Menschen-Bildung: Rabbinisches zu Lernen und Lehren jenseits von PISA 9783205792185, 9783205788614

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Menschen-Bildung: Rabbinisches zu Lernen und Lehren jenseits von PISA
 9783205792185, 9783205788614

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Stabwechsel. Antrittsvorlesungen aus der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, Band 3

Gerhard Langer Menschen-Bildung Rabbinisches Lernen und Lehren jenseits von PISA

BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR

Gedruckt mit Unterstützung durch die Historisch-Kulturwissenschaftliche Fakultät der Universität Wien die Gesellschaft der Freunde der Universität Tel Aviv

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Ausschnitt aus der Londoner Haggadah © The British Library Board (Add. 14762, f.7v) © 2012 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer Druck und Bindung: General Nyomda Kft. Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Hungary ISBN 978-3-205-78861-4

Inhalt

Vorwort des Autors

. . . . . . . . . . . . .

7

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . .

9 Zum Selbstverständnis eines Professors für Judaistik . . . . . . . . . . . . 9 Aktuelle Bezüge zum Thema Bildung . . . . . . 11

Rabbinische Literatur im Rahmen des

. . . . . .

19

. . . . . . .

25

. . . . . . . . . . . .

30

Bildungssystems der Spätantike Wer soll an Bildung teilhaben? . Wann beginnt das Lernen – und wann endet es? Was wird gelernt?

. . . . . . . . . . . . . . 40

Wie wird gelernt? . . . . . . . . . . . . .

50 Lernen in Gemeinschaft . . . . . . . . . . 50 Ganzheitliches Lernen . . . . . . . . . . . 53 Auswendiglernen und Wiederholen . . . . . . 54 Lernen mit Freude und Verstand . . . . . . . 55 Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Lernaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Solidarität  . . . . . . . . . . . . . . . 61 Die »Maßlosigkeit« des Lernens . . . . . . . 63 Richtig oder falsch, tief oder breit . . . . . . . 67

Wo wird gelernt? .

. . . . . . . . . . . . .

71

Lehrer und Schüler .

. . . . . . . . . . . . Lehrer sein . . . . . . . . . . . . . . . . Die Beziehungsebene . . . . . . . . . . . . Sich einen (und mehrere) Lehrer schaffen . . . . Broterwerb, Berufe und Tätigkeiten eines Rabbis . .

74 74 76 87 89

Lernen an Vorbildern, Gegensätzen und Negativbeispielen . . . . . . . . . . . .

94 Der böse Trieb . . . . . . . . . . . . . . . 131

Bildung lässt den Menschen richtig handeln und bringt ihn Gott näher . . . . . . . . . . . . .

139 Bildung, Bescheidenheit und Ethos . . . . . . . 139 Lernen und Tun . . . . . . . . . . . . . . 148

Habitus und Lebensführung .

. . . . . . . . 157 ts niut . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 derekh erets . . . . . . . . . . . . . . . . 161 e

Fazit und persönliche Aneignung

. . . . . . . 168

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . .

173

173 Quellen und Übersetzungen . . . . . . . . . 173 Verwendete und weiterführende Literatur . . . . 174

6

Die Ehre deines Schülers sei dir wie deine eigene und die Ehre deines Gefährten wie die Ehrfurcht vor deinem Lehrer und die Ehrfurcht vor deinem Lehrer wie die Ehrfurcht vor dem Himmel. (mAvot 4.12)

Vorwort des Autors Das vorliegende Buch ist die überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Antrittsvorlesung, die ich am 27. Juni 2011 an der Wiener Universität gehalten habe. Ich versuche, trotz gelegentlich notwendiger Glättung des Vortragsstiles nicht gänzlich auf die spezifische Form zu verzichten, sodass dieser zumindest im Ansatz »hörbar« bleibt. Dieser Text ist für eine breite Leser- und Leserinnenschaft bestimmt und möchte so verständlich wie möglich bleiben und auf einen judaistischen Binnendiskurs verzichten. Gleichwohl bin ich bemüht, auch den »Insidern« mit meinen Analysen einen neuen oder geschärften Blick auf einen Bereich zu vermitteln, der zum zentralen rabbinischer und – ich wage es so zu sagen – jüdischer Identität gehört. Dank geht an Herrn Dekan Michael Viktor Schwarz, der den Beitrag in die Reihe »Stabwechsel« aufgenommen hat und an den Verlag Böhlau sowie an alle, die im Gespräch zum Thema wichtige Gedanken eingebracht haben, allen voran Günter Stemberger und Constanza Cordoni. Ein kurzes Wort zu den Texten und Übersetzungen: Die großen rabbinischen Sammlungen sind durch Kürzel erkennbar: m = Mischna, t = Tosefta, j = palästinischer Talmud ( Jeruschalmi), b = babylonischer Talmud (Bavli); es folgen dann der jeweilige Traktat, aus dem zitiert wird (aus7

geschrieben) und Näherbestimmungen (Kapitel, Halakha, Blatt und Seiten- bzw. Kolumnenangabe). Midraschim und außertalmudische Werke werden mit Titel (nicht abgekürzt) und den üblichen Untergliederungen zitiert. Wenn nicht anders vermerkt, wurden die Texte von mir selbst übersetzt. Als Grundlage dient neben den herkömmlichen Druckbzw. kritischen Ausgaben die Datenbank Ma’agarim,1 deren Basis die jeweils älteste Handschrift darstellt. Für nähere Informationen zu den einzelnen Quellen der rabbinischen Literatur verweise ich auf Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 92011.

1

Mifal Ha-Milon Ha-Histori La-Lashon Ha-Ivrit = the Hebrew Language Historical Dictionary Project, Jerusalem 1998.

8

Wenn jemand eine Beschäftigung hat und reich werden will, wird er sich sicherlich nicht damit begnügen, ein oder zwei Stunden in seinem Geschäft zu stehen und es danach abzuschließen und gehen, um zu ruhen oder um sich zu amüsieren. Vielmehr wird er sich voller Energie mit ihm beschäftigen, tagsüber und bis zur vorgerückten Stunde in der Nacht, er wird nicht ruhen und keine Pausen machen, sondern all sein Streben auf diese Beschäftigung hin richten. Und so geboten uns die Weisen über das Tora-Lernen: Es reiche nicht, dass es ein bloßes Lernen sei, es müsse vielmehr eine Beschäftigung sein. Wir sind verpflichtet, uns mit ihr zu beschäftigen, so wie wir verpflichtet sind, uns mit einer [wirtschaftlichen] Beschäftigung zu beschäftigen, von der wir sicher sind, dass sie uns große Gewinne garantiert, wenn wir uns mit viel Arbeit in sie vertiefen. Da nun die Tora gewaltige Gewinne garantiert, denn siehe, sie ist ein Schutzschild vor strafenden Katastrophen, sie schützt und rettet, versteht es sich von selbst, dass wir verpflichtet sind, uns die ganze Zeit in sie zu vertiefen mit aller Energie.2

Einführung Zum Selbstverständnis eines Professors für Judaistik

In der Ö1-Sendung exlibris vom 1. Mai 2011 hat die Sprecherin den holländischen Autor und Reisenden Cees Nooteboom zitiert: Der wahre Reisende befinde sich immer im Auge des Sturms, der Sturm ist die Welt, die ihn umgibt, das Auge das, 2

Israel Meir ha-Cohen Kagan (Chafetz Chajjim, 1838–1933), zitiert nach Annette M. Böckler, Beten als Lernen – Lernen als Mitzwa. Das Gebetbuch als Lehrbuch im Judentum, in: Beate Ego/Helmut Merkel, Hg., Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180; Tübingen 2005), S. 157–173, S. 168.

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Wenn jemand eine Beschäftigung hat und reich werden will, wird er sich sicherlich nicht damit begnügen, ein oder zwei Stunden in seinem Geschäft zu stehen und es danach abzuschließen und gehen, um zu ruhen oder um sich zu amüsieren. Vielmehr wird er sich voller Energie mit ihm beschäftigen, tagsüber und bis zur vorgerückten Stunde in der Nacht, er wird nicht ruhen und keine Pausen machen, sondern all sein Streben auf diese Beschäftigung hin richten. Und so geboten uns die Weisen über das Tora-Lernen: Es reiche nicht, dass es ein bloßes Lernen sei, es müsse vielmehr eine Beschäftigung sein. Wir sind verpflichtet, uns mit ihr zu beschäftigen, so wie wir verpflichtet sind, uns mit einer [wirtschaftlichen] Beschäftigung zu beschäftigen, von der wir sicher sind, dass sie uns große Gewinne garantiert, wenn wir uns mit viel Arbeit in sie vertiefen. Da nun die Tora gewaltige Gewinne garantiert, denn siehe, sie ist ein Schutzschild vor strafenden Katastrophen, sie schützt und rettet, versteht es sich von selbst, dass wir verpflichtet sind, uns die ganze Zeit in sie zu vertiefen mit aller Energie.2

Einführung Zum Selbstverständnis eines Professors für Judaistik

In der Ö1-Sendung exlibris vom 1. Mai 2011 hat die Sprecherin den holländischen Autor und Reisenden Cees Nooteboom zitiert: Der wahre Reisende befinde sich immer im Auge des Sturms, der Sturm ist die Welt, die ihn umgibt, das Auge das, 2

Israel Meir ha-Cohen Kagan (Chafetz Chajjim, 1838–1933), zitiert nach Annette M. Böckler, Beten als Lernen – Lernen als Mitzwa. Das Gebetbuch als Lehrbuch im Judentum, in: Beate Ego/Helmut Merkel, Hg., Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180; Tübingen 2005), S. 157–173, S. 168.

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womit er sie betrachtet, ruhig, wachsam und distanziert, ehe … die wahren Wellen und Winde über den Autor hereinbrechen.

Als ich diese Worte hörte, empfand ich sofort, dass sie mir aus der Seele sprachen und etwas zum Ausdruck brachten, was ich nicht nur für meine Antrittsvorlesung als eine Art Motto verstand, sondern auf eine unnachahmliche Weise erläuterte, wie ich mich selbst als Wissenschaftler und im Besonderen als Judaist fühle. Als Wissenschaftler kann ich mich sehr gut in Notebooms Reisenden versetzen, als ein beschreibender Beobachter, der vom wilden faszinierenden Sturm der jüdischen Literatur, Geschichte, Religion, kurz der Kultur des Judentums umgeben ist. Seit Beginn meines Studiums, vielleicht schon seit der Schulzeit, beschäftige ich mich mit dem Judentum in der einen wie anderen Form, in gleichzeitiger Nähe und Distanz, die das Gegenteil von negativer Abgrenzung ist, vielmehr der Blick vom Auge des Sturms, mittendrin, auf dichteste Weise umspült und verwoben, zugleich aber – scheinbar – nicht Teil des Geschehens selbst, sondern im – wiederum scheinbar – sicheren Beobachtungsraum, als Analysierender, kritisch Abwägender. Ein Institut für Judaistik ist keine Jeschiva, keine Talmudakademie, keine Ausbildungsstätte für Rabbiner oder Kantoren, wohl aber ein Ort, wo Talmud gelehrt, studiert, vermittelt wird, wo alle Menschen sich Wissen aneignen, sich einbringen und diskutieren können, natürlich auch Rabbiner oder Kantoren. Auch mich hat der Sturm mit seinen Wellen und Winden getroffen. Ich bin als Wissenschaftler nicht neutral, als Lehrender nicht objektiv, als Denkender und Schreibender nicht 10

ideologiefrei, wie keiner oder keine von uns. Vielleicht ist gerade deshalb für mich das Thema des Lernens und Lehrens so faszinierend, das Thema der Menschen-Bildung, weil es vor Augen führt, dass Erziehung und Bildung niemals neutrale Akte sind, nie objektives Aneignen, sondern zutiefst mit einem Menschen- und einem Weltbild verbunden sind. Aktuelle Bezüge zum Thema Bildung

Nimmt man sich etwas Zeit und liest in den programmatischen Seiten der österreichischen politischen Parteien3 zum Thema Schulbildung, so fällt auf, dass hier schon die Überschriften suggerieren, dass Bildung ein zutiefst in die geistigen und ideologischen Grundlagen der Gesellschaft verwurzelter Begriff ist. So finden sich zum Beispiel Stichworte wie • Gleiche Entwicklungschancen; Bildung zur Förderung von Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Solidarität; Interesse wecken statt disziplinieren bei der einen Partei, • Differenziert und leistungsorientiert; Vielfalt schafft Chancen; duale Berufsausbildung bei der zweiten, in der auch viel von zukünftigem Arbeitsleben und Herausforderungen für die Wirtschaft die Rede ist, bei einer dritten lesen wir ausführlich über den • selbstständigen Gebrauch des Verstandes und der gemeinsamen Schule der Sechs- bis Vierzehnjährigen; bei der vierten Partei wiederum tauchen Schlagwörter auf wie 3

Verwendet hier das SPÖ-Parteiprogramm, Punkt III.9: Politische Perspektiven: Fähigkeiten des Menschen und der Gesellschaft entfalten – die Zukunft unseres Bildungssystems; »Perspektive Bildung. Vielfalt Leistung Sprache« der ÖVP; das »Grüne Bildungsprogramm« vom August 2009; das »Freiheitliche Bildungskonzept Strategie 2012+«.

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verpflichtendes Vorschuljahr; Bekenntnis zur ziffernmäßigen Schulnote; verpflichtende Verhaltensregeln mit entsprechenden Konsequenzen etc.

Auch wenn also Bildung unisono als wichtig und zentral gilt, unterscheiden sich doch die Zugänge und Vorstellungen, wie diese Bildung vermittelt werden soll, enorm, ebenso wie sich auch die Ziele durchaus unterschiedlich ausnehmen. Im österreichischen Kontext gibt es in der Bildungsdebatte nicht zuletzt aufgrund parteipolitisch festgefahrener Meinungen keinen breiten Konsens. Ein vom ehemaligen Finanzminister Hannes Androsch initiiertes Bildungsvolksbegehren, das in Österreich im November 2011 von 383.820 Menschen unterschrieben wurde, hatte in einem 12-Punkte-Programm unter anderem mehr Ganztagesschulen, eine Gesamtschule (obwohl der Name vermieden wird), die Abschaffung des Sitzenbleibens, eine bessere Finanzierung und die Aufwertung des Lehrer- und Lehrerinnenberufs gefordert.4 Die Aus4

Die Forderungen: 1. Ein modernes, unbürokratisches und weitgehend autonomes Schulsystem unter Einbeziehung der SchulpartnerInnen und ohne parteipolitische Einflussnahme; 2. Gleichstellung der Kindergärten mit den Schulen und der Kindergartenpädagogen mit den Lehrern. Das heißt, dass Kindergärten in die Bundeszuständigkeit kommen und KindergärtnerInnen auch eine akademische Ausbildung erhalten sollen; 3. Flächendeckendes Angebot an elementarpädagogischen Einrichtungen (Krabbelstuben, Kinderkrippen, Kindergärten) sowie bundesweite Ganztagsangebote; 4. Kinder sollen früh in Talenten und Fähigkeiten gefördert werden; 5. Abschaffung des Sitzenbleibens und ein Ende der Nachhilfe; 6. Flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen; 7. Die Trennung der Kinder nach Interessen und Begabungen soll erstmals am Ende der Schulpflicht erfolgen; 8. Aufwertung des LehrerInnenberufs; 9. Ein verbindlicher Ausbau- und Finanzierungsplan für Hochschulen und Universitäten und die jährliche kontinuierliche Erhöhung der öffentlichen

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wertung des Ergebnisses zeigte, dass es ein Gefälle zwischen Ost und West, Stadt und Land, aber auch innerhalb der Städte gibt.5 Eine weiter gehende Beurteilung des Volksbegehrens und seines Abschneidens soll nicht Gegenstand dieses Buches sein. Erwähnt sei nur, dass nach österreichischer Verfassung Volksbegehren ab 100.000 Unterschriften zwar parlamentarisch behandelt werden müssen, sich daraus allerdings keine Verpflichtungen zur Umsetzung der Anliegen ergeben und viele Volksbegehren daher »versandet« sind. Ende Januar 2011 hat die deutsche Übersetzung eines in Amerika erschienenen Buches die Bildungsdiskussion hierorts angeheizt. Es handelt sich um Amy Chuas Die Mutter des Erfolgs. Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte. Chua stellt den westlichen Erziehungsstil dem chinesischen Ideal gegenüber. Stichworte wie »Niedergang«, »Trägheit« und »Verwöhntheit« prägten den westlichen Erziehungsstil, der sich vom asiatischen diametral unterscheide, den Amy Chua von ihren Eltern gelernt habe. Sie wolle durch das Prinzip »Kein Lob ohne Leistung« ihr Selbstwertgefühl stärken;

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Finanzierung auf 2 % der Wirtschaftsleistung im Jahre 2020; 10. Eine 40 %ige Absolventenquote; 11. Erhöhung der staatlichen Mittel für lebenslanges Lernen (Erwachsenenbildung); 12. Ein weltoffenes Bildungssystem, das Internationalität und kulturelle Vielfalt als Bereicherung ansieht und den MigrantInnen und ihren Kindern faire Bildungs- und Berufschancen einräumt. Quelle: http://kurier.at/nachrichten/4311684. php. Genauer Text unter http://www.nichtsitzenbleiben.at/fileadmin/ user_upload/pdf/VBBI_Forderungen_incl_Kurztext.pdf. Bundesland Prozent Unterschriften: Burgenland 6,35 % 14.692; Kärnten 5,82 % 25.761; Niederösterreich 5,86 % 74.386; Oberösterreich 5,57 % 60.648; Salzburg 5,88 % 22.858; Steiermark 5,14 % 49.671; Tirol 3,66 % 19.365; Vorarlberg 5,99 % 15.809; Wien 8,79 % 100.630. Gesamt 6,07 % 383.820 – Quelle: http://derstandard.at/1319182544567/Detailergebnisse-Wien-mitbestem-Bundeslaender-Resultat.

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man könne nur Glück und Befriedigung durch Perfektion erreichen. In einem Interview auf Spiegel Online6 sagte Amy Chua, im chinesischen Erziehungsstil gehe es darum, das Beste aus seinem Kind herauszuholen, darum, an sein Kind mehr als jede(r) andere zu glauben. Hartnäckiges Üben sei deshalb ausschlaggebend für Spitzenleistungen, und der Effekt sturer Wiederholung werde in der westlichen Welt weit unterschätzt. Auf dem österreichischen Wissenschaftstag des Jahres 2011 hatte ich Gelegenheit, einen Vortrag von Wolfgang Lutz, dem Founding Director des Wittgenstein Centre for Demography and Global Human Capital (IIASA, VID, WU), über den Zusammenhang von Bildung, höherer Lebenserwartung, Gesundheit und Bevölkerungsentwicklung zu hören. Prof. Lutz hat sich spontan bereit erklärt, mir weitere Unterlagen zur Verfügung zu stellen, wofür ich ihm herzlich danke. Ohne auf die statistisch erhobenen Befunde im Einzelnen eingehen zu wollen, möchte ich einige seiner Ergebnisse, quasi die Quintessenzen, nicht vorenthalten. Ich beziehe mich dabei auf die Publikation der Ergebnisse in Science 333 (2011), abgedruckt auch im von Wolfgang Lutz herausgegebenen Population Network Newsletter 43 bzw. auf den Population Network Newsletter 40. Es sei mir an dieser Stelle erlaubt, ein paar besonders einschlägige längere Zitate anzuführen. 1. Höhere Bildung beflügelt die Ökonomie While there is no doubt that more education generally leads to higher income at the individual level, the evidence is less 6

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,741314,00.html (letztmalige Prüfung aller oben genannten Internetquellen am 16. 06. 2012).

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clear that education also leads to higher economic growth at the aggregate level. Inconclusive statistical findings on this issue resulted from the use of inappropriate empirical data on human capital by age. The Science article … emphasizes that better data also yield better results, and that human capital does indeed greatly matter.7

2. Bessere Bildung hat Einfluss auf den Umgang mit dem Klimawandel … better educated people can make better choices, change their behavior more readily, and in particular pick up newer and cleaner technologies more rapidly. But most importantly, better educated people will be better empowered to adapt to the consequences of already unavoidable climate change. Studies on past natural disasters show that (after controlling for income) education reduces vulnerability and greatly enhances the capacity for recovery. In this sense investments in education are likely to be the best long-term investments in enhanced adaptive capacity.8

3. Sekundäre und tertiäre Bildung ist bedeutsam The analysis of attainment distributions by age and sex also shows that neither universal primary education nor a focus on elitist tertiary education in an otherwise illiterate population will bring countries out of poverty, but that junior secondary education in broad segments of the population is decisive. As expected, for industrialized countries 7 8

Population Network Newsletter 40 (2008/09), S. 1. Population Network Newsletter 43 (2011), S. 2.

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broad-based tertiary education becomes a driver of economic growth.9

4. Höhere Bildung führt zu besserer Gesundheit und zu gesünderem, längerem Leben Education is also one of the most important determinants of adult health and mortality. Large numbers of studies have established significant education gradients in mortality in different parts of the world despite marked contextual differences … Even more dramatic are the education differentials with respect to disability at older ages. A recent global-level study on the basis of the World Health Survey found that almost universally, better educated men and women at a given age have a much lower level of self-reported disability [limitations in activities of daily living (ADL)] than do the less educated. Viewing this fact together with the above-described education projections entirely changes our outlook on the prevalence of disability in the future. If the focus is only on age and sex, then the observed pattern of increased disability at higher ages, together with the projection that there will be more elderly in the future, results in quite dramatic forecasts of future numbers of persons with severe disabilities. If education is also factored in, the picture looks less dramatic. In most countries, the elderly of the future will be better educated than the elderly of today. Assuming that the better educated at any age have substantially lower disability rates, this improving education factor may partly or even fully compensate for the aging factor … But because there are still many unknowns, these interactions between education and health are an important field for 9

Ebd.

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more research. Education matters greatly for many further issues than disability, longevity, and economic well-being. At the individual level, better educated people are doing better along almost any dimension, ranging from mental health to the ability to recover from shocks to lower unemployment. At the aggregate level, systems of governance and democracy have been shown to be closely related to a society’s level of education.10

5. Besondere Auswirkung hat Bildung auf Frauen, die Geburtenkontrolle und Kindersterblichkeit In every country, the mortality rates are lower for better educated mothers. In some countries, primary education is already associated with much lower child mortality (such as in Nigeria and Bolivia); in others, the decisive difference only comes with secondary education (such as in Liberia and Uganda) ... In virtually every society, better educated women have lower fertility than do less educated women. At one extreme is Ethiopia, where uneducated women have on average more than six children, whereas those with secondary education have two children on average. Better educated women have lower desired family sizes because they tend to face higher opportunity costs and tend to put more emphasis on the »quality« of lives of their children ... Empirical studies show that better educated women consistently want fewer children, have greater autonomy in reproductive decision-making, more knowledge about and access to contraception, and are more motivated to use contraception because of the higher opportunity costs of unplanned childbearing.11 10 Ebd., S. 6. 11 Science 333 (29. Juli 2011), S. 590.

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Der hier dargestellte Zusammenhang von Bildung und allen erstrebenswerten positiven Effekten auf den individuellen Menschen und die Menschheit als ganze wird in eindrücklicher Weise durch statistische Erhebungen und Prognosen bestätigt. Auf der Basis dieses Befundes erscheint es mir überaus reizvoll, einmal aufs Neue die rabbinischen Texte daraufhin zu durchforsten, was sie uns zum Thema Bildung zu sagen haben, und die Frage zu stellen, wieweit wir hier und heute davon profitieren können. Ich stelle bewusst keinen historischen Abriss der Bildungssituation des Judentums in der Antike vor, sondern konzentriere mich auf die schriftlichen Dokumente der rabbinischen Periode (70–~1000 n.d.Z.) im Bewusstsein, dass diese nur in einem begrenzten Maße als historische Darstellungen von Wirklichkeit herangezogen werden können, oft aber Idealkonzepte darstellen. Dabei werde ich ein besonderes Augenmerk auf das Ziel der Bildung richten. In einem ersten Abschnitt möchte ich kurz auf die derzeitige Forschungslage im Hinblick auf die antike jüdische Bildung verweisen.

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Rabbinische Literatur im Rahmen des Bildungssystems der Spätantike Im Allgemeinen dürfte sich das jüdische Bildungssystem nicht von dem der Kulturen unterschieden haben, in denen sich das Judentum aufhielt und bewegte, worauf besonders die Arbeiten von Catherine Hezser12 hingewiesen haben. Das Bildungssystem vor allem im primären Sektor war weitgehend privat organisiert bzw. oblag den Eltern. In den letzten Jahrzehnten ist daher nicht zuletzt die Annahme einer flächendeckenden herausragenden Grundausbildung in der jüdischen Antike ins Wanken geraten. Ich möchte hier nur auf den Vergleich zwischen dem gern dreigliedrig geschilderten antiken griechisch-römischen Schulsystem und dem rabbinischen hinweisen. Hierzu sind Arbeiten von Morgan13, Geiger14 oder Hezser zu erwähnen. Hezser verweist auch auf Ähnlichkeiten in der Form des Lehrens, der Vermittlung der Traditionen und der Anwendung von literarischen Formen (Chreia etc.).15 12 Catherine Hezsers, The Social Structure of the Rabbinic Movement in Ro-

man Palestine (TStAJ 66; Tübingen 1997) enthält einen längeren Abschnitt zum Thema Rabbinen und Studium (S. 332–352), wobei das Thema auch an anderen Stellen aufgegriffen wird. In ihrer Habilitation Jewish Literacy in Roman Palestine (TStAJ 81; Tübingen 2001) geht sie verstärkt auf den jüdischen Unterricht (elementar und fortgeschritten) ein und vergleicht mit der griechisch(-römisch)en Ausbildung. Die in diesem Buch vorgelegte kritische Analyse zum Thema »Literacy« ist ein Meilenstein in der Forschung. 13 Teresa Morgan, Literate Education in the Hellenistic and Roman Worlds (Cambridge 1998). 14 Joseph Geiger, The Athens of Syria: On Greek Intellectuals in Gadara [Hebr.], in: Cathedra 35 (1985), S. 3–16; ders., Greek Rhetoricians in Eretz Israel [Hebr.], in: Cathedra 66 (1992), S. 47–56; ders., Latin in Roman Palestine [Hebr.], in: Cathedra 74 (1994), S. 3–21. 15 Vgl. Catherine Hezser, Die Verwendung der hellenistischen Gattung Chrie

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In der gesamten Antike hat das schulische Lernen weit weniger auf schriftlicher als auf mündlicher Basis funktioniert. Hezser weist nach, dass Schreiben nicht zu den vorrangigen und verbreiteten Fähigkeiten antiker Menschen, auch nicht antiker Juden, gehörte. Hezser betont die Bedeutung der Synagoge in spätantiker und byzantinischer Zeit für die Weitergabe von Bildung. Toratreue und wohlhabende Eltern haben ihre Kinder zu Grundschullehrern geschickt, die vor allem auf das Lernen von Tora bedacht waren. In dieser Zeit dürfte die rabbinische Bewegung auch ihre Chance genützt haben, stärkeren Einfluss auf die Synagoge auszuüben. Dort traf sich ein breites Spektrum an Menschen, Juden und Gottesfürchtigen, und dort hatten Honoratioren, mitunter auch Personen priesterlicher Abstammung das Sagen, die keineswegs immer zum engeren Kreis der Rabbinen gehörten. Predigten und Schriftauslegungen am Schabbat und die Bereitstellung von Lehrern konnten den Einfluss der Rabbinen mehren. Verschiedene Publikationen haben auf die weite Verbreitung des Griechischen im »westlichen« antiken Judentum hingewiesen. Belege dafür sind sowohl Synagogen- und Grabinschriften als auch Bemerkungen der Rabbinen. Höhergestellte Kreise mussten das Griechische schon beherrschen, um in Kontakt mit der nichtjüdischen Umwelt treten zu können,16 in manchen Rechtsfragen auch Latein. Auch bei Vertretern der Mittelschicht ist eine solche Kenntnis wohl zumindest in Teilen anzunehmen. Nicht nur Männer sind in diese Bildung integriert worden. im frühen Christentum und Judentum, in: Journal for the Study of Judaism 27 (1996), S. 371–439. 16 Vgl. tSota 15.8; jSchabbat 6,1,7d.

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In jSota 7,1,21b ist davon die Rede, dass in Cäsarea zentrale jüdische Gebete in Griechisch gesprochen wurden. Die massive Durchdringung der rabbinischen Literatur mit griechischen und auch lateinischen Lehnwörtern ist ein wichtiges Indiz für die Präsenz dieser Sprachen. R.17 Jonatan aus Bet Guvrin soll sogar das Griechische dem Aramäischen als Sprache für das Heilige Land vorgezogen haben (bSota 49b). Die rabbinische Tradition hält sich mit Bezügen zu griechischer Bildung recht zurück, auch wenn es zweifellos Anklänge an griechische – vor allem epikuräische – Philosophie und Biografien in rabbinischen Texten gibt. Oinomaos aus Gadara, ein Kyniker, wird nicht zuletzt darum zitiert, weil er den »Völkern der Welt gesagt (habe), dass sie Israel nie überwältigen können, solange Kinder in den Lehrhäusern Tora lernen« (Genesis Rabba 65.20). Homer, in der griechischen Bildungswelt zentral, beeinflusst die Rabbinen eher am Rande. Deutlich sind freilich die Parallelen zwischen hellenistischer und rabbinischer Ausbildung, was die Einstellung zum Text, die Ordnung der Bücher, die Erstellung von Glossaren, Realienkunde, bestimmte exegetische Praktiken, die Verwendung von Euphemismen, Textumstellungen, Allegorien, nicht zuletzt Parallelen im Umgang mit Rechtsbegründungen und im Abschluss von Rechtskodices betrifft. Der Zugang zu griechischer Bildung für Juden gilt in der Forschung als gesichert und Rhetorenschulen in Gaza, Cäsarea und Aschkelon wurden auch von Juden genutzt. Shmuel Safrai18 konnte 1968 noch stolz die rabbinische 17 Die Abkürzung R. steht in der Folge immer für Rabbi oder Rav. 18 Shmuel Safrai, Elementary Education: Its Religious and Social Signif i-

cance in the Talmudic Period, in: Cahiers d’Histoire Mondiale 11 (1968), S. 148–169. Vgl. ders., Education and the Study of the Torah, in: Shmuel Safrai/ Me-nachem Stern, Hg., The Jewish People in the First Century. Historical

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Aussage aus jMegilla 3,6,73d für bare Münze nehmen, wonach zur Zeit des jüdischen Aufstandes gegen Rom 480 Synagogen allein in Jerusalem bestanden hätten, von denen jede mit einer Schule für das Schriftstudium und einer Akademie für die höheren Studien ausgestattet war. Nach rabbinischen Quellen, auf die er sich beruft, habe das Studium im Alter zwischen fünf und sieben begonnen. Nach jKetubbot 8,11,32c sei die »allgemeine Schulpflicht« auf Schimon b. Schetach im 1. Jh. v.d.Z. zurückzuführen. bBava Batra 21a erwähnt diesbezüglich Joschua ben Gamla, einen Gelehrten der Zeit vor dem großen Aufstand gegen Rom. Safrai hält zumindest die letzte Angabe für historisch zuverlässig, dass in dieser Epoche ein »important step was taken in extending the obligation to establish schools in each city«.19 Anders als Safrai versteht die moderne Forschung diese Aussagen nicht als Beschreibung realer Umstände des 1. Jhs., sondern sieht sie als Konstrukt der Rabbinen an. Sie projizieren Zustände ihrer Zeit und ihrer Gruppe auf eine frühere zurück, lassen sie als altes Ideal erscheinen, das nicht nur auf die Anfänge der rabbinischen Bewegung verweist, sondern oft in die biblische Epoche selbst zurückreicht. So kann man etwa im Midrasch Genesis Rabba 63.6/10 lesen, dass Jakob schon im Mutterleib an Synagogen vorbeigetragen wurde und später im Lehrhaus von Sem und Eber unterrichtet wurde. Es geht nicht um die Abbildung faktischer Realitäten, sondern um die Begründung und Darstellung bleibend gültiger »rabbinischer« Werte. Einer dieser Werte – und dies kann nicht genug positiv betont werden – ist die Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions II (Compendia Rerum Iudaicarum ad Novum Testamentum I.2; Assen – Amsterdam 1976), S. 945–970. 19 Elementary Education, S. 150.

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flächendeckende, alle Schichten erfassende Schulpflicht ab rund sechs Jahren. So zeichnet sich gerade das Bemühen der rabbinischen Bewegungen um intensives Studium der Tora als besonders bedeutsam aus, auch wenn sich seine Breitenwirkung erst langsam entfaltete und wohl zu keiner Zeit flächendeckend war. Aber keine andere jüdische Bewegung hat so nachhaltig jüdische Identität zu formen verstanden und keine war wohl auf lange Sicht erfolgreicher. Wenn ich die historischen Hintergründe hier nicht weiter und näher behandle, zeugt dies nicht von Geringschätzung der historisch-kritischen Forschung. Ohne historische Kontexte, ohne die Darlegung historischer Zusammenhänge ist m. E. Judaistik als Geistes- bzw. Kulturwissenschaft nicht zu betreiben. Ich bin mir auch bewusst, dass die rabbinischen Texte eine komplexe diachrone und regional unterschiedliche Entwicklung widerspiegeln, dass sich in ihnen auch Widersprüche finden und man sehr vorsichtig zwischen einzelnen Belegen unterscheiden muss.20 Gleichwohl will ich hier auf diese Analyse im größeren Stil verzichten. Mein Interesse gilt dem Anliegen und der zeitlosen Bedeutung der rabbinischen Literatur in Bezug auf ein aktuelles Thema. Ich bekenne mich dazu, dass Wissenschaft, auch und vielleicht gerade jene, die sich mit scheinbar alten und nicht 20 Um nur ein Beispiel zu nennen, argumentiert etwa Richard Kalmin mit

dem unterschiedlichen Zugang von Rabbinen im Umgang mit der außerrabbinischen Welt, mit der Lehrer-Schüler-Hierarchie oder der Bedeutung von »Herkunft« zwischen palästinischen und babylonischen Quellen und begründet diesen nicht zuletzt mit dem unterschiedlichen Kultureinfluss (Stichwort persische Klassenstruktur) – Richard Kalmin, Sages, Stories, Authors, and Editors in Rabbinic Babylonia (Brown Judaic Studies 300; Atlanta, Ga. 1994) und ders., The Sage in Jewish Society of Late Antiquity (London u.a. 1999).

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zeitgenössischen Phänomenen der Kultur beschäftigt, e­ twas für unsere Gesellschaft, unsere Politik, unser Alltagsleben zu sagen hat. Ich bin nicht Wissenschaftler allein um der Wissenschaft willen, sondern auch wegen der Kraft der Ausstrahlung auf das Hier und Heute und der Macht der Veränderung einer gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Weltsicht, die mir mangelhaft, fehlerhaft, kritikwürdig, ja mitunter sogar Ärgernis erregend erscheint. Insofern bin ich also vom peitschenden, tosenden Sturm längst umspült, um im Bild Cees Nootebooms zu bleiben. Wie könnte man eine Gesellschaft längerfristig stärker beeinflussen als durch Bildung? Was können wir aus der rabbinischen Literatur dazu erheben? Dies soll in den nächsten Abschnitten näher beleuchtet werden. Zum Mit- bzw. Nachlesen verweise ich neben den Arbeiten von Günter Stemberger21 vor allem auf zwei Bücher, die sich systematisch mit wichtigen Ausschnitten der rabbinischen Literatur zum Thema Bildung beschäftigten und deren Ergebnisse hier einfließen, nämlich Marc Hirshmans Stabilization of Rabbinic Culture 22 und Jonathan Wyn Schofers The Making of a Sage23. Die erste Frage, die es zu beantworten gilt, lautet: 21 Günter Stemberger, »Schaff dir einen Lehrer, erwirb dir einen Kollegen«

(mAv 1,6). Lernen als Tradition und Gemeinschaft, in: Beate Ego/Helmut Merkel, Hg., Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180; Tübingen 2005), S. 141–155; Kinder lernen Tora. Rabbinische Perspektiven, in: ders., Judaica Minora Teil I: Biblische Traditionen im rabbinischen Judentum (TStAJ 133; Tübingen 2010), S. 54–68 (= Jahrbuch für Biblische Theologie 17, 2002, S. 121–137). 22 Marc G. Hirshman, The Stabilization of Rabbinic Culture, 100 C.E.–350 C.E. Texts on Education and Their Late Antique Context (New York u.a. 2009).  Hier analysiert er Ausschnitte aus dem Midrasch Sifre Dtn und die Talmudabschnitte bEruvin 53a–55a; bAvoda Zara 18b–19b und bBava Batra 20b–22a. 23 Jonathan Wyn Schofer, The Making of a Sage. A Study in Rabbinic Ethics (Madison 2005) zu Avot de-Rabbi Natan.

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Wer soll an Bildung teilhaben? Die Frage, wer lernen soll, wird in der rabbinischen Literatur auf den ersten Blick eindeutig beantwortet: alle Knaben und Männer, ohne soziale Ausgrenzung (vgl. etwa Sifre Dtn § 48). Ich gehe auf das Problem der sozialen Unterschiede als entscheidenden Faktor in der Bildungspolitik hier nicht ein, erwähne aber, dass er den Rabbinen bereits voll bewusst war.24 Was die Frauen betrifft, so kann aus der Mehrheit der Quellen keine Verpflichtung zur Bildung analog zu den Männern abgeleitet werden. Allerdings haben sich in den letzten Jahrzehnten Versuche gefunden, durch direkte und indirekte Textbefunde das Lernen von Frauen auch im rabbinischen Kontext zu verorten.25 Zu erwähnen ist R. ben Azzais Aussage in mSota 3.4, wonach ein Vater verpflichtet ist, seine Tochter Tora zu lehren.26 Nach jSchabbat 6,1,7c lehrte Abbahu seine Töchter Griechisch und R. Jochanan hielt das Griechische für einen 24 Selbstverständlich waren auch soziale Unterschiede unter den Rabbinen

Thema. Vgl. hierzu Hezser, Social Structure, S. 255–307. Statusdifferenzen resultieren aber nicht ausschließlich daraus, sondern auch aus unterschiedlichem Ansehen der Lehre, Ämtern, Nähe zum Patriarchenhaus, geografischen Erwägungen etc. 25 Vgl. die Forschungen von Tal Ilan, z.B. Jewish Women in Greco-Roman Palestine: An Inquiry into Image and Status (TStAJ 44; Tübingen 1995); Mine and Yours are Hers: Retrieving Women’s History from Rabbinic Literature (AGAJU 41; Leiden 1997); Learned Jewish Women in Antiquity, in: Beate Ego/Helmut Merkel, Hg., Religiöses Lernen in der biblischen, frühjüdischen und frühchristlichen Überlieferung (WUNT 180; Tübingen 2005), S. 175– 190. Vgl. auch Shoshana P. Zolty, And All Your Children Shall be Learned: Woman and the Study of the Torah in Jewish Law and History (Northvale – London 1993). 26 Vgl. mNedarim 4.2–3; tKetubbot 4.7. Vgl. auch den Abschnitt Studying Women in Daniel Boyarins Carnal Israel. Reading Sex in Talmudic Culture (Berkeley – Los Angeles – Oxford 1993), S. 167–196.

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Schmuck der Frauen.27 In späterer Folge leitet man übrigens davon durchaus auch einen Beleg für die profane Bildung von Frauen ab. Berurja, die gelehrte Frau R. Meirs, wird gern als Beispiel für eine rabbinische Bildung von Frauen angeführt. Nach bPesachim 62b habe sie 300 Gesetze von 300 Lehrern an einem Tag gelernt. Im Umfeld Meirs ist auch folgende Geschichte beheimatet: R. Zekharja/Zevadja, der Schwiegersohn des R. Levi, erzählte folgende Geschichte: R. Meir war gewohnt, jeden Vorabend des Schabbat in der Synagoge von Hameta eine Schrifterklärung zu halten. Es war dort eine Frau, die ihm zuzuhören pflegte. Eines Abends zog sich seine Schrifterklärung in die Länge. (Nach dem Vortrag) ging sie und wollte in ihr Haus eintreten. Da fand sie die Lampe verloschen. Ihr Mann fragte sie: Wo bist du gewesen? Sie erwiderte ihm: (Ich bin in die Synagoge gegangen,) um die Stimme des Schrifterklärers zu hören.28

Diese Geschichte, die in mehreren Varianten existiert, zeigt deutlich, dass es Frauen gab, die lieber dem Rabbi zuhörten als ihren häuslichen Pflichten nachzugehen.29 Dass solche 27 Vgl. dazu Hezser, Literacy, S. 93, die es auf die »upper« und evtl. »middle

strata« der Gesellschaft bezieht, um z.B. am Heiratsmarkt bei Griechisch sprechenden, also aus der Oberschicht stammenden Männern bessere Chancen zu haben. 28 Übersetzung nach Frowald Gil Hüttenmeister, Sota. Die des Ehebruchs verdächtige Frau (Übersetzung des Talmud Yerushalmi III/2; Tübingen 1998), S. 22. 29 Diese Beispielerzählung in jSota 1,4,16d //Numeri Rabba 9.20 mit abweichenden Parallelen in Levitikus Rabba 9.9// Deuteronomium Rabba 5.15 illustriert in weiterer Folge, was Friedenstiften unter Eheleuten bedeuten kann.

