Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht [1 ed.] 9783428546985, 9783428146987

Marktmächtige Unternehmen werden durch das Kartellrecht mit unterschiedlichen Restriktionen ihrer Preisgestaltungsfreihe

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Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht [1 ed.]
 9783428546985, 9783428146987

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 270

Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht

Von

Jan Henning Berg

Duncker & Humblot · Berlin

JAN HENNING BERG

Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 270

Missbrauch von Marktmacht durch Kosten-Preis-Scheren im europäischen und US-amerikanischen Kartellrecht

Von

Jan Henning Berg

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 978-3-428-14698-7 (Print) ISBN 978-3-428-54698-5 (E-Book) ISBN 978-3-428-84698-6 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Familie

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2014/2015 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück als Dissertation angenommen. Tag der mündlichen Prüfung war der 6. Oktober 2014. Neuere Entwicklungen in Schrifttum, Rechtsprechung und Behördenpraxis konnten weitestgehend bis März 2015 berücksichtigt werden. Meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Andreas Fuchs, LL.M., danke ich sehr herzlich für sein Engagement bei der Betreuung der Arbeit. Während der ebenso lehrreichen wie in jeder Hinsicht angenehmen Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl stand er mir stets als Ansprechpartner zur Seite. Seine wertvollen Anregungen, nicht zuletzt aber auch die fortwährende Ermutigung zu kontinuierlichen Arbeitsfortschritten, haben zum Gelingen meines Dissertationsvorhabens maßgeblich beigetragen. Herrn VorsRiBGH a.D. Prof. Dr. Willi Erdmann danke ich für die freundliche Übernahme und zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Darüber hinaus bedanke ich mich beim Arbeitskreis Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der die Publikation der Arbeit durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss unterstützt hat. Weiterhin gebührt mein besonderer Dank allen Freunden, Kommilitonen und Kollegen aus der gemeinsamen Studien- und Promotionszeit in Osnabrück. Der fachliche Austausch sowie vor allem die gegenseitige persönliche Unterstützung haben ebenfalls Anteil am Gelingen der Arbeit. Zu guter Letzt möchte ich von ganzem Herzen meiner Familie danken, die mir in jeder Lebensphase den nötigen Rückhalt gegeben hat. Ihr ist die Arbeit gewidmet. Hervorheben möchte ich vor allem meine Mutter Andrea Berg-Ebermann, die meine gesamte Ausbildungszeit mit ihrer unermüdlichen und bedingungslosen Unterstützung begleitet hat. Ein ebenso inniger Dank gilt meiner Ehefrau Anneke. Sie hat mir während des gesamten Entstehungsprozesses stets die für den erfolgreichen Abschluss des Dissertationsvorhabens nötige Kraft gegeben. Düsseldorf, im März 2015

Jan Henning Berg

Inhaltsübersicht Kapitel 1 Einführung

21

A. Die Kosten-Preis-Schere als Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Ziele und Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Kapitel 2 Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen mit kartellrechtlicher Relevanz

26

A. Begriff und charakteristische Merkmale der Kosten-Preis-Schere . . . . . . . . . . . . . . . . 26 B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren . . . . . . . . . . . 34 Kapitel 3 Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

52

A. Entwicklung der Gerichtspraxis im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 B. Die Bedeutung des price squeeze als selbständige Monopolisierungsform nach den Entscheidungen in Linkline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 C. Effektive Adressierung des price squeeze durch andere Verbotstatbestände? . . . . . . . 78 D. Fazit zum price squeeze im US-Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Kapitel 4 Das Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

86

A. Entwicklung der bisherigen Entscheidungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 B. Auswertung und Zusammenstellung erster Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 D. Fazit zur Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

10

Inhaltsübersicht Kapitel 5 Die Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen des europäischen Kartellrechts

165

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt . . . . . . . . . . 165 B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt . . . . . . . . . . . . 196 C. Missbräuchliche Diskriminierung auf dem vorgelagerten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 D. Missbräuchliche Preisüberhöhung auf dem vorgelagerten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 E. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Kapitel 6 Abschließende rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere als Figur des Marktmachtmissbrauchs

236

A. Erklärung der divergierenden Auffassungen im EU- und US-Kartellrecht durch die Bezüge zum sektorspezifischen Regulierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 B. Schlussfolgerungen zur Relevanz der Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht der EU und der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Verbleibende Kritikpunkte und der Versuch eines Ausblicks auf rechtspolitisch vertretbare Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einführung

21

A. Die Kosten-Preis-Schere als Untersuchungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Ziele und Gang der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

Kapitel 2 Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen mit kartellrechtlicher Relevanz

26

A. Begriff und charakteristische Merkmale der Kosten-Preis-Schere . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Einzelheiten zur strukturellen Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 II. Unverhältnismäßige zweifache Preissetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 III. Spürbare Beschneidung fremder Gewinnmargen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 IV. Weitere Aspekte ohne funktionsnotwendige Relevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren . . . . . . . . . . . 34 I. Anwendungsgrundsätze der maßgeblichen Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. EU-Wettbewerbsrecht: Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. US-Antitrustrecht: sec. 2 Sherman Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 a) Monopolization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Attempted monopolization . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 II. Methodische Optionen für die kartellrechtliche Erfassung der Beschneidung fremder Gewinnmargen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Kartellrechtliche Relevanz der Kosten-Preis-Schere als Verdrängungsstrategie . . 41 IV. Bewertung vertikaler Integration als Blaupause für den wettbewerbspolitischen Umgang mit der Kosten-Preis-Schere? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 V. Sonderfall: Keine kartellrechtliche Relevanz der ausschließlich hoheitlich veranlassten Kosten-Preis-Schere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

12

Inhaltsverzeichnis Kapitel 3 Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

52

A. Entwicklung der Gerichtspraxis im 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Der Fall Alcoa als historischer Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 II. Spätere Entscheidungen der Courts of Appeals ab den 1970er Jahren . . . . . . . . . 54 B. Die Bedeutung des price squeeze als selbständige Monopolisierungsform nach den Entscheidungen in Linkline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 II. Zum Hintergrund: Das Urteil in Trinko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2. Entscheidung des Supreme Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3. Mögliche Implikationen für Linkline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 III. Die instanzgerichtlichen Entscheidungen im Linkline-Verfahren . . . . . . . . . . . . . 63 1. District Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Court of Appeals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 IV. Das Verfahren vor dem US Supreme Court und dessen Entscheidung . . . . . . . . . 66 1. Der price squeeze und die Angreifbarkeit des Vorleistungspreises als anticompetitive refusal to deal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Der price squeeze und die Angreifbarkeit des Endkundenpreises als predatory pricing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Voraussetzungen des predatory pricing nach sec. 2 Sherman Act . . . . . . . . 70 b) Konsequenzen für ein eigenständiges Verbot des price squeeze . . . . . . . . . 72 3. Weitere Argumente gegen eine eigenständige Preisspannenkontrolle . . . . . . . 72 V. Fazit nach Linkline . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Das Schicksal des price squeeze als eigenständige Monopolisierungsform . . . 74 2. Das Zusammenspiel von Kartell- und Regulierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 C. Effektive Adressierung des price squeeze durch andere Verbotstatbestände? . . . . . . . 78 I. Kein Verbot des price squeeze als monopoly leveraging . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 II. Unanwendbarkeit der essential facilities-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 III. Keine unzulässige price discrimination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 IV. Fehlen einer isolierten Preishöhenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 D. Fazit zum price squeeze im US-Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Inhaltsverzeichnis

13

Kapitel 4 Das Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

86

A. Entwicklung der bisherigen Entscheidungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 I. NCB und NSF/NCC („National Carbonising“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 II. Napier Brown/British Sugar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 III. Industrie des Poudres Sphériques/Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 IV. Deutsche Telekom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Wirtschaftlicher Kontext: Die deutsche Telekommunikationswirtschaft gegen Ende der 1990er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. Vorgeschichte des Verfahrens und der zugrunde liegende Sachverhalt . . . . . . 94 3. Die Verbotsentscheidung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 4. Konsequenzen der Kommissionsentscheidung für die Preispolitik der DTAG . 99 5. Weiterer Verfahrensgang vor den Unionsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 6. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 V. Telefónica . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 VI. Gasmarktabschottung durch RWE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 VII. Konkurrensverket/TeliaSonera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 B. Auswertung und Zusammenstellung erster Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 I. Die historische Entwicklung im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Die „erste Phase“ – Kosten-Preis-Scheren in klassischen Industriebereichen . 109 2. Die „zweite Phase“ – Kosten-Preis-Scheren in regulierten Netzwirtschaften . 110 II. Die Kosten-Preis-Schere in der Dogmatik des Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Einordnung als eigenständige Missbrauchsform in der Entscheidungspraxis . 113 2. Die Kosten-Preis-Schere in der Prioritätenmitteilung der Kommission . . . . . . 115 C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Positionierung des integrierten Unternehmens auf beiden Marktstufen . . . . . . . . 118 1. Vorgelagerter Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Nachgelagerter Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Die Kosten-Preis-Schere als Ausprägung der leveraging-Theorie . . . . . . . . . . 122 II. Aufrechterhalten einer unverhältnismäßigen Preisspanne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Die Gewinnspanne als Bezugspunkt der Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 2. Inhaltliche Verfeinerung: Der zweigliedrige rechnerische Test der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 3. Kosten-Preis-Schere bei geringfügig positiver Gewinnspanne? . . . . . . . . . . . . 127 4. Einzelfragen zum Kostenparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Bezugsobjekte der Kostenermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Die Kostenstruktur des „ebenso effizienten Wettbewerbers“ . . . . . . . . . 130 bb) Alternative Kostenstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132

14

Inhaltsverzeichnis cc) Sonderproblem: Kostenunterschiede zwischen Fremd- und Selbstbelieferung der Vorleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 dd) Kritische Würdigung des Effizienzkriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 b) Die Auswahl des sachgerechten Kostenmaßstabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 5. Analyse der Kostendeckung bei zeitlich ausgedehnten Sachverhalten . . . . . . . 145 6. Rechnerische Ermittlung einer Kosten-Preis-Schere in komplexeren Fallkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Alternative nachgelagerte Verwendungszwecke der Vorleistung . . . . . . . . . 147 b) Gebündelte nachgelagerte Leistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III. Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1. Allgemeine Vorgaben bei Behinderungsmissbräuchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Auswirkungsnachweis bei Kosten-Preis-Scheren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3. Analyse und kritische Würdigung zur Bedeutung der „Unentbehrlichkeit der Vorleistung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 IV. Fehlende objektive Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Effizienzgewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Defensive Preisanpassungsreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

D. Fazit zur Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162

Kapitel 5 Die Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen des europäischen Kartellrechts

165

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt . . . . . . . . . . 165 I. Grundzüge der Beurteilung nach Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Zusammenstellung der Missbrauchskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 a) Festsetzung kostenunterschreitender Preise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 aa) Bisherige Anwendungspraxis: AKZO-Formel des EuGH . . . . . . . . . . . 168 bb) Modifizierte Prüfung auf Basis der Prioritätenmitteilung der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (1) Equally efficient competitor-Test mit Kostengrenze LRAIC . . . . . . 172 (2) Sacrifice-Test mit Kostengrenze AAC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 cc) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Keine gesonderte Auswirkungsanalyse (recoupment test) . . . . . . . . . . . . . . 176 c) Objektive Rechtfertigung von Niedrigpreisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 II. Verhältnis des Kampfpreismissbrauchs zum Verbot der Kosten-Preis-Schere . . . 179 1. Kosten-Preis-Schere als Unterfall des Kampfpreismissbrauchs . . . . . . . . . . . . 179 2. Kosten-Preis-Schere und Kampfpreismissbrauch als zwei unabhängig nebeneinander stehende Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

Inhaltsverzeichnis

15

3. Eigene Analyse und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 III. Konsequenzen für die praktische Relevanz des Verbots der Kosten-Preis-Schere. 188 1. Erstes Vergleichspaar: Kosten-Preis-Schere und Kampfpreismissbrauch nach der AKZO-Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Zweites Vergleichspaar: Kosten-Preis-Schere und Kampfpreismissbrauch nach dem sacrifice-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 IV. Fazit zum Verhältnis von Kosten-Preis-Schere und Kampfpreisverbot . . . . . . . . . 195 B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt . . . . . . . . . . . . 196 I. Grundzüge der Beurteilung nach Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Zusammenstellung der Missbrauchskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 a) Marktbezogene Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Unternehmensbezogene Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 c) Die Verweigerung der Geschäftstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 d) Objektive Notwendigkeit des Einsatzgutes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 e) Ausschaltung des nachgelagerten Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 f) Fehlen einer objektiven Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Rechtsfolge: Kontrahierungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 II. Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten mit dem Verbot der Kosten-PreisSchere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 III. Konsequenzen für die eigenständige Relevanz des Verbots der Kosten-PreisSchere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 1. Integration des Verbots der Kosten-Preis-Schere in den Missbrauchstatbestand für Geschäftsverweigerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Vorgaben aus dem Gebot der rechtlichen Konsistenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 IV. Fazit zum Verhältnis der Verbote von Kosten-Preis-Schere und Geschäftsverweigerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 C. Missbräuchliche Diskriminierung auf dem vorgelagerten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 I. Grundzüge der Beurteilung nach Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 II. Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots auf die Fallkonstellationen der Kosten-Preis-Schere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Konzernprivileg als Grund für Unanwendbarkeit des Diskriminierungsverbots? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Die konzerninterne Begünstigung als taugliche Vergleichsbasis für einen Diskriminierungsvorwurf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 D. Missbräuchliche Preisüberhöhung auf dem vorgelagerten Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 I. Grundzüge der Beurteilung nach Art. 102 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 II. Relevanz der Preishöhenkontrolle für die Kosten-Preis-Schere? . . . . . . . . . . . . . 232 E. Zusammenfassendes Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234

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Inhaltsverzeichnis Kapitel 6 Abschließende rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere als Figur des Marktmachtmissbrauchs

236

A. Erklärung der divergierenden Auffassungen im EU- und US-Kartellrecht durch die Bezüge zum sektorspezifischen Regulierungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 I. Zum regulierungsrechtlichen Charakter des Verbots der Kosten-Preis-Schere . . . 237 II. Einzelheiten des Zusammenspiels von Kartell- und Regulierungsrecht in der EU und in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. EU: Parallele Anwendbarkeit und wechselseitige Ergänzung der Rechtsmaterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. USA: Vorrang des Regulierungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 B. Schlussfolgerungen zur Relevanz der Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht der EU und der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 C. Verbleibende Kritikpunkte und der Versuch eines Ausblicks auf rechtspolitisch vertretbare Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Abkürzungsverzeichnis a.A. AAC a.a.O. ABA ABl. AEUV a.F. Am. Econ. Rev. Am. J. Soc. Am. U. L. Rev. Antitrust L. J. Arizona L. Rev. ATC Aufl. Austr. Bus. L. R. AVC BGBl. BGH BKartA BNetzA

andere(r) Ansicht average avoidable costs am angegebenen Ort American Bar Association Amtsblatt der Europäischen Union Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung The American Economic Review American Journal of Sociology American University Law Review Antitrust Law Journal Arizona Law Review average total costs Auflage Australian Business Law Review average variable costs Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeskartellamt Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen BT-Drucks. Bundestagsdrucksache Cal. L. Rev. California Law Review Case Western Res. L. Rev. Case Western Reserve Law Review Cato Sup. Ct. Rev. Cato Supreme Court Review C.D. Cal. Central District of California cert. certiorari Chicago-Kent L. Rev. Chicago-Kent Law Review Cir. Circuit C.M.L.R. Common Market Law Reports CML Rev. Common Market Law Review Cornell L. Rev. Cornell Law Review CPN Competition Policy Newsletter CR Computer und Recht D.C. District of Columbia D. Minn. District of Minnesota Duke L. J. Duke Law Journal EAGCP Economic Advisory Group on Competition Policy ECLR European Competition Law Review Econ. J. The Economic Journal E.D. Mich. Eastern District of Michigan

18 EG EGKS EnWG EU EuG EuGH Eur. Comp. J. EuZW EWG EWS f./ff. F.2d F.3d FCC FCC Rcd. FK-KartR Fn. Fordham Corp. L. Inst. Fordham Int’l L. J. FS F.Supp. GA GCP GD Georgetown L. J. GWB Harvard L. Rev. Hrsg. IIC J. Comp. L. & Econ. J. Econ. Lit. J. Eur. Comp. L. & P. JITE J. L. & Econ. J. Network Indus. K&R Kap. LG lit. LMK LRAIC MMR MünchKommEUWettbR m.w.N. N.D. Ill. n.F.

Abkürzungsverzeichnis Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Energiewirtschaftsgesetz Europäische Union Gericht der Europäischen Union/Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof European Competition Journal Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende(r) Federal Reporter, Second Series Federal Reporter, Third Series Federal Communications Commission Federal Communications Commission Record Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht Fußnote(n) Fordham Corporate Law Institute Fordham International Law Journal Festschrift Federal Supplement Generalanwalt/Generalanwältin The Online Magazine for Global Competition Policy Generaldirektion Georgetown Law Journal Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Harvard Law Review Herausgeber International Review of Intellectual Property and Competition Law Journal of Competition Law & Economics Journal of Economic Literature Journal of European Competition Law & Practice Journal of Institutional and Theoretical Economics Journal of Law and Economics Journal of Network Industries Kommunikation und Recht Kapitel Landgericht litera (Buchstabe) Lindenmaier-Möhring – Kommentierte BGH-Rechtsprechung long-run average incremental costs Multimedia und Recht Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht) mit weiteren Nachweisen Northern District of Illinois neue Fassung

Abkürzungsverzeichnis Notre Dame L. Rev. NPV NZKart Ohio St. L. J. OLG OVG PostG Rdnr(n). RegTP RIW Rs./verb. Rs. S. S.D.N.Y. sec. TAL Texas L. Rev. TKG Tz. U. Chi. L. Rev. UCLA L. Rev. U.S.C. Utah L. Rev. VG VO W.D. Pa. WL World Comp. WuW WuW/E ZUM ZWeR

Notre Dame Law Review net present value Neue Zeitschrift für Kartellrecht Ohio State Law Journal Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Postgesetz Randnummer(n) Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post Recht der Internationalen Wirtschaft Rechtssache/verbundene Rechtssachen Seite(n), Satz Southern District of New York section Teilnehmeranschlussleitung Texas Law Review Telekommunikationsgesetz Textziffer University of Chicago Law Review University of California Los Angeles Law Review United States Code Utah Law Review Verwaltungsgericht Verordnung Western District of Pennsylvania Westlaw World Competition Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb – Entscheidungssammlung Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Wettbewerbsrecht

19

Kapitel 1

Einführung A. Die Kosten-Preis-Schere als Untersuchungsgegenstand Wirksamer Wettbewerb kann sich nur dort entfalten, wo Unternehmen frei, eigenverantwortlich und im gemeinsamen Streben um die bestmögliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit um die Gunst der Marktgegenseite konkurrieren. Beim Preis eines Wirtschaftsgutes handelt es sich seit jeher und vor allem in der allgemeinen Wahrnehmung um einen der wichtigsten, wenn nicht sogar um den wichtigsten, Funktionsparameter. Im Zusammenspiel mit anderen Faktoren leistet ein im Wettbewerbsprozess gefundenes Preisniveau einen maßgeblichen Beitrag zu einer gesamtwirtschaftlich optimalen Ressourcenzuordnung. Entscheidende Grundbedingung hierfür ist, dass alle beteiligten Akteure im Ausgangspunkt in ihrer Preissetzung frei sind. Für marktmächtige Unternehmen gilt dies nicht uneingeschränkt. Sie verfügen qua ihrer hervorgehobenen Stellung auf dem Markt über die Möglichkeit, die gesamtwirtschaftlich erwünschten Wettbewerbsprozesse zu stören. Daher unterliegt ihre Preissetzungsfreiheit gewissen kartellrechtlich bedingten Restriktionen. Diese sind vielfältig und mit den unterschiedlichsten Stoßrichtungen ausgestattet. Ein Verbot exzessiv überhöhter Preise soll etwa verhindern, dass ein marktbeherrschender Anbieter seine Abnehmer wirtschaftlich ausbeutet oder hierdurch einem Wettbewerbsnachteil aussetzt. Am anderen Ende des Spektrums gibt es die Befürchtung, dass der Marktbeherrscher in einen Preiskampf einsteigen und mithilfe niedriger Preise seine eigenen Wettbewerber aus dem Markt treiben könnte. Zusätzlich gibt es kartellrechtliche Diskriminierungsverbote, die es marktmächtigen Anbietern untersagen, bei wirtschaftlich gleichwertigen Transaktionen mit verschiedenen Abnehmern selektive Preisunterschiede anzuwenden, sofern dafür kein sachlicher Grund besteht. In diesem schon von mehreren Seiten her bestellten Feld der kartellrechtlich veranlassten Preiskontrolle tritt nun ergänzend noch die Figur der sogenannten Kosten-Preis-Schere1 auf den Plan. Im weitesten Sinne beschreibt dieser Begriff ein 1 Daneben werden noch folgende Begriffe synonym verwendet: Preis-Kosten-Schere, Preisschere, zweifacher Preisdruck, Margenbeschneidung. Im englischen Sprachgebrauch haben sich nebeneinander die Bezeichnungen price squeeze und margin squeeze etabliert.

22

Kap. 1: Einführung

Missverhältnis zweier Preise. Von einem marktmächtigen Unternehmen angewendet, kann sich dieses Missverhältnis als Wettbewerbsproblem erweisen. Dies ist genau dann der Fall, wenn infolge der zweifachen Preissetzung ein Druck auf die Gewinnmargen anderer Marktteilnehmer ausgeht. Dieser kann mit steigender Intensität der preismäßigen Unwucht existenzgefährdend und schließlich existenzvernichtend wirken. Nicht jedes beliebige Preispaar ist von vornherein geeignet, diesen Margendruck entstehen zu lassen. Bei der Kosten-Preis-Schere geht es stets um die Preisgestaltung des marktmächtigen Unternehmens auf sachlich miteinander verbundenen Märkten. Daraus kann sich ein Wettbewerbsproblem ergeben, wenn das marktmächtige Unternehmen ein- und denselben anderen Marktteilnehmern sowohl auf dem einen Markt als Geschäftspartner und auf dem anderen Markt als Wettbewerber gegenübersteht. Aus deren Sicht stellt sich das preisliche Missverhältnis – stark vereinfacht – in der Weise dar, dass sie auf der Beschaffungsseite erst vergleichsweise teuer einkaufen müssen und auf der Absatzseite anschließend nur vergleichsweise billig verkaufen können. Das vorliegende Dissertationsvorhaben will sich mit Fallkonstellationen dieser Art sowie mit den darum kreisenden kartellrechtsbezogenen Fragestellungen auseinandersetzen. Die Wettbewerbsproblematik der Kosten-Preis-Schere liegt dabei gleichzeitig im Tatsächlichen wie im Rechtlichen. In tatsächlicher Hinsicht gilt es zu bedenken, dass selbstverständlich nicht sämtliche Konstellationen, in denen Unternehmen das Fehlen einer auskömmlichen Gewinnmarge beklagen, kartellrechtliche Intervention rechtfertigen. Der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit ist etwa dann ein legitimer, funktionsimmanenter Bestandteil des wettbewerbsmäßigen Selektionsprozesses, solange dies in der Person des betroffenen Marktteilnehmers auf unnötig hohe Betriebskosten und folglich dessen eigene Ineffizienz zurückzuführen ist.2 Ganz anders sieht es dagegen aus, wenn ein marktmächtiges Unternehmen den zweiseitigen Preisdruck als Mittel zur Verdrängung unliebsamer, leistungsfähiger Konkurrenten instrumentalisiert. Auf der Ebene des Rechtlichen wirft die Figur der Kosten-Preis-Schere weitere schwierige Fragen auf. An allererster Stelle steht hier der wettbewerbspolitische Streit um den grundsätzlichen Umgang des Kartellrechts mit ihr. Daraus ist zuletzt eine im transatlantischen Verhältnis der USA und der EU bemerkenswerte diametral entgegengesetzte Rechtsentwicklung hervorgegangen. Zum US-amerikanischen Recht hat der Supreme Court Anfang des Jahres 2009 klargestellt, dass die Kosten-Preis-Schere bzw. der dort sogenannte price squeeze für sich genommen nicht aus kartellrechtlichen Gründen verbotswürdig ist.3 Demgegenüber hat der EuGH nur gut eineinhalb Jahre später zu einem vergleichbaren Sachverhalt geurteilt, dass die Kosten-Preis-Schere dem Bereich der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV zuzu2 Vgl. im speziellen Kontext der Kosten-Preis-Schere EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T5/97, EU:T:2000:278, Tz. 179 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission; Crocioni/ Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 36. 3 Vgl. dazu Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438 (2009). Ausführlich zu diesem Urteil unten, Kap. 3 B. IV.

B. Ziele und Gang der Arbeit

23

ordnen ist und daher neben anderen Formen des Preismissbrauchs eine eigenständige Bedeutung haben soll.4 Die sich aufdrängende Frage nach den Hintergründen dieser gegensätzlichen Ansichten soll am Ende der vorliegenden Untersuchung nicht unbeantwortet bleiben. Wer nun mit dem europäischen Ansatz die Kosten-Preis-Schere als solche einer kartellrechtlichen Prüfung zuführen will, gelangt unweigerlich zu der Frage, wie ein Verbotstatbestand im Rahmen des Art. 102 AEUV mit seiner offenen Generalklausel des Missbrauchs sachgerechterweise ausgestaltet sein kann. Gleichermaßen steht zur Debatte, wie sich ein solches Verbot in das vorhandene System der eingangs erwähnten anderweitigen Preiskontrollmechanismen einfügen kann. Die vorliegende Dissertation ist nicht die erste monographische Abhandlung zur Kosten-Preis-Schere als Figur des Kartellrechts.5 Ein nicht unwesentlicher Teil der wissenschaftlichen Debatte spielt sich zudem im Bereich der Aufsatzliteratur ab.6 Dennoch sind bislang nicht alle Facetten des Wettbewerbsproblems Kosten-PreisSchere in ausreichender Weise beleuchtet worden. Die vorliegende Arbeit unternimmt es daher, einen eigenständigen Beitrag mit teilweise neuen Gedanken zum bisherigen wissenschaftlichen Diskussionsstand zu leisten.

B. Ziele und Gang der Arbeit Die Figur der Kosten-Preis-Schere wirft sowohl innerhalb wie außerhalb des rechtsvergleichenden Ansatzes eine Fülle verschiedener Fragen auf und bietet deswegen vielfältige Ansatzpunkte für eine nähere kartellrechtlich fundierte Untersuchung. Diese können hier schon aus Platzgründen nicht alle in derselben Ausführlichkeit behandelt werden, so dass sich eine Schwerpunktsetzung als unumgänglich erweist. Im Anschluss an eine Grundlegung zum wirtschaftlichen Phänomen der KostenPreis-Schere und ihrer potenziellen kartellrechtlichen Relevanz (Kapitel 2)7 wird zunächst der gegenwärtige Rechtszustand im US-amerikanischen und europäischen

4

Vgl. etwa EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603 – Deutsche Telekom AG/Kommission; inzwischen bestätigt durch EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/ 09, EU:C:2011:83 – TeliaSonera. Zu diesen beiden Urteilen unten, Kap. 4 A. IV. und VII. 5 Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, 2004; Petzold, Die Kosten-PreisSchere im EU-Kartellrecht, 2012. 6 Vgl. nur stellvertretend für viele Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28; Dunne, ECLR 2012, 29 und ECLR 2012, 61; Geradin/O’Donoghue, J. Comp. L. & Econ. 2005, 355; Grimes, ZWeR 2009, 343; Hay/McMahon, J. Comp. L. & Econ. 2012, 259; Klotz, MMR 2008, 650; Lommler, WuW 2011, 244; Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648; Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279. 7 S. 26 ff.

24

Kap. 1: Einführung

Kartellrecht (Kapitel 3 und 4)8 erläutert. Damit ist die Basis gelegt für eine eingehende Untersuchung dreier größerer Themenkreise, auf die sich das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit konzentriert. Diese betreffen allesamt Fragen, die einerseits von fundamentaler Bedeutung für den Umgang mit der Rechtsfigur Kosten-Preis-Schere sind, andererseits noch nicht in ausreichendem Maße durch Anwendungspraxis und Wissenschaft behandelt und zufriedenstellend gelöst worden sind. Das erklärte Ziel der Abhandlung soll es sein, diese Punkte herauszuarbeiten und die bisherige Diskussion insoweit weiterzuführen. Der erste Themenkreis betrifft das europäische Kartellrecht und dabei ganz speziell die konkrete Ausgestaltung des dort anerkannten Verbots der Kosten-PreisSchere. Es gilt zu untersuchen, ob die von der Anwendungspraxis vorgegebenen tatbestandlichen Kriterien stimmig gewählt und austariert sind. Dabei wird sich zeigen, dass es sich um einen komplexen Prüfungsrahmen handelt, der in mehrfacher Hinsicht zur kritischen Betrachtung einlädt. Insbesondere besteht Anlass zur Untersuchung, ob der in der Anwendungspraxis geformte Tatbestand der als verbotswürdig erachteten Kosten-Preis-Schere mit den übergeordneten wettbewerbspolitischen Leitgedanken des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen gemäß Art. 102 AEUV im Einklang steht. Hierzu sei nochmals auf die Inhalte des vierten Kapitels9 verwiesen. Wegen der Entscheidung des US Supreme Court, den price squeeze aus dem Anwendungsbereich des Monopolisierungsverbots nach sec. 2 Sherman Act herauszunehmen, erübrigt sich insoweit eine spiegelbildliche Untersuchung zum US-amerikanischen Recht. Auch im zweiten zu erörternden Themenkreis soll es um die Rolle der KostenPreis-Schere im europäischen Kartellrecht gehen und abermals wird sie auf den kritischen Prüfstand gestellt. Die Frage lautet nun, wie sich das Verbot der KostenPreis-Schere speziell im Verhältnis zu anderen etablierten Fallgruppen des Missbrauchs in das System des Art. 102 AEUV einfügt. Wie eingangs schon angedeutet, steht das Verbot der Kosten-Preis-Schere keineswegs alleine und gewissermaßen „im luftleeren Raum“. Vielmehr erzeugt es mit den hergebrachten Möglichkeiten der kartellrechtlichen Intervention in die Preissetzung eines Marktbeherrschers eine Situation der konfliktträchtigen Anwendungskonkurrenz. Dies birgt naturgemäß die Gefahr gegenseitiger Inkonsistenzen aufgrund möglicherweise nicht hinreichend austarierter Verbotstatbestände. Gleichzeitig eröffnet sich aber die Chance, über die Analyse der gegenseitigen Verbindungen der Missbrauchsformen wertvolle Erkenntnisse über den richtigen Platz der Figur der Kosten-Preis-Schere in der Dogmatik des Art. 102 AEUV zu gewinnen. Diese Zusammenhänge werden im fünften Kapitel10 umfassend abgehandelt, wobei sie – soweit es die Kosten-Preis-Schere betrifft – auf den Erkenntnissen zum europäischen Prüfungsrahmen aus Kapitel 4 aufbauen. 8

S. 52 ff. und 86 ff. S. 86 ff. 10 S. 165 ff.

9

B. Ziele und Gang der Arbeit

25

Der dritte Themenkreis betrifft schließlich die wohl wichtigste wettbewerbspolitische Grundsatzfrage: Ist es sachgerecht, für die Kosten-Preis-Schere – wie gegenwärtig im EU-Kartellrecht – einen eigenständigen Verbotstatbestand vorzusehen? Oder erscheint es vorzugswürdig, sich in Übereinstimmung mit dem USamerikanischen Ansatz einer Intervention generell zu enthalten und mithin die zweifache, gewinnmargenbeschneidende Preissetzung eines integrierten Unternehmens nicht als solche einer kartellrechtlichen Beurteilung zuzuführen? Der Boden für diese im sechsten und letzten Kapitel11 anstehende Analyse wird bereitet durch die bereits vorangegangene Erörterung zum Umgang mit der Kosten-Preis-Schere in den beiden Kartellrechtsordnungen (Kapitel 3 und Kapitel 4). Bei der Gelegenheit gilt es im Übrigen, den Blick über das Kartellrecht im engeren Sinne hinaus auf die regulierungsrechtlichen Bezüge der Kosten-Preis-Schere zu erweitern. Schon jetzt sei gesagt, dass sich diese zusätzliche Dimension für das Verständnis der entgegengesetzten Rechtsprechung dies- und jenseits des Atlantiks als äußerst aufschlussreich erweisen wird.

11

S. 236 ff.

Kapitel 2

Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen mit kartellrechtlicher Relevanz A. Begriff und charakteristische Merkmale der Kosten-Preis-Schere Die Kosten-Preis-Schere ist ein kartellrechtlich geprägter Kunstbegriff, dessen Bedeutungsgehalt sich nicht von selbst erschließt. Es ist daher die selbstverständliche erste Aufgabe einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Kosten-PreisSchere, das sich hinter diesem Begriff verbergende Phänomen näher zu beschreiben. Dies erweist sich schon deswegen als unerlässlich, damit für den gesamten weiteren Verlauf der Arbeit die ansonsten fehlende Klarheit über den Untersuchungsgegenstand bereits von Anfang an vorhanden ist. Da es sich bei der Kosten-Preis-Schere um ein komplexes, alles andere als trivial in Worte zu fassendes Phänomen der Wirtschaftspraxis handelt, gerät schon dieser erste Schritt zur echten Herausforderung. Hierbei gilt es zu bedenken, dass man weder im europäischen noch im US-amerikanischen Kartellrecht auf eine verbindliche Legaldefinition der Kosten-PreisSchere zurückgreifen kann.1 Dies wäre leicht zu verschmerzen, wenn die kartellrechtliche Anwendungspraxis und die dazugehörige wissenschaftliche Auseinandersetzung bereits für abschließende Klarheit gesorgt hätten. Leider kann davon nur begrenzt die Rede sein.

1

Vgl. jedoch im deutschen Recht die Legaldefinition in § 28 Abs. 2 Nr. 2 TKG, wonach ein missbräuchliches Verhalten bei der Forderung von Entgelten vermutet wird, „wenn die Spanne zwischen dem Entgelt, das der Betreiber eines öffentlichen Telekommunikationsnetzes, der über beträchtliche Marktmacht verfügt, Wettbewerbern für eine Zugangsleistung in Rechnung stellt, und dem entsprechenden Endnutzerentgelt nicht ausreicht, um einem effizienten Unternehmen die Erzielung einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals auf dem Endnutzermarkt zu ermöglichen (Preis-Kosten-Schere)“. Weiterführend zu diesem sektorspezifischen Missbrauchstatbestand BNetzA, Hinweise zu Preis-Kosten-Scheren i.S.d. § 28 Abs. 2 Nr. 2 TKG, ABl. 22, Mitteilung 940 vom 14. 11. 2007; Rädler, CR 2010, 780. Im deutschen Kartellrecht ist darüber hinaus § 20 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 GWB zu beachten. Nach dieser Regelung handelt es sich um eine verbotene unbillige Behinderung, wenn ein mit überlegener Marktmacht ausgestattetes Unternehmen „von kleinen oder mittleren Unternehmen, mit denen es auf dem nachgelagerten Markt beim Vertrieb von Waren oder gewerblichen Leistungen im Wettbewerb steht, für deren Lieferung einen höheren Preis fordert, als es selbst auf diesem Markt anbietet, es sei denn, dies ist […] sachlich gerechtfertigt.“

A. Begriff und charakteristische Merkmale der Kosten-Preis-Schere

27

Es ist auffällig, dass der Begriff je nach dem Zusammenhang seiner Verwendung bisweilen unterschiedlich verstanden wird. Manche Beschreibungen, die man speziell aus der Sphäre der kartellrechtlichen Anwendungspraxis oder Literatur entnehmen kann, sind nur von begrenzter Tauglichkeit, weil sie die Kosten-Preis-Schere nicht als bloßen wirtschaftlichen Sachverhalt definieren, sondern unmittelbar im Sinne eines kartellrechtlich als unzulässig qualifizierten Marktverhaltens. Diese Beschreibungen sind wegen ihrer immanenten „Aufladung“ mit einer bestimmten kartellrechtlichen Wertung ungeeignet für die hier gebotene vorgelagerte Beschreibung der Kosten-Preis-Schere als tatsächliches Phänomen des Wirtschaftslebens. Auf der anderen Seite hat es bisweilen außerordentlich weit gefasste Beschreibungen gegeben, denen es im Hinblick auf die anstehende wettbewerbsrechtliche Untersuchung wiederum an der nötigen Aussagekraft fehlt und die daher ebenso wenig zielführend sind.2 Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit soll die Kosten-Preis-Schere als eine Situation verstanden werden, in der die folgenden charakteristischen Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind: Erstens ist ein Unternehmen auf verschiedenen, vertikal miteinander verbundenen Märkten tätig. Zweitens setzt dieses Unternehmen dort seine jeweiligen Preise in ein Missverhältnis zueinander. Drittens hat dieses Missverhältnis beider zusammenwirkenden Einzelpreise zur Folge, dass sich auf dem nachgelagerten Markt ein zweiseitiger Preisdruck auf die Gewinnmargen derjenigen Konkurrenten entfaltet, die auf dem vorgelagerten Markt zugleich Geschäftspartner des genannten Unternehmens sind. Diese Definition ist auf der einen Seite von ausreichender Ausführlichkeit, um als allgemeine Arbeitsgrundlage brauchbar zu sein, vermeidet aber auf der anderen Seite die vorerst noch unerwünschte Einbindung bestimmter kartellrechtlicher oder wettbewerbspolitischer Wertungen im Hinblick auf ihre Verbotswürdigkeit nach kartellrechtlichen Maßstäben. Gleichzeitig bildet sie die Essenz des mittlerweile in Anwendungspraxis3 und wissenschaftlichem Diskurs4 weitgehend gefundenen Konsenses zum Begriffsinhalt der Kosten-PreisSchere im kartellrechtlichen Zusammenhang. 2 Beispielsweise Hoffmann, WuW 2003, 1278, 1278: Kosten-Preis-Schere als Sachverhalt, „bei dem die Kosten der Leistung eines Unternehmens höher liegen als der dafür am Markt zu erzielende Preis“; in dieselbe Richtung Bergmann, WuW 2001, 234, 234: Der Begriff der Kosten-Preis-Schere „besagt für sich genommen lediglich, dass der Anbieter nach Abzug seiner Einnahmen die Kosten für das entsprechende Produkt nicht decken kann.“ 3 Vgl. nur für das EU-Kartellrecht: EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 178 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission; Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 107 – 108, 179 – Deutsche Telekom AG; Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 283, 311 – Telefónica; siehe außerhalb der Einzelfallpraxis auch Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 117 – 118. 4 Vgl. etwa Bain, Industrial Organization, S. 360 – 361; Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 30; Dunne, ECLR 2012, 29, 29; Geradin/O’Donoghue, J. Comp. L. & Econ. 2005, 355, 357; Grout, in: The Pros and Cons of Low Prices, S. 71; Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 24; Klotz, MMR 2008, 650, 650; Leupold, EuZW 2011,

28

Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

Als nächstes Zwischenziel der Arbeit soll auf Basis der obigen grundlegenden Beschreibung das Phänomen der Kosten-Preis-Schere nochmals verständlicher und ausführlicher erläutert werden. Dazu gilt es, die einzelnen charakteristischen Merkmale der Kosten-Preis-Schere systematisch zu gliedern und auf dieser Grundlage weiter zu präzisieren. Wie bereits in der obigen Definition erwähnt, hat man es hier mit drei Elementen zu tun, die in der Beschreibung der Kosten-Preis-Schere zum Vorschein treten. Es bedarf eines vertikal integrierten Unternehmens, dessen Abnehmer innerhalb derselben Wertschöpfungskette zugleich dessen Konkurrenten sind (strukturbezogenes Element), eines Missverhältnisses von vor- und nachgelagertem Preisniveau (verhaltensbezogenes Element) und einer darauf ursächlich zurückzuführenden Beschneidung der fremden Gewinnmargen (erfolgsbezogenes Element).

I. Einzelheiten zur strukturellen Ausgangslage Für das Auftreten einer Kosten-Preis-Schere müssen zunächst ganz spezielle strukturelle Ausgangsbedingungen vorliegen. Der potenzielle Delinquent muss auf mindestens zwei verschiedenen Marktstufen tätig sein, die in dem Sinne funktionell miteinander verbunden sind, dass die auf dem einen Markt erstellte Leistung in die Erstellung der insoweit weiterverarbeiteten Leistung des anderen beteiligten Marktes einfließt. Das fragliche Unternehmen agiert also auf verschiedenen Ebenen ein- und derselben Wertschöpfungskette. Wenn genau dies der Fall ist, spricht man von vertikaler Integration.5 Sie ist funktionsnotwendiger Bestandteil einer jeden KostenPreis-Schere.6 Vertikale Integration ist ihrerseits ein vielschichtiges Phänomen in der Wirtschaftspraxis und nicht jede beliebige Form ist für die Entstehung einer Kosten-PreisSchere geeignet. So lassen sich unter einen denkbar weit verstandenen Begriff der vertikalen Integration auch langfristige Liefer- oder Vertriebsverträge subsumieren, die sich hinsichtlich der Stärke bzw. Verfestigung der Integration unterhalb der Schwelle der gesellschafts- oder eigentumsrechtlichen Verzahnung von Betriebseinheiten befinden.7 Im Hinblick auf die Kosten-Preis-Schere als Erscheinungsform 345, 345 – 346; Lommler, WuW 2011, 244, 245; von Meibom/von dem Bussche, WuW 1999, 1171, 1172; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 303; OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Margin Squeeze, S. 7; Petzold, Die KostenPreis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 18 – 19; ähnlich, jedoch etwas zu sehr vereinfachend Junghanns, WuW 2002, 567, 567. 5 Areeda/Hovenkamp, Fundamentals of Antitrust Law, § 7.05a; Heitzer, Konzerne im Europäischen Wettbewerbsrecht, S. 114; Koch, Wertschöpfungstiefe von Unternehmen, S. 8; Kruse, in: FS I. Schmidt, S. 247, 247. 6 Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 346; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 23 – 24. 7 Vgl. Areeda/Hovenkamp, Fundamentals of Antitrust Law, § 7.05a; Kerber/Schwalbe, in: MünchKommEUWettbR, Einl. Rdnrn. 446 – 447. Näher zur Bandbreite der in mannigfaltiger Weise denkbaren vertikalen Arrangements Joskow, in: Ménard/Shirley, S. 319, 320.

A. Begriff und charakteristische Merkmale der Kosten-Preis-Schere

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des einseitig veranlassten Marktmachtmissbrauchs ergeben sich die entsprechenden Anforderungen aus dem kartellrechtlichen Unternehmensbegriff. Denn die vertikale Integration muss immerhin so weit verfestigt sein, dass die beiden beteiligten Betriebseinheiten oder Gesellschaften ein gemeinsames Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne bilden und dementsprechend als einheitlicher Normadressat zu behandeln sind.8 Aus Sicht des europäischen Rechts bedarf es hierfür einer wirtschaftlichen Einheit („funktioneller Unternehmensbegriff“).9 Gegenseitige Bindungen zweier Unternehmen im Vertikalverhältnis von lediglich schuldvertraglicher Qualität können mithin keine Kosten-Preis-Schere in dem Sinne herbeiführen, wie sie für die vorliegende Untersuchung relevant ist. Im Hinblick auf die konkret erforderliche Ausgestaltung der vertikalen Integration ist es darüber hinaus unumgänglich, dass das integrierte Unternehmen seine Geschäftspolitik auf der vorgelagerten Marktstufe nur teilweise entsprechend der vertikalen Integration ausgerichtet hat. Das integrierte Unternehmen darf nicht sämtliche Einheiten seines selbst erstellten Einsatzgutes in die eigene nachgelagerte Betriebssparte einbringen. Es muss einen Teil der Produktion des Einsatzgutes an externe Abnehmer vertreiben.10 Denn nur mit tatsächlicher vorgelagerter Geschäftstätigkeit kann es über den Parameter des vorgelagerten Preises die Gestehungskosten seiner nachgelagerten Konkurrenten beeinflussen und damit die eine Seite des für die Kosten-Preis-Schere charakteristischen Preisdrucks am Markt zur Geltung bringen. Folglich muss es sich in diesem Sinne um ein „unvollkommenes“ bzw. „offenes“ System vertikaler Integration11 handeln, damit die Situation der Kosten-Preis-Schere überhaupt auftreten kann.12 Damit sind zugleich weitere Anforderungen an die strukturellen Marktgegebenheiten angedeutet, die sich in der Person derjenigen Unternehmen ergeben, die von einer Kosten-Preis-Schere unmittelbar betroffen sind. Sie müssen in einer zweifachen Beziehung zu dem vertikal integrierten Unternehmen stehen, indem sie gleichzeitig vertikal als Geschäftspartner und horizontal als Wettbewerber zueinander positioniert sind.13 Die vertikale Geschäftsbeziehung besteht auf dem Markt des vorgelagerten Einsatzgutes, wo die nicht-integrierten Protagonisten den extern vertriebenen Anteil zum Zwecke der eigenen Weiterverarbeitung nachfragen. Sie entfalten ihre eigentliche Geschäftstätigkeit dann auf dem nachgelagerten Markt, wo sie sich wiederum mit dem integrierten Unternehmen – diesmal jedoch als direkte Konkurrenten – gegenüberstehen. 8

Dunne, ECLR 2012, 29, 31. Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rdnrn. 7 – 8 m.w.N. zur umfangreichen Rechtsprechung der Unionsgerichte. 10 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 303. 11 Koch, Wertschöpfungstiefe von Unternehmen, S. 11 – 12, spricht hierbei von „vertikaler Diversifikation“. 12 Meisel, 8 Eur. Comp. J. (2012), 383, 384 – 385. 13 Hoffmann, WuW 2003, 1278, 1278. 9

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

II. Unverhältnismäßige zweifache Preissetzung Der zweite Aspekt betrifft das für eine Kosten-Preis-Schere charakteristische Marktverhalten. Dieses ist in eine für das Kartellrecht aussagekräftige Definition schon deswegen sinnvollerweise mit einzubeziehen, weil die hier relevanten kartellrechtlichen Verbotsvorschriften keinen Marktzustand als solchen sanktionieren, sondern immer nur an ein bestimmtes (als wettbewerbswidrig erachtetes) Verhalten der Normadressaten anknüpfen. Die entscheidenden Parameter für den auf andere Unternehmen wirkenden Gewinnmargendruck sind die für das vor- und das nachgelagerte Produkt festgesetzten Preisniveaus. Die Kosten-Preis-Schere besteht damit – verkürzt gesagt – aus nichts anderem als einer für unzureichend befundenen Preisspanne.14 Hierdurch unterscheidet sie sich von anderen preisbezogenen Missbrauchsformen wie etwa Kampfpreisunterbietungen oder ausbeuterischen Preisüberhöhungen, bei denen jeweils nur das Wettbewerbsverhalten auf einer einzelnen Marktstufe isoliert betrachtet und gewürdigt wird. Mit Blick auf die Wirkung der Kosten-Preis-Schere auf die Margen der Konkurrenten ist es wichtig zu erkennen, dass sich die vom integrierten Unternehmen individuell praktizierte Preisgestaltung auf beiden Ebenen entscheidend auf die Wettbewerbsfähigkeit seiner nachgelagerten Wettbewerber niederschlagen kann. Denn über das Niveau des Vorleistungspreises beeinflusst das integrierte Unternehmen unmittelbar die Gestehungskosten seiner Wettbewerber, während es ihnen über das Preisniveau im nachgelagerten Markt zugleich eine Preisobergrenze vorgibt, die diese zu beachten haben, wenn sie der Gefahr des Verlustes ihrer Absatzkanäle entgehen wollen.

III. Spürbare Beschneidung fremder Gewinnmargen Der dritte Aspekt, der sich aus der oben dargestellten allgemeinen Beschreibung einer Kosten-Preis-Schere entnehmen lässt, betrifft den mithilfe der zweifachen Preisfestsetzung ausgelösten und auf die Konkurrenz im nachgelagerten Markt wirkenden Gewinnmargendruck. Hiermit wird die Beschreibung der Kosten-PreisSchere um ein drittes – in diesem Fall markterfolgsorientiertes – Element ergänzt. Seine eigenständige Existenzberechtigung neben den bis hierher dargestellten struktur- und verhaltensbezogenen Elementen ergibt sich aus der Überlegung, dass das integrierte Unternehmen nicht in allen Fällen bereits mithilfe seiner unverhältnismäßigen zweifachen Preisgestaltung einen substanziellen (negativen) Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der nachgelagerten Konkurrenten ausüben kann. Denn solange die nachgelagerten Konkurrenten ohne weiteres auf alternative Lieferquellen zurückgreifen können, wird selbst ein noch so großes Missverhältnis der Preise nicht 14

Vgl. Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 283 – Telefónica.

A. Begriff und charakteristische Merkmale der Kosten-Preis-Schere

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dazu führen, dass sich die verhaltensmäßige Eröffnung einer Kosten-Preis-Schere durch das integrierte Unternehmen auf die Gewinnerzielungschancen der Konkurrenten niederschlägt. Damit kommt der Abhängigkeit der Konkurrenten von der Belieferung durch das integrierte Unternehmen mit dessen Vorleistung eine entscheidende wirtschaftliche Bedeutung für das effektive Entstehen des wettbewerblich relevanten Gewinnmargendrucks zu.15 Es ist daher sinnvoll, für das Vorliegen einer Kosten-Preis-Schere neben der unverhältnismäßigen Preissetzung als zusätzliches charakteristisches Element vorauszusetzen, dass ein spürbarer Druck auf die Gewinnerzielungschancen bzw. Wettbewerbsfähigkeit der nachgelagerten Konkurrenten entsteht. Im Zusammenhang mit diesem erfolgsbezogenen Element ist es außerdem wichtig, den Ursachen- bzw. Zurechnungszusammenhang zwischen Verhaltens- und Erfolgselement im Auge zu behalten. Nicht jede beliebige, aus Sicht des betroffenen Marktteilnehmers objektiv spürbare Verringerung der eigenen Gewinnmargen ist notwendigerweise das Werk der von einem integrierten Unternehmen ausgehenden unverhältnismäßigen zweifachen Preissetzung. Beispielsweise kann ein Margendruck schlichtweg aus ungünstigen Marktentwicklungen wie etwa einem unerwarteten Nachfragerückgang entstehen, der bei unveränderten Gestehungskosten ein im nachgelagerten Markt tätiges Unternehmen zu einer Preissenkung veranlasst. Ebenso ist an selbstverschuldete betriebswirtschaftliche Ineffizienzen zu denken, welche die eigenen Gestehungskosten bei unverändertem Preisniveau auf dem nachgelagerten Markt in die Höhe treiben.16 Derartige Konstellationen des Gewinnmargendrucks rechtfertigen nach einhelliger und zutreffender Meinung keine kartellrechtliche Intervention und können daher von vornherein aus dem Konzept der Kosten-Preis-Schere herausgelassen werden.17 Für das Kartellrecht wird ein Gewinnmargendruck erst in dem Moment zum interessanten Fall, wenn er ursächlich auf das Wettbewerbsverhalten des marktmächtigen integrierten Unternehmens zurückzuführen ist.18 Mit Blick auf das Erfordernis eines mindestens spürbaren und zugleich ursächlich aus der zweifachen Preissetzung hervorgehenden Effekts der Gewinnmargenbeschneidung bei den nachgelagerten Wettbewerbern ist außerdem von Bedeutung, dass die fragliche Vorleistung den weit überwiegenden Anteil der Gestehungskosten des nachgelagerten Endprodukts ausmachen sollte. Denn je geringer der der Vorleistung zufallende Kostenanteil an der nachgelagerten Leistung ist, umso zwei15

Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 40; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 29. 16 Vgl. aus der Praxis EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 180 – 185 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission. 17 So auch Bergmann, WuW 2001, 234, 234; Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 36. 18 Bergmann, WuW 2001, 234, 234; Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 22; Hoffmann, WuW 2003, 1278, 1278; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 303.

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

felhafter wird es, fehlende Gewinnerzielung auf dem nachgelagerten Markt gerade der zweifachen Preissetzung des integrierten Unternehmens zuzuschreiben.19

IV. Weitere Aspekte ohne funktionsnotwendige Relevanz Mit den drei bis hierhin erwähnten strukturellen, verhaltensbezogenen und erfolgsbezogenen Aspekten sind die zentralen charakteristischen Merkmale einer Kosten-Preis-Schere aufgezählt. Nachfolgend seien der Vollständigkeit halber noch einige weitere Punkte genannt, die in allgemeinen Beschreibungen zur Kosten-PreisSchere gelegentlich auftauchen. Sie besitzen dabei eine eher ergänzende und erläuternde Funktion, ohne für das Phänomen der wettbewerblich relevanten Gewinnmargenbeschneidung im engeren Sinne funktionsnotwendig zu sein. Kosten-Preis-Scheren können beispielsweise nach den Gründen ihrer Entstehung unterschieden werden. Der integrierte Marktbeherrscher kann ausgehend von einem kartellrechtskonformem Preisverhältnis entweder nur den Vorleistungspreis anheben, nur den nachgelagerten Endkundenpreis absenken oder eine Kombination beider Maßnahmen anwenden.20 Da sich die Existenz einer Kosten-Preis-Schere jedoch allein aus der zwischen beiden Preisen gebildeten Spanne ableitet, hat diese Unterscheidung keine zielführende rechtsdogmatische oder analytische Bedeutung für die Erfassung des Wettbewerbsproblems der Gewinnmargenbeschneidung.21 Der von dem vertikal integrierten Unternehmen auf die Gewinnmargen der nachgelagerten Konkurrenten ausgeübte Druck kann darüber hinaus unterschiedlich intensiv ausfallen. Hierfür ist in erster Linie maßgeblich, wie sehr sich die beiden Preisniveaus des integrierten Unternehmens aneinander annähern. Aber auch der Kostenfaktor auf der nachgelagerten Marktstufe kann dafür eine Rolle spielen. Häufig wird dazu gefragt, ob der zweifache Preisdruck stark genug ist, so dass es unter Berücksichtigung der im nachgelagerten Markt zusätzlich anfallenden Kosten unmöglich wird, die dortige Geschäftstätigkeit profitabel zu betreiben.22 Etwas 19 Geradin/O’Donoghue, J. Comp. L. & Econ. 2005, 355, 359; Petzold, Die Kosten-PreisSchere im EU-Kartellrecht, S. 28 – 29. 20 Siehe z. B. Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 31 – 34 (discriminatory/ non-discriminatory/predatory price squeeze); Fernández Álvarez-Labrador, World Comp. 2006, 247, 254 – 255; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 304 – 305. 21 Ebenso zu Recht Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 540; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 182. 22 Vgl. nur statt vieler Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 107, 179 – Deutsche Telekom AG; Geradin/O’Donoghue, J. Comp. L. & Econ. 2005, 355, 357; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 303. Innerhalb dieses Spektrums des „gewinnmargenvernichtenden“ Preisdrucks unterscheidet man außerdem aus anwendungspraktischen Gründen die Konstellationen der „negativen Preisdifferenz“ und der „positiven, jedoch nicht kostendeckenden Preisdifferenz“, näher zu diesen Kategorien unten, Kap. 4 C. II. 2.

A. Begriff und charakteristische Merkmale der Kosten-Preis-Schere

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weitreichender ist das Begriffsverständnis derjenigen, die auch dann noch von einer Kosten-Preis-Schere sprechen, wenn zwar eine positive, jedoch nur bescheidene oder geringfügige Gewinnmarge bestehen bleibt.23 Besonders prominent ist in diesem Zusammenhang das vom US-amerikanischen Ökonomen Bain formulierte Konzept zum wettbewerbsrelevanten Gewinnmargendruck. Er unterscheidet die zwei Kategorien des „price squeeze“ und des „semi-squeeze“. Von einem price squeeze sei die Rede, wenn die vom integrierten Unternehmen festgesetzten Preise seinen Konkurrenten keinen nominalen Gewinn mehr erlauben.24 Unter den semi-squeeze fallen nach Bain all diejenigen Preisgestaltungen, bei denen die Konkurrenten zwar aufgrund einer weniger aggressiven Preissetzung noch geringfügige Gewinne erzielen können, dabei aber ähnlich spürbar in ihren wettbewerblichen Handlungsspielräumen beeinträchtigt werden.25 Damit knüpft er erkennbar an das frühe, für die Rolle der Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht der USA wegweisende Judikat im Fall United States v. Aluminum Co. of America an. Darin hatte das erkennende Gericht versucht, die zweifache Preissetzung eines integrierten Monopolisten gegenüber anderen Unternehmen daran zu messen, ob sie den Konkurrenten noch die Erzielung eines auskömmlichen bzw. angemessenen Gewinns („living profit“, „fair profit“) ermöglicht.26 Die eigenständige Relevanz dieses letztgenannten „gewinnmargenverringernden“ Preisdrucks neben dem „gewinnmargenvernichtenden“ Preisdruck ist hin und wieder auch seitens der Kommission mit Bezug zum EU-Kartellrecht angesprochen worden.27 Im Hinblick auf eine vollständige Erfassung des Phänomens der Gewinnmargenbeschneidung dürfen diese weniger intensiv wirkenden zweiseitigen Preissetzungen nicht außer Acht gelassen werden. Denn selbst wenn noch eine geringfügige oder gegebenenfalls sogar mehr als nur geringfügig positive Marge verbleibt, kann der für die Kosten-Preis-Schere charakteristische Druck auf die Gewinnmargen der Konkurrenten entstehen. Auf die Intensität des Gewinnmargendrucks im Einzelfall kann es daher nicht im Sinne eines Wesenszugs von Kosten-Preis-Scheren ankommen. Ein weiterer Punkt betrifft die marktmäßige Stoßrichtung, mit der sich eine Kosten-Preis-Schere auswirkt. Bis hierhin ist stets davon die Rede gewesen, dass sich die Kosten-Preis-Schere gegen die Nachfrager einer Vorleistung richtet und dabei deren Wettbewerbsfähigkeit auf einer nachgelagerten Marktstufe beeinträchtigt wird. Diese „angebotsseitige“ Kosten-Preis-Schere ist der Schulfall, der jeder Darstellung und bisher auch jedem praxisrelevant gewordenen Fall zugrunde liegt. 23

So im Ausgangspunkt Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 353. Bain, Industrial Organization, S. 361. 25 Bain, Industrial Organization, S. 361. 26 United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416, 437 und 438 (2d Cir. 1945). 27 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 311 – Telefónica; Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 118. 24

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

Dennoch soll nicht unterschlagen werden, dass Kosten-Preis-Scheren auch in der spiegelbildlichen Konstellation auftreten können. Das vertikal integrierte Unternehmen tritt dann auf der nachgelagerten Marktstufe als marktmächtiger Nachfrager auf und fordert von seinen Lieferanten derart geringe Preise ein, dass hierdurch ein Missverhältnis zum Preisniveau auf dem Markt der Vorleistung entsteht. Verdrängungseffekte zeigen sich dann entsprechend auf der vorgelagerten Marktstufe. Diese Konstellation, in der Marktmacht von der Nachfrageseite her ausgeübt wird, kann prinzipiell genau wie eine angebotsseitige Kosten-Preis-Schere und unter gleichlautenden Rahmenbedingungen kartellrechtlich relevant werden. Aus Gründen einfacherer Darstellung werden sich alle nachfolgenden Ausführungen ausschließlich auf die Situation der angebotsseitigen Kosten-Preis-Schere beziehen. Für die Frage nach der Existenz einer Kosten-Preis-Schere irrelevant ist es schließlich, ob mit der Entstehung des preislichen Missverhältnisses irgendeine subjektive Motivation des marktbeherrschenden Unternehmens einhergeht. Die Motivationen, aus denen heraus ein integriertes Unternehmen seine vor- und nachgelagerten Preise so zueinander festsetzt, dass dies die Gewinnmargen seiner Konkurrenten beeinträchtigt, sind breit gefächert. Sie reichen von völlig unverfänglichen Absichten wie der Weitergabe von im Vergleich zu anderen Unternehmen erzielten Effizienzgewinnen bis hin zum wettbewerbswidrigen Motiv einer gezielt verfolgten Verdrängungsstrategie. Es mag sogar vorkommen, dass sich das preisliche Missverhältnis schlichtweg als unbewusste Folge einer innerbetrieblich nicht ausreichend abgestimmten Preissetzung auf den beiden Marktstufen ergibt. Für die Existenz einer Kosten-Preis-Schere kommt es lediglich auf ihre objektiven Umstände an.28

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren Ausgehend vom dargestellten Verständnis der Kosten-Preis-Schere als Phänomen der Beschneidung fremder Gewinnmargen in der Wirtschaftspraxis soll im nun folgenden Abschnitt in ersten groben Zügen aufgezeigt werden, unter welchen Vorzeichen sie zum kartellrechtlich relevanten Problemfall avancieren kann.

28 Dies bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass subjektive Elemente dann auch bei der späteren wettbewerbsrechtlichen Bewertung völlig unbeachtlich bleiben. So gibt es in der Literatur vereinzelte Stimmen, die zwischen legitimen und illegitimen unternehmerischen Absichten differenzieren und daraus entscheidende Erkenntnisse für die Verbotswürdigkeit einer Kosten-Preis-Schere ableiten wollen, vgl. etwa Colley/Burnside, 2 Eur. Comp. J. (2006), 185, 197 – 202; Geradin/O’Donoghue, J. Comp. L. & Econ. 2005, 355, 403.

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren

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I. Anwendungsgrundsätze der maßgeblichen Vorschriften 1. EU-Wettbewerbsrecht: Art. 102 AEUV Im europäischen Wettbewerbsrecht ist Art. 102 AEUV der zentrale Tatbestand, mit dessen Hilfe sich einseitige Verhaltensweisen von Unternehmen unter bestimmten Voraussetzungen als kartellrechtswidrig qualifizieren lassen. Er richtet sich an Unternehmen, die auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben eine beherrschende Stellung einnehmen. Art. 102 AEUV weist eine zweiteilige Normstruktur auf. Satz 1 enthält in Form einer Generalklausel das allgemeine Verbot, eine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich auszunutzen. Satz 2 benennt in lit. a) bis d) vier Beispielsfälle missbräuchlichen Verhaltens. Diese Aufzählung hat angesichts ihres Wortlautes („kann insbesondere“) aber aus zweierlei Gründen nur eine begrenzte rechtliche Aussagekraft: Erstens beschreibt sie nicht abschließend alle denkbaren Formen missbräuchlicher Verhaltensweisen und ist damit lückenhaft.29 Zweitens kann nicht zwingend auf einen Missbrauch geschlossen werden, wenn ein Sachverhalt unter einen der Beispielsfälle des zweiten Satzes fällt.30 Die zentrale rechtsdogmatische Bedeutung kommt daher der offenen und in einem Höchstmaß auslegungsbedürftigen Missbrauchsgeneralklausel in Art. 102 S. 1 AEUV zu.31 Die sachgerechte Konkretisierung dieses Missbrauchskriteriums erweist sich als wesentliche Herausforderung im Rahmen der praktischen Rechtsanwendung. Methodisch hat man mithilfe einer Systematisierung bestimmter Fallgruppen des Missbrauchs versucht, diesem Problem nach und nach Herr zu werden. Die für das europäische Missbrauchsverbot insgesamt und zugleich auch für die vorliegende Arbeit bedeutendste Hauptgruppe aus der daraus entstandenen Systematik ist insoweit die der Behinderungs- bzw. Verdrängungsmissbräuche.32 Darunter werden all diejenigen Verhaltensweisen eines marktbeherrschenden Unternehmens zusammengefasst, die mit den Worten des EuGH „die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmens bereits geschwächt ist, und […] die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, welche von den Mitteln eines normalen Produkt29

EuGH, Urteil vom 21. 2. 1973, Rs. 6/72, EU:C:1973:22, Tz. 26 – Continental Can; Lübbig, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 82 Rdnr. 6. 30 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436, Tz. 37 – Tetra Pak/ Kommission. 31 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 133. 32 Vgl. nur beispielhaft als einige wichtige Wegmarken der bisherigen Rechtsprechungspraxis EuGH, Urteil vom 21. 2. 1973, Rs. 6/72, EU:C:1973:22 – Continental Can; EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36 – Hoffmann-La Roche; EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. 322/81, EU:C:1983:313 – Michelin; EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286 – AKZO/Kommission; EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C: 2007:166 – British Airways/Kommission.

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen“.33 Das in Art. 102 AEUV verankerte Verbot des Behinderungsmissbrauchs richtet sich dementsprechend gegen Beeinträchtigungen der Marktstruktur und somit gegen Einschränkungen der wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten anderer Unternehmen unter der Voraussetzung, dass es sich bei der dazu durch das beherrschende Unternehmen eingesetzten Verhaltensweise um eine Ausprägung von Nichtleistungswettbewerb handelt. Dies wiederum macht eine wertende Betrachtung des Einzelfalls am Maßstab der Schutzzwecke des Art. 102 AEUV unumgänglich. 2. US-Antitrustrecht: sec. 2 Sherman Act Im US-amerikanischen Antitrustrecht ist sec. 2 Sherman Act das funktionelle Pendant zu Art. 102 AEUV, mit dessen Hilfe sich ebenfalls einseitige Verhaltensweisen erfassen und unter bestimmten Voraussetzungen als kartellrechtswidrig qualifizieren lassen. Der wesentliche Teil dieses Verbotstatbestands lautet: „Every person who shall monopolize, or attempt to monopolize, or combine or conspire with any other person or persons, to monopolize any part of the trade or commerce among the several States, or with foreign nations, shall be deemed guilty of a felony […].“ Von den hiermit angesprochenen drei Begehungsformen sind in der praktischen Anwendung die ersten beiden – die monopolization und die attempted monopolization – von überragender Bedeutung. Genau wie im europäischen Recht hat man es auch hier mit generalklauselartigen Verbotstatbeständen zu tun. Der Gesetzgeber des Sherman Act hat die Aufgabe der näheren Konkretisierung bewusst den Gerichten in ihrer einzelfallorientierten Entscheidungspraxis überlassen.34 a) Monopolization Nach ständiger Rechtsprechung des US Supreme Court hat der Tatbestand der monopolization zwei Voraussetzungen: „(1) the possession of monopoly power in the relevant market and (2) the willful acquisition or maintenance of that power as distinguished from growth or development as a consequence of a superior product, business acumen, or historic accident.“35 Die erste Voraussetzung besitzt funktionelle Gemeinsamkeiten mit der obligatorischen Marktbeherrschungsprüfung des europäischen Missbrauchsverbots. Das bloße Innehaben von Monopolmacht wird nach sec. 2 Sherman Act genauso wenig aus sich heraus missbilligt wie es über Art. 102 AEUV der Fall ist. Von zentraler normativer Bedeutung ist die zweite in der vor33 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Tz. 91 – Hoffmann-La Roche, seitdem Standardformel in der Rechtsprechung zum Missbrauchsbegriff. 34 Vgl. dazu die Ausführungen des US Supreme Court in National Society of Professional Engineers v. United States, 435 U.S. 679, 688 (1978) mit Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Sherman Act. 35 United States v. Grinnell Corp., 384 U.S. 563, 570 – 571 (1966); Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 407 (2004).

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren

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stehenden Definition genannte Voraussetzung, die das sogenannte conduct requirement beschreibt. Bezugspunkt des Verbots ist der Erwerb oder die Aufrechterhaltung von Monopolmacht. Dieses Merkmal fokussiert das Verbot nach sec. 2 Sherman Act auf exclusionary conduct, also Verhaltensweisen mit (horizontaler) Verdrängungswirkung. Wie schon aus der Beschreibung selbst hervorgeht, ist nicht jedes beliebige Verhalten pauschal schon deswegen verbotswürdig, weil es die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen objektiv beeinträchtigt und die eigene Marktstellung verbessert.36 Erst eine einzelfallbezogene Prüfung muss ergeben, dass das konkrete Verhalten auch wertungsmäßig als wettbewerbswidrig einzustufen ist. Ist nämlich ein Verdrängungsverhalten Ausdruck überlegener unternehmerischer Leistung, so dass es gleichzeitig Effizienzgewinne hervorbringt und zur Steigerung der Konsumentenwohlfahrt beiträgt, dann fällt es nicht unter das Verbot.37 Die hierzu erforderliche Einordnung von Verhaltensweisen als wettbewerbspolitisch erwünscht oder unerwünscht ist in der Praxis häufig problematisch und nur selten eindeutig. Mehr noch als im europäischen Recht – wo sich prinzipiell dieselbe Frage stellt – hat es zu sec. 2 Sherman Act eine bis heute nicht abschließend gelöste Diskussion um die Tauglichkeit und Verallgemeinerungsfähigkeit verschiedener methodischer Hilfsmittel zur inhaltlichen Ausfüllung des conduct requirement gegeben.38 Da es eine stark einzelfallabhängige Aufgabe ist, Situationen des verbotswürdigen exclusionary conduct zu identifizieren, behilft sich die gerichtliche Praxis ähnlich wie im europäischen Recht mit einem im Laufe der Jahre gewachsenen System von Fallgruppen. Zum conduct requirement gehört schließlich das subjektive Kriterium der Verdrängungsabsicht. Dieser sogenannte intent test hat sich allerdings für die Differenzierung zwischen erlaubtem und verbotenem Wettbewerbsverhalten als nur begrenzt hilfreich erwiesen. Denn die Absicht eines Unternehmens, seine Konkurrenten vom Markt zu verdrängen, ist mehr oder weniger Bestandteil jeglichen Wettbewerbsverhaltens und gerade im Falle der auf höhere Effizienz des Monopolisten zurückzuführenden Verdrängungseffekte sogar ausdrücklich erwünscht. Dementsprechend existiert der intent test heutzutage als integrierter Bestandteil der

36 Diese Haltung äußert sich in der vielfach aufgegriffenen Wendung, sec. 2 Sherman Act sei dazu bestimmt, den Wettbewerb und nicht individuelle Wettbewerber zu schützen („protection of competition rather than competitors“), vgl. Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 224 (1993); U.S. Department of Justice, Single-Firm Conduct Under Section 2 of the Sherman Act, 2008, Kap. 1 D. m.w.N. 37 Beispielhaft dafür United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416, 429 – 430 (2d Cir. 1945). 38 Siehe dazu und zu den fraglichen Tests im Einzelnen nur exemplarisch die Grundsatzbeiträge Hovenkamp, 72 U. Chi. L. Rev. (2005), 147; Popofsky, 73 Antitrust L. J. (2006), 435 sowie von behördlicher Seite U.S. Department of Justice, Single-Firm Conduct Under Section 2 of the Sherman Act, 2008, Kap. 3.

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

ansonsten objektiven Prüfung von exclusionary conduct.39 Eine auf direktem oder indirektem Wege nachgewiesene wettbewerbsfeindliche Absicht soll den ohnehin bereits dargelegten Vorwurf einer monopolization eher nur bestätigen können.40 Damit lässt sich der intent test zutreffenderweise als bloße Möglichkeit zur Rechtfertigung derjenigen Verhaltensweisen verstehen, die prima facie als verbotswürdig identifiziert worden sind, obwohl ihnen eine legitime und wettbewerbskonforme Marktstrategie zugrunde liegt, auf die sec. 2 Sherman Act nicht anwendbar sein soll.41 b) Attempted monopolization Mit der Begehungsform der attempted monopolization erfasst sec. 2 Sherman Act neben dem Erfolgsdelikt der Monopolisierung diejenigen Verhaltensweisen, mit denen ein Unternehmen gezielt danach strebt, Monopolmacht (erstmals) aufzubauen. Hierbei ist unerheblich, ob dies letzten Endes auch gelingt. Die Rechtsprechung hat für die attempted monopolization einen konzeptionell eigenständigen Test mit drei Tatbestandsmerkmalen entwickelt. Hierzu die vom Supreme Court entworfene Formel: „[I]t is generally required that to demonstrate attempted monopolization a plaintiff must prove (1) that the defendant has engaged in predatory or anticompetitive conduct with (2) a specific intent to monopolize and (3) a dangerous probability of achieving monopoly power.“42 Das zuerst genannte verhaltensbezogene Merkmal (anticompetitive conduct) entspricht inhaltlich dem Konzept des exclusionary conduct bei monopolization-Vorwürfen.43 Das Konzept des specific intent ist demgegenüber zumindest tendenziell enger gefasst als der intent test bei der monopolization. Es bedarf nämlich im Ausgangspunkt einer qualifizierten Absicht, Monopolmacht zu erlangen und hierdurch den Wettbewerb zu schädigen. Nach 39

Vgl. United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416, 431 – 432 (2d Cir. 1945): „We disregard any question of ,intent‘ […] for no monopolist monopolizes unconscious of what he is doing.“ 40 Vgl. Aspen Skiing Co. v. Aspen Highlands Skiing Corp., 472 U.S. 585, 602 (1985); siehe insbesondere auch United States v. Microsoft Corp., 253 F.3d 34, 59 (D.C. Cir. 2001): „Evidence of the intent behind the conduct of a monopolist is relevant only to the extent it helps us understand the likely effect of the monopolist’s conduct.“ Zur Redundanz des intent test neben einer objektiven conduct-Prüfung Areeda/Hovenkamp, Fundamentals of Antitrust Law, § 6.04b unter Verweis auf die einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidungen; Hovenkamp, 61 Ohio St. L. J. (2000), 1035, 1037 – 1040. 41 Diese Herangehensweise scheint in der Entscheidung Eastman Kodak Co. v. Image Technical Services, Inc., 504 U.S. 451, 483 (1992) durch: „Liability turns […] on whether ,valid business reasons‘ can explain Kodak’s actions“; ebenfalls in diesem Sinne United States v. Microsoft Corp., 253 F.3d 34, 59 und 72 (D.C. Cir. 2001); Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im US-amerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 36; Lao, 54 Am. U. L. Rev. (2004), 151, 198 – 199. 42 Spectrum Sports, Inc. v. McQuillan, 506 U.S. 447, 456 (1993). 43 ABA Section of Antitrust Law, Antitrust Law Developments, 6. Aufl. (2007), S. 307 – 309. Insofern ergeben sich auch gleichgelagerte Schwierigkeiten, wettbewerbsförderliches von wettbewerbsschädlichem Verhalten zu trennen.

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren

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Ansicht der Gerichte kann dies jedoch bereits über eine Analyse des objektiven Marktverhaltens und somit auf indirektem Wege nachgewiesen werden.44 Hierdurch wird die eigenständige praktische Bedeutung des intent test dann aber auch im Rahmen der attempted monopolization weitestgehend in Frage gestellt. Die dritte Tatbestandsvoraussetzung führt schließlich zu einer weiteren Verobjektivierung der rechtlichen Prüfung. Die ernsthafte Wahrscheinlichkeit, Monopolmacht zu erlangen, ist anhand einer vorausschauenden Betrachtung der zukünftig zu erwartenden Marktverhältnisse und insbesondere der dann vom potenziellen Delinquenten eingenommenen Marktposition zu beurteilen. In diesem Zusammenhang bedarf es im Ausgangspunkt wiederum der Darlegung eines gewissen Maßes vorhandener Marktmacht, die jedoch aufgrund der Natur der attempted monopolization als Versuchsdelikt weniger stark sein muss als bei der monopolization.45

II. Methodische Optionen für die kartellrechtliche Erfassung der Beschneidung fremder Gewinnmargen Die inzwischen jeweils höchstrichterlich etablierten und in der Sache entgegengesetzten Sichtweisen zur Relevanz der Kosten-Preis-Schere in den USA und in der EU bilden die zwei grundlegenden methodischen Alternativen ab, um die Frage des rechtsdogmatisch vorzugswürdigen Umgangs mit ihr aufzulösen. Wenn mit dem Ansatz der Kommission und des EuGH das Verhältnis der vor- und nachgelagerten Preise und damit die Preisspanne als solche Anknüpfungspunkt der Missbrauchsprüfung sein soll, so bedeutet dies ein direktes und zielgerichtetes Verbot der Kosten-Preis-Schere. Die Kosten-Preis-Schere tritt folglich als ein eigenständiger Tatbestand aus dem Bereich der wettbewerbswidrigen Verdrängungsstrategien neben den anderen, von Art. 102 AEUV ohnehin bereits erfassten Fallgruppen in Erscheinung.46 Mit einer ambitionierten Herangehensweise wie dieser sind zweierlei Herausforderungen verbunden. Erstens bedarf es der Ausarbeitung eines Prüfungsrahmens, der die mit der Kosten-Preis-Schere verbundenen Wettbewerbsgefahren in stimmiger Weise adressiert und hierbei dem teleologischen Fundament des Missbrauchsverbots angemessen Rechnung trägt.47 Zweitens muss sich die jeweilige – im vorliegenden 44 Spectrum Sports, Inc. v. McQuillan, 506 U.S. 447, 459 (1993); General Industries Corp. v. Hartz Mountain Corp., 810 F.2d 795, 802 (8th Cir. 1987); Sullivan/Grimes, The Law of Antitrust, S. 152. 45 ABA Section of Antitrust Law, Antitrust Law Developments, 6. Aufl. (2007), S. 312 m.w.N. aus der Rechtsprechung. 46 Vgl. dazu aus der Rechtsprechung EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 155 – 184 – Deutsche Telekom AG/Kommission; noch deutlicher EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 30 – 34 – TeliaSonera. 47 Im Einzelnen zu der durch die Kommissions- und Gerichtspraxis im europäischen Recht verwirklichten Lösung und einzelnen Kritikpunkten unten, Kap. 4 C.

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

Fall die europäische – Kartellrechtsordnung vergewissern, dass hierbei die notwendige Konsistenz mit dem vorhandenen Bestand übriger Fallgruppen aus dem Bereich des Marktmachtmissbrauchs gewahrt bleibt.48 In der auf das europäische Recht bezogenen wissenschaftlichen Diskussion ist das hierzulande von den Unionsorganen praktizierte Konzept der direkt oder eigenständig verbotenen Kosten-Preis-Schere bisher größtenteils auf Zustimmung gestoßen.49 Unter den bislang eher vereinzelt kritischen Stimmen sticht seit Neuestem die eingehende Untersuchung Petzolds hervor, die nach eingehender Analyse des gegenwärtigen Rechtszustands zum Ergebnis gelangt, das Verbot der Kosten-PreisSchere leiste neben dem fest etablierten Verbot des Kampfpreismissbrauchs im System des Art. 102 AEUV keinen eigenen Beitrag zur Erfassung verbotswürdiger Preisgestaltungen.50 Dies mag einen Vorgeschmack zur Brisanz der Frage nach der sachgerechten Rolle der Kosten-Preis-Schere im (europäischen) Missbrauchsrecht geben. Für das Monopolisierungsverbot des US-Antitrustrechts hat der Supreme Court höchstrichterlich geklärt, dass der dort sogenannte price squeeze kein für sich genommen verbotswürdiges einseitiges Verhalten darstellen soll.51 Damit macht man sich in einer Rechtsordnung wie eben der der USA den Umgang mit der Figur des price squeeze sowohl aus praktischen als auch aus konzeptionellen Gründen wesentlich leichter. Es bedarf weder eines spezifisch auf den price squeeze ausgerichteten Verbotstatbestands mit entsprechendem Prüfungsprogramm noch müssen sich die Gerichte als die zur Auslegung von sec. 2 Sherman Act berufenen Organe nähere Gedanken um die Einbindung in den vorhandenen Rechtsrahmen machen. Gleichwohl darf man nicht der irrtümlichen Annahme unterliegen, dass das Phänomen der zweiseitigen Beschneidung von Gewinnmargen im US-amerikanischen Kartellrecht uneingeschränkt legalisiert wäre. Die Herausnahme des price 48

Dazu im Einzelnen unten, Kap. 5. Vgl. etwa Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28; Klotz, MMR 2008, 650; von Meibom/von dem Bussche, WuW 1999, 1171; Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 655; Lommler, WuW 2011, 244; unklar insoweit Henk-Merten, die ein Verbot unzureichender Preisspannen im Sinne der Kosten-Preis-Schere zunächst für erforderlich hält (Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 118 – 123), dann aber eine kartellrechtsdogmatische Erfassung auf Basis der vorhandenen Grundsätze der Kampfpreisstrategien befürwortet (a.a.O., S. 123 – 129). 50 Siehe Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 129 – 150 und insbesondere das anschließend a.a.O., S. 208 formulierte Ergebnis: „[Die Fälle der Kosten-PreisSchere] können mittels der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien als Kampfpreismissbrauch erfasst werden, ohne dass es einer neuen Fallgruppe Kosten-Preis-Schere in Art. 102 AEUV bedarf.“ Siehe außerdem Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 541, 542, die sich dieser Ansicht angeschlossen haben. Im Ansatz ähnlich auch Hoffmann, WuW 2003, 1278, der die Fallkonstellationen der Kosten-Preis-Schere unter Zuhilfenahme einer fingierten Markttransaktion zwischen vor- und nachgelagerter Betriebseinheit des integrierten Unternehmens im Ergebnis als Kampfpreisunterbietung beurteilt wissen möchte. 51 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438 (2009). 49

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren

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squeeze aus dem Kanon der zum Monopolisierungsverbot anerkannten Fallgruppen bedeutet lediglich, dass man nicht direkt an die Preisspanne anknüpfen kann. Mithilfe anderer, vom price squeeze unabhängiger Fallgruppen mag es sehr wohl möglich sein, das Verhalten eines integrierten Unternehmens auf dem vor- oder nachgelagerten Markt auf den Prüfstand zu stellen.52 Die Prüfung der Gewinnmargenbeschneidung erfolgt dann gewissermaßen nur „bei Gelegenheit“ der aus anderen Gründen gerechtfertigten Anwendung von sec. 2 Sherman Act.53 Abhängig von der näheren Ausgestaltung dieser Fallgruppen kann daraus eine mehr oder weniger wirksame Aufsicht über das simultane Preisverhalten von Unternehmen auf verschiedenen Marktstufen hervorgehen.

III. Kartellrechtliche Relevanz der Kosten-Preis-Schere als Verdrängungsstrategie In ihrer vielbeachteten Entscheidung im Fall Deutsche Telekom54 hat die Kommission eine Kosten-Preis-Schere festgestellt und den Verstoß explizit auf das Regelbeispiel des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV gestützt.55 Damit hat sie in gewisser Hinsicht suggeriert, dass sich das Verbot der Kosten-Preis-Schere allein auf einen überhöhten Vorleistungspreis beziehen und dabei insbesondere in die Kategorie der Ausbeutungsmissbräuche gehören könnte. Dies erweist sich jedoch sowohl bei näherer Analyse der konkreten Entscheidungsbegründung als auch beim Blick auf die eingangs der Arbeit angesprochene Funktionsweise der Gewinnmargenbeschneidung im Allgemeinen nicht als der missbrauchsrechtlich entscheidende Anknüpfungspunkt. Die spezifische wettbewerbsmäßige Gefahr einer Kosten-Preis-Schere liegt vielmehr in ihrem horizontal wirkenden Verdrängungspotenzial gegenüber den Konkurrenten des integrierten marktmächtigen Unternehmens auf der nachgelagerten Marktstufe.56 Diese Wirkungsweise ist bereits eingangs im Rahmen der Beschreibung der Kosten-Preis-Schere unter dem Aspekt des funktionsnotwendigen erfolgsbezogenen Merkmals zur Sprache gekommen.57 Der für die kartellrechtliche Prüfung der Kosten-Preis-Schere einzig geeignete Bezugspunkt ist daher nicht ein isoliert betrachteter überhöhter Preis der Vorleistung, sondern die mit der beschnittenen Gewinnmarge einhergehende Beeinträchtigung wirtschaftlicher Entfaltungsmöglichkeiten anderer Akteure auf dem nachgelagerten Markt. 52 Siehe zu den in Frage kommenden Fallgruppen die Analyse unten, Kap. 3 B. IV. 1. und 2. sowie Kap. 3 C. 53 Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 26, verwendet hierzu den Begriff der „akzessorischen Missbrauchsaufsicht“. 54 Dazu eingehend unten, Kap. 4 A. IV. 55 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 57, 199 – Deutsche Telekom AG. 56 Ebenso Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 26 und 123 – 129. 57 Siehe oben, Kap. 2 A. III.

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

Das Konzept der von marktmächtigen Unternehmen bewirkten und damit potenziell kartellrechtsrelevanten Verdrängungswirkungen ist grundsätzlich weit zu verstehen. Fallkonstellationen, in denen ein marktmächtiges Unternehmen seine tatsächlichen Wettbewerber vollends aus einem Markt herausdrängt, bilden nur den Kernbereich ab. Prinzipiell ebenso relevant – wenn auch mit vergleichsweise geringerer Intensität der Verdrängung – sind darüber hinaus Situationen, in denen Konkurrenten zu einem teilweisen Rückzug aus dem Markt veranlasst oder in ihrer fortbestehenden Existenz am Markt in subtiler Weise diszipliniert werden. Eine Kosten-Preis-Schere hat den letztgenannten Effekt beispielsweise, wenn die Gewinnmarge so weit – aber nicht zu weit – reduziert wird, dass die nicht integrierten Konkurrenten gerade eben noch am Markt überlebensfähig bleiben, ohne dabei gegenüber dem marktmächtigen Unternehmen einen wirksamen Wettbewerbsdruck ausüben zu können. Schließlich kann ein kartellrechtlich relevanter Verdrängungseffekt auch darin zum Ausdruck kommen, dass bislang potenzielle Konkurrenten vom erstmaligen Eintritt in einen Markt abgehalten werden, weil ein marktmächtiges Unternehmen mithilfe seines Verhaltens neue Marktzutrittsschranken errichtet hat.58 Somit kann jede Kosten-Preis-Schere, sofern sie wenigstens über einen spürbaren margenbeschneidenden Effekt verfügt, problemlos unter das missbrauchsrechtliche Konzept der Verdrängungsstrategien subsumiert werden. Die Grenze zur tatsächlich fehlenden kartellrechtlichen Relevanz ist erst dort überschritten, wo eine unverhältnismäßige zweifache Preissetzung von vornherein nicht geeignet ist, um den eingangs der Arbeit vorausgesetzten Margenbeschneidungserfolg auch nur ansatzweise herbeizuführen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die nachgelagerten Wettbewerber wegen der nachgefragten Vorleistung problemlos auf alternative Bezugsquellen ausweichen können. Ein Missverhältnis von Preisen verfehlt dann nicht nur die vorstehend erläuterten Definitionsmerkmale, sondern ihm fehlt zugleich im Sinne eines „untauglichen Versuchs“ ohne Marktgefährdungspotenzial die kartellrechtliche Relevanz.59 Art. 102 AEUV und sec. 2 Sherman Act sind mit ihren offen gestalteten Generalklauseln jeweils geeignet, das mit der Kosten-Preis-Schere einhergehende Verdrängungspotenzial angemessen erfassen und einer kartellrechtlichen Prüfung zuführen zu können. In den USA fokussiert sich das Verbotskonzept der (attempted) monopolization von vornherein auf exclusionary conduct, der seinem Inhalt nach nichts anderes beschreibt als die Gruppe der wettbewerbspolitisch verbotswürdigen Verdrängungsstrategien. Gleiches gilt für den Missbrauchstatbestand gemäß Art. 102 AEUV in seiner Auslegung als Verbot des Behinderungsmissbrauchs. 58

Vgl. Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 266 – Wanadoo Interactive; Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 20 (6. Spiegelstrich); Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 79 – 80. 59 Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 540; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 120; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 306 und 311 – 312.

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren

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Wie man am Beispiel der divergierenden Einordnung der Kosten-Preis-Schere leicht nachvollziehen kann, sind die Rechtsordnungen auf beiden Seiten des Atlantiks im Hinblick auf die einzelfallspezifische Würdigung einzelner Verdrängungsstrategien trotz ihrer vergleichbaren Ausgangspunkte keineswegs einem sklavischen Gleichlauf verhaftet. Differenzierte wettbewerbspolitische Zielvorstellungen bringen Unterschiede in den Auslegungsergebnissen hervor. Die teleologischen Grundsätze beider Verbote sind vielschichtig und können hier schon aus Platzgründen nur im Überblick angesprochen werden. Das europäische Missbrauchsrecht steht insofern genau wie das gesamte europäische Kartellrecht in einer ordoliberal geprägten Tradition. Das Leitbild des Wettbewerbs ist ein ergebnisoffener Rivalitätsprozess, dem man unterstellt, dass er aus sich selbst heraus für einen volkswirtschaftlich nützlichen Einsatz verfügbarer Ressourcen sorgen kann.60 Wettbewerb soll als Institution um seiner selbst willen geschützt werden.61 Dementsprechend tut man sich innerhalb der EU schwer, den Wettbewerbsregeln konkrete Ziele wie etwa die Maximierung der (Verbraucher-) Wohlfahrt in der Weise zuzuschreiben, dass sie für den Rechtsanwender als ein- und allemal verbindliche Marschrichtungen dienen könnten. Kartellrechtliche Intervention soll also nicht mehr erreichen als den punktuell gestörten Selbststeuerungsmechanismus der Marktkräfte wieder in Gang zu setzen.62 Speziell im Bereich des Behinderungsmissbrauchs nach Art. 102 AEUV – wenn also funktionsfähiger Wettbewerb bereits wegen der Präsenz eines marktbeherrschenden Unternehmens nicht oder nicht mehr in zufriedenstellender Intensität stattfindet – wird die kartellrechtliche Intervention folgerichtig von dem Anliegen geleitet, den noch bestehenden Restwettbewerb zu schützen.63 Der maßgebliche Bezugspunkt dieser Intervention ist die Marktstruktur.64 Die europäische Wettbewerbsaufsicht ist damit einerseits zurückhaltend, indem sie nämlich dem Wettbewerbsgeschehen keine bestimmten Ziele vorgeben will. Andererseits muss sie im Hinblick auf den angestrebten Marktstrukturschutz aber gerade im Bereich der Missbrauchsaufsicht ten60 GD Wettbewerb, Diskussionspapier zu Art. 82 EG, Tz. 54; Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 12. 61 So ganz explizit GA Kokott, Schlussanträge vom 23. 2. 2006, Rs. C-95/04 P, EU:C: 2006:133, Tz. 68 – British Airways/Kommission; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 Rdnrn. 7 – 8, 10 m.w.N. 62 Hierzu eingehend Kreutz, Die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung nach Art. 86 EWG-Vertrag, S. 103 – 105. 63 Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 Rdnr. 10; Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 6; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 5, 199, jeweils m.w.N. 64 Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urteil vom 21. 2. 1973, Rs. 6/72, EU:C:1973:22, Tz. 26 – Continental Can; vgl. nur aus jüngerer Zeit EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/ 04 P, EU:C:2007:166, Tz. 106 – British Airways/Kommission; EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Tz. 104 – 105 – France Télécom/Kommission; näher zu der daraus abgeleiteten besonderen Marktstrukturverantwortung beherrschender Unternehmen Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 16 Rdnr. 44; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 88 – 89.

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

denziell interventionistisch agieren, um weiteren Vermachtungstendenzen effektiv vorbeugen zu können. Gelegentlich läuft dies – unvermeidbarerweise – auf einen Schutz individueller Wettbewerber hinaus.65 Seit einigen Jahren ist das hergebrachte Konzept des Marktstrukturschutzes im europäischen Kartellrecht nicht mehr unangefochten. Dies geht auf die Bestrebungen in Richtung eines stärker wirtschaftlich orientierten Ansatzes für die Kartellrechtsanwendung zurück, die häufig mit dem Schlagwort des „more economic approach“ beschrieben werden.66 Ein Bestandteil dieser Strömung ist die Diskussion darum, ob Effizienzgesichtspunkten sowie der Verbraucherwohlfahrt mehr, das heißt im Endeffekt eigenständiges wettbewerbspolitisches Gewicht zukommen sollte.67 Das endgültige Ergebnis dieser Entwicklung in der Missbrauchsaufsicht ist derzeit noch kaum verlässlich absehbar, scheint aber auf ein Zusammenspiel der marktstrukturorientierten und effizienzorientierten Erwägungen in der Teleologie des Kartellrechts hinauszulaufen.68 Im US-amerikanischen Kartellrecht im Allgemeinen und beim Umgang mit Verdrängungsstrategien (exclusionary conduct) im Speziellen hat man durchaus andere Vorstellungen von schützenswertem Wettbewerb entwickelt, die sich vor allem von den Lehren des europäischen Ordoliberalismus unterscheiden. Ausgehend von den wegweisenden Einflüssen der Chicago School hat sich die Antitrustpolitik der USA seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ganz dem vorrangigen Ziel der durch überlegene betriebswirtschaftliche Effizienz begünstigten Steigerung der Verbraucherwohlfahrt verschrieben. Dies lässt sich deutlich an den bereits dargestellten Tatbestandsvarianten des sec. 2 Sherman Act ablesen, die nämlich von vornherein so zugeschnitten sind, dass sie ausschließlich diejenigen Verhaltensweisen erfassen, welche die Handlungs65 Ob und inwiefern die von Verdrängungsstrategien konkret betroffenen Wettbewerber eigenständigen Schutz nach Art. 102 AEUV genießen, ist im Einzelnen umstritten. Allgemein zu dieser Debatte Wessely, in: FK-KartR, Art. 82 EG – Anwendungsgrundsätze, Rdnrn. 64, 66 – 67; Whish/Bailey, Competition Law, S. 195 – 197. Richtigerweise wird man individuellen Wettbewerberschutz wohl als Reflex bzw. notwendigen Zwischenschritt für effektiven Wettbewerbsschutz hinnehmen müssen, vgl. Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 6, 22. Besonders deutlich ist dies hervorgetreten in EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18 – Commercial Solvents (siehe insbesondere Tz. 25). 66 Dazu allgemein statt vieler Basedow, WuW 2007, 712; Eilmansberger, ZWeR 2009, 437; Immenga, ZWeR 2006, 346; von Weizsäcker, WuW 2007, 1078; mit speziellem Bezug zur Missbrauchsaufsicht außerdem Dreher/Adam, ZWeR 2006, 259; Kellerbauer, ECLR 2010, 175. 67 Siehe hierzu Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 6, 9; Kellerbauer, ECLR 2010, 175, 176, jeweils m.w.N.; mit deutlich zurückhaltendem Unterton Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 14 – 19. 68 Wessely, in: FK-KartR, Art. 82 EG – Anwendungsgrundsätze, Rdnr. 72. Besonders anschaulich insofern Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 5 – 6 sowie an späterer Stelle die unter dem Vorbehalt keiner völligen Ausschaltung des Wettbewerbs eingeräumte Effizienzrechtfertigung (a.a.O., Tz. 30).

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren

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möglichkeiten anderer Mitbewerber beeinträchtigen und dabei keine Effizienzgewinne hervorbringen. Wegen dieser teleologischen Fokussierung sind Effizienzen und Verbraucherwohlfahrtsaspekte unmittelbare und integrale Bestandteile des kartellrechtlichen Prüfungsprogramms. Anders als im Kartellrecht der EU ist man nicht bereit, die wettbewerbspolitische Aussagekraft dieser Kriterien mit Hinweis auf marktstrukturelle Gefahren zu relativieren. Häufig trifft man auf die verkürzte, im Großen und Ganzen aber zutreffende Aussage, dass das US-Kartellrecht den Wettbewerb und nicht einzelne Wettbewerber schützen soll.69

IV. Bewertung vertikaler Integration als Blaupause für den wettbewerbspolitischen Umgang mit der Kosten-Preis-Schere? Vertikale Integration ist eine zentrale Grundvoraussetzung für das Auftreten einer Kosten-Preis-Schere. Gleichzeitig ist vertikale Integration auch bereits aus sich selbst heraus ein immer wieder diskutiertes Thema im breiten wettbewerbsrechtlichen und wettbewerbspolitischen Kontext. Dies zeigt sich mit aller Deutlichkeit auch in der Praxis der Kontrolle von vertikalen Unternehmenszusammenschlüssen, bei der die Entstehung vertikal integrierter Konzernstrukturen sogar unmittelbarer Gegenstand einer kartellrechtlichen Prüfung ist. Wenn es nun allgemeine Grundsätze zur wettbewerbspolitischen Bewertung vertikaler Integration gibt, so besteht Anlass zur Hoffnung, dass diese sich im vorliegenden Kontext als nützliche Blaupause für die Würdigung der Kosten-Preis-Schere erweisen werden. Die Betrachtung vertikaler Integration würde sich insbesondere dann als aussagekräftig und hilfreich erweisen, wenn sie sich uneingeschränkt und unabhängig von einzelnen Verhaltensweisen der so strukturierten Unternehmen einer eindeutigen wettbewerbspolitischen Bewertung in die eine oder andere Richtung zuführen ließe. Dann nämlich könnte sich eine gesonderte Analyse, die über die Unternehmensstruktur hinaus speziell auf eine Preissetzung im Sinne der Kosten-Preis-Schere blickt, erübrigen. So einfach ist es im Ergebnis jedoch nicht, wie jetzt zu zeigen sein wird. Die allgemeine wettbewerbspolitische Sichtweise zur vertikalen Integration lässt sich gut an den Entwicklungen der US-amerikanischen Antitrustpolitik ablesen.70 Noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts standen die dort mit entsprechenden Fällen befassten Gerichte vertikal ausgedehnten Unternehmensstrukturen mit einer aus-

69 Brown Shoe Co., Inc. v. United States, 370 U.S. 294, 320 (1962); Brunswick Corp. v. Pueblo Bowl-O-Mat, Inc., 429 U.S. 477, 488 (1977); U.S. Department of Justice, Single-Firm Conduct Under Section 2 of the Sherman Act, S. 11 – 12; in gleicher Weise inzwischen auch für das EU-Kartellrecht Lowe, in: Fordham Corp. L. Inst. 2003, 163, 169; GD Wettbewerb, Diskussionspapier zu Art. 82 EG, Tz. 54. 70 Ausführlicher als hier Mertens, Privatrechtsschutz und vertikale Integration im internationalen Handel, S. 123 – 132 mit zahlreichen Nachweisen.

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

geprägten Skepsis gegenüber.71 Diese restriktive Praxis stand maßgeblich unter dem Eindruck der Harvard School of Economics. Man war seinerzeit einer strukturbezogenen Sichtweise verhaftet und betonte das marktverschließende Potenzial der mit vertikaler Integration verbundenen Internalisierung von zuvor am Markt durchgeführten Transaktionen.72 Von dieser Lehrmeinung hat man sich aber in den darauffolgenden Jahrzehnten wieder erkennbar und nachhaltig distanziert. In Übereinstimmung mit der in den 1970er Jahren aufkeimenden Chicago School und der sich daran anschließenden und bis heute wirkenden post-Chicago School gelten die mit vertikaler Integration einhergehenden Effekte in wettbewerbspolitischer Hinsicht als überwiegend begrüßenswert.73 Dies ist ganz wesentlich der Tatsache geschuldet, dass diese neueren ökonomischen Denkschulen speziell der Effizienzträchtigkeit vertikaler Integration stärkeres Gewicht beimessen.74 Die praktischen Nachweise dafür, wie vertikale Strukturen zu Effizienzen und damit zu höherer unternehmerischer Leistungsfähigkeit führen können, sind mannigfaltig und können hier nur ausschnittsweise wiedergegeben werden.75 Beispielsweise kann die im Konzernverbund unter einheitlicher Leitung verfestigte und auf Dauer angelegte Internalisierung aufeinanderfolgender Wertschöpfungsprozesse koordinative Vorteile hervorbringen. Einer vertraglichen Geschäftsbeziehung sind bestimmte wirtschaftliche Risiken wie etwa die Ungewissheit über die zukünftige Fähigkeit und Bereitschaft der anderen Partei, sich vertragsgemäß zu verhalten, funktionsimmanent. Dies begründet strategische Nachteile gegenüber der im Konzernverbund bestehenden Sicherheit über die dauerhafte Funktionsfähigkeit marktstufenübergreifender Koordination.76 Angesprochen ist damit das vieldiskutierte Phänomen der in Vertragsverhältnissen unweigerlich anfallenden Transaktionskosten, bei denen es sich letztlich um die quantifizierte Abbildung der genannten

71 Vgl. nur aus der Gerichtspraxis Brown Shoe Co. v. United States, 370 U.S. 294 (1962); Ford Motor Co. v. United States, 286 F. Supp. 407 (E.D. Mich. 1968), anschließend bestätigt durch den Supreme Court, 405 U.S. 562 (1972); United States v. E.I. du Pont de Nemours & Co., 353 U.S. 586 (1957). 72 Brown Shoe Co. v. United States, 370 U.S. 294 (1962); Kerber/Schwalbe, in: MünchKommEUWettbR, Einl. Rdnr. 483; Roberto, WuW 1992, 803, 804. 73 Mertens, Privatrechtsschutz und vertikale Integration im internationalen Handel, S. 127 – 128 und 130 – 131. Die mit der Chicago School eingeführte liberale Haltung gegenüber vertikalen Integrationsvorgängen basiert im Kern auf zwei Annahmen. Erstens könne pro Wertschöpfungskette nur eine Monopolrente gezogen werden. Zweitens führe vertikale Integration lediglich zu einer Neuordnung von Lieferbeziehungen, vgl. Bork, The Antitrust Paradox, S. 229 und 231 – 238; Motta, Competition Policy, S. 372 – 373; Posner/Easterbrook, Antitrust, S. 870. 74 Bork, The Antitrust Paradox, S. 227; vgl. auch Riordan/Salop, 63 Antitrust L. J. (1995), 513, 522 – 527. 75 Vgl. für eine umfassendere Darstellung Kerber/Schwalbe, in: MünchKommEUWettbR, Einl. Rdnrn. 450 – 470. 76 Joskow, in: Ménard/Shirley, S. 319, 335.

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren

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Unsicherheitsfaktoren handelt.77 Sie können sich besonders in Sektoren mit ausgesprochen komplexen vertikalen Beziehungen (Stichwort: unvollständige Verträge)78 sowie im grenzüberschreitenden Handel79 als ernstzunehmender Kostenfaktor niederschlagen. Ein zusätzlicher Vorteil aus vertikaler Integration kann dadurch entstehen, dass sie der Beseitigung von Anreizproblemen im Rahmen von Investitionsentscheidungen dient. Wenn ein Unternehmen ein hoch spezialisiertes Einsatzgut benötigt und potenzielle Lieferanten hierzu erst kostenintensive Anfangsinvestitionen für neue Maschinen oder ähnlichem auf sich nehmen müssten, mag es aus betriebswirtschaftlichen Gründen aufgrund der Risiken aus der hierdurch entstehenden einseitigen Bindung an den Geschäftspartner rational sein, entsprechende Vertragsbeziehungen von vornherein zu unterlassen.80 Somit unterbleibt eine potenziell effizienzträchtige Investitionstätigkeit (sogenanntes hold up-Problem). Eine sich über beide Marktstufen hinweg erstreckende eigentumsrechtlich verfestigte vertikale Integration räumt entsprechende Unsicherheiten aus dem Weg.81 Vor diesem Hintergrund steht die im Großen und Ganzen liberale Wettbewerbspolitik der heute vorherrschenden post-Chicago School vertikalen Unternehmensstrukturen grundsätzlich positiv gegenüber. Doch auch dies gilt nicht uneingeschränkt. Sobald nämlich das integrierte oder sich integrierende Unternehmen über ein beträchtliches Maß an Marktmacht auf einer oder mehrerer der beteiligten Marktstufen verfügt, kann die Gefahr einer strukturellen Abschottung von Märkten (foreclosure) entstehen.82 Dementsprechend ist vertikale Integration in Kombination mit hervorgehobener Marktmacht ein wettbewerbspolitisch ambivalentes Phänomen. Im Falle der Unternehmensverbindung über mehrere bereits stark vermachtete Marktstufen mag es sogar vorkommen, dass sich trotz der auf diesem Wege gebündelten Marktmacht wünschenswerte Effizienzen ergeben, weil künftig nur noch die einfache Monopolrente gezogen werden kann (Beseitigung der sogenannten „double marginalization“).83 Die wettbewerbspolitische Ambivalenz lässt sich an77

Grundlegend zum Begriff und zur wirtschaftlichen Relevanz von Transaktionskosten Coase, Economica, New Series 4 (1937), 386 sowie die später daran anknüpfenden Arbeiten von Williamson, 61 Am. Econ. Rev. (1971), 112 und 22 J. L. & Econ. (1979), 233. 78 Williamson, 61 Am. Econ. Rev. (1971), 112, 115 – 117. 79 Busse, WuW 2002, 112. 80 Kerber/Schwalbe, in: MünchKommEUWettbR, Einl. Rdnr. 458; Kruse, in: FS I. Schmidt, S. 247, 261. 81 Joskow, in: Ménard/Shirley, S. 319, 327 – 328 und 333; Kerber/Schwalbe, in: MünchKommEUWettbR, Einl. Rdnr. 459; Picot/Franck, in: Hauschildt/Grün, S. 179, 188 – 189; Williamson, 22 J. L. & Econ. (1979), 233, 252 – 253. 82 Kerber/Schwalbe, in: MünchKommEUWettbR, Einl. Rdnrn. 488 – 494, 500; Sullivan/ Grimes, The Law of Antitrust, S. 677. Instruktiv und ausführlich zum Konzept der Marktabschottung im Rahmen der Prüfung vertikaler Zusammenschlüsse nach europäischem Recht Kommission, Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, ABl. 2008, C 265/6, Tz. 18 und 29 – 77. 83 Kerber/Schwalbe, in: MünchKommEUWettbR, Einl. Rdnrn. 465 – 467; Motta, Competition Policy, S. 307 – 313; Riordan/Salop, 63 Antitrust L. J. (1995), 513, 526.

