Mit Religion Beruf gestalten?!: Materialien zum Berufsbezug im BRU [1 ed.] 9783666703201, 9783525703205

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Mit Religion Beruf gestalten?!: Materialien zum Berufsbezug im BRU [1 ed.]
 9783666703201, 9783525703205

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Christian Uhrig

Mit Religion Beruf gestalten?! Materialien zum Berufsbezug im BRU

Christian Uhrig

Mit Religion Beruf gestalten?! Materialien zum Berufsbezug im BRU

Mit 28 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)  Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. Umschlagabbildung: © momius/Adobe Stock Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-70320-1

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Wie entwickle ich berufsbezogenen Religionsunterricht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Bausteine für einen berufsbezogenen RU zum Themenfeld Gott und Mensch 1 Will ich in »Gottes Unternehmen« arbeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2 Wie viel ist der Mensch wert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3 Endlich Gott sein – oder in meinem Beruf lieber digital Mensch bleiben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Bausteine für einen berufsbezogenen RU zum Themenfeld Ethik 4 Soll ich als Azubi tun, was ich will? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 5 Mit den Zehn Geboten Beruf machen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .33 6 Pest oder Cholera – wie entscheide ich in Dilemma-Situationen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .36

Bausteine für einen berufsbezogenen RU zum Themenfeld Bibel 7 Bibel oder Nahkampf – was gilt in Konfliktsituationen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 8 Bibel und Business? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 9 Gerechter Lohn – nur im Himmel oder auch auf Erden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

Bausteine für einen berufsbezogenen RU zum Themenfeld Interreligiöser Dialog 10 Unterschiedliche Religionen – Zündstoff im Betrieb? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 11 Checkliste Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 12 Zeit für eine neue Generation, die das Gute und den Frieden bringt?! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

Bausteine für einen berufsbezogenen RU zum Themenfeld Achtsamkeit/Spiritualität/ Leben aus dem Glauben 13 Verantwortung für das »gemeinsame Haus Erde« tragen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 14 »Fürchte Dich nicht!« – Das sagt sich so leicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 15 Wenn ich einmal Chef bin … . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

Einleitung

Alle Jahre wieder in der ersten Religionsstunde mit einer neuen Berufsschulklasse: Die Lehrkraft betritt den Raum, Vorstellungsrunde, um die neuen Schülerinnen und Schüler kennenzulernen.1 Und meistens dauert es nicht lange, bis die Sinnfrage auf den Tisch kommt: »Warum Religionsunterricht in der Berufsschule? Ich dachte, in der Berufsschule sind wir endlich durch mit Fächern wie Religion und lernen nur das, was wir für unseren Beruf wirklich brauchen und was für unsere Prüfung wichtig ist!« Von solchen oder ähnlichen Schülerkommentaren kann wahrscheinlich jede Religionslehrkraft an einer berufsbildenden Schule ein Lied singen. Die Kommentare erzeugen einen Rechtfertigungsdruck. »Wozu brauche ich Religionsunterricht?« Diese Frage will beantwortet werden. Für die Sinnhaftigkeit des Religionsunterrichts an berufsbildenden Schulen gibt es gute Gründe. Erst 2018 bekräftigten die Bistümer und Landeskirchen, Vertreter des Handwerks, der Unternehmensverbände und des DGB in Nordrhein-Westfalen in ihrer gemeinsamen Erklärung »Bildung und Kompetenz mit Religionsunterricht« ihr Bekenntnis zum Religionsunterricht in der beruflichen Bildung. Die Erklärung erinnert an die Ausbildungs- und Prüfungsordnung in NRW, der zufolge der Religionsunterricht mit seinem eigenen Profil »den Erwerb einer umfassenden beruflichen, gesellschaftlichen und personalen Handlungskompetenz« fördert (Gemeinsame Erklärung, S. 2). Konkret nennt die Erklärung folgende Bildungsziele des Religionsunterrichts: – »Selbstkompetenz mit Selbstbewusstsein« – »Pluralitätsfähigkeit« – »Engagement für Selbstverantwortung und Teilhabegerechtigkeit« – »Sozialkompetenz und Weltverantwortung« (Gemeinsame Erklärung, S. 5 ff.) 1 Ich verwende im weiteren Text in zufälliger Folge die männliche und weibliche Form. Im Sinne der gendersensiblen Sprache mögen sich bitte alle mitgemeint fühlen.

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Einleitung

Zur Erreichung dieser Ziele verweist die Erklärung auf die Einbeziehung eines christlichen Menschenbildes, biblisch-theologischer Perspektiven sowie von Inhalten der Sozialethik und der -lehre der Kirche. Durch die Beschäftigung mit diesen Inhalten sollen »verantwortbare Lebenshaltungen entwickelt werden« sowie »Prozesse des Mündigwerdens und der Entwicklung eines eigenen begründeten und tragfähigen Standpunktes« initiiert werden (Gemeinsame Erklärung, S. 5). Am Schluss steht ein klares Statement: »Der Religionsunterricht tritt für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ein. Getragen durch ein christliches Menschenbild ermutigt er zum Engagement für eine zunehmend inklusive Gesellschaft. Der Religionsunterricht wirkt fundamentalistischen Entwicklungen durch religiöse Bildung entgegen« (Gemeinsame Erklärung, S. 8). Diese Aussagen der gemeinsamen Erklärung sind voll und ganz zu unterstützen. Was in NRW formuliert wurde, ist auf die anderen Bundesländer übertragbar. Allerdings ist die Sinnfrage der Berufsschülerinnen damit noch nicht vollständig beantwortet, denn die Stichworte und Begründungen sind abstrakt formuliert. Würde man den Schülern die Erklärung zu lesen geben – in der Hoffnung, ihre Frage »Wozu brauche ich Religion?« wäre damit ein für alle Mal beantwortet –, würden sehr viele von ihnen den Text vermutlich gelangweilt beiseitelegen und sich in ihrer Einschätzung bestätigt fühlen, dass Religionsunterricht wenig sinnvoll ist, sie ihn also nicht brauchen. Die Versuche, Auszubildenden die Sinnhaftigkeit des Religionsunterrichts in ihrer Berufsausbildung rein argumentativ darzulegen, scheitern auch daran, dass Jugendliche zu einem großen Teil nicht religiös sein wollen. Dies zeigt die Studie der Tübinger Religionspädagogen Reinhold Boschki und Friedrich Schweitzer aus dem Jahr 2018, für die mehr als 7.000 Jugendliche in Baden-Württemberg befragt wurden. Jugendliche glauben zwar zu einem großen Teil – mehr als die Hälfte an Gott –, aber nur noch 22 Prozent von ihnen bezeichnen sich als religiös. Unter »religiös zu sein« verstehen sie, sich mit dem institutionellen Charakter einer verfassten Religion zu identifizieren (vgl. Schweitzer et al. 2018, S. 20 ff.) und Re-

ligion zu praktizieren.2 Glauben und Religion werden zumeist aber als Privatsache betrachtet, bei der jeder selbst entscheiden kann, ob er glauben will oder nicht, ob er einer Religionsgemeinschaft angehören will oder nicht und, wenn ja, welcher. Viele Berufsschülerinnen haben für sich bereits entschieden, gut ohne Religion und Glauben leben zu können. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass Religion heutzutage für ein erfülltes und erfolgreiches Leben nicht mehr unbedingt notwendig ist. Warum sollten die Lernenden dann aber »Gottesbilder […] überprüfen und eigene Antworten« ausprobieren wollen, warum sollten sie »christliche Zeugnisse und Traditionen […] als mögliche Antworten auf existentielle Herausforderungen des beruflichen, privaten und gesellschaftlichen Lebens« reflektieren wollen? Warum sollten sie sich ausgerechnet im Religionsunterricht »Orientierungswissen« erarbeiten, »das in Zeiten globaler und digitaler Unübersichtlichkeit Wege eröffnet und Grenzen setzt«, was die Unterzeichner der Gemeinsamen Erklärung als Chance des Religionsunterrichts sehen (Gemeinsame Erklärung, S. 5)? So richtig und wichtig diese Chancen des Religionsunterrichts auch sind – sie werden nicht schon allein deswegen ergriffen werden, weil Religion auf der Stundentafel steht. Wenn sie wirklich ergriffen werden und Schüler den Religionsunterricht nicht nur über sich ergehen lassen sollen, bis sie vom Pausenklingeln erlöst werden, kommt es entscheidend auf die Inhalte und ihre Lebensrelevanz an. Auszubildende wollen etwas lernen, das sie im späteren Berufsleben gebrauchen können (vgl. Buschfeld 2015, S. 69 f.). Das mag wie eine Binsenweisheit klingen, dürfte doch seit Generationen beinahe jede Referendarin mit Wolfgang Klafkis Kriterien für guten Unterricht groß geworden sein, denen zufolge Unterricht grundsätzlich einen realen Lebensweltbezug aufweisen und für die Schüler gegenwarts- und zukunftsbedeutsam sein muss (vgl. Klafki 1991, S. 270 ff.). Doch ein solcher Lebensweltbezug kann zuweilen auch konstruiert daherkommen oder gut gemeint 2 Zum Praktizieren von Religion ist einer im März 2018 von der französischen Zeitung »La Croix« veröffentlichten Studie zu entnehmen, dass immer »weniger Jugendliche in Europa […] eine Religion« praktizieren. Dazu befragte die Studie Jugendliche in 22 Ländern. 45 % der in Deutschland befragten Jugendlichen geben bereits an, keine Religion zu haben. Die weniger werdenden hingegen praktizieren engagierter. Vgl. https://www.nwzonline.de/seite1/paris-studieweniger-jugendliche_a_50,1,736840463.html (Zugriff am 1.4.2021).

sein: Er kann theoretisch bestehen, die Schülerinnen könnten vielleicht unter Umständen irgendwann einmal unter gewissen Bedingungen damit zu tun bekommen. Notwendig ist aber ein dezidierter Berufsbezug des Religionsunterrichts, denn die Lebenswelt von Berufsschülern ist zu einem großen Maße von ihrer Ausbildung bestimmt (vgl. Dietrich 2003, S. 44). Zu meinen, Auszubildende seien »erst einmal keine anderen Menschen als zuvor in der allgemeinbildenden Schule«, und daraus zu folgern, dass im Unterricht »alle Themen und Fragen kommuniziert werden« können, »die auch im ›normalen‹ RU an Regelschulen behandelt werden« (Obermann 2018, S. 258),3 ist ein Trugschluss. Berufsschüler sind ständige Wiederholung immer gleicher Themen im Religionsunterricht leid. Wirklich berufsbezogene Themen werden von ihnen aber als bedeutsam und wirkungsvoll geschätzt – das ist die Erfahrung meiner langjährigen Berufspraxis. Das stellt den Religionsunterricht vor die radikale Herausforderung, seine »Wissensvorräte konsequent auf Handlungsrelevanz zu prüfen, ›träges Wissen‹ […] hintanzustellen und nur Sachdienliches im Sinne von Handlungsorientiertem einzuspeisen« – ein Postulat, das für die Religionspädagogik »immer noch realisierungsbedürftig« ist (Schröder 2006, S. 7). Dass angesichts der religionssoziologischen Veränderungen in der Schülerschaft Religion für viele Schülerinnen nicht mehr zur Lebenswelt gehört, immer weniger Auszubildende religiös sozialisiert oder gar konfessionell gebunden und vielfach bereits als postchristlich zu bezeichnen sind, stellt für einen berufsbezogenen Religionsunterricht nicht nur inhaltlich eine Herausforderung dar. Die Veränderung will auch methodisch und konzeptionell durchdacht sein. Dazu klingt in der Gemeinsamen Erklärung ein Gedanke an, der für den BRU zu einer wichtigen didaktischen Leitidee werden sollte: das Anbieten religiöser und christlicher Positionen. »Der Religionsunterricht thematisiert Weltanschauungen sowie Lebensfragen und bietet Positionen aus dem christlichen Glauben heraus an« (Gemeinsame Erklärung, S. 6). Religionsunterricht wird in vielen berufsbildenden Schulen im Klassenverband erteilt. Dort treffen Schülerinnen unterschiedlicher Religionen und Konfessionen aufeinander und lernen gemeinsam mit postchristlichen, religionsindifferenten und atheistischen Jugendlichen und jungen Erwach3 Obermann hält den Berufsbezug auch für ein »wesent­ liche[s] und konstitutive[s] Charaktermerkmal« des Religionsunterrichts.

Einleitung

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senen zusammen an religiösen Themen. Wenn der Unterricht für diese religiös heterogene Schülerschaft relevante »Biografiegewinne«4 ermöglichen soll, dann müssen den Auszubildenden Lebenskonzepte, Positionen und Ideen angeboten werden, die nachvollziehbar sind und mit denen sie umgehen können. Dabei gilt es, »die unterschiedlichen Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler mit Kirche und Religion« sowie deren vielfältige Einstellungen dazu ernst zu nehmen und sie zu einem »begründeten Urteil in Glaubensund Lebensfragen« zu befähigen.5 Diese Befähigung meint keine bloße »Versachkundlichung« des Religionsunterrichts, die sich empirisch immer öfter beobachten lässt, wenn sich Religionsunterricht auf ein bloßes Informieren über »christentumskundliche Basisinformationen« beschränkt.6 Vielmehr bedeutet diese Befähigung, dass ein dezidiert berufsbezogener Religionsunterricht Unterrichts­ szenarien ermöglichen muss, in denen die Schüler sich mit fundamentalen christlichen (und bei der immer wichtiger werdenden interreligiösen Kompetenz auch anderen religiösen) Positionen auseinandersetzen und sich ihnen gegenüber positionieren können, zustimmend, aber auch ablehnend. Der BRU wird sich »daran messen lassen müssen, ob er imstande ist, aus der religiösen Tradition der Christinnen und Christen gegenwartsrelevante Inspirationen zu entbinden, durchaus auch solche, die querstehen zu derzeit dominierenden Plausibilitäten« (Englert 2019, S. 92). Die Positionierung der Schülerinnen zu diesen Inspirationen fördert dann die »Fähigkeit zur Perspektivübernahme und die Fähigkeit zum Argumentieren«, die »für das Zusammenleben in einer pluralistischen Gesellschaft in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen« werden (Käbisch/Philipp 2017, S. 240). Sowohl die intensive Auseinandersetzung mit beruflich relevanten religiösen Inhalten und Standpunkten als auch die Positionierung sind für einen sinn- und wirkungsvollen Religionsunterricht gleichermaßen bedeutsam. Ist ein solcher Religionsunterricht aber nicht eine »Verzweckung« religiösen Lernens für berufliche Ziele? Wird er damit nicht seines Eigenwerts religiösen Lernens beraubt oder um seinen genuinen Auftrag gebracht?7 Kommt in einem Religionsunterricht, der 4 5 6 7

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Von solchen spricht Sellmann 2012, S. 72. Beide Ziele nennt die Gemeinsame Erklärung, S. 6, explizit. Zu diesem Trend vgl. Englert 2019, S. 93 f. Ein solches Menetekel wird oft beschworen, wenn von einem berufsbezogenen Religionsunterricht die Rede ist. Vgl. z. B. Schröder 2018, S. 33, der den Religionsunterricht an der Berufsschule als Fach charakterisiert, das gehalten

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sich konsequent um Handlungsfähigkeit und -relevanz in beruflichen Kontexten bemüht – wie in einem kompetenzorientierten Religionsunterricht generell –, das Wissen religiöser Inhalte nicht zu kurz? Solche Fragen sind oft zu hören. Sie finden sich meist im Kontext akademischer Theologie oder kirchlicher Verantwortungsträger, die von der Lebensrealität von Berufsschülern oft meilenwert entfernt sind und sich um den Niedergang religiösen Wissens oder den Verlust einer vermeintlichen Andersartigkeit und Besonderheit des Religionsunterrichts im Schulsystem sorgen (vgl. Schröder 2018, S. 34). Dabei wird nicht nur übersehen, dass religiöse Bildung auch in anderen Fächern erteilt werden kann und trotz Verfassungsrang des Religionsunterrichts gesellschaftliche Plausibilitäten für einen eigenständigen Religionsunterricht und seinen Sonderstatus im Schulsystem schwinden und mittelfristig keine hinreichende Begründung mehr darstellen. Sondern auch, dass allen Beteuerungen zum Trotz, Religion gehöre zum Wesen des Menschen dazu und Religionsunterricht sei notwendiger Bestandteil einer umfassenden Bildung junger Menschen (vgl. Boschki/Schweitzer 2018, S. 72, 83), viele Berufsschülerinnen mit dem Thema Religion für sich schon abgeschlossen haben und, wie schon beschrieben, viele religiöse Wissensvorräte als nicht mehr lebensrelevant betrachten (vgl. Schlag/Schweitzer 2011, S. 32). Geht es aber wirklich um Kompetenz in Sachen Religion, um eine wirkliche Qualifizierung von Auszubildenden mit der Fähigkeit, in beruflichen Kontexten auch religiös kompetent zu agieren, sind entsprechende Inhalte unverzichtbar. Denn Lebenskonzepten, Positionen und Inhalten gegenüber kann ich mich nur dann positionieren, wenn ich sie in ihrer Tragweite verstanden habe und weiß, wozu ich mich positioniere. Darin liegt dann aber keine Verzweckung, sondern eine Chance, fundamentale christliche Aspekte überhaupt zur Geltung zu bringen und eine lebensrelevante Auseinandersetzung mit ihnen zu führen. In der Gemeinsamen Erklärung heißt es: »Die Befähigung zu einem begründeten Urteil in Glaubens- und Lebensfragen gehört zu den anspruchsvollsten Zielen

ist, »berufsbezogene Themen aufzugreifen«, zugleich aber darauf bedacht sein müsse, »Religion nicht zu funktionalisieren, sondern ihre Eigenlogik zur Geltung zu bringen«. Somit bestehe eine »Dialektik aus Berufsbezug und Eigentlichkeit«, die es »bewusst aufrecht zu erhalten und den Schülerinnen und Schülern durchsichtig zu machen« gelte.

des Religionsunterrichts« (S. 6). Dieser Aussage ist voll und ganz zuzustimmen. Sie macht deutlich, dass es in einem dezidiert berufsbezogenen Religionsunterricht um etwas Anspruchsvolles geht. Anspruchsvoll muss der Unterricht auch sein, wenn er von den Schülerinnen und Schülern wirklich ernst und wahrgenommen werden soll, inhaltlich wie methodisch. Ein Religionsunterricht, der »zwischen Grundgesetz, Biographiebegleitung und Glückskeks-Weisheiten angesiedelt« ist, bleibt unter seinen Möglichkeiten, wie es der Herausgeber der FAZ Jürgen Kaube in einem provokanten Beitrag deutlich gemacht und beklagt hat (Kaube 2019). Religionsunterricht muss zu denken geben,8 denn religiöse Kompetenz entwickelt sich im Religionsunterricht »zentral als eine reflexive Kompetenz (also eine kognitive Leistung)«.9 Vor einer anspruchsvollen Aufgabe sollte man nicht zurückschrecken, wenn die Chance besteht, dass sich die Anstrengung lohnt. Und dass in beruflichen Herausforderungen religiös kompetent agierende Berufstätige eine Chance darstellen, davon ist der Autor überzeugt. Man denke z. B. an die vielen dilemmatischen Situationen, die Auszubildenden im Berufsleben begegnen und verantwortungsvoll bewältigt werden müssen, oder an die Ungerechtigkeiten im gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Leben, die es mit einer engagierten Haltung zu verändern gilt, statt sie schicksalsergeben hinzunehmen oder ihnen mit Gleichmut zu begegnen. »Zukunft, Achtsamkeit und Gerechtigkeit« benennt die aktuelle Shell-Studie als »zentrale Themen der neuen Generation« (S. 313 ff.), die auch in beruflichen Kontexten hoch bedeutsam sind. In diesen Kontexten Wissen anzuwenden, darum muss es gehen, also um ein »reflexives Können« (Schluß 2015, S. 61). In dem Materialheft werden 15 konkrete berufsbezogene Unterrichtsszenarien vorgestellt und als Bausteine angeboten. Sie wurden allesamt in mehrjähriger Unterrichtsarbeit mit Auszubildenden zur Fachkraft bzw. Servicekraft für Schutz und Sicherheit erprobt. Im Sinne eines berufsbezogenen und positionierenden Religionsunterrichts war die Leitfrage stets: Kann ich mit Religion Sicherheitsdienst gestalten? Die Bausteine sind, indem sie mit fundamentalen christlichen Inhalten zu tun haben, anspruchsvoll und bieten Raum für eine Positionierung der Schüler.

Da der Religionsunterricht für Fachklassen der Sicherheitswirtschaft natürlich nur ein kleiner Ausschnitt der vielfältigen Welt des BRU ist, sind die Bausteine so generalisiert, dass sie in allen Fachklassen des dualen Systems einsetzbar sind. Oft ist von Branche oder Berufsgruppe die Rede, sodass jede Religionslehrkraft die Bausteine für ihre eigenen Ausbildungsberufe nutzen kann, damit sie für die Auszubildenden zu berufsspezifischen Herausforderungen werden. Die Bausteine wollen dazu ermutigen, eigene berufsbezogene Szenarien zu entwickeln. Dazu gibt das nächste Kapitel einige Anregungen und Tipps. Die Struktur der Bausteine ist immer gleich. Zu Beginn wird die Idee beschrieben. Es folgen Hinweise und Fragen, die Auszubildende zur Positionierung motivieren wollen und den Berufsbezug der Unterrichtsideen verdeutlichen. Dort finden sich auch Hinweise auf konkrete Handlungsprodukte, die in einem handlungsorientierten BRU entsprechend entstehen können. Im Anschluss daran wird eine mögliche Vorgehensweise beschrieben, wie mit den Bausteinen gearbeitet werden kann. Dabei werden auch Möglichkeiten zur fächerübergreifenden Kooperation oder außerschulischen Lernortkooperationen aufgezeigt, damit der BRU nicht immer nur für sich steht, sondern seine Bedeutsamkeit vernetzt mit anderen Fächern und Partnern zusätzlich unter Beweis stellen kann. Abschließend werden Möglichkeiten zur Weiterarbeit angedeutet und (mehrere) Arbeitsblätter zum direkten Einsatz der Bausteine im Unterricht angeboten. Mit Religion Beruf gestalten?! Das ist die Leitfrage dieses Materialhefts. Ein Religionsunterricht, der diese Frage immer wieder stellt und Schülerinnen zur Positionierung herausfordert, kann gewinnbringende Lernprozesse initiieren, die nah an der beruflichen Wirklichkeit von Berufsschülern sind. Nicht nur dort, wo Religion ganz konkret eine Rolle spielt, wenn nämlich »der Beruf Grenzerfahrungen tangiert oder im kirchlichen Bereich gearbeitet wird« (Schweitzer et al. 2018, S. 234), sondern generell. Religiöse Fragestellungen werden dann nicht als Zeitverschwendung empfunden, sondern entfalten ihr Potenzial, ein wichtiger Baustein zur beruflichen Kompetenzentwicklung der Berufstätigen und Verantwortungsträger von morgen zu werden.

8 Vgl. dazu Englert 2013. 9 So völlig zurecht Schluß 2015, S. 61.

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Literatur Bildung und Kompetenz mit Religionsunterricht. Gemeinsame Erklärung 2018. Hrsg. vom Evangelischen Büro NordrheinWestfalen und dem Katholischen Büro NRW. Düsseldorf 2019. https://meine.ekir.de/lehramt/wp-content/uploads/ sites/8/2019/09/gemeinsame-erklaerung-beufskolleg_2018. pdf (Zugriff am 1.4.2021). Boschki, R./Schweitzer, F. (2018): Religionsunterricht an Berufsbildenden Schulen. In: R. Biewald/A. Obermann/B. Schröder/W. Schwendemann (Hg.): Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Ein Handbuch (67–98). Göttingen. Buschfeld, D. (2015): Identität – Sozialität – Sinn. Die Rolle der berufsübergreifenden Fächer aus berufspädagogischer Sicht. In: M. Meyer-Blanck/A. Obermann (Hg.): Die Religion des Berufsschulreligionsunterrichts. Überlegungen zur Kommunikation religiöser Themen mit Jugendlichen heute (66–78). Münster/ New York (Glaube – Wertebildung – Interreligiosität. Berufsorientierte Religionspädagogik. 6). Dietrich, W. (2003): Berufsbezug im Lebensbezug. Wider falsche Alternativen oder: Votum zu Gunsten der »Dritten Position« (als Merkmal des Berufsschulreligionsunterrichts). In: W. Läwen/H.-J. Pabst/A. A. Pabst-Dietrich (Hg.): Berufsbezug im Religionsunterricht der Berufsbildenden Schule. Theoretische Grundlegung und Praxisbeispiele. Hannover (Quellen und Forschungen zum evangelischen sozialen Handeln. 16). Englert, R. (2013): Religion gibt zu denken. Eine Religionsdidaktik in 19 Lehrstücken. München. Englert, R. (2019): Wie kann Religionsunterricht heute gut sein? Katechetische Blätter, 144, 89–96. Käbisch, D./Philipp, L. (2017): Religiöse Positionierung als Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und Argumentieren. Didaktische Leitlinien für das gemeinsame Lernen mit Kon­ fessionslosen. In: K. Lindner/M. Schambeck/H. Simojoki/ E. Naurath (Hg.): Zukunftsfähiger Religionsunterricht. Konfessionell – kooperativ – kontextuell (238–257). Freiburg/Basel/ Wien. Kaube, J. (2019): Haben wir was in Reli auf? https://edition.faz. net/faz-edition/feuilleton/2019-01-08/01381b154a4faf3f70f3 ed9754823320/ (Zugriff am 1.4.2021).

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Klafki, W. (1991): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik (2. Aufl.). Basel/Weinheim. Obermann, A. (2018): Berufsschulspezifische Themen. In: R. Biewald/Ders./B. Schröder/W. Schwendemann (Hg.): Re­ li­gionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Ein Handbuch (225–265). Göttingen. Schlag T./Schweitzer, F. (2011): Brauchen Jugendliche Theologie? Jugendtheologie als Herausforderung und didaktische Perspektive. Neukirchen-Vluyn. Schluß, H. (2015): Empirisch fundierte Niveaus religiöser Kompetenz – Deutung, Partizipation und interreligiöse Kompetenz. In: E.-M. Kenngott/R. Englert/T. Knauth (Hg.): Konfessionell – interreligiös – religionskundlich. Unterrichtsmodelle in der Diskussion (57–72). Stuttgart. Schröder, B. (2006): Ein Schritt zurück hinter Humboldt? Religionsunterricht an lernfeldorientierten Berufsbildenden Schulen. Schule und Kirche, Heft 1, 4–14. Schröder, B. (2018): Einleitung: Grundbegriffe und Perspektiven berufsbezogener Religionspädagogik. In: R. Biewald/A. Obermann/Ders./W. Schwendemann (Hg.): Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Ein Handbuch (17–40). Göttingen. Schweitzer, F./Wissner, G./Bohner, A./Nowack, R./Gronover, M./Boschki, R. (2018): Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht. Münster/New York (Glaube – Wertebildung – Interreligiosität. Berufsorientierte Religionspädagogik. 13). Sellmann, M. (2012): ›Ohne pics glaub’ ich nix!‹ Die Jüngeren als Produzenten religiöser Bedeutungen. In: N. Mette/Ders. (Hg.): Religionsunterricht als Ort der Theologie (65–91). Freiburg/Basel/Wien (QD 247). Shell Deutschland Holding (Hg.) (2019): Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort. Weinheim/Basel.