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Vorträge von Rabbinen oft lange gedauert haben, »beweist« das Beispiel von R. Scheschet, der durch das lange Sitzen bei den Vorträgen R. Hunas impotent geworden sein soll (bJevamot 62b). In bPesachim 49b wird darauf gedrungen, dass ein Mann sich bemühen solle, die Tochter eines Toragelehrten zu ehelichen. Dies wird man wohl auch so deuten dürfen, dass etwas vom Wissen des Vaters auf sie übergeht und sie in der Lage ist, dem Mann ein gelehrtes Umfeld zu bereiten. Andere Texte zeigen wiederum stärker das Bemühen um Abgrenzung (Sifre Dtn § 46). Eine Ausbildung in Bereichen der Tora, die maßgeblich von Frauen abgedeckt werden soll, wird schon in der Mischna betont (z.B. mSota 3.4; vgl. jSota 3,4,19a). In jedem Fall braucht es hierzu weitere Forschung. Gerade die Beispiele um R. Meir lassen vermuten, dass Frauen im Umkreis von Gelehrten – Berurja wird im Talmud (sekundär) auch als Tochter R. Chanina b. Teradjons identifiziert – Zugang zu Gelehrtenbildung haben. Dies lässt, wie Tal Ilan richtig feststellt,30 noch keinen Schluss auf weiter reichende Ausbildung von Frauen allgemein zu. Dies gilt auch für die Belege für Frauen als role models in Bezug auf die Finanzierung des Studiums. In mehrfacher Version wird die Geschichte erzählt, dass der arme R. Aqiva nur deshalb so lange – nach bKetubbot 62b und bNedarim 50a 24 Jahre – studieren konnte, weil seine Frau ihre Haarflechten verkauft hatte, um es ihm zu ermöglichen, weshalb er ihr später ein Diadem in Form der goldenen Stadt Jerusalem schenkte.31 Aqiva fungiert hier als Gegengewicht zu ­Chanina 30 Tal Ilan, Jewish Women in Greco-Roman Palestine: An Inquiry into Image

and Status (Tübingen 1995), S. 195–200.

31 Vgl. jSchabbat 6,1,7d; jSota 9,15,24c; bSchabbat 59ab; bKetubbot 62b;

bNedarim 50a; Avot de-Rabbi Natan A 6.7–21; B 12.3–13.3; bzw. ­TestIjob

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b. Chakhinai, der 13 Jahre lang bei Aqiva studiert haben soll ohne mit seiner Frau zu kommunizieren, die darüber gar nicht glücklich ist.32 R. Aqivas Sohn Jehoschua arrangiert sich hingegen mit seiner Verlobten und schreibt in den Ehevertrag, dass er sie nicht versorgt, sondern im Gegenteil sie mit ihrem Geld für sein Studium aufkommt (tKetubbot 4.7). Der Vertrag hält schließlich rechtlich auch in Zeiten der schweren Wirtschaftskrise. In diesen Belegen spiegelt sich nach Shamma Friedman der Konflikt zwischen Eheleben und Studium, der im »Endstadium« der textlichen Entwicklung durch eine Romantisierung des freiwilligen Opfers der Frau und den Lohn dafür aufgelöst werden soll. Das Stichwort Finanzierung des Studiums33 wäre weitere Überlegungen wert. Dazu verweise ich beispielhaft auf die mehrfach belegte Erzählung des Studienbeginns von R. Eliezer.34 In der Variante Tanchuma B Lekh Lekha 10, auf die ich später ausführlicher eingehen werde, heißt es, dass er so arm war, dass er sich von Staub ernährte, den er aus einer Art Weinschlauch sog. Schließlich wird er von seinem Lehrer Jochanan ben Zakkai mit Essen versorgt. In jPesachim 8,8,21a lässt Rabbi einen Schüler u.a. durch den Armenzehnten ernähren. An dieser Stelle ist von einer 23; vgl. Ilan, Women, S. 129–132. Vgl. auch Daniel Boyarins Analyse in Carnal Israel, S. 134–166, und vor allem Shamma Friedman, A Good Story Deserves Retelling. The Unfolding of the Akiva Legend, in: Jeffrey L. Rubenstein, Hg., Creation and Composition. The Contribution of the Bavli Redactors (Stammaim) to the Aggada (TStAJ 114; Tübingen 2005), S. 71–100. 32 Vgl. Levitikus Rabba 21; bKetubbot 62b. 33 Vgl. dazu Hezser, Social Structure, S. 107. 34 Pirqe de-Rabbi Eliezer 1–2; Avot de-Rabbi Natan A 6.22–32; Avot de-Rabbi Natan B 13.4–21; Genesis Rabba 42.1; Tanchuma B Lekh Lekha 10; Jacob Neusner, Development of a Legend (Leiden 1970), S. 119–121, 242–247; ders., Eliezer ben Hyrcanus. The Tradition and the Man I (Leiden 1973), S. 442–446.

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Höchstgrenze für Einkommen die Rede, ab der die Versorgung durch Armenunterstützung entfällt. Da die Mitschüler ein missgünstiges Auge auf ihn haben, erhöhen sie durch eine Spende sein »Vermögen« so weit, dass er kein »Stipendium« bekommt. Rabbi schafft es aber schließlich dennoch, durch sein beherztes Eingreifen die Unterstützung zu sichern. In jPea 8,7,21a ist von einer Steuer zugunsten von Lehrern die Rede, die man bezahlen muss, wenn man länger als 12 Monate an einem Ort wohnt. Freiwillige Spender werden gerne erwähnt (Levitikus Rabba 34.16 u.ö.). An einigen Stellen, so etwa in bBekhorot 29a, wird an die Lehrer appelliert, den Unterricht gratis zu halten, weil auch Gott seine Tora gratis zur Verfügung stellt. In den mittelalterlichen Reiseerzählungen des Benjamin von Tudela wird über Lunel (Frankreich) berichtet: Alle, die aus einem fernen Land kommen, um die Tora zu studieren, versorgt und lehrt man. Sie bekommen Verpflegung und Kleidung von der Gemeinde, solange sie im Lehrhaus lernen. Die Leute von der Gemeinde sind gelehrte, verständige, heilige Leute, die ihre religiösen Pflichten treu erfüllen. Sie stehen für alle ihre Brüder ein, für die nahen und die fernen. Zur Gemeinde gehören etwa dreihundert Juden, Gott möge sie beschützen.35

Im Hinblick auf die Ausbildung von Unfreien/Sklaven findet sich neben dem Ausspruch des R. Chama b. Uqba in 35 Zitiert nach: Die Reisen des Rabbi Benjamin bar Jona von Tudela, in: Benja-

min von Tudela. Petachja von Regensburg, Jüdische Reisen im Mittelalter. Sepher Massa’ot schel R. Benjamin. Sepher Sibbuv R. Petachja. Aus dem Hebräischen übersetzt mit Anmerkungen und einem Nachwort von Stefan Schreiner (Sammlung Dieterich 416; Leipzig 1991), S. 10.

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jMegilla 4,3,75a, wonach es verboten sei, einem Sklaven Tora zu lehren, z. B. eine Beispielerzählung vom gelehrten Sklaven R. Gamaliels, der sogar namentlich als Tabi bekannt ist. Er wird als Schüler der Gelehrten (mSukka 2.1) gepriesen. Der Lerneifer geht allerdings – ähnlich wie bei der Frau um R. Meir – vom Sklaven aus, der »die Worte der Weisen hören will« (jSukka 2,1,52d). Im babylonischen Talmud Avoda Zara 39a ist davon die Rede, dass Sklaven und Frauen in Bezug auf Reinheitsvorschriften genauso verlässlich seien wie deren Herren bzw. Männer. Dahinter steckt zweifellos nicht nur eine neutrale Feststellung, sondern ein klares Bekenntnis und damit auch ein Auftrag zur Ausstrahlung des Menschen auf seine direkte Umwelt. Damit komme ich zur nächsten Frage: Wann beginnt das Lernen – und wann endet es? Diese Frage ist nicht loszulösen von der rabbinischen Anthropologie an sich. Nach einer Talmudstelle (bNidda 30b) wird bereits der Embryo durch Gott mit der Lehre erleuchtet und hat eine umfassende Weitsicht. Leider vergisst er sein Wissen wieder bei der Geburt, weil ihm ein Engel auf den Mund schlägt. Das Ungeborene im Leib seiner Mutter gleicht einer zusammengefalteten Schreibtafel. … Und ein Licht leuchtet ihm über seinem Kopf und es sieht von einem Ende der Welt bis zum andern (belegt mit Ijob 29,2). … Und man lehrt es die gesamte Tora, wie es heißt: »Da lehrte er mich und sagte zu mir: Nimm dir meine Worte zu Herzen, folge meinen 30

jMegilla 4,3,75a, wonach es verboten sei, einem Sklaven Tora zu lehren, z. B. eine Beispielerzählung vom gelehrten Sklaven R. Gamaliels, der sogar namentlich als Tabi bekannt ist. Er wird als Schüler der Gelehrten (mSukka 2.1) gepriesen. Der Lerneifer geht allerdings – ähnlich wie bei der Frau um R. Meir – vom Sklaven aus, der »die Worte der Weisen hören will« (jSukka 2,1,52d). Im babylonischen Talmud Avoda Zara 39a ist davon die Rede, dass Sklaven und Frauen in Bezug auf Reinheitsvorschriften genauso verlässlich seien wie deren Herren bzw. Männer. Dahinter steckt zweifellos nicht nur eine neutrale Feststellung, sondern ein klares Bekenntnis und damit auch ein Auftrag zur Ausstrahlung des Menschen auf seine direkte Umwelt. Damit komme ich zur nächsten Frage: Wann beginnt das Lernen – und wann endet es? Diese Frage ist nicht loszulösen von der rabbinischen Anthropologie an sich. Nach einer Talmudstelle (bNidda 30b) wird bereits der Embryo durch Gott mit der Lehre erleuchtet und hat eine umfassende Weitsicht. Leider vergisst er sein Wissen wieder bei der Geburt, weil ihm ein Engel auf den Mund schlägt. Das Ungeborene im Leib seiner Mutter gleicht einer zusammengefalteten Schreibtafel. … Und ein Licht leuchtet ihm über seinem Kopf und es sieht von einem Ende der Welt bis zum andern (belegt mit Ijob 29,2). … Und man lehrt es die gesamte Tora, wie es heißt: »Da lehrte er mich und sagte zu mir: Nimm dir meine Worte zu Herzen, folge meinen 30

­ eboten und du wirst leben« (Spr 4,4). Und weiter heißt es: G »als Gottes Freundschaft über meinem Zelte stand« (Ijob 29,4). Doch sobald es an die Luft der Welt gelangt, kommt ein Engel und schlägt es auf den Mund und es vergisst seine ganze Tora: »An der Tür lauert die Sünde« (Gen 4,7). Doch verlässt (das Kind) nicht (den Mutterleib), ehe man es schwören ließ: »Vor mir wird jedes Knie sich beugen, und jede Zunge wird bei mir schwören« ( Jes 45,23). »Wird jedes Knie sich beugen« bezieht sich auf die Stunde des Todes (belegt mit Ps 22,30). »Und jede Zunge wird schwören« bezieht sich auf den Tag der Geburt: »Der reine Hände hat und ein lauteres Herz, der nicht betrügt und keinen Meineid schwört« (Ps 24,4).36

Dieser Hinweis auf die Unschuld der Kinder am Ende des Absatzes schlägt gleichzeitig eine Brücke zum Menschsein an sich. In Bezug auf eine rabbinische Anthropologie ist nämlich zu betonen, dass der Mensch verpflichtet ist, sich als Gottes Geschöpf zu bewähren, weil er nach seinem Abbild geschaffen wurde (Gen 1,27f.). Karl E. Grözinger weist zu Recht auf die Ethisierung der Vorstellung der Ebenbildlichkeit Gottes in rabbinischen Texten hin: Die rabbinische Literatur hat diese Lehre mit dem in der Bibel im Gesetz und bei den Propheten herausragenden ethischen Denken verbunden. Die Rabbinen haben so die geschöpfliche Sonderstellung des Menschen nicht in dessen Vollmacht oder dessen intellektuellen Fähigkeiten gesehen, 36 Zitiert nach Günter Stemberger, Kinder lernen Tora, S. 57. Vgl. dazu auch

Tanchuma Pequde 3 = Jezirat ha-Walad: Übersetzung bei Karl E. Grözinger, Jüdisches Denken. Theologie – Philosophie – Mystik I (Frankfurt a. Main 2004), S. 264–266, anschließend dort ausführlicher Kommentar.

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sondern in seiner Fähigkeit zum ethischen Handeln. Programmatisch wird diese neue Sicht im Midrasch Tanchuma [Bereschit 7] formuliert, der Gen 11,26 wie folgt versteht: Der Heilige, E.s.g., der »Gerecht« und »Aufrichtig« heißt, hat den Menschen alleine deshalb in seinem Bilde (zelem) erschaffen, damit der Mensch »gerecht« und »aufrichtig« sei, wie Er selbst. Das bedeutet, Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit sind die Merkmale, in denen Gott und sein Ebenbild sich gleichen oder sich gleichen sollen. Ebenbild Gottes sein, heißt, gerecht und aufrichtig sein. Die Gottähnlichkeit ist damit ethisch begründet.37

So ist auch Wissen und Lernen als Bildung von Anfang an Ausdruck des richtigen Verhaltens, deren Symbol die reinen Hände und das lautere Herz sind, wie es in dem Abschnitt bNidda 30b durch das Zitat von Ps 24,4 betont wird. Von Beginn an steht Bildung im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Verantwortung des einzelnen Menschen in der Gemeinschaft, der er sich als einer gegenübersieht, der eben zum Beispiel nicht betrügt und Meineide schwört. An mehreren Stellen der rabbinischen Literatur wird davon gehandelt, dass bei der Übergabe der Tora am Sinai von den Kindern der Israeliten eine Bürgschaft abverlangt wurde. Diese bezog sich sowohl auf die Embryonen als auf die schon Geborenen.38 37 Grözinger, Jüdisches Denken I, S. 281. 38 Mekhilta Bachodesch 3; Mekhilta de Rabbi Schimon bar Jochai zu Ex

19,17; Hohelied Rabba 1; Tanchuma Wajiggasch 2.2; Kalla Rabbati 2.10; Midrasch zu den Zehn Geboten 68f.

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Ein bedeutender Beleg findet sich im Midrasch Tehillim (Psalmenmidrasch) 8.4 zu Psalm 8,3, im Übrigen im Anschluss an eine Auslegung zu Spr 6,1, in der es um die Ehrfurcht vor dem Lehrer geht. Dort heißt es: »Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge begründest du Stärke«… Eine andere Auslegung: »Mein Sohn, hast du deinem Nächsten/Freund Bürgschaft geleistet?« (Spr 6,1) – die Schrift spricht über Israel. In der Stunde, als die Tora gegeben wurde, sollten sie gegenseitig füreinander als Bürgen eintreten. Als der Heilige, gepriesen sei er, Israel die Tora geben wollte, sagte er zu Ihnen: Gebt mir Bürgen, dass ihr sie aufrecht erhalten wollt. Sie antworteten ihm, die Väter der Welt sollen die Bürgen sein. Er sagte zu ihnen: Bei eurem Leben, sie sind mir gegenüber schuldig geworden, könnten sie doch für sich stehen! Ein Gleichnis von einem, der es nötig hatte, Geld zu leihen. Man sagte zu ihm: Bring mir einen Bürgen und nimm, soviel du willst. Er ging und brachte einen, der bei ihm Schulden hatte. Er sagte zu ihm: Du hast mir einen gebracht, der mir schuldet, könnte er doch für sich selbst stehen! Geh und bring mir einen, der mir nichts schuldet, und nimm! So sprach der Heilige, gepriesen sei er, zu Israel: Die Väter der Welt habt ihr mir gegeben, Bürgen, auf denen mir gegenüber einige Schuld lastet. Schafft mir stattdessen Bürgen, die mir gegenüber nicht schuldig sind. Von daher, wie geschrieben ist: »Nicht mit unseren Vätern hat JHWH39 diesen Bund geschlossen, sondern mit uns, die wir heute hier stehen, mit 39 Der Gottesname JHWH wird traditionell nicht ausgesprochen, sondern

umschrieben, etwa mit Adonai (Herr) oder ha-Schem (der Name).

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uns allen, mit den Lebenden« (Dtn 5,3). Sie fragten ihn: Und wer sind diese, die dir gegenüber nicht schuldig geworden sind. Er antwortete ihnen: Die Säuglinge! Sofort brachten sie ihre Bab,s, die noch im Mutterleib waren und die an den Brüsten ihrer Mütter hingen. Der Mutterleib stand wie ein [durchsichtiger] Kristall und sie blickten auf den Heiligen, gepriesen sei er, aus ihrem Mutterleib und redeten mit ihm. Es sprach der Heilige, gepriesen sei er, zu ihnen: Ihr seid die Bürgen für eure Väter, denn wenn ich euch die Tora gebe, sollt ihr sie aufrechterhalten. Und wenn nicht, werdet ihr für sie in Haftung genommen? Sie antworteten ihm: Ja! Er sagte zu ihnen: »Ich bin JHWH, dein Gott« (Ex 3,2). Sie antworteten ihm: Ja! Er sagte zu ihnen: »Du sollst keine anderen Götter haben« (Ex 20,3). Sie sagten zu ihm: Ja! Auf jedes einzelne Wort antworteten sie auf Ja Ja! Und auf Nein Nein! Er antwortete ihnen: Aus eurem Mund gebe ich die Tora, wie es heißt: »Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge begründest du Stärke« (Ps 8,3). Und es gibt keine Stärke außer der Tora, wie es heißt: »Der Herr gebe Stärke seinem Volk« (Ps 29,11). Wenn also, Gott bewahre, sie die Tora verwerfen, werden ihre Kinder ihretwegen in Haftung genommen, wie es heißt: »Du hast die Weisung deines Gottes vergessen; [deshalb vergesse auch ich deine Kinder]« (Hos 4,6). Was bedeutet »auch ich«? Es sagte der Heilige, gepriesen sei er – wenn man so sagen darf: Auch ich werde vergessen, dass die Kinder mich priesen, wie es heißt: »Auch ich«.

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An dieser Stelle werden die Kinder als Bürgen für die Tora genommen, nachdem die Erzeltern sich nicht eignen, da sie selbst nicht schuld(en)frei sind. Im Falle des Scheiterns der Israeliten an Gottes Weisung haben demnach auch die Kinder in der Folge zu leiden. Sie zahlen – um im Bild zu bleiben – die Schulden der Väter zurück. Andererseits wird im Midrasch deutlich, dass die Kinder freiwillig allen Geboten zustimmen, dass sie in einer pränatalen bzw. ganz frühkindlichen Weisheit Gottes Tora annehmen. Im Hohelied Rabba 1.4.1 wird über die Bürgschaft der Kinder folgende Variante geboten: R. Meir sagte: In der Stunde, als die Israeliten vor dem Berg Sinai standen um die Tora zu empfangen, sagte der Heilige, gepriesen sei er, zu ihnen: Ich gebe euch die Tora nur unter der Bedingung, dass ihr mir gute Bürgen bringt, damit ihr sie bewahrt, dann gebe ich sie euch.

Hier folgt eine längere Passage über die Väter (mit Gleichnis) und über die Propheten, die jeweils als ungeeignet für die Bürgschaft angesehen werden. Danach heißt es: Sie sagten: Hier, unsere Kinder sind unsere Bürgen! Der Heilige, gepriesen sei er, sagte: Das sind wirklich gute Bürgen. Um ihretwillen werde ich sie euch geben, wie es heißt: »Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge begründest du Stärke« (Ps 8,3). Und es gibt keine Stärke außer der Tora, wie es heißt: »Der Herr gebe Stärke seinem Volk« (Ps 29,11). In der Stunde, wo das Geliehene fällig wird und es nicht bezahlt wird, von wem wird es eingefordert, wenn nicht vom Bürgen. Das meint, was geschrieben steht: »Du hast die Tora deines Gottes vergessen; deshalb vergesse auch ich deine Kinder« (Hos 4,6). 35

Es sagte R. Acha: »Auch ich«, wenn man so sagen darf, selbst ich werde unter das Vergessen gezählt. Wer wird in der Tora sagen: Preist JHWH, der gepriesen wird? Nicht die Säuglinge? Wegen eurer Schwächlichkeit in Bezug auf die Tora habe ich von euren Kindern eingefordert, wie es heißt: »Wegen nichts (verstanden als: Nichtbeachtung der Tora) habe ich eure Kinder geschlagen [Erziehung haben sie nicht angenommen]« ( Jer 2,30). Wenn man so sagen darf, »auch ich« werde unter das Vergessen gezählt. Wer wird sagen: Preist JHWH, der gepriesen wird? Deshalb muss ein Mensch seinen Sohn in die Tora einführen und ihn erziehen in der Lehre, damit du lange lebst in der Welt, wie es heißt: »Denn durch mich werden die Tage deines Lebens zunehmen« (Spr 9,11).

Die Ausbildung der Kinder (Söhne) zählt als Garant für die Aufrechterhaltung der Tora, die in diesem Fall nicht nur das Leben der Kinder und Eltern sichern, sondern auch Gott vor dem Vergessen bewahren soll. bSukka 42a berichtet von früher Erziehung durch den Vater: Sobald (ein Knabe) zu schütteln vermag, ist er verpflichtet auf (das Gebot des) Feststraußes (am Laubhüttenfest). Wenn (er es versteht) sich einzuhüllen (in den Tallit) ist er verpflichtet auf das Gebot der Tsitsit (Kleiderquasten). Wenn (er versteht) auf die Tefillin (Gebetsriemen) zu achten, besorgt ihm sein Vater Tefillin. Wenn er zu sprechen versteht,

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lehrt ihn sein Vater Tora und die Rezitation des Sch ema 40. (Was meint hier) Tora? R. Hamnuna sagte: »Die Tora, die Mose uns geboten hat, ist Erbe [der Gemeinde Jakobs]« (Dtn 33,4). (Was meint hier) Sch ema? Den ersten Teil.

Sch ema und Tora symbolisieren zwei zentrale Teile der rabbinischen Identität, Gebet und Studium. In bBerakhot 47b wird ein Ungebildeter, am ha-arets, dadurch definiert, dass er unfähig ist, zweimal am Tag das Sch ema zu lesen und seinen Sohn in der Tora zu unterrichten. Über diesen Zusammenhang und auch über die Frage der »Ungebildeten« oder »Bildungsfernen« wäre es wert, mindestens ein weiteres Büchlein zu schreiben. Aus diesem Grund will ich diesen Bereich hier ausklammern, so spannend er auch sein mag. Günter Stemberger verweist in seinem Beitrag Kinder lernen Tora zu Recht darauf, dass die Rabbinen den Schulkindern eine herausragende Bedeutung für den Bestand der gesamten Welt beimaßen. Im Midrasch Tehillim 6.1 etwa erhält Gott die Welt »wegen des Atems aus dem Mund der Schulkinder, in denen keine Schuld ist«. Ähnlich heißt es in bSchabbat 119b: Es sagte R. Hamnuna: Jerusalem ist nur zerstört worden, weil sie die Kinder im Schulhaus vernachlässigt haben, wie es heißt: »Gieß aus [den Zorn] über das Kind auf der Straße« ( Jer 6,11). Warum ausgießen? Weil das Kind auf der Straße ist. … Es sagte R. Jehuda, es sagte Rav: Was bedeutet: 40 Das Sch ema Israel ist das zentrale Gebet im jüdischen Alltag und wird

zweimal täglich gesprochen. Es besteht aus den Bibelversen Dtn 6,4–9; 11,13–21 und Num 15,37–41. Der Name Sch ema Israel geht auf die Anfangsworte in Dtn 6,4 zurück: »Höre Israel, JHWH, unser Gott, JHWH ist einer«.

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»Tastet meinen Gesalbten nicht an, tut meinen Propheten nichts zuleide« (1 Chr 16,22)? »Tastet meinen Gesalbten nicht an« – das sind die Kinder im Schulhaus; »tut meinen Propheten nichts zuleide« – das sind die Schüler der Weisen. Es sagte R. Schimon ben Laqisch im Namen des R. Jehuda Nesia: Die Welt hat nur durch den Atem der Schulkinder Bestand.

Diese enge Verknüpfung von Welt und dem Bestand der Schulkinder ist bemerkenswert. Darin drückt sich auf intensive Weise der Zusammenhang zwischen Schöpfung, Bewahrung der Schöpfung und Tora aus, der in der rabbinischen Kultur betont wird. Denn erst mit ihr ist das Ziel der Schöpfung selbst erreicht. Der Heilige, gepriesen sei er, vereinbarte eine Bedingung mit dem Werk der Schöpfung und sagte zu ihnen: Wenn Israel die Tora annimmt, so ist es gut, aber wenn nicht, werde ich euch zu Tohu und Bohu zurückführen,

heißt es in bSchabbat 88a. Im Säuglingsalter übernimmt Gott selbst die Lehre der Kinder, wie es in bAvoda Zara 3b heißt: Was tut er in der vierten Stunde des Tages? Er sitzt und lehrt Schulkinder Tora, wie es heißt: »Wen wird er Erkenntnis lehren, wem das Gehörte erklären? Kindern, die man von der Muttermilch entwöhnte, die man gerade von der Brust nahm« ( Jes 28,9).

Was das geeignete Schuleintrittsalter betrifft, ist ein Ausspruch interessant, den man R. Schmuel b. Schilat in den Mund legt: 38

Unter sechs ( Jahren) nehmt sie nicht auf ! Mit sechs ( Jahren) nehmt sie auf und stopft sie (mit Tora) voll wie die Ochsen (bBava Batra 21a; bKetubbot 50a),

Schüler seien deshalb im Alter von sechs Jahren zu unterrichten, nicht erst später, weil sie dann renitent wären – bei Einschulungsversuchen mit 16 oder 17 hätten die Schüler sich gegen einen strengen Lehrer mit einem Tritt gewehrt und seien verschwunden. Aber auch nicht früher, weil das für ihre Zukunft schädlich sein könnte. In späterer Zeit schickt man allerdings die Kinder immer früher zur Schule.41 Zumindest für den Grundschulbereich dürfte noch keine Ganztagesschule vorausgesetzt sein. In der Pesiqta Rabbati 43 zumindest kann man lesen, dass sich üblicherweise die Mütter darum kümmern, dass die Kinder gewaschen in der Früh zur Schule kommen und sie um 12 h wieder empfangen. Allerdings heißt es dort auch im Abschnitt 41, dass die Kleinkinder zweimal täglich, morgens und abends, in der Synagoge Ps 106,47 intonieren. In bBerakhot 17a wird schließlich den Frauen verdienstvoll angerechnet, wenn sie ihre Kinder in die Synagoge zum Lernen bringen und ihre Männer ermutigen, das Lehrhaus zu besuchen. Im höheren Studienbereich wird meist vorausgesetzt, dass sich die Studierenden bei ihren Lehrern aufhalten und dort auch leben. Diesbezüglich sei nur auf bKetubbot 62b verwiesen, wo u.a. darüber diskutiert wird, wie oft ein Student nach Hause zu seiner Frau kommen soll, um den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. 41 Günter Stemberger meint zu Recht: »mAv 5,24 ‚mit fünf zur Bibel, mit

zehn zur Mischna …‘ ist ein mittelalterlicher Zusatz (doch vgl. auch Tan Qedoshim 14) und dokumentiert den zunehmenden Trend, Kinder immer früher zur Schule zu bringen« (Kinder lernen Tora, S. 57, Anm. 7).

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Die Frage, wann Lernen endet, ist leicht beantwortet. Man soll lebenslang lernen und auch im Alter noch unterrichten (vgl. Avot de-Rabbi Natan A 3.15–17; B 4.5).42 Was wird gelernt? jQidduschin 1,7,61a//tQidduschin 1.1 nimmt schon die Väter in die Pflicht, den Söhnen Schwimmen beizubringen, eine praktische Ausbildung zu geben und Tora zu unterrichten.43 In tHagiga 1.2 sollen Söhne vom Vater die Rezitation des »Sch ema Israel«, Hebräisch und Tora lernen, ansonsten wäre es besser, sie wären gar nicht geboren worden.44 Lehrstoff der Schulkinder wird (indirekt) in jMegilla 3,1,74a erwähnt. Demnach könne man aus unfertigen Torarollen lesen, wenn folgende Texte enthalten seien: Genesis 1–5,32; Levitikus 1–9; Numeri 1–10,38. Daraus schließt man (vgl. Soferim 5.11) auf Einheiten für den Schulgebrauch. Traditionell gilt das biblische Buch Levitikus als erster Lehrstoff, wo sich die Reinen (Kinder) mit dem Reinen (Opfer, Heiligtum und Heiligkeit) befassen (Levitikus Rabba 7.3).45 Fortgeschrittene Schüler dürften wohl aus ganzen Rollen 42 Als Grundlage von Avot de-Rabbi Natan habe ich die synoptische

Edition von Hans-Jürgen Becker (in Zusammenarbeit mit Christoph Berner) verwendet: Synoptische Edition beider Versionen  (TStAJ 116)  (Tübingen  2006). 43 Dort ist auch vom Großvater die Rede, der die Enkel unterrichtet. Vgl. auch jSukka 3,12(15),54c; jAvoda Zara 4,4,43d. 44 Nach mKeritot 6.9 stehen die Väter dann – wenn sie nicht selbst Lehrer sind – in der Frage der Wertschätzung eindeutig hinter den Lehrern; tBava Metsia 2.30 differenziert diesbezüglich. 45 Vgl. hierzu auch Howard Deitcher, «Allow the Pure to Engage in the Study of the Pure«: Introducing Children to the Ways of Torah Study [Hebr]), in: Pathways through Aggadah 10 (2007)» S. 209–228.

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Die Frage, wann Lernen endet, ist leicht beantwortet. Man soll lebenslang lernen und auch im Alter noch unterrichten (vgl. Avot de-Rabbi Natan A 3.15–17; B 4.5).42 Was wird gelernt? jQidduschin 1,7,61a//tQidduschin 1.1 nimmt schon die Väter in die Pflicht, den Söhnen Schwimmen beizubringen, eine praktische Ausbildung zu geben und Tora zu unterrichten.43 In tHagiga 1.2 sollen Söhne vom Vater die Rezitation des »Sch ema Israel«, Hebräisch und Tora lernen, ansonsten wäre es besser, sie wären gar nicht geboren worden.44 Lehrstoff der Schulkinder wird (indirekt) in jMegilla 3,1,74a erwähnt. Demnach könne man aus unfertigen Torarollen lesen, wenn folgende Texte enthalten seien: Genesis 1–5,32; Levitikus 1–9; Numeri 1–10,38. Daraus schließt man (vgl. Soferim 5.11) auf Einheiten für den Schulgebrauch. Traditionell gilt das biblische Buch Levitikus als erster Lehrstoff, wo sich die Reinen (Kinder) mit dem Reinen (Opfer, Heiligtum und Heiligkeit) befassen (Levitikus Rabba 7.3).45 Fortgeschrittene Schüler dürften wohl aus ganzen Rollen 42 Als Grundlage von Avot de-Rabbi Natan habe ich die synoptische

Edition von Hans-Jürgen Becker (in Zusammenarbeit mit Christoph Berner) verwendet: Synoptische Edition beider Versionen  (TStAJ 116)  (Tübingen  2006). 43 Dort ist auch vom Großvater die Rede, der die Enkel unterrichtet. Vgl. auch jSukka 3,12(15),54c; jAvoda Zara 4,4,43d. 44 Nach mKeritot 6.9 stehen die Väter dann – wenn sie nicht selbst Lehrer sind – in der Frage der Wertschätzung eindeutig hinter den Lehrern; tBava Metsia 2.30 differenziert diesbezüglich. 45 Vgl. hierzu auch Howard Deitcher, «Allow the Pure to Engage in the Study of the Pure«: Introducing Children to the Ways of Torah Study [Hebr]), in: Pathways through Aggadah 10 (2007)» S. 209–228.

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gelernt haben. Über den weiteren Bildungsverlauf in einem in der Praxis kaum streng gegliederten Bildungssystem46 bleiben auch die Rabbinen selbst nüchtern und noch im späten Midrasch Qohelet Rabba heißt es, dass von tausend Schülern, die Bibelunterricht nehmen, sich nur zehn mit höheren Studien, Talmud genannt, beschäftigen und nur einer das Studium gänzlich abschließt (Qohelet Rabba 7.28.1), also eine relativ hohe Dropoutrate vorliegt, gleichzeitig aber auch ein tolles Betreuungsverhältnis. R. Aqiva soll schlussendlich sieben Schüler gehabt haben (Genesis Rabba 61.3),47 R. Jochanan ben Zakkai nur fünf (mAvot 2.8) und Antigonos von Sokho gar nur zwei (Avot de-Rabbi Natan A 5.3; B 10.3). In bSota 49b wird Schimon b. Gamaliel mit dem Statement zitiert, dass von 1000 Mitgliedern seines Hauses 500 Tora studierten, 500 aber die griechischen Bildungsangebote vorzogen. In mAvot 2.8 (Avot de-Rabbi Natan A 14.3; B 28.12) heißt es allerdings auch von Hillel, dass er 80 Studierende gehabt habe, von denen 30 geeignet gewesen wären, dass die Schekhina, Gottes Gegenwart, auf ihnen wie auf Mose geruht hätte, aber die Generation sei dafür nicht geeignet gewesen. Diese höheren Studien bei einem Rabbi haben keinen fixierten Studienplan und auch kein »offizielles« Ende. Praktisch kann ein Schüler von einem Lehrer als ausgebildet 46 Die Dreiteilung, die wir etwa in mAvot 5.21 vorfinden (mit fünf zur

Schrift, mit zehn zur Mischna, mit 15 zum Talmud) ist spät. Das gerne zum Vergleich herangezogene dreigeteilte griechische System wird ebenfalls heute mehrfach als idealtypisch betrachtet. Hier beginnt das Grundstudium mit sieben. Es folgt das »Grammatikstudium« mit etwa 13 und das »Philosophiestudium« im Erwachsenenalter. Hezser, Literacy, S. 82–83, hält es für möglich, dass die in rabbinischen Quellen genannten Mischnalehrer den »grammatikoi« nachempfunden sind. 47 Seine Schüler waren R. Meir, R. Jehuda, R. Jose, R. Schimon, R. Eleazar b. Schamua, R. Jochanan der Schuster und R. Eliezer b. Jakob.

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entlassen werden, um selber zu unterrichten und Schüler um sich zu scharen. Predigten und Vorträge in Synagogen, Lesungen am Schabbat und allgemeine Schulvorträge, Rigla genannt, dienten der Weiterbildung auch derer, die nicht in den engsten Kreis der Rabbinen gehörten. Die Institutionen von Kalla und Pirqa dienten im babylonischen Judentum der Fortbildung der Absolventen und der weiteren Verbreitung von Bildung. Es handelt sich bei der Kalla um eine Art Tagung, einmal im Sommer, einmal im Winter. Man behandelt in vollem Saal einen Traktat, auf den die Teilnehmer schon vorbereitet sind und ihr Wissen präsentieren können.48 Die Pirqa hingegen ist ein Einzelvortrag für eine Versammlung am Schabbat oder Feiertag. In islamischer Zeit wird die Pirqa eine Dauereinrichtung an den Akademien und wird sicher dazu beigetragen haben, dass rabbinische Bildung und Gelehrsamkeit sich auch im Volk stärker verankerten. Was den Lehrstoff der »höheren Schüler« betrifft, so hat z. B. Marc Hirshman in seiner Studie zum Midrasch Qohelet Rabba festgestellt, dass dieser Text als »collection« mit der Intention einer Enzyklopädie geschaffen wurde, der die Studierenden durch eine Fülle von Lehrstoff geleitet habe, der von der Theologie bis zur Physik reichte.49 In Bezug auf Levitikus Rabba hat Burton Visotzky50 ähnliche Beobach48 Eine Kurzform des Berichts von R. Natan darüber bietet Jeffrey L. Ru-

benstein, Talmudic Stories: Narrative Art, Composition, and Culture (Baltimore 1999), S. 270. 49 Marc Hirschman, The Greek Fathers and the Aggada on Ecclesiastes: Formats of Exegesis in Late Antiquity, in: Hebrew Union College Annual 59 (1988), S. 137–165. 50 Burton L. Visotzky, Golden Bells and Pomegranates. ���������������������� Studies in Midrash Leviticus Rabbah (Tübingen 2003).

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tungen gemacht und es lohnt sich durchaus, weitere Studien für andere Werke anzustellen, die ihren pädagogischen Zweck als Sammlung befragen. Auch der babylonische Talmud als das ausgefeilteste Werk der Spätantike ist in seiner Komposition eine Enzyklopädie, eine umfassende Wissenssammlung. Die rabbinischen Quellen enthalten Hinweise auf die richtige Abfolge des Lernens. Sifre Dtn § 48 hält beispielsweise fest, dass Lernstoff nicht übersprungen werden soll. Man soll sich nicht voll Ehrgeiz auf besonders schwierigen Stoff stürzen, um zu brillieren und dabei leichteren ignorieren; vielmehr zeichnet sich ein kluger Schüler durch die umfassende Fülle des Stoffes aus, den er sich aneignet und den die Rabbinen mit Midrasch, Halakha und Haggada umschreiben: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein« (Dtn 8,3) – das bezieht sich auf Midrasch; sondern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes kommt« (ebd.) – das bezieht sich auf Halakha und Haggada.

Midrasch, Halakha und Haggada sind hier nicht in einem strengen Definitionsrahmen zu sehen oder gar auf bestimmte Texte zu beziehen. Vielmehr drückt sich darin der unterschiedliche hermeneutische Zugang aus. Midrasch setzt sich intensiv mit dem Verständnis des Bibeltextes auseinander, Halakha lenkt den Schwerpunkt auf Recht und Lebenspraxis und Haggada untermauert dies z. B. durch Erzählungen. In bAvoda Zara 19b ist von einer Dreiteilung in Schrift, Mischna und Talmud die Rede. Mit Mischna und Talmud sind nicht im strengen Sinne die heutigen Textsammlungen gemeint, wohl aber ein vom Bibeltext ausgehendes, über einfacheren zu komplexeren Lernstoff fortschreitendes Studium. 43

Avot de-Rabbi Natan A 28.17–19 vergleicht den Studierenden mit Steinen. Ein behauener Stein ist jemand, der nur Midrasch lernt, ein Eckstein einer, der Midrasch und Halakha lernt, ein polierter Stein aber ist schließlich jemand, der Midrasch, Halakha, Haggada und Tosefta beherrscht, also über ein umfassendes Wissen in verschiedenen Bereichen verfügt. Etwas später (A 29.26) heißt es, dass einer, der Midrasch, aber keine Halakha beherrscht, nur schwach bewaffnet ist. Wer aber beides besitzt, ist stark bewaffnet. Die hier genannten Einteilungen können als sehr allgemeine Annäherungen an unterschiedliche Formen des Lernstoffes gewertet werden. Im Detail umfasst er viele Bereiche des Wissens. So werden in bPesachim 112ab anhand von Aufzählungen zentrale Lebensregeln vermittelt. Diese umfassen ethische Weisungen, vernünftige Lebensweisheiten, Umgangsformen, Ratschläge für die Gesundheit und das Geschäftsleben. Ich fasse sie hier exemplarisch heraus: R. Aqiva lehrte seinen Sohn R. Jehoschua sieben Dinge: Wohne nicht in der Höhe der Stadt, wegen des Studiums (um nicht abgelenkt zu sein). Wohne nicht in einer Stadt, deren Leiter Gelehrte sind. Tritt nicht plötzlich in dein Haus ein. Unterlasse es nicht, Schuhe auf deinen Füßen anzuhaben. Iss morgens ganz früh, im Sommer wegen der Hitze und im Winter wegen der Kälte.

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Mach deinen Schabbat lieber alltäglich, als von einem Mitmenschen abhängig zu sein. Schlage dich zu einem Menschen, dem die Stunde lächelt. … Fünf Dinge gebot R. Aqiva dem R. Schimon b. Jochai, als er im Gefängnis eingesperrt war …: Mein Sohn: Willst du erhängt werden, so hänge dich an einen großen Baum.51 Wenn du deinen Sohn unterrichtest, unterrichte ihn aus einem korrekten Buch. – (Weshalb dies?) Rava, nach anderen R. Mescharscheja, erwiderte: ein neues, denn ein Fehler, der sich einschleicht, bleibt bestehen. Koche nicht in einem Topf, in dem dein Kollege gekocht hat. – Was bedeutet das? – Eine Geschiedene bei Lebzeiten ihres Mannes heiraten. Der Meister sagte nämlich: Wenn ein Geschiedener eine Geschiedene heiratet, so sind vier Sinne im Bette. Wenn du willst sage ich, dies gelte auch von einer Witwe, denn nicht alle Finger (Penisse) sind gleich. Eine Mitswa und eine gute Investition ist es, wenn jemand Früchte erwirtschaftet und Gewinn daraus zieht.52 51 Im übertragenen Sinne: Wenn man sich schon abhängig macht, dann we-

nigstens von einer bedeutenden Persönlichkeit.

52 Hierzu variieren die Auslegungen. Jastrow schreibt dazu in seinem Dic-

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Eine Mitswa, bei der man einen reinen Körper behält, ist es, wenn man eine Frau nimmt, obgleich man (schon) Kinder hat.53 Vier Dinge gebot unser heiliger Meister seinen Söhnen: Wohne nicht in Schekantsib, denn (die Leute) sind da Spötter und würden dich zur Spötterei verführen. Setze dich nicht auf das Bett einer Aramäerin. Manche erklären, man gehe nicht schlafen, ohne vorher das Schema gelesen zu haben, manche erklären, man heirate keine Proselytin, und manche erklären, er meinte wirklich das Bett einer Aramäerin, wegen des Ereignisses mit R. Papa (nach bBerakhot 8b). Flüchte nicht vor dem Zoll, damit man dich nicht erwischt und dir alles abnimmt, was du besitzt. Stehe nicht vor einem Ochsen, wenn er von der Weide kommt, weil der Satan zwischen seinen Hörnern umherspringt. R. Schmuel sagte: Dies gilt von einem schwarzen Ochsen in den Tagen des Nisan. R. Oschaja lehrte: Man entferne sich von einem unschädlichen Ochsen fünfzig Ellen und von eitionary of Targumim, Talmud and Midrashic Literature (online: http:// www.tyndalearchive.com/tabs/jastrow/): »a charity and at the same time a good investment is the act of him who helps to produce fruits, while he has the reward (e.g., one who loans money to a husbandman on security, allowing payment on small installments).« 53 Promiskuität und sexuelle »Abirrungen« können dadurch vermieden werden.