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

schaulich an den in den USA und der EU geltenden Grundsätzen betreffend die Prüfung von vertikalen Zusammenschlussvorhaben ablesen. Denn nach diesen kommt es auch dort, wo Marktmacht im Spiel ist, jeweils auf eine sorgfältige Abwägung der pro- und antikompetitiven Effekte eines jeden Einzelfalls an.84 Wenn nun aber vertikale Integration gerade erst im Zusammenspiel mit Marktmacht zum Wettbewerbsproblem avanciert, ist daraus für die Würdigung einseitiger Verhaltensweisen der so integrierten Unternehmen mit privilegierter Marktstellung wenig gewonnen. Denn die Vorschriften, die dies- und jenseits des Atlantiks potenziell auf Kosten-Preis-Scheren anwendbar sind, stellen schon von sich aus Anforderungen an die Marktmacht des so agierenden Unternehmens. So sind Normadressaten des Art. 102 AEUV Unternehmen, die auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben eine beherrschende Stellung einnehmen. In vergleichbarer Weise sanktioniert sec. 2 Sherman Act den Erwerb oder die Verfestigung von Monopolmacht sowie den darauf gerichteten erfolgsversprechenden Versuch. Dies hat zur Folge, dass die im vorliegenden Kontext auftretenden KostenPreis-Scheren allesamt auf einer – abstrakt betrachtet – wettbewerbspolitisch ambivalenten Erscheinungsform vertikaler Integration aufbauen, in denen Effizienzvorteile und marktmachtbezogene Probleme gleichermaßen verwurzelt sein können. Für den weiteren Fortgang der Arbeit kann daher festgehalten werden, dass die wettbewerbspolitische Sichtweise auf vertikale Integration keine definitiven Ergebnisse der anstehenden Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Kosten-PreisSchere vorwegnimmt. Gerade in der hier interessanten Konstellation des gleichzeitig marktmächtigen und vertikal integrierten Unternehmens kommen wünschenswerte Effizienzvorteile auf der einen Seite und Marktabschottungsgefahren auf der anderen Seite gleichzeitig zum Tragen. Vertikale Integration kommt daher im Sinne der eingangs angesprochenen Blaupause für die wettbewerbsrechtliche Würdigung von Kosten-Preis-Scheren lediglich in der Hinsicht zur Geltung, dass sie die grundlegende Ambivalenz der vorgefundenen Unternehmensstruktur verdeutlicht. Wie sich noch im Einzelnen herausstellen wird, ist auch die Kosten-Preis-Schere in hohem Maße vom Nebeneinander positiver wie negativer Wettbewerbseffekte geprägt.

84

Für die EU: Kommission, Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, ABl. 2008, C 265/6. Erst im Jahr 2004 hat man zudem mit der Novellierung der europäischen Fusionskontrollverordnung das bis dahin explizit strukturorientierte materielle Untersagungskriterium für (vertikale) Zusammenschlüsse in ein offeneres wirkungsorientiertes Kriterium überführt, siehe dazu im Kontext vertikaler Integration Mertens, Privatrechtsschutz und vertikale Integration im internationalen Handel, S. 136. Für die USA: U.S. Department of Justice, Non-horizontal Merger Guidelines (1984), http://www.justice.gov/atr/public/guidelines/2614.htm (zuletzt abgerufen am 18. 3. 2015).

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren

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V. Sonderfall: Keine kartellrechtliche Relevanz der ausschließlich hoheitlich veranlassten Kosten-Preis-Schere Im Zuge der Darstellung der zur Kosten-Preis-Schere bisher ergangenen Entscheidungspraxis wird sich zeigen, dass sie sich als wirtschaftliches Phänomen besonders häufig in denjenigen Wirtschaftsbereichen ereignet, in denen hoheitliche Regulierungsmaßnahmen von vornherein die Preissetzungsfreiheit der dort tätigen Unternehmen überlagern. Wenn sich eine solche Preisregulierung nun über zwei einander vor- und nachgelagerte Marktstufen erstreckt und die dazu getroffenen Maßnahmen unzureichend aufeinander abgestimmt sind, kann auch dies eine Kosten-Preis-Schere heraufbeschwören.85 Es stellt sich dann aus Sicht des Kartellrechts die Frage, wie mit dieser Situation umzugehen ist, insbesondere, ob das marktbeherrschenden Unternehmen für eine so entstandene Kosten-Preis-Schere verantwortlich gemacht werden darf. Im europäischen Rechtskreis hat man sich schon des Öfteren mit der allgemeinen Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen kartellrechtlicher Intervention bei staatlichen Markteingriffen auseinanderzusetzen gehabt. Es gilt der Grundsatz, dass kartellrechtliche Verbotsnormen in Bezug auf diejenigen Verhaltensweisen nicht mehr anwendbar sind, die einem Unternehmen durch mitgliedstaatliche Hoheitsakte vorgeschrieben sind und dabei jeglichen Spielraum für ein objektiv wettbewerbskonformes Verhalten ausschließen.86 In diesen Fällen verlagert sich die Zurechenbarkeit eines Wettbewerbsverstoßes von der unternehmerischen auf die hoheitliche Ebene.87 Das unternehmensbezogene Kartellrecht ist daher folgerichtig ausschließlich auf das von Unternehmen autonom und eigenverantwortlich an den Tag gelegte Verhalten anwendbar.88 Speziell für die Kosten-Preis-Schere im Kontext des europäischen Rechts bedeutet dies nun, dass das Verbot nach Art. 102 AEUV nicht eingreifen wird, wenn ein Preisregulierungsregime auf beiden Marktstufen ansetzt und dabei in der Kombination eine Preissetzung verlangt, die einem marktbeherrschenden und vertikal integrierten Unternehmen keinerlei Spielraum auf der einen oder anderen Marktstufe mehr belässt, um die Kosten-Preis-Schere abzustellen oder 85 Paradigmatisch ist insoweit der Sachverhalt, auf dessen Grundlage die Kommission im Fall Deutsche Telekom eine Kosten-Preis-Schere feststellte. Zu den Einzelheiten dieses Falles und der regulierungsrechtlichen Dimension unten, Kap. 4 A. IV. 86 EuGH, Urteil vom 11. 11. 1997, verb. Rs. C-359/95 P und C-379/95 P, EU:C:1997:531, Tz. 33 – Ladbroke Racing; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 80 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 85 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 87 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 55 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 121 – Deutsche Telekom AG/Kommission; Emmerich, in: Dauses, H.I. § 3 Rdnr. 56; Paulweber, Regulierungszuständigkeiten in der Telekommunikation, S. 159. 88 EuGH, Urteil vom 11. 11. 1997, verb. Rs. C-359/95 P und C-379/95 P, EU:C:1997:531, Tz. 33 – 34 – Ladbroke Racing; EuGH, Urteil vom 20. 3. 1985, Rs. 41/83, EU:C:1985:120, Tz. 18 – 20 – Italien/Kommission; Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 Rdnr. 134; O’Donoghue/ Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 29.

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Kap. 2: Die Kosten-Preis-Schere als Wirtschaftsphänomen

im Rahmen seiner Möglichkeiten wenigstens abzumildern. Es gilt allerdings zu beachten, dass diese Ausnahmeregel nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung steht. Zum einen – dies geht schon aus dem vorstehend Gesagten hervor – kann ein Unternehmen seine Verantwortlichkeit nach Art. 102 AEUV nicht schon allein deswegen von sich weisen, weil ein bestimmtes Verhalten von staatlicher Seite her gebilligt, gefördert oder sonstwie motiviert worden ist.89 Mitgliedstaatliches Regulierungsrecht hat keinerlei legalisierende Wirkung auf der Ebene des höherrangigen Wettbewerbsrechts der Union.90 Wenn zudem nur einer der beiden beteiligten Märkte reguliert ist, kann und muss der auf dem nicht-regulierten Markt bestehende Handlungsspielraum zwecks Beseitigung einer Kosten-Preis-Schere vollständig genutzt werden.91 Hinzu kommt, dass ausweislich der Praxis von EuGH und Kommission die für die Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV ausschlaggebende unternehmerische Verantwortlichkeit für einen Verstoß selbst dann noch erhalten bleiben kann, wenn die hoheitliche Intervention keinerlei materielle Spielräume für wettbewerbskonformes Marktverhalten vorsieht. Es soll nämlich genügen, wenn allein verfahrensmäßige Spielräume zur Einflussnahme auf die staatlichen Regulierungsvorgaben offenstehen. Solange diese ungenutzt bleiben, ändert sich auch nichts an der generellen Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV.92 Diese Rechtsprechung begründet im Endef89

CIF.

So ausdrücklich EuGH, Urteil vom 9. 9. 2003, Rs. C-198/01, EU:C:2003:430, Tz. 56 –

90 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 82, 84 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuGH, Urteil vom 16. 11. 1977, Rs. 13/77, EU:C:1977:185, Tz. 30/ 35 – GB-Inno-BM/ATAB; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 29 m.w.N. aus der Praxis (dort in Fn. 117); inhaltlich entsprechend für Art. 101 Abs. 1 AEUV EuGH, Urteil vom 30. 1. 1985, Rs. 123/83, EU:C:1985:33, Tz. 21 – 23 – BNIC/Clair. Insbesondere mit den klarstellenden Äußerungen des EuGH im Urteil Deutsche Telekom kann inzwischen auch eine bis zuletzt noch vereinzelt vertretene Meinung (vgl. Wissmann/Krull, in: Wissmann, Telekommunikationsrecht – Praxishandbuch, Kap. 18 Rdnrn. 139 – 140) als überholt angesehen werden, wonach Art. 101 ff. AEUV bereits immer dann als unanwendbar gelten sollen, wenn sich ein reguliertes Unternehmen nur an die äußeren Grenzen einer behördlichen Entgeltgenehmigung hält. Dagegen mit überzeugenden Argumenten Schmidt-Volkmar, Das Verhältnis von kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht und Netzregulierung, S. 200 – 201. 91 Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 346; a.A. Moore, ECLR 2008, 721, 724. 92 Hierzu eindrucksvoll Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 164 i.V.m. 36 – Deutsche Telekom AG; EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 97 – 105, 122, 124 – Deutsche Telekom AG/Kommission. Ganz ähnlich übrigens auch Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 289 – Wanadoo Interactive und Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 665 – 675 – Telefónica. In diesen beiden Fällen hielt die Kommission die kartellrechtliche Verantwortlichkeit der jeweils marktbeherrschenden Unternehmen für eine Kampfpreisunterbietung (Wanadoo Interactive) bzw. Kosten-Preis-Schere (Telefónica) aufrecht, da das nationale Regulierungsrecht den Unternehmen Möglichkeiten eröffnet habe, aus eigener Initiative auf veränderte Preisregulierung hinzuwirken. Siehe außerdem die hiermit übereinstimmende Sichtweise des EuGH in seinem Urteil vom 16. 9. 2008, verb. Rs. C-468/06 u. a., EU:C: 2008:504, Tz. 58 – 64 – GlaxoSmithKline AEVE.

B. Eckpfeiler der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren

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fekt eine Obliegenheit für marktbeherrschende Unternehmen, selbst aktiv mit den verfügbaren verfahrensmäßigen Mitteln auf die Korrektur einer wettbewerbsrechtlich fehlerhaften Preisregulierung hinzuwirken.93 Angesichts der extrem restriktiven Handhabung der genannten Grundsätze zur fehlenden Zurechenbarkeit von Wettbewerbsverstößen werden hoheitliche Preisregulierungseingriffe nur in ganz seltenen Ausnahmefällen geeignet sein, die einem marktbeherrschenden Unternehmen durch das Unionsrecht zugewiesene besondere Marktstrukturverantwortung94 so weit zu überlagern, dass die Anwendbarkeit von Art. 102 AEUV tatsächlich einmal unterbleiben muss. Damit bleibt im absoluten Regelfall auch die durch regulierungsrechtliche Intervention herbeigeführte KostenPreis-Schere für das Kartellrecht relevant. Für das US-amerikanische Recht erübrigt sich die hier aufgeworfene Frage, nachdem der Supreme Court der Figur des price squeeze schon von vornherein die Qualität einer eigenständig gemäß sec. 2 Sherman Act verbotenen Verhaltensweise abgesprochen hat.95 Es sei allerdings im Vorgriff auf die später noch folgende allgemeine Betrachtung des Verhältnisses von Kartell- und Regulierungsrecht in den USA schon jetzt gesagt, dass man dort weitaus großzügigere Ausnahmebereiche anerkennt.96

93 Diese Sichtweise wird auch im Schrifttum überwiegend gebilligt, vgl. nur Möschel, MMR-Beilage 3/1999, 3, 4; Paulweber, ZUM 2000, 11, 21; Schmidt-Volkmar, Das Verhältnis von kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht und Netzregulierung, S. 207 – 208; Schütze/Salevic, CR 2008, 483, 486. 94 Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. 322/81, EU:C: 1983:313, Tz. 57 – Michelin; vgl. jüngst nur EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Tz. 105 – France Télécom/Kommission; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C52/09, EU:C:2011:83, Tz. 24 – TeliaSonera. 95 Siehe dazu noch ausführlich unten, Kap. 3 B. 96 Dazu unten, Kap. 3 B. V. 2. und Kap. 6 A. II. 2.

Kapitel 3

Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht Im Anschluss an die einführenden Grundlagen soll nun untersucht werden, wie das US-amerikanische Kartellrecht mit dem wirtschaftlichen Phänomen der Gewinnmargenbeschneidung („price squeeze“1) umgeht. Der gegenwärtige Rechtszustand ist bereits zur Sprache gekommen: Der Supreme Court hat sec. 2 Sherman Act in seinem wegweisenden Linkline-Urteil des Jahres 2009 dahingehend ausgelegt, dass die Festsetzung unzureichender Preisspannen auf vertikal verbundenen Märkten durch ein integriertes Unternehmen für sich genommen keinen verbotswürdigen Fall der (attempted) monopolization ausmacht. Insofern werden Darstellung, Analyse und Konsequenzen dieses Urteils mitsamt der vorinstanzlichen Entscheidungen im absoluten Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen stehen. Vorab soll jedoch die historische Entwicklung zum price squeeze in der US-kartellrechtlichen Praxis während des 20. Jahrhunderts überblicksmäßig dargestellt werden. Dies veranschaulicht, von welchem Ausgangspunkt her die Gerichte auf das Linkline-Verfahren zugegangen sind.

A. Entwicklung der Gerichtspraxis im 20. Jahrhundert I. Der Fall Alcoa als historischer Ausgangspunkt Den für die heutigen Überlegungen zum price squeeze relevanten historischen Ausgangspunkt markiert die Entscheidung des Court of Appeals for the Second Circuit in der Sache United States v. Aluminum Co. of America2 (kurz: „Alcoa“) aus dem Jahr 1945. Dieses Urteil sollte sich als Wegmarke für das US-amerikanische Antitrustrecht insgesamt und für den Umgang mit dem price squeeze als Erscheinungsform von anticompetitive exclusionary conduct im Speziellen erweisen. Die Aluminum Co. of America war schon seit Ende des 19. Jahrhunderts im Bereich der Aluminiumverarbeitung tätig gewesen. Sie hatte sich im Laufe der Jahre zu einem Großkonzern entwickelt und war dabei organisatorisch über mehrere Wertschöp1

Verbreitet ist auch der synonyme Begriff „margin squeeze“. United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416 (2d Cir. 1945); siehe hierzu auch Bork, The Antitrust Paradox, S. 165 – 174 mit dezidiert kritischer Sichtweise; Waller, in: Fox/ Crane, Antitrust Stories, S. 121. 2

A. Entwicklung der Gerichtspraxis im 20. Jahrhundert

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fungsstufen hinweg vertikal integriert. Das Unternehmen konnte sich insbesondere beim Vertrieb von Rohaluminiumblöcken mit der Zeit beachtliche Marktanteile im Bereich um die 90 % erarbeiten und hatte daher unter den US-amerikanischen Produzenten eine weitgehend unangefochtene annähernde Monopolstellung inne. Auf der zu dieser Tätigkeit nachgelagerten Marktstufe für die aus Rohaluminium gefertigten Aluminiumbleche agierten neben Alcoa auch konzernfremde Konkurrenten, die einen Großteil des benötigten Rohaluminiums von Alcoa beziehen mussten. Sie waren faktisch von der Belieferung durch Alcoa abhängig, weil – so die Feststellungen im gerichtlichen Verfahren – ausländische Lieferquellen zwar prinzipiell vorhanden waren, aber keinen wirtschaftlich gleichwertigen Ersatz boten. In dieser Gemengelage von nachgelagerter Konkurrenz und vorgelagerter Belieferungsabhängigkeit wurde auf Basis von sec. 2 Sherman Act der Vorwurf erhoben, Alcoa habe in der Zeit zwischen 1925 und 1932 das Rohaluminium an die konzernfremden Abnehmer zu derart hohen Preisen verkauft, dass diese mit Rücksicht auf den von Alcoa selbst verlangten Preis für Aluminiumbleche gar keinen oder nur einen geringen, jedenfalls aber unzureichenden Gewinn erzielen konnten.3 Die Richtigkeit dieser Behauptung ging aus Kosten- und Preisdaten der betrieblichen Geschäftsberichte hervor. Damit entspricht der vom Gericht vorgefundene Sachverhalt genau der Konstellation, die für die Kosten-Preis-Schere bzw. den price squeeze paradigmatisch ist. Folgerichtig prüfte der Court of Appeals die Preisgestaltung Alcoas dann auch unter diesem speziellen Gesichtspunkt.4 In Übereinstimmung mit der klägerischen Argumentation kam der Court of Appeals zum Ergebnis, dass Alcoa mit ihrer Preisgestaltung die Möglichkeit der Konkurrenten, auf der nachgelagerten Marktstufe der Weiterverarbeitung von Aluminium noch einen auskömmlichen Gewinn (die Rede ist hier vom „living profit“) zu erzielen, effektiv und zudem in wettbewerbswidriger Weise unterbunden hatte.5 Insoweit scheint es recht klar auf der Hand zu liegen, dass sich der kartellrechtliche Vorwurf auf eine unzureichende Gewinnspanne und damit letztlich ein Missverhältnis zwischen dem vorgelagerten Preis für Rohaluminium und dem nachgelagerten Preis für Aluminiumbleche bezieht. Interessant ist allerdings, dass der Court of Appeals diesen anfänglichen Bezugspunkt seiner Analyse offenbar nicht durchgängig aufrechterhalten hat. Denn im weiteren Verlauf der Entscheidungsgründe heißt es, der vorgelagerte Preise sei für sich genommen unangemessen hoch („higher than a fair price“).6 Insofern vermengt das Gericht den eigenständigen Vorwurf des price squeeze, verstanden als unzureichende Preisspanne auf zwei verbundenen Märkten, mit dem Vorwurf eines überhöhten Vorleistungspreises. 3

United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416, 437 (2d Cir. 1945). United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416, 436 – 438 (2d Cir. 1945). 5 United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416, 437 (2d Cir. 1945). 6 United States v. Aluminum Co. of America, 148 F.2d 416, 438 (2d Cir. 1945): „That it was unlawful to set the price of ,sheet‘ so low and hold the price of ingot so high, seems to us unquestionable, provided, as we have held, that on this record the price of ingot must be regarded as higher than a ,fair price‘.“ 4

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

Nichtsdestotrotz ist mit der Alcoa-Entscheidung der Grundstein für die Anerkennung des price squeeze im Kanon wettbewerbswidriger Monopolisierungspraktiken erfolgreich gelegt worden. Die Vorgehensweise des Gerichts lässt klar erkennen, dass es die unzureichende Preisspanne in den Bestand des US-amerikanischen Rechts und konkret in die Dogmatik des anticompetitive exclusionary conduct gemäß sec. 2 Sherman Act aufgenommen wissen wollte. Alcoa kommt somit die hervorgehobene Rolle eines historischen Präzedenzfalles zu, der auch bis in die heutige Zeit immer wieder sowohl in der Gerichtspraxis7 als auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung8 beständig als solcher angeführt wird.

II. Spätere Entscheidungen der Courts of Appeals ab den 1970er Jahren Im Nachgang der Alcoa-Entscheidung wurde es während eines längeren Zeitraums von rund 30 Jahren in der amerikanischen Rechtspraxis vergleichsweise ruhig um das Thema des price squeezing. Erst ab Mitte der 1970er Jahre gelangten wieder entsprechende Verfahren vor die Berufungsgerichte und damit ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Dies markiert den Beginn einer rund 20 Jahre andauernden Phase bis etwa zum Anfang der 1990er Jahre, während derer sich die Anzahl der auf den price squeeze gestützten Antitrustklagen sprunghaft erhöhen sollte. Die in dieser Zeit behandelten Fallkonstellationen lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen. Eine erste Gruppe von Verfahren betrifft Vorwürfe von KostenPreis-Scheren in klassischen Industriebereichen (Baustoffe, Aluminium- und Stahlverarbeitung), deren marktbezogene Rahmenbedingungen weitestgehend mit denen des Alcoa-Verfahrens übereinstimmten.9 In die zweite und von der Fallzahl her bedeutsamere Gruppe gehören Verfahren, die sich in verschiedenen Regionen der USA im Bereich der kommunalen Energiewirtschaft abspielten.10 7

Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 503 F.3d 876, 880 (9th Cir. 2007); Town of Concord, Massachusetts v. Boston Edison Company, 915 F.2d 17, 18 und 25 (1st Cir. 1990). 8 Dunne, ECLR 2012, 29, 36; Grimes, ZWeR 2009, 343, 344; Meisel, 8 Eur. Comp. J. (2012), 383, 383; Nguyen, IIC 2010, 316, 317 – 318. 9 Vgl. George C. Frey Ready-Mixed Concrete, Inc. v. Pine Hill Concrete Mix Corp., 554 F.2d 551 (2d Cir. 1977); California Steel & Tube v. Kaiser Steel Corp., 650 F.2d 1001 (9th Cir. 1981); Bonjorno v. Kaiser Aluminum & Chemical Corporation, 752 F.2d 802, 808 (3d Cir. 1984), cert. denied, 477 U.S. 908 (1986); Arthur S. Langenderfer, Inc. v. S. E. Johnson Co., 917 F.2d 1413, 1440 (6th Cir. 1990). 10 Aus der zweitinstanzlichen Rechtsprechung der Courts of Appeals: City of Mishawaka v. Indiana & Michigan Electric Company, 560 F.2d 1314 (7th Cir. 1977); City of Mishawaka v. American Electric Power Company, 616 F.2d 976 (7th Cir. 1980), cert. denied, 449 U.S. 1096 (1981); City of Groton v. Connecticut Light & Power Co., 662 F.2d 921 (2d Cir. 1981); City of Kirkwood v. Union Electric Company, 671 F.2d 1173 (8th Cir. 1982); Borough of Lansdale v. Philadelphia Electric Company, 692 F.2d 307 (3d Cir. 1982); Town of Concord v. Boston Edison

A. Entwicklung der Gerichtspraxis im 20. Jahrhundert

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Der Blick auf diese letztgenannte Fallgruppe von Verfahren unter Beteiligung von Energieversorgungsunternehmen ist besonders interessant, weil sich dort neben Fragen zur Prüfung des price squeeze gemäß sec. 2 Sherman Act auch solche in Bezug auf das Zusammenwirken von Kartell- und Regulierungsrecht stellten.11 Der für diese Rechtsstreitigkeiten typische und in gleicher oder ähnlicher Form immer wiederkehrende Sachverhalt betrifft das Marktgebaren verschiedener, in einzelnen Gebieten der USA regional tätiger und vertikal integrierter Energieversorgungsunternehmen. Sie vertreiben auf der vorgelagerten Großhandelsstufe Strom an kommunale Stadtwerke und sind ihrerseits gleichzeitig auch im nachgelagerten Einzelhandelsgeschäft tätig, wo sie vornehmlich industrielle Großabnehmer selbst und direkt versorgen. Innerhalb des jeweiligen Stadt- oder Gemeindegebiets beliefert daneben das kommunale Stadtwerk die breite Masse der Haushaltsendkunden. Hierfür ist es mangels anderer Stromgroßhändler im jeweiligen Gebiet von der Belieferung mit Elektrizität durch den regional ansässigen Energieversorger abhängig. Somit zeigt sich in diesem Bereich die spezifische Markt- und Unternehmensstruktur, die die Gefahr einer Kosten-Preis-Schere seitens des Energieversorgers zulasten der Stadtwerke begründet. Im Laufe der Zeit wurden dann auch entsprechende Vorwürfe laut. Diese entwickelten sich typischerweise nach neuerlichen Preiserhöhungen des Energieversorgers auf der Großhandelsebene. Da die so erhöhten Preise mit Blick auf die Wettbewerbssituation im nachgelagerten Endkundengeschäft nicht mehr als wirtschaftlich tragfähig angesehen wurden, stand der Verdacht eines existenzgefährdenden zweifachen Preisdrucks im Raum. Daraus entstanden dann auch in kurzer Zeit Monopolisierungsklagen, mit denen sich die jeweiligen kommunalen Stadtwerksbetreiber auf eine Verletzung von sec. 2 Sherman Act aufgrund eines price squeeze beriefen. Die mannigfaltigen erst- und zweitinstanzlichen Entscheidungen dieser Energieversorgungsfälle können an dieser Stelle nicht umfassend nachgezeichnet werden. Mit Bezug zur Rechtsfigur des price squeeze soll der Hinweis genügen, dass insbesondere die verschiedenen Courts of Appeals in mehreren Berufungsverfahren beinahe einhellig bereit waren, vor dem Hintergrund der Alcoa-Entscheidung die Company, 915 F.2d 17 (1st Cir. 1990); City of Anaheim v. Southern California Edison Company, 955 F.2d 1373 (9th Cir. 1992). Aus der erstinstanzlichen Rechtsprechung der District Courts: Borough of Ellwood City v. Pennsylvania Power Company, 462 F.Supp. 1343; City of Newark v. Delmarva Power & Light Company, 467 F.Supp. 763; Borough of Ellwood City v. Pennsylvania Power Company, 570 F.Supp. 553; City of Batavia v. Commonwealth Edison Co., No. 76-C-4388 (N.D. Ill. 1984); City of Shakopee v. Northern States Power Co., No. 4 – 75 – 591 (D. Minn. 1976). 11 Zu dieser Thematik auch noch später, Kap. 3 B. V. 2. und Kap. 6. A. Näher zu den hier nicht darzustellenden tatsächlichen und regulierungsrechtlichen Rahmenbedingungen der USamerikanischen Energiewirtschaft Finlinson, Utah L. Rev. 1998, 173, 175 – 188; Lopatka, 31 UCLA L. Rev. (1984), 563, 567 – 569; Schwartz, 49 Am. U. L. Rev. (1999), 1449, 1466 – 1477, jeweils m.w.N.

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

Preisspanne einer eigenen Prüfung am Maßstab des sec. 2 Sherman Act zuzuführen.12 Die regulierungsrechtliche Einkleidung des jeweiligen Sachverhalts wurde im Rahmen der Anwendung des allgemeinen Antitrustrechts so gut wie nie als Problem oder Anwendungshindernis wahrgenommen.13 Die – soweit ersichtlich – einzige Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang die Entscheidung Town of Concord, in der der Court of Appeals for the First Circuit in entgegengesetzter Weise und mit deutlichen Worten artikulierte, dass er es aus rechtspolitischen, teleologischen und praktischen Gründen für verfehlt halte, das Monopolisierungsverbot nach sec. 2 Sherman Act unreflektiert auf price squeeze-Vorwürfe in regulierten Wirtschaftsbereichen anzuwenden.14 In einigen Urteilen verfolgte man hingegen einen eigenartigen Mittelweg: Die kartellrechtlichen Verbote seien – so die gerichtlichen Begründungen – grundsätzlich neben dem Regulierungsrecht anwendbar, wobei sich jedoch im Rahmen der konkreten Anwendung gewisse Wechselwirkungen ergeben könnten. Dieser Ansatz lief bisweilen darauf hinaus, dass man die für eine Haftung gemäß sec. 2 Sherman Act gestellten Anforderungen tendenziell erhöhte.15 Eine klare, vollkommen einheitliche Linie zum Umgang mit dem Verbot des price squeeze im Kontext von sektorspezifischer Regulierung hat sich seinerzeit aber nicht herausgebildet. In der Gesamtschau muss festgestellt werden, dass es die Courts of Appeals trotz der Vielzahl der zum price squeeze getroffenen Entscheidungen nicht geschafft haben, belastbare Antworten auf die drängenden Fragen zu finden, die thematisch um die Figur des price squeeze im Kartellrecht kreisen. Hierfür dürften verschiedene 12

Vgl. für die implizite Anerkennung des price squeeze-Konzepts als Monopolisierungstatbestand City of Anaheim v. Southern California Edison Company, 955 F.2d 1373, 1376 – 1379 (9th Cir. 1992); City of Mishawaka v. American Electric Power Company, 616 F.2d 976, 983 – 985 (7th Cir. 1980); City of Kirkwood v. Union Electric Company, 671 F.2d 1173, 1178 – 1179 (8th Cir. 1982); City of Groton v. Connecticut Light & Power Co., 662 F.2d 921, 928 – 929 und 934 (2d Cir. 1981); siehe zudem auf erstinstanzlicher Ebene Borough of Ellwood City v. Pennsylvania Power Company, 570 F.Supp. 553, 560; betont kritisch und zurückhaltend dagegen nur Town of Concord v. Boston Edison Company, 915 F.2d 17 (1st Cir. 1990). 13 City of Mishawaka v. Indiana & Michigan Electric Company, 560 F.2d 1314, 1318 – 1324 (7th Cir. 1977); City of Mishawaka v. American Electric Power Company, 616 F.2d 976, 981 – 983 und 985 (7th Cir. 1980); City of Groton v. Connecticut Light & Power Co., 662 F.2d 921, 929 (2d Cir. 1981); City of Kirkwood v. Union Electric Company, 671 F.2d 1173, 1177 – 1181 (8th Cir. 1982); City of Anaheim v. Southern California Edison Company, 955 F.2d 1373, 1377 – 1378 (9th Cir. 1992). 14 Town of Concord v. Boston Edison Company, 915 F.2d 17, 25 – 29 (1st Cir. 1990). Eine residuale Anwendung von sec. 2 Sherman Act sei allenfalls angezeigt, wenn das im Einzelfall konkret vorgefundene Regulierungsregime keine umfassende wettbewerbsbezogene Marktaufsicht bereitstellt (a.a.O., 29). 15 Vgl. etwa City of Mishawaka v. American Electric Power Company, 616 F.2d 976, 984 – 985 (7th Cir. 1980); City of Anaheim v. Southern California Edison Company, 955 F.2d 1373, 1378 (9th Cir. 1992). Nach diesen beiden Entscheidungen sei zur Feststellung eines nach sec. 2 Sherman Act kartellrechtswidrigen price squeeze mehr als nur die objektive Existenz der Margenbeschneidung erforderlich. Zusätzlich sei auf den Nachweis eines gegen den Wettbewerb gerichteten specific intent abzustellen.

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Umstände verantwortlich sein. Zuallererst ist zu sehen, dass die hier behandelten Verfahren in die Zuständigkeit verschiedener Courts of Appeals fielen und gelegentlich in kurzer zeitlicher Abfolge ergingen. Somit war sowohl die Möglichkeit als auch die praktische Notwendigkeit einer eingehenden Auseinandersetzung und Würdigung früherer Entscheidungen von vornherein nur ganz eingeschränkt vorhanden. Zwar konnte man als Präzedenzfall immer wieder auf Alcoa verweisen, doch die neue regulierungsrechtliche Dimension schien für eine gewisse Verunsicherung in der Kartellrechtsanwendung zu sorgen. Die Gerichtspraxis blieb alles in allem fallspezifisches Stückwerk. Hinzu kam, dass die Vorwürfe wegen des kartellrechtlichen price squeezing in beinahe allen Fällen letztlich ohne Erfolg blieben, so dass sich ihnen kaum eine eindeutige positive Stellungnahme zur Relevanz dieser Rechtsfigur im Kontext des jeweiligen Sachverhalts entnehmen lässt.16 Schließlich ist es in jener Zeit bedauerlicherweise auch nicht zu einer klärenden höchstrichterlichen Aussage durch den Supreme Court gekommen.17

B. Die Bedeutung des price squeeze als selbständige Monopolisierungsform nach den Entscheidungen in Linkline Seit Anfang der 1990er Jahre ebbte die Anzahl der auf price squeezes gestützten Monopolisierungsverfahren dann wieder spürbar ab. Die trotz Alcoa an den Energieversorgungsfällen gut ablesbare Ungewissheit bei der kartellrechtlichen Einordnung und Beurteilung von price squeeze-Vorwürfen sollte deshalb bis ins neue Jahrtausend hinein anhalten. Endgültige Klarheit stellte der Supreme Court dann erst Anfang des Jahres 2009 in seiner Linkline-Entscheidung18 her. Es handelt sich dabei nicht nur um eine lange herbeigesehnte höchstrichterliche Grundsatzentscheidung von weitreichender Bedeutung. Linkline markiert zugleich einen bemerkenswerten Wendepunkt im inhaltlichen Umgang mit der Figur price squeeze im Rahmen des Monopolisierungsverbots gemäß sec. 2 Sherman Act. Der Verlauf des Rechtsstreits soll jetzt ausführlich nachgezeichnet werden.

16 Soweit ersichtlich haben die Courts of Appeals insgesamt nur in einem einzigen Rechtsstreit (City of Mishawaka v. American Electric Power Company, 616 F.2d 976, 983 – 985 (7th Cir. 1980)) die erstinstanzliche Feststellung eines nach sec. 2 Sherman Act unzulässigen price squeeze aufrechterhalten. In den übrigen Verfahren wurde entweder die Ablehnung des Verstoßes bestätigt, die Feststellung des Verstoßes verworfen oder die Sache zur neuerlichen Sachentscheidung über den Vorwurf des price squeeze zurückverwiesen. 17 Es hatte entsprechende Revisionsanträge (petitions for writ of certiorari) gegeben, die der Supreme Court jedoch allesamt nicht zur Entscheidung annahm. 18 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438 (2009).

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

I. Sachverhalt Die dem Linkline-Verfahren zugrunde liegende Auseinandersetzung entwickelte sich in der Zeit um die Jahrtausendwende. Schauplatz war die Telekommunikationswirtschaft in den südwestlichen Bundesstaaten der USA, darunter insbesondere Kalifornien. Konkret ging es um die Wettbewerbsverhältnisse beim Angebot von breitbandigen DSL-Internetzugängen an Endkunden. Der Konzern Southwestern Bell Corporation („SBC-Gruppe“)19 war im genannten Gebiet der alleinige Betreiber des leitungsgebundenen Telefonnetzes. Parallel dazu betätigte sich die SBC-Gruppe auch als Anbieterin von Zugangsdiensten im Endkundengeschäft. Dort stand sie neben einer Reihe konkurrierender Endkundendienstleister, die ihrerseits jedoch nicht selbst über ein eigenes Telefonnetz verfügten. Die Geschäftstätigkeit dieser Konkurrenten war also entscheidend davon abhängig, dass ihnen die SBC-Gruppe die Mitbenutzung der eigenen Netzinfrastruktur gewährte. Sie war insofern über die zwei Marktstufen des von Konkurrenten begehrten vorgelagerten Netzzugangs einerseits und des nachgelagerten Endkundengeschäfts andererseits vertikal integriert. Damit waren die wesentlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vorhanden, die die Anwendung einer Kosten-Preis-Schere seitens der SBC-Gruppe gegenüber und zu Lasten der nachgelagerten Konkurrenz ermöglichten. In Linkline spielten außerdem sektorspezifische Regulierungsvorgaben eine wichtige Rolle. Telekommunikationsdienstleister unterliegen in den USA insoweit der Aufsicht durch die Federal Communications Commission (FCC). Diese hatte der SBC-Gruppe wegen ihrer Alleinstellung als Netzeigentümerin und Anbieterin des vorgelagerten Netzzugangs die regulatorische Pflicht auferlegt, diesen zu fairen und nichtdiskriminierenden Konditionen zur Verfügung zu stellen.20 Die Preisgestaltung auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt war hingegen nicht durch regulierungsrechtliche Intervention vorgegeben. Mit den genannten Regulierungsmaßnahmen erhoffte man sich eine Relativierung des von vornherein angelegten strukturellen Ungleichgewichts zwischen der SBC-Gruppe als der etablierten, vertikal integrierten Netzbetreiberin mit faktischem Monopol und den konkurrierenden Dienstleistern im Endkundengeschäft. Gleichwohl regte sich seitens dieser Unternehmen alsbald Unbehagen über die nähere Ausgestaltung der zur SBC-Gruppe bestehenden Geschäftsverbindung, die im Hinblick auf den vorgelagerten Netzzugang unumgänglich war. 19 Näher zur Konzernstruktur bei Beginn des Rechtsstreits Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 1 (C.D. Cal. 2004). Im Laufe des Verfahrens kam es zu verschiedenen Umstrukturierungsmaßnahmen innerhalb der SBC-Gruppe. 20 Die von der FCC auferlegten Zugangspflichten hatten bis ins Jahr 2005 gegolten, als man zur Erkenntnis gelangte, dass wegen zwischenzeitlich intensivierten Infrastrukturwettbewerbs der Übergang zur Deregulierung möglich sei, vgl. In re Appropriate Framework for Broadband Access to Internet over Wireline Facilities, 20 FCC Rcd. 14853, 14879 – 14887 (2005). Für den nachfolgenden Zeitraum traten einzelfallspezifische, zusammenschlussrechtlich bedingte Zugangsauflagen ähnlichen Inhalts an deren Stelle, vgl. In re AT&T Inc. and BellSouth Corp., 22 FCC Rcd. 5662, 5814 (2007).

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Der Rechtsstreit nahm seinen Anfang mit dem von Linkline und anderen nachgelagerten Endkundenanbietern aus dem betroffenen regionalen Einzugsbereich erhobenen Vorwurf, die SBC-Gruppe habe seit 1998 über mehrere Jahre hinweg durch verschiedene Verhaltensweisen in Bezug auf die Vorleistung die Fähigkeiten der unabhängigen Anbieter zur Aufnahme wirksamen Wettbewerbs im Endkundenmarkt beeinträchtigt. Unter anderem habe die SBC-Gruppe für die Vorleistung Preise festgesetzt, die eine gewinnbringende Tätigkeit im nachgelagerten Endkundenmarkt nicht mehr zugelassen hätten. Die SBC-Gruppe habe sich hierdurch in rechtswidriger Weise die Geschäftstätigkeit im Endkundenmarkt zum eigenen Vorteil vorbehalten. Nach Ansicht von Linkline war das Verhalten unter mehreren Gesichtspunkten – darunter der price squeeze im absoluten Mittelpunkt des Interesses – kartellrechtswidrig.21

II. Zum Hintergrund: Das Urteil in Trinko Bevor sogleich die insgesamt drei aufeinanderfolgenden gerichtlichen Entscheidungen im Linkline-Verfahren vorgestellt werden, sei der Blick zunächst noch auf ein anderes Urteil gerichtet, das der Supreme Court bereits im Jahre 2004 in der Sache Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP22 (kurz: „Trinko“) erlassen hatte. Wie sich nämlich im späteren Verlaufe des Linkline-Verfahrens herauskristallisieren sollte, lassen sich diesem früheren Urteil wichtige Erkenntnisse für die kartellrechtliche Einordnung des price squeeze entnehmen, obwohl diese Rechtsfigur dort gar nicht expliziter Verfahrensgegenstand war. Denn im Laufe der Darstellung wird sich noch erweisen, dass sich hinter der Frage nach Einordnung und Relevanz des price squeeze in der Dogmatik des sec. 2 Sherman Act letzten Endes die Frage nach der „richtigen“ Interpretation der seinerzeit bereits vorhandenen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Trinko verbirgt. 1. Sachverhalt Der Blick auf den Sachverhalt des Trinko-Verfahrens offenbart deutliche Parallelen zum Fall Linkline. Es handelte sich um einen Rechtsstreit, der ebenfalls um den Zugang zur Netzinfrastruktur für unabhängige Wettbewerber eines regional etablierten Telekommunikationsnetzbetreibers kreiste. Das Unternehmen Verizon unterlag gemäß sektorspezifischer Vorschriften des Telecommunications Act 1996 einer gesetzlichen Pflicht, anderen Dienstleistern im Endkundenmarkt den entbün21 Daneben berief sich Linkline auf die Missachtung einer kartellrechtlichen Kontrahierungspflicht (anticompetitive refusal to deal) und auf die Vorenthaltung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung (essential facilities doctrine). Weiterführend zum gesamten Sachverhalt mit Vorgeschichte sowie zu den rechtlichen Argumenten im Detail Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 1 – 3 (C.D. Cal. 2004). 22 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398 (2004).

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delten Zugang zu Teilen seines Netzes einzuräumen. Als Verizon im Jahr 1999 seine Zugangspflichten zu missachten begann, kam es zu Beschwerden der unabhängigen Mitbewerber und infolgedessen auch zu Abhilfemaßnahmen seitens der zuständigen Regulierungsbehörden. Vor diesem Hintergrund erhob nun die New Yorker Anwaltskanzlei Curtis V. Trinko – ihrerseits Geschäftskunde einer der benachteiligten konkurrierenden Dienstleister – eine auf Schadensersatz gerichtete Klage gegen Verizon. Der Vorwurf lautete, man habe eine wettbewerbswidrige Strategie der Geschäftsverweigerung mit dem Ziel der Vereinnahmung des Endkundenmarktes praktiziert. Verizon habe seine Zugangspflichten teils gar nicht, teils nur mit zeitlichen Verzögerungen erfüllt und dabei seine eigene nachgelagerte Geschäftssparte gezielt zum Nachteil der konkurrierenden Anbieter privilegiert. Nach der Auffassung der klägerischen Seite begründe dies unabhängig von der Thematik der regulierungsrechtlichen Pflichtverletzung zusätzlich die Haftung gemäß sec. 2 Sherman Act. Diese knüpfe an die Missachtung einer kartellrechtlichen Kontrahierungspflicht (antitrust duty to deal) an. 2. Entscheidung des Supreme Court Nach uneinheitlichen Entscheidungen in den Vorinstanzen23 verneinte schließlich der US Supreme Court die geltend gemachte antitrustrechtliche Haftung von Verizon gemäß sec. 2 Sherman Act als mittelbare Konsequenz des – am Ende nicht mehr verfahrensrelevanten – telekommunikationsrechtlichen Verstoßes.24 Das Gericht war im Ergebnis nicht bereit, das Verhalten Verizons als kartellrechtswidrige Geschäftsverweigerung (anticompetitive refusal to deal) zu bewerten. Für das Thema der Geschäftsverweigerungen und Kontrahierungspflichten hatte im US-amerikanischen Kartellrecht bis zur Entscheidung in Trinko vor allem der Fall Aspen Skiing Co. v. Aspen Highlands Skiing Corp.25 Präzedenzcharakter. Dort hatte man seit Ende der 1970er Jahre um die kartellrechtliche Zulässigkeit der einseitigen Aufkündigung einer geschäftlichen Kooperation zwischen zwei Betreibern von Skigebieten in Colorado gestritten. Das hierdurch enttäuschte Unternehmen Highlands Skiing strengte daraufhin gegen Aspen Skiing unter dem Gesichtspunkt der wettbewerbswidrigen Geschäftsverweigerung eine Monopolisierungsklage an. Diese Klage hatte letzten Endes vor dem Supreme Court Erfolg. Zweierlei Erwägungen haben den konkreten Monopolisierungsvorwurf getragen: Erstens handelte es sich um eine ursprünglich freiwillig eingegangene und dann über lange Jahre hinweg gepflegte geschäftliche Beziehung, die für Aspen Skiing offenbar dauerhaft gewinnträchtig gewesen war. Zweitens hatte sich die besondere Situation ergeben, 23 Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP v. Bell Atlantic Corporation, 123 F.Supp.2d 738 (S.D.N.Y. 2000); Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP v. Bell Atlantic Corporation, 305 F.3d 89 (2d Cir. 2002). 24 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398 (2004). 25 Aspen Skiing Co. v. Aspen Highlands Skiing Corp., 472 U.S. 585 (1985).

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dass sich Aspen Skiing nicht einmal auf Basis der höheren nachgelagerten Endkundenpreise zur Fortführung der Beziehung bereit zeigte. Beides veranlasste seinerzeit den Supreme Court neben einer Reihe weiterer fallspezifischer Umstände zur Annahme einer wettbewerbswidrigen Verdrängungsabsicht gegenüber Highlands Skiing und schließlich zur Annahme des Wettbewerbsverstoßes auf Basis der Verletzung einer antitrust duty to deal.26 Die Kläger in Trinko versuchten sich nun die Aspen Skiing-Entscheidung zunutze zu machen und entsprechend dazu die Zugangsverweigerung durch Verizon als anticompetitive refusal to deal darzustellen. Im Verfahren Trinko entschied der Supreme Court im Ergebnis jedoch – wie bereits erwähnt – anders als in Aspen Skiing. Verizon habe zwar ebenfalls seinem Verhalten nach die Geschäftstätigkeit mit anderen Unternehmen verweigert. Dies möge im konkreten Fall auch einen Verstoß gegen die regulatorischen Zugangspflichten begründen. Hingegen unterlag das Unternehmen nach Ansicht des Gerichts keiner spezifisch kartellrechtlichen Verpflichtung, eine solche Geschäftstätigkeit aufzunehmen oder weiterhin aufrecht zu erhalten.27 Der maßgebliche Grund für die im Ergebnis voneinander abweichenden höchstrichterlichen Entscheidungen zur kartellrechtlichen duty to deal liegt in den Einzelheiten der die objektiven Geschäftsverweigerungen in beiden Fällen begleitenden Umstände. Gemäß der rückblickenden Interpretation des Supreme Court in Trinko habe man seinerzeit in Aspen Skiing einen Verstoß gegen sec. 2 Sherman Act annehmen dürfen, weil Aspen Skiing mit seinem Abbruch der Geschäftsbeziehung gegenüber Highlands Skiing in unnötiger und betriebswirtschaftlich nicht nachvollziehbarer, aber dennoch freiwilliger Manier auf zusätzliche Gewinne verzichtet hatte.28 Eine vergleichbare Indizienlage meinte der Supreme Court in Trinko nun nicht vorfinden zu können. Denn Verizon habe sich, da es aufgrund der Regulierungsvorschrift zur Geschäftsbeziehung gesetzlich verpflichtet war, anders als Aspen Skiing nicht aus freien Stücken und aus purem betriebswirtschaftlichen Kalkül für oder gegen die Geschäftsbeziehung entschieden. Somit sei nicht feststellbar, ob Verizon auf eine offenkundig gewinnträchtige Kooperation in wettbewerbsfeindlicher Motivation verzichtet hatte. Dazu führt das Gericht aus: „The complaint does not allege that Verizon voluntarily engaged in a course of dealing with its rivals, or would ever have done so absent statutory compulsion. Here, therefore, the defen26

Aspen Skiing Co. v. Aspen Highlands Skiing Corp., 472 U.S. 585, 605 – 611 (1985). Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 407 – 411 (2004). 28 Dazu Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 409 (2004) mit Verweis auf Aspen Skiing Company v. Aspen Highlands Skiing Corp., 472 U.S. 585, 608 – 611 (1985): „The unilateral termination of a voluntary (and thus presumably profitable) course of dealing suggested a willingness to forsake short-term profits to achieve an anticompetitive end. […] Similarly, the defendant’s unwillingness to renew the ticket even if compensated at retail price revealed a distinctly anticompetitive bent.“ 27

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dant’s prior conduct sheds no light upon the motivation of its refusal to deal – upon whether its regulatory lapses were prompted not by competitive zeal but by anticompetitive malice.“29 Daneben nutzte der Supreme Court in Trinko die Gelegenheit, auf den Ausnahmecharakter der Aspen Skiing-Entscheidung hinzuweisen: „Aspen Skiing is at or near the outer boundary of [sec. 2 Sherman Act] liability.“30 Damit war der Vorwurf kartellrechtswidriger Verweigerung des Netzzugangs zum Scheitern verurteilt. 3. Mögliche Implikationen für Linkline Der vom US Supreme Court in Trinko eingenommene Standpunkt lässt sich wie folgt zusammenfassen: Eine Geschäftsverweigerung – sei es in Form einer vollständigen Weigerung oder einer weniger intensiven Erschwerung bzw. Verzögerung des Zugangs – ist nur kartellrechtswidrig, sofern sie sich als klarer Ausdruck einer wettbewerbswidrigen Verdrängungsstrategie identifizieren lässt. Im Ausgangspunkt erkennt das US-amerikanische Antitrustrecht die Freiheit aller – auch marktmächtiger – Unternehmen an, sich die eigenen Geschäftspartner nach Belieben aussuchen zu dürfen.31 Die Statuierung einer antitrust duty to deal muss auf wohlbegründete Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Dazu ist der Nachweis einer wettbewerbsfeindlichen Handlungsabsicht entsprechend der Sachlage des Falles Aspen Skiing erforderlich. Dieser Nachweis ist de facto nur dann erfolgsversprechend, wenn das Unternehmen grundsätzlich frei darüber entscheiden kann, ob es die Geschäftsbeziehung aufnehmen will oder nicht. An dieser Entscheidungsfreiheit fehlt es jedoch, wenn die Geschäftstätigkeit bereits aus regulatorischen oder anderen kartellrechtsexternen Gründen angeordnet worden ist.32 Demzufolge wird man festhalten können, dass das Bestehen einer regulatorischen Kontrahierungspflicht nicht nur nicht genügt, um daraus im Falle ihrer Missachtung gewissermaßen automatisch eine gleichlaufende kartellrechtliche Haftung nach sec. 2 Sherman Act herzuleiten. Vielmehr dürfte die Existenz einer regulatorischen Kontrahierungspflicht dem Nachweis eines kartellrechtswidrigen Verhaltens sogar als maßgebliches Hindernis von Rechts wegen entgegenstehen.33 29 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 409 (2004). Verizon unterlag im vorliegenden Fall einer spezialgesetzlich-regulatorischen Pflicht zur Zugangsgewährung gegen angemessene und nichtdiskriminierende Entgelte. In Aspen Skiing hatte man es dagegen mit der Verweigerung einer freiwilligen und offensichtlich profitablen Geschäftstätigkeit zu tun. 30 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 409 (2004). Ergänzend stellt der Supreme Court klar, dass er aus rechtspolitischen Gründen auch keinen Anlass zu einer neuerlichen Erweiterung des Konzepts der kartellrechtswidrigen refusal to deal über den in Aspen Skiing eng abgesteckten Bereich hinaus sieht (a.a.O., 411). 31 United States v. Colgate & Co., 250 U.S. 300, 307 (1919); Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 407 – 408 (2004). 32 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 409 – 410 (2004). 33 Dazu kritisch Grimes, ZWeR 2009, 343, 350 – 351.

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Welche Relevanz kann diese Rechtsprechung nun für die kartellrechtliche Einordnung und Beurteilung des price squeeze gemäß sec. 2 Sherman Act mit sich bringen? Es gibt zweierlei Ansatzpunkte, aus denen sich sachliche Verbindungen zwischen Trinko und Linkline herstellen lassen: Erstens gibt es Parallelen hinsichtlich der jeweils als mutmaßlich kartellrechtswidrig beanstandeten Verhaltensweisen. Trinko handelte von einer Geschäftsverweigerung in Form unzureichender technischer Hilfestellung beim Anschluss konkurrierender Dienstleister an das eigene Telefonnetz. In Linkline beklagte man ein preisliches Missverhältnis, das sich bei Fokussierung auf den vorgelagerten Markt als Festsetzung eines zu hohen Vorleistungspreises gegenüber dem nachgelagerten Endkundenpreis verstehen lässt. Beide Male versuchten die monopolistischen Telefonnetzbetreiber mit verschiedenen Mitteln der Sache nach vergleichbare strategische Ziele zu erreichen. Zweitens werfen beide Verfahren gleichermaßen Probleme auf, die das Zusammenspiel von allgemeinem Kartellrecht und sektorspezifischem Regulierungsrecht betreffen. Auch insofern stand zu erwarten, dass sich aus dem Entscheidungsgang in Trinko wichtige Rückschlüsse für die anstehende Prüfung des preislichen Missverhältnisses im Linkline-Verfahren am Maßstab von sec. 2 Sherman Act ergeben könnten. Hierzu sei nur am Rande angemerkt, dass die potenziell fallentscheidende Relevanz der regulierungsrechtlichen Dimension von price squeeze-Vorwürfen schon im Jahre 1990 in der erwähnten Entscheidung Town of Concord deutlich zum Vorschein getreten ist.34

III. Die instanzgerichtlichen Entscheidungen im Linkline-Verfahren 1. District Court In erster Instanz hatte der District Court for the Central District of California über die Monopolisierungsklage Linklines zu entscheiden. Das Urteil35 ist im Oktober 2004 ergangen. Darin erkennt das Gericht zutreffend die vorstehend erläuterten Parallelen des ihm vorliegenden Sachverhalts mit dem des erst wenige Monate zuvor durch den Supreme Court entschiedenen Falles Trinko. Vor diesem Hintergrund prüft der District Court entsprechend des klägerischen Vortrags drei Anknüpfungspunkte, aus denen Linkline jeweils eine kartellrechtliche Haftung der SBC-Gruppe gemäß sec. 2 Sherman Act herzuleiten versuchte.

34 Town of Concord v. Boston Edison Company, 915 F.2d 17 (1st Cir. 1990). Mit den dort ausführlich dargelegten rechtspolitischen Bedenken gegenüber der kartellrechtlichen Intervention gegen price squeezing in regulierten Sektoren hat der Court of Appeals for the First Circuit seinerzeit schon wesentliche Teile der gemeinsamen ratio decidendi aus Trinko und anschließend Linkline vorweggenommen. 35 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772 (C.D. Cal. 2004).

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

Keine Erfolgsaussichten hatte zunächst die auf die Verletzung einer duty to deal im vorgelagerten Markt gestützte Argumentation. An dieser Stelle konnte sich das Gericht unmittelbar die aus klägerischer Sicht wenig vorteilhaften Grundsätze aus Trinko zunutze machen. Denn mit Blick auf die regulierungsrechtlichen Einflüsse standen beide Fälle unter denselben Vorzeichen. Linkline war ebenso wie Verizon auf Basis der eingangs schon beschriebenen, bis 2005 gültigen sektorspezifischen Vorgaben zur Bereitstellung der Vorleistung verpflichtet. Deshalb fehlte es bezüglich einer kartellrechtlich relevanten Geschäftsverweigerung – die sich in Linkline in Form einer faktischen Weigerung aufgrund unangemessener Preisüberhöhung ausgedrückt hätte – an der erforderlichen Freiwilligkeit des Handelns. Somit war eine wettbewerbsfeindliche Motivation ebenso wie in jenem Fall, und anders als etwa noch in Aspen Skiing, nicht nachweisbar.36 Aus ähnlichen Gründen war auch die Argumentation auf Basis der essential facilities-Doktrin – einem funktionell verwandten Ableger der Theorie der kartellrechtswidrigen Geschäftsverweigerung – zum Scheitern verurteilt. Ihre Anwendung ist nämlich ausgeschlossen, wenn für den begehrten Zugang bereits eine regulierungsrechtliche Kontrahierungspflicht existiert.37 Daraufhin widmete sich der District Court ausführlich den Erfolgsaussichten des price squeezing-Vorwurfs und speziell der grundlegenden Frage, ob die unzureichende Preisspanne auf vertikal verbundenen Märkten aus sich heraus als anticompetitive exclusionary conduct gegen sec. 2 Sherman Act verstoßen kann, wenn die Freiheit der Preisgestaltung von vornherein durch regulatorische Vorgaben überlagert ist. Die SBC-Gruppe vertrat dazu in ihrer Position als mutmaßlicher Monopolisierungstäterin den Standpunkt, der Supreme Court habe mit seiner in Trinko eingenommenen restriktiven Haltung zur Anwendung des Kartellrechts auf Geschäftsverweigerungen bei einschlägigem Regulierungsrecht zugleich implizit dieselben Maßstäbe für die Bewertung von price squeezes vorgegeben. Beim price squeeze handele es sich in der Sache um nichts anderes als einen Unterfall der Geschäftsverweigerung. Die kartellrechtliche Beurteilung beider Konstellationen müsse aus Konsistenzgründen parallel verlaufen.38 Linkline war hingegen der Meinung, bei Geschäftsverweigerungen und Kosten-Preis-Scheren handele es sich um zwei qualitativ unterschiedliche Phänomene. Dem Urteil des Supreme Court in

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Vgl. insgesamt zur erstinstanzlichen Ablehnung der refusal to deal-Argumentation Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 9 – 11 (C.D. Cal. 2004). 37 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 12 (C.D. Cal. 2004) unter Verweis auf das Urteil in Covad Communications v. BellSouth Corp., 374 F.3d 1044, 1050 (11th Cir. 2004). Zudem ist fragwürdig, ob die essential facilities-Doktrin in der Dogmatik von sec. 2 Sherman Act überhaupt einen eigenständigen Tatbestand bildet (dazu unten, Kap. 3 C. II.). 38 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 12 (C.D. Cal. 2004).

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Trinko lasse sich deswegen keinerlei Argument gegen die Verbotswürdigkeit von Kosten-Preis-Scheren ableiten.39 Der District Court entschied im Ergebnis zugunsten Linklines und schloss sich auch inhaltlich der klägerischen Argumentation an. Die seitens der SBC-Gruppe propagierte konzeptionelle Zuordnung des price squeeze zu einer weit verstandenen Fallgruppe der Geschäftsverweigerungen mit einem darauf aufbauenden Konsistenzargument wurde nicht für stichhaltig befunden.40 Fälle des price squeeze und der Geschäftsverweigerung würden – so das Gericht – rechtsdogmatisch berührungslos nebeneinander stehen. Das Gericht hat damit dem Urteil des Supreme Court in Trinko den Präzedenzcharakter für die Beurteilung des price squeeze abgesprochen. Außerdem sei die Anwendbarkeit von sec. 2 Sherman Act auf den vorliegenden Fall nicht durch das gleichzeitig anwendbare sektorspezifische Telekommunikationsrecht beeinträchtigt.41 2. Court of Appeals Im Anschluss an diese aus ihrer Sicht ernüchternde Entscheidung stellte die SBCGruppe einen Berufungsantrag beim zuständigen Court of Appeals for the Ninth Circuit. Im Laufe des einige Jahre andauernden zweitinstanzlichen Verfahrens hatte sich die nach wie vor strittige Frage nach der sachgerechten Behandlung von price squeeze-Vorwürfen weiter verschärft. Es ergingen nämlich zwischenzeitlich zusätzliche Berufungsurteile anderer Courts of Appeals in ähnlich gelagerten Verfahren. Darin wurden die Urteilsgründe aus Trinko in unterschiedliche Richtungen interpretiert, was folglich zu divergierenden Entscheidungen im Hinblick auf das Konzept des price squeeze im US-Antitrustrecht führte.42 Das Berufungsurteil in der Causa Linkline ist dann im Jahre 2007 ergangen.43 Vom Ergebnis her gesehen bestätigte der Court of Appeals die erstinstanzliche Rechtsansicht des District Court durch ein im Verhältnis von 2:1 ergangenes Mehrheits39 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 12 (C.D. Cal. 2004). 40 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 13 (C.D. Cal. 2004). Das Gericht sieht die konzeptionellen Unterschiede der in Rede stehenden Fallgruppen darin, dass die Kosten-Preis-Schere auf zwei aufeinanderfolgenden Marktstufen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Mitbewerber im nachgelagerten Markt einwirke und damit im Gegensatz zur Geschäftsverweigerung eine qualifizierte Fallkonstellation voraussetze. 41 Vgl. Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 13 (C.D. Cal. 2004) unter Bezugnahme auf die bestehende Rechtsprechung des ihm übergeordneten Court of Appeals for the Ninth Circuit. 42 Im Fall Covad Communications v. BellSouth Corp., 374 F.3d 1044, 1049 – 1050 (11th Cir. 2004) legte der Court of Appeals for the Eleventh Circuit eine eher enge Lesart von Trinko an den Tag und vertrat den Standpunkt, dass price squeeze-Vorwürfe nicht von diesem Urteil beeinflusst seien. Anders dagegen die Beurteilung des Court of Appeals for the D.C. Circuit in Covad Communications v. Bell Atlantic Corp., 398 F.3d 666, 673 (D.C. Cir. 2005). Näher zu diesen Entscheidungen Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279, 286 – 287. 43 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 503 F.3d 876 (9th Cir. 2007).

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votum.44 Der price squeeze im regulatorischen Kontext wurde damit auch in zweiter Instanz als eigenständige Monopolisierungsform anerkannt. Die das Urteil tragende Mehrheit der Richter begründet dieses im Großen und Ganzen mit denselben Erwägungen, die zuvor bereits der District Court angestellt hatte. Das Verbot des price squeeze habe sich im Zuge der früheren Rechtsprechung als hergebrachter Bestandteil des US-Kartellrechts etabliert.45 Weder der Supreme Court in Trinko noch der Gesetzgeber des im konkreten Fall einschlägigen telekommunikationsspezifischen Regulierungsrechts habe den Anwendungsbereich bestehender kartellrechtlicher Verbotstatbestände einengen wollen.46 Dementsprechend sollte Trinko also wiederum keine Präzedenzwirkung entfalten. Der dortigen Auseinandersetzung mit der Fallgruppe der refusal to deal lasse sich – so das Berufungsgericht – schlichtweg keine explizite oder auch nur implizite Richtungsentscheidung über das Schicksal des price squeeze im Kontext des Monopolisierungsverbots entnehmen.47 Gegen Ende seiner Urteilsbegründung betont das Berufungsgericht noch, dass es trotz des von vornherein gegebenen regulierungsrechtlichen Einschlags des zu entscheidenden Sachverhalts keinen Grund sieht, die kartellrechtliche Intervention unter das sonst übliche Maß zurückzufahren. Denn die SBC-Gruppe unterlag im konkreten Marktumfeld lediglich auf der vorgelagerten Stufe des Netzzugangs entsprechenden regulatorischen Pflichten, nicht jedoch auf der nachgelagerten Stufe des Endkundengeschäfts. Somit konnte der in Linkline vorgefundene regulierungsrechtliche Rahmen die charakteristisch zweiseitig wirkende Beschneidung von Gewinnmargen im Sinne des price squeeze von vornherein nicht umfassend adressieren.48

IV. Das Verfahren vor dem US Supreme Court und dessen Entscheidung Trotz – oder gerade wegen – dieser wiederholten prozessualen Niederlage stellte die aufgrund eines Zusammenschlusses inzwischen als AT&T firmierende SBC44 Siehe das abweichende Votum des Richters Gould: Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 503 F.3d 876, 885 – 888 (9th Cir. 2007). 45 Der Court of Appeals beruft sich hierfür besonders intensiv auf seine eigene frühere Entscheidung in City of Anaheim v. Southern California Edison Company, 955 F.2d 1373, 1376 – 1379 (9th Cir. 1992). 46 Vgl. Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 503 F.3d 876, 883 (9th Cir. 2007) mit Verweis auf Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 406 (2004). 47 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 503 F.3d 876, 883 (9th Cir. 2007); auf derselben argumentativen Linie schon zuvor Covad Communications Company v. BellSouth Corporation, 374 F.3d 1044, 1050 (11th Cir. 2004); a.A. insoweit der Richter Gould in seinem abweichenden Votum, Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 503 F.3d 876, 885 – 888 (9th Cir. 2007). 48 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 503 F.3d 876, 885 (9th Cir. 2007).

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Gruppe einen Antrag auf Revision in letzter Instanz durch den Supreme Court.49 Dieser nahm den Fall sodann zwecks Klärung der drängenden Probleme beim kartellrechtlichen Umgang mit der Figur des price squeeze zur Entscheidung an.50 Die den Verfahrensgegenstand bildende Rechtsfrage wurde folgendermaßen formuliert: „Whether a plaintiff states a claim under Section 2 of the Sherman Act by alleging that the defendant – a vertically integrated retail competitor with an alleged monopoly at the wholesale level but no antitrust duty to provide the wholesale input to competitors – engaged in a ,price squeeze‘ by leaving insufficient margin between wholesale and retail prices to allow the plaintiff to compete.“51 Während des laufenden Revisionsverfahrens gaben mehrere Personen und Institutionen in der Funktion als sogenannte „amici curiae“ beratende Stellungnahmen mit Entscheidungsempfehlungen ab. Insgesamt haben sich diese mit einer Mehrheit von 6:2 auf die Seite des Revisionsführers geschlagen.52 Nur am Rande sei erwähnt, dass sich in diesem Stadium die anhaltende Kontroverse um die sachgerechte kartellrechtliche Behandlung des price squeeze bis hin zu einem offen ausgetragenen Meinungsstreit zwischen den beiden Bundeswettbewerbsbehörden der USA zuspitzte.53 Das mit Spannung erwartete Urteil des Supreme Court, welches die anhaltende Ungewissheit über den kartellrechtlichen Umgang mit Fällen des price squeeze auflösen sollte, ist dann im Februar 2009 ergangen.54 Im Ergebnis tritt der Supreme Court den Erwägungen aus den beiden instanzgerichtlichen Entscheidungen entgegen, lässt das juristische Pendel also zugunsten der SBC-Gruppe und allen übrigen Gegnern eines eigenständigen Verbots des price squeeze im USKartellrecht ausschlagen. 1. Der price squeeze und die Angreifbarkeit des Vorleistungspreises als anticompetitive refusal to deal In den Urteilsgründen geht der Supreme Court als Erstes der Frage nach, wie das von Linkline propagierte Konzept der aus sich heraus kartellrechtswidrigen Preis49

Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 2007 WL 3028933. Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 554 U.S. 916 (2008). 51 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 2007 WL 3028933, 1. 52 Alle amicus curiae-Eingaben des Linkline-Verfahrens sind verfügbar unter http:// www.scotusblog.com/case-files/cases/pacific-bell-telephone-co-dba-att-california-v-linklinecommunications (zuletzt abgerufen am 18. 3. 2015). 53 Das vom Supreme Court förmlich in das Revisionsverfahren einbezogene Department of Justice sprach sich stellvertretend für die USA gegen die Anerkennung des eigenständigen price squeeze-Verbots aus, vgl. Brief for the United States as Amicus Curiae Supporting Petitioners in Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 2008 WL 4125498 (U.S.) (4. 9. 2008). Hierdurch sah sich die Federal Trade Commission veranlasst, eine eigene gesonderte Pressemitteilung außerhalb des Linkline-Verfahrens herauszugeben, um ihren diametral entgegengesetzten Standpunkt bekannt zu machen, vgl. Statement of the Federal Trade Commission, No. 07 – 512, vom 23. 5. 2008. 54 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438 (2009). 50

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spanne im Hinblick auf die vorgelagerte Marktstufe mit den hergebrachten Grundsätzen zur anticompetitive refusal to deal in Einklang zu bringen ist. Insofern stand nun der Supreme Court selbst vor der Aufgabe, die Tragweite seines eigenen früheren Urteils in Trinko klarstellen zu müssen. In den Vorinstanzen hatten District Court und Court of Appeals ja bekanntlich noch dahingehend entschieden, dass sich der Sachverhalt des price squeeze seiner Natur nach von dem einer Geschäftsverweigerung unterscheide und deshalb die Entscheidung Trinko keine Ausstrahlungswirkung für die kartellrechtliche Einordnung des price squeeze besitze.55 Genau dies sieht der Supreme Court nun völlig anders. Er hält die entscheidenden sachlichen Verbindungen für gegeben, so dass die Frage nach dem rechtsdogmatischen Schicksal des price squeeze nur unter Berücksichtigung der Vorgaben aus Trinko beantwortet werden könne.56 Der Supreme Court erreicht dieses Ergebnis, indem er das Phänomen des price squeeze konzeptionell der Geschäftsverweigerung zuordnet und auf diesem Wege eine weite Lesart seines vorherigen Urteils vorgibt: „Trinko […] makes clear that if a firm has no antitrust duty to deal with its competitors at wholesale, it certainly has no duty to deal under terms and conditions that the rivals find commercially advantageous. […] There is no meaningful distinction between the ,insufficient assistance‘ claims we rejected in Trinko and the plaintiffs’ price squeeze-claims in the instant case.“57 Für den Supreme Court macht es also keinen Unterschied, ob sich ein Unternehmen dazu entschließt, entweder gar nicht bzw. nur zu unangemessenen Konditionen zu kontrahieren (jeweils refusal to deal) oder im Rahmen einer laufenden Geschäftsbeziehung überhöhte Preise zu verlangen, die die Wettbewerbsfähigkeit nachgelagerter Konkurrenten beeinträchtigen (price squeeze). Nach dieser Sicht der Dinge ist die klassische, vollständige Geschäftsverweigerung die intensivere und der price squeeze die mildere Erscheinungsform eines für das Kartellrecht funktionell gleichwertigen Phänomens, nämlich der im weitesten Sinne zu verstehenden Vorenthaltung von Einsatzgütern mit dem Effekt der Beschränkung des Wettbewerbs auf einem abgeleiteten Markt.58 Als erstes Zwischenergebnis zur Linkline-Entscheidung des Supreme Court ist damit festzuhalten, dass nach der nunmehr höchstrichterlich vorgegebenen Interpretation die Entscheidungsgründe aus Trinko vielleicht nicht explizit, sehr wohl aber implizit für den kartellrechtlichen Umgang mit price squeeze-Vorwürfen aus55 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 12 – 13 (C.D. Cal. 2004); Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 503 F.3d 876, 882 (9th Cir. 2007). 56 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 450 – 451 (2009). 57 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 450 (2009). 58 Dazu Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 450 (2009): „The nub of the complaint in both Trinko and this case is identical – the plaintiffs alleged that the defendants (upstream monopolists) abused their power in the wholesale market to prevent rival firms from competing effectively in the retail market.“

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schlaggebend sind. Gleichzeitig bescheinigt der Supreme Court den vorinstanzlichen Gerichtsentscheidungen ein irrtümlich verengtes Verständnis dieser Präzedenzentscheidung. Aus der konzeptionellen Gemeinsamkeit beider Monopolisierungsformen sowie der Abstufung des price squeeze als „mildere Form der Geschäftsverweigerung“ zieht der Supreme Court sodann die Konsequenzen für die Beantwortung der ihm vorliegenden Rechtsfrage: Solange die Umstände eines gegebenen Sachverhalts nicht für die Annahme einer kartellrechtlichen duty to deal ausreichen – solange eine vollständige Geschäftsverweigerung also nicht kartellrechtswidrig ist –, kann unter den gleichen Umständen erst recht keine Pflicht dazu bestehen, das Einsatzgut zu bestimmten „günstigen“ Preisen oder Konditionen anzubieten.59 Anders ausgedrückt: Wer das Einsatzgut ohne Verstoß gegen sec. 2 Sherman Act ganz zurückhalten darf, der muss erst recht die Freiheit besitzen, jeden beliebigen Preis verlangen zu dürfen, wenn er sich gleichwohl aus freien Stücken zum Angebot des Einsatzgutes entscheidet.60 Damit ist das Schicksal des price squeeze im US-Kartellrecht klar besiegelt. Die Kartellrechtswidrigkeit eines price squeeze kann von vornherein nur dort in Betracht kommen, wo die Voraussetzungen einer duty to deal nach hergebrachten Grundsätzen erfolgreich dargetan sind. Die Beurteilung des price squeeze folgt damit akzessorisch den rechtlichen Grundsätzen aus den Urteilen Trinko und nicht zuletzt auch Aspen Skiing. Damit erteilt das Gericht all denjenigen Stimmen eine klare Absage, die bis dahin geglaubt bzw. argumentiert hatten, dass die Tatbestände der Geschäftsverweigerung und der Kosten-Preis-Schere gewissermaßen berührungslos nebeneinander existieren könnten. Aufgrund dieser Überlegungen ist auch die Entscheidung über den in Linkline vorgefundenen price squeeze-Vorwurf klar vorgezeichnet. Es war nämlich unstreitig, dass die SBC-Gruppe gegenüber Linkline wegen des vorgelagerten Netzzugangs keiner kartellrechtlichen duty to deal im Sinne der Trinko-Rechtsprechung unterworfen war. Das vom Supreme Court entfaltete argumentum a maiore ad minus hat hier zur Folge, dass die SBC-Gruppe erst recht keiner kartellrechtlichen Pflicht nach sec. 2 Sherman Act unterlag, den Zugang zu existenzsichernden oder sonstwie vorteilhaften Preisen bereitzustellen.61 Diesbezüglich verwehrte der Supreme Court Linkline übrigens auch den Verweis auf die – unstreitig vorhandene – regulierungsrechtliche Zugangspflicht. Die für das Auftreten eines verbotswürdigen price squeeze erforderliche duty to deal muss nämlich explizit – genau wie es in Trinko

59 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 450 – 451 (2009). 60 Kritisch gegenüber der Gültigkeit dieses argumentum a maiore ad minus im vorliegenden Kontext Grimes, ZWeR 2009, 343, 349; im Gegensatz dazu und die Argumentation des Supreme Court an diesem Punkt verteidigend Hovenkamp/Hovenkamp, 51 Arizona L. Rev. (2009), 273, 278. 61 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 450 – 451 (2009).

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

schon vorausgesetzt wurde – eine solche kartellrechtlichen Ursprungs sein.62 Mit dieser Differenzierung verwirklicht der Supreme Court eine besonders weitreichende konzeptionelle Trennung von Kartellrecht und sektorspezifischem Regulierungsrecht in der Weise, dass gegenseitige Wechselwirkungen zwischen beiden Rechtsgebieten vermieden werden. Der Supreme Court sorgt also effektiv dafür, dass sec. 2 Sherman Act nicht allein aufgrund vorhandener regulierungsrechtlicher Wertungen die im Kartellrecht vorgesehenen Rechtsfolgen auslöst. 2. Der price squeeze und die Angreifbarkeit des Endkundenpreises als predatory pricing Im Anschluss daran wendet sich der Supreme Court dem Aspekt der Preisgestaltung auf dem nachgelagerten (Endkunden-)Markt und damit dem zweiten Teilausschnitt des Phänomens der zweiseitigen Gewinnmargenbeschneidung zu. In der Konstellation des durch einen integrierten Monopolisten ausgelösten Preisdrucks steht diesbezüglich der Vorwurf im Raum, dass er seinen Preis auf dieser Marktstufe in unzulässiger Weise zu niedrig angesetzt hat. Als Instrument zur Prüfung unzulässiger Preisunterbietungen ist im US-amerikanischen Antitrustrecht schon seit Langem die Fallgruppe des sogenannten predatory pricing bekannt.63 Wie der Supreme Court in Linkline zutreffend erkennt, würde ein Konzept des nach sec. 2 Sherman Act eigenständig verbotswürdigen price squeeze in eine gewisse Konkurrenzsituation mit den etablierten Grundsätzen der isoliert auf den nachgelagerten Marktpreis bezogenen Prüfung eines möglichen predatory pricing treten.64 a) Voraussetzungen des predatory pricing nach sec. 2 Sherman Act Die Eckpunkte für die kartellrechtliche Beurteilung eines vorgefundenen Preisniveaus unter dem Aspekt des predatory pricing ergeben sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung in der Sache Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp.65 Darin hat der Supreme Court Anfang der 1990er Jahre einen zweistufigen Test für die Analyse sogenannter Kampfpreisunterbietungen entworfen. Zuerst muss nachgewiesen werden, dass der mutmaßliche Delinquent Leistungen zu Preisen unterhalb der eigenen Gestehungskosten am Markt anbietet (below-cost pricing). Gelingt dies, bedarf es außerdem des Nachweises einer hin-

62 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 449 – 450 (2009). 63 Vgl. grundlegend Areeda/Turner, 88 Harvard L. Rev. (1975), 697; siehe auch Sullivan/ Grimes, The Law of Antitrust, S. 158 – 183. 64 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 453 und 455 (2009). 65 Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209 (1993).

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reichenden Aussicht darauf, die ursprünglich infolge der Unterkostenverkäufe entstandenen Verluste wieder vollständig wettzumachen (recoupment test).66 Die Feststellung kostenunterschreitender Preise im ersten Prüfungsschritt kann anhand unterschiedlicher Kostenstandards erfolgen. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat sich insoweit nicht explizit einer einzig und allein zulässigen Ermittlungsmethode verschrieben.67 Zum Stand des wissenschaftlichen Diskurses – der angesichts seines Umfangs hier nicht in seinen Einzelheiten entfaltet werden kann – sei lediglich gesagt, dass man je nach Sichtweise die Maßstäbe der variablen68, kurzfristig vermeidbaren69 oder langfristig inkrementellen70 Kosten favorisiert. Dementsprechend bietet auch die instanzgerichtliche Rechtsprechung ein insgesamt uneinheitliches Bild.71 Im Rahmen des zweiten Merkmals – des recoupment test – gilt es dann nachzuweisen, dass sich die fragliche Niedrigpreisstrategie trotz der anfänglichen Unterkostenverkäufe anschließend voraussichtlich in Form von Monopolgewinnen für das handelnde Unternehmen auszahlen wird. Dabei soll es auf eine ernsthafte Wahrscheinlichkeit (dangerous probability) des vollständigen Verlustausgleichs ankommen.72 Dies erfordert eine längerfristig angelegte, oftmals unsichere Prognose der zukünftigen Marktverhältnisse, in der neben anderen Faktoren insbesondere das Ausmaß der Marktmacht des mutmaßlichen Delinquenten berücksichtigt wird.73 Die praktische Durchschlagskraft des mit diesen beiden Kernvoraussetzungen beschriebenen Tatbestands des predatory pricing ist allerdings als eher gering einzuschätzen. Besonders der zuletzt erwähnte recoupment test wird äußerst restriktiv gehandhabt und sorgt dafür, dass der Nachweis eines kartellrechtswidrigen predatory pricing nur in seltenen Fällen erfolgsversprechend ist.74 Dieser allgemeinen Zurückhaltung liegt die wettbewerbspolitische Erwägung zugrunde, dass aggressiver Preiswettbewerb grundsätzlich Verbrauchervorteile herbeiführt und daher nicht

66 Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 222 und 224 (1993). Der Supreme Court hat die Gültigkeit dieses Tests vor kurzem noch einmal in Weyerhaeuser Co. v. Ross-Simmons Hardwood Lumber Co., Inc., 549 U.S. 312 (2007) bestätigt. 67 Vgl. Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 422 – 423. 68 Areeda/Turner, 88 Harvard L. Rev. (1975), 697. 69 Baumol, 39 J. L. & Econ. (1996), 49. 70 Bolton/Brodley/Riordan, 88 Georgetown L. J. (2000), 2239, 2271 – 2274. 71 Prüfung von Niedrigpreisen am Maßstab der variablen Kosten z. B. in Pacific Engineering & Production Co. of Nevada v. Kerr-McGee Corp., 551 F.2d 790 (10th Cir. 1977), cert. denied, 434 U.S. 879 (1977); Prüfung am Maßstab der kurzfristig vermeidbaren Kosten z. B. in United States v. AMR Corp., 335 F.3d 1109 (10th Cir. 2003); siehe auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 424 – 432 m.w.N. 72 So die Differenzierung des Supreme Court in Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 224 (1993). 73 Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 225 (1993). 74 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 434 – 435.

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

unnötig eingedämmt werden sollte.75 Eine geringere Aufgreifschwelle für wettbewerbswidrige Niedrigpreise ergibt sich übrigens auch nicht aus der kartellrechtlichen Spezialgesetzgebung des Robinson Patman Act. Dieser kennt zwar ebenfalls ein Verbot von Verdrängungspreisen, welches jedoch konzeptionell eng an die dargestellten Kriterien aus der Brooke Group-Rechtsprechung zu sec. 2 Sherman Act angelehnt ist.76 b) Konsequenzen für ein eigenständiges Verbot des price squeeze Unter diesen Rahmenbedingungen, d. h. ohne den Nachweis kostenunterschreitender Preise im Sinne der Brooke Group-Rechtsprechung, sieht der Supreme Court in Linkline unüberwindbare Hindernisse, den geltend gemachten price squeezeVorwurf für begründet zu erachten. Nach Auffassung des Gerichts ergibt sich die Gefahr, dass im Hinblick auf die Preissetzung des integrierten Unternehmens auf dem nachgelagerten Markt die für ein predatory pricing sorgfältig ausgewählten Verbotskriterien gemeinsam mit den dazugehörigen wettbewerbspolitischen Wertungen ausgehöhlt werden könnten: „Recognizing a price-squeeze claim where the defendant’s retail price remains above cost would invite the precise harm we sought to avoid in Brooke Group: Firms might raise their retails prices or refrain from aggressive price competition to avoid potential antitrust liability.“77 Dies bedeutet: Die Feststellung einer kartellrechtswidrigen Preisspanne soll aus wettbewerbspolitischen Gründen an das Vorliegen kostenunterschreitender Endkundenpreise im Sinne des predatory pricing gekoppelt sein.78 Damit werden die Befürworter der eigenständigen Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht auch im Hinblick auf die nachgelagerte Marktstufe enttäuscht. Denn die Argumentation einer kartellrechtswidrigen unzureichenden Gewinnspanne ist erst dann erfolgsversprechend, wenn gleichzeitig die Voraussetzungen des predatory pricing auf dem nachgelagerten Markt nachgewiesen werden. Unter diesen Vorzeichen dürfte die gesonderte Anknüpfung an die Preisspanne jedoch keinen eigenen praktischen Nutzen mehr mit sich bringen. 3. Weitere Argumente gegen eine eigenständige Preisspannenkontrolle Schließlich wendet sich der Supreme Court weiteren Überlegungen zu, die unabhängig vom Konkurrenzverhältnis des price squeeze mit hergebrachten Mono75

Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 451 (2009). Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 221 (1993): „[P]rimary-line competitive injury under the Robinson-Patman Act is of the same general character as the injury inflicted by predatory pricing schemes actionable under [sec.] 2 of the Sherman Act.“ Vgl. dazu außerdem Sullivan/Grimes, The Law of Antitrust, S. 160. 77 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 451 – 452 (2009). 78 Ebenso im Ergebnis die Auswertung bei Haus, ZWeR 2009, 356, 362. 76

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polisierungsformen für oder gegen die gezielte kartellrechtliche Anknüpfung an eine unzureichende Preisspanne sprechen. Für den Supreme Court ergeben sich auch hier letzten Endes durchweg überzeugende Gründe, den price squeeze als eigenständige Monopolisierungsform abzulehnen. Als Erstes offenbart der Supreme Court seine Bedenken hinsichtlich der institutionellen Eignung der Zivilgerichte, etwaige price squeezes wirkungsvoll sanktionieren zu können. Beispielsweise entstünden erhebliche praktische Schwierigkeiten bei der effektiven Durchsetzung eines Verbotstatbestands, welcher gezielt auf die von einem integrierten Unternehmen im Vertikalverhältnis zweier verbundener Marktstufen aufrechterhaltene Preisspanne bezogen sein soll. Man müsste die Preisgestaltung vertikal integrierter Unternehmen kontinuierlich und simultan auf zwei Marktstufen überwachen. Der Supreme Court befürchtet hierbei einen Rechtsdurchsetzungsaufwand, der die Fähigkeiten und Ressourcen der mit Monopolisierungsklagen befassten Gerichte zu überschreiten droht.79 Ferner würden die Gerichte im Rahmen der antitrustrechtlichen Analyse potenzieller price squeezes in die aus institutionellen Gründen unerwünschte Rolle einer dirigistisch agierenden Preisregulierungsbehörde schlüpfen.80 Der Supreme Court entfaltet außerdem eine zweite rechtspolitische Argumentationslinie gegen den price squeeze, indem er auf die Aspekte der Rechts- und wirtschaftlichen Planungssicherheit verweist. Diese wären für ein integriertes Unternehmen nicht mehr in angemessener Weise gewährleistet, wenn es sich neben den auf beiden Marktstufen ohnehin anknüpfenden Einzelpreisverboten noch um die Gewährleistung einer zulässigen Preisspanne zwischen diesen Märkten zu kümmern hätte.81 Abschließend bezweifelt der Supreme Court mit Hinweis auf die inhaltlich unbestimmten Prüfungskriterien aus der früheren Alcoa-Rechtsprechung (fair price, adequate margin)82, dass sich ein Preisspannenverbot überhaupt in einer praxistauglichen Art und Weise umsetzen ließe.83

V. Fazit nach Linkline Als der Supreme Court die vorstehend dargestellte Linkline-Entscheidung im Februar des Jahres 2009 erließ, hatte das EuG mit Blick auf die Rechtslage in der EU bereits einmalig entschieden, dass es gemäß Art. 102 AEUV ein Verbot der Kosten79

Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 452 – 453 (2009). 80 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 452 (2009) mit dem anschaulichen Hinweis auf die fehlende Eignung der Gerichte „to act as central planners“. 81 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 453 (2009). 82 Näher dazu bereits oben, Kap. 3. A. I. 83 Vgl. Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 454 (2009); dem beipflichtend Hay/McMahon, J. Comp. L. & Econ. 2012, 259, 274. Ergänzend verwirft das Gericht auch die Option eines transfer price test nach europäischem Vorbild.

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

Preis-Schere geben soll.84 Mit Linkline manifestierten sich die schon eingangs der Arbeit angesprochenen gegensätzlichen Sichtweisen also erstmals ganz offensichtlich in den jeweiligen Rechtsprechungen. Eine eingehende Analyse zu den vielschichtigen Hintergründen der dies- und jenseits des Atlantiks getroffenen Richtungsentscheidungen zu Kosten-Preis-Schere bzw. price squeeze sei vorerst aber noch zurückgestellt, solange nicht auch das europäische Recht aufgearbeitet ist.85 Insofern sei nachfolgend ein inhaltlich auf den status quo des US-amerikanischen Kartellrechts konzentriertes Fazit im Anschluss an das Linkline-Urteil gegeben. 1. Das Schicksal des price squeeze als eigenständige Monopolisierungsform Der Supreme Court ist die Antwort auf die zentrale und drängende Frage nach der Relevanz des price squeeze im US-Antitrustrecht im Ergebnis nicht schuldig geblieben. Sie setzt sich im Entscheidungsgang aus einer argumentativen Trias zusammen: (1) Der Vorwurf des price squeeze soll keinen Erfolg haben, solange der mutmaßliche Delinquent nicht gleichzeitig einer Kontrahierungspflicht aus kartellrechtlichen Gründen (antitrust duty to deal) unterliegt. (2) Selbst wenn in den eng gezogenen Grenzen der Rechtsprechung aus Trinko und Aspen Skiing eine antitrust duty to deal gegeben ist, wird ein im Sinne des price squeeze formulierter Monopolisierungsvorwurf erst dann erfolgsversprechend sein, wenn zugleich in Bezug auf die isolierte Preissetzung im nachgelagerten Markt die Voraussetzungen des predatory pricing erfüllt sind. (3) Ein Verbot des price squeeze wäre aus rechtspolitischen Gründen sowie institutionellen Gründen innerhalb des allgemeinen Antitrustrechts und speziell gemäß sec. 2 Sherman Act fehlplatziert. Einzelne Literaturstimmen sehen auch im Nachgang von Linkline noch die Möglichkeit für einen kartellrechtlichen Verbotstatbestand nach dem Muster des zweiseitig wirkenden price squeeze.86 Doch diese Haltung dürfte das Ergebnis einer allzu optimistischen Lesart des Urteils sein. Aus der Kombination der beiden ersten vorstehend erwähnten Aussagen des Supreme Court geht unmissverständlich hervor, dass das Gericht keinen verbotswürdigen price squeeze außerhalb des Anwendungsbereichs des predatory pricing sieht. Man mag zwar ein Konzept des price squeeze unter diesen Bedingungen rein formell aufrechterhalten können, doch wenn es analytisch an den Nachweis von kostenunterschreitenden Endkundenpreisen und die Erfolgsaussicht des späteren recoupment im Sinne der Brooke Group-Recht84 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 166 – 168 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 85 Dazu sogleich in Kap. 4. Zum Kern der rechtsvergleichenden Analyse dann später in Kap. 6. 86 So beispielsweise zuletzt Salop, 76 Antitrust L. J. (2010), 709; siehe auch Heimler, J. Comp. L. & Econ. 2010, 879, 887: „As for the future, it cannot be ruled out that a marginsqueeze claim, properly defined as leading to the exclusion of an efficient competitor, will be identified in other circumstances and be considered illegal under antitrust provisions.“

B. Bedeutung des price squeeze als selbständige Monopolisierungsform

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sprechung gebunden ist, geht der praktische Nutzen einer solchen zusätzlichen Aufgreifregel gegen Null. Sie hätte keinerlei individuellen Anwendungsbereich. Damit kann festgehalten werden, dass der Supreme Court in Linkline die Idee der eigenständig nach sec. 2 Sherman Act verbotswürdigen unzureichenden Preisspanne de facto zu Grabe getragen hat. Während das so postulierte Ergebnis klar auf der Hand liegt, kann man den gerichtlichen Argumentationsgang kritisch hinterfragen. So gelangt der Supreme Court zu der für ihn zentralen Erkenntnis, dass ein Verbot des price squeeze über die Grundsätze zur anticompetitive refusal to deal im vorgelagerten Markt und des predatory pricing im nachgelagerten Markt hinaus offenbar keine eigenständige Art wettbewerbswidrigen Verhaltens erfassen könne.87 Zuvor erörterte er den price squeeze allerdings von vornherein nur im hergebrachten „Prüfraster“ dieser beiden Tatbestände.88 Augenfällig wird dies an dem Ausspruch: „Two wrong claims do not make one that is right.“89 Man kann dem Gericht an dieser Stelle einen versteckten Zirkelschluss nach dem Muster einer petitio principii vorwerfen. Mag diese Kritik aber auch noch so berechtigt sein, ändert sie im Ergebnis nichts an der praktischen Geltungskraft des Judikats. Zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage nach dem Schicksal des price squeeze bleibt daher festzuhalten, dass der Supreme Court die kartellrechtliche Aufsicht über die Preisgestaltung eines vertikal integrierten Monopolisten auf die bekannten Instrumente der Einzelpreiskontrolle beschränkt wissen möchte. Dies passt sich stimmig in die generelle wettbewerbspolitische Herangehensweise US-amerikanischer Gerichte ein, im Zweifel einen wirtschaftsliberalen Kurs der Antitrustpolitik einzuschlagen, bei dem die fehlerhafte Nichtanwendung des Verbots nach sec. 2 Sherman Act (sogenannte „type 2 errors“) eher akzeptabel erscheint als seine fehlerhafte Anwendung auf einen materiell nicht verbotswürdigen Sachverhalt.90 Die vom Supreme Court in Linkline getroffene Entscheidung markiert alles in allem einen Wendepunkt in der Entwicklung des US-Antitrustrechts. Sie steht in einem unverkennbaren Gegensatz zu praktisch allen bereits genannten früheren instanzgerichtlichen Entscheidungen (einzige Ausnahme: Town of Concord91), in denen man über Jahrzehnte hinweg beinahe selbstverständlich den price squeeze als eigene Fallgruppe der kartellrechtswidrigen Monopolisierung anerkannt hatte. Für all jene Entscheidungen muss aus heutiger Sicht konstatiert werden, dass sie nicht länger eine aktuell geltende Rechtslage zu sec. 2 Sherman Act widerspiegeln. Die Entscheidung in Linkline kann daher in ihrer historischen Tragweite kaum hoch 87

Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 455 (2009). Vgl. Zöttl, RIW 2009, 445, 448; den Ansatz des Supreme Court insoweit bereits vor Erlass des Urteils befürwortend Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279, 282 – 283. 89 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 457 (2009). 90 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 414 (2004); siehe auch Zöttl, RIW 2009, 445, 450. 91 Town of Concord v. Boston Edison Company, 915 F.2d 17 (1st Cir. 1990). 88

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

genug eingeschätzt werden. Derer ist sich der Supreme Court offenbar auch voll bewusst gewesen, wenn er ausführt, dass die bisher anderslautende Rechtsprechungslinie zur Rolle des price squeeze mit geänderten wettbewerbspolitischen Vorstellungen hinfällig geworden sei.92 Dies betrifft am allermeisten die Aussagekraft der Alcoa-Entscheidung, der man über Jahrzehnte hinweg eine wettbewerbspolitische Leitfunktion zugewiesen hatte. Sie dürfte im Nachgang von Linkline ihren Präzedenzcharakter eingebüßt haben.93 2. Das Zusammenspiel von Kartell- und Regulierungsrecht Abgesehen von der Sachentscheidung zur Relevanz des price squeeze erweist sich Linkline auch für das allgemeine Zusammenspiel von Kartell- und Regulierungsrecht innerhalb der USA von Bedeutung. Insofern bringt das Linkline-Urteil selbst zwar keine revolutionär neuen Entwicklungen mit sich, doch hat der Supreme Court die schon fünf Jahre zuvor in Trinko begonnene Rechtsprechung rezipiert, erneuert und konsequent weitergeführt.94 Die Sichtweise, die nunmehr aus beiden Supreme CourtEntscheidungen gemeinsam hervorgeht, hat eine generelle, über die konkret entschiedenen Sachverhaltskonstellationen hinausreichende Bedeutung. Sie wird sich insbesondere auch im späteren Verlauf der Untersuchung als wichtiger Mosaikstein erweisen, wenn es gilt, die Hintergründe der transatlantischen Divergenz in der kartellrechtlichen Einordnung des price squeeze ausfindig zu machen.95 Schon in Trinko hat der Supreme Court deutlich zum Ausdruck gebracht, dass den Vorschriften des allgemeinen Antitrustrechts in regulierten Sektoren nur ein sehr limitierter Anwendungsspielraum zukommen soll. Verantwortlich dafür war seinerzeit zum einen die auch weiter oben96 schon dargestellte Argumentation eher rechtstechnischer Art, wonach im Falle einer regulatorischen Kontrahierungspflicht (regulatory duty to deal) der hinreichende Nachweis an eine kartellrechtliche Kontrahierungspflicht (antitrust duty to deal) nicht zu erbringen sein dürfte.97 Zum anderen ist bemerkenswert, dass der Supreme Court insoweit überhaupt eine rechtlich relevante Differenzierung zwischen den jeweiligen Varianten der duties to deal erarbeitete. Darin schwingt ganz offensichtlich die ablehnende Haltung gegenüber einer zusätzlichen, akzessorischen kartellrechtlichen Verantwortlichkeit aufgrund regulatorischer Pflichtverletzungen mit. Die vom Supreme Court dazu 92 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 452 (dort in Fn. 3) (2009). 93 Hovenkamp/Hovenkamp, 51 Arizona L. Rev. (2009), 273, 274 und 281; ebenso schon zuvor in Erwartung des Linkline-Urteils Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279, 303 – 304; a.A. Nguyen, IIC 2010, 316, 324 – 325. 94 Haus, ZWeR 2009, 356, 368. 95 Siehe dazu unten, Kap. 6. 96 Siehe oben, Kap. 3 B. II. 97 Vgl. Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 409 – 410 (2004).

B. Bedeutung des price squeeze als selbständige Monopolisierungsform

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gelieferte rechtspolitische Begründung hat grundsätzlichen Charakter. Er hegt Befürchtungen, dass eine Kartellrechtsanwendung in regulierten Sektoren wegen der typischerweise hohen Komplexität der Sachverhalte mit unzumutbarem Aufwand für die zuständigen Gerichte verbunden wäre.98 Diese seien außerdem nicht in der Lage, auf der Rechtsfolgenseite die erforderlichen detaillierten Anordnungen zum Zwecke der Ausgestaltung und Überwachung einer kartellrechtlich erzwungenen duty to deal in regulierten Sektoren zu treffen.99 Sofern sektorspezifische Vorgaben das fragliche Unternehmensverhalten bereits in angemessener Weise erfassen, bewerten und gegebenenfalls sanktionieren, sei schließlich auch der zusätzliche Nutzen einer nachfolgenden kartellrechtlichen Intervention als eher gering einzuschätzen.100 Hinter diesen Argumenten steckt sicherlich auch ein wettbewerbspolitisches Unbehagen, dass die in ihrer Teleologie nicht notwendigerweise gleichgerichteten Rechtsmaterien zu konfliktträchtigen Überlagerungen in ihrer jeweiligen praktischen Anwendung führen könnten.101 Auf der anderen Seite konnte sich der Supreme Court in Trinko wegen der potenziellen Vielgestaltigkeit regulierungsrechtlicher Markteingriffe jedoch nicht zu einem kategorischen Ausschluss der Kartellrechtsanwendung in regulierten Sektoren durchringen. In offenbar sehr eng verstandenen Grenzen mag es also auch in Zukunft noch Fallkonstellationen – etwa bei einer nur partikular ausgestalteten regulatorischen Aufsicht – geben, in denen das Kartellrecht seine eigenständige wettbewerbsschützende Funktion erfüllen soll.102 Einstweilen unklar bleibt dabei jedoch, wo eine solche Trennlinie zwischen vollständigen und unvollständigen Regulierungsregimen verläuft.103 Indem der Supreme Court anschließend in Linkline die Rechtsfigur des price squeeze erstens von der Existenz einer duty to deal auf dem vorgelagerten Markt abhängig macht und dies zudem auf eine antitrust duty to deal im Sinne der TrinkoEntscheidung verengt, hat er unmittelbar an die frühere Entscheidung angeknüpft 98 Vgl. Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 414 (2004). 99 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 415 (2004). 100 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 412 – 414 (2004). Folgende Aussage bringt die Haltung des Supreme Court treffend auf den Punkt: „One factor of particular importance is the existence of a regulatory structure designed to deter and remedy anticompetitive harm. Where such a structure exists, the additional benefit to competition provided by antitrust enforcement will tend to be small, and it will be less plausible that the antitrust laws contemplate such additional scrutiny.“ (a.a.O., 412). 101 Hierzu Shelanski, in: Elhauge, Research Handbook on the Economics of Antitrust Law, S. 327, 332. 102 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 412 (2004); in diesem Sinne auch Town of Concord v. Boston Edison Company, 915 F.2d 17, 29 (1st Cir. 1990). 103 Dazu mit kritischem Unterton Shelanski, in: Elhauge, Research Handbook on the Economics of Antitrust Law, S. 327, 347 – 348.

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

und sich letztlich auch dessen Erwägungen zur Konkurrenz von Kartell- und Regulierungsrecht im Allgemeinen erneut zu eigen gemacht. Hinter der Sachentscheidung gegen die eigenständige Relevanz des price squeeze steckt daher gleichzeitig die Bestätigung der in Trinko vertretenen Haltung zur generellen Zurückhaltung des Kartellrechts aus regulierten Bereichen der Wirtschaft. Dies erlangt wiederum insofern direkte Bedeutung für den price squeeze im USKartellrecht, als sich entsprechende Sachverhalte seit den 1970er fast immer in den stark regulierten Sektoren der Energieversorgung und neuerdings zunehmend in der Telekommunikationswirtschaft abgespielt haben. Auch dieser empirische Befund dürfte den Supreme Court in Linkline zu seiner Entscheidung gegen die kartellrechtliche Relevanz des price squeeze geleitet haben. Denn jede anderslautende Entscheidung hätte eine womöglich tiefe Bruchstelle mit den Trinko-Grundsätzen erzeugt, indem das Kartellrecht allzu weitreichende Bedeutung in regulierungsrechtlich geprägten Fallkonstellationen erhalten hätte. Die Absage an den price squeeze ist daher nichts anderes als die wirkungsvolle Bestätigung der mit Trinko bereits im US-amerikanischen Wirtschaftsrecht verankerten gegenseitigen Ausschließlichkeit von kartell- und regulierungsrechtlicher Intervention.

C. Effektive Adressierung des price squeeze durch andere Verbotstatbestände? Nachdem der Supreme Court in Linkline den price squeeze also als eine nicht aus sich heraus gemäß sec. 2 Sherman Act verbotswürdige Verhaltensweise zurückgestuft hat, steht fest, dass die kartellrechtliche Relevanz von Vorwürfen der Gewinnmargenbeschneidung mithilfe der übrigen Fallgruppen des exclusionary conduct gesucht werden muss. Mit den Tatbeständen der anticompetitive refusal to deal und des predatory pricing sind zwei besonders prominente Vertreter von ihnen bereits oben angesprochen worden.104 Dabei hat sich gezeigt, dass sie aufgrund restriktiver Handhabung nur eine eingeschränkte praktische Durchschlagskraft besitzen und vom praktischen Anwendungsbereich her das Fehlen eines eigenständigen Verbots des price squeeze nicht kompensieren können. Dies gilt erst recht, wenn sich die Sachverhalte – so wie es inzwischen der Regelfall ist – in einem zusätzlich durch sektorspezifisches Regulierungsrecht geprägten Marktumfeld abspielen. Die darüber hinausgehenden denkbaren Anknüpfungspunkte des US-amerikanischen Antitrustrechts sollen jetzt überblicksmäßig vorgestellt und auf ihre Tauglichkeit zur Erfassung der Gewinnmargenbeschneidung untersucht werden.

104

Siehe oben, Kap. 3 B. IV. 1. und 2.

