktionen CO + H2 Kat. H

Hydroformylierung +

O H n- + i-Butyraldehyd O

Aldolkondensation OH–

H2

OH H O –H2O

OH OH + n- + i-Butanol

H O H2 OH 2-Ethylhexanol

Allgemein werden die Aldehyde weiter in primäre Alkohole, Carbonsäuren und Amine überführt. Die Hydroformylierung ist mengen- und wertmäßig das größte homogenkatalytische Verfahren. Die Weltkapazität für Hydroformylierungsprodukte liegt bei 7K8 Mio. Jahrestonnen. Die Hydroformylierung wurde 1938 durch Otto Roelen bei der Ruhrchemie entdeckt. Die erste technische Herstellung umfasste C12-C14-Waschmittelalkohole durch Hydrierung der primär anfallenden Aldehyde. Entsprechend der eingesetzten Edukte und Katalysatoren existiert eine Vielzahl technischer Varianten der Hydroformylierung. Als Katalysatoren wurden zunächst Cobaltmetall oder Cobaltsalze verwendet. Unter Reaktionsbedingungen wurde daraus Cobaltcarbonylwasserstoff als direkte Katalysatorvorstufe gebildet. Später kamen bei den Cobaltsystemen noch Phosphanliganden zur Reaktionssteuerung hinzu. Seit 1970 wurden von Union Carbide Rhodium. Phosphan-Systeme kommerzialisiert. Im Jahre 1990 basierten die Hydroformylierungskapazitäten zu gleichen Teilen auf Cobalt- und Rhodiumkatalyse. Die Ausstattung von Neuanlagen erfolgt aber größtenteils mit Rhodiumkatalysatoren. Wie beim Essigsäure-Monsanto-Verfahren (s. Abschn. 4.4.1.2) liegen die Vorteile der Rhodium.Phosphan-Katalysatoren in den milderen Bedingungen K niedrigerem Druck und niedrigerer Temperatur K und einer höheren Selektivität. Dazu kommt noch ein besseres n.iso-Verhältnis des Aldehydprodukts. Bei den bereits verbesserten Cobalt.Phosphan-Systemen liegt der Druck bei 50K100 bar und die Temperatur bei 180K200 (C. Die Werte für die Rhodiumkatalysatoren bewegen sich zwischen 7K25 bar und 90K125 (C. Gleichzeitig verbesserte sich

732

4 Organometallchemie

die Selektivität mit Cobalt von O85 % auf über 90 % mit Rhodium und das n. iso-Verhältnis von 90.10 auf bis zu 95.5. Die höheren Kosten für Rhodium werden durch die größere Selektivität ausgeglichen. Ein verlustarmer Rhodiumkreislauf bestimmt natürlich wesentlich die Wirtschaftlichkeit des Verfahrens. Die Mechanismen der älteren Cobalt- und der neueren Rhodium-katalysierten Hydroformylierung sind sehr ähnlich (vgl. hierzu auch die Essigsäuredarstellung nach BASF- und Monsanto-Verfahren). Allerdings ist der Cobaltzyklus mechanistisch schwieriger zu studieren und Einzelheiten wurden zum Teil in Analogie zum besser untersuchten Rhodiumprozess (s. u.) formuliert. So wird mit Cobalt als Katalysator eine Sequenz folgender Intermediate angenommen: HCo(CO)3 $% HCo(CO)3 (π-CH2]CHR) $% RCH2CH2dCo(CO)3 $% RCH2CH2dCo(CO)4 $% RCH2CH2C(O)dCo(CO)3 $% RCH2CH2C(O)dCo(H)2 (CO)3. Für die Rhodium-katalysierte Hydroformylierung ist ein modifizierter WilkinsonKatalysator RhH(CO) (PPh3)3 die unmittelbare Vorstufe. H Ph3P

Ph3P

Rh

PPh3

Cl

Ph3P

Ph3P

Rh PPh3

C O modifizierter Wilkinson-Katalysator Wilkinson-Katalysator

Er wird im Gemisch mit einem höheren Triphenylphosphanüberschuss (bis 500 : 1) eingesetzt. Unter reversibler Phosphanabspaltung bildet sich eine hydroformylierungsaktive, quadratisch-planare Rhodium (I)-Spezies, aus der zunächst der Olefinkomplex entsteht (Abb. 4.11, Schritt 1). Die sich anschließende intramolekulare Hydridwanderung auf das koordinierte Olefin (Schritt 2) ergibt eine metallständige Alkylgruppe. Die Hydridwanderung entscheidet über das gebildete Isomer im späteren Aldehyd. Wird das Wasserstoffatom auf das terminale Kohlenstoffatom des α-Olefins übertragen, so entsteht der verzweigte iso-Aldehyd. Ansonsten bildet sich der lineare n-Aldehyd, der i. d. R. das Wunschprodukt ist. Über den sterischen Anspruch des Phosphanliganden kann das n.iso-Verhältnis in weiten Grenzen gesteuert werden. Mit der Hydridwanderung oder Hydrometallierung des Olefins wird wieder ein quadratisch-planarer Rhodiumkomplex erhalten. An die freigewordene Koordinationsstelle kann sich ein CO-Ligand anlagern. Mit der intramolekularen cis-Alkylwanderung zum CO-Liganden wird die neue CdC-Bindung geknüpft (Schritt 3). An den quadratisch-planaren Rhodium (I)-Komplex folgt als geschwindigkeitsbestimmender Schritt eine oxidative Addition von H2 zur oktaedrischen Rhodium (III)-Spezies (Schritt 4). Aus dieser wird unter reduktiver Eliminierung das Aldehyd-Produkt freigesetzt und die aktive Startspezies des Katalysators regeneriert (Schritt 5). Ein Vergleich des katalytischen Zyklus für die Hydroformylierung mit der Essigsäureherstellung nach dem Monsanto-Verfahren (s. Abb. 4.10) zeigt die mechanistische Verwandtschaft der beiden Verfahren, mit Alkylwanderung.CO-Insertion, oxidativer Addition und reduktiver Eliminierung als identischen Schlüsselschritten.

4.4 Katalyse RhH(CO)L3

H

–L L = PPh3

L

OC

+I

Rh

H

H2C=CHR

L

L

L

1

Rh

CHR CH2 CH2

CHR

CO

L

2

OC

Rh

RCH2CH2CHO

4

H

O C CHR CH3

L

OC

+III H

Rh L

R CH CH3 CH2CH2R

L

+ CO

5

CHO RCH CH3

733

O

+ H2

C CH2CH2R

L

OC

O C CH CH R 2 2 Rh

L

O C

3 L

OC

Rh

CH2CH2R

L

Abb. 4.11 Zyklus der Rhodium.Phosphan-katalysierten Hydroformylierung zum Aufbau von Aldehyden aus Olefinen durch Addition von CO.H2. Schritt 1: Bildung des Olefinkomplexes. Schritt 2: Hydridübertragung auf das Olefin.Hydrometallierung. Schritt 3: Alkylwanderung.CO-Insertion. Schritt 4: Oxidative Addition von H2. Schritt 5: Reduktive Eliminierung. Der Zyklus zeigt den Weg zum linearen n-Aldehyd als Hauptprodukt. Die in geschweiften Klammern grau gezeigten Liganden verdeutlichen den Weg zum verzweigten iso-Aldehyd.

Ein gewisses Problem bei der Rhodium-katalysierten Hydroformylierung stellt der Bruch der Phosphor-Kohlenstoff-Bindung dar. Dies führt zur Bildung inaktiver Phosphido-verbrückter Rhodiumkomplexe. Ethen und unverzweigte α-Olefine sind am leichtesten zu hydroformylieren, sterisch gehinderte, interne Olefine kaum. Die Reaktivitätsfolge ist H2C]CH2 O R1CH]CH2 O R1CH]CHR2 O R1R2C]CH2 O R1R2C]CR3R4. Bei internen Olefinen ist durch eine vorher ablaufende Doppelbindungsisomerisierung als Nebenreaktionen trotzdem eine Hydroformylierung möglich. Eine interne Doppelbindung verschiebt sich bevorzugt in eine endständige Position. Auf diese Weise entsteht aus 2,3-Dimethyl-2-buten der endständige 3,4-Dimethylvaleraldehyd. Je nach Unterschiedlichkeit der Reste R bilden sich Aldehydgemische. Doppelbindungsisomerisierung und Hydroformylierung tetrasubstituierter Olefine H3C CH3 C C H3C CH3

CO/H2, Kat.

X

H3C H3C

CH3 O CH C C CH3 H

CH3 H3C CH3 CO/H2, Kat. H3C O CH C CH CH H3C CH2 H3C CH2 C H

734

4 Organometallchemie SO3Na

NaO3S

P P

Aktivität

NaO3S

81/19 SO3Na

BISBIS

118

97/3 90

P

SO3Na

P

Me

Me

NaO3S NaO3S

NORBOS SO3Na

SO3Na

SO3Na TPPTS n/iso = 94/6 16 P/Rh = 1

0.08

0.16

Abb. 4.12 Aktivität und n.iso-Selektivität von Phosphanliganden abhängig vom normierten P.Rh-Verhältnis (Z1 für TPPTS) in der Hydroformylierung durch Zweiphasenkatalyse.

Für die Steuerung des n.iso-Aldehydverhältnisses bei der Hydroformylierung können in gewissen Grenzen die Reaktionsparameter Temperatur und CO-Partialdruck eingesetzt werden. Entscheidend aber ist die Katalysatormodifizierung. Die Erhöhung des n.iso-Verhältnisses beim Übergang von Cobalt zu Rhodium wurde bereits erwähnt. Außerdem werden Modifizierungen der Phosphanliganden genutzt. Generell führen sterisch anspruchsvolle Liganden zu einem erhöhten n-Aldehydanteil. Sie verringern allerdings den Olefinumsatz und erhöhen die Hydrieraktivität des Katalysators. Die Hydrierung des eingesetzten Alkens zum Alkan und des gebildeten Aldehyds zum Alkohol sind dann Nebenreaktionen. Durch eine Verringerung des Phosphan-Überschusses können diese Nachteile aber mehr als ausgeglichen werden (vgl. Abb. 4.12). Eine verfahrenstechnische Weiterentwicklung der Hydroformylierung ist die Entwicklung von zweiphasigen Homogenkatalysatoren. Die Sulfonierung von Triphenylphosphan oder anderen Arylphosphanderivaten (s. Abschn. 4.2.5) führt zu wasserlöslichen und damit leicht abtrennbaren Rhodiumkomplexen. Im Ruhrchemie.Rhône-Poulenc-Verfahren werden diese Zweiphasenkatalysatoren für die Synthese von Butyraldehyden eingesetzt. Die Produktselektivität konnte auf diese Weise nochmals verbessert werden. Abtrennung und Rückführung des Rhodiumkatalysators wurden damit unproblematisch. Abb. 4.12 deutet für die sulfonierten wasserlöslichen Rhodium-Phosphan-Komplexe die Steuerung der Aktivität und des n.iso-Verhältnisses durch den sterischen Ligandenanspruch und das Phosphan.Rhodium-Verhältnis an.

4.4 Katalyse

735

4.4.1.4 Butadienhydrocyanierung, Adiponitrilsynthese Adipinsäurenitril [Adiponitril, N^C (CH2)4C^N, ADN] ist die Vorstufe für 1,6Diaminohexan, H2N (CH2)6NH2, in das es durch Hochdruckhydrierung an Metallkatalysatoren überführt wird. Das Diamin findet als Polyamidbaustein Verwendung für die Synthese von Nylon 6.6. Die Herstellung von Adiponitril ist auf verschiedenen Wegen möglich, die Gesamtkapazität liegt bei 1 Mio. Jahrestonnen. Seit 1971 wird die Direkthydrocyanierung von Butadien nach dem DuPontVerfahren mit Ni0-Phosphan- oder -Phosphit-Katalysatoren betrieben. Die Gesamtreaktion wird zweistufig als druckloses Verfahren in Tetrahydrofuran bei 30K150 (C durchgeführt. Adiponitrilsynthese durch Butadienhydrocyanierung + HCN

Ni(PR3)3-Kat.

+

CN 3-Pentennitril

1. Stufe

Isomerisierung mit HNi(PR3)3+(CN·A)– (A = Lewis-Säure z.B. ZnCl2, BPh3) 2. Stufe NC

CN

2-Methyl3-butennitril

Isomerisierung mit Ni(PR3)3 CN

4-Pentennitril

+ HCN Ni(PR3)3-Kat. CN

Adiponitril, ADN

Abb. 4.13 illustriert den Katalysezyklus für die erste Stufe, d. h. die Einführung der ersten Nitrilgruppe. Die zweite Stufe zum ADN verläuft nach einer Doppelbindungsisomerisierung vom 3-Penten- zum 4-Pentennitril analog. Die Katalysatorvorstufe ist ein 18-Elektronen-Tetraphosphan- oder -phosphit-Nickel (0)-Komplex NiL4. In einer Gleichgewichtsreaktion wird ein Ligand abgespalten, unter Bildung der 16-Elektronenspezies NiL3. Dieses lagert in einer oxidativen Addition (Schritt 1) ein Molekül Cyanwasserstoff an. Die Gleichgewichtskonstante für die Ligandabspaltung variiert sehr stark (bis zu 10 Zehnerpotenzen) mit dem Kegelwinkel von Phosphanliganden Phosphanligand

Kegelwinkel [(]

PH3 PF3 P(OMe)3 PMe3 PMe2Ph PEt3 PPh3 P(cyclohexyl)3 PtBu3 P(mesityl)3 a)

87 104 107 118 122 132 145 170 182 212

a)

mesityl Z -C6H2-2,4,6-Me3

736

4 Organometallchemie Tolman'sches Kegelwinkel-Konzept

R2

R3

R1 P

van-der-WaalsOberfläche der Reste R

Kegelwinkel (cone angle)

M

sterischen Anspruch des Phosphan- oder Phosphitliganden. Der Raumbedarf wurde von Tolman durch den Kegelwinkel (engl. cone angle) quantifiziert. Das anhand dieses NiL4.NiL3-Gleichgewichts eingeführte Kegelwinkel-Konzept hat sich seitdem in vielen Bereichen der Chemie bewährt. Ein Kegelwinkel von 180( wie bei PtBu3 bedeutet, dass der Ligand die halbe Koordinationssphäre des Zentralatoms abdeckt. In die Nickel-Wasserstoff-Bindung des auch spektroskopisch nachgewiesenen Additionsprodukts HdNi (CN)L3 kann ein Butadienmolekül insertiert werden (Hydrometallierungsreaktion, Schritt 2). Es entsteht nachweisbar ein π-Allylkomplex. Dieser lagert sich unter intramolekularer CdC-Verknüpfung mit dem CN-Liganden um (Schritt 3). Die CdC-Verknüpfung entspricht mechanistisch einer intramolekularen reduktiven Eliminierung und kann an zwei Stellen der Ni(CN)L2 –L NiL2 CN 3

NC

2 H–Ni(CN)L3

NiL2 3

+ HCN +L

+L

1 NiL3

CN 2M3BN

–L

+L

NiL4

NC 3PN

Abb. 4.13 Mechanismus der Butadienhydrocyanierung an NiL3-Katalysatoren [L]PR3, P(OR)3] (1. Stufe). Schritt 1: Oxidative Addition. Schritt 2: Hydrometallierung. Schritt 3: Intramolekulare CdC-Verknüpfung und gleichzeitig reduktive Eliminierung. In der Umkehrung (graue Pfeile) liegt eine CdC-Bindungsspaltung und oxidative Addition als Basis für die Isomerisierung von 2M3BN zu 3PN vor.

4.4 Katalyse

737

C4-Kette erfolgen. Es kann sich das gewünschte lineare 3-Pentennitril (3PN) oder das unerwünschte verzweigte 2-Methyl-3-butennitril (2M3BN) bilden. Die reduktive Eliminierung der Produkte ist reversibel und bildet die Basis für die Isomerisierung von 2M3BN zu 3PN über eine relative seltene CdC-Bindungsspaltung.

4.4.1.5 Butadientrimerisierung und -dimerisierung Die Trimerisierung von Butadien an einem Nickelkatalysator liefert trans,trans,trans-Cyclododecatrien (t,t,t-CDT) und als Nebenprodukt das Butadiendimer Cyclooctadien (COD). Der Zusatz von Phosphan in der Katalyse führt zu COD als Hauptprodukt:

Ni und

3

COD

t,t,t-CDT

Hauptprodukt bei Phosphanzusatz

CDT wird durch Hydrierung und Ringöffnungsoxidation zu 1,12-Dodecandisäure weiterverarbeitet. Diese wird als C12-Baustein für die Polyamid- und Polyesterfertigung verwendet: c,t,t-CDT

Ringöffnungsoxidation OH O

Hydrierung 3 H2 t,t,t-CDT

O2

HNO3

COOH COOH 1,12-Dodecandisäure

Basierend auf Arbeiten von Günther Wilke wurde ab 1955 mit Ziegler-Mischkatalysatoren (TiCl4.Et2AlCl.EtAlCl2) das cis,trans,trans-CDT synthetisiert. Ab 1960 gelangte man mit einem neuen Bis (allyl)nickel-Präkatalysator, (η3C3H5)2Ni, zum trans,trans,trans-CDT. Abb. 4.14 illustriert den Mechanismus der Butadienoligomerisierung zu COD und CDT. Aus dem Bis (allyl)nickel-Präkatalysator werden die Allylliganden reduktiv als Diallyl eliminiert. Es entsteht der Bis (butadien)-Komplex. Unter intramolekularer CdC-Verknüpfung der beiden Butadienliganden bildet sich ein neues Bis (allyl)-System. An die dabei freigewordene Koordinationsstelle des Nickelatoms kann sich wieder ein Ligand anlagern. Setzt man der Reaktion Phosphane als Donorliganden zu, so werden diese die Koordinationsstelle besetzen. COD wird als Hauptprodukt erhalten. Ansonsten wird ein weiteres Butadienmolekül die Koordinationslücke am Nickelatom ausfüllen. Unter weiterer CdC-Verknüpfung erhält man das Trimer. Dieses liegt zunächst noch offen als isolierbarer Nickel-Diallyl-Komplex vor, nach reduktivem Ringschluss als Nickel-Trien-Verbindung. Aus letzterem 16-Elektronen-

738

4 Organometallchemie

Komplex wird im Austausch gegen zwei Butadienliganden das CDT-Produkt abgespalten und die 18-Elektronen-Bis (butadien)-Startverbindung regeneriert. Der Mechanismus enthält nicht nur einen Oxidationsstufenwechsel zwischen Ni0 und Ni2C sondern auch eine Änderung der Elektronenbilanz zwischen 16- und 18Valenzelektronenspezies.

Ni2+, 18e–

PR3

Ni

Ni

Ni2+, 18e–

PR3

mit Phosphanzusatz

Ni

Ni

Ni2+, PR3 18e–

Ni

Ni0, 18e–

Ni2+, 16e–

2 2

Ni

+2

Ni0, 16e–

– COD

Ni2+, 16e–

Ni

t,t,t-CDT

Abb. 4.14 Cyclooctadien- und trans,trans,trans-Cyclododecatrien-Synthese durch Oligomerisierung von Butadien an Nickelkatalysatoren.

4.4.1.6 Der Shell Higher Olefin Process (SHOP), Ethenoligomerisierung Eine Nickel-katalysierte Oligomerisierung von Ethen wird für die Herstellung von linearen α-Olefinen eingesetzt. Komplexe der allgemeinen Formel [NiPh (P,O)PR3] (P,O Z Phosphanylenolato-Chelatligand) sind dafür seit 30 Jahren hocheffiziente Präkatalysatoren (SHOP-Katalysatoren). Die aktive Form ist eine Ni (P,O)KHydrid-Spezies. Sie wird nach Etheninsertion in die NidPh-Bindung und β-H-Eliminierung erhalten: Synthese

Aktivierung oxid. Addition Ph2 Ph2 PPh3 P P Ph H + H2C CH2 + [Ni(cod)2] Ni Ni Toluol Ph O O O PPh3 Ph PPh3 – H2C CH Ph Ph –2cod Keton-stabilisiertes Phosphonium-Ylid SHOP-Präkatalysator aktive Hydrid-Spezies Ph2 P Ph

= freie Koordinationsstelle

4.4 Katalyse

739

Ähnlich der Aluminium-katalysierten Ethenoligomerisierung (Aufbau-Reaktion, Abschn. 4.2.3) insertiert Ethen in NidH- und NidC-Bindungen unter Bildung von Metallalkylen mit statistischer, Schulz-Flory-Verteilung der Kettenlängen. Die β-Wasserstoffeliminierung als Kettenabbruchreaktion führt zur Bildung des α-Olefins unter Rückbildung der NidH-Spezies: Mechanismus

P O

n–1

β-H-Eliminierung P O

Kettenabbruch

Ni

Ni

H + H2C CH2 π-Koordination PPh3

P

n–1

O

PPh3

Ni

H

H2C

CH2

Kettenwachstum +n H2C CH2

P

Folge von π-Koordination +Insertion

O

Ni

Insertion, Hydronickelierung

CH2 CH3 PPh3

Der Nickelkatalysator reagiert bei etwa 100 (C in Glycol oder ähnlichen Lösungsmitteln mit Ethen. Ein Druck von 80 bar bedingt eine hohe Monomerkonzentration. Die Ausbildung von Verzweigungen durch Re-Insertion von Olefinen wird so unterdrückt und die gewünschte hohe Linearität der α-Olefine erhalten. Der Phosphandonor konkurriert mit dem Ethen in einem Gleichgewicht um die Anbindung an die Nickel-Alkyl-Intermediate. In der Konsequenz verlangsamt das Phosphan die Geschwindigkeit des Kettenwachstums in einen Bereich, der mit der gegebenen Geschwindigkeit für den Kettenabbruch zu Oligomeren führt. Wird der PPh3-Ligand mit einem Phosphanakzeptor wie [Ni (cod)2] aus dem Katalysezyklus entfernt, so ergibt der Katalysator lineares Polyethen anstatt C4CO20-Oligomere. Im SHOP sind die in schneller Reaktion gebildeten linearen αOlefine mit der Glycolphase nicht mischbar und können einfach abgetrennt werden. In einer destillativen Aufarbeitung wird der gewünschte C10-C18-Bereich abgetrennt. Niedrigere und höhere α-Olefine werden zu internen Olefinen isomerisiert. Diese lassen sich in einer Metathesereaktion zu C10-C18-Olefinen umsetzen (s. Abschn. 4.4.2.2):

H2C CH2

Ph

Ph2 P H Ni O

SHOP Shell Higher Olefin Process PPh3

Oligomerisation

α-Olefin-Gemisch α-C10-C18

Destillation

C10-18 CHO

α-C≥20, α-C≤8 Isomerisierung Heterogenkat.: Na/K auf Al2O3 oder MgO in flüss. Phase interne Olefine C≥20, C≤8

HCo(CO)3(PBu3), HCo(CO)4 MoO3 /Al2O3 Olefinmetathese

interne Olefine C10-18

C10-18 CH2OH

Isomerisierung mit Hydroformylierung und Hydrierung

740

4 Organometallchemie

4.4.1.7 Asymmetrische Hydrierungen − Synthese von L -Dopa und L -Phenylalanin Die Synthese von enantiomerenreinen organischen Verbindungen aus achiralen Substraten ist eine der elegantesten Anwendungen der homogenen Katalyse.4 Für die enantioselektive Synthese, d. h. die Darstellung von nur einem Enantiomer, wird ein chiraler Katalysator benötigt. Dieser muss ein prochirales Substrat, z. B. ein Olefin, in einer Vorzugskonformation koordinieren. Die Erkennung und Einstellung der Vorzugskonformation geschieht meistens durch chirale Liganden am Metallatom. Über repulsive van-der-Waals-Kontakte zwischen Ligand und Substrat wird ein „chirales Loch“ in der Koordinationssphäre des Metallatoms geschaffen (Abb. 4.15). Dazu werden häufig chelatisierende Diphosphane eingesetzt. Die Chiralität kann dabei auf den Phosphor-Donoratomen (Bsp. Dipamp) oder den organischen Gruppen beruhen, die am Phosphor gebunden sind (Bsp. Diop, Chiraphos, Norphos), oder auf einer axialen Chiralität bei Einfrieren der Konformation des ganzen Moleküls (Bsp. Binap): chirale Phosphanliganden MeO

MeO

Ph *

P

* P

Dipamp

Ph

Me Me

O * CH2PPh2 O

*

Diop

CH2PPh2

Me H

H * *

Me

PPh2

PPh2

Chiraphos

* * * *

PPh2

HH

PPh2

* (R) PPh 2

PPh2

Norphos

Binap

Obige chirale Phosphanliganden sind nicht asymmetrisch, sondern mit einer C2Achse ausnahmslos dissymmetrisch (vgl. Abschn. 3.8, optische Isomerie). Diese C2-Symmetrie ist kein Zufall. Sie wird absichtlich eingesetzt, um im Vergleich mit asymmetrischem Phosphanliganden die Zahl der möglichen konkurrierenden diastereomeren Zwischenprodukte oder Übergangszustände zu verringern und damit die gewünschte Reaktionslenkung zu erreichen (Abb. 4.15; vgl. dazu auch die C2-Symmetrie bei chiralen Metallocenkatalysatoren, Abschn. 4.4.1.10). Die erste kommerzielle Anwendung einer asymmetrischen Hydrierung erfolgte in der Synthese von L-Dopa (Levodopa, L-3,4-Dihydroxyphenylalanin). Der Schlüsselschritt ist die enantioselektive Hydrierung des prochiralen Acetamidozimtsäuremethylesters in 90 % Ausbeute und mit mehr als 94 % Enantiomerenüberschuss (ee). Das Verhältnis der beiden Enantiomeren zueinander beträgt etwa 97 : 3. L-Dopa wird als Medikament zur Behandlung der Parkinson’schen Krankheit eingesetzt.

4

Arbeiten zur asymmetrischen Katalyse wurden 2001 mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt und waren zum Teil eng mit chiralen Phosphanliganden verbunden: W. S. Knowles (DipampLigand für chirale Rh-Katalysatoren zur L-Dopa-Synthese), R. Noyori (Binap-Ligand für chirale Metall-Hydrierkatalysatoren), K. B. Sharpless (enantioselektive Epoxidierungen).

4.4 Katalyse

741

C2-(dis-)symmetrisches Phosphan

*

P

Rh

*

*

P

Rh

O

P

O

*

*

P

Diastereomere

O

P

P

P

Rh

*

(nur) 2 Zwischenprodukte / Übergangszustände / Diastereomere

* P * Rh O

asymmetrisches Phosphan

*

P

Rh

*

P

O

O

Diastereomere P

O

*

Rh

*

*

P

Diastereomere

P

Rh

*

4 Zwischenprodukte / Übergangszustände / Diastereomere

Diastereomere

P

P

Diastereomere

*

*

Rh

P

O

Abb. 4.15 Konkurrierende Zwischenprodukte bei einem Metallkatalysator mit dissymmetrischem und asymmetrischem Phosphanliganden am Bsp. der Koordination eines prochiralen (α,ω-Carbonyl-)Olefins, wie es bei der enantioselektiven Hydrierung zur L-Dopa Synthese auftritt. Die Darstellung soll auch die Bildung einer chiralen Tasche durch den Phosphanliganden am Metallatom illustrieren.

L-Dopa-Synthese COOMe

H

MeCO2

H2 + [DipampRh(S) 2] NHCOMe 50 °C, 3 atm MeCO2

OMe

Acetamidozimtsäuremethylester

H

H

COOMe

COOH

NHCOMe Hydrolyse HBr H

OMe

HO i

S = Solvens (z.B. MeOH, EtOH, PrOH)

H

NH2

OH

L-Dopa

Der Enantiomerenüberschuss (ee Z enantiomeric excess) ist definiert als Absolutbetrag der Differenz der prozentualen Mengen beider Enantiomere (R, S) im Produktgemisch. ee Z

- RKS - RCS -

$ 100 %

Als Katalysator wird ein mit Dipamp chelatisierter, solvensstabilisierter Rhodiumkomplex eingesetzt. Er wird aus [Rh (cod)2]C mit dem Phosphan- und den

742

4 Organometallchemie

Lösungsmittelliganden gebildet. Für die enzymartige Spezifität des Schlüsselschritts bei der L-Dopa Synthese wird folgender Mechanismus vorgeschlagen (Abb. 4.16): In einer Gleichgewichtsreaktion verdrängt der Acetamidozimtsäureester die Lösungsmittelliganden am Rhodiumatom. Der Ester koordiniert chelatartig über das Amidosauerstoffatom und die Doppelbindung an das Metallatom. Dabei kommt es zur Bildung zweier Diastereomere. Ein Diastereomer ist aufgrund geringerer repulsiver Ligand 4 Ligand-Wechselwirkungen stabiler und auch detektierbar. Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt (mit der höchsten Aktivierungsenergie) ist die oxidative Addition des Wasserstoffmoleküls an das Rhodiumatom unter Bildung des oktaedrisch koordinierten Komplexes (Schritt 1). Das weniger stabile Diastereomer hat eine niedrigere Aktivierungsenergie, so dass seine Additionsgeschwindigkeit für H2 höher ist und es schneller weiterrea*

P

P

MeOOC

*

P

P

+

Rh

S

+

Rh

S

H

+

COOMe

Ar

NHCOMe

Ar

O

C

stabiler

COOMe

HN

NH Diastereomere

Me

Me

P

* P

P

*

weniger stabil H2 schnell COOMe

H

Rh

Rh

O

MeOOC +

P

+

C Ar

1

H2 langsam

H

P

= Dipamp P S = z.B. MeOH, EtOH, i PrOH Ar = -C6H3-3,4-(OR)2 *

NH Ar

O

C

Me

HN

H

C Ar

Rh

O

Me

P

MeOOC

HN

Me

C

H S

+

Ar

Rh

O

P *

3 P

P

+

Rh

P *

+S

2

*

H

+

H

P

+S H + H S Ar S

COOMe NHCOMe H

Abb. 4.16 Enantioselektive Hydrierung mit einem chiralen Rhodiumkatalysator in der LDopa-Synthese. Schritt 1: Oxidative Addition. Schritt 2: Stereospezifische Wasserstoffübertragung auf das Olefin (Hydrometallierung). Schritt 3: Reduktive Eliminierung.

4.4 Katalyse

743

Energie

Reaktionsenthalpie zu stark bindender Katalysator Ausgangszustand

Aktivierungsenergien Zwischenzustand

Endzustand Reaktionsweg

Abb. 4.17 Schematisches Energiediagramm für unterschiedliche Katalysatoren oder unterschiedliche Zwischenzustände beim gleichen Katalysator. Der eine Katalysator bindet im Zwischenzustand zu stark oder der eine Zwischenzustand ist zu stark stabilisiert. Im Vergleich wird die Weiterreaktion wegen zu hoher Aktivierungsenergie erschwert und damit verlangsamt.

giert (Abb. 4.17). An die oxidative Addition schließt sich eine Wasserstoffübertragung auf das Olefin an, die stereospezifisch erfolgt (Schritt 2). Aus dem derart gebildeten Hydrido-Alkyl-Komplex erfolgt die reduktive Eliminierung des Produkts unter Regenerierung des Katalysators (Schritt 3). Obwohl das weniger stabile Diastereomer aufgrund seiner Instabilität in geringerer Konzentration im Gleichgewicht vorliegt, läuft die Reaktion über diese Form, und es bestimmt den Enantiomerenüberschuss (Abb. 4.16). Ein weiteres Beispiel für eine industriell genutzte asymmetrische Hydrierung ist die Synthese von L-Phenylalanin als Baustein für den künstlichen Süßstoff Aspartam. Acetamidozimtsäure wird dazu an kationischen Rhodiumkatalysatoren in Ethanol enantioselektiv zum N-Acetyl-L-Phenylalanin hydriert. Konkurrenz für diese Rhodium-katalysierte Hydrierung sind Fermentierungstechnologien. Apartam-Synthese H Ph

COOH

H2 [Rh(PP-Ligand)(dien)]+

NHCOMe

Acetamidozimtsäure

COOH PhCH2

NHCOMe H

N-AcetylL-Phenylalanin

PhCH2

COOMe CH2COOH NH2 N C H H O H Aspartam

4.4.1.8 Enantioselektive Olefinisomerisierung, L-Menthol-Synthese Im Duft- und Aromastoff L-Menthol entscheiden drei Stereozentren über den charakteristischen Geruch und die lokale anästhetische Wirkung. Die traditionelle Route zur (G)-Mentholgewinnung ist die Hydrierung von Thymol. Damit konkurriert ein katalytischer Prozess, der eine enantioselektive Olefinisomerisierung an einem chiralen Rhodiumkomplex als Schlüsselschritt zur Einführung des

744

4 Organometallchemie

ersten Stereozentrums für das spätere Mentholprodukt enthält. Die aus dem Ausgangsmaterial β-Pinen erhaltenen E-.Z-isomeren Allylamine Diethylgeranylamin und Diethylnerylamin können beide an einem Rhodiumkatalysator zum R(K)-Diethyl-E-citronellalenamin isomerisiert werden. Die Ausbeute liegt bei 94K100 % mit einem Enantiomerenüberschuss O99 %. Je nach Ausgangsprodukt muss das jeweils andere Enantiomer des chiralen Rhodiumkomplexes eingesetzt werden. Für das E-Isomer wird der Komplex mit dem (K)-Binap-Liganden und für das Z-Isomer das RhodiumK(C)-Binap-Derivat verwendet. ∆

Et2NH

NEt2

LiNEt2

+ NEt2

β-Pinen Myrcen

Diethylgeranylamin E-Isomer

[Rh{(–)-Binap}(cod)]+ClO4– enantioselektive Isomerisierung

Diethylnerylamin Z-Isomer

∆, THF 0-80 °C 21 h *

[Rh{(+)-Binap}(cod)]+ClO4–

NEt2 R(–)-Diethyl-Ecitronellalenamin

Der vorgeschlagene Mechanismus der enantioselektiven Isomerisierung des Allylamins führt über Rhodium-π-Komplexe (Abb. 4.18). Aus einem Binap-Rh (I)Disolvat-Komplex wird durch Austausch eines Solvatliganden ein Stickstoff-koordinierter Allylaminkomplex erhalten. Der Verlust des zweiten Lösungsmittelliganden führt zu einer 14-Elektronenspezies. Diese stabilisiert sich durch β-Wasserstoffeliminierung vom C1-Kohlenstoffatom zu einem intermediären IminiumRhodium-H-Komplex (Schritt 1). Der Iminiumligand ist über die C]N-Bindung an das Metallatom π-koordiniert. Dieser Komplex lagert sich durch die Wasserstoffübertragung vom Metall- auf das C3-Atom in eine Verbindung um, in der das Enamin Ν- und π-gebunden ist (Schritt 2). Die Anlagerung eines neuen Allylaminliganden führt zu einem gemischten Enamin-Allylamin-Komplex. Der Verlust des Enamin-Produktmoleküls aus diesem gemischten Komplex gibt wieder die 14-Elektronenspezies. Das durch die enantioselektive Olefinisomerisierung eingeführte erste Stereozentrum determiniert die Stereochemie an den beiden weiteren stereogenen CAtomen, die sich beim Ringschluss des R(K)-Diethyl-E-citronellalenamins zum L-Menthol ergeben. Bei der japanischen Firma Takasago werden über diesen Weg pro Jahr 1 500 Tonnen L-Menthol hergestellt: *

NEt2 AcOH H 2O

R(–)-Diethyl-Ecitronellalenamin

*

* O

ZnBr2

*

*

H2 , Raney-Ni OH

* *

*

OH

L-Menthol

4.4 Katalyse R1

R2 *

*

P

P

P

P

Rh+

+I

Rh

R2

+

NR2

S

N R2

*

–S

R2 N

*

P

P

+I

Rh+

H H R2

S

P

P

= Binap

S = Solvens

NR2

–S

R2

R1

H H

R2

R1

– R 2N

*

H

R1

NR2 *

P

P

H

R1

R1

*

H H

R1

S

R2

+I

Rh+

R1 *

745

R

*

P

NR2

+I

Rh+ 14 VE

P

1 R1

NR2

H

R

2

R2 H

2

2

*

P

P

+I

Rh

+

NR2

H

Abb. 4.18 Mechanismus der enantioselektiven Isomerisierung eines Allylamins im Rahmen der Mentholsynthese. Schritt 1: β-Wasserstoffeliminierung aus dem Stickstoff-koordinierten Allylamin zu einem Iminium-Rhodium-Wasserstoff-π-Komplex. Schritt 2: Wasserstoffübertragung vom Rhodiumatom auf das Olefin, Hydrometallierung.

4.4.1.9 Transferhydrierung von Alkoholen zu Ketonen Die Metall-katalysierte Wasserstoffübertragung oder Transferhydrierung zwischen Alkoholen und Ketonen wird vielfach genutzt. Sie kann als katalytische Variante der Meerwein-Ponndorf-Verley-Reaktion gesehen werden. Die Carbonylverbindung wird zum Alkohol reduziert. Der Alkohol wird oxidiert: Beispiel:

O +

H Me

OH Me

Katalysator Bsp.: RuCl2(PPh3)3, NaOH 82 °C, 1 h, in i-Propanol

H

OH +

O Me

Me

Die asymmetrische Transferhydrierung von prochiralen Ketonen ist eine der attraktivsten Methoden zur Synthese von optisch aktiven sekundären Alkoholen. Diese sind wichtige Intermediate für Feinchemikalien und Pharmazeutika. Rutheniumkomplexe können diese Reaktion katalysieren. Katalysatoren für die enantioselektive Transferhydrierung sind z. B. chirale Halbsandwich-Rutheniumkomplexe (s. Abschn. 4.3.4.4). Mit Übergangsmetallkomplexen wird ein Hydrid-Mechanismus unter Bildung eines Metall-Hydrid-Komplexes favorisiert. Die Startreaktion ist die Bildung eines Ruthenium-Alkoxid-Komplexes. Das AlkoxidEdukt wird aus der Reaktion des Isopropanols mit Base erhalten. Aus dem Isopropoxidliganden wird durch β-Wasserstoffeliminierung das Acetonprodukt ab-

746

4 Organometallchemie

gespalten und eine Ruthenium-Hydrid-Verbindung erhalten. In einer Hydrometallierungsreaktion kann sich die RudH-Bindung an die Carbonyl-Doppelbindung des Cyclohexanons addieren. Es wird wieder ein Alkoxid erhalten. Im Austausch mit Isopropanol wird das Cyclohexanol-Produkt freigesetzt und mit der Ruthenium-Isopropoxid-Spezies beginnt der katalytische Zyklus von neuem. Zyklus für die Ruthenium-vermittelte Wasserstoffübertragung von i-Propanol auf Cyclohexanon

H

OH

RuCl2(PPh3)3 +

Me H Me

O–

Me H Me

–Cl– O Me

O–RuCl(PPh3)3

Me

β-H-Eliminierung H–RuCl(PPh3)3 H Me

OH Me

Hydrometallierung

O

H O–RuCl(PPh3)3

4.4.1.10 Metallocenkatalysatoren für die Olefinpolymerisation Seit Beginn der 1990er Jahre werden Bis (cyclopentadienyl)zirconium-Komplexe in der Industrie als eine neue Generation von Ziegler-Natta-Katalysatoren für die Olefinpolymerisation eingeführt (zur Ziegler-Natta-Katalyse, s. Abschn. 4.4.2.3). Die Entwicklung von Zirconocenverbindungen zu anwendbaren Polymerisationskatalysatoren ist die erste großindustrielle Anwendung für Metallocene. Polymer-Kettenlänge

enge MMV ⇔ Metallocenkatalysator

Verteilungskurven rel. Häufigkeit

breite MMV ⇔ klassischer Ziegler-Natta-Katalysator

Molmasse Metallocen-Polymer klassisches Ziegler-Natta-Polymer

Abb. 4.19 Schematische Darstellung einer engen und breiten Molmassenverteilung (MMV). Für Polyolefine bedeutet eine enge MMV eine erhöhte Stärke, Reiß-, Stich-, Ziehund Stoßfestigkeit.

4.4 Katalyse

747

Für das industrielle Interesse an den Zirconocenkatalysatoren ist es von grundlegender Bedeutung, dass mit diesen Katalysatoren Polyolefine zugänglich wurden, die mit konventionellen Ziegler-Natta-Katalysatoren nicht erhalten werden können. Polymerparameter wie Molmasse, Molmassenverteilung (Abb. 4.19), Comonomerinsertion und -verteilung (s. Abb. 4.23) und die Taktizität (s. Abb. 4.20) können mit Metallocenkatalysatoren über das Cyclopentadienyl-Ligandendesign gesteuert werden. Cp-Ligandenmodifikationen

Metallocenkatalysatoren für die Olefinpolymerisation

H

Substitution der Ring-H-Atome gegen Alkyl- und Arylgruppen

R = Alkyl, Aryl, SiMe3

Cl

Zr

Austausch Cp gegen benzanellierte Derivate

Cl Indenyl

Prototyp, Präkatalysator Zirconocendichlorid Cl

Fluorenyl

Me2Si

Zr Cl

Cl

Zr Cl

H2C H2C

Cl

Zr Cl

ansa-Metallocene Verbindung der beiden Ringe über eine Brücke, einen "Henkel" (griech. ansa)

Die Cp-Modifikationen werden oft in Kombination eingesetzt, z. B. ansa-Bis (indenyl)-Liganden, bei denen die verbliebenen Wasserstoffatome am Fünf- oder Sechsring noch weiter durch Alkyl- oder Arylreste substituiert sind (für diesbezügliche Beispiele s. Abb. 4.20). Das Einfrieren der Rotation von substituierten Cyclopentadienylringen durch Anbringen der Brücke führt zur Ausbildung von chiralen Metallocenen (s. u.). Die für die Olefinpolymerisation eingesetzten Zirconocenkomplexe sind in der Regel noch nicht katalytisch aktiv, sondern bedürfen der Aktivierung durch einen Cokatalysator. Ein Cokatalysator ist Methylalumoxan, MAO (s. Abschn. 4.2.3). Methylalumoxan bewirkt eine Methylierung des eingesetzten Metallocendichlorids und eine Chlorid- oder Methylidabstraktion zur Bildung eines Zirconoceniumkations [Cp2ZrMe]C: Zirconocendichlorid-Aktivierung mit MAO

Cp2Zr

+

Cl Cl –

Präkatalysator

Me Al O

Cl Me Al O Al O

Cp2Zr

n

n–1

Cp2Zr

Cl↔Me-Austausch

Me Cl

+

Me Al O

n

Me Me Cl–-, Me–-Abstraktion

Me Me Al O Al O Me/Cl

– n–1

+ Me Cp2Zr Zirconoceniumkation "aktive Form"

Zum Erreichen einer guten Polymerisationsaktivität bedarf es eines hohen MAO-Überschusses relativ zum Metallocen. Der notwendige Überschuss wird

748

4 Organometallchemie

mit dem Vorliegen eines ungünstigen Aktivierungsgleichgewichts gedeutet. Darüber hinaus ist MAO ein Putzmittel (engl. scavenger) gegenüber Verunreinigungen (Katalysatorgifte). Noch wenig geklärt ist die Ausbildung einer stabilisierenden Umgebung für das hochaktive Metallocenkation, eventuell in der Art eines WirtGast- oder Kronen-Alumoxan-Komplexes. Ein Vergleich mit Enzymen, in denen das kleine aktive Zentrum durch die große organische Hülle geschützt wird, bietet sich an. Aluminiumalkyle wie R3Al oder R2AlCl sowie Alumoxane mit längeren Alkylresten führen mit den Metallocenen nur zu wenig aktiven Katalysatorsystemen. Metalloceniumkationen gelten als gesicherte aktive Spezies. Derartige Kationen können mit schwach-koordinierenden Anionen hergestellt werden und sind außerordentlich polymerisationsaktiv. Die Synthese der Zirconoceniumkationen gelingt z. B. durch Methylidabstraktion mit Tris (pentafluorphenyl)boran B(C6F5)3 oder dem Triphenylcarbenium-(Trityl-)salz des perfluorierten Tetraphenylborats, [Ph3C]C[B(C6F5)4]K: Cp2ZrMe2 C B(C6F5)3 $% [Cp2ZrMe]C[µ-MeB(C6F5)3]K Cp2ZrMe2 C [Ph3C]C[B(C6F5)4]K $% [Cp2ZrMe]C[B(C6F5)4]K C Ph3CMe

Die mit diesen Cokatalysator-freien Ionenpaaren erhaltenen Polymerprodukte unterscheiden sich nicht von den mit MAO als Cokatalysator erhaltenen Polymeren. In der Abwesenheit von Putzmitteln sind die Boran-aktivierten oder kationischen Katalysatoren aber extrem empfindlich gegenüber Verunreinigungen. Die Formulierung eines Cp2ZrRC-d0-Systems als polymerisationsaktive Spezies wird weiterhin gestützt durch die Beobachtung, dass auch neutrale, iso-delektronische Metallocenkomplexe der dritten Gruppe (Sc, Y, La) und der Lanthanoide mit der allgemeinen Form Cp2MR gegenüber Ethen ohne Cokatalysator polymerisationsaktiv sind. Die Ligandenabstraktion in den Metallocenderivaten Cp2ZrR2 erzeugt die notwendige freie Koordinationsstelle und das Metallorbital für die σ-Wechselwirkung mit dem Olefin. Wegen der fehlenden d-Elektronen erfolgt keine π-Rückbindung in die leeren π*-Orbitale des Olefins. Die Metall-Olefin-Wechselwirkung wird nicht stabilisiert und bleibt schwach (vgl. Abschn. 4.3.4.1). Cp2Zr–Olefin-Orbitalwechselwirkungen Cp2Zr–R+, Aufsicht + R R Zr dσ Olefin-πOrbital σ-Hinbindung

Zr

X

+

Olefin-π* -Orbital

dπ Zr-d0-System keine π-Rückbindung

Der cis-ständige Alkylligand, das Kettenende, kann auf das Olefin übertragen werden, d. h. das Olefin insertiert in die Metall-Alkyl-Bindung. Theoretische Rechnungen legen einen konzertierten Mechanismus nahe. Mit der Aufnahme der neuen CdC-Bindung wird die alte MdC-Bindung zum Alkylrest langsam

4.4 Katalyse

749

gelöst, und es baut sich eine neue MdC-Bindung mit dem randständigen Kohlenstoffatom des Olefins auf. Momentaufnahmen der Propeninsertion in die Zr–R-Bindung eines [Cp2ZrR]+-Modellkomplexes nach Molekülorbital-Rechnungen α-agostische Stabilisierung H CH3 H +

Zr

P

H

C H

H

H

+

freie Koordinationsstelle

CH3 H

+

Zr

P

C H

CH3

H

H H

Metall–Olefin-π-Komplex

4-ZentrenÜbergangszustand - Bildung der neuen C–C-Bindung - Bildung der neuen M–C-Bindung freie Koordi- - Lösen der ursprünglichen nationsstelle M–C-Bindung

P

C H CH3 H

H

C H

H

γ-agostische Wechselwirkung

+Zr

H

H

P = Polymerkette

H

Zr

P

H

CH3

+Zr

H

H

H

H C P H

α-agostische Stabilisierung

Die Vorteile der Zirconocenkatalysatoren gegenüber den klassischen ZieglerNatta-Katalysatoren werden am besten in dem Begriff ,single-site‘-Katalysator zusammengefasst. Die aktiven Zentren sind in den molekularen Zirconocenspezies sehr einheitlich. Die klassischen Ziegler-Natta-Katalysatoren sind nicht nur von der Phase, als Festkörper, sondern auch vom Aufbau her Heterogenkatalysatoren. Ihre aktiven Zentren können auf einer Fläche, an Kanten oder Ecken der Festkörperoberfläche sitzen. Sie haben unterschiedliche chemische Umgebungen und damit stärker variierende Aktivitäten. Diese Unterschiede haben Auswirkungen auf die Einheitlichkeit der erhaltenen Polymere (Molmassenverteilung u. a., s. u.). Für die industrielle Anwendung in Suspension oder Gasphasenverfahren werden die Metallocensysteme auf Trägermaterialien heterogenisiert. Bei der Ethenpolymerisation werden an die Ligandensphäre des Katalysators im Allgemeinen keine speziellen Anforderungen gestellt. Alle Zirconocenkatalysatoren sind je nach der sterischen Hinderung ihrer Ringsubstituenten mehr oder weniger aktiv gegenüber Ethen. Für die Polymerisation von α-Olefinen ist es aber nicht mehr beliebig, mit welcher Seite das Olefin an das Metallatom koordiniert und welches Kohlenstoffatom der Doppelbindung die neue CdC-Bindung bildet. Die mechanischen Eigenschaften von Polypropenen und anderen Poly-αolefinen hängen sehr stark von der Polymermikrostruktur ab. Diese wird durch die Regio- und Stereoselektivität bei der Insertion bestimmt. Regioselektivität beschreibt, welches Ende der α-olefinischen Doppelbindung an das Metallatom und welches Ende jeweils an die wachsende Kette gebunden wird.

750

4 Organometallchemie

Stereo-

1

R

2

Regioselektivität

Im Normalfall wird bei den klassischen Ziegler-Natta- und den Metallocenkatalysatoren beim Insertionsschritt das CH2-Ende des Olefins (Position 1) an das Metallatom gebunden und die CHR-Einheit (Position 2) an das Kettenende. Dies ergibt eine so genannte 1,2-Insertion und führt zu regio-regulären KopfSchwanz-Verknüpfungen. Bei der isolierten umgekehrten An- und Einbindung des Olefins in Form einer regio-irregulären 2,1-Insertion kommt es zu Kopf-Kopfund Schwanz-Schwanz-Struktureinheiten. Oder es ergibt sich zusammen mit einer Isomerisierung des Kettenendes eine 1,3-Insertion: Regioselektivität 1,2 Insertion – regio-regulär M P

M

P

...

