Menschentier und Tiermensch: Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter 9783666367045, 9783525367049

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Menschentier und Tiermensch: Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter
 9783666367045, 9783525367049

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Historische Semantik

Herausgegeben von Gadi Algazi, Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Ludolf Kuchenbuch

Band 5

Vandenhoeck & Ruprecht

Udo Friedrich

Menschentier und Tiermensch Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter

Mit 10 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-36704-9

Umschlagabbildung: Wilder Mann. Schloss Rodenegg, Iwein-Fresken.

© 2009 Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Daniela Weiland, Göttingen Druck und Bindung: l Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

I. Kulturwissenschaftliche Rahmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Natur-Kultur: Grenzziehungsfunktion . . . . . . . . . Alterität mittelalterlicher Natur- und Kulturkonzepte Dispositiv Mensch-Tier: Ackerbau v. Jagd . . . . . . . Kulturwissenschaftliche Perspektive . . . . . . . . . . Kultur als symbolische Ordnung . . . . . . . . . . . . Dynamisierung des Textbegriffs . . . . . . . . . . . . Exemplarische Textanalysen . . . . . . . . . . . . . .

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II. Anthropologischer Rahmen – Grenzziehungsdiskurs . . . . . . . . .

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1. Schöpfungsordnung und Sündenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Modelle von Kulturgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Conditio humana: Mittelalterliche ›Wissenschaft‹ vom Menschen 3.1 Humoralpathologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Physiognomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Genealogie und Physiognomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ethnographie des Fremden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Antike Barbarentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Mittelalterliche Klimatheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Agricultura v. vita pastoralis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Missionierung und Domestizierung . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Ethnographie der Alexanderliteratur . . . . . . . . . . . . . . Der Zug in den Osten: Barbaren – Tiere . . . . . . . . . . . . Kulturtheoretischer Disput: Gymnosophisten . . . . . . . . . 5. Grenzfiguren zwischen Mensch und Tier . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Contra naturam: Heilsgeschichtlicher Schuldzusammenhang 5.2 Soziale Randfiguren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Transformation des Menschen: Werwolf . . . . . . . . . . . . 5.4 Asketische Inversion: der Anachoret . . . . . . . . . . . . . . Das gnostische Modell: Markus der Athener . . . . . . . . . . Das pastorale Modell: Der heilige Benedikt . . . . . . . . . . Das Bußmodell: Der heilige Chrysostomus . . . . . . . . . .

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Inhalt

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5.5 Wissenschaftliche Grenzziehung: Pygmäen . . . . . . . . . . 138 5.6 Epische Kontrafaktur: Wilde Männer und Wilde Frauen . . . 141 III. Das politische Feld 1: Herrschaft über das Tier . . . . . . . . . . . . 145 1. 2. 3. 4.

Strukturierungsformen politischer Ordnung . . . . . . . . . . Herrschaft und Antagonismus des Körpers . . . . . . . . . . . Die Gefahr der Animalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Politische Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Die Animalisierung des Rechtsbrechers . . . . . . . . . . . 4.2 Domestizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Naturbeherrschung zwischen Kunst und Gewalt: Die Jagd 4.4 Herrschaft als Gewaltdemonstration: Das stärkste Tier . .

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III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier . . . . . . . . . . . 191 1. Zeichenhaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Sprache: Vergleich – Metapher . . . . . . . . . . . 1.2 Name . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Heraldik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Waffenmythologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Der animalisierte Körper . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Die Grenzen der Metapher . . . . . . . . . . . . . 2. Das Gefüge Ritter und Pferd . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Instrumentalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Ethische Codierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Symbiose von Ritter und Pferd . . . . . . . . . . . 2.4 Pferdemänner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Genealogie des Rittertums . . . . . . . . . . . . . 3. Entwürfe feudaler Sozialisation . . . . . . . . . . . . . 3.1 Höfische Erziehung v. Entelechie adeliger art . . 3.2 Mythische Kontiguität . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Imitatio naturae: die Selbsterschaffung des Heros 3.4 Erziehung als Reanimalisierung . . . . . . . . . . 4. Fluchtlinien der Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Gewaltpotentiale der Feudalgesellschaft . . . . . 4.2 Dynamik der Meute . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Feudales Körperkonzept . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zorn als Ausdrucksform feudalen ›Wahnsinns‹ .

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Inhalt

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IV. Literarische Fallstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Diskurs und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überwindung der Natur: »Straßburger Alexander« . . . . . . . 1.1 Mythische Codierung des Heros . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Wilde Tiere und pastorale Alternative . . . . . . . . . . . . 1.3 Technische Unterwerfung: Das höfische Paradies . . . . . . 2. Der monströse Heilsbringer: »Wolfdietrich A« . . . . . . . . . . 2.1 Germanisches Tierkriegertum? . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Ausgrenzung monströser Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Christliche Codierung archaischer Muster . . . . . . . . . . 2.4 Gewaltpotential und feudale Zucht . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Parameterwechsel: Feudale Gesellschaft – Wildnis . . . . . 3. Mimesis und »Tierwerden«: »Eckenlied« und »Nibelungenlied« 3.1 Individueller Untergang: »Eckenlied« . . . . . . . . . . . . . 3.2 Kollektiver Untergang: »Nibelungenlied« . . . . . . . . . . . Mimetisches »Tierwerden« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Held und Kollektiv: die Meute . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dissoziation von Mensch und Tier: »Yvain«/»Iwein« . . . . . . 4.1 »Yvain«: Natur-Kultur: Strukturale und semiotische Lektüre 4.2 Feudale Adaptation christlicher Muster . . . . . . . . . . . . 4.3 Christliche Recodierung: Hartmann von Aue . . . . . . . . 5. Adelige art und höfische Kultur versus christliche Ethik »Partonopier und Meliur« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Minneroman: Höfisches Heldenkonzept . . . . . . . . . . . 5.2 Die Jagd als Initiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Adelige Statusdemonstration . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Der iuvenis als adeliges Tier . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Der Wilde Mann als Minnetor . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 Spiegelungen innerer und äußerer Natur . . . . . . . . . . .

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V. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

I. Kulturwissenschaftliche Rahmung

Ich komme schon, sagte K., lief vor, faßte sie, küßte sie auf den Mund und dann über das ganze Gesicht, wie ein durstiges Tier mit der Zunge über das endlich gefundene Quellwasser hinjagt. Kafka, Der Prozeß

1. Natur-Kultur: Grenzziehungsfunktion Die Opposition von Natur und Kultur gehört offenbar zu den zeitlosen Paradigmen anthropologischer Selbstbestimmung. Obgleich die begriffliche Gegenüberstellung von status naturalis und status culturae erst ein Produkt der Aufklärung ist und die Institutionalisierung in besonderen Wissensdiskursen, sogenannten Humanwissenschaften, allererst im 19. Jahrhundert sich einstellt, läßt sich ihr Verhältnis selbst als ein eigener Traditionszusammenhang beschreiben.1 Antike Kulturentstehungstheorien, die Selbstreflexion der geistlichen und höfischen Kultur des Mittelalters sowie moderne Zivilisationstheorien operieren trotz differenter Fragehorizonte und Begrifflichkeiten mit einer ähnlichen Grundopposition von Natur und Kultur. Sie wird zum heuristischen Instrumentarium diachroner und synchroner Grenzziehungen, sei es in Abgrenzung vom Tier, vom Entwurf einer Urgesellschaft, vom Fremden schlechthin oder vom rein biologischen Triebhaushalt, denen gegenüber die Genealogie der ›zivilisierten‹ Gesellschaft oder die Wege erfolgreicher Triebkontrolle herausgearbeitet werden.2 Natur und Kultur bieten ein Instrumentarium für Unterscheidungen, das elementare Differenzerfahrungen zu erfassen und strukturieren hilft.3 1 Febvre, Zur Entwicklung des Wortes und der Vorstellung von »Civilisation«, S. 39–77; Rauhut, Die Herkunft der Worte und Begriffe »Kultur«, »Civilisation« und »Bildung«, S. 81–91; Perpeet, Zur Wortbedeutung von Kultur, S. 21–28; Starobinski, Das Wort Zivilisation, S. 9–64; Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 679–774; Böhme, Vom Cultus zur Kultur(wissenschaft), S. 48–68. 2 Elias, Über den Prozeß der Zivilisation; Mühlmann, Umrisse und Probleme einer Kulturanthropologie, S. 15–47; Harris, Kulturanthropologie; Adorno, Gehlen, Ist die Soziologie eine Wissenschaft vom Menschen?, S. 224–251; Foucault, Sexualität und Wahrheit. 3 Luhmann, Kultur als historischer Begriff, S. 31–54; Fohrmann, Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, S. 13f.

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I. Kulturwissenschaftliche Rahmung

Als mächtige Strukturierungsform anthropologischer Reflexion unterliegt die Dichotomie von Natur und Kultur traditionell konkurrierenden Bewertungsmaßstäben. Dem Ethos der Naturbeherrschung korrespondiert seit je die Furcht vor der Zerstörung der Natur.4 Befunde dieser Art, die die Überwindung der Natur entweder als Gewinn feiern oder als Verlust beklagen, vollziehen sich auf der Basis einer alternativen Konstellation, einer signifikanten Differenz. Die Geschichte des Verhältnisses von Natur und Kultur ist in dieser Perspektive denn auch die einer immer größer werdenden Kluft. Hinter solchen Hierarchisierungen stehen alte genealogische und teleologische Vorstellungen, d. h. mythische Erinnerungen an eine ›Goldene Zeit‹ und geschichtsphilosophische Hoffnungen auf eine Gesellschaftsutopie. Aus der Relation scheinbar »asymmetrischer Gegenbegriffe« ist für die modernen Humanwissenschaften ein immer schwerer zu bestimmendes Interferenzverhältnis geworden.5 An die Stelle der großen kulturgeschichtlichen Gegensätze treten nunmehr spezifische Übergänge. Die Opposition ist prekär geworden, seit die Evolutionsgeschichte die Natur historisiert und die Anthropologie die Kultur zur Natur des Menschen erklärt hat. Evolutionsgeschichtlich steht gemeinhin die Opposition von Tier und Mensch für diejenige von Natur und Kultur ein, doch bleibt der Übergang historisch und systematisch ein blinder Fleck.6 Während die Paläoanthropologie des 19. Jahrhunderts den ›Tier-Menschen‹ als Grenzfigur in die Diskussion gebracht und sich in Aporien verstrickt hatte,7 versuchte die Anthropologie des 20. Jahrhunderts die Kluft mit Hilfe des Inzestverbots zu überwinden.8 Und auch die politische Theorie überbrückte den blinden Fleck im Gründungsmythos politischer Institutionen, den Übergang vom Natur- in den Gesellschaftszustand, mit Hilfe eines »fehlenden Glieds in der Ideologie«.9 Die Reflexion auf eine Vermittlungsform von Natur und Kultur verlagert immer wieder die binäre Opposition in eine dreigliedrige Relation, die diachron den Übergang vom Tier zum

4 Böhme, Vom Cultus zur Kultur(wissenschaft), S. 48–68. Hier setzt sich eine antike Tradition fort, die im Mittelalter lediglich christlich codiert wurde: die Opposition von civilitas und barbarus. Die Opposition Zivilisierter – Barbar unterliegt seit je einer Aporie, impliziert sie in ihrer moralischen Lesart doch Verachtung gegenüber Fremden und Bewunderung für dessen Ursprünglichkeit gleichermaßen. Jones, The Image of the Barbarian, S. 377; White, The Forms of Wildness, S. 3–38; von See, Der Germane als Barbar, S. 39; Schneider, Der Barbar. 5 Koselleck, Zur historisch-politischen Semantik asymmetrischer Gegenbegriffe, S. 244ff. 6 Lévi-Strauss, Natur und Kultur, S. 45–56. 7 Zu Ernst Haeckels Pithecanthropus erectus vgl. Agamben, Das Offene, S. 42–48. 8 Lévi-Strauss, Natur und Kultur, S. 45–56. 9 Danach domestiziert das Gesetz nicht einfach Natur, sondern einen »Abgrund absoluter Freiheit« (Wildheit), der als »Nabelschnur« zwischen Natur und Kultur eintritt. Žižek, Kant und das »fehlende Glied« der Ideologie, S. 52–74; Luhmann, Am Anfang war kein Unrecht, S. 11–64.

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Menschen zu fassen versucht.10 Die modernen Wissenschaften vom Menschen rekurrieren auf eine gemeinsame Grundlage, die zwar jeweils anders konfiguriert wird, in ihren Grundkoordinaten aber auf dem Gegensatz von Natur und Kultur, Mensch und Tier aufruhen und diesen zu vermitteln suchen. Ob aber das ›fehlende Glied in der Kette‹ überhaupt existiert hat, ist mittlerweile selbst in der Paläoanthropologie umstritten.11 Je deutlicher die negativen Folgen des Zivilisationsprozesses hervortreten, umso mehr wird das klassische Konkurrenzverhältnis von Natur und Kultur auch synchron in eine Interferenzbeziehung überführt. Entsprechend tritt an die Stelle der Vorstellung eines Ablösungsprozesses von der Natur hin zur Kultur diejenige einer stets aktuellen Spannung innerhalb der conditio humana, die historisch jeweils unterschiedlich spezifiziert werden muß.12 Moderne Kultur- und Zivilisationstheorien haben daher nicht zuletzt als Stoßrichtung gegen die teleologische Ausrichtung der Natur- und Humanwissenschaften gerade die Problematik der Grenzziehung thematisiert und nach einer Phase des technisch und humanistisch fundierten Fortschrittsdenkens kritisch den sozialen und psychologischen Preis der Naturbeherrschung bilanziert.13 Nicht zufällig fokussiert daher der philosophische Poststrukturalismus sein Interesse auf das »Andere der Vernunft«, d. h. auf die zunehmende Relevanz von Natur und Körperlichkeit und deren wachsende Emergenz in postmoderner Öffentlichkeit.14 Derartige offenkundige Zeichen einer Körperrenaissance lassen sich nicht umstandslos als kulturelle Verfallsformen begreifen, eher markieren sie eine Akzentverschiebung im Verhältnis von Geist und Körper in einer sich formierenden Industrie- und Medienkultur. Der klassische Dualismus von Geist und Körper wurde überdies seit der Moderne durch ein triadisches Verhältnis abgelöst, das mit der Psyche eine eigenständige Ver10 Auf synchroner Ebene etablierte dann die Psychologie die Psyche als Schnittstelle zentrifugaler Energien und zentripetaler sozialer Normen, und die Soziologie definierte habitualisierte Handlungsmuster – Gewohnheit – gar als ›zweite Natur‹ des Menschen. Marschall, Die zweite Natur des Menschen, S. 17–26. 11 Die Paläoanthropologie geht mittlerweile selbst davon aus, daß es ein »missing link« nie gegeben habe, sondern eher »eine Verflechtung unterschiedlicher geographischer Varianten der ersten Vorzeitmenschen in Zeit und Raum entlang der Grenzen des tropischen Regenwaldes.« Schrenk, Adams Eltern, S. 54. 12 Geertz, Kulturbergriff und Menschenbild, S. 56–82, 73. 13 Lévi-Strauss, Natur und Kultur, S. 81–107; Agamben, Das Offene, S. 42–48. Vgl. den Band Das Tier. Eine andere Anthropologie (2004). Die (post)moderne Ethnologie etwa kehrt bekanntlich die zivilisationsgeschichtliche Perspektive um, indem sie zunehmend ihre Aufmerksamkeit den Bedingungen eurozentrischer Wahrnehmung widmet. 14 Sichtbar im industriellen Wuchern körperorientierter Kulturfelder in Sport, Mode, Tanz, Videoclip, Körperästhetik, Ernährungskultur und Sexindustrie bis hin zu den zahlreichen Spielarten psychosomatischer Alternativmedizin. Zum Kontext vgl. Die Wiederkehr des Körpers; Porter, History of the Body, S. 206f.; Bynum, Warum das ganze Theater mit dem Körper?, S. 1–33.

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mittlungsinstanz einführte.15 Das durch das Christentum geförderte und bis in die Aufklärung hinein wirkende Bild vom Körper als Feind, als Gefängnis, Sarg oder Grab der Seele, scheint einer Invertierung zu unterliegen: die Seele als Gefängnis des Körpers.16 So relativiert sich gegenwärtig erneut die lange privilegierte Leserichtung vom ›blinden Naturzwang‹ zum kulturellen Fortschritt zugunsten von Spielräumen ›natürlicher‹ bzw. körperlicher Freiheit gegenüber einer zunehmend technisierten Lebenswelt. Die Inversion der Bewertungsperspektive verdankt sich gewiß den ambivalenten Folgen des ›Fortschritts‹ und den damit verbundenen Kompensationsstrategien, nicht weniger aber einer theoretischen Reflexion auf das Bedingungsverhältnis von Körper und Geist, natürlicher und kultureller Instanzen, die einsinnige Qualifizierungen vermeidet. Gegenüber der wissenschaftlichen Suche nach Übergangsfiguren und der politischen Dekonstruktion der Grenzziehungen gilt es für den Mediävisten, sich zunächst den historischen Abstand zu vergegenwärtigen, der die mittelalterliche Reflexion auf die Grenze von Mensch und Tier, Natur und Kultur kennzeichnet. Das Mittelalter fragt nicht nach einem evolutionsgeschichtlichen Übergang, sondern eher nach einem kulturgeschichtlichen Zeitpunkt, an dem die historisch aufgetretene Grenzüberschreitung wieder aufgehoben wird. Mittelalterliche Natur ist durch den Schöpfungsplan immer schon kulturell imprägniert, und nach dem Sündenfall kennt das Mittelalter eher Bruchstellen, statt kontinuierliche eher problematische Übergänge. Die Differenz der mittelalterlichen Auffassung von Mensch und Tier kommt prägnant im Vergleich mit dem »Mythos des Wilden Mannes« zum Ausdruck, wie ihn die Neuzeit entwickelt hat. Hayden White hat ihn auf der Ebene »kultureller Projektionen« angesiedelt, deren Funktion im historischen Prozeß darin bestehe, Angst- und Wunschfiguren gleichermaßen zu entwerfen und der Kultur sowohl ihr negatives als auch ihr verdrängtes Komplement vor Augen zu führen.17 Während der Wilde Mann auch aus dieser Perspektive noch eine Lücke füllt zwischen dem »Prozeß der Zivilisation« und dem »Unbehagen in der Kultur«, bezeichnet er in antiker und christlicher Tradition einen realen Zustand jenseits von Natur und Kultur; er fungiert also nicht als systematisches Bindeglied, sondern als ausgegrenzte und verworfene Kreatur.18 Wenn 15 In diesem Feld gilt: tertium datur. Vor allem der mehr soziale als wissenschaftliche Erfolg von Psychologie und Psychoanalyse in ihren unterschiedlichsten Konzeptualisierungen hat die binäre Struktur aufgebrochen. Rehberg, Zurück zur Kultur?, S. 277; Žižek, Hegel mit Lacan, S. 23–50. 16 Die Unterwerfung des Körpers unter die Kraft der ratio, der Prozeß der Disziplinierung und Perfektionierung, wird zugleich als einer der Technisierung der Seele, mithin als Optionen abschneidender Konditionierungsvorgang begriffen. Foucault, Sexualität und Wahrheit. 17 White, The Forms of Wildness, S. 10. 18 Ebd., S. 12f., 19.

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in der Moderne Mensch und Tier einer Ordnung angehören, müssen historische Übergänge existieren, auch wenn sie schwer zu verifizieren sind, im Mittelalter aber sind sie auf zwei Ordnungen verteilt, so daß Vermischungen immer Störungen markieren: Hayden White führt sie auf das Phänomen Artenvermischung – »species corruption« – zurück.19 Der historisch ausgerichtete Blick auf das Mittelalter vertieft einerseits den Abstand zur Gegenwart. Vor dem Hintergrund einer Revitalisierung des Körpers und der zunehmend ins Blickfeld geratenen Grenz- und Übergangsphänomene von Geist und Körper verändert sich andererseits aber auch die Perspektive auf die mittelalterliche Situation. Indem an die Stelle der klassischen Opposition und Bewertungshierarchie das spezifische Wechselverhältnis zwischen Natur und Kultur, Körper und Geist, Mensch und Tier tritt, lassen sich zentrale Felder der mittelalterlichen Kultur auch anders lesen denn als Faktoren eines Prozesses sukzessiver Verhöflichung, Verrechtlichung, Institutionalisierung, d. h. Zivilisierung natürlich-aggressiver Potentiale:20 z. B. als komplexe Auseinandersetzung um den Status des Körpers. Während die ›aufgeklärte‹ oder zivilisationskritische Leserichtung nur eindimensionale Ergebnisse zeitigen, wird eine historisch adäquate Lektüre weniger Gewinn- und Verlustrechnungen aufmachen, als die realen wie symbolischen Konfigurationen von Körper und Geist nachzeichnen: etwa in den konkurrierenden Spielarten einer religiösen, medizinischen und feudalen Körperpolitik. Der Asket, der Büßer oder der Märtyrer unterliegen einem anderen Körperkonzept als der Kranke, dessen Körper sich wiederum von dem des Heros oder Ritters unterscheidet. Die zunehmende Sensibilität für den ›Körper als Projektionsfläche sozialer Zuschreibungen‹, denen gegenwärtig in unterschiedlichen Ansätzen nachgegangen wird, soll daher hier als methodische Herausforderung für die Mediävistik und für die hier gestellte Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Tier aufgegriffen werden.21

19 Zur »species corruption« vgl. White, The Forms of Wildness, S. 9, 14f. 20 Die Dynamisierung ehemals fester Oppositionsverhältnisse ist generelles Kennzeichen moderner empirischer wie theoretischer Forschungsansätze: Sie erfaßt die sprachliche (Metapher-Begriff), mediale (Mündlichkeit-Schriftlichkeit), hermeneutische (Text-Kontext), ontologische (Fiktion-Realität), natürliche (Geist-Körper; Mann-Frau), ethnographische (FremdEigen) und epochenspezifische (Alterität-Modernität) Ebene der Reflexion. 21 Speziell für die Mediävistik vgl. die Sammelbände Gepeinigt, begehrt und vergessen (1992); Körperinszenierungen in der mittelalterlichen Literatur (2002); Der Körper. Realpräsenz und symbolische Ordnung (2003); Körperkonzepte im arthurischen Roman (2007); vgl. auch LeGoff, Truong, Die Geschichte des Körpers im Mittelalter, S. 17–37.

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2. Alterität mittelalterlicher Natur- und Kulturkonzepte Die Arbeit versucht, dieser Akzentuierung kulturwissenschaftlicher Aspekte Rechnung zu tragen. Sie behandelt am Beispiel der Relation von Mensch und Tier einen signifikanten Ausschnitt kultureller Selbstreflexion in Diskursen des 12. und 13. Jahrhunderts. An exemplarischen Fallstudien über die Grenze zwischen Mensch und Tier sollen Felder, Formen und Funktionen mittelalterlicher Natur- und Kulturkonzepte aufgezeigt und in ihrer Alterität profiliert werden. Die Arbeit ist als diskursanalytische und zugleich als literatur-, d. h. textwissenschaftliche Studie angelegt und unternimmt den Versuch, soziale Praktiken, Zeichenordnungen, mentale Konzepte und literarische Texte im Horizont zeitgenössischer Diskurse über das Verhältnis von Mensch und Tier zu verorten, ihre wechselseitige Relation zu bestimmen und ihren jeweiligen Beitrag zur Verhandlung ›natürlicher‹ und ›kultureller‹ Konstellationen zu erörtern. Eine solche Fragestellung kommt nicht ohne Historisierung aus. Vorausgesetzt wird, daß vor aller reflexiven Grenzziehung, die seit dem 17. und 18. Jahrhundert allererst unter dem Label Natur-Kultur rangiert (Pufendorf; Rousseau), die Natur für die verschiedenen Korporationen des Mittelalters – etwa Adel, Welt- und Ordensklerus – als komplexe Projektionsfläche fungiert, das soziale – z. B. Recht, Politik, Ethik, Ökonomie – und symbolische – z. B. Geschichte, Religion, Kunst – Feld zu strukturieren. Für das Mittelalter nämlich gilt eine konstitutive Wechselwirkung von natürlichen und kulturellen Instanzen, die einerseits in der weitgehend metaphysischen Imprägnierung der Natur durch Technik und Schrift durchscheint: z. B. Gott als opifex naturae oder als auctor libri naturae. Andererseits kommt sie in der naturgebundenen Fundierung kultureller Leistungen zum Ausdruck: vom organologischen Staatsmodell – vita civilis naturam imitetur – über naturfundierte soziale Differenzierung – hêrre-wîp; hêrre-kneht – bis hin zu Verfahrensregeln artifizieller Produktion insgesamt: z. B. ars imitatur naturam. Gerade weil natura als strukturierte Form aufgefaßt wird, gibt sie dem Menschen den Handlungsspielraum vor. Die Kultur ist die Norm für Natur und umgekehrt.22 Selbst sozialer Rang kann so als Resultat einer natürlichen Entelechie begriffen werden. Abweichungen von der natürlichen Ordnung werden dagegen als Störungen, als Effekte contra naturam aufgefaßt. Vor allem der Körper mit seinen zahlreichen Codierungen wird zur Folie natürlicher und kultureller Einschreibungen. Zum einen stabilisieren natürliche Faktoren wie Humoralpathologie, Klimatheorie und Physiognomik die soziale Charakterlehre und schreiben ihr eine differenzierte Semantik ein. 22 Vgl. den Band Natur im Mittelalter (2003); Kiening, Kultur und Natur, S. 56–63.

Alterität mittelalterlicher Natur- und Kulturkonzepte

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Andererseits schlagen sich ›historische‹ Ereignisse wie der Sündenfall auf die Physis nieder, sichtbar in den Zerrbildern des Menschen, aber auch im verdächtigen Schein des schönen Körpers.23 Zwar wird Natur weitgehend als strukturierte Form aufgefaßt, doch ist das komplizierte Verhältnis von Ordnung und Unordnung samt seinen ethischen Aufladungen schon hier nebeneinander vorhanden.24 Der natürlichen und historischen Prägung stehen überdies auch ›kulturelle‹ gegenüber. So verweist die Macht der Erziehung nach dem Grundsatz der Gewöhnung als zweiter Natur – consuetudo altera natura – auf Möglichkeiten der Überführung von Kultur in die zweite Natur.25 Das Mittelalter kennt also ganz spezifische Formen der Interferenz, die jedoch noch nicht unter dem Signum Natur-Kultur gefaßt werden. Als zentrale Voraussetzung einer Historisierung des Themas sind daher die unterschiedlichen Wort- und Begriffsfelder zu erfassen, unter denen mittelalterliche Texte das Verhältnis von Natur und Kultur thematisieren.26 Weder existiert ein moderner Begriff von Kultur noch, analog zum Kollektivsingular Geschichte, ein homogener Naturbegriff.27 Natur ist noch nicht auf die zwar regelhafte aber ›sinnlose‹ Lebenssubstanz reduziert und Kultur noch nicht zum Inbegriff humaner Selbstbehauptung ausgeweitet. Das Verhältnis natürlicher und kultureller Phänomene wird je nach sozialer Lage in unterschiedlichen Begriffsoppositionen verhandelt. Der gelehrte Diskurs orientiert sich in bezug auf Natur an den antiken Oppositionen, so daß als Gegenbegriffe zu natura Begriffe aus dem Bereich der Bildung und des Rechts fungieren: ars, doctrina, lex. Neben diesen Oppositionsbegriffen werden die Vorstellungen von Kultur aber auch in weiteren Dichotomien greifbar. Profilierungsfolie von ›Kultur‹ sind in diesem Fall die verschiedenen Ausprägungen von wider23 Der stattliche Heros Genelun im »Rolandslied«, der seinen Feudalverband verrät, muse sine nature began. Rolandslied, V. 1961. 24 Sichtbar etwa in der Personifikation der Natur. In der »Crône« Heinrîchs von dem Türlîn wird nach allen Regeln der Wildheit- und Krankheitstopik ein monströser Knappe beschrieben, der geradezu als Gegenbild zur Natur dargestellt wird: Natûre hât an ime gespart / Alle menschlîch art! Ebd. V. 19656f. Natûre wolt unschuldec sîn / An ime, als sie selbe jach, / Dô si in von êrste an sach / Ich enworht dich niht, sie dicke sprach. Ebd. V. 19783–19786. 25 Friedrich, Die Ordnung der Natur, S. 70–83. 26 Kiening, Kultur und Natur, S. 56–63. 27 Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 689–693; Böhme, Vom Cultus zur Kultur(wissenschaft), S. 51. Der Differenz zu neuzeitlichen kulturtheoretischen Ansätzen wie auch zu dezidiert modernen Kulturtheorien (z. B. Elias’ Zivilisationstheorie, Lévi-Strauss’ Strukturfunktionalismus, Adornos kulturkritischer Theorie, Foucaults Diskurskritik) muß daher notwendig durch Historisierung des Begriffsfelds und der Diskursformationen Rechnung getragen werden. Da vermieden werden soll, moderne Konzepte und Terminologien umstandslos in das Mittelalter zurück zu projizieren, gilt es, sich zunächst von geschichtsphilosophisch ausgerichteten Theoriedesigns insoweit abzusetzen, als sie allzu sehr an der Opposition Mythos versus Aufklärung, d. h. Naturzwang versus Freiheit, haften. Waldmann, Natur und Kultur; Czerwinski, Der Glanz der Abstraktion; Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns.

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ständiger wilder ›Natur‹: plantatio-solitudo, mansuetus-sylvestris, disciplinaaffectus, homo-bestia, anima-corpus, ratio-sensus. Der Inbegriff dessen, was der Neuzeit als unregulierte Natur gilt, versammelt sich für das Mittelalter im Vorstellungsensemble von Wildnis, Tierhaftigkeit und Körper. Aus dem antiken Wortfeld weiter transportiert wird auch die religiös-kultische und agrarisch gefaßte Semantik von cultura, wie sie in cultura idolatriae oder cultura terrae zum Ausdruck kommt, sie wird aber nur selten wie in der Antike auf die innere Bildung, auf die cultura animi, übertragen.28 Aber auch hier sind es einerseits die tiernahen Lebensformen der vita pastoralis, andererseits die zentrifugalen Energien des Körpers, gegen die sich agricultura bzw. cultura profilieren. Nicht zufällig wird daher im Anschluß an die Antike der Ackerbau zum Paradigma kultureller Errungenschaften. Eine onomasiologische Untersuchung der historischen Semantik von cultura erfaßt daher immer nur Teilaspekte des Phänomens und vernachlässigt die semasiologischen Alternativen. Auch für die höfische Kultur ist vielfach beschrieben worden, daß sie sich von ihren Grenzen her bestimmt, von Szenarien der Kulturlosigkeit, die gleichfalls in begrifflichen Oppositionen wie hof und wald, ritter und gebûre, zam und wilde, man und tier ihren Ausdruck finden.29 Auch sie scheinen auf den ersten Blick an den lateinischen Vorbildern orientiert zu sein. Doch setzt sich hier nicht nur ein adeliges Selbstverständnis von seinen agrarischen Wurzeln ab – Ackerbau rückt auf die Seite der Kulturlosigkeit –, sondern zugleich existiert in diesem Feld eine Bedeutungsebene von tier und wilde, die weniger negativ qualifiziert ist, als daß sie einen konstitutiven Bestandteil des adeligen Ethos repräsentiert. Im feudalen Symbolsystem scheint das Tier noch eine elementare Funktion zu erfüllen. Die Diskussion über heroische und höfische Kultur gilt gemeinhin als mittelalterliche Ausprägung einer Zivilisationsgeschichte, und sie läßt sich durchaus als eine Natur-KulturRede in einem anderen terminologischen Gewand auffassen. Doch bleibt bei aller Betonung des Zivilisatorischen ihr Status ambivalent. Theologisch-gelehrte und volkssprachlich-feudale Rede einerseits, andererseits die feudalen Konzepte von höfischer und heroischer Lebensform bilden nicht nur entgegengesetzte Pole kultureller Reflexion, sondern auch komplementäre Standpunkte, die in Sprache, Symbolsystem und Ethik z.T. eigene Ausprägungen 28 Die schon bei Cicero anklingende Übertragung auf Geistesbildung (cultura animi) wirkt im Mittelalter nicht nach. Fisch, Zivilsation, Kultur, S. 685, 689–692. Und doch gibt es metaphorische Übertragungen. Radulfus Niger spricht im Zusammenhang von Körper- und Sinnendisziplinierung davon, daß in dem Fall, in dem das ›Geschirr‹ der Sinne wie eine Rüstung abgelegt wird, der Mensch sich dem Schlechten aussetzt: bona, que deus homini donavit vel homo per culturam et curam sibi acquisivit, homo negligit vel exponit ad malum. De re militari I,38. 29 Wenzel, Ze hove und ze holze, S. 277–299; Kiening, Anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur, S. 46; Kiening, Kultur und Natur, S. 56–63.

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erfahren, z. T. sich aber auch überschneiden. Schon für das frühe Mittelalter muß statt von einem Ablösungsprozeß genuin archaischer durch christliche Identitätsmuster von einer komplizierten Schichtung beider ausgegangen werden.30

3. Dispositiv Mensch-Tier: Ackerbau v. Jagd Die mittelalterliche Lebenswelt ist durch ein anderes Verhältnis zum Tier gekennzeichnet als das primär instrumentelle der Neuzeit.31 Das Tier als Lebensgrundlage bäuerlicher Wirtschaft, als zentrales Transport- und Fortbewegungsmittel, als Statusindex (Pferd) und Jagdinstrument (Hund/Falke) und nicht zuletzt als reale Bedrohung, all das bezeugt den engen Kontakt zum Menschen innerhalb des primär landwirtschaftlich geprägten Hofes.32 Aus der Perspektive einer elaborierten Industriekultur, der das Tier nur noch als ökonomische Ressource oder als sentimentales Spielzeug dient, ist die Alterität vorindustrieller Mensch-Tier-Beziehungen nur noch schwer zu fassen.33 Kulturgeschichtliche Konzepte mit anthropologischem Hintergrund unterscheiden drei relevante Stufen, die durch fundamental unterschiedliche Verhältnisse von Mensch und Tier sowie durch eine abweichende kulturelle Wahrnehmung der Tiere gekennzeichnet sind:34 Gesellschaften von Jägern und Sammlern, Agrar- und Industriegesellschaften. Das agrarische Zeitalter entfaltete sich als das Zeitalter der tierisch-menschlichen Wunschmaschinen, der vielgestaltigen Symbiosen und ambivalenten Verwandlungsmöglichkeiten, als das Zeitalter der Haustiere und der wilden Tiere, das Zeitalter der Tiergötter und Teufelsbiester, das Zeitalter der Tierkreiszeichen und Wappentiere, des Fischfangs und der Reitkunst, der Stierkämpfe und Jagdleidenschaften, kurzum: als das Zeitalter der detaillierten Herausbildung subtiler kultureller Profile von Tierarten oder typischen Gemeinschaften von Menschen und Tieren. Mit einem Wort: Die Neolithische Revolution sprengte den Menschen aus jenem Kosmos der Tiere heraus, dessen bunter Schatten bis heute auf den Wänden der eiszeitlichen Kulthöhlen erscheint.35 30 Vgl. Fenske, Jagd und Jäger im früheren Mittelalter, S. 50f. Die Opposition ist nur eine idealtypische, finden sich doch bei den Autoren des feudalen Diskurses auch die gelehrten Oppositionen (z. B. natûre-list/kunst). Die ambivalente Besetzung sozialer Positionen, z. B. der Adelige als Kleriker, zieht eine Fülle von Übergangsformen nach sich. 31 Macho, Tier, S. 62–85. 32 Bloch, Die Feudalgesellschaft, S. 97. 33 Macho, Tier, S. 78–82; Salisbury, The Beast Within; Dinzelbacher, Art. ›Mensch und Tier‹. Mittelalter, S. 181–292. 34 Macho, Tier, S. 70; vgl. Meyer, Der Mensch und das Tier; Zur frühen Mensch-Tier-Symbiose Müller-Karpe (Hg.); Frewein (Hg.), Das Tier in der menschlichen Kultur. 35 Macho, Tier, S. 70.

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Damit ist eine erste Matrix für die Alterität auch mittelalterlicher MenschTier-Beziehungen gegeben. Zentrales Kennzeichen einer Agrargesellschaft ist die umfassende Instrumentalisierung des Tiers mittels Domestikation, deren Durchsetzung sich in einem kulturgeschichtlichen Prozeß von langer Dauer vollzieht.36 Die Einbindung der Tiere als »›aktive‹ Protagonisten« in die Lebenswelt agrarischer Gesellschaften macht sie stets zu mehr als zu einem bloßen ökonomischen Kapitalträger.37 Das Gefüge »Mensch-Tier-Technik« markiert gerade durch seine unterschiedlichen Besetzungen zentrale kulturgeschichtliche Schwellen, z. B. kennzeichnend für den agrarischen Typus: Bauer-Rind-Pflug. Als »verschiedene Arten von maschinellen Ensembles« besitzen Tiere, anders als in der Moderne, eine stärkere Zeichenfunktion für die mittelalterliche Gesellschaft, durch die sie an der Stabilisierung der symbolischen Ordnung mitwirken.38 Der Alterität der historischen Konfiguration entspricht nämlich eine der kulturellen Wahrnehmung. So fungiert das Tier – schematisch gesprochen – für den Bauern als lebensnotwendige Energieressource, für den Kleriker als moralisches Zeichen und für den Adeligen als rivalisierendes Gewaltpotential. Die genuine Nähe der bäuerlichen Existenzform zum Tier führt deshalb zur nicht nur symbolischen Angleichung des untersten Standes an das Haustier. Demgegenüber sieht der Adel zentrale Haltungen seiner Existenz in den edlen Tieren repräsentiert: z. B. in Pferd, Jagdhund, Adler und Falke. Nicht zufällig hält der Kleriker die größte Distanz zum Tier, die nur noch im populären Bild vom Hirten und der Herde ihren ambivalenten Status offenbart, ist die Gemeinde als ›Herde‹ doch zugleich Objekt geistlicher Seelsorge wie auch konkretes Subjekt der kirchlichen Subsistenzsicherung.39 Es sind somit die drei Ebenen der technischen, politischen und ethischen Funktionalisierungen des Tiers, auf die sich die ›drei Ordnungen‹ verteilen und stützen, wobei jede einzelne Ordnung alle Funktionen enthält, jedoch anders hierarchisiert. Der selbstverständlichen Einbindung des Tiers in die Lebenswelt der mittelalterlichen Agrar- und Adelsgesellschaft stehen gerade auf Seiten der Kir-

36 Kulturgeschichtlich kommen erst mit der Domestikation spezifische Mensch-Tier-Gefüge überhaupt zum Vorschein: zunächst das Haustier als Nahrungs- und Materialressource; dann in spezifisch technischen Verbindungen das Haustier als Transport- und Arbeitsmittel. 37 Macho, Tier, S. 75. Im Zeitalter umfassender Mechanisierung körperlicher und Digitalisierung geistiger Potenzen scheint das Tier als Folie kultureller Selbstreflexion geradezu durch die Maschine abgelöst zu werden. Kamper, Mensch, S. 85–91, 87f. 38 Macho, Tier, S. 76. 39 Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik, S. 29–165; Deutlicher noch als politisch nutzbare Metapher offenbart das Bild von Hirte und Herde seine sozial differenzierende Funktion, indem das christliche Fürsorgemodell auf eine archaische Kultur- und Herrschaftsform übertragen wird.

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che Strategien der Distanzierung gegenüber.40 Für deren Ethik ist damit aber zunächst eine zentrale Position formuliert: Distanznahme zum äußeren wie zum inneren Tier, eine Konstellation, die in der Verführung Evas durch die Schlange ihre wirkungsmächtige historische Chiffre erhält. Wenn zentrale Personenkonstellationen der Bibel um den Konflikt Ackerbau/Seßhaftigkeit und Jagd gruppiert sind,41 kommt auch darin eine Distanzierung gegenüber dem Tier zum Ausdruck. Entsprechend wird trotz der häufig benutzten Metapher von Hirte und Herde das Bild vom Säen und Pflanzen und nicht das der Züchtung zur Leitmetapher kirchlicher Mission, und nicht zufällig wird dem Christentum der Wandel von der Kriegs- zur Ackerbaukultur zum Paradigma moralischen Fortschritts: Schwerter zu Pflugscharen.42 Die Ebene der Sprache wird auch in politischer Hinsicht zum Indikator von sozialer Hierarchisierung und Animalisierung, wenn feudale Herrschaft einerseits die Hirtenmetaphorik der Kirche usurpiert, darüber hinaus aber Herrschaft immer wieder als Praktik der Zügelung und Unterjochung formuliert. So stellt sich der paradoxe Befund ein, daß trotz fester Grenzziehung zwischen Mensch und Tier von theologischer Seite ständig die Gefahr der potentiellen Grenzüberschreitung gepredigt wurde. Erst seitdem der Mensch realiter zum Tier geworden ist, seit Darwin, verliert die Furcht vor Grenzüberschreitung ihre Kraft. Dem Distanzierungsprozeß der Agrarkultur stehen jedoch innerhalb der Adelskultur weitreichende Überschneidungen gegenüber. Noch für die frühmittelalterliche Jagd etwa ist konstatiert worden, daß der adelige Jäger urzeitlichen Jagdpraktiken näher verhaftet war als der moderne Distanzjäger und gerade durch die direkte Konfrontation mit dem Tier eine gänzlich andere emotionale Einstellung ihm gegenüber besaß.43 Für die Feudalkultur werden Tiere zu zentralen Indikatoren kultureller Sinn- und Bedeutungsstiftung, die bis in das adelige Körperkonzept hineinwirken. So bildet die spezifisch feudale Symbiose von Mensch, Tier und Technik, der Ritter mit Pferd und Lanze, eine für das Mittelalter einschneidende kultursoziologische Verschie-

40 Letztlich basieren Kulturtheorien wie Säkularisierung, der Prozeß der Zivilisation, selbst der Evolutionismus der Systemtheorie auf der kulturellen Fortschrittsidee: vom Tier zum Menschen. Vgl. Wimmer, Wulf, Dieckmann, Grundlose Gewalt, S. 8f. Zurückgeführt wurde dieser »Ab- und Ausgrenzungswille« kulturgeschichtlich einerseits auf »eine frühgeschichtliche Not«, d. h. auf »die Bedeutung der Jagd für die Menschwerdung«, andererseits auf die »Deutung der Humanisierung als Kampf gegen die Bestie im Menschen.« Kamper, Mensch, S. 88. 41 Kain und Abel, Jakob und Esau. 42 […] barbari exsecrati gladios suos ad aratra conuersi sunt. Orosius, Historiarum adversus paganos VII,41,7, S. 554; vgl. Jones, The Image of the Barbarian, S. 383; von See, Der Germane als Barbar, S. 41. 43 Fenske, Jagd und Jäger im früheren Mittelalter, S. 51.

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bung.44 Wenn die Entstehung des Rittertums als Prozeß der Arbeitsteilung zwischen bäuerlichen und kämpfenden Adeligen in Krisenzeiten beschrieben wird, wie etwa bei Widukind, bezeichnet das nicht nur den Beginn einer sozialen Spaltung, sondern auch den stets möglichen Rückfall in ›vorkulturelle‹ Verhaltensmuster: Pflugscharen zu Schwertern!45 Es ist denn auch der Krieg, in dessen Kontext die feudale Kultur eine ganze Semiotik der Assimilation von Mensch und Tier entfalten wird: etwa in der Aristie des Heros. Werden Gewaltartikulationen aller Art in ethischer Perspektive immer wieder auf eine natürliche Animalität des Menschen zurückgeführt, die kulturgeschichtlich allererst unter Kontrolle zu bringen ist,46 so besitzt das Mittelalter im feudalen Kampfethos zugleich eine spezifisch positiv gefaßte Gewaltkultur, die als naturgemäße Artikulation feudaler Existenz begriffen wird. »Wenn aber jedem gewaltsamen Verhalten eine symbolische Verarbeitung, Bedeutungszuweisung und Bewertung zugrunde liegt«, d. h. wenn »die Vorstellung von einer ›Natur des Menschen‹ keineswegs natürlich, sondern einem bestimmten kulturellen, historischen und symbolisch strukturierten Weltverständnis zugehörig [ist], in dem sie überhaupt erst möglich und bedeutsam wird«, »dann muß eine historische Anthropologie der Gewalt, will sie etwas über sie erfahren, dieser Verzahnung nachspüren.«47

4. Kulturwissenschaftliche Perspektive Der kulturhistorische Rahmen und die potentielle Spannbreite des Themas sowie die Absicht, es über verschiedene Diskurse zu verfolgen, rücken die Arbeit in die Nähe kulturgeschichtlicher Ansätze. Sie bedarf daher der methodischen Kontrolle, um jene Überdimensionierungen und Projektionen zu vermeiden, denen die klassische Kulturgeschichte unterlag.48 Selbst die auf das Mittelalter konzentrierten Kulturgeschichten, wie Hans Prutz’ »Kulturgeschichte der Kreuzzüge« (1883), Alwin Schultz’ »Das höfische Leben zur Zeit der Minne44 Das gleiche gilt für die Instrumentalisierung von Hunden und Falken in der Jagd, bei denen das Tier selbst zum Repräsentanten aggressiver Technik avanciert. Meyer, Mensch und Pferd. Zur Kultursoziologie einer Mensch-Tier-Assoziation. 45 Alsus sprach der kvnic for / Wir sullen sech vnd schar / Vnd phluc ysen gar / Zv philen vnd zv swerten smiden. Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 3442–3445.Vgl. die Einschränkung des Jagdrechts der Bauern seit dem frühen Mittelalter. Signifikant ist auch die Schmähung des Ackerbaus und das Lob der Jagd durch die St. Gallener Ministerialen bei Ekkehard von St. Gallen, Casus sancti Galli Cap. 48; Rösener, Jagd, Rittertum und Fürstenhof, S. 130f. 46 Wimmer, Wulf, Dieckmann, Grundlose Gewalt, S. 15–23. 47 Ebd., S. 17, 18f. 48 Ritter, Zum Begriff der »Kulturgeschichte«, S. 293–302, 298; Flemming, Kulturgeschichte als Integrations- und Leitwissenschaft?, S.8–23; Mergel, Kulturgeschichte, S. 41–77.

Kulturwissenschaftliche Perspektive

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singer« (1889), Georg Grupps »Kulturgeschichte des Mittelalters« (1894) oder Franz von Löhers »Kulturgeschichte der Deutschen im Mittelalter« (1896) verstanden sich als Sammelbecken all jener historischen alltagsweltlichen Details, die in einer politischen Historiographie verloren zu gehen drohten.49 Kulturgeschichte geriet zur Totalgeschichte, die große Zeiträume im Parforceritt durcheilte, diverse Felder sozialer Interaktion vermaß und somit entweder ein »Gesamtbild« der Kultur anstrebte oder wenigstens »Bausteine« für »den großen Bau« lieferte bzw. die »Grundpfeiler« des »Gebäudes der modernen Kultur« nachzeichnete.50 Kultur wurde jenseits aller Einzelforschung nur als Ganzes begriffen, ihr Subjekt war das Volk, die Nation, schließlich die Menschheit,51 ihr Endprodukt der gegenwärtige Zustand der Industriegesellschaft.52 Die verdienstvollen Versuche, ein repräsentatives Bild der mittelalterlichen Kultur insgesamt oder einzelner Sektoren zu skizzieren, von der inventarisierenden nationalen Kulturgeschichte (Schultz/Grupp u. a.) bis hin zur historischen Rekonstruktion der »höfischen« (Bumke), der »monastischen« (Dinzelbacher) oder »bäuerlichen« Kultur, haben vor allem das Bewußtsein für die Problematik und Vielschichtigkeit des kulturellen Feldes geschärft. Von Kultur läßt sich nicht mehr repräsentativ, sondern nurmehr im Plural sprechen, will man nicht in die Rede vom Geist oder Weltbild des Mittelalters zurückfallen. Verschiedene methodische Neuansätze haben daher in der Folge nicht nur den Versuch unternommen, einerseits durch Rekurs auf ein breites Quellenspektrum und auf Realien dem Dilemma der reinen Textimmanenz und dem Zirkel rein literarhistorischer Rekonstruktionen zu entkommen, andererseits die historische Inventur an theoretische Modelle zu koppeln, d. h. eine Vermittlung von historischem Faktum und historisch adäquater Wahrnehmungsdisposition zu erreichen: etwa in den Modellen der Mentalitätsgeschichte und der Diskursanalyse.53 Dabei geht es weniger um einen universalen Zugriff auf Kultur, wie es im Vorwurf der histoire totale mitunter anklingt, als um die Situierung von historischen Texten und Fragestellungen in ihrem kulturellen Horizont.54 49 Eine »Mosaikarbeit […] aus einer Unzahl von Einzelheiten« setzt Schultz zusammen. Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger, S. XIV. 50 Ebd., S. X; Grupp, Kulturgeschichte des Mittelalters, S. III; Prutz, Kulturgeschichte der Kreuzzüge, S. 6. 51 Ein »Gesamtbild des deutschen Volkslebens in reich- und wohlgegliederter Einheit vor dem Leser auszubreiten«, verspricht noch der »Prospekt« zum ersten Band der ›Zeitschrift für Deutsche Kulturgeschichte‹ von 1856. Vgl. Klemm, Gustav, Allgemeine Culturgeschichte der Menschheit, 10 Bde., Leipzig 1843–52. 52 Zeitschrift für Deutsche Kulturgeschichte 1 (1856), S. III. 53 Schöttler, Mentalitäten, Ideologien, Diskurse, S. 85–136; Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 10–60. 54 An die Stelle eines universalen Kulturentwurfs tritt dabei gegenwärtig das Nebeneinander rivalisierender Kulturtheorien. Friedrich, Konkurrenz der symbolischen Ordnungen, S. 563f.

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I. Kulturwissenschaftliche Rahmung

Im Horizont der aktuellen kulturwissenschaftlichen Konjunktur scheint Kultur sich zusehends nicht nur in den Geschichtswissenschaften – neben Staat, Volk, Gesellschaft – als neuer Metabegriff eines erweiterten methodischen Selbstverständnisses zu etablieren, das Menschen nicht nur strukturfunktional auf Klassen, Lagen und Schichten reduziert, sondern wieder mit übergeordneten Sinnsystemen, z. B. symbolischen Ordnungen, Diskursen und Habitus, rechnet.55 Es kann mittlerweile als Gemeinplatz gelten, daß das kulturelle Feld sich aus einer Vielzahl von Konfigurationen zusammensetzt, die materiell-technische Errungenschaften und ästhetische Produktionen ebenso erfaßt wie soziale Strukturen, Verhaltensregeln und Kommunikationsformen, aber auch ideologische und mentale Muster.56 Vor allem die spezifisch historischen Konfigurationen von Kultur, etwa die mediale Interferenz einer Mündlichkeits- und Schrift-Kultur bzw. die soziale einer feudalen, klerikalen und bäuerlichen Kultur dokumentieren komplexe Differenzierungen von Kultur im Mittelalter. Die Alterität mittelalterlicher Kultur dokumentiert sich auf medialer (Status von Schrift und Bild), sozialer (Feudalismus), politischer (Funktionsprinzip Herrschaft), ökonomischer (Agrargesellschaft), bildungsspezifischer (artes-System) wie auch allgemein historisch-anthropologischer (der Status von Geburt/Tod, Körper, Familie) Ebene. Der Versuch der Verknüpfung bzw. Relationierung der verschiedenen Felder wird nicht zufällig in einer alternativen Metaphorik sichtbar. »Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe.«57 Die Konjunktur der Textmetapher für die Beschreibung kultureller Phänomene

55 Mergel, Kulturgeschichte, S. 41–77. Von einer »Sozialgeschichte ›in der Erweiterung‹« spricht Rudolf Vierhaus, Die Rekonstruktion historischer Lebenswelten, S. 9. Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 10–60. Die gegenwärtige Konjunktur des kulturwissenschaftlichen Paradigmas in zahlreichen Humanwissenschaften wie Historiographie, Soziologie, Ethnologie, Anthropologie und Literaturwissenschaft demonstriert seine Wirkungsmächtigkeit. Zur literaturwissenschaftlichen Umsetzung vgl. die Sammelbände Literatur und Kulturwissenschaften (1996); Germanistik als Kulturwissenschaft (1999); Germanistik als Kulturwissenschaft (2002); und die Beiträge von Graevenitz, Literaturwissenschaft und Kulturwissenschaft, S. 94–121; Neumann, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft, S. 131– 160. 56 Zur Problematik eines extensiven Verständnisses von Kultur vgl. Ritter, Zum Begriff der »Kulturgeschichte«, S. 294f.; Greenblatt, Kultur, S. 48; Luhmann, Kultur als historischer Begriff, S. 31f.; Mergel, Kulturgeschichte, S. 48–52; Giesen, Schmid, Symbolische, institutionelle und sozialstrukturelle Differenzierung, S. 95–105. 57 Geertz, Dichte Beschreibung, S. 9. Entsprechend beansprucht Foucault eine besondere Optik auf die Welt, welche nicht mehr »als ein großes sich durch die Zeit entwickelndes Leben« erfahren werde, vielmehr »als ein Netz, das seine Punkte verknüpft und sein Gewirr durchkreuzt.« Foucault, Von anderen Räumen, S. 34.

Kultur als symbolische Ordnung

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eröffnet Perspektivierungsmöglichkeiten, die die traditionellen Kulturmetaphern wie Gebäude, Gemälde und Mosaik nicht bieten.58 Weit davon entfernt, ein Gesamtbild der mittelalterlichen Kultur entwerfen zu wollen, soll hier allenfalls ein Faden (Mensch-Tier) im kulturellen Gewebe (textum) des 12. und 13. Jahrhunderts verfolgt werden, der quer durch soziale Felder, Disziplinen und Texte verläuft. In bezug auf das Verhältnis von Mensch und Tier liegen aus dieser Perspektive entweder zu weiträumig oder zu eng geschnittene Arbeiten vor. Während kulturgeschichtliche Veröffentlichungen das Verhältnis des Menschen zum Tier in großen Epochenüberblicken skizzieren, rekurrieren mediävistische Arbeiten vorwiegend auf motivgeschichtliche, gattungs- und textspezifische oder allegorische Verwendungszusammenhänge.59 Sie konzentrieren sich überdies weitgehend auf das Tiermotiv und thematisieren kaum die Grenzen zwischen Mensch und Tier. Das Tier ist aber mehr als ein Motiv, mehr auch als ein Sinnbild: Es fungiert als leitendes Prinzip kultureller Selbstreflexion. Die Relation von Mensch und Tier als Diskurs aufzufassen bedeutet, die verschiedenen diskursiven, praktischen und institutionellen Orte aufzuspüren, an denen das Tier als Kategorie sozialer Ordnung oder Unordnung funktionalisiert wird, und diese auf ihre gemeinsame Strategie zu befragen.60

5. Kultur als symbolische Ordnung Die Literaturwissenschaft interessiert naturgemäß solche Theorien, die das Verhältnis von ästhetischen Produktionen und kulturellem Kontext zu bestimmen versuchen. Forschungsrichtungen wie der New Historicism oder die Historische Anthropologie unternehmen den Versuch, gegen eine Verabsolutierung des Literarischen, wie sie im Close reading, im New Criticism oder in der Dekonstruktion praktiziert wird, aber auch gegen den strukturellen Funktionalismus und eine klassisch hermeneutische Lektüre alternative

58 Friedrich, Konkurrenz der symbolischen Ordnungen, S. 566f. 59 Z. B. Meyer, Der Mensch und das Tier (1975); Das Tier in der menschlichen Kultur (1983); Batereau, Die Tiere in der mittelhochdeutschen Literatur (1909); Bindschedler, Tierdarstellungen in der deutschen Dichtung des Mittelalters (1967); Schmidtke, Geistliche Tierinterpretation (1968); Das Tier in der Dichtung (1970); Ackermann-Arlt, Das Pferd und seine epische Funktion im Prosa-Lancelot (1990); Tiersymbolik (1991); Tierepik im Mittelalter (1994); Dinzelbacher, Mensch und Tier in der Geschichte Europas (2000); Jahn, Neudeck, Tierepik und Tierallegorese (2004). 60 Fohrmann, Müller, Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, S. 9–22; Meyer, Diskurstheorie und Literaturgeschichte, S. 389–408; Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 10–60.

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I. Kulturwissenschaftliche Rahmung

Modelle für das Verhältnis von Literatur, Gesellschaft und Geschichte zu formulieren.61 Zentral für das kulturwissenschaftliche Paradigma scheint der Begriff der ›Symbolischen Ordnung‹ zu sein. Das moderne kulturwissenschaftliche Selbstverständnis basiert geradezu auf Konzepten von Kultur als Symbolsystem, wobei die Adaptation des Symbolbegriffs je nach Disziplin in unterschiedlicher Ausrichtung erfolgt.62 Dem Ethnologen und Historiker verspricht das Konzept der symbolischen Ordnung jenseits rein empirischer Feld- und Quellenforschung Einblick in die Bedeutungsdimension eines fremden Kultursystems, d. h. in seine Alterität.63 Dem Soziologen dient es dazu, gegenüber der ökonomisch fundierten Klassenanalyse die Wirksamkeit imaginärer Faktoren zu erkennen und deren Rückkoppelungen an ganz spezifische soziale Handlungsmuster und Praktiken zu untersuchen.64 Soziale Gruppenbildung und Differenzierung vollzieht sich dabei durch einen »Klassenhabitus«, der durch »adäquate Wertschätzungen, Geschmacksurteile und Lebensstile« reproduziert wird, die ihrerseits zu Indices »sozialer Kämpfe auf der symbolischen Ebene« werden.65 Reiten und Jagen wären etwa für den mittelalterlichen Adel solche Habitusformen. Analog, nur auf abstrakterer Ebene, läßt sich der Gegenstand der Diskursanalyse als symbolischer auffassen. Hier wird sogar die scharfe Gegenüberstellung von Realität und Fiktion aufgehoben, indem Diskursanalyse ihr Arbeitsfeld auf einer Vermittlungsebene einrichtet, so daß Diskurse, Prak61 Greenblatt, Kultur, S. 48–59; ders., Grundzüge einer Poetik der Kultur, S. 107–122; Glauser, Heitmann, Verhandlungen mit dem New Historicism; Kiening, Anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur; Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 151–155. 62 Ihre methodische Basis geht auf die philosophische Kulturtheorie von Cassirer (»Symbolische Formen«) zurück. Bourdieu, Dialog über die Kulturgeschichte, S. 27; Giesen, Schmid, Symbolische, institutionelle und sozialstrukturelle Differenzierung, S. 96–98. 63 Geertz, Dichte Beschreibungen, S. 50: »Kulturelle Handlungen – das Bilden, Auffassen und Verwenden symbolischer Formen – sind soziale Ereignisse wie all die anderen auch; […] die symbolische Dimension sozialer Ereignisse kann wie die psychologische getrennt von diesen Ereignissen als empirischen Gesamtheiten betrachtet werden.« Auch in der Geschichtswissenschaft haben sich neben der politischen Faktengeschichte Forschungsrichtungen etabliert, die auf die symbolische Ebene zielen, diesen also gleichen Rang zuschreiben: Mentalitätsgeschichte, Vorstellungsgeschichte. »[…] symbolische Sinnwelten […] sind ebenso real wie die ›wirkliche‹ Wirklichkeit«. Mergel, Kulturgeschichte, S. 59. 64 »Außer Frage steht, daß den symbolischen Strukturen in bestimmten Grenzen eine außerordentliche Konstitutionsmacht innewohnt, die bisher noch sehr unterschätzt wurde.« Bourdieu, Der Kampf um die symbolische Ordnung, S. 142–164, 153; vgl. dort S. 155–160: Die symbolischen Formen der Macht. Gilcher-Holtey, Kulturelle und symbolische Praktiken, S. 111–130, 117; Honneth, Die zerrissene Welt der symbolischen Formen, S. 149. 65 Gilcher-Holtey, Kulturelle und symbolische Praktiken, S. 119, 117. Kulturelle Praxisformen als Raum der symbolischen Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Gruppen um soziale Distinktionen. Ebd., S. 116.

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tiken und Institutionen in ihren analogen funktionalen Wirkungen – Regulierungen, Machtpraktiken – nebeneinander analysiert werden können.66 Theologische und politische Ordnungsreden und -praktiken, Modelle von Kulturgeschichte und ethnographische Konzeptualisierungen des Fremden operieren im Mittelalter immer wieder auf der Basis des Mensch-Tier-Vergleichs. In allen Fällen behauptet sich die Symbolsphäre nicht nur gegenüber dem Vorwurf des rein Ideologischen, sondern es werden auch ganz unterschiedliche Modelle der Vermittlung entworfen, durch die die symbolische Ordnung eigenständige Effekte auf die soziale Lebenswelt ausübt. Symbol wird hier nicht mehr im Sinne literaturwissenschaftlicher Terminologie als textbezogenes »Sinnbild«, als »Darstellungsverhältnis« oder als »Abstraktion durch eine Figur« begriffen,67 vielmehr wird die symbolische Ordnung entweder als ein Haushalt von sinn- und prestigeträchtigen Statuszeichen – z. B. Pferd, Falke – konzipiert, die ein zweckrational handelndes Subjekt zielgerichtet einsetzt, oder aber im strukturalistischen Sinn als nicht durchschaute Sinn-, Sprach- und Machtstruktur, innerhalb deren Subjekte agieren. Die ›Symbolische Ordnung‹ wird als Schnittstelle zwischen Fiktion und Realität plaziert, und insofern sie Struktur und Sinn aneinander koppelt, versucht sie, den Erfordernissen von Strukturalismus und Hermeneutik gleichermaßen Rechnung zu tragen. Umstritten bleibt dabei der Status der symbolischen Repräsentation, die weder auf ein Sinnbild noch auf einfache Symbolisierung im Sinn von Versprachlichung reduziert werden kann. Auch ist Vorsicht sowohl gegenüber der Ansicht geboten, eine Gesellschaft verfüge über ein homogenes Symbolsystem im Sinne eines Weltbildes,68 wie auch gegenüber der Annahme, die symbolische Ordnung konzentriere sich in einem Präparat, etwa in einer sozialen, rituellen Praxis, wie etwa Clifford Geertz sie im balinesischen Hah66 »Diskurse sind symbolische Ordnungen, die wieder auf symbolische Ordnungen verweisen. Realität erscheint hier immer als symbolische Ordnung, als Diskurs.« Bublitz, Diskursanalyse als Gesellschafts-›Theorie‹, S. 29; vgl. Detel, Macht, Moral, Wissen, S. 13–75; Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 10–60. Die Psychoanalyse spricht gar der symbolischen Ordnung substantielle Dignität gänzlich ab, indem sie den Geltungsanspruch von sozialen Sinnkonstruktionen ganz in das Reich des Wirklichkeit konstituierenden Phantasmas verweist. »In etwas poetischer Manier ließe sich sagen, daß der Mensch jenes Tier ist, dessen Leben von symbolischen Fiktionen regiert wird. […] indem das wirkliche Leben einer Gemeinschaft durch den Bezug auf symbolische Fiktionen strukturiert wird.« Žižek, Grimassen des Realen, S. 50. Unter einer kulturwissenschaftlich gewendeten psychoanalytischen Optik (Lacan) ist Realitätsbewußtsein keine conditio sine qua non lebensweltlicher Sinnkonstruktion, im Gegenteil. Bowie, Lacan, S. 12–22. 67 So noch Chartier, Dialog über die Kulturgeschichte, S. 32. 68 »Gibt es wirklich einen eigenen, alle Lebensgebiete umfassenden Lebensstil einer Epoche?« Ritter, Zum Begriff der »Kulturgeschichte«, S. 294. Oder: »Ich glaube nicht, daß sich die Kultur im gleichen Rhythmus und auf kohärente Weise an allen Fronten ändert.« Darnton, Dialog über die Kulturgeschichte, S. 25.

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nenkampf vorzufinden glaubt.69 Vor dem Hintergrund der kulturellen Textmetaphorik lassen sich solche Konzentrate sozialer Sinnproduktion allenfalls als signifikante Knoten und Bündelungen begreifen. In jedem Fall muß auch von symbolischen Ordnungen im Plural gesprochen werden, abgestuft nach den verschiedenen sozialen Gruppierungen, ihren Sinnbedürfnissen und symbolischen Strategien, durch die die »Kämpfe um Anerkennung«, »eine fundamentale Dimension sozialen Lebens«, strukturiert werden.70 Symbolische Ordnungen konstituieren sich auf unterschiedlichen Ebenen. Sie bilden zum einen den Orientierungs- und Sinnrahmen für subjektives Handeln und überschreiten damit die Ebene des Subjekts: Familie, Beruf, Institution (Partei, Kirche). Zum andern sind sie doch offen für individuelle Gestaltung, so daß ein Subjekt stets flexibel an mehreren symbolischen Ordnungen partizipieren kann. Auch für das Mittelalter ist bekannt, daß Subjekte häufig im Schnittpunkt mehrerer symbolischer Ordnungen sich finden: der adelige und ›kriegerische‹ Zisterzienser Bernhard von Clairvaux; der adelige Zisterzienser und Bischof Otto von Freising. Auch als komplizierte und mehrfach codierbare Chiffre sozialer Sinnproduktion läßt sich der Symbolbegriff auffassen.71 Die rivalisierenden Symbolsysteme erscheinen als komplexe Ordnungsrahmen mit Anspruch auf »Eigen-Sinnigkeit«, die soziale Sinnentwürfe und Handlungsmuster sowie institutionelle Regulierungen auf einer Ebene beschreibbar machen.72 Für die Beschreibung der vielfältigen

69 Kulturanthropologische Ansätze rechnen immer wieder mit derartigen Konzentrationsformen: etwa wenn eine Gesellschaft im rituellen Opfer ihr problematisches Verhältnis zum Leben, zu ihrem Gewaltpotential, inszeniert. Burkert, Griechische Tragödie und Opferritual, S. 21. Vgl. Chartier zu Darntons Darstellung des Pariser ›Katzenmassakers‹. Dialog über die Kulturgeschichte, S. 34. 70 Bourdieu, Der Kampf um die symbolische Ordnung, S. 156. »Wir stoßen wieder auf das Problem des unterschiedlichen gesellschaftlichen Gebrauchs der Symbolismen, […] wir haben es mit unterschiedlichen Universa zu tun, die partiell gemeinsame Codes auf unterschiedliche Weise gebrauchen, mit allen Arten komplexer Strategiespiele, die durch den Verständnis- und Mißverständnisanteil möglich gemacht werden.« Bourdieu, Dialog über die Kulturgeschichte, S. 37. 71 »Kultur ist Inbegriff der zu einer Zeit üblichen Symbolsysteme und ihrer Verwendungen, der Einstellungen, Rituale, Praktiken, sozialen Ordnungen usw., deren Zusammenwirken zu beschreiben ist. Sie sind niemals untereinander vollständig abgestimmt und in ein System integriert (Clifford Geertz), doch auch niemals bloß isoliert verstehbar.« Müller, Neue Altgermanistik, S. 453. 72 Mergel, Kulturgeschichte, S. 44. Webers »Sinnzusammenhänge«, Geertz’ daran anknüpfende »selbstgesponnene Bedeutungsgewebe«, in die der Mensch »verstrickt« ist, aber auch die »Tradition« als eine von der Vergangenheit »erborgte Sprache« (Marx), die »symbolischen Formen« Cassirers (Sprache, Mythos) oder die »symbolische Ordnung« Lacans: All das zeigt, daß es nicht mehr um eindeutige Zeichenrelationen geht, sondern um komplexe Zeichensysteme, die auf vielfältige Art sozialen Sinn produzieren. Geertz, Dichte Beschreibungen, S. 9; Sarasin, Subjekte, Diskurse, Körper, S. 131.

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Rivalitäten innerhalb der mittelalterlichen Feudalgesellschaft lassen sich hier methodische Anleitungen gewinnen. Orientierung in der Lebenswelt vollzieht sich durch sozial eingeschliffene Muster und komplexe symbolische Konfigurationen, die die Wahrnehmung strukturieren. Die symbolische Ordnung konstituiert sich jeweils als synchroner Strukturierungszusammenhang, der den Blick auf die Gegenwart und die Wahrnehmung der sozialen Verhältnisse, aber auch auf die Verarbeitung historischer Erfahrung lenkt, deutlich sichtbar etwa an der eigentümlichen ›Verritterlichung‹ antiker Traditionen im Mittelalter. Es ist die je historische Gegenwart, die den Blick auf die Geschichte strukturiert. Die historiographischen Darstellungen (res gestae) des Mittelalters inszenieren immer auch »Vergangenheitsbilder«, »Bildnotate«, die die »Anpassung der Vergangenheit an die Gegenwart der Gedächtnisträger« leisten.73 Statt um die historiographische Rekonstruktion ›harter Fakten‹ bemüht sich die Erforschung der symbolischen Ordnung um die mentalen Muster, die zeitgenössischen Ordnungsstrategien, die letztlich das Gewebe synchroner Bedingungen von Schriftproduktion und Handlungen darstellen.74 Symbolsystem ist somit nicht ein historischer Begriff,75 sondern ein methodologischer, der auf die Komplexität des imaginären Ordnungsraumes einer jeweiligen Gesellschaft verweist. Im Gefolge einer derartigen Rehabilitierung des Symbolischen legen auch literaturwissenschaftliche Ansätze einen erweiterten Symbolbegriff zugrunde, hat Literaturwissenschaft es doch mehr als jede andere Disziplin mit rein textuellen Repräsentationen zu tun. Indem Kultur aber als komplexes Zeichensystem entworfen wird, das nicht nur die ästhetischen Produktionen, sondern zugleich Sprachstrukturen, zeremonielle Praktiken, institutionelle Einrichtungen und Realien in den Zeichenhaushalt miteinbezieht, wird Literatur innerhalb des kulturellen Feldes gleichermaßen zum Agenten sozialer Sinnstiftung. Literaturwissenschaft öffnet sich auf eine allgemeine Kultursemiotik 73 Fried, Die Königserhebung Heinrichs I., S. 277, 279. »Das skizzierte Erklärungsmuster heutiger Historiker unterliegt dem modernen, logisch-kausalistischen Geschichtsdenken, wonach Früheres die Ursache für Späteres ist. Der Umgang mit oraler Tradition erfordert die umgekehrte Argumentation: Ein gegenwärtiges Ereignis offenbart seine vergangenen Ursachen, Späteres konstituiert Früheres. Denn Mündlichkeit zehrt vom Erinnern, vom kollektiven Gedächtnis, von der in Kommunikationsgemeinschaften gebündelten Erinnerungsleistung vieler Einzelner, sozialer Institutionen und wiederholender Rituale. Erinnern aber ist Gegenwart. Vergangenheit enthüllt sich stets nur als Form der Gegenwart, die allein jenes Erinnern zu kontrollieren vermag.« Ebd., S. 285. Damit ist genau die strukturierende Funktion der symbolischen Ordnung beschrieben. 74 Symbolsysteme dieser Art bilden zum Teil geradezu eine »zweideutige Position in einem Kategoriensystem [aus], das die begriffliche Organisation der Welt bei bestimmten Völkern umfaßt«. Darnton, Dialog über die Kulturgeschichte, S. 33. 75 Das klagt Chartier ein: Ebd., S. 32.

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hin, mithin auf ein umfassenderes Objektverständnis: »Entsprechend dieser generellen Funktion des Semiotischen müssen wir davon ausgehen, nicht nur, daß die symbolische Funktion sozial ist, sondern daß die soziale Wirklichkeit von Grund auf symbolisch ist.«76 Die symbolische Ordnung wird daher nicht gleichgesetzt mit Literatur als dem Reich des Imaginären. Indem die symbolische Ordnung einer Gesellschaft sich in den Sinnentwürfen der Theologie, den Strategien der Politik, in den Perspektivierungen der Historie, den Ordnungsmustern der Naturphilosophie und in den Narrationsmustern der Literatur gleichermaßen artikuliert, unterläuft sie den alten Gegensatz von Fiktion und Realität.77 Die Formierung von sozialem Sinn erfolgt in einer Gesellschaft nicht nur intentional über explizit formulierte Wertordnungen, sondern zugleich strukturell über Ordnungsmuster von ganz unterschiedlichem Status: über Sprach- (Wortund Begriffsfelder, Leitmetaphern) und Sozialstrukturen (Familie, Beruf), Handlungsmuster (Rituale, Habitus), Wissensordnungen und Machtstrukturen (Diskurse) sowie über Narrationsmuster (Gattungen) und tradierte Motivkomplexe. Sie alle werden Gegenstand einer Kultursemiotik, deren zentrale Voraussetzung ist, daß die klassische Basis der literaturwissenschaftlichen Arbeit, der Text, an übergeordnete – sprachliche, soziale, politische usw. – Instanzen anbindbar und in seiner komplexen Verflechtung (textum) erkennbar wird. Für die Mensch-Tier-Thematik hat das zur Folge, daß sie in einem synchronen Schnitt über verschiedene Felder der symbolischen Ordnung verfolgt wird: kirchliche und feudale Metaphorik, ebenso Handlungsmuster (z. B. Jagd), theologische Wissensordnungen und feudale Ordnungsvorstellungen von Gesellschaft, schließlich in ganz spezifischen textuellen Konfigurationen. Für eine semiotisch orientierte Kulturwissenschaft ist der Text nicht alleiniger selbstverständlicher Ausgangspunkt wie für den klassischen Kommentar, keinesfalls aber auch nur redundante Größe. Eine besondere Form symbolischer Ordnung repräsentiert der Diskurs.78 Mit dem Diskursbegriff wird eine funktionale Form von organisatorischer Einheit etabliert. Die prinzipielle Offenheit textueller Repräsentationen wird

76 Ricoeur, Der Text als Modell, S. 114; vgl. Lenk, Kultur als Text, S. 118; Text -Welt. Karriere und Bedeutung einer grundlegenden Differenz; A. Assmann, Was sind kulturelle Texte?, S. 232–244; Posner, Kultur als Zeichensystem, S. 37–74; vgl. die Bände Text und Kultur (2001); Text und Kontext (2007). 77 Auch Greenblatt spricht vom allgemeinen Symbolhaushalt einer Kultur, der sich aus Myriaden von Zeichen zusammensetzt. Greenblatt, Kultur, S. 55. Ebenso von der »symbolischen Dimension gesellschaftlicher Praxis«, für die Historiker Aufmerksamkeit gewinnen, wie Literaturwissenschaftler Sensibilität für die »gesellschaftliche und historische Dimensionen symbolischer Praxis« entwickeln. Ebd., S. 56. Alle Wissenssysteme unterliegen ihr und ›basteln‹ gleichzeitig an ihr. Müller, Imaginäre Ordnungen, S. 41–68. 78 Bublitz, Diskursanalyse als Gesellschafts-›Theorie‹, S. 29.

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hier zu einem übergeordneten offenen Organisationsbegriff in Beziehung gesetzt, der die Regulierungsstrategien von Diskursen, Praktiken und Institutionen gleichermaßen erfaßt. Gegenüber dem singulären Text werden zunehmend andere Instanzen wie Sprachmuster, Verhaltensmuster, Handlungsstrategien, institutionelle Ordnungen, Diskursformationen u. ä. ins Spiel gebracht. Neben die syntagmatische Verknüpfung von Textpartien tritt immer auch die offenere paradigmatische Beziehungsebene. Die Kohärenz eines Textes hängt somit von zwei unterschiedlichen Strukturierungsebenen ab: zum einen bezogen auf das Verhältnis von narrativer Struktur und Oberflächenrealisierung, gewissermaßen die literaturimmanente Ebene der Narrations- und Gattungsmuster; zum andern aber auch durch deren Verhältnis zu übergeordneten paradigmatischen Strukturen textexterner, z. B. sozialer Art.

6. Dynamisierung des Textbegriffs Die symbolische Ordnung konstituiert sich auch jenseits der philologischen Instanzen von Autor, Text und Gattung. In Frage steht damit der Status der klassischen Textdefinition als »strukturierter, thematisch abgeschlossener Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation« bzw. als fest umrissenem »Objekt philologischer Arbeit«.79 Solcher Geltungsanspruch textueller Strukturierungsleistung kommt noch zum Ausdruck, wenn der Text als »der menschliche Versuch [angesehen wird], die Welt auf ein handliches Format zu bringen, das zugleich offen ist für intersubjektive, erläuternde Rede«,80 noch mehr aber, wenn er als »Oberfläche der Phänomene eines literarischen Werks [definiert wird, als] das Gewebe von Worten, eingebunden in das Werk und derart angeordnet, daß sie einen Sinn vorgeben, der stabil und soweit wie möglich einzigartig ist.«81 Moderne theoretische Konzepte, z. B. Semiotik, Dekonstruktion und Diskursanalyse, haben dagegen den Text als zentrale kulturelle Ordnungseinheit bzw. Sinnstruktur nicht generell, wohl aber in seinem Absolutheitsanspruch in Frage gestellt: von innen durch einen dynamischen Zeichenbegriff, der »den Text als einen polysemischen Raum begreift, in dem sich mehrere mögliche Sinne kreuzen«, von außen durch die übergeordnete Kategorie des Diskurses, von der aus Texte als »zusammengesetzte,

79 Martens, Was ist ein Text?, S. 4; J. Assmann, Kulturelle Texte, S. 270. 80 Eco, Welt als Text. Zitiert nach Text – Welt, S. 5 (Vorwort). 81 So skizziert Barthes den klassischen Textbegriff von Philologie und Hermeneutik. Barthes, Text(-Theorie). Zitiert nach Erdmann, Hesper, Roland Barthes’ Text(-Theorie) in der Enzyklopaedia Universalis, S. 10.

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künstlich zum Abschluß gebrachte disperse Einheiten« erscheinen.82 Mit dem Text als ausschnitthaftem Orientierungsversuch einerseits und ›beweglichem Spiel der Signifikanten‹ andererseits sollen hier nur zwei entgegengesetzte Auffassungen angeführt werden, um die Spannbreite textueller Sinnbildung zwischen subjektiver ›Verfügungskompetenz‹ und offenem semiotischen Horizont bzw. diskursiver Formation zu markieren.83 Zwischen diesen beiden Positionen gilt es, einen Kompromiß zu finden, indem die autorverantworteten Textentwürfe im Horizont zeitgenössischer Diskurse und Zeichenarsenale analysiert werden. Texte werden also sowohl als Versuche subjektiver Kohärenzbildung verstanden wie auch als Bestandteil von diskursiven Strategien, die in einem ständigen Austauschverhältnis stehen. Die kulturwissenschaftliche Rahmung des Textes über den engeren literarischen Horizont hinaus erfordert daher, daß Textsorten anderer Disziplinen in die Analyse der Mensch-Tier-Beziehungen einbezogen werden, so daß ganz unterschiedliche Felder einer ›Kultur‹ in Austausch treten: z. B. theologische Schriften, politische Theorie, Historio- und Ethnographie.84 Doch geht es in kulturwissenschaftlicher Perspektive nicht um die klassische Situierung eines Textes im historischen Kontext, sondern um den Symbolgehalt des Kontextes selbst.85 Über die Funktion des Tiers im Symbolhaushalt der mittelalterlichen Gesellschaft geben nicht nur literarische Texte Auskunft. Daß aus der Perspektive der symbolischen Ordnung der literarische Text nicht mehr exklusiver Gegenstand der Analyse ist, zeigt sich auch am symbolischen Potential selbst historiographisch ausgerichteter Texte. Gerade vor der Ausdifferenzierung der Historiographie als wissenschaftlichem Teilsystem unterliegt die Verarbeitung und Darstellung von Geschichte manifesten Stilisierungen, die sich aus der jeweiligen symbolischen Ordnung des Verfassers herleiten. Pseudohistoriographische Schriften wie Geralds von Wales »Topographia Hibernie«, die »Gesta Herewardi« oder die »Gesta Danorum« des Saxo Grammaticus sind nur besonders deutliche Exponenten dieser ›Gattungsmischung‹. Klassische Philologie und Geschichtswissenschaft streiten immer wieder selbst um den Zeugniswert vermeintlich historischer Quel-

82 Ebd., S. 16; Fohrmann, Müller, Diskurstheorien und Literaturwissenschaft, S. 16. Barthes, Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen, S. 102–143; Neumann, Literatur als Ethnographie, S. 23–48; »Der Begriff Text hat also im Primärhorizont sprachlicher Kommunikation zunächst einmal keinerlei natürliche Evidenz. Von Texten spricht man erst im Sekundärhorizont einer philologischen Auslegungskultur.« J. Assmann, Kulturelle Texte, S. 270. 83 Dazwischen wären strukturelle Modelle zu plazieren, die den Autor in die Spannung von Gattungsmustern und kulturellem Zeichenreservoir verorten. 84 Unter soziologischer Perspektive ist die Fachliteratur konstitutiver Bestandteil literaturwissenschaftlicher Arbeit geworden, und selbst unter ästhetischer auch die Produkte der Trivialliteratur und der Subkultur. 85 Lenk, Kultur als Text, S. 122.

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len.86 Es war eben nicht nur das Problem der älteren Kulturgeschichte, ablesbar etwa an den literarisch orientierten Kulturgeschichten des Mittelalters (Schultz, Grupp), historische Wirklichkeit umstandslos aus Texten abzuleiten, sondern noch die moderne historische Forschung steht sichtbar vor dem methodischen Problem, historiographische Information und Textualität der jeweiligen Quellen miteinander abzugleichen. Die Textsorte ›Chronik‹ etwa transportiert häufig alles andere als historisch verläßliche Information. Zwar muß man nicht gleich die gesamte Historiographie rhetorischer Konstruktion verdächtigen,87 doch eignet auch ihr ein diskursiv nicht auflösbarer (symbolischer) Rest. Indem der symbolische Anteil, d. h. der Konstruktionscharakter, an historiographischen Quellen selbst für die Fachwissenschaft immer sichtbarer hervortritt, erfordern zum einen die Zugriffe auf historische Realität methodische Umsicht, zum andern öffnen sich nunmehr auch die nicht literarischen Texte kultursemiotischen Fragestellungen.88 Einen weiteren Faktor innerhalb der symbolischen Ordnung stellt die mächtige Wirkungsgeschichte einzelner Texte dar, etwa die der Bibel oder herausragender antiker Werke, die der »Sicherung einer kollektiven religiösen oder nationalen Identität« dienen und einer Gesellschaft »Kontinuitäts- und Integrationskonzepte« zur Verfügung stellen.89 Man mag sie traditionsstiftende, institutionelle oder kulturelle Texte nennen, es sind solche wirkungsmächtigen Texte, die durch ihren strukturierenden Einfluß Diskurse lenken, Gattungen orientieren und Texte imprägnieren. Für das Mittelalter wären die Bibel und seit dem 13. Jahrhundert aristotelische Wissenschaft, aber auch erfolgreiche Gattungsmuster wie Heldenepik und höfischer Roman als wirkungsmächtige ›kulturelle Texte‹ lesbar. Gegen die beobachtbare Dynamisierung des Textbegriffs und gegen eine Pluralisierung kultureller Kontexte lassen sich also immer auch Kanonisierungsprozesse, d. h. gesellschaftlich gesteuerte Verfestigungen literarischer Traditionen, beobachten. Für den Diskurs der Grenzziehung zwischen Mensch und Tier bilden gerade Bibel und 86 Z. B. in der Diskussion um Realitätsgehalt und litarische Topik von Tacitus’ »Germania«. Von See, Der Germane als Barbar, S. 31–37; Schneider, Der Barbar. 87 White, Der historische Text als literarisches Kunstwerk, S. 123–157. 88 Auch ein zentrales methodisches Prinzip germanischer Substratforschung ist dadurch relativiert: der Schluß vom Text auf die Realität, die Abgleichung divergierender Überlieferung auf ein historisches Datum hin. Aber nicht nur die germanische Realienforschung unterliegt prinzipiell diesem Problem, sondern zugleich die Sagenforschung. Noch die klassische Geschichtswissenschaft entgeht nicht diesem Zirkelschluß. Der Trend geht gegenwärtig eher vom vielfach schwer zu greifenden Original zur Eigenlogik von Fassungen. Vgl. Frieds Kritik an der historischen Forschung zur Königserhebung Heinrichs I., deren drei zentralen, aber divergierenden Überlieferungsträgern methodisch problematisch »eine Schnittmenge an Historizität« unterstellt wird. Fried, Die Königserhebung Heinrichs I., S. 299f.; Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 10–61. 89 A. Assmann, Was sind kulturelle Texte?, S. 237f.

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aristotelische Philosophie, etwa »De animalibus« und die »Politik«, wirkungsmächtige strukturierende Faktoren, indem sie die Grenzen abstecken, innerhalb derer überhaupt Beziehungen hergestellt werden können. Die Rede vom Text ist darüber hinaus auf den Bereich der Kultur übertragen worden, so daß das ›Bedeutungsgeflecht‹ sich offenbar ins Unabsehbare vervielfältigt. Zur traditionellen hermeneutischen Praxis der Kontextualisierung des Textes tritt dann die semiotische Textualisierung des Kontextes hinzu: Kultur als Text.90 Das klingt nach Analogiebildung zu Natur als Text, doch gibt es signifikante Differenzen. Die Vorstellungen vom ›Buch der Natur‹ und von der ›Lesbarkeit der Welt‹ bilden historische Verfahren zur theologischen oder wissenschaftlich-heuristischen Erschließung von Welt.91 Die Auffassung von Kultur als Text zielt dagegen weder auf eine vorab feststehende Botschaft (Allegorie) noch auf eine homogene Entschlüsselung der Kultur analog zur mathematischen oder genetischen Erschließung der Natur. Ihr liegt eher ein Konzept von Kultur als einem differenzierten vielschichtigen Zeichensystem zugrunde, das immer nur ausschnitthaft zugänglich ist, wie ihr auch die Auffassung von Text als einer Hintergrundmetaphorik für komplexe kulturelle Funktionszusammenhänge eignet. Komplexität der Bedeutung und der funktionalen Vernetzung bilden ihre Parameter. Für das vorliegende Thema bedeutet das, daß es auf dieser Ebene der Fragestellung um die Erschließung rivalisierender Zeichenarsenale und unterschiedlicher Zeichenträger (z. B. Metapher, Text, Name, Heraldik, Körper, Praxis) geht. Das semiotische Modell von Kultur als Text ist als Metaphorisierung des Textbegriffs gelesen worden.92 Mit einigem Recht jedoch läßt sich das Phänomen als Freisetzung des metaphorischen Potentials des Textbegriffs lesen, da dieser selbst genuin auf eine Metapher zurückgeht: textum.93 Insofern fügt sich die ›Übertragung‹ des textum auf die Gesellschaft in den Trend einer zunehmenden Reflexion begriffsgeschichtlicher Voraussetzungen ein, etwa in der Reflexion auf die Möglichkeit, das erkenntnisfördernde Potential von Metaphern für wissenschaftliche Erkenntnis zu nutzen.94 Der Textbegriff selbst erweist sich aus dieser Sicht weniger als eine streng definierte 90 Lenk, Kultur als Text, S. 116–128. Vgl. die Einleitung zu dem Sammelband von Bachmann-Medick, Kultur als Text, S. 7–64; Posner, Kultur als Zeichensystem, S. 37–74. 91 Werden im Konzept vom Buch der Natur die biblischen Botschaften auf die Natur projiziert, so wird die wissenschaftliche ›Lesbarkeit der Welt‹ in ›Fremdsprache‹ (Mathematik) und genetischer Codierung manifest. Blumenberg, Lesbarkeit der Welt, S. 47–57, 68–85, 372–409. 92 Bourdieu, Dialog über die Kulturgeschichte, S. 34. 93 Vgl. Wagner-Hasel, Textus und texere, S. 15–42; Textus im Mittelalter. 94 Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, S. 7–11; De Man, Epistemologie der Metapher, S. 414–437; Deleuze, Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, S. 12–15.

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Einheit denn als ›begriffliche Metapher‹, die nach dem Prinzip ›Analogie der Proportion‹ funktioniert, d. h. als Hintergrundmetapher zur Strukturierung eines Gegenstandsfeldes. Verglichen mit der Buchform der Natur, mit vorausgesetztem Autor, fester Botschaft und erkennbarem Adressaten, artikuliert sich die Textmetapher weitaus diffuser: Schrift als Form von komplexer Bedeutungsverflechtung, Webarbeit von Worten als Metapher für nichtsystemische Beziehungsgeflechte. Wurde für die Philologie die Metapher des Textes zum Metabegriff einer Wissenschaft konkretisiert,95 der ihr Arbeitsverfahren determinierte, indem sie, orientiert an den referentialisierbaren Instanzen Autor, Text und Leser, vor allem aber Sinn, primär autorbezogene Textüberlieferungen und Filiationen in den Blick nahm, so nutzen die Kultur- und Textwissenschaften das konnotative Potential der Textmetapher selbst, indem sie die ›blinde Stelle‹ der Philologie, den Textbegriff samt seinen Implikationen, mit einem Geflecht an übergeordneten Beziehungen auffüllen.96 Die Pluralisierung der Textinstanz in der neueren Philologie ist nur eine Folge davon.97 Einen sozialpolitisch orientierten Ansatz kulturwissenschaftlicher Analyse literarischer Werke bietet Stephen Greenblatt in Anlehnung an Foucault. Indem er »Kultur als ein System von Restriktionen« (Kontrolltechnologien, Disziplinartechniken) begreift, unterzieht er das herkömmliche Kulturverständnis einer kritischen Analyse.98 Greenblatt akzentuiert den Gewaltaspekt von Kultur als einer sozialen Zwangsveranstaltung: Kultur zum einen als Normierungsvorgang, als Technik, durch die eine Gesellschaft in »kulturelle Verhaltenscodes« einübt – für das Mittelalter etwa das Bild vom Hirten und der Herde –, in gemeinsame und verbindliche Werte einführt sowie deren

95 Martens, Was ist ein Text?, S. 1–25. 96 Beide Richtungen müssen sich nicht ausschließen, im Gegenteil, sie werden gerade in ihrer Komplementarität erkenntnisfördernd. 97 Wenn das »Nibelungenlied« in seiner textuellen, d. h. überlieferungsgeschichtlichen Besonderheit beschrieben wird, zeigt sich genau jene Konfiguration der Offenheit für unterschiedliche Strukturierungsformen: es zeigt sich, »daß der Text nicht einem einzigen in sich stimmigen Regelsystem gehorcht, sondern Schnittpunkt konfligierender Regeln ist, die ihrer Herkunft und Geltung nach ›ungleichzeitig‹ sind.« Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 46. Der Autor als maßgebliche Instanz der Sinnbildung multipliziert sich nicht nur in eine Vielzahl von Redaktoren, die den einen Sagenstoff auf je unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Kohärenzerwartungen fortschreiben, sondern gleichzeitig wirken ganz unterschiedliche soziale Regelsysteme an der Strukturierung des Gegenstandes mit. Die Fülle an alternativen Sinnkonstruktionen, die die Überlieferung des »Nibelungenliedes« prägen, demonstriert eindrucksvoll, daß Textproduktion selektive Sinnbildung in einem nicht beliebigen, aber prinzipiell offenen Horizont von Bedeutungszuschreibung darstellt. 98 Kultur als Errungenschaft oder à la Luhmann als institutionalisiertes Gedächtnis sozialer Systeme: Luhmann, Kultur als historischer Begriff, S. 31–54. Oder nach Gehlen Kultur als Entlastung vom Antriebsüberschuß. Rehberg, Zurück zur Kultur?, S. 276–316.

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Geltung erzwingt.99 In diesem Normierungsprozeß bildet Literatur prinzipiell einen Faktor unter anderen. Es ist ein Indiz für das alte sozialgeschichtliche Erbe, wenn Greenblatt nachdrücklich die Analyse der »gesellschaftlichen Funktion von Kunstwerken« betont, nun aber vor dem Hintergrund eines veränderten methodischen Grundrisses.100 Indem Greenblatt zunächst die Funktion von Literatur darin sieht, soziale »Verhaltensrollen zu kommunizieren« und einzuüben,101 schließt er nicht nur die Machtthematik Foucaults an die Aufgabenstellung der Literaturwissenschaft an, er bietet auch ein modifiziertes Instrumentarium für die Analyse vorautonomer Kunst. Der Komplexität sozialer Interaktion wird er dadurch gerecht, daß er zum einen die Autonomie des literarischen Diskurses in Frage stellt, zum andern, daß er nicht mehr das herkömmliche Abbildungsverhältnis von Text und Kontext gelten läßt. Beide stehen vielmehr in einem Verhältnis von Verhandlungen.102 Auch wenn Greenblatt den literarischen Text letztlich doch privilegiert, so faßt er dennoch die Text-Kontext-Relation insofern weiter, als er beide unter dem Titel »Symbolhaushalt« subsumiert: als Inbegriff einer sozialen Ökonomie von Vorstellungen und Handlungen.103 Der Literatur, vor allem der kritischen, schreibt Greenblatt indes die besondere Fähigkeit zu, die »herrschenden kulturellen Muster« zu reflektieren: »In jeder Kultur gibt es einen allgemeinen Symbolhaushalt, bestehend aus Myriaden von Zeichen, die Verlangen, Furcht und Aggression der Menschen erregen.«104 Künstler vermögen aufgrund ihrer Sensibilität für Sprache, Bildlichkeit und Narrationsmuster diesen Haushalt zu manipulieren. Sie synthetisieren Material aus verschiedenen »kulturellen Sphären« und »vergrößern dabei seine emotionale Wirkungskraft«. Ziel ist, »Sinn für das kulturelle Material zu entwickeln, aus dem ein literarischer Text gemacht ist«,105 die »verschiedenen Koordinatensysteme«, aus denen das Material bezogen wurde, und ihren Stellenwert zu eruieren, vor allem aber die spezifisch literarische Verarbeitungsweise des kulturellen Materials zu untersuchen. Green-

99 Greenblatt, Kultur, S. 51. 100 Ebd., S. 56. 101 Ebd., S. 53. 102 »Kultur ist ein bestimmtes Netzwerk von Verhandlungen über den Austausch von materiellen Gütern, Vorstellungen und – durch Institutionen wie Sklaverei, Adoption oder Heirat – Menschen.« Ebd., S. 55. 103 Forschungspraktisch sieht Greenblatt sein Unternehmen auch institutionell auf dem Vormarsch. So wie Historiker zunehmend die »symbolischen Dimensionen gesellschaftlicher Praxis« erkennen, so Literaturwissenschaftler zunehmend die »gesellschaftlichen und historischen Dimensionen symbolischer Praxis.« Ebd., S. 56. Zur Kritik vgl. Warning, Shakespeares Komödie als Heterotopie, S. 71–90. 104 Greenblatt, Kultur, S. 55. 105 Ebd., S. 55, 56f.

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blatt charakterisiert sein Verfahren immer wieder als »kulturbezogene Analyse«, und sein Unternehmen insgesamt nennt er »Cultural Poetics«. Infrage stehen die Beziehungen der unterschiedlichen Analyseebenen: disziplinäre, diskursive, sprachliche, konkret-habituelle und textuelle. Inwieweit lassen sich literarische Inszenierungen zusammen mit ihrem konkreten Kontext auf ein Zeichensystem hin auswerten? Zwar bleibt die Anbindung textueller (Sinn-)Konstellationen an konkrete historische und soziale Rahmenbedingungen für den Mittelalterhistoriker schon aufgrund häufig fehlender Datenbasis problematisch, doch nötigt das nicht dazu, die Organisation von Kohärenz allein den Spielregeln einer literarischen Textualität zu überlassen. Mit Hilfe der symbolischen Ordnung bzw. des Diskursbegriffs lassen sich Sinnkonstellationen greifen, die über die rein literarische Ebene hinaus reichen, Beziehungen gerade dort herzustellen erlauben, wo die literaturimmanente Analyse zirkulär zu werden droht.106 Gewiß bietet der Diskurs keinen Durchblick auf die Faktizität der historischen Praxis, und doch ist er als Ordnungsform Bestandteil von Praxis. Der Versuch, die rein literarische Darstellungsebene zu überschreiten, ist daher ein konstitutives Moment kulturwissenschaftlicher Arbeit.107 Im Vordergrund stand zunächst die Auswertung der verschiedenen Diskurse akademischer und nicht akademischer Provenienz – Theologie, Natur- und Moralphilosophie, Medizin, Historio- und Ethnographie, Pädagogik und politische Theorie –, soweit sie spezifische Konfigurationen des Verhältnisses von Mensch und Tier zutage treten lassen. Dieses Vorgehen rekonstruiert einen Ausschnitt der symbolischen Ordnung, gewissermaßen das Netzwerk anderer Texte und Disziplinen als »cultural horizon« (Vance), in dem sich das Feld der Verhandlung von Animalität im 12./13. Jahrhundert konstituiert. Sowohl die gelehrte diskursive Rede der Kleriker als auch die eher 106 Ein Beispiel aus dem Bereich der Affekte: Auch wenn ›Zorn‹ im Mittelalter nicht umstandslos psychologisch verstanden werden darf, ist er dann auf eine reine Textfunktion zu beschränken, etwa als literarischer Inszenierungstyp? Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 203–208. Wäre nicht der Versuch lohnend, literarisch inszenierte Zorntypik mit zeitgenössischen benachbarten Zornkonzepten (Diskursen), etwa humoralpathologischen, theologischen, vor allem aber politischen (Zorn als notwendige Herrschertugend) zu relationieren? 107 Die Messung symbolischer, bzw. textueller Repräsentationen an einer vermeintlich harten Realität der Historiographie bzw. an einer mit harten Quellen arbeitendenden Mediävistik, die Kiening immer wieder einklagt (Historische Anthropologie, S. 15, 18, 29, u.ö.), übersieht einerseits das Problem der Quellenbasis für harte Fakten gerade in der Mediävistik, sobald nicht nur philologische, sondern soziale, mentale und anthropologische Fragen gestellt werden, andererseits daß Literatur im Mittelalter eben noch nicht jenen Sonderraum von Textualisierung, jenen autonomen Diskurs, darstellt, der in Anlehnung an moderne Kunstauffassungen immer wieder zum Maßstab gemacht wird. Schon der literarische Diskurs des Mittelalters ist komplex strukturiert. Gerade mittelalterliche Literatur fungiert vielfach noch als Schnittstelle von semiotischem Zeichenspiel und diskursiver Regulierung (z. B. durch immer wieder eingeschobene diskursive Elemente: Gespräch, Lehre, Sprichwort, Brief, Kommentar etc).

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semiotisch-literarische des Feudaladels machen das Tier zum Gegenstand kultureller Selbstreflexion, die die Hinterfragung des Selbst, die geschichtsphilosophische Standortbestimmung des Menschen, die Einstellungen zum Fremden wie die Entwürfe sozialer Ordnung strukturiert. Das Tier fungiert dabei als Projektionsfläche für Grenzüberschreitungen des Körpers in Sexualität – appetitus bestialis –, Gewalt – ira bestialis – und Wahnsinn – furor bestialis. Erörtert werden, ausgehend vom dominanten theologischen Diskurs, die unterschiedlichen Versuche, die seit dem Sündenfall in Turbulenzen geratene Schöpfungsordnung theoretisch zu fassen. Zentraler Index für Verwilderung ist der Antagonismus von Körper und Seele (ratio), der vor allem in den theoretischen Konzepten die Wahrnehmung lenkt: Entwürfe vom kulturgeschichtlichen Nullpunkt (Nacktheit/Wildheit), psychologische Theorien affektiver Störungen (Sexualität, Gewalt, Wahnsinn) und diesen korrespondierenden Sondernaturen, schließlich ethnographische Bewertungsmaßstäbe (Barbarentopos): Sie alle stehen unter der gleichen polaren Perspektive, werden durch Rückgriff auf ›wissenschaftliche‹ Theorien – Klimatheorie, Humoralpathologie, Physiognomik – abgesichert und bilden so die ›anthropologischen Rahmenbedingungen‹ für die Frage nach dem Verhältnis von Mensch und Tier. In einem zweiten Schritt werden die politischen Konsequenzen aus dem negativen theoretischen Befund über die Lage der gefallenen Menschheit gezogen, ablesbar etwa an zeitgenössischen Fürstenspiegeln, Kommentaren zur aristotelischen ›Politik‹, Enzyklopädien, Rechtstexten und politisch-historiographischen Schriften. Das für das Mittelalter noch selbstverständliche Ineinandergreifen der Diskurse ist darin ablesbar, daß feudale Herrschaft für die Legitimation ihrer Macht gleichermaßen auf theologische, humoralpathologische, naturphilosophische und machtpolitische Argumentationen zurückgreift, um die Notwendigkeit von Herrschaft zu demonstrieren. Ganz anders operiert dagegen ein Typus von feudaler Rede über das Tier, der sich überwiegend, aber nicht nur in volkssprachlichen Texten artikuliert.108 Er entwirft ein komplexes Feld ›animalischer‹ Signaturen und zielt sowohl auf Überwindung des Tiers wie auf Identifizierung mit ihm. Diese Form von Tiersemiotik wird zunächst nicht im einzelnen Textzusammenhang verfolgt, sondern als Ensemble von unterschiedlichen Zeichentypen quer durch Textgattungen, Disziplinen und realen Manifestationen präsentiert, d. h. im Sinne eines Verständnisses von Kultur als Text. Für die feudale Selbstinsze108 Die Gegenüberstellung von Klerikerdiskurs und feudaler Rede dient der Konturierung des Themas. Gewiß verfügen Kleriker weitgehend über das Schreibmonopol, verfassen Kleriker für den Adel literarische Werke (Lamprecht, Konrad), und gewiß schreiben selbst Adelige aus dem Horizont christlicher Wertmaßstäbe (Hartmann). Doch bei all diesen Überschneidungen inszenieren beide Redeformen sichtbar unterschiedliche Zeichen und Haltungen gegenüber dem Tier.

Exemplarische Textanalysen

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nierung in Zeichenarsenalen, Texten, konkreten Praktiken und Realien bildet das Tier ein immer wieder aufgerufenes Substratum. Das feudale Zeichensystem artikuliert sich dabei in vielfältigen Formen. Herangezogen werden zunächst Zeichenträger unterschiedlicher Provenienz: imaginäre wie Epen und pseudohistoriographische Schriften, historisch anbindbare Repräsentationen wie Namen- und heraldische Zeichengebung (Schild, Fahne), Körperphysiognomie, höfisches Divertissement (Tierkämpfe), aber auch reale, symbolisch codierte Praktiken wie Jagd, politische Rituale (z. B. Krönung, Aufzug, Empfang), sodann kriegerische Handlungsmuster, schließlich als herausgehobene Realien konkrete Herrschaftsinstrumente wie etwa das Pferd: gleichsam die reale Chiffre einer Symbiose des Adeligen mit dem Tier. Reale Inszenierungen und imaginäre Entwürfe laufen in einer gemeinsamen symbolischen Funktion zusammen.

7. Exemplarische Textanalysen Die Verortung literarischer Texte in einem Feld diskursiver Beziehungen, das in etwa durch Theologie, Natur- und Moralphilosophie, Medizin, Historiographie und politische Philosophie umgrenzt wird, erlaubt nicht nur, bezogen auf das Thema, rivalisierende Naturauffassungen zu skizzieren und miteinander in Beziehung zu setzen, sondern auch den literarischen Text jenseits seiner ästhetisch definierten Grenzen (Gattung, Poetik) in einem weiteren sozialen und ›kulturellen‹ Feld zu situieren und auf seinen pragmatischen Beitrag zur sozialen Sinnstiftung zu befragen.109 Diskurs und literarischer Text treten gerade in bezug auf ihre sozialen Strategien miteinander in Beziehung und bilden noch keine getrennten ›Systeme‹. Vorausgesetzt wird, daß vor aller Ausdifferenzierung autonomer Diskursformationen der literarische Text in weitaus größerem Umfang in übergeordnete Diskurszusammenhänge (Theologie, Politik, Ethik) eingebunden ist. Überlieferungssymbiosen historischer und literarischer Werke, pseudohistoriographische Texte, historiographische Einschübe in literarischen Texte und umgekehrt, ideologische Rahmungen literarischer Stoffe, Überblendungen heterogener Erzählmuster, aggregative Narrationsformen: all das kann als Beleg für ein Feld noch nicht ausdifferenzierter Systeme/Diskurse gelesen werden.110 Die spezifische Grenzsituation weiter Teile der mittelalterlichen Literatur zwischen Normierungsfunktion einerseits und andererseits kritisch-reflexivem Potential, zwischen semiotisch-rhetorischem 109 Zur sozialhistorischen Funktion der Diskursanalyse vgl. Meyer, Diskursanalyse und Literaturwissenschaft, S. 389–408. 110 Friedrich, Diskurs und Narration, S. 99–120.

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I. Kulturwissenschaftliche Rahmung

Zeichenspiel und diskursiver Erörterung, verweist Literaturwissenschaft immer wieder auf eine sozialgeschichtlich orientierte Textanalyse.111 Gegenüber den gelehrten Literarisierungen entwerfen die volkssprachlichen Epen alternative Modelle, um feudale Gewaltexistenz entweder zu legitimieren, zu usurpieren, zu disziplinieren oder zu kanalisieren. Verschiedene Gattungsmuster rivalisieren hier miteinander, die ihrerseits aber auf jeweils differente soziale Bedingungen verweisen. Am Beispiel eines Antikenromans (Straßburger Alexander), dreier Heldenepen (Wolfdietrich A, Eckenlied, Nibelungenlied), eines Artusromans (Iwein) und eines ›Minneromans‹ (Partonopier und Meliur) werden abschließend exemplarisch alternative Strategien vorgeführt, das Wilde und Animalische im Modus literarischer Inszenierung zu reflektieren und auf je eigene Art zu bewältigen. Keinesfalls handelt es sich dabei um einen linearen Disziplinierungsprozeß, eher läßt sich zeigen, daß es weniger um die Beseitigung von Gewaltpotentialen als um deren Beherrschung und Funktionalisierung geht. Die verschiedenen Epen demonstrieren, wie das Problem der animalischen Gewalt, ihres Ursprungs, ihres sozialen Stellenwerts und ihrer politischen Funktion in die Konkurrenz feudaler, politischer und christlicher Maßstäbe gerät. Doch stabilisieren die literarischen Entwürfe nicht nur soziale Diskurse, sondern verschmelzen z.T. antagonistische Positionen. Gegenüber den diskursiven Grenzziehungen und auch gegenüber dem Haushalt feudaler Tiersemiotik inszenieren die literarischen Entwürfe z.T. ›Verhandlungen‹ und reflexive Stellungnahmen unterschiedlichster Komplexität. Sie reichen von heroischen und zugleich christlichen Überschreibungen antiker Herrschaftsmodelle (Alexander) über die providentielle Usurpation exorbitanter Gewalt (Wolfdietrich A) oder ihrer Dynamisierung (Eckenlied, Nibelungenlied) bis hin zur Einsicht in die genuine Spaltung von notwendigem Gewaltpotential einerseits und Sozialverpflichtung andererseits innerhalb der feudalen Gesellschaft (Iwein). Der Heros in seiner animalischen Zeichnung ist Gegenstand von Bewunderung und Furcht gleichermaßen. Dabei gilt es, den Status der rivalisierenden symbolischen Ordnungen in bezug auf das Animalische zu bestimmen. Das literarische Feld zehrt zwar vom übergeordneten Symbolhaushalt, doch verfügt es gleichzeitig über eigene Formen der Codierung. 111 Die Besonderheit des literarischen Diskurses im Verhältnis zu den kulturellen Diskursen besteht in dieser Perspektive weniger in genuin ästhetischen Techniken, im Entwurf fiktiver Narrationsmuster, in rhetorischer Inszenierung und sprachlichen Raffinessen. Literatur wird hier vielmehr als Ort begriffen, an dem heterogene Diskurse, bzw. antagonistische Systeme zusammenkommen, ohne synchronisiert zu werden. Literatur bietet damit allererst die Möglichkeit bzw. den imaginären Raum, nicht synchronisierbare Systeme miteinander in Beziehung zu bringen, über sie zu sprechen, ohne vor der Notwendigkeit der Entscheidung zu stehen: Literatur als besondere Art von Kommunikation, die nicht auf Information zielt, sondern auf Energieaustausch, Reflexion, Erfahrung.

II. Anthropologischer Rahmen – Grenzziehungsdiskurs

Auf Zeus’ Befehl schuf Prometheus Menschen und Tiere. Als aber Zeus sah, daß der Tiere weit mehr waren als der Menschen, befahl er ihm, aus den Tieren einige zu Menschen umzuformen. Prometheus tat das, und so kommt es, daß mancher eine menschliche Gestalt hat, aber eine tierische Seele. Äsop

Die Auseinandersetzung über den Stellenwert des Tiers für den Menschen vollzieht sich im Mittelalter weitgehend im Horizont biblischer Vorgaben. Die Bibel ist jener wirkungsmächtige ›kulturelle Text‹, der zugleich die Reflexion über die Welt, über Natur und Geschichte, Moral und Gesellschaft orientiert.1 Als kultureller Leittext steckt er Normenhorizonte ab, schreibt sie fest und konstituiert so den Rahmen einer symbolischen Ordnung, die in zentralen Aspekten die Wahrnehmung von Wirklichkeit strukturiert: Die Zentralstellung des Menschen, der Sündenfall und die aus ihm resultierende christliche Semiotik der Natur, all das sind heilsgeschichtliche Faktoren, die spezifische Konfigurationen von Mensch und Tier nach sich ziehen. Weniger als Ergebnis von Erfahrung denn als Auseinandersetzung mit einem traditionsmächtigen Text bauen sich die christlichen Vorstellungen über das Verhältnis von Mensch und Tier auf, sie werden daher für lange Zeit vornehmlich in Genesiskommentaren und theologischen Moralschriften dargelegt. Die Bibel liefert nicht nur die Matrix für die allegorische Interpretation der Welt – etwa im Konzept vom ›Buch der Natur‹ –, sondern auch für die ›historische‹ Erklärung kulturgeschichtlicher Vorgänge.2 Will man den Stellenwert des mittelalterlichen Menschenbildes im Verhältnis zur Natur bestimmen, gewissermaßen den kulturgeschichtlichen Nullpunkt des Menschen, so muß man auf die biblische Schöpfungsgeschichte und den 1 Zum Terminus »kultureller Text« vgl. A. Assmann, Was sind kulturelle Texte?, S. 233–244. 2 Gott gilt sowohl als Inspirationsquelle für das Buch der Bücher (Bibel), wie er auch seine Heilsbotschaft in die Natur (scriptum digito Dei) und in die Geschichte einschreibt (Postfiguration/Halbtypologie). Ohly, Zum Buch der Natur, S. 728–733; Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, S. 22–35; Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 70–85.

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II. Anthropologischer Rahmen

Sündenfall zurückgehen, die im christlichen Verständnis erstmals die Spannung zwischen göttlicher Ordnung und menschlicher Verfehlung anzeigen. Erst mit der Rezeption antiker und arabischer Wissenschaften im 12. und 13. Jahrhundert verändern sich Form und Inhalt der Reflexion.3 Neben die Genesiskommentare treten komplexe Textsorten wie Weltchroniken, Naturenzyklopädien, theologische Summen und Quaestionenkommentare, deren methodische und systematisch orientierte Reflexion zugleich ein neues kulturelles Muster einspielt, das jedoch allererst mit dem christlichen harmonisiert werden mußte. Der Prozeß der Grenzziehung zwischen Mensch und Tier soll in seinen wichtigsten Stationen nachgezeichnet werden. Die Darstellung erfolgt dabei auf unterschiedlichen Ebenen: in der Beschreibung des biblischen Plans und seines Scheiterns (1); in der Skizzierung alternativer Entwürfe vom kulturgeschichtlichen Nullpunkt (2); in der Rekonstruktion wissenschaftlicher Vorstellung von der Vertierung des Menschen (3); im Nachzeichnen ethnographischer Konzepte des Fremden (4); schließlich im Vergleich unterschiedlicher Entwürfe von Grenzfiguren zwischen Mensch und Tier (5).

1. Schöpfungsordnung und Sündenfall Die biblische Schöpfungsgeschichte zeichnet das Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen Umgebung in wohl geordneten Stufen, nach denen Mensch und Tier unterschiedlichen Schöpfungsakten zugeordnet sind. Theologie und Naturphilosophie systematisieren in der Folge diese Kluft, indem sie in zahlreichen Genesiskommentaren, von den Kirchenvätern bis hin zu den scholastischen Sentenzen- und Quaestionenkommentaren, immer wieder das Rangverhältnis zwischen Mensch und Tier akzentuieren.4 Dem Menschen als Krone der Schöpfung sind die Tiere untertan, was sich nicht nur am göttlichen Imperativ, sondern auch an der jeweiligen Systemstelle der Naturwesen ablesen läßt. Der Unterschied zwischen sensus und ratio bildet die entscheidende Schnittstelle, denn sowohl in der Schöpfungsordnung wie auch im mikrokosmischen Pendant, in der Lehre von den drei Seelenteilen, wird das Animalische mit dem Sinnenvermögen gleichgesetzt:5 daß »nämlich die Natur der unvernünftigen Tiere, die durch keine rationale Urteilskraft beherrscht wird, ihre Bewegungen nur nach den Eindrücken der Sinne rich3 Crombie, Von Augustinus bis Galilei, S. 28–61; Speer, Die entdeckte Natur, S. 289–306. 4 Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 246; Boas, Essays on Primitivism. 5 Makrokosmos: esse – vivere – sentire – intellegere. Mikrokosmos: anima vegetativa – sensibilis – rationalis.

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Bible moralisé. Stiftsbibliothek Kremsmünster, Speculum Humanae Salvationis, Cod. Cremifanensis 243 des.

tet […]«, heißt es bei Hugo von St. Viktor.6 Das Tier also als reines Sinnenund Triebwesen. Zwar mangelt es den Tieren an ratio, dem Menschen aber nicht an Sinnenvermögen. Gerade hier aber liegt bei aller postulierten Differenz die Verbindungslinie. Thomas von Aquin entfaltet die natürliche Hierarchie in seiner »Summa Theologiae« daher zugleich als ein Verhältnis der Teilhabe, wenn er schreibt, ›daß der Mensch mit den Engeln die Vernunft teile, mit den Tieren die Sinnlichkeit, mit den Pflanzen das Wachstum und mit den unbelebten Dingen den stofflichen Körper.‹7 Arthur Lovejoy hat dafür den Ausdruck »the chain of being«, die Kette der Wesen, geformt.8 Die mittelalterlichen »Libri de naturis rerum« tragen in ihrem Aufbau denn auch der Stufenfolge der Schöpfung mit wechselnder Systematik Rechnung.9 Die 6 si enim brutorum animalium natura, quae nullo regitur rationis iudicio, motus suos secundum solas sensuum passiones diffundit […]. Hugo von St. Viktor, Didascalicon I,4, S. 11. Vgl. Wilhelm von Conches, De Philosophia mundi IV,30, PL 172, Sp. 97; Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 246. 7 Est autem in homine quatuor considerare: scilicet rationem, secundum quam convenit cum angelis;vires sensitivas, secundum quas convenit cum animalibus; vires naturales, secundum quas convenit cum plantis; et ipsum corpus, secundum quod convenit cum rebus inanimatis. Thomas von Aquin, Summa theologiae I, 96,2; Honorius Augustodunensis, Hexaemeron, PL 172, Sp. 258; Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 81–83. 8 Lovejoy, Die große Kette der Wesen, S. 87–122. 9 So werden die Naturenzyklopädien des Thomas von Cantimpré (»Liber de natura rerum«) und Bartholomäus Anglicus (»De rerum proprietatibus« IIIff.) jeweils mit einer ›Anthropologie‹

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II. Anthropologischer Rahmen

Reflexion über den Status des Tiers, seine Nähe und Differenz zum Menschen, dient primär der Vergewisserung über den besonderen Ort des Menschen in der Schöpfungsordnung. Im Anschluß an das biblische Diktum gilt für die Kommentatoren der Genesis, daß der aufrecht gehende Mensch zur Herrschaft über die erdfixierten Tiere prädestiniert ist: »Darum beherrschte er im Unschuldsstande die anderen Tiere durch seinen Befehl.«10 Daß diese Herrschaft am Menschen ihre Grenze findet, wird daraus ersichtlich, daß etwa Petrus Abaelardus, anschließend an Augustinus, konstatiert, der Mensch sei zur Herrschaft über die Tiere, nicht aber über die Menschen disponiert.11 Zugleich aber wird das Verhältnis des Menschen zur Fauna als eines der friedlichen Kooperation gedacht, sind doch Mensch und vierfüßige Tiere immerhin am sechsten Tag gemeinsam erschaffen worden. Auch von den Schöpfungsstufen her besteht also eine gewisse Nähe zwischen Mensch und Tier. In die Besonderheit der paradiesischen Ausgangssituation mit ihrer natürlichen Genügsamkeit, durch die Gesundheit und ewiges Leben garantiert sind, wird nach Ansicht der Kommentatoren auch das Verhältnis zu den Tieren einbezogen: ein Raum nicht nur ohne Alter und Tod, ohne Gift, Krankheit, Affekt oder Turbulenz der Elemente, sondern auch ohne Wildheit der Tiere.12 Der Vegetarismus von Mensch und Tier im Paradies ist sichtbarster Ausdruck dieser providentiellen Gemeinschaftsidee. Ergebnis sind zwei alternative naturethische Modelle: einerseits die Idee eines Naturfriedens, der friedlich-dienenden Koexistenz von Mensch und eingeleitet. Zur Sinnenüberlegenheit der Tiere vgl. Albertus Magnus, De animalibus XXI,1,1, S. 1323. Vgl.: Homo in quinque sensibus superatur a multis: aquile et linces clarius cernunt, vultures sagacius odorantur, simia subtilius gustat, aranea citius tangit; liquidius audiunt talpe vel aper silvaticus: […]. Thomas von Cantimpré, Liber de natura rerum IV,1, S. 106; Vincenz von Beauvais, Speculum doctrinale, S. 4; vgl. Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 241. 10 Unde et in statu innocentiae animalibus aliis per imperium dominabatur. Thomas von Aquin, Summa theologiae I,96,2. […] Viribus autem sensitivis, sicut irascibili et concupiscibili, quae aliqualiter obediunt rationi, dominatur anima imperando. Ebd. Vgl.: Serviunt eidem pecudes et jumenta, ut primitivae dignitatis gloriam, quam ante peccatum habuit, ad memoriam reducat. Alexander Neckam, De naturis rerum Cap. CLVI, S. 249. 11 Non quidem hominem homini praeponit Deus, sed insensibilibus tantum vel irrationabilibus creaturis, ut eas scilicet in potestatem accipiat, et eis dominetur quae ratione carent et sensu […]. Petrus Abaelard, Expositio in Hexaemeron, PL 178, Sp. 761f. Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 60, 188f. u.ö. 12 Aves quoque non raptu alitum vivebant, nec ferae bestiolas ad esum lacerabant, sed omnia communiter de herbis terrae alimenta sumebant. Honorius Augustodunensis, Hexaemeron, PL 172, Sp. 258. Vgl.: Solis herbis et fructibus contenta esset natura tam hominum quam bestiarum; unde nec nisus alaudam, nec leo taurum, nec lupus agnum persequeretur. Alexander Neckam, De naturis rerum Cap. CLVI, S. 250. Boas, Essays on Primitivism, S. 32; Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 80, 83f. Zur franziskanischen Friedensidee vgl. Armstrong, Saint Francis, S. 5–17. »Die wilden Vögel und Tiere, die in so vielen christlichen Legenden dem Heiligen in seiner Klause Speise bringen, tun dies, weil der Heilige gut ist, nicht weil die Tiere gut wären.« Cartmill, Tod im Morgengrauen, S. 74; Nitschke, Tiere und Heilige, S. 63–100.

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Tier; andererseits eine technisch orientierte Herrschaftsidee, die den Antagonismus der Naturen schon im Paradies realisiert sieht und auch eine instrumentelle Nutzung der Tiere voraussetzt. Gegen die Idee eines Naturfriedens argumentiert Thomas von Aquin und betont den bereits genuin angelegten Antagonismus, indem der konstatiert, daß schon im Paradies »ein naturhafter Widerstreit unter den Tieren bestanden [hätte]«.13 Die Debatte um die christlichen Wurzeln extensiver moderner Naturbeherrschung hat in diesen beiden biblischen Modi des ethischen und technischen Naturbezugs ihren Grund.14 Die Bibel selbst naturalisiert bekanntlich das Problem. Schon die Erschaffung der Tiere am sechsten Tag – iumenta, bestiae, reptilia – läßt sich nämlich als teleologische Differenzierung von rationalen, sinnlichen und moralischen Qualitäten lesen: instrumentell nutzbare Haustiere, bedrohliche wilde Raubtiere, tückische Reptilien. Eine solch funktionale Deutung der Trias gibt schon Rupert von Deutz, der auf Verführung durch reptilia, auf die Gefahr durch bestiae und auf die Hilfe durch iumenta abhebt.15 Bei aller postulierten Harmonie ist die paradiesische Tierwelt vor jeglicher kulturellen Einflußnahme selbst schon funktional aufgespalten, so daß in ihr offenbar bereits menschliche Handlungsmuster vorweggenommen sind. Somit tragen die verschiedenen Tierarten der Paradiesordnung bereits den Keim des künftigen Antagonismus in sich, ohne daß dieser aber zunächst virulent wird. Mit dem Sündenfall gibt dann aber die Bibel sichtbar das Problem vor, daß sich der Fall des Menschen unmittelbar auf die Natur auswirkt: Ain iegleich crêatûr ist belaidigt mit der sünd des êrsten menschen, wird Konrad von Megenberg später formulieren.16 Es sind vor allem jüdische Apokalyptik (4. Buch Esdra) und Legendentradition, die den Gedanken entwickeln, daß sich mit dem Sündenfall zugleich die Qualität der Natur und des menschlichen Körpers insgesamt gewandelt habe.17 So gilt die Welt, die analog zum Menschen als Organismus gedacht wird, seit dem Sündenfall als sterblich, und seit der Sintflut unterliegt der Mensch selbst einem zunehmenden Prozeß der Alterung und des physischen Verfalls: »Die Welt altert schon sowohl als Makro- wie auch als Mikrokosmos; und je weiter der Alterungsprozeß von beiden fortschreitet, umso mehr gerät ihre Natur in Verwirrung«, heißt es im 13 Fuisset ergo naturalis discordia inter quaedam animalia. Thomas von Aquin, Summa theologiae I,96,1. Et huius providentiae homo executor fuisset, ut etiam nunc apparet in animalibus domesticis: ministrantur enim falconibus domesticis per homines gallinae in cibum. Ebd. 14 Zur Debatte vgl. Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 70–72. 15 Commentariorum in Genesim liber I,55, CCCM 21, S. 182f.; vgl. Gervasius von Tilbury, Otia Imperialia, S. 890. Zur anthropozentrischen Deutung vgl. Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 78, 80. 16 Konrad von Megenberg, Buch der Natur LVI,86, S. 472,19f.; vgl. Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 73; Cartmill, Tod im Morgengrauen, S. 68. 17 Fromm, Riesen und Recken, S. 51f.; Boas, Essays on Primitivism, S. 33; White, The Forms of Wildness, S. 12.

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Traktat »De miseria humanae conditionis« Innocenz’ III.18 Das ist ganz konkret zu verstehen. Die Störung der Naturordnung und ihres Maßes schlägt sich in einer Turbulenz der Elemente und der Säfte nieder, die gerade die Harmonie des Körpers durcheinander bringt: »Wenn der Mensch nicht gesündigt hätte«, so formuliert Alexander Neckam in seiner Naturenzyklopädie, »gäbe es keine Graduierung der Säfte, denn die Graduierung ist die Entfernung von der Temperantia,« vom Maß.19 Hildegard von Bingen behauptet in ihrem Werk »Causae et curae« daß das Fleisch Adams härter gewesen sei als das späterer Generationen, die durch den Fortpflanzungsakt dann eine gewisse Art der physischen Schwächung erlitten hätten:20 gewissermaßen die graduelle Entfernung vom Urbild. Nach der rabbinischen Legendentradition hatte der Körper Adams vor dem Sündenfall geradezu kosmische Ausmaße, danach erst habe Gott ihn auf das Menschenmaß reduziert.21 Die gestörte Schöpfungsordnung schlägt sich so in der Desintegration des Subjekts und seines Körpers nieder:22 Mit den Folgen der Sintflut wird in einem zweiten Schritt zum einen die Entstehung von Giganten in Verbindung gebracht,23 zum andern die verhängnisvolle Annäherung des Menschen an das Tier. Der Sündenfall bringt das wohlgeordnete Maß und die klaren Grenzen der ganzen Schöpfung durcheinander. 18 Senuit iam mundus uterque, macrocosmus et microcosmus, et quanto prolixius utriusque senectus producitur, tanto deterius utriusque natura turbatur. Innocenz III, De miseria humane conditionis I,26, S. 33 [Vgl. PL 217, Sp. 715]. Et quia in homine tota humana natura vitio corrupta erat, […]. Petrus Lombardus, Sententiae III,2,1, S. 27 [vgl. PL 192, Sp. 759]; LeGoff, Phantasie und Realität, S. 144. Zur genuinen Kraft der Natur zur Zeit der Schöpfung vgl. Petrus Abaelard, Expositio in Hexaemeron, PL 178, S. 645; Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S.243. Vgl. Gervasius von Tilbury, Otia imperialia I,24, S. 907; Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie, S. 132. 19 Si igitur non peccasset homo, nihil esset gradus; est namque gradus elongatio a temperantia. Alexander Neckam, De naturis rerum Cap. CLVI, S. 250; Schreiner, Si homo non pecasset, S. 41–84. Augustinus sieht einen bestialem motum in membris suae carnis (De Genesi ad litteram XI,32 [CSEL 28,1, S. 366]) entstehen. Schreiner, Si homo non pecasset, S. 60. 20 Caro et cutis Adae fortior et durior fuit quam hominum nunc sit, quia Adam de terra formatus fuit et Eva de ipso. Sed postquam filios genuerunt, caro illorum semper et semper fragilior et fragilior facta est, et ita usque in novissimum diem erit. Hildegard von Bingen, Causae et Curae, S. 47. Cosmas von Prag skizziert die Situation nach Sintflut und Babel: […] humanum genus, quod tum fere constabat in LXX duobus viris, […] unusquisque eorum vagus et profugus, longe lateque dispersi per diversa spacia terrarum errabant ac de die in diem corpore decrescentes in generationes et generationes multipliciter crescebant. Cosmas von Prag, Chronica Boemorum I,1, MGH script. rer. germ. II, S. 4f. Vgl. Hugo von Florie, Tractatus de regia potestate Cap. 9, MGH LdL, S. 476; Augustinus, De civitate Dei XXI,8. 21 Fromm, Riesen und Recken, S. 52. 22 Die Desintegration der Natur, des Lebens und des Subjekts macht auch Otto von Freising zum Hintergrund seiner Gesta Frederici I,5; vgl. Vincenz von Beauvais, Speculum historiale I,42, S. 17. 23 Fromm, Riesen und Recken, S. 55.

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Wie der Sündenfall für den Körper einen realen Umschlag in Wildheit bedeutet, so auch für die Fauna,24 mit der Folge daß das Herrschaftsverhältnis des Menschen über die Natur invertiert zu sein scheint: »Denn die wir geschaffen worden sind, um die Fische des Meeres und die Vögel des Himmels zu beherrschen und alle Lebewesen, die auf der Erde wandeln, werden jenen nun als Beute und als Speise gegeben.«25 Die Turbulenzen der Körperfunktionen, der Humores und Affekte, lassen den friedlichen Vegetarismus des Paradieses in einen artbezogenen Kannibalismus umschlagen, der von den Klerikern als Zeichen einer neuen Gewaltkultur gedeutet wird. Die tiefgreifende Veränderung der Natur betrifft aber nicht nur das Verhältnis des Menschen zum Tier, sondern auch sein Selbstverhältnis, das sich im postparadiesischen Zustand gleichfalls dem Tierischen annähert: »Außen bist Du ein Vieh, nach dem Bild der Welt, […]. Innen bist Du ein Mensch nach dem Bild Gottes«, schreibt Isaac von Stella; auch nach Ansicht Wilhelms von St. Thierry ist der Mensch zwar als Abbild Gottes geschaffen, als perfektes Kunstwerk, doch bedarf der gefallene Mensch eines erneuten mühseligen ›Arbeitsganges‹, um seine verlorene Idealität wieder zu gewinnen: »Deswegen werden wir wie Tiere geboren, so daß erst mit der Zeit und mit nicht geringen und langwierigen Mühen das Bildnis unseres Schöpfers in uns wieder leuchten kann.«26 Dem Aufruhr der Körperdynamik nachzugeben, den Begierden und den Sinnen zu Lasten der ratio zu unterliegen, darin besteht die ständige Gefahr, die 24 Nach Alexander Neckam und Hildegard von Bingen bringen die physischen Auswirkungen des Sündenfalls Naturphänomene wie »Mondflecken, Wildwerden der Tiere, Insektenplagen, und Krankheiten der Tiere« hervor. Alexander Neckam, De naturis rerum Cap. CLVI, S. 249f.; Crombie, Von Augustinus bis Galilei, S. 138; Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 78, 80. Et postquam homo pomum comedit, et in angustia sudavit, sanguis ejus in naturam hominis ut nunc est versus est atque omnia caetera animalia in naturas suas versa sunt. Hildegard von Bingen, Physica VII,4, PL 197, Sp. 1316. Postea vero non solum aves avibus, vel ferae bestiis insidias ponunt; sed etiam ipsi homini domestica animalia violenter rapiunt. Honorius Augustodunensis, Hexaemeron, PL 172, Sp. 258. Vgl. Petrus Abaelard, Expositio in Hexaemeron, PL 178, Sp. 767; Tolomeo von Lucca, De regimine principum IV,2; Struve, Die Bedeutung der aristotelischen »Politik«, S. 159. 25 Nam qui creati fuimus, ut dominaremur piscibus maris et volatilibus celi et universis animantibus que moventur in terra, nunc damur illis in predam, damur in escam. Innocenz III, De miseria humane conditionis I,19, S. 28 [Vgl. PL 217, Sp. 712]. Ante peccatum homo omnia subjecta habuit; post peccatum vero ipse omnibus subjacuit. Honorius Augustodunensis, Hexaemeron, PL 172, Sp. 258; Werner, Der Entwicklungsgang, S. 18. 26 Foris pecus es, ad imaginem mundi […] intus homo ad imaginem Dei; Isaac von Stella, Sermones in festo omnium sanctorum, PL 194, Sp. 1689–1713, 1695. Propterea nascimur ut pecudes; nec continuo, nec nisi cum magnis et diuturnis laboribus relucere potest in nobis Factoris imago; […]. Wilhelm v. St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, Sp. 710; Werner, Entwicklungsgang, S. 18. Roger Bacon wird im 13. Jahrhundert im »Opus maius« schreiben: Peccatum autem non solum excaecat, nec foedat, nec debilitat animum rationalem, sed convertit in vitam bestialem, sicut philosophi ostendum in multis locis […]. Sed peccatum est contra ordinem naturae. Opus maius VII,3,3 (S. 263f.).

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aus dem Verlust der rationalen Kontrolle resultiert. Das Verhältnis von ratio und Begehrungsvermögen ist mit dem Sündenfall sichtbar umgeschlagen, wodurch der Mensch zum Diener seiner Leidenschaften wird: Nach Wilhelm von St. Thierry sei er »zum Diener derjenigen gemacht worden, deren Herr und Richter er sein soll.«27 Eine solche Verwirrung wird auch als Ergebnis einer allzu engen Verbindung von Mensch und Tier imaginiert. Für Hildegard von Bingen ist ein Zustand harmonischer Koexistenz Ausgangspunkt einer negativen Kulturgeschichte zwischen Vertreibung und Sintflut: Damals hatten die Menschen Gott vergessen und handelten mehr nach Art der Tiere wie nach dem Willen Gottes. Daher kam es, daß viele die Tiere mehr liebten wie die Menschen, so daß sowohl Weiber wie auch Männer sich dermaßen mit den Tieren vermischten und mit ihnen verkehrten, daß das Ebenbild Gottes in ihnen fast völlig zugrunde gerichtet wurde. Das ganze Menschengeschlecht wurde zu Ungeheuern verwandelt und umgeformt, so daß sogar einige Menschen ihre Lebensweise und Stimme nach Art der wilden Tiere gestalteten im Umherlaufen, Heulen und Leben. Die wilden Tiere wie auch das Vieh waren nämlich vor der Sintflut noch nicht so wild, wie sie nachher geworden sind. Weder flohen die Menschen vor ihnen noch sie vor den Menschen und erschraken nicht voreinander. Die wilden Tiere und das Vieh verweilten gerne bei den Menschen und die Menschen bei ihnen, weil sie bei ihrem ersten Auftreten fast zur selben Zeit entstanden waren. Aber die wilden Tiere wie auch das Vieh liebkosten die Menschen und diese wiederum die Tiere. Daher liebten sie sich gegenseitig immer mehr in widernatürlicher Weise und paarten sich untereinander.28 Tunc etiam homines obliti erant deum, ita quod plus secundum pecora quam secundum deum faciebant. Unde multi magis pecora quam homines diligebant, ita quod etiam pecoribus tam feminae quam mares tali modo commiscebantur et communicabant, quod imago dei iam paene in eis destituta fuit [in eis]. Et omne genus humanum in monstra transmutatum et transformatum, ita quod etiam aliqui homines secundum bestias mores et voces suas formantes constituebant currendo, ululando et vivendo. Nam bestiae et pecora ante diluvium tantae asperitatis nondum fuerunt, ut postea facta sunt. Nec homines illa nec illa homines fugiebant, nec ab invicem exterrita fuerunt. Sed bestiae et pecora cum hominibus libenter manebant et homines cum illis, quod etiam in primo ortu simul originem paene sumpserunt. Sed et bestiae et pecora lambebant homines et homines illa, unde et magis se invicem in contrarietate amabant et sibi cohaerebant.29

27 minister eorum factus, quorum dominus esse debuit et judex. Wilhelm v. St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, Sp. 714. Inter omnia monstra hujus mundi nihil mihi videtur esse monstruosius, quam quod in quibusdam humanis corporibus brutos videmus animos, et affectus praecellere bestiales. Aristoteles enim et Salustius homines gulae et libidini deditos, non inter homines, sed inter animalia censent numerandos. Hélinand de Froidmont, De cognitione sui Cap. IV, PL 212, Sp. 725. 28 Hildegard von Bingen, Ursachen und Behandlung der Krankheiten, S. 79f. 29 Hildegard von Bingen, Causae et curae, S. 47f.; vgl. Lecouteux, Les Monstres dans la Litterature Allemande, S. 210. Zum Vergessen vgl. Meier, Vergessen, Erinnern, S. 164.

Schöpfungsordnung und Sündenfall

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Die gemeinsame Lebensform von Mensch und Tier, die vertraute und friedliche Nachbarschaft vor der Sintflut, ist in dieser Perspektive weniger Zeichen pastoraler Unschuld als Auslöser einer tiefgreifenden Verirrung. Hildegard imaginiert eine postparadiesische Frühzeit der Menschheit, in der die Grenze zwischen Mensch und Tier verhängnisvoll überschritten wird. Nicht nur im metaphorischen Sittenverfall, sondern im Akt realer Vermischung verfällt das Menschengeschlecht nach Hildegards Vorstellungen dem Tiersein.30 Durch allzu große Nähe, deren sexuelle Komponente explizit erwähnt wird, entstehen Ungeheuer, gleicht sich das Verhalten an und setzt Wildheit sich zunehmend durch. Zwischen Paradies und Sintflut ist ein Sonderraum etabliert, der durch ein besonderes Verhältnis von Mensch und Tier gekennzeichnet ist. Nivelliert bereits der Sündenfall rein physisch die Grenze, indem er durch eine enge Lebensgemeinschaft von Mensch und Tier die bedrohliche Nähe sichtbar macht, so verschärft sich in der Folgezeit das Verhältnis, wenn es in eine Liebesgemeinschaft übergeht. Das ist gewissermaßen die negative Naturgeschichte des Menschen. Die Kulturgeschichte des Menschen setzt sich für Hildegard dann aber als separater Zweig fort, da einige Söhne Noahs – sogenannte Gotteskinder, die weder in Gestalt noch im Umgang Ähnlichkeit mit Tieren zeigen – der Vermischung ausweichen und ausschließlich mit Menschenkindern Nachkommen zeugen. Dieses Verhalten zeitigt ebenfalls Auswirkungen auf die Natur, da es nun die Tiere sind, die von den Menschen lernen: »Es gibt aber auch heute noch wilde Tiere wie auch Haustiere, die auf die obenerwähnte Weise von den Menschen sehr viel von der menschlichen Natur angenommen haben.«31 Nicht als providentielle Ordnung der Fauna, auch nicht als Schrift Gottes faßt Hildegard also den Anthropomorphismus der Haustiere auf, sondern als Produkt einer Periode gemeinsamer Lebensorientierung, in der die guten und kultivierten Menschen Spuren von Humanität in die ihrerseits gespaltene Tierwelt einschreiben.32 Die Natur der Lebewesen, ihre Ausstattung und ihr Verhalten, erweisen sich so als Produkt eines geschichtlichen Prozesses. Hildegard zeichnet die Genese einer Spaltung: einerseits der sukzessiven Verwilderung des Menschen durch Annäherung an das Tier, andererseits der Humanisierung der 30 Zur »species corruption« vgl. White, The Forms of Wildness, S. 14f. 31 Sed et quaedam bestiae et pecora adhuc sunt, quae hoc modo, ut praedictum est, plurimum sibi de humana natura ab hominibus contraxerunt. Hildegard von Bingen, Causae et curae, S. 48; Ursachen und Behandlung der Krankheiten, S. 80. 32 Erst nach der Sintflut beginnt die eigentliche Geschichte der Trennung von Mensch und Tier: Im Zusammenhang mit einer geographischen Aufspaltung in Wasserflächen und Waldgebiete sowie der Entstehung von großen grenzziehenden Strömen, kommt es zur Trennung: quibus etiam homines et bestiae separati sunt, ita quod postea homines bestias et bestiae homines abhorrebant. Ebd., S. 49.

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Tiere durch positive Einflüsse des Menschen. Zeichen des Niedergangs und Zeichen der Hoffnung werden an der Tierwelt sichtbar, und eine Befriedung der Natur hängt in dieser Perspektive entscheidend vom sittlichen Verhalten des Menschen ab.33 Was die Genesis als providentielle Ordnung vorgegeben hatte, die Differenzierung der Tiergattungen, wird bei Hildegard ein Ergebnis von ethischem Verhalten. Hildegards Herleitung des gestörten status naturae kann als spezifisch historische Erklärung der allgemeinen Verwilderungshypothese aufgefaßt werden. Seit den Kirchenvätern werden die Folgen des Sündenfalls als Verwilderungsprozeß beschrieben, nach dem die Masse der Menschen ihren Gewalt- und Triebenergien nachgibt und nur durch wenige Aufrichtige noch in Schach gehalten werden kann.34 Das gestörte Verhältnis von Mensch und Tier besitzt aber zugleich seinen Gegenpol in der Providenz Gottes, die bereits die ursprüngliche Grenzziehung didaktisch lesbar macht. Nicht erst der humanisierende Einfluß des Menschen, wie Hildegard ihn skizziert, sondern schon die heilsgeschichtliche Imprägnierung der Natur ebnet demnach den Unterschied ein, indem sie etwa Tieren anthropomorphe Verhaltensformen zuschreibt.35 Die Paradiesordnung mit ihrer Unterscheidung in Haus- und Raubtiere ließ sich als providentieller Hinweis moraldidaktisch interpretieren. Beide Entwürfe, der biblisch-providentielle wie Hildegards historische Genese, laufen in dieser ethischen Ausrichtung parallel. Die Naturbücher des Mittelalters, die »libri de naturis rerum«, bieten denn auch weniger eine empirische Darstellung der Natur, obgleich die Sachebene immer wieder akzentuiert wird, als daß sie sowohl das christliche Wertesystem der Tugenden und Laster als auch die heilsgeschichtlichen Zeichenverweise in die Tierwelt selbst projizieren und zwar als von Gottes Finger geschriebene Zeichen: signum digito Dei scriptum. Die interpretatio christiana formt so die Tierwelt zum Spiegel moralischer Normen, der ad bonam und ad malam partem zugleich reflektiert. Wird die Natur derart als Zeichenarsenal begriffen, so wird sie nicht nur anthropozentrisch aufgefaßt und als zielgerichtete Botschaft an den Menschen lesbar, sondern zugleich wird auch die 33 Das zeigt, daß die ethische Unterscheidung von gut und böse das Mensch-Tier-Verhältnis dominiert, Mensch und Tier sich jeweils nach ethischen Vorgaben auf verschiedene Klassen verteilen. White, The Forms of Wildness, S. 13. 34 Stürner, Peccatum und Potestas, S. 35, 38f., 104f., 112 u.ö. Die Auswirkungen eines solchen (Verfalls-) Prozesses lassen sich vor allem an ethnographischen Beschreibungen ablesen, die aus eurozentrischer Perspektive nach außen hin eine zunehmende Verwilderung von Raum und Bewohnern unterstellen. So kann Vincenz von Beauvais seiner einleitenden geographischen Übersicht (de diuisione terrarum ac regionum) einen kurzen Abriß über die Sitten der Barbaren anfügen: de monstruosis quoque gentibus. Speculum Historiale I,86, S. 32; vgl. Thomas von Cantimpré, Liber de natura rerum III: De monstruosis hominibus orientis. Perrig, Erdrandsiedler, S. 33f. 35 Darin gründet die Lesbarkeit der Welt, die Auffassung vom Buch der Natur: Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, S. 32–35; Ohly, Zum Buch der Natur, S. 728–733.

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Differenz von sensus und ratio moralisch aufgeladen. Es ist dieser moraldidaktisch ausgerichtete Naturbegriff, der die Grenze zwischen Mensch und Tier nunmehr in der Tierwelt selbst repräsentiert sieht.36 Auch für Hildegard von Bingen etwa spiegelt der Unterschied zwischen den silvestres bestiae und den mansueta animalia genau die Differenz zwischen Mensch und Tier: »Du bist dieses oder jenes Tier, weshalb gewisse Tiere Ähnlichkeiten der menschlichen Natur in sich tragen.«37 Die Blickrichtung ist signifikant: Nicht vom wilden Tier aus wird auf den Menschen geschaut, wie in der Sündenfalldiskussion, sondern vom Menschen auf das zahme Tier. Indem der Verwilderung des Menschen eine Humanisierung des Tiers korrespondiert, setzt sich der schon für das Paradies formulierte Antagonismus von zahm und wild unter veränderten ethischen und historischen Vorzeichen fort.38 Was für die Moderne nurmehr Metaphern darstellen, ist dem Mittelalter aber noch eine providentiell fundierte Gegebenheit. Anthropologisch gesehen vollzieht sich hier ein Sinnbildungsprozeß. Die Konfrontation mit den zufälligen Widrigkeiten der Natur, d. h. mit der Gefahr der Wildnis, mit Zonen geographischer Lebensfeindlichkeit, mit der miseria hominis – Alter, Krankheit, Tod – insgesamt, wird mit Hilfe des Sündenfallmodells in ein homogenes sinnhaftes Kausalgefüge transformiert: Raum, Zeit und Substanz, d. h. Natur, Geschichte und Körper unterliegen sichtbar der Hinfälligkeit, für die dem Menschen letztlich die Verantwortung übertragen wird.

2. Modelle von Kulturgeschichte Das Sündenfallmodell determiniert in der Folge sichtbar die Vorstellungen vom kulturellen Nullpunkt der Menschheit. Die Entwürfe der verschiedenen Kommentatoren, die im Laufe der Zeit die knappen Hinweise der Genesis imaginativ auffüllen, propagieren zumeist einen harten Kulturzustand, 36 In dieser Verlagerung menschlicher Verhaltensformen in die Tierwelt finden Fabel, Tierallegorie und Tierepik ihr breites Betätigungsfeld. 37 Tu es animal illud vel illud, quoniam animalia quaedam naturae hominis similia in se habent. Hildegard von Bingen, Physica VII, PL 197, Sp. 1312. Das Tierreich selbst enthält die Schnittstelle: Asinus: quia in aliqua parte naturae suae naturam hominis tangit. Ebd. VII,9, Sp. 1320. 38 Diese zeichenhafte Humanität der Tiere nimmt in bestimmten Situationen den Charakter von Wundern an, so etwa, wenn wilde Tiere Märtyrer schonen oder in der friedlichen Koexistenz von wilden Tieren und Heiligen. Das Wunder stellt seinerseits die invertierten Verhältnisse auf den Kopf: Licebat ergo videre rem maxime novam, et longe jucundissimam, homines quidem mutatos in ferarum saevitiam, rursus autem videri feras, tanquam ratione praeditas, et credi humanam habere mansuetudinem. Vita S. Panteleemonis, PG 115, Sp. 469f.; Elliott, Roads to Paradise, S. 150; vgl. Nitschke, Tiere und Heilige, S. 62–100.

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der indes unterschiedlichen Leitvorstellungen folgt. Sie besitzen keinen systematischen Ort im zeitgenössischen Wissenshaushalt, finden eher randläufig – etwa in Weltchroniken, Enzyklopädien, theologischen Lehrschriften oder in Genesiskommentaren – ihren Platz und imaginieren auf je eigene Art den Zustand nach dem Heilsverlust und seine Bewältigung. Während im Kontext theologischer Reflexion eher kulturgenetische Modelle privilegiert werden, die etwa den Ursprung der artes thematisieren, diskutieren politisch orientierte Entwürfe primär Probleme entstehender gesellschaftlicher Ordnung. Vor allem drei Modelle des Urzustands lassen sich unterscheiden, die sich komplementär zueinander verhalten und antike Konzepte an die Erfordernisse heilsgeschichtlicher Vorgaben anpassen: A) die Vorstellung vom Menschen als einem physischen Mängelwesen, die aus der Sicht des Sündenfalls in eine Herrschaft der ratio überführt werden muß: natura noverca.39 B) ein providentielles Fürsorgemodell, nach dem die Natur den Handlungsspielraum des Menschen absteckt: mater naturae. C) eine ethische Verfallsgeschichte der Verwilderung, die an antike Kulturtheorie mit ihrem Ausgangspunkt Wildheit (Cicero) anschließbar ist. Die Positionen von Mensch und Tier sind darin jeweils unterschiedlich besetzt. Neben das pastorale Konsensmodell, das vom Goldenen Zeitalter über monastische Modelle des Naturfriedens bis hin zum naturbezogenen Asketismus sich artikuliert, tritt zum einen die bedrohliche Grenzüberschreitung vom Menschen hin zum Tier, zum andern das Konzept einer verschärften Trennung. Wildheit und Nacktheit bilden auch hier die Repräsentanten von sensus und ratio, deren Spannung sich somit zugleich kulturhistorisch niederschlägt. An einer Reihe von kulturellen Nullpunktphantasien läßt sich exemplarisch die historische Wirksamkeit und Rivalität der verschiedenen Modelle nachzeichnen. Wilhelm von St. Thierry, Cosmas von Prag, Otto von Freising, Vincenz von Beauvais und Gervasius von Tilbury werden sich in der Folge zwar als Repräsentanten ganz unterschiedlicher technologischer, ethischer und politischer Entwürfe präsentieren, alle aber sehen ihre Konzepte im Horizont der Bewältigung des Sündenfalls. Der erste Entwurf eines postparadiesischen Zustands geht von einem Modell der Bedrohung des Menschen durch das Tier aus. Hier liefert ein konstitutiver Mangel den Menschen den überlegenen Kräften der Natur aus: natura 39 Die Tradition reicht von Platons Protagorasmythos und Plinius (Naturalis historia VII, Vorrede) über die Patristik (Gregor von Nyssa, De hominis opificio, PG 44, Sp. 142) bis in das Hochmittelalter hinein (Wilhelm von St. Thierry; Vincenz von Beauvais). Pöhlmann, Der Mensch – ein Mängelwesen?, S. 297–312; vgl. Augustinus, De civitate Dei XXII,24; Bernhard von Clairvaux, De consideratione II,IX,18; Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes, S. 28. Belege bis ins 15./16. Jahrhundert führt Stöcklein an: Leitbilder der Technik, S. 40.

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noverca.40 Ziel dieses Konzepts von der Natur als Stiefmutter ist letztlich die Herrschaft des Menschen über das Tier. Die Vorstellung vom Menschen als Mängelwesen, die sich aus stoischer Tradition (Plinius) herleitet, betrifft sowohl seine physische wie soziale Disposition. So greift die politische Theorie des 13. Jahrhunderts auf das antike Argument von der natürlichen Schutzlosigkeit des Menschen zurück, um Gemeinschaftsbildung als natürliches Telos des Menschen auszuweisen.41 Wilhelm von St. Thierry ist in seiner Schrift »De natura corporis et animae libri duo« weniger an der genauen historischen Verortung einer frühen zivilisationsfreien Stufe interessiert als an ihrer präzisen diskursiven Erfassung. Er skizziert eine komplexe Physiologie des menschlichen Körpers, die er auf den postparadiesischen Status zurückführt.42 Da die göttliche imago des Menschen gestört ist, bedarf es der Austreibung seiner animalischen Anlagen. Die körperliche Defizienz des Menschen gegenüber den Tieren, die Wilhelm in Anschluß an Plinius oder Gregor von Nyssa entwirft, wird indes durch die Teilhabe am göttlichen Intellekt aufgefangen.43 Zwar besitzt der Mensch keine natürlichen Waffen, so daß er rein körperlich den Tieren unterlegen ist: »Allein der Mensch ist unter den schneller Laufenden der langsamere, unter den Gewaltigeren der kleinere, unter den mit natürlichen Waf-

40 Pöhlmann, Der Mensch – das Mängelwesen?, S. 288–312, 302; Struve, Die Bedeutung der aristotelischen »Politik«, S. 156f. 41 Ferocitas animalium, quae facta sunt homini nociva post lapsum Adae, ad hoc ipsum inducit. Ad maiorem enim securitatem hominis […] necessaria est communitas hominum, ex quibus civitas constituitur, unde homo reddatur securus. Tolomaeo de Lucca, De regimine principum IV,2; Struve, Die Bedeutung der aristotelischen »Politik«, S. 159. Vgl.: ›Crescite, et multiplicamini, et sit timor vestri super cuncta animantia terrae.‹ Hoc dictum est eis in solatium, ne pauci homines a pluribus bestiis opprimi timerent. Petrus Comestor, Historia Scholastica, Liber Genesis Cap. 35, PL 198, Sp. 1086. Politische Schlußfolgerungen aus der Mangelsituation zieht Thomas von Aquin, wenn er aus der natürlichen Benachteiligung des Menschen die Notwendigkeit der Bildung eines Gemeinwesens ableitet. Thomas von Aquin, De regno I,1. Vgl. Struve, Die Bedeutung der aristotelischen »Politik«, S. 156f. Vgl. Aegidius Romanus: De regimine principum I,4,1. 42 Omnipotentis enim naturae imaginem fieri, quid est aliud, quam continuo regalem conditam fuisse naturam? […] sic humana natura quoniam ad imperium aliorum constituta est, per similitudinem ad universitatis regem veluti quaedam animata imago electa est; […]. Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, PL 180, Sp. 717; Werner, Der Entwicklungsgang, S. 14–25; Norpoth, Der pseudo-augustinische Traktat De spiritu et anima, S. 107f. 43 Anima siquidem rationalis intelligens et conservans honorem suum, regale quiddam est et excelsum: […]. Propter hoc [homo] nudus quidem naturalibus protectionibus, inermisque nascitur: in tantum, ut cum in aliis aliorum animantium primordiis laeta mater appareat natura, in homine solo videatur tristis noverca. Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 715. Vgl. Plinius, Naturalis historia VII,1–4; Gregor von Nyssa, De hominis opificio, PG 44, Sp. 139–143.

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fen Geschützten der leichter zu erobernde.«44 Die ratio humana aber schützt klüger, zerstört mächtiger und macht vor allem dienstbar. Privilegierter Bezugspunkt der Emanzipation ist das Tier, wenn kulturelle Erhebung an einer Reihe von Domestizierungsakten festgemacht wird. Der Mensch kompensiert durch Instrumentalisierung der Natur alle Defizite: Langsamkeit durch Domestizierung des Pferdes, Nacktheit durch die Wolle des Schafs, Nahrung durch Abrichtung des Rindes zum Ackerbau; die Jagd auf wilde Tiere praktiziert der Mensch mit Hilfe des Hundes, der gewissermaßen ein lebendes Schwert – vivum quemdam gladium – darstellt, und der ihm auch als nächtlicher Bewacher dient; schließlich dient ihm das Eisen als überlegene Angriffs- und Schutzwaffe.45 Die natürliche Schutzlosigkeit des Menschen erweist sich gegenüber dem Tier gar als Vorteil, kann der Mensch doch in freier Wahl seine Waffen auf- und wieder abnehmen. Wilhelm imaginiert im Anschluß an das biblische Diktum von der Herrschaft des Menschen über die Tiere eine kleine Kulturgeschichte, die auf die Erfindungskraft des Menschen und deren gewaltsames Potential abhebt: imperare, edomare, subiugare, dominare und ähnliche Synonyme von Beherrschung und Unterwerfung prägen den Blick auf das Tier. Stellt der Sündenfall den physisch unterlegenen Menschen in einen Krieg gegen die Natur, so restituiert dieser durch kluge und gewaltsame Instrumentalisierung der Fauna seinen früheren Status. Die Perspektive, aus der Wilhelm schreibt, ist die der verlorenen und wieder zu gewinnenden pragmatischen Herrschaft, die in einer umfassenden Nutzung der Fauna besteht. Die Position des rationalen Kulturoptimismus teilt Wilhelm mit anderen Autoren seiner Zeit, etwa mit Hugo von St. Viktor. Auch nach dessen Ansicht ist der Mensch gegenüber den Tieren durch eine defizitäre Ausstattung gekennzeichnet: »allein

44 Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 716: Non enim acie cornuum armatur, non unguium acuminibus, non ungulis seu dentibus, non dente vel aculeo mortifero, sicut multa animalia; non pilorum amictu corpus tegitur. Solus quippe homo est velociter currentium tardior, enormium brevior, naturalibus armis munitorum expugnabilior. Vgl. Vincenz von Beauvais, Speculum doctrinale I,1, Sp. 4; Gregor von Nyssa, De hominis opificio, PG 44, Sp. 142; Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, 91,3; Werner, Der Entwicklungsgang, S. 20f. 45 Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 716f.: Tarditas namque corporis nostrae et ad movendum difficultas, equum sibi servire imperavit et edomuit! Rursum alia animalia bajulandis oneribus subjugavit. Carnis nuditas necessarium fecit ovium dominatum. Ne herbam ut bos comederet, ad terrae culturam ipse sibi bovem subjugavit. Habet etiam canem, et contra feroces et noxias bestias quasi vivum quemdam gladium, et nocturni somni custodem; cornuum vero acie et unguium acumine ferrum acutius et fortius; quod praestet homini arma, non belluina, truculenta, connaturaliter eum semper onerantia, sed cum ratione sumenda et deponenda. Habet etiam ex ipso ferro munimenta corporis fortiora squamis crocodili: galeae scilicet et loricae. Quid multa? omnis creatura homini sicut regi servit et militat. Vgl. Gregor von Nyssa, De hominis opificio, PG 44, Sp. 142.

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der Mensch wird wehrlos und nackt geboren.«46 Ist den übrigen Geschöpfen, die nicht für sich selbst sorgen können – quae sibi providere nesciunt –, die Fürsorge der Natur gewiß, so wird dem Menschen die Vernunft gegeben, damit er selbst durch Leitung der Natur Erfindungen macht.47 Ihre Leistungen kompensieren die Folgen des Sündenfalls. Die Erfindungen des Menschen dienen der reparatio hominis bzw. der Vorbeugung gegen die infirmitas corporis.48 Ein Fortschritt kann auf die unterschiedlichste Art entworfen werden. Eine Stufenfolge kulturellen Fortschritts skizziert Gerald von Wales in der »Topographia Hibernica« am Beispiel der Siedlungsformen. Ablesbar ist für ihn der Fortschritt des ordo humani generis an der Stufenfolge ökonomischer Techniken – Viehzucht, Landwirtschaft, Handel –, die sich zugleich mit dem Wechsel des Lebensraumes verändert hätten: vom Wald über den Acker hin zu den Dörfern und Städten.49 Index kulturellen Fortschritts ist dabei eine zunehmende Distanz gegenüber dem Tier. Im 13. Jahrhundert wird Roger Bacon den Prozeß der restauratio soweit führen, daß er vorgibt, mit Hilfe der Wissenschaften Macht – magisterium – über die Natur zu erringen, etwa den durch den Sündenfall bewirkten Alterungsprozeß zu stoppen und die Herrschaft über das Leben wieder zu gewinnen.50 Dem Konzept, den Mangel mit Hilfe von Technik zu überwinden, steht ein quietistisches gegenüber, das die defizitäre Ausstattung des Menschen als göttlichen oder natürlichen Auftrag akzeptiert. Vincenz von Beauvais bietet 46 solus homo inermis nascitur et nudus. Hugo von St. Viktor, Didascalicon, I,9, S. 17. 47 Hugo von St. Viktor, Didascalicon, I,9, S. 17; Epp, »Ars« und »scientia«, S. 830f.; Whitney, Paradise Restored, S. 81f.; vgl. Gregor von Nyssa bei Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI, 78, S. 2351f. 48 Epp, »Ars« und »scientia«, S. 830; Wieland, Zwischen Naturnachahmung und Kreativität, S. 262. Zieht bereits der Sündenfall den Verfall von Wissen nach sich, so müssen erst recht nach der Sintflut, konzentriert auf eine Generation, durch Noah und seine Söhne die zentralen Kulturtechniken allererst erfunden werden. Rudolf von Ems skizziert eine andere Tradition, nach der bereits die Nachkommen Adams Kulturstifter sind: Enoch, Burgenbauer; Lamech, Polygamie; Jabel, Hüttenbauer; Jubal, Saitenspiel; Tubalcaim, Schmiedehandwerk; Sella, Webkunst; Lamech, Jagd; vgl. Rudolf von Ems, Weltchronik V. 486–549. Vgl. Whitney, Paradise Restored, S. 78. 49 Jones, The Image of the Barbarian, S. 396f.; Bartlett, Gerald of Wales, S. 176f.; Ovitt, The Restauration of Perfection; von See, Der Germane als Barbar, S. 40. 50 Zu Roger Bacon vgl. Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes, S. 198f. Nam primum homines tamquam nudi et inermes nec contra beluas praesidia habebant, nec receptacula frigoris et caloris, nec ipsi inter se homines ab hominibus satis erant tuti. Tandem naturali sollertia speluncis silvestribusque tegumentis tuguria sibi et casas virgultis arundinibusque contexerunt, quo esset vita tutior, ne his, qui nocere possent, aditus esset. Haec est origo oppidorum, […]. Isidor, Etymologiarum […] libri, XV,2. Vgl. Hrabanus Maurus, De rerum naturis XIV,1, PL 111, S. 375f. Vgl. Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 34. Damit ist weniger die Tradition Ciceros aufgerufen, wie Ludvíkovský vermutet (La Légend du Prince-Laboureur Přemysl, S. 159), als die des Plinius. Der Mensch steht hier als Mängelwesen und nicht als Wilder den Tieren gegenüber.

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im Zuge der Wissenschaftsübersicht zu Beginn seines »Speculum historiale« ein Exzerpt, das die pessimistische Einschätzung von Kulturentstehung aus der Perspektive asketischer Tradition wiedergibt. Weniger als Demonstration rationaler Macht, vielmehr als Fortsetzung des heilsgeschichtlichen Verfallsprozesses wird hier der Gang der Kultur eingeschätzt. Nach dem Sündenfall bricht sich demnach in den Söhnen Adams – Cayn pessimus […] Abel iustus – sowie in deren Nachkommen das Verhängnis Bahn: Lamech habe »zuerst wider die Natur und Sitten die Bigamie eingeführt und so Ehebruch begangen«; auch habe »dessen Nachkommenschaft gewisse mechanische Künste und Neuigkeiten erfunden.«51 In der Untat des Ackerbauern Kain an seinem Bruder Abel, dem Hirten, artikuliert sich bereits der Übergriff einer technischen Kultur gegenüber einem Zustand pastoraler Unschuld. Kultur als Inbegriff technischer Erfindungen wird hier als Entfernung vom Ursprung einer versöhnten paradiesischen Natur begriffen. Solche Haltung impliziert nicht nur eine quietistische Einstellung, nach der menschliches Interesse nicht über die von der Natur gesetzten Grenzen hinaus streben sollte, sie macht vor allem die Moral zum Gradmesser kultureller Leistungen. Das Argument, daß der Mensch nackt aus dem Schoß der Mutter Natur hervorkommt, dient dem Appell zur Demut,52 und die Reaktion auf solche kulturkritische Haltung besteht nicht zufällig im Vorwurf der Vertierung.53 Der Zustand der friedlichen Anpassung an die Natur nach der Sintflut wird auch kulturhistorisch verortet. Ein solcher Zustand kann noch weiter an die Natur herangeführt werden, etwa als natürliche Idylle noch jenseits pastoraler Lebensform. Cosmas von Prag beschreibt zu Beginn des 12. Jahrhunderts die Frühgeschichte der Böhmen, deren Weg er einleitend ab der Zerstreuung der Menschen nach der Sintflut verfolgt. In den natürlichen germanischen Lebensraum, der sich durch eine Überfülle an Fauna und Flora auszeichnet, fügt sich das wilde Volk der Böhmen noch vor aller politischen Organisation harmonisch ein:

51 Lamech enim primus contra naturam, & mores bigamiam introduxit, & sic adulterium commisit, cuius etiam progenies artes quasdam mechanicas, & curiositates adinuenit. Vincenz von Beauvais, Speculum historiale I,57, S. 23. Die Vorstellung geht auf Flavius Josephus zurück. Vgl. Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 28. 52 Bernhard von Clairvaux kann eine solche Argumentation, den Hinweis auf die Mangelsituation des Menschen, anführen, um Papst Eugen III. zur Demut zu mahnen. […] »wirst du auf einen nackten, armen, armseligen und erbärmlichen Menschen stoßen, einen Menschen, der darunter leidet, daß er Mensch ist, der weint, daß er geboren wurde, und murrt, daß er überhaupt ist; […]« Bernhard von Clairvaux, De consideratione II,IX,18. Zitiert nach Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes, S. 28. 53 Brutescent homines si concessi dote priuentur eloquii, ipsaeque urbes uidebuntur potius pecorum quasi saepta quam coetus hominum nexu quodam societatis foederatus […]. Johannes von Salisbury, Metalogicon I,1; Nederman, Nature, Sin and the Origins of Society, S. 12.