Wie entwickle ich berufsbezogenen Religionsunterricht? Da es hier um einen dezidiert berufsbezogenen und handlungsorientierten BRU geht, steht das Paradigma der Lernfelddidaktik im Hintergrund, das seit Mitte der neunziger Jahre die Didaktik beruflichen Lernens bestimmt.10 Im Rahmen eines handlungsorientierten Unterrichts, der schon seit den 1980er Jahren das Unterrichtsgeschehen prägt und dem es um Kompetenz­ entwicklung geht, wurden in den Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz für alle Berufe Lernfelder für den Berufsschulunterricht festgelegt. Der Sinn dieses Vorgehens liegt in der Tatsache begründet, dass die Anforderungen, die an Auszubildende und Arbeit­ nehme­rinnen in der modernen Berufswelt gestellt werden, an Komplexität zunehmen. Die klassische Berufskarriere früherer Zeiten ist durch eine erwerbsmäßige Patchworkbiografie abgelöst worden. Arbeitnehmer müssen an unterschiedlichen Positionen eines Unternehmens einsatzfähig sein, und mitunter üben Berufstätige im Laufe ihres Lebens mehrere Berufe aus, wobei Erwerbszeiten durch Arbeitslosigkeit unterbrochen sein können. Als Folge dieses Wandels der Berufswirklichkeit werden Arbeitnehmern nicht mehr kleinschrittige Arbeitsanweisungen gegeben, die sie auszuführen haben, sondern von ihnen wird in der modernen Berufswelt erwartet, problem- und lösungsorientiert in hohem Maße eigenständig zu arbeiten und immer neue Herausforderungen zu meistern. Insofern läutete das Lernfeldkonzept einen »Perspektivwechsel in der beruflichen Bildung« ein, da diese auch Personal- und Sozialkompetenz vermitteln soll, die zusammen mit der Fachkompetenz die umfassende berufliche Handlungskompetenz als Ziel beruflicher Bildung ausmachen. Die einzelnen Unterrichtsfächer wurden – im berufsbezogenen Lernbereich – durch Lernfelder ersetzt. Die einzelnen Lernfelder werden in Lernsituationen konkretisiert, die so real wie möglich berufliche Lernsituationen abbilden, innerhalb derer ein exemplarisch eigenständiges und lösungsorientiertes Handeln vollzogen werden kann. Nachdem ein Problem erfasst ist, gilt es für die Auszubildenden, selbstständig nach Lösungen zu suchen und das Problem zu bewältigen. Diese exemplarischen Lösungen sollen die Auszubildenden befähigen, in ähnlichen Situationen kompetent zu han10 Vgl. dazu Bader/Sloane 2000 und Bader/Müller 2004.

deln und sich dabei auch ihrer selbst und der gesellschaftlichen und sozialen Implikationen ihres Handelns bewusst zu sein. Den berufsübergreifenden Fächern ist vom Lernfeldkonzept her aufgegeben, einen Beitrag zu den Lernsituationen zu leisten – mit all den Diskussionen, die in den Fachdidaktiken der betroffenen Fächer darüber geführt werden, ob sie dadurch nicht verzweckt und ihres Eigenwerts beraubt werden, wovon in der Einleitung bereits die Rede war. Der Religionsunterricht, der sich in der Geschichte des beruflichen Schulwesens mit immer neuen Ansätzen um Berufsbezogenheit bemüht hat,11 steht in den Fachklassen des dualen Systems vor der Herausforderung, sich auf das Paradigma der Lernfelddidaktik einzulassen, handlungs- und kompetenzorientiert zu agieren – und einen dezidierten Berufsbezug zu leisten, wofür dieses Materialheft plädiert. Was heißt das konkret, und wie geht das? TIPP 1  Fragen Sie Ihre Auszubildenden

Wenn wirklich die Schülerinnen im Zentrum des Unterrichts stehen, die zu eigenverantwortlichem Handeln im Beruf befähigt werden sollen – warum dann diese Experten nicht konkret befragen? Die Schüler sind nicht nur Expertinnen für grundsätzliche unterrichtliche Abläufe und Lernprozesse,12 sondern auch für ihren Beruf und seine Anforderungen. Wohl niemand in der Berufsschule weiß so gut über die einzelnen Ausbildungsberufe Bescheid wie die Berufsschülerinnen selbst, die ihren Beruf Tag für Tag erlernen und die betriebliche Realität kennen. Vielleicht haben einzelne Lehrkräfte im Bildungsgang den Beruf selbst erlernt oder ein Lehrerpraktikum in einem Betrieb absolviert. Aber das ist lange her oder bietet nur einen kleinen Einblick in die Berufswirklichkeit. Warum also nicht die Schüler fragen? Zu Beginn der unterrichtlichen Arbeit mit einer neuen Klasse empfiehlt es sich, mit den Auszubildenden ins Gespräch 11 Vgl. dazu Gräßle 1987, S. 161, und seine vorangehenden geschichtlichen Ausführungen (139–159). Zur Geschichte des Evangelischen und Katholischen Berufsschulreligionsunterrichtes vgl. auch Mayer/Siebel/La Gro 2006 und Schulz/ Lang 2006. 12 Darauf hat die Hattie-Studie mit Recht aufmerksam gemacht (Hattie 2013).

Wie entwickle ich berufsbezogenen Religionsunterricht?

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darüber zu kommen, was Religion für sie bedeutet. »Bedeutet« darf dabei nicht darauf enggeführt werden, welche Bedeutung sie selbst (ihrer) Religion beimessen, denn es gibt zunehmend Schülerinnen, denen Religion völlig unbedeutend und gleichgültig ist oder die Religion einfach nur »nervt«. Unabhängig von ihrer sehr heterogenen religiösen Sozialisation, ihrer Konfessions- oder Religionszugehörigkeit können sie aber sehr wohl sagen, was sie unter Religion verstehen und was sie damit assoziieren. Sie werden eine Menge über Ihre Schüler lernen und auf Ideen kommen, welche Themen für diese Lerngruppe relevant sind. Fragen Sie nicht nur allgemein nach Religion. Sondern nutzen Sie die Expertise Ihrer Schüler auch für das Thema Religion und Beruf. Fragen Sie einmal danach, welche ganz konkreten Bezüge Auszubildende zwischen Religion und ihrem Ausbildungsberuf sehen. Auch wenn Sie am Anfang mit überraschten oder skeptischen Reaktionen auf diese Frage rechnen müssen, werden Sie überrascht sein, was diese Frage an Antworten alles zutage fördert. Berufsethische Aspekte allemal, Werte für ein verantwortliches Handeln im Beruf oder zum Umgang mit Kolleginnen und Kunden. Konfliktsituationen, die sich z. B. in der Begegnung mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen ergeben und sich auch auf religiöse Motive zurückführen lassen. Bis hin zu Überlegungen, wie wichtig im Beruf Vertrauen ist, wem man vertrauen kann und ob Vertrauen auf Gott und Gebet helfen, z. B. in gefährlichen Situationen. Die Antworten ermöglichen Ihnen eine Kompetenzeingangsdiagnostik in Sachen Religion, denn die Antworten Ihrer Schülerinnen offenbaren unterschiedliche Stadien religiöser Kompetenz. Darüber hinaus können Sie aber thematisch aus diesen Antworten schließen, welche Unterrichtsangebote für diese Klasse sinnvoll sind. Übrigens lohnt es sich gut zuzuhören, was die Schüler im Laufe des gemeinsamen Unterrichts erzählen. Welche Erfahrungen machen sie? Von welchen Situationen erzählen sie? Durch Zuhören werden Sie im Laufe der Jahre selbst immer mehr zu Experten für den Bezug zwischen Religion und den Ausbildungsberufen, mit denen Sie zu tun haben. Dieses Wissen können Sie für die Entwicklung von Anforderungssituationen und berufsbezogenen Lehr-Lern-Arrangements hervorragend nutzen. TIPP 2  Kooperieren Sie selbstbewusst mit Fachkolleginnen im Bildungsgang

Neben und nach dem Befragen und Zuhören sind konzeptionelle Arbeit zu leisten und Unterrichtsangebote zu entwickeln. Unterschiedliche Modelle, Religions-

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unterricht in den Lernfeldern der jeweiligen Ausbildungsberufe zu verankern, stehen zur Verfügung.13 Auch hier ist die Praxis wichtiger als die Theorie. Sichten Sie die vorliegenden Lernsituationen des fachbezogenen Unterrichts im Hinblick auf Anknüpfungspunkte und Zuordnungsmöglichkeiten. Gibt es dort Situationen, Themen, Aspekte, die sich auch aus religiöser Perspektive betrachten und thematisieren lassen? Im Sinne eines Perspektivwechsels, der den Auszubildenden neue Horizonte erschließen kann? Das allein ist noch nicht alles. Wichtig ist es, auch eigene Lernsituationen zu erarbeiten, sei es in direkter Kooperation mit dem berufsbezogenen oder -übergreifenden Lernbereich oder derart, dass der Religionsunterricht eine Vorgabe für die anderen Fächer macht. Denn ansonsten gehen die »Proprien« der Religion und des Religionsunterrichts unter – die Frage nach Gott, die Auseinandersetzung mit dem Menschenbild, die Frage nach Grund und Sinn der Welt, die Frage nach Spiritualität u. v. a. m. Um solche zentralen Fragestellungen aufgreifen zu können, muss natürlich auch Raum für Religionsstunden außerhalb von Lernsituationen bleiben, auch für aktuelle Themen, die die Auszubildenden beschäftigen. Religionsunterricht steht dafür ein, dass im Leben nicht alles plan- und vorhersehbar ist. Die konzeptionelle Arbeit kann von der Religionslehrerin nicht allein im stillen Kämmerlein geleistet werden. Zumindest sollte sie es nicht. Religionslehrkräfte sollten ganz selbstverständlich mit den Fachkollegen im Bildungsgangteam kooperieren und mit diesen in einen »interdisziplinären Dialog« eintreten. In den Bausteinen dieses Materialheftes finden Sie Hinweise für Kooperationsmöglichkeiten. Solche Gespräche erweisen sich als ungemein fruchtbar – und zwar in mehrfacher Hinsicht. Sie ermöglichen es, gemeinsam realistische Probleme und Fragestellungen aus der konkreten Berufswirklichkeit zu identifizieren, die von einem berufsbezogenen Religionsunterricht aufgegriffen werden können. Darüber hinaus ändert sich der Blick auf den Religionsunterricht. Bringt die Religionslehrerin ihre Themen und ihren Unterricht selbstbewusst in den Bildungsgang ein, ist der Religionsunterricht kein »Orchideenfach« mehr, sondern kann auf gleicher Augenhöhe mit den anderen Fächern einem gemeinsamen Bildungsauftrag verpflichtet integraler »Bestandteil« und weniger »Ergänzung 13 Verwiesen sei auf Biesinger/Schmidt 2006, S. 260 f., die vier »Zuordnungsversuche« benennen, und Henn 2007, der fünf »Modelle der Einbindung des BRU in die Lernfelddidaktik« darstellt.

der Berufsausbildung« sein (Bader 2006, S. 56). Eine solche Wahrnehmung hat positive Folgen für die Akzeptanz des Religionsunterrichts – bei Schulleitungen, Kolleginnen und dualen Partnern. Sie werden erleben, dass Sie weniger darum kämpfen müssen, dass der Religionsunterricht in den Randstunden liegt, die die Abmeldung befördern, und sich weniger dafür rechtfertigen müssen, warum Ausbildungsbetriebe einen solch »überflüssigen Unterricht« bezahlen sollen. Verstecken Sie sich nicht, um möglichst nicht aufzufallen, sondern beziehen Sie selbstbewusst Position: Religiöse Kompetenzentwicklung ist für eine humane und wertorientierte Arbeits- und Berufswelt unbedingt notwendig!14 Zumindest wenn man nicht der schon länger beobachtbaren Verwässerung des Kompetenzbegriffes Vorschub leisten will, die in Art einer »utilitaristischen Wende« von Kompetenz stark wirtschaftsbezogen denkt, auf verwertbare Kompetenzen setzt und daher einen Primat auf die berufliche Fachlichkeit legt.15 Für dieses Ziel einer religiösen Kompetenzentwicklung innerhalb der beruflichen Bildung lohnt sich die Mühe, die eine Verbindung des Religionsunterrichtes mit den Lernfeldern macht. TIPP 3  Halten Sie die Augen offen Wir Lehrerinnen gelten als Jäger und Sammler. Wenn uns etwas Interessantes in die Hände fällt, heben wir es oftmals auf – es könnte ja für den Unterricht irgendwann einmal interessant und zu gebrauchen sein. Warum nicht auch zielgerichtet die Augen aufhalten und nach Informationen über die Ausbildungsberufe suchen, mit denen wir zu tun haben? Ausbildungsordnungen, Berufsbilder und Berufsbeschreibungen lassen die Berufe besser kennenlernen. Betriebsbesichtigungen oder der Austausch mit dualen Partnern, z. B. bei Koordinierungsgesprächen zwischen Schule und Betrieben, sind interessant und lohnenswert, um die berufliche Realität der Auszubildenden besser kennenzulernen. Nicht zuletzt bietet das Internet ein Füllhorn von Informationen. Angebote der Arbeitsagentur wie planet-beruf.de oder berufenet.arbeitsagentur.de sind nicht nur für Jugendliche interessant, die sich für einen Ausbildungsberuf interessieren. Ferner finden sich z. B. auf YouTube auch Videos zu unterschiedlichen Berufen oder Erfahrungsberichte von Auszubildenden. Wer sucht, der findet. 14 Diese Unerlässlichkeit konkretisiert und illustriert die Schrift »Berufliche Bildung mit religiöser Kompetenz«. 15 Zu dieser Entwicklung des Kompetenzbegriffes vgl. Arnold 2002, S. 30 ff.; Geißler/Orthey 2002, S. 72.

Tipp 4  Seien Sie kreativ

Die folgenden Bausteine ermutigen dazu, BRU konsequent berufsbezogen zu entwickeln und durchzuführen. Sich in die unterschiedlichen beruflichen Wirklichkeiten von Berufsschülern hineinzudenken ist spannend, abwechslungsreich und macht Sie zu interessanten Gesprächspartnern für Ihre Schüler. Ich bin davon überzeugt: Sie werden schnell eigene kreative Ideen für Ihre Auszubildenden entwickeln. Vielleicht bieten die Bausteine Ihnen ja die ein oder andere Inspiration dazu. Literatur Arnold, R. (2002): Von der Bildung zur Kompetenzentwicklung. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung, 49, S. 26–38. Bader, R./Sloane, P. F. E. (Hg.) (2000): Lernen in Lernfeldern. Theoretische Analysen und Gestaltungsansätze zum Lernfeldkonzept. Markt Schwaben. Bader, R./Müller, M. (Hg.) (2004): Unterrichtsgestaltung nach dem Lernfeldkonzept. Bielefeld. Bader, R. (2006): Berufliche Handlungskompetenz und ihre didaktischen lmplikationen. In: Neues Handbuch Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Hrsg. von der Gesellschaft für Religionspädagogik und dem Deutschen Katechetenverein (2. Aufl.; S. 44–57). Neukirchen-Vluyn. Berufliche Bildung mit religiöser Kompetenz: gott – leben – beruf. Optionen für Unternehmen und Schulen. Hrsg. vom Institut für berufsorientierte Religionspädagogik. Tübingen. Biesinger, A./Schmidt, J. (2006): Berufliche Bildung mit religiöser Kompetenz: Eine Option für Unternehmen, Politik und Kirche. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie, 58, S. 258–268. Geißler, K. A./Orthey, F. M. (2002): Kompetenz: Ein Begriff für das verwertbare Ungefähre. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung 49, S. 69–79. Gräßle, E. (1987): Berufsbezogene Ansätze in der katholischen Religionspädagogik. In: Ders./R. Mayer: Berufspädagogik und Religionspädagogik im Dialog (S. 139–161). Stuttgart. Hattie, J. (2013): Lernen sichtbar machen. Überarbeitete deutschsprachige Ausgabe von »Visible Lerning«, besorgt von W. Beywl und K. Zierer. Hohengehren. Henn, P. (2007): Lernfelddidaktik und Berufsbezug im BRU. BRU, 46, S. 12 f. Mayer, R./Siebel, K.-T./La Gro, J. (2006): Berufsbezogene Ansätze in der Religionspädagogik. Zur Geschichte des BRU aus evangelischer Sicht. In: Neues Handbuch Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Hrsg. von der Gesellschaft für Religionspädagogik und dem Deutschen Katechetenverein (2. Aufl.; S. 100–107). Neukirchen-Vluyn. Schulz, W./Lang, H. (2006): Berufsbezogene Ansätze in der Religionspädagogik. Zur Geschichte des BRU aus katholischer Sicht. In: Neues Handbuch Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen. Hrsg. von der Gesellschaft für Religionspädagogik und dem Deutschen Katechetenverein (2. Aufl.; S. 108–116). Neukirchen-Vluyn.

Wie entwickle ich berufsbezogenen Religionsunterricht?

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1 Will ich in »Gottes Unternehmen« arbeiten?

Die Idee Der Glaube an eine Schöpfung Gottes gehört zu den zentralen Glaubensüberzeugungen des Christentums. Religionspädagogisch ist die Auseinandersetzung mit Schöpfung aber ein schwieriges Unterfangen. Die Vorstellung eines Schöpfers ist heutzutage »maßgeblicher Grund für den Abschied vom Gottesglauben« (Benk 2021, S. 3). Dieser Baustein zum Thema Schöpfung setzt bei der Aussage der biblischen Schöpfungstexte über den Menschen und seinen Auftrag an, sich die Erde untertan zu machen (Gen 1,28), als Ebenbild Gottes zu agieren (Gen 1,26 f.), den Garten zu bebauen und zu behüten (Gen 2,15) und die Chaosmächte in die Schranken zu weisen, die die Schöpfung bedrohen (Bieberstein 2015, S. 53 f.). Was bedeutet das eigentlich im Hinblick auf die Arbeits- und Berufswelt? Positionierung Mit Religion Beruf gestalten?! Der Schöpfungsauftrag Gottes nimmt den Menschen in die Pflicht, auch in der Berufs- und Arbeitswelt. Unternehmen sind Teil der Welt, die dem Menschen von Gott anvertraut ist. Stellt die Vorstellung vom Menschen als einem Ebenbild, einem Repräsentanten Gottes auf Erden, der sich die Erde untertan machen und Gottes Garten bebauen und hüten soll, Anforderungen an Auszubildende in einem Betrieb und ihre Arbeit? Und wenn ja, wollen sich Auszubildende dieser Aufgabe in ihrem Beruf eigentlich stellen? Als Handlungsprodukt erstellen die Schülerinnen, eingebettet in ein Gedankenexperiment, in dem die Schöpfung Gottes auf ein konkretes »Unternehmen« Gottes hin konkretisiert wird, eine Stellenbeschreibung. In dieser soll deutlich werden, welche Erwartungen Gott an seine Mitarbeiter hat. Mögliches Vorgehen »God is calling …« (M1). Die Abbildung dient als offener Einstieg in den Baustein. Was könnte Gott wollen? Je nach Gottesvorstellung werden die Auszubildenden unterschiedliche Vermutungen äußern, die mehr oder weniger ernsthaft und tiefsinnig sein und vielleicht

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Will ich in »Gottes Unternehmen« arbeiten?

auch Ablehnung hervorrufen werden, da ein solcher Anruf doch niemals stattfinden wird. Die Schülerinnenbeiträge aufnehmend leitet die Lehrkraft zu der Idee über, Gott wolle ein Unternehmen in der Branche gründen, in der die Auszubildenden tätig sind, und suche Mitarbeiterinnen. Eine solche Annahme erscheint den Schülern womöglich auf den ersten Blick fremd. Die Lehrkraft weist dann darauf hin, dass es sich um ein Gedankenexperiment handelt. Sie kann aber auch zusammen mit den Lernenden die Hintergründe dieses Experiments klären. Wenn gläubige Menschen daran glauben, dass Gott der Schöpfer der Welt ist, dann wissen sie, dass die Welt nicht so entstanden ist, wie es in der Bibel steht. Trotzdem glauben sie, dass Gott in einer Beziehung zur Welt steht und der Mensch gegenüber Gott verantwortlich ist in dem, was er tut. Darum geht es in dem Gedankenexperiment, und zwar ganz konkret im Blick auf die Branche, in der die Auszubildenden tätig sind. Im nächsten Schritt geht es um die Erarbeitung einer Stellenanzeige für dieses Unternehmen. Dazu muss zunächst überlegt werden, was eine Stellenbeschreibung ist und was darin formuliert wird. Nachdem diese Details geklärt sind, machen sich die Schülerinnen an die Recherche, welches Anforderungsprofil Gott an Mitarbeitende in seinem Betrieb stellen könnte. Dabei beziehen sich die Schüler nicht zwangsläufig auf den biblischen Schöpfungsauftrag. Die Aufgabe kann auch anderes gelöst werden, z. B. im Blick auf die Zehn Gebote oder mit dem Gebot der Nächstenliebe. Ein Bezug zu den biblischen Schöpfungserzählungen kann von der Lehrkraft natürlich angeregt werden, indem das Textblatt mit Bibelstellen und einem Kommentar zum Verständnis der biblischen Texte zur Verfügung gestellt wird (M2). Die Stellenbeschreibungen der Schülerinnen werden präsentiert und miteinander verglichen. Dabei gibt es sicherlich Diskussionsbedarf: Sind die Stellenbeschreibungen seriös? Halten sie der Realität stand? Oder sind Fantasieprodukte dabei herausgekommen? Je nach Ergebnis ist es sinnvoll, die Ergebnisse gemeinsam zu bewerten und die drei besten auszuwählen. Abschließend diskutieren die Schüler darüber, ob sie

sich auf eine Stelle mit einem solchen Profil bewerben würden. Ist eine solche Position mit ihren Aufgaben für sie attraktiv? Verfügen sie über die geforderten Kompetenzen? Mögliche Fächerverbindung: Bei diesem Baustein bieten sich fächerübergreifende Kooperationen z. B. mit dem Fach Wirtschafts- und Betriebslehre zu Fragen der moralisch-ethischen Unternehmensgrundsätze und der Attraktivität von Unternehmen an.

bild hin weitergeführt werden. Andere sinnvolle Anschlüsse ermöglichen die Bausteine 5 zu den Zehn Geboten sowie 8 und 9, die an konkreten Beispielen die Frage nach Business und Bibel und einem gerechten Lohn thematisieren. Die katastrophalen Auswirkungen, die die Vorstellung, sich die Erde untertan zu machen, im Blick auf eine Ausbeutung der Erde und ihrer Ressourcen gehabt hat, kann mit dem Baustein 13 thematisiert werden, in dem es um einen verantwortlichen Umgang mit der Erde geht.

Möglichkeiten zur Weiterarbeit

Eine sinnvolle Weiterführung liegt im Verfassen einer Bewerbung auf eine der in diesem Baustein erarbeiteten Stellenbeschreibungen. Was kann ich als Auszubildender bieten? Je nachdem, wie intensiv die schöpfungstheologischen Aspekte in diesem Baustein zur Geltung gekommen sind, können sie ggf. noch weiter vertieft oder mit dem folgenden Baustein auf das christliche Menschen-

Literatur Benk, A. (2021): Schöpfung als Vision einer gerechten Welt. Die Relecture biblischer Schöpfungstexte als Befreiungstheologie, Bibel und Kirche, 76 (1), S. 2–9. Bieberstein, K. (2015): »Herrschen« oder »Hüten« – Gen 1,28 und 2,25 in Diskussion. In: Bischöfliches Hilfswerk Misereor (Hg.): Bausteine zur Enzyklika Laudato Si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus (2. Aufl.; 53 f.). Aachen.

Will ich in »Gottes Unternehmen« arbeiten?

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M 1 Gott gründet ein Unternehmen

© 2021 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

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Stellen Sie sich einmal folgende Situation vor: Gott gründet ein Unternehmen in der Branche, in der Sie Ihre Ausbildung absolvieren, und sucht ausgelernte Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger. Natürlich hat er konkrete Vorstellungen und Erwartungen an mögliche Bewerberinnen und Bewerber. Er ruft bei Ihnen an und bittet Sie um Mithilfe bei der Formulierung einer Stellenbeschreibung …

Die Stellenbeschreibung ist meist ein Teil der Stellenanzeige und findet sich auch im Arbeitsvertrag wieder. Sie enthält alle relevanten Informationen, die eine Position bei einem Arbeitgeber ausmachen. Kurz gesagt: Wenn Sie die Stellenbeschreibung gelesen haben, wissen Sie ganz genau, was im Job auf Sie zukommt, was von Ihnen erwartet wird und mit welchen Aufgaben Sie sich während der Arbeitszeit beschäftigen werden. Jochen Mai: Stellenbeschreibung: Worauf muss ich achten? 7.12.2020. https://karrierebibel.de/stellenbeschreibung/ (Zugriff am 1.4.2021)

Hätten Sie selbst Interesse an einer solchen Stelle in Gottes Unternehmen? Begründen Sie.

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M 2 Bible to read

Der Mensch als Ebenbild Gottes und sein Auftrag

Erste biblische Schöpfungserzählung (Genesis 1,26–28) 26 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. 27Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. 28Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen!

© 2021 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

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»Herrschen« oder »Hüten«? Wer die Bibel zu lesen beginnt, stößt in den ersten drei Kapiteln auf zwei Schöpfungserzählungen mit verstörenden Aussagen. – Nach der ersten, vermutlich jüngeren Schöpfungserzählung (Gen 1,1–2,4a) wird der Mensch als »Ebenbild« Gottes eingesetzt und beauftragt, über alle Tiere der Erde zu »herrschen« (1,26.28). – Nach der zweiten, vermutlich älteren Schöpfungserzählung (Gen 2,4b–3,24) wird er als Gärtner eingesetzt, um den Garten Eden zu »bebauen« und zu »hüten« (2,15).

Widersprechen sich die beiden Aufgabenbeschreibungen nicht? […] Zweifellos erfuhren Menschen in frühen Kulturen, die ihre Siedlungen in mühseliger Arbeit einer unwirtlichen Umwelt abgerungen hatten, die unkultivierte Umwelt vornehmlich als Bedrohung durch Unwetter, wilde Tiere oder feindliche Heere. […] Daher galt die Sehnsucht der Menschen nicht der unberührten Natur, sondern Inseln der Ordnung in einer lebensfeindlichen Umwelt, in denen die Chaosmächte gebannt sind und eine Rechtsordnung einen Lebensraum eröffnet. Daher erschuf Gott die Welt

Der Mensch als Gärtner und sein Auftrag Zweite biblische Schöpfungserzählung (Genesis 2,8.15) 8 Dann pflanzte Gott, der Herr, in Eden, im Osten, einen Garten und setzte dorthin den Menschen, den er geformt hatte. 15 Gott, der Herr, nahm den Menschen und gab ihm seinen Wohnsitz im Garten von Eden, damit er ihn bearbeite und hüte. © Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Katholisches Bibelwerk Stuttgart 2016.

im ersten Schöpfungsbericht auch nicht, indem er sie aus dem Nichts ins Dasein rief, sondern indem er das Chaos bannte, das Licht erschuf, zwischen Licht und Finsternis schied und die Mächte der Finsternis in die Schranken wies. Und aus eben diesem Grund wurde in der altorientalischen Umwelt der König und in der ersten Schöpfungserzählung der Mensch als »Repräsentant« und »Ebenbild« Gottes eingesetzt, damit er Gottes Schöpfungswerk, die Mächte des Chaos in ihre Schranken zu weisen, fortsetze. Dann aber beziehen sich die anschließenden Aussagen über die Tiere, wenn wir sie im Horizont der altorientalischen Bildersprache lesen, nicht naiv auf Tiere im biologischen Sinn, sondern auf alle Mächte des Chaos, die die Kultur bedrohen. […] Und diese »Tiere« sind nicht zu »hüten«, sondern im Auftrag Gottes mit aller Macht in Schranken zu weisen, damit Gottes Schöpfungswerk nicht gefährdet wird. Nur so können wir Gottes Garten »hüten« (Gen 2,15).

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Klaus Bieberstein: »Herrschen« oder »Hüten« – Gen 1,28 und 2,25 in Diskussion. In: Bischöfliches Hilfswerk Misereor (Hg.): Bausteine zur Enzyklika Laudato Si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus von Papst Franziskus, 2. Aufl., Aachen 2015, S. 53 f.

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2 Wie viel ist der Mensch wert?