1 2

1 2 2 1

sekundärer M Alkylrest 1 2 M

...

P = Polymerkette M = Ti, Zr

Kopf–Schwanz-Verknüpfung

2,1-Insertion – regio-irregulär Isomerisierung P

M β-H-Elim. und Olefin-Re-Insert. in M–H 1,2-Insertion 1 2 P

M

P

≡ 1,3-Insertion primärer Alkylrest

1,2-Insertion

P

Kopf–Kopf- Schwanz–Schwanz-Struktur

Solche „Einbaufehler“ haben schon in geringen Anteilen große Effekte auf die mechanischen Eigenschaften. Sie können deshalb auch gewünscht sein, um in einem Olefin-Homo- oder Copolymer die Eigenschaften abstimmen zu können. Die Einhaltung einer normalen Regioselektivität ist in der Regel unproblematisch und stellt keine besonderen Anforderungen an das Ligandendesign. Die stereoselektive Polymerisation von prochiralen α-Olefinen verlangt die Verwendung chiraler Katalysatoren. Eine Möglichkeit zur Einführung von Chiralität in Metallocenen ist das Einfrieren der Ringrotation durch Verknüpfung der Ringe über eine Brücke. Von besonderer Bedeutung für die Olefinpolymerisation sind die C2-(dis-)symmetrischen ansa-Metallocene. Bis (indenyl)- und Bis (tetrahydroindenyl)zirconocenverbindungen sind vielfach eingesetzte Präkatalysatoren. Für die Polymerisationskatalyse ist die Verwendung enantiomerenreiner Metallocene nicht notwendig. Diese können als Racemat eingebracht werden. Zu den chiralen C2-symmetrischen Stereoisomeren gibt es noch eine achirale meso-Form.

4.4 Katalyse

751

Chirale, C2-symmetrische ansa-Metallocene

Cl Zr Cl

Cl Zr Cl

Cl Zr Cl

1,2-Ethandiylbis(indenyl)bis(tetrahydroindenyl)zirconocendichlorid enantiomere S,S-Form

achirale meso-Form

Die C2-Symmetrie in den Metallocenen ist ein wichtiger Aspekt für eine hohe Stereoselektivität bei der Polymerisation von Propen und anderen α-Olefinen. Eine höhere Stereoselektivität in katalysierten Reaktionen mit C2-symmetrischen Systemen gegenüber vergleichbaren chiralen Katalysatoren ohne jede Symmetrie (asymmetrisch) wird mit einer geringeren Zahl von möglichen konkurrierenden diastereomeren Übergangszuständen erklärt (vgl. Abb. 4.15). Die drei stereoselektiven Hauptvariationen bei Vinylpolymeren sind isotaktisch, syndiotaktisch und ataktisch: Stereoselektivität hier Reste = Methyl, Me für Polypropen isotaktisch – Reste auf der gleichen Seite des Kohlenstoffrückgrates Me Me Me Me Me Me Me Me ≡ CH2 CH2 CH2 CH2 H H H H H H H H

Kamm-Kurznotation ≡

syndiotaktisch – Reste alternierend Me H

H Me

Me H

H Me

ataktische – Reste irregulär Me H Me Me H Me H H



Me H Me H CH2 CH2 CH2 CH2 H Me H Me





Me H Me Me CH2 CH2 CH2 CH2 H Me H H



Achirale Metallocenkatalysatoren ergeben bei der Propenpolymerisation meist ataktische Polypropene, die fast immer eine niedrige Molmasse aufweisen und ölig oder wachsartig sind (Ausnahme Cs-symmetrische Metallocene, s. u.). Die chiralen C2-symmetrischen Zirconocen.MAO-Katalysatoren geben tendenziell isotaktisches Polypropen. Änderungen an der sterischen Ligandenumgebung erlauben eine bisher nicht dagewesene Kontrolle der Polymermikrostruktur. Zwischen der iso- und ataktischen Form können isotaktisches PP mit unterschiedlicher Anzahl von Stereofehlern (iso-block), isotaktisch-ataktisches-Block-, isotaktisch-syndiotaktisches-Block-, hemi-isotaktisches und insbesondere syndiotaktisches Polypropen durch Ligandenmodifikation erhalten werden (Abb. 4.20). Die Stereoregulierung bei der Polymerisation von α-Olefinen kann entweder durch eine Wechselwirkung des eintretenden Monomers mit der wachsenden Kette oder durch eine Wechselwirkung zwischen Monomer und Metallfragment oder durch beides erreicht werden. Im ersten Fall spricht man auch von einer Kettenend-Kontrolle, im zweiten Fall von einer ,enantiomorphic-site‘-Kontrolle.

752

4 Organometallchemie tBu

isotaktisches PP [>0.99 mmmm]

Me

Me2Si ZrCl2

Me2C ZrCl2 t

Bu

Me t

Bu

Me2C ZrCl2

[0.78] Me Me2Si

ZrCl2 [0.78]

ZrCl2

Me

[0.89]

isotaktisches PP mit Stereofehlern, quantifiziert als [mmmm] Me2Si ZrCl2

Me

[0.82]

Me2Si ZrCl2

Me

Me ZrCl2

Me

ZrCl2 Me [0.83]

isotaktisch-ataktisches -Block-PP

[0.88]

ZrCl2

Me Me2C ZrCl2

isotaktisch-syndiotaktisches -Block-PP Me2C ZrCl2

hemi-isotaktisches PP Me2C ZrCl2

syndiotaktisches PP [rrrr]

Abb. 4.20 Korrelation von Zirconocen-Präkatalysatoren und damit erhaltenen Polypropen-(PP-)Mikrostrukturen zur Verdeutlichung der unterschiedlichen stereochemischen Kontrolle. Der Begriff hemi-isotaktisch beschreibt, dass die Insertion jeder zweiten (geraden) Propeneinheit sterisch kontrolliert ist, während die dazwischenliegenden (ungeraden) Insertionen statistisch erfolgen. Die Liganden in (Ph-Indenyl)2ZrCl2 sind nicht verbrückt. Die Mikrostrukturanalyse von Vinylpolymeren erfolgt durch 13C-NMR-Spektroskopie. In eckigen Klammern ist der Anteil der mmmm-Pentade im Methyl-Bereich des 13C-NMR als Isotaktizitätsindex gegeben (m Z meso-Diade, d. h. gleiche Konfiguration der pseudoasymmetrischen tertiären C-Atome [im Kettenrückgrat] von zwei aufeinander folgenden Monomereinheiten, r Z racemische Diade, d. h. umgekehrte Konfiguration).

4.4 Katalyse

753

Stereokontrolle durch ein Metallfragment. Bei einer normalen regioselektiven 1,2-Insertion kann das prochirale Propen- oder allgemein α-Olefin-Monomer mit zwei (unterschiedlichen) Seiten an das Metallatom koordinieren (Abb. 4.21). Wenn eine der beiden Koordinationen energetisch begünstigt ist, dann wird die Polymerisation stereoselektiv ablaufen. Die räumliche Anordnung der Liganden bei einem racemischen ansa-Bis (indenyl)zirconocen führt dazu, dass Position (a) im Vergleich zu (b) in Abb. 4.21 energetisch günstiger ist. Es wird den sterischen Wechselwirkungen mit dem Sechsring des Indenylsystems und mit dem Kettenende ausgewichen. Nach erfolgter Insertion finden sich für den nächsten Einbauschritt (c) die Kette und das Monomer in vertauschter Position wieder. Solch eine Wanderung des Kettenendes ist für eine isotaktische Polymerisation keine Grundbedingung. Auch ohne sie würde sich die iso-Stellung der Alkylgruppen (meso-Diaden) zueinander ergeben. Der Positionswechsel ergibt sich aus dem Insertionsmodell, wie es oben als Momentaufnahmen aus Rechnungen skizziert wurde. Der Positionswechsel wird weiterhin durch das syndiotaktische Polymerisationsverhalten von Cs-symmetrischen Metallocenkatalysatoren gestützt (s. u., Abb. 4.22). Molekülmodellierungen zeigen, dass der Platzwechsel der wachsen+

2.

1. Zr



Zr

3.

3

H

H

Zr a

2

H

m

P

1

H

3

b

2

3

5

H Zr

H

1

m

P

P

2 m

H

3 r

H

Zr 4

5

H Zr 4

H

1

H c

H H

m

H

4

1 H Zr

2

m

P

P = Polymerkette m = meso-Diade r = racemische Diade

4. Quadrant

d

H

H

Zr e

4

H

m 3

r

H 3

H

m 2

r 2

H

H

P

m 1

H

P

m 1

H

Abb. 4.21 Modell für die Propeninsertion bei einem C2-symmetrischen Metallocenkatalysator. Bei dem hier gezeigten Enantiomer begünstigt der sterische Anspruch der Indenylliganden eine Positionierung des Kettenendes und der Alkylgruppe des α-Olefins im vierten und zweiten Quadranten. Von den beiden prochiralen Positionen (a) und (b) des Monomers ist (a) energetisch begünstigt. Für die andere enantiomere Form des Metallocens, welches als Racemat in der Katalyse eingesetzt wird, ist die Insertion analog. Die Propenpolymerisation ist ein stereoselektiver und kein enantioselektiver Prozess. Aufgrund der Platzwechselvorgänge (a) $% (c) ist für eine identische Stereoselektion von beiden Seiten die C2-Symmetrie des Katalysators wichtig. Ein Stereofehler (b) wird durch die ,enantiomorphic-site‘-Kontrolle des Katalysators zu einem isotaktischen PP mit Stereofehlern korrigiert (d) $% (e).

754

4 Organometallchemie +

2.

1.



M

3. 2

3 H

H

M

r

H

1

H

P

4. Quadrant

1 2 r

P

H

r

H

3

4 M

a ohne Platzwechsel der Kette 1 2 3 H H m M P H d

P = Polymerkette m = meso-Diade r = racemische Diade

M

H

H

H

H M

3

H

m e

2 m

H

M

r

H

2

3 r

H

r

H

1 P

c

b

4

4

5

H

1

5 P

H

H

4

H

m

M

3

H

m

2

H

m

1 P

f

Abb. 4.22 Prinzip des syndiotaktischen Kettenwachstums mit einem Cs-symmetrischen Metallocenkatalysator. Der sterische Anspruch des Fluorenylliganden begünstigt eine Positionierung der wachsenden Kette und der Alkylgruppe des Olefins im ersten und zweiten Quadranten. Wichtig sind die Platzwechselvorgänge zwischen Kette und Monomer (a $% b $% c). Durch die alternierende Annäherung des Olefins von beiden Seiten ergibt sich eine syndiotaktische Stellung der Alkylgruppen (r-Diaden). Ohne den Platzwechsel würde man ein isotaktisches Polymer erhalten (m-Diaden) (d $% e $% f).

den Kette nur eine kleine Relativbewegung zwischen Kettenende und Metalloceneinheit bedingt. Wegen der Platzwechselvorgänge ist die C2-Symmetrie des Katalysators wichtig. Nur so wird von beiden Seiten eine identische Stereoselektion und damit die isotaktische Orientierung der Methylgruppen gewährleistet. Wenn eine Insertion gelegentlich über die andere prochirale Position des Monomers erfolgt, so ergibt sich ein Stereofehler mit umgekehrter Stellung der Alkylgruppen zueinander (racemische, r-Diade). Dieser wird aber bei einem isoselektiven Katalysator mit ,enantiomorphic-site‘-Kontrolle gleich wieder korrigiert [Abb. 4.21, (b) $% (e)]. Man erhält so das in Abb. 4.20 gezeigte isotaktische PP mit Stereofehlern. Zirconocenverbindungen, in denen das Metallatom einen verbrückten Cyclopentadienyl- und Fluorenylliganden trägt, mit Spiegelebene oder Cs-Symmetrie, ergeben syndotaktisches Polypropen (mit kleinen Anteilen isotaktischer mmTriaden). Abb. 4.22 veranschaulicht die syndiotaktische Kettenfortpflanzung bei einem derartigen Cs-Katalysator. Die syndiotaktische Polymerisation liefert starke Hinweise auf einen Platzwechselvorgang bei jedem Insertionsschritt. Für die Syndiotaktizität ist ein Wechsel von Ketten- und Monomerposition eine Voraussetzung. Ohne den Platzwechsel würde man ein isotaktisches Polymer erhalten [Abb. 4.22, (d) $% (e) $% (f)]. Die Temperatur übt einen starken Einfluss auf die Stereoselektivität aus. Je höher die Temperatur, desto mehr werden ataktische Strukturen begünstigt. Chi-

4.4 Katalyse

755

rale Bis (indenyl)zirconocen.MAO-Systeme ergeben bei konventionellen Polymerisationstemperaturen oberhalb 60 (C, wo erst die Katalysatoraktivität genügend hoch ist, mit α-Olefinen nur Oligomere. Der Erhalt von Polymerisationsprodukten mit niedriger Molmasse ist auf eine stärkere Erhöhung der Geschwindigkeit für die Kettenübertragung gegenüber der Kettenfortpflanzung mit steigender Temperatur zurückzuführen. Der Reaktionsweg für die hauptsächliche Kettenabbruchreaktion, die β-Wasserstoffeliminierung muss also blockiert, d. h. die Reaktionsgeschwindigkeit erniedrigt werden. Zusätzliche Methylgruppen am Fünfring der Indenylringe in Nachbar-(α-)Stellung zum Brückenansatz (s. Abb. 4.20) erwiesen sich als sehr wichtig für eine Optimierung der Taktizität und der Polymermolmasse bei erhöhter Temperatur. Der bemerkenswerte Effekt der α-Methylsubstituenten dürfte zum einen auf einen sterischen Effekt zur Unterdrückung von 2,1Fehlinsertionen gründen. Zum anderen wurde ein Elektronendonoreffekt vorgeschlagen, der die Lewis-Acidität des kationischen Zentrums und damit die Tendenz zur β-H-Eliminierung verringert. Außerdem zeigen die α-Methyl-substituierten C2-Metallocene eine geringere Deformierbarkeit. Das ansa-Ligandengerüst kann sich bis zu G20( um die Metallatom-C5-Ringmittelpunktsachse drehen. Die Drehungen der beiden Ringliganden müssen nicht gleichförmig zwischen der Π- und Y-Konformation verlaufen. Temperaturvariable NMR-Untersuchungen deuten auf eine kleine Energiedifferenz von nur 4 kJ.mol und damit auf eine relativ ungestörte Fluktuation in Lösung zwischen diesen beiden Konformeren. Deformierbarkeit von verbrückten Ringen durch Rotation (Fluktuation) ansa-Bis(indenyl)-Torsionskonformere

Π (Indenyl-vorwärts)

Y (Indenyl-rückwärts)

Die Drehung hat Auswirkung auf die Struktur-Selektivitäts-Beziehung. Zur Lösung des Problems der abnehmenden Molmasse mit steigender Temperatur wurden zusätzlich aromatische Substituenten an den Sechsring des Indenylliganden angefügt. Die auf diese Weise konstruierten fortgeschrittenen (,advanced‘) Metallocene zeigen die höchsten Aktivitäten, Stereoselektivitäten und PolypropenMolmassen. Beispiele für "advanced" Zirconocen-(Prä-)Katalysatoren

Me

Me

Me2Si ZrCl2

Me

Me2Si ZrCl2

Me

Me2Si ZrCl2

Me

Me

Me2Si(2-Me-4-phenylindenyl)2ZrCl2 Me2Si(2-Me-benz[e]indenyl)2ZrCl2 Me2Si{2-Me-4-(1-naphthyl)indenyl}2ZrCl2

756

4 Organometallchemie

Anwendungstechnisch ist für Metallocenkatalysatoren von Bedeutung, dass bei der Copolymerisation die Comonomerinsertion in die Polymerkette weitgehend statistisch erfolgt. Bei klassischen Ziegler-Natta-Katalysatoren wird das Monomer hauptsächlich in die niedere Molmassenfraktion eingebaut (Abb. 4.23). rel. Häufigkeit

rel. Häufigkeit

Comonomeranteil

Comonomeranteil

Molmasse

Molmasse Metallocenpolymer enge MMV homogene Comonomerverteilung

klassisches Ziegler-Natta-Polymer breite MMV nicht-homogene Comonomerverteilung

Abb. 4.23 Schematische Darstellung einer mehr oder weniger einheitlichen (homogenen) Comonomerverteilung über die unterschiedlichen Molmassenfraktionen. Eine homogene Comonomerverteilung führt u. a. zu besserer optischer Transparenz des Polymers.

Metallocen.MAO-Katalysatorsysteme ermöglichen die Polymerisation von cyclischen Olefinen, wie Cyclobuten, Cyclopenten, Norbornen, ohne dass eine Ringöffnung erfolgt (vgl. hierzu die ringöffnende Metathesepolymerisation, Abschn. 4.4.2.2). Eine Polymerisation von Cyclohexen gelang allerdings nicht. Beim Cyclobuten wird die Doppelbindung wie erwartet zum Poly (1,2-cyclobuten) geöffnet. Für Cyclopenten läuft die CdC-Verknüpfung als 1,3-Insertion ab. Sterische Gründe werden dafür verantwortlich gemacht, dass nach einer 1,2-Insertion eine Isomerisierung über β-H-Eliminierung und Re-Insertion des Olefins in die ZrdH-Bindung zu einem 1,3-Insertionsprodukt erfolgt, bevor das nächste Monomer insertiert wird (vgl. 1,3-Insertion beim Propen nach einer 2,1-Fehlinsertion, s. o. Regioselektivität). Auf diese Weise wird Poly (1,3-cyclopenten) erhalten. Zusätzlich zur Taktizität kann eine cis.trans-Isomerie bei den Mikrostrukturen unterschieden werden: Polymerisation von Cycloolefinen mit Metallocenkatalysatoren ohne Ringöffnung n

n

Cp2ZrCl2 MAO H

H

Poly(1,2-cyclobuten) n

Cp2ZrCl2 MAO

H H

cis

H

n

H

trans

Poly(1,3-cyclopenten) n

(1,3-Isomerisierung)

Die reinen Polycycloolefine zeigen extrem hohe Schmelzpunkte, die oberhalb ihrer Zersetzungstemperaturen an Luft liegen (z. B. 395 (C für Polycyclopenten, über 600 (C für Polynorbornen). Die hohen Schmelzpunkte machen für die Homopolymere eine Weiterverarbeitung schwierig. Zur Erniedrigung der Schmelzpunkte können die Cycloolefine mit Ethen oder Propen copolymerisiert werden. Über die Metallocenkatalysatoren konnte so erstmals eine technische Synthese

4.4 Katalyse

757

von Cycloolefin-Copolymeren verwirklicht werden. Cycloolefin.Ethen-Copolymere zeichnen sich durch eine hohe Glastemperatur, exzellente Transparenz, thermische Stabilität und chemische Widerstandsfähigkeit aus. Auf der Basis eines Norbornen.Ethen-Copolymers wurde ein hochtransparenter technischer Kunststoff entwickelt (TOPAS), dessen Eigenschaften Anwendungen im Markt für Compact Disks und magneto-optische Speicherplatten finden. Die Entwicklung der Metallocene hat die Suche nach weiteren ,single-site‘Katalysatoren für die Olefinpolymerisation befördert. MAO-aktivierte Eisenund Cobaltkomplexe mit Diiminopyridinliganden zeigen als so genannte postMetallocenkatalysatoren extrem hohe Aktivitäten in der Polymerisation oder Oligomerisation von Ethen: Diiminopyridin-Komplexe "post-Metallocene" R1 R2 N R4 Ethen

R1

N M

R3

X

X

R2

N R3

R4

MAO M = Fe, Co

X = Cl, Br, NO3

R1 = Me, H R2 = iPr, Me R3 = tBu, iPr, Me, H R4 = Me, H

Polyethen α-Olefine

R1 = Me R2 = R 4 = H R3 = iPr, Et, Me

4.4.2 Heterogenkatalytische Verfahren Katalytische Verfahren der Homogenkatalyse wurden zuerst behandelt und nehmen von der Seitenzahl her einen breiten Raum ein. In der Technik dominiert wert- und mengenmäßig aber die Heterogenkatalyse. Für die Präsentation von katalytischen Prozessen bietet sich die Homogenkatalyse allerdings eher an, da bei ihr die Katalysezyklen sehr viel besser aufgeklärt sind. Die Präkatalysatoren sind wohldefinierte molekulare Spezies. Die Zwischenstufen können oft spektroskopisch erfasst werden. Eine Untersuchung von heterogenkatalytischen Zyklen ist spektroskopisch sehr viel schwieriger. Die Methoden der Oberflächenanalyse sind vielfach noch nicht so weit entwickelt, dass sie eindeutige Aussagen erlauben. Kompliziert werden die mechanistischen Studien außerdem durch die prinzipiell uneinheitlichere, „heterogene“ Natur der aktiven Zentren an den Festkörperoberflächen. Häufig wird versucht, durch molekulare Modellsysteme Heterogenkatalysatoren nachzustellen und so wieder die besser ausgebaute molekulare Analytik in Lösung nutzen zu können sowie relativ einheitliche aktive Zentren vorliegen zu haben. Ein Beispiel dafür waren die durch Et2AlCl aktivierten (C5H5)2TiCl2-Metallocenkatalysatoren als Modelle für die klassischen, heterogenen Ziegler-Natta-Katalysatoren. Die homogenen Modellsysteme können aber oft nicht die Aktivität der Heterogenkatalysatoren erreichen, sodass die Relevanz des Modells und der damit gewonnenen Erkenntnisse entsprechend kontrovers ist. Bei Heterogenkatalysatoren unterscheidet man so genannte Vollkontakte, bei denen der gesamte Formkörper aus dem katalytischen Material besteht, und Trä-

758

4 Organometallchemie

gerkatalysatoren, bei denen die katalytisch wirkende Substanz auf dem Trägermaterial aufgebracht ist. Der Vorteil von Trägerkatalysatoren ist eine Aktivitätserhöhung durch Oberflächenvergößerung und damit eine bessere Nutzung der oft teuren Katalysatorkomponenten. Außerdem wird durch den Träger eine mechanische und thermische Stabilisierung der Katalysatoren erreicht. Zwischen homogenen und heterogenen Katalysatoren gibt es Übergangsformen, die als heterogenisierte Homogenkatalysatoren bezeichnet werden. Eine Immobilisierung von homogenen Katalysatoren auf festen Trägern vereint die Vorzüge der heterogenen Katalyse, z. B. einfache Abtrennbarkeit des Katalysators vom Produkt, mit den Vorteilen der homogenen Katalyse, wie hohe Ausbeute und Selektivität. Ein Beispiel für heterogenisierte Homogenkatalysatoren sind getragene Metallocen.MAO-Systeme für die Olefinpolymerisation in Suspensions- oder Gasphasenverfahren. Das Tragen dieser Metallocenkatalysatoren dient vor allem der Einstellung der Polymermorphologie durch Replikation (s. Abschn. 4.4.2.3). Neue Ansätze bietet die Oberflächen-Organometallchemie. Sie überträgt Konzepte und Methoden der molekularen metallorganischen Chemie auf Oberflächen. Über das Verständnis der Reaktion von Organometallkomplexen mit dem Träger können definierte Oberflächenspezies hergestellt werden. Der Träger kann als starrer Ligand aufgefasst werden. Durch diesen Ansatz kann man auf molekularem Niveau Einsichten in das Design neuer Katalysatoren erhalten. Bedeutende heterogenkatalytische Verfahren mit metallorganischen Zwischenstufen werden im Folgenden vorgestellt.

4.4.2.1 Fischer-Tropsch-Synthese Dieses bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts bekannte Verfahren beschreibt die Herstellung von Kohlenwasserstoffen durch die Hydrierung von Kohlenmonoxid. Es wird auch als „Benzin-Synthese“ bezeichnet. Die idealisierte Bruttoreaktion des Fischer-Tropsch-Verfahrens kann wie folgt formuliert werden: Katalysator

nCO C (2nC1)H2 $####% Cn H2nC2 C n H2O C 164.8kJ.mol Synthesegas

Als Katalysator wird hauptsächlich Eisen verwendet, in der Shell GTL-Technologie (s. u.) Cobalt. Mit Eisen als Katalysator reagiert das gebildete Wasser mit dem eingesetzten Kohlenmonoxid nach der Wassergas-Verschiebungsreaktion (s. u.). Die Fischer-Tropsch-Reaktion wird dann folgendermaßen aufgestellt: Fe-Katalysator

2n CO C (n C 1)H2 $#####% CnH2nC2 C n CO2

Das eingesetzte Synthesegas wird z. B. durch Kohlevergasung erhalten. Kohlevergasung

C C H2O # CO C H2

Der benötigte höhere H2-Anteil wird nachträglich durch CO-Konvertierung und CO2-Entfernung eingestellt: CO-Konvertierung, Wassergas-Verschiebungsreaktion

CO C H2O # CO2 C H2

4.4 Katalyse

759

In Deutschland wurde die Fischer-Tropsch-Synthese ab 1934, auch bedingt durch die damals betriebene Autarkiepolitik, bei der Ruhrchemie in Oberhausen in den technischen Maßstab übertragen. Während des 2. Weltkriegs wurden in neun Anlagen auf diese Weise aus Kohle etwa 600 000 Jahrestonnen Synthesebenzin („Leunabenzin“) hergestellt. Nach dem Krieg erfolgte eine Demontage der Fischer-Tropsch-Anlagen. Das Verfahren wurde außerdem durch die Verfügbarkeit von Erdöl in Europa insgesamt unbedeutend. Fischer-Tropsch-Kraftstoffe können mittlerweile aus verschiedenen Rohstoffen hergestellt werden: Auf Kohlebasis (,coal-to-liquid‘, CTL) kann es wirtschaftlich nur an Standorten mit billiger Kohle betrieben werden. So wurden in Südafrika in den Anlagen Sasol IKIII durch den ökonomischen Standortvorteil des Kohlebergbaus und politischen Zwang während der Apartheidspolitik aus 22 Mio Jahrestonnen Kohle 4.5 Mio Jahrestonnen Benzin erhalten („Kohleverflüssigung“). Damit konnte 40K50 % des Benzinbedarfs des Landes gedeckt werden. Aufgrund des steigenden Erdölpreises erlebt die Fischer-Tropsch-Synthese in den letzten 10 Jahren eine Renaissance. In China werden zusammen mit dem südafrikanischen Unternehmen Sasol Produktionskapazitäten auf Kohlebasis aufgebaut. Auf der Basis von Erdgas (Methan, ,gas-to-liquid‘, GTL) wurde im Jahre 1993 der Betrieb einer „mittleren Destillat-Synthese“-Anlage von der Firma Shell in Malaysia aufgenommen. Die anfallenden Wachs-Primärprodukte werden mit Wasserstoff zu Kerosin, Gasöl, Naphtha, Paraffinwachsen und Spezialprodukten gespalten. Das Synthesegas für diesen neuen Prozess wird durch partielle Oxidation von Erdgas (Methan) mit Sauerstoff gewonnen: 1

partielle Methan-Oxidation CH4 C O2 # CO C 2 H2 2

∆H Z K35 kJ.mol

Die GTL-Fabrik in Malaysia liefert ca. 2 Mio Liter Dieselkraftstoff pro Tag. Wo das Erdgas bei der Erdölgewinnung ungenutzt abgefackelt wird (arabischer Raum), bietet GTL eine Möglichkeit der Speicherung und gezielten Verwendung. Eine GTL-Anlage sollte 2006 in Quatar in Betrieb gehen. Die weltweit größte GTL-Anlage mit einer Kapazität von 22 Mio Litern Mineralölprodukten ist dort für 2009 geplant. Biomasse (Holz, Stroh, Energiepflanzen) kann im ,biomass-to-liquid‘(BTL-)Verfahren ebenfalls in Kohlenmonoxid und Wasserstoff umgewandelt und dieses Synthesegas nach Fischer-Tropsch umgesetzt werden. In Deutschland existiert dazu eine Demonstrationsanlage (Fa. Choren, Freiberg.Sachsen). Aus einer Tonne Holz werden (noch nicht optimiert) etwa 100 Liter Diesel. Die Attraktivität der Fischer-Tropsch-Technologie liegt in der Herstellung von Kohlenwasserstoffen (Dieselkraftstoffen), die nicht durch Schwefel- oder Stickstoffverbindungen kontaminiert sind. Der synthetische Diesel aus dem ShellGTL-Prozess in Malaysia findet sich als Bestandteil im Shell V-Power Diesel an den Tankstellen. Er wird mit einer Verbesserung von Leistung, Verbrauch und Emission beworben. Neben Alkanen enthalten die einzelnen Cn-Schnitte immer auch mehr als 15 % Olefinanteile. Für den C3-Schnitt können letztere bis zu 80 % betragen. Weiterhin werden noch bis maximal 10 % „CHO“-Produkte, Alkohole, Aldehyde und Ketone gebildet. Zum Eisenkatalysator kommen je nach Verfahrensausprägung noch verschiedene Zusätze. Die Temperatur für die „Benzin-Synthese“ liegt bei

760

4 Organometallchemie

210K340 (C, der Druck um die 25 bar. Generell nachteilig ist die geringe Produktselektivität der Fischer-Tropsch-Synthese. Zwar dominieren Aliphaten und α-Olefine im Produkt, aber es ist bis jetzt keine Einengung in eine bestimmte Richtung auch nicht bezüglich des Cn-Teils möglich gewesen. Die Benzinsynthese gehorcht dem Mechanismus einer Polymerisationskinetik mit Schulz-Flory-Verteilung der Molmassen. Die Herausforderung der Forschung zum FischerTropsch-Verfahren ist, eine stark verbesserte Selektivität zu erreichen, um das Synthesegas besser und direkter in höherwertige Chemikalien konvertieren zu können. Dieses Ziel setzt ein gutes Verständnis des Mechanismus voraus. Reaktionsmechanistische Studien der Fischer-Tropsch-Synthese sind aufgrund der heterogenen Reaktionsführung und auch bedingt durch das Vorliegen einer Druckreaktion schwierig. Insbesondere ist auch der Katalysator kompliziert zusammengesetzt und strukturell nicht definierbar. Die im Folgenden skizzierten Mechanismen stammen aus Markierungsexperimenten unter Prozessbedingungen und aus metallorganischen Modellkomplexen. Im Wesentlichen werden heute drei Mechanismen diskutiert. Die bei der Fischer-Tropsch-Reaktion gefundene Produktvielfalt lässt auch den Schluss zu, dass mit verschiedenen Geschwindigkeitskonstanten.Wahrscheinlichkeiten mehrere Mechanismen nebeneinander ablaufen. Methylenpolymerisation oder in modifizierter Form der Alkenyl-Mechanismus. Es wird eine chemisorptive Dissoziation von CO und H2 angenommen, die zu einer Oberflächenbelegung mit Carbidkohlenstoff- und Sauerstoffatomen und monoatomarem Wasserstoff führt. Hydrierung der Kohlenstoff- und Sauerstoffatome ergibt Wasser und oberflächengebundene Methylen-, Methyl- und Methingruppen. Vorschlag für die Bildung von CH, CH2 und CH3 über die Hydrierung von Carbidatomen Dissoziation von H2 und CO H H C O

H H

H

H

C

O

Katalysatoroberfläche H3 C Methyl

HOberfl.

H

H

–H2O H2 C

H C

H

Methylen

Methin

Die Methylengruppen können mit einer Methylgruppe als Kettenanfang eine Oligomerisationsreaktion eingehen. Diese wird durch Wasserstoff zum Alkan oder durch β-Wasserstoffeliminierung zum Alken abgebrochen: Methylenpolymerisation mit Kettenabbruch auf der Katalysatoroberfläche

H

Kettenstart durch H-Atom oder CH3-Gruppe H3 H2 H2 H2 H2 H2 C C C C C C

Katalysatoroberfläche

CH3CH2CH2 HOberfl., H2

CH3CH2CH3

β-H-Eliminierung CH3CH=CH2 +

H

4.4 Katalyse

761

Als Variation der Methylenpolymerisation wurde der Alkenyl-Mechanismus vorgeschlagen (Abb. 4.24). Experimente mit isotopenmarkierten 13C2-Proben zeigten, dass Vinyl- und Alkenylspezies an der Oberfläche des Katalysators bei den CdC-Verknüpfungsreaktionen beteiligt sind. Der Zyklus beginnt mit der Bildung einer Vinylgruppe aus einem chemisorbierten Methin- und Methylenrest. Mit der Insertion eines weiteren Oberflächen-Methylens unter Bildung der Allylgruppe fängt das Kettenwachstum an. Das Oberflächen-gebundene Allyl isomerisiert zum Vinyl. In einer Folge aus Methylen-Einschubreaktionen und Allyl-zuVinyl-Isomerisierungen setzt sich das Kettenwachstum fort, bis es durch Hydridübertragung von der Oberfläche beendet wird. H2 Kettenwachstum C Vinyl H C

H2 C

CH2 Allyl CH

CH2

H2C

HC

Isomerisierung

2

CH3 3

1

CH

Vinyl

HC H2 C

Katalysatoroberfläche

H2C

H C

2 4

R

R

CH H

HC Vinyl

CH3 3

2

3

Kettenwachstum

HC CH H2C

Allyl

Isomerisierung + Kettenwachstum

Abb. 4.24 Darstellung des Alkenyl-Mechanismus der Fischer-Tropsch-Reaktion. Schritt 1: Bildung der Vinylgruppe aus Methin- und Methylenrest. Schritt 2: Kettenwachstum, Bildung der Allylgruppe. Schritt 3: Allyl $% Vinyl-Isomerisierung. Schritt 4: Kettenabbruch durch Hydridübertragung von der Oberfläche.

Hydroxycarben-Kupplungsmechanismus. Durch Übertragung von Wasserstoffatomen auf chemisorbiertes Kohlenmonoxid werden Hydroxycarbenspezies erhalten, die über intramolekulare Kondensationsschritte und weitere Hydrierung den Kettenaufbau ergeben. Es wird kein CO-Bindungsbruch gefordert. Das Auftreten von Oberflächen-gebundenen enolischen Komplexen wird durch die nachgewiesene Bildung von Alkoholen und Aldehyden unterstützt:

762

4 Organometallchemie

Hydroxycarben-Kupplungsmechanismus O H C

H

H

C

OH

H

C

H

OH

C

C

OH

–H2O +H2

H3C-(CH2)n-CH3

H3C (CH2)n

+H2

C

OH

–H2O

+n

H

C

OH H3 C

C

OH

+n H2 –n H2O

Alkylwanderung (CO-Insertion). Eine Methylwanderung auf einen Oberflächengebundenen Carbonylliganden ist der aus der metallorganischen Chemie entlehnte Primärschritt. Die Methylgruppe wird durch Hydrierung von Carbidkohlenstoffatomen auf der Katalysatoroberfläche erhalten (s. o.). Eine Hydrierung der Acyl-Intermediate, gefolgt von einer erneuten Alkylwanderung auf einen Carbonylliganden und Hydrierung, setzt den Kettenaufbau fort: Alkylwanderung als möglicher Mechanismus für den Kettenaufbau O C

CH3

O

C

CH3

+2H2 +CO

O C

–H2O

CH2CH3

+2n H2 +n CO

O

C

(CH2)n–CH2CH3

–n H2O +H2

–H2O

H3C–(CH2)n–CH2CH3

4.4.2.2. Olefin-/Alken-Metathese Das griechische Wort „Metathesis“ bedeutet „Umstellung“. Die Olefin- oder Alkenmetathese ist eine Umstellung von Alkylideneinheiten, ]CR2. Das Prinzip der Olefinmetathese ist ein reversibler, katalytischer Austausch von Alkylidengruppen zwischen zwei Olefinen (s. Abschn. 4.3.2). Nach Art der eingesetzten Olefine lassen sich verschiedene Typen von Metathesereaktionen unterscheiden (Abb. 4.25). Terminale und interne Olefine können eine Metathesereaktion eingehen. Bei der Metathese von zwei Olefinen R1dCH]CHdR2 und R3dCH]CHdR4 mit vier verschiedenen Resten kommt es zur Bildung aller Kombinationen RidCH]CHdRj (i,j Z 1K4). Es liegen zehn verschiedene Olefine im Gleichgewicht vor. Unter Berücksichtigung der cis-trans-Isomerie sind es 20 verschiedene Olefine. Die Metathese von acyclischen Olefinen ist eine fast energieneutrale Reaktion. Man erhält statistische Gemische. Trotz der Produktvielfalt findet eine solche Metathesereaktion mit internen Olefinen als Teilschritt im SHOP Anwendung (s. u. und Abschn. 4.4.1.6). Bei anderen technischen Metatheseverfahren mit monomeren Edukten und Produkten ist eine Alkylideneinheit sonst immer die

4.4 Katalyse

R1

α-Olefine H C CH2 + 2 α,ω-Diolefin H2C CH2

R2

Kreuzmetathese Ethenolyse (acyclische Dien-) Ringschlussmetathese ringöffnende Metathese (Ethenolyse)

Cycloolefin n α,ω-Diolefin H2C n

CH2

ringöffnende Metathesepolymerisation (ROMP) acyclische DienMetathesepolymerisation (ADMET) Ethenolyse

763

internes Olefin + Ethen R2 + H C CH 2 2 R1 (cis und trans) Cycloolefin + Ethen + H2C CH2

Polyalkenamer n

Polyalkenamer + Ethen n

+ n H2C CH2

Abb. 4.25 Prinzipielle anwendungsrelevante Metathesereaktionen. Die Reaktionen sind mit Ausnahme der Ringöffnungsmetathesepolymerisation (ROMP) reversibel. Eine Gleichgewichtsverschiebung wird durch Entfernung von Ethen oder Einsatz eines EthenÜberschusses erreicht.

]CH2-Gruppe. Es reagieren entweder zwei α-Olefine oder ein internes Olefin und Ethen miteinander (Phillips-Triolefin- und Neohexen-Prozess, s. u.). Bei Einsatz von α-Olefinen lässt sich durch die Entfernung des flüchtigen Coprodukts Ethen die Reaktion vollständig auf die Produktseite verschieben. Die Umsetzung oder Spaltung eines internen Olefins mit Ethen zu α-Olefinen, auch als Ethenolyse bezeichnet, wird mit einem hohen Ethendruck zu einer weitgehenden Umsetzung geführt. Eine Besonderheit ist die Metathese cyclischer Olefine. Sie verläuft unter Ringöffnung und mündet in eine Polymerisationsreaktion, die zu ungesättigten Polymeren, den so genannten Polyalkenameren [Poly (1-alkenylenen)] führt. Man spricht von einer ringöffnenden Metathesepolymerisation oder kurz Ringöffnungspolymerisation (engl. ring opening metathesis polymerization), abgekürzt ROMP. Polyalkenamere sind vulkanisierbare, ungesättigte Elastomere mit Kautschuk-Charakter. (Vulkanisation ist die Überführung von plastischen, kautschukartigen doppelbindungshaltigen oder -freien Polymeren in den gummielastischen Zustand durch Vernetzung mit energiereicher Strahlung, Peroxiden oder Schwefel.) Die Ringöffnungspolymerisation läuft kontrolliert in der Koordinationssphäre eines Metallatoms ab. Sie wird daher auch zur Ziegler-Natta-Polymerisation gerechnet. Bei der Ziegler-Natta-Polymerisation von Cycloolefinen sind abhängig vom Katalysator zwei Reaktionsrouten möglich: Eine Polymerisation über die Doppelbindung, wie sie z. B. die Metallocenkatalysatoren geben (Abschn. 4.4.1.10), oder durch Ringöffnung, was der Öffnung einer Doppelbindung äquivalent ist. Im Fall der Metathesepolymerisation bleibt die Zahl der Doppelbindungen der Eduktmoleküle im Produktpolymer erhalten (Abb. 4.26).

764

4 Organometallchemie

Cycloolefin

Polyalkenamer

n

(CH2)m

(CH2) m

n

bicyclisches Olefin, z.B. Norbornen n

(CH2)m

(CH2)m

n

(CH2)o

(CH2)o

Abb. 4.26 Schematische Darstellung einer Ringöffnungspolymerisation bei einem mono- und einem bicyclischen Olefin. Die Doppelbindungen als Teil der Hauptkette weisen cis.trans-Isomerie auf. Bei prochiralen Monomeren, wie sie die Bicyclen darstellen, liegt dann noch die Taktizität als Stereoisomerie vor.

Die Triebkraft von ROMP ist der Verlust an Ringspannung im Monomer. Nur entsprechend gespannte Cycloolefine, z. B. Norbornen, Cyclopenten, Cycloocten, können als Monomere für die ringöffnende Metathesepolymerisation eingesetzt werden. Das nicht gespannte Cyclohexen ist für ROMP ungeeignet und kann auch nicht über die Doppelbindung polymerisiert werden. Im Unterschied zu den Gleichgewichtsmetathesereaktionen acyclischer Olefine ist ROMP bei hochgespannten Monomeren eine irreversible Reaktion. Technische Methathesereaktionen. Der Phillips-Triolefin-Prozess war die erste technische Anwendung der Olefinmetathese. Das Verfahren diente ursprünglich der Kreuzmetathese von Propen in Ethen und 2-Buten. Es erlaubte eine bessere Raffinerieflexibilität und eine Erhöhung des Ethenanteils in Naphtha-Crackgemischen auf Kosten von Propen. Es wurde von 1966K1972 mit einer Kapazität von 30 000 Jahrestonnen betrieben und dann aus wirtschaftlichen Gründen wegen einer veränderten Rohstoffsituation stillgelegt. Phillips-Triolefin-Prozess

CH3 KreuzH2C CH metathese +

H2C CH Ethenolyse CH3 Propen

CH2 CH2

+

HC HC

CH3

Ethendimerisierung zu 2-Buten

2

CH3

CH2 CH2

Ethen + 2-Buten

In neuerer Zeit wurde es in den USA in umgekehrter Richtung zur Propenherstellung aus Ethen wegen des mittlerweile zusätzlichen Propenbedarfs in Form einer 136 000 Jahrestonnen-Anlage der Firma Arco wieder aufgenommen. Das eingesetzte 2-Buten wird durch Ethendimerisierung erhalten. In dieser Ausprägung ist der Phillips-Triolefin-Prozess ein Beispiel für eine Ethenolyse. Im Neohexen-Prozess wird technisches Di-iso-buten in einer Ethenolyse zu Neohexen und iso-Buten gespalten. Neohexen wird vorzugsweise für weitere Umsetzungen zu Duftstoffen verwendet: Neohexen-Prozess

CH3 CH3 H3C C CH C CH3 CH3 + H2C CH2 Di-iso-buten + Ethen

Ethenolyse

CH3 H3C C CH3 H3C CH3 + CH C CH2

CH2

Neohexen + iso-Buten

4.4 Katalyse

765

Mit Abstand die größte Anwendung findet die Olefinmetathese als Kreuzmetathese in einem Teilschritt des Shell Higher Olefin Process (SHOP, s. Abschn. 4.4.1.6). In einer Größenordnung von mehrere hunderttausend Jahrestonnen werden interne Olefingemische im C4-C8- und oberhalb des C18-Bereichs zu Mischungen mit beträchtlichen Anteilen im gewünschten C10-C18-Bereich umgesetzt. Nach dem Metatheseschritt enthält die Gleichgewichtsmischung etwa 10K15 % an den gesuchten Olefinen. Diese werden durch Destillation abgetrennt. Die höheren und niederen Olefine werden in den Metatheseprozess zurückgefahren. Bei der Metathesereaktion fallen die gesuchten C10-C18-Olefine als interne Olefine an. Vor ihrem Umsatz in der Hydroformylierung zu n-Aldehyden und Alkoholen für die Tensidherstellung muss eine katalytische Rückisomerisierung zu terminalen α-Olefinen erfolgen. SHOP (Shell Higher Olefin Process)

H2C CH2 Ni-Kat. α-Olefingemisch

Abtrennung des C10-C18-Bereiches

α-C≤8 + α-C≥20 katalytische Isomerisierung zu internen Olefinen internes Olefingemisch darunter z.B. (allg. C>20) H21C10 CH CH C10H21 + (allg. C≤8) H3C CH CH CH3

internes Olefingemisch darunter z.B.

Kreuzmetathese

H21C10 CH

+

HC C10H21

H3C CH HC CH3 (allg. C10-C18)

Abtrennung des C10-C18-Bereiches katalytische Isomerisierung α-Olefingemisch

Im Shell FEAST-Prozess (further exploitation of advanced Shell technology) werden α,ω-Diolefine durch Ethenolyse von Cycloolefinen erhalten. Als Cycloolefine werden Cycloocten, Cyclooctadien und Cyclododecen in hohen Ausbeuten zu 1,9-Decadien, 1,5-Hexadien und 1,13-Tetradecadien umgesetzt. Den α,ω-Dienen gilt ein technisches Interesse als Vernetzer bei der Olefinpolymerisation oder zur Herstellung bifunktioneller Verbindungen: FEAST-Prozess (further exploitation of advanced Shell technology) Cycloolefin + Ethen

1,5,9-t,t,t-CDT

CH2 CH2 CH2 CH2

+

2H2

+

CH2 CH2

Cyclooctadien

+

+

Cycloocten

CH2 CH2

Cyclododecen

α,ω-Diolefin ringöffnende Metathese Ethenolyse

CH2 1,9-Decadien CH2

2H C 2

CH2 1,5-Hexadien

H2C=CH–(CH2)10–CH=CH2 1,13-Tetradecadien

766

4 Organometallchemie

In einer acyclischen Dien-Metathese-(ADMET-)Polymerisation werden acyclische α,ω-Diene als Edukte in einer intermolekularen Metathesepolymerisation zu ungesättigten Polymeren umgesetzt. Ein vollständiger Ablauf von Metathesereaktionen acyclischer α,ω-Diene wird durch die Entfernung des freigesetzten Ethens erreicht. acyclische DienMetathesepolymerisation (ADMET)

n

n

1,6-Heptadien

+ n H2C CH2 ↑

Polyheptadien + Ethen

Die Ethenolyse ungesättigter Polymere mit Metathesekatalysatoren wurde als Möglichkeit eines Recyclings von Autoreifen untersucht. Die Herausforderung besteht jedoch im Auffinden eines genügend aktiven Katalysators, der die gleichzeitig im Reifenpolymer vorhandenen funktionellen Gruppen und Beimengungen (Schwefel, Ruß) toleriert. Technische Ringöffnungspolymerisationen, ROMP. Das im Norsorex-Prozess hergestellte Polynorbornen ist das älteste produzierte Polyalkenamer. Das Produkt dient als gummiartiges Vulkanisat für Schwingungs- und Geräuschdämpfungsmassen und zum Aufsaugen von ausgelaufenem Öl: ringöffnende Metathesepolymerisation (ROMP)

Norsorex-Prozess n

n

Norbornen

Polynorbornen

Ebenfalls als vulkanisierbares Elastomer für den Einsatz im Kautschuksektor dient das von der Firma Hüls im Vestenamer-Prozess aus Cycloocten produzierte Polyoctenamer: Vestenamer-Prozess

n

ROMP

CH–(CH2)6–CH

Cycloocten

n

Polyoctenamer

Die Ringöffnungspolymerisation von Dicyclopentadien im Metton-Prozess ergibt durch Beteiligung der zweiten Doppelbindung ein stark quervernetztes Polymerisat. Dieses wird für versteifungsfeste Formkörper und Gehäuseteile verwendet. In allen drei Verfahren werden Wolframkatalysatoren eingesetzt: Metton-Prozess n+2m

n

ROMP

ROMP

n

+ Dicyclopentadien

m m

4.4 Katalyse

767

4.4.2.3 Olefinpolymerisation mit heterogenen Katalysatoren, klassische Ziegler-Natta-Katalyse Seit 1935 kennt man die kommerzielle Hochdruckpolymerisation von Ethen, die zu einem radikalisch verzweigten Polyethen niederer Dichte führt. Ethen galt lange Zeit im Vergleich mit anderen Vinylmonomeren als besonders schwer polymerisierbar. Die Notwendigkeit des Arbeitens bei sehr hohem Druck war gleichsam ein Dogma. Deshalb war Entdeckung einer Niederdruckpolymerisation von Ethen durch Karl Ziegler Anfang der 1950er Jahre revolutionär.5 Das durch Ziegler-Katalyse erhaltene Polyethen zeichnet sich durch eine weitgehende Linearität und nur geringe Verzweigungen aus. Die Materialeigenschaften können über die Copolymerisation, z. B. von 1-Buten oder 1-Hexen, modifiziert werden. Der Begriff Ziegler-Natta-Katalyse bezeichnet die schnelle Polymerisation von Olefinen mit Hilfe eines Metallkatalysators, der bei niedrigen Drücken (bis 30 bar) und niedrigen Temperaturen (unter 120 (C) arbeitet. Der Name ZieglerNatta-Polymerisation wird oft als Synonym für Koordinations- oder Insertionspolymerisation gebraucht. Das neu eintretende Monomer wird zwischen die wachsende Polymerkette und das Übergangsmetallatom des Katalysators unter koordinativer Bindung insertiert. Danach fallen unter diesen Begriff auch die Ethenpolymerisation mit Chromkatalysatoren nach dem Phillips-Verfahren (s. u.), die ringöffnende Metathesepolymerisation (ROMP, s. o.) und die Nickel-katalysierte Ethen- und Butadienoligomerisierung (s. Abschn. 4.4.1.5 und 6). Im engeren Sinne bezeichnet der Begriff Ziegler-Natta-Katalyse und -Katalysator aber Systeme aus Übergangsmetallverbindungen vor allem der 4. Gruppe und Aluminium-organischen Verbindungen für die Polymerisation von Olefinen (Metallocenkatalyse, s. Abschn. 4.4.1.10). Die technischen heterogenen Ziegler-Natta-Katalysatoren für die Polymerisation von Olefinen setzen sich aus einer Übergangsmetallverbindung als eigentlichem Katalysator und einer Hauptgruppenverbindungen als Cokatalysator zusammen. Das Übergangsmetall ist meistens Titan, selten Vanadium. Titan wird in Form von Halogenid-, Alkoxid-, Alkyl-, Aryl- und anderen Verbindungen verwendet. Das Hauptgruppenelement ist im Wesentlichen Aluminium. Es wird als Alkyl oder Alkylhalogenid eingebracht. Man unterscheidet entsprechend ihrer Zusammensetzung und Aktivität mehrere Generationen von Ziegler-Natta-Katalysatoren. Das Katalysatorsystem der 1. Generation wurde durch Reduktion von TiCl4 mit Et3Al erhalten. Das ausgefällte aluminiumhaltige β-TiCl3 lieferte jedoch ein Polypropen von nur geringer Isotaktizität. Es wurde durch thermische Behandlung in α-, γ- und δ-TiCl3 überführt, was sich zusammen mit Et2AlCl für die Herstellung von isotaktischem Polypropen eignete. Die Herstellung von kristallinem isotaktischem Polypropen mit derartigen Titankatalysatoren war der Beitrag von Giulio Natta. Die Katalysatoren mussten wegen noch relativ geringer Aktivität im Anschluss an die Polymerisation aus dem Produkt entfernt werden. Das Entwicklungsziel in der Anfangszeit der Ziegler-Natta-Katalyse war eine Aktivitätserhöhung, sodass die im Polymer verbleibende Katalysatormenge so gering 5

Karl Ziegler und Giulio Natta erhielten 1963 den Chemie-Nobelpreis für ihre Entdeckungen auf dem Gebiet der Chemie und Technologie von Hochpolymeren.