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nem bekannt stößigen (Ex. 21,28ff.) so weit, als die Augen ihn erreichen. Im Namen R. Meirs wird gelehrt: Selbst wenn der Ochs den Kopf im Futterkorb hält, steige aufs Dach und wirf die Leiter unter dir um. Rav sagte: Das Anrufen eines Ochsen lautet hoh! das Anrufen eines Löwen lautet: zeh und zeh! das Anrufen eines Kamels lautet: dada! Der Ruf auf einem Schiff lautet: helni heja. … R. Papa sagte: In ein Haus, in dem eine Katze sich befindet, soll man nicht ohne Schuhe eintreten, weil die Katze die Schlange, die kleine Knochen hat, tötet und frisst, und wenn einer von den Schlangenknochen in den Fuß dringt, kann man ihn nicht herausziehen, und man gerät dadurch in Gefahr. Manche sagen: Man trete nicht im Finstern in ein Haus, in dem sich keine Katze befindet, weil unbemerkt eine Schlange an einem hängen bleiben und man in Gefahr geraten kann. Drei Dinge gebot R. Jischmael b. R. Jose dem Rabbi: Bringe dir selbst keinen Fehler bei. – Was heißt dies? – Führe keinen Prozess gegen drei Personen, denn es könnte einer dein Gegner sein und zwei als Zeugen auftreten. Versuch nicht zu erwerben, wenn du den Kaufpreis nicht bezahlen kannst. 47

Hat deine Frau ein Tauchbad genommen, so schlaf nicht gleich in der ersten Nacht mit ihr. Rav sagte: Dies gilt nur von einer nach der Tora (nicht rabbinisch) Menstruierenden, weil die Quelle offen ist und die Menstruation sich hinziehen kann. Drei Dinge gebot R. Jose b. R. Jehuda dem Rav: Gehe nachts nicht allein aus. Stehe nicht nackt vor einer Leuchte. Gehe nicht in ein neues Badehaus, weil es zusammenbrechen kann. Wie lange? R. Jehoschua b. Levi erwiderte: Zwölf Monate. Stehe nicht nackt vor einer Leuchte, denn es wird gelehrt, wer nackt vor einer Leuchte steht, werde epileptisch, und wer beim Lichte einer Leuchte den Beischlaf ausübt, bekomme epileptische Kinder. Die Rabbanan lehrten: Wenn jemand den Beischlaf ausübt in einem Bett, in dem ein Kind schläft, wird es epileptisch. Dies jedoch nur, wenn es kein Jahr alt ist, ist es aber ein Jahr alt, ist nichts dabei. Auch nur in dem Falle, wenn es auf der Fußseite schläft, wenn aber auf der Kopfseite, so ist nichts dabei. Auch nur in dem Falle, wenn man nicht die Hand auf dieses legt, wenn man aber die Hand auf dieses legt, ist nichts dabei. Gehe nicht nachts allein aus: 48

Es wird nämlich gelehrt: In den Nächten des Mittwochs und des Schabbat gehe man nicht allein aus, weil dann Agrat, die Tochter der Machlat, mit 18 Myriaden Zerstörungsengeln umherstreift, von denen jeder Einzelne gesondert die Befugnis zum Zerstören hat.

Von allgemeinen Weisheiten des Alltagslebens reichen diese Empfehlungen hinein ins Wirtschaftsleben, ins Gesellschaftsleben und nicht zuletzt oder vor allem ins Privatleben, sprechen Warnungen aus und geben sinnvolle Ratschläge, sie enthalten aber auch weiter gehende Informationen, die sich angeregt durch Stichwörter ergeben, so etwa zum Anrufen von Tieren oder auf einem Schiff. Letztlich ist auch die Welt der außermenschlichen Bedrohungen – etwa durch Dämonen – im Blick. Ähnliche Weisheiten finden sich in bMegilla 27b–28a, wo danach gefragt wird, wodurch man sich ein langes Leben erwirbt: R. Nechunja ben ha-Qane etwa antwortet: Nie im Leben habe ich durch die Beschämung meines Nachbarn meine eigene Ehre gesucht; nie bin ich mit einem Fluch über meinen Nachbarn schlafen gegangen, und ich war freigiebig mit meinem Geld.

Aus der rabbinischen Literatur geht weiter hervor, dass das Lernen nicht vorschnell der Berufsausbildung dient, dass ein Bildungsweg nicht abgekürzt werden soll, wenn die Begabung da ist. So wird der als Apostat dargestellte Elischa ben Abuja als jemand beschrieben, der die Schüler abwirbt, um einen Brotberuf zu erwerben. Darüber später noch mehr. Ich komme zur nächsten Frage:

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Wie wird gelernt? Lernen in Gemeinschaft

Die Frage des Wie lernen? beschäftigt nicht nur moderne Pädagoginnen und Pädagogen. Günter Stemberger hat in einem seiner wichtigen Beiträge zur rabbinischen Bildung den Umstand betont, dass Lernen immer auf Gemeinschaft angewiesen ist, ja, dass Autodidakten suspekt sind und scheitern müssen. Lernen und Lehren vollzieht sich nicht im privaten Rahmen. Vielmehr wird geradezu gefordert, dass Lernen in der Gemeinschaft der Lehrer und Schüler geschieht. Wer sich aus ihr entfernt, ist höchst gefährdet. Stemberger zitiert hierzu die wichtige Stelle in Qohelet Rabba 7.1.3 zum Schicksal des Eleazar ben Arakh, der sich nach dem Tod Jochanan ben Zakkais von seinen Gefährten trennt und sich mit seiner Frau in Emmaus niederlässt, seinem Alterssitz: Er wartete, dass sie (die anderen) zu ihm kämen, doch sie kamen nicht. Als sie nicht kamen, wollte er zu ihnen gehen, doch seine Frau ließ ihn nicht. Sie fragte ihn: Wer braucht wen? Er antwortete: Sie brauchen mich. Da sagte sie: ein Schlauch und Mäuse – wer geht normaler Weise zu dem, was er sucht? Kommen die Mäuse zum Schlauch oder kommt der Schlauch zu den Mäusen? Er hörte auf sie und blieb sitzen, bis er seine Lehre vergessen hatte. Nach einiger Zeit kamen sie zu ihm und stellten ihm eine einfache Frage, doch er wusste nicht, was ihnen zu antworten.54

Dazu passt auch die Aussage von Genesis Rabba 69.2: 54 Schaff dir einen Lehrer, S. 154.

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Wie ein Messer nur an einem anderen geschärft werden kann, so kann der (Verstand eines) Gelehrtenschüler(s) nur durch seinen Kollegen geschärft werden.

Dies betont ebenso bTaanit 7a: R. Chama b. Chanina sagte: Was ist die Bedeutung des Verses: »Eisen wird am Eisen geschliffen« (Spr 27,17): Dies um dir zu erläutern, dass wie im Fall von Eisen eines das andere schärft, so schärfen auch zwei Gelehrte ihren Verstand in der Halakha aneinander. Rabba bar bar Chana sagte: Warum werden die Worte der Tora mit Feuer verglichen, wie es heißt: »Ist nicht mein Wort wie Feuer« ( Jer 23,29)? Um dir zu erläutern, dass so wie Feuer nie allein brennt, auch die Worte der Tora sich nicht bei einem halten, der allein studiert. Das stimmt mit der Meinung R. Jose b. Chaninas überein, der sagte: Was bedeutet: »Das Schwert über die Alleinigen55, sie werden zu Narren!« ( Jer 50,36)? Das bedeutet, dass Zerstörung über die Feinde (euphemistisch: sie selbst) jener Gelehrten kommt, die sich dem Privatstudium verschreiben, mehr noch, sie verdummen, wie es heißt: »sie werden zu Narren«. Mehr noch, sie werden schuldig, gesündigt zu haben. Denn hier heißt es: »sie werden zu Narren« und dort steht geschrieben: »(lass uns nicht die Folgen) der Sünde tragen, die wir dummerweise begangen haben« (Num 12,11). Wenn du willst, kannst du es auch davon ableiten: »Die Fürsten von Zoan sind dumm ... Die Führer der Stämme führen Ägypten in die Irre« ( Jes 19,13).

55 Hier wird badim von badad (allein) abgeleitet.

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R. Nachman b. Isaak sagte: Warum werden die Worte der Tora mit Holz verglichen, wie es heißt: »Wer nach ihr greift, dem ist sie ein Lebensbaum[, wer sie festhält, ist glücklich zu preisen]« (Spr 3,18)? Um dir zu erläutern, dass wie ein kleines Holz ein großes anzündet, so ist es auch bei den Schülern der Gelehrten. Die Kleinen schärfen die Großen (in ihrem Wissen). Das ist, was R Chanina meinte: Ich lernte viel von meinen Lehrern, mehr von meinen Kollegen und am meisten von allen von meinen Schülern. R. Chanina b. Papa zeigt einen Widerspruch auf: Es heißt: »Bringt den Durstigen Wasser« ( Jes 21,14) und es heißt auch: »Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser« ( Jes 55,1). Wenn er ein würdiger Schüler ist, dann gilt: »Bringt den Durstigen Wasser«, aber wenn nicht, dann gilt: »Auf ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser«.

Neben dem gemeinsamen Lernen betont dieser Abschnitt auch die Bedeutung des Miteinanders von »Kleinen« und »Großen«. Es geht also keineswegs darum, ausschließlich eine Elite zusammenzuführen, vielmehr sind es gerade die Fragestellungen und Probleme der langsameren und unter Umständen weniger begabten Schüler, die den Schulbetrieb bereichern. Das Statement Chaninas ist dafür sympathisch zeitlos. Es gilt zudem, dass Schüler ihrerseits das Studium mit Engagement betreiben sollen, dann wird es auch leichter und die Tora wird wie Wasser belebend für sie sein.

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Ganzheitliches Lernen

Lernen ist Aufgabe nicht nur des Geistes, sondern des ganzen Menschen, mit Geist und Körper. Deshalb ist leises Lernen fragwürdig; wer lernt, muss dies hörbar machen, nicht nur für sich, sondern auch für die Umstehenden. Dass Schule Lärm bedeutet, ist für die Rabbinen etwas Natürliches, weil alle Lernenden gemeinsam den zu lernenden Text rezitieren. Schon die Mischna regelt, dass niemand einem anderen im gemeinsamen Hof die Ausübung seines Gewerbes untersagen darf, indem er sagt: »Ich kann nicht schlafen wegen des Lärms des Hammers, nicht wegen des Lärms der Mühle und nicht wegen des Lärms der Kinder« (mBB 2.3; yBB 2,3,13b erlaubt es, wo unter Umständen die Belästigung zu stark wird).56

Das gilt aber nicht nur von den Kindern, sondern vom Lernen in jedem Alter: Beruria traf einen Schüler an, der flüsternd (seinen Text) lernte. ... Sie tadelte ihn und sagte: Steht nicht so geschrieben: »In allem wohlgeordnet und gesichert« (2 Sam 23,5)? Wenn (die Lehre) in den 248 Gliedern des Menschen wohl geordnet ist, ist sie im Herzen (= Ort des Verstandes) gesichert; wenn nicht, dann ist sie nicht im Herzen gesichert. – Es wird gelehrt: R. Eliezer ben Jakob hatte einen Schüler, der seine Lehre flüsternd wiederholte. ... Nach drei Jahren hatte er seine Lehre vergessen (bEruvin 53b–54a).57 56 Stemberger, Schaff dir einen Lehrer, S. 141. 57 Ebd.

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Auswendiglernen und Wiederholen

Lernen geschieht zu einem großen Prozentsatz durch mündliche Unterweisung, Auswendiglernen und viel Wiederholung, auch wenn schriftliche Unterlagen mitunter verwendet worden sind. Immerhin kam es auch bei den Rabbinen vor, dass jemand im Schulhaus etwas nicht einfiel, dann hinausging, überprüfte und es fand.58 Und nicht selten werden ganze Kamelladungen mit halakhischen Fragen verschickt.59 Die grundlegende Ausbildung hat wahrscheinlich darin bestanden, Knaben zu befähigen, die Bücher der Tora und der Propheten zu lesen, sie am öffentlichen Studium der Tora zu beteiligen und zu ermutigen, an der Entwicklung und Erweiterung der mündlichen Tradition mitzuhelfen. Lesen ist wohl durch beständige Wiederholung der Buchstaben und ihres Klangs sowie der Worte und Abschnitte der Tora erworben worden. Safrai spricht in diesem Zusammenhang wörtlich von »repetition and memory drill«,60 was ein wenig an Amy Chua erinnert. Wohl zu optimistisch ist Safrai dort, wo er meint, dass öffentliches Torastudium und grundlegende Ausbildung die breite Basis der Knaben erfasst habe.61 Er verweist diesbezüglich auf einen Abschnitt in bSchavuot 5a, wo es heißt, dass Schulausbildung nur in dem Fall fehle, wenn Nichtjuden die Kinder gefangen nehmen und aufziehen. Es ist schon vermerkt worden, dass dies eher einem Ideal als der tatsächlichen Lebenspraxis entspricht. 58 jafaq, daq we-aschkach – bBerakhot 19a; bPesachim 19a; bChagiga 19a; bJe-

vamot 36a; 105a; bKetubbot 81b etc.

59 Vgl. bChullin 95b zu Trefa-Regeln. 60 Safrai, Elementary Education, S. 154. 61 Ebd., S. 158.

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Aber der Anspruch der Rabbinen ist erneut zu betonen, eine umfassende Bildung zumindest im Grundschulbereich herzustellen. Aus Stellen wie tSota 7.9 geht hervor, wie man sich viele unterschiedliche Lehrmeinungen der Rabbinen mnemotechnisch merken und zuordnen konnte, indem man im Herzen, also dem Ort des Verstandes/Denkens, verschiedene Abteilungen einrichtet: Mach dir selbst ein Herz mit vielen Räumen und stelle dort hinein die Worte des Hauses Schammai und die Worte des Hauses Hillel, die Worte derer, die (eine Sache für) »unrein« erklären und die Worte derer, die (eine Sache für) »rein« erklären.

Avot de-Rabbi Natan A 24.13–15 schildert ein Szenario des Vergessens von Gelerntem, das nicht regelmäßig wiederholt wird. Wer sechs Monate lang nicht wiederholt, bringt »rein« und »unrein« durcheinander, wer zwölf Monate nicht, verwechselt sogar die Rabbinen, wer 18 Monate, kennt die Überschriften der Kapitel nicht mehr, nach zwei Jahren weiß man nicht mehr, wie die Abschnitte betitelt sind. Am Schluss sitzt man da und schweigt. Lernen mit Freude und Verstand

Ps 1 ist bereits im biblischen Kanon durch seine herausragende Position am Beginn des Psalters mit seinem Anliegen ein Hinweis, dass der Psalter als eine Sammlung gelesen werden soll, die Tora lehrt und vertieft. Dieser Psalm wird in bAvoda Zara 18b–19a intensiv ausgelegt. Nicht zuletzt wird dabei die Freude betont, von der im Ps 1,2 in Bezug auf die Tora die Rede ist. 55

Rava sagte: Stets sollte ein Mensch mit Freude lernen, wie es heißt: »sondern Freude hat an der Tora des Herrn« (Ps 1,2).

Rabbi ( Jehuda ha Nasi) behauptet, dass der Mensch nur jene Teile der Tora lernen könne, die ihm Freude bereiteten, was er ebenfalls aus Ps 1,2 ableitet. In diesem Zusammenhang wird sogar behauptet, dass einmal bei einer Psalmenexegese Jehuda ha-Nasis R. Levi aufgestanden sei, weil die ausgelegte Stelle nicht nach seinem Geschmack war. Vorher hatte er zu verstehen gegeben, dass er lieber das Buch der Sprichwörter behandelt hätte. Mag sein, dass Levi hier einfach schmollte, möglicherweise spiegelt sich darin auch das Konkurrenzdenken mancher Rabbinen, andererseits zeigt das Beispiel aber auf, dass die Freude beim Studium ein nicht zu vernachlässigender Bestandteil ist. Da man diese wohl kaum voraussetzen kann, hält R. Avdimi tröstend fest, dass Gott dafür sorgen werde, dass der Mensch, der sich in die Tora vertieft, daran Freude habe. Rava wiederum meint, dass zu Beginn die Tora im Namen Gottes geschieht, am Ende aber im Namen des Lernenden, wie es im Ps 1,2 heißt: »sondern Freude hat an der Tora des Herrn, über seine Tora nachsinnt bei Tag und bei Nacht«. Im Kontext kann man dies als freudige Verinnerlichung der Tora verstehen, die zuerst »um Gottes willen« gelernt wird, schließlich aber zur eigenen Identität wird. Damit ist natürlich auch die Freude garantiert. Rava meinte im Anschluss an den Psalm auch, dass man zuerst studieren und danach »nachsinnen« soll. Nach dem Studieren eines Stoffs soll man diesen geistig verarbeiten. Hirshman weist in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen Überlieferungen des Talmudtextes hin.62 In der sefardischen Tradition verweist 62 Hirshman, Stabilization, S. 74f.

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Rava darauf, dass ein Schüler zuerst lernen und danach nachsinnen soll, und verwendet dabei den biblischen Begriff hegeh, den Hirshman mit »recite/mediate« übersetzt. Die aschkenasische Variante verwendet statt hegeh den Begriff savar. Dieser Begriff umfasst die Bedeutung von »der Meinung sein«, »denken«, »verstehen«, »erläutern«, »etwas logisch ableiten«. In einigen Fällen kann er als Kontrast zu gamar verwendet werden, das stärker noch den Aspekt des Lernens bzw. Lehrens ausdrückt. Ohne im Detail auf die vielen Belege für gamar und savar einzugehen, kann man an unserer Stelle savar als eine eigenständige Weiterentwicklung und Durchdringung des Gelernten verstehen. Rava hält weiter fest, dass man sich auf keinen Fall vom Lernen abhalten lassen soll, auch wenn man nicht den gesamten Lernstoff versteht. Das Lernen – vor dem »Nachsinnen« – ist hier durchaus im technischen Sinne gemeint, als ein Auswendiglernen, ein sich Aneignen. Rava zeichnet auch die »Karriere« eines erfolgreichen Schülers nach. Zuerst sitzt er irgendwo (vor dem Lehrer), schließlich auf einem »LehrStuhl«. Sein Kollege Ulla assistiert. Zuerst trinkt er sprichwörtlich von der fremden Zisterne, am Ende lässt er seinen eigenen Brunnen sprudeln. Sprache

Einer der derzeit am häufigsten diskutierten Zusammenhänge ist der zwischen Sprachkenntnis und Bildung. Lernen verlangt Sprache. Aber diese Sprache beinhaltet viel mehr als die Kenntnis eines bestimmten Wortschatzes und einer Grammatik. Dies wird bei den Rabbinen etwa in jBerakhot 1.2.3b betont: 57

R. Schimon b. Jochai sagte: Wäre ich am Berg Sinai gestanden, als die Tora Israel gegeben wurde, hätte ich vom Barmherzigen erbeten, zwei Münder für die Menschen zu erschaffen; einen, der sich mit der Tora beschäftigt, und einen, um alle anderen Verrichtungen zu erledigen. Er überlegte und sagte dann: Wenn nur einer (da ist), kann die Welt nicht bestehen wegen der Verleumdung. Wie viel mehr (gilt dies) bei zweien?

Schimon b. Jochais Überlegung greift zwei zentrale Themen auf, einerseits das laute Lernen der Tora und andererseits die Verleumdung, die zu den großen Übeln zählt, was in der rabbinischen Literatur immer und immer wieder betont wird. In unserem Kontext ist entscheidend, dass der Wunsch nach »zwei Mündern« nur auf der Basis einer laut hörbaren Rezitation von Lernstoff zu verstehen ist. In bEruvin 53a heißt es dazu: Rav Juda sagte im Namen Ravs: Die Judäer, welche sich um ihre Sprache kümmerten, bewahrten ihre Tora in ihren Händen, aber die Galiläer, welche ihre Sprache vernachlässigten, behielten ihre Tora nicht in ihren Händen. Ist es davon abhängig, wie man sich um die Sprache kümmert? Vielmehr: Die Judäer bestimmten ihre Sprache genau und legten Zeichen (Gedächtnisstützen) fest und behielten ihre Tora in ihren Händen. Aber die Galiläer, die ihre Sprache nicht genau bestimmten und keine Gedächtnisstützen festlegten, behielten ihre Tora nicht in ihren Händen. Die Judäer, die von einem Meister lernten, behielten ihre Tora in ihren Händen, aber die Galiläer, die nicht von einem Meister lernten, behielten ihre Tora nicht in ihren Händen.

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Ravina sagte: Die Judäer, die den Traktat öffentlich zugänglich63 machten, behielten ihr Gelerntes, aber die Galiläer, die den Traktat nicht öffentlich zugänglich machten, behielten ihr Gelerntes nicht.

Man macht sich in der Folge an einige Beispiele, die die Unachtsamkeit der Galiläer mit ihrer Sprache und damit die Irrtumsanfälligkeit betonen sollen. Genauigkeit im Ausdruck und in der sprachlichen Fähigkeit gehört also unabdingbar zum richtigen Lernen dazu. Tatsächlich können simple Fehler fatale Folgen haben. Schon zu Davids Zeiten – so heißt es etwa in bBava Batra 21b – verschonte Joab fälschlicherweise die Frauen und Kinder der feindlichen Amalekiter, weil er in Dtn 25,1964 statt der Ausrottung des Gedächtnisses (hebr. zekher) die Tötung der Männer (hebr. zakhar) aus dem Text herauslas. Da sein Lehrer ihn darüber nicht ermahnte, trifft die Schuld diesen, nicht eigentlich Joab.

63 Der Ausdruck galei masekhta ist etwas unklar. Ich halte die Übersetzung

»den Traktat öffentlich zugänglich machen« hier insofern für passend, als sie darauf hinweist, dass der Traktat nicht im Verborgenen studiert wurde. Ob damit schon gemeint ist, dass er vor einem breiteren Publikum gelehrt wurde, muss offen bleiben. Hirshman (Stabilization, S. 55) verweist auf Menachem ben Meiri, der meinte, »that the Judeans would announce the tractate in advance, thus allowing people to prepare and facilitate a more fruitful study«. Meinen Studierenden schicke ich die Texte, die in der Lehrveranstaltung behandelt werden, heute einfach per E-Mail oder setze sie in eine Lernplattform. Der Gedanke ist aber offensichtlich nicht neu. 64 »Wenn JHWH, dein Gott, dir von allen deinen Feinden ringsum Ruhe verschafft hat in dem Land, das JHWH, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, damit du es in Besitz nimmst, dann lösche die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel aus! Du sollst nicht vergessen.«

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Lernaufbau

In bEruvin 54b erläutert man eine über drei Generationen weitergegebene Weisheit, wonach ein Schüler, der viel Stoff auf einmal lernt, diesen schnell wieder vergisst. Wer hingegen langsam immer ein wenig mehr lernt, dessen Wissen vermehrt sich nachhaltig. Im selben Abschnitt wird auch am Beispiel der Lernpraxis von Moses und seines Bruders Aaron vorgezeigt, wie man lernen soll. Mose lehrt Aaron, setzt sich dann hin, um zuzuhören, wie Mose die Kinder Aarons lehrt, dann setzen auch sie sich und Mose lehrt die Ältesten, dann setzen die sich und Mose lehrt das ganze Volk. Aaron hat also dieselbe Lehre viermal gehört, seine Kinder dreimal, die Ältesten zweimal und das Volk muss sich vorerst mit einmal begnügen. Deshalb wird es von Aaron, dann weiter von den Kindern und schließlich von den Ältesten gelehrt, sodass am Ende jeder Mann und jede Frau die Lehre viermal zu hören bekommt, vorbildhaft also für einen gelehrigen Schüler von heute. Der Midrasch Levitikus Rabba 3.1 vermerkt, dass man zuerst einen Lernstoff flüssig beherrschen soll, ehe man zum nächsten fortschreitet. Alles andere sei »Haschen nach Wind« (Koh 4,6). Sifre Dtn § 48 betont, dass Studierende und Gelehrte »ein oder zwei Dinge pro Tag, zwei oder drei Kapitel pro Woche, zwei oder drei Abschnitte pro Monat« lernen sollen, damit sie im Studium Erfolg haben. Hier wird auch klar deutlich gemacht, dass das Studium nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist. An einem Gleichnis wird verdeutlicht, dass die Worte der Tora wie ein (scheinbar) unbedeutender Vogel sind, der als Geschenk vom Vater an den Sohn gegeben wird. Der Diener, der ihn zu bewahren bekommt, haftet dafür mit seinem Leben. Beispielhaft wird der Erfolg des langsamen und fort60

schreitenden Lernens etwa in Avot de-Rabbi Natan A 6.7–21; B 12.3-12 am Beispiel Aqivas geschildert, der mit 40 beginnt, beim Kinderlehrer das Aleph-Bet studiert, immer wieder nachfragt und schließlich nach 13 Jahren selbst zum großen Rabbi aufsteigt, der seine Lehrer überflügelt hat, sich mithilfe seiner Lehre auch Reichtum erwirbt. Er studiert selbst in tiefster Armut – und im Übrigen mit der großen Unterstützung seiner Frau. In jBerakhot 5,1,9a wird festgehalten, dass derjenige, der die Worte der Tora logisch durchdacht hat, sie sich besser merkt. Also kein stures Auswendiglernen, sondern ein inhaltliches Durchdringen und tiefes Verstehen ist gefragt. Ein weiser Schüler stellt Fragen und gibt kluge Antworten und ist bei Weitem dem vorzuziehen, der nicht fragt und natürlich auch keine Antworten weiß (Avot de-Rabbi Natan A 41.16). Außerdem heißt es schon in jPea 2,6,17a, dass »Schrift, Mischna, Talmud und Haggada und auch das, was ein kundiger Schüler einmal vor seinem Lehrer entscheiden wird, bereits am Sinai dem Mose gesagt wurde«. Man kann wohl hier unschwer eine hohe Wertschätzung für den Beitrag der Schüler erkennen, der über das Wiederkäuen von Lernstoff hinausgeht, auch wenn – dies sei hier nicht geleugnet – die Lehrer-Schüler-Hierarchie nicht angezweifelt wird, auf die ich später noch eingehe.65 Solidarität

Um im Lernen den von den Rabbinen erwünschten Erfolg zu haben und sich richtig zu verhalten, müssen sich Schüler untereinander solidarisch verhalten: 65 Vgl. dazu Hezser, Social Structure, S. 339–346.

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Wer zu lernen wünscht und auch, dass andere lernen, hat einen guten Blick. Wer zu lernen wünscht, aber nicht, dass andere lernen, hat einen bösen Blick,

heißt es in Avot de-Rabbi Natan A 40.12; B 46.12. Im positiven Sinn lernen Schüler nicht nur zusammen, sondern teilen den Schlafraum, essen und trinken gemeinsam und unterstützen sich im Fall von Krankheit (jMoed Qatan 3,5,82d; jSanhedrin 6,8,23c etc.). Sie teilen die Geheimnisse der Tora ebenso wie die Geheimnisse des weltlichen Wissens (Avot de-Rabbi Natan A 8.8; B 18.11). In mehreren Varianten wird vom plötzlichen Tod der 24.000 Schüler R. Aqivas berichtet.66 jSanhedrin 1,2,18c lässt sie aufgrund des bösen Blickes sterben, in Genesis Rabba 61.3 sterben sie wegen Knausrigkeit/Geiz, in der babylonischen Version bJevamot 62b an Diphterie (als Gottes Strafe), weil sie sich gegenseitig keine Ehre erwiesen haben. Avot de-Rabbi Natan A 26.8; B 35.11 betont sehr energisch: Warum sterben die Schüler der Gelehrten eines frühen Todes? Nicht, weil sie Ehebrecher sind, nicht weil sie stehlen, sondern weil sie die Beschäftigung mit den Worten der Tora unterbrechen und sich mit Quatschen beschäftigen – und mehr noch, weil sie nicht mehr zu der Stelle zurückkehren, wo sie ihr Studium unterbrochen haben.

Andererseits heißt es in den Avot de-Rabbi Natan B 18.15 (vgl. mAvot 3.2.6): 66 Vgl. dazu Aaron Amit, The Death of Rabbi Akiva’s Disciples: A Literary

History, in: Journal of Jewish Studies 56 (2005), S. 265–284.

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Gelehrtenschüler, die sitzen und beständig studieren – die Schekhina geht von einem zum anderen und segnet sie, wie es heißt: »Ich gehe in eurer Mitte« (Lev 26,12).

Bevor ich mich weiteren Fragen zuwende, sei dieser Punkt mit den Worten Hirshmans zusammengefasst, der – mit Blick auf Erläuterungen im Midrasch Sifre Dtn – die Aufgabe der Studierenden folgendermaßen beschreibt: The student is encouraged to study a couple of things each day …, not to discriminate between easy or hard material … or to move on without fully mastering what has already been studied …. It is clear, however, that these instructions apply to a student who has already mastered reading. These chapters set down guidelines for the student who is ready to begin study of the oral law. That student is encouraged to first exhaust local resources …, have complete respect even for the lowliest of teachers …, and have equal respect for all branches of study…. All of this is to be done for the love of learning rather than for personal aggrandizement ….67 Die »Maßlosigkeit« des Lernens

»Worte von Gelehrten sind wie Ochsenstecken, Sprüche aus Sammlungen aber sitzen wie eingetriebene Nägel – sie sind die Gabe eines einzigen Hirten« (Koh 12,11). Wie ein Ochsenstecken die Kuh zu den Ackerfurchen führt, so führen die Worte der Tora einen Menschen zu den Wegen des Lebens. Wenn du meinst, wie man einen Ochsenstecken entfernen kann, so könne man die Worte der Tora entfernen, sagt 67 Hirshman, Stabilization, S. 46.

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­ agegen die Schrift: »Wie eingetriebene Nägel.« d (Avot de-Rabbi Natan A 18.10)

Es gibt Dinge, die kein Maß haben. Dazu gehören nach der Mischna Pea 1.1 (vgl. Avot de-Rabbi Natan A 40.2) der Eckenlass (Lev 19,9), die Erstlingsfrüchte (Ex 23,19; Num 18,13; Dtn 26,1–11), die Erscheinungspflicht (dreimal im Jahr am Tempel zu den Wallfahrtsfesten), die Taten der Liebe sowie das Studium der Tora. Dies sind Dinge, von denen ein Mensch die Früchte in dieser Welt genießt und der Grundbetrag bleibt ihm für die zukünftige Welt: Das Ehren von Vater und Mutter (Ex 20,12), die Taten der Liebe (gemilut chassadim) und das Friedenstiften zwischen einem Menschen und seinem Freund. Und das Studium der Tora wiegt sie alle auf.

Die Tosefta Pea 1.2 ergänzt dazu: Für diese Dinge verlangt man in dieser Welt von einem Menschen Rechenschaft, aber der Grundbetrag bleibt ihm für die zukünftige Welt: Götzendienst, sexuelle Vergehen und Mord, aber die üble Nachrede wiegt sie alle auf.

Während also die Mischna das Bild von Grundbetrag und Fruchtgenuss, das aus der Wirtschaft stammt, positiv anwendet, formuliert die Tosefta negativ. Götzendienst steht demnach als negatives Pendant zur Elternehre, sexuelle Vergehen entsprechen den Werken der Liebe und Mord steht dem Friedenstiften gegenüber. Die Verleumdung/üble Nachrede steht als Gegensatz zum dauernden Lernen, dem 64

Studium. Alle Gegensätze sind gut nachvollziehbar. So ist die Ehre der Eltern durchaus mit der Ehre Gottes verbunden, nicht nur weil ein Abfall vom Glauben eine Missachtung der Eltern wäre, sondern auch weil Gott sich in der Geschichte Israels als väterlich – und mütterlich – erwiesen hat. Allen Verfehlungen eignet das Prinzip der Entfremdung. Der eigene Gott wird durch fremde ersetzt. Die Taten der Liebe drücken sich in der Praxis etwa in der Unterstützung der Armen, im Krankenbesuch, in der Bestattung der Toten aus. Es ist die intensive Beachtung der Ehre des Mitmenschen, die hier geschützt wird, und welche durch die verbotenen sexuellen Verbindungen aufgebrochen und zerstört wird. Wie man gegenüber dem Freund, Kameraden, Nachbarn – wie immer man den Begriff chaver auch übersetzen mag68 – aktiv etwas zur Friedenserhaltung und Überwindung von Feindschaft beitragen soll, ist der Mord das schlimmste Gegenteil davon, die radikalste Entfremdung von ihm. Man sieht hier deutlich, dass das Gegenteil einer Sünde nicht einfach das Fernhalten von einem Vergehen ist, sondern aktives Agieren verlangt. Es genügt nicht, Gott zu akzeptieren und ihn im Übrigen »einen guten Mann sein« zu lassen, sondern als aktiven »Gottesdienst« die Elternehre zu betreiben. Ebenso wenig genügt es, neben den Nachbarn her zu leben, sondern aktiv für den Frieden zwischen ihnen zu sorgen. Es genügt auch nicht, einfach ein »unbescholtener« Mensch zu sein, sondern es wird erwartet, dass man dazu beiträgt, auch anderen, die es aus sozialen oder anderen Motiven nicht schaffen, vollwertige Mitglieder in der 68 Vgl. zum Begriff und seiner Bedeutung im Kontext des Studiums auch

Hezser, Social Structure, S. 315–320.

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­ esellschaft sein zu können, dies zu ermöglichen und über G ihren Tod hinaus ihre Ehre zu wahren. Nun wiegen nach Ansicht der Tosefta die böse Nachrede bzw. die Verleumdung alle anderen Vergehen auf, ebenso wie in der Mischna das Studium alle positiven Akte aufwiegt. Der Vergleich von Verleumdung und Studium mag auf den ersten Blick »fremd« erscheinen, doch lässt er sich leicht erklären. Ein Anknüpfungspunkt ist sicherlich die Sprache. Wie das Studium laut erfolgen soll und vor allem mit der mündlich weitergegebenen Lehre verknüpft ist,69 so findet auch die Verleumdung naturgemäß durch das (laute) 69 Vgl. dazu beispielhaft den Ausschnitt aus Midrasch Sifra Bechuqotai 1:



Und so sagt die Schrift: »Denkt an den Schabbat, halte ihn heilig!« (Ex 20,8). Man könnte meinen, im Herzen. Dagegen heißt es: Halte! Da ist das Halten im Herzen angesprochen. Wie muss ich verstehen: »Denkt«? – dass du mit deinem Mund die Lehre (über den Schabbat) wiederholst. Und so sagt die Schrift: »Denk daran, und vergiss nicht, dass du in der Wüste den Unwillen des Herrn, deines Gottes, erregt hast« (Dtn 9,7). Man könnte meinen, in deinem Herzen. Dagegen sagte die Schrift: »Vergiss nicht!« Da ist das (Nicht-)Vergessen im Herzen angesprochen. Wie muss ich verstehen: »Denk daran«? – dass du mit deinem Mund die Lehre (darüber) wiederholst. Und so sagt die Schrift: »Denkt daran, was der Herr, dein Gott, als ihr aus Ägypten zogt, unterwegs mit Mirjam getan hat« (Dtn 24,9). Man könnte meinen, in deinem Herzen. Dagegen sagt die Schrift: »Nimm dich in Acht, wenn Aussatz als Seuche auftritt. Achte genau auf alles und haltet es!« (Dtn 24,8) – hier ist das Vergessen im Herzen angesprochen. Wie muss ich verstehen: »Denkt daran«? – dass du mit deinem Mund die Lehre (darüber) wiederholst. Und so sagt die Schrift: »Denk daran, was Amalek dir unterwegs angetan hat, [als ihr aus Ägypten zogt. Wenn der Herr, dein Gott, dir von allen deinen Feinden ringsum Ruhe verschafft hat in dem Land, das der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, damit du es in Besitz nimmst, dann lösche die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel aus! Du sollst nicht vergessen]« (Dtn 25,17.19). Man könnte meinen, in deinem Herzen. Dagegen sagt die Schrift: »Du sollst nicht vergessen« (Dtn 25,19) – hier ist das Vergessen im Herzen angesprochen. Wie muss ich verstehen: »Denkt daran«? – dass du mit deinem Mund die Lehre (darüber) wiederholst.

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­ erede, durch die mündliche Weitergabe, statt. Andererseits G ist es darüber hinaus auch der Effekt, der beiden inhärent ist. Das Studium soll zum rechten Handeln führen, soll eine in sich gefestigte Persönlichkeit formen. Verleumderische Menschen sind genau das Gegenteil, sie schaden anderen, können diese – vor allem in einer politisch angespannten Atmosphäre – massiv gefährden. Doch kommen wir noch einmal zum Ausgangstext in der Mischna Pea und zur »Maßlosigkeit« des Studiums zurück. Im palästinischen Talmud ( Jeruschalmi) schließt sich hieran eine Debatte um die Möglichkeit des Griechischstudiums und der Erziehung von Töchtern (jPea 1,1,15c; vgl. bMenachot 99b). Maßlosigkeit wird demnach als Frage der Grenze verstanden, nicht quantitativ oder temporal. Richtig oder falsch, tief oder breit

Immer wieder ist zu lesen, dass rabbinische Literatur sich gerade durch die offene Diskussion und Meinungsfreiheit auszeichne. Dies darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sehr wohl einen lebhaften Diskurs über die richtige oder falsche Lehre gibt. Ich will dies hier an einem Beispiel zeigen. In Sifre Dtn § 48 macht man deutlich, dass ein guter Schüler abzuwägen hat, was er lernt. Er soll die unterschiedlichen Meinungen auseinanderhalten und sich von Falschem fernhalten. Dies kann er erst, wenn er ausreichend gelernt hat. Man soll mit äußerster Sorgfalt studieren und sich nicht nur auf den Moment konzentrieren, darauf, was man gerade heute braucht. Denn dies verleite dazu, letztlich falsche Entscheidungen zu treffen, womit auch die rabbinischen »Zäune« eingerissen würden, die man sorgsam errichtet habe, um die Lehre zu schützen. Dafür würde freilich der 67

Schüler letztlich von Gott bestraft werden. Wahrscheinlich muss man diese Warnung auch so verstehen, dass ein Studium, das nur dem Ad-hoc-Gebrauch dient, keine feste und gereifte Persönlichkeit zulässt und man Gefahr läuft, sich in der Folge auch Meinungen anzueignen, die als fremd und gefährlich eingestuft werden. R. Schimon b. Menasja sagte: Die Schrift sagt: »Trink Wasser aus deiner eigenen Zisterne (mi-borekha), (Spr 5,15) – trink das Wasser von dem, der dich geschaffen hat (mi-barakha). Trink nicht brackiges Wasser, damit du nicht von den Worten der Häretiker (Minim) angezogen wirst.

Dies ist ein Wortspiel mit dem Begriffen bor und bara. Bor ist das hebräische Wort für Zisterne, bara heißt »erschaffen«. Entscheidend ist zu erkennen, dass bei allem Studieren der Bezug zu Gott, dem Schöpfer, nicht verloren geht. Die offene Diskussion unter den Gelehrten, die heftige Debatte um die richtige Auslegung ist damit nicht berührt, solange sie in der Einigkeit des Bezugs zu der einen Quelle, Gott, geschieht. Besonders eindringlich betont dies bChagiga 3ab (in Weiterentwicklung seiner Vorlage tSota 7.9). Die Rabbinen haben zu unterschiedlichen Fragen auch widerstreitende Positionen, alle aber stammen aus einer Quelle in Gott und einem Vermittler, nämlich Mose. Alle Tora hat ihren Ursprung am Sinai. Diese Tora selbst ist in diesen späteren Quellen durchaus offen für Widersprüche, die nicht ausgeglichen werden müssen.

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The goal of Torah study, these traditions suggest, cannot be to arrive at »the truth,« as there is no one correct answer; hence ideal study of Torah consists of continual discussion and debate. Tannaitic sources by contrast regret that «disagreements have multiplied in Israel,« finding that this unfortunate situation complicates the search for the single truth and leads to factionalism.70

Die Offenheit der Diskussion entbindet jedoch keineswegs von der Kenntnis der vorausgegangenen Meinungen. Das Beharren der Rabbinen auf der Wiederholung und der vertieften Kenntnis überlieferten Wissens geht der logischen Weiterbearbeitung voraus (vgl. bAvoda Zara 18b). Um die Tora zu bewahren, bedarf es nach Ansicht der Rabbinen vor allem der beständigen Bewahrung der Tradition, der Wiederholung des Gelernten und in weiterer Folge der Lehre. Es herrscht Uneinigkeit darüber, ob das Lernen und die vertiefte Auseinandersetzung mit dem Lernstoff genügen, um die Tora zu bewahren. Dies thematisiert z. B. die Auseinandersetzung zwischen R. Chanina und R. Chijja in bBava Metsia 85b. Chanina behauptet: Wenn die Tora vergessen werden sollte aus Israel, würde ich sie wiederherstellen durch meinen Pilpul. R. Chijja erwiderte ihm (dagegen): … ich gehe (in die Stadt) hinauf, wo es keinen Kinderlehrer für Bibel gibt und unterrichte die fünf Kinder in den fünf Büchern (Pentateuch) und ich lehre sechs Kinder die sechs (Mischna-)ordnungen und ich erzähle ihnen, bis ich aufs Neue einen (Bibel) unterrichte und einen 70 Jeffrey L. Rubenstein, Stories of the Babylonian Talmud (Baltimore 2010),

S. 110.

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anderen (Mischna) lehre. Und so arbeite ich für die Tora, damit sie nicht aus Israel vergessen wird.