Die Idee Mögliches Vorgehen »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« So lau- Die Schüler werden mit einem Bild des Gründers von tet der erste Artikel des Grundgesetzes. Der Wert des Amazon, Jeff Bezos sowie einer Schlagzeile konfronLebens kann nicht beziffert werden und jedes Leben tiert, die den Wert seines Lebens mit über 200 Milist gleich viel wert, denn alle Menschen haben die liarden Dollar beziffert (M1). Die Schülerinnen diskugleiche Würde. tieren darüber, wie ein solcher Wert zustande kommt Bei genauerem Hinsehen wird jedoch schnell deut- und welche Kriterien ihm zugrunde liegen. Bei nälich, dass es in der Realität einen Unterschied zwi- herer Betrachtung wird klar, dass es hier um Bezos’ schen Würde und Wert gibt. Die Würde des Menschen Vermögen und den Aktienkurs seines Unternehmens ist unantastbar, der Wert ganz realer Menschen wird geht. Rechtfertigt dies die Aussage, was sein Leben dennoch sehr unterschiedlich beziffert. Lebens­ver­ wert ist? Kann der Wert menschlichen Lebens so besiche­rungen, Ablösesummen für Sportler, Menschen- stimmt werden? handel, Entschädigungszahlungen, LösegeldforderunAnschließend wird der Blick auf die Auszubildengen, Organhandel usw. zeugen davon, dass Menschen den und ihren Wert gerichtet (M2). Um diesen Wert einen »Marktwert« haben. Der unterschiedliche Wert zu bestimmen muss nach Kriterien gefragt werden, zeigt sich auch im Alltag von Menschen, in unter- die bedeutsam sind. Ähnlich wie bei Jeff Bezos geht schiedlichen Lebensverhältnissen, der immer größer es auch hier um einen monetären Wert: die Kosten, werdenden Schere zwischen Arm und Reich und den die ein Betrieb für die Ausbildung aufbringen muss, daraus erwachsenden Folgen für Ansehen, Wohlstand, gegengerechnet gegen das, was die Auszubildenden Bildung, Gesundheit und Lebenserwartung. durch ihre Arbeit erwirtschaften. Aber auch andere Im Arbeitsleben spielt der Wert von Menschen und Aspekte sind bedeutsam, z. B. die Investition in eine Arbeit eine große Rolle. Frauen z. B. erhalten weni- längerfristige Bindung an das Unternehmen. Oft werger Lohn für gleiche Arbeit, sind offenbar weniger den auch die menschliche Würde oder religiöse Aswert als Männer. Prekäre Arbeitsverhältnisse und pekte von den Schülerinnen eingebracht. Schließlich moderne Lohnsklaverei zeugen vom unterschiedli- wird der Wert auch ein gefühlter sein, bei dem bedeutchen Wert menschlichen Lebens und menschlicher sam ist, wie wertgeschätzt sich eine Auszubildende Arbeit. Auch Auszubildende erfahren in ihren Be- in ihrem Betrieb fühlt. Die genaue Bezifferung eines trieben unterschiedlich hohe Wertschätzung, fühlen Preises auf einem Preisschild fällt den Schülern oft sich nicht selten ausgenutzt und unter Druck gesetzt. schwer und sie weichen aus, indem sie z. B. ein UnDieser Baustein konfrontiert den unterschiedlichen endlichkeitszeichen als Wert eintragen. Wert menschlichen Lebens mit dem biblischen MenFalls die Schülerinnen bereits bei den Kriterien auf schenbild, das die unterschiedlichen Werte für Men- das christliche Menschenbild oder die menschliche schen in ein kritisches Licht stellt. Würde verwiesen haben, die gegen einen bezifferbaren Preis spricht, wird das in einem weiteren Schritt Positionierung aufgenommen. Ansonsten konfrontiert die Lehrkraft Mit Religion Beruf gestalten?! Ist das christliche Men- die Preise, die die Auszubildenden benannt haben, mit schenbild für die Arbeit im Ausbildungsberuf rele- dem christlichen Menschenbild. Welchen Preis würde vant? Welche Konsequenzen hat die Entscheidung für Gott auf sein Preisschild schreiben (M3)? den beruflichen Alltag und den Umgang mit Kollegen, Mögliche Fächerverbindung: Bei diesem Baustein Kundinnen usw.? Als Handlungsprodukt beziffern die bieten sich fächerübergreifende Kooperationen z. B. Schüler den Wert eines Auszubildenden je nach per- mit den Fächern Politik/Gesellschaftslehre und Biosönlicher Einschätzung und Gewichtigung von Kri- logie zu gesellschaftlichen Herausforderungen über terien in einem Preis. den Wert menschlichen Lebens an. Wer befindet in

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unserer Gesellschaft eigentlich darüber? Ferner kann in Kooperation mit dem Fach Wirtschafts- und Betriebslehre über Fragen der Lohn- und Personalkosten oder das Thema Humankapital nachgedacht werden. Möglichkeiten zur Weiterarbeit

Zur Weiterführung dieses Bausteins kann die Per­ spek­tive über die Auszubildenden hinaus auf andere Menschen gelenkt werden. Kleben die Schüler eigentlich anderen Menschen Preisschilder auf? Diese Frage wird meist empört zurückgewiesen. Dennoch ist die Auseinandersetzung damit lohnenswert. Die provokative Frage, ob kostspielige Operationen für Rentner, die keine Leistung mehr bringen, nicht unsinnig sind und mit Blick auf die Veränderungen in der Alterspyramide und die immer größer werdende finanzielle Belastung für die junge Generation nicht besser unterlassen würden, kann z. B. den Blick für die Realität von Preisschildern schärfen. Denn viele Auszubildende haben noch Großeltern, sodass eine solche Provokation Emotionen zu wecken vermag. Ein anderes Beispiel, bei dem der unterschiedliche Wert menschlichen Lebens deutlich wird, liegt im Bereich gesellschaftlicher Diskriminierung. Immer wenn Menschen im Hinblick auf Hautfarbe, Ge-

schlecht, sexuelle Orientierung, Herkunft, Religion usw. diskriminiert werden, werden sie in ihrem Wert herabgesetzt. Entscheidend ist dann nicht mehr das, was sie sind, ihre Persönlichkeit, ihre Identität, ihre Kompetenz. Es lohnt sich, Schülerinnen mit Alltagsrassismus zu konfrontieren. Auch hier werden sie die provokante Frage, ob sie selbst rassistisch sind, meist empört zurückweisen. Der Film »Der Rassist in uns«, der ein Antirassismustraining dokumentiert, bei dem erlebbar wird, wie Diskriminierung funktioniert und sich anfühlt, macht aber deutlich, wie schnell letztlich jeder zum Rassisten werden und unterschiedlich hohe Preise für Menschen festsetzen kann. Der Film ist in der ZDF-Mediathek verfügbar.16 Im Anschluss daran kann mit den Bausteinen 10–13 zu Fragen der Diversität in der Arbeits- und Berufswelt sowie der Bedeutung eines interreligiösen Dialogs weitergearbeitet werden. Literatur Klare, J. (2010): Was bin ich wert? Eine Preisermittlung. Berlin.

16 https://www.zdf.de/dokumentation/dokumentation-sons��tige/der-rassist-in-uns-104.html (Zugriff am 1.4.2021).

Wie viel ist der Mensch wert?

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Verleihung des Axel Springer Award 2018 in Berlin am 24.04.2018 © picture alliance/SvenSimon | Annegret Hilse/SVEN SIMON

M 1 Wie viel ist der Mensch wert?

© 2021 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

»Jeff Bezos ist jetzt über 200 Milliarden Dollar wert« (t3n.de vom 20.8.2020)

1. Zu dieser Schlagzeile habe ich folgende Gedanken … 2. Tauschen Sie sich zu zweit darüber aus, wie ein solcher Wert zustande kommt. 3. Diskutieren Sie in der Klasse: Ist dieser Wert von Jeff Bezos gerechtfertigt? Was spricht dafür, was spricht dagegen?

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Wie viel ist der Mensch wert?

M 2 Wie viel ist ein Azubi wert?

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1. Recherchieren Sie Kriterien, die den Wert eines Azubis ausmachen. Denken Sie z. B. an Ausbildungs­ vergütung, soziale Kompetenz usw. 2. Gewichten Sie die Kriterien ihrer Bedeutsamkeit nach. Welches Kriterium ist das wichtigste für Sie, welches steht an zweiter Stelle usw.? Tragen Sie Ihre Kriterien in die Pyramide ein: das wichtigste Kriterium in die Spitze, die anderen entsprechend sortiert darunter. Begründen Sie Ihre Reihenfolge.

3. Legen Sie auf der Basis Ihrer Kriterien und der von Ihnen vorgenommenen Gewichtung einen Preis fest, den ein Azubi Ihrer Meinung nach hat. Schreiben Sie ihn auf Ihr Preisschild.

4. Vergleichen Sie Ihr Preisschild mit denen Ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler und diskutieren Sie das Ergebnis.

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M 3 Bible to read – und was sagt Gott zum Wert?

Michelangelo: Die Erschaffung Adams (ca. 1511), Sixtinische Kapelle

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1. Beschreiben Sie das Bild. 2. Lesen Sie die folgenden Texte. 3. Diskutieren Sie: Wie viel ist der Mensch in den Augen Gottes wert? Welchen Preis würde Gott auf ein Preisschild schreiben? Tragen Sie den Preis in den Bildausschnitt ein. 4. Vergleichen Sie dieses Preisschild mit denen, die in Ihrer Klasse erstellt wurden. 5. Hat Gottes Preisschild Auswirkungen auf das von Ihnen erstellte Preisschild? Begründen Sie Ihren Standpunkt. 6. Wie viel ist der Mensch wert? Formulieren Sie in Stichworten Konsequenzen der Preisfindung für Ihren beruflichen Alltag.

Genesis 1,26 f.

Gott sprach: »Lasst uns Menschen machen – unser Ebenbild, uns gleich sollen sie sein!« […] 27Gott schuf den Menschen nach seinem Bild. Als Gottes Ebenbild schuf er ihn, als Mann und Frau schuf er sie. 26

Psalm 8

Herr, unser Herrscher, wie machtvoll ist dein Name auf der ganzen Erde! Deine Herrlichkeit strahlt über dem Himmel auf! 3 Dem Geschrei von Kindern und Säuglingen hast du Macht verliehen über deine Widersacher. Feinden und Rachgierigen setzt du ein Ende. 4 Schaue ich hinauf zum Himmel, staune ich über das Werk deiner Finger. Betrachte ich den Mond und die Sterne, die du dort oben befestigt hast, so frage ich: 2

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Wie viel ist der Mensch wert?

Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, das Menschenkind, dass du dich seiner annimmst? 6 Kaum geringer als Gott – so hast du den Menschen geschaffen. Du schmückst ihn mit einer Krone – so schenkst du ihm Herrlichkeit und Würde. 7 Die Werke deiner Hände hast du ihm anvertraut. Alles hast du ihm zu Füßen gelegt: 8 Schafe, Ziegen und Rinder – alle zusammen, und dazu die wilden Tiere auf dem Feld, 9 die Vögel am Himmel und die Fische im Wasser und was sonst die Meere durchzieht. 10 Herr, unser Herrscher, wie machtvoll ist dein Name auf der ganzen Erde! 5

BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

3 Endlich Gott sein – oder in meinem Beruf lieber digital Mensch bleiben? Die Idee Arbeit 4.0, Industrie 4.0, Vertrieb 4.0, Pflege 4.0, Verwaltung 4.0 usw. – diese Begriffe sind in aller Munde. Sie bezeichnen die zunehmende Digitalisierung der Arbeitswelt und damit massive Veränderungen der Arbeitsbedingungen und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Die einen sehen in diesen Veränderungen große Chancen. Arbeiten kann zeit- und ortsunabhängig werden. Vernetzte Arbeitsplätze erlauben immer mehr Arbeiten im Homeoffice. Mitarbeiter können ihre Arbeitszeit flexibel gestalten und haben so größere Freiräume für selbstbestimmtes Arbeiten und eine größere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Andere warnen davor, dass menschliche Arbeit zunehmend überflüssig und von intelligenten Maschinen übernommen wird. Die Kehrseite größerer Flexibilität ist der Druck der ständigen Erreichbarkeit. Und was ist mit den intelligenten Maschinen und ihren Algorithmen? Kontrolle? Manipulation? Hat der Mensch überhaupt eine Zukunft, oder werden die Maschinen in naher Zukunft bessere Menschen sein? Zu denen, die warnen, gehört der israelische Historiker Yuval Noah Harari, der sich in mehreren Bestsellern mit der Geschichte der Menschheit und ihrer Zukunft beschäftigt hat (Harari 2015 und 2017). Darin beschreibt er das Ende des Homo sapiens und ein neues Zeitalter. Menschen erhalten die Macht über Leben und Tod, eine Macht, die sie einmal Gott zugeschrieben hatten. Sie schaffen Leben, das ihnen womöglich überlegen ist und menschliche Identität grundlegend verändert, und besiegen den Tod. Was wird dann sein? Harari appelliert daran, »die Richtung zu beeinflussen. Die wichtigste Frage der Menschheit ist nicht: ›Was dürfen wir nicht‹, sondern: ›Was wollen wir werden?‹ Und da wir vielleicht bald in der Lage sein werden, auch unsere Wünsche zu programmieren, lautet die eigentliche Frage: ›Was wollen wir wollen?‹ Wem diese Frage keine Angst macht, der hat sich vermutlich nicht genug mit ihr beschäftigt. […] Gibt es etwas Gefährlicheres als unzufriedene und verantwortungslose Götter, die nicht wissen, was sie wollen?« (Harari 2015, 506–508).

Solche Fragen sind religionspädagogisch brisant. Sie fordern das christliche Menschen- und Gottesbild heraus. Was bedeuten Digitalisierung und die Entwicklung künstlicher Existenzen für die christliche Theologie? Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und »Medienbischof« der Evangelischen Kirche in Deutschland, stimmt Harari zwar zu, dass Menschen immer nach Glück streben und den Tod am liebsten überwinden wollen. Er betont aber auch die Grenzen des Menschen sowie die Hoffnung auf Überwindung des Todes, von denen der christliche Glaube gekennzeichnet ist. Angesichts der Digitalisierung plädiert er für einen Blick darauf, was dem Menschen wirklich gut tut – und für ein neues Durchdenken der alten Frage, was der Mensch wirklich ist (Jung 2018). Positionierung

Mit Religion Beruf gestalten?! Wie positionieren sich Auszubildende zur zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt und der Möglichkeit, auch in Zukunft Mensch zu bleiben? Bei der Auseinandersetzung mit den anspruchsvollen religionskritischen und folgenreichen Erwägungen Hararis und dem christlichen Standpunkt Jungs beziehen sie Stellung zu der Frage, welche Zukunft sie wollen: Götter werden oder digital Mensch bleiben? Und welche Folgen das hat. Handlungsprodukte entstehen innerhalb einer Projektarbeit und abschließend in einer Gebrauchsanweisung, wie digital Mensch Bleiben im Ausbildungsberuf ganz konkret gehen kann. Schließlich wird die Generation der Schülerinnen in der Zukunft des Menschen eine wichtige Rolle spielen und Verantwortung für die Veränderung der menschlichen Spezies tragen müssen. Mögliches Vorgehen Die Fragen, die Harari aufwirft, sind komplex. Insofern empfiehlt sich der Einstieg über die persönliche Wahrnehmung von Digitalisierung (M1). Wohl nahezu jeder Berufsschüler verfügt über ein Smartphone und trägt die Digitalisierung 24/7 in der Hosentasche mit sich. Auch am Arbeitsplatz erleben viele Auszubildende tagtäglich, wie die Digitalisierung ihren Beruf

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verändert. Und sie machen sich Gedanken darüber, wie ihr Beruf in der Zukunft sein wird. Eine Methode, sich diesen Gedanken zu nähern und ihnen ausführlich Raum zu geben, liegt in der Projektarbeit. In Kooperation mit den Ausbildungsbetrieben und dem fachbezogenen Unterricht kann eine Ausstellung über die Digitalisierung im Ausbildungsberuf der Auszubildenden entstehen – mit ihren Chancen und (ethischen) Risiken. Diese kann von den Schülerinnen der vollzeitschulischen Bildungsgänge besucht werden, damit sich diese Schüler über digitale Trends im Berufsleben informieren können. Eine weitere Möglichkeit ist die Planung und Durchführung einer Podiumsdiskussion zu digitalen Trends. Dadurch entstehenden Risiken in der Berufs- und Arbeitswelt und den Zukunftsperspektiven im gewählten Ausbildungsberuf. Im Anschluss daran lernen die Auszubildenden Auszüge aus den Büchern Hararis und Jungs kennen (M2). Sie vergleichen und diskutieren die Standpunkte der beiden Autoren – v. a. die Fragen danach, was der Mensch ist und was ihn ausmacht. Und was sich verändern würde, wenn der Mensch zu Gott würde, was Harari kommen sieht.

Mögliche Fächerverbindung: Fächerübergreifende Kooperation sind bereits angesprochen worden. Neben dem fachbezogenen Unterricht sind in der Projektphase Vernetzungen mit dem Politik- und Wirtschaftsunterricht lohnend. Hinsichtlich der Gestaltung von Präsentationen für die Ausstellung auch mit dem Unterricht in Informationstechnologie oder Gestaltungstechnik. Schließlich mit dem Fach Deutsch/ Kommunikation zur Planung der Podiumsdiskussion und zur Erarbeitung von Argumentationsstrategien bei einer solchen Diskussionsveranstaltung. Möglichkeiten zur Weiterarbeit

Da dieser Unterrichtsbaustein mit der Projektarbeit schon recht aufwändig und zeitintensiv ist, ist die Auseinandersetzung mit der Thematik nach der Beschäftigung mit den Thesen Hararis und Jungs wahrscheinlich intensiv genug gewesen, sodass diese Thematik verlassen und mit einem anderen Thema weitergemacht werden kann. Literatur Harari, Y. N. (2015): Eine kurze Geschichte der Menschheit (20. Aufl.). München. Ders. (2017): Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen (5. Aufl.). München. Jung, V. (2018): Digital Mensch bleiben. München.

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M 1 Digitalisierung im Beruf

»Ob in Industrie, Dienstleistung oder Handel – die Digitalisierung hat die Art und Weise, wie wir miteinander arbeiten bereits stark verändert und wird dies weiter tun«, sagt Christopher Meier, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung der IHK Köln.

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Julia Leendertse: Wie die Digitalisierung die Ausbildung verändert. Blickpunkt 5/2016. https://www.ihkplus.de/ Wie_die_Digitalisierung_die_Ausbildung_veraendert.AxCMS (Zugriff am 1.4.2021).

Als Auszubildende erleben Sie die Veränderungen hautnah. Wie denken Sie darüber? Welche Chancen, welche Risiken sehen Sie darin? Planen Sie dazu ein Projekt für die Schulöffentlichkeit. Ideen dafür könnten z. B. sein: – Stellen Sie in einer Ausstellung die Veränderungen Ihres Berufsfeldes durch die Digitalisierung für die Schülerinnen und Schüler Ihrer Schule dar. Informieren Sie über aktuelle digitale Entwicklungen in Ihrem Beruf. – Diskutieren Sie bei einer Podiumsveranstaltung über Ihre positiven und negativen Erfahrungen mit der Digitalisierung und die damit verbundenen Zukunftsperspektiven in Ihrem Ausbildungsberuf. Wen könnten Sie als interessante Gesprächspartnerinnen und -partner sowie Expertinnen und Experten zu dieser Diskussion einladen?

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Digital Mensch bleiben!

Aus Menschen werden Götter!

Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Medienbischof der EKD

Yuval Noah Harari Israelischer Historiker

Harari hat natürlich recht: Menschen sehnen sich nach Glück und sie sehnen sich danach, dass der Tod besiegt wird. Die Bibel stellt dem entgegen: Das können Menschen nicht aus eigener Kraft. Es ist vielmehr so, dass menschliche Versuche, dies zu realisieren, nicht den Himmel auf die Erde holen, sondern die Erde zur Hölle machen. Deshalb ist es wichtig, Grenzen und Begrenztheit zu erkennen und anzuerkennen. Das ist verbunden mit der Botschaft: Der Tod ist besiegt und damit ist die Hoffnung auf ewiges Glück verbunden. Das ist gerade nicht die unendliche Verlängerung dieses Lebens. Es ist aber der Auftrag, in der Hoffnung des Glaubens diese Welt so zu gestalten, dass dies dem Leben dient, und zwar dem Leben aller Menschen – auch dem Leben der Menschen, die nach uns kommen werden. Dies bedeutet zugleich, sorgsam mit dieser Welt mit all ihren Geschöpfen und Ressourcen als Schöpfung Gottes umzugehen. Damit ist der Mensch keineswegs vom irdischen Glück abgeschlossen. Und auch

Die gesamte Geschichte hindurch sprach man den meisten Göttern nicht Omnipotenz, sondern eher ganz bestimmte übermenschliche Fähigkeiten zu: etwa Lebewesen zu formen und zu schaffen, den eigenen Körper zu verändern, die Umwelt und das Wetter zu steuern, Gedanken zu lesen und aus der Ferne zu kommunizieren, mit hoher Geschwindigkeit unterwegs zu sein und natürlich dem Tod zu entgehen und ewig zu leben. Die Menschen sind gerade eifrig dabei, diese Fähigkeiten zu erlangen und noch ein paar mehr.

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Yuval Noah Harari: Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen, 5. Aufl., München 2017, S. 69 f.

Harari sieht in dieser Entwicklung eine grundlegende Veränderung des Menschen: Diese Veränderungen werden so grundsätzlicher Natur sein, dass die Bezeichnung »menschlich« nicht mehr zutrifft. Wie viel Zeit wird bis dahin vergehen? Das ist schwer zu sagen. Hin und wieder wird behauptet, schon im Jahr 2050 könnte es

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nicht – wenn man es so sagen will – von Erfolgen im Kampf gegen den Tod. Der Mensch sieht aber, dass die besondere Würde und der Wert dieses Lebens gerade auch in seinen Grenzen und Begrenzungen liegen. […] Ich plädiere dafür, sich pragmatisch mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Pragmatisch heißt hier für mich, nicht nur nach dem zu fragen, was Menschen praktisch nutzt. Es heißt für mich auch und vor allem danach zu fragen, was Menschen guttut und dem Leben dient. Dazu gehört, sich bei all den digitalen Möglichkeiten klar- und bewusst zu machen, was und wer der Mensch ist. […] Ist der Mensch selbst nichts anderes als eine hochkomplexe Maschine, die sich mittels Technik kopieren lässt? Steht die Menschheit kurz davor, genau dies zu tun? Oder ist der Mensch doch noch etwas anderes? […] Menschen haben ein Bewusstsein und können sich zu sich selbst, zu anderen Menschen und zu Gott eigenständig in Beziehung setzen. Mensch sein bedeutet dann auch, sich selbst als von Gott begabtes, aber auch von Gott unterschiedenes, begrenztes Wesen zu verstehen. Die Digitalisierung stellt neu vor die Aufgabe, diese Grenze zu erkennen und dabei auch herauszufinden, was Menschen guttut, weil es zum Leben hilft, und was Menschen schadet, weil es Leben zerstört. Künstliche Intelligenz fordert besonders dazu heraus, die alte theologische und philosophische Frage »Was ist der Mensch?« neu zu durchdenken.

die ersten unsterblichen Menschen geben. Weniger radikale Prognosen sprechen vom kommenden Jahrhundert oder Jahrtausend. […] Wenn sich die Geschichte der Sapiens ihrem Ende zuneigt, sollten wir uns als Angehörige einer der letzten Generationen die Zeit nehmen, eine letzte Frage zu stellen: Was wollen wir werden? […] Die wichtigste Frage der Menschheit ist nicht: »Was dürfen wir nicht?«, sondern: »Was wollen wir werden?« […] Trotz unserer erstaunlichen Leistungen haben wir nach wie vor keine Ahnung, wohin wir eigentlich wollen, und sind so unzufrieden wie eh und je. Von Kanus sind wir erst auf Galeeren, dann auf Dampfschiffe und schließlich auf Raumschiffe umgestiegen, doch wir wissen immer noch nicht, wohin die Reise gehen soll. Wir haben größere Macht als je zuvor, aber wir haben noch immer keine Ahnung, was wir damit anfangen wollen. Schlimmer noch, die Menschheit scheint verantwortungsloser denn je. Wir sind Selfmade-Götter, die nur noch den Gesetzen der Physik gehorchen und niemandem Rechenschaft schuldig sind. Und so richten wir unter unseren Mitlebewesen und der Umwelt Chaos und Vernichtung an, interessieren uns nur für unsere eigenen Annehmlichkeiten und unsere Unterhaltung und finden doch nie Zufriedenheit. Gibt es etwas Gefährlicheres als unzufriedene und verantwortungslose Götter, die nicht wissen, was sie wollen?

Volker Jung: Digital Mensch bleiben, München 2018, S. 40 f., 43 f., 97 f., 100 f.

Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit, 15. Aufl., München 2020, S. 504 ff.

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1. Vergleichen Sie die Standpunkte von Yuval Noah Harari und Volker Jung und stellen Sie diese einander gegenüber. 2. Diskutieren Sie die Frage »Was ist der Mensch?« angesichts der Herausforderungen durch die Digitalisierung und die neuen Fähigkeiten, die der Mensch durch sie erlangt hat und erlangen wird. Welche Folgen hätte es, wenn Menschen Götter werden? 3. Positionieren Sie sich: Wie sehen Sie die Zukunft des Menschen? Entwickeln Sie eine Gebrauchsanweisung, wie der Mensch digital Mensch bleiben kann.

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4 Soll ich als Azubi tun, was ich will?

Die Idee Wie verhalte ich mich richtig? Diese Frage stellt sich Auszubildenden in unterschiedlichen beruflichen Situationen sehr häufig. In vielen Berufsfeldern haben sich spezifische Berufsethiken he­ raus­gebildet, die Orientierung vermitteln, z. B. der hippokratische Eid für Ärzte oder das Leitbild des ehrbaren Kaufmanns. Hier soll die Frage der Ethik grundsätzlicher angegangen werden. Auch wenn Ethik klassisch ein Teilgebiet der Philosophie ist, gehört theologische Ethik zentral zur Theologie. In diesem Baustein geht es um menschliche Freiheit und ihre Gestaltung – ein Thema, das theologisch gut anschlussfähig ist, denn auch Gott hat den Menschen frei geschaffen und ihm aufgegeben, verantwortlich mit dieser Freiheit umzugehen. Die Idee zu diesem Baustein verdankt sich einem Buch des spanischen Philosophieprofessors Fernando Savater: »Tu, was du willst. Ethik für die Erwachsenen von morgen« (Savater 2001). Der Untertitel zeigt, dass es perfekt für die Zielgruppe von Berufsschülerinnen passt, die als zumeist junge Erwachsene die Erwachsenen von morgen sein werden. Darin zeigt er, dass »Tu, was du willst« zu unterscheiden ist von »Tu, wozu du zuerst Lust hast«. Und dass die Sehnsucht nach einem glücklichen Leben und danach, »sich ein schönes Leben zu machen«, nicht groß davon zu unterschieden ist, anderen »ein schönes Leben zu bereiten« und menschlich miteinander umzugehen (Savater 2001, 57 ff.). Diese ethischen Aspekte sind für Berufsschüler durchaus aktuell. Das Lustprinzip ist bei vielen Jugendlichen ausgeprägt, bedeutet aber noch lange keine wahre Freiheit. Die Sehnsucht nach einem glücklichen Leben ist eine alte Menschheitssehnsucht und auch heute in einer stark individualisierten Gesellschaft, in der das eigene Glück und die eigene Selbstverwirklichung nicht selten zu Lasten anderer Menschen gehen, präsent. Soll ich als Azubi tun, was ich will? Diese Frage wird in diesem Baustein mit Savater angestoßen, um den Schülern den Grundmechanismus von Ethik erfahrbar zu machen.

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Soll ich als Azubi tun, was ich will?

Positionierung Mit Religion Beruf gestalten?! Hier in einer geänderten Zuspitzung: Kann ich mit Ethik Beruf machen? Kann ich in meiner Ausbildung tun, was ich will? Soll ich das? Bezogen auf Fernando Savaters Verständnis von »Tu, was du willst«, das vom Lustprinzip und einem egoistischen Glücksstreben zu unterscheiden ist. Soll ich anderen Menschen in meinem Beruf ein schönes Leben bereiten? Und was heißt das ganz konkret für den beruflichen Alltag? Als Handlungsprodukt können z. B. ethische Leitsätze für das Handeln in der Ausbildung formuliert oder ein Brief an Fernando Savater verfasst werden, in dem die Schülerinnen zum Ausdruck bringen, was sie von seinem Ansatz halten. Mögliches Vorgehen Die Arbeit mit diesem Baustein erstreckt sich über mehre Unterrichtsstunden: In einer ersten Unterrichtseinheit geht es um die eigenen Vorstellungen der Auszubildenden im Hinblick auf eine perfekte Ausbildung (M1). Nach einem Austausch darüber wird zusammenfassend festgehalten, was für die Schülerinnen zu einer perfekten Ausbildung dazugehört und wichtig ist. In der zweiten Unterrichtseinheit folgt ein Experiment. Die Auszubildenden versammeln sich vor dem verschlossenen Klassenraum und werden von der Lehrkraft dort auf das Experiment eingestimmt. Sie erfahren, dass dieses Experiment zwei Phasen hat: das Experiment selbst und eine Reflexion im letzten Stundendrittel. Die Lehrkraft erläutert das Experiment. »Stellen Sie sich vor: Der Klassenraum ist Ihr Mitarbeiterraum. Worum es heute geht, werden Sie erfahren, wenn Sie den Raum betreten. Verbringen Sie zwei Drittel des heutigen Unterrichts damit. Zu einem festgelegten Zeitpunkt (letztes Stundendrittel) seien Sie bitte bereit für eine Reflexion des Experiments.« Die Lehrkraft hat den Raum vorher präpariert. Auf der Tafel steht: »Tu, was du willst!« Im Raum finden die Schülerinnen auch Angebote vor, die sie nutzen können, wenn sie keine eigenen Ideen haben, was sie tun wollen, z. B. Fachzeitschriften, Bücher zum Ausbildungsberuf aus der Schülerbibliothek, Texte zum

glücklichen Leben aus Religion, Philosophie und Literatur (M2 und M3) usw. »Tu, was du willst« kann auch bedeuten, dass die Schüler den Raum verlassen. Daher sollte die Lehrkraft vorher unbedingt einen Antrag auf Unterrichtsgang stellen, damit die Schülerinnen z. B. für Wege außerhalb des Schulgeländes versichert sind. Die Reflexion des Experiments erfolgt mit dem Fragebogen M4. Wichtig ist, dass die Schüler das »Tu, was du willst« bewerten und das, was sie konkret während des Experiments getan haben, mit ihren Vorstellungen von einer perfekten Ausbildung bzw. einem perfekten Ausbildungstag vergleichen. In der abschließenden dritten Unterrichtseinheit arbeiten die Schülerinnen mit einem Textauszug aus Savaters Buch (M5), in dem sie seinen Ansatz und die Unterscheidung von »Tu, was du willst« und »Tu, wozu du zuerst Lust hast« kennenlernen. Im Vergleich von Savaters Ansatz mit ihren Erfahrungen während des Experiments ziehen sie Konsequenzen für die Ausbildung und den Kontakt mit anderen Menschen.

Mögliche Fächerverbindung: Fächerübergreifende Kooperationen ergeben sich mit dem fachbezogenen Unterricht zu Fragen der konkreten Ausbildungsgestaltung in Verbindung mit ethischen Fragestellungen. Ebenso zu den Fächern Wirtschafts- und Betriebslehre sowie Politik/Gesellschaftslehre zu wirtschaftsethischen sowie gesellschaftspolitischen Fragen im Blick auf ein glückliches (Zusammen-)Leben von Menschen. Möglichkeiten zur Weiterarbeit

Eine Vertiefung im Bereich theologische Ethik bietet der nächste Baustein zu den Zehn Geboten. Weiterführend kann mit dem Baustein 6 zur Dilemma-Situation gearbeitet werden, um die ethischen Überlegungen mit einer konkreten Anforderungssituation zu konfrontieren und an ihr zu überprüfen. Literatur Savater, F. (2001): Tu, was du willst. Ethik für die Erwachsenen von morgen. Weinheim/Basel.

