Meinungsfreiheit und unternehmensschädigende Äußerung [1 ed.] 9783428423828, 9783428023820

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Meinungsfreiheit und unternehmensschädigende Äußerung [1 ed.]
 9783428423828, 9783428023820

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 140

Meinungsfreiheit und unternehmensschädigende Äußerung Von Karsten von Köller

Duncker & Humblot · Berlin

KARSTEN VON K Ö L L E R

Meinungsfreiheit und unternehmensschädigende Äußerung

Schriften zum ö f f e n t l i c h e n Band 140

Recht

Meinungsfreiheit und unternehmensschädigende Äußerung

Von

Dr. Karsten von Koller

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1971 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1971 bei Alb. Sayffaerth, Berlin 61 Printed in Germany ISBN 3 428 02382 X

Inhaltsverzeichnis

1. Teil Die praktische Problematik 1. Abschnitt: Die unternehmensschädigende Äußerung

1

1. Unternehmensschädigende u n d geschäftsschädigende Äußerung

1

2. Unternehmensschädigende Äußerungen durch Personen des Privatrechts u n d des öffentlichen Hechts

3

3. Die Beteiligung von drei Parteien bei der unternehmensschädigenden Äußerung

3

2. Abschnitt: Beispielsfälle aus dem Problemkreis der unternehmensschädigenden Äußerung

5

A. Die Notwendigkeit einer Konkretisierung der Generalklauseln

δ

Β. Fallgruppen außerhalb des geschäftlichen Wettbewerbs

6

I. Boykottfälle

6

1. Einfache Boykottfälle

6

2. Besondere Boykottfälle a) Boykott m i t besonderem wirtschaftlichen Druck b) Boykott bei Fehlen eines echten Interessenkonflikts c) Boykott gegen den, der das Boykottziel nicht erfüllen k a n n .. d) Anzeigenboykott

7 7 8 8 8

I I . K r i t i k künstlerischer Leistungen I I I . Industrieberichte i m Interesse der Allgemeinheit I V . Leistungstests

8 9 10

1. Gewerbliche Leistungstests

10

2. Leistungstests durch Verbraucherverbände

11

V. Kreditschutzlisten

11

V I . Sonstige unternehmensschädigende Äußerung außerhalb des W e t t bewerbs

11

1. Unternehmensschädigende Äußerung durch Einzelpersonen . . . a) i n einem Brief an einen Parteivorsitzenden

12 12

VI

Inhaltsverzeichnis b) i m Bekanntenkreis c) i n einem Rundschreiben an Geschäftsfreunde d) durch Auskünfte an eine Auskunftei 2. Unternehmensschädigende Äußerung durch Organisationen des öffentlichen Lebens 3. Unternehmensschädigende Äußerung i n der Presse a) i n der periodischen Presse durch die i m Pressewesen tätigen Personen b) i n der periodischen Presse durch nicht i m Pressewesen tätige Personen aa) i n Leserbriefen bb) i n Zeitschriftenaufsätzen c) Unternehmenskritik i n sonstigen Druckwerken aa) i n einem Buch bb) i n einem Marktbericht cc) i n einem fachlichen Informationsdienst

C. Fallgruppen auf der Grenze zum geschäftlichen Wettbewerb

12 12 12 12 13 13 13 13 14 14 14 14 14 14

1. E i n Wettbewerber als Informant für Presse Veröffentlichungen

15

2. Pressefehde

15

D. Fallgruppen i m Bereich des geschäftlichen Wettbewerbs I. Unberechtigte Schutzrechts Verwarnung gegenüber D r i t t e n I I . Der Boykott I I I . M a r k t i n f o r m a t i o n für den gewerblichen Handel

16 16 16 17

I V . Vergleichende Werbung

17

1. System vergleich

18

2. Richtpreiswerbung

19

3. Die Ausnahmefälle der vergleichenden Werbung unter dem Gesichtspunkt hinreichender Veranlassung a) Vergleich auf Verlangen des K u n d e n b) Fortschrittsvergleich c) Abwehrvergleich d) Vergleich i n Wahrnehmung eines berechtigten Interesses . . aa) Vergleich bei K u n d e n i r r t u m oder Gefahr einer I r r e führung bb) Preisvergleich bei identischen Erzeugnissen V. Werbung m i t vergleichenden Warentests

20 20 20 21 21 22 22 22

1. Werbung m i t vollständigen Testberichten

23

2. Werbung m i t Auszügen aus Testberichten a) durch vertikale Zitate b) durch horizontale Zitate

23 23 23

3. Werbung m i t Hinweisen auf Testberichte

23

V I . Sonstige unternehmensschädigende Äußerung i m geschäftlichen Wettbewerb

23

Inhaltsverzeichnis 2. Teil Das einfache Gesetzesrecht und sein Offensein für verfassungsrechtliche Wertungen 1. Kapitel: Das einfache Gesetzesrecht

27

1. Abschnitt: Die Tatbestände des bürgerlichen Rechts

27

A. Zivilrechtlicher Schutz vor Beleidigungen eines Unternehmens

27

I. Die allgemeinen Beleidigungsdelikte (§§ 185 ff. StGB)

27

I I . Die verleumderische Kreditgefährdung (§ 187 StGB)

31

B. Erwerbsschädigung (§ 824 BGB)

32

C. Das Recht am eingerichteten u n d ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB)

39

I. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Eingriff i n das Recht am Gewerbebetrieb durch unternehmensschädigende Äußerungen

39

I I . Eine vorläufige Stellungnahme zum Schutz vor unternehmensschädigenden Äußerungen durch das Recht am eingerichteten u n d ausgeübten Gewerbebetrieb

45

1. Die gewohnheitsrechtliche Anerkennung des Unternehmensschutzes a) Das Recht am Gewerbebetrieb als Gewohnheitsrecht b) K e i n Unternehmensschutz durch analoge A n w e n d u n g anderer Vorschriften aa) §§ 185 ff. StGB i. V. m. § 823 Abs. 2 B G B bb) § 824 B G B cc) § 826 B G B c) Äußerung wahrer Tatsachen u n d Unternehmensschutz d) Persönlichkeitsrecht u n d Unternehmensschutz 2. Das Recht am Gewerbebetrieb als ein „sonstiges Recht" a) Der I n h a l t des Rechts am Gewerbebetrieb u n d der I n h a l t sonstiger absoluter Rechte b) Genereller oder absolut personeller Schutz vor Eingriffen . . c) Verletzung des Rechts am Unternehmen nicht n u r Erfolgs-, sondern vorwiegend Handlungsunrecht 3. Materielle Prüfung der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs Interessenwertung

und

45 45 48 49 49 50 50 51 53 53 53 55 57

D. Die sittenwidrige Schädigung

62

2. Abschnitt: Die Tatbestände des Wettbewerbsrechts

67

A. Die Tatbestände des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb

67

I. Unerlaubte Werbung (§ 3 UWG) I I . Anschwärzung (§ 14 UWG)

68 68

V

Inhaltsverzeichnis I I I . Geschäftliche Verleumdung (§§ 15 UWG, 823 Abs. 2 BGB)

70

I V . Die wettbewerbliche Generalklausel (§ 1 UWG)

70

1. Die Formel der „guten Sitten" a) als Verweis auf die tatsächlich geübte Sitte b) als Verweis auf die Gebote der Sittlichkeit c) als Verweis auf Normen des sozialen Zusammenlebens 2. Die Formel der „guten Sitten" als A u f t r a g zur Vornahme einer Interessenwertung 3. Die Besonderheiten der Interessenwertung i m Wettbewerbsrecht a) Berücksichtigung der Interessen der Anbieter, ihrer K o n k u r renten, der Verbraucher und der Allgemeinheit b) Die Entscheidung des G W B f ü r einen freien Wettbewerb als Bewertungsfaktor c) Die Berücksichtigung subjektiver Momente d) Interessenwertung u n d Systematik des Wettbewerbsrechts 4. Wettbewerbshandlung u n d Wettbewerbsabsicht

70 71 72 74

B. Die Tatbestände des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen . . . .

85

3. Abschnitt: Die Konkurrenzen der einzelnen Tatbestände

86

I. Das Verhältnis der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften zueinander 1. Das Recht am Unternehmen i m Verhältnis zu § 824 B G B 2. Das Recht am Unternehmen i m Verhältnis zu § 826 B G B 3. § 826 B G B i m Verhältnis zu § 824 B G B I I . Das Verhältnis der wettbewerbsrechtlichen Vorschriften ander

76 77 78 79 81 82 83

87 87 88 88

zuein-

I I I . Das Verhältnis der Vorschriften des B G B zu denen des U W G 1. Das Recht am Unternehmen i m Verhältnis zu § 1 U W G 2. Das Verhältnis des § 826 B G B zu § 1 U W G 3. Das Verhältnis der bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln zu § 14 U W G 4. Das Verhältnis des § 824 B G B zu den Vorschriften des U W G . . . 5. § 823 Abs. 2 B G B u n d die Vorschriften des U W G als Schutzgesetz 2. Kapitel: Das Offensein des einfachen Gesetzesrechts für verfassungsrechtliche Wertungen

89 90 91 92 92 93 93 94

3. Teil Die Bedeutung des Verfassungsrechts für das einfache Gesetzesrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht 1. Kapitel: Die MeinungsäußerungsAbs. 1 G G

und Pressefreiheit

des Art. 5

Einleitung: Der individualrechtliche und objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte

99 99

Inhaltsverzeichnis 1. Abschnitt: öffentliche Meinung oder freiheitliche Kommunikation als objektivrechtlicher Gehalt der Kommunikationsgrundrechte 105 A. Der objektivrechtliche Gehalt der Kommunikationsgrundrechte — Der Schutz eines freiheitlichen Kommunikationsprozesses 105 B. Der widersprüchliche Verweis auf die öffentliche Meinung

107

C. Die öffentliche Meinung — Der Begriff u n d sein verwertbarer I n h a l t . . 109 I. Der Begriff der öffentlichen Meinung u n d seine möglichen Inhalte 109 I I . Die öffentliche Meinung — ein gesellschaftlich-kollektiver Prozeß 112 D. Erste Folgerungen aus dem objektivrechtlichen Gehalt der K o m m u n i kationsgrundrechte 115 I. Die Gewährleistung eines freiheitlichen Kommunikationsprozesses 115 I I . Der Kommunikationsprozeß als Lebensvorgang

115

1. Personelle Universalität

116

2. Thematische Universalität

117

3. Meinungsbildung u n d dialektische Methode

119

I I I . Das Freiheitliche des Kommunikationsprozesses

120

1. Der Kommunikationsprozeß als Grundlage der demokratischen Ordnung 120 2. Die Stellung des Kommunikationsprozesses i n Staat und Gesellschaft 120 3. Unzulässige Beeinträchtigungen des Kommunikationsprozesses 121 2. Abschnitt: Der individualrechtliche Gehalt der Meinungsäußerungsund Pressefreiheit 124 1. Unterabschnitt: Sinn und Ausgangspunkte der Auslegung

124

A. Der Sinn dieser Erörterungen

124

B. Die Grundlage der Interpretation der individuellen Berechtigungen des A r t . 5 Abs. 1 GG 125 I. Die Ansatzpunkte der Auslegung

126

1. Der objektivrechtliche Gehalt des A r t . 5 Abs. 1 GG

126

2. Das grundrechtliche „ L e i t b i l d " des A r t . 5 Abs. 1 GG

127

I I . Die Bedeutung der Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG für die I n t e r pretation des A r t . 5 Abs. 1 GG 128 1. Die Lösung v o m Eingriffs- und Schrankendenken a) Die Auffassung von K l e i n b) Häberle c) Hesse d) Schnur e) Lerche f) Zusammenfassung

129 130 130 131 132 132 133

X

Inhaltsverzeichnis 2. Das Wesen des allgemeinen Gesetzes a) Grundrechtsprägung b) Zuordnung, Konkurrenzlösung u n d Begrenzung

135 135 135

3. Zusammenfassung

138

2. Unterabschnitt: Die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 G G 139 A. Der Schutz der Äußerung einer Meinung I. Der Begriff der Meinung I I . Qualitative Merkmale der Meinung

139 139 141

1. Stellungnahmen grundsätzlicher A r t

141

2. These i n einem politischen Bereich

142

3. Andere qualitative Merkmale

144

B. Der Schutz der Tatsachenäußerung

145

1. Der Begriff der Tatsache u n d das Äußern einer Meinung durch „Positionsgebung" einer Tatsache 145 2. Die Argumente für einen generellen Schutz der Tatsachenäußerung a) Abgrenzungsschwierigkeiten b) Tatsachen als Grundlage u n d „Rohstoff" einer Meinung c) Rückschluß aus der Informationsfreiheit d) Schluß aus dem objektivrechtlichen Gehalt der K o m m u n i kationsgrundrechte e) Geltung des sachnächsten Grundrechtsvorbehalts 3. Zusammenfassung

147 147 147 148 148 149 149

C. Die Wahrheitserfordernisse der Meinungs- und Tatsachenäußerung . . . 150 I. Die Wahrheitserfordernisse der Meinungsäußerung 1. Wahrheit u n d Wahrhaftigkeit 2. U n w a h r h a f t i g k e i t I I . Die Wahrheitserfordernisse der Tatsachenäußerung

150 150 151 153

1. Wahrheit u n d Wahrhaftigkeit

153

2. Die bewußt unwahre Tatsachenmitteilung

154

D. Die Werbungsaussage als Meinungs- u n d Tatsachenäußerung I. Die Problemstellung

154 154

1. Die Bedeutung des Grundrechtsschutzes der Werbeaussage für das Thema 154 2. Die Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtung der einzelnen Werbungsformen 155 3. Unproblematisch: Public Relations

155

I I . Vorwiegend ablehnende Stellungnahmen i n Rechtsprechung u n d Schrifttum 156 1. Der G r u n d der Vielfalt der Stellungnahmen

156

Inhaltsverzeichnis 2. Die Stellungnahmen i n der Weimarer Zeit und die Rechtsprechung zum System vergleich 156 3. Die neuere Rechtsprechung

158

4. Die Rechtsprechung des BVerfG

159

5. Die Stellungnahme Leisners

159

I I I . Die Gründe für die Einbeziehung der Werbeaussage i n den G r u n d rechtsschutz des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG 160 1. Voraussetzung: Werbeaussage als Meinungs- oder Tatsachenäußerung 160 2. Die Zweckverfolgung hindert nicht den Grundrechtsschutz

161

3. Die Folgerungen aus dem objektivrechtlichen Gehalt der K o m munikationsgrundrechte a) Die Werbeaussage ist kommunikationsfähig b) Die personelle u n d thematische Universalität des K o m m u n i kationsprozesses c) Zuordnung zum sachnächsten Grundrechtsbereich d) Zuordnung zum sachnächsten Grundrechts vorbehält

162 162 163

4. Zusammenfassung

163

E. Die Meinungsäußerung und ihre W i r k u n g

161 162

164

1. Die dem Kommunikationsprozeß gemäße W i r k u n g

164

2. Meinungsdurchsetzung m i t Druck, Zwang und Gewalt

165

F. Die Geltung der Äußerungsfreiheit für Personenvereinigungen und juristische Personen des Privatrechts 167 3. Unterabschnitt: Die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 2 G G

168

A. Problemstellung

168

B. Pressefreiheit u n d Meinungsäußerungsfreiheit

168

1. Die Meinungsäußerungsfreiheit freiheit

168

als „Kernrecht" der Presse-

2. Die M i t t e l der Äußerung beim Recht der Pressefreiheit

169

3. Mögliche Besonderheiten des Rechts der Pressefreiheit i n H i n blick auf das Thema 170 C. Die Pressefreiheit als Einrichtungsgarantie I. Das Begriffsdilemma

170 170

1. Beispiele

170

2. Die herkömmliche Lehre von den Einrichtungsgarantien

172

3. Die Brücke zur hier vertretenen Auffassung

172

I I . Das Ziel der Anerkennung einer Einrichtungsgarantie

173

1. Eine Privilegierung der Presse

173

2. Eine erhöhte Inpflichtnahme der Presse

173

3. Die Fragwürdigkeit dieser Ziele

173

XII

Inhaltsverzeichnis I I I . Der G r u n d der Anerkennung einer Einrichtungsgarantie

174

1. Die öffentliche Aufgabe der Presse 174 2. Die Stellung der Presse i m Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung 174 I V . Der objektivrechtliche Gehalt der Pressefreiheit

175

1. Der Brückenschlag 175 2. Die Schlüsselstellung der Presse i m Kommunikationsprozeß u n d die daraus zu gewinnenden Folgerungen 176 D. Die öffentliche Aufgabe der Presse

177

I. Die öffentliche Aufgabe — ein Sachproblem

177

I I . Der Zweck u n d die Folgen der Annahme einer öffentlichen A u f gabe der Presse 178 1. Die öffentliche Aufgabe als Begründung für das Institutionelle der Pressefreiheit 2. Die öffentliche Aufgabe als immanente Gewährleistungsschranke 3. Die öffentliche Abgabe als „Pflichtenfüllhorn" 4. Die öffentliche Aufgabe als Begründung der A n w e n d u n g des § 193 StGB auf die Presse I I I . Der Grund der Annahme einer öffentlichen Aufgabe IV. Die öffentliche Aufgabe als unzutreffende Umschreibung F u n k t i o n der Presse i m Kommunikationsprozeß

178 178 180 181 181

der

182

E. Die Geltung der Pressefreiheit für Personen Vereinigungen und j u r i stische Personen des Privatrechts 183 2. Kapitel: Art. 5 Abs. 1 G G und das einfache Gesetzesrecht

184

Überblick: Die gegenseitigen Einflüsse

184

L

186

Abschnitt: Die allgemeinen Gesetze des Art. 5 Abs. 2 G G

A. Das Allgemeine des allgemeinen Gesetzes des A r t . 5 Abs. 2 GG I. Allgemein abgelehnte Deutungen 1. „ A l l g e m e i n " i m Sinne des A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG 2. „ A l l g e m e i n " — ein überflüssiger Zusatz I I . Formale Deutungen 1. Die Auffassung Häntzschels 2. Die Auffassung Rothenbüchers 3. Die Auffassung Bettermanns

186 186 186 186 187 187 188 188

I I I . Die Deutung des allgemeinen Gesetzes i m Sinne einer materialen Allgemeinheit 191 I V . Die Auffassung des B V e r f G

193

1. Das Gebot einer differenzierenden Betrachtung des L ü t h - U r t e i l s 193

Inhaltsverzeichnis 2. Die K r i t i k an der Auffassung des B V e r f G zu den allgemeinen Gesetzen 193 3. Die weiterreichenden Probleme a) Die „Wechselwirkung" b) Die Güter- und Interessenabwägung

194 195 195

4. Die vorläufige eigene Stellungnahme a) zur Interessenwertung b) zur Wechselwirkung c) zur Güterabwägung

196 196 196 197

V. Die beide Pole verbindende Lösung

198

1. Bestimmung der materiellen K r i t e r i e n des allgemeinen Gesetzes aus seiner zuordnenden F u n k t i o n 198 a) Zuordnung zu einem verfassungsrechtlich anerkannten Rechtsgut 199 b) Unzulässigkeit einer abstrakten Abwägung 200 2. Bestimmung der formalen K r i t e r i e n des allgemeinen Gesetzes unter Berücksichtigung seiner zuordnenden F u n k t i o n a) Die Orientierung der Normaussage am zuzuordnenden Rechtsgut b) Das Verbot, durch ein allgemeines Gesetz Druck, Zwang u n d Gewalt bei der Meinungsdurchsetzung zuzulassen c) Die K o n t r o l l f u n k t i o n eines konkreten Wertvergleichs

200 202 202 202

3. Abstrakte und konkrete Betrachtung des allgemeinen Gesetzes 203 B. Das allgemeine Gesetz — Gesetz i m formellen oder materiellen S i n n . . 204 C. Das allgemeine Gesetz und die Wesensgehaltsgarantie des A r t . 19 Abs. 2 GG 205 D. Das unternehmensschützende Zivilrecht als allgemeines Gesetz I. Grundsätzliche Eignung des Zivilrechts

208 208

I I . Die vorläufige Überprüfung der unternehmensschützenden Z i v i l rechtsnormen an den K r i t e r i e n des allgemeinen Gesetzes 210 1. §§ 824 B G B u n d 14 U W G

210

2. Die Generalklauseln

210

2. Abschnitt: Die privatrechtsgestaltende Kraft des Art. 5 Abs. 1 GG . . . 212 1. Unterabschnitt: Die Fragestellung

212

2. Unterabschnitt: Die sog. Dritt Wirkung der Grundrechte

214

A. Das „ O b " einer D r i t t w i r k u n g

214

1. Vorläufige Beschränkung der Erörterung auf die mittelbare u n d unmittelbare D r i t t w i r k u n g 214 2. Das Hinauswirken der Grundrechte über das Subordinationsverhältnis 214

XI

Inhaltsverzeichnis 3. Die Drittwirkungsfähigkeit Abs. 1 GG

der Äußerungsfreiheit des A r t . 5

B. Das „ W i e " einer D r i t t w i r k u n g I. Die absolute oder unmittelbare D r i t t w i r k u n g

217 217 218

1. Ihre Befürworter

218

a) Geiger b) Leisner c) Nipperdey

218 219 219

2. Zugeständnisse an die Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r kung a) Grundrechtsgeltung gegenüber intermediären Gewalten . . . . b) Keine Gefährdung der Privatautonomie c) Keine Gefährdung der Eigenständigkeit des Zivilrechts 3. Gründe, die gegen die Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r kung sprechen a) Allgemeine Erwägungen aa) Die bisherige Entwicklung des Privatrechts bb) Der objektivrechtliche Gehalt des A r t . 5 Abs. 1 GG b) Spezielle Überlegungen, die sich auf die Konsequenzen dieser Lehre stützen aa) D r i t t w i r k u n g u n d Schrankenwirkung bb) Verkürzte Grundrechtswirkung cc) Unbrauchbarkeit der Grundrechtsschranken und der N a t u r der Sache zur Bestimmung des Umfanges der u n mittelbaren D r i t t w i r k u n g I I . Die mittelbare D r i t t w i r k u n g 1. Die Lehre Dürigs u n d des BVerfG

220 220 220 221 221 222 222 222 222 222 223 223 224 224

2. Die K r i t i k Burmeisters u n d Leisners an der „Sinnerfüllung" . . 225 3. Die offenen Fragen bei der Lehre Dürigs I I I . Die Lösung

226 226

1. Der Ausgangspunkt unter Einbeziehung der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers 226 2. Der weiterführende Ansatz bei Gallwas 227 a) Zivilrechtliche Interessenwertung unter Einbeziehung verfassungsrechtlicher Wertungen 227 b) Die weiterverweisende F u n k t i o n der zivilrechtlichen Generalklauseln 227 3. Die eigene Lösung a) Das Verbot verfassungskonträrer Auslegung bei tatbestandlich w e i t gefaßten Zivilrechtsnormen b) Die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen bei zivilrechtlichen Interessenwertungen c) D r i t t w i r k u n g u n d Schrankenwirkung d) Die Lösung bei tatbestandlich konkreter gefaßten Normen . .

228 228 230 231 232

Inha It s Verzeichnis

XV

3. Unterabschnitt: Die Erscheinungsformen der privatrechtsgestaltenden Kraft der Grundrechte im Verhältnis zum Grundsatz der verfassungskonformen Gesetzesauslegung 232 I. Die Fragestellung

232

I I . Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung herkömmlichen V e r ständnisses 233 1. Die Doppelpoligkeit : Erkenntnismethode und normerhaltendes Prinzip 233 2. Die Gründe f ü r die Anerkennung der verfassungskonformen Gesetzesauslegung 235 a) Die Einheit der Rechtsordnung 235 b) Die Gültigkeitsvermutung und die Verschränkung der Gesetzes· und Verfassungsbindung 235 3. Die Schwierigkeiten bei der Grenzziehung u n d bei der Einordnung i n die übrigen Auslegungsmittel 236 I I I . Die verfassungskonforme Auslegung bei Burmeister

237

1. Das allgemeine Prinzip „vertikaler Normendurchdringung" . . . . 237 2. Das Verbot verfassungskonträrer Auslegung

238

3. Das normerhaltende Prinzip

238

IV. Das Ergebnis i n Hinblick auf die privatrechtsgestaltende K r a f t der Grundrechte 239 1. Die Abspaltung des normerhaltenden Prinzips

239

2. Es verbleiben

239

a) Das Verbot verfassungskonträrer Auslegung 239 b) Die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen bei zivilrechtlichen Interessenwertungen 240 3. Kapitel: Zusammenfassende Vorbereitung zur abschließenden rechtlichen Würdigung der Typologie 241 A. Das Verbot verfassungskonträrer Auslegung i n Hinblick auf A r t . 5 Abs. 1 u n d Abs. 2 GG 241 1. Zuordnung zu einem verfassungsrechtlich anerkannten Rechtsgut 241 2. Orientierung der Normaussage am zuzuordnenden Rechtsgut . . 241 3. Das Ergebnis der Interessenwertung darf nicht Druck, Zwang u n d Gewalt zur Meinungsdurchsetzung erlauben 243 4. Der konkrete Wertvergleich

243

B. Die Einführung verfassungsrechtlicher Vorzugselemente i n die z i v i l rechtliche Interessenwertung 244 I. Die den Unternehmensschutz betreffenden Vorzugselemente

244

1. A u f der Seite des Verletzten

244

2. A u f der Seite des Angreifers

245

XVI

Inhaltsverzeichnis I I . Das aus A r t . 5 Abs. 1 GG zu gewinnende Vorzugselement 1. Allgemeine Geltung

245 245

2. Die Möglichkeit, unterschiedliche rechtlich verschieden zu beurteilen

Kommunikationsbereiche

246

3. Die Abschichtung der einzelnen Kommunikationskreise und das Aufsuchen eines Wertgefälles 249 a) Allumfassend öffentliche K o m m u n i k a t i o n 249 aa) öffentlich-politische K o m m u n i k a t i o n 249 bb) öffentliche K o m m u n i k a t i o n über gedankliche u n d gewerbliche Leistungen 250 cc) Reine Unterhaltung 250 b) Teilweise öffentliche K o m m u n i k a t i o n

250

c) K o m m u n i k a t i o n i n Gruppen u n d Verbänden

251

d) K o m m u n i k a t i o n i n der Privatsphäre 251 e) Zusammenfassung u n d Ergebnis : Vier Vorzugselemente gleichen Inhalts und verschiedener Stärke 251

4. Teil Die Typologie im Lichte des verfassungsrechtlich beeinflußten einfachen Gesetzesrechts Vorbemerkung: Die A r t und der Umfang der Untersuchung

255

1. Abschnitt: Die außerhalb des Wettbewerbs liegenden Problemfälle . . . . 256 A. Der Boykott

256

I. Der Begriff des Boykotts und seine rechtliche Beurteilung i n der Vergangenheit 256 1. Der Begriff

257

2. Die Beurteilung des Boykotts i n der Vergangenheit

259

I I . Die rechtliche Beurteilung des Boykotts unter Auswertung der i m 2. u n d 3. T e i l gewonnenen Ergebnisse 261 1. Die Beurteilung des Boykotts i m allgemeinen

261

2. Die Beurteilung der besonderen Boykottfälle

263

a) Boykott als gewaltsame Meinungsdurchsetzung aa) Boykott unter Verwendung von Gewalt gegen den Adressaten der Boykottaufforderung α) Boykott unter Einsatz von Gewalt allein gegen den Adressaten ß) Boykott unter Einsatz von Gewalt gegen den Adressaten als Gewalt gegen den Verrufenen γ) Die Notwendigkeit einer teilweisen Neuordnung der i n der Typologie genannten Fallkategorien

263 264 264 265 266

Inhaltsverzeichnis bb) Boykott ohne Einsatz von Gewalt gegen den Adressaten der Boykottaufforderung als Gewalt gegen den Verrufenen α) Boykott zur Herbeiführung eines kommunikationsunabhängigen Verhaltens — Geschäftsboykott — . . . . β) Boykott zur Steuerung der K o m m u n i k a t i o n — K o m munikationsboykott — γ) Boykott eines gewerblichen Kommunikationsträgers αα) Boykott eines einzelnen Kommunikationsbeitrages ßß) Boykott des gewerblichen K o m m u n i k a t i o n s t r ä gers insgesamt wegen eines einzelnen K o m m u n i kationsbeitrages γγ) Boykott des gewerblichen K o m m u n i k a t i o n s t r ä gers insgesamt wegen einer qualitativen oder ideellen Tendenz ö) Die teilweise notwendige Neuordnung der i n der Typologie genannten Fallgruppen b) Boykott bei Fehlen eines echten Interessenkonflikts

268 268 269 270 271 271 272 272 274

c) Boykott gegen den, der das Boykottziel nicht erfüllen kann 274 B. K r i t i k künstlerischer Leistungen

275

C. Der vergleichende Warentest 276 1. Die Fragestellung 276 2. Die Nichtanwendung des Wettbewerbsrechts auf den neutralen und unabhängigen Test 277 3. Die rechtliche Beurteilung des vergleichenden Warentests nach bürgerlichem Recht a) Die Testaussage als W e r t u r t e i l u n d Tatsachenäußerung b) Die Folgerungen aus § 824 B G B aa) § 824 Abs. 1 B G B als Kernsatz zur Beurteilung des Warentests bb) Die besondere Problematik des Abs. 2 des § 824 B G B . . . c) Die Bedeutung des Rechts am Unternehmen und des § 826 BGB

278 279 280 280 282 284

D. Kreditschutzlisten und sonstige unternehmensschädigende Äußerungen 285 2. Abschnitt: Die auf der Grenze zum Wettbewerb liegenden Problemfälle 286 A. E i n Wettbewerber als Presseinformant

286

B. Meinungskampf u n d wirtschaftlicher Wettbewerb der Presse

288

I. Pressefehde

288

1. Die Problematik der herkömmlichen rechtlichen Beurteilung . . 288 2. Die Notwendigkeit einer teilweisen Neuorientierung I I . Presseboykott I I I . Pressehetze

289 291 291

XVIII

Inhaltsverzeichnis

3. Abschnitt: Die Problemfälle innerhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbs 292 A. Der Boykott

292

1. Die Beurteilung der bisher unzulässigen Boykottfälle i m Bereich des Wettbewerbs 292 2. Die sonstigen Boykottfälle als BehinderungsWettbewerb B. Die vergleichende Werbung I. Der Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung 1. Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs

293 295 295 295

2. §§ 3, 14 U W G als Verbot der irreführenden u n d unwahren Werbung 295 3. Die Notwendigkeit einer Bezugnahme I I . Das sog. Verbot der vergleichenden Werbung

295 297

1. Das Verbot als Gewohnheitsrecht

298

2. Die Gründe für das Verbot a) Richter i n eigener Sache b) Der Vergleich muß dem Verkehr überlassen bleiben c) I r r e f ü h r u n g des Verkehrs d) Das „ H e l l e g o l d - M o t i v "

299 299 300 300 300

3. Die Ausnahmefälle als Grundlage zur Bestimmung der Tragweite des Verbots 302 I I I . Die Gründe f ü r die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung

303

1. Die Zulässigkeit der Vergleichs Werbung i m Ausland

304

2. Umkehrschluß aus § 14 U W G

304

3. Die Entscheidung des G W B und die Notwendigkeit einer M a r k t transparenz 304 4. A r t . 5 Abs. 1 u n d 2 GG

307

I V . Die abschließende Würdigung

309

C. Sonstige unternehmensschädigende Äußerungen

310

Literaturverzeichnis

312

Abkürzungsverzeicbnis Α. Α., a. Α. a.a.O. Abs. AcP a. E.

anderer Ansicht

Allg.

Allgemeiner, Allgemeine

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

AP

Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts

aPR

allgemeines Persönlichkeitsrecht

am angegebenen Ort Absatz Archiv für zivilistische Praxis am Ende

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner T e i l

Aufl.

Auflage

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

bayVfGH

Bayerischer Verfassungsgerichtshof

bayVfGHE

Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes i n : Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen V e r waltungsgerichtshofs m i t Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes u. a.

BayVBl

Bayerische Verwaltungsblätter

BB

Der Betriebs-Berater

Bd.

Band

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesge-

Β GHZ

richtshofs i n Strafsachen dasselbe i n Zivilsachen

BKartA

Bundeskartellamt

Bl.

Blatt

BT

Besonderer T e i l

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

XX

Abkürzungsverzeichnis

BVerwGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

d. DB ders. d. h. DIHT DÖV DRZ dt., Dt. DVB1

des Der Betrieb derselbe das heißt Deutscher Industrie- u n d Handelstag Die öffentliche V e r w a l t u n g Deutsche Rechts-Zeitschrift deutsch, Deutsch Deutsches Verwaltungsblatt

DW

Der Wettbewerb — Mitteilungen der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. Einleitung Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts B e r l i n Evangelisches folgend(e) Schriftenreihe des Forschungsinstituts f ü r Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e. V., K ö l n Grundgesetz

Einl. Entsch. O V G B e r l i n Ev. f., ff. FIW-Schriftenreihe GG GRUR

Gewerblicher Rechtsschutz u n d Urheberrecht, Zeitschrift der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht

GRUR Ausi.

dasselbe, Auslands- und Internationaler Teil

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Halbbd. Hdb. HGB h. M. HRR Inc. insbes. i. S. i. V. m. J.

Halbband Handbuch Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Höchstrichterliche Rechtsprechung Incorporation insbesondere i m Sinne i n Verbindung m i t Jahr(e) Jahrgang Juristische Rundschau juristischen Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Kommanditgesellschaft Kommentar Landgericht

Jg. JR jur. JuS JW JZ Kap. KG Komm. LG

Abkürzungsverzeichnis LM MA MDR M. E., m. E. MuW NF, n. F. NJW Nr. österr. Zeitschr. f. öff. R. OLG OVG RdA Rdnr. RG RGRK RGSt RGZ

XXI

Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs, hrsg. von Lindenmaier u n d M ö h r i n g Der Markenartikel, Monatsschrift zur Förderung der Qualitätsware Monatsschrift f ü r Deutsches Recht meines Erachtens Markenschutz u n d Wettbewerb, Monatszeitschrift für Marken-, Patent- u n d Wettbewerbsrecht Neue Folge Neue Juristische Wochenschrift Nummer Österreichische Zeitschrift f ü r öffentliches Recht Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Recht der Arbeit Randnummer Reichsgericht Reichsgerichtsrätekommentar Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts i n Strafsachen dasselbe i n Zivilsachen

RPG

Reichspressegesetz

r. Sp.

rechte Spalte

Rspr.

Rechtsprechung

Rücks.

Rückseite

RV

Reichsverfassung

S.

Satz, Seite

Seuff A

Seufferts A r c h i v f ü r Entscheidungen der obersten Gerichte i n den deutschen Staaten

SJZ sog. StGB StR Südd. u. a. u. ä. Ufita u. U. UWG v. VerfR, VerwR, VerfR

Süddeutsche Juristenzeitung sogenannte Strafgesetzbuch Staatsrecht(s) Süddeutsche u n d andere, unter anderem und ähnliche A r c h i v für Urheber-, F i l m - , F u n k - und Theaterrecht unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vom, von

VersR

Versicherungsrecht

VerwArch

Verwaltungsarchiv

Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht

XXII VGH Vgl., vgl. Vorbem. VVDStRL WRP Württ.-Bad. WuW ζ. Β . Zeitschr. f. handelsw. Forschung ZGB Zg GenW ZHR zust. ZZP

Abkürzungsverzeichnis Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer Wettbewerb i n Recht und Praxis Württembergisch-Badischer Wirtschaft und Wettbewerb zum Beispiel Zeitschrift f ü r handelswissenschaftliche Forschung Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift f ü r das gesamte Genossenschaftswesen Zeitschrift für das Gesamte Handelsrecht und K o n k u r s recht zustimmend(er) Zeitschrift für Zivilprozeß

Erster Teil

Die praktische Problematik 1. Abschnitt: Die unternehmensschädigende Äußerung 1. Die vorliegende Arbeit befaßt sich m i t der unternehmensschädigenden Äußerung. Wenn diese spezielle Erscheinungsform der geschäftsschädigenden Äußerung herausgegriffen wird, so ist dies auf das Bestreben zurückzuführen, die Thematik nicht zu weit zu fassen. Zwar würde, wenn die geschäftsschädigende Äußerung Gegenstand dieser A r beit wäre, die eigentliche methodische Problematik, die kurz mit der Frage nach dem zivilrechtlichen Schutz vor materiell nachteiligen Äußerungen, die ihrerseits grundsätzlich verfassungsrechtlichen Schutz nach Art. 5 Abs. 1 GG genießen, umrissen werden kann, nicht oder nur unwesentlich erweitert. Aus einem anderen Grunde aber ergäbe sich eine wesentliche Erweiterung: Die Erscheinungsform der geschäftsschädigenden Äußerung umschließt nach einem allgemeinen sprachlichen Verständnis auch solche Äußerungen, die sich nicht nur nachteilig auf ein bestehendes, sachlich und personell eingerichtetes Geschäft (gemeint ist die Verwendung des Wortes „Geschäft" i n Verbindung wie Einzelhandelsgeschäft, Speditionsgeschäft u. ä.) oder Unternehmen und deren „Geschäfte" auswirken, sondern die auch — und das ist die entscheidende Erweiterung — die Geschäfte von Einzelpersonen schädigend berühren. Denn K r i t i k oder Nachrichten unvorteilhaften Inhalts über das Verhalten eines Arztes, eines Anwalts oder eines Steuerberaters, K r i t i k an der Person eines Unternehmers oder Geschäftsinhabers sind ebenfalls geschäftsschädigend. Bei einer geschäftsschädigenden Äußerung mit dem zuletzt genannten Inhalt rückt die betroffene einzelne Person i n den Vordergrund, sofern wie beim Unternehmer das Unternehmen oder beim Geschäftsinhaber das Geschäft überhaupt noch i m Blickfeld bleiben. Bei den freien Berufen richtet sich der Blick sofort auf die einzelne Person, wenn man einmal die Erscheinung des „Berufsbetriebes" außer acht läßt 1 . Dem1 Der Begriff „Berufsbetrieb" wurde gebildet i m Zusammenhang m i t der Frage, ob auch die Tätigkeit der freien Berufe durch das Recht am eingerich-

1

Koller

2

1. Teil: Die praktische Problematik

gemäß ändert sich auch die Grundlage der rechtlichen Beurteilung, einschlägig sind vorwiegend die Normen, die dem Schutz der einzelnen Person vor Rufschädigungen dienen, wie die Beleidigungsdelikte des Strafrechts, die über § 823 Abs. 2 BGB zivilrechtliche Relevanz gewinnen, sowie die Normen des Persönlichkeitsrechts. I m Bereich des Wettbewerbsrechts lassen sich zwar Personen- und Unternehmensschutz nicht mit ebensolcher Klarheit trennen, doch gibt es auch dort Regelungen wie das Verbot der persönlichen Werbung, die vorwiegend dem Schutz der einzelnen Person dienen. Die Normbereiche nun, die vorwiegend dem Schutz der einzelnen Person vor geschäftsschädigenden Äußerungen dienen, sollen hier nicht mit erörtert werden. Vielmehr konzentriert sich die Arbeit auf die Probleme des Unternehmensschutzes vor schädigenden Äußerungen und die diesem Schutz dienenden Normen. Freilich lassen sich die Grenzen zwischen beiden Bereichen nicht exakt ziehen. Dies gilt zum einen für den tatsächlichen Aspekt. Man denke nur an eine geschäftsschädigende Äußerung, die gegen den Unternehmer gerichtet ist, aber i n ihren W i r kungen auch das Unternehmen mit umgreift. Hier lassen sich unvermeidbare Grenzen nur nach dem Schwerpunkt des Angriffs ziehen. Denkbar ist aber auch, daß bei einem gleichgewichtig gegen den Unternehmer und das Unternehmen gerichteten Angriff die beiden schutzgewährenden Normbereiche nebeneinander zur Anwendung kommen. Zum anderen folgen Abgrenzungsschwierigkeiten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt daraus, daß sich nach der zivilrechtlichen Systematik zwar der Schutz der Person und der Schutz des Unternehmens vor schädlichen Äußerungen klar unterscheiden lassen, i m einzelnen jedoch „Übergriffe" von dem einen i n den anderen Bereich möglich erscheinen. So z. B., wenn zur Diskussion steht, ob die Tätigkeit der freien Berufe durch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder das Persönlichkeitsrecht i n seiner wirtschaftlichen Ausprägung geschützt wird. Das ist jedoch nicht der einzige rechtliche Aspekt, aus dem Abgrenzungsschwierigkeiten folgen. Denn es existieren Normen wie z. B. die §§ 824, 826 BGB oder die Vorschriften des Wettbewerbsrechts, die beiden oder gar noch anderen Schutzbereichen zugehören. Allerdings lassen sie sich je nach dem zur Beurteilung anstehenden Sachverhalt auch allein unter dem Gesichtspunkt des Unternehmensschutzes betrachten. Daß diese Möglichkeit hier wahrgenommen wird, soll ebenfalls aus der Beschränkung des Themas auf die unternehmensschädigende Äußerung ersichtlich werden. Soweit gelegentlich die Anwendung des Persönlichkeitsrechts für den Schutz des Unternehmens befürwortet wird, w i r d darauf i m Verlaufe teten u n d ausgeübten Gewerbebetrieb zu schützen sei. Dies bejahen Puttjarcken, GRUR 62, 500, 503, und Zitzeisberg er, S. 31, sofern ein „Berufsbetrieb" vorhanden ist.

