Metaphysik des Mittelalters [Reprint 2019 ed.] 9783486761177, 9783486761160

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Metaphysik des Mittelalters [Reprint 2019 ed.]
 9783486761177, 9783486761160

Table of contents :
INHALTSÜBERSICHT
I. Die kritisch-systematische Aufgabe
II. Augustinus, die Grundlegung der theozentrischen mittelalterlichen Metaphysik
III. Johannes Eriugena und die Metaphysik der Karolingerzeit
IV. Anselm und die Metaphysik des 12. Jahrhunderts
V. Thomas v. Aquin und die Metaphysik des 13. Jahrhunderts
VI. Meister Eckhart und die Metaphysik des 14. Jahrhunderts

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ALOIS DEMPF METAPHYSIK DES MITTELALTERS

ALOIS

DEMPF

METAPHYSIK DES MITTELALTERS

1971

WISSENSCHAFTLICHE

BUCHGESELLSCHAFT

DARMSTADT

Sonderausgabe f ü r die M i t g l i e d e r der W i s s e n s c h a f t l i c h e n Darmstadt

Buchgesellschaft,

Unveränderter reprografischer Nachdruck der Ausgabe München und Berlin 1934 (aus dem Handbuch der Philosophie. Abteilung I, Beitrag E)

Bestellnummer : 5582

© 1971 R. Oldenbourg, Münohen Druck und Einband: Wissenschaftliche Buohgesellschaft, Darmstadt Printed in Germany

Joseph Funk gewidmet

INHALTSÜBERSICHT

I . Die kritisch-syBtematische Aufgabe I I . Augustinus, die Grundlegung der theozentrischen mittelalterlichen Metaphysik 1. Die Metaphysik des schöpferischen Gottesgeistes 2. Die Metaphysik der Seele 3. Die Metaphysik der veränderlichen Welt I I I . Johannes Eriugena und die Metaphysik der Karolingerzeit 1. Der Übergang vom Realismus zum Hyperrealismus 2. Die organologische Lebensmetaphysik 3. Der organologische Pantheismus 4. Der allgemeine objektive Geist 5. Die organologische Anthropologie 6. Die anorganische Welt IV. Anselm und die Metaphysik des 12. J a h r h u n d e r t s 1. Die metaphysischen Positionen im 11. J a h r h u n d e r t . . . . . . . . 2. Der ontologische Realismus Anselms 3. Der nominalistische Personalismus Abaelards u n d Gilberts 4. Der mystische Realismus Bernhards und Richards 5. Der Vitalismus der Schule von Chartres V. T h o m a s v. Aquin und die Metaphysik des 13. J a h r h u n d e r t s 1. Die Aristotelesrezeption und die neue Seelenmetaphysik 2. Die naturalistische Aristotelesrenaissance 3. Die Ganzheitslehre als Ausgangspunkt des Thomismus 4. Die dreiteilige Geistformel des Aquinaten 5. Die Lehre vom schaffenden Gottesgeist 6. Die Lehre vom reinen Geist 7. Die morphologische Metaphysik der Seele 8. Der augustinische Exemplarismus Bonaventuras VI. Meister Eckhart und die Metaphysik des 14. J a h r h u n d e r t s 1. Der mystische Augustinismus E c k h a r t s 2. Der averroistische Naturalismus J o h a n n s von J a n d u n 3. Der Nominalismus Wilhelms von Ockham

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M o t t o : Zu keiner Zeit war die Macht der Metaphysik so groß als in jenen Jahrhunderten« in denen sie mit der Theologie und der Kirche v e r b u n d e n war. (Dilthey I . 296.)

I. DIE KRITISCH-SYSTEMATISCHE AUFGABE. Das Mittelalter war zwar kein philosophisches Zeitalter, wenn Philosophie als bloße Geistes- u n d Willenskultur, als persönliche Kunst der Weltanschauung u n d Lebensbewältigung verstanden wird. Diese existentielle Aufgabe des Subjekts war nicht primär durch die wissenschaftliche Einsicht b e s t i m m t , sondern öffentlich durch die fast allgemein anerkannte Religion. Insofern war es ein religiöses Zeitalter. Würde m a n aber n u r die reinen Intellektualisten oder Rationalisten in eine Geschichte der mittelalterlichen Metaphysik aufnehmen, so ergäbe sich bloß eine Geschichte der A u f k l ä r u n g im Mittelalter von n u r geisteswissenschaftlichem Interesse. Versteht m a n aber Metaphysik ihrem Namen nach als objektive Lehre von dem prinzipiell Unerfahrbaren, dem Transzendenten, also von den drei Kantischen Ideen Gott, Seele u n d „ W e l t " , so ist es das saeculum metaphysicum hat' exochen, weil mindestens drei Viertel seiner gesamten Geistestätigkeit f ü r die wissenschaftliche Erörterung dieser letzten Lebensfragen aufgewendet wurden. E s ist der Genius Augustins, der dem Mittelalter im ganzen, einschließlich seiner Aufklärer, den Weg gewiesen hat. Augustin aber war ein metaphysischer Theologe, in seiner Jugend eigentlich sogar mehr Metaphysiker als Theologe u n d so ist die Theologie des ganzen J a h r t a u s e n d nach ihm bis zu L u t h e r , der vom altgewordenen Augustin bestimmt ist, geistige Bewältigung der christlichen Offenbarungsreligion mit überwiegend metaphysischen Methoden. Das Bündnis der christlichen Erlösungslehre mit der antiken Geisteskultur, das Resultat des ersten Halbjahrtausend unserer Zeitrechnung, geht unverloren in das Mittelalter über, das freilich als Zeitalter anders als die Patristik zu charakterisieren ist, nämlich entscheidend durch das Bündnis zwischen christlicher Spiritualität u n d politischer K u l t u r bestimmt ist. Die hauptsächlichste V o r f r a g e f ü r das geschichtliche und systematische Verständnis der mittelalterlichen Philosophie ist die Klärung des Verhältnisses zwischen Religion u n d Metaphysik, der heute schon unerläßlich f ü r das konkrete geistesgeschichtliche Bild die Klärung des Verhältnisses zwischen Spiritualität u n d politischer K u l t u r angefügt werden m u ß . Besonders in diesem öffentlich gebundenen Zeitalter h a t sich die existentiell-philosophische Stellungnahme in öffentlichen und

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ständischen Positionen vollzogen, nicht in der privaten Ausbildung einer subjektiven Lebensanschauung. Seit es Ansätze zu einer konkreten Geschichte des Geistes gibt, Geschichtsphilosophie durch eine Geschichte der Philosophie im hohen Sinn, ist die naive, aber menschlich notwendige Sonderung der Lebensaufgaben, die Überhöhung der n u r methodischen u n d charakteriologischen Eigengesetzlichkeit der Lebenskreise zur völligen A u t o n o m i e entschleiert und damit prinzipiell überwunden. Die Abstraktionen einer r e i n e n P h i l o s o p h i e , R e l i g i o n u n d P o l i t i k , womöglich sogar noch der Wirtschaft, sind in ihrer subjektiven Charakterbedingtheit, in ihrer geschichtlichen Abhängigkeit von der öffentlichen Aufgabensicht und in ihrer praktischen methodologischen Notwendigkeit erkannt und begrenzt. Die Erhöhung der H e r r e n h o c h k u l t u r zur orientalischen Despotie, wie Hegel sagte, und endlich zum nationalen und doch universal vermeinten Imperium romanum, diese erste Phase der nicht mehr vorgeschichtlichen Menschheit hat zugleich die erste umfassende Weltanschauungslehre als ein in sich konkretes Gebilde von Politik, Religion und Geist. Die antike P h i l o s o p h i e des Plato und Aristoteles h a t nicht nur die geistige Autonomie der „griechischen Freiheit", die esoterische und abstrakte Selbständigkeit des universalen Menschen errungen, sie hat sofort auch die w a h r h a f t u n i v e r s a l e P o l i t i k geschaffen u n d damit die prinzipiell nur voluntaristischpositivistische Herrschaftskultur überwunden und zugleich die Religion geistig als Gottesdienst der vollmenschlichen Sittlichkeit verstehen wollen. Das C h r i s t e n t u m endlich h a t als die Religion des Geistes und der individuellen und sozialen sittlichen Freiheit sofort dag Bündnis m i t der antiken Geisteskultur gesucht und langsam auch ein Bündnis mit der universalen Politik zuerst theoretisch bei Augustin und dann praktisch in der germanisch-romanischen Welt gefunden. Der konkrete öffentliche Geist ist also notwendig universal oder wenigstens in dem Ringen u m die Universalität, u m die ganze Breite der geistigen Menschennatur, aber stets ist ein Lebensgebiet das vorwiegende. Die Fülle der persönlichen Lebensanschauung ist Legion, die der öffentlichen Weltanschauungen nur einige Dutzend und ebenso sind die großen Philosophien nur wenige Fälle, und um sie allein geht es in der Geschichte des Geistes.

Die K o m b i n a t o r i k der möglichen großen Weltanschauungen wird geschichtlich in erster Linie bestimmt durch das V o r w i e g e n d e r g r o ß e n Lebensmächte selbst, Herrenhochkultur, Geist und Religion. Ihre radikalen Einseitigkeiten sind der juristische Positivismus, der Rationalismus und der Fideismus. Diese Einseitigkeiten sind aber wenigstens in der öffentlichen Weltanschauung seltener als man bei der menschlichen Bewußtseinsenge annehmen möchte und in Reinkultur treten sie nur bei ganz stark ausgeprägten Charakteren auf, bei ausgesprochenen W i l l e n s - , V e r s t a n d e s - und G e f ü h l s m e n s c h e n . Leider ist ihr Gegenteil, die vollmenschliche Harmonie der Persönlichkeit, gleichfalls sehr selten und nur Säkularmenschen nähern sich dem Ideal des uomo universale, des ganzen und wesentlichen Menschen, Piaton und Aristoteles, Augustin und Thomas, und auch bei ihnen wiegt noch meist eine bestimmte Lebensmacht vor, und zwar wechselnd nach den Lebensaltern, wie bei Aristoteles z. B. zuerst die Religion, dann die Politik und dann der Geist, bei Augustin zuerst der Geist, dann die Religion und zuletzt die Politik. Allein die beiden Extreme, die Einseitigkeit und Universalität, sind notwendig zur Charakterisierung der geistigen Tendenzen und besonders der verschiedenen Metaphysiken, ihr Wechselspiel und Dialog

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DIE KRITISCH-SYSTEMATISCHE

AUFGABE

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ist das bewegende dramatische Motiv der Metaphysik und Geistesgeschichte in den ganz großen Linien. Das harmonische Miteinander der großen Lebensmächte im Einzelnen, also die gleichmäßige Entfaltung aller Seelenkräfte zur Vollnatur und Endvollendung der wesentlichen Persönlichkeit könnte als Forderung fast unerfüllbar erscheinen, j a das bloße Streben danach als Anmaßung. Dennoch bleibt dies I d e a l , erkannt aus der Geschlossenheit der Gesamtsysteme der großen Philosophen, der praktisch und theoretisch allein mögliche Ausgangspunkt der B e w e r t u n g der konkreten metaphysischen Systeme wie der Weltanschauung der großen Kulturen selbst. Die Aufgabe einer K r i t i k der h i s t o r i s c h e n V e r n u n f t kann wesensmäßig nicht bei der relativistischen Aufdeckung der persönlichen und kulturellen Kombinationen der Lebensmächte oder bei der konstitutionellen Charaktertypik der Seelenkräfte stehenbleiben. Sie muß insofern wenigstens zu einem Resultat kommen, daß sie den Ort und Grad der Aberration vom universalen Ideal anzeigt, daß sie die niemals ganz vermeidbaren Einseitigkeiten in einem geschlossenen Relationensystem aufzeigen kann. Denn daran hängt nunmehr die M ö g l i c h k e i t einer M e t a p h y s i k . Gelingt es, die Antinomien der historischen Vernunft als künstlich nachzuweisen, dann ist das Hindernis einer theoretischen Metaphysik beseitigt und dann erst kann neben die uralte Logik des abstrakten Verstandes eine erst noch neuzuschafiende L o g i k d e r k o n k r e t e n V e r n u n f t treten. Wir sind noch sehr weit von ihr entfernt, aber man muß schon Geschichte der Metaphysik so treiben, als ob wir den Grundriß dieser konkreten Logik schon besäßen. Der Zwang zu diesem Wagnis des heutigen Philosophierens liegt darin, daß wir nicht mehr zurückfallen dürfen hinter das Ideal eines rekonstruktiven Philosophierens, daß wir die Geschichte der Metaphysik nur mehr geben dürfen als N e u a u f b a u der G e s a m t s y s t e m e , da ja die großen Epochen des metaphysischen Geistes schon wieder von innen her, von den Schöpfern selbst aus verstanden werden können. Für die mittelalterliche Metaphysik ist dieser Zwang besonders streng, weil sonst ein Verstehen und Nachsprechen in unserer eigenen Sprache gar nicht möglich ist und sonst nichts anderes geboten werden könnte als die konventionelle Bezeichnung der Schulen und Richtungen. Man muß hierzu freilich heute fast unüberwindlich scheinende Vorurteile überwinden, das des Nominalismus, des Relativismus nnd Fatalismus. Philosophieren ist nur persönlich existentielle Subjektivität, Auswirkung der objektiven Lehre im eigenen Dasein, aber die Lehre selbst ist in ihrer Universalität Objektivation der ganzen menschlichen Geistnatur. Der Individualismus und Nominalismus sind prinzipiell überwunden, seit es ein synthetisches Systemverstehen gibt. Persönlichkeit ist, abgesehen von ihrem ineffablen Individuationskern, als weitgehend verstehbares Strukturgebilde, als Typus des dispositionellen Vorwiegens der einzelnen Seelenkräfte, als Habitus der volkspersönlichen und ständischen Position, als Konstitutionengefüge leiblicher und seelischer Art erkannt. So steht die verstehende Geisteswissenschaft vor der Aufgabe, die Aberrationen des konkreten philosophischen Konstruierens in einer systematischen Kritik der histori-

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sehen Vernunft zu lokalisieren, die konkreten Fehlerquellen der Philosophen aufzudecken und damit die Bahn freizumachen f ü r ein neues universales System. Der letzte und schwerste Sprung aber ist der, nicht bei den nach ihren kulturellen, konstitutionellen und prinzipiellen Fehlern charakterisierten Systemen als dem bestenfalls menschlich Erreichbarem stehen zu bleiben, sondern dem objektiven und subjektiven Idealismus u n d dem Naturalismus das S y s t e m d e r k r i t i s c h - s c h ö p f e r i s c h e n S a c h l i c h k e i t , die Anerkenntnis einer objektiven Metaphysik gegenüberzustellen. Niemand bringt heute mehr den naiven Mut auf, sein persönliches System als d i e Philosophie zu erklären. Aber man kann es wagen, in den universalen Säkularphilosophen Piaton und Aristoteles, Augustin und Thomas die Philosophie des kritischen schöpferischen Realismus, wonach auch Piaton und Augustin Realisten sind, jeweils annähernd verwirklicht zu finden, wobei es natürlich sich nicht um eine vermittelnde Konkordanz mit schweren historischen vitia reconstructionis handeln kann, sondern nur um die Anerkenntnis der universalen und abstrakten Sachgrundlage der idealen menschlichen Geistnatur. Mea doctrina non est meal Dieser persönliche Standpunkt der Darstellung ist hier absichtlich vor allem u m der methodischen Sauberkeit willen mit voller Deutlichkeit herausgestellt, um die Bewertungsgrundlage aufzudecken und die Terminologie zu klären. Das ist so lange unerläßlich, bis es eine Logik der konkreten Vernunft und wieder einen allgemeinen philosophischen Sprachgebrauch gibt. Man muß eben solange seinen privaten Hausgebrauch der systematischen Charakterisierung angeben, als keine offiziöse Tafel der persönlichen Fehlerquellen des Konstruierens besteht.

Der k r i t i s c h - s c h ö p f e r i s c h e R e a l i s m u s ordnet die drei großen Lebensmächte Religion, Geist und Politik hierarchisch und gliedert jede einzelne wieder nach der sachlichen Rangordnung. Offenbarung, Theologie und Autorität bedeuten für ihn die Anerkennung der Positivität eines göttlichen Rechts und das geistige Verständnis desselben, also eine S p i r i t u a l i t ä t , die die religiöse und aristokratische Eigengesetzlichkeit der Sphäre bestehen läßt. Die P h i l o s o p h i e ist für ihn Metaphysik, Anthropologie und positive Soziallehre und die P o l i t i k Führerschaft durch die geistige und religiöse Aristokratie, also Anerkennung eines positiven, natürlichen und göttlichen Rechts. Er ist das umfassende Lebensideal einer religiösen Positivität, der Spiritualität und einer hierarchischen Gesellschaftsordnung, die durch ihre Entsprechungen ein gegliedertes Ganzes ausmachen. Seine systematische Grundhaltung ist sein subjektives Charakteristikum, seine charakterologischen Grundlagen die Ehrfurcht vor dem Positiven, der sich wesentlich auswirkende Geist und der geistgeleitete Wille. Die F e h l e r q u e l l e n d e r k o n k r e t e n V e r n u n f t sind die Aberrationen vom idealen Gesamtsystem, die v e r f e h l t e R a n g o r d n u n g , das vitiurn ordinis, die V e r f e h l u n g d e s S a c h g e b i e t s , das vitium sphaerae, d i e E i n s e i t i g k e i t der C h a r a k t e r i n t e n s i t ä t , das vitium constitutionis, die Verfehlung des richtigen A u s g a n g s p u n k t s , das vitium prineipii, endlich die F e h l d e u t u n g der p h ä n o m e n a l e n K o n s t a n t e n , das vitium realitatis. Auf diese Fehlerquellen lassen sich auch leicht die üblichen Bezeichnungen der Aberrationen zurückführen, die Ismen, die leider nicht eindeutig genug sind und erst durch ihre systematischen Korrelationen ihren logischen Ort zugewiesen erhalten.