Die Anstrengung ist R. Chijja hier förmlich anzuhören und seine Konsequenz zu bewundern, mit der er dafür sorgt, die Tora in ihrem Bestand zu erhalten. Im selben Abschnitt kommt Resch Laqisch an das Grab R. Chijjas, das sich ihm jedoch verbirgt, was ihn verunsichert. Als er fragt, ob er nicht wie Chijja die Tora geschärft durchdrungen habe (pilpel), bekommt er von einer Himmelsstimme die Antwort, dass er sie zwar durchdrungen, nicht aber verbreitet habe. Der in der späteren Tradition so bedeutende Pilpul, die geistreiche intensive Durchdringung des Stoffes, wird also gegenüber der Verbreitung des überlieferten Lernmaterials hintangestellt. Hirshman vermutet in diesem Zusammenhang eine historische Entwicklung von einer früheren Sorge um die grundsätzliche Bewahrung des Lernstoffes hin zu einer mehr etablierten und weniger mit Existenzängsten kämpfenden Akademie,71 in der das geistige Durchdringen, die »Tiefe« gegenüber der »Breite« Oberhand gewinnt. Rava habe diesbezüglich einen entscheidenden Wendepunkt markiert. Hier erwähnt er auch Ravas Worte im Blick auf das Endgericht in bSchabbat 31a, wo man gefragt werde: Hast du ehrlich gegeben und genommen? Hast du feste Zeiten im Studium eingehalten? Hast du dich um Fortpflanzung gekümmert? Hast du auf die Erlösung geblickt? Hast du in Weisheit den Pilpul geübt? 71 Hirshman, Stabilization, S. 114ff.

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Hast du eine Sache von einer anderen zu unterscheiden verstanden?

Ungeachtet solcher möglicherweise historisch begründeter Entwicklungen ist in jedem Fall die Sorge um die Bewahrung der Toraüberlieferung den unterschiedlichen Ansätzen gemeinsam. Es bleibt für die heutige Anwendung zu fragen, in welche Richtung Unterricht seinen Schwerpunkt legen soll, eher in eine umfassende Allgemeinbildung oder eine vertiefte Spezialisierung und rationale Durchdringung des Lernstoffes. In Bezug auf höhere Studien kann R. Chaninas Haltung (bBava Metsia 85b), der von sich behauptete, allein aufgrund seiner Pilpulfähigkeit die gesamte Tora rekonstruieren zu können, die Frage aufwerfen, ob es Ziel von Universitäten ist, Spitzenforschung für eine Elite zu betreiben, oder ob man verstärkt auf die fundierte und möglichst breite Grundlagenausbildung bzw. Grundlagenforschung setzen soll. Die rabbinischen Texte liefern Beispiele für das eine wie das andere. M. E. ist beides notwendig und gleichwertig von Bedeutung und sollte mit einem gerechten Verteilungsschlüssel gefördert werden. Wo wird gelernt? Was den Ort den Lernens betrifft, so braucht es keine teuren Schulen. Manchmal tut es wie in tBerakhot 4.16 ein schattiges Plätzchen unter einem Taubenschlag, ein Feigenbaum (jBerakhot 2,8,5c), das Stadttor oder der Marktplatz (bMoed Qatan 16ab), natürlich ein Privathaus oder die Synagoge. Ein Lehrhaus wird in manchen Fällen ein spezifisch dafür errich71

Hast du eine Sache von einer anderen zu unterscheiden verstanden?

Ungeachtet solcher möglicherweise historisch begründeter Entwicklungen ist in jedem Fall die Sorge um die Bewahrung der Toraüberlieferung den unterschiedlichen Ansätzen gemeinsam. Es bleibt für die heutige Anwendung zu fragen, in welche Richtung Unterricht seinen Schwerpunkt legen soll, eher in eine umfassende Allgemeinbildung oder eine vertiefte Spezialisierung und rationale Durchdringung des Lernstoffes. In Bezug auf höhere Studien kann R. Chaninas Haltung (bBava Metsia 85b), der von sich behauptete, allein aufgrund seiner Pilpulfähigkeit die gesamte Tora rekonstruieren zu können, die Frage aufwerfen, ob es Ziel von Universitäten ist, Spitzenforschung für eine Elite zu betreiben, oder ob man verstärkt auf die fundierte und möglichst breite Grundlagenausbildung bzw. Grundlagenforschung setzen soll. Die rabbinischen Texte liefern Beispiele für das eine wie das andere. M. E. ist beides notwendig und gleichwertig von Bedeutung und sollte mit einem gerechten Verteilungsschlüssel gefördert werden. Wo wird gelernt? Was den Ort den Lernens betrifft, so braucht es keine teuren Schulen. Manchmal tut es wie in tBerakhot 4.16 ein schattiges Plätzchen unter einem Taubenschlag, ein Feigenbaum (jBerakhot 2,8,5c), das Stadttor oder der Marktplatz (bMoed Qatan 16ab), natürlich ein Privathaus oder die Synagoge. Ein Lehrhaus wird in manchen Fällen ein spezifisch dafür errich71

tetes Gebäude sein (jPea 7,4,20b etc.), der Name selbst bezieht sich einfach auf einen Ort, an dem gelehrt wird, sei es in einem privaten Raum oder auch einem öffentlichen Bereich. Es mag durchaus vorkommen, dass der Leiter eines solchen Lehrhauses gar nicht zu den Rabbinen zählt, und nach Avot de-Rabbi Natan B 15.3 ist ein solches Leitungsamt nicht anzustreben. Zumindest soll man sich darüber nicht rühmen.72 Nach Avot de-Rabbi Natan A 12.51 segnet Gott jene Menschen für die kommende Welt, die früh am Morgen oder spät am Abend die Synagogen und Lehrhäuser besuchen, weil dort sein Name »erinnert« wird, wie es in Ex 20,21 heißt. Synagoge und Lehrhaus werden hier eng verwoben. In Synagogen, so heißt es in tMegilla 2.18, soll man sich nicht aufhalten, um sich vor der Sonne zu schützen oder vor dem Regen, oder um dort zu essen oder zu trinken oder zu schlafen und sich auszuruhen, sondern um Schrift zu lesen und zu studieren und zu lernen.73 Eine Jeschiva im modernen Sinne findet sich frühestens in gaonäischer Zeit. An der Jeschiva des Gaon vereinigen sich Gericht, Legislative und Lehrhaus. Study houses in tannaitic and amoraic Palestine were not rabbinic academies in the sense of schools with a fixed curriculum, 72 Vgl. Hezser, Social Structure, S. 203–214. 73 Zum Bezug von Synagoge und Rabbinen dort S. 214–224; vgl. Lee

I. Levine, Synagogue Art and the Rabbis in Late Antiquity, in: Journal of Ancient Judaism 2,1 (2011), S. 79–114. Für eine enge und alte Verbindung zwischen Lehrhaus und Synagoge plädiert beispielsweise Dan Urman, The House of Assembly and the House of Study: Are They One and the Same?, in: Dan Urman/Paul V. M. Flesher, Hg., Ancient Synagogues: Historical Analysis and Archaeological Discovery 1 (Studia Post-Biblica 47.1; Leiden 1995), S. 232–255. Zum Beispiel Merot vgl. Zvi Ilan, The Synagogue and Study House at Meroth, in: Ebd., S. 256–288, S. 274–277.

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appointed officials, and a succession of teachers. They were convenient places where some rabbis and others occasionally went to occupy themselves with Scripture. Synagogues, just like study houses, were convenient gathering places which were used for a variety of purposes. … There is no evidence that tannaim or amoraim were leaders or appointed officials to local synagogues or study houses. … Neither the Sanhedrin, nor »academies«, nor synagogues served as the rabbi’s institutional base. Since no other contemporary rabbinic institutions are known, one has to conclude that the rabbis in Roman Palestine, unlike the chaverim of the geonic time, were not institutionalized.74

Dieser Befund wird in jüngerer Zeit auch von Rubenstein mehrfach bestätigt, der die nicht seltenen Belege für palästinische und babylonische Akademien kritisch durchleuchtet und als späte Rückbezüge auf »Idealzustände« in früheren Zeiten deutet.75 Sie präsentieren eine riesige Anzahl von Studierenden und ein hierarchisch gegliedertes System von Sitzreihen und Sitzplätzen. Ein Sonderfall der »Akademie« ist die himmlische Akademie, der Gott als größter Gelehrter vorsteht (vgl. bBava Metsia 86a u.ö.). 74 Hezser, Social Structure, S. 226–227. Vgl. insgesamt S. 195–214. 75 Rubenstein, Talmudic Stories, S. 270–272 u.ö. für die palästinischen Akademi-

en. Für die babylonischen vgl. ders., The Rise of the Babylonian Talmudic Academy: A Reexamination of the Talmudic Evidence, in: Jewish Studies. An Internet Journal 1 (2002), S. 55–68; ders., The Culture of the Babylonian Talmud (Baltimore 2003), S. 16–38. Vgl. auch David Goodblatt, The History of the Babylonian Academies, in: CHJ 4 (2006), S. 821–839. Demgegenüber ist die Annahme früher durchstrukturierter akademischer Strukturen in Babylonien wenig plausibel (auch wenn Yeshayahu Gafni, Yeshiva and Metivta, in: Zion 43, 1978, S. 12–37, oder jüngst Barak S. Cohen, The Legal Methodology of Late Nehardean Sages in Sasanian Babylonia, Leiden 2011, S. 4 u.ö., diese verteidigen).

73

Lehrer und Schüler

Lehrer sein

Schon in jChagiga 1,7,76c gelten die Bibel- und MischnaLehrer als »Hüter des Ortes« (neture karta). In bSanhedrin 17b fordern die Rabbinen, nicht in einem Ort ohne Lehrer zu wohnen. R. Aqiva gibt nach bPesachim 112a allerdings den weisen Rat, man möge nicht in einer Stadt wohnen, in der Gelehrte regieren. Diese erfrischend nüchterne Sicht zeigt, dass Lehrer und Gelehrte nicht für alles geeignet sind. Aber freilich für vieles. Lehrer stehen allerdings auf dem Prüfstand. Nach bBava Batra 21b kann ein – im Übrigen schlecht bezahlter – Grundschullehrer von der Gemeinde entlassen werden, da falsche Lehre gefährlich ist. Allerdings werden dort auch Sicherstellungen für den Grundschullehrer eingeführt, der nicht sofort von einem geeigneteren Lehrer ersetzt werden soll. Er wird auch geschützt, wenn ein anderer zwar genauer unterrichtet, aber weniger breit ausgerichtet ist. Lehrer müssen eine Frau haben, heißt es in mQidduschin 4.13. Sie müssen auch mit ihrer Frau am selben Ort wohnen, wollen sie das Lehreramt verantwortungsvoll ausüben. Wenn man glaubt, nur die modernen Pädagoginnen und Pädagogen hätten eine schwere Aufgabe, dann möge man sich vor Augen führen, dass schon die rabbinische Bildung einen hohen Anspruch stellte, auch an die Geduld und die Ausdauer der Lehrenden. R. Aqiva habe darauf bestanden, dass ein Lehrer seinen Schüler so lange mit demselben Stoff unterrichtet, bis er ihn beherrscht. Dies wird auch noch direkt aus der Bibel abgeleitet, nämlich aus Dtn 31,19. Ein Kol74

lege hat sogar einen Schüler, dem er 400-mal, einmal sogar 800-mal dasselbe beibringen muss (bEruvin 54b). Aber im Unterschied zu den eher bescheidenen Belohnungen aktueller Lehrerinnen und Lehrer wird der Rabbi direkt von Gott mit zusätzlichen 400 Lebensjahren und mit einem sicheren Platz in der kommenden Welt ausgezeichnet. Bildung ist eine eminent soziale und gesellschaftliche, eine religiös-kulturelle und moralische Aufgabe. In bKetubbot 50a werden die Lehrer mit Menschen verglichen, die Gerechtigkeit üben und das Rechte tun: Glücklich sind jene, die Gerechtigkeit üben, die das Rechte tun allezeit« (Ps 106,3) – Ist es überhaupt möglich, allezeit das Rechte zu tun? – Dies, so erläuterten unsere Rabbinen in Javne, bezieht sich auf einen Mann, der seine Söhne und Töchter versorgt, solange sie jung sind. R. Schmuel b. Nachmani sagte: Dies bezieht sich auf einen Mann, der einen Waisen und eine Waise in seinem Haus aufzieht und ihnen die Ehe ermöglicht. R. Huna und R. Chisda: Einer sagte: Es bezieht sich auf einen Mann, der Tora studiert und sie andere lehrt, und der andere sagte: Es bezieht sich auf einen Mann, der den Pentateuch, die Propheten und Schriften schreibt und sie anderen leiht.

Die Fragen nach den Bedingungen für Lehrer und Schüler sind durchaus mit aktuellen Debatten zu vergleichen. bBava Batra 21a projiziert das Ideal der rabbinischen Bildung in die Zeit knapp vor dem jüdischen Aufstand gegen Rom. Lehrer haben – wie aktuell – nicht mehr als 25 Kinder in der Klasse. Sind es 50, ist ein zweiter Lehrer anzustellen. Den Lehrern soll die Ehre eines Schülers so lieb wie die eigene sein, heißt es nicht nur in den am Anfang des Buches 75

zitierten mAvot 4.12,76 sondern auch in der Mekhilta deRabbi Jischmael77 Amalek 1: Und woher (wissen wir), dass die Ehre seines Schülers einem Menschen lieb wie er selbst sein soll? Es heißt ja: »Da sagte Aaron zu Mose: Mein Herr, ich bitte dich« (Num 12,11). War er denn nicht sein älterer Bruder? Was lehrt es, wenn er ihn »mein Herr« nennt? Dass er ihn wie seinen Meister betrachtete. Die Beziehungsebene

Das Verhältnis von Lehrern und Schülern gleicht im ganz positiven Sinn dem von Vater und Sohn, was Sifre Dtn § 34.3 sogar aus dem Schema Israel Dtn 6,4 ableitet.78 Ein kluger Lehrer wie Abbahu nennt seine Schüler wertschätzend Rabbanan, »unsere Rabbinen« (jSanhedrin 6,10,23d). In Bezug auf Lehrer und Schüler sei auch auf die (Be)Förderung begabter Studierender hingewiesen. Dazu schreibt Hezser: Perhaps one of the main ways in which rabbis had power over their students was their ability to promote them to public offices. In all likelihood, only a few well-known and well-respected rabbis had this capacity. … Rabbis did not appoint their students to be »rabbis« – students became rabbis by being acknowledged by others as experts in Torah – they rather appointed to communal posts those who were alrea76 Avot de-Rabbi Natan A 27.24; B 34.22. 77 Die Mekhilta wird nach der neuen Übersetzung von Günter Stemberger

zitiert: Mekhilta de-Rabbi Jishma’el. Ein früher Midrasch zum Buch Exodus (Berlin 2010). 78 Vgl. auch jBerakhot 2,8,5b.

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dy acknowledged as scholars in their own right. The precise nature of these offices and the way in which appointments were made remains unclear. It seems, however, that communal leaders fulfilled a number of different tasks, and that the community had the last word in these appointments. Rabbis’ eagerness to promote their own students seems to have been curtailed by the patriarch’s interest in promoting his protegés. Perhaps rabbis also promoted students to less prestigious communal functions. The Mishnah already mentions experts who examined firstlings and received a payment for their service. Similarly, children’s teachers seem to have received a remuneration from parents. The salaries paid for these tasks seem to have been minimal. Yet students in need of money are likely to have willingly accepted any support they could get. Whatever possible communal jobs students might have obtained, one way in which rabbis seem to have tried to promote them was by writing a letter of recommendation.79

Die Frage einer körperlichen Züchtigung von Schülern wird mehrfach diskutiert. In mMakkot 2.2 und tBava Qamma 9.11 verteidigt man sie in gewisser Weise, indem man Väter und Lehrer bei möglicher Schädigung straffrei hält. Aber: The Tosefta editors considered it necessary, however, to add a limitation to this rule: »if they beat them more than is appropriate, behold, they are liable«.80

Auch wenn Züchtigungen in der Spätantike (und lange danach) ganz allgemein nicht unübliche »Erziehungsmetho79 Hezser, Social Structure, S. 338–339. 80 Hezser, Social Structure, S. 341.

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den« waren, kamen doch auch in rabbinischen Texten daran durchaus Zweifel auf. Nach jMoed Qatan 3,1,81d betreibt eine Hausangestellte des Bar Pata den Bann eines Schullehrers, der ein Kind über die Maßen schlug und bekommt dafür auch Unterstützung bei R. Acha, der dem Lehrer mitteilt, er müsse um seine Seele fürchten. In bSukka 29a wird Folgendes erzählt: Meir sagte: Die Zeit, in der Sonnen- oder Mondfinsternis herrscht, ist ein schlechtes Omen für Israel, weil sie Schläge gewohnt sind. Ein Gleichnis von einem Lehrer, der in die Schule kommt und einen Lederriemen in seiner Hand hält. Wer fürchtet sich? Der, welcher jeden Tag leidet, er fürchtet sich.

Dieses Gleichnis zeigt durchaus Sympathie für den geschlagenen Schüler, der sich an die Schläge bereits gewöhnt hat. Er dient Israel als Vergleich, das mit Schlägen und Verwundungen vertraut ist. In bBava Batra 21a meint Rav, dass man einen Schüler schlimmstenfalls mit einem Schuhriemen züchtigen solle. Klüger noch, so scheint es, ist dort die Erkenntnis: Der Aufmerksame wird von selbst lesen, und wenn jemand unaufmerksam ist, setz ihn neben einen gelehrigen Kollegen!

Eine strenge Disziplin, wie sie in rabbinischen Texten öfter dokumentiert wird, mutet aufgeklärten Menschen heute ebenfalls fremd an, auch wenn wohl manche Lehrerinnen und Lehrer diese insgeheim wünschen. Für die Rabbinen gilt in der Regel, dass Schüler in ihren Verhalten dem Lehrer Respekt zollen. Deshalb sollen Schüler nicht vor dem Lehrer 78

– oder nicht im Umkreis von 12 Meilen81 – Halakha lehren oder den Segen sprechen, wenn ein Gelehrter anwesend ist. Safrai fasst zusammen, wie das Lehrer-Schüler-Verhältnis ausgesehen haben könnte: Learning by itself did not make a pupil, and he did not grasp the full significance of his teacher’s learning in all its nuances except through prolonged intimacy with his teacher, through close association with his rich and profound mind. The disciples accompanied their sage as he went to teach, when he sat in the law court, when he was engaged in the performance of meritorious deeds such as helping the poor, redeeming slaves, collecting dowries for poor brides, burying the dead, etc. The pupil took his turn in preparing the common meal and catering for the general needs of the group. He performed personal services for his teacher, observed his conduct and was his respectful, loving, humble companion. Some laws could not be studied theoretically or merely discussed, but could only be learned by serving the teacher.82

Lernen geschieht also im direkten Kontakt zum Lehrer und umfasst den Dienst an ihm. Dieser ist jedoch auch umgekehrt aufgerufen, diesem Dienst entsprechend zu lehren: Wenn ein Schüler dem Meister dient und der Meister ihn lehren will, »erleuchtet JHWH die Augen beider« (Spr 29,13). Dieser und jener erlangen ewiges Leben. Wenn aber ein Schüler dem Meister dient und der Meister ihn nicht lehren will – »JHWH hat beide erschaffen« (Spr 22,2). – Er, 81 Vgl. Levitikus Rabba 20.6–7. 82 Safrai, Education, S. 964.

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der diesen weise gemacht hat, macht ihn schließlich unwissend, und er, der jenen unwissend gemacht hat, den macht er schließlich weise,

heißt es in der Mekhilta de R. Jischmael Jitro 2.83 Der babylonische Talmud vergleicht schließlich in bSota 22a (Teilparallele in bBerakhot 47b) den Schüler, der dem Lehrer nicht dient, mit einem Bildungsfernen, Ungebildeten, einem Samaritaner oder einem Magier, also einem, der unverständliches Zeug vor sich hinmurmelt. Dabei weist Hezser zu Recht auf die Hierarchie hin: These behavioral rules – to walk behind one’s teacher, to sit lower than him, not to speak up in front of him – indicate that at least in the eyes of rabbis students had a lower status than rabbis themselves. It is likely that most students were aware of this hierarchy and acted in conformity with it.84

Avot de-Rabbi Natan A 6.3–5 stellt sich als Ideal vor: Eine weitere Auslegung: Dein Haus soll ein Versammlungshaus sein für die Weisen. Wie? Wenn ein Gelehrtenschüler bei dir eintritt, um zu lernen; wenn du etwas hast, was du ihn lehren kannst, lehre ihn! Und wenn nicht, schick ihn sofort weg! Und er soll vor dir nicht auf einem Bett oder auf einem Stuhl oder einem Kissen sitzen, sondern er soll vor dir auf der Erde sitzen und alle Worte, die aus deinem Mund kommen, in Furcht und Ehrfurcht und Zittern und mit Erregung aufnehmen. [Wie unsere Väter auf dem Berg Sinai 83 Vgl. Midrasch Tannaim zu Dtn 15,8. 84 Hezser, Social Structure, S. 341.

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aufgenommen haben in Furcht und Ehrfurcht und Zittern und mit Erregung, so soll auch er alle Worte aufnehmen, die aus deinem Mund kommen, in Furcht und Ehrfurcht und Zittern und mit Erregung]85. Und du sollst dich mit dem Staub ihrer Füße verbinden. Wie? Wenn ein Gelehrtenschüler in eine Stadt kommt, sag nicht, ich brauch ihn nicht, sondern geh zu ihm und setz dich nicht mit ihm auf ein Bett oder auf einen Stuhl oder auf ein Kissen, sondern setz dich vor ihm auf die Erde, und alle Worte, die aus seinem Mund kommen, sollst du in Furcht und Ehrfurcht und Zittern und mit Erregung aufnehmen.

An dieser Stelle ist besonders bedeutsam, dass im Prinzip jedermann als Lehrer und Schüler gesehen wird, der zum einen etwas zu sagen hat (oder haben soll), zum anderen aber auch den Rollenwechsel vollzieht und immer wieder aufs Neue Wissen erwerben soll. Als Schüler soll man stets ein Verhalten an den Tag legen, das von tiefem Respekt geprägt ist und die Lehre als gewaltiges Geschenk empfangen. Als Lehrer kehrt sich die Rolle zwar um, doch soll man nur dann einen Schüler »belästigen«, wenn man auch wirklich etwas zu Lehren hat. Wenn nicht, soll man seine Zeit nicht vergeuden und ihn weiterschicken. Die hier vorgestellte Gesellschaft ist ein »utopisches« Reich von Wissen und Lehre, das sich beständig vermehrt. Abseits des Ideals ist im Lehrer-Schüler-Verhältnis nicht immer alles gut gelaufen. So berichten manche Stellen, dass der eine oder andere Lehrer sich von seinem Schüler so gereizt fühlt, dass er ihm den Tod wünscht.86 85 So Ms New York 10484, fehlt in anderen Handschriften. 86 Vgl. Sifra Schemini 3.1 (48b); jScheviit 6,1,36c; jGittin 1,2,43c; bTaanit 9a;

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Dabei mag wohl in nicht seltenen Fällen auch die Gefahr der Konkurrenz eine Rolle gespielt haben, schließlich sind viele Rabbinen, die uns namentlich bekannt sind, Lehrer ebenso berühmter Schüler und umgekehrt. R. Aqiva ist ein Paradebeispiel für einen Schüler, der seine Lehrer durch unermüdliches Studieren und Aneignen von Wissen letztlich übertrumpft und dieses Wissen auch nicht unter den Scheffel stellt.87 In legendarischer Form wird in bChagiga 3b 88 sehr dras-tisch die Macht des Lehrers vor Augen geführt, als R. Eliezer seinem Schüler Jose b. Durmasqit die Augen wegnimmt, weil er ihm eine Entscheidung des Lehrhauses als Neuigkeit präsentiert, die Eliezer als alte Überlieferung kennt. Als er sich schließlich beruhigt, lässt er Joses Augen allerdings wieder an ihren Platz zurückkehren. Dem Schüler, der stellvertretend die Blindheit des Lehrhauses für die alte Überlieferung am eigenen Leib erleben musste, sind schließlich im wahrsten Sinne des Wortes die Augen geöffnet worden. Auf der anderen Seite wird auch die Beteiligung der vielen Studierenden an der Diskussion als Zeichen des Wachsens und Gedeihens der Tora verstanden. So zitiert Devorah Steinmetz89 die Erzählung bBerakhot 27b–28a, wo R. GabBava Metsia 84a. Vgl. auch jChagiga 2,1,77a über einen begabten Schüler Jehuda ha-Nasis, der mit Beulen geschlagen wird, als er eine Auslegung vorträgt, die seinem Lehrer nicht gefällt. 87 So kann R. Aqiva in Kalla Rabbati 2.2 seine Lehrer Eliezer und Jehoschua unbeschadet beschämen, indem er sich als klüger als sie herausstellt und die Herkunft eines Jungen aufdeckt, der ohne Kopfbedeckung herumläuft. Vgl. auch Avot de-Rabbi Natan A 6.12–13. 88 Vgl. dazu Rubenstein, Stories, S. 91–115. Dort auch weitere Literatur. 89 U. a. in Agada Unbound, in: Jeffrey L. Rubenstein, Hg., Creation and Composition. The Contribution of the Bavli Redactors (Stammaim) to the Aggada (TStAJ 114; Tübingen 2005), S. 293–337, S. 301–310.

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maliel II. sich besorgt zeigt, dass er durch eine restriktive Aufnahmepolitik in die höheren Studien die Tora von Israel ferngehalten habe. In weiterer Folge entspinnt sich eine Diskussion zwischen Gamaliel und R. Jehoschua über die Zulassung eines Ammoniters zum Studium. Während Gamaliel sich dagegen mit Bibelversen wehrt (Dtn 23,4; Jer 49,6), zitiert zwar auch Jehoschua als Antwort Bibelverse ( Jes 10,13; Am 9,14), verbindet sie jedoch zusätzlich mit schlagfertigen logischen Schlussfolgerungen, die auf Veränderung und Weiterentwicklung erstarrter Vorstellungen hinzielen. Die Öffnung des Lehrhauses für den Ammoniter wird schließlich mehrheitlich beschlossen. Die Grundtendenz dieses Abschnittes besteht darin, die Offenheit des Studiums zu betonen und den Gewinn herauszustreichen, der dadurch entsteht, dass es keine Studienbeschränkungen gibt. Mit dieser Offenheit mag nun freilich verbunden sein, dass so manche Lehre, die in kleinerem Kreise geläufig war, gewissermaßen neu entdeckt und gefeiert wird, worüber konservative Kreise – dargestellt durch R. Eliezer – die Nase rümpfen. Für Eliezer genügt es dann auch, wenn ein Schüler sich einen Lehrer nimmt, der umfassend in der Tradition gebildet ist. In bChagiga 3ab wird die Position R. Eliezers nicht allein überliefert, sondern der Jehoschuas gegenübergestellt. Jehoschua plädiert für das umfassende Lernen von unterschiedlichen Lehrern und Meinungen, die man alle im Bewusstsein, sie stammen von dem »einen Hirten« ab, aufsaugen soll. Über Frustrationserlebnisse von Lehrern ist am Beispiel Eliezers nun schon gehandelt worden. Ein weiteres bietet bSanhedrin 68a.90 Hier beklagt sich Eliezer, dass er trotz 90 Vgl. die Variante in Avot de-Rabbi Natan A 25.24–26.

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i­ntensivsten Studiums von der Weisheit der Lehrer nicht so viel aufnehmen konnte, wie ein Hund aus dem Meer/See Wasser schlürft. Und umgekehrt sei von dem, was er unterrichtet habe, bei seinen Schülern nur so wenig übrig geblieben, wie ein Pinsel an Farbe aufnehmen kann. 300 Gesetze habe er allein über einen weißen Fleck bei Lepra gelehrt, aber niemals habe ihn je einer danach gefragt. Nur Aqiva habe sich mit dem magischen Anpflanzen von Gurken beschäftigt, das er ausführlich gelehrt habe. Aber auch hier stellt sich heraus, dass Aqiva dies erst begreift, als es ihm ein anderer Lehrer ( Jehoschua) erläutert. War die Zeit abgelaufen für den Lehrstoff, brauchte es eine Durchforstung des »Lehrplans«? Das Vergessen ist nicht nur für die Schüler ein Problem, sondern plagt auch die Lehrer. In tAhilot 16.8 ist von R. Jochanan die Rede, der sich nicht mehr an seine Lehre erinnern konnte. Allerdings meint der darauffolgende anonyme Kommentar dazu, er habe die Schüler nur prüfen wollen, ebenso wie dies auch schon Hillel getan habe. R. Jehoschua sagt in dem Kontext schließlich, dass jeder, der lernt und wieder vergisst, wie eine Mutter sei, die eine Fehlgeburt erleidet. Ein zweifellos sehr »heutiges« Thema ist die Konkurrenz der Lehrer untereinander und die Frage des Vorranges für bestimmte Ämter. Rubenstein hat etwa am Beispiel bHorajot 13b–14a91 ausführlich zu Themen wie der Spannung von Ehre aufgrund von Abstammung (jichus) oder aufgrund von Gelehrsamkeit gearbeitet (»tension between lineage and knowledge«). Im selben Buch nimmt er auch zur Frage der Beschämung von Lehrern durch andere Lehrer und der 91 Rubenstein, Talmudic Stories, S. 176–211.

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­ arten Konkurrenz innerhalb der »Akademiker« Stellung. So h verweist er auf eine Aufzählung in bPesachim 113b über »jene, die sich hassen«, wozu zählen »dogs, fowl, Persian priests, prostitutes – and ‘scholars in Babylonia’!«92 Lehrer sollen nicht beschämt werden, indem man sie über Gebiete fragt, indem sie gerade nicht eingearbeitet sind (bSchabbat 3ab) oder besonders kritische Einwendungen machen. Als R. Kahana einmal R. Jochanan mit schwierigen Materien belastet und diesen scheinbar auslacht, verstirbt er sofort, wird aber schließlich von Jochanan wieder auferweckt, als er erfährt, dass er ihn nicht beschämen wollte (bBava Qamma 117ab). An dieser Stelle wird deutlich, dass die in sehr drastischen Beispielen geschilderten geradezu »lebensgefährlichen« Auseinandersetzungen nicht nur das hierarchisch geprägte Verhältnis von Schülern und Lehrern betreffen, sondern sich auch auf die Kollegenschaft erstrecken. R. Jochanans zerstörerische Macht äußert sich freilich auch gegenüber seinem Schüler Resch Laqisch (bBava Metsia 84a), als sein Zorn nach folgender Diskussion fatale Ausmaße annimmt: Einmal diskutierten sie im Lehrhaus: Das Schwert und die Lanze und der Dolch, ab wann können sie Unreinheit annehmen? Wenn die Arbeit an ihnen vollendet ist. Und wann ist die Arbeit an ihnen vollendet? [R. Jochanan sagte: Von der Zeit an, wo sie im Feuer geschmiedet werden. Resch Laqisch sagte: Von der Zeit an, wo sie im Wasser poliert werden. R. Jochanan sagte: Ein Räuber kennt sich im Rauben aus. Er antwortete ihm: Was ist der Nutzen für mich? Dort haben sie mich Meister (Rabbi) genannt und hier nennen sie mich Meister (Rabbi).] 92 Ebd., S. 278.

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Resch Laqisch stellt hier den Nutzen der von Jochanan erhaltenen Lehre und damit auch diesen als Autorität infrage. Jochanan wiederum scheint sich vor allem über die Aufmüpfigkeit des Schülers zu ärgern, der ihm widerspricht. Sein Zorn führt jedenfalls letztlich zum Tod Resch Laqischs, den auch der Appell seiner Frau an Jochanan nicht verhindern kann. An dieser Stelle ist nun besonders bemerkenswert, dass R. Jochanan sich von seinen Schülern nach dem Tod Resch Laqischs in seiner Trauer nicht besänftigen lässt. Hierzu heißt es: Sie brachten R. Elazar ben Padat, dessen Traditionen brilliant waren und setzten ihn vor ihn. Nach jedem Wort, das er ( Jochanan) äußerte, sagte dieser: Es gibt eine Tradition, die dich stützt. Er ( Jochanan) antwortete: Brauche ich das? Der Sohn des Laqisch hat 24 Einwendungen gegen jede meiner Behauptungen gemacht, und ich habe mit 24 Gegenbeweisen geantwortet, bis die Tradition bereichert wurde. Und du, alles was du zu sagen hast ist, dass eine Tradition mich stützt?! Weiß ich denn nicht selber, dass ich gute Dinge von mir gebe?! Er ging und schrie an den Toren: Sohn Laqischs, wo bist du?, bis er verrückt wurde. Die Rabbinen beteten für ihn und er starb.

Dieser Abschnitt besagt demnach letztlich, dass ein hochgebildeter Schüler, obwohl er gegen das Gebot der Achtung des Lehrers und gegen die Hierarchie aufbegehrt hat, dennoch dem vorzuziehen ist, der einfach nach dem Mund des Lehrers redet, weil durch ihn die Tradition bereichert wird. Im späten Midrasch Seder Elijahu Rabba (Friedmann 100–101) wird der Albtraum aller Lehrenden beschrieben: Einmal, als ich in Babylonien reiste, kam ich in eine große Stadt, die gänzlich jüdisch war, es gab darin keine Nicht86

juden. Ich fand dort einen Grundschullehrer, der vor ihm 200 Schüler hatte, die meisten zwischen 18 und 20 Jahre alt. Weil diese Knaben sich durch ihr Verhalten selbst schädigten, starb der Lehrer und starb seine Frau und starb sein Sohn und starb sein Enkel und starben alle Knaben, die meisten zwischen 18 und 20 Jahre alt. Als ich weinte und über sie seufzte, kam ein Engel zu mir und fragte: Warum weinst und seufzt du? Ich antwortete: Soll ich nicht weinen und seufzen über diese, die Kenntnis der Schrift und der Mischna besitzen und nun gegangen sind, als hätte es sie nie gegeben? Der Engel sagte: Ist es gut von dir zu weinen und zu seufzen? Warum sollten diese jungen Männer auf krummen Wegen schreiten und unwürdige Taten begehen und sich selbst durch ihr Verhalten schädigen und ihren Samen umsonst vergeuden? Wussten sie den nicht, dass der Tod sie wegraffen würde?

Hier sterben nicht mehr nur die Schüler, die sich falsch verhalten, auch die Lehrer müssen daran glauben, da sie es nicht geschafft haben, den Schülern das richtige Verhalten beizubringen. Es geht dabei nicht um Lernstoff, sondern um den Umgang mit dem anderen Geschlecht, wie aus den folgenden Ausführungen deutlich wird. Lehrer haben hier die Aufgabe, den Schülern das dem Verhaltenskodex entsprechende Benehmen beizubringen. Sich einen (und mehrere) Lehrer schaffen

Es dürfte aus dem bislang Gesagten hinlänglich klar geworden sein, dass Lernen nach rabbinischem Vorbild in engem Kontakt und in einer festen Verbindung zu einem Lehrer geschieht. In Avot de-Rabbi Natan A 8.3 heißt es dazu: 87

Schaff dir einen Lehrer. Wie? Das lehrt, dass man sich einen festen Lehrer verschaffen und mit ihm Bibel und Mischna, Midrasch, Halakhot und Aggadot lernen soll. Eine Auslegung, die er ihm bei der Bibel übergangen hat, wird er ihm schließlich bei der Mischna sagen; die Auslegung, die er bei der Mischna übergangen hat, wird er ihm schließlich beim Midrasch sagen; was er beim Midrasch übergangen hat, wird er ihm bei der Halakha sagen, und was er bei der Halakha übergangen hat, wird er ihm schließlich in der Aggada sagen. So bleibt der Mensch also an seinem Ort und wird erfüllt von Gutem und von Segen.

Ein Wechsel während des Studiums ist hier keineswegs erwünscht. Vielleicht lesen wir solche Texte auch als wohltuende Kritik an einem Mobilitätswahn. Für die Rabbinen ergibt sich aus der intensiven Auseinandersetzung mit einem Gelehrten vor Ort eine besondere umfassende Bildung, in der Lücken in einzelnen Fächern nicht bestritten aber positiv gedeutet und verwertet werden. Erst aus der Gesamtheit des Studiums in seinen vielen Aspekten ist eine wirkliche Bildung möglich. Ein Wechsel nach dem Studium wird allerdings unbedingt von den Rabbinen empfohlen: R. Meir sagt: Wenn du von einem Lehrer gelernt hast, sage nicht: Mir reicht es, sondern geh zu einem anderen Weisen und lerne Tora. … Ein Mensch ist verpflichtet, dass er drei Weisen dient, wie R. Eliezer, R. Jehoschua und R. Aqiva. (Avot de-Rabbi Natan A 3.17,19)93

93 In der Druckausgabe ist von vier Weisen die Rede, es wird auch noch R.

Tafon erwähnt.

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R. Chisda konfrontiert seine Schüler in bAvoda Zara 19a mit der Angst, dass sie ihn verlassen könnten, weil er ihnen gesteht, dass sie kaum Erfolg hätten, wenn sie nur bei einem Lehrer – also ihm – studierten. Prompt gehen sie zum Studium zu Rava, der ihnen allerdings erläutert, dass dieses Prinzip nur für die sogenannte Savora gelte, nicht aber für die Gemara, die man am besten bei einem Lehrer »absolvieren« solle. Auf den Unterschied habe ich bereits oben hingewiesen. Im Hintergrund steht wieder ein mehrgliedriges Lernmodell. Nach den Grundlagen und der intensiven Auseinandersetzung mit der mündlichen Tora – sie soll möglichst durch einen einzelnen Lehrer vermittelt werden – kommt die vertiefende Auseinandersetzung mit dem Gelernten, wozu neben dem eigenen Verstand auch das Wissen anderer Gelehrter dringend herangezogen werden soll. Dazu braucht es einen Wechsel des Blickwinkels bzw. des Lernortes. Broterwerb, Berufe und Tätigkeiten eines Rabbis

Zum Thema Berufsausbildung sei angemerkt, dass die Rabbinen selbst von unterschiedlicher sozialer Herkunft und mit unterschiedlichen Berufen versehen waren, worauf schon Urbach hinweist, der meint, dass die Weisen actually did come from all classes and walks of life. There were aristocratic priests, men of wealth, the sons of the great landowners, as well as destitute craftsmen, serfs, farmers, hired hands and the sons of proselytes.94

94 Ephraim E. Urbach, The Talmudic Sage – Character and Authority, in: Jour-

nal of World History 11 (1968), S. 116–147, S. 123.

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Hershey Friedman95 fasst zusammen: Abba Chilkiyah was a field laborer; Rabbi Yochanan b. Zakkai was a businessman for forty years; Abba Shaul was a gravedigger; Abba Chilkiyah was a field worker; Abba Oshiya was a launderer; Rabbi Shimon P’kuli was a cotton dealer; Rabbi Shmuel b. Shilas was a school teacher, Rabbi Meir and Rabi Chananel were scribes; Rabbi Yosi b. Chalafta was a tanner; Rabbi Yochanan Hasandlar was a shoemaker; Rabbi Yehoshua b. Chananiah was a blacksmith; Rabbi Safra and Rabbi Dimi of Nehardea were merchants; Rabbi Abba b. Zavina was a tailor; Rabbi Yosef b. Chiya and Rabbi Yannai owned vineyards; Rabbi Huna was a farmer and raised cattle; Rabbi Chisda and Rabbi Papa were beer brewers; Karna was a wine smeller (he determined which wine could be stored and which had to be sold immediately); Rabbi Chiya b. Yosef was in the salt business; Abba Bar Abba, (father of Mar S ­ hmuel) was a silk merchant; and (Mar) Shmuel was a doctor.

Ein Loblied auf die Arbeit findet sich am Anfang von Avot de-Rabbi Natan A 11. In bNedarim 49b verweist man auf Arbeitsgeräte gerade im Zusammenhang mit dem Besuch von Lehrhäusern. So trägt R. Jehuda einen Steinkrug und R. Schimon einen Korb auf seinen Schultern, worauf es heißt: »Groß ist die Arbeit, denn sie segnet ihren Herrn«. Dies mag ein Hinweis auf die Arbeit sein, die nicht geringgeschätzt werden soll, kann aber auch – und dies halte ich für mindestens so wahrscheinlich – andeuten, dass Arbeitsgeräte, die für niedrige Tätigkeiten verwendet werden, immer noch 95 Hershey H. Friedman, Ideal Occupations: The Talmudic Perspective, online:

http://www.jlaw.com/Articles/idealoccupa.html (29.12. 2011).