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Denn gleich den Thieren des Waldes gingen sie jede Nacht neue Verbindungen ein, und lösten die Bande der drei Grazien und die heimliche Fessel der Liebe mit dem Aufsteigen der Morgenröte. Wo einen die Nacht überraschte, da warf er sich auf ’s Gras und schlummerte süß unter dem dichten Schatten eines Baumes. Der Gebrauch der Wolle, der Leinwand, der Kleider überhaupt war ihnen unbekannt, und nur im Winter bedienten sie sich der Wildschur oder eines Schafpelzes. Auch das Wort »mein« kannten sie nicht, vielmehr hieß, wie beim klösterlichen Leben, alles, was sie hatten, in Wort und Tat »unser«. An ihren Stallungen waren keine Riegel und ihre Thüre verschlossen sie keinem Dürftigen, weil es weder Diebe noch Räuber noch Dürftige gab. Kein Verbrechen galt ihnen schwerer als Diebstahl und Raub. Sie hatten noch keinerlei Waffen gesehen als Pfeile, und diese hatten sie nur, um das Wild zu erlegen.54 Nam more pecudum singulas ad noctes novos probant himineos et surgente aurora trium gratiarum copulam et ferrea amoris rumpunt vincula; et ubi nox quemque occuparat, ibi fusus per herbam frondose arboris sub umbra dulces carpebat somnos. Lane vel lini eis usus ac vestis ignotus, hieme ferinis aut ovinis pellibus utuntur pro vestibus. Nec quisquam ›meum‹ dicere norat, sed ad instar monastice vite, quicquid habebant, ›nostrum‹ ore, corde et opere sonabant. Ad stabula non erant repagula, nec portam inopi claudebant, quia neque fur neque latro neque inops quisquam erat; nullum scelus apud eos furto gravius et latrocinio. Nullius gentis arma videre, tantummodo sagittas, et has propter feriendas feras, habuere.55

Dem böhmischen Chronisten erscheint die Lebensform offenbar weniger als Verlust denn als Ausdruck natürlicher Freiheit und einfältiger Moralität: als natürlich monastische Lebensform. Heilsverlust führt in solchen Reminiszenzen ans Goldene Zeitalter nicht notwendig zu einer depravierten Lebensform; im Gegenteil, fast scheint es so, als ob der Chronist die Wildheit und Ungebundenheit seiner Landsleute bewundert, die erst im Verlauf der Zeit einen Niedergang erlebt. Ein Orakel befördert dann die Wahl des politischen Führers Boemus. Der Übergang von einer natürlichen Lebensform in ein politisches Gefüge vollzieht sich nicht ohne wehmütigen Rückblick. So zeichnet Cosmas das Bild von einer kriegerischen Geschlechterrivalität, in der die Frauen wie die Amazonen als freie Kämpferinnen auftreten, sich gegenüber den iuvenes behaupten, so daß eine soziale Differenzierung untereinander noch nicht existiert.56 Natürliche Genügsamkeit und Rivalität kennzeichnen die Situation. Das Sozialverhalten wird aber wiederholt in entsprechenden 54 Cosmas von Prag, Chronik von Böhmen I,3, S. 10. 55 Cosmas von Prag, Chronica Boemorum I,3, MGH script. rer. germ. II, S. 8 [Hervorhebung U. F.]; vgl. Graus, Social Utopias in the Middle Ages, S. 1–19, 11f.; Ders., Lebendige Vergangenheit, S. 89ff.; Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 133–139. 56 […] vir et femina in habitu nullum discrimen habebant. Cosmas von Prag, Chronica Boemorum I,9, MGH script. rer. germ. II, S.20. Et ex illa tempestate post obitum principis Lubosse sunt mulieres nostrates virorum sub potestate. Ebd., S. 21. Zur topisch geschilderten Wildheit der Böhmen vgl. Otto von Freising, Gesta Frederici I,17; Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum VI,5.

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Tiervergleichen ausgedrückt, z. B. in bezug auf Sexualverhalten: »Nicht anders gingen die Jünglinge mit den Mädchen um, als wenn sich Wölfe, die in eine Herde eingebrochen sind, über die Schafe hermachen.«57 Die Rivalität von Ursprungsvorstellungen wird nun darin sichtbar, daß die gleiche Frühgeschichte der Böhmen auch in einer christlichen Version überliefert ist. Dort tritt an die Stelle der Natureinpassung die Vorstellung von der Verwilderung des Menschen: Aber selbst die böhmischen Slaven unter dem Arctus gelegen, bewohnen das Land, dem heidnischen Aberglauben ergeben, wie ein ungezähmtes Pferd ohne Gesetz, ohne irgendeinen Fürsten, Lenker und ohne städtische Ordnung lebend, wie zerstreute Tiere umherschweifend.58

Anders als Cosmas beschreibt der christliche Verfasser den vorgeschichtlichen Zustand der Böhmen als Verfallsprozeß, so daß diese durch den Akt eines klugen Mannes aus ihrem heillosen Zustand herausgerissen werden müssen. Unabhängig vom Streit um die Priorität der Entwürfe und ihrer möglichen Entstehungszeit lassen sich am gleichen Ereignis rivalisierende Geschichtsdeutungen mit unterschiedlicher Bewertung der Lebensweise feststellen.59 Der gelehrte Alexanderroman wird diese Kontroverse über den Vorrang von Natur und Kultur exemplarisch im Briefwechsel zwischen Alexander und dem indischen Weisen Dindimus inszenieren.60 Das leitet zum dritten Modell über. Dieses akzentuiert die politische Note der Kulturtheorie. Seit der Patristik wird die Notwendigkeit von Herrschaft immer wieder mit den Folgen des Sündenfalls begründet.61 Nach Ansicht der Kirchenväter und ihrer Kommentatoren waren die Menschen in ein tiergleiches Leben verfallen: »Ein Mensch in seiner Herrlichkeit kann nicht bleiben, sondern muß davon wie das Vieh«, heißt es im 48. Psalm, der denn auch 57 Non aliter iuvenes cum puellis ineunt convivia, ac si lupi rapaces querentes edulia, ut intrarent ovilia. Cosmas von Prag, Chronica Boemorum I,9, MGH script. rer. germ. II, S. 20; Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 134. 58 At vero Sclavi Bohemi ipso sub Arcturo positi, cultibus ydolatriae dediti, velut equs infrenis sine lege, sine ullo principe vel rectore vel urbe, uti bruta animalia sparsim vagantes terram solam incolebant. Christianus, Passio sancti Venceslai Cap. 1. Zitiert nach Ludvíkovský, La Légende du Prince-Laboureur Přemysl, S. 155; vgl. Peka, Die Wenzels- und die Ludmilla-Legenden, S. 91. 59 Ludvíkovský (La Légend du Prince-Laboureur Přmysl, S. 157–161) argumentiert gegen die These Kalandras, der bereits auf die Konkurrenz von vermeintlich platonisch-augustinischem und aristotelisch-thomistischem Kulturkonzept verwiesen hatte, und macht zurecht auf Ciceros »De inventione« aufmerksam, das als Quelle des alternativen Entwurfs auch im Mittelalter zur Verfügung stand. 60 Vgl. Kap. II,4,e. 61 Stürner, Peccatum et Potestas, S. 29–122; Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 41–48; Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 35f., 106 u.ö.

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von Bernhard von Clairvaux zum Ausgangspunkt genommen wurde, Herdenexistenz und Zerstreuung der Menschen zu beklagen.62 Hier nun scheint der Mensch realiter zum Tier geworden zu sein. Da die Dynamik des Animalischen allein durch eine starke Herrschaft gebändigt werden kann, rekurrieren Beschreibungen politischer Gründungsakte nicht zufällig auf einen verwilderten Urzustand. Der Sündenfall legitimiert allererst die Entstehung einer Gewaltkultur. Otto von Freising zeichnet in seiner »Weltgeschichte« einen historisch bestimmbaren Zustand früher Kulturlosigkeit zur Zeit des Ninus, der als eine Gründungsfigur der Gewalt entworfen wird und mit dem Otto das politische Elend des Menschheitsgeschlechts, die humanae miseriae hystoriam, beginnen läßt: eine menschheitsgeschichtliche Schwelle also.63 Gewaltpolitik sei gerade deshalb erfolgversprechend gewesen, da die Menschen noch über keine Kenntnisse des Kriegswesens und der Gemeinschaftsbildung verfügt hätten. Zwar assoziiert auch Otto den Nullpunkt postparadiesischer ›Kultur‹ nicht mit Gewalt, sondern mit einem unzivilisierten – rudes et agrestes – vor sich Hinleben, doch akzentuiert er gegenüber der pastoralen Situation den Mangel an institutioneller Ordnung. Otto schließt zunächst an Eusebius’ »Kirchengeschichte« an. Dort, wo es an Recht, Wissen und Ethik mangelt, wächst die Nähe zum Tier: »Mehr wie wilde Tiere umherschweifend, kannten sie keine Städte, keine Gesetze, die zur Rechtlichkeit der Lebensführung geleitet hätten […], sondern ungesittet und unstet schweiften sie ohne feste Wohnsitze durch die Wüsten.«64 Die vertierten Menschen sind in diesem Zusammenhang Repräsentanten einer historischen Vorzeit, ihr Leben der Inbegriff von Unstetigkeit und fehlender sozialer Bindung: Chiffre des gefallenen Menschengeschlechts insgesamt. Der Umschlag von der Privilegierung des Menschen in eine Geschichte der Depravation, wie ihn die christliche Verfallsgeschichte vertritt, ermöglicht auch hier den Anschluß an antike Kulturtheorie.65 Aus Ciceros »De inventione« übernimmt der Zisterzienser Otto daher die These von der verhängnisvollen Privilegierung des Körpers gegen-

62 et homo in honore commorabitur adsimilatus est iumentis et exaequatus est. Psalm 48,13; Bernhard von Clairvaux, In Cantica Canticorum 35, S. 251; Friedrich, Unterwerfung, S. 147. 63 Otto von Freising, Chronica I,5. […] Ninus filius eius primus, ut traditur, propagandae dominationis libidine genus hominum cruentare non metuens bellorum inquietudinem orbi induxit totumque pene orientem imperio suo subegit. Ebd. I,6. 64 ferino magis ac beluino more oberrantes non urbes ad societatem […] tenuere. […] agrestes et vagi per deserta nullis sedibus vagabantur. Otto von Freising, Chronica, I,6. Nach Eusebius’ Kirchengeschichte (I,2,19). Zu Eusebius vgl. Stürner, Peccatum et potestas, S. 52f.; Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 35f. Zu Otto vgl. Goetz, Das Geschichtsbild Ottos von Freising, S. 131–137. 65 Jones, The Image of the Barbarian, S. 397f. Zur Cicerorezeption vgl. Nederman, Nature, Sin and the Origins of Society, S. 3–26.

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über dem Geist.66 Kultur ist Inbegriff geistiger Vermögen, und ihr Versagen liefert den Menschen an die gewalttätige Instanz des Körpers aus. Aus dem Horizont einer augustinisch geprägten christlichen Verfallstheorie und unter Rekurs auf antike Kulturtheorie zeichnet Otto kritisch den Übergang vom wilden Zustand der Menschheit zum problematischen Gründungsakt einer politischen Gewaltkultur. Gervasius von Tilbury beruft sich gleichfalls im Anschluß an Orosius auf die Usurpation des Ninus wie auch auf den animalischen Urzustand des Menschengeschlechts, wenn er eingangs seiner »Otia imperialia« die jeweiligen Rechtsräume von Kirche und Staat gegeneinander abgrenzt.67 Anders als das kirchliche Recht, das sich der göttlichen Providenz verdankt, leitet sich politische Herrschaft demnach durch eine zusätzliche säkulare Machtdemonstration ab. Während das Menschengeschlecht nach Art der Tiere lebte – humanum genus ritu pecudum vixerit –, sei es von der Gewalt des Ninus wie von einem erneuten providentiellen Ereignis erschüttert worden. Wird auch hier postparadiesische Verwilderung mit einem viehähnlichen Leben gleichgesetzt, so äußert sich Herrschaft entsprechend im Akt der rechtmäßigen Unterwerfung durch ein auf Gewalt und Raub gründendes starkes Königtum. Geradezu als politischer Kulturwandel wird der Umschlag von einer Milchin eine Blutkultur beschrieben: »um nicht von der Milch des Viehs, sondern vom Blut der Menschen zu leben.«68 Die Lehr- und Unterhaltungsschrift für den deutschen Kaiser Otto IV. weist einen Suprematieanspruch kirchlicher Gewalt durch eine kulturgeschichtliche Argumentation ab. Für Gervasius stellt die despotische Politik des Ninus weniger menschheitsgeschichtlich den Umschlag in blutrünstige Verhältnisse dar, als den historisch belegten 66 Fuit quoddam tempus, cum magis homines passim bestiarum more vagabantur et sibi victu ferino vitam propagabant, nec ratione animi quicquam, sed pleraque viribus corporis administrabant. Nondum divinae religionis, non humani officii ratio colebatur, nemo nuptias viderat legitimas, non certos quisquam inspexerat liberos, non, ius equabile quid utilitatis haberet, acceperat. Ita propter errorem atque inscitiam ceca ac temeraria dominatrix animi cupiditas ad se explendam viribus corporis abutebatur pernitiosis satellitibus. Otto von Freising, Chronica I,6. Vgl. Cicero, De inventione I,2. 67 Sanè regnum divinâ permissione non à divina coepit institutione, quod oppressionem habuit pro exordio; naturâ communis libertatis in ipso violentiam patiente; quasi eatenus humanum genus ritu pecudum vixerit, & tunc primùm veluti ad novam providentiam concussum excitatumque vigilaverit. Ninus enim, rex Assyriorum primus, ut scribunt Historiographi, propagandae dominationis libidine arma foràs extulit, cruentamque vitam quinquaginta annis per totam Asiam bellis egit, à meridie & mari rubro surgens, sub ultimo septentrione Euxinum pontum vastando perdomuit, Scythicamque Barbariam adhuc tunc imbellem ac innocentem, torpentem, excitare saevitia vires suas volentem, non lacte jam pecudum vivere, sed sanguinem hominum bibere, ad postremum vincere, dum vicit, edocuit. Gervasius von Tilbury, Otia Imperialia, S. 882; Schnith, Otto IV. und Gervasius von Tilbury, S. 54–56. 68 non lacte jam pecudum vivere, sed sanguinem hominum bibere. Gervasius von Tilbury, Otia Imperialia, S. 882.

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Gründungsakt politischer Herrschaft. Diese konstituiert sich geradezu durch einen bewußten Akt der Selbstermächtigung, der ihr neben dem kirchlichen Herrschaftsanspruch über die Seele einen eigenen Raum wie auch ein eigenes Objekt garantiert: den Körper.69 Herauskristallisiert haben sich drei Ursprungsmythen der Kultur. Einem eher ethisch orientierten Konsensmodell, das auf alle Formen der Unterwerfung verzichtet, stehen zwei Modelle der Herrschaft gegenüber. Während aus der Mängelwesenthese ein dezidiertes Programm technologischen Fortschritts resultiert, mündet die These der Verwilderung des Menschen in ein umfassendes Konzept von Herrschaft, das einerseits durch das Postulat sozialer Ungleichheit politisch ausgerichtet ist, anderseits durch ein Ethos der Disziplinierung pädagogisch. Das Mittelalter hat, gerade in den umwälzenden Zeiten des 12. und 13. Jahrhunderts, unter Rückgriff auf antike Modelle, auf historisch spezifische Art diesen Konzepten Rechnung getragen: in monastischen Rückzugsmodellen, im feudalen Herrschaftsmodell der Unterwerfung und in ökonomisch-technologischem Fortschrittsdenken. Diese komplexen Modelle über den Gang des Menschengeschlechts nach der Sintflut werden in prägnante Anschauungsformen übersetzt, die entweder die Einfügung in die natürliche Fauna und Flora illustrieren oder die Überwindung des Wilden: vita pastoralis oder agricultura. Beide Lebensformen konstituieren eine kulturelle Topik, eine imaginäre Ordnung, die die Wahrnehmung des Selbst und des Fremden steuert. Robert Bartlett hat darauf hingewiesen, daß diese Differenz nicht nur als eine der ökonomischen Praxis zu verstehen ist, vielmehr als grundsätzliche kulturelle und psychologische Barriere.70 In der stereotypen Verwendung dieser Opposition artikuliert sich zunächst ein spezifisches Kulturmodell der Kleriker. Opposition zu agricultura ist weniger Jagd- und Kriegspraxis, wie in der Konfrontation mit dem Adel, als vielmehr die pastorale Lebensform, die die Kleriker mit Unstetigkeit (vagari), Ortlosigkeit und genereller Tiernähe assoziieren, sofern sie nicht die idyllische Lebensform der Patriarchen bezeichnet. Für die christliche Perspektive stiftet agricultura traditionell eine Grenzmarke kultureller Selbstreflexion, ein mentales Muster der inneren Kultivierung: Ackerbau ist für die christlichen Chronisten mehr als ein schlichter Index materiellen Fortschritts. Cultura terrae steckt zugleich das Konnotationsfeld geistiger und moralischer Kultivierung ab. Orosius hatte den Kultur69 Duo sunt, Imperator Auguste, quibus hic mundus regitur, sacerdotium & regnum. Sacerdos orat, Rex imperat. Sacerdos peccata & debita dimittit, Rex errata punit. Sacerdos animas ligat & solvit, Rex corpora cruciat & occidit. Vterque divinae legis executor suum justitiae debitum cuique tribuit, malos coërcendo & bonos remunerando. Ebd., S. 881; Dohrn-van Rossum, Politischer Körper, S. 110–119, 113f. 70 Bartlett, Gerald of Wales, S. 160f.; vgl. Wickham, Pastoralism and Underdevelopment, S. 401–451.

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fortschritt der Heiden im alten Bild der Umwandlung von Schwertern zu Pflugscharen gefaßt und damit auch eine innere Befriedung ausgedrückt.71 Metaphorisch wird auch die Praxis der Missionierung immer wieder in Metaphern der Pflanzung, der Saat des Wortes Gottes und der Fruchtproduktion gefaßt.72 Die Pflanzmetaphorik durchzieht Chroniken wie diejenige Adams von Bremen, Helmolds von Bosau und Arnolds von Lübeck: »Denn durch das Unkraut, welches der Feind säete, um die Saat Christi zu ersticken, wuchert das Dorngestrüppe, so daß der Acker der heiligen Kirche nur spärlich mit Weizen versehen, ganz mit Spreu überdeckt ist und wüst daliegt.«73 Der Umschlag in Verwilderung und Wildheit wird als eine ständig drohende Gefahr angesehen, sprachlich verfestigt in der stereotypen Verwendung der Formel: in solitudinem redigere.74 Selbst die Erziehung wird in der Metaphorik des Landbaus gefaßt, wenn Pseudo-Bernhard die Mäßigung der Leidenschaften durch Lehre und Disziplin mit der Technik der Agrikultur parallelisiert.75 Agrikultur ist damit für den christlichen Chronisten umfassend ausdeutbare Metapher für Kultivierung, die den Boden, die Mission und die Erziehung gleichermaßen erfaßt. Dient Landwirtschaft einerseits der kulturellen Erhebung aus der Misere des Sündenfalls, und wird gerade deshalb agricultura als zentrale, der rationalen Natur des Menschen adäquate Kulturtechnik angesehen,76 so steht 71 Orosius, Historiarum adversum paganos libri VII,41,7, S. 554: […] barbari exsecrati gladios suos ad aratra conuersi sunt. Jones, The Image of the Barbarian, S. 383; von See, Der Germane als Barbar, S. 40f.; vgl. Jes. 2,2; Ovid, fast. 1,697ff. 72 Bernardus predicationis vomere movendum orientale Francorum regnum aggredi disponit, heißt es bei Otto von Freising, Gesta Frederici I,41; vgl. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 3–5, 9, 12, 14f., 20, u.ö. 73 Nam propter inimici zizania, messem Christi suffocantia, spinarum multiplicantur scandala, ita ut sancte ecclesie area, raro tritico, tota squalescat in palea. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum IV,1, MGH SS 21, S. 163; vgl. I,13; II,5; III,3, u.ö. 74 Moldenhauer, Terra deserta, locus horroris et vastae solitudinis, S. 190–215; Ernst, Der Antagonismus von vita carnalis und vita spiritualis, S. 10. 75 Nemo tamen positus in adolescentitiae, vel intemperantiae lubrico, de sui conversione desperet. Oleaster enim olivae insertus amissa amaritudine efficitur fructuosus. Si ergo agricultura convertit stirpium qualitatem, nonne studia doctrinae et disciplinae assiduitas mitigare possunt quaslibet aegritudinis passiones? Ps.-Bernhard, De ordine vitae Cap. I, PL 184, Sp. 562. Schon Basilius verbindet den Gedanken der Verbesserung der äußeren und inneren Natur durch Landbau und Erziehung. Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 73; vgl. Cicero, Tusc. II,13. 76 Vincenz von Beauvais, Speculum naturale VI, 42, Sp. 395: De ratione agricultura. Im Anschluß an Cicero (De officiis) zitiert Vincenz Augustinus, De Genesi ad litteram 8: Quid enim maius aut mirabilius spectaculum est, aut magis cum natura rerum humana ratio quodammodo loqui potest, quàm cum compositis seminibus […]. Vgl. PL 34, Sp. 379ff.; Boas, Essays on Primitivism, S. 50. Zur antiken Wertschätzung des Ackerbaus vgl. Whitney, Paradise Restored, S. 42–50; Fisch, Zivilisation, Kultur, S. 682–686. Nach Beda praktiziert Adam bereits im Paradies eine Art symbolische Landwirtschaft als Zeichen einer harmonischen Verbindung von Mensch und Natur. Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 80.

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dieser christlichen Kulturthese andererseits die Idealisierung der pastoralen Lebensform der Patriarchen gegenüber, die einen frühen, längst verlorenen Urzustand menschlicher Bedürfnislosigkeit repräsentiert.77 So kann etwa Adam von Bremen in seiner ›Ethnographie‹ Islands explizit an die Patriarchen anschließen. Die Isländer leben vom Vieh und ohne Landwirtschaft, tragen Felle und hausen gemeinsam mit dem Vieh in Höhlen.78 Doch nicht als Verwilderung, sondern als Ausdruck eines bedürfnislosen Lebens qualifiziert Adam diese natürliche Ökonomie: »So lebt man in frommer Einfachheit, begehrt nicht mehr als die Natur bietet.«79 In dieser Perspektive kann selbst der Ungläubige dem Christen zwar als wilder, verwerflicher und grausamer Krieger erscheinen, doch zugleich als bewunderter Repräsentant einer verloren gegangenen Bedürfnislosigkeit und elementaren Moral, sichtbar an Hirtendasein, Gastfreundschaft, Elternachtung und Barmherzigkeit.80 Nicht nur für die Kirche, auch für politische Herrschaft ist das Bild vom Hirten und seiner Herde konstitutives Element gemeinschaftsbildender Propaganda.81 Beide Theorien, die des technischen Fortschritts wie die der natürlichen Selbstbeschränkung beziehen auf unterschiedliche Art Stellung zur Mängelwesenthese: erstere auf technische, über die Aktivierung der ratio laufende Art, letztere auf ethische, den Körper disziplinierende Weise.82

77 Daß die Patriarchen Hirten und nicht Fürsten waren, ist Gegenstand schon patristischer Reflexion über die Frage des Ursprungs von Herrschaft. Vgl. Augustinus, De civitate Dei XIX,15; Gregor der Große, Moralia XXI,22–24; Alcuin, Genesiskommentar, PL 100, 400f.; Beda, In principium Genesis, CCSL 118A, II,4, 20–22; vgl. Stürner, Peccatum et postestas, S. 90, 106f., 118; Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 75–77. 78 Adam von Bremen, Gesta Hamburgensis IV, 36; Bartlett, Gerald of Wales, S. 161. 79 Itaque in simplicitate sancta vitam peragentes, cum nihil amplius quaerant quam natura concedit. Adam von Bremen, Gesta Hamburgensis IV, 36, S. 486f. Schon das kann sich auf die Schöpfungsgeschichte beziehen: Ea etiam die Deus animalia fecit, et sexta aetate fideles, animalia sua, ad pascua vitae vocavit, quae pastu corporis sui refecit. Honorius Augustodunensis, Hexaemeron, PL 172, Sp. 260. 80 Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 108, S. 214. Die Deutung des Fremden in malam et bonam partem folgt sichtbar derjenigen der Tierwelt, die ihrerseits die Spaltung der Welt in Gut und Böse abbildet. Bartlett, Gerald of Wales, S. 171f. 81 Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik, S. 31–37; Foucault, Omnes et singulatim, S. 65–93. 82 Es geht also weniger um die Opposition von Ausbeutung der Natur und ethischer Selbstbeschränkung (Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 79, 85) als um einen komplementären Prozeß der Überwindung wilder Kräfte: einerseits durch nach außen gewendete Technik, andererseits durch nach innen gerichtete Ethik.

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3. Conditio humana: Mittelalterliche ›Wissenschaft‹ vom Menschen Angesichts der Auswirkungen des Sündenfalls auf den Körper steht für die zeitgenössische Ethik die Bekämpfung des ›inneren Tiers‹ im Vordergrund. Genesiskommentare und Moralschriften, später Naturphilosophie und Medizin hatten nachdrücklich das animalische Potential vor Augen geführt, das dem Menschen seit seinem Fall eignete, und versuchten es auch wissenschaftlich zu fundieren. Vor allem die vorherrschende augustinisch-neuplatonische Tradition geht von einer essentiellen Spaltung in Leib und Seele aus, durch die Mensch und Tier über Gebühr einander angenähert waren.83 Bereits an ihrer direkten Nachbarschaft in der Schöpfungsordnung ließen sich zahlreiche Übereinstimmungen in Physiologie und Psychologie ablesen, denn die Kette der Wesen definiert mit der Differenz von sensus und ratio zugleich auch die Schnittstellen.84 Die Grenze von sensus und ratio trennt nicht nur Mensch und Tier, sie verläuft vor allem durch den Menschen selbst, und dieser hat Anteil an allen Qualitäten der unter ihm rangierenden Lebewesen. Erst durch den Sündenfall wird diese Blickrichtung vom Tier auf den Menschen zum Problem, da dieser seitdem in einem mehr als metaphorischen Sinn ständig der Gefahr der Vertierung, d. h. der Verfehlung seines genuinen Telos unterliegt: »Auf diese Weise ist die Sünde einverleibt worden, so daß noch jetzt an Stelle der Schlange die sinnliche Bewegung der Seele in uns ist.«85 Gerade die Aufhebung der Differenz, die Einebnung der Grenze und die überproportionale Teilhabe an einer niedrigen und ihm wesensfremden Natur, macht die miseria hominis aus. Solches Dilemma der conditio humana akzentuiert ein Satz Augustins, der noch im 12. Jahrhundert Aktualität besitzt: »So herausragend nämlich ist der Mensch im Vergleich zum Tier, daß die Natur des Tiers das Laster des Menschen ist.«86 In der didaktischen 83 Zwar gibt es im 12. und 13. Jahrhundert verschiedene Ansätze, den Dualismus zu überwinden (z. B. Abaelard, Guilbert von Poitier, Thomas von Aquin), doch gelten sie gegenüber der Schulmeinung als häretisch. Stark traditionsbildend waren Hugo von St. Viktor und Petrus Lombardus. Heinzmann, Anima unica forma corporis, S. 239f., 242. Ex quo enim homo in honore positus, posteaquam deliquit, comparatus est pecoribus, similiter generat. Augustinus, De civitate Dei XXII,24; Schreiner, Si homo non pecasset, S. 59–68. 84 […] vires sensitivas, secundum quas convenit [homo] cum animalibus. Thomas von Aquin, Summa theologiae I,96,2; Albertus Magnus, De animalibus XXI,1,1, S. 1320–1325. 85 sicque consummatum est peccatum; ita et nunc in nobis pro serpente est sensualis motus animae[…]. Petrus Lombardus, Sententiae II,24,7, S. 455 [vgl. PL 192, Sp. 703]. Homo itaque peccando fecit vt compararetur bestijs. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI,78, S. 2351. 86 Augustinus, De peccato originali, Cap. 46, PL 44, Sp. 408. Nam etsi homo in honore positus, et non intelligens, comparatur pecoribus, eisque similis sit (Psal. XLVIII,13); non tamen usque

Conditio humana

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Literatur wird dieses animalische Substrat menschlichen Verhaltens immer wieder aufgerufen. Etwa besonders prägnant beim Teichner im 14. Jahrhundert: Der mensch ist recht als anderew tyer mit nat(r und mit der gier. wann er lebt nach seinem m(t daz er sich nicht twingen t(t, so ist er ein viech in menschen pild, und ward nie chain tvr so wild der mensch mocht dannoch wilder sein.87

Gerade weil keine homogene Naturvorstellung mehr vorausgesetzt werden kann, die Schöpfung seit dem Sündenfall konstitutiv gespalten ist, gelten für den Menschen andere Rahmenbedingungen. Vorausgesetzt sind zwei verschiedene Naturbegriffe: ein substantieller für die Tiere und ein normativer für den Menschen, von dem dieser allerdings mehr oder minder entfremdet ist. Somit wird Natur auf verschiedenen Stufen definiert, um Einheit und Differenz von Mensch und Tier gleichermaßen faßbar zu machen: auf einer generischen Ebene, die die Sinnenwesen Mensch und Tier als Lebewesen verbindet; einer artspezifischen, die das rationale Wesen Mensch vom Sinnenwesen Tier trennt; und einer körperlich-individuellen, die durch Komplexion und Temperament jedes einzelnen definiert wird und die den konkreten Anteil animalischer Disposition zu bestimmen erlaubt.88 Stützen sich Theologie und Moralphilosophie vor allem auf die zweite Ebene,89 so Mediadeo similis sit, ut pecus sit. Comparatur namque per vitium, non per naturam; non pecoris vitio, sed naturae. Tantae namque excellentiae est in comparatione pecoris homo, ut vitium hominis natura sit pecoris: nec tamen ideo natura hominis in naturam vertitur pecoris. Ac per hoc Deus hominem damnat propter vitium, quo natura dehonestatur; non propter naturam, quae vitio non aufertur. Vgl. Cartmill, Tod im Morgengrauen, S. 66. Vgl.: […] quae in bestiis sunt natura, in hominibus sunt vitia. Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 714 87 Die Gedichte Heinrichs des Teichners, hg. v. H. Niewöhner, Berlin 1954, Bd. II, S. 102; vgl. Schumacher, Die Notwendigkeit der kunst, S. 380. 88 Schockenhoff, Glück und Leidenschaft, S. 107–109; Wojciech, Bednarski, La psychanalyse de l’agressivité, S. 399f. Die Aufspaltung von Definitionsebenen zeigt sich auch andernorts. So unterscheidet Albertus drei Ebenen des Naturrechts, um auf der untersten Leibeigenschaft natürlich zu fundieren. Bonaventura unterscheidet drei Herrschaftsebenen, um die Verfügung des Menschen über alle Kreaturen, die des Mannes über Frau und Kinder, sodann die des Herrn über Knechte zu unterscheiden. Vgl. Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 42f., 47, 68–70. Analog ist auch für die Physiognomik allein die Affektmischung individuell. Vgl. Herzog, Mnemotechnik des Individuellen, S. 169f. 89 Hier kommt es zum Entwurf eines ethischen ius naturale: Est naturale ius vis quedam humane creature a natura insita ad faciendum bonum cavendumque contrarium. Rufinus, zitiert nach Schrübbers, Regimen und Homo Primitivus I, S. 145.

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zin und Physiognomik auf die erste und dritte. Individuation bezeichnet in diesem Sinn stets einen Defekt, einen konstitutiven Mangel in der naturalen Grundstruktur des Menschen, die noch bei Thomas mit ethischen Konsequenzen versehen ist.90 Im 12./13. Jahrhundert operieren ethische und politische Konzepte zunehmend mit diesen verschiedenen Ebenen des Naturbegriffs. Ein »De anima«-Traktat wie derjenige Wilhelms von St. Thierry enthält umfangreiche naturphilosophische und humoralpathologische Passagen über den Funktionsmechanismus des Körpers, die wiederholt in Tiervergleichen münden, und ein Fürstenspiegel wie »De regimine principum« von Aegidius Romanus greift für die Grundlegung politischer Ordnung immer wieder auf psychophysische Argumente zurück: »Denn wie die Seele den Körper regiert und bewahrt, so regiert und bewahrt der König das Reich […].«91

3.1 Humoralpathologie Im Mittelalter und weit bis in die Neuzeit hinein definiert die Medizin den Menschen körperlich als eine Verbindung von Elementen und humores. Die Humoralpathologie begreift die physiologische Konstitution des Menschen als Säfteverbindung, als Elementenmischung, die aus entgegengesetzten Primärqualitäten – heiß/kalt-feucht/trocken –, sogenannten Komplexionen, sich zusammensetzt: Sanguis, Cholera, Melancholia, Phlegma.92 Sie operiert auf der Basis einer komplexen Körpersemiotik.93 Der eher selten anzutreffenden und mehr idealtypisch entworfenen wohltemperierten Komplexion stehen acht Grade des gestörten Mischungsverhältnisses gegenüber, die die Matrix möglicher Abweichungen bilden: die Basisstrukturen der Körperpathologie. Während den Tieren je nach Art eine eindeutige und feste Komplexion zugeschrieben wird, wird die physische conditio humana als labiles Mischungsverhältnis von Temperamenten angesehen.94 Die Folgen des Sün90 Schockenhoff, Glück und Leidenschaft, S. 107f.; Riha, Mikrokosmos Mensch, S. 111–123. 91 Nam sicut anima corpus regit & conseruat, sic Rex regit & conseruat regnum: […] Aegidius Romanus, De regimine principum III,2,34, S. 548. 92 Constantinus Africanus, De communibus […] locis Lib. I; vgl. Werner, Der Entwicklungsgang, S. 14ff.; Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 235–262; Kemp, Medieval Psychology, vgl. Schöner, Das Viererschema in der antiken Humoralpathologie; Klibansky, Panofsky, Saxl, Saturn und Melancholie, S. 35–199; Müller, Das Lehrgebäude der griechischen Medizin, S. 100–106; Reißer, Physiognomik und Ausdruckstheorie, S. 32–35. 93 Herzog, Mnemotechnik des Individuellen, S.165–188; Reißer, Physiognomik und Ausdruckstheorie, S. 19–35; vgl. die Beiträge in »Geschichten der Physiognomik«. 94 Esset item omne animal temperatae complexionis in suo genere. […] Cum in nullo humore esset excessus aut caliditatis aut humiditatis aut frigiditatis aut siccitatis, unde oriretur aut fervor irae aut impetus indignationis? Alexander Neckam, De naturis rerum Cap. CLVI, S. 250. Zu-

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denfalls erhalten von daher ein rationales Fundament. Verschiedene Rahmenbedingungen bringen die ideale Homöostase der Säfte in Bewegung und versetzen sie in Turbulenzen.95 Die Ursachen dieser »Gleichgewichtsstörung« sind komplex. So besitzt jedes Organ nicht nur seine eigene Komplexion, sondern ist sogar offen für eine Art Abstufung der Säfteverbindungen; die Mischungsverhältnisse heißer und kalter, feuchter und trockener Qualitäten im Körper schwanken überdies je nach Geschlecht, Lebensstufe, Jahreszeit, Klima und Gewohnheit. Ergebnis dieser Spezifizierung ist ein differenziertes System mit einer Fülle von variablen Faktoren. Auf medizinischer Ebene, das zeigt sich an dieser komplexen Semiotik menschlicher Physiologie, existiert offenbar kein homogener Naturbegriff, vielmehr entspricht jedem Körper eine eigene Disposition.96 Die Medizin formuliert damit aber jene physiologische Grundlage, die dem theologischen Postulat von der verlorenen Einheit des Menschen entspricht. Die Spaltung des Menschen, seine gespannte Existenz zwischen menschlicher ratio und tierischem Sinnenpotential, besitzt ihr physiologisches Analogon im medizinischen Körperkonzept. Die Opposition von Körper und Seele und damit das Verhältnis von sensus und ratio erfährt auf der medizinischen Ebene indes eine besondere Interpretation. Analog zum moralischen Verhältnis existiert ein physiologisches, das in dem medizinischen Grundsatz ausgedrückt ist: »Wie der Körper der Seele in ihrer Aktion folgt, so begleitet die Seele den Körper in seinem Leiden.«97 So wie die kranke Seele in ihrer Verwirrung den Körper in Mitleidenschaft zieht, so auch der Körper in seinem Leiden die Seele. Störungen des Körpers schlagen auf den Geist zurück, wie bei der melancholia leonina oder wie im Fall des physiologisch verursachten Zorns: Beide führen jeweils auf ihre Art geordnet werden einzelne Elemente zu den Temperamenten und Tieren: Cholera = Löwe; Melancholia = Ochse; Phlegma = Schwein. Der Mensch dagegen partizipiert an allen: Ex quadam parte vero, aequa elementa oequaliter conveniunt, humanum corpus factum est. Wilhelm von Conches, De philosophia mundi I,23, PL 172, Sp. 55. Vgl. Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 246. Auch nach Constantinus Africanus besitzen Tiere eine feste Komplexion, De communibus […] locis Cap. V, S. 7. Ihre Ausrichtung ist funktional: Der Löwe ist heiß und zornig, weil er ein Raubtier, der Hase kalt und furchtsam, weil er ein Fluchttier ist: Omnis autem complexionis temperatio ex suo tantum discernitur officio. Ebd., S. 8. 95 Der Wiedergewinnung der idealen Homöostase dienen nach Roger Bacon die Wissenschaften der Optik, Astronomie und Alchemie, die zum Zweck der Lebensverlängerung eingesetzt werden. Vgl. Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes, S. 192–203, 195, 198f. 96 Die antike Humoralpathologie, von Galen weiterentwickelt, wird vor allem durch Constantinus Africanus im 11. Jahrhundert der mittelalterlichen Medizin vermittelt und findet über den engeren Fachhorizont hinaus auch im enzyklopädischen Schrifttum (Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus IV; Vincenz von Beauvais, Speculum doctrinale XIII, Sp. 1169ff.) Verbreitung. Vgl. auch Thomas von Aquin, Summa theologiae I,96,3. 97 quia corpus animam in sua actione sequitur, & anima corpus in sua passione comitatur. Constantinus Africanus, De omnium morborum […] liber I,20, S. 18.

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zum Wahnsinn.98 Umgekehrt kann eine zu starke Imagination Auswirkungen auf den Körper haben: etwa während des Aktes der Empfängnis oder in den Träumen von Verliebten, die konkrete animalische Effekte oder Energien nach sich ziehen können.99 Der diagnostische Befund orientiert aber umgekehrt auch die Praxis, indem Seele und Körper gleichermaßen zu Medien der Therapie werden.100 So praktiziert die Medizin ein therapeutisches Verfahren, das als diätetisches Äquivalenzmodell von Körper und Geist bezeichnet werden kann und innerhalb dessen die Sinne konstitutiv für die Gesundheit sind. In der Diätetik wird dabei die Tierwelt selbst zum Vorbild gesunder Lebensführung: »Jedes wilde Lebewesen ist unbändig, bevor es sich paart: nachdem es sich aber gepaart hat, ist es zahmer.«101 Aus moraltheologischer Sicht dagegen markiert die dualistische Konzeption von sensus und ratio genau die schmale Grenze zwischen Mensch und Tier, die ständig überschritten zu werden droht.102 Sie wird denn auch zum 98 Rein medizinisch führt eine Blockade der Sinnenkanäle bisweilen zu einer unkontrollierten Aktivität der imaginativen Kräfte und zieht im Grenzfall, etwa in der melancholia leonina, animalische Verhaltensmuster nach sich: Haec uocatur leonina, quia hanc passionem habentes insurgunt ut leones, & audaces, & fortes sunt, sicut leones. Constantinus Africanus, De melancholia Lib. I, S. 284. Der Zorn entsteht durch eine physiologische Kettenreaktion, die von der nebula tristitiae über einen amarissimum fumum der schwarzen Galle bis ins Hirn führt. Hildegard von Bingen, Causae et curae, S. 146. Ein Übermaß an schwarzer Galle führt auch zu einer Erhitzung des Magens, die wiederum einen unersättlichen Appetit, den appetitus caninus, nach sich zieht. Waltenberger, Das große Herz der Erzählung, S. 67f.; vgl. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XIII,25, Sp. 1185f. 99 Aliquando homo uidet mulierem aliquam & concupiscit eam, qui cum dormiat, imaginatur eam quasi cum ea dormiat, & inde pollutio uenit, quod imaginatio animae non est nisi complexio corporis. Multa enim in somnis uident homines, cum in corporibus eorum multiplicentur humores, quasi in collo farcinas portant graues. Constantinus Africanus, De omnium morborum […] liber VI,4, S. 125. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXII,43, Sp. 1634. 100 Die Diätetik arbeitet auf humoralpathologischer Basis mit Hilfe einer komplexen Sinnentherapie, die der Wahrung einer ausgeglichenen Säftemischung dient. Gesundheitsvorsorge beinhaltet Phänomene der Ästhetik wie schöne Kleidung, der Sinnentherapie durch aromatische Bäder, Räucherstäbchen und Lactuarien. Das Wohlgefallen der Sinne wird dabei weniger ästhetisch als diätetisch begründet. Musik, Wein (vinum temperatum) und Sexualität wirken hier nicht als verwerfliche sinnliche Reizungen, sondern als Heilmittel. Constantinus Africanus, De omnium morborum […] liber I,20, S. 19. 101 Omne animal agreste furibundum est antequam coēat: Postquam uero coierit, fit magis domesticum. Constantinus Africanus, De coitu, S. 303. So hat der Beischlaf neben seiner Zeugungsfunktion noch eine diätetische Wirkung, indem er überflüssigen humor abführt und besänftigend (quiescit corpus) wirkt. 102 […] et animalia bruta, quibus communicat [anima humana] in sensitivis potentiis; sicut ergo affectiones sensitivae partis aliquando in homine corrumpuntur usque ad similitudinem bestiarum et hoc vocatur bestialitas supra humanam malitiam et incontinentiam, ita etiam rationalis pars quandoque in homine perficitur et confortatur ultra communem modum humanae perfectionis, quasi in similitudinem substantiarum separatarum, et hoc vocatur virtus divina supra humanam virtutem et continentiam. Thomas von Aquin, Sententia libri ethicorum VII,1 S. 381.

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verbindlichen Orientierungspunkt ethischer, familialer und politischer Entwürfe von Herrschaft und erfaßt somit die zentralen Bereiche der philosophia moralis. Leitvorstellung ist in dieser Perspektive zuallererst Herrschaft über die Sinne, die dem Menschen hier nicht zur Kontrolle der äußeren, sondern der inneren Natur verhelfen soll.103 Die Sinnesorgane bilden geradezu offen zugängliche Einfallstore des Kranken und Bösen, durch die unheilvolle Reize in den Körper eindringen und die Konkupiszenz anheizen.104 Nach dieser Auffassung bilden die Sinne einen Störfaktor, indem sie zunächst rein pathologisch als Medien der Krankheit fungieren. Doch auch für die Mediziner gelten die Sinne als Kanäle der Ansteckung. Ihr Funktionsmechanismus wird in bestimmten mittelalterlichen Krankheitstheorien als ein Prozeß direkter physischer Einwirkung aufgefaßt. So wie die Sinnesorgane die Ausscheidungsorte überflüssiger humores bilden, sind sie offen für die verderblichen spiritus der Krankheiten, die über Nase, Mund, Gehör und Berührung, selbst über die Augen in den Organismus gelangen. Die Übertragung pathologischer Effekte erfolgt selbst über Distanz. Es ist ein Kennzeichen der aus der Antike, speziell aus dem Aristotelismus übernommenen Sehtheorie, daß Sehen als eine Art von Tastvorgang aufgefaßt wird.105 Sehen wird weniger als ein Akt der Spiegelung denn als Inkorporation des Wahrgenommenen begriffen, so daß dieses im Wahrnehmenden weiter wirkt.106 103 De spiritu et anima Cap. XXXI, PL 40, Sp. 801; vgl. Norpoth, Der pseudo-augustinische Traktat De spiritu et anima, S. 122–132, 128. 104 Mundus vero circumcingit et obsidet me undique, et per quinque portas, videlicet per quinque corporis sensus, scilicet visum, auditum, gustum, odoratum et tactum, sagittis suis me vulnerat. Ps.-Bernhard, Meditatio de humana conditione Cap. XII, PL 184, Sp. 503. Quippe remittitur eius animus in gaudium et elevatur cor eius in gloriam et laxantur omnes sensus corporis in nimiam libertatem, ut odor improbus gustum irritet, gustus ingluviem ingerat et ingluvies in libidinem expumet. Visus quoque concupiscentiam excitat et concupiscentia carnem sollicitat, ut suis obtemperet desideriis. Tactus quoque suos tumultus excitat […]. Radulfus Niger, De re militari III,31. 105 Lindberg, Auge und Licht im Mittelalter, S. 166–174, 169; Gérard, Der Blick, das Sein und die Erscheinung, S. 29–52, 332f. Nicht substantiell, sondern durch Ablösung von Formen und Farbsilouetten wird das Wahrgenommene über das Medium der Luft als Bild inkorporiert und erfährt eine zunehmend abstraktere Rezeption: Nam per visum intrant corpora sublimia et luminosa et cetera colorata, per tactum vero corpora solida et terrestria, per tres vero sensus intermedios intrant intermedia, ut per gustum aquea, per auditum aërea, per odoratum vaporabilia, quae aliquid habent de natura humida, aliquid de aërea, aliquid de ignea seu calida, sicut patet in fumo ex aromatibus resoluto. Bonaventura, Itinerarium mentis ad Deum II,3, S. 300. 106 quia agens intendit assimilare sibi patiens […]. Roger Bacon, De multiplicatione specierum I,1, S. 6. Lindberg hat darauf hingewiesen, daß Wilhelm von Conches diese Theorie des Sehens gerade mit dem Ansteckungsverlauf von Augenentzündungen zu begründen versucht: quam inde possumus confirmare quod ex aspectu lippientis oculi corrumpuntur oculi videntis. Wilhelm von Conches, Glosae super Platonem § 37, S. 237. Idem etiam per fascinum potest probari. Cum etenim homines diverse sint complexionis, radius qui exit per oculum videntis qualitates illius secum defert: qui, veniens ad faciem contrarie complexionis, illam ledit. Contraria enim leduntur contrariis. Ebd., S. 238; Lindberg, Auge und Licht im Mittelalter, S. 169.

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Die materiale Wirkung beschränkt sich indes nicht nur auf Pathologien, wenn auf die gleiche Art sich der Wirkmechanismus des bösen Blicks erklärt, der als eine Übertragung körperlicher Komplexion gedacht wird.107 Über die pathologisch gezeichneten Sinne werden die umgebende Luft und das Licht als die zentralen Medien der Wahrnehmung beeinträchtigt. Die Signaturenlehre basiert auf diesem Wirkmechanismus, der eine Wechselwirkung allein aufgrund von Nachbarschaft voraussetzt. So sollen die durch den Blick des Wolfs produzierten spiritus den Menschen lähmen: Es sind »Luftgeister, die jenen Menschen begleiten und in seinen Kräften schwächen.«108 Andere Tiere besitzen ähnliche Qualitäten wie der süße Atem des Panthers und der tödliche Blick des Basilisken. Das »Secretum secretorum« überliefert eine Episode, die von einer indischen Jungfrau handelt, die sich unter den Geschenken befindet, die die Königin von Indien an Alexander sendet. Das Mädchen sei von klein auf mit Schlangeneiter aufgezogen worden, dessen Gift sich über den Blick ergieße: die gar schön junckfrau die von irr kinthait gelert wart und getzogen mit schlanngen aitter, allso das si verwanndelt was von irr natur in schlanngen nature.109 Die Natur wird als ein Raum diffuser Atmosphären angesehen, in denen Dunst und Rauch, Dämpfe und Nebel, spiritus und deren sinnliche Wahrnehmung eine Gefahr für den Körper darstellen. Insbesondere für die Theologen ist der Körper über die Öffnungen der Sinne manifesten Anfechtungen ausgesetzt, so daß durch Herrschaft – dominatio – der Gefahr endloser Sinnendynamik vorgebeugt werden muß. Solche Herrschaft erstreckt sich auf verschiedene ordnungsstörende Felder:110 primär auf Sexualität und Gewalt, aber auch auf Krankheit. Trieb, Zorn und Wahnsinn bedrohen den Menschen und rücken ihn in die Nähe des Tiers: »Der Mensch erwirbt die Eigenschaft des Tiers: und man sagt, durch die Lust wird er ein Schwein, durch den Zorn ein Hund und durch den Raub ein Löwe usw.«111 Die physiologische miseria hominis besteht aber nicht nur darin, daß 107 Konrad von Megenberg bringt später die Auswirkungen des pathologischen Sehprozesses auf eine prägnante Formel: daz aug versêrt oft den luft und die tier, die ez ansiht, dar umb daz in dem leib des augen fauleu fäuhten ist und vergiftiger dunst. Konrad von Megenberg, Buch der Natur I,5, S. 9, 25ff. 108 aerei spiritus qui illum comitantur hominem in viribus suis debilitant. Hildegard von Bingen, Physica VII,19, Sp. 1327. 109 Hiltgart von Hürnheim, Mittelhochdeutsche Prosaübersetzung des ›Secretum secretorum‹, S. 53f. 110 […] insatiabilis est delectabilis appetitus. Aegidius Romanus, De regimine principum I,1,6, S. 18. Equus noster est iumentum nostre carnis, cui insidemus cum sensualitas obtemperat rationi. Radulfus Niger, De re militari I,13. 111 Et ideo sicut idem testatur Hermes, si aliquando aliquis hominum per electionem se mundo inferiorem fecerit, iam quasi honore humanitatis exutus, proprietatem accipit bestiae, et per concupiscentiam porcus, per iram canis, per rapinam leo, et sic de aliis dicitur fieri: […]. Albertus Magnus, De animalibus XXII,1,5, S. 1353.

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der Mensch von außen bedroht ist, sondern auch von innen. Im Gefängnis des Körpers eingesperrt, ist die Seele vor allem den Leidenschaften ausgesetzt, die »aus tierischem Ursprung in die Konstitution des Menschen eingegangen« seien – ex pecudali generatione in constitutionem hominis cointraverunt –, formuliert Wilhelm von St. Thierry.112 Sie wirken auf das Herz und verursachen unablässig Turbulenzen. Trotz aller systematisch akzentuierten Differenz ist das physisch aufgefaßte Tier im Menschen, der appetitus bestiales, das Problem,113 so daß aus der Konstitutionsgeschichte des Subjekts vor allem das Sinnliche ausgegrenzt werden muß. Thomas von Aquin zieht die bekannten moralischen Schlußfolgerungen aus diesem Mensch und Tier eigenen Lustpotential.114 Zum andern ist er aber bemüht, das Problem der Grenzüberschreitung hin zum Tier nicht nur metaphorisch zu erklären: […] auf eine andere Art kann die Zusammenstimmung der menschlichen Affekte gestört werden, so daß sie über die Grenzen des menschlichen Lebens hinausgeht in die Ähnlichkeit mit irgendeinem Tier, etwa des Löwen, Bären oder Schweins, und dieses nennt man Vertierung, und dieses ist so ähnlich, als wenn die Komplexion irgendeines Körperteils in die Komplexion eines Löwen oder Schweins verwandelt wird. alio modo potest corrumpi contemperantia humanarum affectionum ita quod progrediatur ultra limites humanae vitae in similitudinem affectionum alicuius bestiae, puta leonis, ursi aut porci, et hoc est quod vocatur bestialitas et est simile sicut si ex parte corporis complexio alicuius mutaretur in complexionem leoninam vel porcinam.115

Durch die Störung in der Ökonomie der Affekte kann der Mensch offenbar die Grenzen seines Wesens überschreiten und sich der Affektdisposition bestimmter Tiere annähern. Dabei wird das Phänomen der bestialitas in der Körperphysiologie verankert, indem der Prozeß so vorgestellt wird, daß ein Teil der menschlichen Komplexion in die animalische umschlägt. Gestört ist in diesem Fall der ordo naturalis, der fordert, daß das, was die Seele zu112 Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 715. 113 Secreta secretorum I,3, S. 40. So rät Aristoteles dem Herrscher Alexander, die tierische Begierde zu unterdrücken: reprimat appetitus bestiales. Vgl. Carnales enim appetitus inclinant animum ad corumptibiles voluntates anime bestialis, […]. Ebd. I, 8, S. 46. vita vias bestiales, et leonum et immundicias suis, […]. Ebd. I.13, S. 50f. 114 PRAETEREA, in coniunctione carnali maxime efficitur homo similis bestiis, propter vehementiam delectationis: unde etiam continentia laudatur, per quam homines ab huiusmodi delectationibus abstinent. Thomas von Aquin, Summa theologiae I,98,2. Vgl.: AD TERTIUM DICENDUM quod bestiae carent ratione. Unde secundum hoc homo in coitu bestialis efficitur, quod delectationem coitus et fervorem concupiscentiae ratione moderari non potest. Sed in statu innocentiae nihil huiusmodi fuisset quod ratione non moderaretur. Ebd. Zu Thomas vgl. Borowsky, Die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Menschen und dem Tier nach Thomas von Aquin, S. 211–218. 115 Thomas von Aquin, Sententia libri ethicorum VII,1, S. 380f.

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sammenhält, durch den Körper nicht aufgelöst wird.116 Solche Auflösung beschreibt Albertus am Beispiel der Barbaren, doch im wilden Außen der sylvestres homines ist nur realisiert, wogegen im Innern stets Vorsorge getroffen werden muß: »gewissermaßen durch irrationalen Furor, durch eine demente Begierde und eine ungestüme Phantasie […]. Was wir nämlich dement nennen, nannten die Alten bestialisch und wild.«117 Nicht ganz so leicht wie den antiken Autoren fällt dem christlichen offenbar die Diagnose der Vertierung. Ihre Gefahr liegt aber in jedem Fall in den physischen Reaktionsmechanismen des Körpers begründet. Neben Sexualität und Wahnsinn bedroht vor allem Zorn die Herrschaft der ratio. Zorn gilt medizinisch als körperlicher Affekt, der über eine physische Reaktionskette entsteht: Vernebelung des Herzens, Erregung der bitteren Galle, Trübung des Gehirns, schließlich Erschütterung des Körpers: »Denn durch den Zorn rast der Mensch heftiger wie durch irgendeine andere Geistesstörung.«118 Die psychologische Disposition stellt den Menschen, wie übrigens jedes beseelte Lebewesen, unter den Einfluß zweier Seelenvermögen: der anima concupiscibilis und der anima irascibilis.119 Beide sind in etwa gleichzusetzen mit den allgemeinen Haltungen von natürlicher Neigung und Abneigung. Schon nach antiker Lehre steht der Zorn eher auf Seiten der Vernunft als auf der der Begierden, da seine Reaktionsform von einem Normbewußtsein, d. h. dem subjektiven Gefühl erlittenen Unrechts, abhängig ist.120 116 Daß es sich dabei auch naturphilosophisch um eine komplexe Wechselbeziehung handelt, versucht Albertus zu demonstrieren: Transmutantur enim ad invicem anima et corpus: et naturalis est ordo quod anima contineat corpus ne dissolvatur. Et ratione huius continentiae accidentia animae transmutant corpus, forma delectabilis ymaginata movet corpus et e converso passiones corporis redundant in animae conturbationem sicut patet in somno. Albertus Magnus, De animalibus XXII,1,5, S. 1354. 117 scilicet furore irrationali, demente concupiscentia, et phantasia proterva: […]. Quod enim nos dementem vocamus, Antiqui bestialem et feralem appellabant. Albertus Magnus, Ethica VII,1, S. 464 (=466). Zu Beginn des Politikkommentars wird Albertus deutlicher: Simul enim est ille maledictus talis, natura talis, id est, qui destituta natura est talis: et ille talis est belli affectator, veluti sine iugo et fraeno rationis existens, sicut corruptus ex ratione in feritatem. Et talis est transcorporatus in ferinam bestiam lupi vel leonis, ut dicit Plato. Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis I,1, S. 13. 118 Ursachen und Behandlung der Krankheiten, S. 221. Nam homo de ira magis furit quam de alia infirmitate insaniae. Hildegard von Bingen, Causae et curae, S. 146; Et sic homo quasi se ipsum ignorans iram perficit. Ebd. Si quis, inquit, dixerit humores corporis mutatos itidem mutare actiones animae, ut animae actio mutata mutet eosdem; non errabit. Quod certificatur, quia cui cholerica complexio dominatur, fit inde iracundus, & econuerso. Inde saepe irascentibus, & cholera augmentatur. Necesse est ergo complexione animae, corporis complexionem, & corporis mutare animalem. Constantinus Africanus, De incantationibus […] epistola, S. 318. 119 Ricken, Aristotelische Interpretationen zum Traktat De passionibus animae, S. 128–130; Werner, Der Entwicklungsgang, S. 23. 120 Ricken, Aristotelische Interpretationen zum Traktat De passionibus animae, S. 128f., 133f.; vgl. Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 718.

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Zorn ist somit nicht per se negativ qualifiziert, sondern läßt sich für Ethik und Politik gleichermaßen instrumentalisieren. Das derart positiv gedeutete ›natürliche‹ Vermögen (irascibilis/concupiscibilis), das aus Wissen (rationalitas) herrührt, schlägt aber leicht – ex carne corrupta – in sein Gegenteil um, verfällt dem Nichtwissen (ignorantia) und sodann dem entgegengesetzten Vermögen der concupiscentia mali und der iracundia boni.121 Mittelalterliche Psychologie unterscheidet daher bisweilen eine ira rationalis und eine ira bestialis, die genau jene konforme und widerständige Haltung abbilden, wobei Kennzeichen letzterer ein maßloser furor ist.122 Hélinand de Froidmont expliziert diesen Zusammenhang von animalischem Vermögen und ratio indes weniger physiologisch als metaphorisch: Denn ohne Verstand ist diese (Begierde) oder jener (Zorn) nichts anderes als Raserei und Geistesstörung. Was deshalb der Maulkorb dem Esel, der Zügel dem Pferd, der Wagenlenker dem Gespann, der Bändiger dem Löwen, das ist der Verstand dem Zorn und der Liebe.123

Die traditionelle Metaphorik des Reiters und des Wagenlenkers ist nicht nur Ausdruck dieser feindlichen Konstellation, in der die Seele unablässig durch den Körper, von seiner sexuellen, affektiv-gewaltsamen und sinnenfixierten Dynamik bedroht ist, sondern konnotiert zugleich das animalische Fundament, das diesem Kampf zugrunde liegt. Daneben existiert eine Metaphorik der Rüstung, die hier nicht als Körperschutz aufgefaßt wird, vielmehr 121 Habet enim anima tres naturales potentias sive tres naturales vires. Rationalem ut discernat inter bonum et malum, irascibilem ut respuat malum, concupiscibilem ut appetat bonum. Iste tres vires tribus oppositis vitiis originaliter corrumpuntur. Vis rationalis per ignorantiam, ut non discernat inter bonum et malum, vis irascibilis per iracundiam, ut respuat bonum, vis concupiscibilis per concupiscentiam, ut appetat malum. […] Hec tria vitia contrahuntur ex carne corrupta per tres carnales illecebras. In carnali quippe commercio rationis sopitur intuitus, ut ignorantia seminetur; libidinis irritatur pruritus, ut iracundia propagetur; voluptatis satiatur affectus, ut concupiscentia contrahatur. Hic est tirannus carnis, lex membrorum, fomes peccati, languor nature, pabulum mortis, sine quo nemo nascitur, sine quo nemo moritur: Innocenz III., De miseria humane conditionis I,3, S. 10f. [Vgl. PL 217, Sp. 704]. Aus einer ähnlichen Spaltung leitet Aegidius Romanus die Notwendigkeit einer militia im Staat ab. Aegidius Romanus, De regimine principum III,3,1, S. 557. 122 Porro ira bestialis dividitur in tria, in furorem, ubi in quantitate nullus modus est; in eam quae dicitur manis, ubi nullus terminus; in eam quae coitus appellatur, cui sola vindicta finem facit, sicut coitus fervori carnis. Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 718. 123 Nam sine ratione nihil aliud est ista (concupiscibilitas) vel illa (irascibilitas), quam furor et insania. Igitur quod est chamus asino, frenum equo, auriga currui, domitor leoni, hoc ratio irae et amori; Hélinand de Froidmont, De cognitione sui Cap. VII, PL 212, Sp. 729. Auch Albertus spricht im Zusammenhang physiognomischer Körperdispositionen davon, daß diese freno rationis beherrscht werden könnten. Albertus Magnus, De animalibus I,2,2, S. 46; vgl. Waltenberger, Das große Herz der Erzählung, S. 54.

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den Körper selbst binden, einzwängen und die Sinnesorgane abblenden soll, um die Seele vor dessen bedrohlichen Energien zu schützen. Sie zeigt deutlich, daß auch auf der Ebene der Metaphorik Tier und Körper austauschbar waren.124

3.2 Physiognomik Der zentrale Ort, der das Changieren der Eigenschaften von Mensch und Tier dokumentiert, ist der Körper selbst, und seine hermeneutische Verwaltung obliegt seit der Antike einer besonderen Disziplin: der Physiognomik.125 Im 12. und 13. Jahrhundert finden sich physiognomische Abhandlungen innerhalb der Medizin, der Naturphilosophie, Naturgeschichte und selbst im Rahmen von Fürstenspiegeln, und sie dokumentieren den wachsenden Einfluß antiker Philosophie auf die anthropologischen Konzepte der Zeit. Gerhard von Cremona überträgt im 12. Jahrhundert Rhazes »Physiognomik«, der Aristotelesübersetzer Michael Scotus nach 1227 für Friedrich II. einen eigenständigen physiognomischen Traktat aus dem Arabischen, und noch Albertus Magnus inseriert seinem Kommentar zur aristotelischen Tiergeschichte umfangreiche physiognomische Partien.126 Obgleich die Physiognomik im zeitgenössischen akademischen Kontext nur eine Randposition einnimmt, ist die Funktion ihres Zeichensystems weitgehend anerkannt. Primäres Anwendungsfeld physiognomischer Verfahren ist die Medizin, die sie im Rahmen der Diagnostik nutzt. Die Identifizierung einer spezifischen Komplexion erfolgt aufgrund von körperlichen Indices, wobei die diagnostische Semiotik anatomische, physiologisch-säftespezifische und psychologische Zeichenkomplexe verbindet. Der auf Pathologien gerichtete Blick gewinnt ein morphologisches Raster für eine regelhafte Diagnostik. Sie ist ihrerseits nicht mehr von einem charakterologischen Verfahren zu trennen.127 Von daher erklärt sich die enge Bindung von Temperamentenlehre und Phy124 Vgl. Radulfus Niger, De re militari I,1 u. 6/8. Die monastischen Erziehungsprogramme, etwa Hugos von St. Viktor »De institutione novitiorum«, tragen dieser Ausschaltung der Sinne qua Körperdisziplin sichtbar Rechnung. Hugo von St. Viktor, De institutione novitiorum, PL 176, Sp. 928–952; vgl. Bumke, Höfischer Körper, S. 70–86. 125 Zur antiken Tradition vgl. Schneidewin, Die aristotelische Physiognomik; Herzog, Mnemotechnik des Individuellen, S. 165–188, 171; Degkwitz, Die pseudoaristotelischen ›Physiognomonica‹, S. 23–44. 126 Gerhard von Cremona, Rasis Physiognonomiae versio latina, S. 161–170; Michael Scotus, Liber Physiognomiae; Albertus Magnus, De animalibus II,1–26; vgl. Haskins, Studies in the History of Mediaeval Science, S. 272–298; Jacquart, La physiognomonie à l’époque de Frédéric II, S. 22; Reißer, Physiognomik und Ausdruckstheorie, S. 41–45. 127 Zur Verbindung von Temperamenten- und Charakterlehre vgl. Herzog, Mnemotechnik des Individuellen, S. 167; Reißer, Physiognomik und Ausdruckstheorie, S. 32–35.

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siognomik.128 Komplexion und Charakter des Menschen lassen sich aus Körperzeichen ablesen: Farbe, Körper- bzw. Kopfform, Augen und Nase, aber auch Stimme signalisieren in ihrer hervorgehobenen Signifikanz verdächtige Komplexionen und damit potentiell Anfälligkeit des Charakters.129 Die Abweichung vom Maß ist bereits ein erster Index der Pathologie und evoziert Verdacht: »Derjenige, dessen Gesicht entstellt ist, kann keine guten Sitten haben, es sei denn in Ausnahmefällen.«130 Die Matrix für solche Dispositionen liefert privilegiert das Tierreich, wird den Tieren doch gegenüber dem Menschen eine feste Komplexion zugeschrieben.131 Die zoologische Methode der Charakterbestimmung schließt entsprechend vom Tier auf den Menschen. Rein pragmatisch bietet sie sich damit als Instrument privater, politischer und ökonomischer Auslese an, die Menschen nach besonderen Merkmalen selektiert. So bieten die »Secreta secretorum« dem Herrscher physiognomische Hinweise für die Auswahl zuverlässiger Hofleute.132 Constantinus Africanus gibt als Mediziner eine kurze Übersicht über die Zeichen des gesunden Körpers, die für die effektive Auswahl von Sklaven nützlich sein können.133 Humoralpathologische und physiognomische Lektüren vollziehen sich vor dem Hintergrund einer vorausgesetzten Norm, die im konkreten Fall meist überschritten ist und gerade dadurch erst einen Spielraum von Deutungen eröffnet.134 In Umkehrung der geforderten rationalen Herrschaft der Seele über den Körper setzt die Physiognomik einen unmittelbaren Einfluß physiologischer Körperdisposition auf den Charakter und auf den sichtbaren Körper vor128 Entfaltet etwa im Werk des Michael Scotus. Jacquart, La physiognomonie à l’époque de Frédéric II, S. 22. 129 Z. B. signalisiert ein zu großer Kopf einen Überfluß an Säften, was seinerseits auf wenig Intelligenz verweist. 130 cuius facies est deformis, mores habere bonos non potest nisi raro. Gerhard von Cremona, Physiognomoniae versio latina Cap. XXXIII, S. 168. 131 Herzog, Mnemotechnik des Individuellen, S. 167. 132 Secreta secretorum IV, S. 164f. ist er niht ein edel man, / mac er niht schoenen lîp hân, rät die Fürstenlehre dem Herrscher noch in Ulrichs von Etzenbach Alexander, V. 1451f. 133 De signo sani corporis: OPortet medicum corpus cognoscere sanum, & hoc maximè apud Aphricanos. Si quis enim seruos uel ancillas emat aliquando, ad medicum causa consilij sani ne sint, recurrit ilico. Constantinus Africanus, De communibus […] locis I,24, S.19. Der Status des unfreien Gesindes, der Eigenen, gleicht in dieser Körperschau dem von Nutztieren: sicut pecus venditur, schreibt Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus VI,18, S. 254. 134 Huius [bonae naturae] signa sunt, quod inter longum et curtum, crassum atque macrum medium invenitur et est album paucam habens admixtam rubedinem. […] caput praeterea corporis magnitudini est proportionale. Gerhard von Cremona, Rasis Physiognomoniae versio latina Cap. L, S. 175. Vgl.: Caput paruum, intemperatum significat esse cerebrum, cuius causa parua fiunt materia, & formatiuae uirtutis debilitas. Magni forma capitis si fuerit laudabilis, & grossa aliquantulum ceruix, & spondyles similiter & nerui, laudabile erit. Si non contrarium, quia non ex uirtute fit formatiua, sed ex nimiae materiae abundantia. Constantinus Africanus, De communibus […] locis I,8, S. 10.

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aus: »Kehren wir zurück zur Lehre der Physiognomik bei Menschen und Tieren, so konstatieren wir, daß die Seelen dem Körper folgen,«135 doch hier nicht als einsinniges Herrschaftsverhältnis verstanden, sondern als vorgegebene natürliche Inklination. Albertus Magnus liefert die theoretische wissenschaftliche Grundlegung. Im Anschluß an die aristotelische Hierarchisierung von Seele und Körper, die das rationale Menschenbild von Antike und Mittelalter gleichermaßen repräsentiert, erörtert er die Gefahr der Herrschaft des Körpers, dessen äußere Zeichen Indizes für den inneren Zustand der Seele sind: Die Eigenschaften des Körpers sind nämlich Zeichen für die Eigenschaften der Seele, und es gelingt kaum jemals, wie Porphyrius und die Philosophie erklären, daß eine Monstrosität des Körpers nicht auch eine Monstrosität der Seele und der Sitten nach sich zieht. Dispositiones enim quae sunt in corpore, signa sunt in dispositionum quae sunt in anima, et vix unquam contingit, ut dicit Porphyrius et philosophia, quin monstrum in corpore sit etiam monstrum in anima et morum dispositione.136

Aber nicht nur ex negativo schreibt sich nach Albertus die ethische Disposition und damit der soziale Status in den Körper ein. Für die natürliche Fundierung sozialer und ethnischer Differenzierung greift er zugleich auf Physiognomik und Klimatheorie zurück. Vor dem Hintergrund eines Entsprechungsverhältnisses von corpus, complexio und animus erörtert Albertus Wesensunterschiede zwischen den Menschen. Diese Beschaffenheit wird durch ein natürliches Zeichen bestätigt: Man sagt nämlich, wenn jemand die Körper von Sklaven, Freien und Herrschenden betrachtet, wird er in der Zusammenschau selbst, indem er die Regeln der Physiognomik beachtet, sofort erkennen, welchen Unterschied der Körper der Sklaven und Herrschenden die Natur selbst gewollt und intendiert hat: Sie macht nämlich die Körper der Sklaven stärker und zum Gebrauch in körperlichen Übungen nützlicher, die Körper der Freien aber macht sie gerade, weich und untauglich zu körperlichen Arbeiten, aber nützlich zu politischem Leben. Die Ausgewogenheit des Körpers und der guten Komplexion sind nämlich Zeichen eines wohl disponierten und zur Weisheit bestimmten Geistes. Ähnlich ist dieser von Geburt durch die Stärke der Nerven und Knochen zum Krieg disponiert, weil die Stärke, wie in der Topik gesagt, aus Nerven und Knochen besteht. Andere aber sind durch eine gegenteilige Disposition zum Frieden veranlagt. Und freilich disponiert die Natur auf solche Weise daß sie dennoch häufig das Gegenteil erreicht, daß diejenigen, die die Natur von Sklaven haben, einen Körper der Freien haben; und es betrifft auch andere, daß gewissermaßen Freie den Geist von Sklaven haben. Und aus dem Gesagten ist ein Schluß über die natürlichen Dinge zu ziehen, wo bestätigt wird, daß der formende Samen der des Vaters ist, und wenn er 135 REuertentes autem ad doctrinam phisionomiae in hominib. & bestiis, dicimus, quod animae sequuntur corpus. Michael Scotus, De secretis naturae Cap. 22f., S. 85. 136 Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis I,3, S. 27.

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nicht eine Beeinträchtigung erleidet, wird er die Ähnlichkeit des Vaters hervorbringen. Es sagt nämlich Aristoteles im Buch 16 über die Tiere, daß die Natur immer bestrebt ist, das Männliche herzustellen, weil der Samen des Vaters männlich ist; und daß die Frau durch Zufall zustande kommt: weil er durch irgendeine Abweichung seiner eigenen Kraft beraubt wird. So geschieht auch, daß bei den Tuchmachern, die dauerhaft in ihrer Arbeit große Bewegung mit den Knochen vollführen, durch die Hitze, die aus dieser Bewegung entsteht, die Nährstoffe zu den Knochen gezogen werden und sehr wachsen, und daß in der Fortpflanzung mit der Abnahme des Samens von allen Teilen des Körpers aus diesem Grund größere und stärkere Knochen in den Neugeborenen entstehen. Aus ähnlichem Grund haben auch Handwerker und ihre Söhne größere Knochen. Aus ähnlichem Grund wird aus dem Buch über die bewohnbaren Orte gelernt, in dem Ptolemäus und andere Astronomen berichten, daß die Bewohner des Meridians der Tag- und Nachtgleiche, bei denen es zweimal im Jahr Sommer ist, schlau und listig sind und vom Körper her schwach. Umgekehrt aber haben die Einwohner des Nordens wegen der dort herrschenden Kälte festes und starkes Fleisch, innen wegen der umgebenden Kälte Hitze, man sagt, sie seien wild und stark, wenn durch Zufall eine Abirrung in ihnen sich vollzieht. Hanc solutionem probat per signum naturale: dicit enim, quod si quis respiciat corpora servorum, liberorum et dominorum, statim in ipso conspectu physiognomiae regulas attendendo considerabit, quod quidem ipsa natura vult et intendit differentia corpora servorum et dominorum: facit enim corpora servorum fortia ad necessarium usum in corporalibus exercitandum, corpora vero liberorum facit recta, mollia, et inutilia ad tales operationes corporales, sed utilia ad civilem vitam. AEqualitas enim corporis et bona complexio signa sunt animi bene dispositi et ad sapientiam ordinati. Similiter ex nativitate iste est in fortitudine nervorum et ossium dispositus ad bellicam opportunitatem, quia fortitudo, sicut dicit in Topicis, in nervis et ossibus consistit. Alii autem per contrariam dispositionem ad pacificam. Et licet ita disponat natura, ut frequentius tamen accidit contrarium, quod ii qui natura servi, habeant corpora liberorum: et accidit etiam alios, scilicet liberos habere animas servorum. Et hujus dicti sumenda est ratio ex naturalibus, ubi probatum est quod semen formans est patris, et nisi occasionem patiatur, formabit ad similitudinem patris. Dicit enim Aristoteles libro XVI de Animalibus, quod natura intendit semper facere masculum, quia semen patris est masculinum: et quod facit foeminam, per occasionem fit: quia scilicet aliquo alterante destituitur propria virtute. Ita fit quod fullones qui continue in opere suo magnum motum habent in cruribus, ex calore qui ex motu excitatur, attrahitur nutrimentum ad crura et ingrossantur valde, et in generatione cum decisio seminis fiat ab omnibus partibus corporis, hac de causa crura efficiuntur grossiora et fortiora in natis. Ex simili autem causa et fabri habent grossa brachia et filii eorum. Similiter alia causa accipitur ex libro de Locis habitabilibus, ubi dicitur a Ptolemaeo et aliis astronomis, quod habitantes ad Meridiem juxta aequinoctialem quibus bis est aestas in anno, astuti sunt et dolosi et corpore debiles, e contra autem habitantes ad Aquilonem, propter frigus ibi dominans, corpora habent cum seratis carnibus et fortia, intus propter frigus circumstans calentia, et sunt feroces et fortes, nisi propter occasionem alteratio fiat in ipsis, ut dictum est.137 137 Ebd. I,3, S. 28f.

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Die Differenz von Freien und Leibeigenen, Herren und Knechten, ist natürlich fundiert und körperlich markiert, und hinter ihr steht mit der Differenz von corpus und anima zugleich diejenige von Mensch und Tier.138 Der Anschluß an die antike Theorie gelingt, weil sie auch aus christlicher Perspektive im transitiven Verständnis ›Sinn macht‹. Soziale Ungleichheit wird aus natürlich fundierter gesellschaftlicher ›Arbeitsteilung‹ abgeleitet, in der das Äquivalenzverhältnis von Körper und Seele getrennte Tätigkeitsbereiche bedingt, vor allem aber die Koppelung von Herrschaft an Rationalität und Dienst an Körperkraft;139 ebenso wird die patriarchale Grundorientierung der Gesellschaft in einer natürlichen Teleologie der Fortpflanzung verankert, nach der etwaige Defekte zu Lasten der Frau gehen;140 schließlich erfolgt eine ethnische Distanzierung aufgrund klimatheoretischer Argumente. Ein patriarchales und eurozentrisches Gesellschaftsbild stabilisiert sich durch Rückgriff auf Physiognomik, Medizin, Naturphilosophie und Klimatheorie. Der Körper in seiner spezifischen Gestalt zeichnet sich durch ein Arsenal humoralpathologischer Dispositionen und diesen korrespondierenden Einschreibungen aus. Sie geben zwar einerseits jedem Menschen sein besonderes Profil, aber andererseits auch seine typische Charakterzeichnung. Trotz aller »Individuation des Einzelwesens durch die Materie« ist das Subjekt kein Individuum, sondern immer durch eine (zoologische bzw. astrologische) Typologie gekennzeichnet.141 Die Physiognomik nimmt den Körper noch nicht in seiner Gesamtheit, noch nicht als funktionale Einheit wahr, sondern befragt allein die partes corporis auf ihre je besondere Zeichnung:142 doch nur vor dem Hintergrund eines zweiten Systems, in dem die Unterschiede und Bedeutungen bereits verteilt sind.143 Die Physiognomik praktiziert daher als privilegiertes Verfahren die zoologische Methode: den Analogie-

138 Quicumque quidem igitur tantum distant quantum anima a corpore, et homo a bestia (disponuntur autem hoc modo quorumcumque est opus corporis usus, et hoc est ab ipsis optimum), isti quidem sunt natura servi, […]. Ebd. I,3, S. 24; Aristoteles, Politik I,5; Kullmann, Equality in Aristotle’s Political Thought, S. 31–44. 139 Vgl. Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 62–70. 140 Nach Thomas von Aquin soll das Kind aus einer ständisch asymmetrischen Verbindung den Stand der Mutter erhalten: Praeterea, in aliis animalibus hoc videmus, quae ex diversis speciebus nascuntur, quod partus magis sequitur matrem quam patrem; unde muli qui nascuntur ex equa et asino, magis similantur equis quam illi qui nascuntur ex asina et equo. ergo similiter debet esse in hominibus. Thomas von Aquin, In quattuor libros sententiarum, IV, 36,4, S. 608; vgl. Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 49. 141 Zur »naturalen Grundstruktur« der Individuation vgl. Schockenhoff, Glück und Leidenschaft, S. 107f. 142 »Gegenstand der physiognomischen Deutung waren die partes corporis, die Teile des Körpers: die Linien auf der Stirn, die Masse des Schädels oder die Gestalt des Rumpfes.« Campe, Rhetorik und Physiognomik, S. 287f. 143 Ebd., S. 289.

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schluß vom Tier auf den Menschen.144 »Ein gewisser Weiser sagt nämlich, Physignomie sei die Wissenschaft von der Mitteilung der Natur und der in ihr Erfahrene erkenne die Unterschiede aller lebenden Personen nach ihrem Grad.«145 Vorausgesetzt wird hier die Korrespondenz von anatomischem Körperzeichen und Affektdisposition. Diese kann einmal auf eher kriegerische Tugenden bezogen sein, etwa wenn Kühnheit und Zorndisposition des Löwen mit seinen Krallen und Zähnen korrespondieren.146 Oder aber die virtus selbst, etwa die Tapferkeit, führt zu einem Merkmalskatalog, z. B. breite Brust, festes Haar.147 Die Lehre der Physiognomik basiert auf einer Semiotik der Körperzeichen, die die Verankerung des Menschen in der Tierwelt reflektiert. Aus moraldidaktischer Sicht aber geraten vornehmlich die Laster in den Blick: Es gibt nämlich viele Tiere, denen viele Menschen und viele Frauen aufgrund tierischer Sitten, die sie haben, durch Gewöhnung angenähert werden, und sie scheinen [sich] aus dem Verkehr der menschlichen Natur zu ziehen, indem sie sich den Sitten der Tiere annähern; dennoch sagen wir nicht, daß die Menschen selbst Tiere sind. Wir nennen sie aber insoweit tierisch, als sie von der menschlichen Weisheit abzuirren scheinen. Sunt enim multa animalia quibus per consuetudinem multi homines, & multae mulieres appropriantur propter bestiales mores, quos habent, & trahere videntur extra vsum humanae naturae, se applicantes moribus bestiarum: non tamen dicimus, quod ipsi homines sunt ipsa animalia. Sed in tantum appellamus bestiales, in quantum videntur aberrare ab humana sapientia.148

Die Physiognomik ist somit sowohl eine Disziplin der medizinischen Praxis wie auch der Morallehre. Auch hier ringt ein Bewußtsein der Differenz von Mensch und Tier mit der Erfahrung ›sichtbarer‹ Grenzüberschreitungen. Vor dem Hintergrund einer konstitutiven Trennung von Mensch und Tier thematisiert die Physiognomik das Bedingungsverhältnis von Körper und Geist 144 Herzog, Mnemotechnik des Individuellen, S. 167f.; Reißer, Physiognomik und Ausdruckstheorie, S. 27f. 145 Dicit enim quidam sapiens, physionima est scientia naturae insinuatione, cuius peritus in ea sufficienter agnoscit differentias animalium personarum omnium gradu sui. Michael Scotus, De secretis naturae, S. 6 (Prooemium). 146 Vnumquodque autem animal habet corporis instrumenta virtuti animae competentia, nam Leo cum sit animi audacis, & iracundi, corpus habet forte, & graue, in pedibus vngues, & acutissimos in ore dentes. Vincenz von Beauvais, Speculum historiale I,28, S. 11. 147 Audax est, cuius capilli sunt fortes et asperi et statura ipsius erecta est, ossa quoque fortia et extrema atque costae, nec non et iuncturae fortitudinem habentes et magnae. pectus praeterea magnum et venter magnus ac spatulae magnae, collum quoque forte et crassum, in quo carnis non sit multitudo. est etiam thorax latus […]. Gerhard von Cremona, Rasis Physiognomoniae versio latina Cap. XLVII, S. 173. 148 Michael Scotus, De secretis naturae Cap. 22f., S. 86.

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und führt damit letztlich ihren wissenschaftlichen Status in die Aporie.149 Gegenüber der medizinischen und der politischen Funktionalisierung bringt die ethische Freiheit aber zugleich die gegenläufige Kraft der ratio wieder ins Spiel. Die Eindeutigkeit des Bedingungsgefüges geht verloren, wenn der Körper selbst als psychophysische Einheit die Schnittstelle von Natur und Kultur, Mensch und Tier, bildet. Anders als bei den Tieren, die einer festen Komplexion unterliegen, sind die physiognomischen Zeichen beim Menschen mannigfachen Kontingenzen ausgeliefert: »Dennoch muß man wissen, daß die Physiognomie nicht so [richtig] in den Menschen ist wie in den Tieren. […] Ebenso sagen wir, daß kein Mensch jemals einen anderen Menschen als Ganzes einem Tier ähnlich betrachtet.«150 Auf die Inkonsistenzen der Bewertung, die die lineare Auswertung körperlicher Zeichen nach sich zieht, macht sie selbst immer wieder aufmerksam.151 Das Verhältnis von Körper und Seele ist dynamisch. Selbstdisziplin ermöglicht die Beherrschung von Defekten, natürliche Dispositionen müssen nicht notwendig auf die Seele durchschlagen. Der Körper selbst wird dadurch zum Ort, an dem natürliche und kulturelle Bedingungen zusammenlaufen, so daß auch hier die Vorstellung von einem einfachen Bedingungsgefüge zugunsten eines komplexen Interdependenzverhältnisses aufgegeben werden muß. Die Physiognomik ist ein ideales Demonstrationsfeld dieser komplizierten Konstellation. So gehört beinah in jeden Physiognomiktraktat eine kleine paradigmatische Erzählung, die die Relativität der Disziplin hervorhebt. Demnach akzeptiert Hippokrates die negative, physiognomisch gestützte Charakterdeutung seiner Person durch Zophyros, verweist aber seinerseits darauf, daß er seine schlechten Anlagen durch Disziplin unter Kontrolle gebracht habe.152 Konrad von Megenberg rekurriert in seinem »buch von den natürlichen dingen« auf diese Geschichte, um den Spielraum des Menschen gegenüber der physiognomischen Disposition zu beschreiben: iedoch gewonheit verändert vil der nâtûr an dem menschen zuo guotem oder zuo poesem, und dar umb liest man, daz ein alter maister von der nâtûr frâgt ainen andern grôzen maister in nâtürleichen dingen und sprach ›sag mir, waz menschleicher nâtûr 149 Die materialistische Psychologie Galens, die eine Korrespondenz von seelischer, säftespezifischer und körperlicher Disposition vertrat, wurde gerade deshalb von theologischer Seite heftig bekämpft. Dicit enim animam esse complexionem, wirft Thomas von Aquin Galen in der »Summa contra gentiles« (II,63) vor. Vgl. Waltenberger, Das große Herz der Erzählung, S. 56; Jordan, The Disappearance of Galen, S. 703. 150 Tamen sciendum est, quod physionomia non est recta in bestiis, sicut in hominibus. […] Item dicimus, quod nullus homo vidit vnquam hominem veraciter ex toto esse similem bestiae […]. Michael Scotus, De secretis naturae Cap. 22f., S.87/89. 151 Ergo cum tot membra sint, ideo sunt multae diuersitates in homine. Et sic nullus homo cadit in iudicium vnius membri, sed omnium. Ebd. Cap. 102, S. 187. 152 Secreta secretorum IV,1, S. 165; Albertus Magnus, De animalibus II,2, S. 46; Reißer, Physiognomik und Ausdruckstheorie, S. 26f., 44f.

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hab ich an mir.‹ dô antwurt im der grôz maister und sprach ›ich hân kainen poesern noch scherpfern menschen gesehen von nâtûr wann dich und hân kainen pezzern gesehen von üebung der tugend und von gewonhait guoter siten wann dich […] dar umb ist der spruch wâr, der dâ spricht: diu gewonhait ist ain wechslerin der nâtûr.153

Körper und Geist rivalisieren permanent um ihren Einfluß auf den Menschen. Demnach ist nach humoralpathologischer Lehre die natürlich vorgegebene Balance oder Instabilität der Säftemischung, d. h. die Temperamentenkonstellation, durch Gewohnheit beeinflußbar. Wenn eine eingespielte Ernährungsform um der Gesundheit Willen beibehalten werden soll, beruft sie sich auf Gewohnheit: quia consuetudo est altera natura.154 Nicht nur die Diätetik operiert auf der Basis dieser Methode. Ebenso haben auch Arbeitsform und Aufenthalt im Freien direkten Einfluß auf Säftemischung und Körperkonstitution, wie an den verschiedenen Berufsgruppen ablesbar ist: »Die Kunst nämlich verändert auch die Komplexion des Körpers.«155 Von daher sind auch die primär körperfixierten Berufe schon nach antiker Lehre eher zur Kriegstätigkeit geeignet.156 Und noch der Asket überwindet die ›wilden‹ Energien seines Körpers, indem er sich einer harten Disziplin unterwirft: So heißt es von den Askeseleistungen des Bernhard von Clairvaux, daß die Gewohnheit selbst ihm gewissermaßen in Natur verwandelt wurde: consuetudo ei ipsa quodammodo vertebatur in naturam.157 Die Verbindung von Praxis und Temperament, die hier primär physisch thematisiert wird, läßt sich vor allem aber auf die Ebene der Erziehung übertragen, die sich die gleiche Doktrin zu eigen macht.158 Dem gewohnheitsmäßigen Nachgeben der sinnlichen Reize (consuetudo) tritt so auf der Basis der gleichen Doktrin die Einübung rationaler Verhaltensmuster an die Seite. 153 Konrad von Megenberg, Buch der Natur, S. 29; vgl. Friedrich, Die Ordnung der Natur, S. 83. 154 Secreta secretorum II,8, S. 75. Eine gestörte Disposition dagegen vermag durch Gewohnheit therapiert zu werden. COnsuetudo diuturna mutatur in naturam. Dicit enim Hippocrates. Consuetudo secunda est à natura, hoc fit aut propter diaetam, aut propter artem aliquam. Constantinus Africanus, De communibus […] locis I,23, S. 19. 155 Ars enim etiam complexionem corporis mutat. Ebd. Ex calore & siccitate, ut in ferrarijs, aerarijs, uitrearijs. Ex calore & humiditate, ut in balneatoribus. Ex frigido & humido, ut in piscatoribus. Ex frigido & sicco, ut in campum colentibus & uenatoribus. Ebd. 156 Vegez, De re militari I,3/7; vgl. Aegidius Romanus, De regimine principum III,3,3, S. 562f. 157 Bernhard von Clairvaux, PL 185, Sp. 662. Petrus Damiani schlägt für die Mönche harte Kleidung vor, an deren Mühsal sie sich aber erst gewöhnen müssen: procedente consuetutine. Später wird sie zur Natur: dum quasi in naturam vertitur. PL 145, Sp. 342. 158 Et si quidem victoriarum consuetudine roborata non sunt, facilius vincuntur, & cedunt. Si autem vincere atque imperare consueuerunt, laboriosa difficultate superantur. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI,82, Sp. 2355. Speziell die Erziehung der Kinder operiert mit Hilfe des Gewohnheitsfaktors, etwa, wenn die Heranwachsenden von schädlichen Einflüssen ferngehalten werden sollen. Secundo sunt cohibendi & corrigendisne loquantur falsa. Nam […] iuuenes sunt de facili mentitiui: cum ergo consuetudo sit quasi altera natura, ex quo iuuenilis aetas inclinat eos ad dicendum falsum & mendacium, […]. Aegidius Romanus, De regimine principum II,2,10, S. 315.

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3.3 Genealogie und Physiognomik Umsetzung und Reichweite physiognomischer Geltungsansprüche lassen sich in besonderer Weise an der Alexanderfigur studieren. Bereits die antiken Entwürfe lösen Alexander aus der Normalform genealogischer Herkunft heraus.159 An die Stelle des legitimen Vaters, der königlich makedonischen Genealogie, tritt der ägyptische Magierkönig Nectanebus, der den zukünftigen Weltenherrscher mit der Weisheit Ägyptens imprägniert. Nectanebus verfügt über diverse Techniken der Zukunftsschau, die ihn bereits vor der persischen Invasion gerettet hatten.160 Alexanders Mutter Olympias gegenüber bietet er ein ganzes Spektrum dieser Fertigkeiten. Die Praxis der Astrologie erstellt primär Nativitäten und liest daraus Lebensplan und Charakter des Menschen ab. Zugleich bietet sie sich dem Kundigen an, mit Hilfe astrologischen Wissens über die Zukunft zu verfügen, Astrologie als Wunschform einer ›technischen‹ Schicksalsproduktion zu nutzen. Auf Techniken unterschiedlichster Art stützt sich bereits die Verführung der Olympias, die geradezu eine graduelle Steigerung erkennen läßt. Zunächst erstellt Nectanebus der Olympias eine astrologische Nativität, durch deren Wahrheit er sie für sich einzunehmen vermag. Hinzugefügt wird eine Prophezeiung über das Erscheinen des Gottes Ammon in Tiergestalt. Mit Hilfe von Kräutermagie evoziert Nectanebus daraufhin einen Traum, in dem der Tiergott erscheint; schließlich nimmt er selbst Tiergestalt an, um Olympias zu schwängern. Prophezeiung in Sprache, suggeriertes Traumbild und ›reale‹ Transfiguration: immer konkreter setzt Nectanebus die Symbiose von Gott, Tier und Mensch in Szene. Seine Kunst, deren Effekte das sonderbare Aussehen Alexanders nach sich ziehen, erweist sich als Synkretismus von exakter astrologischer Wissenschaft, medizinisch-magischer Kräuterkunst und realem Betrug. Wirksam werden aber kann diese Kunst auf der Basis astrologischer und zugleich zeugungstheoretischer Prämissen. Auch weil Olympias im Akt der Zeugung das Bild des tierähnlichen Geliebten wahrnimmt, kann der Embryo die entsprechende göttlich-animalische Prägung erhalten.161 Der Effekt astrologischer Wissenschaft und medizinischer Kunst gerät indes in Konkurrenz zum Geltungsanspruch einer legitimen patrilinearen Genealogie. Die Konkurrenz natürlicher und künstlich konstruierter Genealogie kommt denn auch in den Feststellungen über die fehlende Ähnlichkeit Alexanders mit Philipp immer wieder zum Ausdruck: »Ähnlich sah es 159 Braun, Vom Gott gezeugt, S. 42–46. 160 Historia de preliis J1, Cap. 1. 161 Ebd., Cap. 3–11.

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seinem Vater nicht und nicht seiner Mutter […].«162 An humane Ursprünge scheint Alexander über sein Aussehen nicht anbindbar zu sein. Alexanders Aussehen trägt sichtbar die Züge einer magischen Vermittlung. Entsprechend kann es von Alexander heißen: »seine Zähne waren scharf; ungestüm war er wie ein Löwe.«163 Er hat eine Löwenmähne, ein schwarzes und ein blaues Auge, scharfe Zähne und das Ungestüm eines Löwen: Während die Augen offenbar himmlischen Einfluß dokumentieren, offenbart die Physiognomie verschiedene animalische Züge.164 Gerade das zeichengesättigte Aussehen Alexanders aber gibt vor dem Hintergrund zeitgenössischer physiognomischer Ansichten Hinweise auf seine Zukunft: »und so sah man ihm an, was einst aus ihm werden sollte.«165 Alexander synthetisiert in seiner Erscheinung offenbar göttliche, animalische und menschliche Züge: ganz so wie auch Nectanebus in seiner Kunst. Der Roman erfindet somit nicht ein wundersames Aussehen, sondern konstruiert es auf der Basis des geltenden kulturellen Horizonts. Das fremde Aussehen provoziert gerade deshalb Philipps Verdacht, bildet doch die väterliche Linie das traditionelle Grundprinzip genealogischer Kontinuität.166 Es bewirkt Trauer beim Vater,167 die schließlich in einen poli162 Übersetzung Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 16; Figura illius neque patri neque matri assimilabatur, […]. Historia de preliis J1, Cap. 11, S. 137f. 163 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 16; dentes vero eius erant acuti, impetus illius fervidus sicut leonis. Historia de preliis J1, Cap. 11, S. 138. 164 In den »Secreta secretorum«, einem Fürstenspiegel des 12. Jahrhunderts, erhält Alexander sogar kleine Hörner zugeschrieben, d. h. die Attribute des Ammon, eines Stiergottes: Qui Alexander dicitur duo cornua habuisse. Ebd. I,1, S. 36. 165 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 16; […] qualis debebat in posterum fieri, figura illius signabat. Historia de preliis J1, Cap. 11, S. 138. Nicht nur trägt Alexanders Verhalten dieser physiognomischen Disposition Rechnung, auch seine Gegner erkennen am Äußeren sein Wesen: ›Alexander […] omnia per semet ipsum faciens viriliter, quia formam itaque et virtutem secundum suam nativitatem leonis habet.‹ Ebd. Cap. 46, S. 173. Auf diese Art charakterisieren die Perser ihren Gegner: Alexander, qui pugnat nobiscum, habet ferocem animum sicut [mare et] bestia et tempestatur animus eius sicut mare, quando impletur a vento. Ebd. Cap. 69, S. 192. 166 PAter est principium generationis. Naturaliter enim desiderat pater suam speciem multiplicare in filiis, vt naturam quam non potest seruare, in se custodiat in sua prole, vt dicit Constant. & ideo ad filiorum generationem de sua substantia per generationis officium diuidit & transfundit, & tamen propter hanc delectationem, naturae suae diminutionem non recipit. Generat autem filium sibi similem in specie & etiam in effigie, maxime, quando virtus in semine patris, vincit virtutem in semine matris, vt dicit Aristot. lib. 8. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus VI,14, S. 247. Vgl.: quod si in concepto habundaverit sperma viri super sperma matris, erit conceptus similis patri tam in facie quam in ceteris membris. Albertus Magnus, De animalibus XXII,1,3, S. 1352; vgl. Aegidius Romanus, De regimine principum II,2,3, S. 292; Schrübbers, Regimen und Homo Primitivus I, S. 169; Friedrich, Überwindung der Natur, S. 125. Vgl. Petrus von Ebulo, De rebus Siculis, V. 226f. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum II,6, S. 130. 167 ›Fili, diligo velocitatem tuam atque ingenium animi tui, sed tristis existo, quia figura tua non assimilatur mihi.‹ Historia de preliis J1, Cap. 12, S. 138; vgl. Julius Valerius, Res gestae Alexandri I,14.

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tischen Konflikt mündet. Während der Feier, die Philipp anläßlich seiner Verbindung mit Cleopatra ausrichtet und zu der Alexander nach erfolgreichem Kriegszug hinzustößt, kommt es zu einer dramatischen Zuspitzung der offenbar allen bewußten Abstammungsfrage. Ein Verwandter Cleopatras erinnert Philipp provokativ an die offenbar fehlende genealogische Kette: »›Kleopatra wird dir einen Sohn schenken, der wird dir ähnlich sehen.‹«168 Genealogische Legitimität ist substantiell verankert und stellt sich offensichtlich primär über das Aussehen her. Mit der Depotenzierung der genealogischen Vaterrolle wird aber das Argument der natürlichen Legitimität weniger infrage gestellt als aufgewertet. Der Ersatzvater Nectanebus dient nur noch als Vermittler, indem er qua ›Kunst‹ seinem natürlichen Sohn Alexander kosmische Kräfte und Zeichen implantiert und damit den Heros an natürliche Instanzen höherer Ordnung anbindet. Erst durch den Vatertausch läßt sich Alexanders welthistorische Bedeutung als kosmisches Ereignis beschreiben. Bei allem Vorbehalt, den der Erzähler gegen den Betrug des Nectanebus äußert, gelingt dem ägyptischen Magierkönig eine wirkungsmächtige Prägung, die den Menschen Alexander an göttliche (astrologische) und zugleich animalische Qualitäten anbindet. Albertus Magnus beschreibt diese ›natürliche Imprägnierung‹ Alexanders denn auch als bewußte astrologische Strategie des Nectanebus: Und als daher Nectanebus, der natürliche Vater Alexanders, Olympias beiwohnte, hat er die Zeit beobachtet, als die Sonne in das Sternzeichen des Löwen eintrat und der Saturn in das des Stiers, und beabsichtigt, daß sein Sohn durch die Verbindung der Planeten Figur und Eigenschaften erhalte.169

Die astrologische Genealogie wird nicht als fiktive Codierung aufgefaßt, sondern an den wissenschaftlichen Diskurs rückgebunden. Damit schreibt Nectanebus den zukünftigen Weltherrscher aber in jene zwei physiognomischen Register ein, das astrologische und das zoologische, die noch im Mittelalter als maßgebliche Instanzen der Charakterprägung gelten und gerade mit der Aristotelesrenaissance des 12. und 13. Jahrhunderts an Wirkung gewinnen.170 168 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 20. ›Ex Cleopatra nascetur tibi filius similis tui, qui debet regnare post mortem tuam‹. Historia de preliis J1, Cap. 18, S. 143; vgl. Julius Valerius, Res gestae Alexandri I,21. 169 Et ideo Nectanabus naturalis Alexandri pater cum matre sua Olympyade tempus observans coivit sole Leonem intrante et Saturno in Taurum, a quibus planetis suum filium volebat recipere figuram et potestatem. Albertus Magnus, De animalibus XXII,1,3, S. 1352; Friedrich, Überwindung der Natur, S. 125. 170 Magie und Astrologie werden selbst in gelehrten Kreisen (z. B. Albertus Magnus) zu rationalen Formen der Weltbewältigung. Vgl. Wieland, Zwischen Naturnachahmung und Kreativität, S. 265. Vielleicht stimmt dazu die Intensivierung der wissenschaftlichen Tätigkeit in der Historia de preliis J1, die Nectanebus bereits zu Beginn als Mathematiker, Magier und Astrologen vorstellt.

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4. Ethnographie des Fremden 4.1 Antike Barbarentheorie Neben die zivilisationsgeschichtliche Überwindung des Tiers tritt als synchrone Orientierung die ethnographische Auseinandersetzung mit dem Fremden. Die christliche Sünden- und Kulturtheorie schließt hier unmittelbar an die Topoi der antiken Barbarenauffassung an, die frühzeitig ein stereotyp verwendbares Raster für die Bewertung fremder Völker entwickelt hatte. Da für den antiken und christlichen Kulturapologeten Domestizierung und Technik zentrale Indices von Kultur sind, scheint ihnen im Barbaren sichtbar deren Negativ entgegenzutreten: Im Wald hausend und auf dem nackten Boden schlafend, ihren kriegerischen Affekten ausgeliefert, in Felle gehüllt, institutionen- und gesetzlos lebend, werden die Barbaren, etwa die Germanen, von römischen Historio- und Ethnographen immer wieder Tiervergleichen unterworfen.171 Die politische, kulturelle und moralische Inferiorität der Barbaren gilt der Antike als Ausdruck einerseits natürlicher, andererseits historischer Bedingtheit. Schon Aristoteles zieht bekanntlich in seiner »Politik« die Klimatheorie heran, um die Rückständigkeit der Barbaren gegenüber den Griechen zu begründen, und zahlreiche römische Schriftsteller sind ihm darin gefolgt.172 Aus der Sicht einer privilegierten mediterranen Umwelt nehmen mit der räumlichen Entfernung die klimatischen und zugleich moralischen Extreme zu, die ihre Spuren in Körper und Geist der jeweiligen Bewohner hinterlassen. Im Anschluß an Hippokrates hatte Galen Klimatheorie und Humoralpathologie in eine systematische Relation gebracht und auch für das Mittelalter eine Tradition physiologisch gestützter Völkerkunde begründet, die bis ins 18. Jahrhundert wirkungsmächtig war.173 Sie substantialisiert den populären Tiervergleich und macht ihn vor allem politisch verwendbar. Der Barbar als Tier ist mehr als eine Metapher, er repräsentiert ein primär körperorientiertes Wesen.174 Da die sichtbare physische und psychische Exzentrik

171 von See, Der Germane als Barbar, S. 39. 172 Aristoteles, Politik VII, 7; Jones, The Image of the Barbarian, S. 379; von See, Der Germane als Barbar, S. 38; Zacharasiewicz, Die Klimatheorie, S. 25. 173 Zacharasiewicz, Die Klimatheorie, S. 24–33. Die Klimatheorie stützt sich auf die Schrift des Corpus Hippocraticum: De »aëris, aquis et locis« sowie auf Galens »Quod animi mores corporis temperamenta sequantur.« Ebd. S. 21; Tooley, Bodin and the Medieval Theory of Climate, S. 64–83. 174 Aristoteles, Politik I,5; Kullmann, Equality in Aristotle’s Political Thought, S. 31–44. Quicumque quidem igitur tantum distant quantum anima a corpore, et homo a bestia (disponuntur autem hoc quorumcumque est opus corporis usus, et hoc est ab ipsis optimum) isti quidem sunt natura servi. Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis I,3, S. 24.

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der Barbaren mithin als naturbedingt angesehen wird, verbindet sich für die antiken ›Kulturnationen‹ die Konfrontation mit fremden Ethnien immer wieder mit dem Problem von Herrschaft: »alle diese in Wildheit freien Völker – wie sie nach Art von Löwen und Wölfen nicht dienen können –, so auch nicht herrschen.«175 Die Natur der Barbaren, so formuliert bereits Aristoteles die politische Konsequenz, zieht notwendig ihre Disposition zur Sklaverei nach sich.176 Gleichzeitig repräsentieren die Barbaren aus einer entwicklungsgeschichtlichen Perspektive eine längst überwundene Vorstufe der gegenwärtigen Zivilisation, gewissermaßen einen Zustand der Ungleichzeitigkeit in der Gleichzeitigkeit.177 Maßstab ist hier weniger Politik als die Lebens- und Wirtschaftsform. Wenn Tacitus in seiner Beschreibung der Germanen deren Abneigung gegenüber dem Ackerbau mit ihrem Drang zum Kriegführen und Jagen kontrastiert, markiert er zugleich die entscheidende kulturelle Grenze, die bis in unterschiedliche Körperkonzepte hinein wirkt: »es gilt sogar für träge und schlaff, sich mit Schweiß zu erarbeiten, was man mit Blut erringen kann.«178 Und auch Caesars Beschreibung der Tencterer hebt die Differenz von nur temporär gepflegter Agrikultur und Privilegierung der Kriegskunst hervor. Nicht nur werden mit Ackerbau und Kriegskunst paradigmatisch Arbeits- und Gewaltkultur gegenübergestellt, mehr noch wird an Ernährungsform – Milch und Fleisch –, Jagdpraxis, ungebundener Lebensform, an Fellkleidung, immensem Körperbau und Abhärtung eine intensive Annäherung an die Lebensform des Tiers sichtbar, die die Grenze zum agrarischen Kulturverständnis der Römer bildet. Bei ihrer Ernährung spielt das Brot keine besonders wichtige Rolle, sie leben größtenteils von Milch und Kleinvieh, auch geben sie viel auf die Jagd. Dieses ungebundene Leben stärkt mit seiner Ernährung, seiner täglichen körperlichen Übung und freien Lebensweise – von Kindesbeinen an keine Pflicht und Zucht gewöhnt, tun sie überhaupt nur das, was ihnen paßt – die Körperkräfte und läßt ungeheuer große Menschen heranwachsen. Und sie härten sich so ab, daß sie im kältesten Klima außer Fellen, die wegen ihrer Kleinheit einen großen Teil des Körpers unbedeckt lassen, nichts an Kleidung tragen und in den Flüssen baden. 175 Seneca, De ira II,15, in: L Anneaus Seneca, Philosophische Schriften, Lateinisch-Deutsch, Bd. 1, hg. v. Manfred Rosenbach, Darmstadt 1969, S. 177. Deinde omnes istae feritate liberae gentes leonum luporumque ritu ut servire non possunt, ita nec imperare. Ebd.; Tacitus, Historiarum libri IV,76; von See, Der Germane als Barbar, S. 39, 47. 176 Aristoteles zitiert in der »Politik« (I,2) die Dichter. […] propter quod dicunt Poetae barbaris quidem Graecos principari congrue, quod sit idem natura barbarum et servum. Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis I,1, S. 3; vgl. Kullmann, Equality in Aristotle’s Political Thought, S. 36f. 177 von See, Der Germane als Barbar, S. 38f. 178 pigrum quin immo et iners videtur sudore acquirere quod possis sanguine parare. Tacitus, De origine et situ Germanorum Cap. 14; von See, Der Germane als Barbar, S. 45.

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[…] neque multum frumento, sed maximam partem lacte atque pecore vivunt multumque sunt in venationibus. quae res et cibi genere et cotidiana exercitatione et libertate vitae, quod a pueris nullo officio aut disciplina adsuefacti nihil omnino contra voluntatem faciunt, et vires alit et immani corporum magnitudine homines efficit. atque in eam se consuetudinem adduxerunt, ut locis frigidissimis neque vestitus praeter pelles habeant quicquam, quarum propter exiguitatem magna est corporis pars aperta, et laventur in fluminibus.179

Die Germanen stehen nach solchen Ansichten in ihrer ökonomischen und sozialen Praxis der Tierwelt näher als der Menschenwelt. Die Beziehung zum Tier wird weniger metaphorisch als metonymisch gefaßt: Sie wird durch eine Relation der Kontiguität, der engen Berührung, und nicht durch Substitution strukturiert. Psyche und Physis des Menschen unterliegen somit nicht nur der Säftemischung, dem Temperament und dem Klima; sie werden auch als Effekt der jeweiligen Lebensform aufgefaßt, die »an Körpergröße ungeheure Menschen hervorbringt.«180 Doch ist, wie man weiß, methodische Vorsicht geboten vor allzu direkten Rückschlüssen auf den Sachgehalt derartiger Beschreibungen. Gerade weil die Barbarenbeschreibung antiker Autoren weitgehend eine aus zweiter Hand ist, noch dazu eine interessengeleitete, konnten historische Germanen- und altphilologische Toposforschung lange in der Auslegungskompetenz der Texte konkurrieren.181 Die Beschreibungen, das gilt mittlerweile als sicher, spiegeln weniger konkrete ethnographische Erfahrungen, als daß sie Einblick geben in spezifisch historische Mentalitäten ihrer Beobachter. Das antike Germanenportrait dient weder der genauen ethnographischen Erfassung, noch läßt es sich auf eine nur fortgeschleppte Toposlehre begrenzen, wohl auch nicht nur auf eine zeitlose Folie kulturanthropologischer Reflexion.182 Statt das Germanenklischee als Vorurteil anzusehen, sollte es als eine wirkungsmächtige Strukturierungsform von Differenzerfahrung aufgefaßt werden, die über das Mittelalter hinaus bis in die Neuzeit wirkt.183 Auch wenn sich der Streit zwischen historischer Substrat- und Toposforschung kaum je entscheiden läßt, so besteht wenig Zweifel an der Funktion des Germanenklischees. Das Ger179 Julius Caesar, Der Gallische Krieg, lateinisch-deutsch v. Georg Dorminger, München 1962, Buch IV,1, S. 145/147; Caesar, Bellum Gallicum IV,1. 180 immani corporum magnitudine homines efficit. Ebd; vgl. Vincenz von Beauvais, Speculum doctrinale XIII,13, Sp. 1176: De Signis mutatae complexionis ex regione vel consuetudine. Vincenz bietet die von Constantinus Africanus formulierte Lehre. 181 von See, Der Germane als Barbar, S. 30–37. 182 So Jones, The Image of the Barbarian, S. 377, 379; von See, Der Germane als Barbar, S. 43. 183 Etwa Christoph Meiners (1747–1810) Thesen über die Animalität der ›Neger‹: »daß die menschenähnlichsten Affen den häßlichen Negern ähnlicher, als die Europäer den Negern sind« […]. Vgl. Lepenies, Eine vergessene Tradition, S. 51.

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manenbild der Antike besitzt eher imaginären Charakter, dessen Funktion nach innen gerichtet ist. Aus dem Horizont der symbolischen Ordnung fungiert das Klischee als Projektionsfläche einer Selbstverständigung über zentrale Errungenschaften der eigenen Kultur, die nicht nur die eigene Identität stabilisiert, sondern in ihrem Gefolge auch der Legitimation einer expansiven Politik dient.184 Zugleich aber erinnert es an jene verdeckte Seite der eigenen Kultur, die nicht nur alle Disziplinierungsversuche überdauert, sondern auch deren Basis darstellt: Der Barbarentopos, das macht seine wirkungsmächtige historische Ambivalenz aus, betrifft immer auch das Natur- bzw. Selbstverhältnis der elaborierten römischen Kulturgesellschaft.185 Denn der Tiervergleich dient nicht nur zur negativen Abgrenzung. Römische Historiographen fingieren bekanntlich wiederholt eindringliche Mahnreden von Germanenführern, die mitunter ein Identifikationspotential mit dem Tier enthalten.186 So verachten nach Tacitus die Tencterer den sicheren Schutz der Städte: »auch die wilden Tiere vergessen ihre Tugend, wenn Du sie einsperrst.«187 Schon hier verschiebt sich in der römischen Diktion die Semantik des Tiervergleichs und entfernt sich von der pastoralen Perspektive hin zum Krieg. Cassius Dio läßt die Anführerin der Briten, Buduica, eine flammende Rede gegen die Besatzungsmacht der Römer halten: »›Wollen wir ihnen beweisen, daß sie als Hasen und Füchse, die sie doch nur sind, sich über Hunde und Wölfe zu herrschen erdreisten.‹«188 Die Rede wird zu einem Exempel römischer Kulturkritik, die die mittlerweile verweichlichte Kultur der Nerozeit aus der Perspektive eines ›harten‹ Germanentums in den Blick nimmt. Die Kritik an der Kultur- und Geschlechterverwirrung der Römer kulminiert in einer Rückbesinnung auf vermeintlich germanische Werte. So tönt Buduica: »›nein, ich gebiete vielmehr über britische Männer, die nichts von Ackerbau und Handwerk verstehen, in der Kriegskunst aber gründlich ausgebildet sind.‹«189 Hier 184 Jones, The Image of the Barbarian, S. 377f. 185 von See, Der Germane als Barbar, S. 43, 52; Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 106; Schneider, Der Barbar, S. 105–107. 186 Tacitus, Historiarum libri IV,64: der Gesandte der Tenkterer. Cassius Dio, Historiarum Romanarum Bd. IV, LXII,6: Rede der Buduica. 187 etiam fera animalia, si clausa teneas, virtutis obliviscuntur. Tacitus, Historiarum libri IV, 64; von See, Der Germane als Barbar, S. 41. 188 δείξωμεν αủτοîς ὅτι λαγωοì καì ἀλώπεκες ὄντες κυνῶν καì λύκων ἄρχειν ἐπιχειροῦσιν […]. Cassius Dio, Historiarum Romanarum Bd. IV, LXII, 5, S. 56. ostendamusque, eos, quum lepores sint atque vulpes, conari canibus et lupis imperare. Ebd., S. 57. 189 ἀλλὰ ἀνδρων Βρεττανῶν, γεωργεῖν μὲν ἢ δημιουργεῖν οὐκ εỉδότων, πολεμεῖν δὲ ἀκριβῶς μεμαθηκότων […]. Cassius Dio, Historiarum Romanarum Bd. IV, LXII, 6. […] sed viris Britannis praefecta, qui non agros colere, non opifices esse, sed bella gerere optime didicerunt: Historiarum Romanarum Bd. IV, S. 59. Buduica erbittet den Sieg über die römischen Männer, sofern man Männer jene nennen könne, die in warmem Wasser baden, Nachspeisen und ungemischten

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verkehrt sich der nachsichtige Blick des Kolonisators auf das primitive Naturvolk in eine Wertschätzung germanischen Kriegertums, das, wie bei Caesar und Tacitus beschrieben, mit einer geradezu ostentativen Abscheu gegen die ›fortschrittliche‹ agrarische Kulturtechnik verbunden wird. Der negativen metonymischen Nähe zum Tier korrespondiert offenbar eine postitive metaphorische: Die ›wilden‹ Germanen verfügen über animalische Kriegstugenden. Es ist nunmehr die römische virtus, manifestiert als Kriegstüchtigkeit und hier im Gegner gefeiert, die die andere Seite des Germanenbildes, ihre Spiegelfunktion für die römische Kultur selbst, sichtbar macht. Die exzessive römische Genußkultur wird damit nicht nur an die Basis der römischen Weltherrschaft erinnert: an ihr genuines Gewaltpotential. Das kultivierte, auf Verfeinerung angelegte Körperkonzept wird zugleich mit einem natürlichen, auf Abhärtung zielenden konfrontiert. Bereits die römische Germanenschilderung vollzieht sich als zivilisatorische Distanzierung wie als zivilisationskritische Bewunderung gleichermaßen. Der Germane wird sowohl zum Negativ römischer Kultur als auch zum Positiv gegenüber römischer Dekadenz.

4.2 Mittelalterliche Klimatheorie Der Umstand, daß christliche mittelalterliche Historiographen seit dem 5. Jahrhundert problemlos dieselbe Topik übernehmen, zeigt, daß auch hier nicht Wirklichkeit abgebildet, sondern ein Phantasma stabilisiert werden soll.190 Christianisierung und Völkerwanderungszeit hatten nicht nur Verschiebungen in den konkreten politischen Machtverhältnissen bewirkt, sondern auch in der Semantik von barbarus.191 Mit dem Christentum kommt eine neue Koordinate ins Spiel, die die Opposition von Romanitas und barbarus ihrerseits herausfordert. Auch verschiebt sich im Laufe der Zeit sukzessiv die geographische Verortung des Barbaren. So wie die Griechen und Römer auf Skythen, Kelten und Germanen schauten, so blicken die nunmehr Wein zu sich nehmen sowie auf weichen Polstern mit Knaben sich vergnügen: peto abs te victoriam, salutem, libertatem, contra viros iniurios, improbos, insatiabiles, sceleratos; si viri appellandi sunt homines, qui calida lavantur, cibis laute apparatis vescentes, merum bibentes, unguentis delibuti, molliter cubantes, cum pueris, atque iis exoletis coeuntes, citharoedo, et quidem malo, servientes. Ebd. 190 Bereits für Prudentius wird gegen Ende des 4. Jahrhunderts die ethnische Begründung durch eine ideologische überformt: Sed tantum distant Romana et barbara, quantum / quadrupes abiuncta est bipedi uel muta loquenti, / quantum etiam qui rite dei praecepta sequuntur / cultibus a stolidis et eorum erroribus absunt. Prudentius, Contra Symmachum libri duo, II, 816–819, CCSL 126, S. 239; Jones, The Image of the Barbarian, S. 382; von See, Der Germane als Barbar, S. 55. 191 Die Barbaren erobern Rom, und sowohl römische Identitätsreflexion wie gotische Politik kreisen seitdem um das Problem einer neuen Verhältnisbestimmung von Romanitas-Christianitas-Barbarus. Jones, The Image of the Barbarian, S. 381–387.

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römisch zivilisierten und christianisierten Germanen auf ihre Nachbarn: auf Slaven, Polen, Serben, Ungarn, Normannen, Waliser und Iren.192 Es sind die ehemaligen Barbaren selbst, die nun ihrerseits den Barbarentopos verwenden. Auch für mittelalterliche Autoren verursachen geographische Lage und Klima mit die wichtigsten Unterschiede unter den Menschen. Grundaxiom solcher Theorie ist, daß je nach Umweltbedingung die Menschen unterschiedliche Komplexionen und Körperdispositionen besitzen, ein Befund, der weit über den medizinischen Aspekt hinaus wirkt. Wie weitreichend die klimatischen Rahmenbedingungen für das menschliche Leben angesehen werden, wird daran sichtbar, daß sie konstitutiver Bestandteil nicht nur antiker und mittelalterlicher Diätetik sind, sondern zugleich in Architektur, Morallehre, Kriegskunst und Politik Berücksichtigung finden.193 Mensch und Umwelt stehen nach mittelalterlicher Auffassung weit mehr in einem Austauschverhältnis als in der Moderne. Aus klimatheoretischer Sicht unterliegt die Natur des Menschen vor allem außerhalb Europas den verderblichen Einflüssen der Witterung, und das umso mehr, je näher er an den extremen Regionen der Erde beheimatet ist.194 Aristoteles’ Zonentheorie, die Nordländern und Asiaten aufgrund von klimatischen Extremen entgegengesetzte Temperamente und aus ihnen resultierende Charaktereigenschaften – Tapferkeit/Dummheit v. Feigheit/Klugheit – attestiert, findet über ganz unterschiedliche Rezeptionswege wie selbstverständlich ihre Resonanz in der politischen Theorie des Mittelalters. Diejenigen Völker, die in kalten Gegenden wohnen, gegen Europa, sind voll Tapferkeit, an Verstand aber und Kunstfertigkeit mangelt es ihnen umso mehr, deswegen leben sie eher auf freie Art, bilden keine politische Gemeinschaft und können von den Nachbarn nicht beherrscht werden. […]. Die aber in Asien wohnen, sind zwar intelligent und kunstfertig, indes ohne Tapferkeit, weshalb sie unterwürfig und dienstfertig sind. Quae quidem enim in frigidis locis gentes, et quae circa Europam, sunt quidem plenae animositate, intellectu autem et arte magis deficientes, propter quod libere quidem perseverant magis, non politizare autem, et vicinis principari non potentes. Quae autem circa Asiam intellectivae quidem et artificiosae secundum animam, sine animositate autem: propter quod subjectae quidem et servientes perseverant.195 192 Schon seit dem 7./8. Jahrhundert werden Ungarn, Slaven und Normannen als nunmehr heidnische Barbaren bezeichnet. Jones, The Image of the Barbarian, S. 388. 193 Zacharasiewicz, Die Klimatheorie, S. 24–37; Tooley, Bodin and the Medieval Theory of Climate, S. 64–83; Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes, S. 165–203. 194 Et ideo sunt uirtutes animae in pueris imperfectae, & in mulieribus debiliores. Et similiter fit in gentibus in quorum complexione uicerit calor, uel frigus, propter propinquitatem earum ad solem, uel earum longitudinem ab eo. Constantinus Africanus, De anima, S. 316f. 195 Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis VII,5, S. 661. Vgl. den Kommentar des Thomas von Aquin zur aristotelischen »Politik«. Aegidius Romanus rekur-

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Die naturkundliche Enzyklopädistik verankert sie im Wissenssystem,196 und die Kreuzzugspropaganda nutzt sie für ihre Zwecke. Nach Guibert von Nogent erklären sich nicht nur die ungehemmten Triebdynamiken – bestialem appetitum – aus klimatischen Gründen,197 sondern auch die zahlreichen häretischen Strömungen des orientalischen Christentums.198 Bereits Urban II. hatte – in der Version Williams of Malmesbury – den begrenzten Raum der christlichen Kultur gegenüber den umliegenden barbarischen Völkern abgehoben, die more belluino victitant; und auch er schließt darüber hinaus direkt an die Klimatheorie an, indem er die Bewohner heißer und kalter Regionen im Hinblick auf ihre Kriegstüchtigkeit disqualifiziert.199 Politische Propaganda und medizinische Theorie greifen hier ineinander. Die antike kulturelle Differenz wird heilsgeschichtlich verankert. Aus christlicher Perspektive schlägt sich die Erbsünde in der zur Peripherie hin abnehmenden Bewohnbarkeit der Erde nieder, der unterschiedliche Stufen von Menschen korrespondieren, die sich als eine Art Typologie auffasriert im dritten Teil seines Fürstenspiegels »De regimine principum« auf klimatheoretische Passagen des Vegez (De re militari I,2). Vgl. Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 12, 53f. 196 Haec mundi particula [Europa] […] alit corpore maiores, virib. fortiores, animo audaciores, forma & specie pulcriores, quam faciunt Asiae vel Affricae regiones. Nam solaris aestus adurens propter eius permanentiam super Affros, illos efficit consumendo humores corpore breuiores, facie nigriores, crine crispiores, & propter euaporationem spirituum per apertos poros animo defectiores. E contrario vero est apud Septentrionales. Nam ex frigiditate poros extrinsecus opilante generantur humores in corpore, & efficiuntur homines corpulentiores, & ex ipsa frigiditate, quae mater est albedinis in exteriorib. in cute scilicet & facie albiores, & ex repercussione vaporum & spirituum ad interiora efficiuntur calidiores interius,& per consequens plus audaces. Homines vero Asiae quorum regio prima est ab oriente, mediocriter in hoc se habent, vt dicit Plin. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus XV,50, S. 648; vgl. Vincenz von Beauvais, Speculum doctrinale XIII,13, S. 1176f.; Zacharasiewicz, Die Klimatheorie, S. 33–36. 197 Ipsi plane homines, pro aeris et coeli cui innati sunt puritate, quum sint levioris corpulentiae et idcirco alacrioris ingenii, multis et inutilibus commentis solent radio suae perspicacitatis abuti; et dum majorum sive coaevorum suorum despiciunt obtemperare magisterio, scrutati sunt iniquitates. Guibert von Nogent, Gesta Dei per Francos I,2, S. 125; von den Brincken, Die Nationes Christianorum Orientalium, S. 3. 198 Profusior libidinis adimplendae facultas, et bestialem jam superans appetitum, non conjugiorum jam, sed scortorum numerositate, voluptas procreandorum liberorum superficie palliatur. Sed dum in his, quae quasi usualia sunt, nequaquam fluxus naturae restringitur, usque ad ea quae non conveniunt, nec nominari in nobis debent, brutis etiam animalibus inexperta, concurritur. Hujus nefariae institutionis obscuritas Christianum tunc nomen obtexit; Guibert von Nogent, Gesta Dei per Francos I, S. 130. 199 Jones, The Image of the Barbarian, S. 395. Constat profecto quod omnis natio quae in ea plaga nascitur, nimio solis ardore siccata, amplius quidem sapit, sed minus habet sanguinis; ideoque vicinam pugnam fugiunt, quia parum sanguinis se habere norunt. Contra populus qui oritur in arctos pruinis, et remotus est a solis ardoribus, inconsultior quidem, sed largo et luxurianti superbus sanguine, promptissime pugnat. Vos estis gens in temperatioribus mundi provinciis oriunda, qui sitis et prodigi sanguinis ad mortis vulnerumque contemptum, et non careatis prudentia. Urban II., De expeditione Hierosolymitana, PL 151, Sp. 572.

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sen läßt: Von der privilegierten Bevölkerung Europas über die bereits irritierenden Sitten benachbarter Kulturkreise – Slaven, Normannen, Iren – bis zu den auch physisch immer weiter abweichenden Erdrandsiedlern steigert sich zentrifugal der Verlust des Heilsstatus und die Verwilderung des Menschen.200 Derartige Einschätzungen sind konstitutiver Bestandteil auch weltchronistischer Übersichten. Es entspricht durchaus dem Befund mittelalterlicher Kartographie, wenn Vincenz von Beauvais der descriptio terrae seines »Speculum historiale« eine Ethnographie fremder Völker anfügt, die an den Rändern der vertrauten Welt alle Arten von moralischen Zerrbildern repräsentieren: Inzest, Kannibalismus, Gewalt, Götzendienst. Die Nähe zum Tier ist wiederholt Maßstab der Wahrnehmung, sei es in Ernährungsgewohnheiten (semicrudis vescuntur carnibus), inzestuöser Sexualität (pecudum more lasciuiunt), Entsorgung der Toten (iugulatos deuorabant; bzw. canibus […] nutritis subijciunt senes) oder Kleidungssitten (pellibus ferinis ac murinis vtuntur).201 Von daher kann die ethnographische Darstellung problemlos in eine von animalischen Mischwesen und Monstern übergehen. Dort, wo die Ethnographie in unbekannte Räume ausgreift, wird die Leere zur Projektionsfläche von Phantasmen. Im Nordosten, wo ungeheure Wüsten und hohe Schneemassen – deserta ingentia, nives altissimae – angrenzen, bewohnen nach Adam von Bremen Herden monströser Menschen – monstruosi hominum greges –, Amazonen, Zyklopen und Himantopoden, das Land.202 Die Kreuzzugsepik, die deutlicher als die gelehrte Chronistik die Bedrohung der Christenheit von außen suggeriert, spielt auf ihre Art immer wieder solch wilde Sonderfiguren ein. Sie sind konstitutiver Bestandteil der heidnischen Heere, wie die Hundsköpfe, die schweinsborstigen Krieger oder die verdammten Kämpfer Zernubels im »Rolandslied«.203 In Strickers »Karl« sind es die dunkelhäutigen Äthiopier, vor denen Bischof Turpin erstaunt zurückschreckt: waz volkes mac diz sîn? […] wannen kument al des tiuvels kint? Und noch im Kampf gegen Paligan ruft Karl aus: Krist herre durch dîne wunden / 200 Perrig, Erdrandsiedler, S. 35–87. Vgl. die Ebstorfer Weltkarte. 201 Vincenz von Beauvais, Speculum historiale I,86–88, S. 32f. Vincenz zitiert Iustinus in Kapitel I,88: Scythae agrum non exercent, nec domus vlla, aut tectum, aut sedes illis est; armenta & pecora semper pascentibus, & per incultas solitudines errantibus: Je näher an der Peripherie, um so roher leben die Völker, wie etwa die nomadischen Reitervölker des Ostens oder im Norden die Gallier und Schotten. Letztere verzehren nach einem Hieronymusexzerpt nicht nur Menschenfleisch, sondern vergehen sich selbst an der pastoralen Lebensform: & cum per siluas porcorum greges & armentorum pecudumque reperirent, pastorum nates, & foeminarum papillas solere abscindere, & has solas delicias arbitrari? Ebd. I,86, S. 32. 202 Adam von Bremen, Gesta Hamburgensis IV,25. 203 des lutes got niht růchet, / die erde ist gar uerfluchet. / in ne geschain nie dehain sunne, […] si lebent mit grimme. / der tuuil wont dar inne. Rolandslied, V. 2683–2692. Vgl.: ir houbit scain sam der hunde. Ebd., V. 2656; vgl. 8046.

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lœs uns von disen hunden, […].204 Die extreme Zeichnung derartiger Gegner dient gewiß dazu, die heilsgeschichtliche Dimension der Auseinandersetzung zu akzentuieren, und doch gibt sie zugleich Einblick in die mittelalterliche Vorstellungswelt ethnographischer Fremde und ihrer sprachlichen Bewältigung.205 All das sind Konkretisierungen eines Bildes vom »vertierten Heiden«, das zwar schon in der Bibel seinen stereotypen Ort hat,206 doch weit mehr noch aus einer christlich gedeuteten antiken Ethnographie sich ableitet. »Das Abschlachten von ›Ungläubigen‹ more pecudum ist mindestens seit den entsetzlichen Vorgängen in Jerusalem 1099 ein geläufiger Topos christlicher Historiographie und sonstiger Literatur.«207 Daß dies nicht nur epische Imagination darstellt, sondern vielmehr einen realen Hintergrund besitzt, läßt sich noch an Bernhards von Clairvaux Aufruf an die Templer ablesen, der sie gegenüber dem Tötungsvorwurf mit dem Argument beruhigt, daß sie im Kreuzzug nicht Menschen, sondern das Böse töten werden.208 Noch in Wolframs »Willehalm«, einem Text, dem ein prononciert positives Heidenbild zugeschrieben wird, sind es die zu Fuß kämpfenden Krieger des König Gorhant – des volc was vorn und hinden horn, / âne menneschlîch stimme erkorn –, die den europäischen Bedarf an exotischer Fremde zu befriedigen haben und einen Typus animalischer Gegner unterstellen.209 Selbst die Genealogie ganzer Völker wird auf den Grundgedanken einer isolierten wilden Herkunft zurückgeführt. Bereits Widukind von Corvey hatte nach Jordanes in seiner Sachsengeschichte die Genealogie der Hunnen und Ungarn aus einer Waldenklave heraus skizziert (inviis inaccessa paludibus), in der ehemals verbannte Giftmischerinnen durch inzestuöse Verbindungen ein wildes Volk hervorbringen: »Nach Art wilder Tiere lebend, ungebildet und ungebändigt, wurden sie eifrige Jäger.«210 Abseits der bekannten Welt entsteht eine Jagdgesellschaft, die nach Verlassen der En204 Stricker, Karl der Große, V. 7458/7464; 10085f.; vgl. Rolandslied, V. 8420. et ut male bestiae dentibus frementes, werden die Heiden im Carmen Buranum 50 (9,3) beschrieben. 205 Zum Heidenbild der mittelalterlichen Epik vgl. Naumann, Der wilde und der edle Heide, S. 80–101; Wentzlaff-Eggebert, Kreuzzugsdichtung des Mittelalters, S. 60–137. Zur historischen Forschung vgl. Hiestand, Der Kreuzfahrer und sein islamisches Gegenüber, S. 51–68; Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens. 206 Dickerhof, Canum nomine gentiles designantur, S. 41–71, 67ff. 207 Kahl, Die weltweite Bereinigung der Heidenfrage, S. 79; vgl. Rolandslied, V. 5421–23; 8309f. 208 Bernhard von Clairvaux, De laude novae militiae Cap. IV. Vgl. Cap VIII, S. 221: irruunt in adversarios, hostes velut oves reputant, […]. 209 Wolfram von Eschenbach, Willehalm, 35,13f.; Bertau, Das Recht des Anderen, S. 127– 143; Schnell, Die Christen und die ›Anderen‹, S. 185–202; Faßbender, ›Willehalm‹ als Programmschrift, S. 16–31. 210 ferarumque more viventes, inculti et indomiti, facti sunt venatores acerrimi. Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae I,18; Jordanes, Gotengeschichte XXIV.

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klave – sie folgen einem Hirschen – die Menschen selbst zu Beutetieren macht.211 Seit 1241 werden privilegiert die Mongolen als gens feralis gekennzeichnet.212 Matthäus von Paris versammelt in seiner »Chronica maiora« (ca. 1251) zahlreiche Dokumente über die Auswirkungen des Mongolensturms in Ungarn. In Aussehen, Kleidung, Nahrung, Sitten und Lebensform sind es auch hier stereotyp Tiervergleiche, die die fernen Nomadenvölker als solche kennzeichnen, die ein wildes Leben führen: qui feralem vitam ducentes.213 Ein Bericht Peters von Rußland ›informiert‹ denn auch über die ›wilde‹ Genealogie dieser vermeintlichen Tartaren, die auf den Stammvater Tartacan, dessen Sohn Chiartan und drei Enkel zurückgeführt wird. Von deren Sozialisation heißt es: Nachdem sie in hohen und unzugänglichen Bergen geboren und aufgezogen worden sind und rauh, gesetzlos und unmenschlich Löwen und Drachen aus ihren Höhlen vertrieben haben, haben sie ihren Gelüsten freie Entfaltung gelassen. Qui quamvis essent in montibus eminentissimis et quasi immeabilibus nati et nutriti, rudes, exleges, et inhumani, et expulsis leonibus et draconibus, in cavernis et specubus educati, ad desiderabilia tamen provocabantur.214

Mit Entsetzen blickt der Kleriker auf das Gewaltpotential der Mongolen und imaginiert eine naturverhaftete, tiernahe Sozialisation der Stammväter, die selbst über gefürchtete Raubtiere und Drachen hinweggeht, den Tieren selbst den Lebensraum nimmt. Abseits des eigenen Erfahrungsraumes gelten die 211 Bei Ekkehard von St. Gallen treten die Ungarn nicht nur in Schwärmen auf (turmatim pervadunt; Kap. 51), überdies entsprechen ihre Eßgewohnheiten denen von Tieren, wenn sie rohes Fleisch mit den Zähnen von den Knochen reißen und verschlingen. Ekkehard von St. Gallen, Casus sancti Galli Cap. 54 [Ipsi vero cum armos et caeteras victimarum portiones semicrudas absque cultellis dentibus laniando vorassent, ossa obaesa inter se unus quidem in alterum ludicro jecerant]. 212 Vgl. Fried, Auf der Suche nach der Wirklichkeit, S. 287–332. Thomas von Split, Augenzeuge des Mongoleneinfalls von 1241, berichtet von unerhörten Grausamkeiten: sed velut agrestes belue nil nisi humanum sanguinem siciebant. Ex Thomae Historia Pontificum Salonitanorum Cap. 37, MGH SS 29, S. 588. Vgl. Berichte über den Mongoleneinfall, S. 245. Vgl. die wilden Völker im Priester Johann-Brief (Cap. 15): »Sacratissimum est humanam carnem manducare«. Der Priester Johannes, S. 911; vgl. Matthaei Parisiensis, Chronica maiora IV, S. 388. Zum vermeintlichen Kannibalismus der Mongolen vgl. Guzman, Reports of Mongol Cannibalism, S. 31–68; Tattersall, Anthropophagi and Eaters of raw Flesh, S. 241–251. 213 Matthaei Parisiensis, Chronica maiora IV: Viri enim sunt inhumani et bestiales, potius monstra dicendi quam homines, sanguinem sitientes et bibentes, carnes caninas et humanas laniantes et devorantes, coriis taurinis vestiti […] humanis legibus carentes, nescii mansuetudinis, leonibus aut ursis truculentiores […]. S. 76f.; gens illa inhumana et feralis, exlex, barbara, et indomita, quae Tartari nuncupantur, […] S. 109; vultus amplos, aspectus torvos, clamores horribiles habent, cordibus consonantes; cruda gestant coria, bovina, asinina, vel equina; […] S. 115. 214 Ebd., S. 387.

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vertrauten kulturellen Regeln nicht mehr, wird die sich als Heilszentrum verstehende christlich-europäische Kultur durch menschenfressende animalische Völker, Repräsentanten eben jener apokalyptischen Völker Gog und Magog, bedroht.215 Hunnen, Ungarn und Mongolen: Vor allem die nomadischen Völker des Ostens werden durch Wohnort und ein diesem korrespondierendes Äußeres aus dem bekannten Kulturraum ausgegrenzt. Zentral ist die abgeschlossene Lage: hinter Schneewüsten, auf einer Insel inmitten von Sümpfen, auf hohen Bergen, schließlich wie die apokalyptischen Völker hinter einer Mauer.216 Die Konsequenzen aus dem Sündenfall wirken sichtlich bis in die Gegenwart hinein.217 Greifen die Erklärungen unvorhergesehener Nomadenstürme in defensiver Absicht auf die Tieranalogie zurück, so dienen sie einer expansiven kolonialistischen Perspektive als Argument der Disqualifizierung des Fremden. Die bedrohliche Korrespondenz von Landschaft und Charakter betrifft bereits die angrenzenden Völker. Albertus verschiebt in seiner Schrift »De natura locorum« gegenüber den antiken Autoren schon die Fronten, wenn er die mediterrane Natur und Kultur von derjenigen der nördlichen Dänen und Slaven absetzt, die Germanen also bereits ausnimmt.218 Für Albertus bilden gar die europäische Wissenschaftstradition und die anhaltende politische Macht des römischen Reichs, die alle anderen Weltreiche überdauert, Indizien einer ›klimatischen‹ Privilegierung.219 Entsprechend ahmen nach Arnold von Lübeck die Dänen nur die Sitten der Deutschen nach, und auch die Ungarn liefern nach Otto von Freising in ihrer Kriegsethik nur einen schwachen 215 Mit apokalyptischen Völkern verbindet sie Matthaeus Parisiensis, Chronica Maiora IV, S. 77f. 216 Adam von Bremen, Gesta Hamburgensis I,3. Eadem a septentrione regionem ignoti situs ac nominis intuetur, humani cultus expertem, sed monstrose nouitatis populis abundantem, quam ab aduersis Noruagie partibus interflua pelagi separauit immensitas. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum, Vorrede S. 7. 217 Vgl. etwa die Genealogie der Sachsen (Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae I,2–6), Franken (Otto von Freising, Gesta Frederici II,32) und Bayern (Historia Welforum I). Graus, Lebendige Vergangenheit, S. 73–144; Kugler, Das Eigene aus der Fremde, S. 182, 185f., 190; Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 169f. 218 Hujus autem signum est, quod communitas populi Mediolanensis semper studet circa leges et studia liberalia et artes, de quibus non multum curat populus Dacus et Sclavorum. Albertus Magnus, De natura locorum II,3, S. 564. 219 Propter quod jam quartum clima et vicinum sibi quintum laudabilia sunt, quae media sunt inter istas excellentias, habentia laudabiles utriusque gentis proprietates medias, secundum quod unicuique facile est indagare qui scit medium constitui ab extremis. Est autem istorum longa aetas et operationes tam naturales quam animales laudabilissimae, et mores boni, et studia laudabilia, nisi ex consuetudine ducantur ad prava. Mores autem Aquilonarium lupini sunt propter cordium eorum calorem. Leves autem sunt nimis Meridionales. Medii autem inter hos facile colunt justitiam, et fidem servant, et pacem amplectuntur, et hominum diligunt societatem. Propter quod Vitruvius architectus dicit diutius permansisse regnum Romanorum quam alia regna: Ebd.

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Abglanz der angeborenen fränkischen Kriegstugenden.220 Die Darstellung der ostelbischen Slavenstämme bei Helmold von Bosau thematisiert wiederholt die angeborene Wildheit der Barbaren, und der Blick des Missionars Vizelin über den Gau Faldera notiert auch die Kongruenz von Landschaft und Bevölkerung: er »blickte über die Örtlichkeit hin, das höchst unwirtliche Land mit seinen weiten unfruchtbaren Heideflächen, dessen bäuerliche Bewohner überdies (geistlich) unversehen und ungebildet« waren.221 Nach Arnold von Lübeck leben die Serben, Söhne des Belial, im bulgarischen Wald ihrer Umgebung entsprechend wilder als die wilden Tiere.222 Ausführlich erörtert auch Gerald von Wales die Kulturlosigkeit der Iren, die statt durch elterliche Nahrung und Errungenschaften der Kultur durch die Natur selbst hervorgebracht werden: »Einzig die Natur hat diese Glieder hervorgebracht, hat sie ohne die Unterstützung irgendeiner Kunst nach ihrem Willen zusammengefügt und geordnet.«223 Das bringt nach gut klimatheoretischer Argumentation zwar große kräftige und schöne Körper hervor, doch um den Preis vollständiger kultureller Indifferenz.224 Slaven, Serben und Iren werden von den Kolonisatoren als kulturlose animalische Wesen gezeichnet, die durch ihren Lebensraum geprägt sind. Die Schilderung der Geographie Ungarns, die Otto von Freising in den »Gesta Frederici« bietet, scheint nur auf den ersten Blick davon abzuweichen. Sie zeichnet das Bild eines fruchtbaren und anmutigen Landes – tamquam paradisus Dei –, das indes von einem wilden Menschenschlag bewohnt wird. In Aussehen, Sprache und Verhalten seien die Ungarn barbari et feroces, so 220 Otto von Freising, Gesta Frederici I,33. 221 perspexit habitudinem loci campumque vasta et sterili mirica perorridum, preterea accolarum genus agreste et incultum […]. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 47, S. 182f. 222 […] sine iugo Dei, illecebris carnis et gule dediti et secundum nomen suum immundiciis omnibus servientes et iuxta locorum qualitatem bellualiter vivendo, bestiis etiam agrestiores. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum I,3, MGH SS 21, S. 118. Auch im Südwesten wirkt das gleiche Prinzip. Im »Liber Sancti Jacobi« (um 1140) werden die Basken und Navareser als kulturlose grausame Menschen beschrieben. Über die Basken schreibt der Pilgerführer: Ipsi sunt feroces et terra in qua commorantur ferox et silvestris et barbara habetur; ferocitas vultuum similitudinisque lingue barbare eorum, corda videncium illos expavescit. Cap. VII, S. 22. Deutlicher noch wird das Volk der Navareser beschrieben, denen alle Barbarentopoi zugeschrieben werden. Sie tragen ungegerbte, nur lose zusammengebundene Schuhe. Si illos comedere videres, canibus edentibus vel porcis eos computares. Sique illos loqui audires, canum latrancium memoraresi Barbara enim lingua penitus habentur, […]. Sie sind zudem böse, häßlich, treulos, gottlos, wild und gewalttätig. Navarri etiam utuntur fornicatione incesta pecudibus. Ebd., S. 28. Entsprechend werden auch ihre Kriegs- und Jagdgebräuche beschrieben, bei denen sie trefflich Tierstimmen imitieren können. 223 Sola natura quos edidit artus, preter artis cuiuslibet adminicula, pro sui arbitrio et componit et disponit. Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie III, S. 162. 224 barbarus tamen tam barbarum quam uestium, necnon et mentium cultus, eos nimirum reddit incultos. Ebd.; Bartlett, Gerald of Wales, S. 160.

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daß sich der Chronist verwundert zeigt über die göttliche Vorsehung, »die dieses schöne Land menschlichen Scheusalen – denn Menschen kann man sie kaum nennen – ausgeliefert hat.«225 Sowohl der Befund über die imitierte Tapferkeit der Ungarn wie derjenige über die Inkongruenz von Landschaft und Bewohnern basiert auf den Voraussetzungen der Klimatheorie, deren Homologieprinzip im Falle Ungarns sichtbar gestört scheint und auf seine Art die Verwirrung der Zeit anzeigt.226

4.3 Agricultura v. vita pastoralis Offensiv nutzen vor allem die europäischen Kolonisatoren den Tiervergleich, wenn sie in Kontakt mit benachbarten Völkern treten. Für die gelehrten Historio- und Ethnographen des 11. und 12. Jahrhunderts, allesamt Kleriker, die den Lebensraum angrenzender Kulturen beschreiben – z. B. Slaven, Normannen, Iren –, liegt wie für die Römer die primär wahrgenommene Trennscheide in der Wirtschaftsform der fremden Völker: pastorale Existenz versus elaborierte Landwirtschaft. Die Einschätzungen Ottos von Freising über die Ungarn, Adams von Bremen über die Skandinavier, Geralds von Wales über die Iren und Helmolds von Bosau über die Elbslaven vollziehen sich vor dem stets analogen Hintergrund dieser ökonomischen Differenz.227 Cosmas von Prag beschreibt entsprechend die wilde Frühgeschichte der Böhmen,228 und selbst die Araber auf den Inseln des Mittelmeers, etwa diejenigen Pantaleons nahe Malta, von denen Gerhard von Straßburg berichtet, werden diesem ökonomisch ausgerichteten Blickwinkel unterworfen: »Sie sind keinem 225 que, ne dicam hominibus, sed talibus hominum monstris tam delectabilem exposuit terram. Otto von Freising, Gesta Frederici I,33; vgl. Andritsch, Das Ungarnbild in der österreichischen Historiographie, S. 22f. 226 Am Beispiel Italiens demonstriert Otto dagegen die heilsame Wirkung des Klimas. Auch dieses fruchtbare und klimatisch wohltemperierte Land wurde dereinst von Barbaren, den Langobarden, erobert, die indes ihre rohe Wildheit allmählich ablegten: Otto von Freising, Gesta Frederici II,14. 227 Vix invenitur culta in aliquibus locis […]. Adam von Bremen, Gesta Hamburgensis, IV,1. Nortmannia propter asperitatem montium sive propter frigus intemperatum sterilissima est ominum regionum, solis apta pecoribus. Ebd., IV,31. Vgl. IV,36; Otto von Freising, Gesta Frederici I,33. Vgl. die Ukrainer, Kumanen und Turkvölker: et item orientem Pecenatorum et Falonum maximam venationum copiam habente, sed vomere ac rastro pene experte campania. Ebd., I,33; bzw. zu den Nachbarn der Polen: […] et cum perpetuis rigeant algoribus ideoque nullam possint agriculturam in quibusdam locis exercere, venationibus et mortibus dediti sunt. Ebd. III,1. Hec terra lingua barbara habetur, nomorosa, montuosa, pane et vino omnibusque corporalibus alimentis desolata, […], heißt es über das Baskenland im »Liber Sancti Jacobi« Cap. VII, S. 20; vgl. Gesta Stephani, S. 14. Bartlett, Gerald of Wales, S. 158–160. 228 Cereris et Bachi munera haud norant, quia neque erant. Sera prandia solvebant glande vel ferina carne. Cosmas von Prag, Chronica Boemorum I,3, MGH script. rer. germ. II, S. 8.

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Herren untertan, denn die Menschen sind roh und wild und wohnen in Erdhöhlen. […] Sie leben mehr vom Viehwesen, als von den Früchten der Erde, da sie nur wenig Korn anbauen.«229 Nicht zufällig geht der Blick der mittelalterlichen Kleriker außer auf den Ritus der Fremden, die cultura deorum, auch auf die ökonomische Praxis: auf die cultura terrae.230 Dort, wo es an Landwirtschaft mangelt, sei es durch Härte des Klimas, sei es durch Unfruchtbarkeit des Bodens oder sei es durch Entvölkerung der Landschaft, erobert Wildnis den Raum.231 Hier ist es die Distanz zur rationalen Technik, zur ars der Landwirtschaft, und die allzu enge Verbindung mit dem Tier, die das polare Bewertungsmuster organisiert. Der Verzicht auf Kultivierung des Bodens, auf ›gepflegten‹ Landbau im klassischen Wortsinn von cultura, und demgegenüber die parasitäre Nutzung des Tiers in Fleisch- und Milchökonomie weist den Nachbarvölkern im Bewußtsein des Kolonisten eine primitive Kulturstufe zu, ein Befund, der, wie man weiß, mit der Wirklichkeit keineswegs übereinstimmt. So sehr aber die Dichotomie von agricultura und vita pastoralis ein imaginäres Kulturmuster darstellt, so korrespondiert zugleich die Erhebung des Ackerbaus zum Kulturmaßstab mit der Agrarkonjunktur des Hochmittelalters, die aus Wald-Viehbauern langsam Getreidebauern – »Vergetreidung« – machte.232 Den christlich geprägten Chronisten bietet sich dieser reale Prozeß der landwirtschaftlichen Kultivierung als Bestätigung antiker und zugleich biblischer Kulturmuster.233 Paradigmatisch konfrontiert Gerald von Wales in seiner »Topographia Hibernie« die wilden Iren mit den Kulturprodukten der Anglonormannen. Nachdem sich ein englisches Schiff im Sturm vor die irische Küste um Connacht gerettet hat, kommt es zur Begegnung der ›Wilden‹ mit den 229 Nulli dominio subiciuntur, homines enim inculti sunt et silvani, habitantes in cavernis terre, […]. Hoc genus hominum magis vivit de peculiali quam de fructibus terre, quia granum non colit nisi paucum. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum VII,8, MGH SS 21, S. 236; Die Chronik Arnolds von Lübeck, S. 319f. Vgl. das analoge Urteil über die Arabiten: Terram parum colunt, sed de solo peculiali vivunt. Ebd. bzw. über die Assassinen: et terra eorum non multum est fertilis, nisi quod de peculio vivit. Ebd., S. 240. 230 Bis in die Gegenwart hinein werden im expliziten Gegensatz zur Jagd Ackerbau und Gottesdienst als zentrale Differenzmerkmale von Mensch und Tier aufgefaßt. Hansen, Kultur und Kulturwissenschaft, S. 12; Böhme, Vom Cultus zur Kultur(wissenschaft), S. 53. 231 Deficientibus sane viris terra spatiosa quasi inculta manebat et spinas ex tribulos germinans nec aratra nec iuga boum sentiebat. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum VI,13, MGH SS 21, S. 220; vgl. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 12, S. 24f. 232 Vgl. Duby, L’Économie rurale, S. 145–159; Abel, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft, S. 172; Gerstenbauer, Die Stellung des Waldes, S. 22f. 233 Abel, Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft, S. 167. Abel zitiert eine Abschrift des Prümer Urbars (893) aus dem Jahre 1222, in der Caesarius von Prüm notiert: »Notandum est, quod CCCXXIX anni sunt elapsi ex eo tempore … et in tempore tam diuturno constat multas silvas esse extirpatas, villas edificatas, decimas auctas, multa molendina sunt in praefato tempore edificata ac multe vinee plantate, terre infinite culte.«

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›Zivilisierten‹. In einem schmalen Boot nähern sich die langhaarigen, nur mit Tierhäuten bekleideten Iren: »Es befanden sich aber zwei Menschen darin, gänzlich nackt, die außer mit breiten Gürteln mit zusammengebundenen unbearbeiteten Fellen bedeckt waren.«234 Nachdem sie das Schiff der Engländer bestiegen haben, bewundern die beiden Iren die Ladung, was Gerald Gelegenheit zum grundsätzlichen Kulturvergleich gibt: Alles, was sie dort sahen, bestaunten sie gleichsam als Neuigkeiten. Das große und hölzerne Schiff, die menschlichen Kulturgegenstände, hatten sie niemals vorher gesehen. Als ihnen aber Brot und Käse angeboten wurden, lehnten sie es ab, da sie beides nicht kannten. Sie sagten, sie pflegten sich nur von Fleisch, Fischen und Milch zu ernähren. Keinerlei Kleidung kannten sie außer Tierfellen, die sie in großer Not gebrauchten. Ipsi uero cuncta que ibi uidebant tanquam noua admirari ceperunt. Nauem enim magnam et ligneam, humanos etiam cultus, sicut asserebant, nunquam antea uiderant. Cum uero panem et caseum ad comedendum eis optulissent, utrumque ignorantes, abnuerunt. Carnibus tantum, et piscibus, et lacte, se uesci solere dicebant. Nec uestibus ullis utebantur, nisi coriis animalium interdum in magna necessitate.235

Angesichts von Textilien, Schiffahrt und landwirtschaftlichen Produkten geben die Iren freimütig Rechenschaft über ihren Kulturstand, der keinerlei höhere Technik kennt, offenbar in einem zeitlosen Kontinuum mit der Natur sich befindet – sie kennen weder Jahr, Monat noch Wochen – und ideologisch in einem vorchristlichen Zustand lokalisiert zu sein scheint. Wiederholt ist konstatiert worden, daß Gerald ein Zivilisationsschema entwirft, das an der Stufenfolge Wald – Dorf – Stadt orientiert ist.236 Aus der Sicht des englischen Hofbeamten bildet somit schon die Agrikultur eine überholte Kulturstufe, während die Iren noch in einem wilden animalischen Zustand verharren: »Dieses Volk aber ist ein wildes Volk, ein ungastliches Volk, ein Volk, das allein von Tieren und auf tierische Art lebt; ein Volk, das von der ersten pastoralen Form des Lebens sich nicht entfernt hat.«237 Die sichtbare Trennscheide ökonomischer Praxis – pastoralitas-cultura – gerät den gelehrten 234 Erant autem in ea homines duo, nudis omnino corporibus, preter zonas latas de crudis animalium coriis quibus stringebantur. Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie III, S. 168; vgl. Bartlett, Gerald of Wales, S. 161f. 235 Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie III, S. 168f. 236 von See, Der Germane als Barbar, S. 40. 237 Est autem gens hec gens siluestris, gens inhospita; gens ex bestiis solum et bestialiter uiuens; gens a primo pastoralis uite uiuendi modo non recedens. Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie III, S. 163; Jones, The Image of the Barbarian, S. 396; von See, Der Germane als Barbar, S. 40. Auch Helmold beschreibt die Kolonisierung des Slavenlandes östlich der Elbe als einen Prozeß der Kultivierung, der eine wilde Region (olim insidiis horrida et pene deserta) nunmehr durch Gottes Gnade gänzlich in eine sächsische Kolonie verwandelt habe (tota redacta est veluti in unam Saxonum coloniam), in der Dörfer und Städte angelegt worden seien. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 110, S. 218.

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Historiographen zur Chiffre einer weitergehenden Bestialisierung. Tiere bilden zum einen die primäre Nahrungsgrundlage. Darüber hinaus werden auch Kleidung, Aussehen, politische Praxis und Psychologie der Fremden aus Tiervergleichen heraus wahrgenommen. Die kleine Szene bildet wohl weniger Realität ab, als daß sie den anglonormannischen Kolonialismus als kulturelle Wohltat inszeniert.

4.4 Missionierung und Domestizierung Die Bewertung fremder Völker weist noch weiter über einen rein ökonomischen Befund hinaus, wenn die Kolonisatoren, Missionare und Eroberer zugleich scharf die Differenz in politischen Strukturen, ethischem Verhalten und religiöser Kultpraxis notieren.238 Offenbar trifft der Feudalstaat mit seinen sich entwickelnden Ordnungsstrukturen und protoinstitutionellen Verhaltensregeln auf anders strukturierte politische und soziale Organisationsformen: Dezentral organisiert, verweigern die Fremden die Einordnung in eine Lehenspyramide oder in eine soziale Ordnung, wie sie im Organismusmodell entworfen wurde. Rivalität kennzeichnet in nicht gekanntem Ausmaß das Verhältnis der zahlreichen autonomen Clans; die Heiratspraktiken scheuen offenbar aus der Perspektive der Kleriker vor inzestuösen Verbindungen nicht zurück, und auch Regeln politischer Ethik und Bündnisverpflichtung gelten nur sporadisch, und noch die religiöse Bedeutung von cultura, die Verehrung, wird instrumentalisiert.239 Eine militärische Ethik gar, etwa Schonung des besiegten Gegners, scheint nicht zu existieren. Die Fremden, vor allem Slaven und Iren werden aus der Sicht gefestigter politischer Ordnung als unkalkulierbar, vertragsbrüchig und hinterhältig beschrieben und sichtbar wird an den benachbarten Fremden ein konstitutiver Mangel sozialer Regulierung beklagt. Zusammen mit der pastoralen Ökonomie wird all das in einen Horizont wilder Lebensführung gerückt, einer allzu großen Nähe zum Tier: rivalisierende Gewaltdynamik, Subsistenzsicherung durch Raub, sodomitische Filiation (pecudum more; bestialitas), instabile politische Ethik (exlex), ungehemmte Grausamkeit (ferocitas), schließlich barbarisch religiöser Ritus: All diese Zuschreibungen nähern die fremden Iren weiter dem Tierstatus an und legitimieren umso mehr die Kultivierungs-, d. h. Er238 Bartlett, Gerald of Wales, S. 162–170; Boivin, L’Irlande au Moyen Âge, S. 114–117. 239 Bereits Thietmar sieht nicht nur die ›Notwendigkeit‹ der ›Zähmung‹ der Polen, sondern er beschreibt auch den ›animalischen‹ Kult der nahen Liutizen, der durch Tierlose und Tieropfer ausgezeichnet ist: Hominum ac sanguine pecudum ineffabilis horum furor mitigatur. Thietmar von Merseburg, Chronicon, VI, 25. Nach Bosl waren vor allem nomadische, von der Viehzucht lebende Völker auf die soziale Organisationsform der Großfamilie angewiesen. Bosl, Die »Familia« als Grundstruktur, S. 409f.

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oberungshaltung der Anglonormannen.240 Weniger als unselbständiges ›Vieh‹ wie im theologischen Diskurs, vielmehr als bedrohliche Raubtiere präsentieren sich die Fremden dem politischen Blick. Der metonymische Befund der tiernahen Lebensform wird um einen metaphorischen der Verwilderung ergänzt. An der Nahtstelle fremder Kulturen greifen die Kleriker immer wieder auf den Tiervergleich zurück. So heißt es bei Helmold von den Slawenfürsten Pribislaw und Niklot: »Diese waren nun zwei wilde Bestien, erbitterte Feinde der Christen.«241 Und auch die Rügener werden bei ihm auf diese Art gekennzeichnet.242 Dem landwirtschaftlichen Kultivierungsprogramm wird ein auf den Menschen übertragenes Domestizierungsprogramm an die Seite gestellt. Wie der wilde Raum bedürfen auch dessen wilde Bewohner – crudelitas ingenita – eines besonderen Zugriffs.243 Deshalb ist die Domestizierungsmetaphorik konstitutiver Bestandteil der östlichen Kreuzzugshistoriographie, insbesondere der Mission der Slaven, deren tierische Wildheit durch das Schwert gezähmt werden muß.244 Dort, wo innere Streitigkeiten die Kräfte binden, bricht die Wut der Slaven mit entfesselten Zügeln hervor.245 In diesem Sinn beklagt Arnold von Lübeck die Verbannung Heinrichs des Löwen, der territoriale Sicherheit dadurch hergestellt hatte, daß »er nicht nur den benachbarten, sondern auch ausländischen und barbarischen Nationen die Zügel seiner Herrschaft angelegt hatte […].«246 Helmold von Bosau beschreibt die Christianisierung des nordelbischen Raums als komplexen Prozeß, in dem zum einen Missionierung als geistliche 240 Wenn der »Ligurinus« den Feldzug Barbarossas gegen das abtrünnige Polen beschreibt, wird auch den östlichen Nachbarn durch den gelehrten Kleriker der stereotype Stempel aufgedrückt. Guntheri Poetae Ligurinus VI,22–42. 241 Fueruntque hii duo truculentae bestiae, Christianis valde infesti, Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 52, S. 196. 242 Ebd. Cap. 108, S. 212. Als Schafe unter Wölfen, so umschreibt Arnold von Lübeck den Zug der Christen ins feindliche Gebiet der Heiden. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum IV,4,13. 243 Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 52, S. 103. So schreibt Thietmar von den nur schwer in Schach zu haltenden Polen: Populus enim suus more bovis est pascendus et tardi ritu asini castigandus et sine poena gravi non potest cum salute principis tractari. Thietmar von Merseburg, Chronicon VIII,2. 244 Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 3, S. 9 (ferro perdomuit); Lotter, Die Vorstellung vom Heidenkrieg, S. 15. 245 Super omnia autem Slavicus furor propter occupationes Saxonum veluti ruptis loris effervescens […]. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 56, S. 109. 246 non solum finitimas, sed etiam barbaras et extraneas regiones ita freno sui moderaminis constrinxerat, […] Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum III,1, MGH SS 21, S. 142. Wie Herrschaft über die Slaven auszusehen hat, beschreibt Helmold unter Rekurs auf das Alte Testament am Beispiel des Dänenherzogs Waldemar, der die Kraft der Slaven (robur Slavorum) bricht, et misit frenum in maxillas eorum et quo voluerit declinat eos. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 109, S. 380.

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Pflanzung, zum andern ökonomische Erschließung als reale Kultivierung, schließlich politische Eroberung als Domestizierung ineinandergreifen: Auf allen drei Ebenen ist Wildnis konstitutiver Gegenpart der Kolonisatoren. Die Domestizierung zielt auf innere und äußere Eigenschaften der Slaven. So ›bekehrt‹ der Rugianer Jaromir »das rohe und in tierischer Wildheit zügellose Volk teils durch beständige Predigt, teils durch Drohungen von seiner angeborenen Wildheit zum neuen Glauben.«247 Auch in Arnolds von Lübeck Beschreibung der Missionierung Livlands greifen religiöse, ökonomische und politische Kultivierung ineinander, obgleich hier nicht Wildnis, sondern fruchtbares Territorium der Besetzung harrt. Mit Eifer gehen die Geistlichen, »das Wort Gottes säend,« ans Werk, »daß die Saat Christi fruchtbringend aufginge und des Teufels Unkraut durch reine Ernte ersticke […]: Da dieser Ort wegen der Güte des Bodens an allen Erzeugnissen reich ist, so fehlte es dort nie an christlichen Ansiedlern und der jungen Kirche nie an Pflanzern.«248 Der Abt Bertold zieht schließlich noch einige Adelige an: So »schmückten sich mehrere hochgestellte und edelgeborene Männer mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes, und machten sich, um die Scharen der Heiden zu überwinden, oder vielmehr um sie unter das Joch Christi zu beugen, zur Pilgerfahrt auf den Weg.«249 Kultivierungsethos und die Tendenz, den Gegenpart als verwildert hinzustellen, scheinen wechselseitig aufeinander angewiesen zu sein. Ottos von Freising kulturhistorischer Befund aus den Zeiten des Ninus erweist sich zugleich als synchroner. In kaum einer Chronik fehlt der Tiervergleich. Schon an der Peripherie des eigenen Kulturraumes beginnen für den Kleriker die ökonomischen, sakralen, politischen und moralischen Grenzen zwischen Mensch und Tier fließend zu werden.

247 gentem rudem et beluina rabie sevientem partim predicacione assidua, partim minis ab innata sibi feritate ad novae conversacionis religionem […]. Ebd. Cap. 108, S. 372. Boemos et Surabos […] edomitos […]. Ebd. Cap. 8, S. 19. domitis barbaris gentibus. Ebd. Cap. 46, S. 91. Auch die Holsten (gens enim libera et cervicosa, gens agrestis et indomita) werden mit Klugheit unter das Friedensjoch (iugum pacis) gebracht, und der Chronist feiert die geistige Überlegenheit des Grafen Adolf II. als Domestizierungsakt: quousque duceret sub lorum illos, inquam, onagros indomitos. Ebd. Cap. 67, S. 129. 248 qui verbi Dei semina spargentes […] ut seges Christi fructuosa consurgeret et multa messe diaboli zizania suffocaret. […] Et quia idem locus beneficio terre multis bonis exuberat, nunquam ibi defuerunt Christi cultores, et novelle ecclesie plantatores. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum V,30, MGH SS 21, S. 210f; Die Chronik Arnolds von Lübeck, S. 253f. 249 nonnuli sublimes et nobiles signaculo sancte crucis insigniti, ad deprimendas gentilium vires, vel potius ad cultum Christi perdomandas, iter peregrinationis arripiunt. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum, S. 211; Die Chronik Arnolds von Lübeck, S. 255.