1. Abschn.: Die unternehmensschädigende Äußerung

3

dieser Arbeit i m gegebenen Zusammenhang eingegangen. Das ändert jedoch nichts an der grundsätzlichen Ausrichtung des Themas am Unternehmensschutz, bzw. — bei vollständiger Erfassung des Themas — an der Spannungslage zwischen zivilrechtlichem Unternehmensschutz und verfassungsrechtlichem Äußerungsschutz. 2. Die vorliegende Arbeit soll nur solche unternehmensschädigenden Äußerungen erfassen, die von Personen des Privatrechts und nicht von Personen öffentlichen Rechts ausgehen. Für unternehmensschädigende Äußerungen durch Behörden und Amtsträger 2 ergibt sich das schon daraus, daß die Spannungslage zwischen grundrechtlichem Äußerungsschutz nach Art. 5 Abs. 1 GG und zivilrechtlichem Unternehmensschutz nicht eintreten kann, da Behörden und Amtsträger grundsätzlich keinen Grundrechtsschutz genießen 3 . Die Spannungslage entfällt jedoch nicht bei unternehmensschädigenden Äußerungen i n Rundfunk- oder Fernsehsendungen4, da die Freiheit der Berichterstattung durch den Rundfunk (und das Fernsehen) i n Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleistet wird. Doch w i r d hier das Spannungsverhältnis zwischen Äußerungsfreiheit und Unternehmensschutz auf ein spezielles Gebiet verlagert, das allzuviel gewichtige Besonderheiten aufweist 5 . Deshalb soll der Unternehmensschutz hier nicht unter dem Gesichtspunkt der Berichterstattungsfreiheit des Rundfunks betrachtet werden. 3. Die unternehmensschädigende Äußerung weist Besonderheiten gegenüber anderen unternehmensschädigenden Handlungen auf, die man mit Ausnahme der Berühmung mit gewerblichen Ausschlußrechten gegenüber dem Unternehmen oder Unternehmer selbst als physische Behinderungen bezeichnen kann 6 . Der Unterschied liegt darin, daß unternehmensschädigende Handlungen i m Sinne physischer Behinderung sich unmittelbar 7 , d. h. ohne Einschaltung dritter Personen, die vom 2 Vgl. die Beispielsfälle Württ.-Bad. VGH, DRZ 50, 500; V G H Stuttgart, DÖV 57, 217; BGH, DÖV 58, 629; OVG Münster, DVB1 67, 51; dazu Bender, JuS 62, 178. 3 Bachof: VerfR, VerwR, VerfR I I , Nr. 89, u n d Dürig i n Maunz-Dürig, Rdnr. 29 ff., 49 ff. zu A r t . 19 Abs. 3 GG. 4 Siehe die Beispielsfälle BGH, JZ 67, 94 — Teppichkehrmaschine —, und BGH, GRUR 63, 277 — Maris. 5 Vgl. Kubier, Wirtschaftsordnung, S. 23 Note 72: „ V ö l l i g anders sind freilich die Maßstäbe, wenn die schädigende K r i t i k von staatlichen Einrichtungen ausgeht oder ermöglicht oder verbreitet w i r d . Das Fernsehen etwa darf nicht alles, was einer privaten Zeitschrift erlaubt ist." 6 Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 289 ff., sieht als solche physische Behinderungen an: 1. Versperrung des Zugangs durch Sachen; 2. Versperrung des Zugangs i m Gefolge von Streiks u n d anderen Arbeitskämpfen; 3. Verletzung von Arbeitern und Angestellten; 4. Verletzung von Produkten u n d M a schinen usw. ; 5. Verletzung der Energiezufuhr. 7 Nicht verstanden i m Sinne des für die Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb von der Rechtsprechung geforderten Erfordernisses der Unmittelbarkeit des Eingriffs.

l*

4

1. Teil: Die praktische Problematik

Willen des Behindernden generell unabhängig sind, gegen das betroffene Unternehmen richten, während unternehmensschädigende Äußerungen ihre Wirkung nur unter Einschaltung dritter Personen entfalten können. Die schädlichen Folgen der Äußerung treten immer erst durch ein Handeln oder Unterlassen der angesprochenen Personen ein. Dabei müssen naturgemäß das Handeln oder Unterlassen des durch eine Äußerung angesprochenen Personenkreises durch die Äußerung veranlaßt sein. Denn eine Äußerung ist dann nicht unternehmensschädigend, wenn die Adressaten der Äußerung unbeeinflußt und aus eigenem Entschluß oder überhaupt nicht handeln. Sind so Voraussetzung des Regelfalles der unternehmensschädigenden Äußerung drei Parteien, nämlich derjenige, der sich geschäftsschädigend äußert, der Adressat der Äußerung und der Geschädigte 8 , so bringt sich sofort der Boykottbegriff i n Erinnerung 9 . I n der Tat ist die Boykottaufforderung nichts anderes als ein Unterfall der geschäftsschädigenden und, i m Hinblick auf das Unternehmen als Angriffsobjekt, der unternehmensschädigenden Äußerung. Das w i r d auch von einer anderen Seite her deutlich, wenn man einmal die möglichen Erscheinungsformen der unternehmensschädigenden Äußerung betrachtet. A m Anfang der Sklala steht eine Erklärung über objektive, ein bestimmtes Unternehmen betreffende Tatsachen, die den Adressaten zu schädlichem Verhalten veranlassen. Es kann aber auch die Erklärung über die Tatsachen schon ein Werturteil nahelegen. Oder die Tatsachenmitteilung ist bereits mit einem Werurteil verbunden. Schließlich kann das Werturteil alleiniger Inhalt einer Äußerung sein, sich zu einer Warnung vor einem Unternehmen oder dessen gewerblicher Leistung steigern und zuletzt i n der Aufforderung kulminieren, ein Unternehmen zu boykottieren. Der Steigerung der Ausdrucksform entspricht die Steigerung der Einflußmöglichkeit auf die Willensbildung des Adressaten 10 . Einerseits deutet sich hier die Möglichkeit an, bei der rechtlichen Beurteilung der unternehmensschädigenden Äußerung je nach der Äußerungsform und dem Grad der Willensbeein8 E i n Ausnahmefall ist z. B. die schon genannte Schutzrechtsverwarnung gegenüber dem Unternehmer. Der schädigende Erfolg t r i t t hier durch das Verhalten des Unternehmers selbst ein. Dieser u n d ähnliche Fälle sollen als atypisch außer Betracht bleiben. Anders ist es schon m i t der Schutzrechtsverw a r n u n g gegenüber Dritten, vgl. S. 16. 9 Vgl. dazu S. 256 ff. Deshalb weist Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 213, zutreffend auf die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der n u r k r i t i sierenden Wirtschaftsberichterstattung u n d dem Boykottaufruf hin. 10 Reuß, AcP 156, 89, 95 f., vor allem i m Hinblick auf den B o y k o t t : „ . . . von dritter Seite k a n n i n intensitätsmäßig unterschiedlichen Grad auf die W i l lensbildung eingewirkt werden, wobei die Grenzen verfließen." Rinck, B B 61, 613 i n Hinblick auf Leistungs- u n d Warentests: „Absprechende K r i t i k durch einen Verbraucherverband schließt den Rat ein, solche Ware zu meiden. Dieser Rat kann sich steigern bis zu der ausdrücklichen Aufforderung, ein bestimmtes Geschäft oder Produkt zu boykottieren."

2. Abschn.: Beispielsfälle

5

flussung zu unterschiedlichen Ergebnissen zu gelangen. Andererseits ist vor der Gefahr zu warnen, daß sich der Beurteiler durch bestimmte Erscheinungsformen, gedacht ist vor allem an die Boykottaufforderung, blenden läßt, die fließenden Übergänge übersieht und die anderen Erscheinungsformen der unternehmensschädigenden Äußerung außer acht läßt.

2. Abschnitt: Beispielsfälle aus dem Problemkreis der unternehmensschädigenden Äußerung A. I m folgenden soll versucht werden, die einzelnen Beispielsfälle der unternehmensschädigenden Äußerung nach ihren typischen Merkmalen zu ordnen. I m Hinblick auf eindeutig gefaßte und fest umgrenzte Tatbestände wie z. B. die §§ 824 BGB und 14 UWG kommt einer solchen Typologisierung nur geringe Bedeutung zu; denn derartige Tatbestände werden anhand typischer Interessengegensätze gefaßt 1 , sie sind auf bestimmte Fallgruppen zugeschnitten und werden durch andere Fallgruppen i n der Regel nicht berührt. Völlig anders verhält es sich dagegen bei der Anwendung der Generalklauseln, i n deren Bereich das Schwergewicht der rechtlichen Wertung der unternehmensschädigenden Äußerungen liegt. Die Vielfalt des Bildes der durch Begriffe wie „sittenwidrige Schädigung" oder „Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" erfaßten Fälle läßt den potentiellen Schädiger, den Rechtssuchenden, aber auch den Richter erschrecken. Hier erscheint das Gliedern der Vielfalt der tatsächlichen Erscheinungen i n typischen Fallgruppen mit dem späteren Ziel, für die einzelnen Fallgruppen spezielle Regeln aufzustellen 2 , nicht nur zweckmäßig 3 , sondern auch unumgänglich notwendig. Zweckmäßig ist das Bilden von Fallgruppen innerhalb des Anwendungsbereiches von Generalklauseln, auch bezeichnet als Konkretisierung von Generalklauseln 4 , w e i l es die Rechtsanwendung erleichtert und rationalisiert 5 . Unumgänglich notwendig ist die Konkretisierung der Generalklauseln aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen des Erfordernisses der Vorhersehbarkeit einer Entscheidung 6 . 1

Kraft, S. 27. Z u m Postulat der Regelbildung als allgemeingültigem Prinzip vgl. Strache, S. 86 f.; vgl. auch A r t . 1 Abs. 2 ZGB. 3 Hubmann, A c P 155,133 Note 99; Kraft, S. 4. 4 Deutsch, JuS 67,154; Rinck i n O L G Celle-Festschrift, S. 152. 5 Rinck, a.a.O.; Schippel, S. 5 Note 15; Borck, W R P 61,1. 6 Kraft, S. 28; Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 52; Schippel, a.a.O.; Borck, a.a.O.; Rinck, a.a.O. 2

6

1. Teil: Die praktische Problematik

Das Bestreben nach der Konkretisierung von Generalklauseln aus diesen Gründen hat sich am weitesten durchgesetzt bei der systematischen Gruppierung der Wettbewerbsverstöße, die § 1 UWG unterfallen 7 . Aber auch bei den möglichen Eingriffen in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb w i r d zunehmend versucht, eine Gruppierung nach den typischen Merkmalen vorzunehmen 8 . A u f dem Wege des positiven Bemühens um eine Typologisierung lauern dem methodisch bewußten Juristen allerdings auch Gefahren auf. Denn allzu leicht führt der Weg über die Forderung nach einem „Erläuterungssystem", einer „Tabelle von Typenmustern" 9 , über den Vorschlag, „die Generalklausel möglichst weitgehend zu vertatbestandlichen" 1 0 , zum Ruf nach der „Wiederherstellung des Deliktssystems" im Gedanken daran, daß Fallgruppen i m engeren Bereich einen abgegrenzten Tatbestand bilden, dessen Verwirklichung wieder die Rechtswidrigkeit indiziert 1 1 . Es mag berechtigt sein, angesichts solcher Bestrebungen von einer „Auflösung der Generalklauseln" zu sprechen 12 , zu weit gezielt aber erscheint der Vorwurf „begriffsjuristischer Überlegungen" 13 . Indessen soll ein solcher Vorwurf nicht zur Umkehr mahnen, sondern zu einem Besinnen darauf führen, daß das Bilden von Fallgruppen nur Leitbilder und nicht starre Ordnungen schaffen kann und soll, die fertige und alle Fälle umfassende Normen bereithalten. Der Gesetzgeber hat nicht ohne Grund die „Flucht in die Generalklauseln" dem Aufstellen starrer Regeln vorgezogen. Die regelungsbedürftigen Materien entziehen sich einer endgültigen Erfassung, da sie, wie Hefermehl es für das Wettbewerbsrecht ausdrückt 14 , „proteusartig" ständig neue Tatbestände darbieten. B. Fallgruppen außerhalb des geschäftlichen Wettbewerbs

I.

Boykottfälle

1. Einfache Boykottfälle: Der Hamburger Senatsdirektor L ü t h erklärt in einer Ansprache vor Filmverleihern und Filmproduzenten i m Hinblick auf den Filmregisseur 7

Vgl. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Einl. UWG, Anm. 98 ff. Larenz, Schuldrecht I I , 8. Aufl., S. 422 f. ; Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 288 ff.; ders., Schuldrecht, 1965, § 103 I I 1 (S. 563 f.). 9 Strache, S. 58. 10 Nipperdey, N J W 67,1985,1988 f. 11 Deutsch, JuS 67,154. 12 Schippel, S. 5 Note 15, i n Hinblick auf die Kommentierungen des § 1 UWG. 13 Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 53. 14 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Einl. UWG, A n m . 99. 8

2. Abschn. : Beispielsfälle

7

Veit Harlan, daß dieser am wenigsten von allen geeignet sei, den i m Dritten Reich verwirkten Ruf des deutschen Films wieder herzustellen. I n einem der Presse übergebenen „offenen Brief" führt er weiter aus: „Es i s t . . . nicht nur das Recht anständiger Deutscher, sondern sogar ihre Pflicht, sich i m Kampf gegen diesen unwürdigen Repräsentanten des deutschen Films über den Protest hinaus auch zum Boykott bereitzuhalten 1 5 ." Die Gruppe 47 beschließt, weil sie die Pressekonzentration i m Springer-Konzern „für eine Einschränkung und Verletzung der Meinungsfreiheit und damit für eine Gefährdung der Grundlagen der parlamentarischen Demokratie" hält: „(1) W i r werden i n keiner Zeitung oder Zeitschrift des Springer-Konzerns mitarbeiten. (2) W i r erwarten von unseren Verlegern, daß sie für unsere Bücher i n keiner Zeitung oder Zeitschrift des Springer-Konzerns inserieren. (3) W i r bitten alle Schriftsteller, Publizisten, K r i t i k e r und Wissenschaftler, die Kollegen i m PEN und i n den deutschen Akademien, zu überprüfen, ob sie eine weitere Zusammenarbeit mit dem SpringerKonzern noch verantworten können." Fast 80 Autoren unterzeichneten diese Resolution und 7 der bedeutendsten deutschen Buchverlage erklärten sich bereit, künftig nicht mehr in Blättern des Springer-Konzerns zu werben 1 6 . 2. Besondere Boykottfälle: a) Boykott mit besonderem wirtschaftlichen Druck: Der SpringerVerlag fordert i n einem Rundschreiben Zeitungshändler auf, nicht mehr die Wochenzeitung „Blinkfüer" zu vertreiben, die auch nach dem Bau der Berliner Mauer weiterhin das ostdeutsche Rundfunk- und Fernsehprogramm veröffentlicht. Der Verlag w i l l damit der ostdeutschen Propaganda und den darin enthaltenen Angriffen gegen eine freiheitliche staatliche Ordnung entgegentreten. U m der Forderung Nachdruck zu verleihen, enthält das Rundschreiben folgenden Satz „Sollte es . . . einzelne Händler geben, die aus der Situation Profit schlagen möchten und .. . weiterhin Objekte führen, die der Ulbricht-Propaganda Vorschub leisten, so werden die genannten Verlagshäuser prüfen, ob sie es verantworten können, zu solchen Händlern die Geschäftsbeziehungen fortzusetzen 17 ." 15

BVerfGE 7,198 = J Z 58,119 — L ü t h . —. Südd. Zeitung v. 10.10. u n d 14./15.10.1967. 17 BGH, N J W 64, 29 — B l i n k f ü e r ; als weiteren Beispielsfall vgl. O L G Düsseldorf, M D R 53, 356 — Erotik. 16

8

1. T e i l : Die praktische Problematik

b) Boykott bei Fehlen eines echten Interessenkonflikts: Eine Inhaberin eines Einzelhandelsgeschäfts hatte einer „ W i t w e " und ihrer Tochter eine Wohnung vermietet. Als der Ehemann der Mieterin aus russischer Gefangenschaft zurückkehrte, weigerte sich die Vermieterin, das Mietrecht auch auf diesen auszudehnen. Der Vorgang sprach sich i n der Stadt m i t der Folge herum, daß die Bevölkerung das Einzelhandelsgeschäft der Klägerin boykottierte. Darüber berichtete eine Zeitung. Aus der A r t der Berichterstattung ergab sich, daß die Zeitung die Berechtigung der Boykottmaßnahmen bejahte und, wenn auch nicht ausdrücklich, so doch versteckt zur Teilnahme an diesem Boykott aufforderte 18 . c) Boykott gegen den, der das Boykottziel nicht erfüllen kann: Der Frankfurter Zoodirektor Grzimek schilderte i n einer Fernsehsendung das Abhäuten junger Seehunde bei lebendigem Leibe auf der Robbenjagd i n Kanada und verband damit die Aufforderung, vom Kauf von Seehundpelzen abzusehen. Der Erfolg der Aufforderung soll sich nach Angaben des Verbandes der Rauchwaren- und Pelzwirtschaft i n einem Umsatzverlust von 4 Millionen D M niedergeschlagen haben 19 . d) Anzeigenboykott: Ein Privatmann, der sich zum Ziel gesetzt hatte, „gegen die Tendenz auf dem Zeitungs- und Zeitschriftenmarkt zur Schund- und Schmutzliteratur" vorzugehen, versandte mehrfach Schreiben an Firmen, die i n einer Illustrierten inseriert hatten, und forderte sie zur Zurückziehung ihrer Anzeigenaufträge auf, w e i l die Illustrierte die Grenze des Erträglichen überschreite 20 . II. K r i t i k

künstlerischer

Leistungen

Gedacht w i r d hier an K r i t i k e n künstlerischer Leistungen i m weitesten Sinn wie Theater-, Film-, Musikkritiken. Insbesondere sollen auch Besprechungen schriftstellerischer Leistungen wie Buchrezensionen ein18 Β G H Z 24, 200 — Spätheimkehrer; vergleichbar liegen die Boykottfälle, bei denen Personen wegen ihrer politischen Einstellung oder wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse oder Religion boykottiert werden. Beispielhaft ist der von Pape, S. 253 f., berichtete Boykott eines Kaufmanns, der innerhalb eines Teils der Arbeiterbevölkerung f ü r die W a h l eines liberalen Abgeordneten g e w i r k t hatte. 19 Südd. Zeitung v o m 18. 7.1967 u n d „Der Spiegel" v o m 25. 9.1967. Einen vergleichbaren F a l l entschied das L G Stuttgart, N J W 56,1185 — Milchstreik — : Der Boykott wurde wegen der Höhe des Milchpreises durchgeführt, dessen Festsetzung auf Vorschlag der Milchverbände i m Wege der Gesetzgebung erfolgte. 20 O L G Köln, N J W 65, 2345 — Anzeigenboykott; vergleichbar ist der v o m O L G Hamburg, M D R 52, 295 — Sonderinformationsdienst —, entschiedene F a l l : Eine Jugendgruppe innerhalb einer der großen Parteien Deutschlands warnte i n einem an Hamburger Kaufleute gerichteten „Sonderinformationsdienst" v o r dem Inserieren i n einer Zeitung wegen ihrer nahen politischen Bindung zur K P D .

2. Abschn.: Beispielsfälle

9

geschlossen sein. Wenn auch i n der Regel i m Schnittpunkt derartiger K r i t i k die persönliche Leistung steht, deren Schutz nicht Gegenstand dieser Arbeit ist, so kommt es doch häufig vor, daß neben der Person des Künstlers ein privates Unternehmen durch die K r i t i k mitbetroffen wird. Gerichtlich entschiedene Fälle, die derart umschriebene kritische Äußerungen betreffen, liegen kaum vor. Das mag daran liegen, daß traditionell eher die Bereitschaft besteht, die K r i t i k der künstlerischen Leistung — wenn auch widerwillig — hinzunehmen. Daß gleichwohl gelegentlich gerichtliche Klärung begehrt wird, zeigt folgender, ein wenig spektakulärer Fall: I n der „Kölnischen Rundschau" erschien die ablehnende Besprechung eines Films m i t der Titel „Die Nächte der Birgit Malmström": Die Schere der freiwilligen Selbstkontrolle „hat so unermüdlich und gründlich geschnippelt, daß von den Nächten der minderjährigen Birgit nur Begrüßung und Abschied übriggeblieben sind. Was sich dazwischen tat — und es muß sich unheimlich viel getan haben —, kann der reifere Zuschauer unschwer ahnen, aber es verschlägt i h m doch den Atem, daß diese amputierte skandinavische Filmleiche überhaupt noch den Weg i n unsere Kinos zurücklegen konnte. Denn das, was geblieben ist, holpert so unvollkommen und sinnlos über die Leinwand, daß es grade noch für ein Kopfschütteln der Besucher reicht". I n Wahrheit waren nur 22,6 Meter (etwa 30 Aufführungssekunden) aus dem Titelvorspann und der Schluß des Films herausgeschnitten worden. Für den Handlungsablauf waren diese Schnitte belanglos 21 .

im

III. I n d u s t r i e b e r i c h t e Interesse der A l l g e m e i n h e i t

Der einzelne Staatsbürger oder die Presse können die Öffentlichkeit über folgende Ereignisse orientieren und alarmieren: Verunreinigung von L u f t und Wasser, Geruchsbelästigung, L ä r m durch industrielle und gewerbliche Unternehmen, sonstige industrielle Immissionen sowie Zerstörung von Landschaft und Städtebild. Die schädlichen Folgen für das genannte Unternehmen können mannigfaltig sein: Vorkehrungs- und Abhilfemaßnahmen können notwendig werden, die beträchtliche K a pitalinvestitionen erfordern. Es kann die Abneigung gegen die Ware eines Unternehmers entstehen. Zulieferer können aus Furcht vor einem Umsatzrückgang des ins Gerede geratenen Unternehmens ihre Lieferungen einstellen und Kreditgeber können aus dem gleichen Grund zurückschrecken 22 . 21

BGH, GRUR 67, 540 — Die Nächte der B i r g i t M a l m s t r ö m —. A u f diese A r t der unternehmsschädigenden Äußerung machen aufmerksam Ettner, D B 63, 367, u n d Fechner, J Z 67, 457. 22

10

1. Teil: Die praktische Problematik

IV.

Leistungstests

1. Gewerbliche Leistungstests Einbezogen werden sollen unter diesen Begriff alle Tests und Testberichte, die von neutralen Institutionen, d. h. nicht von Mitbewerbern der durch den Testbericht betroffenen Unternehmen, zum Zwecke des Gelderwerbs erstellt und veröffentlicht werden. Hierher gehören auch die Zeitschriften beigelegten und i m Abonnement vertrieben Testberichte der vom Bund teils finanzierten Stiftung Warentest (Stiftung des privaten Rechts) in Berlin. Die Erscheinungsformen solcher Tests sind vielfältig 2 3 : Es kann sich nicht nur handeln um den Test von Waren, sondern auch u m den Test von anderen Leistungen, insbesondere Dienstleistungen. Bestimmte Waren können einem Einzeltest unterzogen oder auch i m Vergleich zu anderen Waren geprüft werden (vergleichender Warentest). Altvertrautes Beispiel des Einzeltests sind Testberichte über Kraftfahrzeuge, die vorwiegend in Automobilzeitschriften, aber auch in anderen Zeitschriften und Zeitungen veröffentlicht werden. Der vergleichende Warentest wurde i n Deutschland durch die Veröffentlichung der i m Jahre 1961 gegründeten und Mitte 1966 in Konkurs gegangenen Zeitschrift D M einer breiteren Öffentlichkeit in all seiner Problematik bekannt 2 4 . Seit der Neugründung der Zeitschrift D M und der Gründung der Stiftung Warentest hat das Thema »vergleichender Warentest' jedoch viel von seiner ursprünglichen Brisanz verloren. Doch immer noch sind unternehmensschädigende Wirkungen die regelmäßige Folge der Veröffentlichung nachteiliger Prüfungsergebnisse. Denn die getesteten Waren werden genau bezeichnet und ihr Hersteller vielfach namentlich genannt. Weiter enthält der veröffentlichte Testbericht oft eine zusammenfassende kritische Wertung der einzelnen getesteten Waren, an die sich noch bestimmte Empfehlungen an die Verbraucherschaft anschließen können, wie z. B. „sehr empfehlenswert", „empfehlenswert", „bedingt empfehlenswert" und „nicht zu empfehlen" 2 5 . 23 E i n Uberblick über die Erscheinungsformen des Leistungstests u n d eine Definition des Tatbestandes Warentest gibt Hefermehl, GRUR 62, 611 f. Vgl. i m übrigen zum Begriff und Wesen des Warentests Borck, W R P 59, 344; Graßmann, S. 1 f.; Bofinger, N J W 65, 1833, 1834 f.; Keller, S. 18; Bock, Zg GenW, Bd. 15,109, 110. 24 Vgl. die der breiteren Öffentlichkeit bekannt gewordenen Entscheidungen des O L G Celle, N J W 64, 1804 — Volkswagentest, u n d des O L G Stuttgart, N J W 64, 48 (Verfahren der einstweiligen Verfügung), und N J W 64, 595 — Fiat Europa; vgl. i m übrigen O L G Nürnberg, B B 64, 1448, und BGH, B B 66, 1320 — Leberwursttest; O L G Düsseldorf, B B 65, 685; O L G Stuttgart, B B 63, 831. 25 So die neue DM, die aber auch m i t „sehr gut" „ausreichend" „mangelhaft" und „ungenügend" wertet. Die Stiftung Warentest dagegen verzichtet auf eine

2. Abschn. : Beispielsfälle

11

2. Leistungstests durch Verbraucher verbände Nur geringe Bedeutung haben in Deutschland i m Gegensatz zum anglo-amerikanischen Ausland die Leistungstetst durch unabhängige Verbraucherverbände erlangt, obwohl gerade die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände (AGV) die deutsche Öffentlichkeit schon seit 1953 mit der Vornahme und Veröffentlichung von Tests zum Zwecke der Verbraucherberatung vertraut machte 26 . V.

Kreditschutzlisten

Wirtschaftsorganisationen richten ein Kreditschutzsystem ein, um ihre Mitglieder nach Möglichkeit vor finanziellen Verlusten durch Berichte über das Zahlungsverhalten der Abnehmerkreise zu bewahren. Die praktische Ausgestaltung der Kreditschutzsysteme ist vielfältig, doch sammeln die Organisationen meist Informationen aus ihrem Mitgliederkreis, fassen sie zusammen und geben sie in gesammelter Form i n regelmäßigen Zeitabständen an ihre Mitglieder heraus. Die säumigen Schuldner werden dann in aller Regel in Rubriken eingeordnet, die etwa Aussagen über Scheck- und Wechselproteste, Klagen, Pfändungen, Offenbarungseidsverfahren oder über die Höhe der rückständigen Schuld treffen 2 7 . Es kann aber auch sein, daß ein Schuldner in Rubriken wie ,langsame Zahler' aufgenommen w i r d 2 8 . VI. S o n s t i g e unternehmensschädigende Äußerungen außerhalb des W e t t b e w e r b s M i t den bisher genannten Fallgruppen sind nicht alle, sondern nur die wichtigsten und prägnantesten Erscheinungsformen der unternehmensGesamtwertung oder Empfehlung und gibt statt dessen am Ende eines jeden Testberichts über eine Ware einen „Gesamteindruck" wieder, der aus einigen prägnant zusammenfassenden Feststellungen besteht. Ü b e r n i m m t die D M Testberichte der Stiftung Warentest, was häufiger vorkommt, so ersetzt sie den „Gesamteindruck" durch die bei i h r üblichen Wertungen. 26 Z u r Vornahme von Warentests durch die A G V sowie zu deren E n t w i c k lung vgl. Ulmer, FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 12; von Richthofen, S. 3, und Graßmann, S. 19 ff.; zur Bedeutung u n d Resonanz der Consumers Research, Inc., und Consumers Union of USA, Inc., Hundhausen, Zeitschr. f. handelsw. Forschung, 1962 (Heft 6), S. 274; Ulmer, a.a.O., S. 14; Graßmann, S. 2 f.; v. Richthofen, S. 3 Note 6. Z u r Tätigkeit der A G V abgesehen von der Vornahme von Warentests vgl. O L G Stuttgart, JZ 61, 380 — Leuchtskalenwaage —: K r i t i k von Leuchtskalenwaagen i n einer monatlich herausgegebenen Druckschrift, w e i l der Käufer den Wiegevorgang nicht einwandfrei verfolgen kann. 27 Zur Ausgestaltung der Kreditschutzsysteme u n d ihrer Bedeutung für die Wirtschaft Lingenberg, N J W 54, 449 f.; zu den Formen des Kreditschutzes Gassier, W u W 52, 633, 634. 28 B G H Z 8,142 = N J W 53, 297 — langsame Zahler —.

12

1. Teil: Die praktische Problematik

schädigenden Äußerung außerhalb des Wettbewerbs aufgezeigt worden. Andererseits liegt auf der Hand, daß eine Typologie der unternehmensschädigenden Äußerung nie abschließend sein kann, da sich immer wieder neue Formen herausbilden, die erst allmählich eine konkretere Gestalt annehmen, die geeignet wäre, eine neue Fallgruppe zu bilden. Zwischen diesen beiden Bereichen liegen nun solche Arten der unternehmensschädigenden Äußerung, die einen gewissen Grad an Konkretisierung dadurch erreicht haben, daß sie nicht nur als Einzelfall, sondern auch i m Wiederholungsfall oder gar als Modellfall vorstellbar sind. Sie sollen i m folgenden i n einen kurzen Uberblick gegliedert werden und als Beispiel für das Maß des Offenseins der Erscheinungsformen der unternehmensschädigenden Äußerung dienen. 1. Unternehmensschädigende

Äußerung durch Einzelpersonen:

a) i n einem Brief an den Vorsitzenden einer Landtagsfraktion. Über eine Baugesellschaft w i r d behauptet, sie sei ein höchst unseriöses Unternehmen, das vor kriminellen Praktiken nicht zurückschrecke und sich Lumpereien erlaube 2 9 ; b) durch kritische Würdigung des Geschäftsgebarens eines Unternehmens i m Bekanntenkreis 3 0 ; c) in einem Rundschreiben an Geschäftsfreunde, i n dem einer Sparkasse zum Vorwurf gemacht wird, die Liquidation einer Gesellschaft verschuldet zu haben 3 1 ; d) durch Auskünfte gegenüber einer Auskunftei über die geschäftlichen Verhältnisse eines Kaufmanns 3 2 . 2. Unternehmensschädigende Äußerungen durch Organisationen des öffentlichen Lebens Die evangelische Kirche i m Rheinland legte einem Rundschreiben an zahlreiche Verleger- und Journalistenverbände, Kultusministerien, Prüfstellen und drei Lesezirkeldirektionen einen ,Zeitschriftenbeobachtungsdienst' bei, der die Überschrift trug: „ N u r zur Information! Nicht zur Veröffentlichung bestimmt!" Neben anderen Einzelbeurteilungen über zahlreiche Zeitschriften war darin folgende über den „Stern" enthalten: „Auch dieser Stern ist inzwischen keine Leuchte geworden. Statt zu orien29 Vgl. Südd. Zeitung v. 18./19. 3., 29.3. u n d 18.7.1967: Der F a l l ,Bayerische Union'. 30 BGH, N J W 67, 390; diese Entscheidung betrifft die kritische Würdigung des Geschäftsgebarens eines Maklers, unterfällt also nicht dem hier behandelten Themenkreis. Dennoch k a n n der F a l l wegen der verwandten Problematik als Beispiel dienen. 31 BGH, VersR 1961, 843. 32 O L G München, N J W 55,145.

2. Abschn. : Beispielsfälle

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tieren, schimmert er sehr zwielichtig. Und wer ihn noch kauft, w i r f t 80 °/o des Geldes für negative Lektüre weg . . . Unsere Meinung: Für alle entschieden abzulehnen 33 ." Dieser Fall, obgleich exemplarisch für die Bildung einer Fallgruppe, weist doch einige Besonderheiten auf: Zum einen bezieht sich die unternehmensschädigende Äußerung auf ein Presseunternehmen und zum anderen ist die K r i t i k nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Dennoch läßt sich eine Fallgruppe herausschälen: Es muß sich um die Äußerung einer Organisation handeln, die i m öffentlichen Leben Stimme und Gewicht besitzt; gedacht ist insbesondere an kirchliche Organisationen, an Gewerkschaften, an Parteiorganisationen und größere Verbände, die sich mit der Unternehmenskritik an eine breitere Öffentlichkeit wenden. Die K r i t i k eines Presseunternehmens ist dabei als ein Unterfall dieser Fallgruppe anzusehen. 3. Unternehmensschädigende

Äußerung in der Presse

Die vorliegende Arbeit definiert Presse i n Anlehnung an das Druckund Vervielfältigungsverfahren, versteht unter Presse also alle Druckerzeugnisse, insbesondere auch das Buch, obwohl i m herkömmlichen Sprachgebrauch Presse nur die periodisch erscheinenden Druckwerke bezeichnet 34 . Dennoch w i r d zur Aufgliederung dieser Fallgruppe wie folgt unterschieden: a) Unternehmenskritik i n der periodischen Presse durch die i m Pressewesen regelmäßig tätigen Personen: Beispielsfälle sind i n den verschiedensten Formen denkbar. Es sollen nur genannt werden die K r i t i k am Geschäftsgebaren eines Gewerbetreibenden 35 , der Bericht über einen Kreditschwindel größeren Umfangs 36 , öffentliche K r i t i k der Einstellung einer Firma zur Presse i n abfälliger und drastischer Weise 37 und die Stellungnahme zu einer über eine Tageszeitung verhängten Inseratensperre 38 . b) Unternehmenskritik i n der periodischen Presse durch nicht i m Pressewesen tätige Personen: aa) i n Leserbriefen: Ein Student nimmt zu einem i n einer Zeitschrift veröffentlichten Aufsatz mit der Überschrift „Wider die Elektronen33 34 35 38 37 38

O L G Hamburg, N J W 59, 1784 f. — Zeitschriftenbeobachtungsdienst. Vgl. S. 169 f. O L G München, W R P 64,139. O L G Stuttgart, N J W 67,1422. BGH, JZ 66, 478 — Warentest. B G H , GRUR 60, 505 = L M Nr. 5 zu § 823 (Bd) B G B - Inseratensperre.

1. Teil: Die praktische Problematik

14

orgeln" Stellung. Insbesondere kritisiert er die Verwendung der „übertechnisierten Elektronenorgel" für Kirchenzwecke. Außerdem berichtet er, daß die meisten Berliner Gemeinden, die eine Elektronenorgel i n ihrer Kirche haben, nach Wegen suchen, sie ohne allzu große finanzielle Einbußen wieder loszuwerden. Dagegen wendet sich ein Unternehmen, das 90 °/o der in deutschen Kirchen stehenden Elektronenorgeln geliefert hat 3 9 . bb) Ein Ruhestandsbeamter richtet i n Zeitschriftenaufsätzen scharfe Angriffe gegen Entstrahlungsgeräte, die der Abwehr von Erdstrahlen dienen sollen, und warnt vor ihrem Kauf 4 0 . c) Unternehmenskritik in sonstigen Druckwerken: aa) i n einem Buch mit dem Titel „ Ö l regiert die Welt", das über drei deutsche Tankstellengesellschaften berichtet, die angeblich von der „Caltex" und von der „Avia"-Mineralölgesellschaft beliefert werden. Daraus w i r d geschlossen, daß die „ A v i a " eng mit der „Caltex" zusammenarbeitet. Diese Feststellung ist jedoch unzutreffend und für die „ A v i a " geschäftsschädigend 41 ; bb) i n einem Marktbericht, der unrichtige Preisnotierungen von Gebrauchtwagen wiedergibt. Ein Händler erleidet deswegen Einkommensverluste 4 2 ; cc) in einem fachlichen Informationsdienst, der über die Betriebserweiterung eines Berliner Unternehmens in einer westdeutschen Stadt berichtet. Unter dem Zusatz „was trotz schöner Worte niemand glaubt" w i r d geschildert, daß die Produktion in Berlin dennoch unverändert fortgeführt werden würde 4 3 . C. Fallgruppen auf der Grenze zum geschäftlichen Wettbewerb

Naturgemäß erscheint eine Vielzahl von Fällen vorstellbar, bei deren Beurteilung Zweifel darüber auftauchen, ob eine Wettbewerbshandlung 39

BGH, JZ 64, 509 = N J W 63,1872 — Elektronenorgeln —. B G H i n L M Nr. 11 zu § 823 (Ai) B G B — Erdstrahlen —. 41 BGH, GRUR 62, 261 — ö l regiert die Welt —. 42 BGH, JZ 66, 26 = N J W 65, 36 — Schwacke-Bericht —. 43 O L G Hamburg, Ufita, Bd. 35 (1961), S. 218 — Berlinflucht —; ebenfalls hierher gehören BGH, GRUR 56, 212 — Wirtschaftsarchiv — : i m Nachrichtenblatt einer Wirtschaftsorganisation des deutschen Maschinenbaus w i r d vor der Aufnahme von geschäftlichen Beziehungen m i t einem Verlag gewarnt, und L G Osnabrück, B B 66, 95: i m Fachorgan einer Großhandelsbranche w i r d auf eine Inseratensperre der Hersteller m i t dem Abdruck der Kündigungsschreiben an der Stelle, an der früher die Inserate der Hersteller erschienen, und später m i t dem Freilassen eines entsprechenden, umrandeten Raums geantwortet. 40

2. Abschn. : Beispielsfälle

15

vorliegt oder nicht. Doch sollen diese Fälle nicht in den vorliegenden Versuch einer Typologie, eingepaßt werden, da sie sich je nach den objektiven Verhältnissen und den Motiven der Personen, die sich unternehmensschädigend äußern, ständig ändern, ohne je konkretere und beständigere Formen anzunehmen. Für einige wenige Erscheinungen aus diesem Grenzbereich t r i f f t das jedoch nicht zu. Sie weisen derart markante Besonderheiten auf, daß sie nur in eigenen Fallgruppen erfaßt werden können. 1. Ein Wettbewerber

als Informant

für

Presseveröffentlichungen

Ein Apotheker veranlaßt den Redakteur einer Zeitung, i n einer zügigen Glosse über ,Schwindelmittel· zu berichten. Er gibt ihm die nötigen Informationen über einige Beispielsfälle, insbesondere auch über das von einem Konkurrenten hergestellte und vertriebene Weizenkeimöl 4 4 . 2. Pressefehde

Diese Bezeichnung der neuen Fallgruppe müßte eigentlich genügend Assoziationen hervorrufen, so daß sich eine Schilderung der zahlreichen Beispielsfälle erübrigen könnte 4 5 . Gleichwohl soll auf zwei Fälle verwiesen werden, die die Spannweite der durch die Bezeichnung Pressefehde erfaßten Fälle zu illustrieren vermögen. Ein Wochenmagazin gebraucht i n einem A r t i k e l über eine andere Zeitschrift die Wendung, diese werde i n Stuttgart „fabriziert", was beide Parteien zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung führt 4 6 . I m anderen Extrembereich veranlaßt ein Zeitungsverlag den Boykott einer Zeitung, die nach dem Mauerbau noch ostdeutsche Rundfunk- und Fernsehprogramme veröffentlicht 4 7 .

44 B G H i n L M Nr. 141 zu § 1 U W G = N J W 64, 1181 — Schwindelmittel; bemerkenswert ist die Nähe dieser Fallgruppe zu den oben S. 20 f. unter dem Stichwort „Unternehmenskritik i n der periodischen Presse durch nicht i m Pressewesen tätige Personen" erfaßten Fälle. 45 B G H Z 3, 270 — Constanze I — ; B G H Z 14, 163 — Constanze I I — ; BVerfGE 12, 113 = J Z 61, 535 — Schmid/Spiegel —, ebenfalls ein F a l l der Pressefehde, wenn es auch nicht u m den zivilrechtlichen Unternehmensschutz, sondern den strafrechtlichen Ehrenschutz ging; O L G München, WRP 63, 282; BGH, JZ 64, 623 — Sittenrichter —, allerdings betreffend den Persönlichkeitsschutz; O L G Hamburg, M D R 66, 674 — Schwangerschaftsunterbrechung — ; B G H Z 45, 296 = N J W 66, 1617 — Höllenfeuer —, und BGH, N J W 68, 644 — Fälschung —. 46 O L G Stuttgart, B B 63, 795, m i t dem erstaunlichen Ergebnis, daß ein u n gerechtfertigter Eingriff i n den eingerichteten u n d ausgeübten Gewerbebetrieb vorliege. 47 Vgl. den S. 7 unter ,Boykott m i t wirschaftlichem Druck' genannten B l i n k füerfall.