768

4 Organometallchemie

Monomer

poröses Trägermaterial mit Katalysatorbeladung

Monomer

fertiges Polymerkorn

Polymerwachstum

Abb. 4.27 Schematische Darstellung des Wachstums des makroskopischen kompakten Polymerkorns durch Replikation der porösen Katalysatorpartikel. Bei der Polymerisation werden die Katalysatorkörnchen durch das aufwachsende Polymer in kleinere Mikropartikel (einzelne schwarze Punkte) aufgespalten. Diese finden sich vom Polymer umhüllt im fertigen Polymerkorn. So wird die Ausbildung eines kompakten Polymergrießes statt pulvrigen oder fasrigen Polymermaterials garantiert. Das Aufbrechen der Katalysatorpartikel führt außerdem zur Freisetzung neuer Katalysatorzentren an der Oberfläche der Mikropartikel.

würde, dass keine Beeinflussung der physikalischen Eigenschaften des Polymers (Verfärbung, Geruch) mehr gegeben wäre. Damit entfiele die Notwendigkeit für aufwendige Abtrennverfahren. Bei der 2. Generation erfolgte eine gezielte Darstellung von δ-TiCl3 durch die katalytische Umwandlung von β-TiCl3-AlCl3-Addukten mit TiCl4. Mit der 3. Generation, seit etwa 1980, wurden dann stark verbesserte Aktivitäten durch eine chemische Bindung der Titankomponenten an die Oberfläche von MgCl2, d. h. durch Einbetten von Titanatomen in ein MgCl2Wirtsgitter erzielt. Zusätzlich befindet sich das Magnesiumchlorid auf einem Silicagel-Trägermaterial als morphologiebestimmender Komponente (Abb. 4.27). Zur Schaffung von selektiven isotaktischen Zentren werden weiterhin Benzoeoder Phthalsäurediester als interne „Stereomodifizierer“ eingebracht. Die Aktivierung erfolgt durch Alkylierung mit Aluminiumalkylen. Aufgrund der mit den Hochleistungskatalysatoren erreichten hohen Aktivitäten von über 20 kg Polypropen pro Gramm Katalysator (Summe aller Komponenten, einschließlich Trägermaterial) verbleibt dieser heute im Polymer (,leave-in‘-Katalysatoren). Die Ziegler-Natta-Katalyse ist eine Insertionspolymerisation, die kontrolliert durch ein Übergangsmetallatom abläuft. Die allgemeinen Teilschritte einer solchen Polymerisation sind Kettenstart, Kettenfortpflanzung und Kettenabbruch.übertragung (Abb. 4.28). Triebkraft der Olefinpolymerisation ist die stark exotherme Bildung einer neuen CdC-Bindung. Es werden bei der Ziegler-Natta-Katalyse drei grundlegende Mechanismen für die zentralen Schritte der Monomerkoordination, Aktivierung der Doppelbindung und der Insertion in die Metall-Alkyl-Bindung diskutiert. Jeder der Mechanismen stützt sich auf experimentelle Ergebnisse. Der Direkt-Insertionsmechanismus nach Cossee und Arlman formuliert nach der Metall-π-Koordination des Olefins einen Vierzentren-Metallacyclobutan-Übergangszustand: Cossee-Arlman [Ti]–CH2–P + Olefin

[Ti]–CH2–P H2C=CH2

[Ti] H2C

= freie Koordinationsstelle

CH2–P

[Ti]–CH2-CH2–CH2–P

CH2 P = Polymerkette

4.4 Katalyse TiCl4/TiCl3 Aktivierung

769

Präkatalysator

AlR'3/AlR'2Cl Cokatalysator

1

[Ti(+)]–H,

[Ti(+)]–R'

n CH2 CHR

2

Kettenwachstum

[Ti(+)]–(CH2CHR)n–R' 3

Kettenabbruch

AlR'3

Ti

P H

R

H

H

Ti

R H

β-H-Übertragung auf Metall, β-H-Eliminierung

Ti

[Ti(+)]–R' + [Al]

H

R H Kettentransfer Hydroauf lyse Aluminium H H P

H

R

R

H P

H

+ P

H

H R

H β-H-Übertragung auf Monomer

H

Ti

R

H

[Ti(+)]

H

H

P

P

R

H

H H

H

H H

[Ti(+)]–H + P

H2

R

R' [Al]

H

P = Polymerkette

H

P

H

R

[Ti(+)]–H + H P

H

R

Hydrogenolyse, bei Zusatz von H2 zur Molmassenregelung

gesättigte und ungesättigte Kettenendgruppen

Abb. 4.28 Allgemeiner Mechanismus der Ziegler-Natta-Polymerisation. Schritt 1: Aus einem inaktiven Präkatalysator erzeugt der Cokatalysator eine aktive Metall-Alkyl-Spezies durch Alkylierung und Ligandenabstraktion zur Schaffung einer freien Koordinationsstelle. Schritt 2: Wiederholte Monomerkoordination und Insertion führen zum Kettenwachstum (Fortpflanzung). Dieses steht in Konkurrenz mit den in Schritt 3 aufgeführten Kettenabbruchreaktionen. Der Kettenabbruch (Kettentransfer, Kettenübertragung) regeneriert aktive Metall-Hydridoder Metall-Alkyl-Spezies.

Der Metathesemechanismus nach Green und Rooney nimmt eine α-Wasserstoffübertragung vom Kettenende und Bildung eines Metallalkylidens an, die dem Metallacyclobutan-Komplex vorausgeht:

770

4 Organometallchemie

Green-Rooney H

H [Ti]–C–P

P

H2C=CH2

P

H

P

[Ti] C

–Olefin

H

H

H

+Olefin

[Ti] C

H

[Ti]–CH2-CH2–CH2–P

C H

[Ti] H2C

CH2

Der modifizierte Green-Rooney Mechanismus beschreibt eine α-agostische Unterstützung der Olefininsertion im Übergangszustand. Dieser Mechanismus ist zwischen dem Cossee-Arlman- und dem Green-Rooney-Mechanismus angesiedelt. Aus Gründen der Einfachheit wurde für das Olefinmonomer jeweils nur Ethen gezeichnet: Green-Rooney, modifiziert H [Ti]–C–P

H

+Olefin

H

H2C

H

P

C

[Ti]

C

[Ti]

H

H2C

CH2

H

P

[Ti] CH CH2–CH2–P

H

CH2

Weitere Katalysatorsysteme für die Darstellung von unverzweigtem Polyethylen hoher Dichte sind Chromkatalysatoren. Sie werden vor allem in den USA im Phillips- oder Union-Carbide-Verfahren eingesetzt. Die Natur der aktiven Komponenten ist bei diesen Heterogenkatalysatoren allerdings noch weniger verstanden als bei den Ziegler-Systemen. Die Phillips-Katalysatoren erhält man durch Reduktion von Chrom (VI)-Verbindungen (Chromaten) mit CO oder H2 auf einem Trägermaterial. Die Union-Carbide-Katalysatoren werden durch Aufbringen von niedervalenten Chromverbindungen auf Kieselgel als Trägermaterial hergestellt. Als niedervalente Vorstufen werden die Organochromverbindungen Chromocen, (η5-C5H5)2Cr und Tris (allyl)chrom, (η3-C3H5)3Cr eingesetzt. Nach ihrem Aufbringen auf Silicagel bedürfen die derart erhaltenen Union-CarbideKatalysatoren keines Cokatalysators oder keiner weiteren Aktivierung mehr. Einer der Cyclopentadienylringe des Chromocens liegt weiterhin als Ligand im aktiven Katalysator vor. Durch Substitution der Ringwasserstoffatome kann die katalytische Aktivität verringert werden. Chrom-Wasserstoff-Fragmente werden als Startgruppen formuliert. Aus Festkörper-NMR-Untersuchungen und Polymerisationsreaktionen mit molekularen Modellsystemen nimmt man Chrom (III)Spezies als aktive Komponenten an. In geringer Menge werden auch bei den Chromkatalysatoren noch Aluminiumalkyle zugesetzt. Oberflächenreaktion von Chromocen mit Silicagel zum Union-Carbide-Katalysator

Cr

+

Bis(cyclopentadienyl)chrom, Chromocen (η5-C5H5)2Cr

O

OH

OH

Si

Si

O

O

O

O

Silica-Oberfläche

Cr –CpH O

O

OH

Si

Si

O

O

O

O

Vorschlag für aktive Spezies

Weiterführende Literatur

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5 Bioanorganische Chemie Ralf Alsfasser

5.1 Einleitung Ohne Metallkomplexe wäre kein Leben möglich, nicht einmal in der primitivsten Form. An allen Prozessen, in denen aus kleinen, anorganischen Bausteinen die Moleküle des Lebens aufgebaut werden, sind Metallionen beteiligt. Die Photosynthese von Kohlehydraten aus Kohlendioxid benötigt Eisen und Magnesium. Als Abfallprodukt entsteht dabei der Sauerstoff unserer Atmosphäre durch die Oxidation von Wasseran einem Mangancluster. Auch an der Umkehrung der Photosynthese, bei der Menschen und Tiere aus der kontrollierten Reduktion von Sauerstoff Energie gewinnen, sind zahlreiche Metalloenzyme beteiligt. Am Ende der Atmungskette steht die Cytochrom-c-Oxidase, ein Eisen-Kupfer-Protein, dessen Hemmung durch Cyanidionen zum sicheren Tod führt. Auch das Molekül der Vererbung, die DNA, kommt nicht ohne Metallionen aus. Für ihren Auf- und Abbau, sowie für das korrekte Ablesen und Übersetzen des genetischen Codes werden Eisen, Mangan, Zink und Magnesium in Ribonukleotid-Reduktasen, Phosphatasen und Transkriptionsfaktoren gebraucht. Es versteht sich von selbst, dass in der vorliegenden kurzen Darstellung nicht alle Aspekte der biologischen Chemie anorganischer Elemente behandelt werden können. Das Ziel ist es, anhand von ausgewählten Beispielen ein Verständnis für grundlegende Konzepte zu wecken. Dazu gehört die Bedeutung der Homöostase. Darunter versteht man die Selbstregulation eines komplexen Systems durch vielfältige Rückkopplungen, wodurch letztlich ein stabiles Fließgleichgewicht aufrechterhalten wird. Auf Metallionen angewendet bedeutet dies eine fein abgestimmte Verteilung in verschiedenen Bereichen innerhalb eines Organismus, aber auch innerhalb einer Zelle. Dafür verantwortlich ist ein kompliziertes System von vernetzten Transport- und Speicherprozessen, das im ersten größeren Abschnitt, zumindest in groben Zügen, dargestellt wird. Vertieft werden die Überlegungen zur Selektivität und Geschwindigkeit von Transportprozessen im zweiten Teil, der die Bedeutung von Alkali- und Erdalkalimetallen für die Übertragung von Signalen zum Inhalt hat. Im Anschluss daran wird die Rolle des ebenfalls nicht redoxaktiven Zink (II)Ions in Proteinen besprochen. Dabei werden als wichtige Konzepte die strukturgebende Funktion von Metallionen, die Rolle von proteinogenen Liganden für die katalytische Aktivität von Metallzentren, sowie die Kooperativität zwischen Metallionen in mehrkernigen Komplexen eingeführt. Es folgt eine Vorstellung von Eisen- und Kupferzentren, die in Redoxproteinen eine dominante Rolle spielen und deren Bedeutung in den beiden anschließenden Kapiteln verdeutlicht

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5 Bioanorganische Chemie

wird. Das erste stellt die beiden wichtigen Elektronentransferketten der Photosynthese und der Atmungskette vor. Anhand ihres Auftretens an charakteristischen Stellen werden Eisen-Schwefel-Cluster einerseits, sowie Häm-Eisen- und Kupferproteine andererseits in die biologische Redoxskala eingeordnet. Außerdem wird erläutert, wie Metallkomplexe für die Untersuchung des Elektronentransfers über weite Distanzen in Proteinen verwendet werden und welche Konsequenzen sich für die Entwicklung von Systemen für eine „künstliche Photosynthese“ ergeben. Der zweite Abschnitt über Eisen- und Kupferproteine ist ihrer Bedeutung für den Transport und die Aktivierung von Sauerstoff gewidmet. Es werden die verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten des O2-Moleküls vorgestellt und auf die Entgiftung von reaktiven Nebenprodukten der Atmung eingegangen. Bei den diskutierten Beispielen für sauerstoffaktivierende Metalloproteine gilt wiederum ein wesentliches Augenmerk der Kooperativität zwischen mehreren Metallionen, aber auch zwischen Metallionen und koordinierten Liganden. Eine moderne Darstellung der bioanorganischen Chemie wäre nicht komplett, würde sie nicht wenigstens streiflichtartig auch die vielseitigen medizinischen und biologischen Anwendungen von synthetischen Metallkomplexen beleuchten. Diskutiert wird zunächst die Nickel-Chelatchromatographie, die ihren Platz als eine Standardmethode in der rekombinanten DNA-Technologie gefunden hat. Die Bedeutung von Metallkomplexen in der DNA-Analytik wird anhand von elektrochemischen Hybridisierungssensoren auf der Basis von Trisphenanthrolincobalt (III) herausgestellt. Ein längerer Abschnitt ist der Besprechung von Radiopharmazeutika gewidmet, weil gerade hier die ganze Vielfalt der präparativen bioanorganischen Chemie deutlich wird. Im Zentrum stehen Technetiumkomplexe, die heute etwa 80 % aller eingesetzten Radiodiagnostika ausmachen. Dass die Entwicklung noch lange nicht zu Ende und der Phantasie keine Grenzen gesetzt sind, zeigt eine abschließende kurze Vorstellung von Carbonylmetall-Immunoassays, die einen kleinen Einblick in die hochaktuelle „Bio-Organometallchemie“ bietet.

5.2 Transport und Speicherung von Metallionen 5.2.1 Ionenkanäle, Ionenpumpen, Ionophore Dieser Abschnitt ist dem Transport von Metallionen an ihren biologischen Bestimmungsort gewidmet. Eine wesentliche Rolle kommt dabei Membranen zu, die Räume voneinander abgrenzen und eine Barriere gegen das Eindringen unerwünschter Substanzen bilden. Stofftransport in biologischen Systemen bedeutet normalerweise den Weg zu einer Membran und den Durchtritt durch sie hindurch. In Abb. 5.1 ist schematisch eine tierische Zelle dargestellt. Man erkennt sofort, dass nicht nur die Außenwelt durch die so genannte Plasmamembran abgegrenzt ist, sondern dass auch im Zellinneren viele verschiedene Räume existieren. Die wichtigsten sind der Zellkern, das endoplasmatische Retikulum, der Golgi-Apparat, sowie Lysosomen, Peroxisomen und Endosomen.

5.2 Transport und Speicherung von Metallionen

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Abb. 5.1 Stark vereinfachtes Schema einer tierischen Zelle mit ihren wesentlichen Bestandteilen.

Alle sind durch Membranen voneinander getrennt und weisen aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Aufgaben große Unterschiede in ihrer stofflichen Zusammensetzung auf. Es ist klar, dass die Verteilung von Metallionen auf die verschiedenen Kompartimente hochselektiv erfolgen muss. Außerdem gelten für die Aufnahme von außen in die Zelle andere Erfordernisse als beispielsweise für den Transport im Cytosol zum Golgi-Apparat, wo viele Enzyme zusammengebaut und modifiziert werden. Wir werden bei der Besprechung von konkreten Beispielen auf diese Aspekte näher eingehen, uns zunächst jedoch einigen allgemeinen Grundlagen des Ionentransports durch eine Doppellipidmembran zuwenden. Wie gut die Zellmembran als Barriere für Ionen wirkt, kann man an ihrer Permeabilität erkennen, die für Wasser etwa 10K2 cm.s und für Natrium- oder Kaliumionen nur ca. 10K12 cm.s beträgt. Für den Transport von Ionen durch eine Lipid-Doppelschicht kommen verschiedene Mechanismen in Frage, die in Abb. 5.2 schematisch dargestellt sind. Zum einen existieren Kanäle, die sich meist nur auf ein chemisches Signal öffnen und die einen passiven Transport ermöglichen. Darunter versteht man die Wanderung von Ionen entlang eines Konzentrationsgradienten, die keine zusätzliche Energie erfordert. Ein Beispiel sind Natrium- und Kaliumkanäle bei der Nervenleitung, die wir später noch ausführlicher besprechen werden. Zum anderen kennt man den aktiven Transport durch Pumpen. Dabei werden Ionen unter Energieverbrauch gegen einen Gradienten transportiert, wodurch ein Konzentrationsgefälle zwischen den beiden Seiten einer Membran aufrechterhalten werden kann. Diese Tatsache ist von herausragender Bedeutung, weil der Spannungsabfall über eine biologische Membran, das so genannte Membranpotential, einen wesentlichen Beitrag zum Energiehaushalt leistet. Es wird benötigt, um Transportvorgänge anzutreiben, Signale z. B. bei der Nervenleitung zu übertragen, oder ATP zu synthetisieren. In Tabelle 5.1 sind die Konzentrationsunterschiede einiger ein- und zweiwertiger Ionen innerhalb und außerhalb von Muskelzellen zusammengestellt. Wird die Energie für den Transport aus der Spaltung von ATP bezogen, spricht man von ATPasen. Die NaC.KC-ATPase fördert beispielsweise 3 NaC-Ionen aus der

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5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.2 Transport von Metallionen durch eine Lipid-Doppelschicht. Dargestellt sind die zwei grundsätzlich verschiedenen Möglichkeiten des aktiven und passiven Transports. Für den aktiven Transport wird stets eine Pumpe benötigt, die entweder chemisch durch die Umsetzung von energiereichen Molekülen wie ATP oder elektronisch durch den Abbau eines Ionengradienten betrieben werden kann. Der passive Transport erfolgt entweder durch Ionenkanäle oder durch Komplexbildner, die durch ihren hydrophoben Charakter durch die Membran diffundieren können. Der Begriff „passiver Transport“ ist möglicherweise verwirrend. „Passiv“ bedeutet hier, dass für den eigentlichen Durchtritt durch die Membran keine Energie aufgewendet werden muss (Diffusion). „Transport“ bezieht sich darauf, dass sowohl Ionenkanäle, als auch Ionophore eine erstaunliche Selektivität für bestimmte Ionen besitzen.

Tabelle 5.1 Konzentrationsunterschiede von ein- und zweiwertigen Ionen in Muskelzellen. Ion

extrazellulär . (mmol · LK1)

NaC KC Ca2C ClK

145 4 1.5 123

intrazellulär . (mmol · LK1) 12 155 ! 10K7 4.2

Zelle hinaus, während gleichzeitig 2 KC-Ionen in die Zelle hinein gepumpt werden. Im Zusammenhang mit dem Transport von Kupfer in den Golgi-Apparat wird eine ATPase besprochen, die im Zusammenhang mit den angeborenen Stoffwechselerkrankungen Morbus-Wilson und Menke-Syndrom eine wichtige Rolle spielt. Eine weitere, aus koordinationschemischer Sicht besonders interessante, Möglichkeit ist der Transport durch mobile Ionophore. Ein besonders prominentes Beispiel ist das Transportantibiotikum Valinomycin, dessen Struktur in Abb. 5.3 gezeigt ist. Die Verbindung ist ein makrozyklischer Chelatligand, der sechs Carbonylsauerstoff-Donoren für die Komplexierung von Kaliumionen zur Verfügung stellt. Nach außen ist der Kaliumkomplex wegen der Kohlenwasserstoff-Substitu-

5.2 Transport und Speicherung von Metallionen

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Abb. 5.3 (a) Die Struktur des Kaliumkomplexes von Valinomycin. (b) Die Struktur der Kalium- und Natriumkomplexe von 18-Krone-6 und 15-Krone-5. Durch die unterschiedliche Zahl der Donoratome und Ringgröße erreicht man eine hohe Selektivität, die auf den unterschiedlichen Ionenradien beruht.

enten hydrophob. Er löst sich deshalb hinreichend gut in der Lipid-Doppelschicht, um einen Transport durch passive Diffusion zu ermöglichen. Auf dieser Eigenschaft beruht auch die Verwendung in ionenselektiven Elektroden mit einer kaliumsensitiven Membran. Darüber hinaus ist Valinomycin ein Antibiotikum. Es macht die Plasmamembran von Bakterien durchlässig für KC-Ionen und sorgt so dafür, dass das lebenswichtige Membranpotential zusammenbricht. Eine analoge Wirkung hat das porenbildende Ionophor Gramicidin A. Es handelt sich um ein mobiles Polypeptid, das aufgrund seiner hydrophoben Seitenketten einen Kanal durch die Plasmamembran bildet. Innen befindet sich das polare Peptidrückgrat, das die nahezu ungehinderte Diffusion von Kaliumionen erlaubt. Gramicidin A wird in Kombinationsantibiotika für die Behandlung von Hals-, Nasenund Ohrenentzündungen eingesetzt. Die Synthese von künstlichen Ionophoren ist ein wichtiger Meilenstein auf dem Gebiet der Koordinationschemie. Die von C. J. Pedersen entdeckten Kronenether sind makrozyklische Liganden, die dem Valinomycin ähneln. In Abb. 5.3 sind zwei Beispiele gezeigt, 18-Krone-6 und 15-Krone-5. Aufgrund ihrer harten Sauerstoffdonoren und ihrer chelatisierenden Wirkung bilden diese und ähnliche Verbindungen erstaunlich stabile Komplexe mit Alkali- und Erdalkalimetallionen. Entscheidend für die Selektivität sind die Ringgröße und die Zahl der Donoratome. So bevorzugt 18-Krone-6 mit seinen sechs Donorzentren und seinem Innendurchmesser von 1.3K1.6 Å das KC-Ion (r Z 1.52 Å, KZ Z 6), während das kleinere Natriumion (r Z1.14 Å, KZ Z 5) besser in das Zentrum des kleineren Liganden 15-Krone-5 (0.9K1.1 Å) passt. Kronenetherkomplexe haben viele Anwendungen gefunden. Ihr Einsatz in der Phasentransferkatalyse

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und der Lösungsmittelextraktion beruht auf der beim Valinomycin besprochenen relativ guten Löslichkeit in unpolaren Medien. Die Stabilität von Kronenetherkomplexen wird besonders eindrücklich bei der Synthese von ungewöhnlichen Verbindungen deutlich. Als Beispiele seien „Natriumnatrid“ [(18-Krone-6) NaC]NaK und „Cäsiumelektrid“ [(18-Krone-6)2Cs]CeK genannt. Die große Bedeutung der Kronenether und der verwandten Kryptanden fand ihren Ausdruck in der Verleihung des Chemie-Nobelpreises 1987 an Cram, Lehn und Pedersen.

5.2.2 Funktionelle Metallionen: Eisen und Kupfer 5.2.2.1 Eisen Eisen ist das häufigste und vielseitigste Übergangsmetall im Organismus. Ein 70 kg schwerer Mensch enthält ca. 4 g, was einer Konzentration der Größenordnung 10K3 M im Körpervolumen entspricht. Dies ist insofern ein interessantes Problem, als die Verfügbarkeit von Eisen durch die Anwesenheit von Sauerstoff in der Erdatmosphäre sehr eingeschränkt ist. Bei pH z 7.4 gibt es wegen der Bildung von unlöslichen Oxiden und Hydroxiden nur ca. 10K18 M freie Fe3CIonen. Wegen ihrer hohen Toxizität wird die Konzentration im Blut sogar auf etwa 10K24 M reguliert. Sowohl die Mobilisierung als auch die Kontrolle von Eisen werden durch Komplexierung erreicht. Es ist klar, dass sich verschiedene Organismen dabei teilweise deutlich unterscheiden. Die ausgewählten Beispiele sollen verschiedene Mechanismen näher beleuchten, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Bakterien verwenden für den Transport von Eisen relativ einfache Chelatbildner, so genannte Siderophore wie das Enterobaktin, das Sie bereits in Kapitel 2 kennen gelernt haben. Seine Struktur ist in Abb. 5.4 zusammen mit der des Desferrioxamins B, dessen Eisenkomplex man Ferrioxamin B nennt. Das Desferrioxamin B wird unter dem Handelsnamen Desferal© (Ciba Geigy) zur Behandlung von chronischem Eisenüberschuss eingesetzt, wie er z. B. nach Bluttransfusionen auftritt. Man erkennt, dass beide Liganden anionische Sauerstoffdonoren für die Komplexierung des harten Fe3C-Ions besitzen. Im Fall von Enterobaktin ist die chelatisierende Einheit ein Catecholatligand, beim Ferrioxamin B ein Hydroxamat. Jeweils drei zweizähnige Liganden sind über ein Gerüst aus Amidund Etherfunktionen miteinander verknüpft. Insgesamt ergeben sich auf diese Weise sechs Bindungsstellen, die eine oktaedrische Koordinationssphäre ermöglichen, wie man sie für einen stabilen Eisen (III)-Komplex erwarten würde. Die harten Donoratome und die günstige Geometrie ergeben hohe Stabilitätskonstanten von log K z 49 für das Enterobaktin und log K Z 30.5 für das Ferrioxamin B. Die große Stabilität wirkt sich auch auf die Redoxpotentiale für eine reduktive Freisetzung von Fe2C-Ionen gemäß LFe3C C 3 HC C eK $% Fe2C C H3L3C (L Z Siderophor) aus (E Z K790 mV bei pH Z 7.4 für Enterobaktin und K468 mV für Ferrioxamin B).

5.2 Transport und Speicherung von Metallionen

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Abb. 5.4 Die Strukturen der beiden Siderophore Enterobaktin und Desferrioxamin B sowie ihrer Eisen (III)-Komplexe. Zu beachten ist die unterschiedliche Stereochemie an den beiden Koordinationszentren.

Ein weiterer interessanter Aspekt ergibt sich aus der Stereochemie. Wie allgemein bei Komplexen mit drei Chelatliganden existieren zwei Isomere, Λ und ∆. Während bei den Ferrichromen, zu denen das Ferrioxamin gehört, normalerweise die Λ-Form biologisch aktiv ist, liegt der Enterobaktinkomplex in der ∆-Konfiguration vor. In vielen Fällen ist die korrekte Stereochemie ein Erkennungsmotiv für die Bindung von Siderophoren an Rezeptoren und damit letztlich für den Transport in die Zelle. Dies trifft jedoch nicht für das Enterobaktin zu, dessen molekulare Erkennungsstellen die Amidfunktionen an den Catecholat-Substituenten sind. Die Aufnahme von Enterobaktin in gramnegative Bakterien ist inzwischen gut bekannt. Wir wollen sie nicht im Detail besprechen, aber darauf hinweisen, dass für die Internalisierung des recht großen Komplexes ein aktiver Transport unter Verbrauch von ATP notwendig ist. In der Zelle existiert eine Esterase, die das makrozyklische Serinlacton-Rückgrat spaltet. Dadurch wird die Stabilität des Komplexes verringert und eine Freisetzung von Eisen, vermutlich unter Reduktion zum labileren Fe2C-Komplex, kann erfolgen.

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Abb. 5.5 Der Eisentransport mithilfe des Proteins Transferrin. (a) Schematische Darstellung der Aufnahme des Proteins durch rezeptorvermittelte Endocytose. (b) Die Struktur des aktiven Zentrums mit koordiniertem Eisen (III). (c) Reaktionsschema der Freisetzung von Fe2C im sauren Milieu eines Endosoms.

Höherentwickelte Organismen verwenden Proteine zum Transport von Eisen. Beim Menschen ist dies das Transferrin, das anhand von Abb. 5.5 besprochen wird. Das metallfreie Protein wird als Apotransferrin bezeichnet. Die Bindung von Eisen (III)-Ionen erfolgt wiederum vorwiegend über anionische Sauerstoffdonoren. Zwei Phenolatoliganden werden von Tyrosin-Seitenketten zur Verfügung gestellt, eine Carboxylatfunktion von einem Aspartatrest. Das Protein stellt außerdem noch die Imidazolgruppe einer Histidin-Seitenkette zur Verfügung. Ungewöhnlich ist die zweizähnige Koordination eines Carbonatoliganden, der eine wichtige Rolle bei der Freisetzung von Eisen aus dem Transporter spielt, wie wir später sehen werden. Es resultiert ein stabiler, oktaedrischer Komplex, der auf eine bisher noch nicht besprochene Art von der Zelle aufgenommen wird. Transferrin bindet nämlich an einen Rezeptor in der Zellmembran und wird über einen Prozess internalisiert, den man als rezeptorvermittelte Endozytose bezeichnet. Dabei stülpt sich die Zellmembran ein und es bildet sich ein Bläschen, das Endosom, das das Protein einschließt. Protonenpumpen in der Endosomen-

5.2 Transport und Speicherung von Metallionen

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membran sorgen dafür, dass der pH-Wert im Inneren auf ca. 5.5 abgesenkt wird. Unter diesen Bedingungen wird der Carbonatoligand protoniert und freigesetzt. Wir werden bei der Besprechung des Kupfer (II)-Transports sehen, dass die Protonierung von Proteinliganden ein allgemeines Mittel zur Mobilisierung von Metallionen ist. Vermutlich wird das Eisen (III)-Ion in Transferrin auch noch zu Fe2C reduziert, um die Übertragung weiter zu erleichtern. Freie Eisenionen kommen in der Zelle so gut wie nicht vor. Es existiert ein weiteres Protein, NRAMP-2, für den Transport aus dem Endosom ins Cytosol, wo andere Carrier oder Proteine das Eisen übernehmen. Etwa 75 % des Eisens findet sich beim Menschen schließlich im Hämoglobin, 3 % im Myoglobin der Muskeln. Geringe Mengen entfallen auf andere Proteine wie Katalase oder die verschiedenen Cytochrome. Ein bedeutsamer Teil, ca. 16 %, wird in der Leber gespeichert. Dazu dient ein ungewöhnliches Protein, das Ferritin. Apoferritin, das noch kein Eisen aufgenommen hat, besteht aus 24 gleichen Untereinheiten mit jeweils 163 Aminosäureresten, die so zusammengesetzt sind, dass sie einen Hohlraum mit einem Durchmesser von ca. 80 Å einschließen. In diesem Hohlraum finden ca. 4500 Eisen (III)-Zentren Platz. Wie sie vom Protein aufgenommen werden, ist nicht endgültig geklärt. Vermutlich gelangt Eisen in der Oxidationsstufe CII ins Innere und wird dort gemäß der in Abb. 5.6 angegebenen Reaktionsgleichung oxidiert. Gespeichert werden Eisen (III)-Ionen im Ferritin in Form eines Oxohydroxophosphats der Zusammensetzung [FeO (OH)]8 [FeO (H2PO4)], das mit Rost verwandt ist. Eine Kristallstrukturanalyse wurde bisher nicht durchgeführt, jedoch schließt man aus EXAFS-Untersuchungen, dass es sich um eine Schichtstruktur handelt, in der die Eisenzentren die Oktaederlücken dicht gepackter Oxo- und Hydroxoionen besetzen. In Abb. 5.6 ist auch ein Ausschnitt einer solchen Struktur gezeigt, um die Anordnung zu verdeutlichen. Der Eisenkern des Ferritins ist ein Beispiel für den magnetischen Superaustausch zwischen paramagnetischen high-spin-Eisen (III)-Ionen über diamagnetische Oxo-Brücken (s. Abschnitt 2.7.5). Das magnetische Moment µeff von 3.85 Bohr’schen Magnetonen ist kleiner, als man es für einen Zustand mit einer Spinquantenzahl S Z 5.2 erwarten würde.

Abb. 5.6 Eine mögliche Reaktionsgleichung für die Bildung des Ferritinkerns und die schematische Darstellung der Anordnung von oktaedrisch sauerstoffkoordinierten Eisen (III)-Ionen.

Aufnahme und Speicherung von Eisen werden mit Hilfe eines Proteins reguliert, das an die gleiche Erkennungssequenz in der Messenger-RNA für die Synthese von Transferrin und Ferritin bindet. In Abb. 5.7 ist dies schematisch darge-

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Abb. 5.7 Schematische Darstellung der Regulation des Eisentransports durch das iron responsive element binding protein (IRE-BP). (a) IRE-BP enthält einen Eisen-SchwefelCluster, der eine freie Bindungsstelle für ein Eisen (II)-Ion besitzt. (b) Ohne Eisen (II)Ionen, also bei einem Eisenmangel, hat IRE-BP eine hohe Affinität für das IRE der mRNA und bindet. Dadurch wird die Transferrin-mRNA aktiviert, die Ferritin-mRNA jedoch inaktiviert: Transferrin wird gebildet, Ferritin nicht. Bei einem Eisenüberschuss ist es umgekehrt: IRE-BP hat eine geringe Affinität und dissoziiert vom IRE ab. Transferrin wird nicht mehr gebildet, dafür aber das Eisenspeicherprotein Ferritin. So wird erreicht, dass bei Eisenmangel die Aufnahme, bei Eisenüberschuss die Eisenspeicherung vermehrt ablaufen.

stellt. Die Erkennungsstelle in der mRNA wird als „iron responsive element“ bezeichnet, das daran bindende Protein als „IRE binding protein“ (IRE-BP). Das IRE-BP hat eine hohe Affinität zum Rezeptor, solange keine freien Fe2CIonen zugegen sind. Dies wirkt sich so aus, dass die Transferrin-Biosynthese stimuliert, die Bildung von Ferritin dagegen gehemmt wird. So wird im Falle eines Eisenmangels die Aufnahme verstärkt, während die Speicherung eingestellt wird. Binden freie Eisen (II)-Ionen an das Protein, dann verringert sich seine Affinität zum IRE, und es kommt zur Dissoziation. Dieses Signal führt dazu, dass der Transport eingestellt, also kein neues Transferrin gebildet wird, während die Zelle beginnt, Ferritin zu synthetisieren. Auf diese Weise wird durch das gleiche Signal ein fein abgestimmtes Gleichgewicht zwischen Eisentransport und Eisenspeicherung aufrecht erhalten. Aus koordinationschemischer Sicht ist die Fe2C-Bin-

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dungsstelle des IRE-BP besonders interessant. Es handelt sich dabei um einen Eisen-Schwefel-Cluster. Diese wichtigen Kofaktoren werden uns später noch bei der Besprechung von Elektronentransfer-Proteinen begegnen. Ihr Charakteristikum sind Eisen (II.III)-Ionen, die durch Sulfid (S2K) Liganden verbrückt werden. Der Eisen-Schwefel-Cluster im IRE-BP enthält 3 Eisen (III)- und 4 Sulfidionen ([3 Fe 4 S]-Cluster). Dadurch entsteht ein Würfel, dem eine Ecke fehlt. Dies ist die Bindungsstelle, die ein freies Eisen (II)-Ion besetzt. Das vierte Metallion ist labil gebunden und dissoziiert bei Eisenmangel wieder ab. Verankert ist der Cluster im Protein durch drei Cystein-Thiolatfunktionen, die an die 3 nicht austauschbaren Eisen (III)-Ionen koordiniert sind. Den gleichen [3 Fe 4 S]-Cluster wie im IRE-BP findet man auch in einem ganz anderen Protein, der Aconitase. Dieses Enzym spielt eine wichtige Rolle im Zitronensäurezyklus, der Drehscheibe des Zellstoffwechsels. Es wird aktiviert, wenn im oben beschriebenen Sinn ein Eisen (II)-Ion die offene Ecke besetzt und daraufhin eine katalytische Funktion wahrnehmen kann. Die katalysierte Reaktion ist die in Abb. 5.8 dargestellte Abspaltung von Wasser aus Citrat. Dabei entsteht Aconitat, das wiederum Wasser anlagert, wobei sich Isocitrat bildet. Vom Isocitratkomplex der Aconitase wurde eine Kristallstrukturanalyse durchgeführt, sodass die abgebildete Struktur als gesichert anzunehmen ist. Dass der gleiche Eisen-Schwefel-Cluster in zwei Proteinen mit ganz unterschiedlichen Aufgaben auftritt, ist ein schönes Beispiel für die Sparsamkeit biologischer Systeme. Lippard hat für solche Komplexe, die in Abhängigkeit von ihrer lokalen biologischen Umgebung verschiedene Rollen spielen können, den Begriff „Bioanorganische Chips“ geprägt. Obwohl sich diese Bezeichnung nicht durchgesetzt hat, drückt sie doch einen Sachverhalt aus, der uns im Zusammenhang mit Häm- und EisenSchwefel-Proteinen noch öfter begegnen wird.

Abb. 5.8 Struktur des Eisenclusters in der Aconitase. Hier ist das gleiche Strukturelement katalytisch aktiv, das man auch im IRE-BP findet. Die Reaktion ist ebenfalls dargestellt. Es handelt sich um einen Schritt im Zitronensäurezyklus, der als „Drehscheibe des Stoffwechsels“ eine zentrale Rolle in der Biochemie einnimmt.

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5.2.2.2 Kupfer Kupfer ist mit ca. 150 mg Vorkommen in erwachsenen Menschen ein Spurenelement, das aber dennoch eine lebenswichtige Bedeutung hat. Es ist nämlich am letzten Schritt der Atmungskette, der Reduktion von Sauerstoff zu Wasser durch die Cytochrom-c-Oxidase beteiligt. Resorbiert werden Kupferionen im Dünndarm, wobei der erste Bindungspartner zu einer sehr wichtigen Klasse von Transportproteinen gehört, den Metallothioneinen. Diese Proteine enthalten viele Cysteinato-Liganden, die mit ihren weichen Schwefeldonoren bevorzugt an Metallionen wie Hg2C, Cd2C und CuC, aber auch Zn2C binden. In der Leber dienen sie vor allem der Entgiftung von Schwermetallen; hier begegnen sie uns als Transporter von Kupfer (I)-Ionen. Weil die Cadmium (II)-Bindung mittels 113Cd-NMRSpektroskopie und Röntgenbeugung besonders gut untersucht wurde, sind in Abb. 5.9 neben einem Ausschnitt der Proteinsequenz die beiden typischen Bindungsweisen dieses Metallions exemplarisch dargestellt. Insgesamt kann Säugetier-Metallothionein durch terminale und verbrückende Thiolatfunktionen sieben Ionen in einer tetraedrischen Umgebung binden. Die beiden dabei gebildeten Metall-Schwefel-Cluster werden als α- und β-Cluster bezeichnet.

Abb. 5.9 Darstellung der cysteinreichen Peptidsequenz von Metallothionein (X bedeutet eine andere Aminosäure als Cystein) und von zwei charakteristischen Cadmiumkomplexen, deren Strukturen bekannt sind. Thiolatfunktionen können terminal oder verbrückend koordinieren. Beide Möglichkeiten sind in Metallothioneinen realisiert.

Der Kupfer-Stoffwechsel ist durch einen häufigen Wechsel der Oxidationsstufe zwischen C1 und C2 gekennzeichnet, wobei die Redoxpartner meist nicht bekannt sind; wir weisen hier auf diese Tatsache hin, um Verwirrung zu vermeiden. Im Metallothionein wird CuC gebunden, der weitere Transport im Blut zur Leber erfolgt in Form von Cu2C durch das Protein Serumalbumin. Die Koordination an Albumin erfolgt auf eine Weise, die charakteristisch für Peptidkomplexe des Kupfers ist. Abbildung 5.10 zeigt den Komplex eines Modellpeptids, das der Bindungsstelle im Protein nachempfunden ist. Bei neutralem pH führt die Bindung von Kupfer (II)-Ionen zu einer Deprotonierung des Peptid-Rückgrats. Zwei anio-

5.2 Transport und Speicherung von Metallionen

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Abb. 5.10 Komplexbildung eines Modellpeptids für Serumalbumin mit Kupfer (II)-Ionen. Charakteristisch für Kupfer ist die Deprotonierung von Amidfunktionen im Peptidrückgrat, das anschließend über die amidischen Stickstoffatome koordiniert. Protonierung im schwach sauren Milieu führt zur Freisetzung der Metallionen. Dieser Mechanismus ähnelt der Aufnahme von Eisen und wurde auch für andere kupferbindende Proteine beobachtet, darunter auch die im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen bekannt gewordenen Prionen.

nische Amidstickstoffdonoren stehen dadurch für eine Bindung in der tetragonalen Ebene einer pyramidalen Anordnung zur Verfügung. Eine weitere Koordinationsstelle wird durch den Imidazolliganden eines Histidinbausteins besetzt. Diese drei Donorfunktionen sind wichtig und treten im Zusammenhang mit biologisch relevanten Kupferkomplexen häufig auf. Im Modellkomplex binden außerdem noch die N-terminale Aminfunktion und die Carboxylatfunktion eines Asparaginsäure-Bausteins. Interessant ist ein Vergleich mit dem Transferrin, bei dem die Protonierung eines Carbonatoliganden zur Freisetzung des transportierten Eisen (III)-Ions führt. Auch der Kupferkomplex des Albumins wird im schwach sauren Medium destabilisiert. Bei pH z 6 werden die beiden Amidfunktionen protoniert und das Kupfer (II)-Ion freigesetzt. Die besondere Vorliebe von Kupfer (II)-Ionen für peptidische Stickstoffdonoren wird gelegentlich als „Azaphilie“ bezeichnet und unterscheidet Kupfer von allen anderen biologisch relevanten Metallionen. Lediglich Nickel (II)-Komplexe zeigen noch eine, allerdings schwächere, Tendenz zur Deprotonierung der Peptidbindung. Der am Beispiel des Albumins diskutierte Koordinationsmodus ist deshalb hochselektiv. Zur Illustration der Azaphilie von Kupfer sind in Abb. 5.11 noch zwei sehr schöne synthetische Beispiele für den Unterschied zwischen Kupfer und Zink gezeigt. Maslak et al. haben bei Untersuchungen mit dem Liganden N-Picolylharnstoff gefunden, dass ZnCl2 an das Carbonylsauerstoffatom bindet, während CuCl2 die Koordination von zwei Stickstoffdonoren bevorzugt. Freie Kupferionen sind für Zellen toxisch, weshalb ihre Konzentration im Cytoplasma kleiner als ca. 10K18 M gehalten wird. Um dies zu gewährleisten, existieren Transportproteine, so genannte Kupfer-Metallochaperone, die Kupfer binden und hochspezifisch an andere Bindungspartner weitergeben. Chaperon ist der englische Ausdruck für die aus der Mode gekommene Anstandsdame, und tatsächlich sorgt ein Metallochaperon dafür, dass keine unerwünschten Reaktionen durch freie Metallionen auftreten. Der Begriff ist allerdings nicht ganz unproblematisch, weil bereits eine andere Klasse von Proteinen als Chaperone bezeichnet

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Abb. 5.11 ZnCl2- und CuCl2-Komplexe des Liganden N-Picolylharnstoff. Zink bevorzugt die Sauerstoffkoordination und bindet an das Carbonylsauerstoffatom. Kupfer dagegen koordiniert aufgrund seiner Azaphilie an das nicht deprotonierte sekundäre Stickstoffatom der Harnstoffeinheit (P. Maslak, J. J. Sczepanski, M. Parvez, J. Am. Chem. Soc. 1991, 113, 1062).

wird. Sie haben mit Metallionen nichts zu tun und sind für die korrekte Faltung von Proteinen notwendig. Ein vereinfachtes Schema des cytosolischen Kupfertransports in einer Leberzelle ist in Abb. 5.12 dargestellt. Man erkennt, dass Kupfer (II)-Ionen aus dem Blut zunächst reduziert und in Form von CuC durch eine ATPase, CTR1, in die Zelle gepumpt werden. Dort übernehmen verschiedene Metallochaperone den weiteren Transport. Cox17 versorgt die Cytochrom-c-Oxidase in den Mitochondrien, CCS ist für den Einbau von Kupfer in die Superoxid-Dismutase zuständig. Näher besprechen wollen wir später Atox1, das den Transport zur Wilson-ATPase in der Golgi-Membran übernimmt. Im Golgi-Apparat werden viele Proteine so modifiziert, dass sie ihre Funktion übernehmen können. Dort wird der größte Teil des Kupfers in Caeruloplasmin eingebaut. Dieses Protein enthält in der aktiven Holo-Form sechs Kupferionen. Es wird ins Plasma exportiert und ist dort höchstwahrscheinlich mit der Oxidation von Fe2C am Eisentransport durch Transferrin beteiligt. Darüber hinaus fungiert es vermutlich als Speicher. Schließlich werden überschüssige Kupferionen von Metallothionein gebunden und über die Galle ausgeschieden. Als spezielles Beispiel für ein Metallochaperon wird im Folgenden Atox1 näher besprochen. Das Protein bindet Kupfer (I), aber auch andere weiche Metallionen wie Hg2C oder Pb2C. Die Bindungsstelle ist die häufig anzutreffende Sequenz CysdXdXdCys, in der zwei Cysteinbausteine durch zwei andere Aminosäuren getrennt sind. Auf diese Weise ist eine zweifache, lineare Koordination von Metallionen durch die beiden Thiolat-Schwefeldonoren möglich, die für Hg2C nachgewiesen wurde. Im Falle von Kupfer (I) zeigte eine Röntgenstrukturuntersuchung allerdings die Bindung von zwei Atox1-Molekülen, woraus eine für CuC häufig anzutreffende tetraedrische Anordnung mit vier RSK-Donoren resultiert. Beide Strukturen sind in Abb. 5.13 gezeigt. Ebenfalls dargestellt ist die Übertragung von Kupfer (I)-Ionen auf die Wilson-ATPase, die eine analoge Bindungssequenz enthält. Das derzeit favorisierte Modell geht davon aus, dass CuC invivo analog zur Hg2C-Struktur von einem Carriermolekül linear zweifach koordiniert wird. Die Koordinationssphäre wird zunächst durch eine Thiolatfunktion der ATPase erweitert. Eine geringfügige Strukturänderung ermöglicht nun die Bindung der zweiten Cysteinatogruppe der Pumpe, während eine der beiden Bindungen zu Atox1 aufbricht. Schließlich dissoziiert das Transportprotein und Kupfer (I) verbleibt zweifach koordiniert an der ATPase, die anschließend wie-

5.2 Transport und Speicherung von Metallionen

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Abb. 5.12 Schematische Darstellung des Kupferstoffwechsels in einer Leberzelle. Kupfer (II)-Ionen im Blut werden zunächst reduziert und dann von einer ATP-getriebenen Pumpe ins Zellinnere befördert. Dort übernehmen Transportproteine, die Metallochaperone Cox17, Atox1 und CCS, die Verteilung auf verschiedene Kompartimente der Zelle. Überschüssiges Kupfer wird von Metallothionein gebunden und über die Galle ausgeschieden. In den Mitochondrien wird Kupfer für die Funktion der Cytochrom-c-Oxidase in der Atmungskette benötigt. Im Cytosol gibt es die Kupfer-Zink-Superoxiddismutase, die später noch genauer besprochen wird. Atox1 transportiert Kupfer (I)-Ionen zur Wilson-ATPase, die Kupfer in den Golgiapparat pumpt. Dort werden Cu2C-Ionen für die abschließende Aktivierung des Proteins Caeruloplasmin benötigt. Das Holo-Caeruloplasmin wird verkapselt und aus der Zelle in den Blutkreislauf geschleust.

derum durch Strukturänderungen den Transport ins Innere des Golgi-Apparats übernimmt. Zwei gravierende Störungen des Kupfer-Stoffwechsels sind bekannt, die Wilson-Erkrankung und das Menke-Syndrom. Beim Morbus-Wilson ist die erwähnte gleichnamige ATPase entweder defekt oder gar nicht vorhanden. Es wird dann Kupfer in der Leber angereichert, was ab etwa einem Lebensalter von 6 Jahren zu schweren Schäden führt. Weil die nekrotischen Leberzellen Kupfer ins Blut abgeben, kommt es darüber hinaus auch zu Schäden an anderen Organen. Besonders betroffen ist das Gehirn, was zu vielfältigen neurologischen und psychiatrischen Symptomen führt, die von Sprachstörungen über starkes Zittern bis zur Unfähigkeit, selbst zu essen und zu trinken, sowie zu Depressionen, Paranoia und Halluzinationen reichen. Im Darm existiert eine strukturell weitgehend

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Abb. 5.13 Kupfertransport mithilfe des Metallochaperons Atox1. (a) Ein Vorschlag für den Mechanismus: Kupfer (I)-Ionen werden linear zweifach an Cysteinatoliganden gebunden. Die ATPase besitzt eine analoge Bindungsstelle, es erfolgt eine schrittweise Übertragung des Metallions bei gleichzeitigem Transfer von Protonen. Eine ATP-getriebene Strukturänderung der Pumpe führt schließlich zur Internalisierung des Metallions in den GolgiApparat (nicht gezeigt). (b) Strukturuntersuchungen an Atox1-Komplexen haben ergeben, dass Kupfer (I)-Ionen unter Laborbedingungen von zwei Proteinen koordiniert werden, wobei sich die typische tetraedrische Koordinationssphäre bildet. Quecksilber (II)-Ionen werden dagegen so koordiniert, wie man es im Rahmen des oben beschriebenen Mechanismus auch für Kupfer (I) vermutet.

homologe ATPase, die für die Resorption von Kupfer verantwortlich ist. Beim Menke-Syndrom liegt der Defekt an dieser Stelle; die Folgen sind noch dramatischer. Wird zu wenig Kupfer aufgenommen, ist die Funktion wichtiger Enzyme wie der Cytochrom-c-Oxidase, Tyrosinase oder Dopamin-β-Hydroxylase gestört. Es kommt zu schwersten neurodegenerativen Prozessen mit psychomotorischen Störungen, sowie zu Bindegewebsanomalien. Die Patienten sterben meist bereits, bevor sie das dritte Lebensjahr erreicht haben. Die Behandlung von Wilsons-Erkrankung erfolgt mit Chelatbildnern, die die Akkumulation von toxischen Kupferionen im Körper verhindern. Beispiele sind D-Penicillamin und Triethylendiamin (Tren). Auch die Gabe von hohen ZinkDosen, die zu einer vermehrten Bildung von körpereigenen Metallothioneinen führen, hat sich therapeutisch bewährt. Das Menke-Syndrom ist dagegen sehr viel schwieriger zu behandeln, weil ein künstliches Transportsystem für Kupfer weitaus höhere Anforderungen stellt, als die irreversible Komplexierung von Metallionen zur Ausscheidung. Die besten Erfolge wurden bisher mit der Gabe von Histidinkupfer (II) erzielt. Allerdings bleiben die Patienten schwer behindert. Eine normale körperliche und geistige Entwicklung kann bisher nicht erreicht werden.