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4.5 Ethnographie der Alexanderliteratur Die beschriebenen theologischen, ›wissenschaftlichen‹ und ethnographischen Kulturvorstellungen finden im literarischen Feld ihren je besonderen Reflex. Infrage steht in diesem Zusammenhang zunächst das Verhältnis diskursiver Partien zu den besonderen Verfahren literarischer Gestaltung, mithin die pragmatische Funktion von Literatur. Gerade die mittelalterliche Literatur nimmt in dieser Hinsicht eine Zwischenstellung ein, dient sie doch vielfach der Wertevermittlung, der sachlichen Information, der Unterhaltung und kritischen Reflexion gleichermaßen. In bezug auf ihre pragmatische Dimension ist die Rezeptionssituation vorautonomer Kunst wie der mittelalterlichen vielfach durch typisierte Gebrauchssituationen gekennzeichnet.250 Die Rezeption antiker Literatur etwa erfolgt im Mittelalter sichtbar unter christlichen Prämissen, d. h. sie wird einem aktuellen ethischen und bisweilen heilsgeschichtlichen Horizont angepaßt. In volkssprachigen Adaptationen tritt daneben ein spezifisches Interesse an politischen Konstellationen und an heroischen Formen der Gewaltartikulation.251 Desungeachtet transportieren die antiken Texte ihrerseits umfangreiches ›kulturelles Wissen‹, das seinerseits auf das christliche Kultur- und feudale Wertesystem einwirkt. Die historisch soziokulturelle Situation, in die jede literarische Inszenierung eingebettet ist, organisiert dabei auf komplexe Art weite Teile der Narration. Speziell die Alexanderepik kann hier als exemplarisches Demonstrationsfeld dienen. Nicht nur verteilt sich die Überlieferung auf das gelehrte und volkssprachig-feudale Milieu gleichermaßen, so daß sich rivalisierende Diskursformationen im literarischen Feld am gleichen stofflichen Entwurf einander konfrontieren lassen.252 Vor allem die lateinische Alexanderliteratur integriert bisweilen ein hohes Maß argumentativer und deskriptiver Darstellungsformen wie Brief, ethnographische Beschreibung, Dialog und Rede und nivelliert dadurch bereits die Grenzen von diskursiver Darstellung und literarischer Inszenierung.253 Dadurch, daß der plot mitunter hinter den diskursiven Erörterungen verschwindet, wird das pragmatische Interesse offensichtlich. 250 Warning, Der inszenierte Diskurs, S. 197, 190. 251 Haug, Struktur und Geschichte, S. 131ff. 252 Offenbar versichern sich Kleriker- wie Feudalkultur am gleichen historischen Material ihrer jeweiligen Grundwerte. Vgl. Kapitel IV,1 zum Straßburger Alexander. 253 Geradezu exemplarisch demonstriert dies die spätantike Fassung des Alexanderromans von Julius Valerius (»Res gestae Alexandri«; 4. Jh.). Aber auch die mittelalterlichen Adaptationen wie die verschiedenen Fassungen der »Historia de preliis« (J1/2/3), die primär auf die »Valerius-Epitome« und auf die »Nativitas […] Alexandri« des Archipresbyter Leo (10. Jh.) zurückgehen, zeichnen sich durch zusätzlichen Rückgriff auf verschiedene historiographische Quellen (z. B. Orosius, Curtius Rufus) und anderweitige Streuüberlieferung aus.

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Der Alexanderroman, vor allem in seinen verschiedenen lateinischen Entwürfen, gilt den mittelalterlichen Rezipienten als historiographische Quelle, die auf Sachgehalte ganz unterschiedlicher Art hin ausgewertet werden kann.254 Die Ausgliederung verschiedener Teile des Romans, etwa die ethnographisch verstandene »Epistola Alexandri Magni« oder der ›kulturtheoretische‹ Briefwechsel zwischen Alexander und Dindimus bezeugen gleichermaßen solch pragmatische Instrumentalisierung. Der Zug in den Osten: Barbaren – Tiere Auf den politischen Sieg über den Perserkönig folgt mit dem Zug gegen die Inder die paradigmatische Konfrontation mit dem Fremden. Stärker noch als in der ersten Hälfte des Romans, die einem biographischen und politisch-militärischen Entwurf folgt, wird die Narration hier durch eine kontingente Episodenreihung strukturiert: Behauptung gegen widrige Naturkräfte, Kampf gegen Porus, Begegnung mit den Brahmanen und den ›wilden Menschen‹, ethnographische Begegnungen etc. Das Animalische ist hier rekurrentes Element der Darstellung.255 Gleich zu Beginn schon artikulieren die makedonischen Soldaten ihren Unwillen, Länder zu betreten, in denen Tiere wohnen.256 Die gelehrte mittelalterliche Alexandertradition übernimmt aus dem antiken Entwurf nicht nur die genealogische Problematisierung Alexanders, sondern auch die Bestialisierungsstrategie gegenüber dem Fremden, sie nimmt sie indes nicht mehr aus der Perspektive eines griechischen Überlegenheitsgestus in den Blick. Auf die provokative und hybride Herausforderung des Inders Porus reagiert Alexander seinen Soldaten gegenüber schon in der Version des Archipresbyters Leo mit einem Argument, das nur noch die animalische Naturkraft der Inder hervorhebt: Ich sage euch die Wahrheit, alle Barbaren haben die gleiche Gemütsstimmung, deshalb sind sie den Tieren ähnlich, dem Tiger, dem Panther oder den übrigen; wie die Tiere vertrauen sie deshalb auf ihre wilde Stärke, verfügen von daher über Tapferkeit und werden selten von Menschen getötet. 254 Dafür spricht die beobachtete Integration des Romans in historiographische Zusammenhänge. Vgl. Schnell, Liber Alexandri Magni, S. 30–45. 255 Sichtbar etwa daran, daß sich aus dem Zug gegen den Orient durchaus eine naturkundliche Übersicht über die wundersamen Völker (monstruosis hominibus) extrapolieren ließ. Vgl. Thomas von Cantimpré, Liber de natura rerum III. 256 in quibus bestiae habitant. Archipresbyter Leo, Nativitas […] Alexandri III,2, S. 102. Gervasius von Tilbury beschreibt die zentralen Stationen Alexanders folgendermaßen: De Alexandro legimus, quod in Occidente timebatur, & cum totum occupasset orientem, etiam in aërem invasit, marisque tentavit profundum, & usque ad permissos à Deo terminos terram tunc à monstruosis animantibus habitatam intravit. Gervasius von Tilbury, Otia Imperialia I,10, S. 891.

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Veritatem dico vobis, quia omnes barbari communem sensum habent; adsimilati sunt bestiis** videlicet tigri, pardo et ceteris aliis; bestiae itaque confidentes in agresti virtute sua habent exinde audaciam et raro occiduntur ab hominibus.257

Bezugspunkt der Kritik ist nunmehr eine allgemein akzeptierte Differenz zwischen Europäern und Barbaren.258 Zusätzlicher Erklärungsbedarf stellt sich offenbar in der späteren Adaptation der »Historia de preliis« (J1) ein: »alle Barbaren sind wie die Tiere, die mit ihnen im Land wohnen.«259 Deutlich wird hier eine Anspielung auf die Klimatheorie, nach der die geographische und die klimatische Umgebung prägenden Einfluß auf den Charakter der Bewohner haben. Eingezogen wird die Unterscheidung von Mensch und Tier, die im Zug durch Indien auch in der Folge immer wieder nivelliert wird. Der Kampf gegen die Natur wird vor allem in ihren animalischen Repräsentanten sichtbar. Bereits die erste Schlacht gegen Porus erweist sich als Kampf gegen Barbaren und ihre animalischen Hilfstruppen zugleich, gegen Elefanten, »mit denen die Inder in den Krieg ziehen.«260 Den Aufmarsch der indischen Truppen beobachten die Makedonier besorgt angesichts der Unzahl von Menschen und Tieren, die sich ihnen entgegenstellt.261 Ist die enge Assoziation von Mensch und animalischer Naturkraft syntagmatisch nur Anlaß, die überlegene Erfindungskraft Alexanders zu demonstrieren, der durch eine Reihe von glühenden Standbildern die Elefanten täuscht und letztlich gegen die indischen Truppen selbst lenkt, so markiert sie paradigmatisch grundsätzlich das kulturelle Gefälle zwischen Europäern und den Fremden. Die Schlacht gegen die Inder markiert den Übergang von einer Welt regulärer Schlachten in eine 257 Archipresbyter Leo, Nativitas […] Alexandri III,2, S. 104. Im antiken Text markiert die Wahl der Vergleichsebene den Grad des Überlegenheitsgefühls, entspricht es doch dem griechischen Kulturbewußtsein, daß Fremde als Barbaren und damit als Tiere markiert werden: sicuti enim ferae istae bestiae quae apud ipsos sunt plurimae, pardi videlicet et leones elephantique, solo illo naturae suae fretae impetu et corporis alacritate facile hominum sapientia subiugantur, itidem hosce barbaros intellegetis fiducia multitudinis fretos, nulla tamen praeditos imperatoria Graecave sapientia, perfacile mox in dicionem nostram esse venturos atque itidem prudentia nostra ad perniciem sui vti posse, ut in feras est facilis hominibus effectus. Julius Valerius, Res gestae Alexandri III,2. 258 Jones, The Image of the Barbarian, S. 378–381; vgl. Schneider, Der Barbar, S. 21f. 259 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 74; omnes barbari communem sensum habent cum bestiis, cum quibus terram inhabitant; Historia de preliis J1, Cap. 79, S. 202. 260 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 75; cum quibus Indi pugnare soliti erant. Historia de preliis J1, Cap. 80, S. 203; Archipresbyter Leo, Nativitas […] Alexandri III,3, S. 105; Julius Valerius, Res gestae Alexandri III,3. Die Fassung J2 der »Historia de preliis« (Cap. 77, S. 8) bietet einen analogen Fall, in dem sich Alexander im Krieg gegen die Albaner gegen deren Kampfhunde zu behaupten hat. 261 […] expavescentes turbati sunt non tantum propter plenitudinem hominum, quantum propter plenitudinem bestiarum. Historia de preliis J1, Cap. 80, S. 204.

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Region, die vor allem durch Zerrbilder der Natur gekennzeichnet ist. Bereits der Zweikampf zwischen dem körperlich überlegenen Porus – er »vertraute auf seine Körpergröße« – und dem listigen Alexander funktioniert vor dem Hintergrund der Opposition von roher Kraft und erlernter Fertigkeit.262 Die Begegnung mit den Brahmanen leitet bereits bei Julius Valerius und bei Leo das ethnographische Thema ein, unter dem die folgenden Episoden aus dem Brief Alexanders an Aristoteles gelesen werden müssen.263 In der Tradition dieses auch separat überlieferten Briefes steht Alexanders Zug unter der Perspektive der Erkundung und Eroberung einer fremden widrigen Welt. Cizek spricht zu Recht von den »außerordentlichen, wunderbaren Erscheinungen des unbewohnten Landes«, auf die der »als Kulturheros einwirkende Alexander« trifft.264 Die Szenenfolge des Romans, so zufällig und unabschließbar additiv sie auch erscheinen mag,265 impliziert dennoch paradigmatische Korrespondenzen. Sowohl in ihrer eigenen Komposition als auch im Kontext des Romangeschehens ergeben sich vielfältige Bezüge. Während Julius Valerius eine kleine Ethnographie des Fremden unter naturgeschichtlichem Aspekt bietet, reduziert der Archipresbyter Leo das Geschehen auf eine karge Ereignisfolge. Die »Historia de preliis« dagegen paßt den Briefinhalt dem Rahmengeschehen an, indem sie ihn in die Porushandlung einflicht. Gemeinsames Kennzeichen scheint die Begegnung mit einer monströsen Welt zu sein. Die lose Reihung der Episoden mündet immer wieder in dieser Figur. Die Verfolgung des Porus führt Alexanders Heer in eine verdrießliche Situation. Während des Marsches versiegt die Trinkwasserversorgung, so daß sich das Heer auf die Suche nach einer Wasserquelle begibt. Weder stellt die Natur jenseits der bekannten Welt ausreichende Ressourcen zur Verfügung, noch verhält sie sich in ihren Geschöpfen friedfertig. Nachdem Alexander zunächst auf einen Salzwasserfluß trifft, in dem zudem noch seine Soldaten von Flußpferden gefressen werden, gelangt er in der Folge an einen nahe gelegenen Süßwassersee.266 Die Szene am See stellt in der Komposi262 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 83; confidensque in altitudinem corporis sui; Historia de preliis J1, Cap. 89, S. 214. 263 Die »Epistola Alexandri« ist auf verschiedene Art tradiert: sowohl in separater Form als auch in Überlieferungssymbiose mit der »Collatio Dindimi« und in Verbindung mit der »Valerius-Epitome«; sodann ist sie in die »Res gestae Alexandri« des Julius Valerius, in Leos »Nativitas […] Alexandri« und in die »Historia de preliis« inseriert. Vgl. Epistola Alexandri ad Aristotelem, S. III-XXI; Romm, Alexander, Biologist, Oriental Monstrosities and the Epistola Alexandri ad Aristotelem, S. 16–30. 264 Cizek, Ungeheuer und magische Lebewesen, S. 80. 265 So Haug zum »Straßburger Alexander«. Struktur und Geschichte, S. 136. 266 In der antiken Version des Julius Valerius trifft Alexander auf eine Säule mit einer Inschrift, die der ägyptische König Sesonchosis verfaßt hat: ›aquationem hanc rex Sesonchosis

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tion der Episoden ein Gegenbild zur vorausgehenden dar.267 Wenn die versammelte einheimische Tierwelt – Reptilien, Vierfüßler, Vögel – in der Nacht Zuflucht zu dem See sucht, dokumentiert das weniger den Sachverhalt, daß selbst die Naturwesen das lebensspendende Reservoir zu nutzen verstehen, als vielmehr erneut die Notwendigkeit der Selbstverteidigung gegen widrige Naturkräfte.268 Sich in diesem Kampf behaupten zu müssen, führt dazu, daß das Heer nunmehr gegen Tiere und homines agrestes Aufstellung bezieht.269 Indem die Mittel der Kriegsführung gegen Tiere in Anschlag gebracht werden, hat sich zwar der Typus des Feindes verändert, doch muß auch hier der oberste Repräsentant besiegt werden.270 Entsprechend stellt sich bei den Soldaten Stolz ein: »Die Soldaten Alexanders faßten wieder Mut wegen der glücklichen Siege, die sie über die Tiere errungen hatten.«271 In abgewandelter Form wiederholen sich in der Folge derartige Ereignisse: Kämpfe gegen wilde Tiere, Begegnungen mit wundersamen Völkern, offenbar wilde Frauengemeinschaften (pellibus vestite), die von der Jagd leben.272 Auf dem freien Feld treffen sie auf Männer und Frauen, die behaarte Körper wie Tiere haben – habentes corpus totum pilosum sicut bestie –, sogleich darauf auf Kynokephali.273 Nach der Begegnung mit den Gymnosophisten muß Alexander eine Attacke von homines agrestes überstehen und trifft darauf einen vereinzelten Waldmenschen mit großem und behaartem Körper wie

orbis universi praestiti cunctis Rubrum navigantibus mare.‹ Julius Valerius, Res gestae Alexandri III,17; vgl. Ps.-Callisthenes III,17, S. 122. Hier steht der natürliche Salzfluß gegen den künstlich angelegten See, der zur Erquickung der Seefahrer angelegt wurde. In der »Epistola«-Tradition, in der »Historia de preliis« und in den volkssprachigen Versionen fehlt dieser Hinweis. Sesonchosis wird als der Vorläufer Alexanders in der Weltherrschaft bezeichnet. Vgl. Merkelbach, Die Quellen des griechischen Alexanderromans, S. 146. 267 Cizek, Ungeheuer und magische Lebewesen, S. 80, sieht die Szene am Süßwassersee eher in bezug auf die Abschlußszene der prophetischen Bäume. Gegenüber stehen sich demnach apokalyptische und paradiesische Szenerie. 268 Exierant enim ex ipsis montibus et veniebant ad bibendum ex ipsa aqua. Historia de preliis J1, Cap. 87, S. 211. Julius Valerius, Res gestae Alexandri III,19. 269 Videntes autem hoc milites eius confortati sunt valde apprehendentesque armas ceperunt et illi similiter pugnare cum eis. Historia de preliis J1, Cap. 87, S. 211. Die Schlacht mündet in der Tötung eines seltsamen Tieres (odontetiranno). 270 Valerius spezifiziert das Tier, quod regnum quidem tenere in hasce bestias dicitur. Res gestae Alexandri III,17. 271 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 83; Milites enim Alexandri ceperunt habere fortem animum propter victorias et prospera, que habuerunt ex ipsis feris. Historia de preliis J1, Cap. 88, S. 213. 272 ›Quia ex venatione ferarum vivimus et sumus semper in silvis.‹ Ebd., Cap. 94, S. 218. Eine andere Fassung fügt hinzu: Sie waren ausgezeichnete Jägerinnen; für die Jagd halten sie wilde Tiere statt Hunde. 273 Ebd., Cap. 95, S. 218.

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Wilder Mann. Universitätsbibliothek Leipzig, HS Rep. II. 4°. 143.

ein Schwein – homo agrestis corpore magnus et pilosus ut porcus –, dem er sich in der »Historia de preliis« mit fast ethnographischem Interesse widmet, ehe er ihn töten läßt.274 Die sich anschließenden Episoden inszenieren weitere Widrigkeiten der Natur, die nun aber einen anderen Typus, nämlich meteorologische Phänomene darstellen.275 Über das Heer fallen Dunkelheit, Sturm, Schnee und Regengüsse herein, die nur unter Aufwendung aller Kräfte gemeistert werden können,276 der Schnee wird durch Niedertreten bekämpft, gegen die Dunkelheit werden die Götter angerufen. All die Strapazen werden aber überwunden, der Natur als Gegenkraft wird standgehalten.277 Die Eroberungshaltung, wie sie im politischen Kontext funktioniert, setzt sich auch gegen die Instanz der Natur durch.

274 Ebd., Cap. 103f., S. 236f. [Qui] cum vidisset eum Alexander, miratus est valde in figura eius et continuo precepit illum ligari et occidi in ignem. Factumque est. Ebd., S. 237f. 275 Ebd., Cap. 96f., S. 218f.; vgl. Julius Valerius, Res gestae Alexandri III,17. 276 Im antiken Text gibt es eine signifikante Technik des Überlebens: gegen den Sturm, der die Zelte umwirft, flüchtet man sich in eine benachbarte Stadt[!]: nisi quod properanter sarcinis strictis ad tutiora oppidi concursamus. Julius Valerius, Res gestae Alexandri III,17. 277 Für Valerius vertritt der Brief Alexanders den Herrschaftsanspruch über die Natur, der sich an den politischen anbindet. Der Antwortbrief des Aristoteles, den Valerius an späterer Stelle überliefert, thematisiert gerade diesen Aspekt: […] quippe quem sciam non bellorum modo discrimina evasisse, verum temporum quoque et caeli difficultatibus non cessisse. ex quibus colligere admodum facile est ambigendum utrumne te prudentiae viribus an tolerantiae fortitudine magis praedicem. Julius Valerius, Res gestae Alexandri III,27.

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Kulturtheoretischer Disput: Gymnosophisten Die Begegnung Alexanders mit den ›natürlichen Philosophen‹ bildet einen in sich abgeschlossenen Komplex. Sie findet sich sowohl in separater Überlieferung wie auch als Bestandteil des Alexanderromans. Das Treffen vollzieht sich in der Überlieferung in verschiedenen Stufen: einem Gespräch Alexanders mit den Okzydratern über deren Lebensform; einem inquisitorischen Frage-Antwort-Spiel und einem Briefwechsel zwischen Alexander und Dindimus. Die einzelnen Ausgestaltungen sind in der Überlieferung bekanntlich durch ganz unterschiedliche weltanschauliche Hintergründe geprägt. So existiert eine ›historische‹ Überlieferung (Megasthenes), die sich gegen eine bereits umlaufende kynische Verzeichnung um die verifizierbaren Daten bemüht. Letztere bezieht sich auf den Bericht des Onesikritos, eines Schülers des Diogenes, und stilisiert im Briefwechsel zwischen Dindimus und Alexander die Begegnung zu einer philosophischen Disputation über das rechte Leben. Auf der kynischen Version basiert die christianisierte Fassung der Begegnung in der »Commemoratio Palladii«, die sowohl in griechischer wie in lateinischer Überlieferung vorliegt.278 Verfolgen die kynische und die christliche Version eine gemeinsame Tendenz, indem sie Alexander durch die weisen Philosophen belehren lassen, gestaltet eine weitere Fassung, die lateinische »Collatio Dindimi«, die Begegnung zu einem kulturtheoretischen Disput, in dem Alexander erfolgreich eine kulturstiftende Haltung vertritt.279 In der Folge beschränke ich mich auf die Version der »Historia de preliis« J1, da in ihr ein für das vorliegende Thema paradigmatischer kulturtheoretischer Disput vertreten ist. Sie wird indes weniger auf ihre stoffgeschichtlichen Traditionen befragt als auf ihre kulturellen Rahmenbedingungen. Im Handlungszusammenhang des Romans bildet die Konfrontation Alexanders mit den Gymnosophisten gegenüber der bis dahin wirksamen militärischen

278 Über die historischen Hintergründe und die griechische, kynische Version (2. Jh.), die im Genfer Papyrus inv. 271 vorliegt, informiert Hansen, Alexander und die Brahmanen, S. 251– 280; Becker, Die Brahmanen in der Alexandersage, S. 1–34; Pfister, Das Nachleben der Überlieferung von Alexander und den Brahmanen, S. 53–79. Zur christlichen Palladios-Version, die in die Version A des griechischen Alexanderromans eingegangen ist und in lateinischer Bearbeitung unter dem Namen des Ambrosius lief, vgl. The Brahman Episode. St. Ambrose Version; Schwarz, Alexanders Gespräch mit den Brahmanen, S. 1–16; Kragl, Die Weisheit des Fremden, S. 165–293. 279 Bereits innerhalb der griechischen Romantradition fällt die Darstellung der Begegnung ganz unterschiedlich aus. In der von Ausfeld über die Handschrift A, die syrische und armenische Übersetzung rekonstruierten ›Urfassung‹ ist sie nur knapp, überdies mehr als Weisheitskonkurrenz gestaltet, in A selbst ist die »Commemoratio Palladii« eingeschoben, in L schließlich (ed. Thiel), einer Fassung aus dem 15. Jahrhundert, zeichnen sich bereits deutlich die Umrisse einer Kulturdiskussion ab.

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Konfrontation eine diskursive Verhandlung des Fremden.280 Sie besitzt paradigmatischen Wert. Zum einen konfrontiert sie antike und christliche Ethiken und Kulturauffassungen miteinander. Zugleich legt sie kulturspezifische Differenzen innerhalb des mittelalterlichen Christentums selbst offen. Somit realisiert der Disput nicht nur eine politisch brisante Konfrontation des Weisen mit dem Mächtigen, sondern vor dem Hintergrund des beschriebenen Diskursfeldes rivalisierende christliche Konzepte. Gegen eine ›Kultur‹ der Natur wird eine ›Natur‹ der Kultur in Anschlag gebracht. In fünf Briefen diskutieren Alexander und Dindimus die unterschiedlichen Grundlagen und Zielsetzungen ihrer jeweiligen Kultur.281 Schon hier nähert sich Alexander als Erkunder fremder Sitten und fremder Weisheit und nicht als Eroberer. Die Nachricht von ihrer ›besseren‹ Lebensform stellt eine Herausforderung für den lernbegierigen Eroberer dar. Die Brahmanen senden Alexander eine Briefantwort entgegen, die seinen vermeintlichen Absichten die Spitze nehmen soll. Thema ist die perfecta sapientia,282 die Konkurrenz unterschiedlicher Auffassungen von Lebensweisheit. Sofort wird die Differenz und Unvereinbarkeit, ja die Inkompatibilität der beiden Kulturformen thematisiert. Dennoch versucht Dindimus in der Folge, seinen Standpunkt zu explizieren: »Wir Brahmanen führen ein schlichtes und lauteres Leben, wir sündigen nicht und wollen nicht mehr haben, als die Sorge für unsere Natur uns gebietet.«283 Die Diskussion kreist um die klassischen kulturtheoretischen Pole Notwendigkeit – necessarium – und Überfluß – superflua.284 Abgelehnt werden alle Arten von Kulturtechniken wie Pflügen, Säen, jegliche Instrumentalisierung von Tieren, Techniken wie Fischen, Jagen und Getreideanbau. Die artes mechanicae gelten in dieser Perspektive sichtbar als Verfallsprodukt. Die Lebensweise der Brahmanen ist strikt naturverbunden, und ihr Verhältnis zur Natur genealogisch fundiert: Sie wünschen nichts anderes, »[…] als Mutter Erde ohne Zutun des Menschen hervorbringt.«285 Die Natur als leitendeVorsorgeinstanz bewahrt vor Überfluß und Maßlosigkeit – 280 Zum rhetorischen Hintergrund vgl. Cizek, Zur literarischen und rhetorischen Bestimmung, S. 111–136. 281 Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 107–110; vgl. Kirsch, Das Reich des Dindimus, S. 71–75. Kirsch betrachtet primär die utopischen Entwürfe der Lebensform. Der Diskussionscharakter des Gesprächs und die spezifischen Argumente Alexanders werden nicht analysiert. 282 Historia de preliis J1, Cap. 99, S. 221. 283 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 90; Nos enim Bragmani simplicem et puram vitam ducimus, nulla peccata facimus et non volumus plus habere, nisi quantum ratio nostre nature est. Historia de preliis J1, Cap. 99, S. 222. 284 Illud dicimus esse necessarium, quod non est superfluum. Ebd.; vgl. Plato, Politeia II,10–14; Seneca, Epistola ad Lucilium 90. 285 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 91; nisi quam mater terra producit sine hominis laborem. Historia de preliis J1, Cap. 99, S. 222.

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extensio ventris –, so daß weder Krankheit noch Medizin existieren: »Wir bereiten uns auch keine Heiltränke […].«286 Gegen die medizinische Diätetik als Lehre von der gesunden Ernährung wird das Maß der Natur ins Feld geführt. Mithin gilt der Tod ebenso als natürliches Ereignis wie das Ertragen von Schmerzen und Witterungswidrigkeiten. Resultat ist ein naturbezogener Asketismus, der den nackten Menschen – nudo corpore – nicht als Mängelwesen begreift, sondern als bedürfnisloses Wesen, das im Einklang mit der Natur steht: das mater-natura-Modell.287 Der äußeren Genügsamkeit entspricht indes eine offensive Haltung gegenüber den inneren Anfechtungen, den desideria corporis.288 Ganz im monastischen Verständnis ist der Körper der Feind, gegenüber dem eine Haltung des Krieges einzunehmen ist. Ist die Einstellung der Brahmanen durch patientia ausgezeichnet, so wird Alexanders kriegerischer Charakter umgekehrt auf eine unfriedliche körperliche Verfassung zurückgeführt.289 Im Hintergrund steht die Physiologie der Körpersäfte, d. h. die Störung des Gleichgewichts unter den Säften, die negative Auswirkungen auf den Körper und letztlich auf den Gesellschaftszustand zeitigt. Es folgt die natürliche Diätetik der Brahmanen, die sich mit Zweigen bekleiden, von Früchten ernähren, allein Wasser und Milch trinken. Die Wechselwirkung von Körperdisposition, Ethik und Klima geht daraus hervor, daß die Handlungen der Brahmanen keine negativen Effekte auf die Umgebung zeitigen: »Eines plötzlichen Todes sterben wir nicht, weil wir die Luft nicht durch unreine Taten verpesten.«290 Das kann sowohl sündentheologisch als auch humoralpathologisch wörtlich verstanden werden und verweist noch einmal auf die vorausgesetzte Wechselwirkung von Moral und Umwelteinfluß. Zur Anpassungsstrategie an die Natur gehört für die Gymnosophisten mitunter auch die Ausschaltung von Zweckrationalität: »Frieden ist uns zur Gewohnheit geworden, ist nicht unser Verdienst.«291 Der soziale Friede wird

286 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 91; Nullam medicinam nobis facimus Historia de preliis J1, Cap. 99, S. 222. 287 Ebd., S. 223. Der griechische Alexanderroman des Pseudo-Callisthenes verortet hier Alexander pointierter auf Seiten der Tiere. Auf die Frage Alexanders nach dem listigsten Geschöpf (callidior bestia) antworten die Brahmanen: Hic vero cum risu hominem esse pronuntiant, adduntque rationem de exemplo sui, qui solus tot animantium milia illexisset, ut ad persequenda ea, quae aliis essent, praedae cupiditate laborarent. Ps.-Callisthenes, S. 100. 288 Historia de preliis J1, Cap. 99, S. 223. 289 Tu autem imperator omnia ista vince et istos inimicos, quos intra corpus habes. Ebd., S. 223. 290 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 92; Subitam mortem non patimur, quia per sordida facta ipsum aerem non corrumpimus. Historia de preliis J1, Cap. 99, S. 224. 291 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 92; Pacem habemus per consuetudinem non per virtutem. Historia de preliis J1, Cap. 99, S. 223.

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zur Natur.292 Basis des Lebens ist nach dem Grundsatz consuetudo altera natura die Natur selbst und ihr Komplement Gewohnheit.293 Als Negativfolie folgt dann die Kritik an den entsprechenden Kulturwerten: Reichtum, Waffen, Recht, Geiz, Unzucht, Religion, Schmuck, Herrschaft, Wohnungen, Gräber, Seefahrt und überhaupt alle Arten von Künsten.294 Selbst die Unterhaltung – Ludos nullos amamus – beschränkt sich auf die Freude an natürlichen Erscheinungen wie Himmel, Sonne und Mond, das Meer oder das Inventar der Natur. Der beschriebenen Selbstgenügsamkeit folgt als Gegenbild eine Skizze der griechischen Kultur, die sich vor allem durch Herrschaft, Luxus, Vielgötterei, Unzucht bzw. durch eine unzulässige Vergöttlichung des Menschen auszeichnet. Aus dem Horizont eines asketischen Christentums zeichnet Dindimus in der Folge ein Zerrbild der griechischen Kultur: ihres expansiven Kolonialismus, ihres Polytheismus, ihrer rhetorisch fundierten Justiz und Politik und ihrer pompösen Memorialkultur. Naturgemäß gilt dem religiösen Ritus das besondere Augenmerk, an dem vor allem Luxus und Blutopfer angeprangert werden. Gegen die immer wieder beschworene ratio naturae entsteht das Bild einer Verausgabungs- und Sinnenkultur, die bis in Ethik und Ritus hinein dem Körper verfallen zu sein scheint. Nicht zufällig werden im Vorwurf der Vielgötterei der Körper und seine Teile an entsprechende Symbol- und Opfertiere gebunden: Götter, Körperteile und Tiere korrespondieren einander: »Wie könnt Ihr nur sagen, über Eueren Leib hätten Gewalt, die nur Gewalt haben über Tiere, die Ihr ihnen opfert?«295 Eine Kultur, die derart eng mit dem Animalischen verbunden ist, bezogen auf die innere Sinnlichkeit des Körpers, auf Opferrituale und Symboltiere, ignoriert nach Ansicht des natürlichen Asketen das Gericht und die Strafe, die dereinst über sie kommen werden. Die relativ kurzen Antworten Alexanders auf die langen Ausführungen des Dindimus formulieren eine strikte Gegenposition zur Lebensform der Brahmanen, indem sie dezidiert Kritik an der asketischen Lebensführung üben, 292 Es entspricht humoralpathologischer Lehre, daß consuetudo in Natur übergeht: zweite Natur. Und doch bleibt Nützlichkeit der Orientierungspunkt ihres Kulturentwurfs. […] et non desideramus ullam causam audire, que ad utilitatem non pertinet, […]. Ebd., S. 223. 293 Nostra etenim natura hanc consuetudinem habet, […]. Ebd., S. 226. 294 Iudicia non habemus, quia malum non facimus, unde ad iudicium ire debeamus. Una lex est contraria nostre nature, […]. Ebd., S. 223. Adulteria nulla committimus, nec aliquod vitium facimus, unde ad penitentiam ire debeamus sicut vos, […]. Ebd. S. 224. […] quia nolunt esse pulchre pro ornamentis, sed tantum in ea natura, qua nate sunt. Nam quis potest nature opus mutare? Ebd. 295 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 96; Et vos quomodo illos dicitis habere potestatem in corpore vestro, qui non habent potestatem nisi in animalibus, que illis offeruntur. Historia de preliis J1, Cap. 99, S. 230. Totum enim corpus hominis dividitis inter deos, […]. Marti offertis aprum, Baccho offertis hircum, Junoni offertis pavonem, Jovi mactatis taurum, Apollini occiditis cygnum, Veneri immolatis columbam, Minerve noctuam occiditis […]. Ebd., S. 229.

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vor allem an der These, daß die Natur eine hinreichende Vorsorgeinstanz für den Menschen sei. An die Stelle der Demonstration einer überlegenen natürlichen (kynisch-christlichen) Weisheit, tritt ein grundsätzlicher Konflikt. Der Infragestellung eines jeden Kulturanspruchs und dem Insistieren auf einem reinen Naturzustand wird mit einer entsprechend gestaffelten Argumentation begegnet. Die vermeintliche Natürlichkeit der Brahmanen erweist sich als Ergebnis fehlender Kulturtechniken, und der positiv definierte Naturzustand wird letztlich als Verrohung der Natur selbst interpretiert. Dabei beruft sich signifikant auch Alexander auf die Natur und kehrt das Argument der Natürlichkeit gegen deren angebliche Repräsentanten: […] fremd sei Euch, zu begehen, was doch der Menschennatur eigen ist – Sünde nennt Ihr all das, was wir treiben, verschreit als Vergehen alle Künste, die bei uns blühen, umstoßen wollt Ihr die Lebensweise, die den Menschen eignete bis zum heutigen Tage. […] qui non habetis in consuetudine facere ea, que humana natura facere solet, qui dicitis peccatum esse omnia, que facimus, qui diversas artes, que apud nos sunt, peccata esse denuntiatis, volentes destruere omnes consuetudines, quas humana natura hactenus habuit.296

Die Argumentation akzentuiert scharf die Grenzen von Natur und Kultur. Gegen die mater naturae der Gymnosophisten wird die Natur des Menschen ins Feld geführt, so daß der Mangel nicht hingenommen, sondern mittels natürlicher Entelechie überwunden wird. Dem Versuch, den Menschen wieder in die Naturordnung zurückzuführen, steht die Behauptung einer scharfen Trennung gegenüber sowie die These, daß der Mensch geradezu zur Entfaltung seiner Anlagen bestimmt sei, gewissermaßen die positive Interpretation der Mängelwesenthese. Rudimentäre Kulturtechniken wie Ackerbau, auf die die Brahmanen angeblich so freiwillig verzichten, setzen Eisen, mithin selbst wiederum Kulturleistungen voraus.297 Der Verzicht kann folglich aus Alexanders Sicht nur auf mangelnde Erfindungskraft zurückgeführt werden. Die Argumentation Alexanders besitzt für die zeitgenössischen gelehrten Rezipienten ihren Anspielungshintergrund in der Diskussion um den Mangelstatus des Menschen, wie er in Theorie und gelehrter Historiographie jener Zeit formuliert wird. Aus der Perspektive einer technisch überlegenen 296 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 98; Historia de preliis J1, Cap. 100, S. 231. 297 Zum Lob des Eisens vgl.: Vsus ferri vtilior est homini in pluribus quam vsus auri. Et quamuis plus diligatur auri species ab auaris, sine ferro enim respublica tute non agitur, quia sine eius metu, securitas ab hostibus non habetur. Ferro communis iustitia regitur, tuetur innocentia, & improborum audacia ferri metu coercetur. Sine ferro nullum fere opus mechanicum vix perficitur, nullum aedificium construitur, agricultura nullatenus exercetur. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus XVI,45, S. 739; vgl. LeGoff, Die Kultur des europäischen Mittelalters, S. 345f.

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Kultur beschreiben gerade Kleriker mitleidig die sie umgebenden ›barbarischen‹ Völker, deren technische Rückständigkeit beklagt wird.298 Die Opposition zwischen Wilden und Zivilisierten verläuft über die Form der Ökonomie: agricultura versus vita pastoralis. Daß gerade der Herrscher auf Eisen verweist, ist signifikant und markiert die Vielfältigkeit seiner Kulturkontexte. Das gleiche gilt für die Seefahrt und andere artes. Die Natur besitzt nach Alexander von sich aus keine Handlungsspielräume, sie determiniert vielmehr. Selbst der Bereich der Ethik bleibt davon nicht verschont. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die Diskussion über die angebliche Keuschheit der Brahmanen: »Ein Wunder wäre es doch, handeltet Ihr so aus eigenem Antrieb – vor Hunger nur müßt Ihr so tun, deshalb nur bleibt Ihr keusch und ebenso auch Eure Weiber.«299 Angeführt wird daher eine physiologische Erklärung, eine natürliche Technik. Die Zurückweisung des freien Willens negiert aber die Leistung der Enthaltsamkeit. Wie zuvor der fehlende Landbau eine Folge mangelnder technischer Voraussetzungen, so wird sexuelle Askese als ein Produkt mangelhafter Ernährungspraxis und nicht ethischer Selbstbeherrschung hingestellt, hängt doch in der antiken und mittelalterlichen Humoralpathologie der Geschlechtstrieb unmittelbar vom Ernährungsverhalten ab. Essen fördert die Produktion von warmen und feuchten Qualitäten, die wiederum Lust erzeugen: »weil mit der Hitze die Lust zunimmt und mit der Feuchtigkeit das Sperma.«300 Selbst Sexualität erweist sich mithin weniger als Naturanlage, denn als Resultat einer Ernährungspraxis, und ihre Unterdrückung kann daher als Vergehen gegen die Natur betrachtet werden. Die Berufung auf die Natur durch die Gymnosophisten erweist sich aus der Sicht aristotelischer Theoreme als Brechung der Natur. So reguliert monastische Pädagogik den Sexualtrieb durch Askese, »weil durch die Speise die Hitze des Reizes weiter angestachelt wird.«301 Hunger wird wie schon in der asketischen Tradition der Anachoreten zum Mittel der Körperdisziplin.302 Daß hinter dem Argument Alexanders über den Zu298 Adam von Bremen, Helmold von Bosau, Otto von Freising und Gerald von Wales; Bartlett, Gerald von Wales, S. 158ff. 299 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 98f.; Miranda causa fuisset, si hoc fecissetis voluntarie, sed ideo hoc facitis propter ieiunia, inde et vos et ille in castitate permanetis. Historia de preliis J1, Cap. 100, S. 232. 300 […] quia cum calore augmentatur concupiscentia, & cum humiditate sperma. Constantinus Africanus, De omnium morborum […] liber VI,1, S. 122. 301 quando calor incentivi ejus per cibum amplius excitatus est. Hugo von St. Victor, De institutione novitiorum Cap. IV, PL 176, Sp. 928: Ante sumptum cibum, doctrinae et orationis tempus est; post vero operis, quia et tunc exercendus est animus, dum adhuc ad studium spiritale levis est, et tunc reprimenda est caro, quando calor incentivi ejus per cibum amplius excitatus est. 302 Et ne incentivis naturalibus superentur, necesse est ut lasciviens caro eorum crebris frangatur jejuniis. Melius est eos stomachum dolere, quam mentem. Ps.-Bernhard, De ordine vitae

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sammenhang von Ernährung und Sexualität eine medizinische Theorie der Sexualität steht, dokumentiert schließlich eine späte englische Version des Alexanderromans aus dem 15. Jahrhundert, dessen Verfasser mit dem Argument zugleich den erklärenden Kontext liefert.303 Gegenüber dem Asketismus der Gymnosophisten vertritt Alexander eine Kultur der Sinne, die auf die unterschiedlichen Lebenstufen des Menschen rekurriert und für deren auch gesundheitspolitische Notwendigkeit die Vorschriften der Diätetik stehen: Wir Menschen jedoch sind vernunftbegabt, und unser Wollen ist frei; uns hat die Natur selbst zum Wohlleben viele Annehmlichkeiten verliehen. Undenkbar ist es nämlich, daß die so große Welt nicht ein gewisses Maß an Milde besäße, auf daß Freude folge auf Schmerz. Wie nämlich das menschliche Wollen mit dem wechselnden Wetter sich ändert, so ist auch des Menschen Stimmung verschieden – ist ein heiterer Tag, so sind Sinnen und Trachten voll Freude, ist der Tag aber finster, sind sie trübe. So wandelt sich auch das Denken des Menschen mit wechselndem Alter; so kommt es, daß das Kind sich der Unschuld erfreut, die Jugend des hochfahrenden Strebens, das Alter aber in Festigkeit verharrt. Wer denn könnte von einem Kind Schlauheit erwarten, von einem Jüngling Beständigkeit, Veränderlichkeit von einem Alten? Vielerlei gibt es, was geschaffen ist, daß wir es nutzen, was uns erquickt, indem wir es sehen, hören, riechen, fühlen und schmecken. Bald freuen wir uns am Springen, bald auch am Singen, an einem lieblichen Duft, einem süßen Geschmack, einer zarten Berührung. Uns allen werden zuteil die köstlichen Früchte der Erde, das muntre Gewimmel der Fische im Meer, das Schwirren der Vögel am Himmel – willst Du auf all das verzichten, müssen wir Dich für hochmütig halten, weil Du diese Geschenke verachtest, oder für mißgünstig, weil sie uns zugedacht scheinen, da wir edler sind, als Ihr seid. Dies ist meine Meinung, das sage ich Dir über Euer Leben und Euere Sitten – für töricht erachte ich sie, nicht für weise. Siquidem voluntas humana varia est, que etiam cum celi mutatione mutatur, similiter et ipsa mens hominis diversa est et, quando sincerus dies est, et voluntas et mens in gaudio sunt et, quando tenebrosus dies fuerit, tristes sunt. Similiter et sensus hominis per diversas etates immutantur. Hinc est, quod infantia gaudet in simplicitate et iuventus in presumptione, senectus tardatur in stabilitate. Quis enim querit in puero astutiam aut in iuvene constantiam aut in sene mutabilitatem? Multa enim delectabilia sunt, que ad usum nostrum occurrunt, alia visui nostro, alia in auditu, alia ad odorem vel tactum Cap. II, PL 184, Sp. 563. Zu Askese der Anachoreten vgl. Elliott, Roads to Paradise, S. 141f.; Ernst, Der Antagonismus von vita carnalis und vita spiritualis, S. 77–85. 303 Also De say De do nane advowtries ne fornycacions. And þat es na meruaile! For-whi, how sulde þay hafe luste to lerchery þat etes noDte. Luste of lerchery es noDte comonly, bot yf it come of hete of þe leuer or ells of habudance of mete & drynke. Bot De ete na-thynge bot herbes & roteD, as De ware swyne, & drynkes water & vnnethes may De sloken Dour hunger and þarefore De hafe nan appitite to women. The Prose Life of Alexander, S. 86. Keinesfalls macht sich Alexander also »lächerlich« »als Partner einer philosophischen Korrespondenz« oder folgt einer »abstrusen Logik«. So Kohl, Fremdheitserfahrung in mittelenglischen Alexandertexten, S. 52; vgl. Schleissner, Sexuality and Reproduction in the late Medieval ›Problemata Aristotelis‹, S. 383–395.

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vel saporem. Et modo saltationibus delectamur, modo cantilenis, aliquotiens suavitate odoris aut in gustu dulcedinis aut in tactu mollitie delectamur. Si enim omnes fructus bonos habemus de terra et abundantiam piscium habemus de mari et delitias avium habemus de aerem, si volueris te ab his omnibus abstinere, aut superbus iudicaberis eo, quod talia dona despicis, aut invidiosus pro eo, quia nos, (!) qui sumus meliores quam vos, donata nobis esse videntur. Hanc causam secundum meum iudicium dico de vita et moribus vestris, quia plus pertinet ad stultitiam quam ad sapientiam.304

Gerade in den Ausführungen über die Sinne und ihre Leistung für die menschliche Kultur kongruiert Alexanders Standpunkt zum einen mehr mit dem Repräsentationsmodell von Adel und Klerus als mit dem Asketismus der Monasten. Indes rehabilitiert Alexander die Sinnlichkeit nicht wie jene vom Standpunkt zeitgenössischer Machtdemonstration: etwa theologischer Repräsentation als Spiegel göttlichen Glanzes, auch nicht als rechtlich-politische Repräsentation im Sinne einer Markierung von Rangdifferenzen.305 Zwar finden sich für letztere eine Reihe von Indizien im Text, etwa in den ästhetischen Statusdemonstrationen im Palast des Porus wie in den Geschenken der Unterworfenen, doch wird die Bedeutung der Sinne hier mehr vom Subjekt aus gerechtfertigt und dient der Legitimation kultureller Leistungen allgemein. Sie rückt näher an die Funktion der Sinne innerhalb der Diätetik heran, d. h. an ihre allgemeine gesundheitsfördernde Funktion, wie sie umfassend auch in den »Secreta Secretorum« entworfen wird: und zwar als Lehre des Aristoteles an Alexander. Verzicht auf Bildung und auf Mitleid interpretiert Alexander seinerseits als Schritt in die tierische Verrohung: »Das habt ihr gemein mit den Tieren – denen ist von Natur nicht gegeben, daß sie Wohltaten empfänden, so können sie sich auch nicht am Guten erfreuen.«306 Demgegenüber sei der Mensch von Natur aus auf Annehmlichkeiten angelegt.307 Die Opposition von Mensch und Tier, auf die die Brahmanen zurückgegriffen hatten, bildet auch die Matrix der Argumentation Alexanders. Beide Positionen entwerfen ihr Gegenüber jeweils als Animalisches. Während Dindimus aber in Alexander eine wuchernde wilde Triebökonomie – das Begehren – wirken sieht, die unersättlich alles verschlingt, reduziert sich für Alexander die Lebensform der Brahmanen auf eine primitive animalische Existenzform. Selbst im Diskurs über den nackten Menschen tauchen im Hintergrund Bestie und Herdenvieh, aktive und passive Animalität, wieder auf: in Alexander internalisiert und in den Gymnosophisten externalisiert. Alexanders politisches, technologisches 304 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 99; Historia de preliis J1, Cap. 100, S. 233. 305 Hierzu vgl. Wenzel, Repräsentation und höfischer Schein, S. 183–185. 306 Kirsch, Historie von Alexander dem Großen, S. 99; Omnia hec communia habetis cum bestiis, quia, sicut non habent naturaliter, ut aliquid bonum sentiant, ita nec in aliquo bono delectantur. Historia de preliis J1, Cap. 100, S. 233. 307 […] ad bene vivendum dedit nobis ipsa natura multas blanditias. Ebd.

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und ästhetisches Modell von Kultur wird gegen das moralische Vorbild der Gymnosophisten gesetzt. Schritt für Schritt widerlegt Alexander die Argumentation des Dindimus und läßt die gewonnene Freiheit der Brahmanen als Unfreiheit erscheinen: ein Musterstück dialektischer Argumentation.308 Gegen die These von der Konstanz der Natur und der Statik der Lebensform setzt Alexander abschließend den Gedanken des Wechsels, der Entwicklung menschlicher Anlagen und der Freude am Genuß. Die Natur als Vorsorgeinstanz nimmt bei Alexander einen anderen Raum ein. Ist sie für Dindimus Inbegriff eines gewaltlosen natürlichen, ja fast heiligen Raumes, so für den Aristotelesschüler Alexander eher ein Reservoir für die tätige Exploration. Vor dem Hintergrund der beschriebenen ›kulturellen‹ Profile findet der Briefwechsel zwischen Dindimus und Alexander im Mittelalter wohl ein spezifisches Interesse. Im gelehrten Kontext wird diskursiv vorgeführt, was gesellschaftlich umstritten bleibt: die Rolle der Kultur im Spannungsfeld menschlicher und spiritueller Daseinsbewältigung. Dabei gibt es auch schon im 12. Jahrhundert kontroverse Interpretationen des Briefwechsels, die an die unterschiedlichen antiken Traditionen anknüpfen. In der Version der Pariser Handschrift n. a. l. 310 wird der mächtige Alexander ganz zum gelehrigen Schüler des Weisen Dindimus.309 Der lateinische Alexanderroman, so wie er in der »Historia de preliis« J1 vorliegt, konfrontiert dagegen konkurrierende Positionen. Während die Gymnosophisten das Versöhnungsmodell (mater naturae) privilegieren, vertritt Alexander das Herrschaftsmodell: zum einen das politische der Unterwerfung animalischer Widersacher, sichtbar etwa im Zug gegen die homines monstruosi des Orients; zum andern das technische Artesmodell, das dem Mängelwesen Mensch die Selbstbehauptung gegen die wilde Natur garantiert.

5. Grenzfiguren zwischen Mensch und Tier Eine populäre Schwellenfigur auf der Grenze zwischen Mensch und Tier bilden die Wilden Menschen.310 Ethnographisches Schrifttum und Historiographie, Enzyklopädistik und Bildwerke, Heiligenviten und mittelhochdeutsche 308 Cizek, Zur literarischen und historischen Bestimmung, S. 111–136. 309 Schnell, Liber Alexandri Magni, S. 178–185. 310 Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages; Lecouteux, Les Montres dans la Litterature Allemande; Pochat, Der Exotismus in Mittelalter und Renaissance; White, The Forms of Wildness, S. 3–38; Bartra, Wild Men in the Looking Glass; vgl. LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 181–184; Hagner, Der falsche Körper; Macho, Ursprünge des Monströsen, S. 11–42. Zum kunstgeschichtlichen Hintergrund der frühen Neuzeit: Die wilden Leute des Mittelalters; Wilkens, Das Mittelalter und die ›Wilden Leute‹, S. 65–82.

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Lucas Cranach d. Ä., Werwolf. Herzogliches Landesmuseum Gotha.

Epik sind durchzogen von Sonderwesen dieser Art, die offensichtlich als Gegebenheiten mittelalterlicher Realität angesehen werden. Zahlreiche Erzählungen einerseits und Versuche der Inventarisierung und Klassifizierung andererseits dokumentieren ernste Bemühungen um diese Sonderformen von Menschen: Gewiß nicht als fehlende Stelle im System der Natur, schon gar nicht als evolutionäres Verbindungsglied fungieren die Wilden Menschen im mentalen Haushalt mittelalterlicher Autoren,311 vielmehr als Index einer gestörten Ordnung. Der Wilde Mann des Mittelalters ist auch noch nicht der edle Wilde, der eine von den Fesseln der Zivilisation befreite Existenz repräsentiert, sondern der Inbegriff dessen, was der Ordnung der Natur und 311 Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 8. Von daher besitzt der Wilde Mann auch keine Systemstelle in den mittelalterlichen libri de naturis rerum, wohl aber Faune und Satyre. Abgesondert sind auch die monstruosi homines. Thomas von Cantimpré, Liber de natura rerum III.

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Kultur entgegensteht.312 Er ist eine klassische Figur der Exterritorialität, die mittelalterliche Variante jener immer wieder hervortretenden und nie bezwingbaren Instanzen, die als potentielle Gefahr der Zivilisation noch Bestandteil des Gegenwartskinos sind.313 Im »Mythos des Wilden Mannes«, wie Hayden White ihn nennt, entwerfen antike und christliche Gesellschaften ihr Selbstbild von Kultur qua Negation.314 Wildheit und Animalität werden Zivilisation und Humanität gewissermaßen symmetrisch konfrontiert. Die moderne Wissenschaft hat nach White die Vorstellung vom Wilden Mann entmythisiert und ihren Geltungsanspruch an die Fiktion überwiesen.315 Für die Antike und für das Mittelalter aber ist er noch eine reale Gegebenheit, die von den Grenzen der vertrauten Räume und Zeiten her droht, Unordnung zu stiften. Der Wilde Mann vertritt das Ungeordnete und Nichteingefügte, das Elementare von Gewalt, Sexualität und Wahnsinn, das jede soziale Ordnung zu unterminieren droht. White hat darauf verwiesen, dass er nicht schlicht Natur gegen Kultur vertritt, sondern ein Jenseits der Natur, die ihrerseits noch als strukturierte Ordnung aufgefaßt wird. Deshalb wird er auch nicht einfach als Tier repräsentiert, sondern als Mischwesen zwischen Mensch und Tier: als Chiffre einer gestörten Menschheit.316 Steht für die hebräische Kultur der Wilde Mann als Inbegriff des Verdammten und Ausgestoßenen – als Schuldkomplex –, so für die antike Kultur als Chiffre eines grundsätzlich möglichen Selbstverlustes – als Schamkomplex.317 Der Wilde Mann ist mehr ein Resultat ethischer Reflexion als natürlicher Erkenntnis, er betrifft vor allem mehr das Schicksal des Einzelnen als das des Kollektivs.318 Whites Archäologie der Idee des Wilden Mannes arbeitet die kulturellen Grundmuster heraus, die die unterschiedlichen Vorstellungen generieren. Er untersucht die historisch spezifischen Ansichten über das Verhältnis von Körper und Geist (Seele) in antiker und christlicher Kultur und ihre differenten Wertungen auf scheinbar ontologischer Basis. Die antike und die christliche Genealogie des Wilden Mannes münden im Mittelalter in einen Synkretismus, in ein Amalgam von negativen und positiven Qualifizierungen: Die 312 Neumann, Der mißgebildete Mensch, S. 38–42; Die wilden Leute des Mittelalters, S. VIf. Als Grenzfigur scheint er eine Attraktion zu sein, die in Textillustrationen, Teppichen, Karten, Theatralisierungen und Schmuckkästchen erscheint. 313 Überlebende Vorzeitfiguren (Kinkong, Dinosaurier, Affenmensch), numinose Kräfte (Es), psychopathische Energien (Serienmörder, Amokläufer) oder kosmische Organismen (Alien). 314 White, The Forms of Wildness, S. 4f. 315 Ebd., S. 7f. Als Remythisierung faßt White die Wiederkehr des Wilden Mannes in der Psychoanalyse auf. Lévi-Strauss diskutiert die Spannung von Natur und Kultur auch am Beispiel der »wilden Kinder«. Lévi-Strauss, Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft, S. 47f. 316 Ebd., S. 12f., 20f. 317 Ebd., S. 10. 318 Ebd., S. 20.

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antike Vorstellung von Fremdheit als physischer und kultureller Differenz und die hebräische Vorstellung von Fremdheit als ethischer und metaphysischer Differenz gehen ineinander über. Für mittelalterliche Rezipienten synthetisiert der Topos vom homo sylvestris daher Traditionen unterschiedlichster Art wie antike Mythologie, christliche Dämonologie, ethnographische Fremderfahrung, soziale Randfiguren und Volksmythologie.319 Rein sprachlich subsumieren die mittelalterlichen Autoren antike Faune und Satyrn, dämonische Geister und an der Peripherie gelegene Völker bis hin zu Mißgeburten allesamt unter einer ähnlichen Begrifflichkeit von Waldmenschen.320 Die wilden Menschen repräsentieren ganz unterschiedliche Ausprägungen von Grenzwesen zwischen Mensch und Tier, in denen weitgehend all jene Formen menschlicher Existenz zusammenlaufen, die von der jeweils geltenden Ordnung abweichen, und die mit den Folgen des Sündenfalls assoziiert wurden.321 Der Synchretismus der Traditionslinien offenbart, daß das Mittelalter kein einheitliches Bild vom wilden Menschen kennt. Der »Mythos des Wilden Mannes« steht nur im Hintergrund zahlreicher Bemühungen, die Ordnung von Natur und Gesellschaft sowie das Verhältnis von Subjekt und Gemeinschaft zu fassen. Er liefert die Semantik eines entstehenden Diskurses, der sich die Beschreibung von natürlicher und sozialer Divergenz zum Thema macht. Der Wilde Mann ist das Produkt theologischer Reflexion, die ein erstes Profil des Normwidrigen entwirft, vor allem aber diesem eine Herkunft, eine Geschichte, verleiht. Er ist weiterhin Gegenstand ethnographischer und historiographischer Beschreibung, die ihn zum Objekt der Erfahrung macht, ihm gewissermaßen synchron und diachron immer wieder Existenz verleiht. Auf solche Art in die ›Realität‹ überführt, wird er zum Objekt einer Praxis, indem soziale und rechtliche Ausgrenzungen unter seinem Namen firmieren können. Als Aufgabe wirkt der »Mythos des Wilden Mannes« in das Leben jedes Einzelnen hinein, markiert er doch die potentielle Grenze des Abstiegs: Der Anachoret stellt sich dieser Aufgabe, indem er die Spannung von äußerer Animalisierung und innerer Selbstbehauptung sucht und in sich austrägt. 319 Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 91–98. 320 Die monstruosi hominum greges oder gentes silvestres des Nordens, von denen Adam von Bremen (Gesta Hamburgensis I,3; IV,25) berichtet, die homines agrestes der Alexanderüberlieferung (Historia de preliis J1, Cap. 103, 104), die apokalyptischen homines agrestes im Brief des Priester Johannes (Kap. 14), die fauni und satyri bzw. pilosi oder incubi, die nach Bartholomaeus Anglicus (De rerum proprietatibus XVIII,46) allesamt sylvestres homines genannt werden, schließlich die Barbaren insgesamt, die Albertus (Ethica VII,1) gleichfalls unter sylvestres homines subsumiert: Sie alle demonstrieren die Wirksamkeit der Topik. Vgl. Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 92f., 97f. 321 Eine biblisch historische Erklärung, die jedoch von Vincenz zurückgewiesen wird, führt die Monstra entweder auf illegitime Verbindungen von Engeln und Menschen oder auf spezifische Kräuterpraktiken der Adamskinder zurück. Vgl. Wiener Genesis, V. 1060–1065; Mühlemann, Simone, Monstrum, EM 9, Berlin, New York 1999, Sp. 823–829.

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Der Wilde Mensch wird aber auch schon zum Gegenstand wissenschaftlicher Neugierde: Ihre ›Aufgabe‹ wird es sein, Kriterien zu entwickeln, den Schein größtmöglicher äußerlicher Ähnlichkeit zu durchbrechen und seine Tierhaftigkeit nachzuweisen. Schließlich wird der Wilde Mann mehr als der Wilde Mensch zum Objekt literarischer Imagination. Vor dem Hintergrund einer Korrespondenz von Lebensraum und physischer Ausstattung, die konstitutiv für mittelalterliche Völkerkunde zu sein scheint, ist das Erscheinungsbild der homines sylvestres entsprechend stereotyp. Sie wohnen im Wald oder in der Wildnis und tragen alle Züge eines animalischen Daseins, von der Physiognomie über die Kleidung bis in die Gestik hinein. In den Mischwesen rivalisieren nicht nur sichtbar menschliche und animalische Form, z. B. in den Satyrn (incubi), »deren Form vom menschlichen Bild ausgeht, aber in tierischen Extremitäten mündet«, sondern auch menschliches und animalisches Begehren: »Einen wilden und viehischen Geist haben sie und einen animalischen Appetit«, heißt es bei Bartholomaeus von den Faunen.322 Die äußere Erscheinung ist zugleich Schlüssel zum Inneren. Sowohl nach außen wie nach innen werden sie als Wesen der Grenzüberschreitung konzipiert. Wildheit als die Gesellschaft gefährdendes Phänomen droht somit nicht nur von den animalisierten Völkern der Peripherie, sondern auch von den wilden Rändern der eigenen Gesellschaft.

5.1 Contra naturam: Heilsgeschichtlicher Schuldzusammenhang Die Natur als heilsgeschichtlich gestörter Raum wird von sonderbaren Wesen bevölkert, deren Formen einerseits natürlich (klimatisch), andererseits providentiell bedingt sein können. Gegenüber einer Naturvorstellung, nach der jedem Wesen seine normgerechte Entelechie eingeschrieben ist, wird letztlich aber jede Überschreitung eben dieser Norm als providentielles Zeichen gewertet, wobei dieses entweder ständiger Ausdruck der Ursünde oder Zeichen konkreter Verfehlung ist. Bereits in der Bibel sind es die Rebellen und Empörer gegen die göttliche Ordnung, die mit den Attributen des Wilden Mannes gezeichnet werden.323 Das gelehrte Schrifttum zitiert als klassisches Muster providentieller Strafe wiederholt die Vertierung des Nebukadnezar.324 Wäh322 Ferum & beluinum habent animum & bestialem appetitum; quorum forma à humana effigie incipit, sed bestiali extremitate terminatur.[…] quorum forma à humana effigie incipit, sed bestiali extremitate terminatur. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus XVIII, 46, S. 1067; 82, S. 1108. 323 White, The Forms of Wildness, S. 14f. 324 Nebuchodonosor quoque propter superbiam suam a rationabili mente in bestialem animum commutatus est, […]. Gratian, Decretum pars II, causa 33, quaestio III, cap. 60, PL 187, Sp. 1543; Thomas von Aquin, De regno I,6; Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 12f.

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rend aber das Schicksal Nebukadnezars auf persönlicher Schuld beruht, dienen die Abweichungen vom natürlichen Lauf der Dinge (contra naturam) als generelle Ermahnungen Gottes. Vincenz von Beauvais thematisiert im Anschluß an die Zeugungslehre im 31. Buch des »Speculum naturale« die Ursachen physisch abweichender Sonderwesen: Wunderzeichen werden von Varro die genannt, die wider die Natur entstanden zu sein scheinen, aber nicht gegen die Natur, weil sie durch göttlichen Willen hervorgebracht wurden, wie die Natur einer jeden erschaffenen Sache der Wille des Schöpfers ist. Wie ja auch die Heiden Gott in der Form der Natur anrufen. Wunder sind deshalb nicht wider die Natur, sondern gegen die bekannte Natur. Portenta quidem à Varrone esse dicuntur, quae contra naturam nata videntur, sed non solum contra naturam, quia diuina voluntate fiunt, cum voluntas creatoris cuiusque conditae rei natura sit. Vnde & ipsi gentiles Deum modo naturam, modo Deum appellant. Portentum ergo sit non contra naturam, sed contra quam est nota natura.325

In der Übersicht über die verschiedenen Arten von Monstra hält Vincenz sehr genau die unterschiedlichen Modi ihrer Entstehung auseinander. Antike mythologische Figuren, etwa Sirenen, Kentauren oder Gestalten wie Cerberus, erhalten zwar ihren Ort im Rahmen der Monstra, doch verweist Vincenz sie explizit ins Reich der Fiktion, um dann aber umso nachdrücklicher über Faune, Wundergeburten und Mischwesen zu handeln. So stehen neben natürlichen Mißbildungen, die nur scheinbar gegen die Norm der Natur zu entstehen scheinen,326 gezielte göttliche Botschaften wie tierköpfige Mißbildungen oder Wundergeburten: »und die Geschichte sagt, das von einer Frau ein Kalb geboren worden ist.«327 Die offensichtlichen Normverstöße gegen die Natur erhalten vor dem Hintergrund christlicher Sündentheologie ihren Sinn als direkte providentielle Zeichen.328 325 Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI, 119, Sp. 2388; Thomas von Cantimpré, Liber de natura rerum III,1. 326 Vincenz zitiert zur Erklärung Chrysostomos (Super Matth. Lib 2): Si enim Deus sicut ab initio constituit vnamquamque creaturam, sic eam dimittet et immutabiliter semper in ordine suo permanere, natura rerum ipsa se regere aestimaretur, & operatio Dei coram hominibus in obliuionem duceretur. Ideo natura rerum contra ordinem suum conuertitur, vt semper Deus naturarum opifex in memoriam reducatur, & non solum semel, sed quotidie opera sua facere videatur. Vnde de caeco qui contra naturae regulam sic natus fuerat, dicitur. Neque hic peccauit, neque parentes eius, sed vt manifestentur opera Dei in illo. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI,118, Sp. 2387f. 327 vt ex muliere vitulum dicit historia generatum. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI,120, Sp. 2388. Portentum ergo sit non contra naturam, sed contra quam est nota natura. Ebd. XXXI,119, Sp. 2388. 328 Den individuellen Sondernaturen, denen sich Vincenz in der Folge widmet, korrespondieren auf übergeordneter Ebene ganze Wundervölker. Zitiert wird Isidor: Sicut autem in singulis gentibus quaedam monstra sunt hominum, ita in vniuerso genere humano quaedam monstra sunt gentium, vt Gigantes, Cynocephali, Cyclopes &c. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI,126, Sp. 2392; vgl. Augustinus, De civitate Dei XVI,8.

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Der allgemeine providentielle Rahmen wird indes durch ein ganzes Arsenal natürlicher, insbesondere moralisch relevanter Ursachen ergänzt. Bereits die Turbulenzen der mittelalterlichen Säftekonfiguration, die intemperata creatio, die auf Physiognomie, Konstitution und Charakter einwirkt, ziehen ein buntes Formenspektrum menschlicher Existenzen nach sich. Angesichts der Sündhaftigkeit des Menschengeschlechts existiert der Mensch offenbar weniger als physisch homogene Instanz denn als Vielfalt unterschiedlicher Realisationsformen. Trotz der durch die Schöpfungsordnung gesetzten festen Grenze zwischen Mensch und Tier wird die Gefahr der Grenzüberschreitung als bedrohlich aktuell angesehen. Ganz verschiedene natürliche und übernatürliche Ursachen werden neben der unmittelbar göttlichen Providenz für physische Deformationen verantwortlich gemacht: moralisch neutrale wie astronomische Einflüsse und eine defekte Komplexion; aber auch moralisch relevante wie widernatürliche Artenvermischung, magische Praktiken, selbst Träume schwangerer Frauen. Sie alle wirken gefährlich auf die Konstitution des entstehenden Menschen ein:329 »Und wie der Mensch seine Natur im Stich gelassen hat, indem er sich mit dem Vieh vermischte, so haben auch die Tiere durch Vermischung ihre Art in eine andere überführt.«330 Der Schuldzusammenhang erweist sich hier als konkret natürlicher, als Effekt von verbotenen Praktiken, so daß an die Stelle des providentiellen Zeichens die (wider-)natürliche Ursache tritt. Zwar gibt es durchaus kritische Stimmen über die Möglichkeit einer Verbindung von Mensch und Tier, doch verhindern diese nicht, daß Abweichungen von der Norm entsprechend erklärt werden.331 Nach Gerald von Wales scheint die Natur in Irland ihr Maß verloren zu haben und selbst ohne Hilfe irgendeiner Kunst – preter artis cuiuslibet admini329 Multum enim matrix coadiuvat ad natorum dispositiones. Albertus Magnus, De animalibus XXII,1,3, S. 1351. Inde est quod quidam grauidas mulieres iubent nullos intueri turpißimos animalium vultus, vt cynocephalos & simias; ne visibus occurrentes similes foetus pariant. Hanc enim foeminarum esse naturam, vt quales prospexerint siue mente conceperint in extremo aeustu voluptatis dum concipiunt, talem & sobolem procreent. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXII,43, Sp. 1634. 330 Et sicut homo naturam suam destituit, pecoribus se commiscens, ita etiam et pecora in aliud genus suum, se aliquando in commixtione ducunt. Hildegard von Bingen, Physica IV, PL 197, Sp. 1268. Von der Möglichkeit, Arten gegen ihre Anlage zu mischen, bezeugt bereits die Bibel: Iudaei aßerunt quod Ana nepos Esau aequarum greges ab asinis in deserto primus fecerat ascendi, vt mulorum inde contra naturam animalia noua nascerentur. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXII,43, Sp. 1634; vgl. Rupert von Deutz, Commentarium in Genesim I,57, CCCM 21, S. 184 [Vgl. PL 167, Sp. 246]: Fiunt tamen quaedam naturarum ex inaequali permixtione adulteria, […]. White, The Forms of Wildness, S. 14f. 331 Et respondendum est quod non, nisi forte sicut Adelinus philosophus dicit de onocentauris, qui per adulterinam commixtionem hominis et bestiae – si tamen verum est – provenerunt. Cui opinioni illud contrarium est, quod dicitur monstra diu non posse vivere ab homine et bestia generata. Thomas von Cantimpré, Liber de natura rerum III,1, S. 97.

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cula – Menschen von außerordentlicher Größe, Kraft und Schönheit hervorzubringen: Es ist nicht verwunderlich, wenn von einem ehebrecherischen Volk, einem inzestuösen Volk, einem Volk, das illegitim geboren und gezeugt wurde, außerhalb jedes Gesetzes sozusagen, daß die Natur selbst durch eine neidische und ungesehene Kunst eine häßliche Natur und solches gegen das Gesetz der Natur hervorbringt.332

Zentrale Ursache der irischen Kulturlosigkeit scheint für Gerald das Feld sexueller Devianz zu sein, die ihn zu ausführlichen theoretischen Überlegungen anleitet. Nicht nur stellt er die Lebensweise der Iren auf eine Stufe mit der der Tiere,333 bei ihnen findet er überdies konkrete Belege für sexuelle Vermischungen zwischen Mensch und Tier: »an welchem Laster gerade jenes Volk leidet.«334 Fern aller metaphorischen Übertragung lokalisiert Gerald in der natürlichen Welt Irlands konkrete Ergebnisse sodomitischer Praxis. Blasphemische Haltungen werden von Gerald einigen Stämmen Irlands zugeschrieben, von denen durch göttliche Strafe dann einzelne Mitglieder einer temporären Werwolfexistenz unterworfen werden. 5.2 Soziale Randfiguren Der Wilde Mann ist aber mehr als ein Phantasma der kulturellen Selbstreflexion, wenn dieses in handfeste soziale Unterscheidungen übersetzt wird. Wilde Menschen werden denn auch jene Außenseiter genannt, die dem Normengerüst der mittelalterlichen Gesellschaft nicht entsprechen: Abnorme, Aussätzige, Verbrecher. Die Aufmerksamkeit der Chronisten fällt auf sonderbare Figuren, z. B. Menschen mit abnormen Extremitäten oder Wahnsinnige, die sich mit Tieren vermischen.335 So berichtet Gerald von einem homo prodigiosus, gleichermaßen deformiert zwischen Mensch und Tier changierend, der sich sprachlos in der Nähe einer Burg herumtreibt und dort täglich um Nahrung 332 Nec mirandum si de gente adultera, gente incesta, gente illegitime nata et copulata, gente exlege, arte inuida et inuisa ipsam turpiter adulterante naturam, tales interdum contra nature legem natura producat. Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie III, S. 162, 172. […] homines istos prouehat et producat. Ebd., S. 162. 333 Ein Befund, den auch der heilige Bischof Malachius bereits konstatierte: non ad homines se, sed ad bestias destinatum. Bernhard von Clairvaux, Vita sancti Malachiae VIII,16, S. 325. 334 quo uitio precipue gens ista laborabat. Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie II, S. 145. 335 Die Authentizität seiner Darstellung unterstreicht Gerald, indem er das jeweilige Ereignis an konkrete Orte und Personen bindet und damit den historiographischen Anspruch untermauert. Die sonderbaren Mischwesen und Sünder dienen auch der moralisch-exemplarischen Entrüstung – O quam enormiter sensualitati succumbit ratio! Sie lassen den Menschen selbst zum Tier werden – potius se bestiam patiendo quam ille agendo probans –, und sie geben Gerald darüber hinaus Anlaß, über die Grenze zwischen Mensch und Tier weitergehend zu reflektieren. Ebd., II, S. 146; Salisbury, Bestiality in the Middle Ages, S. 180f.

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nachsucht.336 Von den Jugendlichen im Schloß wird er aufgrund seines Aussehens und seiner vermeintlich sodomitischen Herkunft vertrieben: Dieser Waldmensch ist nicht der aggressive Wilde Mann. Er ist ein Einzelgänger, der um Hilfe nachsucht, seine Deformation wird auf seine Zeugung zurückgeführt, er wird zum Spottobjekt der Jugendlichen, und er scheint nicht der einzige seiner Art zu sein: »Sie sind häufig von der Jugend jenes Landes in Irland verspottet worden, daß sie von Kühen geboren worden seien […].«337 Der Wilde Mann erweist sich aus dieser Perspektive vor allem als eine soziale Randfigur, die aufgrund von Mißbildungen oder mangelnder Integrationsfähigkeit an den Rand der Gesellschaft gedrängt ist: das Monstrum.338 Noch im 14. Jahrhundert wirft Heinrich Hesler einen mitleidigen Blick auf die »wilden Leute«, die »nach menschen sin gebildet / Und aber also vorwildet / Daz sie Gotes wort nie vornamen, […].«339 Die wilden Menschen sind heillose Wesen, und es ist die Entfernung von der göttlichen Botschaft, die für ihren Zustand verantwortlich gemacht wird. Bei Hesler finden sich auch Hinweise über ihre Herkunft: Daz sint die wilden lute, Die wir noch vinden hute Under formen manicvalden In bruchen und in walden, In wazzeren und in bergen Und swa sie sich vorbergen, In holn und in cruten, Morgen vor uns luten, Und zien sich vor uns hinder340 Und dunken Adames kinder An formen, an antlitzen […].340

Man hete sie geworfen Von burgen, steten, dorfen; Des lagen sie mit sorgen In den holzen verborgen, In der wiltnis, in der wusten. Die da vluchtic wesen musten Und jameric leben besazen, Ubele trunken, noch wirs azen, Nacket, vrustic, vreidic […].341

336 Mugitum enim tantum pro sermone reddebat. Curiam hic Mauritii diu frequentabat; cotidie ad prandium ueniens, et quod ei dabatur ad uescendum, intra fissuras ungularum, quas pro manibus gestabat, stringens, ori apponebat. Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie II, S. 145. 337 Illusis uero sepissime Hiberniensibus terre illius a iuuentute castri, quod tales in uaccis genuissent, […]. Ebd. 338 Macho, Ursprünge des Monströsen, S. 22–27. 339 Heinrich Hesler, Apokalypse, V. 20051–20053; vgl. Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald, S. 34; Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 2, 10; Bartra, Wild Men in the Looking Glass, S. 113. 340 Heinrich Hesler, Apokalypse, V. 7251–7259; Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald, S. 34; Neumann, Der mißgebildete Mensch, S. 40; Johannsmeier, Spielmann, Schalk, S. 77; Der »Wigalois« Wirnts von Grafenberg begleitet die Handlung mit ständigen Kommentaren über den moralischen Verfall der Zeit. Er bietet insofern Einblick in zeitgenössische ethische Grundhaltungen. Eidbrüchige sind demnach den Leuten ebenso verhaßt als der tôtsieche man / der von der werlte wirt getân, womit der Text auf die soziale Ausgrenzung von Rechtsbrechern und Kranken verweist. V. 2152f. 341 Ebd., V. 2057–2067.

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Hesler verweist nicht nur auf die Gegenwärtigkeit des Problems, er macht auch auf den sozialen Hintergrund der Ausgrenzung aufmerksam: Sie werden aus Städten, Dörfern und Burgen entfernt. Das Mittelalter kennt verschiedene Einrichtungen, die ausgestoßenen Menschen, etwa Wahnsinnigen, Aussätzigen und Kriminellen, eine Existenz am Rande der Gesellschaft ermöglichen: Kerker, Leprosorien, Armenhäuser, Anstalten usw. Aber noch jenseits derselben, am äußersten Rand, finden sich offenbar jene versprengten Exemplare, die als homines sylvestres bezeichnet wurden: Vogelfreie, Wandersieche und Wanderbettler: gewissermaßen ›schwarze Schafe‹.342 Dem Christen aber werden diese Waldmenschen nicht zu Tieren, sondern zu Mängelwesen, zu nackten Adamskindern und Sündern. Auch diese wilden lute sind in ihrem Elend keine unmittelbare Bedrohung für die Gesellschaft. Aufgrund irgendeiner Abnormität werden sie aus dem Blickfeld der Gesellschaft entfernt, assimilieren sich äußerlich allmählich an ihre wilde Umgebung und werden dann wieder zum Objekt der Neugierde. Vincenz von Beauvais erwähnt in seiner Abhandlung über monstra eine Reihe von Mißgeburten: Tiergeburten, Wesen mit animalischen Zügen, Zwitter und Zwerge, deren Abnormität offenbar erhebliche öffentliche Resonanz fand.343 Nur wenige Reaktionen der ›zivilisierten‹ Umwelt auf solche Wesen sind dokumentiert, sie zeigen jedoch die Formen der Ausgrenzung wie die Instrumentalisierung der unglücklichen Wesen im höfischen Spektakel. Vincenz bietet neben zahlreichen literarischen Beispielen von Sonderwesen auch eines aus seiner eigenen Zeit: Zu unseren Zeiten präsentierte man dem König Ludwig von Frankreich ein Lebewesen mit dem Kopf eines Hundes, das ansonsten jedoch einem Menschen glich. Seine Beine, Hände und Arme waren wie die menschlichen kahl, der Hals weiß und nackt, der Rücken dagegen behaart. Es hielt sich aufrecht wie ein Mensch und setzte sich auch wie ein solcher. Es nährte sich von gekochtem Fleisch und trank sehr gerne Wein. Es ergriff seine Nahrung dezent wie ein Mensch und führte sie mit der Hand zum Munde. Es hatte ein enormes männliches Glied, das in keinem Verhältnis zu seiner Körpergröße stand. Damit paarte es sich recht gern mit Mädchen und Frauen, aber ebensogern auch mit dem männlichen Geschlecht. Aber wenn es wütend war, wurde es grausam und stürzte sich auf die Menschen Aetate quoque nostra delatum est animal Regi Franciae Ludouico, capite fere canino, caetera vero membra corporis habens vt homo. Crura quidem humano more nuda, manusque vel brachia, collum album, ac nudum, dorsum vero pilosum. Erectus vt homo stabat, & vt homo sedebat. Coctis carnibus vescebatur, vinumque libentissimè bibebat, & ita decenter, ac modestè sicut homo cibum manibus capiebat, & 342 Belker, Aussätzige, S. 253–283, 273, 275; Barwig, Schmitz, Narren, S. 220–252, 221. 343 Nam portenta sunt quae transfigurantur, sicut fertur in Vmbria mulierem peperisse serpentem, […]. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI,119, Sp. 2388.

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ori suo inferebat. Genitale membrum habebat magnum, vltra quam corporis quantitas exigebat: puellis ac foeminis libentissimè iungebatur, & in sexu viri ac foeminae discretionem habebat. Cumque pacatum erat hoc animal instar hominis mitissimè, ac decentissimè se gerebat: at vero furiis agitatum crudelissimè mouebatur, & in homines saeuiebat.344

Auffällig ist die besondere Aufmerksamkeit für dieses Mischwesen, die eine Grenzziehung vor dem Hintergrund des Tiervergleichs vornimmt. Den äußerlichen Deformationen des Körpers korrespondieren innerliche, durch die das Geschöpf aus dem Bereich der conditio humana herausfällt: eine deutlich markierte überdimensionierte Sexualität, fehlendes Differenzierungsvermögen im Sexualverhalten und ein rasch überagierender Affekthaushalt: allesamt Züge animalischer Existenz. Die Markierung der exuberanten Sexualität nach innen und außen nähert das Tier jenen pilosi, d. h. incubi, an, die aufgrund ihres Triebes vor allem die Frauen bedrohten. Die Wahrnehmung folgt den Vorgaben eingeschliffener kultureller Muster, doch tritt der Wilde Mann hier im Miniaturformat auf: Das Schuld- und Schamphantasma mutiert zum Spielzeug. Vincenz orientiert sich in seinem Grenzziehungsunternehmen ausschließlich an äußerlichen sinnlichen Kategorien: nach Maßgabe seiner Zeit ein gültiges Paradigma für Wildheit. Wenn auch der Realitätsgehalt des Berichts schwer zu bestimmen ist, so bietet er dennoch Einblick in den experimentellen Umgang mit Sonderwesen an den Zentren der höfischen Kultur. Am Rand der Gesellschaft leben aber nicht nur die Ausgestoßenen, sondern selbst bestimmte Berufsgruppen werden unter dem Etikett Wilder Mann verortet. Ekkehard von St. Gallen erwähnt in seiner Klosterchronik zwei Jäger, die dem Kloster zu Diensten sind. Auch sie repräsentieren gewissermaßen Randfiguren zwischen Natur und Kultur: »Zwei Oberhirten, durch und durch Waldmenschen, struppig und mit wallenden Bärten – wie Leute dieses Schlages oft zu erscheinen pflegen […].«345 Fellkleidung und Bärte kennzeichnen diese Berufsgruppe in den Augen des ›zivilisierten‹ Chronisten offenbar als einen bestimmten Typus von Waldmensch.

5.3 Transformation des Menschen: Werwolf Ein rekurrentes Problem für mittelalterliche Autoren stellt die Frage dar, ob sich ein Mensch jenseits angeborener Mißbildungen – qui leonis habent vultum – real in ein Tier verwandeln kann. In den Prozessen der Inquisition 344 Ebd.,126, Sp. 2392f.; vgl. Perrig, Erdrandsiedler, S. 39f. 345 Magistri pastorum duo, homines utique silvestres, hirsuti et prolixis barbis, ut id genus multum vider[i] solet. Ekkehard von St. Gallen, Casus sancti Galli Cap. 15. Zu den sozialen Randfiguren der Waldnutzer vgl. Bartra, Wild Men in the Looking Glass, S. 81f.

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wurde Hexerei mit der corporum mutatio in bestias gleichgesetzt, und noch im 18. Jahrhundert werden magische Praktiken kontrovers diskutiert.346 Bereits Plinius hatte das Problem anhand des Werwolfglaubens in seiner »Naturalis historia« erörtert und sich skeptisch gezeigt.347 Vor dem Hintergrund einer seit Augustin elaborierten Dämonologie gelten dann derartige unnatürliche Verwandlungen gemeinhin als Indizien für das Wirken des Teufels oder als eine Strafe Gottes. Augustins Kritik findet sich bei Isidor, von dem sie wiederum Vincenz von Beauvais übernimmt.348 Das »Decretum Gratians« legt sogar kirchenrechtlich fest, daß es sich bei Verwandlungen dieser Art stets um Phantasmen der Magie bzw. Dämonie handelt.349 Doch können theologische Warnungen und kirchenrechtliche Festlegungen nicht verhindern, daß das Verwandlungsthema aktuell bleibt.350 Es sind wiederholt die vermeintlich historisch dokumentierten Fälle von Verwandlungen, die das Interesse der Chronisten wecken. Sie sind mit jeweils wechselnder Perspektive Gegenstand von chronikalischer, naturgeschichtlicher, ethnographischer und literarischer Darstellung. Vincenz von Beauvais widmet sich dem Werwolfproblem gleich mehrfach in seinem »Speculum Maius«. Zu Beginn des »Speculum historiale«, im geschichtsphilosophischen Überblick über die geo- und ethnographische Lage nach dem Sündenfall, wie auch gegen Ende seines »Speculum naturale« anläßlich der Behandlung absonderlicher Hervorbringungen der Natur bietet Vincenz nahezu identische Abschnitte.351 Die Serie der überlieferten Fälle genügt nicht nur dem autoritätsfixierten Zitationsverfahren naturkundlicher und historiographischer Darstellung, sie bietet überdies unterschiedliche Verfahren der Verifikation. 346 Horn, Die Identität des Helden, S. 204. Zur Magie vgl. Johann Peter Eberhards »Abhandlung von der Magie« (1782), die aus der Sicht aufgeklärter Naturforschung den physikalischen Aberglauben, u. a. die Werwolffrage, kritisiert (S. 9f., 17). Schon hier wird, wie später allgemein üblich, das Phänomen auf psychische Pathologien zurückgeführt. 347 […] homines in lupos verti rursusque restitui sibi falsum esse confidenter existimare debemus aut credere omnia quae fabulosa tot saeculis conperimus. Plinius, Naturalis Historia VIII,22 (34). 348 Augustinus, De civitate Dei XVIII,17; Isidor, Etymologiae XI,4; Vincenz von Beauvais, Speculum historiale I,95; Speculum naturale XXXI,122. 349 Gratian, Decretum pars II, causa 26, quaest. V, cap. 14 zu den Tierverwandlungen der Gefährten des Odysseus und zu den Arkaden: Sed haec omnia magicis praestigiis potius fingebantur quam rerum veritate complerentur. PL 187, Sp. 1352. 350 Burchard von Worms bezweifelt um 1025 in seinem »Poenitial« die Verwandlung, liefert aber zugleich einen frühen Beleg für den zeitgenössischen Werwolfglauben: id est, dum aliquis homo nascitur, et tunc valeant illum designare ad hoc quod velint ut quandocunque ille homo voluerit, in lupum transformari possit, quod vulgaris stultitia weruvolff vocat, aut in aliam aliquam figuram? Decretorum libri viginti, PL 140, Sp. 971; vgl. Grimm, Deutsche Mythologie III, S. 409; Schild, Alte Gerichtsbarkeit, S. 65. 351 Vincenz von Beauvais, Speculum historiale I,95, Sp. 35; Speculum naturale XXXI,122, Sp. 2390.

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Als Belege für die Möglichkeit von Transformationen führt Vincenz zunächst eine Beispielreihe aus Isidors »Etymologien« (Odysseus, Diomedes Gefährten, Arcades) an, die die grundsätzliche Möglichkeit der Tierverwandlung als ›historisch‹ belegt darstellen: »Das bestätigt sich nicht durch eine fabulöse Lüge, sondern durch historische Versicherung.«352 Vincenz bietet das sachliche Substrat jener spektakulären Fälle, die seit der Antike die Phantasie beschäftigen und die bereits Augustin ausführlich erörtert hatte.353 Sodann zitiert er mit Solinus eine antike naturkundliche Autorität, schließlich sogar einen zeitgenössischen Bericht aus der »Chronik« des Hélinand de Froidmont, für deren Geltungsanspruch (fama) der Autor selbst einen Erfahrungsbeleg vom Hörensagen aus dem eigenen Lebensraum anführt:354 Während seine Frau ihm den Kopf wäscht, würgt ein Bauer aus der Gegend von Beauvais Glieder eines Knaben hervor, ein Sachverhalt, der offenbar sogleich mit dem Werwolfglauben assoziiert wurde: »Die Meinung aber war sehr verbreitet, daß jener von Zeit zu Zeit in einen Wolf verwandelt worden sei.«355 Sowohl im historischen wie naturkundlichen Rahmen der Darstellung allgemeiner Degeneration findet das Werwolfthema bei Vincenz seinen Platz, so daß in beiden Fällen der Kontext heilsgeschichtlich determiniert ist. Magie und Pflanzen, aber auch Verdammnis, so die Ansicht, könnten derartige Transformationen bewirken. Was im Kontext der Darstellung heilsgeschichtlich motivierter Deformationen in seinem Status nicht bezweifelt wird, wird im engeren naturkundlichen Zusammenhang, im Kapitel über den Wolf, indes in Frage gestellt. Hier zitiert Vincenz gegenüber den vorherigen Belegen nur die skeptische Notiz des Plinius aus dem 8. Buch der »Historia naturalis«.356 Der auctor selbst enthält sich zwar des Kommentars, paßt seine Zitatauswahl aber den unterschiedlichen Rahmenbedingungen seines Werks an. Geralds von Wales Werwolfgeschichte aus der »Topographia Hibernie« ist noch stärker aus einer theologischen Perspektive entworfen.357 Er gibt den 352 non fabuloso mendacio, sed historica affirmatione confirmant. Vincenz von Beauvais, Speculum historiale I,95, Sp. 35. 353 Augustinus, De Civitate Dei XVIII,17–18: Non itaque solum animum, sed ne corpus quidem ulla ratione crediderim daemonum arte uel potestate in membra et liniamenta bestialia uera citer posse conuerti, […]. Ebd. XVIII,18, CCCL 48, S. 608. Zum antiken Hintergrund des Werwolfglaubens vgl. Burkert, Homo Necans, S. 97–108. 354 Memini me adolescentulum audisse à nonnullis pro vero narrari […]. Vincenz von Beauvais, Speculum historiale I,95, Sp. 35. 355 Opinio autem nimis vulgata erat in lupum illum per diuersa tempora transformari. Ebd. 356 Mirum est quo procedat Graeca credulitas. Nullum tam impudens mendacium est, vt teste careat. Homines siquidem in lupos verti, rursusque sibi restitui falsum esse confidenter aestimare debemus. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XIX,87, Sp. 1430 (= Plinius VII,22[34]); vgl. Speculum historiale I, 95; vgl. Isidor, Etymologiae XI, Cap. 4. 357 Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie II, S. 143–145; Boivin, L’Irlande au Moyen Âge, S. 211–215.

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Bericht eines irischen Mönchs wieder, der während eines nächtlichen Aufenthalts im Wald zusammen mit seinem Begleiter von einem Wolf verfolgt wird, der sich indes selbst als verwandelter Mensch zu erkennen gibt. Dem Mönch, der sich wundert, daß sich unter der Form eines Tieres menschliche Worte artikulieren – sub bestiali forma humana uerba –, erklärt das auskunftsfreudige Tier sogar die Hintergründe seines Schicksals. Es entspricht dem Negativbild des anglonormannischen Kolonisators Gerald vom wilden und verdammten Irland, daß hier ein ganzes Volk durch die Verwünschung eines Heiligen dazu verdammt scheint, jeweils einen Mann und eine Frau zu delegieren, die für sieben Jahre Wolfsgestalt annehmen müssen, ehe sie, sofern sie überleben, zurückverwandelt werden.358 Die Verwandlung erweist sich als metaphysische Strafe, ihre Opfer als Delinquenten mit durchaus humanen Attitüden. Das ›Tier‹ wendet sich nämlich aus Sorge um seine kranke Gefährtin an den Kleriker, der nun seinerseits, zunächst zu Tode erschrocken, die kranke Wölfin in einer Baumhöhle aufsucht: »In der Höhle sah er eine Wölfin, die unter wilder Spezies menschliches Ächzen und Klagen hervorbrachte.«359 Die Differenz zum topischen Werwolfthema wird sichtbar dadurch markiert, daß beide Wölfe immer wieder religiöse Wendungen vorbringen. Anders als durch die verwerflichen Praktiken der Magier ist es hier das Wunder des allmächtigen Gottes – Mirabilis Deus in operibus suis –, das gegen die Natur strafend wirksam wird. Insofern wird nicht der Mensch zum Tier, vielmehr bewahrt der Mensch unter der Tiergestalt seine Art, so daß die Form der Verwandlung eher den Charakter einer erzwungenen Verkleidung annimmt.360 Bei aller Grenzüberschreitung wird auf die Wahrung der Differenz geachtet. Die Erzählung geht schließlich in einen theologischen Kasus über, wenn die komplizierten Umstände beschrieben werden, unter denen dem kranken Tier die Sakramente gespendet werden können. Die Pointe der Geschichte liegt gerade darin, daß die kranke Wölfin die Sakramente nur unter der Bedingung empfangen kann, daß sie sich zur Hälfte in einen Menschen zurückverwandelt.361 Selbst später noch wird der Fall Gegenstand kirchlicher

358 Formam enim humanam prorsus exuentes, induunt lupinam. Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie II, S. 144. 359 In cuius concauitate lupam conspicit, sub specie ferina gemitus et planctus humanos emittentem. Ebd. 360 Zu analogen Verfahren im antiken Epos und im Märchen vgl. Horn, Die Identität des Helden, S. 199. 361 Et ut omnem abstergeret dubietatem, pede quasi pro manu fungens, pellem totam a capite lupe retrahens, usque ad umbilicum replicauit: et statim expressa forma uetule cuiusdam apparuit. Quo uiso, tandem sacerdos obnixe postulantem et deuote suscipientem, terrore tamen magis quam ratione compulsus, communicauit. Et statim pellis a lupo retracta priori forme se coaptauit. Giraldus Cambrensis, Topographia Hibernie II, S. 144.

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Erörterungen. Nicht als bedrohliche Wildheit, auch nicht als verbotene Technik, sondern sichtbar als providentielles Ereignis wird hier die Metamorphose zum Tier gezeichnet, das dennoch für das erlösende Instrumentarium der Kirche empfänglich bleibt. In einer dritten Variante geht Gervasius von Tilbury in den »Otia imperialia« dem Phänomen des »Werwolfs« historisch-literarisch auf den Grund. Anläßlich der Behandlung des Sündenfalls führt die Frage, ob Frauen sich in Schlangen verwandeln können, zu einem Analogiebeweis: Freilich, daß man behauptet, daß Frauen in Schlangen verwandelt werden, ist zwar verwunderlich, doch nicht zu verachten. Wir sehen nämlich gelegentlich in England, daß durch Mondschein Menschen in Wölfe verwandelt werden, so daß die Franzosen diese Art von Menschen gerulfus nennen, die Engländer aber Werewlf sagen, Were heißt nämlich im Englischen der Mann, Wlf Wolf. Sanè, quod in serpentes mutari dicunt foeminas, mirandum quidem est, sed non detestandum. Vidimus enim frequenter in Anglia, per lunationes homines in lupos mutari, quod hominum genus gerulfos Galli nominant, Angli verò Werewlf, dicunt. Were enim Anglicè virum sonat, Wlf lupum.362

Dem in Frage stehenden Kasus schreibt Gervasius zunächst eine volkstümliche Bestätigung zu.363 Der Rekurs auf verbindliche Überlieferung erweist sich aber als ironisches Spiel mit Autorisierungsstrategien, wenn Gervasius einen zusätzlichen authentischen Fall, eine veredicâ narratio, vorzustellen vorgibt und in der Folge die Melusinensage nacherzählt.364 An späterer Stelle allerdings bietet er eine weitere Historie über einen Werwolf: Raimbaud de Pinet, ein waffengeübter Ritter, durchzieht nach seiner Enterbung ziellos – vagus – die Gegend, abseits der Straßen, einem wilden Tier ähnlich – more ferino devia lustraret –, so daß er sich eines nachts, durch Furcht verwirrt und geistig entfremdet – nimio timore turbatus, cum mentis alienatione –, in einen Wolf verwandelt und seine Heimatregion mit Gewalt überzieht, Kinder verschlingt, Greise zerreißt und die Umgebung verwüstet.365 Erst nachdem ihm von einem Holzfäller ein Fuß abgeschlagen wird, verwandelt sich der wahnsinnige Adelige wieder in einen Menschen: »Indem er so die Art wiedergewonnen hatte, nahm er die Gestalt eines Menschen an.«366 Den Verlust des Fußes begrüßt Raimbaud sogar öffentlich, da er allein hierdurch von seiner

362 Gervasius von Tilbury, Otia imperialia I,15, S. 895. Zur Werwolftradition der frühen Neuzeit: Rheinheimer, Wolf und Werwolfglaube, S. 399–422. 363 De serpentibus tradunt vulgares, quod sunt quaedam foeminae, quae mutantur in serpentes, […]. Gervasius von Tilbury, Otia imperialia I,15, S. 895. 364 Scio equidem jampridem relatum veredicâ narratione. Ebd. 365 quod multorum colonorum mansiones fecit esse desertas. Ebd.III,120, S. 1003. 366 sicque specie resumtâ hominem induit. Ebd.

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damnatio geheilt worden sei.367 Nicht Magie steuert den Prozeß, auch nicht eine vermeintlich göttliche Strafe zeichnet verantwortlich, sondern soziale Isolierung eines Adeligen und dessen nächtliche Raubzüge. Gegenüber den theologischen Werwolfmodellen verbleibt das literarische des Gervasius in der Immanenz und stützt sich adelskritisch auf die Konnotation der Metapher von Wolf und Herde. Die freiwillige Zustimmung zur drastischen Körperstrafe delegiert die Lösung des Problems vagabundierender Gewalt letztlich an das Recht. Die Kritik feudaler ›Verwilderung‹ wird bei Gervasius durch ihre Einbindung in den Werwolfglauben literarisch codiert, so daß sich Adelskritik durch metaphorische Verkleidung Distanz verschafft. Gegenüber der theologischen Verhandlung des Werwolfthemas bleibt Gervasius ganz im Diesseits und vertritt eine weltliche Lösung des Problems. Das Thema des animalisierten Adeligen ist offenbar nicht nur Gegenstand theologischer Kritik.368

5.4 Asketische Inversion: der Anachoret Der Wilde Mann ist traditionell eine Instanz exzentrischer Triebenergien, die sich in Gewalt, Sexualität und Wahnsinn artikulieren: der homo agrestis des »Straßburger Alexander«, die incubi und fauni der Wälder sowie die Wilden Frauen und der wahnsinnige Iwein. Sie alle stehen für die Dominanz des Körpers über die Seele (ratio). Demgegenüber nimmt der Anachoret bisweilen freiwillig die Haltung des Wilden Mannes an. In einer von Grund auf gestörten Welt findet sich die Figur des edlen Wilden aber nur als Randfigur. Bernheimer bindet vor dem Hintergrund antiker Theorie vor allem den Dindimusbriefwechsel an diese Tradition an.369 Die Bedürfnislosigkeit der Gymnosophisten grenzt zwar an eine natürliche Lebensform, doch steht hinter solcher Haltung eher die pastorale Existenz der Monasten, wie sie etwa in der Hirtenexistenz der Patriarchen ihr Vorbild findet. Eine besondere Variante der Heiligenlegende bildet die frühchristliche Anachoretenvita, die von Einsiedlern berichtet, die sich in die Wüste zurückgezogen haben, um isoliert von der Welt Gott zu huldigen.370 In einer ihrer Ausprägungen bildet sie eine Variante jener zahl367 Asserunt enim, qui talia duxerunt in usum, membrorum truncatione ab hujusmodi infortunio homines tales liberari. Ebd. 368 Die ständische Asymmetrie der Bestrafung folgt zeitgenössischem Recht, schließlich war der Wolf das schädliche Tier schlechthin, das selbst in den Jagdrechten explizit nicht geschützt war. allen tyern ist vride gesetzet wan den wolfen vnd den pern. dar an brichet nieman den vride. Schwabenspiegel, Landrecht, 236. 369 Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 86–90. 370 Ebd., S. 17; Bartra, Wild Men in the Looking Glass, S. 52–62, 74–78; Elliott, Roads to Paradise, S. 170.

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reichen Geschichten, in denen Heilige ihre Macht über Tiere demonstrieren.371 In einer anderen nähert sich der Anachoret der Erscheinung des Wilden Mannes an, nicht aber um seinen wilden Energien zu verfallen, sondern um zu demonstrieren, daß sie selbst auf der Grenze beherrschbar sind. Eine solche Haltung verweist auf den Freiraum, der der inneren Einstellung gegenüber der äußeren Erscheinung im Christentum eingeräumt wird. Wird das Gegenbild einer geordneten Gesellschaft im Wilden Mann entworfen, in seiner unsteten Wanderschaft, seinem Lebensraum in Wald und Wüste, seiner physischen Deformation,372 so bildet genau das die Herausforderung für den Anachoreten: In Augenblicken, da der Asket dem Zusammenbruch nahe war, fühlte er sich getrieben, frei und gedankenlos wie ein wildes Tier zu wandern, an den hier und da wachsenden Kräutern zu nagen […]. Das war der unheimliche Zustand der adiaphoria, In ihm lösten sich die Grenzen zwischen Mensch und Wüste, zwischen Menschlichem und Tierischem in bedrückender Verwirrung.373

Das gnostische Modell: Markus der Athener Ein spezifischer Typus solcher Viten ist vermutlich älter als das Christentum und geht auf antike gnostische Lehren zurück.374 Die Gnosis unterscheidet drei Typen von Menschen: erstens Pneumatikoi bzw. Gnostikoi, die in lichtere Sphären vordringen und ein höheres Wissen besitzen; zweitens Psychikoi: normale Christen, die über Glauben statt Wissen verfügen, Christen, die sich noch nicht von der unteren Welt emanzipiert haben; schließlich drittens Hylikoi: solche Menschen, die gänzlich dem Stofflichen und der Dunkelheit verfallen sind.375 Die gnostische Welt- und Seelenlehre, der auch Augustinus seinen Leib-Seele-Dualismus verdankt, hat nun direkte Auswirkungen auf das Verhalten der frühen griechisch-ägyptischen Anachoreten. Ihr Rückzug aus der Welt dient der intensiveren Kontaktaufnahme mit Gott, ohne Vermittlung durch eine Institution: letztlich ihrer Loslösung von der Welt, zu der ausgefeilte Praktiken der Kasteiung gehören. Ziel ist die Ablösung der Seele vom Körper. Charles A. Williams zitiert in seinem Werk über die behaarten Anachoreten mit der Rückzugsvita des Atheners Markus eine frühe griechisch-ägyptische Anachoretenvita.376 Nach einer langen beschwerlichen Reise gelangt 371 Nitschke, Heilige und Tiere, S. 62–100, 71ff.; Lutterbach, »Tiere«, S. 294–331; Lutterbach, »Die Tiere folgen dem Heiligen«, S. 770–785. 372 White, The Forms of Wildness, S. 16. 373 Brown, Die Keuschheit der Engel, S. 233. 374 Williams, Oriental Affinities, S. 57–125. Zum historischen Hintergrund vgl. Brown, Die Keuschheit der Engel, S. 227–253. 375 Williams, Oriental Affinities, S. 57–62; Bartra, Wild Men in the Looking Glass, S. 52 f. 376 Williams, Oriental Affinities, S. 62–71.

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der Erzähler Serapion im entfernten Äthiopien zu dem Einsiedler, der ihm von seinen Askeseleistungen berichtet. Dreißig Jahre habe er Hunger, Durst und Nacktheit ertragen, hätten Kälte und Hitze seinen Körper ausgemergelt und hätten die Dämonen einen Kampf gegen ihn geführt, bis sich schließlich durch übergeordneten Ratschluß sein Körper verändert habe und gänzlich mit dichtem Haar bewachsen sei. Seit dieser Zeit hätten die Dämonen keinen Zugriff mehr auf ihn, leide er weder unter Hitze und Kälte noch unter Hunger und Durst. Engel seien herabgekommen mit geistiger Nahrung, und er habe das ewige Königreich, die heiligen Seelen und das Paradies sehen können. Der Erzähler selbst bestätigt den Sachverhalt des Haarwuchses und gerät in Furcht, als der Tag anbricht und er den Eremiten voll zu Gesicht bekommt: Er sieht einen Körper gänzlich bewachsen wie der eines Tieres, so daß er nicht die Gestalt eines Menschen zu haben schien. »Er konnte nicht als Mensch betrachtet werden außer durch die Sprache, die aus seinem Mund kam.« Der Einsiedler tröstet ihn: »›Fürchte dich nicht vor dem Anblick dieses Körpers, denn er ist vergänglich und aus vergänglicher Materie gemacht.‹«377 Die Metamorphose des Anachoretenleibes wird als ein providentielles Ereignis dargestellt. Gott selbst habe es angeordnet. Die äußerliche Umwandlung in ein tierähnliches Wesen befreit den Einsiedler von allen Anfechtungen des Körpers. In der antiken stoischen Tradition war wiederholt der Status des Menschen als Mängelwesen beklagt worden, da allein der Mensch offenbar gegenüber allen anderen Tieren über keinen natürlichen Schutz verfügt und allen äußeren Widrigkeiten schutzlos ausgeliefert ist. Entsprechend heben die Entsagungen des Markus den labilen Zustand des Körpers drastisch hervor. Das beschriebene Wunder macht offenbar den Mangelzustand rückgängig:378 Der Körper wird – indes auf einer untergeordneten Stufe – in die natürliche Obhut zurückgeholt. Zugleich aber korrespondiert der rein äußerlichen Verwandlung zum Tier eine Erhöhung der Seele, die den Asketen in die visio beatifica, in die Nähe der Gottesschau trägt. Am Körper des Anachoreten vollzieht sich ein Spaltungsprozeß, eine Dissoziation, die dem gnostischen Dualismus entspricht: während sich die Seele auf den Weg in höhere Sphären macht, sinkt der Körper zurück in die Materialität der animalischen Natur. Die Geschichte bestätigt also die gnostische Theorie vom Dualismus von Leib und Seele und zugleich die Chancen einer harten ere377 Ebd., S. 67. 378 Die Legende von der heiligen Agnes erzählt, wie diese zur Strafe für ihre Standhaftigkeit körperlich gedemütigt werden soll. Ihren Peinigern antwortet sie, daß niemand sie beschmutzen könne: mecum enim habeo custodem corporis mei, angelum domini. Legenda Aurea, S. 114. Der Präfekt gibt den Befehl, sie zu entkleiden und nackt ins Bordell zu führen: Tantam autem densitatem capillis ejus dominus contulit, ut melius capillis quam vestibus tegeretur. Legenda Aurea, S. 115.

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mitischen Askese, indem sie die widerstreitenden Dynamiken beider an dem besonderen Punkt der Ablösung ins Bild setzt. Tierhaftigkeit ist hier aber nicht als Wildheit entworfen, sondern als Wiedereingliederung in eine natürliche Stoffwelt. Die Legende vom heiligen Onuphrius ist in der Sammlung »Der Heiligen Leben« aus dem 15. Jahrhundert überliefert.379 Sie erzählt die Geschichte von einem jungen Mönch, der durch Erzählungen über das vorbildliche Leben von Einsiedlern veranlaßt wird, das Kloster zu verlassen, um in der Wüste den Anachoreten nachzueifern. Gegenübergestellt werden gemeinschaftlich orientiertes Klosterleben und isolierte Hingabe an Gott. Geschildert wird sein Aufbruch, seine Begegnung mit einem Engel, dann mit einem Einsiedler, ehe Onuphrius sein Ziel, die Einöde erreicht, wo er von Laub und Kräutern in einer Höhle lebt. Die stärkere Gottunmittelbarkeit gegenüber dem Klosterleben zeigt sich in immer neuen providentiellen Hilfeleistungen: Ein Engel führt ihn, und Gott sendet ihm täglich ein Brot. Thema ist die Herstellung von Heiligkeit durch Gottesdienst, durch harte Askese. Es gehört zur Erzählstruktur der Anachoretenviten, daß die Einsiedler von lernbegierigen Eiferern aufgesucht werden. Pafnucius, ein Verehrer der Heiligen, macht sich auf den mühsamen Weg, den 17 Jahre sich kasteienden Onuphrius aufzusuchen. Was er antrifft, erschreckt ihn: Onuphrius, der waz gar schevczleichen an zů sehen reht als ain wildes tier und waz 0ber all ravch als ain per vnd het har an im, daz waz als lank, daz ez allen seinen leichnamen bedekt, doch bedekt er sein scham mit kravt vnd mit pletern.380 Der Schrecken des Besuchers wird indes mit dem Ausspruch besänftigt: ›Gotz kneht, kvm her vnd fvrht dir niht, wan ich pin ain mensch als dv.‹381 Wie bei Markus zahlt offenbar der Körper seinen Preis für die Heiligkeit, doch nicht mehr so pointiert auf die gnostische Konstellation bezogen. Eine wahrhaftige Metamorphose des Körpers wird angezeigt, die aber gleichfalls Zeichen innerer Heiligkeit ist. Nicht als Strafe für eine persönliche Verfehlung wie etwa bei Nebukadnezar, sondern als bewußte Distanzierung von aller Kultur der Menschen. Das Schuldverhältnis der Erbsünde, das mit dem Sündenfall eingeleitet wurde, bleibt dennoch in der verdeckten Scham offenbar, das den Anachoreten dann doch noch vom schamlosen Tier trennt: Reminiszenz an das Paradies, an die gefallene Menschheit, die eben unerhörte Anstrengungen unternehmen muß, um diese ›Schuld‹ zu tilgen.

379 Der Heiligen Leben [Sommerteil], S. 142–147. 380 Ebd., S. 145. 381 Ebd.

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Das pastorale Modell: Der heilige Benedikt Ein anderes Modell bietet Gregor der Große am Ende des 6. Jahrhunderts. Im zweiten Buch seiner Dialoge, in denen er für eine einfache Pastoraltheologie ohne gelehrte Ansprüche plädiert, bietet Gregor eine Vita des Heiligen Benedikt von Nursia. Überwiegend enthält sie Wundergeschichten, die die Heiligkeit Benedikts bestätigen sollen. Dieser zieht sich der Legende nach schon frühzeitig in die Einöde zurück, um abgesondert von den Menschen und ihren weltlichen Vergnügungen zu leben: Benedikt lebt zurückgezogen und selbstgenügsam, doch stellt sich bei ihm eine besondere Konstellation von Körper und Seele ein: Damals entdeckten ihn auch Hirten in der Höhle, wo er sich verborgen hielt. Als sie ihn mit Fellen bekleidet im Gestrüpp erblickten, meinten sie zunächst, er wäre ein wildes Tier. Bald aber erkannten sie ihn als Diener Gottes. Da ließen viele von ihrer rohen Gesinnung ab und wandten sich der Gnade eines frommen Lebens zu. Dadurch wurde sein Name in der Umgebung allen bekannt. So kam es, daß er schon damals von vielen aufgesucht wurde. Sie brachten ihm Nahrung für den Leib und nahmen in ihrem Herzen dafür aus seinem Mund Nahrung für das Leben mit. Eodem quoque tempore hunc in specu latitantem etiam pastores invenerunt: quem dum vestitum pellibus inter fruteta cernerent, aliquam bestiam esse crediderunt: sed cognoscentes Dei famulum, eorum multi ad pietatis gratiam a bestiali mente mutati sunt. Nomen itaque ejus per vicina loca innotuit cunctis: factumque est ut ex illo jam tempore a multis frequentari coepisset, qui cum ei cibos afferrent corporis, ab eius ore in suo pectore alimenta referebant vitae.382

Elliott stellt diese topisch äußerliche Verwilderung des Anachoreten in den Zusammenhang von Übergangsriten, die eine Station auf dem Weg zur Heiligkeit bilden.383 Die Episode demonstriert aber mehr den Grundkonflikt zwischen Körper und Seele und zugleich eine mögliche Lösung für die Existenz des Heiligen, vielleicht sogar für die Kirche insgesamt: Leib und Seele werden inszeniert als animalisch gezeichnete und geistige Existenz. Im Heiligen wird der Grundkonflikt zwischen animalischem Körper und innerer seelischer Reinheit zugleich anschaulich und bewältigt. Der verwilderte Körper wird offenbar durch die reine Seele im Zaum gehalten: gleichfalls eine typische InnenAußen-Relation. Dabei achtet Gregor darauf, daß Benedikt nur Tierkleidung trägt, also allein durch seine Kleidung verwildert erscheint: Er ist gewissermaßen äußerlich seiner Umgebung, der Wildnis, angepaßt. Kein Wunder also wie im Falle des Markus, sondern bereits eine Rationalisierung, die auf Wahrscheinlichkeit setzt. Die Täuschung, ihn als Tier zu identifizieren, liegt allein bei den Hirten. Umgekehrt aber besitzen die realen Tierhüter eine anima382 Gregor, Vita S. Benedicti Cap. I, PL 66, Sp. 132. Hervorhebung U. F. 383 Elliott, Roads to Paradise, S. 168–180: The Saint as liminal Hero.

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lische Gesinnung. Nicht nur rohe Gesinnung zeichnet die Hirten aus, sondern eine mens bestialis. Den realen Tierhütern, die mit Tieren umgehen, wird eine tierische Gesinnung attestiert. Die Legende ist raffiniert symmetrisch konstruiert. Es ist das klassische Bild vom Hirten und der Herde, die politische Metapher für die Gemeinde, die der Legende zugrunde liegt, hier indes verkehrt ist: Während der Heilige äußerlich wild erscheint, innerlich aber rein ist, erscheinen die Hirten nur äußerlich als Menschen. Es sind also die Hirten selbst, die ob ihrer inneren Animalität der Leitung bedürfen. Wie die Hirten konkret für ihre Tiere sorgen, so sorgt der geistige Hirte für seine ›Hirtenschäfchen‹. So verweist noch der Prozeß wechselseitiger Ernährung auf die Hierarchie von Körper und Geist: Dem realen Ernährungsprozeß durch die Hirten vergilt der Heilige durch eine geistige Nahrung für das Leben. Es ist klar, wer die Verantwortung für den Körper und wer die für die Seele trägt. Die Hirten werden zu geistigen Schafen. Als Kirchenrepräsentant mit pastoralem Programm verbindet Gregor hier die monastische Existenz des Benedikt letztlich mit dem Führungsanspruch der Kirche. Die Opposition läuft über diejenige von Hirte und Herde, Mensch und Tier, die im Heiligen nur äußerlich gestaltet ist, in den Hirten dagegen innerlich verschwimmt. Nicht der Eremit wird hier zum Tier, er erscheint nur in der Hülle eines Tiers, vielmehr sind es aus der Sicht der Mission die anderen, gar nicht einmal die Fremden, die der pastoralen Fürsorge bedürfen. Das Bußmodell: Der heilige Chrysostomus Der Eremit kämpft in der Einöde aber nicht nur gegen sich selbst, wie Antonius formuliert hatte, sondern auch gegen überraschend auftretende Versuchungen.384 Wenn ihm etwa vom Teufel sinnliche Verlockungen zugeführt werden, wie Jesus selbst in der Wüste, dann stehen verschiedene Reaktionsmöglichkeiten offen. Entweder der Mensch reagiert göttlich-distanziert und souverän wie Jesus und verweist die Versuchung aus seiner Nähe. Oder er bewältigt die Versuchung wie der heilige Benedikt in der »Legenda aurea«, der angesichts der weiblichen Reize deutlich in Wallung gerät, sich aber sogleich in ein Dornengebüsch wirft, um die sinnliche Erregung durch körperliche Schmerzen abzutöten. Oder aber er erliegt der Versuchung wie der heilige Chrysostomos und degradiert sich zum Tier. Der Eremit als vertiertes Wesen erscheint eben nicht nur als Wunder oder als Täuschung der Betrachter. Gemessen an den Vorgaben des Sündenfalls kann der Mensch realiter sich dem Tier annähern. Das berühmteste biblische Beispiel ist König Nebukadnezar, von dem im Buch Daniel (4,30) berichtet 384 qui sedet in solitudine et quiescit, a tribus bellis eripitur, scilicet auditus, locutionis et visus et contra unum tantummodo pugnam habebit, scilicet cordis. Legenda Aurea (Antonius), S. 106.

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wird, er sei aufgrund seiner Hybris in ein Tier verwandelt worden. Im selbstzufriedenen Anblick seiner Stadt Babel kommt die Strafe über ihn: »Im gleichen Augenblick wurde das Wort erfüllt an Nebukadnezar und er wurde verstoßen aus der Gemeinschaft der Menschen, und er fraß Gras wie die Rinder und sein Leib lag unter dem Tau des Himmels und wurde naß, bis sein Haar wuchs so groß wie Adlerfedern und seine Nägel wie Vogelklauen wurden.«385 Das Muster der Strafe für den Sünder ist also biblisch vorgeprägt. Für den Fall des Anachoreten steht im 15. Jahrhundert exemplarisch die Legende vom Heiligen Chrysostomus. Auch sie ist in der Legendensammlung »Der Heiligen Leben« überliefert, die 1471 gedruckt wurde.386 Chrysostomus hatte sich schon als junger Mann im Bewußtsein seiner Unwürdigkeit in die Einöde zurückgezogen, um sich ungestört dem Gottesdienst hingeben zu können. Eine junge Prinzessin, die mit ihren Freundinnen unterwegs ist, wird von einem gewaltigen Windsturm vor die Zelle des Eremiten getragen. Ihrer Bitte, sie vor den wilden Tieren zu schützen – man achte auf die Motivankündigung –, verschafft ihr den Zutritt zu seiner Zelle.387 Empört über die Reinheit des Chrysostomus, sorgt der Teufel dafür, daß dieser die Markierung überschreitet, durch die er die Zelle in zwei separate Hälften eingeteilt hatte. Durch die Überschreitung der symbolischen Linie erliegt er der Versuchung und überschreitet auch die reale Grenze. Zwar ist das Mädchen vor wilden Tieren geschützt, doch nicht vor dem inneren Tier. Um eine Wiederholung zu vermeiden, führt der Sünder das Mädchen an einen Abgrund und stürzt es, in der Absicht es zu töten, hinab. Er pilgert nach Rom, um dem Papst seine Sünde zu beichten, doch erkennt dieser ihn nicht und will nichts mit ihm zu schaffen haben. Chrysostomus kehrt in den Wald zurück und legt sich nun selbst eine Strafe auf: herr! enpfach die buoß genädiclichen von mir auff, wann ich will auff henden vnd auff füssen gan, bis ich dein gnad erwürb […] vnd kroch zuo hand auff allen vieren als ein tier in den wald. […] vnd kroch mäniges iar nach seiner leibnarung, das er sich nye auff gericht vnd sein gewand erfaulet schier von im vnd ward rauch über al an seinem leib, das in nyemant erkennen mocht.388 Fünfzehn Jahre vergehen. Währenddessen gebiert die Königin einen Sohn, der, als er vom Papst getauft werden soll, die Taufe zurückweist und verlangt, sie von Sant Johanns dem heiligen man zu 385 Daniel 4,30; vgl. Wells, Die Ikonographie von Daniel IV, S. 39–57. 386 Der Heiligen Leben [Winterteil]. Dazu vgl. Williams, Oriental Affinities, S. 9–11; Ders., The German Legends of the Hairy Anchorite, S. 34–74; vgl. Bartra, der die Chrysostomuslegende mit derjenigen Merlins parallelisiert und beiden einen besonderen Naturbezug unterstellt. Bartra, Wild Men in the Looking Glass, S. 74–77. 387 […] ich sich wol das du ein cristen bist, darumb soltu mir helfen. verlür ich meyn leben hye, so wär es dein schuld; vnd frässen mich die tier. ich klagt es an dem iüngsten tag über dich. Der Heiligen Leben, Winterteil, Augsburg 1471, zitiert nach Williams, The German legends, S. 71. 388 Ebd., S. 72.

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Chrysostomus. De Bry, Emblemata Sæcularia, 1611, f. 13.

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Nebukadnezar. Bibliothèques d’Amiens Métropole, Ms 108 C, f. 136.

empfangen. Jäger werden ausgeschickt, um den Betreffenden zu suchen. Sie treffen auf ein greulichs tier mit einer derart freysslich[en] gestalt, daß sie es zunächst nicht angreifen wollen. Schließlich kommen sie mit dem seltsamen Tier zurück, das sie auf ein Pferd hinter sich gebunden haben. Das furchtsame Tier, so beschreibt die Legende, wird Objekt allgemeiner provozierender Unterhaltung. Das neugeborene Kind erkennt aber in der haarigen Kreatur den vermißten Priester. Während Chrysostomus das Kind tauft, fällt alles Moos und alles Vegetabile von ihm und sein Körper erscheint wie der eines Kindes. Die Taufe als Erlösung von der Erbsünde, als Wiedergeburt, markiert die Rückkehr des animalisierten Wesens in die Welt der Menschen. Er wird eingekleidet und erzählt die vergangenen Ereignisse. Der König läßt nach seiner Tochter suchen, die von Jägern unter dem Felsen lebend entdeckt wird. Sie hatte die göttliche Vorsehung vor Hunger, Durst und Witterung bewahrt. Johannes wird auferlegt, fünfzehn Tage lang täglich eine Messe zu halten, um seiner Seele im Fegefeuer Erleichterung zu verschaffen. Er wird schließlich Bischof, doch zwingen ihn seine Feinde, sich erneut in die Wüste zurückzuziehen, wo er zahlreiche fromme Schriften verfaßt. Ich resümiere: Der heilige Markus inszeniert die gnostische Spaltung von Leib und Seele; der heilige Benedikt setzt das Programm seiner Pastoraltheologie gegenüber den rohen Hirten um; Chrysostomus folgt mit seiner körperlichen Buße seinem Vergehen. Er beugt seinen Körper, erniedrigt ihn, um seinem Vergehen – der Schwäche der Seele – Rechnung zu tragen. Es handelt sich erneut um einen Angleichungsprozeß: Einem viehischen Geist entspricht ein viehischer Körper. Chrysostomus’ Handlung beruht auf seiner freiwilligen Entscheidung. Gerettet wird er aber durch ein Wunder. Insofern kann Otto von Freising in seiner »Chronica« die Anachoreten als einen besonderen Typus von Mönchen vorstellen, deren asketische Le-

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bensform jegliche Form von Kultur abweist und einem harten Naturalismus frönt.389 Aber auch bei ihnen realisiert sich nur eine äußerliche Angleichung an die Topik des Wilden Mannes, die nicht mit der des edlen Wilden verwechselt werden darf. Die animalische Erscheinung ist nur das Pendant zum geschundenen nackten Körper des Märtyrers. Verwilderung und Mangel erfüllen hier eine analoge Funktion. Trotz solcher Erscheinungsform des Mangels – Der arme was zewâre / erwahsen von dem hâre, / verwalken zuo der swarte / an houbet unde an barte – bestätigt Gregorius seine innere Weisheit.390 Beide Formen aber insistieren auf einer religiösen Alternative zum herkömmlichen medizinischen und selbst zum moralischen Körperkonzept: daß nämlich so wie beim Wilden Mann die Seele/ratio den passiones des Körpers nachgibt. Die animalischen Züge, die konstitutiver Bestandteil des Wilden Mannes sind, lassen sich zwar aus der Sicht einer Kriegerkultur als Vorbild auffassen, aus Sicht der Klerikerkultur kann es allenfalls die natürliche Moral sein.

5.5 Wissenschaftliche Grenzziehung: Pygmäen Das Bild von den sylvestres homines, wie es in den bisherigen Schilderungen in unterschiedlicher Topik entworfen wurde, vertritt primär die nach außen gerichtete Form der Abgrenzung vom Tier. Zwar kreist schon das Denken der Theologen von früh an um Gemeinsamkeiten und Differenzen von Mensch und Tier, doch erst mit der Rezeption antiker Theorie ließ sich die Grenze systematisch ziehen.391 Die Rezeption antiker Naturgeschichte, Humoralpathologie, Physiognomik und aristotelischer Philosophie bietet neue Instrumentarien, die Schnittstelle zwischen Mensch und Tier vor dem Hintergrund 389 Sunt etiam, qui squalorem solitudinum requirant, bestiale ferarum consortium non pertimescant, herba pascantur, pelle carnis pro operimento utentes, algore noctis et calore solis in modum Ethiopum denigrati, velud tympanum obrigescant atque terreno habitaculo in terra positi includi dedignantes tectoque caeli tantum utentes non se tam homines quam caelestis curiae contubernales esse demonstrant. Otto von Freising, Chronica VII,35. 390 Hartmann von Aue, Gregorius, V. 3423–3426. swie sêre der gotes trût / an dem lîbe waere / verwandelt von der swaere, / nû was der heilige geist / dar an gewesen sîn volleist / alsô ganzlichen / daz im niht was entwichen, / er enhaete sîn alten / kunst unz her behalten / von worten und von buochen. Ebd., V. 3466–3475. Zum Traditionshintergrund vgl. Ernst, Der Antagonismus von vita carnalis und vita spiritualis, S. 77–85. Der geschundene Körper des Märtyrers ist eine Instanz der Prüfung; als Belohnung tritt dann mitunter Wiederherstellung ein. So fällt nach Arnold von Lübeck Bischof Bertold von Bremen im Kampf gegen die Heiden: erat enim flagrans mortis desiderio. Qui sicut prime lucratur bravia sortis, Sic ipsi prime fuerat data copia mortis. Am nächsten Tag findet man allein den toten Körper des Bischofs unversehrt auf dem Schlachtfeld. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum V,30, S. 212. 391 Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 237 (Laktanz), 241f. (Johannes Scotus Eriugena), 247f. (Adelard von Bath), 252 (Wilhelm von Auvergne) u. ö.

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der dualistischen Leib-Seele-Konzeption alternativ zu theologischen Topoi zu fassen: die Kette der Wesen, die Physiologie und Physiognomie des Körpers, schließlich die Seelenvermögen. Obwohl die homines sylvestres keinen systematischen Ort in der Kette der Wesen besitzen, fordert diese selbst bereits zu diffizilen Grenzziehungen heraus. Die historia naturalis hatte gerade dort, wo die äußerliche Ähnlichkeit frappant war, etwa beim Affen, alle Mühe, die Differenz zu markieren. Der Affe gilt als eine Nachahmung des Menschen, eine schlechte Kopie, eine Sekundärfigur und von daher bereits disqualifiziert.392 Seine Fähigkeiten erschöpfen sich entsprechend in der mechanischen ›imitatio‹. Während die Konzeption der Schöpfungsordnung feste Grenzen voraussetzt, gerät die Naturgeschichte angesichts eines solchen animal instabile, das »in seinen beiden Naturen defizient« erscheint, sichtbar in Argumentationsnöte.393 Der Affe ist damit nicht nur der sichtbarste Ausdruck für eine gestörte Schöpfungsordnung, sondern seine Existenz wird daher auch nicht zufällig mit dem Teufel assoziiert. Die verschiedenen Grade der Verarbeitung von sinnlicher Wahrnehmung etablieren eine Rangfolge der Lebewesen, d. h. die Hierarchie der Lebewesen basiert auf derjenigen der Erkenntnisvermögen. Albertus Magnus wendet in seinem Kommentar zur aristotelischen Tiergeschichte das Instrument der aristotelischen Logik an, mit dessen Hilfe er anthropologische Grenzziehungen vollzieht.394 Er zieht im Anschluß an Aristoteles die Grenzen dieser Ordnung nach dem Vermögen der Lebewesen, ihre sinnlichen Wahrnehmungen zu operationalisieren. Dadurch relativiert sich zunächst die immer wieder betonte Überlegenheit der Sinnenvermögen bestimmter Tiere, die nach Albertus allein aus einer körperlichen Disposition heraus resultiere.395 Die Schnittstelle von Körper und Geist aber bilden die inneren Sinne. Sie markieren den Ort, an dem die Wahrnehmung in den Hauptkammern des Gehirns qua imaginatio, intellectus und memoria verarbeitet wird. Signifikant ist nun, daß 392 Bambeck, Malin comme un singe, S. 292–316. 393 Et etiam mores bestiarum habet, sed in ambobus naturis suis deficit, ita quod nec secundum hominem nec secundum bestias ad perfectum facere potest, et ideo instabilis est. Hildegard von Bingen, Physica VII,24, Sp. 1329. Est itaque simia bestia monstrosa, hominis tamen naturae repraesentatiua, disciplinae susceptiua: […] Bestia siquidem est indomita & malitiosa ex natura. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus XVIII,94, S. 1112. 394 Albertus Magnus, De animalibus XXI,1,2, S. 1325–1329. 395 Melius enim videtur quod acutius visu accipitur: et talis potentia visus est ex complexio-ne organi corporalis in quo est visus. Ebd.,1,1, S. 1323. Die äußeren Sinne, etwa der Blick des Geiers, das Gehör des Maulwurfs und der Geruchssinn des Bären, indizieren somit allein eine Überlegenheit auf der körperlichen Daseinsebene. Anders als beim Menschen besitzen Tiere eine feste Komplexion. Esset item omne animal temperatae complexionis in suo genere. Alexander Neckam, De naturis rerum Cap. CLVI, S. 250; vgl. Wilhelm von Conches, De Philosophia mundi I,23, PL 172, S. 55; Stürner, Natur und Gesellschaft, S. 47.

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die einfache Opposition sensus-ratio, die für die Differenz von Mensch und Tier stand, nach Maßgabe zeitgenössischer Psychologie immer differenzierter entfaltet wird. Nicht nur finden sich bestimmte Tiere, die über memoria verfügen, wie der Geier, der den Ort seiner Beute wiederfindet, sondern auch solche, die prudentia an den Tag legen, wie die Bienen und Ameisen. Selbst technische Operationen (experientia) werden durch Tiere vollbracht (Selbstheilung), so daß ihre Fähigkeit, Wahrgenommenes zu bewahren und zu imitieren, evident ist. Und selbst die Nachahmung von Technik (artis […] imitationem) findet sich bei den Tieren wie etwa beim Affen.396 Die Differenz von äußeren und inneren Sinnen fällt also nicht umstandslos mit derjenigen von Mensch und Tier zusammen. Damit werden aber die Tiere nicht gleich zu Menschen, wohl aber Menschen zu Tieren. Eine systematische Erörterung über die Grenzen zwischen Mensch und Tier vollzieht sich seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts am Problem der Klassifizierung der Pygmäen, das in verschiedenen Quaestionen methodisch ganz unterschiedlich angegangen wurde. Argumentiert ein anonymer Quaestionenkommentar zeugungsontologisch, indem er nachweist, daß die Fortpflanzung der Pygmäen weder eine illegitime Artenmischung darstellt, noch das normale menschliche Maß unterschreitet, erörtert Albertus Magnus das Problem der Wesensdifferenz auf rein erkenntnistheoretischer Grundlage.397 Trotz ihres elaborierten (inneren) Sinnenvermögens situiert Albertus die Pygmäen auf einer Stufe zwischen Affe und Mensch.398 Nicht nur verfügen diese fremdartigen Erdbewohner über äußere Sinne, sondern ihnen eignen zudem Erinnerung, Erfahrung und Technik, sie besitzen soziale Strukturen, auch erfolgt ihre Kommunikation über Sprache. Und dennoch spricht Albertus ihnen das Menschsein ab, da sie wie die genannten Tiere nur über einen imitativen Gebrauch der inneren Sinne verfügen. Sie verbleiben gewissermaßen im Bereich des Körperlichen, der an die äußeren Sinne gebunden bleibt, und gelangen nicht zu einer selbständigen Form von Schlußverfahren (z. B. Syllogismus). Der Pygmäe ist nach Albertus gegenüber dem Affen das perfectius animal, gegenüber dem Menschen als dem perfectissimum omnium animalium bleibt ihm allerdings nur die Daseinsstufe des Tiers vorbehalten. Anders als gegenüber dem Toren, der an einem Mangel an Vernunftgebrauch – privationem usus rationis – leidet, fällt das Urteil über den Pygmäen grundsätzlich aus: privationem rationis ex natura!399

396 Albertus Magnus, De animalibus XXI,1,2, S. 1327. 397 Köhler, Anthropologische Erkennungsmerkmale menschlichen Seins, S. 718–735. 398 Albertus Magnus, De animalibus XXI,1,2, S. 1327–1329; Koch, Sind die Pygmäen Menschen?, S. 194–213; Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 257f.; Köhler, Anthropologische Erkennungsmerkmale menschlichen Seins, S. 718–735, 723f., 728–730. 399 Albertus Magnus, De animalibus, XXI,1,2, S. 1328, 1324.

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Die Differenz von sensus und ratio wird in die inneren Sinne verlagert: imaginatio und memoria, obgleich in zwei der drei Gehirnkammern lokalisiert, funktionieren noch jenseits aller rationalen Kontrolle. Was hier erkenntnistheoretisch hergeleitet wird, besitzt auch seine physiologische Begründung. Erst innerhalb der Hirnkammern vollzieht sich die Ablösung des real Wahrgenommenen (sensus) über die noch an bildliche Präsenz gebundene Vorstellung (imaginatio/memoria) bzw. die selbstlaufende Vorstellung (phantasia) hin zur nicht mehr bildlichen Abstraktion der Begriffe (ratio). Mit der Auslagerung von imaginatio und memoria als differentia specifica des Menschen verfeinert sich das Instrumentarium der Grenzziehung. Die Annäherung der Tiere an rationale Vermögen, an innere Sinne, liefert geradezu das Instrumentarium, fremde Völker aus dem genus humanum auszuschließen.400 Albertus’ Verfahren demonstriert die Wechselwirkung theologischer und philosophischer Diskurse in der Ausgrenzung des Fremden, indem ein theologisch vorgegebenes Kulturmuster durch Rückgriff auf antike Wissenschaft seine theoretische Rechtfertigung erfährt.

5.6 Epische Kontrafaktur: Wilde Männer und Wilde Frauen Der Ort, an dem die verschiedenen Perspektiven auf den Wilden Mann zusammenlaufen können, ist die mittelhochdeutsche Epik. Hier finden sich zahlreiche Szenarien des Wilden im fiktiven Raum, in denen das Wilde den Gegenpol der höfischen Welt bildet und an deren Rand, in den Wald, ausgelagert wird.401 Der Held begegnet auf seinen aventiuren wilden und sogar anthropomorphen Tieren, Riesen und Zwergen sowie Wilden Männern und Wilden Frauen. Ihre äußere Deformation ist zumeist Spiegel der inneren.402 Wilde Frauen wie Ruel, die rauhe Else oder das wilde wîp der »Crône« repräsentieren nach mittelalterlicher Auffassung eine genuin weibliche Triebdynamik und Körperverfallenheit, die in der monströsen animalischen Zeich-

400 Für Albertus gelten aber mitunter auch noch die äußeren Kennzeichen. So qualifiziert er die Barbaren als einen Menschenschlag, der ohne Gesetz und Ordnung lebt: quos Tullius in principio Rhetoricae »sylvestres homines vocat, more ferarum cum sylvestribus feris conservantes: […].« Albertus Magnus, Ethica, VII,1, S. 464 (=466). 401 Die wilden Leute des Mittelalters, S. X; Giloy-Hirtz, Die Begegnung mit dem Ungeheuer, S. 167–209. 402 Der Zwerg Karrioz im »Wigalois« besitzt trotz seiner Statur einen rauhen und starken Körper, Knochen ohne Mark, da er von einer Wilden Frau abstammt: sin muoter was ein wildez wîp. Wirnt von Grafenberg, Wigalois, V. 6603–6607. Chrétien zeichnet anders als Hartmann den Riesen Harpin durch ein Bärenfell geschützt und mit einer Keule versehen: Klassische Attribute des Wilden Mannes. Chrétien de Troyes, Yvain, V. 4196f.

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II. Anthropologischer Rahmen

nung auch nach außen sichtbar wird.403 Die verschiedenen Figuren der Wildheit besitzen eine spezifische Funktion im jeweiligen Erzählzusammenhang, in ihrer Gesamtschau aber realisieren sie eine Topik des Wilden, die Bestandteil des Diskurses über Wildheit ist. Die Beschreibung dieser wilden Menschen folgt einer eigenen Topik, die um die entsprechenden Figuren ein Ensemble von Tierattributen versammelt und auf die entfesselte ›Naturgewalt‹ zielt. Die wilden Figuren des »Wigalois« – der Drache Pfêtan, die wilde Ruel, der Kentaur oder der Zwerg Karrioz –, die sich aus den unterschiedlichsten Tierattributen zusammensetzen, werden darüber hinaus dämonisch codiert: als Repräsentanten des Teufels.404 Heinrichs von Veldeke Zeichnung der Höllenfiguren Charon und Cerberus folgt dem gleichen Muster.405 Wenn aber demgegenüber in »Lamprechts Alexanderepos« auch Alexanders Pferd Bucephalus nach dem gleichen Muster gezeichnet wird, allerdings eher als Index einer naturmythischen Kraft, die sich der Heros aneignet, ist das Register der animalischen Codierung offenbar für unterschiedliche Funktionalisierungen offen. Sie sind nicht per se verwerflich, immer aber bedrohlich. Auch Figuren, die die Sündenverfallenheit der Menschheit repräsentieren, z. B. die traurigen Abkömmlinge Adams wie Cundrîe oder ihr Bruder Malcrêatiure im »Parzival«, können nach analogem Muster gezeichnet sein. Sie sind ebenfalls nicht mehr wild, sondern nur mehr Repräsentanten einer lang zurückliegenden Spaltung des Menschen. Im »Eckenlied« treffen gar bedrohliche und friedfertige Wildheit aufeinander. Dem Riesen Vasolt dienet wildiu lant, das wilde vrovwelin dagegen, das Dietrich um Hilfe bittet und ihn und sein Pferd mit Kräutern heilt, führt ein hohes leben von wilder art.406 Ihre Wildheit steht für Naturnähe, Naturwissen und Hilfsbereitschaft.407 In diesem Sinn repräsentiert auch der friedliche gebûre aus Hartmanns »Iwein« keinen klassischen Wilden Mann, sondern im Kontext der Mensch-Tier-Matrix, die der Roman verhandelt, eine ganz spezifisch reflektierte Konfiguration desselben.408 Auch er ist eine Helferfigur. Was die Epen als ›wilde Menschen‹ in Szene setzen, sei es als Chiffre bedrohlicher Triebenergie, sei es als Memorialzeichen des noch nicht bewältigten Sündenfalls, sei es als Zeichen eines versöhnten Naturverhältnisses, verweist auf die 403 Wirnt von Grafenberg, Wigalois, V. 6285–6460; Wolfdietrich B, Str. 308: si gienc ûf allen vieren reht sam si waere ein ber. Vgl. Heinrîch von dem Türlîn, Diu Crône, V. 9340–9467; vgl. Schleissner, Die wilde Frau, S. 66–74; Kasten, Häßliche Frauenfiguren, S. 255–276; Bleumer, Die ›Crône‹, S. 105–111. Bleumer, Das wilde wîp, S. 77–89. 404 Vgl. Giloy-Hirtz, Die Begegnung mit dem Ungeheuer, S. 175. 405 Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 3060ff., 3204ff. 406 Eckenlied, Str. 162,12, 172,7 u. 171,7. 407 In der Kudrun ist bekannt, daz Wate arzât waere von einem wilden wîbe Wate der vil maere gefrumt manigen an dem lîbe. Kudrun, Str. 529. 408 Vgl. Kapitel IV,4.

Grenzfiguren zwischen Mensch und Tier

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Spannungen der conditio humana, die auch der theologische Diskurs immer wieder aufruft. Gegenüber der naturkundlichen Inventarisierung differenziert und reflektiert die höfische Epik aber die conditio humana des Wilden Mannes auf eigene Art. Indem sie ganz im Sinne physiognomischer Theorie die schlichte Korrespondenz von Innen und Außen mal in Szene setzt, mal relativiert, entwirft sie ein komplexes Spektrum alternativer wilder Physiognomien. Die literarische Inszenierung kennt auch komplexe Ursachen und Formen wilder Existenzen. Die rauhe Else verfügt über magische Fähigkeiten, durch die sie Wolfdietrich in einen tierähnlichen Zustand versetzt: si mahte in zeinem tôren den tugenthaften man, / daz er lief unversunnen dâ ze walde ein halbez jâr / und die spîs nam von der erde, daz sag ich iu für wâr.409 Im Wahnsinn des Minneritters wird schließlich eine Form der Wildheit entworfen, die demonstriert, daß der Umschlag immer auch von Innen droht. In der mittelhochdeutschen Epik regredieren Partonopier und der Ritter des »Busant« durch eine Minnekrise auf einen tierhaften Status, sichtbar etwa durch Fortbewegung auf allen Vieren: er gie des mâles unde krouch / ûf sînen henden als ein vihe, heißt es von Partonopier; entsprechend vom englischen Königssohn: Und gieng ûf allen vieren, / glîch den wilden tieren.410 Die Beschreibung des wilden Zustands orientiert sich stereotyp an der Topik, wie sie im verdammten Nebukadnezar oder im ›vertierten‹ Anachoreten vorgeprägt ist: nackt, verfilzt, stumm und auf allen Vieren sich fortbewegend. Doch nicht als äußerliche Strafe oder als bewußte Buße führt der Minneritter eine tierhafte Existenz, sondern als Effekt einer Krise ausfallender ratio. Anders als die gewalttätigen wilden Menschen artikuliert sich dieses tierähnliche Dasein nicht in einer bedrohlichen Form, mehr passiv und hilflos. Aber auch darin bleiben die literarischen Texte den zeitgenössischen Diskursen treu, daß sie die Folgen des Bewußtseinsverlustes unmittelbar auf den Körper durchschlagen lassen. Der Verlust der ratio – das ist auch theologische Doktrin – nähert den Menschen real dem Tier an. Umgekehrt ist es denn auch ganz im diätetischen Verständnis die körperliche Pflege – Ernährung, Baden –, die zur Regenerierung führt, die ratio physiologisch wieder in ihr Recht versetzt.411 Providentielle Strafe, dämonische Kompetenz, Magie, Krankheit: In allen Fällen handelt es sich aber um eine vorübergehende Verwandlung, die äußerlich die Krise des Protagonisten sichtbar macht. 409 Wolfdietrich B, Str. 318; vgl. Str. 330: Dannoch lief Wolfdietrîch wol ein halbez jâr / wilder dâ ze walde […]. 410 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 14822f.; Der Busant, V. 613f.; Schulz, Dem Bûsant er daz houbt abe beiz, S. 432–454. 411 Zur diätetischen Therapie vgl. Der Busant, V. 799–802, 816–822.

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II. Anthropologischer Rahmen

Zugleich aber partizipiert der Held an seinem Widerpart. Wie er definiert er sich über Gewalt, selbst sein Minneethos bildet nur die regulierte Variante eines tiefer liegenden animalischen Triebes. Vor allem aber ist der Held wie der Wilde Mann ein sozialer Außenseiter. Er ist allein auf seinem Aventiureweg, wie der Raubvogel oder der Eber, die klassischen Repräsentanten des heroischen Einzelgängers; er geht allein auf die Jagd nach Ruhm und trifft gleichfalls auf isolierte Figuren.412 Der Wilde Mann, so sehr er auch zum Gegenbild höfischer Ethik stilisiert wird, ist selbst Teil des Ritters, seine genuine Reflexionsinstanz. Aus feudaler Sicht ist er zugleich Vorbild, Index ungezügelter Naturkraft: der wilde Adelige. Nirgendwo wird das so deutlich, wie in der Begegnung Kalogrenants mit dem gebûren in Hartmanns (Chrétiens) »Iwein« (»Yvain«): Gegenstand der literarischen Inszenierung ist die animalische Seite der menschlichen Natur.413

412 In diesem Sinn interpretiert Bernheimer den Wilden Mann des Yvain. Wild Men in the Middle Ages, S. 99. 413 Vance, From Topic to Tale, S. 53–108.

III. Das politische Feld 1: Herrschaft über das Tier

1. Strukturierungsformen politischer Ordnung Die Theologie hatte nicht nur die Folgen des Sündenfalls für Natur und Geschichte nachgezeichnet, sondern auch die Konsequenzen für die soziale Ordnung aufgezeigt. Seit der Patristik durchzieht denn auch die Diskussion über die Notwendigkeit von Herrschaft die theologische Reflexion.1 Vor allem Genesiskommentare bilden zunächst den privilegierten Ort, um die Fragen der sozialen Ungleichheit oder der Gewaltenteilung zu erörtern, denen später die Sentenzenkommentare und die Fürstenspiegelliteratur an die Seite treten.2 Unverkennbar ist ein Zug zur Systematisierung. Während die karolingischen Fürstenspiegel politische Ordnung noch als Herrscherpanegyrik entwerfen, bieten die Staatsschriften des 12. und 13. Jahrhunderts komplexe systematische Entwürfe.3 Mit der Rezeption der aristotelischen »Politik« in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstehen nicht nur Ansätze zu einer eigenständigen ›politischen Theorie‹, sie verändert auch die Argumentationsformen der Fürstenspiegel, die sich durch Widmungsadressen an den Herrscher zwar weiterhin pragmatisch geben, doch gegenüber traditionell theologischen Konzepten zunehmend naturrechtliche und naturphilosophische Argumentationen aufnehmen.4 Resultat ist ein theologisch-juridischer Diskurs der Machtlegitimation, der einer ›Theorie der Souveränität‹ vorarbeitet.5 Die mittelalterlichen Herrschaftskonzepte sind nicht homogen, vielmehr rivalisieren verschiedene Modelle historischer, metaphorischer und systematischer Ausrichtung, auch verändert sich die Argumentation je nach Textsorte und disziplinärem Rahmen. Als gemeinsame Basis scheint indes das Faktum der Unfreiheit vorgegeben zu sein, das in jeweils wechselnden Argumen1 Stürner, Peccatum et Potestas; Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 36–50. 2 Ebd., S. 41. 3 Berges, Fürstenspiegel, S. 211–228; Struve, Die Bedeutung der aristotelischen »Politik«, S. 153–171; Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 1–85, 6–8; Bertelloni, Natur in den »Commentarii in Libros Politicorum« des Albertus Magnus, S. 682–700, 695ff. 4 Vgl. Stürner, Natur und Gesellschaft; Schrübbers, Regimen und Homo Primitivus I, S. 144–156. 5 Foucault, In Verteidigung der Freiheit, S. 50.

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III. Das politische Feld 1: Herrschaft über das Tier

tationen zementiert wird.6 Es sind vor allem zwei wirkungsmächtige ›kulturelle Texte‹, die Bibel und die aristotelische »Politik«, die das historische und systematische Argumentationspotential für soziale Ungleichheit liefern und beide auf je eigene Art Herrschaft als Bewältigung animalischer Kräfte entwerfen. Die Rechtfertigung der faktisch herrschenden Ungleichheit vollzieht sich durch Rückgriff auf biblische Ereignisse, durch Rekurs auf evidente Modelle der Natur oder auf diskursive ›wissenschaftliche‹ Erklärungsansätze, die auf je eigene Art den Sinn sozialer Ungleichheit rechtfertigen. Während die narrative Strategie ein mythisches Ursprungsereignis setzt, vermittelt die metaphorische evidente Anschauungsformen von Herrschaft, die dann ihrerseits diskursiv, ›wissenschaftlich‹ fundiert werden. Die verschiedenen Erklärungsansätze, die die Notwendigkeit von Herrschaft darlegen sollen, können insofern als symbolische Ordnungsformen aufgefaßt werden, als sie nicht nur den realen Differenzierungen der Ständegesellschaft Rechnung zu tragen suchen, sondern diesen allererst ihren Sinn zuschreiben. Theologie, Politik und Wissenschaft arbeiten an einem homogenen Modell sozialer Differenzierung. Die prominenteste historische Erklärung der offensichtlichen Ungleichheit als Effekt einer ethischen Verfehlung liefert die Verfluchung Chams, der seinen nackten Vater Noah den Blicken seiner Brüder ausgesetzt hatte, infolgedessen verflucht und samt seinen Nachkommen zur Knechtschaft verdammt worden war.7 Zahlreich sind von theologischer Seite die Rückgriffe auf diese Erklärung, und im Gesellschaftsmodell der trifunktionalen Einheit, die die Betenden, die Kämpfenden und die Arbeitenden – oratores, pugnatores, laboratores – arbeitsteilig aufeinander angewiesen sein läßt, hat ihre Ausdeutung in der Folge Karriere gemacht.8 Die Grenzziehung zwischen den einzelnen Ständen kann dabei diejenige zwischen Mensch und Tier umspielen. So ist bei Anselm von Laon der Unterschied zwischen Klerus und Leibeigenen dadurch gekennzeichnet, daß letztere als sichtbare Repräsentanten der gefallenen Menschheit angesehen werden. Wenn das Elend ihrer Existenz aber in ihrer tiernahen Ökonomie, in unreinen Berufen, körperlicher Arbeit, schließlich in ihrer Sprachlosigkeit festgemacht wird, dann artikuliert sich im Blick des ›kultivierten‹ Klerikers die Mangelnatur der laboratores als eine historisch fortwirkende Stigmatisierung.9 6 Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 36–85. Zu den verschiedenen Typen von Unfreiheit vgl. Bosl, Freiheit und Unfreiheit, S. 180–203. 7 Stürner, Peccatum et Potestas, S. 34, 55, 58, 141, 160f.; Borck, Adel, Tugend und Geblüt, S. 438, 450f.; Struve, Pedes rei publicae, S. 1–48, 7f.; Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 61 u. ö. 8 Oexle, Die funktionale Dreiteilung der Gesellschaft, S. 1–54. Das biblische Schema von den drei Söhnen Noahs ließ sich nicht nur auf Völker und Stände, auf ›Freie-Unfreie‹ wie auf ›Adel-Klerus-Bauern‹ projizieren, sondern es fing auch als abstraktes Ordnungsschema ganz unterschiedliche soziale Differenzierungsprozesse ein. Vgl. Grubmüller, Noês Fluch, S. 99–119. 9 Carozzi, Les fondemonts de la tripartition sociale, S. 685.

Strukturierungsformen politischer Ordnung

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Neben das aus biblischer Sicht konkrete historische Ereignis tritt aber zugleich eine grundsätzlichere Argumentation, gewissermaßen eine zweite Form historischer Sinnstiftung, die Herrschaft aus der Notwendigkeit ableitet, die durch den Sündenfall freigesetzten animalischen Energien unter Kontrolle zu halten. Von den Kirchenvätern an bis ins 13. Jahrhundert werden die Folgen des Sündenfalls immer wieder als Verwilderungsprozeß beschrieben.10 Im Vordergrund steht hier nicht mehr die Ursachenforschung für die Differenzierung der sozialen Ordnung, sondern die moralische Rechtfertigung einer starken säkularen Gewalt. Anders aber als im trifunktionalen Modell wird in dieser Argumentation die verhängnisvolle Grenzüberschreitung zwischen Mensch und Tier selbst zum Argument.11 Die Schöpfungsordnung sieht nach Ansicht der Kirchenväter Herrschaft gar nicht vor, da der Mensch wohl zur Herrschaft über Tiere, nicht aber über Menschen eingesetzt sei: »Vernünftig und nach seinem Ebenbild erschaffen, sollte der Mensch nur über die vernunftlosen Geschöpfe herrschen, also nicht Mensch über Mensch, sondern Mensch über Tier. Daher wurden die ersten Gerechten mehr zu Hirten über Vieh als zu Königen über Menschen eingesetzt.«12 Die Hirtenexistenz der Patriarchen wird aus dieser Perspektive noch zum Zeichen einer natürlichen Ordnung.13 Der wirkungsmächtige Satz Augustins bestimmt in der Folge große Teile der politischen Theorie, überführt er doch den biblisch fundierten Herrschaftsanspruch über die Tiere in eine postparadiesische Herrschaftsform.14 Seit dem Sündenfall aber haben sich die Relationen verschoben, haben die Menschen selbst den Status eines Herdenviehs angenommen. Wie der Verlust des Heils und der Abstieg zum Tier zugleich als allgemeiner Gesellschafts10 Stürner, Peccatum et Potestas, S. 151; vgl. 38, 40, 55, 72f., 90, 104, 111f., 126, 142, 144f. 11 Vgl. Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 42f. Weil die soziale Realität der christlichen Gleichheitsforderung widersprach, werden Legitimationsstrategien auf metaphysischer (Noah), politischer (Macht) und naturphilosophischer Ebene gesucht. 12 Rationalem factum ad imaginem suam noluit nisi inrationabilibus dominari; non hominem homini, sed hominem pecori. Inde primi iusti pastores pecorum magis quam reges hominum constituti sunt. Augustinus, De civitate Dei XIX,15, CCSL 48, S. 682. Die Tradition erstreckt sich von Augustin über Gregor den Großen bis zu Alkuin und Bartholomaeus Anglicus. Stürner, Peccatum et potestas, S. 72f., 86, 90, 106, 118. Deus namque non prefecit primum hominem hominibus, sed bestiis et brutis animalibus, quia his, qui irrationabiliter et bestialiter vivunt, iudices tantum prelati sunt, quatenus eos per timorem revocent ad insitae humanae mansuetudinis tenorem. Honorius Augustodunensis, Summa Gloria, Cap. 26, MGH, Ldl 3, S. 75; Stürner, Peccatum et potestas, S. 151; Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 60f., 125f. (Gregor VII.); Friedrich, Unterwerfung, S. 146. 13 Zu Johannes von Salisbury vgl. Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 199. 14 So leitet Wilhelm Peraldus (De eruditione principum I,1) sein Werk mit einer Zusammenstellung von Zitaten zur Machtthese ein: »Zuerst soll man wissen, daß irdische Macht, wodurch ein Mensch über andere Menschen gestellt wird, keine Sache der Natur ist, sondern nur eine Folge der Sünde.« Die Pflichten des Adels, S. 5.

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III. Das politische Feld 1: Herrschaft über das Tier

prozeß gefaßt werden kann, formuliert bereits die Bibel, auf die Bernhard von Clairvaux zurückgreift: Ach, daß das auserlesene Geschöpf, das einst schon zu einem Herdengeschöpf geworden war und jetzt auf klägliche Weise noch tiefer stürzt, nicht einmal unter den Herden bleiben darf, sondern geheißen wird, ihren Spuren zu folgen. »Auf welche Weise ist es dazu gekommen?« fragst du. Auf die Weise, wie du liest. (Ps 48,13) Als der Mensch in Ehre stand, hat er es nicht begriffen; so wurde er den unverständigen Tieren gleich gemacht und ihnen ähnlich. Schau, wie das erlesene Geschöpf zu einem Herdengeschöpf geworden ist. Ich glaube, wenn die Tiere sprechen könnten, würden sie sagen: »Siehe Adam ist wie einer von uns geworden.« (Gen 3,22) Heu! quod egregia creatura, iam olim facta una de grege, et nunc in peius miserabiliter proruens, non saltem inter greges remanere permittitur, sed post abire iubetur. »Quomodo?« inquis. Quomodo legis: HOMO CUM IN HONORE ESSET, NON INTELLEXIT; COMPARATUS EST IUMENTIS INSIPIENTIBUS, ET SIMILIS FACTUS EST ILLIS. Ecce quomodo de grege facta est egregia creatura. Puto, dicerent iumenta, si loqui fas esset: ECCE, ADAM FACTUS EST QUASI UNUS EX NOBIS.15

Die Gemeinschaft als Herde ist ein klassischer Topos nicht nur des kirchlichen, sondern auch des politischen Pastorats.16 Das Pastorat entwirft noch die moderate Variante der Verwilderungsthese, nach der der gefallene Mensch nicht zur Bestie, sondern auch zum Vieh degeneriert. Die Metapher impliziert die Notwendigkeit des Regiments über die ihrer selbst nicht mächtige Herde, die stets der Gefahr der Zerstreuung unterliegt. Nicht ein einzelner Stand ist hier gemeint, sondern die Menschheit (Gesellschaft) insgesamt. Der Transfer in ein politisches Modell liegt nahe. Der politische Herrscher tritt nun in die Rolle des Hirten: »Dieses aber macht der Herrscher aufs höchste, wenn er über seine Herde wie ein guter Hirte wacht.«17 Mit dem Bild vom Herrscher als gutem Hirten wird eine moderate Form der politischen Unterordnung entworfen. Thomas von Aquin kommentiert Hesekiel 37,24 und verbindet gleichfalls politisches und theologisches Argument: ›Mein Knecht David wird König über alle sein. Und er allein wird ihnen allen ein Hirte sein.‹ Hiermit ist deutlich gezeigt, was zu dem Begriff des Königs gehört: einer 15 Bernhard von Clairvaux, Predigten über das Hohe Lied (ed. Winkler, Bd. 5), S. 551; Bernhard von Clairvaux, Cantica Canticorum 35, S. 251. Hinc egregia creatura gregi admixta est, hinc bestiali similitudine Dei similitudo mutata est, hinc societas cum iumentis pro consortio angelorum inita est. Ebd., S. 253. 16 Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik, S. 26–165; Foucault, Omnes et singulatim, S. 65–79; Friedrich, Unterwerfung, S. 147. 17 Hoc autem maxime facit rex, quando super gregem suum sic bonus pastor invigilat. Tolomaeo de Lucca, De regimine principum III,1/3. Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik, S. 41. Die Hirtenmetapher ist entsprechend beliebter Bildspender für kirchliche und politische Herrschaft. Ebd., S. 29–165.

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zu sein, der anderen als Herr vorangesetzt ist und doch wie ein Hirte wirkt, indem er das Gemeinwohl der Gesellschaft, nicht aber seinen eigenen Vorteil im Auge hat.18

Erst mit dem Sündenfall verändern sich die sozialen Beziehungen tiefgreifend in Richtung auf die Etablierung sozialer Unterschiede. Die politischen Konsequenzen, die mit der Sünde in die Welt kommen, präzisiert schon Augustin als Störung der herrschaftsfrei angelegten Schöpfung: »Denn offenbar ist das Los der Knechtschaft mit Recht dem Sünder auferlegt.«19 Herrschaft motiviert sich eben nicht nur theologisch als pastorale Fürsorge, sondern auch als Unterwerfung. Politisch wird Knechtschaft als sozialer Status zum Resultat der Erbsünde. Noch die Versklavungspraxis nach dem ius gentium, die den Besiegten zum Eigentum des Siegers macht, rechtfertigt sich nach Augustin aus diesem übergeordneten Schuldzusammenhang. Im Lichte der biblischen Ausgangsposition erhält soziale Hierarchie ihren politischen Sinn. Pastoral- und Sündentheologie verbinden sich zu einem wirkungsmächtigen Instrument sozialer Differenzierung, und beide befördern Konnotationen des Animalischen. Widerständige Untertanen repräsentieren auch in diesem Modell eine Störung der sozialen Ordnung. Während der Herrscher einerseits als fürsorglicher Hirte gilt, wird er im Fall von Widerstand zum strengen Zuchtmeister. So knüpft Bartholomaeus Anglicus im 13. Jahrhundert an Augustin an, wenn er programmatisch über den Herrscher verkündet, daß dieser sich allen gegenüber freundlich zeige und nicht über Menschen herrsche, außer über Rechtsbrecher, die er wie Tiere behandle.20 Das Pastorat offenbart seinen politischen Gehalt. Aegidius Romanus liefert dazu die Prämisse: »Deswegen sind diejenigen, die die Gesetze nicht befolgen und die den Herrschenden nicht gehorchen, mehr Tiere als Menschen, und entsprechend sind sie mehr Sklaven als Freie.«21 Das Modell des Pastorats, auf das die politische Theorie rekurriert, impliziert eben nicht nur die Sorge, sondern auch die Strafe, so daß sich die Herde in gute und böse Tiere differenziert. Gemessen an den beiden heilsgeschichtlichen Erklärungsversuchen eines gesellschaftlichen Verfallsprozesses entwerfen die theoretischen Herrschafts18 »Seruus meus Dauid rex super eos erit et pastor unus erit omnium eorum«. Ex quo manifeste ostenditur quod de ratione regis est quod sit unus qui presit, et quod sit pastor bonum commune multitudinis et non suum querens. Thomas von Aquin, De regno I,1, S. 45; Friedrich, Unterwerfung, S. 147. 19 Ebd. 20 Et ideo verus dominus, ad omnes, praeterquam ad maleficos, liberalem & affabilem se ostendit, plus amari quam timeri diligit, non hominibus, sed bestiis, id est, bestialibus & malis dominati se cognoscit, […]. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus, VI,18, S. 254. 21 Quare non obseruantes leges, nolentes obedire regibus & superioribus, sunt magis bestiae quàm homines: & per consequens sunt magis serui, quam liberi. Aegidius Romanus, De regimine principum, III,2,34.

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modelle vor allem Idealvorstellungen sozialer Organisation. Auch sie aber explizieren mehr den Normenhorizont staatlicher Ordnung, als daß sie ein Abbild zeitgenössischer Herrschaftsformen böten. Politische Reflexion vollzieht sich primär unter ethischen Prämissen.22 Als Voraussetzung eines funktionierenden Gesellschaftsmodells wird zumeist eine an christlichen Maßstäben ausgerichtete Tugendlehre skizziert, die sich im obersten Repräsentanten des Staates, im König, zu verkörpern hat. Entweder wird Gesellschaft als Abbild kosmischer Ordnung begriffen: »In der Körperwelt werden alle anderen Körper durch den obersten Körper, nämlich den Himmel, nach der Ordnung der göttlichen Vorsehung regiert und alle Körper durch das von Vernunft geleitete Geschöpf«, heißt es im Fürstenspiegel des Thomas von Aquin.23 Oder sie ahmt in der Natur vorfindliche, hierarchisch strukturierte Modelle nach, z. B. Tiersozietäten, wie sie Bienen und Ameisen bilden.24 Wenn Albertus Magnus die Hausordnung als Weltordnung beschreibt und dabei die Teile der familia in kosmischer Stufung abschreitet – der Hausvater als Repräsentant des ersten Bewegers, die Freien als die Gestirne –, befinden sich auf der untersten Ebene der Gesellschaft Unfreie und Tiere in direkter Nachbarschaft: als organum animatum.25 Bartholomaeus Anglicus bietet in den ersten Büchern seiner Naturenzyklopädie eine Art Anthropologie, die sich über die Seele und den Körper bis in die Darstellung von Geschlechterdifferenz und menschlichen Entwicklungsstufen erstreckt. In diese Abhandlung ›natürlicher‹ Differenzierung fügen sich wie selbstverständlich soziale Gruppierungen ein: Sklaven und Mägde, Herren und Knechte. Obgleich alle Menschen gleich geschaffen worden seien, so Bartholomaeus, seien einige den anderen übergeordnet.26 Herr22 Ein Zug politischer Theorie, der bis weit ins 17. Jahrhundert reicht. Luhmann, Staat und Staatsraison, S. 65–148. 23 Thomas von Aquin, De regno ad regem Cypri, S. 417–471: I,2, S. 451: in uniuersitate enim corporum per primum corpus, scilicet celeste, alia corpora ordine quodam diuine prouidentie reguntur, omniaque corpora per creaturam rationalem. Ebd. Struve, Die Bedeutung der aristotelischen »Politik«, S. 153–171, 157f. 24 Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik, S. 166–301; Schrübbers, Regimen und Homo Primitivus I, S. 160; Struve, Vita civilis naturam imitetur, S. 434f., 446f. In der Tierepik lassen sich analoge Parallelisierungen finden. 25 Et hoc est quemadmodum in omnis magnae domus familia: in hac enim enim paterfamilias est sicut motor primus, et liberi sicut caelestia corpora, et serui sicut ea quae ex necessitate mouentur generabilia et corruptibilia, et bestiae sunt sicut materialia coniuncta malitiae. Albertus Magnus, Metaphysica XI,2,36. Zitiert nach Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 257; Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 62, 65f.: Paterfamilias enim in domo se habet sicut deus in universo. Zum Leibeigenen als organum animatum: ebd., S. 62–66. 26 Omnes enim homines natura aequales generauit, sed pro variis meritis, aliis alios iusta Dei dispensatio praeponit, vt humana formidine peccare metuant, qui diuinam iustitiam non formidant. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus VI,18, S. 254. Sunt ergo aliqui naturaliter domini, & aliqui naturaliter serui. Aegidius Romanus, De regimine principum II,3,13, S. 381.

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schaft gründe sich auf doppelten Adel – tam carne quam mente –, der in unterschiedlicher Staffelung existiere. Das naturrechtliche Argument ex analogia für politische Herrschaft liefert abschließend Ambrosius: So wie in der Natur edlere und an Kräften stärkere Tiere zur Herrschaft disponiert seien, so habe der Mensch daraus seine Lehren gezogen: »und so lernt der Mensch, gemäß Verstand und Gnade edler zu sein, woraus folgt, daß gewisse Lebewesen qua Natur edler sind als andere Lebewesen. Deswegen ist Herr ein Name der Ehre und der Würde […].«27 Was der Theologe aber vom Körper auf den Verstand überträgt, besitzt im politischen Feld durchaus auch sein physisches Fundament: Herrschaft als Ausdruck überlegener ratio und angeborener Gewalt. Die Übertragung der natürlichen Gewalt auf das Prinzip rationaler Überlegenheit führt indes dazu, alles nicht Rationale, jede Defizienz, dem Tierreich zuzuordnen. Traditionell aber werden Struktur und Funktion politischer Ordnung im Organismusvergleich gefaßt.28 Mit der wechselseitigen Abbildbarkeit von Organismus und Staat – der Staat als Körper und der Körper als Staat – nimmt die Feudalgesellschaft zwei traditionelle, hierarchisch strukturierte Funktionsmechanismen in ihren Dienst, durch die Gemeinschaftsprinzip und soziale Ungleichheit zur natürlichen Evidenz gelangen sollen.29 Schon Plato hatte in der »Politeia« versucht, das Problem der Gerechtigkeit durch eine Technik des vergrößerten Maßstabs plastischer zu machen. Um die Struktur der Seele zu erklären, griff er auf das Bild der polis zurück und ordnete soziale Einheiten – Philosophen, Wächter, Bevölkerung – einzelnen Seelenvermögen – Vernunft, Mut, Begierden – zu: Resultat war ein psychomorphes Staats27 vt sic addiscat homo nobilior praeesse secundum rationem & gratiam, ex quo sic animalia praesunt animalibus nobiliter per naturam. Item dominus est nomen honoris & dignitatis, Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus VI,18, S. 254. 28 Zum Organismusvergleich vgl. Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik, S. 303–488, 307–324; Struve, Pedes rei publicae, S. 1–48. Erst mit der Rezeption der aristotelischen »Politik« wird Gemeinschaftsbildung genuin als natürliches Telos des Mängelwesen Mensch zur Geltung gebracht: jedoch unter theologischen Prämissen (Thomas von Aquin). Dohrn-van Rossum, Politischer Körper, S. 99–159. 29 Est enim quasi quaedam respublica corpus humanum, […]. Hugo von St. Viktor, De institutione novitiorum Cap. XII, PL 176, Sp. 943. Est autem res publica, sicut Plutarco placet, corpus quoddam […]. Johannes von Salisbury, Policraticus V,2; Peil, Untersuchungen zur Staatsund Herrschaftsmetaphorik, S. 307f. Quoniam sicut civitas in quadam congregatione perficitur officiorum et communicatione, ita corpus organicum, quod est animalis corpus, ex multis constituitur officialibus membris officia sua exercentibus et communicatione, quam habent membra ad invicem sub uno, […] civitates aedificabantur antiquitus ad similitudinem corporis et praecipue ad similitudinem corporis humani […]. Albertus Magnus, De principiis motus processivi II, 8. Zitiert nach Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 257; Aegidius Romanus, De regimine principum I,1,3, S. 9. Vgl. Struve, Organologische Staatsauffassung; Ders., Vita civilis naturam imitetur, S. 341–361, 342; Ders., Pedes rei publicae, S. 4, 19; Kloft, Corpus rei publicae, S. 139–141.