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1. T e i l : Die praktische Problematik D. Fallgruppen im Bereich des geschäftlichen Wettbewerbs

I. U n b e r e c h t i g t e Schutzrechtsverwarnung gegenüber Dritten Der Fall der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung gegenüber dem betroffenen Unternehmen ist bereits als atypische unternehmensschädigende Äußerung aus der Betrachtung ausgeschlossen worden 4 8 . Hier soll nur als typische unternehmensschädigende Äußerung die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung gegenüber Dritten genannt werden, die z. B. durch Verwarnung der Abnehmer des betroffenen Unternehmens 49 oder durch Anzeigen i n Fachzeitschriften erfolgen kann 5 0 . II. Der

Boykott

Gegenüber den bereits geschilderten Fallgruppen des Boykotts außerhalb des geschäftlichen Wettbewerbs ergibt sich nur die eine Besonderheit, daß der Boykott innerhalb des geschäftlichen Wettbewerbs auf einen Mitbewerber oder, wenn der Verrufer nicht i n einem Wettbewerbsverhältnis steht, auf einen von mehreren Wettbewerbern zielt, u m ihn gegenüber den anderen Mitbewerbern wettbewerblich zu benachteiligen. I m übrigen ergibt sich für die wettbewerblichen Boykottfälle keine Besonderheit, sie können i n ebensolchen Spielarten auftreten wie der Boykott außerhalb des Wettbewerbs 51 . Eine Schilderung einzelner Beispielsfälle erübrigt sich deshalb 52 . 48

Vgl. S. 4. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 8 zu § 14 UWG. 50 BGH, W R P 68, 50 — Spielautomat —. 51 BGH, B B 59, 282 = GRUR 59, 244 — Versandbuchhandel —, als Beispiel für einen Boykott m i t wirtschaftlichem Druckmittel: Eine kulturelle V e r einigung u n d ein Landkreis gründeten eine Gesellschaft, die Bücher für den Vertrieb an öffentliche Büchereien „ i m Wege des Versandbuchhandels" k a u fen u n d verkaufen sollte. Hierauf reagierte ein Schutzverband von Buchhändlern und Verlegern i n einem Schreiben an die Lieferanten der Gesellschaft: „Eine Belieferung der weitgehend m i t öffentlichen M i t t e l n gegründeten »Versandbuchhandlung' würde zwangsläufig einen erheblichen Rückgang der U m sätze ihres Verlages m i t dem . . . Buchhandel zur Folge haben." 52 O L G Düsseldorf, GRUR 50, 380: M i t t e i l u n g eines Landesverbandes der Filmtheaterbesitzer an eine Filmverleihfirma, daß er „von seinem Standpunkt" aus die Belieferung eines Kinobesitzers m i t F i l m e n nicht gutheißen könne; BGH, N J W 54, 147 — ambulanter Brothandel — : A u f Veranlassung einer Bäckerinnung stellt ein Bäcker die Lieferungen an einen m i t behördlicher Genehmigung betriebenen ambulanten Brothandel ein, der darauf h i n zum Erliegen k o m m t ; O L G Stuttgart, N J W 55, 389: Eine Handwerksinnung fordert ihre Mitglieder auf, sich nicht als Handlanger eines Versandhauses herzugeben; BGH, L M Nr. 8 zu § 14 U W G — Schleuderpreise — : Der Inhaber eines Süßwarenfachhandels berichtet i n Briefen an Süßwarenhersteller von der „Preisschleuderei" eines Mitbewerbers und bittet u m einen Bericht über die getroffenen Gegenmaßnahmen. 49

2. Abschn. : Beispielsfälle

III.

Marktinformation für gewerblichen Handel

17

den

Verbände und andere Zusammenschlüsse des Handels informieren ihre Mitglieder über Preise, Kosten, Geschäftsbedingungen, Vertriebswege und Lieferverflechtungen zwischen Industrie, Großhandel und Einzelhandel, u m ihnen die notwendige Marktübersicht für den einzelnen kaufmännischen Entschluß zu verschaffen, da die Marktübersicht auch des kaufmännischen Fachmannes über die ständig steigende Fülle des Angebots und die fortlaufende technische und wirtschafliche Entwicklung i n vielen Bereichen nicht mehr gewährleistet ist. Nicht nur die M i t teilung von Tatsache, sondern auch die aus ihnen gewonnenen Schlußfolgerungen und Vermutungen sind Gegenstand der Marktinformation 5 3 .

IV. V e r g l e i c h e n d e

Werbung

Unter vergleichender Werbung soll nur der Fall verstanden werden, daß sich ein Wettbewerber bei der Werbung für die eigenen Erzeugnisse kritisch mit der Ware oder sonstigen gewerblichen Leistung eines oder mehrerer Mitbewerber befaßt. Nicht erfaßt sind die persönliche Werbung, die kritische Stellungnahme zur Person des Mitbewerbers, und die anlehnende Werbung, das Ausnützen des guten Rufs einer bereits auf dem M a r k t eingeführten Ware oder sonstigen Leistung 5 4 , da beide Arten nicht i n den Problemkreis der unternehmensschädigenden Äußerung gehören 55 . 53 Eine ausführliche Schilderung der Erscheinungsformen der M a r k t i n f o r m a tion für den gewerblichen Handel gibt Hiersemann, W R P 66, 294. Beispielhaft auch BGH, W R P 64, 276 = W u W 64, 641 — Möbelherstellergenossenschaft: Eine Genossenschaft von Möbelhandwerkern u n d Möbelfabriken verkaufte ihre Ware bei besonderen Veranstaltungen i n Gaststätten unter dem Motto „ d i r e k t von der F a b r i k " . E i n Verband der Möbeleinzelhändler informierte sich darauf i m Genossenschaftsregister über die Genossenschaft u n d ihre Mitglieder. Die Ergebnisse der Nachforschungen, insbesondere die Namen der i n der Genossenschaft beteiligten Fabriken, w u r d e n den Einzelhändlern i n einem Rundschreiben mitgeteilt. 54 Z u den Erscheinungsformen der bezugnehmenden Werbung u n d den dazugehörigen Begriffen vgl. Nerreter, GRUR 33, 8 ff.; H. Droste, GRUR 51, 140 f.; Burhenne, N J W 51, 249; D. Reimer, Persönliche u n d vergleichende Werbung, S. 7 ff.; Völp, W R P 60, 197 f.; Borck, W R P 61, 1, 3; Brinkmann, W R P 63, 230 f.; Eichmann, S. 1 ff. 55 Die persönliche Werbung scheidet aus, da Gegenstand der A r b e i t nur der Unternehmensschutz sein soll, vgl. S. 2. Die anlehnende Werbung bleibt außer Betracht, w e i l sie sich nicht i n den Rahmen der typisch unternehmensschädigenden Äußerungen einpaßt. Die bisherigen Fallgruppen zeigen, daß es sich immer u m die kritische Befassung m i t einem Unternehmen oder u m das Äußern für ein Unternehmen nachteiliger Tatsachen handelt, während die anlehnende Werbung ein anderes Unternehmen gerade positiv herausstellt u n d erst durch den Anlehnungseffekt i n F o r m eines Umsatzrückganges schädigt.

2

Koller

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1. Teil: Die praktische Problematik

O b w o h l u n d gerade w e i l die v e r g l e i c h e n d e W e r b u n g eine u m f a n g reiche, aber h i n r e i c h e n d b e k a n n t e eigene F a l l g r u p p e d a r s t e l l t , s o l l i h r e Erscheinung nicht m i t einzelnen Beispielen für den Regelfall erhellt w e r d e n 5 6 . V i e l m e h r w e r d e n die e i n z e l n e n A u s n a h m e - u n d S o n d e r f ä l l e i n der E r w a r t u n g d a r g e s t e l l t , daß sie e i n bezeichnendes L i c h t a u f d e n R e g e l f a l l z u w e r f e n v e r m ö g e n . D a b e i i s t d a r a n z u e r i n n e r n , daß die e i n z e l n e n A u s n a h m e - u n d S o n d e r f ä l l e w i e d e r u m eigene typische F a l l g r u p p e n d e r unternehmensschädigenden Ä u ß e r u n g darstellen.

1. Der

Systemvergleich

D e r W e r b e n d e v e r g l e i c h t e n t w e d e r d i e V o r - u n d N a c h t e i l e des H e r s t e l l u n g s - , A n w e n d u n g s - oder V e r t r i e b s s y s t e m s der eigenen W a r e oder sonstigen g e w e r b l i c h e n L e i s t u n g m i t d e m H e r s t e l l u n g s - , A n w e n d u n g s oder V e r t r i e b s s y s t e m der g e w e r b l i c h e n L e i s t u n g eines oder m e h r e r e r a n d e r e r U n t e r n e h m e n (eigentlicher S y s t e m v e r g l e i c h ) oder er v e g l e i c h t die V o r - u n d N a c h t e i l e der eigenen L e i s t u n g m i t d e m H e r s t e l l u n g s - , A n w e n d u n g s - oder V e r t r i e b s s y s t e m einer f r e m d e n L e i s t u n g ( u n e i g e n t l i c h e r S y s t e m v e r g l e i c h ) 5 7 . I m R e g e l f a l l w i r d d a b e i n u r a u f das f r e m d e S y s t e m u n d n i c h t a u f die f r e m d e W a r e oder L e i s t u n g B e z u g g e n o m m e n 5 8 . 56

Beispiele aus der Rspr. für den Regelfall i n Baumbach-FIefermehl, 9. Aufl., A n m . 39 zu § 1 UWG. 57 Z u r Unterscheidung eigentlicher — uneigentlicher Systemvergleich BGH, GRUR 52, 416, 417 — Dauerdose —, u n d BGH, N J W 68, 746, 748 — 40 °/o können sie sparen —. Entscheidungen betreffend den Systemvergleich bei BaumbachHefermehl, 9. Aufl., A n m . 40 ff. zu § 1 UWG. A n neuen Entscheidungen sind nachzutragen: BGH, GRUR 63, 371 — Wäschestärkemittel — ; BGH, B B 67, 645 — Kuppelmuffenverbindung — ; O L G Düsseldorf, W R P 68, 32. 58 Die fehlende Bezugnahme ist ein wichtiges K r i t e r i u m des Systemvergleichs, das andererseits immer wieder Anlaß zu Unklarheiten u n d Unsicherheiten gegeben hat. Die Unklarheiten beruhen einmal auf der Schwierigkeit, ein System ohne eine zumindest dem Fachmann erkennbare Bezugnahme auf das Erzeugnis eines anderen Mitbewerbers darzustellen (Brinkmann, W R P 63, 230, 232), sowie auf der widersprüchlichen Rspr. des RG, die dazu neigte, den Warenvergleich i m Gewände eines Systemvergleichs zuzulassen, ohne dabei auf die Abgrenzung zum Fortschrittsvergleich zu achten. Z u r Rspr. des RG vgl. Droste, GRUR 51, 140, 142 f., der die Figur des Systemvergleichs als durch den notwendigen ( = Fortschritts-) Vergleich überholt ansieht. Dieser Ansicht folgten Rspr. und Schrifttum jedoch nicht. So bemüht sich BGH, GRUR 52, 416, 417 — Dauerdose —, wieder u m eine schärfende Grenzziehung zwischen Systemund Warenvergleich, ebenso BGH, GRUR 61, 237, 240 — T O K - B a n d —, w ä h rend BGH, B B 67, 645 — Kuppelmuffenverbindung —, und i h m folgend O L G Düsseldorf, W R P 68, 32, 33, wieder unmerklich davon abrücken. Die neueste Rspr. hält weiterhin an der grundsätzlichen Unterscheidung fest, vgl. BGH, N J W 68, 746, 748 — 40 °/o können sie sparen —. Gegen Drostes Ansicht sprechen sich ausdrücklich aus Tetzner, N J W 53, 87, 89, u n d Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 45 zu § 1 UWG. M i t dem K r i t e r i u m der Bezugnahme hängt auch zusammen, ob die systemvergleichende Werbung als ein Unterfall der vergleichenden Werbung anzusehen ist oder nicht. Dazu später S. 296 f. Hier soll sie als ,Sonderfall' bezeichnet werden.

2. Abschn. : Beispielsfälle

19

Gleichwohl fällt der Systemvergleich nicht aus der Erscheinungsform der unternehmenssädigenden Äußerung heraus, da die Unternehmen, die das zum Vergleich herangezogene System verwenden, normalerweise Schäden durch den Vergleich i n Form eines Umsatzrückganges erleiden 59 . 2. Richtpreiswerbung Es handelt sich um die Erscheinung, daß Händler m i t der wahrheitsgemäßen Angabe werben, daß ihre Preise zu einem bestimmten Prozentsat τ unter dem vom Hersteller „empfohlenen" oder unter dem „unverbindlichen Richtpreis" liegen 60 . Richtpreise i m Sinne dieser Fallkategorie können nur solche Preise sein — dies ist wichtig i m Hinblick auf die A b grenzung zum allgemenen Preisvergleich —, die nicht als unabänderliche Größe vorgeschrieben, sondern als Richtlinie für die Preisbemessung gedacht sind, also Schwankungen bei den i m Handel tatsächlich geforderten Preisen zulassen 61 . Auch darf es sich beim Richtpreis nicht u m einen „Mond-" oder „Phantasiepreis" handeln. Er muß vielmehr einen aufgrund einer gewissenhaften Kalkulation gewonnenen, angemessenen durchschnittlichen Verbraucherpreis darstellen 62 . Ferner darf der Richtpreis i m Zeitpunkt der Gegenüberstellung den auf dem M a r k t üblich gewordenen Verbraucherpreis nicht i n einem solchen Maß übersteigen, daß er nicht mehr ernsthaft als Grundlage für die Preisgestaltung des Einzelhändlers i n Betracht kommt 6 3 . 59 Was noch nicht heißen muß, daß derjenige, der system vergleichend w i r b t , für diesen Schaden einzustehen hat. 60 B G H Z 42, 134 = GRUR 65, 96 — 20 °/o unter dem empfohlenen Richtpreis — ; B G H Z 45, 115 = GRUR 66, 327 — Richtpreiswerbung I —; BGH, GRUR 66, 333 — Richtpreiswerbung I I —. 61 B G H Z 42, 134 — 20 °/o unter dem empfohlenen Richtpreis —. Was sich i n dieser Entscheidung schon andeutete, w i r d i n BGH, N J W 68, 746 — 40 °/o k ö n nen sie sparen —, vollends k l a r : Die Richtpreiswerbung ist mangels einer Bezugnahme auf die Mitbewerber, n u r der unverbindliche Richtpreis w i r d i n bezug zu den eigenen Preisen gesetzt, nicht vergleichende Werbung. Dann ist aber eine weitere Voraussetzung der Richtpreiswerbung, daß die Mehrzahl der Mitbewerber die empfohlenen Richtpreise unterschreitet. H ä l t dagegen die überwiegende Mehrzahl der Mitbewerber den Richtpreis ein, und kennt zumindest ein Teil des Verkehrs diese Sachlage, so w i r d aus der Richtpreiswerbung ein Vergleich m i t den tatsächlich bestehenden, von den Mitbewerbern verlangten Marktpreisen. Diesen F a l l hat BGH, NJW 68, 746 — 40 % können sie sparen — , entschieden. Dazu S. 22. 62 B G H Z 45, 115 = GRUR 66, 327 — Richtpreiswerbung I —, und BGH, GRUR 66, 333 — Richtpreiswerbung I I —. Dieses Erfordernis stellt der B G H i n Hinblick auf das Verbot der irreführenden Werbung i n § 3 U W G auf; es ist auch hier zur Beschreibung der Fallgruppe ,Richtpreiswerbung' erforderlich, u m die Fallgruppen der irreführenden Werbung auszuklammern. 63 B G H Z 45,115 = GRUR 66, 327 - Richtpreiswerbung I —. Diese Einschränkung folgt ebenfalls aus § 3 UWG.

2*

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1. T e i l : Die praktische Problematik

3. Die Ausnahmefälle der vergleichenden Werbung unter dem Gesichtspunkt hinreichender Veranlassung Wurden bisher die Sonderfälle der vergleichenden Werbung, der Sytemvergleich und die Richtpreiswerbung, dargestellt, die sich dadurch auszeichnen, daß auf den Mitbewerber höchstens mittelbar Bezug genommen wird, obwohl i m Einzelfall durchaus ein Hinübergleiten i n die unmittelbare Bezugnahme vorkommt, was aber die grundsätzliche Einteilung unberührt läßt, so sollen nun die Ausnahmefälle der vergleichenden Werbung vorgestellt werden. Sie werden als Ausnahmefälle und nicht als Sonderfälle bezeichnet, da bei ihnen ausdrücklich auf die Ware des Mitbewerbers Bezug genommen wird. Die Gliederung der Ausnahmefälle unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Veranlassung erfolgt, weil sich der Begriff der hinreichenden Veranlassung als Oberbegriff für die Ausnahmefälle der vergleichenden Werbung einzubürgern scheint 64 und w e i l er — darauf hinzuweisen, erscheint gerade hier i m Rahmen der Typologie notwendig — anzeigt, daß die i m folgenden genannten Beispiele eines hinreichend veranlaßten Werbevergleichs nicht abschließend sein können und sollen 65 . Das zu zeigen, ist allerdings auch der zuletzt zu nennende Vergleich i n Wahrnehmung eines berechtigten Interesses geeignet 66 . a) Vergleich auf Verlangen des Kunden: Der Kunde erhält auf seine ausdrückliche und bestimmte Frage an einen Wettbewerber Auskunft über die Leistung eines oder mehrerer Mitbewerber des Befragten 67 . b) Fortschrittsvergleich ( = notwendiger Vergleich) : Zur Verdeutlichung eines auf andere Weise nicht werbewirksam darzustellenden technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts bzw. Unterschiedes w i r d die eigene Ware oder Leistung m i t der gewerblichen Lei64 RG, GRUR 36, 813; BGH, GRUR 53, 293, 294 — Fleischbezug — ; BGH, N J W 61,1916, 1918 — Betonzusatzmittel — ; BGH, GRUR 63, 371, 374 — Wäschestärkemittel — ; BGH, GRUR 67, 30, 33 — Rumverschnitt — ; Nerreter, GRUR 33, 8; Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 17; Völp, W R P 60, 197, 201 u n d 203; ders., W R P 65,125,127; E. Reimer, Wettbewerbs- und WZR, 3. Aufl., 78. Kap. V, Rdnr. 11; Spengler, W R P 65, 121, 125; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 38 zu § 1 UWG. 65 D. Reimer, Persönliche u n d vergleichende Werbung, S. 145; Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 17; Wenzel, N J W 62, 81, 83 f.; Spengler, M A 62, 283, 291; O L G Düsseldorf, GRUR 64, 36 — Kläranlagen —, sowie inzident die i n Note 64 genannte Rspr. 66 Vgl. S. 21 m i t Note 70. 67 BGH, GRUR 57, 23 — Bündner Glas — ; vgl. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 50 zu § 1 UWG.

2. Abschn.: Beispielsfälle

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s t u n g eines oder m e h r e r e r M i t b e w e r b e r v e r g l i c h e n , w o b e i sich der V e r gleich i m R a h m e n des u n b e d i n g t N o t w e n d i g e n h ä l t 6 8 . c) A b w e h r v e r g l e i c h : D e r W e t t b e w e r b e r befaßt sich i n seiner W e r b u n g v e r g l e i c h e n d m i t der W a r e oder L e i s t u n g eines M i t b e w e r b e r s , u m e i n e n v o n diesem gegen i h n g e r i c h t e t e n r e c h t s w i d r i g e n A n g r i f f a b z u w e h r e n , dessen F o r t d a u e r n i h m Schaden z u f ü g e n w ü r d e . D i e v e r g l e i c h e n d e W e r b e h a n d l u n g ist z u r A b w e h r notwendig u n d geeignet69. d) V e r g l e i c h i n W a h r n e h m u n g eines b e r e c h t i g t e n Interesses: H i e r h a n d e l t es sich u m eine neuere F a l l g r u p p e , d e r e n K o n t u r e n sich noch n i c h t e n d g ü l t i g abzeichnen. Das l i e g t einerseits a n d e m bereits geschilderten O f f e n s e i n d e r A u s n a h m e f ä l l e d e r v e r g l e i c h e n d e n W e r b u n g , das i n d e m O b e r b e g r i f f der h i n r e i c h e n d v e r a n l a ß t e n V e r g l e i c h s w e r b u n g z u m A u s d r u c k k o m m t u n d i n d e m letzten, g e n e r a l k l a u s e l a r t i g e n A u s n a h m e f a l l eines V e r g l e i c h s i n W a h r n e h m u n g b e r e c h t i g t e r Interessen seinen N i e d e r s c h l a g findet 70. Das b e r u h t z u m a n d e r e n a u f d e n 68 BGH, GRUR 52, 416, 417 — Dauerdose — ; BGH, GRUR 58, 343, 345 — Bohnergerät — ; BGH, GRUR 61, 85, 90 f. — Pfiiffikus-Dose — ; BGH, GRUR 61, 237 — T O K - B a n d —. Darauf, daß die RG-Rspr. den Systemvergleich nicht genügend v o m Fortschrittsvergleich trennte u n d Droste deshalb den Systemvergleich i m Fortschrittsvergleich aufgehen lassen wollte, wurde oben schon verwiesen (Note 58 auf S. 18). A n der grundsätzlichen Trennung muß trotz gelegentlicher Abgrenzungsschwierigkeiten festgehalten werden. 69 RG, M u W 35, 148, 150; B G H i n L M Nr. 19 zu § 1 U W G = GRUR 54, 337 — Radschutz — ; Nachweis weiterer Entscheidungen bei Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 49 zu § 1 UWG. 70 Die Einordnung des Vergleichs i n Wahrnehmung eines berechtigten I n t e r esses ist nicht einheitlich. Die Rspr., BGH, N J W 61, 1916, 1918 — Betonzusatzm i t t e l —, u n d BGH, D B 67, 198 f. — Backhilfsmittel —, stellt i h n offensichtlich neben die anderen Ausnahmefälle, die sie insgesamt unter dem Gesichtsp u n k t der hinreichenden Veranlassung zusammenfaßt; ebenfalls als weiteren Ausnahmefall sehen i h n an Schwammberg er, B B 61, 1222, u n d Kühler, W i r t schaftsordnung, S. 24 Note 76. Einen anderen Weg geht Hefermehl i n B a u m bach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 38 u n d 51 zu § 1 U W G : Er sieht vergleichende Werbung bei Vorliegen eines berechtigten Grundes (Rspr.: Hinreichender Anlaß!) als erlaubt an, nennt als Beispiele f ü r den erlaubten Vergleich System-, A b w e h r - u n d Fortschrittsvergleich u n d endet beim werbemäßig notwendigen Vergleich, worunter er den Fortschrittsvergleich u n d unter Berufung auf BGH, N J W 61, 1916, 1918 — Betonzusatzmittel — (!), einen Vergleich aus berechtigtem Anlaß (!), insbesondere zur Verdeutlichung eines auf andere Weise nicht werbewirksam darzustellenden Unterschieds versteht. Der verwirrende Eindruck läßt sich folgendermaßen klären: Sind die Ausnahmefälle der vergleichenden Werbung unter dem Begriff des hinreichenden Anlasses einheitlich — w e n n auch nicht abschließend — zu erfassen, so erübrigt sich ein weiterer Ausnahmefall unter dem Gesichtspunkt der W a h r nehmung eines berechtigten Interesses. Denn dieser Gesichtspunkt wiederholt nur, was schon der Begriff des hinreichenden Anlasses enthält. Dennoch ist ein Beibehalten des Begriffs ,Vergleich i n Wahrnehmung berechtigter Interessen'

22

1. Teil: Die praktische Problematik

unklaren Formulierungen der Rspr., die die Wahrnehmung eines berechtigten Interesses häufig als Hilfsbegründung für einen bereits aus anderen Gründen gerechtfertigten Werbevergleich w ä h l t 7 1 . Dennoch haben sich aus dem weiten Bereich des Vergleichs i n Wahrnehmung berechtigter Interessen folgende konkretere Erscheinungen herausgeschält, die zwar die möglichen Erscheinungsformen des Vergleichs i n Wahrnehmung eines berechtigten Interesses nicht erschöpfend darstellen — es sei an das Offensein dieses Fallbereichs erinnert —, aber doch zeigen, wie sich hier Konturen abzuzeichnen beginnen. aa) Vergleich bei Kundenirrtum oder Gefahr einer Irreführung: Ein Wettbewerber kann einen für den Absatz seiner Ware nachteiligen, bestehenden oder drohenden Kundenirrtum, der nicht durch das rechtswidrige, d. h. in der Regel nicht durch das wettbewerbswidrige Verhalten eines Mitbewerbers veranlaßt ist, nicht in anderer Weise beseitigen als durch den Vergleich mit der Leistung eines oder mehrerer Mitbewerber 7 2 . bb) Preisvergleich bei identischen Erzeugnissen: Ein Vergleich befaßt sich der Wahrheit gemäß mit den eigenen Preisen und den Preisen der Mitbewerber, die von beiden Seiten für identische Industrieerzeugnisse derselben Hersteller verlangt werden. Der Vergleichende dient dadurch dem Bedürfnis der Allgemeinheit nach sachgemäßer Aufklärung 7 3 .

V. W e r b u n g

mit

vergleichenden

Warentests

Gemeint ist nur die Werbung mit einwandfreien und von unabhängigen Testinstituten erstellten Testberichten durch den Hersteller einer als Bezeichnung f ü r eine Ausnahmekategorie der vergleichenden Werbung zu befürworten, da er besser als der Oberbegriff der hinreichenden Veranlassung an das Offensein der Ausnahmekategorien erinnert. 71 BGH, D B 67, 198 f. — Backhilfsmittel — ; die Wahrnehmung eines berechtigten Interesses w i r d genannt, obwohl ein Abwehrvergleich vorliegt. Sehr deutlich B G H Z 42, 134 = W R P 64, 370, 374 — 20 °/o unter dem empfohlenen Richtpreis —, u n d B G H Z 45, 115 = GRUR 66, 327, 329 — Richtpreiswerbung I — : Obwohl bei der Richtpreis Werbung n u r eine mittelbare Bezugnahme bej a h t w i r d , Verweis auf die Wahrnehmung eines berechtigten Interesses, das i m schutzwürdigen Bedürfnis der Allgemeinheit nach sachgemäßer A u f k l ä r u n g liegt, als Rechtfertigungsgrund für einen Werbevergleich. 72 BGH, N J W 61, 1916, 1918 — Betonzusatzmittel — ; BGH, GRUR 60, 384, 387 — Mampe Halb u n d Halb — ; BGH, GRUR 61, 288, 289 — Zahnbürsten — ; BGH, GRUR 64, 33, 34 f. — Bodenbeläge — ; a l l diese Fälle stehen der w e t t bewerblichen A b w e h r nahe, unterscheiden sich aber dadurch von ihr, daß ein rechtswidriger A n g r i f f eines Mitbewerbers gerade nicht vorliegt. 73 BGH, N J W 68, 746, 747 f. — 40 °/o können sie sparen — ; zur Nähe dieser Fallgruppe zur Richtpreiswerbung und zur Abgrenzung von dieser Erscheinungsform vgl. S. 19.

2. Abschn.: Beispielsfälle

23

der getesteten Waren. Damit sind freilich die Erscheinungsformen der Testwerbung noch nicht genügend umrissen. Es bedarf einer weiteren Differenzierung 74 . 1. Werbung mit vollständigen Testberichten Der vollständige Testbericht w i r d i n der Werbung wiedergegeben, also auch die Teile, die sich mit den Waren und Leistungen der Mitbewerber befassen. 2. Werbung mit Auszügen aus Testberichten a) durch vertikale Zitate: Dazu zählen alle Auszüge, die jeweils nur eine einzelne getestete Ware oder Dienstleistung betreffen und gleichsam i m Längsschnitt aus dem vergleichenden Test herausgenommen sind. b) durch horizontale Zitate: Sie begnügen sich nicht mit einem einzigen Produkt, sondern bringen einen meist unvollständigen Querschnitt aus dem Testbericht. 3. Werbung mit Hinweisen auf Testberichte Der V/erbende begnügt sich mit einem Hinweis auf den bereits an anderer Stelle veröffentlichten Testbericht 75 .

VI. S o n s t i g e unternehmensschädigende Äußerungen im geschäftlichen Wettbewerb Die Erscheinungsformen der unternehmensschädigenden Äußerungen i m geschäftlichen Wettbewerb sind naturgemäß ebenso vielfältig wie außerhalb des Wettbewerbs. Auch wenn sich schon eine Vielzahl konkreter Kategorien innerhalb des Wettbewerbs herausgebildet hat, so können diese Fallgruppen ebensowenig wie die Fallgruppen außerhalb des Wettbewerbs als abschließend betrachtet werden. Die unternehmensschädigende Äußerung kann immer wieder neue Formen annehmen, die mit den bisherigen Kategorien nicht zu messen sind. Die bisherige Ord74 Allerdings n u r i n Hinblick auf die wettbewerbsrechtliche Problematik. Die Schranken des Urheber- u n d Persönlichkeitsrechts für die Testwerbung stehen nicht zur Diskussion, vgl. hierzu Will, S. 23 ff. u n d S. 65 ff. 75 Meist w i r d nicht genügend differenziert zwischen den möglichen Erscheinungsformen der Testwerbung. Die vorstehende Aufgliederung der Testwerbung geht zurück auf Will, S. 99 ff. Z u r Werbung i n einer Tageszeitung m i t der auszugsweisen Veröffentlichung aus einem Testbericht unter Hinweis auf die Fundstelle vgl. L G Bochum, GRUR 63, 437.

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1. T e i l : Die praktische Problematik

nung muß dann entweder erweitert oder i n Teilbereichen den neuen Erscheinungen angepaßt werden. Anders als für die unternehmensschädigende Äußerung außerhalb des geschäftlichen Wettbewerbs zeichnen sich innerhalb des Wettbewerbs noch keine neuen Fallgruppen ab. Das dürfte insbesondere daran liegen, daß die bisher genannten Kategorien, vor allem aber die Fallgruppe der vergleichenden Werbung, den Großteil der unternehmensschädigenden Äußerungen aufnehmen. Gleichwohl muß mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß eine unternehmensschädigende Äußerung i m Wettbewerb auch dann vorliegen kann, wenn sie sich nicht i n einer der genannten Fallkategorien einordnen läßt 7 8 .

76

E i n Beispiel läßt sich gewinnen aus B G H i n L M Nr. 8 zu § 14 U W G — Schleuderpreise — : Der Inhaber eines Süßwarenfachhandels berichtete i n Briefen an Süßwarenhersteller von der „Preisschleuderei" eines Mitbewerbers u n d bat u m einen Bericht über die getroffenen Gegenmaßnahmen. Insgesamt ein Boykottfall. Wäre nicht u m einen Bericht über die getroffenen Gegenmaßnahmen gebeten u n d n u r der V o r w u r f der „Preisschleuderei" erhoben worden, so wäre eine Boykottaufforderung w o h l zu verneinen gewesen. Dennoch hätte der V o r w u r f der „Preisschleuderei" nach §§ 1 u n d 14 U W G untersucht werden müssen.

Zweiter Teil

Das einfache Gesetzesrecht und sein Offensein für verfassungsrechtliche Wertungen Die rechtliche Betrachtung der unternehmensschädigenden Äußerung muß einsetzen beim einfachen Gesetzesrecht als dem sachnächsten Normbereich. Denn nur aus i h m lassen sich die notwendigen Einzelheiten gewinnen, die für den Hechtssuchenden und den Richtenden Bedeutung erlangen. Nur das einfache Gesetzesrecht hält einzelne Tatbestände bereit, aus denen eine Rechtsfolge hergeleitet werden kann. Nur das einfache Gesetzesrecht besagt, ob ein Schadensersatz-, Unterlassungs- oder Widerrufsbegehren Erfolg haben kann oder nicht. Demgegenüber vermag das Verfassungsrecht seiner grundsätzlichen Konzeption nach keine streitentscheidenden Antworten für Personen des Zivilrechts zu geben. Die Verfassung stellt kein abschließendes Wertsystem dar, aus dem sich normative Regelungen für alle Bereiche des Rechts in umfassender Weise ableiten lassen 1 . Aber selbst wenn dem so wäre, so stände dem unmittelbaren Durchgriff auf die Verfassung ohne Beachtung des einschlägigen Gesetzesrechts die schlichte Existenz des einfachen Gesetzesrechts entgegen, die nicht m i t dem Einwand der Bedeutungslosigkeit entkräftet werden kann, da die Verfassung sie allenthalben anstrebt und voraussetzt. Die Betrachtung des Verfassungsrechts darf erst dann folgen, wenn das für die unternehmensschädigende Äußerung geltende einfache Gesetzesrecht i n seiner spezifischen Problematik dargestellt worden ist. Erst dann kann festgestellt werden, ob das einfache Gesetzesrecht einer Ergänzung oder Ausrichtung am Verfassungsrecht bedarf oder ob das Verfassungsrecht gar eine Neuorientierung des einfachen Gesetzesrechts erzwingt. Ist so die grundsätzliche Konzeption bestimmt, so bleibt hinzuzufügen, daß die Darstellung des Gesetzesrechts darauf hinweisen wird, wo herkömmlicherweise auf das Verfassungsrecht und insbesondere auf die 1 Lerche, Werbung, S. 32 f.; vgl. unten S. 101. Die genannte Arbeit Lerches ist beispielhaft für den Aufbau einer Erörterung, die sich m i t dem Einfluß des Verfassungsrechts auf einen zivilrechtlichen Normenkreis zu befassen hat, vgl. seine Begründung a.a.O., S. 9 u n d S. 32 ff.

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

Meinungsäußerungsfreiheit als einen für die zivilrechtliche Betrachtung relevanten Gesichtspunkt eingegangen wird. Und vor allem w i r d am Ende gefragt, ob und wo sich das Gesetzesrecht aus eigener K r a f t verfassungsrechtlichen Entscheidungen öffnet, ob also das Gesetzesrecht von sich aus bereit ist, verfasungsrechtliche Einflüsse aufzunehmen, ohne daß zuvor festgestellt ist, ob das Verfassungsrecht i n dieser Richtung eine A r t Druck oder Zwang ausübt.

Erstes Kapitel

Das einfache Gesetzesrecht 1. Abschnitt: Die Tatbestände des bürgerlichen Rechts A. Zivilrechtlicher Schutz vor Beleidungen eines Unternehmens (§§ 185 ff. StGB i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB)

I. D i e

allgemeinen

Beleidigungsdelikte

Beleidigung (§ 185 StGB), üble Nachrede (§ 186 StGB) und Verleumdung (§ 187 StGB) sind abzuheben vom besonderen Fall der Verleumdung, dessen Strafbarkeit ebenfalls § 187 StGB ausspricht und der gewöhnlich m i t Kreditverleumdung oder Kreditgefährdung umschrieben wird. Während die noch gesondert darzustellende verleumderische Kreditgefährdung eindeutig auch Unternehmen schützt, erscheint der allgemeine Beleidigungsschutz eines wirtschaftlichen Unternehmens nicht in dieser Weise unzweifelhaft und überzeugend. Die nicht eindeutig zu bantwortende und entscheidende Frage lautet: Sind wirtschaftliche Unternehmen beleidigungsfähig? Als Grundlage und Ausgangspunkt der A n t w o r t gilt es sich einerseits zu vergegenwärtigen, daß die Ehre als Rechtsgut der Beleidungsdelikte von allen strafrechtlichen Rechtsgütern „das am stärksten persönlichkeitsgebundene, am meisten individualisierte Rechtsgut ist" 1 . A u f der anderen Seite gilt es das breite Spektrum der Erscheinungsformen des wirtschaftlichen Unternehmens einzubeziehen. So kann ein Unternehmen seiner Struktur nach sein Personalgesellschaft oder Kapitalgesellschaft. Innerhalb dieser Gegensätze sind die verschiedensartigsten Abstufungen möglich: Das eine Unternehmen kann i m Gewände einer Personalgesellschaft strukturell einer Kapitalgeselschaft, das andere Unternehmen i m Gewände einer Kapitalgesellschaft einer Personalgesellschaft stark angenähert sein. Die Verbindung beider Ausgangspunkte führt bereits zum ersten Ergebnis. Entscheidend für die Beleidigungsfähigkeit eines w i r t schaftlichen Unternehmens kann nicht sein die juristische Qualifika1

Maurach , BT, 3. Aufl., § 17 I I A (S. 119).

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

tion als natürliche oder juristische Person, ausschlaggebend ist allein das Maß der tatsächlichen Persönlichkeitsqualität eines Unternehmens 2 . Neben der Persönlichkeitsbindung ist hervorzuheben, daß die Ehre stärker als jedes andere strafrechtliche Rechtsgut sozial bedingt ist 3 . Die soziale Geltung einer Person w i r d durch die Beleidigungsdelikte geschützt 4 . Daraus folgt, daß eine Personengemeinschaft, u m beleidigungsfähig zu sein, eine anerkannte soziale Funktion ausüben muß 5 . Entscheidend sind somit zur Annahme der Beleidigungsfähigkeit eines Unternehmens dessen Persönlichkeitsqualität und soziale Funktion 6 , wobei i m Hinblick auf die Besonderheit der Eingangsfrage die Betonung auf das Erfordernis der Persönlichkeitsqualität zu legen ist, da auch privatwirtschaftliche Zwecke i n aller Regel sozial anerkannte Funktionen erfüllen 7 . Das Erfordernis der Persönlichkeitsqualität scheint noch zu beachten, wer bei Offenen Handelsgesellschaften und Kommanditgesellschaften m i t Rücksicht darauf, daß bei ihnen die Person entscheidend i m Vordergrund steht, die Beleidigungsfähigkeit bejaht 8 . Dagegen scheint dies Erfordernis i n den Hintergrund zu rücken oder gar vergessen zu sein, wenn unter Berufung auf den B G H 9 die Beleidigungsfähigkeit von Kapitalgesellschaften ohne Einschränkung anerkannt wird10. Hier w i r d es in zweierlei Hinsicht notwendig, sich auf das Erfordernis der Persönlichkeitsqualität zu besinnen. Einmal w i r d eine größere Ka2 Maurach, BT, 3. Aufl., § 17 I I Β (S. 120): „ . . . nicht die Frage der Rechtspersönlichkeit darf entscheiden, sondern Maßstab muß die Persönlichkeitsqualität der Gemeinschaft sein." 3 BGHSt 11, 67, 70 unter Berufung auf Maurach, BT, 4. Aufl., S. 124. 4 Maurach, BT, 3. Aufl., § 17 I 2 (S. 117). 5 Maurach, a.a.O., § 17 I I Β (S. 120). β RGSt 70, 140: „Personenmehrheiten, die das Recht anerkennt und die m i t staatlicher B i l l i g u n g der E r f ü l l u n g öffentlicher Aufgaben zu dienen bestimmt sind", sind beleidigungsfähig. B G H S t 6, 187, 191: „Es genügt, daß die Personengesamtheit eine rechtlich anerkannte gesellschaftliche (auch wirtschaftliche) Aufgabe („soziale Funktion") erfüllt u n d einen einheitlichen W i l l e n bilden kann. Die Aufgabe braucht keine öffentliche sein; sie muß n u r i m täglichen Leben m i t rechtlicher B i l l i g u n g üblicherweise erfüllt werden. A u f die Rechtsform der Personenmehrheit k o m m t es nicht an; sie stimmt m i t deren sozialer Aufgabe oft nicht überein u n d richtet sich nach anderen Gesichtspunkten. Deshalb genießen auch Kapitalgesellschaften Ehrenschutz." Zustimmend Maurach, a.a.O. (S. 121); Graßmann, S. 65 f.; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 56 u n d 101 f. 7 Maurach, a.a.O. (S. 121). 8 Maurach, a.a.O. 9 BGHSt 6, 187,191. 10 Maurach, a.a.O., formuliert auf diese Weise, obwohl sich Einschränkungen aus seinen vorangehenden Erörterungen i n Hinblick auf die Persönlichkeitsqualität und die soziale F u n k t i o n ergeben. Diese Einschränkungen sind m. E. recht weitgehend. Darüber täuscht die Formulierung des Ergebnisses bei Maurach hinweg.