C. Effektive Adressierung des price squeeze durch andere Verbotstatbestände?

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I. Kein Verbot des price squeeze als monopoly leveraging Unter dem Stichwort der monopoly leveraging theory werden Fallkonstellationen erfasst, in denen ein Unternehmen seine wirtschaftliche Machtstellung von einem auf einen anderen Markt transferiert, um sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.105 Der Transfer erfolgt dabei ausgehend von einem bereits monopolisierten „Heimatmarkt“, während auf dem „Zielmarkt“ eine entsprechende Monopolmacht mithilfe des leveraging erst aufgebaut werden soll.106 Die näheren rechtlichen Anforderungen an einen erfolgsversprechenden Monopolisierungsvorwurf unter Rückgriff auf die leverage theory sind in der bisherigen gerichtlichen Praxis nicht immer einheitlich verstanden worden.107 Soweit man sie als eine eigenständige Ausprägung von kartellrechtswidrigem Verhalten im Sinne von sec. 2 Sherman Act einordnen will,108 tritt die gemeinsame funktionelle Stoßrichtung der leverage theory und des beim price squeeze wirkenden Drucks auf fremde Gewinnmargen leicht erkennbar zutage. Wenn nämlich ein im vorgelagerten Markt marktmächtiges Unternehmen einen zweiseitigen Preisdruck entfaltet und hierdurch die wirtschaftliche Existenz seiner nachgelagerten Konkurrenten gefährdet, stärkt es damit spiegelbildlich seine eigene Position auf dieser Marktstufe, ohne dass dies einer genau dort von Anfang an existierenden Wirtschaftsmacht zuzuschreiben wäre. Vor dem Hintergrund dieser Parallelität erscheint es gut möglich, die leverage theory als Instrument zur kartellrechtlichen Beurteilung des price squeeze nutzbar zu machen. Entsprechend der jüngeren berufungsgerichtlichen Rechtsprechung in der Sache Doe v. Abbott Laboratories109 ist dies aus der Sicht potenzieller Monopolisie105 Nothhelfer, Die leverage theory im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 27 – 28; siehe auch Sullivan/Grimes, The Law of Antitrust, S. 117 – 118. 106 Times-Picayune Publishing Co. v. United States, 345 U.S. 594, 611 (1953); Sullivan/ Grimes, The Law of Antitrust, S. 118. 107 In Berkey Photo v. Eastman Kodak Co., 603 F.2d 263, 276 (2d Cir. 1979) hielt der Court of Appeals einen Verstoß selbst ohne den Nachweis für möglich, dass in Bezug auf den Zielmarkt die Voraussetzungen einer (versuchten) Monopolisierung erfüllt sind. Nachfolgende Entscheidungen wie Eastman Kodak Co. v. Image Technical Services, Inc., 504 U.S. 451, 479 (1992) und zuletzt besonders deutlich Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 415 (dort in Fn. 4) (2004) deuten dagegen auf einen vorsichtigeren Umgang mit der leveraging-Theorie hin, indem sie deren Anwendungsbereich an die allgemeinen Voraussetzungen der Monopolisierung koppeln. Ausführlich zur Entwicklung der gerichtlichen Praxis Areeda/Hovenkamp, Fundamentals of Antitrust Law, § 6.05b. 108 In diese Richtung jedenfalls Image Technical Services, Inc. v. Eastman Kodak Co., 125 F.3d 1195, 1209 (9th Cir. 1997); Berkey Photo v. Eastman Kodak Co., 603 F.2d 263, 276 (2d Cir. 1979); a.A. jedoch Alaska Airlines v. United Airlines, 948 F.2d 536, 548 – 549 (9th Cir. 1991), cert. denied, 503 U.S. 977 (1992); weiterführend mit zahlreichen Nachweisen zur Diskussion um die Anerkennung der leverage theory als eigenständige Fallgruppe der verbotswürdigen Monopolisierung ABA Section of Antitrust Law, Antitrust Law Developments, 5. Aufl. (2002), 286 – 289. 109 Doe v. Abbott Laboratories, 571 F.3d 930 (9th Cir. 2009).

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

rungskläger jedoch im Ergebnis nicht erfolgsversprechend. Gegenstand des Verfahrens war eine als unverhältnismäßig empfundene zweifache Preissetzung eines Pharmakonzerns für einen Wirkstoff sowie für das daraus selbst entwickelte und ebenfalls am Markt angebotene Medikament. Die hierdurch in ihren Gewinnmargen beeinträchtigten Abnehmer des Wirkstoffs und gleichzeitige Konkurrenzanbieter im Markt des daraus hergestellten Medikaments beriefen sich auf einen gemäß sec. 2 Sherman Act kartellrechtswidrigen Marktmachttransfer im Sinne der monopoly leveraging theory. Anders als noch der District Court in erster Instanz110 wies der Court of Appeals diese Argumentation zurück. Dazu hat er die ratio decidendi der zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Linkline-Rechtsprechung über die explizit als price squeeze betitelten Monopolisierungsvorwürfe hinaus auf all diejenigen Sachverhalte übertragen, die der Sache nach einen price squeeze darstellen und lediglich unter einem anders bezeichneten Konzept wie etwa dem des monopoly leveraging verfolgt werden.111 Ein zweifacher Preisdruck oder eine Geschäftsverweigerung können als Erscheinungsform des monopoly leveraging also nur dann einen Verstoß gegen sec. 2 Sherman Act begründen, wenn im Ausgangspunkt die in Linkline geforderte kartellrechtliche Kontrahierungspflicht (antitrust duty to deal) einschlägig ist.112 Auf Basis dieser gerichtlichen Argumentation dürfte feststehen, dass das in sec. 2 Sherman Act verankerte Verbotskonzept des monopoly leveraging keinen Zugewinn für die kartellrechtliche Aufsicht über Gewinnmargenbeschneidungen mit sich bringt.

II. Unanwendbarkeit der essential facilities-Doktrin Ein weiterer Anknüpfungspunkt für die kartellrechtliche Kontrolle über die Preispolitik vertikal integrierter Unternehmen könnte sich mithilfe der essential facilities-Doktrin eröffnen. Bei ihr handelt es sich um ein Konzept zur Beurteilung solcher Sachverhalte am Maßstab von sec. 2 Sherman Act, bei denen ein marktmächtiges Unternehmen den Zugang zu einer wesentlichen Einrichtung wie beispielsweise einer (Netz-)Infrastruktur mit natürlichem Monopolcharakter kontrolliert und diesen Zugang anderen Unternehmen, die mit ihrer Hilfe wirtschaftliche Tätigkeiten entfalten möchten, vorenthält.113 Wie im Rahmen der Erläuterung der 110

Service Employees Intern. Union Health and Welfare Fund v. Abbott Laboratories, 2005 WL 528323, 3: „Plaintiff has adequately alleged, under the monopoly leveraging theory, […] that Defendant’s actions trigger Sherman Act liability.“ 111 Doe v. Abbott Laboratories, 571 F.3d 930, 935 (9th Cir. 2009). 112 Doe v. Abbott Laboratories, 571 F.3d 930, 935 (9th Cir. 2009). Die konzeptionelle Anbindung der monopoly leveraging theory an das Konzept der anticompetitive refusal to deal findet sich bereits am Rande in Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 415 (2004) wieder (dort in Fn. 4). 113 Ausführlich zur Beschreibung der essential facilities-Doktrin im US-amerikanischen Recht Areeda, 58 Antitrust L. J. (1989), 841, 846 – 847; Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im US-amerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 29 – 147.

C. Effektive Adressierung des price squeeze durch andere Verbotstatbestände?

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erstinstanzlichen Linkline-Entscheidung seitens des District Court bereits erwähnt wurde,114 handelt es sich um einen funktionalen Ableger des Konzepts der kartellrechtswidrigen Geschäftsverweigerung. Bei näherer Analyse erweist sich aber auch die essential facilities-Doktrin als kein geeigneter Ersatz für die mit der Abwesenheit eines eigenständigen Tatbestands für den price squeeze gegebenenfalls entstandenen rechtlichen Lücken. Erstens ist bereits der prinzipielle Stellenwert der Doktrin in der Dogmatik des Monopolisierungsverbots nach sec. 2 Sherman Act alles andere als geklärt. Sie ist zwar gelegentlich von Instanzgerichten – unter anderem auch vom District Court im LinklineVerfahren115 – als prinzipiell taugliche Grundlage für eine Haftung nach sec. 2 Sherman Act herangezogen worden.116 Demgegenüber hat aber gerade der Supreme Court in seiner jüngeren Rechtsprechung klargestellt, dass er selbst zu keinem Zeitpunkt eine eigenständige essential facilities-Doktrin im Kartellrecht der USA anerkannt habe und hierzu auch bis heute keinen Anlass sehe.117 Insofern erscheint es mehr als zweifelhaft, dass die Doktrin nun ausgerechnet als Instrument zur Erfassung des für den price squeeze charakteristischen zweiseitigen Preismissverhältnisses vor dem Hintergrund zu hoher Vorleistungspreise aufleben kann und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung als solches Akzeptanz finden wird. Hinzu kommt noch die ebenfalls bereits erwähnte Zurückhaltung der in erster Instanz erkennenden Gerichte bei der Anwendung der essential facilities-Doktrin im Zusammenhang mit sektorspezifischen Zugangsverpflichtungen (regulatory duties to deal). Liegt eine solche vor, soll der Rückgriff auf die essential facilities-Doktrin im Rahmen des sec. 2 Sherman Act per se ausgeschlossen sein.118 Infolgedessen erweist sie sich als Mittel für die ja vornehmlich in regulierten Sektoren erhobenen Vorwürfe existenzbedrohender Margenbeschneidungen als ebenso wirkungsschwach wie das in Trinko geformte Konzept der Geschäftsverweigerung.

114

Siehe oben, Kap. 3 B. III. 1. Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 12 (C.D. Cal. 2004). 116 Alaska Airlines, Inc. v. United Airlines, Inc., 948 F.2d 536, 542 – 545 (9th Cir. 1991); MCI Communications Corp. v. American Tel. and Tel. Co., 708 F.2d 1081, 1132 – 1133 (7th Cir. 1983). 117 Vgl. eindrucksvoll Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 410 – 411 (2004). 118 Linkline Communications, Inc. v. SBC California, Inc., 2004 WL 5503772, 12 (C.D. Cal. 2004) mit Hinweis auf Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 411 (2004): „[T]he indispensable requirement for invoking the doctrine is the unavailability of access to the ,essential facilities‘; where access exists, the doctrine serves no purpose. […] The 1996 [Telecommunications] Act’s extensive provision for access makes it unnecessary to impose a judicial doctrine of forced access.“ 115

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

III. Keine unzulässige price discrimination Außerhalb des Spektrums von monopoly leveraging und essential facilitiesDoktrin könnte man an ein typisiertes Aufgreifen des price squeeze unter dem Aspekt einer unzulässigen Diskriminierung denken. Sec. 2 Sherman Act verbietet insofern jedoch nicht aus sich heraus ein diskriminierendes Verhalten im Geschäftsverkehr außerhalb der Fälle kostenunterschreitender Preissetzung im Sinne des predatory pricing.119 An dieser Stelle kommt stattdessen die Spezialregelung gemäß sec. 2(a) Robinson-Patman Act120 ins Spiel. Die Vorschrift untersagt es Unternehmen, verschiedenen Abnehmern qualitativ gleichwertige Waren zu unterschiedlich hohen Preisen zu verkaufen, wenn die Ungleichbehandlung eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs bewirkt und sich das diskriminierende Unternehmen auf keine betriebswirtschaftliche Rechtfertigung berufen kann.121 Im Rahmen der Frage, ob die typische Fallkonstellation des price squeeze unter diese Kriterien subsumtionsfähig ist, muss man sich vorab Klarheit über den richtigen Bezugspunkt des Diskriminierungsvorwurfs verschaffen. In der Konstellation des price squeeze stützt er sich jedenfalls nicht auf eine mögliche Ungleichbehandlung, die das integrierte Unternehmen gegenüber verschiedenen externen Abnehmern beim Verkauf der Vorleistung in deren Verhältnis zueinander herbeiführt. Diese mag gemeinsam mit einem price squeezing einhergehen, betrifft aber nicht dessen inhaltlichen Kern, nämlich die Benachteiligung externer Nachfrager und Wettbewerber im Vergleich zum Umgang mit der eigenen konzernangehörigen Betriebseinheit im nachgelagerten Markt.122 Wie aus dem Urteil des Court of Appeals for the Eighth Circuit in der Sache City of Mount Pleasant, Iowa, v. Associated Electric Cooperative, Inc.123 hervorgeht, stehen in genau dieser Konstellation – mag sie in der Sache auch eine diskriminierende Geschäftspolitik beschreiben – der Anwendung von sec. 2(a) Robinson-Patman Act 119

25. 120

Vgl. ABA Section of Antitrust Law, The Robinson-Patman Act: Policy and Law, S. 24 –

15 U.S.C. § 13. Der relevante Teil des Verbotstatbestands lautet: „It shall be unlawful for any person engaged in commerce, in the course of such commerce, either directly or indirectly, to discriminate in price between different purchasers of commodities of like grade and quality, where either or any of the purchases involved in such discrimination are in commerce, where such commodities are sold for use, consumption, or resale within the United States or any Territory thereof or the District of Columbia or any insular possession or other place under the jurisdiction of the United States, and where the effect of such discrimination may be substantially to lessen competition or tend to create a monopoly in any line of commerce, or to injure, destroy, or prevent competition with any person who either grants or knowingly receives the benefit of such discrimination, or with customers of either of them […].“ Einen guten Überblick über die einzelnen Tatbestandsmerkmale geben Blechman/Patterson, in: FK-KartR, Auslandsrechte USA, Rdnrn. 108 – 118. 122 Vgl. Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 76. 123 838 F.2d 268 (8th Cir. 1988). 121

C. Effektive Adressierung des price squeeze durch andere Verbotstatbestände?

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gewichtige Hindernisse entgegen. Der dort zu entscheidende Sachverhalt weist im Großen und Ganzen dieselbe Struktur auf, wie sie sich schon in der Zeit vor Linkline in den verschiedenen price squeeze-Verfahren auf den Energieversorgungsmärkten der USA dargestellt hatte. Er unterscheidet sich lediglich darin, dass die klagende Stadtwerksbetreiberin ihre Argumentation bezüglich einer wettbewerbswidrigen Verdrängungspreisstrategie speziell auf eine Diskriminierung in Form der Begünstigung der konzernangehörigen Betriebseinheit gestützt hatte. Ein Verstoß gegen sec. 2(a) Robinson-Patman Act konnte im Ergebnis aus grundsätzlichen rechtlichen Gründen nicht festgestellt werden. Das Berufungsgericht führt dazu aus, dass sich die in diesem Fall gesellschaftsrechtlich separat inkorporierten vor- und nachgelagerten Geschäftssparten des beklagten Energieversorgers nicht als Käufer und Verkäufer einer wirtschaftlich relevanten Transaktion gegenübergestanden haben.124 Die im Konzernverbund stattfindende Weitergabe eines vorgelagerten Einsatzgutes sei nicht anders zu bewerten als die Weitergabe des Einsatzgutes zwischen zwei unselbständigen Betriebseinheiten innerhalb einer einheitlich inkorporierten Gesellschaft. Diese bietet ihrerseits jedoch keinen tauglichen Anknüpfungspunkt für einen Diskriminierungsvorwurf gemäß sec. 2(a) Robinson-Patman Act.125 Die an dieser Stelle restriktive Auslegung des Diskriminierungsverbots im USAntitrustrecht lässt sich auch mehreren anderen Gerichtsentscheidungen entnehmen. Es kann als allgemeiner kartellrechtlicher Grundsatz angesehen werden, dass der nach außen hin wirtschaftlich irrelevante unternehmensinterne Leistungstransfer nicht geeignet ist, einen Vergleichsmaßstab für die Feststellung einer kartellrechtswidrigen Diskriminierung abzugeben.126 Dieser beruht seinerseits auf einer Grundsatzrechtsprechung des Supreme Court, wonach eine Verhaltenskoordination zwischen Betriebseinheiten desselben Konzernverbunds keine im Sinne des Sherman Act tatbestandsmäßige Wettbewerbsbeschränkung herbeiführt.127 Demzufolge erweist sich sec. 2(a) Robinson-Patman Act ebenfalls nicht als geeignete Rechtsgrundlage für die Aufsicht über die zweifache Preisgestaltung vertikal integrierter Unternehmen.

124 City of Mount Pleasant, Iowa, v. Associated Electric Cooperative, Inc., 838 F.2d 268, 278 (8th Cir. 1988). 125 City of Mount Pleasant, Iowa, v. Associated Electric Cooperative, Inc., 838 F.2d 268, 278 – 279 (8th Cir. 1988); Shelanski, 80 Cal. L. Rev. (1992), 247, 252. 126 Vgl. nur auszugsweise aus der übrigen Gerichtspraxis Mumford v. GNC Franchising LLC, 437 F.Supp.2d 344, 359 – 362 (W.D. Pa. 2006); Bell v. Fur Breeders Agricultural Cooperative, 348 F.3d 1224, 1236 – 1237 (10th Cir. 2003); Russ’ Kwik Car Wash, Inc. v. Marathon Petroleum Co., 772 F.2d 214, 217 – 221 (6th Cir. 1985); Security Tire & Rubber Co. v. Gates Rubber Co., 598 F.2d 962, 964 – 967 (5th Cir. 1979), cert. denied, 444 U.S. 942 (1979). 127 Copperweld Corp. v. Independence Tube Corp., 467 U.S. 752, 771 – 773 (1984).

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Kap. 3: Die Relevanz des price squeeze im US-Kartellrecht

IV. Fehlen einer isolierten Preishöhenkontrolle Schlussendlich bleibt die Überlegung, möglicherweise mithilfe eines allein auf dem vorgelagerten Markt ansetzenden Verbots exzessiv überhöhter Preise den Versuch zu unternehmen, dem durch das marktstufenübergreifende Missverhältnis von Preisen entstehende Wettbewerbsproblem Herr zu werden. Dem steht allerdings bereits die Tatsache entgegen, dass eine so ausgerichtete isolierte Preishöhenaufsicht im US-Kartellrecht – anders als im EU-Kartellrecht128 – seit jeher nicht praktiziert wird, also nicht zum Bestand der nach sec. 2 Sherman Act verbotenen Verhaltensweisen gehört.129 Man begnügt sich im Rahmen des Monopolisierungsverbots mit einem Instrument, das den wettbewerbswidrigen Erwerb oder die wettbewerbswidrige Aufrechterhaltung von Monopolmacht verbietet, ohne gleichzeitig ausbeuterische Preissetzungen zu erfassen, bei denen es sich letztlich um die am Markt zur Geltung gebrachte Manifestierung von Marktmacht handelt. Jenseits des Atlantiks vertraut man insoweit auf die Selbstheilungskräfte des Marktes mit der Annahme, dass überhöhte Preise bereits von sich aus neue Markteintritte und damit neuen Wettbewerbsdruck auf den Monopolisten erzeugen.130 Zudem will man den Zivilgerichten, die im Kartellrecht der USA eine wichtigere Rolle bei der Rechtsdurchsetzung einnehmen als die Wettbewerbsbehörden, nicht ohne Not die in der Praxis herausfordernde Funktion einer Preisregulierungsinstanz zuweisen.131 Somit haben Unternehmen, die sich einem zweiseitigen Preisdruck auf ihre eigenen Gewinnmargen ausgesetzt sehen, keine Aussicht, sich erfolgreich auf einen wettbewerbswidrig überhöhten Vorleistungspreis stützen zu können. Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass eine dahingehende kartellrechtliche Vorschrift mit alleinigem Fokus auf den Vorleistungspreis die sich beim price squeeze typischerweise auf dem nachgelagerten Markt entfaltenden Wettbewerbsgefahren wohl ohnehin nur unzureichend erfassen könnte.

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Siehe unten, Kap. 5 D. I. Siehe nur Berkey Photo, Inc., v. Eastman Kodak Co., 603 F.2d 263, 272 und 294 (2d Cir. 1979), cert. denied, 444 U.S. 1093 (1980); Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 407 (2004); Areeda, 58 Antitrust L. J. (1989), 841, 846 – 847; Bloch/Kamann/Brown/Schmidt, ZWeR 2005, 325, 337; Fox, 61 Notre Dame L. Rev. (1986), 981, 985 – 986; Kauper, 59 Antitrust L. J. (1990), 441, 442, 448. 130 Berkey Photo, Inc., v. Eastman Kodak Co., 603 F.2d 263, 294 (2d Cir. 1979), cert. denied, 444 U.S. 1093 (1980); Fox, 61 Notre Dame L. Rev. (1986), 981, 993; Gal, 49 The Antitrust Bulletin (2004), 343, 355 – 358; Motta/de Streel, in: Ehlermann/Atanasiu, S. 91, 108. 131 Gal, 49 The Antitrust Bulletin (2004), 343, 357 – 358. 129

D. Fazit zum price squeeze im US-Kartellrecht

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D. Fazit zum price squeeze im US-Kartellrecht Die Figur des price squeeze hat in der US-amerikanischen Kartellrechtsgeschichte eine wechselvolle Entwicklung durchlebt. Am Ende steht die zentrale, vom Supreme Court in Linkline formulierte Erkenntnis, dass der price squeeze keine eigenständig verbotene Fallgruppe der Monopolisierung gemäß sec. 2 Sherman Act darstellt. Der Vorwurf, man sei als Konkurrent und Abnehmer eines vertikal integrierten sowie mit Monopolmacht ausgestatteten Unternehmens einem zweifachen Preisdruck ausgesetzt, der die eigene Gewinnmarge aufzuzehren drohe, ist als solcher kartellrechtlich unbeachtlich. Aus Sicht eines potenziellen Klägers kommt erschwerend hinzu, dass der Weg, um in der für den price squeeze typischen Konstellation auf anderem Wege eine kartellrechtliche Haftung begründen zu können, überaus steinig ist. Dies gilt umso mehr, wenn man es – so wie mittlerweile in beinahe allen Fällen – mit einem (preis-)regulierten Wirtschaftsbereich wie der Telekommunikation oder der Energiewirtschaft zu tun hat. Denn dort bestehen nach dem Urteil in Trinko sowie seiner klarstellenden Rezeption in Linkline praktisch kaum überwindbare Anwendungshürden, um sich das Kartellrecht im Allgemeinen sowie die Fallgruppe der kartellrechtswidrigen Geschäftsverweigerung (anticompetitive refusal to deal) im Speziellen zunutze zu machen. Der Rückzug des Kartellrechts dürfte hierbei gleichzeitig mit einer Aufwertung des sektorspezifischen Regulierungsrechts einhergehen. Dessen praktische Relevanz für die Würdigung und Sanktionierung von price squeezes mit wettbewerbsgefährdendem Potenzial dürfte in näherer Zukunft weiter zunehmen.

Kapitel 4

Das Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht Im Anschluss an die Darstellung des US-amerikanischen Kartellrechts soll nun der Umgang mit dem Phänomen der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht analysiert werden. Im diametralen Gegensatz zu der im Linkline-Urteil geformten US-amerikanischen Rechtslage stufen Kommission und Unionsgerichte die Kosten-Preis-Schere heutzutage übereinstimmend als ein eigenständig gemäß Art. 102 AEUV missbräuchliches Behinderungsverhalten ein. Nachdem zu Beginn des Kapitels die dazugehörige Entwicklung der Anwendungspraxis nachvollzogen und analysiert ist (Abschnitte A. und B.), sollen die einzelnen Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren systematisch aufbereitet und dort, wo es sich an einzelnen Stellen anbietet, einer kritischen Würdigung zugeführt werden (Abschnitt C.). So entsteht ein vollständiges Bild des gegenwärtigen Verbots von Kosten-Preis-Scheren im EU-Kartellrecht.

A. Entwicklung der bisherigen Entscheidungspraxis I. NCB und NSF/NCC („National Carbonising“) Der erste nach europäischem Wettbewerbsrecht und von der Kommission behandelte Fall einer Kosten-Preis-Schere spielte sich Mitte der 1970er Jahre in der Kohleindustrie ab. Er betraf die geschäftlichen Beziehungen zwischen dem National Coal Board (NCB) und der National Carbonising Company (NCC). NCB war seinerzeit im Gebiet des Vereinigten Königreichs Inhaber einer faktischen Monopolstellung für die Erzeugung von Kohle. Über seine 100 %ige Tochtergesellschaft National Smokeless Fuels (NSF) war das Unternehmen außerdem auf dem nachgelagerten Markt für Herstellung und Vertrieb von Koksprodukten tätig und daher vertikal integriert. NSF hatte hier Marktanteile von mehr als 80 %. Die NCC war als ausschließlicher Kokserzeuger direkter Wettbewerber von NSF und ließ sich vom NCB mit den benötigten Rohstoffen beliefern. Sein Marktanteil lag dabei unterhalb von 10 %. In dieser Konstellation entstanden Probleme, als NCB in mehreren Schritten den Preis der vorgelagerten Kohleprodukte erhöht hatte, ohne gleichzeitig beim Tochterunternehmen NSF den Verkaufspreis für Koksprodukte entsprechen anzuheben.

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Nachdem NCC diese aus ihrer Sicht erhöhten Gestehungskosten aufgrund selektiv erhaltener Rabatte beim Bezug der Kohle anfangs noch nicht zu spüren bekam, entwickelte sich später ein existenzbedrohender Druck auf ihre Gewinnmarge. Wegen dieser Preisgestaltung wandte sich NCC sodann mit einer Beschwerde an die Kommission. Das Unternehmen argumentierte, NCB und NSF haben mit der von ihnen praktizierten Preisgestaltung auf den beiden Marktstufen eine rentable Produktion von Koks im Wettbewerb gegenüber NSF unmöglich gemacht und daher einen Wettbewerbsverstoß begangen.1 Im Rahmen des so entstandenen Verfahrens hat sich die Kommission dann zum ersten Mal für das europäische Recht dahingehend bekannt, dass in der Margenbeschneidung eine verbotswürdige einseitige Verhaltensweise zu sehen sein kann. In einem Schreiben der Kommission heißt es: „Die Kommission räumt ein, daß ein Unternehmen, das bei der Erzeugung eines Rohstoffes eine beherrschende Stellung besitzt (hier: Kokskohle), und daher in der Lage ist, die Belieferung von Derivatherstellern mit diesem Rohstoff zu kontrollieren (hier: der Kokshersteller), seine beherrschende Stellung mißbrauchen kann, wenn es als Wettbewerber seiner Kunden selber Derivate herstellt und dabei die Konkurrenz seiner Kunden auf dem Markt der fraglichen Derivate auszuschalten trachtet. Für einen solchen Fall teilt die Kommission die Ansicht, daß das marktbeherrschende Unternehmen verpflichtet sein kann, seine Preise so zu gestalten, daß einem einigermaßen leistungsfähigen Unternehmen, das die fraglichen Derivate herstellt, eine ausreichende Spanne verbleibt, die ihm langfristig eine Sicherung seiner Existenz gestattet.“2 Trotz dieser abstrakten Einordnung der Kosten-Preis-Schere als potenziell wettbewerbswidrige Preisstrategie gelangte die Kommission im konkreten Fall zu der Erkenntnis, dass seitens NCB oder NSF kein Wettbewerbsverstoß erkennbar war. Gegen diese Untätigkeit der Kommission setzte sich NCC beim EuGH letzten Endes erfolgreich zur Wehr. In der so veranlassten neuerlichen Entscheidung verpflichtete die Kommission dann NCB, den der NCC in Rechnung gestellten Preis für die Belieferung mit Kohle einstweilig für einen Zeitraum von rund drei Monaten abzusenken.3 Auf diesem Wege konnte im Jahre 1975 zum ersten Mal in der Geschichte des europäischen Wettbewerbsrechts einer Kosten-Preis-Schere abgeholfen werden.

1 Die maßgebliche Vorschrift für die Kontrolle des Verhaltens von NCB und NSF war insofern nicht der damalige Art. 86 EWG-Vertrag als Vorgängerregelung des jetzigen Art. 102 AEUV, sondern die spezielle missbrauchsrechtliche Vorschrift des Art. 66 § 7 EGKS-Vertrag. Diese beinhaltete ein in der Sache vergleichbares Verbot bestimmter einseitiger Verhaltensweisen marktmächtiger Unternehmen. 2 Schreiben der Kommission vom 16. 10. 1975 (unveröffentlicht), wiedergegeben im Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 22. 10. 1975, Rs. 109/75 R, EU:C:1975:133 – National Carbonising Company/Kommission; siehe daneben Kommission, Entscheidung vom 29. 10. 1975, 76/185/EGKS, ABl. 1975, L 35/6, S. 7 – NCB und NSF/NCC. 3 Artikel 1 der Kommissionsentschedung vom 29. 10. 1975, 76/185/EGKS, ABl. 1975, L 35/6 – NCB und NSF/NCC.

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II. Napier Brown/British Sugar Der Fall Napier Brown/British Sugar aus dem Jahre 1988 markiert dann den historischen Ausgangspunkt für die Figur der Kosten-Preis-Schere in der Anwendungspraxis zum allgemeinen europäischen Missbrauchsverbot gemäß des damaligen Art. 86 EWG-Vertrag (jetzt: Art. 102 AEUV). British Sugar war seinerzeit im Vereinigten Königreich der einzige Verarbeiter von Zuckerrüben und gleichzeitig der größte Anbieter von fertigem Kristallzucker für gewerbliche und Haushaltszwecke.4 Es hatte auf diesen beiden, einander vor- und nachgelagerten Marktstufen eine beherrschende Stellung inne.5 Napier Brown war als reiner Zuckerhändler nur auf der nachgelagerten Vertriebsstufe tätig und befand sich hier in direkter Konkurrenz zu British Sugar. Veranlasst durch Beschwerden seitens Napier Brown und anderen Zuckerhändlern wegen vermeintlicher Wettbewerbsverstöße nahm sich die Kommission dem Geschäftsgebaren von British Sugar an. Sie entschied schließlich, dass British Sugar mit einer ganzen Reihe von Verhaltensweisen gegen Art. 102 AEUV verstoßen hatte.6 Darunter befand sich auch der Vorwurf einer wettbewerbswidrigen KostenPreis-Schere.7 Diesbezüglich hatte die Kommission im Laufe ihrer Ermittlungen die Preisgestaltung des Unternehmens unter die Lupe genommen und dabei insbesondere einen Vergleich zwischen dem für Industriezucker (Vorleistung) verlangten Preis und dem Preis, den das Unternehmen für einzelhandelstauglichen Haushaltszucker forderte, angestellt.8 Die Ermittlungen führten zum Ergebnis, dass British Sugar die beiden Preisniveaus so eng einander angenähert hatte, dass die verbleibende Differenz geringer ausfiel als die bei British Sugar intern anfallenden Selbstkosten der Tätigkeiten auf der nachfolgenden Vertriebsstufe.9 Infolgedessen hätte jedes andere beim Vertrieb von Haushaltszucker ebenso wirtschaftlich wie British Sugar arbeitende Unternehmen keine Gewinnerzielungsmöglichkeit mehr

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Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 2 – Napier Brown/ British Sugar. 5 Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 25 – Napier Brown/British Sugar. Im Bereich der Verarbeitung von Zuckerrüben resultierte die Alleinstellung von British Sugar daraus, dass das Unternehmen bis zum Beitritt des Vereinigten Königreichs zur (damaligen) EWG im Jahr 1973 eine gesetzliche Monopolstellung innehatte, vgl. Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 3 – Napier Brown/ British Sugar. 6 Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41 – Napier Brown/British Sugar. 7 Dazu Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 25 – 31 und 65 – 66 – Napier Brown/British Sugar. 8 Sogenannte „Abpackspanne“, vgl. Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 25 – 30 – Napier Brown/British Sugar. 9 Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 30, 66 – Napier Brown/British Sugar.

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gehabt und den Markt für Haushaltszucker verlassen müssen.10 Im Zusammenspiel mit den weiteren beanstandeten Geschäftspraktiken11 sah die Kommission darin die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung.12 Da sich British Sugar anschließend offenbar nicht für eine Anfechtung dieser Entscheidung entschied, blieb eine gerichtliche Stellungnahme zum Problem der Kosten-Preis-Schere im Rahmen des Art. 102 AEUV vorerst aus.

III. Industrie des Poudres Sphériques/Kommission Im Anschluss an Napier Brown/British Sugar wurde es zunächst wieder für einige Jahre still um die Figur der Kosten-Preis-Schere im europäischen Wettbewerbsrecht. Gegen Mitte der 1990er Jahre folgte dann das nächste Verfahren. Dieses brachte dann auch erstmals die Entscheidung eines europäischen Gerichts hervor. Dabei handelt es sich um das Urteil des EuG in der Sache Industrie des Poudres Sphériques/Kommission13. Der zugrundeliegende Sachverhalt hat sich im Bereich der industriellen Kalziumverarbeitung zugetragen. Das Unternehmen Péchiney Électrométallurgie (PEM) war hier vertikal integriert und auf dem vorgelagerten Markt für die Herstellung von Kalzium-Rohmetall sowie auf dem nachgelagerten Markt für weiterverarbeitetes Kalziumgranulat tätig. Das Unternehmen Industrie des Poudres Sphériques (IPS) – seinerseits lediglich auf der nachgelagerten Marktstufe aktiv und in Bezug auf Rohkalziumprodukte direkter Abnehmer von PEM – fühlte sich in dieser Konstellation einem existenzgefährdenden Preisdruck ausgesetzt. Die Beschwerde lautete, PEM habe beim Verkauf des Rohmetalls zu hohe und gleichzeitig beim Verkauf des weiterverarbeiteten Granulats zu niedrige Preise festgesetzt.14 Aus diesem Grund beantragte IPS im Juli 1994, dass die Kommission auf Basis des Art. 102 AEUV gegen PEM einschreiten möge. Im November 1996 entschied die Kommission allerdings, dass sie der Preisgestaltung von PEM keine Anhaltspunkte für etwaige Wettbewerbsverstöße entnehmen konnte.15

10 Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 66 – Napier Brown/British Sugar. 11 Im Einzelnen: Lieferverweigerung, produktbezogene Diskriminierung, Rabattgestaltung. 12 Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 65 – 66 – Napier Brown/British Sugar. 13 EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission. 14 EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 136 und 169 – 176 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission. 15 Kommission, Entscheidung vom 7. 11. 1996 – Industrie des Poudres Sphériques (unveröffentlicht).

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Gegen diese Einschätzung richtete sich IPS sodann mit einer Klage vor dem EuG, die jedoch im Ergebnis erfolglos blieb. Das Gericht bestätigte die Ansicht der Kommission, dass es im konkreten Fall keine missbräuchliche Kosten-Preis-Schere gegeben habe.16 Die von IPS dargelegte Diskrepanz zwischen Ein- und Verkaufspreis rührte nämlich daher, dass IPS einen speziellen technischen Weiterverarbeitungsprozess anwendete, der eine bestimmte Aufbereitung des Rohmetallprodukts auf Vorleistungsebene erforderlich machte.17 Die zusätzlichen Kosten dieser Aufbereitung hatte PEM IPS stets in Form eines höheren Vorleistungspreises in Rechnung gestellt. Ein entsprechender Aufwand entstand bei PEM im Rahmen der betriebsinternen Weiterverarbeitung nicht, weil man dort über einen offenbar kostengünstigeren, effizienteren Verarbeitungsprozess verfügte. Die Ursache des preislichen Missverhältnisses lag demnach in einem selbst zu verantwortenden Effizienzrückstand von IPS gegenüber PEM auf der Weiterverarbeitungsstufe.18 Bereits dies genügte dem EuG, um die Behauptung einer mit Art. 102 AEUV nicht zu vereinbarenden wettbewerbswidrigen Beschneidung der Gewinnmargen zurückzuweisen.19 Ergänzend stellte das EuG fest, dass selbst unter Zugrundelegung des zum Nachteil von IPS erhöhten Inputpreises für Kalzium-Rohmetall und des nachgelagerten Verkaufspreises für weiterverarbeitetes Kalziumgranulat die betriebswirtschaftlich existenzsichernde Mindestspanne stets eingehalten wurde.20 Auch wenn somit weder die Kommission noch das EuG im Ergebnis eine KostenPreis-Schere seitens PEM ausmachen konnten, besitzt die Entscheidung des Falles Industrie des Poudres Sphériques/Kommission eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die kartellrechtliche Diskussion um die Kosten-Preis-Schere. Denn erstmals hat ein Gericht auf Unionsebene unmittelbar die grundlegende Frage erörtert, welche Relevanz dem Phänomen der Gewinnmargenbeschneidung im Rahmen des Missbrauchsverbots gemäß Art. 102 AEUV zukommen kann und wie sich zulässige von unzulässigen Kosten-Preis-Scheren differenzieren lassen. Zur grundsätzlichen Rolle der Kosten-Preis-Schere im Kanon der Behinderungsstrategien ist insbesondere folgende Passage der Urteilsbegründung lesenswert, in der das Gericht die seiner Ansicht nach zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, Kosten-Preis-Scheren mithilfe des kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht erfassen zu können, benennt: „[D]ie Klägerin [hat] die Prämisse ihrer Argumentation – das Vorliegen missbräuchlicher Rohstoffpreise – nicht dargetan […]. Da PEM weder 16

EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 177 – 188 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission. 17 EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 157 – 167 und 179 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission. 18 Vgl. für Einzelheiten den Fallbericht bei Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 46 – 47. 19 EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 166, 179 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission. 20 EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 180 – 186 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission.

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missbräuchliche Preise für den Rohstoff – Roh-Calciummetall mit geringem Sauerstoffgehalt – noch Kampfpreise für das Folgeerzeugnis – granuliertes Calciummetall – verlangt, kann die Tatsache, dass die Klägerin, vermutlich aufgrund ihrer höheren Verarbeitungskosten, beim Verkauf des Folgeerzeugnisses nicht wettbewerbsfähig ist, die Einstufung der von PEM praktizierten Preise als missbräuchlich nicht rechtfertigen.“21 Obwohl es sich hierbei um die zentrale Aussage des EuG zur Rolle der KostenPreis-Schere in der Dogmatik des Art. 102 AEUV handelt, lässt sich ihre Bedeutung und Tragweite letztlich nicht mit absoluter Verlässlichkeit ermitteln. Teilweise werden die Ausführungen des EuG in der Literatur dahingehend verstanden, dass es sich auf prinzipieller Ebene eher gegen eine eigenständige Missbräuchlichkeit der Kosten-Preis-Schere bzw. der unzureichenden Gewinnspanne aussprechen wollte.22 Hierfür spricht der ausdrückliche Verweis auf die alternativen Formen der Preismissbrauchskontrolle, die jeweils für sich genommen isoliert an dem vor- oder nachgelagerten Preisniveau ansetzen. Andererseits fehlt es dem Urteil an einem unmissverständlichen und klaren Bekenntnis gegen die missbrauchsrechtliche Relevanz der Preisspanne. Die Aussage des EuG mag hierbei auch der fallspezifischen Besonderheit geschuldet gewesen sein, dass IPS aufgrund der eigenen höheren Weiterverarbeitungskosten von vornherein als nicht schutzwürdig eingestuft wurde. Dementsprechend kann man das EuG mit guten Gründen auch dahingehend verstehen, dass es der Rechtsfigur der Kosten-Preis-Schere in anderen Fallkonstellationen durchaus einen eigenständigen Platz im Bereich des Behinderungsmissbrauchs vorbehalten wollte.23 Letzten Endes wird man festhalten müssen, dass das EuG im Fall Industrie des Poudres Sphériques/Kommission eine definitive, verlässliche Einordnung der Kosten-Preis-Schere in die Dogmatik des europäischen Missbrauchsrechts schuldig geblieben ist.24

IV. Deutsche Telekom Das nun zu erläuternde Missbrauchsverfahren Deutsche Telekom bezieht sich auf eine Kosten-Preis-Schere, die sich in der Zeit um die Jahrtausendwende auf den deutschen Telekommunikationsmärkten zugetragen hat. Der Fall erweist sich als eine Ausprägung des in vielen Belangen außerordentlich konfliktträchtigen Ver21

EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 179 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission. 22 Vorsichtig in diese Richtung Hou, ECLR 2011, 250, 254 – 255; Amory/Verheyden, GCP May 2008, Release 1, 4. 23 Sicherlich unzutreffend ist jedoch die vereinzelt anzutreffende Lesart, das EuG habe in Industrie des Poudres Sphériques/Kommission das Verbot der Kosten-Preis-Schere sogar positiv anerkannt, so etwa Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 281 – 284 – Telefónica; Dunne, ECLR 2012, 29, 33. 24 Ebenso Klotz, MMR 2008, 650, 651.

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hältnisses zwischen den marktmächtigen, langjährig etablierten ehemaligen Monopolunternehmen und ihren jüngeren, durch hoheitlich veranlasste Marktliberalisierung erstmals mit eigenen Wettbewerbsmöglichkeiten ausgestatteten Konkurrenten in den Netzwirtschaftssektoren.25 Wie sich im Laufe der nachfolgenden ausführlichen Darstellung zeigen wird, hat gerade dieses Verfahren im Hinblick auf die Entwicklung der Kosten-Preis-Schere als anerkannte Rechtsfigur des Behinderungsmissbrauchs eine herausragende Bedeutung erlangt. Zugleich markiert es den Beginn der verstärkten praktischen Relevanz der Kosten-Preis-Schere in den Netzwirtschaftsbereichen. 1. Wirtschaftlicher Kontext: Die deutsche Telekommunikationswirtschaft gegen Ende der 1990er Jahre Eine Besonderheit dieses Falles liegt wie schon erwähnt darin, dass er sich in einem Marktumfeld abgespielt hat, welches man innerhalb Deutschlands überhaupt erst kurze Zeit zuvor für den Wettbewerb geöffnet hatte. Bis Ende des Jahres 1997 hatte die seinerzeit im Wege der Privatisierung gerade erst neu entstandene Deutsche Telekom AG („DTAG“) noch über ein gesetzlich abgesichertes Monopol bei der Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen gegenüber Endkunden verfügt. An dessen Stelle trat dann ein Prozess wirtschaftlicher Liberalisierung unter Einsetzung eines Regimes zur regulatorischen Aufsicht und Lenkung der Märkte in der Hoffnung, langfristig einen funktionsfähigen Wettbewerbsprozess in Gang setzen zu können.26 Maßgeblicher Baustein für die Stimulierung wirksamen Wettbewerbs im Endkundengeschäft war hierbei die Möglichkeit der neu in den Markt eintretenden konkurrierenden Dienstleister, vorhandene Infrastrukturen der DTAG mitbenutzen zu dürfen.27 Der regulatorische Ansatz bestand darin, der DTAG das Eigentum und den Betrieb der deutschlandweiten kupferkabelgebundenen Telekommunikationsnetzinfrastruktur auch nach der Marktöffnung zu belassen. Den neu in den Endkundenmarkt eintrittswilligen konkurrierenden Dienstleistern sollte im Ausgleich 25 Überblicksmäßig zu den anfänglichen Wettbewerbsproblemen in der deutschen Telekommunikationswirtschaft Engel, MMR-Beilage 3/1999, 7; Monopolkommission, Sondergutachten 33, Tz. 110 – 114 und Tz. 217 – 220. Speziell zu dem auch auf europäischer Ebene intensiv geführten Streit um die angemessene Höhe der Entgelte für telekommunikationsspezifische Netzzugangsleistungen Kommission, 8. Bericht über die Umsetzung des Reformpakets für den Telekommunikationssektor, KOM(2002), 695 endg., S. 24 – 25; BKartA, Tätigkeitsbericht 1997/1998, BT-Drucks. 14/1139, S. 24 – 27; Holthoff-Frank, MMR 2002, 294, 298. 26 Weiterführend zum Liberalisierungsprozess der deutschen Telekommunikationswirtschaft Dewenter/Haucap, Die Liberalisierung der Telekommunikationsbranche in Deutschland, 2004; Engel, MMR-Beilage 3/1999, 7; Monopolkommission, Sondergutachten 29, 1999. 27 Dewenter/Haucap, Die Liberalisierung der Telekommunikationsbranche in Deutschland, S. 7.

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dafür die effektive Möglichkeit verschafft werden, an der vorhandenen Netzinfrastruktur in einer Weise partizipieren zu dürfen, dass chancengleicher Wettbewerb untereinander und speziell im Verhältnis zur DTAG entstehen kann.28 Im vorliegenden Fall ging es speziell um die Zurverfügungstellung der Ortsnetzanbindungen. Der Begriff „Ortsnetz“ meint dabei die Gesamtheit all derjenigen millionenfach vorhandenen Verzweigungen des landesweit ausgebreiteten Netzes, die von einer lokalen Ortsvermittlungsstelle bis zu den einzelnen Haustelefonanschlüssen reichen. Jede einzelne dieser Verzweigungen bildet eine sogenannte Teilnehmeranschlussleitung (TAL).29 Sie ist von entscheidender Bedeutung für den Wettbewerb bei Telekommunikationsdienstleistungen, denn nur wer Zugriff auf die TAL hat, kann die ganze Palette an Zugangs- und Einzelverbindungsleistungen gegenüber Endkunden erbringen.30 Zwecks Belebung dieses Endkundenwettbewerbs hat man zunächst im Jahre 1996 innerhalb Deutschlands31 und anschließend mit einer Ende 2000 auf Unionsebene erlassenen Verordnung32 die Pflicht für die national etablierten Betreiber statuiert, konkurrierenden Dienstleistern einen effektiven Zugang zur entbündelten TAL bereitzustellen. Diese Zugangspflicht wurde flankiert durch regulierungsbehördliche Vorgaben über das dafür von der DTAG zu erhebende Entgelt.33 Ökonomischer Hintergrund dieser Zugangspflichten ist die Erkenntnis, dass das kupferkabelgebundene Telefonnetz zumindest auf der Ortsnetzebene die Eigenschaft eines unangreifbaren natürlichen Monopols besitzt und daher im Hinblick auf die politisch angestrebte Marktöffnung ein Bedarf an proaktiv wirkender Marktregulierung besteht.34

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Siehe dazu die Begründung zum Entwurf des TKG 1996, BT-Drucks. 13/3609, S. 34 sowie § 2 Abs. 2 Nr. 2 TKG. 29 Umgangssprachlich auch als „letzte Meile“ bezeichnet. 30 Der Zugriff auf die TAL für konkurrierende Unternehmen erfolgt typischerweise in der umfassenden Form des „vollständig entbündelten Zugangs“. 31 Die Zugangspflicht ergibt sich aus § 2 S. 2 der Netzzugangsverordnung vom 23. 10. 1996, BGBl. 1996, I-1568; siehe in diesem Zusammenhang auch zu den Details der Zugangspflicht die damals grundlegenden Gerichtsentscheidungen VG Köln, Urteil vom 5. 11. 1998, 1 K 5943/ 97 u. a., MMR 1999, 238 und BVerwG, Urteil vom 25. 4. 2001, 6 C 6/00, MMR 2001, 681. 32 Verordnung (EG) Nr. 2887/2000 vom 18. 12. 2000 über den entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss, ABl. 2000, L 336/4. 33 §§ 24 – 31 TKG a.F. (1996) sowie deren inzwischen systematisch weitgehend veränderten Nachfolgeregelungen in §§ 27 – 39 TKG n.F. (2004). 34 Dewenter/Haucap, Die Liberalisierung der Telekommunikationsbranche in Deutschland, S. 6; Kruse, in: Berg, Deregulierung und Privatisierung, S. 71, 85; Monopolkommission, Sondergutachten 29, Tz. 55, 58; Monopolkommission, Sondergutachten 33, Tz. 177 – 200 (insbesondere Tz. 193 – 196). Von einem „natürlichen Monopol“ spricht man, wenn der Einsatz eines Wirtschaftsgutes aufgrund stark ansteigender Skalenerträge durch ein einziges Unternehmen effizienter vonstatten gehen kann als durch mehrere. Sofern in einer solchen Situation der Markteintritt besonders hohe versunkene Kosten mit sich bringt, kann es als „unangreifbar“ gelten und Regulierungsbedarf auslösen, vgl. Engel, MMR-Beilage 3/1999, 7, 12; Kruse, in: Berg, Deregulierung und Privatisierung, S. 71, 71 – 76.

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In dem so strukturierten wirtschaftlichen Umfeld mit dem Nebeneinander von DTAG und neu eingetretenen Konkurrenten sind die Voraussetzungen für das Entstehen von Kosten-Preis-Scheren bereits angelegt. Das beschriebene Endkundengeschäft spielt sich im Verhältnis zur TAL-Bereitstellung auf einer nachgelagerten Wirtschaftsstufe ab. Dort stehen sich die DTAG und die alternativen Netzbetreiber als direkte Wettbewerber um die Gunst der Endkunden gegenüber. Gleichzeitig stehen sie hinsichtlich der vorgelagerten Leistung – der zeitlich befristeten Anmietung der TAL zwecks Ermöglichung des Ortsnetzzugangs – in einer vertikalen Geschäftsbeziehung. Diese Beziehung ist dadurch verfestigt gewesen, dass die Nutzung der TAL jedenfalls noch bis in die jüngere Vergangenheit mangels geeigneter alternativer Technologien obligatorisch gewesen ist, um im Endkundensegment ein wettbewerbsfähiges Angebot machen zu können.35 Insoweit hatte man es mit einer wirtschaftlichen Abhängigkeitslage der alternativen Dienstleister im Verhältnis zur DTAG als der etablierten Netzbetreiberin („incumbent operator“) zu tun. Wenn sich die DTAG also in einer Parallelrolle als vorgelagerter Netzbetreiberin und nachgelagerter Dienstleisterin befindet, ist sie damit ein vertikal integrierter Konzern mit der Möglichkeit, auf beiden beteiligten Marktstufen simultan einen zweiseitigen Preisdruck auf ihre Wettbewerber ausüben zu können. 2. Vorgeschichte des Verfahrens und der zugrunde liegende Sachverhalt Ausgangspunkt für das gegen die DTAG geführte Missbrauchsverfahren waren nun vermehrte Beschwerden eben jener im Zuge der Marktöffnung neu in den Endkundenmarkt für Telekommunikationsdienstleistungen eingetretenen oder eintrittswilligen Wettbewerber über eine aus ihrer Perspektive existenzbedrohende Preispolitik der DTAG.36 Letztere habe ihre Entgelte für den dringend benötigten vorgelagerten TAL-Zugang gegenüber den Zugangspreisen auf der nachgelagerten Endkundenebene in ein Missverhältnis gesetzt. Infolgedessen habe es für die Konkurrenten der DTAG keine Möglichkeiten zur Gewinnerzielung mehr gegeben. Dieser Streit um die Zulässigkeit der Preisgestaltung der DTAG war von Anfang an in einen größeren Zusammenhang eingebettet, der über die Dimensionen des allgemeinen Wettbewerbsrechts hinausreichte. Im Rahmen des regulierten TALZugangs unterlagen nämlich die von der DTAG beanspruchten Bereitstellungsentgelte auf den vorgelagerten Marktstufen der durch die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post („RegTP“)37 veranlassten Preisregulierung, welche 35 Vgl. dazu Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 83 – 91 – Deutsche Telekom AG. Aus heutiger Sicht würde diese Beurteilung aufgrund vielfältiger technologischer Fortschritte – speziell in den Bereichen der Kabelnetze und der drahtlosen Kommunikation – möglicherweise anders und zugunsten eines weiteren, infrastrukturübergreifenden Marktes ausfallen. 36 Dazu Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 648 m.w.N. 37 Jetzt: Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (BNetzA).

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deren Preissetzungsfreiheit von vornherein stark einengte. Deswegen lässt sich der Rechtsstreit auch nicht allein mithilfe des ansonsten nur dreipoligen Verhältnisses von mutmaßlichem Missbrauchsdelinquent, den betroffenen Wettbewerbern und der Kommission als der angerufenen und zuständigen Wettbewerbsbehörde beschreiben. Den zusätzlichen vierten Pol in dieser Konstellation bildete insoweit die RegTP, die als zuständige Regulierungsinstanz schon vor dem einzelfallbezogenen Einschreiten der Kommission weitreichenden Einfluss auf das Marktverhalten der DTAG, insbesondere deren Preisgestaltung im Bereich des Ortsnetzzugangs, ausübte. Das Regulierungsregime im Bereich der TAL-Vermietung war seinerzeit durch den deutschen Gesetzgeber als ein zweispuriges ausgestaltet. Es setzte mit unterschiedlichen Instrumentarien nicht nur auf der vorgelagerten Marktstufe (TALVermietung), sondern auch auf der nachgelagerten Marktstufe (Endkundendienstleistungen) an. Für den vorgelagerten Ortsnetzzugang setzte die RegTP hierzu in zeitlichen Abständen die Entgelte der DTAG direkt und verbindlich, d. h. ohne Abweichungsmöglichkeit, fest.38 Hinzu trat für die Dienstleistungen im nachgelagerten Endkundenmarkt eine weniger strenge Form der Entgeltregulierung. Die RegTP machte hier keine direkten Preisvorgaben, sondern definierte lediglich Obergrenzen („price caps“) für bestimmte Körbe mehrerer zusammengefasster Einzelleistungen.39 Die Rolle der RegTP im Streit um die Preisgestaltung der DTAG beim Ortsnetzzugang war vor allem deshalb eine durchaus brisante, weil auch sie im Zuge ihrer zahlreichen Preisregulierungsverfügungen das Problem der Kosten-Preis-Schere zumindest erkannt und untersucht hatte. Eine regulatorische Korrektur derselben hatte aber im Vorfeld der erst späteren Intervention durch die Kommission nie stattgefunden. Die RegTP kam stets zum Ergebnis, dass die Preise der DTAG nicht unter diesem Gesichtspunkt gegen telekommunikationsspezifische Wettbewerbsvorschriften verstießen.40 Besonders misslich war der Umstand, dass innerhalb der RegTP die Zuständigkeit für die Preisregulierung im Ortsnetz je nach der zu regu38 Die festgesetzten Entgelte waren während des von der Kommission betrachteten Zeitraums immer wieder neuen Veränderungen unterworfen. Siehe dazu im Einzelnen Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 18 – 25 – Deutsche Telekom AG; HenkMerten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 31 – 32, jeweils m.w.N. zu den maßgeblichen Beschlüssen der RegTP. 39 Die Rechtsgrundlage für die Entgeltregulierung einzelner Körbe nach dem price capSystem bildet heute der §§ 33 TKG n.F. (2012), während des für den Fall Deutsche Telekom relevanten Zeitraums galten insoweit § 27 Abs. 1 Nr. 2 TKG a.F. (1996) i.V.m. der Telekommunikations-Entgeltregulierungsverordnung vom 1. 10. 1996, BGBl. 1996, I-1492. Näher zur konkreten Ausgestaltung des im Fall Deutsche Telekom maßgeblichen price cap-Regimes Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 31 – 45 – Deutsche Telekom AG. 40 Vgl. etwa RegTP, Beschluss vom 8. 2. 1998, BK 4e-98-024/E 21.09.98, S. 37. Als Grund für die liberale Haltung gegenüber der Kosten-Preis-Schere verweist die RegTP hier darauf, dass die DTAG auf dem Endkundenmarkt ihre niedrigpreisigen Zugangsleistungen in zulässiger Weise mit hochpreisigen Einzelverbindungsleistungen quersubventioniert habe. Demgegenüber kritisch Junghanns, WuW 2002, 567, 570; Klotz, MMR 2008, 650, 654 – 655.

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lierenden Marktstufe auf unterschiedliche Beschlusskammern aufgeteilt gewesen war und es offenbar keine geeigneten Mechanismen zur gegenseitigen regulierungspraktischen Abstimmung gegeben hatte.41 Hierdurch konnte man seitens der RegTP das drohende Problem einer Kosten-Preis-Schere, die ja charakteristischerweise erst durch eine kombinierte Preissetzung auf zwei Marktstufen zur Entstehung gelangt, von vornherein nur unzureichend erfassen und bei der Entgeltregulierung berücksichtigen. Wegen dieser aktiven Beteiligung der RegTP in ihrer Rolle als ex ante-Preisfestsetzerin herrschte nun für die im Fall Deutsche Telekom geltend gemachte Kosten-Preis-Schere eine gewisse Unklarheit darüber, wer überhaupt für die etwaige Wettbewerbswidrigkeit der Preisgestaltung verantwortlich gemacht werden könnte. Angesichts dieser Gemengelage richteten sich die von den alternativen Netzbetreibern erhobenen Beschwerden dann auch nicht allein gegen die eigene Preissetzung der DTAG, sondern parallel auch gegen die Preisregulierungsmaßnahmen der RegTP unter dem Aspekt eines mutmaßlich europarechtswidrigen hoheitlichen Verhaltens.42 3. Die Verbotsentscheidung der Kommission Die Entscheidung der Kommission zur Frage des unternehmerischen Wettbewerbsverstoßes der DTAG ist dann im Mai 2003 ergangen. Darin stellte sie fest, dass die DTAG mit ihrer kombinierten Preisgestaltung in den vor- und nachgelagerten Märkten des Ortsnetzzugangs eine Kosten-Preis-Schere praktiziert und damit ihre marktbeherrschende Stellung im Sinne des Art. 102 S. 2 lit. a AEUV missbräuchlich ausgenutzt hatte.43 Nach Überzeugung der Kommission lagen die Entgelte der DTAG auf beiden beteiligten Marktstufen zu eng beieinander, so dass sich daraus in wettbewerbswidriger Weise ein zweiseitiger Druck auf die Gewinnmargen der Konkurrenten im Endkundenmarkt gebildet hatte. Auf der Rechtsfolgenseite verhängte die Kommission gegenüber der DTAG ein Bußgeld in Höhe von EUR 12,6 Mio. Bei ihrer Berechnung der Kosten-Preis-Schere stellte die Kommission im Einzelnen fest, dass die von der DTAG in einem ersten Zeitraum von 1998 bis Ende 2001 verlangten Vorleistungsentgelte für den den Wettbewerbern eingeräumten Ortsnetzzugang nominal höher ausgefallen waren als die von ihr im nachgelagerten

41 Vgl. Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 35; Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 653 – 654. 42 Vgl. Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 32. Die Kommission führte diesbezüglich zwei Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen staatlicher Versäumnisse bei der Verfolgung der Marktöffnungsziele, vgl. Kommission, Pressemitteilung IP/02/686 vom 8. 5. 2002. 43 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9 – Deutsche Telekom AG.

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Endkundenmarkt festgesetzten Entgelte („negative Preisspanne“).44 Für einen zweiten Zeitraum ab 2002 bis ins Jahr 2003 berechnete die Kommission eine positive Preisspanne.45 Nichtsdestotrotz war auch diese für die Wettbewerber unzureichend, weil sie die zusätzlich im nachgelagerten Markt anfallenden Kosten46 nicht abzudecken vermochte. Letzten Endes stellte die Kommission also für den gesamten in Betracht gezogenen Zeitraum von 1998 bis 2003 eine tatbestandsmäßige KostenPreis-Schere fest. Im Vergleich mit den noch vergleichsweise simpel gestrickten Fallkonstellationen der früheren Verfahren National Carbonising und Napier Brown/British Sugar sah sich die Kommission in Deutsche Telekom im Rahmen der rechnerischen Ermittlung der Kosten-Preis-Schere erstmals mit erheblichen anwendungstechnischen Problemen konfrontiert. Die aus den früheren Fällen bekannte, noch wenig ausdifferenzierte Methode musste in vielen Punkten verfeinert und weiterentwickelt werden, um den in Deutsche Telekom vorgefundenen Sachverhalt richtig erfassen zu können. Diese sollen an dieser Stelle noch nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben werden.47 Als Beispiel sei insoweit nur erwähnt, dass einer einheitlichen Vorleistung (dem Ortsnetzzugang in Form der vollständig entbündelten TAL) ein ganzes Portfolio unterschiedlicher nachgelagerter Endkundenzugangsleistungen gegenüberstand. Die Entgelte der jeweiligen nachgelagerten Leistungen mussten erst in ökonomisch nachvollziehbarer Weise gewichtet werden, bevor die zur Berechnung einer Kosten-Preis-Schere erforderliche Vergleichbarkeit zum Vorleistungsentgelt gewährleistet war.48 Ein weiteres, ebenso wichtiges wie hochgradig strittiges Thema aus der Kommisionsentscheidung ist die bereits angesprochene Problematik der unternehmerischen Verantwortlichkeit der DTAG für die objektiv festgestellte Kosten-PreisSchere. Die DTAG vertrat hierzu die Ansicht, ihr selbst sei deren Entstehung angesichts der weitreichenden regulatorischen Einschränkungen ihrer Preisgestaltungsfreiräume seitens der RegTP nicht mehr zuzurechnen.49 Demgegenüber sah die Kommission darin keinen ausreichenden Grund, Art. 102 AEUV unangewendet zu 44 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 152 – Deutsche Telekom AG. 45 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 154 – Deutsche Telekom AG. 46 Dazu Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 154 – 162 – Deutsche Telekom AG. 47 Vgl. hierzu Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 652 – 653 sowie die Auseinandersetzung mit einzelnen problematischen Aspekten der Berechnungsmethode weiter unten, Kap. 4 C. II. 5. und 6. 48 Hierzu Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 111 – 137 – Deutsche Telekom AG. 49 Siehe dazu bereits die Ausführungen oben, Kap. 2 B. V., zur ausnahmsweise fehlenden kartellrechtlichen Relevanz einer Kosten-Preis-Schere m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH.

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lassen. Die DTAG habe Spielräume zur Preisanpassung gehabt und diese nicht im gebotenen Maße ausgeschöpft.50 Speziell habe sie im Rahmen des price cap-Systems Spielräume zur Anhebung und Umstrukturierung der nachgelagerten Endkundenentgelte gehabt, mit denen die Korrektur der Kosten-Preis-Schere möglich gewesen wäre.51 Die Missbrauchsentscheidung der Kommission im Fall Deutsche Telekom hat sich in mehrfacher Hinsicht als wegweisender Schritt in der Entwicklung des europäischen Rechts der Kosten-Preis-Schere erwiesen. Zum ersten Mal hat man die Missbräuchlichkeit einer Preisgestaltung ausschließlich anhand der Existenz einer Kosten-Preis-Schere festgemacht. Dies verdeutlicht, dass es sich bei der KostenPreis-Schere nach dem Verständnis der Kommission offenbar um eine eigene Missbrauchsform handelt, die im Rahmen des Art. 102 AEUV gleichrangig neben anderen preisbezogenen Spielarten des Behinderungsmissbrauchs stehen soll.52 Außerdem ist bemerkenswert, dass die Kommission ihr Konzept der missbräuchlichen Kosten-Preis-Schere im Hinblick auf die materiellen Prüfungskriterien zugleich wesentlich präziser und ausführlicher dargelegt hat als noch in den vorangegangenen Verfahren. Eine verbotswürdige Kosten-Preis-Schere ist im Ausgangspunkt dadurch gekennzeichnet, dass „bei einem marktbeherrschenden integrierten Unternehmen ein Verhältnis zwischen den Vorleistungspreisen für Leistungen an seine Wettbewerber in einem vorgelagerten Markt und den Endkundenpreisen in einem nachgeordneten Markt besteht, welches dazu führt, dass der Wettbewerb auf dem Vorleistungs- oder dem Endkundenmarkt eingeschränkt wird.“53 Dies ist nach Ansicht der Kommission in zweierlei Konstellationen anzunehmen: erstens, sofern der Normadressat im nachgelagerten Markt geringere Preise verlangt als für die vorgelagerte Leistung (Kosten-Preis-Schere bei negativer Preisdifferenz); zweitens, wenn die nachgelagerten Preise zwar oberhalb der im vorgelagerten Markt festgelegten Preise angesiedelt sind, die Preisdifferenz aber unzureichend ist, um die produktspezifisch anfallenden Kosten auf der nachgelagerten Marktstufe zu decken (Kosten-Preis-Schere bei positiver Preisdifferenz).54 Hiermit hat sich erstmals ein verlässliches und bis heute Gültigkeit beanspruchendes 50 Dazu insgesamt Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 57, 163 – 175 – Deutsche Telekom AG; siehe auch Schütze/Salevic, CR 2008, 483, 484; dezidiert a.A. und gegen eine eigene unternehmerische Verantwortlichkeit der DTAG für ein preisliches Missverhältnis von Meibom/von dem Bussche, WuW 1999, 1171, 1180. 51 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 163 – 175 – Deutsche Telekom AG. 52 Besonders deutlich in diese Richtung Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 105 – Deutsche Telekom AG. 53 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 106 – Deutsche Telekom AG mit Verweis auf die frühere Entscheidungspraxis in der Sache Napier Brown/ British Sugar. 54 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 107, 138, 140 – Deutsche Telekom AG.

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methodisches Grundgerüst für die kartellrechtliche Prüfung der Gewinnmargenbeschneidung herausgebildet. 4. Konsequenzen der Kommissionsentscheidung für die Preispolitik der DTAG Bereits im unmittelbaren zeitlichen Nachgang der Missbrauchsfeststellung durch die Kommission haben sich im Hinblick auf die Wettbewerbssituation im deutschen Ortsnetz einige beachtliche Konsequenzen ergeben.55 Zunächst reagierte die RegTP im weiteren Verlauf des Jahres 2003 mit einer verstärkten regulatorischen Aktivität. Infolge eines Antrags, den die DTAG bereits einen knappen Monat vor der Missbrauchsentscheidung der Kommission gestellt hatte, setzte die RegTP Ende Juni 2003 die einmalig anfallenden Bestandteile der Vorleistungsentgelte für den Zugang zur vollständig entbündelten TAL unter erheblichen Abschlägen neu fest.56 Da diese Maßnahmen die eigenen Gestehungskosten der nicht integrierten Konkurrenten unmittelbar absenkten, milderte sich die Kosten-Preis-Schere der DTAG bereits mit Wirkung zum 1. 7. 2003 spürbar ab. Darüber hinaus folgten noch im selben Monat Änderungen des bis dahin gültigen price cap-Regimes bei den nachgelagerten Endkundendiensten.57 Die RegTP räumte hier der DTAG zusätzliche Spielräume ein, um die Anschlussentgelte erhöhen zu dürfen. In ihrem Beschluss weist die RegTP explizit darauf hin, dass die DTAG hiermit zusätzlichen Spielraum für die Abstellung der Kosten-Preis-Schere erhalten sollte.58 Dementsprechend erhöhte die DTAG ihre Entgelte für analoge Anschlüsse im Endkundenmarkt dann auch ab September 2003 um rund 10 %.59 Damit verringerte sich auch der aus dem nachgelagerten Markt stammende Preisdruck. Im Zuge dieser Maßnahmenkombination auf beiden beteiligten Marktstufen gelang es der DTAG schließlich, die von der Kommission monierte Kosten-Preis-Schere im Marktsegment der vollständig entbündelten TAL und der dazugehörigen nachgelagerten Endkundenzugänge vollständig und dauerhaft abzustellen. Nichtsdestotrotz war es gegen Mitte des Jahres 2003 noch zu früh, das Thema der konkurrentenbehindernden Kosten-Preis-Schere auf den deutschen Telekommunikationsmärkten insgesamt ad acta legen zu können. Die DTAG sah sich nämlich zunächst nicht dazu veranlasst, ihre Entgelte in dem verwandten Marktsegment für breitbandige ADSL-Internetzugänge in ähnlicher Weise anzupassen. Diesbezüglich hatte ein Konkurrent der DTAG aber bereits 2002 den Verdacht einer (weiteren) Kosten-Preis-Schere gehegt und deswegen die Kommission eingeschaltet.60 Konkret 55

Ausführliche Darstellung bei Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 654 – 655. RegTP, Entscheidung vom 30. 6. 2003, BK 4a-03-023/E 30.04.03. Die Entgelte wurden um Prozentsätze im Spektrum zwischen 7,1 % und 19,8 % reduziert (a.a.O., S. 23). 57 RegTP, Entscheidung vom 22. 7. 2003, BK 2a 03/010. 58 RegTP, Entscheidung vom 22. 7. 2003, BK 2a 03/010, S. 3 und 9 – 11. 59 Vgl. Klotz/Fehrenbach, CPN 3/2003, 8, 10. 60 Vgl. Kommission, Pressemitteilung IP/04/281 vom 1. 3. 2004. 56

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ging es hier um die Entgelte für das sogenannte „line sharing“61 auf der Vorleistungsebene und die Entgelte für ADSL-Zugangsdienste im nachgelagerten Endkundensegment. An diesem eigenständigen Verdachtsmoment änderte sich durch die Abstellung der Kosten-Preis-Schere im Bereich der vollständig entbündelten TAL zunächst einmal nichts. Offenbar unter dem Eindruck der gerade erst ergangenen Kommissionsentscheidung vom Mai 2003 entschloss sich die DTAG, von sich aus die Preisgestaltung bei diesen Diensten anzupassen und somit den Verdacht dieser zweiten Kosten-Preis-Schere zu entkräften. Zu diesem Zweck gab die DTAG gegenüber der Kommission eine Verpflichtungszusage ab, die diese mit Wirkung zum 1. 4. 2004 für verbindlich erklärte.62 Mit diesem Engagement wendete die DTAG die Eröffnung eines förmlichen Missbrauchsverfahrens sowie eine drohende erneute Missbrauchsfeststellung erfolgreich ab. Seitdem die korrigierten Entgelte entsprechend der Zusagen am Markt eingeführt wurden, hat sich auch im Bereich des line sharing und der ADSL-Entgelte anschließend kein neuerlicher ernsthafter Anhaltspunkt für eine Kosten-Preis-Schere seitens der DTAG ergeben.63 5. Weiterer Verfahrensgang vor den Unionsgerichten Parallel zu diesen zeitnah auf die Kommissionsentscheidung folgenden wirtschaftspraktischen Entwicklungen setzte sich die DTAG auf der rechtlichen Seite gegen die Missbrauchsentscheidung der Kommission vom Mai 2003 im Wege der Nichtigkeitsklage zur Wehr. Darüber hatte zunächst das EuG im Jahr 2008 und anschließend der EuGH im Jahr 2010 zu entscheiden. Beide Instanzen bestätigten jedoch die Vorgehensweise der Kommission in vollem Umfang.64 Im Großen und Ganzen unterscheiden sich die dort erörterten Streitfragen nicht maßgeblich von denen, die sich schon während des Kommissionsverfahrens gestellt hatten. Revolutionäre Entwicklungen zur Rechtsfigur der Kosten-Preis-Schere sind insofern ausgeblieben. Die umfangreichen Entscheidungsgründe beider Urteile enthalten aber dennoch einige wertvolle Klarstellungen zur kartellrechtlichen Beurteilung von Kosten-Preis-Scheren.

61 Darunter versteht man eine zur „vollständig entbündelten TAL“ alternative Form des vorgelagerten Netzzugangs, bei der die TAL von etablierten und konkurrierenden Betreibern gemeinsam in jeweils verschiedenen Frequenzbereichen genutzt wird. Line sharing meint den „gemeinsamen Zugang zum Teilnehmeranschluss“ i.S.v. Art. 2 lit. g) der Verordnung (EG) Nr. 2887/2000 vom 18. 12. 2000 über den entbündelten Zugang zum Teilnehmeranschluss. 62 Vgl. Kommission, Pressemitteilung IP/04/281 vom 1. 3. 2004; Kommission, Pressemitteilung IP/05/1033 vom 3. 8. 2005. Zu Inhalt und Einhaltung der Verpflichtungszusagen näher Klotz/Grewe, K&R 2005, 102, 106 – 107. 63 Klotz, MMR 2008, 650, 652. 64 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101 – Deutsche Telekom AG/ Kommission; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603 – Deutsche Telekom AG/Kommission.

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So verwarfen die Gerichte übereinstimmend und im Falle des EuG mit ausgebreiteter Begründung das Argument der DTAG, man könne sie wegen der intensiven Eingriffe der RegTP in ihre Preissetzungsspielräume nicht für eine wettbewerbswidrige Kosten-Preis-Schere nach Art. 102 AEUV verantwortlich machen. Erstens habe die RegTP selbst – obwohl sie den Aspekt einer entstehenden Kosten-PreisSchere explizit untersuchte und keinen regulatorischen Handlungsbedarf sah65 – keinerlei Prüfung anhand des primären europäischen Wettbewerbsrechts vorgenommen. Insofern konnten die aus Sicht des EU-Wettbewerbsrechts „fehlerhaften“ Regulierungsmaßnahmen weder direkt aus sich heraus noch indirekt über den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes eine wie auch immer geartete legalisierende Wirkung für das Verhalten der DTAG entfalten.66 Zweitens nahmen beide Gerichte übereinstimmend an, dass die DTAG zu jedem Zeitpunkt über einen unternehmerischen Handlungsspielraum verfügte, der es ihr gestattete, die Kosten-Preis-Schere zu vermeiden oder wenigstens in ihrer Intensität abzumildern.67 Schlussendlich hat man sich ebenfalls mit der Grundsatzfrage nach der rechtsdogmatischen Einordnung der Kosten-Preis-Schere in die Systematik des Missbrauchsverbots beschäftigt. Die Ausführungen des EuG fallen dazu aber enttäuschend kurz aus. Das Gericht bestätigt zwar den Ansatz der Kommission, wonach gerade die unzureichende Differenz der vor- und nachgelagerten Preise für sich genommen und unabhängig vom Blick auf die Einzelpreise unter das Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV fallen kann.68 Eine stichhaltige Begründung für diese durchaus fundamentale Einordnung und von der DTAG im Verfahren ja immerhin bestrittene Sichtweise ist das EuG aber schuldig geblieben. Erst der EuGH hat hierzu – ebenfalls das eigenständige Verbot der Kosten-Preis-Schere neben anderen Missbrauchsformen anerkennend – etwas ausführlicher Stellung bezogen und auf das dieser Fallkonstellation innewohnende Verdrängungspotenzial hingewiesen.69 Die von der Kommission verwendeten Kriterien für die Feststellung einer verhal65 Vgl. beispielsweise RegTP, Beschluss vom 8. 2. 1999, BK 4e-98-024/E 21.09.98, S. 37; RegTP, Beschluss vom 30. 3. 2011, BK 4a-01-001/E 19.01.01, S. 49 – 50. 66 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 106 – 119 (zur Beteiligung der RegTP) und Tz. 267 – 271 (zum Thema des Vertrauensschutzes); EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 80 – 89 (zur Beteiligung der RegTP) Tz. 105 – 109 (zum Thema des Vertrauensschutzes). 67 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 96 – 105 und 121 – 151 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 85 – 89 – Deutsche Telekom AG/Kommission; demgegenüber kritisch Moore, ECLR 2008, 721, 724. Die Unionsgerichte liegen hier auf einer gemeinsamen Linie mit dem BGH, der bereits im Jahre 2004 in einem vergleichbaren Zusammenhang so geurteilt (Urteil vom 10. 2. 2004, KZR 7/02, WuW/E DE-R 1254, Tz. 17) und sich damit explizit von der anderslautenden vorinstanzlichen Auffassung des OLG Düsseldorf (Urteil vom 16. 1. 2002, U (Kart) 8/01, WuW/E DE-R 894) distanziert hatte. 68 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 166 – 167 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 69 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 156 – 184 (insbesondere Tz. 183) – Deutsche Telekom AG/Kommission.

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tensmäßig potenziell missbräuchlichen Kosten-Preis-Schere70 wurden ebenfalls höchstrichterlich bestätigt.71 6. Zwischenfazit Insbesondere seit dem Urteil des EuGH aus Oktober 2010 können einige der drängendsten Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Kosten-Preis-Schere als Missbrauchsverhalten nach Art. 102 AEUV als geklärt angesehen werden. Die Kommission hat in Deutsche Telekom mit einer bis dahin nicht bekannten Ausführlichkeit dargelegt, dass und inwiefern die Kosten-Preis-Schere als wettbewerbswidrige Verdrängungsstrategie einzustufen ist. Im Zuge der Bestätigung ihres Ansatzes in beiden gerichtlichen Instanzen hat sich damit erstmals so etwas wie ein verlässlicher, gefestigter Rechtsrahmen für die Beurteilung von Kosten-PreisScheren herausgebildet. Mit der so eingetretenen Konsolidierung des europäischen Kartellrechts ist allerdings gleichzeitig auch die Kluft zur Herangehensweise des USamerikanischen Antitrustrechts erst so richtig zum Vorschein getreten.

V. Telefónica Bereits Mitte des Jahres 2006 – also noch bevor das EuG in Deutsche Telekom urteilte – hatte die Kommission bereits ein weiteres Missbrauchsverfahren wegen des Verdachts einer Kosten-Preis-Schere eröffnet, das sich wiederum gegen einen marktbeherrschenden Telekommunikationsnetzbetreiber richtete.72 Die Ermittlungen betrafen dieses Mal den etablierten spanischen incumbent operator Telefónica. Der Konzern hatte in Spanien bis zur dortigen Marktliberalisierung im Jahre 1998 über eine gesetzlich abgesicherte Monopolstellung für den gesamten Bereich der Telekommunikation verfügt. Er war im Zuge der Marktöffnung deshalb auch mit ganz ähnlichen Umwälzungen des wirtschaftlichen Umfelds konfrontiert wie die DTAG in Deutschland. Telefónica befand sich daher auch in der bekannten Doppelrolle als Eigentümerin des landesweiten Telefonnetzes auf der einen Seite sowie als Erbringerin verschiedener Dienstleistungen gegenüber Endkunden unter Benutzung ihrer vorhandenen Netzinfrastruktur auf der anderen Seite. Der Missbrauchsverdacht bezog sich auf die Wettbewerbsverhältnisse der landesweiten spanischen Märkte für breitbandige ADSL-Internetzugänge. Telefónica habe dort – so der von Konkurrenten vorgetragene und von der Kommission aufgegriffene Vorwurf – über mehrere Jahre hinweg wettbewerbswidrige Preise nach dem Schema einer Kosten-Preis-Schere festgesetzt.

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Siehe dazu noch ausführlich unten, Kap. 4 C. II. EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 186 – 245 (insbesondere Tz. 183) – Deutsche Telekom AG/Kommission. 72 Kommission, Pressemitteilung MEMO/06/91 vom 22. 2. 2006. 71

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Anders als in Deutschland hatte die Kommission auf dem spanischen Markt ein deutlich komplexer strukturiertes Marktumfeld vorgefunden, das einen nochmals gesteigerten Ermittlungsaufwand mit sich brachte. Die Einzelheiten können hier nicht in voller Breite erläutert werden.73 Mit Blick auf die Entstehung der mutmaßlichen Kosten-Preis-Schere genügt es festzuhalten, dass die maßgeblichen Umstände des Sachverhalts weitestgehend mit denen des Deutsche Telekom-Verfahrens vergleichbar waren. Auch die Preissetzungsfreiheit Telefónicas war von vornherein durch Vorgaben der nationalen Regulierungsbehörde eingeschränkt. Vor dem Hintergrund der unionsrechtlich nur in groben Zügen vorgegebenen Marktregulierung herrschte in Spanien jedoch ein anders ausgestaltetes System als seinerzeit in Deutschland, dessen Funktionsweise zudem während des analysierten Zeitraums grundlegenden Veränderungen unterworfen war.74 Alles in allem war das Ausmaß des behördlichen Einflusses durch ex ante ansetzende Regulierungsvorgaben geringer als im Fall Deutsche Telekom. Deswegen bestand aus Sicht Telefónicas wenig Grund zur Hoffnung, dass die Kommission unter dem Aspekt eines ausschließlich hoheitlich gesteuerten Marktverhaltens von der Anwendung des Art. 102 AEUV ausnahmsweise absehen würde.75 Die Entscheidung der Kommission zur Preisgestaltung Telefónicas ist im Juli 2007 ergangen. In ihr wird mit ausführlicher Argumentation und anhand eines umfangreichen Datenmaterials dargelegt, dass das Unternehmen in der Zeit zwischen September 2001 und Dezember 2006 in der Tat eine missbräuchliche KostenPreis-Schere praktiziert hatte.76 Missbräuchliche Margenbeschneidungen wurden dabei ausgehend von beiden untersuchten Vorleistungsmärkten festgestellt, so dass es sich streng genommen sogar um zwei separate, lediglich parallel miteinander einhergehende Kosten-Preis-Scheren handelte. Nach eher knappen Ausführungen in der Entscheidung Deutsche Telekom77 hat die Kommission in Telefónica erstmals 73 Das spanische Telefonnetz untergliedert sich in drei Hierarchieebenen (örtliche, regionale, landesweite Netzebene), wobei konkurrierende Dienstanbieter auf jeder dieser Ebenen die Möglichkeit haben, Vorleistungen von Telefónica in Form des Netzzugangs zu erhalten. Die Prüfung der Kosten-Preis-Schere im vorliegenden Fall hat sich auf die Vorleistungen auf landesweiter und regionaler Ebene konzentriert. Der Ortsnetzzugang wurde bewusst ausgeblendet, vgl. Kommission, Pressemitteilung IP/07/1011 vom 4. 7. 2007. 74 Auch insofern muss hier eine vertiefte Erläuterung aus Platzgründen unterbleiben. Es sei stattdessen verwiesen auf Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 104 – 144 und 287 – 309 – Telefónica. 75 Entsprechend knapp auch die Begründung der Kommission gegen die Annahme eines solchen Ausnahmefalles, vgl. Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 665 – 675 – Telefónica. 76 Vgl. überblicksmäßig die Zusammenfassung der Entscheidung, ABl. 2008, C 83/6, S. 7 sowie Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 691, 694 – Telefónica. Eingehend zur Missbrauchsprüfung Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/ 38.784, Tz. 278 – 694 – Telefónica (insbesondere Tz. 397 – 542 zum Berechnungsvorgang für die beiden Kosten-Preis-Scheren). 77 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 181 – 183 – Deutsche Telekom AG.

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besonderen Wert darauf gelegt, nicht nur die Kosten-Preis-Schere als solche, sondern speziell auch die von ihr im konkreten Fall ausgehende Verdrängungswirkung auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt anhand der gegebenen wirtschaftlichen Zusammenhänge darzulegen.78 Der im Missbrauchsverfahren vorgetragene Einwand Telefónicas, man habe es bei ihrer Preisgestaltung der Sache nach mit einer Geschäftsverweigerung zu tun gehabt, deren Beurteilung den speziell dafür bekannten Kriterien hätte folgen müssen und die vorliegend nicht erfüllt gewesen wären, wurde von der Kommission verworfen.79 Auf der Rechtsfolgenseite verhängte die Kommission im Vergleich zur vorherigen Entscheidung in Deutsche Telekom ein deutlich höheres Bußgeld von nunmehr rund EUR 152 Mio. Telefónica entschloss sich nach Erlass der Missbrauchsentscheidung, diese vor dem EuG anzugreifen. In den daraufhin zuerst vom EuG (2012) und anschließend vom EuGH (2014) erlassenen Urteilen wurden jedoch alle von Telefónica angegriffenen Feststellungen der Kommission in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht bestätigt.80 Das Telefónica-Verfahren hat gegenüber der vorherigen Missbrauchsentscheidung in Deutsche Telekom mit deren gerichtlichen Folgeentscheidungen alles in allem nur noch geringfügige bzw. detailbezogene konzeptionelle Neuerungen für den wettbewerbsrechtlichen Umgang mit der Kosten-Preis-Schere mit sich gebracht. Es führt daher primär zu der Erkenntnis, dass die Kommission ihre Durchsetzungspraxis konsolidiert hat und speziell in den Netzwirtschaftssektoren offenbar vordringlichen Handlungsbedarf gegen die Preissetzungspraktiken vertikal integrierter incumbent operators sieht. Mit Blick auf die Vorgehensweise der Missbrauchsprüfung ist hervorzuheben, dass die Kommission in Telefónica ihre methodische Vorgehensweise der Missbrauchsprüfung im Vergleich zur Entscheidung gegen die DTAG nochmals ausführlicher erläutert hat.81 Ebenso bemerkenswert sind die stärkere Aufarbeitung der Sachverhaltsgegebenheiten sowie die Berücksichtigung der ökonomischen Wirkungsweise der Kosten-Preis-Schere auf der nachgelagerten Marktstufe.82 Die im Vergleich zu den früheren Verfahren wesentlich 78 Dazu Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 543 – 618 – Telefónica. 79 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 299 – 309 – Telefónica. 80 EuG, Urteil vom 29. 3. 2012, Rs. T-336/07, EU:T:2012:172 – Telefónica/Kommission; EuGH, Urteil vom 10. 7. 2014, Rs. C-295/12 P, EU:C:2014:2062 – Telefónica/Kommission. Siehe zudem das Urteil des EuG vom 29. 3. 2012 über die parallel vom Königreich Spanien geführte Nichtigkeitsklage gegen die Kommissionsentscheidung (Rs. T-398/07, EU:T: 2012:173 – Spanien/Kommission). 81 Die entsprechende Passage erstreckt sich über 25 Textseiten, vgl. Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 310 – 396 – Telefónica. 82 Dies mag auch den gegenüber früheren Verfahren erheblich gestiegenen Umfang der Entscheidung erklären. Die englische Fassung der Telefónica-Entscheidung umfasst 233 Textseiten. Die Entscheidung Deutsche Telekom hatte lediglich 33 Textseiten im Amtsblatt der EU eingenommen. Besonders auffällig ist die Diskrepanz zu den früheren Verfahren Napier Brown/British Sugar und Industrie des Poudres Sphériques, in denen man sich mit einigen wenigen Absätzen zum Thema der Kosten-Preis-Schere begnügt hatte.

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schärfere Bußgeldsanktion kann schließlich als Fingerzeig dahingehen verstanden werden, dass die Kommission der Bekämpfung von Kosten-Preis-Scheren (gerade in den von vornherein wettbewerbssensiblen Bereichen der kürzlich liberalisierten Netzwirtschaften) eine hohe wettbewerbspolitische Priorität zumisst.

VI. Gasmarktabschottung durch RWE Im Erdgasgeschäft nehmen die großen, vertikal integrierten Versorgungskonzerne eine Doppelstellung ein, indem sie einerseits den Betrieb der Übertragungsnetze kontrollieren und gleichzeitig selbst durch ihre Tochterunternehmen auf den nachgelagerten Märkten der Weiterverteilung vertreten sind. Dort konkurrieren die konzernangehörigen Einheiten mit nicht-integrierten Gaslieferanten. Deren Wettbewerbsfähigkeit hängt ganz entscheidend von den Modalitäten des vom integrierten Betreiber zu gewährenden Zugangs zu seinem Übertragungsnetz ab.83 Folglich stellt sich auch beim Gastransport das typische zweifache Verhältnis der beteiligten Unternehmen zueinander dar, das zugleich durch horizontale Wettbewerbs- und vertikale Geschäftsbeziehung gekennzeichnet ist. Die Geschäftsbeziehung geht dabei wiederum mit einer wirtschaftlichen Abhängigkeit der nicht-integrierten Gastransportunternehmen vom Netzbetreiber einher. In diesem Marktumfeld bestehen für die integrierten Netzbetreiber offenbar nur sehr bedingte Anreize, Kapazitäten ihrer Netze für die Durchleitungswünsche der externen Transportkunden zur Verfügung zu stellen. Denn deren Zulassung auf vorgelagerter Ebene bedeutet höheren Wettbewerbsdruck und Kundenverlust auf nachgelagerten Märkten. Deshalb besteht die Tendenz, sich als integrierter Netzbetreiber die nachgelagerten Geschäftstätigkeiten vorzubehalten, zu diesem Zwecke die begrenzten Netzkapazitäten bevorzugt den eigenen konzernverbundenen Transportunternehmen zuzuweisen und diesen Zustand mithilfe langfristiger Kapazitätsbuchungen zu verfestigen.84 Vor diesem Hintergrund geriet dann im Jahre 2007 mit dem deutschen RWEKonzern erstmals eines der großen europäischen Energieversorgungsunternehmen wegen einer mutmaßlichen Kosten-Preis-Schere in den Fokus der Kommission. Die 83 Den Energieversorgungsnetzen schreibt man nach allgemeiner Ansicht die ökonomische Eigenschaft eines unangreifbaren natürlichen Monopols zu, vgl. Knieps, in: Berg, Deregulierung und Privatisierung, S. 59, 65; Monopolkommission, Sondergutachten 49, Tz. 434. 84 Siehe dazu etwa Kommission, Entscheidung vom 3. 12. 2009, COMP/39.316 – Gaz de France; Kommission, Entscheidung vom 4. 5. 2010, COMP/39.317 – E.ON Gas; Kommission, Entscheidung vom 29. 9. 2010, COMP/39.315 – ENI. Das BKartA hat im Rahmen einer diesbezüglichen Sektoruntersuchung festgestellt, dass drei Viertel aller Langfristbuchungen bei den Gasnetzbetreibern von konzernzugehörigen Transportkunden platziert werden und die dabei vereinbarte Vertragslaufzeit durchschnittlich acht Jahre beträgt. Eine durchschnittliche Langfristbuchung belegt bei der Netzeinspeisung knapp die Hälfte, bei der Netzausspeisung knapp drei Viertel der am jeweiligen Netzpunkt verfügbaren Kapazität, vgl. BKartA, Abschlussbericht zur Sektoruntersuchung Gasfernleitungsnetze, B10-7/09, S. 11.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Ermittlungen ergaben, dass RWE eine solche offenbar gemeinsam mit Strategien der Geschäftsverweigerung eingesetzt hatte, um unliebsamen Wettbewerbern den Zugang zu bestimmten Gasvertriebsmärkten zu versperren.85 Hierbei handelte es sich konkret um die Märkte für die Gasbelieferung, die in der Wertschöpfungskette den Märkten für die Gasübertragung (Transportebene) nachgelagert sind. Als Eigentümer des Gasübertragungsnetzes hatte das Unternehmen auf der vorgelagerten Marktstufe eine beherrschende Stellung inne.86 Die Kommission gelangte in einer vorläufigen Beurteilung87 zum Ergebnis, dass RWE eine Kosten-Preis-Schere anwendete, indem das Unternehmen von seinen externen Konkurrenten im nachgelagerten Belieferungsmarkt auffallend hohe Entgelte für die vorgelagerte Gasübertragung verlangte, so dass ein ebenso effizienter Wettbewerber den nachgelagerten Wettbewerb nicht wirksam hätte aufnehmen können.88 Ergänzend wies die Kommission in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die im nachgelagerten Gasbelieferungsmarkt tätige Betriebseinheit des RWEKonzerns Preise unterhalb des eigenen Kostenniveaus am Markt festgesetzt habe und die asymmetrische Wettbewerbssituation zum Nachteil der konzernexternen Wettbewerber noch durch ein Rabattsystem verstärkt worden sei.89 Der Fall unterstreicht die anhaltend hohe praktische Relevanz der Kosten-PreisSchere im Kartellrecht sowie die Tatsache, dass es sich bei ihr auch nicht um ein speziell telekommunikationsrechtliches Problem handelt. Grundsätzlich sind alle Wirtschaftsbereiche mit leitungsgebundener Netzinfrastruktur in verstärktem Maße anfällig für das Auftreten einer solchen Preispolitik.90 In Bezug auf das kartell85 Kommission, Entscheidung vom 18. 3. 2008, COMP/39.402, Tz. 22 – 28 und Tz. 29 – 36 – Gasmarktabschottung durch RWE. 86 Kommission, Entscheidung vom 18. 3. 2008, COMP/39.402, Tz. 18 – Gasmarktabschottung durch RWE. 87 Das Verfahren wurde über die Verbindlicherklärung von Verpflichtungszusagen gemäß Art. 9 Abs. 1 VO 1/2003 abgeschlossen. Daher erging weder eine förmliche Missbrauchsentscheidung, noch konnte die Kommission einen Wettbewerbsverstoß rechtsverbindlich feststellen. 88 Kommission, Entscheidung vom 18. 3. 2008, COMP/39.402 – Gasmarktabschottung durch RWE. 89 Kommission, Entscheidung vom 18. 3. 2008, COMP/39.402, Tz. 22 – 28 und Tz. 31 – 35 – Gasmarktabschottung durch RWE. 90 Insbesondere lassen sich die hier gemachten Ausführungen auch auf die Elektrizitätswirtschaft übertragen. Entscheidende Bedingung für die Entfaltung wirksamen Wettbewerbs ist auch dort die faire Ausgestaltung des Zugangs zu den Elektrizitätsübertragungsnetzen. Innerhalb Deutschlands könnten die vier großen und vertikal integrierten Netzbetreiber E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall vergleichbare Anreize und Möglichkeiten besitzen, ihre eigenen Tochtergesellschaften auf den nachgelagerten Verteilungs- und Vertriebsmärkten zu bevorzugen und damit vom Wettbewerbsdruck auf der Stromhandelsebene abzuschirmen. Die Kommission hat hier allerdings bisher noch nicht wegen des expliziten Verdachts einer KostenPreis-Schere interveniert. Jedoch hat es andere auf Art. 102 AEUV gestützte Verdachtsmomente wegen wettbewerbswidrigem Verhalten gegeben, vgl. jüngst etwa Kommission, Entscheidungen vom 26. 11. 2008, COMP/39.388 und COMP/39.389 – Deutscher Stromgroß-

A. Entwicklung der bisherigen Entscheidungspraxis

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rechtliche Verbotskonzept der Kosten-Preis-Schere bringt die Entscheidung allerdings keine neuen Erkenntnisse hervor.

VII. Konkurrensverket/TeliaSonera Den vorläufigen Schlusspunkt weiterer Verfahren auf Unionsebene zum Phänomen der Kosten-Preis-Schere markiert die vom EuGH Anfang 2011 ausgeurteilte Sache Konkurrensverket/TeliaSonera (kurz: TeliaSonera). Zum Hintergrund und Gegenstand des Verfahrens: Die schwedische Wettbewerbsbehörde („Konkurrensverket“) hatte nach der Jahrtausendwende gegen das auf nationaler Ebene etablierte und aus früherer Monopolstellung hervorgegangene Telekommunikationsunternehmen TeliaSonera wegen des Verdachts einer KostenPreis-Schere Ermittlungen angestrengt. Diese soll sich im Zeitraum zwischen April 2000 und Januar 2003 auf den vorgelagerten Zugangs- und den nachgelagerten Endkundenmärkten für breitbandige ADSL-Internetanschlüsse zugetragen haben. Das nach schwedischem Kartellverfahrensrecht zum Zwecke der Verhängung eines Bußgelds obligatorischerweise eingeschaltete Gericht war sich jedoch in mehrfacher Hinsicht unsicher, wie es den auf Art. 102 AEUV und eine wettbewerbswidrige Kosten-Preis-Schere gestützten Missbrauchsvorwurf beurteilen sollte. Infolgedessen legte es dem EuGH gegen Anfang des Jahres 2009 einen Katalog von insgesamt zehn Fragen rund um die Rechtsfigur Kosten-Preis-Schere zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vor. Der EuGH erließ sein Urteil im Februar 2011.91 Darin konnte er die ihm gebotene Gelegenheit nutzen, um eine Reihe wichtiger Aspekte im Zusammenhang mit der kartellrechtlichen Beurteilung der Kosten-Preis-Schere aufzugreifen und diese teils erstmals, teils zum wiederholten Male klarzustellen. In Übereinstimmung mit seinem nur wenige Monate zuvor ergangenen Urteil in der Sache Deutsche Telekom betrachtet der EuGH die Kosten-Preis-Schere weiterhin als eine eigenständige Form des Missbrauchs. Die Unangemessenheit einer Preispolitik i.S.v. Art. 102 AEUV kann sich nach Ansicht des Gerichts bereits allein aufgrund der Beschneidung der Margen ergeben, unabhängig davon, ob die Preise der vor- oder nachgelagerten Leistungen für sich genommen missbräuchlich sind.92 Dies ist vor dem Hintergrund der bisherigen Anwendungspraxis nichts Neues, gleichwohl aber deshalb bemerkenswert, weil der im Verfahren beteiligte Generalanwalt Mazák in seinen Schlussanträgen nach eingehender Auseinandersetzung mit der Frage der Eigenständigkeit der Kosten-Preis-Schere in der Dogmatik des Missbrauchsverbots eine anderslautende Auffassung vertreten hatte. Er war konkret handels- und Regelenergiemarkt; Kommission, Entscheidung vom 14. 4. 2010, Sache 39351 – Swedish Interconnectors; Kommission, Entscheidung vom 17. 3. 2010, COMP/39.386 – Langfristige Stromlieferverträge in Frankreich. 91 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83 – TeliaSonera. 92 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 30 – 34 – TeliaSonera.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

der Meinung, die Kosten-Preis-Schere sei aufgrund ihrer Konzeption als Unterfall der Geschäftsverweigerung einzuordnen.93 Dementsprechend müsse das Verbot der Kosten-Preis-Schere mit den für missbräuchliche Geschäftsverweigerungen geltenden Voraussetzungen synchronisiert werden. Namentlich sprach sich der Generalanwalt dafür aus, man solle das Merkmal der „Unentbehrlichkeit“ bzw. „objektiven Notwendigkeit“ der Vorleistung, welches in der Rechtsprechung als wichtiges materielles Kriterium eines kartellrechtlichen Kontrahierungszwangs auftritt, auch bei Kosten-Preis-Scheren regelmäßig anwenden.94 Mit dieser Argumentation stellte der Generalanwalt nicht weniger in Frage als das zwischenzeitlich als fest im europäischen Missbrauchsrecht etabliert geglaubte Konzept der eigenständig verbotenen Kosten-Preis-Schere. Der EuGH hat das konzeptionelle Verhältnis beider in Rede stehender Missbrauchsformen dann jedoch im Ergebnis grundlegend anders gesehen und das Verbot der Kosten-Preis-Schere explizit von den Kriterien missbräuchlicher Geschäftsverweigerungen abgekoppelt.95 Auf diese Meinungsverschiedenheit und die Frage der richtigen Einordnung der Kosten-Preis-Schere mit Blick auf die Fallgruppe der Geschäftsverweigerung wird später noch ausführlich zurückzukommen sein.96 Abgesehen von dieser Grundsatzproblematik erörtert der EuGH in TeliaSonera eine Vielzahl an Detailfragen zum rechtlichen Umgang mit der Kosten-Preis-Schere. Sie betreffen unter anderem Fragen des Marktbeherrschungskriteriums97 und der für den Missbrauchsnachweis erforderlichen Auswirkungen der Kosten-Preis-Schere.98 Auch diese im Prüfungsrahmen für Kosten-Preis-Scheren relevanten Aspekte werden an späterer Stelle im Rahmen der Zusammenstellung der Missbrauchskriterien noch einmal gesondert angesprochen.99 Im Großen und Ganzen bestätigt der EuGH auch insoweit den bereits gefestigten Kurs des europäischen Kartellrechts im Umgang mit der Kosten-Preis-Schere.

93 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 16 – 18 – TeliaSonera. Nach den Ausführungen des Generalanwalts soll dies jedenfalls für den „Normalfall“ gelten, in dem es außerhalb des Kartellrechts keine anderweitigen regulierungsrechtlichen Pflichten zur Andienung der fraglichen Vorleistung gibt, vgl. a.a.O., Tz. 21. 94 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 18 – TeliaSonera. 95 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 54 – 58 – TeliaSonera. 96 Unten, Kap. 4 C. III. sowie Kap. 5 B. II. 97 Dazu EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 78 – 82 und Tz. 83 – 89 – TeliaSonera. 98 Dazu EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 60 – 77 – TeliaSonera. 99 Siehe unten, Kap. 4 C. I. (zum Marktmachtkriterium) und Kap. 4 C. III. (zu den wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen).

B. Auswertung und Zusammenstellung erster Erkenntnisse

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B. Auswertung und Zusammenstellung erster Erkenntnisse Auf Grundlage dieser bisher ergangenen Entscheidungspraxis zum Verbot der Kosten-Preis-Schere gemäß Art. 102 AEUV soll nun der Versuch einer ersten Auswertung der hieraus abzuleitenden Erkenntnisse unternommen werden.

I. Die historische Entwicklung im Überblick Während der ersten Jahrzehnte unter Geltung des europäischen Wettbewerbsrechts sind Kosten-Preis-Scheren ein seltenes bzw. selten als kartellrechtliches Problem empfundenes Phänomen geblieben. Dieses Bild hat sich erst während der letzten zehn Jahre, dann aber auch grundlegend, gewandelt. Die Kommission hat die marktübergreifenden Kosten-Preis-Scheren vertikal integrierter Unternehmen inzwischen in den verschiedensten Wirtschaftsbereichen als maßgebliches Hemmnis für wirksamen Wettbewerb erkannt. Die Durchsetzungsbemühungen haben sich bis zuletzt immer weiter intensiviert. Nur am Rande sei erwähnt, dass diese Entwicklung im Sinne einer immer stärker in der Missbrauchsrechtspraxis relevanten KostenPreis-Schere übrigens nicht auf Art. 102 AEUV und die Tätigkeit der Kommission beschränkt ist. Das verstärkte Interesse an der Rechtsdurchsetzung gegen KostenPreis-Scheren zeigt sich inzwischen auch sehr deutlich in den ebenfalls spürbar zunehmend intensiveren Bemühungen der einzelnen EU-Mitgliedstaaten um Rechtsdurchsetzung auf ihren nationalen Ebenen.100 Betrachtet man das Gesamtbild der Anwendungspraxis und die verschiedenen „Schauplätze“, auf denen sich KostenPreis-Scheren zugetragen haben, so lässt sich der historische Verlauf in das folgende zweiphasige Entwicklungsmuster einordnen: 1. Die „erste Phase“ – Kosten-Preis-Scheren in klassischen Industriebereichen Die frühen Sachverhalte haben sich in klassischen, gewissermaßen „alteingesessenen“ Industriebereichen abgespielt. Paradigmatisch sind hier die drei angesprochenen Verfahren National Carbonising (Kohleproduktion, 1975), Napier Brown/British Sugar (Zuckerherstellung, 1988) und Industrie des Poudres Sphériques (Metallverarbeitung, 2000). Sie betrafen jeweils Märkte für homogene Massengüter. Die Wettbewerbssituation auf diesen Märkten war aufgrund erheblicher struktureller und größenbezogener Ungleichgewichte zwischen den dort tätigen Unternehmen bereits von vornherein angespannt. Auf der Seite des mutmaßlichen Delinquenten einer Kosten-Preis-Schere standen Großkonzerne, die über mehrere 100 Siehe dazu die Länderberichte bei OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Margin Squeeze, sowie die darin jeweils genannten weiteren Nachweise.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Marktstufen hinweg integriert waren. Bisweilen verfügten sie über zusätzliche Privilegien, die ihnen in gewissen Grenzen eine nochmals stärkere Kontrolle über den jeweiligen Wirtschaftsbereich ermöglichten.101 Während dieser Zeit blieb die Anzahl der entschiedenen Fälle gering. Gleichzeitig bildete sich nicht mehr als ein nur rudimentärer analytischer Rahmen für die Kosten-Preis-Schere als missbrauchsrechtliche Fallgruppe nach Art. 102 AEUV heraus. Insgesamt wurde sie – vom empirischen Standpunkt her zu Recht – als Randproblem wahrgenommen. 2. Die „zweite Phase“ – Kosten-Preis-Scheren in regulierten Netzwirtschaften Der Beginn des neuen Jahrtausends ist anschließend zu einer wichtigen Wendemarke in der europäischen Kartellrechtspraxis zur Kosten-Preis-Schere geworden. Im Vergleich zu den vorangegangenen Fallkonstellationen der „ersten Phase“ liegen die typischen Schauplätze der auf ihrer Grundlage fußenden Missbrauchsvorwürfe seitdem ausnahmslos in den Bereichen der leitungsgebundenen Netzwirtschaften. Hierbei steht der Telekommunikationssektor mit den Verfahren Deutsche Telekom, Telefónica und TeliaSonera ganz im Mittelpunkt des aktuellen Interesses. Erst allerjüngst hat sich hier noch eine weitere Verbots- und Bußgeldentscheidung der Kommission eingereiht. Es handelt sich um die Feststellung, dass der etablierte slowakische Telekommunikationsnetzbetreiber auf dem dortigen Markt eine am Maßstab des Art. 102 AEUV missbräuchliche Kosten-Preis-Schere praktizierte.102 Soweit bisher ersichtlich, haben sich in diesem Verfahren weitestgehend dieselben tatsächlichen und rechtlichen Fragen ergeben wie schon in den vorangegangenen Kommissionsverfahren. Im Übrigen gesellen sich neben die Telekommunikationswirtschaft inzwischen auch hin und wieder andere regulierte Sektoren, wie das gegen RWE gerichtete Verfahren aus dem Gassektor zeigt. Zudem sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Kommission bis zuletzt Hinweisen nachgegangen ist, denen zufolge die Deutsche Bahn AG („DBAG“) als Schienennetzbetreiberin beim Verkauf von Betriebsstrom in womöglich wettbewerbswidriger Weise ihre eigenen konzernangehörigen Tochtergesellschaften bevorzugt hat.103 Im Laufe dieses Missbrauchsver101 So handelte es sich beispielsweise im Fall National Carbonising bei NCB um ein Unternehmen der öffentlichen Hand. Im Fall Napier Brown/British Sugar hatte British Sugar ein gesetzliches Monopol für die Herstellung von Rübenzucker inne und genoss insofern auch nach der damaligen europäischen Zuckerordnung bestimmte Wettbewerbsvorteile, vgl. Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 3 – Napier Brown/ British Sugar. 102 Vgl. dazu bisher nur Kommission, Pressemitteilungen IP/14/1140 und MEMO/14/590 jeweils vom 15. 10. 2014. Der Volltext einer nicht-vertraulichen Fassung der Entscheidung ist zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht veröffentlicht gewesen. 103 Kommission, Pressemitteilung MEMO/11/208 vom 31. 3. 2011; Kommission, Pressemitteilung IP/12/597 vom 13. 6. 2012.