5.3 Kalium, Natrium und Calcium: Signalübertragung und biologische Schalter

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5.3 Kalium, Natrium und Calcium: Signalübertragung und biologische Schalter 5.3.1 Überlegungen zur Steuerung von biologischen Prozessen Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Bedeutung von Alkali- und ErdalkaliIonen für die Steuerung von biologischen Prozessen. Dabei muss zwischen zwei Steuerungsmechanismen unterschieden werden. Zum einen gibt es die Übertragung von Signalen z. B. bei der Nervenleitung. Dabei sollte die Geschwindigkeit der Ausbreitung eines Impulses möglichst hoch sein. Im Axon einer Nervenzelle beträgt sie bis zu 150 m.s! Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass ein einzelner Impuls möglichst kurz dauert und eine schnelle Relaxation gewährleistet ist. Zum anderen gibt es biologische Schalter, die einen komplexen Prozess auslösen, z. B. die Kontraktion eines Muskels. Grundlage solcher Schalter sind häufig Strukturänderungen in Proteinen, die innerhalb von ungefähr einer Millisekunde ablaufen. Damit die Auslösung schnell erfolgen kann, sollte ein Signalmolekül oder -ion möglichst ohne Verzögerung binden und dann ca. 10K3 Sekunden im gebundenen Zustand bleiben, bis der Schaltvorgang abgeschlossen ist. Die Stabilitätskonstante für die Bindung eines Metallions an ein Protein gibt das Verhältnis zwischen den Geschwindigkeitskonstanten für die Bildung und die Dissoziation des Komplexes an. K Z kon .koff Im Fall der Ionen NaC, KC und Ca2C kann man davon ausgehen, dass kon am Diffusionslimit, d. h. bei mindestens 109 sK1 liegt. Die beiden Alkalimetallionen bilden zudem im Normalfall kinetisch äußerst labile Komplexe, bei denen koff größer als 106 sK1 (K ! 103) ist. Sie sind deshalb prädestiniert für eine Funktion als elektrolytische Signalüberträger und spielen eine Schlüsselrolle bei der Nervenleitung. Biologische Calciumkomplexe weisen dagegen größere Stabilitätskonstanten auf, K z 106. Das bedeutet, dass die Dissoziationsrate koff in der Größenordnung von etwa 103 sK1 liegt. Calciumionen sind deshalb ideale Kandidaten für die Auslösung biologischer Schalter. In Tabelle 5.2 sind die Daten noch einmal übersichtlich zusammengestellt. Zum Vergleich wurde das Magnesium (II)-Ion mit aufgenommen. Man erkennt, dass die Reaktionsgeschwindigkeiten in beide Richtungen relativ niedrig sind. Die Unterschiede liegen im kleinen Radius von 0.6 Å und der damit zusammenhängenden hohen Ladungsdichte der

Tabelle 5.2 Idealisierte Geschwindigkeits- und Gleichgewichtskonstanten biologisch relevanter Alkali- und Erdalkali-Ionen. Ion

kon . sK1

koff . sK1 K

biologische Funktion

NaC, KC Ca2C Mg2C

O 109 109 105

O 106 103 102

Signalübertragung Auslösen von Schaltern Stabilisierung der Struktur von Phosphaten

! 103 106 103

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Mg2C-Ionen begründet. Mg2C-Ionen sind mit einer Konzentration von ca. 10K3 M in Zellen recht häufig. Sie sind die bevorzugten Bindungspartner von hochgeladenen Oxo-Anionen wie dem Polyphosphat im ATP 4K. Als Signalüberträger eignen sie sich jedoch deutlich weniger als Ca2C.

5.3.2 Grundlagen der Nervenleitung Um zu verstehen, wie ein elektrischer Impuls durch das Axon einer Nervenzelle übertragen wird, ist es zunächst wichtig, das Membranpotential einer solchen Zelle im Ruhezustand zu betrachten. In Abb. 5.14 sind die dafür notwendigen Grundlagen dargestellt. Zunächst wird durch eine Ionenpumpe, die NaC.KCATPase, ein Konzentrationsgradient erzeugt. Unter ATP-Verbrauch werden 3 NaC-Ionen aus der Zelle hinaus und 2 KC-Ionen in das Cytosol hinein transportiert. Die NaC-Konzentration wird dadurch außen 440 mM, die KC-Konzentration 20 mM. Innen findet man 50 mM NaC und 400 mM KC. Im Zellinneren befinden sich sehr viele negativ geladene organische Ionen, z. B. in den Seitenketten von Proteinen. Außen gleichen hauptsächlich Chloridionen die Ladungen aus. Der entscheidende Schritt besteht nun darin, dass es in der Zellmembran Kaliumkanäle gibt, die eine nahezu ungehinderte Diffusion von KC-Ionen ermöglichen. Die Konsequenz ist, dass Kaliumionen entlang ihres Konzentrationsgradienten wandern, also von innen nach außen. Dadurch lädt sich das Cytosol negativ auf, während sich an der Außenseite der Membran ein kleiner Überschuss an Kationen sammelt. Diese Vorgänge laufen ab, bis sich ein Gleichgewicht einstellt. Mit Hilfe der Nernst’schen Gleichung kann man das resultierende Membranpotential berechnen: ∆G Z RT ln ([KC]i . [KC]a) C zF ψM ∆G Z 0 im Gleichgewicht ψM Z (RT.zF ) ln ([KC]a . [KC]i) Dabei sind [KC]i und [KC]a die Kaliumionen-Konzentrationen innen und außen, F ist die Faraday-Konstante, z die Zahl der übertragenen Ladungen pro Kaliumion, R die molare Gaskonstante, T die Temperatur und ψM das Membranpotential. Einsetzen der Konzentrationen in Abb. 5.14, die für das „Riesenaxon“ (engl. giant axon) eines Tintenfischs gemessen wurden, ergibt bei 25 (C einen Wert von K75 mV. Das Membranpotential hängt dabei nur von einer Ionensorte ab, weil die anderen Ionen nicht frei diffundieren können, sodass sie nicht an der Einstellung des Gleichgewichts beteiligt sind. Dies ändert sich, sobald ein äußerer Reiz an der Nervenzelle zu einer kleinen Veränderung des Ruhepotentials führt. Dadurch werden die in Abb. 5.15 schematisch dargestellten Vorgänge ausgelöst. Es öffnen sich zunächst spannungsabhängige Natriumkanäle, sodass NaC-Ionen von außen in Richtung ihres Gradienten fließen können. Das im Ruhezustand negative Membranpotential wird positiver, die Membran wird depolarisiert. Verstärkt wird der Effekt dadurch, dass sich spannungsabhängige Kaliumkanäle öffnen,

5.3 Kalium, Natrium und Calcium: Signalübertragung und biologische Schalter

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Abb. 5.14 Schematische Darstellung der Einstellung des Ruhepotentials einer Nervenzelle. Eine Pumpe, die Natrium-Kalium-ATPase, transportiert 3 Natriumionen aus dem Zellinneren ins extrazelluläre Medium. Gleichzeitig werden 2 Kaliumionen in die Zelle hineingepumpt. In der Membran gibt es offene Kaliumkanäle, jedoch keine offenen Natriumkanäle. So stellt sich ein Gleichgewicht zwischen den Kaliumkonzentrationen innen und außen ein. Die beiden Konzentrationen gleichen sich nicht aus, weil im Zellinneren negative Ladungen von Proteinen und anderen organischen Anionen ausgeglichen werden müssen. Dafür stehen nur KC-Ionen zur Verfügung, weil im Inneren so gut wie keine NaC-Ionen mehr vorhanden sind. Es kommt zur Ausbildung starker Konzentrationsgradienten sowohl für NaC- als auch für KC-Ionen.

was zu einem Abfließen von KC-Ionen aus dem Cytosol führt. Der Übersichtlichkeit halber sind diese Kaliumkanäle nicht in der Abbildung gezeigt. Insgesamt resultiert ein etwa 1K2 ms dauernder Spannungspuls, das Aktionspotential. Die typische Form eines Aktionspotentials ist ebenfalls in Abb. 5.15 gezeigt. Das Signal breitet sich nun entlang des Axons aus, indem NaC-Ionen in benachbarte Bereiche wandern, was wiederum zur Öffnung spannungsabhängiger Natriumkanäle führt. Am synaptischen Ende angelangt, wird der Nervenimpuls in ein chemisches Signal umgewandelt. Dies geschieht dadurch, dass zunächst Calciumkanäle geöffnet werden, sodass die cytosolische Ca2C-Ionenkonzentration stark ansteigt. Die Calciumionen stimulieren die Ausschüttung von Neurotransmittern wie z. B. Acetylcholin, Glutamat, Glycin oder γ-Aminobuttersäure (GABA) aus. Diese wandern durch den synaptischen Spalt und lösen durch die Bindung an entsprechende Rezeptoren ihrerseits neue Signalkaskaden aus.

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Abb. 5.15 (a) Schematische Darstellung einer Nervenzelle (mit freundlicher Genehmigung aus B. Alberts, A. Johnson, J. Lewis, M. Raff, K. Roberts, P. Walter, Molecular Biology of the Cell, 4th Ed., Garland Science 2002, S. 638.). (b) Die Abläufe, die zur Entstehung und Ausbreitung eines Aktionspotentials führen: Ein spannungsabhängiger Natriumkanal öffnet sich, Natriumionen fließen in die Zelle und gleichen das im Ruhezustand negative Membranpotential aus (Depolarisation). Durch die resultierende Spannungsänderung öffnen sich benachbarte Kanäle. (c) Typische Form eines Aktionspotentials. Das Ruhepotential wird durch den Kaliumionengradienten vorgegeben, es beträgt ca. K60 mV. Durch die Öffnung des Natriumkanals erfolgt eine Depolarisation der Membran. Schließlich wird ein positives Potential erreicht, das jedoch unter dem theoretischen Wert von ca. C55 mV für ein vollständig NaC-bestimmtes liegt. Die Öffnung zusätzlicher spannungsabhängiger Kaliumkanäle und die Aktivität der NaC.KC-ATPase sorgen für eine rasche Repolarisation.

5.3.3 Kaliumkanäle Im vorhergehenden Abschnitt ist die Bedeutung von Ionenkanälen für die Erzeugung von Membranpotentialen deutlich geworden. Wie wichtig diese Rolle ist, drückt sich auch darin aus, dass der Nobelpreis für Chemie 2003 zur Hälfte an Roderick MacKinnon für die Bestimmung der Struktur eines Kaliumkanals vergeben wurde. Drei Eigenschaften sind für die Funktion von Ionenkanälen wichtig: 1. Der Fluss durch den Kanal muss schnell sein, 2. der Kanal muss eine hohe Selektivität für eine bestimmte Ionensorte aufweisen und

5.3 Kalium, Natrium und Calcium: Signalübertragung und biologische Schalter

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3. es muss ein so genannter „Gating-Mechanismus“ existieren, der die Ionenleitung auf einen äußeren Stimulus hin ein- und ausschaltet. Im Folgenden werden die ersten beiden Eigenschaften, schnelle Ionenleitung und Selektivität, genauer besprochen. Zum „Gating“ sei hier nur gesagt, dass die Pore eines Ionenkanals durch ein Bündel von Proteinhelices verschlossen werden kann. Diese „Gating-Domänen“ können Bindungsstellen für Calciumionen oder organische Signalmoleküle enthalten. Die Bindung eines solchen Signalüberträgers an den Rezeptor führt zu einer Strukturänderung, sodass sich die Pore öffnet. Eine Alternative sind spannungsabhängige Kanäle, in denen eine Änderung des Membranpotentials die Ursache der Strukturänderung ist. Kaliumkanäle bestehen aus vier Protein-Untereinheiten, die eine zentrale Pore umschließen. Im geöffneten Zustand lässt der Kanal etwa 107 bis 108 Ionen pro Sekunde passieren! Dabei ist besonders bemerkenswert, dass das kleinere NaCIon praktisch nicht durchgelassen wird. Die strukturellen Grundlagen dieser Eigenschaften sind in Abb. 5.16 schematisch dargestellt. Gezeigt ist ein Querschnitt durch zwei Untereinheiten. Man erkennt in Abb. 5.16a, dass der Selektivitätsfilter eine Engstelle in der Nähe der Membran-Außenseite ist. Die Abmessungen sind auf KC-Ionen (r Z 2.66 Å) abgestimmt. Im Filter binden von jeder Untereinheit vier Carbonyl-Sauerstoffatome des Peptid-Rückgrats und die OH-Gruppe in der Seitenkette eines Threoninbausteins an das Kaliumion. In Abb. 5.16b ist die

Abb. 5.16 Schematische Struktur eines Kaliumkanals. (a) Einbettung in die Lipid-Doppelschicht. Der Kanal besteht aus vier Untereinheiten, von denen zwei dargestellt sind. Im oberen Bereich befindet sich der Selektivitätsfilter. Zwei Helices sind eingezeichnet, die Aufgrund ihrer dipolaren Eigenschaften den Durchtritt durch den Filter beschleunigen. (b) Darstellung der Kaliumkoordination im Selektivitätsfilter. Die Bindungsstellen sind Sauerstoffatome der Carbonylgruppen des Peptidrückgrats, sowie OH-Seitenkettenfunktionen von Threonin. (c) In der Kristallstruktur wurde ein [K (H2O)8]C-Ion charakterisiert, dessen quadratisch antiprismatische Struktur der Koordinationssphäre im Filter entspricht.

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resultierende quadratisch antiprismatische Koordination gezeigt, die die Hydrathülle perfekt nachbildet. Dies wird besonders deutlich, weil in dem größeren Hohlraum unterhalb des Filters ein hydratisiertes [K (H2O)8]C-Ion gefunden wurde. NaC-Ionen sind mit einem Ionenradius von nur 1.90 Å zu klein für eine Koordination im Filter, sodass die für eine Ionenleitung notwendige Dehydratisierungsenergie nicht aufgebracht werden kann. Dies ist die Grundlage der Selektivität. Die hohe Leitfähigkeit beruht auf der kinetischen Labilität der hydrathüllenartigen Koordination. In Abb. 5.16b ist gezeigt, dass vier Bindungsstellen im Filter existieren. Tatsächlich ist davon jeweils nur jede zweite besetzt. Die beiden Ionen werden synchron durchgereicht und in den größeren Hohlraum transportiert. Dies wird zusätzlich dadurch erleichtert, dass in jeder Untereinheit ein Helixelement einen elektrischen Dipol bildet, dessen positives Ende auf der Außenseite der Membran liegt und dessen negativer Pol sich am Ausgang des Filters befindet. Dadurch entsteht ein Feldgradient, der den Transport begünstigt.

5.3.4 Calciumionen als intrazelluläre Signalübermittler Die Rolle von Ca2C-Ionen als Signalübermittler kann schwerlich überschätzt werden. Drei Beispiele sollen dies erläutern: 1. In Eizellen ist es ein plötzlicher Anstieg der cytosolischen Calciumkonzentration, der die Embryonalentwicklung einleitet. 2. Calciumionen lösen die Kontraktion von Muskeln aus. 3. In sekretorischen Zellen, einschließlich Nervenzellen, gibt Ca2C das Signal zur Sekretion. Die Basis für die Funktion von Calciumionen ist der große Konzentrationsgradient zwischen dem extrazellulären Medium mit seiner hohen Ca2C-Ionenkonzentration von 10K3 M und dem Cytosol, in dem die Konzentration lediglich 10K7 M beträgt. Wenn sich Calciumkanäle auf ein Signal hin öffnen, fluten Ca2C-Ionen in die Zelle und ihre Konzentration im Cytosol steigt schlagartig auf das 10- bis 20fache. Dies führt zur Aktivierung von calciumabhängigen Proteinen. Die niedrige Ausgangskonzentration wird schließlich durch ATPasen wieder hergestellt, die Ca2C gegen den Gradienten aus der Zelle pumpen. Als typisches Beispiel für die signalgebende Wirkung von Calciumionen sei die Calmodulin-Familie besprochen. Dabei handelt es sich um evolutionsgeschichtlich sehr alte Proteine, die in allen eukaryotischen Zellen (Zellen mit einem Zellkern) vorkommen. Abbildung 5.17 zeigt eine schematische Darstellung ihrer Struktur und Funktion. Calmoduline sind monomere Proteine aus ca. 150 Aminosäuren. Sie enthalten als wichtige Strukturelemente eine zentrale Helix und vier Ca2C-Bindungsstellen, je zwei am C- und am N-Terminus. Alle CalciumBindungsstellen weisen ein für Ca2C-bindende Proteine typisches Motiv auf, die EF-Hand. Zwei Helices, als E und F bezeichnet, sind dabei durch eine Schleife verbunden, in der saure Aminosäuren und das Peptid-Rückgrat Carbonyl- und Carboxylatfunktionen für die Koordination zur Verfügung stellen. Die Bezeichnung EF-Hand rührt daher, dass die F-Helix durch den Daumen, die E-Helix

5.3 Kalium, Natrium und Calcium: Signalübertragung und biologische Schalter

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Abb. 5.17 (a) Schematische Darstellung der Struktur von Calmodulin: Zwei Metallbindungsdomänen, die jeweils zwei Calciumionen aufnehmen können, werden durch eine Helix verknüpft. (b) EF-Hand: Die Calciumbindungsstelle enthält zwei Helices. Wenn der Zeigefinger der rechten Hand in Richtung der E-Helix, der Daumen in Richtung der FHelix zeigt, halten die verbliebenen Finger das Metallion fest. Die Struktur der ersten Koordinationssphäre ist gezeigt. Sie enthält, wie nicht anders zu erwarten, ausschließlich harte Sauerstoffdonoren. (c) Calmodulin aktiviert andere Proteine dadurch, dass es an sie bindet und so Strukturänderungen hervorruft.

durch den ausgestreckten Zeigefinger der rechten Hand dargestellt werden können. Die drei verbleibenden Finger umfassen dann das Metallion. Für die Funktion von Calmodulin ist es notwendig, dass das Protein zwischen Calcium und dem in der Zelle häufigen Magnesium unterscheiden kann. Dies wird durch die Koordinationssphäre gewährleistet. Insgesamt ist das Ca2C-Ion siebenfach koordiniert, wobei eine Position durch ein Wassermolekül besetzt wird. Die Bindung von vier Calciumionen ermöglicht dem Calmodulin eine Konformationsänderung. Es kann dadurch eine enge Wechselwirkung mit anderen Proteinen eingehen und diese so aktivieren. Viele calciumabhängige Signale werden durch Proteinkinasen (CaM-Kinasen) vermittelt, die ihrerseits durch Calmodulin aktiviert werden und dann andere Proteine phosphorylieren. Die Dissoziation der Calciumionen führt dazu, dass der Calmodulin-Kinase-Komplex aufgelöst und die Kinase inaktiviert wird.

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5.4 Zink: Lewis-saure Katalyse und strukturgebende Funktion 5.4.1 Allgemeiner Überblick Zink ist ein essentielles Element für alle Lebensformen. Der menschliche Körper enthält etwa 3 g, was Zink dort zum zweithäufigsten Übergangsmetall nach dem Eisen macht. Mangelerscheinungen reichen von Hautschäden über Zwergwuchs zu einer verzögerten sexuellen Entwicklung. Etwa dreihundert Metalloenzyme benötigen Zn2C-Ionen. Darunter sind Vertreter aus allen sechs fundamentalen Klassen: Oxidoreduktasen, Transferasen, Hydrolasen, Lyasen, Isomerasen und Ligasen. Dabei können Zinkionen entweder eine katalytische Funktion erfüllen, wie etwa in der Carboanhydrase, oder ein wesentlicher strukturstabilisierender Faktor sein, z. B. in den Zinkfingern von DNA-bindenden Transkriptionsfaktoren. Die große Bedeutung des Zinks liegt offenbar in seiner Vielseitigkeit. Diese hängt eng mit den grundlegenden Eigenschaften des Zn2C-Ions zusammen. Sein Ionenradius ist mit 0.74 Å (KZ Z 4) bis 0.88 Å (KZ Z 6) nicht viel größer als der von Mg2C (KZ Z 4: 0.71 Å; KZ Z 6: 0.86 Å). Jedoch ist das Ionisierungspotential (M.M2C) des Zinks mit ca. 1 700 kJ.mol deutlich größer als das des Magnesiums mit ca. 1 400 kJ.mol. Dies bedeutet, dass Zn2C eine höhere Affinität zu Elektronen besitzt, demzufolge einen „weicheren“ Charakter hat und die deutlich stärkere Lewissäure ist. So erklärt sich auch die ausgeprägte Neigung des Zinkions, stabile Komplexe mit Amin- oder Thiolatliganden einzugehen, was für seine biologische Rolle von großer Bedeutung ist. Unter den zweiwertigen Ionen der ersten Übergangsmetallreihe ist nur das Kupfer eine stärkere, Nickel eine vergleichbar starke Lewis-Säure. Allerdings ist Kupfer im biologischen Milieu redoxaktiv, was eine Rolle in Lewis-sauren Enzymen zwar nicht streng verbietet, aber doch ungünstig erscheinen lässt, weil unerwünschte Nebenreaktionen auftreten können. Das gleiche gilt für eine rein strukturelle Funktion. Darüber hinaus ist es für Reaktionen, bei denen große Strukturänderungen aufgrund der Spaltung und Knüpfung von Bindungen auftreten, günstig, wenn das katalytisch aktive Metallion eine variable Koordinationssphäre besitzt. Dies ist beim Zink (II) der Fall, weil Ligandenfeldeffekte aufgrund seiner d10-Konfiguration keine Rolle spielen. Im Folgenden werden zunächst Proteine besprochen, in denen das Zink eine strukturelle Bedeutung besitzt. Dazu gehören Transkriptionsfaktoren und andere genregulatorische Proteine. Danach werden Enzyme besprochen, in denen Zn2CIonen an der katalytischen Umsetzung von Substraten beteiligt sind.

5.4.2 Strukturgebende Wirkung von Zink Die Übertragung einer DNA-Sequenz in einen komplementären RNA-Strang, die Transkription, ist das Ablesen der Erbinformation. Sie erfordert die Mitwirkung von Transkriptionsfaktoren. Dabei handelt es sich um sequenzspezifische, DNA-bindende Proteine, deren Aufgabe es ist, den richtigen Wirkungsort für die RNA-Polymerase zu markieren und sie bei der Arbeit zu unterstützen. Es gibt

5.4 Zink: Lewis-saure Katalyse und strukturgebende Funktion

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Abb. 5.18 (a) Der tetraedrische Zinkkomplex in Zinkfingerproteinen. Zwei Liganden sind Thiolatfunktionen von Cystein-Seitenketten, zwei sind Imidazol-Stickstoffdonoren aus den Seitenketten von Histidin. (b) Darstellung der Cys-(Xaa)2-Cys- und His-(Xaa)3-HisSequenzen, an die das Metallion bindet. Xaa steht dabei für eine andere Aminosäure im Rückgrat. (c) Durch die Koordination von Zink bildet sich ein charakteristisches Strukturelement, in dem ein Faltblatt neben einer Helix vorliegt. Die Cysteinatoliganden befinden sich in der Faltblattdomäne, die Histidinliganden in der Helix.

eine große Familie von Transkriptionsfaktoren, die als gemeinsames Strukturmotiv Zinkkomplexe, so genannte „Zinkfinger“ besitzen. Abb. 5.18 enthält eine Darstellung. Im Zinkfinger wird eine β-Faltblattstruktur mit einer α-Helix über einen tetraedrischen Komplex verknüpft. Wie fest die Bindung an die DNA erfolgt, wird unter anderem durch die Anzahl der Zinkfinger bestimmt. Es gibt Transkriptionsfaktoren wie TFIIIA aus dem afrikanischen Krallenfrosch Xenopus, der neun solcher Motive enthält und bis zu elf Zinkionen binden kann. ADR1 aus Hefezellen besitzt dagegen nur zwei, Zif268 aus der Maus drei und GLI aus dem Menschen fünf Metallbindungsstellen. Allen Zinkfingern gemeinsam ist die tetraedrische Koordination des Metallions an zwei Cysteinyl-Thiolatoliganden in der Faltblatt-Domäne und zwei Histidyl-Imidazolliganden im helikalen Segment. Neben den Zinkfingerproteinen gibt es noch weitere genregulatorische Proteine, die Zinkkomplexe als strukturstabilisierende Einheiten verwenden. Drei Vertreter sind in Abb. 5.19 gezeigt. Dazu gehört die bedeutende Klasse der Steroidrezeptor-Proteine, die auf ein hormonelles Signal hin an die DNA binden. Sie enthalten ebenfalls tetraedrisch koordinierte Zinkionen, allerdings mit vier gleichartigen Cysteinatoliganden. Das zweite Beispiel sind retrovirale Nucleocapside; Proteine, die das Genom von Retroviren wie HIV einhüllen. Hier bilden drei Cysteinato- und ein Histidinligand die Koordinationssphäre. Schließlich ist ein Transkriptionsfaktor aus der Hefe zu nennen, GAL4, der einen zweikernigen Zinkkomplex mit sechs Cysteinatoliganden enthält, von denen zwei eine verbrückende Position einnehmen. Es resultiert wiederum an jedem Metallion eine tetraedrische Umgebung.

804

5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.19 Tetraedrische Zinkkomplexe als strukturstabilisierende Elemente in anderen DNA-bindenen Proteinen. (a) 4 Cysteinatoliganden liegen in Steroidrezeptor-Proteinen vor. (b) Im Hüllprotein von Retroviren findet man einen Zinkkomplex mit drei Cysteinatound einem Histidinliganden. (c) Der Transkriptionsfaktor GAL4 enthält einen zweikernigen Zinkkomplex mit sechs Cysteinatoliganden, von denen zwei verbrückend wirken.

5.4.3 Zink in Enzymen 5.4.3.1 Enzyme mit einkernigen Zinkkomplexen Im aktiven Zentrum vieler Zinkenzyme befinden sich einfache tetraedrische Komplexe, in denen das Metallion an drei Donoratome aus Peptidseitenketten gebunden ist. Hierfür kommen der Imidazolring von Histidin, die Carboxylatfunktion von Glutaminsäure oder Asparaginsäure sowie die deprotonierte Thiolatfunktion von Cystein in Frage. Verschiedene Kombinationsmöglichkeiten dieser Ligandfunktionen sind in Abb. 5.20 jeweils mit einem konkreten Beispiel zusammengefasst. Die vierte Koordinationsstelle im Tetraeder steht somit für die Bindung eines Substrats zur Verfügung. Häufig ist dies ein Wassermolekül, dem bei der Spaltung von Peptidbindungen eine entscheidende Rolle zukommt. Einige Begriffe in der Abbildung müssen kurz erläutert werden: Endopeptidasen spalten ein Peptid in der Mitte, Exopeptidasen von einem Ende her. Die Carboxypeptidase ist beispielsweise eine Exopeptidase, die C-terminale Aminosäuren mit großen hydrophoben Resten vom Peptid spaltet. Bevorzugt werden dabei aromatische Aminosäuren, insbesondere Phenylalanin.

5.4 Zink: Lewis-saure Katalyse und strukturgebende Funktion

L1

L2

L3

Enzym

His His

His His

His Glu

His His His

His Asp Cys

Cys Cys Cys

Carboanhydrase Carboxypeptidase Thermolysin Bacteriophage T7 Lysozym Farnesyl Protein Transferase Alkohol Dehydrogenase

Cys

Cys

Cys

805

Funktion

H+ + HCO3– Gleichgewicht Co2 + H2O Exopeptidase Endopeptidase Amidbindung in Polysacchariden Alkylierung eines Cysteinyl-Schwefelatoms Oxidation von Alkoholen zu Aldehyden und Ketonen 5-Aminolävulinat Dehydratase Syntese von Porphobilinogen*

* Porphobilinogen: Zwischenprodukte bei der Synthese von Porphyrinen

Abb. 5.20 Tetraedrische Zinkkomplexe in Zinkenzymen. Drei Koordinationsstellen werden von proteinogenen Liganden besetzt. An der vierten Stelle befindet sich ein Wassermolekül. Die wichtigsten Kombinationsmöglichkeiten der 4 möglichen proteinogenen Liganden sind mit einem charakteristischen Beispiel in der Tabelle zusammengefasst.

Abb. 5.21 Die drei alternativen Mechanismen von Zinkenzymen. (a) Das koordinierte Wassermolekül wird aufgrund seines niedrigen pKS-Werts deprotoniert (Beispiel: Carboanhydrase). Es entsteht ein zinkgebundenes Hydroxidion, welches ein gutes Nukleophil ist. (b) Der pKS-Wert des koordinierten Wassermoleküls ist nicht so niedrig, dass eine vollständige Deprotonierung erfolgt, jedoch reicht die Anwesenheit einer Base im aktiven Zentrum für eine Erhöhung der Nukleophilie aus (Beispiel: Carboxypeptidase). (c) Das Wassermolekül fungiert als kinetisch labiler Ligand, der gegen ein Substratmolekül ausgetauscht werden kann (Beispiel: Alkohol-Dehydrogenase).

806

5 Bioanorganische Chemie

Drei wesentliche Alternativen bestimmen den Mechanismus der enzymatischen Aktivität von einkernigen Zinkenzymen; sie sind in Abb. 5.21 dargestellt. Möglichkeit A beruht darauf, dass der pKS-Wert von koordiniertem Wasser deutlich reduziert ist; im Fall der Carboanhydrase beträgt er ungefähr 7. Dadurch ist es leicht möglich, durch Deprotonierung ein metallgebundenes Hydroxidion zu erzeugen, das nun als sehr aktives Nukleophil zur Verfügung steht. Es ist leicht verständlich, dass diese Variante dann auftritt, wenn das Metallzentrum eine möglichst große positive Ladung trägt. Dies ist in der Carboanhydrase mit ihren drei neutralen Imidazolliganden der Fall. Tritt ein negativ geladener Peptidligand auf, so wird eine zusätzliche kooperierende Base benötigt, die zu einer starken Polarisierung des gebundenen Wasserliganden führt. Wiederum resultiert eine erhöhte Nukleophilie, die zur Spaltung von Substraten ausgenutzt wird. In anderen Enzymen gibt es zwei anionische Liganden. Sie zeichnen sich in der Regel dadurch aus, dass kein reaktives metallgebundenes Nukleophil erzeugt wird, sondern ein organisches Substratmolekül durch Ligandenaustausch gebunden und für eine weitere Reaktion aktiviert wird. Zu jeder der drei vorgestellten Möglichkeiten wird im Folgenden ein Beispiel diskutiert. Den Anfang macht die gut untersuchte Familie der Carboanhydrasen. Diese Enzyme spielen eine wichtige Rolle für den CO2-Stoffwechsel, sowohl bei der Atmung, als auch bei der Photosynthese und beim Auf- und Abbau carbonathaltiger Skelette. Des Weiteren kommt ihnen eine essentielle Rolle bei der pHPufferung biologischer Medien zu. Die katalysierte Reaktion erscheint zunächst simpel. Es handelt sich um die Einstellung des Gleichgewichts zwischen Kohlen-

Abb. 5.22 Der Mechanismus der Carboanhydrase. Unstrittig ist, dass ein koordiniertes Hydroxidion als Nukleophil wirkt. Es bildet sich ein Hydrogencarbonatokomplex, der sich auf zwei verschiedene Arten zu einem stabilen Komplex umlagern kann. Der LipscombMechanismus geht von einer Wanderung des Protons aus, während im Lindskog-Mechanismus die Rotation um eine Zink-Sauerstoff-Bindung postuliert wird. Dazu muss die ZinkOHR-Bindung zunächst gelöst werden.

5.4 Zink: Lewis-saure Katalyse und strukturgebende Funktion

807

Abb. 5.23 Katalytischer Zyklus der Carboxypeptidase. Das koordinierte Wassermolekül wird durch die Bildung einer Wasserstoffbrücke zu einem Glutamatrest aktiviert und reagiert als Nukleophil mit der ersten Amidgruppe vom C-Terminus des Substrats aus gezählt. Das Substrat wird durch zwei Argininseitenketten räumlich fixiert und orientiert. Es bildet sich eine tetraedrische Zwischenstufe, von der ausgehend die Amidbindung gespalten wird. Nach der Dissoziation der Produkte und der Bindung von Wasser und neuem Substrat beginnt der Zyklus erneut.

dioxid und Hydrogencarbonat. Im pH-neutralen Medium ist sie bei Raumtemperatur mit einer Halbwertszeit von ca. 20 Sekunden sehr langsam. Carboanhydrasen bewirken eine erstaunliche Beschleunigung um das ca. 107-fache! Einige Vertreter dieser Enzymfamilie arbeiten am Diffusionslimit, weswegen sie gelegentlich als perfekt entwickelte Enzyme bezeichnet werden. Die hohe Effizienz ist

808

5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.24 Vorschlag zum Mechanismus der Oxidation von Alkohol durch das Enzym Alkohol-Dehydrogenase. Das koordinierte Wassermolekül wird durch das Substrat ersetzt; dieses wird dadurch räumlich fixiert und aktiviert. Es kann nun durch ein externes Oxidationsmittel, NADC, zum Aldehyd umgesetzt werden. Die Dissoziation des Produkts und Koordination eines Aqualiganden regenerieren das aktive Zentrum.

sicher auch ein Grund dafür, warum der Carboanhydrase viel Interesse, sowohl von experimenteller, als auch von theoretischer Seite entgegengebracht wurde. Die beiden gängigen mechanistischen Vorstellungen, nach ihren Proponenten als Lipscomb- und Lindskog-Modell bezeichnet, sind in Abb. 5.22 gezeigt. Entscheidend ist ein zinkgebundenes Hydroxidion, das als Nukleophil mit Kohlendioxid reagiert. Es bildet sich ein reaktives Intermediat, das sich auf zwei Weisen zu einem Hydrogencarbonatokomplex umlagern kann. Im Lipscomb-Modell wird ein Protonentransfer formuliert, während Lindskog von der Rotation um eine CdO-Bindung des Hydrogencarbonatoliganden ausgeht. Es gibt Hinweise aus theoretischen Untersuchungen, die den Lindskog-Mechanismus unterstützen, jedoch ist eine endgültige Klärung noch nicht erreicht. Als zweites Beispiel wird das Verdauungsferment Carboxypeptidase A besprochen. Es wird üblicherweise aus dem Pankreas von Rindern gewonnen. Wie bereits erwähnt, spaltet es Peptide von ihrem Carboxyterminus her an der ersten Amidbindung. Das Protein enthält Zink an zwei Histidinliganden und einen anionischen Glutaminsäurerest koordiniert. Die dadurch reduzierte Ladung des Komplexes reicht nicht mehr für die Bildung eines zinkgebundenen Hydroxidions ohne Hilfsbase aus. Die Aktivierung des Nukleophils erfolgt hier unter Beteili-

5.4 Zink: Lewis-saure Katalyse und strukturgebende Funktion

809

gung einer räumlich benachbarten Glutamatfunktion. Abbildung 5.23 zeigt, dass eine Bindung zwischen dem koordinierten Wassermolekül und der peptidischen Carbonylfunktion geknüpft wird. Verschiedene Aminosäureseitenketten, von denen lediglich zwei Arginingruppen gezeigt sind, fixieren dabei das Substrat. Es entsteht ein tetraedrisches Intermediat, das schließlich in die Produkte zerfällt. Nach deren Freisetzung steht das Enzym für einen neuen Katalysezyklus wieder zur Verfügung. Beachtenswert ist die augenfällige Kooperativität verschiedener funktioneller Gruppen bei der enzymatischen Umsetzung komplexer Moleküle. Neben dem aktiven Zinkkomplex sind verschiedene Ankergruppen sowie ein Relais für den Austausch von Protonen an der Katalyse beteiligt. Wir werden später darauf zurückkommen, wie Kooperativität zwischen verschiedenen Metallzentren in mehrkernigen Metalloenzymen zustandekommt. Das letzte Beispiel für einkernige Zinkenzyme, das wir besprechen wollen, ist die Alkohol-Dehydrogenase (ADH). Sie katalysiert die Oxidation von Ethanol zu Acetaldehyd, setzt aber auch andere Alkohole in analogen Reaktionen um. Das Zn2C-Ion liegt in der ADH wiederum tetraedrisch koordiniert vor, wobei eine Bindungsstelle durch Histidin besetzt ist. Dazu kommen zwei anionische Cystein-Thiolatliganden, die die positive Ladung ausgleichen. Der vierte Ligand ist auch in der ADH ein Wassermolekül, dessen Acidität hier jedoch nicht nennenswert erhöht ist. Die typische Reaktion eines solchen Aqualiganden ist die Substitution. In Abb. 5.24 ist die Bindung eines Ethanolmoleküls und dessen weitere Reaktion im Katalysezyklus dargestellt. Die Oxidation des gebundenen Alkohols erfolgt unter Deprotonierung und Übertragung eines Hydridions auf NADC. Dabei entstehen NADH und Acetaldehyd. Wird dieser durch ein Wassermolekül substituiert, ist der Kreislauf geschlossen. Man beachte, dass das Zink hier nicht als Oxidationsmittel auftritt. Es dient dazu, das Substrat zu fixieren und zu orientieren, möglicherweise auch zu aktivieren.

5.4.3.2 Enzyme mit mehrkernigen Zinkkomplexen Neben den vorstehend beschriebenen einkernigen Zinkenzymen sind auch solche bekannt, in denen das aktive Zentrum mehrere Metallionen in mehrkernigen Komplexen enthält. Darunter befinden sich wichtige Hydrolasen wie die Aminopeptidase, die Peptide vom N-Terminus aus spaltet, eine zinkhaltige β-Lactamase, die für den Abbau von β-Lactamantibiotika verantwortlich ist, sowie die alkali-

Abb. 5.25 Die Struktur der zweikernigen Zinkkomplexe in drei ausgewählten Zinkenzymen.

810

5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.26 Struktur und Funktion der violetten Phosphatase. Das aktive Zentrum enthält zwei oktaedrisch koordinierte Metallionen. Am Zink liegt ein kinetisch labiler Aqualigand vor, der gegen das Substrat ausgetauscht wird. Das Eisen (III)-Ion trägt einen Hydroxoliganden, der analog zur Carboanhydrase als Nukleophil wirkt. Es bildet sich zunächst ein reaktives Zwischenprodukt, in dem das Phosphoratom fünffach substituiert ist. Dieses zerfällt unter Abspaltung eines Alkohols und Bildung von Phosphat, das schließlich unter Regeneration des aktiven Zentrums dissoziiert.

sche Phosphatase, die Phosphatmonoester unter alkalischen Bedingungen spaltet und neben zwei Zinkionen noch ein Mg2C-Ion enthält. In Abb. 5.25 sind die Strukturen der drei relevanten Zinkkomplexe dargestellt. Die mechanistischen Details der Wirkung dieser Proteine sind kompliziert und bisher noch nicht vollständig aufgeklärt; es wird deshalb auf eine weitergehende Diskussion verzichtet. Stattdessen sei die violette saure Phosphatase aus der Kidney-Bohne als Beispiel für ein Metalloenzym vorgestellt, das neben einem Zn2C-Ion noch ein Fe3CIon enthält. Seine Aufgabe ist die Spaltung von Phosphorsäureestern unter sau-

5.5 Wichtige bioanorganische Kupfer- und Eisenkomplexe

811

ren Bedingungen. Beim menschlichen Enzym ist die Position eines divalenten Zinkions durch ein dreiwertiges Eisenion besetzt. An der Funktion der violetten Phosphatase lassen sich die oben erarbeiteten Konzepte an einem besonders schönen Beispiel für kooperierende Metallzentren weiter verdeutlichen. Die Struktur des aktiven Zentrums ist in Abb. 5.26 gezeigt. Es handelt sich um einen zweikernigen Komplex, in dem ein Aspartatrest des Proteins und ein Hydroxoligand zwischen dem Fe3C und dem Zn2C-Ion verbrücken. Die erwartete oktaedrische Koordinationssphäre am Eisen wird durch zwei anionische (Asp, Tyr) und einen neutralen Proteinliganden (His) sowie ein Hydroxidion vervollständigt. Eisen (III) ist eine so starke Lewis-Säure, dass unter physiologischen Bedingungen stets die Deprotonierung eines Aqualiganden anzunehmen ist. Das Zinkion ist ebenfalls oktaedrisch koordiniert, wobei das Protein drei neutrale Donorliganden zur Verfügung stellt, eine Asparagin- und zwei Histidin-Seitenketten. Die sechste Koordinationsstelle ist hier von einem nicht deprotonierten Aqualiganden besetzt. Im Einklang damit ist der gesamte Komplex elektrisch neutral und die Phosphatase unter schwach sauren Bedingungen aktiv. Es finden sich also die beiden oben beschriebenen Motive, ein metallgebundenes, nukleophiles Hydroxidion und ein kinetisch labiler Aqualigand, in direkter Nachbarschaft. Auf der Grundlage dieser Überlegungen lässt sich der ebenfalls in Abb. 5.26 vorgestellte Mechanismus formulieren. Das Zinkion dient als Bindungsstelle für das Substrat, das sodann mit dem terminalen Hydroxoliganden unter Bildung eines fünffach gebundenen Intermediats reagiert. Dieses wird schließlich gespalten und gegen Wasser ausgetauscht. Dadurch schließt sich der katalytische Kreislauf.

5.5 Wichtige bioanorganische Kupfer- und Eisenkomplexe 5.5.1 Allgemeiner Überblick Kupfer und Eisen erfüllen biologisch oft ähnliche Aufgaben, die mit ihren Redoxzuständen zusammenhängen. Im nachfolgenden Abschnitt 5.6 wird ihre Schlüsselrolle in den Elektronentransferketten der Atmung und der Photosynthese behandelt. Daran anschließend wird in Abschnitt 5.7 die Beteiligung von Kupferund Eisenproteinen am Transport und der Umsetzung von Sauerstoff beschrieben. Dabei werden immer wieder ähnliche Strukturelemente auftauchen, die im Folgenden vorgestellt werden.

5.5.2 Kupferproteine Kupferkomplexe in den aktiven Zentren von Proteinen werden in drei große Gruppen eingeteilt, die in Abb. 5.27 dargestellt sind. Für jeden Typ sind dabei zwei konkrete Beispiele abgebildet.

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5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.27 Typische Kupferzentren, die in Proteinen vorkommen. Typ 1: „Blaues Kupfer“, das häufig in Elektronentransferproteinen vorkommt und eine Geometrie besitzt, die zwischen den von Cu (I) und Cu (II) bevorzugten liegt. Typ 2: „Normales Kupfer“ mit einer quadratisch pyramidalen Anordnung, wie man sie häufig in Kupfer (II)-Komplexen antrifft. Typ 3: Kupferzentren mit zwei Metallionen, die stark antiferromagnetisch gekoppelt und deshalb ESR-inaktiv sind. Typisch ist in allen Fällen die Koordination von Cysteinato-, Histidin- und gelegentlich auch Tyrosinatoliganden.

Der Typ 1 kommt hauptsächlich in Elektronentransferproteinen vor. Wegen seines charakteristischen Absorptionsspektrums werden die ihn enthaltenden Proteine auch als blaue Kupferproteine bezeichnet. Die Komplexe sind charakterisiert durch eine verzerrt tetraedrische Koordinationssphäre, die neben zwei Histidyl-Imidazolliganden noch eine anionische Cysteinyl-Thiolatfunktion und einen elektrisch neutralen Methionyl-Thioetherdonor enthält. Im Azurin existiert darü-

5.5 Wichtige bioanorganische Kupfer- und Eisenkomplexe

813

Abb. 5.28 Charakteristische elektronische und ESR-Spektren von Kupferzentren in Proteinen. (a) dKd-Übergänge in Kupferzentren vom Typ 2. (b) „Normales“ ESR-Spektrum eines Kupferkomplexes vom Typ 2 mit einer charakteristischen Aufspaltung des g---Signals infolge der Hyperfeinkopplung zu 63Cu und 65Cu. Beide Isotope besitzen den Kernspin 3.2 und liegen in einem Verhältnis von ca. 70 : 30 vor. (c) Im Vergleich dazu die intensiven LMCT-Übergänge in blauen Typ-1-Kupferzentren. (d) ESR-Spektrum eines Kupferkomplexes vom Typ 1. Auffällig ist vor allem die viel kleinere Hyperfeinkopplungskonstante.

ber hinaus noch ein schwacher Kontakt zu einem Carbonylsauerstoffatom des Peptidrückgrats. Die Anordnung der Liganden wird in Kupfer-Typ-1-Proteinen durch das Polypeptidgerüst vorgegeben. Sie liegt zwischen der für Kupfer (I) günstigen tetraedrischen und der von dem zweiwertigen Ion bevorzugten planaren Anordnung. Daraus resultiert ein relativ stark positives Redoxpotential für die Oxidation von Kupfer (I) zu Kupfer (II). Weiterhin bedingt die vorgegebene Geometrie, dass ein Elektronenübergang nur von einer geringfügigen strukturellen Reorganisation begleitet wird. Bioanorganische Kupferkomplexe vom Typ 2 werden auch als normales oder „nicht-blaues Kupfer“ bezeichnet. Sie kommen in sauerstoffaktivierenden Enzymen vor und besitzen die für Kupfer (II) erwartete weitgehend planare Geometrie, meist mit einem zusätzlichen, schwächer gebundenen Liganden. Die resultierende Anordnung kann meist als quadratisch pyramidal beschrieben werden. Die Bezeichnungen „blaues“ und „nicht-blaues Kupfer“ weisen bereits darauf hin, dass man die beiden Typen 1 und 2 leicht anhand ihrer spektroskopischen

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5 Bioanorganische Chemie

Eigenschaften unterscheiden kann. Abbildung 5.28 zeigt, dass dafür sowohl elektronische als auch ESR-Spektren geeignet sind. Im sichtbaren Bereich zeigen normale Kupferkomplexe (Typ 2) lediglich schwache dKd-Übergänge, während die Typ-1-Zentren durch intensive LMCT-Übergänge vom Cysteinato-Schwefelliganden zum Metall charakterisiert sind. Die ESR-Spektren in gefrorenen Lösungen oder Pulvern sind in beiden Fällen anisotrop und zeigen meist ein axiales Muster. Der augenfälligste Unterschied liegt in der wesentlich kleineren Hyperfeinaufspaltung des g---Signals der blauen Kupferproteine. Die dritte bedeutende Klasse von biologisch relevanten Kupferkomplexen, der Typ 3, enthält zwei Kupferionen. Im oxidierten Zustand gibt es stets mindestens einen verbrückenden Liganden. Dies führt zu einer starken antiferromagnetischen Kopplung, sodass die Komplexe ESR-inaktiv sind. Sind O 22K-Liganden vorhanden, beobachtet man im nahen ultravioletten und sichtbaren Spektrum intensive LMCT-Übergänge bei 350 nm (ε z 20 000 MK1 cmK1) und 600 nm (ε z 1 000 MK1 cmK1). Die vorgestellte Einteilung der Kupferproteine in drei Klassen beruht auf spektroskopischen und strukturellen Eigenschaften. Bei den Funktionen gibt es keine klaren Grenzen. Zwar ist der Elektronentransfer eine klare Domäne der Typ 1-Proteine, jedoch gibt es auch einige „blaue“ Oxidasen, beispielsweise die Laccase und das bereits früher erwähnte Caeruloplasmin. Typ 2 und Typ 3 finden sich beide sowohl in Oxidasen, als auch in Oxygenasen.