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DIE

KRITISCH-SYSTEMATISCHE

AUFGABE

Die Architektonik des mittelalterlichen Realismus wird gesprengt, wenn ihrer Teilglieder autonome Einseitigkeiten gesetzt werden ; statt : .

7 statt

Offenbarung: Fideismus Metaphysik : Rationalismus Aristokratie : Positivismus Theologie : Antidialektik Spiritualität: Spiritualismus Geistautorität: Pragmatism. Hierarchie : Klerikalismus Politik : Liberalismus Glaubensaut.: Cäsaropapism. Der F i d e i s m u s oder Supranaturalismus ist dank Augustins Spiritualität viel seltener in der mittelalterlichen Geistesgeschichte, als man bei einem religiösen Zeitalter erwarten möchte. Er tritt zudem fast nur in der objektiven Form, als Traditionalismus auf, als ausschließliche Anerkennung der Offenbarung und Tradition als der einzigen Glaubensquelle und Lebensordnung, kaum aber in der subjektiven Form des sentimentalischen Glaubens- und Frömmigkeitsinhalts als alleiniger Quelle der Religiosität. Auch die A n t i d i a l e k t i k ist meist nur Reaktion gegen ihren Gegenspieler, den Spiritualismus, spielt aber in der Dynamik der Geistesbewegungen und in der Herausarbeitung der religiösen Antinomien, damit aber selber als ungewollte Metaphysik, wie dies schon Dilthey in genialer Intuition aufgedeckt hat, eine beträchtliche Rolle. Die Hierokratie, der K l e r i k a l i s m u s der alleinigen Bestimmung der Lebensordnung durch die Priesterherrschaft, hat sich nur in einigen wenigen Denkern zu metaphysischer Bedeutsamkeit erhoben. Diese sämtlichen Aberrationen sind Verfehlungen des Sachgebiets durch die Überbetonung oder Unterbetonung der Eigengesetzlichkeit der Lebensmächte und vitia ordirtis, sofern die Rangordnung höchstens noch als sklavische Unterordnung auftreten kann, was das Wort von der Philosophie als ancilla theologiae (das heißt als Sklavin, nicht als freie Dienerin) bei dem Antidialektiker Petrus Damiani besagt.

Der R a t i o n a l i s m u s , die Erklärung der Vernunft zur alleinigen Quelle der Erkenntnis und Lebensordnung ist viel häufiger im Mittelalter als etwa Reuters bekannte Geschichte der Aufklärung im Mittelalter und andre „Vorgeschichten" der Aufklärung vermuten lassen. Unsere Kenntnis von ihm ist aus zwei Gründen unzulänglich, zunächst weil sich selten in einer streng geschlossenen Öffentlichkeit sagen läßt, wie weit eine Anpassung an den traditionellen Sprachgebrauch zum Selbstschutz vorliegt und wie weit eine echt vermeinte Spiritualität, wie etwa bei dem größten mittelalterlichen Rationalisten, Johannes Eriugena, und vor allem weil wegen dieser Schwierigkeit die rationalistischen Bewegungen noch lange nicht genügend untersucht sind. Meist tritt er im Gewände des S p i r i t u a l i s m u s auf, als die rein verstandesmäßige Umdeutung der positiven Religion in bloße Vernunftwahrheiten oder sittliche Einsichten. So ist er der eigentliche große Gegenspieler der echten Spiritualität, ihre intellektualistische Umkehrung, eine Verfehlung der Eigengesetzlichkeit der Sachgebiete, die Auflösung der positiven Religion in Rationalismus, der exoterischen Erlösungslehre in esoterische Geisteskultur und ein vitium ordinis durch die Vertauschung der Rangordnung der übernatürlichen und natürlichen Erkenntnisquelle. Seine politische Auswirkung, die rein intellektualistische Bestimmung der Gesellschaftsordnung tritt nur in gelegentlichen Revolten auf und auch die von der französischen Publizistik im 13. Jahrhundert aufgestellte Theorie ist nur durch den jungen Nationalstaat wirksam geworden und ohne eine entsprechend durchgeführte metaphysische Konstruktion geblieben.

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Die politischen Einseitigkeiten spielen im Mittelalter gleichfalls eine geringe Bolle dank Augustins Übernahme u n d Verchristlichung der antiken Politik, die durch Karl den Großen u n d den germanischen Genossenschaftsgeist den positivistischen Imperialismus überwand und wenigstens als Ideal ü b e r dem Zeitalter stand, wenn auch oft genug weltliche und geistliche Herren ihren blinden Willen durchsetzten. Erst in der politischen Frührenaissance ist der j u r i s t i s c h e P o s i t i v i s m u s , die voluntaristische Alleinbestimmung der Gesellschaftsordnung durch den autonomen Herrscher oder S t a a t auch metaphysisch durchdacht worden. Auch der C ä s a r o p a p i s m u s , die Unterordnung der Religion unter die Politik, t r i t t schon bei Friedrich II. mit metaphysischen Ansprüchen auf, u n d nur der P r a g m a t i s m u s , die Unterordnung des Geistes unter die Politik ist theoretisch wenigstens in diesem geistreichen Zeitalter nirgends zu finden. Wie wenig diese einfachste Tafel der kulturellen Aberrationen Selbstverständlichkeit ist, ergibt sich aus den damals schon vorhandenen Schwankungen der Verhältnisbestimmung zwischen Glauben und Wissen und besonders deutlich daraus, d a ß man bei der heutigen Bewertung der mittelalterlichen Philosophie die realistische Position neben Fideismus und Rationalismus nicht einmal mehr zu bezeichnen vermag u n d sich mit Semirationalismus und Semipelagianismus behilft. W a r u m d a n n nicht Semifideismus und Semiaugustinismus? Die mittelalterlichen Bezeichnungen spiritualis intelligentia, Spiritualität, und cooperatio, Menschensynergismus f ü r die Lösungen der zwei schwersten religiösen Antinomien, der zwischen der göttlichen Alleinwirksamkeit und der menschlichen Freiheit im Geistigen u n d Sittlichen, wird nicht sachlich angestrebt, sondern höchstens als Kompromiß zwischen den Gegensätzen empfunden. Diese Lösungen hängen ab von der -wesentlichen Einsicht in den Unterschied der negativen a b s t r a k t e n und der positiven konkreten Philosophie.

Der bisher entwickelte Abschnitt der Kritik der konkreten Vernunft wäre i n Hegelscher Terminologie eine Phänomenologie des objektiven Geistes. Vom kritischen Realismus aus ist aber dieser objektive Geist nur eine Personifizierung der „Persönlichkeit" der konkreten Entwicklungsstufen der geistigen Kultur, der Volkspersönlichkeit als der habituellen Struktur der öffentlichen Mentalität der Kulturvölker. Dieser Abschnitt ist also das Thema einer kritisch-realistischen K u l t u r p h i l o s o p h i e , die den natürlichen, personalen, menschlichen Geist aller Zeiten nur als universale Geistnatur betrachten kann mit konstanten Funktionen ihrer Substanz und konstanten Denkkategorien und die dessen Entwicklung allein in den charakterologischen Konstitutionsvarianten der Persönlichkeit und Volkspersönlichkeit erblicken kann. Die Aberrationen der kulturindividuellen Präponderanzen sind die kulturellen Varianten der Menschheitsgeschichte. Die Kulturdialektik, der Völkerdialog, das Menschheitsgespräch ist sonach das oberste Thema der Versachlichung der menschlichen Seelenkräfte zu großen Lebensmächten in den konkreten Kulturen, das Thema einer positiven Philosophie im Schellingschen Sinn. N u n gibt es aber i n n e r h a l b d e r M e t a p h y s i k selbst, die als konkrete und positive Metaphysik immer nur die eines Volkes und einer Zeit sein kann, wiederum Varianten von einer universalen menschlichen Ähnlichkeit und Gesetzmäßigkeit, auf denen letzten Endes die Übersetzbarkeit der verschiedenen Philosophien der Völker beruht. Hier ist eine Verständigung schon deswegen viel leichter als zwischen den Kulturen und

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Völkern, weil ja ein einheitlich rationales Verhalten zu den metaphysischen Hauptgegenständen Gott, Seele und Welt vorliegt. Schon die arabische Philosophie h a t es gewußt, d a ß Griechen und Perser v o n der äußeren W e l t aus philosophieren, die Araber u n d J u d e n aber v o n der Seele und dem I n n e r n der Dinge ausgehen. Die augustinische u n d mittelalterliche Philosophie aber geht p r i m ä r v o n Gott aus u n d von E r i u g e n a a n i s t d a r u m in der abendländischen Metap h y s i k die H a u p t u r s a c h e aller A b e r r a t i o n e n v o n der S p i r i t u a l i t ä t im R ü c k f a l l in die primitive Philosophie e r k a n n t worden. E r i u g e n a u n d T h o m a s e r k a n n t e n dabei vor allem die A b h ä n g i g k e i t des n u r kosmozentrischen Philosophierens v o m naiven Sensualismus,, j a A u g u s t i n e r k a n n t e a u c h schon durch seine eigene Loslösung von der materialistischen Gnosis der Manichäer die Abhängigkeit der m e t a p h y s i s c h e n K o n s t r u k t i o n e n v o n allen ethischen u n d erkenntnistheoretischen Aporien der kosmozentrischen Position. H i e r a u s ergibt sich ein weiteres T h e m a der K r i t i k der k o n k r e t e n V e r n u n f t , die D i a l e k t i k d e s o n t o l o g i s c h e n G e i s t e s , die zuerst eine systematische B e t r a c h t u n g u n t e r dem Titel t r a n s z e n d e n t a l e Dialektik erfahren h a t , w ä h r e n d der erste Teil immer nur praktische Kriteriologie der o r t h o d o x e n Theologen gewesen ist u n d die Bezeichnung der A b e r r a t i o n a n d e n N a m e n oder eine besondere D o k t r i n des V e r t r e t e r s k n ü p f t e , wie Arianismus oder D o k e t i s m u s . E s ist kein Geringerer als der praktisch h e u t e fast unb e k a n n t e K a n t der zweiten Abteilung seiner t r a n s z e n d e n t a l e n Logik m i t der t r a n s z e n d e n t a l e n Dialektik u n d Methodenlehre, der zuerst diese Dialektik des ontologischen Geistes v e r s u c h t h a t . Weil abeT K a n t seine drei I d e e n : G o t t , Seele u n d W e l t in der theoretischen S p h ä r e n u r als s u b j e k t i v e Synthesis a u f f a ß t e , war f ü r ihn diese Dialektik n u r Logik des Scheins u n d die Auflösung der A n t i n o m i e n in d e r D u r c h s c h a u u n g als n a t ü r l i c h e r u n d unvermeidlicher Illusionen gegeben u n d eben diese Unmöglichkeit einer ontologischen E r f a s s u n g der I d e e n ergab f ü r ihn die Unmöglichkeit einer realistischen Metaphysik.

Der schöpferische Realismus hat eine andere Lösung der metaphysischen Antinomien zu suchen, die hier nicht ausgeführt werden kann, aber in der Richtung liegt, daß analog der Auflösung der religiösen Antinomien durch die systematische Konstruktion auch die ontologischen nur durch das G e s a m t s y s t e m d e r d r e i a l l g e m e i n s t e n G e g e n s t ä n d e zu beheben ist. Die kulturellen Varianten, wonach das vorsokratische Griechentum k o s m o z e n t r i s c h , das Mittelalter t h e o z e n t r i s c h und die Neuzeit v o m Humanismus an a n t h r o p o z e n t r i s c h konstruieren, kehren analog als prinzipielle Varianten in der reinen Metaphysik wieder. Die alleinige und ausschließliche Absolutsetzung Gottes, der Seele und der Welt sind genau so wie der Fideismus, Positivismus und Rationalismus Aberrationen der konkreten Vernunft v o m Universalsystem der reinen Sachlichkeit, also keineswegs natürlicher und unvermeidlicher, sondern willkürlicher und bedingter Schein der konkreten Vernunft. Die r a t i o n a l e T h e o l o g i e vernichtet i m rationalistischen Extrem der Alleinwirksamkeit Gottes die Realität der Seele und der Welt in der mystischen anihilatio. Sie ist nach der trefflichen Prägung Rudolf Ottos Theopanismus i m Verhältnis v o n Gott und Welt. Die besonders in der intellektualistischen Mystik auftretende völlige Anihilation der Welt und Seele ist die Flucht vor der Antinomie der Allein Wirksamkeit Gottes und der Existenz von Zweitursachen. Sie tritt auch als Identitätssystem des göttlichen und mensch-

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liehen Seelengrundes infolge der mystischen Erfahrung der Entleerung der Seele von aller aktiven Individualität durch die Kontemplation auf. Von größerer Bedeutsamkeit für d a s Verständnis der mittelalterlichen Metaphysik ist der abgeschwächte Theopanismus des alternden Augustin und des mittelalterlichen Augustinismus in der Erkenntnistheorie und Ethik, wonach alle streng allgemeingültigen Erkenntnisse direkte Gotteswirkung durch Illumination in der Seele sind, j a weiterhin nach dem Ontologismus Erkenntnis nur unmittelbar in Gott, von dem die ewigen Wahrheiten nicht getrennt sind, geschieht und wonach alle religiösen Handlungen Gnade und Prädestination Gottes sind. E s ist die schon von Dilthey als pseudometaphysisch entschleierte Antinomie der Alleinwirksamkeit Gottes und menschlichen Freiheit, die hier ihren logischen Ort findet. Die naive Absolutsetzung der Welt, die r a t i o n a l i s t i s c h e K o s m o l o g i e , ist d a s Sammelbecken der meisten philosophischen Aberrationen und das H a u p t t h e m a einer Kritik der konkreten Vernunft. Hier kann nur das für die Metaphysik des Mittelalters Notwendige ganz kurz erörtert werden. Die A u f g a b e einer sachgerechten Kosmologie liegt in der systematischen Wahrung aller phänomenalen Konstanten der Welt. E s gilt für sie in umfassender Sachlichkeit nicht nur das servare apparentia, sondern vor allem auch das servare formata und weiterhin das servare agenda im technologischen Bereich. Nur die beiden Hauptformen der rationalistischen Kosmologie können hier umrissen werden, die pluralistisch-mechanistische und die monistisch-organologische, deren zweite hier nach dem Wiederentdecker der konstruktiven Bedeutsamkeit der organischen Weltanschauung bezeichnet wird, Max Scheler, der freilich nach der Tragödie aller Entdecker dem Absolutismus seines eigenen F u n d s , dem vitalistischen Naturalismus verfallen ist. Die ewige Welt der unzerstörbaren Atome und ihre zufällige und doch streng determinierte Naturgesetzlichkeit in einer ewigen Wiederkehr der phänomenalen Konstanten ist der Sinn des m e c h a n i s t i s c h e n N a t u r d e t e r m i n i s m u s , der sich die Seele als sensualistischen Erkenntnis- und Triebmechanismus einordnet und damit die Seele und erst recht Gott in dezidierten Atheismus anihiliert. Der Idealtyp hierfür ist Demokrit. Im Mittelalter tritt der Mechanismus aber m. W. nicht auf, denn auch der sogenannte Atomismus der Chartreser ist durchaus organologisch gedacht. Die o r g a n o l o g i s c h e K o s m o l o g i e oder der biozentrische Naturalismus ist nach dem Idealtyp Stratons die Absolutsetzung der substantialen F o r m als einziger Grundlage aller Weltkonstanten, die Deifizierung der Natur als All-Leben oder Weltseele. Sie vermag scheinbar ohne eine Vernichtung der Seele auszukommen, obwohl diese in Wahrheit ihrer geistigen Selbständigkeit beraubt und in biozentrischem Determinismus erkenntnistheoretisch und ethisch „verweltlicht" wird, genau so wie die Transzendenz Gottes in seiner Unterordnung unter die natura naturans vernichtet wird. Der Pantheismus ist

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nur noch Gottes-Name in dem allgemeinen Leben der Welt. Diese Art des Naturalismus ist von größter Bedeutsamkeit für die mittelalterliche Metaphysik, weil in ihren drei Hauptphasen drei ihrer größten Metaphysiker, Johannes Eriugena, Thierry von Chartres und Siger von Brabant in spiritualistischer Terminologie oder in einseitiger Aristotelesinterpretation ihn vertreten haben und von da eine fast ununterbrochene Geheimphilosophie Jahrhunderte hindurch ausgegangen ist, die wahre Wurzel der n e u z e i t l i c h e n A u f k l ä r u n g . Der alternde Aristoteles hatte sich ja selbst dieser Position genähert, die ja auch alsbald in ihrer konsequenten Form aus seiner Schule hervorgegangen ist, sobald die sokratisch-platonische Entdeckung der geistigen Welt, der ethische und logische Humanismus, nicht mehr im Mittelpunkt der griechischen Philosophie stand. Die rationalistische Anthropologie oder rationalistische Psychologie gehört im strengen Sinn ausschließlich der Neuzeit, dem k o n s e q u e n t e n H u m a n i s m u s an. Naturgemäß spielt die Absolutsetzung der objektiven Konstanten der innern Erfahrung als anthropologischer Objektivismus, der die naive Konsequenz der sokratisch-platonischen Entdeckung der logischen und ethischen Ideen hätte sein können, wenn diese nicht eben gegen den juristischen und logischen Pragmatismus der Sophisten sich hätte richten müssen, innerhalb der prinzipiellen Varianten des Ausgangspunkts v o m Gegenstand keine besonders wichtige Rolle. Ihr Hauptgebiet ist der s u b j e k t i v e I d e a l i s m u s innerhalb der konstitutionellen Varianten. So kommt es hier nicht zu metaphysischen Positionen, nur zur Leugnung der Metaphysik. Der „ewige Mensch" kann nur eine Vorstellung des organologischen Naturalismus sein, die anthropozentrische Erkenntnistheorie bleibt beim homo mensura-Satze eines subjektiven Skeptizismus oder Agnostizismus der Welt und Gottes oder beim sophistischen Pragmatismus oder Positivismus der menschlich-willkürlichen Welt- und Dingbezeichnung stehen. Hierher gehören also der kritische Nominalismus und der ethische Nominalismus der rein menschlichen Sittlichkeitsbestimmung und der religiöse der menschlichen Göttererfindung, wie all dies schon die alten Sophisten gelehrt haben. Hier ist also der wichtige geistige Ort des N o m i n a l i s m u s , jenes philosophischen Zwittergebildes zwischen Objektivismus und Subjektivismus, das in der mittelalterlichen Metaphysik keineswegs die wichtige Rolle gespielt bat, die ihm von der im vorigen Jahrhundert selber nur erkenntnistheoretischen Forschung eingeräumt wurde, bis er schließlich mit Ockham religiöser Idealismus geworden ist und damit eine prinzipielle, nicht nur äußerliche Scheidung der Epochen bedingt und schon die neuzeitliche Philosophie eröffnet.