B. Auswertung und Zusammenstellung erster Erkenntnisse

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fahrens fokussierte sich das Verdachtsmoment darauf, die DBAG könnte mithilfe ihrer ungleichmäßigen Bepreisungspolitik eine Kosten-Preis-Schere zulasten konzernunabhängiger Bahnunternehmen angesetzt haben. Erst im Dezember 2013 endete das Verfahren, zwar ohne förmliche Feststellung des Missbrauchs, wohl aber mit einer Entscheidung, mit der die Kommission Verpflichtungszusagen der DBAG für verbindlich erklärte.104 Zentraler Gegenstand dieser Zusagen war die Einführung eines neuen Preissystems, welches für sämtliche der auf dem Netz der DBAG tätigen Bahnunternehmen einen langfristig diskriminierungsfreien Zugang zum Betriebsstrom gewährleisten sollte.105 Ein hiermit verbundenes, für das zukünftige Auftreten von Kosten-Preis-Scheren ebenfalls zu beachtendes Problemfeld ist die Zuweisung von Fahrwegkapazität („Trassenvergabe“) durch die DBAG an die eigenen nachgelagerten Einheiten sowie an konzernfremde Bahnunternehmen. Hier stehen speziell auf dem deutschen Markt schon seit Längerem immer wieder Beschwerden im Raum, die DBAG habe durch Anwendung einer Kosten-Preis-Schere ihre Pflicht zur diskriminierungsfreien Trassenvergabe106 missachtet.107 Inzwischen ist sogar der Postsektor als potenzieller Schauplatz für Kosten-PreisScheren erkannt worden.108 Auch wenn es sich hier nicht wie bei den bisher genannten Sektoren um einen im engeren Sinne leitungsgebundenen Wirtschaftsbereich handelt, weist er doch in vielerlei Hinsicht strukturelle Parallelen zu ihnen auf. Beispielsweise statuiert § 28 Abs. 1 PostG für marktbeherrschende Unternehmen – d. h. innerhalb Deutschlands auf absehbare Zeit de facto nur für die Deutsche Post AG („DPAG“) – eine Pflicht zur Erbringung von Teilleistungen109 im Rahmen der lizenzpflichtigen Postbeförderung.110 Damit sollen auf verschiedenen Tätigkeitsstufen

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Kommission, Pressemitteilung IP/13/1289 vom 18. 12. 2013. Kommission, Pressemitteilung IP/13/1289 vom 18. 12. 2013. 106 Siehe hierzu die europäischen Vorgaben in Art. 4 Abs. 5 Richtlinie 2001/14/EG (ABl. 2001, L 75/29) sowie zuvor Art. 7 Richtlinie 95/19/EG (ABl. 1995, L 143/75). 107 Vgl. zu jeweils unterschiedlich gelagerten Sachverhalten aus dem Problemfeld der Trassenvergabe BKartA, Tätigkeitsbericht 1995/1996, S. 136; BKartA, Pressemitteilung vom 8. 9. 2000; LG Duisburg, Urteil vom 15. 12. 2005, 21 O 119/04, bestätigt durch OLG Düsseldorf, Urteil vom 7. 2. 2007, VI-U (Kart) 3/06 und U (Kart) 3/06; VG Köln, Urteil vom 20. 10. 2006, 18 K 2670/05, bestätigt durch OVG Münster, Urteil vom 31. 8. 2007, 13 A 108/07. 108 Eingehend dazu Meyer, Die Preis-Kosten-Schere im Europäischen Wettbewerbs- und im nationalen Postrecht, 2015. 109 Näher zum Begriff der „Teilleistung“ Maschke, in: Herdegen/Immenga/Knieps, S. 7 und Werthmann, Staatliche Regulierung des Postwesens, S. 194, jeweils mit Hinweis auf § 4 Nr. 3 PostG. 110 Diese regulierungsrechtliche Pflicht geht wiederum auf europarechtliche Vorgaben zurück: Richtlinie 97/67/EG vom 15. 12. 1997, ABl. 1998, L 15/14; Richtlinie 2002/39/EG vom 10. 6. 2002, ABl. 2002, L 176/21; Richtlinie 2008/6/EG vom 20. 2. 2008, ABl. 2008, L 52/ 3. Näher zu der im Einzelnen umstrittenen weiterführenden Frage nach der Regulierungsbedürftigkeit des Postsektors und der Eigenschaft des landesweit ausgebauten Zustellnetzes der DPAG als natürliche Monopolressource: Begründung des Regierungsentwurfs zum PostG, BTDrucks. 13/7774, S. 27; BKartA, Beschluss vom 11. 2. 2005, B9-55-03, S. 60 – 61; Knieps, in: 105

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

neue Märkte für den Zutritt durch konkurrierende Postdienstleister geöffnet werden. Gleichzeitig schafft man damit aber auch die ökonomischen Rahmenbedingungen für die Entstehung von Kosten-Preis-Scheren seitens der vertikal integrierten DPAG gegenüber ihrer nicht-integrierten Konkurrenz.111 Sämtliche dieser Bereiche, in denen sich wettbewerbswidrige Kosten-PreisScheren während der hier sogenannten „zweiten Phase“ entweder erwiesenermaßen zugetragen haben oder – im Hinblick auf die nach Art. 9 Abs. 1 VO 1/2003 ohne verbindliche Missbrauchsfeststellung zu Ende geführten Verfahren – möglicherweise zugetragen haben könnten, sind ihrerseits vorgeprägt durch sektorspezifische Regulierungsmaßnahmen. Der gemeinsame Schwerpunkt dieser Regulierungsbemühungen liegt darin, die Funktionsbedingungen für wirksamen Wettbewerb auf denjenigen Dienstleistungsmärkten herzustellen, die einer monopolistisch strukturierten Netzebene nachgelagert sind. Diese nachgelagerten Wirtschaftstätigkeiten hätte sich der integrierte incumbent operator ansonsten aufgrund seiner überlegenen Ausgangsposition im deutlichen Machtgefälle zu den übrigen Dienstleistern ohne weiteres selbst vorbehalten können.112 Wenn in dieser paradigmatischen Konstellation die kartellrechtliche Intervention gegen konkurrentenbehindernde KostenPreis-Scheren eines integrierten marktbeherrschenden Netzbetreibers angestrengt wird, ist ihr stets zugleich die funktionelle Stoßrichtung immanent, die jeweiligen Marktöffnungsprozesse zu unterstützen. Damit zieht die Kommission neuerdings häufig mit den mitgliedstaatlichen Marktregulierungsmaßnahmen an ein- und demselben Strang, wenn sie auf Grundlage des Art. 102 AEUV wegen einer im Vertikalverhältnis zu geringen Preisspanne einschreitet. Auf die vor diesem Hintergrund interessante Frage nach der richtigen Positionierung der Figur Kosten-PreisSchere im Spektrum von Kartell- und Sektorregulierungsrecht wird an späterer Stelle noch näher einzugehen sein.113 Gerade wegen der inzwischen regelmäßig hinzutretenden regulierungsrechtlichen Dimension in der kartellrechtlichen Würdigung von Kosten-Preis-Scheren sind für die Anwendung des Art. 102 AEUV ganz neue Herausforderungen entstanden. Die mit den gegenseitigen Wechselbeziehungen beider Rechtsmaterien entstehenden Probleme hat bereits frühzeitig und eindrucksvoll der Fall Deutsche Telekom ofHerdegen/Immenga/Knieps, S. 82 – 89; Monopolkommission, Sondergutachten 44, Tz. 74; Werthmann, Staatliche Regulierung des Postwesens, S. 232 – 236. 111 Vgl. nur mit Hinweisen auf entsprechende Wettbewerbsprobleme Koenig/Hasenkamp, WuW 2011, 601, 606 – 608; Monopolkommission, Sondergutachten 39, Tz. 299; Monopolkommission, Sondergutachten 44, Tz. 80, 83; Monopolkommission, Sondergutachten 57, Tz. 149. In eine ganz ähnliche Richtung gehen zudem erfolgreiche Durchsetzungsaktivitäten des BKartA aus dem Jahr 2005 wegen einer selektiven Rabattpolitik der DPAG bei der Erbringung von Teilleistungen, hierzu BKartA, Beschluss vom 11. 2. 2005, B9-55/03, in Bezug auf die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung bestätigt durch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. 4. 2005, VI-Kart 3/05 (V), WuW/E DE-R 1473. 112 Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 650. 113 Siehe unten, Kap. 6 A. I.

B. Auswertung und Zusammenstellung erster Erkenntnisse

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fenbart. Dort sah sich die Kommission veranlasst, die ihrer Ansicht nach verfehlte Regulierungspraxis der RegTP letztlich auf Kosten der DTAG zu korrigieren.114 In dieser Hinsicht verfolgt die Kommission selbstbewusst ihren Weg einer sich immer stärker ausweitenden Kartellrechtsdurchsetzung in regulierten Sektoren mithilfe des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV und speziell des Tatbestands der KostenPreis-Schere. Dies steht wiederum im klaren Gegensatz zu der erwähnten Herangehensweise, die der Supreme Court in seinen Entscheidungen Trinko und Linkline dem US-amerikanischen Kartellrecht verordnet hat. Jenseits des Atlantiks hat das oberste Bundesgericht seine Abneigung gegenüber der Durchsetzung des Monopolisierungsverbots aus sec. 2 Sherman Act mehr als deutlich artikuliert.115 Wie bereits angeklungen ist, hat während der „zweiten Phase“ seit Beginn des neuen Jahrtausends insbesondere die Häufigkeit der unter dem Aspekt der KostenPreis-Schere auf der europäischen Ebene behandelten Missbrauchsvorwürfe deutlich zugenommen. Nach lediglich einer einzigen Missbrauchsfeststellung bis zum Anfang des Jahrtausends hat die Kommission allein in den vergangenen zwölf Jahren drei missbräuchliche Kosten-Preis-Scheren verbindlich festgestellt und in zwei weiteren Fällen Entscheidungen über Verpflichtungszusagen erlassen. Gleichzeitig hat auch die Komplexität der dabei zu beurteilenden Fallkonstellationen dramatisch zugenommen. Dies lässt sich eindrucksvoll an dem bis zuletzt immer weiter angestiegenen Begründungsumfang der Kommissionsentscheidungen nachvollziehen.116

II. Die Kosten-Preis-Schere in der Dogmatik des Art. 102 AEUV 1. Einordnung als eigenständige Missbrauchsform in der Entscheidungspraxis Die Entwicklungslinien des europäischen Rechts zu der zentralen Frage nach der grundlegenden Einordnung der Kosten-Preis-Schere in die Dogmatik des Missbrauchsverbots gemäß Art. 102 AEUV lassen sich ebenfalls anhand der soeben beschriebenen zwei Phasen nachzeichnen. Die erste Phase war geprägt durch ein erhebliches Maß an Unsicherheit über den sachgerechten kartellrechtlichen Umgang mit dem Phänomen der Kosten-PreisSchere. Die Kommission hat zwar mit ihrer Vorgehensweise im National Carbonising-Verfahren frühzeitig zu erkennen gegeben, dass sie grundsätzlich bereit ist, gegen Strategien vertikal integrierter Unternehmen mit dem Ziel der Beschränkung aufkeimenden Wettbewerbs und dem Mittel der Beschneidung fremder Gewinnmargen vorzugehen. Gleichwohl konnte man sich der rechtsdogmatischen Eigen114 115 116

Dazu näher die Falldarstellung oben, Kap. 4 A. IV. Dazu bereits oben, Kap. 3 B. V. 2. Siehe dazu bereits den Nachweis oben, Kap. 4 A. V. (dort in Fn. 82).

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

ständigkeit der seinerzeit formulierten Rechtsgrundsätze noch nicht abschließend sicher sein.117 Etwas stärkere Aussagekraft hatte dann schon die erste – und während der gesamten Anfangsphase einzigartig gebliebene – förmliche Feststellung eines als Kosten-Preis-Schere charakterisierten Missbrauchsverhaltens im Fall Napier Brown/ British Sugar. Aber auch hier gilt es relativierend zu berücksichtigen, dass die Kommission das fragliche (Preis-)Verhalten unter verschiedenen Aspekten untersuchte und letztlich erst in der Gesamtbetrachtung einen Missbrauch feststellte. Die Zweifel an der Eigenständigkeit der Kosten-Preis-Schere kulminierten dann mit den bereits in der Falldarstellung angesprochenen mehrdeutigen Ausführungen des EuG in seinem Urteil Industrie des Poudres Sphériques.118 Die Unionsorgane haben die dringend erforderliche Rechtsklarheit schließlich erst im Rahmen der Verfahren aus der „zweiten Phase“ hergestellt. Insbesondere nach den höchstrichterlichen Urteilen in Deutsche Telekom, TeliaSonera sowie jüngst Telefónica besteht kein Zweifel mehr daran, dass die Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht prinzipiell als verbotswürdig angesehen wird. Dies bedeutet, dass die auf zwei aufeinanderfolgenden Marktstufen durch ein vertikal integriertes Unternehmen aufrechterhaltene Preisspanne für sich genommen und unabhängig von anderen hergebrachten Fallgruppen im Sinne des Art. 102 AEUV missbräuchlich sein kann.119 Anwendungstechnisch steht das Verbot der KostenPreis-Schere parallel und gleichrangig neben den übrigen Missbrauchsformen wie etwa der Kampfpreisunterbietung, der (Preis-)Diskriminierung oder der Geschäftsverweigerung. Gegenüber dem im US-amerikanischen Recht eingeschlagenen Weg, für das der Supreme Court kein eigenständiges kartellrechtliches Verbot der Kosten-Preis-Schere anzuerkennen bereit ist, verschärft sich damit tendenziell die Kontrolldichte über die unternehmerischen Preisgestaltungsfreiheiten.120 Für den vertikal integrierten Normadressaten des europäischen Missbrauchsverbots besteht nunmehr in dreierlei Hinsicht das Erfordernis, auf Konformität seiner Preise mit Art. 102 AEUV zu achten: Erstens darf der vorgelagerte Preis nicht überhöht sein, zweitens darf der nachgelagerte Preis nicht in predatorischer Weise zu niedrig an117 Hierbei gilt es im Auge zu behalten, dass die in National Carbonising angestellten Überlegungen weitgehend an diejenigen angelehnt sind, die bereits kurz zuvor im Fall Commercial Solvents (Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1972, ABl. 1972, L 299/51; EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18) zum Tragen gekommen waren. Darin hatte man den von einem marktbeherrschenden Lieferanten erklärten Abbruch einer Handelsbeziehung für wettbewerbswidrig erklärt. 118 Vgl. EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 178 und 179 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission; siehe dazu auch oben, Kap. 4 A. III. 119 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 183 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 31 – TeliaSonera; siehe auch Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 363. 120 Ob durch die Hinzufügung eines eigenen Missbrauchstatbestands namens „KostenPreis-Schere“ die Reichweite des Art. 102 AEUV tatsächlich effektiv erweitert werden kann, sei dabei vorerst dahingestellt. Dazu später im Rahmen der Gegenüberstellung mit anderen im Rahmen des Art. 102 AEUV anerkannten Missbrauchsformen (unten, Kap. 5).

B. Auswertung und Zusammenstellung erster Erkenntnisse

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gesetzt sein, drittens dürfen vor- und nachgelagerte Preise nicht im Missverhältnis zueinander stehen. 2. Die Kosten-Preis-Schere in der Prioritätenmitteilung der Kommission Während die Einordnung der Kosten-Preis-Schere als eigenständige Missbrauchsform in der bisherigen europäischen Entscheidungspraxis weitestgehend unangefochten scheint, hat sich die Kommission erst vor wenigen Jahren in ihrer allgemeinen Mitteilung zur Erläuterung ihrer Prioritäten bei der Anwendung von Art. 102 AEUV auf Behinderungsmissbräuche121 („Prioritätenmitteilung“) noch einmal in differenzierter Weise geäußert. Die Kommission hat dieses Papier nach entsprechenden wettbewerbspolitischen Vorarbeiten122 zum Jahreswechsel 2008/ 2009 offiziell herausgegeben. Es soll einen Überblick darüber vermitteln, wie die Kommission in Zukunft Art. 102 AEUV anzuwenden gedenkt und auf welche Verhaltensweisen sie die im Rahmen ihres Aufgreifermessens selbst gewählten Durchsetzungsschwerpunkte legen wird. Zugleich ist die Prioritätenmitteilung eingebettet in die aktiv verfolgten Bemühungen, bei der Anwendung des Kartellrechts insgesamt stärker als bisher auf ökonomische Beurteilungskriterien zurückzugreifen und die teleologische Bedeutung von Verbraucherwohlfahrtsaspekten auszubauen („more economic approach“).123 Aufgrund ihres Potenzials, auf dem nachgelagerten Markt die Wettbewerber eines vertikal integrierten und marktbeherrschenden Unternehmens zu verdrängen, handelt es sich auch bei der Kosten-Preis-Schere um eine von der Kommission explizit als prioritär eingestufte Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs.124 Im Hinblick auf die einzelnen, für Kosten-Preis-Scheren maßgeblichen Prüfungskriterien knüpft die Kommission bei der rechnerischen Ermittlung anhand von Preis- und Kostendaten an die bisher etablierte Fallpraxis an.125 Zu teilweisen Neuerungen soll es dagegen bei den zusätzlichen besonderen Missbrauchskriterien kommen. Die Kommission legt – entsprechend des generellen Ansatzes der Prioritätenmitteilung – verstärktes Augenmerk auf die von der Kosten-Preis-Schere hervorgerufenen tatsächlichen Auswirkungen auf die Verhältnisse des schutzwürdigen nachgelagerten Wettbewerbs. 121

ABl. 2009, C 45/7. Vgl. insbesondere den zur Jahresmitte 2005 herausgegebenen Bericht der Economic Advisory Group on Competition Policy (EAGCP), An Economic Approach to Article 82, sowie das wenige Monate später veröffentlichte Diskussionspapier der GD Wettbewerb zu Art. 82 EG (Internetfundstellen jeweils im Literaturverzeichnis). 123 Näher zur Prioritätenmitteilung und zum „more economic approach“ im Kontext der Missbrauchsaufsicht Adam/Meier-Rigaud, ZWeR 2009, 131; Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 Rdnrn. 15 – 21; Eilmansberger, ZWeR 2009, 437, 455 – 469; Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 8 – 13; Gravengaard/Kjaersgaard, ECLR 2010, 285; Kellerbauer, ECLR 2010, 175; Motta, ECLR 2009, 593; Ridyard, ECLR 2009, 230. 124 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 80. 125 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 80. 122

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Hierzu will sie für einen Verstoß gegen Art. 102 AEUV nacheinander und kumulativ voraussetzen, dass sich die Kosten-Preis-Schere erstens auf ein objektiv notwendiges vorgelagertes Einsatzgut bezieht, zweitens den Wettbewerb im nachgelagerten Markt auszuschalten droht und drittens den Verbrauchern wahrscheinlich schaden wird.126 Eine derart umfangreiche und intensive erfolgsorientierte Analyse ist bei der Kosten-Preis-Schere bis dahin noch nicht bekannt gewesen.127 Besondere Beachtung verdient außerdem die grundsätzliche konzeptionelle Zuordnung der Kosten-Preis-Schere, die die Kommission in der Prioritätenmitteilung ebenfalls vorgenommen hat. Die Kommission behandelt sie in einem gemeinsamen Abschnitt mit Geschäftsverweigerungen und will beide Fallgruppen anhand übereinstimmender Missbrauchsvoraussetzungen würdigen.128 Insbesondere soll eine Kosten-Preis-Schere – wie zuvor schon erwähnt – erst dann gegen Art. 102 AEUV verstoßen, wenn ein integrierter Marktbeherrscher sie in Bezug auf ein objektiv notwendiges vorgelagertes Einsatzgut praktiziert.129 Damit stellt die Kommission eine enge konzeptionelle Verbindung zwischen Kosten-Preis-Schere und Geschäftsverweigerung her,130 die bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung aus der Einzelfallentscheidungspraxis nicht in dieser Klarheit hervorgegangen war.131 Von der stringenten Anbindung der Kosten-Preis-Schere an die allgemeinen Missbrauchskriterien von Geschäftsverweigerungen will die Kommission jedoch ausdrücklich in zwei Fallkonstellationen abweichen: Erstens, wenn das vertikal integrierte Unternehmen bereits durch unionsrechtskonformes Regulierungsrecht einer Pflicht unterliegt, die fragliche Vorleistung am Markt anzubieten und insoweit die widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen bereits auf dieser Ebene gewürdigt worden sind. Zweitens, wenn das vertikal integrierte Unternehmen seine marktbeherrschende Stellung auf dem vorgelagerten Markt zuvor im Schutze gesetzlicher Sonderrechte oder mithilfe staatlicher Mittel erlangt hatte.132 Innerhalb dieser Fallkonstellationen behält sich die Kommission vor, eine Kosten-Preis-Schere ausnahmsweise unmittelbar und damit außerhalb der vorstehend genannten markter126

Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 81 und 83 – 88. Vgl. mit Bezug zu der neuartigen Prüfung des Verbraucherschadens Bulst, in: Langen/ Bunte, Art. 102 Rdnr. 295: „[…] findet sich in dieser Form nicht in der Rechtsprechung“. 128 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 81. 129 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 83 – 84. 130 Nach der Oscar Bronner-Rechtsprechung des EuGH handelt es sich bei dem insofern synonym zu verstehenden Kriterium des „objektiv notwendigen Einsatzgutes“ um eine zentrale materiellrechtliche Voraussetzung für die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Geschäftsverweigerung. Dazu näher unten, Kap. 5 B. I. 2. d). 131 Vgl. die nicht eindeutigen Ausführungen in Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 283 – Telefónica; erst später hat sich der Generalanwalt Mazák im Rahmen seiner Schlussanträge zu dem bereits oben (Kap. 4 A. VII.) dargestellten TeliaSonera-Verfahren unmissverständlich an den konzeptionellen Ansatz der Prioritätenmitteilung angelehnt. 132 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 82. 127

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

117

folgsorientierten Voraussetzungen als missbräuchlich einzustufen.133 Eine nach diesem Schema verschärfte Missbrauchsaufsicht über bestimmte Kosten-PreisScheren hatte die Kommission schon in ihrer Telefónica-Entscheidung artikuliert.134 Wenn man berücksichtigt, dass Kosten-Preis-Scheren in der heutigen Zeit praktisch ausschließlich in regulierten Sektoren und gemeinsam mit regulierungsrechtlich ausgestalteten Zugangspflichten in Bezug auf das vorgelagerte Einsatzgut auftreten, dürfte sich die kartellrechtliche Würdigung von Kosten-Preis-Scheren über den Weg dieser beiden Ausnahmekonstellationen wohl eher zum anwendungspraktischen Normalfall herauskristallisieren.135 Es bleibt daher fraglich, ob sich die von der Kommission im Ausgangspunkt so artikulierte Anbindung der Kosten-Preis-Schere an die Verbotskriterien für Geschäftsverweigerungen überhaupt in ihrer künftigen Einzelfallentscheidungspraxis erkennbar werden wird. Ohnehin scheint es auch aus rechtlichen Gründen in höchstem Maße zweifelhaft, ob die Kommission ihre Konzeption der zumindest im Grundsatz an die Geschäftsverweigerung angebundenen Kosten-Preis-Schere aufrechterhalten können wird. Denn wie bereits oben erwähnt, hat der EuGH in seiner TeliaSonera-Rechtsprechung dem diesbezüglich mit der Kommission auf einer Linie liegenden Vorschlag des Generalanwalts eine klare Absage erteilt.136 Es soll nämlich selbst im Ausgangspunkt für die Missbräuchlichkeit einer Kosten-Preis-Schere weder auf die Existenz einer regulierungsrechtlich geprägten Zugangsverpflichtung des integrierten Marktbeherrschers noch auf die für Geschäftsverweigerungen im Allgemeinen etablierten Missbrauchskriterien entscheidend ankommen.137 Damit hat der EuGH nicht nur die eigenständige Bedeutung des kartellrechtlichen Verbots der Kosten-Preis-Schere betont, sondern gleichzeitig das erst rund zwei Jahre zuvor in der Prioritätenmitteilung der Kommission erarbeitete Konzept ihrer Einbettung in die Dogmatik der Geschäftsverweigerungen nach Art. 102 AEUV bereits wieder verworfen.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren Angesichts der Erkenntnis, dass die Kosten-Preis-Schere nach den klaren Vorgaben des EuGH im Rahmen des Art. 102 AEUV als eine eigenständige Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs verankert sein soll, erweist sich der Umgang mit ihr im europäischen Recht schon von Haus aus anspruchsvoller als im US-amerikani133 134 135

29, 36.

Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 82. Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 303 – 305 – Telefónica. So auch zu Recht Auf’mkolk, J. Eur. Comp. L. & P. 2012, 149, 156; Dunne, ECLR 2012,

136 Vgl. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 31 – 34 – TeliaSonera; vgl. dazu die Ausführungen oben, Kap. 4 A. VII. 137 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 54 – 59 – TeliaSonera.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

schen Antitrustrecht. Denn anders als dort bedarf es nun einer näheren Beschreibung des Verbots in Gestalt eines analytischen Rahmens mit geeigneten Tatbestandskriterien, die verlässlich die Existenz einer verbotswürdigen Kosten-Preis-Schere ausweisen. Es sei daran erinnert, dass der von den Konkurrenten eines vertikal integrierten Unternehmens beklagte Verlust der eigenen Wettbewerbsfähigkeit für sich allein nicht ausreicht, um ein Wettbewerbsproblem zu begründen.138 Im nun beginnenden Abschnitt sollen die während der vorhergehenden Ausführungen schon hier und da angeklungenen Elemente des zur Kosten-Preis-Schere nach Art. 102 AEUV entwickelten Prüfungsrahmens ausführlich systematisch zusammengestellt und analysiert werden. Als gedankliches Fundament soll hierzu die anfangs entwickelte allgemeine Beschreibung des Phänomens Kosten-Preis-Schere mit ihren charakteristischen Anforderungen jeweils struktureller, verhaltensmäßiger und markterfolgsbezogener Art dienen.139 Für die eingangs der Arbeit abgesteckten Untersuchungsziele ist dies in doppelter Hinsicht hilfreich: Zum einen ermöglicht die sorgfältige und detaillierte Auseinandersetzung mit den tatbestandlichen Missbräuchlichkeitskriterien erst die hier angestrebte kritische Würdigung des geltenden Verbots am Maßstab der Teleologie des Art. 102 AEUV.140 Zum anderen bildet sie zugleich die unverzichtbare Grundlage für den ebenfalls noch anstehenden Vergleich mit anderen Fallgruppen des Missbrauchs.141

I. Positionierung des integrierten Unternehmens auf beiden Marktstufen Im Rahmen der unternehmensstrukturellen Grundvoraussetzungen hat sich die vertikale Integration des mutmaßlichen Delinquenten bereits als unabdingbare Grundvoraussetzung für das Entstehen einer Kosten-Preis-Schere erwiesen.142 Für die kartellrechtliche Analyse entsteht daraus zunächst das Erfordernis, die dabei beteiligten Marktstufen nach allgemeinen Grundsätzen voneinander abzugrenzen.143 Da eine Kosten-Preis-Schere außerdem erst dann entstehen kann, wenn das integrierte Unternehmen auf beiden Marktstufen eine nach außen hin gerichtete Ge-

138

EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 179 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission; Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 22 und 143 – 144; siehe auch bereits oben, Kap. 2 A. III. und Kap. 4 A. III. 139 Siehe im Einzelnen oben, Kap. 2 A. 140 Diese wird im Verlauf der folgenden Ausführungen immer wieder bei Gelegenheit einzelner diskussionswürdiger Aspekte des zu Art. 102 AEUVetablierten Prüfungsrahmens für Kosten-Preis-Scheren stattfinden. 141 Hierzu später, Kap. 5. 142 Siehe dazu bereits oben, Kap. 2 A. I. 143 Dazu allgemein Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997, C 372/5.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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schäftstätigkeit tatsächlich entfaltet,144 können insofern Probleme der Marktstufenerkennung, wie sie bisweilen bei der Feststellung von lediglich potenziell existierenden Märkten im Rahmen von Geschäftsverweigerungen bezüglich ausschließlich intern genutzter Ressourcen auftreten,145 von vornherein nicht entstehen. Wesentlich interessanter ist dagegen die Frage, welche Stellung das vertikal integrierte Unternehmen auf den beiden einander vor- und nachgelagerten Märkten einnehmen muss, damit gegen dieses der erfolgsversprechende Vorwurf einer gemäß Art. 102 AEUV missbräuchlichen Kosten-Preis-Schere erfolgsversprechend denkbar ist. In diesem Zusammenhang steht vor allem die Frage im Raum, ob das Unternehmen, um geeigneter Adressat des Verbots zu sein, auf beiden Märkten gleichzeitig, oder – falls nicht – auf welchem der beiden Märkte es eine beherrschende Stellung einnehmen muss. 1. Vorgelagerter Markt Man ist sich einig, dass das integrierte Unternehmen jedenfalls auf dem Markt des vorgelagerten Einsatzgutes eine beherrschende Stellung innehaben muss. Dies ist in den bisher auf europäischer Ebene behandelten Fällen stets vorausgesetzt146 und dementsprechend auch geprüft147 worden. In der wissenschaftlichen Diskussion um die kartellrechtliche Figur der Kosten-Preis-Schere ist dies ebenfalls unbestritten geblieben.148 Diskussionswürdiger ist hingegen die Frage, ob bei der Kosten-Preis-Schere im Vergleich zu anderen Missbrauchsverhaltensweisen ein erhöhter, qualifizierter Beherrschungsgrad vonnöten ist. Einzelne Autoren weisen mit Blick auf die bisherige 144

Siehe dazu bereits oben, Kap. 2 A. I. Näher zu dieser Problematik Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 345 – 349; siehe auch unten, Kap. 5 B. I. 2. a). 146 EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 178 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission; Kommission, Entscheidung vom 29. 10. 1975, 76/185/ EGKS, ABl. 1975, L 35/6, S. 7 – NCB und NSF/NCC; Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 66 – Napier Brown/British Sugar; Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 179 – Deutsche Telekom AG; Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 284 – Telefónica; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 89 – TeliaSonera. 147 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 29. 10. 1975, 76/185/EGKS, ABl. 1975, L 35/6, S. 6 – NCB und NSF/NCC; Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 60 – Napier Brown/British Sugar; Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 96 – 97 – Deutsche Telekom AG; Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 223 – 232 – Telefónica (regionales Vorleistungsprodukt) und a.a.O., Tz. 233 – 242 (landesweites Vorleistungsprodukt); vgl. in diesem Sinne außerdem die vorläufige Beurteilung in Kommission, Entscheidung vom 18. 3. 2008, COMP/39.402, Tz. 18 – Gasmarktabschottung durch RWE. 148 Vgl. nur Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 38; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 311 – 312. 145

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Anwendungspraxis der Kommission darauf hin, dass im spezifischen Kontext von Kosten-Preis-Scheren das erforderliche Maß an Marktmacht nicht bereits oberhalb der sonst üblicherweise ausreichenden Marktanteilsschwelle von 40 – 50 %149 erreicht sei. Sie plädieren dafür, dass eine an ein Monopol heranreichende Position (sogenannte „superdominance“) des integrierten Unternehmens auf dem Vorleistungsmarkt vorauszusetzen sei.150 Richtig ist, dass man Kosten-Preis-Scheren bisher in der Tat ausschließlich dann festgestellt hat, wenn das fragliche integrierte Unternehmen im Vorleistungsmarkt über eine besonders hervorgehobene, annähernde Monopolstellung verfügte. Dies ist kein zufälliges Phänomen, sondern lässt sich mit den wirtschaftlichen Funktionsbedingungen der Kosten-Preis-Schere erklären. Die Ursache der Marktbeherrschung liegt nämlich in Fällen der Kosten-Preis-Schere regelmäßig in der wirtschaftlichen Abhängigkeit der nachgelagerten Wettbewerber von der Belieferung durch den integrierten Marktbeherrscher, der insofern die Position eines unumgänglichen Handelspartners bekleidet.151 Aus Sicht der nachgelagerten und ihrerseits nicht integrierten Konkurrenten gibt es also keine geeigneten alternativen Bezugsquellen für das dringend benötigte Einsatzgut und auch keine Substitutionsgüter, die ebenfalls die Tätigkeit im nachgelagerten Markt ermöglichen könnten. Dies ist besonders augenfällig in den Sachverhalten aus dem Telekommunikationsbereich, in denen der etablierte Betreiber die alleinige eigentumsrechtliche Kontrolle über eine landesweit einzigartige und nicht effizient duplizierbare Netzinfrastruktur ausübt. Vor dem Hintergrund der Relativität des Marktbeherrschungskriteriums, dessen konkrete Anforderungen in jedem Einzelfall so anzupassen sind, dass sie mit dem Normzweck des Art. 102 AEUV übereinstimmen,152 ist es daher nicht zu beanstanden, für Kosten-Preis-Scheren im Allgemeinen eine über das sonst erforderliche Maß hinausgehende beherrschende Stellung auf dem vorgelagerten Markt im Sinne der superdominance vorauszusetzen.153

149 Vgl. Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 91 mit zahlreichen Nachweisen aus der Entscheidungspraxis der Unionsorgane. 150 Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 39; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 31. 151 Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 30 – 31; zum Aspekt der Belieferungsabhängigkeit bereits oben, Kap. 2 A. III. 152 Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 Rdnr. 36; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 46, 77 – 78. 153 Dies darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass innerhalb des Missbrauchsverbots eine generelle Zweiteilung der Normadressaten in „normal dominante“ und „superdominante“ Unternehmen mit jeweils unterschiedlich weitreichenden Anforderungen an ihr Marktverhalten zulässig wäre. So explizit mit Verweis auf den Wortlaut des Art. 102 AEUV EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 80 – TeliaSonera; siehe auch O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 167 – 168.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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2. Nachgelagerter Markt Weniger klar ist die Lage zu den rechtlichen Voraussetzungen auf der nachgelagerten Marktstufe. Es soll nun konkret der Frage nachgegangen werden, ob eine kartellrechtswidrige Kosten-Preis-Schere zusätzlich die Beherrschung des nachgelagerten Marktes für die weiterverarbeitete (Endkunden-)Leistung voraussetzt. Diesbezüglich lassen sich der Entscheidungspraxis der Kommission einige eher uneindeutige Ausführungen entnehmen. Beispielsweise heißt es in der Missbrauchsentscheidung zum Fall Napier Brown/British Sugar, dass ein Verstoß gegen Art. 102 AEUV gegeben ist, wenn ein „Unternehmen, das sowohl im Markt für ein Rohmaterial als auch in dem für ein aus diesem Material hergestelltes Derivat beherrschend ist“, eine den Wettbewerb beschränkende Kosten-Preis-Schere praktiziert.154 Die Kommission hat diese Aussage später sinngemäß in der Entscheidung Deutsche Telekom wiederholt.155 Anhand des reinen Wortlauts könnte dies dahin zu verstehen sein, dass es auf die zusätzliche Beherrschung des nachgelagerten Marktes tatsächlich ankommen soll. Erst im Rahmen ihrer allerjüngsten Entscheidungspraxis haben sich die Unionsorgane dann deutlicher positioniert und Rechtsklarheit herbeigeführt. Maßgeblich sind dabei die Ausführungen der Kommission im Fall Telefónica und die des EuGH im Fall TeliaSonera. Hier nehmen beide ausdrücklich und im Ergebnis übereinstimmend den Standpunkt ein, dass die Missbräuchlichkeit einer Preispolitik als Kosten-Preis-Schere keine zusätzliche beherrschende Stellung auf der nachgelagerten Marktstufe voraussetzt.156 Zu dieser Position hat es im Schrifttum ganz überwiegende Zustimmung157 und nur ganz vereinzelte Kritik158 gegeben. Gleichzeitig wird erkennbar, dass – soweit die Kommission in ihrer Praxis gleichwohl auf nachgelagerte Marktbeherrschung blickt – eine solche Prüfung allenfalls ergänzende Funktion hat, aber nicht durch Art. 102 AEUV de jure vorgegeben ist.

154 Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 66 – Napier Brown/British Sugar (Hervorhebungen hinzugefügt). 155 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 179 – Deutsche Telekom AG. 156 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 243, 284 – Telefónica; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 86 – 89 – TeliaSonera unter Bestätigung von GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 43 – 47 – TeliaSonera. 157 Siehe nur Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 359; Colley/ Burnside, 2 Eur. Comp. J. (2006), 185, 205 – 206; Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 39. 158 Vgl. etwa jüngst Hou, ECLR 2011, 250, 253 – 254, der ein gewisses Maß an Marktmacht des integrierten Untenrehmens auf dem nachgelagerten Markt vorauszusetzen scheint; deutlicher in dieselbe Richtung noch Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 134 sowie Hoffmann, WuW 2003, 1278, 1283 und 1290, der die „doppelte Normadressateneigenschaft“ des integrierten Unternehmens auf beiden beteiligten Marktstufen verlangt; gegen diese Ansichten zu Recht Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 33 – 34.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Eine andere Frage ist freilich, ob die nachgelagerte Marktmacht des integrierten Unternehmens möglicherweise im Rahmen der Prüfung von Existenz sowie Ausmaß der wettbewerbsschädlichen Auswirkungen der Kosten-Preis-Schere berücksichtigungsfähig sein kann. Darauf wird noch an späterer Stelle eingegangen.159 3. Die Kosten-Preis-Schere als Ausprägung der leveraging-Theorie Angesichts der so strukturierten rechtlichen Voraussetzungen für die Positionierung des integrierten Unternehmens auf beiden beteiligten Marktstufen ergeben sich für die Kosten-Preis-Schere interessante Beziehungen zu dem wettbewerbstheoretischen Konzept des Marktmachttransfers mithilfe von Hebelwirkungen (market power leveraging). Die leveraging-Theorie ist bereits anlässlich der Erörterung des US-amerikanischen Rechts kurz zur Sprache gekommen.160 Genau wie dort beschreibt sie auch im Kontext des europäischen Kartellrechts Fallkonstellationen, in denen das auf einem Heimatmarkt tätige Unternehmen die wirtschaftliche Abhängigkeit seiner Abnehmer von der dort angebotenen Leistung einsetzt, um seine Machtstellung in einen sachlich verbundenen Zielmarkt auszudehnen und dort schließlich die Marktstruktur zum eigenen Vorteil und zulasten anderer Marktteilnehmer zu verändern.161 Die im Heimatmarkt von Anfang an vorhandene Machtstellung wird gewissermaßen in den noch nicht notwendigerweise vermachteten Zielmarkt übertragen. Die einem marktbeherrschenden Unternehmen zum Zwecke eines solchen Marktmachttransfers zur Verfügung stehenden Verhaltensweisen sind vielfältig. Klassischerweise werden hier Koppelungsgeschäfte genannt, aber Geschäftsverweigerungen und Rabattgestaltungen kommen ebenso in Betracht.162 Die leveraging-Theorie bezeichnet insofern keine konkrete Erscheinungsform missbräuchlichen Verhaltens, sondern fasst mehrere Verhaltensweisen wegen ihrer gemeinsamen marktübergreifenden Wirkungsweise zusammen.163 Die Grundvoraussetzung für „erfolgsversprechendes“ und damit kartellrechtsrelevantes market power leveraging ist dabei allein eine gesteigerte Machtposition im Heimatmarkt, nicht hingegen auf dem anvisierten Zielmarkt.164 Dies ist aus ökonomischer Sicht einleuchtend. Denn die auf 159

Siehe unten, Kap. 4 C. III. 2. Siehe oben, Kap. 3 C. I. 161 Nothhelfer, Die leverage theory im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 27 – 28; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 207 und 210. 162 Vgl. Nothhelfer, Die leverage theory im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 29 ff. und 86 f. (zu Koppelungsgeschäften als leveraging-Strategie), S. 118 (zu Geschäftsverweigerungen) und S. 123 (zu Rabattsystemen); O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 207 und 209. 163 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 210. 164 Vgl. dazu nur beispielhaft EuG, Urteil vom 6. 10. 1994, Rs. T-83/91, EU:T:1994:246, Tz. 122 – Tetra Pak/Kommission, insoweit bestätigt durch EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, 160

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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dem Heimatmarkt typischerweise vorhandene Nachfrageabhängigkeit sowie das Fehlen von Ausweichmöglichkeiten genügt, um den wirtschaftlichen Zugriff auf den Zielmarkt zu eröffnen – etwa, indem mithilfe einer Produktkoppelung den Abnehmern eine zusätzliche Leistung aufgezwungen wird. Für den marktstrukturbeschädigenden Effekt dieser Strategien ist es prinzipiell unerheblich, welche Strukturen zu Beginn auf dem Zielmarkt herrschen.165 Im Hinblick auf die bereits hinlänglich dargestellte marktübergreifende Funktionsweise der Kosten-Preis-Schere spricht vieles dafür, sie als eine weitere Ausprägung der leveraging-Theorie einzuordnen.166 Von Seiten der Unionsorgane hat die Kommission diese Zuordnung auch bereits vorgenommen.167 Dieselbe Sichtweise hat zudem Generalanwalt Mazák im TeliaSonera-Verfahren vertreten, dessen expliziter Rückgriff auf die leveraging-Theorie168 anschließend auch sinngemäß in die Überlegungen des EuGH eingeflossen ist.169

II. Aufrechterhalten einer unverhältnismäßigen Preisspanne Nach den Erläuterungen zu den erforderlichen Markt- und Unternehmensstrukturbedingungen soll es jetzt um eine nähere Analyse des für eine Kosten-Preis-Schere charakteristischen Missverhältnisses von vor- und nachgelagertem Preisniveau gehen. Da das Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV ausschließlich an bestimmte Verhaltensweisen seiner Normadressaten anknüpft und somit konzeptionell ein Verhaltensunrecht beschreibt, handelt es sich hierbei um das Herzstück im kartellrechtlichen Prüfungsprogramm.

Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436, Tz. 25 – 30 – Tetra Pak/Kommission (Koppelungsgeschäft); EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18, Tz. 20 – 22, 25 – Commercial Solvents (Geschäftsverweigerung); EuG, Urteil vom 1. 4. 1993, Rs. T-65/89, EU:T:1993:31, Tz. 92 – 93 – BPB Industries und British Gypsum/Kommission. In keiner dieser Entscheidungen hat man eine beherrschende Stellung auf dem Zielmarkt vorausgesetzt. 165 Vgl. im Allgemeinen Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 194 – 195, sowie im Speziellen Rdnrn. 456 (für Koppelungsgeschäfte) und 352 – 354 (für Zugangsverweigerungen); Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 Rdnr. 223 (für Koppelungsgeschäfte); Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 19 Rdnrn. 35 – 38; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 210. 166 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 19 Rdnr. 35; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 75; ebenso mit Hinweis auf die das Einsatzgut verteuernde Wirkung der Kosten-Preis-Schere Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 35; Junghanns, WuW 2002, 567, 568; Nothhelfer, Die leverage theory im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 63, 125. 167 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 284 – Telefónica. 168 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 46 – TeliaSonera. 169 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 83 – 87 – TeliaSonera.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Gerade weil die Figur der Kosten-Preis-Schere im Ausgangspunkt ein Missverhältnis zwischen einem vorgelagerten und einem nachgelagerten Preis beschreibt170, richtet sich das Missbrauchsverbot bei ihr nicht auf einen der beiden isoliert betrachteten Einzelpreise, sondern stets auf die durch beide Preise in ihrer Kombination miteinander entstehende Spanne.171 Die Kosten-Preis-Schere kann in ihrer Entstehung daher auch niemals ausschließlich dem Preisniveau der einen oder der anderen beteiligten Marktstufe zugeschrieben werden. Damit die Kosten-Preis-Schere ein Verhaltensunrecht gerade des Normadressaten zutreffend widerspiegelt, kann im Ausgangspunkt kein Zweifel daran bestehen, dass man im Rahmen dieser Bezugsgrößen auf die von dem vertikal integrierten Marktbeherrscher auf beiden Marktstufen selbst tatsächlich festgesetzten Preise abstellen muss.172

1. Die Gewinnspanne als Bezugspunkt der Prüfung Während die „unzureichende Preisspanne“ bzw. die ins „gegenseitige Missverhältnis“ gesetzten Preise den primären Anknüpfungspunkt für die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht gemäß Art. 102 AEUV darstellen, sind diese Kriterien in ihrer Allgemeinheit und Unschärfe nicht aus sich heraus für die praktische Fallbearbeitung geeignet. Als maßgebliche Bezugsgröße für die Ermittlung einer unzureichenden Preisspanne kommt daher zusätzlich die Gewinnspanne ins Spiel. Die zweifache Preissetzung durch ein integriertes, marktbeherrschendes Unternehmen wird im Sinne des Tatbestands der Kosten-Preis-Schere erst dadurch verbotswürdig, dass sie bei den nachgelagerten Wettbewerbern eine unzureichende Gewinnspanne entstehen lässt.173 Hierdurch erhält der Verbotstatbestand seine funktionelle Bestimmung, die ja gerade darin bestehen soll, bestimmte Preiskombinationen deshalb zu sanktionieren, weil sie die Gewinnmargen der nachgelagerten Konkurrenz beschneiden und infolgedessen den Wettbewerb beschränken. Mit der Gewinnspanne als zentralem Fixpunkt der kartellrechtlichen Analyse finden dann neben den beiden beteiligten Preisdaten notwendigerweise auch betriebliche Kostendaten Eingang in die kartellrechtliche Prüfung.174 Für die methodische Vorgehensweise bei der Ermittlung 170 Siehe oben, Kap. 2 A.; vgl. auch explizit Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 283 – Telefónica: „[A] margin squeeze is a disproportion between an upstream and a downstream price.“ 171 Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 340. 172 Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 52. Etwas anders insoweit nur Hoffmann, WuW 2003, 1278, 1281 – 1283, der für den Vorleistungspreis auf einen fingierten Verkaufsvorgang im Konzerninnenverhältnis abstellen will, damit aber im Endeffekt zu keinen abweichenden Ergebnissen gelangt. Gegen diese Konstruktion zu Recht mit praktischen und grundsätzlichen Argumenten Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 121 – 123. 173 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 179 – Deutsche Telekom AG; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 353; Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 22 – 24. 174 Zu den daraus entstehenden vielfältigen Einzelfragen unten, Kap. 4 C. II. 4., 5. und 6.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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einer verhaltensmäßigen und damit potenziell verbotswürdigen Kosten-Preis-Schere folgt daraus das Erfordernis, die beteiligten Preise unter Berücksichtigung der geeigneten Kostendaten miteinander in Beziehung zu setzen und auf diesem Wege eine belastbare Aussage über die verbleibende Gewinnspanne zu erhalten. Auf diesem Wege wird die charakteristische „Verbindung zwischen dem vor- und nachgelagerten Markt“ hergestellt.175 Die Kommission hat in ihrer Anwendungspraxis die gleichrangige Bedeutung des Kostenkriteriums neben den beiden obligatorisch beteiligten Preisdaten und das Zusammenwirken dieser Parameter zutreffend erkannt. Die verhaltensmäßigen Anforderungen an eine Kosten-Preis-Schere sind erfüllt, wenn das vertikal integrierte marktbeherrschende Unternehmen „eine Gewinnspanne zwischen dem Preis für das Vorprodukt, den es von Unternehmen, die mit ihm bei der Herstellung des abgeleiteten Produktes im Wettbewerb stehen und dem Preis, den es für das abgeleitete Produkt verlangt, aufrechterhält, die nicht ausreicht, um die eigenen Kosten für das abgeleitete Produkt zu decken und zu dem Ergebnis führt, dass der Wettbewerb um dieses Produkt eingeschränkt wird.“176 Diese allgemeine Beschreibung der gemäß Art. 102 AEUV verbotswürdigen verhaltensmäßigen Kosten-PreisSchere lässt sich zwecks besserer Verständlichkeit wie folgt als rechnerische Formel darstellen:177 • Kosten-Preis-Schere ist gegeben, wenn: Preis[nach] – Preis[vor] ‹ Kosten[nach] • Dies ist im Wege der Umstellung gleichbedeutend mit: Preis[nach] – Preis[vor] – Kosten[nach] ‹ 0 2. Inhaltliche Verfeinerung: Der zweigliedrige rechnerische Test der Kommission Die zuvor zitierte Formel gibt zunächst nur den allgemeinen Rahmen für die rechnerische Ermittlung einer für das Kartellrecht relevanten Kosten-Preis-Schere vor. Die Kommission ist in ihrer Anwendungspraxis noch einen Schritt weiter gegangen, indem sie auf dieser Basis ein verfeinertes zweigliedriges Prüfungsprogramm gebildet hat. So heißt es etwa in der Missbrauchsentscheidung Deutsche Telekom, dass eine missbräuchliche Kosten-Preis-Schere dann anzunehmen ist, „wenn die Differenz zwischen den Endkundenentgelten eines marktbeherrschenden Unternehmens und dem Vorleistungsentgelt für vergleichbare Leistungen an seine 175

So anschaulich Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 120. Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 179 – Deutsche Telekom AG; vgl. bereits zuvor Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/ 41, Tz. 66 – Napier Brown/British Sugar. 177 Preis[nach] meint den nachgelagerten Preis; Preis[vor] meint den vorgelagerten Preis; Kosten[nach] meint die auf dem nachgelagerten Markt anfallenden Weiterverarbeitungskosten. 176

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Wettbewerber entweder negativ ist oder nicht ausreicht, um die produktspezifischen Kosten des marktbeherrschenden Betreibers für die Erbringung seiner eigenen Endkundendienste im nachgelagerten Markt zu decken.“178 Der zweite Teil dieses Tests deckt sich mit der oben erarbeiteten allgemeinen Formel und stellt auf die genannten drei Parameter (1) vorgelagerter Preis, (2) nachgelagerter Preis und (3) nachgelagerte Kosten ab. Demnach ist von einer unzureichenden Gewinnspanne – und damit von einer rechnerischen Kosten-PreisSchere – auszugehen, wenn die Differenz der Preise des integrierten Marktbeherrschers geringer ist als die bei der Weiterverarbeitung im nachgelagerten Markt anfallenden Kosten. Dies ist im Hinblick auf die Ermittlung eines Gewinnmargendrucks plausibel, weil in dieser Situation davon ausgegangen werden muss, dass keinerlei positive Gewinnspanne mehr verbleibt und demzufolge die Verdrängung der Wettbewerber aus dem nachgelagerten Markt stattfinden kann. Dies beschreibt rechnerisch die Situation der „negativen Marge“ bzw. „Nullmarge“ als charakteristisches Element der nach Art. 102 AEUV bedenklichen Preissetzung. Eine verbotswürdige Kosten-Preis-Schere ist nach dem ersten Teil des vorstehend zitierten Tests der Kommission aber ebenfalls gegeben, wenn bereits die vor- und nachgelagerten Preise des integrierten Marktbeherrschers eine negative Differenz aufweisen. Die Berechnung der Kosten-Preis-Schere kommt dann ohne die Berücksichtigung der nachgelagerten Kostendaten aus. Hierbei handelt es sich letzten Endes um nichts anderes als eine anwendungstechnische Vereinfachung des zuerst schon genannten Grundkonzepts für Fälle eines besonders eklatanten Missverhältnisses. Wenn nämlich der Vergleich der beiden Preisdaten des integrierten Marktbeherrschers ergibt, dass der Vorleistungspreis nominal oberhalb des nachgelagerten Preisniveaus liegt („negative Preisdifferenz“), dann steht bereits unabhängig von der Höhe der nachgelagerten Kosten fest, dass man es mit einer Nullmarge zu tun hat. Für eben jene Fallkonstellationen bringt die genannte Formel eine erhebliche Vereinfachung der Rechtsanwendung mit sich, weil zum einen keinerlei Kostendaten ausermittelt werden müssen und zum anderen sich manche komplizierte Rechtsfrage rund um die Art und Weise deren Einbeziehung in die missbrauchsrechtliche Prüfung179 erübrigt. Die Einbettung dieser im Einzelfall abgekürzten Prüfung in das Konzept der unzureichenden Gewinnspanne bleibt dabei unverändert erhalten. Nachdem das so ausgestaltete zweigliedrige Prüfungsprogramm im Anschluss an die Entscheidung Deutsche Telekom noch einmal im Telefónica-Verfahren180 herangezogen und zwischenzeitlich auch vom EuGH explizit als analytischer Rahmen für kartellrechtswidrige Margenbeschneidungen akzeptiert worden ist181, dürfte es 178

Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 107 – Deutsche Telekom AG; entsprechend auch der methodische Ausgangspunkt in Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 312 – 313 – Telefónica. 179 Näher im Einzelnen dazu unten, Kap. 4 C. II. 4., 5. und 6. 180 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 313 – Telefónica. 181 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 32 – TeliaSonera.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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sich als langfristig geeignete Grundlage für die Berechnung von Kosten-PreisScheren gemäß Art. 102 AEUV etabliert haben. Zum Zwecke einer möglichst einfachen Rechtsanwendung gilt es daher in einem ersten Schritt das Vorliegen einer negativen Preisdifferenz zu untersuchen. Wenn diese gegeben ist, ist der Nachweis einer rechnerischen Kosten-Preis-Schere bereits erbracht. Anderenfalls ist die positive Preisdifferenz in einem zweiten Schritt anhand der Höhe der auf der nachgelagerten Marktstufe anfallenden Weiterverarbeitungskosten zu messen. Zehren sie die verbleibende Preisdifferenz vollständig auf, hat man es ebenfalls mit einer Nullmarge und daher mit einer verhaltensmäßigen Kosten-Preis-Schere zu tun. 3. Kosten-Preis-Schere bei geringfügig positiver Gewinnspanne? Nach der eingangs der Arbeit entwickelten allgemeinen Beschreibung umfasst das Phänomen der Kosten-Preis-Schere im weitesten Sinne auch diejenigen Konstellationen, in denen es die maßgeblichen Preise und Kosten den Mitbewerbern gerade eben noch ermöglichen, im nachgelagerten Markt eine geringfügig positive Gewinnspanne zu erzielen.182 Hierbei handelt es sich um die Variante des lediglich margenverkleinernden, nicht aber margenvernichtenden Preisdrucks, zu dem Bain die bereits erwähnte Terminologie des sogenannten „semi squeeze“ entworfen hat.183 Ob die Unionsorgane diese Erscheinungsformen der Kosten-Preis-Schere vom Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV mit umfasst wissen wollen, ist indessen nicht ganz klar. Der dargestellte zweigliedrige Test aus der Entscheidungspraxis ist seiner Formulierung nach ganz auf die Erfassung von Null- oder Negativmargen zugeschnitten und nimmt den semi squeeze nicht als kartellrechtsrelevante Gewinnmargenbeschneidung auf. Dementsprechend scheint es, als ließe das Verbot all diejenigen Fallkonstellationen außer Acht, in denen ein integrierter Marktbeherrscher durch zweifache Preisgestaltung Druck auf die Gewinnmargen seiner nachgelagerten Wettbewerber ausübt, ohne hierbei die Schwelle der rechnerischen Nullmarge zu erreichen. Dieser Befund wird durch die Tatsache bekräftigt, dass es bis heute keine einzige Einzelfallentscheidung gibt, in der die Kommission über ihren selbst abgesteckten rechnerischen Test hinausgegangen ist und das Verbot der Kosten-Preis-Schere auf einen lediglich margenverkleinernden, also disziplinierend statt im engeren Sinne ausschließend wirkenden Preisdruck angewendet hat.184 Andererseits hat die Kommission aber auch schon zum wiederholten Male – darunter erst zuletzt in ihrer Telefónica-Entscheidung – angedeutet, dass sie gegebenenfalls auch bereit ist, unzureichende positive Gewinnmargen als Wettbewerbsproblem 182

Vgl. oben, Kap. 2 A. Bain, Industrial Organization, S. 361. 184 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 66 – Napier Brown/British Sugar; Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 102, 138, 140, 179 – Deutsche Telekom AG; Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 312 – Telefónica. 183

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

anzusehen.185 Die Reichweite des Verbots der Kosten-Preis-Schere gemäß Art. 102 AEUV ist an diesem Punkt, wo es seine „untere Anwendungsgrenze“ festzulegen gilt, bisher noch nicht endgültig ausgelotet.186 Für beide Lösungen zu der hier aufgeworfenen Frage nach dem potenziellen Anwendungsbereich des Verbots der Kosten-Preis-Schere außerhalb der Nullmarge gibt es jeweils einleuchtende Gründe. Einerseits wird eine holzschnittartige Beschränkung des Verbots auf Fälle der Nullmarge dem teleologischen Konzept der verbotswürdigen Gewinnmargenbeschneidung nicht in vollem Umfang gerecht. Es sei daran erinnert, dass sich der margenverkleinernde Preisdruck nicht qualitativ, sondern allenfalls quantitativ – nämlich in Gestalt einer weniger intensiven Verdrängungswirkung – vom margenvernichtenden Preisdruck unterscheidet. Nicht umsonst soll sich das allgemeine Konzept des gemäß Art. 102 AEUV verbotswürdigen Behinderungsmissbrauchs neben den Fallkonstellationen des erfolgreich erzwungenen Marktaustritts auch auf die subtiler und lediglich disziplinierend wirkenden Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen erstrecken.187 Daran wird ersichtlich, dass ein streng an der Schwelle der Nullmarge zwischen „unbedenklich“ und „verbotswürdig“ differenzierendes Verbot der Kosten-Preis-Schere nicht konsequent an den Vorgaben der ihr zugrunde gelegten theory of anti-competitive harm ausgerichtet wäre. Diesen konzeptionellen Bedenken lassen sich jedoch anwendungspraktische Erwägungen entgegenhalten, die für eine Begrenzung des Verbots auf die Fälle der Nullmarge sprechen. Wollte man den semi squeeze nämlich in das Verbot einbeziehen, würde man sich als Rechtsanwender unmittelbar mit der Frage konfrontiert sehen, wie das so erweiterte Verbotskonzept stattdessen „nach unten hin“ gegenüber den als noch unbedenklich erachteten Preisgestaltungen abzugrenzen wäre. Man könnte sich mit der Festlegung einer „Mindestgewinnspanne“ behelfen, was jedoch mit Unsicherheiten und einem unvermeidbaren Maß an Willkür verbunden sein dürfte.188 Wenn gelegentlich überlegt wird, die untere Anwendungsgrenze für das Verbot der Kosten-Preis-Schere dort anzusetzen, wo nachgelagerte Wettbewerber

185 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 311 – Telefónica; Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 118: „Unter entsprechenden Umständen kann ein zweifacher Preisdruck auch durch den Nachweis belegt werden, dass die Spanne […] nicht ausreicht, um einem hinreichend effizienten Diensteanbieter im nachgeordneten Markt die Erzielung eines normalen Gewinns zu ermöglichen […]“ (Hervorhebungen hinzugefügt). 186 Eine über die Nullmarge hinausgehende, einzelfallabhängige Erweiterung des Verbots scheint beispielsweise Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 127 zu favorisieren. 187 Vgl. GD Wettbewerb, Diskussionspapier zu Art. 82 EG, Tz. 58. 188 Vgl. Vickers, 115 Econ. J. (2005), 244, 251 mit vorsichtiger Andeutung der Anwendungsschwierigkeiten.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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nicht mehr einen „normalen Gewinn“ erwirtschaften können189, werden die praktischen Unwägbarkeiten offensichtlich. Die Vorstellung eines „normalen Gewinns“ ist von Branche zu Branche unterschiedlich. Wettbewerbsbehörden und Gerichte müssten letzten Endes eine Mindestspanne festlegen, ohne hierfür wirklich geeignete Kriterien zur Hand zu haben. Dieselbe Frage hätten sich außerdem potenzielle Zivilkläger und nicht zuletzt das marktbeherrschende Unternehmen selbst zu stellen. Die hier auftretenden anwendungspraktischen Probleme sind denjenigen ganz ähnlich, die etwa schon hinlänglich aus dem Bereich des Preishöhenmissbrauchs bekannt sind und dort im Laufe der Zeit zu einem weitgehenden Rückzug der kartellbehördlichen Durchsetzungstätigkeit geführt haben.190 Die anwendungstechnische Grenzziehung des Verbots bei der Nullmarge hat demgegenüber den Vorzug des klar definierten und für die Praxis angemessen handhabbaren Kriteriums, mit dessen Hilfe der Bereich des verbotswürdigen zweiseitigen Preisdrucks verlässlich abgesteckt werden kann. Die bisherige Zurückhaltung der europäischen Anwendungspraxis vor der Prüfung von Kosten-PreisScheren unterhalb der Schwelle der Nullmarge ist daher ein begrüßenswertes Zugeständnis an die für die Praxis besonders wichtigen und von den Unionsgerichten im Kontext der Kosten-Preis-Schere auch an anderer Stelle hervorgehobenen Belange der Rechtssicherheit und Anwendungsklarheit.191 Dass der Verbotstatbestand hierdurch im Randbereich nicht vollkommene Kongruenz mit seinem teleologischen Fundament besitzt, ist solange hinnehmbar, wie dies nicht zu ernsthaften Defiziten in der Rechtsanwendung führt. Dafür sind im europäischen Missbrauchsrecht aber bisher keine Anzeichen erkennbar. 4. Einzelfragen zum Kostenparameter Auf Grundlage der zweigliedrigen Berechnungsmethode kann die Existenz einer Kosten-Preis-Schere nur in der Konstellation der negativen Preisdifferenz allein auf Basis des vor- und des nachgelagerten Preisniveaus ermittelt werden. In allen anderen Situationen, wenn also das Preisniveau der nachgelagerten Leistung nominal oberhalb desjenigen der Vorleistung liegt und die Preise daher eine positive Differenz aufweisen, kommt man nicht umhin, ergänzend die bei der Weiterverarbeitung der Vorleistung anfallenden Gestehungskosten einzubeziehen. Bei diesem Parameter in 189

Siehe etwa Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 118; Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 311 – Telefónica. 190 Gemeint sind insbesondere die Schwierigkeiten bei der Feststellung überhöhter Preise nach dem Konzept der Gewinnspannenbegrenzung. Dazu näher Fuchs/Möschel, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 176 – 178. 191 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 192 – Deutsche Telekom AG/Kommission, bestätigt durch EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 202 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 44 – TeliaSonera.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

der Berechnung einer Kosten-Preis-Schere eröffnet sich eine Vielzahl ebenso praxisrelevanter wie rechtlich klärungsbedürftiger Detailfragen.192 a) Bezugsobjekte der Kostenermittlung Zunächst gilt es das Bezugsobjekt der Kostenermittlung festzulegen. Gemeint ist hiermit die Frage, welche Kostenstruktur bzw. wessen Kostenhöhe in die Berechnung der Gewinnspanne und letztendlich der Kosten-Preis-Schere einfließen soll. Sie mag auf den ersten Blick unverfänglich erscheinen, birgt aber bei näherem Hinsehen ein beträchtliches Maß an wettbewerbspolitischer Brisanz. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe: Erstens nimmt die Frage nach der maßgeblichen Kostenstruktur unmittelbaren und erheblichen Einfluss auf die inhaltliche Reichweite des Verbots der Kosten-Preis-Schere. Denn je höher die zu berücksichtigenden Kosten bei einem gegebenen Preisniveau von vor- und nachgelagerter Leistung sind, umso eher wird die Anwendung der eingangs genannten Formel zu einer Nullmarge führen und folglich das kartellrechtliche Verbot auslösen. Zweitens beinhaltet die Auswahl der maßgeblichen Kostenstruktur – wie im Laufe der folgenden Darstellung zu zeigen sein wird – zugleich eine grundlegende wettbewerbspolitische Entscheidung über den Charakter und die Stoßrichtung des kartellrechtlichen Verbots der Kosten-PreisSchere gemäß Art. 102 AEUV. aa) Die Kostenstruktur des „ebenso effizienten Wettbewerbers“ In der europäischen Anwendungspraxis präferiert man es, neben den Preisen auch bei den Kosten auf die eigenen Daten des vertikal integrierten Marktbeherrschers abzustellen. So hat die Kommission etwa im Verfahren Deutsche Telekom geprüft, ob die Differenz zwischen vorgelagerten und nachgelagerten Preisen ausreicht, um die „produktspezifischen Kosten des marktbeherrschenden Betreibers für die Erbringung seiner eigenen Endkundendienste im nachgeordneten Markt zu decken“.193 Inhaltlich entsprechende Formulierungen sind auch in ihren übrigen Entscheidungen enthalten.194 Inzwischen haben sich auch die Unionsgerichte dieser Sichtweise angeschlossen und dahingehend geäußert, dass zum Zwecke der Berechnung von Kosten-Preis-Scheren die Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens ein wettbewerbsrechtlich geeignetes Kriterium sind.195 192

Siehe dazu im Überblick O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 312 – 320. 193 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 107, 138, 179 – Deutsche Telekom AG (Hervorhebungen hinzugefügt). 194 Siehe nur Kommission, Entscheidung vom 18. 7. 1988, ABl. 1988, L 284/41, Tz. 66 – Napier Brown/British Sugar; Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 312 – Telefónica. 195 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 188 – 194 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603,

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Mit Blick auf die Funktionsweise des Kostenparameters in der Berechnungsformel für Kosten-Preis-Scheren bedeutet die Wahl dieser Kostenstruktur automatisch ein Bekenntnis dahingehend, dass man die Preissetzung des vertikal integrierten Normadressaten am Maßstab seiner eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auf der nachgelagerten Marktstufe messen will. Dies entspricht vom Grundansatz her den Vorgaben des sogenannten „equally efficient competitor“-Tests.196 Dieser hat seinen Ursprung im US-amerikanischen Kartellrecht,197 befindet sich aber gerade in der jüngeren Zeit verstärkt als potenziell geeignetes allgemeines Instrument für die Auslegung von Art. 102 AEUV bei preisbezogenen Behinderungsmissbräuchen in der Diskussion.198 Seinem Inhalt nach fragt der equally efficient competitor-Test allgemein danach, ob die zu beurteilende Preisstellung des Normadressaten geeignet ist, einen fiktiven, genauso effizienten – d. h. mit gleicher Kostenhöhe belasteten – Wettbewerber vom Markt zu verdrängen.199 Ist das der Fall, so gilt dies als Indiz für die kartellrechtliche Bedenklichkeit des geprüften Marktverhaltens.200 Solange ein genauso effizienter Wettbewerber nicht verdrängt bzw. allenfalls ein weniger effizienter Wettbewerber verdrängt werden würde, soll das Verhalten in der Regel keine kartellrechtlichen Bedenken erzeugen.201 Dieser Differenzierung liegt die normativ und wettbeTz. 182 – 183 und 196 – 203 – Deutsche Telekom AG/Kommission; im Grundsatz zuletzt auch EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 40 – 46 – TeliaSonera; vgl. auch EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 179 – 180, 185 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission. 196 Teilweise auch synonym als „as efficient competitor“-Test bezeichnet. 197 Dort sind es vor allem die an den Maßstäben von Effizienz und Verbraucherwohlfahrt orientierten Vertreter der Chicago School, die das Kriterium des equally efficient competitor als geeignetes Hilfsmittel zur Identifizierung von verbotswürdigem exclusionary conduct ansehen, vgl. nur stellvertretend Posner, Antitrust Law, S. 194 – 195. Ein prominentes Beispiel für seine Relevanz im US-amerikanischen Kartellrecht ist der bereits oben (Kap. 3 B. IV. 2.) erläuterte Prüfungsrahmen für Kampfpreisunterbietungen (predatory pricing). Diesbezüglich verweisen Areeda/Turner, 88 Harvard L. Rev. (1975), 697, 709 – 711 ausdrücklich auf die Prüfung am Maßstab des „equally efficient rival“. 198 Insbesondere die Kommission hat sich jüngst für eine Aufwertung des equally efficient competitor-Tests ausgesprochen, indem sie ihn als allgemeinen Prüfungsmaßstab für preisbezogene Behinderungsmissbräuche dargestellt hat (vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 23 – 27) und dies zwischenzeitlich auch schon in ihrer Einzelfallpraxis berücksichtigt (Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/37.990, Tz. 1002 – 1576 – Intel). Näher zu dieser Entwicklung Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 Rdnrn. 109 – 113; Fuchs, in: FS Möschel, S. 241. Die Aufgabe des equally efficient competitor-Tests in der Missbrauchsdogmatik ist es letztlich, ein praktikables Kriterium für die vom EuGH vorgegebene Unterscheidung zwischen zulässigem Leistungswettbewerb und unzulässigem Nichtleistungswettbewerb (vgl. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Tz. 91 – Hoffmann-La Roche) bereitzustellen. 199 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 23; Fuchs, in: FS Möschel, S. 241, 242. 200 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 27. 201 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 27.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

werbspolitisch geprägte Einschätzung zugrunde, dass die weniger effizienten Wettbewerber neben dem Marktbeherrscher keinen maßgeblichen Beitrag zur Förderung der Verbraucherwohlfahrt leisten und sie daher gegenüber Verdrängungsstrategien des Marktbeherrschers zumindest grundsätzlich nicht schutzwürdig sind.202 Die konkrete Umsetzung des equally efficient competitor-Tests bei preisbezogenen Missbrauchsvorwürfen erfolgt stets über den Weg einer Kostendeckungsanalyse.203 Die im Einzelfall korrespondierenden Einnahmen (Preise) und Ausgaben (Kosten) des Marktbeherrschers sind einander gegenüberzustellen. Wenn die Kosten die Preise übersteigen und man es daher mit einem Fall fehlender Kostendeckung zu tun hat, ist dies nach der Logik des Tests dahingehend zu verstehen, dass die fragliche Preisgestaltung eine Ausschlusswirkung gegenüber einem schutzwürdigen ebenso effizienten Wettbewerber entfaltet.204 bb) Alternative Kostenstrukturen Obwohl sich der so charakterisierte equally efficient competitor-Test in der europäischen Anwendungspraxis als vorrangiges Instrument zur Bestimmung von Kosten-Preis-Scheren herauskristallisiert hat, haben die Unionsorgane ihn bisher zu keinem Zeitpunkt explizit als den einzig geeigneten Ansatz vorgegeben. Soweit es die missbrauchsrechtliche Teleologie zulässt und es im Einzelfall praktikabel erscheint, bleibt es dem Rechtsanwender unbenommen, auch an eine andere Kostenstruktur als diejenige des integrierten Marktbeherrschers anzuknüpfen.205 Eine erste Alternative zum equally efficient competitor-Test besteht darin, für die Berechnung der relevanten Gewinnmarge die Kosten der konkret betroffenen Mitbewerber im nachgelagerten Markt heranzuziehen. Spiegelbildlich kann man diesen Ansatz als „actual competitor cost-Test“ bezeichnen. Die zentrale konzeptionelle Eigenschaft dieses Ansatzes ist, dass er unmittelbar nach der (noch verbleibenden) Wettbewerbsfähigkeit derjenigen Marktteilnehmer fragt, die im nachgelagerten Markt konkret von der zweifachen Preisgestaltung betroffen sind. Anders als der equally efficient competitor-Test, der stets eine fiktive Verdrängungswirkung ausweist, bezieht sich der actual competitor cost-Test auf einen tatsächlichen Verdrängungseffekt. Insofern könnte er sich bei unbefangener Betrachtung als ein möglicherweise sogar besser geeignetes Instrument erweisen, um die bei der Kosten202

Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 27. Insofern ist die Implementierung des equally efficient competitor-Tests unweigerlich Ausdruck einer wettbewerbspolitischen Grundausrichtung, welche positive Auswirkungen auf die Verbraucherwohlfahrt grundsätzlich gutheißt, vgl. etwa Fuchs, in: FS Möschel, S. 241, 242 und 244 zur Einbettung des Tests in den „consumer welfare approach“ des europäischen Rechts. 203 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 25; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 207. 204 Fuchs, in: FS Möschel, S. 241, 245. 205 Amory/Verheyden, GCP May 2008, Release 1, 9 – 14; Klotz, MMR 2008, 650, 654.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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Preis-Schere im Mittelpunkt stehenden Wettbewerbsgefahren zu erfassen. Nicht zuletzt wird ja bereits in Form des Vorleistungspreises ohnehin ein Parameter in die Berechnung der Kosten-Preis-Schere eingeführt wird, der sich aus der Konkurrentenperspektive als Kostenbestandteil der nachgelagerten Geschäftstätigkeit darstellt. Der actual competitor cost-Test vermittelt insofern ein vollständiges realitätsgetreues Bild der aus deren Sicht tatsächlich anfallenden Kosten. Trotz dieser an sich vorzugswürdigen Eigenschaften hat der actual competitor cost-Test bislang keine Rolle gespielt, wenn es im europäischen Kartellrecht KostenPreis-Scheren zu berechnen galt. Insbesondere in den Gerichtsurteilen zum Fall Deutsche Telekom haben das EuG und der EuGH dem equally efficient competitorTest den grundsätzlichen Anwendungsvorrang eingeräumt.206 Die Begründung dazu erfolgt mit Verweis auf die gebotene Rechtssicherheit: Das marktbeherrschende Unternehmen besitze nur dann angemessene Möglichkeiten, die kartellrechtliche Zulässigkeit seiner Preisgestaltung vor dem Hintergrund einer womöglich wettbewerbswidrigen Kosten-Preis-Schere verlässlich einzuschätzen, wenn es dafür auf die ihm bekannten eigenen Kostendaten und nicht auf die ihm unbekannten Kostendaten der nachgelagerten Mitbewerber ankommt.207 Ein weiteres wichtiges und häufig vorgetragenes Argument zugunsten des equally efficient competitor-Tests ist, dass er sich auch besser in die Teleologie des Art. 102 AEUV einfügt, weil er im Gegensatz zum actual competitor cost-Test keinen undifferenzierten und wettbewerbspolitisch unerwünschten Schutzschirm für sämtliche weniger leistungsfähigen Wettbewerber aufspannt.208 Demzufolge dürften sich für den actual competitor cost-Test im Normalfall keine und allenfalls in Ausnahmesituationen punktuelle Anwendungschancen eröffnen.209 Im Schrifttum hat man ihn ebenfalls nur vereinzelt und mit 206

EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 188 – 194 – Deutsche Telekom AG/Kommission, bestätigt durch EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 198 – 204 – Deutsche Telekom AG/Kommission; in dieselbe Richtung auch zuvor GA Mazák, Schlussanträge vom 22. 4. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:212, Tz. 48 – 50, 52 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 207 So besonders deutlich formuliert in EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 192 – Deutsche Telekom AG/Kommission; etwas weniger zwingend anschließend EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 202 – Deutsche Telekom AG/Kommission (Berücksichtigung der eigenen Kosten des Marktbeherrschers stehe mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit „im Einklang“ und sei daher „umso mehr gerechtfertigt“); ebenso zuletzt EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 44 – TeliaSonera. 208 So anschaulich Posner, Antitrust Law, S. 196. Allerdings ist es auch unter Geltung eines equally efficient competitor-Tests nicht ausgeschlossen, im Einzelfall auch weniger effiziente Wettbewerber für schutzwürdig zu erklären, weil sie bereits Wettbewerbsdruck auf den Marktbeherrscher ausüben, vgl. dazu Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 24; Fuchs, in: FS Möschel, S. 241, 259. 209 Der EuGH hat in seinem Urteil TeliaSonera drei Konstellationen beschrieben, in denen der actual competitor-Test relevant werden könnte, vgl. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C52/09, EU:C:2011:83, Tz. 45 – 46 – TeliaSonera. Ob und in welchem Maße diese Ausnahmefälle letzten Endes praxisrelevant werden, bleibt allerdings abzuwarten.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

äußerster Zurückhaltung als potenzielle Alternative zum equally efficient competitor-Test ins Auge gefasst.210 Schließlich soll mit dem „reasonably efficient competitor-Test“ noch eine zweite Alternative für die Wahl der Kostenstruktur nicht unerwähnt bleiben. Dieser Test stellt auf die Kosten eines fiktiven, angemessen effizienten Wettbewerbers ab. Anders als bei den anderen beiden Tests, die sich jeweils an auf dem Markt vorhandenen Kostenstrukturen orientieren, wird hierbei auf eine marktextrinsisch zu suchende Kostenstruktur abgestellt. Beim reasonably efficient competitor-Test liegt es am Rechtsanwender selbst, im Einzelfall eine passende quantitative Vorgabe für Effizienz und Kostenhöhe zu machen und dann auf dieser Basis zusammen mit den Preisdaten des Marktbeherrschers die Kosten-Preis-Schere zu berechnen. Die prinzipielle Idee, von (kartell-)behördlicher Seite her dem marktbeherrschenden Unternehmen einen bestimmten Effizienzgrad vorzugeben und dann seine Preisgestaltung daran zu messen, ist aus dem Bereich der sektorspezifischen Marktregulierung bekannt. Der normative Maßstab des reasonably efficient competitor ist insbesondere dort geeignet, wo ganz gezielt auch solche Wettbewerber in den Schutzbereich der Norm einbezogen werden sollen, die (vorübergehend noch) weniger effizient als der Marktbeherrscher sind.211 Dies ist beispielsweise der Fall, wenn es gilt, in Netzwirtschaftsbereichen marktzutrittsstimulierende Zugangsentgelte vorzugeben.212 Ebenfalls kommt er innerhalb des deutschen Rechts in dem spezifisch telekommunikationsrechtlich normierten Verbot der Kosten-Preis-Schere zur Geltung (§ 28 Abs. 2 Nr. 2 TKG). Im Hinblick darauf, dass Kosten-Preis-Scheren gerade in der jüngsten Zeit immer wieder in regulierten Sektoren aufgetreten sind, konnten auch die Unionsorgane an Überlegungen hinsichtlich einer möglichen Einführung des reasonably efficient competitor-Kriteriums in ihre kartellrechtliche Durchsetzungspraxis nicht vorbeikommen.213 Dennoch steht dieser in seiner praktischen Relevanz ebenfalls klar im 210 Siehe etwa Klotz, MMR 2008, 650, 654 für den Fall, dass es nur einen einzigen Wettbewerber oder eine homogene Gruppe mehrerer Wettbewerber von vergleichbarer Größe gibt. Siehe außerdem Colley/Burnside, 2 Eur. Comp. J. (2006), 185, 193 – 195 und 207, die KostenPreis-Scheren generell anhand einer aufeinanderfolgenden Anwendung von equally efficient competitor- und actual competitor cost-Test berechnen und für die Existenz einer Kosten-PreisSchere die gemeinsame Indikation durch beide Tests voraussetzen wollen. 211 Dazu näher Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 101 m.w.N. 212 Beispielhaft dafür ist der Maßstab der „Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung“ zu nennen, wie er sich im deutschen Recht z. B. in §§ 31 – 32 TKG und § 20 Abs. 1 PostG wiederfindet. Ähnlich § 21 Abs. 2 S. 1 EnWG, wonach die Entgelte für den Netzzugang „auf der Grundlage der Kosten einer Betriebsführung, die denen eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetreibers entsprechen müssen“ festzulegen sind. 213 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 311 – Telefónica; Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 118. Siehe außerdem GA Mazák, Schlussanträge vom 22. 4. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:212, Tz. 49 a.E. (dort in Fn. 26) – Deutsche Telekom AG/Kommission, der die Auffassung vertreten hat, dass der re-

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Schatten des equally efficient competitor-Tests. Dies lässt sich anhand verschiedener Schwachstellen erklären, die sich im Vergleich beider Alternativen aufzeigen. Ebenso wie beim actual competitor cost-Test wäre es für den Marktbeherrscher unmöglich, die relevanten Kostendaten selbst und ex ante verlässlich abzuschätzen. Das von den Unionsgerichten hoch gehaltene Prinzip der Rechtssicherheit kann damit auch hier ins Feld geführt werden.214 Hinzu kommt, dass die praktischen Anwendungsdefizite speziell beim reasonably efficient competitor-Test nochmals intensiver wären. Denn bei der durch den Rechtsanwender vorzugebenden fiktiven Kostenhöhe kann es leicht zu Willkürlichkeiten kommen, auf die sich der Normadressat nicht im Voraus einstellen kann.215 Insgesamt gesehen hat sich der reasonably efficient competitor-Test daher aus nachvollziehbaren Gründen nicht als konkurrenzfähige Alternative für die Festlegung der maßgeblichen Kostenstruktur in der Berechnung von Kosten-Preis-Scheren nach Art. 102 AEUV erwiesen.216 cc) Sonderproblem: Kostenunterschiede zwischen Fremdund Selbstbelieferung der Vorleistung Im Zusammenhang mit der sachgerechten Abbildung von Kosten innerhalb der Berechnung der Kosten-Preis-Schere eröffnet sich noch ein spezielles Problemfeld. Es betrifft die Frage, wie mit Kostenunterschieden umgegangen werden sollte, die sich in der Person des vertikal integrierten Marktbeherrschers auf der Vorleistungsstufe zwischen den Modalitäten der internen Weitergabe an seine nachgelagerte Betriebseinheit (Selbstbelieferung) auf der einen und des Vertriebs an die externen Konkurrenten (Fremdbelieferung) auf der anderen Seite ergeben. An dieser Stelle bestehen Kostenunterschiede, weil es sich um zwei eigenständige, voneinander unabhängige Vertriebswege der Vorleistung handelt. Welche der beiden Kostenpositionen im Vergleich untereinander stärker zu Buche schlägt, lässt sich nicht abstrakt beantworten und hängt ganz vom konkreten Einzelfall ab. Nichtsdestotrotz wird man typischerweise annehmen dürfen, dass die Selbstbelieferung innerhalb der vertikal integrierten Unternehmensstruktur tendenziell kostengünstiger erfolgt als die Fremdbelieferung, für die beispielsweise zusätzliche Vertriebs- und Transaktionskosten anfallen. Das damit angesprochene Phänomen der höheren Kosten der Fremdbelieferung im Vergleich zur Selbstbelieferung ist nicht zuletzt Ausdruck derjenigen bereits eingangs der Arbeit angesprochenen Kosteneinsparungen bzw.

asonably efficient competitor-Test in bestimmten Fallkonstellationen als „sekundärer oder zusätzlicher Maßstab“ neben dem equally efficient competitor-Test in Betracht komme. 214 Vgl. O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 316 – 317; anders Amory/Verheyden, GCP May 2008, Release 1, S. 10 – 14, deren Ansicht nach ein langjährig am Markt etabliertes Unternehmen die Effizienz seiner Wettbewerber sehr wohl mit hinreichender Präzision abschätzen könne. 215 Fernández Álvarez-Labrador, World Comp. 2006, 247, 258. 216 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 316 – 317.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Effizienzvorteile, die gerade aus der vertikal integrierten Unternehmensstruktur resultieren.217 In der von den Unionsorganen verwendeten Berechnungsmethode für KostenPreis-Scheren unter Rückgriff auf die drei Parameter vorgelagerter Preis, nachgelagerter Preis und nachgelagerte Weiterverarbeitungskosten bleiben diese Kostenunterschiede mit nachteiliger Wirkung für den vertikal integrierten Normadressaten des Art. 102 AEUV unadressiert. Denn wenn es auf der vorgelagerten Marktstufe auf den vom Marktbeherrscher im Rahmen seines externen Vertriebs der Vorleistung festgesetzten Preis ankommen soll, muss er sich an Kosten messen lassen, die oberhalb seiner im Rahmen des konzerninternen Leistungstransfers tatsächlich erlittenen Kosten liegen. Der Marktbeherrscher darf sich also genau diejenigen zusätzlichen Preissetzungsspielräume nicht zunutze machen, die er sich aus Kosteneinsparungen infolge seiner vertikalen Integration verdient hat.218 Soweit man sich in der Literatur mit diesem Spezialproblem auseinandergesetzt hat, hält man es ganz überwiegend für ungerechtfertigt, integrationsbedingte Kosteneinsparungen des Marktbeherrschers zu dessen Nachteil außer Acht zu lassen.219 Sofern diese tatsächlich nachgewiesen sind, müsse man einen Korrekturposten in Höhe der zusätzlichen Fremdbelieferungskosten in die Berechnung der KostenPreis-Schere einfließen lassen220 oder alternativ Spielraum für eine Effizienzrechtfertigung offen halten221. In der Anwendungspraxis findet man dagegen ein weniger klares Bild mit einzelfallspezifisch entgegengesetzten Herangehensweisen an das Problem der höheren Fremdbelieferungskosten vor. Zum ersten Mal ist die Thematik im Fall Industrie des

217

Dazu oben, Kap. 2 B. IV. Zur besseren Veranschaulichung folgendes Beispiel: Die Erstellung der Vorleistung kostet EUR 100 pro Einheit. Das vertikal integrierte Unternehmen muss für den Vertrieb der Vorleistung eine Vertriebsorganisation mit Personal vorhalten, deren Kosten mit EUR 10 pro Einheit zu Buche schlagen. Als kostendeckenden Vorleistungspreis wird es daher vernünftigerweise einen Betrag oberhalb von EUR 110 ansetzen. (Jeder niedrigere Preis würde im Übrigen kartellrechtliche Bedenken wegen einer möglichen Kampfpreisunterbietung hervorrufen.) Es sei nun anzunehmen, dass für die konzerninterne Weitergabe der Vorleistung Transportkosten in Höhe von EUR 5 pro Einheit anfallen. Die Gesamtkosten der Selbstbelieferung belaufen sich dann auf lediglich EUR 105. Damit wird erkennbar, dass bei vergleichsweise höheren Kosten der Fremdbelieferung gegenüber der Selbstbelieferung der Vorleistungspreis nicht geeignet ist, die tatsächlichen Kosteneinsparungen aus dem konzerninternen Leistungstransfer richtig abzubilden. 219 Bergmann, WuW 2001, 234, 243; Dewenter/Haucap, Die Liberalisierung der Telekommunikationsbranche in Deutschland, 2004, S. 25 – 26; Lommler, WuW 2011, 244, 251 – 252; vgl. auch die Nachweise in der nachfolgenden Fn. 220 Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 52; Edwards, ECLR 2011, 402, 404 – 405; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 139; Pohlmann/Auf’mkolk, LMK 2011, 316705. 221 Lommler, WuW 2011, 244, 252. 218

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Poudres Sphériques praxisrelevant geworden.222 Der dort erhobene Vorwurf einer vermeintlich wettbewerbswidrigen Kosten-Preis-Schere beruhte auf der Behauptung eines preislichen Missverhältnisses, wobei der Vorleistungspreis erwiesenermaßen gerade deshalb äußerst hoch angesetzt werden musste, weil der integrierte und marktbeherrschende Lieferant das im vorgelagerten Markt angebotene KalziumRohmetall zunächst in einem aufwändigen Verfahren für seinen Abnehmer aufbereiten sollte. Dadurch entstanden Mehrkosten, die beim integrierten Marktbeherrschers nicht originär anfielen, weil dessen eigene nachgelagerte Betriebseinheit einen effizienteren Weiterverarbeitungsprozess anwandte, der keine spezielle Aufbereitung erforderte. Das EuG wies unter diesen Vorzeichen den Vorwurf der missbräuchlichen Gewinnmargenbeschneidung mit Verweis auf die selbstverschuldet geringere Wettbewerbsfähigkeit des nachgelagerten Konkurrenten zurück.223 Damit hat das Gericht im Endeffekt die im Vergleich mit der Selbstbelieferung höheren Fremdbelieferungskosten zugunsten des integrierten Normadressaten berücksichtigt. Anschließend trat eine ganz ähnlich gelagerte Problematik im Rahmen des Deutsche Telekom-Verfahrens auf. Konkret stellte sich für die Kommission die Frage, wie sie bei der Berechnung der Kosten-Preis-Schere mit einmalig bei der DTAG anfallenden Entgelten für die Kündigung und Zurückschaltung einer entbündelten TAL am Ende des Überlassungszeitraums verfahren sollte. Es handelte sich um zusätzliche, allein der Fremdversorgung mit Netzzugang zurechenbare Kosten.224 Die Kommission zeigte allerdings keine Bereitschaft, diesen Umstand zugunsten der DTAG anzusetzen225 und wurde in ihrer Sichtweise anschließend vom EuG bestätigt.226 Der für eine etwaige Kosten-Preis-Schere maßgebliche Vorleistungspreis soll gemäß dieser neuerlichen Vorgabe also dem tatsächlich von den Konkurrenten gezahlten Preis entsprechen und ist nicht um solche zusätzlichen Kostenbestandteile zu reduzieren, die ausschließlich im Rahmen der Fremdbelieferung entstehen. Man wird annehmen müssen, dass sich das Gericht inzwischen von seinem vorherigen Standpunkt aus der Sache Industrie des Poudres Sphériques konkludent losgesagt und damit aus Sicht der vertikal integrierten Normadressaten des Art. 102 AEUV einen strengeren Kurs in der Berechnung von verbotswürdigen Kosten-Preis-Scheren eingeschlagen hat.

222

Vgl. dazu bereits die Ausführungen in der Falldarstellung oben, Kap. 4 A. III. EuG, Urteil vom 30. 11. 2000, Rs. T-5/97, EU:T:2000:278, Tz. 166, 179 – Industrie des Poudres Sphériques/Kommission. 224 Vgl. Edwards, ECLR 2011, 402, 404. 225 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 149, 151 – Deutsche Telekom AG. 226 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 208 – 211 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 223

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

dd) Kritische Würdigung des Effizienzkriteriums Aus der Erörterung der maßgeblichen Bezugspunkte der Kostenermittlung sind bis hierher zwei wichtige Aspekte auffällig geworden. Beide beinhalten eine Aussage darüber, welchen Stellenwert die Unionsorgane dem Effizienzkriterium bei der Missbrauchsprüfung von Kosten-Preis-Scheren tatsächlich einzuräumen bereit sind. Zum einen kann festgestellt werden, dass der equally efficient competitor-Test bei Kosten-Preis-Scheren den innerbetrieblichen Effizienzgrad des vertikal integrierten Marktbeherrschers nicht in vollem Umfang zur Geltung kommen lässt. Dies ist eine unmittelbare Konsequenz aus der Tatsache, dass die rechnerische Formel der Unionsorgane lediglich die auf der nachgelagerten Marktstufe anfallenden Weiterverarbeitungskosten des integrierten Marktbeherrschers berücksichtigt. Seine Kostensituation auf sämtlichen vorgelagerten Wertschöpfungsstufen, über die sich seine Wirtschaftstätigkeit aufgrund der vertikalen Integration im Einzelfall erstreckt, bleibt dabei außerhalb der Betrachtung.227 Dies ist nicht zuletzt ein grundlegendes, funktionsimmanentes Charakteristikum für jedes Verbot, das sich wie die KostenPreis-Schere rechnerisch an der von einem integrierten Unternehmen aufrechterhaltenen Gewinnspanne orientieren will. Im Gegensatz hierzu wird etwa bei der Prüfung von Kampfpreisunterbietungen nach Art. 102 AEUV danach gefragt, ob ein marktbeherrschendes Unternehmen Preise unterhalb seiner gesamten produktspezifischen, also insbesondere auch marktstufenübergreifend entstandenen Gestehungskosten festsetzt.228 Daraus wird erkennbar, dass das Kriterium des ebenso effizienten Wettbewerbers im Verbot der Kosten-Preis-Schere mit seiner auf eine einzige – nämlich die nachgelagerte – Marktstufe verengten Kostenbetrachtung von vornherein nur in eingeschränktem Umfang zum Tragen kommt. Man hat es gewissermaßen mit einer verkürzten Spielart des equally efficient competitor-Tests zu tun, die der des vom Rechtsanwender selbst konstruierten Maßstabs des fiktiven

227 Zwecks Veranschaulichung dieser wichtigen Funktionsweise des equally efficient competitor-Tests folgendes Beispiel: Ein vertikal integriertes Unternehmen hat Kosten auf dem vorgelagerten Markt (Herstellung der Vorleistung) in Höhe von EUR 100 und Kosten auf dem nachgelagerten Markt (Weiterverarbeitung) in Höhe von EUR 50. Es setzt einen vorgelagerten Preis von EUR 110 und einen nachgelagerten Preis von EUR 155 fest. Weil die Summe aus vorgelagertem Preis und nachgelagerten Kosten EUR 160 beträgt und oberhalb des Preises des nachgelagerten Marktes (EUR 155) liegt, besteht eine rechnerische Kosten-Preis-Schere. Wenn das Unternehmen nun seine betriebliche Effizienz auf der nachgelagerten Stufe steigert und die eigenen Weiterverarbeitungskosten von EUR 50 auf EUR 40 absenkt, wird allein hierdurch die rechnerische Kosten-Preis-Schere erfolgreich beseitigt. Nachgelagerte Effizienzsteigerungen kommen dem Marktbeherrscher also zugute. Wenn es hingegen Kosteneinsparungen auf der vorgelagerten Wertschöpfungsstufe erzielt und seine vorgelagerten Kosten von ursprünglich EUR 100 auf irgendeinen niedrigeren Wert absenken kann, hat dies keinerlei Auswirkungen auf die Existenz einer Kosten-Preis-Schere, die rechnerisch unverändert fortbestehen würde. Dies führt zur Erkenntnis: Vorgelagerte Effizienzsteigerungen kommen dem Marktbeherrscher nicht zugute. 228 Dazu eingehend unten, Kap. 5 A. I. 2. a) aa) sowie Kap. 5 A. II. 3.

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reasonably efficient competitor schon sehr nahe kommt.229 Vom vorstehend erläuterten teleologischen Ausgangspunkt des equally efficient competitor-Maßstabs230 her gesehen wirkt diese Wirkungsweise des Verbots befremdlich, weil damit eine je nach der einzelfallspezifischen unternehmerischen Kostensituation mehr oder weniger große Bruchstelle mit der Vorgabe entsteht, den Marktbeherrscher ja gerade möglichst realitätsgetreu an seiner eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit messen zu wollen. Eine Korrektur dieser nur sehr eingeschränkten Effizienzwürdigung ist prinzipiell möglich. Dazu müsste man sich bereit zeigen, die im vorangegangenen Abschnitt angesprochenen Kostenunterschiede zwischen Selbst- und Fremdbelieferung der Vorleistung in die rechnerische Ermittlung der Kosten-Preis-Schere zugunsten des integrierten Marktbeherrschers einzuführen. Wie sich aber aus der Vorgehensweise von Kommission und EuG im Fall Deutsche Telekom recht deutlich herausgestellt hat, soll es dazu nicht kommen. Auf diesem Wege wird die nur sehr eingeschränkte Tragweite des betrieblichen Effizienzkriteriums im Verbot der Kosten-Preis-Schere wirkungsvoll zementiert. Die von Rechts wegen bewusste Ausblendung der integrationsbedingten Kostenvorteile speziell auf der Ebene der Vorleistung hat im Ergebnis zur Konsequenz, dass eine verhältnismäßig ineffiziente Geschäftstätigkeit der Konkurrenten im nachgelagerten Markt abgesichert wird.231 Dieser Befund erweist sich mit Blick auf die allgemeinen, zum Behinderungsmissbrauch gemäß Art. 102 AEUV entwickelten und gefestigten Grundsätze aus der Rechtsprechung ebenso wie aus wettbewerbspolitischen Gründen als äußerst bedenklich. Zunächst sollte es der Anspruch einer wettbewerbsrechtlichen Prüfung sein, die tatsächlichen wirtschaftlichen Gegebenheiten eines zu beurteilenden Sachverhalts möglichst präzise und sachlich korrekt abzubilden. Das Verbot der Kosten-Preis-Schere bleibt jedoch bei objektiver Betrachtung dahinter zurück. Wer als Rechtsanwender anhand der vorstehend genannten Kriterien der Anwendungspraxis eine Kosten-Preis-Schere berechnet, unterstellt unzutreffenderweise, dass sich der integrierte Marktbeherrscher die Vorleistung zu dem von externen Abnehmern gezahlten Preis selbst im Wege einer fingierten Markttransaktion beschaffen muss. Das integrierte Unternehmen wird also in der kartellrechtlichen Prüfung so behandelt, als wäre es nicht integriert. Die damit erzeugte ungleichmäßige und unvollständige Berücksichtigung von Kostenvorteilen in der Person des integrierten Marktbeherrschers bedarf einer nachvollziehbaren Erklärung, die die Unionsorgane jedoch bisher schuldig geblieben sind. Demgegenüber ist inzwischen bereits mehrfach nachgewiesen worden, dass das Verbot der Kosten-Preis-Schere unter anderem wegen seiner unzurei229

Zutreffend insoweit Auf’mkolk, J. Eur. Comp. L. & P. 2012, 149, 157 – 159; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 141 – 142. 230 Siehe oben, Kap. 4 C. II. 4. a) aa). 231 Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 52 – 53; siehe dazu auch oben, Kap. 4 C. II. 4. a) cc) und dd).

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

chenden Möglichkeit, auf die reale Kostensituation des Marktbeherrschers einzugehen, ineffizienten Marktergebnissen gezielt Vorschub zu leisten imstande ist.232 Es ist leicht einzusehen, dass diese Wirkung – sei sie auch mit einem Verbot der KostenPreis-Schere nach europäischem Vorbild untrennbar verbunden – zu Friktionen mit wesentlichen normativen Grundgedanken des europäischen Missbrauchsrechts führt. Immerhin ist es der EuGH selbst, der in seiner höchstrichterlichen Rechtsprechung beständig darauf hinweist, dass sich das Konzept des Behinderungsmissbrauchs gemäß Art. 102 AEUV (ausschließlich) gegen solche Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen richten soll, die „von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen“.233 Von fehlendem Leistungswettbewerb kann aber schwerlich die Rede sein, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen mithilfe seiner vertikalen Integration mit Erfolg gewisse Kostenvorteile gegenüber seinen nachgelagerten Konkurrenten erzielt und infolgedessen seine vor- und nachgelagerten Preise dergestalt anpasst, dass diese Effizienzvorteile in den Marktpreisen sichtbar werden.234 Indem das Verbot der Kosten-Preis-Schere sämtliche vorgelagerten Effizienzvorteile mitsamt der aus relativ kostengünstiger Selbstbelieferung gehobenen Vorteile nivelliert, ist das so ausgestaltete allgemeingültige Verbot nicht mehr geeignet, zur richtigen Einteilung von Marktverhalten in die Kategorien von Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb beitragen zu können. Hierbei soll nicht in Abrede gestellt werden, dass Art. 102 AEUV in seiner Anwendung auf Behinderungsmissbräuche gegebenenfalls auch weniger effiziente Wettbewerber als schutzwürdig einstufen darf.235 Mit Rücksicht auf das vom EuGH proklamierte Prinzip des im Rahmen von Art. 102 AEUV zulässigen Leistungswettbewerbs sollte diese konzeptionelle Öffnung des Anwendungsbereichs allerdings auf jeweils anhand der Einzelfallumstände hinreichend begründete Ausnahmen beschränkt bleiben. Mit ihrer Ausformung des Verbots der Kosten-Preis-Schere gehen Kommission und Unionsgerichte jedoch weit darüber hinaus, indem sie die Schutzwürdigkeit der im Verhältnis zum integrierten Marktbeherrscher weniger leistungsfähigen Konkurrenten flächendeckend und ungeprüft unterstellen. Mithilfe eines ohne Not aufgespannten umfassenden Schutzschirms für ineffiziente Wettbewerber hat man auf diesem Wege das ursprünglich mit dem equally efficient competitor-Test verbundene wettbewerbspolitische Anliegen in sein Gegenteil 232

Siehe etwa Geradin/O’Donoghue, J. Comp. L. & Econ. 2005, 355, 395; Grout, in: The Pros and Cons of Low Prices, S. 71, 78 – 89. 233 EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Tz. 91 – Hoffmann-La Roche; EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Tz. 69 – AKZO/Kommission; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 27 – TeliaSonera. 234 Auf’mkolk, J. Eur. Comp. L. & P. 2012, 149, 153 mit speziellem Bezug zur Kosten-PreisSchere. 235 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 24 mit näheren Erläuterungen zu den ins Auge gefassten Fallkonstellationen; diesem Ansatz grundsätzlich zustimmend Adam/Maier-Rigaud, ZWeR 2009, 131, 138; kritisch jedoch mit Hinweis auf die fehlende Errichtung eines safe harbour bei dieser Vorgehensweise Ridyard, ECLR 2009, 230, 233.