5.5.3 Eisenproteine Eisen ist für fast alle Organismen ein essentielles Element. Mit einer Gesamtmenge von etwa 4 g in einem 70 kg schweren Erwachsenen ist es das häufigste Übergangsmetall im Menschen. Seine bekannteste Rolle spielt es sicher bei der Aufnahme und dem Transport von Sauerstoff durch den roten Blutfarbstoff Hämoglobin. Die prosthetische Gruppe dieses Proteins, das Häm, hat einer ganzen Klasse von Eisenproteinen ihren Namen gegeben. Hämproteine enthalten als gemeinsames Strukturelement mindestens einen Eisen-Porphyrinkomplex. Das Porphyringerüst und die wesentlichen strukturellen Eigenschaften von Häm-Eisenkomplexen sind in Abb. 5.29 zusammengefasst. Porphyrin ist ein makrozyklischer Tetrapyrrolligand, der im deprotonierten Zustand zweifach negativ geladen ist und in seinem Zentrum ein Metallion koordinieren kann. Biologisch wichtig sind Eisen (II)- und Eisen (III)-Komplexe, jedoch existieren viele synthetische Verbindungen auch mit anderen Metallionen. Man unterscheidet drei Arten von Häm-Gruppierungen, die sich in Art und Muster ihrer Substituenten unterscheiden. Das Häm a enthält eine lange, hydrophobe Phythyl-Kette, Häm b trägt zwei Vinylsubstituenten. An diese sind im Häm c zwei Cystein-Thiolfunktionen gebunden, sodass eine kovalente Verankerung im Proteingerüst resultiert. Die drei in Abb. 5.29 beispielhaft angeführten Proteine machen die erstaunliche Vielseitigkeit der Hämgruppe deutlich. Im Cytochrom-c ist ihre Funktion lediglich der Transfer eines Elektrons, wobei das Eisenion zwischen den Oxidationsstufen II und III wechselt. Hämoglobin dient dem Transport von Sauerstoff. Die Cytochrom-c-Oxidase schließlich spaltet das O2-Molekül.

5.5 Wichtige bioanorganische Kupfer- und Eisenkomplexe

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Abb. 5.29 Eisen-Porphyrinkomplexe und die drei wichtigsten Hämgruppen. (a) Porphyrin ist ein Tetrapyrrol-Makrozyklus mit zwei NH-Gruppen. Durch Deprotonierung erhält man den bekannten, zweifach negativ geladenen Liganden, der mit einer Vielzahl von Metallionen Komplexe bildet. Am bekanntesten sind die Eisen (II)- und Eisen (III)-Komplexe, die Grundbausteine der Hämgruppen. (b) Hämgruppen unterscheiden sich in den Substituenten des Porphyrinrings. Dargestellt sind die drei bedeutendsten, für deren Vorkommen jeweils ein Beispiel angegeben ist.

Abb. 5.30 Der Einfluss des Ionenradius auf die Struktur von Häm-Eisenkomplexen. Im low-spin-Zustand passen beide Ionen, Fe2C und Fe3C, ins Zentrum des makrozyklischen Rings. Im high-spin-Zustand ist das Eisen (II)-Ion zu groß, sodass eine „Out-of-Plane“Anordnung erzwungen wird.

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5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.31 Verschiedene Coliganden in Häm-Eisenproteinen. Im Elektronentransferprotein Cytochrom-c bildet sich mit zwei proteinogenen Coliganden ein oktaedrischer Komplex, der seine Struktur beim Fe2C.3C-Übergang nicht ändert. Im Hämoglobin liegt nur ein Histidin-Steuerligand vor. Das Metallion wechselt seinen Spinzustand bei der Bindung von Sauerstoff. Im Cytochrom P-450 ist der Steuerligand eine anionische Cystein-Thiolatfunktion; sie stabilisiert die hohe Oxidationsstufe.

Es wird später deutlich, dass diese unterschiedlichen Funktionen unter anderem damit zusammenhängen, dass Porphyrinkomplexe empfindlich auf den Elektronenspin am Zentralion reagieren. Das Phänomen ist in Abb. 5.30 dargestellt. Während Fe3C sowohl im low-spin- als auch im high-spin-Zustand im Zentrum des Makrozyklus Platz findet, erzwingt die high-spin-Konfiguration von Eisen (II) ein Ausweichen. Gesteuert wird diese Eigenschaft weitgehend durch zusätzliche axiale Liganden. Dies zeigt Abb. 5.31 an den Beispielen Cytochrom-c, Hämoglobin und Cytochrom P-450. Man erkennt, dass die oktaedrische Koordination mit den zwei zusätzlichen Methionin- und Histidinliganden dazu führt, dass sowohl Fe2C als auch Fe3C im Cytochrom-c eine low-spin-Konfiguration besitzen. Wie man es für ein Elektronentransfer-Protein erwarten würde, ist der Redoxübergang also nur mit einer sehr geringfügigen Strukturänderung verbunden. Anders verhält es sich beim Hämoglobin, das im Ruhezustand low-spin-Eisen (II)-Ionen enthält. Hier ist die Koordinationssphäre quadratisch pyramidal mit einem Imidazolliganden, der durch das so genannte proximale Histidin zur Verfügung gestellt wird. Schließlich sei das Cytochrom P-450 erwähnt. Dieses Protein hat seinen Namen von seinem sechsfach koordinierten CO-Komplex, der eine charakteristische Absorptionsbande bei 450 nm aufweist. Es enthält im Ruhezustand ein low-spinEisen (III)-Ion in einer oktaedrischen Koordinationsumgebung. Ein CysteinylThiolatoligand stabilisiert durch seine negative Ladung die hohe Ladung und ist für das stark negative Elektrodenpotential von K400 mV verantwortlich. Die sechste Koordinationsstelle wird durch einen Aqualiganden besetzt. Der katalytische Zyklus des Proteins wird später besprochen. Er ist durch einen ständigen Wechsel von Oxidationsstufe, Spinzustand und Ligandenzahl gekennzeichnet. Die zweite große Klasse von biologischen Eisenkomplexen findet man in so genannten Eisen-Schwefel-Proteinen. Sie enthalten Eisenionen, die ausschließ-

5.5 Wichtige bioanorganische Kupfer- und Eisenkomplexe

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Abb. 5.32 Typische Strukturen von aktiven Zentren in Eisen-Schwefel-Proteinen. Die Liganden sind terminale Cystein-Thiolatfunktionen und verbrückende Sulfidionen (S2K). Der einfachste Komplex liegt im Elektronentransferprotein Rubredoxin vor. Er enthält ein Eisenion mit vier Cysteinatoliganden. In den Ferredoxinen liegen mehrkernige Komplexe vor. Am häufigsten sind die beiden dargestellten Typen mit zwei und vier Eisenatomen. Es sind jeweils die relevanten Redoxzustände sowie Beispiele für Proteine angegeben.

lich an Schwefeldonorliganden koordiniert sind. Abbildung 5.32 zeigt die drei grundlegenden Strukturtypen. Den einfachsten Vertreter findet man im Rubredoxin. Es handelt sich um einen tetraedrischen Komplex, in dem das Zentralion an vier anionische Cysteinyl-Thiolatliganden gebunden ist. Die hohe negative Ladung stabilisiert die Oxidationsstufe CIII, was sich in einem negativen Elektrodenpotential des CII.CIII-Übergangs von K60 mV äußert. Noch stärker negativ ist das Potential für die Oxidation von 2 Fe-Ferredoxin. Dieses Elektronentransfer-Protein spielt eine wichtige Rolle bei der Photosynthese. Der Name rührt von der Tatsache, dass das aktive Zentrum einen EisenSchwefel-Cluster mit zwei Eisenionen enthält. Diese werden durch zwei Sulfidliganden verbrückt und tragen jeweils zwei weitere Cysteinyl-Thiolatliganden, die eine tetraedrische Koordinationsumgebung vervollständigen. Man bezeichnet diesen Strukturtyp auch als [2 Fe-2 S]-Cluster. Im Ruhezustand befinden sich beide Metallionen in der Oxidationsstufe CIII. Bei einem Potential von K420 mV findet eine Einelektronenreduktion zum gemischtvalenten Fe (II)Fe (III)-Komplex statt. Der dritte häufig anzutreffende Strukturtyp kommt in den 4 Fe-Ferredoxinen vor. Diese Proteine besitzen einen Komplex, in dem vier Eisen- und vier Sulfidionen abwechselnd die Ecken eines Würfels besetzen. Es resultiert ein [4 Fe-4 S]Cluster, der über vier Cysteinatoliganden im Protein verankert ist. Das Redoxpotential für den biologisch relevanten Elektronenübergang von [4 Fe-4 S]-Clustern hängt sehr empfindlich von der Proteinmatrix ab. In der Abbildung sind zwei Beispiele erwähnt: Ausgehend vom [Fe (III)]2 [Fe (II)]2-Ruhezustand wird entweder ein Elektron abgegeben (Chromatium vinosum) oder eines aufgenommen (Bacillus stearothermophilus).

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5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.33 Beispiele für Eisen-Schwefel-Cluster mit komplizierteren Strukturen als den in Abb. 5.32 dargestellten [2 Fe-2 S]- und [4 Fe-4 S]-Varianten.

Neben den recht einfach zu lernenden Grundtypen gibt es weitere bioanorganische Eisen-Schwefel-Cluster, die sich formal von den vorstehend diskutierten ableiten lassen. Drei Vertreter zeigt die Abb. 5.33. Ein Beispiel, der [3 Fe-4 S]Cluster des IRE, wurde bereits in Abschnitt 5.2.2.1 vorgestellt. Er entsteht aus einem [4 Fe-4 S]-Vorläufer dadurch, dass eine Ecke des Würfels entfernt wird. Die Ursache hierfür ist, dass einer der vier Cysteinatoliganden fehlt, sodass ein kinetisch labiles Eisen (II)-Ion ausgetauscht werden kann. Wenn zwei Thiolatoliganden eines [4 Fe-4 S]-Clusters zwischen zwei Würfeln verbrücken, entsteht der P-Cluster der Nitrogenase. Er dient dem Elektronentransfer zum Eisen-Molybdän-Cofaktor, dessen Funktion die Reduktion von Stickstoff zu Ammoniak ist. Der FeMo-Cofaktor wurde bereits in Abschnitt 3.13.3 diskutiert. Man kann seine Struktur folgendermaßen verstehen: Aus zwei [4 Fe-4 S]-Clustern wird zunächst jeweils ein S2K-Ligand und drei Cysteinatoliganden entfernt. Dadurch entstehen je drei koordinativ stark ungesättigte Eisenionen, die nun paarweise durch Sulfidionen verbrückt werden. Schließlich wird in einer Ecke des Clusters die verbliebene Cysteinatoeisen-Einheit durch ein oktaedrisch koordiniertes Molybdän (IV)ion ersetzt. Die Coliganden am Molybdän sind ein Isocitration und ein Histidyl-Imidazolligand. Es entsteht ein äußerst sauerstoffempfindlicher Cluster, der sechs dreifach koordinierte Eisenionen enthält. Die Hämproteine und die Eisen-Schwefel-Proteine sind sicher die bekanntesten Klassen von Eisenproteinen. Häm und Eisen-Schwefel-Cluster enthalten Porphyrin und Sulfidionen als wesentliche, nicht-proteinogene Liganden. Diese koordinieren so stabil an das Metallion, dass die entstehenden Einheiten unzerstört aus ihrer Proteinumgebung herausgelöst werden können. Man bezeichnet sie deshalb ebenso wie das Vitamin B12 oder die organischen Verbindungen NADH und FADH als Cofaktoren. Es gibt jedoch darüber hinaus auch noch eine Vielzahl von Enzymen und Transportproteinen, die als „nicht-Häm-Eisenproteine“

5.5 Wichtige bioanorganische Kupfer- und Eisenkomplexe

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Abb. 5.34 Beispiele für die aktiven Zentren von nicht-Häm-Eisenproteinen. Es kommen einkernige Komplexe mit einer ungesättigten Koordinationssphäre (fünffache Koordination) ebenso vor wie zweikernige Komplexe mit verbrückenden Carboxylato-, Oxo-, oder Hydroxoliganden. Die proteinogenen Liganden sind entweder anionische Sauerstoffdonoren oder Histidin-Seitenketten. Auffällig ist, dass im Gegensatz zu den vorher beschriebenen Kupferzentren keine Cysteinatoliganden auftreten.

bezeichnet werden und in denen proteinogene Liganden essentiell für die strukturelle Integrität sind. Sie enthalten Struktureinheiten, die den beim Kupfer besprochenen stark ähneln. Dies wird an den vier in Abb. 5.34 gezeigten Beispielen deutlich. Zum einen gibt es Proteine mit einkernigen Eisenkomplexen, in denen das Metallion fünffach koordiniert vorliegt. Dargestellt sind zwei Dioxygenasen mit einer trigonal bipyramidalen oder quadratisch pyramidalen Anordnung. Die Proteinliganden sind entweder anionische Sauerstoffdonoren oder Imidazol. Vervollständigt wird die Koordinationssphäre jeweils durch Hydroxo- oder Aqualiganden. Wie beim Kupfer besprochen gibt es auch Eisenproteine mit zweikernigen, carboxylatverbrückten Komplexbausteinen. Häufig kommt einer zusätzlichen Oxo- oder Hydroxobrücke funktionelle Bedeutung zu. Die Funktionen von nicht-Häm-Proteinen sind vielfältig und können nicht ohne weiteres nach Strukturtypen geordnet werden. Die Beispiele illustrieren

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5 Bioanorganische Chemie

typische Funktionen von Eisenproteinen. Hämerythrin wird in Abschnitt 5.7.1 als Sauerstoff-Transportprotein näher vorgestellt. Oxygenasen übertragen ein, Dioxygenasen zwei Sauerstoffatome auf ein Substrat. Die eisenhaltige Ribonukleotid-Reduktase schließlich reduziert Ribonukleinsäuren zu Desoxyribonukleinsäuren, den Bausteinen der DNA.

5.6 Elektronentransferketten 5.6.1 Allgemeiner Überblick Lebewesen benötigen Energie, die auf der Erde letztlich von der Sonne geliefert wird. Zwei wichtige Prozesse bilden die Grundlage für hoch entwickelte Organismen bis zum Menschen. Einerseits ist dies die Photosynthese, bei der Sonnenenergie direkt für die Bildung von organischen Verbindungen genutzt wird. Bei der Photosynthese wird Wasser als Elektronenlieferant verbraucht. Dabei bildet sich der energiereiche Sauerstoff, dessen Reduktion in der Atmungskette erst die Entwicklung von Tieren und Menschen ermöglicht hat. Abbildung 5.35 gibt einen zeitlichen Überblick über den Sauerstoffgehalt der Atmosphäre und ihren Zusammenhang mit der Entwicklung von Leben auf der Erde. Schon bald nach der Entstehung des Planeten bildeten sich Einzeller, die ihren Energiebedarf durch den Verbrauch von energiereichen organischen Verbindungen deckten, die bereits vorhanden waren. Es ist klar, dass dieser Vorrat begrenzt war und wahrscheinlich nicht für die Entwicklung vielzelliger Organismen ausge-

Abb. 5.35 Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre und die Entwicklung von Lebewesen. Schon bald nach der Entwicklung der ersten Zellen setzte die Photosynthese ein, die mit der Oxidation von Wasser zu Sauerstoff vor ca. 3 Mrd. Jahren das Gesicht der Erde dramatisch veränderte. Es dauerte knapp 1.5 Mrd. Jahre, bis alle im Meerwasser gelösten oxidierbaren Stoffe, vor allem Eisen (II)-Ionen, verbraucht waren. Danach gelangte Sauerstoff in die Atmosphäre und ermöglichte als neuer Energieträger die Entwicklung tierischer Lebensformen bis zum Menschen.

5.6 Elektronentransferketten

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reicht hätte. Der entscheidende Durchbruch für das Leben war das Auftreten der Photosynthese, die zunächst vom relativ energiereichen Schwefelwasserstoff, später vom Wasser ausgehend zu einer praktisch unerschöpflichen Quelle biologischen Materials wurde. Mit der Photosynthese bildete sich elementarer Sauerstoff, der jedoch zunächst nicht in die Atmosphäre gelangte, sondern bei der Oxidation von Eisen (II)-Ionen im Meerwasser verbraucht wurde. Dabei bildeten sich die Rotsedimente, in denen dreiwertiges Eisen gebunden ist. Es war eine wichtige Konsequenz dieser Prozesse, dass Organismen Transport- und Speichersysteme für die Nutzung von Eisen entwickeln mussten. Schließlich war der Vorrat an leicht oxidierbaren Stoffen erschöpft, und Sauerstoff gelangte in die Atmosphäre. Dies führte in kurzer Zeit zu einer neuen Qualität von Leben auf der Erde und schließlich zur Entwicklung von Tieren und Menschen. Beide Prozesse, Photosynthese und Sauerstoffatmung, beruhen darauf, dass eine große Energiemenge nicht explosionsartig auf einmal umgesetzt, sondern schrittweise in Portionen gespeichert und für die Synthese organischer Stoffe genutzt wird. Dabei fließen Elektronen von einem hohen negativen zu einem hohen positiven Potential, wobei fein aufeinander abgestimmte Akzeptoren als Stufen im Fluss dafür sorgen, dass jeweils nur ein Teil der potentiellen Energie frei wird. Viele dieser Akzeptoren sind Metalloproteine, von denen eine Auswahl im Folgenden vorgestellt wird.

5.6.2 Photosynthese und Atmungskette Bei der Photosynthese wird Licht für den Aufbau eines Redoxgradienten genutzt. Dabei wird ein Chromophor P (P: Pigment) aus dem Grundzustand in einen elektronisch angeregten Zustand P* überführt, der ein sehr starkes Reduktionsmittel ist. Aus dem P*-Zustand wird ein Elektron über eine Reihe von Akzeptoren mit abgestuften Redoxpotentialen an einen Proteinkomplex weitergegeben, der seinerseits NADPC zu NADPH reduziert. Letzteres ist mit einem Oxidationspotential von K320 mV bei pH z 7 das Reduktionsmittel der Biologie und speichert die Elektronen, die unter anderem zur Reduktion von Kohlendioxid bei der Kohlenhydratsynthese gebraucht werden. Wie viel Lichtenergie für die Erzeugung von NADPH gebraucht wird, hängt vom Elektronendonor ab. Die grünen Schwefelbakterien nutzen Schwefelwasserstoff für die reduktive Regeneration ihres oxidierten Chromophors. Auf diese Weise haben vermutlich bereits die ersten photo-synthetisierenden Organismen ihren Energiebedarf gedeckt. Abbildung 5.36 zeigt eine schematische Darstellung der Lichtabsorption und der anschließenden Elektronentransferschritte in den grünen Schwefelbakterien. Man sieht, dass die Absorption von Licht das Redoxpotential des Chromophors um ca. K250 mV verschiebt. In der anschließenden Elektronentransferkette spielen Eisen-Schwefel-Proteine eine große Rolle. Um eine schnelle Ladungstrennung zu gewährleisten, sind die ersten Akzeptorkomponenten zusammen mit dem Chromophor in einer Membran eingebettet und bilden ein ortsfestes Photosystem. Darunter befinden sich auch für die Bioanorganik interessante [4 Fe-4 S]Cluster. Aus dem Photosystem wird schließlich ein Elektron auf das bewegliche Ferredoxin mit seinem [2 Fe-2 S]-Cluster übertragen, das den weiteren Transport

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5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.36 Schematische Darstellung der Photosynthese in grünen Schwefelbakterien. Die Ordinate soll lediglich der Orientierung dienen und erhebt keinen Anspruch auf Genauigkeit der Potentiale. Die rechteckigen Kästen symbolisieren ortsfest in der Membran verankerte Systeme, die aus mehreren Proteinen und Cofaktoren bestehen. Die Kreise stehen für bewegliche Elektronentransferproteine, die Redoxäquivalente zwischen den ortsfesten Komponenten transportieren. Im Einzelnen laufen folgende Vorgänge ab: Licht regt einen Chromophor P an, der im angeregten Zustand P* ein sehr starkes Reduktionsmittel ist. Ein Elektron wird innerhalb des ortsfesten Photosystems an einen [4 Fe-4 S]-Cluster abgegeben. Dieser reduziert den [2 Fe-2 S]-Cluster im beweglichen Ferredoxin Fd, das wiederum die Reduktion von Eisen-Schwefel-Clustern im Proteinkomplex der NADPC-Reduktase besorgt. Am Ende der Kette steht die Reduktion von NADPC zu NADPH. Letzteres ist das mobile Reduktionsmittel im Organismus und liefert die Elektronen für die Synthese von Zuckern aus Kohlendioxid. Der oxidierte Chromophor wird bei den grünen Schwefelbakterien durch die Oxidation von Schwefelwasserstoff regeneriert.

zum Proteinkomplex der NADPC-Reduktase übernimmt. Auch sie enthält EisenSchwefel-Cluster, sowohl vom [4 Fe-4 S] als auch vom [2 Fe-2 S]-Typ, die den weiteren Elektronentransfer zu einem Flavoprotein übernehmen, das letztlich die Reduktion von NADPC katalysiert. Festzuhalten ist also, dass Eisen-SchwefelCluster eine wichtige Rolle beim Transport von Elektronen in einem Potentialbereich spielen, der stärker reduzierend ist als NADPH. Wenn die Elektronen für die Reduktion von NADPC aus der Oxidation von Wasser gewonnen werden, muss eine wesentlich größere Potentialdifferenz überbrückt werden. Dazu reicht ein Photosystem nicht mehr aus. In den sauerstoffproduzierenden Pflanzen gibt es daher zwei Chromophore. Dies ist in Abb. 5.37 dargestellt, die das so genannte Z-Schema der Photosynthese zeigt. Das Pigment P680 ist Teil des Photosystems II. Es besitzt ein Absorptionsmaximum bei 680 nm und überträgt im angeregten Zustand Elektronen auf den beweglichen Transporter Plastochinon. Das dadurch entstandene PC 680 ist ein sehr starkes Oxidationsmittel, das durch die Oxidation von Wasser an einem Mangancluster regeneriert wird. Dieser wurde bereits in Abschnitt 3.12.3 vorgestellt und soll hier nicht weiter diskutiert werden. Das Photosystem II stellt also die zur Spaltung von Wasser notwendige Energie zur Verfügung.

5.6 Elektronentransferketten

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Abb. 5.37 Schematische Darstellung der Photosynthese in grünen Pflanzen. Die verwendeten Symbole entsprechen denen in Abb. 5.36. Die große Potentialdifferenz zwischen der Oxidation von Wasser und der Reduktion von NADPC macht die Kopplung von zwei Photosystemen notwendig. Die Reduktion von NADPC geht vom Photosystem I aus und ist der Photosynthese der grünen Schwefelbakerien sehr ähnlich. Der Chromophor P700 wird durch Licht der Wellenlänge 700 nm angeregt. Er überträgt im angeregten Zustand * P700 ein Elektron zunächst auf zwei Akzeptorchlorophylle, A0 und A1. Auch hier finden sich Eisen-Schwefel-Cluster in den ortsfesten Komponenten und im Ferredoxin Fd. Reduziert wird der oxidierte Chromophor durch ein blaues Kupferprotein, das Plastocyanin PC. Es steht am Ende der Reaktionen, die vom Photosystem II ausgehen und der Oxidation von Wasser an einem Mangancluster dienen. Der Chromophor P680 besteht aus zwei Chlorophyllen, die das so genannte „Special-Pair“ bilden. Im angeregten Zustand wird ein Elektron in drei Schritten über ein Phäophytin (Ph Z Chlorophyll ohne Magnesiumion) und zwei Chinone QA und QB an das bewegliche Plastochinon (QH2) weitergegeben. Dieses nimmt in zwei Schritten zwei Elektronen auf, die es auf den Cytochrom-bf-Komplex überträgt. Letzterer enthält zwei Häm-Eisen-Komplexe und einen als Rieske-Zentrum bezeichneten Eisen-Schwefel-Cluster.

Die dabei gelieferten Elektronen werden vom Plastochinon bei einem Potential von ca. 0 V auf einen ortsfesten Proteinkomplex übertragen, der nach seinen wichtigsten Bestandteilen Cytochrom-bf-Komplex genannt wird. Hier fungieren Häm-Eisen-Komplexe als Elektronenakzeptoren, die den Elektronentransport zu einem weiteren beweglichen Transporter, dem blauen Kupferprotein Plastocyanin übernehmen. Dieses Protein koppelt das Photosystem II an das Photosys-

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Abb. 5.38 Schematische Darstellung der Atmungskette. Hier werden in Umkehrung der Photosynthese letztlich Elektronen von NADPH auf Disauerstoff übertragen. Die beteiligten Komponenten arbeiten in einem Bereich von Redoxpotentialen, der in etwa dem des Photosystems II entspricht. Es bestehen daher viele Ähnlichkeiten; von der NADPH-Dehydrogenase, die der Oxidase ähnelt, über das Ubichinon QH2, das die Rolle des Plastochinons übernimmt, bis hin zum Cytochrom-bc1-Komplex, der wie sein Pendant, der bf-Komplex in den Chloroplasten, zwei Häm-Eisen-Komplexe und ein Rieske-Zentrum enthält. Ein Unterschied besteht darin, dass das Kupferprotein Plastocyanin durch das Häm-Eisenprotein Cytochrom-c ersetzt ist. Natürlich ist der Endpunkt sehr verschieden. Die Cytochrom-Oxidase hat keine Entsprechung bei der Photosynthese, so wie in der Atmungskette kein Mangancluster und kein Chromophor vorkommen. In der Cytochrom-Oxidase finden sich drei verschiedene Metallkomplexe, die Kupferionen und Häm-Eisen enthalten.

tem I, indem es das oxidierte Pigment PC 700 reduziert. Das Photosystem I ähnelt stark dem bereits diskutierten Photosyntheseapparat der grünen Schwefelbakterien. Es wandelt Lichtenergie in elektrische Energie für die Reduktion von NADPC um. An der wiederum sichtbaren Rolle von Eisen-Schwefel-Proteinen im stark negativen Potentialbereich erkennt man die enge Verwandtschaft aller Lebewesen, die eine systematische Untersuchung biologischer Zusammenhänge erst möglich macht. Bioanorganische Komplexe, die sich einmal bewährt haben, werden offenbar ebenso universell verwendet wie die proteinogenen Aminosäuren oder die Bausteine des genetischen Codes. So wie die Eisen-Schwefel-Cluster eine besondere Rolle als stark reduzierende Bausteine spielen, sind Häm-Eisen- und Kupferkomplexe für den oxidierenden Bereich der biologischen Redoxpotentiale charakteristisch. Im Photosystem II sind es die Cytochrome im bf-Komplex und das bewegliche Plastocyanin, in der Atmungskette findet man erstaunliche Parallelen im Cytochrom-bc1-Komplex. Abbildung 5.38 zeigt eine schematische Darstellung der kontrollierten Umsetzung von Sauerstoff in den Mitochondrien. Man erkennt, dass Sauerstoff letztlich durch NADPH reduziert wird, wobei ein Redoxgradient von 1.14 Volt einem Gesamtenergieumsatz von 220 kJ entspricht. Genutzt wird diese Energie für die Synthese von ATP in der oxidativen Phosphorylierung.

5.6 Elektronentransferketten

825

Tabelle 5.3 Biologisch wichtige Redoxsysteme (n: Anzahl der übertragenen Elektronen, E 0#: Standard-Redoxpotential bei 25 (C und pH Z 7). Redoxsystem K

a

A 0 .A 0 Ferredoxin (Fe3C.2C) 2 HC . H2 NADC. NADH a

n

E 0# . mV

Redoxsystem

n

E 0# . mV

1 1 2 2

K1 100 K430 K420 K320

Ubichinon (Q.QH2) Cytochrom-c (Fe3C.2C) Plastocyanin (Cu2C.C) O2 C 4 HC. H2O

2 1 1 4

C100 C220 C350 C820

A0 ist ein Chlorophyll, das als erster Elektronenakzeptor im Photosystem I auftritt. Das Elektron kommt vom angeregten Chlorophyll P*700.

Ausgangspunkt der Elektronentransferkette ist die Oxidation von NADPH, wobei Elektronen auf einen Proteinkomplex übertragen werden, der EisenSchwefel-Cluster enthält und als NADPH-Dehydrogenase bezeichnet wird. Die Analogie zur NADPC-Reduktase im Photosystem I ist augenfällig. Bei einem Potential von ca. 0 V fungiert wiederum ein Chinon, das Ubichinon oder Coenzym Q, als beweglicher Elektronentransporter. Es gibt seine Elektronen an den schon erwähnten Cytochrom-bc1-Komplex weiter. Die Rolle des Plastocyanins übernimmt in der Atmungskette das Cytochrom-c. Es wurde bereits früher erwähnt, dass Eisen- und Kupferproteine häufig ähnliche Funktionen übernehmen können. Der Endpunkt der Atmungskette ist die bereits in Abschnitt 3.12.3 besprochene Cytochrom-c-Oxidase mit ihren Eisen- und Kupferzentren, die bei einem Potential von ca. C800 mV Sauerstoff und Protonen zu Wasser reduziert. Betrachtet man die diskutierten Elektronentransferketten zusammengenommen, so kann man den Bereich biologischer Redoxpotentiale recht gut systematisch einteilen. Tabelle 5.3 gibt einen Überblick. Insgesamt überspannt er einen Bereich von ca. 2 V. Das stärkste Reduktionsmittel ist das reduzierte Chlorophyll AK 0 , der erste Elektronenakzeptor im Photosystem I, mit einem Oxidationspotential von K1100 mV. Um allerdings diese Reduktionskraft wirklich nutzen zu können, muss sie in einem transportfähigen und im wässrigen Milieu stabilen Reduktionsmittel gespeichert werden. Diese Funktion übernehmen NADH oder NADPH, die nahe an das Reduktionspotential von Protonen bei pH z 7 heranreichen. Der Potentialbereich zwischen der Reduktion von NADPC und der Oxidation von AK 0 ist die Domäne der Eisen-Schwefel-Proteine. Das zeigt sich nicht nur in den Elektronentransferketten, sondern auch in Enzymen wie den Hydrogenasen und Nitrogenasen, die sehr starke Reduktionsmittel sind. Den Nullpunkt der biologischen Redoxskala besetzen die Chinone, in der Atmungskette das Ubichinon. Im daran anschließenden positiven, das heißt oxidierenden Bereich, findet man die Häm-Eisen- und Kupferproteine. Das stärkste Oxidationsmittel ist allerdings der Mangancluster im Photosystem II, der bei einem Reduktionspotential oberhalb von C820 mV sogar Wasser zu Sauerstoff oxidieren kann. Dass Eisen-Schwefel-Cluster am reduzierenden Ende des biologischen Redoxbereichs anzutreffen sind, ist eine nützliche Faustregel. Allerdings gibt es bedeutende Ausnahmen. Gerade die Fe.S-Proteine zeichnen sich durch eine erstaunliche Variabilität ihrer Redoxpotentiale aus. In den Chloroplasten und den Mito-

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Abb. 5.39 (a) Struktur eines Rieske-Zentrums. (b) Zweielektronen-Reduktion von Ubichinon (Q) zu Ubichinol (QH2). (c) Die beiden im Ubichinol gespeicherten Elektronen müssen in zwei Schritten auf das Transportprotein Cytochrom-c übertragen werden. Dazu dient eine Verzweigung der Elektronentransferkette. QH2 gibt ein Elektron an das RieskeZentrum ab und wird zum Semichinon oxidiert. Vom Rieske-Zentrum aus findet ein weiterer Transfer über ein Cytochrom-c1 zum Cytochrom-c statt. Das Semichinon wird durch das Cytochrom-b-566 weiter oxidiert. Dieses wiederum überträgt das aufgenommene Elektron auf das Cytochrom-b-562. Nun folgt der entscheidende Schritt. Das reduzierte Cytochrom-b-562 regeneriert ein Ubichinol, das zuvor sein Elektron an ein Rieske-Zentrum übertragen hat. Dadurch durchläuft das QH2 letztendlich zweimal die Reduktion zum Semichinon. Es werden also beide Elektronen auf Cytochrom-c übertragen.

chondrien enthalten die Cytochrom-bf- und -bc1-Komplexe einen ungewöhnlichen [2 Fe-2 S]-Cluster, der als Rieske-Zentrum bezeichnet wird. Seine Struktur ist in Abb. 5.39 dargestellt. Eines der Eisenatome ist nicht an Cysteinato- sondern an die Imidazolliganden zweier Histidylreste gebunden. Die Funktion dieser

5.6 Elektronentransferketten

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Komplexe sei kurz erläutert, weil sie ein wesentliches Problem biologischer Elektronentransferketten illustriert. Während bioanorganische Metallkomplexe normalerweise als Einelektronenüberträger wirken, gehen die beteiligten organischen Moleküle, aber auch Sauerstoff bzw. Wasser stets Mehrelektronen-Redoxreaktionen ein. Es muss also Mechanismen geben, die diese unterschiedlichen Reaktionen miteinander verknüpfen. Eine solche Schaltstelle zwischen der in Abb. 5.38b illustrierten Zweielektronen-Oxidation von Ubichinol und dem Einelektronen-Transportprotein Cytochrom-c ist der bc1-Komplex in der Atmungskette. Teil c) der Abbildung zeigt, dass die Oxidation des beweglichen Transporters Ubichinol an zwei Pfade gekoppelt ist. Einer wird durch zwei Cytochrome vom b-Typ gebildet, der andere verläuft über das Rieske-Zentrum und das Cytochrom-c1, das schließlich ein Elektron an Cytochrom-c überträgt. Die Verknüpfung von Einelektronen- mit Mehrelektronen-Redoxreaktionen ist ein erhebliches Problem bei der Entwicklung von synthetischen Systemen. Auf diesen Aspekt wird am Ende des Abschnitts eingegangen.

5.6.3 Grundlagen des Elektronentransfers in Proteinen Metallkomplexe sind nicht nur wichtige Komponenten in der Atmungskette und bei der Photosynthese. Sie spielen darüber hinaus auch eine herausragende Rolle bei der Erforschung der Grundlagen von Elektronentransferreaktionen in Proteinen. Abbildung 5.40 gibt eine Zusammenfassung der wichtigsten Voraussetzungen, die sich aus der Theorie des nichtadiabatischen Elektronentransfers ergeben. Betrachtet wird der Transfer eines Elektrons von einem Donor D auf einen Akzeptor A. Wenn sich die Atomkerne nicht zu stark bewegen, kann man Auslenkungen aus der Gleichgewichtsstruktur im Sinne einer harmonischen Oszillation mit einem symmetrischen, parabolischen Potential beschreiben. Dies gilt sowohl für die Edukte als auch für die Produkte, sodass sich zwei Parabeln ergeben. Der Unterschied zwischen den Energieminima ist die Triebkraft ∆G0 der Reaktion. Dort, wo sich die Kurven kreuzen, besitzen Edukte und Produkte die gleiche Struktur. Nur in dieser Situation kann ein Elektron übertragen werden, weil eine Übertragung aus der Gleichgewichtsstruktur heraus nach dem FranckCondon-Prinzip eine praktisch unerreichbar hohe freie Aktivierungsenthalpie erfordern würde. Glücklicherweise entspricht die tatsächlich notwendige freie Aktivierungsenthalpie ∆G # lediglich der Differenz zwischen den freien Enthalpien am Kreuzungspunkt und im Gleichgewichtszustand. Es ergibt sich ein interessanter Zusammenhang mit der Triebkraft und der Reorganisationsenergie λ. Letztere ist die Energie, die man den Edukten im Gleichgewichtszustand zuführen müsste, damit sie die Struktur annehmen, die dem Gleichgewichtszustand der Produkte entspricht. Die zweite Gleichung in Abb. 5.40 besagt, dass ∆G # Z 0 wird, wenn λ Z K∆G0 ist. Diese Bedingung gilt für eine maximale Elektronentransferrate. Die Geschwindigkeit des Elektronentransfers hängt von zwei weiteren Faktoren ab. νn ist die Frequenz, mit der die Edukte A und D den Kreuzungspunkt durchlaufen. Sie gibt an, wie häufig eine für die Übertragung günstige Anordnung vorliegt. Der zweite Faktor κ el bestimmt, mit welcher Wahrscheinlichkeit

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Abb. 5.40 Energiediagramm der Elektronentransferreaktion D C A $% DC C AK. Die Reaktionskoordinate beschreibt Strukturänderungen in den Edukten und den Produkten. Der Elektronentransfer findet wegen des Franck-Condon-Prinzips an der Stelle des Diagramms statt, an der Edukte und Produkte die gleiche Struktur besitzen. Aus dieser Bedingung lässt sich die freie Aktivierungsenthalpie als Funktion der Reorganisationsenergie λ und der Triebkraft ∆G 0 berechnen. Die Elektronentransferrate kET hängt außerdem von der Frequenz νn ab, mit der die Edukte den Kreuzungspunkt durchlaufen, sowie von der Wahrscheinlichkeit, mit der dann auch tatsächlich die Produkte gebildet werden. Diese Wahrscheinlichkeit ist bei adiabatischen Elektronentransferreaktionen praktisch gleich 1. In Proteinen ist der Elektronentransfer nichtadiabatisch, weil die Kopplung HDA nur sehr schwach ist. In diesem Fall hängt kET quadratisch von HDA ab. Weil die elektronische Kopplung mit zunehmendem Abstand zwischen Donor und Akzeptor exponentiell abfällt, ergibt sich eine typische Abstandsabhängigkeit der Elektronentransferrate in Proteinen und Peptiden, die intensiv untersucht worden ist.

dann tatsächlich ein Elektron übertragen wird, sodass es zur Bildung der Produkte DC und AK kommt. Dies hängt davon ab, wie groß die Lücke zwischen den beiden Kurven, die elektronische Kopplung 2 HDA ist. Anschaulich gesprochen ist die Aufgabe für einen Golfspieler einfacher, wenn das Loch groß ist. Weil ein Protein nur eine sehr geringe Leitfähigkeit besitzt, ist die Kopplung in biologischen Elektronentransferreaktionen normalerweise sehr klein. Der Elektronentransfer ist dann nichtadiabatisch, im Gegensatz zu den adiabatischen Reaktionen, die in Abschnitt 3.11.2 besprochen wurden. Dort konnte angenommen werden, dass κ el Z 1 ist. In Proteinen spielt die elektronische Kopplung dagegen eine entscheidende Rolle für die Geschwindigkeit. Besonders interessant ist die Abhängigkeit von HAD vom Donor-Akzeptor-Abstand, weil die Übertragung von Elektronen in der Biologie oft über erstaunlich große Distanzen erfolgen muss. Die Rolle von Peptiden als Medien für Elektronentransferreaktionen wurde intensiv untersucht, wobei auch in Modellstudien immer wieder Metallkomplexe als Donoren und Akzeptoren verwendet wurden. In Abb. 5.41 wird ein Beispiel

5.6 Elektronentransferketten

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Abb. 5.41 Metallkomplexe als Donor-Akzeptor-Paar. Verschieden lange Polyprolinketten wurden am N-Terminus über einen Isonicotinamidbaustein mit einem Osmium (II)-Komplex verknüpft. Dieser überträgt ein Elektron auf einen Ruthenium (III)-Komplex am CTerminus. Die Elektronentransferraten sinken mit zunehmendem Donor-Akzeptor-Abstand drastisch.

aus der Arbeitsgruppe von Isied vorgestellt. Der Elektronentransfer von einem Osmium (II)- auf einen Ruthenium (III)-Komplex über eine Polyprolinhelix wurde untersucht. Die aufgeführten kinetischen Daten zeigen, dass die Geschwindigkeit mit zunehmender Kettenlänge drastisch abnimmt. Das Derivat mit n Z 0 besitzt lediglich eine Isonicotinatobrücke und zeigt eine Elektronentransferrate von 109 pro Sekunde. Die Einführung von vier Prolinbausteinen verlangsamt die Reaktion um acht Größenordnungen. Auch in Proteinen kann der Abstand zwischen Donor und Akzeptor systematisch variiert werden. Wie das möglich ist, zeigt Abb. 5.42. Das gewählte Beispiel ist Cytochrom-c, das in seiner Peptidsequenz mehrere Histidinfunktionen besitzt. Deren Imidazol-Seitenketten können mit einem synthetischen Metallkomplex modifiziert werden. Diese Methode wurde insbesondere in der Arbeitsgruppe Gray sehr erfolgreich für die Untersuchung des Elektronentransfers in Proteinen benutzt. Besonders nützliche Metallkomplexe sind Polypyridylruthenium (II)-Derivate. Sie können durch einen Lichtblitz elektronisch angeregt werden und sind dann, ähnlich wie der Chromophor bei der Photosynthese, sehr starke Reduktions- und Oxidationsmittel. Auf dieses Phänomen wird später noch Bezug genommen. Hier genügt es festzustellen, dass Elektronentransferreaktionen mit Komplexen vom Typ Ru (bipy)2L1L2 (bipy: 2,2#-Bipyridyl) durch Licht angeregt werden können. Dazu kann ein sehr kurzer Laserpuls verwendet werden, sodass mithilfe der so genannten Laser-Blitzlichtphotolyse auch äußerst schnelle Reaktionen bis in den Pico- und Femtosekundenbereich untersucht werden können. In Tabelle 5.4 sind einige Daten für die Übertragung von Elektronen vom Eisen (II)-Ion auf photolytisch generierte Ru3C-Komplexe an verschiedenen Positionen in Cytochrom-c zusammengefasst. Man erkennt, dass die elektronische

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Abb. 5.42 Cytochrom-c besitzt mehrere Histidinbausteine, die über ihre Seitenketten mit einem Rutheniumkomplex verknüpft werden können. Rechts ist dies für ein photoredoxaktives Polypyridylderivat gezeigt; links ist das Modell eines Ruthenium-modifizierten Proteins dargestellt (mit freundlicher Genehmigung aus J. R. Winkler, A. J. Di Bilio, N. A. Farrow, J. H. Richards, H. B. Gray, Pure Appl. Chem. 71, 1999, 1753.).

Tabelle 5.4 Der Elektronentransfer in Ru (bipy)2 (Im) (His-X)-modifiziertem Cytochromc. X gibt die Stellung des Histidylrests in der Peptidkette an, kET ist die Geschwindigkeitskonstante der Reaktion Fe2C C Ru3C $% Fe3C C Ru2C, ∆G 0 ist die Triebkraft der Reaktion, HDA die Donor-Akzeptor-Kopplung, und d der Abstand zwischen Donor und Akzeptor. X

kET . sK1

39 33 66 72 58 62

3.2 2.6 1.0 9.0 5.2 1.0

· · · · · ·

106 106 106 105 104 104

K∆G 0 . eV

HDA . cmK1

0.74 0.74 0.77 0.74 0.69 0.74

1.1 9.7 6.0 5.7 1.4 5.9

· · · · · ·

10K1 10K1 10K2 10K2 10K2 10K3

d.Å 12.3 11.1 13.3 8.4 13.2 14.5

Kopplung und mit ihr die Elektronentransferrate offenbar nicht nur vom Abstand zwischen Donor und Akzeptor abhängt. Dies bedeutet, dass ein Protein keineswegs einfach eine weitgehend homogene Barriere bildet, die immer undurchdringlicher wird, je größer ihre Ausdehnung ist. Es müssen besonders günstige Pfade für den Elektronentransfer existieren. Diese Erkenntnis führte gegen Ende der 1990er Jahre dazu, dass die Beschreibung von biologischem Elektrontransfer als Tunnelprozess durch eine homogene, quadratische Potentialbarriere modifiziert werden musste. Das Modell der quadratischen Potentialbarriere wurde 1974 von Hopfield eingeführt. Es führt zu dem Ergebnis, dass die elektronische Kopplung zwischen Donor und Akzeptor exponentiell mit deren Abstand voneinander abnehmen sollte. Die Gleichung ist in Abb. 5.43 nachzulesen. Entscheidend ist der Abkling-

5.6 Elektronentransferketten

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Abb. 5.43 Idealisierte Darstellung der Abhängigkeit von Elektronentransferraten durch β-Faltblattstrukturen und α-Helices vom Donor-Akzeptor-Abstand. Der Abstand 0 Å entspricht einem unmittelbaren Kontakt, also der Summe der Van-der-Waals-Radien. Man erkennt, dass eine Vergrößerung des Abstands auf 20 Å zu einer Verlangsamung der Reaktion um 6 bis 10 Größenordnungen führt. Dieser Effekt hat seine Ursache im exponentiellen Abfall der elektronischen Kopplung mit zunehmendem Abstand. Im Allgemeinen ist der Elektronentransfer durch eine β-Faltblattstruktur schneller, weil ein relativ kurzer Weg durch kovalente Bindungen führt und dadurch eine stärkere elektronische Kopplung erreicht wird. In Wirklichkeit streuen einzelne Werte sehr stark, sodass die eingezeichneten Geraden nur als grobe Orientierung dienen können.

faktor β, der letztlich bestimmt, wie stark die Reaktionsgeschwindigkeit mit zunehmender Entfernung abnimmt. Die abgebildete Graphik zeigt, dass β nicht unabhängig von der Struktur eines Proteins ist. α-Helices sind offenbar etwas schlechtere Pfade für einen Elektronentransfer als β-Faltblattstrukturen. Eine plausible Vorstellung von den Ursachen dieses Verhaltens liefert eine einfache Regel: σ-Bindungen sind bessere Pfade für Elektronen als H-Brücken, und diese sind immer noch besser als ein Sprung durch den leeren Raum. In Proteinen gibt es aber noch eine grundsätzlich andere Möglichkeit, wie der Transfer von Elektronen verlaufen kann. Einige Aminosäureseitenketten, z. B. der Phenolsubstituent in der Seitenkette von Tyrosin, sind redoxaktiv. Sie können demnach als Quelle oder Senke für die Übertragung von Ladungen dienen. Dass dies tatsächlich ein realistisches Modell ist, wird in Abb. 5.44 illustriert. Hier wurde das blaue Kupferprotein Azurin mit einem photochemisch aktivierbaren Rhenium (I)-Komplex modifiziert. Der Abstand zwischen den beiden Metallzentren beträgt 25.7 Å, auf dem Elektronentransferweg befindet sich jedoch eine Tyrosin-Seitenkette, die oxidiert werden kann. Regt man den Rheniumchromophor mit einem Laserpuls bei 397 nm an („Flash“), dann wird dieser in einen angeregten Zustand übergeführt, der ein sehr starkes Reduktionsmittel ist. Man

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Abb. 5.44 Azurin wurde über eine Histidin-Seitenkette mit einem photoredoxaktiven Phenanthrolintricarbonylrhenium (I)-Komplex verknüpft. Laser-Blitzlichtphotolyse mit einem Puls bei 397 nm („Flash“) erzeugt einen angeregten Zustand, der als starkes Reduktionsmittel ein Elektron auf Hexaminruthenium (III) überträgt. Dadurch wird der angeregte Zustand gelöscht („Quench“). Es bleibt ein Rhenium (II)-Komplex, der als starkes Oxidationsmittel ein Elektron von dem blauen Kupfer (I)-Zentrum aufnimmt. Der direkte Elektronentransfer ist allerdings sehr langsam. Tatsächlich wird intermediär ein Tyrosyl-Radikalkation gebildet, das räumlich zwischen dem Kupferzentrum und dem Rheniumkomplex liegt. Das Kupfer (I)-Zentrum reduziert dieses Radikalkation und wechselt seinerseits in die Oxidationsstufe CII. Der Kreis schließt sich dadurch, dass das zuvor gebildete Hexaminruthenium (II) nun als Reduktionsmittel für den blauen Typ-1-Kupferkomplex wirkt.

verwendet Hexamminruthenium (III) als externen „Quencher“, der reduziert wird. Das Verfahren wird als „Flash-Quench-Technik“ bezeichnet. Im vorgestellten Fall wird ein Re (II)-Komplex als starkes Oxidationsmittel erzeugt, der nun ein Elektron vom Kupfer (I)-Zentrum des Proteins aufnehmen kann. Dies erfolgt aber nicht direkt, sondern es wird zunächst ein intermediär auftretendes TyrosylRadikalkation erzeugt. Daran anschließend wird ein Elektron vom Kupfer (I) auf das organische Radikal übertragen. Der entstandene Kupfer (II)-Komplex wird abschließend wieder durch den beim Löschen des angeregten Zustands gebildeten Ruthenium (II)-Komplex reduziert, sodass der Kreislauf geschlossen wird. Die Anwendung von Ruthenium- und Rheniumkomplexen in photoinduzierten Elektronentransferreaktionen beruht darauf, dass Charge-Transfer-Über-

5.6 Elektronentransferketten

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Abb. 5.45 Die Grundlagen der Photochemie von Rutheniumpolypyridylkomplexen. Der MLCT-Übergang in Tris-2,2#-bipyridylruthenium (II) wird durch sichtbares Licht mit einer Wellenlänge von ca. 450 nm ausgelöst. Er führt zu einer Ladungstrennung unter Bildung eines Bipyridyl-Radikalanions und eines Ruthenium (III)-Kations. Deshalb ist der Komplex im angeregten Zustand sowohl ein starkes Reduktionsmittel ($% Radikalanion), als auch ein starkes Oxidationsmittel ($% Ruthenium (III)-Ion). Dass die beiden nicht sofort rekombinieren, liegt an einem Intersystem Crossing zum Triplettzustand. Die Rückkehr in den Grundzustand ist damit spinverboten, und der angeregte Zustand ist langlebig genug für Reaktionen mit verschiedenen Partnern.

gänge eine Ladungstrennung bewirken. Ihre photophysikalischen Eigenschaften haben Trisbipyridylruthenium (II)-Derivate zu den wahrscheinlich meistuntersuchten Metallkomplexen überhaupt gemacht. Abbildung 5.45 zeigt die Konsequenzen der Absorption von sichtbarem Licht mit einer Wellenlänge von ca. 450 nm. Es wird ein angeregter Zustand erreicht, in dem ein Ruthenium (III)-Ion und ein Bipyridyl-Radikalanion vorliegen. Ersteres ist ein starkes Oxidationsmittel, letzteres ein starkes Reduktionsmittel. Bei der Anregung wird zunächst ein Singulettzustand erreicht, der jedoch infolge eines Intersystem Crossing sofort in einen Triplettzustand übergeht. Dadurch wird die Rückkehr in den Grundzustand unter Ladungsrekombination langsam. Der angeregte Zustand besitzt in wässriger Lösung eine Lebensdauer im Mikrosekundenbereich, was für Elektronentransferreaktionen normalerweise ausreicht. Ein Vergleich der Redoxpotentiale im angeregten Zustand zeigt, warum [Ru (bipy)3]2C so großes Interesse gefunden hat. Das Reduktionspotential ist positiv genug für die Oxidation von Wasser zu Sauerstoff. Das Oxidationspotential reicht aus, um Protonen zu Wasserstoff zu reduzieren. Zusammen mit der Anregungswellenlänge im sichtbaren Bereich sind somit alle Voraussetzungen für eine Spaltung von Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff im Sinne einer künstlichen Photosynthese erfüllt. Praktisch gibt es allerdings noch viele Probleme, die nicht annähernd gelöst sind. Eine wesentliche Schwierigkeit besteht darin, dass [Ru (bipy)3]2C nur ein Elektron aufnehmen oder übertragen kann. Bei der Oxidation von Wasser werden dagegen vier Elektronen frei, für die Reduktion werden zwei benötigt. Ein möglicher Ansatz zur Lösung des Problems ist die Speicherung von Oxidations- und Reduktionsäquivalenten in geeigneten Verbindun-

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Abb. 5.46 Modellsystem für die photosynthetische Wasserspaltung mit Rutheniumkomplexen. Die löslichen Komponenten [Ru (bipy)3]2C und Paraquat bilden analog zu Abb. 5.44 ein Flash-Quench-System, in dem einerseits ein Ruthenium (III)-Komplex als starkes Oxidationsmittel, andererseits ein organisches Radikal als starkes Reduktionsmittel gebildet werden. Diese beiden Komponenten übertragen ihre Einelektronen-Redoxäquivalente auf zwei Festkörperelektroden aus RuO2 und Pt. Diese fungieren als Speichermedien und können mehrere Elektronen übertragen bzw. aufnehmen. Dadurch sollte zumindest im Prinzip die Spaltung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff möglich sein. In der Praxis hat sich jedoch bisher noch kein künstliches System bewährt.

gen. Ein Beispiel für ein Modellsystem ist in Abb. 5.46 dargestellt. Hier wird im Sinne des zuvor besprochenen Flash-Quench-Verfahrens zunächst ein Elektron vom angeregten Zustand auf ein Paraquation übertragen, das seinerseits als Reduktionsmittel gegenüber einer Elektrode aus kolloidalem Platin auftritt, die als Kathode für die Reduktion von Wasser zu Sauerstoff fungiert. Der intermediär entstandene Ruthenium (III)-Komplex wird an einer Rutheniumdioxid-Oberfläche regeneriert, die Elektronen aus der Oxidation von Wasser aufnimmt.