Die Notwendigkeit des sachgemäßen, aber nicht ausschließlichen A u s g a n g s p u n k t e s v o n d e r m e n s c h l i c h e n E r k e n n t n i s t ä t i g k e i t hat besonders bei Abaelard und im Verlauf der voraverroistischen Aristotelesbewegung zur Überwindung des theozentrischen und kosmozentrischen Objektivismus geführt. Das ist der gewaltige geistesgeschichtliche Vorgang des neuzeitlichen Humanismus und der Entstehung der abendländischen Universität, der bernhardinisch-viktorinischen und der deutschen Mystik und nicht zuletzt des neuzeitlichen Staates. Das ist die epochale Wendung des Geistes zu seiner vollen eigenen Selbsttätigkeit, die die antike Aufklärung nur tastend behauptet, aber nicht durchgeführt hatte, die Augustin nur mittelbar im schöpferischen Gottesgeist

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e r k a n n t h a t t e , o h n e die Eigentätigkeit des nachschöpferischen Menschengeistes voll zu e r k e n n e n u n d anzuerkennen. Es war eine der größten S t u n d e n der Geistesgeschichte, als die intellectus agens-Lehre, ein f o r m e l h a f t e s E r b s t ü c k der Antike, aus i n n e r e r A n s c h a u u n g z u m n e u e n , kritisch b e w u ß t e n Ausgangspunkt des Philosophierens u n d der g e s a m t e n M e t a p h y s i k e r h o b e n wurde u n d in einigen Säkularmenschen, wie Bonav e n t u r a , d e m A q u i n a t e n u n d D a n t e jene f a s t u n g l a u b h a f t e , universale H a r m o n i e d e r Vollentfaltung der M e n s c h e n k r ä f t e erreichte, eine S t u n d e d e r Mittagshöhe, die n u r zu bald vorüberging, sich k a u m zwei Generationen hielt, a b e r dennoch der A u s g a n g s p u n k t der B e w e r t u n g der mittelalterlichen M e t a p h y s i k bleiben m u ß . D a s Gleichgewicht v o n S u b j e k t i v i t ä t u n d O b j e k t i v i t ä t , v o n Spiritualität u n d Religion, von Politik u n d Hierarchie, v o n Geist, Wille und Gefühl, d a s auch noch i n n e r h a l b der universalsten I n d i v i d u a l i t ä t k o n k r e t e n S c h w a n k u n g e n u n t e r w o r f e n bleibt, k o n n t e n o t w e n d i g n u r Besitz der b e g n a d e t s t e n , genialsten u n d heroischsten Menschheitsrepräsentanten sein. Die Abweichung v o n dieser r e c h t e n M i t t e lag n u r allzu n a h e u n d n u n erst, n a c h der vollen E r o b e r u n g des kritischen Realismus, t r e t e n die heroischen Einseitigkeiten des Geistes a u f , genau wie n a c h d e m kritischen Idealismus K a n t s alle j e n e subj e k t i v e n A b e r r a t i o n e n der großen u n d i m gewissen Sinn klassischen Metap h y s i k e n , d e r s u b j e k t i v e u n d o b j e k t i v e I d e a l i s m u s , beide t r o t z ihrer charakteriologischen Willens- oder G e f ü h l s b e s t i m m t h e i t heroischer rationalistischer K a m p f der p r i m ä r k o n t e m p l a t i v e n I n d i v i d u a l i t ä t gegen d e n kritisch e r h ö h t e n u n d d a m i t selber schon p r i m ä r k o n t e m p l a t i v e n Gegner, d e n N a t u r a l i s m u s . U m die W e n d e des 14. J a h r h u n d e r t s folgt d e m kritischen Realismus u n d d e m averroistischen N a t u r a l i s m u s das R i e s e n p h ä n o m e n des e r s t e n a b e n d l ä n d i s c h e n I d e a l i s m u s , das aus m a n n i g f a c h e n G r ü n d e n i m m e r noch nicht voll ins Bewußtsein der Philosophiehistoriker getreten ist und k a u m n o c h der Geschichte der Metaphysik angehört. An anderer Stelle 1 ) waren die Gründe auseinanderzusetzen, warum dies bisher noch nicht geschehen ist. Hier ist nur die äußere Notwendigkeit darzulegen, warum das 14. J a h r h u n d e r t noch in die Darstellung der mittelalterlichen Metaphysik mit aufgenommen werden muß. Auch nach der anschließenden Darstellung Heimsoeths reichen die entscheidenden Konzeptionen der neuzeitlichen Metaphysik noch so weit zurück, allein sie treten noch völlig in mittelalterlicher Form und Terminologie auf, so daß praktisch die Darlegung nur im Anschluß an die vorhergehende Epoche gegeben werden kann. Der Geist und die Physiognomie des 14. Jahrhunderts ist schon neuzeitlich, nur das Kleid ist noch mittelalterlich. Diese anderweitig begründete Periodenteilung bringt die Notwendigkeit mit sich, außer den zwei Vorfragen des Verhältnisses von Glaube und Wissen und des der theozentrischen, anthropozentrischen und kosmozentrischen Metaphysik auch noch kurz ein drittes Kapitel der konkreten Logik zu entwickeln, nämlich das über die Hauptformen der subjektivistischen Metaphysik. x

) Geisteswissenschaftliche Aufgaben der Erforschung der Renaissancephilosophie. Deutsche Vierteljahrsschrift f. L. W. und G. G. VII. 4.

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Der s u b j e k t i v e I d e a l i s m u s bedeutet nach seinem Fichteschen Idealtyp ein Vorwiegen der Richtungseigenschaft Voluntarismus auf Grund der Mengeneigenschaft Intellektualismus und ist also Subjektivismus des intellektualistischen, anthropozentrischen Ausgangspunktes und charakterologische Subjektivität eines geistigen Willens, der die Wirklichkeit allein vom Ich aus a u f b a u t . Das Ich ist die einzige Realität. Er anihiliert also im E x t r e m die Welt, das Nichtich, durch die Vergeistigung der Welt zum hingeschauten Material der Pflichterfüllung, er macht den Menschen selbst zum Schöpfer, und „vergeistigt" Gott, d. h. er zieht i h n hinein in das Selbstbewußtsein der einen absoluten Freiheit, des ordo ordinans. I n seiner reinen Form, die j a auch Fichte nicht festgehalten h a t , kommt er im fröhneuzeitlichen Idealismus nicht vor, wohl aber steckt er im objektiven Idealismus Meister Eckharts infolge der Ambivalenz der Richtunggeigenschaft Gefühl als die Identität des schöpferischen Menschengrundes mit dem schöpferischen Gottesgrund u n d der daraus hervorgehenden Weltschöpfung des transzendenten Geistes in seiner Gottidentität. Die voluntaristische Reaktion gegen den Naturalismus, die auch Fichte zum subjektiven Idealismus geführt h a t , f ü h r t schon Duns Skotus zum voluntaristischen Gottesbegriff der potestas absoluta und Ockham zum transzendentalen kritischen Idealismus eines nominalistischen Aufbaus der Weltwirklichkeit. Diese doppelte Aberration v o n der Universalität ist zu bezeichnen als Vitium principii, als Verfehlung des Ausgangspunkts vom Subjekt-Objektgegensatz und als Vitium charakteris in der Einseitigkeit des heroischcn Moralismus, in der rein voluntaristischen Autonomie des Ich oder des Gottesbegriffs. Der o b j e k t i v e I d e a l i s m u s ist nach dem Hegeischen Idealtyp vorwiegend die Richtungseigenschaft Gefühl auf Grund der Mengeneigenschaft Intellektualismus. Der geistige Gefühlsmensch erlebt, ausgehend vom Lebensboden einer religiösen Wcltansicht, den ewigen Begriff, den Logos als Selbstbewegung des Geistes, der sich „verweltlicht" und sich „vergöttlicht", aber dabei objektiver Geist in sich bleibt. Das Erlebnis der unio mystica h a t in Verbindung mit dem griechischen Intellektualismus der Logoslehre schon lange vor dem kritischen Realismus bereits im Neuplatonismus und beim Areopagiten zum objektiven Idealismus geführt u n d dieser esoterische Spiritualismus ist auch schon in der mittelalterlichen Metaphysik die Einkleidungsform des Vitalismus bei Scotus Eriugena geworden. Das mächtigste Beispiel aber ist die radikale Logisierung der Welt bei Meister Eckhart, der den transzendenten objektiven Geist zur alleinigen Wirklichkeit macht, im mystischen Erlebnis die voluntative und intellektuelle Subjektivität des Ich mitsamt der Welt im ewigen Geist vernichtet f ü h l t , in dem auch Gott selber versinkt. Die Ambivalenz des Sensitivismus m i t dem Intellektualismus schlägt aber auch bei E c k h a r t wie bei Hegel in den Idealismus der Freiheit u m , in die Weltschöpfungstat des Menschengeistes in Gott.

Zugleich mit dem kritischen Realismus ist eine neue Form der Kosmologie aufgetreten, die nicht mehr naiv ist wie in der Antike und der die 40 anthropozentrische, kritische Haltung des Intellektualismus Voraussetzung aller Wissenschaftlichkeit ist. Ihre zwei großen Richtungen, der b i o z e n t r i s c h e V i t a l i s m u s und der p h ä n o m e n o l o g i s c h e M e c h a n i s m u s sind bis heute die Formen der Naturwissenschaft. Sie gehören nur insofern zur mittelalterlichen Metaphysik, als deren Darstellung das 14. Jahrhundert noch praktisch mit zu umfassen hat und sofern sie wider Willen selber Metaphysik sind, Absolutsetzungen der Kausalerkenntnis und Konstantenerkenntnis, die sie programmgemäß nur phänomenologisch zu erfassen hätten. Das Stehenbleiben bei der bloßen und reinen Wissenschaft ohne den Fortgang zur Überwissenschaft war eben so v o m Anfang der Neuzeit an bis heute eine seltene Tugend. Die charak-

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teleologische Bedingtheit der szientifischen Haltung wird in concreto immer ergänzt durch die Richtungseigenschaft der Triebbestimmtheit oder der Sensitivität, durch den amor fati Spinozas, und darum erheben sich Mechanismus und Vitalismus immer wieder zu metaphysischen Konstruktionen. Der triebbestimmte Vitalismus unterliegt immer wieder der Versuchung, die Seele in das allgemeine Leben der Welt oder der Gattung aufzulösen und den Geist als Epiphänomen, als Krankheit oder Ohnmacht zu „vernichten", genau so wie Gott pantheistisch in die natura naturans „verweltlicht" wird. Die Eigenständigkeit der Sphären wird vernachlässigt und verwischt. Der sensitivistische Mechanismus macht die Auflösung der Seele in naturgesetzliche Funktionen sogar zur Methode einer Psychologie ohne Seele und löst schließlich auch seinen anfänglichen Deismus eines transzendenten unerfahrbaren Gottes in religiöse Funktionen, in eine Gemütsreligion ohne Gott auf. Die neue ontologische Kategorienlehre der einzelnen Sphären ist nun endlich auf dem Weg zu einer abstrakten Logik der einzelnen Sachgebiete, die die Verwirrung der Sphären beseitigen wird und nur noch der Ergänzung einer konkreten Logik der historischen Vernunft bedarf. Subjektivismus, Vitalismus und Mechanismus sind neben dem entsprechenden naturalistischen Positivismus und Idealismus der politischen Renaissance die Hauptpositionen der beginnenden Neuzeit und müssen hier für das 14. Jahrhundert als die großen Gegenspieler des abendländischen Realismus berücksichtigt werden. Nur soviel sei, leider allzu gedrängt, von den Problemen einer Kritik der historischen Vernunft hier angedeutet: die Unerläßlichkeit dieser Einführung in die mittelalterliche Metaphysik ist j a schon angegeben. Die A n a r c h i e u n s e r e r p h i l o s o p h i s c h e n T e r m i n o l o g i e , die sich zur Bezeichnung und Bewertung der Philosophen immer noch der alten praktischen Kriteriologie der Ismen bedienen muß, kann nur durch einen, wenn auch noch so dürftigen Versuch der Definition des philosophischen Sprachgebrauchs behoben werden. Auch wer sich nicht auf den Standpunkt des kritischen Realismus stellt, wird diese Festlegung der Terminologie wenigstens als einen relativen Gewinn buchen müssen. Für die Anhänger des kritischen Realismus aber ist zu betonen, daß die hier im Zusammenhang der deutschen Geisteswissenschaft geübte Eingliederung der „dreidimensionalen euklidischen Geometrie", der alten abstrakten Ontologie, in eine höhere vierdimensionale Geometrie, die die historische Zeit mitberücksichtigt, in keiner Weise einen Relativismus bedeutet, da die universale Geltung der Ontologie dabei ja keineswegs angetastet wird. Die uralte Lehre, daß nur die ethisch geläuterte Persönlichkeit die volle konkrete Weisheit erfassen kann, muß in der heutigen geistigen Lage ihre Auswirkung in der konkreten d. h. ontologischen und ethischen Analysis der großen Systeme erfahren. Schließlich ist die Überwindung des Relativismus nur dann möglich, wenn man zeigt, daß wenigstens die öffentlichen oder großen Weltanschauungen — nur die angeeigneten individuellen sind das weite Feld einer schlechten Unendlichkeit — mittels einer Kritik der historischen Vernunft und Charakterologie auf ein universales Bezugssystem der menschlichen Geistnatur zurückzuführen sind. Dann erst kann das philosophische Verstehen und damit erst die Metaphysik selbst wieder zu einer neuen Lebensmacht werden. Von der Aufgabe des Handbuchs aus ist diese systematische Ein-

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leitung darum unerläßlich, weil ja nicht nur die Absicht der Systematik im Historischen aufgegeben ist, sondern selber systemalisch durchzuführen ist. Da diese Systematik immer nur eine bestimmte sein kann, nur freilich nicht die individuelle des Referenten sein soll, muß die der behandelten Zeit immanente gewählt werden, also hier das große metaphysische Ideal der bedeutendsten mittelalterlichen Denker selbst. L i t e r a t u r . Eine Gesamtdarstellung der mittelalterlichen Metaphysik gibt es ausweislich des U e b e r w e g - B a u m g a r t n e r - G e y e r , Grundriß der Geschichte der Philosophie, nicht, außer dem mir nicht zugänglichen D o r n e t de V o r g e s Abrégé de métaphysique: Etude historique et critique de doctrines de la métaphysique scolastique. 2 Bd. Paris 1906. Erst von Scotus an kann das vorzügliche Werk von K a r l W e r n e r , Die nachscotistische Scholastik, Bd. 1—4, Wien 1883 ff., neben den theologischen Lehren, die es behandelt, als eine ausreichende Monographie der spätmittelalterlichen Metaphysik betrachtet werden.