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verkehrt. Für den Marktbeherrscher bedeutet dies im Endeffekt, dass er für die Margen seiner Konkurrenten garantieren muss, solange deren Ineffizienz nicht ausschließlich in der nachgelagerten Weiterverarbeitung der Vorleistung begründet liegt.236 Abgesehen von den zuvor dargestellten Friktionen mit den in der Rechtsprechung langjährig etablierten allgemeinen Grundsätzen zur Unterscheidung zwischen pround antikompetitivem Wettbewerbsverhalten verträgt sich ein derart strenges Verbot der Kosten-Preis-Schere auch nur schwerlich mit den aktuellen wettbewerbspolitischen Entwicklungen zum europäischen Missbrauchsverbot. Unter dem bereits erwähnten Stichwort des more economic approach237 will nicht zuletzt die Kommission selbst in ihrer Rolle als Wettbewerbsbehörde dafür Sorge tragen, dass die Anwendungspraxis zu Art. 102 AEUV stärker und präziser als in früheren Jahren die wirtschaftlichen Gegebenheiten des Einzelfalls abbildet.238 Im Rahmen dieses auf Ebene der Rechtsanwendung verfolgten Modernisierungsprozesses sollen insbesondere die innerbetrieblichen Effizienzgewinne des Marktbeherrschers aufgrund ihres Potenzials zur Steigerung der Verbraucherwohlfahrt einen höheren Stellenwert in der Teleologie des Missbrauchsverbots erhalten.239 Solange das Verbot der KostenPreis-Schere aber seine Eigenschaft als undifferenziertes Instrument für den Existenzschutz leistungsschwächerer Wettbewerber beibehält, dürfte es mittel- und langfristig dem Interesse der Verbraucherwohlfahrt eher zuwiderlaufen.240 b) Die Auswahl des sachgerechten Kostenmaßstabs Im Rahmen der Kostenerfassung stellt sich als Zweites das Problem der Auswahl des richtigen bzw. sachgerechten Kostenmaßstabs. Die Frage lautet: Welche der nach Maßgabe des equally efficient competitor-Tests beim marktbeherrschenden Unternehmen auf der nachgelagerten Marktstufe anfallenden Kostenpositionen sollen in die Berechnung einer Kosten-Preis-Schere einfließen? Aus den beiden Kommissionsentscheidungen Deutsche Telekom und Telefónica geht diesbezüglich übereinstimmend hervor, dass die Kommission jeweils auf den Maßstab der „langfristigen durchschnittlichen Zusatzkosten“ (long-run average incremental costs, „LRAIC“) für die Zwecke der Kostenermittlung rekurrierte.241 Im 236

Vgl. Bergmann, WuW 2001, 234, 236 und 243 mit berechtigter Kritik eines auf diese Weise wirkenden Missbrauchsverbots. 237 Siehe oben, Kap. 2 B. III. m.w.N. 238 Vgl. nur statt vieler Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 8 – 13; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 19 – 20. 239 Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 5, 19; Basedow, WuW 2007, 712, 713 – 714; Kellerbauer, ECLR 2010, 175, 176; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 205 – 208. 240 So auch Lommler, WuW 2011, 244, 251 – 252. 241 Siehe zunächst den ausdrücklichen Hinweis bei Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 316 – 323 – Telefónica. In Deutsche Telekom verweist die Kom-

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Ausgangspunkt zielen die LRAIC darauf ab, bei langfristiger Betrachtung diejenigen Ausgaben zu erfassen, die bei einem Unternehmen aufgrund seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in einem bestimmten Markt anfallen und dabei in ihrer Entstehung und Höhe ausschließlich jener Tätigkeit zuzurechnen sind.242 Es handelt sich um einen Vollkostenansatz, der sämtliche relevanten Ausgaben darstellen will und hierbei nicht nach variablen und fixen Kostenbestandteilen243 unterscheidet.244 Wegen der Langfristigkeit der Kostenerfassung gehören zu den LRAIC die Kosten aus allen unternehmensstrategischen Entscheidungen, die mit der konkret im Rahmen der Missbrauchsprüfung in Betracht gezogenen Geschäftstätigkeit seit der Entscheidung zum Markteintritt einhergegangen sind.245 Ein kurzfristig orientierter Maßstab würde demgegenüber je nach einzelfallspezifischer Festlegung des Referenzzeitraums bestimmte Positionen wie etwa versunkene Kosten ausblenden.246 Das charakteristische Alleinstellungsmerkmal der LRAIC gegenüber anderen Kostenmaßstäben ist der Umstand, dass er innerhalb der produktspezifischen Kosten der Höhe nach auf die zusätzlichen bzw. inkrementellen Kosten genau der in Rede stehenden Wirtschaftstätigkeit begrenzt bleibt. Dies hat insbesondere Einfluss auf den Umgang mit bereichsübergreifend anfallenden Gemeinkosten in einem Mehrproduktunternehmen. Sie fließen nicht – nicht einmal anteilig wie im Falle der durchschnittlichen Gesamtkosten (average total costs, „ATC“)247 – in die LRAIC ein.248 Für die Ermittlung der im Sinne der LRAIC „zusätzlichen“ Kosten ist daher mission zwar nicht gleichermaßen explizit auf die LRAIC, aber die Details der Kostenermittlung entsprechen exakt deren Vorgaben (dazu sogleich); in diesem Sinne auch die Analyse bei O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 317 – 318. 242 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 319 – Telefónica; Bolton/Brodley/Riordan, 88 Georgetown L. J. (2000), 2239, 2272; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 42 – 43. 243 Kostenbestandteile sind variabel, wenn sie sich unmittelbar mit der Ausbringungsmenge verändern (z. B. Materialkosten). Fixe Kostenbestandteile bleiben demgegenüber auch bei Veränderungen der Ausbringungsmenge gleich (z. B. die Kosten des Unterhalts einer Fabrik). Die Einordnung kann immer nur einzelfallspezifisch anhand des jeweils gewählten Zeit- und Ausbringungshorizonts erfolgen, vgl. Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 391 – 392. 244 Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 97 – 98. 245 Vgl. Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 43. 246 Vgl. Bolton/Brodley/Riordan, 88 Georgetown L. J. (2000), 2239, 2272; O’Donoghue/ Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 242. Unter „versunkenen Kosten“ versteht man Ausgaben und Investitionen, die nachträglich – etwa im Rahmen eines Marktaustritts – finanziell nicht wieder „hereingeholt werden können“ und deshalb endgültig angefallen sind. 247 Eben dieser andere Umgang mit echten Gemeinkosten bildet den zentralen Unterschied beider Kostenmaßstäbe, vgl. Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 42. 248 Vgl. zur Unterscheidung Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 319 – 320 – Telefónica; Kommission, Entscheidung vom 20. 3. 2001, ABl. 2001, L 125/27, Tz. 7 – Deutsche Post AG; Ritter, World Comp. 2004, 613, 622.

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die hypothetische Testfrage zu stellen, welcher Betrag an Kosten weniger angefallen wäre, wenn sich das Unternehmen von Anfang an nicht entschieden hätte, die fragliche Markttätigkeit zusätzlich zu seinen übrigen Aktivitäten aufzunehmen.249 So hat die Kommission beispielsweise im Fall Deutsche Telekom bei der Zusammenstellung der im nachgelagerten Markt für die DTAG anfallenden Kosten die allgemeinen Ausgaben für Unterhalt und Betrieb der landesweiten Telefonnetzinfrastruktur ausgeblendet.250 Ebenfalls passt die Vorgehensweise bei der Kostenermittlung im Fall Telefónica reibungslos in das Konzept der LRAIC, wenngleich dort aufgrund fallspezifischer Besonderheiten die Netzinfrastrukturkosten anders als in Deutsche Telekom mit eingerechnet wurden.251 Alles in allem besteht die ökonomische Funktion des LRAIC-Maßstabs in der kartellrechtlichen Preismissbrauchsprüfung darin, dass er eine realitätsgetreue Antwort auf die Frage gibt, ob es für das Unternehmen in Anbetracht des von ihm festgesetzten Preisniveaus rückblickend profitabel gewesen ist, alle markteintrittsbedingten finanziellen Aufwendungen für die konkret betroffene Geschäftstätigkeit auf sich genommen zu haben. Für die kartellrechtliche Bewertung hat eine Preisfestsetzung im Bereich unterhalb der LRAIC eine zweifache Aussagekraft: Erstens gelangt man im Rahmen des equally efficient competitor-Tests zum Ergebnis, dass das marktbeherrschende Unternehmen seine Wettbewerber trotz deren gleicher oder sogar überlegener Leistungsfähigkeit verdrängt. Zweitens stellt sich mit Blick auf den Marktbeherrscher die berechtigte Frage, welches anerkennungswürdige betriebswirtschaftliche Interesse an einer derartigen, die Kostendeckung nachhaltig verfehlenden Preissetzung bestehen kann. Preise unterhalb der LRAIC können daher in Abwesenheit einer betriebswirtschaftlich nachvollziehbaren Erklärung auch auf eine gezielt verfolgte wettbewerbswidrige Verdrängungsstrategie hindeuten.252 249 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 319 – Telefónica; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 269; Ritter, World Comp. 2004, 613, 622; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 395. 250 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 139, 155 – Deutsche Telekom AG. Es handelte sich hierbei um bereichsübergreifend – also unabhängig von der Tätigkeit der DTAG im konkreten nachgelagerten Endkundenmarkt – entstandene Gemeinkosten, weil das Kupferkabelnetz der DTAG parallel der Erbringung einer Vielzahl anderer Endkundenleistungen außerhalb des konkreten Missbrauchsvorwurfs diente. Damit fehlt den Aufwendungen das im Sinne der LRAIC obligatorische Zurechnungselement. Eine Kostenermittlung anhand der ATC hätte die Netzkosten hingegen anteilig berücksichtigen müssen. 251 Siehe zu den als maßgeblich identifizierten Kostenpositionen Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 419 – Telefónica, sowie die sich daran anschließende Kostenermittlung im Einzelnen (a.a.O., Tz. 421 – 455, 456 – 458, 459 – 491). Die Netzkosten waren für den hier relevanten Breitbandverkehr gegenüber anderen Produktbereichen inkrementell, weil auf schmalbandigen Datenverkehr nur ein geringfügiger Anteil der Übertragungskapazität entfiel (a.a.O., Tz. 432, 434). Daher konnte die Kommission schlussfolgern, dass Telefónica ohne ihre Präsenz im nachgelagerten Breitbandgeschäft wesentlich geringere Investitionen in ihre Netzinfrastruktur getätigt hätte (a.a.O., Tz. 438, 442). 252 Bolton/Brodley/Riordan, 88 Georgetown L. J. (2000), 2239, 2272. In dieselbe Richtung gehen auch die Andeutungen bei Kommission, Entscheidung vom 20. 3. 2001, ABl. 2001,

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Angesichts des inzwischen wiederholten Rückgriffs auf die LRAIC in der Kommissionspraxis stellt sich die Frage, ob dieser Kostenmaßstab für die Prüfung sämtlicher Kosten-Preis-Scheren verallgemeinerungsfähig ist. Dies war jedenfalls im unmittelbaren Nachgang der beiden genannten Entscheidungen der Kommission in Deutsche Telekom und Telefónica noch zweifelhaft. Erstens ist zu berücksichtigen, dass sich beide Fälle im Telekommunikationssektor abspielten. Die darin stattfindende Wirtschaftstätigkeit ist – ebenso wie in anderen Netzsektoren – typischerweise mit hohen Fixkosten bei vergleichsweise niedrigen variablen Kosten verbunden.253 Beispielsweise sind für den erstmaligen Aufbau einer flächendeckenden (Telefon-) Netzinfrastruktur bereits im Zeitpunkt des Markteintritts erhebliche Investitionen erforderlich, während der spätere Betrieb des einmal errichteten Netzes mit dem darauf aufbauenden Dienstleistungsangebot vergleichsweise geringe laufende Kosten mit sich bringt. Bei diesen Sachverhaltsumständen wären andere Kostenmaßstäbe als die LRAIC – insbesondere diejenigen mit kurzfristigem oder einem auf variable Kosten verengten Betrachtungshorizont – von vornherein nicht für die Zwecke einer aussagekräftigen, realitätsgetreuen Kostendeckungsanalyse geeignet.254 Genau diese Erwägungen stellte dann auch die Kommission an, als sie sich in Telefónica bewusst und in der Sache zu Recht für den im konkreten Wirtschaftsumfeld besser geeigneten LRAIC-Maßstab aussprach.255 Zweitens haben sich die LRAIC bis heute auch in anderen Teilbereichen des Preismissbrauchs, in denen es ebenfalls auf eine Kostendeckungsanalyse ankommt, (noch) nicht endgültig als der allgemein und vorrangig anwendbare Maßstab herauskristallisiert. Insbesondere bei Kampfpreisunterbietungen stellen die Unionsgerichte in beständiger Praxis auf andere Kostenmaßstäbe ab.256 Lediglich ein einziges Mal verwendete man dort die LRAIC, womit allerdings wiederum gezielt den ökonomischen Besonderheiten des Sachverhalts Rechnung getragen werden sollte.257 Auf der anderen Seite hat die Kommission gerade jüngst in ihrer bereits erwähnten Prioritätenmitteilung in ganz allgemeiner Weise die praktische Relevanz der LRAIC zur Ermittlung preisbezogener Behinderungsmissbräuche aufgewertet. Soweit im Rahmen des dort ebenfalls in den Vordergrund gerückten equally efficient compeL 125/27, Tz. 36 – Deutsche Post AG; Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/ 38.784, Tz. 321 – Telefónica. 253 Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 317 – Telefónica. 254 GD Wettbewerb, Diskussionspapier zu Art. 82 EG, Tz. 126; Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 531; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 269. 255 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 317 – Telefónica. 256 Maßgebliche Kosten sind hier die „durchschnittlichen variablen Kosten“ und die „durchschnittlichen Gesamtkosten“, vgl. dazu die mit EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/ 86, EU:C:1991:286 – AKZO/Kommission begründete Rechtsprechungslinie, die zuletzt in France Télécom/Kommission noch einmal bestätigt wurde. Näher zur Prüfungsmethodik bei Kampfpreismissbräuchen unten, Kap. 5 A. I. 2. a). 257 Siehe hierzu Kommission, Entscheidung vom 20. 3. 2001, ABl. 2001, L 125/27 – Deutsche Post AG.

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titor-Tests eine Kostendeckungsanalyse erforderlich ist, soll diese unter Verwendung der LRAIC erfolgen.258 Dies wird dann auch noch einmal ausdrücklich für die Konstellation der Kosten-Preis-Schere so unterstrichen.259 Vor diesem Hintergrund könnten sich die LRAIC in der zukünftigen Kommissionspraxis sehr wohl als verallgemeinerungsfähiger Kostenmaßstab etablieren, was einstweilen allerdings noch abzuwarten bleibt. Die europäische Rechtsprechung hat diesbezüglich keinerlei Vorgaben gemacht. Sie hält sich generell davor zurück, der Kommission die Einzelheiten ihrer Kostendeckungsanalyse bei Preismissbrauchsverfahren nach Art. 102 AEUV verbindlich vorzuschreiben. Das EuG hat insoweit der Kommission für die „Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten“ einen Spielraum zugebilligt, der nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegen soll.260 Somit können auch für die Würdigung von Kosten-Preis-Scheren jederzeit andere Kostenmaßstäbe neben den oder anstelle der LRAIC zur Anwendung gelangen, solange sich dies nur innerhalb der teleologischen Grenzen des Missbrauchsverbots abspielt.261 Angesichts des klaren Bekenntnisses der Kommission in der Prioritätenmitteilung ist aber zu erwarten, dass sie auch weiterhin an diesem Kostenmaßstab festhalten wird. 5. Analyse der Kostendeckung bei zeitlich ausgedehnten Sachverhalten Kosten-Preis-Scheren treten im Wirtschaftsleben nicht nur punktuell oder einmalig auf, sondern erstrecken sich über einen bestimmten Zeitraum, der nicht selten mehrere Jahre andauern kann.262 Dies ist besonders augenfällig in den aus dem Telekommunikationssektor bekannten Sachverhalten, in denen der Leistungsaustausch im vorgelagerten Zugangsmarkt genau wie im nachgelagerten Endkundenmarkt von vornherein nur im Rahmen längerfristig angelegter Dauerschuldverhältnisse stattfindet. Um dem Bedürfnis nach einer möglichst präzisen Berechnung der in so strukturierten Marktumfeldern auftretenden Kosten-Preis-Scheren gerecht zu werden, kommt mit dieser zeitlichen Komponente ein zusätzlicher komplizierender Faktor hinzu. Es gilt nämlich zu berücksichtigen, dass beim marktbeherrschenden 258

Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 26. Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 80. 260 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 185 – Deutsche Telekom AG/Kommission m.w.N.; EuG, Urteil vom 30. 1. 2007, Rs. T-340/03, EU:T:2007:22, Tz. 129, 163 – France Télécom/Kommission. 261 Ebenso zur parallel gelagerten Frage im Kontext von Kampfpreisunterbietungen Schuhmacher, ZWeR 2007, 352, 363. 262 Die gegenüber der DTAG und Telefónica festgestellten Kosten-Preis-Scheren dauerten beispielsweise jeweils fünf Jahre lang an, im US-amerikanischen Fall Alcoa hatte man es sogar mit einer siebenjährigen Kosten-Preis-Schere zu tun. Zur notwendigen Mindestdauer einer kartellrechtlich relevanten Kosten-Preis-Schere Crocioni/Veljanovski, J. Network Indus. 2003, 28, 41 – 42. 259

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Unternehmen die relevanten Ausgaben und die ihnen korrespondierenden Einnahmen nicht notwendigerweise zum gleichen Zeitpunkt anfallen. Ein klassisches Beispiel sind markteintrittsbedingte Anfangsinvestitionen, die ein neu am Markt tätiges Unternehmen erst nach und nach mit einer steigenden Anzahl von Kundenbeziehungen und den daraus gezogenen Einnahmen amortisiert. Die wirtschaftliche Realität zeigt, dass eine sofortige Kostendeckung im Regelfall nicht angestrebt wird und meist auch überhaupt nicht möglich wäre.263 Man ist sich einig, dass diesen Gegebenheiten in der Missbrauchsprüfung einer Kosten-Preis-Schere angemessen Rechnung getragen werden muss.264 Nicht durchgesetzt hat sich eine bisweilen vertretene Position, wonach Art. 102 AEUV hier nur in abgeschwächter Form oder sogar überhaupt nicht anwendbar sein sollte, sobald man es mit Verhaltensweisen in jungen Wachstumsmärkten zu tun hat.265 Der EuGH hat verständlicherweise und mit Recht darauf verwiesen, dass dies für die Anwendung des Missbrauchsverbots keine Rolle spielen kann, insbesondere weil gerade der Wettbewerb in der Wachstumsphase eines neu entstandenen Marktes besonders schutzwürdig erscheint.266 Folglich bedarf es innerhalb des grundsätzlich nach wie vor anwendbaren Art. 102 AEUV eines Hilfsmittels, das die Kostendeckungsanalyse zeitbezogen dynamisiert und damit eine aus ökonomischer Sicht möglichst plausible Gegenüberstellung von Einnahmen (Preisen) und Ausgaben (Kosten) bewerkstelligt. Aus dem Bereich der wirtschaftswissenschaftlichen Investitionsrechnung stehen dem Rechtsanwender insofern mit der periodischen Abschreibungsmethode einerseits und mit der Barwertmethode („discounted cash flow analysis“) andererseits zwei geeignete Instrumente zur Verfügung.267 Sie haben sich bereits in verschiedenen auf Basis des europäischen Kartellrechts geführten Preismissbrauchsverfahren, darunter

263 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 75 – 76 – Wanadoo Interactive. 264 Colley/Burnside, 2 Eur. Comp. J. (2006), 185, 195; siehe auch Crocioni, ECLR 2005, 558, 566 mit dem zutreffenden Hinweis auf die drohende Gefahr ansonsten zu Unrecht erkannter Missbräuche, etwa bei der vorübergehenden Hinnahme von Verlusten in der Zeit nach dem Markteintritt. 265 Vgl. diesbezüglich Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 300 – 304 – Wanadoo Interactive; Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/ 38.784, Tz. 622 – 623 – Telefónica. 266 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 104 – 111, insbesondere Tz. 108 – TeliaSonera. 267 Die Funktionsweisen beider Methoden zur Dynamisierung der Kostendeckungsanalyse können hier nicht in ihren Einzelheiten wiedergegeben werden. Näher zur periodischen Abschreibungstechnik Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 59 – 66; zur ökonomisch komplexeren Barwertmethode Kruschwitz/Löffler, Discounted cash flow, 2007; Modigliani/Miller, 48 Am. Econ. Rev. (1958), 261.

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auch solchen wegen Kosten-Preis-Scheren, als praxistauglich bewährt.268 Die Unionsgerichte haben hierzu keine detaillierten Vorgaben gemacht.269 6. Rechnerische Ermittlung einer Kosten-Preis-Schere in komplexeren Fallkonstellationen Die bis hierhin beschriebene Methode zur rechnerischen Ermittlung einer KostenPreis-Schere geht im Hinblick auf die beteiligten Leistungen des vor- und nachgelagerten Marktes von einer Reihe vereinfachender Annahmen aus. Sie beschreibt das Phänomen der Gewinnmargenbeschneidung basierend auf der Annahme, dass genau eine Einheit der Vorleistung für die Erstellung genau einer Einheit der nachgelagerten Leistung benötigt wird oder in dieser Beziehung jedenfalls sogenannte „fixe Verwendungsproportionen“ bestehen.270 Außerdem sind einzelfallspezifische Schwierigkeiten bei der richtigen sachlichen Zuordnung von vorgelagertem Einsatzgut und den daraus hervorgehenden nachgelagerten Leistungen bisher außer Betracht geblieben. Die in der Wirtschaftsrealität vorzufindenden Gegebenheiten auf den beteiligten Marktstufen sind allerdings oftmals komplex und vielschichtig. Das im Missbrauchsrecht verankerte Verbot der Kosten-Preis-Schere ist dann gefordert, sich diesen Umständen in einer ökonomisch plausiblen Art und Weise anzupassen. Im Folgenden sollen überblicksmäßig zwei Problemkreise angesprochen werden, die die Frage nach der sachlich zutreffenden gegenseitigen Zuordnung der beteiligten Leistungen auf der vor- und nachgelagerten Marktstufe betreffen, sofern diese nicht ganz eindeutig ist. Beide haben sich im Deutsche Telekom-Verfahren, dessen Sachverhalt und rechtliche Bewertung durch die Kommission insoweit als Anschauungsbeispiel dienen soll, bereits als praxisrelevant erwiesen. a) Alternative nachgelagerte Verwendungszwecke der Vorleistung Der Sachverhalt des genannten Falles war so gelagert, dass die DTAG ihren Endkunden auf der nachgelagerten Marktstufe mithilfe ihres Ortsnetzes einen ganzen Strauß unterschiedlich strukturierter Telekommunikationsleistungen ange268 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 146 – 151 – Deutsche Telekom AG; Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 75 – 77, 262 – Wanadoo Interactive; Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 325 – 385 – Telefónica. 269 Genau wie bei der Wahl des Kostenmaßstabs gesteht das EuG der Kommission wegen der wirtschaftlichen Komplexität der konkreten Frage ein weites Ermessen zu, vgl. EuG, Urteil vom 30. 1. 2007, Rs. T-340/03, EU:T:2007:22, Tz. 129, 163 – France Télécom/Kommission. 270 Vgl. O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 312, 331. Mit dem Begriff der „fixen Verwendungsproportion“ ist gemeint, dass für die Erstellung einer Einheit der nachgelagerten Leistung immer genau derselbe quantitative Input aus der Vorleistungsstufe notwendig ist, vgl. OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Margin Squeeze, S. 25.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

boten hatte.271 Alle dieser Leistungen hingen gleichermaßen von der gemeinsamen Vorleistung „Zugang zur entbündelten TAL“ ab. Da jeder Endkunde pro Anschluss und Vertragszeitraum stets nur eine einzige der verfügbaren Anschlussvarianten in Anspruch nehmen konnte, standen diese hinsichtlich ihrer Verwendung in einem Alternativverhältnis zueinander. Die Kommission hat sich für die Berechnung der Kosten-Preis-Schere in dem so strukturierten Marktumfeld dazu entschieden, alle einzelnen Endkundenzugangsleistungen zu einem Gesamtpaket zusammenzufassen und auf dessen Grundlage schließlich die Existenz einer einzigen „leistungsübergreifenden“ Kosten-PreisSchere zu untersuchen.272 Für die Ermittlung des insofern für den nachgelagerten Markt repräsentativen Preisniveaus der dort zusammengefassten Leistungen errechnete sie einen gewichteten Durchschnitt, der sich zum einen aus den unterschiedlichen Preisen der individuellen Endkundenangebote und zum anderen aus der unterschiedlich starken Verbreitung jener Angebote im Kundenstamm der DTAG ergab.273 Eine derartige sachliche Zusammenfassung nachgelagerter Leistungen ist allerdings nicht immer und uneingeschränkt statthaft. Es gilt hier nämlich diejenigen Grenzen zu beachten, die das Kartellrecht durch die Abgrenzung des relevanten Marktes setzt. Mithilfe der Marktabgrenzung soll der einzelfallspezifische Rahmen für die Feststellung wettbewerbswidriger Auswirkungen eines bestimmten Verhaltens abgesteckt werden.274 Übertragen auf die vorliegende Problematik bedeutet dies: Verschiedene nachgelagerte Leistungen, die jeweils aus derselben Vorleistung hervorgehen, dürfen nur zusammengefasst werden, wenn feststeht, dass sie demselben sachlich und räumlich relevanten Markt angehören. Hat man es mit mehreren nachgelagerten Leistungen aus verschiedenen Märkten zu tun, müssen für jeden beteiligten nachgelagerten Markt separate Kosten-Preis-Scheren berechnet werden, wobei innerhalb jedes einzelnen Marktes eine Zusammenfassung von Leistungen nach dem von der Kommission praktizierten Schema erfolgen darf.275 Bei unzu271

Die Kommission hat in ihrer Missbrauchsentscheidung nur die neun quantitativ bedeutsamsten Anschlussvarianten berücksichtigt, vgl. Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 26, 27 (dort in Fn. 35), 143 (dort in Fn. 132), 144 – Deutsche Telekom AG. 272 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 115 – Deutsche Telekom AG. 273 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 111 – 116 – Deutsche Telekom AG (zum Prinzip der gewichteten Preisermittlung) sowie a.a.O., Tz. 142 – 148 (zum eigentlichen Berechnungsvorgang). 274 Vgl. Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997, C 372/5, Tz. 2. 275 EuG, Urteil vom 29. 3. 2012, Rs. T-336/07, EU:T:2012:172, Tz. 202 – Telefónica/ Kommission; Crocioni, ECLR 2005, 558, 559 – 561; anders hingegen Junghanns, WuW 2002, 567, 569 – 570, der zwar zunächst richtig erkennt, dass eine rechnerische Zusammenfassung von Leistungen nicht uneingeschränkt zulässig ist, dann aber offenbar ohne Orientierung am

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reichender Rücksichtnahme auf die Ergebnisse der Marktabgrenzung an diesem Punkt der kartellrechtlichen Prüfung einer Kosten-Preis-Schere besteht die Gefahr von Fehleinschätzungen im Hinblick auf die Verortung des wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens und seiner Auswirkungen.276 Umso erstaunlicher ist es, dass die Kommission diese elementaren Vorgaben bei ihrer Berechnung der Kosten-Preis-Schere im Fall Deutsche Telekom offenbar nicht beachtete. Sie unterteilte nämlich die verschiedenen nachgelagerten Varianten des Endkundenzugangs zunächst in Schmalbandzugänge einerseits und Breitbandzugänge andererseits und grenzte daraufhin auch zwei separate Endkundenmärkte voneinander ab.277 Nichtsdestotrotz bildete sie dann wie erwähnt einen gemeinsamen markt- und leistungsübergreifenden Durchschnittspreis für alle Endkundenleistungen und berechnete infolgedessen auch nur eine Kosten-Preis-Schere. Dies steht mit den vorstehend erläuterten marktbezogenen Vorgaben nicht im Einklang und kann daher auch keine tragfähige Grundlage für die Feststellung einer unzulässigen Kosten-Preis-Schere sein.278 Richtigerweise hätte sie für jeden der beiden nachgelagerten Märkte eine separate Kosten-Preis-Schere berechnen müssen. Gewichtete nachgelagerte Durchschnittspreise hätten nur für die zusammengefassten Einzelleistungen aus jedem von ihnen gebildet werden dürfen. In den der Kommissionsentscheidung nachfolgenden gerichtlichen Urteilen hat man sich mit diesem speziellen Aspekt des Berechnungsvorgangs allerdings nicht mehr auseinandergesetzt.279 b) Gebündelte nachgelagerte Leistungen Bei der Erfassung der relevanten nachgelagerten Leistungen hat es im Fall Deutsche Telekom noch eine zweite Besonderheit gegeben. Man hatte es dort nicht nur mit unterschiedlich ausgestalteten Endkundenleistungen zu tun, sondern außerdem noch mit einer Produktbündelung innerhalb jeder dieser nachgelagerten Zugangsvarianten. Das Produktbündel bestand jeweils aus dem Endkundenzugang als solchem und den mithilfe dieses bereitgestellten Zugangs vermittelten einzelnen Gesprächsverbindungen. Es stellt sich dann die Frage, ob man zwecks Berechnung einer Kosten-Preis-Schere auf der nachgelagerten Marktstufe den höheren Preis des Produktbündels oder den vergleichsweise niedrigeren Preis nur des Zugangsdienstes zu berücksichtigen hat.

Rahmen des kartellrechtlich relevanten Marktes separate Kosten-Preis-Scheren für einzelne „Endkundenleistungen“ berechnen will. 276 Vgl. Crocioni, ECLR 2005, 558, 561. 277 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 73, 74, 78 – Deutsche Telekom. 278 So auch zutreffend die Analyse bei Crocioni, ECLR 2005, 558, 560 – 561. 279 Vgl. aber jüngst das in der Sache richtige Bekenntnis zu einer marktorientierten kartellrechtlichen Bewertung in EuG, Urteil vom 29. 3. 2012, Rs. T-336/07, EU:T:2012:172, Tz. 202 – Telefónica/Kommission.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Im konkreten Fall berücksichtigte die Kommission ausschließlich den gewichteten Durchschnittsbetrag für die Endkundenzugangsdienste und ließ die auf die Einzelgesprächsverbindungen anfallenden Einnahmen und Ausgaben der DTAG außen vor.280 Die DTAG hatte bereits im Missbrauchsverfahren diese Vorgehensweise als künstlich und ökonomisch unhaltbar gerügt. Die Kommission hätte – so der unternehmerische Vortrag – das aus Zugang und Gesprächsverbindungen bestehende Produktbündel richtigerweise zu einem einheitlichen Endleistungspaket zusammenfassen müssen.281 Auch die Frage nach dem sachgerechten Umgang mit dergestalt funktionell aufeinander bezogenen Produktbündeln auf der nachgelagerten Marktstufe ist richtigerweise mit Blick auf die Grenzen des relevanten Marktes zu beantworten. Wenn die in Rede stehenden unterschiedlichen nachgelagerten Dienstleistungen unter Anwendung der allgemeinen Grundsätze der Marktabgrenzung dem gleichen Markt angehören, dürfen sie in der kartellrechtlichen Analyse nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Die zutreffende Berechnung einer Kosten-Preis-Schere setzt dann voraus, dass sich das maßgebliche Preisniveau auf nachgelagerter Ebene erst über die addierten Preise der beiden miteinander gebündelten Leistungen ergibt. Erneut bestehen ernsthafte Zweifel daran, ob das Vorgehen der Kommission gegenüber der DTAG mit kartellrechtlichen Grundsätzen in Einklang zu bringen ist. Ihre Haltung, die Kosten-Preis-Schere nur unter Einbeziehung der Endkundenzugänge und ohne Rücksicht auf die Einzelgesprächsverbindungen zu berechnen, ist zwar insoweit plausibel, als sie beide Leistungen in der Tat verschiedenen sachlich relevanten Märkten zugeordnet hatte. Genau dies war im konkreten Fall jedoch erkennbar nicht das Ergebnis einer streng an den Grenzen des kartellrechtlich relevanten Marktes orientierten Betrachtung. Vielmehr ließ sich die Kommission – wie aus den Entscheidungsgründen hervorgeht – vor allem von spezifisch telekommunikationsrechtlichen Erwägungen leiten, die nunmehr im Rahmen der kartellrechtlichen Prüfung zur Geltung gebracht werden sollten.282 Dies hat in der das Missbrauchsverfahren begleitenden Literatur aus nachvollziehbaren Gründen zu teil-

280 Dazu die Erwägungen bei Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 119 – 129 – Deutsche Telekom AG. 281 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 117 – Deutsche Telekom AG. Die Problematik war von fallentscheidender Relevanz, weil die DTAG in ihrem damaligen Geschäftsmodell eine Mischkalkulation aus vergleichsweise hohen Gesprächsverbindungspreisen und vergleichsweise niedrigen Zugangspreisen praktiziert hatte. Im Falle der Berechnung auf Grundlage des Leistungsbündels hätte sich daher möglicherweise keine Kosten-Preis-Schere ergeben. 282 Die Kommission argumentierte, dass die nachgelagerten Wettbewerber die Möglichkeit erhalten sollen, „zumindest die Kundenstruktur des etablierten Betreibers abzubilden“, vgl. Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 127 – Deutsche Telekom AG; weiterführend zur Trennung von Endkundenzugang und Gesprächsverbindungen in der kartellrechtlichen Analyse Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 650.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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weise deutlich artikulierter Kritik geführt.283 Das EuG hat den Ansatz der Kommission jedoch anschließend explizit gebilligt.284

III. Wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen Die Prüfung einer gemäß Art. 102 AEUV verbotswürdigen Kosten-Preis-Schere hat in der bis hierhin dargestellten Form noch nicht die von der unverhältnismäßigen zweifachen Preissetzung möglicherweise ausgehenden wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen auf dem nachgelagerten Markt berücksichtigt. Entsprechend der eingangs der Arbeit gemachten Erläuterungen zur Funktionsweise der zweiseitigen Margenbeschneidung durch ein vertikal integriertes Unternehmen ist ein mindestens spürbarer Verdrängungseffekt eine obligatorische Voraussetzung dafür, dass sich das preisliche Missverhältnis als handfestes kartellrechtliches Problem darstellt.285 Im nun folgenden Abschnitt soll näher untersucht werden, wie das Verbot der KostenPreis-Schere im Rahmen von Art. 102 AEUV auf die markterfolgs- bzw. auswirkungsorientierten Elemente im Konzept der Gewinnmargenbeschneidung Rücksicht nimmt. 1. Allgemeine Vorgaben bei Behinderungsmissbräuchen Der Auswirkungsnachweis ist als eigenständige Station in der Prüfung von Behinderungsmissbräuchen nach europäischem Kartellrecht bekannt und etabliert.286 Seine Funktion besteht ganz allgemein darin, der ansonsten nur verhaltensorientierten Prüfung ein markterfolgsbezogenes Element hinzuzufügen. Art. 102 AEUV will also bestimmte Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen nicht schon aus sich heraus, sondern erst im Zusammenhang mit den im konkreten Einzelfall von ihr ausgehenden wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen auf das Marktgeschehen verbieten. Nach den bisherigen Vorgaben der Rechtsprechung erfolgt insoweit aber keine besonders tiefgreifende Analyse. So verlangt etwa das EuG für die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV den Nachweis, dass das potenziell missbräuchliche Verhalten „darauf gerichtet ist, den Wettbewerb zu beschränken“ bzw. dass es „eine

283

Vgl. Crocioni, ECLR 2005, 558, 560; Genevaz, GCP May 2008, Release 1, S. 22 – 24; von Meibom/von dem Bussche, WuW 1999, 1171, 1174 – 1175; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 319 – 320; a.A. und die Vorgehensweise der Kommission verteidigend Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 655. 284 Vgl. EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 195 – 207 – Deutsche Telekom AG/Kommission mit Verweis auf das Ziel der Tarifumstrukturierung und das Gebot der Chancengleichheit für alle auf dem Endkundenmarkt tätigen Unternehmen. 285 Siehe oben, Kap. 2 A. III. 286 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 217 – 221.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

solche [wettbewerbsbeschränkende] Wirkung haben kann“.287 An anderer Stelle stößt man auf die Formulierung, dass das Verhalten „seiner Tendenz nach“ den Wettbewerb beschränken müsse bzw. dass es „aufgrund seiner Art oder Eignung“ eine solche Wirkung haben können muss.288 Nach ähnlich formulierter Auffassung des EuGH soll Art. 102 AEUVeingreifen, „sobald die Gefahr einer Ausschaltung der Konkurrenten besteht“.289 Diese Zitate der Rechtsprechungspraxis belegen mit weitestgehend identischem Aussagegehalt, dass Art. 102 AEUV in seiner Spielart als Verbot von Behinderungsmissbräuchen als ein abstraktes Gefährdungsdelikt zu verstehen ist.290 Das Verbot greift nicht erst dann ein, wenn einzelne Wettbewerber aus dem Markt ausgetreten sind, ihre Marktpräsenz sonstwie zurückgefahren haben oder als potenzielle Wettbewerber den Markteintritt nachweislich unterlassen haben.291 Dementsprechend scheidet ein Missbrauch auch nicht allein deshalb aus, weil die vom marktbeherrschenden Unternehmen möglicherweise angestrebte Verdrängung einzelner Konkurrenten letzten Endes ohne Erfolg bleibt.292 Auf der anderen Seite wird aber auch klar erkennbar, dass die Missbrauchsprüfung die Auswirkungen des mutmaßlich unzulässigen Verhaltens nicht vollkommen ignorieren darf. Jedoch werden an die Existenz einer entsprechenden „Gefahr“ bzw. „Eignung“ keine allzu hohen Anforderungen angelegt.293 Maßgeblicher Bezugspunkt der so ausgestalteten Auswirkungsanalyse ist die für den Wettbewerb nachteilige Veränderung der Marktstruktur.294

287

EuG, Urteil vom 30. 9. 2003, Rs. T-203/01, EU:T:2003:250, Tz. 239 – Michelin/Kommission; EuG, Urteil vom 25. 6. 2010, Rs. T-66/01, EU:T:2010:255, Tz. 308 – ICI/Kommission. 288 EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Tz. 293 – British Airways/ Kommission. 289 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436, Tz. 44 – Tetra Pak/ Kommission. 290 Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 349 – 350. 291 Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 166: Für die Anwendbarkeit des Verbots ist es nicht erforderlich, dass sich die Marktposition von Wettbewerbern (tatsächlich) abschwächt. 292 EuG, Urteil vom 17. 12. 2003, Rs. T-219/99, EU:T:2003:343, Tz. 297 – British Airways/ Kommission; EuG, Urteil vom 8. 10. 1996, Rs. T-24/93 u. a., EU:T:1996:139, Tz. 149 – Compagnie Maritime Belge Transports/Kommission. 293 Bestes Beispiel dafür ist die Prüfung von Rabattsystemen. Hier hat die Rechtsprechung bis zuletzt in besonderem Maße nach der äußeren Form des Verhaltens unterschieden und in stark generalisierender Weise daraus bestimmte Wettbewerbsgefahren abgeleitet, vgl. EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Tz. 70 – 75 – British Airways/Kommission. 294 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436, Tz. 44 – Tetra Pak/ Kommission; Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 153 – 154, 166, 177 – 178.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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2. Auswirkungsnachweis bei Kosten-Preis-Scheren Wie die Unionsgerichte inzwischen wiederholt klargestellt haben, kommt vor diesem Hintergrund auch die spezielle Prüfung von Kosten-Preis-Scheren nicht ohne eine Analyse ihrer Auswirkungen auf die konkrete Wettbewerbssituation im nachgelagerten Markt aus.295 Der EuGH hat diesbezüglich in seinen beiden Urteilen Deutsche Telekom und TeliaSonera eine Haltung an den Tag gelegt, die sich teilweise mit der zuvor dargestellten, aus anderen Fallgruppen des Behinderungsmissbrauchs bekannten Praxis deckt, teilweise aber auch darüber hinausgeht und eine intensivere Prüfung vorschreibt. Wie gehabt ist es nicht nötig, eine bereits tatsächlich stattfindende Verdrängung der Konkurrenten im nachgelagerten Markt nachzuweisen. Es soll eine „potenzielle wettbewerbswidrige Wirkung“ genügen.296 Gleichzeitig weist der EuGH aber darauf hin, dass diese nicht schon aus der bloßen Tatsache der rechnerisch existenten Kosten-Preis-Schere abgeleitet werden darf, sondern anhand aller Einzelfallumstände erst positiv festgestellt werden muss.297 Damit geht er über die anderenorts etablierten Nachweisanforderungen hinaus, so dass das Verbot der Kosten-Preis-Schere auf diesem Wege bereits den Charakter eines konkreten Gefährdungsdelikts erhält.298 Über dieses Erfordernis eines gewissermaßen „qualifizierten Nachweises“ wettbewerbswidriger Auswirkungen können unterschiedliche Kriterien zum Zuge kommen. Beispielsweise ist es nach Ansicht des EuGH ein taugliches Indiz für die positive Annahme wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen einer Kosten-PreisSchere, wenn sich diese auf der vorgelagerten Marktstufe auf ein unentbehrliches Einsatzgut bezieht.299 Neben der Analyse der Unentbehrlichkeit hat der EuGH in TeliaSonera noch ausdrücklich eine zweite Möglichkeit genannt, um den Auswirkungsnachweis anzutreten. Ausschlaggebend soll insofern das konkrete Ausmaß der 295 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 61 – 64 – TeliaSonera; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 250, 252, 254 – Deutsche Telekom AG/Kommission, die vorangegangene Instanz (EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/ 03, EU:T:2008:101, Tz. 235 – Deutsche Telekom AG/Kommission) bestätigend; a.A. zuvor noch Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 179 – 180 – Deutsche Telekom AG. 296 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 64 – TeliaSonera. 297 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 64, 67 – 68 – TeliaSonera. Weiterführend mit Vergleich zum Verständnis der Kommission von wettbewerbsbeschränkenden Auswirkungen Leupold, EuZW 2011, 345, 347. 298 Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 549 – 550 mit kritischer Sichtweise auf die gesteigerten Nachweisanforderungen; Leupold, EuZW 2011, 345, 346. Ungewiss ist insofern, ob die Rechtsprechung das Missbrauchsverbot nur bereichsspezifisch für Kosten-Preis-Scheren als konkretes Gefährdungsdelikt ausgestalten will oder ob es der Beginn einer auf andere Fallgruppen des Behinderungsmissbrauchs verallgemeinerungsfähigen Rechtsprechungslinie ist, a.a.O., 347 a.E. 299 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 69 – 71 – TeliaSonera; vgl. auch EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 234 – 235, 255 – Deutsche Telekom AG/Kommission.

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

durch die Preisgestaltung des Marktbeherrschers hervorgerufenen Margenbeschneidung sein. Nach den richterlichen Vorgaben soll im Falle der negativen Preisdifferenz – d. h. bei nominalen Vorleistungspreisen oberhalb des nachgelagerten Preisniveaus – der Nachweis einer wahrscheinlichen Verdrängungswirkung bereits erfolgreich erbracht sein.300 Die zuvor angesprochene Unentbehrlichkeit soll also kein konstitutives Merkmal für eine als verbotswürdig geltende Kosten-Preis-Schere darstellen.301 In den übrigen Fällen – also wenn sich die rechnerische Kosten-PreisSchere bei positiver Preisdifferenz erst unter Berücksichtigung nachgelagerter Kosten ergibt – sind wettbewerbswidrige Auswirkungen gemäß den Vorgaben des EuGH erst noch anhand anderer Indizien darzulegen, aus denen hervorgeht, dass wirtschaftliche Tätigkeit auf dem nachgelagerten Markt erschwert wird.302 Ein zusätzlicher aussagekräftiger Faktor ist insoweit auch der Grad der vom integrierten Marktbeherrscher selbst eingenommenen wirtschaftlichen Machtstellung. Er kann die wirtschaftliche Tragweite des beanstandeten Marktverhaltens wesentlich mitbestimmen.303 Bezugspunkte können hierfür beide beteiligte Marktstufen sein. Auf dem vorgelagerten Markt findet das Ausmaß der Marktmacht allerdings bereits unter dem Aspekt der Unentbehrlichkeit der Vorleistung Berücksichtigung, weil Letztere in der Konstellation der Kosten-Preis-Schere typischerweise Ursache dafür ist, dass überhaupt eine marktbeherrschende Stellung besteht. Die Konstitution des nachgelagerten Marktes ist hingegen bedeutsam, weil der Grad seiner Vermachtung unmittelbar ausweist, wie notwendig der durch Art. 102 AEUV vermittelte Wettbewerbsschutz im Einzelfall ist. Je schwächer die Wettbewerbsintensität auf dem nachgelagerten Markt von vornherein ist, umso eher droht eine Kosten-Preis-Schere weiteren Restwettbewerb auszuschalten und umso schützenswerter ist dieser.304 Schließlich können wettbewerbsbeschränkende Auswirkungen einer Kosten-PreisSchere auch durch den empirischen Nachweis dargetan werden, dass sich die Wettbewerbsverhältnisse auf dem nachgelagerten Markt speziell während der Zeit der mutmaßlichen Zuwiderhandlung zögerlicher als auf vergleichbaren Märkten entwickelt haben.305

300

EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 73 – TeliaSonera. Vgl. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 72 – TeliaSonera. 302 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 74 – TeliaSonera. 303 Vgl. dahingehend EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 81 – TeliaSonera. 304 Geradin/O’Donoghue, J. Comp. L. & Econ. 2005, 355, 408. 305 Siehe dafür etwa Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 181 – 182 – Deutsche Telekom AG, bestätigt durch EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/ 03, EU:T:2008:101, Tz. 239 – 240 – Deutsche Telekom AG/Kommission. Bei einer derartigen Auswirkungsanalyse auf Basis empirischer Marktdaten ist allerdings darauf zu achten, dass eine als schwach erkannte Marktentwicklung auch kausal auf die Kosten-Preis-Schere zurückzuführen ist, vgl. dazu der Hinweis bei EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 257 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 301

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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3. Analyse und kritische Würdigung zur Bedeutung der „Unentbehrlichkeit der Vorleistung“ Der vom EuGH auf diese Weise ausgestaltete Auswirkungsnachweis bei KostenPreis-Scheren birgt eine auf den ersten Blick ungeahnte, nicht zu unterschätzende kartellrechtsdogmatische Brisanz. Denn wie sich gezeigt hat, betrifft er die Frage, mit welchem konzeptionellen Stellenwert das Kriterium der Unentbehrlichkeit der Vorleistung in die Missbrauchsprüfung Eingang finden soll. Im TeliaSonera-Verfahren hat sich diesbezüglich eindrucksvoll gezeigt, dass die Art und Weise der Einbettung eben dieses Merkmals in das Verbot der Kosten-Preis-Schere ganz wesentlich über dessen Charakter als eigenständige oder nicht eigenständige Fallgruppe des Missbrauchs gemäß Art. 102 AEUV entscheidet.306 Auf die vom schwedischen Gericht dem EuGH vorgelegten Fragen hatte zunächst der Generalanwalt Mazák dafür plädiert, dass man für die Missbräuchlichkeit einer Kosten-Preis-Schere neben dem preislichen Missverhältnis die Unentbehrlichkeit der Vorleistung jedenfalls in denjenigen Fallkonstellationen voraussetzen solle, in denen der integrierte Marktbeherrscher nicht bereits anderweitig aufgrund unionsrechtskonformen Regulierungsrechts eines EU-Mitgliedstaates verpflichtet ist, die Vorleistung nach außen hin anzubieten.307 Damit knüpfte er seinerzeit an den Inhalt der nicht lange zuvor veröffentlichten Prioritätenmitteilung der Kommission an.308 Diese hatte das Kriterium der Unentbehrlichkeit – dort synonym als „objektive Notwendigkeit des Inputs“ bezeichnet – ebenfalls als ein im Grundsatz obligatorisches Tatbestandsmerkmal für missbräuchliche Kosten-Preis-Scheren heraufgestuft.309 Der Generalanwalt begründete seine in TeliaSonera erstmals in dieser Form eingenommene Sichtweise zur Bedeutung der Unentbehrlichkeit außerhalb des regulierungsrechtlichen Kontextes auf Grundlage der Gemeinsamkeiten zwischen den Missbrauchskonzepten der Kosten-Preis-Schere einerseits und der Geschäftsverweigerung andererseits, bei der das Merkmal der „objektiven Notwendigkeit“ des vorgelagerten Einsatzgutes in gefestigter Rechtsprechung stets zu prüfen ist.310 Es sei möglich und geboten, so der Generalanwalt, Kosten-Preis-Scheren als Erscheinungsform einer Geschäftsverweigerung einzuordnen und demzufolge übereinstimmende Tatbestandsvoraussetzungen zur Anwendung zu bringen.311

306

Siehe dazu bereits die Falldarstellung oben, Kap. 4 A. VII. GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 11, 18, 21 und 58 – TeliaSonera. 308 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 17 – TeliaSonera. 309 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 81, 83. 310 Siehe hierzu EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569 – Oscar Bronner/Mediaprint sowie unten, Kap. 5 B. I. 2. d). 311 Vgl. GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 16 – TeliaSonera. 307

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Der EuGH hat sich in seinem darauffolgenden Urteil der Sichtweise des Generalanwalts, nach der das Kriterium der Unentbehrlichkeit immerhin in den nicht regulierungsrechtlich beeinflussten Fallkonstellationen eine eigenständige Bedeutung erhalten sollte, nicht angeschlossen. Es handele sich bei der Kosten-PreisSchere stattdessen um eine „eigenständige Form des Missbrauchs, die sich von der Lieferverweigerung unterscheidet“.312 Damit bringt der EuGH zwar nur implizit, im Ergebnis aber unmissverständlich zum Ausdruck, dass er der Unentbehrlichkeit im Prüfungsprogramm für missbräuchliche Kosten-Preis-Scheren keinen Platz als eigenständiges Tatbestandsmerkmal einräumen will. Nichtsdestotrotz widersprach der EuGH aber auch einer radikalen Lösung dergestalt, dass die Unentbehrlichkeit der Vorleistung in der Prüfung von Kosten-Preis-Scheren nun überhaupt keine Aussagekraft erhalten könne. Dies führte letzten Endes zu einer Kompromisslösung, wonach sie – wie vorstehend bereits erwähnt – als ein untergeordnetes Hilfskriterium im Auswirkungsnachweis nutzbar zu machen sei. Diese Einordnung erweist sich bei näherer kritischer Betrachtung als wenig gelungen. Zutreffend ist insofern zunächst noch die vom EuGH hervorgehobene Bedeutung des Auswirkungsnachweises im Allgemeinen. Damit trägt er der Tatsache Rechnung, dass sich aus dem rechnerischen Missverhältnis zweier Preise nicht schon von alleine der Gewinnmargendruck auf die nachgelagerten Wettbewerber entfaltet. Ebenso ist es zu begrüßen, dass der EuGH bei der Kosten-Preis-Schere eine vergleichsweise strenge Auswirkungsanalyse verlangt, die den Charakter des Verbots eher in die Richtung eines konkreten anstelle eines lediglich abstrakten Gefährdungsdelikts verschiebt. Diesbezüglich erfüllt das Verbot der Kosten-Preis-Schere im Kontext des more economic approach in der europäischen Missbrauchsaufsicht eine wettbewerbspolitische Vorbildfunktion. Echte Angriffspunkte ergeben sich dann aber im Hinblick auf die nähere Ausgestaltung der Auswirkungsanalyse in Form der vom EuGH selbst vorgegebenen Kriterien. Dabei ist es anfangs ebenfalls noch gut nachvollziehbar, dass der Gerichtshof unter anderem darauf abstellen will, ob es sich bei der Vorleistung um ein unentbehrliches Einsatzgut für die Geschäftstätigkeit auf dem nachgelagerten Markt handelt. Denn auf diesem Wege wird unmittelbar nach der wirtschaftlichen Abhängigkeit der nachgelagerten Wettbewerber vom Zugang zum vorgelagerten Einsatzgut des integrierten Marktbeherrschers gefragt. Vor dem Hintergrund der zu Beginn der Arbeit herausgearbeiteten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für eine erfolgsversprechende Strategie des zweiseitigen marktübergreifenden Gewinnmar-

312 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 56 – TeliaSonera. Die Begründung des EuGH zu dieser grundlegenden Feststellung ist spärlich: Es würde die praktische Wirksamkeit des Art. 102 AEUV ungebührlich einschränken, wenn unangemessene Geschäftsbedingungen eines marktbeherrschenden Unternehmens nur unter den höheren Voraussetzungen der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung vom Missbrauchsverbot zu erfassen wären, vgl. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 58 – TeliaSonera.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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gendrucks313 wird eine belastbare Aussage möglich, ob das auf beiden Marktstufen aufrechterhaltene Missverhältnis der Preise eine tatsächliche Gefahr für den nachgelagerten Wettbewerb erzeugt. Fragwürdig erscheint es hingegen, wenn der EuGH meint, der Nachweis wettbewerbswidriger Auswirkungen durch eine Kosten-Preis-Schere bleibe auch im Zusammenhang mit entbehrlichen Einsatzgütern möglich und könne gewissermaßen durch andere Umstände wie etwa ein außerordentlich starkes Missverhältnis der Preise im Sinne der negativen Preisdifferenz ersetzt werden.314 An dieser Stelle verkennt der EuGH, dass es sich bei der Unentbehrlichkeit um ein funktionsnotwendiges Merkmal für die Margenbeschneidung handelt. Selbst ein noch so eklatantes Missverhältnis von vor- und nachgelagertem Preisniveau wird in der Wirtschaftspraxis keine spürbare Wettbewerbsbeschränkung herbeiführen, solange eben andere geeignete und vergleichbare Bezugsquellen auf dem vorgelagerten Markt zur Verfügung stehen. Und wenn sich beim Geschäftsverkehr über entbehrliche Einsatzgüter doch einmal den Wettbewerb beeinträchtigende Auswirkungen ergeben sollten, so wären diese nicht auf das für die Kosten-Preis-Schere konstitutive gegenseitige Missverhältnis der Preise, sondern auf andere Erscheinungsformen des Missbrauchs von Marktmacht zurückzuführen.315 Im Gegensatz zu der vom EuGH vorgegebenen Konzeption müsste die Auswirkungsanalyse bei einer Kosten-Preis-Schere richtigerweise so ausgestaltet sein, dass in einem ersten Schritt die Unentbehrlichkeit als ein notwendiges Kriterium zu prüfen ist. Damit wird der funktionelle Zusammenhang zwischen den Preisniveaus der beiden beteiligten Marktstufen und den Möglichkeiten anderer Wettbewerber zur Gewinnerzielung auf dem nachgelagerten Markt hergestellt. Erst in einem zweiten Schritt – und nachdem die Unentbehrlichkeit positiv festgestellt worden ist – können weitere Faktoren Bedeutung erlangen, indem sie den so erst „eröffneten“ Auswirkungsnachweis im Einzelnen inhaltlich ausfüllen.

IV. Fehlende objektive Rechtfertigungsgründe Anders als das Verbot wettbewerbswidriger Verhaltenskoordination gemäß Art. 101 AEUV kennt Art. 102 AEUV keine im Wortlaut der Norm ausdrücklich angelegte Möglichkeit, ein prima facie verbotswürdig erscheinendes einseitiges Verhalten einzelfallspezifisch zu rechtfertigen. Gleichwohl hat sich eine inzwischen gefestigte Haltung der Unionsorgane gebildet, wirtschaftliche Rechtfertigungsgründe für ansonsten wettbewerbswidriges Verhalten auch im Bereich des Miss-

313

Siehe oben, Kap. 2 A. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 73 und 74 – TeliaSonera; vgl. auch oben, Kap. 4 C. III. 2. 315 Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 348. 314

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

brauchsverbots anzuerkennen.316 Hierdurch ist im Laufe der Zeit eine den Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV ähnelnde und methodisch ebenfalls zweigliedrige Prüfung des Missbrauchskriteriums entstanden. Die Darlegungs- und Beweislast für rechtfertigende Umstände soll nach der herrschenden, wenngleich nicht unumstrittenen Auffassung auch im behördlichen Missbrauchsverfahren vor der Kommission dem marktbeherrschenden Unternehmen zugewiesen sein.317 Unter den vielfältigen Ansatzpunkten für die Herausnahme einer ansonsten verbotswürdigen Kosten-PreisSchere aus dem Anwendungsbereich des Art. 102 AEUV318 sollen nachfolgend beispielhaft die Gruppe der effizienzorientierten Rechtfertigungen sowie die der defensiven Preisanpassung angesprochen werden. 1. Effizienzgewinne Im Zuge des more economic approach in der europäischen Missbrauchsaufsicht hat sich während der vergangenen Jahre die Auffassung durchgesetzt, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen sein Verhalten speziell mit Hinweis auf eigene innerbetriebliche Effizienzgewinne rechtfertigen dürfen soll. Hierzu hat der EuGH in seiner Rechtsprechung nach und nach für verschiedene Fallgruppen des Behinderungsmissbrauchs eine an den Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV angelehnte Effizienzeinrede (efficiency defense) eingeführt.319 Seit der TeliaSoneraEntscheidung steht fest, dass diese nunmehr auch für Kosten-Preis-Scheren bereitstehen soll.320 Demnach ist eine Kosten-Preis-Schere trotz ihrer nachweislich konkurrentenverdrängenden Wirkungen im Einzelfall nicht missbräuchlich, wenn diese durch Effizienzvorteile mindestens ausgeglichen werden, die entstandenen Vorteile auch den Verbrauchern zugute kommen und die Anwendung der Kosten-PreisSchere dazu erforderlich ist.321 Um den Kanon der missbrauchsrechtlichen Rechtfertigungskriterien mit denen des Art. 101 Abs. 3 AEUV vollständig in Kongruenz 316 EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Tz. 69, 86 – British Airways/Kommission; EuG, Urteil vom 7. 10. 1999, Rs. T-228/97, EU:T:1999:246, Tz. 189 – Irish Sugar; Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 28 – 31; dazu auch allgemein O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 227 – 234. 317 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 31; dem beipflichtend Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 163; a.A. und mit Verweis auf Art. 2 VO 1/2003 Dreher/Adam, ZWeR 2006, 259, 269 – 270; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 233. 318 Siehe etwa die umfangreiche Aufzählung potenzieller Rechtfertigungsansätze für Behinderungsmissbräuche bei O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 320 – 321. 319 Vgl. für preisbezogene Behinderungspraktiken EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/ 04 P, EU:C:2007:166, Tz. 69, 86 – British Airways/Kommission (Rabatte) und EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Tz. 40 – 43 – Post Danmark (Kampfpreisunterbietungen). 320 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 75 – 76 – TeliaSonera. 321 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 76 – TeliaSonera.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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zu bringen, verlangt der EuGH seit Neuestem zusätzlich, dass das fragliche Verhalten „wirksamen Wettbewerb nicht ausschaltet, indem es alle oder die meisten bestehenden Quellen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs zum Versiegen bringt“.322 Bereits gegen Anfang der Arbeit wurde überblicksmäßig herausgearbeitet, dass vertikale Integration maßgeblich durch die Aussicht auf eine gesteigerte unternehmerische Leistungsfähigkeit motiviert sein kann. Wenn im Konzernverbund beispielsweise mit Erfolg Transaktionskosten vermieden werden können, so bedeutet dies einen Zugewinn an produktiver Effizienz. Vor diesem Hintergrund könnte sich ein Ansatzpunkt für die Rechtfertigung einer Kosten-Preis-Schere ergeben. Sie als unternehmerisches Preissetzungsverhalten wäre in dieser Konstellation zwar nicht unmittelbarer Auslöser für die entstehenden Effizienzgewinne, aber sie wäre das notwendige Hilfsmittel, um die aufgrund der vertikalen Integration bereits entstandenen Kosteneinsparungen am Markt sichtbar werden und sie damit den Verbrauchern zugute kommen zu lassen. Insofern mag eine Kosten-Preis-Schere indizieren, dass das marktbeherrschende Unternehmen Kostenvorteile im Bereich des konzerninternen Leistungstransfers gegenüber dem externen Vertrieb des vorgelagerten Einsatzgutes gehoben hat. Ein an dieser Stelle allzu restriktives und unreflektiert angewendetes Missbrauchsverbot könnte insbesondere eine betriebswirtschaftlich plausible, die integrationsbedingt erzielten Kostenvorteile abbildende Preissenkung im nachgelagerten Endkundenmarkt sanktionieren, ohne dass dies von der Teleologie des Art. 102 AEUV gedeckt wäre. Dennoch dürfte im Ergebnis der praktische Nutzen dieses Rechtfertigungsansatzes in Missbrauchsverfahren wegen Kosten-Preis-Scheren auf europäischer Ebene begrenzt bleiben. Das folgt bereits aus dem Umstand, dass die Unionsorgane über die Relevanz entsprechender Kosteneinsparungen bereits innerhalb der vorangegangenen tatbestandlichen Missbrauchsprüfung abschließend entschieden haben. Diejenigen Kosteneinsparungen, die der integrierte Normadressat auf der nachgelagerten Weiterverarbeitungsstufe erzielt, fließen bereits in Form niedrigerer maßgeblicher Kosten zu seinen Gunsten in den equally efficient competitor-Test ein.323 Hinzu kommt, dass das EuG zuletzt im Urteil Deutsche Telekom klargestellt hat, dass die auf etwaigen vorgelagerten Marktstufen gehobenen produktiven Effizienzgewinne in Form niedrigerer Kosten der Selbstbelieferung im Vergleich zur Fremdbelieferung ganz bewusst nicht zugunsten des Marktbeherrschers wirken sollen.324 Es wäre nun zwar wettbewerbspolitisch wünschenswert, für Kosten-PreisScheren eine praktikable effizienzorientierte Rechtfertigungsregel zu formulieren, die genau diese in der Sache verfehlte325 Sichtweise der Unionsorgane behutsam 322 EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Tz. 42 – Post Danmark. Dieses Element dürfte damit ohne weiteres auch auf Kosten-Preis-Scheren übertragbar sein. 323 Siehe oben, Kap. 4 C. II. 4. a) aa). 324 Siehe oben, Kap. 4 C. II. 4. a) cc). 325 Siehe die Kritik oben, Kap. 4 C. II. 4. a) dd).

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

korrigieren könnte. Wettbewerbspolitisch geboten wäre dies insbesondere, wenn der integrierte Marktbeherrscher nachweislich Effizienzvorteile an seine Endkunden weitergibt. Angesichts des inzwischen klaren Bekenntnisses der Unionsorgane ist dies jedoch einstweilen nicht ernsthaft zu erwarten. Davon abgesehen können Kosten-Preis-Scheren – insbesondere wenn der Schwerpunkt des Vorwurfs auf einen zu hohen Vorleistungspreis lautet – auch insoweit einer effizienzorientierten Rechtfertigung zugänglich sein, wie sie sich als notwendige Bedingung für die Gewährleistung angemessener Investitions- und Innovationsanreize auf der vorgelagerten Marktstufe erweisen. Wenn nämlich der integrierte Marktbeherrscher ursprünglich in erheblichem Umfang risikobehaftete Anfangsinvestitionen getätigt hatte, um seinerseits die Vorleistung herzustellen und sich infolgedessen selbst die Möglichkeit der nachgelagerten Markttätigkeit zu verschaffen, dann mag es wettbewerbspolitisch angezeigt sein, ihm dort einen angemessenen Preiserhöhungsspielraum zuzugestehen, der sowohl seinen buchhalterischen Gestehungskosten als auch dem von ihm anfangs eingegangenen finanziellen Risiko Rechnung trägt. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass Unternehmen allzu leicht die Anreize zu wohlfahrtssteigernder Investitions- und Innovationstätigkeit verlieren und stattdessen eine Trittbrettfahrermentalität annehmen. Sofern unter diesen Vorzeichen eine rechnerische und mit Verdrängungswirkung ausgestattete Kosten-Preis-Schere auftritt, kann sie im Einzelfall wegen ihres Potenzials zur Verwirklichung dieser dynamischen Effizienzgewinne der Rechtfertigung zugänglich sein. Doch die Aussichten auf nachhaltige praktische Relevanz dieser Überlegungen sind abermals gering. Denn speziell in den für Kosten-Preis-Scheren besonders anfälligen liberalisierten Netzwirtschaftssektoren hat der heutige Marktbeherrscher die vorhandene vorgelagerte Netzinfrastruktur in aller Regel nicht im Zuge einer risikoträchtigen Investitionsentscheidung unter wettbewerbsmäßigem Druck errichten müssen. Typischerweise handelte es sich um risikolose Investitionen der öffentlichen Hand in einem seinerzeit von Wettbewerb gesetzlich abgeschirmten Bereich. Insofern dürfte die Rechtfertigung wegen dynamischer Effizienzaspekte überall dort nicht durchgreifen, wo im Hinblick auf die jetzige Geschäftstätigkeit von vornherein keine schutzwürdigen risikobehafteten Investitionen der Vergangenheit im Raume stehen.326 Zur Möglichkeit der objektiven Rechtfertigung sei abschließend daran erinnert, dass Kosten-Preis-Scheren charakteristischerweise mit einer annähernden Monopolstellung des integrierten Marktbeherrschers auf dem vorgelagerten Markt einhergehen.327 Aus diesem Grund verfügt der Normadressat zugleich über weitgehende wirtschaftliche Kontrolle der nachgelagerten Wettbewerbsverhältnisse, die sich regelmäßig sogar in einer zusätzlichen beherrschenden Stellung auf dieser Marktstufe

326 Diesbezüglich sehr zurückhaltend auch Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 632 – Telefónica. 327 Siehe bereits oben, Kap. 4 C. I. 1.

C. Die Kriterien der Missbräuchlichkeit von Kosten-Preis-Scheren

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manifestiert.328 Wenn sich das Verbot der Kosten-Preis-Schere in der von den Unionsorganen vorgegebenen Ausgestaltung nun speziell gegen die Fälle der rechnerischen Nullmarge richtet, wird jeder als verbotswürdig erachteten Gewinnmargenbeschneidung das Potenzial innewohnen, dass der integrierte Marktbeherrscher den nachgelagerte Markt gänzlich für sich vereinnahmen kann. Dann wiederum hat man es jedoch ganz offensichtlich mit einer Ausschlusswirkung zu tun, die den nachgelagerten Wettbewerb vollständig auszuschalten droht. Die von der Kommission und neuerdings auch vom EuGH explizit so gezogene äußerste Grenze der Effizienzrechtfertigung für Behinderungsmissbräuche dürfte somit überschritten sein.329 Demzufolge steht zu erwarten, dass Kosten-Preis-Scheren schon aufgrund ihrer strukturellen Rahmenbedingungen allenfalls in seltenen Ausnahmefällen einmal mit dem erfolgreichen Hinweis auf Effizienzgewinne der objektiven Rechtfertigung zugänglich sein werden.330 2. Defensive Preisanpassungsreaktion Es ist in ständiger Rechtsprechung zum Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV anerkannt, dass auch ein marktbeherrschendes Unternehmen die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz seiner eigenen legitimen geschäftlichen Interessen ergreifen darf.331 Eine Ausprägung dieses Rechts ist die Zulässigkeit von Abwehrreaktionen auf Wettbewerbsvorstöße der Konkurrenz (sogenannte „meeting competition defence“). Sie ist bislang vornehmlich im Bereich der Kampfpreisunterbietung als Mittel für die punktuelle Legalisierung von kostenunterschreitenden Niedrigpreisen zur Diskussion gestellt worden.332 Es spricht nichts dagegen, die meeting competition defence grundsätzlich auch bei der Kosten-Preis-Schere, und zwar speziell im Hinblick auf das Preisniveau im nachgelagerten Markt, zur Geltung zu bringen. Dies gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass es im Falle der Kosten-PreisSchere nicht einmal notwendigerweise zu den für Kampfpreise charakteristischen buchhalterischen Verlustverkäufen kommen muss.333

328

Vgl. O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 323. EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Tz. 42 – Post Danmark. 330 Ebenso skeptisch Faella/Pardolesi, 6 Eur. Comp. J. (2010), 255, 282; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 115. 331 EuGH, Urteil vom 14. 2. 1978, Rs. 27/76, EU:C:1978:22, Tz. 189 – United Brands; EuG, Urteil vom 8. 10. 1996, Rs. T-24/93 u. a., EU:T:1996:139, Tz. 146 – Compagnie Maritime Belge Transports/Kommission; EuG, Urteil vom 30. 1. 2007, Rs. T-340/03, EU:T:2007:22, Tz. 185 – France Télécom/Kommission; zuletzt EuG, Urteil vom 25. 6. 2010, Rs. T-66/01, EU:T:2010:255, Tz. 295 – ICI/Kommission. 332 Hierzu Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 176 – 177 mit zahlreichen Nachweisen. 333 Lommler, WuW 2011, 244, 248; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 323. 329

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

Ganz ähnlich wie im Falle der Effizienzeinrede sind die praktischen Erfolgsaussichten der Erfüllung auch dieses Rechtfertigungsgrunds in mehrfacher Hinsicht zweifelhaft. Zum einen soll nach den Vorgaben der Anwendungspraxis gerade derjenige Marktbeherrscher nicht in den Genuss der meeting competition defence kommen, dessen preisbezogene Abwehrreaktion auf die Verstärkung seiner ohnehin bestehenden marktbeherrschenden Stellung abzielt.334 Außerdem bleibt das Preisanpassungsrecht des Marktbeherrschers auf eine in sachlicher und zeitlicher Hinsicht verhältnismäßige Reaktion beschränkt.335 Soweit ersichtlich gibt es zum gesamten europäischen Missbrauchsverbot auch noch keinerlei praktische Beispiele für eine erfolgreiche Inanspruchnahme der meeting competition defence. Schlussendlich ist auch ihre dogmatische Verortung als Rechtfertigungsgrund für ein ansonsten missbräuchliches Verhalten immer noch nicht endgültig geklärt.336

D. Fazit zur Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht Alles in allem erweist sich das seitens der Unionsorgane umgesetzte Verbot der Kosten-Preis-Schere gemäß Art. 102 AEUV als ein gleichermaßen ambitioniertes wie problematisches Vorhaben innerhalb des europäischen Kartellrechts. Nachdem der EuGH in seiner TeliaSonera-Entscheidung das grundlegende Konzept der eigenständig verbotenen Kosten-Preis-Schere in seiner Gültigkeit bestätigte, die vom Generalanwalt propagierte konzeptionelle Anbindung an das für missbräuchliche Geschäftsverweigerungen geltende Verbotskonzept ablehnte und bei der Gelegenheit noch eine Reihe von Einzelfragen abhandelte, wird man inzwischen von einem weitgehend konsolidierten Missbrauchstatbestand eigener Art sprechen können, der sich neben andere Fallgruppen des Behinderungsmissbrauchs einreiht. Innerhalb dieses Verbots findet man einen Prüfungsrahmen vor, dessen Komplexität und analytische Tiefe im Laufe der jüngeren Kommissionsentscheidungen immer weiter zugenommen hat. Bei den strukturellen Rahmenbedingungen bedarf es eines vertikal integrierten Unternehmens, welches auf aufeinanderfolgenden Marktstufen jeweils eine nach außen hin gerichtete Geschäftstätigkeit entfaltet. Es muss die für Art. 102 AEUV obligatorische beherrschende Stellung auf dem vorgelagerten Markt aufweisen. Sie begegnet dem Rechtsanwender dort typischerweise in Gestalt einer (annähernden) Monopolstellung. Nach den Vorgaben der für Kosten-Preis-Scheren einschlägigen

334

Vgl. hierzu bereits die Nachweise aus Kap. 4 Fn. 331. Kommission, Entscheidung vom 4. 7. 2007, COMP/38.784, Tz. 639 – Telefónica; mit Bezug zu Kampfpreisunterbietungen Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EGKartellrecht, S. 176 – 177. 336 In der Prioritätenmitteilung der Kommisison wird die meeting competition defence inzwischen nicht mehr ausdrücklich erwähnt. 335

D. Fazit zur Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht

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leverage theory kommt es auf eine zusätzliche marktbeherrschende Stellung auf der nachgelagerten Marktstufe nicht an. Als wesentliche Schwierigkeit erweist sich sodann die rechnerische Ermittlung einer verhaltensmäßigen Kosten-Preis-Schere. Eine verbotswürdige Kosten-PreisSchere liegt vor, wenn unter Berücksichtigung der auf beiden Marktstufen vom integrierten Unternehmen verlangten Preise und unter zusätzlicher Berücksichtigung der im nachgelagerten Markt vorgefundenen Kostenstruktur eine Null- oder Negativmarge verbleibt. Das sicherlich größte Problemfeld innerhalb der Berechnung ist die richtige Erfassung der maßgeblichen Kostendaten. Die Kommission greift üblicherweise auf die langfristigen Zusatzkosten des integrierten Unternehmens zurück und implementiert so einen auf die nachgelagerte Marktstufe begrenzten equally efficient competitor-Test. Weitere Schwierigkeiten ergeben sich, wenn es gilt, erst die Vergleichbarkeit der beteiligten Preisniveaus herzustellen oder zeitbezogene Korrekturen in die Kostendeckungsanalyse einfließen zu lassen. Soweit eine rechnerische Kosten-Preis-Schere vorliegt, wird im nächsten Prüfungsschritt nach ihren Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation des nachgelagerten Marktes gefragt. Infolge der hierzu gemachten Vorgaben des EuGH, die teilweise und punktuell über die Anforderungen an den Auswirkungsnachweis bei anderen Missbrauchsformen hinausgehen, erhält das Verbot der Kosten-Preis-Schere den Charakter eines konkreten Gefährdungsdelikts. Dabei ist vor dem Hintergrund der Funktionsweise der marktübergreifenden Gewinnmargenbeschneidung insbesondere – nach Ansicht des EuGH aber nicht stets – ausschlaggebend, ob das vorgelagerte Einsatzgut im Hinblick auf die nachgelagerte Geschäftstätigkeit unentbehrlich ist. Im abschließenden Prüfungsschritt wird noch untersucht, ob es im Einzelfall Anlass gibt, das so konturierte Verbot der Kosten-Preis-Schere wegen eines objektiven Rechtfertigungsgrundes doch nicht anzuwenden, obwohl ansonsten alle positiven Missbrauchsvoraussetzungen erfüllt sind. Im Mittelpunkt der grundsätzlich vielfältigen Rechtfertigungsgründe stehen Effizienzerwägungen und das Recht der defensiven Preisanpassung. Ihr Anwendungsbereich ist hingegen von vornherein aus rechtlichen Gründen und wegen des sehr restriktiven Umgangs in der Anwendungspraxis stark begrenzt. Im Anschluss an eine Zeit, in der das eigenständige Verbot der Kosten-PreisSchere nur ganz vereinzelt und ohne verlässliches methodisches Grundgerüst im Rahmen des Art. 102 AEUV herangezogen wurde, dürfte der vorstehend erläuterte Prüfungsrahmen in seinem jetzigen Entwicklungsstadium den betroffenen Normadressaten schon weitaus größere wettbewerbsrechtliche Planungssicherheit bieten. Dies an sich ist positiv zu bewerten. Andererseits hat der kritische Blick auf einzelne ausgewählte Aspekte des tatbestandlichen Verbots der Kosten-Preis-Schere offenbart, dass die von der Kommission bisher an den Tag gelegte Entscheidungspraxis und auch manche abstrakte rechtliche Vorgabe der Rechtsprechung nicht in allen Belangen überzeugend ist. Speziell bei der Handhabung des Effizienzkriteriums und im Umgang mit Kostenvorteilen der Selbstbelieferung des integrierten Marktbe-

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Kap. 4: Verbot der Kosten-Preis-Schere im europäischen Kartellrecht

herrschers entsteht ein offenes, bisher nicht zufriedenstellend gelöstes Spannungsverhältnis mit allgemeinen wettbewerbspolitischen Eckpfeilern des Missbrauchsrechts. Auf diesen und die anderen bereits vorstehend kritisierten Aspekte wird an späterer Stelle – wenn nämlich die Frage nach der richtigen Verortung der KostenPreis-Schere im Spektrum zwischen Kartell- und Regulierungsrecht aufgeworfen wird – noch einmal zurückzukommen sein.337 Die Unterschiede im Umgang mit der Kosten-Preis-Schere innerhalb der EU gemäß Art. 102 AEUV könnten gegenüber dem US-amerikanischen Kartellrecht kaum größer sein. Jenseits des Atlantiks vertraut man für die mit einer Margenbeschneidung einhergehenden Wettbewerbsprobleme entweder auf die Instrumentarien eines gegebenenfalls einschlägigen Regulierungsrechts oder ansonsten auf die etablierten Verbote des predatory pricing auf dem nachgelagerten Markt sowie der anticompetitive refusal to deal auf dem vorgelagerten Markt. Während sich dort das Kartellrecht aus der Aufsicht über Kosten-Preis-Scheren zurückgezogen hat, ist das europäische Kartellrecht von einem bemerkenswerten Aktionismus der Unionsorgane geprägt. Mit dem Verbot der Kosten-Preis-Schere scheint die Kommission das aus ihrer Sicht geeignete Instrument zur Durchsetzung des Missbrauchsverbots in regulierten Sektoren gefunden zu haben. Ob sie diese Aktivitäten in Zukunft mit gleicher Intensität und Häufigkeit weiterführen wird, kann nur die Zeit zeigen.

337

Siehe unten, Kap. 6 A. I.

Kapitel 5

Die Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen des europäischen Kartellrechts Schon die Auseinandersetzung mit dem Verbot der Kosten-Preis-Schere als solchem hat offenbart, dass es sich alles andere als vollkommen reibungslos in die Dogmatik des Behinderungsmissbrauchs nach Art. 102 AEUV integrieren lässt. Jetzt gilt es, noch einen Schritt weiter zu gehen und den Blick darauf zu richten, wie es sich im Konkurrenzverhältnis mit anderen bekannten Missbrauchsformen verträgt. Wie bereits eingangs der Arbeit angedeutet, steht die Kosten-Preis-Schere wegen ihrer zweifachen verhaltensmäßigen Anknüpfung an ein vor- und ein nachgelagertes Preisniveau gewissermaßen „zwischen den Stühlen“ und besitzt auf beiden beteiligten Marktstufen entsprechende Berührungspunkte.

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt Als Erstes soll die nachgelagerte Marktstufe näher in den Blick genommen werden. Dort konkurriert das eigenständige Verbot der Kosten-Preis-Schere mit dem Konzept der missbräuchlichen Kampfpreisunterbietung. Diese geradezu klassische Fallgruppe des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs bewirkt – übertragen auf die im Kontext der vertikalen marktübergreifenden Gewinnmargenbeschneidung vorzufindende Fallkonstellation – eine isolierte Einzelpreiskontrolle auf dem nachgelagerten (Endkunden-)Markt. Wie sich im Laufe der nachfolgenden Darstellung noch im Einzelnen zeigen wird, gibt es in vielfältiger Hinsicht gegenseitige Überschneidungen, zugleich aber auch gewichtige konzeptionelle Differenzen zwischen den beiden Missbrauchsformen, die zu interessanten Konkurrenzfragen führen.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

I. Grundzüge der Beurteilung nach Art. 102 AEUV 1. Einführung Im Ausgangspunkt gilt, dass gerade die Preissenkung einer der aussagekräftigsten Indikatoren für intensiven, funktionsfähigen Wettbewerb ist.1 Sie gehört zum Kernbestand leistungsgerechter Maßnahmen, um im Wettbewerb mit anderen Unternehmen bestehen zu können. Normalerweise erzeugt sie keine kartellrechtlichen Probleme und gilt – was leicht nachvollziehbar sein dürfte – im Gegenteil sogar als ausdrücklich erwünscht.2 Gleichwohl kennt das Recht des Marktmachtmissbrauchs gemäß Art. 102 AEUV mit dem Tatbestand der Kampfpreisunterbietung (predatory pricing) ein Verbot bestimmter Niedrigpreissetzungen. Es zielt auf diejenigen Preise ab, die ein marktbeherrschendes Unternehmen gerade deswegen absenkt, um eine wettbewerbspolitisch bedenkliche Verdrängung von Wettbewerbern zu bewerkstelligen. Die Wettbewerbswidrigkeit eines Niedrigpreises ist insofern zwar generell möglich, bildet aber von vornherein nur den eng begrenzten und stets begründungsbedürftigen Ausnahmefall. Hinter dem Konzept des kartellrechtlichen Kampfpreismissbrauchs verbirgt sich dabei folgende, zeitlich zweiphasige wettbewerbstheoretische Überlegung zur Preissetzungsstrategie eines marktbeherrschenden Unternehmens:3 Zunächst senkt es während einer ersten Phase den von ihm geforderten Preis eines bestimmten Produkts so weit herab, bis seine Konkurrenten wegen Dauer oder Intensität dieser Maßnahme nicht mehr finanziell in der Lage sind, sich der Preissenkung noch länger anzupassen. Das Niedrigpreisdiktat führt dazu, dass aktuelle Wettbewerber in ihrer Teilnahme am Wettbewerbsgeschehen diszipliniert oder gar vollständig aus dem Markt herausgedrängt und potenzielle Wettbewerber vom erstmaligen Markteintritt abgehalten werden. Gegen Ende dieser ersten Phase hofft der Kampfpreisanbieter, im besten Falle eine Monopolstellung eingenommen zu haben, indem er als einzig noch verbleibender Akteur die im Wege der Konkurrentenverdrängung frei gewordenen Marktanteile aufnimmt. Hieran schließt sich dann die zweite und aus Sicht des Marktbeherrschers eigentlich entscheidende Phase der Kampfpreisstrategie an: Das Unternehmen hebt mangels eines dann noch vorhandenen disziplinierenden Wettbewerbsdrucks seine Preise über den Wettbewerbspreis hinaus an und fährt nunmehr überhöhte Monopolgewinne ein.4 Die aus Sicht der Verbraucher kurzfristig vor-

1

Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 232; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 375. 2 Kommission, Entscheidung vom 22. 12. 1987, ABl. 1988, L 65/19, Tz. 81 – EurofixBauco/Hilti; Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 489; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 11. 3 Allgemein und ausführlicher als hier OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Predatory Foreclosure, S. 17; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EGKartellrecht, S. 10 – 11. 4 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 235 – 236.

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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teilhaften Preissenkungen wandeln sich also – so die Theorie – langfristig in wettbewerbspolitisch ungewünschte überhöhte Preise um. Diese Vorüberlegungen verdeutlichen, dass die von marktbeherrschenden Unternehmen praktizierten Niedrigpreisstrategien grundsätzlich wettbewerbspolitisch ambivalente Phänomene sind und einer genauen Einzelfallanalyse bedürfen.5 Die zentrale Schwierigkeit für den Kartellrechtsanwender besteht darin, genau diejenigen von ihnen zu identifizieren, denen eine wettbewerbswidrige Verdrängungsstrategie der oben geschilderten Art innewohnt. Hierbei geht es letzten Endes um nichts anderes als darum, die im Bereich des Behinderungsmissbrauchs generell relevante, aber häufig unsichere Linie zwischen dem Leistungs- und dem Nichtleistungswettbewerb richtig zu ziehen.6 Die wettbewerbspolitische Grundentscheidung, mit den Mitteln des Kartellrechts überhaupt gegen bestimmte Niedrigpreisstrategien vorgehen zu wollen, soll schon aus Platzgründen an dieser Stelle nicht weiter kritisch beleuchtet oder in Frage gestellt werden.7 Entsprechende Diskussionen hat man besonders im Rahmen des US-amerikanischen Kartellrechts intensiv geführt.8 Für die Zwecke dieser Arbeit genügt es festzuhalten, dass sich im Rahmen des Behinderungsmissbrauchs gemäß Art. 102 AEUV eine Fallgruppe der verbotenen Kampfpreisunterbietung fest in der Praxis der Unionsorgane etabliert hat.9

2. Zusammenstellung der Missbrauchskriterien a) Festsetzung kostenunterschreitender Preise Zur kartellrechtlichen Erfassung der vorstehend überblicksmäßig geschilderten Theorie wettbewerbswidriger Kampfpreise hat sich im europäischen Recht eine 5

Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 232. Dazu Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 11. Siehe EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Tz. 91 – Hoffmann-La Roche zur Bedeutung der Differenzierung zwischen Leistungs- und Nichtleistungswettbewerb. 7 Ausführlich zur Debatte um den sachgerechten wettbewerbspolitischen Umgang mit Niedrigpreisstrategien Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 177 – 184. 8 In diesem Zusammenhang haben etwa die Vertreter der Chicago School bezweifelt, dass kurzfristige Preissenkungen mit der Aussicht auf langfristige Monopolgewinne selbst für marktmächtige Unternehmen rational sind und dementsprechend kein Bedürfnis für kartellrechtliche Interventionen gesehen. Besonders deutlich in diese Richtung argumentierend Bork, The Antitrust Paradox, S. 144 – 160; Easterbrook, 48 U. Chi. L. Rev. (1981), 263; ähnlich und mit speziellem Bezug zur wegweisenden Standard Oil-Entscheidung des Supreme Court (Standard Oil Co. of New Jersey v. United States, 221 U.S. 1 (1911)) McGee, 1 J. L. & Econ. (1958), 137. Inzwischen hat sich aber auch in den USA eine differenzierte Meinung durchgesetzt, die zumindest in bestimmten Situationen ein Kampfpreisverbot als praxisrelevant und wettbewerbspolitisch geboten ansieht. 9 Siehe insbesondere EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286 – AKZO/ Kommission; EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436 – Tetra Pak/ Kommission; EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214 – France Télécom/ Kommission; Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 63 – 74. 6

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Prüfungsmethodik durchgesetzt, die in erster Linie auf einen objektiven Vergleich von Preisen und Kosten des mutmaßlichen Missbrauchsdelinquenten abstellt. Es gilt als Indiz für das Vorliegen eines verbotswürdigen Kampfpreises, wenn das im konkreten Fall vorgefundene Preisniveau die dazugehörigen Gestehungskosten objektiv unterschreitet.10 Im Fokus der materiellen Prüfung steht damit die erste Phase der eingangs erläuterten zweistufigen Strategie des Einsatzes von Niedrigpreisen. Zusätzlich zum Element der objektiven Kostenunterschreitung und mit wechselnder Bedeutung je nach konkreter Fallgestaltung werden auch subjektive Komponenten, namentlich die eigenständig nachweisbare wettbewerbswidrige Verdrängungsabsicht, einbezogen.11 aa) Bisherige Anwendungspraxis: AKZO-Formel des EuGH In der europäischen Einzelfallentscheidungspraxis haben bis heute diejenigen Grundsätze eine klar dominierende Rolle gespielt, die der EuGH im Jahr 1991 in seinem für den Kampfpreismissbrauch wegweisenden AKZO-Urteil12 formuliert hat. Darin hat der Gerichtshof den Grundstein für die bereits angesprochene, in erster Linie kostenorientierte Kampfpreisanalyse gelegt.13 Maßgeblich ist nach Auffassung des EuGH ein objektiver Vergleich der vom marktbeherrschenden Unternehmen verlangten Preise mit dessen eigenem Kostenniveau, so dass insofern das bereits zur Kosten-Preis-Schere ausgiebig erörterte Kriterium des ebenso effizienten Wettbewerbers (equally efficient competitor)14 zum Zuge kommt.15 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof einen abgestuften Prüfungsrahmen entworfen, der sich als „AKZO-Formel“ bis zum heutigen Tage für die kartellrechtliche Beurteilung von Niedrigpreisstrategien in Europa als prägend erweisen sollte. Von einem marktbe-

10

Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 174 m.w.N. In seltenen Ausnahmefällen können wettbewerbswidrige Kampfpreise sogar ohne Unterschreitung eines objektiven Kostenmaßstabs festgestellt werden. Paradigmatisch hierfür Kommission, Entscheidung vom 23. 12. 1992, ABl. 1993, L 34/20, Tz. 73, 80 – 83 – CEWAL, bestätigt durch EuG, Urteil vom 8. 10. 1996, Rs. T-24/93 u. a., EU:T:1996:139, Tz. 147 – 149 – Compagnie Maritime Belge Transports/Kommission und EuGH, Urteil vom 16. 3. 2000, Rs. C395/96 P u. a., EU:C:2000:132, Tz. 117 – 120 – Compagnie Maritime Belge Transports/ Kommission; siehe auch Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 66. 12 EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286 – AKZO/Kommission. Hierbei handelt es sich auch um den ersten Fall, in dem nach europäischem Kartellrecht eine Kampfpreisunterbietung zu prüfen war. Dem Urteil des EuGH war eine Missbrauchsentscheidung der Kommission aus dem Jahr 1985 vorangegangen, vgl. Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, ABl. 1985, L 374/1 – ECS/AKZO. 13 Zugleich korrigierte er den zuvor im behördlichen Verfahren von der Kommission gewählten Ansatz, mit dem sie noch größeren konzeptionellen Wert auf den Aspekt der wettbewerbswidrigen Verdrängungsabsicht gelegt hatte, vgl. Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, ABl. 1985, L 374/1, Tz. 75, 79 – 82 – ECS/AKZO. 14 Siehe oben, Kap. 4 C. II. 4. a) aa). 15 EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Tz. 72 – AKZO/Kommission. 11

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herrschenden Unternehmen praktiziert, fallen sie demnach in zweierlei Situationen unter das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV. Nach der ersten Aussage der AKZO-Formel handelt es sich „stets“ um eine kartellrechtswidrige Preisunterbietung, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Preise unterhalb der eigenen durchschnittlichen variablen Kosten (average variable costs, „AVC“) festsetzt.16 Dies ist nach dem Verständnis des Gerichtshofs ein aus sich heraus bereits hinreichend aussagekräftiges Indiz, welches zur Annahme einer verbotswürdigen Verdrängungsstrategie mit „predatorischem Investitionskalkül“17 in dem eingangs beschriebenen Sinne führt und die ernsthafte Aussicht auf spätere Monopolgewinne begründet.18 Die tatbestandlichen Kriterien sind insofern rein objektiver Natur. Die im AKZO-Urteil durch den EuGH umgesetzte Vorgabe der AVC als kartellrechtlich relevanter Schwelle für die Verbotswürdigkeit von Preisen geht dabei auf das Konzept zurück, welches die US-amerikanischen Autoren Areeda und Turner bereits im Jahre 1975 für die Beurteilung von Kampfpreisen nach sec. 2 Sherman Act vorgeschlagen hatten.19 Dieses hat als „Areeda-Turner test“ weite Bekanntheit erlangt. Der Test besagt, dass Preise unterhalb der AVC als per se verbotswürdig und Preise oberhalb der AVC als per se zulässig gelten sollten.20 Indem der EuGH mit seinem ersten AKZO-Kriterium die Preise eines marktbeherrschenden Unternehmens im Bereich unterhalb der AVC als ausnahmslos missbräuchlich eingestuft wissen will, hat er insofern den zuerst genannten Teil des Tests in das Kampfpreisverbot gemäß Art. 102 AEUV übertragen.

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EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Tz. 71 – AKZO/Kommission. Variable Kosten sind diejenigen Kosten, die sich nicht mit der Ausbringungsmenge verändern. Damit werden sie insbesondere gegenüber Fixkosten abgegrenzt, die auch bei unterschiedlichen Ausbringungsmengen jeweils gleich bleiben. 17 So die treffende Formulierung bei Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 187 (Preise unterhalb der AVC als Nachweis für ein „predatorisches Investitionskalkül“). 18 Mit den Worten des EuGH: „Ein beherrschendes Unternehmen hat nämlich nur dann ein Interesse, derartige Preise zu praktizieren, wenn es seine Konkurrenten ausschalten will, um danach unter Ausnutzung seiner Monopolstellung seine Preise wieder anzuheben“, vgl. EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Tz. 71 – AKZO/Kommission; sinngemäß auch einige Jahre später EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436, Tz. 41 – Tetra Pak/Kommission. 19 Areeda/Turner, 88 Harvard L. Rev. (1975), 697. Weiterführend zu diesem Ansatz Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 43 – 47; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 389 – 392. 20 Areeda/Turner, 88 Harvard L. Rev. (1975), 697, 732 – 733. Hierbei sei angemerkt, dass der AVC-Kostenmaßstab nur behelfsmäßig und aus Praktikabilitätsgründen an die Stelle der Grenzkosten tritt, die nach Areeda/Turner den eigentlich für eine wettbewerbswidrige Niedrigpreisstrategie aussagekräftigen Maßstab darstellen (a.a.O., 716 – 718). Zum Begriff der Grenzkosten und ihrer betriebswirtschaftlichen Bedeutung für die unternehmerische Preisgestaltung O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 237 – 238; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 18.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Nicht übernommen hat der EuGH hingegen die andere Aussage der Areeda/ Turner-Formel, nämlich dass Preise oberhalb der AVC definitiv keine kartellrechtliche Intervention nach sich ziehen sollten. In Gestalt des zweiten Kriteriums aus seiner AKZO-Entscheidung hat er hier eine strengere Linie in das europäische Recht eingeführt. Es gilt nämlich, dass Preise, die zwar oberhalb der AVC, jedoch unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten (average total costs, „ATC“) liegen,21 ebenfalls missbräuchlich sind, sofern das marktbeherrschende Unternehmen sie im Rahmen eines Plans festgesetzt hat, der die Ausschaltung eines Konkurrenten zum Ziel hat.22 Preissetzungen innerhalb dieses Bereichs mögen zwar nicht auf kurze Sicht verlustbringend sein, verfehlen allerdings langfristig eine Deckung der gesamten produktspezifisch anfallenden Kosten. Sie können – mit den Worten des EuGH – diejenigen Unternehmen vom Markt verdrängen, „die vielleicht ebenso leistungsfähig sind wie das beherrschende Unternehmen, wegen ihrer geringeren Finanzkraft jedoch nicht dem auf sie ausgeübten Konkurrenzdruck standhalten können.“23 Nichtsdestotrotz lassen sich Preise im Bereich zwischen AVC und ATC aber auch nicht mit der gleichen Sicherheit wie Preise unterhalb der AVC als betriebswirtschaftlich irrational qualifizieren.24 Insofern ist die zweite Aussage der AKZOFormel ein Beleg für die wettbewerbsrechtliche Ambivalenz von Preisen im Bereich zwischen AVC und ATC. Im Spektrum zwischen AVC und ATC wird der Nachweis von missbräuchlichen Kampfpreisen dadurch erschwert, dass die Verdrängungsabsicht hier nicht nur Grund, sondern selbst auch tatbestandliche Voraussetzung für die Anwendung des Art. 102 AEUV ist. Sie wird nicht vermutet, sondern ist eigenständig nachzuweisen. Die Existenz eines Verdrängungsplans kann auf direktem oder indirektem Wege dargetan werden. Von direktem Nachweis spricht man, wenn ein solcher Plan unmittelbar aus der internen Dokumentation des marktbeherrschenden Unternehmens (beispielsweise aus Vermerken, Aussagen der Geschäftsführung, oder gegen einzelne Wettbewerber gerichtete Drohungen) hervorgeht.25 Der indirekte Nachweis führt über objektive Umstände, die im Zusammenspiel mit den Unterkostenpreisen in ihrer Gesamtschau den verlässlichen Rückschluss auf einen Verdrängungsplan zu21 Die durchschnittlichen Gesamtkosten sind stets gleich oder größer den durchschnittlichen variablen Kosten, weil Erstere auch Fixkostenpositionen mit einbeziehen, vgl. Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 42. 22 EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Tz. 72 – AKZO/Kommission. 23 EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Tz. 72 – AKZO/Kommission. 24 Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 522. Die Ambivalenz einer Preissetzung im Bereich oberhalb der AVC und unterhalb der ATC ergibt sich daraus, dass solche Preise zwar auf kurze Sicht durchaus verlustminimierend und daher betriebswirtschaftlich rational, im Rahmen einer langfristigen Betrachtung jedoch mangels Fixkostendeckung als betriebswirtschaftlich irrational anzusehen sind, siehe dazu nur Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 394. 25 Vgl. EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Tz. 76 – 82 – AKZO/ Kommission; GD Wettbewerb, Diskussionspapier zu Art. 82 EG, Tz. 113 – 114; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 122.

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lassen.26 Dabei kommt es maßgeblich auf Aspekte wie Dauer und Umfang der Niedrigpreispolitik an sowie beispielsweise darauf, ob es sich um selektive Lockpreise für ausgewählte Kundengruppen handelt.27 Beim praktischen Umgang mit dem Merkmal der Verdrängungsabsicht ist eine gewisse Vorsicht angezeigt, weil prinzipiell jedes Unternehmen legitimerweise danach streben darf, durch eigenen wirtschaftlichen Erfolg die eigene Marktposition zum Nachteil seiner Konkurrenten auszubauen. Das Ziel, Mitbewerber mithilfe aggressiver Preisvorstöße verdrängen zu wollen, ist aus der Warte des Kartellrechts solange nicht zu beanstanden, wie es mit wettbewerbskonformen Mitteln verfolgt wird.28 Für die Zwecke des überzeugenden Nachweises einer wettbewerbswidrigen Kampfpreisstrategie werden daher zu Recht über die bloße Verdrängungsabsicht hinausgehende qualifizierende Umstände vorausgesetzt.29 bb) Modifizierte Prüfung auf Basis der Prioritätenmitteilung der Kommission Bis zuletzt haben sowohl die Kommission als auch die Unionsgerichte in ihrer Anwendungspraxis immer wieder an der AKZO-Formel und dem damit verbundenen Prüfungsprogramm unter Rückgriff auf die Kostenmaßstäbe ATC und AVC festgehalten.30 Gleichwohl befinden sich die kartellrechtlichen Grundsätze zur Beurteilung von Kampfpreisunterbietungen in einer Phase des Umbruchs. Es ist zu beobachten, dass in der jüngsten Zeit alternative Kostenmaßstäbe zu den ATC und AVC im europäischen Recht der Kampfpreisunterbietungen diskutiert werden und bisweilen Zustimmung erfahren.31 Dieser sich anbahnende Übergang kommt nicht von ungefähr, sondern beruht maßgeblich auf einer kritischen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den hergebrachten AKZO-Kriterien. Gerade im ökonomisch 26 Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, ABl. 1985, L 374/1, Tz. 80 a.E. – ECS/ AKZO; GD Wettbewerb, Diskussionspapier zu Art. 82 EG, Tz. 115. 27 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, ABl. 1985, L 374/1, Tz. 82 – ECS/ AKZO; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 123; speziell zur Indizwirkung eines selektiven Preisverhaltens EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Tz. 115 – AKZO/Kommission. 28 So bereits Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1985, ABl. 1985, L 374/1, Tz. 81 – ECS/AKZO. 29 Aussagekräftig ist insofern beispielsweise die selektiv nur gegenüber bestimmten Abnehmergruppen angewandte Preissenkung, dazu Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 72; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 145 – 154 mit Darstellung weiterer Aspekte. 30 Vgl. aus der im Anschluss an AKZO ergangenen Rechtsprechungspraxis EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436, Tz. 41 – 43 – Tetra Pak/Kommission; EuG, Urteil vom 6. 10. 1994, Rs. T-83/91, EU:T:1994:246, Tz. 147 – 149 – Tetra Pak/Kommission; EuG, Urteil vom 30. 1. 2007, Rs. T-340/03, EU:T:2007:22, Tz. 130 – France Télécom/Kommission; EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Tz. 33, 109 – France Télécom/Kommission. 31 Vgl. etwa O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 240 – 243 und 269 – 270; Ritter, World Comp. 2004, 613, 622 – 623.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

geprägten Schrifttum hat man vermehrt darauf verwiesen, dass es im Rahmen einer kostenorientierten Prüfungsmethodik sachgerechter sei, andere als die etablierten Maßstäbe heranzuziehen. Die AKZO-Formel sei daher mindestens zu modifizieren, wenn nicht sogar ganz durch einen neuartigen Test zu ersetzen.32 Einen guten und anschaulichen Eindruck von dem sich abzeichnenden Umschwung der Beurteilungskriterien vermittelt die Kommission mit ihrer Anfang 2009 veröffentlichen Prioritätenmitteilung. Darin schlägt sie einen veränderten analytischen Rahmen mit einer neuen zweigliedrigen Vorgehensweise vor. Auch wenn vorerst abzuwarten bleibt, inwiefern sich dieser auch tatsächlich gerichtsfest etablieren und damit die AKZO-Kriterien nachhaltig ablösen kann, ist er schon jetzt in der Vorausschau auf die Herangehensweise der Kommission an künftige Fälle der mutmaßlichen Kampfpreisunterbietung relevant.33 (1) Equally efficient competitor-Test mit Kostengrenze LRAIC Hinsichtlich des ersten Teils bestehen noch am ehesten Übereinstimmungen mit der hergebrachten Entscheidungspraxis. Als methodisches Grundgerüst soll insoweit nämlich nach wie vor der equally efficient competitor-Test mit seiner objektiven Gegenüberstellung der Preis- und Kostendaten des marktbeherrschenden Unternehmens herhalten.34 Zu Neuerungen käme es hingegen im Detail, und zwar insbesondere bei der Wahl des grundsätzlich anzuwendenden Kostenmaßstabs. Die Kommission will die ATC aus der AKZO-Formel als obere Kostenschwelle beiseite legen und stattdessen auf die langfristigen durchschnittlichen Zusatzkosten („LRAIC“)35 zurückgreifen, wenn es zu beurteilen gilt, ob der Marktbeherrscher seine langfristigen Kosten deckt und ob ein ebenso effizienter Wettbewerber vom Markt verdrängt zu werden droht.36 Zuvor hatte sie diese unter dem Eindruck der höchstrichterlichen Vorgaben nur in einem singulär gebliebenen Fall herangezogen. Dazu kam es, als die Kommission zu Beginn des neuen Jahrtausends missbräuchliche Niedrigpreise der Deutschen Post AG („DPAG“) im Bereich ihres gewerblichen Paketversandhandels feststellte.37 Darin war jedoch schon seinerseits nicht mehr als eine vereinzelte Ausnahme zu sehen, da verschiedene Besonderheiten der vorliegenden Sachverhaltskonstellation eine Abweichung von den AKZO-Kriterien

32 Überblicksmäßig zu den Schwächen der AKZO-Kriterien mit zahlreichen weiteren Nachweisen Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 69 – 73. 33 Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 2; näher zur praktischen Tragweite der Prioritätenmitteilung Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 Rdnrn. 24 – 29. 34 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 23 – 27. 35 Zur Beschreibung dieses Kostenmaßstabs bereits ausführlich oben, Kap. 4 C. II. 4. b). 36 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 26 a.E. und 67. Zu Inhalt und Aussagekraft der LRAIC als Kostenmaßstab in der kartellrechtlichen Preismissbrauchsprüfung bereits die Ausführungen oben, Kap. 4 C. II. 4. b). 37 Kommission, Entscheidung vom 20. 3. 2001, ABl. 2001, L 125/27 – Deutsche Post AG.