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einen sinnvollen Nutzen im Lehrhaus bringen. Denn sowohl auf den Steinkrug als auch auf den Korb kann man sich während des Vortrages setzen. Es ist bereits erwähnt worden, dass Väter für die Berufsausbildung sorgen sollen, da Söhne ohne Beruf auf die schiefe Bahn geraten (bQidduschin 29a, vgl. mAvot 2.2). Bei der Wahl des Berufs dürfte man sich zum einen an der Profession des Vaters orientiert haben (bArakhin 16b), zum anderen gilt vor allem, dass der Beruf genug Zeit für das Studium lassen soll (bBerakhot 35b). Wer sich zu sehr mit seinen Geschäften aufhält, vernachlässigt das Studium (mAvot 2.5; 4.10). Eine Beschäftigung, auch wenn sie nicht angenehm und »standesgemäß« erscheint, ist der Versorgung durch die Armenfürsorge vorzuziehen (bBava Batra 110a). Gelegentlich finden sich Hinweise auf Berufe, die wohlhabend machen, so in bPesachim 113a (Bierbrauerei), bChullin 84ab (Kleinviehzucht) oder bNidda 70b (Handel). Doch auch hier fehlt im Kontext nicht der Verweis auf die mit dem Ertrag verbundene Verpflichtung zur Wohltätigkeit, zur Großzügigkeit und auf die Bedeutung des Studiums. In bQidduschin 82ab (Ende des Traktates) handelt man im Anschluss an die Mischna Qidduschin 4.14 über die erstrebenswerten und weniger erstrebenswerten, wenn nicht gar anstößigen Berufe. So haben weder die Goldschmiede noch die Barbiere (und einige andere) einen recht guten Ruf und die Ärzte sind zumindest nach einer Meinung zur Hölle verdammt, während etwa der Job eines Quilters, also eines Menschen, der Steppwaren herstellt, als sehr sauber und leicht empfohlen wird. Entscheidend ist jedoch die Position, die R. Nehorai in den Mund gelegt wird und den Abschluss des gesamten Abschnittes bildet. Demnach verwirft er alle weltlichen Berufe und lehrt seinen Sohn nur Tora, weil er 91

durch sie in jeder Lebenssituation Positives erfährt. Letztlich soll in jedem Fall die Profession der Ehre Gottes dienen, wie es an ebendieser Stelle im Namen Schimon ben Eleazars heißt: Ich habe nie einen Hirsch ernten gesehen oder einen Löwen Lasten tragen oder einen Fuchs einen Laden führen, und doch werden sie versorgt, dass sie nicht in Sorge sind. Und diese wurden nur geschaffen, mir zu dienen. Ich aber wurde geschaffen meinem Schöpfer zu dienen. [Wie diese, die geschaffen wurden, um mir zu dienen, versorgt werden, dass sie ohne Sorge sind,] wäre es nicht gerecht, dass ich, [der ich geschaffen bin, meinem Schöpfer zu dienen,] versorgt werde/ mich versorge, dass ich ohne Sorge bin! Aber meine Taten waren schlecht und so habe ich meine Versorgung ruiniert, wie es heißt: »Eure Frevel haben diese Ordnung gestört, eure Sünden haben euch den Regen vorenthalten« ( Jer 5,25).

Dient der Mensch Gott, so braucht er sich um seine Versorgung keine Sorgen zu machen. Handelt er jedoch gegen seinen Willen, kann er selbst im lukrativsten Beruf scheitern.96 In bTaanit 21b/22a wird am Beispiel eines Menschen namens Abba, der den Beruf des Wundarztes ausübt, das Ideal eines guten Menschen gezeichnet. Abba nämlich schaut darauf, dass die Würde des Menschen gewahrt bleibt, achtet auf Anstand und hat eine uneinsehbare Sammelbüchse, in die Menschen das Geld für die Behandlung geben, sofern sie es sich leisten können. Wer nichts gibt, wird nicht be96 Den Rabbinen wird jedoch zusehends bewusst, dass skrupellose Leute

reich werden, und sie entwickeln auch dazu wichtige Gedanken, die jedoch hier nicht erörtert werden sollen.

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schämt. Vor allem aber werden aus der Büchse Schüler und Studenten unterstützt. Einmal kommen Gelehrte zu ihm, um ihn zu prüfen. Sie bekommen zu essen und zu trinken, können bei Abba schlafen und nehmen dann auch noch die Matratze mit, um sie am Markt zu verkaufen. Als sie dort Abba selbst begegnen, erkennt er sie, stellt sie aber nicht als Diebe zur Rede, sondern behauptet, er habe angenommen, dass die Gelehrten die Matratze für einen guten Zweck, um Gefangene zu befreien, verkaufen wollten. Dieser Abba bekommt als Dank für sein Verhalten jeden Tag Besuch von der himmlischen Akademie. Ein paar Bemerkungen müssen aber nun auch zur Tätigkeit des Rabbis selbst gemacht werden, der sich nicht nur mit dem Lehren beschäftigt. Das Spektrum der Tätigkeiten reicht zumindest bei einigen von ihnen von magischen Fähigkeiten über die Heilung zur Traumdeutung. Er befasst sich in der Regel aber eher mit rechtlicher Beratungstätigkeit und Expertise, mit der Mediatorentätigkeit (Stichwort Friedenstiften), mit der Verkündigung und Auslegung der Tora, mit der Kontrolle von Einrichtungen des öffentlichen Lebens (Stichwort Reinheit). Die Rabbinen sind zumindest eine Zeit lang in einem kleineren Kreis für Kalenderfestlegungen zuständig. Ein komplexes Streitthema der Forschung ist das Engagement von Rabbinen in den Synagogen. Von der rabbinischen Ausbildung zu trennen ist die Ausbildung zum Schreiber, die ein eigenes Profil hat. Darüber hinaus existieren weiterhin die Priester, von denen manche, aber keineswegs alle, rabbinisch gebildet sind. Sie verschwinden auch nach der Zerstörung des Tempels nicht von der Bildfläche und sind auch auf kommunaler Ebene wie in den

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Synagogen aktiv.97 Auch das Richteramt auf verschiedenen Ebenen muss nicht von einem Rabbi ausgeübt werden. Zweifellos sieht sich die rabbinische Bewegung mit all ihrer inneren Differenzierung als legitime Wächterin der Tora und weit mehr noch als ihr Sprachrohr, was so weit geht – wie es Jacob Neusner formulierte –, dass der Rabbi selbst die inkarnierte Tora darstellt.98 Lernen an Vorbildern, Gegensätzen und Negativbeispielen Um die Bedeutung des Studiums, vor allem aber das Ideal des durch das Torastudium gekennzeichneten Menschen zu illustrieren, verweisen die Rabbinen auf Personen der Bibel oder ihrer eigenen rabbinischen Tradition. Ich will mich auf einige wenige sehr markante Beispiele beschränken. In Bezug auf biblische Figuren möchte ich David99 als besonders schillernde Persönlichkeit herausgreifen. David erscheint keineswegs ausschließlich als Held. Gerade der babylonische Talmud hält sich in seiner mitunter 97 Vgl. dazu Günter Stemberger, Das Priestertum Israels nach 70 n. Chr., in:

Silvia Hell/Andreas Vonach (Hg.), Priestertum und Priesteramt. Historische Entwicklungen und gesellschaftlich-soziale Implikationen (Synagoge und Kirchen 2; Wien – Berlin 2012), S. 271–288. 98 Vgl. Jacob Neusner, Religious Authority in Judaism. Modern and Classical Modes, in: Interpretation 39 (1985), S. 373–387, S. 386. 99 Vgl. meinen Beitrag: David, der weise Toragelehrte. Zur Funktion Davids im babylonischen Talmud, in: Irmtraud Fischer/Ursula Rapp/Johannes Schiller, Hg., Auf den Spuren der schriftgelehrten Weisen. FS für Johannes Marböck anlässlich seiner Emeritierung (Berlin – New York 2003), S. 383–399. Vgl. auch die Sammlung von Jacob Neusner, Rabbi David. A Documentary Catalogue (Studies in Judaism; Lanham u.a. 2012).

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Synagogen aktiv.97 Auch das Richteramt auf verschiedenen Ebenen muss nicht von einem Rabbi ausgeübt werden. Zweifellos sieht sich die rabbinische Bewegung mit all ihrer inneren Differenzierung als legitime Wächterin der Tora und weit mehr noch als ihr Sprachrohr, was so weit geht – wie es Jacob Neusner formulierte –, dass der Rabbi selbst die inkarnierte Tora darstellt.98 Lernen an Vorbildern, Gegensätzen und Negativbeispielen Um die Bedeutung des Studiums, vor allem aber das Ideal des durch das Torastudium gekennzeichneten Menschen zu illustrieren, verweisen die Rabbinen auf Personen der Bibel oder ihrer eigenen rabbinischen Tradition. Ich will mich auf einige wenige sehr markante Beispiele beschränken. In Bezug auf biblische Figuren möchte ich David99 als besonders schillernde Persönlichkeit herausgreifen. David erscheint keineswegs ausschließlich als Held. Gerade der babylonische Talmud hält sich in seiner mitunter 97 Vgl. dazu Günter Stemberger, Das Priestertum Israels nach 70 n. Chr., in:

Silvia Hell/Andreas Vonach (Hg.), Priestertum und Priesteramt. Historische Entwicklungen und gesellschaftlich-soziale Implikationen (Synagoge und Kirchen 2; Wien – Berlin 2012), S. 271–288. 98 Vgl. Jacob Neusner, Religious Authority in Judaism. Modern and Classical Modes, in: Interpretation 39 (1985), S. 373–387, S. 386. 99 Vgl. meinen Beitrag: David, der weise Toragelehrte. Zur Funktion Davids im babylonischen Talmud, in: Irmtraud Fischer/Ursula Rapp/Johannes Schiller, Hg., Auf den Spuren der schriftgelehrten Weisen. FS für Johannes Marböck anlässlich seiner Emeritierung (Berlin – New York 2003), S. 383–399. Vgl. auch die Sammlung von Jacob Neusner, Rabbi David. A Documentary Catalogue (Studies in Judaism; Lanham u.a. 2012).

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sehr kritischen Haltung – vor allem zu 2 Sam 11, der Geschichte um Batseba und ihren Mann Uria – nicht zurück.100 Deutlich wird jedoch die Absicht, ihn als Toragelehrten und Experten in der Halakha darzustellen. Er ist versiert im »Kampf« der Tora, versteht, eine Sache von der anderen abzuleiten, seine Entscheidungen entsprechend rabbinischer Logik zu begründen. Seine Halakha wird dementsprechend auch allgemein akzeptiert.101 Nach bMakkot 24a habe David die Tora mit seinem Ps 15 auf 11 zentrale Prinzipien konzentriert, die zum größten Teil mit einem ethisch-moralisch ehrenhaften Leben gegenüber dem Mitmenschen zu tun haben. Diese sind: makellos leben; das Rechte tun; die Wahrheit sagen; nicht verleumden; nichts Böses antun; den Nächsten nicht tadeln; den Verworfenen nicht verachten; doch alle, die den Herrn fürchten, in Ehren halten; sein Versprechen nicht ändern, das man seinem Nächsten geschworen hat; sein Geld nicht auf Wucher ausleihen und nicht zum Nachteil des Schuldlosen Bestechung annehmen. David dichtet nach bPesachim 117a die Psalmen in der Anwesenheit der Schekhina, die auf einem Menschen ruht »aus der Freude heraus, die aus einer Gebotserfüllung kommt«. David habe den Grundsatz vertreten, dass der Spruch eines Gelehrten in dessen Namen zitiert werden soll. Die Weitertradierung eines Spruches in den Lehr- und Bethäusern gehört zum Grundbestand des rabbinischen Traditionsverständnisses und erhält das Gedächtnis eines Gelehrten am Leben.102 100 Vgl. etwa Richard Kalmin, »The Use of Midrash for Social History,«

in:  ­Carol Bakhos, Hg., Current Trends in the Study of Midrash (Leiden –Boston, Mass. 2006), S. 133–159. 101 bSanhedrin 93b, vgl. bMakkot 10a; Midrasch Tehillim 16.9; 35.2. 102 vgl. bBekhorot 31b; bJevamot 96b–97a.

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Davids Leier beginnt Schlag Mitternacht zu spielen und weckt ihn so zum Torastudium. David belehrt dann die Weisen Israels. Nach mancher Ansicht braucht David überhaupt keinen Schlaf, studiert Tora und schreibt seine Psalmen nach Mitternacht. Er wird auch mit Mose verglichen.103 In bSukka 26b heißt es: Rav sagte: Es ist einem Menschen verboten, am Tag mehr als den Schlaf eines Pferdes zu schlafen. Und was ist der Schlaf eines Pferdes? Sechzig Atemzüge. Abaje sagte: Der Schlaf des Meisters ist der von Rav, und der von Rav ist der von Rabbi und der von Rabbi ist der von David, und der von David ist der eines Pferdes, und der eines Pferdes ist sechzig Atemzüge lang.

Hier ist neben dem Hinweis auf die Schlafgewohnheiten vor allem die Traditionskette von Bedeutung. David lässt eine Linie von palästinischen und babylonischen Gelehrten entstehen, zu der der Patriarch Jehuda ha Nasi (= Rabbi) gehört und an dessen (vorläufigem) Ende Rabba bar Nachmani, der Lehrer Abajes steht, einer der größten Gelehrten des Talmud und der Tradition nach Leiter der Schule in Pumbedita (gest. 330). David macht den Studienstoff öffentlich zugänglich (bEruvin 53a) und gibt der Tora damit Bestand. Nach bMoed Qatan 16b sitzt David in Bescheidenheit auf dem nackten Boden. »Wenn er in die Tora vertieft war, machte er sich selbst geschmeidig wie ein Wurm, wenn er aber in den Krieg zog, machte er sich hart wie eine Lanze.« 103 bBerakhot 3b–4a; bSanhedrin 16a; Pesiqta de Rav Kahana 7.4 etc. Vgl.

Midrasch Tehillim 25.4; 57.4; 108.2; 119.28.

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James A. Diamond104 hat in einem beachtenswerten Artikel darauf aufmerksam gemacht, dass die Rabbinen an einer Reihe von Stellen auf ironische Weise mit den Fehlern und Schwächen der historischen Person David umgehen, so auch hier. Seine »Verhärtung« im »Krieg« lässt Assoziationen auf sein Sexualleben zu: Every other appearance of the phrase »makes himself hard« in the rabbinic corpus refers to self-induced penile erection, variously condemned as the equivalent of idolatry or apostasy. … Had he been in command of his troops where he belonged, he would have exercised a strategic »hardening of himself« to subdue the enemy in a theater where the erotics of war could have safely played themselves out to the benefit of Israel. That unspent prodigious military »hardening« takes an ominous turn back at David’s palace where it leads toward the rape of Batsheva and the murder of Uriah. Correspondingly, engaging in activity such as study, more appropriately conducted within the confines of a building, would have diminished his voracious libido, signified by a »pliant worm« or a limp membrum virile.105

Das Torastudium Davids steht damit besonders sinnbildhaft für den Kampf des Gelehrten gegen seinen bösen Trieb, vor allem in Gestalt der ungebändigten Sexualität. Einen ironischen Unterton hat natürlich auch die Erzählung in bBerakhot 4a, wo David sich vor allem mit Fragen der Reinheit und Unreinheit von Frauen beschäftigt. Umso 104 James A. Diamond, »King David of the Sages. Rabbinic Rehabilitation or

Ironic Parody,« in: Prooftexts 27,3 (2007), S. 373–426.

105 Ebd., S. 391–392.

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mehr erweisen sich solche Texte als Zeugen für die Kraft der Toragelehrsamkeit und des unablässigen Studiums, das die fehlgeleiteten »Energien« in die richtigen Bahnen lenkt. David wird aber auch als Ideal des wohltätigen Gerechten dargestellt, der auf eigene Kosten armen Menschen hilft, selbst dann, wenn sie nicht schuldlos sind (bSanhedrin 6b). David ist der »Kleine« (bChullin 60b), mild und barmherzig, bescheiden und demütig sowie sozial, dabei aber klar und ohne Kompromiss in Bezug auf Unrecht und verräterisches Tun und steht damit für das Ideal des Gelehrten an sich.106 Es mag an dieser Stelle genügen, die Bedeutung Davids für die rabbinische Konstruktion von Gelehrsamkeit darzulegen. Ich wende mich zwei anderen Persönlichkeiten zu, die geradezu chiffreartig für zwei unterschiedliche Mentalitäten von Lehrern stehen, nämlich Hillel und Schammai, die beide zu Zeiten des Herodes gelebt haben (sollen). Dabei wird meist Hillel als Person mit den milderen Lösungen und der größeren Geduld dargestellt. Nach Avot de-Rabbi Natan A 2.73 habe die Schule Schammais nur weise, bescheidene Schüler aus gutem reichen Haus lehren wollen, die Schule Hillels hingegen alle. Die Argumentation Hillels ist auch bedeutsam für eine moderne Bildungsdiskussion, geht sie doch davon aus, dass durch den Zugang zum Studium aus (potenziellen) »Sündern« gerechte und in der Gesellschaft anerkannte Personen werden. In bSchabbat 31a findet sich die liebenswerte Erzählung über die Wette eines jungen Mannes, der es partout schaffen will, Hillel zu verärgern. So quält er ihn mit wenig tiefsinnigen Fragen zur Physiognomie der Babylonier107 und 106 Vgl. bSota 10b; bBava Batra 21ab. 107 Runde Köpfe wegen ungeschickter Hebammen.

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­ almyrener108 und Afrikaner109. Hillel lässt sich nicht aus der P Ruhe bringen, ja bestärkt den Jungen noch im Fragen, sodass dieser sein Geld verliert. Anders als Schammai habe Hillel auch jene Menschen als Proselyten akzeptiert, die nur die schriftliche Tora anzunehmen bereit waren oder unter der Voraussetzung kamen, Hohepriester zu werden. Die Diskrepanz zwischen ihm und Schammai, der diese Personen vertreibt, besteht jedoch nicht in inhaltlicher Differenz. Auch Hillel macht auf den Wert der mündlichen Überlieferung aufmerksam und belehrt über die Besonderheit des Hohepriestertums. Aber anders als Schammai tut er dies durch geduldige Überzeugungskraft, indem er die Bewerber durch die Schrift und die Logik überzeugt. Für das Lehrideal ergibt sich daraus ein Gesamtbild, das auf Geduld und Überzeugungskraft aufbaut und weniger auf Strenge und Druck.110 Ähnliches finden wir im späten Midrasch Qohelet Rabba 7.8.2 zu den amoräischen111 Größen Rav und Schmuel. Ausgangspunkt ist der Bibeltext Koh 7,8, wo es heißt: »Besser das Ende einer Sache als ihr Anfang; besser ein Langmütiger als ein Aufbrausender.« Dazu wird u.a. angeführt: Ein Perser kam zu Rav und sagte zu ihm: Lehre mich Tora! Er sagte ihm: Sag Aleph! Dieser erwiderte: Wer sagt, dass

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Trübe Augen wegen des Sandes. Weiße Fußsohlen aufgrund des Sumpfes. Vgl. Avot de-Rabbi Natan A 15; B 29. Die Bezeichnung amoräisch bzw. tannaitisch ist traditionell und geht bereits auf rabbinische Zeit zurück. Unter den Tannaiten versteht man die Gelehrten der mischnaischen Periode ab 70 bis ins frühe 3. Jh., dann folgt die amoräische Periode bis etwa 500. Sie wird wieder ergänzt durch die savoräische Epoche (6. und 7. Jh.) und später die gaonäische.

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dies ein Aleph ist? Andere könnten meinen, dass es keines ist. – Sag Bet!, worauf er erwiderte: Wer sagt, dass dies ein Bet ist? Rav schrie ihn an und schickte ihn ärgerlich weg. Er kam zu Schmuel und sagte zu ihm: Lehre mich Tora! Er antwortete ihm: Sag Aleph! Dieser erwiderte: Wer sagt, dass dies ein Aleph ist? – Sag Bet!, worauf er erwiderte: Wer sagt, dass dies ein Bet ist? Der Lehrer packte ihn am Ohr und der Mann schrie auf: Mein Ohr! Mein Ohr! Schmuel fragte ihn: Wer sagt, dass dies dein Ohr ist? Er antwortete: Jedermann weiß, dass dies mein Ohr ist, und der Lehrer erwiderte: Auf dieselbe Weise weiß jedermann, dass dies ein Aleph und dies ein Bet ist. Sofort war der Perser ruhig und empfing [die Lehre]. Besser die Langmut, mit der Schmuel dem Perser begegnete als die Zurechtweisung, die Rav ihm zeigte, denn dann wäre der Perser zu seiner schlechten Natur zurückgekehrt. Darüber steht geschrieben: »Besser ein Langmütiger als ein Aufbrausender!«

Eine ganze Reihe von Beispielerzählungen illustriert auf drastische Weise die Bandbreite des Vorbildes der Rabbinen. Dazu gehören etwa die unterschiedlichen Märtyrergeschichten.112 Eine der einprägsamsten ist die Erzählung über Chanina ben Teradjon in bAvoda Zara 18a113: Es lehrten die Rabbanan: Als R. Jose ben Qisma krank war, ging R. Chanina ben Teradjon ihn besuchen. Dieser fragte ihn: Mein Bruder Chanina, weißt du denn nicht, dass dieses 112 Vgl. dazu auch Jeffrey L. Rubenstein, Rabbinic Stories (Mahwah, NJ

2002), S. 207–228.

113 Übersetzung nach Günter Stemberger, Der Talmud. Einführung – Texte –

Erläuterungen (München 1982), S. 185f.

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Volk (Rom) vom Himmel her zur Herrschaft bestimmt ist? Denn es hat seinen Tempel zerstört, sein Heiligtum verbrannt, seine Frommen getötet und seine Guten zugrunde gerichtet, und dennoch steht es fest da. Und ich habe über dich gehört, dass du sitzt und dich mit der Tora befasst und öffentliche Versammlungen abhältst und eine Torarolle am Herzen trägst. Er antwortete ihm: Vom Himmel her (durch göttliche Eingebung) werden sie Erbarmen haben. Dieser antwortete ihm: Ich sage dir vernünftige Worte, und du antwortest mir, vom Himmel her werden sie Erbarmen haben?! Es würde mich wundern, wenn sie nicht dich und die Torarolle im Feuer verbrennen werden! Er fragte ihn: Rabbi, was ist mir für das Leben der kommenden Welt (bestimmt)? Dieser fragte zurück: Hast du einmal etwas Besonderes getan? Er antwortete ihm: Purimgeld habe ich mit (gewöhnlichem) Armengeld verwechselt und (Ersatz dafür aus Eigenem) den Armen ausgeteilt. Da sagte er zu ihm: Wenn dem so ist, möge mein Teil von deinem Teil sein, und mein Los von deinem Los! Man sagt: Wenige Tage später starb R. Jose ben Qisma und alle Großen Roms gingen zu seinem Begräbnis und betrauerten ihn mit großer Trauer. Und auf ihrem Rückweg trafen sie R. Chanina ben Teradjon an, wie er dasaß und sich mit der Tora befasste und öffentliche Versammlungen abhielt und eine Torarolle am Herzen trug. Da brachten sie ihn mit, wickelten ihn in eine Torarolle und umgaben ihn mit Bündeln von Zweigen, die sie anzündeten. Und sie brachten Wollsträhnen, tauchten sie in Wasser und 101

legten sie auf sein Herz, damit er nicht zu schnell sterbe. Seine Tochter sagte zu ihm: Vater, so muss ich dich sehen! Er antwortete ihr: Wenn ich allein verbrannt würde, würde es mir schwer werden. Nun aber, da ich verbrannt werde, und die Torarolle mit mir, wird der, der die Demütigung der Torarolle ahndet, auch meine Demütigung ahnden. Da fragten ihn seine Schüler: Rabbi, was siehst du? Er sagte ihnen: Das Pergament verbrennt und die Buchstaben fliegen davon. Öffne doch deinen Mund, damit das Feuer in dich kommt (und du schneller stirbst)! Er antwortete ihnen: Es ist besser, dass der das Leben nimmt, der es gegeben hat, und man sich selbst keinen Schaden zufügt. Da sagte der Henker zu ihm: Rabbi, wenn ich die Flammen größer mache und die Wollsträhnen von deinem Herzen nehme, bringst du mich dann in das Leben der kommenden Welt? Er bejahte es ihm. – Schwöre es mir! – Er schwor es ihm. Sogleich vergrößerte er das Feuer und nahm die Wollsträhnen von seinem Herzen, so dass er schnell starb. Da sprang auch (der Henker) und fiel ins Feuer. Und eine Himmelsstimme ging aus und sagte: R. Chanina ben Teradjon und der Henker sind für das Leben der kommenden Welt bestimmt. Rabbi weinte und sagte: Einer erwirbt seine Welt in einer Stunde, und ein anderer erwirbt seine Welt in vielen Jahren.

Die Erzählung stellt zwei völlig unterschiedliche Persönlichkeiten gegenüber. Jose ben Qisma repräsentiert die nüchterne Haltung eines politischen Realisten, der sich mit den übermächtigen Römern arrangiert. Chanina hingegen provoziert sie mit seinem Verhalten, öffentlich Tora zu lehren. 102

Sein Tod ist aufwühlendes Zeichen der Bindung an die Tora, die hier zwar ins nächste Leben geleitet und dort einen »sicheren« Platz garantiert, das diesseitige Leben jedoch nicht vor Bedrohung bewahren kann. Man mag den Text als einen Hinweis darauf verstehen, dass es besser sei, als Märtyrer mit der Tora am Herzen zu sterben, als sie nicht öffentlich lehren zu können. Man kann die fliegenden Buchstaben als Symbol der über den Tod hinaus erhaltenen Tora, vor allem der mündlichen Tora verstehen, die nicht zerstört werden kann. Man muss jedoch auch zulassen, dass die Haltung Chaninas gerade in ihrer Radikalität als problematisch angesehen werden darf. Denn hier wird die Tora zum provokativen Zeichen, zur bewussten Herausforderung der anderen ge- oder vielleicht sogar missbraucht. Immerhin ist auch R. Jose ben Qismas eher pragmatische Haltung nicht als unehrenhaft gezeichnet und steht als Alternative im Raum. Die babylonische Tradition sieht auch R. Aqivas Tod in enger Verbindung mit seiner Lehrtätigkeit. In bMenachot 29b wird die oft zitierte Geschichte erzählt, wonach Mose im Himmel Gott dabei vorfindet, die Tora mit Krönchen auszustatten. Mose gegenüber erklärt er, dass am Ende der Generationen R. Aqiva jedes einzelne davon mit einer Fülle von Halakhot auslegen werde. Daraufhin lässt er Mose in die 18./achte Reihe114 des Lehrhauses des Aqiva setzen, wo er zunächst nichts versteht, bis den Schülern versichert wird, dass es sich um die Tora des Mose handle, die ihm am Sinai gegeben wurde. Mose wendet sich dann wieder an Gott und fragt, warum dieser die Tora ihm und nicht Aqiva gegeben habe, der doch dafür viel geeigneter erscheint. Aber Gott mahnt ihn zur Ruhe, da es ihm eben genauso in den 114 Hier differieren die Mss bzw. die Druckausgaben.

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Sinn gekommen sei. Dies geschieht ein zweites Mal, als Mose nachfragt, was das Schicksal dieses großen Toralehrers sei, worauf Gott ihm das furchtbare Ende Aqivas vor Augen führt und ihn nach der Frage: »Das ist die Tora und das ist ihr Lohn?!« mit dem Argument stillschweigen lässt: »So ist es mir in den Sinn gekommen!« Aqiva ist hier der große Lehrer, der begnadete Ausleger und Weiterentwickler einer Tora, die ihre Wurzeln vom Sinai nie verleugnen darf, auch wenn sie selbst der eigentliche Empfänger, Mose, nicht mehr als die seine erkennt. Entscheidend ist zum einen, dass die Tora, so frei sie sich auch entwickeln und geänderten Bedingungen angepasst werden muss, immer in einem geordneten Rahmen der Tradition bleibt, die bis an den Ursprung zurückreicht. Zum anderen wird R. Aqivas Schicksal mit den gleichen Worten wie die Gabe der Tora als freie Willensentscheidung Gottes bekundet. Rubenstein bemerkt dazu: … is the story a failed theodicy or a protest against the unjust suffering of the righteous? The greatest Torah scholar ever, perhaps greater even than Moses, suffers the cruelest death, and yet God gives no explanation. God takes great care for his Torah, meticulously adding crowns to each individual letter, but apparently cares less about those who dedicate their lives to it. Does the story teach that one should not complain against undeserved suffering because there is unmerited reward as well? … Or is the story a daring statement that there is not necessarily a reward for Torah?115

In bBerakhot 61b heißt es über Aqiva, dass er öffentlich Studierende versammelte und sich mit der Tora beschäftigte, als 115 Rubenstein, Rabbinic Stories, S. 216.

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Rom dies verbot. Hier ist es allerdings nicht sein besonnener Kollege Jose ben Qisma, der ihn darauf anspricht, sondern Pappos ben Jehuda, ein Gelehrter des 2. Jh.s, der nicht als Rabbi angeredet wurde und einen zweifelhaften Ruf genoss.116 Boyarin möchte ihn gerne als Christen deuten.117 Aqiva antwortet ihm mit einer berühmten Fuchsparabel. Ein Fuchs macht darin den Fischen den Vorschlag, auf sicheres Land zu fliehen, um den Netzen zu entkommen. Doch die Fische lehnen verständlicherweise ab. Aqiva legt das Gleichnis so aus: Wenn dies unser Schicksal ist, wenn wir sitzen und die Tora studieren, von der es heißt: »denn sie ist dein Leben und die Länge deines Lebens« (Dtn 30,20), um wie viel mehr (gilt dies), wenn wir sitzen und sie vernachlässigen.

Größer könnte der Kontrast nicht sein zwischen der Leben spendenden Tora und dem Schicksal des Juden, der an ihr festhält, auch wenn es ihm das Leben kostet. Jüdische Identität bedarf der Tora genau wie die Fische des Wassers bedürfen, andernfalls sterben sie, unabhängig davon, ob sie gefangen werden oder nicht. Die Tora ist und bleibt das Element, in dem man sich aufhalten muss, um überhaupt am Leben bleiben zu können. Auf diese Episode folgt die Schilderung der Gefangennahme und des Todes Aqivas. Beim Martyrium sind seine Schüler anwesend und fragen, ob es wirklich so weit kommen müsse. Er aber antwortet mit einer Anknüpfung an das Schema-Israel, dessen Gebot, Gott 116 Vgl. zu seiner Verbindung mit Jesus im Talmud Peter Schäfer, Jesus im

Talmud (Tübingen 22010), S. 31–36.

117 Daniel Boyarin, Dying for God (Stanford 1999), S. 103–105.

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zu ­lieben »mit ganzer Seele« er jetzt vollbringen könne. Er stirbt, als er das »echad« spricht (»Schema Israel, JHWH unser Gott, JHWH ist echad/einer« – Dtn 6,4). Die Dienstengel schreien mit denselben Worten, die Mose in bMenachot 29b äußerte, auf: »Das ist die Tora und das ist ihr Lohn!?« Gottes Beruhigung besteht in einem Bibelzitat (»Ihr Anteil ist Leben«), das aus Ps 17,14 stammt und dort vor Menschen warnt, die in dieser Welt schon alles »erlebt« haben. Eine Himmelsstimme bestätigt, dass Aqiva bereits in der kommenden Welt angelangt ist. Die Variante des Jeruschalmi in jBerakhot 9,5,14b schildert den Zusammenhang von Schema-Israel und Martyrium noch anschaulicher. Ich erwähne hier erneut, dass dieses Schema-Israel zum Grundbestand des Studiums gehört. Als R. Aqiva vor dem Richterstuhl des Schurken TurnusRufus gestellt wurde, kam die Stunde des Schema-Rezitierens. Da begann er das Schema zu rezitieren und lachte dabei. Darauf sagte er (= Turnus-Rufus) zu ihm: Alter, entweder bist du ein Zauberer oder du erträgst die Schmerzen mit Widerspenstigkeit. Er entgegnete ihm: Möge die Seele diesen Mann verlassen! Weder bin ich ein Zauberer noch ertrage ich die Schmerzen in Widerspenstigkeit, ich habe vielmehr alle Tage meines Lebens diesen Vers rezitiert und es tat mir Leid, wenn ich mir sagen musste: Wann wird es möglich sein, diese drei zu erfüllen: »Du sollst den Herrn, deinen Gott lieben, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all deiner Kraft« — ich liebte ihn mit ganzem Herzen, ich liebte ihn mit all meinem Vermögen, aber »mit ganzer Seele« hat er mich nicht auf die Probe gestellt. Nun fällt »mit ganzer Seele« mit der Zeit des Schema-Rezitierens zusammen – und mein Verstand wurde nicht geschwächt! Deshalb rezitiere ich 106

das Schema und lache dabei. Er hatte nicht zu Ende gesprochen, da hauchte er schon seine Seele aus.

Damit schließt sich der Kreis. Das Schema-Israel, das einstmals ganz zu Beginn des Studiums erlernt wurde, steht auch an dessen Ende und wird erst hier in seiner ganzen Fülle »gelebt«. »Lebenslanges Lernen« bekommt an dieser Stelle eine ganz neue Bedeutung. Boyarin deutet sie im Zusammenhang mit den Bekenntnissen christlicher Märtyrer (»Christianus sum«)118 als kollektive Identität der jüdischen Märtyrer im Bekenntnis des einen Gottes. Es bleibt allerdings zu fragen, ob damit der Fokus weg von einem Einstehen für Tora und Lehre hin zu einer Bekenntnisgemeinschaft der Zugehörigkeit zu einem einzigen Gott gerückt ist, die in späterer Folge auch mystisch aufgeladen wird und vor allem die aschkenasische Märtyrertradition stark beeinflusst. An dieser Stelle sei mir ein winziger Exkurs in die Literatur gestattet. Ernst Sommer hat in seinem vielleicht bedeutendsten Roman, »Botschaft aus Granada«,119 im Blick auf die Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 in einer eindrucksvollen Episode die Entscheidung Abraham Seniors, eines Mitglieds des rabbinischen Gerichts in Kastilien, zum Christentum zu konvertieren, als Versuch dargestellt, das Leben als zentrale Auf-Gabe des Judentums zu verteidigen. In einem Dialog mit Rabbi Isaak Aboab verteidigt Aboab die Funktion des Leids als Opfer für Gott, während Senior 118 Ebd. 108f. 119 Botschaft aus Granada (Wien – Hamburg 1987 = Leipzig – Mährisch Ost-

rau 1937). Vgl. dazu meinen Beitrag: Ernst Sommers Roman »Botschaft aus Granada«, in: Anna-Dorothea Ludewig/Hannah Lotte Lund/Paola Ferruta, Hg., Versteckter Glaube oder doppelte Identität? Das Bild des Marranentums im 19. und 20. Jahrhundert (Hildesheim u.a. 2011), S. 173–198.

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auf die Lehre des Judentums, nach der Tora Gottes zu leben und nicht zu leiden oder zu sterben, pocht. Hier ein kleiner Ausschnitt: Senior verzog seinen Mund zu einem bitteren Lachen. »Gott hat Moses die Lehre gegeben. Wozu hat er sie ihm gegeben?« »Damit man nach ihr lebe.« »Du sagst leben. Israel durfte nach dieser Lehre seit fünfzig Generationen nicht mehr leben. Es konnte höchstens nach ihr sterben.« »Wir sind Gottes Volk. Darum müssen wir uns ihm auch zum Opfer bringen.« »Gott sprach: Ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer.« ... Senior betrachtete den winzigen Greis wohlwollend und wie man eine kostbare Rarität betrachtet, von der man sich trennen muß. »Ich werde dir ein Geheimnis verraten, Rabbi Isaak. Es ist gewiß Seligkeit für den Frommen, Gott zu dienen und sich für ihn erwürgen zu lassen. Aber was muß es erst für Seligkeit sein, frei durch die Jahrhunderte zu gehen, mit heilen Gliedern, ungeduckt, ohne gelben Fleck und nur auf seine Lust bedacht!«120

Ich will diese Stelle nicht näher kommentieren, da sie einfach zum Nachdenken anregen soll und wende mich einem weiteren role model zu. Die Erzählung der Anfänge des Studierens wird z. B. bei Aqiva121 oder eben bei dessen schon 120 Sommer, Botschaft aus Granada, S. 299–301. 121 Vgl. beispielsweise bNedarim 50a.

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mehrfach erwähnten Lehrer Eliezer ben Hyrkanos dazu verwendet, das Ideal des Studiums einzuprägen: In Tanchuma B Lekh Lekha 10 heißt es:122 Eine Erzählung über R. Eliezer ben Hyrkanos, der der Sohn eines Stadtrates war. Sein Vater war angesehen bei der Regierung und den Heeresoberen. Irgendwann ging der Vater des R. Eliezer an einen anderen Ort. Als er spürte, dass sie kommen, sagte er zu seinen Söhnen: Lasst uns aufbrechen und vor ihnen fliehen! Sofort rief er seine Knechte und Diener. Er sagte: Bringt mir das Vieh und die Kamele! Und sie luden die Gefäße auf das Vieh, und Hyrkanus und seine Söhne flohen. Aber R. Eliezer ging nicht mit seinem Vater, sondern floh nach Jerusalem. Und er nahm keinen Kikkar (60 Minen) und keine Mine (100 Schekel) (Geld) mit und gar nichts, sondern erreichte Jerusalem als Armer. Er sah Rabban Jochanan be����������������������������� n Zakkai sitzen und Tora lehren; seine Schüler saßen vor ihm im (Auslegungs-)Kapitel (vertieft). Als sie mit ihrem Kapitel fertig waren, lehrte er sie eine Haggada und danach Mischna. Er trat ein und saß vor Jochanan ben Zakkai. Er arbeitete mit ihm zwei oder drei Wochen. Und er sprach zu den Schülern hin, und sie rochen seinen schlechten Mundgeruch und hielten sich abseits und sprachen nicht. Ein wiederholtes Mal redete er, und sie hielten sich abseits und sprachen nicht. Rabban Jochanan ben Zakkai wusste, dass der Mundgeruch nicht wegen etwas Schlechtem in seinem Mund entstand, sondern aufgrund des Hungers, weil er nichts aß. Rabban Jochanan ben Zakkai 122 Der Text ist in den verschiedenen Handschriften und Druckausgaben un-

terschiedlich überliefert. Hier halte ich mich im Wesentlichen an die in Ma’agarim benutzten Mss Oxford Neubauer 154 und Vat. Ebr. 34.

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sagte zu den Schülern: Bei eurem Leben, untersucht die Sache, und findet heraus, was mit diesem Schüler los ist, ob er hungrig ist und was er isst. Sie gingen durch Jerusalem und fragten die Gastwirte: Gibt es hier einen Chaver als Gast/ Fremden? Sie antworteten: Nein. Sie kamen zu einer Frau und fragten sie: Gibt es hier einen Chaver als Gast/Fremden? Sie sagte zu ihnen: Ja. Hat er irgendetwas hier? Sie sagte zu ihnen: Er hat einen Sack hier. Sie sagten zu ihr: Zeig ihn uns. Sofort brachte sie ihn. Sie öffneten ihn und fanden in ihm Staub, in den er seinen Kopf zu stecken pflegte, um daran wie an Wein zu saugen. Sie gingen und erzählten es Rabban Jochanan ben Zakkai, und er staunte über die Sache. Und er erkannte, dass er in Bezug auf R. Eliezer recht hatte, dass er nicht von jemandem verlangte: Gib mir etwas? Dann besorgte er viel Geld für R. Eliezer, damit dieser gute Speisen essen konnte, wie er es gelernt hatte in seines Vaters Haus, sodass er schön aß und trank, bis er von seinem Mundgeruch geheilt war. Er diente vor Rabban Jochanan ben Zakkai ein Jahr und zwei und drei Jahre, bis der Vater von R. Eliezer an seinen Ort zurückkehrte. Nachdem er an seinen Ort gekommen war, blieb er einen Monat und zwei, aber R. Eliezer, sein Sohn, kam nicht. Es war ihm schlecht und er sagte, dass er ihn zurückgelassen habe und er (deshalb) nach Jerusalem ging. Und die Brüder R. Eliezers sagten zu ihrem Vater: Sieh, was Eliezer, dein Sohn, getan hat! Er hat dich verlassen und ist nach Jerusalem gegangen, um Leckereien zu essen, und du hast dein Heim verlassen und bist in die Fremde gegangen. Wenn (dir) etwas Böses geschehen würde, würde er nicht springen, um das Erbe zu nehmen? Und was ist zwischen uns und deinem Sohn? Wir haben für dich unser Leben gegeben und dich nicht verlassen, und er ist nicht gekommen, um dich in deiner Sorge anzusehen. Und jetzt: wenn er hört, 110

dass dir irgendetwas Böses zugestoßen ist, wird er sofort zu uns kommen und seinen Teil von uns fordern. In dieser Stunde sagte er ihnen: So und so ist (klar), dass er von uns nichts erbt. Sie sagten zu ihm: Wenn du gestorben bist, willst du ihn dann enterben? Er sagte zu ihnen: Ruft mir nach einer Schreibtafel und ich enterbe ihn. Sie sagten zu ihm: Es führt zu nichts. Es gibt in Jerusalem einen Nasi, sein Name ist Rabban Jochanan ben Zakkai, er wird ihm helfen. Und wenn du gestorben bist, wird er uns sicher vor Gericht bringen, und er wird sagen: Wer hat gesagt, dass ihn sein Vater enterbt hat? Und wir werden ein Schriftstück herausbringen, und er wird sagen: Es ist eine Fälschung. Ihr habt es angefertigt, und wir kommen in die Hände der Gerichte. Er sagte zu ihnen: Weil ihr so mit mir gesprochen habt, werde ich ihn vor Rabban Jochanan ben Zakkai, der ihn verehrt, enterben. In dieser Stunde setzten ihn seine Söhne auf einen kleinen Wagen, und er erreichte Jerusalem am Schabbateingang. Er sagte: Ich werde ihn nur im Lehrhaus enterben. Wann? In der Stunde, wenn die ganze Gemeinde eintritt. Er trat ein und setzte sich im Lehrhaus. Und es traten alle Israeliten aus Jerusalem nach ihrer Gewohnheit ein, um die Auslegung zu hören, die R. Eliezer öffentlich auf dem Stuhl darbieten würde. Und der Chazzan stand vor ihm. Sein Vater sah ihn, eingewickelt in seinen Tallit und seine Gebetsriemen auf dem Kopf. Sofort erschrak er, weil er dachte, dass er auf die schiefe Bahn gekommen sei. Als er ihn sah, auf dem Stuhl sitzend und auslegen, stellte sich Hyrkanos auf die Bank. Und er sprach vor den Söhnen Jerusalems: Ich bin nach Jerusalem nur heraufgestiegen um dich, meinen Sohn Eliezer, zu verstoßen und dich vom Erbe auszuschließen. Jetzt aber will ich dir zwei Teile mehr als deinen Brüdern geben. Welchen Schriftvers hat R. Eliezer in dieser Stunde ausgelegt? 111

Unsere Weisen sagten: Den Schriftvers »Und es geschah in den Tagen Amrafels« (Gen 14,1). R. Eliezer ben Hyrkanos erläuterte: Das bezieht sich auf »Ihr Schwert dringe in ihr eigenes Herz etc.« (Ps 37,15).