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: Das einfache Gesetzesrecht

pitalgesellschaft i n der Regel dem durch den französischen Begriff der „société anonyme" hervorgerufenen B i l d entsprechen. Durch die Vielzahl der Aktionäre und die Vielzahl der i m Unternehmen beschäftigten Personen wendet sich die Gesamterscheinung des Unternehmens von der noch persönlichkeitsbestimmten Erscheinung eines kleineren Unternehmens m i t wenigen, überschaubaren Anteileignern ab. Es ist nicht mehr gerechtfertigt, von der Persönlichkeitsqualität einer solchen „anonymen" Gesellschaft zu sprechen, da die hinter der Gesellschaft stehenden Personenkreise „anonym" bleiben oder zumindest bleiben können. Dieses B i l d ruft zu Recht die „société anonyme" hervor, nicht aber ein „Anonym"-Bleiben der Gesellschaft, wie es der eigentliche Wortsinn nahelegen würde. Folglich können solche Unternehmen mangels Persönlichkeitsqualität nicht beleidigt werden, die dem Erscheinungsbild der anonymen Gesellschaft entsprechen. Ob jeweils eine anonyme oder noch Persönlichkeitsqualität aufweisende Gesellschaft — ob Personaloder Kapitalgesellschaft kann dabei nicht entscheidend, höchstens Indiz sein — anzunehmen ist, darf nur aufgrund einer wertenden Beurteilung des Einzelfalles entschieden werden. Wichtige Kriterien für die Annahme eines beleidigungsfähigen Unternehmens sind dabei die Zahl der Gesellschafter und ihr persönlicher Einsatz i m Unternehmen selbst sowie i m übrigen die Struktur des Unternehmens. Sind somit tatbestandlich die allgemeinen Beleidigungsdelikte mit Rücksicht auf die erforderliche Persönlichkeitsqualität eines Unternehmens sinnvoll eingegrenzt, so zeigt sich, daß die Bedeutung des über § 823 Abs. 2 BGB zu gewährenden zivilrechtlichen Schutzes 11 gegenüber Unternehmen berührenden Beleidigungen nur gering sein kann 1 2 . 11

Die §§ 185 ff. StGB sind nach einhelliger Ansicht Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 B G B ; vgl. Palandt-Gramm, 26. Aufl., A n m . 9 f. zu § 823 B G B ; Larenz I I , 6. Aufl., § 66 I I (S. 409); Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Übersicht 8 vor §§ 14,15 UWG. 12 I m Ergebnis ebenso, w e n n auch speziell i m Hinblick auf den vergleichenden Warentest von Richthofen, S. 73 f.; Graßmann, S. 66 ff.; Bofinger, N J W 65, 1833, 1838, u n d Keller, S. 29 f. Graßmann und von Richthofen kommen zu diesem Ergebnis m i t der Begründung, daß die Kundgabe von Nachteilen der getesteten Ware eines Unternehmens i. d. R. nicht die Ehre des Herstellers oder Händlers verletze, da das P u b l i k u m daraus keine Rückschlüsse auf die Ehre ziehe. Damit w i r d aber der (von Graßmann zustimmend beantworteten) Frage nach der Beleidigungsfähigkeit von Kapitalgesellschaften aus dem Wege gegangen. Konsequenter Bofinger: „Die §§ 185 ff. StGB schützen die persönliche Ehre, nicht den Bestand oder den Absatz eines Gewerbebetriebes." Wenn Helle, Schutz der persönlichen Ehre u n d des wirtschaftlichen Rufs, S. 81 f., den Schutz des wirtschaftlichen Rufs eines Unternehmens nicht über das Recht am U n t e r nehmen, sondern über § 185 StGB i n Verbindung m i t § 823 Abs. 2 B G B (und zusätzlich über § 826 BGB) gestalten w i l l , so k a n n i h m nicht gefolgt werden. Denn einerseits spricht i n den meisten Fällen das Erfordernis der Persönlichkeitsqualität dagegen u n d andererseits stört die Tatsache, daß bei einer entsprechenden Anwendung der Vorschriften über den Ehrenschutz auf das U n ternehmen — u n d u m nichts anderes als eine entsprechende A n w e n d u n g würde

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

Die geringe Bedeutung des über § 823 Abs. 2 BGB zu gewährenden zivilrechtlichen Schutzes vor Beleidigungen, die gegen Unternehmen gerichtet sind, folgt jedoch noch aus einem anderen Grunde, da sich möglicherweise dem Beleidungsrecht unterfallende Äußerungen i n bezug auf ein Unternehmen i n aller Regel nur mittelbar m i t dem Unternehmen, meist aber unmittelbar m i t der gewerblichen Leistung des Unternehmens befassen. Für tadelnde Urteile über gewerbliche Leistungen aber schafft § 193 StGB einen Rechtfertigungsgrund, der nur dann versagt, wenn das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht. Dabei können nach herrschender Auffassung i n derartige Äußerungen über gewerbliche Leistungen auch die Person des Herstellenden und damit auch das herstellende Unternehmen einbezogen werden, sofern sie mit der gewerblichen Leistung in Zusammenhang stehen 13 . Zusammenfassend ist festzuhalten: Die über § 823 Abs. 2 BGB zivilrechtlich relevanten Vorschriften des allgemeinen Beleidigungsrechts gewinnen für die unternehmensschädigende Äußerung nur geringe praktische Bedeutung. Das folgt einerseits aus der tatbestandlichen Einschränkung der Beleidigungsdelikte unter dem Gesichtspunkt, daß ein Unternehmen Persönlichkeitsqualität besitzen muß, um beleidigungsfähig zu sein. Zum anderen folgt es aus dem i n § 193 StGB normierten Rechtfertigungsgrund für tadelnde Urteile über gewerbliche Leistungen, der den ohnehin eingeschränkten Anwendungsbereich des allgemeinen Beleidigungsrechts für wirtschaftliche Unternehmen noch weiter reduziert. Diese eingeschränkte Bedeutung des Beleidigungsrechts für unternehmensschädigende Äußerungen w i r d bestätigt durch die Überlegung, daß ein Auswandern des Schwerpunktes der rechtlichen Beurteilung der unternehmensschädigenden Äußerung i n das i n erster Linie für den strafrechtlichen Ehrenschutz zugeschnittene Beleidigungsrecht nur i n den wenigsten Fällen hätte sachgerechte und befriedigende Ergebnisse bringen können. Auf die Einzelheiten des allgemeinen Beleidigungsrechts soll hier deshalb nicht weiter eingegangen werden, obwohl gelegentlich — und diese Möglichkeit sollte durch die vorhergehenden Erörterungen nicht verneint werden — eine unternehmensschädigende Äußerung nach i h m zu beurteilen sein kann. Aber die Fälle sind selten, was das Fehlen jedes sich handeln — zutreffendere K r i t e r i e n als bei der Anwendung des Rechts am Unternehmen nicht zu gewinnen sind. Dies ist auch Uhlitz, N J W 66, 2097, 2098, entgegenzuhalten, der für gewerbeschädigende Werturteile die G r u n d sätze des Beleidigungsrechts teils direkt, teils analog anwenden w i l l . Vgl. dazu i m übrigen die Erörterungen zum Recht am Unternehmen unten S. 48 ff. 13 Maurach, BT, 3. Aufl., § 19 I I C 2 a (S. 142).

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weder richterlicher Entscheidung bestätigt. Auch i m Verlauf der weiteren Arbeit w i r d auf diese Tatbestände grundsätzlich nicht mehr zurückgekommen. II. D i e

verleumderische Kreditgefährdung (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 187 StGB)

Der zivilrechtliche Schutz vor verleumderischen Kreditgefährdungen über § 823 Abs. 2 BGB hat aus ähnlichen Gründen wie der zivilrechtliche Schutz vor den allgemeinen Beleidigungsdelikten nur geringe Bedeutung erlangt. Zwar kann die Tat der Kreditgefährdung unbestritten auch gegen wirtschaftliche Unternehmen, und zwar auch soweit sie als j u r i stische Personen zu qualifizieren sind und eine Persönlichkeitsqualität nicht aufweisen, begangen werden 1 4 . Denn die Kreditgefährdung w i r d überwiegend als Vermögensdelikt 1 5 oder als Delikt gegen die Ehre und das Vermögen 16 qualifiziert 1 7 . Aber die Kreditgewährung erreicht für unternehmensschädigende Äußerungen dennoch keine große Bedeutung, da die tatbestandlichen Voraussetzungen sehr eng umgrenzt sind. Der Täter muß unwahre, kreditgefährdende Tatsachen, deren Unwarheit er kennt und deren Unwahrheit bewiesen werden muß 1 8 , behaupten oder verbreiten. Nicht erfaßt sind also Werturteile, wahre Tatsachen und Tatsachen, deren Unwahrheit der Täter kennen mußte. Schließlich ist direkter Vorsatz (wider besseres Wissen) erforderlich, bedingter Vorsatz reicht für die Kreditgefährdung nicht aus. A l l das reduziert den Anwendungsbereich der Kreditgefährdung für unternehmensschädigende Äußerungen auf wenige Ausnahmefälle. Entsprechend dieser geringen Bedeutung erscheint es gerechtfertigt, es bei diesen Erörterungen bewenden zu lassen. 14 Maurach, a.a.O., § 18 I I C 2 (S. 133); RGSt 44, 160; Schäfer i n Leipziger Kommentar, A n m . I I zu § 187; Schwarz-Dreher, 27. Aufl., A n m . 2 zu § 187 StGB; Schönke-Schröder, 11. Aufl., A n m . 6 zu § 187 StGB. 15 RGSt 44, 160; Schäfer i n Leipziger Kommentar, a.a.O., u n d SchwarzDreher, a.a.O. 16 Schönke-Schröder, a.a.O. 17 a. A. als die i n Note 15 u n d 16 genannten Autoren Maurach, a.a.O.: Die Kreditgefährdung sei n u r ein Unterfall der allgemeinen Ruf Verletzung ; er begründet diese Auffassung m i t seinem Ehrbegriff (Ehre = soziale Geltung), bezieht aber naturgemäß nicht die Folgen ein, die sich aus der hier f ü r wirtschaftliche Unternehmen verlangten Persönlichkeitsqualität ergeben. Wenn man die hier vertretenen Folgerungen aus dem Erfordernis der Persönlichkeitsqualität zieht, kann die Kreditschädigung i n bezug auf Unternehmen, die dieses E r fordernis nicht erfüllen, nicht mehr ein U n t e r f a l l der allgemeinen Rufverletzung sein. 18 Schwarz-Dreher, a.a.O., A n m . 1; Schönke-Schröder, a.a.O., Anm. 3. Z u m Begriff der Tatsache unten bei der Erwerbsschädigung des § 824 BGB.

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht B. Die Erwerbsschädigung (§ 824 BGB)

Der Tatbestand der Erwerbsschädigung ergänzt für das Privatrecht das strafrechtliche Schutzgesetz der verleumderischen Kreditgefährdung i n zweierlei Hinsicht 1 9 . Einmal gewährt er auch Schutz gegenüber fahrlässigen Angriffen, und zum anderen stellt er der Kreditgefährdung das Herbeiführen sonstiger Nachteile für Erwerb und Fortkommen gleich. M i t der Erweiterung und Ergänzung des Schutzes geht also eine Haftungsverschärfung für den potentiellen Angreifer einher. Die Vorschrift schützt ebenso wie die verleumderische Kreditgefährdung (§ 187 StGB) nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen 20 , nach der Rspr. des RG auch eine Kommanditgesellschaft und damit alle Personal-Handelsgesellschaften 21 . Bei der kredit- oder erwerbsschädigenden Behauptung muß es sich um eine unwahre Tatsache handeln. Der Begriff der Tatsache w i r f t nicht restlos zu klärende Schwierigkeiten auf, die jedoch zum Zwecke einer praktikablen Lösung reduziert werden müssen. Denn die zivilrechtlichen und strafrechtlichen Tatbestände, die Äußerungen betreffen, gehen unausgesprochen von einem Gegensatz zum Werturteil aus 22 , und das Zivilrecht hält, je nachdem ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, verschiedene haftungsbegründende Tatbestände bereit, die u. U. auch zu verschiedenen Rechtsfolgen führen 2 3 . Die Schwierigkeiten folgen vor allem daraus, daß einerseits die Behauptung einer Tatsache sein müßte die Wiedergabe eines äußeren oder inneren (menschlichen) Vorgangs i n seiner objektiv richtigen Gestalt und daß andererseits die objektiv richtige Wiedergabe von Lebensvorgängen durch den Menschen eine ausgesprochene Seltenheit darstellt. Denn wenn der Mensch innere oder äußere Vorgänge wahrnimmt und aufnimmt, t r i t t bewußt oder unbewußt eine gedankliche Verarbeitung ein, als deren Folge das aufgenommene Tatsachenmaterial wertend umgeformt und umgestellt wird. Äußert der Mensch nun das Wahrgenommene, 19 Deutsch, A n m . zu BGH, J Z 64, 509, 510; Larenz, Schuldrecht I I , 6. Aufl., § 67 I (S. 413); Palandt-Gramm, 27. Aufl., A n m . 1 zu § 824 B G B ; SoergelSiebert-Schräder, A n m . 1 zu § 824 BGB. 20 RG, J W 1932, 2858; 1939, 484; BGH, N J W 54, 72; Wenzel, W o r t - und B i l d berichterstattung, S. 112; Baumbach-Hejermehl, 9. Aufl., Übersicht 4 zu §§ 14, 15 UWG. 21 RG, H R R 1941, Nr. 1005; vgl. Soergel-Siebert-Schräder, A n m . 2 zu § 824 BGB, u n d Baumbach-Hejermehl, a.a.O. 22 Anders § 824 i m „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung u n d Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften"; der Wortlaut des neuen § 824 ist wiedergegeben bei Nipperdey, N J W 67, 1985, 1986, u n d Wenzel, W o r t und Bildberichterstattung, S. 116. Er stellt Behauptungen tatsächlicher A r t ausdrücklich herabsetzenden Urteilen gegenüber. 23 Vgl. S. 37 u n d Note 48.

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so handelt es sich nicht mehr um eine objektiv richtige Wiedergabe, da die wertende Stellungnahme das Wahrgenommene beeinflußt, wenn nicht gar verfälscht hat 2 4 . A n die Stelle der reinen Tatsachenwiedergabe t r i t t die Wiedergabe des gewerteten Tatsachenmaterials, es sei denn, daß eine Tatsache gleichsam mechanisch aufgenommen und reproduziert wird. Aber noch von einer anderen Seite her werden Tatsachenmitteilungen durch wertende Momente ihres eigentlichen Charakters beraubt: Der spontan Mitteilende wählt eine Tatsache unter anderen als mitteilenswerter aus, er äußert sie i n einem bestimmten Zusammenhang, hebt sie hervor und verändert dadurch ihren objektiven Gehalt 2 5 . Auch diese wertende Veränderung läßt sich nur durch eine mechanische oder gleichsam mechanische Wiedergabe etwa eines Nachrichtensprechers ausschalten. Wenn man nun den eingangs zugrundgelegten Tatsachenbegriff, dessen Voraussetzungen nur i n besonderen und seltenen Fällen erfüllt sind, bei der Anwendung der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Tatbestände, die auf das Äußern einer Tatsache abstellen, berücksichtigen würde, wären Vorschriften wie die §§ 824 BGB, 14 und 15 UWG, 187 StGB zur Wirkungslosigkeit verdammt. Deshalb erweitert die Rechtsprechung den Tatsachenbegriff, um den genannten Vorschriften einen angemessenen Anwendungsbereich zu eröffnen. Sie formuliert: Bei einer Tatsachenbehauptung handele es sich u m eine Äußerung, die einer Nachprüfung ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit zugänglich sei 26 . Die Be24 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 3 zu § 14 U W G : „Tatsache i m philosophischen Sinn ist ein äußerer oder innerer Vorgang i n seiner objektiv richtigen Gestalt. Tatsachen als objektive Vorgänge kommen aber i n ihrer Reinheit für den Richter nicht i n Frage. Der Mensch n i m m t alle objektiven Vorgänge m i t den Sinnen w a h r u n d verarbeitet sie m i t dem Verstand; an i h n selbst, und erst recht an Dritte, treten sie ausnahmslos i n F o r m eines Urteils heran." Heimito von Doderer i n : Die Dämonen, S. 450 (der i m Biederstein Verlag i n der Reihe ,Bücher der Neunzehn' erschienen Ausgabe) schreibt: „ . . . daß i n jeder Wahrnehmung, auch schon i n der einfachsten, ein schöpferisches, ein produktives . . . Moment steckt und darin tätig ist." 25 Dieser Aspekt t r i t t hervor i n der Diskussion u m die Frage, ob der Begriff der Meinungsäußerung i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG auch Tatsachenäußerungen umfaßt. F. Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 26 f., spricht von „Positionsgebung" bei der M i t t e i l u n g einer Tatsache; vgl. dazu Ridder in: Die Grundrechte I I , S. 264 f.; Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 306, und unten S. 145 ff. 26 B G H Z 3, 273 — Constanze I — ; BGH, JZ 64, 509 — Elektronenorgeln —; BGH, JZ 67, 94 — Teppichkehrmaschine — ; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 4 zu § 14 U W G ; Larenz, Schuldrecht I I , 7. Aufl., § 67 I (S. 413); Esser, § 203, 2 a; Lingenberg, N J W 54, 449, 451; Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 7 f. Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre u n d des wirtschaftlichen Rufs, S. 30 ff., kann nicht gefolgt werden, w e n n er feststellt, daß nur Tatsachen dem Beweise zugänglich seien, da sich bei ihnen die Wahrheit oder Unwahrheit feststellen lasse, während Werturteile nicht dem Beweis zugänglich seien, da sie nur richtig oder unrichtig sein könnten, was m i t einem Beweis nicht zu ermitteln sei. Die Argumentation m i t den Begriffen ,Wahrheit' u n d ,Richtig-

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

rechtigung zur Annahme dieses erweiterten Tatsachenbegriffs folgt nicht nur aus der Notwendigkeit, z. B. dem § 824 BGB einen angemessenen Anwendungsbereich zu verschaffen, sondern auch daraus, daß die Vorschrift auf das ,Behaupten' einer Tatsache abstellt 2 7 , also offenbar die unvermeidliche, wertende Beeinflussung des Tatsachenmaterials durch den Äußernden voraussetzt. Die Erweiterung des Tatsachenbegriffs 28 bringt aber auch Unzuträglichkeiten mit sich. Die Abgrenzung einer Tatsachenäußerung von der Äußerung eines Werturteils i m Sinne einer begrifflichen Klarheit w i r d nun schwerfallen. Denn auch Urteile sind nach der oben genannten Umschreibung als Tatsachen zu werten 2 9 . Das ist gemeint, wenn auf die Schwierigkeiten einer Grenzziehung unter Hinweis darauf verwiesen wird, daß Tatsachenbehauptungen in die Form von Wertungen gekleidet sein können 3 0 . Weiterhin können Tatsachenbehauptungen i m hier dargelegten Sinn i n Verbindung m i t Urteilen auftreten, so daß nur ein — abzutrennender — Teil der Äußerung dem § 824 BGB unterfällt 3 1 , wobei die Schwierigkeit i m Ziehen der Trennlinie liegt. A l l diese Unzuträglichkeiten vermögen jedoch nicht die grundsätzliche Unterscheidung aufzuheben, da sie nun einmal vom Gesetz gewollt ist. Höchstens eine Suche nach neuen, treffenderen Bezeichnungen wäre möglich 32 , allein nicht empfehlenswert, da sich die zwar an sich unzutreffenden, keit', deren I n h a l t selbst zu unbestimmt ist, h i l f t nicht weiter. Dafür, daß auch Werturteile dem Beweis zugänglich sein können, vgl. die Beispiele bei Wenzel, a.a.O., S. 8 ff. 27 Daß es weniger auf den Begriff der Tatsache, als auf den der Tatsachenbehauptung ankommt, betont Wenzel, a.a.O., S. 7. Er verwendet dieses A r g u ment allerdings nur, u m die Unwichtigkeit einer Scheidung von äußerer und innerer Tatsache darzulegen. 28 Die Tendenz zur Bestimmung des Begriffs Tatsachenbehauptung i m Z i v i l recht (und i m Strafrecht) ist der i m Verfassungsrecht genau entgegengesetzt. Denn bei der Bestimmung des Meinungsbegriffes des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG w i r d versucht, Tatsachenbehauptungen möglichst weitgehend i n den Begriff der Meinung einzugliedern. Stichwort: „Positionsgebung"; vgl. S. 33 Note 25 u n d S. 145 f. Eine Übereinstimmung läßt sich n u r herstellen, w e n n man bereit ist, auch Tatsachenbehauptungen durch A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt sein zu lassen. Dann wären Meinungen i m verfassungsrechtlichen Sinn Tatsachenbehauptungen u n d Werturteile i m zivilrechtlichen Sinn. Z u m verfassungsrechtlichen Meinungsbegriff vgl. S. 139 ff. 29 Baumbach-Hejermehl, 9. Aufl., A n m . 4 zu § 14 U W G ; Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 8. 30 BGH, GRUR 65, 381, 384 — Weinbrand —. 31 Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre u n d des wirtschaftlichen Rufs, S. 33. 32 Nicht geht es an, m i t Wenzel, a.a.O., S. 10 ff., zwischen Tatsachenbehauptung u n d Meinungsäußerung, statt zwischen Tatsachenbehauptung und W e r t urteil zu unterscheiden. Denn durch die Einführung des verfassungsrechtlichen Begriffs w i r d die V e r w i r r u n g n u r vergrößert, insbesondere dann, wenn man wie Wenzel, S. 20, i m Schutz der Meinungsäußerung auch den Schutz der Tatsachenbehauptung beinhaltet sieht.

1. Kap.: Das einfache Gesetzesrecht

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aber mit einem zutreffenden Inhalt versehenen Begriffe eingebürgert haben und neue Benennungen nur Verwirrung stiften könnten. Die unwahre Tatsache muß geeignet sein, Kredit, Erwerb oder Fortkommen eines anderen zu gefährden. Der weite Wortlaut des § 824 BGB scheint somit auch jede mittelbare Beeinträchtigung zu umfassen 33 . Doch hat der B G H es für erforderlich gehalten, den Schutz des § 824 BGB nur dann zu gewähren, wenn sich die unwahre Tatsachenbehauptung m i t dem Geschädigten befaßt oder doch i n enger Beziehung zu seinen Verhältnissen, seiner Betätigung oder seiner gewerblichen Leistung steht 34 . Der BGH stellt damit unausgesprochen eine Parallele zur Betriebsbezogenheit des Eingriffs beim Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb auf, vermeidet diesen Begriff aber ebenso wie den der Unmittelbarkeit des Eingriffs zu Recht, da allein entscheidend sein kann, ob die Äußerung den Geschädigten individuell t r i f f t 3 5 . Als Grund für die einschränkende Auslegung nennt der B G H die Entstehungsgeschichte der Vorschrift, der nicht zu entnehmen sei, „daß der Gesetzgeber den Kreis der Schadensersatzberechtigten auf alle i n irgendeiner Weise durch eine Tatsachenbehauptung mittelbar nachteilig betroffenen Personen ausdehnen wollte", die i n § 824 BGB gegenüber § 823 Abs. 2 BGB i n Verbindung mit den Straftatbeständen des StGB über den Ehrenschutz enthaltene Haftungsverschärfung und eine ansonsten zu empfindliche Behinderung der freien Meinungsäußerung 36 . Denn bei der abzulehnenden weiten Auslegung des § 824 BGB „wäre die öffentliche Auseinandersetzung . . . mit einem ernsten Risiko verbunden. Damit wäre . . . der Schutz der gewerblichen Betätigung zum Nachteil der freien Meinungsäußerung und öffentlichen Meinungsbildung über Gebühr ausgedehnt" 3 7 . M i t dem Erfordernis, daß die unwahre Tatsachenbehauptung sich m i t dem Geschädigten befassen oder doch i n enger Beziehung zu seinen Verhältnissen, seiner Betätigung oder seiner gewerblichen Leistung stehen 33 A u f diese Verständnismöglichkeit verweisen BGH, JZ 64, 509 — Elektronenorgeln —, u n d Palandt-Gramm, 27. Aufl., A n m . 1 zu § 824 BGB. 34 BGH, JZ 64, 509 f. — Elektronenorgeln — = J Z 66, 27, m i t zust. A n m . von Deutsch; BGH, N J W 65, 36, 37 m i t zust. Anm. von Deutsch; BGH, J Z 67, 94 — Teppichkehrmaschine — ; BGH, GRUR 67, 540, 542 — Die Nächte der B i r g i t Malmström — m i t zust. A n m . von Klein; i m übrigen zust. zu dieser Rspr. Neumann-Duesberg, N J W 68, 81; E. Reimer, Wettbewerbs- u n d WZR, 4. Aufl., 1. Bd., 2. Kap., Rdnr. 11, gegen E. Reimer, GRUR 64,164. 35 Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 113. 36 BGH, JZ 64, 509 f. — Elektronenorgeln —. 37 BGH, a.a.O.; BGH, N J W 65, 36, 37 — Schwacke-Bericht —, und BGH, GRUR 67, 540, 542 — Die Nächte der B i r g i t Malmström —, sprechen von einem unabsehbaren Risiko für die Berichterstattung bei solch einer weiten Haftung. Z u m Einfluß der Meinungs- u n d Informationsfreiheit auf § 824 B G B Neumann-Duesberg, a.a.O.

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

muß, erschöpft sich allerdings die Parallele zum Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb noch nicht. Hatte das RG 3 8 noch verlangt, daß ein Unternehmen oder das gewerbliche Fortkommen einer Person als Ganzes geschädigt sein müsse (sog. Ganzheitserfordernis) 39 , so hat der B G H dieses Erfordernis aufgegeben 40 . Es genügt nun jeder Nachteil für Kredit, Erwerb oder Fortkommen der betroffenen Person oder des betroffenen Unternehmens. Das von § 824 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Verschuldensmaß 41 w i r d wegen der unglücklichen Fassung des Gesetzes unterschiedlich beurteilt. Die sich daraus ergebenden Fragen lassen sich sachgerecht nur lösen, wenn man die eingangs erwähnte Ergänzungsfunktion des § 824 BGB zur verleumderischen Kreditgefährdung (§§ 823 Abs. 2 BGB, 187 StGB) beachtet, die mit den Worten „auch dann" an- oder zumindest doch mitangesprochen ist. Daß § 824 Abs. 1 BGB auch vorsätzliche Handlungen erfassen muß 4 2 , ergibt sich daraus, daß ansonsten nur die vorsätzliche (über §§ 823 Abs. 2 BGB, 187 StGB) und fahrlässige (über § 824 BGB) Kreditschädigung, nicht die vorsätzliche, wohl aber die fahrlässige Erwerbs- oder Fortkommensschädigung (über § 824 Abs. 1 BGB) zum Schadensersatz verpflichten würde 4 3 . Daß Vorsatz und Fahrlässigkeit sich wie grundsätzlich auch sonst auf alle Tatbestandsmerkmale beziehen müssen 44 , folgt ebenfalls aus der Ergänzungsfunktion des § 824 BGB, der nicht Besonderheiten gegenüber der verleumderischen Kreditgefährdung normieren w i l l , bei der sich ebenfalls das Verschulden auf alle Tatbestandsmerkmale bezieht. 38

RGZ 95, 339 f.; RG, J W 30,1732; 39, 484. Offensichtlich ebenfalls eine Parallele zum Eingriff i n das Recht am eingerichteten u n d ausgeübten Gewerbebetrieb, vgl. Deutsch, Anm. zu BGH, J Z 64, 509,511. 40 BGH, JZ 67, 94 — Teppichkehrmaschine —, unter Berufung auf Deutsch, a.a.O., und Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre u n d des wirtschaftlichen Rufs, S. 50. Zuvor schon ablehnend zum Ganzheitserfordernis Graßmann, S. 48 f., und zweifelnd O L G Düsseldorf, B B 64, 1361 — Teppichkehrmaschine —. 41 A u f das Verschulden bei unternehmensschädigenden Äußerungen geht die vorliegende Arbeit i m übrigen grundsätzlich nicht ein, da das Spannungsverhältnis zwischen Meinungsäußerungs- u n d Unternehmensschutz i m Grundsatz nur auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zu lösen ist. 42 Ebenso ohne Begründung Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Übersicht 4 vor §§ 14,15 U W G ; Erman-Drees, A n m . 4 zu § 824 B G B ; Helle, a.a.O., S. 51; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 113; a. A. Palandt-Gramm, 26. Aufl., A n m . 1 u n d 5 zu § 824 BGB. I m Ergebnis wie hier m i t Begründung EnneccerusLehmann, Note 3 zu § 2371 3; Kling sporn, N J W 60,1436. 43 Klingsporn, a.a.O., weist noch darauf hin, daß bei Haftung nur für fahrlässige Tatsachenbehauptungen i n § 824 Abs. 1 B G B die Formulierung i n § 824 Abs. 2 BGB, daß dem Täter die Unwahrheit der M i t t e i l u n g unbekannt sein müsse, überflüssig wäre. Bartelt-Bloch, N J W 60, 134, betonen, daß bei einem solchen Verständnis die m i t ,dolus eventualis 4 begangene Kreditgefährdung weder durch § 187 StGB noch durch § 824 B G B erfaßt werde. 44 a. A. Bartelt-Bloch, a.a.O.; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Übersicht 4 vor §§ 14, 15 U W G ; Larenz, Schuldrecht I I , 6. Aufl., § 67 I (S. 413); PalandtGramm, 26. Aufl., A n m . 5 zu § 824 B G B ; w i e hier Klingsporn, N J W 60,1435 f. 39

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N a c h § 824 A b s . 2 B G B t r i t t eine V e r p f l i c h t u n g z u m Schadensersatz n i c h t ein, w e n n d e m M i t t e i l e n d e n die U n w a h r h e i t der m i t g e t e i l t e n T a t sache u n b e k a n n t i s t u n d er oder d e r E m p f ä n g e r der M i t t e i l u n g a n i h r e i n berechtigtes Interesse h a t . Das b e r e c h t i g t e Interesse e r i n n e r t a n die W a h r u n g b e r e c h t i g t e r Interessen i n § 193 S t G B , doch b r i n g t § 824 A b s . 2 B G B d i e E r w e i t e r u n g , daß auch das berechtigte Interesse des M i t t e i l u n g s empfängers geschützt w i r d . U n d e i n w e i t e r e r U n t e r s c h i e d f ä l l t sofort a u f : D i e W a h r n e h m u n g b e r e c h t i g t e r I n t e r s s e n i n § 193 S t G B d i e n t als R e c h t f e r t i g u n g s g r u n d , w ä h r e n d das berechtigte Interesse i n § 824 A b s . 2 B G B n u r die Schadensersatzpflicht ausschließt u n d die R e c h t s w i d r i g k e i t eines V e r h a l t e n s bestehen l ä ß t 4 5 . G l e i c h z e i t i g v e r w e i s t das S t i c h w o r t berechtigte Interessen a u f d e n v o n der Rechtsprechung aus § 193 S t G B h e r g e l e i t e t e n a l l g e m e i n e n Rechtsgrundsatz d e r I n t e r e s s e n a b w ä g u n g ; d e n n d e n Interessen des M i t t e i l e n d e n k ö n n e n die des d u r c h § 824 B G B Geschützten e n t g e g e n s t e h e n 4 6 . So n i m m t d e n n der B G H i m F a l l T e p p i c h k e h r m a s c h i n e 4 7 i m R a h m e n des § 824 A b s . 2 B G B ebenfalls eine I n t e r e s s e n a b w ä g u n g v o r , die a n die b e k a n n t e n u n d noch d a r z u s t e l l e n d e n F o r m e l n der G ü t e r - u n d I n t e r e s s e n a b w ä g u n g b e i d e r F e s t s t e l l u n g der R e c h t s w i d r i g k e i t eines E i n g r i f f s i n das Recht a m G e w e r b e b e t r i e b erinnert 48. 45 Darauf verweist m i t Recht Lingenberg, N J W 54, 449, 452. Der Unterschied w i r d bedeutsam bei Widerrufs- u n d Unterlassungsansprüchen. 46 Esser, § 203, 2 d ; Palandt-Gramm, 27. Aufl., A n m . 6 a zu § 824 BGB, m i t Verweisen auf die Rechtsprechung, die jedoch nicht § 824 Abs. 2 B G B betreffen. 47 BGH, JZ 67, 94. 48 N u r bleibt ein Unterschied nicht verborgen: I m Zusammenhang m i t dem Recht am Gewerbebetrieb w i r d die Interessenabwägung bemüht zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs (vgl. S. 42 u n d S. 57 ff.). I m Rahmen des § 824 Abs. 2 B G B schließt die Interessenabwägung nur den Schadensersatzanspruch aus (Esser, § 203, 2 d ; Palandt-Gramm, 27. Aufl., A n m . 6 d zu § 824 B G B ; BGH, J Z 67, 94 — Teppichkehrmaschine —), läßt aber die Rechtswidrigkeit der Äußerung bestehen. Es entscheidet also die schwierig zu ziehende Grenze zwischen W e r t u r t e i l u n d Tatsache darüber, ob der Mitteilende m i t einem Unterlassungs- oder Widerrufsbegehren belangt werden kann, obwohl die Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfällt. Zur Zweispurigkeit bei der Beurteilung unternehmensschädigender Äußerungen vgl. Deutsch i n A n m . zu BGH, J Z 64, 509, 511 — Elektronenorgeln —. Der § 824 des „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung u n d Ergänzung schadensersatzrechtlicher Vorschriften" (Wortlaut bei Nipperdey, N J W 67, 1985, 1986) vollzieht eine Gleichstellung der erwerbs- u n d fortkommensschädigenden Tatsachenbehauptungen u n d Werturteile. Nach Abs. 2 entfällt eine Schadensersatzpflicht bei angemessener Interessenwahrnehmung. Bei U r teilen über die Leistung oder das Verhalten eines anderen ist eine S c h a d e n ersatzpflicht sogar n u r dann begründet, wenn aus der Form oder den Umständen eine unangemessene Kundgabe der Mißachtung zu entnehmen ist. Es erscheint überlegenswert, ob nicht eine Gleichstellung auf der Ebene der Rechtswidrigkeit vorzunehmen ist, d. h. ob nicht die vorgenannten gesetzlichen Erwägungen des Abs. 2 i n die Rechtswidrigkeitsprüfung einzubeziehen sind. Denn i m Äußerungsrecht werden entscheidende u n d kostspielige „Schlachten" bereits m i t dem Unterlassungs- u n d Widerrufsanspruch geschlagen.

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

Wenn demgegenüber eingewendet wird, daß ein allgemeiner, außerhalb des paraphierten Rechts entwickelter Rechtsgedanke nicht dort angewendet werden könne, wo eine andere Willensrichtung des Gesetzgebers — wie i n § 824 Abs. 2 BGB — ihren konkreten Niederschlag gefunden habe 49 , so ist damit gemeint, daß i m Rahmen des § 824 Abs. 2 BGB die Interessen des Geschädigten nicht berücksichtigt werden könnten, da sie nicht erwähnt seien. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, daß die A n t wort darauf, ob ein Interesse berechtigt ist, nicht allein anhand der Interessenlage des Mitteilenden und des Mitteilungsempfängers, sondern nur unter zusätzlicher Berücksichtigung der Interessenlage des Geschädigten gegeben werden kann. Denn nur die objektive, alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigende Betrachtung kann die Berechtigung eines Interesses ergeben. Nicht gefolgt werden kann der Ansicht, daß der Schadensersatz durch § 824 Abs. 2 BGB nur durch solche Behauptungen ausgeschlossen werden könne, die i m internen Kreis geäußert würden 5 0 . Denn dafür gibt die gesetzliche Regelung keinerlei Anhalt. Auch verlangt ihr Sinn nicht nach einer solchen Einschränkung, da fahrlässig öffentlich aufgestellte unwahre Behauptungen ja nicht generell zulässig sind, wenn der Mitteilende oder der Mitteilungsempfänger an ihnen ein Interesse schlechthin, sondern nur wenn sie ein berechtigtes Interesse nachweisen können.

49 Lingenberg, N J W 54, 449, 452, dessen Äußerungen jedoch nicht durch den F a l l Teppichkehrmaschine, sondern durch BGH, N J W 53, 297 — Langsame Zahler —, veranlaßt sind; nach Lingenberg w a r die zur Beurteilung der Rechtsw i d r i g k e i t eines Eingriffs i n den Gewerbebetrieb vorgenommene Interessenabwägung unzutreffend, da der entschiedene F a l l analog zu § 824 Abs. 1 u n d 2 B G B hätte beurteilt werden müssen u n d i n § 824 Abs. 2 B G B nur auf die Interessen des Mitteilenden u n d Mitteilungsempfängers abgestellt sei. 50 So Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 113 ff., m i t der Begründung, daß, wer sich vor der Öffentlichkeit fahrlässig u n w a h r äußere, auch die Verantwortung dafür übernehmen müsse, u n d daß die gegenteilige Auffassung i n Widerspruch zu den von der Presse zu beachtenden Sorgfaltspflichten stünde. Die gegenteilige Auffassung v e r t r i t t BGH, J Z 67,94 — Teppichkehrmaschine —; die dort vorgenommene Würdigung der von R u n d f u n k - u n d Fernsehanstalten verlangten Prüfungspflicht i m Rahmen einer nach § 824 Abs. 2 B G B vorgenommenen Interessenabwägung befriedigt allerdings nicht, vgl. dazu A n m . von Deutsch zu BGH, a.a.O.; die dargestellten Überlegungen hätten i m Rahmen der Verschuldensprüfung einen besseren Platz.

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C. Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (§ 823 Abs. 1 BGB)

zum

I. D i e E n t w i c k l u n g d e r R e c h t s p r e c h u n g E i n g r i f f i n das R e c h t am G e w e r b e b e t r i e b durch u η t er η eh m eη ssch äd i g eη de Äußerungen51

Da das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb vorwiegend durch die Rechtsprechung entwickelt und eingegrenzt worden ist, sollen die derart gewonnenen Merkmale des Rechts am Gewerbebetrieb vor einer Auseinandersetzung m i t den Stellungnahmen des Schrifttums geschildert werden. Dabei werden die Merkmale und Gesichtspunkte i n den Vordergrund gestellt, die Bedeutung für einen Eingriff i n das Recht am Gewerbebetrieb in der Form unternehmensschädigender Äußerungen erlangen. Insbesondere soll der Grundsatz der Güter« und Interessenabwägung dargestellt werden, i n dessen Rahmen die Rechtsprechung die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG berücksichtigt. Schon das RG erkannte an, daß die Verkörperung des Erwerbswillens i n einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb die Annahme eines subjektiven (sonstigen) Rechts an diesem Betrieb rechtfertige 52 , da die enumerative Fassung des § 823 Abs. 1 BGB, die Beschränkung des Schutzes der §§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. 187 StGB, 824 BGB, 14 und 15 UWG auf unwahre Tatsachenbehauptungen und der Schutz vor nur sittenwidrigen Handlungen i n §§ 826 BGB und 1 UWG einen wirksamen Deliktsschutz des gewerblichen Unternehmens und der gewerblichen Tätigkeit nicht zu ermöglichen schienen 53 . Diese Begründung betraf insbesondere auch die unternehmensschädigenden Äußerungen, da gegenüber wahren geschäftsschädigenden Tatsachenbehauptungen und ge51 Allgemeine Übersichten geben Gieseke, GRUR 50, 298; Schippel, S. 38 ff.; von Caemmerer, S. 83 ff.; Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 261 ff.; B G H Z 29, 65 — Stromunterbrechung —. 52 RGZ 58, 24; 61, 366; 73, 35 u. a. 53 I m einzelnen freilich w a r die Lage differenzierter, da das grundsätzlich noch heute i n der damaligen F o r m geltende U W G am 7. 6.1909, also nach der Grundsatzentscheidung des RG von 1904 (RGZ 58, 24) erlassen w u r d e ; vgl. i m einzelnen von Caemmerer, S. 83 ff., u n d Nipperdey i n Festschrift für Sitzler, S. 79 ff. Der Einwand, daß derjenige, der sich unternehmensschädigend verhalte, i n aller Regel nicht m i t „dem unqualifizierten und diskriminierenden V o r w u r f der Sittenwidrigkeit" (Hubmann, Z H R 117, 41, 75) belastet werden könne, oder daß schädigende Werturteile nicht nach §§ 826 BGB, 1 U W G beu r t e i l t werden könnten, soweit sie nicht den „ M a k e l der Sittenwidrigkeit" trügen (BGHZ 3, 270, 279 f. — Constanze I —, u n d O L G München, W R P 55, 186), vermag heute zumindest nicht mehr zu überzeugen. Das w i r d i m weiteren V e r lauf der A r b e i t noch zu zeigen sein.

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schäftsschädigenden Werturteilen, sofern sie nicht als sittenwidrig zu beurteilen waren, kein Rechtsschutz gewährt werden konnte 5 4 . Die ältere Rechtsprechung des RG 5 5 bejahte eine Verletzung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nur dann, wenn ein A n griff sich unmittelbar gegen den Bestand 56 des Unternehmens richtete. So war der Schutz des Unternehmens vor schädigenden Äußerungen immer noch stark beschränkt, da geschäftsschädigende Äußerungen in aller Regel den Bestand eines Unternehmens unberührt lassen 57 , es sei denn, daß etwa mit der unberechtigten Schutzrechtsverwarnung die Einstellung der Fabrikation des Konkurrenten verlangt w i r d 5 8 oder Boykottposten die Adressaten eines Boykotts gewaltsam vom Besuch eines Geschäfts abhalten 59 . Nach späteren Urteilen des RG genügte i n Wettbewerbs- und Warenzeichensachen bereits jede Beeinträchtigung der gewerblichen Betätigung eines anderen, wenn sie nur eine unmittelbare gegen den Betrieb gerichtete Handlung darstellte 60 . Die Rspr. des B G H hat diese letzte Beschränkung fallengelassen und den Schutz gegen jede Beeinträchtigung auch außerhalb des Wettbewerbs· und Warenzeichenrechts gewährt 6 1 . Als Folge der Erweiterung des Tatbestandes Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sind i n diesem weitgezogenen Rahmen alle unternehmensschädigenden Äußerungen mit umfaßt 6 2 . Das Recht am Gewerbebetrieb erweist sich nicht nur als „äußerst presseempfindlich" 63 , sondern als empfindlich gegenüber Äußerungen jeder A r t und jeder Herkunft. 54 Des weiteren waren nicht erfaßt unwahre Tatsachenbehauptungen gegenüber dem Betroffenen selbst, z. B. die unberechtigte Schutzrechtsverwarnung gegenüber dem Konkurrenten. Dieser F a l l w a r übrigens Anlaß der G r u n d satzentscheidung des RG (RGZ 58, 24). 55 RGZ 101, 337; 102, 225; 119, 438; 126, 96; 135, 427. 56 Hier ist Mißverständnissen vorzubeugen: Z u dieser Zeit, als nur der Bestand des Unternehmens geschützt war, wurde vielfach statt von einem Eingriff i n den Bestand auch von einem unmittelbaren Eingriff gesprochen. Dieser Begriff des unmittelbaren Eingriffs ist zu scheiden von der vom B G H verlangten Unmittelbarkeit des Eingriffs, die bei jeder Beeinträchtigung des Unternehmens gegeben sein muß; vgl. dazu Zitzeisberg er, S. 31 f. 57 So Helle, N J W 64,1497, für den Boykott. 58 RGZ 58, 24. 59 RGZ 76, 35 — Zehlendorfer Saalboykott —. Z u m Stand dieser Rspr. vgl. von Caemmerer, S. 85. 60 RG, J W 39, 484; RGZ 158, 377; 163, 32. β1 B G H Z 3, 270 — Constanze I — ; 24, 200 — Spätheimkehrer — ; 29, 65 — Stromunterbrechung —. 62 Gieseke, GRUR 50, 298, 302 ff.; Larenz, Schuldrecht I I , 8. Aufl., S. 421; vgl. aus der Rspr. beispielhaft B G H Z 3, 270 — Constanze I —, und 24, 200 — Spätheimkehrer —. 63 Küster, S. 9.