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III. Das politische Feld 1: Herrschaft über das Tier

modell nach dem Prinzip der Analogie der Proportion, was nach Aristoteles der Definition der Metapher entspricht. Durch die Timaioskommentare des Calcidius und Wilhelms von Conches wird es dem Mittelalter überliefert. Auf eine andere Art orientiert Aristoteles sein politisches Modell an den Vorgaben des Körpers. Für ihn kommt die Natur nicht abbildlich ins Spiel, sondern funktional. Zunächst besteht für Aristoteles die Natur des Menschen in der Ausrichtung auf die Mitmenschen, d. h. in Politik. Der Mensch strebt qua Natur von der Einheit zur Vielheit, und die polis ist der Raum für diese Wesensverwirklichung des Menschen. Aristoteles orientiert seine Stufen des Organischen/Kosmischen an der Leib-Seele-Dichotomie. Auch er benutzt nämlich das Lebewesen als empirischen Referenzpunkt für analogische Argumentationen in der Politik.30 Doch bildet er keine Metaphern, sondern Funktionsanalogien: Allen Lebewesen, und auch der polis, sind die Prinzipien von Funktionsdifferenzierung und Herrschaft gemein. An oberster Stelle stehen als rein geistige Wesen die Intelligenzien, die Engel, an unterster als rein körperliche Lebewesen die Tiere. Dazwischen steht der Mensch, der an beiden Anteil hat und mithin eine Leib-Seele-Verbindung repräsentiert, die weniger in ein Gleichgewicht als in eine hierarchische Ordnung zu bringen ist. Projiziert man nun das politische und das organische Modell aufeinander, so zeigt sich, daß das Modell sozialer Orientierung mit dem Postulat einer natürlichen Hierarchie verbunden wird: Ethisch handeln bedeutet, daß die ratio über den Körper herrscht, womit Disziplin zu einer Grundkategorie der Pädagogik wird: sich selbst regieren. Im Zwischenraum zwischen Intelligenzien und Tieren fällt entsprechend denen die Macht zu, die über eine überlegene ratio verfügen, diejenigen aber, die den körperlichen Kräften unterliegen, bedürfen der Vormundschaft: das sind Sklaven ebenso wie Frauen und Kinder.31 Es ist die instrumentelle Zweckmäßigkeit des Körpers – der der Frau wie der des Sklaven –, die nach Aristoteles eine natürliche Unterscheidung legitimiert: Spezifische Organe sind auf spezifische Funktionen hin ausgerichtet. Das Körpermodell spielt hier insofern hinein, als es eine Hierarchie des Organischen gibt und sich lenkende und instrumentelle Funktion unterscheiden lassen: keine Organismusmetapher also wie bei Platon, sondern ein Organon-Modell. In seiner Schrift »De partibus animalibus« formuliert Aristoteles, »daß jeder Teil des Körpers, wie jedes andere Werkzeug, einen bestimmten Zweck, und der Körper als ganzer wiederum einen Zweck habe.«32 Im Mittelalter ist dieses Funktionsmodell, das den Menschen und 30 Dohrn-van Rossum, Politischer Körper, S. 44. 31 Indes unterscheiden sich die Praktiken der Herrschaft je nach Anteil an Rationalität: Herrscht der Hausherr über die Sklaven despotisch, so über die Kinder königlich, über die Frau politisch. Letztere Form heißt nicht barbarisch, da sie keine Gleichsetzung von Frau, Sklaven und Tier impliziert. 32 Dohrn-van Rossum, Politischer Körper, S. 48.

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seine ethische und politische Organisation zwischen Rationalität und Animalität verortet, die Basis vieler politischer Gesellschaftsentwürfe, und es wirkt noch bis in die volkssprachigen Erziehungslehren, etwa die eines Thomasin von Zerklaere, hinein. Auf verschiedenen Argumentationsebenen und in verschiedenen Bildfeldern wird somit Gesellschaft weniger als ein göttliches Artefakt denn als eine natürliche Funktionsordnung aufgefaßt. Nicht nur in bezug auf das Organismusmodell orientiert sich Politik an der Natur, sondern als praktische Herstellung von sozialer Ordnung folgt auch sie der verbreiteten Grundregel der artes, daß nämlich das politische Leben der Natur folgen möge als der besten Führerin des Lebens: ut uita ciuilis naturam imitetur quam optimam uiuendi ducem.33 Die Natur wird zum Vorbild, da der Mensch aufgrund seiner sinnlichen Energien, aber auch aufgrund seiner rationalen Freiheit aus der Natur herausfällt. In diesem Fall kann sogar der Instinkt der Tiere vorbildliches Regelverhalten illustrieren.34 Alle Modelle aber laufen in einer Vorstellung von idealer Homöostase sozialer Ordnung zusammen, in der antagonistische Kräfte zugunsten hierarchischer und funktionaler Abhängigkeit unter Kontrolle gehalten werden. Und doch besitzen alle, vom Kosmos über die Tiersozietät bis hin zum Körper, ihr mehr oder minder manifestes animalisches Fundament, da sie Lenkbarkeit von unselbständigen und doch sich selbst bewegenden Naturen implizieren: Leibeigenen wie Tieren. Indem die Vorstellungen sozialer, d. h. kultureller Ordnung auf unterschiedliche Art an der Natur orientiert werden, wird diese zur maßgeblichen Instanz, Rivalität als politisches Funktionsprinzip der Feudalgesellschaft stillzustellen.35 Vorausgesetzt wird, daß ein funktionierendes Staatswesen notwendig auf Herrschaft angewiesen ist: »Ohne Herrschaft vermag kein wohlbehaltener Staat zu existieren, noch eine friedliche oder ruhige menschliche Gemeinschaft.«36 33 Johannes von Salisbury, Policraticus VI,21; Struve, Vita civilis naturam imitetur, S. 341– 361. Zum Topos ars imitatur naturam vgl. Wieland, Zwischen Nachahmung und Kreativität, S. 263f.; Blumenberg, »Nachahmung der Natur«, S. 55–103. 34 Est enim homini necessaria disciplina in gestibus. Nam quia ipse intentus est circa rationem & intellectum, non sic percipit naturales impetus, nec sic agit ex naturali instinctu, vt aves & bestiae. Aues enim & alia animalia ex naturali instinctu agentia non sic indigent disciplina, vt homo, qui vtitur ratione & intellectu;[…]. Aegidius Romanus, De regimine principum II,2,13, S. 323; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 103. Auch kann die Scheu wilder Tiere zum Maßstab werden, das Schamgefühl der Töchter durch Isolierung zu stärken. Aegidius Romanus, De regimine principum II,2,19, S. 342; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 115–118. 35 Zum Funktionsprinzip Rivalität vgl. Luhmann, Staat und Staatsraison, S. 68–71; Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, S. 58–81; Czerwinski, Das Nibelungenlied, S. 61; Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 163–179. 36 Sine enim dominio non posset stare salua respublica, nec esset humana societas pacifica vel quieta. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus VI,18, S. 253.

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III. Das politische Feld 1: Herrschaft über das Tier

Die natürlich fundierten Konzepte unterstreichen die Notwendigkeit monarchischer Herrschaft vor jeder Form von Herrschaftsteilung. Trotz der aus antiker Philosophie entlehnten naturwüchsigen Gemeinschaftsorientierung des Menschen nimmt die politische Theorie die zentrifugalen Kräfte der Einzelinteressen in den Blick, die allein durch eine lenkende Zentralkraft integriert werden. Das Vorbild bietet die Natur: »Alle natürliche Herrschaft aber entspringt von einem.«37 Der kulturelle Status von Herrschaft wird als ein natürlicher ausgegeben, nicht über Genealogie oder über das Argument überlegener Gewalt, sondern durch Rationalisierung: durch Rekurs auf eine providentielle Ordnung und eine überlegene ratio. Die biblischen Ereignisse wie Sündenfall und Verfluchung Chams einerseits, aber auch die evidenten Modelle des Kosmos, Tierreichs, Pastorats und Organismus andererseits, sortieren die Mitglieder der Gesellschaft in rationale und animalische Naturen.

2. Herrschaft und Antagonismus des Körpers Die Naturalisierung der politischen Ordnung offenbart indes sukzessive ihre latenten Antagonismen. Die Organismusmetapher verliert ihre Evidenz nicht nur, sobald sie an den historischen Gegebenheiten gemessen wird,38 auch in sich ist sie ambivalent, berücksichtigt man die medizinischen und naturphilosophischen Konzepte vom Körper, die gleichfalls einen essentiellen Antagonismus zugrunde legen. Statt homöostatisches Gefüge ist der reale Körper allenfalls Schauplatz widerstreitender Energien.39 Die Rezeption aristotelischer Philosophie und medizinischer Humoralpathologie stellt auch die politische Theorie auf eine veränderte natürliche Basis. Das metaphorische 37 Omne autem naturale regimen ab uno est. Thomas von Aquin, De regno I,2, S. 451: in membrorum enim multitudine est unum quod principaliter mouet, scilicet cor; et in partibus anime una uis principaliter presidet, scilicet ratio; et in apibus unus rex, et in toto uniuerso unus Deus omnium factor et rector. Ebd.; Struve, Die Bedeutung der aristotelischen »Politik«, S. 157f. 38 Z. B. in der Diskrepanz zwischen dem beschworenen organischen Staatsgefüge und dem permanenten Aufruhr seiner Glieder in Ottos von Freising »Gesta Frederici«. Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 164f. Die Organismusmetaphorik rechnet selbst bereits mit Störungen und Krankheiten. Vgl. Peil, Untersuchungen zur Staats- und Herrschaftsmetaphorik, S. 413– 429. 39 Agit autem corpus animale in escis; mutat enim eas earumque qualitates convertit. Agit item esca in corpore; eius enim proprietatem mutat aequalitatemque evertit. Licet enim escarum qualitas per corporis qualitatem sensibiliter vincatur, vincentis tamen vis et aequalitas a victo paulatim et minoratur et evertitur, quod in omni continuo usu spectari licet. Fit igitur hoc modo, ut dum velit anima corpus suum cibali resumptione servare, non ex intentione quidem, dum reficit, destruit, et dum servat, amittit. Adelard von Bath, »Quaestiones naturales« Frage 44. Zitiert nach Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 249f.

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Potential des Organismus wird durch seine natürlichen Funktionsmechanismen irritiert. Aegidius Romanus’ Fürstenspiegel »De regimine principum«, eine Synthese christlicher und aristotelischer Herrschaftskonzepte und für das Spätmittelalter von eminenter Wirkung, rekurriert für die Begründung von Herrschaft gleichfalls auf ein organologisches Modell.40 Er geht indes darüber hinaus, wenn er immer wieder die Leib-Seele-Problematik akzentuiert und politische Theorie so im Antagonismus des Körpers verankert. Zwar verwendet Aegidius die gleiche Terminologie zur Beschreibung der Leib-Seele-Dynamik, wie sie in der Medizin geläufig war, doch anders als diese formuliert er kein therapeutisches Äquivalenzmodell, sondern in gut moralistischer Tradition das bekannte hierarchische Verhältnis von Sein und Sollen. Gegenüber stehen sich ethischer Imperativ einerseits, wonach der Körper der Seele zu folgen habe, und physiologischer Impetus andererseits, wonach die Seele den Komplexionen des Körpers unterliegt.41 Auf den Körper übertragen, korrespondiert diese Gegenüberstellung ethischer Grundorientierungen dem zitierten Befund Augustins, daß die Natur der Tiere den Lastern des Menschen gleichzusetzen sei. Der Körper ersetzt hier nur die Position des Tiers, dessen Konnotationsrahmen indes das Bildfeld des Körpers im Hintergrund weiter strukturiert. Als feststehender Bezugsrahmen wird der Antagonismus des Körpers leitend für Aegidius’ Entwurf einer politischen Ordnung. Damit baut er die Reflexion über die Folgen des Sündenfalls für den Körper in das Organismusmodell ein. Bezogen auf die conditio humana, drückt die Gegenüberstellung beider Körperdynamiken die unaufhebbare Spannung zwischen der allgemeinen Natur des Menschen (sensus-ratio) und der individuellen Komplexität der Temperamente aus.42 Indem das jeweilige Maß an Geist und Körperdisposition 40 Aegidius Romanus, De regimine principum; Berges, Fürstenspiegel, S. 211–228, 320–328; Stürner, Natur und Gesellschaft, S. 155–160; Ders., Peccatum et potestas, S. 193–196; Schrübbers, Regimen und Homo Primitivus, S. 137–188, 112–141; Lambertini, Philosophus videtur tangere tres rationes, S. 288f.; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 45–47. 41 Cum enim corpus ordinetur ad animam, & non econuerso, […] Nam anima sequitur complexiones corporis. Aegidius Romanus, De regimine principum I,4,2, S. 193; I,1,6, S.18; vgl. II,1,16, S. 266; II,1,18, S. 272; II,1,23, S. 284. Die Spaltung in der conditio humana zwischen ratio und sensualitas repräsentiert geradezu diejenige von Mensch und Tier und beeinflußt sogar die Grenzziehung innerhalb der humanen Erkenntnisvermögen: Quidquid ergo in anima nostra nobis considerantibus occurrit, quod non sit commune cum bestiis, ad rationem pertinet; quod autem in ea reperis commune cum beluis, ad sensualitatem pertinet. […] Carnalis autem vel sensualis animae motus qui in corporis sensus intenditur, nobis pecoribusque communis est; qui seclusus est a ratione sapientiae, rationi autem scientiae vicinus est. Petrus Lombardus, Sententiae, II,24,5, S. 454 [PL 192, Sp. 703]. 42 Adelard von Bath entfaltet in seinen »Quaestiones naturales« das aporetische Verhältnis von Seele und Körper rein physiologisch, wenn er einerseits der Seele den Wunsch zuschreibt, den Körper mittels Ernährung zu erhalten, andererseits die Anverwandlung der Speisen durch den Körper aber als Abnutzung desselben und als Zerstörung der körperlichen Harmonie in-

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über soziale Privilegierung bzw. Unterordnung entscheidet, wird die Hierarchie von Generationen-, Geschlechter- und Dienstverhältnissen nach der jeweiligen natürlichen Konstitution bestimmbar.43 Aegidius greift zur Illustration sozialer Konstellationen immer wieder auf verschiedene Ebenen eines Körperkonflikts zurück: auf die Leib-Seele-Opposition, auf den inneren Antagonismus der Seelenkräfte sowie auf die Turbulenzen der humores.44 Das traditionelle Körpermodell der politischen Theorie, die Organismusmetapher, wird hier durch Rekurs auf essentielle Antagonismen des Körpers gewissermaßen in sein physiologisches Substrat hinein verfolgt. Der Körper ist in diesem Modell nicht mehr nur Metapher für eine hierarchische Funktionsordnung, sondern auch realer Ort ständig virulenter Konfliktdynamiken. Als Substrat derselben aber offenbaren sich vor allem animalische Energien. Das Ideal einer sozialen Ordnung richtet sich am Maßstab der Rationalität aus. Bereits die an Aristoteles orientierte Skizze möglicher Lebensformen, die Aegidius einleitend bietet, basiert auf der Opposition von corpus und ratio und ihrer Rangordnung. Zwischen der Ebene einer vita voluptuosa, die als animalische begriffen wird, und der einer vita contemplativa, die den Engeln vorbehalten bleibt, situiert Aegidius die menschliche vita politica. Der Körper mit seiner Triebdynamik setzt bedrohliche animalische Potentiale frei: »Wir haben nämlich oben gesagt, daß wir das lustgetriebene Leben mit den Tieren gemeinsam haben, und ein solches Leben zu wünschen bedeutet, ein viehisches Leben zu wählen.«45 Dieser Befund trifft zuerst auf die breite Masse der Bevölkerung zu.46 Die beliebte Metaphorik der Moralphilosophie wird in der Einzelargumentation aber durch das Bild des Körpers ersetzt. Als terpretiert, die wiederum die Distanzierung der Seele nach sich zieht. Vgl. Nitschke, Verhalten und Bewegung der Tiere, S. 249f. 43 Schrübbers, Regimen und Homo Primitivus I, S. 137–188; Lambertini, A proposito della ›costruzione‹ dell’Oeconomica in Egidio Romano, S. 315–370; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 22–166. 44 Sicut ergo quilibet homo habet duas virtutes animae. Vnam per quam sequitur bonum & fugit malum. Et aliam per quam aggreditur, & resistit prohibentibus. Sic quaelibet ciuitas & regnum indiget duplici virtute, & duplici prudentia. videlicet legum positiua, & militari. Aegidius Romanus, De regimine principum III,3,1, S. 557. Sicut enim videmus in vno & eodem corpore, quod propter inaequalitatem humorum consurgit infirmitas & pugna: sic & inter homines propter iniurias, & inaequalitates quas inter se exercent, consurgunt dissensiones & bella. Ebd. II,1,12, S. 254. nam quia est in nobis corruptio appetitus, & non semper reseruamus ordinem naturalem, […]. Ebd. II,3,15, S. 385. 45 Ebd. I,1,6, S. 19. Dicebatur enim supra, quod in vita voluptuosa conuenimus cum brutis, & desiderantes sic viuere sunt vitam pecudum eligentes: […]. Vgl. Si [homo] autem est bestia, & homine peior, tunc non regitur ratione, & prudentia, sed regitur passione, & viuit vita voluptuosa. Ebd. I,1,4, S. 12. Vita voluptuosa aber bezeichnet den modus vivendi des Tiers, das gänzlich auf die Sinnenebene beschränkt bleibt: nam secundum vitam voluptuosam, viuit vt bestia. Ebd. I,1,4, S. 11. 46 VVlgus communiter non percipit, nisi delectationes sensibiles: Ebd. I,1,6, S. 17. Schrübbers, Regimen und Homo Primitivus I, S. 140.

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zentrales Agens der Störung, die vom Körper ausgeht, gilt Aegidius der appetitus sensitiuus, dessen Verselbständigung eine Gefahr für die Seele und damit für das gesellschaftliche Gefüge insgesamt bildet:47 Die Seele folgt ja zumeist den Komplexionen des Körpers; denn unsere Erkenntnis beginnt mit der sinnlichen Wahrnehmung, und das sinnlich Wahrnehmbare ist uns auch das Bekanntere. Daher lassen sich die Menschen eben auch zumeist vom sinnlichen Begehren leiten. Dieses aber ist an die körperlichen Sinnesorgane gebunden, und daher sind Maß und Stärke seiner Betätigung durch den Körper selbst bedingt. Anima enim vt plurimum sequitur complexiones corporis: nam quia nostra cognitio incipit à sensu, & sensibilia sunt nobis magis nota; ideo vt plurimum homines sequuntur appetitum sensitiuum. Appetitus autem sensitiuus est virtus o,rganica siue corporalis. quare oportet talem appetitum sumere modum, & mensuram ex ipso corpore.48

Als oberste Instanz des Staates repräsentiert der Herrscher das Haupt des staatlichen Organismus (caput Regni) und steht damit in besonderer Verantwortung.49 Das entscheidende sozial differenzierende Kriterium ist wieder die Opposition von sensus und ratio. Der Mangel an ratio und ein Übergewicht an sensualitas wird innerhalb der Medizin außer auf pathologische auf natürliche Ursachen zurückgeführt, d. h. auf geschlechtsspezifische,50 entwicklungsgeschichtliche oder klimatische Gründe.51 Die medizinische Psy47 nam ex inordinatione appetitus sensitiui redundat inordinatio in voluntate; Aegidius Romanus, De regimine principum II,2,16, S. 332. Die Animalität des Menschen artikuliert sich in seiner sensualitas, ermangeln doch die Tiere der ratio, habent tamen sensum et appetitum sensualitatis. Petrus Lombardus, Sententiae II, 24,3, S. 453 [PL 192, Sp. 702]. 48 Aegidius Romanus, Von der Sorge der Eltern II,1 (S. 51); De regimine principum II,2,14, S. 326. 49 Ebd. I,1,11, S. 36. Entsprechend setzen die »Secreta secretorum« das Wissen in eine pädagogische Lehre an den Fürsten um, gilt doch im politischen Schrifttum Selbstbeherrschung als Voraussetzung für Herrschaftstauglichkeit: Carnalis enim appetitus inclinant animum ad corruptibilis voluntates animae bestialis. Secreta secretorum Cap. 8, S. 46f. Vita vias bestiarum, leonum et immunditas suas. Ebd. Cap. 13. Vgl. Cap. 14: O clemens imperator, noli te inclinare ad coitum mulieris, quia coitus est quedam proprietas porcorum. Que gloria est tibi ergo, si exerceas vitium irrationabilium bestiarum et actus brutorum. 50 Im politischen Kommentar des Albertus: Ex quo patet, quod natura et naturali virtute distinguuntur foemina et servus, maritus et dominus, et quod specie differunt virtutes communicationis conjugalis et communicationis despoticae, et non quantitate sola. Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis I,1, S. 9/10. […] idem sit barbarum et natura servum: quia sicut servus ordinem et dispositionem faciendorum non habet in seipso, sed exspectat a domino, propter quod etiam servus est alterius, sicut argumentum et organum motum ab alio: ita barbarus destitutus intellectu ordinante, secundum legem justitiae et communicationis, ordinem spectat a Graeco sive a sapiente. Ebd. 51 Et ideo sunt uirtutes animae in pueris imperfectae, & in mulieribus debiliores. Et similiter fit in gentibus in quorum complexione uicerit calor, uel frigus, propter propinquitatem earum ad solem, uel earum longitudinem ab eo. Constantinus Africanus, De anima, S. 316f.; vgl.: Item distat conditio viri & mulieris in sensus discretione. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus, VI,12, S. 244.

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chologie, die physiologisch fundiert ist, dient als Basis, soziale Hierarchien herzustellen, schließlich Herrschaft als rationale Fürsorge insgesamt zu rechtfertigen. Es ist der Fürst, der aufgrund überlegener ratio die Hirtenfunktion über die den sinnlichen Genüssen verfallene Herde ausübt.52 Die Fürsorge des Herrschers für die Untertanen artikuliert sich in der Herrschaft der ratio über den Körper: »Denn wie die Seele den Körper regiert und bewahrt, so regiert und bewahrt der König das Reich.«53 Das weibliche Geschlecht, die Heranwachsenden und die Leibeigenen bilden solche Repräsentanten der Körperinstanz, deren Energiepotential nicht nur die individuelle Seele, sondern auch das gesellschaftliche Gefüge insgesamt bedroht. Nicht zufällig laufen Aegidius’ Befunde über Frauen und Kinder in dem Satz zusammen, »daß die Seele meistens den Komplexionen des Körpers unterliege.«54 Als Bestandteil der engeren freien familia werden aber beide deutlich vom Status des Leibeigenen abgehoben.55 Frauen teilen mit Kindern analoge Schwächen im Verhalten, die aus ihrer jeweiligen Komplexion resultieren.56 Frauen unterliegen insbesondere einer mangelnden Temperierung und neigen zu zügelloser – sine fraeno – Geschwätzigkeit und Zanksucht, vor allem aber erklärt sich ihre wesenhafte Unbeständigkeit »aus einer Schwäche der Komplexion.«57 Nicht auf der artspezifischen Ebene, wie die Pygmäen, wohl aber auf der der Komplexion, des appetitus sensitivus, der in bezug auf Sexualität auch als appetitus bestialis bezeichnet wird, wird der Frau eine potentiell animalische Disposition unterstellt. Die misogyne Qualifizierung der Frau als bestia insatiabilis in mittelalterlicher Theologie ist daher nur der besonders drastische Ausdruck einer prinzipiell unterstellten weiblichen Körperfixierung.58 52 In tanto ergo gradu existens, indignum est, vt [princeps] vitam pecudum eligat, quia per eam valde deprimitur. Aegidius Romanus, De regimine principum I,1,6, S. 19. VVlgus communiter non percipit, nisi delectationes sensibiles. Aegidius Romanus, De regimine principum I,1,6, S. 17. Vgl. Foucault, Omnes et singulatim, S. 65–93. 53 Aegidius Romanus, De regimine principum III,2,34, S. 548. Nam sicut anima corpus regit & conseruat, sic Rex regit & conseruat regnum. 54 Nam cum anima […] vt plurimum sequatur complexiones corporis. Ebd. II,1,18, S. 272; II,1,23, S. 284; bzw. I,4,2, S. 193; II,2,14, S. 326. 55 Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 76f. 56 Aegidius Romanus, De regimine principum II,1,18, S. 269. 57 ex debilitate complexionis. Ebd. II,1,18, S. 272. Nam fraenum mulierum vt plurimum non est ratio, Ebd. complexionem inualidam. Ebd. II,1,23, S. 283. Den Zusammenhang von Weiblichkeit und Animalität samt der Zügelungsmetaphorik inszeniert wiederholt die didaktische Kleindichtung: Reden, Sprüche, Fabeln, Mären. Vgl. Müller, Der Widerspenstigen Zähmung; Grubmüller, Das Groteske im Märe, S. 43. 58 Zum appetitus bestialis vgl. Secreta secretorum. Zur insatiabilis bestia vgl. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI,115, Sp. 2385; Bullough, Medieval Scientific Views of Women, S. 497; Børresen, Die anthropologischen Grundlagen, S. 10–17; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 80; vgl. Schnell, Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen.

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Eine analoge, allerdings altersbedingte, Körperfixierung attestiert Aegidius den Jugendlichen, deren natürliche Körperdisposition – naturalis dispositio corporis – gleichfalls am meisten den Triebenergien des Körpers folgten: maxime insequuntur concupiscentias circa corpus.59 Auch dies wird mit der bekannten Wendung humoralpathologisch begründet: »Denn die Seele folgt den Komplexionen des Körpers. Daher nämlich sind in den Körpern der Jugendlichen die Säfte in großer Bewegung.«60 Unbeständigkeit, Leidenschaft, Hartnäckigkeit und Maßlosigkeit der Jugend machen evident, daß der Mensch nicht auf Disziplin angelegt ist. Brechung der Körperdynamik ist daher primäres Ziel von Erziehung, vor allem der klösterlichen.61 Und die pseudothomasische Schrift »De eruditione principum« formuliert für Kinder gleichfalls ein hartes Zuchtprogramm, das besagt, daß »auch die unvernünftigen Tiere durch Schläge unterwiesen und geregelt« werden. Mangelnde Vernunft gilt ihr als Zeichen der Erbsünde, und die »Zucht unterwirft […] den Leib dem Geiste und führt die Menschen zum Stand der Unschuld zurück.«62 Doch existieren auch kritische Stimmen. Der ambivalente Status der Gewalt selbst innerhalb der christlichen Pädagogik, einerseits als Katalysator der Verwilderung, anderseits als Ordnungsinstrument, läßt sich am Beispiel Anselms von Canterbury beschreiben. Eadmer führt in seiner Anselmvita die Paradoxie der harten Zucht vor. Um Rat gefragt, warum die gezüchtigten Novizen immer verstockter würden, formuliert Anselm die Gegenfrage: »[…] ›Und was wird daraus, wenn sie erwachsen sind?‹ ›Dummköpfe und wilde Tiere‹, antwortete jener. Und Anselm entgegnete: ›Da habt ihr eure Erziehung schön vergeudet: aus Menschen habt ihr Tiere gemacht!‹«63 Auch im Bereich monastischer Erziehung rivalisieren offenbar alternative Ansätze: ein friedliches Konsensmodell und eine Pädagogik der harten Disziplin. Herrschaft rechtfertigt sich entsprechend aus der Notwendigkeit, die widerständigen Körperkräfte, die als animalische wirken, unter Kontrolle zu 59 Aegidius Romanus, De regimine principum I,4,2, S. 192; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 99–103. 60 Nam anima sequitur complexiones corporis. Sicut ergo in corporibus iuuenum humores sunt in magno motu. Aegidius Romanus, De regimine principum I,4,2, S. 193. PHilosophus circa finem 3. Ethicorum, concupiscibilem siue sensualitatem assimilat puero, & rationem assimilat paedagogo. Ebd., II,2,9, S. 311. 61 Helmold von Bosau berichtet in seiner »Slawenchronik« vom Missionar Vizelin nur Vorbildliches, »außer daß er beim Züchtigen der Zöglinge mit Schlägen nicht Maß hielt«: nisi quod in cohercendis iuvenibus verberibus modum negaverit. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 44, S. 88. 62 Wilhelm Peraldus, De eruditione principum, S. 216f., 265. Zitiert nach Schrübbers, Regimen und Homo Primitivus I, S. 182. 63 Eadmer, Vita Sancti Anselmi Cap. XXII, S. 37. ›Et cum adulti sunt quales sunt?‹ ›Habetes‹ inquit ›et bestiales‹ At ille, ›Quam bono omine nutrimentum vestrum expendistis; de hominibus bestias nutrivistis‹. Vgl. Arnold, Kindheit im europäischen Mittelalter, S. 102.

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halten. Aegidius greift dafür signifikant auf eine naturbezogene Argumentation zurück, die er der aristotelischen »Politik« entnimmt: Wir sehen nämlich auf natürliche Art die Menschen die Tiere beherrschen, die Männer die Frauen, die Erwachsenen die Kinder. Die Menschen beherrschen auf natürliche Weise die Tiere, da das Menschengeschlecht stark an Klugheit ist; die Tiere haben nämlich wenig Anteil an Klugheit und Kunst. Entsprechend herrschen die Männer über die Frauen, weil (wie im 1. Buch der Politik erklärt wird) die Frau nur eine geringe Klugheit besitzt. Videmus enim naturaliter homines dominari bestijs, Viros foeminis, Senes pueris. Homines naturaliter dominantur bestijs, quia hominum genus viget prudentia: bestiae enim prudentia & arte parum participant. Sic etiam viri dominantur foeminis, quia (vt declarari habet 1. Politic.) foemina habet consilium inualidum.64

Unter Rückgriff auf die Tierwelt wird der Status der Frau bestimmt und, mit einem Wort des Albertus, ihr zentrales Defizit bestimmt: privatio rationis. Der weibliche und jugendliche Mangel an Vernunft wird von Aegidius zwar relativiert zum Mangel an Vernunftgebrauch (usus rationis),65 doch bedarf die Triebdynamik beider Körper der Kontrolle. Die geschlechtspezifische Rechtfertigung von Herrschaft erfordert indes nicht nur eine überlegene ratio, sondern auch eine ihr korrespondierende gesunde Komplexion. Albertus Magnus formuliert entsprechend diese physiologische Voraussetzung von Herrschaft: »Die Gleichmäßigkeit des Körpers und die gute Komplexion sind nämlich Zeichen eines wohl geordneten und zur Weisheit disponierten Geistes.«66 Wie in der Medizin wird hier ein allgemeines Korrespondenzverhältnis von Körper und Seele gefordert, doch primär in bezug auf die rechte Verwaltung des Staates. Die besondere Rolle der Diätetik, die im politischen Schrifttum betont wird, etwa in den umfangreichen Gesundheitsregeln der »Secreta secretorum«, hat hier ihren Grund. Der Herrscher als Haupt des Staates ist somit nicht nur eine repräsentative Größe, sondern die Gesundheit seines Körpers garantiert geradezu gerechte Herrschaft.67 64 Aegidius Romanus, De regimine principum I,2,7, S. 65. 65 Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 77f. 66 AEqualitas enim corporis et bona complexio signa sunt animi bene dispositi et ad sapientiam ordinati. Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis III,1, S. 29. Vgl. Fioravanti, Servi, rustici, barbari, S. 410. In den Worten des Aegidius: Nam quantum corpus est melius complexionatum, tanto est magis proportionatum animae: propter quod magis obsequitur ei: & anima existens in tali corpore, liberius vtitur operibus proprijs, & expeditus habet rationis vsum. Aegidius Romanus, De regimine principum II,1,23, S. 283. 67 Vgl. Hiestand, Kranker König – Kranker Bauer, S. 62–68, zum statusmindernden Charakter von Krankheit, insbesondere bei Königen. In der »Historia de preliis« versuchen die Makedonier die Krankheit Alexanders zu verheimlichen: Sanitas vero Alexandri confortabat omnes. Historia de preliis J1, Cap. 47, S. 175.

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Eine, indes substantielle, Stufe tiefer als Frauen und Kinder rangieren die Leibeigenen. Die dienenden Gruppen werden hierarchisch klassifiziert, wobei als die unterste Gruppe diejenigen Unfreien beschrieben werden, die aufgrund von fehlendem Intellekt sich nicht selbst regieren können – non possent seipsum derigere –, gilt doch für die Moralphilosophie Selbstbeherrschung als Grundvoraussetzung für Herrschaft überhaupt. Von daher liegt Unfreiheit in der Natur der Leibeigenen begründet: »Wir zeigen nämlich zuerst, daß die Sklaverei etwas Natürliches ist […].«68 Erneut gibt der Argumentationsrahmen einen signifikanten Einblick in den mentalen Haushalt der Regierenden und ihrer Funktionsträger. So überträgt Aegidius im Anschluß an Aristoteles die Verantwortung für die Geistesschwachen an den Herrscher: Der Mensch beherrscht nämlich (wie oben gesagt) auf natürliche Weise die Tiere. Wir sehen nämlich viele Haustiere wie Hunde und Pferde viele Dinge aufgrund der Klugheit der Menschen bewirken, die sie aufgrund eigener Anstrengung nicht erreichen können. Es kommt ihnen daher zustatten, daß sie sich auf natürliche Weise dem Menschen unterwerfen, und deswegen werden sie durch die Klugheit der Menschen gelenkt und ernährt. Deshalb werden die Trägen von den Betriebsamen wie die Tiere von den Menschen gelenkt, weil sie aufgrund fehlender Klugheit sich nicht selbst lenken können. Gleichermaßen wie es natürlich ist, daß die Tiere den Menschen dienen, so ist es natürlich, daß die Unwissenden den Klugen dienen, so daß es klar ist daß sie ihnen unterworfen sind und durch ihren Fleiß geführt und ernährt werden. homo enim (vt supra dicebatur) naturaliter dominatur bestijs. Videmus enim multas bestias domesticas, vt canes, & equos in multis consequi fatutem propter prudentiam hominum, quam ex propria industria consequi non possent. Expedit ergo eis, & naturale est ipsis subijci homini; eo quod per hominum prudentiam diriguntur & saluantur. Quare cum insipientes comparentur ad industres sicut bestiae ad homines, eo quod carentes prudentia nesciant seipsos dirigere: sicut naturale est bestias seruire hominibus, sic naturale est ignorantes subijci prudentibus expedit enim eis sic esse subiectos, vt per eorum industriam dirigantur & saluentur.69

Die Diskussion über die complexio corporis macht deutlich, daß hier nicht nur ein schlichter Vergleich vorliegt. Erneut greift Aegidius auf die Tieranalogie zurück, doch anders als bei den Frauen steht der instrumentelle Aspekt im Vordergrund: denn corpus est quasi instrumentum animae.70 Der Leib-

68 Ostendemus enim primo seruitutem aliquam naturalem esse, […]. Aegidius Romanus, De regimine principum II,3,13, S. 380. 69 Ebd., S. 382. Vgl. den Anschluß an Aristoteles »Politik« 1254b-1255b. Cartmill, Tod im Morgengrauen, S. 59; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 121f. 70 Aegidius Romanus, De regimine principum II,1,20, S. 276. […] insatiabilis est concupiscentiae appetitus. Ebd. insatiabilis est delectabilis appetitus. Ebd. I,1,6, S. 18; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 86f.; vgl. Werner, Der Entwicklungsgang, S. 22.

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eigene gilt analog zum Tier als instrumentum animatum.71 Was hier als Fürsorgeverhältnis beschrieben wird, besitzt somit auch ökonomisch seine funktionale Seite, die die andere Ebene des Tiervergleichs offen legt. »Da die Tiere nämlich von einer dienstbaren Natur sind, ist derjenige, der sich mehr zur tierischen Natur hinbewegt, umso mehr auf natürliche Art Sklave.«72 Ist der Zustand des Leibeigenen primär dadurch gekennzeichnet, daß er nichts außer seinem Körper besitzt, so reduziert sich sein Status auf den eines reinen Instruments, vel sicut equo vel asino.73 Die Funktion derartiger Unfreier wird auf eine Ebene mit Haustieren gestellt, was im übrigen ihrer Rechtsstellung entspricht.74 Noch im Hintergrund höfischer Liebestheorie tritt die Nähe der Eigenen zum Tier hervor, wenn etwa Andreas Capellanus das Liebesverhalten – natura amoris aculeus – der Bauern dem tierischen gleichstellt – naturaliter sicut equus et mulus – und dem Herren vorschlägt, eine Magd bei Gelegenheit durch Gewalt zu nehmen: violento potiri amplexu.75 Die Körperdominanz der Leibeigenen erfährt dort besondere Aufmerksamkeit, wo sie nützlich ist: bei der Arbeit, vor allem aber im Krieg. Hier kann die Nähe zum Tier gar nicht groß genug sein. Körperkraft und Wildheit der Tiere liefern nützliche Vorbilder. In der ars armorum, die Aegidius im Rückgriff auf Vegez’ Kriegslehre vorstellt, bedarf die Aushebung geeigneter Soldaten der besonderen Aufmerksamkeit, d. h. der Identifikation solcher Körperzeichen, die einen Menschen zum Kampf prädestinieren.76 Gerade hier kommt – über Vegez hinaus, aber in Kongruenz mit der zeitgenössischen 71 Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 119; Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 62–66. Zur Affinität, die bäuerliche Existenz in Tiervergleichen zu fassen, vgl. Struve, Pedes rei publicae, S. 6f; Carozzi, Les fondemonts de la tripartition sociale, S. 685ff. 72 Cum enim bestiae sint naturae seruilis: quanto quis magis accedit ad naturam bestialem, tanto est magis naturaliter seruus. Aegidius Romanus, De regimine principum III,2,34, S. 548. 73 So nach Johannes Buridan in seinem Ethikkommentar, zitiert nach Fioravanti, Servi, rustici, barbari, S. 409. Analog erörtert Bartholomaeus Anglicus den sozialen Rang des »eigenen« Gesindes, der Unfreien, deren Status dem veräußerbaren Hausvieh (post contractum pecunia venditur & emitur sicut pecus) gleichgestellt wird. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus VI,11, S. 243. Theoretisch reflektiert Albertus Magnus das Problem der fehlenden ratio des Leibeigenen und seine Nähe zum Haustier ausführlich im Kommentar zur aristotelischen »Politik«. Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis I,3, S. 28. 74 Sellert, Das Tier in der abendländischen Rechtsauffassung, S. 73; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 123f. Auch der Umstand, daß Leibesstrafen primär eine Strafe für den Unfreien waren, der über keine Mittel verfügte, die Untat finanziell abzulösen, zeigt den körperbezogenen Status des Leibeigenen an. Ekkehard Kaufmann, Leibesstrafe, HRG II, Berlin 1978, Sp. 1777–1789, 1785. 75 Andreas Capellanus, De Amore III,11, S. 235f. Rein rechtlich war die unfreie Magd dem Herrn auch geschlechtlich unterworfen. Paul Mikat, Ehe, HRG I, Berlin 1971, Sp. 809–833, 817. 76 Aegidius Romanus, De regimine principum III.

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feudalen Kriegsethik – die Tierphysiognomik deutlicher ins Spiel: »Diejenigen Menschen, die den kriegerischen Tieren ähnlich sehen, scheinen nützlicher für den Krieg zu sein.«77 Daher bieten sich bevorzugt solche Soldaten an, deren äußere Erscheinung Raubtieren ähnelt.78 Die Unterscheidung der Tiere nach dem Vermögen der inneren Sinne lieferte Albertus Magnus das Instrumentarium, fremde Völker wie die Pygmäen aus dem genus humanum auszuschließen. Was im theologischen Diskurs sündentheologisch, klimatheoretisch oder ökonomisch begründet wurde, erfährt hier seine ›wissenschaftliche‹ Erklärung. Darüber hinaus argumentiert die politische Theorie ethisch: »Barbaren nämlich werden jene genannt, die wie Wilde sind und sich nicht selbst regieren können; deswegen sind jene auf natürliche Weise Sklaven, wie es durch den Brauch offensichtlich ist.«79 Für Albertus werden in seinem Kommentar zur »Nikomachischen Ethik« analog zur antiken Einstellung Barbaren zu einer Art animalischer Unterklasse. Im Anschluß an Cicero nennt er sie sylvestres homines, die seiner Ansicht nach vor allem über ein unmenschliches, animalisches Maß an Grausamkeit verfügen.80 Ihrem Mangel an civilitas und ordo disciplinae korrespondiert zugleich ein Mangel an ratio und entsprechend ein exuberantes Potential an Sinnenkräften. Hier nun scheint Albertus seinen Befund zu verallgemeinern. Im Anschluß an Dionysius unterscheidet er signifikante Felder der ›barbarischen‹ Demenz: irrationalen Zorn, verstandeslose Begierde und ungebremste Phantasie.81 Mit Gewalt, Lust und ›Wahnsinn‹ werden die ›Barbaren‹ in den klassischen Feldern ordnungsstörender Kräfte verortet, die die Gesellschaft von außen und innen bedrohen: »Was wir nämlich Demenz nennen, haben die Alten bestialisch und wild genannt.«82

77 homines similiores animalibus bellicosis, vtiliores videntur esse ad bellum. Ebd. III,3,3, S. 563. 78 Tertio autem per signa, secundum quae conformamur animalibus bellicosis. Ebd., S. 563. 79 Barbari enim dicuntur illi, qui sunt quasi syluestres, & nesciunt seipsos dirigere: propter quod tales contingit esse naturaliter seruos, vt est per habita manifestum. Ebd., II,3,15, S. 385. 80 Albertus Magnus, Ethica VII,1, S. 464. Analog ist für Thomas von Aquin der Kontakt zu den Barbaren eine der drei Möglichkeiten, zu animalischen Verhaltensformen abzusteigen: […] Et ponit tres modos secundum quos aliqui fiunt bestiales: quorum primus est ex conversatione gentis, sicut apud Barbaros, qui rationabilibus legibus non reguntur, propter malam convivendi consuetudinem aliqui incidunt in malitiam bestialem; […]. Thomas von Aquin, Sententia libri ethicorum VII,1, S. 381f.; Jones, The Image of the Barbarian, S. 398. 81 Albertus Magnus, Ethica VII,1, S. 464. […] ut scilicet ad omne nocivum quod sibi putat contrarium esse, furore irrationali feratur: ad omne delectabile ducatur concupiscentia demente quae nullam servat metam mentis: et ad omne verum non secundum rationem rei, sed secundum propriam phantasiam protervam. Ebd. Hervorhebung U. F.; vgl. Jones, The Image of the Barbarian, S. 397f. 82 Quod enim nos dementem vocamus, Antiqui bestialem et feralem appellabant. Albertus Magnus, Ethica VII,1, S. 464.

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Die gesellschaftliche Gliederung erweist sich somit weniger als soziales denn als natürliches Phänomen: Freie und Unfreie, die geschlechtsspezifischen Rollenklischees, Väter und Kinder sowie Stammesangehörige und Fremde repräsentieren keine kulturelle Differenz, sondern eine natürliche Differenzierung, gewissermaßen eine Art relativen Artunterschied. Von daher kann trotz aller Beschwörungen der Gleichheit der Menschen und theologischen Feier der dignitas hominis nicht von einer allgemeinverbindlichen mittelalterlichen Anthropologie gesprochen werden. Der Mensch ›an sich‹ existiert weder sozialpolitisch noch angesichts des Sündenfalls theologisch. Die Skala der Menschheit ist in sich vielfach differenziert. Gegen den demonstrativen Gleichheitsanspruch der christlichen Ethik behauptet die politische ihren Anspruch auf naturgegebene Differenzierung, die allererst Herrschaft legitimiert.

3. Die Gefahr der Animalisierung Die politische Theorie des Mittelalters reflektiert aber auch den Mißbrauch von Herrschaft unter dem Blickwinkel der Animalisierung. Dort, wo der Mensch dem Animalischen verfällt, gelangt Herrschaft als Fürsorge zu ihrem Recht, dort aber, wo Herrschaft selbst Macht usurpiert, wird sie prekär. Auf der Basis der herrschaftskritischen Interpretation der Genesis nehmen die Theologen Akte politischer Selbstermächtigung kritisch in den Blick. Thomas von Aquin schreibt: Ein Mensch, der, fern von den Erwägungen der Vernunft, nur nach der Willkür seines Gemütes die Herrschaft führt, unterscheidet sich in nichts von einem wilden Tier. So sagt Salomon (Spr. 28,28): ›Ein brüllender Löwe und ein hungernder Bär, das ist ein gottloser Fürst für das arme Volk.‹ Deshalb suchen sich die Menschen vor den Tyrannen wie vor grausamen Bestien zu verbergen. Es scheint ja fast dasselbe, einem Tyrannen unterworfen zu sein oder vor den Rachen eines wilden Tieres geschleudert zu werden. Neque est mirum, quia homo absque ratione secundum animi sui libidinem presidens nichil differt a bestia; unde Salomon dicit »Leo rugiens et ursus esuriens, princes impius super populum pauperem«; et ideo a tyrannis se abscondunt hominess sicut a crudelibus bestiis, idemque uidetur tyranno subici et bestie seuienti substerni.83

An der Interpretation der biblischen Gewaltherrscher Nimrod und Ninus wird die ambivalente Einschätzung dieses Vorgangs exemplarisch sichtbar. Für Johannes von Salisbury etwa gilt nicht zufällig der Jäger Nimrod als der 83 Thomas von Auqin, De regno I,3; dt. Über die Herrschaft des Fürsten, S. 17.

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erste Tyrann in der Geschichte.84 So wie Ninus für Otto von Freising als Begründer tyrannischer Herrschaft angesehen wird, der die noch schutzlos und ohne Waffen wie Vieh dahinlebenden Menschen mit Gewalt unterworfen habe, so entstehen nach Nicolaus von Gorran mit Nimrod gar der Adel und die Herrschsucht – nobilitas und ambitio regnorum – sowie »Raub und Jagd, die bis jetzt die Tätigkeiten der Adeligen sind.«85 In diesem Horizont von Herrschaft als unrechtmäßiger Usurpation scheint für den Kleriker der Schluß von dem Tyrannen auf den Stand nicht schwer zu sein. Gegenüber der Notwendigkeit, tierische Energien zu bändigen, rückt hier Herrschaft selbst in den Rang einer Gewalthandlung; zwar als Selbsterhebung über animalisierte Menschen, doch zugleich als Triumph animalischer Energien: statura procerior et viribus fortior, aufgrund reiner Physis und Körperkraft also, eignet sich Nimrod nach Andreas von St. Viktor die Herrschaft an.86 Die Lenkung der Herde wird prekär, da der Herrscher selbst nicht mehr die ratio, sondern einen Gewaltüberschuß verkörpert. Wenn der »Sachsenspiegel« bereits zu Beginn des 13. Jahrhunderts sich gegen die biblische Erklärung wendet und soziale Ungleichheit allein als Effekt purer Gewaltüberlegenheit darstellt, bringt auch er jene physischen Kräfte wieder ins Spiel, die den Theologen verdächtig waren: und zwar auf Seiten der Herrschaft.87 Neben der theologischen Argumentation tritt hier das ius gentium in sein Recht. Herrschaft als providentielle Einrichtung gegen Gewaltexzesse oder als überlegene Gewaltdemonstration bilden aber die zwei Hauptformen theologischer und politischer Herrschaftslegitimation.88 Seit der Patriarchenzeit scheinen die zentrifugalen Energien des Menschen die festgelegte Grenze zum Tier zu verwischen. Wie der Körper in unablässiger Spannung von Triebdynamik und zügelnder Seelenkraft gesehen wird, so scheint auch der soziale Organismus ständig der regulierenden Herrscher84 Johannes von Salisbury, Policratricus VIII,20. Zu Nimrod vgl. Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 169, 194, 199. 85 Otto von Freising, Chronica I,5; Nicolaus von Gorran (ca. 1210–ca. 1295) zitiert nach Borst, Der Turmbau von Babel II,2, S. 792f. Vgl. Schreiner, ›Hof‹ (curia) und ›höfische Lebensführung‹ (vita curialis), S. 100. Zu Nimrod und Ninus vgl. Orosius, Historiarum adversum paganos libri I,4. 86 Andreas von St. Viktor, Expositio super Heptateucheum S. 55 (CCCM 53); Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 194. 87 Sachsenspiegel, Landrecht III,42; Oexle, Die funktionale Dreiteilung, S. 28f.; Borck, Adel, Tugend und Geblüt, S. 450f. 88 Um das Gewaltprinzip des ius gentium zu rechtfertigen, versuchte Thomas von Aquin, dieses als eine dem Naturrecht vergleichbare Instanz auszugeben, da der Sieg als solcher bereits als natürliches Zeichen herausragender Tugend aufgefaßt werden könne. […] illos procul dubio sequens naturam dominos ordinasset, sed quia hoc fieri non poterat, accepit lex aliud signum preminentie, scilicet ipsam uictoriam que prouenit ex aliqua excellentia uirtutis. Thomas von Aquin, Sententia libri ethicorum VII,5, S. 929; Flüeler, Rezeption und Interpretation, S. 54f.

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instanz zu bedürfen: rihtet er niht wol, in sînem lant, / sîn lantliute tůnt unrehte ze hant.89 Solch virulentes Gewaltpotential wird aber als permanente Bedrohung feudaler Herrschaft inszeniert. Die konkrete Fragilität feudaler Herrschaft zeigt sich besonders im Falle von Herrschaftswechseln, die nach Berichten zeitgenössischer Chronisten immer wieder in gewalttätige Auseinandersetzungen münden. Der Tod des Herrschers verändert die politische Landkarte nicht nur in bezug auf rivalisierende Nachfolger, sondern auch deshalb, weil Vasallen und unterworfene Länder erst zu neuer Huldigung gebracht werden müssen.90 Dort, wo der Herrscher abwesend ist, scheinen die politischen Verhältnisse labil zu werden, drohen nach Auskunft der Chronisten Willkür und Gewalt die Oberhand zu gewinnen.91 Daß die Darstellung solch gewaltbedingter Instabilität mit dem Rückfall in Animalität in Verbindung gebracht wurde, dokumentiert die Sprache der Chroniken immer wieder, besonders eindringlich für den englischen Raum die »Gesta Stephani«. Der Tod König Heinrichs I., eines Garanten von Frieden und Recht, stürzt das ganze Reich in gewaltsame Turbulenzen, und bereits zu Beginn greift der anonyme Verfasser zu einer signifikanten Parallele: Auch die wilden Tiere, die zuvor im gesamten Königreich zum Nutzen des Friedens eingesperrt worden waren, wurden, obwohl sie in Verschläge eingeschlossen waren, nun in jeder Ecke belästigt, durch irgendeinen Ankömmling zerstreut oder furchtlos von allen niedergemacht. Und das war in der Tat noch ein geringerer Verlust, nicht allzu sehr zu beweinen, mehr war darüber zu staunen, wie so viele tausend wilde Tiere, die zuvor das Land in zahlreichen Herden überschwemmt hatten, so plötzlich ausgelöscht wurden, daß von jenem Schwarm kaum mehr zwei zusammen gefunden wurden. Nachdem aber diese unaussprechlich große Menge allmählich zu schwinden begann, daß es ›ein seltener Vogel gewesen wäre‹, wie sie zu sagen pflegen, irgendwo noch ein wildes Tier zu finden, wendeten sich die Menschen grausam gegen ihre eigene Art und beraubten andere; sie plünderten wechselseitig ihren Besitz; sie planten ihren gegenseitigen Tod […]. 89 Thomasin von Zerclaere, Der welsche Gast, V. 9599f. 90 Über die Söhne des Slavenherzogs Heinrich heißt es in Helmolds Chronik: ut tranquillitatem temporum et tributa regionum perderent, quae pater eorum armorum virtute conquisierat. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 46, S. 91f. Der Tod Philipps von Schwaben zieht nach Arnold von Lübeck Turbulenzen nach sich: De cuius tamen morte turbata est terra. Chronica Slavorum VII,12, S. 244. Igitur mortuo rege Philippo, omnes qui per eum stare videbantur, infirmati sunt. Ebd. VII,13, S. 245. 91 Zotz, Präsenz und Repräsentation, S. 169f. Wipo, der Biograph Konrads II., schreibt analog in seinem »Tetralogus«, daß dort, wo der Herrscher allzu lange fern bleibe, die Treue der neuen Untertanen dem Wankelmut ausgesetzt sei. Zitiert nach Prinz, Die Grenzen des Reichs, S. 164f. Die fast einjährige Abwesenheit Wilhelms des Eroberers im Jahre 1067 führte dazu, daß die beiden von ihm eingesetzten normannischen Statthalter die Bevölkerung des unterworfenen England durch Raub und Übergriffe bedrückten. Fenske, Der Knappe, S. 109; Schulze, Königsherrschaft, S. 181.

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Ferae quoque, quae in tota prius regione, tanquam in indagine reclusae, cum summa pace reseruabantur, nunc quaquauersum turbari, a quolibet passim dispergi, ab omnibus, abiecto metu prosterni. Et haec quidem minor, nec multum conquerenda iactura, sed admodum tamen stupenda, quomodo tanta ferarum milia, quae antea copioso grege uniuersam terram affluenter inundarant tam repente fuerint adnullata, ut de tam innumero examine uix duas postmodum simul reperires. Vbi tandem coepit grandis haec et indicibilis copia adeo extenuari, ut ›rarissima‹, ut aiunt, ›auis‹ esset uel unam ubiuis locorum feram conspicari, in seipos truculenter conuersi alios spoliare; res possessas sibi uicissim diripere; insidias et necem alterutrim moliri […].92

Nicht als Metapher, sondern als konkrete Praxis schildert der Verfasser den Umschlag in politische Wirren, die mit einer Tötung der wilden Tiere im Reich einhergeht. Manifestiert sich Frieden demnach zugleich im Domestizierungsakt einer bedrohlichen Fauna, so artikulieren sich umgekehrt politische Wirren in dessen Auflösung, im Niedermachen der Tiere, das Ausdruck tödlicher Raserei zu sein scheint und nur einen Aufschub bietet, ehe die Menschen selbst übereinander herfallen. Die Probleme feudaler Herrschaftssicherung bei Abwesenheit des Königs, wie sie in den Darstellungen von Otto von Freising, Helmold von Bosau und Arnold von Lübeck immer wieder geschildert werden, werden von den gelehrten Chronisten typologisch auf alttestamentarische Vorbilder zurückgeführt. Die politischen Wirren um Staufer und Welfen finden hier ebenso ein Erklärungsmodell wie die Abwesenheit des Kaisers.93 So kann Ekkehard von Aura die Folgen der Abwesenheit Heinrichs V. mit dem Umschlag des herkömmlichen Sozialverhaltens in Animalität charakterisieren: »Menschen eines jeden Standes und Alters wüteten in dieser Zeit in tierischer Wut.«94 Der Befund der Theologen über den kulturhistorischen Nullpunkt der Menschheit nach der Vertreibung aus dem Paradies wird als ständig drohende Gefahr bis in die Gegenwart verlängert. Die Suggestion einer ständig drohenden Auflösung von Recht und Frieden legitimiert ein strenges Herrschaftskonzept, das schon rein sprachlich 92 Gesta Stephani, S. 2/4. 93 Otto von Freising, Gesta Frederici II,45; 53; Helmold von Bosau, Cronica Slavorum I,4; 46. In diebus illis non erat rex in Israel, sed unusquisque quod rectum in oculis suis videbatur faciebat. (Richter 21,25.), so setzt das dritte Buch der »Chronica Slavorum« Arnolds von Lübeck ein, das die politischen Wirren nach der Verbannung Heinrichs des Löwen schildert: tirannico more unusquisque regnabat in loco suo et alterutrum vim faciebant et vim patiebantur. Chronica Slavorum III,1, S. 142; vgl. Bloch, Die Feudalgesellschaft, S. 490; Schulze, Königsherrschaft, S. 181f. 94 Ekkehard von Aura, Chronica III, S. 324. […] sed uniuscuiusque conditionis et etatis preter solos ecclesiastice professionis homines, quibus iam pene nichil preter miseram restat animam, ceteri, inquam, hoc tempore beluino furore bachantur. Ebd., S. 326. et quia rex aberat, unusquisque non quod rectum, sed quod sibi placitum videbatur, hoc faciebat. Ebd.

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die Notwendigkeit anzeigt, daß die ›animalischen‹ Kräfte der Untertanen unter Kontrolle gehalten werden müssen. Gefordert ist in diesem Zusammenhang weniger ausgleichende Politik als ein demonstrativer Herrschaftsgestus, der starke Machtausübung mit Zähmung, Unterjochung und Furchteinfluß gleichsetzt. In diesem Sinn übernimmt Heinrich V. nach der Darstellung Ottos von Freising kraftvoll die Herrschaft im Reich, indem seine Untertanen demütig das Joch der Unterwerfung auf sich nehmen.95 Die feudale Machtpraxis gründet ihr Selbstverständnis immer wieder auf Akte demonstrativer Übermächtigung, die aus dem Bildreservoir der Domestizierung schöpfen. Aus der Sicht politischer Herrschaft hatte auch Gervasius von Tilbury im Gewaltakt des Ninus den durchaus legitimen Gründungsakt säkularer Gewalt gesehen, durch den das von Gott abgefallene Volk einer strengen Königsgewalt, dem ius regis, unterworfen wurde.96 Gervasius lokalisierte diese Gewaltbasis von Herrschaft gewissermaßen kulturhistorisch im gewaltsamen Gründungsakt des Ninus, der aufgrund purer »Lust, seine Herrschaft auszudehnen, die Waffen nach außen trug« und die wie Vieh – ritu pecudum – dahinlebende Menschheit erstmals mit einer Form von Gewaltherrschaft bekannt machte.97 Die politische Theorie hatte soziale Ordnung mit Hilfe des kirchlichen Fürsorgemodells gefaßt, das das harmonische Bild von Hirte und Herde voraussetzt: »Wo kein Führer ist, zerstreut sich das Volk«, zitiert Thomas von Aquin im Kontext seiner Hirtenmetaphorik die Sprüche Salomons (Prov. XI), und entsprechend ist für ihn wie für alle politische Theorie Gewalt lediglich Kennzeichen depravierter tyrannischer Herrschaft, Rückfall in animalische Daseinsbedingungen.98 Das Modell des Gervasius dagegen trägt selbstbewußt dem politischen Machtanspruch Rechnung. Kirche und Reich besitzen alternative Hintergrundmetaphern: »Während das Leben des Hirten den weidenden Schafen als Lehre dient, gilt die Strenge des Strafens dem Volk 95 Hic armis strennuissimus totum imperium ita in brevi sue subiecit ditioni, ut et omnes in Romano orbe positi subiectionis iugum humiliter portarent et vicini dominationem eius suspectam habentes metu obrigescerent. Otto von Freising, Gesta Frederici I,10. Das ist alte Fürstenspiegeltopik: Vgl. zu Karl dem Großen: Iniustos merito duris constringit habenis, / Atque iugum inponet gravidum cervice superbis […] Impia colla premit rigidis constricta catenis. Paderborner Epos Karolus Magnus et Leo Papa, V. 36–39, S. 62 [Vgl. MGH, P. L. 1, S. 367]. 96 Schnith, Otto IV. und Gervasius von Tilbury, S. 56. 97 propagandae dominationis libidine arma foràs extulit […] Scythicamque Barbariam adhuc tunc imbellem ac innocentem, torpentem, excitare saevitia vires suas volentem, non lacte jam pecudum vivere, sed sanguinem hominum bibere, ad postremum vincere, dum vicit, edocuit. Gervasius von Tilbury, Otia Imperialia, S. 882. 98 Vbi non est gubernator, dissipabitur populus. Thomas von Aquin, De regno I,1, S. 450. […] quia percusso pastore, turbantur oves, et lupi rapaces, qui earum quieti in abscondito insidiantur, per furta et mactationes et rapinas iniustas manifestantur. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum III,8, S. 150.

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als Friede.«99 Im Hirten- wie im Domestizierungsmodell werden Untertanen schon rein sprachlich als zu lenkende Tiere qualifiziert, wobei ersteres den friedlichen, letzteres den herrschaftlichen Modus akzentuiert. Da das Organismusmodell keinesfalls Eintracht verbürgt, scheinen Herrschaftskonzepte demonstrativer Gewaltartikulation immer wieder durch: etwa in der wiederholt formulierten Forderung, Furcht als Instrument von Herrschaft zu nutzen: »So sehr nämlich sollen die Menschen den König verehren und fürchten, wie sie selbst Gott zu ehren und fürchten pflegen.«100 Sowohl für die Feudalgesellschaft wie auch für die Kirche ist Furcht als Basis von Herrschaft konstitutiv. Die politische Theorie stellt in idealer Projektion Furcht zwar als Kennzeichen tyrannischer Herrschaft dar, doch legitimieren schon die Kirchenväter wie Gregor der Große und Isidor den terror diciplinae, um die wie Tiere handelnden Menschen in ihre Schranken zu weisen: »Und dennoch ist es nötig, daß die Herrschenden von den Untertanen gefürchtet werden, sobald sie bemerken, daß Gott von ihnen nicht mehr gefürchtet wird.«101 Auch historisch und literarisch ausgerichtete Texte zeigen immer wieder das auf Gewaltpraxis zielende Selbstbild feudaler Herrschaft.102 In solchen sym99 Dum vita pastoris, doctrina est pascualis ovibus, & rigor punientis pax est popularis. […] Sacerdos animas ligat & solvit, Rex corpora cruciat & occidit. Gervasius von Tilbury, Otia imperialia, S. 881. Hirten- und Domestizierungsmodell lassen sich durchaus verbinden: Populus enim suus more bovis est pascendus et tardi ritu asini castigandus et sine poena gravi non potest cum salute principis tractari. So charakterisiert Thietmar die politischen Notwendigkeiten im Reich der Polen. Thietmar von Merseburg, Chronicon VIII,2; vgl. Dohrn-van Rossum, Politischer Körper, S. 110. 100 Tunc enim solent homines revereri et timere regem quando vident ipsum timere et revereri Deum. Secreta secretorum Cap. 9, S. 47. 101 Et tamen necesse est ut rectores a subditis timeantur, quando ab eis Deum minime timeri deprehendunt. Gregor, Regula pastoralis Cap. VI, PL 77, Sp. 34; Stürner, Peccatum et potestas, S. 90, 100. Immer wieder wird auf Isidors Diktum verwiesen, nach dem strenge Herrschaft eine Folge des Sündenfalls darstelle: Nam si omnes sine metu fuissent, quis esset qui a malis quempiam prohiberet? Inde et in gentibus principes, regesque electi sunt, ut terrore suo populos a malo coercerent, atque ad recte vivendum legibus subderent. Isidor von Sevilla, Sententiae III,47,1, PL 83, Sp. 717. Vgl. Stürner, Peccatum et potestas, S. 97; Gross, Plus amari quam timeri, S. 218–229. 102 Die frühhöfische Epik akzentuiert immer wieder diesen Aspekt: Alexander im Gespräch mit den Brahmanen vergleicht sich mit einer Naturgewalt (Wind): angist hânt, di dar inne sint. Straßburger Alexander, V. 4881. Dido besitzt grozen richt1m, / des vorhte man si sere. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 27,26f. Vgl.: Die fürsten ûf hôher muosen stân / und die bete durch vorhte lân. Herzog Ernst, V.1177f. Bei Otto von Freising evoziert der Kaiser wiederholt durch Machtdemonstrationen die Furcht der Untertanen: Zu Heinrich IV. vgl. Gesta Frederici I,10; zu Friedrich Barbarossa: Tantus etenim eos qui remanserant ob ipsius gestorum magnificentiam invaserat metus, ut omnes ultro venirent, et quilibet familiaritatis eius gratiam obsequio contenderet invenire. Ebd. II,44. Cumque tota terra illa non minimo metu nutaret, ipsa trepidatio nobis pro victoria putabatur. Ebd. III,14. Erat autem Dermitius vir stature grandis et corpore peramplo, vir bellicosus et audax in gente sua […] timeri a cunctis quam diligi malens […]. Gerald von Wales, Expugnatio Hibernica I,6. Ekkehard von St. Gallen schreibt Mitte des 11. Jahrhunderts über die

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bolischen Strategien wird aber auch die Alterität mittelalterlicher politischer Ordnung erkennbar. Ein Sozialverband, der anders als die neuzeitliche Gesellschaft weder durch eine umfassende Sozialdisziplinierung gekennzeichnet ist, noch über eine durchgreifende Exekutive verfügt, ist offenbar in ganz anderem Maß auf reale oder symbolische Praktiken der Gewalt angewiesen.103

4. Politische Repräsentation 4.1 Die Animalisierung des Rechtsbrechers Herrschaft als soziale Praxis legitimiert sich nicht nur in Texten und Metaphern, sie bedarf bei ihrer konkreten Umsetzung symbolischer Praktiken.104 Insbesondere dort, wo die Masse der Gesellschaft im Sinne der Herrschaft noch nicht durchgreifend ›kulturell‹ erfaßt ist, werden symbolische Machtdemonstrationen umso bedeutender. In einigen von ihnen spielen Tiere eine signifikante Rolle: etwa im Privileg des Reitens, in ostentativ ausgestellter Domestizierung, in demonstrativen Aufzügen, schließlich in der Jagd und im Turnier. Ein privilegiertes Feld symbolischer Inszenierungen ist das Recht. Widerständige Untertanen repräsentieren eine Störung der sozialen Ordnung, die durch signifikante Gewaltzeichen wiederhergestellt werden muß. Schon im altgermanischen Recht kann derjenige, der sich gegen die geltende Friedensordnung vergeht, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden, er wird als wargus bezeichnet, was Verbrecher und Wolf gleichermaßen bedeuten kann.105 Die rechtliche Ausgrenzung vollzieht sich auf der Basis der MenschTier-Relation. Friedlosigkeit und Vogelfreiheit beruhen auf solch elementarer Grenzziehung: »eine Verbannung aus dem Lande, eine Ausstossung aus der Menschengesellschaft, d. h. aus der Lebens- und Rechtsgemeinschaft des Volkes zu den Thieren des Waldes.«106 Bereits in frühen Rechtsverordnungen wird der Status des Delinquenten mit dem eines Tiers verglichen.107 ehrgeizigen Meier des Klosters: – de quibus scriptum est, quia servi, si non timent, tument […]. Casus sancti Galli, Cap. 48; Rösener, Jagd, Rittertum und Fürstenhof, S. 130. 103 Zur Disziplinierung vgl. Bröckling, Disziplin, S. 31–55; Lüdtke, Herrschaft als soziale Praxis, S. 25ff. 104 Ebd., S. 16f. 105 M. Lundgreen, Art. ›Friedlosigkeit (Acht)‹, in: RGA 9 (1995), Sp. 613–621, 620. 106 Wilda, Strafrecht der Germanen, S. 335; vgl. Vogl, Matala de Mazza, Bürger und Wölfe, S. 211. Vogl, Matala de Mazza haben darauf verwiesen, daß es das Gesetz selbst ist, das in diesem Fall den Wolf »erzeugt«: »der wilde Effekt eines gesetzlich verfügten Rückzugs des Rechts«. 107 da soll er sein soweit Wolf, hetzbar und gehetzt, wie Männer am weitesten Wölfe hetzen. Selbstverfluchungsformel für den Fall des Bruchs eines Versöhnungseides aus dem Norwegen des 10. Jahrhunderts. Nach: Schild, Alte Gerichtsbarkeit, S. 65.

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Einem verbreiteten Diktum folgend, vertreten antike Positionen das Konzept einer moderaten Herrschaft, nach dem es dem Herrscher anstehe, mehr geliebt als gefürchtet zu werden: plus amari quam timeri.108 Exemplarisch wird dieses Ideal im Bild des Hirten und seiner Herde repräsentiert. Die Alternativen sind indessen stets gleichzeitig präsent. Gilt der Herrscher einerseits als fürsorglicher Hirte, so im Fall von Widerstand als strenger Zuchtmeister. Dort, wo es um die konkrete Herstellung von Recht, um die Ahndung von Verbrechen geht, tritt im Rechtskontext neben dem Fürsorgemodell der Gedanke der biblisch fundierten Tierbeherrschung selbstbewußt auf. So kann bereits Burchard von Worms die Erstellung der Wormser Hofordnung (1023/25) mit manifesten Störungen der öffentlichen Ordnung begründen. »Täglich werden Morde nach Art wilder Tiere unter den Hintersassen des Heiligen Petrus begangen,« so daß schärfere Gesetze notwendig werden.109 So rekurriert Bartholomaeus Anglicus in bezug auf die Herrschaft des guten Fürsten sowohl auf die augustinische als auch auf die antike Formel, um ihnen eine juristische Wendung zu geben: Und deshalb zeigt sich der wahre Herrscher allen gegenüber, außer gegenüber den Ruchlosen, freizügig und geneigt und zeigt damit, daß er mehr geliebt als gefürchtet zu werden wünscht, jene aber behandelt er nicht als Menschen, sondern als Tiere, d. h. gibt sich ihnen als der Beherrscher des Tierischen und des Üblen zu erkennen.110

Angesichts der postparadiesischen Situation verschieben sich auch hier die Relationen. Verbunden werden zwei politisch-ethische Grundsätze und mit der Realität harmonisiert. Der herrschaftskritische Entwurf Augustins erfährt seine paradoxe Relativierung durch den antiken Grundsatz des menschenfreundlichen Herrschers: plus amari quam timeri.111 Dabei akzentuiert die mittelalterliche Lesart beide Seiten der Geltung. Herrschaft gründet auf Liebe und Furcht gleichermaßen: der Liebe der Menschen und der Furcht der 108 Gross, Plus amari quam timeri, S. 218–229. 109 Propter homicidia autem, que quasi cottidie fiebant infra familiam sancti Petri more beluino, quia sepe pro nichilo aut per ebrietatem aut per superbiam alter in alterum insana mente ita inseviebat, ut in curriculo unius anni XXXV servi sancti Petri sine culpa ex servis eiusdem ecclesie sint interempti, et ipsi interfectores magis inde gloriati sunt et elati quam aliquid penitudinis prebuissent […]. MGH Const. 1, nr. 438, Cap. 30, S. 643. 110 Et ideo verus dominus, ad omnes, praeterquam ad maleficos, liberalem & affabilem se ostendit, plus amari quam timeri diligit, non hominibus, sed bestiis, id est, bestialibus & malis dominati se cognoscit, […]. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus VI,18, S. 254. Non enim hominibus sed bestiis dominantur, quia exilla parte qua bestiales sunt, dominio ipsorum prosternuntur. Schon Otto von Freising hatte anläßlich der Beschreibung des Reichstages von Roncaglia (1158) die Rede des Erzbischofs von Mailand zitiert, die den gleichen Gedanken formulierte. Gewalt übt der Kaiser »nur gegen mit Tieren vergleichbare, verbrecherische Menschen« aus. Töpfer, Urzustand und Sündenfall, S. 200f. 111 Gross, Plus amari quam timeri, S. 218–229.

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Rechtsbrecher.112 Solche Polarisierung in den guten Untertan und das widerspenstige ›Tier‹ kommt geradezu programmatisch in dem Fürstenspiegel des Aegidius Romanus zum Ausdruck: Er ist nach Aussage des Philosophen gewiß verbrecherisch und ein Süchtiger des Krieges, ein Zerstörer des Friedens, wenn er ohne Zügel und ohne Gesetz leben will, und nach dem Diktum Homers gleicht er mehr einem Tier als einem Menschen. Deswegen sind diejenigen, die die Gesetze nicht befolgen und die den Herrschenden nicht gehorchen mehr Tiere als Menschen, und entsprechend sind sie mehr Sklaven als Freie. Esse quidem sceleratum & affectatorem belli, & turbatorem pacis, velle viuere sine freno & sine lege, secundum sententiam Philosophi, & secundum dictum Homeri, est esse magis bestiam, quam hominem. Quare non obseruantes leges, nolentes obedire regibus & superioribus, sunt magis bestiae quàm homines: & per consequens sunt magis serui, quam liberi.113

Diese Beziehung von Unrecht und unterstellter Animalität zeigt sich auch als Praxis auf verschiedenen Ebenen. Sie wird besonders signifikant in der mitunter erfolgenden Einbeziehung von Tieren in Rechtspraktiken.114 Tiere bilden symbolische Instrumente der Delinquenz115 – Vierteilen durch Pferde, Zerreißen durch Hunde, Ertränken mit Katze, statusmindernde Verbindung von Todesurteil und Tierdelinquenz im gemeinsamen Aufhängen des Delinquenten mit einem Tier.116 Zahlreiche Fälle sind für die Frühe Neuzeit belegt, für das Mittelalter nur wenige. Während sich das kodifizierte Recht, etwa das Stammesrecht, weitgehend darüber ausschweigt, wird das Tier in der Strafpraxis, d. h. gewohnheitsrechtlich, wiederholt zum Komplement des animalisierten Rechtsbrechers. Adam von Bremen berichtet in seiner Hamburger Chronik, daß der Sohn des Grafen von Billung einen Vasallen, der seinen Vater im gerichtlichen Zweikampf getötet hatte, dadurch geschmäht habe, 112 Ebd., S. 228. Amore pariter et timore permixto, heißt es von der Einstellung der Fürsten gegenüber Barbarossa bei Otto von Freising (Gesta Frederici III,10). Widukind berichtet von Heinrich I. eine ähnlich doppelte Haltung. Tantum enim favorem pariter et timorem militibus infundebat, ut etiam ludenti non crederent ad aliquam lasciviam se dissolvendum. Res gestae Saxonicae I,39; vgl. Hehl, Terror als Herrschaftsmittel, S. 11–23. 113 Aegidius Romanus, De regimine principum III,2.34, S. 548; Schrübbers, Regimen und Homo Primitivus I, S. 148. 114 Die Vorschrift des »Sachsenspiegels«, bei Vergewaltigungen in einem Haus alle Lebewesen zu töten, die bei der Tat zugegen waren, erklärt sich zwar primär aus dem Rechtsprinzip der Wüstung, der Tilgung jeglicher Erinnerung an den Rechtsbrecher (Amira, Tierstrafen, S. 557), doch bleibt der Gedanke an eine potentielle Übertragung des Bösen durch Tiere latent vorhanden. Sachsenspiegel, Landrecht III,1: Al levende dink, dat in der notnumft was, dat scal man unthoveden. Vgl. Schwabenspiegel, Landrecht, 254. 115 Hunden wird aber auch die Fähigkeit zugeschrieben, instinktiv Diebe erkennen zu können. Vgl. Hildegard von Bingen, Physica VII,20, Sp. 1327f. 116 Schild, Alte Gerichtsbarkeit, S. 68; Weiser-Aall, Zur Geschichte der altgermanischen Todesstrafe, S. 221; Berkenhoff, Tierstrafe, Tierbannung, S 103–116.

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daß er ihn zwischen zwei Hunden aufhängen ließ.117 Wiederholt ist auch das schandhafte Reiten als gezielte Schmähung belegt: nackt und verkehrt auf dem Pferd oder Esel sitzend, war der Delinquent den Aggressionen seiner Mitbürger ausgesetzt.118 Verschiedene Chronisten des 12. und 13. Jahrhunderts wie Cosmas von Prag (für 1110), Otto von Freising (für 1155), Arnold von Lübeck (für 1205) u. a. bezeugen darüber hinaus die feudale Strafpraxis des Hundetragens;119 für verurteilte Adelige zum einen eine Art zusätzlicher öffentlicher Demütigung, zum andern aber auch eine Option auf Gnade, auf Wiederaufnahme in die Huld des Herren.120 Im öffentlichen Akt der Delinquenz wird das Tier zum spiegelnden Zeichen des Vergehens. Otto unterscheidet gar Edelfreie, die Hunde, und Ministeriale, die einen Sattel zu tragen haben. Wird bei letzterem wohl primär der instrumentelle (Dienst-)Aspekt seines Standes konnotiert, so ist der Hund ein komplexeres Symbol: sowohl Zeichen der Erniedrigung (Dienst gegenüber einem Tier), als auch instrumentelles Standeszeichen (Jagd-, Wach- und Hütehund) und triuwe-Symbol.121 Positive und negative Lesart kommen also im Rechtsakt nebeneinander zur Geltung. In der konkreten Verbindung von Delinquent und Tier treffen sich offenbar alte, nicht kodifizierte Rechtsbräuche mit dem juristisch interpretierten Diktum von der Herrschaft des Menschen über die Tiere.

4.2 Domestizierung Das beherrschte, vermenschlichte Tier ist nicht nur das Gegenbild zum providentiell gelenkten, sondern auch zum überwältigten, ist Objekt weniger der Gewalt als des Verstandes. Insofern ist es privilegierter Ausdruck politischer Machtdemonstration und tritt vornehmlich in repräsentativen Zusammen117 Adam von Bremen, Gesta Hamburgensis III,8; Althoff, Spielregeln der Politik, S. 44. 118 Schreiner, Gregor VIII., nackt auf einem Esel, S. 155–202. Gregor VIII. erlitt ein solches Schicksal, dem Ordericus Vitalis (MGH SS 20, S. 75) mit folgender Beschreibung über das von ihm gegründete Kloster Nachdruck verleiht: Sicut enim leones vel ursi aliaeque indomitae ferae in cavea coartantur, ne, pro libitu suo libere discurrentes, in homines seu pecudes crudeliter grassentur, sic agrestes et indisciplinati, qui, sicut onagri solitudinis, per diversa lascivientes noxie vagantur, in hac scolari Cavea sub iugo Dei regulariter vivere coguntur. Ebd., S. 164. Zum gleichen Schicksal des Johannes Philagathos im Jahr 998 vgl. Hehl, Terror als Herrschaftsmittel, S. 18f.; vgl. Stricker, Karl der Große, V. 2635–2637; 7175–7188. 119 Otto von Freising, Gesta Frederici, II,48; Schwenk, Das Hundetragen, S. 289–308; Jähns, Ross und Reiter II, S. 456f.; Berkenhoff, Tierstrafe. Bei Chrétien erinnert der Ritter Greoreas Gauvain an die Schmach, die dieser ihm angetan hatte: Ne te sovient il de celui / Cui tu feïs si grant enui / Qu’il li covint outre son pois / Mangier avuec les chiens un mois, / Les mains liiees tres le dos? Chrétien de Troyes, Le conte du Graal, V. 7111–7115. 120 Schwenk, Das Hundetragen, S. 295f. Schwenk verweist auf die Schwierigkeit, die die Rechtshistoriker seit je mit der Bedeutung des Hundes haben. Ebd., S. 297. 121 Ebd., S. 303f.

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hängen auf. Im Horizont politischen Repräsentationshandelns, das Standards höfischen Verhaltens öffentlich zur Schau stellt und damit ›Statuspositionen und -relationen‹ anzeigt,122 spielen Tiere und ihre Behandlung eine nicht unerhebliche Rolle. Zunächst als Geschenke, die im herausragenden Wert der Tiere den Status des Schenkenden erhöhen. Vor allem Gaben besonderer Pferdezüchtungen oder von Seiten orientalischer Herrscher exotische Tiere wie Elefanten, Löwen oder Papageien sind überliefert.123 Zum Divertissement feudaler Kultur, realhistorisch wie in literarischer Selbstdarstellung, zählen daher immer wieder Vorführungen domestizierter Tiere, eher selten Kämpfe zwischen Tieren oder gar zwischen Mensch und Tier. Die Macht des Menschen über die wilde Natur zeigt sich zum einen unmittelbar in der überwältigten Natur. Nach den »Gesta Herewardi« hat sich am Hof von Northumberland ein Brauch institutionalisiert, die ritterfähige Jugend gegen einen dort eingesperrten Bären antreten zu lassen.124 Literarische Texte konfrontieren ihre Protagonisten wiederholt mit gefährlichen Tieren (Drachenkampf), im Einzelfall werden die wilde und die instrumentalisierte Natur zur Demonstration menschlicher Überlegenheit einander konfrontiert, so wenn Alexander sich einen albanischen Kampfhund, der von den Einheimischen als reguläres Kampfinstrument genutzt wird, nach erfolgreicher Schlacht vorführen läßt.125 Die eindrucksvolle Gewaltdemonstration durch den Hund streicht hier noch einmal Alexanders eigene taktische Fähigkeiten heraus. Ein gelehrter Text, der wiederholt als Quelle feudaler Alltagskultur herangezogen wird, der »Ruodlieb«, bietet unter den umfangreichen Schilderungen des Hoflebens u. a. die Possen zweier dressierter Bären, die auf zwei Beinen wie ein Mensch – ut homo – gehen, tanzen, sich überschlagen, Gegenstände tragen und sich ›singend‹ zu den Frauen gesellen.126 Unter den Geschenken, die der König seinen Gästen anbietet, befinden sich außer Maultieren und Kamelen auch gezähmte Wildesel – onagri domiti –, schreckliche Leoparden, Löwen und auch Luchse, Affen und Meerkatzen, allesamt durch Ketten – ligata – als beherrschte gekennzeichnet. Max Wehrli hat darauf verwiesen, daß gerade in diesem frühen gelehrten Text moralisch-satirische oder 122 Zur Repräsentation: Wenzel, Partizipation und Mimesis, S. 171, 176f. u.ö. 123 Unter den Pferden, die König Otto IV. von Richard von England erhalten hatte, befindet sich ein auserlesenes Exemplar: Inter quos erat unus nominatior, quem rex petebat. Dominus igitur Otto dato dextrario ibat via qua ceperat. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum VII,15, S. 246. Solche Gesten haben noch ihren Reflex in den literarischen Texten: Rolandslied, V. 462–479, 615– 624; Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 3929–3936; Straßburger Alexander, V. 5541–5584. 124 Gesta Herewardi, S.343f.; Keen, The Outlaws of Medieval Legend, S. 11f. 125 Mox autem oblatus est ei Albanus canis maximus mire fortitudinis qui presente Alexandro et eius exercitu superavit leonem et elephantem. Historia de preliis J2, S. 8. 126 Ruodlieb V. 84–98; Fried, Kaiser Friedrich II. als Jäger, S. 118f.; vgl. Wehrli, Ruodlieb und die Tiere, S. 163–175.

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religiöse Funktionen ausfallen, die Darstellungen sich weitgehend auf Genreszenen beschränken, die die selbstverständliche Einbindung von Tieren in die geistliche und feudale Lebenswelt bezeugen.127 Domestizierte Tiere, Bären und selbst sprechende Vögel wie Papageien, Raben, Dohlen, Elstern und Stare steigern den Glanz der Herrschaft, indem sie dessen Herrschaftspotential sowohl durch Gewalt wie durch Kunstfertigkeit sichtbar machen. Nicht nur bildet sich damit im feudalen Milieu ein eigenes Demonstrationsfeld für die providentiell geforderte Herrschaft des Menschen über die Tiere aus, gegenüber dem theologischen Domestizierungsmodell, das über die Kraft der ratio sich legitimiert, wird zugleich das Moment der Macht akzentuiert: Tiere dieser Art sind nicht nützlich. Historiographische Texte und volkssprachige Epen legen gleichermaßen Zeugnis ab von dem eingespielten, auf Gewalt und Klugheit basierenden, Konkurrenzverhältnis zwischen Mensch und Tier. In literarischer Codierung werden sie zusätzlich semantisch aufgeladen. Das Hoflager Karls des Großen im »Rolandslied« präsentiert sich den einreitenden Boten als »konstruiertes Tableau, das die Attribute kaiserlicher Macht und Größe akkumuliert und kombiniert,« als »Schaubild« höfischer Repräsentation.128 Die von Konrad ausgebaute Szene ist bisher vor allem auf ihre biblischen Vorbilder und auf ihren Repräsentationscharakter hin untersucht worden.129 Die Tiere bilden in diesem Rahmen die Chiffre einer Spannung von Natur und Kultur ab, indem von der Peripherie bis ins Zentrum sich das Maß höfischer Disziplinierung steigert. Während den Boten zunächst kämpfende Löwen und Bären in einem Baumgarten begegnen, treffen sie in der Folge auf abgerichtete, Sonnenschutz bietende Adler: si sahen daz die adelaren / dar zu gewenit waren, / daz si scate baren. Kurz darauf sehen sie, wie di ualchen spilten / unde andir manic ueder spil.130 Wie aber die Begegnung mit den kämpfenden Raubtieren nicht in sichtbarer Beherrschung aufgeht, so die mit den Adlern nicht im »kaiserlichen Herrschaftszeichen.«131 Die demonstrative Macht des Herrschers über die wilde Natur, die sich in den Tierszenen dokumentiert, reflektiert zugleich auf die besonderen Machtmittel politischer Herrschaft: auf das komplementäre Verhältnis von Gewalt und Kunst. Während die kämpfenden Löwen und Bären von waffenübenden Rittern eingerahmt sind, wird anschließend von 127 Wehrli, Ruodlieb und Tiere, S. 171f. 128 Wenzel, Repräsentation und höfischer Schein, S. 200; »Eine Welt höfischer Mirabilia« sieht Richter, Das Hoflager Karls des Großen, S. 82. 129 Zur Karlsinszenierung als imago Dei vgl. Richter, Das Hoflager Karls des Großen, S. 81–101. Zur Repräsentation vgl. Wenzel, Repräsentation und höfischer Schein, S. 197–202. 130 Rolandslied, V. 658–660, 664f. 131 So Wenzel, Repräsentation und höfischer Schein, S. 199f. Als von Konrad mißverstandene Standarte wird das merkwürdige Adlerbild erklärt. Vgl. Das Rolandslied des Pfaffen Konrad, hg., übers. u. komm. v. Dieter Kartschoke, Stuttgart 1996, S. 652.

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III. Das politische Feld 1: Herrschaft über das Tier

kunstübenden Rittern berichtet. Insofern spiegelt das jeweilige Verhalten der Tiere das der feudalen Kultur.132 Die höfischen Epen rufen immer wieder solche Zeichen der Instrumentalisierung auf. Aus Veldekes »Eneasroman« etwa der Hirsch der Tochter des Thyrreus, der zum Tischdienst dressiert ist – er was gileret den site –, der zum Boten abgerichtete Sperber des Gurnemanz im »Parzival«, auch das niederkniende Pferd Alexanders – iz […] woldime wesen dienisthaft. / iz knête fur in der nider / und ne unsitete niwit sider – und schließlich der höfisch eingekleidete Jagdhund Didos bestätigen den Kontroll- und Herrschaftsanspruch des Adels über die Tiere.133 Zähmung der Natur ist das Privileg des Menschen und wird zum feudal-höfischen Überlegenheitsgestus gegenüber dem Tier. Indem das Tier gezähmt wird, wird sein natürlicher Untergrund vertrieben, gegen dessen Einfluß sich der Mensch selbst ständig behaupten muß. Im domestizierten und ausgestellten Raubtier führt sich die höfische Kultur ihre eigene Disziplinierungsleistung vor Augen, gewissermaßen die Kehrseite ihrer Tendenz zur Bestialisierung, deren bedrohliches Potential am besten in den zahlreichen kritischen Zeugnissen der Historiographen sich artikuliert. Die Notwendigkeit einer solchen Disziplinierung des heroischen Adeligen kommt besonders dort zum Ausdruck, wo der Herrscher selbst seine Kämpfer zur Besinnung mahnt: »Klug sei, wer seinem aufgeregten Sinn Zügel anlege und seiner vorübergehenden Aufwallung einen Dämpfer aufsetze«, zitiert Saxo den König Frotho gegenüber seinem impulsiven Gefährten.134 Ein privilegiertes Medium adeliger Naturkontrolle bieten die Menagerien.135 Friedrich II. erhebt den Akt der Repräsentation mittels Tierausstellung geradezu zum Zeremoniell, wenn er seit 1231 Menagerien in seinem Gefolge führt.136 Selbst große geistliche Herren wie Thomas Beckett praktizierten diese 132 Auch die auf Pferden sitzenden Leoparden am Hof von Konstantinopel, von denen Arnold von Lübeck berichtet, repräsentieren die Macht des Herrschers über die wilde Natur: Addidit his duos leopardos et equos et servos: docti enim erant sedere in equis. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum I,9, S. 122. Vgl. Friedrich, Contra naturam, S. 92f. 133 Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 4607. dô warf der fürste maere / ein mûzerspärwaere / von der hende. in die burc er swanc: / ein guldîn schelle dran erclanc. / daz was ein bote: […]. Wolfram von Eschenbach, Parzival, 163,7–11; Straßburger Alexander, V. 362–365. 134 Ceterum solertem esse, qui furenti animo frenos iniiciat, seuientemque ad tempus impetum interpellet. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum V, S. 134. Der Ausbruch von Wut ist bei Saxo wiederholt Thema. Der Heros Harthbenus, der sich durch seinen unbezwingbaren Drang zur Notzucht einen Namen macht, führt zwölf Gefährten mit sich, quibus officio erat, quocies illi presaga pugne rabies incessisset, uinculorum remedio oborti furoris impetum propulsare. Ebd., S. 223. 135 Vgl. Hauck, Tiergärten im Pfalzbereich, S. 30–74. 136 Kantorowicz, Kaiser Friedrich II, Bd. 2, S. 136; Walz, Das Falkenbuch Friedrichs II., S. 161. Es fällt noch mehr unter Exotismus, wenn Barbarossa von den Genuesern Beutestücke aus dem Krieg gegen die Sarazenen – Löwen, Straußen, Papageien – überreicht bekommt. Otto von Freising, Gesta Frederici II,17.

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Inszenierungsform. Sein Biograph William Fitzstephen gibt eine detaillierte Beschreibung vom Gefolge des englischen Kanzlers auf dem Weg zum Hof des französischen Königs. Beckett führt verschiedene Tiere mit sich: Alle Edelleute sind beritten, mitgeführt werden Hunde in Ketten, Windhunde und Vögel aller Art – canes copulati et leporarii in loris et laxis suis –, die von Königen und Herzogen genutzt werden. Hinzu treten Kampfwagen mit Streitrössern, Packtiere und Lastkarren, auf oder unter denen kräftige Hunde mitgeführt werden, die für jeden Bären oder Löwen eine Herausforderung darstellen würden, schließlich auf jedem Packtier ein Affe oder ein affenähnliches Modell der menschlichen Gestalt – humani simulator simius oris.137 Die Szene ist zurecht beschrieben worden als Repräsentation des Königs durch seinen Kanzler, eine Inszenierung, die auch die Existenz von mirabilia erfordere. »Wunderbar ist der König der Engländer, dessen Kanzler auf gleiche Weise einherschreitet.« Solches findet seinen sichtbaren Ausdruck in den mitgeführten Tieren, die die Dominanz des Herrschers auch über diesen Bereich der Natur unterstreicht: die angeketteten Tiere als Symbole der Zivilisation.138 Aber nicht nur als Herrschaft über die Natur der Tiere, sondern zugleich als Spiegel der Selbstbeherrschung (Affe); in jedem Fall ein Distanzierungsgestus. Selbst der bekannteste Entwurf theokratischer Herrschaft im Mittelalter, der Brief des Priester Johannes, verzichtet nicht auf den Unterwerfungsgestus gegenüber der wilden Natur. Besonders furchterregende Tiere, riesige wilde Hunde, Wildpferde, Drachen etc., werden dem Menschen unterworfen – humanizare lautet bezeichnend der terminus technicus –, instrumentalisiert und explizit der Repräsentation dienstbar gemacht: nostrae maiestati repraesentantur.139 Der höfisch stilisierte Herrschaftsanspruch über die Natur findet seine machtvolle Fortsetzung in der technischen Reproduktion. Karls gewissermaßen stillgestellten und dienstbar gemachten Adler besitzen ihr technisches Pendant in der naturnahen, ›lebendigen‹ Plastik, und diese demonstriert zugleich Abstand und Nähe von der gottunmittelbaren zur höfisch-technischen Herrschaft. Ungefähr einhundert Jahre nach dem »Rolandslied« beschreibt Ulrich von Etzenbach in seinem Alexanderroman den Feldwagen des Dareius, der mit zahlreichen Kostbarkeiten, unter anderem einer Adlerplastik, versehen ist: ob im ein ar swebte / zerbreitet als er lebte, / der ouch erlûht von 137 Vita Sancti Thomae, auctore Willelmo filio Stephani Sect. 19, S.30f. Vgl. Brown, Jaeger, Pageantry and Court Aesthetic in Tristan, S. 36f. 138 Mirabilis est ipse rex Anglorum, cujus cancellarius talis et tantus incedit. Vita Sancti Thomae, S. 31; Brown, Jaeger, Pageantry and Court Aesthetic in Tristan, S. 38. 139 […] canes magni agrestes magnitudine equorum, quorum ferocitate omne genus ferarum superatur, quos nostri venatores nescio qua arte, qua incantatione quove ingenio, dum catuli sunt et in lecto matris, furantur et eos diligenter nutriunt et humanizant. Postquam vero sunt magni et in venatione bene docti, nostrae maiestati repraesentantur de quibus in nostra venatione saepe mille et plures habemus. Der Priester Johannes (Handschrift D), S. 911.

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golde. / der ar dem fürsten solde / schirm vor der sunne bieten.140 Die technische Erfindung, die Kunst, ersetzt hier die Natur. Neben die statische Funktionalisierung tritt jedoch ein weitergehendes Bestreben zur Verlebendigung. Über dem Zelt Lanzelets schwebt daher ein Adlerautomat – sô stuont er als er swebete –, dessen Karfunkelaugen nicht nur als Lichtquelle fungieren, sondern dem sich über einen Kettenmechanismus sogar Töne entlocken lassen: und sanc prîslîchen wol / einen wunderlîchen dôn.141 Auch in diesem Fall ist nur mittelbar Nützlichkeit das Ziel. Anders als die Domestizierungsmodelle der Kleriker, die auf praktische Instrumentalisierung der Tiere zielten (Wilhelm von St. Thierry), inszeniert die höfische Kultur im Tierautomaten ein ästhetisches und zugleich politisches Programm: Das Pendant zur Verfügung über die domestizierte Natur ist die Macht über die künstliche Bewegung. Politischen ›Sinn‹ aber erhält diese Inszenierungsform vor dem Hintergrund, daß der Herrscher gleich dem Gott des Universums (erster Beweger) Macht über Bewegungsprozesse demonstriert, definierte sich doch bereits politische Herrschaft als Bewegung unselbständiger Mitglieder der Gesellschaft.

4.3 Naturbeherrschung zwischen Kunst und Gewalt: Die Jagd Bis in die Neuzeit hinein repräsentiert die Jagd eine spezifisch feudale Form von Auseinandersetzung mit der Natur und damit von adeliger Identitätsstiftung. Diese Art körperlicher exercitio gilt im Mittelalter als ein beliebter Zeitvertreib der Mächtigen, der zunächst eine integrative Aufgabe erfüllt: die Herstellung von exklusiver Gemeinschaft. Der Adel setzt dafür eine Reihe konkreter Regulierungen ein: rechtlich-topographische wie die Sicherung eines adeligen Jagdreviers durch Wald- und Wildbann seit der Karolingerzeit; soziale wie die Abgrenzung des Adels gegenüber dem Rest der Bevölkerung; politische wie die konkrete Statusdemonstration durch Inszenierung von repräsentativen Jagdfesten.142 War die Jagd ursprünglich legitime Betätigung aller Freien, so beschneiden die Jagdrechte sukzessive ihre Ausübung und unterwerfen sie einem festen Reglement.143 Insofern ist die Jagd immer auch symbolischer Ausdruck sozialer Differenzierung. 140 Ulrich von Etzenbach, Alexander, V.6165–6169. Auch über Alexanders Zelt schweben Adlerplastiken, die aber bereits mit einer rudimentären Technik ausgestattet sind: von golde arn, die wâren grôz. / dar abe sie gâben liehten schîn / mit zwein knoufen guldîn, / in den rubîn lâgen, / die liehtes schînes phlâgen […]. Ebd. V. 4004–4008; vgl. Friedrich, Contra naturam, S. 92f. 141 Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet, V. 4796f. 142 Vgl. den Sammelband Jagd und höfische Kultur im Mittelalter. 143 Jarnut, Die frühmittelalterliche Jagd, S. 765–789; Rösener, Jagd, Rittertum und Fürstenhof, S. 126–129.

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Den Historikern der höfischen Sachkultur fehlt für das Mittelalter weitgehend die empirische Basis für die Rekonstruktion von Umfang und Bedeutung adeliger Jagdpraktiken, und auch die Kulturhistoriker konfrontieren trotz methodischer Bedenken immer wieder vermeintlich historische mit literarischen Beschreibungen.144 Hier steht aber nicht schlicht Fiktion gegen Realität, sondern der häufig topisch stilisierten Darstellung von Jagdberichten in der Chronistik stehen durchaus konzise Beschreibungen innerhalb der Epenwelt gegenüber.145 Ideale Landschaften, prächtiges Jagdzeremoniell und Demonstration herrschaftlicher Jagdüberlegenheit kennzeichnen die Topik der politischen Historiographie und der Epenwelt gleichermaßen. Als Metapher, Motiv oder Thema gehören Jagdszenen zu den konstitutiven Bestandteilen mittelhochdeutscher Epik: die Jagd nach dem weißen Hirsch, Sîvrits Jagdaventiure, Tristans Bast, Parzivals und Hagens Initiationsphasen, der nackte Jäger Iwein oder der Jagdunfall des Ascanius.146 Aus der Perspektive der symbolischen Ordnung stehen hier weniger die konkrete Jagdpraxis und ihre höfische Idealisierung im Vordergrund als vielmehr die Mechanismen sozialer Grenzziehung, feudaler Machtdemonstration und Bedeutungsproduktion, die beiden eignet. Die sozial differenzierende Funktion der Jagd kommt in ihrer Exklusivität als Praxis der Mächtigen ihren prägnantesten Ausdruck: »Soweit sie nämlich Könige sind, haben sie kein eigenes Vergnügen außer der Jagd«, schreibt Theodor von Antiochia, Übersetzer und Philosoph am Hof Friedrichs II.147 Die Jagd wird zum Ort herrschaftlicher Statusdemonstration. Von Theoderich II., Karl dem Großen über Heinrich I. und Friedrich Barbarossa bis hin zu Friedrich II. werden Herrscher immer wieder als überlegene und kenntnisreiche Jäger in Szene gesetzt. Von Barbarossa berichtet Rahewin: »Wenn er die Jagd ausübt, steht er keinem darin nach, Rosse, Hunde, Falken und ähnliche Vögel abzurichten, zu prüfen und anzuwenden. Auf der Pirsch spannt er selbst den Bogen, nimmt die Pfeile, legt sie auf und schießt sie ab. Bestimme, 144 Neben literarische Zeugnisse treten archäologische (z. B. Instrumente), chronikalische (überlieferte historische Jagdereignisse), fachliterarische (Jagdtechniken), rechts- (Gesetze) und nicht zuletzt kunstgeschichtliche. Rösener, Jagd und höfische Kultur, S. 11–28; Hobusch, Von der edlen Kunst des Jagens. 145 Zum Problem vgl. Bumke, Höfische Kultur I, S. 167f. Zur Kritik: Brackert, »deist rehtiu jegerie«, S. 365–377; 401–406. In Bumkes »Höfischer Kultur« findet die Jagd keinen systematischen Ort. 146 Vgl. Krause, Die Jagd als Lebensform, S. 1–79. 147 Theodor von Antiochia huldigt seinem Herrn im Vorwort der Moamin-Übersetzung: In quantum enim sunt reges non habent propriam delectationem nisi venationem. Considerans autem dominus noster serenissimus imperator Fredericus secundus semper augustus, Ierusalem et Sicilie rex, istius delectationis nobilitatem imperatoribus et regibus appropriandam dumtaxat, et videns antecessores suos et contemperaneos reges in delectatione a naturali veritate appropriata sibi et exhibita non sollicitos esse sed potius sompnolentos […]. De arte venandi per aves. Zitiert nach: Haskins, Studies in the History of Mediaeval Science, S. 318f.; Fried, Kaiser Friedrich II. als Jäger, S. 120f.

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was er treffen soll; was du bestimmst, trifft er.«148 In bezug auf den eigenen Sozialverband dient die Jagd dazu, Rangdifferenzen auszuspielen und Statuspositionen zu markieren.149 Die Jagd ist neben dem Kampf ein Privileg des freien Adels. Sie fungiert als eine soziale Praxis, durch die sich die feudale Kultur sichtbar gegenüber anderen sozialen Schichten abgrenzt. Gewiß besitzt die extensive Jagdpraxis hohen symbolischen Wert im Rahmen einer adeligen Festkultur.150 Sie wird zum konstitutiven Bestandteil adeliger Lebens- und Ausdrucksform schlechthin.151 Mehr aber als gegenüber dem aufkommenden Bürgertum setzt die Jagd den Adel gegenüber Klerus und Bauern ab und etabliert ein zusätzliches Medium sozialer Differenzierung. Die Jagd firmiert als exklusive Praxis, die sich der Adel gegenüber der Agrarkultur und ihrer Wertschätzung durch die Kirche reserviert. War für diese Agrikultur praktisch und symbolisch der Inbegriff von Kultur, gerade in Distanz zum Animalischen, so akzentuiert die adelige Jagd selbstbewußt die Nähe zum Tier. Für niedrig rangierende Gruppen ist sie geradezu ein Index sozialen Aufstiegs, erkennbar etwa im Fall der St. Gallener Ministerialen, die ihren ständischen Anspruch durch Waffentragen und Jagd auf Rotwild untermauern: »›Kellermeister‹, sagten sie, ›mögen Höfe und Äcker bestellen. Wir wollen uns um unsere Lehen kümmern und der Jagd frönen, wie es Männern geziemt!‹«152 Sichtbar wird aus der Position des Kle148 Si venationibus exercetur, in equis, in canibus, accipitribus ceterisque eius generis avibus instituendis, spectandis, circumferendis nulli secundus. In birsando ipsemet arcum tendit, spicula capit, implet, expellit. Eligis quod feriat, quod elegeris ferit. Rahewin, Gesta Frederici IV,86, S. 710; Rösener, Jagd, Rittertum und Fürstenhof, S. 136f. Zu Theoderich II. vgl. Jarnut, Die frühmittelalterliche Jagd, S. 773f. Zu Karl vgl. Notker, Gesta Karoli II,9 (MGH Scriptores rerum germanicarum N. S. 12). Das Paderborner Epos von 799 »Karolus Magnus et Leo Papa« setzt den Kaiser ausführlich als vorbildlichen Jäger ins Bild. Indem der pater absidue Karolus, zugleich venerabilis heros (V. 149) genannt, die wilden Tiere bezwingt, wird das Divertissement der Jagd (gratos […] ludos) zur Metapher herrschaftlicher Fürsorge. Hobusch, Von der edlen Kunst des Jagens, S. 72f. Zu Heinrich I. vgl. Fried, Kaiser Friedrich II. als Jäger, S. 116f. 149 Unter den Geschenken Karls des Großen an den Perserkönig befinden sich germanische Kampfhunde (canes quoque agilitate et ferocia singulares), die Karl in Anwesenheit der Gesandten zur Demonstration der Stärke einen persischen Löwen stellen läßt: Instigate canes vestros in leonem. Jagderfolge sind in politischen Darstellungszusammenhängen stets zugleich Ausweis von Machtdemonstration. Notker, Gesta Karoli II,16. 150 Krause, Die Jagd als Lebensform, S. 46f. 151 Milites venationibus, piscatoribus, torneamentis, hastiludis, amplexibus vocabant. Rösener, Jagd, Rittertum und Fürstenhof, S. 124; Fried, Friedrich II. als Jäger, S. 119. 152 ›Cellararii‹, ajunt, ›curtes et agros excolant ; nos beneficia nostra curemus et venatui, ut viros decet, indulgeamus.[…] Voraus geht: Sie hegten Hunde, zunächst um Hasen zu jagen, zuletzt aber um nicht allein Wölfe, sondern Bären und, wie jemand sagt, etruskische Eber zu hetzen. […] canes primo ad lepores, postremo aetiam non ad lupos, sed ad ursos, et ad Tuscos, ut quidam ait, minandos aluerant apros. Ekkehard von St. Gallen, Casus sancti Galli Cap. 48; Rösener, Jagd, Rittertum und Fürstenhof, S. 130; Fried, Kaiser Friedrich II. als Jäger, S. 117; Krause, Die Jagd als Lebensform, S. 41f.

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rikers die ständische Rivalität als eine der Kulturformen: Ackerbau und Jagd. So wie hier selbst der Adel des Beutetiers, des Rotwildes, den Status des Jägers erhöht, so später vor allem der des Jagdtiers. Nach Friedrich II. ist die Falkenjagd die edelste Art der Jagd, die entsprechend von Adeligen und nur selten von Nichtadeligen ausgeübt wird.153 Adel und Jagd entsprechen einander. In der Jagd findet der Adel eine seinem Selbstverständnis adäquate Betätigung, da in ihr Waffenprivileg, Gewaltpraxis und eine spezifische Nähe zum Tier zum Ausdruck kommen. Ex negativo wird diese Haltung in der Kritik zeitgenössischer Kleriker deutlich. Historiographen und Moralisten beklagen die Jagdleidenschaft der englischen Könige, so Gerald von Wales den Jagdeifer Heinrichs II.,154 und auch die Kirche insgesamt geht auf Distanz zur Jagd.155 In Johannes’ von Salisbury »Polycraticus« ist die Jagd denn auch konstitutiver Bestandteil der Hofkritik: So vertiert das vernünftige Geschöpf, so wird der Mensch, das Bild Gottes, indem er sich tierischen Sitten angleicht, selbst in ein Tier verwandelt, so entartet er, der von Natur aus edel ist, und gleicht sich der Eitelkeit an, weil die ihm geschenkte Ehre [des Standes] ihn stolz macht und der Stolz seine Einsicht verdirbt. […] Was ist tierischer als einer, der, von Vernunft verlassen und von Leidenschaft getrieben, seine Pflichten vernachlässigt und sich um Anderes kümmert, ja nicht nur die Pflichten, auch die Muße und Unterhaltung anderer für sich in Anspruch nimmt? Was ist viehischer als ein Mensch, der seinen eigenen Beruf (officium) fahren läßt und mitten in der Nacht aufsteht, um, von scharfsinnigen Hunden, emsigen Jägern, eifrigen ritterlichen Freunden und einer Schar Diener unterstützt, mit Einsatz von Zeit und Ehre, großem Aufwand und vieler Mühe Nacht für Nacht gegen Tiere zu kämpfen? Sic rationalis creatura brutescit, sic imago creatoris quadam morum similitudine deformatur in bestiam, sic a conditionis suae dignitate degenerat homo, uanitati similis factus, eo quod ex honore collato intumuit et a tumore perdit intellectum. Quis enim eo indignior, qui sui ipsius contempnit habere notitiam? qui tempus, quod parca 153 Friedrich II., De arte venandi cum avibus, S. 6; Zahlten, Die »Hippiatrie« des Jordanus Ruffus, S. 36–38. 154 Avium quarum victus ex preda volatu plurimum, canumque feras narium sagacitate persequencium tam voce sonora et consona quam cursu veloci, ultra modum delectatus. Et utinam tam devocioni deditus quam venacioni. Giraldus Cambrensis, Expugnatio Hibernie, S. 128. Bartholomaeus Anglicus drückt seine Kritik folgendermaßen aus: Quamdiu viuunt & potentes sunt ad praedandum, à suis dominis diliguntur, in manibus gestantur, super perticas reponuntur, in pectore & in cauda manib. replanantur, cum diligentia nutriuntur. Sed quando moriuntur, ab omnibus inutiles reputantur, non enim comeduntur, sed potius super sterquilinium proiiciuntur. De rerum proprietatibus XII,2, S. 519; vgl. Oggins, Falconry and Medieval Views of Nature, S. 52. 155 Als canibus vel accipitribus […] lasciviam verurteilt sie Papst Eugen III. Otto von Freising, Gesta Frederici I,37; Szabó, Die Kritik der Jagd, S. 167–229.

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manu datum est ad mensuram in usum uitae, et solum reparari non potest, usuraria quadam accessione et penali repetendum in uitae dispendia prodigit, et in contumeliam auctoris effundit? Quid eo brutis, qui ex defectu rationis et impulsu libidinis, dimissis propriis, aliena negotia curat, et non modo negotiis, sed et alienis otiis iugiter occupatur? Quis eo bestialius, qui omisso officio, de media nocte surgit, ut sagacitate canum, venatorum industria, studio commilitonum, seruulorum fretus obsequio, temporis et famae iactura, rerum laborisque dispendio, de nocte ad noctem pugnet ad bestias?156

In der Jagd regrediere der Mensch zum Tier.157 Sie ist Surrogat wilder Kriegspraxis, die sich als Kunst geriere, und gerade in ihrer artifiziellen Inszenierung gefalle sich der Ritterstand: »Dies sind in unseren Zeiten die freien Künste der Adligen«, schreibt Johannes von Salisbury als Kleriker verächtlich von der venatio und markiert damit die Konkurrenz zu den gelehrten Künsten.158 Und in der Tat finden sich gerade an den Zentren der Macht Bestrebungen, die Jagd als ein genuin adeliges Komplement zu den artes liberales der Kleriker zu etablieren: etwa an größeren Höfen durch die Einrichtung von Hofämtern oder in der Verschriftlichung von Jagdtechniken, z. B. am Hof Friedrichs II. im lateinischen Traktat »De arte bersandi« eines deutschen Ritters, in Moamins »De arte venandi per aves« und im Falkenbuch Friedrichs II.159 Während ein Kleriker wie Johannes von Salisbury in der Jagdleidenschaft des Adels eine Überschreitung der Standesgrenzen sieht, bemüht sich der Adel um eine Gleichrangigkeit mit den gelehrten Künsten. Vor allem aber reflektiert sich in solcher Jagd eine besondere menschliche Kunstfertigkeit. Im Falkenbuch Friedrichs II. erfährt die philosophische Reflexion über die Jagd programmatischen Ausdruck.160 Die Falkenbeize, die als die schwerste und edelste Jagdform bestimmt wird, da sie menschenscheue Raubvögel instrumentalisieren muß, bildet eine besondere Technik der Naturbeherrschung. Sie vermag eben nicht über körperliche Gewalt ausgeübt zu werden, sondern allein über den Intellekt. Friedrich knüpft geradezu an die theologische Qualifizierung des Menschen an, wenn auch bei ihm der

156 Johannes von Salisbury, Policraticus I,1; Übersetzung Glunz, Hans Hermann, Die Literarästhetik des europäischen Mittelalters, 2. Auflage, Frankfurt a. M. 1963, S. 83. 157 Venatores omnes adhuc institutionem redolent Centaurorum. Raro inuenitur quisquam eorum modestus aut grauis, raro continens, et, ut credo, sobrius numquam. Johannes von Salisbury, Policraticus I,4. 158 Haec sunt temporibus nostris liberalia nobilium studia. Ebd. 159 Guicennas De arte bersandi; Moamin, De arte venandi per aves; Friedrich II., De arte venandi cum avibus; vgl. Zahlten, Die »Hippiatrie« des Jordanus Ruffus; S. 36–38; Fried, Kaiser Friedrich II. als Jäger, S. 120f. 160 Haskins, Studies in the History of Mediaeval Science, S. 299–326; Walz, Das Falkenbuch Friedrichs II., S. 161–190; Oggins, Falconry and Medieval Views of Nature, S. 54f.; Fried, Kaiser Friedrich II. als Jäger, S. 115–156.

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Intellekt zum entscheidenden Instrument der Disziplinierung wird.161 Der Vogel muß durch Kunstfertigkeit seiner eigenen Natur entfremdet und zum lenkbaren Instrument menschlichen Willens werden: Das Bestreben eines jeden Falkners sollte darauf gerichtet sein, Beizvögel zu besitzen, die in der Kunst erfahren sind, andere Vögel und gewisse Vierfüßler zu schlagen, worin die Kunst zu ihrer Vollendung gelangen soll. Weil sich aber die Raubvögel von Haus aus vom Menschen am liebsten ganz fernhalten und entsprechend ihren natürlichen Eigenarten und Gewohnheiten einen Widerwillen gegen ihn haben, streben sie aus gutem Grunde – denn sie fürchten, von ihm festgehalten zu werden, und suchen deshalb ihre Flugfedern und sich selbst vor ihm zu schützen – immerzu von ihm weg. Darum bedürfen wir, wenn wir unser Vorhaben verwirklichen wollen, der Kunst, bestimmter Hilfsmittel und des Meisters, um die Raubvögel, wenn auch nicht ganz und gar ihrer eigenen Natur zu entfremden, so doch dahin zu bringen, daß sie ihre natürlichen Eigenheiten und Gewohnheiten ablegen und dafür jene künstlichen annehmen, nämlich mit dem Menschen gemein zu werden und zu ihm zurückzukehren. Durch Härte anerzogen, wird ihnen dieses Betragen mit fortschreitender Zeit schließlich auch zur Eigenart, Gewohnheit und zweiten Natur. Doch der Raubvogel, der ein seiner eigentlichen Natur so entgegengesetztes Verhalten annehmen soll, muß selbst die Handhabe bieten, mit deren Hilfe man seine Natur fast in ihr Gegenteil verkehren kann. Intentio, quam debet habere falconarius, debet esse, ut habeat aves rapaces arte doctas ad capiendum alias aves et quedam quadrupedum, in quo ars procedat usque ad finem intentionis. Sed quoniam aves rapaces sunt penitus secedentis nature ab homine, et etiam secundum proprietates et mores naturales suos alienantur ab ipso et merito, timent enim detineri per hominem, caventes in hoc ipso pennis suis et sue persone, semper et naturaliter absistunt ab homine. Propter hoc, ad habendum propositum nostrum de eis, necessaria est ars et instrumenta et artifex, per que priventur, quamvis non ex toto, aves rapaces ab hac natura sua, et per que suas proprietates desinant naturales et acquirant in se proprietates et mores artificiales standi cum homine et revertendi ad ipsum. Qui mores acquisiti per duritiam processu temporis et assiduitate vertantur eis in habitum et consuetudinem et naturam alteram. Ex parte vero avis rapacis, que doceri debet has proprietates contrarias suis naturalibus, aliquid esse oportet, quod sit quasi medium, per quod mutetur de sua natura in contrarium.162

Ist Veränderung der Naturanlage in der Regel Zeichen göttlichen Willens, so erweist sich Natur hier durch Kunst als manipulierbar: Im Anschluß an ein 161 Für Petrus Damiani kann die kunstvolle Jagd gar Metapher eremitischer Existenz sein: Venator quoque oppilatis anfractibus, densis circumsepit saltuum lustra fruticibus, unumque pro multis aditum feris fugacibus ex arte relinquit, atque illic se vibrata stringendo venabula in insidiis ponit; sicque compendium sibi laboriosae venationis attribuit, dum pernicium ferarum vestigia, quae persequi per infinita nequiverat, in egressionis solo vestibulo negotioso otio quietus exspectat. […] Sicque vitiorum nostrorum bestialis feritas facile capitur, dum solum cogitationis humanae pervium singulariter custoditur. PL 145, Sp. 278f. 162 Friedrich II., De arte venandi cum avibus, S. 165f.

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antikes Theorem wird die Gewohnheit als zweite Natur ausgegeben.163 Die Übertragung eines bekannten pädagogischen Gedankens auf die Falknerei läßt den Herrschaftsgedanken umso deutlicher hervortreten. Politische Herrschaft zeichnet sich dadurch aus, den Untertanen durch Gesetze zu mäßigen und seine potentielle Widerständigkeit durch Veränderung seiner Natur zu brechen.164 Hier wird die Jagd zum Analogon kirchlicher Körpertechniken, droht doch der Körper bei fehlender Lenkung ständig in lähmende oder ungezügelte Aktionen zu verfallen. Wie die kirchliche disciplina der Muße vorbeugt und den Körper in feste Bahnen lenkt, so treibt die feudale Jagd den Körper aus der Gefahr des gemahes.165 Die Jagd aber bringt den Adeligen nicht nur in eine rationale Haltung gegenüber dem Tier. Es gehört zu den Spezifika der Jagd als Medium feudaler Identitätsbildung, daß sie auch die Nähe zum Tier befördert. Jagdszenen sind vielfach Orte der Transgression: vom Leben zum Tod, von der Kultur zur Wildheit, von der rationalen Kontrolle zur Animalisierung. Wenn die Modi des Umgangs mit dem Tier Rückschlüsse auf den Menschen zulassen, dann stehen Jäger, Jagd- und Beutetier in einem komplizierten Austauschverhältnis. Falken- und Hetzjagd korrespondieren zwei Seiten adeligen Verhaltens: rationaler Machtausübung und gewaltsamer Unterwerfung. So berichtet z. B. Ulrich von Etzenbach zwei exemplarische Jagdszenen über Alexander. Während einer Belagerung demonstriert dieser vor seinen Feinden seine hêrschaft. Er reitet in prächtigem Aufwand zur Falkenjagd vor die Stadt und zeigt sich demonstrativ als höfischer Jäger. Nicht die Jagd steht hier im Vordergrund – von ihr erfährt man wenig –,166 sondern der Jäger, der sich den Belagerten, den zuschauenden Damen und seinem Volk in herrschaftlichem Gefolge und Gestus zur Anschauung bringt.167 Anders dagegen in der späteren Szene einer Hetzjagd, bei der Alexander der Jagderfolg durch einen noch 163 […] quod anima se transfert ad actum contrarium et exercitio virtutis aut vitii in se consuetudinem quasi alteram naturam constituit. Thomas von Cantimpré, Liber de natura rerum, I,2, S. 13. 164 Zur Übertragung des Gedankens der zweiten Natur auf die politische Theorie Friedrichs, d. h. seine Gesetzgebung in den »Constitutiones imperiales« (3–5) vgl. Walz, Das Falkenbuch Friedrichs II., S. 179f. Die politische Dimension der Falkenjagd wird zugleich an den geforderten persönlichen Voraussetzungen des Falkners sichtbar, der über die Fähigkeit der Selbstbeherrschung verfügen muß: eine Grundvoraussetzung für Herrschaft überhaupt. Vgl. Aegidius Romanus, De regimine principum, Buch I. 165 Notker beschreibt diese disziplinierende und ertüchtigende Funktion der Jagd nach innen, wenn Karl sein höfisches Gefolge zur Jagd antreibt, damit es sich nicht dem otium und der ignavia hingebe. Notker, Gesta Karoli II,17, S. 86; vgl. Fenske, Jagd und Jäger im früheren Mittelalter, S. 56. 166 Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 3393–3460; Brackert, »deist rehtiu jegerîe«, S. 365. 167 Das ist die gleiche Funktion, die auch die Historiographie immer wieder zur Anschauung bringt.

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nicht waffenfähigen jungen Adeligen genommen wird. Als dieser das Wildschwein tötet, zeigt sich Alexander indigniert und reagiert affektiv: daz was Alexandrô zorn. / in dûhte er haet die êr verlorn.168 Eine mißverständliche Bemerkung des Pädagogen genügt, um die ›geladene‹ Situation eskalieren zu lassen: Alexander läßt den Jüngling samt seinem Pädagogen töten. Nicht nur wird die Bedrohung des herrschaftlichen Statushandelns evident, sondern auch die Gefahr der unvermittelten Gewalteskalation.169 Die Jagdfähigkeit als Gewaltpraxis bildet traditionell einen zentralen Faktor feudaler Sozialisation. So kann die Eberjagd des jungen Partonopier gegen ein grimmiges und schäumendes Wildschwein zum Ausweis seiner Waffenfähigkeit genommen werden, denn der wilde Eber gilt als das ›kühnste und bösartigste Tier‹.170 Saxo Grammaticus berichtet von Skioldus, dem Sohn des Dänenkönigs Humblus: In seiner Jugend schon wurde er unter den Jägern seines Vaters berühmt durch die Bezwingung eines ungeheuren Tieres, und der bewundernswerte Ausgang der Sache war eine Vorbedeutung für seine künftige Tüchtigkeit. Als er nämlich von seinen Erziehern, die sich ihrer Aufgabe mit aller Hingebung widmeten, die Erlaubnis erhalten hatte, einer Jagd zuzusehen, kam ihm ein Bär von ungewöhnlicher Größe in den Weg; eine Waffe hatte er nicht, deshalb band er ihn mit dem Gürtel, den er trug, und machte es so seinen Begleitern leicht, ihn tot zu schlagen. Huius adolescencia inter paternos uenatores immanis belue subaccione insignis extitit, mirandoque rei euentu future eius fortitudinis habitum ominata est. Nam cum a tutoribus forte, quorum summo studio educabatur, inspectande uenacionis licenciam impetrasset, obuium sibi insolite granditatis ursum, telo uacuus, cingulo, cuius usum habebat, religandum curauit, necandumque comitibus prebuit.171

Paradigmatische Abenteuer dieser Art gehören zur Topik heroischer Existenz, die stereotyp bis in die politische Historiographie hineinwirkt. Die Chronik Rogers von Sizilien trägt ein Jugendabenteuer des Stammvaters Tankred nach, in dem dieser ein gewaltiges Wildschwein – aprum mirae enormitatis – mit einem einzigen Stich erlegt und dadurch höchsten Ruhm erwirbt.172 Daß hierin in den Augen der Zeitgenossen – neben der Stilisierung des Helden – eine paradigmatische Auseinandersetzung gesehen wird, zeigt die »Chronica 168 Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 18933f. 169 Alexander schlägt den Knappen, und nach einer unvorsichtigen Bemerkung des Pädagogen über den weinenden Jüngling läßt er beide töten. Ebd. V. 18935–18957. 170 »Þiðriks Saga«, S. 340. 171 Herrmann, Paul, Erläuterungen zu den ersten neun Büchern der dänischen Geschichte des Saxo Grammaticus, Bd. 1: Übersetzung, Leipzig 1901, S. 16; Saxo Grammaticus, Gesta Danorum I, S. 11. 172 Gaufredus Malaterra, De rebus gestis Rogerii I,40, S. 25: […] a comite et caeteris omnibus plurima laude extollitur. Ebd.

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Polonorum« aus dem 12. Jahrhundert, die dem kindlichen Boleslav, dem prädestinierten Thronfolger, im wilden Wald gleich zweimal Gelegenheit zur Bewährung gibt. Der martialis puer besteht einen Eber und einen Bären: »Dann aber hat Boleslav, durch Zorn gewissermaßen zur Tapferkeit stimuliert, sie im zweifachen Duell, des Menschen mit dem Tier, einzeln überwunden.«173 Damit offenbart bereits die Jagd entscheidende Anlagen des zukünftigen Herrschers, bildet gewissermaßen die Vorschule des Krieges.174 Selbst Aegidius Romanus prädestiniert daher in der Kriegslehre seines Fürstenspiegels im Anschluß an Vegez gerade solche Berufe zur Kriegsführung, die an Blut gewöhnt sind. Er zieht indes über Vegez hinaus eigene Schlußfolgerungen: »Denn die Gefahren des Wildschweins nicht zu fürchten, ist ein Zeichen dafür, daß sie nicht die Kriege mit den Feinden fürchten.«175 Läßt sich die beschriebene Funktion der Jagd als eine der sozialen Codierung und Ausdifferenzierung beschreiben, in der die Forschung die Stationen des Zivilisationsprozesses gespiegelt sieht (Fried), so tritt eine alternative Funktionsbestimmung daneben, die mehr auf ein archaisches Substrat verweist. Danach bildet noch die mittelalterliche Jagd den Ort einer frühen Begegnung von Mensch und Tier.176 Unter historisch anthropologischer Perspektive rückt der Sachverhalt in den Vordergrund, daß die frühmittelalterliche Jagd noch weitaus näher urzeitlichen Techniken verbunden war als modernen (Distanzwaffe), ein Umstand, dem erhebliche Konsequenzen 173 Tum vero Boleslavus ira, immo audacia stimulatus, geminum duellum mirabiliter, humanum scilicet et ferinum, singulariter superavit. Chronica Polonorum II,11/12, MGH SS 9, S. 449. Die »Gesta Herewardi« zeigen den jugendlichen Helden Hereward an einem Hof in Northumberland, der als ritterliche Initiationsprobe den Kampf mit wilden Tieren institutionalisiert hat: ex claustris eductis saevis feris juvenum vires et animas temptare, qui militare cingulum expectabant et arma. Indem es Hereward gelingt, einen ausgebrochenen gewaltigen Bären zu erlegen, erwirbt er allseits soziale Anerkennung und zeigt sich jener Basisanforderung feudaler Existenz gewachsen, die die Macht über wilde Kräfte impliziert. Gesta Herewardi, S.343f.; Keen, The Outlaws of Medieval Legend, S. 11f. Ruhm erwirbt nach dem Bericht Ekkehards auch Graf Konrad, der König Heinrich I. das Leben rettet, als er geistesgegenwärtig einen aus dem Käfig ausgebrochenen Löwen tötet. Ekkehardi Casus sancti Galli Cap. 50, S. 112; Althoff, Gloria et nomen perpetuum, S. 302. 174 Jarnut, Die frühmittelalterliche Jagd, S. 765–798; Fenske, Jagd und Jäger im früheren Mittelalter, S. 29–93; Thiébaux, The Medieval Chase, S. 260–274; Liesmann, Jagd und Jagen als Daseinsmetapher, S. 20–22. 175 Nam non timentes aprorum pericula, signum est eos non timere hostium bella. Aegidius Romanus, De regimine principum III,3, 2, S. 561. Die Jagd als »Vorschule für den Dienst im Krieg« empfiehlt bereits Xenophon in seiner »Kynegetikos«. Vgl. Cartmill, Tod im Morgengrauen, S. 48. 176 Fenske, Jagd und Jäger im früheren Mittelalter, S. 29–36. »Die Jagd ist somit per definitionem eine bewaffnete Konfrontation zwischen Menschsein und Wildsein, zwischen Natur und Kultur. Weil sie ein konfrontatives, vorbedachtes und gewaltsames Töten verlangt, stellt sie so etwas dar wie einen Krieg der Menschheit gegen das Wilde.« Cartmill, Tod im Morgengrauen, S. 47.

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auf die psychische Disposition der Jäger zugeschrieben werden.177 Die direkte körperliche Konfrontation mit dem Tier versieht die Jagd mit einem Mehrwert an Bedeutung, der in sozialen Zuschreibungen nicht aufgeht. Damit wird aber die Jagd zum Ort einer unmittelbaren Spannung von Mensch und Tier, Natur und Kultur. Als realer Ort feudaler Gewaltdemonstration dient die Jagd weniger der Subsistenzsicherung, eher der Unterhaltung, vor allem aber dem Kriegstraining und der Anpassung an die Erfordernisse einer Rivalitätskultur. Von daher fungiert die Jagd auch als wegweisendes Initiationsritual.178

4.4 Herrschaft als Gewaltdemonstration: Das stärkste Tier Niemals frommt Vielherrschaft im Volke, nur einer sei Herrscher, einer König allein. Ilias II, 204f.

In seiner Aufgabe, die wilden Dynamiken unter Kontrolle zu halten, ist der Herrscher nicht nur Repräsentant der iustitia bzw. der ratio, sondern selbst Inhaber animalischer Kräfte. Peter von Blois verfaßt einen Dialog zwischen König Heinrich II. und einem Kleriker, in dem beide ihre Vorstellungen von rechter Herrschaft darlegen. Zwar führt die christliche Ethik dem Verfasser die Feder, doch wird an der Position des Herrschers deutlich, daß im Feudalverband noch andere als christliche Werte für notwendig erachtet werden. Der König beruft sich angesichts von Undank, Untreue und Verrat seiner Freunde auf das Alte Testament und auf das Tierreich, um seinen Zorn zu rechtfertigen. ›Ich sehe, daß der Bock über den Bock, die Taube über die Taube erzürnt und jene sich mit Hörnern, diese mit Flügeln schlagend ihren Zorn bekennen können. Warum ist es mir aber nicht erlaubt zu erzürnen, wenn der Zorn eine Tugend der Seele und eine natürliche Macht ist? Es scheint nicht unerlaubt zu sein, was von Natur aus erlaubt ist. Von Natur aus bin ich ein Sohn des Zorns, wie also soll ich nicht erzürnen?‹ ›Video quod agnus in agnum, columba in columbam quandoque irascitur et percutiendo ille cornibus, illa pennis, suam sicut possunt iracundiam profitentur; michi autem non licebit irasci, cum iracundia sit quedam uirtus anime et potentia naturalis? Non uidetur illicitum quod michi est a natura permissum: natura sum filius ire, quomodo igitur non irascar?‹179 177 Fenske, Jagd und Jäger im früheren Mittelalter, S. 30f. 178 Vgl. Kap. III,3. 179 Peter von Blois, Dialogus inter regem Henricum secundum et abbatem Bonevallis, S. 99f. [Vgl. PL 207, Sp. 978f.]; Stürner, Natur und Gesellschaft, S. 132.

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III. Das politische Feld 1: Herrschaft über das Tier

Das ist weniger traditionelle Sündentopik als Ausdruck feudaladeligen Herrschaftsbewußtseins. Die Herrschaftsmetaphorik greift zur demonstrativen Durchsetzung des Rechts gleichzeitig auf herausgehobene Tiere zurück, denn im Kontext rivalisierender Haushalte inszeniert sich der Herrscher nicht nur als kluge, sondern auch als mächtige Ordnungsinstanz: als das stärkste Tier. Etwa programmatisch im Fürstenspiegel: »Denn im Buch des Aesculap steht geschrieben, daß jener König zu loben und zu lieben sei, der dem Adler ähnelt, der über die Vögel herrscht, und nicht jener, der einem der unterworfenen Vögel ähnelt.«180 Es sind die Kontexte vor allem öffentlicher Herrschaftsdemonstration, in denen der König den Status seiner Gewaltüberlegenheit demonstriert: etwa in den beschriebenen Rechtshandlungen oder in den herrschaftlichen Aufzügen. Daneben wird die machtvolle und Respekt erheischende Haltung des Herrschers in offiziellen Besuchen sichtbar. Ekkehard von St. Gallen beschreibt am Ende seiner St. Gallener Klostergeschichte den Besuch des Kaisers Otto in seiner ganzen herrschaftlichen Macht. Dabei »verharrte er weit vor den andern wie ein Löwe vor seinen Tieren.« So erscheint der Herrscher vor seinen Untertanen und prüft unter demonstrativem Blick – oculisque grandibus – die Disziplin der Mönche, indem er seinen Stock fallen läßt. Sein ihn begleitender Sohn erläutert die Geste: »›Mich wundert’s, daß der Stock hinfallen konnte, wo er doch die Herrschaft so kräftig festhält. Wahrlich, wie ein Löwe hat er die Reiche, die er bisher erbeutet, mit aller Kraft behauptet. Und obschon ich sein Sohn bin, hat er mir auch nicht ein einziges Stück davon abgegeben.‹«181 Die entscheidende Differenz liegt in der Funktion disziplinierter Haltung: Während diejenige der Geistlichen auf den Gottesdienst gerichtet ist, so die des Herrschers auf die beflissene Sicherung erworbener Machtstellung, die selbst der eigenen Familie gegenüber verteidigt wird. Die Fundierung adeliger Herrschaft über die Analogie zum Tierreich betreibt Otto von Freising. Der Mailänder Graf Guido mahnt während der Belagerung Mailands in verzweifelter Lage seine Mitbürger, die Oberhoheit des Reichs anzuerkennen, da die evidente militärische Überlegenheit letztlich nur Ausdruck eines allgemeineren Prinzips sei: »Als stärkstes Gesetz ist den wilden Tieren wie den Menschen von vornherein bestimmt, den Stärkeren

180 Nam scriptum est in libro Esculapii quod ille rex est laudabilis et amandus qui assimilatur aquile dominati inter aves, et non ille qui assimilatur uni avium subjectarum. Secreta secretorum Cap. 15, S. 52. 181 longe ipse prae aliis quasi leo prae bestiiis. […] ›Miramur‹, ait, ›cum tam firmiter imperium teneat, quod baculus deciderit. Enimvero quasi leo regna, quae adhuc cepit, firmissime tenuit, neque mihi, quamvis filio, partem vel unam dedit.‹ Ekkehard von St. Gallen, Casus sancti Galli Cap. 146.

Politische Repräsentation

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sich fügen zu müssen, und daß denen der Sieg zufällt, welche die stärkeren Waffen haben.«182 In der naturfundierten Begründung spiegelt sich nicht nur die kriegerische Überlegenheit, sondern zugleich noch die Hierarchie feudaler Gesellschaftlichkeit gegenüber der Mailänder Communitas. Im Hinblick auf die Grundlage politischer Macht existiert offenbar keine Differenz zwischen Natur und Kultur, deren Status quo wird naturrechtlich fundiert. Selbst die Geste der Schonung, die als konstitutiver Bestandteil von Herrschaftshandeln gilt, wird unter Rückgriff auf antike Muster an die Tierwelt angebunden. Matthäus von Paris beschreibt die Eroberung der Stadt Faenza durch Kaiser Friedrich und charakterisiert die Schonung der Bewohner mit Hilfe eines Ovidzitats: Dem tapferen Löwen reicht es aus, die Körper niedergestreckt zu haben, der Kampf hat sein Ende, wenn der Feind am Boden liegt. Aber der Wolf und die hässlichen Bären setzen noch den Sterbenden hart zu, und auch alle Tiere, die von geringerem Adel sind. Corpora magnanimo satis est stravisse leoni; Pugna suum finem, cum jacet hostis, habet. Sed lupus et turpes instant morientibus ursi, Et quaecunque minor nobilitate fera est.183

Die großzügige Geste ist eher demonstrativer Bestandteil des Triumphs, nicht grundsätzliche humane Haltung.184 Nimmt man die verschiedenen Ausprägungen des Phantasmas der Nähe hinzu, so artikuliert sich im Diktum des Grafen Guido deutlich – zumal aus dem Munde des besiegten Gegners – eine Art feudales Glaubensbekenntnis, die politische Ethik des Feudalismus: Resultat ist mithin weniger die Ubiquität von Gewalt, das Mittelalter als Anarchie, sondern die symbolische Legitimation von Gewalt.

182 Validissima lex est tam feris bestiis quam hominibus prefinita, potentioribus cedere, quique armis vigent, his obedire victoriam. Otto von Freising, Gesta Frederici III,49; Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 168. 183 Matthaeus Parisiensis, Chronica maiora IV, S. 109. Zum Jahr 1241 vgl. Ovid, Tristia III,5,33. 184 »Auch er [Kaplan Burchard] schildert, wie schon Rahewin zum Jahre 1158, daß das Flehen der mit dem Kreuz in den Händen erscheinenden Mailänder Bürger um Erbarmen die Umstehenden zu Tränen gerührt habe, nur des Kaisers Gesicht habe sich nicht verändert, im Gegenteil, es sei beim Versuch des Grafen von Biandrate, sich für seine einstigen Freunde einzusetzen, geradezu versteinert. Doch zuletzt, nachdem die Mailänder bekannt hatten, daß es ihnen nicht mehr um eine conventio oder ein pactum gehen würde, da kündigte Barbarossa zu gegebener Zeit Barmherzigkeit an. […] Und schon am folgenden Tag verkündete ihnen der Kaiser, daß er, obwohl sie von Rechts wegen den Tod verdient hätten, nun Barmherzigkeit walten lassen wolle.« Zum Rechtsspruch ex legibus v. respectu divinae miserationis vgl. Zotz, Präsenz und Repräsentation, S. 181.

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III. Das politische Feld 1: Herrschaft über das Tier

Die geradezu institutionalisierte Nähe von Herrschaft zum Tier kommt schließlich besonders eindrucksvoll in dem entsetzten Blick des Theologen auf das Fremde zum Ausdruck. Gerald von Wales, der aus der Warte des zivilisierten Kolonisators Sitten und Bräuche der Iren darstellt, beschreibt mit historiographischem Anspruch einen irischen Ritus der Königserhebung. In der Gegend um Kenelcunil bestätigt ein Volk seinen neuen König, indem dieser angesichts des versammelten Volkes ein weißes Pferd – iumentum – sodomisiert – bestialiter accedens – und sich im Akt zugleich ›selbst als Tier deklariert‹: se quoque bestiam profitetur.185 Nachdem das derart gezeichnete Tier anschließend geschlachtet worden ist, verzehrt es der König gemeinsam mit seinem Volk – in einer Wanne mit den gekochten Überresten sitzend. Der Ritus gilt als authentisch, obgleich seine Realität für das 12. Jahrhundert bezweifelt wird.186 Was den Theologen erschüttert, vermag aber ein Licht auf die besondere Beziehung von Herrschaft und Tierhaftigkeit zu werfen, wie es zumindest im Vorstellungsraum einer archaischen Gesellschaft noch präsent war. Herrschaft bedarf der Demonstration von Gewaltüberlegenheit, die sich in sexueller Machtdemonstration ebenso ausdrückt wie in der Einverleibung des Tiers.187 Die Verbindung von Herrschaft und Tierhaftigkeit ist auf komplexe Art codiert.

185 Gerald von Wales, Topographia Hibernie III, S. 168; Schröder, Ein altirischer Krönungsritus, S. 310–331. Zum kulturgeschichtlichen Kontext vgl. Birkhan, Kelten, S. 537–542. 186 Boivin, L’Irlande au Moyen Âge, S. 254, 365. 187 Eine frühe jüdische Legende erzählt von der Erschaffung Evas die folgende Geschichte. Adam habe mit den neugeschaffenen Tieren kopuliert (»benannt«) und diese als unbefriedigende Partner empfunden. Daraufhin sei ihm von Gott Eva zugeführt worden. So wie die Tiere von Adam »benannt« worden sind, so später Eva: ein Beispiel für die Verbindung von sexueller Verfügung und Herrschaft. Phillips, Eva, S. 42.

III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier Das Tier als Medium feudaler Identitätsstiftung

Löwenmensch von Stadel, ca. 25 000 v. Chr. Stadtmuseum Ulm.

1. Zeichenhaushalt Im Vergleich zu den Distanzierungen, wie sie in umfangreichen theologischen Stellungnahmen zum Tier nachweisbar sind, produziert die feudaladelige Rede des 12./13. Jahrhunderts einen Diskurszusammenhang der Nähe, der gerade nicht in den Vorgaben des Sündenfalls aufgeht. Er präsentiert sich zunächst als ein komplexes Zeichenarsenal, das in verschiedenen Feldern zur Geltung kommt. Der von Gerald von Wales mit Abscheu geschilderte irische Krönungsritus qua Sodomie, Einverleibung des Tieres und Selbstbekenntnis (se bestiam declarans) markiert den extremen Gegenpol zur Distanzierungsstrategie der Theologie sowie den Mehrwert an Bedeutung: die Bindung des Herrschaftsanspruchs an körperliche, d. h. animalische Qualitäten. Vor allem epische und pseudohistoriographische Texte, solche Textsorten, die die Geschichte einer heroischen Existenz entwerfen, imaginieren wieder-

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III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier

holt Szenarien der Nähe, in denen überlegene körperliche Gewalt mit einer Affinität zum Tier verbunden wird. Während Chroniken mit stärker historiographischem Anspruch derartige Grenzüberschreitungen eher selten thematisieren, entwerfen die fiktionalen Texte imaginäre Szenarien von MenschTier-Verbindungen, in die eine Fülle von Phantasmen der Nähe projiziert wird: eher selten Ursprungsmythen und Genealogien oder direkte Assimilationen, häufiger dagegen enge Assoziationen, etwa von Ritter und Pferd. Hinzu treten spezifische Entwicklungsformen wie Entelechie oder Erziehung, sodann Handlungsmuster wie die Jagd, der Drachenkampf oder die Verwilderung, schließlich ältere Zeichenkomplexe wie Name und Heraldik. Es entsteht ein komplexes Feld von Unterwerfungs- und Domestizierungsphantasien, durch die zentrale Konstituenten des feudalen Wertesystems stabilisiert werden. So werden ausgezeichnete Herkunft und soziale Privilegierung, d. h. elementare Formen von Herrschaftsbegründung an überlegene Kraft rückgebunden. Privilegierter Ort solcher Annäherung ist offenbar der Bereich des Imaginären. Bei aller Stilisierung reduziert sich die enge Mensch-TierAssoziation aber nicht auf eine bloße Textfunktion oder auf die Tradition einer fortgeschleppten Topik. In Namengebung und Heraldik, in physiognomischem Körperkonzept und Affekttheorie, schließlich in feudaler Jagdpraxis und in einer symbolischen Aufladung von Tieren besitzen die skizzierten Konstellationen einen durchaus realen Hintergrund. Die Selbstdefinition des Adels durch Bezugnahme auf das Tier ist mehr als bloß ein literarisches Phänomen. Daß die höfische Kultur, die Kultur der Feste und Turniere, der Minne und der Repräsentation, nur die Schauseite des mittelalterlichen Feudalismus darstellt, zeigt vor allem ein Blick in historische Darstellungen. Schon Marc Bloch hat diesem Aspekt Rechnung getragen, wenn er, ausgehend von der Kriegslyrik eines Bertrand de Born, die Mentalität des Kriegeradels zu fassen sucht. Demnach »liebte der Adelige vor allem die Entfaltung der Körperkraft eines schönen Tiers, die er durch vollständiges Training von früher Kindheit an erworben und bewahrt hatte, […].«1 Diese spezifische Codierung feudaler Existenz kann als Ausdruck eines eigenen Kulturmusters gelesen werden, durch das der feudale Gesellschaftsentwurf nicht nur gegenüber den wirkungsmächtigen Körperregulierungen und Moralisierungen der Klerikerkultur, sondern auch gegenüber der christlich codierten höfischen Kultur einen Fluchtraum skizziert, der in erster Linie dem realen Faktor Gewalt Rechnung trägt und damit sein überlegenes Existenzrecht phantasiert. Zwar stehen die animalischen Identifikationen gegenüber den dominanten sozialen Ordnungsmustern der höfischen Kultur (mâze; triuwe) eher am Rande, d. h. sie werden nur ausschnitthaft sichtbar – etwa in Metaphorik, Genealogie, Kampf und Krise –, doch umschreiben die 1 Bloch, Die Feudalgesellschaft, S. 389. Zum Gewaltaspekt vgl. Bartlett, Die Geburt Europas.

Zeichenhaushalt

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verschiedenartigen Formen der Annäherung an das Tier in der Zusammenschau ein eigenständiges semantisches Feld: eine Fluchtlinie gerade gegen alle Regulierungsversuche, weniger der anarchische Gegenpol der Ordnung als ihr dunkles, animalisches Fundament. Versteht man Kultur als Ort sozialer Kommunikation, als »Verkehr signifikanter Symbole«, die in Worten, Bildern, Gesten und Artefakten gleichermaßen zum Ausdruck kommen und deren Funktion darin besteht, der Faktizität des Daseins überhaupt erst Sinn einzuschreiben,2 dann können nicht nur die Verhaltensregeln der höfischen Kultur als ein solcher Austausch betrachtet werden, sondern auch jene Semiotik des Animalischen, die sich gegen die höfischen Regulierungen weiter behauptet. Die Komplexität metaphorischer und metonymischer Zeichenarsenale innerhalb der Literatur, die sich gerade von diskursiven theoretischen Entwürfen absetzen, wäre in diesem Sinn weniger rhetorisch als mentalitätsgeschichtlich zu lesen, als »Erfassung und Erinnerung lebensweltlicher Zusammenhänge«.3 Aus einer kultursemiotischen Perspektive ist nicht entscheidend, ob sich die mittelalterliche Tiermetaphorik mehr antiker oder germanischer Tradition verdankt.4 Im Vordergrund steht hier eher die Funktion des Bildfeldes selbst, in der offenbar beide Traditionsstränge gegen die christlich-höfische Codierung zusammengehen. 1.1 Sprache: Vergleich – Metapher Eine Metapher verbindet zwei getrennte Wortfelder miteinander – z. B. Alter und Abend, Staat und Mühle oder Achill und Löwe. Man kann nun entweder das Verbindende oder das Trennende zwischen den beiden Feldern akzentuieren. Zwischen Alter und Abend herrscht offenbar eine größere Differenz als zwischen Löwe und Achill. Ein Lebenslauf und ein Tagesverlauf besitzen eine analoge Zeitstruktur, so daß die Metapher Lebensabend entsteht.5 2 Geertz, Kulturbegriff und Menschenbild, S. 70f. Versteht man mit LeGoff die Welt des Feudalismus primär als »eine Welt der feierlichen Gesten […], nicht des geschriebenen Worts«, dienen wohl auch die verschiedenen Formen der Tiersemiotik elementaren Abgrenzungsstrategien. LeGoff, Die Kultur des europäischen Mittelalters, S. 158. 3 Schumann, Die Kraft der Bilder, S. 407. 4 Der Streit zwischen antiker Topos- und germanischer Substratthese wird primär auf der philologischen Ebene der Argumentation, d. h. als quellengeschichtliches Problem ausgetragen. Vgl. Speckenbach, Der Eber, S. 462f. 5 A verhält sich zu B wie C zu D, heißt es in der Poetik des Aristoteles: Der Abend verhält sich zum Tag wie das Alter zum Leben. Aristoteles, Poetik 1457b. Nach Kant dient die Metapher der Veranschaulichung von Ideen und drückt keine substantielle Beziehung aus, sondern nur über die Form der Reflexion entstehe die Verbindung: »Denn, zwischen einem despotischen Staate und einer Handmühle ist zwar keine Ähnlichkeit, wohl aber zwischen der Regel, über beide und ihre Kausalität zu reflektieren.« Kant, Kritik der Urteilskraft § 59.

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III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier

Demgegenüber scheint zwischen zwei Lebewesen immerhin eine Art Ähnlichkeit zu bestehen. Analogie und Ähnlichkeit aber sind schon nach Aristoteles die beiden Grundoperationen der Metaphernbildung, aus der die klassische Lehre vom tertium comparationis hervorgeht. Doch auch dieses erweist sich aus moderner Sicht nur als scheinbares. Moderne Metapherntheorien insistieren geradezu auf der Arbitrarität der Zeichenrelation. So behauptet Hannelore Schlaffer, daß nicht einmal eine Ähnlichkeit zwischen Achill und dem Löwen bestehe: Weder ›kämpfe‹ der Löwe im eigentlichen Sinn des Wortes und wenn, dann aus Hunger und nicht aus Ehre, er sei auch nicht ›mutig‹, stelle sich seinem Gegner nicht ›offen‹, sondern jage eher ›hinterhältig‹ im neutralen Sinn des Wortes, zwar siege er durch Kraft, Achill aber durch Technik, so daß auch jene als tertium comparationis ausfalle: »Die Auszeichnung des Löwen durch Achill oder Achills durch den Löwen ist rhetorische Tradition, in der der Leser daran gewöhnt worden ist, eine semantische Beziehung zwischen den Elementen der Metapher herzustellen und an einen sinnvollen Vergleich zu glauben, an eine Ähnlichkeit, die nie gegeben war.«6 Analog ist dem Hobbesschen Satz ›Homo homini lupus‹ in der Moderne jegliche Geltung abgesprochen worden, die er lange Zeit so evident ins Bild zu setzen schien. Er läßt sich als geradezu illegitimer metaphorischer Ausdruck bezeichnen: »Politische Zoologie ist darum stets eine Lehre von zoo-politischen Metaphern, denen ein tertium comparationis ganz grundsätzlich fehlt. […] Es gibt kein politisches Tier.«7 In harter sprachanalytischer Diktion lautet der Befund ähnlich: »Wenn der Mensch ein Wolf ist, dann ist der Mensch kein realer oder begrifflicher Teil von Wolf oder umgekehrt; und dies gilt auch für das tertium comparationis.«8 Die metaphorische Übertragung findet aus moderner Perspektive kein fundamentum in re mehr. Moderne Lexika, seien es Wörterbücher oder Enzyklopädien, tragen diesem Befund Rechnung. Sie unterscheiden in der Regel für ihre Lemmata zwischen einer wissenschaftlichen und einer kulturellen Bedeutung.9 Was sich hier offenbar etabliert hat, besitzt seine Anfänge in der Historia naturalis des 16. Jahrhunderts, die allmählich beginnt, systematisch zwischen Faktischem und Übertragenem, zwischen res und verba, zu unterscheiden, ob6 Schlaffer, Odds and Ends, S. 75f.; vgl. Czerwinski, Allegorealität, S. 3f.; Coenen, Der Löwe Achilles, S. 39–48. 7 Vogl, Matala de Mazza, Bürger und Wölfe, S. 207. 8 Strub, Metasprache und Metapher, S. 4. 9 So ordnet das Grimmsche Deutsche Wörterbuch das Lemma Wolf in einen »eigentlichen Gebrauch« (A) und in die Bedeutung in »gleichnis, bild, metapher« (B) und in »volksglauben« (C) und »redensarten« (D). Grimm, Dt. Wörterbuch, Bd. 30, 1984, Sp. 1243. Meyers Enzyklopädie bietet einen zweigeteilten Artikel ›Wolf‹, der die »wissenschaftliche« und die »kulturelle« Bedeutung des Tiers erfaßt. Ersterer beschreibt die nüchternen Fakten, letzterer den Raum affektiver Besetzungen durch die Jahrhunderte. Meyers Enzyklopädie, Bd. 25, Mannheim 1979, S. 472f.

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wohl sie selbst sich noch weitgehend auf Lektüre stützt.10 Wissenschaftlicher und kultureller Raum differenzieren sich als funktionaler und sinnhafter Raum seit der Frühen Neuzeit aus, und dieser Prozeß ist Zeichen eines sich allmählich durchsetzenden modernen wissenschaftlichen Weltmodells. Entsprechend unterscheiden moderne Metapherntheorien wie die Interaktionstheorie systematisch zwischen Referenzbezug und kultureller Codierung. Der Geltungsraum der Metapher wird dabei ausschließlich im kulturellen Raum, im Ensemble der tradierten Vorstellungen situiert. »Von einem Sprecher, der ›Wolf‹ sagt, nimmt man normalerweise an, er schließe irgendwie den Verweis auf etwas Wildes, Raubtierhaftes, Verräterisches usw. mit ein.«11 Der Wolf besitzt aber all diese Eigenschaften nicht, sie sind in der wissenschaftlichen Perspektive kein Thema. Der Vorstellungskomplex ›Wolf‹, wie der aller metaphorisch verwendeten Tiere, speist sich weitgehend aus kulturellen Vorstellungen, d. h. aus tief sitzenden Erfahrungen und Vor-Urteilen.12 Die zentrale Leistung der Interaktionstheorie besteht gerade darin, aufgezeigt zu haben, daß sich im Akt metaphorischer Übertragung nicht nur der Mensch über Tierattribute bestimmt, sondern zugleich das Tier auch mit menschlichen Eigenschaften aufgeladen wird. Der Animalisierung des Menschen korrespondiert eine Humanisierung des Tiers. Solche anthropomorphen Zuschreibungen besetzen den Raum des Imaginären und dringen über die Metapher in Sprache, Literatur und mitunter in Institutionen ein.13 »Für die metaphorische Applikation und Interpretation von ›Löwe‹ ist nicht entscheidend, was Löwen dem Wörterbuch der Sprache zufolge sind. Es kommt vielmehr […] auf das System von Gemeinplätzen (τόποί) an, die mit dem Wort ›Löwe‹ in einer Sprachgemeinschaft verknüpft sind: the system of associated commonplaces.«14 Die Übertragung der Bedeutungen fußt also nicht auf dem, was der Löwe wirklich ist, nicht auf dem zoologischen Lexikon im modernen Verständnis des Wortes, sondern auf einem spezifisch hi10 Vgl. Gessner, Historia animalium I, Zürich 1551, Art. ›Wolf‹, S. 716–766, 730–766. Die ›Ethik‹ der Tiere, im modernen Sinn ihre Verhaltenslehre, rangiert aber hier noch unter den res-bezogenen Ordnungskategorien. 11 Black, Die Metapher, S. 71. 12 Exemplarisch: Rheinheimer, Wolf und Werwolfglaube, S. 399–422. 13 Vogl, Matala de Mazza, Bürger und Wölfe, S. 211. 14 Künne, »Im übertragenen Sinn«, S. 191. »Das einzige, was den verschiedenen metaphorischen Applikationen des Wortes ›Löwe‹ gemeinsam ist […], ist ihre Herkunft aus dem überlieferten Schatz wahrer oder legendärer dem Löwen zugeschriebener Eigenschaften, wie sie in Bestiarien und Fabeln ihren Niederschlag gefunden haben. Diese gesammelten Überlieferungen bestimmen sozusagen den Bereich der Metapher, sie umschreiben die Gesamtheit ihrer Anwendungsmöglichkeiten. […] In einem Falle ist es vielleicht die Idee des Edlen und Vornehmen, die traditionell mit dem König der Tiere verknüpft ist, in einem anderen Fall die Idee der Wildheit, und vielleicht wird in einem dritten Fall eine lächerliche Seite herausgegriffen, wie etwa die überlieferte Furcht des Löwen vor dem Hahnenschrei.« Ebd.

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III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier

storischen, kulturellen ›Lexikon‹, das sich aus einem Konglomerat an Gemeinplätzen zusammensetzt. Nicht nur scheint ein symbolischer Raum für die Verwendung der Tropen konstitutiv zu sein, er besitzt offenbar auch eine fundamentale Funktion für die Wahrnehmung, Ordnung und Wertung der Wirklichkeit. »Unser kulturelles Bewußtsein besteht wesentlich aus solchem vertrauten, voraussetzbaren Wissen. Die Kohäsion von Kulturen und gesellschaftlichen Gruppen kann geradezu charakterisiert werden durch das Maß und die Selbstverständlichkeit indirekten Kommunizierens.«15 Das semantische Feld, das im folgenden über die Instanz des Tieres erschlossen wird, artikuliert sich in unterschiedlichen Medien – Metaphern, Namen, Waffen, Körpern – und läßt Rückschlüsse auf die kulturellen Projektionen und Phantasmen zu, die der Adel mit dem Tier verbindet. Wie im theologischen Diskurs identifiziert sich der Adelige in spezifischen Situationen mit dem Tier, und er tut dies, indem er seine eigenen Einstellungen, Wünsche, Werte und Handlungsweisen, seine Tugenden und Laster dem jeweiligen Tier unterlegt. Im feudalen Kontext markiert das Tier nicht die Grenze humaner Selbstdefinition, sondern im Gegenteil deren Matrix und bildet die Chiffre eines privilegierten Verhältnisses zur Natur. Im Raubtier, das qua Gewaltüberlegenheit herrscht, formuliert der Feudaladel zentrale Aspekte seiner Existenz. Minnelyrik und Epik zehren vom Konnotationsreichtum feudaler Tiermetaphorik, vom Kürenberger und Dietmar von Eist bis zu Kriemhilds Falkentraum, der die Ambivalenz des Heros – starc, scœn’ und wilde – und sein Schicksal gleichermaßen imaginieren kann.16 In der Vorstellungswelt des Adels scheint der metaphorische Bezug indes einen natürlichen Referenzpunkt zu bewahren, wenn im »Falkenbuch« Friedrichs II. der überlegene Rang der Raubvögel explizit mit dem des Adels parallelisiert wird.17 Zur literarischen Topik gehört, daß der Heros offenbar mit einem bevorzugten Zugang zu den Kräften der Natur ausgestattet ist, was vor allem in der Heldenepik in stereotypen Tiervergleichen sichtbar wird: da uacht der helt Oliuir / rehte sam der wilte stier, / des niemen erbaiten darf, heißt es im »Rolandslied«, und entsprechend im »liet von Troye« von Troylus: Troylus versuchte sine macht / Vf diomedem quam er geracht / Also zornic als ein bere […].18 Über den Kampf nähert sich der Heros dem Tier an, sichtbar vor al15 Kurz, Allegorie und Metapher, S. 39. 16 Nibelungenlied, Str. 13,2; Ashcroft, Als ein wilder valk erzogen, S. 64f.; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 448. Vom arthurischen Musterritter Gawein heißt es im »Erec«, er sei starc schoene und manhaft. Hartmann von Aue, Erec, V. 2738. 17 Friedrich II., De arte venandi cum avibus, Vorrede. 18 Straßburger Alexander, V. 1031f.; Rolandslied, V. 6196–6198; Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 9037–9039. Konsequent ist es von daher auch, wenn Oliviers Kampfeswut im »Karl« des Strickers gar in einem allgemeinen Tiervergleich mündet: er gelîhte sich dem tiere, / vor dem niemen mac genesen. Stricker, Karl der Große, V. 7316f.

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lem im Zweikampf, in dem er sowohl die Rolle des überlegenen Raubtiers wie auch des unterlegenen Beutetiers, etwa des Ebers, einnehmen kann.19 Die Inszenierung zentraler Kampfeigenschaften wie Zorn, Tollkühnheit, Widerstandskraft, Todesverachtung am Leitfaden des Tiervergleichs gehört zur klassischen Aristie des Heros. Mitunter werden beide Kämpfer auf der Ebene animalischer Konkurrenz verbunden. Hector und Archill knurren sich wie Hunde an: Vnder einander sie grienen / Als zwene hunde, Partonopier und Sornagiur kämpfen grisgramend unde wetzende / sam zwên eber mit den zenen, Witege und Laurin rennen einander an, als zwêne valken die dâ flugen, und auch Gasozein und Gawein kämpfen ›verbissen‹ um Ginover Als tuont zwên hofwart / Die sich bîzent umb ein bein.20 Wenn dort, wo Heroen aufeinandertreffen, der Tiervergleich sich privilegiert einstellt, signalisiert das weniger eine im Sprachlichen liegende Provokation – selbst wenn bisweilen Textindizien wie in der »Crône« vorliegen –, als vielmehr eine Gegenwelt, eine Reflexion auf die Verbindung von feudalem Gewaltpotential und dessen animalischem Fundament.21 Über die Analogie der Affekte partizipiert der Heros an den ›Tugenden‹ der wilden Natur.22 Ein solches Zeichenarsenal steht dem mittelalterlichen Epiker mit großer Selbstverständlichkeit zur Verfügung. Gewiß ist das primär antikes heldenepisches Erbe, doch bleibt dieses bis ins 16. Jahrhundert virulent, und selbst der höfische Roman kann sich ihm nicht entziehen. Doch gibt es Ausnahmen. Ein Autor wie Hartmann etwa verzichtet im »Iwein« auf die Tiermetaphorik, die seine Vorlage, der »Yvain« Chrétiens, noch selbstverständlich nutzt.23 Wenn das »Rolandslied« den Kampf des Heiden Zernubel gegen Roland mit den Worten umschreibt: mit dem swerte hiwer uf den lewen oder si warten alle des lewen, verschmelzen hier bereits rein sprachlich Heros und Waffensymbolik, ein erstes Indiz für die enge Verbindung von Person und heral19 Ruolant tet als der lewe tuot: / swie vil der lewe tier siht, / diene fürhtet er mit alle niht. / swie vil der heiden waere, / Ruolant was âne swaere. Ebd., V. 4932–4936. der erzebischof Turpîn / der vaht sam ein eberswîn. Ebd. V. 5501f. 20 Herbort von Fritzlâr, liet von Troye V. 6316f. Sie zogeten sich dar vnd here / Als ein lewe vnd als ein bere / Mit zorne vnd mit nide. Ebd., V. 10383–10385. Sie gingen sich vnder howen / Vmbe die selben frowen / Als ein eber vnd ein bere. Ebd., V. 12437–12439; Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 5928f.; Laurin und Walberan, V. 372; Heinrich von dem Türlîn, Diu Crône, V. 12284f.; vgl. Peschel-Rentsch, Pferdemänner, S. 28. 21 Zur Provokationsthese vgl. Fromm, Herbort, S. 266. Zur Gegenwelt: Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 448. 22 Die Tiervergleiche bieten zugleich den Konnotationsrahmen für das kollektive Wüten in der Schlacht: ia wonten si in deme wige / sam der lewe der da winnet / unt rechte zornen beginnet. Rolandslied, V. 4114–4116. Die Tyrer fuhten sô di wilden swîn. Straßburger Alexander, V. 1317; Speckenbach, Der Eber, S. 460. 23 Zu Chrétien vgl. LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 189–191.

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III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier

dischem Zeichen.24 Vergleich und Metapher, ohnehin schon seit Aristoteles eng miteinander verbunden,25 sind hier in ihrer semiotischen Funktion nicht zu trennen: »Lât abe den lewen, meister, er ist sô grimme gemuot«, so kennzeichnet Hagen Wolfhart im »Nibelungenlied«, ein adilar seines gůtes, / ein lewe seines můtes, so spricht Heinrich von Veldeke anerkennend vom toten Heros Turnus.26 Die rhetorische Animalisierung des Heros gerät aber an die Grenze zur Konkretisierung, wo das metaphorische Bezugswort in den Hintergrund rückt, etwa im Kampf Hectors gegen Achill: Hector hup sich im engein / Ir itweder den andern ane grein / Als er in wolde bizzen.27 Es wird sich in der Folge zeigen, daß sich die Tiermetaphorik nicht auf das klassische Gewalt- und Affektpotential im Kampf beschränkt, sondern ein breites Spektrum körperlicher Ausdrucksformen erfaßt.28

1.2 Name Einen Namen, der dauert – mir will ich ihn setzen. Gilgamesch Jan Boklev, verheiratet, zwei Kinder, gelernter Mechaniker, der als Erzieher im Kindergarten arbeitet, sieht das heute gelassen. »Ich habe mir einen Namen gemacht«, sagt er. »Viele Menschen wissen, wer ich bin: ein Vater dieses Sports.« SZ 8.1.04

Von den Vergleichen und Metaphern zu unterscheiden sind die adeligen Namen, die sich von Tieren ableiten. Auch sie sind ursprünglich mehr als nur Zeichen rhetorischer oder literarischer Strategie. Die Namenforschung hat verschiedene Kontexte herausgearbeitet, aus denen heraus sich die Bedeutung von Namen konstituiert, etwa die historisch-etymologische Grund24 Rolandslied, V. 5057, 4121. 25 Birus, Fuchs, Ein terminologisches Grundinventar, S. 158. 26 Nibelungenlied, V. 2272; Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 12619f. 27 Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 10367–10369. Daz folk strebete vberal / Iegelicher den andern ane grein. Ebd., V. 4308f.; vgl. Speckenbach, Der Eber, S. 456f. 28 Bisweilen nimmt sich der Erzähler Zeit, den Hintergrund der Metapher in einem kurzen Exkurs zu explizieren: wizzet ir wie der valke tud, / deme got hat bescheret / da er den lip mite generet? / daz muzer al ir ringen / sven er wirdet [inin]nen / vogele ein michel volc. / daz herze ist ime so stolz / daz er dar hine kumet gevlogen. / nu vir nemet mir, in han u nicht gelogen: / die zufuret er so, / alle werdent sie unvro, / wande er tud in grozen schaden. / einen vehet er in abe / oder zuene durch sine geileit. – / nu vawir wider an die manheit / die der edele herre tete. / do sprancte da zustete / der greve mit den sinen. / do liezer wol schinen / daz er ein war helt was. / virwar sagenich u daz: / er vur under sie alsein valke, / er begonde sie also walke. Graf Rudolf, Fb 25–47.