Die Erzählung macht deutlich, dass der unbändige Wunsch nach Lehre sich auch gegen alle Widerstände letztlich durchsetzt, dass er trotz anfänglicher Armut auch aus dem materiellen Schlamassel herausführt und dass auch der Vater, mit dem man gebrochen hat, sich versöhnt, mehr noch, sogar als stolzer Bewunderer dasteht, während die Neider und Hasser bestraft werden. Eliezer verhält sich dabei einerseits bescheiden und zurückhaltend, was das Studium angeht jedoch äußerst aktiv. Es wäre reizvoll, die Varianten dieser Erzählung weiter daraufhin zu untersuchen, wie sehr sie sich unterscheiden und welche Schlüsse man daraus für die Darstellung des role models des Lernwilligen ziehen kann,123 doch will ich dies an dieser Stelle bewenden lassen und nur noch kurz das Lebensende Eliezers in den Blick nehmen. Hier gibt er den Schülern, die ihn, den Todkranken besuchen, folgenden Rat: Geht hin, und jeder von euch soll sich um die Ehre seines Kollegen kümmern. Wenn ihr betet, wisst, vor wem ihr steht um zu beten. Denn dadurch werdet ihr das Leben in der zukünftigen Welt erwerben. (Avot de-Rabbi Natan A 19.7) 123 Pirqe de-Rabbi Eliezer 1–2; Avot de-Rabbi Natan A 6.22–32; B 13.4–21;

Genesis Rabba 42.1. Vgl. dazu den zu ergänzenden und teilweise zu korrigierenden Versuch von Zipora Kagan, Divergent Tendencies and their Literary Moulding in the Aggadah, in: Scripta Hierosolymitana 22 (1971), S. 151–170.

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Die zwei Ebenen, die Ehre der Kollegen und die Ehre Gottes, gehören untrennbar zusammen. Von dieser Ehrerbietung spricht auch das nächste Beispiel, das ich erwähnen möchte. Es handelt sich um eine anschauliche Erzählung über Rabbi Eleazar in bTaanit 20ab (vgl. Avot de-Rabbi Natan A 41.10–13): Der große Gelehrte hat einst einen hässlichen Menschen nicht gegrüßt und muss schmerzlich über dieses Fehlverhalten belehrt werden, das ihm beinahe den Ruf eines Lehrers kostet. Die Geschichte bietet ihre »Moral« deutlich an, sodass sich ein Kommentar erübrigt: Einmal kam Eleazar ben Schimon124 aus Migdal Gedor, [aus dem Haus seines Lehrers], und er ritt [auf seinem Esel] das Ufer entlang, [hoch]vergnügt in großer Freude/beschwingt, denn er hatte viel Tora gelernt. Da begegnete ihm ein ausgesprochen hässlicher Mann, [der ihn grüßte: Friede mit dir, Rabbi! Er aber erwiderte den Gruß nicht und sagte stattdessen zu ihm:] Unnötiger, wie hässlich du bist! Sind alle in deiner Stadt so hässlich wie du? Der Mann antwortete: [Ich weiß nicht, aber geh und] sag dem Handwerksmeister, der mich gebildet hat (Gott): Wie hässlich ist das Gefäß, das du gemacht hast! Als Eleazar erkannte, dass er falsch gehandelt hatte, stieg er vom Esel, verneigte sich vor dem Mann und sagte zu ihm: Ich unterwerfe mich dir, verzeih mir! Der Mann antwortete: Ich will dir nicht verzeihen, ehe du zum Handwerksmeister gehst, der mich gebildet hat und ihm sagst: Wie hässlich ist 124 Nach der Ms Herzog ( Jemen, 17. Jh.), die Ma’agarim zugrunde legt und in

Avot de-Rabbi Natan A ist es Schimon ben Eleazar. Die eingeklammerten Passagen fehlen dort. Der hier übersetzte, in den Drucken überlieferte Text ist, wie man sehen kann, etwas länger und gerade in Bezug auf die Betonung des Lernens und Lehrens breiter.

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das Gefäß, das du gemacht hast! Er (Eleazar) ging hinter ihm etwa eine halbe Meile her, bis/als sie seine Heimatstadt erreichten und die Bewohner seiner Stadt herauskamen und ihn mit den Worten begrüßten: Friede sei mit dir, Rabbi[, Rabbi, Lehrer, Lehrer!], da fragte sie der Mann: Wen nennt ihr »Rabbi[, Rabbi]?« Sie antworteten ihm: Den Mann, der hinter dir geht. Darauf rief er aus: Wenn dieser Mann ein Rabbi ist, so möge es keine mehr wie ihn in Israel geben! Sie fragten ihn: Warum? Er antwortete: So und so hat er an mir gehandelt: Sie sagten zu ihm: Vergib ihm trotzdem [, denn er ist ein großer Mann in der Tora]. Er antwortete ihnen: Ich will ihm [um euretwillen] vergeben, und unter der Bedingung, dass er in Zukunft niemals mehr so handelt. Bald darauf trat R. Eleazar b. R. Schimon ins Lehrhaus und erläuterte: Ein Mann sollte immer weich sein wie ein Schilfrohr und nie so hart wie eine Zeder. Aus diesem Grund ist das Schilfrohr ausersehen, dass aus ihm die Feder gemacht wird, um die Tora damit zu schreiben, [die Gebetsriemen und die Mezuzot].

Nachum aus Gamzu (jPea 8,9,21b; bTaanit 21a) wiederum bestraft sich auf drastische Weise selbst dafür, dass er einmal einem Armen nicht rechtzeitig geholfen hat, der dann gestorben war. Aus Sühne lässt er sich Hände und Füße amputieren und die Augen ausstechen und wird so zum drastischen körperlichen Lehrtext dafür, was es heißt, das Unrecht zu sehen und nicht zu laufen, um die Hände zu reichen. Wie man sehen kann, lernt man an Vorbildern, an Gegensätzen und auch an Negativbeispielen. Die rabbinische Literatur ist voll von Beispielen für positive role models, aber auch von Erzählungen, die als Warnungen zu deuten sind, um daraus das richtige Verhalten abzuleiten. 114

An Esau, dem Zwilling Jakobs, wird vor Augen geführt, wie jemand, der »aus gutem Haus kommt«, durch sein Verhalten das Ideal des rabbinischen Menschen konterkariert. Dabei legt die rabbinische Literatur, wie ich schon bemerkt habe, Wert darauf, zu betonen, dass Esau eine Ausbildung erhalten habe (Genesis Rabba 63.10). Diese kann jedoch sein schon im Mutterleib virulentes negatives Verhalten auf Dauer nicht korrigieren. Ich habe in meinem Sammelband »Esau – Bruder und Feind«125 auf die Bedeutung Esaus für eine rabbinische Identitätskonstruktion hingewiesen und gezeigt, dass Esau in der rabbinischen Darstellung nicht nur als Folie für Rom gesehen werden darf, sondern die Grenzüberschreitung vom Bruder zum Feind – vor allem durch sein Verhalten – widerspiegelt. Jeder Einzelne in Israel wird gewarnt, nicht seinem Vorbild zu folgen. In der Gegenüberstellung mit Jakob wird gleichzeitig betont, dass auch für Letzteren gilt, dass er nach seinem Verhalten beurteilt wird. Wenn sich also Jakob von seinem Weg, der von Torastudium und rechtem Handeln geprägt sein soll, abwendet, wird Esau zu Recht Macht über ihn ausüben. In Genesis Rabba 65.20 wird deutlich gemacht, dass die »Stimme Jakobs« nicht versiegen darf, um Esau nicht die Herrschaft zu ermöglichen. Diese Stimme ist gleichbedeutend mit dem richtigen oder falschen Reden, mit der Warnung zur Umkehr, dem Gebet und letztlich dem lauten Lernen. Fehlt »die Stimme«, dann nimmt in einem übertragenen Sinne Esau Besitz von Israel. Selbst Mose ist vor Kritik der Rabbinen nicht gefeit. Mehrfach wird sein Zorn angesprochen. In Avot de-Rabbi Natan A 1.25–26; B 1.19–20 heißt es, dass Mose die Selbstkontrolle nach der Schlacht gegen die Midianiter (Num 125 Esau – Bruder und Feind (Göttingen 2009), v.a. S. 74–93.

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31,14) verloren habe, als er sich über das falsche Verhalten der Militärführer ärgerte. In Num 31,21 heißt es: »Der Priester Eleasar sagte zu den Männern, die von dem Kriegszug zurückgekehrt waren: Das ist die gesetzliche Verordnung, die JHWH dem Mose aufgetragen hat.« Warum hat nicht Mose selbst gesprochen? Die rabbinische Antwort: Mose war nicht imstande dazu, weil er im Zorn die Worte vergessen hatte. Dies ist Sinnbild für die Lehrer und Schüler. Zorn führt zum Vergessen, einem der bedauernswertesten – und gleichzeitig vertrautesten – Elemente der Bildung. Die enge Verbindung zwischen Mose und der Lehre versteht sich von selbst. Umso bedeutsamer sind jene Texte, die Kritik an Mose üben. Ich habe an anderer Stelle auf die »korrigierende« Funktion des Aaron in diesem Kontext verwiesen,126 weshalb ich hier nur kurz darauf eingehe. Während Mose an manchen Stellen als Sinnbild der Strenge erscheint und von ihm mehrfach berichtet wird, dass er Menschen zurechtgewiesen habe,127 und es in Deuteronomium Rabba 2.2 von ihm heißt, dass er für die strenge Zurechtweisung des Volkes in Num 20,10 von Gott abgemahnt worden war, gilt Aaron – wie bereits erwähnt – als Friedenstifter, als jemand, der auf Menschen zugeht, zwischen ihnen vermittelt und auch im Gericht den Vergleich sucht. mAvot 1.12 erwähnt in diesem Zusammenhang einen Ausspruch Hillels: 126 Vgl. Gerhard Langer, »Der Friedensjäger«. Oder: Aaron, der andere Bruder,

in: Chilufim. Zeitschrift für Jüdische Kulturgeschichte 8 (2010), S. 3–28.

127 Exodus Rabba 51.8; Deuteronomium Rabba 1.5–9; Qohelet Rabba 7.5.1

etc. Vgl. bJoma 75a, wo davon die Rede ist, dass Menschen sich bei Mose einfinden und ihren Nachbarn oder ihren Ehepartner eines Vergehens beschuldigen. Mose vermittelt nicht zwischen den Kontrahenten, sondern lässt das Manna (also gewissermaßen ein Gottesgericht) entscheiden.

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Gehöre zu den Anhängern Aarons, liebe den Frieden und jage dem Frieden nach, liebe die Menschen und bringe sie der Tora nahe.

Die Annäherung an die Tora geschieht hier vor allem durch den Einsatz für den Frieden unter den Menschen. Der kleine außertalmudische Traktat Pereq ha-Schalom 18 schildert, wie Aaron konkret den Streit zwischen Menschen schlichtete. R. Schimon b. Gamaliel sagte: Groß ist der Friede, denn Aaron, der Priester, wurde nur für den Frieden gepriesen; denn er liebte den Frieden, jagte dem Frieden nach, kam mit »Schalom« herein und antwortete mit »Schalom«, wie es heißt: »In Frieden und Aufrichtigkeit ging er mit mir [seinen Weg, und viele hielt er davon ab, schuldig zu werden]« (Mal 2,6) – Das lehrt: Immer, wenn er zwei Menschen sich hassen sah, ging er zu einem von ihnen und sagte ihm: Warum hasst du den NN? Er war schon in meinem Haus, hat sich vor mir verneigt und gesagt: Ich habe gegen diesen NN gesündigt. Geh und mache Frieden mit ihm. Als er diesen verließ, ging er zum anderen und sprach mit ihm wie mit dem ersten, und so stiftete er Frieden, Liebe und Freundschaft zwischen einem Menschen und seinem Gefährten.

Friedenstiftung ist ein durchaus aufwändiges Unterfangen, das auch vor Tricks nicht zurückschreckt, um Menschen zu versöhnen. Diese Aktivität ist der ausgleichende Pol gegenüber der strengen Umsetzung von Gerechtigkeit und Recht, wie sie von Mose verkörpert wird. Hier sei natürlich nicht gesagt, dass Mose als Negativbeispiel fungiert, auch wenn es kritische Töne zu ihm gibt; vielmehr geht es um das Auf117

zeigen der sich ergänzenden Tugenden der Mahnung im Sinne der Gerechtigkeit und des friedvollen Zugehens im Sinne des Versöhnens und Ausgleichens. Während bei Esau und Jakob die Gegensätze stärker in Schwarz-Weiß dargestellt sind – wenngleich es auch hier Ausnahmen gibt –, so zeichnet sich im Vergleich von Mose und Aaron gerade die gegenseitige Ergänzung als das Ideal ab. Einseitigkeit wird kritisch vermerkt. Wer zu viel auf das Wohl der Mehrheit schaut, wie es Aaron tut, dem in Bezug auf die Errichtung des Goldenen Kalbs vorgeworfen werden muss, dem Volkswillen und nicht dem Willen Gottes entsprechend gehandelt zu haben, wird ebenso kritisch betrachtet wie der, welcher in seinem Zorn gefangen ist. Eine besonders schillernde Figur in der rabbinischen Betrachtung von Tora, Lehre und Verhalten ist Elischa ben Abuja128, der in der rabbinischen Tradition auch als Acher (»Anderer«) bekannt ist. In tChagiga 2.3–4 findet sich folgende berühmt gewordene Kurzerzählung: Vier traten ins Paradies ein. Ben Azzai, Ben Zoma, Acher und R. Aqiva. Einer schaute und starb, einer schaute und wurde geschlagen, einer schaute und hieb die jungen Triebe ab, und einer stieg heil hinauf und kam heil herunter. Ben Azzai schaute und starb. Über ihn sagt die Schrift: »Kostbar ist in den Augen des Herrn das Sterben seiner Frommen« (Ps 116,15). Ben Zoma schaute und wurde geschlagen. Über ihn sagt die Schrift: »Findest du Honig, iss nur, soviel dir bekommt, sonst wirst du ihn satt und erbrichst ihn« (Spr 25,16). Elischa schaute und hieb die jungen Triebe ab. Über ihn sagt 128 Vgl. zum folgenden Rubenstein, Talmudic Stories, dort: Elisha ben Abuya.

Torah and the Sinful Sage (Hagiga 15a–15b) = Kap. 3.

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die Schrift: »Lass nicht zu, dass dein Mund dein Fleisch in Sünde stürzt« (Koh 5,5). R. Aqiva stieg heil hinauf und kam heil herunter. Über ihn sagt die Schrift: »Zieh mich her hinter dir! Lass uns eilen! [Der König führt mich in seine Gemächer. Jauchzen lasst uns, deiner uns freuen, deine Liebe höher rühmen als Wein. Dich liebt man zu Recht]« (Hld 1,4).

Auf den ersten Blick kann man in diesem Abschnitt keinen direkten Bezug zur Bildungsdebatte erkennen. Außer dass es vier rabbinisch hochgebildete Männer sind, die sich auf eine abenteuerliche Paradiesesreise machen. Was man sich genau darunter vorzustellen hat, bleibt auch unter Wissenschaftlern umstritten: Two interpretative trends dominate the field. The first suggests that the sages were involved in mystical praxis and the descriptions hint at the nature of their mystical experiences. The second takes the tradition as a parable relating to investigation of esoteric subjects or to various aspects of Torah study.129

Für die Fragestellung nach der rabbinischen Bildungsdiskussion ist die weitere Rezeption des Textes von großem Interesse. So findet sich in jChagiga 2,1,77b–c eine ausführliche Beschreibung zu Elischa ben Abuja. Hier heißt es:

129 Ebd., S. 65. Vgl. auch Peter Schäfer, The Origins of Jewish Mysticism

(Tübingen 2009), S. 196–203. Zu Elischa (und Eleazar ben Arakh) vgl. Alon Goshen-Gottstein, The Sinner and the Amnesiac. Elisha ben Abuya and Eleazar ben Arach (Stanford 2000).

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Wer ist Acher? Elischa ben Abuja, der die Großen der Tora tötete. Sie sagten: Jeden Schüler, den er in die Lehre vertieft sah, tötete er. Und nicht nur das. Er ging auch in das Versammlungshaus, und wenn er dort Kinder vor dem Buch sitzen sah, sagte er: Was sitzen sie da herum? Sie sollen arbeiten! Dieser taugt zum Bauarbeiter, jener zum Tischler, der zum Jäger und jener zum Schneider. Als sie das hörten, verließen sie (den Lehrer) und gingen weg. Über ihn (Elischa) sagt die Schrift: »Lass nicht zu, dass dein Mund dein Fleisch in Sünde stürzt« (Koh 5,5).

Die Ermordung der Schüler wiegt als schwerer Vorwurf, ist auf dem Hintergrund des Folgenden aber vielleicht nicht wörtlich zu nehmen. Johann Maier schrieb Elischa die Haltung zu, dass er die »Überbewertung der unproduktiven« Gelehrten bekämpft habe. Er forderte (durchaus nicht unrabbinisch) eine stärkere Berücksichtigung der Berufsausbildung. In den Augen der Fanatiker aus Akibas Schule war dies Verrat an der Torah.130

Auch wenn man es weniger drastisch formulieren würde, könnte man zumindest einen Teil der negativen Rezeption des Elischa auf seine Einstellung zur Bildung zurückführen. Das Abschneiden der jungen Triebe, von dem in der Tosefta die Rede ist, wird hier auf die Unterbrechung des Studiums bezogen, im schlimmsten Falle auf den tragischen Tod der Kinder, den ich weniger als direktes »Attentat« Elischas 130 Johann Maier, Geschichte der jüdischen Religion. Von der Zeit Alexander des

Großen bis zur Aufklärung mit einem Ausblick auf das 19./20. Jahrhundert (Berlin – New York 1972), S. 210. In der Neuauflage von 1992 kommt diese Passage nicht mehr vor.

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denn als Folge des mangelnden Torastudiums interpretieren möchte. Elischa selbst wird jedoch als überaus gebildet beschrieben. Allerdings nützt er seine Bildung nicht für die richtige Sache. So beschreibt der Jeruschalmi in der Folge, wie Elischa durch seine Halakha-Kenntnisse dazu beiträgt, den Römern zu helfen, am Schabbat Juden zur Arbeit zu zwingen. Er wird danach als weiser Lehrer R. Meirs beschrieben, der sich vor dem Schabbat ausgiebig für dessen Bibelauslegung interessiert und Aqivas Deutung als Alternative vorstellt. Elischa berichtet auch über ein Ereignis anlässlich seiner Beschneidung, als sein Vater die Gelehrten Jerusalems eingeladen hatte. Während die anderen feierten, waren Eliezer und Jehoschua so intensiv mit der Bibelauslegung beschäftigt, dass sie ein himmlisches Feuer wie am Sinai erblicken. Mein Vater Abuja sagte ihnen: Meine Lehrer, wenn die Macht der Tora eine solche ist, will ich meinen Sohn, wenn er mir erhalten bleibt, für die Tora absondern. Weil aber seine Intention nicht auf den Himmel gerichtet war, ist sie (die Tora) bei jenem Mann (mir) nicht erhalten geblieben.

Hiermit bekennt Elischa den Fehler seines Vaters. Die Botschaft ist deutlich: Wer aus anderen Gründen außer um der Tora selbst willen Tora unterrichtet oder lernt, bei dem hat sie keinen Bestand. Elischas Vater dachte an die Karriere seines Sohnes, weshalb dieser zwar gelehrt wurde, aber auf den falschen Wegen wandelt. Erstaunlich ist der abschließende Gesprächsteil mit Meir. Dort nämlich erkundigt sich Elischa noch einmal nach Meirs aktueller Bibelauslegung, die um Ijob 28,17 kreist (»Gold und Glas stehen ihr nicht gleich, kein Tausch für sie ist Goldgerät«). Meir interpretierte dies: 121

Die Worte der Tora sind schwer zu erwerben wie Geräte aus Gold und leicht zu verlieren wie Geräte aus Glas. Wie man Geräte aus Gold und Geräte aus Glas, wenn sie zerbrechen, wieder zusammenfügen und zu Geräten machen kann, die sie einmal waren, so kann auch ein Gelehrter, der seine Lehre vergisst, wieder zurückkehren und sie wie am Anfang lernen.

Dies ist ein unverhohlener Hinweis auf die Möglichkeit der Umkehr – und ein Appell an lebenslanges Lernen (!) –, die gerade auch Elischa offenstehen würde. Doch dieser sagt, er könne nicht, und erklärt, dass er einstmals, als er an einem Jom Kippur, der auf einen Schabbat fiel, am Tempel vorbeiritt, eine Himmelsstimme hörte, die ihm die Umkehr verweigerte: »Kehrt um, ihr abtrünnigen Söhne!« ( Jer 3,22), außer Elischa ben Abuja, denn er kannte meine Kraft und lehnte sich gegen mich auf.

Elischas Auflehnung gegen Gott hat bestimmte Ursachen. Sie liegen im Vertrauen auf die Gerechtigkeit Gottes, die er glaubt, durch Empirie widerlegt zu sehen. So kam ein Mensch unbeschadet davon, der auf eine Palme stieg und gegen das Verbot verstieß, eine Vogelmutter nicht gemeinsam mit ihren Jungen zu nehmen (Dtn 22,7). Ein anderer, der sich daran hielt und die Vogelmutter fliegen ließ und sich mit dem Ei begnügte, wurde am Boden von einer Schlange gebissen. Ebenso habe er die Zunge des toten R. Jehuda im Maul eines Hundes gesehen und daraus geschlossen, dass es keinen Lohn für die Tora gebe. Im ersten Fall legt man Elischa zur Last, die Vorstellung einer jenseitigen Gerechtigkeit ignoriert und im zweiten zusätzlich die Auferstehung infrage gestellt zu haben. Elischas Problem mit 122

der Theodizee wird hier auf sein verkürztes Verständnis der immer noch größeren Macht Gottes gedeutet und hat damit pädagogische Wirkung. Wer daran zweifelt, dass die Welt, wie sie sich oberflächlich darstellt, letztlich von Gottes Gerechtigkeit durchdrungen ist, rührt an Grundfesten des gemeinsamen rabbinischen Konsenses. Die »Wahrheit« liegt hinter dem »Scheinbaren«. Elischa wird vorgeworfen, dass sein Blick zu kurz war und er deshalb in die Irre ging. Und jemand sagte, dass, als seine Mutter mit ihm schwanger war, sie an Götzentempeln vorbeiging und den Geruch daraus aufgenommen hat. Der Geruch drang in seinen Körper ein wie das Gift einer Schlange.

An dieser Stelle merkt man deutlich, wie Elischa zum Acher gemacht wird, zum Anderen. Das Ereignis in Zusammenhang mit den Götzentempeln erinnert an die Episode in Genesis Rabba 63.6, wonach Esau im Mutterleib strampelte, als Rebekka mit ihm an Götzentempeln vorbeikam. In Genesis Rabba 63.11 beklagt Esau anlässlich des Todes von Abraham, dass es keine Gerechtigkeit und keine Auferstehung gäbe. Esau fungiert deutlich in der Rolle des sich entfremdenden Gegenspielers und Zweiflers, die auch Acher zugeschrieben wird. Der Jeruschalmi fährt mit einer Episode am Totenbett Elischas fort. Meir besucht ihn und weist noch einmal auf die Möglichkeit der Umkehr hin, die Elischa anzunehmen scheint. Doch als er begraben wird, kommt Feuer vom Himmel und zündet das Grab an. Dieses Feuer erlischt, als Meir Gottes Erbarmen für Acher erbittet und selbst die Erlösung für ihn ansagt. Interessant ist auch die darauffolgende Frage an Meir: 123

Sie sagten zu R. Meir: Wenn sie zu dir in der kommenden Welt sagen: Wen möchtest du aufsuchen, deinen Vater oder deinen Lehrer? Er sagte zu ihnen: Ich würde zuerst meinen Lehrer aufsuchen und danach meinen Vater. Sie sagten zu ihm: Werden sie auf dich hören? Er antwortete ihnen: Haben wir nicht gelernt: »Man rettet den Behälter einer Schriftrolle mit der Schriftrolle, den Behälter der Gebetsriemen mit den Gebetsriemen« (mSchabbat 16.1)? Man rettet Elischa-Acher durch das Verdienst seiner Tora.

Die Aussage ist eindeutig und mehrschichtig. Sie besagt einmal, dass die Ehre des Lehrers der des Vaters vorausgeht. Sie besagt weiters, dass Elischa ben Abuja durch sein Studium, durch seine Tora, doch letztlich einen Anteil an der kommenden Welt erlangt hat. Auch wenn er in seinem Leben falsch gehandelt hat, so bleibt er ein Gefäß der Tora und wird um ihretwillen gerettet. Dies wird auch in der nächsten Episode bestärkt, als die Töchter Elischas zu Rabbi ( Jehuda ha-Nasi) kommen, um eine Unterstützung zu erbitten. Er will sie ihnen zuerst nicht gewähren, ändert seine Meinung jedoch, als sie ihn ermahnen: »Schau nicht auf seine Taten, schau auf seine Tora!« Der gesamte Abschnitt endet mit der Erkenntnis: Wenn man sieht, was jener, der sich um die Tora nicht um des Himmels wegen bemüht hat, aufgezogen hat (auf die klugen Töchter bezogen), um wieviel mehr gilt es für den, der sich mit der Tora um ihrer selbst willen bemühte.

Die Schlusspointe setzt auf die Wirkung für die Zuhörenden bzw. Lesenden. Es geht letztlich darum, die Tora um ihrer selbst willen zu achten und zu lernen, nicht um daraus irgend124

einen Vorteil zu ziehen oder sich durch sie Ruhm zu verschaffen. Wenn im folgenden Abschnitt R. Leazar davor warnt, sich mit Geheimwissen zu beschäftigen, mag dies eine Reminiszenz auf den »Ausflug« ins Paradies sein, den Elischa nicht unbeschadet übersteht. Darin liegt eine zusätzliche Warnung. Die Tora dient nicht der Erforschung esoterischen Wissens. Diese Sicht ist gleichzeitig rational und ideell. Wissen um des Wissens willen ist wertvoll und um jeden Preis einem irgendwie anders motivierten Erkenntnisgewinn vorzuziehen. Die Variante des Bavli in bChagiga 15ab ist noch ausführlicher und setzt bei gleichzeitiger Übereinstimmung auch deutlich andere Akzente. Sie beginnt »lokal« im »Paradies« und beantwortet einmal die Frage, was Elischa dort gesehen habe, nämlich den obersten Engel Metatron, der saß und die Verdienste der Israeliten in ein Buch schrieb. Elischa habe sich verleiten lassen, daraus zu schließen, dass es zwei Mächte im Himmel gäbe. Metatron wird mit 60 Schlägen gezüchtigt, weil er Elischa Anlass zum Irrtum gab, aber er erhält auch die Erlaubnis, diesen mit dem Edikt zu bestrafen, nicht mehr umkehren zu können. Erst in der Folge beschließt Elischa, sich mangels einer Perspektive des Erreichens der kommenden Welt in der hiesigen auszuleben. Gewissermaßen als Zeichen dieser Abkehr von der Tora kann man seinen Besuch bei einer Prostituierten werten, die ihm den Namen Acher gibt, nachdem er am Schabbat einen Rettich ausreißt und ihr überreicht. Über die engen Zusammenhänge von Sexualität und Tora werde ich unten noch schreiben.131 Das Ausreißen 131 Vgl. zur engen Verbindung von Sexualität und Tora u.a. den Abschnitt

Lusting after Learning: The Torah as »the Other Woman« in Daniel Boyarins Carnal Israel, S. 134–166.

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des Rettichs entspricht jedenfalls dem Abreißen der jungen Triebe in der Tosefta. Ein simples Vergehen am Schabbat symbolisiert die große Wirkung der Abkehr von der Tora. Auch im Bavli wird Elischas Beziehung zu Meir betont, den er zu belehren scheint, indem er auf die Meinungen seines Lehrers Aqiva hinweist. Darunter ist auch die Einsicht, dass ein Gerechter seinen Anteil und den seines Nächsten mit in die kommende Welt nimmt, während der Böse seinen und seines Nächsten Anteil in die Hölle schleppt. Es sei auch R. Aqiva gewesen, der – im Vergleich mit den Gefäßen aus Gold und Glas – auf die dauerhafte Möglichkeit der Umkehr verwiesen hat. Hier zeichnet sich Elischa gerade dadurch als vorbildlicher Lehrer aus, dass er Meir nicht seine eigene Meinung, sondern die eines anderen Meisters lehrt, der – man erinnere sich an Johann Maiers Statement – vielleicht sogar in gewisser Konkurrenz zu ihm steht. Als Meir ihn daraufhin zur Umkehr auffordert, antwortet Elischa wieder mit dem Hinweis auf die Himmelsstimme, die sie ihm untersagt habe. R. Meir führt Acher zu verschiedenen Studierstuben, wo ein Kind jeweils den Vers aufsagt, den es gerade gelernt hat. Diese orakelhafte Befragung der Kinder führt auch nach zwölf Malen zum Ergebnis, dass er nicht umkehren könne und verloren sei. In der 13. deutet das Kind Ps 50,16 (»Zum Schurken aber spricht Gott: Was zählst du meine Gebote auf und nimmst meinen Bund in deinen Mund?«) auf ihn, indem es rescha (Schurke) als Elischa ausspricht. Hier wird nicht nur seine Person, sondern auch Elischas Befähigung zur Lehre angetastet. Daraufhin tötet Elischa das Kind, zerstückelt es und schickt es an die übrigen Schulhäuser; nach anderer Ansicht hat er nur die Intention dazu gehabt, es aber nicht getan. Nach seinem Tod sagen die Engel, er möge zwar wegen seiner Lehre nicht bestraft werden, aber auch keinen Anteil 126

an der kommenden Welt erhalten. Meir hingegen will sein jenseitiges Leben dadurch retten, dass nach seinem eigenen Tod Feuer auf Elischas Grab seine Sünden verbrennt. Der Tod von R. Jochanan hat schließlich noch weitere Konsequenzen, als dieser ihn persönlich aus der Hölle zu geleiten scheint. Die Episode mit den Töchtern Elischas wird im Bavli etwas anders als im Jeruschalmi geschildert. Im Bavli wäre Rabbi der Meinung gewesen, dass Übeltäter keine Nachkommen haben, doch belehrten ihn die Töchter Elischas eines Besseren und ein Feuer vom Himmel droht ihn zu packen. Er antwortet daraufhin in Bezug auf Elischa: Wenn dies jemandem geschieht, der die Tora missachtet, wie viel mehr jemandem, der sie respektiert!

Ein weiterer Abschnitt beschäftigt sich mit der Art der Lehre, die Meir von Elischa erhalten hat. Die grundlegende Frage ist, warum er überhaupt von ihm Tora gelernt hat, da er doch nicht geeignet war. Hierzu heißt es, dass die Lehrer einem Engel im Himmel gleichen müssten (nach Mal 2,7). Schließlich werden weitere Meinungen eingeholt, was Meir gelernt habe. Diese zielen darauf ab, zu betonen, dass R. Meir zwar den Inhalt der Lehre Elischas aufgenommen habe, dass dieser jedoch von der Person und ihrem Verhalten zu trennen sei. Die Worte der Tora werden mit einer Nuss verglichen, deren Schale man wegwirft, oder mit einer Dattel, deren Haut man entfernt. Dies mündet schließlich in eine Begegnung von R. Schila und Elija, in der Elija berichtet, dass Gott keine Lehrmeinungen Meirs zitiert, da dieser von Acher gelernt habe. R. Meir habe einen Granatapfel genommen, gegessen und die Schale weggeworfen. Darauf sagt Gott: 127

Meir, mein Sohn, sagt: Wenn ein Mensch leidet, was sagt die Schekhina? Ich bin leichter als mein Kopf, leichter als mein Arm (euphemistisch für: Ich leide). Wenn sie (also) sagt: Ich bin traurig wegen des Bluts der Schurken, die getötet wurden, um wie viel mehr wegen des Bluts der Gerechten, das vergossen wurde (mSanhedrin 6.5).

Die Unterschiede zum Jeruschalmi sind deutlich, aber auch die Übereinstimmung mit ihm. Es genügt an dieser Stelle, auf Rubensteins detaillierte Analyse zu verweisen. Ich will mich auf die Auswirkungen konzentrieren, die diese Texte für die Frage nach Bildung und Studium haben. Während im Jeruschalmi die Schuld Elischas bis zur falschen Intention seines Vaters und der »Geruchsaufnahme« im Mutterleib zurückreicht und sich vor allem infragen der Theodizee und der Kollaboration mit Rom äußert, lässt der Bavli ihn als Gelehrten erscheinen, dessen Fehlverhalten Folge seines fatalen Irrtums und der darauffolgenden Ablehnung durch Gott ist. Entscheidend ist die Frage nach der Bewahrung des Werts einer Lehre, die aus einer problematischen Quelle stammt. Für den Jeruschalmi ist er ein Gefäß für kostbare Inhalte, das mit dem Inhalt gerettet wird, für den Bavli in gewisser Weise nur die Schale, die weggeworfen wird, deren Inhalt, also die Lehre, jedoch nahrhaft aufgenommen und weiter tradiert werden soll. Dies sieht letztlich auch Gott ein. Die Trennung von Wort und Tat ist problematisch und muss massiv begründet werden. Dies geschieht letztlich wohl auch dadurch, dass gerade der Bavli die Person Elischas zumindest teilweise durchaus sympathisch zeichnet und die Vorgeschichte im Paradies aufklärt. Anders als im Jeruschalmi scheint Elischa auch nicht an Gottes Gerechtigkeit zu zweifeln. Vielmehr entsteht ja gerade sein Verhalten 128

als eine Konsequenz der Anerkennung des himmlischen Verdikts. Dieses ist zwar auch im Jeruschalmi präsent, erscheint dort aber nur als persönliche Erinnerung aus dem Munde Elischas, eingewoben in eine feiertägliche Audition beim irdischen Tempel, nicht für alle Leserinnen und Leser im himmlischen Tempel vor Augen geführt. Im Jeruschalmi wie im Bavli wird Elischa letztlich gerettet und die Tora (auch) aus seinem Munde in ihrem Wert bestätigt. Die Tora Elischas wirkt weiter und hat selbst materielle Auswirkungen, in dem sie den leiblichen Töchtern Elischas Unterhalt sichert. Direkt auf die Erzählung über Elischa folgt im Bavli ein Abschnitt, in dem über die beiden Berater König Davids gehandelt wird, Doëg und Ahitofel, die nach mSanhedrin 10.2 keinen Anteil an der kommenden Welt erhalten. Ohne näher darauf einzugehen, fällt in dieser Diskussion der Unterschied zur Behandlung Elischas auf. David setzt sich hier nämlich gegen Gott massiv gegen jegliche »Begnadigung« Doëgs ein. Dieser ist zwar ein ausgewiesener Experte in der Tora, aber man wirft ihm vor, nur Probleme angerissen zu haben (Rava), nicht nach der Tradition gelehrt zu haben (R. Mescharscheja) bzw. dass diese nicht mit der Halakha übereinstimmte (Mar Zutra) bzw. dass er erst bestraft wurde, nachdem er die Tora vergessen hatte (R. Ami; R. Jochanan). Die letzte Antwort scheint logisch. Wer gänzlich von der Tora getrennt ist – sie also vergessen hat – ist als solcher verloren. Schließlich kann von ihm auch keine Lehre – anders als bei Elischa – weitergegeben werden. Aber die Diskussion zeigt auch auf, dass es unterschiedliche Meinungen über den Wert von Tora gibt. Sie soll sich sowohl in Übereinstimmung mit der Tradition bewegen also auch für die

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Praxis a­ nwendbar sein.132 Rubenstein133 weist auch auf eine 132 Andere Quellen machen sich weitere Gedanken über Doëg und Ahitofels

Schicksal und deren Begründung. Sie sind besonders anschauliche Beispiele für die Wirkung des Verrats, weil sie David nach den Samuelbüchern verraten haben. Gott lässt sie beide mit knapp 30 wegen ihrer Verleumdung sterben (vgl. bSanhedrin 69b; 106b; Deuteronomium Rabba 5.10; Levitikus Rabba 26.2 und Pesiqta de Rav Kahana 4; Numeri Rabba 19.2; Tanchuma Chuqqat 4//Tanchuma B Chuqqat 7 [53ab]; Tanchuma Metsora 2//Tanchuma B Metsora 4 [22b/23a]; Midrasch Psalmen 7.7 sowie jPea 1,1,16a). In Tanchuma Metsora 2//Tanchuma B Metsora 4 (22b/23a) heißt es dazu beispielhaft, dass der Verrat sogar die drei großen Kapitalvergehen übersteigt: »Und Doëg wurde aus dem Leben dieser Welt entwurzelt und (auch) aus allen Leben der zukünftigen Welt, wie es heißt: »Darum wird Gott dich verderben für immer, (dich packen und herausreißen aus deinem Zelt, dich entwurzeln aus dem Land der Lebenden)« (Ps 52,7) – aus dem Leben der zukünftigen Welt. Was ist schwerwiegender: wer mit dem Schwert tötet, oder wer mit dem Pfeil tötet? Sag: Wer mit dem Pfeil tötet! Denn wer mit dem Schwert tötet, kann sein Gegenüber nur töten, wenn er nahe bei ihm ist und ihn trifft. Wer mit dem Pfeil tötet, bei dem ist es nicht so, sondern er schießt den Pfeil ab und tötet ihn überall, wo er ihn sieht. Deswegen wird (der Verleumder) mit dem Pfeil verglichen, wie es heißt: »Ein tödlicher Pfeil ist ihre Zunge« ( Jer 9,7). Und so sagt sie (die Schrift): »Ich muss mich mitten unter Löwen lagern, die gierig auf Menschen sind. Ihre Zähne sind Spieße und Pfeile, ein scharfes Schwert ihre Zunge« (Ps 57,5). Sieh, wie schwer die Verleumdung ist – dass sie schwerer (wiegt) als Blutvergießen und Unzucht und Götzendienst. Von der Unzucht steht geschrieben: »Wie sollte ich da ein so großes Unrecht begehen und gegen Gott sündigen« (Gen 39,9).Vom Blutvergießen steht geschrieben: »Da sprach Kain zu JHWH: Meine Sünde ist größer, als dass ich sie tragen könnte« (Gen 4,13). Vom Götzendienst steht geschrieben: »Ach, dieses Volk hat gesündigt« usw. (Ex 32,31). Aber wenn er die Verleumdung erwähnt, sagt er weder ‚groß‘ noch ‚große(s)‘ (Sg.), sondern ‚große‘ (Plural), wie es heißt: »JHWH vertilge alle falschen Zungen, jede Zunge, die Großes (Pl.) redet.« (Ps 12,4). Deshalb wird gesagt: »Tod und Leben steht in der Gewalt der Zunge« (Spr 18,21). Vgl. auch Seder Elijahu Rabba (Friedmann 107). Nach Midrasch Psalmen 52 wird Doëg wie Miriam mit Lepra bestraft. Nach bSanhedrin 105a wird jedoch auch ihm durch Gottes Einsatz ein Anteil an der kommenden Welt in Aussicht gestellt. 133 Rubenstein, Talmudic Stories, S. 98f.