II. AUGUSTINUS, DIE GRUNDLEGUNG DER THEOZENTRISCHEN MITTELALTERLICHEN METAPHYSIK Augustin ist weder ein antiker noch ein mittelalterlicher Denker. E r ist der klassische Repräsentant der altchristlichen Metaphysik, weil er am universalsten jene Sonderkultur in seiner persönlichen Spiritualität zusammengefaßt h a t , die als ein eigenes, volkspersönliches Gebilde zwischen der Antike und der abendländischen Welt liegt. Die kulturellen Besonderheiten seiner Philosophie, ohne deren Berücksichtigung die konkreten Absichten seines metaphysischen Gedankengebäudes gar nicht zu verstehen sind, liegen in der übernationalen, christlichen Religion in ihrer geschichtlichen Beziehung zu den drei Nationen der altchristlichen Welt, dem Lateinertum, dem Juden- u n d Syrertum u n d dem Griechent u m . Augustin t r i t t das Christentum in der geschriebenen Form des Kanons u n d das Griechentum in der gleichfalls geschriebenen Form der antiken, insbesondere neuplatonischen Philosophie gegenüber, also in den geprägten Bildungselementen der Volkspersönlichkeiten, während das Lateinertum in erster Linie f ü r ihn Vitalität und Temperament und kirchliche und staatliche Verfassung ist u n d n u r sekundär geschriebene Volkstradition. Das Syrertum endlich ist ihm vielleicht von seiner Mutter her Temperament u n d beeinflußt als allgemeine orientalische Einwirkung die ganze altchristliche K u l t u r . Das geistig Bedeutsame dieser einzelnen nationalen Elemente und ihr Synkretismus h a t ihn in wechselnder Stärke bestimmt. Es m a c h t die D r a m a t i k seiner geistigen Entwicklung aus, d a ß er sich mit so sehr verschiedenen Bildungselementen auseinandersetzen m u ß t e , u n d d a ß er es getan, brachte ihm seine kämpferische Klarheit ein u n d uns das einzigartige D o k u m e n t seiner Konfessionen, die nicht n u r seine persönliche Geschichte, sondern zugleich, ein seltener Glücksfall f ü r den Philosophiehistoriker, die Genesis seiner spirituellen Metaphysik Schritt f ü r Schritt zu verfolgen gestatten.

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Das Christentum wird ihm durch Ambrosius lebendig als Religion des Geistes, der Gnade und der Liebe u n d später als die zeitliche, j a überzeitliche universale Kirche der sichtbar-unsichtbaren Geistergemeinschaft vom Sündenfall bis zum jüngsten Gericht, j a bis in die Ewigkeit hinein. Als Aufruf zur H u m a n i t ä t ist es ihm freudig erfaßte Verbindung von Religion und Geist, Überordnung der Übernatur über die Willensnatuf i m Sittlich-Religiösen, wie er es i m Mittelpunkt und H ö h e p u n k t seines persönlichen Lebens, im Bekehrungserlebnis erfährt. U n d endlich ist es ihm Hierarchie des homo spiritualis, der im Geistigen richtet und im Geistigen versteht, dessen Licht aufleuchten soll in der Zeit, bis das Neue geschaffen ist, die civitas dei, das transzendente Reich des Geistes und der Liebe (Conf. 6, 3; 8, 12 und 13, 18). Aber bis dahin bedurfte es 10 des Wegs durch alle nationalen Bildungselemente der altchristlichen K u l t u r . Das Syrert u m hat ihm angesprochen im eigenen afrikanischen Blut, als gnostischer Manichäismus u n d später nochmals als antidialektische Theokratie. Das Griechentum erfüllte ihn im römischen Gewand mit dem Ehrgeiz eines rhetorischen Humanismus der männlichen Besonnenheit und der strengen Wissenschaft und weckte vor allem den metaphysischen Drang nach dem ein- f ü r allemal Unveränderlichen, dem ewigen Kosmos, der idealen Welt der rationes aeternae im Seins-, Erkenntnis- und Wertbereich. Das Lateinertum war ihm die konkrete Reichsgröße und Reichspolitik seines römischen Vaterlands, um dessen bedrohter Größe willen Hinweis auf das allmächtige Imperium,' die lex aeterno des absoluten Gotteswillens und d a n n nochmals durch Cicero übersetztes Griechentum, 20 s t a t t der blinden Herrenkultur geistige Politik der h u m a n e n Freiheit mit dem Ziel der justitia et pax terrena. Es m a c h t die weltgeschichtliche Größe AuguBtins auB, daß er den Kampf mit all diesen disparaten Elementen aufgenommen u n d in sich selber, wenn auch mit schwankendem Erfolge ausgetragen h a t , so daß er als der höchste Repräsentant der altchristlichen Kultur dasteht. Es ist die zeitgeschichtliche Tragik seiner eigenen Person, daß dieser Kampf in ihm kein Ende n i m m t , ebensowenig wie in der Zeit selbst, die an den ungelösten Spannungen vom römischen Herrschertum und fremder Gewalt, von griechischer Aufklärungskultur und mangelnder sittlicher K r a f t zur geistigen Freiheit, v o n syrischer Erlösungskultur und mangelnder sittlicher Aktivität in der Welt zugrundegeht u n d einen universalen Durchbruch des Christentums nicht 30 m e h r erlebt. Aber gerade der K ä m p f e r Augustin war schließlich der richtige Lehrer f ü r die abendländische Welt, die nicht mit einem fertigen System beginnen konnte und genug h a t t e an den Lehrstücken, die Augustin bot, u m selber eine universale Lösung f ü r die eigene Kulturindividualität zu finden.

Für den rekonstruktiven Aufbau der augustinischen Metaphysik kommen zunächst nicht diese volkspersönlichen Varianten in Betracht, sondern die prinzipiellen Varianten, die allerdings die christliche Theologie, den griechischen Humanismus und die orientalische Kosmologie in sich enthalten. In jener weltgeschichtlichen entscheidenden Wende vom kosmozentrischen zum theozentrischen Ausgangspunkt der Metaphysik, die 40 Orígenes und seiner Schule niemals rein geglückt war und die jetzt der 33 jährige Augustin in den Jahren nach seiner Taufe 386 bis zur Selbstbesinnung darüber in den Confessionen vollzieht, ist es das deum et animam scire cupio, das sein metaphysisches und religiöses Ziel ist. Das besagt allerdings schon, daß er damals noch nicht ausschließlich theozentrisch konstruiert hat und daß dank der gewaltigen Werke dieser besten Mannesjahre auch die spätere Neigung zur Allein Wirksamkeit Gottes in der Erleuchtung und Gnade, sein Prädestinatianismus, niemals ganz die spirituelle Harmonie von Gott und Seele verdeckt hat. In der dramatischen Auseinandersetzung mit dem Orientalismus und Hellenis- 50

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mus, im innern Kampf mit seinen eigenen früheren Bildungselementen, zeigt sich die Entwicklung der Standpunktnahme und die Herausbildung seiner Universalität. Die Metaphysik des s c h ö p f e r i s c h e n G o t t e s g e i s t e s wird von einem tiefreligiösen Gefühlsmenschen errungen, der als geborener philosophischer Genius die M e t a p h y s i k d e r S e e l e in ihrer geistigen Persönlichkeit erfassen will und alles was Wille in ihm ist, als i r r a t i o n a l e W e l t , als vanitas vanitantium zu entwerten sucht. Dennoch bewahrt ihn die nüchterne Souveränität seiner Beobachtung davor, die Wertrangordnung Gott-Nichts zur ausschließlichen Absolutsetzung 10 Gottes allein zu versteifen, und als dies dem alternden Augustin droht, ist es dank dem jungen Augustin des amor intellectudlis glücklicherweise schon zu spät. 1. D I E M E T A P H Y S I K D E S S C H Ö P F E R I S C H E N GEISTES

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Dilthey hat in seiner genialen Analyse Augustins (G. S. I. 255) den Versuch gemacht, Augustin von dem vermeintlichen Ausgangspunkt der Selbstbesinnung her zu verstehen. Er hat ihn damit in die falsche Perspektive des 19. Jahrhunderts gerückt, zu sehr subjektivistisch gesehen und konnte dann doch nicht ganz mit diesem Subjektivismus zufrieden sein. In Wirklichkeit war nach einem halben Dutzend Stellen der Confessionen selbst, besonders V. 14, das Ringen u m die a b s o l u t e g e i s t i g e 20 S u b s t a n z , die spiritualis substantia, der theozentrische Ausgangspunkt, nicht der skeptische Anthropozentrismus der Akademie.

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I n zwei prächtigen Bildern h a t Augustin seine von den Manichäern stammende n a t u r a l i s t i s c h e G o t t e s a u f f a s s u n g gezeichnet. E r stellte sich Gott als ein groß gewaltig Ding vor, allüberall gedehnt in unermeßlich weite R ä u m e , das ganze Weltall durchdringend und draußen noch ergossen ins unendlich Grenzenlose: und wie der Leib der L u f t , der über dieser Erde liegt, dem Sonnenlicht nicht widerstehen k a n n , d a ß es ihn durchdringe, und doch nicht zerbreche, sondern ganz i h n fülle, so glaubte er, daß f ü r Gott der Leib des Himmels und der L u f t , des Meeres und auch der Erde offen stehe, daß er in allen Teilen, den großen wie den kleinen, sie durchdringe und mit seiner Gegenwart sie erfülle und so von drinnen u n d d r a u ß e n mit geheimer Leitung alles ordne, was er geschaffen hat. Sichtbares und Unsichtbares, auch die geistigen Wesen ordnete die produktive Einbildungskraft des jungen Augustin i m R ä u m e und i n Räumen und bildete sich so aus der ganzen Schöpfung eine große gewaltige Masse, beliebig groß und doch begrenzt von allen Seiten. Gott aber dachte er nach allen Seiten unbegrenzt, die Masse überall umgebend und durchdringend, so als wäre das Meer wie das Licht allüberall und allüberall in der Unendlichkeit nichts als das eine Meer allein, in seiner Mitte aber hielte es einen Schwamm, gewaltig groß, doch immerhin begrenzt und dieser Schwamm wäre überall in seinen Teilen voll v o m unendlichen Meer (Conf. 7, 1, 5). Gott als ein leuchtender Körper u n d der Mensch als ein Stückchen dieses Körpers, in Eitelkeit geformt aus körperlichen Bildern, das ist der schon orientalisch durch den Schöpfergedanken ins Unendliche erweiterte antike Kosmos. Die Anschauung k a n n sich noch nicht vom Materiellen loslösen. Dazu k o m m t ein weiteres, teils antikes, teils manichäisches Element, der ethische D e t e r m i n i s m u s d e s B ö s e n , der den Menschen astrologisch mit all seinen T a t e n bestimmt sein läßt u n d ihm damit die sittliche Verantwortung abnimmt oder aber, wenn die religiöse Antinomie der guten, gottgeschaffenen Welt und

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der Faktizität des Bösen gespürt wird, zu einer mythologischen Lösung greift und einen bösen finstern Stoff neben die göttlichen, guten und hellen Lichtelemente der Welt stellt. Die kosmologische und ethische Gottesproblematik macht die innere Verwirrung des jungen Augustin durch die neun Jahre seiner Manichäerzeit aus. Er löst sich langsam zunächst geistig mittels der griechischen Wissenschaft seiner Zeit von ihr und will den ethischen Determinismus durch den empirischen Nachweis überwinden, daß die Astrologie nicht stimmt, wie bei Zwillingen mit gleichem Horoskop zu sehen ist, wie sich überhaupt die Licht- und Finsternismythologie vor der griechischen Naturwissenschaft nicht behaupten kann. Aber dieser Fortschritt führt nur in den spätakadcmischen Skeptizismus und es braucht wieder einer Doppelanregung, ihn daraus zu befreien, der Lektüre des Neuplatonismus, vor allem Plotins, und der Bekanntschaft mit einem spirituellen Christen, A m b r o s i u s . I n diesem persönlichen Zusammentreffen wiederholt sich die weltgeschichtliche Begegnung von Christentum und Griechentum, des schon christlich und mystisch beeinflußten platonischen Idealismus oder Begriffsrealismus und des schon vom Johannesevangelium an spirituell gefaßten Christentums.

Das Ergebnis dieses Zusammentreffens ist die Wiederentdeckung der logischen und ethischen Werte, der regulae numerorum und sapientiae, die aber nun nicht mehr in einem transkosmischen Ort gesucht werden, sondern als substantielle Form, als impressi numeri in den Dingen selbst, dann in ihrer personalen regio, in ihrem quasi habitaculum quoddam et sedes in der Seele und endlich in der veritas ipsa, im verburn aeternum (De lib. arb. II, 10). Die christliche Logoslehre erfährt jetzt ihre universale metaphysische Ausgestaltung, und zwar mit voller Berücksichtigung aller drei Regionen der substantialen Form, des universale in re, der phänomenologischen Formen- und Werterkenntnis und des universale ante rem in der ars aeterno, im ewigen Logos selbst, und zugleich die Ausdehnung auf die ontologische Gesetzeslehre der lex aeterno, der lex naturalis et lex humana. Allein diese Universalität der Wesenserfassung besitzt eine entscheidende Rangordnung des Interesses. Dilthey macht es Augustin zum Vorwurf, daß er trotz der Überwindung der antiken, kosmologischen Passivität der Formerfassung immer noch am abstrakten Geiste als dem ersten festhalte und nicht in rein menschlich schöpferischem Subjektivismus nur aus der Selbstbesinnung ein formales Apriori der Erkenntnis herausgeholt habe. Augustin widerlegt diese Kantisch gedachte Synthesislehre ausdrücklich. Die ewigen Wahrheiten gehören ebenso wenig einer bloß subjektiven allgemeingültigen Organisation des Menschengeistes an, ad mentis alicuius nostram pertinere naturam, wie gleichmäßig wahrgenommene Farben und Töne zur Natur unserer Augen und Ohren gehören (De lib. arb. II, 12). Die internae regulae veritatis sind mit der Evidenz der Notwendigkeit gegeben und gemeingültig für die Erfassung und führen eben damit in das unvergängliche Reich, wo ein gemeinsames und einheitstiftendes, ein freies selbstloses Teilhaben der Geister die wahre Geistergemeinschaft um Gott schließt, die allein unsere Freiheit, Seligkeit und unser höchstes Gut ist. Dies über unserer Seele allen gemeinsam und gleichmäßig leuchtende Licht ist gerade der ausdrücklich formulierte Hauptbeweis Augustins für Gottes Dasein, der

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durch die Schönheit, die veritas und sapientia allen ihm Zugewandten das Höchste ist und das Nächste und durch sie sich unsern Geistern offenbart (ibid. II, 14). Dieser phänomenologische Gottesbeweis hat aber seine eigentliche Bedeutung darin, daß sich in ihm die G e i s t e s k u l t u r und die E r l ö s u n g s k u l t u r treffen, daß mit der religiösen Spiritualität der Gotteserfassung eine doch im gewissen Sinn passivistische Erkenntnismetaphysik gegeben ist, die sich freilich keineswegs zu der Leugnung der substantialen Form und der ganzen damit wesensmäßig zusammenhängenden realistischen Weltauffassung versteift. Es liegt hier eine für die mittelalterliche Metaphysik sehr wichtige Variante, aber keine Aberration der Ausgangsordnung vor, und dies ist das Berechtigte an Diltheys Vorwurf und der Grund der späteren hochmittelalterlichen Kämpfe zwischen Augustinismus und Thomismus. Der Akzent der Absolutheit ist von der Erfassung der inkommutablen Wahrheit aus mit aller Schärfe auf Gott verlegt. Nur er ist der ewig Unveränderliche, Einfache und Eine und darum der allein unbedingt Seiende, das ens realissimum. Darum schließt sich sofort an die Erkenntnis der unveränderlichen Wahrheit, des ewig unveränderlichen Lichts des Herrn, des ganz anderen Lichtes in der innerst tiefen Seele und hoch droben über den Augen der Seele die intellektuelle Anschauung der ratio superior, die Ontologie des geistigen, unkörperlichen und doch allmächtigen Seins an. Ist denn die Wahrheit nichts, weil sie nicht ausgegossen ist im Räume, nichts im Begrenzten und nichts im Unbegrenzten? Et clamasti de Ionginquo, immo vero: ego sum qui sum. Und ich hörte es, wie man mit dem Herzen hört (Conf. 7, 10).