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M 1 Mein perfektes Leben als Azubi

Sie sind mit sich und der Welt vollkommen zufrieden … Drücken Sie aus, wie ein perfekter Arbeitstag in Ihrer Ausbildung aussieht. Schreiben Sie dazu einen Bericht, ein Gedicht, einen Song, fertigen Sie eine Zeichnung an oder drücken Sie sich in einer Gestaltung aus, die zu Ihnen passt. Präsentieren Sie Ihre Vorstellungen in der Klasse. Halten Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede fest. Was macht eine perfekte Ausbildung aus?

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M 2 Bible to read – was bedeutet Glück? Weisheit erwerben – wie viel besser als Gold!, Einsicht erwerben – vortrefflicher als Silber. 17Böses zu meiden ist der Pfad der Rechtschaffenen; wer auf seinen Weg achtet, bewahrt sein Leben. 18Hoffart kommt vor dem Sturz und Hochmut kommt vor dem Fall. 19Besser bescheiden sein mit Demütigen, als Beute teilen mit Stolzen. 20Wer auf das Wort achtet, findet Glück; selig, wer auf den HERRN vertraut. 16

Selig der Mann, der mit seiner Rede nicht entgleist ist und der nicht verletzt worBuch der Sprichwörter 16,16–20 den ist durch Schmerz über Sünden. 2Selig ist, wer sich nicht selbst verurteilt hat und der seine Hoffnung nicht verloren hat. 3Einem geizigen Mann steht Reichtum nicht wohl an, wozu Vermögen für einen neidischen Menschen? 4Wer gegen sich selbst geizt, sammelt für andere, in seinen Gütern werden Fremde schwelgen. 5Wer mit sich selbst schlecht umgeht, zu wem wird er gut sein? Er wird sich nie an seinem Wohlstand erfreuen. 6Keiner ist schlimmer als einer, der sich selbst nichts gönnt, und dies ist Vergeltung für seine Schlechtigkeit. 7Sogar wenn er etwas Gutes tut, tut er es aus Versehen und zuletzt offenbart er seine Schlechtigkeit. 8Der ist schlecht, dem der Neid aus den Augen schaut, der das Gesicht abwendet und über Menschen hinwegsieht. 9Das Auge des Habgierigen hat nicht genug mit nur einem Teil und schlimmes Unrecht zehrt die Seele aus. 10Ein schlimmes Auge missgönnt Brot und es herrscht Mangel an seinem Tisch. 11Kind, wenn du etwas hast, tu dir selbst Gutes und bringe würdige Gaben vor den Herrn! 12Denk daran, dass der Tod nicht zögert und der Pakt mit dem Hades dir nicht gezeigt wurde! 13Bevor du stirbst, tu einem Freund Gutes! Entsprechend deinem Vermögen teile aus und gib ihm! 14Einen schönen Tag lass nicht vorbeigehen und den Anteil an dem, was du Gutes begehrst, lass nicht vorübergehen! 15Du wirst die Erträge deiner Anstrengung wohl nicht einem 3 anderen überlassen und den Lohn deiner Mühen Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört 16 beim Teilen des Erbes? Gib, nimm und beschwichdas Himmelreich. 4Selig die Trauernden; denn sie tige dich selbst, denn im Hades ist kein Genuss zu werden getröstet werden. 5Selig die Sanftmütigen; finden! 17Alle Lebewesen altern wie ein Kleidungsdenn sie werden das Land erben. 6Selig, die hunstück, denn die Bestimmung lautet seit Ewigkeit: gern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie Sterben wirst du. 18Wie grünendes Blattwerk auf werden gesättigt werden. 7Selig die Barmherzigen; einem dicht belaubten Baum – die einen fallen zu denn sie werden Erbarmen finden. 8Selig, die rein Boden, die anderen wachsen nach –, so ist es auch sind im Herzen; denn sie werden Gott schauen. 9 mit einer Generation aus Fleisch und Blut: Die eine Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Kinstirbt, die andere wird gezeugt. 19Jedes Werk modert der Gottes genannt werden. 10Selig, die verfolgt und geht zugrunde, und wer daran arbeitet, wird werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen mit ihm vergehen. gehört das Himmelreich. 11Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Böse Jesus Sirach 14,1–19 über euch redet um meinetwillen. 12Freut euch und jubelt: Denn euer Lohn wird groß sein im Himmel. So wurden nämlich schon vor euch die Propheten verfolgt.

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© Die Bibel. Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. Katholisches Bibelwerk Stuttgart 2016.

Matthäusevangelium 5,3–12

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M 3 More to read – was bedeutet Glück?

Glück ist das einzige, was wir anderen geben können, ohne es selbst zu haben. Carmen Sylva, Schriftstellerin (1843–1916)

Das Geheimnis des Glücks liegt nicht im Besitz, sondern im Geben. Wer andere glücklich macht, wird glücklich.« André Gide, Schriftsteller (1869–1951)

Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit. Erasmus von Rotterdam, Theologe (1466–1536)

Glück ist das einzige, das sich verdoppelt, wenn man es teilt.

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Albert Schweitzer, Arzt und Philosoph (1875–1965)

Glück ist kein Geschenk der Götter, sondern die Frucht innerer Einstellung. Erich Fromm, Psychoanalytiker (1900–1980)

Wenn man glücklich ist, soll man nicht noch glücklicher sein wollen. Glücklich ist nicht, wer anderen so vorkommt, sondern wer sich selbst dafür hält.

Theodor Fontane, Schriftsteller (1819–1898)

Seneca, römischer Dichter und Philosoph (1–65 n. Chr.)

Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende. Demokrit, griechischer Philosoph (460  v. Chr.–371  v. Chr.)

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Es gibt keinen Weg zum Glück. Glücklichsein ist der Weg. Buddha, Begründer des Buddhismus

M 4 Tu, was Du willst« – das Motto für eine perfekte Ausbildung?

Geben Sie Ihrer heutigen Unterrichtsstunde eine Note.













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Mein erster Gedanke, als ich den Klassenraum betreten habe, …

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Heute habe ich Folgendes gemacht …

War das heute ein perfekter Tag im Azubi­ leben? Begründen Sie.

Wie gut finden Sie das Motto: »Tu, was du willst«?

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Was will ich dir sagen mit dem »Tu, was du willst« als grundlegendem Motto dieser Ethik, an die wir uns herantasten wollen? Ganz einfach – auch wenn es dir schwer fallen wird: Du musst dich befreien von Befehlen und Gebräuchen, von Belohnung und Strafe, kurz von allem, was dich von außen lenken will, und du musst diese ganze Angelegenheit aus dir selbst heraus, aus deinem Gewissen und freien Willen entwickeln. Frage niemanden, was du mit deinem Leben anfangen sollst: Frage dich selbst. Wenn du wissen willst, wozu du deine Freiheit am besten einsetzen kannst, dann verliere sie nicht, indem du dich von Anfang an anderen unterwirfst, mögen sie auch noch so gut, weise und angesehen sein: Befrage über den Gebrauch der Freiheit – die Freiheit selbst. […] Also, mein »Tu, was du willst« ist nicht mehr als eine Form, dir zu sagen, du sollst das Problem der Freiheit ernst nehmen. Niemand kann dich von der schöpferischen Verantwortung lossprechen, deinen eigenen Weg zu wählen. Quäle dich nicht mit der Frage, ob dieses ganze Theater um die Freiheit »die Mühe lohnt«, weil du, ob du es willst oder nicht, nicht frei bist, und ob du es willst oder nicht, wollen musst. Auch wenn du sagst, du willst von diesen langweiligen Sachen nichts wissen und ich soll dich in Ruhe lassen, willst du etwas: Du willst nichts wissen, du willst, dass man dich in Frieden lässt – auch um den Preis, dass du mehr oder weniger zum Herdentier wirst. Aber verwechseln wir dieses »Tu, was du willst« nicht mit den Launen […]. Es ist eine Sache, dass du tust, »was du willst«, und eine andere, völlig verschiedene, dass du tust, »wozu du zuerst Lust hast«. […] Du willst dir ein schönes Leben machen – wunderbar. Aber du willst auch, dass dieses schöne Leben nicht das eines Blumenkohls oder eines Käfers ist, bei allem Respekt für beide Arten, sondern ein schönes menschliches Leben. Das ist, was dir entspricht, glaube

ich. Und ich bin sicher, dass du darauf für nichts auf der Welt verzichten würdest. Mensch zu sein […] besteht in erster Linie darin, mit anderen Menschen Beziehungen zu haben. […] Mit jemandem zu reden und ihm zuzuhören bedeutet daher, ihn wie eine Person zu behandeln, zumindest zu beginnen, ihn menschlich zu behandeln. Es ist natürlich nur ein erster Schritt, denn die Kultur, mit deren Hilfe wir uns gegenseitig zivilisieren, hat ihren Ursprung in der Sprache, ist aber mehr als Sprache. Es gibt noch andere Formen, mit denen wir zeigen, dass wir uns als Menschen anerkennen: Arten des Respekts und der Rücksichtnahme, die wir füreinander haben. Wir alle wollen, dass man uns so behandelt, und wenn man es nicht tut, protestieren wir. Daher beklagen sich die Frauen, dass man sie wie ein »Objekt« behandelt, wie ein bloßes Schmuckstück oder Werkzeug; und wenn wir jemanden arg beschimpfen, nennen wir ihn »du Tier!«, womit wir ihn darauf hinweisen, dass er das unter Menschen übliche Benehmen missachtet und dass wir, wenn er so weitermacht, ihm mit gleicher Münze heimzahlen können. Das Wichtigste an dieser ganzen Geschichte scheint mir Folgendes zu sein: dass die Humanisierung (das, was uns zu Menschen macht, zu dem, was wir sein wollen) ein wechselseitiger Prozess ist (wie die Sprache). Weißt du, was ich meine? Damit die anderen mich zu einem Menschen machen können, muss ich sie ebenfalls zu Menschen machen; wenn für mich alle wie Sachen oder Tiere sind, bin ich auch nicht besser als eine Sache oder ein Tier. Daher kann »sich ein schönes Leben machen« letzten Endes nicht sehr verschieden sein von »ein schönes Leben bereiten«. Denk doch bitte ein bisschen darüber nach. Fernando Savater: Tu, was du willst. Ethik für die Erwachsenen von morgen, Weinheim/Basel 2001, S. 57–59.63.65 f.

1. Arbeiten Sie heraus, was Savater unter »Tu, was du willst« versteht. 2. Stellen Sie den Unterschied dar, den Savater zwischen »Tu, was du willst« und »Tu, wozu du zuerst Lust hast« macht. 3. Zeigen Sie, welche Bedeutung es für Savater hat, sich ein schönes Leben zu machen. 4. Vergleichen Sie Savaters Gedanken mit dem Experiment, das Sie in der letzten Stunde gemacht haben. Was finden Sie wieder? Was ist anders? 5. »Tu, was du willst!« Ziehen Sie aus Savaters Verständnis von Ethik Schlüsse für ihre Ausbildung, Ihren Kontakt mit anderen Menschen und ein glückliches Leben.

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5 Mit den Zehn Geboten Beruf machen?

Die Idee Widmete sich der vorangegangene Baustein grundsätzlichen ethischen Fragen, rückt dieser Baustein mit dem Dekalog einen Grundlagentext jüdisch-christlicher Ethik und einen Kerntext des Christentums in den Mittelpunkt, der im Abendland eine herausragende Wirkungsgeschichte erlebt hat (vgl. ErbeleKüster 2013). Für die Frage, ob mit christlicher Ethik Beruf gestaltet werden kann, ist der Dekalog bedeutsam. Seine knapp formulierten Gebote sind griffig und ermöglichen eine direkte Auseinandersetzung. Zudem eignet sich die Tatsache, dass der Dekalog keine Verbote aufstellt, sondern Gebote, gut für die Fragestellung, die hier verfolgt wird. Die »Aktion Moses«, eine Arbeitsgruppe des Bundes Katholischer Unternehmer (BKU), hat mit ihren Zehn Geboten für die Wirtschaft eine Interpretation des Dekalogs für unternehmerische und wirtschaftliche Zusammenhänge formuliert, die für die unterrichtliche Arbeit geeignet ist.

kennbar werden. Damit wird den Schülerinnen eine Auseinandersetzung mit dem Dekalog auf einer vertieften Ebene ermöglicht. In einem zweiten Schritt werden die Entwürfe der Auszubildenden mit den »Zehn Geboten für die Arbeitswelt« der Aktion Moses (M2) verglichen und diese bezüglich ihrer Bedeutsamkeit für die Arbeitswelt diskutiert. So ergeben sich auch auf Gebote, die möglicherweise für irrelevant gehalten wurden, neue Blickwinkel. Abschließend wird noch einmal die Frage diskutiert: Kann mit dem Dekalog Beruf gestaltet werden? Und wenn ja, mit welchen Konsequenzen? Mögliche Fächerverbindung: Fächerübergreifende Kooperationen ergeben sich mit dem fachbezogenen Unterricht zu Fragen der konkreten Ausbildungsgestaltung in Verbindung mit ethischen Fragestellungen. Ebenso zu den Fächern Wirtschafts- und Betriebslehre sowie Politik/Gesellschaftslehre zu Fragen von Werthaltungen in der Unternehmensführung und gesellschaftspolitischen Fragen zu Bedingungen dafür, dass menschliches Zusammenleben gelingt.

Positionierung Mit Religion Beruf gestalten?! Taugt der Dekalog auch für das Berufsleben? Dazu positionieren sich die Schülerinnen nach der Auseinandersetzung mit dem Dekalog und dem Beispiel einer Arbeitgeberperspektive, die davon überzeugt ist, dass »eine von christlichen Grundwerten geprägte Unternehmensführung eine tragfähige Grundlage für eine wirtschaftlich wie menschlich erfolgreiche unternehmerische Tätigkeit ist« (Dött 2006, S. 5). Teilen Auszubildende diese Einschätzung? Als Handlungsprodukte entstehen Gebote und Leitsätze für eine ethisch verantwortungsvolle Berufsausübung.

Möglichkeiten zur Weiterarbeit Zusammen mit den Überlegungen im vorhergehenden Baustein oder auch nach der Beschäftigung mit dem Dekalog in diesem Baustein allein haben die Schülerinnen eine gute Basis für den folgenden Baustein zur Bewältigung eines konkreten ethischen berufsbezogenen Dilemmas. Bei der Diskussion dieses Dilemmas können die ethischen Überlegungen zum Dekalog und die Leitsätze für die Arbeitswelt in einer konkreten Situation überprüft werden.

Mögliches Vorgehen

In einem ersten Schritt werden die Schülerinnen mit den Zehn Geboten konfrontiert (M1). Spontan beurteilen sie den Dekalog auf seine Relevanz für das Berufsleben. Anschließend konkretisieren sie die Gebote so, dass klare Leitlinien für die Berufswelt er-

Literatur Aktion Moses im BKU. https://www.bku.de/internet/zehn-gebote-fuer-unternehmer.aspx (Zugriff am 1.4.2021). Dött, M.-L. (2006): Vorwort. In: W. Ockenfels, Zehn Gebote für die Wirtschaft. Köln (Beiträge zur Gesellschaftspolitik. 37). Erbele-Küster, D. (2013): Ethik (AT). In: WiBiLex. https://www. bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/ethik-at/ch/7f8dc68e87c2b8be9aeb73a9e7f66922/ (Zugriff am 1.4.2021).

Mit den Zehn Geboten Beruf machen?

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M 1 Mit den Zehn Geboten Beruf gestalten?

Die Zehn Gebote

Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.

Du sollst nicht ehebrechen.

Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren.

Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.

Du sollst den Tag des Herrn heiligen.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau.

Du sollst Vater und Mutter ehren.

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut.

© 2021 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

Du sollst nicht töten.

Du sollst nicht stehlen.

1. Welche der Zehn Gebote halten Sie in Ihrem Beruf für relevant? 2. Warum halten Sie Ihre Auswahl für bedeutsam und die anderen Gebote nicht? 3. Tauschen Sie sich zu zweit über Ihre Sichtweise auf die Zehn Gebote aus. Vergleichen Sie Ihre Beurteilungen. 4. Bilden Sie Gruppen. Nehmen Sie die Zehn Gebote und beziehen Sie sie auf Ihre Arbeitswelt. Erklären Sie dabei ganz konkret, was die Gebote bedeuten können.

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Mit den Zehn Geboten Beruf machen?

M 2 Die 10 Gebote – interpretiert für wirtschaftliche Zusammenhänge

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1. Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Spiele dich nicht als Herrgott auf und halte dich nicht für allwissend oder allmächtig. Höre auf dein Gewissen und auf deine Mitarbeiter. Sei kritisch dem Zeitgeist gegenüber und orientiere dich an bleibenden Werten.

6. Du sollst nicht ehebrechen Sei nicht so mit einem Unternehmen »verheiratet«, dass deine Familie darunter leidet. Bedenke die Treuepflicht gegenüber deiner Familie. Sei dir auch der Loyalitätspflicht dem Unternehmen gegenüber bewusst, dem du zu dienen hast.

2. Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren Missbrauche Gott und die religiösen Symbole nicht zu Werbezwecken. Rede nicht von höchsten Werten, wenn du nicht danach handelst. Verstecke deine Geschäftsinteressen nicht hinter hohen moralischen Ansprüchen. 

7. Du sollst nicht stehlen Achte das geistige und materielle Eigentum anderer. Spreche ihnen nicht die Möglichkeit ab, bessere Leistungen zu bringen. Lass dich nicht korrumpieren durch Vorteile, die nicht in deiner Leistung begründet sind, und führe auch andere nicht in Versuchung. Sei treu in kleinen wie in großen Dingen.

3. Du sollst den Tag des Herrn heiligen Halte dir den Sonntag frei als Zeit der Rekreation, der Danksagung und des familiären Lebens. Respektiere die religiösen Ansprüche deiner Mitarbeiter. Achte darauf, zur Ruhe und Besinnung zu kommen in der Hektik des Alltags.

8. Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen Unterlasse wahrheitswidrige Aussagen über Mitarbeiter, Kunden und Konkurrenten. Verspreche nicht mehr, als du halten kannst. Täusche nicht durch irreführende Verheißungen und Werbung. Bleib glaubwürdig.

4. Du sollst Vater und Mutter ehren Kümmere dich um Väter und Mütter, die sich für die nächste Generation einsetzen und somit die Zukunft sichern. Fördere den Einsatz älterer Mitarbeiter, so wie du jungen Menschen eine Chance gibst.

9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau Handle nie bloß nach Sympathie. Fördere keine Mitarbeiter, nur weil du eine persönliche Vorliebe für sie hast. Nutze deine Vormachtstellung nicht aus, um Mitarbeiter sexuell zu missbrauchen.

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5. Du sollst nicht töten 10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Gut Sorge dafür, dass dem Leben dienliche Güter und Leis- Zügele deine Begehrlichkeit. Halte deinen Egoismus tungen in humaner Weise entstehen. Beachte die Men- im Zaum. Vermeide die Laster des Neides und Geizes. schenwürde, verängstige nicht deine Mitarbeiter und Freue dich, dass auch andere Erfolg haben. verhindere »Mobbing«. Vernichte nicht deine KonAktion Moses im Bund Katholischer Unternehmer e. V.: Die kurrenten. Sie sind notwendig für den Wettbewerb 10 Gebote. Interpretiert für wirtschaftliche Zusammenhänge. und sollen deine Leistung beflügeln. https://www.bku.de/internet/zehn-gebote-fuer-unternehmer. aspx (Zugriff am 1.4.2021).

1. Vergleichen Sie die Interpretation der Zehn Gebote der Aktion Moses mit Ihrer eigenen. Gibt es Gemeinsamkeiten? Welche Unterschiede gibt es? 2. Bewerten Sie die Zehn Gebote der Aktion Moses. Welche Interpretationen halten Sie für ein erfolgreiches Wirtschaften und Arbeitsleben für bedeutsam? 3. Positionieren Sie sich: Kann man mit den Zehn Geboten Beruf gestalten? Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus für Ihre Ausbildung?

Mit den Zehn Geboten Beruf machen?

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6 Pest oder Cholera – wie entscheide ich in Dilemma-Situationen? Die Idee Wichtige Elemente einer moralisch-ethischen Bildung sind das Abwägen unterschiedlicher Handlungsmöglichkeiten sowie das subjektive Entscheiden für einen moralischen Wert und ein dementsprechendes Handeln. Die Konfrontation mit Dilemmasituationen stellt eine wichtige Methode der Moralerziehung dar. »Die Fähigkeit, moralische Dilemmas zu lösen, stellt […] in fast allen Lebensbereichen eine Schlüsselqualifikation dar, der eine ebenso hohe Bedeutung zukommen muss wie dem Lesen, Schreiben und Rechnen« (Lind 2003, S. 19). Im beruflichen Alltag geraten die Auszubildenden häufig in Konfliktsituationen, die kommunikativ in Form von Argumentation und Diskussion bewältigt werden müssen. Daher bietet es sich an, in Kooperation mit dem berufsbezogenen Bereich ein moralisches Dilemma zu entwickeln und über dieses Dilemma eine Dilemmadiskussion zu führen. Für eine gewinnbringende Dilemmadiskussion stellen sich einige Anforderungen an das Dilemma. Da die Dilemmadiskussion im BRU geführt wird, sollte das Dilemma zwingend ein moralisches sein. Zudem ist es sinnvoll, dass es »semi-real« ist, d. h. so real, dass die Schüler damit im Betrieb tatsächlich konfrontiert werden könnten, aber auch so fiktional, dass es nicht von einer konkreten Schülerin aus der Klasse durchlebt worden ist. Ansonsten besteht die Gefahr, dass zu starke Emotionen ausgelöst werden. Schließlich sollte das Dilemma so komplex sein, dass es nicht einfach zu entscheiden ist. Das in M1 präsentierte Beispiel konfrontiert die Schülerinnen daher mit einem fiktiven Kollegen namens Carsten, der seinen besten Freund, mit dem er seit Kindertagen aufgewachsen ist, als Dieb entlarvt. Es geht also um den anspruchsvollen Konflikt zwischen den moralischen Prinzipien Freundschaft und Wahrhaftigkeit. Bei der Diskussion können die Schülerinnen auf eigene Wertmaßstäbe, aber auch auf ethische und religiöse Argumente zurückgreifen, die sie z. B. bei der vorangehenden Auseinandersetzung mit den Bausteinen 4 und 5 gelernt und sich angeeignet haben.

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Positionierung Kann ich mit Religion Beruf machen?! Hier in einer geänderten Zuspitzung: Wie gehen Schüler mit moralischen Situationen um, die unlösbar scheinen und sich im Beruf stellen? Was hilft ihnen in solchen Situationen? Und mit welchen Argumenten können sie ihr Handeln begründen und rechtfertigen? Die Schülerinnen setzen sich mit (berufs)ethischen Aspekten und zentralen religiösen Wertvorstellungen auseinander und können so die Relevanz ethisch-moralischer Themen für den beruflichen Alltag erleben. Als Handlungsprodukt entstehen Argumente und eine Argumentationsstrategie, die in vergleichbaren Situationen angewendet werden können. Mögliches Vorgehen M1 bietet ein Beispiel für ein Dilemma aus dem Bereich der dualen Ausbildung zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit. Da es um die beiden moralischen Werte Freundschaft und Wahrhaftigkeit geht und die berufliche Anforderungssituation kein spezifisches Fachwissen erfordert, sondern aus sich heraus zu verstehen ist, kann es auch in anderen Ausbildungsberufen eingesetzt werden. Es lässt sich aber auch in Kooperation mit den Fächern des berufsbezogenen Bereichs ein spezifisches Dilemma für das konkrete Berufsfeld entwickeln. Die Dilemmadiskussion, die in diesem Baustein geführt wird, orientiert sich an der Konstanzer Methode. Die Schüler arbeiten in zwei Gruppen – pro und contra –, die Carstens Verhalten für richtig oder falsch halten und dafür entsprechende Argumente ausarbeiten. Nach Lektüre der Dilemmadiskussion beurteilen die Schülerinnen zunächst spontan, ob Carsten sich richtig oder falsch verhalten hat, und formulieren eine kurze Begründung. Anschließend erfolgt eine Abstimmung darüber. Dadurch konstituieren sich die beiden Lager, da die Diskussion authentisch und kein Teilnehmer damit konfrontiert sein soll, eine andere Meinung zu vertreten. Für den Fall, dass die Lager zu ungleich groß sein sollten, kann versucht werden, das Dilemma so zu verändern, dass einige Teilnehmer ins kleinere Lager wechseln. Je nach Klassengröße werden die beiden Lager noch einmal in Kleingruppen unterteilt, da-

Pest oder Cholera – wie entscheide ich in Dilemma-Situationen?

mit sich alle Schüler beim Sammeln von Argumenten aktiv einbringen und beteiligen können. In den (Klein-)Gruppen tragen die Auszubildenden dann Argumente für den eigenen Standpunkt zusammen. Bei der anschließenden Diskussion sitzen sich die beiden Lager gegenüber. Die Diskussion steuern die Schüler selbst, z. B. mit einer »Meldekette«: Die Diskutanten rufen sich gegenseitig auf, wobei immer zwischen den Lagern abgewechselt wird. Der Konstanzer Methode geht es v. a. um die Auseinandersetzung mit Gegenargumenten. Daher müssen sich die Diskutanten gut zuhören, um sich gezielt mit dem Argument des anderen Lagers auseinanderzusetzen und darauf zu reagieren. Die Lehrkraft hat während der Diskussion eine »Schiedsrichterfunktion«: Sie achtet auf die Einhaltung der Diskussionsregeln und greift ggf. bei Verstößen ein. Die Diskussionsregeln lauten: – Jedes Argument ist zulässig, alles darf gesagt werden. – Keine Person darf angegriffen oder bewertet werden, auch nicht positiv. – Die Diskussionsteilnehmenden rufen sich gegenseitig auf. Dabei wird zwischen Pro und Contra abgewechselt.

Nachdem die beiden Lager (bzw. die jeweiligen Kleingruppen innerhalb der Lager) die besten Argumente der Gegenseite benannt haben, erfolgt eine erneute Abstimmung darüber, ob Carsten sich richtig verhalten hat. Das Ergebnis wird mit der anfänglichen Abstimmung verglichen und reflektiert. Da es bei der Dilemmadiskussion insgesamt um die Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit jedes einzelnen Schülers geht, steht am Ende der Stunde noch eine kurze Einzelarbeit, bei der jede Auszubildende still für sich notiert, was sie ganz konkret gelernt hat. Für eine solche Dilemmadiskussion nach der Kon­ stan­zer Methode werden neunzig Minuten benötigt. Mögliche Fächerverbindung: Fächerübergreifende Kooperationen mit dem berufsbezogenen Lernbereich bestehen in der Entwicklung berufsbezogener realistischer Dilemmata. Möglichkeiten zur Weiterarbeit Im Sinne einer Nachhaltigkeit ethischen Lernens empfiehlt es sich, es nicht bei der Beschäftigung mit diesem einen Dilemma und dieser einen Dilemmadiskussion zu belassen, sondern mit zeitlichem Abstand noch einmal auf diese Thematik zurückzukommen. Literatur

Pro Lager protokolliert eine Schülerin während der Diskussion die Argumente des eigenen Lagers, damit diese für eine anschließende Gruppenphase gesichert sind. In dieser Gruppenphase setzen sich die Lager mit den Argumenten der Gegenseite auseinander und benennen die drei stärksten und überzeugendsten Argumente der Gegenseite.

Blatt, M./Kohlberg, L. (1975): The effect of classroom moral discussion upon children’s level of moral judgement. Journal of Moral Education, 4, S. 129–161. Lind, G. (2003): Moral ist lehrbar. Handbuch zur Theorie und Praxis moralischer und demokratischer Bildung. München (EGS-Texte).

Pest oder Cholera – wie entscheide ich in Dilemma-Situationen?

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M 1 Wie würden Sie entscheiden?