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Diskussion in bSota 21a hin, wo gefragt wird, ob und wie das Einhalten einzelner Gebote oder/und das Torastudium vor Sünde bewahre und schütze. Hier ist es wiederum Rava, der fragt, ob das Beispiel Doëgs und Ahitofels nicht dagegen spreche, dass das Torastudium grundsätzlich schütze. Seiner Meinung nach müsse es ein aktives sein, um wirklich zu »immunisieren«. Hier gehen die Meinungen auseinander. In jedem Fall zeigt sich die enorme Anstrengung der Rabbinen, den Wert der Tora und des Torastudiums zu betonen und von der Sünde des Menschen abzukoppeln, der sich mit ihr beschäftigt (hat). Die schillernde Darstellung und Beurteilung Elischas ist hier bezeichnend. Wird er auf den ersten Blick geradezu dämonisiert, so eröffnet sich doch bei näherem Hinsehen ein weitaus komplexeres Bild. Der böse Trieb

Eine eigene Kategorie rabbinischer Lehre vom Menschen stellt die Rede vom jetser ha-ra, dem »bösen Trieb« dar. Ishay Rosen-Zvi134 hat die komplexe Entwicklung der Vorstellung eines den Menschen sein Leben lang herausfordernden bösen Triebs und die – seiner Meinung nach – sekundäre Weiterentwicklung in eine Lehre von zwei im Menschen widerstreitenden Trieben135 herausgearbeitet, weshalb ich hier nur 134 Ishay Rosen-Zvi, Two Rabbinic Inclinations? Rethinking a Scholarly Dog-

ma, in: Journal for the Study of Judaism 39 (2008), S. 513–539; Sexualising the Evil Inclination. Rabbinic ‘ Yetzer’ and Modern Scholarship, in: Journal of Jewish Studies 60 (2009), S. 264–281; Refuting the Yetzer: The evil inclination and the limits of Rabbinic discourses, in: The Journal of Jewish Thought and Philosophy 17/2 (2009), S. 117–141. Vor allem jetzt Demonic Desires. »Yetzer Hara« and the Problem of Evil in Late Antiquity (Philadelphia 2011). 135 Gerne wird diesbezüglich auf Genesis Rabba 14.4 hingewiesen: hier wird das in Gen 2,7 verwendete Wort wa-jjitser (»er formte ihn«), weil es mit

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kurz darauf eingehe. In späteren Schriften bekommt der böse Trieb starke sexuelle Akzente. In tannaitischen Texten der Schule Jischmaels tritt der böse Trieb als ein gegen die Tora und das Leben nach der Tora gerichteter innerer Widersacher auf. So will er etwa den aus dem Buch Rut bekannten Boaz dazu verleiten, in der Nacht auf der Tenne mit Rut zu schlafen. Er aber kämpft erfolgreich dagegen an (Sifre Numeri § 88 zu Num 11,6–7). Das entscheidende Mittel gegen den bösen Trieb ist das Studium: Die Schule Jischmaels lehrte: Wenn dich der Widerwärtige überfällt, führe ihn ins Lehrhaus. (bQidduschin 30b)

In Sifre Dtn § 45 heißt es: »Diese meine Worte sollt ihr auf euer Herz legen« (Dtn 11,18) – dies belehrt uns, dass die Worte der Tora ein Lebenselixier sind.136 Dies ist vergleichbar mit einem König, der auf seinen Sohn zornig war, ihn mit einem gewaltigen Schlag traf und seine Wunde dann verband. Er sagte zu ihm: Mein Sohn, solange dieser Verband auf deiner Wunde bleibt, kannst du essen, was du möchtest und trinken, was du möchtest, in heißem oder kalten Wasser baden, und es wird dir nicht schaden. Aber wenn du ihn abnimmst, wird sie sofort eitern. So sagte der Heilige, gepriesen sei er, zu Israel: Ich habe den bösen Trieb erschaffen, und es gibt nichts Schlimmeres als ihn, doch: »Wenn du recht tust, darfst du aufblicken« (Gen 4,7). Beschäftige dich mit den zwei Jod geschrieben steht, auf zwei Triebe (jetser ha-ra und jetser ha-tov) gedeutet. 136 Die Rabbinen lesen hier samtem (ihr sollt legen) als sam tom = chajjim (wirksame Medizin/Lebenselixier).

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Worten der Tora und er wird nicht über dich herrschen. Aber wenn du die Worte der Tora vernachlässigst, wird er Herrschaft über dich erlangen, wie es heißt: »Die Sünde lauert (als Dämon) an der Tür, auf dich hat er es abgesehen« (Gen 4,7) – sein Geben und Nehmen bezieht sich nur auf dich. Aber wenn du willst, kannst du über ihn herrschen, wie es heißt: »Doch du werde Herr über ihn« (ebd.). »Hat dein Feind Hunger, gib ihm zu essen, hat er Durst, gib ihm zu trinken« (Spr 25,21).

In diesem Text erstaunt die durchaus gewalttätige Komponente im Blick auf die väterliche Erziehung. Der zornige Vater schlägt seinen Sohn, verbindet daraufhin aber sofort seine Wunde. Wollte man das Gleichnis 1 : 1 auf die Beziehung Gottes und Israels und den bösen Trieb übertragen, so ergäbe sich der Umstand, dass Letzterer erst die Folge des Zorns Gottes über Israel wäre. Sowohl Schlag als auch Verband, also Trieb und Tora ergäben sich erst aus einem Problem in der Beziehungsebene, deren Ursache im Dunkeln bleibt. Gott erscheint als Vater, der sowohl straft als auch fürsorglich die Wunden verbindet. Aber womit hat der Sohn den Vater zornig gemacht? War es ein konkretes Fehlverhalten? Es gibt dazu keine Auskunft.137 Zweifellos muss man im Hinblick auf Hermeneutik und Auslegung von Gleichnissen sehr vorsichtig sein. Die Absicht des Erzählers besteht im eindringlichen Appell, beständig am Torastudium festzuhalten. Ob man aufgrund des Gleichnisses den Schluss ziehen darf, dass in einer Welt, in der die Väter ihre Kinder nicht schlagen, wenn sie Fehler begehen, auch weniger gelernt werden muss, wage ich zu bezweifeln. 137 Rosen-Zvi (Demonic Desires, S. 22) hält für möglich, dass es sich hier um

ein »subtle sign of discontent on the part of the homilist« handelt.

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Im Talmud bBerakhot 5a heißt es: R. Levi b. Hama sagte im Namen von Resch Laqisch: Ein Mann sollte den guten Trieb gegen den bösen Trieb ereifern lassen. Denn es heißt: »Ereifert ihr euch, so sündigt nicht! (Bedenkt es in eurem Herzen auf eurem Lager, und werdet still!)« (Ps 4,5). Wenn er weggeht, gut und schön. Wenn nicht, lass ihn die Tora studieren. Denn es heißt: »Bedenkt es in eurem Herzen auf eurem Lager« (ebd.). Wenn er weggeht, gut und schön. Wenn nicht, lass ihn sich selbst an den Tag des Todes erinnern, wie es heißt: »Und werdet still, Sela« (ebd.).

Avot de-Rabbi Natan A 16.6–7 deutet den Kampf der beiden Triebe so: Der böse Trieb ist dreizehn Jahre älter als der gute Trieb. Vom Mutterleib an wächst er mit einem Menschen auf. Wenn er anfängt, den Schabbat zu entweihen, protestiert nichts in ihm. Wenn er darangeht, eine Übertretung zu begehen, protestiert nichts in ihm. Nach dreizehn Jahren wird der gute Trieb geboren. Wenn er den Schabbat zu entweihen beginnt, sagt dieser zu ihm: Du Idiot! Siehe, es heißt: »Wer ihn entweiht, soll mit dem Tod bestraft werden« (Ex 31,14). Wenn er einen Mord begehen will, sagt er zu ihm: Idiot! Siehe, es heißt: »Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut wird durch Menschen vergossen« (Gen 9,6). Wenn er eine sexuelle Verfehlung begehen will, sagt er zu ihm: Idiot! Siehe, es heißt: Der Ehebrecher wird mit der Ehebrecherin mit dem Tode bestraft« (Lev 20,10).

134

Hier tritt der gute Trieb als Erzieher des bösen Triebs auf. Während Letzterer bereits im Mutterleib besteht, kann sich der gute Trieb erst beim Erwachsenen bilden. Diese in Avot de-Rabbi Natan besonders radikale Position wird noch durch weitere Aussagen verstärkt. So heißt es in Avot deRabbi Natan A 16.21–22: Der böse Trieb kann mit einem Eisen verglichen werden, das in der Flamme glüht. Solange es inmitten der Flamme ist, können die Menschen damit alle Geräte erzeugen, die sie wollen. So ist es auch mit dem bösen Trieb: das einzige Mittel ihn zu bändigen sind die Worte der Tora, denn sie sind wie Feuer, wie geschrieben steht: »Hat dein Feind Hunger, gib ihm zu essen, hat er Durst, gib ihm zu trinken; so sammelst du glühende Kohlen auf sein Haupt, und JHWH wird es dir vergelten« (Spr 25,21–22). Lies nicht: »Wird es dir vergelten (jeschallem), sondern »wird ihn mit dir in Frieden sein lassen« (jaschlimennu)«.

Erst das Eintauchen in das Feuer macht den bösen Trieb gefügig. Wer sich nicht mit der Tora beschäftigt, ist ihm ausgeliefert. Umso mehr braucht es die frühe Erziehung in der Tora. Der böse Trieb ist der vertraute Feind, der besiegt werden muss. Jeder, der seinen Trieb besiegt, dem wird es angerechnet, als hätte er eine Stadt voller mächtiger Männer besiegt, wie es heißt: »Der Weise ersteigt die Stadt der Mächtigen und stürzt das Bollwerk, auf das sie vertraut« (Spr 21,22). »Mächtig« bedeutet mächtig in der Tora, wie es heißt: »Lobt den Herrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die seine Befehle vollstrecken, seinen Worten gehorsam!« (Ps 103,20). Manche 135

sagen, dies beziehe sich auf die Dienstengel, wie es heißt: »Ihr seine Engel, ihr starken Helden«. Manche sagen, dies beziehe sich auf jemanden, der seinen Feind zum Freund macht. (Avot de-Rabbi Natan A 23.6–7)

Die wirklich Starken sind nicht Kämpfer im Krieg, sondern in der inneren »Schlacht« gegen den bösen Trieb, der mithilfe der Tora besiegt werden kann.138 Die Symbolik von Eisen und Krieg zeigt, wie stark die Bedrohung durch den bösen Trieb erlebt wird und wie notwendig daher das Studium ist, um ihn zu besiegen. Der böse Trieb ist vor allem in späteren Texten zu einem großen Teil als sexuelle Herausforderung präsent. Mitunter wird er mit dem Satan gleichgesetzt. bQiddushin 81a überliefert einige Beispiele für die »Bedrohung«, der nicht zuletzt – nein mehr noch, vor allem – die Rabbinen ausgesetzt sind: Kriegsgefangene Frauen kamen nach Nehardea. Sie wurden in das Haus R. Amrams des Frommen gebracht und man entfernte die Leiter (die in den Stock führte, wo die Frauen sich aufhielten). Als jemand vorbeiging, drang Licht durch die Öffnung, weshalb R. Amram die Leiter nahm, [die zehn Männer gemeinsam nicht aufstellen konnten,] sie aufstellte

138 In Avot de-Rabbi Natan Avot de-Rabbi 16.10–17 werden Fallbeispiele von

Persönlichkeiten gebracht, die durch ihre Selbstkontrolle den bösen Trieb besiegt haben. Die wichtigste von ihnen ist R. Eliezer, der 13 Jahre seine Nichte aufzieht und in seinem Bett schlafen lässt, ohne sie zu berühren. Als sie erwachsen ist, fordert er sie auf, einen jungen Mann zu heiraten, doch sie möchte seine Frau werden, was er mit dem Hinweis auf sein Alter zuerst ablehnt, nach ihrer nachdrücklichen Betonung des Wunsches jedoch zustimmt und sich mit ihr verlobt.

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und auf ihr nach oben stieg. Als er auf der Hälfte der Leiter war, schrie er: Feuer bei Amram! Feuer bei Amram! Die Rabbinen kamen und stellten ihn zur Rede: Du hast uns beschämt. Er antwortete ihnen: Es ist besser, dass ich euch in dieser Welt beschäme und ihr von mir nicht in der kommenden Welt beschämt werdet. Er beschwor (den bösen Trieb) und er fuhr aus ihm aus in einer Feuersäule. Er sagte zu ihm: Siehe, du bist Feuer und ich bin Fleisch, dennoch bin ich stärker als du. R. Meir machte sich über Gesetzesübertreter lustig. Da erschien ihm eines Tages der Satan in der Gestalt einer Frau am anderen Flussufer. Da es keine Fähre gab, griff er nach dem Seil und versuchte hinüberzugelangen. Auf halbem Weg ließ er (Satan) ihn gehen und sagte: Hätte man nicht im Himmel ausgerufen: Nimm dich in Acht vor R. Meir und seiner Lehre!, hätte ich dein Leben auf zwei Maot (also: auf nichts) geschätzt. R. Akiva machte sich über Gesetzesübertreter lustig. Eines Tages erschien ihm der Satan als Frau auf dem Wipfel einer Palme. Er umfasste den Baum und kletterte hinauf. Als er auf halber Höhe war, ließ er (Satan) ihn gehen und sagte: Hätte man nicht im Himmel ausgerufen: Nimm dich in Acht vor R. Aqiva und seiner Lehre!, hätte ich dein Leben auf zwei Maot geschätzt.

Rosen-Zvi weist darauf hin, dass im babylonischen Talmud die sexuelle Komponente in Bezug auf die Rabbinen stärker betont wird als in palästinischen Texten: Babylonian sources not only show a more complex, or even positive, attitude toward sexuality, but multiply and increase sexuality itself. Peering at the world through sexual lenses, 137

they see sex all around them. Numerous statements, homilies, and narratives, all over the Bavli, tend to present their protagonists – Biblical heroes as well as rabbinic sages – in a stark sexual manner, unparalleled in Palestinian literature. Biblical events are loaded with sexual content in the Bavli, even when there is scarce basis for that in the Bible itself. Some specific topics, such as sages going to prostitutes or measures of penises, are almost exclusively Babylonian.139

An der gerade zitierten Stelle erscheinen die Rabbinen sofort den Kopf zu verlieren, wenn sie eine Frau nur von Weitem sehen. Meir und Aqiva sind Vorbilder in der Befolgung der Tora und gelten traditionell als Entwickler der Mischna. Aqiva übersteht auch als Einziger unbeschadet die Schau im Paradies. Es ist daher wohl kaum zufällig, dass die beiden Personen herausgegriffen werden, um als Sinnbilder der sexuellen Bedrohung der Gelehrten zu dienen. Anders als Amram, der seine Kollegen zu Hilfe ruft, werden sie ihrerseits vom Satan selbst aus der Versuchung entlassen, weil der Himmel ihre Gelehrsamkeit bestätigt. Ohne ihren Ruf als Lehrer wären die beiden großen Männer gegenüber dem Satan aufgeschmissen gewesen. Die Beispiele mögen genügen, um die Wirkung des Vorbildes des Verhaltens der Lehrer zu illustrieren.

139 Rosen-Zvi, Sexualising the Evil Inclination, S. 278 (= Demonic Desires,

S. 113).

138

Bildung lässt den Menschen richtig handeln und bringt ihn Gott näher

Bildung, Bescheidenheit und Ethos

Ein Juwel von Rava war: Das Ziel der Weisheit ist Umkehr und gute Taten, so dass jemand nicht Bibel und Mischna studiert und seinen Eltern einen Tritt versetzt oder seinem Lehrer oder jemandem, der ihm an Weisheit voraus ist, wie es heißt: »Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Weisheit; alle, die danach handeln, sind klug« (Ps 111,10). Es heißt nicht »alle, die lernen«, sondern »alle, die danach handeln«, die es um ihrer selbst willen tun und nicht aus anderen Motiven. Wenn es jemand aus anderen Motiven tut, wäre es besser, er wäre nie geboren worden. (bBerakhot 17a)

Wenn es darum geht, die unterschiedlichen Bildungsbereiche der rabbinischen Erziehung in Gemeinschaft mit anderen Schülern und im Dienst eines Lehrers abzudecken, diese im ganzen Körper zu verankern und lebendig werden zu lassen in der Praxis, muss man sich fragen, welcher Mensch am Ende dastehen soll, vielleicht sogar um selbst als Lehrer in der Gemeinschaft mit anderen Lehrern zu unterrichten. Jeder, der (Bibel) gelesen und (Mischna) gelernt und den Gelehrtenschülern gedient hat, der sich auf dem Markt richtig zu verhalten versteht und dessen Rede mit den Mitmenschen friedfertig ist, was sagen über ihn die Mitmenschen? Glücklich der, der Tora gelernt hat! Glücklich sein Vater, der 139

ihn Tora gelehrt hat, glücklich sein Meister, der ihn Tora gelehrt hat. Weh denen, die nicht Tora gelernt haben! Einer, der Tora gelernt hat, wie angenehm sind doch seine Wege, wie ordnungsgemäß ist doch sein Tun. Über ihn sagt die Schrift: »Er sagte zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, an dem ich meine Herrlichkeit erweise« ( Jes 49,3),

heißt es als Auslegung zur Pflicht des Juden, Gott zu lieben, wie es Dtn 6,5 vorschreibt. Sein Gegenteil ist: Weh dem, der Tora gelernt hat, wehe seinem Vater und wehe seinem Meister, die ihn Tora gelehrt haben! Glücklich sind die Menschen, die nicht Tora gelernt haben. Der da hat Tora gelernt und wie hässlich sind seine Wege, wie verdorben seine Taten. Über ihn sagt die Schrift: »Von denen sagt man: Das Volk des Herrn sind sie und aus seinem Land sind sie hinausgegangen« (Ez 36,20). (bJoma 86a)

Ich erwähne hier erneut beispielhaft die Darstellung der beiden Brüder Jakob und Esau in Genesis Rabba. In 63.10 werden die beiden als »Myrte« und »Dornenstrauch« bezeichnet, die nebeneinander aufwachsen. Jakob wie Esau seien bis zum 13. Lebensjahr in dieselbe Schule gegangen und hätten dieselbe Ausbildung erhalten. Der Text polemisiert massiv gegen die grundsätzlich negative Anlage Esaus, der sich trotz seines Studiums dem Götzendienst zuwendet. Das Wissen um die gemeinsame Schule macht Esaus Verhalten umso ärger, stellt es in ein gegenüber einem Ungebildeten noch negativeres Licht. Was lernen wir daraus? Auch gute frühe Erziehung hilft nicht immer, um einen guten Menschen zu formen. Ein 140

guter Mensch ist einer, der das Studium der Tora mit der praktischen Umsetzung kombiniert, dessen Verhalten zeichenhaft die Tora repräsentiert. Im Midrasch-Hohelied Rabba 1.2.8 heißt es dazu: Die Tora reinigt einen Unreinen von seiner Unreinheit, wie es heißt: »Die Worte des Herrn sind rein« (Ps 12,7). Wie Wasser den Körper reinigt, wie es heißt: »Er soll sich im Wasser baden« (Lev 17,15), so reinigt die Tora den Körper, wie es heißt: »Dein Wort ist aufs Höchste reinigend« (Ps 119,40). Wie Wasser die Nacktheit des Meers bedeckt, wie es heißt: »Wie das Wasser das Meer bedeckt« ( Jes 11,9), so bedeckt die Tora die Nacktheit Israels, wie es heißt: »Liebe deckt alle Übertretungen zu« (Spr 10,12). Wie Regenwasser in Tropfen fällt und Flüsse formt, so ist es mit der Tora: Jemand lernt zwei Halakhot am Tag und zwei am nächsten, bis er wie ein fließender Strom wird. Wie Wasser keinen Geschmack hat, ehe man durstig ist, so hat die Tora keinen Geschmack, ehe man sich um sie bemüht. Wie Wasser einen hohen Platz verlässt und in einen niedrigen fließt, so verlässt die Tora einen Menschen mit stolzem Geist und haftet sich an einen mit demütigem Geist. Wie Wasser sich nicht in silbernen und goldenen Schalen hält, sondern in den einfachsten der Gefäße, so hält sich die Tora nur bei dem auf, der sich selbst zu einem irdenen Gefäß macht. Wie bei Wasser ein Großer sich nicht schämt zu einem Kleinen zu sagen: Gib mir einen Schluck Wasser, so ist es mit den Worten der Tora: ein großer Gelehrter muss sich nicht schämen zu einem kleineren zu sagen: Lehre mich ein Kapitel, oder einen Ausspruch oder einen Vers, oder auch nur einen Buchstaben! Wie bei Wasser, wenn jemand nicht schwimmen kann, er ertrinken wird, so ist es mit den Worten der Tora. Wenn jemand nicht versteht, 141

seinen Weg in ihr zu führen und in Übereinstimmung mit ihr zu lehren, wird er am Ende verschluckt.

Ähnlich formuliert auch bTaanit 7a: R. Chanina b. Ida sagte: Warum werden die Worte der Tora mit Wasser verglichen – wie geschrieben steht: »Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser« ( Jes 55,1). Das lehrt dich, dass wie Wasser einen hohen Platz verlässt und an einen niederen fließt, so verbleiben auch die Worte der Tora nur bei denen, die einen demütigen Geist haben. R. Oschaja sagte: Warum werden die Worte der Tora mit drei Flüssigkeiten verglichen: Wasser, Wein und Milch?140 – wie es heißt: »Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser« ( Jes 55,1), und es heißt: »Kauft Getreide, und esst, kommt und kauft ohne Geld, kauft Wein und Milch ohne Bezahlung!« ( Jes 55,1). Dies lehrt dich, dass, wie jene drei Flüssigkeiten nur in den einfachsten Gefäßen aufbewahrt werden, so auch die Worte der Tora nur in denen verweilen, die einen demütigen Geist haben.

In diesen Chor stimmt auch bEruvin 54a ein, wo es heißt: 140 Vgl. auch Sifre Dtn § 48. Die Worte der Tora werden dort ebenfalls mit

Wasser verglichen. Die Schüler nehmen es auf wie die Zisterne. Wie Wasser die Unreinen rein mache, so die Tora; wie Wasser die Lebenskraft erneuere, so auch die Tora; wie Wasser für alle frei und gratis (!) sei, so auch die Tora. Dann vergleicht man die Tora mit Wein, der das Herz erfreut, der umso besser wird, je mehr er reift, und der sich am besten in irdenen Gefäßen hält, was erneut ein Hinweis auf die notwendige Bescheidenheit der Schüler ist. Anders als beim Wein könne man bei der Tora aber nicht Schaden leiden, wenn man zu viel nimmt. Vielmehr sei die Tora wie das Öl, das Kopf und Körper gleichermaßen guttut. Schließlich sei sie süßer als Honig.

142

R. Eliezer sagte: Was bedeutet, was geschrieben steht: »Eine Kette für deinen Hals« (Spr 1,9)? Wenn ein Mensch selbst einer losen Kette um den Hals gleichen will, die gesehen und doch nicht gesehen wird, bleibt seine Lehre in seiner Hand. Wenn nicht, bleibt die Lehre nicht in seiner Hand. R. Eliezer sagte weiter: Was bedeutet: »Seine Wangen sind ein Gewürzbeet« (Hld 5,13)? Wenn ein Mensch selbst einem Beet gleichen will, auf das jeder tritt, und Gewürzen, mit denen jeder sich parfümiert, wird seine Lehre in seiner Hand bestehen bleiben, und wenn nicht, wird seine Lehre nicht in seiner Hand bestehen bleiben. R. Eliezer sagte weiter: Was meint: »Steintafeln« (Ex 31,18)? Wenn ein Mensch seine Wangen als Stein betrachtet, der nicht leicht zu entfernen ist, wird seine Lehre in seiner Hand bestehen bleiben, und wenn nicht, wird seine Lehre nicht in seiner Hand bestehen bleiben.

Die Botschaft ist eindeutig und hat doch zwei Seiten. Hier ist nicht nur von völliger Demut und Bescheidenheit die Rede. Die Kette am Hals ist einmal sichtbar und einmal nicht, das Gewürzbeet wird zwar betreten, aber es duftet auch hervorragend, und der Stein, der die Gebote enthält, ist hart und widerstandsfähig. Die Gelehrten(schüler) können und müssen sich dessen bewusst sein, dass sie bei aller Demut auch Großes und Wunderbares bewahren. Dies stiftet innere Stärke. Auffällig ist die Wahl der Vergleichselemente. Eine kostbare Kette, ein Gewürzbeet, Steintafeln. Nur Letztere haben direkt mit der Tora zu tun, erinnern an die Tafeln vom Sinai. Kette und Gewürze werden aber öfter im metaphorischen Sinn auf die Tora bezogen, die den wahren Schmuck darstellt und den wahren Duft verbreitet. 143

In Hohelied Rabba 4.13.2 etwa wird der Bibelvers Ez 16,11 u.a. so ausgelegt: »Und ich gab dir Armreifen für deine Hände« (Ez 16,11) – Das sind die beiden Bundestafeln, auf denen die Zehn Gebote eingraviert sind, wie die Schrift sagt: »Und die Tafeln waren das Werk Gottes usw.« (Ex 32,16). »Und eine Halskette für deinen Nacken« (Ez 16,11) – Das sind die Worte der Tora, wie es heißt: »Binde sie immer an dein Herz [und winde sie dir um den Hals]« (Spr 6,21).

Ich erinnere erneut an die Beispielerzählungen der Anfänge des Lernens des R. Eliezer. Ich habe oben bereits die Tanchumaversion zitiert. Eine durchaus unterschiedliche Variante bieten die Pirqe de-Rabbi Eliezer 1: Eine Erzählung über Eliezer ben Hyrkanos: Sein Vater hatte Pflugleute, die pflegten über die Ackerfurche zu pflügen. Er aber pflegte in steinigem Boden zu pflügen. Er setzte sich nieder und weinte. Sein Vater sagte zu ihm: Warum weinst du? Grämst du dich etwa, dass du in steinigem Boden pflügst? Nun denn, pflüge über die Ackerfurche. Er setzte sich an der Ackerfurche nieder und weinte. Er sagte zu ihm: Warum weinst du? Grämst du dich etwa, dass du über die Ackerfurche pflügst? Er sagte zu ihm: Nein. Und warum weinst du (dann, fragte der Vater)? Er sagte zu ihm: Ich möchte Tora lernen. (Der Vater) sagte zu ihm: Du bist 28 Jahre alt und möchtest Tora lernen?! Du solltest dir besser eine Frau nehmen und dir Söhne zeugen, die kannst du dann zum Schulhaus schicken! 144

Er verbrachte zwei Wochen, ohne irgendeine Speise zu sich zu nehmen, bis dass ihm Elija, sein Angedenken zum Segen, erschien. Und er sagte zu ihm: Sohn des Hyrkanos, warum weinst du? Er sagte zu ihm: Weil ich Tora lernen möchte. Er sagte zu ihm: Wenn du Tora lernen möchtest, geh hinauf nach Jerusalem zu Rabban Jochanan ben Zakkai. Er stand auf und ging zu Rabban Jochanan ben Zakkai. Er setzte sich nieder und weinte. Er sagte zu ihm: Warum weinst du? Er sagte zu ihm: Weil ich Tora lernen möchte. Er sagte zu ihm: Wessen Sohn bist du? Aber er erzählte es ihm nicht. ( Jochanan) sagte zu ihm: (Alle) Tage deines (Lebens) hast du weder das »Schema (Israel)«, noch das Achtzehnbittengebet noch den Segen nach der Mahlzeit zu rezitieren gelernt?! Er sagte zu ihm: Nein. ( Jochanan) sagte zu ihm: Steh auf, und ich werde dich diese drei lehren. Er setzte sich nieder und weinte. ( Jochanan) sagte zu ihm: Mein Sohn, warum weinst du? Er sagte zu ihm: Weil ich Tora lernen möchte. Und (daraufhin) pflegte er ihm zwei Halakhot (an) jedem Tag der Woche zu sagen, und er wiederholte sie und er behielt sie. Er verbrachte acht Tage, ohne etwas Speise zu sich zu nehmen, bis dass der Geruch seines Mundes vor Rabban Jochanan ben Zakkai aufstieg und er ihn hieß, vor ihm aufzustehen (und wegzugehen). Er setzte sich nieder und weinte. ( Jochanan) sagte zu ihm: Warum weinst du? Er sagte zu ihm: Weil du mich von dir entfernt hast wie jemand einen, der mit Geschwüren geschlagen ist, von sich entfernt. 145

Er sagte zu ihm: Mein Sohn, wie der Hauch deines Mundes vor mir aufgestiegen ist, so soll der Hauch der Toragesetze aus deinem Mund zum Himmel aufsteigen.141

Der Duft der Tora steht hier radikal dem unangenehmen Geruch entgegen, der aus dem Mund Eliezers kommt, bedingt durch dessen Weigerung, zu essen. Dies ist je nach Variante stärker mit realer Armut verbunden oder – wie hier – Symbol seines unstillbaren Hungers nach Lehre. Das Beispiel zeigt auch den Aufbau des Studiums, das von liturgisch-praktischem Wissen zum Erwerb komplexer Halakha-Kenntnisse fortschreitet. Zum Praxiskontext gehört einmal der engere Bereich der Teilhabe an der gemeinsamen Liturgie, zum Beispiel des Gebetes und der Segenssprüche in bestimmten Situationen. Levitikus Rabba 23.4 beschwert sich bitter über die Unfähigkeit vieler, im Haus eines Trauernden die richtigen Worte zu finden. Ein Gelehrter wie R. Eleazar wird verhöhnt, weil er die Segenssprüche zum Schema-Israel nicht beherrscht. Erst R. Aqiva bringt sie ihm bei und noch mehr, sodass er schließlich auch als Vorleser in der Synagoge agieren kann. Er bekommt sodann einen neuen Namen, R. Eleazar Chisma, »Eleazar, der die Kraft der Sprache wiedergewonnen hat (itchassem)«. Ein Aspekt, den ich hier nur streifen möchte, ist der Zusammenhang von Bildungserwerb, Lehre und materiellem Verdienst. Unzweifelhaft steht für die rabbinische Literatur der Gelderwerb durch das Studium nicht im Vordergrund. Am Ende des 2. Kapitels der Pirqe de-Rabbi Eliezer, also 141 Übersetzung nach Dagmar Börner-Klein, Elî’ezer Ben-Hûrqānûs: Pirke

de-Rabbi Elieser. Nach der Edition Venedig 1544 unter Berücksichtigung der Edition Warschau 1852 (Studia Judaica 26;  Berlin u.a. 2004), S. 1–2.

146

kurz nach dem gerade zitierten Abschnitt, lehnt Eliezer die Zuteilung seines Erbes durch seinen Vater mit einer Distanzierung von seinen Brüdern ab: Er sagte zu ihm: Siehe, ich bin anders als sie. Wenn ich vor dem Heiligen, gepriesen sei er, um Land gebeten hätte, hätte er es mir gegeben, denn es heißt: »JHWH gehört die Erde und was sie füllt, der Erdkreis und die, die darin wohnen« (Ps 24,1). Wenn ich Silber und Gold erbeten hätte, hätte er es mir gegeben, denn es heißt: »Mein ist das Silber und mein ist das Gold, Spruch JHWHs der Heerscharen« (Hag 2,8). Ich aber habe vor dem Heiligen, gepriesen sei er, nur die Tora allein erbeten, denn es heißt: »Daher halte ich alle Vorschriften für recht, ich hasse alle Pfade der Lüge« (Ps 119,128).

In der Variante Genesis Rabba 42.1 bezeichnet er das Erbe abweisend als Cherem (Bann), nimmt aber seinen Teil, wie auch in Avot de-Rabbi Natan B 13; und in Avot de-Rabbi Natan A 6 erhält Eliezer alles, in Tanchuma B Lekh Lekha 10 zwei Teile mehr als seine Brüder. Auch wenn sich die Belege hier also durchaus unterscheiden, bleibt gemeinsam, dass der Mensch, der sich unbeirrt mit der Lehre beschäftigt, letztlich auch durch sie in einem sehr wörtlichen Sinne »ernährt« wird. Finanzielle Zuwendungen sind die Folge des Studiums, das ausstrahlt und wohltätige Spender anzieht oder ein reichhaltiges Erbe genießen lässt. Grundsätzlich gilt das Ideal, dass Tora um ihrer selbst willen zu studieren und auch zu lehren ist, niemals aber um des materiellen Verdienstes wegen. Wer allerdings Gott entsprechend lebt, studiert und handelt, der sollte durch diesen auch gesegnet werden und keinen Mangel leiden. 147

Lernen und Tun

Lehre und Lernen sind aufs Engste mit dem Verhalten verbunden. In bEruvin 55a findet sich eine Ausdeutung zu Dtn 30,12, wo es heißt, dass die Tora nicht im Himmel noch jenseits des Meeres zu finden sei: »Nicht im Himmel« deutet der Amoräer Rava darauf, dass man sie nicht bei denen finde, die sich himmelhoch durch sie überlegen fühlen, ebenso wenig aber auch bei denen, deren gewaltige Selbsteinschätzung bis in die Tiefen des Meeres reiche. R. Jochanan präzisiert: Man findet sie nicht bei den Hochmütigen (gassei ruach) … noch bei den Kaufleuten und Händlern (sachranim we-tagarim).

Kenntnisse der Tora in der Theorie bedeuten demnach wenig, wenn sie sich nicht in der Lebenspraxis bewähren. So formuliert schon Sifre Dtn § 48: »[Wenn ihr genau achtet auf dieses ganze Gebot, auf das ich euch heute verpflichte,] und es tut, [wenn ihr den Herrn, euren Gott, liebt, auf allen seinen Wegen geht und euch an ihm festhaltet]« (Dtn 11,22). Warum sagt die Schrift das, wo es doch schon heißt: »Wenn ihr genau achtet«? Ich könnte meinen, dass, wenn jemand die Worte der Tora bewahrt hat, er es dabei belassen kann und sie nicht tun muss. Dagegen sagt die Schrift: »und es tut/um es zu tun« – die Absicht ist, es zu tun. Wenn jemand nur Tora lernt, hat er ein Gebot erfüllt; wenn er lernt und bewahrt, was er gelernt hat, hat er zwei Gebote erfüllt; wenn er lernt, bewahrt und befolgt, keiner könnte mehr Verdienst erwerben.

Daraus könnte man nun schließen, dass der Schwerpunkt der Bildung in einer Erziehung zur Tat besteht. Eine solche 148

­ nnahme würde das Urteil stützen, wonach das Judentum gerA ne als eine Religion bzw. Kultur bezeichnet wird, die sich vor allem durch Orthopraxie, also rechtes Handeln auszeichne. In Sifre Dtn § 41 allerdings wird aus Dtn 5,1 (»Höre, Israel, die Gesetze und Rechtsvorschriften, die ich euch heute vortrage. Ihr sollt sie lernen, auf sie achten und sie halten«) abgeleitet, dass das Tun vom Lernen abhänge, nicht aber umgekehrt. Weiter heißt es: So findet man, dass die Schrift in Bezug auf das Studium (talmud) höher straft als in Bezug auf die Tat, wie es heißt: »Hört das Wort des Herrn, ihr Söhne Israels! Denn JHWH erhebt Klage gegen die Bewohner des Landes: Es gibt keine Wahrheit und keine Liebe und keine Gotteserkenntnis im Land« (Hos 4,1). »Keine Wahrheit« – keine Worte der Wahrheit wurden gesagt, »keine Liebe« – keine Worte der Liebe wurden gesagt.

Schließlich heißt es, dass R. Tarfon, R. Aqiva und R. Jose der Galiläer diskutierten: Was ist größer, Studium oder Tun (talmud oder maaseh)? R. Tarfon sagte: Groß ist das Tun. R. Aqiva sagte: Groß ist das Studium. Sie alle antworteten und sagten: Groß ist das Studium, denn es führt zum Tun.142 R. Jose der Galiläer sagte: Groß ist das Studium, denn es geht (dem Gebot) der Teighebe (Num 15,20) 40 Jahre voraus, den Zehnten (Num 18; Dtn 12,6; 14,22–26) um 54, dem 142 Vgl. Hohelied Rabba 2.14.5 zu Hld 2,14. Hier wird Joses Schlussstatement

nicht erwähnt.

149

­ abbatjahr (Dtn 15,1–2) um 61 und dem Jobeljahr (Lev 25,8– S 34) um 104.

Die Aufzählung ist nicht zufällig so gewählt. R. Joses Schlussstatement steht nach der als Kompromiss angesehenen anonymen »Mehrheitsmeinung«. Jose plädiert eindeutig für den Vorrang des Studiums vor der Tat, hier konkret dargestellt an den landwirtschaftlichen Geboten. Eine Parallele dazu bietet auch bQidduschin 40b. Im halakhischen Midrasch Mekhilta de Rabbi Schimon bar Jochai zu Ex 19,17 wird der Vers Hld 2,14 ausgelegt: Rabbi sagte: Dieser Vers (Hld 2,14) ist nur in Bezug auf die kommenden Generationen gesagt: »Meine Taube im Felsennest (chagwe ha-sela)« – entsprechend der Sache, wie es heißt: »Er ist der, der über dem Erdenrund (chug ha-arets) thront« ( Jes 40,22); »versteckt an der Steilwand« – das sind die Israeliten, die an der Seite der sie beängstigenden Königreiche wohnen, bis ihre Zeit herankommt; »deine Erscheinung lass mich sehen« – das ist das Tun; »deine Stimme hören!« – das ist die Lehre; »Denn süß – arev – ist deine Stimme und lieblich deine Erscheinung« – um darauf hinzuweisen, wie viele Stufen zwischen Lehre und Tun bestehen.

In jPesachim 3.7.30b heißt es lapidar: So lehrte Rabbi: Das Tun geht dem Studium voran. Doch die Gelehrten wurden auf dem Obergeschoss des Hauses des Aris gezählt (und beschlossen): Das Studium geht dem Tun voran.

Allerdings wenden etwas später die Rabbinen von Cäsarea ein, dass dies dann gelte, wenn es in einem Ort Menschen 150

gäbe, die das Gute tun. Wenn dem nicht so ist, ginge das Tun dem Studium voran. Als R. Chija, R. Jose und R. Immi einmal spät vor R. Eleazar erschienen, sagte er zu ihnen: Wo seid ihr gewesen? Sie sagten zu ihm: Eine gute Tat (hat uns aufgehalten). Er antwortete ihnen: Aber waren dort nicht andere (um diese zu verrichten)? Sie sagten zu ihm: Es war ein Nachbar!

In bBava Qamma 17a wird ebenfalls der Spruch zitiert, wonach das Studium dem Tun vorangehe, allerdings unterscheidet man dort zwischen dem Studium an sich und der Lehre. Demnach gibt es drei Ebenen, einmal das Studium der Tora, die Lehre der Tora und das Tun der Tora. Insgesamt lässt sich das Bestreben festhalten, das Studium in seinem Eigenwert zu betonen. Modern formuliert richtet sich diese Haltung gegen eine reine Praxisorientierung des Studiums. Auch wenn im Idealfall das Studium zu entsprechendem Tun führen soll, ist der umgekehrte Schluss, das Studium sei nur Mittel zum Zweck der praktischen Anwendung, nicht zulässig. Sifre Dtn § 48 macht dabei in seiner Auslegung zu Dtn 11,22 (»Wenn ihr auf dieses ganze Gebot, auf das ich euch heute verpflichte, genau achtet und es haltet, den Herrn, euren Gott, liebt, auf allen seinen Wegen geht und euch an ihm festhaltet«) folgendes deutlich: Ich könnte hören, dass jemand auf die Worte der Tora genau achtet und sie nicht tut. Dagegen lehrt die Schrift: »und es haltet!/um zu halten143« … 143 Die Konstruktion mit Infinitiv muss nicht als finale Satzverbindung (»um

zu«) gelesen werden, wird von den Rabbinen aber wohl so verstanden.

151

Du könntest sagen: Ich will Tora lernen, um ein Gelehrter genannt zu werden, um im Lehrhaus zu sitzen, um die Tage des ewigen Lebens zu verlängern. Dagegen lehrt die Schrift: »um der Liebe (zu Gott) willen«! – Lerne auf jeden Fall und schlussendlich mag die Ehre kommen.

Das Lernen ist hier mehr als nur Selbstzweck, der sich jeglicher selbstsüchtiger Berechnung entzieht. Es ist Ausdruck der Liebe zu Gott. Diese Liebe ist bereits im biblischen Kontext nicht als emotionale Zuwendung zu verstehen, sondern Ausdruck der Anerkennung und Zuordnung, die entsprechendes Handeln verlangt. Sifre Dtn knüpft gleich darauf in § 49 noch einmal daran an: »und euch an ihm festhaltet« (Dtn 11,22): Wie ist es einem Menschen möglich, aufzusteigen zum Höchsten und sich am Feuer festzuhalten? Heißt es nicht: »Denn JHWH, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer«? (Dtn 4,24). Und es heißt: »Feuerflammen waren sein Thron« (Dan 7,9). Haltet euch vielmehr an den Gelehrten und ihren Studierenden fest und ich will es euch anrechnen, als wäret ihr zum Himmel aufgestiegen und hättet dort (die Tora) empfangen, und nicht nur das, sondern als wäret ihr aufgestiegen und hättet sie nicht in Frieden empfangen, sondern nach einem Krieg, um sie zu erringen, wie es heißt: »Du zogst hinauf zur Höhe, führtest Gefangene mit« (Ps 68,19). Die Ausleger der Haggada sagen: wenn du wünscht, den kennenzulernen, der sprach und die Welt erschuf, lerne Haggada, denn auf diese Weise lernst du den kennen, der sprach und die Welt erschuf, und hältst dich an ihm fest!

152

Diese Aussage ist äußerst weit reichend. Letztlich kann man Gott demnach nur indirekt näherkommen. Man wird darin eine Ablehnung mystischer Tendenzen entdecken dürfen, einen Widerstand gegen esoterische »Himmelsreisen« – auf die ich hier schon eingegangen bin –, aber wohl auch eine klare Positionierung der Rabbinen – und ihrer Schüler – als Mittler. Nicht nur um Gott zu verstehen, nein, um ihm nahezukommen, braucht es die Zwischenstufe des Lernens und Studierens. Es ist auch nicht zufällig, dass als entscheidendes Ereignis einer »Himmelsreise« die Übergabe der Tora genannt wird. Es geht also nicht um esoterische Spekulationen, Geheimoffenbarungen oder Ähnliches. Das Ziel, das alle antreiben soll, ist der Erwerb der Tora. Sie kann nicht auf dem scheinbar direkten Weg zu Gott erhalten werden, sondern braucht den mühsameren Umweg über das Studium. Es fällt an dieser Stelle auch auf, dass besonders die Haggada, also die schwerpunktmäßig erzählende Auslegung, herausgestrichen wird. Dies spricht erneut gegen eine Vereinseitigung des Judentums als rein praxisbezogen und Halakha-zentriert. An dieser Stelle ist ergänzend an den folgenden Text aus bSota 14a zu erinnern: R. Chama b. R. Chanina sagte: Was bedeutet der Vers: »Ihr sollt dem Herrn, eurem Gott, nachfolgen, [ihn sollt ihr fürchten, auf seine Gebote sollt ihr achten, auf seine Stimme sollt ihr hören, ihm sollt ihr dienen, an ihm sollt ihr euch festhalten]« (Dtn 13,5)? Wie kann denn ein Mensch dem Herrn nachfolgen, heißt es denn nicht: »Denn JHWH, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer«? (Dtn 4,24) Folge vielmehr den Middot des Heiligen, gepriesen sei er, (die da sind): Er bekleidet die Nackten, wie es heißt: »Gott, JHWH, mach153

te Adam und seiner Frau [Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit]« (Gen 3,21), so bekleide auch du die Nackten. Der Heilige, gepriesen sei er, besuchte die Kranken, wie es heißt: »Der Herr erschien (dem frisch beschnittenen) Abraham bei den Eichen von Mamre« (Gen 18,1), so besuche auch du die Kranken. Der Heilige, gepriesen sei er, tröstet die Trauernden, wie es heißt: »Nach dem Tod Abrahams segnete Gott seinen Sohn Isaak« (Gen 25,11) – dies lehrt, dass er ihn mit dem Segen für die Trauernden segnete. So tröste auch du die Trauernden. Der Heilige, gepriesen sei er, begrub die Toten, wie es heißt: »Man begrub ihn (Mose) im Tal« (Dtn 34,6). So begrab auch du die Toten. … R. Simlai legte aus: Am Anfang der Tora standen Taten der Liebe und am Ende der Tora stehen Taten der Liebe. Am Anfang Taten der Liebe, wie es heißt: »Gott, JHWH, machte Adam und seiner Frau [Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit]« (Gen 3,21). Und am Ende Taten der Liebe, wie es heißt: »Man begrub ihn im Tal« (Dtn 34,6).