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bedeutung oder der appellative Sinn seiner Bildungselemente oder eher traditionalistische Sekundärmotivationen.29 Letztere verbinden mit dem Rekurs auf historische Namen eine spezifische Erwartung an den Namenträger, etwa durch die Verwendung von Heiligen- oder Heroennamen.30 Die für die deutsche Namensgeschichte wohl einschneidendste Zäsur erfolgte seit dem 4. Jahrhundert durch das Christentum, die auch die germanische Benennungspraxis erfaßte. Von dieser lassen sich schon im Frühmittelalter allenfalls noch Spuren nachweisen.31 Darüber hinaus enthält der Name aber auch eine soziale Bedeutungskomponente, er weist nicht nur auf den Namenträger hin, sondern charakterisiert ihn auch.32 Diese »Bedeutsamkeit des Namens«, zu der auch noch die Sekundärmotivationen beitragen, weist den Namen als ein komplexes Phänomen aus, das eng mit der sozialen Geltung der Person verbunden ist. Der tradierte Leitname eines Geschlechts oder eines Stammes sichert zunächst Kontinuität in einer allenthalben durch Kontingenz bedrohten Zeit. Der Name stiftet Sinn zum einen, indem er die Anbindung des Trägers an den Ursprung eines Geschlechts oder Stammes garantiert, in dessen Kontinuität er sich versteht. Er markiert zum andern Verwandtschaft und den Rang des Geblüts und macht damit soziales Prestige sichtbar. In diesem Sinn individualisiert der Name weniger, als daß er den Träger in einem familialen Zusammenhang verortet. Über die Ansippung an berühmte Geschlechter, erkennbar in den Namensformen, werden spezifische ›Geblütsqualitäten‹ vermittelt.33 Dem mittelalterlichen Adel gilt der Name mithin als ein komplexes Erkennungszeichen. Als Ginover sich nach Lancelots Namen erkundigt, bezieht sie sich außer auf seine Genealogie explizit auf die Motivierung der Namengebung: sie sprach, ›wer sin vater waere und von wannen er genant sy.‹34 Die essentielle Verbindung des Namens mit seinem Ursprung, seiner Verwandtschaft oder seinem Herkunftsort kann als mythisches Relikt bezeichnet werden und artikuliert sich in ganz unterschiedlichen Formen:35 in der Regel in der Anknüpfung an einen sozial herausgehobenen Stammvater (z. B. Kon-

29 Sonderegger, Die Bedeutsamkeit der Namen, S. 11–23. 30 Ebd., S. 17. So benennt die jüdische Tradition »nach Patriarchen und Stammvätern, an deren Stelle die Apostel als die neuen Stammväter des neuen Gottesvolkes treten, die hellenistische nach Heroen als Schützern und Wohltätern, vorwiegend ihrer Stadt [ ], und die römische nach dem Patronus als schützendem Herrn [ ].« Mitterauer, Ahnen und Heilige, S. 104. 31 Jarnut, Nobilis non vilis, S. 116–126. 32 Sonderegger, Die Bedeutsamkeit der Namen, S. 15. 33 Schmid, Geblüt, Herrschaft, S. 9–49, 14–22. »Jenen Namen, die weitergegeben wurden, kam eine bestimmte Qualität zu.« (13) 34 Prosa-Lancelot I, S. 133. 35 Zum mythischen Substrat vgl. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen II, S. 54; Lamping, Der Name in der Erzählung, S. 105.

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radiner) oder an einen Ort (Habsburger/Löwenstein), aber auch an ein besonderes Ereignis (Welfen).36 Neben historischen Faktoren schlagen sich weitere mythische Motive in der Namengebung nieder, wenn der Name über den genealogischen Zusammenhang hinaus auch eine besondere essentielle Beziehung zu seinem Träger ausdrückt. Mittelalterliche Adelsnamen sind ursprünglich in nicht geringem Umfang zweistämmig, deren Namenteile kriegerischen Sinn ausdrücken. Er ist vielfach nur noch dem Etymologen durchschaubar: Dietrich, Gunther, Guntram, Gernot, Walther, Siegfried etc. In den beiden Bestandteilen der drei Namen Heribrand, Hildebrand und Hadubrand, der Generationenfolge im Hildebrandslied, artikulieren sich sowohl ein genealogischer als auch ein kriegerischer Aspekt. Auch die Mensch-Tier-Verbindung schlägt sich in feudalen Benennungspraktiken »aus dem Sinnbezirk des Kriegerischen« nieder, die ihren Grund in einer zeitgenössischen kriegerischen Mentalität besitzen.37 Historische Forschung zur Namenkunde und zur Kultgemeinschaft hat nachweisen können, daß sich seit germanischer Zeit nicht nur eine Fülle von Einzelnamen auf Tierverbindungen zurückführen lassen (z. B. Eburhelm, Arhelm, Wolfhelm, Guntram),38 nicht nur Herrscherhäuser auf Tiernamen gründen wie die Welfen, sondern ganze germanische Stammesgenealogien, etwa diejenigen der Cherusker, Merowinger und Langobarden, von mythischen Tierverbindungen hergeleitet werden konnten.39 Das Tier markiert hier entweder einen mythisch gestützten Herrschaftsstatus oder potentiell animalische Eigenschaften des Namenträgers, letzteres ablesbar an den zahlreich belegten Komposita, die auf Tiereigenschaften verweisen: Eburwakar, Eburhart, Eburmuot.40 »Nicht nur die Metaphorik einer altertümlichen Dichtung 36 Das Memorialbedürfnis des Feudaladels schlägt sich historisch in Namenstiftungen (Burgen) und Gedenkbüchern nieder. Es sind überdies die Komposita von Orts- und Tiernamen, die historisch in adeligen Burgnamen auftauchen, die einen latenten Signalcharakter bewahren, z. B. Drachenfels, Falkenstein, Greifenstein, Löwenstein. Grupp, Kulturgeschichte II, S. 422. Vgl. die Grafen von Eberstein: z. B. Wolf von Eberstein. 37 »Immer wieder erscheinen die theriophoren Namenwörter gemeinsam mit Elementen, die entweder auf die Sphäre des Kriegerischen bezogen sind (Wörter für Kampf und Waffen usw.), oder auf Mut, Kraft, Stärke, Schnelligkeit und sonstige begehrte Eigenschaften des Mannes verweisen.« Müller, Germanische Tiersymbolik und Namengebung, S. 211; Naumann, Altgermanische Tiersymbolik, S. 49–76. 38 Höfler, Der Ursprung der Heraldik, S. 147ff.; Müller, Germanische Tiersymbolik und Namengebung, S. 1–17; Ders., Studien zu den theriophoren Personennamen, S. 178–195; Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen; Fenske, Jagd und Jäger, S. 48f. 39 Höfler, Der Ursprung der Heraldik, S. 147ff.; Hauck, Lebensnormen und Kulturmythen, S. 203–211; Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 35–40, 103–108. 40 Müller, Germanische Tiersymbolik und Namengebung, S. 207. Ein »identifizierender Bezug zwischen Mensch und Tier« scheint angedeutet zu werden. Ebd. Die theriophoren Appellativa wie Wolfhard, Bernhard, Eberhard oder Arnulf demonstrieren, »daß die entsprechenden Namen die Wolf-, Bären-, Eber- oder Adlerartigkeit ihrer Träger zum Ausdruck brachten.«

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hat auf die theriophoren Namen eingewirkt […].« »Das imitierte und verehrte Tier wird bildlich dargestellt als heraldisches, auf den Menschen bezogenes Signum, der Mensch selbst bezeichnet sich mit dem Namen des Tieres; Glaubensvorstellungen wie Verwandlungs- und Abstammungsmythen, Mythen über ein tierhaftes Leben nach dem Tode u. a. hängen eng mit der vom Menschen erstrebten Wesenaffinität mit dem Tier zusammen.«41 Diese zielgerichtete Funktionszuschreibung hat Beck denn auch bereits in einem frühen Zeugnis, einem Evangelienkommentar des 5./6. Jahrhunderts, nachgewiesen. Aus oppositioneller Warte beschreibt hier ein Kleriker befremdet die germanische Praxis der Namengebung und die mit ihr verbundenen Erwartungen: Und so pflegen auch die barbarischen Völker den Söhnen Namen zu geben mit Blick auf die Verwüstungskraft der Tiere, der wilden Tiere und der Raubvögel, und sie halten es für ruhmvoll, solche Söhne zu haben, die zum Krieg geeignet sind und wild im Blute rasen.42

Ein statistischer Überblick zeigt, daß »literarische Heldennamen […] im allgemeinen Gebrauch« waren.43 Solch germanisch-mythische Verbindung von Mensch und Tier im Heilsnamen endet nach Ausweis der Namenforschung mit der Durchsetzung des Christentums, das das germanische Namensystem einschneidend erfaßt und christlich umcodiert.44 Der theriophore Name verliert zunehmend an sozialer Repräsentanz. An seine Stelle tritt der theophore Name, der Heiligenname, der zum einen Aufforderung zur imitatio, zum andern aber selbst magisches Schutzmittel darstellt: »Ein magischer Glaube an die Wirkkraft heiliger Namen per se.«45 Neben die historische Bedeutsamkeit des Namens tritt eine aktuelle Form. Diese »Namenbedeutsamkeit ist die Summe der mit einem Namen verbundenen positiven, neutralen oder negativen Assoziationen, Vorstellungen und Müller, Germanische Tiersymbolik und Namengebung, S. 208; Müller, Studien zu den theriophoren Personennamen, S. 194. Bereits Prokop berichtet von einem Goten mit Namen ΟὐίσανδοϚ (→ Wilsstier/Wirant/Wisent/Wirnt), dessen Verhalten als »besonders wild und kampfeswütig geschildert wird.« Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 40; vgl. Naumann, Altgermanische Tiersymbolik, S. 50f. 41 Müller, Germanische Tiersymbolik und Namengebung, S. 217, 215. 42 sicut solent et barbarae gentes nomina filiis imponere ad devastationem respicientia bestiarum, ferarum, vel rapacium volucrum, gloriosum putantes filios tales habere, ad bellum idoneos, et insanientes in sanguinem. Opus imperfectum in Matthaeum, PG 56, Sp. 626; vgl. Beck, Ebersignum, S. 98f.; Müller, Germanische Tiersymbolik und Namengebung, S. 211. 43 Gillespie, Die Namengebung der deutschen Heldendichtung, S. 119f. Historische Namen wie Heinrich der Löwe, Albrecht der Bär oder Richard Löwenherz erfüllen primär eine politische Funktion, indem sie den herausgehobenen Status des Herrschers zusätzlich akzentuieren, und nur selten noch markieren sie wie im Fall der Welfen ein altes Geschlechtersymbol. Zu den Welfen vgl. Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 121f. 44 Ebd., S. 108–116. 45 Mitterauer, Ahnen und Heilige, S. 105.

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Gefühle,« gegenüber der statischen Bezeichnungsfunktion des Namens stellt »seine sich der Zeit und Umwelt ständig anpassende Bedeutsamkeit […] sein dynamisches Element dar.«46 Der Name des heroischen Subjekts bindet sich so nicht nur an die Vergangenheit, er schreibt sich auch in die Zukunft ein und sichert dem Subjekt Kontinuität nach vorn: »Adelig und nicht wertlos ist derjenige, dessen Namen und Geschlecht man kennt.«47 Name und Geschlecht fallen nach diesem Diktum offenbar nicht notwendig zusammen. Jörg Jarnut hat an dieser frühen Adelsdefinition Isidors von Sevilla auf den Leistungsaspekt des Namens verwiesen, der neben dem genealogischen sich behauptet.48 Im feudalen Ruhmstreben, wie es in historiographischer und epischer Inszenierung immer wieder zum Ausdruck kommt, wird solche symbolische Strategie greifbar: und dar nâch ân alle scham / unwandelbaere lebe mîn nam. / der hât zwîvaltige nôt / des nam blîbet mit dem lîbe tôt.49 Es ist der Iweinprolog, der sowohl die Bedeutung des Namens für den Feudaladel als auch die ethische Umcodierung bestätigt, wenn er von Artus konstatiert, daß dieser durch seinen Namen weiterlebe: ist im der lîp erstorben, / sô lebt doch iemer sîn name.50 Nicht aber die heroische Tat, vielmehr Tugend ist nunmehr die Basis sozialer Erinnerungswürdigkeit. Umgekehrt bedeutet der Umstand, über keinen Namen zu verfügen, soziale Statusminderung: […] wan ich enweiz wer ich bin. […] ich enweiz niht mînes namen, klagt Lanzelet gegenüber der Fee und motiviert so seinen Drang zum Aufbruch.51 Seinen Namen zu erfahren und sich einen Namen zu machen, scheinen elementare Aufgaben mittelalterlicher Helden zu sein: Parzival, Lanzelet. Offenbar ist es die Funktion literarischer memoria, archaische Formen der Benennung bisweilen aufzurufen und zu bewahren. Der Pfaffe Lamprecht verknüpft bekanntlich in seiner Adaptation des Alexanderstoffes antikes Schlachtgeschehen mit heldenepischer Erinnerung, die für Orts- und Personenerinnerung gleichermaßen Tiernamen abruft: Wolfenwerde bzw. Wolfwîn.52 In solchem Kontext ›sagenhistorischer‹ wie literarischer Stilisierung 46 Ebd., S. 16. 47 Nobilis non vilis, cuius nomen et genus scitur. Isidor von Sevilla, Etymologiae sive origines 1,X,184. 48 Jarnut, Nobilis non vilis, S. 116–126, 121f. 49 Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 5035–5038. Vgl. im keltischen Kulturrahmen: Ein Mann kann seinen Tod überleben, nicht aber seine Ehre, so Goll mac Morna in der Finnsage; zitiert nach Birkhan, Kelten, S. 951. 50 Hartmann von Aue, Iwein, V. 16f.; vgl. Debus, Namen in deutschen literarischen Texten des Mittelalters, S. 9. 51 Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet, V. 315/318. 52 man saget von dem sturm der ûf Wolfenwerde gescach, / dâ Hilten vater tôt gelach, […] iedoch ne mohte nechain sîn, / noch Herewîch noch Wolfwîn, / der der ie gevaht volcwîch / dem chunige Alexander gelîch. Lamprechts Alexander, V. 1321–1328; vgl. Straßburger Alexander, V. 1831, 1835; Minnis, Über die Hildestelle in Lamprechts ›Alexander‹, S. 47–70.

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bildet der theriophore Name ein rekurrentes Element adeliger Selbstdarstellung, wobei die literarische Inszenierung zwar an alte, historisch belegte Formen der Namengebung anknüpft, doch ihrerseits über einen zusätzlichen Zeichenwert verfügt.53 Im »Nibelungenlied«, das mit zunehmender Eskalation metaphorisch die Animalisierung der Protagonisten betreibt, erinnern Namen wie Wolfhart, Wolfwin und Wolfbrand sowohl an heldenepische Vorgaben wie auch an den potentiellen Zeichencharakter adeliger Denomination.54 Auch wird wohl nicht zufällig Wolfhart zum Prototyp einer heroischen Existenz stilisiert, markiert in Metaphorik und Namen gleichermaßen. In seiner Figur realisiert sich ein Grenzwert feudalen Ehrstrebens – sibi nomen facere – um den Preis eines geradezu herbeigesehnten heroischen Todes.55 Gewiß sind das nur isolierte Beispiele, doch stehen sie für den Befund, daß archaisch adeliges Kultursubstrat von Fall zu Fall abrufbar blieb. Es ist denn auch primär die Heldenepik, die eine solche memoria-Funktion erfüllt. Über diese Einspielungen von Tiernamen in Verbindung mit heroischer Haltung hinaus finden sich zwei Epen, in denen der Tiername des Protagonisten mehr als eine Reminiszenz darstellt, vielmehr eine übergeordnete Zeichenfunktion zum Ausdruck bringt. Es sind Texte, in denen der Name charakterisierende Funktion annimmt und auf eine tiefere, mythische Verbindung zu seinem Träger verweist.56 Wolfdietrich gerät in ganz unterschiedlichen Situationstypen als Kind in eine Gruppe von Wölfen und erhält daher einen Namen, der väterliche Genealogie (Hugdietrich) und Tierzeichen miteinander verbindet. In Fassung B wird der Säugling von einem Wolf in das Wolfsnest entführt, überlebt aber, da die Jungen noch blind sind. Anläßlich einer Jagd wird das Kind von den Jägern des Königs befreit, als Sensation an den Königshof gebracht und versorgt. Alsô dô daz kindel wart ûz dem toufe erhaben, dô schepft man im ein namen, der volgte im hin ze grabe: Wolf bî Dietriche, der name wart wîte erkant. dô hiez er Wolfdietrich, ein hêrre übr alliu lant.57

53 Mehr noch als in der Realität ist der literarische Name an seine Figur gebunden, so daß hier in besonderer Weise vom mythischen Gehalt des Namens, besonders des charakterisierenden Namens gesprochen werden kann. Lamping, Der Name in der Erzählung, S. 105–124, 106f. 54 Nibelungenlied, Str. 2259–2261; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 447–450. 55 Grimm, Die mythische Bedeutung des Wolfes, S. 206. Zur Reminiszenz an archaische Wolfsnamen vgl. Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 45; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 188. Zum Ethos des sibi nomen facere vgl. Otto von Freising, Gesta Frederici III,42. 56 Zur mythischen Funktion charakterisierender Namen vgl. Lamping, Der Name in der Erzählung, S. 106–108. 57 Wolfdietrich B, Str. 175.

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Seinen Schwiegersohn klärt der König später genauer über das Motiv der Namengebung auf. Auf dessen Frage nach dem Namen – ›Sît ez die wilden wolve heten in den berc getragen, / wie mac es danne heizen?‹ –, antwortet der König: ›ez heizet Wolfdietrîch, durch daz manz bî den wolven vant‹58 Die zufällige Begegnung – Kontiguität – mit der wilden Tierwelt schreibt sich in den Namen des Helden ein und wird zur Chiffre seines zukünftigen Ruhms. Es verweist auf die zusätzliche Aktivierung mythischer Nähe zum Tier, wenn der Held Wolfdietrich in der ältesten, nur fragmentarisch überlieferten Fassung C nicht nur in ein Wolfsnest verschleppt, sondern dort von der Wölfin auch ernährt wird: Mit wilder nâtûre spîstens den degen hie.59 Hier findet die Namengebung ihr substantielles Fundament, indem die Tiereigenschaften direkt auf den Helden übertragen werden: Die kulturelle Funktion des Namens geht in eine natürliche über. Je nach Fassung (B/C) leitet sich der Zeichenwert des Tiernamens aus unterschiedlicher Nähe zum Tier ab und gerät in den alternativen Entwürfen (A/B/C) letztlich in die Konkurrenz feudaler und kirchlicher Deutungskompetenzen.60 Für den Moment genügt es, darauf zu verweisen, daß die Namengebung des Protagonisten selbst zum Gegenstand literarischer Reflexion wird. Das betrifft in besonderer Weise den höfischen Ritter Iwein, der im Laufe seiner Reintegration in die Gesellschaft vorübergehend seinen Eigennamen durch einen Tiernamen ersetzt. An Iwein wird die komplexe Funktion des Namens in der Adelskultur in besonderer Weise sichtbar. Iweins »guter Name« bezeichnet sein Renommee, d. h. die Bedeutsamkeit seines Namens resultiert aus seiner exklusiven sozialen Integration in eine königliche Genealogie einerseits und andererseits in die Artusgemeinschaft.61 In Iweins gutem Namen verbinden sich mithin ererbte und leistungsspezifische Faktoren. So ist Iwein Laudine bekannt: ja mir ist kunt / sîn name nû vor maneger stunt / er ist sun des kûnec Urjênes.62 Als der Ritter nach seinem Treuebruch in soziale Ächtung gerät, verschweigt er in der zweiten Aventiuresequenz seinen Namen und zieht incognito seines Weges. Unterwegs rettet er einem Löwen das Leben, gewinnt ihn als Begleiter und nimmt schließlich diesen öffentlich in seinen Namen auf. Laudine gegenüber, die ihn in der Zwischeneinkehr nicht erkennt, äußert er auf die Frage nach seinem Namen: ich wil sîn erkant / bî mînem lewen der mit mir vert. […] îch heize der rîter mit-

58 Ebd., Str. 225. 59 Wolfdietrich C, II,16. Zur mythischen Funktion des Namens vgl. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen II, S. 54f. 60 Vgl. Kapitel IV,2 zum Wolfdietrich. 61 Zu Yvains/Iweins »gutem Namen« vgl. Duggan, Yvain’s Good Name, S. 112–129; Wandhoff, Iweins guter Name, S. 11–126. 62 Hartmann von Aue, Iwein, V. 2109ff.

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tem leun.63 Aus der Perspektive personaler Identität markiert das Annehmen eines neuen Namens einen völligen Wandel der Persönlichkeit, eine Hinwendung auf neue Ziele und Erfordernisse.64 Iwein ersetzt denn auch den Namen ererbten und erworbenen Renommees durch eine Art ›heraldischen Namen‹, dem er in der Folge Ehre macht. »Es entsteht eine fama vom ritter, der des lewen pflac, die besonders durch das spektakuläre Auftreten des Löwen überall in guter Erinnerung bleibt.«65 So erhält der namelôse von seiner Umgebung den heraldischen Namen zugewiesen: ern ist mir anders niht erkant / wan daz er einen lewen hât.66 Die Adaptation des traditionellen heraldischen Zeichens wird indes zusätzlich moralisch gewendet: Der Löwe steht weniger als Signatur für Iweins heroische Leistung als für soziale Werte. In der Ökonomie der Ehre, der Basis sozialer Kommunikation nicht nur in der Feudalgesellschaft, kommt dem Namen zentrale Bedeutung zu. Die Umcodierung der Ehre von einer individuellen Leistungsethik hin zu einer sozialen Dienstethik ist noch am Namenwechsel und seiner Symbolisierung ablesbar.67 Dennoch verhandelt der Text in der Signatur des Löwenritters zugleich die Grenzen der Animalität des Adels.68 Gerade weil im Rahmen des Feudalsystems der Name eine besondere Markierung sozialer Geltung bildet, kann er durch unterschiedliche semantische Größen wie Genealogie, Herkunftsraum (Burgen), Taten, aber auch durch Tiere geadelt werden.

1.3 Heraldik Die Verbindung von Adel und Tier wird darüber hinaus in der Heraldik evident, denn mehr noch als der Name ist das Wappen ein Ort zeichenhafter Einschreibung.69 Die Heraldik hat zahllose Fälle von Tierchiffren nachgewiesen, vor allem Löwen, Adler, Pferde und Eber bilden historisch bevorzugte Objekte adeliger Identifikation. Über Ursprung und Funktion der Wap63 Ebd., V. 5496ff. 64 Sonderegger, Die Bedeutsamkeit der Namen, S. 18f. 65 Wandhoff, Iweins guter Name, S. 123. 66 Hartmann von Aue, Iwein, V. 5465, 5824f., 5950f., vgl. 7762f. Auch der Erzähler nennt ihn wiederholt den rîter mittem leun. V. 6257, 6109. Vgl. Wells, Die Ikonographie von Daniel IV, S. 43f. 67 Zur Ökonomie der Ehre im Iwein vgl. Vogt, Ehre in traditionalen und modernen Gesellschaften, S. 297–305. 68 Hartmann von Aue, Iwein; vgl. Vance, From Topic to Tale, S. 80–108. Vgl. Kapitel IV,4 zum Iwein. 69 Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 58–80; Zips, Das Wappenwesen; Fenske, Adel und Rittertum, S. 75–160; Scheibelreiter, Wappen und adeliges Selbstverständnis, S. 7–27. Vgl. den Band Wappen als Zeichen.

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pen wird innerhalb der Heraldikforschung heftig gestritten.70 Nachgewiesen ist ein germanischer Kultzusammenhang in der Verwendung von Tierzeichen, der indes im Verlauf der Christianisierung einem Prozeß der Verdrängung bzw. der Übercodierung ausgesetzt ist.71 Gleichermaßen sicher scheint zu sein, daß seit dem 12. Jahrhundert eine Renaissance und Umbesetzung des Wappenwesens einsetzt, die mit militärischen (Rüstung/Helm) und institutionellen (Geschlechterwappen) Veränderungen einhergeht und Erkennbarkeit durch Zeichen neu funktionalisiert.72 Wie in den zwei Körpern des Königs kommt im Wappen als »Zweitkörper« eine ihrem Träger gegenüber überzeitliche Komponente ins Spiel: das Wappen als institutionelles und genealogisches Zeichen, das sich vor die Person schiebt und sie in einen sozialen Zusammenhang einbindet.73 Wie der Name wird das Wappen zum Medium einer kollektiven Herkunftsbestimmung. Unabhängig von der Diskussion über die Ursprünge der Heraldik, die umfangreiche Manifestation von Tierzeichen auf Sigeln, Waffen und Fahnen ist historisch zuverlässig dokumentiert.74 Im letzten Drittel des 12. Jahrhunderts nahm das Löwenwappen zum einen sichtbar zu, zum andern war die »frühe Heraldik auf deutschem Boden […] weitüberwiegend eine Tierheraldik«, so daß auch bei den »nichtreichsfürstlichen Adelssigeln ein deutliches Übergewicht heraldisch stilisierter Tierbilder« feststellbar war.75 Doch bei aller institutionellen und taktischen Funktionalisierung bleibt noch im 13. Jahrhundert das Moment der ethischen Zuschreibung, die vom Tier auf den Träger weist, virulent: ane wafen und ane gwant / wirt daz herze diche erchant.76 Das Wappen erfüllt gerade in Verbindung mit der Waffe eine zusätzliche mythische Funktion. Das heraldische Zeichen indes wird weitgehend im Raum des Imaginären mit mythischem Sinn aufgeladen, d. h. in epischen Situationen, die repräsentative Aufzüge oder Kriegshandlungen bieten. Rüstungen und Schwerter besitzen in der Heldenepik mitunter eine Art Eigenleben und erhalten ihre besondere Qualität nicht nur durch herausragende Produzenten wie Götter 70 Vgl. den Forschungsüberblick bei Kittel, Wappentheorien, S. 18–26, 53–59. 71 Höfler, Der Ursprung der Heraldik, S. 134–200; Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 120f. 72 Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 9–21. 73 Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs, S. 64–81; Seitter, Das Wappen als Zweitkörper und Körperzeichen, S. 302f.; Belting, Bild-Anthropologie, S. 117f., 120f. 74 Ebd., S. 117–134. 75 Fenske, Adel und Rittertum, S. 97f, 103. 76 Thomasin von Zerclaere, Der welsche Gast, V. 10441f. Der wechselseitige Verweis von äußerer Erscheinung und innerem Wesen gilt für Thomasin auch für den Bereich der Heraldik: fuer war, ich ez iu sagen wil, / daz man uzerhalben siht, / daz ist ane bezeichenunge niht, / wan ez bezeichent zaller vrist, / daz ouch innerthalben ist. Ebd., V. 10436–10440; Schouwink, Der wilde Eber, S. 46–52.

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und Zwerge, sondern auch durch ihre Träger.77 Die Beziehung zwischen Ritter und Waffe ist mehr als nur eine technische. Wie aber Schwerter mythische Namen erhalten, so Schilde animalische Signaturen. Gerade die Heldenepik hebt diesen Verweisungszusammenhang stereotyp hervor, und selbst einzelne höfische Autoren wie etwa Wolfram entwerfen bekanntlich komplexe Wappenprogramme.78 Vor allem Schilde bieten ein ganzes Arsenal an Zeichen, die auf technische wie symbolische Effekte angelegt zu sein scheinen. In diesem Kontext besitzen Tiere einen zentralen Platz, und vielleicht läßt sich die These wagen, daß die Codierung der Waffen durch Tiere dem Adel eine überlegene Natur- und damit Herrschaftsqualität attestiert, die gewissermaßen das natürliche Pendant zur genealogischen Selbstvergewisserung bildet. Das Tier wäre Zeichen einer kollektiven Standesmarkierung, die wie die Genealogie einen überpersönlichen Sinnhorizont konstituiert, an dem der einzelne in den Schlachten in actu Teil hat. Die Schlachten und Zweikämpfe, die in den Epen immer wieder narrativ entfaltet werden und dem Adeligen die natürliche Basis seines Machtanspruchs vor Augen führen, wären der Ort, an dem die Repräsentation hinter die Präsenz der animalischen Gewalt wieder zurücktritt: erneut also ein mythisches Element. Der Schild ist für den Ritter die privilegierte Fläche genealogischer, affektiver, ästhetischer und ideologischer Einschreibungen, zu denen für den Herrscher noch die politische tritt.79 Durch Tierzeichen läßt sich daher sowohl das herrschaftliche wie auch das heroische Selbstverständnis des Kämpfenden ausdrücken. Dietrich von Bern vuort an sînem schilte / ein löuwen, was von golde rôt, wobei im Löwenwappen herrschaftliche und heroische Dimension zusammentreffen. Ebenso führen Eneas und Roland den Löwen, letzterer zudem noch zusätzlich einen Drachen auf der Brust und unterschiedliche Tiere auf der Fahne.80 Christen 77 Müller, Woran erkennt man einander im Heldenepos?, S. 105–107 (zum Eckenlied). 78 Z. B. Wolfram von Eschenbach und Konrad von Würzburg. Zum heraldischen Bildinventar vgl. die Auflistungen bei Zips, Waffenkunde, S. 10–13, 64–90. Hartmann, Heraldische Motive, S. 157–181. 79 Gahmuret läßt dez pantel, daz sîn vater truoc, / von zoble ûf sînen schilt schlagen. Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 101,7f. Ebenso trägt Aventinus im Eneasroman den Löwen als Memorialzeichen. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 5054f. Lanzelet trägt nicht nur einen Adler auf dem Schild, sondern er hat auch den rant mit zobele bedaht. Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet, V. 370–374. Gawein schlägt den Ärmel Obilots als Minnezeichen auf einen seiner drei Schilde. Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 375,22f. Vgl. Zips, Wappenwesen, S. 94ff. Zur politischen Funktion vgl. Walther 12,24–26: ir tragt zwei keisers ellen, / des aren tugent, des lewen kraft: / die sint des hêrren zeichen an dem schilte. Zur politischen Funktion vgl. Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 17, 19. 80 Eckenlied, Str. 57; Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 5798f. […] ain lewen furt er an sinem schilte. Rolandslied, V. 3986. Vgl. V. 3284–3287, 3326–3328. Vgl. […] Certamina prima / Fronte gerunt aquile, et rapidis se rictibus urgent / Anteriore loco; species uos alitis equet, / Aduerso nullam metuentes corpore plagam. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum II, S. 60.

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und Heiden teilen diese Form feudaler Heraldik gleichermaßen. So etwa der Heide Falsaron im »Rolandslied«: ain guldinen aren / furt er an deme schilte.81 Gerade im Kreuzzugsepos aber zeigt sich eine Konkurrenz der Bildprogramme. Wenn neben die heroische Semantik die christlich-allegorische tritt,82 können verschiedene Zeichenfunktionen des Wappentiers (heroisch/ allegorisch) sich überlagern, etwa in der spannungsgeladenen Bezugnahme auf christliche Bildhorizonte (Löwe-Roland-Drache): der Löwe als Symbol der Macht und als Zeichen des miles Christi, der negativ stigmatisierte Drache als Zeichen des christlichen Heros.83 Repräsentiert Eneas den heroischen und politischen Typus, so Roland den heroischen und christlichen. Die heraldische Zeichenebene wird selbst zum Ort ideologischer Rivalität. Heraldisches Zeichen und Heros stehen in einer essentiellen Verbindung, das Zeichen verweist auf die Tugenden des Kriegers. Der Stricker entfaltet diesen Zusammenhang in seiner Bearbeitung des »Rolandsliedes«, dort heißt es über Rolands Schild: Ruolant der degen milte, der fuorte an sînem schilte. einen erhaben lewen von golde, den er ze rehte füeren solde. der lewe wart sô grimme nie, so ez Ruoland an die nôt gie, ern hete im wol gelîchen muot. Ruoland tet als der lewe tuot: swie vil der lewe tier siht, diene fürhtet er mit alle niht. swie vil der heiden waere, Ruolant was âne swaere.84

Der Stricker expliziert einen Zusammenhang, den der Pfaffe Konrad voraussetzt: Waffe, heraldisches Zeichen und Heros bilden eine Einheit und teilen wesentliche Eigenschaften. In jedem Fall steuert das abgebildete Raubtier die Selbstwahrnehmung der adeligen Krieger, ihr Ich-Ideal.85 Der Adel entwirft 81 Rolandslied, V. 4220f. 82 Das Eberwappen des heidnischen Königs Estorgant kann auch allegorisch aufgefaßt werden. Ebd., V. 4878f.; vgl. Beck, Ebersignum, S. 135. 83 Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 120. In der Kaiserchronik wird das heroische Zeichen politisch übercodiert. Der junge Titus reitet in vorderster Front und vuort ainen gruonen van, / mit golde was geworht dar an / ain eber wilde / in wunderlîchem pilde. / der selbe eber zehen horn truoc, / mit den er sîne vîande nider sluoc. / wol bezaichenet uns daz eberswîn, / daz daz rîche ze Rôme sol vor den andern sîn. Kaiserchronik, V. 5263–5270. 84 Stricker, Karl der Große, V. 4925–4936. 85 Zum vorchristlichen Symbolwert der Heraldik, etwa der Eberheraldik, Höffler, Der Ursprung der Heraldik, S. 134–200; vgl. Schouwink, Der wilde Eber, S. 47.

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im heraldischen Zeichen ein wildes, Gewalt suggerierendes Bild seiner selbst, durch das Statuspositionen markiert werden.86 Über die heraldische Signatur verschmilzt der Ritter mit seinem Instrumentarium, mit Waffe und Pferd. Zunächst rein farblich, wenn etwa Parzival, Erec und Wigalois jeweils roten Rittern begegnen, die eine Symbiose von Mensch, Tier und Technik suggerieren.87 Zahlreicher aber sind die Fälle, in denen sich Tiere als heraldische Signatur einschreiben, wie bei Orilus, dessen Helm, Schild und Pferdedecke mit Drachen besetzt sind.88 Die heraldischen Zeichen sind aber nicht nur sichtbar, sondern sind bisweilen als Namenschiffre Bestandteil ritterlichen Ruhms: ern ist mir anders niht erkant / wan daz er einen lewen hât, heißt es von Iwein; Ither, den rôten rîter man in hiez, oder von Orilus, der trouc den serpant, schließlich: Weygamur mit dem arn.89 Die Schildbeschreibungen können ihrerseits den Zeichencharakter betonen und den Zusammenhang mit dem Selbstbild des Ritters explizieren, wie etwa in der »Crône«, wo es von Galaâs heißt: Er vuorte ûf sînem schilde / Von swarz ein rûhe bern klâ / […] Dâ bî man wizzen solde / Daz er was wilder denne ein ber.90 Sichtbar werden die Eigenschaften von Tier und Ritter im Tierzeichen positiv korreliert, indem das heraldische Bild nicht nur zum Erkennungs-,91 sondern auch zum Charakterzeichen des Ritters wird.92 Zwischen Hector und seinem Wappentier sieht der Erzähler in Konrads von 86 So im Fall des Gefolgsmannes Heinrichs VI., Diepold von Schwainspoint, in der Chronik des Petrus von Ebulo (um 1195). Höfler, Der Ursprung der Heraldik, S. 138–140; Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 124f. 87 sîn ros was grôz unde hô, / starc rôt zundervar. / der varwe was sîn schilt gar: / sîn wâpenroc alsam was, / er selbe rôt, als ich ez las, / gewâfent nâch sînem muote. Hartmann von Aue, Erec, V. 9015–9020. Vgl.: ez was Ithêr von Gaheviez: / den rôten rîter man in hiez. Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 145,15f. Vgl. bis 146,2. der was dâ bî wol bekant: / sîn wâfen daz was allez rôt. Wirnt von Grafenberg, Wigalois, V. 2996f. 88 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 262,4–13; 276,13. Zu weiteren Belegen (Gahmuret, Garel, Walberan) vgl. Zips, Wappenwesen, S. 69, 105, 117. In Konrads von Würzburg »Trojanerkrieg« findet das Löwenwappen auf dem Schild des Paris seine plastische Verlängerung im Helm: er hete ûf sînen helm gemaht / nâch sînes schiltes wâpen / die schenkel mit den tâpen / eins löuwen, den er drûfe truoc, / der stuonden zwêne schône gnuoc / geschrenket drûf in kriuze wîs […]. Trojanerkrieg, V. 33098–33103. 89 Hartmann von Aue, Iwein, V. 5824f.; Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 145,16; 276,10; Wigamur, V. 3884; Müller, Woran erkennt man einander im Heldenepos?, S. 94; Obermeier, Löwe, Adler, Bock, S. 130–132. 90 Heinrîch von dem Türlîn, Diu Crône, V. 9812–9817. 91 »ich kenn dich by dem l wen rot, / der an dinem schilt gemalot stat«; spricht der wilde Mann zu Dietrich. Riese Sigenot, Str. 65. Prothenor und Archelaus führen einen schwarzen Steinbock im Wappen: der was ir zeichen ie gesîn. Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 25489. Vgl.: nû daz in Hector hete ersehen / und bî dem schilte erkennet. Ebd., V. 26020f. Im »Carmen de rebus Siculis« des Petrus von Ebulo (1195) trägt der Ritter Diebold von Schweinspoint ein Eberwappen. Schouwink, Der wilde Eber, S. 46. 92 Kittel, Wappentheorien, S. 57.

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Würzburg »Trojanerkrieg« direkte Verbindungen: daz er den löuwen fuorte, / daz was im wol gemaeze. / so frech und also raeze / wart nie grimmer löuwe als er, / swenn er mit vientlicher ger / uf sine widersacher fuor.93 Die heraldische Wahl wird literarisch sogar als Programm einer biographisch verankerten Gewaltdemonstration greifbar, wenn Wolfdietrich nur das widerständigste Tier als würdig erachtet, seine heraldische Selbstdarstellung zu illustrieren: swelch sich wert aller lengist, des sigel wil ich tragen.94 Was immer Wappen in ihrer vorinstitutionellen Funktion bedeuten mögen, ob sie eine »mediale Erweiterung des Herrschers im Raum« repräsentieren oder die Trennung von physischer und juristischer Person markieren,95 in Verbindung mit der Waffe bleiben sie an den Körper des Kämpfenden und damit an die Person gebunden und garantieren eine besondere Form von ›Lesbarkeit des adeligen Körpers‹ bereits auf der Ebene der vorgelagerten Waffe.96 Denn die Waffe selbst wird innerhalb der Literatur zur Vermittlungsinstanz animalischer Qualitäten, in ihr fließen zum einen das animalische Potential des heroischen Kämpfers, zum andern die Imprägnierung durch das Tier-Zeichen zusammen.97 Wenn auch die Frage, ob die Waffe bereits durch die animalische Signatur einen magischen Schutz erhält, offen gelassen werden muß, so scheint ihr Zeichen nach den Selbstaussagen der Texte auf Spiegelung und Wirkung zumindest angelegt zu sein.

1.4 Waffenmythologie Rekurrentes Kennzeichen heraldischer Signatur ist die mimetische Wirkung des repräsentierten Raubtiers, die naturgetreue Zeichnung, die fast stereotyp hervorgehoben wird. Die optische Mimesis kann darüber hinaus durch akustische Mittel gesteigert werden und besonderen Schrecken hervorrufen. Ein signifikantes Beispiel bildet gewiß der Schild Gasozeins: Ein wâfen vuort der recke Âne valsch von lasûre, Und ein lewen, sam in natûre Dar ûf geworht het von golde, 93 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 25970–25975. 94 Wolfdietrich A, Str. 425,4. 95 Wenzel, Hören und Sehen (1995), S. 136–138; Seitter, Das Wappen als Zweitkörper und Körperzeichen, S. 299–312. 96 wie rehte sîn schilt ze aller zît / an sîner stat gelîmet lît! heißt es vom Schild Riwalîns. Gottfried von Straßburg, Tristan, V. 709f. »Zur Lesbarkeit von Körperzeichen in der höfischen Literatur« vgl. Wenzel, Hören und Sehen (1994), S. 197f. 97 Zum magisch-mythischen Übertragungsmechanismus vgl. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen II, S. 51–53, 56f.

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Mit gebaeren, sam er wolde Die werlt gar verslinden, Und von den widerwinden Gap er von listen einen dôz, Des stimme was ze mâzen grôz, Sam er lebte und schriwe dâ, Und hete lange scharpfe klâ, Ze mâzen verre ûz gezogen, Und het sich ûf diu bein gesmogen, Reht sam er stüende ze sprunge, Und vuor ime diu zunge Enwâge in der chewen;98

Deutlich wird hier im Bild der Waffe ein Grenzfall von Repräsentation thematisiert, das Bemühen, die mimetische Repräsentation weiter an die Realität heranzuführen. Mimesis als höchste Leistung der Kunst zielt mit Hilfe der Natur selbst (sam in natûre […] geworht het) schon hier über ihre reine Repräsentation hinaus und produziert zusätzliche akustische Effekte.99 Die größtmögliche Mimesis wird indes überboten durch die direkte Teilhabe. Aventinus, im »Eneasroman« der Sohn des Herkules, trägt programmatisch die Ruhmestat seines Vaters als heraldisches Zeichen, indem das Tier selbst in die Waffe integriert wird und dadurch die reine Repräsentation überschreitet: er hete eines lewen hut / gemachet ze sinem schilte.100 Die Waffe leistet hier eine analoge Funktion wie der genealogische Name. Und wenn der Zwerg Karrioz im »Wigalois« als Signum seiner wilden Herkunft mütterlicherseits (wildez wîp) nicht nur einen rauhen und starken Körper besitzt, sondern auch an im eines lewen hût / ob einem halsberge wîz trägt, transportiert die Signatur der Waffe seinen heroischen Ruhm: den lewen vienc er âne wer / und sluoc in mit nacter hant; / bî der hût was daz bekant / die er dâ ze kleide truoc, / daz er den lewen eine sluoc.101 Der Streit um die kultisch-magische oder rein differentielle Funktion der Zeichen, die anhand der Wappenbilder so unversöhnlich ausgetragen wird, kann auch hier zunächst offen gelassen werden. Beide Waffen haben neben ihrer technischen und ästheti98 Heinrîch von dem Türlîn, Diu Crône, V. 10542–10557; Hartmann, Grundformen literarischer Heraldik, S. 43f. 99 Andere Belege zur imitatio naturae innerhalb der Heraldik bei Zips, Wappenwesen, S. 77–79, 543ff. Die Überlegenheit der Natur gegenüber der Kunst (Technik) wird auch auf anderen Gebieten immer wieder hervorgehoben. Vgl. Schwietering, Natur und art, S. 134; vgl. Bertelloni, Natur in den »Commentarii in Libros Polticorum« des Albertus Magnus, S. 697f. 100 Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 5054–5059. Und offenbar scheint auch der Schild des Turnus kunstvoll überzogen zu sein: er was mit solhen sinnen / beh*tet vnd gebunden. Ebd., V. 12342f. 101 Wirnt von Grafenberg, Wigalois, V. 6578f., 6610–6614; Schmitt, Riesen und Zwerge, S. 373.

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schen Funktion vor allem Memorialcharakter, im ersten Fall genealogischen, im zweiten heroischen. In beiden aber wird das Tier selbst zum Bestandteil der Waffe. Eine Sonderform heraldischer Signatur kann als eingelagerte Heraldik bezeichnet werden. Indizien für eine intensive metonymische Verbindung von Waffe und Tier liefern primär literarische Texte. Parzivals orientalischer Bruder Feirefiz trägt einen Waffenrock aus Salamanderstoff, der ihn gegen Feuer schützt, und der heidnische König Purrel im »Willehalm« besitzt gar Rüstung, Schild und Helm, die durch seltene Tierhäute imprägniert sind.102 Die überlegene Verbindung von Waffentechnik und natürlich fundierter Panzerung ist vor allem Bestandteil des exponierten heldenepischen Waffenmythos, speziell solcher Waffen, die von Sonderwesen wie Riesen und Zwergen getragen werden. Laurins brünne was unmâzen guot, / si was gehert in trachenbluot, / von golde gap si liehten schîn.103 Der »Walberan« liefert zur Beschreibung der Rüstung gar eine explikative Passage über die Wirkkraft von Salamanderblut. Das nur schwer auffindbare Tier aus Armenien kann allein mit Hilfe seines eigenen Blutes überwunden werden.104 König Walberans Rüstung trägt denn auch nicht nur die charakteristische grüne Farbe des Tiers (dâ von sîn wâfen allez was), sie gibt nicht nur einen hellen Glanz von sich, sie ist überdies offenbar ein verläßlicher natürlicher Schutz gegenüber aller Waffentechnik: daz wâfen dorft nie keines smit.105 Das goldene Netz und der goldene Helm ebenso wie das indische Schwert sind gleichfalls durch Salamanderblut imprägniert: gehertet in des tieres bluot.106 Noch Konrad von Würzburg greift im »Trojanerkrieg« auf dieses Phantasma einer technisch-animalischen Symbiose zurück. Im Kampf um den schönen Knaben Paris treten Peleus auf Seiten der Götter und Hector für die Trojaner zum Entscheidungskampf an. Beide besitzen besondere Rüstungen: Hector trägt eine blaten drobe, / diu was gesniten wol ze lobe / ûz eines kocatrillen hût, eine Rüstung, die offenbar alle Nachteile herkömmlicher Rüstungstechnik durch Beweglichkeit – si was linde unde weich – und Undurchdringlich102 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 756,30; 757,1–5; 812,19–23. Purrel, der künec rîche, / was gewâpent wunderlîche. / sîn halsberc einer hiute was, / der hâr schein grüener dan daz gras / daz stêt bî der wisen zûne. / der wurm hiez neitûne, / dâ diu hût was ab geschunden: / diu was sô hert ervunden / in gelîcher art dem adamas. / ein schilt ouch drûz gemachet was, / an allen orten veste, […]. Wolfram von Eschenbach, Willehalm, V. 425,25–426,5; vgl. bis 426,20. 103 Laurin, V. 185–187. Auch Eckes Rüstung ist daher gehert in traken bluote. Eckenlied, Str. 24. 104 wan das bluot hât den site, / swenn man wâfen hert dâ mite, / daz wirt sô herte und sô starc / daz ez nieman gewinnen mac. Walberan, V. 787–790; Zips, Wappenwesen, S. 44. 105 Walberan, V. 792, 798. 106 Ebd., V. 805, 823, 878. Zu den historischen technischen Hintergründen vgl. Ploss, Wielands Schwert und die alte Stahlhärtung, S. 110–128; vgl. Ders., Drachenblut und sympathetische Kräfte, S. 35–42; vgl. Hils, Von dem herten, S. 62–75.

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keit übertrifft: wan des kocatrillen vel / kein wâfen kan versnîden.107 Peleus dagegen hat den Vorteil, eine Rüstung zu besitzen, die Vulcanus eigenhändig hergestellt hat: der was ein meister aller smide. / in eines tracken unslide / gemischet mit der gallen / und ob der glüete erwallen / gehertet daz gesmîde was.108 Direkte äußerliche Nutzung animalischer Ressourcen und technische Verarbeitung stehen sich gegenüber. Indem Konrad nachdrücklich die technische Qualität beider Rüstungen hervorhebt, die optimale Verbindung von fester Tierhaut und eisernem Panzer, arbeitet er einer Mythisierung feudaler Waffentechnik vor, die die Qualität der Waffe an die Natur rückbindet. All das ist aus der Sicht der Texte zunächst ganz konkret zu verstehen. Über und in die Technik der Rüstung legt sich ein festerer und verläßlicher animalischer Firnis. Gegenüber der Repräsentationsheraldik, die mehr ikonisch animalische Anlagen exponiert, wird hier die Möglichkeit entworfen, sich die Kräfte des Tiers direkt, aber doch noch vermittelt über die Rüstung, anzueignen. Neben die antike und die christliche Waffenmetaphysik, wie sie sich etwa in Vulcanus’ Rüstung einerseits und in Rolands Schwert mit seinen Reliquien andererseits artikuliert, tritt eine dritte, die auf ›natürliche‹ Grundlagen zurückgeführt wird.109 Anläßlich der extensiven Waffenbeschreibungen beziehen die einzelnen Texte offenbar Stellung in der Rivalität technischer, mythischer und metaphysischer Waffenproduktion.110 Der Ursprung der natürlichen ›Qualitätssteigerung‹ ist gewiß gattungsbedingt, primär heldenepisch, doch wirkt ihre Faszination offenbar nicht nur bis in den höfischen Roman hinein, sondern affiziert selbst die Historiographie. Emil Ploss, der den realhistorischen Hintergrund solcher Art von Qualitätssteigerung nachzuweisen suchte, hat verschiedene historische Belege zusammengetragen, von denen derjenige eines Kölner Annalisten besagt, Kaiser Heinrich V. habe 1114 für den Sachsenkrieg Reiter mit Hornpanzern ausstatten lassen.111 107 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 3711–3714, 3717, 3726f. 108 Ebd., V. 3803–3807. 109 Der halsperge was des gůt / daz der man drinne was behůt / for aller slahte wnden / daz ern an deme libe trůch. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 5671–5675. Zu Rolands Schwert vgl. Rolandslied, V. 6825–6880. 110 Das »Rolandslied« feiert Geneluns Schwert durch den Hinweis auf einen berühmten Regensburger Schmied. Rolandslied, V. 1597–1609. Nach Heinrich von Veldeke scheint das Schwert des Eneas, das von Vulcanus geschmiedet wurde, offenbar die bekannten Schwerter der Heldenepik (Eckes, Miminks, Nagelrinks, Oliviers und Rolands) zu übertreffen. Eneasroman, V. 5726–5735. Wigalois, seinerseits mit christlich-mythischen Waffen ausgerüstet, verweigert einen schilt von eines grîfen klâ und eine undurchdringliche Rüstung, die von einem Zwerg stammt. Wirnt von Grafenberg, Wigalois, V. 6158, 6066ff. Naturmythische, mythologische und christliche Waffen stehen sichtbar in Konkurrenz. 111 Erat autem in exercitu imperatoris quedam legio, que loricis corneis, ferro inpenetrabilibus utebatur. Recensio II der Annales Colonienses maximi, MGH SS 17, S. 750,16ff. Zitiert nach Ploss, Siegfried-Sigurd, S. 8.

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Zumindest in Ansätzen ging die animalische Imprägnierung der Waffen über die rein literarische Funktionalisierung hinaus.112 Vor allem aber erhält diese Form von Symbiose vor der Folie konkurrierender Kulturauffassungen ein signifikantes Profil. Anthropologische Entwürfe, etwa die eines Plinius d. Ä., beschreiben seit der Antike den Menschen als Mängelwesen, das gegenüber den Tieren seine defizitäre Ausstattung durch Instrumente kompensieren muß. Bei Galen wird bekanntlich die unspezifische Ausstattung des Menschen geradezu zum Kennzeichen einer Privilegierung, indem dieser sich gegenüber dem Tier über Technik definiert: »Er ist also nicht in allen Hülfsmitteln entblößt, noch ganz wehrlos, oder jeder Fußbedeckung entbehrend. Er hat vielmehr, so bald er will, an seinem eisernen Harnisch eine undurchdringlichere Rüstung, als irgend eine Thierhaut.«113 Solch technische Distanznahme zum Tier wirkt bis in die mittelalterlichen Entwürfe von Kulturentstehung hinein,114 und ihnen gegenüber bildet die beschriebene feudale Position eine direkte Umkehrung. Vielleicht kommt im Kampf des Ritters gegen Riesen als Repräsentanten kruder Gewaltethik dieser technische Aspekt noch paradigmatisch zum Ausdruck. Erecs riesenhafte Gegner, das registriert der Erzähler aufmerksam, besitzen weder Schild, Schwert noch Rüstung: wâfen wâren si blôz.115 Entsprechend ist der Riese Harpin aus Chrétiens »Yvain«, dessen monströse Gestalt überdies noch durch ein Bärenfell markiert wird, ohne Schutz: »[…] der verließ sich stets auf seine Kraft und wollte nie eine Rüstung anlegen.«116 So stehen in beiden Fällen die nackten geschundenen Opfer, die die Riesen mit sich führen, zwischen dem gepanzerten Ritter und der selbstgewissen, ›anima-

112 Auch für die Stahlhärtung kann Hils zeigen, daß die Verwendung tierischer Bestandteile sowohl aus technischen wie auch aus mythischen Gründen heraus ›Sinn machte‹. Hils, Von dem herten, S. 67f., 69–72. 113 Galen, Vom Nutzen der Theile des menschlichen Körpers. Aus dem Griechischen übersetzt und mit Anmerkungen begleitet von Georg Justus Friedrich Roeldeke. Erstes Buch, Oldenburg 1805, S. 5. οὔχουν γυμνὸς, οὐδ᾿ ἄοπλος, οὐδ᾿ εὔτρωτος, οὐδ᾿ ἀνυπόδετος ἄνθρωπος, ἀλλ᾿ ἔστι μὲν αὐτοû θώραξ σιδηροûς, ὁπότε βούλοιτο, πάντων δερμάτων δυστρωτότερον ὄργανον, ἔστι δ᾿ ὑποδημάτων παντοίων ειδος, ® ἔστι δ᾿ ὅπλων, εστι δὲ᾿ χαι σχεπασμάτων. Galenus, De usu partium corporis humani, S. 4. Non igitur est nudus, neque inermis, neque vulnerari facilis, neque calceamentorum expers homo: sed ipsi est thorax ferreus, quandocunque libet, omnibus coriis sanciatu difficilius organum: est et multiplex calceamentorum species, est et armorum, est et operimentorum. 114 Vgl. Gregor von Nyssa, De hominis opificio Cap. VII, PG 44, Sp. 142. Habet etiam ex ipso ferro munimenta corporis fortiora squamis crocodili. Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 717. Thomas von Aquin, De regno I,1. 115 Hartmann von Aue, Erec, V. 5385. ein rîse starc unde grôz. / der was gewæfenes blôz, / ern fuorte helm noch halsberc. Der Stricker, Daniel vom Blühenden Tal, V. 411–413. 116 Qui an sa force se fioit, / Tant que armer ne se deignoit. Chrétien de Troyes, Yvain, V. 4209f.

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lisch‹ gezeichneten Gewalt: Das Mängelwesen als Spielball wilder Kräfte, dem das technische ›Kulturwesen‹ zu Hilfe eilt.117 In solchen Szenenarrangements wird die Komplexität der verschiedenen Natureinstellungen sichtbar, da sich in ihnen theologische, mythische, technische und moralische Konzepte begegnen: das Wilde, das Nackte und das moralisch-technisch Zivilisierte. Sinnbild der Krise ist denn auch für den Ritter wiederholt der Verlust der Rüstung, denkt man an den nackten Wigalois, den nackten Iwein oder als Grenzwert ritterlicher Hilflosigkeit an den schlafenden und aus seiner Rüstung gesogenen Ortnit.118 In den hier beschriebenen Fällen einer engen Mensch-Tier-Verbindung steht dagegen das feudale Konzept des isolierten Heros im Vordergrund, ein auf Natur-, speziell Tierbindung ausgerichtetes Körperkonzept.119 Nicht aus sich heraus erhalten solch heldenepische Tieraneignungen ihr ›kulturelles‹ Profil, wohl aber in Opposition zu den technischen Artes-Programmen der Kleriker und höfischen Ritter. 1.5 Der animalisierte Körper Neben der Rüstung wird aber konsequent der Körper des Heros selbst zum Ort der Einschreibung animalischer Qualitäten, wenn dieser sich die Eigenschaften des Tiers direkt einverleibt. Unter dem Signum des wilden Exotismus rangieren noch die Truppen des hürnin Gorhant, der im »Willehalm« vom Erdrand her animalisch gezeichnete heidnische Kämpfer in die Schlacht führt: des volc was vorn und hinden horn, / âne menneschlîch stimme erkorn.120 Immerhin zeugen sie von der Möglichkeit einer engeren symbiotischen Beziehung, wenn auch unter der Voraussetzung heilsgeschichtlicher Randstellung. Der Erdrandsiedler als animalisches Wesen gehört zu den Stereotypen mittelalterlicher Ethnographie. 117 Das ›Deutsche Heldenbuch‹ wird später eine Herogonie entwerfen, nach der schon die Heroen von Gott ›geschaffen‹ worden seien, um die Zwerge gegen die entarteten Riesen zu schützen: Vnd darumb soltent sie den zwergen zů hilff kumen wyder die vngetrüwen risen, vnd wider die wilden tier und würm. Das Deutsche Heldenbuch, S. 2; vgl. Fromm, Zwerge und Riesen, S. 44f. 118 Aber nicht nur technische Kompensationsstrategien wie die Rüstung, sondern auch arbeitsteilige Gemeinschaftsentwürfe treten gegen das Wilde an und sichern dem Menschengeschlecht das Überleben. Vgl. Kap. I,1. 119 Noch die Theorie sozialer Gemeinschaftsbindung, d. h. die Notwendigkeit gesellschaftlicher Organisation, die von zeitgenössischen Theologen aus der genuinen Mangelsituation des Menschen abgeleitet wird, findet im natürlichen Waffenphantasma des isolierten Helden seine Inversion. Zur Gemeinschaftsbildung vgl. Thomas von Aquin, De regno I,1; Struve, Die Bedeutung der aristotelischen »Politik«, S. 156f. 120 Wolfram von Eschenbach, Willehalm, 35,13f.; Rolandslied, V. 8043–8046; vgl. Speckenbach, Der Eber, S. 465.

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Der Heros eignet sich das Tier in ausgezeichneter Weise an. So bringt die Jagd den Adeligen in eine positive Nähe zum Tier, die eine Konkurrenz der Gleichartigen inszeniert und den Jäger in die Lage versetzt, an der Qualität des Tiers und somit an der Wildheit der Natur zu partizipieren. Der Dänenkönig Rolf bestätigt nach einem Bericht des Saxo Grammaticus auf einer Jagd einerseits seine Herosqualitäten durch Erlegung eines Bären, »seinen Genossen Hialto aber hiess er, damit er stärker an Kraft werde, den Mund ansetzen und das dem Tier entströmende Blut trinken. Man glaubte nämlich, dass durch solchen Trank die Körperkraft einen Zuwachs erhielte.«121 Der christliche Historiograph der Heldenzeit wird zum Zeugen einer sich verlierenden archaischen Praxis. Einen eher seltenen, doch wirkungsmächtigen Grenzfall der Assimilierung markiert der Sigurd der »Þiđriks Saga« (13. Jh.), der sich als Jugendlicher mit Drachenblut bestreicht und eine Haut erhält, ›so hart wie die Schwarte eines Wildebers oder wie Horn, so daß keinerlei Waffen sie schneiden‹ konnten.122 Wirkungsgeschichtlich erfolgreicher ist sein deutsches Pendant Sîvrit, der sich gleichfalls im Drachenkampf eine unverletzbare Hornhaut erwirbt und damit den Grenzwert eines mythischen Naturbezugs realisiert. So berichtet Hagen von ihm: Noch weiz ich an im mêre, daz mir ist bekant. einen lintrachen den sluoc des heldes hant. er badet’ sich in dem bluote: sîn hût wart húrnîn. des snîdet in kein wâfen; daz ist dicke worden scîn.123

Neben der rein sprachlichen Identifikation in Vergleich und Metapher und dem metonymischen Transfer der Tierqualität auf die Waffe wird hier die unvermittelte körperliche Aneignung als ideale Symbiose von Heros und Tier phantasiert. Die besondere Form der literarischen Inszenierung dieser Variante heroischer Naturunterwerfung und Naturaneignung läßt sich als raffinierte Distanzierungsgeste lesen, die durch die rückwärtsgewandte Erzählhaltung Hagens markiert wird.124 Sie verbindet die höfisch-heroische Welt des 121 Herrmann, Erläuterungen, S. 73. comitemque suum Ialtonem, quo uiribus maior euaderet, applicato ore egestum belue cruorem haurire iussit. Creditum namque erat, hoc pocionis genere corporei roboris incrementa prestari. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum II, S. 56. Saxos Darstellung erfolgt bereits sichtlich aus der Perspektive des distanzierten Theologen. Zum theologischen Gegenmodell vom Blut als Ort der Seele vgl. Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 81. 122 hans hoerund er allt sua hart sem siG villigaltar eða horn. at [aenskiss konar vapn bita a. Þiđriks Saga, S. 345. 123 Nibelungenlied, Str. 100. Zieht man zum Vergleich die Unverwundbarkeit Achills heran, zeigt sich, daß auch hier eine metaphysische Erklärung (Wasser des Styx) durch eine natürliche ersetzt wird. 124 Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 130–136.

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»Nibelungenliedes« mit der Erinnerung an eine mythische Vergangenheit. In Sîvrit wird jene animalische Qualität des Heros als körperliche Chiffre bis an die Gegenwart herangerückt, die in Vergleichen, Metaphern, Namen, heraldischen Bildern und Signaturen immer wieder beschworen wird. Vor dem Hintergrund der Mangelthese, die ja gerade im Vergleich mit den Tieren entwickelt wird, bildet Sîvrit in seiner besonderen körperlichen Verfaßtheit den Fluchtpunkt einer spezifisch feudalen Mensch-Tier-Symbiose, gewissermaßen eine feudale Version der rückgängig gemachten Nacktheit des Sündenfalls, die soziale Ordnung durch Tapferkeit, nicht durch ratio konstituiert. Gegenüber der paradiesischen Sondernatur, welche die Kleriker postulieren, imaginiert der Feudaladel in Sîvrit die Möglichkeit metonymischer Tierhaftigkeit. Wie sehr solche Träume von physischer und metaphysischer Imprägnierung sowohl von reiner Technik sich absetzen als auch miteinander rivalisieren, wird an der Dietrichepik sichtbar. Im »Rosengarten zu Worms« wird anders als im »Nibelungenlied« die Hornhaut im Kampfverlauf motivierend eingesetzt. Dietrich weigert sich, gegen Sîvrit anzutreten, da dieser über ungleiche Waffen verfüge: das Schwert Balmunc, eine wundersame Brünne, vor allem aber die Hornhaut: ich hete in erste bestanden, waer er niht hürnin.125 Die unvergleichliche Ausrüstung wird zum Argument und zugleich zum spannungsfördernden Moment zweier scheinbar unüberwindbarer Helden. Andererseits kämpfen Dietrich und Sîvrit auch in der »Rabenschlacht« gegeneinander, und hier entkommt Dietrich nur dem Tod, weil er über einen metaphysischen Schutz verfügt: daz tete ein hemd sîdîne, / daz truoc er under dem halsperge sîne. / Dar in vier heiltuom lâgen […].126 Auf der einen Seite liegt unter der Rüstung die inkorporierte Hornhaut Sîvrits, auf der anderen das Seidenhemd Dietrichs, das durch Reliquien geschützt wird. Der Zweikampf trägt in heldenepischem Kontext die Konkurrenz feudaler und christlicher Kulturmuster aus, und das Christentum usurpiert hier genuin feudaladeliges Terrain. Obgleich Sîvrits Bad im Drachenblut als mythische Erfahrung in Szene gesetzt und im »Nibelungenlied« in eine archaische Erzählform gefaßt wird, wird der wundersame Effekt im Text nicht bezweifelt.127 Allein über das Verfahren der Aneignung kursierten offenbar rivalisierende Versionen. Albrecht von Scharfenberg stellt im »Jüngeren Titurel« anläßlich einer heidnischen Heeresschau Riesen aus dem Orient vor, die eine grüne undurchdringliche Drachenhornhaut besitzen: der vel sich wunderlich also verwande / von men125 Rosengarten zu Worms, Str. 334; vgl. Lienert, Dietrich contra Nibelungen, S. 23–46. 126 Rabenschlacht, Str. 651f. 127 Nur noch als Chiffre wirkt die Drachenhaut. Das angeeignete Tierattribut wird selbst nicht Gegenstand der Reflexion, wird weder gefeiert noch kritisiert, und doch erweist es im Handlungsverlauf seine Effektivität.

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schen hut in luter horne gr)ne.128 Erzählt wird von den Mühen ihres Stammvaters, der von der Wirkungskraft des Drachenblutes gehört hatte, dessen Qualitäten auf seine Nachkommen zu übertragen.129 In diesem Zusammenhang bezieht der Erzähler explizit gegen das »Nibelungenlied« Stellung: So singent uns die blinden, daz Sifrit hurnin were, durch daz er uber winden kund ouch einen tracken vreisebaere, von des blůte wurd sin vel verwandelt in horne stark fur wapen. di habent sich der warheit missehandelt.130

Als Quelle der Kraft offenbart sich vielmehr ein grünes Kraut, dessen Verzehr durch die Drachen der Stammvater beobachtet hatte. Doch liefert auch der Verzehr nicht die erwünschte Wirkung, erst nachdem Mann und Frau von dem Kraut gegessen haben und Kinder zeugen, tritt der Erfolg beim Nachwuchs ein: wart da ir vel alsam daz krut hie vorne, / und waren nach dem tracken hert und gar uber al ir hut von horne.131 Es bedarf offenbar eines komplizierteren Verfahrens als des einfachen Badens. Der Transfer der Eigenschaften erfolgt nur indirekt im Durchgang durch einen Zeugungsprozeß, doch offenbar als reproduzierbares Verfahren. Aus der Sicht mittelalterlicher Sympathienlehre bedeutet diese Modifizierung des Aneignungsprozesses in ein natürlich-›technisches‹ Verfahren eine Rationalisierung des Mythos. Die Natur ist zwar noch nicht ein Aggregat kausaler Wirkungen, vielmehr ein dunkler Haushalt sympathetischer Kräfte, doch basiert der Transferprozeß auf Wissen, das der Natur abgeschaut wird. Diese Wunschform natürlicher Technik, die die feudale Literatur an den beschriebenen Figuren bis in die körperliche Symbiose hinein imaginiert, kommt ihr aber offenbar primär aus fremden Räumen zu. Sowohl die heidnischen Kämpfer aus dem fernen Osten als auch die mythischen Zwerge und Riesen aus den Wäldern, selbst die zeitlich entfernten antiken Heroen bei Konrad von Würzburg, und noch der Sîvrit aus Nibelung: Sie alle entstammen unzugänglichen Räumen. Jenseits der eigenen Erfahrungswelt werden offenbar Orte imaginiert, an denen ein anderer Zugriff auf die Ressourcen der Natur, eine besondere Verbindung von Technik und Natur möglich erscheint. Das sollte nicht umstandslos als Signal einer bloß literarischen Inszenierung gelesen werden, denn schon das Heroskonzept als alternativer Entwurf zur Mängelwesen128 Albrecht von Scharfenberg, Jüngerer Titurel, Str. 3363 C. Der Kontext scheint in verschiedenen Versionen unterschiedlich stark aktualisiert worden zu sein. 129 nu het daz vor geh ret der manliche, / swer kinden gebe trachen blůt, diu wurden k)n und grozer krefte riche. Ebd., Str. 3363 D. 130 Ebd., Str. 3364; vgl. Ploss, Siegfried – Sigurd, S. 16. In Strickers »Daniel vom Blühenden Tal« besitzen die beiden Riesen gleichfalls eine undurchdringliche Hornhaut – im was diu hût niht linde, / si was herter denn ein horn – (432f.), doch ist diese durch Magie hergestellt. 131 Albrecht von Scharfenberg, Jüngerer Titurel, Str. 3368.

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these der Kleriker zeigt, daß es um differente Natur- und Kultureinstellungen geht. Auch existiert vor dem Hintergrund mittelalterlicher Natur- und Weltvorstellung weder eine homogene Natur noch ein entsprechender Raum.132 Die zahlreichen ›Anderwelten‹, die nicht nur die mittelalterliche Epik durchziehen, seien es nur zufällig zugängliche Reiche, natürliche oder künstliche Paradiese, Inseln oder mythische Waldenklaven, ihnen allen eignen besondere Naturqualitäten und technische Möglichkeiten, und sie ziehen gerade deshalb den faszinierten Blick von Klerikern und adeligen Literaten auf sich.133 Angesichts der sympathetischen Basis weiter Teile der mittelalterlichen Medizin und angesichts der Imaginationskraft mittelalterlicher Geo- und Ethnographen, können die literarischen Raumprojektionen keinesfalls nur als bloße Fiktion abgetan werden. Nicht zuletzt gegenüber den Sonderräumen der Kleriker, den heiligen Orten des Paradieses, Palästinas und der Pilgerstätten, die inmitten drohender Verwilderung dem Gläubigen Hoffnung suggerieren, rekurrieren die epischen Entwürfe auf außerordentliche natürliche Ressourcen. Eine Reduktionsform animalischer Stilisierung findet sich noch in der physiognomischen Markierung, nach der der Heros von Natur aus bereits außergewöhnliche Zeichen trägt. Vom Heros Dietrich von Bern heißt es, er sei zen brusten harte wît, / gestalt alsam die löuwen, der Held Wildewer der »Þiđriks Saga« ist durch ›eine etwas gebogene Nase und Falkenaugen‹ gezeichnet, und auch der heroische und finstere Claudas des »Prosa-Lancelot« trägt analog eine signifikante kurcze nasen die was krumb.134 Heroen zeichnen sich durch eine exorbitante Körperlichkeit aus, die mitunter bereits in der kindlichen Entwicklungsphase sichtbar wird. An Alexander, Hagen und Wolfdietrich, die ihre Altersgenossen schon rein körperlich überragen, wird das noch näher behandelt werden. Rüstungen können sich als zu eng erweisen: »Als man sie ihm darbot, brachte Uffo durch seine weite Brust die Bänder der Rüstung, die für ihn zu eng war, zum Platzen, und man konnte keinen Panzer finden, der geräumig genug war, ihn zu fassen; denn er war von so gewaltigem Wuchse, daß er die Rüstung eines andern nicht benutzen konnte.«135 Was hier 132 LeGoff, Phantasie und Realität, S. 81–140. 133 Zu historisch sich verändernden Raumkonzepten vgl. Foucault, Von anderen Räumen, S. 34–46. 134 Eckenlied, Str. 29. nockot bivgnaefiaðr oc havclegr i avgum. Þiđriks Saga, S. 339; Prosa-Lancelot I, S. 23. Lancelot erhält beim Zornausbruch glühende blutrote Augen und gebart mit der nasen als ein roß das sere ist gerant, und beiß die zene zuhauff das sie krachten. Prosa-Lancelot I, S. 35. 135 Herrmann, Erläuterungen, S. 152. Quibus Vffo oblatis, magnitudine pectoris angustos loricarum nexus explicuit, nec erat ullam reperire, que eum iusto capacitatis spacio contineret. Maiore siquidem corpore erat, quam ut alienis armis uti posset. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum IV, S. 114f. Vgl. die Schwierigkeiten in der »Klage«, die Körper der Heroen aus dem Haus zu schaffen: do gebôt iz der künec guot / daz man in tragen solde dan. / wol gewahsen was der man / an groeze und an lenge: / diu tür wart in ze enge, / dâ man die tôten ûz truoc. Die Klage, V. 1926– 1931; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 443.

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im literarischen Kontext bis in die Extremform entworfen wird, ist aber rekurrenter Bestandteil feudaler Körperauffassung. Anders als für den Moraltheologen ist die herausragende körperliche Erscheinung konstitutiver Bestandteil des feudalen Herrschaftsanspruchs.136 Nicht zufällig enthalten daher zeitgenössische Abhandlungen über den Krieg, etwa das dritte Buch von Aegidius Romanus »De regimine principum«, physiognomische Passagen.137 Gerade hier kommt – über Vegez hinaus, aber in Kongruenz mit der zeitgenössischen feudalen Kriegsethik – die Tierphysiognomik ins Spiel. »Daher bieten sich bevorzugt solche Soldaten zum Krieg an, deren äußere Erscheinung Raubtieren ähnelt«: homines similiores animalibus bellicosis, vtiliores videntur esse ad bellum.138 Drei Arten von Zeichen sind dabei maßgebend: Zeichen, die Tapferkeit signalisieren, vor allem bewegliche Augen und aufgerichteter Hals;139 Zeichen der Körperkraft, d. h. hartes Fleisch und feste Muskeln, schließlich Zeichen der Tierähnlichkeit. Letztere bilden große Gliedmaßen und eine breite Brust, wie sie etwa der Löwe besitzt. Von Dietrichs breiter Löwenbrust war bereits die Rede. Die Festigkeit des Fleisches von Raubvögeln gegenüber allen anderen Vögeln hebt Friedrich II. hervor. Aber auch erstere Qualitäten lassen sich aus der Tierwelt importieren. So sind bewegliche Augen und fester Gliederbau nicht nur Kennzeichen der Raubvögel, d. h. jener Tiere, in de136 Aegidius Romanus betont nachdrücklich die magnitudo corporis als unerläßliche Qualität für den königlichen oder fürstlichen Nachwuchs. De regimine principum II,1,13, S. 257f. Beschreibungen von Heroen und herausragenden Rittern akzentuieren immer wieder die mächtige Statur. Genelun was driellen breit / eneben siner achsel. Rolandslied, V. 1651f. Auch gilt die allgemeine Formulierung mare helt balt, wie über Eneas. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 710. Claudas ist groß und starck. Prosa-Lancelot, S. 26. Am Beispiel Lancelots wird gar das Problem seines aus dem Maß fallenden Brustumfangs kontrovers diskutiert. Ebd., S. 35. Zum physiognomischen Hintergrund vgl. Waltenberger, Das große Herz der Erzählung, S. 45–64. 137 Aegidius Romanus, De regimine principum, lib 3. Johannes von Salisbury zitiert im Kriegsbuch des ›Policraticus‹ die Geschichte von Gideon (Jud.7.6.), in der durch göttliches Gebot nur solche Kämpfer für die bevorstehende Schlacht ausgewählt werden, qui in siti sua uelut canes festini lamberant manu ad os proiciente aquas, his relictis qui deflexo poplite biberant. Johannes von Salisbury, Policraticus VI,2. 138 Amplius cum videamus aliqua animalia bellicosa, aliqua vero timida: homines similiores animalibus bellicosis, vtiliores videntur esse ad bellum. Aegidius Romanus, De regimine principum III,3,3, S. 563. Grundlage ist auch hier die Klimatheorie, der zufolge ein Gleichgewicht gehalten wird zwischen körperlichen und geistigen Dispositionen, ein Gleichgewicht, das weder die Nordländer noch die Asiaten, sondern allein die Europäer besitzen. Europa alit corpore maiores, virib. fortiores, animo audaciores […] quam faciunt Asiae vel Affricae regiones. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus XV,50, S. 648; vgl. Aegidius Romanus, De regimine principum III,3,2. 139 Quibus autem palpebrae tam velociter quam occuli moventur, audaces sunt in periculis et securi. […]. Propter quod constat mobilitatis occulorum temperamentum mores optimos indicare. Albertus Magnus, De animalibus I,2,3, S. 53.

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ren Nutzung sich der Adel gerne übt, sondern auch des idealen Ritters: als eime jungen valken / spilten ê sîn ougen, heißt es daher nicht zufällig von Partonopier.140 Vor dem Hintergrund der beschriebenen Zeichenarsenale mit mehr oder minder evidentem Referenzanspruch – Name, Heraldik, Rüstung, Körper – fällt auch ein anderes Licht auf den Status von Vergleich und Metapher, wenn sie über ihre klassische Affektkonnotation im Kampf (Zorn) hinaus auf ihre Funktion für das feudale Körperbild insgesamt befragt werden. Außer durch Körperbau und Kraft zeichnet sich der Heros vor allem durch Geschwindigkeit aus. So überrascht die Schnelligkeit Eckes, denn alsam ein lêbart in den walt / sach man in wîte springen, ebenso die pantherartige Gewandtheit des jungen Hagen, Hectors und Achills, diejenige Rennewarts oder Sîvrits und Gunthers beim tödlichen Wettlauf: sam zwei wildiu pantel si liefen durch den klê; an Moritz von Craûn wird gar der Bewegungsspielraum seiner leichten Rüstung geschätzt: er fuor in schricken alse ein tier.141 In diesen Kontext rein physischer Tugenden des Heros und diese bezeichnenden äußeren Merkmale fällt schließlich ein geschärftes Sinneninstrumentarium.142 Zur Topik der Herrscherdarstellung gehört der mächtige Blick, der nicht nur einschüchtert und zähmt, sondern mitunter auch natürliche Begrenzungen überwindet.143 Für die Physiognomik bilden die Augen das privilegierte Organ der Personenerkenntnis.144 Die Vollkommenheit des höfisch gezeichneten Paris äußert sich auch darin, daß ihm Falkenaugen zugeschrieben werden, und noch der Zorn Geneluns und Alexanders bricht

140 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 9724f. Durchdringende Augen sind topische Attribute des Herrschers. Vgl. Einhards Beschreibung Karls der Großen (Vita Karoli Magni Cap. 22), die noch Rahewin für Barbarossa übernimmt: Orbes oculorum acuti et perspicaces […]. Rahewin, Gesta Frederici IV,86; Bumke, Höfischer Körper, S. 85. 141 Eckenlied, Str. 36; Kudrun, Str. 98; Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 4110f., 6196f.; Wolfram von Eschenbach, Willehalm, V. 202,13–15; Nibelungenlied, Str. 976; Moritz von Craûn, V. 837. 142 Das Drachenblutbad verschafft Sigurd Zugang zu den Melodien der Vögel. Frotho kennt gleichfalls die Stimmen der Tiere. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum V, S. 129. 143 Zu Kaiser Karl vgl. Rolandslied, V. 683–694/96; vgl. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum VII, S. 250 (zu Olo). Auch Sigurd besitzt einen so scharfen Blick, daß niemand wagt, ihm unter die Brauen zu blicken. at fair menn munu vera sua diarfir at þori at lita undir hans bryn. Þiđriks Saga, S. 345. 144 In occulis autem principaliter consistit omnis perfectio physonomiae. Dixit enim Palemon […] solam occulorum dispositionem esse aditum, per quem animus introspici possit[…]. Albertus Magnus, De animalibus I,2,3, S. 51. In oculis omne mentis indicium est, […]. Ps.-Hugo von St. Viktor, De bestiis et aliis rebus, PL 177, Sp. 121; vgl. Richter, Das Hoflager Karls des Großen, S. 85f.; Herzog, Mnemotechnik des Individuellen, S. 167. Zum volkssprachigen Kontext vgl. Wenzel, Repräsentation und schöner Schein, S. 200f.; Ders., ›Des menschen muot wont in den ougen‹, S. 65–98.

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sich über die Augen Bahn.145 Entsprechend werden über die Tiermetaphorik spezifische Formen adeligen Sehverhaltens formuliert: kapfende umbe alsam ein tier, bewegt sich Partonopier in Schiefdeire, und mit seinen beweglichen Falkenaugen überblickt er zuvor schon den unbekannten Ardenner Wald.146 Beide Situationen zeigen den Protagonisten in einer fremden, potentiell bedrohlichen Umgebung und lassen ihn eine Haltung gespannter Aufmerksamkeit an den Tag legen, für deren Umschreibung auf die Tierwelt zurückgegriffen wird.147 Selbst ein Phänomen wie curiositas, aus kirchlicher Sicht Sinnenverfallenheit, läßt sich in höfischer Epik als Form gespannter Aufmerksamkeit fassen. Neugierig um sich blickend, reitet Alexander in Babylon ein und hält nach seiner Minnedame Ausschau.148 Und auch der in Kanvoleis einreitende Gahmuret blickt sich entsprechend um: ûf rihte sich der degen wert, / als ein vederspil, daz gert.149 Metaphern solcher Art sind wohl nicht ad malam partem auslegbar, eher zeigen sie, wie vertraut im feudalen Kontext die Angleichung adeligen Verhaltens an das des Raubtiers war. Auch andere Sinnesorgane werden herangezogen. Der Rennewart Ulrichs von Türheim besitzt offenbar ein besonders feines Gespür für Spuren. Er verfolgt die Heiden als ein hunt tůt nach dem tiere. / er kam zu der verte shiere / als ein gerehter bracke.150 Eine überlegene Sinneswahrnehmung notieren die Kleriker aber aufmerksam als animalische Eigenschaft, die auf einer besonderen Komplexion beruht. Am deutlichsten setzt Wolfram dieses »zoomorphe« Selbstverständnis in der Figur des wilden Rennewart ins Bild: unmäßig stark, zu Fuß und nur mit einer gewaltigen Stange kämpfend, ähnelt dieser den unritterlichen Riesen oder den wilden Kämpfern Gorhants, besitzt aber anders als diese eine sanfte

145 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 3029. Er tete die wůluine blicke, […]. Rolandslied, V. 1418. […] sô sach er alse der wolf deit, / alser ubir sînem âze steit. Straßburger Alexander, V. 147f. 146 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 974. […] reht als ein grimmez välkelîn, / daz hungert und die pfrüende sîn / wil suochen ûf der heide. / sîn ougen liez er beide / verr über daz geböume gân. Ebd., V. 599–603. 147 Analog offenbart sich in den swinden sînen blicken (Nibelungenlied, Str. 413), die Brunhild an Hagen gewissermaßen physiognomisch wahrnimmt, aus der Figurenperspektive zwar sein grímme muot (Hahn, Personerkenntnis, S. 403), doch zugleich demonstrieren sie die Erwartung ständiger Gefahr im feindlichen Territorium. 148 nû reit der minnen soldier / umb sich kaffende als ein tier. Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 14547f. 149 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 64,7f. Eine analoge Metaphorik benutzt Hartmann, um die wechselseitige Anziehungskraft zwischen Erec und Enite zu kennzeichnen. Hartmann von Aue, Erec, V. 1861-1865. Solche Metaphorik ist als »eine archaische Psychostruktur verzögerungslosen, raubtierhaften Zupackens und Aneignens« interpretiert worden. Czerwinski, Der Glanz der Abstraktion, S. 368. 150 Ulrich von Türheim, Rennewart, V. 783-785.

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Natur.151 Und doch wird er von Beginn an mit Tiermetaphern – z. B. Adler, Falke – umstellt: sus kom der starke soldier: / vor hunden ein wildez tier / waere niht baz ersprenget.152 Entsprechend ist sein Blick gekennzeichnet: der starke, niht der swache / truoc ougen als ein trache / vor’ em houbte, grôz, lûter, lieht. / gedanc nâch prîse erliez in niht, […].153 Als Rennewart dreimal seine Stange vergißt und somit den Aufmarsch zur Schlacht versäumt, verfällt er in Gedanken und formuliert resigniert mit Hilfe einer Tiermetapher Adelsethos in nuce: »der dem grimmen vederspil die gir verhabt (daz hân ich doch gesehen), man muoz im dâ nâch blûwikeit jehen. wan ich hân mîn selbes gir verhabet.«154

Das ist das Gegenteil von Zähmung. Wie der Zorn erscheint gir als tierischer Affekt und doch zugleich als Kennzeichen eines feudalen Selbstverständnisses, so daß sein Verlust als Schmach empfunden wird. Selbst der moderate König Artus entgeht ihm nicht: Artûse wart vil schiere geholt / sîn ors, sper unde schilt. / sam ein vogel gereiztez wilt / sîn herze gein dem kampfe spilt.155 Ursprung dieses wilden Affekts ist offenbar der Körper, sichtbar etwa daran, daß die Kämpfer im »Rolandslied« allein aufgrund ihrer Kraft in den Kampf drängen: diu ir sterche des libes / gert in des wiges.156 Gestalt, Kleidung und Gesten als Ausdrucksformen des Körpers sind in der mittelhochdeutschen Literatur zentrale Mittel der Personenerkenntnis.157 Der Körper und seine Zeichen sind mit unterschiedlicher Wertschätzung Gegenstand theologischer, philosophischer und höfischer Reflexion und wer151 Waldmann, Natur und Kultur, S. 95–103. 152 Wolfram von Eschenbach, Willehalm, V. 202,13–15. 153 Ebd., V. 270,25–28. 154 Ebd., V. 317,6–9; vgl. Waldmann, Natur und Kultur, S. 98. Vgl. die Tiermetaphorik bei Herbort: Seht wie der lewe gert / Der schaffe als er hungerc ist / Achilles also svnder frist / Vf sine vinde reit / Mit so getaner girekeit / Als der lewe danne tut. Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 13012–13017. Oder im Kampf Tristans mit Morold: beidiu ros unde man / kâmen Tristanden fliegende an / noch balder danne ein smirlîn: / als giric was ouch Tristan sîn. / si kâmen mit gelîcher ger / gelîche fliegende her, […]. Gottfried von Straßburg, Tristan, V. 6857–6862. Vgl.: ûf rihte sich der degen wert, / als ein vederspil, daz gert. Wolfram von Eschenbach, Parzival, 64,7f. Vgl.: Nu sehent, wie ein valke begert / Des wildes an der beize, / Alsô wâren in dem kreize / Ûf einander dise beide / Ein ander gar ze leide / Gîtec und gevaere, […]. Heinrîch von dem Türlîn, Diu Crône, V. 15473–15478. Oder über Gawein: sîn herze truoc in unde sîn gir. V. 7851. des herze strîtlich gir besaz: Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 4447, vgl. 5649. Vgl.: kein valke nie gegerte / sô vaste keines wildes, / alsam dô sînes bildes / Achilles kunde vâren. Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 39416–39419. 155 Heinrîch von dem Türlîn, Diu Crône, V. 10570–10573. 156 Rolandslied, V. 4865f. Analog heißt es von Sîvrit: durch sînes lîbes sterke er reit in menegiu lant. Nibelungenlied Str. 21,3. 157 Hahn, Personerkenntnis, S. 398f.

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den als Schlüssel für den Zugang zum Inneren des Menschen angesehen.158 Das Korrespondenzverhältnis von körperlicher Erscheinung und Gesittung bindet im feudalen Selbstverständnis zunächst Schönheit und Tugend wie Häßlichkeit und Bosheit aneinander, sichtbar in den stereotypen Konfrontationen des höfischen Ritters mit seinen häufig monströs gezeichneten Gegnern. Gestört wird diese Korrespondenz zum einen durch die ambivalente Funktion der Kleidung, zum andern durch die Spannung von ethischer Anforderung und feudalem Standesethos. Zwar ist gerade die höfische Epik fasziniert vom Thema des verdeckten Adels,159 doch codiert sie zugleich feudale Tugend (art) in ethisches Verhalten um.160 Die höfische Gesellschaft, in der der Subjektstatus nicht unerheblich physiognomisch (ze mâzen) und durch Standeskleidung bestimmt ist, spielt unter dem Einfluß christlicher Ethik die alternativen Konstellationen durch.161 Wenn volkssprachige Epik und Didaktik immer wieder auf diese Konstellationen reflektieren, dann primär, um das Wilde aus der Welt geregelten Verhaltens auszugrenzen. Das Animalische steht in dieser Perspektive stets auf der Gegenseite. Und doch ist es genau jene körperliche Ausdrucksebene der Gestalt, Kleidung und Gesten, die zugleich über Tierzeichen codiert wird. In der heldenepischen Darstellung und noch bis in den höfischen Roman hinein sind Markierungen dieser Art indes weniger moralisch negativ qualifiziert, als daß sie als besondere Gewaltzeichen fungieren: als kriegerischer Körper, als Rüstung und Waffe mit ihren animalischen Signaturen sowie als weniger sozial denn natürlich fundierte Gesten. Die höfische Repräsentation, die sich vor allem in körperlichem Glanz, in Kleidung, Zeremoniell, Sach- und Wohnkultur sowie im Festmahl artikuliert, ist als »symbolische Form öffentlicher Statusdemonstration« beschrieben worden:162 gewissermaßen die Ebene kultureller Inszenierung. Das feudale Gewaltethos, das über Tiermetaphorik, Heraldik, animalisierte Waffen und physiognomische Tierzeichen sich ausdrückt, bewahrt selbst innerhalb der höfischen Reglementierung seinen Anspruch auf Geltung: gewissermaßen die natürliche Ebene feudaler Selbstinszenierung.

158 Hugo von St. Viktor, De institutione novitiorum, PL 176, Sp. 928–952. Zum naturphilosophischen Kontext vgl. die Schriften zur Physiognomik (Kap. II,3,b). Zum politisch-höfischen Kontext vgl. Secreta secretorum IV, S. 164–172. Thomasin von Zerclaere, Der welsche Gast. 159 Hahn, Personerkenntnis, S. 405–409. 160 Borck, Adel, Tugend und Geblüt, S. 423–457. 161 So kann der Edle ärmlich gekleidet sein (Koralus, Enite) wie der Verworfene prächtig (Genelun). Auch das Häßliche muß nicht eo ipso böse sein (Kundrie). Wenzel, ›Des menschen muot wont in den ougen‹, S. 77–98. 162 Wenzel, Repräsentation und schöner Schein, S. 181–185.

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1.6 Die Grenzen der Metapher Gegenüber dem theoretischen Diskurs der Kleriker, der methodisch exakte Trennlinien zu etablieren sucht, bildet sich die feudale Strategie der Assimilierung primär im Horizont metaphorischer und bildlicher Inszenierungen. Die Vergegenwärtigung des Animalischen realisiert sich in ganz unterschiedlichen Zeichenarsenalen, die auf lebensweltliche Bezüge rekurrieren: Kampf, Genealogie, Körperbild. Aus moderner metapherntheoretischer Perspektive wird der kulturelle Horizont einer Kriegerkultur sichtbar, der die Tiermetaphorik prägt und die Vorstellungen über Menschen und Tiere modelliert. Aus historischer Perspektive aber stellt sich die Frage nach dem Status des mittelalterlichen Zeichenverständnisses, die Frage, ob Antike und Mittelalter gegenüber der Moderne eine andere Vorstellung vom Verhältnis der Metapher oder des Wortes zur Sache haben? Die Alterität von historischen Weltverhältnissen und Zeichenauffassungen ist auf verschiedene Weise zu fassen versucht worden: geschichtsphilosophisch mit dem ›epischen Weltzustand‹ (Hegel), theologisch mit der allegorischen Weltauffassung (Ohly), phänomenologisch mit dem ›Wirklichkeitsbegriff der garantierten Realität‹ (Blumenberg), strukturalistisch mit der ›Episteme der Ähnlichkeit‹ (Foucault) und auch kulturtheoretisch mit der ›mythischen Denkform‹ (Cassirer).163 Zwar hegt man heute zunehmende Skepsis gegenüber solchen Totalisierungen, doch machen sie auf einen spezifischen Zug mittelalterlicher Wahrnehmung aufmerksam. Unabhängig von ihrem methodischen Zuschnitt stimmen die verschiedenen Beschreibungen darin überein, daß es eine funktionale Zugangsweise zur Wirklichkeit, wie sie im Verständnis der Neuzeit existiert, in vormodernen Epochen nicht gibt. Wissenschaftliche Methodik im Sinne von Analysis und Synthesis gab es in weiten Feldern des Wissens nicht bzw. nur in Teilsektoren des Wissens (z. B. Astronomie). Zeichen und Dinge oder Worte und Dinge waren – zumindest in bestimmten Bereichen – anders verbunden als in der Neuzeit, selbst in den aufkommenden ›wissenschaftlichen‹ Disziplinen. Entsprechend ist schon für die Antike die These aufgestellt worden, daß die Metapher ein substantielles Fundament in dem Wort habe, auf das, oder in der Sache, auf die sie sich bezieht. Bruno Snell schreibt von den homerischen Metaphern: »Wir müssen Homer beim Wort nehmen, wenn er sagt, ›wie ein Löwe‹ stürzt sich jemand auf den Feind. Es ist dasselbe, was in dem 163 Hegel, Ästhetik III, S. 339–399; Blumenberg, Wirklichkeitsbegriff des Romans, S. 9–27; Foucault, Die Ordnung der Dinge, S. 46–77; Ohly, Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, S. 1–31; Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, S. 35–100. Peter Czerwinski hat versucht, aufbauend auf solchen Ansätzen, für das Mittelalter die Wahrnehmungsform der »Gegenwärtigkeit« nachzuweisen. Vgl. Czerwinski, Allegorealität, S. 1–37; Philipowski, Vom Formalismus allegorischer Unmittelbarkeit, S. 122–126.

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Löwen und in dem Krieger wirkt;« das Mẽnos, der Vorwärtsdrang.164 Sichtbar werden hier in besonderer Weise die beiden Kontexte über die gleiche Eigenschaft, über eine Ähnlichkeit verschmolzen, die ein modernes Metaphernverständnis trennt. Der Sachverhalt ist bisher nicht hinreichend aufgearbeitet, obgleich wiederholt darauf verwiesen wurde. Für eine Historisierung von Metapherntheorien spricht sich programmatisch Gert Hübner aus. Er untersucht den mittelalterlichen Metapherngebrauch vor dem Hintergrund einer historischen Sprach- und Erkenntnistheorie, die er »Substanzontologie« nennt. Vor diesem Hintergrund gilt, »daß die Metapher dem eigentlich Gemeinten mittels einer begrifflichen Analogie eine Eigenschaft prädiziert, die das eigentlich Gemeinte ontologisch hat.«165 Mit Substanzontologie ist die Vorstellung gemeint, »daß es in der Welt erstens Dinge gibt, die zweitens Eigenschaften haben und zwischen denen drittens Relationen bestehen [Mensch/Löwe], sowie daß viertens die Wörter [Mensch/Löwe] vermittels mentaler Konzepte diese Dinge, Eigenschaften und Relationen bezeichnen.«166 »Es gibt in diesem Paradigma eine der Sprache vorausgehende Ordnung der Welt, auf die wir uns mit der Sprache beziehen.«167 Auf die Spezifik antiker Metaphernbildung macht auch Hans Georg Coenen aufmerksam: »Die Metapher – oder allgemein der Tropus – wechselt nach antiker Lehre das Korrelat des sprachlichen Zeichens aus: Das Wort ›Löwe‹ bezeichnet plötzlich nicht mehr eine bestimmte Raubkatze, sondern den Heros Achilles. Um den Wechsel der Korrelate in Regeln zu fassen, legte die antike Rhetorik Beziehungen fest, die zwischen den ausgewechselten Korrelaten bestehen mußten. Im Falle der Metapher mußte das alte Korrelat dem neuen – also der wirkliche Löwe dem als Löwen bezeichneten Achilles – ›ähnlich‹ sein (Cic. De or. III,38, 155ff.).«168

Obgleich die aristotelische Metaphernbestimmung die Auffassung einer Störung der sprachlichen Ordnung vertritt, artikuliert diese Störung zugleich 164 Snell, Gleichnis, Vergleich, Metapher, S. 186: »Der Satz ›Hektor ist wie ein Löwe‹ grenzt aber nicht nur für die Erkenntnis das für uns Vage und Umrißlose des Menschseins auf eine charakteristische Gestalt ein, ist nicht nur ein Vergleich, sondern meint, zum mindesten ursprünglich, auch eine faktische Verbundenheit, so daß der Mensch in seinem Bezug zum Tier nicht nur einen Rückhalt für seine Erkenntnis, sondern auch für seine Existenz fand.« Ebd., S. 187. 165 Hübner, Überlegungen zur Historizität von Metapherntheorien, S. 127, 131. Eigentlich gemeint ist Richard, und diesem Richard wird mittels einer begrifflichen Analogie, d.h mit der Löwenmetapher, eine Eigenschaft prädiziert, die Richard ontologisch zukommt: Tapferkeit! Die Metapher läuft auch hier auf den Begriff hinaus, ist letztlich die Veranschaulichung des gemeinsamen Begriffs. 166 Hübner, Überlegungen zur Historizität von Metapherntheorien, S. 114. Zusatz in Klammern U. F. 167 Ebd.: »Die Welt hat eine objektive Ordnung, deshalb haben Wörter einen ›eigentlichen‹ richtigen Bezug auf Dinge, Eigenschaften und Relationen.«, S. 127. 168 Coenen, Analogie und Metapher, S. 5.

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die Erkenntnis einer Verwandtschaft der Dinge.169 Das Wort haftet an einem Ding wie ein Etikett.170 Eine solche Historisierung des metaphorischen Verständnisses hin zu einer realen Verknüpfung läßt sich vielfach beobachten.171 Vor dem Hintergrund dieses zeichentheoretischen Befundes offenbart sich aber die entscheidende Differenz der Zeichenfunktion, soweit sie die animalische Metaphorik im feudalen Kontext betrifft. Metaphorik und Metonymie analogisieren eben nicht weit auseinanderliegende semantische Bezugsebenen (Lebensabend), sondern genuin miteinander verbundene Ausprägungen des Lebendigen. Überdies stehen sie in einem weiteren Horizont von analogen Identifikationsmustern, die allesamt dadurch gekennzeichnet sind, daß sie jenseits ihrer literarischen Inszenierung auf einen realen Referenzraum verweisen: auf die Waffe und den Körper. Der Feudaladel versteht sich selbst im Horizont natürlicher Dispositionen auch als überlegenes Raubtier und dies eben nicht nur ›metaphorisch‹. Im Medium der Imagination werden daher immer konkretere Assimilierungsformen erprobt: neben Vergleich und Metapher vor allem der Name, dem innerhalb feudaler Statusrivalität besondere Signifikanz zugeschrieben wird; sodann die heraldische Repräsentation auf der Waffe; schließlich im Horizont physiognomischer Anschauungen die direkte körperliche Assimilierung. Drei Beispiele mögen den latenten Geltungsanspruch, der über eine reine Repräsentation hinausgeht, verdeutlichen. Die Signaturenlehre geht davon aus, daß Qualitäten des Gegenstandes durch reine Nachbarschaft sich übertragen. Nun ist der theoretische Hintergrund der Signaturenlehre gewiß nicht universell, betrifft allenfalls einen Ausschnitt mittelalterlicher Naturlehre, doch bietet sie eher als die aristotelische Naturlehre die »Physik« gerade für animalische Transfermechanismen im feudalen Kontext. Der feudale Waffenmythos, der die Qualität der Waffen an archetypische (Vorzeitfiguren), metaphysische (Götter) und natürliche (Tiere) Qualitäten bindet, funktioniert auf der Basis der Signaturenlehre. Hildegard von Bingen etwa beschreibt in ihrer »Physica« nicht nur verschiedene therapeutische Nutzungen von Tieren, deren Körperteile und Organe dem Kranken helfen, Eigenschaften des jeweiligen Tiers zu erwerben. Nicht nur läßt sich so die fortitudo des Löwen aneignen, selbst der Waffenherstel169 Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol, S. 11. 170 Aristoteles’ Metapherntheorie beruht also auf einer Wortsemantik. Die Bedeutung einer Sache haftet an dem Wort. 1. Der Mensch ist ein Wolf = Der Mensch ist grausam. 2. Richard ist ein Löwe = Richard ist tapfer. 171 Kurz spricht in Bezug auf die mittelalterliche Allegorie von einem ontologischen Anspruch. Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol, S. 42. Gerhard Dohrn-van Rossum stellt die These auf, daß erst seit dem 16. Jahrhundert, seit Luther, die Rede vom »Corpus Christi« als Metapher gelesen werde. Dohrn-van Rossum, Politischer Körper, S. 5. Seit dem 17. Jahrhundert wird auch die Rede vom Mikrokosmos zur metaphorischen Rede; Ohly, Zur Signaturenlehre, S. 85: Analog zur Allegorie in der Frühen Neuzeit die Signatur: »Signaturen sind keine Metaphern«, heißt es bei Friedrich Ohly.

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lung wird offenbar diese Technik zugeschrieben: »Und der Mensch taucht den Stahl in das Blut des Löwen, und er wird sowohl tapfer für den Kampf als auch in allem, was die Wissenschaft betrifft.«172 Weist die vorgebliche Praxis, Tierblut als Härtungsmittel zu nutzen, schon über den reinen Metaphernstatus hinaus, dann erst recht die Einverleibung des Tiers, das wiederholt zitierte Trinken des Blutes nach der Jagd.173 Das Blut gilt selbst den Theologen noch als Ort der Seele, im säkularen Raum analog als magische Substanz.174 Die Praxis der Einverleibung des Tiers geht mit der Vorstellung von der Aneignung seiner Eigenschaften einher. Gerade dies liegt als unterstellte ›reale‹ Basis dem beschriebenen irischen Krönungsritus zugrunde, der mit Koitus (Sodomie) und Einverleibung des Tiers den Herrscher selbst an den Naturkräften (se bestiam declarans) teilhaben läßt und im gemeinsamen Mahl eine substantielle Gemeinschaft des Stammes konstituiert. Der Wirkungsmechanismus der Signaturenlehre bildet entsprechend die natürliche Variante eines Transfermechanismus’, den die Theologie der Zeit für Reliquien – allerdings metaphysisch gesteuert – selbstverständlich voraussetzt.175 Und noch die Physiognomik, die im Mittelalter auch mit aristotelischer Wissenschaft assoziiert wurde, erlaubt aufgrund von sichtbaren Tiereigenschaften (Blick, Brust- und Nasenform) Rückschlüsse auf die inneren Qualitäten des Menschen, sein spezifisches Temperament.176 Derartige animalische Transferleistungen sind wie andere sinnstiftende Zeichenarsenale (Jagd, Krieg, Pferd etc.) noch deutlich lebensweltlich verankert und besitzen eine manifeste körperliche Fundierung. Für moderne Rezipienten, für die entsprechende Praktiken in ihrer umfassend technisierten Welt weitgehend verloren sind und deren Symbolsystem anders orientiert ist, muß dieser ›natürliche‹ Symbolhintergrund erst wieder aktualisiert werden. Die unterschiedlichen Formen der Assimilierung animalischer Qualitäten laufen in einer spezifisch feudalen Einstellung zum Tier zusammen. Wird höfische Repräsentation geradezu zum ›kulturellen‹ Leitbild feudaler Existenz, so das Tier zum ›natürlichen‹, indem es als komplexes Bildfeld kon172 Et homo chalyben in sanguine leonis intingat, et fortis ad ferrum, et ad alia quaelibet in scientia erit. Hildegard von Bingen, Physica VII, 3, PL 197, Sp. 1316; Hils, Von dem herten, S. 62–75. 173 Vgl. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum II, S. 56. 174 Zum Blut als Ort der Seele bei Scotus Eriugena vgl. Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 81f. Zur Blutmagie vgl. Schrenk, De sanguine, S. 329–339. 175 In das unvergleichlich wirksame Schwert Rolands (Durndart), das Kaiser Karl von Gott übergeben worden ist, werden zusätzlich noch Reliquien eingelegt! Blut von St. Peter, Haare von St. Dionys und Kleidungsstücke von Maria. Rolandslied, V. 6862f., 6874–6880. 176 Cum igitur membrorum figura et habitudo et generentur et nutriantur ex sanguine, sequens est, quod ex ipsa habitudine membrorum aliqualiter cognoscantur inclinationes passionum. Albertus Magnus, De animalibus, I,2,2, S. 47.

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notativer Sinnbildung genutzt wird. Ursprung, Rang, Kraft, Stolz, Aggressivität, Affekt, Körperschutz, Wildheit, Beweglichkeit und Sinnenvermögen: Das Tier wird, fügt man die verschiedenen Belege zu einem Feld zusammen, zur Leitmetapher eines genuin feudalen Körperkonzepts, das weniger in geschichtsphilosophischer Perspektive einem bürgerlichen als in historisch-synchroner dem disciplina-Modell der Kleriker konfrontiert werden muß.177 Diese feudale Strategie der Annäherung an das Tier als Ausdruck adeliger art bildet nämlich die genaue Inversion des theologischen Disziplinardiskurses. Dort steht der Körper unter dem Primat der gesellschaftsfeindlichen Wildheit, die soziale Ordnung von außen und innen unterminiert. Ihr gegenüber konstituiert sich ein Diskurs der Disziplin, der auf Körper und Gesellschaft zugleich sich bezieht. Dieses mittelalterliche ›Aufklärungsphänomen‹ ruft indes sein feudales Komplement hervor. Noch die Topik der Personenbeschreibung erhellt diesen Gegensatz. Die christliche Perspektive stilisiert die descriptio personae nach theologisch-christlichen Registern, etwa diejenige Karls des Großen im »Rolandslied« nach theomorphen Eigenschaften, diejenige des ›Märtyrers‹ Gregorius nach christomorphen, die des Verräters Geneluns nach der Spaltung von Leib und Seele: von äußerem höfischen Glanz und innerer Sündhaftigkeit. Die höfische Perspektive dagegen setzt auf Korrespondenz und schöpft aus dem Register der Tugend, Schönheit und Einkleidung (Tristan).178 Aber erst mit dem heroisch-feudalen Register der Animalität wird das System rivalisierender Topiken vollständig. So schöpft der Adelsdiskurs selbstbewußt aus den wilden Ressourcen der Natur, indem er der christlichen und höfischen Rationalisierung eine Form der Animalisierung konfrontiert. Gegenüber der diskursiven Strategie der Kirche wuchern in der Literatur des Adels geradezu metaphorische und mythische Entwürfe. Vielleicht läßt sich im Anschluß an Blumenberg die komplexe animalische Metaphorik des Feudaladels in ihrer »daseinsnotwendigen Funktion« als Widerstandsform gegen eine Rationalisierung der Gesellschaft begreifen, gerade weil sie noch einen realen Bezug impliziert.179

177 Vgl. dagegen Czerwinski, Das Nibelungenlied, S. 52. 178 Haupt, Der schöne Körper, S. 47–73. 179 Schumann, Die Kraft der Bilder, S. 410; Blumenberg, Paradigmen zur Metaphorologie.

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2. Das Gefüge Ritter und Pferd Die zentrale Chiffre einer kulturhistorischen Symbiose von Mensch und Tier bildet aber der Ritter selbst.180 Im Rahmen einer kulturwissenschaftlichen Analyse ist dieser weniger eine literarische Figur, d. h. Funktion eines Textzusammenhanges, als eine reale soziale Erscheinung, eine »kulturelle Form«, die erst unter besonderen historischen Voraussetzungen in Erscheinung tritt.181 Als »kulturelle Form« verstanden, wird das Gefüge Ritter-Pferd mit symbolischem Gehalt aufgeladen und wirkt in die verschiedenen Felder sozialer Interaktion hinein. Nachweislich hängt die Genealogie des Rittertums unmittelbar mit dem Pferd zusammen.182 Das Aufkommen des berittenen Kriegers, des Panzerreiters – dextrarius –, zur Zeit der Karolinger gilt sozialhistorisch als Katalysator einer wirkungsmächtigen Umschichtung innerhalb der Feudalstruktur, die zur Differenzierung von milites und pauperes innerhalb der militia führt.183 Auch wenn der Panzerreiter nicht zwingend aus militärischer Notwendigkeit entsteht, zieht seine Erscheinung im sozialen Feld ungeahnte strukturelle Veränderungen nach sich, die letztlich in einer elitären Gruppenideologie münden. Dieser Wandel wird in der Gegenüberstellung zweier Ereignisse aus dem Reichsgebiet deutlich: Während Widukind anläßlich der Errichtung der Heinrichsburgen im 10. Jahrhundert noch von agrariis militibus, freien Bauernkriegern, spricht, die sich zwar bereits arbeitsteilig ausdifferenzieren, doch wohl noch dem unberittenen Heerbann angehören, erhalten seit dem 12. Jahrhundert selbst die Ministerialen das verbriefte Recht auf berittenen Kriegsdienst.184 Mehr denn je wird Reiten zum Index einer ökonomischen und sozialen Privilegierung.185 In diesem Pro180 Jähns, Ross und Reiter I, S. 162; Meyer, Mensch und Pferd. 181 Lenk, Kultur als Text, S. 117. 182 Seit dem 11. Jahrhundert markiert die Durchsetzung des miles-Begriffs auch sprachgeschichtlich den sozialen Wandel. Bumke, Studien zum Ritterbegriff, S. 28f., 35–40; vgl. Duby, Die Ursprünge des Rittertums, S. 354. 183 »Es ist ferner 3. eine allgemeine und, wie mir scheint, wohlbegründete Annahme, daß das Vordringen des Reiterdienstes ein zuvor nicht gekanntes Problem geschaffen hat, das sich in den Quellen seit Karl dem Großen deutlich widerspiegelt: das Problem der pauperes im Heer.« Fleckenstein, Adel und Kriegertum, S. 299; Ders., Über den engeren und weiteren Begriff von Ritter und Rittertum, S. 379–392; Bosl, Freiheit und Unfreiheit, S. 188f. 184 Widukind von Corvey, Res gestae Saxonicae I,35. Vgl. Fleckenstein, Zum Problem der agrarii milites bei Widukind, S. 315–332, 329–332. Jeweils neun bäuerliche Standesgefährten der Umgebung haben den Instandhalter der Burg zu ernähren. »Es gehört im übrigen zum verbrieften Recht der Ministerialen, daß sie als milites nur noch berittenen Kriegsdienst leisten.« Fleckenstein, Die Entstehung des niederen Adels, S. 344f. 185 Ökonomisch zog der zunehmende Bedarf an Streitrössern erhebliche Bemühungen um die Züchtung und Multiplizierung des aus dem Arabischen importierten großen Pferdetyps nach sich, erforderte hohen finanziellen und organisatorischen Aufwand, der sichtbar auf Öko-

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zeß wird in besonderer Weise die Interdependenz von Kriegstechnik und Sozialstruktur sichtbar, da die militärische Innovation auf ökonomische, soziale, rechtliche und politische Gegebenheiten ausstrahlt. Gehört zu den Prämissen eines kulturanthropologischen Ansatzes, daß sich das Verhältnis von Mensch und Tier je nach Kulturstufe – Jagd-, Agrar-, Industriegesellschaft – in unterschiedlichen Konfigurationen von Mensch, Tier und Technik manifestiert, so sind für den agrarischen, mittelalterlichen Gesellschaftstyp ganz spezifische ökonomische Gefüge kennzeichnend: BauerOchse-Pflug bzw. Händler-Ochse-Wagen.186 In diesem Zusammenhang fungiert das Tier primär als Energiequelle. Die historische Emergenz eines besonderen militärischen Gefüges Ritter-Pferd-Lanze seit dem Frühmittelalter mitsamt seinen strukturellen und semantischen Effekten kann vor diesem Hintergrund vielleicht nicht nur als Markierung eines sozial-, sondern zugleich kulturgeschichtlichen Wandels gelesen werden. Gegenüber dem traditionellen Kulturmuster der Kleriker, dem Ackerbau, dem auch weite Teile des Adels obliegen, beginnt sich zunehmend ein feudales Kulturmuster abzusetzen, das erneut zentrale Faktoren einer Gewalt- und Jagdkultur ins Spiel bringt. Gewissermaßen gegen das Diktum des Orosius – ›Schwerter zu Pflugscharen‹ – werden Pflugscharen zu Schwertern.187 In diesem Zusammenhang fungiert das Pferd zunächst als Instrument und Waffe, sodann als politischer Machtfaktor und sozial differenzierendes Zeichen. Bereits die klassische, vor allem an der Rekonstruktion von Realien interessierte Kulturgeschichte, hat die Bedeutung des Pferdes für die höfische Reitkultur erkannt und Pferdetypen, Ausrüstung, Schmuck sowie herausgehobene literarische Beschreibungen nachgezeichnet.188 Ihre Methodik gerät indes dort an ihre Grenzen, wo es darum geht, die historisch spezifische Sinnstiftungsfunktion zu rekonstruieren, die die Feudalkultur konstitutiv mit dem Pferd verbindet. Das ist umso erstaunlicher, als die Texte, sowohl die literarischen wie auch Historiographie und Fachliteratur, zahlreiche Indizien bereitstellen, die das Pferd als eine semantisch aufgeladene Sinneinheit beschreiben. Symbolkomplexe zeichnen sich häufig durch Vielschichtigkeit aus, unterliegen rivalisierendem gesellschaftlichen Gebrauch und erfahren nomie und Recht der Feudalzeit ausstrahlte. Davis, The Medieval Warhorse, S. 13–15; Schneider, Animal laborans, S. 518–534. 186 »Tiere, Menschen und technische Gerätschaften bilden verschiedene Arten von maschinellen Ensembles zur Erzeugung und Verbreitung der wichtigsten Güter.« Macho, Tier, S. 76. 187 Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 3442–3445. Es ist bezeichnend, daß die kulturgeschichtliche Studie von Max Jähns über »Ross und Reiter« von 1872 aus militärisch ständischem Horizont eine Summe dieses Verhältnisses von Mensch und Pferd bietet, zu einem Zeitpunkt, als sich ökonomisch der Umschwung in die Industrialisierung, d. h. die Substitution der Pferdekraft durch Technik, bereits ankündigt. 188 Jähns, Ross und Reiter; Bumke, Höfische Kultur I, S. 236–240.

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aus wechselnden Horizonten jeweils eigene Sinnzuweisungen.189 In diesem Zusammenhang erhält das Gefüge Ritter-Pferd, und das soll in der Folge expliziert werden, auf ganz unterschiedlichen Ebenen Bedeutung zugeschrieben. Grundlage ist erstens die instrumentelle Funktion als militärisches Zeichen; zweitens wird diese reale Funktion mit Bedeutung angereichert, wenn vornehmlich in der volkssprachigen Literatur Körperkonzept und Gewaltethos des Adels im Pferd gespiegelt werden; im politisch-sozialen Feld dagegen dienen drittens die verschiedenen Inszenierungen des Ritter-PferdGefüges der Darstellung von Gewaltüberlegenheit; schließlich erhält viertens der Ritterstand über das Pferd Anschluß an kulturgeschichtliche und metaphysische Legitimationsmuster.

2.1 Instrumentalisierung Im theologischen Kontext wird das Verhältnis zum Tier primär unter biblischen Vorgaben abgehandelt bzw. unter textsortenspezifischen Gesichtspunkten. In exegetischen Schriften, Moraltraktaten und Abhandlungen über die Seele ist das Pferd vor allem Allegorie, und nur selten finden sich Hinweise für eine nicht metaphorische, funktionale Einschätzung. So wird im De anima-Traktat des Wilhelm von St. Thierry das Verhältnis von Mensch und Pferd unter einer zivilisationsgeschichtlichen Perspektive gelesen, durch die der Mensch seine instrumentellen Fertigkeiten potenziert und seine Überlegenheit über die Natur demonstriert.190 Im Domestizierungsakt zähmt der Mensch das Pferd und eignet sich dessen physische Eigenschaften an, steigert Geschwindigkeit und Gewaltpotential und kompensiert mithin sein körperliches Defizit als Mängelwesen. Wenn der mittelalterliche Krieger in der Regel mit Reitpferd, Streitroß und Packpferd ein ganzes Ensemble von Pferden um sich versammelt,191 wird diese funktional ausgerichtete Herrschaft über das Pferd evident. Vor allem im Krieg aber offenbart sich der spezifische Vorteil der Nutzung: »Zu diesem Kriegsdienst ist das Pferd geeignet, auf dem der Krieger sitzt und durch seine Schnelligkeit oder Tapferkeit sicherer in die Flucht schlägt oder flieht.«192 Die hier im Moraltraktat gelieferte militärische Funktionsbestimmung des Pferdes erfährt im politischen Fachschrifttum ihre ständespezifische Interpretation. Aegidius Romanus führt in dem auf Vegez 189 Bourdieu, Dialog über die Kulturgeschichte, S. 36. 190 Tarditas namque corporis nostrae et ad movendum difficultas, equum sibi servire imperavit et edomuit! Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 716. 191 Fenske, Der Knappe, S. 105f. 192 Ad hanc autem militiam equus idoneus est, cui miles insideat et eius agilitate et fortitudine securius fuget aut fugiat. Radulfus Niger, De re militari I,13.

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fußenden Kriegsbuch seines Fürstenspiegels die Potenzierung adeliger Gewalt auf die Instrumentalisierung von Pferdekraft zurück: »Für die Reiterei sind aber mehr die Adeligen selbst auszuwählen, weil die Tapferkeit ihrer Pferde den Mangel ersetzt, unter dem die Edlen leiden, indem sie nicht solche Mühen auszuhalten gewohnt sind wie die Landbewohner.«193 Sichtbar wird hier im Rahmen herrschaftlicher Staatsorganisation die standesspezifische Nutzung des Pferdes. Doch nicht als Privileg bestimmt die Schrift die Leistung des Pferdes für den Adeligen, sondern im funktionalen Kontext staatlicher Kriegswissenschaft als Optimierung eines eher begrenzten Kraftpotentials. Insofern bleibt auch diese Position der Mängelwesenthese verpflichtet. Aegidius greift für den Aufbau einer effektiven militia auf antike Quellen zurück, um gegen die elitäre Kriegsethik des Adels eine kollektiv orientierte Alternative aufzubieten. Unter der Prämisse antiker Kriegstheorie (Vegez) bildet eben die Qualität der Fußkämpfer das entscheidende Paradigma militärischer Strategie. Ein solches Konzept entspricht weniger den historischen Voraussetzungen einer feudalen Reiterkultur, vielmehr ist es Ausdruck einer konkurrierenden symbolischen Ordnung, die ihrerseits den feudalen Krieger in die Strukturen des Staates einzugliedern beansprucht.194

2.2 Ethische Codierung Wird in dem ständedifferenzierenden Blick des Klerikers das Pferd noch nüchtern als Kompensation einer körperlichen Schwäche aufgefaßt, so fungiert es für Kirche und Adel zugleich als Metapher für Sinnkonstitution. Die Aufladung des Tiers mit Bedeutung vollzieht sich dabei sichtbar kontrovers. Während die Klerikerkultur die kulturhistorische Unterwerfung des Pferdes zugleich als Metapher der Selbsterhebung der ratio deutet, indem das Pferd zum Negativindex körperlicher Affekte stilisiert wird, die der Reiter (ratio) zu ›zügeln‹ hat,195 akzentuiert die feudale Perspektive vor allem die Körperdynamik des Pferdes, so daß dieses zum zentralen Index seiner kriegerischen Tugenden wird. Hinweise auf solche Positionen finden sich nur wenig im Fachschrifttum, zahlreich aber in der volkssprachigen Literatur. Insbesondere die heroische und höfische Epik sind der Ort für solch eine zeichenbezogene Annäherung von Ritter und Pferd.

193 In equestri [certamine] vero magis eligendi sunt ipsi nobiles: eo quòd equorum ipsorum fortitudo supplet defectum, quem patiuntur nobiles in non posse tantos sustinere labores, quantos consueuerunt sustinere rurales. Aegidius Romanus, De regimine principum III,3, 5, S. 568. 194 Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 157–160. 195 Equus noster est iumentum nostre carnis, cui insidemus cum sensualitas obtemperat rationi, Radulfus Niger, De re militari I,13; Ohly, Pferde im Parzival, S. 853.

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Wenn dem Pferd etwa aggressive Attribute zugeschrieben werden, projiziert der Adel nurmehr sein kriegerisches Selbstverständnis auf das geborene Fluchttier: »Das Pferd ist ein aufrechtes und übermütiges Lebewesen, beherzt im Kämpfen, begierig des Sieges und ein geduldiges Arbeitstier.«196 Theologische Disziplinierung und feudale Körperdynamik erfahren am Pferd ihre entgegengesetzte Wertschätzung: Z. B. wenn aus moralischer Perspektive das Pferd die negativen Attitüden der stürmischen Jugend repräsentiert,197 so markiert die positive Lesart indes präzise das Ethos des Adels. Eine metaphorische Analogisierung in Konrads von Würzburg »Trojanerkrieg« macht genau diese Inversion des Disziplinierungsmodells sichtbar: Der in Frauenkleider gesteckte Achill empfindet sich als wildes Fohlen, dem wider siner art Zaumzeug angelegt wurde.198 Das zielt nicht auf unbändige Jugendlichkeit im allgemeinen, vielmehr auf essentielle Zeichnung adeliger Art, die sich jeglicher Unterwerfung widersetzt.199 Die höfische Literatur nutzt auch ihre besonderen sprachlichen Möglichkeiten, um die Nähe von Ritter und Tier zu evozieren. Wolfram etwa zeigt mitunter die Möglichkeit dieser Spiegelung syntaktisch geschickt dadurch an, daß er den Bezug der Eigenschaften symmetrisch lesbar macht: dô reit der künec Purrel starc, küene und snel ein ors, gewâpent ûf den huof.200

196 Equus animal erectum est atque exultans, in certando animosum, victoriae cupidum, non impatiens laboris. Anonymi de Physiognomonia liber Cap. 118, S. 137. Vincenz von Beauvais rekurriert gar auf einen biblischen Kontext, um die Tugenden des Pferdes zu beschreiben: De vsu equorum in praelijs. AVctor. Equus autem (vt ait Salomon) ad diem belli paratur, cuius videlicet nobilitatem, & audaciam describit Dominus ad Iob, […] Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XVIII,53, Sp. 1356. 197 Sicut superbia equi indomiti praecipitio prona est; ita lascivia adolescentis indisciplinati, peccati ruinae proxima est. Ps.-Bernhard, De ordine vitae Cap. V, PL 184, Sp. 573. 198 im was als einem wilden voln, / der gêt in sîner vrîheit. / daz dem ein zoum wirt an geleit / unde ein satel ûfe sich, / daz dunket in sô kumberlich, / daz er beswaeret drumbe wirt, / wan er der sprünge sîn enbirt / ungerne bi den stunden. / vil kûme er wirt gebunden, / wan er sîn ê was ungewon. / sus tete Achille diz gedon, / daz er dâ wider siner art / betwungen von der minne wart, / daz er wîbes bilde truoc. Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 15074–15087. 199 Vgl. Prosa-Lancelot, I, S. 277f., 292f., Alexanders Onkel im Straßburger Alexander, V. 112–124, Welf in der Historia Welforum, S. 80. 200 Wolfram von Eschenbach, Willehalm, V. 429, 9–11. Über Ascalon heißt es im »Iwein«: sîn ros was starc / er selbe grôz. Hartmann von Aue, Iwein, V. 699f. Da er ryten mocht, da gab im die jungfrauw ein schön pfert schnel und starck, […] heißt es von Lancelot. Prosa-Lancelot I, S. 34. Ackermann-Arlt, Das Pferd und seine epische Funktion, S. 290. Das Pferd kann sogar selbständig in den Kampf eingreifen: Alrêrste wart erzürnet Röschlîn das ros guot. / wie vaste ez vor Eckarten beiz unde sluoc! / drî hundert man treip ez hinder sich hin dan. Alpharts Tod, 445,1–3.

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Die Analogiesetzung mit den ›wilden‹, d. h. feudalen Eigenschaften findet schließlich prägnanten körperlichen Ausdruck in der affektiven Angleichung an das Tier: Lancelot erhält beim Zornausbruch glühende blutrote Augen und gebart mit der nasen als ein roß das sere ist gerant, und beiß die zene zuhauff das sie krachten.201 Kraft, Schönheit, Stolz, Schnelligkeit, Mut und Zorn: Ein ganzes Ensemble feudaler Tugenden wird auf das Pferd projiziert. Das Pferd selbst signalisiert heroisches Affektpotential.202 Das theologische Kulturmodell der ethischen Selbstbeherrschung erhält in der Pferdemetaphorik einen rivalisierenden Entwurf.

2.3 Symbiose von Ritter und Pferd Suggeriert wird die Möglichkeit einer natürlichen Beziehung zwischen Ritter und Pferd. Daß Reiten eine der Basistechniken feudaler Lebenspraxis darstellt, davon zeugen die zahlreichen historischen und literarischen Erziehungsverläufe, die gerade die Aneignung dieser Fertigkeiten in die früheste Jugend verlegen.203 Tristan lernt alle Techniken des Reitens nâch ritterlîchem site, und ebenso Achill bei Chiron: sîn meister lêrt in allez daz.204 Von Iwein und Gawein heißt es: Sî mohten wol strîten, / wand sîs ze den zîten / niht êrste begunden. / wie wol sî strîten kunden / ze rosse und ze vuoze! / ez was ir unmuoze / von kinde gewesen ie.205 Im Gegenteil, dort, wo aus einer pädagogischen Perspektive in der Jugend der richtige Zeitpunkt verpaßt wird, vermag Erziehung nichts mehr: sô man dich danne gesiht / unbehendeclichen rîten, / sô muostû zallen zîten / dulden ander ritter spot.206 Zwar wird Reiten sichtbar an Erziehung gebunden, doch dadurch daß es der frühzeitigen Übung be201 Prosa-Lancelot I, S. 35; Ackermann-Arlt, Das Pferd und seine epische Funktion, S. 293. 202 Peschel-Rentsch, Pferdemänner, S. 12–31. Ector vf ein ros saz / Harte gut man saget daz / Ez hieze galathea / Ez sante im pentesilea / Ein hubische iuncfrovwe / Mit slegen noch mit drouwe / Mochte man ez betwingen / Swa ez quam zv springen / Da enkvnde niht vor bestan / Ez enwolde follen sprunc han / Ez enwart nie dehein noz / Daz phert were so groz / So hoch noch so wol getan / So daz selbe kastellan. Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 4791–4804. Vgl. über Peleus’ Pferd Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 3851–3857. 203 Tam velox autem factus est, ut equorum terga facili saltu transvolaret, heißt es von Gerald von Aurillac. Odo von Cluny, De vita sancti Geraldi, PL 133, Sp. 645; vgl. Fenske, Der Knappe, S. 90. 204 Gottfried von Straßburg, Tristan, V. 2103–2111, 2111; Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 6244. 205 Hartmann von Aue, Iwein, V. 6989–6993; vgl. Bumke, Höfischer Körper, S. 68. 206 Hartmann von Aue, Gregorius, V. 1538–1541; Fenske, Der Knappe, S. 93. In diesem Sinn wird denn auch Lanzelets Erziehungsdefizit im Feenreich (wan er ûf ros nie gesaz) sogleich an seiner Reithaltung sichtbar. Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet, V. 298, 404–412, 461–499. […] daz er sô kintlîche reit. Ebd., V. 477; vgl. Ackermann-Arlt, Das Pferd und seine epische Funktion, S. 288–290.

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darf, wird die Gewohnheit als natürlicher Faktor (consuetudo altera natura) bereits ins Spiel gebracht: ez lêret diu gewonheit.207 Adelige Art rekurriert aber in bezug auf das Reiten auf noch tiefer liegende, natürliche Ressourcen. Bereits Chrétien zeichnet die Verbindung des jungen Perceval zu seinen ritterlichen Übungen zu Pferd als Effekt natürlicher Anlage.208 Dort, wo die art des Adeligen gegen alle Versuche der Verdrängung schließlich durchbricht, manifestiert sie sich außer durch Jagdtechniken auch durch eine angeborene Beherrschung des Pferdes. In diesem Sinn imaginiert Gregorius gerade gegen seine vergangene Sozialisation durch Bücher und gegen das Erziehungspostulat der Kleriker, Ritterschaft bedürfe vil wol gewizzenheit, seinen Geblütsadel nicht zufällig am Beispiel des Reitens: mit guoter gehabe ich reit / ânes lîbes arbeit: / ich gap im senften gelimph / als ez waere mîn schimph.209 Wie für den Kleriker Lesen und Schreiben ist für den Adeligen Reiten die zentrale kulturelle Basistechnik.210 Insofern die Verbindung von Ritter und Pferd nicht nur kulturell hergestellt, sondern auch natürlich fundiert wird, berühren ihre Modalitäten die »literarische Signifikanz des Körpers«, im weitesten Sinn sogar eine historische Anthropologie des Körpers.211 Die enge Bindung von Reiter und Pferd wird auch im Regenerationsprozeß des Ritters erkennbar. Die Wiederherstellung des verletzten, ausgehungerten und nur noch am Boden kriechenden Grafen Rudolf wird als eine Form innerlicher Angleichung beschrieben. Statt auf sein Streitroß greift der Graf zu207 Hartmann von Aue, Iwein, V. 6998. 208 […] Car il li venoit de nature, / Et quant nature li aprant / Et li cuers del tot i antant, / Ne li puet estre riens grevainne / La ou nature et cuers se painne. Chrétien de Troyes, Le Conte du Graal, V. 1480–1484. 209 Hartmann von Aue, Gregorius, V. 1564, 1609–1612; vgl. 1582–1624; Peschel-Rentsch, Pferdemänner, S. 20f. 210 Curschmann hat auf eine Illustration im Vogeltraktat (De avibus) des Hugo de Folieto in der Handschrift Heiligenkreuz aufmerksam gemacht, in der nicht nur Taube und Falke als signifikante Symbole für Kleriker und Ritter gegenübergestellt werden, sondern darunter der lesende Kleriker und der reitende Ritter mitsamt dem ihm zugehörigen Ensemble adeliger Tiere. Curschmann, Pictura laicorum litteratura, S. 216. Selbst die Legende kann vor dem Hintergrund dieses ›kulturellen‹ Musters operieren. Die Legende vom heiligen Benedikt bietet eine Geschichte, in der der gewalttätige Gote Galla auf seinem Weg zu Benedikt einen gefesselten Bauern vor seinem Pferd hertreibt. Dieser hatte unter der Folter gestanden, er habe sein Vermögen dem Heiligen anvertraut. Der grausame Gote trifft Benedikt sitzend und lesend vor seiner Zelle an und fordert barsch das Vermögen des Bauern. Doch Benedikt unterbricht nur kurz seine Lesung, schaut den armen Bauern an, worauf sich dessen Fesseln lösen. Die Zeichen einer solchen Macht erschrecken den Gala derart, daß er sich zu Boden wirft und seinen Nacken bis zu den Füßen des Heiligen beugte. »Der Heilige aber unterbrach seine Lesung nicht.« Legenda aurea [Benedikt]. Eine eindringliche Konfrontation der Hybris des Reiters mit der demütigen Versenkung ins Buch. 211 Peters, Historische Anthropologie und mittelalterliche Literatur, S. 66f.

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Hugo de Folieto. Stiftsbibliothek Heiligenkreuz, Ms. 18 (226) f. 129v.

nächst auf sein leichter zu handhabendes Reitpferd (Bonthard) zurück, um zu seiner Geliebten zu reiten. Der Akt des Reitens und die Stimmung des Pferdes strahlen sichtbar auf den Rekonvaleszenten aus.212 Der Inszenierung des Pferdes als konstitutives Attribut des Ritters realisiert sich in der Darstellung häufig durch eine Art symbiotische Beziehung. 212 Graf Rudolf, I,43–56. Vgl. den Stimmungswechsel des Blanscandiz im »Rolandslied«: er rechuchte sich rehte uzzen unde innen: / sin ros liz er springin, / er ulouch mit den geberen / sam der gůte můzzere. Rolandslied, V. 1902–1905. Zu Lancelot vgl. Ackermann-Arlt, Das Pferd und seine epische Funktion, S. 300f.

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Sie zeigt sich rein äußerlich in der Deskription, z. B. in der farblichen Anpassung von Rüstung und Pferdedecke sowie ihren Einschreibungen: der rote Ritter.213 Über die farbliche Tönung der Kleidung und ihre heraldische Signatur, seien es Tiere oder Gegenstände, verschmilzt der Ritter für den Betrachter mit seiner Waffe und seinem Tier zu einer signifikanten Einheit.214 Den gleichen Zweck kann die Reiter und Pferd umschließende Rüstung erfüllen. So empfinden die Araber während des Kreuzzuges die schweren fränkischen Panzerreiter als homogene, kaum auflösbare Einheit von Mensch und Pferd: »Mit dem Pferd ist der Franke ein Block aus Eisen, gegen den alle Schläge wirkungslos sind […].«215 Wenn Joachim Bumke auf die zahlreichen Adelssiegel verweist, die neben dem Namen den gerüsteten Ritter zu Pferd abbilden, dann dokumentieren diese ›Realien‹ nicht nur die Bedeutung körperlicher Haltung für die adelige Gesinnung, sondern auch die konstitutive Rolle, die das Pferd in diesem Zusammenhang spielt.216 Kulturanthropologisch gesprochen verweist das Pferd auf die körperliche Repräsentanz des Adels, ist das Pferd weniger ein bloßes Instrument oder eine Metapher als ein konstitutiver Faktor feudaler Lebenswelt. Wie die Waffe mit ihren Einschreibungen an Namen und Zeichen wird das Pferd vielfältig codiert und offenbar in das Körperschema des Ritters integriert, gewissermaßen eine Verlängerung adeliger Signifikanz in die Außenwelt, sichtbar ausgelagerte Grenze seines naturverhafteten Selbstverständnisses: dô stuont daz ors, dô stuont der man sô rehte wol ein ander an, als ob si waeren under in zwein mit ein ander und inein alsô gewahsen unde geborn.217

Daß das Pferd konstituierendes Element des Rittertums ist, läßt sich besonders an Situationen des Mangels erkennen: an der Schmach, wenn der Ritter vom Pferd gestochen wird oder er nach dem Verlust desselben zu Fuß 213 Baum, Das Pferd als Symbol, S. 94. sîn ros was grôz unde hô, / starc rôt zundervar. / der varwe was sîn schilt gar: / sîn wâpenroc alsam was, / er selbe rôt, als ich ez las, / gewâfent nâch sînem muote. Hartmann von Aue, Erec, V. 9015–9020; vgl. Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 145,15–146,3; Wirnt von Grafenberg, Wigalois, V. 2841f., 2996f.; Ohly, Pferde im Parzival, S. 878. 214 Waffe, Rüstung, Schild, Helm, Pferdedecke; eine Übersicht über die verschiedenen heraldischen Zeichengebungen gibt Zips, Das Wappenwesen, S. 69 (Orilus), 105f. (Gahmuret), 117f. (Walberan) u. ö. 215 Abu Shama, Le livre des deux jardins, S. 271 zur Schlacht von Hattin 1187. Zitiert nach Hiestand, Der Kreuzritter, S. 55f. Revêtu des pieds à la tête d’une cotte de mailles qui le faisait ressembler à un bloc de fer, les coups redoublés n’avaient sur lui aucune prise […]. 216 Bumke, Höfischer Körper, S. 68f. 217 Gottfried von Straßburg, Tristan, V. 6711–6715; Baum, Das Pferd als Symbol, S. 57.

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gehen muß.218 Immer wieder kommen die Epen auf dieses Szenario ritterlicher Hilflosigkeit zurück. Verschiedene historische Indizien belegen, daß Schmähungen des Feindes etwa durch die Praxis des schandhaften Reitens oder durch Verstümmelung des Pferdes kenntlich gemacht wurden.219 Die literarischen Inszenierungen solcher Demütigungen, wie die ausführliche Beschreibung des Schandmäres, auf das Gawein im »Parzival« und gesteigert noch in der »Crône« angewiesen bleibt, basieren auf dieser engen Prestigeverbindung von Ritter und Pferd.220 Mißverhältnisse dienen entsprechend zur Markierung einer Störung und werden in bezug auf die Protagonisten (Erec, Gawein) meist wieder korrigiert. Statur und Habitus des Pferdes einerseits, Tugend und sozialer Status des Reiters andererseits mußten offenbar in Übereinstimmung stehen, wie etwa bei Enites Pferd oder seiner Kontrafaktur, beim Schandmäre des wilden Knechts in der »Crône«.221 So zeigt sich schon hier, daß der Reiter eine soziale Erscheinung darstellt, die eine natürlich-moralische, zumeist auch physiognomisch markierte Qualifizierung impliziert.222 Das Pferd ist immer auch ethische und ästhetische Einschreibe-

218 Jähns, Ross und Reiter II, S. 51; Schneider, Animal laborans, S. 526. Nach Helmold von Bosau enthält die Demütigung Heinrichs IV. durch den Papst die Auflage, sich ein Jahr lang nicht aus Rom zu entfernen und kein Pferd zu besteigen: equum non ascenderet. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 28, S. 55. Die von den Arabern bestaunte eiserne Einheit von Ritter und Pferd schlägt denn auch im Augenblick der Trennung in Hilflosigkeit um: […] wenn sein Pferd tot ist, wird er eine leichte Beute. Hiestand, Der Kreuzfahrer, S. 55f. Petrus von Ebulo zieht die »Mißgeburt« des staufischen Gegners im normannischen Sizilien u. a. dadurch in Mißkredit, daß er den Fürsten Tankred vom Pferd fallend darstellt. Petrus von Ebulo, De rebus Siculis, S. 65f. 219 Aber darnach wem man schande oder laster thun wolt, den satzt man uff ein pfert dem der zagel und die oren abe gesneden waren, und der pherde hatt man in iglicher stat, an allen porten eins, das daruff wartet, heißt es im Prosa-Lancelot II, S. 13. Schon die alemannischen Fürsten Berchtolt und Erchanger können den von ihnen gefangen gesetzten Bischof Salomon von Konstanz allein durch ein schlechtes Pferd demütigen. Sternitur viro Dei vilior interea equus. Ekkehard von St. Gallen, Casus sancti Galli Cap. 18; Schreiner, Gregor VIII., nackt auf einem Esel, S. 155–202. Das Verbot, Pferde zur Schmähung des Gegners zu verstümmeln (z. B. durch Nasenschnitt), findet sich in den Volksrechten; vgl. Schneider, Animal laborans, S. 528f. 220 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 529,17ff.; Heinrîch von dem Türlîn, Diu Crône, V. 19787–19948. 221 Hartmann von Aue, Erec, V. 7264–7766; Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 22f.; Heinrîch von dem Türlîn, Diu Crône, V. 19787–19948. In Hartmanns Text ist gerade in bezug auf Enite das Pferd durchgehend Standessymbol und Zeichen ihres jeweiligen sozialen Zustands. Erec, V. 316–365, 1414–1453, 3272–3290, 3440–3471. 222 Ein Korrespondenzverhältnis von Reiter und Reittier gestaltet wiederholt auch Wolfram: sowohl im Verhältnis Gaweins zu Gringuljete wie auch in den Zerrformen von Kundrie und ihrem Maultier (vgl. Malcrêatiure). Während Gawein und Gringuljete »wie eine Einheit, eine sich wechselseitig stützende Vollkommenheit« leben, sind letztere nach Auskunft des Textes sichtbare Folgen einer Animalisierung des Menschen als Folge des Sündenfalls. Ohly, Pferde im Parzival, S. 882–885, 886.

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fläche.223 Als literarische Strategie kann die enge Bindung von Ritter und Pferd sogar zum Rollentausch führen, so daß das Pferd anstelle des Ritters zum Agenten der Handlung wird.224

2.4 Pferdemänner Das essentielle aufeinander Angewiesensein von Ritter und Pferd verhandelt bereits die Heldenepik und kann als paradigmatisches Bezugsfeld dem Handlungsverlauf unterlegt werden. Im »Eckenlied« trifft der Riese Ecke als ein aus dem Maß geratener Mensch auf ein seine Grenze überschreitendes Tier: auf einen Kentauren. Dietmar Peschel-Rentsch hat darauf aufmerksam gemacht, daß der Drang des Helden Ecke nach ritterlicher Ebenbürtigkeit mit Dietrich trotz aller heroischen Qualitäten bereits an seiner riesenhaften Statur scheitert, die es ihm unmöglich macht, ein Pferd zu reiten.225 Das ideale ritterliche Verhältnis zum Tier bildet bei aller Assimilation ein Gefüge, ein Austauschverhältnis, keine Identität, die wiederholt in der Figur des Kentauren distanziert wird. Kentauren bilden in der mittelalterlichen Rezeption antiker Mythen weniger Chiffren einer positiven Symbiose von Natur und Kultur.226 Sie bevölkern vielmehr als eher dämonische Mischwesen die mittelhochdeutsche Epik, in der sie syntagmatisch eine Station im Bewährungsweg des Protagonisten repräsentieren, paradigmatisch die überschrittene Grenze zwischen Pferd und Mensch verhandeln. Dabei scheinen sie je nach Gattungsmuster unterschiedlich codiert zu sein. Im »Eckenlied« fungiert der Kentaur als wildes Naturwesen (merwunder), das unvermittelt aus einer dunklen und bedrohlichen Wildnis auftaucht. In einem antiken Kriegsepos wie Herborts »liet von Troye« wird er dagegen mit seinem unritterlichen Bogen als beson223 Ir ros waren wol bedacht / Vf couerture / Riche vnd ture / Phellil vnd cindat / Arne Lewen dar in genat / Vnd ander zeichen da mite /Als ez noch ist site. Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 4438–4444. Die Beschreibung von Enites Pferd, von Körper, Zaumzeug und Sattel, wird zum Dokument einer kleinen ritterlichen Kulturgeschichte, das Pferd selbst zum ›vollkommenen Kunstwerk‹, seine Darstellung zum Spiel mit Fiktionalisierungsstrategien. Worstbrock, Dilatatio materiae, S. 20–27, 25–27. Vgl.: ein ors er wolgemuote reit, / daz man sô vreches nie gesach. / ûf dem sô lac ein rîchez dach / ûz einem purper wol gesniten. / in sîn wâpenkleit gebriten / mit golde was zam unde wilt. Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 25950–25955; vgl. Wolfram von Eschenbach, Willehalm, V. 33,16f. 224 In seiner Minnekrise gelähmt, ist es das Pferd Partonopiers, das sich erfolgreich gegen einen Löwen zur Wehr setzt und die Rettung des Protagonisten betreibt. Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 10516–10555; Rikl, Erzählen im Kontext, S. 153f. Willehalms Pferd Puzzat wird zum Stellvertreter von Willehalms Leiden auf dem Weg zum Königshof. Wolfram von Eschenbach, Willehalm 88,22f. Vgl. zum Parzival: Ohly, Pferde im Parzival, S. 916. 225 Vgl. Kapitel IV, 3 Eckenlied. 226 Zu antiken Symbiose vgl. Bartra, Wild Men in the Looking Glass, S. 11–18. Zur mittelalterlichen Rezeption vgl. Kollmann, The Centaur, S. 233f.

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ders tückischer Gegner in der Schlacht inszeniert, offenbar als Repräsentant eines entfernten Reitervolks, der nur durch kollektive Taktik besiegt werden kann.227 Schließlich wird der Kentaur in einem christlich gewendeten Artusroman wie Wirnts von Grafenberg »Wigalois« deutlich zum Funktionselement des Teufels: nunmehr ausgerüstet mit ›infernalischem‹ Feuer.228 Als Mischwesen sind Kentauren stereotyp gezeichnet und bringen mit beinah undurchdringlichem Fell und zumeist mit unritterlichen Waffen – Speer, Bogen, Feuer –, den Protagonisten in eine erste Verlegenheit. Die antike mythologische Figur des Pferdemenschen wird damit je nach Bedarf in germanisch-heldenepische, exotisch-ethnographische und christlich-dämonologische Sinnzusammenhänge transponiert: Tier, wilder Reiterkrieger, Teufel. Für den hofkritischen Kleriker verschmilzt sogar der adelige Jäger in seinem wilden Eifer mit der Figur des Pferdemenschen: »Bisher riechen alle Jäger nach der Art der Kentauren. Selten wird einer von ihnen gefunden, der demütig oder erhaben von Charakter ist, selten sind sie bescheiden und, wie ich glaube, niemals nüchtern.«229 Und doch gibt es auch in mittelalterlicher Epik eine signifikante Ausnahme, die in positiver Hinsicht Mensch und Pferd in Beziehung setzt: Achills Erzieher Schyron in Konrads von Würzburg »Trojanerkrieg«. Als physische Kombination von wildem Tier und höfischem Menschen repräsentiert dieser Kentaur jene ideale Verbindung von natürlicher Gewalt und kultureller Existenz, die im höfischen Ritter-Pferd-Gefüge auf komplexe Art inszeniert wird. So offenbart sich an dieser Kunstfigur letztlich doch der Traum einer symbiotischen Beziehung des Adels mit seinem wichtigsten Standesattribut. 227 Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 7685–7758. Herbort verzichtet dagegen darauf, Chiron, den Erzieher Achills, als Kentauren zu kennzeichnen. Vincenz zieht den Vergleich mit perfekten Reitern: Quos quidam fuisse equites Thessalorum dicunt, sed pro eo quòd discurrentes in bello velut vnum corpus equorum & hominum viderentur, inde centauros fictos assuerunt. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXXI,121, Sp. 2389. Zu den Reit- und Bogenkünsten (sagittarii incomparabiles) der Mongolen vgl. Matthaeus Parisienis Chronica maiora IV, S. 115. Vgl. zum Kentauren: LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 176–179, 178f. 228 in dirre vinster lief in an / ein vremdiu crêatiure; / diu bestuont in mit viure. / si hêt ein houbet als ein hunt, / lange zene, wîten munt, / diu ougen tief, viurvar; / niderhalp der gürtel gar / hêt si eines rosses lîp. / weder ez man ode wîp / waere, des enweiz ich niht. / als uns diu âventiure giht, – / ob iemen daz geloubet – / enzwischen gürtel und houbet / was si geschaffen als ein man; / breite schuopen wâren dran / gewahsen herter danne ein stein; / die selben schuopen mohte dehein / wâfen wol gesnîden. / des muose der rîter lîden / von ir grôze swaere. / waz geschepfte ez waere, / desn kan ich iu niht gesagen. / er sach si einen haven tragen, / der was grôz, êrîn; / mit listen was ein viuwer drîn / gemachet, sô daz bran / swaz ez wart geworfen an: / bein, îsen unde stein. / daz selbe viur mohte dehein / wazzer niht erleschen sô / ezn brünne drinne als ein strô; / daz selbe viur warf si in an. Wirnt von Grafenberg, Wigalois, V. 6931–6962. 229 Venatores omnes adhuc institutionem redolent Centaurorum. Raro inuenitur quisquam eorum modestus aut grauis, raro continens, et, ut credo, sobrius numquam. Johannes von Salisbury, Policraticus I,4.

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2.5 Institutionalisierung Der soziale Abstand des Adels von der untergebenen Bevölkerung wird durch das Pferd auch räumlich sichtbar, der Standesunterschied manifestiert sich in der Erhöhung des Reiters: ir sult rîten, ich sol gên, mit diesen Worten insistiert der Kaufmann trotz adeliger Abkunft gegenüber dem Herrscher Willehalm auf der Wahrung der etablierten Rangunterschiede.230 Ließ sich das Pferd für das feudale Körperkonzept als überlegenes Kraft- und Affektpotential in Anspruch nehmen, so nähert sich auf der politischen Ebene die Zeichenfunktion wieder dem Disziplinarmodell der Kleriker an, verschoben indes vom inneren zum äußeren Tier: der Reiter als reale Chiffre der Herrschaft über das Tier. Diesen Horizont feudaler Herrschaftsauffassung entfalten vor allem historiographische Texte in einer Reihe von historischen Fallbeispielen. Sie legen nicht nur Zeugnis ab vom Bildreservoir mittelalterlicher Herrschaftsauffassung, sondern geben zugleich Einblick in konkrete Praktiken und ihre institutionellen Rahmungen. Die politische Metaphorik zehrt von einer Semantik der Zähmung. Wenn es von Herzog Heinrich dem Löwen heißt, dieser habe ›mit dem Zügel seiner Herrschaft die Slawen gelenkt‹,231 so realisiert die Metapher für den Umgang mit dem Feind nur ein allgemeines Herrschaftsprinzip. Der Einritt Barbarossas in die eroberte Stadt Pavia wird repräsentativ von berittenen Kriegern begleitet, die noch einmal die Domestizierung widerständiger Untertanen politisch inszenieren, indem sie ihre fauchenden Pferde zügeln und in eine sanfte Gangart zwingen.232 Die literarische Inszenierung des politischen Triumphs aktiviert zugleich den symbolischen Gehalt des Ereignisses. Daß der Status selbst von Ministerialen in dieser Analogie eines natürlichen ›Instruments‹ aufgefaßt wurde, zeigt eine signifikante Strafpraxis Barbarossas zu Worms 1155. Verurteilte Ministerialen hatten als zusätzliches Zeichen der Demütigung einen Sattel von einer Grafschaft bis zur nächsten zu 230 Wolfram von Eschenbach, Willehalm, V. 131,23. sy gen selten zu fusz über feldt, ist ouch yrm stand schendlich, so läßt sich noch im Spätmittelalter die herausgehobene soziale Stellung des Reitens belegen. Brückner, Roß und Reiter, S. 181; Ohly, Die Pferde im Parzival, S. 888. Zur Spaltung des Heeres in Ritter und fuozgenger und zur sozialen Disqualifizierung der letzteren in Ulrichs von Etzenbach Alexanderroman, V. 2447, 2455, 2459, 2465, 3680. 231 […] freno dominii sui maxillas eorum constrinxerat. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum III,5, S. 148; vgl. III,1. Wie die Herrschaft über die Slaven auszusehen hat, beschreibt Helmold am Beispiel des Dänenherzogs Waldemar, der die Kraft der Slaven (robur Slavorum) bricht: et misit frenum in maxillas eorum et quo voluerit declinat eos. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum, Cap. 109, S. 217. 232 Signa crucis textusque sacros turisve vaporem / Prodierint, ut purpureo velamine passim / Belligeros instratus equos fulgencia late / Signa ferens faleratus eques fremebunda lupatis / Ora terat cogatque leves subsistere cursus. Guntheri Poetae Ligurinus III, V. 195–199.

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tragen.233 Nicht nur läßt sich wie beim schandhaften Reiten die soziale Störung als Verkehrung von Reiter und Instrument (Pferd/Sattel) inszenieren, zugleich wird der Ministeriale auf seinen Dienststatus verwiesen. Als Zeichen ist das Pferd in prädestinierter Form der Herrschaft zugewiesen,234 die mit seiner Hilfe konkrete Rituale politischer Unterordnung – Stratorendienst – und Überordnung – Krönungsritus – entwirft. Nach der Kaiserkrönung Barbarossas kommt es zu einem symbolischen Akt: »Nachdem alles vollzogen war, bestieg der Kaiser, die Krone auf dem Haupt, als einziger ein prunkvoll geschmücktes Pferd, während die anderen zu Fuß gingen […].«235 Und noch im Königsumritt nimmt der Herrscher symbolisch sein Territorium in Besitz. Der reisende König, der vom Sattel aus regiert, ist für das Mittelalter eine vertraute Figur.236 Wie sehr mit der Fähigkeit zu reiten der Anspruch auf soziale Geltung verbunden war, zeigt sich darin, daß nach dem »Sachsenspiegel« die Geschäftsfähigkeit eines Mannes, d. h. seine Befugnis über die Vererbung seines beweglichen Besitzes zu entscheiden, von seiner Fähigkeit abhing, in Waffen ein Pferd zu besteigen: »Alle Fahrhabe veräußert ein Mann ohne Zustimmung der Erben, solange er gegürtet mit einem Schwert und mit einem Schild auf ein Pferd steigen kann, und zwar von einem Stein oder Stock eine Daumenelle hoch und ohne die Hilfe eines Mannes, außer daß man ihm das Pferd und den Steigbügel hält.«237 Im Gegensatz zur Moderne ist es eine körperliche Fertigkeit, die die Wertigkeit einer adeligen Person garantiert. 233 Vgl. Otto von Freising, Gesta Frederici II,48. Schwenk, Das Hundetragen, S. 289–308. 234 Unter den großzügigen Geschenken, die zwischen Potentaten rituell ausgetauscht werden, nehmen Pferde eine herausragende Position ein. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum I, 9; VII, 15; vgl. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 3928–3936. 235 Peractis omnibus imperator cum corona solus equum faleratum insidens, ceteris pedes euntibus [….]. Otto von Freising, Gesta Frederici II,34. In curtem latam ellis amphiprehensam, […] / In qua stant et equi, decet ut regem, falerati, […], heißt es im Ruodlieb, V. 163–165. Deme pavese is ok gesat to ridene to bescedener tit op eneme blanken perde unde de keiser scal eme den stegerep halden […]. Sachsenspiegel, Landrecht I,1. Der an byzantinische Krönungsriten angelehnte Umritt Gregors IX. 1227 erfolgt auf einem »mit kostbaren Stoffen bedeckten Pferd, begleitet von den in Purpur gekleideten Kardinälen. Der Senator und der Präfekt der Stadt begleiteten ihn zu Fuß und hielten die Zügel des Pferdes.« Paravicini Bagliani, Der Leib des Papstes, S. 48. Wenn Papst Coelestin V. 1294 auf einem Esel in Aquileia einreitet, bleibt das eine Ausnahme. Schreiner, Gregor VIII., nackt auf einem Esel, S. 177f. Vgl. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum VII,19. »Vom Bischof von Soisson wird berichtet, er habe im Jahre 1135 drei Männer und zwei Frauen für ein schönes Pferd gezahlt, um einen ›feierlichen‹ Einzug in seine Metropole halten zu können.« Meyer, Mensch und Pferd, S. 169. Nach Jähns, Ross und Reiter II, S. 106. 236 Schmidt, Königsumritt; Zu Wipos Äußerung, daß Konrad II. vom Sattel aus regiert habe, vgl. Schulze, Königsherrschaft und Königsmythos, S. 181. 237 Vgl. Sachsenspiegel, Landrecht, I,LII; vgl. die Abbildung in der Wolfenbütteler Handschrift fol. 22. Dazu Hüpper, Funktionstypen, S. 238.

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Sachsenspiegel. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 3.1 Aug. 2°, 22r.

Auch die Konstruktion von Geschichte (Sagen) folgt offenbar diesem Inszenierungstyp. Wie sehr sich gerade auf höchster Ebene Herrschaft an den Akt des Reitens bindet, belegt die Sage von Heinrich dem Vogler. Nach der Überlieferung Arnolds von Lübeck überraschen anläßlich der Königserhebung Heinrichs I. die Boten den Prätendenten beim Vogelstellen in der Scheune. Seine Frau bewirtet die Gäste und läßt nach ihrem Mann schicken: »Jene schickte ihrem Mann heimlich Pferde, daß er gewissermaßen des Weges und reitend ins Haus käme.«238 Bereits vor der anstehenden Erhebung bedarf es der adäquaten Statusdemonstration. Geradezu als Wechsel einer Kulturstufe beschreibt Cosmas von Prag den politischen Gründungsakt des böhmischen Volkes, das wild und gewissermaßen im Einklang mit der Natur lebt bis zu dem Zeitpunkt, als ihnen mit Hilfe von Auguren ihr Herrscher zugewiesen wird, der als Ackerbauer auf dem Land lebt. Der überraschte Primyl wird noch an Ort und Stelle mit verschiedenen Herrschaftsinsignien ausgestattet und besteigt gewissermaßen als Inthronisationsakt ein Pferd: »Nachdem der 238 illa clam misit equos marito, ut equitando domum intraret, quasi de via venisset. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum II,18, S. 138. Arnold beschreibt auch ausführlich die Statusrivalität zwischen dem byzantinischen Kaiser und König Konrad. Letzterer widersetzt sich der Forderung nach einem Demutsgestus und erreicht nach komplizierten Verhandlungen, daß sich beide Herrscher zu Pferd auf gleicher Ebene begegnen: ut in equis se viderent, et ita ex parilitate convenientes sedendo se et osculando salutarent. Ebd., I,10, S. 122f. Ludwig IX. von Frankreich († 1270) reitet mit Reliquien in Notre Dame bis zum Altar und übergibt sie der Kirche. Brückner, Roß und Reiter, S. 182. Bereits die Anerkennung Karls des Großen durch Leo III. zeigt sich zeremoniell darin, daß der Papst dem Kaiser in aller Form einer herrscherlichen processio entgegen reitet. Karolus Magnus et Leo Papa, S. 27.

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Landmann das königliche Kleid und das königliche Schuhwerk angezogen hatte, bestieg er ein feuriges Roß.«239 Deutlicher noch als im ersten Fall wird erkennbar, daß mit der Erhebung ein Statuswechsel sich vollzieht, durch den die Nähe zum bäuerlichen Milieu sichtbar abgewiesen wird. Die aufgeführten Fälle aus dem Feld mittelalterlicher Historiographie bezeugen deutlich den Statusindex des Pferdes. Im literarischen Kontext wird diese Form zum frei verfügbaren Darstellungsmittel. Gerade weil es ein zentraler Index von Herrschaft ist, ist das Pferd auch Erkennungszeichen für vorbildliche Herrscher. Die Fähigkeit, ein Pferd in seine Gewalt zu bekommen, wird mitunter in literarischer Darstellung zum Ausweis von Herrschaftstauglichkeit.240 Im »Herzog Ernst« erkennt der König der Cyklopen seinen Standesgenossen mit Hilfe einer Pferdeprobe.241 In Konrad Flecks »Flore und Blanscheflur« ist die Funktion des Pferdes als Herrschaftsindex auf komplizierte Art reflektiert. Das besondere Pferd, das in seiner Außerordentlichkeit und Farbigkeit an das bunte Pferd Enites erinnert, trägt auf seinem Körper eine Art Naturschrift: daz was von nâtûre schône / entworfen âne mannes list. Was auf dem Pferd in Schriftform erscheint, ist aber die natürliche Zuordnung von Herrschaftsanspruch und außerordentlichem Pferd: ›mich sol niemen rîten / wan der wert sî der krône‹.242 Doch unterscheiden sich die Formen der Übermächtigung, rivalisieren physische Gewalt, Naturmythos und Technologie miteinander. Heroen wie Thidrek oder Reinolt von Montelban erweisen ihre Überlegenheit auf rein physischer Ebene.243 Alexanders Macht zeigt sich in der Bezwingung und Instrumentalisierung des wilden Pferdes Bucephalus an, dessen Zähmung allein durch den Blick Alexanders die Herrschaftsprophetie erfüllt244 Diese 239 Post hec indutus veste principali et calciatus calciamento regali acrem ascendit equum arator. Cosmas von Prag, Chronica Boemorum I,7, MGH scr. rer. germ. II, S. 17. 240 Zu Belegen aus der Heldenepik vgl. Jähns, Ross und Reiter II, S. 24. […]. im hieß der alte Hildeprant / ein schones roß dar zichen, / dar auf er ritterlichen sas: / groß es zu seynen prustenn was, / vnd hinden dick an dichen, / recht als ein apfel sinewell / gestellet, one wende; / es was zu seynen fussen snel. Riese Sigenot, Str. 133. Zum Heldenroß vgl. Baum, Das Pferd als Symbol, S. 57–65. 241 der recken er sich underwant / und hiez dô ziehen sâ zehant / ein vil schoene castellân, / starc unde wol getân, / vür in ûf den hof dar. / dâ bî wolde er nemen war / welher der tiurste waere. / Ernest der degen maere / zehant nâch dem zoume greif. / er spranc dar ûf ân stegereif / und reit ez ritterlîche. Herzog Ernst, V. 4601–4611. 242 Konrad Fleck, Flore und Blancheflur, V. 2776f.; 2774f. 243 Thidrek legt seine Rüstung ab, um Hertnits Pferd zu fangen: Da faßt der K nig das Roß mit der Hand so fest, daß es fiel. Die Geschichte Thidreks von Bern, übertragen von Fine Erichsen, Weimar 1942, S. 439. Auch Reinolt überwindet ein wildes Pferd: Und warff ine [Beyart] wider uff die erde, / Das er die füß uff kerte […]. Reinolt von Montelban oder die Heimonskinder, V. 855f. 244 Eine direkte körperliche Überwindung wird später im »Reinolt von Montelban« beschrieben, die gleichfalls eine besondere Beziehung des Helden zu seinem Pferd nach sich zieht. Das entscheidende Band zwischen dem Ritter Reinolt und seinem Pferd Beyart ist der Blick: Da

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III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier

mythische Form der Zähmung wird aber in der späteren Fassung des Ulrich von Etzenbach durch eine technische ersetzt: Der jugendliche König legt dem Pferd selbst Zaum und Sattel auf.245 Indem er seine Gewalt über das Tier sichtbar demonstriert, gibt der Herrscher zugleich ein Bild seiner primären Herrschaftsfunktion ab. In ihrer christlich gemilderten Version geht dieser Gewalthintergrund zugunsten einer providentiellen Ordnung verloren, nicht aber das instrumentelle Verhältnis zwischen Herrschaft und Volk. Wenn der »Prosa-Lancelot« die einzelnen Waffen des Ritters allegorisiert, so funktioniert zumindest die Allegorese des Pferdes nicht ohne reale Fundierung im Herrschaftsverständnis jener Zeit: das feudale Komplement zur HirteHerde-Metapher: Das roß da der ritter off siczt das muß yn tragen wo er hien wille. Das bezeichent das volck. Als glich als er das roß fúret war er will, also glich múßen sie yn tragen und muß er sie leyten war er wil zu allen nöten, umb das er sie beschirmen muß, und sie múßen im gewinnen alles das er bedarff.246

2.6 Genealogie des Rittertums So wie der Ritter sich wortgeschichtlich vom Pferd ableitet, wird die Instrumentalisierung des Pferdes standesspezifisch lesbar: Omnis nobilitas ab equo.247 Die privilegierte Verbindung von Adel und Pferd läßt sich dadurch als feudaler Ursprungsmythos konstruieren, als ein historisch festmachbarer Gründungsakt des Rittertums. Jenseits der klassischen translatio imperiiTheorie, nach der auch der Transfer des Rittertums gedacht wird, entsteht ein Ursprungsmodell, das weit früher ansetzt.248 Der »Prosa-Lancelot« erzählt nicht nur die Geschichte vom Untergang des Artusrittertums, er bietet sprach Karle, der degen fyn: / »Reynolt, ir ensolt nit umbsehen; / solang als uch der frene sicht, / so erdrynket er nicht.« Reinolt von Montelban, V.13206–09. Also Beyart Reinolt sach, / dass er uff der erden lag, / do hub er uff mit großer macht / syn heupt mit der steines krafft / und schrey nach sinem herren, / want er ensach sin dar nach nummermere. Ebd., V. 13236–13241; vgl. Jähns, Ross und Reiter II, S. 28–30. 245 Alexander ergreift das Pferd bei den Ohren und stößt ihm seine Hand ins Maul (V. 1680– 1683): balde hiez er springen / einen zoum im bringen. / gâhes âne verdriezen / den gater er hiez entsliezen. / der edle junge knappe wert / selber zoumte daz phert. / dô er ez ûz dem gatern zôch, / daz volc al gemeine vlôch. / dô was ein satel al bereite: / ûf daz ors er den leite, / dar ûf er unverzaget saz. Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 1693–1703. 246 Prosa-Lancelot I, S. 122; Ackermann-Arlt, Das Pferd und seine epische Funktion, S. 295; Wang, Miles Christianus, S. 129–137. 247 Jähns, Ross und Reiter II, S. 55 (nach einem mittelalterlichen Sprichwort); Brückner, Roß und Reiter, S. 181. 248 Zur römischen Genealogie vgl. Moritz von Craûn, V. 108–125; Bumke, Studien zum Ritterbegriff, S. 35.

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zu Beginn auch seinen Ursprungsmythos. Die Erzählung der Fee ist eine Hybridbildung christlicher und feudaler Standpunkte. In deutlicher Anspielung auf die Bibel – ›Wir hetten allesampt einen vatter und ein můtter von allererst‹ – entwirft sie eine Art säkularen Sündenfall, nach der das Rittertum als Ordnungsinstanz zu der Zeit notwendig wurde, als die ursprünglich gleichen Menschen begannen, durch Gewalt einander zu unterdrücken.249 Dem christlichen Autor wird nicht Gewalt zum genuinen Kennzeichen des Rittertums, wie manchem Kleriker, sondern eine ethische Haltung. Damit projiziert der Text das Ethos des miles Christianus, wie es im 12. Jahrhundert aufkommt,250 in einen urzeitlichen Ursprung zurück. Christliche und feudale Argumentation werden sichtbar aufeinander abgestimmt. Indem sich einerseits nur Edelleute als Ritter eignen, andererseits ein plebiszitäres Wahlverfahren über die Eignung bestimmt, werden feudale und christlich-kommunitäre Anforderungen harmonisiert. Entscheidend sind entsprechend zum einen körperliche Voraussetzungen: ›Das waren alle die stercksten und die meysten und die schönsten und die könsten und die getruwesten, diß waren alles die byderbsten waren mit dem libe und mit dem herczen.‹251 Zum andern eine christliche Einstellung. Zentral für das Verhältnis von Ritter und Pferd ist indes, daß der feudale Mythos auch die kulturgeschichtliche Schwelle der Domestikation usurpiert: ›Nu wißent das‹, sprach sie, ›das nye dheyn man uff pfert gesaß ee dann ritterschafft funden wart, das saget uns die schrifft, wann die ritter zu allererst begunden ryten; da von sint sie ritter geheißen […]‹.252 Die Figur genealogischer Legitimation, an der sich die Herrschaftslegitimation von Völkern und Sippen im Mittelalter so fasziniert orientiert, wird hier auf den Stand übertragen.253 Der feudale Ursprungsmythos macht dabei nicht nur sichtbare Anleihen beim biblischen. Zugleich imaginiert eine Gewaltkultur ihren Ursprung als kulturgeschichtliches Ereignis wie als moralisch legitimierten Auftrag. Die historisch-politischen Ursprünge, aus denen die Schutzfunktion des Rittertums gegenüber äußeren Invasoren im 8./9. Jahrhundert entstanden ist, transformiert sich in einen allgemeinen sozialen Ordnungsanspruch. Die Imagination des Standesursprungs, d. h. die ständespezifische Deutung des zivilisationsgeschichtlichen Faktums, läßt sich darüber hinaus umkehren und mit providentiellem Sinn aufladen. Dabei wird die Existenz des 249 Prosa-Lancelot I, S. 120. 250 Fleckenstein, Die Entstehung des niederen Adels, S. 343; Erdmann, Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens. 251 Prosa-Lancelot I, S. 120. 252 Ebd. I, S. 121; Ohly, Die Pferde im Parzival, S. 888. Die Sequenz beinhaltet durchaus mehr als eine »profane Feststellung«. Ackermann-Arlt, Das Pferd und seine epische Funktion, S. 296. 253 Zur Figur der Genealogie vgl. Bloch, Genealogy as a Medieval Mental Structure and Textual Form, S. 135–156.