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Carsten ist als Fachkraft für Schutz und Sicherheit beim Werksschutz der Firma Chemie International AG beschäftigt und im Pfortendienst eingesetzt. Sein bester Freund Roman arbeitet ebenso bei dieser Firma, und zwar als kaufmännischer Angestellter. Carsten und Roman kennen sich seit ihrer Kindheit und haben dieselbe Schule besucht. Sie sind gemeinsam durch Dick und Dünn gegangen, und zwischen ihnen gibt es keine Geheimnisse. Vor zwei Jahren hat Roman Carsten einmal aus einer ziemlich brenzligen Situation gerettet. Roman weiß, dass Carsten an diesem Abend Dienst an der Pforte hat; nach Carstens Dienstschluss sind die beiden verabredet. Zu Carstens Aufgaben beim Pfortendienst gehört die Behältniskontrolle beim Ausgang. Dieser Kontrolle müssen sich sämtliche Mitarbeiter des Unternehmens unterziehen. In Carstens und Romans Firma wird die Behältniskontrolle stichprobenartig durchgeführt. Am Ausgang betätigen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Zufallsgenerator, der ein akustisches Signal gibt, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter kontrolliert werden soll. Carsten vollzieht die Behältniskontrolle zusammen mit seinem Vorgesetzten Manfred.

seine Tasche nicht öffnen und sagt, unter Freunden sei das doch nicht nötig. Doch Carsten lässt nicht locker und verweist darauf, dass er seiner Pflicht nachkommen müsse. Als Roman daraufhin seine Tasche öffnet, findet Carsten darin ein Firmen-Laptop. Allerdings kann Roman weder einen Ausleihschein noch einen Gerätepass für das Gerät vorweisen. Carsten ist klar: Roman will das Gerät stehlen. Carsten schaut Roman an und entschließt sich, seinen Freund passieren zu lassen. Kurz darauf kehrt Manfred vom Telefon zurück und fragt Carsten, ob bei der eben durchgeführten Kon­ trolle alles in Ordnung gewesen sei. Carsten bestätigt, dass alles in Ordnung gewesen ist …

Die Behältniskontrolle am Schluss dieses Arbeitstages funktioniert bisher problemlos. Als Carstens Kollege Manfred gerade durch einen Telefonanruf, der an der Pforte eingeht, abgelenkt ist, ertönt das Signal des Zufallsgenerators und Roman wird zur Behältniskontrolle durch Carsten ausgewählt. Da Carsten ihn sehr gut kennt, merkt er bereits an Romans Verhalten, dass irgendetwas nicht stimmt. Roman will

Wie würden Sie entscheiden? Hat Carsten richtig oder falsch gehandelt? Meiner Meinung nach war das Verhalten von Carsten -3

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völlig falsch Begründen Sie Ihre Entscheidung: Carsten hat richtig/falsch gehandelt, weil …

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7 Bibel oder Nahkampf – was gilt in Konfliktsituationen? Die Idee Neben anderen globalen Herausforderungen wie z. B. dem Klimawandel ist Gewalt als ein Schlüsselproblem für das Leben und das Zusammenleben von Menschen zu bezeichnen. Dazu reicht ein Blick auf die unzähligen Konflikt- und Kriegsherde weltweit, die so viele Menschen wie selten zuvor zur Flucht zwingen und der Grund für viele humanitäre Katastrophen unserer Tage sind. Auch wenn in Deutschland kein Krieg herrscht, ist auch hier ein verändertes gesellschaftliches Klima nicht zu übersehen. Hass auf Minderheiten, auf Menschen mit anderer Meinung, mit anderer Hautfarbe, aus anderen Kulturen und mit anderer Religion bricht sich immer mehr Bahn, in sozialen Netzwerken wie im alltäglichen Leben. Neben verbaler kommt es auch zu körperlicher Gewalt, zu Übergriffen und Anschlägen. In einem solchen Klima gehören Konflikte auch für Auszubildende zum Alltag, sowohl im privaten Leben als auch im beruflichen Kontext – je nach Berufsfeld mehr oder weniger gewalttätig. Beim Umgang mit solchen Situationen spielen innere Einstellungen eine große Rolle. Die inneren Einstellungen von Menschen weisen den Weg zur religiösen Kompetenzentwicklung der Auszubildenden. Die Bergpredigt thematisiert radikale Normen und Werte, die eine große Herausforderung darstellen. Das gilt besonders im Hinblick auf die Aussagen zur Gewaltlosigkeit (Mt 5,38–42). In den jesuanischen Forderungen steckt »ein Stück bewußter Provokation. Es geht um Verfremdung, um Schockierung, um einen symbolischen Protest gegen den Regelkreis der Gewalt. […] Sie sind Ausdruck eines Protests gegen jegliche Art der den Menschen entmenschlichenden Spirale der Gewalt und der Hoffnung auf ein anderes Verhalten des Menschen, als es im Alltag erfahren werden kann[,] […] sie fordern zu einem aktiven Verhalten auf« (Luz 2002, S. 388 f.). Zu einem Verhalten, das die Befriedung eines Konflikts zum Ziel hat. Darin drückt sich auch der Wert eines gewaltlosen Zusammenlebens aus, das gegen ein »wie du mir, so ich dir« mit seinem »Ansteckungseffekt im Verhalten und sogar im Erleben« protestiert (Schmalzl

1996, S. 20), der die Gewaltspirale an kein Ende kommen lässt. Sich mit der jesuanischen Forderung nach Gewaltlosigkeit auseinanderzusetzen, ist für die Auszubildenden wichtig. Das Gedicht »ich habe gelernt« des Schweizer Theologen und Dichters Kurt Marti (Marti 2017, S. 15) ermöglicht eine Auseinandersetzung in einer motivierenden und schüleraktivierenden Art und Weise. Positionierung

Mit Religion Beruf machen?! Dem Ziel der biblischen Forderung nach Gewaltlosigkeit entsprechend provoziert dieser Baustein mit seiner Polarisierung zweier Extreme, der radikalen Gewaltlosigkeit einerseits und der massiven Gewaltanwendung andererseits. Durch die an sie gerichtete Frage, was denn nun gilt: Bibel oder Nahkampf, werden die Auszubildenden direkt zu einer Positionierung in Form einer Antwort he­ raus­gefordert, sodass sie, wie in der biblischen Forderung, zu einem aktiven Verhalten motiviert werden und sich nicht hinter einem passiven Verhalten verstecken können. Darüber hinaus können eine Diskussion über die generelle Bedeutung gewaltlosen Handelns im Berufsleben geführt und Verhaltensempfehlungen als konkretes Handlungsprodukt formuliert werden. Mögliches Vorgehen

Der Einstieg erfolgt mit Martis Gedicht selbst (M1) oder mit einem Schülerdialog, der die Frage des Gedichts, was denn nun gilt, in eine konkrete berufliche Handlungssituation einbettet. Welcher Weg auch immer gewählt wird, am Ende steht die direkte Frage an die Auszubildenden: Was gilt – Bibel oder Nahkampf? Nachdem die Frage im Raum steht, beantworten sie die Schülerinnen spontan. Entweder schriftlich oder mit der Methode Meinungslinie. Dazu wird auf den Boden mit Kreppband o. Ä. eine Linie geklebt, an deren Enden die Begriffe »Bibel« und »Nahkampf« stehen. Die Schüler geben ihre Antwort auf die Frage, was gilt, dann in der Weise, dass sie auf dieser Linie Position beziehen und diese für jeden in der Klasse sichtbar machen. Bei beiden Varianten erläutern die Lernenden in einem Gespräch mit ihrem Sitznach-

Bibel oder Nahkampf – was gilt in Konfliktsituationen? 39

barn (oder derjenigen, die auf der Linie neben ihnen steht) ihren eigenen Standpunkt. Um zu einem vertieften Verständnis der biblischen Forderung nach Gewaltverzicht zu gelangen, ist eine Auseinandersetzung mit dem, was Jesus in der Bergpredigt eigentlich zum Ausdruck bringen will, unerlässlich (M2). Dabei soll den Schülern die Bedeutung des Satzes klar werden, von dem das lyrische Ich im Gedicht sagt, es habe ihn in der Kirche gelernt. Wirklich klar wird das nur, wenn man die Forderung nach Gewaltverzicht auf eine reale Situation anwendet und so auf den Prüfstand stellt. Wenn beim Einstieg bereits mit einer konkreten Handlungssituation gearbeitet wurde, kann diese Situation verwendet werden. Andernfalls rufen sich die Schülerinnen Konfliktsituationen in Erinnerung, die sie selbst als gefährlich erlebt haben. Oder sie denken sich eine realistische Situation aus. Was bedeutet die Forderung der Bergpredigt in einer derartigen Situation ganz konkret? Welche Strategien gibt es? Wie »geht« gewaltloses Handeln? Abschließend diskutieren die Schüler grundsätzlich die Frage, was denn nun gilt. Ihre eigene Meinung zur Bedeutung gewaltlosen Handelns im Berufsalltag können die Auszubildenden z. B. in Form von Spruchblasen festhalten und der Klasse präsentieren (M3). Diese Ergebnisse sollten mit der eingangs von ihnen jeweils spontan gegebenen Antwort verglichen werden. Wenn mit der Methode Meinungslinie gearbeitet wurde, erfolgt eine erneute Positionierung auf der Linie. Haben Schülerinnen ihren Standpunkt verändert? Warum (nicht)? Mögliche Fächerverbindung: Fächerübergreifende Kooperationen sind mit dem Fach Politik/Gesellschaftslehre zur Bedeutung gewaltlosen Handelns

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Bibel oder Nahkampf – was gilt in Konfliktsituationen?

bei der Bewältigung von Krisensituationen denkbar. Kann mit der Bergpredigt Politik gemacht werden? Ferner sind außerschulische Lernortkooperationen mit Initiativen möglich, die gewaltloses Handeln z. B. in Deeskalations- und Antigewalttrainings anbieten. Ideen zur Weiterarbeit Die Bibel kennt neben der Forderung nach Gewaltverzicht noch weitere »Deeskalationsstrategien«, die hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf den Beruf kennengelernt und diskutiert werden können, z. B. »Auge für Auge, Zahn für Zahn« (Ex 21,22–27), »Liebe deine Feinde« (Mt 5,43–48), »die »Goldene Regel« (Mt 7,12), »Besiege das Böse durch das Gute« (Röm 12,21). Diese Strategien können auch in den Baustein integriert werden. So wäre es möglich, die Beschäftigung mit den unterschiedlichen Strategien als Stationenlernen durchzuführen, an dessen Ende dann mithilfe von Martis Gedicht diskutiert werden könnte, was von »biblischen Deeskalationsstrategien« zu halten ist und welche Bedeutung ihnen im Berufsleben zukommt. Die »Goldene Regel« wird in diesem Materialheft im Baustein 11 thematisiert. Literatur Luz, U. (2002): Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband Mt 1–7. (5., völlig neu bearbeitete Aufl. 2002). NeukirchenVluyn/Zürich (EKK I/1). Marti, K. (2017): geduld und revolte. die gedichte am rand. Stuttgart. Schmalzl, H. P. (1996): Deeskalation. Entstehungsgeschichte, Irrungen und der Versuch der Klärung eines schwierigen Begriffs. In: Deeskalation – ein Begriff voller Mißverständnisse!? (S. 7–23). Lübeck (Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 4/96).

M 1 Was gilt in Konfliktsituationen?

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© Anton Dios/Adobe Stock

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was gilt nun?

Kurt Marti: geduld und revolte. die gedichte am rand, Stuttgart 2017, 15.

1. Beantworten Sie die Frage des Gedichts spontan. 2. Begründen Sie Ihren Standpunkt.

Bibel oder Nahkampf – was gilt in Konfliktsituationen? 41

M 2 Bible to read – Wenn dir jemand auf den rechten Backen schlägt …

Ihr wisst, dass gesagt worden ist: »Auge für Auge und Zahn für Zahn!« 39Ich sage euch aber: Wehrt euch nicht gegen Menschen, die euch etwas Böses antun! Sondern wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch deine andere Backe hin! 40Wenn dich jemand verklagen will, um dein Hemd zu bekommen, dann gib ihm noch deinen Mantel dazu! 41Wenn dich jemand dazu zwingt, seine Sachen eine Meile zu tragen, dann geh zwei Meilen mit ihm! 42Wenn dich jemand um etwas bittet, dann gib es ihm! Und wenn jemand etwas von dir leihen will, dann sag nicht »Nein«. 38

BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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Auslegung von Ulrich Luz In den drei Sätzen steckt ein Stück bewusster Provokation. Es geht um Verfremdung, um Schockierung, um einen symbolischen Protest gegen den Regelkreis der Gewalt. Ihre Bedeutung haben sie nicht darin, dass das von ihnen geforderte Verhalten einleuchtend wäre. Sie sind vielmehr Ausdruck eines Protests gegen jegliche Art der den Menschen entmenschlichenden Spirale von Gewalt und der Hoffnung auf ein anderes Verhalten des Menschen, als es im Alltag erfahren werden kann. Aber sie bleiben nicht dabei stehen, denn sie fordern zu einem aktiven Verhalten auf. In ihm soll ein Stück Protest und ein Stück provokativer Kon­ trast gegen die die Welt beherrschende Gewalt stecken. Deutlich ist auch, dass Jesu Forderungen mehr wollen, als sie konkret verlangen. […] Sie wollen zwar befolgt werden, aber nicht einfach wörtlich. Das, was

sie fordern, soll in neuen Situationen in Freiheit, aber in ähnlicher Radikalität immer wieder neu erfunden werden. […] Gewalt – jede Gewalt, kriminelle, politische, wirtschaftliche, militärische und jede vorbereitende Beteiligung daran – ist widergöttlich und böse. Gegen alle menschliche Neigung, sich mit Gewalt abzufinden, sie als Teil des Lebens zu akzeptieren und in den von ihr gesetzten Rahmenbedingungen zu leben, muss eine Auslegung unseres Textes dies deutlich sagen.

Auslegung von Christofer Frey Die Forderungen sind übertrieben formuliert und keine Handlungsanweisung. Um das beabsichtigte Geschehen herauszustellen, genügt es, das Wort vom Schlag auf die andere Backe umzuformulieren: Du kennst dich ja, niemand schlägt dich auf die rechte Backe, du streckst intuitiv deinen Arm aus und willst zurückschlagen. Das erwartet der andere bereits und beginnt sich zu decken oder den Arm auszustrecken, um einen weiteren Schlag zu versetzen. Überrasche dich doch selbst und überrasche den anderen damit, zerbrich die Haltung, sich gegenseitig aufzurechnen, indem du das Unerwartete tust: nicht den Arm ausstrecken zur Wiedervergeltung, sondern die andere Backe hinhalten. Es geht also nicht um ein leidendes Hinnehmen, sondern um ein aktives Verhalten. […] Keinesfalls sollen Christen wie Lämmer sein, die sich einfach zur Schlachtbank führen lassen. Christofer Frey: Theologische Ethik. Neukirchen-Vluyn 1990, S. 11.

1. Lesen Sie den Bibeltext und die beiden Auslegungen der evangelischen Theologen Ulrich Luz und Christofer Frey. Arbeiten Sie heraus, was Jesus mit seiner Forderung nach Gewaltverzicht zum Ausdruck bringt. 2. Luz und Frey sprechen vom Gewaltverzicht als aktivem Handeln. Erklären Sie, was damit gemeint ist. 3. Rufen Sie sich gefährliche Konfliktsituationen im Beruf in Erinnerung, die Sie selbst erlebt haben, oder konstruieren Sie eine realitätsnahe Situation, in die Sie geraten könnten. Welche Strategien gibt es, um in solchen Situationen auf Gewalt zu verzichten? Wie »geht« Gewaltverzicht ganz konkret?

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Bibel oder Nahkampf – was gilt in Konfliktsituationen?

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Nach Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus (Mt 1–7). 5. Aufl., Düsseldorf/Zürich 2002, S. 388 f., 399. Inhalt vereinfacht und Rechtschreibung aktualisiert.

© Trueffelpix/Adobe Stock

Aus der Bergpredigt (Matthäusevangelium 5,38–42)

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M 3 Jetzt mal ehrlich!

Bibel oder Nahkampf? Positionieren Sie sich: Was gilt denn nun? Welche Bedeutung hat Gewaltlosigkeit für Sie im beruflichen Handeln? Schreiben Sie Ihre Meinung in die Sprechblase.

Bibel oder Nahkampf – was gilt in Konfliktsituationen? 43

8 Bibel und Business?

Die Idee Taugt die Bibel eigentlich für das Business? Berühmte Worte Jesu in der Bibel wie z. B. sein Hinweis darauf, man könne nicht zwei Herrn dienen, Gott und dem Mammon (Mt 6,24; Lk 6,13), oder die Aussage, eher gehe ein Kamel durch das Nadelöhr als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelange (Mk 10,25 parr.), scheinen das zu verneinen und Geld, Reichtum und Business negativ zu betrachten. Auf der anderen Seite stößt man im Internet auf Ratgeber-Seiten zu Bibel und Business oder Bibel und Finanzen. Lassen Sie Ihre Schüler auf die Suche nach solchen Seiten gehen und Angebote kritisch durchleuchten. Auch auf dem Buchmarkt sind Publikationen zu Bibel und Business oder zu biblischen Perspektiven zum Umgang mit Geld von ganz unterschiedlichen Autorinnen und aus verschiedenen Richtungen zu finden (z. B. Marx 2008, Costa 2009, Lämmer 2009, Nickel-Schwäbisch 2019). Auch ein Blick in die Bibel zeigt, wie oft Jesus gerade in seinen Gleichnissen »die Motive ›Geld‹, ›Reichtum‹ und ›Besitz‹« benutzt, »um seine Botschaft vom Reich Gottes zu erklären: Das Reich Gottes muss eng mit dem rechten Umgang damit zusammenhängen« (Gott und das Geld, S. 13). Der rechte Umgang mit dem Geld macht also das Business aus: »Geld – richtig eingesetzt – kann die Grundlage für Gemeinschaft sein. Sobald es jedoch eine Eigendynamik entwickelt, die den Blick für andere verstellt, sorgt es für Einsamkeit und Verlorenheit. Hier versucht Jesus, Hilfen zu geben, um den Blick wieder für wesentliche Beziehungen zu öffnen« (Gott und das Geld, S. 8). Auf diese Hilfen Jesu und andere biblische Gedanken zum Umgang mit dem Geld zu schauen ist ein lohnendes Unterfangen für ein Unterrichtsprojekt, denn viele Auszubildende orientieren sich stark an Geld und Besitz und setzen große Hoffnungen darauf. Andererseits betonen Schülerinnen immer wieder, dass Geld, auch wenn es die Welt regiert, nicht alles sein kann und nur bedingt glücklich zu machen vermag. Worauf kommt es also an? Der Baustein setzt mit dem Gleichnis vom anvertrauten Geld (Mt 25,14–30) auf einen Klassiker des BRU. Jesus erzählt darin von einer Welt, »in der es hart und rücksichtlos zugeht«, von einer »Welt der Schie-

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Bibel und Business?

ber und Spekulanten«, einer neuen Welt Gottes, die »nicht gelingen« wird »mit Feiglingen, mit Menschen, die unbeweglich sind, die sich ständig absichern wollen, die lieber abwarten als handeln. Diese neue Gesellschaft Gottes gelingt nur mit Menschen, die bereit sind zum Risiko, die alles auf eine Karte setzen, die aufs Ganze gehen und mit letzter Entschlossenheit zu ›Tätern‹ werden« (Lohfink 2020, S. 215 f.). Durchaus provozierende Gedanken, die Schüler in der Bibel kaum erwarten. Positionierung Mit Religion Beruf gestalten?! Wenn es Jesus darum geht, Hilfen zum Umgang mit dem Geld anzubieten, was sind diese Hilfen wert? Sind sie für die heutige Berufswelt geeignet? Kann man mit der Bibel Business machen? Indem die Schüler in der Auseinandersetzung mit dem Gleichnis vom anvertrauten Geld in die Rolle der biblischen Vermögensverwalter schlüpfen, wird die Provokation Jesu, die im Gleichnis zum Ausdruck gebracht wird, für sie direkt erfahrbar und kann ihre Wirkung entfalten. Ist die Bibel kapitalistisch? Ist Gott ungerecht und grausam? Wie wichtig ist es für die Auszubildenden, Vertrauen zu wagen, Leben zu wagen? Indem sie Ideen für den Umgang mit dem Geld entwickeln, entwerfen sie ein kreatives Handlungsprodukt, das sich an der biblischen Aussage messen lassen kann. Mögliche Vorgehensweise

Die Schülerinnen schlüpfen zu Beginn in die Rolle der drei Vermögensverwalter, denen der Chef extrem hohe Geldsummen anvertraut, und entwickeln Ideen, was sie mit dem Geld anfangen könnten (M1). Dies können exemplarisch drei Schüler übernehmen oder jeder Auszubildende in der Klasse schlüpft in eine der drei Rollen der Mitarbeiter A, B oder C, die sich dann entsprechend der Summe des anvertrauten Kapitals zu einer Gruppenberatung zurückziehen. Zum Ende dieser Phase werden die unterschiedlichen Ideen gesammelt, präsentiert und die kreativen Gedanken im Anschluss mit dem Verhalten der Vermögensverwalter im biblischen Original konfrontiert.

Dem biblischen Text entsprechend kehrt der Chef lehre. Gesellschaftspolitische Aspekte wie z. B. die Rezurück und bestellt die Vermögensverwalter ein, um geln des Alten Testaments zur Abfederung der Gefahzu sehen, wie sie mit dem Geld gearbeitet haben (M2). ren, die mit dem Gelderwerb verbunden sind, oder Nach dem Lesen wird der Text mit den Schülerinnen zu Gefahren der Überschuldung können auch Koanalysiert. Die zuvor gesammelten Ideen der Schüler operationen mit dem Fach Politik/Gesellschaftslehre werden mit dem Original verglichen und im Licht des eröffnen. biblischen Textes bewertet. Welche Ideen kommen denen im biblischen Text nahe? Und wie würde der Möglichkeiten zur Weiterarbeit Chef der Gleichniserzählung die Ideen beurteilen, die Die Deutung des Gleichnisses im Hinblick darauf, die Auszubildenden über den biblischen Text hinaus Vertrauen und Leben zu wagen, kann mit Baustein 14 hatten? Und warum würden sie so bewertet werden? weiter vertieft werden. Aber auch der nächste Baustein Um die Auseinandersetzung mit dem biblischen zum gerechten Lohn kann ein sinnvoller Anschluss Text zu vereinfachen, wird mit der verfremdeten und sein, um mit einer weiteren provokanten biblischen ungewöhnlichen Übersetzung der Volxbibel gearbei- Erzählung der Bedeutung der Bibel für die Arbeitstet, die den Arbeitsweltbezug deutlich herausstellt und welt weiter nachzugehen. Es besteht die Möglichkeit den biblischen Text sprachlich in die Lebenswelt von einer Internetrecherche nach Strategien der Bibel zu Auszubildenden rückt. Business, Finanzen und Marketing. Da Gleichnisse immer auch eine Aussage über das Reich Gottes machen, muss abschließend noch über Literatur den tieferen Sinn des biblischen Textes gesprochen Costa, K. (2009): Der liebe Gott und das böse Geld. Wie man werden. Wer ist in diesem Gleichnis eigentlich Gott? Bibel und Business unter einen Hut bringt. München. Und welche Aussage wird über das Reich Gottes ge- Gott und das Geld. Welt und Umwelt der Bibel 1/2008. macht? Hier wird eine Deutung von Anselm Grün Grün, A. (2017): Außer Kontrolle. In: Christ in der Gegenwart 47/2017, 19.11.2017, S. 517 f. (Grün 2017) herangezogen (M3). Über die Gleichnisse hinaus bietet die Bibel noch Lämmer, S. (2009): Der Geldgott. Holzgerlingen. viel mehr Aussagen über das Geld und den Umgang Lohfink, G. (2020): Die vierzig Gleichnisse Jesu. Freiburg/Basel/ damit. M4 bietet eine Auswahl, die mit den Schülern Wien. diskutiert werden kann. Marx, R. (2008): Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen. Mögliche Fächerverbindung: Die Frage nach Um- München. gang mit Geld und rechtem Wirtschaften eröffnet Nickel-Schwäbisch, A. (2019): Gott und Mammon. Biblische automatisch fächerübergreifende Kooperationen mit Perspektiven zum Umgang mit Geld. Neukirchen-Vluyn. dem Unterricht im Fach Wirtschafts- und Betriebs-

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M 1 »Machen Sie das Beste daraus!« – Der Chef geht auf Weltreise

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Herr Müller ist Chef eines großen und erfolgreichen Unternehmens. Nach langen Jahren der Arbeit überlegt er sich, eine mehrjährige Auszeit zu nehmen und eine Weltreise zu machen. Er ruft seine drei erfolgreichsten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einem Meeting zusammen und vertraut ihnen für die Zeit seiner Abwesenheit das Betriebskapital an:

– Person A erhält 500.000 € – Person B erhält 200.000 € – Person C erhält 100.000 €

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Dann verabschiedet er sich von seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, verlässt die Firma und geht auf Reisen.

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Stellen Sie sich vor, Sie sind einer der drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Was würden Sie mit dem Ihnen anvertrauten Geld machen? Notieren Sie Ihre Ideen als Begriffe in die Felder auf der Abbildung.

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M 2 Bible to read – »Was haben Sie mit meinem Geld gemacht?« Der mit den 500.000 Euro arbeitete viel mit dem Geld, machte eine Menge Aktiengeschäfte und konnte den Betrag verdoppeln. 17Auch der Zweite war recht erfolgreich, er legte seine 200.000 Euro in Immobilien an und konnte ebenfalls alles verdoppeln. 18Der Dritte aber wollte auf Nummer sicher gehen. Er packte die Kohle noch nicht mal auf sein Sparbuch, er stopfte es in eine Socke in der untersten Schublade vom Klamottenschrank. 19 Nach ein paar Jahren kam der Chef zurück und traf sich mit seinen Angestellten im Büro, um abzurechnen. 20Der Typ, der 500.000 Euro bekommen hatte, brachte eine Million zurück. Er sagte: »Chef, Sie haben mir damals 500.000 Euro gegeben, ich hab noch mal 500.000 draufgelegt.« 21Da war der Chef natürlich total begeistert und lobte ihn sehr: »Sie haben es echt gebracht! Sie sind mit dem Packen Geld sehr gut umgegangen, ich werde Sie befördern. Wenn Sie wollen, kommen Sie heute Abend zu meiner Gartenparty, Sie sind herzlich eingeladen!« 22Dann kam der mit den 200.000 Euro und legte seinen Bericht vor. Er hatte seine Kohle auch verdoppelt. 23Da war der Typ echt happy und meinte auch zu ihm: »Sie haben es voll gebracht! Sie sind mit dem wenigen Geld gut umgegangen, ich werde Sie auch befördern. Wenn Sie wollen, können Sie heute Abend zu meiner Gartenparty

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kommen, Sie sind herzlich eingeladen!« 24Dann kam der Dritte mit den 100.000 Euro an die Reihe. »Sie sind doch immer so streng«, meinte er, »und wenn ich mich auch noch so abrackere, Sie bekommen am Ende ja eh den Gewinn. 25Und ich hatte irgendwie Angst, dass ich das ganze Geld an der Börse in den Sand setze. Darum hab ich es in meine Wandersocken gesteckt, da war es ganz sicher. Hier haben Sie es zurück!« 26/27Da rastete der Chef voll aus: »Sie alter Vollidiot! Wenn Sie schon denken, ich will eh nur so viel Geld wie möglich, dann hätten Sie es doch wenigstens aufs Sparbuch legen können! 28Da hätte es immerhin ein paar Zinsen gebracht. Nehmt dem sofort das Geld ab und gebt es dem, der eine Million Euro hat. 29Die nämlich, die das Beste aus ihrem Leben machen und aus den Sachen, die sie dafür zur Verfügung bekommen haben, denen kann man auch noch mehr anvertrauen. Die aber mit dem bisschen, was sie haben, auch noch schluderig umgehen, die werden sogar das noch verlieren. 30Und den Assi, der es zu nichts gebracht hat, den könnt ihr sofort rausschmeißen! Er soll bleiben, wo der Pfeffer wächst, und es wird ihm dort total dreckig gehen in der Dunkelheit ohne Licht.« Matthäusevangelium 25,16–30 Die Volxbibel 2.0. Neues Testament frei übersetzt von Martin Dreyer. 4. Aufl., Neckarsteinach 2005.

1. Lesen Sie den Text und diskutieren Sie über die Bewertung der Mitarbeiter, die der Chef bei seiner Rückkehr vornimmt. Welche Gefühle löst das Verhalten des Chefs bei Ihnen aus? 2. Falls die Handlungsmöglichkeit, die Sie (als Gruppe) gewählt haben, in diesem Text nicht vorkommt: Überlegen Sie auf der Grundlage des Textes, wie der Chef ihr Verhalten beurteilen würde. Wie bewerten Sie die Beurteilung ihrer Handlungsmöglichkeit? 3. Analysieren Sie: Worauf kommt es in dieser Geschichte im Wesentlichen an? 4. Welche Aussage macht der Text über das Business und den Umgang mit dem Geld? 5. Deuten Sie das Gleichnis: Welche Person steht für Gott? Was will Gott Ihnen sagen?

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M 3 Kapitalistisch und ungerecht?

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doch gut gemeint, als er sein Talent vergraben hat. Er wollte keinen Fehler machen und seinem Herrn keinen Verlust zumuten. […] Lehrer benutzen dieses Gleichnis oft, um ihre Schüler zu ermahnen, dass sie ihre Talente entfalten sollen. Doch bei dieser Deutung geht es oft zu sehr um Leistung. Aber Jesus will gar nicht herausstellen, dass die ersten beiden Diener etwas geleistet und deshalb möglichst viel Geld verdient haben. Es geht ihm vielmehr darum, dass sie aus Vertrauen leben, dass sie das Leben wagen. Selbst wenn sie bei ihrem Wirtschaften etwas verloren hätten, wäre das nicht so schlimm, als wenn sie gar nicht angefangen hätten, mit dem Anvertrauten etwas zu machen.