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rechtfertigten.38 Erst jetzt mit der Prioritätenmitteilung stehen die LRAIC als verallgemeinerungsfähiger Maßstab zur Beurteilung sämtlicher Konstellationen von Niedrigpreisstrategien im Raum. Hierfür kann sich die Kommission auf eine breite Unterstützung durch die Vertreter des kartellrechtlich-ökonomisch geprägten Schrifttums verlassen. Schon in der Zeit vor Veröffentlichung der Prioritätenmitteilung hat man dort die LRAIC immer wieder als gegenüber den ATC bzw. AVC vorzugswürdigen Kostenmaßstab ins Spiel gebracht. Die Befürworter des LRAICMaßstabs argumentieren, dieser könne die gesamten produktspezifisch anfallenden Kosten einer Leistung präziser abbilden als die ATC.39 Insbesondere seien die LRAIC geeignet, Gemeinkostenpositionen in Mehrproduktunternehmen ökonomisch präziser und damit wirklichkeitsgetreuer zu erfassen.40 Dabei sollte jedoch nicht völlig außer Acht gelassen werden, dass auch den LRAIC ihrerseits gewisse Schwachpunkte immanent sind.41 (2) Sacrifice-Test mit Kostengrenze AAC Auf der zweiten Stufe des von der Kommission in der Prioritätenmitteilung neu vorgestellten Prüfungsrahmens kommt der sogenannte „sacrifice-Test“ als zusätzliches kostenorientiertes Prüfungskriterium ins Spiel. Während der equally efficient competitor-Test mit seinem Vergleich der Preise am Maßstab der LRAIC grundsätzlich für alle preisbezogenen Behinderungsmissbräuche anwendbar sein soll, ist der sacrifice-Test speziell und exklusiv auf Kampfpreisunterbietungen zugeschnitten. Den Gegenstand und Inhalt des sacrifice-Tests bildet eine Prüfung, ob das 38

Man hatte zu berücksichtigen, dass die DPAG seinerzeit noch als sogenannter „carrier of last resort“ einem öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag mit entsprechendem Kontrahierungszwang unterlag und daher ihre Tätigkeit in dem streitgegenständlichen Geschäftsbereich nicht völlig einstellen durfte. Mithilfe des Rückgriffs auf die LRAIC war es der Kommission möglich, die außerhalb dieser Reservetätigkeit anfallenden Kosten zu isolieren und diese unter Außerachtlassung der echten Gemeinkosten einer kartellrechtlichen Prüfung zuzuführen, vgl. Kommission, Entscheidung vom 20. 3. 2001, ABl. 2001, L 125/27, Tz. 8 – 10 – Deutsche Post AG; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 85 – 90. Der Ausnahmecharakter dieser Vorgehensweise wird dadurch unterstrichen, dass die Kommission schon zwei Jahre später in ihrer nächsten Entscheidung über Niedrigpreise gemäß Art. 102 AEUV (Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233 – Wanadoo Interactive) zu den AKZO-Kriterien zurückkehrte. 39 Bolton/Brodley/Riordan, 88 Georgetown L. J. (2000), 2239, 2272 – 2273; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 72 – 73 und 99; Ritter, World Comp. 2004, 613, 622; vorsichtig in diese Richtung auch Motta, Competition Policy, S. 448. 40 Während es für die Berechnung der ATC zu einer vom Rechtsanwender vorzugebenden anteiligen Zuordnung der Gemeinkosten auf die verschiedenen Produktbereiche kommt, erfolgt die Zuordnung bei den LRAIC streng nach dem Verursachungsprinzip, Bolton/Brodley/Riordan, 88 Georgetown L. J. (2000), 2239, 2272. Für Mehrproduktunternehmen bedeutet dies, dass Gemeinkosten – da sie definitionsgemäß bereichsübergreifend anfallen – nicht zu der relevanten Kostenhöhe beitragen, Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 100. 41 Dazu Baumol, 39 J. L. & Econ. (1996), 49, 59 – 60; Howarth, in: Amato/Ehlermann, S. 249, 255.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

marktbeherrschende Unternehmen mittels seiner Preisgestaltung auf kurzfristige Sicht vermeidbare Verluste oder Gewinneinbußen hinnimmt und somit ein unnötiges finanzielles Opfer erbringt.42 Wenn dem so ist, soll die Annahme gerechtfertigt sein, dass das Verhalten des Marktbeherrschers offenbar nicht mehr von legitimen betriebswirtschaftlichen Erwägungen, sondern von der Aussicht auf eine erfolgsversprechende wettbewerbswidrige Verdrängungsstrategie mit späteren Monopolgewinnen motiviert ist.43 Das Vorliegen eines relevanten Opfers soll sich nach den durchschnittlichen vermeidbaren Kosten (average avoidable costs, „AAC“) des marktbeherrschenden Unternehmens richten, mit denen die mutmaßlich kartellrechtswidrigen Preise zu vergleichen sind. Anders als im Falle der LRAIC ist dies für das europäische Missbrauchsrecht ein völlig neuer, bis zum Zeitpunkt der Prioritätenmitteilung soweit ersichtlich in keinem einzigen praktischen Fall jemals verwendeter Kostenmaßstab. Die AAC fragen danach, welche Kosten ein Unternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt nach Markteintritt noch vermeiden kann, wenn es sich dazu entschließen sollte, seine Produktion ganz oder teilweise einzustellen.44 Hierdurch erhält die kartellrechtliche Analyse in Gestalt des sacrifice-Tests innerhalb der prinzipiell nur retrospektiv wirkenden Anwendung von Art. 102 AEUV auf unternehmerisches Verhalten einen gewissen vorausschauenden Charakter, der sich von der Perspektive des nur mit historischen Kosten operierenden equally efficient competitor-Tests unterscheidet.45 Ihrem sachlichen Umfang nach beinhalten die AAC zunächst sämtliche variablen Kosten. Denn Aufwendungen, die im Rahmen der laufenden Produktion erst nach und nach mit steigender Ausbringungsmenge anfallen, lassen sich beim Produktionsstopp auf jeden Fall noch vermeiden. Zusätzlich können je nach Lage des Einzelfalls auch Teile der Fixkosten vermeidbar und damit den AAC zuzuordnen sein. Aus der Sicht eines bereits am Markt tätigen Unternehmens sind beispielsweise seine bereits zuvor erlittenen markteintrittsbedingten Fixkosten vermeidbar, soweit sie trotz des Produktionsstopps noch anderweitig verwertet werden können.46 Mit anderen Worten fallen nur die (auf absehbare Zeit) versunkenen Bestandteile der 42

Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 63. Lommler, WuW 2011, 244, 248 – 249. Der sacrifice-Test hat insofern konzeptionelle Ähnlichkeiten mit dem ebenfalls allgemein für die Feststellung von Behinderungsmissbräuchen diskutierten „no economic sense“-Kriterium, ist mit diesem jedoch nicht völlig deckungsgleich, vgl. US Department of Justice, Single-Firm Conduct under s. 2 Sherman Act, 2008, S. 39 – 43; OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Competition on the Merits, S. 27 – 29; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 137; Werden, 73 Antitrust L. J. (2006), 413. 44 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 26 (dort in Fn. 2). 45 Dies andeutend Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 316. 46 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 241; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 42, 75. 43

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Fixkosten aus den AAC heraus.47 Deswegen entsprechen die AAC ihrer Höhe nach mindestens den AVC.48 Da sich die AAC genau wie die AVC aufgrund ihres sachlichen Bezugspunkts vorrangig für eine kurzfristige orientierte Analyse der unternehmerischen Kostendeckung eignen, kann man sagen, dass die AAC funktional an die Stelle der AVC aus der AKZO-Formel treten.49 Für die Kommission sind Preise unterhalb der AAC ein „klarer Anhaltspunkt“ für ein missbrauchsrechtlich bedenkliches finanzielles Opfer im Sinne ihres angesprochenen sacrifice-Tests.50 Auch bezüglich dieses zweiten Prüfungsschritts bewegt sich die Kommission weitestgehend auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion. In der Literatur hat man schon vor Jahren vorgeschlagen, innerhalb der Kampfpreisanalyse die AVC durch die AAC zu ersetzen.51 Diese Position stützt sich auf mehrere konzeptionelle und praktische Schwachstellen des AVC-Kriteriums. Beispielsweise umgeht man bei Verwendung der AAC das häufig schwierige Problem, die Kosten des marktbeherrschenden Unternehmens in fixe und variable Bestandteile einzuteilen.52 Überdies wird auf Basis der AAC eine Bewertung möglich, ob sich die fragliche Preispolitik aus der damaligen ex ante-Sichtweise des Marktbeherrschers als betriebswirtschaftlich vernünftig dargestellt hatte.53 Dies mag gegenüber der historisch-rückblickenden Kostendeckungsanalyse auf Basis der AVC zumindest in der Theorie aussagekräftiger für die Feststellung einer wettbewerbswidrigen Preisstrategie erscheinen.54 cc) Zwischenfazit Inwiefern sich die von der Kommission neu vorgestellte Methode einer zweigliedrigen Kampfpreiskontrolle als relevant für die zukünftige europäische 47

Vgl. Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 42, 75. Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 42 – 43, 93. 49 So auch Bolton/Brodley/Riordan, 88 Georgetown L. J. (2000), 2239, 2271 – 2272; Lange/ Pries, EWS 2009, 57, 59. 50 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 64 a.E. 51 Vgl. nur Baumol, 39 J. L. & Econ. (1996), 49; zuletzt auch Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 413. 52 Diese Zuordnung setzt eine präzise Festlegung des zeitlichen Betrachtungshorizonts voraus, was immer nur einzelfallbezogen geschehen kann und mit unvermeidbaren Unsicherheiten behaftet ist, vgl. Bolton/Brodley/Riordan, 88 Georgetown L. J. (2000), 2239, 2272; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 242; Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 187. Allerdings kommt man auch für die Ermittlung der AAC nicht umhin, wie bei den AVC einen Referenzzeitraum festzulegen, innerhalb dessen die Frage nach der Vermeidbarkeit beantwortet werden soll. Siehe dazu und zu weiteren Aspekten die kritischen Auseinandersetzungen mit dem AAC-Kostenmaßstab bei Craswell/Fratrik, 36 Case Western Res. L. Rev. (1985), 1, 29 – 35; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 94 – 97. 53 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 65; Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 316; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 477. 54 Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 94. 48

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Rechtspraxis zu Kampfpreisunterbietungen erweisen wird, lässt sich derzeit noch nicht mit verlässlicher Sicherheit abschätzen. Bisher fehlt es schlichtweg an einschlägigen Aussagen oder praktischem Anschauungsmaterial der Unionsgerichte dafür, ob er die langjährig etablierte AKZO-Formel mit nachhaltiger Wirkung ablösen soll oder nicht. Die zukünftige Durchsetzungspraxis der Kommission dürfte sich jedenfalls auf der von ihr selbst in der Prioritätenmitteilung aufgezeigten Linie bewegen. Diese Entwicklung hat mit der Verwendung der AAC als kostenmäßigem Indikator für missbräuchliche Rabattpraktiken in ihrer Intel-Entscheidung bereits einen Anfang genommen.55 Jedenfalls bleibt es auch unter Geltung des neuen Prüfungsrahmens im Grundsatz bei einem objektiven, kosten- und preisorientierten Prüfungsschema. Die wesentlichen Veränderungen im Vergleich zur AKZO-Rechtsprechung liegen erstens in der Einführung der neuen Kostenstandards und zweitens in der mit dem sacrifice-Test verbundenen Erweiterung des Spektrums verbotswürdiger Preise auf diejenigen, die ein vermeidbares Gewinnopfer hervorbringen. Während die Fallgruppe des Kampfpreismissbrauchs nach den Kriterien des EuGH bislang nur den Charakter eines „Ausgabenunterschreitungsverbots“ hatte, erhält sie nach der Prioritätenmitteilung den weitergehenden Charakter eines „Gewinnopferungsverbots“. Wenn dementsprechend die bewusste Hinnahme niedrigerer Gewinne zum allgemeinen Kriterium für Kampfpreise avancieren sollte, würden hiermit Opportunitätskosten in den Mittelpunkt der kartellrechtlichen Analyse rücken.56 Verbotswürdig wäre danach jede Preissetzung, zu der man eine gewinnbringendere geschäftliche Handlungsalternative findet, die sich aus der unternehmerischen ex ante-Perspektive als wirtschaftlich vernünftig und praktikabel dargestellt hat und die dennoch ungenutzt geblieben ist.57 b) Keine gesonderte Auswirkungsanalyse (recoupment test) Die bis hierhin genannten Elemente der kostenabhängigen Kampfpreisanalyse beziehen sich allesamt unmittelbar nur auf die erste Phase einer Kampfpreisstrategie, in der es dem Marktbeherrscher um die Verdrängung seiner Konkurrenten und den Ausbau seiner eigenen Stellung auf dem relevanten Markt geht. Im Hinblick auf die zweite Phase des wettbewerbstheoretischen Konzepts wäre nun in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob es im konkreten Einzelfall tatsächlich zu befürchten ist, dass der Marktbeherrscher im Anschluss an seine Niedrigpreispolitik die Preise zum Schaden der Marktgegenseite über das wettbewerbsmäßige Niveau hinaus anhebt. Im Rahmen der Darstellung zum predatory pricing nach US-amerikanischem Kartellrecht hat sich insofern bereits gezeigt, dass der dort obligatorische recoupment test genau darauf abzielt und danach fragt, ob der mutmaßliche Delinquent im Anschluss an seine Niedrigpreissetzung unter den konkreten Marktgegebenheiten realistischer55

Kommission, Entscheidung vom 13. 5. 2009, COMP/37.990, Tz. 1037 – Intel. Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 135 – 136; Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 393. 57 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 65 a.E. 56

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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weise erwarten kann, seine anfänglichen Verluste mindestens wieder auszugleichen.58 Bemerkenswerterweise kennt man in der Prüfung von Kampfpreisen nach Art. 102 AEUV seit jeher kein vergleichbares Erfordernis. Bereits in seinem zweiten Urteil zu Kampfpreisunterbietungen hat der EuGH dies unmissverständlich klargestellt.59 Als Erklärung für diese Verkürzung der wettbewerbsrechtlichen Analyse wird darauf hingewiesen, dass ein Unternehmen – wenn es seine Preise einmal unterhalb der eigenen Kosten festgesetzt hat – ein späteres recoupment offenbar als wahrscheinlich ansieht oder jedenfalls darauf hofft und sich eine separate Prüfung somit erübrige.60 Außerdem rechtfertige der präventive Schutzzweck des Art. 102 AEUV ein möglichst frühzeitiges Vorgehen gegen Kampfpreisstrategien.61 Diese Sichtweise zum recoupment test wird unter dem Eindruck der anderslautenden USamerikanischen Rechtslage und mit Verweis auf das Grundkonzept des Kampfpreismissbrauchs bisweilen als nicht sachgerecht kritisiert.62 Dennoch hat sie immer wieder neuerliche Bestätigung durch die Kommission und die Unionsgerichte gefunden.63 Selbst in der Prioritätenmitteilung – mit der die Kommission die Missbrauchsprüfung ja gerade stärker als bisher am Maßstab der ökonomischen Auswirkungen des Verhaltens ausrichten wollte – hat sich die Haltung nicht geändert.64 Insofern kann es aus heutiger Sicht für die Belange der Anwendungspraxis als geklärt gelten, dass der Nachweis einer kartellrechtlich unzulässigen Kampfpreisstrategie ohne Darlegungen zur Wahrscheinlichkeit des späteren recoupment der anfangs erlittenen Verluste und damit auch ohne eine separate intensive Analyse der befürchteten wettbewerbsschädlichen Auswirkungen einer Kampfpreisstrategie auskommt. 58 Matsushita Electronic Industrial Co., Ltd. v. Zenith Radio Corp., 475 U.S. 574, 588 – 591 (1986); Brooke Group Ltd. v. Brown & Williamson Tobacco Corp., 509 U.S. 209, 224 – 226 (1993); dazu bereits oben, Kap. 3 B. IV. 2. a). 59 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436, Tz. 44 – Tetra Pak/ Kommission: Es sei „unter den Umständen des vorliegenden Falles nicht angebracht […], zusätzlich den Nachweis zu verlangen, daß Tetra Pak eine wirkliche Chance hatte, ihre Verluste wieder auszugleichen. Die Anwendung auf Verdrängung ausgerichteter Preise muß nämlich geahndet werden können, sobald die Gefahr einer Ausschaltung der Konkurrenten besteht.“ 60 GA Colomer, Schlussanträge vom 27. 6. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:256, Tz. 78 – Tetra Pak/Kommission; Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 533. 61 EuGH, Urteil vom 14. 11. 1996, Rs. C-333/94 P, EU:C:1996:436, Tz. 44 – Tetra Pak/ Kommission; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 164 – 165. 62 GA Mazák, Schlussanträge vom 25. 9. 2008, Rs. C-202/07 P, EU:C:2008:520, Tz. 73 – 76 – France Télécom/Kommission; Mastromanolis, ECLR 1998, 211, 219; vorsichtig in diese Richtung argumentierend auch O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 258 – 259. Selbst unter den Befürwortern einer recoupment-Prüfung werden verschiedenartige Ansätze vertreten, vgl. Wurmnest, Marktmacht und Verdrängungsmissbrauch, S. 406 – 410. 63 Explizite Bestätigung der bisherigen Linie in Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 333 – 335 – Wanadoo Interactive; EuG, Urteil vom 30. 1. 2007, Rs. T340/03, EU:T:2007:22, Tz. 227 – 228 – France Télécom/Kommission; EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/07 P, EU:C:2009:214, Tz. 103 – 113 – France Télécom/Kommission. 64 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 71.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

c) Objektive Rechtfertigung von Niedrigpreisen Wenn nach den bis hierhin dargestellten Grundsätzen ein prima facie unzulässiger Kampfpreis identifiziert ist, bleibt dem Marktbeherrscher im Rahmen der Missbrauchsprüfung als Letztes noch die Möglichkeit, für eine einzelfallbezogene objektive Rechtfertigung seiner Preispolitik zu argumentieren. Für die vom Missbrauchsrecht hier zur Verfügung gestellten Rechtfertigungsgründe kann im Wesentlichen auf die schon weiter oben gemachten Ausführungen zur objektiven Rechtfertigung von Kosten-Preis-Scheren verwiesen werden.65 Insbesondere kann eine kostenunterschreitende und daher scheinbar missbräuchliche Niedrigpreisstrategie eines marktbeherrschenden Unternehmens unter dem bereits erwähnten Gesichtspunkt der defensiven Preisanpassungsreaktion der Rechtfertigung zugänglich sein. Diese meeting competition defence ist Ausdruck des allgemeinen Prinzips, wonach auch ein marktbeherrschendes Unternehmen grundsätzlich das Recht behalten muss, seine wirtschaftlichen Eigeninteressen in angemessener Weise zu schützen.66 Wenn Konkurrenten einen Preissenkungsvorstoß unternehmen, ist es auch dem Marktbeherrscher ausnahmsweise zuzugestehen, darauf zu reagieren und vorübergehend Preise unterhalb seiner eigenen Gestehungskosten festzusetzen. Hierbei hat er sich auf die im konkreten Marktumfeld verhältnismäßigen Anpassungsreaktionen zu beschränken.67 Nach der Rechtsprechung ist die meeting competition defence allerdings dann nicht mehr einschlägig, wenn die Preissenkung darauf abzielt, die eigene bereits vorhandene marktbeherrschende Stellung weiter zu verstärken.68 Darüber hinaus steht marktbeherrschenden Unternehmen die Möglichkeit offen, Niedrigpreise über die hinreichend substantiierte Darlegung mit ihr einhergehender Effizienzgewinne zu rechtfertigen.69 Es gelten hier allerdings dieselben schon aus der Darstellung zur Kosten-Preis-Schere bekannten strengen Voraussetzungen, die die praktische Bedeutsamkeit dieses Rechtfertigungsgrundes weitestgehend schmälern dürften.70 65

Siehe oben, Kap. 4 C. IV. Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 203 mit zutreffendem Hinweis auf den Freiheitsgedanken des Wettbewerbs. 67 Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 176. 68 Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urteil vom 14. 2. 1978, Rs. 27/76, EU:C:1978:22, Tz. 189 – United Brands; vgl. nur aus der jüngeren Zeit nur EuG, Urteil vom 30. 1. 2007, Rs. T340/03, EU:T:2007:22, Tz. 185 – France Télécom/Kommission; EuG, Urteil vom 25. 6. 2010, Rs. T-66/01, EU:T:2010:255, Tz. 295 – ICI/Kommission; EuG, Urteil vom 9. 9. 2010, Rs. T155/06, EU:T:2010:370, Tz. 207 – Tomra/Kommission. 69 Weiterführend zu denkbaren Effizienzgewinnen aufgrund von Niedrigpreisen O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 292 – 293; Pries, Kampfpreismissbrauch im ökonomisierten EG-Kartellrecht, S. 182 – 184. 70 Siehe dazu näher oben, Kap. 4 C. IV. 1. Aus der Rechtsprechung speziell zu Kampfpreisunterbietungen jüngst EuGH, Urteil vom 27. 3. 2012, Rs. C-209/10, EU:C:2012:172, Tz. 41 – 42 – Post Danmark; außerdem Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, 66

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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II. Verhältnis des Kampfpreismissbrauchs zum Verbot der Kosten-Preis-Schere Nach der Darstellung der Missbrauchsvoraussetzungen für Kampfpreise gemäß Art. 102 AEUV gilt es nun, das so charakterisierte Verbot dem eigenständigen Verbot der Kosten-Preis-Schere gegenüberzustellen. Für deren Verhältnis zueinander kommen prinzipiell zwei verschiedene Lösungen in Betracht, die im Folgenden zunächst nacheinander vorgestellt werden sollen. Daran schließt sich eine eigene Stellungnahme an. 1. Kosten-Preis-Schere als Unterfall des Kampfpreismissbrauchs Eine erste Möglichkeit besteht darin, die Kosten-Preis-Schere als einen Unterfall des Kampfpreismissbrauchs einzuordnen. Der Blick in die wissenschaftliche Diskussion zeigt, dass dieser Standpunkt bereits verschiedentlich vertreten worden ist. Die meisten der Literaturstimmen71 lassen jedoch tiefergehende Ausführungen zum Verhältnis der beiden Missbrauchsformen vermissen und sind daher nur sehr begrenzt aussagekräftig. Ausführlicher hat sich insoweit Henk-Merten bekannt, die in ihrer Abhandlung zur Kosten-Preis-Schere auf die Frage nach der Berechtigung der Kosten-Preis-Schere als eigenständige Fallgruppe innerhalb der missbrauchsrechtlichen Dogmatik eingeht.72 Sie ordnet die Kosten-Preis-Schere zunächst als Erscheinungsform der Verdrängungspreisstrategien ein und kommt dann zum Ergebnis, die Kosten-Preis-Schere lasse sich mit den hergebrachten Grundsätzen des Kampfpreismissbrauchs vollständig erfassen. In diesem Kontext erläutert HenkMerten im Einzelnen, man könne die gesamte Bandbreite der als Kosten-PreisSchere denkbaren Fallkonstellationen – von der negativen Preisspanne bis hin zur positiven und kostendeckenden Preisspanne mit geringfügiger Gewinnmarge – mithilfe der zur Kampfpreisunterbietung entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze erfassen.73 Infolgedessen bedürfe es für die Kosten-Preis-Schere keines neuen und eigenständigen Missbrauchstatbestands.74

Tz. 74 i.V.m. 28 – 31. Die Kommission hält die erfolgreiche Inanspruchnahme des Effizienzeinwands bei Kampfpreisunterbietungen ausdrücklich für „unwahrscheinlich“, a.a.O., Tz. 74. 71 Beispielsweise von Meibom/von dem Bussche, WuW 1999, 1171, 1172 m.w.N. aus der früheren deutschsprachigen Literatur; tendenziell in diese Richtung auch de Bronett, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 22 Rdnr. 94, der zwar keine explizite Einordnung vornimmt, die Kosten-Preis-Schere aber systematisch unter der Überschrift der „Kampfpreise“ behandelt; vgl. auch noch Kling/Thomas, Kartellrecht, § 18 Rdnr. 227, die die Grundsätze der Kampfpreisunterbietung für ausschließlich einschlägig halten wollen, sofern der wettbewerbliche Schwerpunkt auf Niedrigpreisen im nachgelagerten Markt liegt. 72 Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 123 – 128. 73 Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 126 – 127. 74 Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 127 – 128.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Zu demselben Ergebnis ist jüngst auch Petzold gelangt, wenngleich über einen völlig anderen argumentativen Ansatz. Er ist im Großen und Ganzen wie HenkMerten der Meinung, das Verbot der Kampfpreisunterbietung sei grundsätzlich geeignet, alle Konstellationen verbotswürdiger Kosten-Preis-Scheren in sich aufzunehmen.75 Dies sei unter der Bedingung möglich, dass das Kampfpreisverbot nach Art. 102 AEUV nicht nur den „klassischen Fall“ der mithilfe eines Niedrigpreises herbeigeführten Unterschreitung historischer bzw. buchhalterischer Gestehungskosten, sondern darüber hinaus auch die Fälle der durch den Marktbeherrscher unnötigerweise erlittenen Opportunitätskosten in Form niedrigerer Gewinne in den Anwendungsbereich des Kampfpreisverbots aufnimmt.76 Hierzu vertritt Petzold die Ansicht, dass das im europäischen Kartellrecht vorgefundene Konzept der missbräuchlichen Preisunterbietung dies in der Tat leisten könne. Folgerichtig kommt er zum Ergebnis, dass für einen eigenständigen Tatbestand der Kosten-Preis-Schere kein praktisches Bedürfnis bestehe.77 2. Kosten-Preis-Schere und Kampfpreismissbrauch als zwei unabhängig nebeneinander stehende Verbote Unabhängig von der Stichhaltigkeit eines derartigen Verständnisses der Margenbeschneidung als Ausprägung einer missbräuchlichen Preisunterbietung – darauf wird sogleich ausführlich einzugehen sein78 – haben die Unionsorgane in ihrer Anwendungspraxis bis heute einen anderen Weg eingeschlagen. Kampfpreisunterbietung und Kosten-Preis-Schere werden als jeweils eigenständige und konzeptionell nebeneinander stehende Verbotstatbestände aufgefasst. Diese Sichtweise ist während der vergangenen Jahre immer wieder klar erkennbar zum Ausdruck gekommen. Beispielsweise hat sich das EuG in seinem Urteil zum Fall Deutsche Telekom aus dem Jahr 2008 explizit zur Eigenständigkeit der Kosten-Preis-Schere gegenüber dem Kampfpreismissbrauch bekannt. Die DTAG hatte im dortigen Verfahren den Versuch unternommen, sich gegen die Feststellung einer missbräuchlichen Preispolitik mit dem Argument zu verteidigen, die Kommission habe die individuelle Missbräuchlichkeit der nachgelagerten Endkundenpreise nachweisen müssen und dies im konkreten Fall nicht getan.79 Die DTAG wollte an dieser Stelle also das Phänomen der Kosten-Preis-Schere so eingeordnet wissen, dass diese nur akzessorisch zu gleichzeitig feststellbaren kostenunterschreitenden Endkundenpreisen im Sinne der AKZO-Rechtsprechung gegen Art. 102 AEUV verstoßen kann. Dem stellte sich das EuG mit aller Deutlichkeit entgegen: Die Kommission sei „angesichts des in der 75

150. 76

Siehe hierzu insgesamt Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 129 –

Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 145 – 146, 149. Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 149 – 150, 208. 78 Kap. 5 A. II. 3. 79 Siehe zur unternehmerischen Argumentation EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 153 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 77

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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angefochtenen Entscheidung festgestellten Verstoßes nicht [zum Nachweis verpflichtet gewesen], dass die Endkundenpreise der Klägerin für sich genommen missbräuchlich waren.“80 Die Kosten-Preis-Schere soll demnach ein echtes qualitatives aliud zur Kampfpreisunterbietung darstellen. Darüber hinaus hat inzwischen auch die Kommission im Rahmen der Systematisierung der Behinderungsmissbräuche in ihrer Prioritätenmitteilung die konzeptionelle Eigenständigkeit der Kosten-Preis-Schere gegenüber der Kampfpreisunterbietung deutlich hervorgehoben. Darin hat sie die Kosten-Preis-Schere der Geschäftsverweigerung zugeordnet und damit zugleich implizit – im Ergebnis unmissverständlich – von der Kampfpreisunterbietung abgegrenzt.81 Als ein weiterer anschaulicher Beleg für die von den Unionsorganen so interpretierte Eigenständigkeit der der Kosten-Preis-Schere gegenüber dem Kampfpreismissbrauch lässt sich die Vorgehensweise der Kommission in ihrer Entscheidung zur Niedrigpreispolitik in der Sache Wanadoo Interactive aus dem Jahre 2003 anführen. Darin qualifizierte sie die Preissetzung des gleichnamigen Unternehmens auf dem französischen Markt für Breitband-Internetzugänge wegen des Verstoßes gegen die klassischen AKZO-Kriterien als eine im Sinne von Art. 102 AEUV missbräuchliche Kampfpreisunterbietung.82 Nach den Feststellungen der Kommission verfehlte Wanadoo Interactive als beherrschender Anbieter im relevanten Endkundenmarkt zeitweise die Deckung seiner AVC und zeitweise die seiner ATC, wobei die letzterenfalls zusätzlich erforderliche wettbewerbswidrige Verdrängungsabsicht nachgewiesen werden konnte.83 Bei näherer Betrachtung des dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts werden weitreichende Parallelen zu den für Kosten-Preis-Scheren paradigmatischen Konstellationen erkennbar. In Person der Muttergesellschaft von Wanadoo Interactive, France Télécom, hatte man es mit einem vertikal integrierten Konzern zu tun, welcher seinen vorgelagerten Netzzugang sowohl der eigenen Tochter als auch außenstehenden Nachfragern anzubieten pflegte.84 Zudem handelte es sich bei France Télécom um den einzigen am 80 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 167 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 81 Vgl. die beiden nebeneinander stehenden Fallgruppen „Kampfpreise“ auf der einen Seite (Tz. 63 – 74) sowie „Lieferverweigerung und Kosten-Preis-Schere“ auf der anderen Seite (Tz. 75 – 90) in Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7. 82 Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233 – Wanadoo Interactive; näher zu diesem Fall Schuhmacher, ZWeR 2007, 352. 83 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 82 – 86, 109, 257, 368 – Wanadoo Interactive (zur Kostendeckung) und a.a.O., Tz. 110 – 124 und 271 – 299 (zur Verdrängungsabsicht). 84 Im relevanten Zeitraum hielt France Télécom rund 70 % der Anteile an Wanadoo als der ausschließlich im Endkundenmarkt tätigen Tochtergesellschaft, vgl. Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 6 – Wanadoo Interactive. Angesichts dieser Mehrheitsbeteiligung liegt die Vermutung nahe, dass die Kommission hier ebensogut von einer wirtschaftlichen Einheit hätte ausgehen dürfen und ihre damaligen Ermittlungen folglich gegen die zweistufige Preispolitik des Gesamtkonzerns hätte richten können.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Markt vorhandenen Anbieter dieser Vorleistung, so dass sich die externen Nachfrager auch in der für Kosten-Preis-Scheren charakteristischen wirtschaftlichen Abhängigkeitslage befanden.85 Wanadoo Interactive hingegen profitierte wegen der engen Verbindungen zur Muttergesellschaft innerhalb des gemeinsamen Konzernverbundes von einem privilegierten Vorleistungszugang.86 Schließlich – und dadurch kommt die sachliche Verbindung zur Kosten-Preis-Schere am deutlichsten zum Ausdruck – erwähnt die Kommission in ihren Entscheidungsgründen selbst die Gefahr wettbewerbswidriger „Schereneffekte“ im Zusammenhang mit der angegriffenen Preisgestaltung.87 Anhand dieser Umstände lässt sich unschwer erahnen, dass der Fall Wanadoo Interactive mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Voraussetzungen für einen erfolgsversprechenden Vorwurf einer missbräuchlichen KostenPreis-Schere geboten hätte.88 Die Kommission sah jedoch im Endeffekt davon ab, die fragliche Preispolitik unter diesem speziellen Aspekt der missbrauchsrechtlichen Prüfung zuzuführen. Sie hat in ihrer Analyse ebenso wenig nach der vertikalen Integration Wanadoos gefragt wie nach dem Besitz einer marktbeherrschenden Stellung speziell auf dem Vorleistungsmarkt oder etwa nach dem Verhältnis zwischen einem vor- und nachgelagerten Preisniveau. Insbesondere den erwähnten Schereneffekten ist sie nicht weiter nachgegangen. An dieser Vorgehensweise wird erkennbar, dass die Kommission ganz offensichtlich von zwei berührungslos nebeneinander stehenden Missbrauchstatbeständen der Kosten-Preis-Schere einerseits und der Kampfpreisunterbietung andererseits ausgegangen ist.89 3. Eigene Analyse und Stellungnahme Die Gegensätzlichkeit der dargestellten Sichtweisen zum Verhältnis von Kampfpreisunterbietung und Kosten-Preis-Schere in Anwendungspraxis und Teilen der Literatur gibt Anlass zu einer eigenen weitergehenden Analyse. Hierbei soll das Hauptaugenmerk zunächst noch nicht auf der Frage liegen, inwiefern sich die je85 Vgl. hierzu Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 231 – Wanadoo Interactive. 86 Der damit einhergehende Wettbewerbsvorteil wird dann auch von der Kommission bei der Prüfung des Vorliegens einer marktbeherrschenden Stellung entsprechend gewürdigt, vgl. etwa Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 231 – 237 – Wanadoo Interactive zur technischen und a.a.O., Tz. 244 – 245 zur finanziellen Unterstützung durch France Télécom innerhalb des vertikal integrierten Konzernverbunds. 87 Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.233, Tz. 144, 378 – Wanadoo Interactive. In der englischen Fassung der Entscheidung ist diesbezüglich deutlicher von „squeeze“ (a.a.O., Tz. 144) bzw. „margin squeeze“ (a.a.O., Tz. 378) die Rede. 88 So auch Howarth, in: Amato/Ehlermann, S. 249, 291 (dort in Fn. 241). 89 Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die vereinzelt geäußerte Auffassung, die Kommission habe in Wanadoo Interactive keine Kampfpreisunterbietung, sondern tatsächlich eine Kosten-Preis-Schere sanktioniert, vgl. Fernández Álvarez-Labrador, World Comp. 2006, 247, 263; richtig demgegenüber Buigues/Klotz, GCP July 2008, Release 1, S. 9; Klotz, MMR 2008, 650, 652.

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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weiligen Anwendungsbereiche der beiden Missbrauchsformen möglicherweise gegenseitig überschneiden und ob die eine oder andere von ihnen gegebenenfalls zur vollständigen Erfassung preisbezogener Behinderungsmissbräuche entbehrlich ist.90 Stattdessen soll die Untersuchung bei den grundlegenden konzeptionellen Eigenschaften, Funktionsweisen und der tatbestandlichen Ausgestaltung der Missbrauchsformen ansetzen. Auf der Grundlage des bisherigen Verständnisses der Kampfpreisunterbietung als Verbot der preislichen Unterschreitung der eigenen buchhalterischen Gestehungskosten im Sinne der AKZO-Rechtsprechung bestehen gegenüber dem Verbot der Kosten-Preis-Schere deutliche und weitreichende Unterschiede. Sie kommen bereits in den strukturellen Rahmenbedingungen zum Ausdruck. Während die Kosten-PreisSchere die vertikale Integration des marktbeherrschenden Unternehmens notwendig voraussetzt, kommt es darauf im Rahmen des Kampfpreisverbots nicht entscheidend an. Dort genügt es, wenn das marktbeherrschende Unternehmen seine Preise auf einem einzigen, isoliert betrachteten Markt unter das maßgebliche Niveau seiner Kosten absenkt. Es handelt sich daher bei der Kampfpreisunterbietung um einen klassischen Fall des „einstufig“ wirkenden Behinderungsmissbrauchs, bei dem sich das mutmaßlich wettbewerbswidrige Verhalten eindeutig einem bestimmten Markt zuordnen lässt – mag es seine Auswirkungen gegebenenfalls auch auf einem damit verbundenen Drittmarkt zeitigen.91 Demgegenüber besitzt nur die Kosten-PreisSchere sowohl in verhaltensmäßiger Hinsicht als auch in ihrer Wirkungsweise den für sie so markanten marktübergreifenden Charakter, der etwa auch ihre Zuordnung in den Bereich der leveraging-Verstöße erlaubt.92 Der Grund ihrer wettbewerbsrechtlichen Relevanz liegt nicht allein – so wie bei der Kampfpreisunterbietung – in einem zu niedrigen Preis, sondern mindestens ebenso sehr in der für Konkurrenten wirtschaftlich nicht mehr tragfähigen Verteuerung des Einsatzgutes, für das keine alternativen Bezugsquellen bereitstehen. Vor diesem Hintergrund knüpft die Entstehung einer Kosten-Preis-Schere auch folgerichtig nur an das marktübergreifend entstandene Preismissverhältnis an, wodurch beide Einzelpreise eine konzeptionell gleichberechtigte Bedeutung in der Missbrauchsprüfung erhalten. Mit dieser „zweistufigen“ Funktionsweise beschreibt der Tatbestand der Kosten-Preis-Schere eine qualitativ andere Art der Wettbewerbswidrigkeit als die, die sich mithilfe des Kampfpreisverbots auf Basis der AKZO-Kriterien adressieren lässt.93 Die verschiedenartigen Funktionsweisen und Stoßrichtungen beider Missbrauchsformen werden auch bei näherer Betrachtung der jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen erkennbar. Gemeinsamkeiten bestehen zunächst noch darin, dass 90

Hierzu erst anschließend, Kap. 4 A. III. Vgl. etwa Kommission, Entscheidung vom 24. 7. 1991, ABl. 1992, L 72/1, Tz. 156 – 161 – Tetra Pak II; Kommission, Entscheidung vom 22. 12. 1987, ABl. 1988, L 65/19, Tz. 75, 80 – 85 – Eurofix-Bauco/Hilti. 92 Siehe oben, Kap. 4 C. I. 3. 93 Dunne, ECLR 2012, 29, 31 – 32. 91

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

sich beide im Ausgangspunkt zu einer objektiven rechnerischen Auswertung von Preisen unter Berücksichtigung bestimmter Kostenpositionen bekennen. Das im Sinne der AKZO-Kriterien ausgestaltete Kampfpreisverbot prüft einen Einzelpreis, das Verbot der Kosten-Preis-Schere prüft eine zwischen vertikal verbundenen Märkten gebildete Preisspanne am Maßstab der dazugehörigen Gestehungskosten. Indem es nach der gefestigten Rechtsprechung jeweils primär auf die eigenen Preisund vor allem Kostendaten des Marktbeherrschers ankommen soll, greifen beide Missbrauchsformen zumindest im Grundsatz auf das bereits mehrfach erwähnte Kriterium des ebenso effizienten Wettbewerbers zurück.94 Hierbei muss man sich jedoch der jeweils grundlegend unterschiedlichen Tragweite dieses zentralen analytischen Kriteriums bewusst sein. Denn wie bereits oben herausgearbeitet wurde, greift der equally efficient competitor-Test bei der KostenPreis-Schere nur in einer verkürzten Form, indem er sich allein auf die partielle unternehmerische Effizienz der isoliert betrachteten nachgelagerten Markttätigkeit fokussiert.95 Im Rahmen des Kampfpreismissbrauchs erfasst und würdigt der Test hingegen – in einer vom Grundgedanken her deutlich konsequenteren Weise – die gesamte produktspezifische Effizienz des Marktbeherrschers. In der Prüfung von Kampfpreisen eines vertikal integrierten Unternehmens hat man daher auf alle (vorgelagerten) Wertschöpfungsstufen zu schauen, über die sich die produktspezifischen Unternehmensaktivitäten erstrecken. Aufgrund dieser anwendungsmäßigen Divergenzen entsteht zwischen den Verboten der Kosten-Preis-Schere und der Kampfpreisunterbietung ein unüberwindbarer Bruch, der es im Ergebnis verbietet, beide Missbrauchsformen auf eine gemeinsame konzeptionelle und rechtsdogmatische Grundlage zurückzuführen. Wie bereits erwähnt wurde, befindet sich das Recht der Kampfpreisunterbietung seinerseits in einer Phase der Neuorientierung. Schon in naher Zukunft könnte der von der Kommission vorgestellte sacrifice-Test zum maßgeblichen Beurteilungskriterium aufsteigen und die hergebrachte AKZO-Formel ablösen.96 Es stellt sich also bereits jetzt die Frage, inwiefern ein dementsprechend neu arrangiertes Kampfpreisverbot das Verhältnis zum Tatbestand der Kosten-Preis-Schere innerhalb der Dogmatik des Art. 102 AEUV verändern würde. Petzold hat in seiner Abhandlung zur Kosten-Preis-Schere bereits unlängst eine dahingehende Analyse vorgenommen. Darin kommt er am Ende zu dem schon zuvor überblicksmäßig angesprochenen Befund, das Verbot der Kosten-Preis-Schere könne in einem nach Maßgabe des sacrifice-Tests erweiterten Kampfpreisverbot

94 Vgl. EuGH, Urteil vom 3. 7. 1991, Rs. C-62/86, EU:C:1991:286, Tz. 72 – AKZO/Kommission für die Kampfpreisunterbietung und EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 196 – 203 – Deutsche Telekom AG/Kommission für die Kosten-PreisSchere. 95 Vgl. Kap. 4 C. II. 4. a) cc) und dd). 96 Siehe oben, Kap. 5 A. I. 2. a) bb) (2).

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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vollständig aufgehen.97 Daran wird anschaulich, dass ein Wechsel des für Kampfpreise charakteristischen Prüfungskriteriums unmittelbare Auswirkungen auf das Verhältnis zum Verbot der Kosten-Preis-Schere haben könnte. Die Argumentation Petzolds beruht auf der im Ausgangspunkt zutreffenden Überlegung, dass der Anwendungsbereich des mithilfe des sacrifice-Tests ausgestalteten Kampfpreisverbots nicht auf die preisliche Unterschreitung buchhalterischer Gestehungskosten begrenzt bleibt, sondern zusätzlich auch Opportunitätskosten in Gestalt der unnötigerweise unterlassenen Erzielung höherer Gewinne berücksichtigt.98 Demzufolge gerät ein Unternehmen mit seiner Preisgestaltung auf einem von ihm beherrschten Markt bereits dann in den potenziell missbräuchlichen Bereich, sobald es über eine veränderte Marktpositionierung einen höheren Nettoertrag hätte erzielen können. Petzold vertritt dabei die Ansicht, dass nicht nur die Handlungsalternativen innerhalb, sondern auch außerhalb des konkret im Einzelfall beherrschten Marktes zur Feststellung eines wettbewerblich relevanten Gewinnopfers (profit sacrifice) herangezogen werden sollen. In dem von vertikaler Integration geprägten Kontext der Kosten-Preis-Schere würde dies ganz speziell bedeuten, dass der Marktbeherrscher auf dem vorgelagerten Markt beispielsweise schon dann ein potenziell verbotswürdiges Gewinnopfer hinnimmt, wenn er dort weiterhin geschäftlich tätig bleibt, obwohl die Konzentration der Geschäftstätigkeit auf einen anderen (den nachgelagerten) Markt höhere Gewinnspannen verheißt. Auf diesem Wege würde das Kampfpreisverbot letztendlich genau wie die das Verbot der KostenPreis-Schere eine marktübergreifende Funktionsweise mit zweistufigen Anknüpfungspunkten annehmen, angesichts derer man sich in der Tat ernsthaft die – von Petzold im Ergebnis bejahte – Frage stellen kann, ob hierdurch nicht ein konzeptioneller Gleichlauf der Missbrauchsformen entsteht. Der Übergang von der AKZORechtsprechung zum sacrifice-Konzept der Kommission könnte demzufolge sehr wohl einen versteckten Angriff auf die konzeptionelle Eigenständigkeit des Verbots von Kosten-Preis-Scheren im Gefüge des Art. 102 AEUV beinhalten. Den Überlegungen Petzolds ist zunächst auf der tatsächlichen Ebene zuzugeben, dass sich ein integriertes Unternehmen in der typischen Konstellation der KostenPreis-Schere aus betriebswirtschaftlicher Sicht mit Opportunitätskosten auseinanderzusetzen hat. Denn es steht für jede produzierte Vorleistungseinheit vor der Wahl, ob es sie als solche extern vertreiben oder intern weiterverwenden und anschließend erst die daraus erstellte Endkunden-leistung auf den Markt bringen will. Wählt es hierbei die rechnerisch weniger gewinnträchtige Handlungsalternative, so entstehen unweigerlich vermeidbare Gewinneinbußen und damit Opportunitätskosten.99 97 Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 149 – 150, 208; dem inzwischen beipflichtend Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 541, 543. 98 Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 135 – 136; sinngemäß auch Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 359. 99 Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 541, 543; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 132.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Trotz alledem erscheint es aus der heutigen Perspektive heraus in höchstem Maße fraglich, ob sich das in Art. 102 AEUV verankerte Kampfpreisverbot in absehbarer Zukunft entsprechend der von Petzold favorisierten Annahmen entwickeln wird. Hierzu lassen sich mehrere Gründe anführen. Es sei zunächst daran erinnert, dass die Kommission den sacrifice-Test bisher lediglich in ihrer abstrakt gehaltenen Prioritätenmitteilung und damit außerhalb der eigentlichen Fallpraxis zu Kampfpreisunterbietungen ins Spiel gebracht hat. Die in der Prioritätenmitteilung enthaltenen Ausführungen haben jedoch weder rechtsverbindlichen Charakter noch wollte die Kommission mit ihnen eine Aussage zur gegenwärtigen Rechtslage treffen.100 Sie hat lediglich angedeutet, wie sie im Rahmen ihres behördlichen Vorgehens die Missbrauchsprüfung auszugestalten gedenkt. Die nachhaltige Aussagekraft des sacrifice-Tests für die europäische Kartellrechtsanwendung als geeigneter Maßstab für die Bestimmung einer mit Art. 102 AEUV unvereinbaren Kampfpreisunterbietung sollte nicht voreilig unterstellt werden, bevor er nicht die dezidierte Billigung der Unionsgerichte gefunden hat. Gerade hierzu ist es bislang aber nicht gekommen. Daher ist es wenig überraschend, wenn auch Petzold lediglich auf die Anwendungsfälle der Kosten-Preis-Schere verweisen kann, bei denen aufgrund der besonderen Ausgestaltung des Tests die zweifache Preisgestaltung des integrierten Marktbeherrschers in der Tat schon heute am Maßstab von Opportunitätskosten gemessen wird.101 Für die Frage nach der Relevanz dieser Kostenkategorie speziell im Rahmen des Kampfpreisverbots bleibt dies jedoch ohne jede Aussagekraft. Solange die Berücksichtigung von Opportunitätskosten gemäß den unionsrechtlichen Vorgaben eine Singularität innerhalb der Prüfung der Kosten-Preis-Schere bleibt, spricht dies umgekehrt viel eher gegen die Annahme einer Übertragbarkeit auf die Prüfung von Kampfpreisunterbietungen. Zweitens ist es alles andere als klar, dass sich das Kampfpreisverbot selbst dann, wenn es über den Gedanken des profit sacrifice prinzipiell auch Opportunitätskosten berücksichtigen können sollte, auch auf den bei der Kosten-Preis-Schere vorzufindenden Spezialfall der marktstufenübergreifend anfallenden Opportunitätskosten erstrecken würde. Diese von Petzold favorisierte und für seinen Argumentationsgang zentrale Erweiterung des Kampfpreisverbots hätte gerade bei vertikal integrierten marktbeherrschenden Unternehmen weitreichende Konsequenzen, deren wettbewerbspolitische Sinnfälligkeit zweifelhaft erscheint. Bei genauer Betrachtung zeigt sich nämlich, dass man auf diesem Wege jedem vertikal integrierten Normadressaten des Art. 102 AEUV vorschreiben würde, auf welcher von mehreren Marktstufen er seine Gewinne erzielen darf. Jede auch nur geringfügig „unvernünftige“ – weil nicht profitmaximierende – Ausrichtung der unternehmerischen Geschäftstätigkeit würde direkt zum Vorwurf führen, man habe höhere Gewinne geopfert und daher gegen das 100

So explizit Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 3. Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 136. Siehe hierzu auch die anschließend noch folgende rechnerische Herleitung (unten, Kap. 5 A. III. 2.) für die Erfassung von Opportunitätskosten im Sinne des sacrifice-Tests über das Verbot der Kosten-Preis-Schere. 101

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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Missbrauchsverbot verstoßen.102 Ein über mehrere Stufen hinweg integriertes und zusätzlich breit diversifiziertes Unternehmen könnte hierdurch zu tiefgreifenden Umwälzungen in seiner geschäftlichen Tätigkeit gezwungen werden. Dies ließe sich kaum mehr als wettbewerbspolitisch sachgerechte und verhältnismäßige Lösung vermitteln. Hinzu kommt, dass sich das Konzept der Kampfpreisunterbietung nach dem Modell Petzolds letztlich selbst ad absurdum führt: Ein integrierter Marktbeherrscher würde nämlich ausgehend von einer ursprünglich legalen zweifachen Preisgestaltung allein durch eine Anhebung (!) des Vorleistungspreises auf dem nachgelagerten Markt in den Bereich des Kampfpreismissbrauchs gelangen.103 Nach hier vertretener Ansicht ginge eine solche – wenngleich konsequent zu Ende gedachte – Art und Weise der Anwendung des sacrifice-Tests über das hinaus, was ein kartellrechtliches Niedrigpreisverbot im traditionellen Sinne leisten kann und soll. Drittens ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten bei der Anwendung des von Petzold vorgeschlagenen erweiterten Kampfpreisverbots, namentlich bei der praktischen Ermittlung der für den Kampfpreis charakteristischen Opportunitätskosten. Er stellt insoweit und in der Sache zutreffend fest, „dass einem vertikal integrierten Unternehmen Opportunitätskosten bei der internen Lieferung der Vorleistung entstehen, wenn der [konzerninterne] Transferpreis unter dem Marktpreis liegt“.104 Für den hiernach maßgeblichen Abgleich der Preise auf der Vorleistungsebene ist jedoch eine präzise Quantifizierung des Transferpreises unumgänglich. Dies dürfte sich jedoch als wesentliches Anwendungshindernis erweisen. Der Transferpreis ist nämlich aus Sicht des integrierten Unternehmens eine betriebswirtschaftlich irrelevante Rechengröße und daher kaum verlässlich feststellbar.105 Dies wird am Beispiel derjenigen vertikal integrierten Unternehmen besonders anschaulich, die auf jeder der beiden beteiligten Marktstufen lediglich unselbständige Betriebseinheiten anstelle jeweils eigenständig inkorporierter Tochtergesellschaften eingesetzt haben. Aufgrund der in diesem Falle nur konzerneinheitlichen Buchführung taucht ein interner Transferpreis hier nicht einmal als rechnerischer Wert in der Gewinn- und Verlustrechnung auf. Und selbst wenn ein Transferpreis buchhaltungsmäßig erfasst sein sollte, würde es dabei bleiben, dass dieser im Konzernverbund kein Parameter einer ökonomisch relevanten marktmäßigen Transaktion ist und deshalb im Ergebnis jedenfalls nicht als aussagekräftiger Maßstab für eine überzeugende Ermittlung des kartellrechtlich relevanten Preisniveaus in Frage kommt. 102 Zwar soll im Rahmen des sacrifice-Tests die Einschränkung gelten, dass für die Ermittlung eines Gewinnopfers nur „wirtschaftlich vernünftige und praktikable“ Handlungsalternativen relevant sind (vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 65. Doch auch dies dürfte für ein erweiternd ausgelegtes Konzept des missbräuchlichen Gewinnopfers in marktstufenübergreifenden Sachverhaltskonstellationen kein überaus hohes Anwendungshindernis darstellen. 103 In diese Richtung gehen auch die Andeutungen bei Hovenkamp/Hovenkamp, 51 Arizona L. Rev. (2009), 273, 293. 104 Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 133. 105 Dunne, ECLR 2012, 29, 31.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

4. Zwischenfazit Die Analyse hat aufgezeigt, dass zwischen beiden Missbrauchsformen weitreichende Unterschiede bestehen, die sich sowohl in ihren grundlegenden dogmatischen und teleologischen Konzeptionen als auch in den einzelnen Beurteilungskriterien niederschlagen. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass Kosten-Preis-Schere und Kampfpreisunterbietung gemeinsam dem weiten Bereich des preisbezogenen Behinderungsmissbrauchs angehören. Die von Petzold vertretene Einbettung der Kosten-Preis-Schere in ein auf Opportunitätskosten erweiternd ausgelegtes Kampfpreisverbot findet bisher keine ausreichende Stütze in der Anwendungspraxis und ist daher mit Rücksicht auf den gegenwärtigen Rechtszustand nicht stichhaltig. Die dargestellten Unwägbarkeiten speziell beim Versuch der Erfassung marktstufenübergreifender Gewinnopfer als Kampfpreisunterbietungen zeigen darüber hinaus, dass auch de lege ferenda kaum mit der von Petzold propagierten erweiterten Anwendungsweise, die seiner Meinung nach ein Verbot der Kosten-Preis-Schere hinfällig werden ließe, zu rechnen ist. Solange die Anwendungspraxis nach wie vor auf die AKZO-Kriterien zurückgreift und solange die äußeren Grenzen des neuen sacrifice-Konzepts speziell für die Anwendung auf vertikal integrierte Unternehmen noch nicht ausgelotet sind, müssen die Kosten-Preis-Schere und Kampfpreisunterbietung als unabhängig und gleichrangig nebeneinander stehende Behinderungsmissbräuche angesehen werden.

III. Konsequenzen für die praktische Relevanz des Verbots der Kosten-Preis-Schere Auch wenn das in Art. 102 AEUV verankerte Verbot der Kosten-Preis-Schere mit der hier erarbeiteten Ansicht als eine gegenüber der Kampfpreisunterbietung (nach wie vor) konzeptionell eigenständige Fallgruppe anzusehen ist, ist nicht auszuschließen, dass sich beide Ausprägungen des Missbrauchs in der Rechtsanwendung gegenseitig überlagern. Gerade wegen der unterschiedlichen teleologischen Stoßrichtungen sind beide Verbotstatbestände nach allgemeinen Grundsätzen auf einund denselben Sachverhalt im Wege der Idealkonkurrenz parallel anwendbar.106 Für ein vertikal integriertes marktbeherrschendes Unternehmen bedeutet dies, dass dessen Preisgestaltung auf keiner der beteiligten Marktstufen unter den einen oder den anderen subsumierbar sein darf. In diesem Zusammenhang stellt sich die nunmehr näher zu untersuchende Frage, welche praktische Relevanz dem Verbot der Kosten-Preis-Schere überhaupt noch neben dem bereits vorhandenen Kampfpreisverbot zukommt. Angesichts der potenziellen anwendungsmäßigen Überlagerung kann die KostenPreis-Schere ihrem Anspruch als eigenständiger Form des Behinderungsmissbrauchs nur insoweit wirklich gerecht werden, wie sie Fallkonstellationen erfasst, die 106

Vgl. Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 637.

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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außerhalb des ohnehin als Kampfpreisunterbietung verbotenen Marktverhaltens liegen. Um dem gegenwärtig im Raum stehenden Umbruch der kartellrechtlichen Beurteilungskriterien für Kampfpreisunterbietungen angemessen Rechnung zu tragen, sind dazu zwei separate Analysen erforderlich – eine auf Basis der klassischen Kriterien aus der AKZO-Rechtsprechung und eine auf Basis des von der Kommission in der Prioritätenmitteilung neu eingeführten sacrifice-Tests.

1. Erstes Vergleichspaar: Kosten-Preis-Schere und Kampfpreismissbrauch nach der AKZO-Formel Als Erstes soll die Frage nach möglichen anwendungsmäßigen Schnittmengen unter der Prämisse beantwortet werden, dass das Verbot der Kampfpreisunterbietung im Einklang mit der bisherigen Anwendungspraxis nach den Vorgaben aus der AKZO-Rechtsprechung ausgestaltet bleibt. Wie oben ausführlich geschildert, erfolgt bei der Kampfpreisanalyse gemäß der AKZO-Kriterien eine grundsätzlich objektive Analyse dahingehend, ob die Preise des Marktbeherrschers ober- oder unterhalb der beiden Kostenmaßstäbe ATC und AVC liegen. Da sich sowohl die ATC als auch die AVC ausschließlich auf tatsächlich angefallene, historische Ausgaben beziehen, fragt die AKZO-Formel nach dem Vorliegen eines Verlusts im Sinne eines echten Kapitalabflusses, der die ihm korrespondierenden Umsatzerlöse übersteigt. In der Literatur wird diese Spielart der preismäßigen Kostenunterschreitung bisweilen mit dem Begriff des „Kostenopfers“ bezeichnet.107 Der Inhalt des so ausgestalteten und auf der schutzwürdigen nachgelagerten Marktstufe ansetzenden Kampfpreisverbots lässt sich vereinfacht anhand folgender Berechnungsformel darstellen:108 • Kampfpreise im Sinne der AKZO-Formel sind gegeben, wenn: Preis[nach] – Kosten[nach + vor] < 0 • Dies ist gleichbedeutend mit: Preis[nach] – Kosten[nach] – Kosten[vor] < 0 Für das Verbot der Kosten-Preis-Schere gilt nach den bereits weiter oben gefundenen Ergebnissen109 hingegen:

107 So die Terminologie etwa bei Lommler, WuW 2011, 244, 247, der dem Begriff des Kostenopfers den des „Gewinnopfers“ gegenüberstellt. Von einem Gewinnopfer ist die Rede, wenn ein Unternehmen trotz bzw. unabhängig von der Deckung der buchhalterischen Gestehungskosten eine kurzfristig gewinnmaximierende Tätigkeit unterlässt. 108 Preis[vor] meint den Preis der Vorleistung bzw. des Einsatzgutes im vorgelagerten Markt, Preis[nach] meint den Preis der weiterverarbeiteten Leistung im nachgelagerten Markt. Entsprechendes gilt für die Parameter Kosten[vor] und Kosten[nach]. Jeweils handelt es sich um die Werte für Preise und Kosten des vertikal integrierten Marktbeherrschers. 109 Kap. 4 C. II. 1.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

• Kosten-Preis-Schere ist gegeben, wenn: Preis[nach] – Kosten[nach] – Preis[vor] ‹ 0 Da die Parameter Preis[nach] und Kosten[nach] in beiden Formeln gleichermaßen auftauchen, ist leicht ersichtlich, dass sich die rechnerischen Verbote lediglich anhand der jeweils hervorgehoben dargestellten Parameter Preis[vor] (bei der KostenPreis-Schere) und Kosten[vor] (beim Kampfpreisverbot) unterscheiden.110 Daraus lässt sich eine Aussage über das gegenseitige Verhältnis der Anwendungsbereiche von Kosten-Preis-Schere und Kampfpreisunterbietung ableiten, wenn man den Blick auf einen zusätzlichen, bislang unbeachtet gebliebenen Aspekt erweitert. Gemeint ist das Verbot des Kampfpreismissbrauchs, dem das integrierte Unternehmen aufgrund seiner beherrschenden Stellung speziell auf dem vorgelagerten Markt unterliegt. Die Relevanz dieses Gedankens mag auf den ersten Blick erstaunen, zumal der integrierte Marktbeherrscher in der für eine Kosten-Preis-Schere typischen Fallkonstellation die Vorleistung ja tendenziell eher zu einem überhöhten als zu einem unangemessen niedrigen Preis anbietet. Und in der Tat geht es vorliegend nicht um die ernsthafte Gefahr eines Wettbewerbsverstoßes des Unternehmens wegen missbräuchlich niedriger Vorleistungspreise. Es soll vielmehr im Gegenteil davon ausgegangen werden, dass der Marktbeherrscher dieses auf dem vorgelagerten Markt geltende Verbot ordnungsgemäß befolgt. Es verpflichtet den Marktbeherrscher, seinen Vorleistungspreis oberhalb der dazugehörigen vorgelagerten Kosten anzusetzen. Damit gilt zwischen beiden Parametern folgender Zusammenhang: Preis[vor] Š Kosten[vor] Es ergeben sich bemerkenswerte Konsequenzen, wenn man die so gefundene Prämisse – dass Preis[vor] größer oder gleich Kosten[vor] ist – mit den zuvor entwickelten rechnerischen Formeln verbindet. Denn es zeigt sich nun, dass die für die Kosten-Preis-Schere geltende Berechnungsmethode aus Sicht des Marktbeherrschers eine strengere Preiskontrolle bewirkt als das im nachgelagerten Markt ansetzende Kampfpreisverbot. Dies ist eine zwingende Schlussfolgerung, weil Preis [vor] wegen seines unterstellt höheren (oder gleich hohen) Betrages quantitativ mindestens ebenso stark ins Gewicht fällt wie der Parameter Kosten[vor].111 Damit wird es möglich, anhand der Formeln für das Verbot der Kosten-Preis-Schere einerseits und der Kampfpreisunterbietung im nachgelagerten Markt andererseits eine 110

Bei genauester Betrachtung kommt noch hinzu, dass der Tatbestand des Kampfpreismissbrauchs definitionsgemäß eine echte Unterschreitung der Gestehungskosten („Negativmarge“) voraussetzt und der Bereich der rechnerisch verbotswürdigen Kosten-Preis-Schere bereits etwas früher, nämlich bei der „Nullmarge“ (dazu oben, Kap. 4 C. II. 1. und 2.) beginnt. Dieser marginale Unterschied sei hier ausgeklammert. 111 Dieser Effekt beruht letztendlich auf der bereits an früherer Stelle erwähnten unterschiedlichen Bedeutung unternehmerischer Effizienz in beiden Missbrauchstatbeständen. Während auf der vorgelagerten Marktstufe das Kampfpreisverbot auf Kosten[vor] abstellt und auf eine vollständige Effizienzanalyse hinausläuft, wird dieser Parameter im Verbot der KostenPreis-Schere gewissermaßen durch Preis[vor] ersetzt, der naturgemäß um die Kosten der Fremdbelieferung erhöht ist.

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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belastbare Aussage zum gegenseitigen Verhältnis ihrer jeweiligen Anwendungsbereiche zu treffen. Hierzu hilft die oben schon erwähnte realitätsnahe Unterstellung, dass der integrierte Marktbeherrscher wenigstens auf dem vorgelagerten Markt keine gemäß den AKZO-Kriterien verbotswürdigen Niedrigpreise ansetzt. Im Ergebnis deckt der rechnerisch ermittelte Anwendungsbereich des Verbots der Kosten-PreisSchere denjenigen des Verbots von Kampfpreisen nach Maßgabe der AKZO-Kriterien im nachgelagerten Markt vollständig ab und geht sogar noch über ihn hinaus.

Abbildung 1: Verhältnis der Anwendungsbereiche der Verbote von Kosten-Preis-Schere und Kampfpreisunterbietung nach Maßgabe der AKZO-Kriterien

Der Vergleich zwischen dem eigenständigen Verbot der Kosten-Preis-Schere und dem Kampfpreisverbot nach Maßgabe der AKZO-Formel hat also offenbart, dass das Verbot der Kosten-Preis-Schere das Kampfpreisverbot in seinem rechnerischen Anwendungsbereich vollständig überlagert. Jede nach Maßgabe der AKZO-Rechtsprechung kostenunterschreitende Preissetzung erfüllt zugleich die rechnerischen Anforderungen, die im Rahmen von Art. 102 AEUV an eine verhaltensmäßige Kosten-Preis-Schere gestellt werden. Andererseits fällt nicht jede rechnerische Kosten-Preis-Schere zugleich unter das Kampfpreisverbot im Sinne der AKZOFormel. Für die eingangs aufgeworfene Frage nach der praktischen Bedeutung des Verbots der Kosten-Preis-Schere hat dies zur Folge, dass ihm ein gewisser exklusiver Anwendungsbereich zur Verfügung steht. Es gibt also Fälle, in denen ein integriertes Unternehmen nach AKZO verbotene – weil verlustträchtige – Kampfpreise weder auf dem vorgelagerten Markt, noch auf dem nachgelagerten Markt praktiziert, aber

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

dennoch unter dem Aspekt der Kosten-Preis-Schere missbräuchlich handelt.112 Für den Rechtsanwender entfällt demnach das Bedürfnis, neben der Kosten-Preis-Schere noch eine eigenständige Analyse wegen etwaiger Kampfpreise durchzuführen. Denn wenn die Kosten-Preis-Schere vorliegt, besteht im Hinblick auf den Nachweis einer wettbewerbswidrigen Preisgestaltung dazu keine Notwendigkeit mehr. Wenn die Kosten-Preis-Schere demgegenüber nicht vorliegt, ist bereits klar, dass auch die Kampfpreisvoraussetzungen nicht erfüllt sein können. Teilweise wird darin ein wettbewerbspolitisches Problem gesehen, weil das mit dem vergleichsweise weiteren Anwendungsbereich ausgestattete Verbot der KostenPreis-Schere die mit Bedacht gewählten Kriterien des AKZO-Kampfpreistatbestands, insbesondere die Aussagekraft der historischen Gestehungskosten als Grenze der Missbräuchlichkeit, zu entwerten droht.113 Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass das Verbot der Kosten-Preis-Schere zum einen eine im Gegensatz zum Kampfpreismissbrauch anspruchsvollere Analyse wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen voraussetzt114 und beide Tatbestände zum anderen ihre jeweils individuelle teleologische Stoßrichtung aufweisen.115 Auf diesem Wege dürften sich die aus der Anwendungskonkurrenz potenziell entstehenden Konflikte in ihrer Tragweite wesentlich relativieren. 2. Zweites Vergleichspaar: Kosten-Preis-Schere und Kampfpreismissbrauch nach dem sacrifice-Test Die vorstehend gemachten Ausführungen spiegeln das Verhältnis der beiden Verbote von Kosten-Preis-Scheren und Kampfpreisunterbietungen wider, solange Letzteres auf die hergebrachten AKZO-Kriterien und damit auf eine historische bzw. buchhalterische Kostenermittlung vertraut. Falls – trotz aller wettbewerbspolitischen und anwendungspraktischen Bedenken116 – das sacrifice-Konzept in der von Petzold favorisierten Reichweite de lege ferenda an deren Stelle träte, würde dies das gegenseitige Verhältnis beider Missbrauchsformen zueinander unmittelbar und nachhaltig verändern. Die entscheidende materiellrechtliche Weiterentwicklung des sacrifice-Konzepts gegenüber der AKZO-Rechtsprechung läge – wie inzwischen mehrfach erwähnt – darin, dass sich das Kampfpreisverbot über die buchhalterische Verluste herbeiführenden Kostenopfer hinaus auch auf die Inkaufnahme vermeidbarer Gewinnopfer erstrecken würde. Mit der dann auch marktstufenübergreifenden Wirkungsweise des 112

So im Ergebnis auch Lommler, WuW 2011, 244, 248. Vgl. Pohlmann/Auf’mkolk, LMK 2011, 316705. 114 Siehe dazu Kap. 4 C. III. (Kosten-Preis-Schere) einerseits und Kap. 5 A. I. 2. b) (Kampfpreismissbrauch) andererseits. 115 Siehe oben, Kap. 5 A. II. 3. und 4. 116 Siehe oben, Kap. 5 A. II. 3. 113

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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Kampfpreisverbots würden marktbeherrschende integrierte Unternehmen grundsätzlich verpflichtet sein, ihre geschäftlichen Aktivitäten entlang der Wertschöpfungskette stets gewinnmaximierend auszurichten. In den Fallkonstellationen der Kosten-Preis-Schere trifft den integrierten Marktbeherrscher diese Pflicht dann regelmäßig sogar zweifach, nämlich sowohl auf der vor- als auch auf der nachgelagerten Marktstufe. Es sei daran erinnert, dass die hervorgehobene Stellung als einziger, monopolistischer Anbieter des Einsatzgutes regelmäßig eine zusätzliche marktbeherrschende Stellung auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt vermittelt.117 Ein sich in dieser Situation wiederfindendes Unternehmen dürfte sodann unter Geltung eines strengen, marktstufenübergreifend angewandten sacrifice-Tests gleichzeitig weder auf dem einen noch auf dem anderen Markt ein vermeidbares Gewinnopfer auf sich nehmen. Das Kampfpreisverbot würde also in folgenden Konstellationen einschlägig sein: Gewinn[nach] < Gewinn[vor] oder Gewinn[nach] > Gewinn[vor] Dies bedeutet nichts anderes, als dass sich die vor- und nachgelagerten Gewinnspannen exakt entsprechen müssten, um rechnerische Konformität mit dem Missbrauchsverbot herzustellen. Wie sich ein so ausgestalteter Kampfpreistatbestand zum Verbot der Kosten-Preis-Schere verhält, wird erkennbar, wenn man die im europäischen Recht etablierte Formel zur rechnerischen Darstellung der KostenPreis-Schere118 erneut als Ausgangspunkt nimmt und diese in mehreren Schritten mathematisch korrekt umstellt: • Kosten-Preis-Schere ist gegeben, wenn: Preis[nach] – Preis[vor] ‹ Kosten[nach] • Durch Umstellung ergibt sich daraus: Preis[nach] ‹ Kosten[nach] + Preis[vor] • Da sich der Parameter Preis[vor] aus den zwei Bestandteilen Kosten[vor] und Gewinn[vor] zusammensetzt, ist eine Kosten-Preis-Schere gegeben, wenn: Preis[nach] ‹ Kosten[nach] + Kosten[vor] + Gewinn[vor] • Da sich Preis[nach] aus den drei Bestandteilen Kosten[vor], Kosten[nach] und Gewinn[nach] zusammensetzt, ist eine Kosten-Preis-Schere gegeben, wenn: Kosten[vor] + Kosten[nach] + Gewinn[nach] ‹ Kosten[nach] + Kosten[vor] + Gewinn[vor]

117 118

Siehe oben, Kap. 4 C. I. 2. Siehe oben, Kap. 4 C. II. 1.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

• Durch Abzug der auf beiden Seiten der Ungleichung identischen Kostenpositionen119 ergibt sich, dass eine Kosten-Preis-Schere gegeben ist, wenn: Gewinn[nach] ‹ Gewinn[vor] Eine rechnerische Kosten-Preis-Schere ist also genau dann gegeben, wenn beim vertikal integrierten Unternehmen der Gewinn aus dem Vorleistungsgeschäft den Gewinn aus dem nachgelagerten Endkundengeschäft jeweils pro verkaufter Einheit übersteigt oder beide Gewinnspannen ihrer Höhe nach exakt übereinstimmen.120 Das Verbot der Kosten-Preis-Schere weist insofern die Qualität einer Rechtsvorschrift auf, die es untersagt, im vorgelagerten Markt eine ebenso hohe oder höhere Gewinnmarge als im nachgelagerten Markt aufrechtzuerhalten. Hierdurch wird ein vertikal integriertes Unternehmen zu einer marktübergreifenden Anpassung seiner Preise entlang der Wertschöpfungskette in der Weise gezwungen, dass der im Endkundenmarkt erzielte Gewinn den im Vorleistungsmarkt erzielten Gewinn nachweisbar übersteigen muss. Dementsprechend indiziert die Existenz einer rechnerischen Kosten-Preis-Schere ein gleichzeitiges Gewinnopfer im nachgelagerten Markt.121 Wie aus dem Vergleich der jeweiligen rechnerischen Ermittlungsformeln eindeutig hervorgeht, ließe sich dann jede Kosten-Preis-Schere122 bereits mithilfe der Kampfpreisunterbietung auf Basis des sacrifice-Konzepts erfassen und dem Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV zuführen. Dies hätte wiederum zur Konsequenz, dass ein Verbot der Kosten-Preis-Schere als eigenständige Missbrauchsform neben dem Kampfpreisverbot überflüssig werden würde, weil Ersteres keine zusätzlichen Fallkonstellationen in den Anwendungsbereich des Art. 102 AEUV bringen könnte.123 Diese – wie dargestellt in der Abhandlung Petzolds favorisierte – Ausgestaltung des Verhältnisses beider Missbrauchsformen ließe sich dann folgendermaßen illustrieren:

119

Hierbei wird vereinfachend davon ausgegangen, dass sich die Kosten der Selbst- und der Fremdbelieferung der Höhe nach entsprechen. Dies verzerrt zwar in den allermeisten Fällen die wirtschaftliche Realität der Kostensituation, doch stimmt es mit der von den Unionsorganen artikulierten Sichtweise überein, wonach Kostenvorteile im Rahmen der Selbstbelieferung dem integrierten Marktbeherrscher bei der Berechnung einer Kosten-Preis-Schere nicht zugute kommen sollen. 120 So auch das Ergebnis einer im Wesentlichen gleichlautenden Analyse bei Lommler, WuW 2011, 244, 250. 121 Lommler, WuW 2011, 244, 250. 122 Eine wohl nur theoretisch relevante Ausnahme ist der Fall, in dem sich die vom integrierten Marktbeherrscher auf dem vor- und nachgelagerten Markt erzielten Gewinnmargen der Höhe nach genau entsprechen. Dann liegt in der Tat ausnahmsweise eine Nullmarge ohne erkennbares Gewinnopfer vor. 123 Vgl. bereits mit gleichem Ergebnis wie hier Lommler, WuW 2011, 244, 253; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 150.

A. Missbräuchliche Kampfpreisunterbietung auf dem nachgelagerten Markt

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Abbildung 2: Verhältnis der Anwendungsbereiche der Verbote von Kosten-Preis-Schere und Kampfpreisunterbietung nach Maßgabe des sacrifice-Konzepts unter Berücksichtigung von Opportunitätskosten

IV. Fazit zum Verhältnis von Kosten-Preis-Schere und Kampfpreisverbot Das Verhältnis des Verbots der Kosten-Preis-Schere zu dem der Kampfpreisunterbietung nach Art. 102 AEUV ist wegen des möglicherweise anstehenden Übergangs von den Kriterien der AKZO-Rechtsprechung zum sacrifice-Konzept der Prioritätenmitteilung vielschichtig. Solange es keine endgültige Gewissheit über den nachhaltigen Wechsel der Prüfungskriterien gibt, wird man übereinstimmend mit der bisherigen Sichtweise der Unionsorgane festhalten können, dass es sich bei der Kosten-Preis-Schere gegenüber der Kampfpreisunterbietung um eine eigenständige Missbrauchsform handelt. Was die allgemeine rechtsdogmatische Konzeption betrifft, unterscheidet sich der marktstufenübergreifende Missbrauchstatbestand der Kosten-Preis-Schere grundlegend von dem der Kampfpreisunterbietung, der an sich nur einen einstufigen Tatbestand beschreibt. In der Rechtsanwendung schlägt sich die jeweilige Eigenständigkeit darin nieder, dass das Verbot der Kosten-Preis-Schere keine preisliche Unterschreitung der historischen und buchhalterisch erfassten Gestehungskosten voraussetzt, während dies für die Kampfpreisunterbietung auf Basis der AKZORechtsprechung obligatorisch ist. Auf diesem Wege erhält das Verbot der Kosten-

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Preis-Schere wie vorstehend erläutert einen eigenen zusätzlichen Anwendungsbereich im Rahmen des Art. 102 AEUV. Zu einem völlig anderen Befund müsste man hingegen gelangen, wenn der Bereich verbotener Kampfpreise de lege ferenda mithilfe des sacrifice-Tests abzustecken wäre. Dann nämlich droht sich das Verhältnis der Anwendungsbereiche umzukehren. Das Verbot der Kosten-Preis-Schere würde in dem entsprechend deutlich erweiterten Bereich der Kampfpreisunterbietung aufgehen. Nach dem jetzigen Stand der Dinge ist es aber alles andere als gesichert, dass dieser Übergang tatsächlich in seiner vollen Konsequenz vonstatten gehen wird. In diesem Zusammenhang kommen die durchgreifenden Bedenken gegen die von Petzold propagierte Möglichkeit, Kosten-Preis-Scheren mithilfe des Verbots der Kampfpreisunterbietung auf Grundlage eines allzu freimütig interpretierten sacrifice-Tests der kartellrechtlichen Prüfung zuzuführen, zum Tragen.

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt Im Anschluss an die Gegenüberstellung mit dem auf dem nachgelagerten Markt ansetzenden Verbot der missbräuchlichen Kampfpreisunterbietung soll der Fokus nun auf die vorgelagerte Marktstufe gerichtet werden. Aus der Darstellung zum USamerikanischen Recht ist insoweit bereits hervorgegangen, dass ein Verbot der Kosten-Preis-Schere dort mit dem Verbot wettbewerbswidriger Geschäftsverweigerungen konkurrieren kann. Ein funktionelles Gegenstück zum Prinzip der anticompetitive refusal to deal steht auch im europäischen Missbrauchsrecht nach Art. 102 AEUV zur Verfügung und mag in Situationen der Beschneidung fremder Gewinnmargen durch einen vertikal integrierten Marktbeherrscher einschlägig sein. Obwohl bei der Kosten-Preis-Schere das vorgelagerte Einsatzgut den Nachfragern nicht vollständig vorenthalten wird, kann bereits der relativ zum nachgelagerten Preisniveau entstehende Verteuerungseffekt die Qualität einer missbräuchlichen Geschäftsverweigerung erreichen.

I. Grundzüge der Beurteilung nach Art. 102 AEUV Bei der Geschäftsverweigerung handelt es sich ebenso wie bei der Kampfpreisunterbietung um eine der klassischen Erscheinungsformen missbräuchlicher Verhaltensweisen im Sinne von Art. 102 AEUV. Das europäische Kartellrecht hat sich diesem Phänomen erstmals in den 1970er Jahren in dem wegweisenden Fall Commercial Solvents angenommen. In der dazu ergangenen Entscheidung des EuGH heißt es, dass ein Unternehmen missbräuchlich agiert und gegen Art. 102 AEUV verstößt, „wenn es eine beherrschende Stellung auf dem Markt für Rohstoffe hat und sich in der Absicht, sich den Rohstoff für die Herstellung seiner eigenen Derivate

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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vorzubehalten, weigert, einen Kunden, der seinerseits Hersteller dieser Derivate ist, zu beliefern, auch auf die Gefahr hin, jeglichen Wettbewerb durch diesen Kunden auszuschalten.“124 Auf Basis dieser allgemeinen Beschreibung sowie einiger nachfolgend noch im Einzelnen darzustellender Verfeinerungen hat sich bis in die heutige Zeit die Rechtsprechungspraxis zu ganz unterschiedlich gelagerten und als missbräuchlich erkannten Geschäftsverweigerungen fortentwickelt.125 Wenngleich man auch in der jüngeren Zeit gelegentlich noch mit der Aussage konfrontiert wird, die tatbestandlichen Kriterien zur Feststellung wettbewerbswidriger Geschäftsverweigerungen seien immer noch nicht abschließend konsolidiert,126 soll im Folgenden der Versuch einer möglichst ganzheitlichen systematischen Darstellung unternommen werden, die sich für die im Anschluss angestrebte Gegenüberstellung mit dem Missbrauchskonzept der Kosten-Preis-Schere als tauglich erweist.127 1. Einführung Neben anderen denkbaren Anknüpfungspunkten für die kartellrechtliche Bedenklichkeit von Geschäftsverweigerungen gemäß Art. 102 AEUV128 steht in der Praxis der Unionsorgane, in der wissenschaftlichen Diskussion und nichts zuletzt auch hier ihre Würdigung unter dem Gesichtspunkt des marktübergreifenden Behinderungsmissbrauchs im Mittelpunkt des Interesses. Bei Geschäftsverweigerungen hat man es unter diesem speziellen Aspekt mit einer Sachverhaltskonstellation zu tun, in der ein Unternehmen auf einer Marktstufe bestimmte Leistungen seinen Nachfragern vorenthält und hierdurch Behinderungseffekte auf einer anderen Marktstufe auslöst.129 Zwischen beiden Märkten besteht hierbei ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang. Im Allgemeinen wird der letztgenannte Markt der wettbewerbsbeschränkenden Wirkungen als „abgeleiteter“ oder „verbundener“ Markt bezeichnet. In den meisten Fällen hat man es mit einer vertikalen Beziehung der Märkte zu tun, so dass man dann präziser und ganz genau wie bei der KostenPreis-Schere von einem „nachgelagerten“ Markt sprechen kann. Die kartellrechtliche Würdigung von Geschäftsverweigerungen seitens marktbeherrschender Unternehmen erweist sich als kompliziertes Unterfangen, weil es 124 EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18, Tz. 25 – Commercial Solvents. 125 Vgl. nur statt vieler EuGH, Urteil vom 3. 10. 1985, Rs. 311/84, EU:C:1985:394 – Télémarketing; EuGH, Urteil vom 6. 4. 1995, Rs. C-241/91 P u. a., EU:C:1995:98 – RTE und ITP/Kommission; EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569 – Oscar Bronner/Mediaprint; EuGH, Urteil vom 29. 4. 2004, Rs. C-418/01, EU:C:2004:257 – IMS Health; EuG, Urteil vom 17. 9. 2007, Rs. T-201/04, EU:T:2007:289 – Microsoft/Kommission. 126 So etwa Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 270. 127 Dass dies möglich ist, zeigt der ganzheitliche Ansatz der Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 75 – 90. 128 Vgl. für einen Überblick Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 269 – 270. 129 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 409.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

sich bei ihnen – wie so häufig – um wettbewerbspolitisch ambivalente Phänomene handelt.130 Auf der einen Seite kann die Vorenthaltung von Einsatzgütern zu einer Verringerung der Wettbewerbsintensität auf den abgeleiteten Märkten führen. Dies gilt insbesondere, wenn das Einsatzgut weder anderweitig verfügbar noch ohne erhebliche Anstrengungen substituierbar ist. Insofern besteht die Gefahr, dass die Geschäftsverweigerung den Wettbewerbsprozess und die Marktstrukturen beeinträchtigt und letzten Endes Nachteile für die hierdurch indirekt betroffenen Endverbraucher mit sich bringt.131 Auf der anderen Seite sind die wettbewerbspolitischen Gefahren eines allzu offenherzigen Umgangs mit dem Instrument des Kontrahierungszwangs in Bezug auf zurückgehaltene Einsatzgüter angemessen zu berücksichtigen. Es ist nämlich zu bedenken, dass das marktbeherrschende Unternehmen in aller Regel bereits in der zurückliegenden Zeit gewisse risikobehaftete Investitionsanstrengungen hat auf sich nehmen müssen, um sich den Zugang zu dem begehrten Einsatzgut überhaupt erstmals zu verschaffen. Daher ist es nur gerecht, ihm in angemessenen Grenzen eine Dispositionsfreiheit über das Einsatzgut auch und gerade dann zuzubilligen, wenn sich die Investition als erfolgreich herausstellt und profitträchtige Nachfrage erzeugt.132 Ein zu weitgehender Kontrahierungszwang kann hier eine wettbewerbspolitisch unerwünschte Trittbrettfahrermentalität erzeugen und mit dem schutzwürdigen Eigentumsrecht des Marktbeherrschers kollidieren.133 Eine durch Kontrahierungszwang bedingte Belebung des abgeleiteten Wettbewerbs führt dann unter Umständen nur zu kurzlebigen positiven Effekten für den Wettbewerb und höhlt auf lange Sicht die Investitions- und Innovationsanreize auf den Märkten vorgelagerter Einsatzgüter aus, was schließlich dem nachgelagerten Wettbewerb und den dortigen Verbraucherinteressen einen umso größeren Schaden zuzufügen droht.134 Folglich begibt man sich bei der kartellrechtlichen Bewertung von Geschäftsverweigerungen marktbeherrschender Unternehmen zwangsläufig in ein Spannungsfeld gegenläufiger, für sich genommen jeweils wettbewerbsrelevanter Interessen. Aus den dargestellten Gründen heraus ist man sich heutzutage auch weitestgehend einig, dass die sachgerechte kartellrechtliche Würdigung nur über den Weg einer sorgfältigen Abwägung der im Einzelfall potenziell entstehenden positiven wie 130

Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 305 – 307; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 19 Rdnrn. 46 – 47. 131 Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 276. 132 GA Jacobs, Schlussanträge vom 28. 5. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:264, Tz. 57 – Oscar Bronner/Mediaprint; Bishop/Walker, The Economics of EC Competition Law, Rdnr. 6 – 122. 133 Bishop/Walker, The Economics of EC Competition Law, Rdnr. 6 – 121; O’Donoghue/ Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 411 – 412. 134 So explizit O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 412; in dieselbe Richtung Bishop/Walker, The Economics of EC Competition Law, Rdnrn. 6 – 119 und 6 – 122; Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 277; Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 75.

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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negativen Auswirkungen einer Kontrahierungspflicht zu bewerkstelligen ist. Es gilt im Ausgangspunkt der Grundsatz, dass auch marktbeherrschende Unternehmen – in den Grenzen des Vertragsrechts – frei darüber entscheiden dürfen, mit welchen Handelspartnern sie Geschäftsverbindungen eingehen, fortführen oder abbrechen möchten.135 Art. 102 AEUV soll keine allgemeine Schranke für Vertragsfreiheit, Privatautonomie und das Recht, den unternehmerischen Vertrieb nach eigenem Gutdünken zu organisieren, errichten.136 Deswegen muss die Missbräuchlichkeit einer Geschäftsverweigerung nach Art. 102 AEUV stets die anhand strenger Maßstäbe begründungsbedürftige Ausnahme bleiben. 2. Zusammenstellung der Missbrauchskriterien Auf Grundlage der vorhandenen Entscheidungspraxis von Kommission und Unionsgerichten – die angesichts ihres Umfangs und Facettenreichtums hier allein aus Platzgründen nicht vollständig und im Einzelnen wiedergegeben werden kann – haben sich die nachfolgend wiedergegebenen Kriterien als maßgeblich für die Feststellung der Unzulässigkeit von Geschäftsverweigerungen gemäß Art. 102 AEUV entwickelt. a) Marktbezogene Rahmenbedingungen Wie bereits angeklungen ist, spielen sich Konstellationen der Geschäftsverweigerung stets marktübergreifend auf zwei vertikal miteinander verbundenen Produktionsstufen ab. Daher ist es zunächst erforderlich, ein so strukturiertes Umfeld von einander vor- und nachgelagerten Märkten mit entsprechender Geschäftstätigkeit des Normadressaten zu identifizieren.137 Keine Probleme stellen sich, solange es um Vorleistungen geht, die das marktbeherrschende Unternehmen ohnehin im Rahmen seiner regelmäßigen, nach außen gerichteten Geschäftstätigkeit am Markt anzubieten pflegt. Ein tatsächlicher vorgelagerter Markt für das Einsatzgut ist dann unproblematisch vorhanden. Hierbei handelt es sich um all diejenigen Fälle, in denen die Weigerung nur selektiv gegenüber bestimmten Kunden oder erst nachträglich im Rahmen einer bislang unterhaltenen Geschäftsverbindung ausgesprochen wird.138 135

Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 75. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 19 Rdnr. 46. 137 Vgl. EuGH, Urteil vom 29. 4. 2004, Rs. C-418/01, EU:C:2004:257, Tz. 45 – IMS Health; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 436 – 438, jeweils mit Hinweis auf das Erfordernis zweier verschiedener Produktionsstufen. 138 In dieser Form waren etwa die Sachverhalte in den Fällen Commercial Solvents (Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1972, ABl. 1972, L 299/51; EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18) und Télémarketing (EuGH, Urteil vom 3. 10. 1985, Rs. 311/84, EU:C:1985:394) gelagert; siehe außerdem die beiden „Hafenentscheidungen“ der Kommission (Entscheidung vom 11. 6. 1992, IV/34.174, 5 C.M.L.R. 255 (1992) – B&I Line/Sealink und Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 15/8 – Sea Containers/Stena Sealink), in denen jeweils nur über das „wie“, nicht jedoch über das „ob“ der Zugangsgewährung gestritten wurde. 136

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Die Anwendungspraxis geht aber noch weit darüber hinaus, indem sie ihr Missbrauchskonzept für Geschäftsverweigerungen auch auf Einsatzgüter anwendet, die tatsächlich niemals gegenüber externen Nachfragern angeboten worden sind und die der Marktbeherrscher seit jeher ausschließlich einer konzerninternen Weiterverwendung zuführt. Die Kommission hat dazu schon frühzeitig entschieden, dass die Anwendung des Art. 102 AEUV insoweit nicht von der Existenz eines „tatsächlichen Marktes“ abhängt.139 In Übereinstimmung hiermit genügt es auch dem EuGH, wenn in Bezug auf den Input „ein potenzieller oder auch nur hypothetischer Markt bestimmt werden kann“.140 Daher kommt es bei der Anwendung des Kartellrechts auf eine eigenständige Vermarktung des fraglichen Inputs nicht an.141 Genau dies sind die Fälle, die man bisweilen als Anwendungsbereich einer speziellen europäischen essential facilities-Doktrin im Blick hat.142 Hinsichtlich der Art der betroffenen Einsatzgüter unterliegen Geschäftsverweigerungen keinerlei sachlichen Grenzen. Tauglicher Gegenstand einer Verweigerung kann jedes beliebige wirtschaftlich handelbare Einsatzgut sein.143 Sie kann sich auf bewegliche oder unbewegliche, körperliche oder unkörperliche Güter beziehen. Diese konzeptionelle Vielfalt kommt auch in den bisher von den Unionsorganen entschiedenen Fällen deutlich zum Ausdruck. Man hat sich mit Geschäftsverweigerungen in Bezug auf so unterschiedliche Leistungen wie die Belieferung mit Rohstoffen144, die Erlaubnis zur Mitbenutzung von Seehafeninfrastrukturen145, die Aufnahme in ein Vertriebssystem für Tageszeitungen146, die Erteilung urheber-

139 Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 55/52, Tz. 4 – Hafen von Rødby. Hier ging es um die Erlaubnis der Mitbenutzung einer Hafeninfrastruktur, die von ihrem Inhaber bis dahin nicht eigenständig an einen außenstehenden Interessentenkreis vermarktet worden war. 140 EuGH, Urteil vom 29. 4. 2004, Rs. C-418/01, EU:C:2004:257, Tz. 44 – IMS Health; ebenso jüngst Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 79. 141 So auch Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 346. 142 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 331. Die Missbräuchlichkeitskriterien für Fälle dieser speziellen Kategorie unterscheiden sich aber nicht grundlegend von denen anderer Geschäftsverweigerungen, vgl. O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 407 – 408. 143 Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 343. 144 Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1972, ABl. 1972, L 299/51 – Zoja/CSC-ICI, bestätigt durch EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18 – Commercial Solvents. 145 Vgl. dazu die Serie der von der Kommission erlassenen „Hafenentscheidungen“: Kommission, Entscheidung vom 11. 6. 1992, IV/34.174, 5 C.M.L.R. 255 (1992) – B&I Line/ Sealink; Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 15/8 – Sea Containers/ Stena Sealink; Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 55/52 – Hafen von Rødby; Kommission, Entscheidung vom 16. 5. 1995, IV/35.388, 5 C.M.L.R. 177 (1995) – Irish Continental Group/CCI Morlaix. 146 EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569 – Oscar Bronner/Mediaprint.

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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rechtlicher Lizenzen147, die Benutzung eines Abrechnungssystems für Wertpapiergeschäfte148 und die Offenlegung sogenannter Interoperabilitätsinformationen149 auseinandergesetzt. b) Unternehmensbezogene Rahmenbedingungen Wenn sich Konstellationen der Geschäftsverweigerung als kartellrechtliches Problem darstellen, ist der mutmaßliche Delinquent typischerweise über beide beteiligte Marktstufen hinweg vertikal integriert. Dies ist mit Blick auf die unternehmerische Motivationslage naheliegend: Denn ein Interesse an der Einstellung vorgelagerter Geschäftstätigkeit ist vernünftigerweise nur dann vorhanden, wenn das Unternehmen die Hoffnung hegt, dadurch selbst einen größeren Anteil der nachgelagerten Geschäftstätigkeit an sich zu ziehen. Die Geschäftsverweigerung stellt sich daher regelmäßig als Hilfsmittel zur Verlagerung der eigenen Geschäftstätigkeit in einen nachgelagerten Markt dar.150 Wegen des marktübergreifenden Charakters der Geschäftsverweigerung sowie der regelmäßig vorzufindenden vertikalen Integration des betroffenen Unternehmens stellt sich die Frage danach, wo der Zugangsinhaber die für Art. 102 AEUV obligatorische marktbeherrschende Stellung einnehmen muss. In Praxis wie Literatur besteht Einigkeit, dass eine marktbeherrschende Stellung mindestens auf dem vorgelagerten Markt für die Bereitstellung des Einsatzgutes erforderlich ist.151 Denn erst über wirtschaftliche Macht auf dieser Ebene entstehen die nötigen Rahmenbedin147 EuGH, Urteil vom 6. 4. 1995, Rs. C-241/91 P u. a., EU:C:1995:98 – RTE und ITP/ Kommission; EuGH, Urteil vom 29. 4. 2004, Rs. C-418/01, EU:C:2004:257 – IMS Health. 148 Kommission, Entscheidung vom 2. 6. 2004, COMP/38.096 – Clearstream; EuG, Urteil vom 9. 9. 2009, Rs. T-301/04, EU:T:2009:317 – Clearstream/Kommission. 149 Kommission, Entscheidung vom 24. 3. 2004, COMP/37.792 – Microsoft; EuG, Urteil vom 17. 9. 2007, Rs. T-201/04, EU:T:2007:289 – Microsoft/Kommission. 150 Besonders deutlich geht dies aus dem Sachverhalt des Falles Commercial Solvents hervor. Das Unternehmen CSC verlagerte seine nach außen gerichtete Geschäftstätigkeit in den nachgelagerten Markt für Ethambutol unter Inkaufnahme der Aufgabe von Gewinnen aus den bisherigen Aktivitäten im vorgelagerten Markt für Aminobutanol. Ein kartellrechtlicher Grundsatz, der die vertikale Integration als unabdingbare Missbrauchsvoraussetzung für Geschäfts- und Zugangsverweigerungen vorsehen könnte, hat sich hingegen nicht herausgebildet. Dies belegen Kommission, Entscheidung vom 16. 5. 1995, IV/35.388, 5 C.M.L.R. 177 (1995), Tz. 59 – Irish Continental Group/CCI Morlaix; Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 84 (dort lit. b); Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im USamerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 273. 151 Vgl. aus der Anwendungspraxis nur EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/ 73, EU:C:1974:18, Tz. 21 – 22 – Commercial Solvents; Kommission, Entscheidung vom 22. 6. 2011, COMP/39.525, Tz. 642 – Telekomunikacja Polska. Diese Voraussetzung ist auch im Schrifttum unbestritten, vgl. etwa Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 353; Temple Lang, 18 Fordham Int’l L. J. (1994), 437, 478; allgemein zu den mit der leveraging-Theorie beschriebenen Konstellationen Nothhelfer, Die leverage theory im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 48.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

gungen, damit sich die Vorenthaltung dieses Einsatzgutes negativ auf die nachgelagerten Wettbewerbsverhältnisse auswirken kann. Klassischerweise ergibt sie sich als Folge der wirtschaftlichen Abhängigkeitslage der übrigen Marktteilnehmer im Verhältnis zum Marktbeherrscher in Bezug auf das zurückgehaltene Einsatzgut.152 Entgegen einer nur vereinzelt vertretenen Meinung153 ist es nicht erforderlich, dass das geschäftsverweigernde Unternehmen zusätzlich noch auf dem nachgelagerten Markt eine beherrschende Stellung innehat und damit in doppelter Hinsicht beherrschend ist. Kommission und EuGH haben es in ihrer Anwendungspraxis immer wieder bei der Prüfung der Beherrschung des vorgelagerten Marktes belassen.154 Soweit gerade in jüngeren Entscheidungen bisweilen dennoch eine Analyse der Stellung im nachgelagerten Markt erfolgt, wird stets ausdrücklich darauf hingewiesen, dass diese für den Nachweis einer missbräuchlichen Geschäftsverweigerung rechtlich nicht notwendig ist.155 Die Richtigkeit dieser Auffassung ergibt sich vor dem Hintergrund der schon im Kontext der Kosten-Preis-Schere angesprochenen leveraging-Theorie,156 die gleichermaßen auch die Wettbewerbsgefahren in Fällen der Geschäftsverweigerung zu beschreiben geeignet ist. Marktmacht wird aus dem vorgelagerten in den nachgelagerten Markt hinein übertragen. Die Entstehung oder der Ausbau einer Machtstellung im nachgelagerten Markt ergibt sich dann allenfalls als unternehmerisches Ziel und mögliche Folge der Geschäftsverweigerung.157 c) Die Verweigerung der Geschäftstätigkeit Eine für das europäische Missbrauchsverbot relevante Geschäftsverweigerung lässt sich durch unterschiedlich geartete Verhaltensweisen des marktbeherrschenden Unternehmens umsetzen. Deren Gemeinsamkeit besteht darin, dass das fragliche

152 Vgl. Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 353 mit der Anmerkung, dass der Nachweis der Beherrschung des vorgelagerten Marktes für das Einsatzgut im Nachweis der Unentbehrlichkeit aufgehe. 153 Klimisch/Lange, WuW 1998, 15, 23; Venit/Kallaugher, in: Fordham Corporate Law Institute 1994, S. 315, 323. 154 EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18, Tz. 21 – 22, 25 – Commercial Solvents; EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569, Tz. 34 – 35 – Oscar Bronner/Mediaprint; Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 55/ 52, Tz. 10 – Hafen von Rødby; Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 15/ 8, Tz. 66 – Sea Containers/Stena Sealink; dieser Praxis ausdrücklich beipflichtend Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 354. 155 Vgl. etwa Kommission, Entscheidung vom 22. 6. 2011, COMP/39.525, Tz. 642, 666 – Telekomunikacja Polska. 156 Siehe oben, Kap. 4 C. I. 3. 157 In diesem Sinne etwa Eilmansberger, EWS 2003, 12, 16, der mit implizitem Blick auf den Gedanken der leveraging-Theorie weder eine marktbeherrschende Stellung des Zugangsinhabers auf dem nachgelagerten Markt noch sonstige wettbewerbsbezogene Strukturmerkmale für eine missbräuchliche Geschäftsverweigerung voraussetzt.

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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Einsatzgut ganz oder teilweise zurückgehalten und damit dem Geschäftsverkehr entzogen wird. Zum unproblematischen Kernbereich gehören diejenigen Konstellationen, in denen sich der Marktbeherrscher weigert, das begehrte Einsatzgut überhaupt am Markt anzubieten. Bei dieser „absoluten“ bzw. „vollständigen“ Weigerung handelt es sich um die eindeutigste Erscheinungsform einer Geschäftsverweigerung. Paradigmatisch sind insoweit etwa die unter dem Stichwort der essential facilities behandelten Konstellationen enttäuschter Zugangsbegehren für die beim Marktbeherrscher ausschließlich intern genutzten (Infrastruktur-)Einrichtungen.158 Ob sich die absolute Weigerung dabei in Form der Nichtaufnahme von Geschäftsbeziehungen gegen einen potenziellen Neukunden oder in Form des Abbruchs einer Geschäftsbeziehung gegen einen bereits bestehenden Kunden richtet, ist grundsätzlich unerheblich.159 Ebenfalls ins Spektrum der Geschäftsverweigerungen gehört zudem eine ganze Reihe subtilerer Maßnahmen in laufenden Geschäftsverbindungen, sofern sie die Tendenz aufweisen, zur Zurückhaltung von Einsatzgütern beitragen zu können. Wenn sich der Marktbeherrscher beispielsweise prinzipiell zur Geschäftstätigkeit in Bezug auf sein Einsatzgut bereit erklärt, hierfür jedoch aus Sicht der Nachfrager außerordentlich unvorteilhafte Preise oder Konditionen festsetzt, wird man dies ab einer gewissen Erheblichkeitsschwelle wertungsmäßig einer absoluten Geschäftsverweigerung gleichstellen dürfen. Man spricht in diesen Fällen von einer „konstruktiven“ oder „materiellen“ Geschäftsverweigerung.160 Die Anwendungspraxis hat sich schon mehrfach mit Konstellationen dieser Art auseinandergesetzt, wobei es typischerweise um Vorwürfe ging, wonach der Marktbeherrscher die Bereitstellung des begehrten Zugangs ungebührlich lange hinausgezögert habe.161 Eine zentrale 158 Vgl. hierzu beispielsweise die Verweigerung der Mitbenutzung von Hafenanlagen in den Verfahren B&I Line/Sealink (Kommission, Entscheidung vom 11. 6. 1992, IV/34.174, 5 C.M.L.R. 255 (1992)); Sea Containers/Stena Sealink (Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 15/8); Hafen von Rødby (Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 55/52). 159 Nachdem man teilweise versucht hat, zwischen dem Abbruch bestehender und der Nichtaufnahme neuer Geschäftsbeziehungen in dogmatischer Hinsicht zu differenzieren und infolgedessen auch die normative Bewertung anhand des Art. 102 AEUV unterschiedlich auszugestalten (dazu überblicksmäßig Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 270 – 276), ist man inzwischen ganz überwiegend und mit Recht zu der Auffassung gelangt, dass grundlegende konzeptionelle Unterschiede zwischen beiden Sachverhaltsgruppen nicht bestehen, vgl. hierzu etwa Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 8; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 172; differenzierend O’Donoghue/ Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 459 – 461. 160 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 79; Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 359; Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 Rdnr. 250. 161 Siehe dazu etwa Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 15/8, Tz. 70 – Sea Containers/Stena Sealink (Hinauszögerung der Erlaubnis, die Hafeneinrichtungen im walisischen Holyhead mitbenutzen zu dürfen); Kommission, Entscheidung vom 2. 6. 2004,

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Schwierigkeit bei der Anwendung von Art. 102 AEUV auf konstruktive Geschäftsverweigerungen besteht darin, eine sachgerechte Grenze zu den gerade noch zu tolerierenden, nicht verbotswürdigen Zugangsbehinderungen ausfindig zu machen.162 Fraglich ist, inwieweit unter dem Aspekt der Geschäftsverweigerung und des verweigerten Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen daneben auch Ungleichbehandlungen bei der Bereitstellung eines Einsatzgutes für sich genommen tatbestandsmäßig sein können. So hat beispielsweise die Kommission in der Reihe ihrer sogenannten „Hafenentscheidungen“ aus den 1990er Jahren wiederholt entschieden, dass der marktbeherrschende Inhaber einer wesentlichen Einrichtung den Zugang zu dieser nicht unter ungünstigeren Bedingungen als denjenigen bereitstellen darf, die für den eigenen nachgelagerten Geschäftsbereich des Einrichtungsinhabers gelten.163 Eine inhaltlich gleichlautende Position hat sie zudem für die Gewährung des Infrastrukturzugangs im Telekommunikationsbereich artikuliert.164 Der konkrete Missbrauchsvorwurf bewegt sich dabei im Schnittbereich von Geschäfts- bzw. Zugangsverweigerung auf der einen und Ungleichbehandlung nachgelagerter Marktteilnehmer auf der anderen Seite. Um eine Anwendung des eigenständigen kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots aus Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV165 scheint es sich aber nicht zu handeln, weil der Schwerpunkt der Intervention in den zitierten Fällen stets auf der Öffnung eines nachgelagerten Marktes zu wettbewerblich angemessenen Konditionen lag. Somit erscheint es sachgerecht, die „bedingte, relativ COMP/38.096, Tz. 244 – 292 – Clearstream (Hinhaltetaktik bei der Gewährung des Zugangs zu elektronischen Wertpapierhandelssystemen), hinsichtlich der Einordnung als konstruktive Geschäftsverweigerung anschließend bestätigt durch EuG, Urteil vom 9. 9. 2009, Rs. T-301/04, EU:T:2009:317, Tz. 143 – 154 – Clearstream/Kommission; Kommission, Entscheidung vom 22. 6. 2011, COMP/39.525, Tz. 296 – 374, 722 – 747 – Telekomunikacja Polska (Hinauszögerung von Verhandlungen im Hinblick auf den Abschluss von Zugangsvereinbarungen für das polnische Telekommunikationsnetz) sowie a.a.O., Tz. 393 – 396, 474 – 479, 755 – 758, 779 – 782 (Hinhaltetaktik im Rahmen der Abwicklung). 162 Dazu noch später ausführlicher, vgl. Kap. 5 B. III. 1. 163 Kommission, Entscheidung vom 11. 6. 1992, IV/34.174, 5 C.M.L.R. 255 (1992), Tz. 41 – B&I Line/Sealink; Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 15/8, Tz. 66 – Sea Containers/Stena Sealink. 164 Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 86. Darin bekräftigt die Kommission dass sie die diskriminierende Gewährung eines vorgelagerten Zugangs unter gleichzeitiger Begünstigung einer konzerneigenen nachgelagerten Betriebseinheit unter dem Aspekt der Zugangsverweigerung auf den kartellrechtlichen Prüfstand stellen will. Ein marktbeherrschendes Unternehmen sei hiernach verpflichtet, „den Zugang auf eine solche Weise zu gewähren, dass die den Unternehmen auf dem nachgeordneten Markt angebotenen Waren und Dienstleistungen nicht zu ungünstigeren Bedingungen verfügbar sind, als dies für andere Parteien, einschließlich der eigenen nachgeordneten Geschäftssparten, der Fall ist.“ (Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 86, Hervorhebungen hinzugefügt). 165 Hierzu noch die anschließende separate Untersuchung, Kap. 5 C.