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Freilich konnte eine solche Rechtsfortbildung nicht auf Grenzen verzichten, die immer stärker i n den Vordergrund treten mußten, je mehr die geschützte Interessensphäre generalklauselartig erweitert wurde 6 4 . So hält denn der B G H daran fest, daß es sich stest um einen unmittelbaren Eingriff handeln muß. Unmittelbare Eingriffe sind nur diejenigen, die irgendwie gegen den Betrieb als solchen gerichtet, d. h. betriebsbezogen sind 6 5 , und nicht vom Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter treffen. Schließlich müssen noch die Tatfolgen, für die Ersatz begehrt wird, i n den Schutzbereich des Gesetzes fallen 6 6 . Diese Frage nach der Haftungsbegrenzung ist beim Recht am Gewerbebetrieb daraus zu beantworten, was Gegenstand des beim Gewerbebetrieb durch die Rechtsprechung zuerkannten Rechtsschutzes ist 6 7 . Aus allem folgt, daß unternehmensschädigende Äußerungen ebenfalls betriebsbezogen sein und i n den Schutzbereich des genannten Rechts fallen müssen. Rechtliche Schwierigkeiten sind bei der Bestimmung dieser Merkmale bei der geschäftsschädigenden Äußerung noch nicht aufgetaucht 68 , da sie immer dann als erfüllt anzusehen sind, wenn die Äußerung das betreffende Unternehmen nennt oder ein Unternehmen sich doch zumindest den Umständen nach als betroffen erweist 6 9 . Waren i m Einzelfall alle diese Tatbestandsmerkmale bei der Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb erfüllt, so ging die Rspr. ursprünglich nach dem Vorbild der klassischen Rechtsgutsverletzungen des § 823 Abs. 1 BGB davon aus, daß die Rechtswidrigkeit des Eingriffs indiziert sei. Damit bedurfte es i m Einzelfall, sollte die Rechtswidrigkeit einer Handlung ausgeschlossen sein, der Berufung auf einen besonderen Rechtfertigungsgrund, der für unternehmensschädigende Äußerungen in einer entsprechenden Anwendung des § 193 StGB i n der Wahrnehmung be64

Esser, § 202,1 b ff. B G H Z 29, 65 — Stromunterbrechung — ; zur Deutung dieses Begriffes bei Vorsatz u n d Fahrlässigkeit vgl. Lehmann, N J W 59, 670; Larenz, Schuldrecht I, § 66 I d (S. 423); ders., N J W 56, 1719; Soergel-Siebert-Schräder, Anm. 54 zu § 823 BGB. 66 B G H Z 27, 137. 67 B G H Z 29, 65, 69 f. — Stromunterbrechung —. 68 Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 294 f., w i l l beim Boykott, bei der Äußerung von wahren Tatsachen und Werturteilen auf das M e r k m a l der U n mittelbarkeit ganz verzichten, da es keinen Sinn ergäbe. Das ist zutreffend, schießt jedoch über das Ziel hinaus. Z w a r ist das M e r k m a l der Unmittelbarkeit des Eingriffs für physische Behinderungen des Gewerbebetriebs entwickelt, ein Sinn k a n n i h m aber auch für Äußerungen gegeben werden, wenn man darunter versteht, daß sich eine Äußerung wie bei allen Äußerungsdelikten u n mittelbar, d. h. m i t Namensnennung, oder doch zumeist erkennbar, wenn ein Name nicht genannt w i r d , m i t einem Unternehmen befassen muß. 69 F ü r eine W a r e n k r i t i k verlangt O L G Stuttgart, JZ 61, 380 — Leuchtskalenwaagen —, daß die Ware als das Erzeugnis eines bestimmten Betriebes erkennbar w i r d . 65

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rechtigter Interessen gefunden werden konnte. Dabei war für die A b wägung der beteiligten Interessen eine Güter- und Interessenabwägung für den Einzelfall anzustellen 70 . Soweit Eingriffe i n einen Gewerbebetrieb durch unternehmensschädigende Äußerungen i n Betracht kamen, waren Presse- und Meinungsfreiheit auf der einen Seite und das Recht am Gewerbebetrieb auf der anderen Seite i n Einklang zu bringen. Die Rspr. gestand i n diesem Rahmen eine Berufung auf Art. 5 Abs. 1 GG nur zu, wenn die geübte K r i t i k sachlich blieb, das kleinste Rechtsübel, das schonendste M i t t e l darstellte und die geäußerte Meinung zur sachgemäßen Interessenwahrnehmung nach Schwere und Maß erforderlich war 7 1 . Der erste Schritt i n der Richtung, einer negativen K r i t i k größeren Raum zu gewähren, erfolgte i n der Form, daß die Rspr. sich vom Vorbild der klassischen Rechtsgutsverletzungen des § 823 Abs. 1 BGB löste. Ein unmittelbarer Eingriff in das Recht am Gewerbebetrieb w i r k t nun nicht mehr unrechtsindizierend. Zum Ausschluß der Rechtswidrigkeit bedarf es grundsätzlich nicht mehr eines besonderen Rechtfertigungsgrundes. Vielmehr w i r d nun das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als ein sog. offener Tatbestand 72 angesehen. Die Rechtswidrigkeit des Eingriffs muß i n jedem Fall gesondert festgestellt werden 73 . Zwar blieb die Rspr. vorerst weiterhin bei den eben dargestellten Grundsätzen zur Güter- und Interessenabwägung, doch ist nun als Folge der neuen methodischen Betrachtung derjenige, der sich unternehmensschädigend äußert, nicht zugleich mit dem Urteil der Rechtswidrigkeit belastet, weil es sich u m einen Eingriff in den Gewerbebetrieb handelt 7 4 . Daß es sich bei dieser veränderten methodischen Betrachtung nicht nur um ein Geschenk ohne Wert für denjenigen handelt, der ein Unterneh70 B G H Z 3, 270 — Constanze I — ; 8, 142 — Langsame Zahler —; B G H i n L M Nr. 11 zu § 823 (Ai) B G B — Erdstrahlen — ; B G H Z 24, 200 — Spätheimkehrer —. 71 Grundlegend B G H Z 3, 270 — Constanze I —. 72 Diesen aus dem Strafrecht entlehnten Begriff für nicht unrechtsindizierende Tatbestände, vgl. Maurach, A T , 2. Aufl., § 24 I Β 2 (S. 230), verwendet die Rspr. allerdings nicht, w o h l aber Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. Anm. 111; Bofinger, N J W 65, 1833, 1837, u n d Nipperdey, N J W 67, 1985, 1988. 73 B G H Z 29, 65; 36, 19; 36, 77; B G H i n L M Nr. 9 und 17 zu A r t . 5 GG. Z u stimmend von Caemmerer, S. 91; Larenz, Schuldrecht I I , 7. Aufl., § 66 I d u n d e; Fikentscher, Schuldrecht, 1965, § 103 I I 1; Nipperdey, N J W 67, 1985, 1988 und 1991; Kubier i n A n m . zu BGH, J Z 67, 174, 178 — Höllenfeuer — ; Lehmann in Anm. zu O L G Hamburg, M D R 52, 285, 298 — Sonderinformationsdienst — ; Spengler, W u W 53, 195, 199 f.; Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht I I , § 234 I 1 b (S. 941 f.). 74 Der sich i n der methodischen Behandlung nach dem V o r b i l d klassischer Rechtsgutsverletzungen zeigenden Tendenz, einer negativen K r i t i k keinen allzu großen Spielraum zu geben, w e n n gewerbliche Belange berührt werden, w i r d damit begegnet. Darauf verweist zu Recht BGH, N J W 66, 1617, 1618 — Höllenfeuer —.

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men negativ kritisiert oder gar zu Boykottmaßnahmen aufruft, zeigt die weitere durch die Rspr. des BVerfG beeinflußte Entwicklung: Zwar bleibt es bei der individuellen Güterabwägung, doch w i r d dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG ein größerer Einfluß zuerkannt 7 5 . Die Generalklauseln seien die Einbruchstellen der Grundrechte i n das bürgerliche Recht. Zwar sei das Grundrecht des A r t . 5 Abs. 1 GG nur i n den Schranken der allgemeinen Gesetze gewährt, zu denen auch das BGB gehöre, doch sei es „für eine freiheitliche, demokratische Ordnung schlechthin konstituierend" 7 6 . Als Ergebnis hält das BVerfG fest: Die allgemeinen Gesetze müssen in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits i m Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der i n der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede i n allen Bereichen, namentlich aber i m öffentlichen Leben führen muß, auf jeden Fall gewahrt bleibt 7 7 . Die Meinungsäußerung sei frei, werde aber durch sie das Rechtsgut eines anderen beeinträchtigt, so sei eine Güterabwägung vorzunehmen 78 . I n der Zivilrechtsprechung kommen diese Gedanken erst allmählich zum Durchbruch. Der B G H 7 9 meldet zuerst nur Bedenken an, ob bei gewerbeschädigenden Werturteilen an dem Erfordernis des mildesten Mittels als Voraussetzung der Rechtmäßigkeit festgehalten werden könne. Dann kommt zum Ausdruck, daß die Wahl des Mittels durch das Maß der Herausforderung mitbestimmt werde 8 0 . Oder: Auseinandersetzungen mit wirtschaftlichem Gehalt, i n denen um die Erhaltung oder Erreichung gewisser Positionen gekämpft werde, würden — ähnlich wie politische Auseinandersetzungen — durchweg mit einiger Schärfe und Härte ausbetrieb folge 81 . Schließlich geht der B G H von den strengen Anforderungetragen, woraus noch nicht die Verletzung des Rechts am Gewerbegen an gewerbeschädigende K r i t i k ab 82 . A n dem Erfordernis des mildesten Mittels w i r d ausdrücklich nicht mehr festgehalten. Selbst unnötig scharfe und nachteilige K r i t i k w i r d u. U. für erlaubt erklärt 8 3 . Die aufgezeigte Entwicklung zu einer größeren Anerkennung der Freiheit der Meinungsäußerung zuungunsten des Rechts am Gewerbe75

BVerfG, JZ 58,119 — L ü t h — ; JZ 61, 535 — Schmid-Spiegel —. ™ BVerfGE 5, 85,134 f., 205; 7,198, 208; 12,113,125; 20, 56, 97 f. 77 BVerfG, J Z 58,119, 121 — L ü t h —. 78 BVerfG, a.a.O. 70 B G H Z 36, 77, 82 f. — Waffenhändler —. 80 BGH, N J W 64, 29, 32 — B l i n k f ü e r —. 81 BGH, JZ 66, 478 = GRUR 66, 386 — Warentest —. 82 BGH, N J W 66, 1617 — Höllenfeuer — = JZ 67, 174 m i t zust. Anm. von Kubier. 83 BGH, N J W 65, 294, 295 — Volkacher Madonna — ; O L G Hamburg, N J W 67, 2314, 2317.

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

betrieb i m Rahmen der Güter- und Interessenabwägung führt dazu, jeweils für die Gewährung der größeren Freiheit besondere Gründe zu nennen, die Bezug nehmen auf die Stellung der Beteiligten i n der Öffentlichkeit, auf ihre Motive sowie auf die Bedeutung des aufgegriffenen Themas. I n aller Regel verlangt die Rspr. einer doppelte Legitimation. Das durch die unternehmensschädigende Äußerung berührte Thema muß ein die Allgemeinheit interessierendes sein. Das äußert sich i n Formulierungen wie: Das Wieder- bzw. Nichtauftreten Harlans sei eine für das Gemeinwohl wichtige Frage, zu der sich eine öffentliche Meinung bilden müsse 84 ; der Streit Schmidt-Spiegel sei eine die Öffentlichkeit interesiserende, das Vertrauen i n Staatsführung und Justiz berührende Frage 8 5 ; aus der öffentlichen Aufgabe der Presse folge, daß eine Presseveröffentlichung die Informierung der Allgemeinheit bezwecken müsse 86 ; i m Fall Blinkfüer gehe es um ein politisches Anliegen, das die Öffentlichkeit auf das stärkste bewegen müsse 87 . Dies betrifft die Legitimation des Themas. W i r d sie bejaht, so bedürfte es, so sollte man denken, einer besonderen Legitimation des sich unternehmensschädigend Äußernden nicht 8 8 . Doch auch hier verweist die Rspr. bei der Presse auf ihre öffentliche Aufgabe, auf ihre Teilhabe am Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung 8 0 , bei Einzelpersonen z. B. auf die berufliche Erfahrung und Tätigkeit der Zeitungsverleger 90 oder auf Lüths persönliche Beziehungen zu allem, was das deutsch-jüdische Verhältnis betrifft 9 1 . Läßt sich dagegen das allgemeine Interesse an einer aufgeworfenen Thematik nicht mehr begründen, weil derjenige, der die unternehmensschädigenden Äußerungen verbreitet, vorwiegend aus persönlichen, die Allgemeinheit nicht interessierenden Gründen handelt, so w i r d allein die persönliche Legitimation genannt, die Meinungsäußerung als erlaubt angesehen, wenn der Äußernde sich i n einer Verteidigungssituation befindet 92 oder sich durch das gegnerische Verhalten herausgefordert fühlen muß 9 3 . 84

BVerfG, JZ 58,119,123 — L ü t h —. BVerfG, JZ 61, 553, 536 — Schmid-Spiegel —. 88 O L G Stuttgart, B B 63, 831. 87 N J W 64, 29, 31 — B l i n k f ü e r —. 88 Kritisch dazu Ridder i n A n m . zu BVerfG, JZ 61, 535, 538 — Schmid-Spiegel — ; Küster, S. 23 und 25; Arndt, N J W 66, 872. 89 BVerfG, JZ 61, 535, 536; O L G München, B B 63, 795; O L G Stuttgart, B B 63, 831. 90 BGH, N J W 64, 29, 31 — B l i n k f ü e r —. 91 BVerfG, J Z 58, 119, 123 — L ü t h —; ähnlich O L G Hamburg, N J W 59, 1784, 1785: Die Kirche „ist dazu legitimiert, seelsorgerisch an allen Fragen des öffentlichen Lebens teilzunehmen". 92 BVerfG, JZ 61, 535, 536 f. — Schmid-Spiegel — ; BGH, J Z 66, 478, 479 — Warentest —. 93 BGH, N J W 66, 1617, 1619 — Höllenfeuer — ; O L G Köln, B B 66, 178. 85

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II. U n t e r n e h m e n s s c h ä d i g e n d e Äußerungen als E i n g r i f f i n das R e c h t am G e w e r b e b e t r i e b E i n e v o r l ä u f i g e S t e l l u n g n a h m e zu Rechtsprechung und Schrifttum 1. Die gewohnheitsrechtliche Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb a) Die dargestellte Entwicklung und der Stand der heutigen Rspr. zum Recht am Gewerbebetrieb legen, obwohl die K r i t i k i m Schrifttum bis heute nicht verstummt ist 9 4 , den Ausgangspunkt einer Stellungnahme bereits fest. Wer die Existenz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verneint oder wer meint, auf die Anwendung dieses Rechts verzichten zu können, weil keine Berechtigung bestanden habe, es zu schaffen, oder wer davon ausgeht, daß andere Normen generell vorzuziehen seien, geht an der juristischen Wirklichkeit vorbei 9 5 . Ausgangspunkt weiterer Überlegungen muß deshalb der grundsätzliche Schutz des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb i m dargestellten Umfang sein. Insoweit w i r d man von einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung sprechen können 9 6 , auch wenn die Konturen der gewohnheitsrechtlichen Bildung noch i n einigen Punkten unsicher sein mögen 97 . Ausdrücklich nur dem tatsächlich gewährten Schutz vor Eingriffen i n einen Gewerbebetrieb und i n die gewerbliche Tätigkeit w i r d hier gewohnheitsrechtliche Kraft zugesprochen, nicht können teilnehmen an der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung die dogmatische Einordnung und die aus ihr zu gewinnenden Erkenntisse für die Ausgestaltung des Schutzes i m einzelnen 98 , obwohl die Natur des Schutzes schon Hinweise zu geben vermag und andere Möglichkeiten ausschließt 99 . 94 Teils kritisch zu A r t u n d Umfang des gewährten Schutzes, teils völlig ablehnend Gieseke, GRUR 50, 298; Völp, W u W 56, 31, 36; Körner, S. 36 ff.; Esser, § 202, 1 b ff. (S. 849); Raiser, J Z 61, 465, 469; Larenz, Schuldrecht I I , § 66 I d (S. 369 ff.); Ernst Wolf, v. Hippel-Festschrift, S. 665. 95 Zitzeisberg er, S. 34 Note 1: „Es kommt einem K a m p f m i t Windmühlen gleich, eine jahrzehntelang konstante Rspr. m i t dem Argument anzugreifen, die verwendete K o n s t r u k t i o n sei überflüssig. M a n muß doch erkennen, daß die subjektiven Rechte n u r i n ihrer F u n k t i o n als M i t t e l des Interessenschutzes zu erfassen sind, und deshalb muß ein Streit, ob ein solches M i t t e l des Interessenschutzes geschickt gewählt ist, müßig erscheinen, sofern es sich gewohnheitsrechtlich eingebürgert hat." 96 Zitzeisberg er, a.a.O.; Schippel, S. 2; v. Caemmerer, S. 89; BaumbachHefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 106; v. Richthofen, S. 43; Brinkmann, W R P 63, 291, 295; Nipperdey, N J W 67, 1985, 1987; Hauss i n A n m . zu L M Nr. 16 zu § 823 (Ai) B G B ; Hueck i n Herschel-Festschrift, S. 35 f.; Deutsch, JuS 67, 153 f.; a. A. Körner, S. 80. 97 Dafür, daß man dennoch von Gewohnheitsrecht sprechen kann, M a r t i n Wolff, S. 137 Anm. 2; von Caemmerer, S. 89. 98 Körner, S. 80: Die dogmatische Einordnung sei nicht Gewohnheitsrecht. 99 Ausgeschlossen ist z. B. ein Schutz über die analoge Anwendung der §§ 824 BGB, 14 U W G u. a. Vgl. dazu die folgenden Ausführungen.

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Somit können sich die folgenden Erörterungen auf die A r t und den Umfang des dem gewerblichen Betrieb und der gewerblichen Tätigkeit zu gewährenden Schutzes konzentrieren. I m Mittelpunkt stehen dabei die Frage nach der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs und die Versuche, zumindest für geschäftsschädigende Äußerungen vom gewohnheitsrechtlichen Schutz auf andere, vom Gesetzgeber ausdrücklich normierte Regelungsbereiche auszubrechen. Zuvor gilt es jedoch noch den Blick auf das Schutzobjekt zu lenken. Die Rspr. spricht vom Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das Schrifttum vorwiegend vom Recht am Unternehmen 1 0 0 . Das Zerpflücken des Begriffs „Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" 1 0 1 , die Frage nach dem Unternehmensbegriff, der dem Recht zugrunde liegt 1 0 2 , die Erörterung des Problems, ob das Unternehmen Gegenstand eines einheitlichen Rechts sein kann 1 0 3 und die Versuche, eine Abgrenzung der Begriffe „Betrieb" — „Unternehmen" zu erreichen 104 , führen nicht weiter und verlieren an Bedeutung, wenn man sich vergegenwärtigt, welchen tatsächlichen Erscheinungsformen des Lebens der geschilderte und gewohnheitsrechtlich anerkannte Schutz gewährt w i r d und nach den Intentionen der Rspr. gewährt werden soll. Denn entscheidend sind allein die Unternehmensinteressen, denen grundsätzlich und tatsächlich Schutz zukommt. Sie allein stellen das Schutzobjekt dar. Begriffliche Deduktionen verhelfen zwar zur systematisierenden Ordnung, vermögen aber nicht die entscheidende Frage zu beantworten. So ist erst einmal als Kernbereich geschützt der objektivierte Tätigkeitsbereich des Unternehmens, das Interesse des Unternehmers am Unternehmen als Ergebnis und zugleich M i t t e l wertschaffender Arbeit, das 100

Z u m Verwenden der beiden Begriffe vgl. Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 287. 101 So geht Ernst Wolf i n Festschrift für F. v. Hippel, S. 667 ff., vor. 102 J. v. Gierke , Handelsrecht, 6. Aufl., § 14 I I , u n d ZHR 111, 1 ff.; Würdinger in RGRK, A n m . 2 zu § 22 H G B ; Schlegelberg er-Hildebrandt, A n m . 2 f. zu § 22 H G B ; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 97 ff.; Hubmann, ZHR 117, 41 f.; Enneccerus-Nipperdey, 1. Halbbd., § 133 (S. 849 ff.); Gieseke, HeymannFestschrift, S. 118; Rittner, S. 15 ff. 103 Bejahend Brecher i n seiner gründlichen Untersuchung, Das Unternehmen als Rechtsgegenstand, 1953; Oppikofer, S. 118, sieht das Unternehmen als Sache i m Rechtssinn an. Anders Hubmann, Z H R 117, 41 ff., der unter Recht am Unternehmen ein Persönlichkeitsrecht und ein Immaterialgüterrecht versteht. Neuestens Ernst Wolf i n F. v. Hippel-Festschrift, S. 678 ff., der das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ablehnt, w e i l Gegenstand eines subjektiven absoluten Rechts nicht wie beim Unternehmen mehrere Gegenstände u n d eine Gesamtheit aufeinander folgender Handlungen sein könnten. 104 Kneppe, S. 87 ff.; Zitzeisberg er, S. 25 ff.; Ernst Wolf, a.a.O., S. 674 zum Begriff „Betrieb"; hier sollen die Begriffe „Unternehmen" u n d „Betrieb" synonym verwendet werden, wie es Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 287, vorschlägt.

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insofern ein von der Person losgelöstes Rechtsgut darstellt und nicht ohne weiteres ablösbare und ersetzbare Sachen und Rechte mitumfaßt 1 0 5 . Zum anderen erfaßt der Schutz des Unternehmens die Interessen des Unternehmers an ungestörter unternehmerischer Tätigkeit i m bestehenden 106 Unternehmen 1 0 7 . Dies sind die beiden Schutzbereiche, die die Rspr. mit den Worten „eingerichteter" und „ausgeübter" Gewerbebetrieb ansprechen w i l l . Auch der Schutz des wirtschaftlichen Rufs eines Unternehmens 108 , nicht aber der Schutz der Ehre des Unternehmers 1 0 9 ist i n den beiden vorgenannten Bereichen eingeschlossen. Er läßt sich nicht ausschließlich dem einen oder anderen Interessenbereich zuordnen. Er scheint zwar vorwiegend durch das Interesse am Schutz des Unternehmens als Ergebnis und zugleich M i t t e l wertschaffender A r beit umschlossen zu sein, es kann aber auch die unternehmerische Tätigkeit durch eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufs nachteilig erfaßt werden. Wenn Helle 1 1 0 vorbringt, der wirtschaftliche Ruf sei nicht durch das Recht am Unternehmen geschützt, da es nicht die Nachfrage umfasse, die nicht i m Herrschaftsbereich des Unternehmens liege und die allein durch Beeinträchtigungen des wirtschaftlichen Rufs geschmälert werden könne, so kann ihm schon deswegen nicht gefolgt werden, weil gewohnheitsrechtlich — das zeigt die dargestellte Rspr. — auch der w i r t schaftliche Ruf geschützt wird. Zudem liegt zum einen der wirtschaftliche Ruf zumindest i m Schaffens-, wenn auch nicht Herrschaftsbereich des Unternehmens; denn das Unternehmen kann sich den Ruf nur durch sei105 Schippel, S. 44 f.; Zitzeisberg er, S. 3 f.; Katzenberger, S. 172; v. Richthofen, S. 44; Kneppe, S. 86; Hubmann, Z H R 117, 41, 58. Entsprechend diesem Interessenschutz w i r d gelegentlich die Meinung vertreten, dem Unternehmen sei als Vermögensgegenstand Rechtsschutz zu gewähren, vgl. die Nachweise bei Z i t zelsberger, S. 5. 106 Dazu, daß sich die Rspr. gegenwärtig i n der Entwicklung befindet, auch den Schutz des potentiellen Unternehmens i n den Bereich des Rechts am Gewerbebetrieb einzubeziehen, vgl. Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 281 ff. Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., S. 193, w i l l Schutz auch bei einem noch nicht vorhandenen Betrieb gewähren. 107 Vgl. die i n Note 105 genannten Stimmen. Entsprechend diesem Interessenschutz w i r d die Meinung vertreten, daß I n h a l t des Rechts am Gewerbebetrieb das Persönlichkeitsrecht auf wirtschaftliche Betätigung sei ; vgl. dazu die Nachweise bei Zitzeisberg er, S. 5. Zutreffender ist es, wie hier von einer K o m b i n a tion der beiden Schutzbereiche auszugehen, die auch die Note 105 genannten Autoren i n unterschiedlichen, aber i m wesentlichen übereinstimmenden Formen vornehmen. 108 υ. Richthofen, S. 44, der davon ausgeht, daß negative K r i t i k n u r den A r beitserfolg, d. h. n u r die sachbezogenen Interessen und nicht die Interessen an der wirtschaftlichen Betätigung berührt; Zitzeisberg er, S. 172. 109 Schippel, S. 153 f. Hier bestätigt sich die vorgenommene Reduzierung des Anwendungsbereichs der strafrechtlichen Ehrverletzungsbestimmungen i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB. Diese Bestimmungen gelten nur für Verletzungen der Unternehmerehre, sie vermögen den Schutz des wirtschaftlichen Rufs über das Recht am Unternehmen n u r bei stark persönlichkeitsorientierten Gesellschaften zu verdrängen. Vgl. S. 28 ff. 110 Der Schutz der persönlichen Ehre und des wirtschaftlichen Rufs, S. 81.

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ne Leistungen aufbauen und erhalten. Zum anderen w i r d durch eine Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufs nicht nur die Nachfrage nach den Leistungen eines Unternehmens geschmälert, sondern zumindest noch ein anderer wichtiger Bereich, nämlich die Kreditfähigkeit. Schließlich w i r d noch anhand des umrissenen Schutzobjekts klar, daß es müßig ist, die ursprünglich vom RG ausgesprochene Beschränkung des Schutzes auf Eingriffe i n den Bestand eines Unternehmens erneut zu fordern 1 1 1 ; denn dagegen spricht die Entwicklung, die das Recht am Unternehmen genommen hat. Außerdem wären damit die wichtigsten Probleme des Schutzes vor unternehmensschädigenden Äußerungen durch Aufstellen eines allzu formalen Kriteriums und ohne wertende Reflexion aus dem Wege geräumt. b) Vor allem i m Zusammenhang mit der Erörterung der rechtlichen Probleme des Warentests haben die Stimmen zugenommen, die eine Anwendung des Rechts am Unternehmen für unternehmensschädigende Äußerungen ablehnen. Unter Berufung darauf, daß das Recht am Unternehmen nicht den Schutz des wirtschaftlichen Rufs umfasse, w i r d auf die teils direkte, teils analoge Anwendung der bestehenden gesetzlichen Normen verwiesen 1 1 2 . Oder man verweist, ohne sich mit A r t und Umfang des durch das Recht am Unternehmen gewährten Schutzes auseinanderzusetzen, auf die gesetzten Normen, weil sich aus ihnen selbst für die nicht geregelten Fälle der geschäftsschädigenden Äußerung ein gesetzgeberischer Wille entnehmen lasse 113 . A l l diese Bestrebungen lassen sich auf einen i m wesentlichen einheitlichen Grund zurückführen: Die weite Ausdehnung des Unternehmensschutzes durch das Recht am Gewerbebetrieb, die sich von allem i n einer Schutzgewährung vor unternehmensschädigenden Äußerungen auswirkt, und die damit verbundene Unsicherheit der Grenzziehung, die sich i n der 111 Kritisch zur Aufgabe des Bestandsschutzes Lehmann i n Anm. zu O L G Hamburg, M D R 52, 295, 297; Spengler, W u W 53, 195,199 f.; Lingenberg, N J W 54, 449, 453; Palandt-Gramm, 26. Aufl., A n m . 6 g zu § 823 BGB. 112 Helle, a.a.O., der die Anwendung der strafrechtlichen Ehrenschutzbestimmungen über § 823 Abs. 2 B G B u n d des § 826 B G B empfiehlt. Übrigens erkennt Helle, N J W 62, 1177, 1180, i n einer Veröffentlichung zum Warentest dann doch den Schutz des wirtschaftlichen Rufs durch das Recht am Unternehmen an, worauf Bofinger, N J W 65,1833,1837 Note 29, zutreffend hinweist. 113 Völp, W u W 56, 31, 36; Körner, S. 83 ff., Larenz, Schuldrecht I I , 8. Aufl., S. 424, bevorzugen allgemein, also nicht i m Hinblick auf eine besondere F a l l gruppe eine analoge Anwendung des § 824 BGB. Nähme, GRUR 64, 484, 486 u n d N J W 65, 1848, 1850; Bofinger, N J W 65, 1833, 1838; Völp, W R P 63, 109, 114 treten für eine analoge Anwendung des § 824 B G B auf die i m publizierten Warentest enthaltenen Werturteile ein. Lingenberg, N J W 54, 449, 451, befürwortet eine analoge Anwendung des § 824 B G B für i n Kreditschutzlisten enthaltene Werturteile. Uhlitz, N J W 66, 2097, v e r t r i t t i m Ansatz ähnlich w i e Helle, a.a.O., i n der Durchführung aber unklar, eine teils direkte, teils analoge A n wendung der strafrechtlichen Beleidigungsvorschriften.

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Schwierigkeit manifestiert, die Rechtswidrigkeit bzw. Rechtmäßigkeit eines Eingriffs und speziell einer Äußerung festzustellen, bereiten Unbehagen. A l l diesen Bestrebungen ist vorerst einheitlich mit zwei Argumenten zu begegnen: Einmal gehen auch diese Stimmen wie jene, die den Unternehmensschutz durch das Recht am Gewerbebetrieb überhaupt oder das Ausmaß des Schutzes ablehnen 114 , an der juristischen Wirklichkeit und der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Unternehmensschutzes, der wie dargestellt auch den Schutz vor unternehmensschädigenden Äußerungen umfaßt, vorbei. Zum zweiten kann eine analoge Anwendung der auf Tatsachenäußerungen zugeschnittenen Vorschriften nicht zu schärferen Kriterien führen als die Anwendung des Unternehmensschutzes, da ein analoges Vorgehen ebenso auf wertende Beurteilung angewiesen ist, wie eine Anwendung des gewohnheitsrechtlich entwickelten Unternehmensschutzes 115 . Die global zitierten Stimmen, die den durch das Recht am Unternehmen gewährten Schutz nicht auf unternehmensschädigende Äußerungen erstrecken wollen, sind nun differenzierend zu betrachten. aa) Die eine Auffassung, die den über § 823 Abs. 2 BGB anwendbaren strafrechtlichen Ehrenschutzbestimmungen einen größeren, wenn nicht ausschließlichen Anwendungsbereich zur Beurteilung unternehmensschädigender Äußerungen verschaffen w i l l 1 1 6 , wurde schon i m Zusammenhang mit der Erörterung dieser Bestimmungen 1 1 7 und teils auch bei der Darstellung des Umfangs des Unternehmensschutzes angesprochen 118 . Es mag deshalb genügen, darauf zu verweisen und zusammenfassend festzustellen, daß diese Bestimmungen nur die Ehre einer natürlichen Person oder die Ehre einer Personengesamtheit, der Persönlichkeitsqualität i n einem einschränkenden Verständnis zukommt, zu schützen vermag. Scheidet somit eine direkte Anwendung dieser Vorschriften aus, so entfällt eine analoge Berücksichtigung aus den vorgenannten Gründen, die gegen Bestrebungen dieser A r t allgemein vorzubringen sind. bb) Eine zweite Auffassung möchte den Schutz vor unternehmensschädigenden Äußerungen, soweit es sich um Werturteile handelt, über § 824 BGB analog gewähren 1 1 9 . Sinn und Berechtigung dieses Bemühens sind 114

Vgl. S. 45 m i t Note 94. Vgl. dazu S. 57 ff. 116 Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre u n d des wirtschaftlichen Rufs, S. 81, u n d Uhlitz, N J W 66, 2097. 117 Vgl. S. 29 f. m i t Note 12. 118 Vgl. S. 47 m i t Note 109. 119 Vgl. die S. 48 Note 113 genannten Autoren m i t Ausnahme von Helle und Uhlitz. 115

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Koller

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nicht von der Hand zu weisen, da — abgesehen vom Wettbewerbsrecht und von § 187 StGB i. V. m. § 823 Abs. 2 BGB — nur § 824 BGB ausdrücklich unternehmensschädigende Äußerungen erfaßt. Diesem Bestreben hat die herrschende Auffassung zum Tatsachenbegriff i n § 824 B G B 1 2 0 aber bereits i n weitem Umfang Rechnung getragen, da danach Tatsachen solche Äußerungen sind, die dem Beweise zugänglich sind. Wie dargestellt sind dadurch auch Werturteile — eben soweit sie dem Beweis ihrer Richtigkeit oder Unrichtigkeit zugänglich sind — mitumfaßt. Mehr läßt sich positiv aus § 824 BGB nicht gewinnen. Soweit aus dem Regelungsinhalt des § 824 BGB geschlossen wird, daß andere Werturteile zulässig sein müßten 1 2 1 oder wiederum über die nach § 823 Abs. 2 BGB anwendbaren Ehrverletzungsbestimmungen des Strafrechts zu beurteilen seien 122 , kann dem nicht gefolgt werden, da die gesetzliche Regelung des § 824 BGB und anderer Tatsachenäußerungen betreffenden Vorschriften über die rechtliche Beurteilung von Werturteilen gerade keine Aussage treffen wollte 1 2 3 . I m übrigen gelten auch hier die bereits vorangestellten, allgemeinen Einwände. cc) Soweit für unternehmensschädigende Äußerungen i n Form von Werturteilen auf § 826 BGB und für den wettbewerblichen Bereich auf § 1 U W G verwiesen wird, geschieht dies völlig zu Recht. Doch bringt der Verweis auf die guten Sitten keine bessere Lösung als die, die durch das Recht am Unternehmen gewonnen werden kann 1 2 4 . I n beiden Fällen entscheiden die gleichen Kriterien, so daß es ratsam erscheint, beim Unternehmensschutz durch das Recht am Unternehmen zu bleiben oder doch zumindest hierin den Schwerpunkt des Unternehmensschutzes zu sehen 125 . c) Parallel mit dem Bestreben, Schutz vor unternehmensschädigenden Äußerungen nur durch einen teils direkt, teils analog angewendeten 120

Vgl. S. 32 ff. Bofinger, N J W 65,1833,1838; Nähme, N J W 65,1848,1850. 122 Uhlitz, N J W 66, 2097; Weitnauer, D B 63, 55, 58. 123 Ausdrücklich n u r auf Tatsachenäußerungen beschränken sich die §§ 186, 187 StGB, 824 BGB, 14 UWG, während § 185 StGB (und § 824 des Referentenentwurs, vgl. S. 32 Note 22) auch Werturteile erfaßt. 124 I n beiden Fällen w i r d eine Interessenabwägung erforderlich, das eine M a l zur Feststellung der Rechtswidrigkeit, das andere M a l zur Feststellung der Rechtswidrigkeit u n d der Sittenwidrigkeit; vgl. dazu S. 65 ff. u n d S. 76 ff. 125 w e r freilich v o m „unqualifizierten u n d diskriminierenden V o r w u r f der Sittenwidrigkeit" oder dem „ M a k e l der Sittenwidrigkeit" (vgl. oben S. 39 Note 53) spricht, der der nach § 826 B G B beurteilten unternehmensschädigenden Äußerung auferlegt werde, w i r d erst recht das Recht am Unternehmen für den Unternehmensschutz vorziehen. Außerdem muß schon deswegen am Recht am Unternehmen festgehalten werden, w e i l es i m Gegensatz zu § 826 B G B gewohnheitsrechtlich auch Schutz gegenüber fahrlässigen Angriffen gewährt; vgl. S. 67. 121

1. Kap.: Das einfache Gesetzesrecht

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§ 824 BGB zu gewähren, geht das Bemühen, die Äußerung von wahren Tatsachen infolge eines Umkehrschlusses aus § 824 BGB als erlaubt anzusehen 126 . Tragender Gedanke ist wiederum eine Eingrenzung des A n wendungsbereichs des Rechts am Unternehmen. Ungeachtet dieser A n sätze hat die Rechtsprechung auch wahre Tatsachenäußerungen nach den für das Recht am Unternehmen entwickelten Grundsätzen beurteilt 1 2 7 . Etwas an Brisanz hat die Frage verloren, nachdem ein Eingriff i n das Recht am Unternehmen nicht mehr die Rechtswidrigkeit indiziert, sondern eine materielle Rechtswidrigkeitsprüfung erfordert 1 2 8 ; denn das Ergebnis der Interessenabwägung w i r d meist nicht dazu führen, eine wahre Tatsachenäußerung als Eingriff in das Unternehmen anzusehen. Das w i r d nur in den Fällen anders sein, bei deren rechtlicher Würdigung früher aufgrund einer Beurteilung aller Umstände des Einzelfalles eine sittenwidrige Schädigung das Ergebnis gewesen wäre 1 2 9 . Damit öffnet sich auch der Blick auf die zwischen beiden Ansichten vermittelnde Lösung: Grundsätzlich sind wahre unternehmensschädigende Äußerungen erlaubt. Sie sind jedoch ausnahmsweise dann rechtswidrig, wenn dies die besonderen Umstände des Einzelfalles aufgrund einer zuungunsten des sich Äußernden ausfallenden Interessenabwägung ergeben. d) Neuestens w i r d die Ansicht vertreten, daß der Schutz des wirtschaftlichen Rufs eines Unternehmens nicht durch das Recht am Unternehmen, sondern durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu erfolgen habe 1 3 0 , wobei unter wirtschaftlichem Ruf das verstanden wird, was der BGH als „Ausstrahlungen des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs" behandelt 1 3 1 . Dem ist zuzugeben, daß das Recht am Unternehmen einen persönlichkeitsrechtlichen Gehalt aufweist 1 3 2 und i n seiner 126 Völp, W u W 56, 31, 40; ders., W R P 63, 109, 114; Weitnauer, D B 59, 1187; Rinck, B B 63, 1027, 1028; Weitnauer, D B 63, 55, 57; Keller, S. 31; Gallwas, S. 61, allerdings unter Berufung auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit, a. A. sind Helle, N J W 62, 1177, 1180; Borck, W R P 59, 344 f.; Bußmann, GRUR Ausi. 64, 196,197; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 78. 127 Vgl. die Darstellungen bei v. Caemmerer, S. 86 f., und Erdsiek i n Festschrift für Nipperdey, S. 274. N u r i n den wenigsten Fällen hat die Rspr. einen rechtswidrigen Eingriff i n das Recht am Unternehmen durch Äußerung wahrer Tatsachen bejaht, z. B. B G H Z 8, 142 — Langsame Zahler —, u n d BGH, GRUR 56, 212 — Wirtschaftsarchiv —. 128 Vgl. S. 42. 129 Rinck, B B 63, 1027, 1028, weist darauf hin, daß zutreffende Behauptungen dann rechtswidrig werden, w e n n sie einer sittenwidrigen Schädigung dienen; vgl. B G H i n L M Nr. 2 zu § 826 (Gc) BGB. 130 W i l l , S. 90 f., u n d vor allem Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 58 ff. und S. 77 ff.; auch Küster, S. 10 f., weist auf die Möglichkeit hin, das aPR heranzuziehen. 131 Wenzel, a.a.O., S. 62 u n d 77. 132 Vgl. S. 47 m i t Note 107. F ü r Hubmann, Z H R 117, 41, 57; ders., Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., S. 193, gliedert sich das Recht am Unternehmen i n ein Persönlichkeitsrecht und i n ein Immaterialgüterrecht.