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Das Gleichnis von den Talenten* aus dem Matthäusevangelium (25,14–30) löst mitunter aggressive Gefühle aus. Ein Mann vertraut seinen Knechten sein Vermögen an, als er auf Reisen geht. Nach seiner RückAnselm Grün: Außer Kontrolle. In: Christ in der Gegenwart kehr belohnt beziehungsweise bestraft er sie je nach- 47/2017 vom 19.11.2017. dem, was sie aus dem Anvertrauten gemacht haben. Für die einen ist das zu »kapitalistisch« – nach dem * In der Übersetzung des Gleichnisses, mit der Sie gearbeitet haben, ist nicht von Talenten die Rede, sondern von Euro. Bei Motto: Wer hat, der bekommt immer noch mehr. Für Talenten handelt es sich um eine antike Münz- und Gewichtsdie andern erscheint Gott, der mit dem Herrn im einheit. Ein Talent hatte den Wert von 6.000 Denaren. Da ein Gleichnis natürlich gemeint ist, als ungerecht. ­Warum Denar der Lohn für einen Tagelöhner war, hätte er für ein Tabestraft er den dritten Knecht? Schließlich hat der es lent mehr als 16 Jahre arbeiten müssen.

1. Fassen Sie in drei Sätzen zusammen, worum es Anselm Grün in seinem Text geht. 2. Vergleichen Sie seine Deutung des Gleichnisses mit Ihren eigenen Deutungsideen. 3. Erinnern Sie sich an Situationen, in denen Sie etwas gewagt und verloren bzw. gewonnen haben. 4. Formulieren Sie im Blick auf Ihre Erinnerung und die Aussagen von Anselm Grün eine Erkenntnis für zukünftige Situationen.

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M 4 Bible to read – Anregungen zum Umgang mit Geld Seid nicht geldgierig, sondern seid zufrieden mit dem, was ihr habt. (Hebr 13,5)

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Aber diejenigen, die reich werden wollen, werden damit zugleich auf die Probe gestellt. Sie geraten in die Falle vieler unvernünftiger und schädlicher Begierden. Die stürzen die Menschen ins Verderben und ihren Untergang. Denn Geldgier ist die Wurzel von allem Bösen. (1 Tim 6,9 f.) Setz nicht alles daran, reich zu werden! Oder hast du deinen Verstand aufgegeben? Kaum richtest du die Augen auf deinen Reichtum, ist er auch schon verschwunden. Denn er hat Flügel bekommen wie ein Adler und fliegt davon. (Spr 23,4 f.) Wer Geld liebt, will mehr davon. Und wer den Reichtum liebt, bekommt nie genug. Auch das ist Windhauch. Wenn der Besitz wächst und wächst, gibt es auch mehr Leute, die davon essen. Welchen Vorteil hat dann sein Besitzer davon? Er darf dabei zuschauen. Süß ist der Schlaf des Arbeiters, ganz gleich, ob er wenig oder viel zu essen hat. Wer aber reich ist und alles hat, dem raubt der Überfluss den Schlaf. (Koh 5,9 f.) Weisheit erwerben ist besser als Gold, Einsicht gewinnen ist wertvoller als Silber. (Spr 16,16)

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Gebt also jedem, was ihr ihm schuldig seid: Wem Steuern zustehen, dem zahlt Steuern. Wem Zoll zusteht, dem zahlt Zoll. Wem Achtung zusteht, dem erweist Achtung. Und wem Ehre zusteht, dem erweist Ehre. (Röm 13,7)

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Ein guter Name ist kostbarer als großer Reichtum. Anerkennung ist mehr wert als Silber und Gold. (Spr 22,1) Wer in den kleinsten Dingen zuverlässig ist, ist es auch in den großen. Und wer in den kleinsten Dingen unzuverlässig ist, ist es auch in den großen. Wenn ihr mit dem Geld, an dem so viel Unrecht haftet, nicht zuverlässig umgeht – wer wird euch dann das wirklich Wertvolle anvertrauen? Und wenn ihr mit dem nicht zuverlässig umgeht, was euch gar nicht gehört – wer wird euch dann schenken, was eigentlich euer Eigentum ist? Kein Diener kann gleichzeitig zwei Herren dienen! Entweder wird er den einen hassen und den anderen lieben. Oder er wird dem einen treu sein und den anderen verachten. Ihr könnt nicht gleichzeitig Gott und dem Geld dienen.« (Lk 16,10–13) Stellt euch vor: Jemand ist mit allem gut versorgt und sieht, dass sein Bruder oder seine Schwester Not leidet. Wenn er sein Herz vor ihrer Not verschließt, wie kann dann die Liebe Gottes in ihm bleiben? (1 Joh 3,17)

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Besser wenig haben und gerecht bleiben als viel besitzen und sich ins Unrecht setzen. (Spr 16,8) BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart © Esther Stosch/Pixelio

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Ein Besitz, ohne Mühe entstanden, schwindet dahin. Ein Besitz, durch eigene Hand erarbeitet, wächst. (Spr 13,11)

Dann sagte Jesus zu allen: Gebt acht! Hütet euch vor jeder Art von Habgier. Denn auch wenn jemand im Überfluss lebt, so hängt sein Leben nicht von seinem Besitz ab. (Lk 12,15)

Welche Aussagen gefallen Ihnen? Warum? Welche Aussagen irritieren Sie? Warum? Welche Aussagen lehnen Sie ab? Warum?

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9 Gerechter Lohn – nur im Himmel oder auch auf Erden? Die Idee Wenn es im vorherigen Baustein um die generelle Beziehung von Bibel und Business ging, rückt in diesem Baustein eine konkrete Fragestellung aus diesem Themenkomplex in den Mittelpunkt: die Frage nach einem gerechten Lohn. Diese Frage ist gesellschaftlich relevant. Neben der Tatsache, dass viele Beschäftigte in Deutschland gut verdienen, erleben andere in immer mehr Bereichen der Arbeitswelt geringe Bezahlung. Debatten wie die um den Mindestlohn, prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit Löhnen, die nicht existenzsichernd sind, Hartz IV und die Frage danach, ob Hartz IV wirklich Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht, zeigen, wie drängend die Frage nach einem gerechten, existenzsichernden Lohn ist. Auch Auszubildende erleben in unterschiedlichen Ausbildungsberufen große Unterschiede bei der Ausbildungsvergütung und fragen, wodurch sie gerechtfertigt und ob sie gerecht sind. In Sachen Religion ist die Frage nach dem gerechten Lohn ebenso bedeutsam. »Euer Lohn wird groß sein im Himmel« (Mt 5,12). Nach all der Kümmernis irdischen Lebens, nach all dem Verzicht, den authentisch christliches Leben in den Augen der Zeitgenossen oftmals bedeutet, wenn Christinnen zu den »normalen« Spielregeln bewusst nein sagen und anders leben wollen, wartet im Jenseits großer Lohn. Nicht nur Karl Marx sah in einer solchen Sichtweise eine billige Jenseitsvertröstung. Sie übersieht auch, dass das Christentum neben aller eschatologischen Hoffnung dezidiert für eine gerechte Gesellschaft eintritt und dafür wirbt. Das zeigt neben der christlichen Soziallehre auch das biblische Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16), ebenfalls ein Klassiker des BRU wie das Gleichnis vom anvertrauten Geld im vorhergehenden Baustein. In diesem Gleichnis geht es um »etwas Neues, absolut Unübliches, die Beteiligten Verstörendes« (Lohfink 2020, S. 118): Unabhängig von ihrer Leistung bekommen alle Arbeiter am Ende des Arbeitstages denselben Lohn von einem Denar, der jedem Tagelöhner das Überleben mit seiner Familie für den nächsten Tag sichert. Absolut ungerecht, so empfinden das die Arbeiter, die viel länger gearbeitet

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haben als die zuletzt Eingestellten. Genau um diese Provokation geht es, und die Auszubildenden werden sie bei der Beschäftigung mit dem Bibeltext genauso empfinden. Der Lohn ist der Aufhänger für eine grundsätzlichere Frage: Was für eine Gesellschaft wollen wir eigentlich? Die »alte Gesellschaft«, in der jeder für sich allein um die nackte Existenz kämpft, oder eine neue Welt Gottes, die von Solidarität geprägt ist, »die es möglich macht, mitzuleiden am Leid der Anderen und sich mitzufreuen an der Freude der Anderen« (Lohfink 2020, S. 120)? Was bedeutet das für heute? Unter welchem »Alten« leidet unsere Gesellschaft, und was kann die Orientierung an der Welt Gottes »Neues« schaffen? Genau um diese Frage geht es in diesem Baustein, denn wenn Christentum wirklich relevant sein soll, steht es vor der Notwendigkeit, »Glaubensüberzeugungen in praktisches Handeln zu überführen« (Raschke 2011, S. 141). Positionierung Mit Religion Beruf gestalten?! Welche Bedeutung messen die Auszubildenden der Vorstellung einer neuen Gesellschaft Gottes und ihrer Gerechtigkeitsvorstellung bei? Taugt sie im Hinblick auf die Herausforderungen der vertrauten, »alten« Gesellschaft und ihrer Gerechtigkeitsvorstellung? Ist sie erstrebenswert? Realisierbar? Und was folgt daraus? Können und wollen die Schüler sich für die Sache Gottes und eine solidarische Gesellschaft einsetzen? Als Handlungsprodukt entsteht eine kreative Umsetzung der Vision einer Arbeitswelt und Gesellschaft, in der es gerecht zugeht. Dabei nehmen die Schülerinnen je nach eigenem Standpunkt Aspekte auf, die ihnen bei der Auseinandersetzung mit dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg wichtig sind. Die Art der kreativen Auseinandersetzung erfolgt in individueller Form. Mögliche Vorgehensweise Jesus fängt im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg sehr genau die Stimmung ein, die bei der Weinlese zu seiner Zeit herrschte: »eine graue und nüchterne Arbeitswelt […], in der Arbeit nur noch Mühsal

ist« – und zeigt somit »ein erstaunlich genaues Bild der Abschließend lernen die Auszubildenden eine Deugesellschaftlichen Verhältnisse Palästinas« (Lohfink tung des Gleichnisses von den Arbeitern im Wein2020, S. 117). Diese Erzähllogik aufnehmend gibt der berg kennen (M3), die den Blick auf die Möglichkeit Einstieg in die Arbeit mit dem Gleichnis den Schülern einer neuen Gesellschaft im Geist Gottes richtet und Raum für ihren Blick auf die Arbeitswelt, ihre Ausbil- den Schülerinnen die Möglichkeit gibt, ihre kreative dungssituation und die Stimmung, mit der sie dem Vision einer gerechten Arbeitswelt und Gesellschaft Thema Arbeit begegnen (M1). Dabei kann auch ein zu entwickeln. Blick auf die Ungerechtigkeiten gerichtet werden, die Mögliche Fächerverbindung: Die großen Fragen hinsichtlich der Bezahlung oder der Einkommensver- nach Gerechtigkeit, einem gerechten Lohn und einer hältnisse in unserer Gesellschaft herrschen. So haben solidarischen Gesellschaft ermöglichen ohne Weiteres die Auszubildenden ein Bild davon vor Augen, wovon fächerübergreifende Kooperationen mit den Fächern die »alte Gesellschaft« geprägt ist und vor welchen He- Wirtschafts- und Betriebslehre sowie Politik/Gesellrausforderungen sie steht. schaftslehre. Bei der Arbeit am kreativen HandlungsDaraufhin erfolgt die Arbeit mit dem biblischen produkt kann mit (medien-)gestalterischen Fächern, Text (M2). Da die Situation der Weinlese, von Tage- dem Fach Deutsch/Kommunikation und auch den löhnern und die Bedeutung der Zeitangaben und des berufsbezogenen Fächern zusammengearbeitet wereinen Denars in der Lebenswelt der Schülerinnen viel- den. Außerschulische Lernortkooperationen sind z. B. fach unbekannt sind, erfolgt die Arbeit auch hier in mit Gewerkschaften oder sozial-caritativen Instituverfremdeter Form mit der Übersetzung der Volxbibel, tionen möglich. die das Gleichnis in einer schülernahen Übersetzung auf einer Baustelle ansiedelt, aus den Tagelöhnern Möglichkeiten zur Weiterarbeit Arbeitslose macht und den Denar als »angemessene« Die religiöse Frage nach dem gerechten Lohn mit den Bezahlung interpretiert. Diese »Währungsangabe« ist Aspekten jenseitiger Lohn, Lohngerechtigkeit und unschärfer als der eine Denar im biblischen Original. neuer Gesellschaftsordnung kann über das GleichAllerdings bietet gerade die Thematisierung einer an- nis von den Arbeitern im Weinberg weiter vertieft gemessenen Bezahlung die Chance, die Lektüre des werden, z. B. durch eine intensive Beschäftigung mit biblischen Textes nach V. 4 anzuhalten, mit den Schü- der christlichen Soziallehre. Sowohl die katholische lerinnen darüber zu diskutieren und Standpunkte zu Soziallehre mit ihren Prinzipien Personalität, Solisammeln, was für sie denn eine angemessene Bezah- darität, Subsidiarität und Gemeinwohl als auch die lung ist. Bei der Auseinandersetzung mit dem gesam- evangelische Sozialethik mit ihrer Orientierung am ten Gleichnis kommt es darauf an, Vorstellungen von biblischen Gerechtigkeitsbegriff bieten sich an. Die einer gerechten Gesellschaft zu erkennen und zu er- Frage nach dem Lohn im Himmel kann die Auseinarbeiten, da diese Zuspitzung für das Gleichnis zen- andersetzung mit religionskritischen Positionen antral ist. Um dahin zu gelangen, sind unterschiedli- regen – sowohl klassischen Positionen wie der von che (kreative) Methoden denkbar: das Gleichnis kann Karl Marx, aber auch aktuellen Diskussionen um die mittels Erschließungsfragen bearbeitet werden, als Kirchen als Arbeitgeberinnen, über Kirche und FinanRollenspiel durchgeführt werden, die Schüler können zen oder auch die grundsätzliche und aktuelle Frage, einen Kommentar für eine Tageszeitung über diese ob die Kirchen einen Beitrag zu einer gerechten Welt verstörende Lohnauszahlung verfassen. Auch ver- im Sinne Gottes leisten, den das Gleichnis von den schiedene Perspektivwechsel können angeregt wer- Arbeitern im Weinberg anstößt. den, z. B. die Perspektive derer, die zuletzt eingestellt wurden und die Kritik der anderen Arbeiter miterle- Literatur ben. Interviews mit den biblischen Personen können Lohfink, G. (2020): Die vierzig Gleichnisse Jesu. Freiburg/Basel/ Wien. geführt werden usw. Raschke, M. (2011): Gerechter Lohn. Wie im Himmel, so auf Erden. Würzburg.

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M 1 Mein Blick auf die Arbeitswelt

1. Geben Sie folgenden Aspekten eine Farbe und zeichnen Sie vom Mittelpunkt aus jeweils einen Pfeil ins jeweilige Stimmungsfeld: – Meine Ausbildung – Meine Bezahlung – Die Einkommensverhältnisse in unserer Gesellschaft – Meine grundsätzliche Wahrnehmung: Wie gerecht ist die Arbeitswelt? 2. Vergleichen Sie Ihre Stimmungsbarometer in der Klasse.

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M 2 Bible to read – Ist das gerecht?

»Ich will euch noch ’ne Story erzählen«, meinte Jesus. als man ihnen einen vollen Tageslohn in die Hand »Da war so ein Bauunternehmer, der hatte eine fette drückte. 10Nun hatten sich die anderen Arbeiter die Baustelle in der Innenstadt am Start. Dafür ging er Sache aber durchgerechnet und dachten, sie würden morgens immer zum Arbeitsamt, um ein paar Arbei- deshalb noch mehr Kohle abkassieren, als sie vereinter anzuwerben. 2Er handelte mit den Männern die bart hatten. Aber sie kriegten auch nur den Tageslohn, Kohle aus, die sie für ihren Job dort kriegen sollten, den sie vorher ausgehandelt hatten. 11/12Da kamen die und ließ sie auf dem Bau arbeiten. 3Ein paar Stunden voll aggromäßig drauf und meinten: ›Die haben nur später ging er noch mal zum Arbeitsamt und sah da ’ne Stunde gearbeitet und kriegen dieselbe Kohle wie noch ein paar Leute rumstehen, die keine Arbeit hat- wir. Dabei mussten wir den ganzen Tag in der brülten. 4Die schickte er dann auch auf die Baustelle und lenden Hitze malochen!‹ 13›Entspann dich!‹, sagte der versprach ihnen eine angemessene Bezahlung. 5Gegen Chef, ›es läuft hier doch alles korrekt ab! Wir hatten Mittag und um drei Uhr ging er noch einmal dorthin genau diesen Preis miteinander ausgehandelt, oder?! und warb noch ein paar Männer zur Arbeit an. 6Als 14Nimm dein Geld und hau ab! Ich will den anderen er gegen fünf beim Hauptbahnhof vorbeikam, sah genauso viel Lohn geben wie dir. 15Immerhin ist es ja er da auch ein paar Leute rumstehen und fragte sie: mein Geld, und damit kann ich auch machen, was ich ›Habt ihr heute keine Arbeit gefunden?‹ 7›Keiner hat- will! Oder bist du genervt, weil ich nicht jeden Cent te einen Job für uns‹, sagten sie. ›Wenn ihr Bock habt, zehnmal umdrehe?‹ 16Genauso werden die, die jetzt könnt ihr auf meiner Baustelle arbeiten!‹, rief er denen ganz vorne sind, irgendwann mal die Loser sein, und zu. 8Abends rief er dann den Chef von der Baustel- die Loser werden mal ganz vorne sein.« le und sagte ihm: ›Hey, ruf mal die Leute zusammen, Matthäusevangelium 20,1–16 die gearbeitet haben, und zahlen ihnen ihren Lohn Die Volxbibel 2.0. Neues Testament frei übersetzt von Martin aus.‹ 9Zuerst kriegten die Leute, die erst um fünf an- Dreyer. 4. Aufl., Neckarsteinach 2005. gefangen hatten, ihr Geld. Die waren sehr überrascht,

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1. Warum fühlen sich die Arbeiter, die frühmorgens mit der Arbeit begonnen haben, ungerecht behandelt? Welche Argumente führen sie an? 2. Wie rechtfertigt der Bauunternehmer sein Handeln? 3. Versetzen Sie sich in die Position derjenigen, die zuletzt eingestellt wurden. Was werden sie über die Entlohnung denken? Verfassen Sie dazu einen inneren Monolog. 4. Beurteilen Sie: Ist die hier vorgenommene Entlohnung gerecht? 5. Deuten Sie das Gleichnis: Welche Person steht für Gott? Was will Gott Ihnen sagen?

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M 3 Wie geht gerecht?

Der katholische Theologe Norbert Lohfink sieht den Sinn der biblischen Geschichte darin, dass in ihr zwei Welten aufeinanderstoßen:

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Man könnte auch sagen: zwei verschiedene Formen von Gesellschaft. Auf der einen Seite schildert das Gleichnis nüchtern und realistisch die alte Gesellschaft […]. In ihr steht jeder für sich allein. In ihr kämpft jeder um die eigene Existenz. In ihr gibt es den Neid, wenn einer mehr hat. In ihr gibt es die unablässige Auseinandersetzung zwischen denen, die »oben«, und denen, die »unten« sind. Rivalität herrscht aber genauso – vielleicht sogar noch mehr – zwischen denen, die der gleichen sozialen Schicht angehören. Ihr Einander-Vergleichen führt zu ständigem Misstrauen und fortwährenden Machtkämpfen. […] Die Meisterschaft des Gleichnisses besteht nun gerade darin, dass es mit sparsamsten Mitteln zeigt, wie in diese Welt der alten Gesellschaft plötzlich die neue Welt Gottes einbricht. Denn die Geschichte geht ja völlig anders aus, als die Hörer erwartet haben. Sie hatten damit gerechnet, dass die Letzten, die fast den ganzen Tag untätig waren, nur ein paar Kupfermünzen bekommen.

Dass sie genauso viel erhalten wie die Ersten, muss auf die Zuhörer Jesu wie ein Schock gewirkt haben. Der Boden wird ihnen geradezu unter den Füßen weggezogen. Alle bisherigen Maßstäbe werden ihnen genommen. Aber sie fallen, wenn sie sich dem Gleichnis öffnen, nicht ins Bodenlose, sondern ihre Füße stehen dann auf dem Boden der Gottesherrschaft, der neuen Gesellschaft Gottes. In der Gottesherrschaft gelten andere Gesetze. Zwar wird auch hier vom Morgen bis zum Abend gearbeitet. Die Welt Gottes ist kein Schlaraffenland. Aber die Arbeit hat nun ihre Würde, und es braucht niemand mehr in Sorge und Angst am Abend nach Hause zu gehen. Keiner ist mehr allein. Vor allem aber: Es ist möglich, ohne Rivalitäten zu leben. Und zwar deshalb, weil es nun etwas gibt, das größer ist und weiter reicht als alle eigenen Wünsche: die Arbeit für die Sache Gottes. Gerade die gemeinsame Sache, die alle wollen, schafft eine Solidarität, die es möglich macht, mitzuleiden am Leid der Anderen und sich mitzufreuen an der Freude der Anderen. Norbert Lohfink: Die vierzig Gleichnisse Jesu, Freiburg 2020, S. 119 f.

1. Welche Aussagen macht der Text über die »alte Gesellschaft«? 2. Welche Aussagen finden sich über die »neue Gesellschaft«? 3. Vergleichen Sie diese Deutung des Gleichnisses mit Ihren eigenen Deutungsideen. 4. Positionieren Sie sich: Ist eine »neue Gesellschaft« für Sie wünschenswert und realisierbar? Sammeln Sie Argumente pro und contra und nehmen Sie auf dieser Grundlage einen begründeten Standpunkt ein. 5. Wie geht gerecht? Stellen Sie Ihre Vorstellungen von einer gerechten Arbeitswelt und Gesellschaft in einem kreativen Produkt dar (Film, Song, Plakat, …).

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10 Unterschiedliche Religionen – Zündstoff im Betrieb? Die Idee Religionen besitzen Konfliktpotenzial. Im Lauf der Menschheitsgeschichte haben Religionen immer wieder Gewalt hervorgebracht oder wurden zur Legitimierung von Gewalt herangezogen. All das ist genauso unstrittig wie das Gegenteil: Religionen besitzen ein Friedenspotenzial, haben Gewalt tabuisiert und verhindert. Wie stark man das eine gegen das andere gewichtet hängt von persönlichen Einschätzungen und Sichtweisen auf das Phänomen Religion ab. Ähnliches gilt für die Bewertung religiöser Vielfalt, die wir in unserer Gesellschaft erleben. Der jüngste Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2017 zeigt, dass ein Großteil unserer Bevölkerung (87 %) religiöser Vielfalt offen gegenübersteht, als Bereicherung für unsere Gesellschaft sehen sie allerdings nur knapp 50 % – und den Islam sieht sogar nur ein Drittel der Bevölkerung als bereichernd an (El-Manouar 2019). Ein solches Ergebnis zeigt, dass das Zusammenleben im Großen und Ganzen funktioniert, wenngleich religiöse Konflikte im Alltag durchaus vorkommen. Auch am Arbeitsplatz begegnen den Auszubildenden religiöse Konflikte. Darin drücken sich Angst vor unterschiedlicher Herkunft und Religion genauso aus wie Vorurteile. Menschen fühlen sich mit ihren religiösen Bedürfnissen nicht ernst und wahrgenommen oder grundsätzlich diskriminiert. Was bedeutet eigentlich das Grundrecht auf Religionsfreiheit und freie Religionsausübung für die Arbeits- und Berufswelt? Wie weit reicht es, und wo kommt es an seine Grenzen? Damit religiöse Konflikte das Arbeitsleben und den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen nicht belasten oder beeinträchtigen, sollten sie im (interreligiösen) Dialog miteinander angegangen werden. Ein Beispiel dafür ist der im Jahr 2006 gegründete Verein »Charta der Vielfalt« (https://www.charta-der-vielfalt.de), der sich für ein vorurteilsfreies Arbeitsleben einsetzt. Die Charta der Vielfalt haben seitdem schon mehr als 3.000 Unternehmen unterzeichnet. Diese Unterzeichnung bleibt kein Stück Papier, sondern verwirklicht sich konkret in bemerkenswerten Projekten zur Umsetzung von Vielfalt und Diversität, auch in Sachen religiöser Vielfalt.

Positionierung Mit Religion Beruf gestalten?! Die Charta der Vielfalt ist zwar keine explizit religiöse Initiative, thematisiert aber religiöse Vielfalt als einen Teilaspekt von Diversität in der Arbeitswelt. Was ist davon zu halten? Wie wichtig nehmen Auszubildende ein vorurteilsfreies Arbeitsleben und religiöse Vielfalt? Und wie lassen sie sich im eigenen Betrieb und in der Berufsgruppe thematisieren und verwirklichen? Als Handlungsprodukt können dazu ganz konkrete Maßnahmen entwickelt werden. Mögliche Vorgehensweise

Auszubildende berichten häufig von religiösen Konflikten am Arbeitsplatz. Insofern kann am Anfang die Sensibilisierung durch konkrete Beispiele erfolgen. Damit werden sich die Schülerinnen darüber bewusst, wie viel Zündstoff in Religion für Betriebe liegt (M1). Danach lernen die Schüler die Charta der Vielfalt kennen (M2). Sinnvoll ist es, die Charta auf den eigenen Ausbildungsbetrieb und die Branche zu übertragen und die Frage zu stellen, was es bedeuten würde, wenn der Betrieb oder die Berufsgruppe insgesamt die Charta der Vielfalt unterschreiben würde. Diversität in der Arbeitswelt bezieht sich auf viele Bereiche. Damit im Rahmen des BRU dezidiert der Aspekt religiöser Diversität in den Blick genommen wird, empfiehlt sich die Auseinandersetzung mit einem konkreten Beispiel zur Wertschätzung religiöser Vielfalt in einem Unternehmen (M3). Ist es auf die eigenen Betriebe übertragbar, oder gibt es zumindest Impulse? Mögliche Fächerverbindung: Fächerübergreifende Kooperationen sind mit vielen anderen Fächern einfach zu realisieren. Religiöse Vielfalt ist nur ein Teilaspekt von Diversität, deren grundsätzliche Bedeutung im Fach Politik/Gesellschaftslehre diskutiert werden kann. In den Fächern des berufsbezogenen Lernbereichs können problematische Aspekte in den Blick genommen werden, die Diversität erschweren oder verhindern. Im Fach Wirtschafts- und Betriebslehre kann zur Wirtschaftlichkeit eines diversen Arbeitsumfeldes in Betrieben gearbeitet werden.

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Möglichkeiten zur Weiterarbeit

Literatur

Für einen gelingenden interreligiösen Dialog sind neben grundsätzlichen Erwägungen zur religiösen Vielfalt persönliche Kontakte und Kenntnisse übereinander von großer Bedeutung. Daher kann gut mit dem nächsten Baustein weitergearbeitet werden, in dem andere Religionen besser kennengelernt werden.

El-Manouar, Y. (2019): Religiöse Toleranz weit verbreitet – aber der Islam wird nicht einbezogen. https://www.bertels�mann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2019/juli/ religioese-toleranz-weit-verbreitet-aber-der-islam-wird-nichteinbezogen (Zugriff am 1.4.2021).

Unterschiedliche Religionen – Zündstoff im Betrieb?

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M 1 Religion – Zündstoff im Betrieb?

1. Beschreiben Sie die Karikatur. 2. Füllen Sie die beiden Sprechblasen. 3. Übertragen Sie die Aussage der Karikatur in Ihren beruflichen Alltag: Wo begegnen Ihnen religiös bedingte Konflikte am Arbeitsplatz? 4. Diskutieren Sie: Religion – Zündstoff im Betrieb?

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M 2 Charta der Vielfalt

Die Charta der Vielfalt ist eine 2006 veröffentlichte Selbstverpflichtung und ein Verein unter Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin, der sich für ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld einsetzt. Mit der Unterzeichnung der Charta der Vielfalt erklären Arbeitgeber, dass sie Chancengleichheit für ihre Beschäftigten herstellen bzw. fördern werden. 2018 gibt es 3.000 Unterzeichner (Stand: September 2018), neben bekannten Großkonzernen auch kleine und mittlere Unternehmen. Seite »Charta der Vielfalt«. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 22. April 2021, 14:11 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Charta_der_Vielfalt&oldid=211191564 (Abgerufen: 30. April 2021, 13:44 UTC)

Diversity als Chance – Die Charta der Vielfalt für Diversity in der Arbeitswelt

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Die Vielfalt der Gesellschaft, beeinflusst durch die Glo- Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer balisierung, den demografischen und gesellschaftli- Herkunft. Die Anerkennung und die Förderung vielchen Wandel, prägt auch die Arbeitswelt in Deutsch- fältiger Potenziale schaffen wirtschaftliche Vorteile für land. Wir können wirtschaftlich und als Gesellschaft unsere Organisation. nur erfolgreich sein, wenn wir die vorhandene Vielfalt Wir schaffen ein Klima des gegenseitigen Respekts anerkennen, fördern und nutzen. Das betrifft die Viel- und Vertrauens. Dieses hat positive Auswirkungen auf falt in unserer Belegschaft und die vielfältigen Bedürf- unser Ansehen in Deutschland sowie in anderen Lännisse unserer Geschäftspartner_innen bzw. Bürger_ dern der Welt. […] innen. Die Diversität der Mitarbeitenden mit ihren Wir sind überzeugt: Gelebte Vielfalt und Wertschätunterschiedlichen Fähigkeiten und Talenten eröffnet zung dieser Vielfalt haben eine positive Auswirkung Chancen für innovative und kreative Lösungen. auf unsere Organisation und auf die Gesellschaft in Die Umsetzung der »Charta der Vielfalt« in unse- Deutschland. rer Organisation hat zum Ziel, ein wertschätzendes Charta der Vielfalt e. V.: Die Urkunde Charta der Vielfalt im Arbeitsumfeld für alle Mitarbeitenden zu schaffen – Wortlaut. www.charta-der-vielfalt.de/ueber-uns/ueber-dieunabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Na- initiative/urkunde-charta-der-vielfalt-im-wortlaut/ (Zugriff tionalität, Geschlecht und geschlechtlicher Identität, am 1.4.2021). körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und

1. Arbeiten Sie die Hauptaussagen der Charta der Vielfalt heraus. 2. Bilden Sie Gruppen. Stellen Sie sich vor, Ihre Betriebe wollten die Selbstverpflichtung der Charta der Vielfalt unterschreiben. Was würde das ganz konkret bedeuten? Erarbeiten Sie Maßnahmen für eine solche Selbstverpflichtung zu einem vorurteilsfreien Arbeitsumfeld. 3. Diskutieren Sie die Bedeutung der Charta der Vielfalt in Ihrer Berufsgruppe. Sollten Ihre Betriebe die Selbstverpflichtung unterschreiben?