Die Betonung der Taten der Liebe, der gemilut chassadim, ist natürlich kein Widerspruch zur Bedeutung des Studiums, sondern letztlich ihre Konsequenz. Das »Festhalten« an Gott war durch die Lehre möglich, das Nachfolgen zielt auf die praktische Umsetzung. Darin spiegeln sich die Middot, die göttlichen Attribute oder Eigenschaften (des Erbarmens), die sich auf Ex 34,6–7 zurückführen. Man erinnert sich hier auch an die bekannte Stelle aus mAvot 1.2//jTaanit 4,2,68a, wonach Schimon der Gerechte gemeint habe, dass die Welt auf drei Dingen stünde, der Tora, dem Gottesdienst und den Taten der Liebe (gemilut chassadim). In dem langen Kommentar in Avot de-Rabbi Natan 4 werden Torastudium und gemilut chassadim herausgestrichen, wobei jedoch das Tora154

studium noch vorangeht.144 In bMegilla 16b heißt es schließlich in einem »Loblied« in Bezug auf das Studium: R. Josef sagte: Das Studium der Tora ist dem Retten von Leben übergeordnet. … Rav, und manche sagen R. Schmuel b. Marta, sagte: Das Studium der Tora ist dem Erbauen des Tempels übergeordnet. … Rava bar bar Chana sagte im Namen des R. Isaak b. Schmuel b. Marta: Das Studium der Tora ist der Ehre von Vater und Mutter übergeordnet.

Dazu passt bMenachot 110a: »An jedem Ort wird meinem Namen ein Rauchopfer dargebracht und eine reine Opfergabe« (Mal 1,11). An jedem Ort? Was fällt dir ein! Es sagte R. Schmuel bar Nachmani, es sagte R. Jonatan: Das sind die Gelehrtenschüler, die sich an jedem Ort mit der Tora befassen. Ich rechne es ihnen an, als ob sie vor mir räucherten und opferten. »Eine reine Opfergabe« – das ist einer, der in Reinheit Tora lernt, der zuerst heiratet und dann Tora lernt.

In Bezug auf den Tempel hält bSchabbat 119b im Rahmen einer »Ursachenforschung« seiner Zerstörung fest: Schulkinder dürfen nicht zur Vernachlässigung (ihres Studiums) veranlasst werden, selbst wenn es um die Erbauung des 144 So heißt es: Wenn zwei Schüler sitzen und sich mit Tora beschäftigen

und vor ihnen eine Braut vorbeikommt oder eine Leichenbahre, wenn sie genug haben, um das Nötige (für die Braut oder das Begräbnis) bereitzustellen, unterbrechen sie ihre Lehre nicht. (4.6)

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Tempels geht. Resch Laqisch sagte zu R. Jehuda Nesia: Ich habe eine Überlieferung von meinem Vater – andere sagen, von euren Vätern: Jede Stadt, in der es keine Schulkinder gibt, soll zerstört werden. Ravina sagte: Sie soll dem Bann verfallen.

Als Abschluss dieses Abschnittes sei ein Ausschnitt aus bAvoda Zara 18b zitiert, wo es heißt: R. Schimon b. Pazi legte aus: Was bedeutet, was geschrieben steht: »Glücklich der Mann, der nicht wandelt im Rat der Schurken« (Ps 1,1)? – Er ging nicht ins Theater und in die Zirkusse der Völker; »und der nicht steht auf dem Weg der Sünder« (Ps 1,1)? – Er steht nicht in der Tierhetze; »und nicht im Kreis der Spötter sitzt« (Ps 1,1)? – Er sitzt nicht in deren Machenschaften. Man könnte meinen: Da ich nicht in die Theater und Zirkusse gegangen bin und nicht bei den Tierhetzen gestanden habe und nicht bei deren Machenschaften sitze, werde ich gehen und mich selbst dem Schlaf hingeben. Dagegen erwidert die Schrift: »sondern Freude hat an der Tora des Herrn« (Ps 1,2).

Die Abgrenzung von den Vergnügungen der »Völker« – über die im Kontext diskutiert wird – ist hier dem Nichtstun und dem Studium der Tora gegenübergestellt. Passivität im Hinblick auf politisch und religiös aufgeladene Vergnügungen der Welt – an denen zweifellos auch Juden ihre Freude hatten145 – ist kein Verhalten, das die Rabbinen als ausreichend 145 Über Theater und andere Vergnügungen im römischen Palästina vgl.

überblickshaft Zeev Weiss, Kap. 33: Theatres, Hippodromes, Amphitheatres, and Performances, in: Catherine Hezser, Hg., The Oxford Handbook of Jewish Daily Life in Roman Palestine (Oxford 2010), S. 623–640. Dort findet sich auch wichtige weiterführende Literatur.

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erachten. Im zitierten Statement wird klar gesagt, dass der ideale rabbinische Mensch sich auch in der »Freizeit« mit der Tora beschäftigen soll, die ihm Freude schenkt und ihn glücklich macht. Damit grenzt er sich nicht von jeglichem Kontakt mit anderen, auch nicht von Nichtjuden ab, aber er hält sich von »weltlichen« Vergnügungen ebenso fern wie von listenreichen »Spöttern«. Das Lernen ist mehr als nur Aufgabe, es soll das Leben bestimmen, auch jene Bereiche, die wir als Mußestunden bezeichnen würden. Dies geht zweifellos über eine »Ausbildung« hinaus. Im nun folgenden letzten Abschnitt möchte ich die Stichworte Lernen und Tun aufgreifen um weiter danach zu fragen, wie dieser vom Lernen geprägte Mensch sich verhalten soll. Habitus und Lebensführung In bEruvin 100b heißt es: R. Jochanan beobachtete: Wenn die Tora nicht gegeben worden wäre, hätten wir tseniut von der Katze, (das Fernhalten vom) Diebstahl von der Ameise,146 (das Fernhalten von) verbotenen sexuellen Verbindungen von der Taube und das richtige Verhalten (derekh erets) vom Hahn gelernt, der zuerst seine Frau umwirbt und erst danach mit ihr schläft. Und wie umwirbt er sie? R. Jehuda zitiert Rav: Er sagt zu 146 Vgl. Deuteronomium Rabba Schoftim 5 zu Spr 6,6–7 (Ausgabe Wilna

1887): R. Schimon b. Chalafta erzählte: Eine Ameise hatte einmal ein Weizenkorn fallen lassen, da kamen alle und berochen es und nicht eine war darunter, die es genommen hätte, bis jene kam, der es gehörte, und sie nahm es. Siehe die Weisheit an ihr …

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erachten. Im zitierten Statement wird klar gesagt, dass der ideale rabbinische Mensch sich auch in der »Freizeit« mit der Tora beschäftigen soll, die ihm Freude schenkt und ihn glücklich macht. Damit grenzt er sich nicht von jeglichem Kontakt mit anderen, auch nicht von Nichtjuden ab, aber er hält sich von »weltlichen« Vergnügungen ebenso fern wie von listenreichen »Spöttern«. Das Lernen ist mehr als nur Aufgabe, es soll das Leben bestimmen, auch jene Bereiche, die wir als Mußestunden bezeichnen würden. Dies geht zweifellos über eine »Ausbildung« hinaus. Im nun folgenden letzten Abschnitt möchte ich die Stichworte Lernen und Tun aufgreifen um weiter danach zu fragen, wie dieser vom Lernen geprägte Mensch sich verhalten soll. Habitus und Lebensführung In bEruvin 100b heißt es: R. Jochanan beobachtete: Wenn die Tora nicht gegeben worden wäre, hätten wir tseniut von der Katze, (das Fernhalten vom) Diebstahl von der Ameise,146 (das Fernhalten von) verbotenen sexuellen Verbindungen von der Taube und das richtige Verhalten (derekh erets) vom Hahn gelernt, der zuerst seine Frau umwirbt und erst danach mit ihr schläft. Und wie umwirbt er sie? R. Jehuda zitiert Rav: Er sagt zu 146 Vgl. Deuteronomium Rabba Schoftim 5 zu Spr 6,6–7 (Ausgabe Wilna

1887): R. Schimon b. Chalafta erzählte: Eine Ameise hatte einmal ein Weizenkorn fallen lassen, da kamen alle und berochen es und nicht eine war darunter, die es genommen hätte, bis jene kam, der es gehörte, und sie nahm es. Siehe die Weisheit an ihr …

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ihr: Ich will dir einen Mantel erwerben, der bis zu deinen Füßen reicht. Danach sagt er ihr: Möge diesem Hahn sein Kamm ausgerupft werden, wenn er etwas besitzt und dir keinen erwirbt.

Hierzu könnten einem die berühmten Grünauer Graugänse oder Kurt Kotrschals Wolfsstudien einfallen, wobei mich an dem zitierten Beispiel weniger die recht amüsante Naturbeobachtung im Sinne einer antiken Verhaltensforschung interessiert als vielmehr das dadurch transportierte Ideal eines Menschen, der in seinem Verhalten bescheiden, höflich, zuvorkommend und gleichzeitig integer ist. Ich möchte nun näher auf die beiden Stichworte eingehen, welche die Beispielerzählung prägen, tseniut und derekh erets. tseniut

Der Begriff tseniut tritt in der Bibel im Kontext weisheitlicher Belehrung auf (Spr 11,2; Mi 6,8)147 und hat innerhalb der rabbinischen Literatur eine Entwicklung genommen. Bezeichnet er in der Mischna und Tosefta148 in der Regel eine ganz besondere Achtsamkeit in Bezug auf die Gebote, so erhält er später allgemeiner die Bedeutung von Bescheidenheit, Anstand und Sittsamkeit. Tzvi Novick149 stellt einen 147 Vgl. Sira 16,25; 34,22; 35,3; 42,8. 148 Vgl. mDemai 6.6; mKilajim 9.5f.; mMaaser Scheni 5.1; mNidda 2.1; tPea

2.18; tJoma 2.7; tSota 13.7; tKelim Bava Qamma 1.6; Sifre Zuta Num 6,27; mAvot 6.1, jNidda 2,1,49d. 149 Tzvi Novick, What is Good, and What God Demands. Normative Structures in Tannaitic Literature (Supplements to the Journal for the Study of Judaism 144; Leiden – Boston 2010), S. 153.

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Bezug zum griechischen Tugendvorbild von eulábeia und aidós her, die nach Aristoteles die sofrosyne, die selbstbeherrschte Gelassenheit, begleiten (De Virt. 1250b,12). tseniut ist sowohl eine moralische als auch körperliche Tugend, bezieht sich also auf die Schamhaftigkeit in Bezug auf letzteren als auch auf die Zurückhaltung und Bescheidenheit im ethisch-moralischen Sinn. Israel wird in Hohelied Rabba 1.15.2,4; 4.1.2 mit der Taube verglichen, die als Vorbild des Anstandes gilt. Israel unterscheidet sich dadurch von anderen Völkern. In seiner wichtigen Arbeit Jewish Identity in Early Rabbinic Writings verwendet Sacha Stern150 Pierre Bourdieus Konzept des Habitus, um das rabbinische Verständnis der tseniut zu erläutern. Nach Pierre Bourdieu, der sich dabei auf Norbert Elias bezieht, bezeichnet Habitus bekanntlich das umfassende Auftreten einer Person. Dazu gehören Kleidung, Sprache, Lebensstil usw. Die tseniut ist ähnlich umfassend als ein System von Dispositionen zu verstehen. Im außertalmudischen Traktat Derekh Erets Zuta 7.3–5 heißt es dementsprechend über den Toragelehrten: Ein Toragelehrter (talmid chakham) muss tsanua sein in Bezug auf sein (Verhalten beim) Essen, Trinken, Baden, Salben, das Tragen der Schuhe, beim Geschlechtsverkehr, bei seinem Gehen, in seiner Kleidung, seinem Sprechen, seinem Ausspucken und in seinen guten Werken. Wie ist es in Bezug auf eine Jungfrau? Solange sie im Hause ihres Vaters lebt, hält sie sich in tseniut, und wenn sie weggeht, macht sie sich selbst bekannt und sagt: Jeder, der ein Zeugnis ablegen will, soll kommen und ablegen. So muss auch der Toragelehrte 150 Jewish Identity in Early Rabbinic Writings (AGAJU 23; Leiden u.a. 1994).

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in ­seinen Werken tsanua sein und durch seine angenehmen Wege bekannt werden, indem er der Wahrheit nachläuft und nicht der Lüge, Ehrlichkeit und nicht dem Raub, der Bescheidenheit und nicht der Überheblichkeit, dem Frieden und nicht dem Streit, dem Rat der Alten und nicht der Jungen.

Man kann durchaus die These vertreten, dass es sich bei der tseniut um den von den Rabbinen – zumindest in nachtannaitischer Zeit – erwünschten Habitus des jüdischen Menschen handelt. Ihn hätte er nun, so unsere vorhin zitierte Beispielerzählung, von der Katze lernen können. An verschiedenen Stellen151 wird außerdem betont, dass nicht nur Juden, sondern auch die Perser – die großen Kontrahenten Roms – als anständig und zurückhaltend gelten, hier also in gewisser Weise vorbildhaft seien. Dennoch zeigt sich gerade in der Frage der tseniut die enge Verwobenheit mit der eigenen kulturellen Identität, sodass bei gleichzeitiger Hochachtung gegenüber der Zurückhaltung und Tugendhaftigkeit der Perser auch die Unterschiede in der Konkretisierung deutlich gemacht werden. Perser, so heißt es etwa in bKetubbot 48a, würden zum Beispiel Geschlechtsverkehr angezogen vollziehen, Juden nicht. tseniut kann mitunter auch räumlich verstanden werden, als nicht öffentlich. Im Hinblick auf das Lernen sei es daher eine unbestrittene Tatsache, dass derjenige, der sich in tseniut mit seinem Studium abmüht, das Erlernte nicht so schnell vergisst, 151 Vgl. bBerakhot 8b; Genesis Rabba 74.2; Qohelet Rabba 7.23.1, Tanchuma

Chukkat 6.

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heißt es in jBerakhot 5.1.9a. Gemeint ist hier nicht nur die Einstellung zum Studium, sondern auch der Rückzug von lauten und öffentlichen Plätzen. Nach bPesachim 112a habe R. Aqiva seinen Sohn angeleitet, nicht auf öffentlichen Plätzen zu sitzen und zu lehren. Ebenso wenig soll man Tora im Angesicht eines Ungebildeten, eines am ha-arets, lehren, dies sei nach bPesachim 49b genauso, als wenn man öffentlich mit einer Frau schlafe. Die Assoziation zwischen Sexualität und Torastudium, die an dieser Stelle deutlich wird, zeigt, wie eng die Bereiche Körper, Moral und Lehre zusammenhängen. derekh erets

Wer ein Gebot erfüllt, dem wird Gutes zuteilwerden, seine Tage werden verlängert und er erbt das Land. Aber wer (auch nur) ein Gebot nicht erfüllt, dem wird nichts Gutes zuteilwerden, ihm werden seine Tage nicht verlängert und er erbt das Land nicht. [Wer Anteil hat am Schriftwort, an der Mischna und an derekh erets, der sündigt nicht so schnell, wie es heißt: »Eine dreifache Schnur reißt nicht so schnell« (Koh 4,12).] Und wer nicht Anteil hat an der Schrift, an der Mischna und an derekh erets, der hat auch keinen Anteil an der zivilisierten Welt. Aber wer von den dreien Besitz ergreift, über den sagt die Schrift: »Eine dreifache Schnur reißt nicht so schnell«. (mQidduschin 1.10)

derekh erets begegnet in der rabbinischen Literatur in Midrasch und Talmud etwa 200-mal in einer Bedeutungsvielfalt, die von »Sachverhalt« über »Etikette« bis »ethi161

scher Vorschrift« reicht.152 Mehrfach ist im Midrasch davon die Rede, dass »die Schrift kam, um dich derekh erets durch Mose zu lehren«.153 Von der Art, wie Mose betete, lernen die Gerechten beispielsweise, sich beim Beten kurz zu halten (Mekhilta Wajassa 1); von der Pesachfeier, wo man hastig und gegürtet wie Wanderer isst, kann man ableiten, dass Menschen auf Reisen sich Gürtel anlegen sollen (Mekhilta Pischa 7). Im Fall der Belehrung durch Katze, Ameise, Taube und Hahn fehlt der Bibelbezug. Nichtsdestoweniger wird die Aussage zu einer allgemein gültigen Verhaltensregel. Zweifellos ist die Welt der Rabbinen eine durch den biblischen Text geformte, gestaltete, von ihr her beleuchtete. Gleichwohl kann zwischen Welt und Text eine Diskrepanz bestehen. An unserer Stelle ist es jedoch umgekehrt. Für gelehrige Schüler wird die Welt der Natur zum Beispielfeld von Weisheit und Erkenntnis, auch wenn der entscheidende hermeneutische Schritt hier darin besteht, nicht losgelöst von der Kenntnis der Tora die Natur zu beobachten, sondern auf ihrer geistig gefestigten Basis aufbauend gewisse Phänomene der Natur als eine Präfiguration der Tora zu lesen. In seinem Kommentar zur Ausgabe von Derekh Erets Rabba und Zuta154 unterscheidet Marcus van Loopik155 14 152 Vgl. Novick, What is Good, S. 69. 153 Vgl. Mekhilta Pischa 7; Bachodesch 2 etc. 154 Während Derekh Erets Rabba Benimmregeln im umfassenden Sinn

bereitstellt, konzentriert sich Derekh Erets Zuta auf meist anonym vorgetragene Sitten im Kontext von Bescheidenheit und Selbstkontrolle mit einem eschatologischen letzten Kapitel. Zuta ��������������������������� richtet sich ausdrücklich an die Gelehrten. 155 Marcus van Loopik, The Ways of the Sages and the Way of the World. The Minor Tractates of the Babylonian Talmud: Derekh ’Eretz Rabbah; Derekh ’Eretz Zuta; Pereq ha-Shalom. Translated on the basis of the manuscripts and provided with a commentary (TStAJ 26; Tübingen 1991).

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Bedeutungen von derekh erets.156 Sie betreffen Bereiche wie Naturgesetze und natürliche Prozesse und menschliche Reaktionen darauf; die Körperlichkeit, so Körperpflege, Sexualität, Kleidung; praktische Lebensregeln; die Arbeit als Form des grundsätzlichen Verhaltens;157 Verhaltensregeln im sozialen Umgang und im Handel; Umgangsformen bei Tisch und gegenüber Alt und Jung; moralische Normen; religiöse Bräuche; Ratschläge. Er unterscheidet auch z­ wischen 156 «1) natural processes and observations concerning fixed rules of nature’s

ways in general; 2) natural processes and events and man’s reactions to them, which have to do with his physical existence, like, for instance, a disease with a natural course, or a natural death, or the moving of one’s bowels; 3) rules concerning matters that influence health favourably or unfavourably and that are, in one way or another, related to proper care of one’s body and the ways the body should function. For instance, in Derekh ’Eretz one finds rules concerning the visiting of the privy or the bathhouse, rules for proper dressing and undressing, nourishment, bloodletting and such; 4) sexual behaviour as a form of general human behaviour; 5) practical, normative and ethically coloured rules about sexuality and intramarital relationships; 6) work as a form of general behaviour; 7) practical and, sometimes strongly, ethically coloured rules for civilised behaviour in social contracts and especially in the conduction of trade; 8) human reactions and motives to act; 9) practical rules of life and advice; 10) standards of decent behaviour, for instance, concerning the relationships between the young and the old, Torah scholar and student, parents and children, students among themselves, husband and wife etc.; 11) table manners; 12) normative rules with a moral tenor (often to be combined with the uses of the concept mentioned above); rules that belong to this category are often derived from the Torah; 13) proper religious customs; 14) advises, and, in certain circles compulsory, aggravations of general standards, a way to express special piety« (Ebd., S. 3–4). 157 Vgl. den weithin bekannten Ausspruch aus mAvot 2.2 von R. Gamliel: »Gut ist Studium der Tora mit derekh erets, denn die Mühe um sie lässt die Sünde vergessen, und jede Tora, die nicht mit derekh erets verbunden ist, geht zugrunde und zieht Sünde nach sich.« Dies wurde und wird häufig auf die weltliche Arbeit gedeutet (vgl. auch bBerakhot 35b). Für Samson Raphael Hirsch war »Tora verbunden mit derekh erets« Programm, das sich auf das von der Religion durchdrungene Leben in der Welt bezog.

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deskriptiver und präskriptiver Funktion des Begriffes. Demnach umfasst derekh erets einerseits allgemein menschlich erkennbare Phänomene in Bezug auf diesen selbst und die ihn umgebende Welt, zum anderen aber beschreibt er die erwünschten Standards des richtigen Verhaltens und der Umgangsformen. derekh erets kann in einer gewissen Unabhängigkeit zur Toragelehrsamkeit stehen. Ein einprägsames Beispiel dafür findet sich in Levitikus Rabba 9.3. Dort begegnet R. Jannai einem eloquenten Bürger auf der Straße und lässt sich von ihm zum Essen einladen. Jannai testet ihn, ob er ein Gelehrter sei, stellt aber fest, dass der Mann sich weder in der Schrift noch in der Mischna, Lehre/Talmud noch Haggada auskennt. Nicht einmal den Segensspruch über den Wein kann er sprechen. Als Jannai ihn als Hund beleidigt, setzt sich dieser jedoch zur Wehr: Der Mann antwortete: [Einmal ging ich an einer Schule vorbei, und ich hörte die Stimme] der Kinder [sprechen]: »die Tora, die Mose uns geboten hat, ist Erbe der Gemeinde Jakobs« (Dtn 33,4) – es steht nicht »Erbe der Gemeinde Jannais«, sondern »Erbe der Gemeinde Jakobs«. R. Jannai sagte zu ihm: Wodurch hast du es verdient, mit mir am Tisch zu speisen? Der Mann antwortete: Niemals in meinem Leben habe ich, nachdem ich eine üble Nachrede vernommen habe, es der Person, über die sie gesagt wurde, anvertraut, noch habe ich es je unterlassen, zwischen zwei Menschen, die gestritten haben, Frieden zu stiften. R. Jannai sagte zu ihm: Wie konnte ich dich nur Hund nennen, wo du doch so sehr derekh erets besitzt! ... R. Schmuel b. Nachman sagte: derekh erets geht der Tora 26 Generationen voraus, wie es heißt: »zu bewachen den Weg (­ derekh) 164

zum Baum des Lebens« (Gen 3,24) – derekh meint derekh erets und danach (steht) »Baum des Lebens« – das ist die Tora.

Die Beispielerzählung ist allerdings nur zum Teil ein Plädoyer für die Gleichwertigkeit bzw. sogar den Vorrang des richtigen Verhaltens vor der Gelehrsamkeit. Im Text der Druckausgabe, die hier in eckigen Klammern gesetzt ist, geht der Mann an einer Schule vorbei und hört die Kinder den Bibelvers zitieren. In den Handschriften158 ist zwar nur davon die Rede, dass er von den Kindern den Text aufschnappt, doch muss auch in diesem Fall angenommen werden, dass diese ihn gelernt haben. Durch die (Schul-)Kinder erhält der Mann Kontakt zur Bibel und damit auch ein reflektiertes Selbstbild als anerkannter Teil Israels. Gleichzeitig beruft er sich auf Werte, die als derekh erets gewertet werden, nämlich das Vermeiden der üblen Nachrede und das Friedenstiften.159 Sowohl in der Beispielerzählung von den Tieren als auch hier ist eine gewisse Kritik an einer möglichen Überheblichkeit der Gelehrten zu konstatieren, ohne dass man einen Konflikt zwischen dem Konzept der Toragelehrsamkeit und dem Leben nach derekh erets herstellen dürfte. Denn derekh erets bezeichnet als rabbinisches Konzept durchaus einen – wie es van Loopik nennt – »Lifestyle« bestimmter Gruppen von Toragelehrten. Hier ist derekh erets die logische praktische Konsequenz des Handelns nach den im Studium der Tora vorgefundenen Maximen. Was bedeutet dies nun für das rabbinische Verständnis von Bildung? 158 Vgl. zum Textbestand www.viu.ac.il/JS/midrash/VR. 159 Vgl. hier die Funktion des Aaron, auf die ich bereits verwiesen habe. Darauf aufbauend könnte man durchaus formulieren, dass Mose und Aaron die Funktion (der Verbundenheit) von Tora und derekh erets haben.

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Sowohl tseniut als auch derekh erets stellen auf durchaus differenzierte und gleichzeitig eng verwandte Weise das Ideal eines Verhaltens dar, das Israel prägen soll. Gerade die Beispielerzählungen, in denen Ungebildete derekh erets vorzeigen oder umgekehrt Toragelehrten derekh erets fehlt, dienen dazu, in den Kreisen der Gelehrten einzuschärfen, dass beide Elemente, Studium wie Verhalten, untrennbar verwoben sind. Die Traktate Derekh Erets Rabba und Zuta wenden sich dementsprechend an Lehrer wie Schüler. Wie man von Tieren lernen kann, so selbstverständlich von Gott. So verwundert es nicht, dass man in der Pesiqta de Rav Kahana 11.8 Aussagen über Gott durchaus dazu verwenden kann, die Realität des Lehrer- und Schüleralltags und auch den ebenso gepriesenen derekh erets ein wenig kritisch zu beleuchten.160 Als Gott nämlich die Israeliten aus Ägypten herausführte, stellte er das soziale Gefüge auf den Kopf: »Und Gott führte sie nicht auf dem Weg [ins Philisterland]« (Ex 13,17) – Das lehrt, dass er mit ihnen nicht verfuhr, wie es der übliche Weg (derekh erets) ist. R. Lewi im Namen des R. Hama b. Hanina nannte dazu acht Beispiele: Üblicherweise kommt das Wasser von oben und das Brot von unten. Hier aber kam das Brot von oben und das Wasser von unten. Das Brot von oben: »Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen« (Ex 16,4). Und das Wasser von unten: »Dann sang Israel dieses Lied: Steig auf, Brunnen, singt ihm!« (Num 21,17). 160 Vgl. etwa bSota 46b, wo darüber gesprochen wird, wieweit jeweils ein

Schüler seinen Lehrer zu begleiten hat.

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Üblicherweise trägt der Schüler die Laterne und geht vor dem Lehrer,161 hier aber: »Nicht wich die Wolkensäule bei Tag [und die Feuersäule bei Nacht von der Spitze des Volkes]« (Ex 13,22). Üblicherweise geht der Schüler vorne und der Lehrer hinten, hier aber: »Und JHWH zieht vor ihnen her am Tag« (Ex 13,21). Üblicherweise wäscht der Schüler den Lehrer, hier aber: »Und ich wusch dich mit Wasser« (Ez 16,9). Üblicherweise kleidet der Schüler den Lehrer, hier aber: »Und ich kleidete dich bunt« (Ez 16,10). … Üblicherweise zieht der Schüler dem Lehrer die Schuhe an, hier aber: »Und legte dir Schuhe aus Tachaschhaut an« (Ez 16,10). Üblicherweise trägt der Schüler den Lehrer, hier aber: »Und Ich trage euch auf den Schwingen des Adlers« (Ex 19,4). Üblicherweise schläft der Lehrer und der Schüler steht und wacht über ihn, hier aber: »Siehe, es schläft und schlummert nicht der Wächter Israels« (Ps 121,4).

161 Über die Dienste der Schüler gegenüber den Lehrern wurde oben schon

gehandelt; vgl. auch Hezser, Social Structure, S. 332–334.

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Fazit und persönliche Aneignung Ich habe am Anfang dieses Buches klargemacht, dass ich die rabbinischen Belege auch auf die Frage hin betrachte, ob ,und wenn ja, was wir daraus heute lernen können. Ich glaube nicht, dass die rabbinische Literatur wie ein Kochbuch funktioniert, das uns Rezepte liefert, die wir einfach nachkochen können. Vielmehr sehe ich darin Impulse, eine ganze Reihe von hervorragenden Vorschlägen. Ich muss dabei nicht alle Zutaten übernehmen, kann sie variieren und darf sogar manches als ungeeignet verwerfen und mich kritisch dazu stellen, anderes hingegen hinzufügen, um der Speise einen besonderen – hervorragenden – Geschmack zu geben. Wer aufmerksam gelesen hat, wird die zentralen Anliegen durchaus bereits herausgefiltert haben, weshalb ich mich sehr kurz fassen kann. Die rabbinische Schule funktioniert als Gesamtschule in einem nicht so streng geregelten, aber doch gegliederten Bildungsaufbau. In jedem Fall haben wir es mit einer Schule zu tun, in der die stärkeren Schüler die Schwächeren aufbauen, in der laut gemeinsam gelernt wird. Zumindest für den höheren Studienbereich ist eine intensive und umfassende gemeinschaftliche Lebensform von Schülern bei einem Lehrer anzunehmen. Respekt und Achtung spielen eine große Rolle, es wird auch praktisch gearbeitet und Schüler dienen ihren Lehrern. Ohne diesen Punkt unkritisch übernehmen zu wollen, bleibt hier festzuhalten, dass dieser Respekt vor Lehrern durchaus Sinn macht, wenn man dafür intensivste individuelle Betreuung erwarten darf. Sehr wichtig erscheint mir auch die hohe Wertschätzung der aktiven Schülerbeiträge im Unterricht, die ein 168

Lernen mit viel Memorieren und Strukturieren des umfassenden Lernstoffs begleitet. Wissenszuwachs geschieht zum einen durch die mit ständiger Wiederholung angeeignete Fülle von Stoff, die sich auf möglichst alle Wissensgebiete bezieht, die in der ausbildenden Gruppe gelehrt und geschätzt werden. Die Rabbinen haben das mit Begriffen wie Halakha, Haggada, Midrasch oder auch mit Bibel, Mischna, Tosefta, Talmud näher bezeichnet, ohne dass – abgesehen von der Bibel – darin unsere heute vorliegenden Werke gemeint sind. Langsam wird gelernt, Gelerntes verfestigt, ehe zum nächsten Lernschritt fortgeschritten wird. Das Tempo der Schüler ist unterschiedlich und es verlangt Geduld von den Lehrenden, die erst zufrieden sein dürfen, wenn die Lernenden alles verstanden und gefestigt haben. Mit fortschreitendem Beherrschen von Lernstoff soll auch die innere Auseinandersetzung zunehmen, d. h., am Ende sollen eigene Gedanken und Auslegungen entstehen und auch gelehrt werden. Das Bewusstsein, immer schon auf vorhandenem Wissen aufzubauen, ist sehr stark. Innerhalb der rabbinischen Literatur wird aber auch betont, dass neben dem Lernen auf der Basis der Bewahrung von vorhandenem Wissen die Innovation nicht zu kurz kommen darf. Dies erläutern vor allem einige in diesem Buch erwähnte Erzählungen z. B. zu R. Jehoschua und R. Eliezer. Das Wichtigste, was wir in unserem Schuldienst ebenso wie in unseren Universitäten aus der rabbinischen Tradition lernen sollten, scheint mir aber zu sein, dass neben einem mit massiver Geduld und äußerster pädagogischer Anstrengung vermittelten Fachwissen ein Welt- und Menschenbild geprägt wird, das mehr als nur menschlichen Maßstäben genügt. 169

Im späten Midrasch Seder Elijahu Rabba (Friedmann 128) wird auf beeindruckende Weise erläutert: Wodurch gewinnt der Mensch seinen Vater im Himmel (für sich)? Durch gute Werke und Studium der Tora ... durch Liebe, Brüderlichkeit, Ehrfurcht, Freundschaft, Wahrheit, Friedfertigkeit, Selbsterniedrigung und Demut, Studium, wenig Geschäft, Dienst der Gelehrten, Diskussion mit den Gelehrten, ein gutes Herz, derekh erets, einem klaren Nein und einem klaren Ja!

Dies ist vielleicht die kompakteste Zusammenfassung des Ziels von Lernen und Lehren überhaupt, der in den Augen der Rabbinen vollkommene Mensch. So alt diese Einsicht sein mag, so modern ist sie. Auf den Punkt gebracht soll der Mensch, den wir ausbilden, doch sehr verschieden von dem sein, was eine neoliberale Ellbogen- und Gewinner-Verlierer-Gesellschaft als »Ideal« vor Augen führt. Am Ende soll vielmehr der Mensch stehen, der gerade durch seine intensive Bildung in allen relevanten Bereichen der Gesellschaft bis hin zu seinem ganz persönlichen Leben eine zutiefst solidarische, friedliebende, sich selbst zurücknehmende, auf das Gemeinwohl bedachte Persönlichkeit darstellt. Das ist umso mehr richtig, als sich diese Menschen-Bildung mit einer durchaus strengen und konsequenten, also keineswegs laxen Fachausbildung paart. Lehrerinnen und Lehrer haben hier eine gewaltige Aufgabe vor sich, die sich nicht in Stichworten wie »soziales Lernen« erschöpft. Es ist viel zu tun, um dieses Ideal auch in unserem Bildungssystem umzusetzen und aus unseren Kindern und uns selbst wirkliche Gelehrte zu machen. Gelehrte, deren geistige Größe mehr ist als Aus-Bildung und nicht 170

zur Ein-Bildung führt, eine Erziehung jenseits einer bloßen Rekrutierung für einen angeblich ständig mehr fordernden Arbeitsmarkt; Gelehrte vielmehr, die eine Welt ethisch und moralisch zu tragen imstande sind. Manches mag man gegenüber dem rabbinischen Bildungsideal kritisch einwerfen. So ist die Beteiligung von Frauen am Bildungserwerb und an der Bildungsweitergabe massiv einzufordern. Außerdem darf nicht übersehen werden, dass der Neugierde und Offenheit für Wissensstoffe außerhalb der »Traditionsliteratur« mit einer größeren Gelassenheit und mehr Ermutigung begegnet werden soll, als dies zu bestimmten Zeiten innerhalb der jüdischen Orthodoxie der Fall war. Nicht übernehmen kann man Erziehungsmethoden, die körperliche Züchtigung nicht ausschließen. Diese waren ohnehin kein Spezifikum jüdischen Lehrens und Lernens. Doch ändern diese kritischen Bemerkungen nichts am positiven Blick auf die grundlegenden Anliegen und Ziele der rabbinischen Bildungsbewegung. Unzweifelhaft war die rabbinische Bewegung in Lernen und Lehren auf eine Tora bezogen, die sie als göttliche Gabe verstand, weshalb Lernen und Lehren immer auch ein religiöser Akt ist. Für säkulare oder gar atheistische Aneignungen rabbinischer Vorbilder, die ich durchaus für möglich halte, sollte dieser Umstand reflektiert werden, allerdings nicht »abschrecken«. Die Tora ist schließlich nicht mehr im Himmel (bBava Metsia 59b u.ö.). Sie ist dem Menschen als Geschenk und ihr Studium, ihre Auslegung und Vermittlung ihm als Aufgabe übertragen, die er mit größter Verantwortung übernehmen soll. Es wäre durchaus reizvoll, sich zu fragen, wie ein zukünftiger PISA-Test nach Maßstäben des rabbinischen 171

Bildungsideals aussehen könnte. Er würde vielleicht danach fragen, welche Personen aus dem Bildungssystem herausgewachsen sind, wie sie sich in einer Gesellschaft als Vorbilder bewähren und dies neben und mit dem Faktenwissen abtesten. Lebenslanges Lernen könnte in diesem Fall nicht nur (aber auch) aus erinnertem und vermitteltem Wissen bestehen und »geprüft« werden, sondern an der praktischen Lebensführung, dem Verhalten in der Gesellschaft, dem Geschäftsleben und selbst im Bereich des persönlichen Umgangs. Das oberste Bildungsideal der Rabbinen ist zweifellos der Rabbi selbst, der Lehrer, der die Lehre der Tradition bewahrt, sie durchdringt, weitergibt und das Wissen noch im Gespräch mit anderen Meinungen erweitert. Es bleibt freilich zu fragen, ob eine Gesellschaft, die ausschließlich aus Gelehrten bestünde, überhaupt lebensfähig wäre. Davon sind wir jedoch genauso wie zu Zeiten der Rabbinen weit entfernt. Leider aber auch von einem in die Praxis umgesetzten Bekenntnis zur Förderung der breiten höheren Bildung, um nicht nur das Faktenwissen zu mehren, sondern die Gesellschaft zu formen und zu prägen, wie es die Rabbinen zweifellos anstrebten. Ich habe nur Schlaglichter auf ein umfassendes Gebiet werfen können. Es wäre zu wünschen, ähnliche und weiterführende Studien in Bezug auf die nachtalmudische Ära des Judentums und die Anwendung von Wissen, Lehr- und Lernstoff, Vermittlung und Bildungsideale anzufertigen bzw. vorhandene Studien in einer gut lesbaren Form einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

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Abkürzungen Zeitschriften werden nicht abgekürzt. Manche mehrfach vorkommende Reihen werden abgekürzt: AGAJU = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums TStAJ = Texte und Studien zum Antiken Judentum WUNT = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Literatur

Quellen und Übersetzungen

Als Grundlage dient neben den herkömmlichen Druckbzw. kritischen Ausgaben die Datenbank Ma’agarim, deren Basis die jeweils älteste Handschrift darstellt. Zu den einzelnen Quellen der rabbinischen Literatur verweise ich auf Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 92011. Becker, Hans-Jürgen (in Zusammenarbeit mit Christoph Berner), Avot de-Rabbi Natan. Synoptische Edition beider Versionen (TStAJ 116; Tübingen 2006). Börner-Klein, Dagmar, Elî’ezer Ben-Hûrqānûs: Pirke deRabbi Elieser. Nach der Edition Venedig 1544 unter Berücksichtigung der Edition Warschau 1852 (Studia Judaica 26; Berlin u.a. 2004). Hüttenmeister, Frowald Gil, Sota. Die des Ehebruchs verdächtige Frau (Übersetzung des Talmud Yerushalmi III/2����� ; Tübingen 1998). 173

Abkürzungen Zeitschriften werden nicht abgekürzt. Manche mehrfach vorkommende Reihen werden abgekürzt: AGAJU = Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums TStAJ = Texte und Studien zum Antiken Judentum WUNT = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Literatur

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Als Grundlage dient neben den herkömmlichen Druckbzw. kritischen Ausgaben die Datenbank Ma’agarim, deren Basis die jeweils älteste Handschrift darstellt. Zu den einzelnen Quellen der rabbinischen Literatur verweise ich auf Günter Stemberger, Einleitung in Talmud und Midrasch, München 92011. Becker, Hans-Jürgen (in Zusammenarbeit mit Christoph Berner), Avot de-Rabbi Natan. Synoptische Edition beider Versionen (TStAJ 116; Tübingen 2006). Börner-Klein, Dagmar, Elî’ezer Ben-Hûrqānûs: Pirke deRabbi Elieser. Nach der Edition Venedig 1544 unter Berücksichtigung der Edition Warschau 1852 (Studia Judaica 26; Berlin u.a. 2004). Hüttenmeister, Frowald Gil, Sota. Die des Ehebruchs verdächtige Frau (Übersetzung des Talmud Yerushalmi III/2����� ; Tübingen 1998). 173

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STABWECHSEL. ANTRITTSVORLESUNGEN AUS DER HISTORISCH-KULTURWISSENSCHAFTLICHEN FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT WIEN

BAND 1 | PEER VRIES

ZUR POLITISCHEN ÖKONOMIE DES TEES WAS UNS TEE ÜBER DIE ENGLISCHE UND CHINESISCHE WIRTSCHAFT DER FRÜHEN NEUZEIT SAGEN KANN 2009. 161 S. 8 TAB. 1 KARTE. GB. | ISBN 978-3-205-78341-1

„[Ein] gelungener Beitrag zur Frage, was frühneuzeitlich globale Wirtschaftsgeschichte kann und warum es sich trotz der methodischen Beschränkungen lohnt, über ihren Forschungsgegenstand nachzudenken.“

Sehepunkte

BAND 2 | CHRISTINA LUTTER

ZWISCHEN HOF UND KLOSTER KULTURELLE GEMEINSCHAFTEN IM MITTELALTERLICHEN ÖSTERREICH 2010. 140 S. 13 S/W-ABB. GB. | ISBN 978-3-205-78574-3

Menschen, die im Hochmittelalter weltliche und geistliche Lebensformen gestalteten, bewegten sich oft zwischen Adelskultur und Armutsideal. Der Frage, wie diese Bewegungen stattfanden, wird in diesem Band nachgegangen.

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