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materiellen Bedeutung i m Bereich der wirtschaftlichen Betätigung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht i n seiner wirtschaftlichen Ausprägung 1 3 3 i n Berührung t r i t t 1 3 4 . Dennoch kann der Auffassung nicht gefolgt werden, daß Beeinträchtigungen des wirtschaftlichen Rufs eines Unternehmens nach den Grundsätzen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu messen seien. Denn einmal läßt sich auf diese Weise eine größere Sicherheit und Praktikabilität bei der Rechtsanwendung nicht erreichen, da die vagen Grundsätze des sog. Rechts am Unternehmen durch die ebenso vagen Grundsätze des Persönlichkeitsrechts ersetzt werden. Zum anderen w i r d eine Anwendung des Persönlichkeitsrechts i n aller Regel deshalb entfallen müssen, w e i l Unternehmen keine Persönlichkeitsqualität aufweisen und das Persönlichkeitsrecht i n seiner Grundkonzeption doch auf natürliche Personen zugeschnitten ist 1 3 5 . Nicht zuletzt hat sich nun einmal das Recht am Untenehmen auch für den Schutz des wirtschaftlichen Rufs eines Unternehmens eingebürgert. Und das mit Recht, da wie oben dargelegt 1 3 6 der wirtschaftliche Ruf eines Unternehmens nicht nur den dynamischen Teilinhalt des Rechts am Unternehmen (Interesse an ungestörter gewerblicher Betätigung), sondern auch dem statischen Teilbereich (Interesse an der Erhaltung des Unternehmens als Ergebnis und M i t t e l wertschaffender Arbeit) berührt. Ohne zwingende Notwendigkeit — die nicht nachgewiesen ist — w i r d man des133 Den Persönlichkeitsschutz der gewerblichen Betätigung bejahen: B G H Z 36, 77, 80 — Waffenhändler — ; Hubmann, Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., S. 194; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A l l g . A n m . 136; Kneppe, S. 1 u n d S. 105 m i t weiteren Nachweisen; Enneccerus-Nipperdey, 1. Halbbd., S. 852. Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 282, w i l l dagegen das Persönlichkeitsrecht auf den außerwirtschaftlichen Bereich beschränken. 134 Kneppe, S. 1. Es fällt i m m e r wieder auf, daß viele Fälle der unternehmensschädigenden Äußerung nach den Normen des Persönlichkeitsschutzes beurteilt werden oder beurteilt werden können. Beispiele: B G H Z 36, 77 — Waffenhändler — ; B G H Z 24, 200 — Spätheimkehrer — ; BGH, J Z 64, 623 f. — Sittenrichter — ; BGH, N J W 67, 390 — Kritische Würdigung des Geschäftsgebarens eines Maklers —. Der — allerdings auch berechtigte — Grund einer solchen rechtlichen Würdigung liegt darin, daß entweder der Unternehmer für die i h m nachteiligen Folgen Ersatz verlangt oder der Geschädigte, wie etwa ein „Freiberufler", nicht ein Unternehmen sein eigen nennt. Wenn Küster, S. 10 f., darauf hinweist, daß auch B G H Z 3, 270 — Constanze I — m i t Hilfe des aPR hätte gelöst werden können, so w i r d dem nicht gefolgt, da i n diesem F a l l vorwiegend das (Presse-) Unternehmen u n d nicht der Unternehmer Ziel der schädigenden Äußerungen war. Die Grenzziehung muß nach dem Schwerp u n k t eines Angriffes erfolgen. Nicht geht es an, Schutz vor geschäftsschädigenden Äußerungen m i t Koebel, J Z 60, 433 f., sowohl durch das Recht am Unternehmen als auch durch das aPR zu gewähren. 135 Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 55 f., spricht sich f ü r eine A n w e n d u n g des aPR auch auf juristische Personen aus. Anders und weiter (nicht n u r beschränkt auf den Gegenstand natürliche-juristische Person) Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 136: Soweit die wirtschaftliche Betätigung i m Rahmen eines Gewerbebetriebes zum Ausdruck komme, sei sie Gegenstand des Rechts am Unternehmen. 136 Vgl. S. 46 f.

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halb nicht zum Schutz des wirtschaftlichen Rufes auf das Persönlichheitsrecht umschwenken müssen. 2. Das Recht am Unternehmen als „sonstiges Recht" im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB a) Nicht kann hier grundlegend eingegangen werden auf die gegensätzlichen Ansichten zum Inhalt des subjektiven und insbesondere des subjektiven absoluten Rechts 137 . Auch ohne eine endgültige Klärung dieser Begriffe w i r d klar, daß das Recht am Unternehmen sich seinem oben dargestellten Inhalt nach von den in § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechten unterscheidet 138 . Allenfalls ließe sich eine Ähnlichkeit zum Herrschaftsrecht des Eigentümers feststellen. Aber es fehlen dem Recht am Unternehmen doch wesentliche Eigenschaften des Eigentumsrechts und sonstiger Herrschaftsrechte 139 . Das Recht am Unternehmen kann nicht übertragen, nicht gepfändet und nicht verpfändet werden; und so zeigt sich, daß sich die Verschiedenheit des Rechtsgegenstandes auf die Berechtigung selbst auswirkt. Aber selbst wenn man davon ausgeht, daß die Tatsache allein, daß Rechtsschutz gewährt wird, der von der Initiative des Betroffenen abhängt, die Annahme eines subjektiven Rechts i m Sinne des § 823 Abs. 1 BGB rechtfertige 140 , so lassen sich Unterschiede zu den i n § 823 Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Rechten nicht leugnen. Diese Unterschiede sowie die aus ihnen abzuleitenden juristischen Folgerungen sind nun darzustellen. b) Der Haupteinwand gegen eine Anerkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als sonstiges Recht nach § 823 Abs. 1 BGB ist immer noch daraus herzuleiten, daß es zwar gegen jedermann, aber nicht auch gegen jeden Eingriff (generell) geschützt w i r d und geschützt werden kann. Daß Schutz nicht gegen jeden Eingriff gewährt wird, zeigt die Rspr. 1 4 1 Daß Schutz auch nicht gegen jeden Eingriff gewährt werden darf, leuchtet ein, wenn man sich vergegenwärtigt, 137 Gegensätzliche Standpunkte beziehen: Enneccerus-Nipperdey, 1. Halbbd., § 72 (S. 428 ff.); v. Caemmerer, S. 55 u n d S. 89; Ernst Wolf i n Festschrift für F. v. Hippel, S. 677 ff. Vgl. auch die dort gegebenen weiteren Nachweise, insbesondere Raiser , JZ 61, 465. 138 Das Recht am Unternehmen als „sonstiges Recht" lehnen ab Reuß, AcP 156, 89, 101; Körner, S. 36 ff.; Ernst Wolf, a.a.O.; v. Caemmerer, S. 89; Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 263 f.; Esser, § 202, 1 b ff.; Larenz, Schuldrecht I I , 8. Aufl., S. 421; Schultz, N J W 63, 1801, 1803; Gieseke, GRUR 50, 298, 303. 139 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A l l g . A n m . 111; v. Caemmerer, S. 89; Raiser, JZ 61, 465, 469. 140 z. B. Enneccerus-Nipperdey, 1. Halbbd., § 72 13 a (S. 432). 141 Vgl. S. 39 ff.

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daß das Unternehmen am Wirtschaftsverkehr teilnimmt und i n ihn eingegliedert ist 1 4 2 . Damit muß sich das Unternehmen den Grundprinzipien der Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung, insbesondere dem Konkurrenzprinzip unterwerfen. Die Zuweisung eines festen Tätigkeitsbereiches an einzelne Wirtschaftsobjekte, die Anerkennung einer Herrschaftsposition, die der des Sacheigentümers ähnelt, verträgt sich mit diesen Prinzipien nicht 1 4 3 . Die Beeinträchtigung des gewerblichen Tätigkeitsbereiches, die eine freie Wettbewerbswirtschaft notwendig und ständig mit sich bringt, muß deshalb grundsätzlich unrechtsneutral sein. Wenn sich nunmehr zunehmend die Ansicht durchsetzt, daß infolge der Veränderungen der Sozialstruktur i n den letzten 50 Jahren eine inhaltliche Beschränkung wie etwa die nachbarrechtliche (§§ 903 ff. BGB) und die soziale (Art. 14 Abs. 2 GG) des Eigentums zum Wesen aller absoluten Rechte gehöre, da i m Zusammenleben der Menschen, i n dem oft Recht gegen Recht stehe, keines einen unbedingten Vorrang beanspruchen könne 1 4 4 , muß dem in vollem Umfang zugestimmt werden. Nur dem daraus gewonnenen Ergebnis i n Hinblick auf das Recht am Unternehmen muß die Zustimmung versagt bleiben. Denn die Vertreter dieser Lehre vollziehen eine Gleichstellung des Rechts am Unternehmen m i t den übrigen i n § 823 Abs. 1 BGB genannten absoluten Rechten, denen zwar ein absoluter personeller, aber nicht genereller Schutz zugestanden w i r d 1 4 5 . Der noch immer zwischen den ihrem Wesen nach inhaltlich beschränkten absoluten Rechten und dem Recht am Unternehmen bestehende Unterschied w i r d übersehen 146 . Der Unterschied liegt vor allem i n dem vom Gesetz eingeschlagenen und von denjenigen, die infolge der inhaltlichen Beschränkung aller absoluten Rechte eine Gleichstellung des Rechts am Unternehmen zu diesen vollziehen, übersehenen Weg der 142

Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 111. Baumbach-Hefermehl, a.a.O.; v. Caemmerer, S. 91 f.; Raiser , JZ 61, 465. 469; Völp, W u W 56, 31, 36 f.; Larenz, Schuldrecht I I , 8. Aufl., S. 424; Völp, W R P 63,109,113; v. Richthofen, S. 42; Esser, § 202,1 b ff. 144 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 106; v. Caemmerer, S. 90 Note 181; Schippel, S. 60 f.; Hubmann, Z H R 117, 41, 77 f.; Zitzeisberg er, S. 35; ν . Richthofen, S. 42; Enneccerus-Nipperdey, 1. Halbbd., § 72 13 b (S. 434). 145 So die Note 144 genannten Autoren m i t Ausnahme von Caemmerer, S. 89 f., der das Recht am Unternehmen als Generalklausel ansieht. 148 A u f diesen Unterschied weist deutlich h i n Enneccer us-Lehmann, Schuldrecht I I , § 234 1 1 b (S. 941). Aber auch Nipperdey, N J W 67, 1985, 1987, der sonst immer f ü r eine Gleichstellung plädiert, weist auf den Gegensatz zwischen rechtstypisch k l a r umrissenen absoluten Rechten und generalklauselartigen Rahmenrechten, bzw. generalklauselartig umschriebenen Unrechtssachverhalten hin. Der Unterschied w i r d besonders deutlich, wenn die h. L., der insoweit zuzustimmen ist, den Unternehmensschutz durch das Recht am Unternehmen gegenüber ausdrücklich normierten gesetzlichen Tatbeständen des U n t e r nehmensschutzes subsidiär sein läßt (vgl. dazu S. 87 f.). Damit w i r d deutlich, daß das Recht am Unternehmen nicht den anderen Rechten u n d Rechtsgütern des § 823 Abs. 1 B G B gleichgestellt werden kann. 142

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Rechtstechnik 147 . Denn der Gesetzgeber, der eine deliktische Generalklausel vermeiden wollte, konnte rechtstechnisch nur so vorgehen, daß er die Verletzung bestimmter enumerativ gefaßter Rechtsgüter und absoluter Rechte die Rechtswidrigkeit indizieren ließ. Dieses Vorgehen des Gesetzgebers w i r d aber torpediert, wenn man bei Verletzung der i n § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter und absolutenRechte jedesmal eine materielle Rechtswidrigkeitsprüfung anstellt. Man sollte vielmehr die Rechtstechnik des Gesetzgebers, die sich zumindest i n den i n § 823 Abs. 1 BGB angesprochenen Teilbereichen bewährt hat, grundsätzlich unangetastet lassen und nur i n Zweifelsfällen gesondert prüfen, ob ein Rechtsgut oder absolutes Recht einer inhaltlichen Beschränkung unterliegt 1 4 8 . Denn beim sogenannten und gewohnheitsrechtlich entwickelten Recht am Gewerbebetrieb liegen die Dinge anders. Das vermag auch eine Gleichstellung mit den ihrem Wesen nach inhaltlich beschränkten absoluten Rechten nicht zu verdecken. Das Recht am Gewerbebetrieb ist ein offener Tatbestand 149 , hinter i h m verbirgt sich eine Generalklausel 150 , das ist die vom Gesetzgeber vermiedene deliktische Genrealklausel für den Teilbereich der gewerblichen Tätigkeit und des i n einem bestehenden Gewerbebetrieb enthaltenen Organisationswertes. c) Der i n § 823 Abs. 1 BGB eingeschlagene rechtstechnische Weg weist aber auch eine innere Berechtigung auf, die beim Recht am Unternehmen nicht nachgewiesen werden kann. Die Rechtswidrigkeit einer Handlung w i r d bei den i n § 823 Abs. 1 BGB benannten Tatbeständen vorwiegend aus dem von der Rechtsordnung mißbilligten Erfolg abgeleitet 151 . Der 147 Daß es sich u m eine Frage der Rechtstechnik handelt, ob m a n einen E i n griff die Rechtswidrigkeit indizieren läßt oder ob man die Rechtswidrigkeit eines Eingriffs jeweils materiell prüft, sprechen an Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht I I , § 234 1 1 b (S. 942), u n d Zitzeisberg er, S. 37. 148 Etwa bei den von Nipperdey, N J W 67, 1985, 1989, genannten Beispielen. Ansonsten darf die F u n k t i o n des gesetzlichen Tatbestandes des § 823 Abs. 1 B G B nicht außer acht gelassen werden; so Larenz, N J W 55, 521, 523. 149 Vgl. S. 42. 150 y o n einer Generalklausel, einem generalklauselartigen Umfang und einer generalklauselartigen Weite sprechen v. Caemmerer, S. 90 u n d S. 113; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A l l g . A n m . 106; Larenz, Schuldrecht I I , 7. Aufl., S. 422; ders. i n A n m . zu B G H i n A P Nr. 2 zu A r t . 5 Abs. 1 GG (Bl. 9, Rücks.) — B l i n k f ü e r — ; Uhlitz, N J W 66, 2097; Hefermehl, GRUR 62, 611, 614; Ulmer i n FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 19; Kubier, Wirtschaftsordnung, S. 3 f. Note 2, S. 20; ders., JZ 67, 178, A n m . zu BGH, J Z 67, 174 — Höllenfeuer — ; Kneppe, S. 104 u n d 106; Nipperdey, N J W 67, 1985, 1993; O L G Stuttgart, N J W 64, 595; Haager i n RGRK, A n m . 27 a. E. zu § 823 B G B ; Raiser, JZ 61, 465, 469. 151 Zitzeisberg er, S. 39 f.; Körner, S. 15 f. Z u r Frage, ob das Privatrecht zur Annahme der Rechtswidrigkeit einer Handlung vorwiegend auf den H a n d lungsunwert oder auf den Erfolgsunwert abstellt, vgl. Enneccerus-Nipperdey, 2. Halbbd., § 209 I V , V (S. 1279 ff.); Münzberg, passim; Nipperdey, N J W 67, 1985, 1989; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Einl. U W G 225 ff. M. E. ist abzustellen auf die einzelne gesetzliche Regelung, bei der i n aller Regel beide K o m ponenten vorhanden sein werden (Enneccerus-Nipperdey, a.a.O., S. 1285 f.: Das

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E i n t r i t t des V e r l e t z u n g s e r f o l g e s löst g r u n d s ä t z l i c h die u n r e c h t s i n d i z i e r e n d e W i r k u n g des Tatbestandes aus. Das ist n u r m ö g l i c h , w e n n die u n t e r § 823 A b s . 1 B G B f a l l e n d e n O b j e k t e , die G e g e n s t a n d eines a b s o l u t e n Rechts oder eines i h m gleichstehenden Rechtsgutes sein sollen, t y p i s c h e r w e i s e 1 5 2 so beschaffen sind, daß sie e i n e n Schluß v o m e i n g e t r e t e n e n E r f o l g a u f die R e c h t s w i d r i g k e i t e r l a u b e n . Das ist b e i m S a c h e i g e n t u m der F a l l , b e i m Recht a m U n t e r n e h m e n aber n i c h t . B e g r ü n d e t b e i m Recht a m U n t e r n e h m e n n i c h t d e r e i n g e t r e t e n e E r f o l g die R e c h t s w i d r i g k e i t , so k a n n sie n u r aus der A r t u n d Weise d e r b e e i n t r ä c h t i g e n d e n H a n d l u n g als E r g e b n i s e i n e r w e r t e n d e n B e t r a c h t u n g g e w o n n e n w e r d e n 1 5 3 . N i c h t m e h r der E r f o l g s u n w e r t , s o n d e r n d e r H a n d l u n g s u n w e r t steht i m V o r d e r g r u n d . Diese Tatsache schließt d i e M ö g l i c h k e i t aus, das Recht a m U n t e r n e h m e n als sonstiges Recht i n § 823 A b s . 1 B G B e i n z u r e i h e n . D i e K l a s s i f i z i e r u n g als sonstiges Recht ist als „ s y s t e m a t i s c h e r N o t b e h e l f " e n t l a r v t 1 5 4 , i n W a h r h e i t h a n d e l t es sich b e i m Recht a m U n t e r n e h m e n u m eine d e l i k t i s c h e G e n e r a l k l a u s e l f ü r d e n g e w e r b l i c h e n B e r e i c h 1 5 5 , die sich Rechtswidrigkeitsurteil muß Handlung u n d Erfolg umfassen), aber die eine oder andere i m Vordergrund steht. So sind § 823 Abs. 1 B G B vorwiegend durch den Erfolgsunwert, die §§ 826 BGB, 1 U W G u n d das Recht am Unternehmen vorwiegend durch den Handlungsunwert bestimmt. 152 Ausnahmefälle, etwa die Beispiele, auf die S. 55 Note 148 verweist, müssen dabei außer Betracht bleiben. 153 Zitzeisberg er, S. 39 f.; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Einl. U W G 232. Dies meinen auch Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 263 f., u n d v. Caemmerer, S. 91, m i t der Herausarbeitung von Verhaltenspflichten. Ebenso sind zu verstehen Völp, W u W 56, 31, 38, der das Recht am Unternehmen höchstens als Sammelnorm zur Bekämpfung aller unerwünschten Kampfmaßnahmen anerkennen w i l l , u n d Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht I I , § 231 I I I 6 (S. 933 f.), der der Lehre von der Sozialadäquanz beim Recht am Unternehmen zustimmt, w e i l bei i h m nicht auf den Erfolgsunwert wie sonst i m Privatrecht abgestellt sei. Hier zeigt sich, daß das Erfordernis der Unmittelbarkeit eines Eingriffs, das auf den Rechtsgegenstand abstellt, keinen Sinn haben kann. Wenn der B G H n u n statt dessen von der Betriebsbezogenheit eines Eingriffs spricht, so deutet sich damit schon an, daß hinter diesem Erfordernis nur ein „wertender Maßstab der Zurechnung" stehen kann. So Zitzeisberg er, S. 112, und zuvor schon Völp, W u W 56, 31, 38; letzterem zustimmend Reuß, AcP 156, 89, 103; i m Ergebnis ebenso Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 111. Z u m M e r k m a l der Unmittelbarkeit bei unternehmensschädigenden Äußerungen vgl. S. 41 u n d Note 68 auf S. 41. Die materielle Rechtswidrigkeitsprüfung ist S. 42 angesprochen, auf sie ist sogleich zurückzukommen. 154 Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 263 f. Andere sprechen von einer „ F i k t i o n " : Zitzeisberg er, S. 39 f.; v. Caemmerer, Rabel-Festschrift, S. 400; Mestmäcker, J Z 58, 521, 526; Esser, § 202, 1 b ff. (S. 849). Der V o r w u r f einer unerlaubten Abweichung von rechtssystematischen Prinzipien, so Schultz, N J W 63,1801,1803, verliert damit an Gewicht. 155 Die auf den ersten Blick auch die Tätigkeit der freien Berufe schützen müßte; so Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A l l g . Anm. 108 a. E.; PalandtGramm, 27. Aufl., A n m . 6 g zu § 823 B G B (ausdrücklich nur für die ärztliche und tierärztliche Praxis); v. Caemmerer, S. 90; Nipperdey, N J W 67, 1985, 1987; Puttfarcken, Boykott, S. 85; Lingenberg, N J W 54, 449, 453; Schippel, S. 13 f.; a. A. Haager i n RGRK, A n m . 31 zu § 823 BGB, u n d die Rspr. des RG: RGZ 64,

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in der rechtlichen Konstruktion gleichwertig neben § 826 BGB und § 1 UWG stellt. 3. Nach dem der Verletzungserfolg beim Recht am Unternehmen keine Aussage über die Rechtswidrigkeit der Verletzungshandlung zu treffen vermag, bleibt allein der Weg, die Rechtswidrigkeit aus der A r t und Weise der Verletzungshandlung zu gewinnen. Damit ist naturgemäß nur eine vergröbernde Beschreibung gegeben, die außer acht läßt, daß u. a. auch der Verletzungserfolg 156 bei der Bewertung zu berücksichtigen ist. I m übrigen gelten diese Erörterungen zur Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Handlung auch für die Ansicht, die alle subjektiven absoluten Rechte als inhaltlich beschränkt ansieht und deshalb über § 823 Abs. 1 BGB nur einen absoluten personellen, nicht aber generellen Schutz gewähren w i l l . I m wesentlichen scheinen sich zwei Wege anzubieten, die sich jedoch nach näherem Zusehen als identisch erweisen. Der eine w i r d angesprochen mit dem Stichwort der Sozialadäquanz 157 . Nach dieser von Nipperdey i m Zivilrecht begründeten Lehre muß die Rechtsordnung eine dem Gedanken des sozialen Zusammenlebens und der damit verbundenen Risiken entsprechende sinnvolle Entscheidung des Interessenkonfliktes zwischen Güterschutz einerseits und Sicherung des sozialen Verkehrs sowie der Persönlichkeitsentfaltung andererseits treffen. Sie dürfe deshalb nur verlangen, „daß bei den Handlungen die Anforderungen erfüllt werden, die an einen normalen, ordentlichen und verständigen Menschen i n der zu beurteilenden konkreten Situation i m Rahmen des 155; 153, 280, 285; 155, 239. B G H Z 42, 318, 325 sieht Tierärzte als „andere U n t e r nehmen" i. S. des § 26 Abs. 2 G W B an; das könnte ein erster Schritt zum Schutz der freien Berufe durch das Recht am Unternehmen sein. Andere wollen die freiberufliche Tätigkeit durch das Persönlichkeitsrecht der freien gewerblichen Tätigkeit (Persönlichkeitsrecht i n seiner wirtschaftlichen Ausprägung; vgl. dazu S. 52 Note 133) schützen; so Helle, N J W 64, 1497; B G H Z 36, 77 — Waffenhändler — ; O L G Stuttgart, B B 63, 831; BaumbachHefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 109 u n d 144; Katzenberger, S. 36. Da die d e l i k tische Generalklausel des Rechts am Unternehmen wie gezeigt die Interessen an ungestörter gewerblicher Tätigkeit und am Unternehmen als Organisationswert, das Persönlichkeitsrecht der freien gewerblichen Tätigkeit n u r die Interessen an ungestörter gewerblicher Tätigkeit schützt, ist m i t Puttfarcken, GRUR 62, 500, 503, u n d Zitzeisberg er, S. 31, eine differenzierende Lösung v o r zuziehen: Das Recht am Unternehmen schützt die freien Berufe, sofern ein „Berufsbetrieb" vorhanden ist; das Persönlichkeitsrecht gewährt Schutz, sofern ein „Berufsbetrieb" fehlt. 156 v g l . g # 55 Note 151. Der Verletzungserfolg steht für den Interessenbereich des Verletzten. Ohne i h n w i r d i n der Regel die Frage nach der Rechtsw i d r i g k e i t einer Handlung nicht auftauchen. 157 Enneccerus-Nipperdey, 2. Halbbd., § 209 I V u n d V ; Hueck-Nipperdey, Grundriß, § 70 I V (S. 282 f.); Nipperdey i n Sitzler-Festschrift, S. 39ff.; zustimmend für das Recht am Unternehmen: Schippel, S. 69 ff. (mit Abwandlungen), und Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht I I , § 231 I I I 6 (S. 933 f.); ablehnend für das Recht am Unternehmen Katzenberger, S. 129 f.

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sozialen Zusammenlebens gestellt werden können" 1 5 8 . „Handlungen, die dieser allgemeinen sozialen Ordnung gemäß sind, die sich völlig innerhalb der geschichtlich gewordenen sozialethischen Ordnung des Gemeinschaftslebens bewegen und von ihr gestattet werden, sind sozialadäquat und daher nicht widerrechtlich 1 5 9 ." Gegen diese Auffassung ist vorgebracht worden, daß sie z. B. dem Recht am Unternehmen 1 6 0 und dem Persönlichkeitsrecht 161 eine neue Generalklausel vorschalte. Denn der Begriff der Sozialadäquanz sei nicht mehr als ein Hinweis, da er über das, was der allgemeinen sozialen Ordnung entspreche, nichts besage und da die soziale Ordnung auch nicht als etwas tatsächlich Gegebenes festgestellt, sondern eine sozialrechtliche Bewertung vorgenommen werden solle 1 6 2 . Dieser K r i t i k hat Nipperdey später 1 6 3 durch die Feststellung, daß der Begriff der Sozialadäquanz nichts anderes als ein „Breviloquenz für zulässige Verhaltensweisen" sei, den Boden entzogen. I m einzelnen führt er aus: „Man könnte sagen, daß er (der Begriff der Sozialadäquanz) der quintessenzartigen Umschreibung der Ergebnisse der Wertung des Konflikts der Interessen an der Erhaltung bestehender Rechtsgüter und der zur Schaffung neuer Rechtsgüter vorausgesetzten Handlungsfreiheit dient 1 6 4 ." Damit ist Nipperdey auf die Linie eingeschwenkt, die die Rechtsprechung beim Recht am Gewerbebetrieb mit der Güter- und Interessenabwägung verfolgt 1 6 5 . M i t dem Stichwort Interessenabwägung 166 ist nun der Weg gekennzeichnet, der hier beschritten werden soll. Er verläuft i n großer Nähe 158

Enneccerus-Nipperdey, 2. Halbbd., § 209 I V Β 2 b (S. 1295). Enneccerus-Nipperdey, 2. Halbbd., § 209 V (S. 1299). 160 Steindorff, JZ 60, 582, 583: Die Sozialadäquanz gebe i n Verbindung m i t dem Recht am eingerichteten u n d ausgeübten Gewerbebetrieb die Grundlage für eine Rspr., die so verfahre, als stehe i h r eine Generalklausel zur Verfügung oder die Befugnis zu, neue Verbotsnormen i m Sinne des § 823 Abs. 2 B G B zu schaffen. 161 Larenz, N J W 55, 521, 523. 162 Larenz, N J W 55, 521, 523. ics Nipperdey, N J W 67,1985,1992. 159

184 Nipperdey, a.a.O. I n Note 62 weist Nipperdey m i t Recht darauf hin, daß die Hypostasierung des Prinzips der Sozialadäquanz zu einem allgemeinen Rechtsprinzip, aus dem selbständig Wertgesichtspunkte zur Lösung von I n t e r essenkonflikten abgeleitet werden könnten, daher nicht zu billigen sei. Der Begriff der Sozialadäquanz umschreibt eben n u r das ,Ergebnis' der Wertung des Interessenkonflikts. 165 Nipperdey, a.a.O., spricht von „Wertung des Konflikts der Interessen" und zugleich von „Güterabwägung". Daß der Begriff der „Güterabwägung", wie i h n Nipperdey u n d die Rspr. gebrauchen, irreleitet und daher zu vermeiden ist, w i r d sogleich zu zeigen sein. 166 Eine Interessenabwägung befürworten, w e i l sie das Recht am U n t e r nehmen als generalklauselartigen Tatbestand betrachten: v. Caemmerer, S. 91 u n d S. 96; Zitzeisberg er, S. 38 f.; Larenz i n A n m . zu B G H i n A P Nr. 2 zu A r t . 5 Abs. 1 GG (Bl. 9, Rücks., u n d Bl. 10) — B l i n k f ü e r —; ders., Schuldrecht I I , 7. Aufl., §§ 66 I d u n d e; Nipperdey, N J W 67, 1985, 1988, 1992; Ulmer i n F I W -

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zu d e m v o n der Rechtsprechung u n d N i p p e r d e y v e r f o l g t e n u n d v e r sucht, i h n n u r i n R a n d g e b i e t e n z u b e r i c h t i g e n . Das gleiche g i l t f ü r d i e A u f f a s s u n g , die b e i E i n g r i f f e n i n das Recht a m U n t e r n e h m e n eine posit i v e oder m a t e r i e l l e P r ü f u n g der R e c h t s w i d r i g k e i t v e r l a n g t 1 6 7 . B e r e c h t i g u n g u n d N o t w e n d i g k e i t einer I n t e r e s s e n a b w ä g u n g ergeben sich aus der N a t u r a l l e r R e c h t s n o r m e n als E n t s c h e i d u n g v o n Interessenk o n f l i k t e n 1 6 8 . D e n n es ist die A u f g a b e der R e c h t s o r d n u n g , die N o r m e n z u setzen, nach denen der A u s g l e i c h v o n Interessengegensätzen e r f o l g e n k a n n . Oberster G r u n d s a t z , der d e n A u s g l e i c h der Interessen l e i t e n m u ß u n d m i t d e m zugleich d e m Z i e l des Rechts, der G e r e c h t i g k e i t , a m m e i s t e n g e d i e n t w i r d , ist der G r u n d s a t z der G l e i c h b e h a n d l u n g 1 6 9 . N a c h i h m s i n d gleiche Interessenlagen gleich, verschiedenartige aber i h r e r E i g e n a r t entsprechend verschieden zu b e h a n d e l n 1 7 0 . E n t h ä l t n u n die Rechtsordn u n g g e n e r a l k l a u s e l a r t i g e Tatbestände, so d e l e g i e r t sie (bzw. d e l e g i e r t der Gesetzgeber 1 7 1 ) z u r E r z i e l u n g größerer E i n z e l f a l l g e r e c h t i g k e i t u n d z u r B e w ä l t i g u n g u n v o r h e r s e h b a r e r I n t e r e s s e n k o n f l i k t e die e i g e n t l i c h i h r (bzw. i h m ) obliegende A u f g a b e des Interessenausgleichs auf d e n R i c h t e r 1 7 2 . D i e A r t der A u f g a b e u n d die M i t t e l , m i t denen sie e r f ü l l t w e r Schriftenreihe, Heft 20, S. 19; auch Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Einl. U W G 232 ist so zu verstehen, obwohl er, Allg. A n m . 106, davon ausgeht, daß das Recht am Unternehmen ein „sonstiges Recht" sei. Eine Interessenabwägung befürworten, w e i l sie das Recht am Unternehmen als inhaltlich beschränktes „sonstiges Recht" ansehen: Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 106 und 125; Reuß, AcP 156, 89, 101 ff.; Kraft, S. 173; Spengler, W u W 53, 195, 199 f.; Schippel, S. 6 u n d S. 66; Hubmann, ZHR 117, 41, 77 f.; iers. i n Anm. zu BGH, JZ 57, 751, 753 f. — Spätheimkehrer —; v. Richthofen, >. 42 ff.; Graßmann, S. 78; Polzius, S. 69; Bettermann, JZ 64, 601, 607; Tetzner, NJW 65, 725, 726; Helle, N J W 64, 1497 f. Kritisch zur Interessenabwägung beim Recht am Gewerbebetrieb — allerdings speziell i n Hinblick auf den Warentest — Nähme, N J W 65,1848,1849, und Bofinger, N J W 65,1833,1837. 107 Fikentscher i n Kronstein-Festgabe, S. 274 f.; Enneccerus-Lehmann, Schuldrecht I I , § 234 I 1 b (S. 941 f.); Lehmann i n A n m . zu O L G Hamburg, M D R 52, 295, 298 — Sonderinformationsdienst — ; Hefermehl, GRUR 62, 611, 614; v. Caemmerer, S. 91 und 99. I m übrigen wären hier auch einige der auf S. 58 f. i n Note 166 genannten Autoren zu nennen, da die Interessenabwägung eben eine materielle Bestimmung der Rechtswidrigkeit darstellt. 168 Kraft, S. 65, u n d BGH, N J W 55, 1276, 1278 — Magnettonband —. Hubmann, AcP 155, 85, 86 ff., leitet aus dem Gesetz eine Generalklausel der I n t e r essenabwägung unter Berufung auf zahlreiche Einzelvorschriften ab. 189 Hubmann, AcP 155, 85, 97; ders., Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., S. 159; ders. i n A n m . zu BGH, J Z 57, 751, 753 f. — Spätheimkehrer — ; Kraft, S. 65; Gallwas, S. 42 ff. und S. 52 ff. 170 Hubmann, AcP 155, 85, 97; ders., Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl., S. 159. 171 I n aller Regel delegiert der Gesetzgeber bei der Schaffung von Generalklauseln seine Aufgabe auf den Richter. Beim gewohnheitsrechtlich anerkannten Recht am Unternehmen muß man allerdings von einer Delegation durch die Rechtsordnung sprechen. 172 So ausdrücklich Fritz Werner, S. 20, u n d Bergmann, S. 97. Z u r Delegation der Entscheidungsgewalt des Gesetzgebers auf den Richter: Koehler, SJZ 46, 165, 166; Larenz, Methodenlehre, S. 251; K a r l Droste, D B 63, 719, 720; Zippelius,

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den kann, ändern sich dadurch nicht. Der einzige Unterschied liegt darin, daß der Richter bei der Wertung der Interessen stärker als der Gesetzgeber an die i n der Rechtsordnung bereits enthaltenen Wertentscheidungen gebunden ist. Gleichwohl w i r d der Unterschied durch den Grundsatz der Gleichbehandlung auf ein geringes Maß reduziert. Denn ihm zufolge kann sich auch der Gesetzgeber nicht ohne besonderen Grund über bereits getroffene Wertentscheidungen hinwegsetzen. Damit ist zugleich ein weiterer wichtiger Aspekt der Interessenabwägung angesprochen, der klarer zum Ausdruck kommt, wenn man statt Interessenabwägung das Wort Interessenwertung wählt. Denn es geht nicht nur um eine Gegenüberstellung der privaten, miteinander ringenden oder gemeinsam einem Ziel zustrebenden Interessen. Sie sind nur U r sache und Material jeder gesetzlichen Regelung und jeder richterlichen Tätigkeit 1 7 3 . Das Entscheidende ist die Wertung der Interessen sowie die Abwägung der einzelnen Wertungsfaktoren oder Vorzugselemente 174 . Die Interessenwertung und die Suche nach den einzelnen Vorzugselementen bleibt jedoch nicht dem Gerechtigkeitsgefühl des Richters überlassen. Vielmehr hat der Richter kraft seiner Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) die i m Recht enthaltenen Bewertungsfaktoren oder Vorzugselemente zu beachten 175 . Er muß sie entsprechend der zur Entscheidung stehenden Interessen i n der Gesamtrechtsordnung aufsuchen und aus den Zusammenhängen herauslösen 176 , u m sie zusammen mit anderen wieder i n den Zusammenhang der eigenen Entscheidung einzufügen. Es soll hier nun nicht der Eindruck entstehen, als entscheide der Richter nur nach dem Gesetz, ohne auf eine eigene Wertung zurückzugreifen. S. 71; Eckardt, S. 32 u n d 42. Auch die Auffassung, die die Interessenabwägung zur Begrenzung der subjektiven Rechte bemüht, läßt sich derart begründen: Die Rechtsordnung delegiert die Begrenzung auf den Richter, da sie diese nicht selbst vorgenommen hat. 173 Kraft, S. 23 ff. Die Interessen sind nicht Maßstab der i m Gesetz ausgesprochenen Wertung, was die Interessenturisprudenz nicht i m m e r k l a r unterschieden hat; vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 123 f. 174 D a r i n zeigt sich der Fortschritt der „Interessenjurisprudenz" zur „ W e r tungsjurisprudenz"; vgl. Larenz, a.a.O., S. 123 ff. 175 Westermann, Wesen u n d Grenzen, S. 21; Kraft, S. 47, spricht von „Nachvollzug der gesetzlichen Bewertung", und S. 86: Die Bewertung der Interessen sei der Gesamtrechtsordnung zu entnehmen; Rehbinder, S. 64, verweist auf die Bindung des Richters an das Gesetz nach A r t . 97 Abs. 1 GG; Zippelius, S. 71, spricht von der Bindung an die Interessenentscheidung des Gesetzgebers; Eckardt, S. 35, von der Bindung des Richters an die Wertungen u n d Zweckvorstellungen des Gesetzgebers. Das Problem außergesetzlicher Bewertungsgrundlagen, vgl. dazu Larenz, Methodenlehre, S. 128 ff., taucht i m Zusammenhang m i t der unternehmensschädigenden Äußerung nicht auf. 176 Hubmann, AcP 155, 85, 93. Nicht die i n einer N o r m enthaltene Gesamtwertung, sondern n u r die Bewertung eines Interesses (ein Bewertungsfaktor, ein Vorzugselement) ist aufzusuchen; vgl. Hubmann, a.a.O., S. 91.

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Denn das ist unmöglich, da dem Richter die Gesamtwertung, die A b wägung der einzelnen aus dem Gesetz gewonnenen Vorzugselemente nicht abgenommen werden kann 1 7 7 . Aber auf diese Weise ist die Entscheidung des Richters doch weitestgehend am Gesetz orientiert und vom Gesetz kontrolliert, mithin, soweit überhaupt möglich, nachvollziehbar und kontrollierbar. A u f die einzelnen, ebenfalls aus dem Gesetz zu gewinnenden Grundsätzen der Interessenabwägung wie die Rangordnung der Werte, die Bewertungsprinzipien des Sachverhalts und des menschlichen Verhaltens sowie auf die Grundsätze der Konfliktslösung kann hier nicht eingegangen werden. Insoweit w i r d auf die grundlegenden Untersuchungen Hubmanns und Krafts verwiesen 1 7 8 . Nur zwei Gesichtspunkte sind hervorzuheben. Einmal können nur solche Interessen bei der Interessenwertung berücksichtigt werden, deren Schutzwürdigkeit i n der Rechtsordnung anerkannt ist. Nicht geht es an, solche Interessen i n die Interessenwertung einzubeziehen, deren Schutzwürdigkeit i m Recht nirgends angesprochen w i r d 1 7 9 . Bei den durch das Recht am Unternehmen geschützten Interessen ergeben sich insoweit keine Schwierigkeiten, ihr Schutz ist gewohnheitsrechtlich und zudem verfassungsrechtlich (Art. 12, 14 GG) anerkannt 1 8 0 . Zum zweiten ist hervorzuheben, daß der Begriff der Güterabwägung den hier geschilderten Vorgang der Interessenwertung nur unzureichend bezeichnet 181 und zudem irreführt 1 8 2 . Er bezeichnet nur einen Aspekt der Interessenwertung, nämlich das abstrakte Rangverhältnis der Rechtsgüter zueinander. Aber dieses Wertverhältnis der Güter ist nicht allein entscheidend, eine ebensolche Bedeutung erlangt die rechtliche Bewertung der Beziehungen der Menschen zu diesen Gütern und deren Einbettung in den Sachverhalt 183 . Man sollte deshalb auf den Ausdruck 177 Sie läßt sich auch nicht durch die Prinzipien der Konfliktslösung u m gehen, da letztere erst nach der Gesamtwertung einsetzen können; vgl. Hubmann, AcP 155, 85,123 ff., u n d Kraft, S. 89. 178 Hubmann, AcP 155, 85 ff., und Kraft, S. 80 ff.; auch auf Rehbinder, S. 59 ff., kann verwiesen werden. 179 Kraft, S. 65 ff.; Hubmann, AcP 155, 85, 97 ff.; Rehbinder, S. 61. 180 Zitzeisberg er, S. 10; Larenz i n A n m . zu B G H i n A P Nr. 2 zu A r t . 5 Abs. 1 GG (Bl. 10, Rücks.) — B l i n k f ü e r — ; Nipperdey, DVB1 58, 445, 449 f. Die Rspr. fixiert den verfassungsrechtlichen Schutz des eingerichteten u n d ausgeübten Gewerbebetriebes i n A r t . 14 GG: RGZ 129, 146, 148; 139, 177, 182; BVerfGE 1, 265, 277; BVerfG, N J W 62, 100, 101; B G H Z 23, 157, 160 ff.; BGH, N J W 60, 1995; bayVfGH, W R P 61, 286. Arndt, N J W 64,1312, 1313 Note 21, meint, daß das Recht am Unternehmen verfassungsrechtlich nicht verbürgt sei; die verfassungsrechtliche Anerkennung der durch das Recht am Unternehmen geschützten Interessen w i r d er damit k a u m leugnen wollen. 181 Hubmann i n A n m . zu BGH, JZ 57, 751, 754 — Spätheimkehrer —. 182 Einem I r r t u m erliegt z. B. Reuß i n AcP 156, 89, 92, wenn er meint, daß die Interessenabwägung bei gleichwertigen Rechtsgütern versage. 183 Hubmann i n A n m . zu BGH, J Z 57, 751, 754 — Spätheimkehrer — ; ders., AcP 155, 85, 97; Rehbinder, S. 71.

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Güterabwägung verzichten und ihn durch die Begriffe Interessenabwägung oder — zutreffender — Interessenwertung ersetzen.