5.7 Transport und Aktivierung von Sauerstoff 5.7.1 Sauerstofftransportproteine Mit der Verfügbarkeit von molekularem Sauerstoff in der Atmosphäre hat sich das Leben auf der Erde stark verändert. Heute nutzen Organismen das O2-Molekül und seine Oxidationskraft auf die vielfältigste Weise. Damit sie dies können, steht ihnen ein fein abgestimmtes System von Transport- und Speicherproteinen zur Verfügung. Streng genommen handelt es sich dabei nicht um Enzyme, weil sie keine Reaktion katalysieren. Abbildung 5.47 zeigt die aktiven Zentren der drei bekanntesten Transportproteine Hämoglobin, Hämocyanin und Hämerythrin. Die beiden erstgenannten wurden bereits in Abschnitt 3.12.3 besprochen. Die dritte Variante, das Hämerythrin, kommt in einigen Wirbellosen vor. Es enthält einen zweikernigen Eisenkomplex mit zwei verbrückenden Carboxylatoliganden und einer Hydroxobrücke. Im Desoxyzustand ist die Oxidationsstufe an beiden Metallzentren CII. Interessant ist eine strukturelle Eigenschaft, die bereits im Zusammenhang mit mehrkernigen Zinkenzymen besprochen wurde. Die

5.7 Transport und Aktivierung von Sauerstoff

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Abb. 5.47 Sauerstofftransportproteine. Im Hämoglobin und Myoglobin bindet O2 an einen Eisen-Porphyrinkomplex, der im Desoxyhämoglobin ein Eisen (II)-Ion (high-spin) mit einer out-of-plane-Struktur und im Oxyhämoglobin ein oktaedrisch koordiniertes Eisen (III)-Ion (low-spin) mit einem Superoxoliganden enthält. Das blaue Hämocyanin kommt in Mollusken und Arthropoden vor. Es enthält im Desoxyzustand zwei histidinkoordinierte, nicht verknüpfte Kupfer (I)-Zentren. Im Oxyhämocyanin bildet sich ein sideon-µ (η2 : η2)-Peroxokomplex mit zwei Kupfer (II)-Ionen. Desoxyhämerythrin enthält zwei Fe2C-Ionen. Eines ist oktaedrisch, eines fünffach koordiniert. Im Oxyhämerythrin liegen beide Eisenionen oktaedrisch koordiniert und in der Oxidationsstufe CIII vor. Disauerstoff bindet in Form eines end-on-Peroxoliganden, der über eine Wasserstoffbrückenbindung zum verbrückenden Hydroxoliganden stabilisiert wird.

beiden Eisenionen liegen nämlich unterschiedlich koordiniert vor, sind also verschieden. Eines ist sechsfach, das andere fünffach koordiniert, wobei es sich bei allen terminalen Liganden um Histidyl-Imidazolringe handelt. Das fünffach koordinierte Eisen (II)-Ion ist die Bindungsstelle für Sauerstoff. Im Oxyhämerythrin koordiniert ein Hydroperoxoligand an zwei Fe3C-Ionen. Eine wichtige Rolle kommt der Hydroxobrücke zu, die durch eine Wasserstoffbrückenbindung das Hydroperoxidion stabilisiert. Es kooperieren also nicht nur

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die beiden Metallionen bei der Reduktion des O2-Moleküls, sondern auch einer der Liganden. Dieses Zusammenwirken mehrerer Bausteine muss als Charakteristikum bioanorganischer Systeme immer wieder herausgestellt werden. Synthetische Modelle sind immer noch weit davon entfernt, ihren biologischen Vorbildern in dieser Hinsicht das Wasser reichen zu können.

5.7.2 Enzymatische Katalyse von Reaktionen mit Sauerstoff Nicht nur der Transport von Sauerstoff, sondern auch die Katalyse seiner Reaktionen ist in der Biologie eine wahre Domäne redoxaktiver Metalloenzyme. Die meisten von ihnen benötigen für ihre Funktion Eisen- oder Kupferionen. Auf solche Vertreter beschränkt sich deshalb die nachfolgende Diskussion. Grundsätzlich lassen sich drei Klassen unterscheiden: Oxidasen, Monooxygenasen und Dioxygenasen. Die erste Klasse bilden die Oxidasen, die keine Sauerstoffatome übertragen. Sie katalysieren Reaktionen, in denen der Sauerstoff als externes Oxidationsmittel fungiert, wie in Abb. 5.48 illustriert. Es können entweder zwei oder vier Elektronen übertragen werden, wobei entweder Wasserstoffperoxid oder Wasser als Nebenprodukt der Oxidation eines komplexeren Moleküls auftritt. Die Vierelektronen-Oxidation von Cytochrom-c durch den Proteinkomplex Cytochromc-Oxidase am Ende der Atmungskette ist das vielleicht bekannteste Beispiel. Es entstehen zwei Wassermoleküle an einem Komplex, der ein Häm-Eisen und ein Kupferion enthält. Zwei Elektronen werden bei der Umsetzung von Galaktose durch das Kupferenzym Galaktose-Oxidase übertragen. Im Gegensatz zu den Oxidasen übertragen Monooxygenasen ein Sauerstoffatom auf ein Substrat. Das zweite O-Atom wird zu Wasser umgesetzt. Die dafür erforderlichen Wasserstoffatome können aus zwei verschiedenen Quellen stammen, wie Abb. 5.49 zeigt. Zum einen kann ein externes Reduktionsmittel, z. B. das bereits vorgestellte NADH, als Wasserstoffdonor fungieren. Ein prominentes Beispiel für diese Variante ist die Methan-Monooxygenase, die Methan zu Methanol oxidieren kann. Das aktive Zentrum ist ein Dieisenkomplex, ähnlich dem der Ribonukleotidreduktase (vgl. Abb. 5.34). Als zweite Möglichkeit können die Wasserstoffatome aus dem Substrat selbst stammen. Das dafür angeführte Beispiel, die Oxidation von Tyrosin unter Vermittlung des Kupferproteins Tyrosinase, wird weiter unten noch ausführlicher besprochen. Schließlich gibt es auch Metalloproteine, die zwei Sauerstoffatome auf ein Substrat übertragen und die folgerichtig als Dioxygenasen bezeichnet werden. Wieder gibt es zwei Varianten, die in Abb. 5.50 jeweils am Beispiel eines einkernigen Eisenproteins dargestellt sind. Die beiden Sauerstoffatome können entweder auf dasselbe oder auf zwei verschiedene Substrate übertragen werden. Das erste Beispiel, die Protocatechuat-3,4-Dioxygenase (PCD), wird noch ausführlicher besprochen. Im zweiten Beispiel, der Phenylalanin-Hydroxylase, die für die Oxidation von Phenylalanin zu Tyrosin benötigt wird, ist das zweite Substrat ein organischer Cofaktor, das Biopterin. Neben den Enzymen, die molekularen Sauerstoff umsetzen, gibt es noch eine Reihe weiterer, sehr wichtiger Proteine, die hauptsächlich der Entgiftung schädli-

5.7 Transport und Aktivierung von Sauerstoff

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Abb. 5.48 Zweielektronen- und Vierelektronen-Oxidasen. Sauerstoff dient als Elektronenakzeptor, wird aber nicht auf das Substrat übertragen. Im Falle der ZweielektronenOxidasen bildet sich H2O2. Als Beispiel ist die Reaktion des Kupferenzyms GalaktoseOxidase gegeben. Die Cytochrom-c-Oxidase der Atmungskette gibt ein Beispiel für eine Vierelektronen-Oxidation unter Bildung von 2 H2O. Sie oxidiert vier Cytochrom-c-Einheiten. Die Elektronen werden über einen zweikernigen Kupferkomplex (CuA) und ein HämEisenzentrum (Häm a) an den eigentlichen Reaktionsort transportiert. Die Sauerstoffbindungsstelle liegt zwischen einem Häm-Eisenzentrum (Häm a3) und einem Kupferkomplex (CuB). An dieser Stelle binden auch Cyanidionen, wodurch die Atmungskette an ihrem Endpunkt blockiert wird.

cher Neben- und Zwischenprodukte dienen. Nur ca. 80 % des bei der Atmung verbrauchten Sauerstoffs wird direkt zu Wasser umgesetzt. Der Rest findet sich in äußerst aggressiven Zwischenprodukten wie dem Superoxidion (O 2• )K oder Wasserstoffperoxid H2O2 wieder. Dass diese keine toxischen Wirkungen entfalten können, ist Enzymen wie den Superoxid-Dismutasen, Katalasen und Peroxidasen zu verdanken. Beispiele sind in Abb. 5.51 genannt. Unter den SuperoxidDismutasen ist eine Variante besonders bekannt, die ein zweikerniges aktives Kupfer-Zink-Zentrum enthält. Sie wird später noch genauer vorgestellt. Ihre Funktion ist die Katalyse der Disproportionierung von H2O2 in H2O und Sauerstoff. Katalasen und Peroxidasen sind einander recht ähnlich. Sie sind häufig Hämproteine, die entweder die Disproportionierung von Wasserstoffperoxid oder die Oxidation eines Substrats katalysieren.

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Abb. 5.49 Monooxygenasen. Diese Proteine übertragen ein Sauerstoffatom auf ein Substrat S, wobei als Nebenprodukt aus Disauerstoff Wasser entsteht. Die H-Atome für die Bildung von Wasser können entweder von einem externen Reduktionsmittel RH2 oder direkt vom Substrat SH2 stammen. Beide Beispiele enthalten einen zweikernigen Komplex im aktiven Zentrum.

Abb. 5.50 Dioxygenasen. Diese Proteine übertragen beide Sauerstoffatome von Disauerstoff. Entweder werden beide auf dasselbe Substrat S übertragen, oder es tritt ein Cofaktor als zweiter Sauerstoffakzeptor auf. Bei den Beispielen handelt es sich um einkernige nichtHäm-Eisenproteine.

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Abb. 5.51 Superoxid-Dismutasen, Katalasen und Peroxidasen machen schädliche Nebenprodukte der Sauerstoffreduktion unschädlich. Die Peroxidase ist ein Spezialfall der Katalase. Hier wird Wasserstoffperoxid als Oxidationsmittel für ein Substrat SH2 verwendet.

Die angeführten Beispiele in den Abbildungen sollen einen kleinen Einblick in die Vielfalt sauerstoffaktivierender Metalloenzyme bieten. Selbst die Beschränkung auf Kupfer- und Eisenproteine erlaubt nur die ausführlichere Besprechung einiger weniger ausgewählter Systeme. Die folgenden Abschnitte sind jeweils einem charakteristischen Fall gewidmet. In der Gesamtschau ergibt sich K hoffentlich! K ein Bild, das hinter den Einzelheiten auch einige grundlegende Prinzipien sichtbar werden lässt.

5.7.3 Cytochrom P-450 Cytochrom P-450 ist ein Häm-Eisen-System, dessen CO-Komplex eine charakteristische Absorptionsbande bei 450 nm zeigt. Es handelt sich um eine Familie von Enzymen, die in allen Lebensformen vorkommen. Ein Übersichtsartikel (Chem. Rev. 2005, 105, 2253) nennt eine Zahl von annähernd 4 000 identifizierten P-450-Genen! Die Funktionen der Enzyme umfassen die Metabolisierung sowohl von körpereigenen (endogenen), als auch von körperfremden (xenobiotischen) Substanzen. In der menschlichen Leber dienen sie der Entgiftung. Funktionell sind die Cytochrom P-450-Proteine Monooxygenasen, die auch sehr inerte Substrate wie aliphatische Ketten hydroxylieren können. Einige Beispiele sind in Abb. 5.52 gegeben. Die Grundzüge des enzymatischen Katalysezyklus von Cytochrom P-450 sind in Abb. 5.53 wiedergegeben. Im Ruhezustand 1 liegt ein oktaedrisch koordinierter low-spin-Eisen (III)-Porphyrinkomplex mit einem axialen Cystein-Thiolatoliganden vor. In Häm-Eisen-Proteinen wird dieser fünfte Ligand oft als Steuerligand bezeichnet, weil er die Funktion wesentlich bestimmt. Thiolate sind starke σ- und π-Donorliganden und stabilisieren dadurch hohe Oxidationsstufen am Metall. Dies ist wichtig zum Verständnis der Reaktivität von Cytochrom P-450 im Gegensatz zu Hämoglobin und Myoglobin. Der sechste Donor ist ein kinetisch labiler Aqualigand, der den Komplex verlässt, sobald ein Substratmolekül RKH

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Abb. 5.52 Einige Beispiele für Reaktionen, die von Cytochrom P-450 katalysiert werden.

in das aktive Zentrum gelangt. Es bildet sich der fünffach koordinierte high-spinKomplex 2. Zu beachten ist, dass das Substrat nicht an das Metallzentrum bindet, sich jedoch bereits in unmittelbarer räumlicher Nähe befindet. Es folgt nun die Reduktion des Eisen (III)-Ions durch externes FADH2. Der entstehende Komplex 3 weist die typische Struktur mit einem Eisen (II)-Ion auf, das wegen seiner Größe keinen Platz mehr im Porphyrinring findet. Diese Struktur und der Spin S Z 2 bieten ideale Voraussetzungen für die Bindung von Sauerstoff, die nun erfolgt. Der Sauerstoffligand in 4 kann als Superoxidion aufgefasst werden, womit dem Eisen die Oxidationsstufe CIII zuzuordnen wäre. Nun folgt eine weitere Reduktion zum Peroxokomplex 5, der anschließend zum Hydroperoxokomplex 6 protoniert wird. Ein weiterer Protonierungsschritt führt zur Abspaltung von Wasser und Bildung des Oxoeisen (IV)-Komplexes 7, der eine Schlüsselrolle im Katalysezyklus einnimmt. Es zeigt sich an dieser Stelle, wie in der bioanorganischen Chemie Metallion und Ligand als Einheit wirken. Die hohe Oxidationsstufe am Eisen wird durch den Cysteinato-Steuerliganden stabilisiert. Außerdem wird die Oxidationsstufe CV dadurch vermieden, dass der Porphyrinligand redoxaktiv ist und ein resonanzstabilisiertes Radikalion bilden kann. So kann sich der Oxoeisen (IV)-Komplex 7 bilden, der nun die eigentliche Reaktion mit dem Substrat eingeht. Für den Einschub des Sauerstoffliganden in die RdH-Bindung wird ein Mechanismus angenommen, der häufig als „Rebound“ bezeichnet wird. Dabei erfolgt zunächst eine homolytische Spaltung unter Bildung eines Hydroxoeisen (IV)-Komplexes (FeIVdOH) und eines organischen Radikals R•. Es folgt eine rasche Rekombination unter Bildung des Komplexes 8, in dem das Reaktionsprodukt an ein Eisen (III)-Ion koordiniert ist. Der Austausch des Alkoholliganden gegen ein Wassermolekül schließt den Zyklus und führt zurück zum Ausgangszustand 1.

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Abb. 5.53 Katalysezyklus von Cytochrom P-450. Ausgangspunkt ist ein sechsfach koordinierter low-spin-Fe3C-Komplex (1). Der Eintritt des Substrats in das aktive Zentrum führt zu einem Wechsel des Spinzustands und zum Austritt des Aqualiganden (2). Es folgt eine Einelektronen-Reduktion (3) und die Bindung von Disauerstoff (4). Der in Analogie zum Hämoglobin gebildete Superoxoligand wird zum Peroxid reduziert (5) und zum Hydroperoxid protoniert (6). Eine erneute Protonierung führt zur Abspaltung von Wasser und Bildung eines Oxoeisen (IV)-Ions bei gleichzeitiger Oxidation des Porphyrinliganden zu einem Radikalion (7). Dieser hochreaktive Oxokomplex reagiert mit dem Substrat, das bis dahin im aktiven Zentrum lediglich schwach gebunden war (8). Die Dissoziation des Produkts und die Bindung eines Wassermoleküls vervollständigen den katalytischen Zyklus.

5.7.4 Protocatechuat-3,4-Dioxygenase (3,4-PCD) Das Enzym 3,4-PCD oxidiert 3,4-Dihydroxybenzoesäure durch Übertragung von zwei Sauerstoffatomen unter Ringöffnung zur Tricarbonsäure. Der Katalysezyklus ist in Abb. 5.54 dargestellt. Er unterscheidet sich grundlegend von dem des

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Abb. 5.54 Katalysezyklus von 3,4-PCD. Die Reaktion startet an einem fünffach koordinierten Eisen (III)-Komplex mit einem Hydroxoliganden. Das Substrat bindet unter Bildung eines oktaedrischen Komplexes und Protonierung des Hydroxoliganden. Der gebildete Aquoligand ist kinetisch labil und wird durch die zweite Phenolatfunktion des Substrats ersetzt. Dies ist möglich, weil ein koordinierter Tyrosinatoligand ein Proton aufnimmt und dissoziiert. Es entsteht wiederum ein fünffach koordinierter Komplex, der durch zwei mesomere Grenzstrukturen beschrieben werden kann. Die Fe2C-Grenzformel mit einem koordinierten organischen Radikal erklärt den weiteren Verlauf: Sauerstoff wird addiert, es folgt eine Protonierung, die zur Regeneration des Hydroxoliganden und Bildung eines Anhydrids führt. Dieses wird hydrolysiert, und das Produkt verlässt den Komplex unter Rückbildung des Ausgangszustands.

Cytochroms P-450, weil der Schlüsselschritt in einer Aktivierung des organischen Substrats und nicht von Sauerstoff besteht. Im aktiven Zentrum befindet sich ein trigonal bipyramidaler Eisen (III)-Komplex mit zwei Tyrosinato- und zwei Histidinliganden, die zum Protein gehören. Dazu kommt ein Hydroxidion in einer äquatorialen Position. Das Substrat bindet unter Erhöhung der Koordinationszahl und Bildung eines oktaedrischen Komplexes, wobei der Hydroxoligand protoniert wird. Es folgt ein weiterer Protonentransfer vom Substrat auf einen der beiden Tyrosinatoliganden, der daraufhin

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ebenso wie das Wassermolekül dissoziiert. Es entsteht wiederum ein fünffach koordinierter, trigonal bipyramidaler Komplex. In diesem ist das Substrat aktiviert: Es kann eine Grenzstruktur formuliert werden, in der das Eisen in der Oxidationsstufe CII und der Ligand als Radikalanion vorliegt. Beachtenswert ist, dass eine gewisse Parallele zum Cytochrom P-450 darin besteht, dass der entscheidende Schritt wiederum durch das Zusammenspiel eines redoxaktiven Liganden K hier das Substrat K mit dem redoxaktiven Metallion möglich wird. Dieses Prinzip trifft man in bioanorganischen Redoxenzymen häufig an. Dieser Komplex addiert Sauerstoff, wobei sich ein organischer Peroxoligand bildet. Protonierung und Umlagerung führen zu einem oktaedrischen Komplex mit einem Hydroxoliganden und einem koordinierten Carbonsäureanhydrid. Letzteres wird hydrolytisch gespalten und das Produkt freigesetzt, sodass sich der Zyklus schließt.

5.7.5 Tyrosinase Das Kupferprotein Tyrosinase oxidiert Tyrosin zu Dopachinon. Auch o-Dihydroxybenzolderivate werden zu den entsprechenden o-Chinonen oxidiert. Diese Reaktionen führen über mehrere Folgeschritte schließlich zur Bildung der polymeren Melaninpigmente, die Haut und Haare, aber auch angeschnittene Früchte braun färben. Der Reaktionszyklus ist nicht bis ins Detail aufgeklärt, und die Abb. 5.55 gibt lediglich eine mögliche Formulierung. Er wird hier wegen der auffälligen Ähnlichkeit zum Sauerstofftransportprotein Hämocyanin diskutiert, das bereits in

Abb. 5.55 Vorschlag für den Mechanismus der Katalyse durch Tyrosinase. Das Enzym enthält im Ruhezustand zwei Kupfer (I)-Zentren, die Sauerstoff analog zum Hämocyanin binden. Im Unterschied zum Hämocyanin existiert eine Substratbindungsstelle für den Eintritt von Tyrosin, das auf diese Weise aktiviert und durch das µ (η2 : η2)-gebundene Peroxidion oxidiert wird.

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Abschnitt 13.2.3 beschrieben wurde. Wie im Oxyhämocyanin bindet Disauerstoff in einer µ-η2 : η2-Anordnung zwischen zwei histidinkoordinierten Kupfer (II)Fragmenten. Der wesentliche Unterschied besteht nun darin, dass das aktive Zentrum der Tyrosinase genügend Platz für das Substrat bietet, sodass in der Koordinationssphäre ein Sauerstoffatom übertragen werden kann. Das Beispiel zeigt sehr deutlich, dass einfache koordinationschemische Argumente nicht immer ausreichen, um die unterschiedliche Reaktivität von zwei Proteinen zu erklären. Im Falle der Hämproteine Cytochrom P-450 und Hämoglobin kann man gut mit den unterschiedlichen Steuerliganden Cystein und Histidin argumentieren. Bei den Kupferproteinen Hämocyanin und Tyrosinase ist kein ähnlich offensichtliches Unterscheidungsmerkmal vorhanden.

5.7.6 Kupfer-Zink-Superoxiddismutase (SOD) Der letzte Abschnitt dieses Kapitels ist einem Beispiel für Proteine gewidmet, die schädliche Neben- und Zwischenprodukte der Reduktion von Sauerstoff unschädlich machen. Da Häm-Peroxidasen dem Cytochrom P-450 aus mechanistischer Sicht recht ähnlich sind, fiel die Wahl auf ein anderes System, die KupferZink-Superoxiddismutase. Superoxiddismutasen sind wichtige Enzyme, von denen es mehrere grundverschiedene gibt. So sind neben der vorgestellten Variante auch Formen bekannt, die einkernige Mangan- oder Eisenkomplexe im aktiven Zentrum besitzen. Ihre Funktion, die Katalyse der Disproportionierung von Superoxid in Sauerstoff und Wasserstoffperoxid, wurde bereits in Abb. 5.51 dargestellt. Ein gängiger Vorschlag für den katalytischen Zyklus der Kupfer-Zink-Superoxiddismutase wird in Abb. 5.56 präsentiert. Details sind teilweise noch umstritten, weshalb hier nur auf einige wesentliche Grundzüge eingegangen wird. Das aktive Zentrum enthält ein Kupfer (II)- und ein Zink (II)-Ion, die über eine deprotonierte Imidazolbrücke miteinander verbunden sind. Da Redoxreaktionen nur am Kupfer ablaufen können, muss hier die Bindungsstelle für das Superoxidion sein. Es kommt zur Oxidation von Superoxid unter Freisetzung von Sauerstoff und Bildung eines Kupfer (I)-Komplexes. Die Imidazolbrücke wird protoniert und dissoziiert vom Kupfer (I)-Ion ab, bleibt aber am Zinkion gebunden. Nun kann abermals ein Superoxidion binden, wobei sich unter Re-Oxidation des Kupfers und Übertragung des zuvor aufgenommenen Protons ein Hydroperoxokomplex bildet. Aus diesem wird nach Aufnahme eines weiteren Protons Wasserstoffperoxid freigesetzt. Entscheidend für die Funktion von Superoxiddismutasen ist das Vorhandensein eines Metallions, das Superoxid in zwei verschiedenen Oxidationsstufen binden kann. Außerdem darf es weder durch Sauerstoff noch durch Wasserstoffperoxid zu einer Oxidation des Proteins kommen. Welche Rolle das Zinkion spielt, ist nicht geklärt. Vermutlich stabilisiert es die Struktur. Seine Entfernung führt jedoch nur zu einer geringfügigen Abnahme der Aktivität.

5.8 Vitamin und Cofaktor B12

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Abb. 5.56 Vorschlag für den Mechanismus der Kupfer-Zink-Superoxiddismutase. Das aktive Zentrum enthält ein vierfach histidinkoordiniertes Kupfer (II)-Ion. Ein Imidazolligand ist deprotoniert und fungiert als Brücke zu einem tetraedrisch koordinierten Zn2C-Ion. Die Reaktion läuft am Kupfer ab, wobei der erste Schritt in der Bindung des Superoxidions besteht. Es bildet sich Sauerstoff, wobei Kupfer (II) zu Kuper (I) reduziert und der Imidazolligand protoniert wird. Der Kupfer (I)-Komplex wird durch ein weiteres Superoxidion wieder oxidiert. Dabei bildet sich ein Hydroperoxoligand, der zu Wasserstoffperoxid protoniert wird und das aktive Zentrum verlässt.

5.8 Vitamin und Cofaktor B12 5.8.1 Historisches und biologische Bedeutung Das Vitamin B12 ist ein Mitglied der Cobalaminfamilie, die in der Biologie eine Besonderheit ist: Cobalamine sind die einzigen biologischen Verbindungen, die Cobaltionen enthalten. Die Aufklärung der dreidimensionalen Struktur von Cyanocobalamin im Jahr 1954 ist ein Meilenstein in der Entwicklung der Kristallstrukturanalyse. Dorothy Crowfoot-Hodgkin wurde dafür 1964 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Der tägliche Bedarf an diesem lebenswichtigen Vitamin ist mit ca. 2K3 µg sehr gering. Er muss aus tierischer Nahrung gedeckt

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werden. Im menschlichen Körper liegt das Vitamin vorwiegend als Methylcobalamin und 5#-Desoxyadenosylcobalamin vor. Letzteres ist unter der Bezeichnung Coenzym B12 bekannt. Die Funktionen von Cobalaminen sind im Menschen die Synthese der Aminosäure Methionin und die Umwandlung von Methylmalonylin Succinyl-CoA. Die letztgenannte Reaktion koppelt den Abbau von Fettsäuren und einigen Aminosäuren an den Citratzyklus, die zentrale Drehscheibe des Stoffwechsels. Eine bekannte Mangelerscheinung ist die perniziöse (Z gefährliche) Anämie. Ihre Ursache liegt darin, dass Methylcobalamin über seine Beteiligung bei der Methioninsynthese wichtig für den Folsäurestoffwechsel ist. Dessen Störung führt zu einer verminderten Synthese der DNA- und RNA-Basen Adenin, Guanin und Thymidin, was sich auf Organe mit hoher Zellteilungsaktivität auswirkt. Zu diesen gehört das Knochenmark, wo die roten Blutkörperchen ebenso wie die Zellen des Immunsystems gebildet werden. Bereits 1926 verwendeten Minot und Murphy Extrakte aus tierischer Leber zur Heilung der perniziösen Anämie. Ein B12-Mangel kann außerdem insbesondere bei älteren Menschen zu neurologischen Symptomen führen, was wahrscheinlich auf den gestörten Methylmalonylstoffwechsel zurückzuführen ist.

5.8.2 Allgemeine Strukturmerkmale Nicht nur das Cobaltion ist eine Besonderheit der Cobalamine. Sie enthalten darüber hinaus einen einzigartigen makrozyklischen Tetrapyrrolliganden, das Corrin. Abbildung 5.57 zeigt dessen Verwandtschaft mit dem bekannten Porphyrin, das bereits im Zusammenhang mit den Häm-Eisen-Proteinen besprochen wurde, und dessen 2,3-Dihydroderivat Chlorin. Letzteres spielt als Grundgerüst der Chlorophylle und Pheophythine eine große Rolle bei der Photosynthese in den grünen Pflanzen. Im Corrinliganden schließlich sind alle vier Pyrrolringe teilweise hydriert. Außerdem fehlt eine der Methylenspangen, sodass der Ring insgesamt ein Glied weniger enthält und dadurch kleiner ist. Als wichtige Konsequenz dieser Änderungen ist nur noch ein dissoziierbares Proton vorhanden: Der Corrinligand ist in Komplexen nur einfach negativ geladen. Diese strukturellen Besonderheiten sind offenbar sehr wichtig für die Funktion von Cobalaminen, denn Cobalt-Porphyrin-Komplexe sind zwar stabil, aber inaktiv. In Abb. 5.58 ist die Struktur der verschiedenen Cobalamine gezeigt. Mit dem Cobalt-Corrin-Gerüst ist ein Dimethybenzimidazol-Steuerligand verknüpft. Im Co3C-Ruhezustand besetzt dieser die fünfte Koordinationsstelle. Die oktaedrische Ligandensphäre wird durch einen sechsten Liganden komplettiert, in dem sich die fünf biologisch relevanten Cobalamine unterscheiden. Methylcobalamin und 5#-Desoxyadenosylcobalamin (Coenzym B12) sind als die beiden aktiven Cofaktoren für die biologische Reaktivität verantwortlich. Als echte, unter biologischen Bedingungen stabile Organometallverbindungen sind sie eine weitere Besonderheit der B12-Familie. Das Vitamin B12 ist Cyanocobalamin mit einem koordinierten Cyanidion. Tauscht man letzteres gegen ein Wassermolekül aus, gelangt man zum Aquo- und schließlich durch Deprotonierung zum Hydroxycobalamin.

5.8 Vitamin und Cofaktor B12

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Abb. 5.57 Tetrapyrrolmakrozyklen als biologische Komplexliganden. Porphyrin und seine Bedeutung in Hämkomplexen wurde bereits ausführlich diskutiert. Von ihm leitet sich Chlorin durch Hydrierung einer Doppelbindung zum Dihydroporphyrin ab. Chlorin ist als zweifach anionischer Ligand von Magnesium Bestandteil der Chlorophylle. Corrin, das Ligandgerüst der Cobalamine, zeichnet sich dadurch aus, dass (1) vier Pyrrol-Doppelbindungen hydriert sind, (2) der Ring um ein Glied verkleinert ist, und (3) der Ligand in seinen Komplexen nur einfach negativ geladen ist. Schon daran ist zu erkennen, dass die niedrigen Oxidationsstufen CI und CII in Cobalaminen eine große Rolle spielen.

Abb. 5.58 Struktur der Cobalamine. Das Grundgerüst besteht aus einem Cobalt-CorrinKomplex mit einem am Corrin kovalent gebundenen Benzimidazol-Steuerliganden. Die sechste Koordinationsstelle variiert. Cyanocobalamin, das Vitamin B12, war eigentlich ein Produkt der Isolation und Reinigung. In Vitaminpräparaten findet man gelegentlich auch Hydroxycobalamin, Vitamin B12a. Unter physiologischen Bedingungen bildet sich in jedem Fall zunächst Aquocobalamin, das dann durch Ligandensubstitution in die beiden Coenzyme 5#-Desoxyadenosylcobalamin (Coenzym B12) oder Methylcobalamin umgewandelt wird.

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5.8.3 Reaktivität von Cobalaminen Die Metall-Kohlenstoff-Bindungen der beiden biologisch aktiven Cofaktoren Methylcobalamin und Coenzym B12 können auf zwei Weisen gespalten werden, die in Abb. 5.59 gezeigt sind. Die Heterolyse führt zu einem Carbokation und einem Cobalt (I)-Komplex. Die Elektronenkonfiguration d8 begünstigt eine quadratisch planare Koordination, die durch Dissoziation des Steuerliganden erreicht wird. Das dz2-Orbital ist vollständig besetzt, was wichtige Konsequenzen für die Reaktivität des Komplexes hat, der ein so genanntes „Supernukleophil“ ist. Vergleicht man die Bildung eines Cobalt (I)-Komplexes mit der typischen Stabilisierung hoher Oxidationsstufen in Häm-Eisen-Proteinen, wird die besondere Rolle des Corrinliganden offenbar. Durch die einfache negative Ladung wird in der niedrigen Oxidationsstufe ein Neutralkomplex gebildet. Die zweite Möglichkeit besteht in einer homolytischen Bindungsspaltung. Dabei bilden sich ein Kobalt (II)-Komplex mit einer d7-Konfiguration, sowie ein hochreaktives organisches Radikal. Letzteres ist wahrscheinlich der eigentliche Träger der Reaktivität in den vielfältigen B12-abhängigen Mutase-Enzymen, von denen die menschliche Methylmalonyl-CoA-Mutase nur ein Beispiel ist.

Abb. 5.59 Die Reaktivität von metallorganischen Cobalaminen. Ausgehend vom Co3CKomplex kann die Cobalt-Kohlenstoff-Bindung entweder homoloytisch oder heterolytisch gespalten werden. Die Homolyse führt zu einem hochreaktiven organischen Radikal und einem Cobalt (II)-Ion mit einer high-spin-d7-Konfiguration. Die Heterolyse führt zu einem Carbokation und einem Cobalt (I)-Komplex. Dieser bevorzugt aufgrund seiner d8-Konfiguration eine quadratisch planare Ligandensphäre, die durch Dissoziation des Steuerliganden erreicht wird. Das doppelt besetzte dz2-Orbital begründet die hohe Nukleophilie des Metallzentrums, das auch als „Supernukleophil“ bezeichnet wird.

5.8 Vitamin und Cofaktor B12

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Abb. 5.60 Die Methylcobalamin-vermittelte Methylgruppenübertragung bei der Methioninsynthese. Methylcobalamin überträgt eine Methylgruppe auf Homocystein, wodurch Methionin gebildet wird. Der entstandene Cobalt (I)-Komplex reagiert als „Supernukleophil“ mit Methyltetrahydrofolat (CH3-THFA). Dabei bildet sich Tetrahydrofolat, und Methylcobalamin wird regeneriert.

Abb. 5.61 Die Reaktivität von Coenzym B12 am Beispiel der Methylmalonyl-CoA-Mutase. 5#-Desoxyadenosylcobalamin reagiert unter heterolytischer Bindungsspaltung. Das dabei gebildete organische Radikal abstrahiert ein H-Atom vom Substrat. Es folgt eine Umlagerung und die abschließende Rückübertragung des Wasserstoffatoms.

Mit den beiden diskutierten Reaktionen lassen sich die Funktionen von Cobalaminen im menschlichen Organismus ohne weiteres erklären. Die Abb. 5.60 zeigt eine Darstellung der Rolle von Methylcobalamin bei der Synthese von Me5 thionin. Das Cobalt (I)-Supernukleophil nimmt ein CHC 3 -Kation vom N -MethylC tetrahydrofolat auf. Dabei wird Co im Sinn einer oxidativen Addition zu Co3C

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oxidiert. Es folgt die Synthese von Methionin durch Übertragung des Methylkations auf Homocystein. Die Ursache der bereits erwähnten perniziösen Anämie ist die Anreicherung von N5-Methyltetrahydrofolat und der daraus folgende sekundäre Mangel an Tetrahydrofolat. Die zweite Reaktion von Cobalaminen im menschlichen Organismus ist die durch Coenzym B12 vermittelte Umlagerung von Methylmalonyl-CoA in Succinyl-CoA. Umlagerungen werden von Enzymen katalysiert, die als Mutasen bezeichnet werden. Viele von ihnen verwenden 5#-Desoxyadenosylcobalamin als Cofaktor. Das Beispiel der Methylmalonyl-CoA-Mutase ist in Abb. 5.61 schematisch dargestellt. Durch Heterolyse der Cobalt-Kohlenstoff-Bindung entsteht ein 5#-Desoxyadenosylradikal, das ein Proton von der Methylgruppe des Substrats abstrahieren kann. Dadurch wird die Umlagerung möglich, deren Details noch nicht völlig geklärt sind. Der letzte Schritt ist die Rückübertragung des H-Atoms und anschließende Rekombination des Coenzyms B12.

5.9 Biologische und medizinische Anwendungen von Metallkomplexen 5.9.1 Hintergrund Man kann mit gutem Grund behaupten, dass die bioanorganische Chemie zu einer Renaissance der Koordinationschemie geführt hat. Dieser Aufschwung hing zunächst mit der Synthese von Modellverbindungen für die oft noch völlig unbekannten aktiven Zentren von Metalloproteinen zusammen. Zu den Sternstunden der Modellchemie gehört z. B. die richtige Vorhersage der Struktur des Sauerstoffkomplexes im Hämocyanin aufgrund eines Trispyrazolylborato-Kupferkomplexes aus der Arbeitsgruppe von Kitajima. Inzwischen sind sehr viele Proteinstrukturen bekannt, und die klassische Modellchemie hat zwar nicht ausgedient, ist aber doch etwas in den Hintergrund getreten. Das heißt aber keineswegs, dass die präparative Koordinationschemie keinen Beitrag mehr leistet! Vielmehr haben sich der bioanorganischen Chemie in den letzten Jahren aufregende neue Betätigungsfelder eröffnet, die mit der Verwendung von Metallkomplexen in der Biologie und der Medizin zusammenhängen. Die bioanalytischen und medizinischen Anwendungsmöglichkeiten von Metallkomplexen sind zahlreich. Einige Beispiele wie das Antitumormittel cis-Platin und MRI-Reagenzien auf der Basis von Gadoliniumkomplexen wurden bereits in Abschnitt 3.10.5 vorgestellt. In den folgenden Abschnitten werden vier weitere ausgewählte Beispiele besprochen, die verdeutlichen sollen, welche Möglichkeiten sich durch die Wechselwirkungen von synthetischen Komplexen mit biologischen Molekülen eröffnen. Vorgestellt wird zuerst eine in molekularbiologischen Laboren häufig eingesetzte Methode zur Proteinreinigung mit Hilfe von Nickelkomplexen. Danach folgt ein Abschnitt über den Einsatz von Trisphenanthrolincobalt (II) in DNA-Sensoren. Der ausführlichste Abschnitt ist der Entwicklung von Radiodiagnostika gewidmet, wobei das Hauptaugenmerk auf der Verwen-

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dung von Technetiumkomplexen liegt. Den Schluss bildet eine Beschreibung von Metallcarbonylen, die als IR-spektroskopische Sonden für die Analytik von Medikamenten eingesetzt werden.

5.9.2 Nickelchelatchromatographie Die Nickelchelatchromatographie ist ein Spezialfall der Affinitätschromatographie, bei der spezifische Wechselwirkungen zwischen einem Säulenmaterial und einem Analyten für die Trennung ausgenutzt werden. Die Methode beruht auf der besonderen Stabilität von Histidinkomplexen in Metalloproteinen. Sie wird häufig zur Reinigung von Proteinen mit Hilfe der rekombinanten DNA-Technologie verwendet. Dazu wird mit gentechnischen Methoden die DNA-Sequenz des zu untersuchenden Proteins, beispielsweise wie in Abb. 5.62 dargestellt, mit einem His6-Codon fusioniert. Die Modifikation kann am C- oder am N-Terminus erfolgen. Das so erhaltene Protein verfügt mit den sechs Histidinbausteinen K man benutzt dafür auch im Deutschen die englische Bezeichnung „His6-Tag“ K über eine Bindungsstelle für Metallionen, die man für seine Reinigung ausnutzt. Dazu wird ein Nitrilotriacetatonickel (II)-Komplex kovalent über eine Alkylbrücke mit einer Festphase für die Chromatographie verknüpft. Nitrilotriacetat

Abb. 5.62 Nickelchelatchromatographie. Das zu reinigende Protein wird gentechnisch mit einem His6-Tag versehen. Dieser wird chromatographisch über eine Festphase gereinigt, die kovalent mit einem Nitrilotriacetatonickel (II)-Komplex modifiziert wurde. Das Protein bindet über zwei Histidin-Imidazolliganden an das Metallion, wodurch ein oktaedrischer Komplex entsteht. Eluiert wird nach Abtrennung aller Verunreinigungen mit einer Imidazollösung.

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ist ein vierzähniger, dreifach negativ geladener Ligand, der mit EDTA verwandt ist. Er bildet sehr stabile oktaedrische Nickelkomplexe, wobei die beiden verbleibenden Koordinationsstellen von zwei kinetisch labilen Aqualiganden besetzt werden. Diese werden bei der Nickelchelatchromatographie gegen zwei Imdidazolliganden des His6-Tags ausgetauscht. Das modifizierte Protein bleibt so auf der Säule zurück. Es wird üblicherweise mit einer Imidazollösung eluiert. Auch die Zugabe von Säuren führt zur Elution, allerdings werden dabei viele Proteine denaturiert.

5.9.3 Elektrochemische Hybridisierungssensoren Das zweite Beispiel berührt ein Gebiet, das ganz besonders deutlich macht, welche neuen Möglichkeiten die Kombination von synthetischen Metallkomplexen mit biologischen Molekülen eröffnen kann. Es geht um die Bindung von Polypyridylkomplexen, in diesem Fall Trisphenanthrolincobalt (II), an DNA. [(Phen)3Co]2C bindet, wie in Abb. 5.63 gezeigt, in der kleinen Furche der DNA-

Abb. 5.63 Trisphenanthrolincobalt (II) in elektrochemischen Hybridisierungssensoren. [(Phen)3Co]2C bindet an doppelsträngige DNA in der kleinen Furche. Die Affinität für DNA-Einzelstränge ist dagegen gering. Dies macht man sich für den Nachweis zu Nutze. Einzelstrang-DNA wird auf einer Kohleelektrode immobilisiert. [(Phen)3Co]2C kann nicht an die Elektrodenoberfläche gelangen und es fließt folglich nur ein geringer Oxidationsstrom. In Gegenwart eines komplementären DNA-Strangs kommt es zur Hybridisierung der DNA (Bildung einer Doppelhelix). Der Cobaltkomplex kann nun in der kleinen Furche binden und so in die Nähe der Elektrode gelangen. Bei einem Potential von C210 mV fließt ein Oxidationsstrom.

5.9 Biologische und medizinische Anwendungen von Metallkomplexen

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Doppelhelix. Die Bindung beruht auf einer Kombination von elektrostatischen und hydrophoben Wechselwirkungen. Um eine echte Interkalation, d. h. die Einschiebung eines ausgedehnten, planaren, aromatischen Systems zwischen die Basen im Inneren der Helix, handelt es sich streng genommen nicht, obwohl dies öfter zu lesen ist. Der Phenanthrolinligand ist dafür zu klein. Die Bindung in der kleinen Furche ist typisch für Phenanthrolinkomplexe und wird auch für [(Phen)2Cu]C gefunden, ein bekanntes DNA-Spaltungsreagenz. [(Phen)3Co]2C spaltet die DNA nicht. Vielmehr nützt man die elektrochemische Oxidation des Komplexes an einer Graphitelektrode bei ca. C210 mV zur Detektion. Wie dies geschieht, ist ebenfalls in Abb. 5.63 gezeigt. Zuerst wird Einzelstrang-DNA auf einer Elektrode immobilisiert. Da sie nur eine geringe Affinität für den Cobaltkomplex besitzt, wird dieser von der Oberfläche ferngehalten und kann nicht oxidiert werden. In Gegenwart eines komplementären Strangs kommt es zur Hybridisierung. So bezeichnet man die Bildung einer DNA-Doppelhelix. Die doppelsträngige DNA bindet nun [(Phen)3Co]2C, das dadurch in die Nähe der Elektrode gelangt und oxidiert wird. Als Folge fließt ein Strom, der die Hybridisierung anzeigt. Auf diese Weise lassen sich DNA-Sequenzen hochspezifisch nachweisen.

5.9.4 Radiopharmazeutika 5.9.4.1 Isotope und Strahlungsarten Isotope eines Elements enthalten Atomkerne mit gleicher Protonen- aber unterschiedlicher Neutronenzahl. Die Notation 123 53 I bedeutet das Isotop des Elements mit der Kernladungszahl 53 (Iod) und einer Massenzahl von 123 (Zahl der Protonen C Zahl der Neutronen). Die Stabilität eines Kerns hängt von seiner Zusammensetzung ab, d. h. von der Massen- und der Kernladungszahl. Mögliche Umwandlungen des Kerns sind einerseits die Erzeugung von neuen Isotopen, z. B. durch Neutroneneinfang, andererseits der Zerfall. Die Erzeugung künstlicher Isotope durch Neutroneneinfang ist wichtig für die Herstellung von Radionuklid-Generatoren, wie sie weiter unten beschrieben sind. Die Bildungsgleichung ist: m kECn

$% mC1k E C hν

wobei E ein Element und n ein Neutron bezeichnet. Für die eigentliche Radiopharmazie ist der Zerfall von Kernen wichtig. Fünf verschiedene Strahlungsarten sind dabei von Bedeutung: 1. α-Strahlung durch α-Zerfall. Hierbei zerfällt ein schwerer Kern unter Freisetzung eines Helium-Kerns 4 2C und Energie, z. B. 2 He 209 83 Bi

4 $% 205 81 Tl C 2 He (Z α) C 3.06 MeV

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5 Bioanorganische Chemie

2. βK-Strahlung durch βK-Zerfall. Hierbei zerfällt der Kern unter Umwandlung eines Neutrons in ein Elektron (βK) und ein Proton (pC), wobei auch noch ein Anti-Neutrino (ν) frei wird, z. B. 3 1H

$% 23 He C βK C ν C 35 keV

3. βC-Strahlung durch βC-Zerfall. Hierbei zerfällt der Kern unter Umwandlung eines Protons in ein Positron (Anti-Elektron, βC) und ein Neutron (n), wobei auch noch ein Neutrino (ν) frei wird, z. B. 27 14 Si

C $% 27 13 Al C β C ν C 4.8 MeV

Positronen und Elektronen reagieren unter Annihilation. Dabei entstehen zwei γ-Quanten mit einer Energie von jeweils 0.511 MeV. Diese Strahlung wird bei der Positronenemissionstomographie (PET) detektiert: βC C βK $% 2 γ (0.511 MeV) 4. Röntgenstrahlung durch K-Einfang. Hierbei wandelt sich der Kern unter Verschmelzung eines Protons mit einem Elektron aus der innersten Schale zu einem Neutron um: 37 18 Ar

$% 37 17 Cl C Röntgenstrahlung C 814 eV

5. γ-Strahlung als Begleiterscheinung. Atomkerne haben eine Struktur. Wandelt sich ein Kern in einen anderen um, dann ändert sich nicht nur die Zusammensetzung aus Neutronen und Protonen, sondern es muss infolge der Umwandlung auch eine strukturelle Reorganisation zur energetisch stabilsten Anordnung folgen. Die freiwerdende Energie wird in Form eines γ-Quants abgegeben. Bei den meisten Kernumwandlungen erfolgt die Abgabe eines γ-Quants praktisch simultan mit dem Zerfall, z. B. 238 92 U

$% 234 90 Th C α C 4.18 MeV C γ (0.045 MeV)

In einigen Fällen kann bei der Umwandlung ein metastabiler Kern entstehen, der mit einer Halbwertszeit t1.2 unter Freisetzung eines γ-Quants in die stabile Form übergeht. Solche Kerne sind reine γ-Strahler und sehr nützlich für die Radiodiagnostik: 99 42 Mo 99 m 43 Tc 99 43 Tc

m $% 9943 Tc C βK C ν

$% 99 43 Tc C γ

K $% 99 44 Ru C β C ν

5.9.4.2 Pharmazeutisch nützliche Strahlungsarten α-Strahlen bestehen aus sehr energiereichen Teilchen, die eine geringe Reichweite (Eindringtiefe) in biologischem Material (! 0.1 mm) besitzen und sehr starke Gewebeschäden hervorrufen. Sie sind für pharmazeutische Anwendungen ungeeignet.