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M 3 Beispiel: Fraport AG

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Als international ausgerichteter Konzern beschäftigt die Fraport AG Menschen aus rund 70 verschiedenen Nationen. Eine besondere Wertschätzung wird auf die interkulturelle Kompetenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelegt. Im betrieblichen Diversity-­Management wird kulturelle und religiöse Vielfalt als eines von mehreren Diversity-Merkmalen neben Geschlecht, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Menschen mit Behinderung, Alter und sexuelle Orientierung unterstützt. Unternehmensstrategie und Leitbild:

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In seinem Leitbild bekennt sich der Konzern zur Gewährleistung gleicher Beschäftigungs- und Aufstiegschancen ohne Bevorzugung oder Benachteiligung in Bezug auf persönliche Merkmale, wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Alter, Religion, Weltanschauung, Behinderung oder sexuelle Orientierung. Die Steigerung des Anteils von Frauen in Führungspositionen sowie die Förderung von Fach- und Führungskräften mit Migrationshintergrund im Konzern bilden gegenwärtige Schwerpunkte im Nachhaltigkeitsprogramm der Fraport AG. Unternehmenskultur und Arbeitsorganisation: Kennzeichnend für die Fraport AG ist ein breites Spektrum an Vorkehrungen, durch die religiöse Vielfalt und die Praktizierung von Religion auch am Arbeitsplatz ermöglicht werden sollen. Im Flughafen Frankfurt gibt es mehrere Gebetsräume, darunter auch eigene Räume für Christen, orthodoxe Christen, Muslime und Juden. Zudem existieren zwei gesonderte islami-

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Die Fraport AG, ein Flughafenunternehmen mit weltweit 80.000 Beschäftigten, verpflichtet sich zu religiöser Vielfalt und hat dazu folgende Maßnahmen beschlossen:

sche Gebetsräume für Flughafenbeschäftigte sowie für Taxifahrer*innen. Das Angebot an religionsverträglichen Speisen wurde über die Flughafenrestaurants und -kantinen hinaus um entsprechende Lebensmittelautomaten im Flughafen erweitert. Darüber hinaus bietet die Fraport AG weitere Maßnahmen an, die religiöse Vielfalt im Unternehmenskontext ermöglichen sollen: Bereits seit mehreren Jahren findet an den Abenden des Ramadan ein tägliches Iftar-Mahl für Kund*innen und Beschäftigte statt. Die islamische Freitagspredigt im Gebetsraum wird von einem Hodscha gehalten. Wöchentlich nehmen daran 100 bis 150 Menschen teil, über die Hälfte davon Beschäftigte der Fraport AG.

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Das Unternehmen veranstaltet einmal jährlich eine abrahamitische Feier mit Gästen aus Politik und Wirtschaft, bei der das Gemeinsame der monotheistischen Religionen betont wird.

Besonderheiten und Möglichkeiten der Übertragbarkeit:

Der Schwerpunkt der Maßnahmen liegt auf dem Bereich der Unternehmenskultur und Arbeitsorganisation. Die Ermöglichung und offen kommuniKommunikation und Konfliktregelung: zierte Wertschätzung von religiöser Vielfalt ist ein In einem »Verhaltenskodex für Mitarbeiterinnen wesentliches Aushängeschild des global agierenden und Mitarbeiter der Fraport AG« verpflichtet sich Unternehmens. Die im Einzelnen recht aufwändigen das Unternehmen, jede Unterscheidung, Ausschlie- Maßnahmen (mehrere Gebetsräume, große Ramadanßung oder Bevorzugung zu unterbinden, die auf- Veranstaltungen) verdanken sich der großen Anzahl grund ethnischer, nationaler und sozialer Herkunft, potenzieller Nutzer*innen, zu denen auch die FlugRasse, Hautfarbe, Geschlecht, Alter, Religion und passagiere zählen. Weltanschauung, politischer Betätigung, MitgliedUmgang mit religiöser Vielfalt am Arbeitsplatz. Praxisbeispiele schaft in einer Arbeitnehmerorganisation, Behinde- aus Unternehmen und Verwaltungen. Hrsg. vom Institut für rung oder sexueller Orientierung vorgenommen wird. Demokratische Entwicklung und Soziale Integration. Berlin Die Ahndung von Zuwiderhandlungen erfolgt auf der 2016, S. 12 f. Grundlage der jeweiligen gesetzlichen Vorschriften.

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1. Lesen Sie die Maßnahmen der Fraport AG zur religiösen Vielfalt. Recherchieren Sie Begriffe, die Sie nicht kennen. 2. Vergleichen Sie die Maßnahmen der Fraport AG mit Ihren Ideen zu einem vorurteilsfreien Arbeitsfeld in Ihren Betrieben. 3. Wie beurteilen Sie die Maßnahmen der Fraport AG? Diskutieren Sie darüber in der Klasse.

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11 Checkliste Religion

Die Idee Der Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr 2017 zeigt, dass »persönliche interreligiöse Kontakte und ein Integrationsverständnis, das nicht ausschließlich auf Anpassung (Assimilation) zielt« (Pickel 2019, S. 19), Ängste abbauen können. Menschen mit anderen religiösen Überzeugungen zu kennen und mit ihnen im Gespräch zu sein, ist somit für ein gelingendes Zusammenleben genauso wichtig wie das Wissen um religiös bedeutsame Inhalte, Bedürfnisse, Ausdrucksformen und eine religiös geprägte Lebenspraxis. Das gilt auch für das Berufsleben. Fragt man Auszubildende, welche Bezüge sie zwischen Religion und ihrem Beruf sehen, so äußern sie sehr häufig die Notwendigkeit, über die religiösen Befindlichkeiten von Menschen Bescheid zu wissen, mit denen sie zu tun haben, um im Umgang mit ihnen »keine Fehler« zu machen. Ging es im vorhergehenden Baustein um die innerbetriebliche religiöse Vielfalt, setzt dieser Baustein beim Umgang mit Menschen an, mit denen die Schülerinnen bei der Wahrnehmung ihrer beruflichen Aufgaben zu tun haben. Der Baustein intendiert grundlegende Informationen über unterschiedliche Religionen, um religiösen Menschen respektvoll und tolerant zu begegnen. Und fragt nach der Bedeutung der »Goldenden Regel« (Mt 7,2) für den interreligiösen Dialog. Positionierung Mit Religion Beruf gestalten?! Dass Auszubildende in unserer religiös pluralen Gesellschaft mit Menschen unterschiedlicher Religion in Kontakt kommen, steht außer Frage. Wie können sie damit umgehen? Wie wichtig sind religiöses Wissen und religiöse Kompetenz in solchen Situationen im Blick auf ein professionelles Handeln? Ist die »Goldene Regel« für berufliches Handeln alltagstauglich? Als Handlungsprodukt entwickeln die Schülerinnen Checklisten mit Informationen über unterschiedliche Religionen. Möglicher Verlauf Der Einstieg erfolgt mithilfe einer Anforderungssituation (M1), die aus dem beruflichen Kontext von

Flugsicherheitsassistenten stammt. Wenn die Situation somit auch keinen unmittelbaren Berufsbezug für duale Ausbildungsberufe hat, kennen die meisten Schüler die beschriebene Situation von eigenen Flugreisen und können sich leicht in sie hineinversetzen. Zudem kann die Situation als Ausgangspunkt dienen, sich an eigene Konfliktsituationen im Ausbildungsalltag zu erinnern. Die Schülerinnen analysieren die Situation, fragen nach den Konsequenzen, die ein solches religiös unsensibles und unprofessionelles Handeln für die Mitarbeiter haben kann, und entwickeln Ideen dazu, wie entsprechende Situationen zu vermeiden sind. Eine Möglichkeit zur Vermeidung liegt im Wissen über das, was Menschen aus unterschiedlichen Religionen wichtig ist, und in einem daraus resultierenden respektvollen Umgang damit. Dazu erstellen die Auszubildenden Checklisten (M2), in denen sie wichtige Informationen über Religionen und religiöse Lebensgestaltung festhalten und die ihnen einen schnellen Zugriff auf die wesentlichen Aspekte der jeweiligen Religionen ermöglichen. Welche Religionen den Schülerinnen im Alltag begegnen und welche Aspekte sie in die Checkliste aufnehmen, wird im Vorfeld diskutiert und festgelegt. Wie die Schüler an Inhalte gelangen, können sie eigenständig planen. Möglich ist z. B. eine arbeitsteilige Gruppenarbeit zu den unterschiedlichen Religionen und den zuvor festgelegten Kriterien. Genauso denkbar ist es, Vertreter unterschiedlicher Religionen in den Unterricht einzuladen oder sie vor Ort zu besuchen, um religiöse Überzeugungen und Lebenspraxis authentisch kennenzulernen. So würden auch interreligiöse Kontakte und Dialoge ermöglicht. Genauso wie durch die Möglichkeit, Schülerinnen der Schule aus unterschiedlichen Religionen in den Unterricht einzuladen und sie z. B. mit der Methode »Living Library« über ihre Religion und ihre Religiosität erzählen zu lassen. Da die Auszubildenden in herausfordernden Situationen allerdings nicht immer auf eine Checkliste zurückgreifen und darin nachlesen können, was wichtig ist und wie sie sich verhalten sollen, thematisiert M3 die »Goldene Regel«. Gibt sie Schülerinnen eine

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einfache Regel an die Hand, die grundsätzlich in allen Situationen anzuwenden ist? Zumal sie, wie Hans Küng mit seiner Initiative zu einem »Projekt Weltethos« (Küng 2010) gezeigt hat, in allen Religionen und Kulturen bekannt und für Menschen aller Weltanschauungen anwendbar ist, auch wenn sie unterschiedlich nuanciert formuliert wird. Mögliche Fächerverbindung: Bei der Recherche und Gestaltung der Checklisten in diesem Baustein ergeben sich fächerübergreifende Kooperationen mit dem Fach Deutsch/Kommunikation und Informationstechnologie. Außerschulische Lernortkooperationen mit Kirchengemeinden, Moscheen, Tempeln usw. wurden bereits angesprochen.

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Ideen zur Weiterarbeit

Wenn im Blick auf die »Goldene Regel« darüber diskutiert wird, ob sie ein friedliches Zusammenleben von Menschen und Religionen ermöglicht, kann der nächste Baustein daran anknüpfen, in dem es um die grundsätzliche Frage geht: Ist die Zeit nicht reif für interreligiösen Dialog und ein neues Miteinander zur Förderung des Friedens? Literatur Küng, H. (2010): Projekt Weltethos. Neuauflage. München (SP 1659). Pickel, G. (2019): Weltanschauliche Vielfalt und Demokratie. Wie sich religiöse Pluralität auf die politische Kultur auswirkt. Gütersloh.

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M 1 Was soll das denn?

Ralf Müller leitet den Sicherheits-Check an einem deutschen Flughafen. Heute will eine muslimische Frau mit ihrer kleinen Tochter ins Ausland reisen. Sie trägt einen Mantel und ein schwarzes Kopftuch (­Hijab). Am Sicherheits-Check fragt sie eine Mitarbeiterin, ob sie ihren Mantel ausziehen soll. Diese antwortet ihr nicht. Bevor sie den Sicherheitsscanner betreten will, fährt sie ein anderer Mitarbeiter scharf an, ob sie zu dumm sei, ihren Mantel auf das Band zu legen. Auch ihr Kopftuch solle sie gefälligst ausziehen. Das lehnt die Frau ab, mit dem Hinweis, er könne doch auch den Hand-Metalldetektor benutzen und diesen über ihren Kopf führen. Doch der Mitarbeiter schreit sie lauthals an: »Was glaubst Du, wo Du bist? Wir sind hier in Deutschland. Du legst Dein Kopftuch ab, ob Du willst oder nicht.« Die anderen Fluggäste werden auf den Vorfall aufmerksam. Auch Ralf Müller bemerkt, was vor sich geht. Er entschuldigt sich bei der Frau für das Verhalten seiner Mitarbeiter. Dann bittet er sie mit einer weiblichen Mitarbeiterin eine Kabine aufzusuchen, um sich dort ordnungsgemäß kontrollieren zu lassen. Die Mitarbeiter lädt Ralf Müller zum Gespräch in sein Büro …

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1. Schildern Sie Ihre spontanen Gedanken zu der Situation. 2. Erklären Sie, wie und warum es zu dem Vorfall gekommen ist. 3. Was erwartet die Mitarbeiter im Büro von Ralf Müller? Zeigen Sie mögliche Konsequenzen auf. 4. Gibt es vergleichbare Situationen aus Ihrem beruflichen Alltag? Erzählen Sie. 5. Entwickeln Sie Ideen: Wie sind solche Situationen vermeidbar?

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M 2 Checkliste Religion

Es ist wichtig zu wissen, was gläubigen Menschen wichtig ist. Bilden Sie Gruppen und erstellen Sie eine Checkliste mit wichtigen Informationen zu den Religionen, denen Sie in Ihrem beruflichen Alltag begegnen. Diskutieren und entscheiden Sie im Vorfeld gemeinsam in der Klasse über folgende Kriterien für die Checkliste: – Wie soll die Checkliste aufgebaut sein? – Welche Aspekte soll die Checkliste berücksichtigen? – Welche Religionen sind in Ihrem Beruf wichtig? Für welche Religionen soll eine Checkliste erstellt werden? – Was ist für den Umgang mit Atheistinnen und Atheisten wichtig? Soll auch für den Umgang mit ihnen eine Checkliste erstellt werden? Sie können die einzelnen Religionen arbeitsteilig auf die Gruppen aufteilen. Informationen können Sie im Internet recherchieren. Ihre Lehrerin/Ihr Lehrer kann Ihnen auch weiteres Material zur Verfügung stellen. Oder Sie nehmen Kontakt zu Religionsgemeinschaften vor Ort in Ihrer Stadt oder in Ihrer Region auf, um Expertinnen und Experten zu befragen und Informationen aus erster Hand zu erhalten. Gibt es in Ihrer Schule vielleicht auch Schülerinnen und Schüler aus den verschiedenen Religionen, die Sie als Expertinnen und Experten einladen können?

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Checkliste Religion

M 3 Die »Goldene Regel«

HINDUISMUS

DIE RELIGIONEN CHINAS

BUDDHISMUS

JUDENTUM

Man sollte sich gegenüber anderen nicht in einer Weise benehmen, die für einen selbst unangenehm ist; das ist das Wesen der Moral.

Was du selbst nicht wünschst, das tue auch nicht anderen Menschen an.

Ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, soll es auch nicht für ihn sein; und ein Zustand, der nicht angenehm oder erfreulich für mich ist, wie kann ich ihn einem anderen zumuten?

Tue nicht anderen, was du nicht willst, dass sie dir tun.

Konfuzius, Gespräche 15,23

Mahabharata XIII.114.8

Talmud, Shabbat 31a

Samyutta Nikaya V, 353.35-354.2

CHRISTENTUM

ISLAM

SIKHISMUS

BAHAITUM

Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihr ihnen ebenso.

Tut nicht Unrecht, auf dass ihr nicht Unrecht erleidet.

Mattäus 7,12; Lukas 6,31

Koran, Sure 2 : 279

Keinem bin ich fremd, und niemand ist mir fremd. Freundschaftlich bin ich allen verbunden.

Wünschet anderen nichts, was ihr nicht für euch selbst wünschet.

Guru Granth Sahib, S. 1299

Kitáb-i-Aqdas, Nr. 19

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Die »Goldene Regel« ist in allen Religionen und Kulturen bekannt. Auch wenn sie in den unterschiedlichen Traditionen immer ein bisschen anders formuliert ist. Für Menschen, die nicht religiös sind, existiert die

© Stiftung Weltethos Tübingen

Die »Goldene Regel« in den Weltreligionen

»Goldene Regel« in Form eines Sprichwortes: »Was Du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu.«

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1. Vergleichen Sie die acht Fassungen der »Goldenen Regel« im obigen Bild miteinander. Welche unterschiedlichen Nuancen in den Formulierungen fallen Ihnen auf? 2. Was kann die Orientierung an der »Goldenen Regel« im beruflichen Alltag ganz konkret heißen? Wenden Sie die »Goldene Regel« auf Situationen an. 3. Ist die »Goldene Regel« für Ihr alltägliches Handeln im Beruf geeignet? Kann sie eine grundsätzliche Handlungsempfehlung sein? Stellen Sie Pro- und Contra-Argumente gegenüber. Diskutieren Sie das Ergebnis in der Klasse.

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12 Zeit für eine neue Generation, die das Gute und den Frieden bringt?! Die Idee Dieser Baustein ist der letzte in einer Reihe von Überlegungen über das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Religionen und den interreligiösen Dialog. Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden und kein Religionsfrieden ohne Religionsdialog – das sind zwei Grundüberzeugungen von Hans Küngs Initiative zu einem »Projekt Weltethos« (Küng 2010). Menschen benötigen auf allen Ebenen des Zusammenlebens von der Familie bis hin zur Politik und zum Wirtschaftsleben eine Basis von Grundwerten, die sie unabhängig von Kultur, Religion und Nationalität teilen. Um zu einer solchen Wertebasis zu gelangen und sie im Alltag immer wieder neu zu (be)leben, damit sie kein Lippenbekenntnis bleibt, ist interreligiöser Dialog unerlässlich. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche in Deutschland fühlen sich einem solchen Dialog verpflichtet. In jüngster Zeit hat Papst Franziskus bei interreligiösen Begegnungen und Dialogen mit muslimischen Religionsführern immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass die Verpflichtung zum Frieden allen Religionen eingestiftet sei und Religionen zur Geschwisterlichkeit verpflichtet seien, statt Hass und Gewalt zu schüren. Von besonderer Bedeutung ist dabei das Treffen von Papst Franziskus mit Ahmad Al-Tayyeb, dem Großimam von Al-Azhar, einer islamischen wissenschaftlichen Institution in Kairo, am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi, bei dem auch ein gemeinsames Dokument unterzeichnet wurde. Darin bitten die beiden Religionsführer, es auch in Schulen zu lesen und zu besprechen. Sie hoffen, dass dieses Dokument dazu beiträgt, »neue Generationen zu bilden, die das Gute und den Frieden fördern und überall das Recht der Unterdrückten und Geringsten verteidigen« (Christlich-islamische Erklärung über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt 2019). Der Baustein greift diese Bitte auf und legt Berufsschülerinnen diese Erklärung in Auszügen vor. Wenn es Zeit für eine neue Generation ist, dann gehören die Auszubildenden dazu. Sie sollen über diese Erklärung diskutieren und Position dazu beziehen, ob

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die Förderung des Guten und des Friedens und eine Verteidigung der Rechte von Unterdrückten und Geringsten nur eine schöne Vision ist oder sich im Berufsleben (und darüber hinaus) konkretisieren und verwirklichen lässt. Positionierung Mit Religion Beruf gestalten?! Die Auszubildenden diskutieren, was sie von den Überzeugungen und Bitten der Erklärung von Abu Dhabi halten. Sind sie realistisch zu verwirklichen? Was können sie im beruflichen Alltag ganz konkret bedeuten und bewirken, wenn Menschen aus unterschiedlichen religiösen Traditionen miteinander arbeiten – als Kolleginnen oder im Umgang mit Kunden? Und was bedeutet die Erklärung für den gegenseitigen Respekt zwischen gläubigen und nichtglaubenden Menschen und einen geschwisterlichen Umgang miteinander? Ist die Zeit für eine neue Generation gekommen, die anders miteinander umgeht und zusammenlebt als frühere Generationen? Auch dazu positionieren sich die Schülerinnen, wenn Sie mit der Frage konfrontiert werden, ob sie sich von der Erklärung persönlich angesprochen fühlen und glauben, dass ihre Generation schon zu diesen neuen Generationen zählt oder die Welt noch weiter darauf warten muss. Als Handlungsprodukt können ganz konkrete Leitideen formuliert werden, wie sich die Aussagen der Erklärung im beruflichen Alltag verwirklichen lassen. Spannend könnte es auch sein, in Projektarbeit eine Erklärung der Schule auf den Weg zu bringen oder eine Erklärung einer ganz konkreten Berufsgruppe für ein friedvolles und geschwisterliches Zusammenleben zu formulieren. Mögliches Vorgehen

Die Schüler erhalten einen Auszug aus der Erklärung von Abu Dhabi (M1), in dem die zentralen Anliegen der beiden Religionsführer deutlich werden. Die Auszubildenden beurteilen den Text und diskutieren über die Möglichkeit, die Aussagen der Erklärung im beruflichen Alltag zu verwirklichen, was in der Formulierung konkreter Leitideen zum Ausdruck kommen kann.

Zeit für eine neue Generation, die das Gute und den Frieden bringt?!

Mögliche Fächerverbindung: Bei inhaltlichen Fragestellungen sind Kooperationen mit dem Fach Politik/ Gesellschaftslehre möglich, bei der Verfassung der Leitideen mit dem Fach Deutsch/Kommunikation. Ideen zur Weiterarbeit

Auf eine gesamtschulische Projektarbeit wurde bereits hingewiesen. Neben der Erklärung von Abu Dhabi gibt es viele andere Dialogtexte, mit denen gearbeitet werden kann. Ebenfalls ist es lohnenswert, sich mit der Stiftung Weltethos zu beschäftigen, die auf ihrer Internetseite (https://www.weltethos.org) viele Materialien anbietet, die eine weitere Auseinandersetzung mit der Thematik ermöglichen.

Literatur Christlich-islamische Erklärung über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt. Übersetzung von Niklaus Kuster. https://www.tauteam. ch/images/AbuDhabi-Erklärung2019-Geschwisterlichkeit.pdf (Zugriff am 1.4.2021). Küng, H. (2010): Projekt Weltethos. Neuauflage. München (SP 1659).

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© picture alliance/dpa | Gehad Hamdy

M 1 Abu Dhabi to read

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Am 4. Februar 2019 unterzeichneten Papst Franziskus, Oberhaupt der Katholischen Kirche, und Ahmad Al-Tayyeb, der Großimam von Al-Azhar, einer islamischen wissenschaftlichen Institution in Kairo, die gemeinsame Erklärung von Abu Dhabi. Sie bitten darum, die Erklärung in den Schulen zu lesen und zu besprechen. Sie hoffen, dass die Erklärung dazu beiträgt, »neue Generationen zu bilden, die das Gute und den Frieden fördern und überall das Recht der Unterdrückten und Geringsten verteidigen.« In ihrer Erklärung bitten sie alle darum …

… aufzuhören, die Religionen zu instrumentalisieren, um Hass, Gewalt, Extremismus und blinden Fanatismus zu entfachen. Wir bitten, den Namen Gottes nie mehr zu benutzen, um Mord, Exil, Terrorismus und Unterdrückung zu rechtfertigen. Wir bitten darum aufgrund unseres gemeinsamen Glaubens an Gott, der die Menschen nicht erschaffen hat, damit sie getötet werden oder sich gegenseitig bekämpfen, und auch nicht, damit sie in ihrem Leben und in ihrer Existenz gequält und gedemütigt werden. Denn Gott, der Allmächtige, hat es nicht nötig, von jemandem verteidigt zu werden; und er will auch nicht, dass sein Name benutzt wird, um Menschen zu terrorisieren. Diese Erklärung bekräftigt […]: – Es ist unsere feste Überzeugung, dass die wahren Lehren der Religionen dazu einladen, in den Werten des Friedens verankert zu bleiben. Sie regen dazu an, die Werte des gegenseitigen Kennens, der Geschwisterlichkeit aller Menschen und des Zusammenlebens aller hochzuhalten. Sie wirken darauf hin, dass Weisheit, Gerechtigkeit und Nächstenliebe erstarken und sie erwecken den Sinn für Religiosität unter den jungen Menschen. […] – Die Freiheit ist ein Recht jedes Menschen. Jede Person genießt Bekenntnis-, Gedanken-, Meinungsund Handlungsfreiheit. Pluralismus und Verschie-

denheit in Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Ethnie und Sprache entsprechen einem weisen göttlichen Willen, mit dem Gott die Menschen erschaffen hat. Diese göttliche Weisheit ist der Ursprung, aus dem sich das Recht auf Bekenntnisfreiheit und auf die Freiheit, anders zu sein, ableitet. Deshalb verurteilen wir, wenn Menschen eine bestimmte Religion oder eine gewisse Kultur anzunehmen gezwungen sind. Ebenso darf Widerstrebenden keine Form von Zivilisation auferlegt werden. – Die Gerechtigkeit, die auf der Barmherzigkeit gründet, ist der einzig gangbare Weg, um zu einem Leben in Würde zu gelangen, auf das jeder Mensch Anspruch hat. […] – Abschließend wünschen wir dieser Erklärung, dass sie zur Versöhnung und zur Geschwisterlichkeit unter allen Glaubenden einlade, besser noch unter Glaubenden und Nichtglaubenden sowie unter allen Menschen guten Willens. Papst Franziskus/Ahmad Al-Tayyeb: Christlich-islamische Erklärung über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt. 4.2.2019. Übersetzung von Niklaus Kuster. https://www.tauteam.ch/images/ AbuDhabi-Erklärung2019-Geschwisterlichkeit.pdf (Zugriff am 1.4.2021).

1. Fassen Sie die Kernaussagen des Dokuments zusammen. 2. Beurteilen Sie die Überzeugungen und Bitten, die in dieser Erklärung zum Ausdruck kommen. 3. Wie lassen sich die Aussagen der Erklärung im beruflichen Alltag ganz konkret verwirklichen? 4. Positionieren Sie sich: Gehören Sie und Ihre Generation schon zu diesen neuen Generationen, auf die der Papst und der Großimam hoffen?

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13 Verantwortung für das »gemeinsame Haus Erde« tragen? Die Idee

Globale Erwärmung und Klimawandel stellen für die Menschheit eine der größten Herausforderungen dar. Auch wenn Deutschland im Vergleich zu anderen Regionen der Erde weniger stark betroffen ist, sind Veränderungen auch hier deutlich wahrnehmbar: Ex­ treme Wetterphänomene wie Starkregen und starke Stürme häufen sich und bringen immer mehr wirtschaftlichen und ökologischen Schaden mit sich. Klimaschutz ist weltweit zwar in aller Munde, aber nicht nur Initiativen wie Fridays For Future zweifeln an, ob die konkreten Maßnahmen der Politik wirklich geeignet sind, die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens aus dem Jahr 2015 ernsthaft erreichen zu wollen. Christen kann die Zukunft des Planeten als Schöpfung Gottes nicht egal sein. Schon seit den 1980er Jahren haben sich viele christliche Friedens- und Umweltinitiativen das Motto »Bewahrung der Schöpfung« auf die Fahnen geschrieben. 2015 hat Papst Franziskus in seiner Enzyklika »Laudato si’« auf den immensen Schaden hingewiesen, den die Menschheit der Erde aufgrund ihres unverantwortlichen Gebrauchs und Missbrauchs ihrer Güter zufügt. In seinem Schreiben richtet er sich an jeden Menschen und stellt uns allen in einem sehr eindringlichen Bild die Erde als unser gemeinsames Haus, als unsere Schwester und Mutter vor. Gerade aus dieser Tatsache heraus erwächst sein Appell, in einen neuen Dialog einzutreten »über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten. Wir brauchen ein Gespräch, das uns alle zusammenführt, denn die Herausforderung der Umweltsituation, die wir erleben, und ihre menschlichen Wurzeln interessieren und betreffen uns alle« (LS 14). Positionierung

Mit Religion Beruf gestalten?! Wenn der Papst sich an alle Menschen wendet, richtet sich sein Appell natürlich auch an die Auszubildenden. Inhaberinnen von Firmen und Mitarbeitende leben und arbeiten im gemeinsamen Haus Erde. Tragen sie damit auch eine Verantwortung für den Schutz der Umwelt? Zum Beispiel mit Blick auf den Umgang mit Gift- und Gefahrenstoffen, anfallendem Müll und seiner Entsorgung?