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Pferdes nunmehr teleologisch mit der Notwendigkeit sozialer Differenzierung begründet: Unter allen übrigen Tieren, die vom höchsten Gott unzweifelhaft zum Nutzen des Menschen geschaffen und auf natürliche Weise unterworfen worden sind, ist kein Tier edler als das Pferd, deshalb, weil durch dieses Fürsten, Würdenträger und Ritter von Menschen niedrigen Standes unterschieden werden und weil nur durch dieses Mittel ein Herr von Privatleuten und anderen auf angemessene Weise unterschieden werden kann. Quum inter cetera animalia a summo rerum opifice evidenter creata usui humani generis immediate subjecta nullum animal est equo nobilius, eo quod per ipsum principes, magnates et milites a minoribus separantur, et quia nisi ipso mediante dominus inter privatos et alios decenter discerni non posset.254

Nicht das Pferd wird zur Ursache des Ritters, wie es der Ursprungsmythos des »Prosa-Lancelots« entwirft und wie es auch wohl den historischen Voraussetzungen entspricht, sondern umgekehrt die Existenz des Adeligen wird zum Daseinsgrund des Pferdes. Ritter und Pferd lassen sich wechselseitig voneinander ableiten, wobei die invertierte Teleologie die feudale Ständeordnung mit einem providentiellen Mehrwert aus der Natur versieht. Der Adel konstituiert sich im Horizont einer allgemein anerkannten christlichen Teleologie der Natur als besonderer Zweck der Schöpfung, gewissermaßen als Auserwählte gegenüber den übrigen Menschen. Von daher ist es nicht zufällig, daß sich die feudale Bestimmung des Pferdes selbst in einem biblischen Text neben der landwirtschaftlichen plazieren läßt: ›Job, nu pruve unde merke! Gistu dem pherde di sterke? Man merket wol des rosses craft Wa man sol uben ritterschaft: […] Job, besinne und vernym, Sich, dise wunder [Kraft, Hoffahrt, Tapferkeit, Unerschrockenheit] hat an im 254 Jordanus Ruffus, Hippiatrica, S. 1. Noch im 16. Jahrhundert kann die Genealogie des Pferdes mit seinem Zeichenwert als Index sozialer Differenzierung legitimiert werden: VNder allem zamen vihe […] / ist das pferdt oder ross mit sunderer sch ne / form vnd gestalt / dapfferem adelichem gem)t / stoltzem geradem leib / sunderlichen begabt worden / darmit durch sollichs thier / die ehr vnd würdigkeyt hoher adelicher personen / scheynbarer würde […] aber sunderlichen ist dises thier den hohen adelichen vnd fürtrefflichen personen / jrer ehrwürden vnd glori z* mehrerm scheyn geordnet / […]. Was würde auch für ein vnderscheyd sein / so beyde Fürsten / Herren vnd der Adel / gleich dem gemeynen mann / zuf*ß lauffen m*ßten? Michael Herr, Thierbuch, Straßburg 1546, Bl. 32r.

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Das ros und ist also gekart Von nature und von art Und von den synnen, di im Got Hat ingevlozzen sunder spot, Der iz durch den menschen schuf: Nicht alleine durch behuf Den dorferen, di gar wacker Sint mit pherden uf dem acker, Sunder das man uf in ryte Und durch rechten vride strite Und durch di gerechtekeit, Di aller dinge wage treyt.‹255

3. Entwürfe feudaler Sozialisation Adelige Sozialisation steht in besonderem Maß vor der Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen von Erziehung, bildet doch »das mit dem Stichwort nobilitas carnis bezeichnete Denken […] einen festen Bestandteil des adeligen Selbstverständnisses, das mit der Lebenswirklichkeit des mittelalterlichen Herrenstandes im Einklang steht.«256 Seit der Reformbewegung hatte die Christianisierung der Feudalgesellschaft dieses adelige Selbstverständnis herausgefordert und eine bis ins Hochmittelalter reichende Diskussion über den Status von Tugend- und Geblütsadel nach sich gezogen.257 Die zwischen Kirche und Adel in ganz unterschiedlichen Textzeugnissen immer wieder formulierten Positionen lassen sich beinahe symmetrisch anordnen: Jenseits des Adelsheiligen als der Synthesefigur ihrer jeweiligen Sondernaturen (Geblütsadel/Heros, Heiliger),258 gruppieren Kirche und Adel komplementäre Abgrenzungs- und Integrationskonzepte adeliger Existenz. Zum einen stehen sich polarisierend ethisch begründete Adelskritik der Kirche und feudaler Geblütsstolz gegenüber; zum andern integrieren miles christianus-Modell und das Konzept adeliger Standestugend auf je eigene Art die rivalisierenden Positionen. Zivilisationsgeschichtlich ist gewiß der Akt der Umbesetzung signifikant, nach dem adelige nobilitas als ursprünglich »ausgezeichnete Lebenstüchtigkeit schlechthin« nunmehr an die Anforderungen einer christlichen Ethik, d. h. an eine 255 Die mitteldeutsche poetische Paraphrase des Buches Hiob, V. 14547–14588. Die Handschrift des Deutschen Ordens wurde 1338 fertiggestellt. 256 Borck, Adel, Tugend und Geblüt, S. 425. 257 Die Diskussion und ihre Traditionshintergründe sind einschlägig nachgezeichnet bei Borck, Adel, Tugend und Geblüt, S. 423–457. 258 Repräsentiert in Odos von Cluny Vita Geraldi, PL 133; Bosl, Der »Adelsheilige«, S. 167– 187.

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moralische virtus angepaßt wird.259 Doch zeigt die feudale Interpretation des Konzepts von Tugendadel als »standesspezifische Funktion« ihrerseits,260 daß es sich auch aus feudaler Sicht um einen Vorgang der Umbesetzung handelt. Der Geblütsadel usurpiert seinerseits das gegnerische christliche Konzept vom Tugendadel, indem er es aus seinem eigenen Werte- und Standeshorizont heraus interpretiert: Tugendadel als Geburtsadel. Bei aller Betonung der Tugend bleibt indes die Vorstellung einer nobilitas carnis präsent. In diesem Spannungsfeld von Naturalisierung der Tugend und Pädagogisierung der Natur spielt sich die Rivalität feudaler und kirchlicher Positionen ab. Gegenüber den zahlreichen literarischen Entwürfen adeliger Sozialisation ist die konkrete Praxis historisch nur schlecht dokumentiert.261 Erziehung vollzieht sich in einer semioralen Adelsgesellschaft mehr durch allmähliches Heranführen des Zöglings an die pragmatischen Erfordernisse feudaler Lebenswelt, eher durch teilnehmende Einübung als durch schriftgeleitetes Studium. Dennoch wird die Geschichte adeliger Erziehung aufgrund mangelnder Dokumente immer wieder aus literarischen Quellen rekonstruiert, und selten werden ihre nur schattenhaft greifbaren Umrisse methodisch umsichtig aus historischen Quellen erschlossen.262 Die literarischen Entwürfe repräsentieren demgegenüber meist nur ein zivilisiertes Selbstbildnis des Feudaladels. Die Abkehr von text- und die Hinwendung zu kontextorientierten Analyseverfahren, die die kulturwissenschaftliche Perspektive kennzeichnet, extrapoliert nicht vermeintlich historische Inhalte direkt aus den Texten, sondern zielt auf ihre Einordnung in eine »kulturelle und soziale Praxis«.263 Die literarischen Entwürfe feudaler Sozialisation sind daher zunächst mit solchen historischen Rahmenbedingungen in Beziehung zu setzen, die Aufschluß über zentrale soziale Handlungs- und Wertekonstellationen geben: etwa je nach sozialer Lage mit konkurrierenden Konzepten von Geist und Körper; mit divergierenden Vorstellungen über die zentralen Sozialisationsinstanzen wie Sippe, Natur und Erziehung; schließlich mit konkurrierenden Gesellschaftsmodellen und der ihnen entsprechenden Rolle des Subjekts. Im Raum der Imagination konkurrieren hier verschiedene eigenständige Modelle. Die epischen Entwürfe verteidigen gegenüber kirchlich beeinfluß259 Borck, Adel, Tugend und Geblüt, S. 426, 439. 260 Ebd., S. 440. Bosl, Der »Adelsheilige«, S. 167–187; Schmid, Geblüt, Herrschaft und Geschlechterbewußtsein, S. 9–49. 261 Fenske, Der Knappe, S. 59. 262 Zur literarischen Rekonstruktion vgl. Feilzer, Jugend in der mittelalterlichen Ständegesellschaft, S. 155–193; Cosman, The Education of the Hero, S. 137–202; Schultz, The Knowledge of Childhood, S. 1–20; Friedrich, Diskurs und Narration, S. 110–120; zur dezidiert historischen Forschung vgl. Fenske, Der Knappe, S. 56f.; vgl. Arnold, Kind und Gesellschaft. 263 Lenk, Kultur als Text, S. 122f. Anvisiert werden »Metatexte des sinnhaften Handelns«. Der Text wird von seinem Kontext aus in den Blick genommen.

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ten Erziehungslehren wie gegenüber den realen Erfordernissen konventionalisierter Praxis wiederholt jene Sonderform von Genealogie, die adeliger Geblütsmentalität seit je korrespondiert. Indem sie sich in Konkurrenz und in Abstimmung mit den theologischen Vorstellungen profilieren, konstituieren sie einen eigenen Ort im Diskurs rivalisierender Sozialisationsmuster. Über ihre jeweilige Textfunktion hinaus bilden sie somit ein eigenes Feld, rekurrieren auf andere Instanzen und folgen eigenen Verlaufsformen. Obwohl die theologischen und höfischen Disziplinierungsmodelle wie auch die genuin feudale Praxis pragmatischer Einübung auf den Körper und die Kontrolle seiner inhärenten Dynamiken zielen, wird selbst dort, wo höfische Disziplin sich durchzusetzen scheint, auf die individuelle Zeichnung adeliger Gewaltpotentiale nicht verzichtet. Deren Herleitung wird in der Folge am Leitfaden von vier unterschiedlichen Konzepten verfolgt: anhand a) patrilinearer Genealogie, b) mythischer Adaptation von Gewalt, c) naturnaher Sozialisation d) von Erziehung als Abhärtung.

3.1 Höfische Erziehung v. Entelechie adeliger art »Aristokratischer Rang wird eingearbeitet in die adeligen Körper, die zwar adelig geboren, aber erst im Vorgang der Erziehung geformt werden, wie das der höfischen Sprachregelung und ihrer Ikonographie entspricht.«264 Unter dieser pädagogischen Voraussetzung zielt höfische Erziehung weniger auf herausragende körperliche Leistungen als auf die Ausbildung sozialer Kompetenz und umfaßt neben ritterlichem Körpertraining vor allem soziale Umgangsformen wie spezifisch kommunikative Fertigkeiten, eher selten dagegen Kenntnisse der artes liberales. Höfische Erziehung entwirft somit ein komplexes Disziplinierungsmodell von Körper und Geist, das Ausdruck eines kollektiven Wertesystems ist und das in seinen Techniken sichtbar von ebenfalls kollektiv orientierten theologischen Erziehungskonzepten beeinflußt ist.265 Beide streben die Herrschaft des Geistes über den Körper an und sind primär auf soziale Integration ausgerichtet. Sozialen Wert – bonitas – erhält eine äußerlich sichtbare Verhaltensnorm – disciplina – erst zugeschrieben, wenn sie über Wissen – scientia – reguliert wird.266 Gegen alle Widrigkeiten bedrohlicher Körperdynamiken, die immer wieder in Tiervergleichen gefaßt 264 Wenzel, Repräsentation und schöner Schein, S. 182f. 265 Jaeger, The Envy of Angels, S. 239–268. Daher kann auch Bumke ein monastisches Erziehungsmodell, das des Hugo von St. Viktor, auf zentrale Aspekte höfischer Erziehung übertragen. Bumke, Höfischer Körper, S. 67–102; Wenzel, zuht und êre, S. 21–42. 266 Integritas ergo virtutis est, quando per internam mentis custodiam ordinate reguntur membra corporis. Hugo von St. Viktor, De institutione novitiorum Cap. X, PL 176, Sp. 935; Bumke, Höfischer Körper, S. 71.

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werden, wird eine »Korrespondenz von innerer und äußerer Disziplin« proklamiert.267 In solcher Forderung nach Disziplin laufen geistliche und höfische Erziehungslehren zusammen.268 In Sprache, Gestik, Kleidung und Tischsitten bildet die höfische Kultur eine Ordnung kontrollierten Verhaltens aus, die zum einen der sozialen Distanzierung gegenüber niederen Ständen – dörpern – gilt,269 zum andern der inneren Differenzierung durch Rivalität im Statuskonsum. In Form von höfischen Erziehungslehren wie etwa dem »Welschen Gast« des Thomasin von Zerclaere oder in exemplarischen Erziehungsgeschichten wie derjenigen Tristans findet diese Art adeligen IchIdeals ihren prägnantesten Ausdruck. Sozialer Ort adeliger Erziehung ist der Hof, ihre Praxis ist in der Regel angeleitet durch einen pädagogus, der die Aufsicht über die körperliche und geistige Ausbildung des Knappen ausübt.270 Exemplarisch realisiert die Erziehung Parzivals diese höfische Normierung eines ungeschliffenen Knaben durch den Lehrmeister Gurnemanz: Dô man den tisch hin dan genam, / dar nâch wart wilder muot vil zam.271 Erziehung zielt sichtlich darauf ab, Wildheit zu domestizieren, deren Spannbreite vom tumben Toren bis zum monströsen Kind (Wolfdietrich A) reicht. Parzivals Erziehung durchläuft genau die von Hugo von St. Viktor beschriebenen Felder: Sprache, Kleidung, Gesten, Körperhygiene, Tischsitten, hinzu treten religiöse Praxis, caritas und Maß als spezifische Herrschertugenden. Wolframs Gestaltung auch der körperlichen Ausbildung, des Waffenhandwerks, als Lernprozeß läßt gegenüber Chrétien ein verändertes Paradigma adeliger virtus erkennen. Konfrontiert dieser die durch langjährige Übung erworbene ritterliche Kampffertigkeit des Erziehers mit der besonderen Naturanlage Percevals, ist Wolfram bemüht, primär auch hier trotz aller Betonung des Talents den Übungscharakter stärker hervorzuheben: sus kom der fürste ûf den plân: / dâ wart mit rîten kunst getân.272 Bis 267 Bumke, Höfischer Körper, S. 71. Swer gar sinen willen spricht und tůt, / der hat gen*ch viehlichen můt. Thomasin von Zerclaere, Der Welsche Gast, V. 725f. Weitere Warnungen vor Vertierung vgl. V. 711ff., 751f., 9809ff., 10769ff. u.ö. Vgl. Schumacher, Die Notwendigkeit der kunst für das Menschsein, S. 376, 380; vgl. Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, Sp. 714f., 718. 268 Vgl. Hugo von St. Viktor, De institutione novitiorum; Thomasin von Zerclaere, Der Welsche Gast. Verumtamen, cum in omni professione disciplina necessaria sit, nusquam magis quam in clero et re militari. Johannes von Salisbury, Policraticus VI,11. 269 Bumke, Höfischer Körper, S. 79; Wenzel, Hören und Sehen (1995), S. 20. 270 Fenske, Der Knappe, S. 72f., 76f.; Gottwald, Vergleichende Studie zur Ökonomik, S. 109. 271 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 170,7f.; Cosman, The Education of the Hero, S. 49–100, 89. 272 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 173,27f. sîme gaste er râten gap, / wierz ors ûzem walap / mit sporen gruozes pîne / mit schenkelen fliegens schîne / ûf den poinder solde wenken, / [und] den schaft ze rehte senken, / [und] den schilt gein tjoste für sich nemen. Ebd., V. 173,29– 174,5. Car il li venoit de nature / Et quand nature li apprant / Et li cuers del tot i antant, / Ne li puet estre riens grevainne / La ou nature et cuers se painne. Chrétien de Troyes, Le Conte du Graal,

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hierhin zielt Erziehung auf die Begrenzung und Kanalisierung von Energien, auf die Disziplinierung überschüssiger Kräfte, wie sie bei Jugendlichen allgemein als notwendig erachtet werden. Doch treffen solche Bemühungen beim Adeligen auf besondere Dispositionen. Denn in Parzival wirken zugleich auch die elterlichen Anlagen, die zunächst körperliche Dispositionen wie Tapferkeit implizieren, doch darüber hinaus noch auf übergeordnete Werte wie Minnezwang – Gahmurets Feengenealogie – und Gottvertrauen – Herzeloydes Gralsgenealogie – bezogen werden.273 Zwar wird an Parzival vorgeführt, wie verschiedene Sozialisationsmodelle einander überlagern und ersetzen, doch entfaltet sich Adelsqualität auf ganz elementare Art. So werden Parzivals ritterliche Fertigkeiten primär genealogisch abgeleitet: der junge süeze âne bart, / den twanc diu Gahmuretes art / und an geborniu manheit, […].274 Der Vater repräsentiert nach mittelalterlicher Zeugungslehre das principium generationis, und die Ähnlichkeit von Vater und Sohn gilt als Garant natürlicher Ordnung.275 Störungen der normalen Übertragung können daher Fragen provozieren, wie im Falle der frühen volkssprachigen Rezeption des Alexanderstoffes, die gerade an der schwachen Zeichnung des Vaters Anstoß nimmt und daher den zukünftigen Weltenherrscher an eine heroische Genealogie aus der mütterlichen Linie anbindet.276 Im Falle Parzivals mißlingt auch der Versuch, den Fürstensohn in eine ihm wesensfremde Umgebung zu verpflanzen. Herzeloyde zieht sich nicht einfach in den Wald zurück. Sie tauscht bewußt den ihr angestammten höfischen Raum mit einem der Agrikultur: liute, die bî ir dâ sint, / müezen bûwn und

V. 1480–1484. Cosman sieht bei Wolfram keine Erziehungstheorie wirken, die auf etwaige Verbesserung adeliger Natur zielen würde. Die Erzieher wirken vielmehr durch Exempel. Cosman, The Education of the Hero, S. 87; Russ, Kindheit und Adoleszenz, S. 61–67. 273 Schwietering, Natur und art, S. 130–133. 274 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 174,23f.; Schwietering, Natur und art, S. 118. Ulrich von Etzenbach erzählt in seinem »Alexanderroman« die Geschichte vom ausgesetzten Ödipus, der von einem Hirten erzogen wird, doch aufgrund seiner art über sein Milieu hinaus strebt: nâch manheit sîn herze ranc. / sîn edel art in des twanc / die im niht blîbens dâ verjach. Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 2909–2911. 275 Vgl. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus VI,14; Albertus Magnus, De animalibus XXII,1,3. […] ubi probatum est, quod semen formans est patris, et nisi occasionem patiatur, formabit ad similitudinem patris. Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis I,3, S. 28f. Qui cum miles factus fuisset, non degeneravit a virtute paterna, heißt es bei Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum II,6. Im »Parzival« scheint diese lineare Auffassung in den Worten des Feirefiz durch: swâ man siht den wîsen man, / dern zelt decheine sippe dan, / zwischen vater unt des kinden, / wil er die wârheit vinden. Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 752,11–14. 276 Straßburger Alexander, V. 112–124. In Alexander setzt sich über die Mutter die männliche Prägung durch den Onkel durch.

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riuten.277 Vom Erzähler wird das bereits als Verstoß gegen die Art verstanden.278 Doch inmitten von Wildnis und Ackerbau bricht sich adeliger Jagdinstinkt Bahn, artikuliert sich zum einen der wilde Ursprung adeliger Existenz: Bogenschnitzen, Vogeljagd, Speerwerfen, Hirschjagd.279 Zum andern wird gegenüber der angespielten Agrikultur der Anspruch auf eine höhere Lebensform formuliert. Es ist bezeichnenderweise die Natur selbst, der Gesang der Vögel, die in dem ›entfremdeten‹ Jüngling die Ahnung seiner eigenen Natur (art) hervorruft. Die Vögel, so sehr sie erste Jagdobjekte für den Knaben repräsentieren, sind zugleich Chiffre höfischer Freude.280 Feudale Art ist gerade in diesem Bild doppelt codiert: als höfische Freude und als Gewaltpraxis. Am Ende bildet sich ohne Anleitung allein an der Auseinandersetzung mit Tieren genau jene Haltung aus, die für das feudale Kriegshandwerk als unerläßliche Voraussetzung angesehen wird: alsus stuont er in strîtes ger, so erwartet Parzival die herannahenden Ritter.281 Der Wald ist also nicht nur »Symbol für eine erkennbare Statusdefizienz des Helden«,282 sondern zugleich der wilde Raum, in dem feudale Körperlichkeit sich adäquat auszubilden vermag. Höfische Sozialisation baut damit auf genealogischen Adelsqualitäten auf, auf väterlicher Art und angeborenem Jagdinstinkt, doch indem der eigentliche Vorgang als Erziehungsprozeß gestaltet wird, offenbart sich der dominante Einfluß christlicher Konzepte. Entscheidend ist, daß Erziehung auf einer natürlichen Basis aufruht, und die natürliche Disposition primär den Körper betrifft, die Erziehung dagegen ethische Haltungen vermittelt. Die Usurpation christlicher Tugendlehre als adelige Natur wird dann bei Konrad von Würzburg in der Erziehungsgeschichte des Paris besonders eindringlich vorgeführt. Trotz aller Ausgrenzungsversuche setzt sich bei dem als Hirten sozialisierten Königssohn doch adelige art durch. Jedoch nicht als körperliches Gewaltpotential, sondern als natürlicher Gerechtigkeitssinn.283 277 Wolfram von Eschenbach, Parzival, 117,16f.; Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald, S. 34; Wenzel, Ze hove und ze holze, S. 287f. 278 […] an küneclîcher fuore betrogn. Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 118,2. Zu Rennewart vgl. Schwietering, Natur und art, S. 131. 279 nu hoeret fremdiu maere. / swenneerrschôz daz swaere, / des waere ein mûl geladen genuoc, / als unzerworht hin heim erz truoc. Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 120,7–10; Cosman, The Education of the Hero, S. 76. 280 Ebd., S. 76f. 281 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 120,23. 282 So Wenzel, Ze hove und ze holze, S. 288. 283 got leite ûf in der gnâden reht / und alsô volleclîche tugent, / daz edel knabe in sîner jugent / nie wart sô zühtic, noch sô wîs. Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 580– 583; Hahn, Personerkenntnis, S. 406; Friedrich, Diskurs und Narration, S. 113–116. Gleichfalls schreibt Wolfram seinem nach außen hin eher wilden Rennewart von arde ein zuht zu, die eine Korrespondenz von Innen und Außen nunmehr infrage stellt. Waldmann, Natur und Kultur, S. 95–103.

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Adelige Sozialisation widersteht offenbar allen Versuchen, ihre Entfaltung zu unterbinden. So wie nach feudaler Ansicht ein Unfreier sich zwangsläufig zu erkennen gibt, wenn er die Standesgrenzen überschreitet (Helmbrecht), so durchdringt adelige Gestaltidee alle kulturelle Überformung.284 Weder hilft lokale Isolierung wie im Falle Parzivals oder Lanzelets, noch das mächtige Vertrauen auf den Faktor Erziehung.285 Einen signifikanten Diskurs über das Verhältnis von adeliger art, Erziehung und providentieller Prägung enthält der »Gregorius« und entfaltet damit auf eigene Art die Spannung zwischen Adel und Heiligkeit. Das zum Klosterbruder erzogene Findelkind lebt offenbar in einer Spannung von erworbener Buchkultur und angeborener Ritternatur, manifest sichtbar im Gespräch des Zöglings mit seinem Abt. Während der Kleriker nachdrücklich die Prämissen des Erziehungsdiskurses aktiviert und sogleich ganz im Sinn von consuetudo altera natura auf die Macht der Gewohnheit auch in bezug auf Ritterexistenz rekurriert – ez bedarf vil wol gewizzenheit, / swer guot ritter wesen sol, demonstriert die Ritterphantasie des Gregorius den Standpunkt adeliger Geblütsmentalität.286 Nicht zufällig auch imaginiert Gregorius natürliche Standesdisposition am Beispiel des Reitens, bildet dieses doch das sozial markanteste Signum adeliger Existenz.287 Doch wie der Handlungsverlauf zunächst monastische Kultur gegen feudale Natur ausspielt, so wird diese wiederum an der Askese des Anachoreten oder der göttlichen Providenz gebrochen. Nicht durch Erziehung, wie gemeinhin angenommen, wird die Natur verändert, sondern durch einen Akt harter Selbstprüfung und göttlicher Gnade zugleich. In Gregorius’ asketischer Selbstprüfung wird der Selbstwert adeliger Körperlichkeit gebrochen und zugunsten einer Privilegierung der Seele relativiert.288 An den sich verändern284 Zur Kritik an Standesanmaßung bzw. Standeserhöhung vgl. Wirnt von Grafenberg, Wigalois, V. 2333–2345; Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 5597ff. u.ö. Im »Guillaume Angleterre« ist diese Entelechie feudaler Art Gegenstand literarischer Reflexion, wenn die Natur der königlichen Protagonisten sich weigert, ihnen aufgezwungene handwerkliche Berufe auszuüben. Schwietering, Natur und art, S. 134. 285 Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet, V. 294–306. 286 Hartmann von Aue, Gregorius, V. 1564f.; Fenske, Der Knappe, S. 93; Schultz, The Knowledge of Childhood, S. 98–102. 287 Dem widerspricht nicht der Umstand, daß Gregorius später durchaus der Waffenübung bedarf: als er die kunst vil gar bevant / tägelichen mit der hant. Hartmann von Aue, Gregorius, V. 1989f. Entscheidend ist die Vorstellung, daß das Streben zur Waffe als natürlicher Drang ausgegeben wird. Schon Odo von Cluny hatte über Gerald von Aurillac formuliert: Et quia viribus corporis fortiter agiliscebat, armatam militiam assuescere quaerebatur. Odo von Cluny, Vita Geraldi, PL 133, Sp. 645; vgl. Fenske, Der Knappe, S. 81. 288 Auf das Mißverhältnis von Körper und Seele, ihre divergierenden Energien, macht der Text selbst in einem Exkurs aufmerksam. Hartmann von Aue, Gregorius, V. 2655–2662. Buße bedeutet deshalb zuallererst Kampf gegen den Körper. Gregorius rät seiner Mutter: an spîse und an gewande / sult ir dem lîbe entziehen, […] des lât engelten den lîp / mit tägelîcher arbeit

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den Erscheinungsformen des Körpers lassen sich dezidiert die Stationen der Selbstfindung ablesen. Adelige Natur dominiert zwar das Vertrauen auf Erziehung, doch findet sie ihrerseits ihre Grenze in einer körperfeindlichen Metaphysik.289 Wiederholt stilisieren höfische Autoren die Fähigkeit zur Jagd als Natureigenschaft, wenn ihre Protagonisten aus sich heraus Instrumente und Techniken hervorbringen: Parzival schnitzt instinktiv im Wald einen Bogen, um Vögel zu schießen; Tristrant erfindet in der Waldenklave notgedrungen Jagdtechniken, und wenn Iwein in seinem Wahnsinnsanfall noch einen Bogen mit in den Wald nimmt, so dokumentiert das, daß auf der tiefsten Ebene des sozialen Abstiegs selbst der verwilderte Ritter Jäger bleibt, selbst auf der bewußtlosen Stufe ritterlicher Existenz die Gewaltkonkurrenz zwischen Mensch und Tier präsent ist.290 Noch der jugendliche Hagen der »Kudrun« sichert sich und seinen Gefährtinnen, in wilde Umgebung verschlagen, mit Hilfe von Jagd und rudimentären Kulturtechniken das Überleben. Die Entelechie des Adels, die Gestaltidee seiner wesentlichen Anlagen, liegt in der Jagd begründet.291 Indem der Heros zusammen mit dem Wilden das Spezifikum des Raubtiers teilt – ich erinnere noch einmal an Widukinds Charakteristik der wilden Ungarn als Jäger –, wird die Jagd zum privilegierten Medium einer Annäherung des Adeligen an das Tier.

3.2 Mythische Kontiguität Die Herleitung adeliger Gewaltpotentiale rekurriert immer wieder auf tiefer liegende Instanzen. Frühe Sozialisationsphasen in der Wildnis vermitteln verschiedenen Helden auf besondere Weise Kräfte der Natur.292 Geraubte Kinder wie der Hagen der »Kudrun«, der Sigurd der »Þiđriks Saga« oder »Wolfdietrich (B)«, ausgesetzte Kinder wie Wolfdietrich (A), Gregorius oder Paris, naturnah erzogene Heroen wie der Achill des »Trojanerkriegs«, nicht […]. Ebd., V. 2708f.; 2722f.; vgl. Ernst, Der Antagonismus von vita carnalis und vita spiritualis, S. 34–48, 77–85. 289 Die Natur wird noch ohne Zeitindex gedacht, d. h. sie unterliegt keiner Entwicklung, vielmehr der Entfaltung eines existenten, doch konstanten Kerns. Luhmann, Über Natur, S. 10. Dann wäre Gregorius ein Gegenbeispiel, da seine abschließende Konversion die ritterliche Naturanlage durch Gewöhnung überwindet. 290 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 118,4f.; Eilhart, Tristrant, V. 4539–4545; vgl. LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 177f. Zu epischen Jagddarstellung vgl. Brackert, »deist rehtiu jegerîe«, S. 365–406. 291 Deshalb gibt es noch am Artushof eine Jagdkonkurrenz, und deshalb wird auch Sîvrit im »Nibelungenlied« als überlegener Jäger gezeichnet. 292 Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 19. Ein alter Topos, der schon im »Gilgameschepos« auftritt; vgl. ebd., S. 3.

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zuletzt Rückzugssozialisationen wie im Falle Parzivals stellen vor allem Distanz her zur Normalform ritterlicher Sozialisation.293 Die Gewaltpotentiale, die im Heros traditionell schlummern und sich unaufhaltsam ihren Weg bahnen, haben ihren Grund selten in der Gesellschaft selbst, nur z. T. auch in der überlegenen Genealogie (art). Häufig leitet sich die Kraft oder das Heil des Heros aus der Begegnung mit einem numinosen Raum ab: Wald, Wildnis, Feenreich, Anderwelt. In jedem Fall wird auch hier jenseits und wohl auch in Konkurrenz zur Metaphysik der christlichen Heilsorte – Paradies, Palästina, Apostelgräber – die Möglichkeit eines intensiven Kontaktes zur Natur und ihren geheimen Ressourcen unterstellt. Jenseits der zivilisierten Welt waltet das Prinzip der naturverhafteten Existenzsteigerung, und nicht zufällig stützt sich genealogisches Denken auf dieses Prinzip, da mit einem Wort des Saxo Grammaticus ›jedes Geschöpf seinem Ursprung zu entsprechen pflegt‹.294 Die Qualität eines Volkes, einer Sippe oder einer Person bestimmt sich hier genealogisch bzw. ›evolutionistisch‹. So kommt zum einen in verschiedenen Stammessagen die direkte Ableitung vom Tier vor, wie die Herkunftssagen der Merowinger und Langobarden belegen.295 Ursprung heißt aber zugleich die bisweilen körperliche Einschreibung von prägenden Umweltfaktoren. Der junge Sigurd bleibt zwölf Monate im Nest einer Hindin, von der er gesäugt wird, so daß ›er so groß und stark war wie andere Kinder von vier Jahren‹.296 Die besondere Auszeichnung läßt sich also nicht nur auf adelige art zurückführen. Nahrungsaufnahme ist für den mittelalterlichen Rezipienten aber mehr als bloß physische Reproduktion, sie ist zugleich ein wesentlicher Faktor der Charakterbildung, abzulesen an den komplizierten Nahrungsvorschriften der Diätetik wie an den traditionellen Mahnungen über die Gefahr schlechter Ammen.297 Daß für 293 Wolfdietrich D 163, 171ff. 294 naturaque omnis sue soleat origini respondere. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum V, S. 125. 295 Fredegar berichtet von einer bestia Neptuni, qui Minotauri similis war und die am Ufer des Meeres die Stammmutter der Merovinger vergewaltigte, so daß diese den Sohn Meroveum gebar. Müllenhoff, Die merovingische Stammessage, S. 434. Noch Saxo berichtet, indes polemisch gewendet, von der Genealogie der Dänen, die er auf einen Bären zurückführt, der sich mit einer geraubten Jungfrau gepaart hatte. Vt ergo duplicis materie benigna artifex natura nupciarum deformitatem seminis aptitudine coloraret, generacionis monstrum usitato partu edidit siluestremque sanguinem humani corporis lineamentis excepit. Nato itaque filio paternum a necessariis nomen imponitur. […] nullo probitatis uestigio a paterne uirtutis imitacione defecit. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum X, S. 345f. Das »Meerwunder«, ein Reimpaargedicht aus dem 15. Jahrhundert berichtet noch von einem animalischen Monster, das eine Frau schändet, die dann ihrerseits ein wildes Wesen gebiert, das sichtbar Tiereigenschaften trägt. 296 oc er han þar með hinðinni .xij. manaði. nv er han sva stercr oc mikill. sem oennur born .iiij. vetra gomvl. Þiđriks Saga, S. 303. 297 Arnold, Kindheit und Gesellschaft, S. 115, 122f., 136f., 149, 153, u.ö.; vgl. Ders., Kindheit im europäischen Mittelalter, S. 451.

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den Adel die Nähe zur Natur existenzsteigernd wirkt, wird zugleich aus einer naturkundlichen Beobachtung Friedrichs II. deutlich, der die höhere Qualität von in der Wildnis aufgewachsenen Falken gegenüber solchen betont, die vom Menschen aufgezogen werden.298 Zum andern reicht aber die bloße Berührung des wilden Raums. Den Normalfall bietet in diesem Sinn die »Fagrskinna«, wenn sie von Finnvid, dem Stammvater der Arnmoeldlinger, berichtet, dieser sei in einem Adlernest gefunden worden: ›Ein Mann hieß Finnvid der Findling, er wurde in einem Adlernest entdeckt, in seidene Tücher gewickelt. Von ihm stammt das Geschlecht ab, das der Arnunga-Stamm heißt […]. Er ist der Stammvater der Arnmoedlinge.‹299 Die Rettung aus dem Nest dient gewiß einerseits als Zeichen providentieller Fürsorge, andererseits ist die aventiure der wundersamen Herkunft zugleich Index für den zukünftigen Weg des Helden. Gegenüber dem allenthalben propagierten Erziehungsgedanken behauptet sich primär, aber nicht nur auf Seiten des Adels, ein Respekt für die prägende numinose Kraft der Natur, die in theoretischen und literarischen Kontexten gleichermaßen sich weiter artikuliert.300 Auch Wolfdietrich (B) verbringt nur kurze Zeit im Nest der Wölfe, nimmt dort auch keine Nahrung zu sich, und doch scheint auch für sein Schicksal die nur beiläufige Berührung der animalischen Sphäre ihre Spuren zu hinterlassen: Wolfdietrich trägt fürderhin sein ›Abenteuer‹ als Namenszeichen. Analog zu den frühzeitig sichtbaren Zeichen des auserwählten Heiligen – puer senex – entwirft der Adel sein eigenes Feld physiognomischer oder nomineller Auszeichnung.301 Die besondere Herkunft schlägt sich in der Regel in überlegener Physis nieder. Es gehört zu den Topoi der Herrscherpanegyrik, daß diese bereits in jungen Jahren Zeichen ihrer ausgezeichneten Disposition an den Tag legen. Gerade die Heldenepik zehrt von diesem Mythos der Natur,302 der aber gleichfalls in die Konkurrenz zu theologischen Erklärungen gerät. Der Alexander der Straßburger Fassung trägt schon bei seiner Geburt markante, obgleich eher genealogisch bedingte, Tierzeichen und ent298 Friedrich II., De arte venandi cum avibus, S. 134f. 299 (M)aðr het Finnviðr fundinn. hann var fundinn i arareiðri. oc vafðr i silkireifum. […] fra hanum er comen aett su. er calleð er Arnunga aett. […] fra hanum er comen su aett er Arnmoeðlingar haeita. Arnmoedlinger Fagr., in: Fagrskinna, S. 389; Grönbeck, Kultur und Religion der Germanen, S. 373. Die »Lestoire de Merlin« läßt Merlin aus einer Verbindung von Fee und Satyr entspringen. Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 99. 300 Schwietering, Natur und art, S. 134. Auch Albertus privilegiert im Hinblick auf ihre Zielstrebigkeit die Natur gegenüber der Kunst. Vgl. Bertelloni, Natur in den »Commentarii in Libros Politicorum Aristotelis« des Albertus Magnus, S. 697. 301 Zu den Zeichnungen heiliger Kinder vgl. Arnold, Kindheit in Mittelalter und Renaissance, S. 457f. 302 In diesem Sinn etwa wird die Jugend Friedrichs II. geschildert, dessen Eigensinnigkeit schon früh keinen Widerstand duldete. Arnold, Kind und Gesellschaft, S. 107f.

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wickelt sich entsprechend rasant.303 Wenn das gleiche auch vom Artushelden Wigalois gesagt wird, der biographisch deutlich durch christlich-märchenhafte Faktoren geprägt wird – in einem jâre wuohs ez mêr / dan ein anderz in zwein tuo –, zeigt das, daß das Muster natürlich-animalischer Genealogie des Helden Konkurrenz bekommt.304 An den verschiedenen Ausprägungen der Jugendgeschichte Wolfdietrichs läßt sich studieren, wie in bezug auf die Tierbegegnung diätetische (C), mythische (B) und theologische Erklärungsmuster rivalisieren (A).305 Wenn das »Nibelungenlied« eine höfische Erziehung und eine mythische Bewährungstat Sîvrits unvermittelt nebeneinanderstellt, markiert das zum einen das stets gespannte Verhältnis von Höfischem und Heroischem, zum anderen, daß die höfische Kultur trotz aller Regulierungsbemühungen offenbar auf ein überlegenes Gewaltpotential angewiesen bleibt. Schon früh wird deutlich, daß Sîvrit nicht nur ein Produkt von Erziehung ist: Man zôch in mit dem vlîze, als im daz wol gezam. / von sîn selbes muote waz túgende er án sich nam!306 Anders als bei Parzival ist wenig zu erfahren von seiner väterlichen art, auch ist er kein Zögling der Natur. Seine wesentlichsten Herrschaftspotentiale eignet sich Sîvrit gewissermaßen en passant an. Nibelung ist die Chiffre einer erträumten Gewaltkultur, die nur den Stärksten prämiert. Der Aneignungsprozeß der entscheidenden Machtmittel – Schwert, Tarnkappe, Hort, Drachenhaut – vollzieht sich im Jenseits der bekannten Welt, in einem Raum, in dem offenbar auf besondere Art die konstitutiven Mängel der conditio humana überwunden und durch eine Art ›technische‹ Renaturalisierung aufgehoben scheinen: Unsichtbarkeit, Kraftpotential, Tierhaut.307 Im Rahmen der Darstellung essentieller Machtpotentiale scheint die Assimilation mit dem Tier noch unerläßlich zu sein.

303 daz sagih û zeware: / in sînen êristen jâre / wôhs ime maht und der lîb sîn / mêr dan einem anderen in drîn. Straßburger Alexander, V. 177–180. 304 Wirnt von Grafenberg, Wigalois, V. 1226f. 305 Vgl. das Kapitel über Wolfdietrich IV,2. 306 Nibelungenlied Str. 23,1–2; Czerwinski, Das Nibelungenlied, S. 54; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 127f. 307 Insofern machen die erworbenen Attribute Sîvrit gegenüber Gunther zum »Wunschbild vollkommener Königsmacht«. Wenzel, Ze hove und ze holze, S. 296.

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3.3 Imitatio naturae: die Selbsterschaffung des Heros Die »Kudrun« enthält eine kleine, offenbar separat entstandene Vorgeschichte, die vom Raub des Königssohnes Hagen und seinem Überleben in der Wildnis berichtet.308 Die Forschung tut sich schwer mit diesem Teil des Epos, vor allem mit seiner Funktionalisierung für den Textzusammenhang. Konstatiert wird zum einen eine Mythisierung des Heros, die an Bezügen zu den Jugendgeschichten Sîvrits und Parzivals ebenso festgemacht wird wie am liminalen Charakter der Episode, der als Initiationsprozeß des jungen Prinzen zum Heros gestaltet ist und einem zeitgenössischen »heroischen Männlichkeitsmodell« folgt.309 Zum andern wird die Episode im Kontext der Verabschiedung des Mythos gelesen und in den Zusammenhang der Gesamthandlung der »Kudrun« als christlichem Gegenentwurf zum »Nibelungenlied« gestellt.310 Unstrittig ist, daß die Jugendgeschichte erratisch aus dem Gesamtrahmen der Handlung herausfällt und daß der Protagonist in eine mythische Anderwelt versetzt wird, in der er sich gegen wilde Natur behaupten muß. Wie im »Nibelungenlied« durchläuft der Held eine doppelte Jugendgeschichte. Die heroische Initiation beginnt in jenem Alter von sieben Jahren, in dem der Knabe in die Sphäre der Männer übertritt und die ritterliche Waffenausbildung beginnen soll, sie endet mit der Rückkehr und Wiederaufnahme der Ausbildung.311 Indem die Anderweltepisode die höfische Erziehung unterbricht, wird die Sozialisation des Protagonisten in ein Spannungsverhältnis von höfischer und heroischer Existenz versetzt. Von einem Greifen entführt, überlebt das Kind, wie der Text mehrfach betont, zunächst nur durch providentiellen Schutz. Die topische Konstellation vom Kind in der Wildnis gestaltet der Text indes auf eigene Art. Weder bricht in friedlicher Umgebung feudaler Jagdinstinkt durch, noch wird das Kind durch fürsorgliche Tiere versorgt,312 auch bleibt es nicht bei einer schnell 308 Kudrun, Str. 67–113; Hoffmann, Kudrun, S. 25–27; Campbell, Kudrun’s wilder Hagen, S. 1–14; McConnell, Hagen and the Otherwold in Kudrun, S. 211–221; Ders., The Epic of Kudrun, S. 12–20; Pearson, Fremdes Heldentum, S. 153–158; Grenzler, Politisierte Erotik, S. 419–425. 309 Schmitt, Poetik der Montage, S. 69–85, 70, 81; Siebert, Rezeption und Produktion, S. 39–80; McConnell, The Epic of Kudrun, S. 12–20. 310 Müller, Verabschiedung des Mythos, S. 197–217. Nicht nur werde die Anderwelt an die Realität herangeführt und damit depotenziert, auch stehe der Held in providentieller Obhut und befördere das höfische Kulturmuster. Die mangelnde syntagmatische Integration der Szene wird als zusätzliches Indiz für eine Distanzierung des Mythischen gelesen. 311 Burkhardt, Die Jagd als Lebensform, S. 115f. Swâ daz kint diu wâfen ûf dem hove sach / – der mohte ez bekennen –, dicke daz beschach, / daz ez ze kleidern gerte hélm únde ringe. Kudrun, Str. 25; Schmitt, Poetik der Montage, S. 71. 312 Der ausgesetzte Paris in Konrads von Würzburg »Trojanerkrieg« wird von einer Hindin gesäugt. Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 532–535.

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vorübergehenden metonymischen Verbindung. Überdies ist Hagen nicht sozial isoliert, sondern befindet sich eingebunden in die ›kulturelle‹ Gemeinschaft der drei Königstöchter, denen gegenüber er dienst leistet. Der ambivalente Status des Helden zwischen natur- und kulturverhaftetem Heros liegt in dieser doppelten Ausrichtung begründet.313 Der Hagen der »Kudrun« steht vor der Aufgabe, sich in feindlicher Umgebung selbst behaupten zu müssen. Nur durch Zufall gelangt er zu Bogen, Rüstung und Schwert, die er einem gestrandeten Toten abgewinnt und mit deren Hilfe er die Greifen bezwingt. Die Ereignisse sind sichtbar providentiell gelenkt. Gott rettet wiederholt den Knaben aus bedrohter Lage. Und doch vollzieht sich unter dem providentiellen Schutz ein Veränderungsprozeß am Protagonisten, der jenseits christlicher und höfischer Maßstäbe liegt. Schon der unverhoffte Waffenbesitz zeitigt nachhaltige psychische Wirkungen und führt zu einem offensichtlichen Wechsel seiner Identität: dô wart der küene in vil guotes heldes mâze funden.314 Gerade hier wird der liminale Charakter der Szene deutlich, indem jenseits des Aufnahmerituals in die Kriegergemeinschaft – Schwertleite – die biographische Reifeschwelle überschritten wird.315 Der erste Schritt der Gewaltdemonstration sichert den bedrohten Menschen die Verfügung über das von den wilden Tieren befreite Territorium: si giengen an dem berge nâhen oder verren?316 Der Sieg über die Greifen setzt aber den Helden erst dem eigentlichen Überlebenskampf in der Wildnis aus. Es ist vor allem die Form dieses Akkulturationsprozesses aus der Not heraus, die der Szene ihre besondere Qualität gibt.317 Erst in direktem Kontakt mit der Tierwelt entwickeln sich die besonderen Fertigkeiten Hagens. Anders als Wolfdietrich wird der wilde Hagen geradezu durch die Nähe zur Tierwelt auf besondere Art sozialisiert: Er wart sô baldes herzen, sô frevele und sô zam. hei waz er von tieren sneller sprunge nam! als ein pantel wilde lief er ûf die steine. jâ zôch er sich selbe; er was aller sîner mâge eine.318

Gezeichnet wird die Inversion des Erziehungsgedankens, der traditionell an vorbildlichen Exempeln orientiert ist, denen der Zögling nachzueifern hat.319 Hier dagegen entwickeln sich die heroischen Anlagen innerhalb der Natur, 313 McConnell, The Epic of Kudrun, S. 16. 314 Kudrun, Str. 91,4. Zur ambivalenten Zeichnung Hagens im Spannungsfeld von genderKonstruktionen vgl. Pearson, Fremdes Heldentum, S. 154–157. 315 Kudrun, Str. 94,4; McConnell, The Epic of Kudrun, S. 12–20. 316 Kudrun, Str. 96,4. 317 er lernte swes er gerte, dô er nâch sîner nôt begunde sinnen. Ebd., Str. 97,4. 318 Ebd., Str. 98; vgl. 106. 319 Vgl. Wenzel, Hören und Sehen (1995), S. 25–37.

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III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier

bildet sich der Jüngling selbst zu einem heroischen Wesen aus, das trotz fehlender Anleitung durch Verwandte seine natürlichen Vorbilder findet: Den Tieren des Himmels, des Meeres und der Erde stellt er nach. Indem das Kind sich frühzeitig durch Überwindung wilder Tiere bewährt und sich ihre körperlichen Vorzüge aneignet, wird Natur statt Gesellschaft zum primären Bezugspunkt der Entwicklung. Der sozial allein auf Frauen angewiesene Heros schafft sich notgedrungen andere Kombattanten, um sein Gewaltpotential auszubilden. Feudale ›Kulturgeschichte‹ des Subjekts, wie sie hier im Präparat entworfen wird, läuft nämlich weniger über die Dominanz der ratio als über die der Gewalt: Von sîner herberge gieng er in den walt. dâ sach er vil der tiere frevele unde balt. dar under was ir einez, daz wolde in verslinden. daz sluog er mit dem swerte; ez muoste sînes zornes harte enphinden. Einem gabilûne er begunde ez schinden; in luste sînes bluotes. dô gewán er vil der krefte.

was ez anelîch. dô wart er krefte rîch. dô er des vol getranc, er hête manigen gedanc.

des tieres hiute der helt sich bewant. bî im er harte nâhen einen lewen vant; der mohte im niht enphliehen. wie schiere er zuo im gie! des beleib er unverhouwen. der helt ez güetlîche enphie.320

Die mythische Konfiguration dient weniger der »Verabschiedung des Mythos« durch »entstellendes Zitieren des Mythischen« als der Profilierung eines genuinen Adelsethos gegenüber rivalisierenden Kulturmustern.321 Gegenüber dem Akkulturationsmodell der Kleriker, dem Ackerbau und seiner Instrumentalisierung der Tiere und selbst gegenüber dem im Hintergrund wirkenden Programm höfischer Kultur wird hier die gewaltgestützte Selbstbehauptung einer Jagdkultur imaginiert. Dem Mangelzustand wird mit Hilfe von Assimilierung gegengesteuert.322 Indem der Held Verhaltensformen der Tiere imitiert, sich ihr Blut und dadurch ihre Kraft einverleibt und durch Schinden ihrer Felle Kleidung aneignet, führt er die Konfrontation mit der Natur auf der Ebene des Körpers. Durch demonstrative Gewaltakte und durch äußerliche Angleichung vermag der Zögling in der Begegnung mit dem Löwen gar eine Ebene gleichrangiger Existenz zu gewinnen, ja bereits eine Ver320 Kudrun, Str. 100–102. 321 Müller, Verabschiedung des Mythos, S. 203. 322 McConnell, The Epic of Kudrun, S. 16f. Offenbar führt bereits die Aneignung der Tierfelle zu einem Kräftezuwachs. Ebd., S. 18. Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 122f.; Schmitt, Poetik der Montage, S. 73f.

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schiebung der Hierarchie wird hier sichtbar: der helt ez güetlîche enphie. Um der wilden Natur standzuhalten gilt es, ein Teil von ihr zu werden, wobei die reale Differenz zum Tier wie in allen Sondersozialisationen auch hier genau beachtet wird. Der Heros erweist sich als Herr über die Tiere, deren aggressive Exemplare er vernichtet und sich ihre Zeichen demonstrativ aneignet, deren friedfertige Repräsentanten dagegen eine Form von Respekt erheischen. Der Löwe, das heraldische Tier par excellence, trifft auf sein menschliches Pendant, wobei, metaphorologisch gesprochen, eine wechselseitige Zuschreibung der Eigenschaften erfolgt. Gegenüber den klassischen Heroen verfügt der wilde Hagen, das ist mehrfach konstatiert worden, aber über ein erstaunlich diplomatisches Vermögen und vereinigt in der Regel getrennte Fertigkeiten.323 Von daher wird Hagen nicht nur als Jäger gezeichnet, sondern auch als fürsorglicher Kulturheros. Der Text selbst verweist immer wieder auf die Differenz der Waldexistenz zur gewohnten höfischen Lebensform, die der Heros zu mindern bemüht ist. Den anwesenden Damen erleichtert er das Dasein, indem er Feuer aus einem Stein schlägt, so daß die Kulturstufe zum ›Gebratenen‹ hin überschritten werden kann. Der Affinität zu den Ressourcen der Natur steht ihre funktionale Nutzung im gewiß nur rudimentär entwickelten Kulturraum gegenüber. Die beiden Jugendgeschichten Hagens sind »auffällig locker miteinander verknüpft«, ihre Fügung scheint »überdeterminiert« zu sein.324 Infrage steht, ob solche Überschüssigkeit »ausgestellt« und damit das Mythische verabschiedet wird. Weder syntagmatisch noch paradigmatisch ist die Passage überschüssig. Der Erzähler konfrontiert nicht nur explizit zwei Typen von Jugendgeschichten, eine höfische und eine mythisch-heroische, er läßt letztere auch im höfischen Kontext weiterwirken. Innerhalb von vier Strophen markiert er deren fortwirkendes Spannungsverhältnis: Der junge Hagen lernte daz helden wol gezam; Dar zuo wart er sô küene als uns ist geseit.325 In harter Fügung erinnert der Erzähler noch einmal an die Folgen des Aufenthalts in der Anderwelt und an deren Auswirkungen für die fama des Helden: Er wuochs in einer wüeste, der edele fürste junc, bî den wilden tieren, des mohte im einen sprunc lebendes niht enphliehen, swaz er wollte vâhen. er waen und sîne frouwen bî dem mere manic wunder sâhen Sîn rehter náme híez Hagene; sît wart er genant Vâlant aller künige. dâ bî was er bekant

323 Hoffmann, Kudrun, S. 27f. Vgl. die Zusammenstellung bei Campbell, Kudrun’s wilder Hagen, S. 1f.; Pearson, Fremdes Heldentum, S. 156. 324 Müller, Verabschiedung des Mythos, S. 205. 325 Kudrun, Str. 165f.

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III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier

von der sînen sterke wol in allem rîche. Hagene der küene urbórte sînen namen vlîziclîche.326

Die Erfahrungen in der Wildnis, bei den Tieren, schlagen sich in Hagens außerordentlichen Fähigkeiten nieder, die ihrerseits auf seinen Namen ausstrahlen. Was Hagen in der Wildnis erwirbt, ist Voraussetzung für die Bedeutsamkeit seines Namens: Exorbitanz.327 Die Aneignung wilder Naturkräfte zeitigt zumindest phasenweise prekäre soziale Folgen, sehen doch schon die Retter die Findlinge zunächst als bisher nie gesehene wildiu merwunder an,328 und selbst den sich als Christ offenbarenden Heros wollen sie gar nicht erst mit in ihre Gemeinschaft aufnehmen.329 In der Folge demonstriert Hagen nicht nur seine exorbitanten Kräfte, ihm wird auch wiederholt das Attribut ›wild‹ zugewiesen: der wilde Hagen. Das mag ein Hinweis auf ältere Schichten der Sage sein, doch bezeichnet das Changieren der Hagenfigur zwischen einerseits Gewaltexistenz, die sich aus der wilden Sozialisation ableitet, und andererseits vorbildlicher Herrschaftspraxis, die den sozialen Erfordernissen Rechnung trägt, die beiden zentralen Pole feudaladeliger Existenz.330

3.4 Erziehung als Reanimalisierung Die Annäherung des Heros an das Tier erfolgt aber nicht nur providentiell oder qua Kontingenz, sie läßt sich durch Erziehung selbst herstellen. Diejenige Achills in Konrads von Würzburg »Trojanerkrieg« zeichnet paradigmatisch ein feudales Erziehungsideal nach.331 Bereits der Erzieher Schyron erweist sich als eine Art invertierter Pädagoge, insofern er weder die artes liberales lehrt, noch eine normale höfische Erziehung vermittelt. Seine äußere kentaurenhafte Erscheinung – figure wilde – projiziert bereits den Antagonismus von Mensch und Tier auf die Ebene der Lehrinstanz. Schyron ist realiter in der Natur verankert, er ist ein Mischwesen, das jenseits aller Zivilisation in einer wilden clûse zwischen Wald und wilder See lokalisiert ist: Schyron markiert durch Aussehen und Wohnort die Grenze zwischen Natur und Kultur. Die Attribute, die seinem Körper qua Natur zugeschrieben werden, überlegene Gewalt, Schnelligkeit und Hornhaut, repräsentieren genau die er326 Kudrun, Str. 167f. 327 Zur Exorbitanz vgl. von See, Held und Kollektiv, S. 4; Ders., Germanische Heldensage, S. 166–172. 328 Kudrun, Str. 112. 329 Ebd., Str. 128, 135, 137. 330 Hoffmann, Kudrun, S. 26f., 28f.; Campbell, Kudrun’s wilder Hagen, S. 2; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 122f. 331 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 5826–6471, 13496–13588. Zu Konrad: Lienert, Erzählen und Geschichte, S. 50–54; Friedrich, Diskurs und Narration, S. 117–119.

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träumten Eigenschaften des feudalen Kriegers, und sie bilden denn auch sein primäres Erziehungsziel. Schyrons Lebensform zeichnet sich durch den weitgehenden Verzicht auf kulturelle Techniken aus. Er haust in einer Höhle, ernährt sich von rohem Fleisch, trägt nur zusammengebundene, nicht genähte Tierhäute. Überdies besitzt er nicht nur Tiereigenschaften, sondern übt selbst eine Gewaltherrschaft über die Tiere aus. der selbe meister künsterîch was ob allen tieren starc die grîfen und die löuwen arc erbibenten von sîner kraft. er twanc mit sîner meisterschaft die tracken und die würme. sîn angestlichen stürme entsaz mit vorhten allez wilt. […] erzamen und erblûgen muost allez wilt, daz in gesach.332

Schyron steht also nicht innerhalb der Natur, sondern hat sich diese bereits mittels Gewalt unterworfen. Er drückt ihr sein Gesetz auf, indem er etwa den Naturtrieb einer Löwin bricht und diese zwingt, Achill zu säugen.333 Achill selbst macht eine Zucht durch, die dem bekannten theologischen Verständnis nah und fern zugleich steht. Eine harte Körperpolitik kennzeichnet asketisches Mönchtum und feudalen Kriegeradel gleichermaßen, doch zielen beide in unterschiedliche Richtungen. Zwar wird zuht auch im feudalen Milieu als Abhärtung verstanden und richtet sich gleichermaßen auf den Willen, doch nicht als Austreibung des Körpers zugunsten der Seele, sondern im Gegenteil als militärische Formung des Körpers.334 Der Zögling wird qua Gewöhnung sukzessive an die Natur herangeführt, so daß Schyron seinen Erziehungserfolg in die Worte fassen kann: er ist ein knabe sô wilde, / daz man vernam daz wunder nie.335 Achill eignet sich im Erziehungsprozeß geradezu animalische Qualitäten an. Er wird von einem Tier gesäugt, erhält das Mark 332 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 5858–5865; 6038f. 333 dâ von twanc er die lunzen, / daz si diu jungen löuwelîn / liez âne sûgen dicke sîn, / und ir brüste Achille bôt. Ebd., V. 6042ff. 334 Mönchische Askese ist gegen den Körper gerichtet, versucht durch Fasten, Gewöhnung an Kälte und Selbstgeißelung den Reizungen des Fleisches gegenzusteuern: Ubi dum fortiter tentaretur a carne sua, affligebat se. In Quadragesima jejunabat abstinens ab omni potu, praeter unum diem in septimana. In hieme stabat vestitus in aqua frigida usque ad collum. Disciplinam sibimet dabat usquequo virgae dirumperentur. Quod cum quadam die faceret, et se cecidisset usque ad sanguinem, […]. Hélinand de Froidmont, Chronicon Lib. XLVIII, PL 212, Sp. 1063f. 335 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 13538f.

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von erlegten Löwen und Bären, Wurzelsaft anstelle ›gekochter‹ Mahlzeiten, trägt ausschließlich Tierhäute und gewöhnt sich sukzessive an eine Art animalische Lebensform. Empfindungen werden ihm systematisch abtrainiert: durch die Härte der Schlafstelle, die Kälte der Umgebung oder die Gewalt der Tiere, deren stärksten Exemplaren (Bären, Greifen) Achill als Tapferkeitsprobe gar die Jungen aus dem Nest rauben muß. Ziel der Erziehung ist auch hier deutlich die Herrschaft über die Tiere, doch anders als im theologischen Modell weniger durch ratio als durch Gewalt. Pferde instrumentalisiert Achill zum Zweck der Ritterschaft.336 Er entwickelt sich auf natürliche Art zu einem derart perfekten Jäger – ûf aller vrechen tiere spor / hiez in sîn meister gâhen –,337 daß er nicht nur gegen die gefährlichsten Tiere vorgeht, sondern zugleich den Wald gänzlich entleert: der tiere wart sô vil erslagen / von sîner vrechen hende balt, / daz oede stuont der wîte walt.338 Doch all das, Abhärtung und Jagd, dient allein der Vorbereitung zum Krieg. Als erste Probe läßt Schyron Achill gegen eine Sonderform von Menschen, kriegslüsterne Kentauren – Chiffren seines symbolischen Vaters – ziehen, deren Land er verheert: er üebet rouben unde brant / in ir lande creize, so daß als Telos seiner Erziehung eine ungebremste Lust zur Gewalt erscheint: sîn herze und alle sîne ger / hât er ûf kampf gerihtet.339 Deutlich sind hier in positiver Perspektive Aspekte jener Animalisierung bzw. Dehumanisierung entworfen, die Matthäus von Paris den entsetzten Erzbischof von Moskau als naturverhaftete Genealogie der Mongolen entwerfen läßt.340 Konrad, der auch sonst Vertrautheit mit den Künsten zu erkennen gibt, zeichnet die Entwicklung des feudalen Kriegers als harten Ausbildungsgang. Zwar gilt Schyron als universaler Lehrer,341 doch überwiegt bei weitem der körperliche Aspekt: die Kongruenz von corpus und animus im feudalen Verständnis. Gegenüber den beschriebenen Sozialisationsentwürfen – adelige Entelechie, mythische Kontiguität, imitatio naturae – stützt sich Konrads Modell auf antike Vorbilder. Nicht der Umstand, daß Konrads Motivarsenal für Achills Erziehung weitgehend aus Statius’ »Achilleis« schöpft,342 ist entscheidend, sondern derjenige, daß im Horizont konkurrierender Entwürfe adeliger Subjektwerdung ein Konzept angeboten wird, das auf Gewöhnung und Training als entscheidenden Faktoren der ›Personenbildung‹ abzielt. 336 er vant dâ wilder rosse vil, / diu wurden sîner hende zam. Ebd., V. 6240f. 337 Ebd., V. 6198f. 338 Ebd., V. 6232–6234. 339 Ebd., V. 13570f., 13580f. 340 In den Mongolen trifft also das feudale Ethos auf das überlegene Spiegelbild ihrer eigenen Kriegsethik. 341 er wente si ze strîte / und ûf tugentlîche site. Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 5844f. 342 Statius, Achilleis I, 86–167; Lienert, Geschichte und Erzählen, S. 50–54.

Entwürfe feudaler Sozialisation

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Denn Achill ist offenbar nicht nur von Natur prädestiniert wie Perceval und Wolfdietrich (A), sondern bedarf auch der längeren Unterweisung.343 Die Inszenierung dieses spezifisch feudalen Erziehungsprogramms bedeutet zumindest partiell eine Absage an die Entelechie adeliger virtus als natürlich durchdringender art. Sie trägt damit zeitgenössischen Erziehungskonzepten Rechnung, wie sie in der Vegez- und Aristotelesrezeption des 13. Jahrhunderts diskutiert werden. Zentral ist das Vertrauen auf Erziehung, auf consuetudo als altera natura. Die Ausbildungsvorschriften für römische Legionäre, die Vegez in seiner Kriegsschrift »De re militari« entworfen hatte, rezipiert Aegidius Romanus in »De regimine principum« und überträgt sie auf mittelalterliche Verhältnisse. Ziel militärischer Ausbildung ist demnach die Gewöhnung der Kämpfer an die harten Bedingungen der Schlacht.344 Wie sehr vor allem eine schwache Natur der Formung bedarf, wird schließlich im Kommentar des Albertus Magnus zu den Tierschriften des Aristoteles sichtbar. Für die Abrichtung von weniger edlen Falken empfiehlt er eine verstärkte Disziplin der Ausbildung und parallelisiert dieses Verfahren explizit mit dem in der militärischen Praxis üblichen: Aus Disziplin aber und aus der hilfreichen Unterstützung des Menschen selbst nimmt er häufig eine größere Tapferkeit an, aber nicht wie der wahre Falke. Bei den Raubtieren verhält es sich nämlich so wie bei der Tapferkeit der Soldaten. Bei den Soldaten fehlen nicht solche, die von Natur aus schwach und von der Komplexion her weniger kühn sind, die aber dennoch durch die Kriegskunst, durch Übung häufiger Siege und durch Erfahrung es verstehen, die Feinde anzugreifen und ihnen standzuhalten, Hinterhalte zu stellen, auszuweichen und aus dem Vertrauen der helfenden Gefährten edle Triumphe bewirken, […]. Ex disciplina autem et adiutorio iuvantis ipsum hominis, frequenter sumit audaciam maiorem, sed non sicut verus falco. In avibus enim rapacibus est sicut in militum fortitudine. In militibus enim non desunt ex natura debiles et ex complexione minus audaces, qui tamen ex scientia militandi et usu frequentis victoriae et ex peritia hostes aggrediendi et exspectandi et feriendi et insidiandi et declinandi et ex confidentia sociorum adiuvantium, saepissime nobiles faciunt triumphos: et similiter est de isto genere quod licet sit timidum per naturam, […].345

Was hier als Programm der Stärkung schwacher Naturen und im Hinblick auf kollektive Kampfkraft entworfen wird, überträgt Konrad auf den zukünftigen 343 Chrétien de Troyes, Le Conte du Graal, V. 1473ff. 344 Fenske, Der Knappe, S. 70. In diesem Sinn inseriert auch Roger van Howden seiner »Chronica« eine Passage aus Senecas »Epistolae morales«, in der er die Notwendigkeit realer Kampferfahrung unterstreicht. Ebd. 69. 345 Albertus Magnus, De animalibus XXIII,13, S. 1468; Fenske, Der Knappe, S. 70. Auch die aristotelische »Politik« kommt auf den Gewöhnungsfaktor bei der körperlichen Ausbildung zu sprechen: Ernährung, Bewegung, Abhärtung: quod apud multos barbarorum est consuetudo […]. Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis VII, 15, S. 742.

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Heros. Weniger wird hier eine schwache Natur gestärkt, als daß die Effektivität einer tiernahen Erziehung am herausragenden Exemplar vorgeführt wird. Die Sozialisationen von Paris und Achill kehren geradezu das konventionelle Schema von Geblüts- und Tugendadel um.346 Während sich nunmehr Gewaltpotentiale mittels Erziehung herstellen lassen, bricht an dem unter Hirten aufwachsenden Paris die natürliche Mitgift eines ethisch verstandenen Adels durch. Paris dokumentiert durch seine Schönheit, gleichfalls klassischer Faktor adeliger Geblütsauffassung, wie durch seinen Gerechtigkeitssinn vorbildliche Herrschertugenden. Achills Ausbildung dokumentiert dagegen das Vertrauen in den Faktor Erziehung, jedoch nicht auf dem Feld höfischer Künste (Tristan), sondern auf dem körperlicher Fertigkeiten. Dem zeitgenössischen Hörer/Leser stand als Normalform feudaler Erziehung wohl primär die pragmatisch nachvollziehende und einübende Knappenexistenz an fremden Höfen vor Augen. Jenseits dieser Normalform feudaler Sozialisation entwirft die epische Literatur verschiedene imaginäre Modelle, die den zentralen Faktor feudaler Macht, das Gewaltprinzip, in heterotope Räume auslagern und ausphantasieren.347 Die Darstellung der kollektiven Gewaltdynamik des Krieges speist sich privilegiert aus dem Bildfeld der Jagd. Jagen ist zentraler Terminus der Kriegssprache, und der Konnotationsrahmen der Jagd organisiert immer wieder die Darstellung von Kriegsszenen. Die lebensweltliche Praxis der Jagd lenkt die Wahrnehmung des Krieges. Sowohl übernimmt der Heros metaphorisch die Rolle des Raubtiers, das über seine Feinde herfällt, als auch diejenige des gejagten Tiers, das sich gegen eine Übermacht zur Wehr setzt. Natürlich ist er auch selbst Jäger, der Menschen wie Tiere erlegt. Die Omnipräsenz dieses Bildfeldes scheint Index für das kulturelle Niveau der Aktionsebene zu sein, das zwei Formen direkter körperlicher Konfrontation zusammenbindet: In der Jagd wie im Krieg werden Rollen und Dynamiken freigesetzt, die den Menschen in die Nähe des Tiers rücken.348 Die Gewaltartikulation in der Jagd bedroht aus kirchlicher Perspektive nämlich den Menschen und setzt ihn der Gefahr der Vertierung aus.349 Bereits die Bibel liefert entscheidende kulturhistorische Vorlagen. In Esau, dem Sohn Isaacs, wird der auch physiognomisch dem Tier angenäherte Jäger zum 346 Friedrich, Diskurs und Narration, S. 110–119. 347 Zur Heterotopie vgl. Foucault, Von anderen Räumen, S. 34–46. 348 Metaphorisch ablesbar etwa an den Falkenmetaphern, in denen dem Jagdvogel seine angestammte Wildheit wiedergegeben wird, die ihrerseits Ausdruck einer »unverstellten Triebgier« ist. Brackert, »deist rehtiu jegerîe«, S. 397. 349 Johannes von Salisbury, Policraticus I,4: Dux Thebanus uisa nuditate illius quam in siluis semper coluerat, cum ab errore pedem sui reuocaret affectus, sub humano sensu se in bestiam stupuit transformatum, ceruisque conformis, cum domesticos canes uoce et uultu niteretur abigere, uitio prauae consuetudinis, totius substantiae suae dispendio, eorundem morsibus patuit.

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Gegenbild des monastischen Menschen.350 Die Jagd setzt offenbar jene Kräfte frei, auf die der Adel seine Selbstbehauptung gründet. Gilt die Jagd »per definitionem [als] etwas, das sich auf der Grenze abspielt, wo das Menschliche auf das Wilde stößt«,351 so führt sie im feudalen Kontext zugleich zu einer Rückkoppelung, die ihrerseits Wildheit an Adel bindet.352 Johannes von Salisbury resümiert: »Bisher riechen alle Jäger nach der Art der Centauren. Selten wird einer von ihnen gefunden, der bescheiden oder erhaben von Charakter ist, selten sind sie bescheiden und, wie ich glaube, niemals nüchtern.«353

4. Fluchtlinien der Gewalt Ein Mann kann seinen Tod überleben, nicht aber seine Ehre. Goll mac Morna354

4.1 Gewaltpotentiale der Feudalgesellschaft Die höfische Kultur, so wie sie in den disziplinierten Verhaltensformen der höfischen Epen inszeniert wird, erfährt nicht nur von Seiten eines asketischen Christentums Kritik, sondern zugleich aus der Perspektive einer harten Kriegerethik. Vor allem in heldenepisch geprägten Texten artikuliert sich eine antihöfische Stimme, eine die Regularien der höfischen Etikette verspottende kriegerische Haltung. Im »Nibelungenlied« feiert sich diese heroische Attitude, wenn Volker ohne Anlaß und ohne Konsequenzen einen sich höfisch gebärdenden Hunnen erschlägt, und in Herborts von Fritzlar Trojaepos werden mit dem König Celcidis von focidis und dem König Arcamenis 350 Esau, der Erstgeborene, der Vaterliebling (venationibus illius vesceretur), ist bereits physisch gezeichnet: rufus erat et totus in morem pellis hispidus. Genesis 25: quibus adultis fatus est Esau, vir gnarus venandi et homo agricola Jacob autem vir simplex habitat in tabernaculis. Vgl. die drastische Vergleichsebene in der Deutung des Petrus Damiani, PL 145, 272f. Über Jakob heißt es: non silvestrium ferarum, sed domestici gregis apparatione reficiat. Den Zusammenhang von Jagd und Sünde macht das Decretum Gratians (I, Dist. 86,11) klarer: Esau venator erat, quoniam peccator erat. Et penitus non invenimus in Scripturis sanctis sanctum aliquem venatorem. Szabó, Die Kritik der Jagd, S. 167–229. 351 Cartmill, Tod im Morgengrauen, S. 55. 352 Bereits Thietmar berichtet von einem Kämpfer, qui ob assiduum venationis exercicium indomitus Tommo vocabatur. Thietmar von Merseburg, Chronicon, VI,15. 353 Venatores omnes adhuc institutionem redolent Centaurorum. Raro inuenitur quisquam eorum modestus aut grauis, raro continens, et, ut credo, sobrius numquam. Johannes von Salisbury, Policraticus I,4. 354 Finnsage; zitiert nach Birkhan, Kelten, S. 951.

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Minne- und höfische Ritter par excellence in die Kriegshandlung eingeführt, um sogleich ohne große Umstände und mit sichtlich ironischem Akzent erschlagen zu werden.355 In solch epischen Inszenierungen aus dem Ende des 12. Jahrhunderts findet zum einen die kirchliche Kritik an der Schauseite einer höfischen Adelskultur ihr feudales Komplement, zum andern positioniert sich zugleich ein feudales Gewaltethos gegen alle Versuche, diszipliniert zu werden.356 Klaus von See hat dafür den Ausdruck »Exorbitanz« geprägt.357 Wenn er etwa aus Snorris »Heimskringla« zitiert, »daß man einen König zum Ruhm und nicht zum langen Leben« haben solle, wird der Gegensatz von feudalheroischer Einstellung und politisch-institutioneller Sicherung sichtbar.358 Hatte Marc Bloch schon früh die Feier adeliger Physis und ihre Verbindung zum Animalischen konstatiert, so hat Robert Bartlett die adelige Gewaltpolitik in den Expansionszügen des 11. bis 13. Jahrhunderts herausgearbeitet.359 Ostentative Selbstdarstellung adeliger Gewalt ist zugleich Gegenstand historiographischer Inszenierung. Bartlett hat die feudale Gewaltdynamik geradezu als einen Motor für die Entstehung Europas, für die Expansionsbewegungen etwa des normannischen Adels im 11. und 12. Jahrhundert ausgemacht und damit einen historischen Typus von Herrschaft skizziert, der sich selbstbewußt gegen etablierte Formen institutioneller Herrschaft auf

355 Nibelungenlied, Str. 1885–1889; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 422f.; Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 5257–5263. Vgl.: Er fur hubesliche / Daz ist gewislichen war / Er was fier unde klar / Daz enhalf aber niet. Ebd., V. 7448–7451. 356 Die feudale Literatur kennt auch Formen diskursiver Auseinandersetzung. So setzt sich in der Textstrategie des »Rolandsliedes« die Gewaltperspektive politisch durch, wenn etwa der Verräter Genelun zugleich als Feigling gezeichnet wird; demgegenüber erhält bei Veldeke die höfische Gesinnung in der Figur des Drances ihre politische Aufwertung. Drances wird gezeichnet als ein harte gihouet man. […] er was wise unde riche / vnd was gizogenliche, / verwizzen unde redehaft, / niwan daz er vngerne vaht / vnd gerne hete gimach. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 230,9–15. Unter den Prämissen sozialer Geltung bedeutet das Ehrverlust: des ergisten des er wart gezigen. Ebd., V. 230,17. Krieg scheint für Drances schon nicht mehr persönliche Angelegenheit zu sein, so daß der Krieger Turnus ihm Feigheit und Furcht vor dem Tod vorwerfen kann. 357 Von See, Germanische Heldensage, S. 166–172. Die Exorbitanz und die Tendenz zur Überschreitung läßt sich auch noch an der späten ›Herogonie‹ des Heldenbuchs (1480) ablesen. Die Riesen wurden geschaffen, um die Zwerge gegen die wilden Tiere zu schützen, werden dann aber selbst tyrannisch, so daß Gott die Helden schafft, um die Riesen ihrerseits in Schach zu halten. Zwerge, Riesen und Helden sind aber gleichermaßen von adeliger Herkunft, so daß der späte ›Mythos‹ offenbar Spannungen innerhalb der Adelskultur zum Thema hat. Heldenbuch, S. 2. Fromm, Riesen und Recken, S. 44f. 358 Von See, Held und Kollektiv, S. 13. von See wendet sich gegen den Beitrag von Weber, Sem konungr skyli, S. 449ff. 359 Bloch, Die Feudalgesellschaft, S. 353; Bartlett, Die Geburt Europas, S. 109–132; Braun, Herberichs, Gewalt im Mittelalter, S. 7–37.

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physische Überlegenheit beruft.360 In diesem Sinne findet sich eine Gleichsetzung von Kampfparteien mit Repräsentanten von Tierklassen bei Petrus von Ebulo, der in seiner »Sizilischen Chronik« (1195/97) auch die Taten Diepolts von Schwainspoint, eines Vasallen Heinrichs VI., im Kampf um das normannische Sizilien, beschreibt. Diepolt überfällt das Landgut um das Kloster Monte Cassino und hält eine geradezu topische Rede an seine Kampfgefährten: ›Der Anblick des zahlreichen Feindes soll Euch nicht schrecken! Diese Erde gebiert weibische Männer! Die schattige Muße verweichlicht sie, die geboren sind, vor dem Spiegel zu stehen Ein süßes Ruhebett läßt sie auf zarten Rosen gedeihen. Das sind Tankrediner, wir sind Kaiserliche. Diese sind Schafe, wir werden Schweine genannt. Das Schwein soll gegen die Schafe vorgehen und sie und ihre Felle davontragen‹ ›Nec vos aspectus numerosi terreat hostis: Femineos tellus parturit ista viros. Ad speculum natos effeminat umbra quietis, Quos alit in teneris dulce cubile rosis. Hii Tancridini, sumus et nos imperiales. Hii pecudes, sed nos dicimur esse sues. Sus agat in pecudes et eas et vellera portet‹361

Solch selbstbewußter Distanzierungsgestus gegenüber höfisch stilisierten Verhaltensformen entspricht weit eher den historischen Bedingungen einer mittelalterlichen Adelsgesellschaft als etwa das regulierte Kampfethos der höfischen Ritter. Der ferus […] Dipuldus repräsentiert eine selbstbewußte Gewaltethik, in der der bäuerliche Feind nicht zufällig als Schafherde betrachtet wird, die der Heros im Alleingang bezwingt: »und ein Mann bindet und schert tausend Schafe.«362 Insofern rufen die Kriegsepen des 12./13. Jahrhunderts weniger eine archaische Erinnerung auf, als daß sie einem zentralen pragmatischen Aspekt feudaler Lebenswelt, der ostentativen Gewaltdemonstration, 360 Bartlett, Die Geburt Europas, S. 79–131. 361 Petrus de Ebulo, De rebus Siculis, V. 1213–1220. Hanc ferus invadens, Dipuldus ab aggere dextro / Dissipat instantes, ut leo magnus oves. Ebd., V. 1095f.; Schouwink, Der wilde Eber, S. 47; Scheibelreiter, Tiernamen und Wappenwesen, S. 124f. Nicht nur fürchten die Normannen Diepolt in besonderem Maße – In Diopuldeo nomine terra tremit. (V. 758) –, nicht nur plündert dieser die Umgebung aus, sondern er kämpft auch wie ein Eber. 362 Et ligat et tondit mille vir unus oves. Petrus de Ebulo, De rebus Siculis, V. 1224. Dentipotens comitem denique vicit aper. Ebd., V. 1116. Das gleiche Bild hatte auch Bernhard von Clairvaux für das Templerethos verwendet: irruunt in adversarios, hostes velut oves reputant. Bernhard von Clairvaux, De laude novae militiae, Cap. IV,8, S. 221.

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im fiktiven Entwurf Rechnung tragen.363 Man übersieht die pragmatische und damit die soziale Dimension solcher inserierten Szenen, wenn Gewaltausbrüche dieser Art lediglich als Effekt gattungsspezifischer Muster aufgefaßt werden. Krieg findet im Mittelalter primär als Heeres- oder Belagerungskrieg kleinerer oder größerer Kontingente statt und seit dem 12. Jahrhundert zunehmend mit Einbeziehung von Hilfstruppen.364 Die sozialständische Zusammensetzung der Heere ist komplex und ihre Gewaltdynamik häufig nur schwer unter Kontrolle zu halten.365 Indes scheint mit ihr durchaus taktisch gerechnet worden zu sein. Die Zerstörungen von Burgen, Raubritternestern, Städten und Dörfern, die Barbarossa auf seinem Italienfeldzug veranlaßt, vollzieht sich nicht nur durch den Einsatz regulärer ritterlicher Verbände – ordine militari –, sondern auch »durch den planlosen Ansturm seiner Knechte.«366 Die untergeordneten Kontingente, bestehend aus einem Ensemble von Knappen, Waffenträgern, niederen Kriegsknechten und mitunter Söldnern, waren wohl im Auftrag ihrer jeweiligen Herren ausführende Organe von Raub und Plünderungen, die sich an militärische Erfolge anschlossen.367 Diese ökonomische Seite des Krieges artikuliert sich in der Aussicht auf Kriegsgewinn, in der Befriedigung von Beutegier, die die feudale Ideologie entgegen der real geltenden Praxis zumeist auf die unehrenhaften Kombattanten projiziert.368 Feudale Kriegsführung vollzieht sich demnach auf zwei Ebenen, die indes nicht voneinander getrennt werden können: einer auf Ruhm zielenden Auseinandersetzung freier Krieger und einer auf taktische und ökono363 Zur pragmatischen Situierung von Fiktion vgl. Warning, Der inszenierte Diskurs, S. 201– 203. 364 Vgl. Grundmann, Rotten und Brabanzonen, S. 419–492; Czerwinski, Schlacht und Turnierdarstellungen. 365 Fenske, Der Knappe, S. 101–115, 119. 366 armigerorum tumultuationis assultu. Otto von Freising, Gesta Frederici II,17. 367 Fenske, Der Knappe, S. 112f. 368 […] sicut in hoste fieri solitum est. Otto Morena, vgl. Fenske, Der Knappe, S. 109, 107f., 112f. Die Aufspaltung des Sieges in einen ständisch orientierten sozialen (Ruhm) und einen ökonomischen (Beute-) Wert dokumentiert der Bericht Reinalds von Dassel über die Schlacht von Tusculum im Jahre 1167. Entgegen der historischen Wahrheit schreibt sich die Ritterschaft die schlachtentscheidende Leistung und somit den Ruhm zu, während Knappen und Söldner sich die Beute aneignen. Vgl. Grundmann, Rotten und Brabanzonen, S. 442f.; Fenske, Der Knappe, S. 114; Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 165f. Zur Politik der Plünderung vgl. Fenske, Der Knappe, S. 107–115. Epischer Reflex solcher Haltung ist noch die Heeresschau, die Alexander im »Alexanderroman« des Ulrich von Etzenbach vollzieht. Explizit von den Rittern abgesetzt wird der vuozgenger schar (V. 2447), die nicht nur sozial disqualifiziert (die vil ungehiure diet, V. 2459; daz volc wilde, V. 2465), sondern auch später im Kampf als grober Gewaltfaktor eingesetzt wird (die ungefüegen gebûre, V. 3680), schließlich einem distanziert betrachteten Beuteverhalten anheim fallen, indem sie den toten Rittern die Rüstungen abnehmen. Ebd., V.3651–3655.

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mische Ziele ausgerichteten Gewaltdynamik, die sich in Fouragieren, Sturmangriffen, Plünderung, Zerstörung und Brandschatzung, selbst Pogromen und Hinrichtungen niederschlägt und aus der Perspektive höfischer Ethik heraus geradezu als irrationale Komponente des Krieges angesehen wird.369 Wenn Barbarossa zur Disziplinierung seines Kreuzzugsheeres während des Zugs durch Italien 1189 gar eine harte Lagerordnung erläßt, um »das unberechenbare Ungestüm der jugendlichen Gemüter« zu bändigen, wird rein sprachlich bereits die Aktionsform der jugendlichen Kämpfer als eine unkontrollierte Dynamik beschrieben.370 Den unsinnigen Kampfeifer der Jungen in Schach zu halten, ist ein rekurrentes Thema mittelalterlicher Chronistik.371 Anläßlich der grausamen Kämpfe vor Crema schreibt Rahewin den Cremesken eben jenen »Angriffsgeist von Rasenden« (impetum insanientium) bzw. jene »grimmige Wut« (sevientium furorem) zu, der auch in den eigenen Reihen immer wieder vor dem Ausbruch steht und den es zu zügeln gilt.372 Auch die Epik spielt solche Konstellationen von Fall zu Fall ein. Von dem jungen impulsiven Kaylet, der gegen Gahmuret kämpfen will, heißt es bei Wolfram: Gaschier in mit dem zoume nam, / ›iuwer wilde wirt vil zam […] bestêt ir den Anschewîn.373 Was hier vorab auf diskriminierte Teile des Heeres oder junge Adelige projiziert und ethisch disqualifiziert wird, ist trotz aller Kritik von Seiten der Kleriker zugleich essentieller Bestandteil des feudalen Kriegsethos.374 Eigenmächtigkeit und die Durchbrechung taktischer Disziplin, d. h. rücksichtsloser furor, ist konstitutives Element feudaler Kriegspraxis, dem selbst hohe Reichsfürsten nachgeben, sichtbar etwa am Herzog von Bayern, der »wider die Erfordernisse militärischer Zucht und Ordnung« Hals über Kopf in 369 Z. B. verzichtet Friedrich von Schwaben auf die Belagerung von Mainz, um die Stadt nicht der unberechenbaren Wut des Volkes (irrationabili plebis furori) preiszugeben. Otto von Freising, Gesta Frederici I,13. 370 iuvenilium irrationabilis impetus animorum. Otto von Freising, Gesta Frederici II,20; Fenske, Der Knappe, S.109f. Otto von Freising beschreibt den Ehrgeiz einiger Krieger vor Mailand, die sich wie Graf Ekkbert male affectate laudis avidi bemühen, ihre Kombattanten an heroischer virtus zu übertreffen und durch solchen Leichtsinn den Tod erleiden: […] quidam de exercitu, male affectate laudis avidi, prevenire alios et de virtute certando alter alteri superior inveniri desiderabant. Otto von Freising, Gesta Frederici III,36; Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 166. 371 Vgl. Heinrich der Löwe bei der Belagerung der Festung: Werla iuniores […] preliandi stulta cupido, […]. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 93, S. 182; Hildebrand, Der sächsische »Staat« Heinrichs des Löwen, S. 241; vgl. Czerwinski, Schlacht- und Turnierdarstellungen, S. 21–24, 113–117. 372 Otto von Freising, Gesta Frederici IV,56. Friedrich spricht nach Rahewin von semper cedis vestre cupidos milites continuimus. Ebd. 373 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 39,29–40,2. 374 Czerwinski, Schlacht- und Turnierdarstellungen, S. 23, 114. Zu Dubys These über die jeunes vgl. Peters, Von der Sozialgeschichte zur Familiengeschichte, S. 429f.

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die Schlacht stürzt.375 Nicht zufällig ist es die gleiche Absicht der Ruhmgier, die Rahewin später einer Gruppe von Fürsten zuschreibt, die sich vor Mailand nicht weniger gegenüber ihren Mitstreitern als gegenüber den Gegnern auszeichnen wollen: unde sibi nomen faceret.376 Was bei einem Mönch wie Bernhard von Clairvaux als »unvernünftige Leidenschaft des Zorns und Gier nach eitlem Ruhm« – aut irrationabilis iracundiae motus, aut inanis gloriae appetitus – gegeißelt wird,377 befördert im feudalen Milieu höchsten sozialen Rang, einen Status, der selbst vor dem Tod nicht halt macht. »Ihr Leben für den Ruhm dahinzugeben«, veranstalten die Mailänder einen Ausbruch, und gewiß aufgeladen mit einer metaphysischen Codierung dringen nach Arnold von Lübeck noch die Kreuzritter mit Todeslust auf die Feinde ein.378 Bis in die höfische Literatur hinein behauptet sich dieses auf herausragenden Taten beruhende Prestigestreben neben der komplizierten, auf sichtbarer Demonstration adeligen Status ausgerichteten Repräsentationssymbolik.379 Im feudalen Krieg treffen kollektive Verbände trotz taktischer Vorgaben mehr oder minder ungeordnet aufeinander (gemischent sich die scharen). Klagen über die ungebremste und rücksichtslose Gewaltdynamik fränkischer Kampfverbände finden sich in zeitgenössischer Historiographie, vor allem in der der Gegner. So konstatiert die byzantinische Königstochter Anna Komnene in ihrer Chronik »Alexios«, die Franken seien ehrversessen und würden sich

375 Otto von Freising, Gesta Frederici I,34. Richard Löwenherz, von Giselbert von Mons als miles atrocissimus bezeichnet, ist nach Fenske solch ein typischer Vertreter eines ›wilden‹ Rittertums. Fenske, Der Knappe, S. 67. Zu Richards verhängnisvollem Kampfethos vgl. Czerwinski, Schlacht- und Turnierdarstellungen, S. 165f. 376 […] quisque gloriosus ac laudis avidus alius alium in aliquo egregio facto, unde sibi nomen faceret, prevenire satagebat. Otto von Freising, Gesta Frederici III,42. 377 Bernhard von Clairvaux, Über das Lob der neuen Ritterschaft (ed. Winkler, Bd. 1), S. 275; Bernhard von Clairaux, De laude novae militiae Cap. II,3, S. 216. 378 Vitam pacisci pro laude. Otto von Freising/Rahewin, Gesta Frederici III,41. […] amore mortis animati, audacter irruerunt in eos […]. Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum IV,4, S. 167. Bischof Bertold von Bremen findet im Kampf gegen die Heiden den Märtyrertod: […] erat enim flagrans mortis desiderio. Qui sicut prime luctatur brauia sortis, Sicipsi prime fuerat data copia mortis. Ebd. V,30. Vgl. Turnus’ Vorwurf gegenüber Drances: ich getriwete iv wol des, / daz ir vngerne sterbet […]. Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 232,36f. Die Sachsen lehnen den Vorschlag der Fürsten ab, die Ausgleichszahlungen der Raner zu akzeptieren und beharren auf einem Kampf: videbis gloriosam mortem nobis maximo esse lucro. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum Cap. 38, S. 75. 379 Zur Ehre als sozialem Entgelt der repräsentativen Statusdemonstration vgl. Wenzel, Repräsentation und schöner Schein, S. 180f.; Ders., Ze hove und ze holze, S. 286. Für den heroischen Krieger und noch für den höfischen Ritter gilt dieses Ethos indes rein immanent: und dar nâch ân alle scham / unwandelbaere lebe mîn nam. / der hât zwîfaltige nôt / des nam blîbet mit dem lîbe tôt. Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 5035–5038. Zum historischen Hintergrund von Berühmtheit vgl. Althoff, Gloria et nomen perpetuum, S. 297–313, 301–303.

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ohne militärische Ordnung überhastet in den Kampf stürzen.380 Und auch der muslimische Gegner steht offenbar erstaunt vor dem Gewaltethos der Kreuzfahrer: »Wenn man die Franken kennen gelernt hat, kann man nur Gott den Erhabenen loben und preisen und die Franken als Tiere betrachten, die außer Tapferkeit und Kampfesmut keine Tugenden besitzen.«381 Während theologisch geprägte Autoren einen kritischen Blick auf die kollektive Kampfdynamik der Adeligen werfen, kommt diese in der volkssprachigen Literatur zu ihrer ideologischen Überhöhung.

4.2 Dynamik der Meute Die kollektive Dynamik des Kampfverhaltens realisiert sich in Form von Gruppenattacken, die als schar, gedrenge, rotte, storje oder geswärme gefaßt werden,382 und ihre Nähe zur Jagdpraxis wird szenisch und metaphorisch immer wieder hervorgehoben. Im Kampfgetümmel behauptet sich der Heros als gejagtes Tier gegen eine Übermacht an Jägern.383 Entsprechend vollzieht sich der Angriff der Heiden auf das Christenheer als kollektive Jagd: haiden di gesellen pliesen ze geuelle, sam si tiêr iageten. di scar si umbe habeten; daz gedrenge wart da fraissam.384 380 »[…] doch wann immer es zur Schlacht oder zum Krieg kommt, verspüren sie in ihren Herzen einen unbezähmbaren Drang und lassen sich nicht mehr zurückhalten.« Bartlett, Die Geburt Europas, S. 79–131, 114; Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 165. Und in der Tat scheint diese Form sich einem Meuteverhalten anzunähern: »Beim Angriff wurde auch nicht eine relative Geschlossenheit im Sinne eines taktischen Körpers […] erstrebt, sondern es kam auf die Wirkung einer Vielheit von Einzelkriegern, zwar gemeinsam, aber doch in losem Zusammenhang stehend, an.« Pollner, Geschichte des Pferdes, S. 45. »In ungeordneten Schwärmen, oder gar völlig vereinzelt, sucht sich […] jeder Ritter einen beliebigen Feind […].« Jähns, Ross und Reiter II, S. 84. Vgl. dagegen Czerwinski, Schlacht- und Turnierdarstellungen. 381 Zitiert nach Hiestand, Der Kreuzfahrer, S. 63. Angesichts der Gewalteskalation und des Massakers während der Eroberung Jerusalems 1099 ist diese Qualifizierung wenig erstaunlich. Vgl. Bartlett, Die Geburt Europas, S. 115. 382 von rabînes poinderkeit / durh den stoup inz gedrenge reit / gein strîte ieslîchez her. Wolfram von Eschenbach, Willehalm 32,19–21. Im »Erec« gleicht der Buhurt einer anderen Naturgewalt. Hartmann von Aue, Erec, V. 2601–2612. 383 Hector gwan einen bosen tac […] Sin not die was harte groz / Doch enwolde er niht entwichen / Er liz dare strichen / Als ein eber mit den zenen / Disen hie dort ienen / Gruzter mit grozzen slegen. Herbort von Fritzlâr, liet von Troye V. 8802–8813. Hector als ein wildez swin / Disen allen wider stunt. Ebd., V. 7574f. Als hector zv fvz stunt / Do grein er als ein hunt, Ebd., V. 7589f. 384 Rolandslied, V. 4103–4107.

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Die Jagdmetaphorik eröffnet ein zeittypisches historisches Konnotationsfeld von wilder Dynamik: »das Losgelassene, das Rasende, das Tempo, […].«385 Als Ausdrucksform wilder Kampfdynamik ist die Jagdmetaphorik obligatorischer Bestandteil in der Schilderung von Schlachtgeschehen: Das Hin und Her der Scharen, das Flüchten und Verfolgen der Kämpfer finden in Jagdbildern immer wieder prägnanten Ausdruck: man sach dâ fliehen unde jagen; oder wenn die Griechen die Trojaner jagten mit swerten ûf der flühte spor oder aus anderer Sicht: sô waerens’ aber dô zehant / gar flühtic zuo der stat getriben: oder aber: mit sneller umbekêre / wurden si gejaget wider.386 Die Gejagten werden zur Masse, zu anonymen getriebenen Scharen: man treip dô mit gewalte / vil manigen ûf des tôdes pfat.387 Auch das Turnier besitzt mit dem Buhurt seine anarchische Form gegenüber dem geregelten Zweikampf: Gaudîn und Partonopier. / die riten alsam wildiu tier / tobend allez umbe sich.388 So wie die Meute den einzelnen in ihren Sog zieht, so kann auch dieser Ausgangspunkt für die Ansteckung sein. Solche Annäherung des Kriegers an das Tier wird jedoch nicht nur metaphorisch inszeniert, sondern bisweilen auch szenisch gestaltet. Bei theologisch geprägten Autoren findet sich der Befund gewöhnlich in einer distanzierenden Perspektive. So kommt bei Saxo Grammaticus der König Frotho zu seinen Gegnern und vernimmt ›rauh tönende Laute wie heulende Hunde‹ (Wölfe). Die Ermahnung des Königs, daß ›in eine Menschenbrust nicht tierische Laute gehörten‹, offenbart eine Distanz des Herrschers gegenüber seinen sich wild gebärdenden Kriegern. Entsprechend ergänzt Erik sarkastisch, »das sei Hundesitte, dass, wenn einer anfinge, alle anderen auch bellten; denn alle zeigten in ihrem Benehmen ihren Ursprung, und ein jeder verrate damit seine Art.«389 Zentral ist das Moment der Ansteckung, das auf die Dynamik einer Meute verweist. Saxos Darstellung eignet eine Tendenz zur Distanzierung sowohl aus der Perspektive des schreibenden Klerikers wie textimmanent aus der des Königs und des Gegners, und doch verweist sie auf die latente Spannung zwischen dem Verhaltensmuster 385 Liessmann, Die Jagd nach dem Glück, S. 20–22. 386 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 25902, 25544f, 25647, 25550f. 387 Ebd., V. 25876f. 388 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 13585–13587. 389 Herrmann, Erläuterungen, S. 180. canum hunc esse morem, ut uno inchoante ceteri latratum edant, quod propriam cuncti moribus originem prodant, ac suum quisque genus fateatur. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum, S. 135. Qui, applicante se ipsis Erico, ululancium more horrisonas dedere uoces. Rex strepitum inhibere cepit, docens, non debere pectoribus humanis ferinos inesse sonos. […]. Ebd. Als sich Erik diesen zuwandte, erhoben sie rauh tönende Laute wie heulende (Hunde?). Der König wollte den Lärm dämpfen und sagte verweisend, in eine Menschenbrust gehörten nicht tierische Laute. Auch andernorts wird das Kollektiv der Kämpfer selbst als Meute entworfen: etwa als kollektives Klagen in der Schlacht: si grinen sam die hunde. Rolandslied, V. 4837. Daz folk strebete vberal / Jegelicher den andern ane grein. Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 4308f.

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einer Meute und dem Versuch seiner Beherrschung, eine Spannung von zentrifugalen Energien und zentripetalen Kontrollbemühungen. Genau diese Drohung, in die Dynamik einer Jagdmeute zu verfallen, wird auch literarisch wiederholt verhandelt. So beugt auch Artus programmatisch vor, wenn er seine Ritter eidlich verpflichtet, eigenmächtige Zweikämpfe zu unterlassen und dabei zu einem signifikanten Bild greift: welt ir dan für ein ander schehn, als vreche rüden, den meisters hant abe stroufet ir bant, dar zuo hân ich niht willen: ich sol den schal gestillen.390

Schon bei der ersten Gelegenheit offenbart sich aber die Labilität der Selbstverpflichtung – genuogen was gelübde leit –, vor allem bei Segramors, der ie nâch strîte ranc. / swâ der vehten wânde vinden, / dâ muose man in binden, / odr er wolt dermite sîn.391 Die Dynamik des Kampfimpulses steht in einer Spannung zwischen ethischen Formen der Selbstverpflichtung (Eid), gewaltsamen der Bindung und freier Gewaltartikulation. An Segramors wird die Ambivalenz des spontanen feudalen Gewaltethos und seiner politischen und ideologischen Implikationen im literarischen Entwurf verhandelt. Gegenüber den taktischen, d. h. militärischen Rücksichtnahmen des Königs setzt sich der aventiure-Impuls, die durch die Königin, d. h. die Dame, gestattete Bewährungsprobe, durch: ûz fuor Segramors roys, / kalopierende ulter juven poys. / sîn ors übr hôhe stûden spranc.392 Segramors ist nicht nur eine literarische Figur, sondern auch ein kultureller Typus. Situationstypen dieser Art finden sich immer wieder in der mittelhochdeutschen Epik, und die zumeist höfischen Autoren akzentuieren zwar in der Regel den tragischen Effekt solch ungezügelter Reaktionen, doch nur selten nehmen sie explizit dagegen Stellung. Heinrich von Veldeke und Herbort von Fritzlar inszenieren diese fatale Dynamik am Beispiel der jugendlichen Kämpfer Pallas und Hector, die im Kampfrausch von ihren Gefährten nicht aufgehalten werden können: Pallas der was ch!ne, er was ein helt lussam. daz ros her mit den sporn . do er Turnuses wart giwar, do spranchter vor siner schar

Vnder in allen Was sin blut enwallen Sin herze zv drungen Enthalden sie in nieht enkvnden An ir aller danc

390 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 281,2–6; Peschel-Rentsch, Pferdemänner, S. 28; Czerwinski, Schlacht- und Turnierdarstellungen, S. 113. 391 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 284,28; 285,2–5; Bumke, Blutstropfen, S. 4. 392 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 286,25–27.

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vnd vor allen sinen holden. die in wisen solden, die enmohten sin niht behalten.393

So balde er vf daz ros spranc Daz sin fuz den stegereif An dem sprunge niht begreif.394

Traditionelles Medium einer solchen Dynamik, in der Phänomene wie Bewegung, Gewalt und Affektartikulation sich verbinden und den einzelnen in ihren Sog ziehen, ist die Jagd. Sie liefert zugleich den Ort für eine Form der Verbindung von Mensch und Tier, ohne dabei in metaphorischer Mimesis aufzugehen. Zwar stehen sich Raubtier und Jäger real gegenüber, zwar kann dieser metaphorisch auch in die Position des gejagten Tiers rücken, doch indem der Jäger während der Verfolgung des Raubtiers in den Sog der ihn führenden Jagdhunde, der Meute, gerät, etabliert sich eine andere Figur: keine Ähnlichkeit, sondern ein Gefüge, eine »widernatürliche Anteilnahme«.395 Etwa bei der Jagd auf einen Eber: die snellen hunde manicvalt liefen im geswinde nâch: in wart ûf sîne reise gâch. Si volgten im gar schône. in einem süezen dône ir stimme klungen unde ir lût. durch brâmen unde wildez krût wart daz eberswîn gejaget. Partonopier sich unverzaget ûf sîner verte schouwen liez.396

»Widernatürliche Anteilnahme« bezeichnet den nicht mimetischen, d. h. nicht metaphorischen Akt des Tierwerdens. In der rasenden Verfolgung des Raubtiers wird der Jäger selbst zum Teil der Jagdmeute, stimmt mit seinem Horn in ihren dôn ein, spielt eine sô fremde jagewîse, / daz man sô wilde nie vernam.397 Und wenn die Hunde nach erfolgreicher Jagd von des ebers bluote / gereizet ûf ein ander swîn, wieder in ein strîteclîchez jagen verfallen,398 schlie393 Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 7372, 7338–7345. Ein beinah beliebiges Beispiel aus der Historiographie liefert Ekkehard von Aura über Hoger, der im Gefolge Heinrichs V. gegen die aufständischen Sachsen kämpft: quidam vir fortis nomine Hoger, qui dudum inter multa, quae bellicose egerat, Sigefridi palatini comitis nece se famosissimum in aula regis effecit, assumpta omni electa iuventute, quae ut ipse morae fuit impaciens, Saxones suos nimirum compatriotas audacter invasit ipseque leonina ferocitate dimicans gloriae cupiditatem, qua flagrabat, multis secum cadentibus propria morte comprobavit. Ekkehard von Aura, Chronica Recensio III, S. 312. 394 Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 10203–10210. 395 Deleuze, Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, S. 317–422, 326– 332. 396 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 340–349. 397 Ebd., V. 356f. 398 Ebd., V. 424f., 447.

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ßen sich die Jäger erneut der dynamischen Bewegung an. Eben nicht metaphorisch, etwa als jagendes Raubtier, fügt sich der Jäger in die Meute ein, vielmehr partizipiert er als Mensch real an einer Form kollektiver Gewaltdynamik: berittener Jäger – Hunde – Beutetier. Nicht nur die Gewalt des Raubtiers bietet sich also heraldischer Zeichengebung an, sondern zugleich die Dynamik der jagenden Meute.399 Literarisch mündet diese Form in einer Art Selbstverlust des Ritters, der zunächst hilflos und im Wald isoliert der Kontingenz des Schicksals entgegensieht.400 Aus höfischer Sicht bezeichnet der wilde Kampfeifer (gir) vor allem Maßlosigkeit, die sich bereits in einer Überinszenierung heraldischer Zeichen ausdrücken kann. Vor dem Hintergrund einer theologisch inspirierten Kanalisierung feudaler Gewalt versteht sich daher die Warnung Thomasins, der bei aller Wertschätzung heraldischer Tierzeichen vor Bildprogrammen warnt, die eine Inszenierung mangelnder Zucht suggerieren könnten: swer den eben fůrn sol an sinem wafen, der hůte wol, daz er niht fůre ein swin herte gar, wan daz st(nt ubel, daz ist war. swer den hunt fůren wil. der sol im niht enblanden vil, daz er fůre gar ein geieit:401

Selbst die klassischen höfischen Epen bewahren etwas von dieser irrationalen Haltung der Ritter. Gottfried von Straßburg verlagert das Problem in die Vorgeschichte und zeichnet zu Beginn des »Tristan« das Gewaltethos des jugendlichen Rivalin als typische Haltung der Jugend. Seine Tragik bestehe darin, daz er ze verre wolde / in sînes herzen luften sweben / und niwan nâch sînem willen leben.402 Die Verbindung von jugent und übermuot, die Gottfried leidvoll konstatiert, entspricht zeitgenössischer Psychologie,403 ihre Mündung in 399 Der Zwerg Laurin führt an seinem Speer ein signifikantes Jagdzeichen: dâ swebete ein banier sîdîn, / dar ane zwêne winde / sam si liefen swinde / in einem wilden walde / nâch einem wilde balde. / si stuonden als si lebeten / dâ si an dem banier swebeten. Laurin, V. 158–164. 400 Die Grundfigur ritterlicher Existenz und die mit ihr verbundene Tragik hat Wolfram daher nicht zufällig im Bild des den Hund verfolgenden Schionatulander gezeichnet: Ritter – Hund – Beutetier. Das eingeübte Gefüge feudaler Jagdpraxis erfährt als Chiffre für die Minnestruktur – Gewaltdemonstration als Mittel der Bewährung – seine Invertierung: es mündet in seiner eigentlichen Bestimmung, dem Krieg, und hier in der stets möglichen Umkehrung, in der der ›Jäger‹ zum Opfer seines Jagd- bzw. Gewaltimpulses werden kann. Die Austauschbarkeit von Jagd- und Kriegsmetaphorik, der Umstand, daß der Heros sich sowohl als Raubtier wie als verzweifelt wehrendes Beutetier versteht, macht die Inversion auch im Bildbereich sichtbar. Hector in Herborts »liet von Troye« und Sîvrit im »Nibelungenlied« teilen diese Inversion. 401 Thomasin von Zerclaere, Der Welsche Gast, V. 10457–10463. 402 Gottfried von Straßburg, Tristan, V. 260ff. 403 Ebd., V. 265f. er tet vil rehte als elliu kint, / diu selten vorbesihtic sint. Ebd., V. 299f.

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Gewalt verbindet sie indes mit dem zeitgenössischen Ethos feudaler Existenz: übel mit übele gelten, / kraft erzeigen wider kraft: / dar zuo was er gedanchaft.404 Der gelehrte Kleriker konzentriert daher nicht zufällig seine distanzierte Haltung gegenüber dem feudalen Gewaltethos in einem Tiervergleich, der animalisches Ethos und implizite Tragik verbindet: swer keinen schaden vertragen kan, dâ wahsent dicke schaden an, und ist ein veiclîcher site. hie vâhet man den bern mite, der richet einzele schaden, unz er mit schaden wirt beladen. ich waene ouch ime alsam geschach, wan er sich alse vil gerach, biz er den schaden dar an genam.405

4.3 Feudales Körperkonzept Agens dieses feudalen Kampfethos’, das den Verlust an ratio zugunsten der affektiven Aufwallung prämiert, den irrationabilis animorum impetus, sind Körper und psychische Disposition gleichermaßen. In den volkssprachigen Texten der Feudalkultur verteilen sich die konkurrierenden Instanzen des Körpers anders als in den gelehrten Diskursen. Gegenüber der Moraltheologie, die ein Herrschaftsverhältnis zwischen anima und corpus propagiert, und der Medizin, die ein Äquivalenzverhältnis zwischen beiden annimmt, formuliert die feudale Kriegsethik wiederholt ein dynamisches Korrespondenz- und Konkurrenzverhältnis von corpus und animus. Damit existiert aber eine weitere Strukturierungsform von Körper und psychischer Disposition innerhalb der mittelalterlichen Kultur, die nicht in theologischen und medizinischen Konzepten aufgeht.406 Die volkssprachigen Epen repräsentieren hier innerhalb des Diskurses über den Körper eine eigene Ordnungsrede. In bezug auf den Helden heben die Epen immer wieder auf den Stellenwert von herz und muot ab und setzen sie in ein Verhältnis zum Körper.407 Sîvrit 404 Ebd., V. 270–272. 405 Ebd., V. 279–287. 406 Zum volkssprachigen theologischen Diskurs vgl. Philipowski, Prior (Hg.), anima und sêle. 407 Philipowski, Bild und Begriff: sêle und herz, S. 299–319. »Die literarische Gestaltung des Herzens ist in der weltlichen Dichtung des Mittelalters ambivalent: Das Herz ist zwar einerseits Metapher jener Eigenschaften, die eine Figur auszeichnen wie Tapferkeit und Furchtlosigkeit oder Metapher der minne, die in ihm lokalisiert wird. Es ist aber andererseits auch und in gleichem Maße Ding, Organ, Fleisch, das nicht die Funktion hat, etwas zu vergegenwärtigen, sondern als Muskel den Körper mit Blut versorgt.« Ebd., S. 303.

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prägt seine heroischen Eigenschaften bei allem Erziehungserfolg von sîn selbes muote aus, wie auch der Hagen der »Kudrun«.408 Vom arthurischen Musterritter Gawan heißt es in der »Crône«: Sîn herze sam ein adamas / Nie keiner manheit gesweich.409 Herz ist hier kein Organ innerer Selbstschau oder Sehnsucht wie im Minnediskurs, sondern der Ort, an dem der Mut lokalisiert wird: Jason etwa ist sô gar ein kürlich helt / des lîbes und des herzen.410 Ritterliche Identität gründet auch in dieser inneren Instanz, die schon im Gründungsmythos des Rittertums ihren Niederschlag findet, wie ihn der »ProsaLancelot« entwirft: Die ersten Ritter waren alles die byderbsten […] mit dem libe und mit dem herczen.411 Und wenn Odysseus Agamemnon gegenüber fordert, die Griechen müßten einen Helden finden, der dem Trojaner Hektor gleich käme, der des lîbes sô gar ûz erwelt / und des herzen alsô frome sei, bezeichnen Körper und Herz die zentralen Instanzen des idealen Kriegers.412 Solche Beherztheit wird durch körperliche Beeinträchtigungen nicht notwendig gestört, und immer wieder spielen die volkssprachigen Autoren diskursive Passagen in ihre Erzählungen ein, die sich diesem Problem widmen. Wenn Iwein aus seinem Wahnsinn erwacht und sich seiner desolaten Erscheinung bewußt wird, kommt er über das Herz zu sich selber: swie gar ich ein gebûre bin, / ez turnieret al mîn sin. / mîn herze ist mînem libe unglîch: mîn lîp ist arm, daz herze rîch.413 Daß solche innere Einstellung die äußere Gestalt dominiert, zeigt auch der Zwerg Guivreiz in Hartmanns »Erec«, der bei allem äußerlichen Mangel an Statur dennoch über eine besondere physiognomische Disposition verfügt, die Zeichen seiner inneren Haltung ist: dâ zuo den brüsten er schein kreftic unde dic genuoc. dar under er ein herze truoc volleclîche manhaft. daz gap im ouch die kraft, wan dâ stât ez allez an: und wizzet rehte, waere ein man gewahsen zwelf klâfter lanc und waere sîn herze kranc

408 Das Nibelungenlied, Str. 23,1. 409 Heinrîch von dem Türlîn, Diu Crône, V. 8677f. 410 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 6536f. 411 Prosa-Lancelot I, S. 120. Die Ritter Kaiser Karls kämpfen vorbildlich: ir nehein gedâcht an den lîp. / ir herze stuont in alle zît, / alsô in dâ von geheizen was (4519ff.). 412 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 27038f. 413 Hartmann von Aue, Iwein, V. 3573–3576; vgl. Müller, Identitätskrisen im höfischen Roman, S. 310.

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und ûf zageheit geborn, daz michel âs waere verlorn.414

Der Erzähler nutzt die descriptio zu einem Kommentar über die Grundkonstituenten feudaler Körperlichkeit. Gemäß physiognomischer Doktrin verweist eine breite Brust auf eine besondere Beherztheit, auf Mut. Innen und außen sind aber, darauf macht der Erzählerkommentar aufmerksam, nicht umstandslos aufeinander beziehbar.415 Die christliche Spaltung des Körpers, wie sie anthropologisch in Frau Welt, moralisch im schönen Verräter Genelun sichtbar wird, erhält hier ihr säkulares feudales Komplement. Im »Alexanderroman« Ulrichs von Etzenbach verliebt sich die Amazonenkönigin Thalêstris in Alexander und reflektiert gleichfalls über die Diskrepanz von körperlicher Statur und Tapferkeit. Auch hier liegt Alexanders Mut in seinem Inneren und in seiner adeligen art begründet: […] ›diz hoer ich alle liute sagen und daz manic grôzer man solcher wirde ist erlân, als sîn menlich herze hât erworben mit ellenthafter tât. daz komet von sîme herzen guot, daz vor zagheit ist behuot, daz ze wirde ist erkorn, als im von art ist angeborn.‹416

Das Herz ist der Ort der Tapferkeit, und seine Dynamik stattet den Adeligen mit einer spezifischen Unruhe, mit einem irrationalen Drang aus, der als adelige Natur begriffen wird: nâch manheit sîn herze ranc. / sîn edel art in des twanc, lautet auch die Charakteristik des Ödipus in Ulrichs »Alexanderroman«.417 Wolfram schreibt Parzivals Vater Gahmuret einen ähnlichen ›Drang‹ zu. Statt ökonomisch abgesichert sein Erbe zu verzehren (gemach), treibt es ihn zu ritterlicher Bewährung: mîn herze iedoch nâch hoehe strebet: / ine weiz war umbez alsus lebet, / daz mir swillet sus mîn winster brust. / ôwê war jaget mich 414 Hartmann von Aue, Erec, V. 4287–4297. An zwei weiteren Stellen wird auf den Zusammenhang von Herz und Tapferkeit verwiesen: ez enwart nie herze alsô balt (8625); sîn herze gap dem armen / krefteclîcher sterke genuoc (9199f.). 415 Der weite Brustkorb, Index von Tapferkeit, kann in literarischer Codierung zur doppelten Auszeichnung des vorbildlichen Ritters werden: von außerordentlichem Minne- und Kampfethos wie bei Lancelot. 416 Ulrich von Etzenbach, Alexanderroman, V. 17484–17492. 417 Ebd., V. 2909. Der Hagen der »Kudrun« ist sô baldes herzen, sô frevele und sô zam (Str. 98). sîn herze gein dem kampfe spilt […], heißt es von Artus in der Crône, V. 10573; Herzog Ernst (D) was schoen und wolgezogen, / fürstlîcher art niht betrogen, / nâch fürstlîcher wirde / was sîn herze in staeter girde. (81–84).

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mîn gelust.418 Die Dynamik der entfesselten Bewegung, die über die Jagdmetaphorik transportiert wird, wird nach innen verlagert und zur heroischen Unruhe transformiert. Und etwas später heißt es: sîns herzen gir nâch prîse greif: / ir aller tât vor im zesleif […].419 Bei aller Feier höfischer Disziplin bewahrt sich der Adel eine Wertschätzung von Ehrgeiz und körperlicher Bewährung: Achill ist in Konrads »Trojanerkrieg« nicht nur alsam ein lewe […] gebrust, ihm eignet auch im Anfall des Zorns, dass er ûz sîner clâren ougen tor / als ein grimmer löuwe blickt: mîn herze alrêrst von sprunge vert / und ist reht als ein vogel vrî.420 In solcher Metaphorik wird das Herz zum Zeichen des elementaren Grundwertes adeliger Existenz: seiner Freiheit. Selbst Kirchenvertreter wie Otto von Freising und Rahewin tragen dieser adeligen Konzeption Rechnung. Vor Mailand setzen sich die Grafen als Befehlshaber selbst höchsten Gefahren aus und lassen »wie die besten Streiter ihre Körperkraft und ihren hohen Mut« vor allen Augen leuchten.421 Nicht die Seele, sondern Mut und Beherztheit – magnitudinem animi –, werden in ein Verhältnis zum Körper – fortitudinem corporis – gesetzt. Nach feudaler Ethik erfüllen sie damit jene »Pflichten eines wackeren Ritters und eines guten Königs«, wie sie entsprechend einem feudaladeligen Politikverständnis am Beispiel des Königs von Böhmen vorgeführt werden.422 In der Rede des Patriarchen von Aquileja an die Cremesken anläßlich der Friedensverhandlungen wird deutlich, daß das feudale Verständnis von Körper und Geist nicht gegen den Körper gerichtet ist, sondern sich an diesem und seinen wilden Dynamiken orientiert: »Ihr habt die Wildheit der Deutschen kennengelernt, die Stärke und Größe ihrer Leiber, zweifelt nicht daran, daß sie einen Geist in sich tragen, der noch stärker ist als ihre Leiber, und daß sie Seelen haben, die den Tod verachten.«423 Der Patriarch muß das adelige Konzept nur noch um den christ418 Wolfram von Eschenbach, Parzival, V. 9,23–26. 419 Ebd., 15,25f. Vor Patelamunt heißt es von ihm: sîn herze gap von stôzen schal, / wan ez nach ritterschefte swal. / Daz begunde dem recken / sîne brust bêde erstrecken […]. 35,27–30. Von Ecke heißt es: »mich twinget min herze, / das ich niht slaffen mak.« Eckenlied, V. 40,12f. 420 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 29562f., 14434f., 14526f. 421 sicut optimi bellatores fortitudinem corporis ac animi magnitudinem. Otto von Freising, Gesta Frederici III,42. 422 strennui militis et boni regis officia. Ebd. III,41. Im politischen Führer als erstem Kämpfer realisiert sich ein altes heldenepisches Muster vom herausragenden Einzelnen als Repräsentanten und zugleich Garanten der Gemeinschaft. Vgl. Müller, Sîvrit, S. 85–124; Friedrich, Die ›symbolische Ordnung‹ des Zweikampfs, S. 135–138. Die Konstellation entspricht nur noch zum Teil der historischen Realität um 1300, wie sich an Texten der ›Politischen Theorie‹ (z. B. »Secreta secretorum«) belegen läßt, und doch reicht diese Auffassung bis in die Fürstenspiegelinserate der höfischen Literatur hinein: man sol iuch ze allen zîten / bî den vordersten sehen strîten. Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 1531f. 423 Experti feritatem Germanorum, virtutem et magnitudines corporum, ne dubitetis eos spiritus gerere maiores corporibus et animas contemptrices mortis habere. Otto von Freising, Gesta Frederici IV,71. Daß der Körper im feudalen Kontext sein eigenes Recht besitzt, zeigt eine Pas-

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lichen Aspekt der Opferbereitschaft der Seele ergänzen. Wildheit als Ausdruck adeliger Kriegstüchtigkeit manifestiert sich in Körpergröße (corpus) und in diese noch übertreffendem starken Geist (spiritus), eine Konstellation, an die das christliche Konzept (anima) problemlos anschließbar zu sein scheint.424 Auch dieses Selbstverständnis findet letztlich sein Fundament in der Klimatheorie, die die Zentraleuropäer gegenüber den vermeintlich groben Nordländern und verweichlichten Südländern heraushebt: »Europa bringt an Körper größere [Menschen], an Kräften stärkere, tapfere Gesinnung, schönere Formen und Arten hervor als die Regionen Asiens und Afrikas.«425

4.4 Zorn als Ausdrucksform feudalen ›Wahnsinns‹ Die mittelalterliche Literatur kennt eine Reihe von Texten, in denen die Einbindung des Heros in das Kollektiv prekär erscheint. Übersteigertes Ehrstreben, Verweigerung von Unterordnung, Konkurrenzneid, spontane Affektreaktionen und eine bedrohliche Gewaltdynamik bilden seine privilegierten Eigenschaften, die unter das Funktionsprinzip »Rivalität« subsumiert und als typisch für die Feudalkultur beschrieben worden sind.426 Solche ordnungsgefährdende Gewaltdynamik bricht sich in besonderer Weise im Modus des Zorns Bahn, der als spezifisch feudaler Affekt sowohl natürlich als auch kulturell codiert zu sein scheint und dem eine geradezu positive Qualität eignet. Die Semantik des mittelalterlichen Zornbegriffs ist komplex. Trägt man das wortgeschichtliche Material zusammen und sortiert es nach Diskursen, zeigt sich ein differenziertes Feld von Zornkonzeptionen.427 Dieses gliedert sich weniger nach Gattungen als nach »Redetraditionen«, die sich zwar in geistsage aus dem »Rolandslied«, in der die Rüstung von Körper und Geist einmal konkret und einmal allegorisch gedeutet wird: der stal schirmtte dem ulaische, / diu heilige minne dem gaiste. / diu ir sterche des libes / gert in des wiges. / daz der gaist gesigete, / hin ze himele si digeten. Rolandslied, V. 4863–4868. Zur Korrespondenz von Rüstung und Gesinnung im »Engelhard« Konrads von Würzburg vgl. Hahn, Personerkenntnis, S. 405. 424 Im heroischen Priester läuft diese Konstellation gleichfalls zusammen. Im Kampf gegen die Slawen treibt Priester Gerlach seine Gefährten zur Tapferkeit an, indem er sich todesmutig der Übermacht der Feinde entgegenwirft: ostendit eis magnanimem spiritum […] divinum quoddam robur tam in animo quam in corpore preferens. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum, Kap. 64, S. 121. Herkules zieht das verzauberte Hemd über mit fatalen Konsequenzen: zehant er dô verarmete / an lîbe und an dem herzen, / wan er gewan den smerzen, / der im biz ûf die sêle dranc […]. Trojanerkrieg, V. 38406ff. 425 Europa alit corpore maiores, virib. fortiores, animo audaciores, forma & specie pulcriores, quam faciunt Asiae vel Affricae regiones. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus XV,50, S. 648. 426 Luhmann, Staat und Staatsraison, S. 68–71; Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 150. 427 Grubmüller, Historische Semantik, S. 47–69; vgl. Ridder, Kampfzorn, S. 41–55; Swisher, ›Zorn › in Wolfram’s ›Parzival‹, S. 393–410.

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liche und weltliche unterteilen lassen, dabei aber verschiedene Überschneidungen aufweisen, z. B. der legitime Zorn des Herrschers und der Zorn Gottes oder Zorn als Sünde und als Selbstverlust höfischer Kontrolle.428 Die volkssprachige Epik erweist sich als ein Ort, an dem die verschiedenen Redetraditionen synthetisierbar sind. Diskurstheoretisch lassen sich drei große Felder mit jeweils eigenständigen Zornkonzepten unterscheiden: theologische, naturphilosophische und politische Zornkonzepte. Die theologische Reflexion klassifiziert vor dem Hintergrund ihres ratioorientierten Herrschaftsmodells Zorn nicht nur als Sünde und verweist ihn in den Lasterkatalog, sondern sie sucht auch zunehmend, die innere Verantwortlichkeit des Sünders auszuweisen.429 Doch auch im theologischen Diskurs existiert mit dem Zorn Gottes eine legitime positive Auffassung des Affekts. Demgegenüber beschreibt der philosophisch-medizinische Diskurs vor allem die (pathologischen) physiologischen und physiognomischen Determinanten des zornigen Temperaments. Die Affektdisposition des Zornigen basiert hier auf seiner ganz spezifischen Komplexion, die aufgrund zahlreicher Determinanten den Menschen aus jener Homöostase der Säfte bringt, die seinen gesunden Zustand kennzeichnen.430 Die Dominanz eines Elements – Feuer –, einer Qualität – Hitze –, eines Temperaments – Sanguis/Choler – zeitigt massive Auswirkungen auf den psychophysischen Haushalt der betreffenden Person,431 wobei leichte Verschiebungen im Koordinatensystem der Säfte bereits erhebliche Veränderungen zeitigen können. Eine Verbindung von theologischem und medizinischem Zornkonzept zeigt sich in der volkssprachigen Epik, wenn der Zorn nicht nur zum Krankheitssymptom wird – dô wart sîn riuwe alsô grôz / daz im in daz hirne schôz / ein zorn unde ein tobesuht –, sondern auch zum negativen Index des Selbstverlustes, zum Zeichen eines moralischen Defekts.432 Die Effekte humoralpathologischer Zorndispositionen wirken sogar bis in das politische Feld hinein, bedingen etwa die Differenz zwischen zornverfallenem Heros einerseits und verantwortlichem Heros andererseits. Steht auf der einen Seite die aufbrausende cholerisch-sanguinische Disposition mit ihren Auswirkungen der Leichtsinnigkeit, Heftigkeit und Unbeständigkeit, so 428 Grubmüller, Historische Semantik, S. 49–58. wan im dur zornes tobeheit / diu zunge dicke wirt ze snel, heißt es von Dîomêdes im »Trojanerkrieg« Konrads von Würzburg. V. 26746f. 429 So erörtert Gratian im »Decretum« die verschiedenen Stufen der Verantwortlichkeit für die (moralische) Schwäche von Körper und Seele. So wie er die vom Sünder zu verantwortende Schwäche des Fleisches von der rein körperlichen Krankheit aufgrund von Elementenstörung abgrenzt, so auch die Schwäche der Seele, unter die er den Zorn rechnet, von dem physisch bedingten Wahnsinn. Gratian, Decretum, pars II, quaest. I, cap. II, PL 187, S. 970f. 430 Ex quadam parte vero, aequa elementa oequaliter conveniunt, humanum corpus factum est. Wilhelm von Conches, De Philosophia mundi I,23, PL 172, Sp. 55. 431 Et si in aliqua plus abundaverit ignis, cholerica nata sunt ut leo. Ebd. 432 Hartmann von Aue, Iwein, V. 3231ff.; vgl. Grubmüller, Historische Semantik, S. 57.

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auf der anderen das sanguinisch-melancholische Temperament, das standhafte Kühnheit und Beständigkeit an den Tag legt und einen Geist, der kräftig und eben nicht überstürzt handelt: d. h. die Qualitäten eines vorbildlichen Herrschers repräsentiert.433 So basiert nicht nur das Rasen des Heros auf der Komplexion des Löwen, sondern auch der kontrollierte Zorn des Herrschers: »Deshalb sind sowohl der Löwe als auch gewisse andere Tiere dieser Komplexion mehr als andere edel und gemeinschaftsbezogen.«434 Die politische Literatur unterscheidet denn auch eine ira rationalis von einer ira irrationalis. Engelbert von Admont bringt erstere explizit mit dem Herrscher in Verbindung: Ein solcher Zorn mag freilich auch keine Tugend sein, er ist dennoch eine Leidenschaft oder wie eine Leidenschaft lobenswert und nützlich, weil er den Fürsten seinen Untertanen gegenüber furchterregend macht, die Untertanen von Vergehen abhält. Deshalb empfiehlt Cicero die Peripatetiker, die gesagt haben, daß der Zorn ein Schleifstein der Tapferkeit sei und keiner ein Mann sei, der nicht zu zürnen vermag.435

Zorn erweist sich als eine zentrale Haltung des Herrschers, und die volkssprachige Epik konfrontiert wiederholt die entgegengesetzten Typen: z. B. Karl und Roland, Eneas und Turnus, Ecke und Dietrich. Symptomatisch artikuliert sich der herrschaftliche Zorn in der Gerichtssituation. In Situationen sozialer Störung bedarf es offenbar der sichtbaren Demonstration des Unfriedens: Der keiser erzurnte harte / mit uf geuangeme barte.436 Herrschaft basiert im feudalen Selbstverständnis zu nicht geringem Umfang auf der Furcht der Untertanen, die der Herrscher durch Zorndemonstrationen sicherstellen muß und durch die er zum irdischen Repräsentanten des Gotteszornes sich stilisiert. Zornreaktionen schreibt Otto von Freising den deutschen Kaisern immer wieder zu, und in dem Bemühen, seine Autorität wiederherzustellen, scheut Barbarossa selbst vor grausamen Strafpraktiken nicht zurück.437 Doch 433 In hiis autem quae sanguinem habent quaecumque sunt levis et colerici sanguinis spumosae, agilia et levia sunt vehementer et instabilia: sicut etiam in hominibus huius complexionis existentibus apparet. […] quae est quoddam genus melancoliae: et haec satis sunt stabilia et constantis audaciae et multorum spirituum mediorum inter grossos et subtiles: propter quod etiam talis complexionis existentes homines, stabilis sunt animi et fortis et non praecipites. […] Et ideo dicit Aristoteles quod omnes viri in philosophia et heroycis virtutibus praecipue, de huiusmodi fuerunt melancolya sicut Hector et Eneas et Priamus et alii. Albertus Magnus, De animalibus XX,1,11, S. 1304f. 434 Propter quod et leo et alia quaedam huiusmodi complexionis animalia magis sunt aliis liberalia et communicativa. Ebd., S. 1305. 435 Talis autem ira licet non sit virtus, est tamen passio sive propassio laudabilis & utilis, quia facit Principem timorosum subditis & coërcet subditis à delictis. Unde Tullius commendat Peripateticos, qui dixerunt iram esse cotem fortitudinis, & virum non esse, qui nescit irasci. Engelbert von Admont, De regimine principum VII, 14, S. 211. 436 Rolandslied, V. 8771f. Vgl.: Dô sprach der künec mit zorne […]. Wolfdietrich A, Str. 173f., 216 u.ö. 437 Otto von Freising, Gesta Frederici I,11: turbato pre ira oculo; […]. Tandem tamen irrationabili motu defervescente zu Heinrich V. vgl. II,18: indignatione motus; IV,21. IV,55: ira permotus.

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auch hier ist der Grad schmal zwischen einer legitimen Demonstration herrschaftlichen Zorns und ihrer Überschreitung hin zum Affekt. So gerät Marsilie durch die Botschaft Karls, die Genelun vorträgt, aus der Fassung: sinen stap begreif er, / mit zorne er in uf hup, / nach Genelune er in sluc.438 Offenbar wird durch die provokante Botenrede die offizielle Position des Herrschers beeinträchtigt. Ähnlich empfindlich reagiert Marke, wenn er Gericht über Tristrant hält und Tinas um Milde bittet: der koning von zorne nedir saz / und begunde burnen als ein kole, so daß Tinas nicht wagt, weiter um Gnade zu bitten.439 Im Zusammenhang mittelalterlicher Affektäußerungen ist Zorn weniger eine psychologisch-kausale Weise der Reaktion als eine situationsbedingte Verhaltensform, die als »Auswendigkeit des Zorns« beschrieben worden ist und damit die Alterität mittelalterlicher Affektdispositionen betont.440 Zwar existiert durchaus Zorn als »affektischer Habitus« (Wolfhart), doch tritt er vornehmlich als »Erscheinungsform eines feindlichen Zustands« wie als Ausdruck eines gestörten Rechtsverhältnisses zwischen Herrscher und Vasall hervor.441 Zorn bezeichnet somit vor allem eine soziale Störung: im friedlosen Temperament ebenso wie in der Schlacht oder in Situationen des Rechtsbruchs. Die natürliche Zorndisposition des Heros macht ihn zu einem nur schwer kontrollierbaren Gewaltpotential: »denn bei Helden kann nicht immer die Besinnung der Aufwallung Einhalt thun […]«, schreibt Saxo Grammaticus aus der Perspektive des Klerikers.442 Ratio und impetus werden im feudalen Diskurs aber anders relationiert. Am Beispiel des Helden Harthbenus gibt Saxo Grammaticus ein eindrucksvolles Beispiel ungebremster heroischer Gewaltdynamik: So gross war sein Körper, dass seine Länge sich über das Maas von neun Ellen ausdehnte. Seine Genossen waren zwölf Kämpen, deren Aufgabe es war, mit Hilfe von Fesseln dem Antriebe seiner Raserei zu wehren, wenn ihn die Wut, die Vorläuferin des Kampfes, befiel.443 438 Rolandslied, V. 2060–2062; vgl. Konrad von Würzburg, Engelhard, V. 3545ff.: Der künec von dem maere / wart do vil zornbaere […] daz in des zornes fiure / sin herze vaste gluote. Zitiert nach Hahn, Personerkenntnis, S. 417, mit weiteren Beispielen. Auch Priamus nimmt die Botschaft des Odysseus und Diomedes in Konrads »Trojanerkrieg« mit Zorn auf, besinnt sich aber: wan daz er kûme entêrte / sîn hûs an fremden gesten […]. V. 26540f. 439 Eilhart, Tristrant, V. 4036f. 440 Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 203–208. 441 Ebd., S. 207. 442 Herrmann, Erläuterungen, S. 97. Aud fortes enim non semper impetum racio subruit. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum III, S. 76; Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 167. 443 Herrmann, Erläuterungen, S. 296; Tanta uero corporis magnitudine erat, ut .IX. cubitis proceritatis eius dimensio tenderetur. Huic duodecim athlete contubernales fuere, quibus officio erat, quocies illi presaga pugne rabies incessisset, uinculorum remedio oborti furoris impetum propulsare. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum VII, S. 222f.

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Dem gerechten Zorn des Herrschers steht der unkontrollierbare Zorn des Heros gegenüber. Das Bild des Heros evoziert physische und affektive Exorbitanz, deren Kontrolle wiederholt in das Bild der Fesselung gefaßt wird. So integriert die Herrschaft König Rothers die Gewalt von Riesen, sichtbar in seinem Gefolge durch den Riesenkönig Asprian, der seinerseits aber schon die disziplinierte Form einer archaischeren Gewaltstufe zu sein scheint. Diese kommt nachdrücklich in seinem Vasallen, dem wilden Riesen Witold, zum Ausdruck: des moste man groze hote han. / der gienc gebunden als ein lewe / und was der kunisten eine […] swenne man in von der ketenin geliez, / deme nitete nieman einin zorn / er ne hette den lib virlorn.444 In der Figur des Riesen Witold wird Wildheit an ihrer Grenze thematisiert. Es sind Gewalt und Geschenke (mit drowe unde mit minnen), mithin genuin feudale Kommunikationsformen, die Witold fügsam gemacht haben und in den Dienst der Herrschaft stellen. Exemplarisch wird der ›entfesselte‹ Heros in der »Kudrun« ins Bild gesetzt. Wate, ein getreuer Vasall König Herwigs, eine grauer Mann mit langer Kampferfahrung und bedrohlicher Erscheinung wird die Kraft von 26 Männern zugeschrieben. In der finalen Schlacht gegen den Normannen Hartmut wütet er wie entfesselt und tötet alles, was ihm vor das Schwert kommt. Selbst sein Herr kann ihn nicht beruhigen: sollte ich sparn die vînde, daz tæte ich ûf mich selben. / des volge ich iu nimmer. […] Wate was erzürnet.445 Als sein Herr sich zwischen ihn und Hartmut stellt, um den Kampf zu beenden, schlägt Wate ihn nieder: Wate tobete sêre.446 Er tötet selbst die kleinen Kinder in der Wiege, um der zukünftigen Rache zu entgehen, und widersteht lange allen Bemühungen, ihn zur Raison zu rufen: Dô wart ir Wate der alte in der zît gewar. mit grisgramenden zenden zehant huob ér sich dar, mit schînénden ougen, mit ellenbreitem barte. alle die dâ wâren vorhten den helt von den Stürmen harte. Mit bluote was er berunnen, náz wás sîn wât. swie gerne in sæhe Kûdrûn, doch hête si des rât, daz er sô tobelîche gegen ir iht gienge. jâ wæn ich ir deheiniu vor vorhte in iht enphienge.447

Wate repräsentiert den exorbitanten Heros, der in der »Kudrun« durch das Prinzip der Versöhnung abgelöst wird. Wenn er noch grausam Rache an 444 König Rother. Mhd./Nhd., übers. v. Peter K. Stein, hg. v. Ingrid Bennewitz, Stuttgart 2000, V. 759–773; vgl. Friedrich, Unterwerfung, S. 157. 445 Kudrun, Str. 1491f. 446 Ebd., Str. 1494. 447 Ebd., Str. 1508f.

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Hartmuts Mutter Gerlind nimmt und sie enthauptet, behauptet er den Geltungsanspruch der Rache und repräsentiert den negativen Bezugspunkt der neuen Ethik. Auf der Erzählebene aber sorgt er auch für die Beseitigung der ›bösen‹ Gegenspielerin, jener Opposition zum Guten, die keinerlei Spuren an Vermittlung aufweist. Die Aristie des antiken Heros zieht sich offenbar bis in die mittelalterlichen feudalen Heldenkonzepte hinein. Die Schlacht, der Zweikampf oder bereits die Provokation setzen eigene Körperfunktionen frei. Zahllos sind die Beispiele, in denen Kleriker von spontanen Angriffen berichten, die in den Untergang führen oder ganze Feldzüge in Gefahr bringen.448 Wenn Wolfhart im »Nibelungenlied« nur mühsam vom überstürzten Angriff zurückgehalten werden kann, drückt das Bild vom angeketteten Löwen exakt seinen Zustand aus. Roland und Olivier taugen nach Karls Ansicht aufgrund ihrer gaehe […] rede bzw. ihrer zornlichen worten nicht zum diplomatischen Botendienst, Roland erzürnt nach Geneluns Worten heftig über die eigenen Kampfgefährten, daz er die Beier uor ime uant […] dar umbe wolter si erslan, […] mennisken blůtes en wart er nie sat.449 In Konkurrenz steht der Heros nicht nur mit dem Feind, sondern auch mit den eigenen Gefährten. Die körperliche Basis des Zorns besteht in einer Überfülle an Blut und Hitze, die zusammen eine Reaktion des Herzens bewirken.450 Über das Herz und benachbarte Organe breitet sich die physiologische Reaktion aus, zieht die ratio in Mitleidenschaft und mündet in Erschütterung des Körpers und in einen furor: »So bringt der Mensch, wie seiner selbst nicht bewußt, den Zorn zum Austrage. Denn durch den Zorn rast der Mensch heftiger wie durch irgendeine andere Geistesstörung.«451 Der Zorn als der dem Heros adäquate Affekt manifestiert sich als körperlicher Zwang – als in der groze zorn twanch.452 Do Ercules die rede vernam Der zorn im an sin herze kam Also vzzer mazzen groz 448 Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 165–167. 449 Rolandslied, V. 1326/28, 1116, 1124, 1129. 450 Iracundia enim movet calorem propter vindictae appetitum, in quo secundum dyastolem cor movetur exsuflans ex se calorem et sanguinem et spiritum. Albertus Magnus, De animalibus, S. 838. Cum autem anima hominis sibi et corpori suo aliquid adversi senserit, cor et iecur et venas eorum contrahit, et ita circa cor velut nebula exsurgit et cor obnubilat, et sic homo tristatur. Hildegard von Bingen, Causae et curae, S. 146. 451 Hildegard von Bingen, Ursachen und Behandlungen der Krankheiten, S. 221. Et sic homo quasi se ipsum ignorans iram perficit. Nam homo de ira magis furit quam de alia infirmitate insaniae. Hildegard von Bingen, Causae et curae, S. 146. 452 Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 6765 (Nisus); vgl. Straßburger Alexander, V. 499, 4322, 6187.

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Daz im vber sine augen floz Von dem zorne der sweiz Sine zene er zv samne beiz Sine ougen er vurkarte Da ramph sich sin swarte Sin stirne sich zv samne las Die wile im zo zorne was […].453

Im Zustand des Zorns steht der Heros außer sich und artikuliert nach außen jene physischen Zeichen der inneren Aufwallung, die bereits antike Affekttheorie reflektiert hatte.454 Der Heros paßt sich durch Ausschaltung des Verstandes und Hingabe an den furor den Erfordernissen der direkten und lebensbedrohlichen Konfrontation der Körper an. Wahnsinn wird in diesem Kontext zur Voraussetzung der Gewaltartikulation: die Wut als Vorläuferin des Kampfes. Im Kampf gegen Laurin verliert selbst der Musterritter Dietrich zeitweilig jede Kontrolle und ist von Dietleib nicht zu beruhigen: im was leit unde zorn, / sîn güete hete er verlorn. / von zorne gan er wüeten.455 Nur mit Gewalt lassen sich beide Kämpfer trennen. Der Zorn führt zu einer körperlichen Verwandlung und setzt eine nur schwer zu stoppende Reaktionskette frei, ist insofern das genaue Gegenteil der kontrollierenden und distanzierenden ratio als Inbegriff des specimen humanum. So heißt es von Achill bei Herbort: Swenne im sin zorn ane quam / Als ein grimmer ber er bram / So enkonde sinen willen / Nieman gestillen.456 Bei Konrad führt Hectors Kampfeifer direkt in einen Wahnsinnsvergleich: dort sluoc er den, dâ stach er disen, / hie machte er jenen flühtic, / als ob er tobesühtic / waer unde hirne453 Herbort von Fritzlâr, liet von Troye, V. 413–422. Die physiognomische Verzerrung wird besonders eindrucksvoll geschildert am irischen Helden Chúchulain, der als Siebenjähriger von seinen Spielkameraden angegriffen wird: Seine Haare schienen in seinen Kopf gehämmert, blitzschnell fuhren sie in die Höhe; man hätte spüren können, daß an jeder Haarspitze ein Feuerfunke sei. Er drückte ein Auge schmäler als ein Nadelöhr, das andere machte er weiter auf als die Mündung eines Bechers. Er entblößte seinen Kiefer bis zu den Ohren; er stülpte seine Lippen bis zu den Backenzähnen zurück, so daß sein Schlund zu sehen war. Der Heldenschein erhob sich über seinem Scheitel, dann stürzte er sich auf die Knaben. Er brachte fünfzig von ihnen zur Strecke. Der Rinderraub. Altirisches Epos, München 1976, S. 102 u. 176ff. Zitiert nach Nitschke, Der Wandel kindlicher Bewegungsweisen, S. 469. Bei Saxo heißt es von Harthben: Quo audito Harthbenus, repentino furiarum afflatu correptus, summas clypei partes morsus acerbitate consumpsit, igneos uentri carbones mandare non destitit, raptas ore prunas in uiscerum ima transfudit, crepitancia flammarum pericula percurrit, ad postremum, omni seuicie genere debacchatus, in sex athletarum suorum precordia furente manu ferrum conuertit. Quam insaniam illi pugnandi auiditas an nature ferocitas attulit, incertum est. Saxo Grammaticus, Gesta Danorum VII, S. 223. 454 Zu Cicero und Seneca vgl. Hahn, Personerkenntnis, S. 413f. 455 Laurin, V. 637–639. Und Morderet der was also zornig da von das yn ducht das er ußer synen synnen faren solt. Prosa-Lancelot III, S. 755. 456 Herbort von Fritzlâr, liet von Troye V. 2989–2992.

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wüetic.457 Der Vergleich markiert hier zwar die Differenz zum realen Wahnsinn, doch zugleich setzt sie die feudale Option auf einen positiven temporären Zustand des Wahnsinns in Szene. Die Schlacht ist der eigentliche Ort heroischen Wahnsinns. Als Hector in der zweiten Schlacht seinen Bruder verliert, gerät er in eine analoge Zwangshandlung: dô wart er zürnic mit genuht. in twanc dar ûf die tobesuht, daz er begienc unbilde. Reht als ein löuwe wilde mit grimme rihet siniu kint, sô si vor im erslagen sint, alsô rach er den bruoder sîn. des fiures und der flammen schîn vor zorne im ûz den ougen spranc.458

Zorn, Wahnsinn und physische Reaktion konstituierten den außer sich geratenen Heros, dessen Reaktion entsprechend mit einem Tier verglichen wird. Wenn Saxo darüber zweifelt, ob die Raserei Harthbens seinem Kampfeifer oder seiner wilden Natur zuzuschreiben sei, ist damit genau jene Grenze formuliert zwischen situationsbedingter Haltung und natürlicher Disposition. Zorn ist vor allem ein physisch bedingter Affekt, stereotypes Kennzeichen des Löwen, Bären, Stiers oder des Wildschweins, durch ihn partizipiert der Heros an der animalischen Dimension der Natur. Entsprechend unterscheidet die mittelalterliche Psychologie eine ira rationalis und eine ira bestialis, wobei Kennzeichen letzterer ein maßloser furor ist.459 Gerade dadurch, daß ein und derselbe Affekt durch verschiedene Träger repräsentiert werden kann, macht deutlich, daß weniger das Tier als der Affekt den zentralen Bezugspunkt bildet. »Denn der Affekt ist kein persönliches Gefühl und auch keine Eigenschaft mehr, sondern die Auswirkung der Kraft der Meute, die das Ich in Aufregung versetzt und taumeln läßt.«460 Was aber bei den Theo457 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 26096–26099. Ebenfalls bei Konrad eskaliert ein zunächst sportlicher Zweikampf (hovespil) zwischen Hector und Paris: daz si ze jungest brâchen / mit zorne irn gemelichen schimpf. Hector erhält einen zu kräftigen Schlag: des wart er als ein eberswîn / erzürnet bî den stunden, […] sin herze wart gelüpfet / ûf grimmeclichen ernest; […]. Ebd., V. 5029, 5032f., 5040f., 5044f. Ira, quia dum mens de aliena foelicitate torquetur, necesse est, vt oculus mentis per iracundiam turbetur. Vincenz von Beauvais, Speculum historiale I,43, S. 17. 458 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 36359–36367. 459 Porro ira bestialis dividitur in tria, in furorem, ubi in quantitate nullus modus est […] Wilhelm von St. Thierry, De natura corporis et animae libri duo, II, PL 180, Sp. 718. Lancelot erhält beim Zornausbruch glühende blutrote Augen und gebart mit der nasen als ein roß das sere ist gerant, und beiß die zene zuhauff das sie krachten. Prosa-Lancelot I, S. 35. 460 Deleuze, Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, S. 328.

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III. Das politische Feld 2: Annäherungen an das Tier

logen als Laster firmiert, verschiebt sich beim Adel zur Tugend, die ihn mehr als metaphorisch an das Tier bindet.461 Der Heros verfügt über entfesselte Gewaltoptionen, die seine soziale Einbindung von vornherein prekär machen. So besitzt Alexander einen gleichnamigen Onkel mütterlicherseits, der ne wolde werden untertân / nie neheinem kuninge.462 Der Fürst wollte vielmehr rehte herschaft pflegen.463 Stolz statt Demut und Unterwerfung anderer statt Unterordnung verweisen in der Figur des Heros auf die zentrale Adelsqualität schlechthin: auf die Freiheit. Der Heros agiert potentiell im Raum absoluter Freiheit. Er repräsentiert ›maßlose‹ Natur in einer ihrerseits noch nicht vollständig zivilisierten Gesellschaft, Wildheit ist eines seiner zentralen Attribute.464 Wie der Heilige durch seinen providentiellen Beistand ist der Heros immer schon qua Natur herausgehoben, er wird sichtbar als Subjekt individualisiert. In der Spannung von Natur und Kultur verkörpert der Heros nicht den Pol der Natur, vielmehr eine aus ihrer regulären Bahn geworfene Natur.465 In ihm wird Natur nicht in ihrer Regularität, in ihrer rationalen Ordnung, zum Vorbild wie im theologisch-philosophischen Diskurs, sondern in ihrer gewaltsamen Singularität. Der Heros steht für das Gesetz des Stärksten und die daraus resultierenden Probleme ein. Was bürgerliche Gründungsmythen der Kultur als blinden Fleck notwendig aussparen, den gewaltsamen Gründungsakt jeder sozialen Ordnung,466 artikulieren feudale Herrschaftsmodelle noch selbstbewußt: Soziale Ordnung basiert auf überlegener Gewalt. Ein Großteil der feudalen Epik kreist denn auch um das Problem der Integration der exorbitanten Gewalt in die kollektive Ordnung. Die feudale Literatur ist durchzogen von einer Fülle von Phantasmen politischer Herrschaft, die die Bewältigung des Wilden markieren: sei es durch Auslöschung – Drachenkampf –, sei es durch Instrumentalisierung, sei es durch Assimilierung. Witold im »König Rother« und Wate in der »Kudrun« stehen für einen sol461 Wenn das Wildschwein noch im verwundeten Zustand seinen Jäger attackiert, ist damit zugleich ein Muster heroischen Handelns formuliert: Dô der herre Hagene der wúndén enpfant, / dô erwágt’ im ungefuoge daz swert an sîner hant. Nibelungenlied, Str. 2052. Vgl. Daz ir von mîner wunden die ringe sehet rôt, / daz hât mich erreizet ûf maniges mannes tôt. / ich bin álerérst erzürnet […]. Ebd., Str. 2057. Est itaq; aper tantae feritatis, quod etiam mortem paruipendens, contra venatoris ferrum intrepide se infigit, & etiam iam transfixus contra sibi resistentem vires recolligit, vt culmis vindicet se ad aduersario, etiam in mortis periculum contra hostis venabulum mira audacia se exponit […]. Bartholomaeus Anglicus, De rerum proprietatibus XVIII, 6, S. 992. 462 Lamprechts Alexander, V. 116. 463 Ebd., V. 124. 464 Zur »absoluten Freiheit« als Schnittstelle von Natur und Kultur vgl. Žižek, Kant und das »fehlende Glied« der Ideologie, S. 52–75, 63; Friedrich, Unterwerfung, S. 155–158. 465 Zur Wildheit als konstitutivem Problem der Kultur vgl. Žižek, Kant und das »fehlende Glied« der Ideologie, S. 63. 466 Vgl. ebd., S. 59–66.

Fluchtlinien der Gewalt

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chen Typus. Der vreisliche Morolt, ein helt hêrlich, wird in Eilharts »Tristrant« über Ansippung an den irischen Hof gebunden, für den er alle umliegenden Reiche unterwirft.467 Exorbitante heroische Gewalt fungiert als überlegene ›Militärtechnologie‹ in politischer Mission (vgl. Sîvrît). Heroische Gewalt kann so abgedämpft und sozial integriert werden durch Assimilierung des wilden Heros – Alexander, Sîvrît, Hagen, Achill etc. –, doch bleibt ihr Status stets problematisch. Manifester Ausdruck dafür ist die »zerstörerische Freiheit«, die dem Heros inhärent zu sein scheint und die eine Option zum Bösen wie zum Guten hat, gewissermaßen auf ihrer Grenze steht. Solche selbstzerstörerische Freiheit ist als »Todestrieb« bezeichnet worden, mag er aus christlichem (Roland), politischem (Turnus) oder heroischem (Ecke, Achill) Ethos resultieren.468 Er ist zum einen Index einer aus der Bahn geworfenen Natur, zugleich aber Voraussetzung für soziale Ordnung, für Kultur. Er verleiht dem Gewalthandeln einen ersten moralischen Akzent: im Opfer für das Kollektiv, für die Idee, für den Ruhm. Wie für den Heiligen, doch vor dem Hintergrund eines aristokratischen Ethos, ist auch für den Heros der Tod nicht das Ende des Lebens, sondern Anfang überzeitlichen Ruhms. Im Entwurf exorbitanter Heroen feiert die Feudalkultur ihre zentralen Arteigenschaften: Freiheit, Gewaltüberlegenheit, Gesetzesmacht und Ehre.

467 Eilhart von Oberge, Tristrant, V. 355, 361. 468 Zum ›Todestrieb‹ als Bedingung von Kultur vgl. Žižek, Kant und das »fehlende Glied« der Ideologie, S. 63f.; Friedrich, Unterwerfung, S. 157f. Rolands Tod läßt sich sogar aus einer Überlagerung aller drei Faktoren verstehen.

IV. Literarische Fallstudien

Diskurs und Literatur Zwei Diskurse haben sich innerhalb von Theologie und Politik herauskristallisiert, in denen die Vorstellung von der Animalisierung des Menschen betrieben und für die Ordnung der Gesellschaft genutzt wurde. Die Theologie entwickelt den Prozeß der Animalisierung aus dem Sündenfall und macht ihn zum Ausgangspunkt eines umfassenden Rekultivierungsprogramms. Als Leitmetapher dient ihr das Pastorat. Über das Narrativ des Sündenfalls wird die miseria hominis mythisch fundiert, über die Metapher des Pastorats in eine Anschauungsform überführt. Das Pastorat umfaßt somit nicht nur die Erinnerung an die friedliche Idylle der Patriarchenzeit, es besitzt auch pragmatische Implikationen, indem es zum Bild für das ›zukunftsweisende‹ Programm der Menschenführung wird: »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.« (Ps. 23). Wie die Organismusmetapher stiftet das Pastorat ein Bild friedlicher Koexistenz von Ungleichen, eine Ungleichheit, die der Sozialstruktur der Feudalgesellschaft korrespondiert. Die politische Metaphorik ist kulturell fundiert. Auf der passiven Seite wird mit dem Pastorat Defizienz, Demut und Dienstbereitschaft konnotiert, auf der aktiven Rationalität, Verantwortung und Autorität. Wenn für das Selbstverständnis der Kirche corpus, vita pastoralis und agricultura zentrale Metaphernkomplexe für die herrschende gesellschaftliche Ordnung bilden, wird diese naturalisiert und zugleich rationalisiert: das Pastorat als natürlich und ›rational‹ begründetes Herrschaftskonzept. Indem die Animalisierung des Menschen begleitend durch medizinisches Wissen fundiert wird, etwa durch Humoralpathologie, Klimatheorie und Physiognomik, werden ethnische, soziale und selbst geschlechterspezifische Ungleichheit nicht nur metaphorisch, sondern auch ›wissenenschaftlich‹ faßbar. Theologie und Politik gehen in der Folge eine ›erfolgreiche‹ Verbindung ein. Indem das Modell des Pastorats an das der Domestizierung angeschlossen wird, manifestiert sich Herrschaft nicht nur als Sorge um die friedliche Herde, um Frauen, Kinder und Leibeigene, sondern auch als Unterwerfung widerspenstiger Untertanen. Metaphorisch tritt neben das zu lenkende Herdenvieh die zu zügelnde Bestie, so daß das Bild der Zähmung – zuht – zur natürlichen Leitmetapher in Politik und Pädagogik wird und sich auf ein ganzes Ensemble zu beherrschender Gruppen – z. B. familia, Rechtsbrecher, Untertanen, Fremde – erstreckt. Im Dispositiv der Gewalt wird der pastorale Dis-

Diskurs und Literatur

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kurs der Sorge um den der Unterwerfung ergänzt,1 und auch dieser erhält seinen biblischen Gründungsmythos. Demnach habe Ninus die wie Vieh dahin lebenden Menschen nicht pastoral gelenkt, sondern gewaltsam unterworfen und ihnen eine Ordnung aufgezwungen. Die Vorstellung von der Ordnung der Gesellschaft, wie sie im theologischen und politischen Diskurs entworfen wird, rekurriert auf mythische Narrative, die in Metaphern übersetzt, rational abgesichert und strategisch in Vorrechte und Herrschaftspraktiken übersetzt werden. Narrative, Metaphern und ›Wissenschaft‹ stabilisieren wechselseitig die Vorstellung von der Animalisierung des Menschen und etablieren so eine wirkungsmächtige Tradition kultureller Semantik. Als Illustrations- und Beweisverfahren aber sind Narrative (Exempel/Historia), Metaphern und Argumentation noch nicht gegeneinander ausdifferenziert, da selbst die Argumentation noch auf der Basis von Vergleichen, d. h. analogisch, operiert. So konstituieren Exempel, Metapher und Analogie einen Diskurszusammenhang, der im Feld sozialer Ordnung Positionen verteilt und hierarchisiert. Daß ein solches Verfahren des Ineinandergreifens von Metaphorik, Analogie und rationaler Methodik nicht ein Relikt längst vergangener Zeiten darstellt, vielmehr bis in die Moderne hinein wirksam bleibt, daß diskursive Praktiken eine eigene Form von Geltung konstituieren, hat die Genderforschung am Beispiel von Rasse und Geschlecht eindrucksvoll bestätigt.2 Für eine Kriegerkultur wie den Feudalismus beschränkt sich der Rückgriff auf das Tier aber nicht nur in seiner Projektion auf Untertanen. Die unmittelbare Erfahrung von Gewalt und die enge lebensweltliche Bindung an Tiere bilden spezifisch feudale Aktionsräume aus, die eine Identifizierung mit dem Tier befördern: z. B. exklusive Praktiken wie die Jagd und das Statusprivileg des Reitens, die Praxis des Krieges oder Inszenierungsformen von Herrschaft. Die Schlacht ist der klassische Ort, an dem der Krieger zum Tier mutiert. Pferd, Hund und Falke bilden reale adelige Standesattribute, die zum einen die Herrschaftspraktiken der Unterwerfung und Disziplinierung am Tier selbst vorführen, zum anderen natürliche Qualität des Adels selbst visualisieren. Pferd, Hund und Falke werden metaphorisch genutzt, gerade weil sie selbstverständlicher Bestandteil der kulturellen Praxis sind, und entsprechend gewinnt auch mit diesen Metaphern eine kulturelle Semantik Evidenz: Wertschätzung überlegener Physis, Schönheit, Stolz und Dynamik verkörpert das Pferd, und auch der Falke ist mehr als ein Instrument, er gilt als schöner und edler Vogel, als freies Lebewesen, als wildes und zivilisierbares Tier, vor allem 1 Friedrich, Unterwerfung, S. 141–165. 2 Die Analogisierung von Rasse und Geschlecht, d. h. von Kindern, Frauen und ›Primitiven‹, und ihre Begründung durch Biologie und Anthropometrie, durch metaphorische Verfahren, galten bis ins 20. Jahrhundert nicht nur als wissenschaftlich, sondern zeitigten auch verheerende soziale und politische Folgen. Gould, Der falsch vermessene Mensch; Stepan, Race and Gender, S. 261–277.

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IV. Literarische Fallstudien

aber als Raubvogel, der mittels Gewalt sich erhält und herrscht. Wo Herrschaft über physische Durchsetzungsfähigkeit sich legitimiert, erfährt der Stärkste privilegiertes Ansehen. In diesem Zusammenhang werden das reale und das metaphorische Tier nicht nur zum Gegner, sondern auch zum Medium adeliger Identität, die sich mithin nicht nur über genealogische Narrative und über höfische Repräsentationsakte, sondern auch über natürliche Zeichenarsenale konstituiert. Sie verweisen auf eine spezifisch historische Ausprägung kultureller Semantik. Innerhalb des Metaphernfeldes werden Konnotate abgerufen, die für eine moderne zoologische Perspektive keine Relevanz mehr besitzen. Sie befördern nicht das wissenschaftliche Wissen, wohl aber stabilisieren sie die symbolische Ordnung einer Feudalkultur, die emphatische Selbstzuschreibungen im Tier ›entdeckt‹, in Wirklichkeit aber auf dieses projiziert.3 Solche aus moderner Sicht kulturellen Konnotate bilden für den mittelalterlichen Adel aber wohl noch reale Denotate. Sie sind denn auch selbstverständlicher Bestandteil des zeitgenössischen naturkundlichen Wissens und verweisen mithin auf ein reales tertium comparationis, das in moderner Theorie schon nicht mehr vorausgesetzt wird. In Kampfmetaphorik, Namen, Heraldik und physiognomischen Zeichen, schließlich in naturnahen Sozialisationsformen knüpfen vor allem Heldenepik und Höfischer Roman an alte mythische Zeichenordnungen an und halten sie präsent. Gegenüber den Ordnungsreden der Theologie und Politik, die weitgehend der Abgrenzung dienen, bildet sich hier ein Diskurs der Assimilierung aus. Wenn solche Metaphorik positive Konnotationen hervorbringt, wird sichtbar, daß Herrschaft sich nicht nur aus der Überwindung des Animalischen legitimiert, sondern auch als Triumph desselben, daß der kulturellen Metaphorik eine politische gegenübersteht, die sich in letzter Instanz auf das Recht der Natur beruft. Aber auch dort, wo der Adelige an das Tier heranrückt, bleibt die Notwendigkeit seiner Überwindung präsent. Die Distanzierungsstrategien des theologischen und politischen Diskurses können sich mit dem der Assimilierung durchaus verbinden. Die mittelalterliche Epik inszeniert den Helden immer wieder im Spannungsverhältnis von Wildheit und Zivilisiertheit, das in zahlreichen Konfigurationen durchgespielt wird. Der Held kann als exorbitanter Heros entworfen werden, der keine Grenzen anerkennt, als monströser Heilsbringer unter dem Schutz der Providenz oder als disziplinierter Ritter im Dienst der Gemeinschaft stehen; er kann als Kulturheros wirken und Befreiungstaten vollbringen etc. Die zahlreichen Heldengeschichten variieren ein Narrativ rechter Herrschaft, das von der Disziplinierung bis zur Unterwerfung reicht. Stereotyp sind entsprechend die Situationen und Handlungsmuster: der Held als Kämpfer gegen das Böse, das in Form wilder Tiere, 3 Ein schönes Beispiel für die Wirkung der Interaktionstheorie: Bevor der Falke zur Metapher wird, muß er zum Menschen werden.

Diskurs und Literatur

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exorbitanter Riesen und gewalttätiger Ritter auftritt, aber auch als wilde Dynamik in seinem Innern wuchert. Der Ursprungsmythos dieses Narrativs kann gleichfalls an biblische Muster anknüpfen. Wenn der »Prosa-Lancelot« die Entstehung des Rittertums aus den Folgen des Sündenfalls ableitet, aus einem Schutzbedürfnis der Schwachen gegenüber wilden Kreaturen, positioniert sich der Ritter als die kulturelle Symbiose von Mensch und Tier gegen die wilden Zerrformen der Natur.4 In den zahllosen Drachenkämpfen höfischer Ritter wirkt dieses Kulturmuster nach. An Sîvrits Drachenhaut wird dagegen, in seiner Form gewiß exzeptionell, sichtbar, wie weit der Ritter selbst dem Tier assimiliert werden kann. So sehr die Epen unterschiedliche Realisierungen des Narrativs rechter Herrschaft bieten, so sehr konvergieren sie in der Prämierung des Stärksten, der sich auch als der Gute erweisen muß.5 Unter Diskursperspektive stehen die Epen damit gleichberechtigt neben dem theologischen und politischen Diskurs, sie repräsentieren im Horizont des politischen Diskurses nur eine andere, spezifisch feudaladelige Ordnungsrede. Wie aber verhalten sich die Befunde des theologischen, medizinischen und politischen Diskurses zu ihren Umsetzungen im literarischen Feld? Theologische Summen und Traktate, medizinische Lehrbücher und Kompendien, Fürstenspiegel und Chroniken können für die Rekonstruktion historischer Sachverhalte gewiß einen anderen Status reklamieren als Heldenepen und höfische Romane. Aufgrund ihres diskursiven und systematischen Status einerseits und ihrer referenzbezogenen Darstellung andererseits wird ihnen zugestanden, Fakten und Vorstellungswelten vergangener Zeiten verläßlicher zugänglich zu machen als fiktionale Entwürfe. Beider Verhältnis zur Wirklichkeit ist aber komplexer, als es die schlichte Opposition von factum und fictum ausdrückt. Während Dekonstruktion und Konstruktivismus mittlerweile selbst den Quellenwert historischer Überlieferung zu unterminieren beginnen,6 indem sie die Vermittlungsform der Schrift in den Blick nehmen, hat die Sozialgeschichte vielfach den historischen Hintergrund literarischer Textproduktion herausgearbeitet. Der Aussagewert des historischen Kontextes für die Analyse literarischer Texte aber ist und bleibt umstritten. Dort, wo man Literatur nicht einfach als Widerspiegelungsfolie von Realität beschreiben und sie zum bloßen Dokument der Geschichte reduzieren will, wird immer wieder auf der Eigenlogik fiktionaler Texte insistiert. Die komplexe Diskussion über den Status der Fiktionalität kann hier nicht referiert werden, schon gar nicht ist hier der Ort, an dem die Probleme der Referentialität von Fiktionalität hinreichend erörtert werden können. Zwar schließt der Fiktionalitätskontrakt logisch den 4 Solche Gründungsakte von Kulturheroen reichen bis in die höfische Epik hinein, so in Veldekes »Eneasroman«, der den Sieg des Herkules über ein Monster erzählt. (168, 28–37) 5 Vogt, Ehre, S. 291–314, 304f. 6 Sarasin, Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, S. 10–60.