I n unzähligen Varianten h a t Augustin immer wieder das letzte u n d eigentliche F u n d a m e n t des ontologischen Gottesbegriffs wiederholt. Wenn auch immer unser Geist nur in einem Augenblick zitternden Gesichts zu dem gelangt, was ist, ad id, quod est, ohne d a ß wir die Schärfe des Geistes darauf gerichtet halten können, so berühren wir doch in einem Augenblick der Erkenntnis, transcendentes mentes nostras, die Wahrheit, die Leben ist, durch die alles ist, was war, ist und was sein wird, die aber nicht selber wird, kein Vergehen u n d kein Werden kennt u n d allein das reine Sein ist. I n Gott ist die wesenhafte Einheit von Essenz u n d Existenz, er ist der, qui non aliquo modo est, sed quod est, est (Conf. 13, 21). I n ihm ist die wesenhafte Koinzidenz aller seiner A t t r i b u t e . Simpliciter et multipliciter infinito in se fine est, quod est, et sibi notum est et sibi sufficit incommutabiliter copiosa unitatis magnitudine. E r ist die Einheit von Sein, Erkennen u n d Wollen, sein Wille ist nicht außer seiner Substanz, er ist der summe bonus, quia summe est, der einzige, dem Leben soviel ist wie selig leben, weil er selber die Seligkeit u n d ewige R u h e ist. Diese absolute Einheit Gottes bedingt die n o t w e n d i g e K o m m u t a b i l i t ä t d e r D i n g e u n d auch der menschlichen Seele, weil es f ü r den Körper nicht dasselbe ist, zu sein u n d schön zu sein, sonst k ö n n t e er ja niemals formlos sein, ebenso wie es f ü r den geschaffenen Geist nicht dasselbe ist, zu leben u n d weise zu leben, sonst wäre er die u n w a n d e l b a r e Weisheit. Dennoch aber richtet sich nach der Koinzidenz der A t t r i b u t e in Gott die Konvertibilität der Transzendentalien im Geschöpf, also jener weitere K e r n p u n k t der realistischen Ontologie, wonach alles Sein zugleich wahr und gut u n d schön ist. Das aber ist zugleich die Lösung B-2*

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der Frage nach dem Bösen. Das Geschaffene ist weder völlig absolutes Sein noch völlig Nichtsein, es ist Sein, weil es von Gott ist, Nichtsein, weil es das, was Gott ist, nicht ist. Denn das allein hat in Wahrheit Sein, was unveränderlich verharrt. Es gibt also ein Gutes, das zugrunde gehen kann, weil es zwar nicht das höchste Gut ist, aber nur deswegen vergänglich sein kann, sofern es ein Gut ist. Verlöre es alles Gute, so wäre es gar nicht mehr. Solange es ist, ist es gut. Alles was ist, ist gut, das Böse aber ist keine Wirklichkeit. Wäre es Wirklichkeit, so müßte es eben gut sein, in Wirklichkeit hat also nichts Sein, als was Gott geschaffen hat. Keine zweite Wesenheit kann störend in seine Ordnung eingreifen, nichts 10 seiner unendlichen Kraft widerstehen und die scheinbare Unordnung ist nur Verkehrtheit des Willens oder mangelhafte Zusammenschau der Dinge in der Ganzheit der ewigen Ordnung (Gonf. 7, 11). Soweit führt zunächst die geistige Wende Augustins durch den Neuplatonismus und durch Ambrosius. Die Problematik des Seins und Nichtseins der Kreatur, ihrer Kommutabilität und inkommutablen substantialen Form hat er trotz mancher Versuche niemals klar gelöst. Auf Grund seiner passivistischen Erkenntnismetaphysik mußte er immer von der Ontologie des absoluten und des substantiellen Seins zu der persönlichen Aufgabe der sapientia fortschreiten, die erst den homo spiritualis macht, nämlich die Wahrheit nicht nur zu erkennen sucht, sondern sie in Gott zu genießen verlangt. 20 Von viel größerer Bedeutsamkeit aber ist die r e l i g i ö s e Wende Augustins, denn aus ihr, nicht aus dem Neuplatonismus, geht der eigentliche Kern seiner theozentrischen Metaphysik hervor, die philosophische Erfassung des schöpferischen Gottesgeistes. Es ist ein Paradox, daß gerade Augustin, der die Eigentätigkeit des Menschengeistes aus seinem Passivismus heraus erkenntnismetaphysisch anfänglich verfehlt hat, die wichtigste Entdeckung der abendländischen Geistesgeschichte gemacht hat, den s c h ö p f e r i s c h e n G e i s t als einzig absolute Wirklichkeit. Glücklicherweise kann dies Paradox an der H a n d von zwei Dokumentenreihen völlig aufgeklärt werden, aus dem Selbstbericht der Confessionen und der parallelen Entwicklung seiner Doktrin in den philosophischen Jugendwerken von 386—395. 30 Das siebente Buch der Confessionen f ü h r t gerade bis zur Erfassung des absoluten Seins als unkörperlicher Wirklichkeit. Nun schildert Augustin seine weitere innere Wandlung, wie er von der intellektualistischen Auffassung Christi als des Lehrers, des Mannes von glänzender übergroßer Weisheit, zum positiven Christentum vordrang. Das ist die psychologisch überaus feinsinnige Zeichnung seiner persönlichen Wende, wie ihn zunächst die Lektüre der Paulusbriefe und das Vorbild eines Intellektuellen, des Rhetors Victorinus, der nicht nur esoterisch Christ sein wollte, sondern sich schließlich öffentlich zur Kirche bekannte, und dann das Vorbild eines ungelehrten Willensmenschen, des Offiziers Pontitianus, der ergriffen von der Vita Antonii sich völlig von der Welt zurückzieht, in die äußerste Verwirrung des Willens stürzt, in einen gewaltigen Sturm der 40 Seele, und wie ihn schließlich unter Strömen von Tränen das entscheidende Gefühlserlebnis der Gottesfügung völlig umwandelt (Conf. 8, 12). Und nun verrät die innere Form der Confessionen indirekt, wie die oben angezeigte Lücke der Intellectus-agensLehre als Voraussetzung der Erfassung des Schöpfergeistes einen gewissen Ersatz in der Memoria-Lehre des 10. Buches findet, bevor die enthusiastisch gesteigerte Enthüllung der Schöpfermetaphysik in den drei letzten Büchern der Confessionen beginnt. Es ist sehr bezeichnend, daß er f ü r seine passivistische Erkenntnismetaphysik gerade die Memoria als Seinsgrundlage der Seele wählt, das Informiertwerden der beinahe unendlich weiten innern Welt ohne Raum, das dann doch durch die willentliche Aufmerksamkeit der geistigen Kombinationstätigkeit fähig ist. SO

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Und denselben Weg zur metaphysischen Hauptlehre Augustins zeigen die philosophischen Jugendschriften. Den Gefühlsmenschen Augustin kann die akademische Wahrheitsforschung in ihrer Ziellosigkeit nicht befriedigen, er sucht den Besitz der Wahrheit und Weisheit (Contra Academicos 386), die ihm erst religiöses Leben ist, als die perfecta dei cognitio (de beata vita 386). Den schöngeistigen Gefühlsmenschen stört das Böse ID der Welt, so sucht er ihre harmonische gottgesetzte Ordnung (De ordine 386). In den Snliloquien (387) glaubt er schon die personalistische Essenz der Seele in ihrer geistigen Vollendung in Glaube, Hoffnung und Liebe um den Zentralpunkt der Weisheit erfaßt zu haben, ihre Inkommutabilität und Unsterblichkeit als subiectum veritatis. Das genialste und formloseste dieser sonst mit so feiner H u m a n i t ä t geschriebenen opuscula, das später von ihm so kritisch betrachtete Buch de immortalitate animae ist der Höhepunkt seines passivistischen Personalismus, weil er nun endlich die Inkommutabilität der Seele durch die Information mit den unvergänglichen Wahrheiten und durch Gott selbst zu erkennen glaubt, von denen die Seele ihr Wesen hat, so daß sie" dann erst den Körper bildet, wie die Weltseele die Welt. I n de quantitate animae (388) macht er die geniale Entdeckung der quantitas virtutis, der seelischen Intensität, die im Gegensatz zur quantitas molis allein unendlich sein kann, so daß n u n das Hauptwerk dieser Zeit, de libero arbitrio (388) die allmächtige lex aeterno als den normgebenden und seingebenden Gotteswillen verkünden kann, als die vita scientiae, das selbstbewußte Leben mit der wahren Willensfreiheit vollkommener Fügung in die Wahrheit, als das absolute und wirklichste höchste Gut. De genesi contra manichaeos (389) nimmt schon die schöpferische Geistlehre der Confessionen vorweg und de vera religione (390) nimmt die historische, prophetische und positive Religion zur Grundlage der geistigen Analysis der Wirklichkeit in der rein metaphysisch aprioristischen Erfassung der Einheit als des ersten Transzendentale der Wesenheit. Hier ist der Grund der regulae numerorum und sapientiae, der logischen und sittlichen Werte aufgedeckt, Gott als das Leben der Seele erkannt. Man kann behaupten, daß es keinen Philosophen gibt, dessen geistiger Weg mit ähnlicher Sicherheit verfolgt werden könnte. Der Mangel einer Intellectus-agens-Lehre als Ausgangspunkt f ü r die Erfassung des schöpferischen Geistes wird durch den Schöpfergedanken der positiven Religion, den biblischen Schöpfungsbericht ausgeglichen und durch die altchristliche Lehre vom persönlichen dreifaltigen Leben in Gott, und m a n wird auch an ein volkspersönliches Bildungeelement denken müssen, an den römischen Imperiumsgedanken und die formulierte lex aelerna-Lehre bei Cicero. Schließlich hat gerade der übertriebene Personalismus Augustins in der Metaphysik der Seele eigenartige Vorteile für die Erfassung des absoluten Geistes, sofern die Weisheit der Teilnahme an den ewigen Ideen, wie sie in den summi homines und den Gottesfreunden allein verwirklicht ist, die Wiederherstellung, die reformatio des geistigen Idealmenschen, des homo spiritualis bedeutet, in dem alles sinnlich Vergängliche und Veränderliche überwunden und vergessen ist.

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Augustin fragt zunächst nach der Art des schöpferischen Worts, durch das im Anfang Himmel und Erde geschaffen sind (Conf. 11, 3ff.). Damit begründet er kritisch den s c h ö p f e r i s c h e n R e a l i s m u s d e s a b s o l u t e n G e i s t e s , den man nach der neuzeitlichen Terminologie einen transzendentalen Idealismus des intellectus archetypus nennen könnte. Hier wird ja wirklich vom Geist der ordo in der Welt und in der Seele gesetzt, während im subjektiven Idealismus der Menschengeist nur so denkt, als ob er Gesetzgeber wäre. Diese Auffassung ist zunächst als das spätere Lehrstück der scientia visionis, als die schöpferische Schau zu kennzeichnen. Augustin selbst kennt den Ausdruck noch nicht, redet aber vom

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ewigen Wissen, der ewigen Weisheit. Er hebt den fundamentalen Unterschied von unserm Schauen in der Zeit, unsern visiones temporales, und

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von unserm rezeptiven Wissen hervor. Wir sehen das, was Gott geschaffen, weil es ist, für Gott aber sind die Dinge, weil er sie sieht. Tu autem quia vides ea, sunt und nochmals: non ideo novit quia sunt, sed ideo sunt quia novit. Gott erkennt die Dinge nicht, weil sie sind, sondern weil er sie sieht, sind sie (De trin, 15, 14). Der Ort seiner Erkenntnis ist nicht wie für uns ein Draußen der Daseins- und ein Innen der Soseinserkenntnis. Das ewige Wort ist schon vor der Erschaffung reine Selbsterkenntnis. Es gibt keine Zeit in der Art seiner schöpferischen Schau, in seiner visio sine tempore. In dem gleichewigen Wort ist alles einmal und zugleich gesehen und gesprochen in der Ewigkeit. Das Schöpferische der scientia visionis wird auch allein im Bild des artifex aeternus, des ewigen Künstlers hervorgehoben, wobei wiederum die endliche Künstlerschaft zum Verständnis des ganz anderen Schaffens in Gott dient, da sein Schaffen ohne Stoff ein allmächtiges Schaffen ist und alles zu einer von uns nur zu erahnenden Gesamtharmonie fügt, dem Carmen universitatis, dem Weltgedicht, ein condere et administrare ex intimo ac summo causarum cardine durch den Schöpfer aller Dinge ist, bei dem principaliter alles Maß, Zahl und Gewicht und der ineffabilis potentatus ruht. Der Haupttext der Lehre vom schöpferischen Geist wird an die L o g o s lehre angeknüpft. Die Abhebung vom irdischen Künstler führt via negationis et eminentiae zur Erkenntnis, daß beim Schaffen nicht das Bilden eines Körpers aus einem andern stattfindet, dem nur eine Form, ein Gesicht aufgeprägt würde, wie es der Künstler mit innerm Auge drinnen gesehen, sofern er die Kunst erfaßt und nach der im Innern richtenden Wahrheit mit den körperlichen Sinnen aus gegebenem Stoff bildet. Gott hat in keinem Raum und in keiner Zeit Himmel und Erde geschaffen, denn da war nichts, wo das All hätte werden können, ehe es ins Sein getreten ist. E r hat also gesprochen und es war, in seinem Wort hat er es gesprochen. Dies Wort ist kein verklingendes, sondern ein zeitloses in ewiger Stille, in dem alles einmal und zugleich gesprochen wird in der Ewigkeit, denn sonst wäre es anders und wäre Zeit und Wandel und nicht Inkommutabilität. Gott spricht also mit seinem verbum coaeternum alles und es geschieht alles, was er befiehlt, quae dicendo facit, und doch geschieht nicht einmal und in Ewigkeit alles, was er schafft. Alles beginnt zu sein und hört auf zu sein, wann sein notwendiger Anfang oder sein Ende im ewigen Geist erkannt wird, in dem selber es weder Anfang noch Ende gibt. In dem Bestimmen, dem erkennenden Wollen des Anfangs klingt schon die spätere Lehre der scientia approbationis, der willentlichen Wirklichsetzung der ewigen Gedanken an. Denn das Wort ist zugleich das principium, Ursache und jener Anfang, in dem Gott die Welt geschaffen hat. Damit ergibt sich die eigentliche Aporie der Schöpfung und der ewigen Welt. Wenn der Wille Gottes, daß eine Schöpfung sei, ewig ist, und sein Wille ist j a nicht Kreatur, sondern gehört zu Gottes Substanz, warum war dann die Schöpfung nicht ewig

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wie der Wille ? (Conf. 11, 10). Die Aporie entsteht nur dadurch, d a ß unser flatterndes Herz, unser diskursives Denken die mit der Zeit unvergleichliche Ewigkeit nicht fassen kann, in der nichts vorübergeht, und alles immer ganz gegenwärtig ist in dem ewigen Heute, in dem das Wort gezeugt ist. E s gibt eben keine echt unendliche Zeit, weil die Zeit objektiv mit der Welt entstanden ist, nullum tempus sine creatura, und zugleich s u b j e k t i v einen endlichen Geist braucht, der die Zeit nach den mutationes rerurn in einer „ a u s d e h n t e n " Seele zu messen vermag. Das ist die Augustin von den Erkenntnistheoretikern so hoch angerechnete Zeitlehre des 11. Buchs der Confessionen, die aber nur dazu eingeschoben ist, um schließlich an der Idee eines endlichen Geistes von so großem Wissen und so großer Voraussicht, daß alles Vergangene und Künftige ihm bekannt wäre wie ein vertrautes Lied, die ganz andere, weit geheimnisvollere Art der ewigen schöpferischen Schau zu zeigen, den contuitus simplicissimus ohne das continuum und tempus unseres diskursiven Erkennens. Das Wort aber ist die W a h r h e i t . Damit ist die Verknüpfung zur ontologischen Gotteslehre gegeben. Das ist Wahrheit, was zeigt, was ist, das verbum in principio. Das ist die Wahrheit, die das erfüllen kann und das sein kann, was sie selber ist, nämlich das principale unurn der unitas ipsa, durch die allein das absolute Sein, das esse ipsum in der Konvertibilität der drei Transzendentalien besteht. Alles übrige Sein kann ihr nur ähnlich sein, denn alle Falschheit und Veränderlichkeit entsteht nur durch die Abweichung von der unitas, und was so zur Unähnlichkeit mit der Einheit tendiert, ahmt zwar das eine nach, vermag es aber nicht aus sich selber voll nachzuahmen. E s ist konstant, sofern es die Einheit nacha h m t , aber veränderlich inquantum implere non potest. Die similitudo mit der absoluten Einheit ist die ontologische Wahrheit der Dinge und die veritas ipsa ist die forma verorum, das Vorbild, die Exemplarursache der ontologisch wahren Dinge, wie j e d e similitudo die forma similium ist. Alle Täuschung beruht also nicht in den Dingen selbst, sondern in der sündigen Vernachlässigung der absoluten Wahrheit, sofern die Werke des Schöpfers für das Sein, die K u n s t und den Künstler selbst gehalten werden. Das ist die metaphysische Idolatrie, die Verwechslung der endlichen Welt mit dem unendlichen Gott (De vera religione 36). Eine unmittelbare neuplatonische Seinspartizipation, die in der Wahrheit als forma omnium quae sunt gefunden werden könnte, wird beseitigt durch die phänomenologische Bestimmung der Wahrheit als lex omnium artium. Der Mensch erfaßt im Aufstieg seiner spirituellen Lebensalter schließlich aus den numeri und formae in den Dingen selbst und aus seiner eigenen Künstlertätigkeit, in der schon die Einheit und convenientia aller Verhältnisse in zeit- und raumloser Macht wirksam ist, schließlich den unendlichen Künstlergeist selbst. D a kein Ding sich selber formieren kann, müssen alle von einem andern Prinzip geformt sein, so daß sie nach ihrer