D. Die sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB)

I m Mittelpunkt dieser Vorschrift steht die Formel der „guten Sitten". Es fällt sofort die weite generalklauselartige Fassung der Norm auf, die an den gewohnheitsrechtlich entstandenen generalklauselartigen Unternehmensschutz erinnert, aber i m Gegensatz zu den eng begrenzten Tatbeständen der §§ 823 Abs. 1 und 824 BGB steht. Die deliktische Generalklausel des § 826 BGB dürfte aber nicht nur an den generalklauselartigen Deliktsschutz des Unternehmens durch das sogenannte Recht am Unternehmen erinnern, die beiden Normen müßten sich eigentlich in ihrer Eigenschaft als deliktische Generalklauseln i m Teilbereich des Unternehmensschutzes decken. Der Verweis auf die „guten Sitten" verschleiert jedoch vorerst, daß diese Vermutung zutrifft. Formeln wie die „guten Sitten", „die i m Verkehr erforderliche Sorgfalt", „die Maßstäbe des ordentlichen Kaufmanns" u. a. werden meist als „Wert- oder Würdigungsbegriffe" bezeichnet 184 . Die Einbeziehung der Bezeichnung „Begriff" führt dabei i n die Irre, was schon Hedemann 1 8 5 bei einer kritischen Betrachtung der „Flucht (des Gesetzgebers) i n die Generalklauseln" damit ansprach, daß man alle Erläuterungen dieser Begriffe auf eine Stufe mit jenen stellen dürfe, wonach A r m u t meistenteils von der Povertät herrühre. I n Wahrheit haben derartige Formeln nur verweisenden Charakter 1 8 6 , ein Sachverhalt kann unter sie nicht wie unter einen juristischen Allgemeinbegriff subsumiert werden 1 8 7 . Wohin aber verweisen solche Formeln, wohin verweist das Gesetz insbesondere mit der Formel der „guten Sitten"? Die Rechtsprechung ersetzte die Formel der „guten Sitten" nur m i t der anderen Formel „das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" 1 8 8 . Ob dagegen ver184 Strache, S. 68; Larenz, Methodenlehre, S. 179 f., spricht von „Wertbeurteilung", „ W e r t q u a l i t ä t " u n d „ W e r t p r ä d i k a t " als einem Tatbestandselement. 185 Flucht i n die Generalklauseln S. 68. 188 Hubmann, AcP 155, 85, 99: „Verweisung auf die Gesamtrechtsordnung, . . . a u f außerrechtliche Maßstäbe, . . . a u f die Kulturanschauung"; Larenz, Methodenlehre, S. 219: „Doppelte Hinweisfunktion . . . auf die objektiven Werte und auf die allgemeine Handlungs- u n d Urteilsweise"; Strache, S. 93: „ . . . ist die Identität zwischen rechtlichen Standard u n d sozialem Normalverhalten stets als Ziel aufgegeben"; Bergmann, S. 97, allerdings zu § 1 U W G : Er enthalte eine Delegationsnorm. 187 Strache, S. 71: A n w e n d u n g nicht i m Wege der Subsumption, sondern der Typenzuordnung; Larenz, Methodenlehre, S. 180: Nicht Subsumtion unter einen Sittenkodex, sondern Bewertung i m Einzelfall. 188 RGZ 48,114; RGZ 77, 421; B G H Z 20, 74. D a r i n liegt ebenfalls n u r eine Ver-

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stoßen werde, sei nicht ein für allemal feststehend, sondern dem Wandel der Zeiten und Anschauungen unterworfen 1 8 9 . Maßgebend sei die A n schauung der Allgemeinheit 1 0 0 . Eingeschränkt w i r d der Verweis auf die Anschauung der Allgemeinheit damit, daß eine i n bestimmten Kreisen üblich gewordene Unsitte den Richter nicht zu binden vermag 1 9 1 . Das bedeutet, daß eine eigene Wertung verlangt, derVerweis auf außerrechtliche Gegebenheiten nicht durchgehalten wird. Dem entspricht es, wenn Larenz 1 9 2 derartigen Wertbegriffen einen Hinweis auf die „allgemeine Handlungs- und Urteils weise" entnimmt oder Strache 193 eine Relation zur sozialen, vorrechtlichen Realität herstellt, beide aber keineswegs die rechtliche Beurteilung „ i n einer A r t seismographischen Feststellung der aktuell vorherrschenden Auffassungen und Verhaltensweisen" 1 9 4 enden lassen. Denn nach Larenz kann der Richter die Maßstäbe der „herrschenden Moral", der „allgemeinen Urteils- und Handlungsweise" nur insoweit anwenden, als sie mit den Grundprinzipien unserer Rechtsordnung vereinbar sind 1 9 5 . Und nach Strache 196 erfährt die soziale Ordnung nicht einfach mit ihrer bloßen Existenz zugleich die Legitimation als rechtlich verbindlicher Maßstab, sondern nur insoweit, als sie dem tradierten rechtlichen Standard zugeordnet werden kann. Auch das BVerfG 1 9 7 hält am Verweis auf „die Anschauungen der anständigen Leute davon, was i m sozialen Verkehr zwischen den Rechtsgenossen sich gehört", fest. Zum zweiten wählt es einen anderen A n satz und hebt hervor, daß diese Anschauungen „— i n gewissen Grenzen — auch durch rechtliche Gebote und Verbote beeinflußt werden". Die Folgerungen aus dem zweiten Ansatz bleiben jedoch unklar, da es scheint, als werde er mitsamt dem ersten verlassen, als diene das Stichworte „rechtliche Gebote und Verbote" nur dazu, eine Güter- und Interessenabwägung anhand der „grundsätzlichen Wertentscheidungen und Weisung, vgl. Rinck i n O L G Celle-Festschrift, S. 161, und Meyer-Cording, JZ 64, 273, 275. Eine Zusammenstellung dessen, was die Rspr. unter den „guten Sitten" verstanden hat, gibt Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 377 Note 103. 189 RG Seuff A 79, 218. 190 RGZ 150, 4. 191 RGZ 104, 330; 120,148; B G H Z 30, 7,15. 192 Methodenlehre, S. 219; ders., Allg. Teil, § 28 I I I (S. 430) m i t einem V e r weis auf die „herrschende M o r a l " über soziale Verhaltensanforderungen. 193 S. 93. 194 Strache, S. 94. 195 So Allg. Teil, § 28 I I I (S. 431). I n der Methodenlehre, S. 219 f., spricht Larenz davon, daß „die allgemeine Urteils- u n d Handlungsweise" darauf überprüft werden müsse, ob sie m i t den „sittlichen Grundsätzen", so wie sie „ i m allgemeinen Rechtsbewußtsein lebendig sind", vereinbar seien. 196 S. 95. 197 BVerfG, JZ 58,119,122 f. — L ü t h —.

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

sozialen Ordnungsprinzipien", die i m Grundrechtsabschnitt der Verfassung enthalten sind, anknüpfen zu können. Daß gleichwohl die Ausgangsfrage nach den „guten Sitten" weiterhin die Grundlage der Überlegungen darstellt, beweist die Prüfung der Sittenwidrigkeit des Boykottaufrufs des Senatsdirektors Lüth, die „nach diesen Maßstäben" zu beurteilen sei. Bevor jedoch den hier anscheinend verdeckten Urteilsgründen nachgegangen wird, sind zwei Ergebnisse zu gewinnen, die sich bisher andeuten. Wenn das B V e r f G 1 9 8 feststellt, daß es sich bei den „guten Sitten" „nicht um irgendwie vorgegebene und daher (grundsätzlich) unveränderliche Prinzipien reiner Sittlichkeit" handele, und wenn statt dessen auf die soziale Ordnung 1 9 9 verwiesen wird, so muß hieran angeknüpft und unbedingt der Assoziation vorgebeugt werden, die der Vorwurf der Sittenwidrigkeit beim schnell und bereitwillig verurteilenden Zeitgenossen zu erzeugen vermag 2 0 0 . Die Zivilrechtsordnung w i l l nicht menschliches Handeln m i t aus moralischen und ethischen Kategorien zu gewinnenden Maßstäben messen und daraus „Vorwürfe" ableiten 2 0 1 . Sie w i l l nur den Widerstreit der Interessen ordnen und regeln. Dabei enthält § 826 BGB (neben § 138 BGB) „ein Hauptkampfmittel, um gewisse Grundprinzipien unserer Rechts- und Wirtschaftsordnung, die sich nicht starr, sondern nur elastisch i n einer allgemeinen Regel festlegen lassen, gegen Angriffe zu wahren" 2 0 2 . Überall dort, wo die i n eng begrenzte Tatbestände gefaßten Interessenentscheidungen des Gesetzgebers nicht zutreffen oder versagen müssen, soll ein Tatbestand wie § 826 BGB zusammen mit anderen ähnlichen Regeln dem Richter zur erforderlichen Interessenentscheidung verhelfen. Dann kann ein Verstoß gegen die „guten Sitten" nicht nur bei unmoralischem und unanständigem Verhalten gegeben sein, sondern auch und vor allem dann, wenn ein Verhalten objektiv gegen die Grundsätze unserer Rechtsordnung verstößt 2 0 3 . we BVerfG, JZ 58,119,122 — L ü t h —. 199 Ä h n l i c h Larenz, A l l g . Teil, § 28 I I I (S. 430): Bei der „herrschenden M o r a l " handele es sich nicht u m die E t h i k i m strengen Sinn, sondern u m soziale V e r haltensanforderungen ; Strache, S. 93, verweist auf das „soziale Normalverhalten". Deutlich w i r d dieser Aspekt noch einmal bei der Bestimmung der S i t tenwidrigkeit i n § 1 U W G ; vgl. unten S. 74 ff. 200 Z u m „ V o r w u r f " u n d „ M a k e l der Sittenwidrigkeit" vgl. die S. 39 Note 53 Genannten. 201 Enneccerus-Nipperdey, 2. Halbbd., § 1911 (S. 1164 Note 6): „Es kann keine Rede davon sein, daß i n allen Fällen, i n denen ein Verstoß gegen § 138 (oder § 826) angenommen wurde (und angenommen werden muß), ein moralisches Vorwurfselement vorliegt." 202 Enneccerus-Nipperdey, a.a.O. 203 Dietz, JuS 68, 1, 5, ohne Begründung, aber unter Berufung auf Enneccerus-Nipperdey, a.a.O.

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Des weiteren zeigen alle Versuche, ein sinngerechtes Verständnis der „guten Sitten" zu erreichen, daß das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden", so oft es auch i n dieser Form oder i n ähnlichen Formulierungen angesprochen wird, nicht bei der Einzelfallösung weiterzuhelfen vermag. Denn diese Anschauungen sind noch nie für eine gerichtliche Entscheidung etwa durch eine Befragung ermittelt worden. Und diese Anschauungen werden auch, wie gezeigt, nicht als entscheidend angesehen. Denn nach der Rechtsprechung vermag eine tatsächlich geübte Unsitte den Richter nicht zu binden 2 0 4 . Und nach Larenz 2 0 5 und Strache 206 sind letztlich nur entscheidend „die Grundprinzipien unserer Rechtsordnung" oder der „tradierte rechtliche Standard", an denen „die allgemeine Urteils- und Handlungsweise" oder die „soziale Ordnung" jeweils zu messen sind. Schließlich können diese Anschauungen auch nicht entscheidend sein, da die Normen des § 826 BGB m i t dem Verweis auf die „guten Sitten" neben anderen ähnlichen Normen dem Richter eine Interessenentscheidung anhand der gesetzlichen Vorzugselemente oder Bewertungsfaktoren i n den Fällen ermöglichen soll, i n denen die Interessenwertungen des Gesetzgebers nicht zutreffen oder versagen. Nur eine Funktion vermögen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden", „die herrschende Moral" oder „die Anschauungen der anständigen Leute" zu erfüllen. Sie sind als Alarmzeichen i n all den Fällen zu begreifen, i n denen die i n festgefügten und engbegrenzten gesetzlichen Tatbeständen enthaltenen Interessenentscheidungen nicht mit diesen Anschauungen übereinstimmen. Hier muß sich der Richter alarmiert und veranlaßt fühlen, eine i n einem Tatbestand typisierte Interessenwertung noch einmal selbständig nachzuprüfen oder eine überhaupt noch nicht vorhandene Interessenentscheidung selbst zu treffen. So stellt sich zuletzt die Frage nach den Maßstäben einer solchen richterlichen Nachprüfung. Sie sind schon i m Vorhergehenden beiläufig und bei der Frage nach der Rechtswidrigkeit einer nach der deliktischen (Teil-) Generalklausel des Rechts am Unternehmen zu beurteilenden Handlung entscheidend angesprochen worden 2 0 7 . Auch, oder zutreffender, erst recht und schon vor der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des generalklauselartigen Unternehmensschutzes durch das Recht am Unternehmen hat der Gesetzgeber für Fälle der unerlaubten Handlung dem Richter die eigentlich i h m obliegende Aufgabe der Interessenschlichtung delegiert 2 0 8 . Der Gesetzgeber konnte und durfte nicht anders handeln, wenn er nicht die Tatsache außer acht lassen wollte, daß nicht alle Inter204 205 206 207 208

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Vgl. S. 63 Note 191. Vgl. S. 63 Note 195. Vgl. S. 63 Note 196. Vgl. S. 57 ff. Z u r Delegation der Interessenschlichtung auf den Richter vgl. S. 59 f.

Köller

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

essenkonflikte, die das Leben latent bereithält, vorhersehbar und kalkulierbar sind. Das gilt um so mehr, als der Gesetzgeber glaubte, nicht darauf verzichten zu können, typische unerlaubte Handlungen i n die Form unrechtsindizierender Tatbestände zu kleiden. Aus der Delegation der Interessenschlichtung auf den Richter folgt nun, daß der Richter, wie es für die materielle Prüfung der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs i n das Recht am Unternehmen dargelegt wurde 2 0 9 , eine Interessenwertung mit Hilfe der i n der Rechtsordnung an den verschiedensten Stellen enthaltenen Vorzugselemente oder Bewertungsfaktoren vorzunehmen hat, u m die Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit einer Handlung festzustellen, die das Gesetz mit einem Verstoß gegen die „guten Sitten" oder einem Handeln gemäß den „guten Sitten" umschreibt 210 . Einerseits läßt sich nun mit diesem Ergebnis die Argumentation des BVerfG i m L ü t h - U r t e i l 2 1 1 , deren Brüchigkeit Anlaß zu Zweifeln und der Frage nach verdeckten Urteilsgründen gab, vervollständigen. Die Interessenabwägung zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit des Boykotts erfolgte zu Recht, ohne daß hier schon die Frage nach dem Einfluß der „grundsätzlichen Wertentscheidungen und sozialen Ordnungsprinzipien" des Grundrechtsabschnitts der Verfassung entschieden werden muß. Andererseits fordert dieses Ergebnis K r i t i k heraus, die auch schon dem Lüth-Urteil nicht erspart geblieben ist 2 1 2 . Gemeint ist hier insbesondere die erstaunliche Feststellung, daß das Urteil der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs i n das Recht am Unternehmen dem nach § 826 BGB zu treffenden Urteil der Sittenwidrigkeit entspricht. Die daran möglicherweise anzuknüpfende K r i t i k verfehlt jedoch die historische Entwicklung der juristischen Betrachtung. Ihr w i r d man gerechter, wenn man feststellt, daß der Tatbestand des Unternehmensschutzes sich zu einer den § 826 BGB überlagernden Generalklausel entwickelt hat, die zwar dogmatisch und rechtspolitisch fragwürdig ist, aber durch die Einwände 209

Vgl. S. 57 ff. Eine Interessenabwägung zur Konkretisierung des Maßstabes der „guten Sitten" i n § 826 B G B befürworten: Hubmann, A c P 155, 85, 87 f. u n d 99 f.; K ö r ner, S. 10; widersprüchlich Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 118 f. und S. 120; Gallwas, S. 63: Die Generalklauseln des Zivilrechts forderten j e weils zu Interessenabwägungen auf. 211 BVerfG, J Z 58,119,122 f. 212 z. B. Nipperdey, DVB1 58, 445, 450: Daß L ü t h nicht gegen die guten Sitten verstoßen habe, sei durchaus einleuchtend. Der Boykottaufruf stelle vielmehr einen unmittelbaren Eingriff i n den Gewerbebetrieb der Filmgesellschaften dar. Nipperdey übersieht jedoch, daß das Landgericht, dessen U r t e i l m i t der Verfassungsbeschwerde angegriffen wurde, die Verurteilung des Beschwerdeführers L ü t h auf § 826 B G B gestützt hatte (vgl. BVerfG, J Z 58, 119, 122). Schon deswegen konnte das BVerfG nicht eine andere Anspruchsgrundlage wählen, wenn es sich nicht die Befugnisse einer „Superrevisionsinstanz" anmaßen wollte. 210

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und Bedenken der Lehre nicht mehr beseitigt werden kann 2 1 3 . Doch ist damit erst eine Seite angesprochen. Denn die Entwicklung des Unternehmensschutzes mußte zumindest i n der Zeit gerechtfertigt sein, da man noch eher geneigt war, unter den „guten Sitten" ethische oder moralische Kategorien zu verstehen. Aber diese Rechtfertigung mußte immer weitgehender versagen, je mehr man von einer Berücksichtigung ethischer oder moralischer Kategorien abzugehen bereit war. Trotz dieses ,Ineinanderrückens' des Rechtsschutzes hat auch heute noch der Unternehmensschutz durch das Recht am Unternehmen eine Berechtigung, da er i n seiner gewohnheitsrechtlichen Ausprägung anders als § 826 BGB auch fahrlässige Schädigungen erfaßt 2 1 4 .

2. Abschnitt: Die Tatbestände des Wettbewerbsrechts A. Die Tatbestände des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb

Obwohl das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb nach einer erst allmählich vollzogenen Abkehr von einer rein individualrechtlichen zu einer sozialrechtlichen Auffassung des Wettbewerbsrechts nicht nur dem Schutz der Mitbewerber untereinander, sondern ebenso auch dem Schutz der sonstigen Marktbeteiligten und der Allgemeinheit dient 1 und obwohl der Schutzgegenstand des Gesetzes mit dem Schutz des Unternehmens nicht ausreichend umschrieben ist 2 , kann eine Arbeit, die sich mit dem Spannungsverhältnis des Äußerungsschutzes und des Unternehmensschutzes auseinandersetzt, das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb nicht ausklammern. Denn einmal ist i m Schutz der M i t bewerber auch der Unternehmensschutz mitenthalten, zum anderen stellen zahlreiche Wettbewerbsverstöße auch Unternehmensverletzungen dar und schließlich werden die Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb häufig bemüht, um einen Rechtsschutz des Unternehmens zu erreichen. 213 So Kubier i n A n m . zu BGH, JZ 67, 174, 178 — Höllenfeuer — ; ders., W i r t schaftsordnung, S. 20 Note 53, wo K ü b l e r sogar so weit geht, § 826 B G B i m Bereich des Gewerbeschutzes als durch die Generalklausel des Rechts am Unternehmen verdrängt anzusehen. 214 A u f die Verschuldensvoraussetzungen soll auch hier nicht weiter eingegangen werden, da die Fragen der Meinungsäußerungsfreiheit u n d des U n t e r nehmensschutzes auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit zu lösen sind. 1 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 71 u n d Einl. U W G 34 f.; Brinkmann, W R P 63, 268, 269. 2 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Einl. U W G 36 ff., u n d Fikentscher, W e t t bewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 226. Beide Autoren gehen aber davon aus, daß das U W G auch dem Unternehmen Schutz gewährt.

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

I. U n e r l a u b t e

Werbung

(§3UWG)

Die Sachverhalte, die § 3 UWG unterfallen und i m wesentlichen mit Irreführung überschrieben werden können, sind äußerst vielfältig 3 , brauchen hier jedoch i m einzelnen nicht erörtert zu werden. Auch eine Erläuterung der einzelnen Tatbestandsmerkmale erübrigt sich mit Ausnahme eines Hinweises darauf, was unter „unrichtige Angaben" zu verstehen ist. Denn es soll nur ,die Unwahrheitsgrenze' für unternehmensschädigende Äußerungen i m Wettbewerb, insbesondere auch für die vergleichende Werbung 4 aufgezeigt werden, die sich aus § 3 UWG und zusätzlich aus den §§ 14,15 U W G ergibt. Unter „unrichtigen Angaben" ist nun das zu verstehen, was hier für die unwahre Tatsachenbehauptung in § 824 BGB dargelegt wurde 5 . Nur objektiv nachprüfbare Aussagen können Angaben i. S. des § 3 UWG sein. Führt das Ergebnis der Nachprüfung zur Unrichtigkeit, so sind derartige Aussagen allerdings nur unter der weiteren Voraussetzung verboten, daß sie geeignet sind, den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorzurufen. II. A n s c h w ä r z u n g

(§14UWG)

Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift für unternehmensschädigende Äußerungen i m Wettbewerb ist größer und weiter als der der vorhergenannten. Denn es sind unwahre Tatsachenäußerungen erfaßt, die das Erwerbsgeschäft eines anderen, die Person des Inhabers oder Leiters des Geschäfts, die Waren oder gewerblichen Leistungen eines anderen betreffen und die geeignet sind, den Betrieb des Geschäfts oder den Kredit des Inhabers zu schädigen. Es fällt sogleich die Nähe dieser Regelung zu der des § 824 BGB auf. So kann auch zumindest für den Begriff der Tatsache auf die i m Zusammenhang m i t § 824 BGB dargelegten Grundsätze verwiesen werden 6 . I m übrigen gilt es aber die Unterschiede zu § 824 BGB herauszustellen. So ist in erster Linie für § 14 UWG ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs erforderlich 7 . Und anders als i n § 824 BGB hat bei § 14 Abs. 1 U W G der Verletzer die Unrichtigkeit der behaupteten Tatsache zu beweisen. Deshalb ist es bei einem Angriff i n Wettbewerbsabsicht für den Verletzten günstiger, seine Klage auf § 14 UWG und nicht auf § 824 BGB zu stützen 8 . 3

Vgl. dazu Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 65 ff. zu § 3 UWG. Dazu erst S. 295. Vgl. S. 32 ff.; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 6 zu § 3 U W G ; Tetzner i n A n m . zu O L G Bremen, J Z 62, 275, 276. 8 S. 32 ff., vgl. auch Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 3 ff. zu § 14 U W G . 7 Darauf soll erst unten S. 83 ff. bei der Behandlung der wettbewerblichen Generalklausel eingegangen werden. 8 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Übersicht 5 vor §§ 14,15 UWG. 4

5

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: Das einfache Gesetzesrecht

Besonderheiten ergeben sich nach § 14 Abs. 2 UWG bei vertraulichen Mitteilungen, an denen der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung ein berechtigtes Interesse hat. Ein Unterlassungsanspruch ist dann nur gegeben, wenn die Tatsachen der Wahrheit zuwider behauptet oder verbreitet sind (§ 14 Abs. 2 S. 1 UWG). Der Verletzte muß also die Unwahrheit beweisen, wenn der Verletzer sich auf die Vertraulichkeit der Mitteilung und ein berechtigtes Interesse beruft 9 . Ein Anspruch auf Schadensersatz kann i n diesem Fall nur geltend gemacht werden, wenn der Äußernde die Unwahrheit seiner Mitteilung gekannt hat oder kennen mußte (§ 14 Abs. 2 S. 2 UWG). M i t dem Abstellen auf ein berechtigtes Interesse eröffnet das Gesetz in diesem klar gefaßten und eng umgrenzten Tatbestand ebenso wie i n § 824 Abs. 2 BGB erstaunlicherweise einen Raum, i n dem wieder, eine, allerdings i n ihrem Anwendungsbereich beschränkte, Interessenwertung vorgenommen werden kann 1 0 . Wenn Wenzel 11 für eine Anwendung des § 14 Abs. 2 UWG keinen Raum sieht, weil, wer zu Zwecken des Wettbewerbs handele, keine berechtigten Interessen wahrnehme, und weil, wer berechtigte Interessen wahrnehme, nicht zu Zwecken des Wettbewerbs handele, so ist dem entgegenzuhalten, daß sich wahrgenommene Interessen in aller Regel nicht ausschließen, sondern sich verstärken oder nach einem Ausgleich verlangen 12 . Wenn Hefermehl 1 3 ausführt, daß berechtigte Interessen auch fremde Interessen seien, die die Tagespresse wahrnehme, wenn sie über A n gelegenheiten berichte, an denen ein ernsthaftes Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestehe, so ist das i n diesem Zusammenhang zweifelhaft. Denn auf eine Interessenwahrnehmung kann sich die Presse nach diesem Tatbestand, der ausdrücklich von vertraulichen Mitteilungen ausgeht, nur berufen, wenn sie vertraulich informiert. Aber auch als M i t teilungsempfänger vertraulicher Informationen w i r d sich die Presse nicht auf die Wahrnehmung eines berechtigten Informationsinteresses 9

BGH, GRUR 60,135 — Druckaufträge —. Das ergibt sich schon aus der Prüfung der Frage, ob ein Interesse berechtigt ist; vgl. S. 38. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 29 zu § 14 U W G , berührt die Interessenabwägung, wenn er verlangt, daß der Handelnde sein Interesse gegen den durch den A n g r i f f drohenden Nachteil abwägen müsse. 11 W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 135 f. 12 Bei der Erörterung des § 1 U W G (unten S. 76 ff.) u n d insbesondere der v e r gleichenden Werbung (S. 302 f.) w i r d sich zeigen, daß eine berechtigte I n t e r essenwahrnehmung m i t dem Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs durchaus vereinbar ist. Daß auch die Rspr. auf diesem Standpunkt steht, folgt aus der Anerkennung eines Werbevergleichs i n Wahrnehmung berechtigter Interessen (vgl. die Hinweise oben S. 21 f.). 13 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 30 zu § 14 UWG. Die Berufung Hefermehls auf B G H Z 31, 308 — Burschenschaften — geht zumindest insoweit fehl, als dort nicht ein Wettbewerbsfall und insbesondere nicht ein F a l l des § 14 Abs. 2 U W G entschieden worden ist. 10

2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

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der Öffentlichkeit berufen können. Denn i n § 14 Abs. 2 UWG gibt das Gesetz zu erkennen, daß es Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind und i n aller Kegel auch nicht an die Öffentlichkeit gelangen, für weniger schädlich und deshalb schutzwürdiger hält. Dieser Interessenregelung widerspricht die Anerkennung eines berechtigten Informationsinteresses der Öffentlichkeit. Bestärkt w i r d dieses Ergebnis dadurch, daß bei einer anderen Auslegung unverständlich wäre, warum das Gesetz auf vertrauliche Mitteilungen und berechtigte Interessen abstellt, obwohl dann das Nennen berechtigter Interessen genügt hätte. III. G e s c h ä f t l i c h e Verleumdung (§§ 15 UWG, 823 Abs. 2 BGB) Anders als § 14 U W G behandelt § 15 UWG als Strafrechtsnorm nur die Betriebs-, nicht auch die Kreditgefährdung. Wesentliche Unterschiede ergeben sich dadurch nicht, da eine Betriebsgefährdung regelmäßig auch den Kredit gefährden w i r d 1 4 . Der Tatbestand verlangt das Verbreiten oder Behaupten einer unwahren Tatsache wider besseres Wissen, ohne daß ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs erforderlich ist. § 15 UWG nähert sich damit der strafrechtlichen verleumderischen Kreditgefährdung 1 5 . Er ist ebenso wie § 187 StGB Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB 1 6 . Eine Erörterung dieser Vorschrift i m weiteren Verlauf der A r beit erübrigt sich, da § 15 UWG in Anbetracht der engen tatbestandlichen Voraussetzungen nur geringe theoretische und ebensowenig praktische Bedeutung für unternehmensschädigende Äußerungen zukommt. IV. D i e

wettbewerbliche ( § 1 UWG)

Generalklausel

1. I m Mittelpunkt dieser Norm und deswegen, weil sie das gesamte Wettbewerbsrecht beherrscht, auch i m Mittelpunkt des Wettbewerbsrechts steht wiederum die Formel von den „guten Sitten". Obwohl die Formel von den „guten Sitten", wie sie i n § 826 BGB auftaucht, bereits erörtert und als Auftrag an den Richter verstanden worden ist, die eigentlich sonst dem Gesetzgeber obliegende Aufgabe der Interessenschlichtung wahrzunehmen, muß hier erneut eine Lösung versucht werden. Denn einmal existiert eine überquellende Literatur zum Problem der „guten Sitten" speziell i m Wettbewerbsrecht, m i t der sich die Erörterungen zu § 826 BGB keineswegs messen können und deren Ergeb14

Baumbach-Hefermehl, Baumbach-Hefermehl, oben S. 31. 16 Baumbach-Hefermehl, 15

9. Aufl., A n m . 1 zu § 15 UWG. a.a.O. Z u r verleumderischen Kreditgefährdung vgl. 9. Aufl., A n m . 9 zu § 15 UWG.

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: Das einfache Gesetzesrecht

nisse noch vielfältiger sind als die zu § 826 BGB. Zum anderen w i r d einhellig die Meinung vertreten, daß die Formel von den „guten Sitten" i m Wettbewerbsrecht einen anderen Inhalt erhalten müsse als außerhalb des Wettbewerbs 17 . a) Eine Ansicht, die zu § 826 BGB nicht mehr vertreten wird, hat sich i m Wettbewerbsrecht vereinzelt und i n unterschiedlichen Abwandlungen noch gehalten. So geht von Godin 1 8 davon aus, daß „die guten Sitten" auf die geübten und tatsächlich als gut anerkannten Sitten 1 9 , auf die „Konventionalnorm" 2 0 verweise. Denn der A r t i k e l lasse darauf schließen, daß der Gesetzgeber ganz bestimmte, feststellbare Sitten gemeint haben müsse. A u f den ethischen Maßstab der Sittlichkeit sei nicht abgestellt, da er nicht faßbar sei und sich nicht konkretisieren lasse. Seien zwei als ,gut' anerkannte Sitten i n Gebrauch, so dürfe nicht der strengeren der Vorzug gegeben werden, auch könne nicht eine Interessenabwägung helfen. Es könne vielmehr nur die kulturelle Entwicklung entscheiden, welche von zwei sich gegenüberstehenden guten Sitten sich durchsetze. M i t dem Einwand, so gelange man zur „Entsittlichung der guten Sitten", zur „Entthronung der E t h i k " 2 1 , läßt sich diese Ansicht nicht entkräften. Ihre Mängel geben eher die Verbesserungen zu erkennen, die Rinck 2 2 bei gleichem Ausgangspunkt vorzunehmen versucht. Er glaubt anhand der Rspr. nachweisen zu können, daß i m Wettbewerbsrecht der kaufmännische Standesbrauch ohne moralisches Werturteil entscheide 23 . Werde ein Standesbrauch einmal lax oder verletze er ethische Gebote so habe das Sittengesetz den Vorrang 2 4 . Dann folgt ein dunkler Hinweis darauf, 17 Was nicht den Weg zu einem einheitlichen Ansatzpunkt der Lösung verschließt; vgl. etwa Eichmann, S. 41 f.: Da man m i t der Generalklausel dem i n § 826 B G B angesprochenen Grundsatz eine besondere Richtung auf das Gebiet des unlauteren Wettbewerbs habe geben wollen, seien zur historischen Auslegung des Begriffs der guten Sitten auch die zu den §§ 138 u n d 826 B G B v o r mals entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Auch Larenz, Methodenlehre, S. 179 f. u n d S. 219 ff., u n d Strache, S. 68 ff. u n d 92 ff., gehen bei der Behandlung der „Wertbegriffe" von einem einheitlichen Ansatz aus, den sie sogar bis zur theoretischen Lösung durchhalten. 18 von Godin, GRUR 66, 127. Gegen diese Auffassung ausdrücklich Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 51 ff. Einl. U W G ; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 109 f.; Eichmann, S. 44, u n d Katzenberger, S. 117. 19 von Godin, a.a.O., S. 129. 20 von Godin — Hoth, A n m . 8 zu § 1 UWG. 21 Meyer -Cording, J Z 64, 273, 276. 22 I n O L G Celle-Festschrift S. 151 ff. 23 Rinck, a.a.O., S. 170 f. u n d S. 173 (Zusammenfassung unter 2.). Den kaufmännischen Standesbrauch Rincks k a n n man als partielle Verkehrssitte bezeichnen. 24 Rinck, a.a.O.: Dies sei ständiger Gerichtsgebrauch, möglicherweise schon Gewohnheitsrecht.

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

daß neben den Wertvorstellungen der Konkurrenten und der Allgemeinheit auch die Auffassungen und Interessen des Kunden abzuwägen seien 25 . Damit sind die Hauptprobleme angeschnitten, die entstehen und immer entstehen müssen, wenn man den Wortlaut i n den Vordergrund stellt. Man muß denkbaren „Unsitten" ausweichen, und man muß divergierende Ansichten vereinen oder einer von ihnen den Vorzug geben. b) M i t Rincks ablehnendem Hinweis auf die Gebote der Sittlichkeit eröffnet sich der Weg zu der weiteren Auffassung, die bevorzugt auf die „Sittlichkeit" einer Wettbewerbshandlung abstellt 2 6 . Die Generalklausel des § 1 UWG sei i n ihrem Kern ethisch fundiert 2 7 . Grundlage des Unwerturteils über Wettbewerbshandlungen sei die Sittlichkeit i m Sinne eines ethischen Sollens 28 . Die Ermittlung dessen, was unsittlich bzw. unlauter sei, verlange ein sozialethisches Werturteil 2 9 . Dieser Ansicht bleibt freilich nicht verborgen, daß die Gebote der Sittlichkeit nicht derart existent sind, daß man unter sie nur zu subsumieren habe 30 . Vielmehr w i r d der berechtigten Frage nachgegangen, wie die Gebote der Sittlichkeit sich manifestieren und wie sie zu ermitteln sind. Die Wege, die dabei beschritten werden, sind vielfältig, uneinheitlich und meist widersprüchlich. Meyer-Cording 3 1 geht aus von der „traditionellen Sittlichkeit". Denn i n unserer westeuropäischen christlich-humanistischen K u l turgemeinschaft gebe es derartige übereinstimmende Wertvorstellungen und damit Wertmaßstäbe, die faktisch anerkannt seien und ihren Niederschlag i n der Sitte, der Moral und dem allgemeinen Rechtsbewußtsein gefunden hätten. Damit greift Meyer-Cording doch zu der von i h m angefochtenen Weiterverweisung 3 2 , da sich der von i h m anvisierte ethische Standard nicht materiell definieren läßt. 25

Rinck, a.a.O., S. 166 f. u n d S. 173 (Zusammenfassung unter 3.). Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 51 ff Einl. U W G ; Fikentscher, W e t t bewerb u n d gewerblicher Rechtsschutz, S. 109 f.; K a r l Droste, D B 63, 719, 721; ders., W R P 64, 300; ders., W R P 65, 36 f.: S i t t e n w i d r i g seien amoralische, verwerfliche, ethisch nicht zu billigende Handlungen; grob unanständige H a n d lungen seien n u r gewohnheitsrechtlich unerlaubt; Steindorff i n S u m m u m ius, summa iniuria, S. 58 ff., insbesondere S. 70 : Einhellig sittenwidrig seien I r r e leitung u n d Feindseligkeiten; Hartmann, N J W 63, 517, 520; Meyer-Cording, JZ 64, 273, 277 f.; liiert, S. 34. 27 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 53, Einl. UWG. 28 Fikentscher, Wettbewerb u n d gewerblicher Rechtsschutz, S. 109 f. 29 Meyer-Cording, a.a.O. 30 Larenz, Methodenlehre, S. 180: Der Richter könne die Entscheidung nicht aus einem Sittenkodex i m Wege der Subsumtion, sondern n u r mittels einer eigenen Bewertung finden. 31 Meyer-Cording, JZ 64, 273, 277. 32 a.a.O., S. 275: Es dürfe nicht formalistisch auf den Kreis der b i l l i g u n d gerecht Denkenden verwiesen werden. Diese Auffassung definiere nicht materiell den gesuchten ethischen Standard. 28

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: Das einfache Gesetzesrecht

Wenn überhaupt, so sind die Gebote der Sittlichkeit nicht i m Sinne eines nur aufzuschlagenden Sittenkodex, sondern nur mittelbar i n üblichen Anschauungen und Verhaltensweisen faßbar. Das meinten schon die Stellungnahmen, die bei § 826 BGB auf die „Anschauungen der billig und gerecht Denkenden" verwiesen, und das meinen auch die Stimmen i m Wettbewerbsrecht, die auf das Anstandsgefühl des verständigen und anständigen Durchschnittsgewerbetreibenden und auf die Auffassung der Allgemeinheit, gemessen an den Anschauungen des vernünftigen Durchschnittsmenschen, abstellen 33 . So einleuchtend dieser Weg i m ersten Moment erscheint, um so mehr Schwierigkeiten eröffnen sich bei näherem Zusehen. Die Auffassungen der Durchschnittsgewerbetreibenden können eine „Unsitte" enthalten 3 4 , die Auffassungen der Durchschnittsgewerbetreibenden können i n sich widerspruchsvoll sein oder den eventuell ebenfalls i n sich widerspruchsvollen Auffassungen der Allgemeinheit widersprechen. Der Rat, i n solchen Fällen auf die Gebote der Sittlichkeit selbst zurückzugreifen, zieht einen ,circulus vitiosus' 3 5 . Der strengeren 36 oder den Auffassungen der Allgemeinheit 3 7 den Vorzug zu geben, sichert keine zutreffenden Ergebnisse. Denn die strengere Auffassung braucht noch nicht dem Gebot der Sittlichkeit zu entsprechen, und die Auffassung der Allgemeinheit verbürgt nicht Richtigkeit. Zudem kann auf diese Weise das Schutzinteresse der Allgemeinheit oder der Konkurrenten unter den Tisch fallen, obwohl das Wettbewerbsrecht den Schutz beider Interessenbereiche bezweckt 38 . 33 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 56 ff. Einl. UWG, m i t Nachweisen für die Rspr. Daß auch die Auffassungen der Allgemeinheit berücksichtigt w e r den, folgt aus dem v o m Wettbewerbsrecht bezweckten Schutz der K o n k u r r e n ten u n d der Allgemeinheit; vgl. dazu Rinck, O L G Celle-Festschrift, S. 166 ff.; Kraft, S. 208; Brinkmann, W R P 63, 268, 269; Bergmann, S. 99; BaumbachHefermehl, 9. Aufl., A n m . 35 und 57 Einl. UWG. 34 Bei den Auffassungen der Allgemeinheit w i r d man das w o h l ausschließen können. Doch kann es sein, daß sie den Anforderungen eines sachgerechten Wirtschaftsverkehrs nicht entsprechen. 35 So aber Rinck, O L G Celle-Festschrift, S. 170 f., der allerdings vom k a u f männischen Standesbrauch ausgeht. 36 So von Godin-Hoth, Anm. 7 zu § 1 U W G ; Fikentscher, Wettbewerb u n d gewerblicher Rechtsschutz, S. 113; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 57 Einl. U W G ; a. A . Eichmann, S. 51 f. Vgl. dazu S. 74 ff. 37 Rinck, O L G Celle-Festschrift, S. 168 f.; Meyer-Cording, J Z 64, 273, 277; Gödde, S. 97 ff. u n d S. U l f ; BGH, GRUR 55, 541, 542 — Bestattungswerbung — ; Graßmann, S. 142. 38 Einen seltsamen und widerspruchsvollen Weg geht Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 57 u n d 75 Einl. U W G : Erst läßt er die strengere Auffassung entscheiden und sagt dann, daß, was lauter oder unlauter sei, vielfach nur aufgrund einer Interessenabwägung entschieden werden könne, da das Wettbewerbsrecht nicht n u r die Interessen der Mitbewerber, sondern auch der ü b r i gen Marktbeteiligten u n d der Allgemeinheit schütze.

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Aber auch mit dem Beschränken des durch § 1 UWG gewährten Schutzes auf amoralische, verwerfliche, ethisch nicht zu billigende 3 9 oder auf einhellig als sittenwidrig beurteilte Maßnahmen wie „Irreleitung" und „Feindseligkeiten" 4 0 kann nicht den vorgenannten Schwierigkeiten ausgewichen werden. Denn es kann zwar, und das ist dieser Meinung zuzugestehen, für wenige schon länger bekannte Wettbewerbsverstöße, gelegentlich sicher auch für neue Erscheinungen das eindeutige Urteil „amoralisch", „unsittlich" gefällt werden, aber wenn es dabei bliebe, würde der Anwendungsbereich der Generalklausel zu sehr beschnitten. Denn gerade die zweifelhaften, neu auftretenden Fälle sind ihr eigentliches Anwendungsgebiet. Z u sagen, daß nur ein Verstoß gegen das »ethische Minimum' unerlaubt, dagegen alle Handlungen, die nicht einheitlich beurteilt werden, über deren Wertung widersprüchliche A u f fassungen bestehen, erlaubt seien, würde den ebenfalls vom Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bezweckten Schutz der Verbraucher und der Allgemeinheit verfehlen, die soziale Fiktion des Wettbewerbsrechts zugunsten des Schutzes der freien wirtschaftlichen Betätigung vernachlässigen. Demgegenüber gilt es, sich zu besinnen auf die schon bei § 826 BGB dargestellte Auffassung, die versucht trotz des Abstellens auf die sich in der „allgemeinen Urteils- und Handlungsweise" manifestierende Sittlichkeit die derart gewonnenen Ergebnisse an den Wertungen der Rechtsordnung zu überprüfen und sie dergestalt in sie hineinzuintegrieren 41 . c) Eine dritte Auffassung nähert sich der hier vertretenen Lösung, indem sie sich nicht so von den Wertungen der Rechtsordnung entfernt. Eichmann 4 2 versteht unter den „guten Sitten" einen Verweis auf die sozial-gesellschaftlichen Anschauungen, die allein aus der Tatsache des menschlichen Zusammenlebens entstünden. I h r Unterschied zu Verkehrssitte und Handelsbrauch liege i n ihrem Normcharakter, i n der Möglichkeit einer wertenden Beurteilung. Sie bedeuteten die Möglichkeit einer nicht auf Gefühlsregungen beruhenden Entscheidung. A l lein das äußere Verhalten sei Ansatzpunkt für die Bewertung. Die Folgerungen Eichmanns scheinen wünschenswert, aber nicht aus seinem Ausgangspunkt ableitbar. Denn selbst wenn sozial-gesellschaftliche A n schauungen bestehen, so muß ihr Normcharakter angezweifelt werden. Zumindest dann muß er entfallen, wenn widersprüchliche sozial-gesellschaftliche Anschauungen registriert werden. Und wann w i r d das i n unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung nicht der Fall sein? Vor 39 40 41 42

K a r l Droste, W R P 65, 36. Steindorff i n Summum ius, summa iniuria, S. 69. Vgl. S. 65 u n d die dort i n Note 205 u n d 206 genannten Nachweise. Eichmann, Vergleichende Werbung, S. 45 ff.