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IV. Literarische Fallstudien

Anspruch auf Referenz aus, doch wird Literatur dadurch nicht schon zum selbstgenügsamen Spielplatz, zur Manege, in der mit Strukturen, Motiven und Zeichen oder mit sozialen und kulturellen Mustern jongliert wird. Die Frage nach dem Verhältnis von Text und Kontext mündet letztlich immer wieder in diejenige nach dem hermeneutischen Zirkel, d. h. in die Frage nach der Relation von freiem Autorsubjekt und seiner Verortung in einem historischen, sozialen und kulturellen Rahmen, strukturalistisch formuliert in die Frage nach den Optionen des immer schon ›eingesetzten Subjekts‹ innerhalb einer Struktur.7 Kommunikationspragmatisch bilden literarische Texte immer auch einen Faktor in sozialen und politischen Handlungszusammenhängen. Literarische Texte stehen vor allem im Mittelalter immer auch in realen pragmatischen Diskurszusammenhängen, und sie sind Teil eines eigenen, sich ausbildenden poetischen Diskurses. Höfische Epen dienen zweifellos zum einen der Statusrepräsentation einer Adelsschicht und transportieren deren zentrale Werte, sie sind zum andern häufig aber auch Spiel mit diesen, im besten Fall leisten sie eine komplexe Reflexion derselben. Überdies beziehen sie ihre Darstellungsmittel aus einem sozial Imaginären, an das künstlerische Darstellung selbst dann gebunden bleibt, wenn die Elemente der Realität im literarischen Kontext eine andere Funktion einnehmen.8 Ein fiktionaler Artusroman wie der »Wigalois« Wirnts von Grafenberg zehrt gewiß vom Märchenschema des Artusromans, von seinen Strukturen, Motiven und Zeichen, doch wird die poetische Funktion weitgehend vom theologischen Diskurs absorbiert. Ein Text wie Konrads von Würzburg »Trojanerkrieg« bietet die Erzählung vom trojanischen Krieg zugleich als novellistische Serie katastrophaler Minneverhältnisse und verleiht ihr dadurch eine neue poetische Qualität.9 Und doch greift Konrad für die kausale Motivierung der Handlung auf zahlreiche Diskursfelder seiner Zeit zurück: auf Vorstellung von Herrschaft, Kindheit, Natur, Erziehung, Magie etc.10 Versuche, aus der strikten Opposition von faktischem und fiktionalem Erzählen herauszukommen, beide auf gemeinsame Erfahrungsformen oder kulturelle Muster zu beziehen, liegen denn auch schon vor.11 Zwei Beispiele mögen die gegenläufigen Perspektiven illustrieren. Wie ein Kulturmuster in einen Text eingelassen sein kann, ohne seinen plot durchgängig zu bestimmen, hat Eugene Vance am Beispiel der »Aeneis« 7 Im Gefolge des Poststrukturalismus ist die Struktur dann selbst dynamisiert worden. 8 Zur Eigenlogik der Fiktion vgl. Barthes, Einführung in die strukturale Analyse von Erzählungen, S. 109, »[…] das Faktum [ist] in der Fiktion eine Funktion des Erzählens […]«. Stierle, Erfahrung und narrative Form, S. 97. 9 Worstbrock, Der Tod des Herkules, S. 273–284. 10 Friedrich, Diskurs und Narration, S. 99–120. 11 Stierle, Erfahrung und narrative Form, S. 85–118; Müller, Imaginäre Ordnungen, S. 41–68; Kiening, Kultur und Natur, S. 56–80; vgl. Müller, Text und Kontext.

Diskurs und Literatur

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gezeigt.12 Vergil habe dem Gründungsmythos Roms über paradigmatische Szenen eine Kulturdiskussion eingeschrieben. Er legitimiere die trojanische Kriegerkultur, indem er der Agrarkultur der einheimischen Latiner eine illegitime Grenzüberschreitung im Verhältnis von Wildheit und Zivilisation attestiere: etwa in der Zähmung wilder Tiere, wie es am Hirschen des Tyrrus sichtbar wird, dessen Tötung zum Anlaß des Krieges wird. Aber auch in der Verwilderung der Bauern im Augenblick der Konfliktentstehung, und selbst noch in der von Evander kurz skizzierten Kulturgeschichte der Latiner werde die Spannung von Wildheit und Zivilisiertheit sichtbar, vor allem die ständige Gefahr der Regression. Grundlage des Befundes sei eine für die Antike elementare Unterscheidung, nach der Wildes und Zahmes nicht vermischt werden dürfe.13 So sei die Zähmung wilder Tiere ebenso illegitim wie die Jagd auf zahme: Das zahme Tier stünde in Verbindung mit den Göttern. Werde diese Grenze verletzt, so ziehe das Strafen der Götter nach sich, wie an verschiedenen Stellen der antiken Literatur sichtbar werde. Durch Motivkorrespondenzen, vor allem aber durch die Rekurrenz signifikanter Tiermetaphern entfalte Vergil sein Thema vor dem Hintergrund tief eingewurzelter Vorstellungen von Wildheit und Kultur. In den mittelalterlichen Bearbeitungen verblaßt diese Schicht sichtbar. Ein Text, der demgegenüber die selbstreferentiellen Spielräume literarischen Erzählens im Mittelalter zu illustrieren scheint und gleichfalls dem Diskurs der Animalisierung angehört, ist die Erzählung vom »Busant«.14 Armin Schulz hat ihr eine ›rhetorische Lektüre‹ gewidmet, die detailliert den poetologischen Gehalt der Erzählung herausarbeitet.15 Der Text verhandelt am Beispiel eines Liebeskasus die Spannung zwischen Natur und Kultur, die ganz im mittelalterlichen Sinn in der Konfrontation von höfischem Ideal und Wildheit vorgestellt wird. Erzählt wird die Geschichte des Königssohns von England, der nach einem Studium in Paris an den französischen Hof gerät. Dort verliebt er sich in die Königstochter und beschließt, sie vor ihrer Hochzeit mit dem König von Marokko zu entführen. Mit ihrer Einwilligung fliehen beide vom Hof. Während einer Rast in der Wildnis zieht der Königssohn der Schlafenden einen Ring vom Finger, um ihn zu betrachten. Als ein plötzlich auftauchender Bussard den Ring entwendet, verfolgt der Königssohn den Vogel, verirrt sich und degeneriert aus Verzweiflung zum Tier: Und gieng ûf allen vieren / glîch den wilden tieren, / […] Menschliche(r) sin im gar verswant.16 Während die Königs12 Vance, Sylvia’s Pet Stag, S. 127–138. 13 Ebd., S. 128f. 14 Diz ist der Busant, in: Gesammtabenteuer, hg. v. Friedrich Heinrich von der Hagen, Bd. 1, Stuttgart, Tübingen 1850, S. 331–366; vgl Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns, S. 184–196. 15 Schulz, Dem bûsant er daz houbet abe beiz, S. 432–454. 16 Der Busant, V. 613–617.

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IV. Literarische Fallstudien

tochter zunächst an eine Mühle, dann an den Hof ihres zukünftigen Onkels gelangt und dort unerkannt ihr Leben mit Kunsthandwerk fristet, vegetiert der Königssohn als Wilder Mann im Wald. Er wird von den Jägern des Hofes gefunden, gesundet nach intensiver Therapie, nimmt wieder adelige Gestalt an und demonstriert seine Rekultivierung auf einer Beizjagd, auf der sein Falke bezeichnenderweise einen Bussard erlegt. Die ihn begleitenden Jagdgenossen erschreckt er indes, als er dem Bussard unversehens den Kopf abbeißt und ihn vollständig zerreißt. Erst danach geht er zu einer korrekten Beizjagd über, und nachdem er vor dem Hof seine Geschichte erzählt hat, kommt es schließlich zur Erkennungsszene mit seiner Geliebten. Schulz arbeitet die »oberflächentextuelle Rekurrenz« der Metaphorik heraus, etwa die Konnotationen von Engel, Engelburg und Engeland oder die Homologie der Raubsituationen: Der Raub der Braut, die ein Engel entrückt haben soll, und der Raub des Rings durch den Bussard stehen in semantischer Relation zueinander, so daß Engel, Held und Raubvogel parallelisiert werden: »Damit rückt der ›englische‹ Held immer mehr in die Nähe des Raubvogels, also vom Bereich extremer Kultiviertheit in den der animalischen Natur.«17 Über die Konnotation des Busants erweise sich der Held zugleich als »höfisch vollendeter Engel und animalischer Raubvogel.«18 Die Sinnstruktur des Textes binde die Raumsemantik eng an die Handlungsführung. Entfaltet werde ein Spiel von metaphorischen Bezügen, die einen eigenen Sinn jenseits der Handlungskausalitäten konstituieren. »Indem der Text das kulturelle Wissen seiner Zeit mehrfach konnotativ herbeizitiert und sofort wieder dementiert, verweist er auf sein eigenes Verfahren der Bedeutungskonstitution.«19 Schulz macht es in »syntagmatischen Verschiebungen« aus, durch die »prinzipiell bloß metaphorische Attribuierungen […] innerhalb der dargestellten Welt in den Status der Realität überführt« werden.20 Der Liebeskasus vollzieht sich zwar im Spannungsfeld von höfischer Kultur und wilder Natur, dient aber letztlich der Selbstdarstellung spezifisch rhetorisch-literarischer Techniken: dem raffinierten Metaphernspiel. Die Analyse weist überzeugend nach, daß die Erzählung über »spezifische Verfahren der Handlungs- und Bedeutungskonstitution« verfügt und das Spiel mit den metaphorischen Konnotaten eine Verselbständigung der Zeichenebene zur »Text-Realität« nach sich zieht.21 Das entspricht gut narratologischer Auffassung, daß »die Fiktion allein an ihre eigenen Relevanzbedingungen gebunden [ist], in denen die immanente Poetik des Werks sich 17 18 19 20 21

Schulz, Dem bûsant er daz houbet abe beiz, S. 443. Ebd., S. 443f. Ebd., S. 450. Ebd., S. 444. Ebd., S. 439.

Diskurs und Literatur

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darstellt.«22 Und doch bleibt der Text bei aller Raffinesse der literarischen Inszenierung zum einen Bestandteil des Diskurses über die Grenzen der höfischen Kultur, zum andern arbeitet er mit dem Arsenal nicht nur literarischer, sondern auch kultureller Topiken. Der Text operiert mit dem kulturellen Wissen seiner Zeit, nimmt aber nicht Abschied von ihm. Die Spannung von Kultur und Wildheit bildet den Grundantagonismus nicht nur der höfischen Literatur. Auch das Grundarrangement des »Busant«, den Antagonismus von Kultur und Natur metaphorisch in denjenigen von Engelhaftigkeit und Animalität zu überführen, den Menschen also in die Mitte zwischen Heilsstatus und Vertierung zu stellen, folgt gängigen Theoremen des theologischphilosophischen Diskurses.23 Die vorausliegenden Untersuchungen haben versucht, eine Vorstellung von dem Diskursrahmen zu vermitteln. Die höfische Kultur sucht im Medium des Literarischen mehr oder minder gelungen ihren Ort zwischen metaphysischer Reinheit und gewalttätiger Wildheit. Sowohl Minne als auch Herrschaft, die zwei zentralen Themenfelder des höfischen Romans, setzen beide Optionen frei: reine Minne und sexuelles Begehren, höfische Kultur und animalische Gewalt. Sie alle finden ihren Ort in der Erzählung. Auch die Tätigkeiten, die den beiden Protagonisten zugewiesen werden, Handwerk und Jagd, lassen sich hier gut unterbringen als gegensätzliche Ausdrucksformen geistlichen und feudalen Kulturverständnisses. Die verstörend grausame Jagdszene erhält in der kunstvollen Beizjagd auf den Antvogel sowohl ihr zivilisiertes Korrektiv, wie auch die höfische Kultur in der kurz aufflackernden Vertierung des Jägers und einstigen ›Engels‹ an ihre natürliche Basis erinnert wird. Wo es um Rache geht, hat höfisches Zeremoniell keinen Platz. Noch die Einspielung des religiösen Diskurses in dem Schicksalsweg der Königstochter ist sinnvoll gerade vor dem Hintergrund des typischen Sündenschicksals, das den Königssohn erfaßt. Wie viele Sünder vertiert er mit entsprechender Topik zum stummen Herdenvieh: zum Nebukadnezartypus. Führte die Überschreitung im Wald zur Regression eines Herdenviehs, so blitzt im jagenden und sich rächenden Adeligen momenthaft das Potential der Bestie auf. Die höfische Kultur entwirft eine Fülle von Szenarien über die Spannung von Natur und Kultur, die nicht in einer puren Opposition aufgehen. Beschreibt der »Busant« die Krise des Adels im Spannungsfeld von höfischer Kultur und wilder Natur, so verweist die volkssprachige Literatur immer wieder auch auf positive Ausprägungen: auf die Synthese von höfischer Kultur und aggressiver Wildheit. Hier nur zwei Beispiele: Die Figur Volkers im »Nibelungenlied« verbindet heroische, fast zynisch gewaltsame Eigenschaften 22 Stierle, Erfahrung und narrative Form, S. 98. 23 Vgl. die Rezeption der aristotelischen »Politik« bei Albertus Magnus, Thomas von Aquin und Aegidius Romanus. Vgl. Kap. III.

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IV. Literarische Fallstudien

mit der Kunstfertigkeit des Spielmanns. Etzel formuliert explizit seine Erschütterung angesichts dieser offensichtlich prekären Spannung: dâ vihtet einer inne, der heizet Volkêr, / als ein eber wilde unde ist ein spileman.24 Es gehört wohl zu den Zynismen des »Nibelungenliedes«, daß die kulturelle Metaphorik des Fiedelns wiederholt für den Waffeneinsatz gebraucht wird.25 Waffenhandwerk und höfische Kunstübung werden jenseits höfischer Idealisierung enggeführt, nur die Metapher synthetisiert die beiden auseinanderfallenden Felder. Konrad von Würzburg hatte in seinem »Trojanerkrieg« die Sozialisation Achills als einen Prozeß der Verwilderung beschrieben, der sich primär an Tieren orientiert und doch keine natürliche, sondern eine kulturelle Praxis darstellte. Aber auch sein Gegenspieler Hektor partizipiert an den Spannungen der Feudalkultur. Hektor erlöst sins vater diet / von angestlicher swære, wie der Wolf sich um seine Welpen kümmert, er rächt den Tod seines Bruders, wie ein erzürnter Löwe seine Jungen.26 Als Odysseus nach dem ausgehandelten Waffenstillstand dem griechischen Heerführer Agamemnon Troja und dessen Pracht schildert, beschreibt er Hektor als Inbegriff ritterlicher Vollkommenheit: der Wunsch der hât in vollebrâht nâch prîse an allen orten. er schînet an den worten kiusch unde zühtic als ein maget und ist an werken unverzaget alsam ein eber wilde.27

Eine größere Polarität läßt sich kaum formulieren: Der ideale Adelige synthetisiert anders als der exorbitante Heros jungfräuliche Keuschheit in der Rede und wilde Animalität in der Tat. Was in Achills Jugendgeschichte narrativ entfaltet wurde, die Wildheit im Kampf und die Schamhaftigkeit in der Minne, wird an Hektor metaphorisch vorgeführt. Hektor vereint in den Worten des Odysseus aber nicht widersprüchliche, sondern komplementäre Adelstugenden: Reinheit, Klugheit und Wildheit. Für Konrad ist die Spannung keine asymmetrische und zu überwindende, wie in den meisten Artusromanen, sondern eine konstitutive, deren Preis er im »Trojanerkrieg« 24 Nibelungenlied, Str. 2001,2f. 25 Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 428f. 26 Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 25930f., 25934f., V. 36362ff. Konrad umstellt den trojanischen Musterritter Hektor geradezu mit Tiervergleichen, Zeichen und Metaphern: Er reitet auf einem vrechen Pferd (25950f.), dem er Blut und Schweiß aus dem Fell treibt (25990f.), allerlei zahmes und wildes Getier schmückt seinen Waffenrock (25954f.); sein Schild trägt das Abbild eines Löwen: daz er den löuwen fuorte, / daz was im wol gemæze. / sô frech und alsô ræze / wart nie grimmer löuwe als er, / swenn er mit vîentlicher ger / ûf sîne widersachen fuor. V. 25970ff. 27 Ebd., V. 26996ff.

»Straßburger Alexander«

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vorführt. Die Spannung von Zucht und Wildheit ist elementar für das Selbstverständnis der Feudalkultur. In höfischer Epik und im Minnesang kommt sie fast paradigmatisch in der Falkenmetaphorik zum Ausdruck, deren Konnotationsfeld spezifische Faktoren feudaler Identität ins Bild setzt: einerseits Freiheit, Wildheit, Gewalt und Stolz, andererseits Disziplin, Kunstfertigkeit, Treue und Dienst. Die Metaphorik spiegelt noch jene Spannung von Exorbitanz und Reziprozität, von Nichtintegration und Integration des Helden, die wiederholt als Gegensatz aristokratischer Heldenkonzepte beschrieben worden ist.28 Es folgen fünf Fallstudien, die die Umsetzung der bisher beschriebenen Zeichenkonfiguration von Mensch und Tier, ihre Affirmation und Reflexion innerhalb eines literarischen Entwurfs untersuchen. Wurde das Verhältnis von Mensch und Tier bisher im Horizont historischer Diskurse, Disziplinen und Zeichensysteme rekonstruiert, rücken mit den literarischen Texten Entwürfe in den Blick, die einzelnen Autoren geschuldet sind und die das Verhältnis vom Mensch und Tier auf spezifisch poetische Weise entwerfen. Da es sich um Antikenroman, Heldenepen und höfische Romane handelt, scheint die Spannung von Mensch und Tier gattungsübergreifend zu wirken. Sie spiegeln primär feudaladelige Standpunkte, die aber immer schon christlich gerahmt, von christlichen Zeichensystemen infiltriert sind: der Entwurf eines heroischen Subjekts in seiner grenzüberschreitenden Dynamik, seine Integration in die symbolische Ordnung des Christentums, seine Reflexion und Kritik im Medium feudaler und christlicher Werte; seine Sentimentalisierung in der Spätphase.

1. Überwindung der Natur: »Straßburger Alexander« Die Leistung Alexanders als Kulturheros, wie sie die lateinische Tradition im Kampf der Griechen gegen die Barbaren und in der Kulturdiskussion mit Dindimus gezeichnet hatte, vollzieht sich in den volkssprachigen Adaptationen des 12. und 13. Jahrhunderts vor dem Hintergrund eines veränderten sozialen Systems.29 Die mittelalterliche Aneignung des antiken Ent28 Weber, Sem konungr skyldi, S. 447–481; von See, Held und Kollektiv, S. 1–35; vgl. Fuchs, Hybride Helden, S. 50f. 29 Drei frühe Fassungen des Lamprechtschen »Alexanders« stehen für diesen Typus: »Vorauer,« »Straßburger« und »Basler Alexander«. Zur Forschungsdiskussion über die Abhängigkeiten vgl. Stein, Ein Weltherrscher als vanitas-Exempel […]?, S. 151–155; Ehlert, Deutschsprachige Alexanderdichtung des Mittelalters, S. 19–103; Mackert, Die Alexandergeschichte, S. 123–139; Cölln, Arbeit am Alexander, S. 162–207; Stock, Kombinationssinn, S. 73–148; Schlechtweg-Jahn, Macht und Gewalt, S. 41–87.

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IV. Literarische Fallstudien

wurfs steht im Spannungsfeld feudaler und christlicher Maßstäbe, die von Fall zu Fall den antiken Gehalt auf eigene Art usurpieren. Die widerstreitenden Alexanderdeutungen dokumentieren, daß es weniger darum ging, die verschiedenen Perspektiven zu synchronisieren, als je nach Literatursituation den Stoff an unterschiedliche Rezeptionsvoraussetzungen anzupassen.30 Und doch kann Alexander selbst innerhalb eines Entwurfs, etwa im »Straßburger Alexander«, sowohl als Repräsentant des dritten Weltreichs als auch als vorbildlicher feudaler Herrscher wie auch als Hybrisfigur aufgefaßt werden. Selbst Anzeichen für eine höfische Stilisierung fehlen nicht. Der Gehalt der Erzählung geht nicht im Entweder-Oder von geistlicher und weltlicher Deutung auf,31 vielmehr konkurrieren verschiedene symbolische Ordnungen um den Sinngehalt des antiken Stoffs: antikes Kulturverständnis, christliches translatio-imperii- und vanitas-Modell, feudales Heros- und Herrscherkonzept, schließlich das System höfischer Repräsentation. Es sind Ordnungen ganz unterschiedlicher Provenienz, die sich in die mittelalterliche Adaptation des Alexanderstoffs einschreiben.32 Auch in der Darstellung des Verhältnisses von Mensch und Tier artikuliert sich solche Ambivalenz. Im mittelalterlichen Alexanderepos ist nicht einfach die Aristie des antiken Heros übernommen, die schon die lateinische Tradition eher zurückhaltend inszeniert hatte, vielmehr tritt dadurch, daß der antike Herrscher deutlich als animalisch gezeichneter Krieger stilisiert wird, eine zusätzliche symbolische Ordnung hinzu, die die Spannung unterschiedlicher Anforderungen, denen der Protagonist ausgesetzt ist, verkompliziert. Das Erzählverfahren der additiven Episodenreihung integriert diese Perspektiven weniger, als daß es von Fall zu Fall die Akzente anders setzt.33 Neben dem syntagmatischen Erzählaufbau – der Biographie des antiken Herrschers – ist deshalb der paradigmatische Zusammenhang zu beachten, vermag letzterer doch eine eigene Kohärenz durch Einfügung des Stoffs in den kulturellen Horizont der Zeit zu stiften.

1.1 Mythische Codierung des Heros Das die antike Alexandertradition kennzeichnende Problem des genealogisch fundierten Aussehens findet sich auch in mittelalterlichen Versionen der »Historia de preliis« wie im »Basler Alexander«, nicht aber im »Straß30 Stein, Ein Weltherrscher als vanitas-Exempel […]?, S. 154; Haug, Literaturtheorie, S. 84. 31 Stein, Ein Weltherrscher als vanitas-Exempel […]?, S. 144–180, 158f.; Ruh, Höfische Epik, S. 41–45; Schröder, Zum Vanitas-Gedanken im deutschen Alexanderlied, S. 38–55. 32 Friedrich, Diskurs und Narration, S. 101–103. 33 Haug, Struktur und Geschichte, S. 135; vgl. Strohschneider, Vögel, Flußübergänge, S. 85– 108, 87f.; Friedrich, Überwindung der Natur, S. 119–124.

»Straßburger Alexander«

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burger Alexander«. Offenbar rivalisieren in der Rezeption alternative Vorstellungen von Genealogie.34 Im »Straßburger Alexander« wird die legitime Herkunft Alexanders als Sohn Philipps gegen jeden Zweifel verteidigt, und daher kann das Argument der äußerlichen Ähnlichkeit mit dem Vater entfallen. Und doch verzichtet auch dieser Text nicht auf die Erklärung der Ursachen für Alexanders Aussehen, bedient sich indes anderer Register. Das überlieferte Aussehen Alexanders entspricht nicht den Erwartungen einer genealogisch orientierten feudalen Kriegerkultur. Wenn Herkunft und Jugend des zukünftigen Weltherrschers spezifisch animalische Züge eingeschrieben werden, wird die Nähe des Heros zur Natur sichtbar nach feudalen Erfordernissen umcodiert. Verantwortlich sind nach Aussage des Erzählers die Traumgesichter der Mutter, eine nach zeitgenössischer Medizin bzw. Naturkunde anerkannte Erklärung monströs aussehender Geburten.35 Entspricht es klassischer Zeugungslehre, daß Deformationen vielfach auf einer Störung der weiblichen Natur beruhen, so erhalten diejenigen Alexanders hier eine durchaus positive Wertung. Die Monstrosität des Helden resultiert gleichzeitig aus den ungewöhnlichen Effekten einer vis naturalis, der schlichten Wachstumsfunktion alles Lebendigen, die auch in Lamprechts Fassung zu einer beschleunigten Entwicklung führt.36 Signifikante Zeichen der Frühreife gehören zur Topik der Herrscher- und Heiligendarstellung, doch beziehen sie sich gegenüber dem antiken Entwurf hier auf ein anderes Körperkonzept. Parallel dazu wird dieser ›natürlichen‹ Erklärung eine genealogische an die Seite gestellt, durch die die innere heroische Substanz des Geschlechts statt an den schwachen Vater an den Onkel mütterlicherseits rückgebunden wird. Alexander, so vermerkt der Erzähler, besitze einen Onkel gleichen Namens, der keinem König untertan sein wolle.37 Da der Vater als Träger heroischer Substanz für den Erzähler offenbar ausfällt, die Normalform genealogischer Ableitung folglich als gestört betrachtet wird, bietet Lamprechts Entwurf ein ganzes Arsenal alternativer Erklärungen: Traumgesichter der Mutter, vis naturalis

34 Stein macht im Rahmen der Diskussion über Abhängigkeitsverhältnisse der Fassungen auf die rivalisierenden Herkunftsgeschichten aufmerksam. Stein, Ein Weltherrscher als vanitasExempel […]?, S. 153. Zum folgenden vgl. Friedrich, Überwindung der Natur, S. 124–126. 35 Daz quam von den sachen: dô in sîn mûter bestunt ze tragene; / dô quâmen ir freislîche bilidi ingagene, / daz was ein michil wunder. Straßburger Alexander, V. 160–163; vgl. Vincenz von Beauvais, Speculum naturale XXII,36 u. 43. 36 er gedeih baz in drîn tagen / dan alle andere kint, / sô si drier mânede sint. Straßburger Alexander, V. 142–144. daz sagih û zewâre: in sînen êristen jâre / wôhs ime maht und der lîb sîn / mêr dan einem anderen in drîn. Ebd., V. 177–180. Zum Vergleich mit der Fassung Alberics vgl. Mackert, Die Alexandergeschichte, S. 123–139. 37 Straßburger Alexander, V. 112–124. er was ein tûrlîcher degen / und wolde rehter herschefte plegen. Ebd., V. 123f.

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IV. Literarische Fallstudien

und genealogische Fundierung werden als einander ergänzende Argumente übereinandergeschichtet. Die Beschreibung Alexanders folgt dem rhetorischen Schema a capite ad calcem und setzt wie im lateinischen Text mit einer Charakterisierung der besonderen Kennzeichen ein. Doch wird das rhetorische Register zugleich durch ein physiognomisches überlagert. Die Körperzeichen, die im lateinischen Text als sichtbare Merkmale einer göttlich-dämonischen Herkunft – Ammon – ausgegeben worden waren, werden in einen heraldischen Merkmalskatalog umgeformt. Alexander trägt zwar auch eine Löwenmähne, doch besitzt er nun statt unterschiedlicher Augenfarben jeweils ein Drachen- und ein Greifenauge: ein ouge was ime weiden, / getân nâh einen trachen. […] swarz was ime daz ander, / nâh einem grîfen getân.38 Der furor heroicus, der Alexander auszeichnet und der sich immer wieder in Zornausbrüchen artikuliert, wird deutlicher als im lateinischen Text, in Tierzeichen manifest, die im feudalen Kontext die kosmisch-dämonischen Bezüge ersetzen. So wird etwa das Auge zum Medium heroischer Gewalt, wenn Alexander schon als Kind seinen Unwillen gegenüber seiner Umwelt im Wolfsblick artikuliert: sô sach er alse der wolf deit, alser ubir sînem âze steit.39 Als privilegierter Ort physiognomischer Charaktererkenntnis erfährt das Auge besondere Aufmerksamkeit. Der Triumph über die rohe Natur versichert sich nicht himmlischer, sondern elementarer natürlicher Ressourcen. Und doch scheint diese Kennzeichnung Alexanders prekär zu sein, da sie – in harter Fügung – durch die weitere Beschreibung, die nach höfischer Topik vor allem auf die Wohlgestalt abhebt, gebändigt wird: Sîn hals was ime wol geschaffin, sîn brust starc und wol offin, sîne arme wâren ime von grôzer maht. allis sînes mûtes was er wol bedâht. sîn bûch ne was ime nit ze lanc noh ze breit: vil wol daz deme jungelinge steit. beide ubir vûze und ubir bein rîterlîch er ze tale schein. unde ubir allen sînen lîb was er rehte hêrlîch.40

38 Ebd., V. 158–165. Auch die Beschreibungen Alexanders durch Leo und die der »Historia de preliis« erwähnen Löwenmähne und Löwenzähne, doch werden sie dort, das zeigt die Interpretation des Albertus Magnus, aus astrologischen Einflüssen abgeleitet. 39 Ebd., V. 147f.; Friedrich, Überwindung der Natur, S. 126; Mackert betont den Wechsel vom Löwen bei Alberic zum Wolf bei Lamprecht: »Das Bild majestätisch-gebändigten Zorns ist ersetzt durch eines, das in erster Linie gefährliche Wildheit und dräuende Gewaltbereitschaft vermittelt.« Mackert, Die Alexandergeschichte, S. 134; Schlechtweg-Jahn, Macht und Gewalt, S. 43f. 40 Straßburger Alexander, V. 167–176.

»Straßburger Alexander«

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Die lateinische Fassung kennt eine solche Ergänzung der descriptio nicht. Gegenüber der Relation Natur und Heroik, vor der die Beschreibung des Gesichts erfolgte, verlagert sich die Opposition hin zu derjenigen von Natur und ritterlicher Erscheinung.41 Der genealogische Vorbehalt, den die Alexandertradition vorgibt und auf den der Straßburger Text selbst noch verweist, wird durch die heraldische Signatur aus dem Weg geräumt.42 Während die lateinische Tradition Alexander vornehmlich zum Produkt astrologischer und magischer Praktiken macht, schichtet die volkssprachige Adaptation für seine Beschreibung medizinische, genealogische und höfische Register übereinander. Im aggregathaften Nebeneinander gegenläufiger Beschreibungsformen, in der der Protagonist an die gespannten Erfordernisse zeitgenössischer Politik angebunden wird, findet die animalische Zeichnung ihren eigenen Ort.43 Die Opposition von Wildheit und Höfisierung, Gewalt und Maß, die hier an einem kleinen Ausschnitt sichtbar wird, kehrt im Laufe des Romans in modifizierter Form wieder. Dem außerordentlichen Helden korrespondiert nicht zufällig ein außerordentliches Pferd. Alexanders Macht zeigt sich in der Bezwingung und Instrumentalisierung des wilden Pferdes Bucephalus. Die Beschreibung, die ihm in solcher Ausführlichkeit allein in Lamprechts »Alexander« zuteil wird, läßt es wie Alexander selbst als Synthese unterschiedlicher animalischer Gattungsbezüge erscheinen, die genuin göttliche Attribute wie die Hörner Ammons ersetzen: iz was freislîch genûch. ime was sîn munt, daz wil ih û tûn kunt, als eime esele getân. di nasen wâren ime wîte ûf geslân. sîne ôren wâren ime lanc, daz houbit magir unde slanc. sîne ougen wâren ime allir vare glîch eineme fliegindin aren. sîn hals was ime lockehte, ih wêne iz wêre lewingeslehte. ûf den goffen hâtiz rindis hâr, 41 Vgl. Friedrich, Überwindung der Natur, S. 125f.; Mackert, Die Alexandergeschichte, S. 131f.; Stock, Kombinationssinn, S. 90. 42 Zur Topik höfischer Personenbeschreibung vgl. Bumke, Die höfische Kultur, S. 419–425; Hahn, Personerkenntnis, S. 401–403. 43 Eine analoge Spannung zeigt sich in Alexanders Erziehung, die von rudimentären Kampftechniken (rîten, strîten) über die Aneignung der artes bis hin zu konkreten ritterlichen Techniken erfolgt. Cosman, The Education of the Hero, S. 155f. Cosman weist neben der Akzentuierung der Waffenausbildung noch auf die spezifisch germanische Art, Recht (ze dinge sitzen; 246) zu sprechen hin. Ebd.

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IV. Literarische Fallstudien

an den sîten liebarten mâl: sô Sarrazîn joh cristinman nie nihein bezzer ros gwan.44

Geboten wird das Gegenteil einer höfischen Pferdebeschreibung, eine Darstellung, die noch jedes Maß und alle klassischen Zeichen des Adels vermissen läßt. Indem dem Pferd die Zeichen unterschiedlicher wilder Tiere zugewiesen werden, ersetzt wie in der descriptio personae die animalische Kombinatorik die astrologische Prägung: Eselsmaul, Adleraugen, Löwenmähne, Rinderhaut, Leopardenmale. Die einzelnen Markierungen können geradezu als Indikatoren jener herausragenden Eigenschaften verstanden werden, die ein Streitroß auszeichnen: Ausdauer, scharfe Wahrnehmung, Stärke, Gewaltpotential, Körperschutz und Geschwindigkeit. Die feudale Topik erweist sich aber gerade als Umkehrung der theologischen Kritik an der »species corruption«.45 Entscheidend für die Distanzierung vom Domestizierungsdiskurs der Kleriker ist der Umstand, daß explizit hervorgehoben wird, daß Alexander dieses Monster der Natur durch den Blick zähmt und auf jede Form von Technik verzichtet: er ne legete zoum noh seil dar ane, / er begreif iz in sîne manen.46 Alexander eignet sich im unvergleichlich monströsen und Menschen fressenden Pferd das animalische Spiegelbild seiner selbst an: ›[…] iz gebârit freislîche. / sîn stimme di is gelîche / einem freislîchem tiere‹.47 Gegenüber der lateinischen Vorlage intensiviert der »Straßburger Alexander« wohl mit Zielrichtung auf sein adeliges Publikum die heldenepische Note. Bekannt sind die direkten Hinweise auf die heroischen Vorbilder aus Heldenepik und antiker Epik, an denen Alexanders vorbildliches Kampfverhalten gemessen wird.48 Ergebnis ist eine Kennzeichnung Alexanders, die zugleich stereotypes Attribut wilder Tiere ist: alsô freislîch was Alexander.49 Die Nähe Alexanders zum Tier, physiognomisch bereits deutlich akzentuiert, kommt nun auch in den üblichen Kampfmetaphern zum Ausdruck: er hete eines lewen mût.50 Und auch im Entscheidungskampf zwischen Alexander 44 Straßburger Alexander, V. 279–293; Schlechtweg-Jahn, Macht und Gewalt, S. 45f. 45 White, The Forms of Wildness, S. 9. 46 Straßburger Alexander, V. 372f. dô sîn daz ros wart gware / und er iz begunde ane stare, / iz vergaz allir sîner maht. Ebd., V. 360–362; vgl. Jähns, Ross und Reiter II, S. 109–111. Vgl. dagegen Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 1693–1703. 47 Straßburger Alexander, V. 338–340. 48 von einen volcwîge hôre wir sagen, / der ûf Wulpinwerde gescach, / dâr Hilden vater tôt lach, / inzwischen Hagenen unde Waten: / der ne mohte sih hî zô niht gegaten. / Herwîch unde Wolfwîn / ne mohten ime niwit gelîch sîn, / noh nehein man ander; / […]; ebd., V. 1830–1837/1848; Vorauer Alexander, V. 1321–1338; Minnis, Über die Hildestelle, S. 47–70. 49 Straßburger Alexander, V. 1838. Zu den Tierkennzeichnungen vgl. Szklenar, Studien zum Bild des Orients, S. 74. 50 Straßburger Alexander, V. 2364. ze beden sitten umb sich slůg als ein eber swin. Basler Alexander 1501f.

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und Porus wird auf den Tiervergleich zurückgegriffen, den der lateinische Text nicht kennt:51 dâ sih di wîgande / hiwen alse di wilden swîn.52 Der antike Fürstenzweikampf wird in einen Kampf mittelalterlicher Heroen transformiert, dessen Basis weniger List als animalische Energie darstellt.53 Deren Aneignung ist überdies noch auf die Waffen projiziert, wenn Alexander nicht nur einen Schild aus Elfenbein trägt, sondern auch seine Rüstung in eines wurmes blûte imprägniert und hurnîn vil vast ist.54 Auch das ist jenseits aller Symbolik ganz konkret zu verstehen und bindet den antiken Herrscher eng an den naturbezogenen heldenepischen Waffenmythos.55 Auf tierisches Affektpotential verweist noch die wiederholt akzentuierte Zorndisposition Alexanders, die nicht zufällig in den volkssprachigen Adaptationen weitaus stärker akzentuiert wird. Der »Straßburger Alexander« unterscheidet aber bereits verschiedene Kontexte der Zornartikulation, die nicht nur gattungsspezifisch als Index für Unfrieden fungieren, sondern ihren Hintergrund sowohl in der politischen Ethik als auch in der Affektenlehre der Zeit besitzen. Neben Zorn als Krankheit, als Sünde und als jugendlicher Affekt tritt ein politisch-feudales Zornkonzept: Zorn als Machtfaktor. Alexander ist aber nicht mehr der ständig iraszible Heros, wie er prononciert vor allem im heroischen Typus entworfen wird.56 Wenn er als Herrscher unterschiedlichen Anforderungen Genüge zu leisten hat, zeigt sich das Bestreben, in der Adaptation des antiken Stoffes heldenepische Tradition und politische Herrscherfunktion zu harmonisieren.57 Zornartikulation ist im »Straßburger Alexander« an komplexe soziale Situationen gebunden. Ein Sozialverband, in dem Macht sich primär über persönliche Leistung und über personale Beziehungen konstituiert, bindet auch Recht an die Durchsetzungsfähigkeit des einzelnen. Anders als in institutionell gefestigten Gesellschaften ist Recht daher durchaus noch an Gewalt und Affekt gebunden.58 Die Koppelung der Zornreaktion an eine subjektiv 51 Selbst die Tyrer fuhten sô di wilden swîn. Straßburger Alexander, V. 1317. Nur zweimal verweist dagegen die »Historia de preliis« in Botenberichten auf Tiermetaphorik: nam iste Alexander, qui pugnat nobiscum, habet ferocem animum sicut [mare et] bestia […]. Ebd. Cap. 69, S. 192. ›Alexander in omnibus peritissimus est et in nullo offendit, omnia per semet ipsum faciens viriliter, quia formam itaque et virtutem secundum suam nativitatem leonis habet.‹ Ebd. Cap. 46, S. 173. 52 Straßburger Alexander, V. 4657f. 53 Friedrich, Die ›symbolische Ordnung‹ des Zweikampfs, S. 151. 54 Straßburger Alexander, V. 1300f., 1305. gebeizet was sîn brunie / in eines wurmes blûte […] sîn brunie was hurnîn vil vast. Zum Schild vgl. V. 1247. 55 Seine Rüstung schützt ihn denn auch wiederholt in bedrängter Lage. Vgl. Straßburger Alexander, V. 1791f., 3231. 56 Etwa in ChuChulainn/Harthben oder im Wolfhart der Dietrichepik. 57 Auf die Verbindung von sapientia und fortitudo-Ideal schon in der Beschreibung Alexanders weist Mackert hin: Mackert, Die Alexandergeschichte, S. 132. 58 Vgl. Czerwinski, Das Nibelungenlied, S. 53–62.

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IV. Literarische Fallstudien

empfundene Geringschätzung, wie es die Affektenlehre des 13. Jahrhunderts im Anschluß an antike Modelle formulieren wird,59 ist insbesondere im Rivalitätskontext der Feudalgesellschaft ein Faktum ersten Ranges.60 Zorn ist nicht nur Zeichen sozialen Unfriedens, er ist vor allem im Horizont zeitgenössischer Gewaltethik legitime Reaktion auf die Zurückweisung eines subjektiven Anspruchs, mithin mehr eine soziale als psychologische Kategorie. Zorn ist insofern die privilegierte Reaktionsform des Herrschers Alexander, sobald er Geringschätzung irgendeiner Art erfährt.61 Er wird zunächst durch die Entrüstung in Gang gesetzt, die ihn wiederholt angesichts von eigenen Verlusten ergreift, wie im Fall der Tötung seiner Boten durch die Tyrer: dô gwan der helt gût / eines zurnigen lewen mût.62 Nicht im Kontext des Kampfes findet sich diese Metapher, sondern noch im Vorfeld ›diplomatischer‹ Verhandlungen. Wenn aber der Herrscher nicht nur im politischen oder kriegerischen Konflikt affektiv reagiert, sondern darüber hinaus auf jegliche Beschränkung seines herrscherlichen Willens, offenbart das den Absolutheitsanspruch von Herrschaft im Kontext der zeitgenössischen politischen Kultur. Zornig reagiert der Herrscher Alexander noch zurecht auf die Antwort der Tyrer, die sich seiner Unterwerfungsforderung widersetzen.63 Erstaunlicher schon ist seine affektive Reaktion auf die unerfüllbare Bitte der Okzydrater, die von ihm Unsterblichkeit erbitten. Es ist hier geradezu die provokante Verkehrung einer klassischen Herrschertugend, die Gewährung einer Bitte, die hier den Herrscher an seine Grenzen erinnert. Vor allem aber überrascht die Zornreaktion auf die List der Candacis, die den verkleideten Alexander in die Falle führt: Mîn zorn mih dar zô dwanc, / daz ih mih karte zô der want.64 In allen Fällen ist es die Begrenzung des Willens, die für den Herrscher als nicht hinnehmbare Ehreinbuße aufgefaßt wird. Traditionell aber ist Zorn konstitutiver Bestandteil des Kampfes.65 Er ist schon nach antiker Auffassung die Tugend des tapferen Kriegers,66 die Alex59 Ricken, Aristotelische Interpretationen zum Traktat De passionibus animae, S. 133. 60 Bartlett, Die Geburt Europas, S. 79–132. 61 Straßburger Alexander, V. 1031f.; vgl. V. 499 (Philipp), 1581, 1647 (Dareius), 4322 (Porus) und 6187 (Alexander). 62 Ebd., V. 1031f. er verlôs dâ manigen tûren kneht. / vil zurnic wart er dô. Ebd., V. 1330f. Vgl. 1375–1385. dâ geschît er abe mit zurne, / wandime dâ leides vil gescach. Ebd., V. 1336f. Und nach verlustreicher Schlacht gegen Amenta verwüstet Alexander das Land: sêre rach er sînen zorn, / wander hete verlorn / di kûnen Macedones. Ebd., V. 2181–2183. Zur Theorie, daß Zorn auch Effekt von Trauer (Leid, Geringschätzung) darstellt, vgl. Ricken, Aristotelische Interpretationen zum Traktat De passionibus animae, S. 133–136; vgl. Hildegard von Bingen, Causae et curae, S. 146. 63 von zorne begunder roten / vor ungemûte er nider saz. Straßburger Alexander, V. 996f. 64 Ebd., V. 6187f.; vgl. V. 491 (Lysias), 996f. (Tyrer), 4854 (Okzydrater). 65 Stein, Ein Weltherrscher als vanitas-Exempel […]?, S. 160; Haupt, Alexander, die Blumenmädchen und Eneas, S. 5f.; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 203–208. 66 Ricken, Aristotelische Interpretationen zum Traktat De passionibus animae, S. 128.

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ander wie ein Bär gegen eine Übermacht von Angreifern mobilisiert. In der Schlacht in Bedrängnis geraten, erhält Alexander Hilfe von einem seiner Kämpfer, der dem gestürzten König Helm und Pferd verschafft: Dô Alexander wart lôs, dô spranc er ûf sîn ros. sîn gebêre daz was eislîch, sîn ougen wâren freislîch; dar umbe vorhte in manic man. dô er zime selbin wider quam, dô heter michelen zorn.67

Erst die Verbindung mit dem Pferd restituiert den Ritter. Nachdem Alexander sein Pferd wieder bestiegen hat, artikuliert sich seine heroische Haltung in Gebärde und Blick und zeitigt jene Auswirkungen auf seine Gegner, die einem Herrscher angemessen ist: Furcht. Die Rückkehr aus dem Selbstverlust setzt Zorn frei und die Vergeltung in Gang. Als exemplarischer Überwinder aller Widerstände ist der Herrscher Alexander zugleich das stärkste Tier, das denn auch wiederholt im Alleingang Schlachten entscheidet: Dô faht Alexander mêr dan ein ander. er hete grimmigen mût, alse der zornige bere tût, so in di hunde bestân: swâz er ir mit den clâwen mach gevân, dar ane richet er sînen zorn. der kuninc faht imer fore. er slûch ros unde man und alliz, daz ime zô quam an den berch und in daz tal.68

Woraufhin sich die Perser zur Flucht wenden. Nicht zufällig koppelt sich die Tiermetapher immer wieder an den Affekt des Zorns (ira bestialis), setzt dieser doch im direkten Kampf notwendig die Reflexion (list) außer Kraft. Auch das ist nur z.T. Resultat literarischer Topik, zugleich aber unerläßliche Haltung in der direkten Konfrontation im kontingenten Schlachtgeschehen. In der Tiermetaphorik wird nicht nur stereotyp das Affektpotential des Heros sichtbar, sondern auch die Hierarchie der Kämpfer. Immer wieder betont der Erzähler, daß Alexander seinen Soldaten zum Trost an vorderster Front kämpft. 67 Straßburger Alexander, V. 1811–1817. 68 Ebd., V. 2792–2802.

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IV. Literarische Fallstudien

Im ersten, politischen Teil des Romans ist Alexander durch ein ganzes Arsenal an heldenepischen Codierungen als das ›stärkste Tier‹ gekennzeichnet. Sie alle akzentuieren die Gewaltdynamik des Welteroberers, die alle Widerstände, angefangen von Sippe und Feudalverband über die engeren Berater bis hin zu ganzen Reichen – Griechenland, Persien und Indien – überwindet und offenbar durch kein natürliches Ziel gebremst werden kann. Das Animalische, in Aussehen, Affektäußerung, Waffe und Pferd deutlich markiert, steht hier als Chiffre für Durchsetzungsfähigkeit, die den Herrscher in seiner Besonderheit auszeichnet und Politik zum Demonstrationsfeld überlegener Energien macht.

1.2 Wilde Tiere und pastorale Alternative Die Vorauer Fassung von Lamprechts »Alexanderlied« endet mit dem Sieg über Dareius, so daß ihr Entwurf auf die politische und geschichtsphilosophische Dimension des translatio-imperii-Konzepts begrenzt bleibt.69 Der »Straßburger Alexander« dagegen setzt die Handlung mit dem Orientzug fort und bietet mit der »Epistola Alexandri ad Aristotelem« und mit dem »Iter ad Paradisum« eine ethnographische bzw. heilsgeschichtliche Ergänzung, in der in nicht geringem Umfang die Natur selbst zum Gegner und das Paradies zum Zielort der Handlung wird. Thematisiert wird hier vor allem die synchrone Dimension der Heilsgeschichte, die der deutsche Text bereits im ersten Teil durch die wiederholte Identifizierung heilsgeschichtlicher Orte angedeutet hatte.70 Der Zug Alexanders durch den fernen Osten vollzieht sich in den volkssprachigen Fassungen nicht mehr als Kampf gegen Barbaren, auch bewegt er sich weniger als Eroberungszug denn als ethnographische Erkundung von fremden Lebensformen und Wundern. Dabei trifft der Welteroberer in einer locker gefügten Episodenreihe abwechselnd auf wilde und zivilisierte Räume, von denen letztere zusammen mit dem Paradies ein Gegengewicht zum Eroberungsethos des ersten Teils darstellen. Dem Expansionsprogramm werden ›politische‹ und kulturelle Alternativen gleichermaßen eingeschrieben, die als Enklaven in einem offenbar weitgehend wilden Raum lokalisiert sind: Okzydrater, Blumenmädchen, Amazonen, Candacis, Paradies. Erst im zweiten Teil des Romans tritt neben der politischen Perspektive auch deutlicher die höfische hervor. Es sind aber vor allem die wilden Zwischenräume, die Alexander immer wieder in Konfrontationen mit Tieren führen. »Das kriegerische Moment wird in diesem Teil des Romans verlagert auf die Ebene des 69 Strohschneider, Vögel, Flußübergänge, S. 87f. 70 Friedrich, Überwindung der Natur, S. 136; vgl. Cizek, Ungeheuer und magische Lebewesen, S. 78–94.

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Animalischen und Monströsen.«71 Ab diesem Zeitpunkt ist das Animalische auf Seite der Gegner zu verorten. Bereits die Konfrontation mit dem indischen König Porus führt einen neuen Typus von Gegner ein. Die Instrumentalisierung von Tieren zu Kriegszwecken muß für Lamprechts Rezipientenkreis außerordentlich gewesen sein, denn der Text widmet den indischen Kampfelefanten ganz besondere Aufmerksamkeit. Der Erzähler bietet eine kleine ›Naturgeschichte‹ des Elefanten, für die auf das Makkabäerbuch der Bibel und auf enzyklopädische Informationen zurückgegriffen wird, um Eigenschaften, militärische Nutzung und Schwächen der Tiere vorzustellen.72 In der Kooperation von Mensch und Tier begegnet Alexander zum ersten Mal einem besonderen Gewaltpotential, dem weniger Gewalt als List entgegengesetzt wird. List erweist sich neben Heroismus als konstitutiver Faktor von Alexanders Kriegsführung, bleibt indes ausschließlich auf taktische Maßnahmen beschränkt: mit listiclîchen sachen hiez der hêre machen êrîne bilede, gescaffen alse helide. enbinnen wâren si hol und wâren kriechisches fûris vol. mit den bilden hiez er laden manigen îsenînen wagen […].73

Hatte sich Alexander bereits früher erfolgreich als ›Ingenieur‹ der Kriegstechnik (Belagerungsturm, Brücke) betätigt, so konstruiert er hier eine künstliche Kriegswaffe. Gegen die Instrumentalisierung des Tiers zu Kriegszwecken wird mit diesen Protoautomaten eine technische Antwort gesetzt. Krieg erweist sich damit nicht nur als ein Feld von unmittelbarer Gewaltdemonstration, sondern auch von überlegenem Wissen. Dô Darius was begraben / und Porus irslagen, / Alexander fûr in ein lant, / daz was Occidratis genant.74 Mit solch hartem Übergang leitet der Erzähler die Begegnung Alexanders mit den genügsamen Okzydratern ein und gibt ein kleines Exempel ethnographischer Differenzerfahrung. Gegenüber der lateinische Tradition des Archipresbyter Leo oder der »Historia de preliis« bietet der »Straßburger Alexander« einleitend eher die distanzierte Beschreibung einer Mangelsituation. Nicht die bedürfnislosen Weisen werden hier gegen die zivilisierte Dekadenz moralisch ins Feld geführt, vielmehr wird 71 Haupt, Alexanders Orientfahrt, S. 290. 72 Straßburger Alexander, V. 4328–4385; Hatto, The Elephants in the Strassburger Alexander, S. 399–429. 73 Straßburger Alexander, V. 4392–4399. 74 Ebd., V. 4762–4765.

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IV. Literarische Fallstudien

zunächst aus der Sicht einer politischen Kultur der defiziente Zustand einer pastoralen Existenz beschrieben. Ärmlich und nackt lebend, Höhlen bewohnend, dem natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht unterworfen und ohne jegliche Memorialkultur wird die Lebensform der Okzydrater sichtbar negativ qualifiziert: si lebent jemerlîche.75 Analog zur zeitgenössischen Ansicht über die pastorale Lebensform versammeln sich auch hier die entsprechenden Argumente und unterstellen eine tiernahe Existenz. Von daher ist es vielleicht nicht ganz zufällig, daß eine kurze Passage im Rahmen der einleitenden descriptio akzentuiert wird, die die pastorale Lebensform unterstreicht: ir vihe unde ir wîb / di sint von in gescheiden / an di breiten heiden.76 Zu Beginn der Episode dominiert eine politische Perspektive, die die Okzydrater sogar in die Regeln einer Feudalkultur einbindet: Sie besitzen einen König und sind, wenn auch primitiv, mit Ziegenknochen bewaffnet; sie schicken Boten mit Geschenken und kommen Alexander sogar ehrend entgegen. Die kulturelle Differenz wird auch auf der politischen Ebene inszeniert, die überdies noch durch leichte Akzentverschiebungen in der Argumentation unterstrichen wird. Neben dem Hinweis auf die Nutzlosigkeit materieller Erwartung verweist der Brief der Okzydrater aus einer spezifisch feudalen Perspektive auf fehlende Bewährungschancen.77 Der Quietismus der Okzydrater erscheint hier zunächst ohne großen theologischen Argumentationshintergrund, so daß Alexander stärker sein aktives Lebensprinzip behaupten kann. In solch einer Darstellung erkennen sich sowohl der überlegene Herrscher wie auch der kultivierte Kleriker wieder. Und doch erhalten auch die Okzydrater ihr starkes Argument, wenn sie ihre Existenz sub specie aeternitatis rücken und Alexander auf seine Vergänglichkeit hinweisen. Der plötzliche Wechsel der Perspektive erklärt sich wie zahlreiche harte, aggregative Fügungen aus den verschiedenen symbolischen Ordnungen, die im Text miteinander konkurrieren. Erst durch die Bitte nach Unsterblichkeit erhält die pastorale Existenz jenen positiven Aspekt, wie er im zeitgenössischen Diskurs mit den Patriarchen verbunden wurde. Die politische und kulturelle Perspektive geht unvermittelt in eine ethische über.78 So werden auch hier gleichzeitig verschiedene Perspektiven gleich75 Ebd., V. 4766–4782, 4782; Stackmann, Die Gymnosophisten-Episode, S. 337–340, 338; Kugler, Das Streitgespräch zwischen Zivilisierten und Wilden, S. 66; Haupt, Alexanders Orientreise, S. 389f.; Friedrich, Überwindung der Natur, S. 127f. 76 Straßburger Alexander, V. 4779–4801. 77 Bereits Stackmann hat darauf aufmerksam gemacht, daß das Thema des Ruhms (V. 4801) ein Zusatz des volkssprachigen Bearbeiters ist. Stackmann, Die Gymnosophistenepisode, S. 338, 341. Auch gibt Alexander nicht mehr vor, auf Krieg verzichten zu wollen, sondern verteidigt selbstbewußt seine feudale Existenzform. 78 Auch kann der Wunsch der ›Elenden‹ nach Unsterblichkeit für den auf Ruhm hin orientierten Herrscher nur eine Provokation darstellen.

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berechtigt nebeneinander präsentiert. Es ist ein Kleriker, der einen fremden Stoff für das adelige Publikum aufbereitet. Während die politische Perspektive die Rückständigkeit der Lebensform in den Blick nimmt und dabei ihr eigenes Recht behauptet, akzentuiert das Argument der Sterblichkeit die religiöse Dimension des Treffens. Nicht wer letztendlich recht behält, ist entscheidend, sondern daß beide Positionen nebeneinander zur Geltung gelangen.79 An die Begegnung mit den Okzydratern schließt sich die »Epistola Alexandri« an, die von den Wundern Indiens erzählt und in der Alexander wiederholt auf widrige Naturkräfte trifft. Wie in der lateinischen Version gerät die Szene am Süßwassersee zu einer militärischen Auseinandersetzung mit zahlreichen Tieren, wobei stereotyp die verschiedenen Tierarten aufgelistet werden: Skorpione, Löwen, Eber, Elefanten, Schlangen und Affen, ergänzt durch sonderbare Affenmenschen, repräsentieren wilde Natur: freislîche tiere, deren Schrecken sich ins Unbegrenzte verlängert: dar nâh vil schiere / sah ih daz grûwelîchiste tier, / daz sint oder êr / ieman mohte gescowen […].80 Alexander trifft zudem auf Gewässer, Bäume und Vögel, die sich wundersam seinem Zugriff entziehen: In den Flüssen werden seine Soldaten verschlungen, der Versuch, die Bäume abzuernten, trägt die Züchtigungen einer unsichtbaren Macht ein, und die Annäherung an die Vögel zieht die Strafe des Himmelsfeuers nach sich.81 Die Natur nimmt sich nicht weniger als aggressive Macht wie als unzugängliches Reservoir aus, der gegenüber die Mittel politischer Macht (Heerzug, Krieg) in Anschlag zu bringen sind.82 Dort, wo es um die direkte Konfrontation mit dem Animalischen geht, triumphiert Alexander auch über die wilde Natur. Und doch zeichnen sich schon hier Zonen des Unzugänglichen ab. Im Anschluß an die Blumenmädchenepisode, in der Alexander auf einen friedlichen natürlichen Kulturraum trifft,83 nähert er sich einer Burg, vor der sich ein großer, scheußlich aussehender Mann postiert: der was freislîchen getân […] sîne hût was ime bevangen / al mit swînis bursten.84 Durch seine 79 Vor dem Hintergrund zeitgenössischer Psychologie stehen sich ein Strebevermögen, das sich passiv rezeptiv in seine Situation fügt (concupiscibilis), und ein iraszibles Vermögen, das aktiv Widerstände überwindet, gegenüber: d. h. in der Begegnung Alexanders mit den Okzydratern kann der Zeitgenosse die beiden natürlichen Grundvermögen des Menschen einander konfrontiert sehen. Nach Thomas von Aquin erstrebt das sinnliche Vermögen von Natur aus das Angenehme und rückt so in die Nähe des tierischen Vermögens, während das iraszible Vermögen, unter Schmerzen Widerstände zu überwinden, eine Teilhabe an der göttlichen Vernunft bedeute. Ricken, Aristotelische Interpretationen zum Traktat De passionibus animae, S. 130. 80 Straßburger Alexander,V. 5020–5023. 81 Ebd., V. 4955, 5116f., 5140f. 82 Haupt, Alexanders Orientfahrt, S. 290. 83 Haupt, Alexander, die Blumenmädchen und Eneas, S. 1–36; Friedrich, Überwindung der Natur, S. 129–131; Schlechtweg-Jahn, Macht und Gewalt, S. 81ff. 84 Straßburger Alexander, V. 5366f.

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IV. Literarische Fallstudien

Unerschrockenheit – daz liez er wol schînen – und durch sein herausforderndes Verhalten zeigt er wenig Respekt vor den Griechen, insbesondere mangelt ihm jene Eigenschaft, auf die Alexander bereits im Gespräch mit den Okzydratern sich berufen hatte: mih noh mîne fursten / ne wolder nîwit forhten. / ime dûhte, daz er ne dorfte.85 Erneut schiebt sich die politische Perspektive in den Vordergrund, in der der Opponent durch sein statusminderndes Verhalten wahrgenommen wird. Tierische Attribute und ein gewaltbereites Verhalten machen diese Figur zu einem veritablen Wilden Mann, an dem Alexander ein spezifisches Interesse entwickelt. Da er keinerlei Reaktion zeigt, läßt er ein Mädchen vor ihn führen, mit dessen Hilfe, so fügt der Erzähler des »Straßburger Alexander« hinzu, die Macht der Minne auf den Menschen untersucht werden soll:86 ih wolde scowen dar an, ob wêre dihein man, dem di wîbis minne nit ne brêhte ûzem sinne.87

Alexander veranstaltet ein Experiment, das auf das affektive und auf das höfische Verhalten zielt. Unterliegt Alexander den Blumenmädchen auf friedliche Art, so mündet die Minneprobe an dem Wilden Mann in Gewalt und wilder Triebenergie, indem dieser das Mädchen raubt und im Wald verschwindet. Nur mit Mühe wird der Wilde vor Alexander gebracht, doch anders als in der »Historia de preliis« (J1) fehlt hier der Aspekt der Neugierde. Beschrieben wird nur die Bestrafung: ih hiez in brinnen in ein fûr.88 Die Begegnung erscheint ambivalent. Indem der Mann keine Furcht zeigt, erheischt er zwar Respekt, provoziert aber den Herrscher. Indem er andererseits affektiv-gewaltsam reagiert und die domestizierend wirkende Macht der Minne negiert, offenbart er seine subhumane Art. Das Minneexperiment dient der Probe auf die Zähmbarkeit des sonderbaren Wesens, das in Erscheinungsform und Verhalten zwischen Mensch und Tier angesiedelt wird. Das Fehlen von Sprache schließlich ist das letzte Indiz dafür, daß es sich hier nicht um 85 Ebd., V. 5375, 4881, 5370–5372. Zur Furcht als erwartetes Untertanenverhalten: Bumke, Höfische Kultur 1, S. 137. 86 Fisher interpretiert den Wilden Mann als Vorverweis auf Alexanders Schicksal: sein abruptes Ende trotz seiner heroischen Haltung vor allem aber als Vorverweis auf die Gefangennahme durch Candacis. Auch die Tiere, denen Alexander nach der Okzydraterepisode begegnet, interpretiert Fisher als Gegenfolie zu Alexanders weltlichen Errungenschaften. Fisher, Studies in the Demonic, S. 77–79. 87 Straßburger Alexander, V. 5383–5386; Heinrîch von dem Türlîn, Diu Crône, V. 8334– 8339, wird später formulieren: Swie Minne wil gebâren, / Wer mac ir des wider sîn? / Daz ist an manigem ende schîn, / Daz wir sîn vinden bilde. / Nieman ist sô wilde, / Sie habe in schiere gezamt. 88 Straßburger Alexander, V. 5407; Schlechtweg-Jahn, Macht und Gewalt, S. 82f.

»Straßburger Alexander«

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eine Konfrontation mit einem Menschen handelt: Seine Stimme ist freislîch, eines lewen stimme gelîch.89 Alexanders Handeln ist im Anschluß an die Blumenmädchenepisode gerade nicht durchgängig domestiziert, folgt vielmehr einem variablen Repertoir feudalen Herrschaftshandelns. Er sucht keinen Dialog. Tiere und Wilde unterliegen dem Machthandeln. Ohne Kommunikation vollzieht sich das Experiment an dem Wilden und mündet in einer exemplarischen Bestrafung. Herrscher oder Minnedamen dagegen erwecken vor dem Hintergrund feudaler und höfischer Rituale Respekt.90 Die feudale Welt zieht scharf die Grenzen zu einem Anderen, während die Begegnung mit dem Eigenen sogleich die Regeln der höfischen Etikette in Gang setzt.

1.3 Technische Unterwerfung: Das höfische Paradies Einen Fluchtpunkt der Orientreise bildet die Candacis-Episode.91 Wenn Alexander hier, am Rande der Welt, die Sprache seiner Heimat begegnet, schließt sich sein Erfahrungskreis. Die Begegnung mit Candacis inszeniert in der Folge ein ideales Bild höfischer Kultur.92 Der Vergleich mit anderen Fassungen hat vor allem die Intensivierung der höfischen Prachtentfaltung herausgearbeitet.93 Die zentrale Rolle der Frau wird durch einige Motive und Handlungszüge angedeutet. Candacis ist Herrscherin über ein phantastisch ausgestattetes Reich: Sie übersendet Alexander eine Reihe von Geschenken – dunkelhäutige Kinder, Elefanten, Panther, Leoparden, sprechende und singende Vögel, Edelhölzer und eine edelsteinbesetzte Krone. Der literarische Text adaptiert und steigert die politischen Ehrbezeugungen für den Welteroberer, wie sie für die Feudalgesellschaft überliefert sind. Die Geschenke repräsentieren den Status der Schenkenden. Die Abfolge von Menschen, vierfüßigen Tieren, Vögeln, Hölzern und Edelsteinen folgt der Ordnung der Natur und demonstriert schon im Vorfeld der Begegnung Herrschaft über die Natur. Als letztes folgt ein Einhorn, das im »Straßburger Alexander« ein signifikanter Zusatz ist.94 Das Tier gilt noch in der mittelalterlichen Naturkunde als Inbegriff der Wild89 Ebd., V. 5399f. Zur Sprachlosigkeit vgl. White, The Forms of Wildness, S. 16. 90 Zur Szene im Sonnenpalast vgl. Friedrich, Überwindung der Natur, S. 132f. 91 de Weever, Candace in the Alexander Romances, S. 529–546. 92 Haupt, Alexander, die Blumenmädchen und Eneas, S. 15. Anders Cölln, Arbeit an Alexander, S. 200f. 93 Szklenar, Studien zum Bild des Orients, S. 104–109; Brummack, Die Darstellung des Orients, S. 127–130. 94 Vögel, Erzählerische Bedeutungskonstituierung, S. 178. Die Basler Bearbeitung von Lamprechts »Alexander« gibt zusätzlich den Hinweis, daß das Einhorn durch eine Jungfrau gefangen wird. Basler Alexander, V. 3625f.

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IV. Literarische Fallstudien

heit, bezähmbar allein durch eine Jungfrau. Der Zusatz unterstreicht in signifikanter Form, wie eine bekannte, vor allem christlich wirksame Bildtradition für den höfischen Kontext genutzt und umfunktionalisiert wird.95 Das Einhorn illustriert hier die Gefangennahme des ›wilden‹ Heros durch eine vollkommene höfische Dame und etabliert neben Gewalt und taktischer List eine weitere Form der Überwindung des Wilden. Das ingenium höfischen Raffinements triumphiert über den kriegerischen Welteroberer. Die höfische Welt der Candacis demonstriert eine Herrschaftsform über die Natur, die sich über Kunst definiert. Die Innenausstattung bietet vornehmlich Abbilder der Realität: manicfaltec wunder. Sie präsentiert z. B. vergoldete Rundbögen mit Gravuren sowie Vogel- und Tierbilder in dem prächtigen Vorhang, der aber auch mit Abbildungen von Rittern und Frauen verziert ist.96 Komplizierte Beleuchtungstechniken bewirken überraschende Lichteffekte. Die mit Gold überzogene Inneneinrichtung steigert das natürliche Sonnenlicht und färbt einen mit Pigmenten versehenen Fluß golden. Kandelaber mit Karfunkeln, die Fackeln ersetzen, und rote Steine wirken wie Sterne und sorgen dafür, daß die Nacht keine Macht über den höfischen Raum gewinnt: des nahtes was dar inne tah.97 In all dem spiegelt sich eine Distanz gegenüber der Natur. Ihren Fluchtpunkt findet die Kultivierung von Natur in dem technischen Meisterwerk des rollenden Schlafgemachs, das von 36 Elefanten gezogen wird. Die Natur – Realien, Licht, Tiere, selbst ein Fluß – ist hier in den höfischen Raum integriert und als Repräsentationsmoment funktionalisiert. Schließlich wird im kunstvollen Tierautomaten die Natur vollständig technisch reproduziert und der höfischen Unterhaltung dienstbar gemacht:98 mitten in ir palas ein scône tier geworht was, daz was alliz golt rôt, alse siz selbe gebôt. daz tier was vil hêrlîch eineme hirze gelîch. an sîn houbit vorne hattiz dûsint horne. ûf allir horne gelîch stunt ein fugil hêrlîch. ûf dem tiere saz ein man 95 Schmidtke, Geistliche Tierinterpretationen, S. 269–272. 96 Bumke, Höfische Kultur 1, S. 153f. 97 Straßburger Alexander, V. 6087/5982; Friedrich, Überwindung der Natur, S. 134; Stock, Kombinationssinn, S. 123. 98 Zur Kemenate: Haupt, Die Kemenate der hochmittelalterlichen Burg, S. 129–145, 133– 135.

»Straßburger Alexander«

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scône unde wol getân, der fûrte zwêne hunde unde ein horn ze sînen munde […].99

Auch diese Szene findet sich nur im »Straßburger Alexander«. Der Automat dokumentiert nicht nur den Domestizierungsanspruch gegenüber der Natur, er verbildlicht auch eine technische Herrschaft über die natürlichen Vorbilder. Die Natur ist zu einem Kunstwerk geworden, das seinerseits aber wieder verlebendigt wird. Die technisch reproduzierten Lebewesen – Mensch, Hirsch, Hund, Vögel – werden durch ein System von Blasebalgen zum ›Leben‹ erweckt und produzieren Klänge und Düfte. Solch höfische Kunstwelt kann paradigmatisch geradezu als Gegenentwurf zur Blumenmädchenepisode gelesen werden. Aus Blumen wachsende Mädchen, die sich höfisch gebärdeten, tanzten und im Einklang mit den Vögeln sangen, hatten Alexander und seine Soldaten in eine friedliche Minnezeit versetzt.100 Entworfen wurde ein natürlicher Kulturraum, der festliche Elemente – Farben, Gesang – von Natur und Kultur vereinigte und die höfische Kultur in den Stand versetzte, zumindest vorübergehend ein positives Naturverhältnis programmatisch ins Bild zu setzen. Nicht zufällig wird solche Minnetopik mit dem Paradies assoziiert.101 Im höfischen Raum gilt es als höchste Leistung, die Natur durch die Kunst zu substituieren. Kunst aber umfaßt im mittelalterlichen Verständnis noch Technik und Magie gleichermaßen.102 Was im Palast der Candacis auf seine technischen Bedingungen hin durchsichtig gemacht wird, wird in anderen volkssprachigen Erzählungen auf magische Ursachen zurückgeführt. Im »Lanzelet« des Ulrich von Zatzikhoven findet sich die Beschreibung eines Minnezeltes, auf dem ein Adlerautomat plaziert ist und auf dessen Wänden allerlei Vögel abgebildet sind, die anfangen zu singen, sobald Wind an das Zelt rührt: ieglîchez sanc nâch sîner art.103 Diese Reminiszenz an die Genesis ist nicht zufällig, denn der Erzähler selbst greift auf die Paradiesassoziation zurück: ez was ein irdisch paradîs.104 Die höfische Welt entwirft sich als Pendant zu theologischen Vorstellungen vom Paradies, und das Moment 99 Straßburger Alexander, V. 6001–6014. 100 Ebd., V. 5157–5358; Haupt, Alexander, die Blumenmädchen und Eneas, S. 1–36; Friedrich, Überwindung der Natur, S. 129–131; Tomasek, Die Welt der Blumenmädchen, S. 43–55. 101 Jansen Enikels Paradiesbeschreibung akzentuiert gerade diesen Aspekt natürlicher Freude und aufgehobenen Zeitgefühls: noch kan sô süezez niht ensîn, / als diu kleinen voglîn / singent dâ ir süezen sanc. / dâ von diu zît ist niht lanc, / wan tûsent jâr ist ein tac, / wan ez niht süezer wesen mac. / heiâ wie mangen süezen dôn / singent diu kleinen voglîn schôn / hie bî uns in dem paradîs! Jansen Enikels Weltchronik, V. 619–627. 102 Kieckhefer, Magie im Mittelalter, S. 118–122. 103 Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet, V. 4780–4805, 4894; Friedrich, Contra naturam, S. 92. 104 Ulrich von Zatzikhoven, Lanzelet, V. 4836.

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IV. Literarische Fallstudien

der Machbarkeit ist ihr entscheidendes Differenzkriterium. Noch in Konrads von Würzburg »Partonopier und Meliur« findet sich eine, indes durch Magie konstruierte höfische Ideallandschaft, von der der Erzähler erstaunt konstatiert: wart ie kein irdisch paradîs / in den rîchen anderswâ, / sô wart von im ouch einez dâ / beschouwet, als ich hoere jehen.105 Der Alexanderroman mündet in der Candacis-Episode in einen Raum technischer Exklusivität, in der die Kunst sich zwar weiterhin an der Natur orientiert – ars imitatur naturam –, sie aber doch in ideale Entwürfe steigert. Automaten wie der vorgestellte – Bäume, Lauben, Weinreben etc. – finden sich in zahlreichen höfischen Romanen jener Zeit.106 Sie spiegeln das Selbstverständnis der höfischen Welt, die sich gerade durch die stilisierte Distanz zur Naturwelt definiert. Hier, in der befriedeten höfischen Enklave, bleibt die Wirkung der Maschinen auf ästhetische Momente begrenzt, dient sie der mûze und dem spil. Domestizierung und Kultivierung von Natur betreffen in diesem Kontext auch die Herrschaft über die Affekte. In diesem Rahmen trifft die vorliegende Interpretation mit der Beobachtung Haupts zusammen, daß Alexander in der Candacis-Episode einer Disziplinierung unterworfen ist. Aber nicht nur Alexander. Affekthandeln wird hier programmatisch durch ein diplomatisches und zeremonielles Handeln ersetzt. Disziplinierung kennzeichnet auch das Ritual des höfischen Festes: Die Beschreibung des Banketts folgt den Topoi höfischen Zeremoniells, von der Organisation der Dienerschaft und der Musik, dem Auftreten der Jungfrauen und ihrer geschmückten Kleidung über deren Tanz bis hin zum repräsentativen Hofgang der Herrin. Ihr gehen eine Anzahl Zwerge voraus, die – in Seide gekleidet – wieder ganz nach dem Muster höfischen Raffinements die Exklusivität der Szene akzentuieren: vor si gingen getwerge […] di wâren alle wol gezogen.107 Hier, am Ende der Welt, ist es eine Sonderform von Menschen, die den Glanz der Herrscherin steigern hilft, indem sie die Domestizierung des aus dem Maß Fallenden anzeigt. Die Natur, wie sie in dieser Episode letztlich in Erscheinung tritt, ist die unterworfene, dienstbar gemachte und kultivierte Natur. Damit ist als Gegenbild zur Naturreligion der Okzydrater eine Position erreicht, die vollkommene Herrschaft über die Natur reklamiert und in ihrer künstlichen Verarbeitung die Natur allein als mimetisches Vorbild noch gelten läßt. Der Begriff ›Wunder‹, zunächst auf die seltsamen Phänomene der Natur bezogen, dient hier stereotyp zur Beschreibung des höfischen Glanzes. Die zahlreichen Zusätze, 105 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 2330–2333. 106 Vgl. den goldenen Baum mit singenden künstlichen Vögeln in Konrads von Würzburg »Trojanischem Krieg« (17560–17624). Bumke, Höfische Kultur 1, S. 18–20; Okken, Das Goldene Haus; Bruce, Human Automata in Classical Tradition, S. 1–16; Hammerstein, Macht und Klang, S. 157–174, 167f. 107 Straßburger Alexander, V. 6063–6065.

»Wolfdietrich A«

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die den »Straßburger Alexander« gegenüber anderen Überlieferungsträgern auszeichnen – Einhorn, Wandteppich, Automat, Festschilderung –, sind also keineswegs dysfunktional. Nicht im Rahmen der Handlungslogik, sondern in bezug auf die Inszenierung höfischer Kultur als Gegeninstanz zur Natur besitzen sie einen funktionalen Status. Weniger als vanitas-Exempel oder als Sündenfall wird hier die Episode entworfen, obgleich sie mittelalterlichen Autoren so lesbar gewesen sein mochte, sondern eher als ideale Selbstdarstellung der höfischen Kultur. Wie in dem idealen Reich des Priester Johannes mit seinen vollkommenen Menschen und perfekten Automaten imaginiert die höfische Kultur im »Straßburger Alexander« ihr ›künstliches Paradies‹ im fernen Osten, sogar in enger Nachbarschaft zum irdischen Paradies.108 Gegenüber der Unzugänglichkeit des letzteren entfaltet das künstliche Paradies den Spielraum zivilisatorischer Aktivitäten – techne –, auf die der Mensch verwiesen bleibt. Weder motivisch (Schröder) noch strukturell (Haug) dient daher die abschließende Zurückweisung vor dem Paradies der gänzlichen Relativierung alles Vorhergehenden. Skizziert die Naturwelt der Okzydrater zu Beginn der Orientfahrt eher einen zu überwindenden Mangelzustand der Natur, so entwirft die Blumenmädchenepisode demgegenüber einen Kulturzustand der höfischen Freude in Abhängigkeit vom Naturrhythmus, sozusagen ein natürliches Paradies auf Zeit. Erst in der vollkommen höfischen Kunstwelt von Meroves triumphiert die höfische Kultur über die Natur: über wilde Tiere, über die Nacht und über die Affekte.109

2. Der monströse Heilsbringer: »Wolfdietrich A« 2.1 Germanisches Tierkriegertum? Der »Wolfdietrich« bietet einen bevorzugten Ort, Problemkonstellationen mittelalterlicher Herrschaftslegitimation in alternativen Fassungen zu verhandeln. Der Text ist in vier verschiedenen Redaktionen überliefert, deren Ursprung z.T. trotz später Überlieferung ins 13. Jahrhundert datiert wird, de108 Der Priester-Johannes-Brief lokalisiert das Reich im Osten, in einer gesteigerten idealen Naturregion, die noch unter dem Einfluß des benachbarten Paradieses steht. Der Priester Johannes, S. 1015–1028; Melville, Herrschertum und Residenz, S. 9–73. Friedrich, Zwischen Utopie und Mythos, S. 73–92. 109 Johannes von Mandeville wird später eine ähnliche, allerdings negative, parataktische Beziehung zwischen ›künstlichem‹ Paradies (Der Alte vom Berge), irdischer Hölle (Wunderliches Tal) und irdischem Paradies herstellen. Sir John Mandevilles Reisebeschreibung, S. 158ff. Friedrich, Überwindung der Natur, S. 136.

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IV. Literarische Fallstudien

ren stoffliches Sagensubstrat vermutlich noch weiter zurückreicht.110 Vom Handlungsverlauf bietet der Text, der auch als Abenteuerroman bezeichnet worden ist, die Geschichte eines Brüder- und Erbschaftskonflikts, der sich sichtbar im Spannungsverhältnis christlicher und archaischer Werthorizonte entwickelt. Die mythen- und sagengeschichtliche Forschung hat erhebliche Bemühungen aufgewandt, um ein archaisch germanisches Mythensubstrat aus dem Geschehen herauszufiltern.111 Vorausgesetzt wurde die christliche Überformung eines ursprünglich germanischen Entwurfs, dessen Kern dann durch Eliminierung offensichtlich christlich codierter Partien rekonstruiert und durch parallele Sammlungen germanischer Motive gestützt wurde. Danach legt der »Wolfdietrich« Zeugnis ab von einem frühen germanischen ›Tierkriegertum‹, das seinerseits im kultischen Brauchtum verankert gewesen sein soll.112 Erst im Zuge der Rezeption des Stoffes werde dieses ›Tierkriegertum‹ christlich eingebunden. Neben dem mythen- und kultgeschichtlichen Zusammenhang ist für Wolfdietrichs wilde Kindheitsgeschichte dann auch der Kontext einer europäischen Werwolftradition herangezogen worden.113 Einem zentralen Verfahren der Mythen- und germanischen Substratforschung wird mittlerweile aber berechtigte Skepsis entgegengebracht: zum einen dem methodischen Prinzip, aus Textüberlieferungen umstandslos auf historische Faktizität zu schließen, zum andern, divergierende Überlieferungen auf einen gemeinsamen Kern abzugleichen und diesen als verifizierbares historisches Faktum zu nehmen.114 So problematisch die Suche nach dem mythischen Substrat eines Urwolfdietrich wie auch die Einbettung in eine Werwolftradition methodisch angesehen werden mag, so unübersehbar trägt der Held der Fassung A offensichtliche Züge von Animalität, die der Erklärung harren. Der Text läßt sich, auch in der Abfolge seiner verschiedenen Redaktionen, geradezu als eine Verhandlung überkommener Konzepte feudaler Animalität lesen, die einer christlichen Haltung entgegenstehen und in einem komplizierten Aneignungspro110 Kuhn, Art. ›Wolfdietrich‹, in: VL 4 (1953), Sp. 1046–1049; Schneider, Germanische Heldensage I, S. 344–361; Ders., Die Gedichte und die Sage von Wolfdietrich; Wisniewski, Mittelalterliche Dietrichdichtung, S. 149–166, 153; Tobler, Der Leib als Spielfeld, S. 137–156. 111 Neumann, Die Geschichte des Wolfdietrich, S. 346–358; Lange, Drachenkampf, S. 82– 106; Höfler, Ursprung der Heraldik, S. 134–200; de Vries, Die Sage von Wolfdietrich, S. 1–18; Scheludko, Versuch einer neuen Interpretation, S. 1–49; Baecker, Die Sage von Wolfdietrich, S. 31–82. 112 Lange, Drachenkampf, S. 104. Lange beruft sich auf Höflers Thesen einer altgermanischen »Raubtierdämonie«. Ebd. S. 84. Die Wolfsgeschichte und der Wolfsname gelten der sagengeschichtlichen Forschung als älteste Schichten. Scheludko, Versuch einer neuen Interpretation, S. 4. 113 Kratz, Von Werwölfen, S. 20. 114 Vgl. Frieds Kritik an der Forschung zur Königserhebung Heinrichs I., dessen drei zentralen, aber divergierenden Überlieferungsträgern »eine Schnittmenge an Historizität« unterstellt wird. Fried, Die Königserhebung Heinrichs I., S. 299f.

»Wolfdietrich A«

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zeß usurpiert werden. Das zentrale Problem besteht in der Synchronisierung von christlicher und feudaler Symbolordnung. Die verschiedenen »Bärensohnmotive«, wie die animalischen Züge Wolfdietrichs genannt werden, sind keineswegs »blinde Motive« bzw. »mitgeschleppter stofflicher Ballast«,115 sondern gehören zum Bestand tradierter feudaler Identitätsmuster, gegen die sich entweder die christliche Interpretation des Stoffes zu behaupten hat oder umgekehrt, die sich ihrerseits der christlichen Auratisierung bedienen. Die Konzentration auf die Sagengeschichte vernachlässigt sichtbar die Ebene der Narration. Zwar versammelt der Text eine Fülle von tradierten Motiven, auch ist der Erzählverlauf durch eine Reihe von Inkonsistenzen geprägt, es zeigt sich aber, daß derartige syntagmatische Kohärenzbrüche durch den Rekurs auf paradigmatische Rahmenbedingungen verstehbar werden.116 Es markiert den besonderen Status des Helden in Fassung A, daß dieser sich an einer Reihe von Tieren zu bewähren hat. Das Animalische ist zumindest auf der narrativen Oberfläche vielfältig verankert:117 im monströsen Körper des Helden, in jugendlicher Gewaltartikulation, im Namen, auf der Waffe, im Pferd, schließlich im Kampf gegen wilde Tiere. Weniger aber als historisches Substrat eines Tierkriegertums denn als Ausdruck einer symbolischen Ordnung, d. h. als imaginäres Selbstbild des Adels, fungieren die unterschiedlichen animalischen Zeichen und verhandeln auf je eigene Art den Status der Gewalt in der Feudalgesellschaft. Zwar gibt es durchaus historische Indizien auf spezifisch germanische Tierkulte, doch überwiegt in epischer Überlieferung bei weitem der Stilisierungswille des Feudaladels. An die Stelle der Frage nach der zugrundeliegenden historischen Realität hat daher diejenige nach der kulturell geformten Wahrnehmung von Wirklichkeit, d. h. diejenige nach der symbolischen Ordnung zu treten. Der »Wolfdietrich A« erzählt die Geschichte eines christlichen Zöglings in einer feindlichen heidnischen Umgebung. Im Königreich Konstantinopel erwartet die Königin in Abwesenheit ihres Mannes ein Kind. Eingespannt zwischen zwei Dienstmänner, Berhtung von Meran als Repräsentant treuer Gefolgschaft, Graf Saben als Vertreter intriganter Mächte, entfaltet sich eine Handlung, die das Schicksal des ›problematischen‹ Kindes thematisiert. In seinem Werben um die schwangere Königin verstoßen, fädelt Graf Saben eine Intrige gegen die Königin ein, die die Illegitimität der Geburt suggeriert. Der König Hugdietrich beschließt, aufgebracht durch den Verdacht, den ›Bastard‹ zu beseitigen und zwingt seinen Getreuen Berhtung unter Todesdrohungen zur Umsetzung des Plans. Doch gegen alle Widrigkeiten steht das Kind unter 115 Baecker, Die Sage von Wolfdietrich, S. 44. 116 Andreas Kraß bietet eine paradigmatische Lektüre des Wolfdietrich B, in dem auch die Opposition Mensch-Tier behandelt wird. Kraß, Der bastardisierte Ritter, S. 169–171. 117 Kratz, Von Werwölfen, S. 18f.

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IV. Literarische Fallstudien

dem Schutz der Taufe und bleibt selbst unter einem Rudel wilder und hungriger Wölfe unversehrt. Der potentielle Mörder wandelt sich zum Retter, und Wolfdietrich, so heißt der Knabe hinfort, wächst am Rande der Gesellschaft, in der Wildnis auf. Zwar gelingt in der Folge die Aufdeckung der Intrige und damit die Rehabilitierung von Mutter und Kind, doch hält die Sippe weiterhin Distanz zu dem sonderbaren Zögling. Er erhält seine Erziehung auf der Burg des Grafen Berhtung, und seine Brüder versagen ihm nicht nur sein Erbteil, sondern machen sich auf, ihn auszulöschen. Derart isoliert bricht Wolfdietrich nach verlustreichen Kämpfen auf, um Hilfe von König Ortnit zu holen, von dessen Tod er nichts weiß und in dessen noch ungelöste Aventiurebahn er gerät. Unterwegs nach Lamparten durchquert Wolfdietrich Regionen der Wildnis und begegnet Tieren, Räubern und Monstern. Der Text der vermutlich älteren Handschrift A bricht vorzeitig ab, so daß allein die stark abweichenden Nachbarfassungen einen Schluß auf den weiteren Gang der Handlung erlauben. Demnach erweist sich Wolfdietrich im Nachvollzug der aventiuren Ortnits, in einem finalen Drachenkampf, schließlich als paradigmatische Erlöserfigur.

2.2 Ausgrenzung monströser Gewalt Der »Wolfdietrich A« erzählt die Geschichte eines Helden, der gegen alle Versuche einer sozialen Ausgrenzung unter einen metaphysischen Schutz gestellt worden ist. Er konfrontiert gewissermaßen kontingente feudale Gewaltmuster mit providentiellen Schutzmechanismen. An dem in Abwesenheit des Vaters zur Welt kommenden Kind haftet qua Intrige der Makel der Illegitimität. Die im feudalen Kontext immer wieder thematisierte politische Gefährdung des Gemeinwesens bei Abwesenheit des Königs, etwa durch Intrige oder Aufruhr, findet ihr genealogisches Komplement in nicht kontrollierbaren Schwangerschaften, die in agnatisch ausgerichteten Sozialgefügen traditionell Verdacht erwecken. Vom Vater verstoßen, im Wald ausgesetzt und von Tieren und Monstern bedroht, wird das Kind sogleich aus der Normalform adeliger Sozialisation herausgerissen und dem typischen Narrationsmuster einer gefährdeten Heroenexistenz ausgesetzt. Doch anstelle pastoraler Fürsorge (Paris) und adeliger Entelechie wird die Isolation sozial und christlich bewältigt. Wenn Wolfdietrich allein unter dem Schutz seines Taufhemdes, seiner Mutter und seines Getreuen Berhtung steht, wird die gestörte Solidarität der familia in metaphysischen, genealogischen und feudalen triuwe-Beziehungen – Gott, Mutter, Vasall – aufgefangen. Der Text zeichnet im Hintergrund des Geschehens ein komplexes Bild von den politischen Rivalitäten innerhalb des feudalen Sippenverbandes: Verdächtige Genealogie, der Vorwurf mangelnder Adelsart und Herrschaftsriva-

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lität mit Vater und Brüdern gleichermaßen machen aus dem legitimen Königssohn einen Außenseiter. Die politische Welt des Hofes, das suggeriert der Text, ist durch Intrige und Gewalt gekennzeichnet,118 und es sind eine ganze Reihe konstitutiver Begleiterscheinungen feudaler Machtpolitik, die in diesem Kontext verhandelt werden: 1. monströse Körperlichkeit, 2. genealogische Illegitimität, 3. animalische Signatur. Der Platz des Heros im Feudalverband scheint prekär zu sein. Unterstützt wird der Verdacht des Außerordentlichen vor allem durch die sich früh ankündigende Monstrosität des Kindes: dô gap man im durch liebe brôt in sîne hant: / swelch hunt im aber daz zucte, den warf er an die want.119 Nicht zufällig konkurriert bereits das Kind mit einem Tier, wohl nicht zufällig auch auf der Ebene der Ernährung, ist sie doch die primäre Ebene der vis naturalis, der Nahrung und des Wachstums, die der Mensch prinzipiell mit den Tieren und Pflanzen teilt. Gerade über die Ebene einer überlegenen Physis aber legitimiert der Feudaladel traditionell seinen Herrschaftsanspruch.120 Heroen tragen die Signatur einer exorbitanten Körperlichkeit und noch die topische Beschreibung von Herrschern folgt diesem Muster. Doch anstatt genealogisch fundiert zu sein, wird sie im Falle Wolfdietrichs auf eine metaphysische Mitgift zurückgeführt. Ein Einsiedler, der den Knaben tauft, verleiht ihm die besondere generische Kraft.121 Wolfdietrich kann einerseits zwar genealogisch legitim auf den heidnischen Hugdietrich zurückgeführt werden, andererseits stattet der Einsiedler das Kind aber durch das Taufhemd mit einem Kraftpotential aus, das um eine jährlich wachsende Mannesstärke zunimmt: ›ez wirt in sînem alter ein ungefüeger man‹122 Sichtbar wird das heroische Muster durch ein legendarisches übercodiert.123 Bei seiner ersten Vorstellung bei Hof im Kreise der Kinder Berhtungs überragt der Knabe denn auch bereits seine wesentlich älteren Gefährten.124 Eben nicht als reine 118 Handlungsentscheidungen werden im Text privilegiert durch Gewalt- und Todesdrohungen erzwungen: Königin-Saben (Str. 17); Hugdietrich-Berhtung (Str. 54f.); Berhtung-Torwächter (Str. 79); König-Königin (Str. 156); Königin-Pfaffe (Str. 204). 119 Wolfdietrich A, Str. 38,3f.; Kratz, Von Werwölfen, S. 18. 120 Sie bildet das feudale Komplement zur eher gelehrten Legitimation qua überlegener ratio, die früh einsetzt, aber mit der Aristotelesrezeption im 13. Jahrhundert mächtigen Auftrieb erhält. 121 ich wil im ie zem jâre eines mannes sterke geben: / von der gotes gâbe wirt er fünfzic jâr alt / und fünfzic manne sterke hât sîn lîp gewalt. Wolfdietrich A, Str. 31; Kratz, Von Werwölfen, S. 24. 122 Wolfdietrich A, Str. 29. Baecker verweist auf die paradoxe Konstellation dieser metaphysischen Ausstattung. Baecker, Die Sage von Wolfdietrich, S. 38. 123 Zum legendarischen Motivhintergrund vgl. Scheludko, Versuch einer neuen Interpretation, S. 8–10. 124 der lengist und der groezist, der undr in allen stât! / Die andern sint dîn dienest unde ouch mîniu kint, / diu wol in niun jâren über in elter sint. / sô wol hât er gewendet sîniu kleinen jâr, / daz er sich mit in allen roufen wol getar. Wolfdietrich A, Str. 233–234.

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Naturkraft wie bei Alexander, sondern als vermittelte providentielle Ressource erhält Wolfdietrich seine monströse Kraft. Spielt die frühe Konkurrenz mit dem Tier auf das feudale Körperkonzept an, so führt die alternative metaphysische Erklärung zu einer ersten christlichen Usurpation feudaler Identitätsmuster oder umgekehrt. Die Substitution läßt sich vor allem an der Funktion des Taufhemdes ablesen, bietet dieses doch zugleich auch militärischen Schutz: Swenn erz in strîte füeret, sô ist sîn lîp gesunt. / von deheiner slahte wâfen wirt er nimmer wunt.125 Damit erfüllt das Hemd aber nicht nur einfach Rüstungsfunktion, sondern substituiert darüber hinaus jene in der zeitgenössischen Epik immer wieder beschworene Unverletzlichkeit der göttlich bzw. animalisch imprägnierten Rüstung. Der Heros wird hier nicht durch eine metaphysische Rüstung geschützt wie Aeneas,126 auch nicht mythisch durch die Natur imprägniert wie Sîvrit127 oder durch eine natürlich gesteigerte Technik wie Alexander u. a., sondern durch einen tiefer und näher an der Haut liegenden metaphysischen Schutz.128 Die christliche Usurpation feudaler Gewalt operiert vor dem Hintergrund fest eingeschliffener Profilierungsmuster feudaler Waffenmythen. Auf die frühzeitigen Proben überlegener Naturkraft reagiert die Hofgesellschaft indes nervös; sie sieht der Entwicklung des Kindes mit Sorge entgegen: Swer dô des kindes sterke bî der schoene ane sach, der segente sich durch wunder: ze dem künege maneger sprach diu wort, als man dâ sprichet, diu gar unnütze sint: ›her künec, nu heizt in toeten: er ist des übeln tiuvels kint. Ir sult daz gelouben, erst von dem tiuvel komen. wâ solte er dise sterke anders hân genomen? laest du den tiuvel wahsen, dir wirt dâ von sorge bekant: kumt er ze sînen jâren, er verderbet liute unt lant.‹129

Imaginiert wird die Bedrohung eines Unholds, der das Land zu verwüsten droht. Schon hier zeichnet sich die Ambivalenz des Heroischen nicht nur aus christlicher Perspektive ab. Körperliche Auszeichnung und Bedrohung liegen auch innerhalb des feudalen Gesellschaftsgefüges eng beieinander. Ge125 Ebd., Str. 30. 126 Vgl. die Rüstung des Vulcanus bei Heinrich von Veldeke. 127 Auf die Ersetzung von Sîvrits Drachenhaut durch das christliche Taufhemd hat Friedrich Neumann hingewiesen. Neumann, Zur Geschichte des Wolfdietrich, S. 350; Baecker, Die Sage von Wolfdietrich, S. 43. Neumann versucht indes vergeblich, in der Geschichte Wolfdietrichs die Urgeschichte Sîvrits wieder zu entdecken. 128 Zur »Personalität der Oberfläche« im Kontext heldenepischer Einkleidung allgemein vgl. Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 243–248. 129 Wolfdietrich A, Str. 40–41.

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genüber dem allwissenden Erzähler aber verortet die direkte höfische Umgebung die Gefahr im herkömmlichen, christlich inspirierten Erklärungsmuster: Wolfdietrich gilt als ein Kind des Teufels. Die dämonologische Perspektive prägt hier selbst die Heiden, die indes nur ihrer genuinen Rivalität Ausdruck verleihen. Das traditionelle und nun auch christlich abgeleitete Heilszeichen des Heros, seine monströse Kraft, wird im politischen Kontext zum dämonischen Unheilszeichen.130 Die Intrige des Grafen Saben und die äußerliche Abnormität des Kindes nähren einen ungeheuren Verdacht, der den König zu der Aussage verleitet: ›Er sol riuten unde bouwen, von arte ist daz sîn reht. wer liez im sîn künicrîche? er mac niht küneges kneht gesîn mit sînem lîbe: er hât niht küneges muot. er sol in dem walde liute morden umbe ir guot.‹131

Anders als das höfische Umfeld gibt Hugdietrich eine politische Erklärung. Für den König repräsentiert Wolfdietrich nicht den Teufel, sondern eine Art gebûre, einen Gewalttätigen, der seinen legitimen Platz am Rande der Gesellschaft zugewiesen erhält. Vor dem Hintergrund einer Korrespondenz von Körperbau und inneren Eigenschaften, wie sie die Physiognomik vertritt, schließt Hugdietrich bei aller äußeren Schönheit auf die nicht adelige art des Kindes.132 Dahinter steht ein politisches und nicht ein heroisches Modell von Herrschaft. Der Herrscher sieht nicht nur einen potentiellen Rivalen heranwachsen, er spricht ihm überdies aufgrund seiner nicht adeligen art, d. h. seiner Körperlichkeit, die Qualifikation zur Herrschaft ab. Herrschaft setzt nach mittelalterlicher politischer Theorie zuallererst Selbstbeherrschung voraus, und diese ist nicht nur Produkt von Erziehung, sondern auch Resultat adeliger Abkunft.133 Es ist die Dominanz der ratio, die Repräsentanz von Vernunft an der Spitze – caput – des staatlichen Organismus, die feudale Herrschaft als zentrales Instrument der Politik sich zuschreibt. Die monströse Körperlichkeit Wolfdietrichs stellt aber dieses Prinzip vorab infrage und verweist auf jene Basis politischer Konkurrenz, mit der innerhalb des Feudal130 Ein später Text aus dem 15. Jh., das »Meerwunder« aus dem Heldenbuch, entwirft genau jene bedrohliche Existenzform eines animalisierten Helden dämonischen Ursprungs: Das kint zoch man gar lobesam, / pis es zu zwelff iaren kam; / do nam es zu mit krafte, / das nymant mocht vor ym bestan, / vil manig werder kuner man / der wart von ym gestrafte, / das ider man den teuffel floh / und seinen grimen zoren; / wer sich mit vechten gen ym zoch, / vnd der must sein verloren; / dar vmb so floch in iungk vnd alt: / er wolt den kungk vertreiben von seinen landen mit gewalt. von der Hagen, Der Helden Buch II, Str. 14, S. 223. 131 Wolfdietrich A, Str. 65. 132 Vgl. Albertus Magnus, Commentarii in octo libros politicorum Aristotelis I,3, S. 27: […] quin monstrum in corpore sit etiam monstrum in anima et morum dispsitione. 133 Vgl. den Fürstenspiegel des Aegidius Romanus (De regimine principum) und die »Secreta secretorum«.

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systems immer zu rechnen war: gewaltgestützte Rivalität.134 Indem der Text das Gewaltprinzip, das wiederholt die Handlung befördert, auch auf den König ausdehnt, wird der Hof von Konstantinopel als eine gestörte politische Ordnung ins Bild gesetzt.

2.3 Christliche Codierung archaischer Muster Der Leser/Hörer aber weiß bereits, daß die physische Absonderlichkeit des Königssohns providentiell abgesichert ist. Das Kind hat frühzeitig die Taufe erhalten, die in der Folge einen zuverlässigen Schutz gegen alle Gefahren des Lebens garantieren soll. Schon der erste Versuch, das Leben des Kindes auszulöschen, konfrontiert den potentiellen Mörder sowohl mit der Begrenztheit seiner Machtmittel wie mit einem wundersamen Erlebnis. Der mit dem Mord beauftragte Berhtung von Meran vermag weder selbst Hand an das Kind zu legen – ihm versagt der Arm – noch wird das ausgesetzte Kind Opfer wilder Tiere. So verhält sich ein Rudel Wölfe überraschend friedlich: undr in allen ez dâ saz. / sô sat wart iegelîcher, daz er des kindes niht enaz:135 Swaz wildes ezzen niuzet, daz mac wazzers niht enbern. genas daz kleine kindel, des muoste ez got gewern. zuo dem brunnen liefen lewen bern wiltswîn: mitten under dem gewilde saz daz kindelîn. Swaz wildes wazzer wolte, ze jungest kam geloufen in starkem hungers gîte, der hunger twanc si sêre

daz muoste et allez dar. der wolve ein michel schar als man si loufen siht. und tâten dem kinde niht.

[…] Si sâzen zeinem ringe umb daz kint ûf daz gras. Berhtunc durch daz wunder hin nâch geslichen was. er sprach ›nu muoz ich schouwen, daz ich noch nie gesach: mich wundert daz die wolve dir tuont kein ungemach.‹ Diu ougen in ir houpten brunnen alse ein kerzenlieht. der arme was ein tôre und vorht sîne vînde niht.

134 In einer Gesellschaft bewaffneter rivalisierender Haushalte basiert Herrschaft nicht unerheblich auf Gewaltpotentialen, auf exekutiver Durchsetzungskraft. Systemtheoretische (Luhmann, Staat und Staatsraison, S. 67), diskursanalytische (Foucault, In Verteidigung der Gesellschaft, S. 37–57), geschichtsphilosophische (Czerwinski, Das Nibelungenlied, S. 58–62) Ansätze kommen hier zu dem gleichen Befund. 135 Wolfdietrich A, Str. 101.

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er gienc ze iegelîchem wâ er ir liehtiu ougen

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und greif im mit der hant, in ir kopfen vant.

Swes er mit in begunde, des muostens im vertragen. sus gienc er undr in umbe, unz ez begunde tagen. swelher sich sîn dâ werte, den sluoc er daz er dâ lac. der wunder lacht dô Berhtunc die naht unz an den tac.136

Entworfen wird eine Situation höchster Gefährdung, die die Spannung auf die Spitze und die Lösung an die Grenze der Wahrscheinlichkeit treibt. Diese Variante erhält ihre Signifikanz vor allem vor dem Hintergrund der benachbarten Fassungen. Basierte die Verbindung des Heros mit dem Reich des Animalischen in B auf einer rein kontingenten Beziehung,137 erlaubte Fassung C in bezug auf die Wolfsepisode zumindest den Schluß, daß das Kind hier von den Wölfen ernährt wurde.138 Gegenüber diesen eher mythischen Varianten steigert Fassung A die Wolfsszene zu einem Dokument höchster Providenz.139 Gewissermaßen gegen ihre Natur verschonen die Tiere den zukünftigen Heros. Die Überlegenheit des jugendlichen Helden über die Tiere ist aber ein Stereotyp heldenepischen Erzählens.140 Anders aber als der klassische Heros partizipiert das Kind in dieser Szene nicht an den Kräften der Natur. Die drei Fassungen repräsentieren damit unterschiedliche Modelle von Herrschaftslegitimation: eine mythische der Kontiguität, eine diätetische der animalischen Sozialisation und eine metaphysische des providentiellen Schutzes. Auch wenn der Schutz des Kindes in Fassung A allein providentiell motiviert wird, so schreibt der Name, den Berhtung von Meran dem Kind aufgrund dieser Erfahrung geben wird, das Ereignis in Person und Biographie des Heros ein: ›Ich weiz wol daz diz zeichen von guoten dingen vert, daz du under disen wolven den lîp hâst ernert. ân dînes vater willen wirst du noch ein künic rîch: nu muost ouch immer mêre heizen der Wolf hêr Dietrîch.‹141

Zwar orientiert sich die Namengebung an bekannten Mustern feudaler Denotation und Konnotation – der Held erhält einen Tiernamen –, doch wird 136 Ebd., Str. 99–104. 137 ez heizet Wolfdietrîch, durch daz manz bî den wolven vant. Wolfdietrich B, Str. 225. Das Überleben des Kindes wird hier natürlich durch die Blindheit der Welpen erklärt. 138 Mit wilder nâtûre spîstens den degen hie. Wolfdietrich C, II,16. Baecker sieht die Sozialisationsprägung durch die Wölfe als einen frühen Überlieferungsstand an. Sie muß indes mit dem Widerspruch leben, daß nicht Fassung B und C, sondern Fassung A die meisten »Bärensohnmotive« bewahrt, deren eigentliche Basis indes, die Sozialisation unter Wölfen, aber anders erzählt. Baecker, Die Sage von Wolfdietrich, S. 44. 139 Vgl. Scheludko, Versuch einer neuen Interpretation, S. 11. 140 Lange, Drachenkämpfe, S. 104. Vgl. Sîvrit, Hagen und Achill. 141 Wolfdietrich A, Str. 113; Scheludko, Versuch einer neuen Interpretation, S. 2.

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gerade damit der feudale Namenmythos subvertiert: Nicht als substantielle Beziehung zwischen Name und Denotat, sondern als Zeichen der memoria an eine providentielle Erfahrung, d. h. als Heilszeichen, funktioniert die Namengebung. Das feudale Muster wird christlich übercodiert und mit einem anderen Sinn versehen, eine dritte Form der christlichen Adaptation. Und doch, trotz aller Providenz verbindet der Name genealogisches – Dietrich – und animalisches Moment und verwischt damit die Grenzen. Auch wird das Kind kein Heiliger oder Märtyrer, sondern eine feudale Erlöserfigur, ohne den providentiellen Hintergrund selbst wahrzunehmen. Der Text schichtet gewissermaßen genealogisches Namenszeichen, animalische Signatur und providentielle Legitimation übereinander. Und in der Folge wird der Held die verschiedenen Daseinsbereiche auf seine Art angehen.

2.4 Gewaltpotential und feudale Zucht Das monströse Kind des Hugdietrich wird von Berhtung von Meran einem wildenaere übergeben,142 in dessen Hütte die Jäger des Königs zu übernachten pflegen. So wächst es schemagerecht am Rande der zivilisierten Welt auf, um aber desto ungehinderter seine außerordentlichen Eigenschaften auszubilden. Wenn Wolfdietrich später nach erfolgter Konfliktbereinigung zurück an den Hof kommt, ragt er nicht nur körperlich gegenüber den älteren Söhnen Berhtungs hervor: ›nu seht wâ er dort gât, / der lengist und der groezist, der undr in allen stât!‹143 Stolz erwähnt Berhtung auch die Not der Zieheltern: ein armman in zôch, / den er vil harte roufte, daz er z’ walde vor im flôch. / swenn er in iht erzurnte, er sluoc im einen slac, / swann er in mohte erlangen, daz er vor im lac.144 Es entspricht gleichfalls einer Inversion des traditionellen ElternKind-Verhältnisses, wenn die Zieheltern das Kind überglücklich wieder hergeben. Vom Vater verstoßen, von den Wölfen ignoriert und gegenüber den Zieheltern gewalttätig: Dem Heros werden alle Formen sozialer Einbindung versagt. Die Herauslösung Wolfdietrichs aus der väterlichen genealogischen Reihe erfolgt aber nicht nur von Seiten des Vaters. Die Wiederbegegnung mit dem Vater führt auch auf Seiten des Helden zu einer ›Abstoßungsreaktion‹: Sîn vater wolte in triuten, er was im liep genuoc: daz kint in niht erkande, den vater ez von im sluoc und stiez im mit dem fuoze ein ungefüegen stôz: ›jâ kumst du nimmer mêre‹ sprach der vater ›ûf mîne schôz.‹145 142 143 144 145

Wolfdietrich A, Str. 115. Ebd., Str. 233. Ebd., Str. 235. Ebd., Str. 237; Miklautsch, Väter und Söhne, S. 166.

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Heroen, die ihre eigene Gewaltdynamik nicht unter Kontrolle haben, gefährden die höfische Welt. Der König befördert infolgedessen mit witzen die Entfernung des bedrohlichen Gewaltpotentials.146 Zum einen fühlt er sich an den Eid gegenüber seiner Frau gebunden, das Kind werde dereinst selbst ein Königreich erringen, sei also auf ein Erbe nicht angewiesen. Zum andern überläßt Hugdietrich die Erbfolge nun dem Gewaltprinzip: Er will Wolfdietrich nur ritterlich ausrüsten, und gebent im sîne bruoder niht swaz im rehte sol, / und ist er danne biderbe, er gewinntz in abe vil wol.147 Damit wird aber Wolfdietrich zur Inkarnation eines politischen Prinzips, nach dem Durchsetzungsfähigkeit über sozialen Erfolg entscheidet. In seiner Gestalt verkörpern sich sozialer Erfolg und soziale Bedrohung gleichermaßen. Das Kind wird zur Erziehung seinem Mentor Berhtung von Meran übergeben. Die Befürchtungen der Höflinge indes bestätigen sich im Laufe des Erziehungsprozesses: er lachete vaste dicke sînes hêrren site, daz er in der bürge niemen niht vertruoc, daz er sô manegen starken roufete unde sluoc. Ouch wart er in der bürge sô frevel und müelîch, daz si alle wâfen schriuwen über den Wolf Dietrîch. swenn in hêr Berhtunc wolte umb sîn ungefüege slân, sô muosten si in immer rehte binden unde vân. Als si in ouch gebunden, sô sluoc er in ze fromen: des muoste er der ungefuoge deste schierer abe komen. er sluoc in harte dicke, die slege im tâten wê. swaz er im ouch verlobte, daz brach er nimmer mê.148

Wolfdietrich wird alles andere als eine höfische Erziehung zuteil. Weder wird geschildert, wie er zu körperlichen Leistungen prädestiniert ist, noch wie zu höfischen Kunstfertigkeiten. Allein die Darstellung seines Gewaltpotentials und dessen Brechung durch Gewalt, durch Fesselung und Schläge, steht im Vordergrund der Jugendgeschichte. In der Immanenz des Sozialverbandes wird zum Problem, was andererseits als providentielle Mitgift ausgegeben wird. Wie der Heilige seiner angestammten Umgebung entrückt wird, so auch der Heros, wobei sie in unterschiedlichen Registern des Verhaltens verortet werden. Bei allem providentiellen Schutz ist Wolfdietrich kein Heiliger, und doch teilt er mit diesem – indes auf anderer Ebene – zeichenhafte Anlagen und die daraus resultierende Außenseiterrolle. Zwar erfolgt die Ein146 Wolfdietrich A, Str. 241, 245. 147 Ebd., Str. 246. 148 Ebd., Str. 252–254.

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IV. Literarische Fallstudien

bindung in den Sozialverband durch Gewalt, doch mit dem Ergebnis absoluter Loyalität. Berhtung von Meran fungiert als getreuer Vasall seines Herrn und als Erzieher des heranwachsenden Fürsten. Feudale triuwe und Rationalität bestimmen durchgängig sein Handeln. Die narrative Funktion Berhtungs besteht nicht nur darin, Gegenspieler des verräterischen Saben zu sein, den klugen gegenüber dem intriganten Ratgeber abzugeben, sondern auch darin, Disziplin und Klugheit an seinen Zögling zu vermitteln. Weniger durch Schläge erzieht der getreue Vasall das Kind als durch eine Reihe von Dialogen, in denen er politische Rationalität vermittelt, die seinem Herrn Hugdietrich abging. In dem Double Berhtung und Wolfdietrich wird die positive Seite von Herrschaft – Gewaltpotential und Klugheit – ins Bild gesetzt, im Double Saben und Hugdietrich die negative.

2.5 Parameterwechsel: Feudale Gesellschaft – Wildnis Die Belagerung durch seine Brüder faßt Wolfdietrich als verligen auf. Dem Hinweis Berhtungs auf seine Unreife – ›swelch vogel ze fruo fliuget ûz dem neste sîn, / dem mac wol misselingen: als geschiht dir, hêrre mîn‹ – kontert Wolfdietrich mit dem Ausdruck heroischen Bewährungsdrangs: ›der sterkist und der lengist ich undr iu allen bin:‹149 Ohnehin wird die Geltung des Sprichwortes durch die providentielle Mitgift in Frage gestellt, wird die Naturwahrheit durch eine höhere Instanz aufgehoben. Erneut wird aber auch metaphorisch die animalische Bezugsebene aufgerufen, die den Helden in den Kontext überlegener Gewaltdemonstration stellt. Hilfe gegen seine Brüder läßt sich allenfalls von Ortnit erhoffen. Doch Berhtung rät von dem beschwerlichen Weg nach Romanîe (421) ab. Der Raum ist nicht nur durch eine unwegsame Landschaft und den Mangel an Kultivierung gezeichnet, offenbar untersteht er noch der Herrschaft der Tiere: ›gelîche den vihes herden dâ gênt die wilden leun.‹150 Gerade hier aber, in der Gewaltkonkurrenz mit Tieren, fühlt sich der Heros herausgefordert: ›du maht mir‹ sprach der junge ›von tieren niht gedreun.‹151 Wolfdietrich formuliert hier geradezu einen Wechsel heraldischer Identifizierung, wenn er von den ihm nunmehr von Berhtung angebotenen Waffen des Vaters insbesondere den Schild zurückweist: ›den schilt man entriuwen an mîm halse nimer gesiht. / war umb solt ich den füeren? mir wart sîn ampt noch niht.‹152 Statt am verwei149 150 151 152

Ebd., Str. 409–410; vgl. 402. Ebd, Str. 422. Ebd. Ebd., Str. 424.

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gerten genealogischen Zeichen orientiert sich Wolfdietrich entsprechend seiner Anlagen lieber an der Natur: ›Ein schilt kius ich mir selbe‹ sprach der junge man. ›ich wil durch übermüete elliu wilde tier bestân. man vermisset sîn doch lützel, swelhez dâ wirt erslagen. swelch sich wert aller lengist, des sigel wil ich tragen. Ich wil des swern eide, daz ich durch sîne êre wil sîn genôzen helfen

oder ich gelige tôt, immer mêre ûz aller nôt und wil in triuwe swern.‹153

Hier nun artikuliert sich feudales Gewaltethos sui generis. Der jugendliche Heros bindet seinen Bewährungsdrang explizit an die animalische Ebene der Jagd. Sichtbar setzt er damit gegen die väterliche Genealogie eine der Natur verhaftete Eigenmächtigkeit. Als deren demonstratives Zeichen wird Wolfdietrich später einen Löwen im Schild tragen. Das Gewaltethos des Heros legitimiert sich hier nicht über die Genealogie, es setzt vielmehr den Herrschaftsanspruch über die wilde Natur voraus. Aus der Bedrohung innerhalb der Gesellschaft wechselt Wolfdietrich in die Wildnis, die Sphäre des Animalischen; entsprechend verändert sich mit dem Abschied von den Getreuen die Raumsemantik. Die Wildnis bietet offenbar den letzten Raum zur Bestätigung seiner heroischen Qualitäten. Die Gefahren der Gesellschaft werden durch diejenigen der Natur abgelöst, wenn der Weg der Rettung durch die Wildnis führt. Diese offenbart sich aber zunächst als Fortsetzung der Isolierung des Helden, wenn es zur Konfrontation mit den wilden Tieren gar nicht kommt. Zugleich wechselt der Gegnertypus, denn der jugendliche Kampfeifer des Helden stößt ins Leere: do versuochte er vil des wildes durch sînen tumben sin: / vil gerne het ers bestanden, deheinz bestuont aber in.154 Das ist das Gegenteil von Konfrontation. Schon dadurch ist aber angezeigt, daß gegenüber der Providenz die herkömmlichen Mittel der Auseinandersetzung versagen und das heroische Muster der Bewährung unterlaufen wird. Konsequent wird Wolfdietrich im weiteren Verlauf sukzessive seiner ritterlichen Attribute entkleidet. Orientierungslos, müde und hungrig versagen ihm und seinem Pferd die Kräfte, er legt seine Rüstung über einen Ast, geht zu Fuß neben seinem erschöpften Pferd, er versucht vergeblich, es gewaltsam anzutreiben und trägt schließlich selbst dessen Sattel: sô liep was im sîn Valke, daz er den satel truoc. / Dô bant er in vil vaste ûf den rucken sîn.155 Der 153 Ebd., Str. 425–426; Zips, Das Wappenwesen, S. 368, 563f.; Miklautsch, Väter und Söhne, S. 168f. 154 Wolfdietrich A, Str. 453. 155 Ebd., Str. 460–461. Vgl. 457, 459, 460.

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IV. Literarische Fallstudien

bis in die Arbeitsteilung mit seinem Pferd reichende Niedergang des Ritters markiert gleich zu Beginn seiner Aventiurefahrt einen Tiefpunkt seines Bewährungsstrebens. Auf einem Anger an der Küste angekommen, entschläft der Held, so daß ein ungehiurez wîp ihm mit dem Schwert noch das letzte Attribut ritterlicher Existenz raubt.156 Die Wildnis erweist sich immer deutlicher als eine Sphäre nicht zu greifender animalischer Kräfte: Tiere, Wilde Frau, als letztes wird ein Drache folgen.157 Im Raum der Wildnis greifen aber die vertrauten Regeln sozialer Interaktion nicht. Doch auch hier codiert Fassung A auf eigene Art um. Fassung B stilisiert die rauhe Else bekanntlich ganz in der Tradition der Wilden Frau zum Inbegriff animalischer Wildheit: Animalische Physiognomie, Fortbewegung auf allen vieren und sexuelle Nötigung korrespondieren mit der Raumsemantik der Wildnis und bilden das wilde Komplement zur disziplinierten höfischen Dame.158 Dagegen wechselt die Wilde Frau in Fassung A vom scheinbar bedrohlichen Monster zur Helferfigur, auch dies eine christliche Umcodierung des wilden Musters: Aus der Meerfrau verwandelt sie sich in eine schöne Königin, therapiert Ritter und Pferd, weist den Weg und gibt Ratschläge. Was in der Deutung des Namens sich zeigte, wiederholt sich im Entwurf der Wilden Frau: der Wechsel von dämonischer Bedrohung zur paranatürlichen providentiellen Helferinstanz. Die Konfrontation mit einem Löwen, der sich verzweifelt gegen einen Drachen wehrt, führt erneut die heraldische Entscheidung vor Augen: dô hôrte er zehant vor im in dem walde ein freislîchen sturm, den vaht ein lewe wilder, daz ander was der wurm. Dô fuorte er an dem schilde dô sach er dort den wilden ›mac ich dir niht gehelfen, deich dich nie mêre gemâlet

den lewen von golde rôt. stân in grôzer nôt. ich wil dir widersagen, an mînem schilte welle tragen.‹159

Die heroische, an der natürlichen Gewaltkonkurrenz orientierte Haltung wird indes durch eine stärkere Kraft übercodiert. Nach Berhtungs Warnung vor der Aventiurefahrt hatte die Mutter Wolfdietrich das Taufhemd überreicht, das ihn in zukünftigen Gefahren beschützen soll. Der traditionelle 156 Ebd., Str. 470. 157 Nach Rekonstruktion aus den Fassungen B,C und D. 158 Hempen, Grenzüberschreitungen, S. 18–30, 19f. Anders als in Fassung A wird Wolfdietrich in B selbst zum Wilden Mann, überschreitet »zudem die Grenzen zwischen Mensch und Tier« (S. 22). Vgl. Bartra, Wild Men in the Looking Glass, S. 67; Tobler, Der Leib als Spielfeld, S. 145–150. 159 Wolfdietrich A, Str. 600–601.

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Wertekanon des Feudaladels wird durch den religiösen substituiert. Gegen den Wurm, Inkarnation dämonischer Kraft, reicht denn auch Wolfdietrichs Eigenmächtigkeit nicht mehr aus. Schon bei der Annäherung an das Ungeheuer schläft er ein und wird nur durch den mutigen Einsatz seines Pferdes gerettet: Das Pferd reißt sich los, schlägt mit dem Huf auf Wolfdietrichs Schild und wendet sich schließlich selbst gegen das Ungeheuer.160 Ez leit von dem wurme vil ungefüege nôt: daz sult ir gelouben: vil nâch was im der tôt. er begunde im zerren sîn vil schoenez vel: doch was ez in den zîten vil küene unde snel. Ez het den wurm grôzen verre dan getriben.161

Auch im »Wolfdietrich« bilden Ritter und Pferd eine Einheit, und die Krise wird durch die Trennung inszeniert. Um sein schwächelndes Pferd hatte Wolfdietrich sich bereits früher gekümmert und damit die Substitution der Eigenschaften vorbereitet.162 Er teilt mit ihm die Zauberwurzel: Ez wart zehant versuochet, sîn ros wart wider starc. / In einem frechen muote vant er aber sîn marc.163 Im Kampf gegen den Wurm aber kann das Pferd als Repräsentant des Adels schlechthin sogar für seinen Herren eintreten: Kühnheit, Schönheit, Gewandtheit werden als Kennzeichen erwähnt. Anders als Sîvrit oder der animalisch imprägnierte Alexander und auch anders als der höfische Ritter bildet Wolfdietrich eine Schnittstelle zwischen Natur und Kultur. Die christliche Vereinnahmung der heroischen Perspektive zeichnet einen Helden, der zum einen noch deutlich in der Tradition des alten Typus’ steht: Überragende Körperlichkeit, jugendlicher Affekthaushalt, Name, Jagdethos, heraldische Signatur und Tierkämpfe dokumentieren ein Changieren animalischer Bezüge zwischen Innen und Außen, vor dem die Gesellschaft in die Reserve geht. Die soziale Exklusion wird indes durch eine metaphysische Garantie aufgefangen, die allerdings die bekannten naturalen Potentiale in den Dienst nimmt. Wolfdietrich ist kein Heiliger, kein Märtyrer, sondern ein providentiell ausgestatteter Erlöser, der sich sowohl innerhalb des sozialen Rivalitätsparadigmas behauptet wie auch gegenüber der als wild aufgefaßten äußeren Natur. Die Grenze heroischer Leistungsfähigkeit wird indes im Drachenkampf aufgezeigt. Dort, wo dämonische Kräfte walten und zwar in Tiergestalt, dort geraten die animalischen Potentiale an ihre Grenzen, dort ist der metaphysische Beistand des Taufhemds vonnöten. Auf komplizierte Art codiert der Text die feudalheroischen Voraussetzungen für 160 161 162 163

Ebd., Str. 586–587. Ebd., Str. 588–589. sô liep was im sîn Valke, daz er den satel truoc. Ebd., Str. 460. Ebd., Str. 503.

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IV. Literarische Fallstudien

Herrschaft um: Sie sind nicht mehr allein naturfundiert, sondern providentiell gestiftet. Von daher stellen sich dem Heros andere Verantwortlichkeiten als Sippe und Feudalverband, die in Rivalitätskämpfen sich ergehen. Gerade auch im Fluchtpunkt der Handlung, im Drachenkampf, überlagert sich feudale Rachehandlung mit stellvertretendem Kampf gegen das Dämonische. Heroische und christliche Perspektive laufen parallel.

3. Mimesis und »Tierwerden«: »Eckenlied« und »Nibelungenlied« »Eckenlied« – »Nibelungenlied« 3.1 Individueller Untergang: »Eckenlied« Das »Eckenlied« erzählt die Geschichte einer gescheiterten Herausforderung und ihr sich anschließenden Rachehandlungen. Man hat den Text als eine harsche Kritik heroischer Exorbitanz gelesen,164 aber auch als einen Kasus, in dem zentrale Werte der feudalen Gewaltkultur aus der Perspektive des Heroischen, Höfischen und Christlichen kontrovers verhandelt werden.165 Das Verhältnis von Gewaltethos und Ethik wird in komplexer Form durchgespielt, so daß konstitutive Aporien feudaler Existenz sichtbar werden. Da die offene Struktur der aventiurehaften Dietrichepik Elemente des höfischen Romans adaptiert, kollidieren Konfliktstrukturen mit und ohne Option auf Versöhnung. Die Widersprüchlichkeit des »Eckenliedes« liegt nicht zuletzt darin begründet, daß es zwei antagonistische Heldenmodelle verbindet. Es konfrontiert die endlose Dynamik des Heros mit dem sozial integrierten Ritter und bringt sie an ihm zum Stillstand. Es wäre zu leicht, die Konfrontation ethisch zu vereindeutigen und Dietrich allein zum Korrektiv Eckes zu stilisieren, gewissermaßen die Ethik das Artusromans auf das »Eckenlied« zu projizieren. Indem zwei Heldengeschichten gegeneinander geführt werden und eine moralische Bewertung von Seiten des Erzählers entfällt, zeigen sich zwei Ausprägungen der mythischen Bahn des Helden: Zwar tritt Dietrich in dem Riesen Ecke seinem Antitypus gegenüber, Ecke aber ist weder der exorbitante Held, noch geht Dietrich ungebrochen im Modell des christlichen Ritters auf. Noch in Eckes hartnäckiger Weigerung, sich zu unterwerfen, werden elementare Werte der feudalen Herrschaftsauffassung verteidigt, deren zentrales Kriterium darin besteht, nur den Stärksten zu prämieren.166 164 Zum Begriff der Exorbitanz vgl. von See, Held und Kollektiv, S. 1–35, hier S. 22f. 165 Egerding, Handlung und Handlungsbegründung im Eckenlied, S. 397–408, hier S. 407f. 166 Friedrich, Unterwerfung, S. 155–158.

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Das Prinzip des Stärksten ist aber in den beiden Opponenten in einer geradezu mythischen Weise verkörpert, zum einen in Eckes exorbitanter Gestalt, zum andern in Dietrichs sprichwörtlichem Zorn.167 Bei aller Differenz ist der Erzähler auch bemüht, die beiden Kontrahenten einander anzunähern. Daß die Textgeschichte durchaus entgegengesetzte Optionen realisiert, zeigen die unterschiedlichen Fassungen des »Eckenliedes« mit ihren alternativen Schlußpartien. Während die Fassung e7 das Geschehen ethisch vereindeutigt, indem Dietrich am Ende in Jochgrimm als Retter gefeiert wird, arbeitet die Fassung e5 die Interferenzen der beiden Heldenmodelle heraus.168 Im »Eckenlied« streiten zu Beginn die drei Heroen Ecke, Vasolt und Ebenrot über den Rang Dietrichs von Bern,169 dem allgemein der höchste Ruhm attestiert wird. Schon die reine Fama höherer Ehre provoziert Ecke, zudem wird er von der Königin Seburg darin bestärkt, den Berner zu stellen und lebend zu ihr zu bringen. Als Lohn für die bevorstehende Aufgabe übergibt sie ihm die berühmte undurchdringliche Rüstung Ortnits. Erzählt wird ausführlich die Einkleidung des Riesen mit den Waffen. Nichts an der Rüstung ist aus Stahl, alles aus arabischem Gold.170 Gegenüber dem vorangehenden Gesprächsverlauf fokussiert sich das Interesse kurzzeitig ganz auf die Rüstung. Der repräsentative Akt der Ausrüstung stößt aber auf Probleme, da Ecke aufgrund seiner riesenhaften Gestalt auf das Pferd verzichtet: Si hiez im ziehen dar zehant das beste ros úber allú lant, das im dú waffen tr(ge. er sprach: ›das ros sol hie bestan, ich mag ze fůsse vil wol gan. jo bin ich ze ungef(ge: es trait mich doch die lenge niht mit aller siner krefte.171 167 Friedrich, Transformationen mythischer Gehalte, S. 275–297. 168 Die Episodenfolge des »Eckenliedes« erscheint nicht zwingend, wird in den verschiedenen Fassungen ergänzt, und zahlreiche Brüche in der syntagmatischen Motivierung sind konstatiert worden. Vgl. Bleumer, Narrative Historizität, S. 139–153. Zur These von der Umbesetzung einer heldenepischen Untergangsstruktur (NL) in eine personale vgl. Meyer, Zur Struktur des Eckenliedes, S. 175–183. 169 Heinzle, Mittelhochdeutsche Dietrichepik, S. 109–127; vgl. Bleumer, Narrative Historizität, S. 139–153; Brévart, Der Männervergleich im Eckenlied, S. 394–406. 170 Zwei goldene Beinschienen, Schuhe, ein mit Gold und Edelsteinen verziertes Schwert, einen Helm, hart wie Diamant, schließlich einen Schild, an dem tausend Schellen hängen. Eckenlied, Str. 30–33. 171 Eckenlied, Str. 34,1–35. Im »Daniel« des Strickers kommt der riesenhafte Bote des Königs Matur in einer eher verächtlichen Form herangeritten: er reit mit blôzen henden / ûf einer grôzen olbenden / diu getruoc in doch vil kûme. Stricker, Daniel vom Blühenden Tal, V. 427ff.

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Die Grenze höfischer Repräsentation wird durch Eckes exorbitante Gestalt überschritten, die nicht nur das Normalmaß menschlicher Physis sprengt, sondern auch das konstitutive Gefüge adeliger Kultur, die harmonische Verbindung von Ritter und Pferd, unterläuft. Damit ist aber zugleich das Thema des humanen und des höfischen Maßes, von Natur und Kultur, vorgegeben. Während Eckes riesenhafte Gestalt zwar menschliches Maß übersteigt, kaum aber in animalischen Signaturen mündet, wird der Idealritter Dietrich mit zahlreichen äußeren und inneren Tierzeichen ausgestattet. Physische Exorbitanz, Körpercodierung und Affektdispositionen sowie spezifische Opponenten im Kampf spielen in die Auseinandersetzung der beiden Helden das Thema des menschlichen Maßes ein. Die Qualität der Rüstung, die Ecke übergeben wird, steigert zum einen syntagmatisch die Dramatik der bevorstehenden Konfrontation, zum andern verweist die Rüstung paradigmatisch auf ein kulturelles Aussagefeld. Gehärtet wurde sie in Drachenblut, das ihr eine unvergleichliche Qualität verleiht.172 Die Beschreibung der Waffe evoziert mit Unverletzbarkeit den Grenzwert physischer Resistenz, die dem Menschen selbst genuin mangelt.173 Die Rüstung steht für ein Versprechen, das im epischen Kontext wiederholt beschworen wird.174 In der privilegierten Ausrüstung partizipieren die Helden an höheren Mächten, und sie verleiht ihnen eine über das Maß des Normalsterblichen hinausgehende Durchschlagskraft. Die Feudalkultur, die realiter der Gewalt mit all ihren grausamen Kontingenzen noch unmittelbar ausgeliefert ist, konstruiert sich ein Imaginäres, das die Heroen in die Nähe von Übermenschen rückt und das sich aus unterschiedlichen mythischen Räumen speist.175 Während Eckes physische und psychische Exorbitanz die Grenzen der Maßlosigkeit umspielt, wird von Dietrichs gewaltiger Körpergröße bewundernd gesprochen: ze solcher lenge so er hat, / so kan im niht genossen.176 Als Ecke auf seinem Weg zu Dietrich auf dessen letzten Gegner trifft, sieht er 172 »got welle dir dan den tot / under die brúnne senden, / so blibst du harte wol gesunt. / du maht von kainem waffen / da durch werden wunt.«, äußert Seburg. Eckenlied, Str. 33,9–13; Ploss, Wielands Schwert, S. 110–128; vgl. Hils, von dem herten, S. 62–75; Schrenk, Das Blut in der alten Heilkunde, S. 1–17; Schipperges, Blut in Altertum und Mittelalter, S. 17–44; Siebel, Harnisch und Helm, S. 77–79. 173 Anthropologische Theorien akzentuieren noch im Mittelalter dieses Defizit der conditio humana. Vgl. Pöhlmann, Der Mensch – das Mängelwesen?, S. 297–312. 174 Eneas’ göttliche Rüstung, Dietrichs Taufhemd, die Steinmagie von Feirefiz’ Rüstung, Wigalois’ Glücksgürtel, Hectors und Peleus Tierrüstungen, schließlich als ultimativer Grenzwert Sîvrits Drachenhaut, sie alle beziehen ihre besondere Qualität aus unterschiedlichen ›mythischen‹ Räumen. Vgl. Kap. III,1.4. 175 Die ›strahlende‹ Aura, die von Eckes und Dietrichs Rüstungen ausgeht, beutet den Gedanken der Epiphanie noch für die Erscheinung des Ritters aus. Rüstungen verwandeln die Helden geradezu in Lichtgestalten: den blik wir můsen vliesen. Eckenlied, Str. 61,8. 176 Ebd., Str. 60,7f.

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eine derart zerstörte Rüstung, daß er nur staunend äußert: ›enkain swert ez getůn enmak: / es hat getan von himel / der wilde dunrslak.‹177 Die »Stilisierung ins Übermenschliche, Halbmythische« eignet Heroen seit der Antike, und findet sich noch spurenweise in nordischen Heldensagen wie der »Atlakviða«.178 Zwar stammen die kontinentalen Epenhelden in der Regel nicht mehr von Göttern ab wie z.T. die antiken Heroen, doch zeichnet auch sie nicht selten eine Nähe zum Arkanen aus. Anstelle der Person wird indes häufig die Waffe zur Projektionsfläche physischer oder metaphysischer Auszeichnungen. Eckes Waffe besitzt eine Geschichte, die auf Ortnit und Wolfdietrich zurückgeht und die in einer Binnenerzählung ausführlich dargelegt wird. In Ortnit und Wolfdietrich werden zwei entgegengesetzte Exempel ins Bild gesetzt, die die klassische Aitiologie der Waffe unterlaufen. Während diese traditionell die Bedeutung der Waffe steigert, demonstriert die Wunderrüstung des »Eckenliedes«, so emphatisch sie auch eingeführt wird, eine doppelte Wirkungslosigkeit. Die Rüstung wird eingespannt zwischen einen mythischen und einen christlich codierten Raum: Drachennest und Kloster. Dem Versprechen der Allmacht folgt die Erfahrung elementarer Ohnmacht, so daß der ›Wunschform von Technik‹ sichtbar Grenzen gesetzt werden. Teilhabe an der Sphäre des Mythischen über Drachenblut bringt zwar eine außerordentliche Waffe hervor, schützt aber nur bedingt gegen dessen Macht, schon gar nicht gegen die der Transzendenz. Erzählt wird denn auch nicht die Erfolgsgeschichte der Waffe, erzählt werden signifikante Stationen ihres Versagens. Die beiden Exempel transportieren mehr als eine epische Vorausdeutung, sie stecken die Koordinaten für eine kulturelle Standortbestimmung des Heros zwischen geistlichem und mythischem Raum ab. Im »Eckenlied« wird am Verhältnis des Heros zu seiner Waffe die Selbstreflexion feudaler Identität als mythische Spannung von Animalität und Technik durchgespielt, erkennbar etwa am Phänomen des »Pferdemannes«, auf den Ecke gleich zu Beginn seiner Suche trifft.179 Do kert er mornunt in den tan. do sach der wunderk(ne man ain wunder zů im gahen, das was halp ros und halbes man; es trůk húrnin gew ffen an. als es im kam so nahen, ain gern fůrt es in der hant mit wunderlicher grimme,

177 Ebd., Str. 56,11–13. 178 von See, Was ist Heldendichtung?, S. 154–193, hier S. 177. 179 Zink, Eckes Kampf mit dem Meerwunder, S. 485–492; Peschel-Rentsch, Pferdemänner, S. 12–47.

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den schos es sa uf den wigant. vil grúlich was sin stimme, das der walt vil gar erdos […]. Her Egge, der degen also gůt, gewan ainen grimmen můt an den selben stunden. das das swert fůrt er mit der hant: er schriet im durch sin húrnin gewant aine starke wunden, das das merwunder tot viel nider an den stunden. […]. Hern Eggen wart von strite hais; da von im nider ran der swais. sin růwe dú was harte lank.180

Im Kentauren begegnet der pferdelose Riese nicht nur einem Repräsentanten der mythischen Gegenwelt des Hofes, sondern auch seinem komplementären animalischen Zerrbild. Die Funktion der Erzählsequenz realisiert sich zugleich auf einer paradigmatischen Bezugsebene: Im wilden Wald trifft ein aus dem Maß geratener Heros auf ein seine Grenze überschreitendes Tier. »Es ist also ebenso mißlich wie wichtig, daß die Einheit des Ritters in Mensch und Tier zerlegbar bleibt.«181 Der Kentaur, der einen Hornpanzer besitzt und Waffen trägt, das hat Dietmar Peschel-Rentsch gezeigt, steht als Zerrbild in der Mitte zwischen dem Riesen Ecke, den kein Pferd zu tragen vermag, und dem Musterritter Dietrich, auf den Ecke am Ende trifft und von dem es explizit heißt, daß er nur gegen Berittene antrete.182 Die Szene mag spätere Interpolation sein, syntagmatisch entbehrlich, doch zeugt ihr paradigmatischer Status davon, daß die Handlung auch im Spannungsfeld von Natur und Kultur sich aufbaut und auch von den Bearbeitern offenbar so aufgefaßt wurde. Die Szene hat ihr Vorbild im »Chevalier de Papegau«, in dem Artus selbst einen langen Kampf gegen einen Fischritter austrägt, der eine leibhaftige Identität mit seinen Waffen bildet: »Als Artus [nach dem Sieg] sich ihm nähert, stellt er fest, daß alles, Roß und Reiter, Helm, Schild und Waffen nur ein Wesen bilden – deshalb das Blut aus dem Schilde floß –, das von einer schwarzen

180 Eckenlied, Str. 52,1–55,3. 181 Peschel-Rentsch, Pferdemänner, S. 24; zur Szene allgemein bereits Jähns, Ross und Reiter II, S. 279. 182 Peschel-Rentsch, Pferdemänner, S. 23f. Hildebrant: ›[…] an úwer brúnne lit grosser flis: / sin milti sig verflůchet, / der ú si gab, des wil ich bitten. / in also richer w te soltont ir han geritten.‹ […] ›die raise solt ir han verlan‹ / sprach Hilthebrant dem jungen. / ›ir kent mines herren sitten: / er fiht mit denen, die sint geritten, / ir farent erst von sprúngen‹. Eckenlied, Str. 44,9–46,6.

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Haut, ähnlich der Haut einer Schlange, überzogen ist.«183 Der Bearbeiter des »Eckenliedes« profiliert mehr die Relation von Mensch und Pferd als die von Pferd und Waffe, so daß gegenüber dem Idealritter auch hier problematische Konfigurationen exorbitanter Physis eingespielt werden. Die Dramaturgie des Zweikampfs kennt ihre obligatorischen Krisen und Peripetien.184 Wenn der Held im Kampfverlauf stets in die Defensive gerät und eine Phase der Schwäche überwinden muß, wird jene elementare Wertebene sichtbar, für die er einsteht und die die soziale Ordnung garantiert. In mittelalterlichen Epen sind solche Instanzen der Letztberufung in der Regel mythisch codiert: Gott, Minne, Natur. Im Kampf steht Dietrich lange Zeit hilflos der geballten Gewalt Eckes gegenüber, so daß die Frage aufkommt, auf welche Weise er letztlich doch triumphieren kann. Eine höhere Macht, etwa Gott, bemüht nicht der Erzähler, sie bleibt allein Berufungsinstanz der Figuren. Christliche und dämonologische Positionen lassen sich hier offenbar wechselseitig instrumentalisieren.185 Daneben rekurrieren die Kämpfer in ihren Reden auf mythische Ressourcen. Die Zweikämpfe versammeln geradezu Argumente aus verschiedenen naturmagischen Kontexten. Erzähltechnisch haben sie die Funktion, Motivierungslücken zu füllen und syntagmatisch Kohärenz zu stiften. Helferich von Lune hatte Ecke schon angekündigt, daß Dietrich vor allem im Zustand des Zorns unüberwindbar sei.186 In dem Augenblick, als Dietrich der Gewalt Eckes zu unterliegen scheint und viel Blut verliert, gewinnt er einen Löwenmut mit unerwarteter Folge: alsus do merte sich sin maht.187 Das ist gewiß Rekurs auf topische Bildlichkeit – der Zorn des verwundeten und in die Ecke gedrängten Tiers –, für die in der Adelsliteratur immer wieder Löwe und Eber einstehen. Das Löwenmotiv ist im »Eckenlied« schon früh eingeführt. Die Figuren, denen Ecke auf seinem Weg zu Dietrich begegnet, rekurrieren wiederholt darauf. Der Fahrende schreibt Dietrich eingangs eine breite Löwenbrust zu, Helferich erfährt am eigenen Leib seinen l"wen můt, identifiziert auch das Löwenwappen auf Dietrichs Schild.188 Wenn Dietrich in der entscheidenden Kampfphase gegen Ecke durch einen Zornausbruch den Kampf wendet, konkretisiert sich das heraldische Zeichen nicht nur physiognomisch, sondern auch psychologisch: Dietrich verkörpert geradezu das Zeichen innerlich und äußerlich. Körper, Waffe und Affekt des 183 Zink, Eckes Kampf mit dem Meerwunder, S. 487. 184 Schnell, Dichtung und Rechtsgeschichte, S. 53–62; Friedrich, Die ›symbolische Ordnung‹ des Zweikampfs, S. 123–158. 185 Etwa wenn Ecke selbstgewiß auf Gottes Beistand verzichtet und Dietrich sich unter dessen Schutz stellt. Andererseits vermutet Ecke in Dietrichs plötzlichem Kraftzuwachs die Unterstützung des Teufels. 186 Eckenlied, Str. 63,1ff. 187 Ebd., Str. 120,11. 188 Ebd., Str. 29,7f., 13, 56,10f.

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Musterritters definieren sich über das gleiche animalische Register. Während die Namensgenealogie den Bezug zur patriarchalen Erbsubstanz aufrecht erhält – Dietmar/Dietrich –, die Namen seiner Waffen die Geschichte seiner Taten transportieren – Hiltegrin/Eckes sachs –, drückt der Naturbezug im heraldischen Zeichen eine weitere transpersonale Qualität aus.189 Heroische Identitätsmuster stellen sich hier nicht über eine Kommunikationsform her, sondern über ein archaisches Kulturmuster. In dem elementaren mythischen Kraftreservoir, durch das der Heros an der Natur partizipiert, liegt der eigentliche Grund seiner Stärke. So wird neben der Waffe der Körper des Heros zum Medium überlegener Gewalt. Zwar schützt Eckes Rüstung im Zweikampf, doch gewinnt Dietrich schließlich im Ringkampf. Der Mythos der Waffe wird um einen des Körpers ergänzt, ohne daß es zu einer schlichten Opposition von Natur und Technik käme. Im Zweikampf zwischen Dietrich und Vasolt ergibt sich dieser überraschend, nachdem ihm seine langen Zöpfe abgeschlagen wurden.190 Zwar tritt er später noch einmal gegen Dietrich an, doch hat es den Eindruck, als spiele der Text auf die enge Verbindung von Haarwuchs und Gewaltpotential an.191 Syntagmatisch wird die Aufgabe Vasolts nicht motiviert. Der zweite Kampf gegen Vasolt spielt das animistische Motiv der Seelenwanderung ein: Nachdem Vasolt vom Tode seines Bruders erfahren hat, stellt er Dietrichs Ehre in Frage, und es kommt erneut zum Kampf. Den enormen Widerstand Vasolts erklärt sich Dietrich dadurch, daß nun offenbar Eckes Herz in ihn gefahren sei. Vasolt nimmt diese Begründung wie selbstverständlich auf und verweist seinerseits auf Dietrichs toten Bruder, dessen Herz vor Ravenna gleichfalls auf Dietrich übergegangen sei: do fůr sin kraft in dinen lip.192 Das Herz aber ist in Heldenepik und höfischem Roman auch der Sitz der Tapferkeit. Wie der Name die Kontinuität der genealogischen Substanz anzeigt, so verweist auch die Seelenwanderung des Bruders auf die transpersonale Macht der Sippe. Der Rekurs auf das Register psychophysischer Energien dient gewiß der Steigerung der Dramatik, doch aktiviert auch er archaische Kulturmuster, die den Einzelnen in einem größeren Zusammenhang verorten.193 Auch wenn es für die Entscheidung keine 189 Zur transpersonalen Qualität von Name und Waffe vgl. Müller, Woran erkennt man einander im Heldenepos?, S. 106. Zur mythischen Funktion von Name und Bild vgl. Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, S. 54. 190 er slůg im ab den andern / zoph, das er fůr von dan. / Vasolt sprach: ›ich wil mich ergeben! […]‹. Eckenlied, Str. 186,12f.-187,1. 191 Vgl. Rolle, Seemann, Art. ›Haar- und Barttracht‹. In: LGA, Bd. 13, Berlin, New York 1999, S. 232–240, hier S. 233f.; Stäubli, Art. ›Haar‹. In: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. III, Berlin, Leipzig 1930/31, Sp. 1239–1288. 192 Eckenlied, Str. 198,5. 193 Von den Textsignalen her läßt sich kaum entscheiden, ob es sich um eine ironische Distanzierung oder um eine Identifizierung handelt. In jedem Fall bildet es ein Zitat archaischer Konstellationen.

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Rolle spielt, da Dietrich sich letztlich überlegen durchsetzt, wird das Prinzip narrativ entfaltet, diskursiv verhandelt und anerkannt. Vor einer Höhle trifft Dietrich dann auf Eckes treuen Vasallen Eggenot, der ebenfalls durch seine Waffen – Halsberg, Rüstung, Sporen, Schwert Siegfrieds, Schild, Speer – repräsentiert wird. Nachdem Dietrich niedergeschlagen worden ist, bricht im Zorn sein gattungstypischer Feueratem hervor – da von sin munt in zorn enbran,194 der ihm nun die nötige Kraft verleiht, seinen Gegner zu töten.195 In all diesen Fällen speist sich die Kraft des Kriegers aus den verschiedenen Instanzen des Körpers: Aktivierung animalischer psychophysischer Ressourcen, Haare als Kraftquelle, Animismus der Herzenskraft, schließlich Zorn als Katalysator von Energiezuwachs. Neben der mythischen Technologie der Waffen werden letztlich die mythischen Energien des Körpers in Anschlag gebracht. Jenseits der christlichen Codierung und auch durchaus im Einklang mit ihr wird die Identität des Heros in naturmythischen Instanzen verankert.

3.2 Kollektiver Untergang: »Nibelungenlied« »Eigentlich«, sagte Danny dann auf die Frage des psychiatrischen Sachverständigen, »wollte es in Wirklichkeit keiner von uns. Immer wieder mal hat einer gesagt, wir sollen aufhören. Aber dann haben die anderen gesagt, das geht nicht. Keiner von uns wollte als Feigling dastehen.« SZ 2.8.2007, S. 10

Wie unaufhaltsam der Sog kollektiver Gewaltdynamik wirken kann, demonstriert eindrucksvoll das »Nibelungenlied«.196 Die Katastrophe hat offenbar schon Zeitgenossen derart irritiert, daß sie nur in kommentierter Form, zusammen mit der »Klage«, überliefert wurde. Im Kontext der höfischen Literatur steht das »Nibelungenlied« erratisch. Konfrontiert werden gemeinhin alternative Modelle von Vergesellschaftung, die dann auf theoretische und historische Konfigurationen unterschiedlichster Art projiziert werden: literarisch immanent auf die Opposition von heroischem und höfischem Typus. Dem Entwurf einer heroischen Konstellation in der ersten Aventiure, die explizit von jeder zeitgenössischen Realität abgehoben wird, wird ein dezi-

194 Eckenlied, Str. 219,11. 195 Zur Diskursgeschichte des Zorns vgl. Grubmüller, Historische Semantik und Diskursgeschichte, S. 51–54. 196 Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 443–450.

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diert höfischer Gesellschaftsentwurf in der zweiten gegenübergestellt.197 Das Geschehen wird als Umbesetzung einer archaischen Rachemechanik durch eine Subjektivierung der Rache (Kriemhild) gedeutet. Aus geschichtsphilosophischer Perspektive wird dagegen die ›Kollision‹ eines vormodernen Vergesellschaftungstyps und eines sich ausbildenden Personenverbandsstaates konstatiert, eine Konstellation, die die »Widersprüche höfischer Gewaltreglementierung« offenlege.198 Während hier der Wormser Hof als avancierter institutioneller Typus aufgefaßt wird, repräsentiert der ganz auf den Helden Sîvrit fokussierte Xantener Hof bei aller höfischen Überformung noch einen archaischen Stand. Sozialhistorisch reformuliert vertreten beide Höfe spezifisch historische Herrschaftsmodelle: So trete in Sîvrit der gewaltbereite Feudaladel gegen eine sich formierende Territorialherrschaft in Worms an.199 Aber auch beide Höfe können schließlich noch als vorstaatliche Gebilde verstanden werden, die eine frühe Phase der Feudalisierung vor aller Institutionalisierung repräsentieren: gewissermaßen Varianten eines homogenen »epischen Weltzustandes«.200 Je nachdem, ob dem Geschehen eine gattungsgeschichtliche, geschichtsphilosophische oder sozialgeschichtliche Begrifflichkeit unterlegt wird, stellen sich rivalisierende Befunde ein. Die Differenz erklärt sich aus den jeweiligen Vorstellungen von feudaler Gesellschaftlichkeit, die unterschiedlich konzeptionalisiert sind und der Konfrontation der Höfe in der dritten Aventiure alternative Deutungen abgewinnen. Eine primär zivilisations- und institutionengeschichtlich argumentierende Position sieht in der Gewalteskalation das Scheitern der höfischen Kultur dargestellt, deren Etablierung als normativer Rahmen um 1200 vorausgesetzt wird.201 Eine geschichtsphilosophisch fundierte und auf ein Alteritätskonzept umgelenkte Position dagegen sieht die fatalen Ereignisse als Konsequenz genuin feudaler Gesellschaftlichkeit. Gegenüber dem gattungsgeschichtlichen Zugang, der weitgehend die fiktive Verhaltensschematik von Figuren in den Blick nimmt, und dem sozialhistorischen, der historische Interaktionsmuster untersucht, werden im Fokus der Alteritätsperspektive auch kulturwissenschaftliche Kategorien in die Analyse einbezogen: Körperkonzept, feudales Gewaltethos, Mentalitäten, symbolische Ordnungen. Der adelige Herr habe »seine Identität in seinem

197 Haug, Höfische Idealität, S. 293–307. Haug spricht vom »dezidiert heroischen Ansatz«, vom »heroischen Index« und von der »unvermittelten höfischen Wende in der 2. aventiure«. S. 297, 307. 198 Czerwinski, Das Nibelungenlied, S. 49–87. 199 Müller, Sîvrit: kunec – man – eigenholt, S. 85–124. 200 Bartels, Epos, S. 165–269. 201 »Eine zivilisierte Lebensform degeneriert zur Folie für die Demonstration heroischer Unbeugsamkeit.« Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 440.

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Körper, in Gewalt und Konsum. Die Logik des feudalen Adels ist also die Verschwendung – bis hin zum eigenen Körper im Kampf.«202 Die Gewalt aller gegen alle habe hier nicht »›anarchischen‹ und Gesellschaftlichkeit zerstörenden Charakter, sondern sie konstituiere den gesellschaftlichen Zusammenhang ›feudaler Adel‹.«203 Infrage stehen Ort und Status von Gewalt in einer Kriegerkultur wie auch die Funktion von Rivalität und Dominanz für feudale Vergesellschaftung. Diese scheint unmittelbarer auf physischer Gewalt aufzuruhen als moderne: »Das Geheimnis des Adels ist die Zoologie.«204 Rahewins Satz über den Herrschaftsanspruch des Stärksten und seine Analogie zum Tierreich erhält in solch metaphorischen Formulierungen gewissermaßen sein theoretisches Fundament. Neben eingespielten sozialen Interaktions- und Kommunikationsformen, die zweifellos Gewalt dämpfen, wird ein Horizont kultureller Werte sichtbar, die Gewalt als Medium politischer Praxis feiern. Sie bestimmen nicht unerheblich Symbolhaushalt und Strategie feudalen Handelns. Die höfische Kultur dagegen, das Bindeglied zwischen den zwei antagonistischen ›Kulturen‹ des Mittelalters – Feudalismus und Christentum –, wird in ihrer begrenzten Reichweite inszeniert und anders als im Märchenschema des Artusromans als Instrument der Konfliktlösung negiert. Der Rezeptionserfolg des »Nibelungenliedes« bescheinigt gegenüber der Artusepik wohl die ›realistischere‹ Einschätzung der Lage. Es gehört zu den Paradoxien der höfischen Welt des »Nibelungenliedes«, daß sie nicht-domestizierte Gewalt allenfalls an ihren Rändern zuläßt, die Auflösung höfischer Ordnung aber letztlich aus sich selbst generiert.205 JanDirk Müller hat den Selbstauflösungsprozeß der burgundischen Gesellschaft mit Hilfe der Metaphern »Kriegsmaschine« und »Tier-Werden« zu fassen versucht.206 Er rekurriert mit Deleuze/Guattari auf eine Gesellschaftstheorie, die soziale Interaktion nicht allein in kommunikativem Handeln und in Institutionalisierungsprozessen aufgehen läßt, sondern immer auch in Machtpraktiken verankert sieht. Staat und Gemeinschaft sind nicht das natürliche Telos sozialen Handelns, sie sind immer auch widerständigen Strategien aus-

202 Czerwinski, Das Nibelungenlied, S. 60. 203 Karl Marx, zitiert nach Czerwinski, Das Nibelungenlied, S. 61; vgl. Bloch, Die Feudalgesellschaft; Duby, Krieger und Bauern; Bartlett, Die Geburt Europas, S. 79–132; Braun, Herberichs, Gewalt im Mittelalter, S. 7–37. 204 Czerwinski, Das Nibelungenlied, S. 69. Letztlich stehen Durchsetzbarkeit bzw. Wirksamkeit kultureller und politischer Strukturen um 1200 zur Diskussion: Höfische Kultur und Territorialisierung stehen gegen archaische Feudalität und epische Totalität, letztlich zentripetale gegen zentrifugale Interpretationskategorien: Die Trennscheide liegt zwischen Mechanismen sozialer Integration und subjektiver Selbstbehauptung. von See, Held und Kollektiv, S. 1–35; Weber, Sem konungr skyldi, S. 447–481. 205 Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 440. 206 Ebd., S. 443–450.

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gesetzt, die ihrer Verfestigung entgegenwirken.207 Entsprechend sind auch für die feudale Gesellschaftsordnung inhärente gegenläufige Dynamiken anzunehmen. Das Ferment sozialer Bindungen bilden institutionelle Regeln und persönliche Beziehungen. Solche mit einem deleuzeschen Wort gefaßte »Bandenbildung« bezeichnet kein Defizit der Vergesellschaftung, sondern einen essentiellen Faktor sozialer Interaktion, der die Spannung von institutioneller Macht und sozialer Freiheit aufrechterhält.208 Ein derart dynamisches Konzept von Gesellschaft, das latente zentrifugale Energien impliziert und selbst noch für moderne Gesellschaften Gültigkeit reklamiert, operiert jenseits der einfachen Opposition von Höfischem und Heroischem, auch jenseits der politischen Rivalität historischer Herrschaftstypen. Es scheint gerade für den mittelalterlichen Personenverbandsstaat spezifische Geltung zu besitzen. Ein natürlicher Organismus, wie es die politische Theorie in Antike und Mittelalter propagierte, war der Staat realiter nie, allenfalls als Diskurseffekt. Mit seiner Rivalität »unabhängig bewaffneter Haushalte,«209 mit seinen weit verzweigten Abhängigkeiten, seinen nicht mediatisierten Filiationen und triuwe-Bindungen und mit seiner Institutionenskepsis scheint der Zusammenhalt der übergeordneten politischen Formation, etwa der Sippe, des Landes wie des Reiches unter einem Patriarchen, Landesherrn oder König, stets labil. Selbst die Position der Herrschaft ist nur bedingt institutionell gefestigt, sie bleibt in erheblichem Ausmaß von ihrer Fähigkeit abhängig, autonome Gewaltpotentiale zu integrieren, einerseits durch Drohungen, andererseits durch Feste, Gaben, Beratung oder Zuteilung von Prestige, d. h. durch Gewalt und Kultur: um sowohl geliebt als auch gefürchtet zu werden – aut amari aut timeri. Weder vollzieht sich soziale Interaktion nur nach vorgegebenen Regeln, noch ist sozialer Rang allein durch den Platz im System kollektiver Geltung schon hinreichend gewährleistet. Geltung unterliegt immer auch diffizilen politischen Strategien. Solange Gewalt nicht institutionell gebändigt ist, weder polizeilich nach innen noch militärisch nach außen, vollzieht sich ihre Bannung durch ein kompliziertes Geflecht von Bindungen. Zwar stabilisiert in der Regel äußere Bedrohung die Solidarität der Adelssippe und befördert eine kollektive Identität. Ihr stehen aber immer auch Statusrivalität und Aggression nach innen gegenüber sowie Skepsis gegen207 Die Kriegsmaschine erweist sich dabei als ein komplexer Mechanismus, der die Verfestigung staatlicher Strukturen geradezu verhindert. Deleuze, Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, S. 439–495. 208 Ebd., S. 491; oder modern gesprochen »Lobbyismus«, »Netzwerke«. 209 Luhmann, Staat und Staatsraison, S. 69; bei Hegel heißt es analog: freiwilliger Zusammenhang und Auseinandersetzung selbständiger Grundherren. Bartels, Epos, S. 198. »›Jeder der Kelten [so Anna Komnene] strebte danach, die anderen zu übertreffen‹; und in dieser von Rivalität bestimmten militärischen Gesellschaft war in der Tat persönliche, physische Gewalt der Schlüssel zum Erfolg.« Bartlett, Die Geburt Europas, S. 115.

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über der Integration von Fremden. Solche sozialen Formationen werden von Deleuze/Guattari als Meute bezeichnet, die dem Staat als Institution prinzipiell äußerlich, in ihrer inneren Wirkung auf das Kollektiv aber bedrohlich ist. Mimetisches »Tierwerden« Kann diese subversive Kraft sozialer Bindungen für die Interpretation des »Nibelungenliedes« fruchtbar gemacht und mit dem Phänomen der Animalisierung verbunden werden? Ist für den vermeintlichen Prozeß des »Tierwerdens« und mithin für den Verlauf der Katastrophe ein natürliches Substrat verantwortlich, wie es im Fall des »Eckenliedes« noch suggeriert wurde, indem die innerliche und äußerliche Exorbitanz der Heroen mit Hilfe animalischer Signaturen gezeichnet wurde? Eine Thematisierung von Animalität realisiert sich im »Nibelungenlied« fast ausschließlich auf metaphorische und metonymische Weise, dazu auf recht konventionellen Ebenen: in Kriemhilds Falkentraum, in Sîvrits Drachenhaut, in der Jagdaventiure und im finalen Kampfgeschehen. Bereits die einleitende metaphorische Codierung Sîvrits im Falkentraum – starc, scoen und wilde – verweist auf die Spannung von höfischer Kultur und feudaler Gewaltdynamik. Kriemhilds Falkentraum der ersten Aventiure kündigt das Gewaltthema metaphorisch an, ihr Ebertraum in der 16. Aventiure formuliert schon einen direkten Jagdkontext.210 Metaphorisch lassen Falke und Eber schon den Grundantagonismus von disziplinierten und wilden Verhaltensformen aufscheinen, wie er in Beiz- und Hetzjagd paradigmatisch sich zeigt. Wird Sîvrit zu Beginn noch als höfischer Ritter eingeführt, so wird ihm in der dritten Aventiure mit der Drachenhaut metonymisch ein Tiermerkmal attribuiert. In Sîvrits heroischer Jugendgeschichte artikuliert sich altes mythisches Wissen um die Außerordentlichkeit einer Heroenexistenz. Der Protagonist erwirbt in einer Art Anderwelt magische Mittel, die ihn unvergleichlich machen: Hort, Schwert, Tarnkappe und Drachenhaut. Der Held eignet sich in einer mythischen Initiation überlegene natürliche, technische und ökonomische Mittel an und erwirbt mit Unverletzlichkeit eine Eigenschaft, die in einer agonalen Gewaltkultur von besonderer Dringlichkeit ist: sîn hût wart húrnîn / des snîdet in kein wâfen.211 Resultat dieser Assimilation ist ein Heros, der seinesgleichen sucht, ein Vorzeitheld: alsô grôzer krefte níe mêr récké gewan.212 Und doch fällt auf, daß Sîvrit nicht physisch wuchert, wie es topische Heldenbiographien wiederholt inszenieren. Wie die Jugendge210 Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 448. 211 Nibelungenlied, Str. 100,3f. 212 Ebd., Str. 99,4; Mertens, Hagens Wissen, S. 59–69, 64f.

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schichte durch Hagens knappen Bericht in eine mythische Distanz entrückt wird, so zeigt sie auch keine nachhaltigen physiognomischen Auswirkungen.213 Das »Nibelungenlied« ist sehr zurückhaltend in der physischen Markierung der Heroen. »Tierwerden« als Mimesis wird an-, aber nicht ausgespielt. Das kurze Aufflammen heroischer Aggression in der dritten Aventiure verpufft in der höfischen Geste, danach ist Sîvrit integrierte höfische Figur: überlegenes Gewaltpotential zwar, aber auch kluger Ratgeber.214 Die Herosfigur wird offenbar eher in die politischen Koordinaten von fortitudo und prudentia eingespannt. Sîvrit realisiert mithin die animalische Ebene des Helden nicht durch physische oder psychische Markierungen, sondern vermittelt nur von außen, er ist vorbildlicher Königssohn und übermächtiger Heros, der auch eine Drachenhaut besitzt. Wenn in Sîvrit letztlich zwei Heldentypen synthetisiert werden, die ansonsten auf zwei Gattungen oder wie im »Eckenlied« auf zwei Figuren verteilt sind, überbrückt er die Spaltung der feudalen Kultur in Gewaltpolitik einerseits und zivile Interaktionsformen andererseits. Peter Czerwinski hat wiederholt auf den Körper als Basis feudaler Macht verwiesen.215 Doch bleibt die Körperinszenierung Sîvrits gegenüber den gängigen Topoi der Heldenepik – z. B. Alexander, Wolfdietrich, Ecke – blaß, das archaische Substrat der Macht wird eher aus der Sphäre der Sichtbarkeit entfernt. Im Entwurf des Helden geht es eben nicht primär um das schwer integrierbare monströse Wilde, um eine gefeierte oder kritisierte Partizipation an der wilden Natur, sondern um das monströse Normale, um die Latenz der Gewalt. Während Hort, Schwert und Tarnkappe als technische Requisiten in die Handlung eingehen, wird die Drachenhaut weitgehend ausgeblendet. Sie scheint bis auf eine Szene auch syntagmatisch verzichtbar zu sein. Indem Sîvrit sich die außerordentlichen heroischen Attribute von außen aneignet, wird der genealogische Gedanke ebenso distanziert wie der der Providenz. Dieser Heros entstammt nicht den geläufigen Registern adeliger Sozialisation: weder der mythischen Genealogie noch der heilsgeschichtlichen Auszeichnung. Anders als etwa für Alexander, Wolfdietrich und Ecke wird die animalische Signatur auf ein isoliertes Motiv reduziert, sie ist auch nicht Ursache der Gewalteskalation. Adelige Rivalität findet ihren privilegierten Ort im Kampf und in seinen domestizierten Varianten: im Turnier und in der Jagd. Auch im »Nibelungenlied« ist die Jagd ein Ort der Konkurrenz und ein Medium des Prestigegewinns: Sie beginnt mit Hagens Aufforderung zum Wettstreit: swer danne jage 213 Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 130–136. 214 So löst Sîvrit Hagen als zentralen Ratgeber im Königsrat ab. Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 358. 215 »Der Körper ist sein soziales Recht.« Czerwinski, Das Nibelungenlied, S 69.