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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zur Behandlung des eigenen Konzernverbunds benachteiligende Geschäftsbereitschaft“ als Sonderfall neben die absoluten und konstruktiven Geschäftsverweigerungen einzureihen.166 d) Objektive Notwendigkeit des Einsatzgutes Die Missbräuchlichkeit von Geschäftsverweigerungen im bis hierher dargestellten Sinne setzt weiter voraus, dass das konkret verweigerte vorgelagerte Einsatzgut für die Tätigkeit im nachgelagerten Markt „objektiv notwendig“ ist. Die eigenständige Bedeutung dieses Merkmals hat sich in der Entscheidungspraxis erst nach und nach herausgebildet. So haben die Unionsorgane in ihrer frühen Fallpraxis zunächst entweder gar nicht167 oder nur am Rande168 darauf rekurriert. Spätestens seit den klarstellenden Ausführungen des EuGH in der Entscheidung Oscar Bronner des Jahres 1998 ist die objektive Notwendigkeit – bzw. in der Terminologie der essential facilities-Doktrin: Wesentlichkeit169 – aber ein gefestigter Bestandteil im kartellrechtlichen Prüfungsprogramm für Geschäfts- und Zugangsverweigerungen.170 Die vom EuGH dazu aufgestellten Anforderungen sind in materiellrechtlicher Hinsicht eher streng. Geschäftsverweigerungen sollen nicht allzu leicht unter unter das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV fallen. Im allgemeinen Ausgangspunkt gilt, dass von objektiver Notwendigkeit erst auszugehen ist, wenn es für das begehrte Einsatzgut weder einen tatsächlichen noch einen potenziellen Ersatz gibt.171 Im Rahmen der ersten Modalität („tatsächlicher Ersatz“) kann das marktbeherrschende Unternehmen einen Zugangspetenten zunächst auf alternative, bereits tatsächlich verfügbare Bezugs- oder Zugangsmöglichkeiten verweisen. Dies leuchtet ein, denn wo entsprechende Alternativen vorhanden sind, bedarf es keiner kartellrechtlichen Intervention in Form eines Kontrahierungs- und Belieferungszwangs. Als relevanter 166 Zu dieser Einordnung tendierte auch die Kommission, etwa in ihrer Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 84 (lit. a) i.V.m. Tz. 85 – 86. 167 So etwa im Fall Commercial Solvents (Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1972, ABl. 1972, L 299/51; EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18, Tz. 25). 168 So etwa der EuGH mit seiner Bezugnahme auf die „Unerlässlichkeit“ der Vorleistung in EuGH, Urteil vom 3. 10. 1985, Rs. 311/84, EU:C:1985:394, Tz. 26 – Télémarketing. 169 Vgl. Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 91 lit. a); Säcker/Calliess, K&R 1999, 337, 343. 170 Vgl. EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569, Tz. 41 – Oscar Bronner/Mediaprint; daran anknüpfend Kommission, Entscheidung vom 2. 6. 2004, COMP/ 38.096, Tz. 224, 226 – 227 – Clearstream; EuG, Urteil vom 9. 9. 2009, Rs. T-301/04, EU:T:2009:317, Tz. 147 – Clearstream/Kommission; EuGH, Urteil vom 29. 4. 2004, Rs. C418/01, EU:C:2004:257, Tz. 28 – 30 – IMS Health; EuG, Urteil vom 17. 9. 2007, Rs. T-201/04, EU:T:2007:289, Tz. 369 – 436 – Microsoft/Kommission. 171 EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569, Tz. 41 a.E. – Oscar Bronner/Mediaprint.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

tatsächlicher Ersatz gelten nach Ansicht des EuGH nicht nur wirtschaftlich gleichwertige oder zu gleichen Bedingungen verfügbare Ausweichmöglichkeiten, sondern innerhalb gewisser Grenzen auch solche, die für den Zugangspetenten mit wirtschaftlichen Nachteilen behaftet sind.172 Aber selbst wenn im maßgeblichen Zeitpunkt keine alternativen Bezugsquellen tatsächlich vorhanden sind, kann das marktbeherrschende Unternehmen seine Zugangspetenten immer noch auf einen „potenziellen Ersatz“ verweisen. Unter diesem Gesichtspunkt wird es ihnen zugemutet, sich primär selbst eine geeignete Bezugsquelle neben der des Marktbeherrschers zu verschaffen, bevor sie die Vorleistung des Marktbeherrschers – selbst gegen marktgerechte Vergütung – für sich beanspruchen dürfen.173 Diese Obliegenheit reicht bis zur Grenze der technischen oder rechtlichen Unmöglichkeit oder der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit.174 Die in der Praxis besonders wichtige Schwelle der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit ist dabei nicht schon dann überschritten, wenn es für den Zugangspetenten in seiner konkreten individuellen Situation (etwa wegen geringerer Marktanteile) unwirtschaftlich wäre, die Einrichtung des Marktbeherrschers zu duplizieren. Abzustellen ist nach den Vorgaben des EuGH vielmehr auf einen fiktiven Zugangspetenten, dessen Position auf dem nachgelagerten Markt mit der des marktbeherrschenden Inhabers der begehrten Einrichtung vergleichbar ist.175 Hierdurch entsteht eine wesentlich höhere Hürde für die Feststellung verbotswürdiger Geschäftsverweigerungen im Sinne des Art. 102 AEUV. Aufgrunddessen dürften nur diejenigen Einsatzgüter als „objektiv notwendig“ gelten, die sich im Rahmen einer ökonomischen Betrachtungsweise als unangreifbare natürliche Monopole charakterisieren lassen.176 Der EuGH hat sich mit dieser – inzwischen auch von der Kommission rezipierten177 – Rechtsprechung erkennbar um eine wirtschaftlich fundierte Begrenzung des kartellrechtlichen Kontrahierungszwangs bemüht. Indem die eigene Situation des Marktbeherrschers zum entscheidenden Beurteilungsmaßstab erklärt wird, entsteht ein funktionelles Äquivalent zum equally efficient competitor-Test bei der Kosten-Preis-Schere. Dem Merkmal der objektiven Notwendigkeit kommt damit eine wichtige teleologische Funktion im Rahmen der Würdigung von Geschäftsverweigerungen gemäß Art. 102 AEUV zu. 172 EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569, Tz. 43 – Oscar Bronner/ Mediaprint. 173 Vgl. Fleischer/Weyer, WuW 1999, 350, 359. 174 EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569, Tz. 44 – Oscar Bronner/ Mediaprint. 175 EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569, Tz. 45 – 46 – Oscar Bronner/Mediaprint; in die gleiche Richtung auch Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 91 lit. a) (dort in Fn. 67). 176 Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 341; Klimisch/Lange, WuW 1998, 15, 21; Säcker/Calliess, K&R 1999, 337, 343. 177 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 83.

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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e) Ausschaltung des nachgelagerten Wettbewerbs Neben der objektiven Notwendigkeit wird im hergebrachten Prüfungsprogramm noch als weiteres Missbrauchskriterium vorausgesetzt, dass die verhaltensmäßige Geschäftsverweigerung zusätzlich geeignet ist, den Wettbewerb auf dem nachgelagerten Markt auszuschalten.178 In der bisherigen Praxis hat man dieses Merkmal nicht immer einheitlich ausgelegt. Teilweise hat man eine individualistische Prüfung angestellt und gefragt, ob es zur Ausschaltung des Wettbewerbs durch den konkret betroffenen Zugangspetenten kommt.179 In anderen Fällen hat man in eher generalisierter Weise darauf abgestellt, ob es zum Ausschluss jeglichen Wettbewerbs durch sämtliche Zugangspetenten kommt.180 In Übereinstimmung mit der präventiven Schutzfunktion des Art. 102 AEUV muss die Ausschaltung des Wettbewerbs nicht bereits tatsächlich eingetreten sein, sondern es genügt, wenn die Ausschaltung droht oder die Geschäftsverweigerung geeignet ist, diese herbeizuführen.181 Auch wenn das Kriterium der Ausschaltung des nachgelagerten Wettbewerbs meist konzeptionell gleichberechtigt neben der zuvor erörterten objektiven Notwendigkeit des verweigerten Einsatzgutes genannt wird, ist zweifelhaft, ob es einen echten Mehrwert für die kartellrechtliche Analyse bringt. Denn es ist unverkennbar, dass es zwar aus einer anderen Perspektive, im Ergebnis aber übereinstimmend mit dem Kriterium der objektiven Notwendigkeit danach fragt, ob und wie sich die Verweigerung der Geschäftstätigkeit auf die nachgelagerten Wettbewerbsverhältnisse niederschlägt.182 Wenn nämlich ein vorgelagertes Einsatzgut im zuvor dargestellten Sinne als objektiv notwendig einzustufen ist, dürfte dessen Zurückhaltung in aller Regel zugleich die Voraussetzungen für wirksamen Wettbewerb im nachgelagerten Markt entfallen lassen, so dass sich beide Prüfungsstationen im Ergebnis weitgehend überschneiden.183 Die Kommission will angesichts dieses funktionellen 178 EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18, Tz. 25 – Commercial Solvents; EuGH, Urteil vom 3. 10. 1985, Rs. 311/84, EU:C:1985:394, Tz. 26 – Télémarketing; EuG, Urteil vom 17. 9. 2007, Rs. T-201/04, EU:T:2007:289, Tz. 560 – 564 – Microsoft/Kommission. 179 Beispiele: EuGH, Urteil vom 6. 3. 1974, verb. Rs. 6/73 und 7/73, EU:C:1974:18, Tz. 25 – Commercial Solvents; EuGH, Urteil vom 3. 10. 1985, Rs. 311/84, EU:C:1985:394, Tz. 25 – 26 – Télémarketing; EuGH, Urteil vom 26. 11. 1998, Rs. C-7/97, EU:C:1998:569, Tz. 41 – Oscar Bronner/Mediaprint; EuG, Urteil vom 9. 9. 2009, Rs. T-301/04, EU:T:2009:317, Tz. 147 – Clearstream/Kommission. 180 Beispiele: EuGH, Urteil vom 6. 4. 1995, Rs. C-241/91 P u. a., EU:C:1995:98, Tz. 56 – RTE und ITP/Kommission; EuGH, Urteil vom 29. 4. 2004, Rs. C-418/01, EU:C:2004:257, Tz. 47 – IMS Health; EuG, Urteil vom 17. 9. 2007, Rs. T-201/04, EU:T:2007:289, Tz. 332, 561 – 564 – Microsoft/Kommission. 181 EuG, Urteil vom 17. 9. 2007, Rs. T-201/04, EU:T:2007:289, Tz. 561, 563 – Microsoft/ Kommission. 182 So anschaulich Fleischer/Weyer, WuW 1999, 350, 358. 183 Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im US-amerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 262; Fleischer/Weyer, WuW 1999, 350, 358; O’Donoghue/Padilla, The

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Zusammenhangs die Eignung einer Geschäftsverweigerung zur Ausschaltung des Wettbewerbs vermuten, sobald das Einsatzgut im vorherigen Schritt als unentbehrlich qualifiziert worden ist.184 Abgesehen von der auf diesem Wege möglichen Indizierung durch die festgestellte objektive Notwendigkeit des zurückgehaltenen Einsatzgutes ist die Ausschaltung des nachgelagerten Wettbewerbs immer dann besonders vordringlich zu befürchten, wenn der nachgelagerte Markt – aus welchen Gründen auch immer – schon von vornherein eine geringe Wettbewerbsintensität aufweist.185 Häufig ist es hier die eigene marktmächtige, möglicherweise sogar nochmals beherrschende Stellung des Geschäftsverweigerers selbst, die man auf dem nachgelagerten Markt vorfindet und die auf diesem Wege in die Prüfung gelangt.186 Schließlich scheint die Kommission zukünftig im Rahmen der Ausschaltung des schutzwürdigen Wettbewerbs eine intensiver als bisher ausgestaltete Prüfung dahingehend anzustreben, inwiefern sich eine Geschäftsverweigerung im Einzelfall positiv oder negativ auf die Verbraucherinteressen auswirkt.187 f) Fehlen einer objektiven Rechtfertigung Eine Geschäftsverweigerung fällt nicht unter das Missbrauchsverbot, soweit sie von einem geeigneten objektiven Rechtfertigungsgrund gedeckt ist. Die hierfür potenziell maßgeblichen Gründe sind vielfältig, wobei sie aber wegen der äußerst restriktiven Handhabung seitens der Unionsorgane nur geringe praktische Bedeutung besitzen.188 Rechtfertigungsfähig sind beispielsweise Geschäftsverweigerungen, die vor dem Hintergrund zwingender technischer Hindernisse, erreichter Kapazitätsgrenzen, drohender unangemessener Beeinträchtigungen der Betriebsabläufe beim Marktbeherrscher oder nicht sichergestellter Zahlungsfähigkeit des Zugangspetenten praktiziert werden.189 Daneben sieht man vielfach auch in verfassungsrechtlichen Law and Economics of Article 82 EC, S. 442 – 443; vgl. aber auch einschränkend Eilmansberger, EWS 2003, 12, 13 – 14. 184 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 85. 185 Koenig/Loetz, EWS 2000, 377, 381; Temple Lang, 18 Fordham Int’l L. J. (1994), 437, 492; sinngemäß von Wallenberg, K&R 1999, 152, 155 in Bezug auf § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB, der im deutschen Missbrauchsrecht einen speziellen Zugangsanspruch statuiert. 186 Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 354; Temple Lang, 18 Fordham Int’l L. J. (1994), 437, 478. 187 Siehe dazu Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 86 – 88 (dort allerdings als eigenständiger zusätzlicher Prüfungsschritt formuliert); zurückhaltend insoweit noch die Rechtsprechung, die vorerst ausschließlich bei der Lizenzverweigerung in Bezug auf geistige Eigentumsrechte auf die Verbraucherinteressen abstellt, vgl. etwa EuGH, Urteil vom 6. 4. 1995, Rs. C-241/91 P u. a., EU:C:1995:98, Tz. 54 – RTE und ITP/Kommission; EuGH, Urteil vom 29. 4. 2004, Rs. C-418/01, EU:C:2004:257, Tz. 49 – IMS Health; EuG, Urteil vom 17. 9. 2007, Rs. T-201/04, EU:T:2007:289, Tz. 646 – 647 – Microsoft/Kommission. 188 Vgl. Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 355. 189 EuGH, Urteil vom 3. 10. 1985, Rs. 311/84, EU:C:1985:394, Tz. 26 – Télémarketing; Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 96; GD Wettbewerb, Dis-

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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Erwägungen denkbare Rechtfertigungsgründe. Gemeint sind damit einerseits das Eigentumsrecht in Bezug auf die vorgelagerten materiellen oder immateriellen Einsatzgüter, andererseits aber auch die negative Vertragsfreiheit.190 Ob der mit der Anordnung eines kartellrechtlichen Kontrahierungszwangs einhergehende Eingriff in diese Rechte verhältnismäßig ist, lässt sich hier insbesondere über die Höhe der zu zahlenden Vergütung steuern.191 Schließlich darf der marktbeherrschende Inhaber des begehrten Einsatzgutes oder Zugangs seine enttäuschten Nachfrager auf die mit der Zurückhaltung je nach Einzelfall verbundenen Effizienzgewinne verweisen. Beispielsweise ist es einem marktbeherrschenden Unternehmen gestattet, sich auf die Erforderlichkeit seiner Weigerung zu berufen, um die eingangs angesprochenen Anreize zu wettbewerbsschädlicher Trittbrettfahrerei Dritter auf den eigenen Investitionsanstrengungen in angemessener Form einzudämmen.192 Die einzelfallspezifische Legalisierung einer prima facie missbräuchlich erscheinenden Geschäftsverweigerung kann in solchen Situationen als Mittel zur Absicherung der Rahmenbedingungen für langfristig wettbewerbsförderliche effiziente Wirtschaftstätigkeit notwendig und geboten sein.193 3. Rechtsfolge: Kontrahierungszwang Wenn es nach den bis hierhin dargestellten Kriterien eine gemäß Art. 102 AEUV unzulässige Geschäftsverweigerung praktiziert hat, unterliegt das marktbeherrschende Unternehmen unmittelbar einem kartellrechtlichen Kontrahierungszwang. Als besonderes Problem erweist sich dabei regelmäßig die sachgerechte inhaltliche Ausgestaltung der so erzwungenen Geschäftstätigkeit.194 Im Ausgangspunkt besteht zunächst kein Zweifel daran, dass das marktbeherrschende Unternehmen verpflichtet sein muss, überhaupt eine Geschäftsbeziehung mit seinen Nachfragern einzugehen. Dies ist die naheliegende und richtige Maßnahme, um der absoluten Geschäftskussionspapier zu Art. 82 EG, Tz. 234; Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im USamerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 282 – 283 und 287 – 288; Eilmansberger/ Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 356 m.w.N. 190 Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im US-amerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 283 – 286; Fleischer/Weyer, WuW 1999, 350, 355 – 356; Schnelle, EuZW 1994, 556. 191 Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im US-amerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 284 – 286 mit Verweise auf Kommission, Entscheidung vom 14. 12. 1998, IV/34.801, ABl. 1998, L 72/30 – Flughafen Frankfurt (siehe darin Tz. 92 zur Funktion der angemessenen Vergütung als Mittel zur Wahrung eines verhältnismäßigen Eingriffs in das Eigentumsrecht). 192 Siehe dazu oben, Kap. 5 B. I. 1. 193 So auch Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 89; ausführlich zu den mit Geschäftsverweigerungen potenziell verbundenen Investitionsanreizen unter dem Aspekt der dynamischen Effizienzgewinne Paul, Behinderungsmissbrauch nach Art. 82 EG, S. 280 – 282. 194 Vgl. Bishop/Walker, The Economics of EC Competition Law, Rdnr. 6 – 128.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

verweigerung abzuhelfen. Wenn man mit dem Missbrauchskonzept der kartellrechtswidrigen Geschäftsverweigerung ernst machen will, darf man hierbei aber nicht stehenbleiben. Ansonsten könnte der Normadressat seiner Pflicht aus Art. 102 AEUV bereits damit Genüge tun, indem er die bislang absolute durch eine konstruktive Geschäftsverweigerung mit ähnlicher Wirkung für den nachgelagerten Wettbewerb ersetzt. Da diese aber zu Recht ebenfalls als tatbestandsmäßig eingestuft wird, kommt man als Rechtsanwender nicht umhin, auch die näheren Details der so angeordneten Geschäftstätigkeit vorzugeben.195 Dies bringt insbesondere die Wettbewerbsbehörden in die missliche, aber letzten Endes unvermeidliche Lage, dass sie zur wirkungsvollen Durchsetzung des Art. 102 AEUV gegen konkurrentenbehindernde Geschäftsverweigerungen einen angemessenen Preis sowie im Übrigen angemessene Vertragsbedingungen festsetzen müssen.196 Hierbei versucht die Kommission nach Möglichkeit, die dirigistische Wirkung ihrer Verfügungen auf ein Minimum zu beschränken. Meistens zieht sie sich auf die explizite Vorgabe „fairer“ und „nichtdiskriminierender“ Konditionen zurück.197 Dies ist erkennbar Ausdruck der mit vielerlei Unwägbarkeiten behafteten Aufgabe, eine kartellrechtlich erzwungene Geschäftstätigkeit im Wege behördlicher Anordnung auszugestalten.198 Sofern der Vorwurf einer missbräuchlichen Geschäftsverweigerung in den essential facilities-Fällen mit dem speziellen Schwerpunkt der unzulässigen Diskriminierung verbunden ist, stellen sich hingegen weniger Probleme. Die Kommission ordnet dann schlichtweg an, dass der Marktbeherrscher seine eigene nachgelagerte Betriebseinheit im Verhältnis zu den externen Nachfragern nicht länger begünstigen darf.199 Dies hat den praktischen Vorteil, dass man sich nicht vertieft mit der konkreten Bestimmung angemessener oder zumutbarer Konditionen 195 Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im US-amerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 294; Bishop/Walker, The Economics of EC Competition Law, Rdnr. 6 – 128; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 723. 196 Kritisch zur Ausgestaltung eines angemessenen Zugangs als Aufgabe des Kartellrechts Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 19 Rdnr. 53. 197 In der Sache Irish Continental Group/CCI Morlaix ordnete die Kommission den vorgelagerten Zugang zu Hafeneinrichtungen an und forderte die Parteien auf, vertragliche Konditionen einzuhalten, die „reasonable and non-discriminatory“ sind, vgl. 5 C.M.L.R. (1995), 177, 197. Ähnlich zurückhaltend hat die Kommission auch im Fall NDC Health/IMS Health einer Lizenzverweigerung abgeholfen. Sie verfügte, dass „eine Lizenz auf nicht diskriminierender Grundlage“ zu erteilen sei, wobei das Lizenzentgelt primär „durch Übereinkunft zwischen IMS und den [um eine Lizenz nachsuchenden] Unternehmen“ und sekundär „auf der Grundlage transparenter und objektiver Kriterien“ vorbehaltlich der Genehmigung durch die Kommission festzusetzen sei, vgl. ABl. 2002, L 59/18, 47 – 48; vgl. darüber hinaus O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 723 m.w.N. aus der Kommissionspraxis. 198 Siehe dazu die ausführlichen Erläuterungen bei Beckmerhagen, Die essential facilities doctrine im US-amerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 294 – 297; O’Donoghue/ Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 723 – 731. 199 So beispielsweise geschehen in Artikel 1 der Kommissionsentscheidung vom 16. 5. 1995, IV/35.388, 5 C.M.L.R. 177 (1995) – Irish Continental Group/CCI Morlaix.

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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auseinandersetzen muss, weil ein tauglicher Maßstab dafür bereits aus dem bisherigen Marktverhalten des beherrschenden Unternehmens selbst entnommen werden kann.

II. Berührungspunkte und Gemeinsamkeiten mit dem Verbot der Kosten-Preis-Schere Im Anschluss an die Darstellung der im EU-Kartellrecht geltenden Missbrauchskriterien für Geschäftsverweigerungen soll nun die nähere Untersuchung der Berührungspunkte stattfinden, die diese Fallgruppe zum Verbot der Kosten-PreisSchere aufweist. Sowohl bei der Geschäftsverweigerung als auch bei der Kosten-Preis-Schere handelt es sich um Verhaltensweisen, die sich marktstufenübergreifend auf den Wettbewerb auswirken. Beide spielen sich im Verhältnis zweier vertikal miteinander verbundener Märkte ab und erzeugen ausgehend von vorgelagerter Marktmacht auf einem nachgelagerten Markt die kartellrechtlich jeweils relevante Behinderungswirkung. Beide Missbrauchsformen adressieren damit eine übereinstimmende wettbewerbsmäßige Gefahrenlage. Zusätzlich ist es in beiden Fallgruppen in aller Regel so, dass der potenzielle Missbrauchsdelinquent seine wirtschaftliche Macht auf der vorgelagerten Marktstufe gerade daraus ableitet, dass es für das fragliche Einsatzgut die Rolle eines unumgänglichen Handelspartners innehat. Aus dieser Position heraus kann der Marktbeherrscher die Ausgangsbedingungen für das nachgelagerte Wettbewerbsgeschehen maßgeblich zu seinen eigenen Gunsten beeinflussen. Es sei an dieser Stelle an die obigen Feststellungen erinnert, wonach es sich bei der Kosten-Preis-Schere und bei der Geschäftsverweigerung gleichermaßen um Ausprägungen der leveraging-Theorie handelt, die einen Transfer von Marktmacht aus dem vorgelagerten monopolisierten Markt des Einsatzgutes in den zumindest potenziell wettbewerblichen nachgelagerten Markt beschreiben.200 Dementsprechend gibt es weitreichende Parallelen in der teleologischen Stoßrichtung und Wirkungsweise beider Fallgruppen des Missbrauchs gemäß Art. 102 AEUV. Das aus dem vorstehend Gesagten bereits deutlich zu Tage tretende Näheverhältnis beider Missbrauchsformen wird durch den Vergleich der jeweils erfassten Verhaltensweisen bestätigt. Klar und ohne Schwierigkeiten verläuft zunächst noch die Abgrenzung der Kosten-Preis-Schere von der absoluten bzw. vollständigen Geschäftsverweigerung. Während bei Letzterer das nachgefragte Einsatzgut vollständig vorenthalten wird, kann eine Kosten-Preis-Schere von vornherein nur dort entstehen, wo dieses auf dem vorgelagerten Markt nach außen hin tatsächlich angeboten wird. Die Kosten-Preis-Schere kann daher niemals zugleich eine absolute Geschäftsverweigerung darstellen.

200 Siehe oben, Kap. 4 C. I. 3. und Kap. 5 B. I. 2. b) sowie die jeweils dort zitierten Nachweise.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Wesentlich schwerer fällt dagegen der Versuch, die Kosten-Preis-Schere von der Gruppe der konstruktiven Geschäftsverweigerungen voneinander zu unterscheiden. Dabei geht es ganz speziell um die preisbezogenen konstruktiven Geschäftsverweigerungen, d. h. all diejenigen Fälle, in denen sich das Verweigerungsverhalten gerade im Verlangen eines unangemessen hohen Vorleistungspreises durch den Marktbeherrscher äußert. Der marktbeherrschende Anbieter eines dringend benötigten Einsatzgutes ist zwar generell zur Geschäftstätigkeit mit externen Abnehmern bereit, verlangt dabei aber einen Preis, der für die Abnehmer nicht mehr wirtschaftlich tragbar ist und ihnen den Zugang zu diesem Einsatzgut effektiv abschneidet. Diese tendenzielle Verteuerung des vorgelagerten Einsatzgutes lässt sich unter zusätzlicher Berücksichtigung des nachgelagerten Preis- und Kostenniveaus als Kosten-Preis-Schere oder ohne diese zusätzlichen Parameter ebensogut als konstruktive Geschäftsverweigerung erfassen.201 Es drängt sich der offenkundige Verdacht auf, dass hier mit verschiedenen Begriffen womöglich ein- und dieselbe Form wettbewerbswidrigen Verhaltens beschrieben wird.202 Das Verbot der Kosten-Preis-Schere ähnelt dem Verbot der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung außerdem wegen des gleichartigen Umgangs mit Diskriminierungen bei der Bereitstellung des vorgelagerten Einsatzgutes. Die Analyse der europäischen Anwendungspraxis hat ergeben, dass die Kommission in ihren Entscheidungen zur essential facilities-Doktrin eine praktikable Antwort auf die Frage nach dem „wie“ der Ausgestaltung eines erzwungenen Vorleistungszugangs in der Anordnung erkennt, der Marktbeherrscher dürfe den Zugang nicht zu solchen Konditionen gewähren, die ungünstiger sind als diejenigen, die er seiner konzerneigenen nachgeordneten Betriebseinheit berechnet.203 Genau damit stößt das Recht der kartellrechtswidrigen Geschäftsverweigerungen in die klassische Domäne der Kosten-Preis-Schere vor, deren zentrales Anliegen es ist, im Verhältnis zwischen integriertem Marktbeherrscher und seinen Geschäftspartnern, die gleichzeitig als nachgelagerte Konkurrenten in Erscheinung treten, Chancengleichheit auf dem nachgelagerten Markt herzustellen.204 Man kann die Kosten-Preis-Schere daher mit Recht als spezielle Ausprägung einer Benachteiligung nachgelagerter Marktteilnehmer durch den Inhaber einer nicht anderweitig verfügbaren Monopolressource ansehen.205 Mit dieser Erkenntnis tritt ein weiterer Aspekt zutage, der die beiden 201

Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 167. In dieselbe Richtung O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 434 mit ihrer Überlegung, dass die für Kosten-Preis-Scheren entwickelten Prüfungskriterien möglicherweise einen geeigneten Maßstab für die Beurteilung einer preisbezogenen konstruktiven Geschäftsverweigerung abgeben könnten; vgl. auch Rauber, ECLR 2013, 490, 495. 203 Siehe beispielsweise Artikel 1 der Kommissionsentscheidung vom 16. 5. 1995, IV/ 35.388, 5 C.M.L.R. 177 (1995) – Irish Continental Group/CCI Morlaix und Artikel 1 und 2 der Kommissionsentscheidung vom 2. 6. 2004, COMP/38.096 – Clearstream. 204 EuG, Urteil vom 29. 3. 2012, Rs. T-336/07, EU:T:2012:172, Tz. 204 – Telefónica/ Kommission m.w.N.; Klotz, MMR 2008, 650, 653. 205 Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 182 – 183. 202

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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kartellrechtlichen Verbote der Kosten-Preis-Schere und der Geschäftsverweigerung in Teilbereichen eng miteinander verzahnt. Während des im vorangegangenen Abschnitt thematisierten Vergleichs der Verbote von Kosten-Preis-Schere und Kampfpreisunterbietung erwies sich die verschiedenartige Charakterisierung der jeweiligen Verhaltensweisen noch als zentraler Faktor für die konzeptionelle Eigenständigkeit beider Missbrauchsformen.206 Dem klassischerweise einstufigen Missbrauchsverhalten der Kampfpreisunterbietung steht die naturgemäß auf zwei verbundenen Marktstufen gleichzeitig ansetzende Kosten-Preis-Schere gegenüber. Es stellt sich die Frage, welche Erkenntnisse sich nun aus der entsprechenden Analyse mit Bezug zur Geschäftsverweigerung ergeben. Angesichts der Tatsache, dass diese eine Verhaltensweise beschreibt, die sich vordergründig allein auf der vorgelagerten Marktstufe im Umgang mit dem zurückgehaltenen Einsatzgut abspielt, scheint es, als könnten sich an dieser Stelle ähnliche unüberbrückbare Differenzen zur Kosten-Preis-Schere ergeben. So hat beispielsweise Henk-Merten die konzeptionelle Eigenständigkeit der Kosten-Preis-Schere auf Grundlage genau dieses Gedankengangs zu begründen versucht. Wenngleich sie in ihrer Analyse den naheliegenden Vergleich mit der Fallgruppe der Geschäftsverweigerungen aus nicht nachvollziehbaren Gründen unter den Tisch fallen lässt, will sie das charakteristische Alleinstellungsmerkmal der Kosten-Preis-Schere darin erkannt haben, dass nur diese das gegenseitige Verhältnis von vor- und nachgelagerten Preisen eines integrierten Unternehmens in den Blick nehme. Andere Missbrauchsformen hingegen – so Henk-Merten – leisten allenfalls eine verengte Missbrauchsprüfung entweder nur des vor- oder des nachgelagerten Preisniveaus.207 Allein die Rechtsfigur der Kosten-Preis-Schere sei in der Lage, die zugleich sowohl vertikale als auch horizontale Beziehung des Marktbeherrschers zu den anderen Unternehmen auf den vor- und nachgelagerten Märkten und somit das gesamte wettbewerbsrelevante Geschehen umfassend zu berücksichtigen.208 Gerade unter Hinzuziehung des kartellrechtlichen Verbots der Geschäftsverweigerung ergeben sich aber erhebliche Zweifel an der Stichhaltigkeit dieser These. Bei näherem Hinsehen kann auch innerhalb dieses Missbrauchstatbestands die aus der Kosten-Preis-Schere hinlänglich bekannte marktstufenübergreifende Wettbewerbsanalyse stattfinden. Richtig ist insoweit zunächst, dass das Verbot der KostenPreis-Schere ihrem Wesen nach stets ein zweifaches, marktübergreifendes Verhalten des vertikal integrierten Normadressaten beschreibt. Denn ohne die gleichberechtigte Einbeziehung beider Preisniveaus wäre es schlichtweg nicht möglich, die für das Verbot der Kosten-Preis-Schere maßgebliche Preis- und Gewinnspanne zu ermitteln. Was demgegenüber die Geschäftsverweigerungen betrifft, wird man zunächst und wie schon angemerkt zugestehen müssen, dass es sich bei ihr in der Tat um ein auf dem vorgelagerten Markt ansetzendes Marktverhalten handelt. Es erfordert 206 207 208

Siehe oben, Kap. 5 A. II. Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 118 – 120. Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 118 – 119.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

nicht dieselbe gleichberechtigte Anknüpfung an ein zweifaches, auf mehreren Marktstufen simultan praktiziertes Verhalten in der Person des Normadressaten, wie sie für die Kosten-Preis-Schere kennzeichnend ist. Daraus darf nach hier vertretener Ansicht jedoch nicht allzu voreilig eine Schlussfolgerung in die Richtung gezogen werden, dass das Verbotskonzept für Geschäftsverweigerungen ein qualitatives aliud zum Verbot der Kosten-Preis-Schere darstelle oder konzeptionell hinter ihm zurückbleibe. Art. 102 AEUV nimmt im Rahmen seiner Sanktionierung von Geschäftsverweigerungen sehr wohl Bezug auf das Wettbewerbsgeschehen auf dem nachgelagerten Markt. Nicht zuletzt ist es in seiner hier relevanten Ausprägung als Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs seiner Teleologie nach genau darauf ausgerichtet, den mit einer vollständigen oder konstruktiven Verweigerung vorgelagerter Geschäftstätigkeit einhergehenden Beschränkungen des nachgelagerten Wettbewerbs effektiv entgegenzuwirken. Hierfür sorgt vor allem das normativ und wettbewerbspolitisch aufgeladene Kriterium der „objektiven Notwendigkeit des Einsatzgutes“.209 Wenn es sich bei dem Geschäftsverweigerer – so wie im praxisrelevanten Normalfall – um ein vertikal integriertes und damit zugleich auf der nachgelagerten Marktstufe tätiges Unternehmen handelt, fließt über die Betrachtung der nachgelagerten Wettbewerbsverhältnisse sogar das dort vorgefundene Marktverhalten des Normadressaten mittelbar in die Prüfung ein. Man hat es dann im Endeffekt mit einem dem Verbot der Kosten-Preis-Schere weitgehend angenäherten Missbrauchstatbestand zu tun, mag dies auch nicht sofort offensichtlich sein. Der gleichfalls marktübergreifende Charakter der kartellrechtlichen Analyse von Geschäftsverweigerungen wird ganz besonders in den Fällen der konstruktiven Weigerung deutlich. Denn die Frage, wann die Bedingungen des Zugangs zu einem vorgelagerten Einsatzgut als „unangemessen nachteilig“ einzustufen sind und daher das Verbot nach Art. 102 AEUV auslösen, kann sinnvollerweise nur einzelfallabhängig am Maßstab der im nachgelagerten Markt tatsächlich vorgefundenen Wettbewerbssituation beantwortet werden. Das gleiche Phänomen zeigt sich im Übrigen, wenn es auf der Rechtsfolgenseite um die Konzeption einer sachgerechten Zugangsanordnung geht. Welche Preise oder Konditionen den erzwungenen Zugang zum Einsatzgut in angemessener Weise ausgestalten, lässt sich immer nur anhand dessen ermitteln, was für die Herstellung wirksamen Wettbewerbs auf der schutzwürdigen nachgelagerten Marktstufe im Einzelfall erforderlich ist. Es zeigt sich also auch hier, wie die kartellrechtliche Prüfung von Geschäftsverweigerungen vordergründig nur auf das Verhalten auf dem vorgelagerten Markt des Einsatzgutes fokussiert ist, bei näherem Hinsehen aber ebenso das Geschehen auf dem nachgelagerten Markt würdigen muss. Die dort vorzufindenden Wettbewerbsverhältnisse und Marktstrukturen sind nun jedoch in ganz maßgeblicher Weise durch das eigene vor- oder sogar nachgelagerte Verhalten des Marktbeherrschers geprägt. 209

Dazu im Detail oben, Kap. 5 B. I. 2. d).

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

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Demzufolge kommt also auch das Missbrauchskonzept der Geschäftsverweigerung nicht umhin, neben dem Verhalten des Normadressaten beim Umgang mit dem vorgelagerten Einsatzgut auch den nachgelagerten Markt in die Analyse einzubeziehen und insbesondere beide Elemente ins Verhältnis zueinander zu setzen.210 Die Verbindung der beiden vertikal miteinander verbundenen Marktstufen kommt hier ebenso zum Tragen wie im Verbot der Kosten-Preis-Schere. Sie tritt bei Letzterem lediglich offenkundiger zum Vorschein. Alles in allem erweist sich damit die Vorstellung, andere Missbrauchsformen könnten die marktstufenübergreifend wirkenden Wettbewerbsbeschränkungen, die aus der relativen Verteuerung vorgelagerter Einsatzgüter resultieren, nicht ebensogut erfassen wie es das Verbot der KostenPreis-Schere imstande ist, als Irrtum.

III. Konsequenzen für die eigenständige Relevanz des Verbots der Kosten-Preis-Schere 1. Integration des Verbots der Kosten-Preis-Schere in den Missbrauchstatbestand für Geschäftsverweigerungen Die Analyse der wechselseitigen Beziehungen von Kosten-Preis-Schere und Geschäftsverweigerung sowie der jeweils dazugehörigen missbrauchsrechtlichen Konzepte hat weitreichende Gemeinsamkeiten beider Missbrauchsverbote offenbart. Diese zeigen sich sowohl in den jeweils erfassten Verhaltensweisen als auch in der Art und Weise, wie Art. 102 AEUV diese der kartellrechtlichen Würdigung zuführt. Besonders stark fällt ins Gewicht, dass beide Verbote eine identische teleologische Stoßrichtung besitzen und jeweils eine marktstufenübergreifende Wettbewerbsanalyse verwirklichen. Sie würdigen das Verhalten eines Unternehmens, welches auf einer vorgelagerten Marktstufe über eine beherrschende Stellung verfügt und davon ausgehend in einem verbundenen nachgelagerten Markt den Wettbewerb beschränkt, indem es das vorgelagerte Einsatzgut ungebührlich verteuert. Es hat sich herausgestellt, dass hierbei die doppelte Anknüpfung an vor- und nachgelagerte Preise im Verbot der Kosten-Preis-Schere kein qualitatives Abgrenzungs- und Alleinstellungsmerkmal gegenüber der preisbezogenen konstruktiven Geschäftsverweigerung bildet. Angesichts der Tatsache, dass sich das Verbot der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung im Rahmen der europäischen essential facilities-Doktrin punktuell auch gezielt gegen die Diskriminierung externer Zugangspetenten gegenüber konzernangehöriger Betriebseinheiten des Marktbeherrschers richtet, zeigt sich eindrucksvoll die Fähigkeit dieser Missbrauchsform, die zentralen aus KostenPreis-Scheren resultierenden wettbewerbsmäßigen Bedenken adressieren zu können. Auf Basis dieser Erkenntnisse ist es nach der hier vertretenen Ansicht möglich und im Hinblick auf eine stimmige missbrauchsrechtliche Dogmatik für Art. 102 AEUV 210

A.A. Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 335.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

überzeugend, die Kosten-Preis-Schere als einen in das Verbot missbräuchlicher Geschäftsverweigerungen integrierten Tatbestand anzusehen.211 Es ist daher den Schlussanträgen des Generalanwalts Mazák im TeliaSonera-Verfahren zuzustimmen, in denen er ausführt, dass „die Kosten-Preis-Schere und die Lieferungsverweigerung auf denselben Grundgedanken beruhen“ und dass infolge einer KostenPreis-Schere „über die sich infolge einer Lieferverweigerung auf der Vorleistungsebene ergebende Wettbewerbsbeeinträchtigung hinaus keine eigenständige Beeinträchtigung des Wettbewerbs [entsteht]“.212 Für diese konzeptionelle Sichtweise ist es nicht einmal notwendig, das im Laufe der Jahre entwickelte Verständnis von kartellrechtsrelevanten Geschäftsverweigerungen zu modifizeren. Die Öffnung für die Einbeziehung von Kosten-Preis-Scheren ist über die Figur der tatbestandsmäßigen konstruktiven Geschäftsverweigerung bereits jetzt möglich. Kosten-PreisScheren sind in der Sache nichts anderes als preisbezogene Spielarten der konstruktiven Geschäftsverweigerung durch ein integriertes und marktbeherrschendes Unternehmen.213 Wenn man entsprechend dieser Überlegungen die Kosten-Preis-Schere als preisbezogene konstruktive Geschäftsverweigerung auffasst und sie in den allgemeinen Anwendungsbereich gemäß Art. 102 AEUV missbräuchlicher Geschäftsverweigerungen eingliedert, stellt sich allerdings die Frage nach dem Schicksal der für sie im Laufe der Jahre mühsam entwickelten Prüfungsmethodik. Es dürfte aber im Ergebnis weder erforderlich noch sachgerecht sein, sich von der tatbestandlichen Ausgestaltung des Verbots der Kosten-Preis-Schere insgesamt zu verabschieden. Insbesondere die in der Rechtspraxis aufwändig erarbeitete und in ihren Details vielschichtige Methode zur rechnerischen Ermittlung einer potenziell missbräuchlichen Kosten-Preis-Schere kann als Herzstück der Prüfung wie bisher beibehalten werden. Dies ist deshalb möglich, weil die Unionsorgane bis heute ohnehin noch keine allgemeingültigen Kriterien zur Feststellung konstruktiver Geschäftsverweigerungen formuliert haben. Es ist unklar, wo genau die – notwendigerweise fließende – Grenze zwischen der Erzwingung von gerade eben noch zulässigen angemessenen Geschäftskonditionen und dem verbotswürdigen Bereich unangemessener Konditionen verlaufen soll. So überrascht es auch nicht, dass man der bisherigen Entscheidungspraxis zu konstruktiven Geschäftsverweigerungen keine verlässlichen Bewertungsmaßstäbe für Sachverhalte dieser Art entnehmen kann.214 Speziell für die 211

Ebenso Faella/Pardolesi, 6 Eur. Comp. J. (2010), 255, 270 – 271. GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 16 – TeliaSonera; anders daraufhin EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 54 – 58 – TeliaSonera. 213 In diesem Sinne bereits GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 16 – TeliaSonera; OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Margin Squeeze, S. 29; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 167. 214 Siehe etwa EuG, Urteil vom 9. 9. 2009, Rs. T-301/04, EU:T:2009:317, Tz. 151 – Clearstream/Kommission zur vorherigen Feststellung einer konstruktiven Weigerung in Gestalt einer zeitlich hinausgezögerten Zugangsgewährung: „[Die Kommission hat] zu Recht die Auffassung vertreten, dass die Wartezeit für die Gewährung des Zugangs bei weitem eine Dauer 212

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

217

Gruppe der preisbezogenen Missbrauchsvorwürfe bietet sich die rechnerische Ermittlung einer Kosten-Preis-Schere nun als nützliche und problemlos verallgemeinerungsfähige Methode der missbrauchsrechtlichen Prüfung an. Mithilfe der drei vergleichsweise einfach zu ermittelnden Parameter (1) Vorleistungspreis, (2) nachgelagerter Preis und (3) Weiterverarbeitungskosten sowie mithilfe der Nullmarge als klar definierte untere Grenze der kartellrechtlichen Verbotswürdigkeit kann das Konzept der konstruktiven Geschäftsverweigerung in einem Teilbereich erstmals schärfere Konturen gewinnen. Dieser in der Literatur bereits von O’Donoghue/Padilla angedeutete Vorschlag zur stimmigen Einbettung der Kosten-PreisSchere in die Dogmatik des Art. 102 AEUV erscheint in der Tat als die für das europäische Kartellrecht vorzugswürdige Lösung. Demnach ist von einer potenziell verbotswürdigen preisbezogenen konstruktiven Geschäftsverweigerung auszugehen, wenn der marktbeherrschende Anbieter für sein Einsatzgut einen derart hohen Preis verlangt, dass ein im nachgeordneten Markt ebenso effizienter Konkurrent angesichts der dort vom Marktbeherrscher festgesetzten Preise nicht gewinnbringend tätig sein könnte.215 Im Ergebnis bedeutet der hier vorgeschlagene Ansatz, dass dem Verbot der Kosten-Preis-Schere als Hilfsmittel zur praxistauglichen Konkretisierung der verhaltensmäßigen konstruktiven Geschäftsverweigerung nach wie vor eine eigenständige Bedeutung im Rahmen des Missbrauchsverbots erhalten bleibt. 2. Vorgaben aus dem Gebot der rechtlichen Konsistenz Unabhängig davon, ob man mit der vorliegend entwickelten Sichtweise eine Einbettung in das Konzept der Geschäftsverweigerungen bevorzugt oder gemeinsam mit den Vorgaben des EuGH die Kosten-Preis-Schere als völlig eigenständigen Missbrauchstatbestand einordnen will, wird man ihre enge konzeptionelle Verwandtschaft im System des Behinderungsmissbrauchs nicht leugnen können. Aus diesem Grunde kommt für die Ausgestaltung des Verbots der Kosten-Preis-Schere neben dem der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung das Gebot rechtlicher Beurteilungskonsistenz ins Spiel. Es besagt, dass wertungsmäßig vergleichbare Sachverhalte nicht in zueinander widersprüchlicher Weise ungleich behandelt

überstiegen habe, die als angemessen und gerechtfertigt hätte angesehen werden können, und sie somit als als missbräuchliche Verweigerung der Erbringung der fraglichen Leistung eingeordnet“. Ebenso wenig aussagekräftig oder verallgemeinerungsfähig zuletzt auch Kommission, Entscheidung vom 22. 6. 2011, COMP/39.525, Tz. 707 – 803 – Telekomunikacja Polska, in der die Kommission verschiedene Praktiken des verzögerten und unzureichenden Zugangs zum polnischen Telekommunikationsnetz in ihrer Gesamtheit als missbräuchliche Geschäftsverweigerung einordnete. Der Umstand, dass sich die Kommission dabei immer wieder auf die inhaltlichen Vorgaben des die Zugangspflichten wesentlich detaillierter regelnden polnischen Telekommunikationsrechts bezieht, unterstreicht hierbei das Fehlen praktikabler kartellrechtlicher Maßstäbe für konstruktive Geschäftsverweigerungen. 215 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 434.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

werden dürfen.216 Es handelt es sich hierbei um ein allgemeines, insbesondere auch auf Unionsebene maßgebliches Prinzip, dessen Grundlagen in Erwägungen der Rechtssicherheit, Rechtsstaatlichkeit und nicht zuletzt auch in der Einheit der Gesamtrechtsordnung verwurzelt sind. Diejenigen Stimmen, die in der wissenschaftlichen Diskussion mit dem auch hier favorisierten Ansatz die Gemeinsamkeiten zwischen Kosten-Preis-Schere und Geschäftsverweigerung betonen, fordern vor diesem Hintergrund, dass man die Kosten-Preis-Schere erst dann als kartellrechtswidrig bewerten dürfe, wenn im Einzelfall festgestellt ist, dass zugleich auch die Voraussetzungen an die Missbräuchlichkeit einer absoluten Geschäftsverweigerung erfüllt sind.217 Mit anderen Worten soll die Kosten-Preis-Schere also stets nur gemeinsam mit dem Bestehen einer kartellrechtlichen Kontrahierungspflicht wettbewerbsrechtliche Bedenken hervorrufen.218 Diese Überlegungen erweisen sich nach den bisherigen Erkenntnissen als in der Sache zutreffend, insbesondere weil sich der einer Kosten-Preis-Schere immanente Effekt der „Vorleistungsverteuerung“ in Relation zum nachgelagerten Preisniveau bei identischer Wirkungsweise als ein weniger intensives „Minus“ zur absoluten Geschäftsverweigerung darstellt. Denjenigen Marktbeherrscher, der ohne Verstoß gegen Art. 102 AEUV das fragliche Einsatzgut vollständig zurückhalten dürfte, wird man schwerlich auf derselben teleologischen Grundlage verpflichten können, das Einsatzgut zu solchen Bedingungen anzubieten, die den Abnehmern auf dem nachgelagerten Markt eine positive oder gar auskömmliche Gewinnmarge garantieren.219 Dieser Zusammenhang beansprucht jedenfalls solange Gültigkeit, wie nicht ausnahmsweise aufgrund einzelfallspezifischer Besonderheiten auch ein weniger effizienter Wettbewerber schutzwürdig ist.220 Anderenfalls erhielte das marktbeherrschende Unternehmen Möglichkeiten und Anreize, in Zukunft überhaupt nicht

216 OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Margin Squeeze, S. 29 – 30, 32 m.w.N. 217 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 18, 21 – TeliaSonera; Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 348; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 326; OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Margin Squeeze, S. 33; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 178 – 179; ebenso auch noch Eilmansberger, in: MünchKommEUWettbR (1. Aufl. 2008), Art. 82 Rdnr. 535, nunmehr a.A. Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR (2. Aufl. 2015), Art. 102 Rdnr. 545; vgl. ferner Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279, 282 mit Bezug zur Situation im US-amerikanischen Recht und der weitergehenden Forderung nach einer spezifisch kartellrechtlichen Kontrahierungspflicht. 218 Dies entspricht genau den Überlegungen, die auch der US-amerikanische Supreme Court zum Verhältnis des price squeeze zur monopolisierungsrechtlichen Fallgruppe der refusal to deal angestellt hatte, dazu näher oben, Kap. 3 B. IV. 1. 219 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 21 – TeliaSonera; Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 348; Eilmansberger, in: MünchKommEUWettbR (1. Aufl. 2008), Art. 82 Rdnr. 535; Rauber, ECLR 2013, 490, 495. 220 Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 24.

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

219

mehr auf dem Vorleistungsmarkt zu kontrahieren.221 Hierdurch würde sich im Endeffekt die Beschränkung des nachgelagerten Wettbewerbs mit negativen Folgen für die Verbraucherwohlfahrt auf dann legalem Wege nur noch intensivieren.222 Die entscheidende Frage lautet nun, ob das europäische Kartellrecht diesen Konsistenzanforderungen im Umgang mit Kosten-Preis-Scheren und Geschäftsverweigerungen in ausreichendem Maße Rechnung trägt. Antworten lassen sich insbesondere anhand der Rolle, die jeweils den Kriterien der „objektiven Notwendigkeit“ bzw. der „Unentbehrlichkeit“ des vorgelagerten Einsatzgutes zukommt, ableiten. Nach der oben dargestellten Rechtsprechung des EuGH im Fall Oscar Bronner nimmt die objektive Notwendigkeit in der Prüfung von Geschäftsverweigerungen nach Art. 102 AEUV den Rang eines eigenständigen und obligatorischen Tatbestandsmerkmals ein.223 Es erfüllt dort sogar die besonders wichtige Funktion eines teleologischen Filters, mit dessen Hilfe die bei Geschäftsverweigerungen aufeinanderprallenden Interessen von Marktbeherrscher und Zugangspetent für jeden Einzelfall sachgerecht miteinander austariert werden können. Im Bereich des Verbots der Kosten-Preis-Schere hat der EuGH dem insoweit synonym zu verstehenden Kriterium der „Unentbehrlichkeit“ hingegen nur einen untergeordneten Stellenwert in der Missbrauchsprüfung zugewiesen. Dies ergibt sich unmissverständlich aus der Rechtsprechung im TeliaSonera-Urteil, in der der Gerichtshof sich gegen den in der Sache zutreffenden Entscheidungsvorschlag des Generalanwalts224 wandte, die Kosten-Preis-Schere als eine gegenüber der Geschäftsverweigerung vollkommen eigenständige Missbrauchsform qualifizierte und damit die Relevanz der Oscar Bronner-Rechtsprechung für Kosten-Preis-Scheren negierte.225 Die Unentbehrlichkeit soll demnach nur als Hilfskriterium für den Nachweis wettbewerbsbeschränkender Auswirkungen einer Kosten-Preis-Schere zum Tragen kommen und und insoweit gerade kein unverzichtbarer Bestandteil für die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes aufgrund zweiseitiger Gewinnmargenbeschneidung sein.226 Dem EuGH wird man angesichts dieser Diskrepanz und des vorstehend gefundenen Ergebnisses, wonach die Kosten-Preis-Schere eine mildere Form der Ge221

496.

Faella/Pardolesi, 6 Eur. Comp. J. (2010), 255, 265 und 270; Rauber, ECLR 2013, 490,

222 Carlton, J. Comp. L. & Econ. 2008, 271, 276 – 277 mit dem Nachweis, dass eine vollständige Verweigerung anstelle einer dazu vergleichsweise „milderen“ Kosten-PreisSchere relative Wohlfahrtsnachteile auf der Verbraucherseite hervorbringen kann; siehe ferner OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Margin Squeeze, S. 29; Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279, 282. 223 Siehe oben, Kap. 5 B. I. 2. d). 224 GA Mazák, Schlussanträge vom 2. 9. 2010, Rs. C-52/09, EU:C:2010:483, Tz. 16, 21 – TeliaSonera. 225 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 54 – 56 und 69 – 72 – TeliaSonera; siehe hierzu auch die Darstellung und Kritik oben, Kap. 4 C. III. 2. und 3. 226 Siehe dazu die näheren Ausführungen oben, Kap. 4 C. III. 2.

220

Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

schäftsverweigerung darstellt, attestieren müssen, dass er hinter den zwingenden Vorgaben einer konsistenten rechtlichen Bewertungsweise zurückgeblieben ist.227 Daran ändert sich auch nichts, wenn man bedenkt, dass das mit der Unentbehrlichkeit beschriebene Fehlen anderweitiger Ersatzleistungen auf der vorgelagerten Marktstufe regelmäßig schon auf tatsächlicher Ebene zum Tragen kommt, indem es sich nämlich als zentrale wirtschaftliche Ausgangsbedingung für eine erfolgsversprechende Strategie der Beschneidung fremder Gewinnmargen erweist.228 Nicht nur das vom EuGH gefundene Ergebnis, sondern auch die im TeliaSonera-Urteil angeführte Begründung, warum Kosten-Preis-Scheren offenbar unter erleichterten Bedingungen in den Bereich des Missbrauchs gemäß Art. 102 AEUV einzuordnen seien, überzeugt kaum.229 Eine Anbindung des Verbots der Kosten-Preis-Schere an die für Geschäftsverweigerungen geltenden Prüfungsmaßstäbe würde – so der Gerichtshof kurz und bündig – „die praktische Wirksamkeit von Art. 102 AEUV ungebührlich einschränken“.230 Diesen Überlegungen, wonach sich aus dem Konsistenzgebot und der Qualität der Kosten-Preis-Schere als mildere Form der Geschäftsverweigerung unmittelbare Rückschlüsse auf den sachgerechten kartellrechtlichen Umgang ergeben, wird man im Ergebnis auch nicht mit dem Hinweis darauf begegnen können, dass bei KostenPreis-Scheren schutzwürdige Investitionen der von ihr betroffenen Konkurrenten eine vermeintlich größere Rolle spielen könnten.231 Zwar ist es im Grundsatz richtig, dass die Beurteilung einer Verhaltensweise als wettbewerbswidrig auch davon abhängig gemacht werden kann, inwiefern ein marktbeherrschendes Unternehmen damit etwaige vertragsspezifische Investitionen seiner Handelspartner als nachträglich nutzlos erscheinen lässt.232 Doch dies allein dürfte für sich genommen kein zwingender Grund sein, die tatbestandliche Anbindung der Kosten-Preis-Schere an die Voraussetzungen missbräuchlicher Geschäftsverweigerungen generell in Frage zu stellen.233 Erstens ist keineswegs gesagt, dass ein marktbeherrschendes integriertes Unternehmen mit seinen nachgelagerten Konkurrenten stets zunächst eine Geschäftsbeziehung zu angemessenen Konditionen beginnt und erst im späteren Verlauf – nachdem sich die wirtschaftliche Abhängigkeit aufgrund vertragsspezi227

Wie hier Auf’mkolk, J. Eur. Comp. L. & P. 2012, 149, 156. Siehe oben, Kap. 2 A. III.; statt vieler auch Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EUKartellrecht, S. 28 – 29, 180. 229 Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 178 – 179; Rauber, ECLR 2013, 490, 491 und 499. 230 Vgl. EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 58 – TeliaSonera; ebenfalls kritisch und mit zutreffendem Hinweis auf die fehlende Überzeugungskraft dieses Arguments Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 178 – 179. 231 Wie hier Hovenkamp/Hovenkamp, 51 Arizona L. Rev. (2009), 273, 278 und 286 – 287; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 326; a.A. jedoch Grimes, ZWeR 2009, 343, 349. 232 Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 84. 233 O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 326. 228

B. Missbräuchliche Geschäftsverweigerung auf dem vorgelagerten Markt

221

fischer Investitionen erst einmal verfestigt hat – eine Kosten-Preis-Schere ansetzt. So begann beispielsweise im Fall Deutsche Telekom der Zeitraum der gewinnmargenvernichtenden Kosten-Preis-Schere annähernd zeitgleich mit der erstmaligen regulierungsrechtlichen Intervention zum Zwecke der Bereitstellung des Ortsnetzzugangs.234 Zweitens hat die Kommission erst kürzlich aufgezeigt, dass sie eine im Einzelfall gegebenenfalls gesteigerte, auf vertragsspezifische Investitionen zurückzuführende Abhängigkeitslage bei Geschäftsverweigerungen schon innerhalb des Merkmals der objektiven Notwendigkeit im Allgemeinen berücksichtigen will.235 Demzufolge bleibt es bei der Geltungskraft des Gebots, die Missbrauchsvoraussetzungen für Geschäftsverweigerungen und Kosten-Preis-Scheren aus Gründen der kartellrechtlichen Beurteilungskonsistenz aneinander anzugleichen.236

IV. Fazit zum Verhältnis der Verbote von Kosten-Preis-Schere und Geschäftsverweigerung Das Verhältnis der Kosten-Preis-Schere zum etablierten Missbrauchstatbestand der Geschäftsverweigerung hat sich als komplex und in höchstem Maße diskussionswürdig erwiesen. Im Laufe der Erörterung hat sich aufgrund verschiedener Gemeinsamkeiten herauskristallisiert, dass beide dasselbe teleologische Fundament teilen und dementsprechend auch dieselbe Stoßrichtung in der Dogmatik des Art. 102 AEUV besitzen. Die Kosten-Preis-Schere kann und sollte als preisbezogene Ausprägung der konstruktiven Geschäftsverweigerungen begriffen werden. Nach hier vertretener Ansicht gelangt das Verbot der Kosten-Preis-Schere damit an seinen richtigen Platz in der Dogmatik des Behinderungsmissbrauchs nach Art. 102 AEUV. Infolge dieser konzeptionellen Zuordnung profitiert die Fallgruppe der Geschäftsverweigerungen in einem Teilbereich von dem rechnerisch klar abgesteckten Anwendungsbereich, der sich unmittelbar aus dem Tatbestand der Kosten-Preis-Schere ergibt. Die von der Kommission im Laufe ihrer Fallpraxis entwickelte und inzwischen bis in viele Detailfragen hineinreichende Methode zur Ermittlung von KostenPreis-Scheren kann dabei ohne weiteres beibehalten werden. Da die Kosten-PreisSchere eine mildere Erscheinungsform der qualitativ vergleichbaren absoluten Geschäftsverweigerung darstellt, bedarf es allerdings einer stimmigen Anpassung der Tatbestandsvoraussetzungen unter Beachtung des Konsistenzgebots. Es erweist sich für die Wahrung der gebotenen Konsistenz als zwingend, die Kosten-PreisSchere nur unter mindestens denselben strengen Voraussetzungen als missbräuchlich einzustufen, die für die Würdigung von Geschäftsverweigerungen gelten. Im gegenwärtigen, maßgeblich durch die Vorgaben des EuGH aus der Entscheidung TeliaSonera geprägten Rechtszustand offenbart sich daher bei der Einbindung der 234 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 16, 18, 208 – Deutsche Telekom AG. 235 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 84. 236 Vgl. Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 173.

222

Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Kriterien der „objektiven Notwendigkeit“ bzw. „Unentbehrlichkeit“ des vorgelagerten Einsatzgutes eine behebungsbedürftige Bruchstelle.

C. Missbräuchliche Diskriminierung auf dem vorgelagerten Markt Unter Heranziehung einer weiteren etablierten Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs richtet sich das Verbot nach Art. 102 AEUV außerdem gegen Situationen, in denen ein marktbeherrschendes Unternehmen im Geschäftsverkehr gegenüber seinen vor- oder nachgelagerten Handelspartnern Diskriminierungen durchsetzt. Diese Fallgruppe erweist sich für die Untersuchung der Kosten-PreisSchere ebenfalls als relevant und soll daher nachfolgend als dritte potenziell konkurrierende Missbrauchsform betrachtet werden. Die gegenseitigen sachlichen Bezüge beider Missbrauchsformen sind leicht zu erkennen. Denn in einem von nachgelagerten Konkurrenten erhobenen Vorwurf, der integrierte Marktbeherrscher belasse ihnen keine (auskömmliche) Gewinnmarge, kann zugleich implizit der Vorwurf einer Begünstigung der konzernangehörigen Betriebseinheit auf dem nachgelagerten Markt gegenüber den externen Abnehmern der Vorleistung gesehen werden.

I. Grundzüge der Beurteilung nach Art. 102 AEUV Diskriminierungen durch ein Unternehmen gegenüber seinen Handelspartnern sind in der Wirtschaftsrealität keine Seltenheit. Schon wegen der Vielgestaltigkeit von Geschäftsbeziehungen dürfte es einem Unternehmen kaum gelingen, mit sämtlichen Handelspartnern exakt gleichwertige Verträge auszuhandeln. In den allermeisten Situationen beruhen Ungleichbehandlungen im Geschäftsverkehr auch auf Gründen, die sich aus kartellrechtlicher Sicht als völlig unbedenklich herausstellen.237 Von einem marktbeherrschenden Unternehmen praktiziert, können sie allerdings im Kontext der besonderen Marktstrukturverantwortung, die solchen Unternehmen zugewiesen ist,238 unter Umständen mit dem Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV in Konflikt geraten. Dies unterstreicht eindrucksvoll das in Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV speziell festgeschriebene Regelbeispiel. Demzufolge ist es einem marktbeherrschenden Unternehmen verboten, gegenüber Handelspartnern für

237

O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 555. Ständige Rechtsprechung seit EuGH, Urteil vom 9. 11. 1983, Rs. 322/81, EU:C:1983:313, Tz. 57 – Michelin; vgl. jüngst nur EuGH, Urteil vom 2. 4. 2009, Rs. C-202/ 07 P, EU:C:2009:214, Tz. 105 – France Télécom/Kommission; EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 24 – TeliaSonera. 238

C. Missbräuchliche Diskriminierung auf dem vorgelagerten Markt

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gleichwertige Leistungen unterschiedliche Bedingungen anzuwenden, sofern diese hierdurch im Wettbewerb benachteiligt werden.239 Die kartellrechtliche Relevanz von Diskriminierungen lässt sich aus verschiedenen Gründen herleiten, denen jeweils eine eigenständige „theory of anticompetitive harm“ zugrunde liegt und bei denen sich die wettbewerbsbeschränkenden Effekte auf unterschiedlichen Marktstufen zeigen.240 Mit Blick auf die bei der Kosten-Preis-Schere typischerweise vorgefundene Sachverhaltsstruktur steht insoweit die mit dem Begriff der „secondary line discrimination“ bezeichnete Spielart241 ganz im Mittelpunkt des Interesses. Hiernach tatbestandsmäßig sind – dies deutet der Wortlaut des Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV bereits an – all diejenigen Situationen, in denen ein marktbeherrschender Anbieter seine Abnehmer untereinander ungleich behandelt und dies auf Ebene der der diskriminierenden Transaktion nachgelagerten Geschäftstätigkeit jener Unternehmen eine Wettbewerbsbeschränkung herbeiführt.242 Die Parallelen zur Kosten-Preis-Schere und ihrer Wirkungsweise auf die Wettbewerbssituation des nachgelagerten Marktes sind hier mit Händen zu greifen. Auf der Rechtsfolgenseite einer als wettbewerbswidrig identifizierten Diskriminierung steht es dem Marktbeherrscher dann grundsätzlich frei, ob und wie er die Modalitäten der einen oder der anderen Geschäftsbeziehung verändert, solange er dabei nur die beanstandete Ungleichbehandlung beseitigt.243

II. Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots auf die Fallkonstellationen der Kosten-Preis-Schere Ob das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot in seiner Ausprägung als Verbot der secondary line discrimination auf Kosten-Preis-Scheren anwendbar sein kann und insofern Überschneidungen mit dem eigens für sie entworfenen Verbot aufweist, erscheint allerdings fraglich. Der für das Diskriminierungsverbot paradigmatische Anwendungsfall ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass das marktbeherrschende Unternehmen mehrere externe Handelspartner einer im Verhältnis untereinander festzustellenden ungleichen Behandlung im Geschäftsverkehr aussetzt. Bei der 239

Daneben lässt sich die Missbräuchlichkeit aus der Generalklausel nach Art. 102 S. 1 AEUV herleiten. 240 Ausführlich zu den beiden in der Praxis bedeutsamsten Spielarten der primary und secondary line discrimination Geradin/Petit, J. Comp. L. & Econ. 2006, 479. 241 Dazu Lübbig, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 82 Rdnr. 164; Ostendorf/ Grün, WuW 2008, 950, 956. 242 Vgl. hierzu den Wortlaut des Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV sowie ergänzend EuGH, Urteil vom 15. 3. 2007, Rs. C-95/04 P, EU:C:2007:166, Tz. 143 – 144 – British Airways/Kommission; Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 475; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 18 Rdnr. 21. 243 Lübbig, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 82 Rdnr. 165 a.E.; ausführlich zu diesem Thema auch Ostendorf, NZKart 2013, 320.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Kosten-Preis-Schere steht hingegen nur auf der einen Seite des Vergleichspaares ein externer Handelspartner, während auf der anderen Seite die eigene nachgelagerte Betriebseinheit oder konzernangehörige Tochtergesellschaft des Marktbeherrschers steht. Damit hier ein Konkurrenzverhältnis mit gegenseitigen Überschneidungen beider Missbrauchsformen überhaupt entstehen kann, ist es somit erforderlich, dass auch die unternehmensinterne Weitergabe der Vorleistung beim vertikal integrierten Marktbeherrscher im Verhältnis zu der Behandlung der nicht-integrierten Abnehmer und nachgelagerten Konkurrenten für das Diskriminierungsverbot einen tauglichen Maßstab zur Ermittlung einer tatbestandsmäßigen Ungleichbehandlung abgibt. Dies erweist sich als zweifelhaft und ist im Ergebnis zu verneinen. 1. Konzernprivileg als Grund für Unanwendbarkeit des Diskriminierungsverbots? Die Frage nach der Anwendbarkeit des Diskriminierungsverbots auf konzerninterne Begünstigungen zum Nachteil externer Geschäftspartner ist zunächst in den Kontext des sogenannten kartellrechtlichen „Konzernprivilegs“ eingebettet. Diese Rechtsfigur hat ihren Ursprung im Bereich des Verbots koordinierter Wettbewerbsbeschränkungen gemäß Art. 101 AEUV. Das Konzernprivileg besagt, dass Vereinbarungen zwischen zwei juristisch eigenständigen Wirtschaftssubjekten dann nicht unter das Kartellverbot fallen, wenn die beteiligten Akteure einem gemeinsamen Konzern angehören und sich die Absprache daher ausschließlich in deren Innenverhältnis abspielt und auswirkt.244 Es fehlt dann – je nach Sichtweise, aber mit übereinstimmendem Ergebnis – an einem beschränkbaren Wettbewerb245 oder bereits an einer Vereinbarung zwischen zwei Unternehmen im kartellrechtlichen Sinne246. Der Hintergrund für die Anerkennung eines solchen Konzernprivilegs liegt in der Überlegung, dass bestimmte konzerninterne Vorgänge trotz ihrer an sich kartellrechtsrelevanten Form nicht der Wettbewerbskontrolle unterworfen sein sol-

244 Vgl. überblicksmäßig Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 Rdnrn. 49 – 53; Heitzer, Konzerne im Europäischen Wettbewerbsrecht, S. 174 – 179. 245 So insbesondere die Sichtweise der Kommission, die das Konzernprivileg beim Merkmal der Wettbewerbsbeschränkung verortet, vgl. etwa Kommission, Entscheidung vom 18. 6. 1969, ABl. 1969, L 165/12, 14 – Christiani & Nielsen; dieser dogmatischen Verortung beipflichtend Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 Rdnrn. 49 – 53; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 9 Rdnr. 73; Schroeder, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 8 Rdnr. 3. 246 So die Sichtweise vor allem der europäischen Rechtsprechung, die den Rechtsgedanken des privilegierten Konzerninnenverhältnisses schon beim Unternehmensbegriff anbringt, vgl. EuG, Urteil vom 12. 1. 1995, Rs. T-102/92, EU:T:1995:3, Tz. 54 – Viho Europe/Kommission, anschließend bestätigt durch EuGH, Urteil vom 24. 10. 1996, Rs. C-73/95 P, EU:C:1996:405, Tz. 16 – 18 – Viho Europe/Kommission.

C. Missbräuchliche Diskriminierung auf dem vorgelagerten Markt

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len, weil es ihnen an der unmittelbaren Außenwirkung auf das Wettbewerbsgeschehen eines Marktes mangelt.247 Es stellt sich nun die Frage, ob die Kosten-Preis-Schere in den Anwendungsbereich dieser im untechnischen Sinne zu verstehenden kartellrechtlichen „Freistellung“248 fällt und daher möglicherweise gar nicht erst mithilfe des Diskriminierungsverbots greifbar ist. Für eine Privilegierung spricht, dass sich der missbrauchsrechtliche Vorwurf der Gewinnmargenbeschneidung ebensogut spiegelbildlich als Gewährung günstigerer Konditionen im Konzerninnenverhältnis formulieren lässt. Demgegenüber gilt es jedoch zu beachten, dass das integrierte Unternehmen über den Vorleistungspreis und mithilfe seiner typischen Stellung als unumgänglicher Handelspartner für das vorgelagerte Einsatzgut einen meist erheblichen Teil der Gestehungskosten seiner nicht-integrierten Konkurrenten unmittelbar beeinflusst.249 Hinzu kommt, dass ihnen der integrierte Marktbeherrscher gleichzeitig über die Gestaltung des nachgelagerten (Endkunden-)Preises eine faktische Preisobergrenze vorgibt.250 Damit setzt er seine nachgelagerten Wettbewerber einem Wettbewerbsnachteil aus, der primär und unmittelbar auf die zweifache Preisgestaltung und nicht in erster Linie auf die Modalitäten des konzerninternen Vorleistungstransfers zurückzuführen ist. Insofern besitzt die Kosten-PreisSchere tatsächlich sehr wohl eine marktbezogene Außenwirkung.251 Demzufolge kann im Ergebnis auch das Konzernprivileg nicht einschlägig sein, um eine Ausnahme von der Anwendung des Diskriminierungsverbots nach Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV auf Kosten-Preis-Scheren zu begründen.252 2. Die konzerninterne Begünstigung als taugliche Vergleichsbasis für einen Diskriminierungsvorwurf? Auch wenn der Rechtsgedanke des Konzernprivilegs in Übereinstimmung mit der vorstehenden Argumentation nicht durchgreift, ergeben sich aus anderen Gründen Zweifel an der Anwendbarkeit des kartellrechtlichen Diskriminierungsverbots auf 247 Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 139 (Außenwirkung als notwendiges Kriterium für die Missbräuchlichkeit einer konzerninternen Maßnahme); Ostendorf/Grün, WuW 2008, 950, 959. 248 So die Terminologie bei Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 92 – 93. 249 Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 28 – 29. 250 Zu diesem Effekt bereits oben, Kap. 2 A. II. 251 So im Ergebnis dann auch Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 141, womit sie das durch das Verbot der Kosten-Preis-Schere gewährte Konzernprivileg offenbar restriktiver interpretiert wissen will als im Rahmen des sonstigen Diskriminierungsverbots gemäß Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV (dazu a.a.O., S. 91 – 93). 252 Insofern ist es für die Zwecke dieser Untersuchung auch müßig, näher auf die Streitfrage einzugehen, ob ein Konzernprivileg im Rahmen des Art. 102 AEUV de jure überhaupt anzuerkennen ist. Dazu näher mit ablehnender Haltung Ostendorf/Grün, WuW 2008, 950, 959 – 960.

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

die Kosten-Preis-Schere. Ausweislich von Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV in seiner Spielart als Verbot der secondary line discrimination sind nämlich nur Ungleichbehandlungen im Verhältnis gegenüber „Handelspartnern“ tatbestandsmäßig. In der speziellen Konstellation der Kosten-Preis-Schere hätte man insoweit in der Perrson des Marktbeherrschers die Modalitäten der unternehmensinternen Behandlung seiner eigenen nachgelagerten Betriebseinheit den Modalitäten aus der Geschäftsbeziehung zu seinen nachgelagerten Konkurrenten gegenüberzustellen. Die Subsumtion des konzerninternen Leistungstransfers unter den Begriff des Handelspartners erweist sich jedoch als problematisch. Rechtstechnisch mag dies mithilfe einer über den Rahmen des geschäftlichen Umgangs mit externen Handelspartnern hinaus erweiterten Lesart des Diskriminierungsverbots noch gelingen – notfalls über den Weg der Generalklausel nach Art. 102 S. 1 AEUV. Allerdings sprechen im Ergebnis überzeugende Gründe gegen eine tatbestandsmäßige Erstreckung auf den konzerninternen Leistungstransfer. Die Weitergabe der Vorleistung zwischen Betriebseinheiten ein- und derselben wirtschaftlichen Einheit und damit innerhalb eines Unternehmens im kartellrechtlichen Sinne253 bilden keinen tauglichen Vergleichsmaßstab, um eine wettbewerbsrelevante Diskriminierung in aussagekräftiger Weise zu ermitteln. Der Grund hierfür liegt darin, dass weder der konzerninterne Transfer noch dessen Modalitäten für sich betrachtet eine eigene marktoder wettbewerbsmäßige Relevanz aufweisen.254 Wettbewerbsrechtliche Relevanz hat insoweit ausschließlich die nach außen hin gerichtete Geschäftstätigkeit des Marktbeherrschers, nicht hingegen die Festsetzung eines betriebswirtschaftlich unbedeutenden „Transferpreises“ zwischen vor- und nachgelagerter Betriebseinheit. Hinzu kommt, dass Existenz und Höhe eines solchen Transferpreises überhaupt nur dann sinnvoll beobachtet werden können, wenn man es mit vertikaler Integration in Form zweier miteinander verbundener, aber eigenständig inkorporierter Gesellschaften mit getrennter Buchführung zu tun hat. Bei vertikaler Integration einer einheitlichen Gesellschaft mit unselbständigen Betriebseinheiten für beide Marktstufen schlägt das Vorhaben, einen Transferpreis nachvollziehen zu wollen, von vornherein fehl. Im deutschen Kartellrecht sieht man nach den höchstrichterlichen Vorgaben des BGH daher ganz generell von der Anwendung des innerstaatlichen Diskriminierungsverbots (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. GWB) unter dem Gesichtspunkt fehlender Gleichartigkeit der beteiligten Unternehmen ab.255 Diese Sichtweise erweist sich mit Rücksicht auf die ansonsten drohende Ungleichbehandlung gleich253

Ausführlich zum kartellrechtlichen Unternehmensbegriff Emmerich, in: Immenga/ Mestmäcker, Art. 101 Abs. 1 AEUV Rdnrn. 6 – 23 und 43 – 48. 254 Ein argumentativer Widerspruch zur vorstehend erörterten Unanwendbarkeit des Konzernprivilegs entsteht dabei nicht: Die Preissetzung des vertikal integrierten Marktbeherrschers hat unmittelbare Außenwirkung und fällt daher in den Regelungsbereich des Art. 102 AEUV. Bei der nun aufgeworfenen Frage, ob es auch eine geeignete Vergleichsbasis für die Annahme einer relevanten Diskriminierung gibt, wird hingegen auf den konzerninternen Vorleistungstransfer und damit einen anderen Anknüpfungspunkt als zuvor abgestellt. 255 BGH, Urteil vom 10. 2. 1987, KZR 6/86, WuW/E BGH 2360, 2365 – Freundschaftswerbung m.w.N.

C. Missbräuchliche Diskriminierung auf dem vorgelagerten Markt

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artiger Sachverhalte – je nachdem, in welcher rechtlichen Einkleidung die vertikale Integration vollzogen ist – auch im Rahmen von Art. 102 AEUV als überzeugend.256 Somit handelt es sich bei der Begünstigung konzernangehöriger nachgelagerter Betriebseinheiten unabhängig von der formellen gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung der vertikalen Integration im Ergebnis nicht um gleichartige Handelspartner im Sinne des Diskriminierungsverbots.257 Gegen eine flächendeckende Anwendung des Diskriminierungsverbots auf Sachverhalte der mutmaßlichen konzerninternen Begünstigung spricht außerdem der Umstand, dass die europäische Rechtsprechung eine diesbezügliche Anwendung des Art. 102 AEUV bisher nur in den engen Grenzen zweier partikularer Fallkonstellationen ausnahmsweise für möglich gehalten hat.258 Die erste Gruppe betrifft das Marktverhalten jener Unternehmen, die entweder selbst der öffentlichen Hand angehören oder durch Regelungen ihres jeweiligen Heimatstaates mit besonderen ausschließlichen Rechten ausgestattet sind. Die Begünstigung einer eigenen Betriebseinheit durch die so privilegierten Marktakteure wird hier über Art. 102 AEUV, gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 106 Abs. 1 AEUV, als wettbewerbswidrig eingestuft.259 Die zweite Gruppe betrifft Fälle der bereits oben im Rahmen der Erörterung von Geschäftsverweigerungen angesprochenen Zugangsverweigerungen in Bezug auf wesentliche Infrastruktureinrichtungen. Die Kommission hat hier speziell die marktbeherrschenden Hafenbetreiber dazu verpflichtet, ihre Einrichtungen neben dem eigenen Fährbetrieb auch externen Interessenten zugänglich zu machen und bei der Gelegenheit dafür Sorge getragen, dass gegenüber ihnen im Vergleich zur konzernangehörigen nachgeordneten Einheit keine ungünstigeren Zugangskonditionen angewendet werden.260 Zu diesen Ausnahmen bleibt anzumerken, dass die erste genannte Gruppe auf hoheitlich abgeschirmte Monopolunternehmen zugeschnitten ist und deshalb von vornherein nicht für alle übrigen Konstellationen – wenn der Bereich des Art. 106 AEUV nicht betroffen ist – verallgemeinerungsfähig 256

Bergmann, WuW 2001, 234, 242. Wie hier Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 362; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 164; ebenso mit Hinweis auf die Wettbewerbsneutralität der konzerninternen Ressourcenumschichtung Heitzer, Konzerne im Europäischen Wettbewerbsrecht, S. 173; a.A. hingegen de Bronett, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 22 Rdnrn. 70, 74. 258 Dazu näher Henk-Merten, Die Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht, S. 100 – 102. 259 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 12. 1991, Rs. C-18/88, EU:C:1991:474, Tz. 25 – RTT/GBInno-BM; EuGH, Urteil vom 18. 6. 1991, Rs. C-260/89, EU:C:1991:254, Tz. 37 – ERT; EuGH, Urteil vom 17. 7. 1997, Rs. C-242/95, EU:C:1997:376, Tz. 41 – GT-Link/DSB; siehe auch von behördlicher Seite Kommission, Entscheidung vom 29. 3. 1994, ABl. 1994, L 104/34 – Deutsche Bahn, anschließend bestätigt durch EuG, Urteil vom 21. 10. 1997, Rs. T-229/94, EU:T:1997:155 – Deutsche Bahn/Kommission; Kommission, Entscheidung vom 23.10. 2001, ABl. 2002, L 120/19, Tz. 62 – 70 – La Poste. Zu diesen Fällen näher Ostendorf/Grün, WuW 2008, 950, 954 – 955. 260 Kommission, Entscheidung vom 11. 6. 1992, IV/34.174, 5 C.M.L.R. 255 (1992), Tz. 41 – B&I Line/Sealink; Kommission, Entscheidung vom 21. 12. 1993, ABl. 1994, L 15/8, Tz. 66 – Sea Containers/Stena Sealink. 257

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

ist.261 Die zweite Ausnahmegruppe des zurückgehaltenen Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen bringt im Rahmen des eigenständigen Diskriminierungsverbots deshalb keinen Erkenntnisgewinn, weil das strenge Gebot der Gleichbehandlung in der hierzu ergangenen Fallpraxis eher nur akzessorisch als zusätzliche Rechtsfolgenanordnung in die eigentliche Prüfung der essential facilities-Doktrin eingeflossen ist.262 In diesem Zusammenhang wurde schon weiter oben auf die Möglichkeit hingewiesen, dass das Konzept der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung unter seinen eigenen Tatbestandsvoraussetzungen ebenfalls zur Sanktionierung von Ungleichbehandlungen auf dem nachgelagerten Markt beitragen kann.263 Nach alledem kann daher festgehalten werden, dass das Diskriminierungsverbot aus Art. 102 S. 2 lit. c) AEUV keinen substanziellen eigenständigen Beitrag zur Missbrauchsaufsicht über Fälle der Gewinnmargenbeschneidung nach dem Schema der Kosten-Preis-Schere zu leisten imstande ist.

D. Missbräuchliche Preisüberhöhung auf dem vorgelagerten Markt Als letzte zu vergleichende Fallgruppe des Missbrauchs soll jetzt noch auf das kartellrechtliche Verbot der durch einen marktbeherrschenden Anbieter unangemessen überhöhten Verkaufspreise eingegangen werden. Auch diese in Art. 102 AEUV verankerte Begehungsform besitzt ein offenkundiges Näheverhältnis zur Kosten-Preis-Schere, weil Letztere je nach Einzelfall auch das Ergebnis eines einseitig zu hoch festgesetzten Preises für das vorgelagerte Einsatzgut sein mag. Es besteht daher auch in dieser Hinsicht die Möglichkeit, dass es von der Kosten-PreisSchere her betrachtet in einem Teilbereich zu diskussionswürdigen Überschneidungen mit einer bereits etablierten Fallgruppe des Missbrauchs kommt.

I. Grundzüge der Beurteilung nach Art. 102 AEUV Im europäischen Kartellrecht besteht in Gestalt des Regelbeispiels in Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV eine spezielle und explizite Rechtsgrundlage für die missbrauchsrechtliche Überprüfung von Preisen, die der Geschäftspartner eines marktbeherrschenden Unternehmens als unangemessen – in der Rolle des Abnehmers: als überhöht – empfindet. Eine Besonderheit dieses Preishöhenverbots besteht darin, 261

Ebenso Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 165 (dort in Fn. 632). In diesem Sinne dürften auch Eilmansberger, in: MünchKommEUWettbR (1. Aufl. 2008), Art. 82 Rdnr. 269 zu verstehen sein; a.A. und eine Verallgemeinerungsfähigkeit im Rahmen des Diskriminierungsverbots offenbar befürwortend Brand, in: FK-KartR, Art. 102 AEUV – Missbräuchliche Ausnutzung, Rdnr. 481. 263 Kap. 5 B. I. 2. c), Kap. 5 B. I. 3 und Kap. 5 B. II. 262

D. Missbräuchliche Preisüberhöhung auf dem vorgelagerten Markt

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dass es sich nicht von vornherein nur in eine einzige der übergeordneten Hauptkategorien missbräuchlichen Verhaltens einordnen lässt. Je nach der im konkreten Fall zu adressierenden wettbewerbsmäßigen Gefahrenlage kann es beispielsweise der Bekämpfung eines Ausbeutungsmissbrauchs oder einer Behinderungsstrategie dienen.264 Folglich kann die teleologische Stoßrichtung bzw. Funktionsweise der Preishöhenkontrolle je nach Einzelfall variieren und möglicherweise sogar in ihren verschiedenen Ausprägungen parallel für ein- und denselben Sachverhalt relevant werden. Seine prominenteste Ausprägung findet das Verbot überhöhter Preise unter dem Aspekt des Ausbeutungsmissbrauchs. Im Gegensatz zu den bis hierher durchweg angesprochenen Fallgruppen des marktstrukturorientierten Behinderungsmissbrauchs ist zentraler kartellrechtlicher Bezugspunkt dort allein die Angemessenheit des durch den Marktbeherrscher im vertikalen Geschäftsverhältnis zu seinen Handelspartnern geforderten Preises. Die Frage, ob dies zu einer negativen Beeinflussung horizontaler Wettbewerbsverhältnisse – etwa auf der nachgelagerten Marktstufe jener Handelspartner – führt, stellt sich insoweit nicht.265 Solange ausschließlich dieser Ausbeutungsaspekt in Rede steht, kann man deshalb zutreffend von einer „isolierten“ oder auch „reinen“ Preishöhenkontrolle sprechen.266 Die praktische Effektivität einer so ausgerichteten Preissetzungsvorschrift ist ganz entscheidend davon abhängig, dass sich im Einzelfall der Übergang von dem gerade noch erlaubten zu dem bereits missbräuchlich überhöhten Preisniveau möglichst präzise und verlässlich ermitteln lässt. Da im Bereich des isolierten Ausbeutungsmissbrauchs gerade kein konzeptioneller Bezug zu einer konkret schutzwürdigen Marktstruktur vorhanden ist, müssen die als relevant erachteten Parameter direkt der vertikalen Beziehung zwischen Marktbeherrscher und Geschäftspartner entnommen werden. Folgerichtig wird im Ausgangspunkt die Frage gestellt, ob das Verhältnis des Preises zum wirtschaftlichen Wert der erbrachten Leistung eine kartellrechtlich bereits nicht mehr zu tolerierende Diskrepanz annimmt.267 In der Entwicklung der europäischen Rechtspraxis haben sich im Wesentlichen zwei Verfahren herauskristallisiert, mit deren Hilfe man diese Grenze im Einzelfall abstecken will. Von vorrangiger Bedeutung ist zunächst das Konzept der 264 Vgl. Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 Rdnrn. 167, 168 – 183 und 184 – 213. Vorliegend nicht weiter von Interesse ist die daneben noch gelegentlich zu beobachtende Anwendung des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV auf Preisüberhöhungen wegen der speziellen Befürchtung von Beeinträchtigungen des Parallelhandels zwischen Mitgliedstaaten der EU, dazu etwa EuGH, Urteil vom 13. 11. 1975, Rs. 26/75, EU:C:1975:150, Tz. 12 – General Motors; EuGH, Urteil vom 11. 11. 1986, Rs. 226/84, EU:C:1986:421, Tz. 29 – 30 – British Leyland. 265 Vgl. Wiemer, WuW 2011, 723, 730. 266 Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 Rdnr. 168; Wiemer, WuW 2011, 723, 730. 267 EuGH, Urteil vom 14. 2. 1978, Rs. 27/76, EU:C:1978:22, Tz. 250 – United Brands; EuGH, Urteil vom 13. 11. 1975, Rs. 26/75, EU:C:1975:150, Tz. 12 – General Motors; EuGH, Urteil vom 11. 11. 1986, Rs. 226/84, EU:C:1986:421, Tz. 30 – British Leyland; weitere Nachweise bei Kuhn, WuW 2006, 578, 583 (dort in Fn. 26).

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Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Gewinnspannenbegrenzung, welches der EuGH in seiner Anwendungspraxis schon frühzeitig als gangbaren Ansatz formuliert hat.268 Die Missbräuchlichkeit des Preises bestimmt sich hiernach über einen Vergleich mit den eigenen Gestehungskosten des Marktbeherrschers sowie über die zusätzliche normativ geprägte Beurteilung, die daraus entstehende Gewinnspanne sei „unangemessen hoch“.269 Als alternativer methodischer Ansatz steht daneben auch noch das Vergleichsmarktkonzept bereit. Dieses versucht, den wirtschaftlichen Wert sowie das angemessene Preisniveau der betroffenen Leistung mithilfe einer Analyse räumlicher, sachlicher oder zeitlicher Vergleichsmärkte zu ermitteln. Soweit diese einen aussagekräftigen Maßstab für den wettbewerbsgerechten Preis abgeben, können sie zu dem vom Marktbeherrscher veranschlagten Preis ins Verhältnis gesetzt werden.270 Trotz der im Grundsatz vorhandenen allgemeinen Maßstäbe zur Bestimmung unangemessen überhöhter Preise unter dem Gesichtspunkt des Ausbeutungsmissbrauchs hat sich diese Form der Marktverhaltenskontrolle im Großen und Ganzen nicht als Erfolgsmodell erwiesen. Sie ist nämlich mit gravierenden Schwächen behaftet, die sich sowohl auf der konzeptionellen als auch auf der anwendungspraktischen Ebene zeigen.271 Auf konzeptioneller Ebene hat man dem Tatbestand des Preishöhenmissbrauchs immer wieder zu Recht entgegengehalten, dass das Urteil über die Angemessenheit eines bestimmten Preisniveaus stets und unvermeidbar auf eine kartellrechtspolitisch fragwürdige Marktergebniskontrolle hinausläuft.272 So müsste sich insbesondere die Kommission bei ihrer behördlichen Durchsetzung des Preisüberhöhungsverbotes zutrauen, das unter den Bedingungen eines funktionsfähigen Wettbewerbs angemessene Preisniveau selbst besser zu kennen als die tatsächlich auf dem Markt interagierenden Unternehmen. Wenn Wettbewerb aber seine klassische Funktion als ergebnisoffenes Entdeckungsverfahren der Marktteilnehmer273 beibehalten soll, dürfen Wettbewerbsbehörden und Gerichte allenfalls in Ausnahmesituationen mit der Befugnis ausgestattet werden, bestimmte von ihnen befürwortete Marktergebnisse vorgeben zu dürfen.274 Eine Wettbewerbsbehörde, die Art. 102 S. 2 lit a) AEUV vor dem Hintergrund des reinen Preishöhenmissbrauchs ausgiebig durchsetzen wollte, würde zwangsläufig entgegen zentraler kartellrecht268 EuGH, Urteil vom 14. 2. 1978, Rs. 27/76, EU:C:1978:22, Tz. 251 – 252 – United Brands. 269 Näher zur Konkretisierung der Unangemessenheit Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 220 – 221. 270 Vgl. zur Relevanz in der europäischen Rechtsprechung EuGH, Urteil vom 13. 7. 1989, verb. Rs. 110/88 u. a., EU:C:1989:326, Tz. 22, 25, 30 – Lucazeau/SACEM; EuGH, Urteil vom 13. 7. 1989, Rs. 395/87, EU:C:1989:319, Tz. 38, 43, 46 – Tournier; EuGH, Urteil vom 4. 5. 1988, Rs. 30/87, EU:C:1988:225, Tz. 31 – Bodson; EuGH, Urteil vom 8. 6. 1971, Rs. 78/70, EU:C:1971:59, Tz. 19 – Deutsche Grammophon Gesellschaft. 271 Siehe nur statt vieler Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnrn. 168 – 188; Howarth, in: Amato/Ehlermann, S. 249, 271 – 280. 272 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 169 m.w.N. 273 Dazu grundlegend von Hayek, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968. 274 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 169 m.w.N.

D. Missbräuchliche Preisüberhöhung auf dem vorgelagerten Markt

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licher Regelungsanliegen handeln, weil sie dann nicht mehr nur einen allgemeinen ordnenden Rahmen für die unternehmerische Wirtschaftstätigkeit aufrechterhalten würde. Weitere Unsicherheiten ergeben sich dann auch im Rahmen der praktischen Anwendung der isolierten Preishöhenkontrolle. Denn unabhängig davon, ob man sich als Rechtsanwender das Konzept der Gewinnspannenbegrenzung zunutze machen oder mit Vergleichsmärkten operieren will, benötigt man Kriterien zur Ermittlung der kartellrechtlich nicht mehr angemessenen Diskrepanz von Preis und Wert der erbrachten Leistung. Genau an dieser Stelle fehlen jedoch verlässliche, Rechtssicherheit gewährleistende Richtgrößen.275 Äußerst komplex gestaltet sich zudem die einzelfallspezifische Anwendung beider Methoden. Die Gewinnspannenbegrenzung setzt präzise Kenntnisse der unternehmerischen Betriebskosten voraus276 und lädt das marktbeherrschende Unternehmen ein, seine eigene Kostenhöhe künstlich in die Höhe zu schrauben, um hierdurch dem Vorwurf der kartellrechtswidrigen Preisüberhöhung zu entgehen.277 Die Analyse von Vergleichsmärkten hingegen kann von vornherein nur dort gelingen, wo geeignete Märkte tatsächlich vorhanden sind, was in der Praxis nur selten der Fall ist.278 Außerhalb des Spektrums des Ausbeutungsmissbrauchs kann sich die kartellrechtliche Kontrolle potenziell überhöhter Preise – wie eingangs schon angedeutet – auch mit den ihnen gegebenenfalls immanenten Behinderungswirkungen auseinandersetzen. Die europäische Entscheidungspraxis hat dazu bisher einige, insgesamt aber eher vereinzelt gebliebene Anwendungsbeispiele hervorgebracht.279 Missbrauchsgrund und wettbewerbsmäßiger Bezugspunkt der Prüfung ist dabei nicht mehr die bloße, als unangemessen empfundene Diskrepanz von Preis und Wert der dazugehörigen Leistung, sondern eine Verfälschung des Wettbewerbs auf der nachgelagerten Marktstufe desjenigen Geschäftspartners, der für die Leistung des

275 Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 201; Kuhn, WuW 2006, 578, 590 – 591; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, § 18 Rdnr. 6. 276 Die sich hierbei stellenden Probleme hat der EuGH bereits in seinem Urteil vom 14. 2. 1978, Rs. 27/76, EU:C:1978:22, Tz. 254 – United Brands angedeutet; siehe auch die darauf abzielende Kritik der Gewinnspannenbegrenzung bei Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 177. 277 In dieselbe Richtung Götting, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 19 GWB Rdnr. 80. 278 Man kommt daher im Regelfall nicht umhin, die Vergleichbarkeit der Preise erst mithilfe bestimmter Zu- oder Abschläge herzustellen, denen dann aber wiederum eine gewisse Ungenauigkeit immanent ist. Dazu mit Nachweisen aus der Rechtsprechung Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 181. 279 So etwa Kommission, Entscheidung vom 22. 12. 1987, ABl. 1988, L 65/19, Tz. 78 – Eurofix-Bauco/Hilti (unangemessen hoch angesetzte Lizenzgebühr als Maßnahme, um nachgelagerten Wettbewerb vorsätzlich zu verhindern). EuG, Urteil vom 24. 5. 2007, Rs. T-151/01, EU:T:2007:154, Tz. 119 a.E. – Duales System Deutschland/Kommission (Errichtung einer Marktzutrittsschranke durch das Fordern einer im Verhältnis zur vertraglichen Gegenleistung ungerechtfertigten Lizenzgebühr).

232

Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

Marktbeherrschers einen mutmaßlich überhöhten Preis entrichten muss.280 Wegen dieser veränderten teleologischen Herangehensweise stellen sich an dieser Stelle die zuvor zum Ausbeutungsaspekt dargestellten konzeptionellen und praktischen Probleme nicht in demselben Maße. Beispielsweise verfügt man als Rechtsanwender mit der Struktur jeweils schutzwürdigen Marktes über einen verlässlicheren Bezugspunkt für die richtige einzelfallmäßige Anwendung der missbrauchsrechtlichen Maßstäbe. Hinzu kommt, dass gegenwärtig die Bekämpfung von Behinderungsmissbräuchen insgesamt als vordringlichste Aufgabe des europäischen Missbrauchsrechts verstanden wird.281 Somit besitzt der Tatbestand des mit Behinderungseffekt ausgestatteten Preishöhenmissbrauchs282 trotz seiner bisher überschaubaren praktischen Relevanz eine wesentlich stärkere wettbewerbspolitische Rückendeckung im System des Art. 102 AEUV als sein auf isolierte Ausbeutungssituationen bezogenes Pendant.

II. Relevanz der Preishöhenkontrolle für die Kosten-Preis-Schere? Es gilt nun zu untersuchen, ob und inwiefern diese beiden Spielarten des Verbots unangemessen überhöhter Preissetzungen als konkurrierende Missbrauchsformen zum eigenständigen Verbot der Kosten-Preis-Schere angesehen werden können. Hinsichtlich des isolierten Preishöhenmissbrauchs unter dem Aspekt der drohenden Ausbeutung von Geschäftspartnern ist das Bestehen eines Konkurrenzverhältnisses aus mehreren Gründen zu verneinen. Zunächst ist festzustellen, dass man es in der speziellen Ausprägung der Preishöhenkontrolle als Ausbeutungsmissbrauch mit einer grundlegend anders gearteten teleologischen Funktion und Stoßrichtung des Missbrauchsverbots gemäß Art. 102 AEUV zu tun hat. Das Verbot der KostenPreis-Schere bezieht sich auf die horizontalen Wettbewerbsverfälschungen, die ein integrierter Marktbeherrscher auf dem nachgelagerten Markt herbeiführt. Das Verbot überhöhter Preise betrachtet hingegen ausschließlich die vertikale Geschäftsbeziehung und korrigiert dort nötigenfalls die Rahmenbedingungen der vertraglichen Austauschbeziehung.283 Dementsprechend ist es für das Preishöhenverbot auch unerheblich, wie sich die Wettbewerbsverhältnisse auf dem nachgelagerten Markt darstellen. Dies zeigt, dass beide Tatbestände bereits konzeptionell und dogmatisch nichts miteinander zu tun haben, solange man die Kosten-Preis-Schere zutreffend und so wie hier gerade wegen ihres Charakters als sich im nachgelagerten Markt 280 Bulst, in: Langen/Bunte, Art. 102 Rdnr. 155; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 Rdnr. 184. 281 Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 7. 282 So die begriffliche Einordnung bei Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 Rdnrn. 164, 184. 283 Meisel, 8 Eur. Comp. J. (2012), 383, 387 – 388 mit Bezug zum Streit über „terms of trade“ nach US-amerikanischem Kartellrecht.

D. Missbräuchliche Preisüberhöhung auf dem vorgelagerten Markt

233

auswirkender Behinderungsstrategie in den Blick nimmt.284 Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Kommission ihre Durchsetzungspraxis gegen ausbeuterisch überhöhte Preisforderungen marktbeherrschender Unternehmen – wohl vor dem Hintergrund der vielfältigen Schwierigkeiten eines solchen Vorgehens – weitestgehend zurückgefahren hat.285 Interessant für die hier verfolgten Zwecke kann daher allenfalls der Vergleich mit der als Zweites genannten Spielart der Preisüberhöhung sein, die sich gezielt mit den von ihr ausgehenden wettbewerbsrechtlich problematischen Behinderungseffekten befasst. Ob es sich dabei jedoch um einen echten eigenständigen Missbrauchsgrund handelt, lässt sich nach den bisher gefundenen Erkenntnissen mit guten Gründen bezweifeln. Denn es kommt hier regelmäßig zu weitgehenden Überschneidungen mit anderen etablierten Missbrauchsformen, wie insbesondere Diskriminierungen, Geschäftsverweigerungen und Koppelungsgeschäften.286 Sogar die Kosten-PreisSchere wird gelegentlich als Erscheinungsform der behinderungsmissbräuchlichen Preisüberhöhung verstanden.287 Mit Rücksicht auf die bereits vorgestellten Fallgruppen, die in der Konstellation der marktstufenübergreifenden Gewinnmargenbeschneidung miteinander um die kartellrechtliche Prüfung des Vorleistungspreises konkurrieren, dürfte die Preishöhenkontrolle auf Basis des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV keinen zusätzlichen Nutzen mit sich bringen. Insbesondere ist bereits im eingehend erörterten Verbot der weit verstandenen (konstruktiven) Geschäftsverweigerungen die Möglichkeit für eine wettbewerbsrechtliche Prüfung überhöhter Vorleistungspreise wegen deren Auswirkungen auf die nachgelagerten Wettbewerbsverhältnisse hinreichend angelegt.288 Vereinzelt wird sogar dafür plädiert, den Behinderungsmissbrauchstatbestand der Preisüberhöhung schon von Rechts wegen aus Gründen der Gesetzeskonkurrenz als verdrängt anzusehen.289

284

Vgl. Kap. 2 B. III. Vgl. Kommission, Prioritätenmitteilung, ABl. 2009, C 45/7, Tz. 7 mit der Erklärung, dass sie gegen Fälle des Ausbeutungsmissbrauchs wegen mutmaßlich überhöhter Preise in Zukunft nicht (mehr) mit vorrangiger Priorität vorzugehen gedenkt; dem zustimmend Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 172; siehe auch mit Blick auf die Praxis der vergangenen Jahre Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 201. 286 Kommission, Entscheidung vom 23. 7. 2004, COMP/A.36.568/D3, Tz. 162 – 207 – Scandlines Sverige/Port of Helsingborg; Jung, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 102 Rdnrn. 184, 187 – 193 (zu Diskriminierungen), 194 – 198 (zu Koppelungsgeschäften). 287 Wiemer, WuW 2011, 723, 730; siehe auch die Zuordnung der Kosten-Preis-Schere zum Tatbestand des Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV bei Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 57, 199 – Deutsche Telekom AG. 288 So zutreffend de Bronett, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 22 Rdnrn. 58 – 59. 289 In diesem Sinne Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 637 a.E. 285

234

Kap. 5: Kosten-Preis-Schere im Verhältnis zu anderen Missbrauchsformen

E. Zusammenfassendes Fazit Wie sich im Laufe der Untersuchung bis hierhin eindrucksvoll herauskristallisiert hat, besitzt das Verbot der Kosten-Preis-Schere mit jeder der vier dargestellten konkurrierenden Fallgruppen des Missbrauchs ganz unterschiedlich geartete Berührungspunkte. Im absoluten Mittelpunkt des Interesses steht nach dem hier entwickelten Ansatz das Verbot der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung.290 Es sanktioniert letzten Endes dieselbe Art wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens wie das in der europäischen Rechtspraxis entstandene Verbot der Kosten-Preis-Schere. Die daraufhin angestellten Überlegungen haben zur Erkenntnis geführt, dass man das Verbot der Kosten-Preis-Schere so in das etablierte Verbot der Geschäftsverweigerungen einbinden kann, dass beide teleologisch gleichgerichteten Missbrauchsformen in einem gemeinsamen Tatbestand des Behinderungsmissbrauchs aufgehen. Die für die Kosten-Preis-Schere herangezogenen rechnerischen Ermittlungskriterien stecken den Bereich verbotswürdiger preisbezogener konstruktiver Geschäftsverweigerungen in sinnvoller Weise ab. Die sachgerechte konzeptionelle Verbindung beider Verbote erfordert dann naturgemäß die gegenseitige Abstimmung der einzelnen Missbrauchskriterien. Gemäß der hier vertretenen Ansicht sollte Art. 102 AEUVaus Gründen der rechtlichen Beurteilungskonsistenz nur dann auf Kosten-Preis-Scheren anwendbar sein, wenn gleichzeitig auch die vollständige Vorenthaltung des vorgelagerten Einsatzgutes missbräuchlich wäre, d. h. wenn ein kartellrechtlicher Kontrahierungszwang besteht.291 Namentlich beim inkonsistenten Umgang mit den Merkmalen der „objektiven Notwendigkeit“ bzw. „Unentbehrlichkeit“ der Vorleistung besteht nach jetzigem Stand der europäischen Rechtsprechung noch eine ausbesserungsbedürftige Diskrepanz beider Verbotstatbestände. Beim Vergleich zum Verbot der Kampfpreisunterbietung hat sich offenbart, dass es sich bei der Kosten-Preis-Schere um eine eigenständige Form des Behinderungsmissbrauchs handelt. Dies gilt zunächst unter Zugrundelegung der langjährig etablierten Prüfungskriterien aus der Rechtsprechung (Stichwort: AKZO-Formel). Ob sich an der Struktur des gegenseitigen Verhältnisses etwas ändern wird, wenn sich in Zukunft das von der Kommission propagierte sacrifice-Konzept durchsetzen sollte, erscheint entgegen der allzu optimistischen Sichtweise Petzolds zweifelhaft. Zwar würde sich der Anwendungsbereich auf die Fälle der reinen Gewinnopfer mit der vermeidbaren Hinnahme von Opportunitätskosten durch den Marktbeherrscher erweitern. Gleichwohl haben sich bei näherer Analyse viele Gründe präsentiert, die

290

Anders Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 145 – 150, 208, der – wie oben (Kap. 5 A. II. 1. und 3.) ausführlich geschildert – eine Lösung für den Umgang mit Kosten-Preis-Scheren über den Tatbestand des Kampfpreismissbrauchs favorisiert. 291 Siehe oben, Kap. 5 B. III. 2.