5.9 Biologische und medizinische Anwendungen von Metallkomplexen

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βK-Strahlung besteht aus Elektronen, die in biologischem Gewebe eine Reichweite von einigen cm haben und moderate Schäden verursachen. Sie sind gut geeignet für therapeutische Anwendungen, z. B. zur Zerstörung von Tumorgewebe. Im Jahr 2003 wurde beispielsweise ein Yttrium-90-markierter Antikörper (bifunktionelle Chelatliganden, s. u.) unter dem Markennamen Zevalin® für die Behandlung von non-Hodgkins-Lymphomen zugelassen. Beispiele für βK-Strah153 166 ler sind 90 39 Y (t1.2 Z 2.7 d), 62 Sm (t1.2 Z 1.95 d) und 67 Ho (t1.2 Z 27.8 h). Produziert werden die Isotope durch Neutroneneinfang (Kernreaktor, Zyklotron), oder 90 im Radionuklid-Generator (z. B. 90 39 Y durch Zerfall von 38 Sr). γ-Strahlung ist von großem diagnostischem Nutzen. Sie hat eine größere Reichweite in Gewebe als βK-Strahlung. Die Eindringtiefe folgt, wie bei jeder elektromagnetischen Welle, dem Lambert-Beer-Gesetz I (d) Z I 0 · eKµd. Dabei ist I (d) die Intensität nach Durchlaufen einer Strecke d im Gewebe, I0 die Intensität vor Eintritt ins Gewebe und µ der Absorptionskoeffizient. Er ist umso kleiner, je kürzer die Wellenlänge ist. Die Reichweite nimmt also mit kürzeren Wellenlängen zu. Außerdem hängt µ vom Material ab. Der gebräuchlichste γ-Emitter m ist 9943 Tc. In der Positronenemissionstomographie, bei der γ-Strahlung als Ergebnis der Annihilation von Positronen und Elektronen auftritt und detektiert wird, kann 62 29 Cu verwendet werden. Gebräuchliche Methoden in der Radiodiagnostik sind SPECT (engl. singlephoton emission computed tomography), Szintigraphie und PET (engl. positron emission tomography). Bei der Szintigraphie wird die Verteilung der Aktivität nur aus einer Blickrichtung gemessen. Bei den tomographischen Methoden wird aus verschiedenen Richtungen gemessen und anschließend mit Hilfe eines Computers eine dreidimensionale Aktivitätsverteilung berechnet.

5.9.4.3 Technetium-99m Radiopharmazeutika 99 m 43 Tc

wird in ca. 80 % aller Radiodiagnostika verwendet. Der Grund liegt in der einfachen Handhabung des Technetium-Generators und in den vorteilhaften Halbwertszeiten der relevanten Kerne: 99 42 Mo

m $% 9943 Tc C βK C ν (t1.2 Z 66 h)

99 m 42 Tc

entsteht beim Zerfall von 99 42 Mo. Die Halbwertszeit ist ausreichend lang für die Herstellung und Verschickung von Technetiumgeneratoren. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für Anwendungen in Kliniken und Arztpraxen, die nicht in unmittelbarer Nähe einer kerntechnischen Einrichtung liegen: 99 m 42 Tc

$% 99 (t1.2 Z 6 h) 43 Tc C γ

In bildgebenden Verfahren wird der anschließende γ-Zerfall ausgenutzt. Seine Halbwertszeit ist ausreichend lang für die Präparation von speziellen, gewebespezifischen Komplexen unmittelbar vor der Applikation. Auch für die Verteilung im Organismus und anschließende Messung bleibt ausreichend Zeit. Andererseits ist die Dauer der Belastung für den Patienten relativ gering: 99 43 Tc

K $% 99 (t1.2 Z 2.12 $ 105 a) 44 Ru C β C ν

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5 Bioanorganische Chemie

Der anschließende schädliche βK-Zerfall von 99 43 Tc ist so langsam, dass er bei den verwendeten Konzentrationen praktisch keine Bedeutung hat. Die positiven Eigenschaften von Technetium-99m werden besonders durch einen Vergleich mit 62 29 Cu deutlich, das in der Positronenemissionstomographie eingesetzt wird. Ein Generator, der auf dem Zerfall von 62 30 Zn basiert, hält nur ca. 2 Tage. Das macht die Technik sehr teuer und beschränkt den Zugang auf wenige Einrichtungen in der Nähe von kerntechnischen Anlagen. Hinzu kommt eine sehr kurze Halbwertszeit des Nuklids 62 29 Cu, die nur sehr wenig Zeit für die Präparation und Anwendung von Arzneimitteln lässt: 62 30 Zn 62 29 Cu

C $% 62 (t1.2 Z 9.3 h) 29 Cu C β C ν C $% 62 (t1.2 Z 9.7 min) 28 Ni C β C ν

m Tc-haltigen Pharmazeutika ist der TechAusgangspunkt für die Synthese von 9943 netium-Generator, der in Abb. 5.64 schematisch dargestellt ist. Es handelt sich 2K dabei um eine mit 99 beladene Al2O3-Ionenaustauschersäule. Durch βK42 MoO 4 99 m K Zerfall entsteht 43 TcO4 , das aufgrund seiner geringeren negativen Ladung weniger stark gebunden wird. Mit physiologischer Kochsalzlösung wird Pertechnetat eluiert, Permanganat nicht.

Abb. 5.64 Schematische Darstellung eines Technetium-Generators. Molybdationen werden aufgrund ihrer zweifach negativen Ladung fest an Aluminiumoxid gebunden. Durch 99 2K 99 m K den radioaktiven Zerfall von 42 MoO 4 entsteht 43 TcO4 , das mit einer physiologischen Kochsalzlösung eluiert wird. Diese Lösung kann entweder für die Präparation anderer Technetiumkomplexe verwendet oder direkt als Imagingreagenz eingesetzt werden.

Radiopharmazeutika können nach dem Mechanismus ihrer Verteilung im Organismus (Z Biodistribution) in zwei Klassen eingeteilt werden: 1. Verbindungen, die sich aufgrund ihrer chemischen und.oder physikalischen Eigenschaften verteilen. Das tetraedrisch gebaute Pertechnetation TcOK 4 wird beispielsweise für das Schilddrüsen-Imaging verwendet. Es hat einen ähnlichen Radius wie das Iodidion (rAnion Z 126 pm) und wird deshalb von der

5.9 Biologische und medizinische Anwendungen von Metallkomplexen

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Schilddrüse aufgenommen. Die Verteilung hängt hier also von den physikalischen Eigenschaften Größe und Ladung ab. In Tabelle 5.5 sind Beispiele für die Verteilung von anderen Technetiumkomplexen zusammengefasst. Repräsentative Strukturen sind in Abb. 5.65 dargestellt. Als Daumenregel kann man festhalten, dass kationische Komplexe (z. B. Tc-Sestamibi, Tc-Tetrofosmin) eine gewisse Affinität für das Herz zeigen, unpolare Neutralkomplexe (z. B. Tc-HMPAO, Tc-Bicisate) die Blut-Hirn-Schranke überwinden können, und anionische Komplexe (z. B. Tc-Pentetate, Tc-MAG3) für die Nierendiagnostik verwendet werden. 2. Die pharmakophore Gruppe K hier der Technetium-Komplex K kann kovalent mit einem rezeptorspezifischen Biomolekül verknüpft werden. Schematisch lässt sich dieser Ansatz wie in Abb. 5.66 verdeutlichen. Weil der Chelatligand sowohl ein Metallion binden, als auch eine spezifische Einheit für die Bindung an einen biologischen Rezeptor besitzen muss, spricht man im angloamerikanischen Sprachraum von „Bifunctional Chelators“ (BFCs) oder „Bifunctional Chelating Agents“ (BCAs). Einige Beispiele für Technetiumkomplexe mit bifunktionellen Chelatliganden sind in Tabelle 5.6 aufgeführt. Die Struktur des Somatostatinrezeptor-bindenden Peptidderivats Tc-99m Depreotid ist in Abb. 5.67 dargestellt. Tabelle 5.5 Technetiumkomplexe in der Radiodiagnostik. Präparat Tc-99m Tc-99m Tc-99m Tc-99m Tc-99m Tc-99m Tc-99m Tc-99m

Bicisat Disofenin Exametazin Gluceptat Lidofenin Mertiatid Oxidronat Pentetat (DTPA)

Tc-99m Sestamibi Tc-99m Succimer Tc-99m Teboroxim Tc-99m Tetrofosmin

Handelsname ®

Neurolite Hepatolite® Ceretec® Glucoscan® Technescan® HIDA Technescan® MAG3 Osteoscan® HDP Techneplex®, Technescan® Cardiolite® Miraluma® DMSA Cardiotec® Myoview®

Anwendung Imaging der Hirndurchblutung Leber- und Gallenimaging Imaging der Hirndurchblutung Nierenimaging Leber- und Gallenimaging Nierenimaging Knochenimaging Nieren- und Nierenfunktionsimaging Herzmuskelimaging Brustkrebsimaging Nierenimaging Herzmuskelimaging Herzmuskelimaging

Tabelle 5.6 Technetiumkomplexe mit bifunktionellen Chelatliganden. Präparat

Handelsname ®

Tc-99m Apcitid

AcuTect

Tc-99m Arcitumomab

CEA-Scan®

Tc-99m Depreotid

Neotect®

Anwendung Synthetisches Peptid zum Screening von Thrombosen Monoklonaler Antikörper zum Screening von Dick- und Enddarmkrebs Screening von neuroendokrinen Tumoren der Lunge

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5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.65 Die Strukturen einiger ausgewählter Technetium-Radiopharmazeutika. Die kationischen Komplexe werden für die Herzdiagnostik verwendet. Die neutralen Komplexe können die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Die anionischen Komplexe werden für Untersuchungen der Niere eingesetzt.

Abb. 5.66 Schematische Darstellung eines bifunktionellen Chelatkomplexes. Ein Metallkomplex wird kovalent über einen Spacer mit einem biologischen Molekül verknüpft. Dabei handelt es sich häufig um ein rezeptorbindendes Motiv, dessen spezifische Wechselwirkung mit seiner Erkennungsstelle zu einer hohen Gewebespezifität des Pharmazeutikums führt, beispielsweise für bestimmte Tumore.

5.9 Biologische und medizinische Anwendungen von Metallkomplexen

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Abb. 5.67 Struktur von Tc-99m Depreotid (Neotect®) als Beispiel für einen bifunktionellen Technetium-Chelatkomplex. Der Komplex ist über eine Amidfunktion mit einem zyklischen Peptid verknüpft, das an den Somatostatinrezeptor von Tumorgewebe in der Lunge bindet.

5.9.5 Carbonylmetallimmunoassays (CMIA) Elektrochemische Hybridisierungssensoren und Radiopharmazeutika beruhen auf physikalischen Eigenschaften von Metallkomplexen, die ihre Detektion ermöglichen. Dass dazu auch spektroskopische Eigenschaften ausgenutzt werden können, zeigen die hochaktuellen Carbonylmetallimmunoassays (CMIA) aus der Arbeitsgruppe von Jaouen. Bei dieser Methode werden biologisch aktive Moleküle kovalent mit Metallcarbonylkomplexen verknüpft. Abbildung 5.68 zeigt dies am Beispiel von drei Antiepileptika. Die dargestellten Organometallkomplexe besitzen sehr unterschiedliche IR-Spektren, sodass man sie nebeneinander in Lösung detektieren kann. Dabei liegt die Nachweisgrenze im Picomolbereich (1 pmol Z 10K12 mol)! Wie man solche Komplexe in der medizinischen Analytik ausnutzt, ist in Abb. 5.69 dargestellt. Das Prinzip ist ein allgemeines und wird als Immunoassay bezeichnet. Organismen bilden Antikörper, wenn sie körperfremden Stoffen ausgesetzt werden. Diese sind hochspezifisch für ein Substrat und können isoliert werden. Für den CMIA werden zunächst Antikörper gegen die Stoffe hergestellt, die untersucht werden sollen; in der klinischen Praxis beispielsweise die drei gezeigten Medikamente. Diese Antikörper werden dann auf einer festen Oberfläche immobilisiert und anschließend mit den markierten Molekülen beladen. Bringt man eine so präparierte Festphase mit einer Lösung der Analyten, beispielsweise Blut, in Kontakt, so stellt sich ein Gleichgewicht ein, welches dazu führt, dass markierte Analytmoleküle in Lösung gehen. Diese werden dann IRspektroskopisch detektiert.

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5 Bioanorganische Chemie

Abb. 5.68 Organometallkomplexe als Marker von Medikamenten. Drei Antiepileptika wurden mit Substituenten funktionalisiert, die stabile Komplexe mit den Fragmenten Dicobalthexacarbonyl, Mangantricarbonyl und Chromtricarbonyl bilden. Die Metallkomplexe unterscheiden sich durch ihre IR-Spektren. Entscheidend ist außerdem, dass die Schwingungsbanden der Carbonylkomplexe in einem Bereich liegen, der nicht von den Frequenzen biogener Moleküle überlagert wird.

Abb. 5.69 Schematische Darstellung eines Carbonylmetallimmunoassays (CMIAs). Zunächst werden analytspezifische Antikörper hergestellt, die man an einem festen Träger immobilisiert. Dann belädt man die Antikörper mit markierten Analyten, beispielsweise den drei Antiepileptika aus Abb. 5.68. Die so hergestellte Sonde wird in Kontakt mit der zu untersuchenden Probe gebracht. Enthält die Probe das Antigen, im Beispiel das nicht markierte Medikament, so stellt sich ein Dissoziationsgleichgewicht ein, das den markierten Analyten in Lösung bringt, wo er detektiert werden kann. Im Fall der drei vorgestellten Medikamente ist der CMIA die einzige Möglichkeit für eine gleichzeitige Detektion. Das Prinzip ist nicht auf die IR-spektroskopische Detektion beschränkt, sondern wird allgemein in Immunoassays angewendet.

Weiterführende Literatur

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Weiterführende Literatur Lehrbücher Alberts, B., Johnson, A., Lewis, J., Raff, M., Roberts, K., Walter, P.: Molecular Biology of the Cell, 4. Auflage, Garland Science, New York 2002. Berg, J. M., Tymoczko, J. L., Stryer, L.: Biochemie, 3. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2003. Bertini, I., Gray, H. B., Lippard, S. J., Valentine, J. S.: Bioinorganic Chemistry, University Science Books, Mill Valley 1994. Chem. Rev. 1996, 96, Heft 7: Bioinorganic Enzymology (Sonderheft). Fraústo da Silva, J. J. R., Williams, R. J. P.: The Biological Chemistry of the Elements, 2. Auflage, Oxford University Press, New York 2001. Kaim, W., Schwederski, B.: Bioanorganische Chemie, 4. Auflage, Teubner, Wiesbaden 2005. Lippard, S. J., Berg, J. M.: Bioanorganische Chemie, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995. Abschnitt 5.2: Transport und Speicherung von Metallionen Gaggelli, E., Kozlowski, H., Valensin, D., Valensin, G.: Chem. Rev. 2006, 1995. (Kupfertransport) Raymond, K. N., Dertz, E. A., Kim, S. S.: Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2003, 3584. (Enterobaktin) Rosenzweig, A. C.: Acc. Chem. Res. 2001, 34, 119. (Kupfer-Metallochaperone) Sarkar, B.: Chem. Rev. 1999, 99, 2535. (Wilsons- und Menke-Erkrankung) Williams, R. J. P., Fraústo da Silva, J. J. R.: Coord. Chem. Rev. 2000, 247. (Allgemeines) Abschnitt 5.3: Kalium, Natrium und Calcium: Signalübertragung und biologische Struktur Kaupp, U. B., Baumann A.: „Neurons K The Molecular Basis of their Electrical Excitability“, in: Waser, R. (Hrsg.), Nanoelectronics and Information Technology, Wiley-VCH, Weinheim 2003, S. 149K188. (Nervenleitung) MacKinnon, R.: Angew. Chem. 2004, 4363. (Ionenkanäle, Nobelvortrag) Abschnitt 5.4: Zink: Lewis-saure Katalyse und strukturgebende Funktion Parkin, G.: Chem. Rev. 2004, 104, 699. Abschnitt 5.5: Wichtige bioanorganische Kupfer- und Eisenkomplexe Rao, P. V., Holm, R. H.: Chem. Rev. 2004, 104, 527. (Eisen-Schwefel-Cluster) Solomon, E. I., Brunold T. C., Davis, M. I., Kemsley, J. N., Lee, S.-K., Lehnert, N., Neese, F., Skulan, A. J., Yang, Y.-S., Zhou, J.: Chem. Rev. 2000, 100, 235. (Nicht-Häm-Eisenproteine) Abschnitt 5.6: Elektronentransferketten Becker, H. G. O.: Einführung in die Photochemie, DVW, Berlin 1991. Bolton, J. R., Mataga, N., McLendon, G. (Hrsg.): Electron Transfer in Inorganic, Organic, and Biological Systems, Advances in Chemistry Series 228, ACS, Washington D.C. 1991.

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Biographische Daten der Autoren

Ralf Alsfasser Franz-Kohlhepp-Str. 7, 79115 Freiburg Email: [email protected] 1983K1989 1989K1992

Chemiestudium an der Universität Kaiserslautern Doktorarbeit an der Albert Ludwigs Universität, Freiburg (Prof. Dr. H. Vahrenkamp) 1992K1994 Postdoktorand am Boston College (Prof. Dr. W. H. Armstrong) 1994K2002 Habilitation an der Universität Erlangen 2002K2004 Vertretung einer Professur (C3) für Anorganische Chemie an der Universität Erlangen 2004K2006 Oberassistent (C2) am Institut für Biologie I der Universität Freiburg September 2006 Wechsel in den Schuldienst (Physik und Chemie am Gymnasium Kenzingen) Wissenschaftliche Interessen: Koordinationschemie von Peptiden und Proteinen, Synthese von synthetischen Chelatliganden auf der Basis von Peptiden, chirale Koordinationspolymere, Koordinationschemie der Peptidbindung.

Christoph Janiak Institut für Anorganische und Analytische Chemie, Universität Freiburg, Albertstraße 21, 79104 Freiburg Email: [email protected] http:..www.chemie.uni-freiburg.de.aoanchem.cj.cj.html 1979K1982.84 1984 1987 1988K1990 1990K1991 1991K1995 seit Okt. 1996 Juli 1998

Chemiestudium an der TU Berlin und an der Univ. of Oklahoma (OU), Norman, OK Diplom-Abschluss an der TU Berlin und Master of Science Degree der Univ. of Oklahoma Promotion, TU Berlin (Herbert Schumann) Forschungsaufenthalt an der Cornell-Univ., Ithaca, NY (Roald Hoffmann) Postdoktorand bei der BASF AG in Ludwigshafen (Zentralbereich Kunststofflabor, Abt. Polyolefine) Habilitation an der TU Berlin Wahrnehmung einer Professurvertretung (C3) für Anorganische und Analytische Chemie an der Univ. Freiburg.Breisgau Berufung auf diese Professur

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Biographische Daten der Autoren

Arbeitsgebiete: Supramolekulare anorganische Koordinationschemie, Crystal Engineering, Polynukleare Komplexe, Koordinationspolymere, poröse Strukturen, H-Brücken, πKπ-Wechselwirkungen, Komplexe als Katalysatoren. Poly- und Oligomerisation von Olefinen mit Metallocen- und anderen homogenen Molekül-Katalysatoren, Ziegler-Natta-Katalyse.

Thomas Matthias Klapötke Department Chemie, Universität München (LMU) Butenandtstr. 5K13, Haus D, 81377 München Email: [email protected] 1979K1984 1986 1987K1988 1990 1990K1995 1995 1995K1997 1997

Chemiestudium an der TU Berlin Promotion, TU Berlin (H. Köpf) Humboldt-Stipendiat an der Univ. of New Brunswick, Canada (J. Passmore) Habilitation, TU Berlin Privat-Dozent, TU Berlin Fellow of the Royal Society of Chemistry Ramsay Professor of Chemistry, Univ. of Glasgow Professor für Anorganische Chemie, Ordinarius (Lehrstuhl) an der LMU München

Arbeitsgebiete: Halogen-Chemie, Chalkogen-Stickstoff-Chemie, Azid-Chemie, Nitro-Chemie, Fluor-Chemie, Explosivstoffe, high-energy-density materials (HEDM), ab initio-Methoden (VB und MO) in der Nichtmetallchemie.

Hans-Jürgen Meyer Abt. für Festkörperchemie und Theoretische Anorganische Chemie Institut für Anorganische Chemie, Universität Tübingen, Auf der Morgenstelle 18, 72076 Tübingen Email: [email protected] 1978K1983 1987 1988K1991 1991K1996 1993 1996

Chemiestudium an der TU Berlin Promotion, TU Berlin (J. Pickardt) Forschungsaufenthalte am Ames Laboratory, Ames.Iowa (J. D. Corbett) und am Baker Laboratory, Ithaca.New York (R. Hoffmann) Forschungstätigkeit an der Univ. Hannover (G. Meyer) Habilitation an der Univ. Hannover Professor für Anorganische Chemie an der Univ. Tübingen

Arbeitsgebiete: Metallhalogenide (Cluster), Verbindungen im System Metall-B-C-N, nicht metallische (B-)C-N-Systeme und Hochtemperatur-Supraleiter. Feststoffsynthesen, Untersuchungen von Reaktionsabläufen, Kristallstrukturanalysen, elektrische und magnetische Eigenschaften von Feststoffen, Bandstrukturrechnungen.

Sachregister

Hinweis: π ist unter Pi eingeordnet, σ unter Sigma, die anderen griechischen Buchstaben stellen kein Sortierungskriterium dar. Abbau von Schadstoffen 296 Abschirmkonstante 7 Acetaldehyd-Herstellung 725 Acetylen 118 Acetylenkohlenstoff-Xe-Bindung 67 Acetylenkomplexe 695 Acetylide 278 Aconitase 789 Addison-τ-Parameter 400 additive Farbmischungen 318 Adiponitril (ADN) 102, 103 K -synthese 735 ADMET-Polymerisation 766 advanced Metallocene 755 Aerogel 199 agostische Wechselwirkungen 678, 712, 749, 770 Akkumulator, siehe Batterie Aktionspotential K Calciumkanal 797 K Natriumkanal 797 Aktivatoren 318 Aktivierung durch Metallkoordination 583, 722 Aktivierungsvolumen 495 Akzeptorbindungen 382 Albumin K Deprotonierung 790 K Koordination 790 K Kupferkomplex 791 K Modell 790, 791 K Protonierung 791 Alkalimetallhyperoxide 292 Alkalimetallionen 779, 795 Alkalimetallnitride 287 Alkalimetallorganyle 585 K π-Komplexe 621 Alkalimetalloxide 292 Alkalimetallozonide 292 Alkalimetallsuboxide 293 Alkenkomplexe 688 Alkinkomplexe 695 Alkinmetathese 687 Alkinylxenonkation 67 Alkohol-Dehydrogenase (ADH) 805 K Mechanismus 809

Alkylidenkomplexe 674, 713, 769 Alkylidinkomplexe 685 Alkylierungsmittel 67 Alkylwanderung 721, 729, 732, 762 Allenid-Ion 279 Allylkomplexe 696, 770 K fluktuierende 699 K in Katalyse 736, 737 Alternativverbot 15 Al2S3 179 Aluminiumorganyle 593, 617 K Alumoxane 596 K Cp-π-Komplexe 623 K subvalente 623, 628 K Ziegler-Natta-Katalyse 597 Aluminiumoxid 174, 293, 294, 302, 373 Aluminiumsesquichlorid 595 ambidente Liganden 385, 408 K Cyano 531 Amincobaltkomplexe K bei Redoxreaktionen 498, 502 K Bindungsisomere 408 K CF-Aufspaltung 419 K Farbunterschiede 427 K Isomere 383, 427 K Stabilität 462 K Synthese 404 Ammoniaksynthese 522 Ammoniumdinitramid 102 Ammoniumhalogenid-Route 364 Ammoniumnitrat 100 Ammoniumperchlorat 100, 103 Analysemethoden 1, 2 Anatas 295 anharmonischer Oszillator 11 Anharmonizitätskonstante 11 Anionenparameter, siehe Spinelle anorganisches Benzol 37 ansa-Metallocene 747 Antidota 478 Antiferromagnetismus 347 K Difluoride 346 K Fluoroperowskite 347 K MnO 300 K V2O3 296 Antiklopfmittel 609, 610, 703

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Sachregister

Antirheumatika 540 Anti-Stokes-Streuung 13 Apotransferrin 786 Aquakomplexe 471 K bei Redoxreaktionen 498 K Hydratationsenthalpien 421 K Jahn-Teller-Effekt 437 K Ligandenaustausch 495 K [Ti(H2O)6]3C 427 K UV.VIS-Spektren 437 Arbeitstechniken 1 Aren-Kation-π-Wechselwirkung 633 Arenkomplexe 709 aromatische Stabilisierungsenergie (ASE) 38, 40 aromatischer Charakter 41 Aspartam 743 Assoziationsmechanismus K Druckabhängigkeit 495 K Oktaeder 492 K Quadrat 490 asymmetrische Hydrierung 705, 740 Atemluftregulator 292 atmosphärisches NOx 97 Atmungskette 512, 780, 821, 824, 827, 836, 837 K bc1-Komplexe 826 K Cytochrom-c-Komplex 824, 825 K Mitochondrien 826 K NADPH-Dehydrogenase 825 ATPase 781, 782 K Calcium 800 K Kupfer 792, 794 K Menke-Syndrom 794 K NaC.KC 796K798 Aufbaureaktion 597 Austausch-Integral 18 Austauschmechanismus 492 Auswahlregeln 13, 438 Autoklav 185 Azid 115 Azidionen 285 Azidopentazol 115 Azurin 812, 831, 832 Bandlücke 203, 223, 225, 234, 237, 285, 295, 301, 360, 367 Bandstruktur 224 K Bandbreite 225 K Energiebänder 229 K Faltung 227 K k-Punkt 228 K K2 [Pt(CN)4] · 3 H2O 230 K LaI2 235 K lineare H-Kette 224 K MoS2 234 K Peierls-Verzerrung 227 K ReO3 232

Basenreaktion 659 BASF-Verfahren 728 BaTiO3 308, 338 Batterie 217, siehe auch Lithiumbatterie K Elektrolyt 219 K Festelektrolyt 219 K Flüssigelektrolyt 219 K Li3KxFeN2 291 K LiTiS2 291 K Natrium-Schwefel-Batterie 218, 329 K Nickel-Metallhydrid-Akkumulator 222 K Polymerelektrolyt 219 K primäre 218 K Prinzip 218 K sekundäre 218 B4C 375 BCS-Theorie 325 Benzin-Synthese 758 Benzol 37, 40, 118 Berliner Blau K Antidot 540 K Intervalenz 500 K Übergang 500 K Struktur 533 Berlinit 185 Berry-Mechanismus 399 Beryllocen 623 bifunktionale Chelatliganden 482 Bildplatten 318 Bindung K Akzeptor- 382, 649, 666, 686, 688, 691, 695 K Donor- 382, 649, 665, 686, 688, 691, 695 K FedCp- 703 K in Metallkomplexen 381, 410 K MdAlkin- 695 K MdAllyl- 697 K MdC- (allgemein) 581 K M]C- (Carben) 677 K M^C- (Carbin) 686 K MdCO- 649 K Metall-Kohlenstoff- 382 K MdOlefin- 691 K Metall-Wasserstoff- 660 K trans-Einfluss 490 Bindungsenergie 117, 291 Bindungsenergien, Tab. 716 Bindungsisomerie 408 biologische Schalter 795 Biomethylierungen 584 Bioverfügbarkeit 485 Bixbyit-Typ 287, 291, 294, 299, 328 blaue Kupferproteine 831 blaues Kupfer 832 Blauschönung 531 Bleiorganyle 609 K Cp-π-Komplexe 623

Sachregister K subvalente 623 Bleiverbindungen 29 Bloch-Funktion 224 Bohr’sches Magneton 416 Boltzmann-Verteilung 5 Boran 36 Borazin 37K40 Borazon 376 Boride, siehe Metallboride Bornitrid 375 Born-Oppenheimer-Näherung 17, 22 Boronsäuren 592 Bororganyle 592 Brennkammertemperatur 99, 116 Brennstoffzelle 217 Brillouin-Zone 224, 228 Brønsted-Acidität 17 Brønsted-Basizität 17 Brookit 295 Brückenliganden 385, 390, 392, 536 K bei Redoxreaktionen 497 K Cyano 528 K Disauerstoff 511 K Distickstoff 521 K Nitrosyl 663 Buckminster-Fullerene 112 bulk 200 Butadiendimerisierung 737 Butadienhydrocyanierung 735 Butadientrimerisierung 737 Cadmiumchlorid-Struktur 196 Cadmiumiodid-Struktur 196 Caeruloplasmin 792, 814 Caesiumchlorid-Struktur 192 CaF2-Typ 327 Calcium 795 K Neurotransmitter 797 K Signalkaskaden 797 Calciumcarbid 280 Calmodulin 801 Carben 137 Carbenkomplexe 674 Carbide, siehe Metallcarbide Carbinkomplexe 685 Carboaluminierung 597 Carboanhydrase 802, 805, 806 K CO2-Stoffwechsel 806 K Mechanismus 806 Carbodiimid-Ion 287 Carbometallierung 722, 739 Carbonylcluster 636 Carbonylhalogenide 639, 661, 729 Carbonylhydride 639, 660, 732 Carbonylkomplexe K Analytik von Medikamenten 851 K Anwendungen 672

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K Basenreaktion 659 K binäre 636 K Bindung 642 K Derivate 657, 662 K fluktuierende 647 K frühe und späte Übergangsmetalle 655 K in Katalyse 729, 732 K Isolobalanalogie 644 K Isomerie 653 K Ligandenpolyeder 646 K MdCO-Bindung 649 K Metallgitter 648 K mit Donorliganden 662 K nichtklassische 656 K Schwingungsspektroskopie 651 K Strukturen 639 K Synthese 636 Carbonylligand (CO) 458, 635 Carbonylmetallate 639, 657, 672 Carbonylmetall-Immunoassays (CMIA) 780, 859 K Antiepileptika 859, 860 K Carbonylkomplexe 859 K Chromtricarbonyl 860 K Dicobalthexacarbonyl 860 K IR-Spektren 859 K Mangantricarbonyl 860 Carboplatin 542 Carboxypeptidase 804, 805 K katalytischer Zyklus 807 K Mechanismus 808 Catenane 510 Ca3Al2Si3O12 314 Ca3Cl2C3 175, 278 Ca3Cl2 (CBN) 278 CaTiO3 306 CdC-Aktivierung 715, 737 Cermet 372 CdH-Aktivierung 706, 715 Charaktertafeln 564 Chatt und Orgel Modell 489 Chauvin-Mechanismus 682, 687 Chelatbildner K Chelatliganden 383, 390, 405, 794 K Histidin 794 K Morbus Wilson 794 K D-Penicillamin 794 K Triethylendiamin 794 Chelateffekt K Anwendungen 477 K Grundlagen 473 K Modell von Schwarzenbach 475 K Substitutionsreaktion 487 Chelatkomplexe K Chiralität 405 Chelatliganden 383, 390, 405, 794 K bifunktionale 482 K Catecholat 784

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Sachregister

K chirale Phosphane 612 K Hydroxamat 784 K makrozyklische 782, 783 K Stabilität von Metallkomplexen 470 Chelatometrie 477 chemische Bindung 20 chemische Transportreaktionen 177 chemische Verschiebung 7, 9 Chevrel-Phasen 181, 322, 360 Chiralität K Dissymmetrie 405, 740, 750 K in Halbsandwichkomplexen 711 K in Metallkomplexen 405, 711, 740 K in Metallocenen 750 K Phosphane 612 K planare, in Ferrocenen 705 Chlorin 846, 847 K Chlorophylle 484, 846 K Pheophythine 846 K Ring 484 Chromkatalysatoren 770 Chromocen 706, 770 Chromoxide 187, 298 CIE-Diagramm 318 C2-Ion K Bindung 370 K MO-Schema 284 K Zustandsdichte 284 Circulardichroismus (CD) 483 K Methode für Komplexe 555 K Spektrum 485 Cisplatin 398, 404, 542 cis-trans-Isomerie 404, 406 K Carbonylkomplexe 653 CL-20 102 closed-shell-Wechselwirkung 69 Cluster, siehe Eisen-Schwefel-Cluster, Metallcluster Cobalamin 845K847 K Coenzym B12 848 K Cyanocobalamin 845, 846 K Methioninsynthese 849 K Methylcobalamin 848, 849 K Mutasen 850 K Reaktivität 848 K Steuerliganden 848 K Supernukleophil 848, 849 Cobalt 848 K DNA-Sensoren 850 Cobaltocen 705 Coenzym B12 484, 583 Coesit 188 Cofaktoren 789, 818, 822 CO-Insertion 722, 729, 732, 762 Cokondensationstechnik 710 Collman’s Reagenz 672 Cooper-Paare, siehe Supraleitfähigkeit

Corrin 484, 847 Cossee-Arlman-Mechanismus 768 Cotton-Effekt 556 Coulomb-Integral 18 Coulomb-Korrelation 22 Coulomb-Loch 22 Creutz-Taube-Ion 500 Cristobalit-Struktur 196 Cu2O 180 Cuprit-Struktur 196 Curie-Temperatur 202, 308 Cyanidlaugerei 531 Cyanokomplexe K bei Redoxreaktionen 499 K Berliner Blau 500 K Koordinationspolyeder 403 K Stabiltät 463 K VB-Strukturen 411 cyclische π-Liganden 699 Cyclobutadienkomplexe 701 Cycloheptatrienylkomplexe 711 Cyclometallierung 719 Cyclooctatetraenylkomplexe 712 Cycloolefinpolymerisation 756 K ROMP 763, 766 Cyclopentadienylkomplexe K fluktuierende 619, 708 K Hauptgruppen 619, 621 K in Katalyse 746 K Lanthanoide 724 K Übergangsmetalle 701 Cyclopentadienyl-Metallat-Anionen 627 Cyclovoltammetrie K Methode 558 Cymantren 711 Cytochrom 513, 787 Cytochrom c 814, 816, 824K830, 836 K bc1-Komplex 827 K Proteine 829 Cytochrom-c-Oxidase 779, 790K794, 814, 824, 825, 836, 837 K Cyanidionen 837 Cytochrom P-450 816, 839K842, 844 K Katalysezyklus 841 K Oxoeisen(IV)-Komplexe 841 Cytosol 781, 796 Defekte, siehe Kristalldefekte Deferoxamin 478 Dehydroaluminierung 595 Dekorporierung von Metallen 478 Delokalisierungsenergie 40 Delta-∆-Konfiguration 406, 485 Delta-δ-Konformation 406 Denitrifikation 97 density of states, siehe Zustandsdichte Depolarisationsgrad 14

Sachregister Deprotonierung 675, 721 Desferrioxamin B 784, 785 Detonationsdruck 99 Detonationsgeschwindigkeit 99 Dewar-Benzol 115 Dewar-Chatt-Duncanson-Modell 688, 691 Dialkalimetallmonoxide 292 Diamantzellentechnik 118 Diaminodinitroethen 100 Diazenide 287 Diazonium-Salz 115 Diboran 36 Dicarbid-Ion K Bindung 284 Dichte 99 dichteste Kugelpackung 189 K hexagonal 190 K kubisch 190 K Lückenbesetzung 196 Differentialthermoanalyse (DTA) 561 Differentialthermogravimetrie (DTG) 561 Diffusion 171 Digallen 630 Digallin 630 Digermen 134, 631 Dihalogenide 366 Dimerisierungsenergie 36 Dinitrid-Ion 285 Dinitridoborat-Ion 279, 287 Dinitridocarbonat-Ion 279 Dioxygenasen 819, 820, 836, 838 Diphosphene 132 Diplumben 136 Dipolmoment 12 Diradikalcharakter 135 Direktcarbonylierung 729 Direkthydrocyanierung 735 Direktoxidation 725 Disauerstoff 112, 824 Disilane 133 Disilen 132K134, 136 Dissoziation 36 Dissoziationsenergie 11 Dissoziationsmechanismus K Carbonylkomplexe 662 K Druckabhängigkeit 495 K Oktaeder 492 Dissymmetrie 405, 740, 750 Distannen 134, 136, 631 Distickstoff 113 Distickstoff-Metallkomplexe 521 DNA 779, 820 K Analytik 780 K Transkription 802 Dodekaeder K Koordinationspolyeder 403 K pentagonaler 540

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K trigonaler 403 Donorbindung 382 K Cyanid 528 Dopamin-β-Hydroxylase 794 L-Dopa-Synthese 740 Doppeloxide 304 Dötz-Reaktion 684 Dq-Werte, Tab. 418 Dreibandenleuchtstoff 318 Dreifachbindung 117 Dreizentren-Vierelektronenbindung 66 Dry-Box 1 DTPA-Ligand 478, 479 dynamische Differenzkalorimetrie (DSC) K Methode 561 K Spinübergang 452 dynamischer Jahn-Teller-Effekt 424 Dynamit 100 Edelgas-Berylliumverbindungen 68 Edelgas-Kohlenstoffchemie 67 EDTA-Ligand 390, 477 EF-Hand 800, 801 Einelektronenbindung 33 Eisen 779, 784, 787, 811, 824, 825, 834K836, 839, 844 K Aufnahme 787 K Häm 837, 839, 846 K Hämgruppen 815 K Ionenradius 815 K Mobilisierung 784 K Porphyrinkomplex 814, 815 K Proteine 814 K Regulation 788 K Speicherung 787, 788 K Transport 784, 786, 788 K Verfügbarkeit 784 Eisen-Schwefel-Cluster 780, 788, 789, 822, 824, 825, K Eisen-Molybdän-Cofaktor 818 K Elektrodenpotential 817 K Elektronenübergang 817 K Nitrogenase 818 K P-Cluster 818 K [2FeK2S] 817, 821, 822, 826 K [3FeK4S] 818 K [4FeK4S] 817, 818, 821, 822 Eisen-Schwefel-Proteine 825 Eisen-Speicherkrankheit 478 Elektrolyt 287 Elektronegativität 20, 29 Elektronendichte 18, 19 Elektronenkonfiguration 392, 393 K Grundterme 432 K high-.low-spin 415, 443 K Quadrat 398 K Stabilität von Metallkomplexen 469

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Sachregister

K Substitutionsmechanismus 496 K Tetraeder 396 K und Struktur 411 Elektronenkorrelation 20K22, 35, 36, 66 Elektronenpaarbindung 34 Elektronenregel K in Carbonylkomplexen 642 K in Metallocenen 703 K 16-(Valenz-) 459, 471 K 18-(Valenz-) 454, 471 Elektronentransfer 496, 780, 817, 822, 827, siehe auch Redoxreaktionen K Abklingfaktor β 831 K Abstand 830 K Abstandsabhängigkeit 828 K adiabatischer 828 K Aminosäureseitenketten 831 K biologischer Redoxpotentiale 825 K Donor-Akzeptor-Abstand 830, 831 K Elektronentransferrate 827, 828, 830, 831 K elektronische Kopplung 828, 830, 831 K β-Faltblatt 831 K Flash-Quench-Technik 832, 834 K freie Aktivierungsenthalpie 827 K α-Helix 831 K in Proteinen und Peptiden 827, 828, 831 K Intervalenz- 500 K Kette 820, 825K827 K Kopplung 830 K Kopplung HDA 828 K Laser-Blitzlichtphotolyse 829, 832 K Marcus-Theorie 504 K nichtadiabatischer 827, 828 K Osmium(II) 829 K photoinduzierter 832 K Polyprolinhelix 829 K Polypyridylruthenium(II) 829 K quadratische Potentialbarriere 830 K Reorganisationsenergie λ 827, 828 K Rhenium 831 832 K Ruthenium 829, 832, 834 K Triebkraft 827, 828, 830 K Tyrosyl-Radikalkation 832 K zwischen Metallkomplexen 496 Elektronentransferketten 780 K Atmung 811 K Photosynthese 811 Elektroneutralitätsprinzip 471 elektronische Hypervalenz 34 elektronische Struktur 222 K oktaedrische Cluster 355 Elektron-Loch-Analogie 427, 434 Elementarreaktionen 714 Elementorganyle 583, 585 K Begriff 581 K fluktuierende 619

Elpasolith 347 endoplasmatisches Retikulum 780 Endosom 780, 786 Energiehyperfläche 115 Enterobactin 485, 784, 785 Enzyme 781 Erdalkalimetallacetylide 280 Erdalkalimetallionen 779, 795 Erdalkalimetallnitride 287 Erdalkalimetallorganyle 590 K π-Komplexe 623 Erdalkalimetalloxide 293 ESR.EPR-Spektroskopie K Methode für Komplexe 555 Essigsäure-Herstellung 584, 728 Ester-Zinn-Verfahren 606 Ethenoligomerisierung 597, 598, 738, 757, 765 Ethenolyse 763 Ethenoxidation 725 Ethenpolymerisation 739, 749, 757, 767 Explosivstoffe 99K102, 116 Extinktion 12 Extinktionskoeffizient 13 Eyring-Gleichung 10 faciale Isomerie 404 K Carbonylkomplexe 653 f-d-Konfigurationsübergang 188, 339, 366 FEAST-Prozess 765 Fehlordnungsgrad, siehe Spinelle FeO 302 Fe3O4 302, 313 Fermi-Abstoßung 26, 27 Fermi-Loch 22 Fermi-Niveau 225 Ferredoxin 817 Ferrioxamin B 784 Ferrite 313 Ferritin 787, 788 Ferrocen 583, 702 K Anwendung 703 K industrielle Synthese 703 K Kation 703 K planare Chiralität 705 Ferroelektrizität 308 Ferrofluide 202 Ferromagnetismus K CrO2 299 Festelektrolyt 219 Festköperreaktion K Diffusion 171 K fest-fest-Reaktion 171 K hohe Temperaturen 173 K Kinetik 171 K Nebenreaktion 172 K Reaktionsbehälter 172

Sachregister K Schmelze 175 K Schmelzmittel 175 K Spinellbildung 173 Feststoffraketen 100 FeTiH2 185 Fischer, E. O. 674, 685, 709 Fischer-Carbene 677 Fischer-Carbine 686 Fischer-Tropsch-Synthese 758 fluktuierende Allylkomplexe 699 fluktuierende Carbonylkomplexe 647 fluktuierende Cyclopentadienylkomplexe 619, 623, 708 fluktuierende Hauptgruppenorganyle 619, 623 fluktuierende Metallkomplexe 399, 403 Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) 97 Fluoreszenz 16 Fluoride, siehe Metallfluoride Fluoridionenaffinität 67 Fluorierung 185 Fluorit-Struktur 194 Fluorit-Typ 279, 291, 373 Fluorolube® 16 Fluorometallate 347 Fluoromethylplumbane 31 Fluoroplumbane 29 Fluorsubstitution 30, 31 Flüssigelektrolyt, siehe Batterie Fotokatalyse 295 FOX-7 100 Fragment-Molekülorbital-Ansatz (FMO) 453, 461 Franck-Condon-Barriere 502 Franck-Condon-Prinzip 439, 501, 827 Freiberger Aufschluss 175 freie Aktivierungsenthalpie 10 Fulleride 322 Fünffachbindung 536 Gadolinium 479 K MRI-Reagenzien 850 Gadolinium-Eisen-Granat (GIG) 315 Galaktose-Oxidase 836, 837 Gd2Cl3 335 Gel 181 Gemischtvalenzen 500 K Cyanokomplexe 532 geometrische Isomerie 404 Germen, Germylen 630 Gesamtelektronenzahl K in Metallkomplexen 393 K Stabilität von Metallkomplexen 471 Gesamtvalenzen 34 Glaskeramiken 377 Glove-Box 1

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Goldkomplexe K Antirheumatika 540 Gold-Nanoteilchen 204 Golgi-Apparat 780K782, 792 Granate 314 K Leuchtstoffe 318 K Magnetismus 315 K Synthese 316 Green-Rooney-Mechanismus 714, 769 Grenzstrukturen 399 Grignard-Prozess 610 Grignard-Verbindungen 590, 606, 612, 614, 714 Grinberg-Modell 489 Grundkonfiguration 24 Grundschwingungen 12 Grundterme 432 Gruppenelektronegativität 29 Gruppentheorie 563 Grüne Chemie 176 Grünkörper 371 Haber-Bosch-Verfahren 522 Hämatit 302 Häm-Eisen 824 Häm-Eisenproteine K axiale Liganden 816 K Coliganden 816 K Elektrodenpotential 816 Hämerythrin 820, 834, 835 Häm-Gruppe 484 Hämocyanin 517, 834, 835, 843, 850 Hämoglobin 512, 814, 816, 834, 835, 839, 844 Hämoproteine 837 Halbleiter 194, 203, 288, 319, 332, 340, 357, 360, 362, 366, 367 Halbsandwichkomplexe 711 Halogenidcarbide 370 Halogenide, siehe Metallhalogenide Halogenidhydride, siehe Metallhydride Halogenlampe 178 Halophosphane 613 Hamilton-Operator H 17 harmonischer Oszillator 11 harte Liganden, siehe Liganden Hartstoffe 372 K B4C 375 K β-BN 376 K SiC 374 K γ-Si3N4 377 K TiB2 277 K WC 281, 285 Hauptgruppenorganyle 583, 585 K Begriff 581 K fluktuierende 619, 623 K Metallcluster 628

872

Sachregister

K Metall-Metall-Bindungen 628 K π-Komplexe 621 K subvalente 623, 628 Hellmann-Feynman-Theorem 20 Heterogenkatalyse 757 heteroleptische Komplexe 386 Hexafluoroarsenatsalze 65 hexagonal dichteste Kugelpackung 190 Hexanitrohexaazaisowurtzitan (HNIW) 102 Hiberty-Gewichte 39, 40 Hieber, Walter 583, 636 high-energy-density materials 99 high-spin-Konfiguration 415 H2-Molekül 17, 22 HC 2 -Molekülion 17 H2O2 837 hochenergetische Materialien (HEDM) 99 Hochleistungskeramik 371 Hochleistungssprengstoffe 114 Höchstdruckforschung 119 Hochtemperatur-Supraleitfähigkeit 320 Hofmann’sche Clathrate 531 Homogenkatalyse 725, 757 homoleptische Komplexe 386 Homöostase 779 Hooke’sche Gesetz 11 HSAB-Konzept 391, 410, 472 K Substitutionsreaktion 487 K Tabelle 472 Hybridisierung 23K30 K -defekt 26, 30 K -grad 24 K isovalente 27 K -sensoren, elektrochemische 852, 859 Hydratationsenthalpien 421 Hydride, siehe Metallhydride Hydrideliminierung, siehe Wasserstoffeliminierung Hydridion 265 Hydridometallate 269 Hydridverbindungen 27 Hydrierung K asymmetrisch 705, 740 Hydroaluminierung 595 Hydroborierung 592 Hydroformylierung 730 Hydrometallierung 604, 698, 719, 732, 736, 739, 743, 744, 746 Hydrosilylierung 603 Hydrothermalsynthese 185 Hydrozirconierung 719 Hyperkoordination 41 Hypervalenz 41 Hysterese 309 Ikosaeder K Ni12 540