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A r t i m s t a n d e sind, ihr Wesensgesetz i n R a u m u n d Zeit zu erfüllen, implere adque agere locorum et temporum numeros. U n t e r diesem Gesichtsp u n k t h e i ß t die ewige W a h r h e i t Providentia u n d ist sie jenes gesuchte höhere D r i t t e ü b e r d e n numeri impressi in den Dingen u n d ü b e r d e m s e l b s t b e w u ß t e n Geist, die ars omnipotentis artificis, wonach v o n u n s alles zu beurteilen ist, u n d die Quelle der artes u n d leges, die n i c h t in u n s selber sein k a n n . So ist sie zugleich die lex aeterno,, die der irdische Gesetzgeber zu R a t e zieht, wenn er das zeitliche positive Gesetz v e r k ü n d e t . Sie ist das, qua justum est ut omnia sunt ordinatissima u n d w o n a c h d e r spiritualis homo alles b e u r t e i l t . Die i m m a n e n t e K e i m k r a f t und F o r m k r a f t der vis seminum in d e n Dingen selbst, die das ganze Leben d e r A r t e n b e s t i m m t u n d unsere eigene technische u n d künstlerische Tätigkeit, weist ferner d a r a u f hin, d a ß die geistige L e b e n s m a c h t als modus ordinis vivit in veritate perpetua, d a ß die W a h r h e i t L e b e n i s t n i c h t durch Masse, sedpotentia super omnes locos magna et aeternitate super omnia tempora immobilis. Der summus modus, die ewige W a h r h e i t u n d Schönheit ist weder d u r c h das Endliche n o c h d u r c h d a s U n e n d l i c h e veränderlich, weil der V a t e r der W a h r h e i t absolut einfach ist, o h n e j e d e Unähnlichkeit, d a er j a de ipso est, alles andere aber per ipsum et ad ipsum est d u r c h die conversio, die R ü c k w e n d u n g u n d R ü c k v e r b i n d u n g zur W a h r h e i t . Das absolute Leben ist das einzige, d e m L e b e n soviel ist wie Seligleben, das d a r u m die Welt nicht aus Bedürfnis, n u r a u s der Fülle der Güte geschaffen h a b e n k a n n u n d eo das unendliche G u t ist, weil es unendlich i s t . Die K o n v e r t i b i l i t ä t d e r Transzendentalien des absoluten Lebens d e u t e t e n d l i c h d a s oberste Geheimnis der positiven Religion, der T r i n i t ä t an. Schon i n u n s e r m L e b e n sind die drei Dinge, Sein, E r k e n n e n u n d Wollen u n z e r t r e n n l i c h , das eine Ich ist, e r k e n n t u n d will, ist e r k e n n e n d u n d wollend, will seiend u n d erkennend. E i n Unterschied ist hier k a u m e r k e n n b a r , alles ist ein einziges Leben, ein einziger Geist, ein einziges Sein. Freilich ist d a m i t die Dreieinigkeit noch keineswegs e r k a n n t , a b e r weil der geistige Mensch Bild und Gleichnis der ewigen Weisheit i6t, so m u ß dies Bild z u m V e r s t ä n d n i s d e r T r i n i t ä t herangezogen werden u n d d a r u m gilt i h m der spekulative Teil des systematischen H a u p t w e r k s Augustins, die l e t z t e n B ü c h e r De t r i n i t a t e , die Vollendung der persönlichen G o t t e s l e h r e . Sie f ü h r e n m e t a p h y s i s c h nicht m e h r über das E r reichte h i n a u s , u n d so liegt ihre ganze B e d e u t u n g in der M e t a p h y s i k der Seele, die sie entwickeln. 2. D I E M E T A P H Y S I K D E R S E E L E Die a u g u s t i n i s c h e Anthropologie ist deswegen so sehr problematisch, weil sie in ihrer Grundeinstellung theozentrisch i s t , weil alles sozusagen in der h ö h e r e n Geometrie der g o t t z u g e w a n d t e n Seele ausgesagt ist u n d die schlicht ontologischen u n d p h ä n o m e n a l e n Aussagen t r o t z ihrer u n e r -

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hörten Fülle dadurch eine zweckhafte Verschiebung erfahren. Man kann Augustin nicht vom Fehler der Sphärenvermischung freisprechen, von einem religiösen P e r s o n a l i s m u s , der die gottbezogene Persönlichkeit, diese seine erhabenste Entdeckung, auch innerhalb der Philosophie nicht reinlich genug von der Geistnatur, vom natürlichen Sein des Menschen scheidet. Schon Thomas von Aquin hat in der zaghaften Polemik gegen diese reine Erkenntnismetaphysik ihren Fehler erkannt, daß nämlich Augustin bloß vom Geist spricht, sofern er sich erkennt und sich liebt, also von der Persönlichkeit als totum potestativum, wie auch 10 Albert der Große schon gesagt hatte, nicht aber vom totum universale, von der substantialen Form der Seele. Diese ausschließliche Betrachtung der Seele als Persönlichkeit ging in seiner Frühzeit so weit, daß er den später selber von ihm verworfenen objektiv idealistischen Satz wagte, per attimam ergo corpus subsistit et in ipsa est quo animatur, um die Zentaurennatur des Menschen, seine Monstrosität aus Geist und Sinnlichkeit soweit als möglich in die Unveränderlichkeit des Geistigen aufzunehmen. Die Information mit den ewigen Werten erst stiftet die Inkommutabilität und Immortalität der Seele, Gott ist die Seele der Seele. Ihre Veränderlichkeit wird nur in ihre Affektionen, ihre perversitates 20 zum Kreatürlichen und ihre aversio a deo verlegt. Ihre Unsterblichkeit liegt nur in ihrer persönlichen Werterfassung und damit ist ihre substantielle Geistnatur verfehlt. Das eigentliche Sein ist ja Augustin nur theozentrisch im Absoluten gelegen, so daß eine Eigenwirklichkeit der causae secundae mit spontaner Aktivität nicht mehr sichtbar ist.

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Allein Augustin ist ein viel zu scharfer Beobachter und Selbstbeobachter, um ganz bei diesem nur passivistischen Geformtsein der Seele als subieetum disciplinae stehen zu bleiben. Er hat vor allem in der Memoria-Lehre der Confessionen und in der symbolischen Psychologie von De trinitate eine Unsumme v o n feinsten Beobachtungen ausgebreitet, blieb aber damit notwendig in der Sphäre der bloßen Phänomene ohne metaphysisch zum Noumenon vorzudringen. Das äußert sich sehr interessant gerade dadurch, daß er die Entdeckung des Unterbewußtseins macht, daß er das wegen der Bewußtsemsenge der wachen Seele nicht völlig Durchschaubare als ihren passiv-aktiven Grund hinstellt. Nur der Geist selber, der drinnen ist, weiß, was im Menschen vorgeht. Dennoch erkennen wir uns selber nicht ganz, vor allem nicht den Grund unserer Veränderlichkeit. Gerade der Zweifel an einer phänomenologischen 'Wesenserkenntnis treibt ihn zur Forderung einer aprioristischen Wesensschau der Seele durch direkte Erleuchtung Gottes. Auch die andern Menschen können wir nach dieser allgemeinen Seelenerkenntnis beurteilen und so die Richtigkeit ihrer psychologischen Aussagen erkennen. Das Vernommene drinnen in der Seele selber mit der Wahrheit vergleichen zu können, das ist jenes Licht, anders als das irdische, jenes innere A u g e und Ohr, das das Allgemeingültige als rationes aeternas faßt. So ist der geistige Charakter der Seele in aller Schärfe erfaßt, ihr phänomenales Verhältnis zu den ewigen Werten, das dann aber theozentrisch als Illumination und Information durch Gott, als theologisches Apriori gedeutet wird. A b e r Augustin findet auch einige metaphysische Erkenntnisse, so jene von der transzendenten K r a f t der Seele in ihrer allgemeingültigen Organisation, nach der das Ich mit jedem Sinn nach seinem Sitz und A m t tätig ist. Aber er bleibt staunend und schaudernd vor der großen Lebenskraft des Menschen stehen: was ist mein Sein? Ein Leben mannigfach und vielgestaltig, ein kraftvoll unermeßlich reiches Leben! Der

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religiöse Gefühlsmensch strebt, nachdem er wie im Flug die Anthropologie der innern Erfahrung begründet h a t , sofort wieder der Prägung der Persönlichkeit durch die ewigen Wahrheiten zu, ohne weiter beim metaphysischen A u f b a u der innern Erfahrungen stehen zu bleiben. Allein es t r a t noch ein drittes Mal die Aufgabe an ihn heran, die Metaphysik der Seele seiner theozentrischen Spekulation zugrunde zu legen, als er die Trinität verstehen wollte. Und j e t z t war die Gefahr, in Personalismus stecken zu bleiben, doppelt groß, weil ja ein dreipersönliches Leben verstanden werden sollte und die drei Seelenkräfte dem Symbol nach geradezu zu Personen erhöht werden mußten. Die pseudometaphysische Konstruktion des impar imago, attamen imago war von vornherein gegeben. Seelendreiheiten m u ß t e n als substantielle und doch wieder nicht substantielle Dreieinigkeit in einer essentia gezeigt werden. Das Resultat war eine geniale metaphysische Begründung der absoluten dreipersönlichen N a t u r in einem scheinbar metaphysischen Bild der endlichen Persönlichkeit, von der es deswegen keine Metaphysik geben kann, weil nur die Seele selbst, nicht aber dies Habitusgefüge Geistnatur ist. E r hat zunächst die Liebe, den Liebenden und das Geliebte, die Tätigkeit, die aktuelle K r a f t und das geistig immanente Objekt j e als eine vita quaedam, eine quasi lebendige Akteinheit zu verstehen gesucht. D a er zunächst den Geist als Ganzheit u n d Fürsichsein f a ß t , n i m m t er auch die Selbsterkenntnis und Selbstliebe, wenn sie eine vollkommene ist, als substantialiter esse. E s bleibt also in der Selbstliebe und Selbsterkenntnis der vollbewußten Persönlichkeit die Trinität von mens, amor, notitia u n d die Akteinheit der Einzelnen wird t r o t z ihrer Bezogenheit nicht getrennt, sowie körperlich der Freund vom Freund getrennt werden k a n n , u n d auch nicht vermischt, so daß jedes einzelne eine Substanz ist und alle zugleich eine Wesenheit (IX, 4, 5).

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Allein nun kommt wieder in geradezu frappantem Umschlag der nüchterne kritische Genius Augustins zur Geltung. Er durchschaut selber seinen bisherigen Personalismus und lenkt zum k r i t i s c h - s c h ö p f e r i s c h e n R e a l i s m u s d e r G e i s t n a t u r hin. In der persönlichen Selbsterkenntnis und Selbstliebe erkennen und lieben wir zwar nichts Veränderliches, sonst würde der Mensch niemals seinen Geist aussprechen, 30 wenn er seine persönliche Aktualität und Phänomenalität beobachtet. Anders aber noch spricht er den menschlichen Geist in der Art- und Gattungserkenntnis aus, nämlich wenn er schaut, erkennt und anerkennt, wie diese Geistnatur des Menschen nach den rationes sempiternae sein muß, den Regeln, die über unserm Geist unveränderlich bleiben nach dem unerschütterlichen Judicium veritatis über allem Empirischen, sowie der geometrisch reine Bogen über irgendeinem verwirklichten in intellektueller Anschauung erfaßt werden kann ( I X , 6). Nun t r i t t aber nochmals ein retardierendes Moment auf. Das Natursein des Menschen interessiert Augustin nicht eigentlich. Die forma, secundum quam sumus et secundum quam vera et recta ratione aliquid operamur wird sofort wieder in theozentrischem Interesse als religiöse Persönlichkeit betrachtet. Die concepta rerum verax notitia wird als das erzeugte innere Wort verstanden, das höher ist als jede Sprache. Die Hereinholung der logischen W e r t e in der Seele ist eine innere Zeugung, wenn der Wert nicht nur a b s t r a k t erkannt, sondern auch persönlich liebend a n e r k a n n t wird ( I X , 7). Diese lebendige Erkenntnis unseres unveränderlichen Wesens, die uns erst zur spirituellen Persönlichkeit informiert, als die geistige Gerechtigkeit erfreut, j a uns G o t t konformiert, ist die wahre Gottähnlichkeit über die bloße imago hinaus. W e n n so die Seele selbst Ursache ihrer Selbsterkenntnis ist, weil sie erkennbar ist, ist sie selbst Zeugendes und Gezeugtes, und wie der Zeugung des Geistes ein Streben nach der Selbsterkenntnis vor-

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hergeht, wird sie selbst Liebe und umfaßt liebend die Selbsterkenntnis, ist also auch so wieder ein Bild des dreipersönlichen Gottes.

Erst vom Leben der Persönlichkeit aus wird die entscheidende Frage der Seelenmetaphysik geklärt. Wie der Mensch durch seine geistige Natur und die logischen und sittlichen Werte und durch Gott informiert sein kann, kann er auch durch körperliche Bilder informiert werden und förmlich mit ihnen in seinem empirischen Leben verkleben. Das ist der Grund, warum die antike Philosophie Luft, Feuer, Blut oder Gehirn mit dem Subjekt der Seele verwechselte, weil sie sich keine unkörperliche Natur vorstellen konnte. Erst wenn der Geist seiner universalen Natur naturgemäß nachlebt, dem Befehl der Selbsterkenntnis folgt, unterscheidet er sich von dem, was nicht er selbst ist, um aus dem persönlichen Ich zu erkennen, daß er als intelligibilis lebt, sich erinnert und will. Der Geist erkennt sich also als Substanz, nicht als Intelligenz, in einem Subjekt, das nicht er selber ist. Aus der gegenseitigen Durchdringung von memoria, intelligentia und voluntas wird ihre Totalität als ein Leben, ein Geist, e i n e Wesenheit erkannt, nicht als drei Substanzen, Leben oder Geister, obgleich ihr relatives Fürsichsein immer noch um des Trinitätsbildes willen doch als Substanz bezeichnet werden muß ( X , 9). Erst die weitere Erörterung der dreifachen Synthesis im Sinnesakt, wo das Objekt und seine Erfassung durch die intentio animae verbunden wird, und andere Überlegungen über die Aktivität des Geistes, machen langsam erst für Augustin den Weg zur eigenen Kritik seines Personalismus frei, wie er sie im 15. Buch De trinitate geleistet hat. Der verhaltene Enthusiasmus des 60jährigen Augustin in diesem letzten Buch seines metaphysischen Hauptwerks ist nicht geringer als der des Vierzigjährigen in den letzten Büchern der Confessionen. Aber Augustin besitzt jetzt die unerhörte Meisterschaft über all seine eigenen Doktrinen und seine eigene Arbeit, um aus dem Vergleich seiner schöpferisch-realistischen Gotteslehre mit dem menschlichen Geist auch für diesen den vollen kritischen Realismus zu gewinnen. Der unterscheidende und bewertende Geist erkennt aus der universarum ipsa rerurn natura die 12 absoluten und konvertiblen Attribute der obersten Substanz, die eigentlich und allein essentia genannt werden müßte. J e vier davon sind auf besonders bezeichnende drei zurückzuführen, die Ewigkeit, Weisheit und Seligkeit als Ausdruck des notwendigen geistigen Lebens und diese drei sind schließlich auf das eine, die sapientia dei zurückzuführen. Sie ist die Trinität von Wissen, Selbsterkenntnis und Selbstliebe in notwendiger und natürlicher Einheit. Im Menschen aber sind diese drei so, daß sie nicht selber der Mensch sind, er ist zwar ein vernünftiges, aber ein sterbliches Wesen. Er ist nur eine Person, die alle drei Attribute im Geiste hat, aber keins derselben wesentlich ist. In Gott allein nur ist die Weisheit, sein Selbstbewußtsein und seine Selbstliebe nach der Koinzidenz der Attribute nichts anderes in ihrer Ganzheit als Gott selbst.