Im Blick auf die Energie, die sie beziehen, nachhaltiges und umweltverträgliches Arbeiten und Wirtschaften? Wie denken die Auszubildenden über solche Fragen, und wie beurteilen sie ihre eigene Verantwortung für das gemeinsame Haus Erde? Als Handlungsprodukt können konkrete Handlungsmöglichkeiten zum besseren Umgang mit der Umwelt für Betriebe entwickelt werden. Mögliches Vorgehen

Der Einstieg in diesen Baustein erfolgt mit einer Anforderungssituation. Auf dem Weg zur Arbeit sieht der Auszubildende ein Plakat, das seine Aufmerksamkeit erregt (M1). Nachdem spontane Gedanken zu diesem Bild gesammelt, das Bild beschrieben und interpretiert wurde, fällt die Aufmerksamkeit auf einen QR-Code, der zu einem Auszug aus der Enzyklika des Papstes führt (M2). Der originale Textauszug ist in ein Setting eingebettet, in dem die Leserinnen direkt angesprochen und zum Handeln aufgefordert werden. Damit soll die Positionierung der Auszubildenden stärker angeregt werden. Da der Papst in seiner Enzyklika die Probleme ausführlich schildert, ist es sinnvoll, dass die Schülerinnen nach der inhaltlichen Analyse des Textes recherchieren und zusammentragen, vor welchen Herausforderungen die Menschheit im Blick auf den Schutz ihres gemeinsamen Hauses genau steht. Schließlich diskutieren die Schüler darüber, was sie von der Hoffnung halten, die der Papst in die Menschheit setzt, die Probleme lösen zu können. In einem nächsten Schritt kann die Übertragung auf den beruflichen Bereich in einem größeren Projekt erfolgen (M3). In einem Dreischritt SEHEN – URTEILEN – HANDELN nehmen die Auszubildenden die berufliche Wirklichkeit in Sachen Umweltschutz wahr, beurteilen diese und entwickeln kreative und konkrete Handlungsmaßnahmen für die Betriebe und ihre Branche. Welcher Beitrag kann hier für das gemeinsame Haus Erde geleistet werden? Dabei sind auch außerschulische Lernortkooperationen möglich, z. B. um mit Experten in Sachen Umweltschutz, Initiativen wie Greenpeace, Fridays For Future, kirchlichen

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Projekten, Politikerinnen, Kammer- und Innungsvertretern usw. in einen neuen Dialog über die Zukunft des gemeinsamen Hauses Erde einzutreten, den der Papst fordert. Mögliche Fächerverbindung: In diesem Baustein gibt es vielfältige Möglichkeiten zur fächerübergreifenden Kooperation. Mit Fächern wie Rechtskunde und Politik/Gesellschaftslehre im Blick auf Umweltschutzrecht und politische Aspekte des Klimaschutzes, mit an der Schule vertretenen naturwissenschaftlichen Fächern, um wissenschaftliche Aspekte der globalen Erwärmung und des Klimawandels mit einzubeziehen, mit dem Fach Wirtschafts- und Betriebslehre zu wirtschaftlichen Erwägungen aktiven Klimaschutzes in den Betrieben. Im Blick auf die vielfältigen beruflichen Aspekte, die sich bei dem Projekt stellen, auch mit den Fächern des berufsbezogenen Bereichs.

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Verantwortung für das »gemeinsame Haus Erde« tragen?

Ideen zur Weiterarbeit

Die Erde als gemeinsames Haus ist für Christinnen Schöpfung Gottes. Insofern ist es im Anschluss an diesen Baustein sinnvoll, schöpfungstheologisch weiterzuarbeiten, z. B. in berufsbezogener Anwendung mit den Bausteinen 1–3. Es kann auch spannend sein, den Schutz des gemeinsamen Hauses Erde auf den Lebensort Schule zu übertragen und ein schulweites Projekt darüber anzustoßen, welche Maßnahmen vor Ort ergriffen werden könnten. Literatur Papst Franziskus (2015): Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus. http://www.vatican.va/content/francesco/ de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html (Zugriff am 1.4.2021).

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Auf dem Weg zur Arbeit müssen Sie heute auf Ihre Bahn warten. Auf dem Bahnsteig gegenüber sehen Sie das folgende Plakat …

M 1 »Die Erde – unser gemeinsames Haus«

© 2021 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

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Verantwortung für das »gemeinsame Haus Erde« tragen?

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M 2 Das gemeinsame Haus Erde schützen

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gemeinsames Haus sich für die Erde, unser Ich freue mich, dass Sie interessieren. en, und wie eine schöne mit der wir das Leben teil Sie ist wie eine Schwester, e schließt. Mutter, die uns in ihre Arm wir ihr aufgrund des wegen des Schadens, den auf reit sch 5 Diese Schwester hs der Güter zufügen, die rauchs und des Missbrauc wir unverantwortlichen Geb en aufgewachsen, dass ank hat. Wir sind in dem Ged egt gel ein hin sie n. in t Got , sie auszuplünder rscher seien, berechtigt ihre Eigentümer und Her ener Körper ist aus den eig er Uns d. sin e selber Erd Wir vergessen, dass wir uns den Atem gibt, und ildet; seine Luft ist es, die geb en net Pla des n nte 10 Eleme erquickt uns. sein Wasser belebt und es Haus zu schützen, erung, unser gemeinsam ford aus Her Die dringende ilie in der Suche nach gesamte Menschheitsfam schließt die Sorge ein, die vereinen, denn wir wiszu ng klu ganzheitlichen Entwic Fähigkeit einer nachhaltigen und nschheit besitzt noch die ge ändern können. Die Me chte mö Ich n. 15 sen, dass sich Din aue zub auf er gemeinsames Haus uns um n, eite arb an nzu dar me zusam hlichen Handelns ensten Bereichen mensc , allen, die in den verschied er teilen, zu gewährleisten and ein mit wir Hauses, das en. ech spr arbeiten, den Schutz des aus k n Dan ine Ermutigung und meine , wie meine Anerkennung, me änderung. Sie fragen sich Ver e ein uns von gen lan ver hen nsc die Me an gen e jun ohn 20 Die anzustreben, einer besseren Zukunft es möglich ist, den Aufbau n zu denken. ene oss chl ges Aus der Leiden Umweltkrise und an die Art und Weise, wie wir die r em neuen Dialog ein übe ein zu h glic drin e lad Ich en ein Gespräch, das uns en gestalten. Wir brauch , die wir die Zukunft unseres Planet erung der Umweltsituation hrt, denn die Herausford uns alle. en reff 25 alle zusammenfü bet und en hlichen Wurzeln interessier nsc me ihre und , ellschaft, ben Ges erle in Politik und des Engagements aller – Gottes an e eug Es bedarf der Talente und rkz We wir als und Freizeit! Alle können seiner tur, Kul er Arbeit und Beruf, Familie sein von er ung mitarbeiten, ein jed öpf Sch der ung ! ahr mit Sie Bew der igkeiten aus. Machen Initiativen und seinen Fäh 30 Erfahrung, seinen Ihr Papst Franziskus

;14 vergemeinsame Haus (1; 2;13 o si’. Über die Sorge für das lica ls/docucyc e/en o/d Papst Franziskus: Laudat esc anc t/fr ://w ww.vat ican.va/conten 1). ändert und ergänzt). http i.ht ml (Zugriff am 1.4.202 50524_enciclica-laudato-s 201 co_ ces ments/papa-fran

1. Papst Franziskus sieht die Erde als gemeinsames Haus aller Menschen. Erklären Sie, was mit dieser Aussage gemeint ist. 2. Der Papst spricht vom Schaden, den Menschen der Erde zufügen. Erläutern Sie, wie es seiner Meinung nach dazu gekommen ist. 3. Recherchieren Sie, von welchen Problemen das gemeinsame Haus Erde bedroht und wie groß der Schaden ist. Stellen Sie Ihre Ergebnisse grafisch anschaulich dar. 4. Der Papst setzt Hoffnung in die Menschen. Beschreiben Sie, worin für ihn diese Hoffnung begründet liegt. 5. Beurteilen Sie den Text von Papst Franziskus. Stimmen Sie seiner Sichtweise zu oder sind Sie skeptisch, wenn Sie seine Ausführungen lesen? Begründen Sie Ihre Sichtweise. Diskutieren Sie darüber in der Klasse.

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Verantwortung für das »gemeinsame Haus Erde« tragen?

M 3 Am Arbeitsplatz Verantwortung für das gemeinsame Haus Erde tragen? Tragen Sie auch an Ihrem Arbeitsplatz Verantwortung für das gemeinsame Haus Erde? Welchen Beitrag können Sie in Ihrer Berufsgruppe für eine gute Zukunft des gemeinsamen Hauses Erde leisten? Planen Sie zu diesen Fragen in Ihrer Klasse ein Projekt. Dabei hilft Ihnen folgender Dreischritt:

SEHEN: Schauen Sie hin! Wo bestehen in Ihrem konkreten Berufsalltag Probleme hinsichtlich des Umweltschutzes? Welche und wie viel Abfälle produzieren Sie z. B.? Wie hoch ist der Energieverbrauch und wie nachhaltig Ihre Energiequelle? Gibt es Gesundheitsgefährdungen? …

URTEILEN:

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Beurteilen Sie die Probleme, die Sie gesehen haben! Wie schwerwiegend sind sie? Welche Probleme sind am drängendsten? Welche Lösungen gibt es? …

HANDELN: Werden Sie aktiv! Entwerfen Sie konkrete Handlungsmöglichkeiten. Worauf muss in Zukunft geachtet werden? Was muss besser werden? … Lassen Sie bei der Gestaltung Ihrer Kreativität freien Lauf! Drehen Sie einen Film, entwerfen Sie eine Plakatserie, formulieren Sie eine Selbstverpflichtung oder setzen Sie Ihre Ideen auf eine andere Weise gestalterisch um. Wollen Sie Ihre Ergebnisse anderen Menschen vorstellen und mit Ihnen ins Gespräch über das gemeinsame Haus Erde kommen? Mit wem wollen Sie dieses Gespräch führen?

Verantwortung für das »gemeinsame Haus Erde« tragen?

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14 »Fürchte Dich nicht!« – Das sagt sich so leicht Die Idee Handlungsprodukte können neue Deutungen, Blick»Fürchte Dich nicht«, heißt es in der Bibel – angeblich winkel und Perspektiven zum Umgang mit belasten365mal, einmal für jeden Tag. Furchtlosigkeit, Ver- den Situationen entwickelt werden. Auch in Form von trauen, das klingt gut, aber geht das immer so einfach Gebeten? Die zum Ausdruck bringen, warum Auszuim Leben mit seinen vielfältigen Belastungssituatio- bildende Gott (nicht) vertrauen können oder wollen? nen? Die Bibel erzählt von vielen solchen Situationen bis hin zum Tod Jesu am Kreuz und seinem Gefühl Mögliche Vorgehensweise der Gottverlassenheit. Genauso aber von Gotteserfah- In einem ersten Schritt (M1) machen sich die Schülerungen, die bei der Bewältigung existenzieller Krisen rinnen ihre Belastungen bewusst, die sie in ihrem Aushelfen. Für den Theologen und NLP-Master Andreas bildungsalltag erleben. In einem zweiten Schritt (M2) Rieck ist die Bibel eine Sammlung von Deutungs-Ge- lernen sie die Methode der Umdeutung von Andreas schichten, »voller Erzählungen von Menschen, die ihr Rieck kennen und wenden sie auf eine eigene BeispielLeben durch eine Gottesbegegnung im Rückblick neu situation an. Sie stellen bekannten Deutungen neue deuten oder sich durch die Gotteserfahrung aus un- Deutungen gegenüber und betrachten die Belastungsheilvollen Zusammenhängen lösen konnten« (Rieck situationen aus einer geänderten Perspektive. Dabei 2019, S. 7). Auf die Deutung kommt es seiner Mei- geht es auch um die Wahrnehmung dessen, welche nung nach bei der Bewältigung von Belastungssitua- »göttliche Autorität« für die Schüler infrage kommt, tionen an: »Je nachdem, wie wir eine erlebte Situation um mit ihrer Hilfe zu einer neuen Deutung zu gelandeuten, führt dies eher zu Gefühlen wie Druck, Enge, gen. In einem letzten Schritt (M3) wird die PerspektiStress, Trennung und Minderwertigkeit etc. oder zu ve explizit auf Gott gelenkt. Anhand eines Psalms und Gefühlen wie Erleichterung, Verbundenheit, Vertrau- eines Gebets nehmen die Auszubildenden Menschen en und Weite. Die Veränderung des Blickwinkels und wahr, die ihr Vertrauen auf Gott setzen und aus diesem der Deutung dieser Situation ändert dann auch die Vertrauen leben. Anhand dieser Texte setzen sich die Gefühle und das Verhalten« (Rieck 2019, S. 5). Schülerinnen mit der Frage auseinander, ob Gott als Vertrauensperson für sie infrage kommt. Positionierung Mögliche Fächerverbindung: Beim Thema Umgang Mit Religion Beruf gestalten?! Gotteserfahrungen mit Belastungssituationen ergeben sich fächerüberkönnen und sollen vom Religionsunterricht nicht in- greifende Kooperationen mit den Fächern Psychotendiert werden. Aber können Deutungen von Be- logie, Sozialpädagogik und Sport/Gesundheitsfördelastungssituationen und veränderte Blickwinkel Aus- rung. zubildenden bei der Bewältigung solcher Situationen helfen? Wer oder was hilft den Schülern bei einer Ideen zur Weiterarbeit solchen Deutung? Andreas Rieck beschränkt Deu- Bei praktischen Vertrauensübungen und kooperatitungsmöglichkeiten nicht auf den christlichen Gott, ven, gruppendynamischen Spielen kann Klassengesondern spricht weiter und offener von »Beziehungs- meinschaft gestärkt und Vertrauen in andere Persoerfahrung« und »einer göttlichen Autorität«, die dabei nen konkret erfahrbar gemacht werden. hilft, alte, vertraute Deutungen und Bewältigungsstrategien in Belastungssituationen durch neue zu erset- Literatur zen (Rieck 2019, S. 6 f.). Wer kann eine »göttliche Au- Rieck, A. (2019): Dem Leben trauen. Bibel heute 218 (2/2019), torität« für die Schülerinnen sein? Partner? Vertraute S. 4–7. Personen aus der Familie? Freundinnen? Gott? Als

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M 1 Belastungen wahrnehmen

Bilden Sie Gruppen mit vier Personen und legen Sie das Arbeitsblatt so in die Mitte, dass Sie jeweils vor einem der vier Felder sitzen. Denken Sie über Belastungen nach, die Sie in Ihrem Ausbildungsalltag erleben. Jede und jeder von Ihnen schreibt dann in das Feld vor sich auf, was Ihnen zu diesem Thema in den Sinn kommt. Sprechen Sie während dieser Phase nicht miteinander. Wenn Sie fertig sind, drehen Sie das Arbeitsblatt mehrmals um 90 °, sodass Sie die Beiträge Ihrer Kolleginnen und Kollegen lesen können. Tauschen Sie sich anschließend über Ihre Belastungssituationen aus und schreiben Sie in das Feld in der Mitte die für Sie drei typischen Belastungen in Ihrer Ausbildung.

Die drei typischen Belastungen in unserer Ausbildung:

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1. 2. 3.

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M 2 Mit Belastungssituationen umgehen

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Entscheidend ist die Deutung, die wir einer Situation geben. Je nachdem, wie wir eine erlebte Situation deuten, führt dies eher zu Gefühlen wie Druck, Enge, Stress, Trennung und Minderwertigkeit etc. oder zu Gefühlen wie Erleichterung, Verbundenheit, Vertrauen und Weite. Die Veränderung des Blickwinkels und der Deutung dieser Situation ändert dann auch die Gefühle und das Verhalten. […] Es ist wichtig, zu betonen, dass es sich bei der Umdeutung nicht um ein einfaches »positives Denken« handelt. Die Kraft zur Umdeutung – oder zur Umkehr – entspringt einer Beziehungserfahrung. Denn

die alten Deutungen sind mächtig. Meist sind sie über Generationen überliefert. Um dieser destruktiven Macht eine neue, lebensspendende entgegenzusetzen genügt »positives Denken« nicht. Es bedarf – je nach Situation – einer »göttlichen Autorität«, der man vertrauen kann und die quasi als Gegenkraft zum einengenden überkommenen »Glaubenssatz« ihre befreiende Kraft entfaltet. Dies ist oft eine Person, der ich traue. Das kann aber auch ein Wort aus der Heiligen Schrift sein, dem ich glaube. Andreas Rieck: Dem Leben trauen. Bibel heute 2/2019, S. 5–7.

1. Erklären Sie, was der Autor mit »Deutung« und »Umdeutung« meint. 2. Probieren Sie die Veränderung des Blickwinkels an einer ganz konkreten beruflichen Belastungssituation aus, z. B.:

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Belastungssituation: Ich fühle mich nicht gesund und will mich heute krankmelden. Der Chef setzt mich unter Druck und droht mit Konsequenzen. Alte, gewohnte Deutung

Umdeutung

Stell Dich nicht so an!

Meine Gesundheit steht an erster Stelle.

Nur keine Schwäche zeigen!

Ich stehe zu meinen Schwächen





Belastungssituation: Alte, gewohnte Deutung

Umdeutung

(Idee angelehnt an Andreas Rieck: Dem Leben trauen, Bibel heute 2/2019, S. 7)

3. Was verändert dieser andere Blickwinkel im Blick auf die Belastungssituation? 4. Diskutieren Sie die These, dass »positives Denken« allein nicht reicht, sondern es einer »göttlichen Autorität« bedarf, der man vertrauen kann. 5. Was sind für Sie »göttliche Autoritäten«? Und welche kommen für Sie infrage?

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M 3 Gott vertrauen?

Religiöse Menschen drücken ihr Vertrauen Gott gegenüber z. B. in Gebeten aus. Hier finden Sie zwei Beispiele. Lassen Sie sich durch die Texte anregen und verfassen Sie einen eigenen Text. Dabei können Sie: – in ähnlicher Weise wie in den Textbeispielen ihr Vertrauen Gott gegenüber zum Ausdruck bringen. – einen Gegentext verfassen, in dem Sie zum Ausdruck bringen, warum Sie Gott kein Vertrauen gegenüber bringen können. Begründen Sie abschließend kurz, warum Sie welche Variante gewählt haben und warum Sie Gott in ­Belastungssituationen (nicht) vertrauen können.

Psalm 121

Hochseilakt

Ich schaue hoch zu den Bergen. Woher kommt Hilfe für mich? 2 Hilfe für mich, die kommt vom Herrn! Er hat Himmel und Erde gemacht. 3 Er lässt deinen Fuß nicht straucheln. Der über dich wacht, schläft nicht. 4 Sieh doch: Der über Israel wacht, der schläft und schlummert nicht. 5 Der Herr wacht über dich. Der Herr ist dein Schutz, er spendet Schatten an deiner Seite. 6 Am Tag wird dir die Sonne nicht schaden und der Mond nicht in der Nacht. 7 Der Herr behütet dich vor allem Bösen. Er wacht gewiss über dein Leben. 8 Der Herr behütet dein Gehen und Kommen von heute an bis in alle Zukunft.

Gott, du bist mir nah auf dem Hochseil des Alltags.

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1

Ich spüre Sicherheit und Vertrauen. Dein auffangendes Netz erlebe ich immer wieder, besonders bei neuen Wagnissen in meinem beruflichen Leben. Dein Vertrauen motiviert und leitet mich. Danke. Christa Garvert. In: Manager-Gebetbuch. Kevelaer 2018, S. 64.

BasisBibel, © 2021 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

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15 Wenn ich einmal Chef bin …

Die Idee Dieser Baustein ist der letzte in diesem Materialheft. Er bündelt die Ideen der vorangegangenen Bausteine. Angewandt auf und verbunden mit der Perspektive, in (einigen Jahren) nach der Ausbildung Verantwortung in einem Betrieb oder Unternehmen zu tragen und einmal Chef zu sein. Wenn ich einmal Chefin bin … Was ist mir dann wichtig? Welche Erwartung habe ich an meine Mitarbeitenden und wie gehe ich mit ihnen um? Wie will ich mit der Digitalisierung der Arbeitswelt umgehen? Welche Rolle sollen in meinem Betrieb Maschinen spielen, welche der Mensch? Wie stelle ich mir die Interaktion von Mensch und Maschine vor? Welche Rolle werden Werte in meinem Unternehmen spielen? Von welchen Werten bin ich selbst überzeugt? Welche berufsethischen Aspekte sind in meinem Berufsfeld bedeutsam und unerlässlich? Wie sieht meine unternehmerische Verantwortung aus? Sind religiöse, biblische Aspekte für mich handlungsleitend? Welche »Chaosmächte« muss ich begrenzen, damit ich meiner Verantwortung gerecht werde? Wird es in meinem Betrieb gerecht zugehen, und was heißt Gerechtigkeit eigentlich für mich? Werde ich Mitarbeitende aus unterschiedlichen Religionen, Kulturen und mit unterschiedlicher Nationalität einstellen? Welche Konflikte sehe ich kommen und wie kann ich sie lösen? Wie wichtig sind mir Toleranz, Respekt? Schätze ich Diversität und Pluralität oder machen sie mir Angst? Wie nachhaltig soll mein Unternehmen sein? Welche Rolle spielen Umweltschutz, Schutz von Ressourcen und der Erhalt der Lebensmöglichkeiten nachfolgender Generationen? Bewahrung der Schöpfung? Und worauf kann ich eigentlich vertrauen, wenn es schwer wird, wenn ich Belastungssituationen ausgesetzt bin und sie durchstehen muss? All diese Fragen (oder einige davon, je nachdem, mit welchen Bausteinen gearbeitet wurde) bieten sich zur Beantwortung an und eröffnen noch einmal Raum, die Frage nach der Bedeutung von Religion für die Gestaltung der Arbeits- und Berufswelt zusammenfassend zu reflektieren. Als Anforderungssituation dient die Erarbeitung eines neuen Unternehmenleitbilds.

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Wenn ich einmal Chef bin …

Positionierung Kann ich mit Religion Beruf gestalten?! Bei der Präsentation der Unternehmensleitbilder, die die Handlungsprodukte in diesem Baustein darstellen, wird sichtbar, in welchem Umfang religiöse Aspekte Berücksichtigung finden. Der Umfang kann mit den Schülerinnen reflektiert werden. Welche konkreten Aspekte finden sich wieder? Warum erachten die Schülerinnen diese für wichtig? Andererseits, wenn religiöse Aspekte kaum oder gar nicht in die Leit­ bilder aufgenommen wurden – woran liegt das? Warum sind religiöse Aspekte nicht oder kaum bedeutsam? So kann eine abschließende Diskussion über die Frage geführt werden, die in diesem Materialheft handlungsleitend ist: Kann ich mit Religion B ­ eruf gestalten?! Die Schüler haben sich bei der Beschäftigung mit den hier angebotenen Bausteinen mit zentralen religiösen Aspekten beschäftigt, diese auf ihren Beruf bezogen und auf ihre Relevanz hin befragt. Sie haben ihre religiöse Kompetenz fortentwickelt und sind imstande, in Sachen Religion gut begründete Standpunkte einzunehmen. Religion konnte auf diese Weise ein Baustein zur beruflichen Kompetenzentwicklung von Auszubildenden werden. Mögliche Fächerverbindung: Fächerübergreifende Kooperationen sind bei der Frage nach der Bedeutung und Abfassung von Unternehmensleitbildern mit dem Fach Wirtschafts- und Betriebslehre möglich. Beim Abfassen des Leitbildes kann mit den Fächern Deutsch/Kommunikation und Informationstechnologie zusammengearbeitet werden. Mögliches Vorgehen In einem ersten Schritt empfiehlt es sich, die Auszubildenden träumen und eigene Ideen für die Zukunft entwickeln zu lassen. Viele wollen sich nach der Ausbildung weiterentwickeln und qualifizieren, z. B. mit der Meisterprüfung. Oder sie haben Karrierevorstellungen für ihre weitere berufliche Zukunft. Was wäre eigentlich, wenn ich Chefin bin? Was würde ich tun? Wie wäre ich als Chef? Worauf würde ich Wert legen und wie würde ich meinen Betrieb führen?

Bei einer solchen Aufgabe können die Schülerinnen Die Auszubildenden werden mit der Situation kongut an ihre eigenen Erfahrungen in der Ausbildung frontiert sich zu überlegen, wofür sie eigentlich stehen anknüpfen. Wie erleben sie diese eigentlich? Wie neh- und was ihnen als Chefin wichtig ist. Ihre Überzeumen sie ihre Ausbilder, Chefinnen, Vorgesetzte wahr? gungen sollen sie in griffigen Leitsätzen niederlegen, Wie sehr oder wie wenig fühlen sie sich wertgeschätzt? die anschließend, so der Situationsbezug, den MitUnd welche Folgerungen ziehen die Auszubildenden arbeitenden im Unternehmen vorgelegt werden, um daraus, wenn sie vom Stand ihrer momentanen Aus- auch sie an der Leitbildarbeit zu beteiligen. bildung darüber nachdenken, einmal selbst in einer Wenn die Leitbilder fertig vorliegen, werden sie präverantwortlichen Position zu sein und für Mitarbei- sentiert. Da die Aufgabe zur Abfassung eines Untertende Verantwortung zu tragen? Erleben sie gerade nehmensleitbildes offen gestellt ist und auf inhaltliche gute oder schlechte Vorbilder? Vorgaben verzichtet, werden die Leitbilder abschlieIn einem zweiten Schritt erfolgt die Konfrontation ßend auf religiöse Aspekte hin untersucht und im Hinmit einer konkreten Anforderungssituation (M1). Im blick darauf diskutiert, welche Rolle Religion für das vielen Betrieben gibt es ein Unternehmensleitbild, eine Berufsleben spielt oder nicht spielt. -philosophie, einen Ethik-Kodex oder wie ein solcher Text auch immer genannt wird. Damit die Schülerin- Ideen zur Weiterarbeit nen eine Vorstellung davon erhalten, was in einem Dieser Baustein steht ganz bewusst am Ende des MaLeitbild überhaupt festgehalten werden kann, soll- terialheftes. Für die meisten Schülerinnen berufsbilten sie Materialien und Beispiele dazu erhalten. Eine dender Schulen ist der BRU für lange Zeit der letzte kurze Beschreibung zu Unternehmensleitbildern fin- Kontakt mit Fragen der Religion, sieht man von den det sich auf M1. Konkrete Beispiele für Leitbilder fin- wenigen (und immer weniger werdenden) Auszubilden die Schüler im Internet. Sie können auch selbst in denden ab, die ihren Glauben im Alltag ganz bewusst den eigenen Betrieben nach Leitbildern fragen, falls leben und praktizieren. Das nächste Mal werden sie sie sie nicht schon kennen. Für die Formulierung eines vielleicht anlässlich eines Todesfalls in der Famile mit eigenen Leitbildes ist die Auseinandersetzung mit den Religion zu tun bekommen, wenn sie selbst heiraten Leitbildern der Ausbildungsbetriebe sehr interessant, wollen oder Kinder bekommen. Insofern kann nun da so sehr schnell sichtbar wird, ob der Ausbildungs- das, was im Religionsunterricht in der Berufsschualltag in Einklang mit den Leitbildideen steht oder le (und in den Schulen davor) angelegt wurde, aufdiese eher einer positiven Außenwirkung oder Mar- gehen und in unterschiedlicher Weise im Leben der ketingzwecken dienen, als die Wirkichkeit im Unter- Schülerinnen bedeutsam sein und Gestalt gewinnen. nehmen abzubilden. Die Schüler übernehmen die Weiterarbeit nun selbst.

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© kebox/Adobe Stock

M 1 Ein Leitbild entwickeln

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Auf der Internetseite Ihres Unternehmens wollen Sie ein neues Unternehmensleitbild veröffentlichen. Bevor Sie die Mitarbeiter befragen, die bei der Leitbildentwicklung miteinbezogen werden, machen Sie sich klar, was Ihnen wichtig ist und wofür Sie stehen. Sie formulieren Ihre Überzeugungen in griffigen Sätzen, die Sie Ihren Mitarbeitenden vorlegen wollen …

Das Leitbild eines Unternehmens hat mehrere Funktionen und richtet sich sowohl an Mitarbeiter als auch an Kunden und die Öffentlichkeit. Für die Mitarbeiter eines Unternehmens soll das Leitbild Orientierung und einen Rahmen für das tägliche Handeln geben. Es beschreibt die Mission, die Ziele und Aufgaben sowie die Werte und Prinzipien, nach denen sich das Handeln des Unternehmens richtet. Mit der Formulierung eines Unternehmensleitbildes soll die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen sowie ihre Motivation gestärkt werden. Selbstverständlich geht ein Unternehmen auch im Unternehmensleitbild von dem Ziel aus, unternehmerisch erfolgreich zu sein und beschreibt darin den Weg, wie es dieses Ziel erreichen will. Aber auch weitere, darüber hinaus gehende Fragen sind im Unternehmensleitbild zu beantworten. Es trifft Aussagen über die Leistungen und den Anspruch des Unternehmens und verdeutlicht, wofür dieses steht und welchen Werten es sich verpflichtet fühlt. Dies beinhaltet auch die Unterscheidung zu Wettbewerbern sowie den Umgang mit Mitarbeitern, Partnern und Kunden sowie der Umwelt. Nina Altschäffel: Unternehmensleitbild. 15.11.2017. unternehmerlexikon.de/unternehmensleitbild/ (Zugriff am 1.4.2021).

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