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daz beste […].216 Wenn Sîvrit sich während einer Jagd vor allen anderen demonstrativ auszeichnet, ruft das das bekannte Bild des Heros als überlegenes Gewaltpotential auf.217 Der Heros profiliert sich eben nicht in der höfischen Form der Beizjagd, sondern in der Hetzjagd, in der gegenüber der ratio die Gewalt dominiert. So erlegt Sîvrit mühelos zahlreiche Tiere: Hirsche, einen Ochsen, Elch, Löwen, Eber etc., er spielt geradezu vor seinen Jagdgesellen mit einem Bären, so daß er auch hier sichtbar an die Sphäre der Tiere angenähert wird. Seine physische Erscheinung ist von zahlreichen Tierzeichen umstellt: der stattliche Reiter mit seinem Jagdhund, seine Jagdausrüstung, die fast vollständig mit Tierfellen überzogen ist – Zobel, Panther, Otter u. a. –, der wilde Bär als Trophäe, die er an den Sattel gebunden ins Lager führt.218 Wieder aber hält der Erzähler die Balance ein. Die Hetzjagd ist keinesfalls Ausdrucksform des Wilden, wie sie später Konrad von Würzburg im »Trojanerkrieg« am Beispiel Achills drastisch vorführen wird.219 Die Jagd bleibt kontrolliertes Gesellschaftsspiel. Die nicht nur praktische, sondern auch optische Inszenierung Sîvrits als vorbildlicher Jäger vollzieht sich im Rahmen disziplinierter Umgangsformen: Der stolz ins Lager einreitende Sîvrit eignet sich das Wilde mimetisch und metonymisch an, sichtbar in Kleidung und unterworfenen Tieren, doch ist Mimesis der Natur vom heroischen Körper auf die Kleidung übergegangen, somit höfisch transformiert. Gewaltdemonstration und kulturelle Inszenierung laufen parallel. Und noch die Überwindung des Bären in unmittelbarer Konfrontation erscheint nicht als dramatischer Kampf zwischen Mensch und Tier, sondern als kontrolliertes höfisches Spiel. Die Jagd eröffnet aber zugleich einen Raum zwischen dem Wilden und dem Höfischen, sie ist weder realer Krieg noch reines höfisches Zeremoniell, sie partizipiert an beiden und präludiert in distanzierter Form die Themen Gewalt und Tod im Personenverband. So markiert die Gegenüberstellung von offenen Jagderfolgen Sîvrits und der heimlichen, subversiven ›Jagd‹ der Burgunder auf den Heros den Skandal der zwieschichtigen politischen Handlungsebene. Damit schlägt zugleich die metaphorische und metonymische Beziehung zu Tieren, die Sîvrit ausgezeichnet hatte, in ihr Gegenteil um: Das höfisch inszenierte

216 Nibelungenlied, Str. 931,3. Krause, Die Jagd, S. 72–79. 217 »Herrliches Tier heiß ich«, so stellt Sigurd sich in der »Edda« Fafnir gegenüber vor und präsentiert sich als Einzelgänger ohne familiäre Bindung. Fafnirlied, Str. 2. 218 Nibelungenlied, Str. 950, 958. 219 Von Achill heißt es: geloufen hete er alsô vil / nâch den tieren allen tac, / daz under sînen ougen lac / stoup unde sweizes wunder. / ouch was sîn cleit dar under / mit bluote gar betroufet, / ûz sîner hût gesloufet / het er ein jungez löuwelîn, / daz dans er ûf dem rücke sîn / und brâht ez bî den stunden./ verhouwen und beschunden / truoc ez der jungelinc derhein / und warf ez nider in den stein. / Dâ von erschrac sîn muoter dô, / daz er beschunden unde rô / ze hûse ûf im den löuwen truoc. […] al sîn gebâre was ûzerlîch / und wider si gar wilde. Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 13682–13715.

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›stärkste Tier‹ ist zugleich Beutetier.220 Die feudale Welt zerfällt eben nicht nur in wildes Außen und höfisches Zeremoniell, wie es der Artusroman suggeriert, sondern hinzu tritt der Faktor Politik, der gegen die Unmittelbarkeit der Gewalt und die Mittelbarkeit der höfischen Kommunikation die Wirksamkeit latenter politischer Strategien offenbart. Indem Gewalthandeln, Zivilisiertheit und Politik in ein Verhältnis gebracht werden, weist die Metaphorik der Jagdszene in jedem Fall über die Inversion von Jäger und Beutetier hinaus. Halten Sîvrits mythische Jugendgeschichte und die Jagdaventiure die Attribuierung des Animalischen in einer distanzierten Schwebe, so scheint sie im finalen Kampfgeschehen endgültig hervorzubrechen. Wenn im Kampf den Helden wiederholt eine Tiermetapher zugewiesen wird, steuert das Geschehen offenbar auf eine animalische Gewalteskalation zu, und die grausame Finalität der Katastrophe scheint das zu bestätigen. Schon bei der Ankunft am Hof Etzels erwecken Hagen und Volker das staunende Interesse der Hunnen: Alsam tier diu wilden wúrden gekápfet an / die übermüeten helde von den Hiunen man.221 Wohl nicht zufällig werden diese beiden ›Katalysatoren‹ der Gewalt so gekennzeichnet, und doch ironisch gebrochen, geht die Aggression in dieser Szene doch deutlich von den Mannen Kriemhilds aus. Jan-Dirk Müller hat diese metaphorische Schicht der Gewalteskalation unter der Perspektive »Tierwerden« beschrieben: Dankwart kämpft später als ein eberswîn / ze walde tuot vor hunden, Volker als ein eber wilde, und in der Zeichnung Wolfharts ist die Animalisierung des Heros sowohl im Namen als auch im Affekthaushalt am weitesten getrieben.222 Er unterläuft die Vermittlungsbemühungen Dietrichs, indem er Hildebrand rät, nicht ohne Waffen vor den Burgunden zu erscheinen. Der Erzähler läßt explizit durchblicken, daß der wîse Hildebrand hier dem Rat seines tumben Neffen erliegt. Wolfhart verkörpert denn auch exemplarisch den Affekt des jugendlichen Kriegers: Lât abe den lewen, meister, er ist sô grimme gemuot, so reizt Volker Wolfhart, der von dem besonnenen Hildebrand festgehalten werden muß.223 In der unmittelbaren Konfrontation berufen sich die Heroen als Waffenbrüder wie als Einzelsubjekte auf ihre Freiheit. Die Freiheit des Adeligen aber erscheint als jene höchste Tugend, die stets in Spannung steht zu den normativen Vorgaben des Kollektivs. Hagen kann ohne Folgen den Pfaffen attackieren, Volker erschlägt einen Hunnen, Rüdiger sogar ohne Konsequenzen einen Vasallen Etzels. Entsprechend kann Volker an Wolfharts Heldenmut appellieren, der jenseits aller Solidarität der Vasallen wirkt: 220 Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 447. 221 Nibelungenlied, Str. 1762,1f. 222 Ebd., Str. 1946,3f.; 2001,3; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 448; vgl. Dietrichs wisentartiger Ruf (1987) und Etzels löwenartige Klage (2234). 223 Nibelungenlied, Str. 2272,1; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 449.

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Dô sprach der videlære: swaz man im verbiutet, daz kan ich niht geheizen diu rede dûhte Hagenen

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»der vorhte ist gar ze vil, derz allez lâzen wil. rehten heldes muot.« von sînem hergesellen guot.224

Alsam ein lewe wilder lief er vor in dan, so stürzt sich Wolfhart denn auch auf seine Feinde.225 Außer durch topische Kampfmetaphorik wird die Gewaltdynamik des adeligen Kriegers auch in Handlung umgesetzt, so daß »›Heros werden‹« für die Protagonisten zu bedeuten scheint, »zu sich selbst zurückzukehren und zugleich auch ›Tier [zu] werden‹.«226 Im demonstrativen Akt des Bluttrinkens, der den Burgunden neue Kräfte zuführt, wird die Grenzüberschreitung offenbar noch weiter ins Bild gesetzt.227 Der reale Kampf ist denn auch der Ort, an dem Mimesis der Natur am deutlichsten in Tiermetaphern gefaßt wird. Im »Nibelungenlied« existiert offenbar keine übergeordnete institutionelle Instanz, die strategisch oder taktisch Vorgaben macht, sie könnte die zentrifugalen Energien der Heroen auch nicht binden. Schon während des Festes droht der Buhurt in Gewalthandeln auszuarten und Gunther warnt explizit davor, ihn zu beginnen: Nein durch mîne liebe […].228 Als Hagen darauf entgegnet, er wolle den bûhurt mêren, stürzt sich Volker sogleich auf einen Hunnen und erschlägt ihn.229 Das Wort des Königs scheint für die Heroen nicht verpflichtend zu sein, der König besitzt hier offenbar keine Sanktionsgewalt. Als die Burgunden nach dem ersten Anschlag dann in Zorn geraten, scheinen sie nicht mehr kontrollierbar zu sein.230 Selbst Dietrich erweist sich zunächst als hilflos: ez sint sô sêre erzürnet die Guntheres man, / daz ich an disen zîten gefriden níemén enkan, so klagt er gegenüber Kriemhild.231 Was alle eint, ist der Affekt: Kriemhild glaubt, nie tapfere Ritter sô bitterlîch erzürnet gesehen zu haben.232 Die Wirkungsmacht des Zorns wird immer wieder eingespielt und mit zahlreichen Synonymen – wuoten, toben, grimmen u. a. – spezifiziert. Und doch gelingt es Gunther hier noch einmal, seinen Mannen Einhalt zu gebieten.233 Überhaupt erscheinen Konflikteskalation und Gewalt224 Nibelungenlied, Str. 2268; Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 188f. 225 Nibelungenlied, Str. 2273,3. 226 Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 450. 227 Ebd., S. 430–434. 228 Nibelungenlied, Str. 1887,1. 229 Ebd., Str. 1888f. 230 Ebd., Str. 1967. 231 Ebd., Str. 1984,3f. 232 Ebd., Str. 1986,3. 233 Gehorsam gegenüber dem König ereignet sich nur am Anfang des Gewaltausbruchs. Gunther vernimmt hier den Ruf Dietrichs (Str. 1988) und vermag noch, seine Kämpfer zur Einstellung des Kampfes zu bewegen. daz was gewalt vil grôzer, daz dâ niemen sluoc. Ebd., Str. 1990,3.

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dynamik seltsam kontrolliert, weitgehend ohne Raserei, sie sind wohl abgestuft und immer wieder durch Ordnungsreden und Verhandlungen unterbrochen. So sehr mimetische Formen der Animalisierung über die Jagd- und Kampfmetaphorik eingespielt werden, so bilden sie nicht die alleinige Ursache für die Katastrophe. Das »Nibelungenlied« mündet nicht in einer wilden Gewaltorgie. Held und Kollektiv: die Meute Neben der metaphorischen und metonymischen Animalisierung kann sich ein anderer Typus etablieren, der selbst nicht mehr auf Tiereigenschaften reduzierbar ist: Er ist im Bild der Meute gefaßt worden, deren kollektive Dynamik immer droht, die feudale Sozialstruktur zu unterlaufen.234 In mittelalterlicher Epik und Historiographie tritt diese Dynamik der Meute bevorzugt innerhalb des Kampfgeschehens auf, vor allem in Form von Jagdszenen. Kann im »Nibelungenlied« der unaufhaltsame Weg in den Untergang durch die unverbrüchliche Solidarität der Wormser Helden mit Hilfe der Meutemetapher gelesen werden? Der Personenverbandsstaat des Mittelalters besitzt eine spezifische Struktur und funktioniert nach eigenen Regeln. Das Verhältnis des Einzelnen zum Kollektiv konfiguriert sich anders als in der Neuzeit. Hegel hatte für die Einheit von Heros und Kollektiv den Terminus des »totalen Individuums« geprägt, der Strukturalismus hatte von »Reziprozität« von Volk und Herrscher gesprochen, die Historiker vom Wechselverhältnis von Vasallität und friuntschaft.235 Wenn Klaus von See eine Episode aus Snorris »Heimskringla« (13. Jh.) zitiert, nach der der Norwegerkönig Olaf seinen drei jüngeren Brüdern einen Wunsch abverlangt, der erste Kornfelder, der zweite Kühe, der dritte aber ein Gefolge wünscht, um die Kühe des zweiten sich anzueignen, spiegelt das nicht nur exemplarisch die Spannungen zwischen einer Agrar- und einer Kriegerkultur, sondern legt auch die reale Basis feudaler Herrschaft offen: das Gefolge.236 Adelige Herrschaft basiert nicht nur auf dem physischen, sondern mehr noch auf dem kollektiven Körper. Neben den mythischen Körper des Heros tritt eine soziale Konfiguration, die gleichfalls mythisch fundiert wird: die familia, der Verbund der Vasallen, die friunde.237 Im »Nibelungenlied« 234 Die Metaphorik der Meute folgt nicht dem Prinzip der wesenhaften Ähnlichkeit, der Mimesis der Natur, sondern dem der Analogie, sie artikuliert eine Analogie der Proportionalität, die zugleich die Differenz hervorhebt. Deleuze, Guattari, Tausend Plateaus, S. 319–323, 326– 332. 235 Hegel, Ästhetik III, S. 361; Weber, Sem konungr skyldi, S. 447–481; Müller, Motivationsstrukturen und personale Identität, S. 221–256. 236 von See, Held und Kollektiv, S. 13; vgl. Bloch, Die Feudalgesellschaft, S. 157–179. 237 Müller, Identitätskrisen im höfischen Roman um 1200, S. 298f.

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ist dieses allenthalben präsent, angefangen von Sîvrits Werbung in recken wîse über die Vorstellung des burgundischen Personenverbands bis hin zu den zahlreichen Auftritten bei Hof: Wenn Hagen zum Rat gebeten wird, erscheint er selbstverständlich mit Gefolge: man sach in hêrlîche mit recken hin ze hove gân.238 In seinem Gefolge vergewissert sich der freie Adelige der Solidarität seiner Kämpfer, seiner sozialen Macht und seiner Geltung. Öffentliches Auftreten vollzieht sich als kollektive Selbstdarstellung vor einem höheren Kollektiv: dem Feudalverband.239 Vor allem in Situationen der Gefahr, rückt die Gruppe/Meute instinktiv zusammen. Als Volker mutwillig einen sich höfisch gebärdenden Hunnen erschlägt, gruppieren sich sogleich Hágen unde sîne man mit sehzec sîner degene schützend (huote, 1891,2) um den Fiedler. Sogleich eilen auch die künege und ír gesinde herbei.240 Die Konfrontation vollzieht sich als ein dynamisches Hin und Her von Kollektiven. In welcher Form aber gestaltet sich das Verhältnis des Einzelnen zum Kollektiv aus? In der Heldenepikforschung stehen sich zwei Positionen gegenüber. Einerseits wird der Heros aufgrund seiner Kraft als problematische Instanz gedeutet, als Repräsentant exorbitanter Gewalt, die das Kollektiv bedroht.241 Zahlreiche Beispiele sind überliefert: Iring, Gunar, Roland, Turnus etc. Andererseits wird gerade die Opferbereitschaft des Heros in einem kollektiven Wertesystem verortet, die als Reziprozität von Herrscher und Kollektiv bezeichnet worden ist.242 Im Institut des Fürstenzweikampfes, in dem der Herrscher an die Stelle des Kollektivs tritt, feiert die volkssprachige Epik noch Restbestände dieser Ideologie, die real schon keine Geltung mehr hatte, sofern sie es je hatte.243 Wie vielschichtig die Konfigurationen sein können, zeigt eine elementare Form von Solidargemeinschaft: die Waffenbrüderschaft. Hagen und Volker vertreten gewissermaßen das Herosprinzip im Double, sie bilden innerhalb des burgundischen Personenverbandes einen eigenen Machtblock, der sich jenseits der Vasallitätsregeln etabliert hat. Die beiden Heroen prägen den Aufenthalt der Burgunden am Hof Etzels: Sie provozieren offen Kriemhild (1783f.) und Etzel (1918), sie halten gemeinsam Schildwache (1829f.), eröffnen gegen die Mahnung des Königs den Buhurt (1888f.), und Hagen stellt – zumindest imaginativ – ihre Waffenbrüderschaft über die Soli238 Nibelungenlied, Str. 82,4. 239 wol siben tûsent degene bî der küneginne reit. Ebd., Str. 1868,4. Dô kom der herre Blœdelîn mit drin tûsent dar. Ebd., Str. 1879,1. So tief ist offenbar die Vorstellung im zeitgenössischen Bewußtsein verankert, daß selbst dem Tod ein Gefolge zugeschrieben wird. Ebd., Str. 2224. 240 Ebd., Str. 1890,1f., Str. 1894,2; Im kurzzeitigen Waffenstillstand verlassen 600 Kämpfer mit Dietrich und 500 mit Rüdiger den Saal. Str. 1995. 241 von See, Held und Kollektiv, S. 1–35; Fuchs, Hybride Helden, S. 50f. 242 Weber, Sem konungr skyldi, S. 447–481. 243 Goez, Über Fürstenzweikämpfe, S. 135–163; Friedrich, Die ›symbolische Ordnung‹ des Zweikampfs, S. 135–138.

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darität mit dem Kollektiv: daz ich iu müese helfen, waerez áller mîner mâge tôt (1843,4). Kollektive Verantwortung und ihre Suspendierung zugunsten des Waffenbruders widersprechen sich in der Gefahr nicht. Volkêr unde Hagene geschíedén sich nie, / niwan in einem sturme an ir endes zît.244 Als sie in den Kampf eintreten, können die drei Könige ihre Kämpfer nicht mehr zur Besinnung rufen: sine móhtenz mit ir sinnen dô niht understân, / dô Volkêr unde Hagene sô sêre wüetén began.245 Das erinnert an den jungen Segremors und den Sog der Meute, vor der König Artus gewarnt hatte. Gruppenbildung vollzieht sich offenbar auch jenseits von genealogischen und institutionellen Regeln durch personale Bindungen: durch vriunt- und geselleschaft.246 Wie der mittelalterliche Herrschaftsverband scheint sich der Kampfverband und noch die Waffenbrüderschaft als organische Einheit zu verstehen, als corpus. Die Vorstellung vom Kollektiv als einem Körper aber kann sowohl im religiösen wie im säkularen Bereich noch konkret und nicht nur metaphorisch verstanden werden.247 Otto von Freising kennt die politische Rede vom König als caput regni und von den Fürsten als membra, er betont aber auch schon die Störung des Organismus.248 Wolfram entwirft Blutsverwandtschaft als Körpereinheit, so daß »Verwandte nicht allein metaphorisch eines, sondern auch in der Substanz ungeschieden seien, nämlich leiblich, physisch:«249 mîn bruoder, die hie sîn, / gedenket, daz wir sîn ein lîp.250 Andere Vorstellungskomplexe transportieren den gleichen Gedanken naturaler Identität. Wenn Dietrich und Vasolt im Zweikampf auf den Animismus der Herzenswanderung verweisen, auf den Sachverhalt, daß offenbar in beide das Herz der Brüder gefahren sei, verankert auch das heroische Identität in einem kollektiven, familialen Körper.251 Solche Naturalisierung der Blutsverwandtschaft aber bildet nicht nur die unhintergehbare Grundlage verwandtschaftlicher Solidarität, sondern zugleich das Modell für Solidarität insgesamt. Die Intensität freundschaftlicher 244 Nibelungenlied, Str. 1805,2f. Am vollkommensten ist vriuntschaft, wo sie sich von andersartigen sozialen Bindungen gelöst hat. Müller, Spielregeln für den Untergang, S. 157f. 245 Ebd., Str. 1967,3f. 246 Müller, Motivationsstrukturen und personale Identität, S. 221–256. 247 Dohrn-van Rossum, Politischer Körper, S. 5. 248 Otto von Freising, Gesta Frederici, IV,25, II,1, I,14; vgl. Friedrich, Die Zähmung des Heros, S. 164. In Konrads von Würzburg »Trojanerkrieg« erfaßt das trojanische Heer der Schrecken, als König Lâmedon fällt: wan ez wart ân alle wer, / dô sîn houbet tôt gelac. Konrad von Würzburg, Der trojanische Krieg, V. 12872f. 249 Waldmann, Natur und Kultur, S. 184; Koch, Trauer und Identität, S. 90. 250 Wolfram von Eschenbach, Willehalm, V. 168,12f.; vgl. Koch, Trauer und Identität, S. 115. 251 Eckenlied, Str. 198. Auch das Erkennen von Verwandten kann über körperliche Instanzen geregelt werden, wenn etwa Gyburg Rennewart über das Herz erkennt: Koch, Trauer und Identität, S. 114f.

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Bindung war schon in unterschiedlichen Körpermetaphoriken in Umlauf. In Heinrichs von Veldeke »Eneasroman« wird zum einen Verwandtschaft an körperliche Ähnlichkeit gekoppelt, zum andern vergewissern sich auch die Gefährten Ninus und Euryalus, zwei exemplarische Waffenbrüder, vor ihrem nächtlichen Einbruch ins feindliche Lager ihrer unumstößlichen Solidarität: wan sie duchte beide, daz sie ein lib waren.252 Es gemahnt schon fast an Blasphemie, wenn diese kleinste Einheit von Korporation sich auf ein metaphysisches Prinzip beruft, das traditionell auch für die Ehe gilt: nů vns got hat ein lip gigeben, / wir suln beidiv ensamint leben / vnd "ch ensament sterben.253 Auf die Spitze getrieben ist diese Vorstellung kollektiver Leiblichkeit in adeligen Freundschaftskonzepten, die in physischer Ähnlichkeit münden: etwa im »Engelhart« Konrads von Würzburg oder in der Erzählung von Amicus und Amelius.254 Auch hier entlehnt Freundschaft sein Identitätskonzept aus dem genealogischen Diskurs, der noch im Mittelalter auf körperliche Ähnlichkeit der Verwandten insistierte. Solche kollektive Bindung, die durch äußere oder innere Ähnlichkeit markiert wird, unterscheidet sich von dem klassischen Herzenstausch der Minneideologie, die primär metaphorisch konzipiert ist. Neben solch substantialisierte Einheit von Verwandtschaft tritt überdies eine relationale, die nicht mehr an äußerliche und innerliche Ähnlichkeit gebunden sein muß. »An die Stelle der Einheit in der Substanz tritt die metaphorisierte – weil auf Verdienst gegründete – Verwandtschaft, das Sich-alsVerwandter-erweisen. ›Verwandt‹ ist, wer wie ein rechter Verwandter tun wird.«255 Das »Nibelungenlied« verwendet nicht die Körpermetapher, um die Unauflösbarkeit der Gruppensolidarität zu beschreiben, es rekurriert aber immer wieder auf Vorstellungen von Verwandtschaft und Brüderschaft.256 Die Relation der Ähnlichkeit ist hier durch eine der Analogie ersetzt. Für das Mittelalter aber scheinen beide Typen noch nicht getrennt zu sein. Der Körper, für die Moderne nur noch eine Metapher sozialer Einheit, bildet für feudale Vergesellschaftung ein substantielles Fundament auf den unterschiedlichsten Ebenen. Der Körper als »soziales Recht« betrifft mithin sowohl die einzelne Physis des Adeligen als auch den kollektiven Körper des Personen- und Freundschaftsverbandes. Die sich gerade formierende ›insti252 Heinrich von Veldeke, Eneasroman, V. 6550f. wir sin ein lip unde ein geist / mit willen und mit werchen. V. 6570f. Anchises stellt Eneas seinen Enkel Silvius Eneas vor: der sal dir gelîchen al / an hûte unde an hâre. V. 3660f. 253 Ebd., V. 6607–6609. 254 Vgl. von Bloh, Doppelgänger, S. 341–359; Klinger, Winst, Zweierlei minne stricke, S. 259– 289; Witthöft, Selbstloses Vertrauen?, S. 387–403. 255 Waldmann, Natur und Kultur, S. 198; Koch, Trauer und Identität, S. 90. 256 Müller, Motivationsstrukturen und personale Identität, S. 238–241. Der körperliche Aspekt sozialer Nähe kommt als Handlung nur noch im Bei-der-Handnehmen der Heroen zum Ausdruck: etwa beim Hofgang der Burgunden vor Etzel oder im Spaziergang Dietrichs und Hagens. Nibelungenlied, Str. 1804, 1750.

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tutionelle Ordnung‹ des Personenverbandsstaates wird durch solche ›naturwüchsigen‹ Bindungen immer wieder unterlaufen. Aus den Zeichen solcher Vorstellungskomplexe geht hervor, daß es nicht nur soziale Regeln sind, die das Handeln der Figuren steuern, sondern auch kulturelle Bildfelder, die den Regeln des Handelns ein werthaftes Fundament verleihen. Im »Nibelungenlied« ist die natürliche Organisationsform des Personenverbandes noch deutlich sichtbar: Der finale Konflikt findet nicht als strategisch geplante Schlacht statt, sondern als gestufte Kollision von Feudalverbänden: Burgunden gegen Hunnen, Dänen, Thüringer, Bechelaren und Amelungen. Bis auf den hunnischen Verband stehen an der Spitze herausragende Helden, die aktiv in den Kampf eintreten. Die Gruppen sind stets eng aneinander gebunden, sie treten geschlossen auf, vor allem im Kampf. Dort ist zwar das Kampfgeschehen weitgehend auf die Leitfiguren fokussiert, zugleich aber wirkt die Dynamik der Gruppe: So bietet Iring Hagen einen Zweikampf an, doch verhindert er nicht, daß sein Kampfverband von tausend Mann bewaffnet mit ihm vor den Burgunden erscheint: swes Îrinc begunde, si woldens alles im gestân.257 Volker thematisiert gerade dies als Provokation, und nur mit Mühe gelingt es Iring, seine Kämpfer zur Zurückhaltung zu bewegen. Und nachdem Iring gefallen ist, fügen sie sich nicht etwa dem Ergebnis, sondern treten sofort in den Kampf ein und gehen unter wie schon zuvor die Krieger Bloedelins nach dessen Tod. Held und Kollektiv sind nicht zu trennen. Exorbitanz und Reziprozität fallen zusammen. Ähnliche Dynamiken wiederholen sich. Die Burgunder stehen zusammen – doch wolden nie gescheiden die fürsten und ir man – und verweigern die Herausgabe Rüdigers.258 Sie verletzen damit nicht nur eine Regel kriegerischen Comments – die Übergabe der Gefallenen –, sondern auch die Einheit des Kollektivs, indem sie den Einzelnen von der Gruppe trennen. Umgekehrt überwindet Wolfharts Affekt dann die Solidarität des Personenverbandes wie der Verwandtschaftslinien, zieht aber alle Amelungen mit in den Tod.259 Dietrich hatte zuerst Helferich und dann Hildebrand als Boten ausgesandt. In Dietrichs Warnung inszeniert der Text die Gefahr der Zorneskalation und reflektiert sie zugleich: swa man zórnes sich versiht, / ob ungefüegiu vrâge danne dâ geschiht, / daz betrüebet lîhte réckén ir muot.260 Auch Hildebrand kann es schließlich nicht verhindern, daß Wolfhart samt bewaffnetem Gefolge sich ihm anschließt. Wolfharts Rat zur Bewaffnung löst offenbar eine Kettenreaktion in den Amelungen aus: ê daz ers innen wurde, dô

257 258 259 260

Ebd., Str. 2031,4. Ebd., Str. 2110,3. Ebd., Str. 2104f. Ebd., Str. 2240,1–3.

»Eckenlied« – »Nibelungenlied«

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wâren in ir wât / alle Díetrîches recken.261 Der Herrschaftsverband der Amelungen bildet in der Staffelung seiner Kriegertypen exemplarisch die Spannungen zwischen Rationalität und furor ab: Während Dietrich als verantwortlicher, rational operierender Herrscher agiert, nimmt der Waffenmeister Hildebrand trotz mancher Aufwallung die Stelle des getreuen Vasallen ein. Sein Neffe Wolfhart indes, der – wie in der Dietrichepik insgesamt – durchgehend als iraszibler Typus gezeichnet wird, bildet die Schnittstelle an Irrationalität zum anonymen Gefolge, zur Meute, die sich in seinem Rücken formiert, ihm folgt und deren Dynamik sich schließlich Bahn bricht. Hildebrands Bitte um den Leichnam Rüdigers wird von Gunther noch wohlwollend aufgenommen, doch stören sogleich aggressive Kommentare die Kommunikation. Auf Wolfharts ungeduldigen Vorhalt ›Wie lange suln wir vlêgen?‹, antwortet dann schon nicht mehr Gunther, sondern Volker: ›niemen in iu gît […]‹.262 Die Kommunikation entgleitet dem König. Aggression von untergeordneter Seite zieht sogleich Aggression auf gleicher Stufe nach sich. Gelingende und scheiternde Kommunikation vollzieht sich innerhalb von fünf Strophen über unterschiedliche Figuren. Wolfhart durchkreuzt eine abgestimmte Strategie, und taktische Maßnahmen haben nur partielle und temporäre Geltung. So zerfallen die Kampfverbände in einzelne ›Rudel‹, in denen sich die Autorität der Leitfigur immer mehr auflöst: Gunther, Dietrich, Etzel. Ihnen stehen als Katalysatoren des Untergangs Hagen/Volker, Wolfhart und Kriemhild/Bloedelin gegenüber. Mit zunehmender Eskalation vermögen die Fürsten nicht mehr, ihre Kontingente zu kontrollieren. Schon auf Kriemhilds Bitte an Dietrich, ihr Hilfe gegen die Burgunden zu gewähren, reagiert Hildebrand gereizt, während Dietrich selbst in höfischer Form antwortet.263 Und als Dietrich im ersten Gefecht Gunther um Frieden bittet, ist es Wolfhart, der seinen eigenen Herrn provoziert.264 Das Gefolge oder die Meute mit seinen sekundären Leitfiguren besitzt im Kampf offenbar eigene fatale Optionen. Diese Form von »Tierwerden« aber läuft nicht mehr über metaphorische Ähnlichkeit, über Mimesis. »Tierwerden« vollzieht sich hier über die Form der Analogie zentrifugaler Dynamiken, die die Meute wie die Adeligen beherrschen. Das »Eckenlied« interpretiert das »Tierwerden« mimetisch: als körperliche Exorbitanz in Ecke oder als Signatur eines inneren heroischen Affekts bei Dietrich. Beide Typen von Heros partizipieren an einem natürlichen Substrat, auf das sich Ecke im Zuge adeligen Ehrstrebens permanent, Dietrich im Rahmen adeliger Selbstbehauptung nur als ultima ratio, bezieht. Das »Ni261 262 263 264

Ebd., Str. 2250,2f. Ebd., Str. 2265f. Ebd., Str. 1900f.: Dô sprach in sînen zühten dar zuo her Dietrîch. Ebd., Str. 1993,1: »Wie vlêhet ir sô schiere?«

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IV. Literarische Fallstudien

belungenlied« dagegen zeigt zwar auf einer Ebene seiner Darstellung analoge Vorstellungen: Gewalteskalation mit Hilfe von Tiermetaphorik. Die Katastrophe selbst aber vollzieht sich unter einer anderen Regie: die Dominanz der politischen gegenüber der moralischen Ebene und die mythische Unauflöslichkeit des Bandes von Einzelnem und Kollektiv, Exorbitanz und Reziprozität. Das »Nibelungenlied« scheint geradezu »Tierwerden« als Mimesis abzuweisen zugunsten einer Dynamik der Meute, die das Kollektiv in den Sog des Einzelnen und den Einzelnen in den des Kollektivs stellt.

4. Dissoziation von Mensch und Tier: »Yvain«/»Iwein« »Yvain« – »Iwein« 4.1 »Yvain«: Natur-Kultur: Strukturale und semiotische Lektüre Die Ambivalenz der feudalen Einstellung zum Tier findet im »Yvain« Chrétiens de Troyes ihre wohl weitreichendste Darstellung.265 Wird die Erzählung vom Löwenritter in der Regel als Geschichte einer Wandlung aufgefaßt, in der ein allzu ambitioniertes Ritterethos in eine Ethik der kollektiven Verantwortung überführt wird,266 so ist der Weg des ruhmgierigen Ritters zugleich an eine komplexe Semantik von Natur und Kultur gebunden, die nicht in individueller Zivilisierung aufgeht.267 Jacques LeGoff hat schon früh die dem Roman zugrundeliegende Topik von Natur und Kultur herausgearbeitet, und in der Folge haben sich verschiedene kulturtheoretische Modelle am »Yvain« zu profilieren versucht.268 Moralische Kritik und heroische Vorbildlichkeit, Physiognomik und die literarische Verhandlung von Kulturstufen, vor allem aber die reale Kooperation von Ritter und Löwe schöpfen im »Yvain« aus den unterschiedlichsten Registern der Tierwelt.269 Es gilt nach Rainer Warning als ein spezifisches Kennzeichen des höfischen Romans, insbesondere des »Yvain«, daß er mythische und christliche Narrationsmuster – Aktanten- und Figuralschema – verbindet und dadurch jeweils eigene syntagmatische und paradigmatische Handlungsmuster kom265 Gerade dieser Artusroman zeichnet sich durch eine besonders intensive Inszenierung von Tierbeziehungen aus. Lewis, Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 55. 266 In diesem Sinn folgt der »Yvain« Chrétiens derselben Handlungslogik wie der »Iwein« Hartmanns. Zur handlungslogischen Interpretation des »Iwein« vgl. Ragotzky, Weinmayer, Höfischer Roman und soziale Identitätsbildung, S. 211–253. 267 Schon Max Wehrli hat darauf verwiesen, daß die soziale Problematik (Ehre, Minne, Gesellschaft) nicht den Hauptgehalt des Textes ausmacht. Wehrli, Iweins Erwachen, S. 72. 268 LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 171–200; Vance, From Topic to Tale, S. 53–108; Waldmann, Natur und Kultur, S. 64–78; Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns, S. 120–155. 269 Lewis, Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 55–85.

»Yvain« – »Iwein«

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biniert.270 Zugleich aber bietet der Text jenseits der Handlungslogik eine Raumtopik und eine Figurentypologie, die sich durch komplexe Codierungen auszeichnen und über den engeren Textzusammenhang hinaus Verweischarakter besitzen. Der Text folgt somit sowohl unterschiedlichen Gattungsmustern als auch übergeordneten kulturellen Codes. Solche Schichtung aber von Erzählformen, kulturellen Codes und Zeichenebenen machen den literarischen Text gegenüber diskursiver Rede zu einer besonderen Darstellungsform. In diesem Sinn markieren vor allem die Begegnung Calogrenanz’ mit dem vilain, die große Wahnsinnsepisode und die Löwenfreundschaft paradigmatische Stationen einer literarischen Verhandlung des Mensch-Tier-Diskurses. Indem die strukturale Lektüre des Kulturhistorikers Raumordnung, Figurenkonstellationen und Figurentopik, Szenenarrangements und Handlungssequenzen, schließlich Requisiten weniger in ihrem syntagmatischen Motivationszusammenhang als in ihrer paradigmatischen Relation zueinander erfaßt, verläßt sie die engeren Grenzen literaturwissenschaftlicher ›Textinterpretation‹ zugunsten kulturanthropologischer und kulturhistorischer Fragestellungen.271 Bereits die Raumordnung offenbart eine kulturspezifische Prägung. Der Weg vom Artushof zum Zauberbrunnen führt den Protagonisten durch eine Reihe topisch gezeichneter Räume, die neben der bekannten Hierarchie von Hof und Wildnis einen weiteren Typus bieten: das Brunnenreich Laudines.272 Bereits diese Räume aber sind durch auffallende Tierattribute gekennzeichnet: die höfische Burg des vavasseur durch einen domestizierten Falken; die Rodung des vilain durch die wilden Tiere; schließlich das magische Brunnenreich durch den wundersamen Vogelbaum.273 Den verschiedenen Räumen korrespondieren offenbar alternative Naturkonzepte. Gezeichnet wird eine Welt separierter und hierarchisierter Räume mit mehr oder minder eigenen Regeln, wobei sichtlich die Überordnung einer christlichen Sphäre, etwa wie im »Parzival«, vermieden wird.274 Bereits dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, daß es mehr um Interferenzen als um Hierarchisierung geht. Obwohl Hof, Wildnis und Brunnenreich in Konkurrenz zueinander stehen, 270 Warning, Formen narrativer Identitätskonstruktion, S. 25–59. 271 Raumordnung: Hof-Wald; Figurenkonstellation: Ritter-vilain-Einsiedler-Löwe; Figurentopik: Wilder Mann; Szenenarrangement: Verwilderung; Requisite: Bogen. Insofern kann LeGoff von einer »Topik des Yvain« (S. 188) sprechen und immer wieder auf strukturale Analogien (z. B. Wilder Mann-Einsiedler) verweisen und diese klassifizieren. 272 LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 188f. Zur Waldtopik vgl. Wenzel, Ze hove und ze holze, S. 281–285; Vance, From Topic to Tale, S. 63f.; Schmidt-Cadalbert, Der wilde Wald, S. 24–47. 273 Solch ein Vogelbaum gehört als künstlicher Automat zum topischen Inventar höfischer Palastbeschreibung. Hammerstein, Macht und Klang. 274 Zum mittelalterlichen Raum als einem hierarchischen Ordnungsraum vgl. Foucault, Von anderen Räumen, S. 34f.

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IV. Literarische Fallstudien

Iwein. Schloß Rodenegg, Iwein-Fresken.

werden zugleich verschiedene Übergangszonen entworfen: Die Rodung des vilain öffnet sich zur Wildnis hin wie auch die des Einsiedlers, die ihrerseits Anschluß an die Tauschwirtschaft hält; der Brunnenbereich am Rande des Laudineterritoriums gewährt dagegen durch seine Unberührtheit Einblick in eine scheinbar versöhnte Natur. Innerhalb dieser Räume und Zonen finden sich ihnen korrespondierende Figuren, an denen der höfische Ritter auf seinem Weg vorbeizieht.275 Korrespondiert dem Hof die Domestizierung, so der Wildnis die Gewalt. Im Brunnenreich dagegen realisiert sich eine natürlichmagische Idealität. Es herrscht ein erstaunlicher Konsens der Forschung, daß das Treffen mit dem vilain den höfischen Ritter mit einem exemplarischen Wilden Mann konfrontiert.276 Dessen bedrohliche Ambivalenz wird nicht nur durch die animalische Physiognomie markiert, die Chrétien in zahlreichen Tiervergleichen ausdrückt, sondern zugleich durch seine demonstrative Gewaltherrschaft über wilde Tiere. Der Wilde Mann als Herr des Waldes und der Wildnis fungiert erzähllogisch zugleich als märchenhafter Wegweiser des Protagonisten.277 Doch geht die Funktion des vilain weder in seiner topischen Inszenierung noch in seiner narratologischen Funktion auf. Das komplexe topische Feld des Wilden Mannes greift in ganz unterschiedliche Funktionszusammenhänge aus.278 In der Grenzfigur des vilain und ihrer besonderen Zeich275 Erst im zweiten Teil des Romans werden Hof, Wald und mythischer Raum, darauf hat LeGoff aufmerksam gemacht, aus ihrer räumlichen Isolierung gelöst und sukzessive zu einem Handlungsraum vereint. LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 190f. 276 Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 27–29; LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 187f.; Lewis, Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 63. 277 LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 188. 278 LeGoff macht nur beiläufig auf die komplizierte Topik des Wilden Mannes aufmerksam, begnügt sich indes mit einer klassifizierenden Betrachtung. Vgl. das Kapitel II,5.

»Yvain« – »Iwein«

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Wilder Mann. Schloß Rodenegg, Iwein-Fresken.

nung artikuliert sich vor dem Hintergrund zeitgenössischer Kulturmuster ein ganz spezifisches Naturverhältnis des Menschen. In Yvains Wahnsinnsszene sieht LeGoff eine komplexe Kulturtypologie realisiert, gewissermaßen einen Akkulturationsprozeß in nuce.279 Der verwilderte Ritter tritt in einen stummen Austausch mit einem Einsiedler, tauscht Beutetiere gegen Brot und setzt so einen weiteren ökonomischen und kulturellen Prozeß in Gang.280 Gezeichnet werden Räume, die als Schnittstellen von Natur und Kultur fungieren.281 So wie der Einsiedler Anschluß an die höhere Kultur des Handels hält, so der jagende Yvain an die niedere der Tierwelt. Gegenüber der Statik der Hirtenexistenz produziert diese Interferenz von Jagd-, Agrar- und Tauschkultur einen kulturellen Mehrwert. Gerald von Wales hatte eine ähnliche Staffelung der Kulturformen – Wald, Dorf, Stadt – beschrieben.282 Konfiguriert aber wird diese Beziehung durch die Opposition Mensch-Tier: »Der den hier herausgearbeiteten Konzepten zugrundeliegende Gegensatz ist der zwischen der herrschenden Welt des Menschen und der durch Jagd und Domestizierung beherrschten Welt der Tiere.«283 LeGoff hat des weiteren darauf aufmerksam gemacht, daß Chrétien das Spannungsverhältnis von Kultur und Wildnis zugleich in besonderen Tier279 LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 179–182. 280 »So kommunizieren auf der niedrigsten Stufe die Welt der Jagd und die Welt der bebauten Felder, roh und gekocht.« Ebd., S. 180; Haidu, The Hermit’s Pottage, S. 127–144. 281 LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 181f. 282 Vgl. II, 4.3 283 LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 181.

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zeichen einfängt. So kennzeichnet er seine kämpfenden Protagonisten im ersten Teil wiederholt mit Hilfe von Tiervergleichen, wodurch z. B. die Verbindung von Gewalthandlung und Jagd offensichtlich wird.284 Paradigmatisch repräsentieren Löwe und Schlange das animalische Substrat der Handlung und stecken auf der Stufenfolge von Yvains Begegnungen die entgegengesetzten Pole ab: eine natürliche Gewaltkonkurrenz, die bis in die Gesellschaft hineinwirkt. LeGoffs strukturale Klassifizierung der Figuren basiert entsprechend auf solch markanten Tierbezügen. Zwischen dem edlen und humanisierten Tier einerseits und dem dämonischen wilden andererseits lassen sich die einzelnen Akteure gruppieren. Der Einsiedler korrespondiert der Hilfe des Löwen, der Riese Harpin dagegen der Aggression des Drachen.285 Zwischen beiden aber steht gewissermaßen als Schnittstelle der Tiertopik der vilain. Yvain wird alle Stationen dieser Stufenleiter durchlaufen und assimiliert nach LeGoff »so den Teil der wilden Welt, den der vollkommene Ritter braucht.«286 Wilder Mann, Akkulturation und Figurentypologie werden sichtbar aus dem Horizont der Mensch-Tier-Beziehung in den Blick genommen. Entsprechen die Tiervergleiche noch der skizzierten feudalen Gewaltethik, die sich in der Tierwelt ebenso positiv gespiegelt sieht wie sich diejenige des Klerikers durch sie bedroht fühlt, so kommt mit dem realen Löwen eine andere Dimension ins Spiel: »Der metaphorische Löwe wird nämlich Gestalt annehmen.«287 Über die Funktion des Löwen sind zahlreiche Interpretationen gegeben worden. Bereits Wolfgang Mohr hat pointiert auf die Vorliebe der Interpreten verwiesen, den Löwen als »symbolisches Tier« zu verstehen, mit ganz unterschiedlichen Folgen: Er gilt als triuwe- (Ehrismann), als Christus- (Wehrli) oder als Rechtssymbol (Cramer), als Dankbarkeitschiffre (von Ertzdorff), Adelszeichen (Mohr) oder schlicht als domestiziertes Instrument.288 Für jede dieser Deutungen läßt sich eine eigene literarische Tra284 Ebd., S. 193, 189, 191. In der Brunnenaventiure kommt Ascalon nach Calogrenanz’ Bericht plus tost qu’uns alerions, / Fiers par sanblant come lions (487f.) herbeigeeilt, auf Yvain reitet er zu Con s’il chaçast un cerf de ruit (814); Yvain selbst verfolgt nicht nur den sterbenden Ascalon Si con girfauz grue randone (882), auch in der Schlacht gegen den Grafen Aliers wirft sich Yvain Con li lions antre les dains (3203) und bezwingt seine Gegner Con li faucons fet les cerceles (3195). Chrétien de Troyes, Yvain; Lewis, Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 60. 285 LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 193f. LeGoff hat in bezug auf das Verhältnis von Yvain zum Löwen zurecht die Inversion vom wilden Yvain zum Einsiedler betont, ohne sie indes näher auszuführen. Ebd., S. 192. Der Riese Harpin ist bei Chrétien sichtlich animalisch codiert. 286 Ebd., S. 193. 287 Ebd., S. 191. 288 Lewis, Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 55, 67–84; Keller, Iwein and the Lion, S. 64; Harris, The Role of the Lion, S. 1148f.; Wehrli, Iweins Erwachen, S. 65; Mohr, Iweins Wahnsinn, S. 88f.; von Ertzdorff, Hartmann von Aue: Iwein und sein Löwe, S. 287–311; Schuhmann, Körper im Text, S. 337–352.

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dition anführen.289 Bei aller Vielschichtigkeit der Semantik aber ist vor allem der Umstand der Konkretisierung entscheidend, die den Löwen zum realen Handlungsträger macht. Von daher ist er immer auch Komplement des höfischen Ritters. Es ist die ästhetisch-semiotische Perspektive der Literaturwissenschaft, von der aus sich das Verhältnis von Natur und Kultur, Mensch und Tier in Chrétiens »Yvain« präzisieren läßt und die der Komplexität der Zeichenverhältnisse adäquater Rechnung trägt. Weniger vor dem Hintergrund einer allgemeinen Kulturtypologie und ihren Manifestationen im Text als vor demjenigen des konkreten zeitgenössischen kulturellen Systems, der Artes, Theologie und Ökonomie, beschreibt Eugene Vance Chrétiens »Yvain« als eine literarische Inszenierung der gattungsmäßigen Animalität des Menschen.290 Vance liest den literarischen Text zum einen als Schnittstelle verschiedener Diskurse (»interpenetration of discourses«) über den Menschen, zum andern als besondere literarische Konfiguration, in der der gelehrte Autor die unterschiedlichen Diskursivierungen in konzentrierter Form einfängt.291 Fragen der conditio humana, des Verhältnisses von genus und species, sind nicht nur klassischer Gegenstand von Theologie und Naturkunde, sondern auch logischer Disziplinen: Si est homo, est animal.292 Entsprechend ist die zeitgenössische Topik Ausgangspunkt von Vances Ansatz. Wie LeGoff nimmt er Figurenkonstellation und Raumsemantik in den Blick, vermag ihnen aber einen konkreteren Bezug zum zeitgenössischen ›cultural horizon‹ zu geben. Die zentrale Frage, die die zeitgenössische volkssprachige Literatur umtreibe, sei diejenige nach dem Stellenwert der Leidenschaften: »is passion a legitimate motive for truly heroic action?«293 In der Opposition von Mensch und Tier werden also nicht nur ständespezifische Strategien verfolgt, wie etwa die Ausgrenzung des Bauern, sondern der Adel selbst ist essentiell von dieser Grenzziehung betroffen. Die zumeist von klerikal gebildeten Adeligen verfaßte Epik verhandelt damit ein zentrales Problem feudaler Ethik: den Stellenwert von Begierde, Affekt, Zorn und Furcht innerhalb des sozialen Gefüges. Gerade weil sie als konstitutiver Bestandteil der conditio humana anerkannt werden, steht die literarische Verhandlung jenseits der asketischen klerikalen Ausschlußmodelle und betreibt Grenzziehungen eigener Art.294 In diesem Sinn deutet Vance das »man-beast« des vilain weniger als Gegenbild 289 Lewis, Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 70. 290 Vance, From Topic to Tale, S. 54. 291 Ebd., S. 54. 292 Ausgehend von dieser logischen Formel der Topikhandbücher untersucht Vance deren spezifisch literarische Gestaltung im »Yvain«. 293 Vance, From Topic to Tale, S. 61. 294 »Chrétien thereby confirms the existential primacy of a man’s animal and passional nature as a generic substratum for his more perfectable ›special‹ humanity.« Ebd., S. 63.

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des Ritters denn als neutrale Emanation von Calogrenanz’ eigener animalischer Natur.295 Im vilain wird nach Vance die Grenze von Wildheit und Domestizierung ins Bild gesetzt. Seine aggregathafte Zusammensetzung aus den verschiedensten Tierattributen mache ihn zu einer »logical fictio«, die auf die generische (animalische) Basis der menschlichen Natur verweise; seine Herrschaft über die ihren Affekten ausgelieferten wilden Tiere offenbare die Herrschaftsform des Tyrannen, der Recht qua Gewalt und Furcht errichtet.296 Erscheinungsform, Gewaltherrschaft, moralische Indifferenz und Situierung jenseits aller elaborierten Technik machen den vilain für Vance zum Inbegriff menschlicher Leidenschaften, die allererst von ihrem ›primitiven‹ Status in eine breitere, ethisch fundierte Wunschökonomie überführt werden müssen.297 Indem Figuren (vilain), Schauplätze (Wald) und Szenenarrangements (Ökonomie Yvain-Einsiedler) als Inszenierung undifferenzierter, undomestizierter, nichtsdestoweniger konstitutiver Kräfte gelesen werden, werden sie gegenüber den diskursiven Darstellungsformen zu aufgeladenen Zeichenkonfigurationen, zu poetischen Chiffren, die auf eine neuartige Bestimmung des Stellenwertes der Leidenschaften im kulturellen System des 12. Jahrhunderts zielen. Wiederholt lassen sich im Hintergrund zeitgenössische Konzepte des Menschen und der Kultur dingfest machen, die im Einzelfall überblendet werden können (»interplay of social codes«):298 Der Einsiedler fungiert als »extremely ambiguous figure«, einerseits als spirituelle, d. h. metaphysische Instanz, als Figur rechter Besinnung auf den Ursprung,299 andererseits als Protagonist einer alternativen Ökonomie (aus Mitgefühl, nicht aus Kalkül), schließlich als litteratus, der eine neue »textual community« (Stock) von risikobereiten Kaufleuten, Handel fördernden Aristokraten und widerständigen Geistlichen emblematisch verkörpert und eine neue kulturelle Ambivalenz gegenüber der Macht der Kirche artikuliert.300 Chrétiens textuelle Poetik auf topischer Grundlage läßt sich darüber hinaus am Verfahren der Übercodierung festmachen. Die topische Relation zwischen Species Mensch und ihrer gattungsmäßigen Animalität wird durch unterschiedliche Perspektiven, Zeichentypen und diskursive Strategien narrativ 295 Ebd., S. 54–57. 296 Ebd., S. 56, 58. Kopfdicke eines Packpferdes, Elefantenohren, Katzenaugen und -nase, Wolfsmaul, Eberzähne, dazu Kleidung aus Stier- und Ochsenhaut; LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 187; Chrétien de Troyes, Yvain, V. 798f. 297 Vance, From Topic to Tale, S. 63. 298 Ebd., S. 74. 299 »The hermit is therefore also an image, in twelfth century culture, of both radical withdrawl into an extreme monastic isolation and radical openness which tends toward subversion of the most scandalous sort […].« Ebd., S. 74f. 300 Ebd., S. 76.

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entfaltet.301 Das topische Rüstzeug dynamisiert die poetische Invention, macht Zeichenrelationen beweglich und läßt Zeichen zwischen verschiedenen Systemen und Diskursen changieren:302 ein für Chrétien typischer Dynamismus im Arrangement des narrativen Inhalts, eine »polyvalence of narrative substance«.303 Am Beispiel des Löwen zeigt sich die besondere Komplexität solcher Zeichenschichtung: Der Löwe erweist sich als »polyvalentes Symbol«, das als »shifter« zwischen verschiedenen Diskursen – biblisch, klassisch, volkskundlich, wissenschaftlich – zirkuliert.304 Seine Bedeutung läßt sich nicht aus nur einem einzigen Horizont bestimmen, sondern unterliegt einer kalkulierten Unschärfe. Vor allem aber wird über das Bildarsenal des Löwen die Relation von Mensch und Animalität, und damit von Natur und Kultur komplex. Vance kann zeigen, daß der »Yvain« gewissermaßen topisch das Verhältnis von Mensch und Tier verhandelt: der Löwe als »emblem for Yvain’s animal nature.«305 Animalität als Inbegriff der Stufen des Lebendigen ist ein zentraler Topos des Romans, von der Begegnung mit dem vilain an über die Wahnsinnsszene und die Befreiung des Löwen bis hin zu den Kämpfen gegen negative animalisch gekennzeichnete Unholde (Harpin, Kobolde): Animalität aber nicht nur als eine die Gesellschaft bedrohende mythische Gegenwelt, sondern als konstitutiver Identitätsbestandteil des Ritters. Das Eingreifen des Löwen in den drei Kämpfen des zweiten Teils – entgegen aller abgesprochenen Enthaltung – signalisiert die Notwendigkeit animalischer Energien gerade in solchen Fällen, in denen naturwidrige Kräfte zu bestehen sind.306

4.2 Feudale Adaptation christlicher Muster Die kulturtypologische und die kultursemiotische Lektüre haben den kulturtheoretischen Horizont des »Yvain« auf je eigene Art herausgearbeitet, wobei letztere vor allem dem besonderen literarischen Verfahren Chrétiens Rechnung trug. Vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit skizzierten Diskurszusammenhänge über Mensch und Tier soll in der Folge eine zusätzliche Bedeutungsschicht des Textes beschrieben werden, die die dargestellte Verhandlung der Kulturstufen mit ihren heilsgeschichtlichen Rahmenbedingungen und den politischen Konsequenzen in Verbindung bringt.

301 302 303 304 305 306

Ebd., S. 80. Ebd. Ebd., S. 80f. Ebd., S. 84. Ebd., S. 83. Ebd., S. 89.

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IV. Literarische Fallstudien

In einer paradigmatischen Perspektive werden im »Yvain« drei Kulturtechniken im gesellschaftsfreien Raum sichtbar, die zwischen das höfische Kulturmodell und die wilde Natur geschaltet werden: die bäuerliche Hirtenexistenz des vilain, die feudale Jagdexistenz des verwilderten Ritters und die rudimentäre Agrikultur des Einsiedlers. Archaische Pastorale, Jagd und Ackerbau werden als Techniken – artes – in einer vorgesellschaftlichen Form präsentiert, die mithin aus sozialer Perspektive alle defizitär erscheinen.307 Vor dem Hintergrund des theologischen und politischen Verwilderungsdiskurses indes erhalten sie zusätzliches Profil, da sie auf die unterschiedlichen Rahmenbedingungen mittelalterlicher ›Kulturen‹ verweisen. Während Yvain außer dem Bogen alle äußerlichen Zeichen der Kultur ablegt und insofern eher die Degeneration des gefallenen Menschen zum Mängelwesen nachvollzieht,308 steht der vilain offenbar der animalischen Zeichnung nach dem Sündenfall näher. Obwohl dieser sich explizit als Mensch deklariert und ein erstaunlich friedfertiges Verhalten an den Tag legt, setzt er sich aus einer Fülle von Tierkennzeichen zusammen, so daß Yvain sich verwundert zeigt, »wie Natur ein so häßliches und garstiges Wesen hatte bilden mögen.«309 Aber auch Yvain selbst wird später seinen Aufenthalt im Wald als vernunftloser Wilder verleben: Come hon forsené et sauvage.310 Beide Szenen schließen sich schon über die Topik der Verwilderung zusammen, doch wird in beiden Figuren Wildheit deutlich als ein Differenzphänomen, als inverse Spiegelung (innen-außen) entworfen: der wahnsinnige nackte Adelige und der tierisch gezeichnete verständige Bauer. Damit wird nicht nur auf die gemeinsame generische Natur des Menschen verwiesen, sondern zugleich werden unterschiedliche Naturstufen für Bauern und Adelige postuliert. Vilain, Einsiedler und Ritter repräsentieren nach LeGoff auf rudimentärer Ebene die drei Ständetypen, die drei Funktionen Dumézils, wobei die Zeichnung des vilain auf den prekären sozialen Rang des untersten Standes und auf die animalische Natur des Bauern verweist.311 Zusätzlich aber bildet die ständische Gliederung unterschiedliche Umgangsformen mit der Natur ab: Yvains Jagd, der vilain als ›Hirte‹, der Einsiedler als Bauer und Händler. Alle drei Repräsentanten der Stände werden mit ihrem zeittypischen ›kulturellen‹ Milieu assoziiert, so daß ständische und kulturelle Differenz in einer signifikanten ökonomischen Praxis gründen. 307 Auf die sozialphilosophische Komponente des »Yvain«/ »Iwein« hat Waldmann aufmerksam gemacht, indem er den jeweils projektierten Vergesellschaftungszustand herausarbeitet. Waldmann, Natur und Kultur, S. 64–78; vgl. Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns, S. 346. 308 Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, S. 5–20. Zunächst behauptet er nur die Degradation, dann aber das Faszinosum des Wilden Mannes, der zum Ritter aufsteigt (Orson). 309 Comant Nature feire sot / Oevre si leide et si vilainne. Chrétien de Troyes, Yvain, V. 798f. 310 Ebd., V. 2828. 311 LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 196.

»Yvain« – »Iwein«

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In den beiden verwildert gezeichneten Figuren wird so eine kulturelle und zugleich natürliche Wesensdifferenz entworfen, kenntlich durch die Tierattribute des einen, die Nacktheit des anderen wie auch in der Opposition der Waffen: Keule v. Bogen. Yvain und der vilain repräsentieren die beiden Ausprägungen humaner Existenzformen nach dem Sündenfall: den animalisch gezeichneten Menschen, der nicht notwendig aggressiv sein muß (pecus), und das nackte Mängelwesen. Indes erscheinen beide Modi in einer historisch spezifischen Codierung. So wie der vilain explizit als Mensch gezeichnet wird, so auch der nackte Jäger, der aber statt als Vernunftwesen als Nullstufe feudaler Existenz entworfen wird: als stummer wahnsinniger Jäger, aber eben nicht als Tier. Der Einsiedler vertritt dagegen den Status des mit Mühsal – labor – beladenen Kultivierers.312 Gegenüber der christlichen Lesart erhält sowohl das Hirtenmodell wie auch das des Mängelwesens eine spezifisch ideologische Färbung. Eben nicht nur über die ratio definiert sich der genuine Herrschaftsanspruch des Adels im ersten Teil des Romans, sondern auch über ein überlegenes Gewaltpotential. Diese ist denn auch hier das tertium comparationis, das den wilden Yvain, den vilain und noch den Aventiureritter Calogrenanz auszeichnet: Jagdfähigkeit ist konstitutives Attribut adeligen Selbstverständnisses, Gewalt über Tiere biblischer und politischer Auftrag gleichermaßen, Gewaltkonkurrenz gegen Gleichgesinnte Inbegriff adeliger Ethik.313 Die Korrespondenz der Szenen verläuft sowohl über markierte Ähnlichkeiten als auch über spezifische Differenzen. Yvain assimiliert dabei weniger einen Teil der wilden Natur, wie LeGoff unterstellt,314 als daß er gegenüber dem Wilden Mann die spezifische Differenz adeliger Naturverhaftung kenntlich macht: Der wilde Jäger sinkt gerade nicht auf das Niveau des Tiers ab, an das der Bauer fast selbstverständlich noch weiter angepaßt wird.315 Aus diesem Zusammenhang ist auch der vilain kein authentischer Wilder Mann – ihm fehlen zentrale Attribute –, vielmehr leitet sich das Bild des animalisch gezeichneten Hirten eher aus der Tradition des Sündenfalls und seinen Fol-

312 Si giengen arbeiten beide / in holz und in heide, heißt es bei Jansen Enikel von Adam und Eva nach dem Sündenfall. Weltchronik, V. 1221f. 313 Demgegenüber vertritt der Einsiedler zum einen die rationale Kulturstufe der Agrikultur, zum andern die Technik der Domestizierung. 314 So LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 193. 315 Insofern schießen solche Diagnosen über das Ziel hinaus. Wenzel (Ze hove und ze holze, S. 284) spricht von einer »conversio zum Bestialischen«. Vgl. demgegenüber die Minnekrisen des Partonopier und des Ritters im »Busant«, die beide viehähnlich auf allen Vieren laufen. Die signifikante Differenz ist im klassischen Typus biblischer Verwilderung, in Nebukadnezar, greifbar: Darumbe daz geschach / daz man sît sach / den künec gewaltes rîche / einem ochsen gelîche / bûwen daz gevilde. / ûf heide und in der wilde / muost er holn sîne nar. Ulrich von Etzenbach, Alexander, V. 1101–1107.

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gen für das Problem der Herrschaft ab.316 Der vilain repräsentiert in seinem Aussehen zum einen die Folgen des Sündenfalls, den animalisch gezeichneten Menschen, zum andern aber auch den legitimen Herrschaftsanspruch über die Tiere.317 Damit ist der vilain aber allenfalls metaphorisch Repräsentant tyrannischer Herrschaft, der Recht über animalische Affekte schafft.318 So wie die Herrschaft des vilain über die Tiere legitim ist, so werden seine Mittel – Gewalt und Furcht – auch im politischen Diskurs noch für unerläßlich gehalten. Insofern fungiert er weniger als Zerrbild denn als mahnender Spiegel auch für das ritterliche Gewaltethos. Dem höfischen Ritter wird in seinem ›wilden‹ Gegenüber eine natürliche Gewaltstufe menschlicher Existenz gespiegelt, an der er selbst, vor allem durch sein problematisches Ethos, teilhaftig ist. Der Ritter begegnet insofern im vilain dem legitimen Ursprung seines eigenen verzerrten Ideals.319 Die wechselseitige Darlegung ihrer Aufgaben markiert gewiß Distanz, mehr aber noch eine gemeinsame Grundhaltung: Demonstration von Gewaltüberlegenheit.320 Während der Aventiureritter gleichgesinnte Gegner für eine Gewaltkonkurrenz sucht, versetzt der vilain nur Tiere durch seine Gewalt in Furcht und Schrecken: »so daß alle anderen vor Furcht zittern und sich rund um mich her scharen, wie um mich um Gnade zu bitten.«321 Erkennbar wird nur, daß er, wenn nötig, über ein Gewaltpotential verfügt. Zwar steht er als Mensch außerhalb des natürlichen, d. h. animalischen Gewaltzusammenhangs, doch indiziert sein Herrschaftsinstrument – Gewalt und nicht Technik (Bindung, Hürde) – noch die Affinität zu diesem. Im vilain ist eine Rand- bzw. Vorzeitfigur, ein vorgesellschaftlicher Kulturzustand entworfen, der die beginnende Herrschaft über die antagonistischen Kräfte der Natur signalisiert: In einer Art adamitischen Existenzform repräsentiert der vilain einen archaischen Kulturzustand und steht für den Herrschaftsanspruch des gefallenen Menschen über die Tiere in einer postparadiesischen Zeit. Vor dem Hintergrund eines Versöhnungsmodells, wie es die Pastoraltheologie mit dem 316 LeGoff skizziert die Umrisse einer Topik des Wilden Mannes: seine naturmythische Dimension des Wissenden, seine dämonische Deutung, schließlich seine ethnographische Projektion. Hinzuzufügen wären Mißgeburten, sozial Ausgestoßene, Randfiguren (Jäger), selbst Anachoreten. Gegenüber den dominierenden Kennzeichen wie Gewaltpotential, sexuelle Nötigung und Wahnsinn nimmt sich der vilain des Yvain eher als Ausnahme aus. 317 Vance, From Topic to Tale, S. 59. Hier berührt sich der vilain mit dem Wilden Mann, der als Tierfreund gekennzeichnet ist: Die Tiere gehorchen ihm! 318 Signifikant bleibt zudem, daß bei aller stummen Kommunikation es nicht der Einsiedler, d. h. nicht die Ökonomie, auch nicht christliche Fürsorge ist, die den wilden Yvain wieder in die Gesellschaft zurückführen. 319 Vgl. die Analogie von Wildem Mann und Mongolen. 320 Furcht als Basis von Herrschaft ist konstitutiv für die Feudalgesellschaft. 321 Que les autres de peor tranblent / Et tot anviron moi s’assanblent / Aussi con por merci criër. Chrétien de Troyes, Yvain, V. 349–351.

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Hirtenmodell entwirft, werden der vilain und seine ›Herde‹ zum feudalen Gegenbild des Ideals kirchlicher Fürsorge.322 Repräsentiert Yvain sowohl in den Tiervergleichen der Kampfszenen wie auch in der Wahnsinnsszene noch die animalischen Anteile feudaler Existenz – den wilden Jäger –, d. h. weniger wilde Natur als den naturalisierten Kulturzustand des Adels – Bogen –, so verteilen sich Rechtshandeln und Tierhaftigkeit im Verlauf der Handlung auf zwei Instanzen: auf Ritter und Löwe. Chrétien schreibt dem Löwen bekanntlich deutlich überzeichnete anthropomorphe Handlungen zu: etwa den aufrechten Gang, die Lehnsgeste des Homagiums, die Verbeugung, selbst dramatische Klagegesten.323 Nicht nur die Metapher nimmt hier konkrete Gestalt an (LeGoff), sondern in der besonderen Art der Inszenierung vor allem das heraldische Zeichen.324 Das Verhältnis von Ritter und Löwe ist bei Chrétien primär ein personales, das den Regeln des Feudalverbandes gehorcht.325 So ist die Jagd nunmehr arbeitsteilig als Dienst organisiert, der Löwe hält Wache und dient letztlich als Instrument der gerechten Gewalt. Was Wilhelm von St. Thierry als Funktion der Domestizierung beschrieben hatte – der Hund als Wächter und gladium vivum –, ist hier Effekt naturethischer Zuordnung von Adel und Herrschaftstier. Eine Art höfische Kooperation zwischen Mensch und Tier tritt an die Stelle der einsamen Jagd des Wilden, aber auch an die der kulturellen Domestizierung. So sehr die Befreiung des Löwen aus den Fängen des Drachen auch allegorisch oder symbolisch gedeutet werden mag, für die Relation Mensch-Tier, die im vilain und in den animalischen Kampfmetaphern noch integrativer Bestandteil der Figur waren, bedeutet dieses Wunder mehr den Beginn einer Dissoziation und einer neuen Form von Assoziation. Gegenüber LeGoffs These vom Zusammenfall zweier Identitäten im Löwenritter Yvain kann die Inszenierungsform zugleich als eine Dissoziation von Ritter und seinem Wappentier gelesen werden. Die Tierhaftigkeit des Ritters, selbst im höfischen Epos vielfach angespielt und noch im ersten Teil des »Yvain« präsent, wird ausgelagert, obgleich nicht für obsolet erklärt. Repräsentiert der Ritter das Ethos der Gerechtigkeit, dessen Gültigkeit immer wieder mittels Gewalt durchgesetzt werden muß, so greift der Löwe nur noch in Fällen offensichtlicher Ungleichheit der Kräfte ein: dort, wo das Recht sichtlich gestört ist. Insofern ist Chrétiens »Yvain« ein konstitutiver Bestandteil des zeitgenössischen Diskurses der Gewaltreglementierung auch in bezug auf animalische Potentiale. 322 Vgl. Augustinus, De civitate Dei XIX,15. Zum Hirtenmodell vgl. Ovitt, The Restauration of Perfection, S. 84: »Adam ruled by force of reason.« 323 Mohr, Iweins Wahnsinn, S. 88; von Ertzdorff, Hartmann von Aue: Iwein und sein Löwe, S. 290. 324 Wehrli spricht denn auch vom »lebendigen Wappentier«. Wehrli, Iweins Erwachen, S. 70. 325 von Ertzdorff, Hartmann von Aue: Iwein und sein Löwe, S. 292–295.

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Wie im politischen Diskurs formuliert und in zahlreichen Rechtspraktiken realisiert, wird die Störung der sozialen Ordnung und ihre Wiederherstellung als ein Konflikt animalischer Kräfte gefaßt.326

4.3 Christliche Recodierung: Hartmann von Aue Im Gefolge von LeGoffs strukturalistischer Lesart ist das Verhältnis von Natur und Kultur auch in Hartmanns »Iwein« mit methodischen Instrumentarien unterschiedlichster Art angegangen worden. Wie LeGoff sieht Bernhard Waldmann im »Iwein« den Konstitutionsprozeß höfischer Zivilisation reflektiert. Die Szene über Iweins Wahnsinn stehe erratisch im Erzählzusammenhang eines »reinen Grenzübergangs« und gliedere einen Naturraum als vorgesellschaftlichen Naturzustand allererst aus. Gegenüber der »extensiven Natur« behaupte sich der erwachende Ritter in einer ständischen, mithin gesellschaftlichen Selbstreflexion: Die aus blinder Natur erwachende Kultur verstehe sich sogleich als antagonistische – gebûre/rîter –, gewinne aber gerade dadurch einen Begriff von vorgesellschaftlicher herrschaftsfreier Natur.327 Dirk Matejovski sieht im Artusroman allgemein und im »Iwein« im besonderen ein höfisches Zivilisationsprogramm entworfen, das sich durch einen vorkulturellen Naturzusammenhang herausgefordert sieht. Er faßt sie in der Abbreviatur Aufklärung versus Mythos.328 Im Rekurs auf eine Denkfigur der Kritischen Theorie entdeckt er in Iweins Wahnsinn die Bewältigung des Mythos, des Anderen der Vernunft, durch einen Akt der Assimilierung und Distanzierung zugleich: eine Art Übergangsritus.329 Alle inhaltlichen, d. h. nosologischen und psychologischen, Ausmalungen des Wahnsinns würden vermieden werden, so daß dieser als »leere Mitte« für verschiedene diskursive Besetzungen fungiere: für Natur-Kultur-Relationen und für gesellschaftliche Selbstreflexion. An zentraler Stelle sei mithin nicht der Wahnsinn selbst das Thema oder die Minnekrankheit des Protagonisten, sondern eine grundsätzliche Form kultureller Selbstverständigung. Die kulturtheoretischen Thesen zu Chrétiens »Yvain«, die LeGoff auf strukturalistischer Grundlage und Vance diskurstheoretisch und semiotisch 326 Die Humanisierung der Natur wird vor allem in den psychologischen Reaktionen des Tiers evident, die anzeigen, daß das heraldisch markante Tier nun auch real in die symbolische Ordnung integriert wird. Der Löwe, im Symbolsystem des Feudaladels heraldisches Merkmal und damit metonymisches Attribut des Heros selbst (qua Waffe und qua Affekt), tritt realiter aus der Person heraus, wird äußerlicher Begleiter, domestiziertes Jagdinstrument, Wächter und Organum gerechter Delinquenz zugleich. LeGoff, Lévi-Strauss in Brocéliande, S. 191f. 327 Waldmann, Natur und Kultur, S. 64–75. 328 Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns, S. 128, 131. 329 Ebd., S. 135.

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beschrieben hatten, reformuliert Bruno Quast für Hartmanns »Iwein« unter einer anthropologischen und textpoetischen Perspektive. Auch er sieht wie jene im »Iwein« eine »virtuos komponierte erzählerische Reflexion über den Konstitutionsprozeß höfischer Zivilisation«, fokussiert seine Analyse aber enger auf die narratologische Umsetzung des Befundes.330 Die »textuelle Repräsentation von höfischer Zivilisation und wilder Natur« erfolge in der Applikation differenter Erzählmodelle.331 Quast sieht dem Handlungsmuster des Artusromans, wie es im »Iwein« realisiert ist, das Strukturmuster eines sozialen Dramas eingeschrieben, das aus dem Erzählschema der Heiligenlegende stammt und das in einer erweiterten Perspektivierung anthropologisch fundiert zu sein scheint: Der Weg des Helden zeichne einen liminalen Prozeß nach, der durch den Bruch mit der sozialen Ordnung, durch Krise, Bewährung und Reintegration gekennzeichnet sei. Sie bilden die Stationen, die aus der Heiligenlegende in den Artusroman überführt und in die Reflexion über den höfischen Status des Helden transformiert worden sind. Im Löwen werde entsprechend ein liminales Symbol visualisiert, das den Probanden während seiner Entfremdungsphase begleite und das nicht nur in sich die Ambivalenz von sozialer Norm und Wildheit repräsentiere, sondern auch mit dem Wiedereintritt in die soziale Gemeinschaft verschwinde.332 Es spricht nicht notwendig gegen die verschiedenen methodischen Ansätze, sondern eher für die Komplexität des literarischen Entwurfs, wenn sich die Relation von Natur und Kultur zugleich unter ideologiekritischer, diskursanalytischer und kulturanthropologischer Perspektive fassen läßt. Alle drei Ansätze arbeiten modellorientiert und beziehen ihr analytisches Instrumentarium aus modernen Theoriekonzepten. Ihr Gewinn besteht darin, die Thematik des höfischen Romans an moderne Fragestellungen anschließbar gemacht und sein Aussagepotential aktualisiert zu haben, und das gelingt, selbst wenn die Resultate nicht in der Intention des Autors lagen. Der Rang eines klassischen Textes liegt auch in der Komplexität seiner historisch sich entfaltenden Deutungsangebote. So sehr die theoretisch ausgerichteten Ansätze den Blick für sozial- und kulturpolitische Konstellationen des »Iwein« geschärft haben, so setzen sie letztlich doch ein Oppositionsverhältnis von Natur und Kultur voraus, wie es für den mittelalterlichen Vorstellungsraum nicht umstandslos vorausgesetzt werden kann: Natur als terroristische Einheit von Subjekt und Objekt gegenüber Kultur als antagonistischem Gesellschaftszustand bei Waldmann, ›höfische Aufklärung‹ gegenüber der Natur als »denunzierte Inkarnation mythischen Grauens« bei Matejovski; die Ambivalenz von Höfischem und Wildem 330 Quast, Das Höfische und das Wilde, S. 113. 331 Ebd., S. 114. 332 Ebd., S. 124–126.

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während der liminalen Phase und ihre erneute Differenzierung danach bei Quast.333 Die dialektische Figur der Kritischen Theorie, die die Überwindung des Mythos durch ein Übergangsritual, durch eine vorübergehende Assimilierung an das Wilde befördert, wird in das Modell der Liminalität überführt, das beide Pole – soziale Norm wie Wildheit – in einer Sozialisationsfigur verbindet, um sie dann wieder zu trennen. Für Hartmann aber gilt wohl, was auch Eugene Vance am »Yvain« Chrétiens herausgearbeitet hat, daß nämlich Kultur und Natur, Ethik und Animalität konstitutive Faktoren ritterlicher Existenz darstellen, Faktoren, die in Iwein wie seinem Löwen indiziert werden: und volgt im swar er kêrte / und gestuont im zaller sîner nôt, unz sî beide schiet der tôt.334 Hartmanns »Iwein« ist eine Adaptation des Chrétienschen Modells und entspricht allein aufgrund des analogen plots in zentralen Konfigurationen von Mensch und Tier seiner Vorlage. Ein Vergleich beider Texte hat aber gezeigt, daß der deutsche Ritter die Tierkennzeichnungen deutlich zurückdrängt und somit auf zentrale Möglichkeiten eines eigenen Zeichenspiels verzichtet. Nicht nur sind die Beschreibungen des gebûren und des Riesen Harpin, wenn auch nur partiell, entschärft, auch die Tiermetaphorik in den Kämpfen Iweins fehlt gänzlich. Auf der anderen Seite verzichtet Hartmann auf die spezifisch adelige Form der Humanisierung des Löwen, so daß als genereller Befund gelten kann, daß die Grenze zwischen Mensch und Tier wieder stärker akzentuiert wird. Für Hartmann steht anders als für Chrétien weniger das heraldische Muster im Hintergrund der Verbindung von Ritter und Löwe, als vielmehr das pastorale des Heiligen und seines Tieres.335 So baut sich der Löwe nicht wie bei Chrétien in heraldischer Geste vor dem Ritter auf, sondern schmiegt sich zu dessen Füßen. Auf die verschiedenen Quellen gerade für Dankbarkeitsgeschichten, wie der von Androclus und dem Löwen, ist mehrfach hingewiesen worden.336 Hier sind es nur noch die providentiellen Spuren der Tugenden in den Tieren selbst, die zur Plausibilisierung des sonderbaren Verhaltens beitragen. Das Tier wird dabei so gut es geht auf seine natürlichen Verhaltensformen zurückgeführt: wie es eime tiere tohte.337 An die Stelle einer heraldischen Korrespondenz von Mensch und Tier tritt 333 So sehr die Wahnsinnsszene und die Begegnung mit dem gebûren aufeinander bezogen sind, so wenig markieren sie ein striktes Oppositionsverhältnis. Matejovski selbst verweist auf die Besonderheit von Chrétiens/Hartmanns ästhetischem Verfahren: Spiegelungen, Aufspaltungen, Ironisierung. Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns, S. 128, 131. 334 Hartmann von Aue, Iwein, V. 3880–3882. 335 Vgl. Nitschke, Tiere und Heilige, S. 62–100. 336 Wehrli, Iweins Erwachen, S. 70f.; Lewis, Das Tier und seine dichterische Funktion, S. 70; von Ertzdorff, Hartmann von Aue: Iwein und sein Löwe, S. 292. 337 Hartmann von Aue, Iwein, V. 3876; von Ertzdorff, Hartmann von Aue: Iwein und sein Löwe, S. 290, 295.

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eine ethische. Während der Kleriker Chrétien am Löwen die heraldisch-adelige Form ins Bild setzt, zitiert der Ritter Hartmann einen eher legendarischen Typus: sich bôt der lewe ûf sînen vuoz / und zeict im unsprechende gruoz / mit geberde und mit stimme.338 Auch Hartmanns gebûre zeichnet sich bei aller Analogie zu Chrétien durch eine spezifisch abweichende Zeichnung aus. Zunächst bleibt er nicht wie der vilain in einer unabschätzbaren Haltung stehen,339 sondern geht Kalogrenant entgegen, was vor dem Hintergrund zeitgenössischer Etikette wohl schon als Zeichen friedlicher Kommunikation zu deuten ist. Die Differenz zum Wilden Mann und die Nähe zum Sünder – auf dem gebûren lastet die Erbsünde – läßt sich an einer Parallele zu Hartmanns »Gregorius« festmachen. Für die Beschreibung des büßenden Sünders wie für den gebûren greift Hartmann auf phasenweise identische Beschreibungen zurück.340 Solche Beschreibung, das zeigt die Parallele, muß nicht auf eine Karikatur des Bäuerlichen verweisen,341 sie ist vielmehr zugleich Index einer tiefgreifenden Sündhaftigkeit.342 Vor allem aber basiert die Macht des gebûren über die Tiere auch auf Sprache, bereits nach antiker Kulturtheorie (Cicero) das entscheidende Kriterium für humanitas: mîn zunge und mîn hant, / mîn bete unde mîn drô, / die habent mirs gemachet sô / daz sî bibende vor mir stânt […].343 Der Gewaltaspekt, den Chrétien allein akzentuiert, ist abgemildert zugunsten einer möglichen Kommunikation: eine doppelte Strategie, die auch in der Missionierung der slawischen Heiden durch Worte und durch Gewalt zur Anwendung kam.344 Gegenüber Chrétien führt Hartmann die Hirtenexistenz des gebûren deutlicher an die pastorale Form heran. Die Hirtenform ist aber nicht einfach eine Form der Postfiguration oder Halbtypologie, sie zielt nicht auf den Aspekt der Sorge, der im Pastorat traditionell konnotiert wird, sondern auf den der Herrschaft. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Kulturmuster von Pastorat und Domestizierung bezieht der Text seine eigene Position, indem er das Hirtenmodell zitiert und mit dem der Unterwerfung übercodiert. Daß Hartmann gegenläufige Erzählmodelle miteinander verbindet, ist am Bei-

338 Hartmann von Aue, Iwein, V. 3869–3871. 339 Vgl. den homo agrestis im »Straßburger Alexander«. 340 […] ein ragendez hâr ruozvar: / daz was im vast unde gar / verwalken zuo der swarte / an houbet unde an barte. Hartmann von Aue, Iwein, V. 433–436. Vgl. zu Gregorius: Der arme was zewâre / erwahsen von dem hâre, / verwalken zuo der swarte, / an houbet unde an barte: Hartmann von Aue, Gregorius, V. 3423–3426. 341 Milnes, The Play of Opposites, S. 242f. 342 Ernst, Haut, S. 176. 343 Hartmann von Aue, Iwein, V. 507–509. 344 So etwa der Rugianer Jaromir, der gentem rudem et beluina rabie sevientem partim predicacione assidua, partim minis ab innata sibi feritate ad novae conversacionis religionem convertebat. Helmold von Bosau, Cronica Slavorum, Kap. 108, S. 212.

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spiel des »Armen Heinrich« und des »Iwein« beschrieben worden, auch daß der »Iwein« auf unterschiedliche Art legendarische Muster adaptiert.345 Schließlich ist der wahnsinnige Iwein weniger ein Wilder als ein edler Tor, weniger die Bestie als das Mängelwesen, nicht aber das Herdenvieh. Hartmann hat sich mit diesen leichten Retuschen weiter von der Gewaltethik des Feudaladels entfernt und nimmt sichtbar einen ethischen Standpunkt ein. Berücksichtigt man darüber hinaus, daß Hartmann die christlichen Reminiszenzen generell deutlicher als Chrétien akzentuiert (vgl. das ander paradies), so laufen beide Bearbeitungstendenzen in dem Befund zusammen, daß Hartmann die Grenzziehung zwischen Mensch und Tier deutlicher auf den christlichen Horizont projiziert, ohne sie indes darin aufgehen zu lassen.346 Die feudale Topik der Animalität spielt bei ihm eine eher nachgeordnete Rolle, obgleich auch sie fest in der Handlungsstruktur verankert ist. Gegenüber dem Prozeß der Entanimalisierung des Ritters, der noch Chrétiens Gegenstand war, ist bei ihm die Bindung an die Rechtsinstitution geblieben. Und doch enthält auch der »Iwein« weiterhin zentrale animalische Zeichenarsenale, den gebûren, Iweins Wahnsinn, den Löwen, Iweins Namen. Auch bei Hartmann ist der Löwe ein vielfach codiertes Symbol: ausgelagertes heraldisches Zeichen prädestinierter Herrschaft, domestiziertes Jagdinstrument, Waffenbruder, Rechts- und triuwe-Symbol, Christusallegorie, Chiffre der Wildheit schlechthin. Der Löwe wird damit mehr zum Zeichen eines versöhnten Naturverhältnisses, sowohl in sich wie gegenüber dem Menschen, als zu einem Index feudaler Herrschaft. Der Löwe ist zugleich Waffengefährte – vriunt – des Ritters, wie er auch realer Begleiter in Alltagssituationen (Nahrungsbeschaffung, Wache) ist. Der Assoziationskontext der Heiligenviten, die immer wieder Tiere als Begleiter zeigen, strahlt derart in den höfischen Roman auch über das Bildarsenal ein.347

345 Ruh zur Legendenkreuzung im »Armen Heinrich«, Warning zum Figuralscheam, Quast zum Narrativ der Verborgenheit. Vgl. Kiening, Kultur und Natur, S. 60. 346 Zur christlichen Codierung vgl. Wehrli, Iweins Erwachen, S. 64–78. 347 Nitschke, Tier und Heilige, S. 62–100; Elliott, Roads to Paradise.

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5. Adelige art und höfische Kultur versus christliche Ethik »Partonopier und Meliur« 5.1 Minneroman: Höfisches Heldenkonzept Konrads von Würzburg »Partonopier und Meliur« entwirft die Geschichte eines jugendlichen Helden, der über zahlreiche Stationen, Trennungen und Wiedervereinigungen Geliebte und Herrschaft erringt.348 Narrative Basis ist ein Synkretismus der Erzählschemata des antiken Liebesromans, der Mahrtenehe und des Aventiureromans, der zugleich zahlreiche intertextuelle Bezüge (Überblendung/Inversion) aufweist. Obgleich im städtischen Milieu entstanden, ist Konrads Adaptation »wie die französische Vorlage ein spezifisch aristokratischer Roman, der Minne- wie Ritterthematik mit fürstlichem und exklusivem Standesethos verbindet.«349 Der Roman leistet sichtbar Normierungsfunktionen adeliger Existenz, indem er als Ort kollektiver Verständigung über adelige Wertvorstellungen und Handlungsmuster fungiert. Forschungsgeschichtlich sind vor allem Bearbeitungsformen, Erzählmuster und Handlungslogik des Textes untersucht worden, selten aber wurde gegenüber der höfisch christlichen Folie auf die heroische Komponente des Textes verwiesen, d. h. auf die Inszenierung von Gewalt in Metaphorik, Szenenarrangements und konkreten dargestellten Praktiken. Anders als im Fall des monströsen Kindes Wolfdietrich ist die frühe Sozialisationsstufe des Partonopier höfisch eingebunden. Gegenüber dem Modell des heroischen Kindes profiliert sich vielmehr eines des adeligen iuvenis. Insofern enthält die Liebesgeschichte zwischen Partonopier und Meliur eine Stationenfolge adeliger Sozialisation, das die konstitutiven Entwicklungsstufen des Menschen durchläuft: adolescentia, iuvenis, senior.350 Adeliger Status ist bei Partonopier nicht durch animalische Kräfte markiert, aber auch nicht Produkt von Erziehung, er ist eher als höfische Art ästhetisch dem Körper eingeschrieben: ich nime an iu der dinge war, / daz ir von adel sît geborn, / wand iuwer lîp vil ûz erkorn / sô keiserlichen ist getân.351 Schönheit statt Wildheit kennzeichnet zunächst die Adelsart des Protagonisten. Eine Diskussion über den Vorrang adeliger art gegenüber nichtadeligen Aufsteigern ist denn auch wiederholt Bestandteil des Textes. Vor diesem Hintergrund ex348 Kokott, Konrad von Würzburg, S. 220–257; Obst, Der Partonopier-Roman; Simon, Einführung in die strukturalistische Poetik, S. 123–139; Wyss, Partonopier und die ritterliche Mythologie, S. 361–372; Rikl, Erzählen im Kontext; Schulz, Poetik des Hybriden, S. 84–121; Wawer, Tabuisierte Liebe, S. 57–65. 349 Peters, Roman courtois in der Stadt, S. 25. 350 Schulz, Poetik des Hybriden, S. 106. 351 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 12902–12905.

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tremer höfischer Inszenierung erscheint eine heroisch-animalische Thematik eher unwahrscheinlich. Und doch durchzieht die spezifische Nähe von Mensch und Tier in offener oder latenter Form selbst solche Epen wie den »Partonopier«, höfische Epen, denen traditionell das Etikett ›sentimentaler Minneroman‹ anhaftet. Adelige Statusdemonstration und Bewährungstaten, Artikulation adeliger art und ihre Krisen enthalten eine ganze Ökonomie animalischer Zeichen. Zu unterscheiden ist dabei ihr jeweiliger syntagmatischer und paradigmatischer Status.

5.2 Die Jagd als Initiation Trotz außerordentlicher Schönheit als Arteigenschaft bedarf der adelige Held weitergehender Fähigkeiten. Der Roman setzt mit einer paradigmatischen Jagdszene ein, in der der Held seine Kräfte zu beweisen hat. Dient der Wald erzähllogisch traditionell als Raum der Verirrung, der Trennung des Protagonisten von seinem angestammten sozialen Milieu und als Übergangssphäre in das Zauberreich Scheifdiere,352 so ist er handlungslogisch zugleich der Ort der ersten Initiation des iuvenis durch die Jagd, die Vorübung des Krieges. Im Gefolge seiner hetzenden Hunde, denen er nach meisterlîchen prîse / sô fremde jagewîse [bläst], daz man sô wilde nie vernam, stellt Partonopier einen Eber, mit dem er sich einen ritterlichen Zweikampf (tjost) bietet: sîn jagepfert schoen unde guot / nam er dô mit beiden sporn, / als ein helt vil ûz erkorn / dem swîne er balde engegen reit.353 Im wilden Wald erwirbt der Knabe Ruhm, indem er in einer wilden Hetzjagd ein Wildschwein erlegt. Stellvertretend für den zukünftigen Kriegsgegner wird der Held mit dem heroischen Tier sui generis konfrontiert:354 ›seht!‹ sprâchen si, ›dem kinde gelücke und êre ist widervarn wâ gehôrte ie muoter barn daz ein drîzehenjaeric knabe sô griulich swîn gevellet habe als der junge süeze kneht?‹.355

Das Ereignis der Jagd dient als Markierung einer biographischen Schwelle, die topisch auf das außerordentliche Gewaltpotential des Adels verweist. Solche 352 Strümpel, »der walt ist aller würme vol«, S. 378. 353 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 355–357, 372–375; Rikl, Erzählen im Kontext, S. 31–34. 354 Weniger als ›Symbol des Dämonischen‹ denn als Chiffre natürlicher heroischer Gewalt figuriert der Eber. 355 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 394–399; Wawer, Tabuisierte Liebe, S. 65.

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Verfügung über Gewalt, die als genealogische Mitgift interpretiert wird, ist zugleich Zeichen einer zukünftigen Herrschaftskompetenz: für Heil und Ehre. Der Auffassung der Jagd als Feld adeliger Gewaltdemonstration korrespondiert diejenige als Ort der kunstvollen Betätigung. Darstellung von Gewalt und ihre technische Kontrolle finden hier zusammen. Die Beschreibung der Jagd, die vorbildliche Verfolgung des Tiers mit Hilfe der Hunde, die Inszenierung des Eberkampfes als ›ritterlicher‹ Zweikampf, schließlich die gekonnte Zerlegung des Ebers (Tristan) und der Speisung der Hunde: All das kennzeichnet die Jagd zugleich als Kunst.356 Und doch mündet die ›Kunst‹ unversehens in eine nicht mehr zu kontrollierende Dynamik: Den durch die Speise frech unde geil gewordenen Hunden wart noeter vil dann ê / ze hetzen und ze jagenne, so daß die Jäger ihnen kaum zu folgen vermögen und die Jagd nach dem Beutetier in eine nach den Jagdhunden übergeht.357 Es ist die Natur, die den Gang der Handlung bestimmt. Damit wird aber die Jagd selbst zum Index drohender Entfesselung von Energien und somit zur Chiffre einer Spannung von Gewalt und Disziplin. 5.3 Adelige Statusdemonstration In der Kunstwelt von Schiefdeire zeigt sich höfische Kultur in ihrer ästhetischen und ökonomischen Vollendung. Von vier Türmen aus überblickt Partonopier eine geordnete Welt des Handels und der Landwirtschaft sowie der höfischen Lebensform, der Jagd, die offenbar alle Begrenzungen der Realwelt hinter sich läßt: Dâ stiez von schoenen velden, von wisen und von welden ein wunder an, geloubet mirz; daz rêch, den eber und den hirz; daz rephuon und den vasant zallen zîten man dâ vant, sô man si vâhen wolte. swaz man dâ jagen solte, daz wart erloufen schiere.358

Das wünniclich riviere, auf das Partonopier blickt und das sichtbar in Konkurrenz zu religiösen Ideallandschaften tritt – ein irdisch paradîs –,359 ist ein 356 Daß nicht nur die Beizjagd als Kunst aufgefaßt wurde (Friedrich II.), sondern auch die Hetzjagd, belegt die Jagdschrift eines deutschen Ritters noch aus dem 13. Jahrhundert: Guicennas, De arte bersandi. 357 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 412, 420f. 358 Ebd., V. 2371–2379. 359 Ebd., V. 2330; Wawer, Tabuisierte Liebe, S. 69–71.

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Raum unerschöpflicher Ressourcen, so daß auch hier höfische Lebensform, kurzewîle ohne Einschränkung praktiziert werden kann: du maht nâch dînes herzen kür / hie birsen, beizen unde jagen, / trinken, ezzen, kleider tragen / und dar zuo rîten schoeniu pfert.360 Das ist in Verbindung mit Minne die Kurzformel für höfisches Leben. Die Jagd ist in ihren verschiedenen Ausprägungen zentraler Bestandteil des statusadäquaten Handelns wie auch der Umgang mit herausragenden Pferden. Und doch nimmt die Figurenperspektive den Sonderraum nicht ohne Zweifel wahr, tragen doch seine Status- und Jagdinstrumente, die Tiere, Markierungen dämonischer Herkunft: Das pechschwarze Pferd und die schwarzen Jagdhunde machen den Protagonisten nachdenklich.361 Die Beschreibung der Topographie, des Palastes, der inneren Ausstattung und der Praktiken wird nur durch die vollständige Abwesenheit von Menschen relativiert.362 Die Minnewelt als abgeschlossener Raum der Zweisamkeit, das ist klassische Szenerie des verligens (Erec), indes angereichert mit einer selbstgenügsamen höfischen Lebensform: ohne soziale Einbindung und damit ohne Möglichkeit sozialer Bewährung. Partonopiers Tagesbeschäftigung besteht, nun allerdings höfischem Comment entsprechend, im Divertissement der Jagd. Vor die Wahl gestellt, ob er jagen oder beizen wolle, entscheidet sich der ungestüme Protagonist gegen die kunstvolle Beizjagd und für die Hetzjagd. In der Wahl spiegelt sich die Disposition seiner Altersstufe, der Impulsivität eher zugeschrieben wird als das Bedürfnis nach kunstvoller Übung. Und doch zeugt die Instrumentalisierung der Natur von einem anderen Status der Jagd. Entlastet von jeglicher Kontingenz wird die Jagd hier zum reinen Divertissement. Wenn die Hunde das Tier problemlos jagen und stellen, ist Jagd keine Form der Bewährung mehr. Damit ist zugleich die Problematik des Ortes markiert: Schiefdeire ist eine Kunstwelt, bestehend aus höfischer Architektur, höfischem Glanz, zivilisierter Natur und magisch beherrschter Wildnis. Insofern bricht schließlich die Natur fast notwendig durch die Folie höfischer Inszenierung wieder durch.

5.4 Der iuvenis als adeliges Tier Selbst der kindliche Partonopier, Inbegriff höfischer Vollkommenheit und adeliger art, wird schon früh mit Tiervergleichen und -metaphern umstellt, gewissermaßen als Markierung latenter animalischer Anlagen. Schon bei der ersten Verirrung im Wald besitzt die Raumsemantik der Wildnis ihr körper360 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 1992–1995. 361 Ebd., V. 2256, 2640f. 362 Kokott, Konrad von Würzburg, S. 338f.

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liches Analogon im Falkenblick des Helden. Zwar ist Partonopier nicht der heroische Typus, der die Konfrontation mit der Tierwelt sucht, auch ist der Wald selbst vornehmlich ein Ort der Bedrohung, ein Ort, an dem der Protagonist den wilden Tieren zum Opfer zu fallen droht. Die Raumsemantik der Wildnis evoziert jedoch zugleich eine entsprechende Kennzeichnung des Helden: Im Wald überblickt Partonopier den Raum reht als ein grimmez välkelîn, / daz hungert und die pfrüende sîn / wil suochen ûf der heide. / sîn ougen liez er beide / verr über daz geböume gân.363 Die feudale Artdiskussion, die im Verlauf des Romans gerade in bezug auf adelige Kriegstauglichkeit wiederholt thematisiert wird, erhält auf der körperlichen Ebene ihre natürliche Signatur. Der physiognomische Hintergrund der Beschreibung Partonopiers erhellt präziser aus einer späteren Szene, der Krise, in der der Erzähler den körperlichen Verfall des Protagonisten kommentiert: als eime jungen valken / spilten ê sîn ougen.364 Der obsessiven Akzentuierung gerade der körperlichen Vollkommenheit des jugendlichen Helden, seiner glanzvollen höfischen Erscheinung (art), wird hiermit ein Kontrapunkt eingeschrieben, eine natürliche Markierung, die auf andere Anlagen verweist: auf ein heroisch-animalisches Potential. Sie bleibt indes in ihrer Ausgestaltung an den jeweiligen Raum gebunden, behauptet sich nicht wie die animalische Zeichnung des Heros (Wolfdietrich, Alexander) in konstanter Form. In der vollkommenen höfischen Kunstwelt von Schiefdeire verhält sich der Held aus dem Wald denn auch wie ein verstörtes Tier in einer bedrohlichen Umgebung: er sucht Personen kapfende umbe alsam ein tier, erschrocken nimmt er die Bewegungen der unsichtbaren Diener war, gejaget wart er als ein tier / in grôzen angest, so daß seine Not rückblickend als die eines Hirschen dargestellt werden kann.365 Für die Konfrontation mit dem Unbekannten, für die Darstellung von Scheu und Furcht angesichts unbekannter Erfahrungen, greift der Autor auf Tiervergleiche zurück, markiert damit aber nicht nur die Unerfahrenheit des Protagonisten. Die Wahl der Metaphernebene impliziert eine qualitative Nähe. Die metaphorische Anbindung von Ritterart an Tierqualitäten wird auch in der Folge weiterhin raumsemantisch inszeniert. In Partonopier bricht während seines Aufenthalts im Feenreich eine Art natürliches Sehnen nach Verwandten, Land, Ehre und Besitz durch. Der Rekurs auf die animalische Bildebene ist signifikant und konstituiert zusammen mit den anderen Tiervergleichen eine eigenständige Semantik. Wie ein Vogel trotz allen gemaches sich ins Grüne sehnt, so drängt es Partonopier dorthin, wo er erzogen wurde:366 363 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 599–603. 364 Ebd., V. 9724f. 365 Ebd., V. 974, 1342f. in haete sorge alsam ein hirz / dâ vor mit leide erîlet. Ebd., V. 2166f. 366 er tet alsam saz vogellîn, / daz wider in die grüene senet. / swie vil man ez gemaches wenet / bî den liuten anderswâ, / sô waere ez doch vil gerner dâ, / von dannen ez kam dar geflogen. Ebd., V. 2742–2747.

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IV. Literarische Fallstudien

swâ der mensche wirt erzogen, weizgot, dâ strebet im der sin ie ze jungest wider hin, als in den walt daz wilde tier.367

Auf eine andere Art wird hier der höfische Raum in Schiefdeire gegen den Naturraum der familia ausgespielt, die für den Adeligen über allen anderen Werten rangiert. Die Sphäre der Sippe, des Ursprungs, wird als besondere Art von Natur aufgefaßt. So wird der soziale Raum der Herkunft mit der künstlichen Welt des Hofes konfrontiert, die metaphorisch und real als Raum der Gefangenschaft gezeichnet wird. Analog zur pädagogischen Topik wird die erworbene Erziehung als (zweite) Natur aufgefaßt. Für die im Text wiederholt geführte Artdiskussion kann das negative wie positive Folgen zeitigen.368 Doch konnotiert die Tiermetaphorik noch einen weiteren Aspekt. Vor dem Hintergrund der aktuellen Raumtopik von Hof und Wildnis evoziert sie die Vorstellung, daß für den Ritter die Sphäre des gemaches und der kurzewîle, die außer durch das Minneverhältnis sich durch Hetz- und Beizjagd auszeichnet, durch die des Krieges und der Bewährung ersetzt werden muß. Der Handlungslogik korrespondiert eine Zeichenlogik, die auf die genuine Animalität des Ritters zielt. Wie in einer Art Entelechie benötigt das ›wilde Tier‹, der Ritter, einen adäquaten wilden, d. h. kriegerischen Raum der Entfaltung. Bei der Rückkehr zu seiner familia trifft Partonopier diese denn auch in bedrohter Lage an. Später wird Partonopier auf die Vorhaltungen seines Cousins, er sei für den Kampf gegen Sonagiure zu jung, antworten: ›kein vogel noch kein wildez tier / ze fluge noch ze loufe wart / nie sô gîtic ûf der vart, / als ich, herre, bin dar zuo[…]‹.369 Dieser natürliche Kampfeifer (Gier) des Adeligen, der immer wieder in den Epen mit Tiervergleichen beschworen wird, besitzt sodann seine metaphorische Entsprechung im Kampf selbst. Zweikampf, Turnier und die Schlacht sind spezifische Orte feudaler Subjektivierung, die animalische Potentiale freisetzen. Bereits Partonopier und Sonagiure kämpfen entsprechend grisgramend unde wetzende / sam zwên eber mit den zenen.370 Hier noch als heroisches Signal gesetzt, analogisiert Konrad Partonopier am Ende des Romans, in der Entscheidungsschlacht gegen den Sultan, mit den Herrschaftssymbolen par excellence: ein löuwe nie sô bitter / in

367 Ebd., 2748–2751. 368 Ein Intrigant wie Phares wird in diesem Sinn sowohl Opfer seiner ständisch inferioren Natur wie auch seiner frühen sozialen Prägung: Er lernt sich in Reden und Gebärden zu verstellen und nutzt es als Mittel der Intrige. 369 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 4896–4899. 370 Ebd., V. 5928f.

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sîner hungernoete wart / als der helt von hôher art / was in der tagezîte / den vînden an dem strîte.371 Im finalen Turnier schließlich brechen animalische Qualitäten unterschiedlichster Art durch, als metaphorische Zeichen wie als reales Meuteverhalten. Schon eingangs wird die schmale kulturelle Grenze der ritterlichen Turnierform markiert. Gaudin und Partonopier: die riten alsam wildiu tier tobend allez umbe sich, ob iemen alsô ritterlich waer ûz der heidenschefte dâ, der mit ir eime wolte sâ justieren durch die minne der werden keiserinne.372

Turnier und Schlacht sind wie die Jagd genuine Orte adeliger Gewaltartikulation, die animalische Energien freisetzen. Wahnsinnigen gleich dringen die Ritter später in der Schlacht aufeinander ein: si drungen schiere sunder twâl / ûf ein ander âne fluht, / alsam diu grimme tobesuht / daz hirne bêden haete ergramt.373 Schließlich durchbrechen die beiden entsprechend die feindlichen Linien: gewaltic kleiner vogellîn / wart nie sô vaste ein adelar, / sam si dâ wâren maneger schar, / durch die si drungen unde riten.374 Die gegnerischen Scharen verflechten (flahten) sich unübersichtlich ineinander, so daß den Pferden vil enge und ange [wart] / wan si niht heten rûmes. / vil bluotes unde schûmes / dranc in ûz der huite.375 Gleich einer Jagdmeute stürzt sich die heidnische schar auf die beiden Protagonisten: si tet alsam die vogele tuont, / die stürment zeiner iulen, umringt Gaudin und Partonopier rehte alsam ein hinden kalp / mit netzen wirt gevangen.376 Analog kommt der weiße Ritter (blancen ritters) Partonopier herangeflogen, blanc unde wîz alsam ein harm.377 Tierschilde, vor allem auf Seiten der Heiden, Tiervergleiche und Jagdterminologie prägen das höfische Turnier, das denn auch nicht zufällig in einen realen strît übergeht.378 Die Grenze zwischen höfischem Spiel und ideologisch blutigem Ernst ist schmal. 371 Ebd., V. 21780–21784; Kokott, Konrad von Würzburg, S. 238. Vgl. den Adlervergleich: er kam gelîch eim adelarn, / den dâ twingent sîniu kint, / diu nâhen tôt von hunger sint, / daz er nâch spîse ringet / und einem vogel swinget / sêr unde grimmeclichen nâch. Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 21458–21463. 372 Ebd., V. 13586–13592. 373 Ebd., V. 20046–20049. 374 Ebd., V. 15952–15955. 375 Ebd., V. 14446–14449. 376 Ebd., V. 14316f., 14352f. 377 Ebd., V. 14501. Erstaunlich ist die wiederholte Parallelisierung von Turniergewalt, ritterlicher Farbenpracht und Lärm mit analogen Naturszenerien. Z. B. V. 15494ff. 378 Ebd., V. 14490f., 15838f.

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IV. Literarische Fallstudien

5.5 Der Wilde Mann als Minnetor Ein für die Erzählstruktur des höfischen Romans typisches Strukturmerkmal ist die Krise des Helden, die ihn durch eine Sphäre der zeitweiligen Isolierung führt, ehe er in einem erneuten Aventiureprozeß sich bewährt und reintegriert wird. Seit dem »Yvain« Chrétiens de Troyes steht dafür der Situationstyp »Verwilderung« zur Verfügung, der die Krise in einen Prozeß der Dekultivierung einfaßt und sie damit kulturtopologisch umrahmt. Chrétien und Hartmann hatten den Szenentyp als Paradigma eines Akkulturationsprozesses entworfen, die Verwilderung selbst aber noch am adeligen Symbolsystem ausgerichtet, indem sie Yvain/Iwein zum Jäger regredieren ließen. Verschiedene Epen und Erzählungen haben in der Folge den Situationstyp »Verwilderung« aufgegriffen und auf alternative Art ins Bild gesetzt: der »Busant«, Heinrichs von Neustadt »Apollonius von Tyrland« und Konrads »Partonopier«.379 Es ist gegenüber der Verwilderungsepisode des »Yvain«/»Iwein« signifikant, daß gerade solche epischen Entwürfe, die stark von christlichem Gedankengut überformt sind, die Enklaven der Wildnis zu providentiellen Orten transformieren. Am deutlichsten gestaltet Heinrich von Neustadt den providentiellen Rahmen, wenn die Tiere den verirrten Apollonius ihrerseits nicht nur schonen, sondern ihn mit diversen Kulturtechniken und -leistungen ausstatten.380 Bildarsenale christlicher Provenienz übercodieren sichtbar die feudale Welt. In seiner Minnekrise sucht Partonopier den Ardenner Wald auf, dâ manic wunder wilde / von tieren loufet inne doch; bzw. mit der Absicht: daz mich diu tiere manecvalt / zerîzen und zezerren.381 Der Held unterliegt dem Prozeß sukzessiver Verwilderung im Zuge seiner Minnemelancholie, die als topisch eingeführte Krankheitsursache traditionell zu einer Verwahrlosung führt und leicht in die Verwandlung zum Wilden Mann übergeht: er tete alsam er wilde / gienge in eime vorste.382 Wie bei Iwein manifestiert sich der Zustand innerer Verzweiflung äußerlich im körperlichen Verfall, der bis an die Grenze des Animalischen geht. So resümiert Irekel Partonopiers Zustand später: in einen holen boum geleit / het er sich als ein wilder gouch. / er gie des 379 Heinrich von Neustadt, Apollonius von Tyrland, V. 6463–6792; Der Busant, V. 575–617, 760–803. 380 Heinrich von Neustadt, Apollonius von Tyrland, V. 6652–6780. Kiening, Apollonius und die Tiere, S. 415–431. 381 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 9860f., 9870f. So spricht die junge maget: […] wan daz stôzet an den walt. / wildiu tier gar manicvalt / dar inne loufent unde gânt, / diu liute vil ersterbet hânt / in ir zorne grimmeclich. Ebd., V. 10643–10647. […] daz er sich wolte drâte / verderben lân diu wilden tier. Ebd., V. 9890f. 382 Ebd., V. 9704f.

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mâles unde krouch / ûf sînen henden als ein vihe.383 Das ist nicht mehr der animalisierte Heros als wilder Jäger (Iwein) oder als providentiell geschützter Held (Apollonius), sondern die Todessehnsucht des iuvenis, eines seinen Leidenschaften ausgelieferten Heranwachsenden. Das Strukturmuster ist durch jeweils unterschiedliche ›kulturelle‹ Konfigurationen besetzbar: Regression feudaler Natur zum Jäger; providentiell gelenkter Held; animalisierter Minnetor. Konrad bedient sich für die Darstellung der Krise der christlichen Topik, wie sie an Nebukadnezar vorgeprägt worden war, doch tritt an die Stelle des göttlichen Strafmechanismus’ die innere ›Krankheit‹.384 In der Inszenierung des Helden überblendet Konrad feudale und christliche Register. Der Synchretismus der Sinnhorizonte und Erzählmuster verbindet nicht nur höfische, heroische und christliche Normhorizonte, sondern auch artistische, die aus einer Säkularisierung des Mahrtenschemas resultieren. In diesem Sinn opponiert der Text gegen eine umstandslose Symbiose von feudaler und christlicher Kultur, nährt Widerstände gegen eine Unterwerfung unter die christliche Dogmatik. Eingezogen in den Handlungsverlauf wird die Magiethematik, ohne indes auf rein dämonische Ursachen zurückgeführt zu werden. Neben der Reduktionsform von Providenz, der Gleichgültigkeit der wilden Natur am Schicksal des Helden, setzt Konrad ein zweites, eher technisches Verfahren der Naturbeherrschung ins Bild. Ist bereits in Meliur der traditionelle Feenzauber zur artistischen Handhabung von Magie säkularisiert, so phantasiert der Text den Spielraum magischer Praktiken weiter aus. Während Partonopier durch Providenz der Gefahr entgeht: wande er sterben wolte sâ, sô lebte er deste langer. / nâch dem tôde ranger / und mohte niht erwerben sîn,385 hält sein heidnischer Retter Maruc386 aufgrund magischer Technik die Tiere in Schach und ermöglicht seiner Begleiterin gewissermaßen eine Sightseeing tour – verr in der wilden wüeste / beschouwen âventiure – in der Wildnis: swaz iemen tiere mac gegern, / der spürten si dâ wunder.387 Konrad treibt 383 Ebd., V. 14820–14823, 15010f. Nach Strümpel »erfüllt auch die Tierwelt im ›Partonopier‹ funktional bestimmte Aufgaben zur Charakterisierung von Schauplätzen und als handlungsauslösende Faktoren.« Strümpel, »der walt ist aller würme vol«, S. 381. 384 Darumbe daz geschach / daz man sît sach / den künec gewaltes rîche / einem ochsen gelîche / bûwen daz gevilde. / ûf heide und in der wilde / muost er holn sîne nar. So beschreibt noch Ulrich von Etzenbach die Vertierung des Nebukadnezar. Alexanderroman, V. 1101–1107. 385 Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 10478ff. Isoliert von der Gesellschaft, physisch verwahrlost, ökonomisch auf Grundnahrungsmittel verwiesen zieht sich der Protagonist in einen hohlen Baum zurück. 386 Maruoc als er wol kunde / schuof mit sîme zouber, / daz si von der klouber / der grimmen tiere kâmen. Ebd., V. 10678–10681. 387 Ebd., V. 10692f., 10702f. Si sâhen und vernâmen / vil schedelicher würme, / und mohte in ir gestürme / niht geschaden, wizze Krist. / si lâgen alle bî der frist / mit offenbaeren ougen / und sliefen âne lougen. Ebd., V. 10682–10688.

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IV. Literarische Fallstudien

die Handhabung von Kunst über das Normalmaß höfischer und artistischer Inszenierung hinaus bis hin zur Verfügung über Geschichte: Die ganze Handlung um Schiefdeire wird durch Magie in Gang gesetzt. Sie wirkt aber auch bis hin zur Verfügung über das Andere der höfischen Kultur, z. B. den wilden Wald mit seinen wilden Tieren.

5.6 Spiegelungen innerer und äußerer Natur Der Zustand des Protagonisten spiegelt sich auch in den verschiedenen Tieren, die ihn im Laufe der Handlung umgeben. Auch hier werden Handlungsund Erzähllogik sichtbar durch eine Zeichenlogik überlagert. Nicht zufällig ist das Pferd wiederholt Index der sozialen Befindlichkeit des Helden. Verirrt im Wald, muß Partonopier sein entkräftetes Pferd am Zügel führen, wie bei Wolfdietrich ein Zeichen dafür, daß die Einheit von Ritter und Pferd in diesem Raum gestört ist. In Schiefdeire stehen für seinen Aufstieg zeichenhaft ein neues kostbares Pferd, sowie zwei Hunde, die ihn in der Folge begleiten werden: dem ûz erwelten knehte / wart ze sînem orse gâch. / dar ûf saz er, die winde nâch / liefen ûf die verte sîn.388 Und wenn der Held nach dem Tabubruch seines Pferdes beraubt wird und erneut sein minderwertiges früheres zugewiesen bekommt, wird sichtbar, daß auch hier adeliger Status sich in der Qualität des Pferdes repräsentiert. sîn phert vil mager unde kranc, daz er geriten hete dar, daz wart im aber schiere gar für gefüeret und gezogen. das edel ors vil unbetrogen, daz im aldâ ze helfe wart gegeben an der êrsten vart, daz liez der hôchgeborne dâ. den meiden swach den fuorte er sâ mit im an ein schif zehant.389

Das Pferd kann sogar stellvertretend die Position des Helden übernehmen. Während Partonopier in vollständiger Passivität verharrt, hat sich sein Pferd jener Gefahren zu erwehren, die ersterer geradezu herbeisehnt. Das Pferd wird von einem beutesuchenden Löwen attackiert und erwehrt sich seines 388 Ebd., V. 2668–2671, 2986f., 3022–3025. 389 Ebd., V. 9146–9155. Wiederholt vertreten die Pferde die Ritter als Opfer von Gewalt. An verschiedenen Stellen steigert Konrad die Intensität und Gewalttätigkeit der Schlacht dadurch, daß er Pferde zerschlagen, verletzen oder Blut und Schweiß vergießen läßt. Auch hier wird Gewalt auf die Tiere ausgelagert.

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Angriffs durch einen tödlichen Hufschlag. Handlung wird damit sichtbar auf das Tier ausgelagert.390 Während Partonopier den zum Tier degenerierten Minnetoren verkörpert, hält gerade das adelige Tier die feudalen Werte der Selbstbehauptung und triuwe aufrecht, indem es gegen den Todeswunsch des Ritters adeligen Überlebenskampf gegen die wilde Natur repräsentiert. Der nach christlichem Muster verlaufenden Annäherung des Menschen an das Tier korrespondiert nicht zufällig die Substitution des Helden durch das adelige Standesattribut par excellence. Solche Funktion von Tieren als Zeichen inszeniert noch einmal die Anselmgeschichte gegen Ende des Romans, wobei die feudale Perspektive durch eine christliche ergänzt wird. Nachdem die Haupthandlung des Romans mit dem Erwerb von Frau und Kaiserwürde zu ihrem Ziel gelangt ist, schließt sich ein triuwe-Exempel an, das dem Kaiser noch einmal Gelegenheit zur Demonstration vorbildlicher Herrschertugenden gibt. Partonopier trifft auf der Jagd seinen ehemaligen Knecht Anselm, der sich verzweifelt gebärdet, da er inzwischen Opfer einer Intrige geworden ist. Die Episode ist als Aufsteigerkritik interpretiert worden, wobei Konrad das scharfe Standesethos seiner französischen Vorlage bekanntlich relativiert.391 Korrespondieren für diese bäuerlicher Stand und niedriger Charakter, so wendet Konrad das Verhältnis ethisch. Wer sich über seine ihm zugewiesene Stellung erhebt, bezeugt einen verwerflichen Charakter.392 Der verzweifelte Anselm erzählt seinem Herren die Ereignisse nach ihrer Trennung im Ardenner Wald. Nachdem er einen Hund zum treuen Gefährten gewonnen hat, den er aus einem Schiffbruch gerettet hatte, gelangt er an den Hof des römischen Kaisers, der ihn einem seiner Hofleute, dem Intriganten Phares, anvertraut. Kann sich Anselm noch aus Treue zu seinem Herren vor den Werbungen der Kaisernichte entziehen, so ist er dem raffinierten Höfling hilflos ausgeliefert.393 Mehrfach zieht er den Zorn des Kaisers auf sich, muß sogar, um dessen Huld wiederzugewinnen, eine gefährliche Aventiure bestehen. Er muß zusammen mit seinem Hund gegen einen mächtigen Bären, einen valant, antreten, der Teile des Reichsgebietes entvölkert. Gegen alle Erwartungen aber erringen Hund und Herr den Sieg, werden rehabilitiert, 390 Rikl, Erzählen im Kontext, S. 152–155; vgl. Strümpel: »der walt ist aller würme vol«, S. 382 zur funktionalen Bedeutung der Tiere als Symbolträger. 391 Und doch ist das Ergebnis der Erzählung Anselms, daß Partonopier veranlaßt, daz niemer swachez künne / daz gelt von im gewünne, / dâ mite ez würde erhoehet gar. Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 18721–18723. 392 Obst, Der Partonopier-Roman, S. 201–212; Ehlert, »In hominem novum oratio?«, S. 36–72; Rikl, Erzählen im Kontext, S. 191–195. 393 Eine Gelegenheit zur Verführung durch das liebende Mädchen mündet in einer Konfrontation mit einem aus seinen Fesseln ausgebrochenen Löwen, aus der Anselm durch seinen treuen Jagdhund gerettet wird. Erbost über den Verlust des Löwen, versucht der Kaiser, den Hund töten zu lassen. Konrad von Würzburg, Partonopier und Meliur, V. 18044–18081.

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IV. Literarische Fallstudien

um aber sogleich erneut Opfer einer Intrige zu werden, in deren Verlauf der Intrigant den Kaiser dazu bringt, den Hund Anselms zu erstechen. Die Konfiguration der Figuren ist offensichtlich. Gegen die beherrschbare Bedrohung des Reichs gegen von außen eindringende rohe Gewalt, verkörpert in dem valant, inszeniert die Handlung die Gefährdung des Hofes von Innen: durch einen Aufsteiger, ein Findelkind und Bauernabkömmling, der durch Verstellungskunst – er hete im alsô vil gelogen / mit rede und mit gebaerde – die Macht des Hofes an sich zieht.394 In der moraldidaktischen Fluchtlinie des Exempels steht das Vorbild des treuen Hundes gegen die Untreue des Höflings, repräsentiert der Hund den besseren Menschen. Wie der Löwe im »Yvain«/»Iwein« ist der Hund aber mehrfach codiert: Er ist zunächst schlicht Instrument der Jagd und des Kampfes (gladium vivum), sodann triuwe-Symbol, das den diversen triuwe-Konstellationen des Textes eine natürliche Fundierung, gewissermaßen einen Beweis ex lege naturae, gibt: gegen die nur angelernte Verstellungstechnik des gebûren, der seinerseits seine Natur nicht verleugnen kann. Schließlich ist die Verbindung des Knechtes Anselm mit dem Hund die Vorstufe zum ritterlichen Mensch-Tier (Pferd)-Gefüge.

394 Ebd., V. 17936f.

V. Resümee

Ausgangspunkt der Arbeit war der paradoxe Sachverhalt, daß mittelalterliche Diskurse über den Menschen trotz strikter Abgrenzung vom Tier ein ganzes Arsenal an Grenzüberschreitungen inszenieren. Leitfaden der Fragestellung war zunächst der Diskurs der Grenzziehung zwischen Mensch und Tier, der durch unterschiedliche Disziplinen und Felder – Theologie, Medizin, Politik, Literatur – verfolgt wurde. Gegenüber den Ausdifferenzierungen der Moderne sind sie im Mittelalter noch vielfachen Interferenzen ausgesetzt. Der Rekurs auf den ›kulturellen Horizont‹ sollte dem interdisziplinären und kulturwissenschaftlichen Ansatz Rechnung tragen und die Begrenzung auf rein literarische oder religiöse Formen der Verhandlung verhindern, wie sie in Fabel (z. B. Tierepik) oder Allegorie (z. B. Etymachietraktat) vorliegen. Vorausgesetzt wurde ein Verständnis von Kultur als komplexer Verflechtung symbolischer Ordnungen, als bewegliche und sich stets neu konfigurierende Formation von strukturellen Prägungen und intentional gesteuerten Einflußnahmen. Mit der Kategorie der ›Symbolischen Ordnung‹ wurde solch ein strukturelles und zugleich hermeneutisches Analyseinstrumentarium vorgeschlagen, das Strukturen nicht nur formal begreift, sondern als sinnhafte Ordnungsformen, die die Wahrnehmung von Mensch, Natur und Geschichte organisieren. Dem Konzept der ›Symbolischen Ordnung‹ korrespondiert eine Auffassung von ›Kultur als Text‹, d. h. als Geflecht von Sinnkonfigurationen. Gegenüber den klassischen Kulturmetaphern wie Gebäude und Gemälde eröffnet die Leitmetapher des Textes die Option, mit Hilfe ihres semantischen Potentials (Faden, Gewebe, Ausschnitt, Muster, Knoten etc.) variable Arbeitsfelder abzustecken, vor allem aber Vernetzungen aufzuspüren und an die Bedeutungsebene, an Sinn und Funktion rückzubinden. Der drohenden Verselbständigung semiotischer Zeichenbeziehungen wurde dadurch vorgebeugt, daß neben der Beschreibung des kulturspezifischen Zeichenhaushalts die Rekonstruktion der historischen Kontexte und der wirkungsmächtigen Diskurstraditionen und kulturellen Texte im Vordergrund stand, die eine diskursive Grenzziehung gegenüber dem Tier propagieren. Erst vor diesem Hintergrund erhalten dann einzelne exemplarische Textanalysen als subjektive Sinnentwürfe ihr Profil. Erst durch die an unterschiedlichen Punkten ansetzende Beschreibung ergeben sich die Umrisse eines Feldes (Netzes) diskursiver, disziplinärer, semiotischer und ästhetischer Auseinandersetzungen mit dem Animalischen.

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V. Resümee

Abgesteckt wurde zunächst ein Feld theoretischer Auseinandersetzungen mit dem Tier im gelehrten Umfeld. Das theoretische Nachdenken über die conditio humana vollzieht sich weitgehend unter theologischen Prämissen, die die Spaltung des Menschen (sensus-ratio) seit dem Sündenfall zur unhintergehbaren Voraussetzung machen. Insofern wird die theoretische Grenzziehung ethisch gesteuert. Die Folgen des Sündenfalls werden als verhängnisvolle Grenzüberschreitung vom Menschen hin zum Tier konzipiert, die nach innen und außen wirksam wird. Die Vorstellungen über die conditio humana, über den kulturgeschichtlichen Ausgangspunkt der Menschheit, über die Physiologie und Physiognomik des Körpers wie auch über die Wahrnehmung des Fremden zeigen, daß der ethische Befund immer wieder in Bildern des Animalischen mündet: Verwilderung der Menschheit; Selbstbehauptung einer Mangelnatur gegen das Wilde, z. B. gegen das Tierische, das Barbarische und das Heidnische, das Widerständige schlechthin; aber auch Markierung kultureller bzw. ökonomischer Differenzen z. B. in agricultura und vita pastoralis. Wahrnehmungsmuster dieser Art gehen über eine eurozentrische Positionierung hinaus, da der Mensch und somit die Gesellschaft immer auch von innen her bedroht ist: durch einen animalischen Affekthaushalt (appetitus bestialis, ira bestialis, furor bestialis) und durch animalische Energien von den Rändern der Gesellschaft her (Wilder Mann). Aus dem Sündenfall resultieren drei unterschiedliche Kulturmodelle: eines der Mangelnatur (natura noverca), die durch Instrumentalisierung kompensiert werden muß; ein Versöhnungsmodell (mater naturae), das die Rückkehr zum Ursprung mittels Askese anvisiert; ein Modell von Herrschaft, das der Verwilderung (more pecudum) vorbeugt. Technologischer, ethischer und politischer Kulturentwurf lassen sich dabei mit jeweils unterschiedlicher Akzentsetzung auf die ›drei Ordnungen‹ verteilen: auf Bauer, Kleriker und Ritter. Die theoretischen Konzeptualisierungen der conditio humana haben weitreichende Folgen für die Vorstellungen von politischer Ordnung. Eine derart von außen und innen bedrohte Gesellschaft erfordert nach mittelalterlicher Auffassung ein strenges Herrschaftsmodell, wobei geistliche und politische Interpretation hier eng miteinander verbunden sein können. Ethnische und soziale Differenzierung werden aus historischen und natürlichen Ursachen abgeleitet: zum einen die wilden und heidnischen Nachkommen Chams, zum andern die Analogie von Tiersozietäten/Organismuskonzepten und Gesellschaftshierarchie. Die historischen und natürlichen Legitimationsmuster werden über Narrative, Metaphern und ›wissenschaftliche‹ Argumentation fundiert und zur Hierarchisierung der Gesellschaft und ihrer Sinngebung herangezogen. Giorgio Agamben hat zwei Ausprägungen dessen beschrieben, was er »anthropologische Maschine« nennt und die der »Erzeugung des Humanen« die-

V. Resümee

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nen.1 In ihrer antiken Version humanisiere sie das Tier, indem sie nur wie Menschen aussehenden Tieren menschliche Eigenschaften zuschreibe, z. B. dem Wilden Mann, dem Barbaren oder dem Sklaven. In ihrer modernen Ausprägung dagegen animalisiere sie den Menschen, indem sie Menschen reale menschliche Qualitäten abspreche: dem Juden, dem Untermenschen oder in letzter Konsequenz noch dem Ultrakomatösen. Beide aber erzeugten das Humane mittels der Opposition von Mensch und Tier und rekurrierten stets auf ein Vermittelndes, das aber seinerseits schon die Spaltung enthalte. Inklusion und Exklusion bestimmten in beiden Fällen die Strategie der Ausgrenzung.2 Signifikant ist die Differenz zum Mittelalter. Schon das Mittelalter kennt in bezug auf den Menschen die Strategien der Inklusion und Exklusion. Hier rivalisieren zwei Diskurse, ein christlicher, der von einem generalisierten Begriff des Menschen ausgeht und diesen unablässig bedroht sieht, und ein politischer, der Strategien der Differenzierung und Ausgrenzung entwickelt. Beide ziehen die Grenzen zum Außen auf andere Art als in Antike und Moderne. Anders als in der Antike setzt mittelalterliche Theologie vor dem Hintergrund ihrer metaphysischen Ordnung sowohl eine prinzipielle Gleichheit der Menschen als auch eine Differenz von Mensch und Tier voraus, beide sind aber praktisch immer schon gestört. Die Schöpfungsgeschichte macht den Menschen einerseits zum Ebenbild Gottes, der Sündenfall nähert ihn andererseits dem Status des Tiers an. So reflektiert auch mittelalterliche Theologie über die Grenze zwischen Mensch und Tier, doch weniger unter systematischen als unter moralischen Gesichtspunkten.3 Auch hier finden sich zwei Arten der Animalisierung, die auf Inklusion und Exklusion basieren. Zum einen entsteht ein Prozeß der Verwilderung, der sich in der unkontrollierten Dynamisierung von Körperenergien, von Gewalt, Sexualität und Wahnsinn, artikuliert. Der Wilde Mann wäre ein solches Phantasma der sündhaften Exorbitanz, der Verbrecher ihr gefürchteter Repräsentant in der sozialen Realität, das bedrohlich Fremde die ethnographische Variante. Die Gleichsetzung der »infamen Menschen« mit Tieren in manchen Strafpraktiken (Friedlosigkeit, Vogelfreiheit etc.) sind wiederholt beschrieben worden, das Recht verbannt die homines silvestres an den Rand der zivilisierten Welt. Die Animalisierung der »infamen Menschen« bezieht sich aber auf eine soziale oder politische, d. h. kulturelle Praxis. Das Gesetz erst macht den Verbrecher zum Wolf, inkludiert das Tier in den Menschen.4 Zum andern artikuliert sich die Animalisierung des Menschen in der Subtraktion des specimen humanum schlechthin, der ratio. Resultat ist das 1 2 3 4

Agamben, Das Offene, S. 46. Ebd., S. 47. White, The Forms of Wildness, S. 11. Vogl, Matala de Mazza, Bürger und Wölfe, S. 207–217.

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dumpfe, seinem Nahrungstrieb hingegebene Herdentier. Hatte die Sünde im Menschen die Natur des Tiers aktiviert, so wird über den Gedanken der Erbsünde die Defizienz zum allgemeinen Status. Was zunächst moralisch hergeleitet wurde, wird mythisiert und von der politischen Theologie des Mittelalters aufgenommen, in Herrschaftsmodelle transformiert und wissenschaftlich unterlegt. Wenn Frauen, Kindern, Leibeigenen, letztlich allen Untertanen ein konstitutiver Mangel an Verstand, eine privatio rationis, unterstellt wird, die ihre Unterordnung unter die Fürsorge des Mannes bzw. des Herrschers oder Standes rechtfertigt, dann lenkt das Pastorat die Vorstellung sozialer Ordnung: der Hirte und die Herde. Nicht Überschuß, sondern Mangel, Exklusion, nähert hier den Menschen dem Status eines Tiers an, ohne indes endgültig in ihn umzuschlagen. Auf der Grundlage dieser Vorstellung regredieren in der Literatur selbst Könige, Heroen, Ritter und Sünder – Nebukadnezar, Wolfdietrich, Chrysostomus u. a. – auf die hilflose Form eines Herdentiers, sie alle aber kehren in den Status des Menschen zurück. Der Mensch als Bestie einerseits und als Herdenvieh andererseits, das ist das Resultat des christlichen Animalisierungsdiskurses, das schon in der Spaltung der Tierwelt selbst vorweggenommen wird. So sehr Natur und Tierwelt als Ordnungsraum entworfen werden, der Sündenfall spaltet auch ihn und sortiert die Menschen auf die Pole Bestie und Herdenvieh. Das Pastoralmodell der Kleriker und das Zähmungsmodell der säkularen Obrigkeit legitimieren sich vor dem Hintergrund dieser Dichotomie, und im Verlauf der Geschichte gehen sie dann eine Verbindung ein. Lenkung der trägen unselbständigen Masse und Züchtigung der widerständigen Elemente legitimieren sich gleichermaßen auf der Basis der Animalisierung des Menschen, doch vollzieht sich diese einmal durch die Zuschreibung eines wilden Außen – eine Inklusion – und einmal durch die Subtraktion eines Innen – eine Exklusion der Moral oder der ratio. In jedem Fall aber handelt es sich nicht um Tiere, sondern um Menschen, die aber nur noch graduell am Menschsein partizipieren. Demgegenüber besitzt aber auch das politische Feld seine eigene paradoxe Konstellation, geht es doch hier nicht nur um die Begrenzung animalischer Energien, sondern im Horizont feudaler Ethik auch um deren Durchsetzung. Die politische Interpretation der Metapher von Hirte und Herde impliziert denn auch immer Domestizierung und Zähmung als gewaltsame Unterwerfung, so daß der Herrscher nicht nur die Verkörperung der ratio darstellt, sondern auch das ›stärkste Tier‹ zu repräsentieren hat. Es sind gegenüber den theoretischen Entwürfen politischer Ordnung, die die rationale Komponente des Herrschers gegenüber der irrationalen des Volkes hervorhebt, vor allem Historiographie und Literatur, die den körperlichen Gewaltaspekt inszenieren. Herrschaft bedarf bei aller höfischen Stilisierung auch der Durchsetzungskraft, die in einer ganzen Semiotik des animalischen Heros in Szene

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gesetzt wird: Metapher, Name, Waffe, Körper und Pferd auf der einen Seite, wilde Sozialisation, Jagd und Krieg auf der anderen bilden die Einschreibeflächen für animalische Zeichen. Diese Semiotik ist aber nicht nur Selbstzweck literarischer Inszenierung, sie besitzt ihre pragmatische Funktion vor allem darin, daß sie Erinnerung an archaische – kultische oder mythische – Mensch-Tier-Verbindungen stiftet, wie sie auch noch lebensweltliche Praktiken wie Reiten und Jagen symbolisch codieren. Solche Annäherung an die wilde Natur bildet damit das Konkurrenzmodell zu den kirchlichen Entwürfen: dem ethischen mater natura-Modell und dem technologisch orientierten natura noverca-Konzept. Kirche und Adel sind also in bezug auf das Animalische je für sich gespalten. Während die Kirche gegenüber der normativen Trennung ein permanentes Katastrophenszenario der Grenzüberschreitung im Menschentier entwirft, versteht sich politische Herrschaft als Zähmung wilder Energien, jedoch unter dem Phantasma einer überlegenen animalischen Gewaltartikulation im Tiermenschen. Vielleicht nimmt deshalb der Kampf gegen das Tier, des Ritters gegen den Drachen (Iwein, Tristan, Wigalois, Wolfdietrich), gegen das Ungeheuer (Hercules) oder gegen den Löwen (Gawein) einen beinah mythischen Status innerhalb der literarischen Inszenierung an. Die unterschiedlichen Vorstellungen vom Status des Animalischen wirken auch auf die rivalisierenden Körperkonzepte sozialer Gruppen. Als Basistheorem mittelalterlicher Diätetik gilt der Satz, daß der Körper der Seele in ihren Aktionen folgt, die Seele dem Körper aber in seinen Leiden unterliegt. Diese Spannung von Körper und Seele erfährt nun ganz unterschiedliche symbolische Sinnzuschreibungen. Die ethische Deutung der Kirche orientiert sich an den klassischen Herrschaftsmodellen von Wagenlenker, Reiter und Rüstung, nach denen die Seele die exzentrischen Körperenergien zu ›zügeln‹ habe. Die zentrifugalen Kräfte des Körpers gelten als animalisch geprägt und bedürfen der ›technologischen‹ Kontrolle durch disciplina. Konzepte monastischer Askese, familialer und politischer Herrschaft berufen sich auf diese Grundauffassung über das Verhältnis von Körper und Seele. Der medizinische Diskurs dagegen interpretiert das Verhältnis als dynamisches Äquivalenzmodell, nach dem der Körperphysiologie ein zentraler Stellenwert für die Gesundheit zukommt. Vor dem Hintergrund der Humoralpathologie entwickelt die Medizin ein kompliziertes System der ernährungsbedingten Gesundheitsvorsorge (Diätetik). Und doch bietet sie zugleich die ›wissenschaftliche‹ Basis, die aus dem Gleichgewicht geratene Natur zu klassifizieren: gewissermaßen das wissenschaftliche Pendant zur Sündenlehre. Die Humoralpathologie entwirft nämlich in der Temperamentenlehre ein ganzes System der Abweichung, das Indizien für die medizinische Diagnose, aber auch für die Charakterlehre zur Verfügung stellt. Die historische

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Wirksamkeit der Physiognomik, die in bedeutendem Umfang auf der zoologischen Methode basiert, ist Ergebnis dieses vorausgesetzten Korrespondenzmodells von Innen und Außen. Sie verteilt schließlich auch sozial den Körper auf die Seite des instrumentellen ›Leidens‹ (Leibeigene) und die ratio auf die des politischen Handelns (Herrschaft). Im Modell des ›gesunden‹ Königs findet das medizinische Körperkonzept seine politische Umsetzung. Ein drittes Modell inszeniert der feudale Diskurs, gilt doch gerade hier der Körper als herausragender Index sozialer Geltung. Sowohl die politische Historiographie als auch die literarische Inszenierung bieten immer wieder ›Bilder‹ einer heroischen Konkurrenz von Körper und tapferer Gesinnung (animus). Dieses Konzept zielt weder auf Beherrschung des animalischen Körpers noch auf die Herstellung eines ›gesunden‹ temperierten Gleichgewichts zwischen Körper und Geist, sondern auf ein Verhältnis sich steigernder Rivalität: der mächtige Körper, der durch eine umso mächtigere Beherztheit überboten wird, aber auch der kleine Körper, der durch Gesinnung kompensiert wird. Die Tiersemiotik, die auf ganz unterschiedliche Art in Metaphorik, Name, Heraldik und Waffe sich artikuliert, besitzt im feudalen Körperbild ihren Fluchtpunkt. Entsprechend ist der Krieg das privilegierte Feld für die Inszenierung solch zentrifugaler Körperenergien, die in Zornausbrüchen, Tobsucht und Kampfgier ihren akzeptierten Ausdruck finden. Bilden der höfische und der politische Körper eine Synthese aus dem ethischen und medizinischen Modell, insofern sie eine maßvolle Erscheinung und eine rationale Kontrolle implizieren, so stellt der heroisch-animalische Körper sein notwendiges Pendant dar. Die Spaltung, die Theologie und Medizin auf je eigene Art postulieren, kennzeichnet auch das Konzept des politischen adeligen Körpers. Alternative Möglichkeiten der Besetzung wie im Falle des Körper-SeeleKonzepts gelten auch für andere Bildarsenale (Metaphern, Topoi). Auch Kulturmodelle, wie das Bild von Hirte und Herde, von Reiter und Pferd, von einer vita pastoralis und vom Wilden Mann lassen sich je nach Bedarf unterschiedlich interpretieren. Ist eine vita pastoralis aus ethisch-monastischem Horizont Inbegriff patriarchischer Genügsamkeit, so aus technologischer Kulturperspektive Zeichen der Rückständigkeit, der Tiernähe. Die Metapher vom Hirten und der Herde verändert ihren Sinn, je nachdem, ob man sie aus dem Horizont kirchlicher Fürsorge oder politischer Herrschaft betrachtet (der Leibeigene als ›pecus‹). Für den Heros gar sind die meisten seiner Gegner im Kampf nurmehr Schlachtvieh, über die seine Gewalt souverän hinweggeht. Und auch der Topos vom Wilden Mann verschiebt jeweils seine Bedeutung, wenn er den aggressiven Rechtsbrecher, den sozialen Außenseiter, den adeligen Jäger oder den wahnsinnigen Minnetoren gleichermaßen erfaßt. Die ›Symbolische Ordnung‹ erweist sich so weniger als feste Grammatik der Zeichen denn als topischer Haushalt variabler, unterschiedlich besetz-

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barer Zeichenkomplexe, die als Netzwerk fungieren und die Gesellschaft in die Lage versetzen, Sinnbildungskonkurrenzen auszutragen. Im Kontext literarischer Inszenierung treffen die verschiedenen Konzepte aufeinander und treten in ein kompliziertes Konkurrenzverhältnis. Am »Straßburger Alexander« ließ sich zeigen, wie ein antiker Stoff in die Rivalität heroisch-feudaler, christlicher und höfischer Ordnungen gerät, die eine homogene Aussage über den Text unmöglich macht. Alexander wird sowohl animalisch codiert und erweist sich als ›stärkstes Tier‹, wie er auch einmal natürlich (Blumenmädchen), einmal ›künstlich‹ (Candacis) durch Minne höfisch eingefangen, schließlich durch die Salomonbezüge im Prolog und durch den »Iter ad Paradisum« am Ende christlich eingerahmt wird. Die höfische Kultur baut auf dem ›technologischen‹ Kulturmodell (disciplina) auf und bietet mit ihrem Entwurf vom künstlichen Paradies eine eigene Antwort sowohl auf das ethische (mater naturae) wie auf das politische Modell. Die christliche Rahmung ist nurmehr der Versuch, neben der manifesten heroischen und höfischen Symbolordnung auch die christliche ins Spiel zu bringen. Im »Wolfdietrich« usurpiert die christliche Symbolordnung die animalische Ausstattung des Heros, ohne indes auf dessen Bewußtsein durchzuschlagen. Der Heros bleibt als providentiell gelenkter seinem genuinen Programm verpflichtet, nur wird dem Leser vor Augen geführt, daß dieses sich weniger der Natur und der Selbstbehauptung als einer übergeordneten Providenz verdankt. Zwar bleibt Wolfdietrich animalisch codiert, doch wird er sukzessive aller seiner heroischen Attribute entledigt, um die Wirksamkeit seiner metaphysischen Mitgift (Taufhemd) umso deutlicher zu akzentuieren. Die politische Ordnung wird im »Wolfdietrich« als eine der existenzbedrohenden Rivalität inszeniert, die über Gewalt und Intrige Macht durchsetzt. »Eckenlied« und »Nibelungenlied« entwerfen gegenläufige Heldenmodelle. Was im »Eckenlied« auf zwei Heldentypen verteilt ist und doch nicht nur einsinnig qualifiziert wird – der animalisch codierte exorbitante Heros und der höfische Ritter mit animalischen Ressourcen –, wird im »Nibelungenlied« in einer Figur – sei es Sîvrit, Hagen oder Volker – synthetisiert, deren Exorbitanz körperlich aber nur noch schwach markiert, mehr angespielt als ausgeführt wird. Gegen »Tierwerden« als metaphorische oder metonymische Mimesis setzt das »Nibelungenlied« einen anderen Typus, den der Meute. Sie artikuliert sich über verschiedene Formen von Spannung zwischen kollektiver Identität – der Heros als Repräsentant des Kollektivs – und heroischer Exorbitanz – der Heros als das Inkomensurable – und führt letztlich eine zentrale Spaltung des feudalen Wertesystems vor Augen. Erst im »Yvain«/»Iwein« nimmt die christliche Usurpation des Helden den Charakter von Erziehung, ›Bildung‹, an, die die genuine Einheit von animalischem Gewaltpotential und ritterlichem Selbstwertgefühl einer Spaltung unterzieht: in den hilfsbereiten rechtstreuen Ritter und in das nun-

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mehr ausgelagerte animalische Gewaltpotential. So fungiert der Löwe zwar als Chiffre einer Spaltung und doch als notwendige komplementäre Größe. Darüber hinaus verhandelt gerade der »Yvain«/»Iwein« das Phänomen der animalischen Fundierung der conditio humana auf komplexe, spezifisch literarische Art: Heroische (Aventiureritter), technologische und politische Kulturmodelle strukturieren auch hier weite Teile der Handlung. Der »Partonopier« schließlich demonstriert abschließend, daß selbst dort, wo ganz andere Handlungsmuster verhandelt werden, auf die offene, latente oder metaphorische Animalisierung nicht verzichtet wird, mit der Anverwandlung an ›tierisches‹ Verhalten nach außen und innen auch in der höfischen Kultur stets zu rechnen ist.

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Register

Sachregister Affekte 35, 42, 45, 68–71, 77, 125, 156–158, 185, 187, 192, 197, 207, 221, 223, 229, 233, 235, 242, 262, 274, 278–280, 284–293, 309–312, 320f., 335, 338, 341, 350f., 356f., 361, 363f., 368, 388 Agrikultur 16–19, 59f., 84, 95–97, 108, 111f., 180f., 231, 253f., 388 Allegorie 23, 32, 39, 48f., 208, 225, 227, 232, 284, 369, 374, 387 Alterität 13–18, 22, 24, 170, 225, 287, 344 Anachoret 112f., 118, 130–138, 143, 255, 368 art 224, 229, 236, 251, 253f., 257, 259, 267, 282, 375, 378–380 Artes 50, 108, 112, 115, 153, 182, 215, 251, 264, 268, 307, 318f., 363 Askese 79, 112f., 132f., 255, 265, 388, 391 Astrologie 80–82 Dämonologie 118, 126, 132, 143, 327, 334f., 383 Diätetik 66, 68, 108f., 112–114, 143, 160, 257, 329, 391 Diskurs 14f., 21f., 24, 28f., 31, 35–37, 99, 101, 294–303, 363, 365, 369f., 387, 389 Domestizierung 18, 52, 99f., 167–170, 173–178, 182f., 192, 232, 242, 245–247, 252, 294, 308, 316, 318, 320, 359f., 364, 369, 373, 390 Enzyklopädie 36, 39f., 44, 48, 50, 89, 115, 150, 194, 313 Erziehung 15, 60, 68, 72, 79, 153, 159, 192, 235f., 249–269, 298, 307, 324, 327, 330–332, 375, 380, 393f. Ethnographie 83, 101–106, 118, 126, 215, 219, 312f., 389 Fremdheit 25, 83–115, 118, 190, 241, 317, 388f. Fürstenspiegel 36, 64, 72, 145, 150, 155–164, 172, 297

Gender 158, 160, 261, 294f. Genealogie 9f., 46f., 80–82, 117, 154, 192, 199f., 204–207, 211, 225, 229, 247, 251, 253f., 257–259, 266, 296, 305, 324f., 330, 332f., 342, 348, 355, 377 Gewalt 20, 36, 38, 117, 130, 147, 151, 159, 164–166, 168f., 175, 180, 185, 187, 189, 192, 196, 210, 214f., 224, 229, 231f., 247, 251, 257, 259, 265f., 269–275, 292, 294f., 328, 331, 345, 348, 350, 360, 368 Gewohnheit 15, 78f., 109f., 175, 183f., 236, 252, 255, 265–268 Gymnosophisten 105, 107–115 Heilsgeschichte 39, 50, 89, 91, 101, 119, 127, 149, 215, 312, 348, 365 Heraldik 37, 205–212, 279, 296, 306f., 333– 335, 341f., 369, 372, 374, 381 Herrschaft 42f., 45, 51f., 56–59, 67f., 73f., 115, 145–155, 158–167, 170, 175, 184, 188–192, 232, 242–245, 270f., 285f., 292f., 295f., 317f., 320f., 327, 333, 344, 352f., 368, 373f., 388, 390f. Herz 69f., 134, 280–283, 289, 342f., 354f., 392 Humoralpathologie 14, 36, 44f., 63–69, 72–76, 78f., 83, 85, 88, 108, 112, 121, 138, 154–156, 158–161, 218f., 222, 285f., 289, 294 Inzest 10, 90f., 98, 122 Jagd 19, 84, 125, 170, 178–187, 192, 216, 231, 254, 256, 262f., 266, 268f., 275–278, 300f., 333, 335, 348–350, 361, 366f., 369, 376–378, 381, 383 Jugend 113, 159f., 174, 185f., 234f., 253, 256, 258–260, 263, 273, 277, 279, 302, 305, 309, 329, 331–335, 347, 350, 375, 378, 383 Klimatheorie 14, 36, 74–76, 83, 85, 87–95, 103, 157, 294

434

Register

Kolonisierung 87, 94–100, 128, 190 Kreuzzug 89–91, 99, 208, 238, 273 Kulturgeschichte 9, 12, 17f., 20–23, 25, 31, 40, 46–61, 84, 179, 214, 230–233, 247, 262, 299, 359, 388 Kulturmuster 59, 96, 141, 192, 214, 217, 230f., 235, 262, 297f., 306, 342, 361, 373, 388, 392–394 Kulturtheorie 15, 19, 21, 24, 50, 56–58, 83, 102, 107–115, 373, 358, 365, 370 Kulturelle Texte 31f., 39, 146, 387 Kulturelle Topik 59, 85, 125, 142, 179, 277, 301 Mängelwesen 50f., 53, 59, 61, 108f., 111f., 115, 124, 132, 146, 151, 214f., 217–219, 232f., 262, 313f., 366f., 374, 388 Mater naturae 50, 54, 108f., 111, 115, 388, 391 Metapher 18f., 22f., 28, 32f., 49, 60, 69, 71f., 83, 85, 99, 130, 135, 145f., 148, 151f., 154–156, 167f., 170, 179, 188, 192–223, 232f., 238, 242, 294–296, 300, 302, 379, 387f., 390–392 Mimesis 14, 82, 139, 153, 177f., 210f., 218, 261–263, 278, 320, 336, 347–352 Miseria hominis 43f., 49, 53, 57, 62, 68, 294 Missionierung 19, 98–100 Mythos 10, 142, 146, 199–204, 206f., 210, 212–219, 225, 227, 229, 245–247, 251, 256, 258–263, 266, 281, 292, 294–296, 299, 304, 309, 322, 326, 329f, 336–343, 347f., 350, 352, 358, 360, 365, 368, 370–372, 391 Name 37, 192, 198–205, 227, 264, 329f., 350 Natur 9–13, 42–45, 47–49, 53, 63–65, 91, 97, 103–106, 108–111, 115, 117, 119, 121f., 126, 140, 150, 152–154, 162, 183, 196f., 215, 218f., 229, 254, 258, 262, 267, 293, 297, 305, 315, 317, 370 Organismus 14, 43, 67, 98, 151–157, 165, 169, 294, 327, 354, 388 Paradies 42–45, 47–49, 54, 132f., 167, 217, 219, 319–321, 377 Pastorat 18f., 33, 50, 54, 57, 59, 61, 135, 147–149, 154, 158, 165, 168, 171, 294, 368, 373, 390

Pastoralis vita 16, 59, 95–98, 112, 130, 134f., 294, 314, 366, 388, 392 Patriarchen 59, 61, 76, 130, 147, 165, 283, 294, 314, 342, 392 Physiognomik 14, 36, 64, 72–82, 121, 138f., 143, 163, 192, 219–224, 228f., 239, 268f., 281f., 294, 296, 306, 327, 334, 341, 348, 358, 360, 379, 388, 392 Räume 42, 47, 53f., 68, 90, 92–96, 99f., 115, 117, 119, 127, 131, 141, 152, 195f., 218f., 254, 257–260, 263f., 268, 312, 315, 319f., 332–334, 338, 359–361, 376–378 Rivalität 98, 153, 166f., 187f., 208, 250, 252, 256, 284, 289, 310, 324f., 327f., 335f., 345f., 348f. Schöpfungsordnung 40–44, 62f., 69, 121, 139, 147, 150 Sexualität 36, 66, 68, 70, 90, 112f., 117, 122, 124f., 130, 158, 190, 334, 389 Signaturen 36, 68, 207, 217, 224, 227f., 238, 307f., 325, 335, 338, 347, 357 Sinne 40f., 49f., 62, 65–69, 113f., 125, 139–141, 153, 157, 163, 221f., 229, 308 Sündenfall 12, 15, 19, 36, 39f., 43–54, 56, 60, 62–65, 118, 120, 126, 133, 135, 142, 145–149, 154f., 164, 191, 217, 247, 294, 297, 321, 366–368, 388, 390 Symbolische Ordnung 16, 18, 23–31, 34f., 38, 146, 179, 224, 232, 296, 303f., 314, 323, 344, 370, 382, 387, 392f. Ungleichheit 73, 76, 84, 145f., 149–152, 156, 160–165, 230, 255, 294 Unterwerfung 10, 12, 19, 52, 58f., 115, 149, 168, 177, 184, 188, 192, 216, 232–234, 245, 262, 265, 292, 294–296, 310, 318, 320, 336, 373, 383, 390 Wahnsinn 36, 66, 68, 70, 117, 124, 129f., 143, 163, 256, 273, 281, 284–293, 359, 361, 365–370, 372, 374, 381, 389, 392 Werwolf 122, 125–130, 322 Wildheit/Verwilderung 16, 42, 45–50, 55–58, 60f., 90–94, 96–100, 125f., 128, 133, 147, 159, 162, 192, 216, 219, 229, 240, 252, 256, 258, 260f., 288, 291f., 296, 299–303, 307, 317f., 333, 348, 361, 366, 370, 374, 381

Register Wilde Menschen 70, 86f., 102, 105f., 115– 125, 130f., 138, 141–144, 163, 222f., 264, 300, 316, 334, 360, 367, 373, 392

435

Zivilisation 1, 11–13, 15f., 19, 51, 83f., 87, 97, 116f., 177, 186, 232, 247, 249, 264, 299, 344, 370f.

Personen- und Werkregister Adam von Bremen 60f., 90, 93, 95, 112, 118, 172f. Adelard von Bath 138, 154f. Aegidius Romanus 51, 64, 68, 71, 79, 81, 88, 149–151, 153, 155–162, 172, 184, 186, 220, 232f., 267, 301, 327 Albertus Magnus 42, 62f., 68, 70–72, 74, 78, 81–84, 88, 93, 118, 121, 139–141, 145, 150f., 157, 160, 162f., 211, 220f., 228, 253, 258, 267, 286, 289, 301, 306, 327 Albrecht von Scharfenberg 217f. Alexander Neckam 42, 44f., 64, 139 Alpharts Tod 234 Andreas Capellanus 162 Andreas von St. Viktor 165 Anonymi de Physiognomonia 234 Anselm von Laon 146 Aristoteles 76, 83f., 88, 104, 106, 114, 139, 152, 156, 161, 193f., 198, 227 Arnold von Lübeck 55, 60, 81, 93f., 96, 99f., 138, 166–168, 173f., 176, 242–244, 247, 253 Augustinus 42, 44, 50, 60–62, 120, 126f., 131, 147, 149, 155, 171, 369 Bartholomaeus Anglicus 41, 65, 73, 81, 89, 111, 118f., 139, 147, 149–151, 153, 157, 162, 171, 181, 220, 253, 284, 292 Basler Alexander 303f., 308, 317 Beda Venerabilis 60f. Bernhard von Clairvaux 26, 50, 54, 57, 79, 91, 122, 148, 271, 274 Ps.-Bernhard von Clairvaux 60, 67, 112f., 234 Burchard von Worms 126, 171 Der Busant 143, 299–301, 367, 382 Caesarius von Prüm 96 Ps.-Callisthenes 105, 109 Chrétien de Troyes 141, 144, 173, 197, 214, 236, 252, 267, 358–370, 372–374, 382 Christianus 56 Chronica Polonorum 186 Cicero 16, 50, 53, 56f., 58, 60, 163, 290, 373

Constantinus Africanus 64–66, 70, 73, 79, 85, 88, 112, 157 Cosmas von Prag 44, 50, 54–56, 95, 173, 244f. Eadmer 159 Eckenlied 38, 142, 207, 212, 219, 221, 240, 283, 336–343, 347f., 354, 357, 393 Eilhart von Oberge 256, 287, 293 Ekkehard von Aura 167, 278 Ekkehard von St. Gallen 20, 92, 125, 169f., 180, 186, 188, 239 Engelbert von Admont 286 Enikel, Jansen 319, 367 Epistola Alexandri 102, 104, 312, 315 Fagrskinna 258 Fleck, Konrad 245 Friedrich II. 72, 174, 176, 181–183, 196, 220, 258, 377 Galenus 65, 78, 83, 214 Gaufredo Malaterra 185 Gerald von Wales 30, 44, 53, 59, 61, 94–97, 112, 121–123, 127f., 169, 181, 190f., 235, 361 Gerhard von Cremona 72f., 77 Gerhard von Straßburg 95 Gervasius von Tilbury 43f., 50, 58f., 102, 129f., 168f. Gesta Herewardi 30, 174, 186 Gesta Stephani 95, 166f. Gottfried von Straßburg 210, 223, 235, 238, 279 Graf Rudolf 198, 236f. Gratian 119, 126, 269, 285 Gregor der Große 61, 134f., 147, 169 Gregor von Nyssa 50–53, 214 Guibert von Nogent 89 Guicennas 182, 377 Hartmann von Aue 36, 138, 141f., 144, 196f., 202, 204f., 209, 214, 222, 234–236, 238f., 255, 275, 281f., 285, 358, 370–374, 382

436

Register

Der Heiligen Leben 133, 136 Heinrîch von dem Türlîn 15, 141f., 197, 209–211, 223, 239, 281f., 316 Heinrich von Neustadt 382 Heinrich von Veldeke 142, 169, 174, 176, 198, 207, 211, 213, 220, 243, 270, 274, 277f., 289, 297, 326, 355 Das Deutsche Heldenbuch 215, 270, 327 Hélinand de Froidmont 46, 71, 127, 265 Helmold von Bosau 60f., 94–97, 99f., 112, 159, 166f., 239, 242, 273f., 284, 373 Herbort von Fritzlar 20, 196–198, 223, 231, 235, 240f., 269f., 275–279, 290 Herr, Michael 248 Herzog Ernst 169, 245, 282 Hesler, Heinrich 123f. Hildegard von Bingen 44–49, 66, 68, 70, 121, 139, 172, 227f., 289, 310 Hiltgart von Hürnheim 68 Hiobparaphrase 249 Historia de preliis 80–82, 101, 103–112, 114f., 118, 160, 174, 304, 306, 309, 313, 316 Honorius Augustodunensis 41f., 45, 61, 147 Hrabanus Maurus 53 Hugo von Florie 44 Hugo von St. Viktor 41, 52f., 62, 72, 112, 151, 224, 251f. Ps.-Hugo von St. Viktor 221 Isaac von Stella 45 Isidor von Sevilla 53, 120, 126f., 169, 202 Jacobus de Voragine 132, 135, 236 Johannes Buridan 162 Johannes Scotus Eriugena 138, 228 Johannes von Salisbury 54, 151, 153, 164f., 181f., 220, 241, 252, 268f. Jordanes 91 Jordanus Ruffus 181f., 248 Julius Caesar 84f., 87 Julius Valerius 81f., 101, 103–106 Kaiserchronik 208 Karolus Magnus et Leo Papa 168, 180, 244 Die Klage 219, 343 König Rother 288, 292 Konrad, Pfaffe/Rolandslied 15, 36, 90f., 174f., 177, 196–198, 207f., 213, 215, 220–223, 228f., 237, 270, 275f., 284, 286f., 289 Konrad von Megenberg 43, 68, 78f.

Konrad von Würzburg 143, 197, 207, 209f., 212f., 218, 221–223, 234f., 240, 254f., 260, 264–267, 276, 278f., 281, 283, 287, 290f., 298, 302, 320, 349, 354, 375–385 Kudrun 142, 221, 256, 260–264, 281f., 288f., 292 Pfaffe Lamprecht 36, 142, 202, 292, 303, 305, 307, 312f., 317 Laurin 197, 212, 279, 290 Leo, Archipresbyter 101–104, 306, 313 Liber Alexandri Magni 102, 115 Liber de spiritu anima 67 Liber s. Jacobi 94f. Ligurinus 99, 242 Mandeville, Johann 321 Matthäus von Paris 92f., 189, 241, 266 Das Meerwunder 257, 327 Michael Scotus 72–74, 77f. Moamin 179, 182 Moritz von Craûn 221, 246 Nibelungenlied 33, 196, 198, 203, 216–218, 221–223, 229, 256, 259f., 269f., 279, 281, 289, 292, 301f., 343–358, 393 Nicolaus von Gorran 165 Notker der Stammler 180, 184 Odo von Cluny 235, 249, 255 Ordericus Vitalis 173 Orosius 19, 58–60, 101, 165, 231 Otto von Freising/Rahewin 26, 44, 50, 55, 57f., 60, 93–95, 100, 112, 137f., 154, 165– 169, 171–173, 176, 179–181, 188f., 203, 221, 243, 272–274, 283, 286, 345, 354 Ovid 60, 189 Peter von Blois 187 Petrus Abaelardus 42, 44f., 62 Petrus Comestor 51 Petrus Damiani 79, 183, 269 Petrus Lombardus 44, 83, 155, 157 Petrus von Ebulo 81, 209, 239, 271 Platon 50, 108, 151f. Plinius d. J. 50f., 53, 126f. Priester Johannes 92, 118, 177, 321 Prosa-Alexander 113 Prosa-Lancelot 199, 219f., 234f., 239, 246– 248, 281f., 290f., 297 Prudentius 87

Register Rabenschlacht 217 Radulfus Niger 16, 67f., 72, 232f. Reinolt von Montelban 245f. Roger Bacon 45, 53, 65, 67 Rosengarten zu Worms 217 Rudolf von Ems 53 Rufinus 63 Ruodlieb 174f., 243 Rupert von Deutz 43, 121 Sachsenspiegel 165, 172, 243f. Saxo Grammaticus 30, 93, 176, 185, 207, 216, 219, 221, 228, 257, 276, 287, 290f. Schwabenspiegel 130, 172 Secreta secretorum 69, 73, 78f., 81, 114, 157f., 160, 169, 188, 224, 283, 327 Seneca 84, 108, 267, 290 Sigenot 209, 245 Snorri Sturloson 270, 349, 352 Statius 266 Straßburger Alexander 38, 104, 130, 169, 174, 176, 196f., 202, 222, 234, 253, 258f., 289, 303–321, 373, 393 Der Stricker 90f., 173, 196f., 208, 214, 218, 337 Tacitus 31, 84, 86f. Theodor von Antiochia 179 Þiðriks Saga 185, 245 Thietmar von Merseburg 98f., 169, 269 Thomas von Aquin 41–43, 51f., 62, 65f., 69, 76, 78, 88, 119, 148–151, 154, 163–165, 168, 214f., 301, 315 Thomas von Cantimpré 41f., 48, 102, 116, 120f., 184 Thomas von Split 92

437

Thomasin von Zerclaere 153, 166, 206, 224, 252, 279 Tolomaeo de Lucca 45, 51, 148 Ulrich von Etzenbach 73, 177f., 184f., 202, 222f., 242, 246, 253, 272, 274, 282f., 308, 367, 383 Ulrich von Türheim 222 Ulrich von Zatzikhoven 178, 202, 207, 235, 255, 319 Urban II. 89 Vegez 79, 89, 162, 186, 220, 232f., 267 Vincenz von Beauvais 42, 44, 48, 50, 52–54, 60, 62, 65f., 77, 79, 85, 89f., 118–121, 124– 127, 158, 234, 241, 291, 305 Vorauer Alexander 303, 308, 312 Walberan 212 Walther von der Vogelweide 207 Widukind von Corvey 20, 91, 93, 172, 230 Wiener Genesis 118 Wilhelm Fitzstephen 177 Wilhelm Peraldus 147, 159 Wilhelm von Conches 41, 65, 67, 139, 152, 285 Wilhelm von St. Thierry 45f., 50–52, 63f., 69–71, 178, 214, 232, 252, 291, 369 Wirnt von Grafenberg 123, 141f., 209, 211, 213, 238, 241, 255, 259, 298 Wolfdietrich 38, 142f., 203f., 210, 252, 256– 259, 267, 286, 321–336, 339, 248, 393 Wolfram von Eschenbach 91, 176, 207, 209, 212, 215, 221–223, 234, 238–240, 242, 252–254, 256, 273, 275, 277, 279, 282f., 354

Historische Semantik

hg. von Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz

Band 1: Egon Flaig Ritualisierte Politik

Band 4: Thomas Maissen Die Geburt der Republic

Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom 2. Auflage 2003. 288 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-36700-1

Staatsverständnis und Repräsentation in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft 2., veränderte Auflage 2008. 672 Seiten mit 43 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-36706-3

E. Flaigs innovative Studie behandelt politische Rituale, Gesten und Performanzen der römischen Senatoren und ihre Interaktion mit dem Volk. „Das Buch ist ausgezeichnet geschrieben und lädt durch spannende Konflikt-Geschichten den Leser zum Nachvollziehen des Gesagten ein. (...) So ermöglicht das vorliegende Buch sowohl durch seine Thematik als auch durch seine Methodik einen neuen Blick auf eine vermeintlich wohlbekannte Epoche.“ (Frank Wittchow, Gymnasium)

Band 3: Mireille Schnyder Topographie des Schweigens Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200 2003. 447 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-36701-8 M. Schnyder untersucht die Grundmuster der Schweigewahrnehmung und ihre Darstellungsformen im deutschen höfischen Roman um 1200. »Schnyders Buch gehört zu den Arbeiten, die künftiger Forschung viele neue Horizonte erschließen...« Jan-Dirk Müller, Zeitschrift für deutsche Philologie

»Maissens Studie gehört zur seltenen Sorte Bücher, die auch jenen imponieren müssen, denen sie gegen den Strich gehen.« Caspar Hirschi, Frankfurter Allgemeine Zeitung »Maissens Buch setzt Maßstäbe, es darf als Meilenstein in der schweizerischen Geschichtsschreibung betrachtet werden.« Clausdieter Schott, Neue Zürcher Zeitung »Elegant geschrieben, quellennah und nüchtern argumentierend darf man dieser meisterlichen Arbeit rege Aufnahme wünschen.« Karin Gottschalk, H-Soz-u-Kult »Zu hoffen ist, daß das Buch eine europäische Diskussion auslöst und nicht mit dem bei ähnlichen Publikationen üblichen ›Ach-die-Schweiz‹-Affekt wahrgenommen wird.« Peter Blickle, Historische Zeitschrift »Maissen provoziert; es bleibt zu hoffen, dass die Herausforderung aufgenommen wird.« Christian Windler, Rechtsgeschichte »Das Buch von Thomas Maissen ist ein wesentlicher und ausgezeichneter Beitrag zur neuzeitlichen Geschichte der Schweiz.« Louis Carlen, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte

Historische Semantik

hg. von Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Willibald Steinmetz

Band 6: Matthias Müller Das Schloß als Bild des Fürsten Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (1470–1618) 2004. 560 Seiten mit 208 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-36705-6 »Eine vielstimmige Untersuchung zur Manifestation des fürstlichen Regiments in der Architektur, deren Ergebnisse man für den Einzelfall jedes Mal neu im Lichte seiner vorgestellten Exempla wird abwägen wollen.« Jarl Kremeier, Zeitschrift für Historische Forschung

Band 7: Marion Oswald Gabe und Gewalt Studien zur Logik und Poetik der Gabe in der frühhöfischen Erzählliteratur 2004. 372 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-36707-0 Aus interdisziplinärer Perspektive wird der diskursive Zusammenhang von ›Gabe und Gewalt‹ untersucht.

Band 8: Christel Brüggenbrock Die Ehre in den Zeiten der Demokratie Das Verhältnis von athenischer Polis und Ehre in klassischer Zeit 2006. 354 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-36708-7 Die Arbeit analysiert das ehrenhafte Verhalten athenischer Bürger in der demokratischen Polis in klassischer Zeit.

»Brüggenbrock hat eine anregende Arbeit zu einem sehr komplexen Thema verfasst.« H-Soz-u-Kult

Band 9: Christian Kiening Das wilde Subjekt Kleine Poetik der Neuen Welt 2006. 311 Seiten mit 32 Abb., gebunden ISBN 978-3-525-36709-4 Eine nuancenreiche, gut lesbare Rekonstruktion des Prozesses, in dem die Neue Welt zum Terrain des Imaginären wurde. »Insgesamt macht Christian Kienings kleine Poetik der neuen Welt deutlich, dass eine kulturwissenschaftlich fundierte und literaturwissenschaftlich inspirierte Fragestellung auch an einem scheinbar abgegriffenen Thema zahlreiche neue Entdeckungen machen kann.« Marina Münkler, Süddeutsche Zeitung »Kienings Studie über die frühneuzeitliche Imagination der Neuen Welt liefert einen wesentlichen und klugen Beitrag zu einem Feld, das nur interdisziplinär erfasst werden kann. Die Materialfülle ist beachtenswert, ohne dass eine Materialschlacht gekämpft wird.« Sabine Wilke, IASL online »Es wäre Selbstaufgabe, wenn Kiening seinem Leser ein einfaches Ziel in Aussicht stellen würde. Die Lektüre bekommt so durchaus experimentellen Charakter. Sich darauf einzulassen, lohnt sich.« Franz Mauelshagen, Tages-Anzeiger