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Diesem absoluten Wissen stehen wir gegenüber als endlich, weil wir nicht einmal unser eigenes Wissen ganz und zugleich besitzen, Vergangenes und Zukünftiges nicht in einem contuitus haben, wie das schöpferische Wissen, das in einer einzigen Vision das Ganze umfaßt, das es kennt. Unsere Abhängigkeit von draußen gegebenen Objekten und dem Geiste vorgegebenen logischen Werten der innern Erkenntnis, diese notwendige Passivität unserer Erkenntnis, wird hier endlich überwunden durch die Zusammenfassung der erkenntnistheoretischen Beobachtungen im Begriff der visio cogitationis, der Aktivität unseres Geistes wenigstens in der Persönlichkeitssphäre, die die visio scientiae, die passive Werterkenntnis in tätiges aktuales Denken umwandelt. Aber kaum ist nun dieser Begriff des tätigen Menschengeistes gefunden, so wird er auch sofort schon wieder auf den absoluten Geist angewendet, der nicht objektabhängig ist und alle seine Kreaturen, die geistigen und körperlichen nicht darum kennt, weil sie sind, sondern durch seine schöpferische Schau ins Dasein ruft. Er wußte ja, was er schaffen wollte und kennt die creata nicht anders als creanda. Seine Weisheit hat keine Vorgegebenheit durch sie, sondern bleibt wie sie war, auch als sie existierten, wie und wann es sein sollte. Seine Weisheit ist ja seine Existenz. Die Endlichkeit der Kreatur aber ist damit aufgedeckt, daß ihr Wissen nicht ihr Sein ist, weil ihr Wissen verlierbar und zurückgewinnbar ist ( X V , 13). Von der realontologischen Unterscheidung des Seins und Denkens aus findet Augustin zuletzt die natura animi als den Träger jener Wahrheiten, die unmittelbar aus dem tätigen Selbstbewußtsein hervorgehen und unerschütterlich gegen die Akademiker zu halten sind. Sie gehören zur praesentia, zu den innern Gegebenheiten der Geistnatur selbst, z. B. daß wir wissen, weil wir leben, denken, wollen und selig sein wollen. Jetzt erst ergibt sich eine haltbare Unsterblichkeitsableitung, denn nun ist kein dauerndes aktuelles Denken dieser scientia sempiterna in animo mehr nötig, es genügt das potentielle Wissen, die allgemeingültige Organisation des Geistes, die in der Natur der Seele nicht aufhören kann, die possibilitas cogitationis. D i e r e a l e , n a t ü r l i c h f u n d i e r t e F ä h i g k e i t der cogitatio scientiae i s t n u n A u g u s t i n s e i g e n e L e h r e vom t ä t i g e n G e i s t . Es ist seine Signatur, die ewigen Werte erfassen zu können, ein formabile nondum formatum zu sein und die Freiheit zu besitzen, volubile motione sich seinem Objekt zuzuwenden (XV, 15). Auch die Liebe und der Wille sind nun als intuitus cogitationis zu verstehen, als appetitus naturalis in der Durchdringung mit dem Geist, durch den er recta voluntas wird und mit der memoria principalis, durch die er die Erfassung der scientia ist. So kann endlich die personalistische Verwechslung eines substantiellen Gedächtnisses, Geistes und Willens mit der allein realen Natur des Ich, das durch sie handelt, aufgehoben werden. Ich denke, gedenke und will, da ich nicht Gedächtnis, Einsicht und Liebe bin, sondern sie nur habe. Sie können von der Person ausgesagt werden, quae habet haec

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tria, non ipsa est haec tria, was n u r v o m reinen Geist auszusagen ist (XV, 21). U n d n u n erst gelingt i h m a u c h der E n t w u r f des richtigen P e r s ö n l i c h k e i t s b e g r i f f s . I m endlichen Geist sind unk5rperliche Größenunterschiede, I n t e n s i t ä t e n . I m einen ist das Gedächtnis intensiver als der Geist, i m a n d e r n u m g e k e h r t , in einem d r i t t e n überwiegt die Liebe beide. Selbst wenn wir d u r c h die u m w a n d e l n d e Gnade v o n aller Schwäche geheilt werden, gleichen wir doch nicht der w e s e n h a f t i m m u t a b l e n N a t u r (XV, 23). So h a t die intelligible A n s c h a u u n g , das intelligibiliter contueri, zuletzt doch noch zu einer kritischen, v o m symbolischen Analogiezwang befreiten Seelenmetaphysik g e f ü h r t , die leider ohne entscheidende Nachw i r k u n g geblieben ist. 3. D I E M E T A P H Y S I K D E R V E R Ä N D E R L I C H E N

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Augustins zentrale B e d e u t u n g f ü r die Metaphysik liegt in seiner theozentrischen W e n d u n g , d a ß er die Wirklichkeit nicht m e h r v o n der W e l t , sondern v o m schöpferischen Geist a u s sah u n d v o n der menschlichen Persönlichkeit aus zu erfassen strebte. I m Personalismus seiner J u g e n d zeit war die Welt i h m so gleichgültig, d a ß er den k ü h n e n , f a s t s u b j e k t i v idealistischen Satz wagen k o n n t e ; das, was meinen Augen erscheint u n d v o n mir e m p f u n d e n wird, als h a b e es E r d e u n d H i m m e l , aut quasi terram, aut quasi coelum, n e n n e ich Welt (Contra Academicos I I I , 11). D e m skeptisch Geschulten ist der Augenschein des scheinbaren Himmels u n d der scheinbaren E r d e die „ W e l t " , er e r k e n n t n u r die reine P h ä n o m e n a l i t ä t der Welt als gesichert a n u n d weiß, d a ß die Welt anders ist, als sie erscheint. E s ist der R ü c k z u g auf die Selbstgewißheit der i n n e r n E r f a h r u n g , der A u g u s t i n zunächst einmal z u m A u f b a u einer geistigen Welt zwingt, u m in ihr a n den Gegenständen der Geisteswissenschaften, d a n n a b e r a u c h in der P h ä n o m e n a l i t ä t d e r Sinne wissenschaftliche K o n s t a n t e n zu r e t t e n u n d d a m i t ü b e r h a u p t die Möglichkeit einer Wissenschaft. E s wiederholt sich also förmlich die Situation des Sokrates u n d P l a t o d e n Sophisten gegenüber. Augustin b e g r ü n d e t m i t d e n F r e u n d e n seiner Dialoge in einer n e u e n A k a d e m i e gemeinsamen geistigen Ringens u m eine echte Wissens c h a f t nochmals einen Piatonismus der i n n e r n Wesensschau, er e n t d e c k t n e u die Phänomenologie der i n n e r n E r f a h r u n g . Aber er h y p o s t a s i e r t die p h ä n o menologischen Gegebenheiten nicht zu einer Ideenwelt, sondern f u n d i e r t sie i m absoluten Schöpfergeist u n d l ä ß t sie v o n G o t t aus in u n m i t t e l b a r e r E r l e u c h t u n g d e m w a h r h e i t s c h a u e n d e n Geiste einstrahlen. D a s ist seine theozentrische u n d personale W e n d u n g der P a r t i z i p a t i o n a n den Ideen. Das s t a m m t nicht alles v o n i h m selbst, er h a t es n u n bis z u m schöpferischen Realismus der scientia visionis v e r t i e f t . Völlig n e u a b e r ist seine personalistische P h ä n o m e n o l o g i e d e r m e n s c h l i c h e n W e l t a n s c h a u u n g , d a ß er nämlich in d e m unermeßlich breiten L e b e n der Persönlichkeit b e s t i m m t e Gesetzmäßigkeiten des Weltanschauens e r k e n n t . D e m Personalismus der Weisheit, d e m Reich der Weisheit u n d Liebe in der

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Seele, das durch die Erkenntnis und Anerkenntnis der logischen und ethischen Werte zur absoluten Wirklichkeit führt, steht das regnum voluptatis und die vita libidinis gegenüber, aus der die variae opiniones der verschiedenen Philosophenschulen hervorgehen (De vera religione III). Augustin hat dieser seiner in der Konzeption völlig ausgebildeten Weltanschauungslehre fast das ganze Buch De vera religione gewidmet. Die Abhängigkeiten der phänomenologischen und axiologischen Welterfassung von der Persönlichkeit können hier nur kurz als die metaphysische Basis der daraus entwickelten Lehren angedeutet werden. Das ganze Gebiet der Mutabilitäten ist die Welt. Es ist der Abfall von der reinen Unveränderlichkeit Gottes, der das Bösesein und das Streben zum Nichts und zum Tod hervorbringt, aus dem Abfall aber folgt die Not und aus der Not der Neid. Das ist für den Menschen der Sturz aus dem Paradies in die Welt, der Abfall vom geistigen zum sinnlichen Gut. Da es nichts substantiell Böses gibt, ist das Böse überhaupt nur der inordinatus aspectus, das Abgleiten der Anschauung vom Obersten zum Untersten. Es ist die vanitas vanitantium, die Einbildung der Sinnlich-Vorstellenden, die sie in die multiformitas der Dinge stürzt, diese noch durch die wechselnden Affekte vermehrt und bis zu einer falschen Unendlichkeit zu erweitern strebt. Da sie aber doch nicht befriedigt werden kann von den vergänglichen Dingen, so liegt hier die Quelle des Leidens. Das Abgleiten der sinnlichen Anschauung von Gott zur Seele, von da zur vita genitalis, das ist zum Gesamtleben, von da zum Tier, dann zu den himmlischen Körpern und zum Kosmos, j a weiterhin bis zu bloßen Götterbildern und Phantasmen und schließlich zu den drei Hauptlastern als göttlichen Wesenheiten, das ist der natürliche Weg der Idolatrie. Nimm also hinweg die vanitantes und es wird kein Objekt der vanitas mehr bleiben.

Die Durchbrechung und Auflösung der falschen Anordnungen sinnlicher Gegebenheiten setzt schon eine weitere Wendung Augustins voraus. E r hat den Schritt von Plato zu Aristoteles, von der Phänomenologie der Werte zur universalen s u b s t a n t i a l e n F o r m i n d e n D i n g e n s e l b s t schon früh vollzogen. Die Problematik des Bösen trieb ihn von Anfang zur Erfassung der ontologischen Wahrheit in allen Seienden. Das eigentliche metaphysische Problem der Welt wurde für ihn die Veränderlichkeit der Dinge trotz ihrer realen unitas und numerositas, ihrer zahlenmäßig geordneten, proportionalen struetura. Die phänomenale Veränderlichkeit der Dinge ist freilich das unmittelbarste und schmerzlichste Erlebnis für jeden Menschen, aber sobald der täuschende Sinnenschein überwunden und die Wesenhaftigkeit der Dinge erkannt ist, taucht die Frage auf, wie die Dinge lügen und trügen können, da sie doch die intimi naturae termini, die formae corporis, den Frieden und die concordia ihrer Teile nicht überschreiten und die temporalis dispensatio und ordinatissima administratio, ihre Dienstbarkeit unter den ewigen Gesetzen nicht aufgeben können. Die Lösung liegt nur in der distinetio realis des Soseins und Daseins in allem endlichen Sein im Gegensatz zur Koinzidenz vom Sein und Wesen im Absoluten. Warum sind sie veränderlich ? Weil sie nicht absolut sind. Sie sind also gut, weil sie geschwächt werden können und geschwächt werden sie, weil sie nicht absolut gut sind.

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Die intellektuelle Anschauung zeigtiuns, quando purissime intelligit, die incommutabilis ratio und numerositas aeterno aller Soseinsverhalte, ihre ideale convenientia und unitas, ihre regula und forma, aber das endliche Sein selbst erstrebt sie, n u r ohne sie zu erreichen, implere nonpotest. Denn wenn es das Ideal erreichte, wäre es vollkommen gleich mit dem eigenen Sosein, es bestände kein Unterschied zwischen der N a t u r u n d der idealen Wesenheit. W e n n die Körper nicht durch eine Einheit zusammengehalten würden, wären die nichts, wenn sie die unitas ipsa wären, wären sie keine Körper. Jeder Körper ist zwar w a h r h a f t Körper, sed falsa unitas, aber keine vollkommene Einheit. Alles ist also nur soweit, als es einer ursprünglichen Einheit ähnlich ist. Die Wahrheit ist die Form aller wahren Dinge, die similitudo die forma similium. Selbst die reinen Geister sind also veränderlich, da sie nicht die absolute essentia und das summum bonum haben und der Mensch bekenne, daß er nicht die ipsa convenientia ist, seine volle Harmonie. Bei Augustin wird es besonders deutlich, daß die v o n i h m selber als erhaben bezeichnete und wegen ihrer völligen Formlosigkeit prinzipiell unerfahrbare, also metaphysische materia prima n u r der metaphysische Gegenstand, eine Funktion der distinctio realis ist. E r behandelt die Formlosigkeit ohne alle F o r m im 12. Buch der Confessionen anläßlich der Schöpfung aus dem Nichts und der Bibelworte: die Erde aber war wüst und leer, invisibilis et incomposita, wie er liest. Erst das völlige Absehen von der sinnlichen Vorstellung der Masse, von wechselnden Gestalten und häßlichen, wirr durcheinandergeworfenen Formen f ü h r t zum Schluß auf dies prope nihil, dies etwas, etwas zwischen Form und Nichts, das weder Form noch Nichts ist. Ihr geistiger Ort ist da, wo die Dinge aufhören zu sein, was sie waren, und anfangen zu sein, was sie nicht waren. Der Übergang von der einen F o r m zur andern geht durch das Formlose. Die Veränderlichkeit der zusammengesetzten Dinge ist also d a s Substrat der Formen, die raumlose capacitas formarum, aus der die veränderliche Welt besteht u n d nicht besteht, constat et non constat, in der die Veränderlichkeit selbst erscheint und in der die Zeit erfaßt und gezählt werden kann, ohne daß sie selber Zeit ist.

Aber auch die veränderliche Welt ist ein einziger Aufruf zur Betrachtung des Unveränderlichen. Jedes Ding ist veränderlich und formbar. Da 30 es sich aber nicht selbst formen kann, muß es von der forma omnium rerum geformt sein, durchleuchtet und durchgossen sein von dem Licht der numeri, der zahlenmäßigen Proportionen, und die impressio numerorum besitzen. In jenem geistigen Weltschauspiel und Weltgedicht, dem Agon und dem carmen pulcherrimum universitatis des ordo saeculorum muß es an einer bestimmten Stelle stehen und nach seiner Art implere atque agere locorum et temporum numeros, durch seine Tätigkeiten und Zwecke hingeordnet werden auf die Schönheit des Universums. Erst die falschheits- und fehlerlose Gesamtanschauung der Welt, die Zusammenschau, der contuitus und das in toto considerare erfaßt die Weltordnung und 40 befreit von der Einbildung der vanitantes. Die Aufdeckung der vielfachen Spuren der ersten Zahlen, die mit ihrer steigenden Einheitskraft die Stufenordnung der Dinge v o m untersten Gut, demKörper, ja von der materiaprima über das Leben und die vis seminum, das ist die latentes numeri totius animaIis, und das bewußte und persönliche Leben bis zum reinen Geist ausmachen, ist der eigentliche Zweck der Welt- und Lebensanschauung. Die ganze Welt ist symbolisch, sie ist der Hinweis auf das verhum aeternum. Diese ästhetische, realontologische und religiöse Betrachtung nimmt die Kosmologie völlig in ihren Theozentrismus auf, wie sie die Metaphysik der Seele im symbolischen Vergleich mit dem absoluten Geist gipfeln ließ.

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III. JOHANNES E R I U G E N A UND DIE METAPHYSIK DER KAROLINGERZEIT Es k a n n k a u m einen eo völligen Szenenwechsel geben als d e n v o m K a r t h a g o , Mailand u n d R o m Augustins n a c h d e m I r l a n d u n d Paris Eriugenas, v o n jener südlichen Bergeshelle ü b e r allem Nebel, von wo aus A u g u s t i n die numerositas rerum u n d die rationes aeternae schaute, zu d e m D u n k e l der natura naturans, in der E r i u g e n a G o t t u n d die Welt suchte, v o n der Zeit Theodosiue des Großen zu der Karls des K a h l e n . U n d doch zeigt vielleicht nichts so sehr wie dieser k ü h n e S p r u n g der Metaphysik ü b e r ein halbes J a h r t a u s e n d hinweg, d a ß selbst die S t ü r m e der Völkerw a n d e r u n g keine E r r u n g e n s c h a f t des Geistes v e r n i c h t e n können u n d d a ß keine vermeintliche P r i m i t i v i t ä t den m e t a p h y s i s c h e n D r a n g u n d Schwung des Menschengeistes zu behindern v e r m a g . E s wirkt e r s c h ü t t e r n d , m i t t e n in der j u g e n d l i c h e n germanischen Welt einen Genius zu treffen, der d e m philosophischen Genius Augustins nicht n a c h s t e h t u n d ebensowenig der D i a l e k t i k des Proklos u n d Hegel. Diese Ü b e r r a s c h u n g k o m m t aber n u r d a h e r , d a ß m a n sich ein falsches Bild v o n der schrittweisen E n t w i c k l u n g m a c h t , w ä h r e n d in W a h r h e i t der Menschengeist i m m e r d e r g a n z e ist u n d n u r C h a r a k t e r u n d Volkspersönlichkeit wechseln. E s wäre besondere schön, w e n n a m A n f a n g der abendländischen Metaphysik ein germanischer oder romanischer Genius stünde u n d in einem geschlossenen S y s t e m gestaltete, w a s sich in der religiösen u n d politischen N e u o r d n u n g der Welt damals vollzog. Allein es scheint i m m e r so zu sein, d a ß der G e i s t a u f w a n d einer Zeit sich i n ihrer wesentlichen S e l b s t b e s t i m m u n g erschöpft u n d die anderen K u l t u r a u f g a b e n , hier die M e t a p h y s i k u n d K u n s t , i n n e r h a l b d e r schöpferischen Volkspersönlichkeit z u r ü c k s t e h e n müssen. Es ist j e t z t ein Ire, der gleichsam a m R a n d der großen abendländischen Ereignisse s t e h e n d , eine ihrer Möglichkeiten, den cäsaropapistischen I m m a n e n t i s m u s eines irdischen Weltreichs in die M e t a p h y s i k ü b e r t r ä g t . E r s t e h t n i c h t i m Reichsbewußtsein der freien T r e u e u n d des freien Dienstes u n d des positiven Glaubens u n d Kults. E r f ü h l t sich als ein freier Denker, als ein summus homo, der aber v o n seinem König den Ehrensold f ü r das große W e r k e r w a r t e t u n d v i t a l noch ganz in der Blutsgemeinschaft des Geschlechts als d e m höchsten Lebenswert r u h t . E s ist also noch eine tiefere Schicht des nordischen Menschen, sein blutsmäßiges H e i d e n t u m , das in einem panvitalistischen Naturalismus der allgemeinsamen u n d einen subs t a n t i a l e n F o r m als der eigentlichen Wirklichkeit aller Erscheinungen u n d alles W e r d e n s gestaltet wird. Aber wie der germanische politische Herrschaftswille g e b u n d e n wird v o n der romanischen politischen F o r m , so wird a u c h dieser Vitalismus völlig durchgeistigt v o n der römischen S p i r i t u a l i t ä t . Die gesamte philosophische T r a d i t i o n ü b e r f o r m t das subs t a n t i a l Leben, rationalis naturae forma theorial Das Leben ist werdender Geist d u r c h die E r k e n n t n i s der wechselnden u n d vergehenden Welt als

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Erscheinung des All-Lebens, des unerkennbaren Gottes. Mit straffster Konzentration ist die überlieferte Spiritualität zu dem systematischen Zwecke ausgewählt, eine völlig einheitliche Konstruktion zu errichten, die nur um ihrer spiritualistischen und symbolistischen Form willen nicht immer als streng einheitlicher Rationalismus erkannt wird. Eriugena hat keinen Zweifel darüber gelassen, daß die ratio für ihn die allein maßgebende Erkenntnisquelle ist, daß er die positive Offenbarung nur als eine Anpassung des Sprachgebrauchs an die sinnlichen Vorstellungen der Schwachen auffaßt, die den reinen Rationalismus der sapientes nicht erfassen 10 können. Es kann ja v o m Absoluten überhaupt nur metaphorisch, modo translationis gesprochen werden. Er hat den Glauben nur als Anfangszustand der Gotteserkenntnis und die Erlösung nur als Rückführung zur geistigen Erkenntnis, als einen Dienst für die Aufklärung betrachtet und die logica naturalis als höchste Weisheit über die Ethik, Physik und Theologie gestellt (De divisione naturae ed. Schlüter 73, 243, 265). Vor allem aber beweist die tatsächliche Auflösung aller dogmatischen Wahrheiten in rationalistische Einsichten den eigentlichen Charakter des ganzen Systems. Das offen zugestandene Erschrecken der Einfältigen vor diesen neuen Wahrheiten gibt zu erkennen, daß sich Eriugena seiner Kühnheit 20 bewußt war, aber doch wohl in gutem Glauben seine spiritualistische Umdeutung des Christentums vollzogen hat, weil ja für seine transzendentale Dialektik die Aufdeckung der verschiedenen Redeweisen zum System gehört. Die Zweideutigkeit liegt also nicht an ihm, sondern in der von ihm statuierten Notwendigkeit der verschiedenen Betrachtungs- und Bezeichnungsweisen der ineffablen Substanz.