Ilmenit-Struktur 306 Impuls 20 inelastische Streuung 13 inert-pair-Effekt 29, 32 (In1KxGax)N 319 inner-sphere Redoxreaktionen 497 Intensitäten von Absorptionsbanden 438 Interbindungskorrelation 36 Interchange-Mechanismus, siehe AustauschMechanismus Interferenz 19K21 Interkalation 182 intermetallische Verbindungen 222 K Strukturen 195 K Supraleiter 320 K Ti2Cu-Typ 188 Intervalenz-Elektronentransfer 500 Intrabindungskorrelation 36 Inversionssymmetrie 438 Ionenaustausch 183 Ionenkanal 782 K Calcium 800 K Gating 799 K Kalium 781, 796K799 K Natrium 781, 796K798 K Selektivitätsfilter 799 Ionenleiter 287, 291 Ionenpumpe 782, 796 Ionenradien, siehe Kristallfeldtheorie ionenselektive Elektroden 783 ionische Flüssigkeiten 176 Ionisierungsenergie 65 Ionophor 782 K Gramicidin A 783 IR-Aktivität 12 iron responsive element K binding protein 788 IR-Spektroskopie 10, 12, 16 K Carbonylkomplexe 651 K Methode für Komplexe 554 Irving-Williams-Reihe 468 Isocyanidkomplexe 670 isoelektronische Liganden 528, 663, 664 Isolobalanalogie 644 Isomerie bei Carbonylkomplexen K cis-trans- 653 K fac-mer- 653 Isomerie bei Metallkomplexen 383, 403 K Bindungs- 408 K cis-trans- 383, 404, 406 K fac-mer- 404 K geometrische 404 K λ-δ- 406 K Λ-∆- 406, 485 K optische 405 K Stereo- 383, 399, 402 Isonitrosyl 667

Sachregister isostere Reihe 668 Isotopeneffekte 714 Isotopenmarkierung 17, 722, 726, 761 Jagodzinski-Symbolik 191 Jahn-Teller-Effekt 402, 420, 422, 437, 460, 469 K dynamische 424 K Kooperativität 425 K 2. Ordnung 460 K Theorem 423 Jahn-Teller-Verzerrung 346 jj-Kopplung 431 Jørgensen, Sophus 382 Kalium 782, 795, 797 Katalase 787, 837, 839 Katalyse K Suzuki-Kupplung 592 Katalysezyklus K asymmetrische Hydrierung 742 K Butadiendi- und -trimerisierung 738 K Butadienhydrocyanierung 736 K Essigsäure-Monsanto-Verfahren 730 K Ethenoxidation, Wacker-HoechstVerfahren 726 K Hydroformylierung 733 K Olefinisomerisierung 745 K SHOP, Ethenoligomerisierung 739 K Transferhydrierung 746 Kation-Aren-π-Wechselwirkungen 633 Kegelwinkel-Konzept 736 Kekulé-Strukturen 38 KelKF® 16 keramische Materialien 371 K Einteilung 372 K Korund 294 K ummantelte Leiter 324 keramische Methode 371 Kerndrehimpuls 4 Kernmagneton 4 Kernspinquantenzahl 3, 9 Kernspintomographie 323, 479 Kinetik 171 kinetische Energie 20 kinetische und potentielle Energie 23 Klavierstuhl-Geometrie 711 Kohlendioxid 779 K Reduktion 821 K Schwefelwasserstoff 822 K Synthese von Zuckern 822 Kohlenmonoxid-Dehydrogenase.AcetylCoenzym-A-Synthase (CODH.ACS) 584 Kombinations- und Oberschwingungen 11 Komplexbildungsgleichgewichte 464 Komplexbildungskonstanten 464 K potentiometrische Titration 466

873

Komplexchemie, siehe Koordinationschemie Komplexe 381 Komplexometrie 466, 477 Kontrastmittel 479 Konzentrationsgradienten 781 Kooperativität K Liganden 780, 836, 840, 843 K Metallionen 780, 811, 836, 840, 843 K Metallion.Protein 809 Koordinationschemie 381, siehe auch Metallkomplexe K Geschichte 382 K Nomenklatur 384 Koordinationspolyeder 383, 395 K Isomere 383 K Oktaeder 469 K Stabilität von Metallkomplexen 469 K sterische Kontrolle 397, 401 Koordinationspolymere 544 K Cyanokomplexe 531 K Silbersulfadiazin 541 Koordinationszahl 395 Kopplungskonstante 8, 9 Korund 293 Korund-Typ 296 K2PtCl6-Typ 269 K2 [Pt(CN)4] · 3 H2O 230 Kraftkonstante 11 Kristalldefekte 287 K Scherstrukturen 294 K Titanoxide 294 K Vanadiumoxide 294, 296 Kristallfeldstabilisierungsenergie (CFSE) 398, 415, 420 Kristallfeldtheorie 411 K Aufspaltungsenergie 413 K Defizite des Modells 429 K Effekte 420 K Elektron-Loch-Analogie 427, 434 K Energiegewinn 420 K Grundterme 432 K high-.low-spin 415, 443, 450 K Hydratationsenthalpien 421 K Ionenradien 420 K magnetische Momente, Tab. 417 K Magnetismus 415 K Mehrelektronennäherung 429 K Orbitalaufspaltung 412, 441 K Orgel-Diagramme 443 K Russell-Saunders 412, 430 K Termaufspaltung 432, 441 K Termwechselwirkung 436, 443, 445 K und Stabilität 421 K UV.VIS-Spektroskopie 426 K weak-.strong-field 417, 429, 441 Kristallstruktur 189 K AgF2 347

874 K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K K

Sachregister

BaReH9 270 BaTiS3 338 B13C2 375 β-BN 375 CaB6 275 CaC2-I 283 CdI2 334 CrB4 275 CrF4 344 CsNiCl3-Typ 338 K2NiF4 344 LaBr2H 367 LaI2 236 Li3Bi 266 Li3N 287 Metalle 190 Metallhydride 266 Metalloxid-Cluster 305 Metalloxide 294 MgC2 279 Mg2C3 279 Mo6Cl12 355 MoS2 331 Na2Ti3Cl8 238 Nb3Br8 361 NbCl4 350 NbF4 344 NbF5 343 Nb6F15 355 Nb3Ge 321 NbS3 330 [Nb6SBr17]3K 363 NiAs 334 PbCl2 265 PbMo6S8 360 Perowskit 307 Pr2Br5 368 Re6Br8 363 Re3I9 362 ReS2 332 RuF5 343 α-Si3N4 376 β-Si3N4 376 Spinell 310 ThCr2Si2 283 TiF4 344 TiS2 331 Ti2S 336 Ti5Te4 336 UB4 275 UB12 275 UCoC2 283 VF5 343 VO2 297 WC 281 ZrCl 353 ZrI3 351

Kristallstrukturanalyse K Methode 559 KrdN-Bindung 65, 66 Kronenether 392, 487 K Caesiumelektrid 784 K Komplexe 783 K Lösungsmittelextraktion 784 K Natriumnatrid 784 K Phasentransferkatalyse 783 K Synthese 510 Kryolith 347 Kryptanden 392 Krypton-Stickstoffverbindungen 64 kubisch dichteste Kugelpackung 190 kubisch raumzentrierte Kugelpackung 190 künstliche Edelsteine 186 künstliche Photosynthese 833 Kupfer 779, 782, 784, 790, 811, 824, 825, 832, 835K837, 839 K antiferromagnetische Kopplung 814 K Azaphilie 791 K blaue Kupferproteine 812 K CuC 792 K Elektronentransferproteine 812 K elektronisches 813, 814 K ESR-Spektren 813, 814 K Menke-Syndrom 793 K Morbus Wilson 793 K normales 812, 813 K Proteine 811 K sauerstoffaktivierende Enzyme 813 K Stoffwechsel 790, 793 K Transport 790, 792, 793 K Typ 1 812, 832 K Typ 2 812, 813 K Typ 3 812 Kupfer-Speicherkrankheit 479 LaI2 175, 235 Lambda-Λ-Konfiguration 406, 485 Lambda-λ-Konformation 406 Lambdasonde (λ-Sonde) 217 LaNi5H6 185 Lanthanoiden-Kontraktion 29 Laplace-Operator 138 Laplace-Verteilung 69 LCAO-MO-Methode 17, 20 Leitsalz 219 Leuchtdiode (LED) 319 Leuchtstoffe 317K320 K Aktivatoren 318 K Anregung und Emission 318 K CIE-Diagramm 318 K dotiertes Y2O2S 328 K Lumineszenz 317, 318 K Tabelle 319 K Übergänge 318

Sachregister Lewis-Base 381, 410 Lewis-Säure 67, 381, 410 K Eisen(III) 811 K Enzyme 802 K Kupfer 802 K Nickel 802 K Zink 802 Lewis-Strukturen 41 LiAlH4 270 Liganden K ambidente 385, 408, 531 K Brücken- 385, 390, 392, 497, 511, 521, 528, 536 K Carbonyl- (CO) 456, 458, 635 K Chelat- 383, 390, 405, 470 K Chelateffekt 473, 487 K Distickstoff- 521 K DTPA 478, 479 K EDTA 390, 477 K hart.weich 391, 410, 472, 487 K hart.weich, Tab. 472 K h-, k-Werte, Tab. 448 K Isocyanid- 543 K Klassen 388 K Kronenether 392, 487, 510 K Lewis-Basen 381 K N-heterocyclische Carbene (NHC) 676 K Nitril- 508 K Nitrito-, NO2- 386, 408 K Nitrosyl- 663 K Phosphane 612 K π-Akzeptor- 391, 456, 490, 529, 649, 653, 663, 676, 688, 691, 695 K π-Donor- 391, 456, 490, 688, 691, 695 K π-Systeme 688 K Proteine 779, 790 K räumlicher Bau 392 K σ-Donor- 391, 454, 529, 649, 663, 676 K spektrochemische Reihe 419, 457 K Stabilität von Metallkomplexen 470 K Stärke 391, 417, 419, 454, 457, 470, 487, 529 K sterischer Anspruch 491 K strong-field- 417, 457, 529 K Substitutionsreaktionen 487, 527 K trans-dirigierende Reihe 488 K Tripod- 392, 397 K weak-field- 417, 457 K X-.L-Konzept 388 K Zähnigkeit 390 Ligandenfeldstabilisierungsenergie (LSFE) 311 Ligandenfeldtheorie 444 K Bandenberechnung 446 K h-, k-Werte, Tab. 448 K MO-Theorie 444 K nephelauxetischer Effekt 447

875

K Racah-Parameter 444 K Spinübergang 450 K Tanabe-Sugano-Diagramme 447, 449 Liganden-Polyeder K Konzept der 646 Ligandenreaktionen 507 K Templat-Effekt 510 Li3N 287 Lipid-Doppelschicht 799 LISICON 184, 219 Lithiumbatterie K Anforderungen 220 K Anode 220 K LixC6-Anode 220 K LixC6-LiCoO2-Akkumulator 221 K LixC6-LiFePO4-Akkumulator 221 K LixC6-Li1KxMn2O4-Akkumulator 221 K LiI 218 K LixTiS2 219 K wiederaufladbare 219 Lithiumorganyle 585 K Cp-π-Komplexe 622 K Gehaltsbestimmung 587 K Orbitalbeschreibung 589 K Struktur 588 Lithocen 622 Lokalisierungsdefekt 26 Lösungsmittel 3 low-spin-Konfiguration 415 LS-Kopplung, siehe Russell-Saunders Lumineszenzfarben 318 Lysosomen 780 Madelung-Konstante 311 Magnesium 779, 795, 796, 847 Magnesocen 623 Magnetflüssigkeitshyperthermie 202 magnetische Anisotropie 7 magnetische Elementarzelle 301 magnetische Hysterese 299 magnetische Messungen K Methode 558 magnetisches Moment 4 K Metallkomplexe 415 K Tabelle 417 magnetische Resonanztomographie 479 magnetischer Informationsspeicher 298, 314 Magnetismus 202 K in Cyanokomplexen 532 K in Metallkomplexen 415, 515 K in Oxalatokomplexen 547 K Koordinationspolymere 532, 547 K magnetische Struktur 313 K Metallfluoride 346, 347 K Nd2Fe14B 277 K Superparamagnetismus 202

876

Sachregister

K Supraleiter 323 K YAG 315 Magnetit 302, 313, 314 Magnetit-Nanopartikel 204 Magnetoplumbit 314 Magnetostriktion 301 Mangan 779, 844 Manganocen 707 Manganoxide 299 Marcus-Kreuzbeziehung 504 Marcus-Theorie 504 Markasit 332 Massenspekrometrie K Methode 557 Materialsynthese 118 McCormack-Reaktion 614 Mehrfachbindungen 132 Meissner-Ochsenfeld-Effekt 322 Membran K Depolarisation 798 K Kalium 799 K Repolarisation 798 Membranpotential 781, 796, 798 L-Menthol-Synthese 743 meridionale Isomerie 404 K Carbonylkomplexe 653 Metallboride 271 K BdB-Bindung 276 K Eigenschaften 276 K Kristallstrukturen 275 K MgB2 274 K Strukturen 272 K Synthese 272 K Tabelle 273 Metallcarbene, siehe Carbenkomplexe Metallcarbide 277 K CaC2 280 K CdC-Bindung 283 K 13CdNMR 280 K Eigenschaften 285 K Hydrolyse 278, 285 K NaCl-Typ 281 K Phasenübergang 280 K salzartige 278, 279 K Sc3C4 282 K Seltenerdmetallcarbide 281 K Strukturen 279 K Synthese 278 K ternäre 282 K Übergangsmetallcarbide 280 Metallcarbonyle, siehe Carbonylkomplexe Metallcluster 304, 353, 539 K [As@Ni12@As20]3K 540 K Carbonylcluster 636 K Haupgruppenorganyle 628 K oktaedrische 353, 359 K trigonal prismatische 362, 363

K trigonale 361 K zentrierte 358, 359 Metalle K hart.weich, Tab. 472 K Strukturen 190 Metallfluoride 340 K Ammoniumhalogenid-Route 364 K Difluoride 346 K Fluorierung 340 K Fluorometallate 347 K Heptafluoride 342 K Hexafluoride 342 K Magnetismus 347 K Pentafluoride 343 K Seltenerdmetallfluoride 364 K Tetrafluoride 343 K Trifluoride 345 Metall-Halbleiter-Übergang 227, 238, 296, 297, 338, 366 Metallhalogenide K Chalkogenid-Halogenide 359 K Clusterverbindungen 353 K Dihalogenide 346, 351, 366 K Heptahalogenide 342 K Hexahalogenide 342, 348 K Monohalogenide 351 K [M6X8]-Typ 353 K [M6X12]-Typ 353 K [M6ZX12]-Typ 358 K Pentahalogenide 343, 348 K Seltenerdmetallhalogenide 363 K Synthesen 348 K Tetrahalogenide 343, 349 K Trihalogenide 345, 350, 364 Metallhydride 24, 264 K binäre, Tab. 267 K Bindung 267 K Eigenschaften 270 K FeTiH2 271 K Halogenidhydride 366, 370 K kovalente 265 K K2ReH9 269 K LaNi5H6 271 K Li3Bi-Typ 266 K metallartige 266 K salzartige 264 K Strukturen 266 K ternäre 268 K ternäre, Tab. 269 K Wasserstoffspeicher 185, 271 Metallionen 781 K Speicherung 779, 780 K strukturgebende Funktion 779 K Transport 779K782, 785 metallisches Verhalten 201 Metall-Kohlenstoff-Bindung 382, 691 K FedCp 703 K MdAlkin 695

Sachregister K MdAllyl 697 K M]C(Carben) 677 K M^C(Carbin) 686 K MdCO 649 K Übersicht 581 Metallkomplexe K Aqua- 421, 427, 437, 471, 495, 498 K Bindung 381, 410 K biologische und medizinische Anwendungen 850 K Chelat- 383, 405 K Chelateffekt 473 K Chiralität 405, 711 K [Co(NH3)x] 383, 404, 408, 419, 427, 462, 498, 502 K Cyano- 403, 411, 463, 499, 500, 508 K Diagnostika 479, 482, 543 K Distickstoff- 521 K Dq-Werte, Tab. 418 K Elektronenkonfiguration 393, 396, 398, 469, 496 K Elektroneutralitätsprinzip 471 K [Et2NH2]2 [CuCl4] 398 K Farbigkeit 426 K fluktuierende 399, 403 K Gadolinium- 479 K Gemischtvalenzen 500, 532 K Gesamtelektronenzahl 393, 471 K Gold- 540 K h-, k-Werte, Tab. 448 K heteroleptische 386 K high-.low-spin 415, 457 K homoleptische 386 K HSAB-Konzept 472 K Hydratationsenthalpien 421 K inert.labil 462, 495, 498 K Irving-Williams-Reihe 468 K Isomere 383, 399, 402, 403, 485, 488 K Jahn-Teller-Effekt 402, 420, 422, 423, 437, 460, 469 K Koordinationspolyeder 383, 395, 469 K Koordinationspolymere 544 K Koordinationszahl 395 K Ligandenfeldtheorie 444 K Ligandenreaktionen 507 K Magnetismus 415, 479, 515, 532 K [M(CH3)6] 402, 411 K medizinische Anwendungen 479, 482, 540 K mit Medikamenten 483 K mit π-Liganden 688 K MO-Theorie 452 K nephelauxetischer Effekt 447 K Nomenklatur 384 K Oktaeder 492 K Oxidationszahl 392 K Platin- 488, 542

877

K Racematspaltung 383, 407 K Radiopharmazeutika 482, 543 K Reaktivität 487 K Redoxreaktionen 496 K Spinübergang 450, 515, 547, 707 K Stabilität 462 K Stabilitätskonstante 795 K Stabilitätstrends 468 K sterische Kontrolle 397, 401 K Substitutionsreaktionen 487 K Technetium- 482, 543 K Therapeutika 540 K trans-Effekt 487 K trans-Einfluss 490 K Untersuchungsmethoden 554 K UV.VIS-Spektroskopie 426 K 18-(Valenz-)Elektronenregel 471 K Valenzelektronenzahl 392 Metall-Metall-Bindungen 237, 356, 533, 628, 631, 636, 642, 663, 706 Metallnitride 285 K Alkalimetallnitride 287 K Diazenide 287 K Eigenschaften 291 K Erdalkalimetallnitride 285, 287 K ionische 291 K kovalente 288 K leitfähige 289 K Li3N-Struktur 287 K salzartige 287 K Seltenerdmetallnitride 291 K Strukturen 287, 289 K Subnitride 288 K Synthese 286 K Tabelle 290 K ternäre 289 K Übergangsmetallnitride 288 Metallocene 701 K advanced 755 K ansa- 747 K Beryllocen 623 K Chiralität 705, 750 K Cp-Metallat-Anionen 622, 627 K Gruppe 14 626 K Hauptgruppen- 623 K in Katalyse 705, 746 K Lithocen 622 K Magnesocen 623 K Plumbocen 626 K Silicocen 626 K Stannocen 626 Metallocenkatalyse K Aktivierung 747 K Katalysatoren 746 K Mechanismus 748 K Stereokontrolle 751

878

Sachregister

Metallochaperone K Atox1 792, 793 K CCS 792, 793 K Chaperone 791 K Cox17 792, 793 K Kupfer 791, 792 Metalloenzyme K fundamentale Klassen 802 K redoxaktive 836 Metalloproteine 821, 836, 850, 851 Metallothionein 790, 793 Metalloxide 291 K Alkalimetalloxide 292 K Aluminiumoxid 294 K Chromoxide 298 K Cluster 304 K Cobaltoxide 302 K Doppeloxide 304 K Eigenschaften 292, 294 K Eisenoxide 302 K Erdalkalimetalloxide 293 K Erdalkalimetallperoxide 293 K Ferrite 313 K Granate 314 K magnetische Eigenschaften 302 K Magnetit 313 K Magnetoplumbit 314 K Manganoxide 299, 300 K metallreiche 304 K Molybdänbronzen 309 K Nickeloxide 302 K Oxometallate 304 K Perowskit-Struktur 307 K Seltenerdmetalloxide 327 K Spinellstruktur 310 K ternäre 303 K Titanoxide 294, 295 K Übergangsmetalloxide 294 K Vanadiumoxide 296 K Wolframbronzen 309 Metall-Speicherkrankheiten 479 Metallsulfide 328 K Disulfide 330 K metallreiche 335 K Monosulfide 334 K NbS3 330 K Polytypen 331 K Seltenerdmetallsulfide 339 K Strukturen 330 K Synthese 329 K ternäre 337 K Tetrasulfide 329 K Trisulfide 330 Metathese 286 K Alkin- 687 K Olefin- 681 K Olefin-, techn. Anwendung 762 K Polymerisation 763, 766

Methan-Funktionalisierung 715 Methanide 279 Methan-Monooxygenase 836, 838 Methanolcarbonylierung 728 Methioninsynthese 850 Methylalumoxan (MAO) 596, 747 Methylmalonyl-CoA-Mutase 848K850 Methylquecksilber 584 Metton-Prozess 766 MgB2 322 Mg2C3 278 Michaelis-Arbusov-Reaktion 614, 617 Mikrowellenspektroskopie 137 Mikrozustände 431 Minamata-Krankheit 584 Mineralstoffpräparate 483 Mitochondrien 792 Mo6Cl12 355 Modifikationen 112 Modifikationen des Schwefels 112 Modifikationen des Stickstoffs 113, 118 Molekülorbitale (MO) 24 Molekülorbitaltheorie 452 K Carbenkomplexe 678 K Carbonylkomplexe 649 K Fragment-Ansatz 453, 461 K Jahn-Teller-Effekt 460 K Ligandenstärke 457 K Mischen von Orbitalen 459, 460, 489 K Nitrosylkomplexe 665 K Oktaeder 455, 459 K Quadrat 459 K quadratische Pyramide 461 K spektrochemische Reihe 457 K Tetraeder 460 K tetragonale Verzerrung des Oktaeders 460 Molekülorbital-Wellenfunktionen 18 Molekülschwingungen 10 Molekülsymmetrie 563 Molybdänbronzen 183, 309 Mond-Prozess 178 Mond-Verfahren 636, 637 Monel 173 Monohalogenide 369 Monooxygenase 836, 838, 839 Monsanto-Essigsäure-Verfahren 584, 728, 730 Montmorillonit 373 Morbus Wilson 479 MO-Rechnung 24 Morsepotential 11 MoS2 234 MO-Schema K C2-Ion 284 Mößbauer-Spektroskopie K Methode 556

Sachregister K Spinübergang 452 Mott-Isolator 229, 302 Mulliken-Populationsanalyse 27 Mulliken’sche Besetzungszahlen 25 Mullit 373 [M6X8]-Cluster 335 [M6X8]-Typ 353, 354 [M6X12]-Cluster 335 [M6X12] -Typ 353, 354 Myoglobin 512, 787, 835, 839 Na-β-Aluminiumoxid 184, 294, 302 NaCl-Typ 281, 291, 327 NaMo4O6 306 Nanochemie 199 K Cluster 204 K elektrische Leitfähigkeit 201 K Emissionseigenschaften 203 K Ferrofluide 202 K Katalyse 203 K Magnetit 204 K Markierung 203 K Metallkomplex-Precursoren 205 K Nanostrukturierung 296 K Nanoteilchen 199 K Oberflächeneigenschaften 203 K optische Eigenschaften 203 K quantum dots 203 K Risiken 205 K Schmelzpunkt 200 K Sol-Gel-Synthese 205 K Superparamagnetismus 202 K Synthesen 204 K Teilchengrößen 200 K transparente Leiter 201 K ultrafeine Teilchen 205 NASICON 184 Natrium 781, 795K797 Natriumchlorid-Struktur 192 Natta, Giulio 767 Nb3Br8 361 Nb6F15 355 Nb3Ge 320 Nb6I11 355 Nb3Sn 320 NbTi 320 Nd2Fe14B 277 Néel-Temperatur 300, 346 Neodym-YAG-Laser 14, 16 Neohexen-Prozess 764 nephelauxetische Reihe 447 nephelauxetischer Effekt 447 K Cyano 529 Nervenleitung K Nervenzelle 796, 798 Neutronenbeugung K Methode 560

nichtklassische Metallcarbonyle 656 Nichtmetallhydride 27 Nickel 852 K Nitrilotriacetato 851 K Proteinreinigung 850 Nickelarsenid-Struktur 193 Nickel-Chelatchromatographie 780, 851 K His6-Codon 851 K His6-Tag 851, 852 Nickelocen 705 Nickeltetracarbonyl 635, 636 NiCr2O4 179 Niobocen 707 Nioboxid-Struktur 192 N8-Isomere 116 Nitride, siehe Metallnitride Nitridokomplex 289 Nitridometallat 289 Nitriersäure 100 Nitrierung 100, 102 Nitrilliganden K Reaktionen an 508 Nitrogenase 523 Nitroglycerin 100 Nitrolyse 102 Nitroniumtriflat 101 Nitroprussidnatrium 541 Nitrosylkomplexe 663 Nitroverbindungen 99, 100 n-Leitung, siehe Kristalldefekte N6-Moleküle 114 NMR-Spektroskopie 3, 6K8 K Methode für Komplexe 554 Nomenklatur von Metallkomplexen 384 Normalschwingung 16 Norsorex-Prozess 766 Nujol® 16 Nullpunktsenergie 11 Oberschwingungen 12 Oktaeder K Chiralität 405 K cis-trans-Isomere 404, 406 K Extinktionskoeffizienten 439 K Isomere 383, 404 K Koordinationspolyeder 401 K Kristallfeldaufspaltung 412, 432, 443, 444 K MO-Beschreibung 453, 458 K Substitutionsreaktionen 492 K trans-Effekt 490 K Verzerrungen 401, 422 K überkappte 402 Oktaederlücken 190 Olefinisomerisierung K enantioselektive 743 Olefinkomplexe 688, 768 K in Katalyse 732, 737, 744, 748

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Sachregister

Olefinmetathese 681 K technische Anwendung 762 Olefinpolymerisation 746, 767 optische Isomerie 405 optische Rotationsdispersion (ORD) 556 Organohalosilane 599 Organoverbindungen K Alkalimetalle 585, 621 K Alkinkomplexe 695 K Alkylidenkomplexe 674, 713 K Alkylidinkomplexe 685 K Allylkomplexe 696, 736, 737 K Aluminium 593 K Arenkomplexe 709 K Blei 609 K Bor 592 K Carbenkomplexe 674 K Carbinkomplexe 685 K Carbonylkomplexe 635 K chirale 405, 612, 705, 711 K Cyclobutadienkomplexe 701 K Cycloheptatrienylkomplexe 711 K Cyclooctatetraenylkomplexe 712 K Cyclopentadienylkomplexe 619, 621, 701, 724 K der Lanthanoide 676, 723 K Einteilung 581 K Elementarreaktionen 714 K Erdalkalimetalle 590, 623 K fluktuierende 583, 619, 623, 647, 699, 708 K Hauptgruppen 583, 585 K Hauptgruppen-π-Komplexe 621 K in Umwelt 583 K Isocyanidkomplexe 670 K Lithium 585 K Metallcluster 628 K Metall-Metall-Bindungen 628 K mit cyclischen π-Liganden 699 K Olefinkomplexe 688, 732, 737 K Phosphor 611 K π-Komplexe 583, 688 K Silicium 599 K subvalente 623, 628 K Zinn 605 Orgel-Diagramme 443 Orthometallierung 705, 719 Ortsunschärfe 20 outer-sphere Redoxreaktionen 497 Oxaliplatin 542 Oxidasen 836, 837 Oxidationskatalyse 725 Oxidationszahl 392 K und Kristallfeldaufspaltung 417 oxidative Addition 604, 714, 729, 732, 735, 742 Oxide, siehe Metalloxide Oxidkeramik 373

Oxocuprat-Supraleiter, siehe Supraleitfähigkeit Oxometallate 304 Oxo-Synthese 730 Oxygenasen 820 Ozon 97, 112 Ozonisierung 102 Ozonschicht 97 Paramagnetismus 479 Patronit 329 Pauli-Abstoßung 26K28 Pauli-Prinzip 22, 138 Pauson-Khand-Reaktion 672 PbFCl-Typ 370 PbMo6S8 322 Peierls-Verzerrung 227, 229, 238, 330, 349, 351, 424 Penicillamin 478 Pentafluorophenylxenonkation 67 pentagonale Bipyramide K bei Assoziationsmechanismus 492 K Koordinationspolyeder 402 Pernitride 287 Perowskit K Synthese 317 K Überstruktur 326 Perowskit-Struktur 306, 307 K Toleranzfaktor 307 Perowskit-Typ 282, 291, 309 K Tabelle 307 Perowskit-Variante 322 Peroxidase 837, 839 K Häm 844 Peroxisomen 780 Peroxo-Ligand 511 Pflanzenernährung 477 Phasenübergang 187 K BaTiO3 308 K CaC2 280 K druckinduzierter 188 K KCl 188 K Na2PtD4 270 K Na2Ti3Cl8 238 K NdI2 188 K Quarzmodifikationen 188 K SmS 188 K VO2 296 K V2 O3 296 Phenylalanin-Hydroxylase (PAH) 836, 838 Phenylpentazol 115 Phillips-Katalysatoren 770 Phillips-Triolefin-Prozess 764 Phononen 201 Phosphane 611, 734, 736, 737 K chirale 740 Phosphazene 617 Phosphinoxide 614

Sachregister Phosphinsulfide 614 Phosphoniumsalze 613 Phosphore, siehe Leuchtstoffe Phosphororganyle 611 Phosphorsäuren 615 Photooxidantien 97 Photosynthese 518, 780, 817, 820, 821, 827 K Chloroplasten 825 K Chromophor P 822 K Chromophore 821 K Cytochrome im bf-Komplex 824, 826 K grüne Schwefelbakterien 821, 822, 824 K künstliche 780 K Ladungstrennung 821 K Mangancluster 779, 825 K Membran 821, 822 K P680 822 K P700 824 K Photosystem 821 K Photosystem I 824 K Photosystem II 822K825 K Schwefelwasserstoff 821 Pianostuhl-Geometrie 711 π-Bindungen 133 π-Komplexe 688 π*Kπ*-Wechselwirkung 132 planar-chirale Ferrocene 705 Plastochinon 823 Plastocyanin 823, 824 Platin K Antitumormittel 850 p-Leitung, siehe Kristalldefekte Porphyrin 846, 847 Porphyrinkomplex 839 Protein 851, 852 K Rutheniumkomplex 830 K Ruthenium-modifiziertes 830 K Strukturänderung 799 Plumben, Plumbylen 630 Plumbocen 626 polare Reagenzien 585 Polarisationsrichtung 14 Polarisierbarkeit 13 Polaritätsparameter 34 Polyalkenamere 763, 766 Polychalkogenide 329 Polymerelektrolyt, siehe Batterie polymerer Stickstoff 119 Polymermorphologie 758, 768 Polyorganophosphazene 617 Polyorganosiloxane 600 Polysilane 603 Polystickstoffverbindungen 116, 117 Polytypen 331 Polytypie 197 Populationsanalyse 24 post-Metallocenkatalysatoren 757 potentielle Energie 19, 20

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potentiometrische Titration 466 Precursor 180 Precursorrouten 180 Promotion 21 Propenpolymerisation 749 Proteine K Eisen-Schwefel- 816K818 K Elektronentransfer- 789 K Endopeptidasen 804 K Exopeptidasen 804 K GAL4 803 K genregulatorische 803 K Häm 780, 814, 818, 825 K Kupfer 780, 825 K Liganden 779, 790 K nicht-Häm-Eisenproteine 818, 819 K Retroviren 803 K Sauerstofftransport 834 K Steroidrezeptor 803 K Strukturänderung 795, 799, 801 Protocatechuat-3,4-Dioxygenase (3,4KPCD) 836, 838 K Katalysezyklus 841 Protonenpumpen 786 pseudoaromatische Ringverbindungen 132 Pseudorotation 399, 491 PtO2 178 Pulverdiffraktometrie K Methode 560 Punktdefekte, siehe Kristalldefekte PVC-Stabilisator 607 Pyrit 332 PZT-Keramiken 309 K Synthese 317 Quadrat K Assoziationsmechanismus 490 K Chiralität 405 K cis-trans-Isomere 404, 488 K Koordinationspolyeder 398 K Kristallfeldaufspaltung 414 K Kristallfeldstabilisierungsenergie 422 K MO-Beschreibung 459 K trans-Effekt 487 quadratische Pyramide K Assoziationsmechanismus 491, 492 K im Hämoglobin 513 K Koordinationspolyeder 399 K MO-Beschreibung 461 quadratisches Antiprisma K Koordinationspolyeder 403 Quadrupolmoment 6 quantum dots 203 quasiklassische Wechselwirkung 21 Racah-Parameter 444 Racematspaltung 383, 407 K spontane 408

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Sachregister

Radienquotient 188, 191, 310 Radiodiagnostika 850, 855 Radiopharmazeutika 482, 543, 780, 853, 855, 859 K bifunctional chelating agents 857 K bifunktioneller Chelatkomplex 858 K Biodistribution 856 K Diagnostik 855 K Eindringtiefe 855 K Isotope 853 K metastabiler Kern 854 K pharmakophore Gruppe 857 K Positronenemissionstomographie (PET) 854, 855 K Radionuklid-Generator 853 K Röntgenstrahlung 854 K Schilddrüsen-Imaging 856 K SPECT 855 K α-Strahlung 853, 854 K βC-Strahlung 854 K βK-Strahlung 854, 855 K γ-Strahlung 854, 855 K Strahlungsarten 853 K Szintigraphie 855 K Technetium 858 K 99mTechnetium 855 K Technetium-Generator 855, 856 K therapeutische Anwendungen 855 K 90Yttrium 855 Raketenantrieb 102 Raketentreibstoffe 99, 100, 116 Raman-Spektroskopie 10, 13, 16 K Carbonylkomplexe 651 K Methode für Komplexe 554 Raumschiff 23 Rayleigh-Strahlung 14 Reaktionsbehälter 172, 173 Reaktionsgeschwindigkeit K Druckabhängigkeit 494 K Ligandenabhängigkeit 493 Reaktivität K von Metallkomplexen 487 Redoxreaktionen K bei Metallkomplexen 496 K Franck-Condon-Barriere 502 K inner-sphere- 497 K Intervalenz- 500 K komplementäre 507 K Marcus-Theorie 504 K outer-sphere- 497 K Selbstaustausch- 501K504 reduktive Eliminierung 604, 715, 729, 732, 736, 743 Reflektivität 295 Regioselektivität 674, 749 Re3I9 362 relativistische Effekte 135

ReO3 232 ReO3-Typ 287 Replikation, Polymermorphologie 758, 768 Resonanz 38 Resonanzstrukturen 34 Rezeptor K Erkennungsmotiv 785 rezeptorvermittelte Endocytose 786 reziproker Raumvektor, siehe Wellenvektor Ribonukleotid-Reduktase 779, 820, 836 Rieske-Zentrum 826 Ringöffnungspolymerisation (ROMP) 763, 766 Rochow-Synthese 599 Rotationsquantenzahl 13 Rubredoxin 817 Russell-Saunders-Kopplungsschema 412, 430, 569 Rutil 295 Rutil-Strukur 195 Rutil-Typ 296, 298, 300, 346 Röntgenbeugung K Methode 559 Salben K Metallkomplexe 541 Salpetersäure 100 Salzschmelzen 175 Sandwich-Komplexe 702, 709, 712 Saphir 294 Satellitensignale 10 Sattelpunkt 135 Sättigungsmagnetisierung 299 Sauerstoff 779, 784, 811, 824, 840 K Aktivierung 780, 834 K Atmosphäre 820, 834 K Atmung 821 K Eisen(II) 821 K end-on-Peroxo 835 K Entgiftung 836 K enzymatische Katalyse 836 K Hydroperoxo 835, 840 K Hydroperoxokomplex 844 K Hydroperoxoligand 845 K Peroxo 840 K Reduktion 836 K Rotsedimente 821 K side-on-Peroxo 835 K Speicherung 834, 835 K Transport 780, 820, 834, 835 Sauerstoff-Partialdruckmessung 216 Säure-Base-Reaktionen 36 Schalter 795 Scherstrukturen 294 Schichtstrukturen K Beschreibung 197 Schlenk-Arbeitstechnik 1

Sachregister Schlenk-Gleichgewicht 591 Schmelze 175 Schmelzmittel 175 Schrock-Carbene 677, 713 Schrock-Carbine 686 Schrödinger-Gleichung 20 Schub 99 schwache Liganden 417, 457 schwach-koordinierende Anionen 656, 748 Schwartz’ Reagenz 719 Schwarzenbach K Modell von 475 Schwefel-Homocyclen 113 Schweinfurter Grün 584 Schwermetallvergiftungen 478 Schwingungsfrequenz 11 Schwingungsgrundzustand 12 Schwingungsspektroskopie K Carbonylkomplexe 651 K Cyanid 530 K Methode für Komplexe 554 Selbstaustauschreaktionen 501K504 Seltenerdmetallhalogenide K Dihalogenide 366 K Halogenidcarbide 370 K Monohalogenide 369 K [M6 (Z)X10]-Typ 368 K [M7 (Z)X12]-Typ 368 K Sesquihalogenide 367, 596 K Trihalogenide 364, 365 Seltenerdmetalloxide 327 K Dioxide 327 K Monoxide 327 K Reaktionen 364 K Sesquioxide 327 Seltenerdmetallsulfide 339 K gemischtvalente 340 K Monosulfide 339 K Sesquisulfide 340 Sequestren 478 Sequestrierung 486 Sesquichlorid 596 Sesquihalogenide 367 Sesquioxide 328 Sesquisulfide 340 sharing penetration 21 Shell FEAST-Prozess 765 Shell Higher Olefin Process (SHOP) 738, 765 Sialone 377 Siderophore 485, 784, 785 σ-Bindungskomplex 582 Signalmultiplizität 9 Signalübertragung 795 K Calciumionen 800 K Nervenleitung 795 signaturfreier Abbrand 115

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Silbersubfluorid 346 Silicate 372 Silicatkeramik 372 Silicidkeramik 377 Siliciumcarbid 374 Siliciumnitrid 376 Siliciumorganyle 599 K Cp-π-Komplexe 623 K subvalente 623 Silicocen 626 Silicone 600 Sillimanit 373 single-site-Katalysator 749, 757 Singulett-Energiehyperflächen 135 Sol-Gel-Synthese 181, 316 Solvothermalsynthesen 185 spektrochemische Reihe 419, 457, 655 spezifischer Impuls 99, 116 Spiegelbildisomerie 405 Spin K -crossover 450, 515, 547, 707 K -gleichgewicht 450, 515, 547, 707 K -übergang 450, 515, 547, 707 Spinelle 173, 181, 302, 309 K Anionenparameter 310 K Fehlordnungsgrad 312 K inverse 310 K Ligandenfeldstabilisierungsenergie 311 K normale 310 K Strukur 310 K Tabelle 312 Spinell-Typ 302, 377 Spin-Gitter-Relaxation 5 Spinmultiplizität 431 Spin-only-Paramagnetismus 415 Spin-Spin-Kopplung 7, 9 Spin-Spin-Relaxation 5 Spinstruktur 301 Spinsystem 8 spontane Racematspaltung 408 Sprengstoffe 99 Sprungtemperatur 321 SQUID 323 Stabilisierung K durch Metallkoordination 583, 701 Stabilität K Chelateffekt 473 K Elektronenzahl 471 K Elektroneutralitätsprinzip 471 K HSAB-Konzept 472 K Irving-Williams-Reihe 468 K kinetische.thermodynamische 462 K Liganden 470 K Metall-Ladung 468 K Trends 468 K und Kristallfeldtheorie 421 K von Metallkomplexen 462

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Sachregister

Stabilitätskonstanten 464 K potentiometrische Titration 466 Stannen, Stannylen 630 Stannocene 626 Stannoxane 607 starke Liganden 417, 457 Stereochemie 785 K Λ-∆-Isomere 785 Stereoselektivität 749 sterische Kontrolle 397, 401, 628, 734, 736 Stickstoffbasen 66, 67 Stickstoff-Fixierung 523 Stickstoffmolekül 286 Stickstofftriazid 114 Stishovit 188, 377 Stokes-Streuung 13 Stratosphäre 97 Streustrahlung 14 Strukturierung 316 Subcarbide 281 Sublimation 180 Subnitride 288 Suboxide 294 Substitutionsreaktionen 487 K Carbonylkomplexe 662, 668 K Cyanid 527 K Cyano 529 Substrataktivierung 722 Sulfide, siehe Metallsulfide Superaustausch 301, 313, 347, 787 Superoxid 844 Superoxid-Dismutase (SOD) 792, 837, 839, 844 K Katalysezyklus 845 K Kupfer-Zink 793, 844 Superoxidion 837, 844 Superoxo-Ligand 511 Superparamagnet 202 Supraleiter K Verarbeitung 323 Supraleitfähigkeit 294, 320 K BCS-Theorie 325 K (Bi,Pb)2Sr2Ca2Cu3O10Cδ 321 K Boride 276 K Cooper-Paare 325 K Eigenschaften 322 K elektrischer Widerstand 323 K kritische Magnetfeldstärke 322 K kritische Stromstärke 323 K kritische Temperatur 322 K Magnetisierung 324 K MgB2 274, 322 K Nb3Ge 321 K Nb3Sn 320 K NbTi 320 K Oxocuprat-Supraleiter 321 K Sprungtemperatur 321, 322

K ummantelte Leiter 324 K YBa2Cu3O7Kx 325 Suzuki-Kreuzkupplungen 592 Symmetrieelement 15 Ta6Cl15 355 taktische Raketen 116 Tanabe-Sugano-Diagramme, siehe UV.VIS-Spektroskopie Tebbe’s Reagenz 681 Technetium 851 Technetium-Komplexe 482, 543 Templat-Effekt 510 Termaufspaltung 432 Termwechselwirkung 436, 443, 445 ternäre Metalloxide, siehe Metalloxide Tetracycline 483 Tetraeder K Chiralität 405, 711 K Extinktionskoeffizienten 439 K Koordinationspolyeder 396 K Kristallfeldaufspaltung 413, 432, 443, 444 K Kristallfeldstabilisierungsenergie 421 K MO-Beschreibung 460 Tetraederlücken 190 Tetraethylblei 610 tetragonale Pyramide, siehe quadratische Pyramide tetragonale Verzerrung des Oktaeders K Jahn-Teller-Effekt 424 K Koordinationspolyeder 401 K Kristallfeldaufspaltung 414 K Kristallfeldstabilisierungsenergie 423 K MO-Beschreibung 460 Tetramethylblei 610 Tetranitrotetraazacyclooctan (HMX) 100 Tetrapyrrolliganden 846 K Chlorophylle 847 Tetrapyrrolmakrozyklen 847 ThCr2Si2-Typ 282 thermochrome Eigenschaften 297 Thermochromie 398 Thermodynamik 171 Thermogravimetrie (TG) 561 Thiospinelle 339 TiB2 277 Titannitrid 291 Titanocen 706, 708 Titanocendichlorid 112 Titanocenpentasulfid 112 Titanoxide 294 K fotochemische Aktivität 296 Toleranzfaktor, siehe Perowskit-Struktur TOPAS-Cycloolefin.Ethen-Copolymer 757 topochemische Reaktionen 370 trans-dirigierende Reihe 488

Sachregister trans-Effekt 487 K Cyano 529 trans-Einfluss 490 Transferhydrierung 711, 745 Transferrin 786K788 K Carbonatoligand 786, 787 K Protonierung 787 Transkriptionsfaktoren 779, 802, 803 Transport K aktiver 781K785 K passiver 781K783 Transportmittel 177 Treibstoff 99, 100, 102 trigonale Bipyramide K Assoziationsmechanismus 491, 492 K Koordinationspolyeder 399 trigonales Antiprisma K Koordinationspolyeder 401 trigonales Prisma K Isomere 383 K Koordinationspolyeder 401 K überkappt 402, 403 Trihalogenide 364 Trinitroazetidin (TNAZ) 102 Trinitrohexahydro-1,3,5-triazin (RDX) 100 Trinitrotoluol (TNT) 100 Triplett-Grundzustand 137 Tripodliganden 392, 397 Trisbipyridylruthenium(II) K angeregter Zustand 833 K Bipyridyl-Radikalanion 833 K Intersystem Crossing 833 K Lebensdauer 833 K Redoxpotentiale 833 Trisphenanthrolincobalt(II) 852, 853 K DNA 852, 853 Trisphenanthrolincobalt(III) K Hybridisierungssensoren 780 Tyrosinase 794, 836, 838, 844 K Katalysezyklus 843 K Reaktionszyklus 843 Überlappungsintegral 20, 26, 133 Überlappungspopulation 225 UCl3-Typ 365 ummantelte Leiter 324 Union-Carbide-Katalysatoren 770 Uranocen 712 UV.VIS-Spektroskopie K Aquakomplexe 437 K Auswahlregeln 438 K Bandenberechnung 446 K Bandenbreite 439 K bei Metallkomplexen 426 K Dq-Werte, Tab. 418 K Extinktionskoeffizienten 439 K Intensität von Banden 438

K K K K K

885

Methode für Komplexe 555 Spinübergang 451 Tanabe-Sugano-Diagramme 447, 449 [Ti(H2O)6]3C-Spektrum 427 Zahl der Banden 434

Valence-Bond 24 Valenz 33, 41 Valenzbindungstheorie 410 K in Carbonylkomplexen 642 K in Metallkomplexen 410 K in Nitrosylkomplexen 664 Valenzelektronenkonfiguration, siehe Elektronenkonfigurationen Valenzelektronenzahl 392 Valenzkonfiguration 23, 24 Valenzschwingung 15 Valinomycin 782K784 Vanadiumoxide 296 Vanadocen 706 van-Arkel-de-Boer-Verfahren 178 van’t Hoff’sches Gesetz 495 Variationsprinzip 18 Vaska-Komplex 398 Vasodilatator 541 VB, siehe Valenzbindungstheorie VB-Strukturen 38 Vestenamer-Prozess 766 Vierfachbindung 534 violette saure Phosphatase K Mechanismus 810 Virialsatz 20 Virialtheorem 20, 23 Vitamin B12 484, 583, 845 K Aquo- 846, 847 K B12-Mangel 846 K Coenzym B12 846, 847 K 5’-Desoxyadenosylcobalamin 846, 847 K Dimethylbenzimidazol-Steuerligand 846 K Hydroxycobalamin 846, 847 K Methylcobalamin 846, 847 K perniziöse (Z gefährliche) Anämie 846 Vitamin-K-Synthese 684 VSEPR-Modell 29, 138 Vulkanisation 763 Wacker-Hoechst-Verfahren 725 Wade-Regeln 644 wärmeregulierende Fensterglasbeschichtungen 297 Wasser 836 K Oxidation 779, 822, 833 K Photosystem 822 K Spaltung 834 Wasserenthärtung 477 Wasserstoffbrücken 399

886

Sachregister

Wasserstoffeliminierung 717 K α-Wasserstoffeliminierung 675, 685, 717, 721, 769 K β-Wasserstoffeliminierung 582, 587, 595, 598, 713, 717, 738, 744, 745, 760, 769 K γ-Wasserstoffeliminierung 718 K δ-Wasserstoffeliminierung 718 Wasserstoffperoxid 836K839, 844, 845 K Disproportionierung 837 Wasserstoffverbindungen 17, 23, 31 W6Cl12 355 W6Cl18 355 WC-Typ 281 weiche Liganden, siehe Liganden Weißkörper 371 Weißpigment 295 Wellenvektor 224 Wellenzahl 11 Werner, Alfred 382 Wilkinson-Katalysator 398, 732 Wilson-ATPase 792 Winkel-Struktur-Parameter 400 Wittig-Reaktion K Analogie mit Carbenkomplexen 680 Wolframbronzen 182, 309 Wolframcarbid 281 Wolframcarbid-Struktur 194 Würfel K Koordinationspolyeder 403 Wurtzit-Struktur 194 Wüstit 302 XedC-Bindung 67 XedN-Bindung 64 Xenon(II)-Kationen 65 Xenon-Kohlenstoffverbindungen 67 Xenon-Stickstoffverbindungen 64 YAG:Ce 319 Y3Al5O12 314 YBa2Cu3O7Kx 321, 325 YCl3-Typ 365 Y3Fe5O12 314 Yttrium-Aluminium-Granat (YAG) 314 Yttrium-Eisen-Granat (YIG) 314 Zähnigkeit von Liganden 390 Zeise’sche Salz K K[PtCl3 (C2H4)] 688, 690 Zelle K Axon 795, 796

K Nerven- 795 K tierische 780, 795 Zellkern 780 Zellmembran 780K783, 786 K Permeabilität 781 Zentrosymmetrie 438 Ziegler, Karl 593, 597, 767 Ziegler-Direktverfahren 595 Ziegler-Natta-Katalysatoren 737 K Aktivierung 747, 769 K Begriff 597, 767 K Generationen 597, 767 K heterogene 746, 756, 767 K Metallocene 746 Ziegler-Natta-Polymerisation K Begriff 767 K Cycloolefine 756, 763 K Mechanismus 748, 768 K Metallocene 746 K ROMP 763 K Teilschritte 768 Ziegler-Prozess 597 Zink 779, 784, 811, 844 K Enzyme 802, 804 K Hydrolasen 809 K Ionenradius 802 K Katalyse 802 K Komplexe 802 K mehrkernige Komplexe in Enzymen 809 K pKs-Wert von Enzymen 805 K strukturgebende Funktion 802 K strukturstabilisierende Funktion 804 K Vergleich mit Magnesium 802 Zinkblende-Struktur 194 Zinkblende-Typ 376 Zinkfinger 803 Zinnorganyle 605 K Cp-π-Komplexe 623 K subvalente 623 Zintl-Phase 119 K [As@Ni12@As20]3K 540 Zirconiumdioxid 373 K teilstabilisiertes 374 Zirconocenkatalysatoren 747, siehe auch Metallocenkatalysate Zitronensäurezyklus 789 Zr6CCl14 358 Zustandsdichte 225 K CaC2 284 K UC2 284 Zweielektronenbindung 32 Zweiphasenkatalyse 734