E. Zusammenfassendes Fazit

235

nahelegen, dass eine wirkungsvolle Adressierung der Kosten-Preis-Schere allein mithilfe des Kampfpreismissbrauchs nicht gelingen dürfte.292 Wenig ergiebig als potenziell konkurrierende Preismissbrauchsvorschriften sind schließlich die Verbote der Preisdiskriminierung und der Forderung überhöhter Preise auf dem Vorleistungsmarkt. Das Diskriminierungsverbot scheitert beim Versuch seiner Anwendung auf die Situation der Kosten-Preis-Schere daran, dass die konzerninterne Begünstigung zulasten externer Abnehmer im Regelfall keinen tauglichen Vergleichsmaßstab für eine kartellrechtlich relevante Ungleichbehandlung hergibt.293 Die Preishöhenaufsicht hingegen hat sich in ihrer Spielart als Ausbeutungstatbestand als praktisch wie konzeptionell ungeeignet erwiesen, um die mit Kosten-Preis-Scheren verbundenen Wettbewerbsgefahren erfassen zu können. Das Preishöhenverbot in seiner Spielart als Tatbestand des Behinderungsmissbrauchs könnte dies prinzipiell bewerkstelligen, beschreibt jedoch nichts materiellrechtlich Anderes als das Verbot der preisbezogenen konstruktiven Geschäftsverweigerung.294

292 293 294

Siehe oben, Kap. 5 A. II. 3. und 4. Siehe oben, Kap. 5 C. II. 2. Siehe oben, Kap. 5 D. II.

Kapitel 6

Abschließende rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere als Figur des Marktmachtmissbrauchs Auf Grundlage der gesamten bisherigen Erkenntnisse zur Kosten-Preis-Schere in der europäischen und US-amerikanischen Kartellrechtsordnung kann die rechtsvergleichende Analyse nun vervollständigt werden. In erster Linie sollen dabei diejenigen Hintergründe identifiziert werden, die erklären, warum die Kosten-PreisSchere sich diesseits des Atlantiks mit nachhaltigem Erfolg als eigenständige Form missbräuchlichen Verhaltens etablieren konnte und gleichzeitig im Monopolisierungsrecht der USA auf dezidierte Ablehnung des obersten Bundesgerichts stieß.

A. Erklärung der divergierenden Auffassungen im EU- und US-Kartellrecht durch die Bezüge zum sektorspezifischen Regulierungsrecht Sowohl bei der Analyse des europäischen als auch des US-amerikanischen Rechts hat sich gezeigt, dass Kosten-Preis-Scheren in der jüngeren Zeit immer wieder in den regulierten Netzwirtschaften auftreten. Die Relevanz in allen übrigen Sektoren ist heutzutage allenfalls noch marginal.1 Man kann daher berechtigterweise von einem de facto bereichsspezifisch wirkenden Missbrauchstatbestand sprechen. Keine andere Fallgruppe nach Art. 102 AEUV missbräuchlichen Verhaltens ist im Hinblick auf seine praktischen Anwendungsfelder auch nur annähernd ähnlich stark auf regulierte oder andere spezielle Bereiche des Wirtschaftslebens fixiert. Diese in der Einzelfallentscheidungspraxis klar hervortretende Entwicklungstendenz mag für die rechtsdogmatische Auseinandersetzung mit der Kosten-Preis-Schere zunächst un1 Innerhalb der EU-Mitgliedstaaten haben in der jüngeren Vergangenheit nur ganz vereinzelt Untersuchungen wegen mutmaßlicher Kosten-Preis-Scheren außerhalb der regulierten Netzwirtschaftssektoren stattgefunden. Vgl. insoweit aber – mit Ausnahmecharakter – die derzeitigen Untersuchungen des BKartA wegen einer mutmaßlichen Kosten-Preis-Schere im Bereich des innerdeutschen Kraftstoffvertriebs (BKartA, Pressemitteilung vom 4. 4. 2012 – „Bundeskartellamt untersucht Fälle der Behinderung freier Tankstellen“). Ein früheres Vorgehen wegen exakt desselben Verdachts (BKartA, Beschluss vom 9. 8. 2000, WuW/E DE-V 289 – Freie Tankstellen) war um die Jahrtausendwende allerdings schon einmal erfolglos geblieben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. 2. 2002, WuW/E DE-R 929 – Freie Tankstellen).

A. Erklärung der divergierenden Auffassungen im EU- und US-Kartellrecht

237

verfänglich erscheinen. Sie gewinnt allerdings an Brisanz, wenn man zusätzlich bedenkt, dass sich das im Kartellrecht verortete Verbot der Kosten-Preis-Schere alles andere als reibungslos mit allgemeinen wettbewerbsrechtlichen Grundsätzen vereinbaren lässt. Dies hat die Untersuchung zum europäischen Recht an verschiedenen Stellen eindrucksvoll bestätigt.2 Angesichts dieses Befunds erscheint es lohnenswert, einen genaueren Blick auf die sachlichen Verbindungen zwischen Kosten-PreisSchere und dem Regulierungsrecht der Netzwirtschaften zu werfen.3 Sollte es sich nämlich erweisen, dass gegenseitige Bezüge nicht nur das Ergebnis einer mehr oder weniger zufällig auf jene Sektoren konzentrierten Anwendungspraxis sind, sondern dass handfeste konzeptionelle Gründe dafür verantwortlich sind, so könnte dies die transatlantische Divergenz im Umgang mit der Gewinnmargenbeschneidung durch marktmächtige, vertikal integrierte Unternehmen möglicherweise plausibel erklären.

I. Zum regulierungsrechtlichen Charakter des Verbots der Kosten-Preis-Schere Die im Folgenden vorzunehmende Analyse wird belegen, dass entsprechende, über die bloß quantitativ häufigere Anwendung des Verbots der Kosten-Preis-Schere in regulierten Netzwirtschaftssektoren hinausgehende Bezüge tatsächlich vorhanden sind. Mit anderen Worten: Wenn die Gewinnmargenbeschneidung – so wie es derzeit im europäischen Raum praktiziert wird – die Qualität eines eigenständigen Tatbestands des Marktmachtmissbrauchs annimmt, werden auf diesem Wege regulierungsrechtlich geprägte Grundsätze in die Anwendung des allgemeinen Kartellrechts übertragen. Aufschlussreiche Anhaltspunkte bietet hierzu zunächst die Methode, mit deren Hilfe das europäische Kartellrecht einen gemäß Art. 102 AEUV potenziell verbotswürdigen Fall der Beschneidung fremder Gewinnmargen durch ein vertikal integriertes Unternehmen identifiziert. Gemeint ist die Ermittlung einer Nullmarge unter Rückgriff auf die drei Parameter (1) Vorleistungspreis, (2) nachgelagerter Preis und (3) Kosten der nachgelagerten Tätigkeit, jeweils festgestellt in der Person des integrierten Marktbeherrschers.4 Bezüglich der letztgenannten Weiterverarbeitungskosten soll sich der Normadressat nach den klaren Vorgaben der Unionsorgane nicht auf eigene Kostenvorteile der Selbstbelieferung mit dem vorgelagerten Einsatzgut berufen dürfen.5 Es ist bereits dargelegt worden, dass diese Vorgehensweise 2 Beispielsweise Kap. 4 C. II. 4. a) cc) und dd) (unzureichende Anerkennung von Effizienzen aus vertikaler Integration) und Kap. 4 C. III. 3. (Relevanz der „Unentbehrlichkeit der Vorleistung“ im Auswirkungsnachweis). 3 Vgl. dazu bereits aus dem Schrifttum Geradin/O’Donoghue, J. Comp. L. & Econ. 2005, 355; Heimler, J. Comp. L. & Econ. 2010, 879 („Is a Margin Squeeze an Antitrust or a Regulatory Violation?“); Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279. 4 Siehe oben, Kap. 4 C. II. 2. 5 Siehe oben, Kap. 4 C. II. 4. a) cc).

238

Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

mit der wettbewerbsrechtlichen Teleologie des Missbrauchsverbots gemäß Art. 102 AEUV Konflikte heraufbeschwört, weil sie dem vom EuGH selbst und im Grundsatz auch zu Recht propagierten Prinzip des legitimen Leistungswettbewerbs, den selbst marktbeherrschende Unternehmen aufnehmen dürfen, nicht in ausreichendem Maße Rechnung trägt.6 Denn indem man den vertikal integrierten Marktbeherrscher im Hinblick auf seine Tätigkeit im nachgelagerten (Endkunden-)Markt so behandelt, als müsste er sich die Vorleistung zu dem von seinen externen Abnehmern gezahlten Preis selbst abkaufen, tritt anstelle des Leistungsfähigkeitsprinzips der Gedanke der Chancengleichheit der nachgelagerten Marktteilnehmer ganz in den Vordergrund. Dies wird nicht zuletzt von den Unionsgerichten im Rahmen ihrer Auseinandersetzungen mit Kosten-Preis-Scheren bisweilen auch offen so ausgesprochen.7 Das Verbot der Kosten-Preis-Schere macht sich hier die sogenannte „Imputationstechnik“ bzw. „imputation rule“ zunutze, die als ein klassisches Instrument der Zugangs- und speziell der Zugangspreisregulierung bekannt ist.8 Mithilfe der imputation rule lassen sich Marktkonstellationen adressieren, in denen der monopolistische Inhaber eines unverzichtbaren vorgelagerten Zugangs mit Blick auf die nachgeordneten Wirtschaftstätigkeiten „von Haus aus“ – etwa wegen effizienzträchtiger Verbundvorteile – einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber anderen Unternehmen genießt, die als externe Nachfrager auf eben jenen Zugang angewiesen sind. Falls nun dieser inhärente Wettbewerbsvorsprung aus regulierungsrechtlichen Erwägungen heraus als korrekturbedürftig empfunden wird, lassen sich mithilfe der imputation rule für alle Teilnehmer des betroffenen nachgelagerten Marktes gleiche wettbewerbliche Ausgangsbedingungen herstellen. Um dies zu bewerkstelligen, wird zulasten des integrierten marktmächtigen Zugangsinhabers fingiert, dass auch er selbst sich den Zugang zu dem von den externen Zugangspetenten tatsächlich gezahlten Preis erst beschaffen muss.9 Der vorgelagerte Zugangspreis wird dem Inhaber des Zugangs gewissermaßen als eigene Kostenposition zugeschrieben („imputiert“), obwohl er ihn in Wirklichkeit gar nicht entrichten muss. Somit wird im Ergebnis der für den Bezug der Vorleistung festgesetzte Preis zum allgemeingültigen Maßstab für die Preissetzung auf der nachgelagerten Marktstufe.10 Eine Marktverhaltensregel, die wie das zu Art. 102 AEUVentwickelte Verbot der Kosten-Preis-Schere offenbar vorrangig eine Chancengleichheit im Wettbewerb 6

Dazu bereits eingehend oben, Kap. 4 C. II. 4. a) dd). Beispielsweise EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 230 – 240 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuG, Urteil vom 29. 3. 2012, Rs. T-336/07, EU:T:2012:172, Tz. 204 – Telefónica/Kommission; demgegenüber kritisch Hay/McMahon, J. Comp. L. & Econ. 2012, 259, 276. 8 Siehe nur Auf’mkolk, J. Eur. Comp. L. & P. 2012, 149, 150; Hausman/Tardiff, 40 The Antitrust Bulletin (1995), 529, 543 – 547; King/Maddock, 30 Austr. Bus. L. Rev. (2002), 43; Lommler, WuW 2011, 244, 245; Vogelsang, J. Econ. Lit. 2003, 830, 836. 9 Vgl. oben, Kap. 4 C. II. 4. a) cc); außerdem mit explizitem Bezug zur Imputationstechnik Lommler, WuW 2011, 244, 245; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 128. 10 Lommler, WuW 2011, 244, 245. 7

A. Erklärung der divergierenden Auffassungen im EU- und US-Kartellrecht

239

verwirklichen soll und damit – wie schon erwähnt – einen Fremdkörper im allgemeinen Kartellrecht bildet, lässt sich mithin umso leichter in den teleologischen Rahmen des besonderen Regulierungsrechts einbetten. Das sektorspezifische Regulierungsrecht der Netzwirtschaften ist nämlich im Gegensatz zum Kartellrecht keinem auch nur annähernd vergleichbar ausgeprägten freiheitsorientierten und allein in den Kategorien von zulässigem Leistungs- und unzulässigem Nichtleistungswettbewerb denkenden Ansatz verhaftet. Üblicherweise ist Regulierungsrecht gekennzeichnet durch eine Pluralität verschiedener, häufig politisch aufgeladener Zielvorstellungen, die – wenn überhaupt – nur teilweise wettbewerbsorientierter Art sind und dem Leitbild wirksamen Wettbewerbs bisweilen sogar bewusst zuwiderlaufen.11 Regulierungsrecht ist daher von vornherein besonders offen dafür, bei Bedarf unterschiedlichen gesetzgeberischen Zielvorstellungen zur Geltung verhelfen zu können.12 Ein Kartellrecht im traditionellen Sinne kann dies nicht in gleicher Weise leisten, solange es richtigerweise darauf beschränkt bleibt, den an sich als potenziell funktionsfähig erkannten Wettbewerbsprozess im Sinne eines offenen Spiels der leistungsgerechten Marktkräfte lediglich zu beaufsichtigen. So ist es beispielsweise in den kürzlich liberalisierten Netzsektoren ein klassisches und originäres Anliegen der regulatorischen Intervention, den einer Netzbetriebsebene nachgelagerten Dienstleistungswettbewerb zu stimulieren. Dies impliziert regelmäßig Maßnahmen zur gezielten Förderung der Wettbewerbsfähigkeit neuer Marktteilnehmer neben dem etablierten Netzbetreiber („incumbent operator“). In diesem Kontext sind die Maximen des Konkurrentenschutzes sowie der damit letzten Endes herzustellenden Chancengleichheit aller Wettbewerbsteilnehmer unter Einbeziehung des incumbent operator seit jeher feste Bestandteile des regulierungspolitischen Kanons, während sie im Kontext des allgemeinen Kartellrechts mit guten Gründen vom normativen Leitbild der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beiseite gedrängt sind. Es besteht eine fundamentale Diskrepanz der Funktionsweisen von Kartellrecht auf der einen und Regulierungsrecht auf der anderen Seite. Daran ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass der Regulierungsgesetzgeber gerade den für die Netzwirtschaftssektoren geschaffenen Sonderregelungen auch vergleichsweise deutlich ausgeprägte langfristig wettbewerbsorientierte Zielvorgaben zugewiesen hat.13 Wenn nämlich die Rahmenbedingungen eines funktionsfähigen Wettbewerbs erst in Zukunft entstehen sollen, impliziert dies die Erkenntnis, dass die Voraussetzungen eines durch die Marktkräfte allein hinreichend kontrollierbaren Wettbewerbs jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gegeben sind.14 11

Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 65. Siehe insbesondere § 2 Abs. 2 TKG für die Regulierungsziele in der Telekommunikationswirtschaft sowie § 1 Abs. 2 EnWG für die Ziele der Energiewirtschaftsregulierung. 12 Beispiele bei Auf’mkolk, J. Eur. Comp. L. & P. 2012, 149, 153. 13 Diese sind innerhalb Deutschlands etwa in § 2 Abs. 2 Nr. 2 TKG für den Telekommunikationssektor und in § 1 Abs. 2 EnWG für den Energieversorgungssektor niedergelegt. 14 Duijm, in: Berg, Deregulierung und Privatisierung, S. 9, 9. Näher zu den Gründen für die Regulierung der Netzwirtschaftsbereiche Schmidt-Volkmar, Das Verhältnis von kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht und Netzregulierung, S. 32 – 38.

240

Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

Die im Rahmen des Missbrauchstatbestands der Kosten-Preis-Schere nutzbar gemachte imputation rule rückt den Charakter des Verbots nicht nur deshalb stark in das Spektrum des Regulierungsrechts, weil sie das kartellrechtliche Prinzip des leistungsorientierten Wettbewerbs einseitig zulasten des integrierten Marktbeherrschers durch das Prinzip der Chancengleichheit substituiert. Wie jetzt zu zeigen sein wird, bewirkt die imputation rule darüber hinaus, dass das Verbot der Kosten-PreisSchere in bemerkenswert weitreichender und dirigistischer Manier unternehmerische Entscheidungen über die Ausgestaltung der eigenen Geschäftstätigkeit der ihm unterworfenen Normadressaten beeinflusst. Auch wegen dieser Eigenschaft harmoniert der Verbotstatbestand besser mit den typischen Instrumentarien des Regulierungsrechts als mit denen der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht. Im Einzelnen geht es hier um die im Verbot der Kosten-Preis-Schere nach Art. 102 AEUV angelegte Regelung über die ungleichmäßige Anerkennung von Effizienzvorteilen des integrierten Marktbeherrschers je nachdem, auf welcher Marktstufe er diese erzielt. Wenn sich der Marktbeherrscher nämlich nicht auf die integrationsbedingten Effizienzvorteile in Form von Kosteneinsparungen bei der konzerninternen Erstellung und Weitergabe des vorgelagerten Einsatzgutes berufen darf, wird er dies vernünftigerweise in sein unternehmerisches Kalkül einbeziehen. Hierdurch entsteht die Gefahr, dass er – geleitet durch die Wirkungsweise des Verbots der Kosten-Preis-Schere – auf der vorgelagerten Marktstufe in unnötiger und vermeidbarer Weise eine ineffiziente Wirtschaftstätigkeit entfaltet bzw. aufrechterhält. Zudem verliert der Marktbeherrscher Anreize, gerade auch über den Vertrieb der Vorleistung Gewinne zu erzielen. Die vergleichende Analyse zur Figur des Kampfpreismissbrauchs hat zur Erkenntnis geführt, dass sich das rechnerische Verbot der Kosten-Preis-Schere auf eine Rechtsvorschrift reduzieren lässt, gemäß derer die vorgelagerte Gewinnspanne des integrierten Normadressaten dessen nachgelagerte Gewinnspanne nicht überschreiten darf.15 Damit drängt man den Marktbeherrscher dazu, den Preis der Vorleistung möglichst kostenorientiert festzulegen, weil er hierdurch automatisch zusätzliche Preissetzungsspielräume auf der nachgelagerten Marktstufe gewinnt. Im Endeffekt schreibt ihm Art. 102 AEUV auf diesem Wege vor, dass er seine Gewinne vornehmlich im nachgelagerten Markt suchen möge. Diese Überlegungen zeigen eindrucksvoll, dass das Verbot der KostenPreis-Schere mit einer auf den ersten Blick ungeahnten dirigistischen Tendenz die betriebswirtschaftlichen Entscheidungen des marktbeherrschenden Unternehmens über die Ausrichtung seiner Geschäftstätigkeit in eine vorgegebene Richtung lenkt. Andere Formen des Missbrauchs nach Art. 102 AEUV besitzen keine vergleichbar weitreichende Wirkung, weil sie sich auf die punktuelle Missbilligung eines einzelnen Marktverhaltens beschränken. Weitergehende Beeinflussungen unternehmerischer Geschäftspolitiken gehen damit also regelmäßig nicht einher. Folglich stellt die Existenz des Verbots der Kosten-Preis-Schere nicht weniger in Frage als die Freiheit integrierter Unternehmen, selbst ihre Vertriebsstrukturen 15

Siehe oben, Kap. 5 A. III. 2.

A. Erklärung der divergierenden Auffassungen im EU- und US-Kartellrecht

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ausgestalten zu dürfen und insbesondere selbst darüber zu befinden, wo und wie ihre eigenen Gewinne entstehen sollen. Wie bereits ausgeführt, wird mit der Eigenschaft der Kosten-Preis-Schere als Tatbestand des „Gewinnverlagerungsmissbrauchs“ die Zuordnung der Betriebsgewinne zur vorgelagerten Marktstufe eines extern nachgefragten Einsatzgutes weitreichenden Restriktionen unterworfen. Damit wirkt das Verbot der Kosten-Preis-Schere bis in die traditionellen Kernbereiche unternehmerischer Entscheidungsspielräume hinein. Die in der Literatur hierzu vorherrschende und in der Sache völlig zu Recht artikulierte Sichtweise lautet, dass die konzerninterne Entstehung von Gewinnen und Verlusten als wettbewerbsneutraler Vorgang selbst im Zusammenhang mit erheblicher Marktmacht nicht bereits aus sich heraus dem Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV unterliegen sollte.16 Hinzu kommt, dass die auf Basis der Kosten-Preis-Schere implementierte Form der Preiskontrolle nicht nur eine ungewöhnlich tiefgreifende Wirkung entfaltet, sondern zugleich auch eine dauerhafte sein müsste, wenn das Verbot seine offenkundige Funktion als Zugangsregulierungsvorschrift mit nachhaltigem Erfolg erfüllen soll.17 Längerfristige und bis in die Tiefen der unternehmerischen Geschäftspolitik hineinwirkende Sanktionen bilden im System der allgemeinen kartellrechtlichen Aufsicht über marktmächtige Unternehmen einen Fremdkörper. Art. 102 AEUV beschränkt sich bewusst auf eine negative, d. h. verbietend anstatt gebietend wirkende ex post-Kontrolle von Marktverhalten.18 Deswegen ist das Missbrauchsverbot konzeptionell darauf zugeschnitten, eine punktuelle Begrenzung unternehmerischer Handlungsspielräume nur dort zu bewirken, wo wirtschaftliche Machtpositionen in wettbewerbswidriger Weise ausgenutzt werden. Im Bereich des sektorspezifischen Regulierungsrechts begnügt man sich hingegen schon von vornherein nicht mit derart kurz greifenden Instrumenten der Marktaufsicht. Im Kontext der für das Auftreten von Kosten-Preis-Scheren besonders relevanten Netzwirtschaftssektoren seien dazu nur beispielhaft die bereits ex ante ansetzenden Pflichten zur Gewährung des Netzzugangs durch einen marktmächtigen Betreiber („access regulation“) genannt, welche ihrerseits flankiert sind durch detaillierte Vorgaben der dabei zu fordernden Zugangsentgelte („access pricing“).19 Auch die für die betroffenen Unternehmen

16 So ausdrücklich Hancher/Buendia Sierra, 35 CML Rev. 1998, 901, 912; Heitzer, Konzerne im Europäischen Wettbewerbsrecht, S. 173; Lübbig, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 82 Rdnr. 182. 17 Vgl. Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 452 – 453 (2009). Allgemein zu den Anforderungen an eine wirksame Regulierung des Zugangs zu Ressourcen mit der Eigenschaft eines unangreifbaren natürlichen Monopols Heise, Das Verhältnis von Regulierung und Kartellrecht im Bereich der Netzwirtschaften, S. 215. 18 Vgl. Duijm, in: Berg, Deregulierung und Privatisierung, S. 9, 10 – 11; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 65. Anders insoweit die präventive kartellrechtliche Fusionskontrolle. 19 Für den Zugang zu Telekommunikationsnetzen in Deutschland etwa umgesetzt in § 21 und §§ 30 – 38 TKG.

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Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

besonders einschneidenden strukturellen Entflechtungsbefugnisse („unbundling“)20 gehören sinnvollerweise zum Repertoire einer proaktiv auf die Wettbewerbsverhältnisse einwirkenden Regulierungsbehörde, während sie im Kontext einer nur punktuell auf wettbewerbswidrige Verhaltensweisen reagierenden Missbrauchsaufsicht fehlplatziert wirken.21 Somit wird erkennbar, dass es im Regulierungsrecht weder problematisch noch ungewöhnlich ist, wenn im Wege hoheitlicher Anordnung die Ergebnisse des Wettbewerbs eines Marktes in eine bestimmte, weil politisch gewollte Richtung gelenkt werden. Dies wird hingegen aus guten Gründen nicht als eine Aufgabe begriffen, die das Kartellrecht mit seiner freiheitlich orientierten Teleologie vernünftigerweise bewerkstelligen kann oder soll.22 Folglich besitzt die im Verbot der Kosten-Preis-Schere nach europäischem Vorbild enthaltene imputation rule die Eigenschaften einer aktiv und zielgerichtet wirkenden Marktordnungsvorschrift vornehmlich regulierungsrechtlichen Charakters. Aufschlussreich für die regulierungsrechtlichen Qualitäten des Verbots der Kosten-Preis-Schere sind in diesem Zusammenhang auch seine Auswirkungen auf die Zulässigkeit von konzerninternen Quersubventionen des integrierten Marktbeherrschers. Wenn nämlich die Kosten-Preis-Schere eine kombinierte Preissetzung dergestalt verbietet, dass die im vorgelagerten Markt erzielte Gewinnspanne nicht größer ausfallen darf als die Gewinnspanne der nachgelagerten Geschäftstätigkeit,23 so ist dies bei näherem Hinsehen nichts anderes als ein verstecktes Verbot der Quersubventionierung. Dem Marktbeherrscher ist es nämlich verwehrt, vergleichsweise niedrige Preise im nachgelagerten Markt durch entsprechend höhere Gewinne aus der vorgelagerten Geschäftstätigkeit zu finanzieren.24 Zur Frage der kartellrechtlichen Relevanz jener Quersubventionierungen ist man sich in Anwendungspraxis wie Literatur bislang allerdings weitgehend einig, dass sie für sich genommen noch keinen Konflikt mit Art. 102 AEUV erzeugen.25 Insbesondere von der Kommission werden sie traditionell erst als Wettbewerbsproblem erkannt, sobald 20 Siehe hier insbesondere die umfangreichen, in §§ 6 – 10e EnWG enthaltenen unbundlingVorschriften für vertikal integrierte Energieversorger. 21 Gemäß Art. 7 Abs. 1 S. 3 VO 1/2003 (ABl. 2003, L 1/1) besitzt die Kommission zwar grundsätzlich eine Befugnis zur Anordnung struktureller Abhilfemaßnahmen bei Verstößen gegen Art. 101 und 102 AEUV. Dennoch bleibt es dabei, dass diese mit dem konzeptionellen Grundansatz der Missbrauchsaufsicht Spannungen erzeugt, vgl. die Kritik bei Klees, Europäisches Kartellverfahrensrecht, § 6 Rdnr. 78. Hinzu kommt, dass strukturelle (Entflechtungs-) Maßnahmen nur selten und unter außergewöhnlichen Umständen verhältnismäßig sein dürften (a.a.O., Rdnrn. 80 – 83). 22 Siehe dazu im Kontext der kartellrechtlichen Preishöhenkontrolle Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 176 a.E. 23 Siehe dazu die Herleitung oben, Kap. 5 A. III. 2. 24 Klotz, MMR 2008, 650, 656; Vogelsang, J. Econ. Lit. 2003, 830, 836. 25 EuG, Urteil vom 20. 3. 2002, Rs. T-175/99, EU:T:2002:78, Tz. 58 – 62 – UPS/Kommission; Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnr. 538; Hancher/Buendia Sierra, CML Rev. 1998, 901, 912 und 926; O’Donoghue/Padilla, The Law and Economics of Article 82 EC, S. 266, 268 – 269; Platt, Quersubventionierung im Wettbewerbsrecht der Europäischen Union, S. 183.

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sie sich in Form von kostenunterschreitenden Kampfpreisen auf dem Markt niederschlagen.26 Die Bekämpfung von Quersubventionen ist demnach kein eigenständiges Anliegen des Missbrauchsverbots. Hintergrund dieser Zurückhaltung ist ganz offensichtlich das in der Sache gut nachvollziehbare Bestreben, die kartellrechtliche Intervention nicht allzu sehr auf unternehmensinterne Vorgänge wie die Zuweisung von betrieblichen Gewinnen und Verlusten zu erstrecken.27 Mit diesem weithin akzeptierten Rechtsgrundsatz verstrickt sich das kartellrechtliche Verbot der Kosten-Preis-Schere in einen Widerspruch. Es eröffnet ein breites Einfallstor, um über den Missbrauchstatbestand des Art. 102 AEUV letzten Endes doch Quersubventionierungen schon aus sich heraus und nicht – wie bisher – nur unter der Bedingung gleichzeitig kostenunterschreitender Preise zu verbieten. Von der Warte des sektorspezifischen Preisregulierungsrechts her gesehen steht man Quersubventionierungen hingegen seit jeher wesentlich misstrauischer gegenüber. Denn diese können – auch wenn sie nicht mit kostenunterschreitenden Kampfpreisen oder sonstigen Missbräuchen einhergehen – die Marktöffnungsziele der Zugangspreisregulierung gefährden.28 Nachweise für die eigenständige regulierungsrechtliche Relevanz von Quersubventionierungen sind leicht ausfindig zu machen. So hat man etwa in der begleitenden Analyse zum Fall Deutsche Telekom der RegTP mit kritischem Unterton attestiert, sie hätte im Rahmen ihrer regulatorischen Marktaufsicht wirksame Vorkehrungen gegen Quersubventionierungen der DTAG zulasten ihrer Wettbewerber treffen müssen.29 Dieser Vorwurf impliziert die Bekämpfung von Quersubventionierungen als originäre Aufgabe des Regulierungsrechts. Auch die Kommission scheint konzerninterne Ressourcenverschiebungen als partikulares Problem der regulierten Sektoren anzusehen, indem sie etwa in einer auf den Postsektor bezogenen Mitteilung Bedenken gegenüber Quersubventionierungen zur Sprache gebracht und diese ganz speziell aus Besonderheiten des regulatorisch geformten Marktumfelds hergeleitet hat.30 Es zeigt sich an dieser Stelle erneut, wie regulierungsrechtliche Gesichtspunkte das Verbot der Kosten-Preis-Schere plausibler und besser erklären können als hergebrachte Grundsätze des allgemeinen Kartellrechts.

26 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 20. 3. 2001, ABl. 2001, L 125/27, Tz. 5, 35 – 36 – Deutsche Post AG, in der der erhobene Vorwurf einer mutmaßlich gegen Art. 102 AEUV verstoßenden Quersubventionierungsstrategie nicht als solcher, sondern ausschließlich unter Rückgriff auf die Grundsätze der Kampfpreisunterbietung geprüft wurde. 27 Dazu Hancher/Buendia Sierra, 35 CML Rev. 1998, 901, 912; Heitzer, Konzerne im Europäischen Wettbewerbsrecht, S. 173; Lübbig, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Art. 82 Rdnr. 182. 28 Heise, Das Verhältnis von Regulierung und Kartellrecht im Bereich der Netzwirtschaften, S. 101. 29 Junghanns, WuW 2002, 567, 570; Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 655 m.w.N. 30 Kommission, Bekanntmachung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Postsektor und über die Beurteilung bestimmter staatlicher Maßnahmen betreffend Postdienste, ABl. 1998, C 39/2, Tz. 3.

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Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

Als letzter relevanter Aspekt soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Kommission in ihren bisher zum Verbot der Kosten-Preis-Schere nach Art. 102 AEUV erlassenen Entscheidungen bereits an verschiedenen Stellen regulierungsrechtliche Erwägungen selbstbewusst innerhalb der an sich kartellrechtlichen Würdigung zur Geltung gebracht hat. Beispielsweise nahm sie im Fall Deutsche Telekom innerhalb der dort notwendig gewordenen Abgrenzung der an der Gewinnmargenbeschneidung konkret beteiligten nachgelagerten Leistungen von der eigentlich gebotenen marktorientierten Betrachtungsweise Abstand.31 Stattdessen wählte sie mit dem Hinweis auf regulierungsrechtliche Erwägungen einen grundlegend anderen Ansatz: „Die getrennte Betrachtung der Zugangs- und der Gesprächsentgelte ist bereits durch den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Tarifumstrukturierung vorgegeben. Demnach stellen der Zugang zu Ortsnetz-Leitungen und das Angebot verschiedener Kategorien von Gesprächsverbindungen im Hinblick auf ihre Bepreisung nach dem Prinzip der Kostenorientierung eindeutig voneinander getrennte Dienste dar.“32 Anschließend untermauerte die Kommission dies noch mit Erwägungen aus dem Spektrum des telekommunikationsspezifisch erlassenen sekundären Unionsrechts.33 Mit dieser künstlich getrennten Betrachtung mehrerer nachgelagerter Endkundenleistungen sollte ganz offensichtlich einer horizontalen konzerninternen Quersubventionierung zwischen den im konkreten Fall jeweils beteiligten Diensten entgegengewirkt werden, deren Bedenklichkeit sich wiederum allein mit regulierungsrechtlichen Erwägungen erklären lässt.34 Die hier unmissverständlich zum Ausdruck kommende Instrumentalisierung des Kartellrechts für regulierungspolitische Zwecke im Kontext der Prüfung von Kosten-Preis-Scheren ist im Übrigen bereits mehrfach von den Unionsgerichten mitgetragen worden.35 Aus dem Gesamtbild der vorstehend erläuterten Aspekte ergibt sich, dass die Kosten-Preis-Schere keineswegs nur rein zufälligerweise immer wieder in regulierten Sektoren auftritt und sich dort als Wettbewerbsproblem herauskristallisiert. Das auf sie zugeschnittene Verbot ist aufgrund seiner Funktionsweise und charakteristischen Eigenschaften vielmehr schon „von Haus aus“ stark regulierungsrechtlich vorgeprägt.36 Die rein formelle Einordnung des Verbots in den Kanon gemäß Art. 102 AEUV missbräuchlicher Behinderungsstrategien durch die Unionsorgane vermag daran nichts zu ändern. 31

Zu den Einzelheiten bereits oben, Kap. 4 C. II. 6. b). Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 120 – Deutsche Telekom AG. 33 Kommission, Entscheidung vom 21. 5. 2003, ABl. 2003, L 263/9, Tz. 121 – 125 – Deutsche Telekom AG. 34 Vgl. Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 655. 35 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 92 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuG, Urteil vom 29. 3. 2012, Rs. T-336/07, EU:T:2012:172, Tz. 293 – Telefónica/Kommission. 36 So im Ergebnis zu Recht Lommler, WuW 2011, 244, 245; Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279, 282. 32

A. Erklärung der divergierenden Auffassungen im EU- und US-Kartellrecht

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II. Einzelheiten des Zusammenspiels von Kartellund Regulierungsrecht in der EU und in den USA Angesichts dieser wichtigen Erkenntnis steht fest, dass die vorliegend angestrebte vergleichende Analyse des europäischen und US-amerikanischen Rechts nicht an einer näheren Auseinandersetzung mit den jeweiligen Strukturen des Regulierungsrechts sowie dessen Bezügen zum allgemeinen Kartellrecht vorbeikommt. Erst unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Dimension besteht die Aussicht, eine belastbare Aussage zu den Gründen der transatlantischen Rechtsdivergenz zu erhalten, die im Umgang mit dem Phänomen der marktübergreifenden Gewinnmargenbeschneidung hervortritt. Deshalb sollen im Folgenden die in beiden Rechtsordnungen geltenden Grundsätze für das Zusammenspiel von kartell- und regulierungsrechtlichen Marktverhaltensvorschriften überblicksmäßig dargestellt werden. 1. EU: Parallele Anwendbarkeit und wechselseitige Ergänzung der Rechtsmaterien Innerhalb der EU gibt es keine im Abstrakten klar geregelte Vorrangstellung der einen oder anderen Rechtsmaterie. Stattdessen findet man ein System vor, welches darauf bedacht ist, in jedem Einzelfall die im Kartell- wie im Regulierungsrecht angelegten Marktverhaltensrestriktionen möglichst nebeneinander zur Geltung zu bringen. Dies wird verwirklicht durch eine Reihe an Vorschriften und Rechtsprechungsgrundsätzen, die weder dem Kartell- noch dem Regulierungsrecht von vornherein das Privileg der ausschließlichen Anwendbarkeit zuweisen. Im Einzelnen ergibt sich aus der Kollisionsvorschrift des Art. 3 VO 1/2003, dass das europäische Kartellrecht – soweit es den hier relevanten Bereich der Aufsicht über einseitige Verhaltensweisen von (marktmächtigen) Unternehmen betrifft – das auf mitgliedstaatlicher Ebene umgesetzte Regulierungsrecht nicht in seiner Anwendung verdrängt.37 Es greift an dieser Stelle eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des Anwendungsvorrangs höherrangigen EU-Rechts gegenüber anders-

37 Hinsichtlich der dogmatischen Begründung ist man sich – ohne Auswirkungen auf das Ergebnis – im Schrifttum uneinig. Einige Stimmen stützen sich auf Art. 3 Abs. 2 VO 1/2003, der es den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen erlaubt, für das einseitige Verhalten von Unternehmen strengere wettbewerbsbezogene Regeln vorzusehen (so etwa Schmidt-Volkmar, Das Verhältnis von kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht und Netzregulierung, S. 177). Andere wiederum betonen die divergierenden Zielsetzungen von Kartell- und Regulierungsrecht und halten deshalb nicht Art. 3 Abs. 2, sondern Art. 3 Abs. 3 VO 1/2003 für einschlägig. Eine dritte Ansicht sucht eine der Sache nach entsprechende Lösung außerhalb dieser Vorschrift: Dem nationalen Regulierungsrecht stehe neben dem EU-Kartellrecht ein eigenständiger Regelungsbereich gerade deswegen zu, weil und soweit sich dieses von Richtlinien des EU-Sekundärrechts ableitet, vgl. Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 3 VO 1/2003 Rdnr. 49; Sura, in: Langen/Bunte, Art. 3 VO 1/2003 Rdnr. 29; ähnlich auch Zuber, in: Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, Art. 3 VO 1/2003 Rdnr. 18.

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Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

lautendem nationalen Recht ein.38 Umgekehrt ist aber auch das Regulierungsrecht nicht in der Lage, die Anwendung des EU-Kartellrechts zurückzudrängen oder auch nur die Art und Weise seiner Anwendung zu beeinflussen. Hierzu wurde bereits oben ausführlich auf die gefestigte Sichtweise des EuGH eingegangen, wonach allein die Tatsache, dass ein bestimmter Wirtschaftsbereich einer behördlichen Preisregulierung unterworfen ist, keinerlei Dispens von der Pflicht zur Beachtung kartellrechtlicher Verbote bietet.39 Dies gilt jedenfalls solange, wie eine ex ante ansetzende mitgliedstaatliche Preisregulierungsvorgabe nicht derart intensiv ist, dass sie keinerlei Spielräume für autonomes unternehmerisches Verhalten mehr belässt.40 Wenn man bedenkt, dass den Unionsgerichten selbst verfahrensmäßige Initiativrechte zur künftigen Veränderung bisher geltender Preisregulierungsvorgaben zur Annahme eines solchen Spielraums genügen,41 dürfte der Fall einer tatsächlichen Unanwendbarkeit europäischen Kartellrechts nach diesen Regeln eher ein theoretischer bleiben. Im Übrigen ist die kartellrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen selbst dann nicht limitiert oder gar ausgeschlossen, wenn die zuständige staatliche Behörde beim Erlass von Regulierungsmaßnahmen ihrerseits gegen Unionsrecht verstoßen hat.42 Ebensowenig tragfähig erweist sich die Überlegung, dass das nationale Regulierungsrecht als möglicherweise spezielleres oder konkretisierendes Regime der Marktverhaltensaufsicht die Normen des europäischen Kartellrechts verdrängen könnte.43 Dieses System der durch beide Rechtsmaterien parallel und gemeinsam bewerkstelligten Verhaltenskontrolle findet seine konsequente Fortsetzung im Bereich der einzelfallspezifischen Rechtsdurchsetzung seitens der Wettbewerbs- und Regulierungsbehörden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht steht das Einschreiten einer nationalen Regulierungsbehörde oder der Kommission nicht der Zuständigkeit der jeweils anderen Behörde entgegen, denselben Sachverhalt ihrerseits noch einmal 38 Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 3 VO 1/2003 Rdnrn. 3, 32; weiterführend zur Thematik des Vorrangs europäischen Wettbewerbsrechts gegenüber mitgliedstaatlichen Vorschriften Wiedemann, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, § 6 Rdnrn. 3 – 4. 39 Siehe oben, Kap. 2 B. V. mit entsprechenden Nachweisen. 40 Vgl. EuGH, Urteil vom 11. 11. 1997, verb. Rs. C-359/95 P und C-379/95 P, EU:C:1997:531, Tz. 33 – 34 – Ladbroke Racing; EuGH, Urteil vom 9. 9. 2003, Rs. C-198/01, EU:C:2003:430, Tz. 52 – 53 – CIF; EuG, Urteil vom 27. 9. 2006, Rs. T-168/01, EU:T:2006:265, Tz. 66 – 74 – GlaxoSmithKline/Kommission (hier mit spezifischem Bezug zu Art. 101 AEUV); EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 85 – 88 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 80 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 41 EuGH, Urteil vom 16. 9. 2008, verb. Rs. C-468/06 u. a., EU:C:2008:504, Tz. 58 – 64 – GlaxoSmithKline AEVE; EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 97 – 105, 122, 124 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 42 EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 91 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 43 Hierzu eingehend und sachlich überzeugend Paulweber, Regulierungszuständigkeiten in der Telekommunikation, S. 138 – 150; Schmidt-Volkmar, Das Verhältnis von kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht und Netzregulierung, S. 166 – 174.

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aufzugreifen.44 Auf der materiellrechtlichen Ebene gilt folgerichtig, dass bereits vorhandene kartell- oder regulierungsbehördliche Einzelfallentscheidungen in keine der beiden denkbaren Richtungen eine präjudizielle Bindungswirkung für die Beurteilung durch die jeweils andere Behörde entfalten. Der Umstand, dass eine bestimmte Verhaltensweise mit einem mitgliedstaatlich gesetzten Regulierungsrahmen vereinbar ist, greift also dem Ergebnis einer anschließenden wettbewerbsrechtlichen Prüfung nach Maßgabe der Art. 101 ff. AEUV nicht vor.45 Schließlich können sich Unternehmen auch nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen in eine sie begünstigende, weil keinen regulierungsrechtlichen Verstoß feststellende, Entscheidung einer nationalen Behörde berufen, wenn anschließend etwa die Kommission noch einmal selbst aufgrund von Art. 102 AEUV einschreitet und auf dieser kartellrechtlichen Grundlage ein verbotswürdiges Verhalten erkennt.46 Als Zwischenergebnis zur europäischen Perspektive auf das Zusammenspiel von Kartell- und Regulierungsrecht kann daher festgehalten werden, dass beide Materien gewissermaßen ein „System der zwei Schranken“47 errichten. Bei der Beurteilung einzelner Fälle wird sich insofern stets das jeweils strengere Recht faktisch durchsetzen. Weder der eine noch der andere Bereich erhebt für sich den Anspruch, einzelne Sachverhalte unter allen relevanten Gesichtspunkten abschließend beurteilen zu wollen.48 Aus Sicht der regulierten Normadressaten mag dies den Nachteil haben, dass sie auf diesem Wege einer doppelten und keineswegs immer gleichgerichteten49 Marktverhaltenskontrolle unterworfen sind.50 Für die Rechtsanwendung 44 Möschel, MMR-Beilage 3/1999, 3, 4; Ruhle/Schuster, MMR 2003, 648, 649 (mit speziellem Bezug zum Fall Deutsche Telekom); Schmidt-Volkmar, Das Verhältnis von kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht und Netzregulierung, S. 165, 197. Neben der parallelen Zuständigkeit von Kommission und nationaler Regulierungsbehörde kommt es im innerstaatlichen Bereich außerdem zu einer Doppelzuständigkeit von Regulierungsbehörde und Wettbewerbsbehörde, vgl. dazu Schütze/Salevic, CR 2008, 483, 485 – 487 mit Blick auf die deutschen Telekommunikationsmärkte. 45 So der EuGH speziell zur Kosten-Preis-Schere, vgl. Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/ 08 P, EU:C:2010:603, Tz. 90 – Deutsche Telekom AG/Kommission unter Rückgriff auf die Rechtsprechung im Fall Masterfoods (EuGH, Urteil vom 14. 12. 2000, Rs. C-344/98, EU:C:2000:689, Tz. 4); in die gleiche Richtung schon zuvor EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 120 – Deutsche Telekom AG/Kommission; siehe ferner Kommission, Entscheidung vom 16. 7. 2003, COMP/38.369, ABl. 2004, L 75/32, Tz. 22 – TMobile Deutschland/O2 Germany; Schmidt-Volkmar, Das Verhältnis von kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht und Netzregulierung, S. 211 – 212. 46 EuG, Urteil vom 10. 4. 2008, Rs. T-271/03, EU:T:2008:101, Tz. 268 – 269 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 47 Vgl. GA Mazák, Schlussanträge vom 22. 4. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:212, Tz. 21 – Deutsche Telekom AG/Kommission. 48 Vgl. Klotz, MMR 2008, 650, 654. 49 Dies beweist eindrucksvoll die von der Kommission sanktionierte Kosten-Preis-Schere im Fall Deutsche Telekom, nachdem es zuvor trotz dahingehender Untersuchung keine regulierungsbehördliche Beanstandung durch die RegTP gegeben hatte; dazu die Falldarstellung oben, Kap. 4 A. IV.

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bringt dies jedoch den Vorteil mit sich, dass unerwünschte Lücken oder Durchsetzungsdefizite des einen Rechtsgebiets mithilfe einer strengeren administrativen Handhabung des jeweils anderen recht unkompliziert korrigierbar sind. 2. USA: Vorrang des Regulierungsrechts In den USA stellt sich das Zusammenspiel von Kartellrecht und Regulierungsrecht grundlegend anders dar. Dies ist bemerkenswert, hat man es doch auch im USamerikanischen Recht im Ausgangspunkt mit einem Nebeneinander jeweils eigenständig konzipierter Rechtsmaterien zu tun, deren Verhältnis zueinander ähnliche Fragen der Normenkonkurrenz wie im europäischen Kontext aufwirft. Soweit Marktverhaltensregulierung auf bundesrechtlicher Ebene erfolgt und dem Zuständigkeitsbereich einer Bundesbehörde zugewiesen ist, besteht zum kartellrechtlichen Verbot aus sec. 2 Sherman Act eine Gleichrangigkeit der Normen.51 Etwaige materiellrechtliche Konflikte zwischen den beiden Materien können dann zunächst mithilfe des Prinzips der „antitrust immunity“ gelöst werden.52 Soweit dieses einschlägig ist, drängt das zum Zwecke der sektorspezifischen Regulierung erlassene Bundesrecht die allgemeinen Vorschriften des Sherman Act innerhalb des gesondert regulierten Bereichs vollständig zurück. Diese Rechtsfolge kann entweder schon ausdrücklich in den gesetzlichen Regulierungsvorschriften festgelegt sein („express antitrust immunity“)53 oder sich im Wege der Auslegung des jeweiligen Regulierungspaketes ergeben („implied antitrust immunity“). Die Annahme dieser letztgenannten implied immunity kommt immer dann ernsthaft in Betracht, wenn die Anwendung des allgemeinen Kartellrechts im konkreten Einzelfall mit den jeweils maßgeblichen regulierungsrechtlichen Zielvorstellungen unvereinbar wäre.54 Au50

Schmidt-Volkmar, Das Verhältnis von kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht und Netzregulierung, S. 174; prägnant auch Kommission, Mitteilung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zugangsvereinbarungen im Telekommunikationsbereich, ABl. 1998, C 265/2, Tz. 22: „[I]m Telekommunikationsbereich tätige Unternehmen [sollten] beachten, dass die Einhaltung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln sie nicht von der Pflicht befreit den ihnen im Zusammenhang mit den ONP-Regeln auferlegten Verpflichtungen nachzukommen sowie umgekehrt bei der Befolgung der ONP-Regeln auch die Wettbewerbsregeln einzuhalten.“ 51 Dies ist etwa im Telekommunikationssektor der Fall. Grundlage der Marktregulierung ist hier für alle zwischenstaatlichen Kommunikationsvorgänge der in den USA bundesweit geltende Communications Act von 1934 in der durch den Telecommunications Act 1996 geänderten Fassung. Zuständige Regulierungsbehörde ist die nach diesem Gesetz errichtete Federal Communications Commission (FCC). Näher und eingehend zur Regulierung der Telekommunikationswirtschaft in den USA Neuhaus, Regulierung in Deutschland und den USA, S. 139 – 148 und S. 213 – 233. 52 Allgemein zu diesem Rechtsinstitut Kahn, 83 Chicago-Kent L. Rev. (2008), 1439. 53 Für einzelne Beispiele im Bundesrecht der USA vgl. OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Regulated Conduct Defence, S. 184 – 186. 54 United States v. National Association of Securities Dealers, Inc., 422 U.S. 694, 719 (1975); Gordon v. New York Stock Exchange, Inc., 422 U.S. 659, 682 – 683 (1975) m.w.N.;

A. Erklärung der divergierenden Auffassungen im EU- und US-Kartellrecht

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ßerdem kommt es darauf an, wie detailliert und umfassend das jeweilige regulierungsrechtliche Regime als Instrument der Marktverhaltenskontrolle ausgestaltet ist.55 Die Grundsätze der antitrust immunity sind nicht die einzigen Regeln, die in den USA das Verhältnis von Kartell- und Sektorregulierungsrecht konturieren. Daneben treten noch verschiedene andere Rechtsinstitute auf den Plan, die an dieser Stelle ebenfalls eine überblicksmäßige Erwähnung verdienen. Sie laufen im Ergebnis genau wie die antitrust immunity darauf hinaus, den speziellen regulierungsrechtlichen Wertungen einen praktischen Vorrang vor jenen des allgemeinen Kartellrechts einzuräumen. Für das Verhältnis von bundesstaatlichem Regulierungsrecht zum Bundeskartellrecht kann etwa die Rechtsfigur der „state action defense“56 ins Spiel kommen. Sie entzieht solche Situationen dem Zugriff durch das US-Kartellrecht, in denen sich einzelne Bundesstaaten entschließen, bestimmte wirtschafts- oder wettbewerbspolitische Zielvorstellungen verwirklichen zu wollen, die ihrer Sache nach einen Konflikt mit den Vorschriften des Sherman Act zu erzeugen drohen. Die state action defense sorgt nun für eine bereichsspezifische Ausnahme von der Anwendbarkeit des Bundeskartellrechts genau dort, wo es dem konkreten bundesstaatlichen Regelungsanliegen im Weg stünde.57 Im föderalen Gefüge der USA dient sie damit dem Schutz der wirtschaftspolitischen Gestaltungsfreiheit der bundesstaatlichen Gesetzgeber.58 Anfangs noch als reines Mittel für die kartellrechtliche Freistellung staatlicher regulatorischer Aktivitäten konzipiert, haben die Gerichte die state action defense im Laufe ihrer Entscheidungspraxis dahingehend erweitert, dass sich auch private Unternehmen, die einer bundesstaatlichen Wirtschaftsregulierung unterworfen sind, unmittelbar auf sie berufen dürfen.59 Damit wurde sie zu einem allgemeinen Rechtsinstitut für die Austarierung von Regulierungs- und Kartellrecht heraufgestuft. Die state action defense greift ein, sobald folgende zwei Voraussetzungen zuletzt mit umfassender Erörterung der implied antitrust immunity Credit Suisse Securities (USA) LLC v. Billing, 551 U.S. 264 (2007); siehe auch den besonders ausführlichen Bericht zur bisherigen Gerichtspraxis Kahn, 83 Chicago-Kent L. Rev. (2008), 1439, 1443 – 1474. 55 Otter Tail Power Co. v. United States, 410 U.S. 366, 372 – 375 (1973); OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Regulated Conduct Defence, S. 30 – 31; siehe auch die bei Grimes, ZWeR 2009, 343, 346 genannten Kriterien. 56 Gelegentlich auch als „state action doctrine“ oder „state action exemption“ bezeichnet. Eingehend zu dieser Rechtsfigur McCall, Duke L. J. 1977, 871; Schwartz, 48 Am. U. L. Rev. (1999), 1449, 1457 – 1466. 57 Siehe hierzu aus der für die state action defense grundlegenden Entscheidung in Parker v. Brown, 317 U.S. 341 (1943): „We find nothing in the language of the Sherman Act or in its history which suggests that its purpose was to restrain a state or its officers or agents from activities directed by its legislature.“ (a.a.O., 350 – 351). 58 Sullivan/Grimes, The Law of Antitrust, S. 800. 59 Zu dieser Entwicklung Southern Motor Carriers Rate Conference v. U.S., 471 U.S. 48, 56 – 57 (1985) m.w.N.

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Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

erfüllt sind: Erstens muss das mutmaßlich kartellrechtswidrige Verhalten von einem Bundesstaat klar, ausdrücklich und eindeutig als Teil seiner Wirtschaftspolitik befürwortet worden sein. Zweitens muss der betreffende Staat die Einhaltung dieser Politik aktiv überwachen.60 Ganz im Gegensatz zu ihrem äußerst restriktiv gehandhabten europäischen Pendant macht man von der state action defense deutlich offenherzigeren Gebrauch. Insbesondere kommt es zum Ausschluss des Kartellrechts und zur alleinigen Geltung spezielleren Regulierungsrechts nicht nur in den seltenen Fällen staatlich erzwungener, gewissermaßen alternativlos vorgeschriebener unternehmerischer Verhaltensweisen.61 Das Verhältnis zwischen Kartell- und Regulierungsrecht wird in den USA außerdem noch durch das ebenfalls richterrechtlich entwickelte Institut der „filed rate doctrine“62 ausgestaltet. Sie bezieht sich gezielt auf die in regulierten Sektoren häufig anzutreffende Situation der behördlichen Entgeltgenehmigung. Die Doktrin sorgt nun dafür, dass jedes von unternehmerischer Seite ordnungsgemäß beantragte und daraufhin von der zuständigen Behörde genehmigte Entgelt anschließend nicht mehr als kartellrechtswidrige Preisgestaltung angreifbar ist.63 Das hiermit verfolgte Anliegen besteht erkennbar darin, den regulierungspolitischen Entscheidungsspielraum der sektorspezifisch tätigen Genehmigungsbehörden gegen potenziell anderslautende Bewertungen kartellrechtlicher Natur abzuschirmen, weil Letztere die mit einer konkreten Entgeltgenehmigungspolitik verfolgten Zielsetzungen konterkarieren könnten.64 Hinter der filed rate doctrine steht damit auch die prinzipielle Überlegung, eine sektorspezifisch eingesetzte Regulierungsbehörde könne besser als die mit allgemeinen Kartellsachen befassten Gerichte dafür Sorge tragen, dass die genehmigten Entgelte angemessen und diskriminierungsfrei sind.65 Die vorstehend erörterten und in der Gerichtspraxis seit Jahren fest etablierten Grundsätze sorgen im US-amerikanischen Recht für eine weitgehende gegenseitige Abgrenzung der Anwendungsbereiche von sektorspezifischem Regulierungsrecht 60 California Retail Liquor Dealers Association v. Midcal Aluminum Co., 445 U.S. 97, 105 (1980). 61 Southern Motor Carriers Rate Conference v. U.S., 471 U.S. 48, 58 – 62 (1985); Hovenkamp, Federal Antitrust Policy, § 20.3. 62 Dazu überblicksmäßig und m.w.N. aus der Entscheidungspraxis Rowley, 70 Texas L. Rev. (1991), 399, 413 – 416. 63 Keogh v. Chicago & Northwestern Railway Co., 260 U.S. 156, 163 (1922). 64 Keogh v. Chicago & Northwestern Railway Co., 260 U.S. 156, 162 – 164; Maislin Industries, U.S., Inc. v. Primary Steel, Inc., 497 U.S. 116, 126 – 128 (1990); Fax Telecomunicaciones Inc. v. AT&T, 138 F.3d 479, 489 (2d Cir. 1998). Siehe ebenfalls unter Hervorhebung der vorrangigen Zuständigkeit (primary jurisdiction) der Regulierungsbehörden Arkansas Louisiana Gas Co. v. Hall, 453 U.S. 571, 577 – 578 (1981). 65 Keogh v. Chicago & Northwestern Railway Co., 260 U.S. 156, 161 (1922). Für eine kartellrechtliche Freistellung von genehmigten Entgelten nach der filed rate doctrine ist es allerdings erforderlich, dass die Regulierungsbehörde eine dahingehende Prüfung auch tatsächlich vornimmt, vgl. Wileman Bros. & Elliott, Inc. v. Giannini, 909 F.2d 332, 337 – 338 (9th Cir. 1990).

B. Schlussfolgerungen

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auf der einen und allgemeinem Kartellrecht auf der anderen Seite. Die Tendenz geht ganz eindeutig dahin, im Kollisionsfall dem regelmäßig mit spezielleren Wertungen ausgestatteten Regulierungsrecht den umfassenden Anwendungsvorrang zu gewähren. Damit unterscheidet sich der US-amerikanische Ansatz grundlegend von dem innerhalb der EU fest verankerten Zweischrankenprinzip. Diese Linie hat der Supreme Court erst unlängst im Jahre 2004 mit seinem bereits erörterten66 TrinkoUrteil67 konsequent fortgeschrieben. Ausweislich der darin entfalteten Argumentation soll nämlich selbst außerhalb des Bereichs der implied antitrust immunity68 die Anwendung des Kartellrechts in regulierten Sektoren und insbesondere auf regulierungsrechtliche Verstöße in Form von Zugangsverweigerungen weitreichenden Restriktionen unterworfen sein.69 Zur Begründung verweist der Supreme Court unter anderem auf allgemeine wettbewerbspolitische Nachteile, Hindernisse institutioneller Art sowie auf die Gefahren einer allzu weitreichenden Anwendung kartellrechtlicher Verbote durch Gerichte auf Sachverhalte, die bereits einer detaillierten sektorspezifischen Regulierung unterstellt sind.70 Speziell in Anbetracht dieser neueren Aussagen der höchstrichterlichen Rechtsprechung – die anschließend in Linkline für die Fallgruppe der Kosten-Preis-Schere ihre logische Fortsetzung fanden – wird man gegenwärtig mit guten Gründen bezweifeln dürfen, dass dem US-Kartellrecht überhaupt noch ein nennenswerter Anwendungsspielraum in regulierten Wirtschaftssektoren zukommt.71

B. Schlussfolgerungen zur Relevanz der Kosten-Preis-Schere im Kartellrecht der EU und der USA Unter dem Eindruck der engen regulierungsrechtlichen Bezüge der Kosten-PreisSchere sowie des in der EU und in den USA diametral entgegengesetzt aufgelösten Konkurrenzverhältnisses von Kartell- und Regulierungsrecht offenbart sich eine nachvollziehbare Erklärung für den divergierenden Umgang mit Phänomenen der Gewinnmargenbeschneidung seitens vertikal integrierter Unternehmen. Wie sich gezeigt hat, hat man es keineswegs mit möglicherweise nur im Detail anders akzentuierten wettbewerbspolitischen Standpunkten zu tun. Vielmehr ist die unter66

Siehe oben, Kap. 3 B. II. Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, (2004). 68 Im konkret zu entscheidenden Sachverhalt war die in sec. 601(b)(1) Telecommunications Act 1996 enthaltene „antitrust savings clause“ zu beachten. Sie lautet: „Except as provided in paragraphs (2) and (3), nothing in this Act or the amendments made by this Act shall be construed to modify, impair, or supersede the applicability of any of the antitrust laws.“ 69 Dazu bereits die Erläuterungen oben, Kap. 3 B. V. 2. 70 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 411 – 415 (2004). 71 In diese Richtung schon recht deutlich Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 412 (2004). 67

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Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

schiedliche kartellrechtliche Einordnung des Phänomens Kosten-Preis-Schere in den voneinander weit entfernten Vorstellungen über das grundsätzliche Verhältnis bzw. Zusammenspiel von Kartell- und Regulierungsrecht verwurzelt. Das in der EU wirkungsvoll implementierte „System der zwei Schranken“ bedingt in annähernd allen Fällen die gleichzeitige parallele Anwendung des Kartellrechts neben dem Regulierungsrecht. Gegenseitige Überlagerungen der Rechtsgebiete im Rahmen der rechtlichen Würdigung von Einzelfällen werden als systemimmanent hingenommen. Für Konstellationen der Kosten-Preis-Schere bringt dies auf Grundlage der gegenwärtigen Herangehensweise der Kommission eine zweispurig ausgestaltete Verhaltensaufsicht mit sich. Zunächst sind die mitgliedstaatlichen Regulierungsrechte mit den jeweils zuständigen Regulierungsbehörden dazu berufen, unter Ausschöpfung ihrer ex ante-Entgeltgenehmigungsbefugnisse der Entstehung von Kosten-Preis-Scheren vorzubeugen. Wenn dies gelingt, kann die Kommission auf Grundlage des allgemeinen Kartellrechts beruhigt untätig bleiben. Da die einschlägigen europäischen Sekundärrechtsakte betreffend die Regulierung einzelner (Netzwirtschafts-)Sektoren den einzelnen Mitgliedstaaten aber vergleichsweise weite Spielräume bei der näheren Ausgestaltung der Marktregulierung einräumen,72 ist innerhalb der EU jedoch keineswegs sichergestellt, dass KostenPreis-Scheren schon auf der nationalen Ebene wirkungsvoll und flächendeckend unterbunden werden. So war beispielsweise die im Fall Deutsche Telekom beanstandete Kosten-Preis-Schere offenkundig auf eine unzureichende regulierungsbehördliche Intervention der RegTP zurückzuführen.73 Für Konstellationen dieser Art – d. h. wenn mitgliedstaatliche regulatorische Tätigkeit gewissermaßen hinter den eigenen Zielsetzungen zurückbleibt – kann ein korrigierender Eingriff durch die Kommission erfolgen. Hierbei versteht sie sich offenbar auch selbst als eine ersatzweise intervenierende Regulierungsinstanz.74 Auch wenn ihr dabei wie auch sonst nur die Instrumente einer allgemeinen Wettbewerbsaufsichtsbehörde zur Verfügung stehen, kann sie die regulierungspolitischen Wertungen innerhalb ihrer praktischen Anwendungstätigkeit durchaus effektiv zur Geltung bringen. Am Beispiel der Bekämpfung von Kosten-Preis-Scheren in den Netzwirtschaftssektoren auf der Grundlage des Art. 102 AEUV wird diese gegenseitige Überlagerung der Rechtsmaterien in der Anwendungspraxis besonders offensichtlich.75 72 Siehe dazu beispielhaft die Auswertung der Richtlinien für den Energie- und Telekommunikationssektor bei Schmidt-Volkmar, Das Verhältnis von kartellrechtlicher Missbrauchsaufsicht und Netzregulierung, S. 169 – 173. 73 Näher dazu oben, Kap. 4 A. IV. 74 Aufschlussreich ist hierzu die eigene Stellungnahme der Kommission in OECD, Best Practice Roundtables on Competition Policy – Margin Squeeze, S. 258. Die ergänzende Funktion der Durchsetzung von Regulierungsrecht ist inzwischen sogar unionsgerichtlich anerkannt, vgl. EuGH, Urteil vom 14. 10. 2010, Rs. C-280/08 P, EU:C:2010:603, Tz. 92 – Deutsche Telekom AG/Kommission; EuG, Urteil vom 29. 3. 2012, Rs. T-336/07, EU:T: 2012:172, Tz. 293 – Telefónica/Kommission. 75 Vgl. anschaulich Auf’mkolk, J. Eur. Comp. L. & P. 2012, 149. Auch im Laufe der vorliegenden Untersuchung ist immer wieder auf die punktuellen regulierungsrechtlichen Ein-

B. Schlussfolgerungen

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Ob diese von der Kommission de facto selbst angenommene Funktion einer Instanz zur Überwachung der nationalen Marktregulierungsbemühungen über den Weg einer verstärkten kartellrechtlichen Sanktionierung der ihnen unterworfenen Unternehmen letzten Endes sachgerecht ist, kann und muss hier nicht näher hinterfragt werden. Jedenfalls – und das ist mit Blick auf das vorliegende Untersuchungsziel von alleinigem Interesse – steht dieses Selbstverständnis durchaus im Einklang mit dem allgemeinen Prinzip der offenen Anwendungskonkurrenz von Kartell- und Regulierungsrecht innerhalb der Union. Die Kosten-Preis-Schere ist im Übrigen auch nicht das einzige Beispiel für Sachverhaltskonstellationen, in denen die gegenseitige Überschneidung von kartell- und regulierungsrechtlichen Funktionen im Rahmen der Anwendung von Art. 102 AEUV hervortritt. Wenn die Kommission beispielsweise gemäß des in Art. 102 S. 2 lit. a) AEUV enthaltenen Verbotstatbestands gegen ausbeuterisch überhöhte Preise oder anderweitig nachteilhafte Geschäftskonditionen einschreitet, urteilt sie unvermeidlicherweise über konkrete Marktergebnisse und begibt sich damit ebenfalls funktionell auf das Terrain der Preis- und Konditionenregulierung.76 Wie weitgehend die kartellrechtlichen Instrumentarien in diesen Bereich vorstoßen können, zeigt dabei insbesondere die Bereitschaft des EuGH, im Rahmen der Preishöhenaufsicht gegebenenfalls sogar die tatsächlichen Kosten des Marktbeherrschers im Sinne einer „Effizienzkontrolle“ auf den Prüfstand zu stellen.77 Insgesamt kann daher festgehalten werden, dass die Einordnung der KostenPreis-Schere als Tatbestand des Behinderungsmissbrauchs gemäß Art. 102 AEUV trotz ihrer charakteristischen regulierungsrechtlichen Bezüge und trotz mancher konzeptioneller Unstimmigkeiten insgesamt mit dem europäischen Verständnis von der Reichweite kartellrechtlicher Interventionstätigkeit kompatibel ist. Das Beispiel des Umgangs mit der Kosten-Preis-Schere veranschaulicht, dass man offenbar zu unterscheiden hat zwischen Fällen, die die Kommission mithilfe des Kartellrechts vor dem Hintergrund originär wettbewerbsbezogener Gefahrenlagen aufgreift und anderen Fällen, die sie ebenfalls mithilfe des Kartellrechts prüft, sich dabei jedoch maßgeblich von regulierungspolitischen Erwägungen leiten lässt. In den USA ist die Ablehnung der kartellrechtlichen Erfassung von Kosten-PreisScheren ganz offensichtlich der unmissverständlichen Haltung des obersten Bunflüsse in die an sich kartellrechtliche Prüfung von Kosten-Preis-Scheren gemäß Art. 102 AEUV hingewiesen worden, so insbesondere oben, Kap. 4 C. II. 4. a) cc) und dd) (Relativierung des Kriteriums des „ebenso effizienten“ Wettbewerbers im Sinne des „angemessen effizienten“ Wettbewerbers sowie Ersetzung des Leistungsfähigkeitsprinzips durch das der uneingeschränkten wettbewerblichen Chancengleichheit). 76 Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, Art. 102 Rdnr. 169; Motta/de Streel, in: Ehlermann/Atanasiu, S. 91, 109. 77 EuGH, Urteil vom 10. 12. 1991, Rs. C-179/90, EU:C:1991:464, Tz. 19 – 22 – Merci convenzionali porto di Genova; EuGH, Urteil vom 13. 7. 1989, Rs. 395/87, EU:C:1989:319, Tz. 41 – 42 – Tournier; EuGH, Urteil vom 13. 7. 1989, verb. Rs. 110/88 u. a., EU:C:1989:326, Tz. 28 – 29 – Lucazeau/SACEM; dazu näher Eilmansberger/Bien, in: MünchKommEUWettbR, Art. 102 Rdnrn. 214 – 215.

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Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

desgerichts geschuldet, wonach sich das Kartellrecht möglichst nicht in die Domäne der besonderen Wirtschaftsregulierung vorwagen sollte.78 Man steht wechselseitigen Überlagerungen der rechtlichen Bewertungen, wie sie innerhalb der EU an der Tagesordnung sind und dort als systemgerecht empfunden werden, mit äußerster Skepsis gegenüber. Interessanterweise werden jenseits des Atlantiks die funktionellen Charakteristika eines Verbots der Kosten-Preis-Schere als Instrument der Zugangspreisregulierung seit jeher in viel stärkerem Maße in die Debatte einbezogen als dies in der EU der Fall ist.79 Vor dem Hintergrund der genannten Grundsätze der implied antitrust immunity, der state action defense, der filed rate doctrine und nicht zuletzt der neuerlichen Rechtsprechung seit Trinko wirkt es folgerichtig und beinahe zwingend, dass der Supreme Court dann auch in Linkline die eigenständige kartellrechtliche Relevanz eines derart stark regulierungsrechtlich aufgeladenen Tatbestands wie dem des price squeeze negierte. Mit jeder anderen Sichtweise hätte das Gericht eine deutliche Bruchstelle zu seiner früheren Rechtspraxis hinterlassen. Damit stellt sich abschließend die entscheidende Frage nach den weiteren Hintergründen für die im US-amerikanischen Rechtskreis offenbar so unerwünschte Anwendung allgemeiner kartellrechtlicher Verbote in sektorspezifisch regulierten Märkten. Erklären lässt sich dies nur unter zusätzlicher Berücksichtigung einiger grundlegender Spezifika des US-amerikanischen Systems der Kartellrechtsdurchsetzung, die so im europäischen Rechtskreis unbekannt sind. Maßgeblichen Anteil hat etwa der Umstand, dass es in den USA in allererster Linie die Gerichte sind, die im Rahmen zivilrechtlich ausgetragener Streitigkeiten für die praktische Durchsetzung des Kartellrechts sorgen. Die behördliche Aufsicht durch das Department of Justice und die Federal Trade Commission als den beiden auf Bundesebene errichteten Wettbewerbsbehörden hat lediglich ergänzenden Charakter. Ganz anders ist insofern die Situation in der EU, wo Kommission und mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörden seit jeher den Großteil der Kartellverstöße sanktionieren. Ein wirkungsvolles private enforcement als zweite Säule der Kartellrechtsdurchsetzung befindet sich trotz einiger beachtlicher Fortschritte einstweilen noch in der Aufbauphase.80 Diese Aspekte sind für den allgemeinen Umgang

78 Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 411 – 415 (2004); Credit Suisse Securities (USA) LLC v. Billing, 551 U.S. 264, 276 – 285 (2007); Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 452 – 453 (2009). 79 Vgl. insbesondere Town of Concord v. Boston Edison Company, 915 F.2d 17 (1st Cir. 1990); Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279. 80 Erst jüngst hat der Unionsgesetzgeber die Richtlinie 2014/104/EU vom 26. 11. 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349/1) erlassen (dazu Weidt, ECLR 2014, 438). Mit ihr sollen die zivilrechtlichen Durchsetzungsmechanismen effektiviert und in Teilen vereinheitlicht werden. Dem Erlass war ein mehrjähriger Diskussionsprozess vorausgegangen, vgl. nur das im Jahr 2008 veröffentlichte Weißbuch „Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts“ (KOM(2008), 165 endg.). Überblicksmäßig zu der vor Umsetzung der Richtlinie

B. Schlussfolgerungen

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mit Konstellationen wie der Kosten-Preis-Schere deshalb von erheblicher Relevanz, weil man in der US-amerikanischen Diskussion mehrheitlich die Ansicht vertritt, dass Gerichte genau dann ihren Aufgaben nicht mehr in zufriedenstellender Weise gerecht werden können, wenn sie in die Rolle einer aktiv gestaltenden Marktregulierungsinstanz schlüpfen müssten.81 In diesem Sinne hat dann auch der Supreme Court in seinem Linkline-Urteil mit aller Deutlichkeit die schon in Trinko artikulierte Haltung bekräftigt, dass er die US-amerikanischen Zivilgerichte der unteren Instanzen für denkbar ungeeignet hält, um anstelle einer Regulierungsbehörde Preise oder andere Geschäftskonditionen verbindlich vorzuschreiben.82 Neben den Bedenken an der institutionellen Eignung der mit Kartellfällen befassten Gerichte kommt in der vom Supreme Court erlassenen Grundsatzentscheidung zum price squeeze zugleich eine ganz allgemein zu beobachtende Strömung der US-amerikanischen Kartellgerichtspraxis zum Ausdruck, die darauf bedacht ist, dem Instrument der privaten Schadensersatzklagen gewisse Grenzen aufzuzeigen. Dies geht unter anderem darauf zurück, dass Vorwürfe vermeintlicher Kartellverstöße häufig von darauf spezialisierten Anwaltskanzleien in die Form repräsentativer Sammelklagen („class actions“) gegossen werden, welche ihren Initiatoren die Aussicht verschaffen, im Erfolgsfall den gesetzlich vorgesehenen dreifachen Schadensersatz („treble damages“) zu vereinnahmen.83 Diese für den Anspruchsgegner drakonische Rechtsfolge birgt naturgemäß ein erhebliches Drohpotenzial gegenüber potenziellen Delinquenten und mag im Einzelfall sogar unredlicher oder gar missbräuchlicher Prozessführung Vorschub leisten.84 Die Gerichte haben auf diese wenig erfreulichen Entwicklungen mit dem nachvollziehbaren Versuch reagiert, diese spezifisch US-amerikanische Art und Weise der Kartellrechtsdurchsetzung mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln behutsam zu mäßigen. Inzwischen bescheinigt man den Gerichten sogar eine offen nach außen getragene Abneigung gegen die Mechanismen des private enforcement.85 Wenn man berücksichtigt, dass der Supreme Court sowohl in Linkline als auch in Trinko über den Ausgang eben solcher privater Schadensersatzprozesse zu entscheiden hatte, trägt auch dieser Umstand zu einer plausiblen Erklärung beider Entscheidungen bei. Im speziellen Kontext des gleichzeitig einschlägigen Regueinstweilen noch defizitären Situation im europäischen Kartelldeliktsrecht Bien, NZKart 2013, 12, 14 – 15. 81 Town of Concord v. Boston Edison Company, 915 F.2d 17, 25 (1st Cir. 1990); Brief for the United States as Amicus Curiae Supporting Petitioners, No. 07 – 512, Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 2008 WL 4125498, 24; Hovenkamp/Hovenkamp, 51 Arizona L. Rev. (2009), 273, 297 – 298; Sidak, J. Comp. L. & Econ. 2008, 279, 295 – 296. 82 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 452 (2009); Verizon Communications Inc. v. Law Offices of Curtis V. Trinko, LLP, 540 U.S. 398, 408 (2004). 83 Sec. 4 Clayton Act, 15 U.S.C. § 15; Blechman/Patterson, in: FK-KartR, Auslandsrechte USA, Rdnr. 17. 84 Crane, Cato Sup. Ct. Rev. 2009, 111, 124 m.w.N. (dort in Fn. 68); Petzold, Die KostenPreis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 61 – 62. 85 Grimes, ZWeR 2009, 343, 354.

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Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

lierungsrechts dürften die Argumente gegen eine allzu offenherzige Zulassung privater Klagen sogar nochmals stärker sein. Denn der Zuspruch von treble damages – mag er als solcher gerechtfertigt sein oder nicht – könnte die zielgerichtete Steuerungsfunktion der sektorspezifisch erlassenen Marktverhaltensvorschriften nachhaltig konterkarieren.86 Selbstverständlich kann man die Überzeugungskraft der in den USA gegen die kartellrechtliche Relevanz der Kosten-Preis-Schere auf breiter Front vorgetragenen rechtspolitischen Argumente kritisch hinterfragen. So hat es beispielsweise mit Blick auf die vorstehend erwähnten Zweifel an der Leistungsfähigkeit der Gerichte bereits im Linkline-Verfahren Vorstöße gegeben, sich von den inhaltlich unspezifischen und zu Recht als ungeeignet für die gerichtliche Praxis empfundenen87 Alcoa-Kriterien („fair price“, „living profit“)88 zu lösen und stattdessen einen praktikableren, strikt rechnerischen „transfer price test“ nach europäischem Vorbild89 anzuwenden.90 Der Supreme Court hat zwar auch dazu seine dezidierte Ablehnung erklärt,91 eine überzeugende Begründung für diese Haltung aber vermissen lassen. Was sodann die richterliche Zurückhaltung wegen der Bedenken vor ausuferndem private enforcement betrifft, mag diese für sich genommen nachvollziehbar und gerade in Fällen wie Linkline und Trinko auch angezeigt gewesen sein, um gerade bei offenkundigen Verstößen gegen regulierungsrechtliche Zugangsverpflichtungen etwaigen kartellrechtlichen follow on-Klagen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Diese Argumente gegen den ergänzenden Rückgriff auf sec. 2 Sherman Act zur Würdigung von price squeezing oder auch refusals to deal in regulierten Sektoren sind aber nicht in gleicher Weise überzeugend, um auch behördliche Durchsetzungsbemühungen von vornherein auszuschließen.92 Dennoch hat der Supreme Court in keinem der beiden Urteile irgendeinen Raum für diese Form der Marktverhaltensaufsicht über Kosten-

86

Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 66. Town of Concord v. Boston Edison Company, 915 F.2d 17, 25 (1st Cir. 1990). 88 Hierzu bereits oben, Kap. 3 A. I. 89 Diesen auch als Instrument des US-Kartellrechts befürwortend Meisel, 8 Eur. Comp. J. (2012), 383, 395. 90 Vgl. etwa Brief of the American Antitrust Institute as Amicus Curiae in Support of Dismissal of the Writ or Affirmance, No. 07 – 512, Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 2008 WL 4685146, 9 – 11 und 30; Brief of Amicus Curiae COMPTEL in Support of Respondents, No. 07 – 512, Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 2008 WL 4673303, 16 – 19. 91 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 454 (2009); kritisch dazu Grimes, ZWeR 2009, 343, 352. 92 Die behördliche Intervention gegen price squeezing nach sec. 2 Sherman Act ausdrücklich befürwortend Shelanski, in: Elhauge, Research Handbook on the Economics of Antitrust Law, S. 327, 346 – 347; Federal Trade Commission, Stellungnahme vom 15. 6. 2010, http://www.ftc.gov/os/testimony/100615antitrusttestimony.pdf (zuletzt abgerufen am 18. 3. 2015). 87

C. Kritikpunkte und Ausblick auf rechtspolitisch vertretbare Lösungsansätze

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Preis-Scheren gesehen und damit seine Ablehnung gegen die kartellrechtliche Relevanz ohne erkennbare Not verallgemeinert.93 Infolgedessen stellt sich die transatlantische Divergenz im Umgang mit der Kosten-Preis-Schere als Ausprägung jeweils diametral entgegengesetzter Vorstellungen über das Zusammenwirken von Kartell- und Regulierungsrecht und zusätzlich als stringent zu Ende gedachte Konsequenz unterschiedlicher Konzepte der allgemeinen Kartellrechtsdurchsetzung dar. Angesichts der zum Vorschein getretenen individuellen Eigenheiten jeder der beiden Rechtsordnungen muss dies allerdings kein Befund sein, der rechtspolitisch zwingend korrekturbedürftig wäre. Nach der hier vertretenen Ansicht ist vielmehr genau das Gegenteil der Fall. Es gibt nicht die eine ausschließlich und in jeder Hinsicht richtige Art der kartellrechtlichen Einordnung des Phänomens Kosten-Preis-Schere. Zielführend ist einzig und allein die für jede Rechtsordnung separat zu beantwortende Frage, ob der gewählte Ansatz jeweils mit Rücksicht auf die nationalen Besonderheiten stimmig ist. Im Gesamtkontext der jeweiligen Rechtskreise wird man sowohl für die Anerkennung des eigenständigen Verbots im europäischen als auch für dessen Ablehnung im USamerikanischen Recht beide Male zumindest im Grundsatz von in der Sache nachvollziehbaren Entwicklungen sprechen können.

C. Verbleibende Kritikpunkte und der Versuch eines Ausblicks auf rechtspolitisch vertretbare Lösungsansätze Gleichwohl sollte man nicht allzu bedenkenlos über einige kritikwürdige Aspekte hinwegsehen, die in dem durch die Gerichtspraxis der EU und der USA jeweils geformten kartellrechtlichen status quo hervortreten. Zum Abschluss der Arbeit gilt es jetzt unter Berücksichtigung aller bisherigen Erkenntnisse zusammenzufassen, wo genau der Umgang mit der Kosten-Preis-Schere als Form des Behinderungsmissbrauchs bzw. des anticompetitive exclusionary conduct noch nicht zufriedenstellend ist und welche alternativen Lösungsansätze sich für beide individuellen Rechtsordnungen als vorzugswürdig erweisen. Angesichts der Tatsache, dass sich das europäische Kartellrecht der in vielerlei Hinsicht diffizilen Aufgabe verschrieben hat, die Kosten-Preis-Schere als eigenständigen Verbotstatbestand im Rahmen von Art. 102 AEUV etablieren zu wollen, dürfte es nicht überraschen, dass die Herausforderungen einer in sich stimmigen kartellrechtlichen Einbettung dort schon von vornherein größer sind als im USamerikanischen Recht. Das Unionsrecht leidet derzeit noch unter dem zentralen Manko, dass sich Kommission und EuGH noch nicht in angemessener Weise der Aufgabe gewidmet haben, dem von ihnen mit Nachdruck propagierten Konzept der 93 Vgl. Shelanski, in: Elhauge, Research Handbook on the Economics of Antitrust Law, S. 327, 347.

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Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

eigenständig verbotswürdigen Kosten-Preis-Schere den richtigen Platz in der Dogmatik der Behinderungsmissbräuche zuzuweisen. Beispielsweise lässt gerade der EuGH in seiner Rechtsprechung zur Frage nach der Existenzberechtigung des Verbots bisher einen bemerkenswert naiven Pragmatismus durchblicken. In seinem TeliaSonera-Urteil führt der Gerichtshof beispielsweise aus, dass ohne ein eigenständiges Verbot der Kosten-Preis-Schere, welches sich insbesondere von den strengen Voraussetzungen für missbräuchliche Geschäftsverweigerungen löst, „die praktische Wirksamkeit von Art. 102 AEUV ungebührlich [eingeschränkt wäre]“.94 Diese Überlegung allein – mag sie inhaltlich zutreffen oder nicht – gibt für sich genommen keine tragfähige Grundlage für eine rechtsdogmatische Akzeptanz der Kosten-Preis-Schere im Missbrauchsrecht her.95 Als aufschlussreicher erweisen sich dagegen die im Zuge der vorliegenden Untersuchung gefundenen Ergebnisse aus der Gegenüberstellung des von den Unionsorganen konzipierten Tatbestands der Kosten-Preis-Schere mit den anderen, bereits seit Längerem etablierten Missbrauchsformen. Demnach lässt sich die dogmatisch richtige und auch wettbewerbspolitisch am ehesten vertretbare Einordnung der Kosten-Preis-Schere dadurch erreichen, indem man sie als Ergänzung des Tatbestands kartellrechtswidriger Geschäftsverweigerungen begreift.96 Es hat sich nämlich herauskristallisiert, dass die Kosten-Preis-Schere ihrem Wesen nach funktionell darauf zugeschnitten ist, den speziellen Teilbereich der für das Kartellrecht relevanten preisbezogenen konstruktiven Geschäftsverweigerungen abzustecken.97 In diesem Zuge käme man zu einer vorzugswürdigen Anpassung der Missbrauchsvoraussetzungen, die nach dem jetzigen Stand der Rechtsentwicklung noch nicht in ausreichendem Maße hergestellt ist. Dies lässt sich am eindrucksvollsten daran ablesen, dass das Verbot der Kosten-Preis-Schere ohne die eigenständige Prüfung der „objektiven Notwendigkeit“ bzw. „Unentbehrlichkeit“ des vorgelagerten Einsatzgutes auskommen soll, was im Verhältnis zur Prüfung von Geschäftsverweigerungen bedenkliche Inkonsistenzen heraufbeschwört.98 Mit vergleichsweise geringfügigen Modifikationen des bisher durch die Entscheidungspraxis vorgegebenen Rechtszustands ließe sich an dieser Stelle ein wesentlich stimmiger austariertes Missbrauchskonzept für die Kosten-Preis-Schere gewinnen. Der sachgerechte Vorschlag lautet, die Kosten-Preis-Schere erst dann als verbotswürdig anzusehen, wenn zugleich die Voraussetzungen einer kartellrechtlichen Kontrahierungspflicht erfüllt sind. Dieses Verständnis bringt sowohl für die Figur der Kosten-Preis-Schere als auch für die der klassischen Geschäftsverweigerung klare 94 EuGH, Urteil vom 17. 2. 2011, Rs. C-52/09, EU:C:2011:83, Tz. 58 – TeliaSonera; zuletzt erst wiederholt in EuG, Urteil vom 29. 3. 2012, Rs. T-336/07, EU:T:2012:172, Tz. 181 – Telefónica/Kommission. 95 Ebenso mit Recht Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 178 – 179; Rauber, ECLR 2013, 490, 491 und 499. 96 Siehe oben, Kap 5 B. III. und IV. sowie Kap. 5 E. 97 Siehe oben, Kap. 5 B. III. 98 Dazu die Erläuterungen oben, Kap. 5 B. III. 2.

C. Kritikpunkte und Ausblick auf rechtspolitisch vertretbare Lösungsansätze

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anwendungspraktische Vorteile mit sich: Erstens beseitigt es die in der europäischen Rechtspraxis bis heute immer wieder erkennbare Unsicherheit darüber, ab welcher Intensitätsschwelle es unter dem Stichwort der „konstruktiven Geschäftsverweigerung“ zum korrekturbedürftigen kartellrechtlichen Problem wird, wenn ein Marktbeherrscher den Zugang zu wesentlichen Vorleistungen für nachgelagerte Tätigkeiten erschwert.99 Zweitens bewegt sich das Verbot der Kosten-Preis-Schere dann auf bekanntem wettbewerbspolitischen Terrain, weil es keine völlig neuartige Gruppe von Fallkonstellationen in das Missbrauchsverbot integrieren muss. Stattdessen kann das Verbot unmittelbar auf das vorhandene teleologische Fundament der missbräuchlichen Geschäftsverweigerung zurückgreifen. Deshalb dürfte der für die Rechtsfigur der Kosten-Preis-Schere richtige Platz in der kartellrechtlichen Dogmatik des Art. 102 AEUV in der goldenen Mitte zwischen den beiden Extrempositionen des komplett eigenständigen Verbots auf der einen Seite und der weitestgehend negierten kartellrechtlichen Relevanz nach US-amerikanischem Vorbild auf der anderen Seite liegen. Abgesehen von diesen Defiziten betreffend die dogmatische Einordnung der Kosten-Preis-Schere im Unionskartellrecht hat sich als zweites größeres Problemfeld der konkrete Umgang mit betriebswirtschaftlichen Effizienzaspekten in der Person des vertikal integrierten Marktbeherrschers erwiesen. Indem sich nämlich das Verbot die Anwendungsgrundsätze der regulierungsrechtlich geprägten imputation rule zunutze macht und dabei insbesondere keinerlei Raum für die Anerkennung von Kostenvorteilen der konzerninternen Selbstbelieferung gegenüber der Fremdbelieferung mit dem vorgelagerten Einsatzgut anerkennt, entfernt es sich bedenklich weit vom sicheren teleologischen Boden des europäischen Missbrauchsverbots.100 Diesbezüglich wäre es wünschenswert, wenn die Unionsorgane die mit KostenPreis-Scheren bisweilen sehr wohl einhergehenden Effizienzen bereitwilliger anerkennen würden, damit das Verbot erstmals mit dem Grundprinzip des unter Art. 102 AEUV nicht verbotswürdigen Leistungswettbewerbs101 in Einklang gebracht wird. Zur Vermeidung der unsachgemäßen Missbilligung effizienter Konzernstrukturen dürfte es bereits genügen, wenn mit der hier vertretenen Ansicht die speziell aus der vertikalen Integration des Marktbeherrschers entstandenen Effizienzvorteile diesem in der Berechnung einer Kosten-Preis-Schere gutgeschrieben werden.102 Mit ähnlichen materiellrechtlichen Problemen beim Umgang mit dem price squeeze muss sich das US-amerikanische Kartellrecht nicht auseinandersetzen, nachdem der Supreme Court im Linkline-Urteil des Jahres 2009 dessen eigenstän99

Siehe oben, Kap. 5 B. III. 1. Dazu oben, Kap. 4 C. II. 4. a) cc) und dd). 101 Vgl. EuGH, Urteil vom 13. 2. 1979, Rs. 85/76, EU:C:1979:36, Tz. 91 – Hoffmann-La Roche. 102 Siehe insoweit das Zwischenergebnis oben, Kap. 4 C. II. 4. a) dd); in dieselbe Richtung Lommler, WuW 2011, 244, 251 – 252, 254; Petzold, Die Kosten-Preis-Schere im EU-Kartellrecht, S. 138 – 139. 100

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Kap. 6: Rechtsvergleichende Würdigung der Kosten-Preis-Schere

dige Relevanz als nach sec. 2 Sherman Act zu sanktionierendes Verhaltensunrecht unmissverständlich beiseite geschoben hat. Doch auch hier ergeben sich Ansatzpunkte für Überlegungen, ob das oberste Bundesgericht mit dieser scharfen Ablehnung nicht möglicherweise unnötig weit gegangen ist. Die von ihm herangezogenen rechtspolitischen Gründe zur Ablehnung des price squeeze als Form von anticompetitive exclusionary conduct sind stark von folgender gedanklicher Prämisse geleitet: Es handele sich bei der Beschneidung fremder Gewinnmargen durch den zu hohen Vorleistungspreis und zu niedrigen Endkundenpreis eines vertikal integrierten Monopolisten um ein Problem der Zugangspreisregulierung, für dessen wirkungsvolle Adressierung die Zivilgerichte im US-amerikanischen System der Kartellrechtsdurchsetzung nicht geeignet seien.103 Was hierbei allerdings zu Unrecht völlig außen vor gelassen wird, sind die bereits angedeuteten Möglichkeiten der behördlichen Durchsetzung des sec. 2 Sherman Act gegen price squeezes. Die im Bereich des private enforcement erkannten und vielfach auch nachvollziehbaren Unwägbarkeiten wie etwa die Gefahr einer übermäßigen Instrumentalisierung der class action oder die drohende Überforderung gerichtlicher Ressourcen durch eine dauerhafte Preisüberwachung auf zwei Marktstufen stellen insoweit gerade kein nennenswertes Hindernis dar.104 Nicht zuletzt hat auch der Bundesrichter Breyer in seinem zustimmenden Sondervotum zum Linkline-Urteil zutreffend erkannt, dass price squeeze-Vorwürfe ihre natürliche Heimat in der Domäne der behördlich veranlassten Kartellrechtsanwendung haben.105 Vor diesem Hintergrund hätte der Supreme Court seine Abneigung gegen die Figur des price squeeze im US-Kartellrecht differenzierter zur Sprache bringen können als mit einer kategorischen Weigerungshaltung gegenüber der Anwendung des sec. 2 Sherman Act. Die bedauernswerterweise nunmehr versäumte Öffnung des Monopolisierungsverbots für behördliches Einschreiten gegen price squeezes seitens des Department of Justice oder der Federal Trade Commission hätte auch wettbewerbspolitische Vorzüge gehabt. Denn wenn sich das US-Kartellrecht auf dieser Schiene behutsam an die bisher noch regulierten Wirtschaftsbereiche herangewagt hätte, würde sich dies als ein langfristig sinnvoller Schritt der Deregulierung erwiesen haben. Schließlich kann es nicht im vernünftigen Interesse des regulierungsrechtlichen Gesetzgebers gewesen sein, wenn der Übergang zur umfassenden und ausschließlichen Geltung des Wettbewerbsprinzips deshalb hinausgezögert wird, weil die Rechtsprechung mit allzu pauschalem Verweis auf die negativen Aspekte des private enforcement das Kartellrecht unangewendet lassen will und damit die Notwendigkeit der Marktregulierung perpetuiert.106 Der behördliche Zugriff auf price squeezes auf Grundlage von sec. 2 Sherman Act könnte sich also im Ergebnis als hilfreich erweisen, dem 103

Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 452 – 453 (2009); siehe oben, Kap. 3 B. IV. 3. 104 Dazu mit Einzelheiten Shelanski, in: Elhauge, Research Handbook on the Economics of Antitrust Law, S. 327, 346 und 349. 105 Pacific Bell Telephone Co. v. Linkline Communications, Inc., 555 U.S. 438, 458 (2009). 106 Grimes, ZWeR 2009, 343, 351.

C. Kritikpunkte und Ausblick auf rechtspolitisch vertretbare Lösungsansätze

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Wettbewerbsprinzip genau dort stärkere Bedeutung einzuräumen, wo es derzeit noch von transitorischen sektorspezifischen Regulierungsvorhaben überlagert wird. Sollten sich die hier vorgestellten Handlungsempfehlungen tatsächlich im zukünftigen Umgang mit der Kosten-Preis-Schere innerhalb beider Rechtsordnungen niederschlagen, würde dies in der Gesamtbetrachtung eine wünschenswerte behutsame Konvergenz der nach wie vor gegensätzlichen rechtspolitischen Standpunkte mit sich bringen. Das europäische Missbrauchsverbot würde sich an einzelnen Stellen mäßigen, wo es bei der praktischen Anwendung des Verbots der KostenPreis-Schere bisher über wettbewerbspolitische Ziele hinausgeschossen und hierdurch unnötig rigide ist. Das US-Kartellrecht würde sich hingegen der Möglichkeit einer behördlichen Durchsetzung gegen wettbewerbsbeschränkende price squeezes öffnen. Diese de lege ferenda rechtspolitisch vorzugswürdigen Optionen sind auch deshalb reizvoll, weil sie die in Anbetracht der höchstrichterlichen Urteile Linkline, Deutsche Telekom und TeliaSonera immer wieder artikulierte „wettbewerbspolitische Kluft“ zwischen der EU und den USA im Bereich der Missbrauchsaufsicht107 auf ein verträglicheres Maß reduzieren würde, ohne dabei die – zweifelsohne vorhandenen – individuellen Charakteristika beider Rechtskreise aus den Augen zu verlieren, die einer vollständigen Konvergenz mit guten Gründen entgegenstehen. Die Zeit muss zeigen, ob und wann die beiden transatlantischen Rechtsordnungen für diesen Übergang bereit sein werden.

107 Siehe dazu nur Grimes, ZWeR 2009, 343, 354; Haus, ZWeR 2009, 356, 368; Zöttl, RIW 2009, 445, 450 – 451.

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Stichwortverzeichnis Abhängigkeit vom vorgelagerten Einsatzgut 31, 120 ff., 156 Alcoa-Urteil 52 ff., 76 antitrust immunity 248 ff. Anwendungspraxis siehe Entscheidungspraxis Art. 3 VO 1/2003 245 f. Art. 102 AEUV – Anwendungsgrundsätze 35 ff. – Beurteilung von Quersubventionen 242 ff. – Diskriminierungsverbot 222 ff. – Effizienzkontrolle 253 – Geschäftsverweigerung 196 ff. – Kampfpreisunterbietung 165 ff. – more economic approach 44, 115, 141, 156, 158 – präventiver Wettbewerbsschutz 177, 207 – Preishöhenmissbrauch 228 ff. – Teleologie 43 f., 132 f., 141, 159, 206, 211 ff., 238 – Verhältnis zum Regulierungsrecht 49 ff., 245 ff. – Wettbewerbsleitbild 43 f. Aspen Skiing-Urteil 60 f. attempted monopolization 38 f. Ausbeutungsmissbrauch siehe Preishöhenkontrolle Auswirkungsnachweis – im Verbot der Kosten-Preis-Schere 153 ff., 219 – in der Anwendung von Art. 102 AEUV 151 ff. Bahnsektor 110 f. Belieferungsabhängigkeit siehe Abhängigkeit vom vorgelagerten Einsatzgut Chancengleichheit, wettbewerbliche 212, 238 ff. Chicago School 44, 46

Deutsche Telekom-Verfahren 91 ff. Diskriminierungsverbot – im EU-Kartellrecht 222 ff. – im US-Kartellrecht 82 f. Dispositionsfreiheit 198, 240 f. duty to deal siehe Kontrahierungszwang Effizienzrechtfertigung 158 ff. Endkundenmarkt siehe nachgelagerter Markt Energiewirtschaft 54 ff., 105 ff. Entscheidungspraxis – Kosten-Preis-Schere (EU-Kartellrecht) 86 ff. – price squeeze (US-Kartellrecht) 52 ff. equally efficient competitor-Test – Alternativen 132 ff. – im Verbot der Kampfpreisunterbietung 168, 172 ff. – im Verbot der Kosten-Preis-Schere 130 ff., 159, 184 – Schutz weniger effizienter Wettbewerber 140, 218 essential facilities-Doktrin – im EU-Kartellrecht 200, 203, 215 – im US-Kartellrecht 80 f. filed rate doctrine 250 Fremdbelieferung siehe Kostenunterschiede von Selbst- und Fremdbelieferung Geschäftsverweigerung – absolute 203, 209 f., 211, 218 – diskriminierende 204 f. – im EU-Kartellrecht 196 ff. – im US-Kartellrecht 59 ff., 67 ff. – konstruktive 203 f., 212 ff., 233 f., 258 f. – objektive Notwendigkeit des Einsatzgutes 205 f., 219 ff. – Verhältnis zur Kosten-Preis-Schere 211 ff.

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Stichwortverzeichnis

Gewinnopfer siehe sacrifice-Test Gewinnspanne 124 ff., 193 f., 230 f., 240 ff. Harvard School 46 imputation rule 238 ff., 259 Kampfpreisunterbietung – im EU-Kartellrecht 165 ff. – im US-Kartellrecht 70 ff. – Verhältnis zur Kosten-Preis-Schere 179 ff. Konsistenzgebot 64 f., 217 ff. Kontrahierungszwang – im EU-Kartellrecht 198 f., 205 f., 209 f. – im US-Kartellrecht 60 ff., 74, 76 f. Konzernprivileg 224 f. Kostendeckungsanalyse – im Verbot der Kampfpreisunterbietung 169 ff. – im Verbot der Kosten-Preis-Schere 132, 144 ff. Kostenmaßstab 141 ff., 168 ff. Kostenopfer 189 Kosten-Preis-Schere (Berechnung) – fixe Verwendungsproportionen 147 – Formel 125 f., 190, 193 f. – Methodik 123 ff. – Missverhältnis von Preisen 22, 27 f., 123 ff., 155 ff. – relevante Kosten 129 ff. – Selbst-/Fremdbelieferung 155, 194 – Vergleichbarkeit der Preisdaten 97, 145 ff. Kosten-Preis-Schere (Phänomen) – als (preisbezogene) konstruktive Geschäftsverweigerung 212 ff., 258 f. – als Verdrängungsstrategie 41 ff. – Begriffsbestimmung 26 f. – bei positiver Gewinnspanne 32 f. – in Netzwirtschaftssektoren 91 ff., 110 ff. – kartellrechtliche Relevanz 39 ff., 49 ff. – marktbezogene Auswirkungen 30 ff. – Missverhältnis von Preisen 30 – strukturelle Ausgangslage 28 f. Kosten-Preis-Schere (Verbot) – Abgrenzung der Marktstufen 118 f.

– als Ausprägung der leveraging-Theorie 122 f. – als Fallgruppe des Behinderungsmissbrauchs 41 f., 113 ff. – Auswirkungsnachweis 151 ff. – Kriterien i.R.v. Art. 102 AEUV 117 ff. – marktstufenübergreifender Charakter 182 ff. 195, 211 ff. – Rechtfertigungsgründe 157 ff. – regulierungsrechtlicher Charakter 237 ff. – Verhältnis zum Verbot der Geschäftsverweigerung 211 ff. – Verhältnis zum Verbot der Kampfpreisunterbietung 188 ff. Kostenunterschiede von Selbst- und Fremdbelieferung 135 ff., 159, 259 Leistungswettbewerb 35 f., 140, 167, 238 f., 259 leveraging-Theorie 79 f., 122 f. Linkline-Verfahren 57 ff. Marktabgrenzung 148 ff. Marktbeherrschung 119 ff., 154, 201 f. Marktmachttransfer siehe leveraging-Theorie Monopolization 36 ff. more economic approach 44, 115, 141, 156, 158 nachgelagerter Markt – Beherrschung 121 f. – Effizienz 90 f., 138 ff. – Kampfpreisunterbietung 165 ff. – predatory pricing 70 ff. – Verdrängungswirkung 30 ff., 41 ff. natürliches Monopol 93, 105, 111, 206 Netzzugang 58, 92 ff., 181 f., 241 Nullmarge 126 ff., 217 objektive Notwendigkeit des Einsatzgutes siehe Unentbehrlichkeit des Einsatzgutes Opportunitätskosten 176, 180, 185 ff. Ordoliberalismus 43 f. post-Chicago School 46 f. Postsektor 111 f., 243

Stichwortverzeichnis predatory pricing siehe Kampfpreisunterbietung Preisdifferenz 72 ff., 97 f., 123 ff. Preisdiskriminierung siehe Diskriminierungsverbot Preishöhenkontrolle – im EU-Kartellrecht 228 ff. – im US-Kartellrecht 84 – praktische Relevanz 230 f. Preisspanne siehe Preisdifferenz price squeeze (US-Kartellrecht) – eigenständige Relevanz 53 ff., 74 ff., 259 f. – Erfassung durch andere Fallgruppen 67 ff., 70 ff., 78 ff. – historische Entwicklung 52 ff. – Linkline-Verfahren 57 ff. – Rechtspolitik 56, 73 ff., 256 ff. – Regulierungsrecht 76 ff. – transfer price test 256 Prioritätenmitteilung 115 ff., 144 f., 171 ff., 186 Quersubventionen 242 ff. reasonably efficient competitor-Test 153 Rechtfertigung – defensive Preisanpassung 161 f., 178 – Effizienzgewinne 158 ff., 178 Rechtssicherheit 129, 133, 135, 218, 231 Rechtsvergleichung 236 ff. refusal to deal siehe Geschäftsverweigerung Regulierungsrecht – Maßnahmen 58, 92 f., 99, 241 f. – Teleologie 239, 248 f. – Verhältnis zum EU-Kartellrecht 49 ff., 112 f., 245 ff. – Verhältnis zum US-Kartellrecht 59 ff., 76 ff., 248 ff. – Zuordnung des Verbots der Kosten-PreisSchere 237 ff. Robinson-Patman Act 82 f. sacrifice-Test 173 ff., 184 ff., 192 ff. sec. 2 Sherman Act – Anwendungsgrundsätze 36 ff. – (attempted) monopolization 36 ff.

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– – – – – –

essential facilities-Doktrin 80 f. exclusionary conduct 37 f., 42 monopoly leveraging 79 f. predatory pricing 70 ff. refusal to deal 67 ff. Verhältnis zum Regulierungsrecht 59 ff., 76 ff., 248 ff. – Wettbewerbsleitbild 44 f. Selbstbelieferung siehe Kostenunterschiede von Selbst- und Fremdbelieferung state action defense 249 f. subjektive Verbotskriterien 34, 37 f., 168 ff. superdominance 120 TAL-Vermietung 94 f. Telekommunikationswirtschaft – Deutschland 92 ff. – USA 58 ff. TeliaSonera-Urteil 107 ff., 117, 153 ff., 258 Town of Concord-Urteil 56, 63 Transferpreis 187, 226, 256 Trinko-Urteil 59 ff. Unentbehrlichkeit des Einsatzgutes – im Verbot der Kosten-Preis-Schere 108, 153 ff., 219 f., 258 – im Verbot von Geschäftsverweigerungen („objektive Notwendigkeit“) 205 f., 219 f. Verantwortlichkeit für Kosten-Preis-Schere 49 ff., 97 f. Verbraucherwohlfahrt 44 f., 131 f., 141 Verdrängungsabsicht siehe subjektive Verbotskriterien Verteuerung des Einsatzgutes 183, 212, 215, 218 vertikale Integration – als Voraussetzung für Kosten-PreisScheren 28 f. – Effizienzgewinne 46 ff. – konzerninterner Leistungstransfer 83, 225 f. – Kostenvorteile auf der vorgelagerten Marktstufe 135 ff., 159 f., 240 – Marktabschottung 47 f. – wettbewerbspolitische Bewertung 45 ff.

276 vorgelagerter Markt – Abhängigkeit 120 ff. – Beherrschung 119 f. – Diskriminierung 222 ff. – essential facilities-Doktrin 80 f. – Geschäftsverweigerung 196 ff. – monopoly leveraging 79 f. – Preishöhenkontrolle 228 ff. – price discrimination 82 f. – refusal to deal 67 ff.

Stichwortverzeichnis Weiterverarbeitung siehe nachgelagerter Markt Wettbewerbspolitik – europäische 43 ff., 104 f., 141, 156, 167, 251 – US-amerikanische 42 ff., 71 f., 75 ff., 251, 260 f. Zurechenbarkeit von Kartellverstößen 31, 49 ff.