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Eriugena gehört wegen seiner Dialektik zu den umstrittensten Philosophen. Allerdings m u ß m a n gestehen, d a ß ihn wenigstens das Mittelalter v o m 12. J a h r h u n d e r t ab als Naturalisten durchschaut h a t , insgeheim als den Heros seiner Aufklärung ausgebeutet oder v e r d a m m t h a t und auch Thomas Gale, der erste Herausgeber, d ü r f t e 1681, nachdem 1677 die E t h i k Spinozas erschienen war, nicht geschwankt haben. E r s t Schelling, Baader u n d H j o r t verstanden i h n nach ihrem eigenen spekulativen Theismus, Tennemann und Görres als Pantheisten, Staudenmeier hielt ihn f ü r einen orthodoxen Katholiken u n d der Schellingianer Joseph H u b e r f ü r einen n u r scheinbar häretischen „Thcopanisten". Heute k a n n m a n nach dem Bekanntwerden Sigers von B r a b a n t u n d nach dem organologischen Vitalismus Max Schelers, dessen Trieb- u n d Drangmetaphysik Eriugena genau vorweg genommen h a t , aber allerdings f ü r den Sinn der Hölle hielt, u m eine neue konsequente D e u t u n g nicht mehr verlegen sein. Die Lebensgeschichte Eriugenas ist ebenso dunkel u n d u m s t r i t t e n wie die I n t e r pretation seines Werks. E r ist 810 oder 815 geboren und s t a m m t aus Irland (der Beiname Scotus ist nur festländische Bezeichnung f ü r irische Missionare) oder Wales, ist jedenfalls Kelte und in Irland gebildet, u m 845 als Wanderlehrer nach Frankreich gek o m m e n oder direkt v o n Karl dem Kahlen als Gräzist a n die Scola palatina berufen worden und war mit dem Herrscher eng befreundet. 851 wurde er von H i n k m a r von Reims im Prädestinationsstreit als A u t o r i t ä t angerufen u n d h a t bei diesem Anlaß mit seinen 19 Kapiteln De divina praedestinatione das erste selbständige philosophische Werk des Abendlandes geliefert, das meisterhaft sicher u n d konzis, k a u m noch v o n den Griechen beeinflußt, eine genial einseitige Fortbildung Augustins darstellt. Trotz der Verurteilung des Werks 855 bleibt er der Vorsteher der Scola palatina u n d wirkt n u n

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ale Übersetzer and Kommentator der dionysianischen Schriften, um schließlich, stark beeinflußt von Gregor von Nyssa, sein philosophisches Hauptwerk, περι φυαεος μερισμού, De divisione naturae zu verfassen, das zirka 867 vollendet ist. Nach dem Tode König Karls 877 soll er nach England berufen und später von seinen eigenen Schülern ermordet worden sein. Jedenfalls ist er lange als Märtyrer verehrt worden. Wahrscheinlich aber ist für diesen letzten Teil der Lebensgeschichte die Legende wahrer als die Historie.

Selbständiges Philosophieren b e g i n n t i m A b e n d l a n d d a m i t , d a ß die Schüler Alchwins, sicher v e r t r a u t m i t der Tradition u n d g u t dialektisch geschult, d u r c h eine der großen religiösen A n t i n o m i e n zu eigener E n t - 10 Scheidung aufgerufen w e r d e n . Es ist die A n t i n o m i e der göttlichen Alleinwirksamkeit u n d menschlichen Freiheit, die u m 830 v o n d e m sächsischen Mönch Gottschalk z u m öffentlichen Streitfall gemacht wird. E i n echter Sachse begegnet uns in i h m , der u m die Herrlichkeit der Treugefolgschaft, die excellentia humilitatis b e t e t , wie L u t h e r z u m M ö n c h t u m gezwungen, t r o t z aller K ä m p f e nicht v o n i h m loskommen k a n n , sich schließlich seinem Schicksal ergibt u n d die L e h r e der AlleinWirksamkeit Gottes in ausschließlicher u n d doppelter P r ä d e s t i n a t i o n d e r G u t e n zur Seligkeit u n d der Bösen zwar n i c h t zur Sünde, aber zur Strafe lehrt. Die augustinische I n k o m m u t a b i l i t ä t Gottes u n d die Einheit seines Wirkens, die keine T r e n n u n g 20 zwischen Vorherwissen u n d V o r h e r b e s t i m m u n g zuläßt, wird hier religiös erlebt, m i t den A r g u m e n t e n des alternden A u g u s t i n belegt, in u n e r s c h ü t terlichem M u t f ü r die V e r k ü n d i g u n g der vermeintlichen W a h r h e i t selbst der F e u e r p r o b e u n t e r s t e l l t u n d in einem e r s c h ü t t e r n d e n Gebet a n den Herrscher, den H e r r n G o t t , den allmächtigen König, den allerallmächtigsten, mildesten u n d r u h m r e i c h s t e n H e r r n G o t t ausgesprochen. E s ist die genaue theologische Parallele z u m Heerkönig des sächsischen Heliand (Gotteshalci Confessio prolixior G. Mauguin I, 9). Mit diesem s t a r r e n S u p r a n a t u r a l i s m u s w a r einer der großen Gegenspieler der ewigen antinomischen Tragödien der Geistesgeschichte gegeben u n d die R e a k t i o n 30 eines rationalistischen N a t u r a l i s m u s k o n n t e nicht ausbleiben, ebensowenig wie der mittlere, kritische Realismus, der sich hier allerdings n u r in der Verteidigung ä u ß e r t , a m besten bei P r u d e n t i u s v o n Troyes (Mauguin I, 193, De praedestinatione c o n t r a J o h a n n e m Scotum). 1. D E R Ü B E R G A N G VOM R E A L I S M U S ZUM H Y P E R R E A L I S M U S Der V e r t r e t e r des N a t u r a l i s m u s , E r i u g e n a , h a t seine Lehre in zwei S t u f e n entwickelt. Z u n ä c h s t in d e m Erstlingswerk De praedestinatione, das f ü r die M e t a p h y s i k deswegen v o n h ö c h s t e m methodischem Interesse ist, weil es den dialektischen Ü b e r g a n g v o m s c h ö p f e r i s c h e n R e a l i s m u s A u g u s t i n s z u m o r g a n o l o g i s c h e n N a t u r a l i s m u s mit g r ö ß t e r P r ä g n a n z erkennen l ä ß t . Eriugena h a t ebenso gründlich u n d einseitig in- 40 tellektualistisch d e n j ü n g e r e n Augustin studiert, wie Gottschalk in religiösem , , a f f e c t u s " den alten. I n der n o c h so s t a r k a n t i k e n Spiritualität des j u n g e n A u g u s t i n s p ü r t er die V e r w a n d t s c h a f t mit der eigenen heidnischen

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V i t a l i t ä t . Natürlich entging es ihm nicht, daß eine K o n k o r d a n z zwischen den 6ich selber 6chon widersprechenden Aussprüchen Augiistins und der Bibel selbst nur durch eine dialektische Unterscheidung des S p r a c h gebrauchs zugunsten einer einheitlichen A u f f a s s u n g herzustellen w a r . E r hat diese dialektische Methode als Meister der artes liberales a m S t o f f der vier Antinomien der Yorherbestimmung und des Vorherwissens Gottes, der Freiheit und Notwendigkeit in G o t t , der göttlichen und menschlichen Freiheit u n d der geschaffenen und ewigen W e l t entwickelt und dann a m A n f a n g seines H a u p t w e r k s souverän u n d überlegen dargestellt. Sie ist nichts anderes als die scholastische Methode in erkenntnismetaphysischer Steigerung, wobei nach der existentiellen S t a n d p u n k t n a h m e auf Seiten des E m p i r i s c h e n oder Metaphysischen das eine oder das andere als nicht seiend bezeichnet wird.

M. Grabmann h a t in geiner „Geschichte der scholastischen Methode" diese ihre existentielle Form nicht erkannt u n d so den E n t d e c k e r r u h m ihrer nur akzidentellen Form Abaelard resp. Bernhard von Konstanz zugeschrieben, wo doch schon ihre erste Verwendung durch Hinkmar v o n Reims auf dessen Kampfgenossen Eriugena deutlich genug hingewiesen hätte. I n ihrer erkenntnismetaphysischen F o r m ist sie freilich erst wieder von Hegel geübt worden. So h a t man sie von 853 bis 1861, von Prudentius bis 20 Huber Überhaupt nicht mehr erkannt, den Meister der ständigen Selbstwidersprüche geziehen u n d seine Systematik notwendig verfehlt. Der schöpferische Realismus des unveränderlichen Gottes u n d seiner schaffenden Schau sind f ü r Eriugena wie f ü r Gottschalk als die unwiderstehlich notwendige u n d einzige Ursache der Welt aufzufassen. Das ist die verhängnisvolle Verwandtschaft des Supranaturalismus und Prädestinatianismus, u n d das f ü h r t zu einer als notwendig mißverstandenen schöpferischen Schau von da an bis zu Bradwardine und Wickliff, Calvin und Jansenras. I m m e r geht m a n dabei von Augustin aus, aber nicht mehr theozentrisch von der Veränderlichkeit der Welt, u m das Unveränderliche zu suchen und zu finden. Der inkommutable Gott ist f ü r Eriugena bereits fertige Doktrin und so bleibt nichts 30 real Veränderliches in seiner Wirksamkeit mehr übrig. Da zudem die klare Unterscheidung zwischen schöpferischer Schau und schöpferischer Willenssetzung, dem Vorherwissen u n d Vorherbestimmen fehlt, ja ausdrücklich als uneigentliche Redeweise aufgehoben wird, so fallen auch die auf die Welt bezogenen Handlungen Gottes mit seinem einfachen Sein zusammen. Zwar soll, wo Wille ist, Freiheit u n d keine Notwendigkeit sein. D a aber alles, was aus Gottes Willen s t a m m t , dieser ewigen und unveränderlichen Ursache wegen selber als notwendig betrachtet wird, so gilt der S a t z : omnium naturarum uecessitas est dei voluntas. Das Absolute ist also von der N a t u r her gesehen, die zwar an sich der Arten, Formen und immanenten Zahlen entbehrt, aber f ü r alle ihre Formen die prima universitatis essentia zur Grundlage haben m u ß . So ist die Vertauschbarkeit 40 Gottes mit der Welt, der P a n t h e i s m u s a l s P a n k o s m i s m u s gegeben. Gottes Wille ist die ipsa necessitas und die neeessitas ipsa ist Gottes Wille, er ist selber seine eigene Notwendigkeit (II, o).

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Da nun aber auch das Gutsein u n d die Liebe zum Wesen Gottes gehört, so k a n n er nichts geschaut, gewollt, vorherbestimmt und geschaffen haben, was nicht gut ist, wie die Sünde, das Böse, der Tod und das Übel. Sie sind also metaphysisch nichts. E s gibt keine doppelte Prädestination zur Strafe. Die ganze Welt als seiende ist notwendig g u t . Der m e t a p h y s i s c h e W e l t O p t i m i s m u s , der hier mit voller Macht wieder durchbricht, beruht geistig im schöpferischen Realismus Gottes, sofern dieser als ein Begriffsrealismus im Gegensatz zu den Begriffshypostasen bei P l a t o die Realität des vom abBOluten Geschauten allein betrachtet. Das soll die konsequente Metaphysik der bene E J*

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METAPHYSIK

DES

MITTELALTERS

E

videntes, der richtig Erkennenden, sein. I n Wahrheit steht dahinter schon die Vitalität der primitiven Geborgenheit des Individuums in der gens, dem ewigen S t a m m der Blutsgemeinschaft (III). Aber woher kann dann noch das Böse s t a m m e n ? Augustins Antworten lagen bereit. E s ist nichts Wirkliches, h a t keine Ursache, k a n n nicht echt erkannt werden und beruht also n u r in der libido perversae voluntatis, des auf das Sinnliche gerichteten Willens u n d v o n diesem Willen allein hängen also auch die ewigen Strafen ab. Allerdings m u ß dann doch in der notwendigen Welt die Freiheit des Willens anerkannt werden. Eriugena erkennt mit einer f ü r seine Zeit erstaunlichen Schärfe den doppelten Fehler im Prädestinatianismus Gottschalks. Während der Pelagianismus die über- 10 natürliche Mitwirkung Gottes a u f h e b t u n d eine sola gratia-Lehre umgekehrt die freie Mitwirkung des Menschen, übersieht dieser Prädestinatianismus sowohl die Freiheit als auch die echte Gnade (IV). Aber Eriugena selbst entgeht nur dadurch der Vernichtung der Willensfreiheit in seiner notwendigen Welt, weil er den freien Willen in die N a t u r des Menschen a u f n i m m t , dem Menschenwesen zuschreibt u n d den anthropologischen Personalismus des jungen Augustin wiederholt, das Menschsein aus der Dreieinigkeit von Wesen, Willen u n d Erkennen bestehen läßt. I m vernünftigen Lebewesen, der rationalis vita sind Wollen und Wissen nicht real getrennt, die N a t u r des Menschen besteht in der rationalis voluntas. Der Mensch ist nicht Wille als Wille schlechthin, nur als vernünftiger Wille. Wo aber Vernunft ist, ist notwendig Freiheit. E r ist substantiell 2 0 frei u n d damit mutabilis aus der eigenen Spontaneität seines Willens selbst. Der Wille ist klar als die Zweitursache erkannt, als die unserer N a t u r eingepflanzte Kausalität, durch die wir selbst uns frei, willentlich u n d vernünftig bewegen können, so daß der Freie, der Willensanstoß u n d die geistige Richtung die Dreieinheit des liberum arbitrium ausmachen (VIII). Die Unstimmigkeiten, die hier versteckt liegen, h a t Eriugena erst später beseitigen können. Vorläufig dient ihm die Freiheit und das Nichtssein und Nichterkanntwerdenkönnen der Sünde u n d ihrer Strafe von Gott vor allem z u m Nachweis, daß die Prädestination überhaupt nicht als quasi proprium, als echtes Attribut Gottes gelten könne. Wir übertragen nur nach unsern eigenen Vollkommenheiten Sein, Wesenheit, Wahrheit, K r a f t , Wissenschaft und Bestimmung auf ihn. E r h a t aber als 30 der Ewige keine Voraussicht u n d keine Vorherbestimmung, in seinem Schaffen ist alles Eins auf einmal. Solche Eigenschaften sind n u r e contrario von i h m ausgesagt, wie lucus a nott lucendo, in Wahrheit ist damit nur die bewußte Disposition seiner Werke gemeint. Sünde und Strafe sind ü b e r h a u p t nicht prädestiniert, sie werden j a n u r erkannt als der Mangel der Form, wie der Schmerz als Abwesenheit der Gesundheit. Die Sünder prädestinieren sich ihre Strafe selbst, weil ihre Freiheit nicht die Grenze der N a t u r überschreiten kann. Sie bleiben als Individuen in der generalis substantia des Menschengeschlechts. Sie können die Freiheit ihrer N a t u r überhaupt nicht verlieren, nur die K r a f t , der rechten Erkenntnis nachzuleben. N a t u r h a f t sind sie niemals elend u n d häßlich, nur willentlich. Der status pulchritudinis der ganzen Welt ist auch durch die Hölle als 40 die innerliche, unerfüllte libido nicht getrübt, wie auch in einem königlichen Palaste nur der Empörer etwas Unheimliches empfindet und seiner eigenen Qual überlassen bleibt. Die Bösen leben wie die £