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dieser Tatsache verschließt auch Eichmann nicht die Augen 4 3 : Da § 1 UWG auch die Interessen der Allgemeinheit schütze, müßten bei einer Wettbewerbshandlung, die diese Interessen berühre, zusätzlich die sozial» gesellschaftlichen Anschauungen der Allgemeinheit ermittelt werden 44 . Würden divergierende Ansichten festgestellt, so hätte wegen der bipolaren Schutzfunktion des § 1 UWG eine Interessenabwägung der widerstreitenden Interessen zur Ermittlung der Lauterkeit oder Unlauterkeit zu erfolgen 45 . Eichmann ist vorzuwerfen, daß er seinen Ausgangspunkt, nämlich die sozial-gesellschaftlichen Anschauungen, vernachlässigt. Dieser Ansatz erscheint nicht mehr als eine Verbeugung vor dem Wortlaut des § 1 UWG zu sein. Denn Eichmann geht nicht darauf ein, wie zu entscheiden ist, wenn das Ergebnis einer Interessenabwägung einmal den ermittelten und in sich widerspruchsfreien sozial-gesellschaftlichen Anschauungen widerspricht. Würde er hier den Vorrang der ermittelten Anschauungen befürworten, so würde er seinen Ansatz konsequent weiterverfolgen. Aber das ist aufgrund der übrigen Erörterungen nicht anzunehmen. Denn er müßte einen Vorrang des Ergebnisses der Interessenabwägung vertreten, um i n Hinblick auf die Argumente konsequent zu bleiben, die für eine Interessenabwägung bei widerstreitenden Anschauungen sprechen 46 . I n die gleiche Richtung wie Eichmann weist Katzenberger 47 . Er versteht unter den „guten Sitten" einen Verweis auf die Gebote der objektiven Moral und versucht anhand philosophischer Untersuchungen die Existenz sittlicher Normen zu beweisen, die sich auf das soziale Zusammenleben beziehen und es erlauben, Handlungen ohne Rücksicht auf die Gesinnung des Handelnden zu beurteilen. Dieses Ergebnis werde bestä43

a.a.O., S. 48 ff. a.a.O., S. 48 f. Das habe durch eine Befragung zu erfolgen. 45 a.a.O., S. 51 ff. Eichmann wendet sich dagegen, daß die strengere Auffassung gelte (vgl. zu dieser Auffassung S. 73 Note 36). Denn § 1 U W G ermächtige den Richter nicht zu möglichst weitgehender Beschneidung der W e t t bewerbsmethoden. Es sei nicht anzunehmen, daß das weiterreichende Verbot der Ansicht der b i l l i g u n d gerecht Denkenden entspreche. Eine Konfliktslösung könne vielmehr n u r unter Berücksichtigung aller Interessen erfolgen, auf die die Entscheidung W i r k u n g ausüben könne. N u r auf diese Weise könnten die grundlegenden Wertentscheidungen der Verfassung zum Durchbruch gelangen. F ü r die Grundsätze der Interessenabwägung verweist Eichmann (a.a.O., S. 55 ff.) grundsätzlich auf K r a f t , befürwortet aber eine erhöhte Ausrichtung an den Wertvorstellungen der Verfassung. Letzterem ist zuzustimmen, was der weitere Verlauf der Arbeit noch zeigen w i r d . 46 Gemeint sind vor allem die von Eichmann, S. 52, angesprochenen W e r t vorstellungen der Verfassung, die ansonsten unberücksichtigt bleiben würden. Das gleiche gilt aber auch für die einfachgesetzlichen Wertentscheidungen ( = Vorzugselemente = Bewertungsfaktoren). 47 Katzenberger, Recht am Unternehmen u n d unlauterer Wettbewerb, S. 118 ff. 44

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

tigt durch die Lehre von der sozialen Adäquanz 48 . A n diesem Punkt freilich enden die Überlegungen 49 . Nicht w i r d gesagt, wie die sittlichen Normen des sozialen Lebens zu ermitteln sind, wie eine A n t w o r t zu finden ist, wenn diese Normen schweigen oder sich gar widersprechen. Und insbesondere bleibt das Verhältnis dieses Normbereiches zur übrigen Rechtsordnung unerörtert: Wie wäre zu entscheiden, wenn die sittlichen Normen des sozialen Zusammenlebens den einfachgesetzlichen und verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen widersprechen 50 ? Nicht befaßt sich diese Auffassung mit dem gegen die soziale Adäquanz vorgebrachten Einwand, daß der Begriff der sozialen Adäquanz nicht mehr als einen Hinweis enthalte, daß er nur eine neue Generealklausel schaffe 51 . Und vor allem geht diese Auffassung nicht ein auf die Wendung, die Nipperdey 5 2 der Lehre von der Sozialadäquanz gegeben hat: „Man könnte sagen, daß er (der Begriff der Sozialadäquanz) der quintessenzartigen Umschreibung der Ergebnisse der Wertung des Konflikts der Interessen an der Erhaltung bestehender Rechtsgüter und der zur Schaffung neuer Rechtsgüter vorausgesetzten Handlungsfreiheit dient." 2. Zusammenfassend ist hervorzuheben, daß alle vorgestellten Lösungsversuche zu dem, was die Formel der „guten Sitten" beinhaltet, nicht die wünschenswerte Klarheit bringen. Denn alle Deutungsversuche setzen einheitlich beim Wortlaut an, müssen diesen Ansatz aber trotz aller Ernsthaftigkeit wiederholt aufgeben. Erstaunlich ist dabei, daß die Interessenabwägung trotz des Bemühens, ihr auszuweichen, und trotz des diese Lösung eigentlich versperrenden Ansatzes hier und da als Ausweg aus manch verfahrener Problemlage dient. Das liegt letztlich daran, daß sich Charakter und Aufgabe einer Norm, Interessenschlichtung durch Interessenwertung und -entscheidung vorzunehmen, stets durchzusetzen vermögen. Das Stichwort „Interessenabwägung" bei der Frage nach dem Inhalt der Formel der „guten Sitten" i n § 1 U W G führt nun dorthin, wo alle 48 Katzenberger, S. 127. Lieb, S. 91 f., stellt f ü r § 1 U W G ausdrücklich auf die Sozialadäquanz ab, denn das U W G verbiete n u r Handlungen, die Einzelinteressen anderer oder das Interesse der Allgemeinheit an einem anständigen Wettbewerb über das i m Wettbewerbskampf unvermeidliche Maß — über das sozial Adäquate — hinaus verletzten. Z u r Lehre von der Sozialadäquanz i m allgemeinen vgl. oben S. 57 f. 49 Was sich aus der Problemstellung der Arbeit, der Frage nach der Bedeutung des Rechts am Unternehmen i m Wettbewerbsrecht, erklärt. 50 I n diese Richtung müssen doch alle Bestrebungen laufen, die sich nicht m i t dem Abstellen auf ein sittliches M i n i m u m zufriedengeben. U n d es ist nicht umgekehrt so, wie Katzenberger, S. 118, meint, daß die Verweisung auf die Wertungen des positiven Rechts i m Wege einer Interessenabwägung letztlich wieder auf Sittlichkeit u n d M o r a l abstelle. 51 Vgl. S. 57 f. 52 Nipperdey, N J W 67,1985,1992; vgl. S. 58.

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Überlegungen dieser Arbeit zum Inhalt der für den Unternehmensschutz bereitstehenden Generalklauseln enden. Wie bei der Generalklausel des Rechts am Unternehmen und wie bei der Generalklausel des § 826 BGB delegiert der Gesetzgeber i n § 1 UWG die i h m obliegende Aufgabe der Interessenschlichtung durch Interessenwertung und Interessenentscheidung auf den Richter 53 . Die A r t der Aufgabe und die M i t t e l zu ihrer Bewätigung ändern sich dadurch nicht. Der Richter ist ebenso wie der Gesetzgeber, nur i n noch stärkerem Maße, bei der Interessenschlichtung an die bereits i n der Rechtsordnung enthaltenen Wertungen der Interessen, an die einzelnen Vorzugselemente oder Bewertungsfaktoren gebunden 54 . Nur so kann man Sinn und Zweck der Generalklausel und insbesondere des § 1 UWG verstehen, eine rechtliche Handhabe zur Beurteilung all der Fälle bereitzuhalten, die das Leben i n seiner ständig wechselnden und veränderlichen Vielfalt bietet, die sich gerade i m wirtschaftlichen Wettbewerb eindrucksvoll manifestiert, und nur so können neue Erscheinungen des Lebens nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung entsprechend den vorhergehenden behandelt werden 5 5 . Der Wortlaut des § 1 UWG kann dabei ebenso wie der des § 826 BGB nur eine, wenngleich bescheidene Funktion erfüllen 5 6 . Er kann nur Alarmsignal sein, die Sachverhalte für eine erforderliche rechtliche Bewertung herauszufinden, die durch bestehende typisierte Tatbestände nicht oder nicht genügend erfaßt werden, gleichwohl nach einer rechtlichen Regelung verlangen und nicht dem Bereich angehören, i n dem sich die Rechtsordnung einer Entscheidung enthält. 3. Obwohl die Berechtigung einer Interessenwertung zur Bestimmung lauterer und unlauterer Wettbewerbshandlungen nach § 1 U W G 5 7 i m 53

Vgl. S. 59 ff. u n d S. 65 f. Vgl. S. 60 f. Wie dort w i r d f ü r die einzelnen Grundsätze der Interessenwertung auf Hubmann u n d Kraft (vgl. S. 61 m i t Note 178) verwiesen. 55 Vgl. S. 59 f. 56 Vgl. S. 65. 57 Eine Interessenabwägung ohne Vorbehalte u n d m i t ausführlicher Begründung für § 1 U W G befürworten n u r Kraft, S. 99 ff., und Brinkmann, WRP 63, 268, 271. I m Ergebnis ebenso Bergmann, S. 97 ff., und Doli, B B 60, 1106. von Gramm, W R P 59, 227 f.; K a r l Droste, W R P 64, 65, 71, u n d Gallwas, S. 63, halten allgemein bei den zivilrechtlichen Generalklauseln eine Interessenabwägung f ü r erforderlich. Hubmann, AcP 155, 85, 87 f. u n d 99 f., verweist a l l gemein für die Formel der „guten Sitten" auf eine Interessenabwägung; ders. i n Gewerblicher Rechtsschutz, S. 243, geht andererseits davon aus, daß die A n wendung des § 1 U W G vielfach (!) eine Interessenabwägung voraussetze; ähnlich Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 75 Einl. UWG, der j a grundsätzlich auf die Sittlichkeit einer Wettbewerbshandlung abstellt (vgl. S. 72 Note 26). Reimer, Wettbewerbs- u n d WZR, 3. Aufl., erachtet eine Interessenabwägung nur i n gewissen Fällen für gerechtfertigt: Beim Boykott (79. Kapitel, A n m . 9, S. 564), bei der V e r w i r k u n g (116. Kapitel, A n m . 4, S. 885), beim Recht zum Gebrauch des eigenen Namens (19. Kapitel, A n m . 5, S. 264 f.) u n d beim Z u sammenstoß verschiedener geschäftlicher Kennzeichnungsmittel (26. Kapitel, 54

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wesentlichen mit den gleichen Argumenten wie beim Recht am Unternehmen und bei § 826 BGB belegt worden ist und obwohl eine Interessenabwägung hier wie dort nach den gleichen Grundsätzen zu erfolgen hat, erfüllt die wettbewerbliche Generalklausel doch eine eigene und wichtige Funktion. Denn sie weist den Weg zu den Interessen, die i m wirtschaftlichen Wettbewerb bestehen, sowie zu den Bewertungsmaßstäben, die der Natur der Sachen gemäß zusätzlich und vorwiegend der Wettbewerbsordnung entnommen werden müssen. Darauf soll nun eingegangen werden. Dabei w i r d sich die Berechtigung einer Interessenvertretung erneut erweisen, die all die Schwierigkeiten zu meistern vermag, über die jene Ansichten zu Fall kommen, die vorwiegend vom Wortlaut des § 1 UWG ausgehen. a) I m Vordergrund steht die Frage nach den Interessen, die i m w i r t schaftlichen Wettbewerb eine Rolle spielen, sowie die Frage nach den gesetzlichen Bewertungsfaktoren für diese Interessen. Nicht mehr kommt es darauf an, wessen Anschauungen zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit einer Handlung ermittelt werden müssen und wessen A n schauungen bei Widersprüchen den Ausschlag geben 58 . Denn die ermittelten Anschauungen können den vorrangigen Interessenentscheidungen zuwiderlaufen, die i m Gesetz enthalten sind oder anhand der gesetzlichen Bewertungsfaktoren zu ermitteln sind. Einleitend 5 9 wurde schon darauf hingewiesen, daß sich die rein individualrechtliche Auffassung des Wettbewerbsrechts i n früheren Zeiten zu einer sozial-rechtlichen gewandelt hat. Das führt dazu, daß nach heutiger Auffassung das Wettbewerbsrecht nicht nur dem Schutz der M i t bewerber untereinander, also nicht nur dem Schutz der Anbieter und ihrer Konkurrenten, sondern ebenso dem Schutz der sonstigen Marktbeteiligten, insbesondere der Verbraucher, und der Allgemeinheit dient 6 0 . M i t der Anerkennung des Schutzes dieser Personenkreise i m Wettbewerb Anm. 5, S. 296). Zur Interessenabwägung bei der vergleichenden Werbung vgl. neben Brinkmann, a.a.O.; Bergmann, a.a.O.; u n d Eichmann, S. 51 ff. (vgl. dazu S. 74 ff.): Schwammberger, N J W 61, 1185, 1186; ders., B B 61, 1222, u n d Tetzner, JZ 62, 275, 277. 58 Wenn gesagt w i r d , die strengere oder die Auffassung der Allgemeinheit entscheide (vgl. S. 73 Note 36 u n d Note 37), w i r d besonders deutlich, daß diese Ergebnisse grundsätzlich der Interessenwertung des Gesetzgebers zuwiderlaufen müssen. Denn eine allgemeine Regel, daß von mehreren Rechtsauffassungen die strengere oder diejenige entscheide, die sich m i t der der A l l gemeinheit (etwa deshalb, w e i l sie die Mehrheit repräsentiere) decke, läßt sich der Rechtsordnung glücklicherweise nicht entnehmen. I n Wahrheit w i l l , wer solche Regeln aufstellt, n u r für alle Fälle sichergehen. Ob das Ergebnis zut r i f f t , bleibt weiterhin zweifelhaft. 59 Vgl. oben S. 67. 60 Rinck, O L G Celle-Festschrift, S. 66 ff.; Kraft, S. 175 ff.; Brinkmann, WRP 63, 268, 271 ff.; Bergmann, S. 99; Eichmann, S. 67 ff.; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 35 u n d 75 Einl. UWG.

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geht naturgemäß einher die Anerkennung des Schutzes der auf den wirtschaftlichen Wettbewerb gerichteten Interessen dieser Personen. Das heißt, daß bei der Interessenwertung zur Bestimmung der Lauterkeit oder Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung auch die Interessen dieser Personen, soweit sie betroffen sind, mitsamt der dem Schutzzweck des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb zu entnehmenden Bewertungsfaktoren einzusetzen sind. Ob das eine oder andere Interesse sich dann durchzusetzen vermag, ist damit allerdings noch nicht gesagt. Denn das kann erst das Ergebnis der Interessenwertung klären, das nicht nur durch die dem Wettbewerbsrecht zu entnehmenden Bewertungsfaktoren, sondern auch durch die übrigen aus der gesamten Rechtsordnung zu ermittelnden Vorzugselemente bestimmt wird, die nach den besonderen Umständen des zu entscheidenden Falles variieren. b) Des weiteren kann die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen für die Freiheit des Leistungswettbewerbs über die Interessenwertung zwangloser in die Einzelfallentscheidung eingeführt werden. Das gelingt zwar auch den anderen bedeutsamen Meinungen zur Bestimmung der Lauterkeit oder Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung, doch erweist sich die Argumentationskette meist als wenig überzeugend. A m erstaunlichsten erscheint es, wenn die Auffassung, die unter den „guten Sitten" die tatsächlich geübte Sitte versteht, die gesetzliche Entscheidung für die Freiheit des Leistungswettbewerbs berücksichtigt. Dazu muß allerdings die tatsächlich geübte Sitte zur Konventionalnorm umgeformt werden, als deren Angelpunkt dann der Leistungswettbewerb erscheint 61 . Verhältnismäßig leicht kan sich die Auffassung helfen, die auf die sozial-gesellschaftlichen Anschauungen abstellt, da es nicht schwer fällt, den freien Leistungswettbewerb als einen Bestandteil dieser Ordnung zu sehen. Schwieriger haben es die Stimmen, die auf einen allgemeinen ethischen Standard, auf die Sittlichkeit verweisen, obwohl es auch ihnen gelingt, die Entscheidung des UWG und des GWB für die Freiheit des Leistungswettbewerbs zu berücksichtigen. Es w i r d etwa die Bedeutung der Lebensumstände und der Natur der Sache als Grundlage für die Erarbeitung eines sittlichen U r teils hervorgehoben 62 . Oder die Sittenwidrigkeit w i r d als ein funktionsbezogener Begriff verstanden, der verlange, daß ein wettbewerbliches Verhalten zum Sinngehalt des Wettbewerbs in Beziehung gesetzt werde 63 . 91 62 63

von Godin, GRUR 66,127,130 f. Meyer-Cording, JZ 64, 310. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 69 Einl. UWG.

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Obwohl diese Bemühungen die grundsätzliche Entscheidung des GWB und UWG richtig i n Ansatz bringen und zu praktikablen Ergebnissen gelangen, vermögen sie nicht voll zu befriedigen. Denn einerseits entfernt man sich m i t einer Berücksichtigung der gesetzlichen Entscheidung für einen freien Leistungswettbewerb wieder vom ethischen Standard. Und zum anderen erscheint es zweifelhaft, ob sich aus dem ethischen Standard z. B. folgern läßt: „Was außerhalb des Wettbewerbs sittlich neutral ist, kann innerhalb des Wettbewerbs sittlich anstößig sein 6 4 ." Denn Vorwürfe wie „amoralisch" oder „sittlich verwerflich" deuten eher an, daß sie i n allen Bereichen gleichermaßen gelten müssen. Demgegenüber läßt sich die Entscheidung des GWB für die Freiheit des Leistungswettbewerbs viel reibungsloser bei der Interessenwertung zur Bestimmung der Lauterkeit oder Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung als ein einfachgesetzliches Vorzugselement für die verschiedenen Interessen einsetzen. Dabei ist die Bedeutung dieses Bewertungsfaktors hervorzuheben, der das gesamte Wettbewerbsrecht beherrscht und nicht nur in einzelnen Bestimmungen hervortritt. Dient ein Interesse der Verwirklichung des freien Leistungswettbewerbs, weil eine Handlung sich dem Leistungswettbewerb einfügt, so spricht viel dafür, daß diese Handlung als lauter zu beurteilen ist. Zur Begründung der Unlauterkeit einer solchen Handlung müssen schon gewichtige Vorzugselemente für die gegensätzlichen Interessen oder negative Bewertungsfaktoren für das bereits positiv bewertete Interesse gefunden werden. Es muß jedoch noch um der Klarheit w i l l e n differenziert werden. Denn die vom UWG und GWB angestrebte Freiheit des Leistungswettbewerbs läßt sich unter zwei Aspekten betrachten, die das eine hieraus gewonnene Vorzugselement zu zwei Bewertungsfaktoren aufspaltet. Einmal gründet der wirtschaftliche Wettbewerb auf dem Leistungsprinzip. Das anerkennt das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, das nur den Leistungswettbewerb für schutzwürdig hält 6 5 , indem es die unlauteren Wettbewerbshandlungen, und das sind i m wesentlichen diejenigen, die dem Leistungsprinzip nicht entsprechen, ausschließt. Daraus kann nun das eine Vorzugselement gewonnen werden, das alle Inter64

Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 69 Einl. UWG. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 69 ff., Einl. U W G ; Brinkmann, WRP 63, 268 f.; Fikentscher, Wettbewerb und gewerblicher Rechtsschutz, S. 116 f.; Meyer-Cording, JZ 64, 310, 311. a. A. scheint K a r l Droste, W R P 65, 36, 39, zu sein, der die Schaffung eines eigenen Gesetzes zur Förderung des Leistungswettbewerbs befürwortet. Diese Ansicht folgt aus dem restriktiven Ansatz, als sittenwidrig n u r das Amoralische, Verwerfliche, ethisch nicht zu Billigende anzusehen. Übrigens dachte auch der Gesetzgeber an die Schaffung eines Gesetzes zum Schutze des Leistungswettbewerbes. Dieser Plan ist jedoch zugunsten einer Novelle zum U W G aufgegeben worden, vgl. Südd. Zeitung v. 11712.11.1967; 26. 3., 30./31. 3. u n d 13. 5.1968. 65

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essen positiv bewertet, die entsprechend dem Leistungsprinzip verfolgt werden 6 6 . Ein zweites Vorzugselement folgt aus dem Schutzzweck des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen 67 , das den Wettbewerb als Institution sowie die Handlungsfreiheit des einzelnen garantiert. Dieser Schutzzweck muß bei der Auslegung des U W G berücksichtigt werden. Man bezeichnet diese Erscheinung als Wechselwirkung zwischen GWB und UWG 6 8 . Denn je weiter der Bereich der durch das U W G verbotenen Wettbewerbshandlungen durch eine extensive Auslegung dieses Gesetzes gezogen wird, desto kleiner w i r d der Anwendungsbereich des GWB und desto eher w i r d der Schutzzweck des GWB gefährdet. Das bedeutet für die Anwendung des § 1 UWG, daß bei der erforderlichen Interessenwertung auch die Grundsatzentscheidung des GWB für einen Wettbewerb i n Freiheit als ein gewichtiges Vorzugselement eingesetzt werden muß, das i n seiner negativen, abweisenden Wirkung, nämlich dann, wenn der freie Wettbewerb durch eine Wettbewerbshandlung bedroht wird, seine größte Bedeutung entfaltet. c) Verhältnismäßig zwanglos löst sich bei der Interessenwertung zur Bestimmung der Lauterkeit oder Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung die Frage nach den subjektiven Erfordernissen einer sittenwidrigen' Wettbewerbshandlung. Da es bei der Interessenwertung nicht auf ethische Maßstäbe, sondern auf die gesetzlichen Wertungen ankommt, leuchtet ohne weiteres ein, daß eine „verwerfliche" Gesinnung zur Bestimmung der Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung nicht erforderlich ist 6 9 . Da die Interessenwertung aber auch allein i n bezug auf die objektive Erscheinungsform einer Handlung negativ, also mit dem Ergebnis enden kann, daß die Handlung von der Rechtsordnung nicht geduldet wird, m i t h i n rechtswidrig ist, folgt hieraus für § 1 UWG, daß derjenige, der eine als unlauter zu qualifizierende Wettbewerbshandlung begeht, nicht einmal 66

Ebenso Kraft, S. 224 ff. Z u den Aufgaben u n d Zielen des G W B : Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 77; Koenigs, N J W 61, 1041; Fikentscher, Wettbewerb u n d gewerblicher Rechtsschutz, S. 227. 68 Eine Wechselwirkung bejahen: Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 79 ff.; Koenigs, N J W 61, 1041, 1042; Brinkmann, W R P 63, 269 ff.; Bergmann, S. 135; Doli, B B 60, 1106; B K a r t A , W u W 63, 643, 656, zustimmend Markert, N J W 63, 1525, 1527; Schwammberger, N J W 61, 1185, 1186; Völp, W R P 61, 135, 136; ders., GRUR 62, 178, 181 ff.; Rinck, B B 62, 105; Antoni, B B 62, 1171, 1172; a. A. von Brunn, W R P 64, 177; Spengler, W R P 65, 121, 123; Leo, W R P 60, 293, 296; liiert, S. 35. 09 Das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit w i r d einhellig nicht mehr vorausgesetzt; vgl. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 58, 67, 243 Einl. U W G ; Kraft, S. 140; Katzenberger, S. 129 f.; Bussmann-Pietzcker-Kleine, 3. Aufl., S. 35. 67

β Koller

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die einzelnen Tatumstände kennen muß 7 0 . Das gilt ausdrücklich nur für die Beurteilung der Unlauterkeit und damit Rechtswidrigkeit einer Wettbewerbshandlung, betrifft also auch nur die daran anzuknüpfenden Ansprüche wie den Unterlassungs-, Beseitigungs- und Widerrufsanspruch. Daß der Schadensersatzanspruch ein bestimmtes subjektives Verhalten zur Begründung des Verschuldens erfordert 7 1 , bleibt davon unberührt. Zum anderen ist es aber nicht so, daß subjektive Momente bei der i m Rahmen des § 1 UWG erforderlichen Interessenwertung überhaupt keine Rolle spielen 72 . K r a f t 7 3 geht davon aus, daß Motiv und Zweck einer Wettbewerbshandlung nicht als Bewertungsfaktoren geeignet seien, da der Gesetzgeber mit § 1 UWG nicht auf die innere Einstellung des Handelnden habe abstellen wollen. Er durchbricht diesen Ansatz aber zutreffend mit dem Verweis auf § 932 BGB, dem der gute Glaube als positiver und der böse Glaube als negativer Bewertungsfaktor auch für eine Interessenwertung i m Rahmen des § 1 UWG zu entnehmen sei 74 . Diese gegensätzlichen Aussagen treffen jedoch beide zu, wenn man sie wie folgt versteht, womit zugleich eine Zusammenfassung der hier vertretenen Auffassung 75 gegeben w i r d : Aus § 1 UWG i. V. m. den Grundsätzen der Interessenwertung ergibt sich, daß eine Handlung allein ihrem objektiven Bilde nach unlauter sein kann. Des weiteren können Bewertungsfaktoren für das innere menschliche Verhalten 7 6 zwar nicht aus § 1 UWG, wohl aber aus den übrigen Bestimmungen der Rechtsordnung gewonnen werden. Und drittens schließlich müssen diese Bewertungsfaktoren i n die bei § 1 U W G erforderliche Interessenwertung eingehen, wenn ihre tatsächlichen Voraussetzungen vorliegen. d) Hinzuzufügen bleibt nur noch, daß die Interessenwertung zur Beurteilung der Lauterkeit und Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung nicht den Versuch einer Typologie erübrigt, obwohl immer wieder dar70 a. A. die h. M., vgl. die Darstellung bei Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 77 f. Einl. U W G ; Bussmann-Pietzcker-Kleine, 3. Aufl., S. 35. 71 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 83 Einl. U W G ; Bussmann-PietzckerKleine, 3. Aufl., S. 35; Kraft, S. 145. A u f die Verschuldensvoraussetzungen soll auch i n diesem Zusammenhang nicht weiter eingegangen werden, da die Problematik der Meinungsäußerungsfreiheit u n d des Unternehmensschutzes nur die Ebene der Tatbestandsmäßigkeit u n d Rechtswidrigkeit berührt. 72 So aber Eichmann, S. 47: F ü r die Bewertung nach den sozial-gesellschaftlichen Anschauungen sei allein das äußere Verhalten Ansatzpunkt. 73 S. 240. 74 Kraft, S. 246. 75 Sie deckt sich i m Ergebnis m i t der Auffassung Hefermehls i n BaumbachHefermehl, 9. Aufl., A n m . 79 Einl. UWG, zu den subjektiven Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs, obwohl Hefermehl seine Lösung nicht auf eine Interessenwertung zuschneidet. 76 Vgl. dazu Hubmann, AcP 155, 85,115 ff., u n d Kraft, S. 83 f.

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auf hingewiesen wurde, daß die Interessenwertung wesentlich durch die Umstände des Einzelfalles bestimmt wird. Denn die eingangs 77 wiedergegebenen Überlegungen über Sinn und Nutzen einer Ordnung von Fallgruppen gelten nach wie vor. Eine Falgruppe m i t ihrer üblicherweise getroffene rechtlichen Beurteilung kann ebenso wie ein eng gefaßter gesetzlicher Tatbestand eine typisierte Interessenentscheidung wiedergeben, die für jeden einzelnen der Fallgruppe zugehörigen Fall eine erneute Interessenwertung erübrigt und nur eine gelegentliche Überprüfung erfordert. Damit w i r d die juristische Arbeit bei häufiger auftretenden Fällen erleichtert, wenn auch bei Neuerscheinungen, Grenzfällen und anderen Zweifelsfällen diese Funktion der Typologie entfällt. Gerade i m Bereich des § 1 U W G hat sich eine umfangreiche und fein gegliederte Typologie entwickeln und behaupten können 7 8 , die hier keineswegs angetastet werden soll. Denn es ist sicher, daß die i m Rahmen der wettbewerblichen Systematik getroffenen juristischen Entscheidungen i n der Regel dem Ergebnis einer Interessenwertung entsprechen und nur gelegentlich eine vorsichtige Anpassung an neue Wertungen erfordern. Wenn dennoch der Formel der „guten Sitten" i n § 1 UWG soviel A u f merksamkeit gewidmet wurde, so geschah das, um die Grundlage zu schaffen, die es erlaubt, am Ende der Arbeit die bisherige rechtliche Beurteilung speziell der unternehmensschädigenden Äußerung i m Wettbewerb zu überprüfen und an neue Wertungen anzupassen. 4. Obwohl der Blick bisher durch die „guten Sitten" i n § 1 U W G gebannt schien und obwohl die Formel der „guten Sitten" die meisten Probleme bei der Anwendung der wettbewerblichen Generalklausel aufwirft, muß doch noch auf die weniger problematischen, aber nicht minder wichtigen Kriterien eingegangen werden, die die wettbewerbliche Generalklausel neben anderen wettbewerblichen Tatbeständen wie z. B. § 14 UWG voraussetzt. Gemeint ist, daß zur Anwendung dieser Vorschriften objektiv eine Wettbewerbshandlung und subjektiv eine Wettbewerbsabsicht vorliegen müssen. Nach der Rspr. liegt eine Wettbewerbshandlung i n jedem Verhalten, das auf Abschluß von Geschäften m i t Kunden gerichtet und äußerlich geignet ist, den Absatz oder Bezug eines Wettbewerbers zu fördern, wodurch notwendig der Absatz oder Bezug der Mitbewerber beeinträchtigt w i r d 7 9 . Aus der weiten Formulierung folgt, daß sogar Handlungen D r i t 77

Vgl. S. 5 f. Z u r Bedeutung einer Typologie i m Wettbewerbsrecht, dort meist System a t i k genannt, vgl. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 98 ff. Einl. U W G ; i n Anm. 101 Nachweise zu den Einteilungsversuchen anderer Autoren. 79 Nachweise bei Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 145 Einl. UWG. 78

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ter, die selbst nicht am Wettbewerb teilnehmen, aber i n den Wettbewerb zugunsten eines Wettbewerbers eingreifen, objektiv Wettbewerbshandlungen sein können 8 0 . Das w i r d gerade i m Bereich der unternehmensschädigenden Äußerung bedeutsam 81 . Denn wenn sich ein nicht i m w i r t schaftlichen Wettbewerb stehender Privatmann sowie ein Presseorgan 82 über i m Wettbewerb stehende Unternehmen nachteilig äußern, werden deren Konkurrenzunternehmen gefördert, oder wenn sie sich vorteilhaft über ein Unternehmen auslassen, werden dessen Mitbewerber benachteiligt. Das w i r d besonders deutlich bei i n der Presse publizierten Warentests. Droht durch ein derartiges Verständnis des Kriteriums der Wettbewerbshandlung eine allzu weitgehende Geltung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften, so wundert es nicht, daß die h. M. den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts durch ein weiteres Erfordernis einzuengen versucht. Es w i r d subjektiv die Absicht gefordert, den eigenen oder fremden Wettbewerb zu fördern 8 3 . Jedoch braucht die auf Förderung eigenen oder fremden Wettbewerbs gerichtete Absicht nicht allein bestimmend zu sein. Es genügt, daß sie gegenüber sonstigen Beweggründen nicht völlig zurücktritt 8 4 . Dabei ist zu beachten, daß gemäß der Auffassung der Rspr. nach der Lebenserfahrung eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Wettbewerbsabsicht spricht, wenn i m Wettbewerb stehende Gewerbetreibende Äußerungen abgeben, die objektiv geeignet sind, eigenen oder fremden Wettbewerb zu fördern 8 5 . Zur Annahme des Gegenteils muß der Handelnde die Vermutung widerlegen. I n einigen Fällen bereitet das K r i t e r i u m der Wettbewerbsabsicht Schwierigkeiten, die insbesondere bei den i n der vorangegangenen Typologie auf der Grenze zum Wettbewerb eingeordneten Fallgruppen 8 6 entstehen. Sie können hier noch nicht i m einzelnen expliziert werden 87 . Denn m i t der Annahme einer Wettbewerbsabsicht sind i n diesen 80 B G H Z 19, 299, 303 — K u r v e r w a l t u n g — ; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 145 und 157 Einl. UWG. 81 Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 123, verweist zu Recht auf die Bedeutung i m Bereich der Publizistik. 82 Nicht gemeint ist der F a l l der „Pressefehde" : E i n Presseunternehmen befaßt sich m i t einem Konkurrenz-(Presse-)unternehmen. 83 F ü r die h. M. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 156 Einl. U W G m i t Nachweisen für die Rspr. a. A . Kraft, S. 190, u n d Reimer, Wettbewerbs- und WZR, 3. Aufl., K a p i t e l 75, A n m . 5 (S. 513 f.). Kritisch Alexander-Katz, W R P 56, 293, 296. 84 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 158 Einl. U W G m i t Nachweisen zur Rspr. 85 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 159 Einl. U W G m i t Nachweisen zur Rspr., und Tetzner, 2. Aufl., A n m . 32 zu § 1 UWG. 86 Vgl. S. 14 f. 87 Deshalb sei auf die rechtliche Beurteilung der einzelnen Fallgruppen S. 286 ff. verwiesen.

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Grenzfällen Folgen verbunden, deren Unangemessenheit erst spätere Untersuchungen aufdecken. Nur soviel sei an dieser Stelle schon gesagt: Einerseits w i r d der Nachweis der Wettbewerbsabsicht von der Rspr. als Korrektiv eingeschaltet, wenn ein Verbot i m Wettbewerbsrecht gefühlsmäßig als zu weitgehend empfunden w i r d 8 8 . Andererseits hat es i m Hinblick auf den Themenkreis der Meinungsäußerungsfreiheit und des Unternehmensschutzes bedeutsame Konsequenzen, wenn die Rspr. die Wettbewerbsabsicht bejaht. Denn dann entfällt eine Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen des A r t . 5 Abs. 1 GG, da die Rspr. eine wettbewerbliche Äußerung nicht als Meinungsäußerung i m Sinne des A r t . 5 Abs. 1 GG ansieht 89 .

B. Die Tatbestände des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Auch das GWB enthält Tatbestände, aus denen für zwei Erscheinungsformen der unternehmensschädigenden Äußerung Rechtsfolgen hergeleitet werden können. Einmal verbietet § 26 Abs. 1 GWB einen Boykott von Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen. W i r d dieses Verbot überschritten, so setzt sich der Verrufer zivilrechtlichen Ansprüchen nach §§ 26 Abs. 1 und 35 GWB aus 90 . Des weiteren kommt das Verbot der Diskriminierung nach § 26 Abs. 2 GWB für unternehmensschädigende Äußerungen i n Betracht 91 . Denn wer dieses Verbot mißachtet, kann gleichfalls mit zivilrechtlichen Ansprüchen aus §§ 26 Abs. 2 und 35 GWB belangt werden. Damit müßten die genannten Vorschriften des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Gegenstand dieser Arbeit werden, da sie für den Unternehmensschutz aktualisiert werden können. Dennoch sollen sie aus dem Bereich des Themas herausgelassen werden. 88 Darauf verweist Alexander-Katz, W R P 56, 293, 296. E i n vorzügliches Beispiel liefert die RG-Rspr. zum Systemvergleich. U m zu dessen Zulässigkeit zu gelangen, wurde anfänglich (RGZ 135, 38, 42 — Zugabewesen — ; RG, GRUR 32, 729, 731 — Konsumgenossenschaft —) die Wettbewerbsabsicht verneint. Später (RG, M u W 31, 521 — Kaffee-Hag — ; RG, M u W 34, 284 — Desinfektionswatte —) w i r d dann zutreffend das Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht bejaht (der Systemvergleich aber weiterhin, allerdings aus anderen Gründen f ü r zulässig gehalten). 89 Vgl. dazu S. 156 ff. W i r d umgekehrt die Wettbewerbsabsicht verneint, so öffnet sich die Rspr. die Möglichkeit zu einer Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Verbürgung der Meinungsäußerungsfreiheit. Wie derart die Entscheidungsgründe durch das K r i t e r i u m der Wettbewerbsabsicht m a n i p u liert werden können, beweist ebenfalls die Note 88 genannte RG-Rspr. 90 Baumbach-Hefermehl, 8. Aufl., A n m . 21 zu § 26 G W B ; Frankfurter Komm., Anm. 101 zu § 26 G W B ; Müller-Gries, A n m . 17 zu § 26 GWB. 91 Denn auch unternehmensschädigende Äußerungen können u n b i l l i g behindern, vgl. Baumbach-Hefermehl, 8. Aufl., A n m . 39 zu § 26 GWB, und F r a n k furter Komm., A n m . 63 zu § 26 GWB.

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Das liegt einmal an der geringen Bedeutung, die diese Vorschriften i n der gerichtlichen Praxis speziell für den Unternehmensschutz erlangen. Denn i n aller Regel werden Ansprüche wegen Unternehmensschädigung auf Vorschriften aus dem BGB oder UWG gestützt. Zum zweiten spielt für das Außerachtlassen dieser Vorschriften der Schutzzweck des GWB eine Rolle. Denn das GWB w i l l den Wettbewerb als Institution schützen, der freie Wettbewerb soll i n Verfolgung des wirtschaftspolitischen Ziels, ein „marktwirtschaftlich-wettbewerbliches Wirtschaftssystem" zu schaffen, zu einer „staatlich geschützten Veranstaltung" erhoben werden. Zugleich w i l l das GWB dadurch dem Schutze der Handlungsfreiheit des einzelnen dienen, die A r t . 2 GG voraussetzt 92 . Dadurch erhält das GWB, worauf Koenigs 9 3 hinweist, die gleiche Stoßrichtung wie die politischen Freiheitsrechte, die man unter dem Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit zusammenfassen kann. Ein Spannungsverhältnis zwischen Meinungäußerungsfreiheit und Unternehmensschutz dürfte dann grundsätzlich i m Bereich des GWB nicht i n Erscheinung treten, so daß schon aus diesem Grunde die Vorschriften des GWB aus der Erörterung ausscheiden müßten. Aber so darf nur eine vergröbernde Betrachtung argumentieren. Denn die i n § 26 GWB enthaltenen Vorschriften gewähren wie dargelegt auch Unternehmensschutz, womit die These vom fehlenden Spannungsverhältnis ins Wanken gerät. Gleichwohl vermag diese These als Fingerzeig zu dienen. Der Unternehmensschutz i m GWB ist nicht das Ziel dieses Gesetzes, er soll nur ähnlich wie die Regelung der i m GWB enthaltenen Ordnungswidrigkeiten als Sanktion zur Verwirklichung des geschilderten Gesetzeszweckes dienen. Erst so läßt sich endgültig ein Ausscheiden der i m GWB enthaltenen unternehmensschützenden Vorschriften aus dem hier erörterten Themenkreis rechtfertigen.

3. Abschnitt: Die Konkurrenzen der einzelnen Tatbestände Die Darstellung der auf die unternehmensschädigende Äußerung anwendbaren Tatbestände hat bisher gezeigt, daß dem Unternehmen gegenüber schädlichen Äußerungen von dritter Seite durch eine Vielzahl von gesetzlichen Tatbeständen Schutz gewährt werden kann. Trotzdem konzentriert sich der Unternehmensschutz vor schädlichen Äußerungen 92 Vgl. S. 81 u n d die dort i n Note 67 genannten Autoren. A u f die gegensätzlichen Ansichten zum Schutzzweck des G W B braucht nicht eingegangen zu werden — vgl. dazu die Darstellung bei Koenigs, N J W 61, 1041 —, da sich daraus für die vorliegende Frage keine förderlichen Gesichtspunkte gewinnen lassen. 93 Koenigs, N J W 61,1041,1042.

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i n der Praxis des juristischen Alltages nur auf wenige wichtige Vorschriften aus dem Kreis der vorgestellten Tatbestände. Zugleich zeigt sich erstaunlicherweise, daß nicht nur einige wenige Vorschriften immer wieder für den Unternehmensschutz bemüht werden, sondern daß dieselben Vorschriften bei ihrer Anwendung eine umfangreiche methodische Problematik erkennen lassen. Es sind dies vor allem die Vorschriften, die als Generalklauseln bezeichnet worden sind: Das innerhalb § 823 Abs. 1 BGB gewohnheitsrechtlich entwickelte Recht am Unternehmen, § 826 BGB und § 1 UWG. Zu diesen gesetzlichen Regelungen treten noch zwei Vorschriften von geringerer aber ergänzender und untereinander korrespondierender Bedeutung hinzu: § 824 BGB und § 14 UWG. Die anderen vorgestellten Tatbestände, die gelegentlich über § 823 Abs. 2 BGB anwendbaren strafrechtlichen Ehrenschutzbestimmungen, § 15 UWG und die schon aus anderen Gründen ausgegliederten Tatbestände des § 26 GWB, nehmen demgegenüber eine Sonderstellung ein. Sie erlangen nur geringe praktische Bedeutung, werden selten angewendet und bergen als enger begrenzte Normen nur geringe methodische Probleme. Sie sollen deshalb, wie bereits angedeutet, aus der weiteren Betrachtung, insbesonde aus der nun folgenden Erörterung der Konkurrenzverhältnisse ausgeschieden werden 1 . I. D a s V e r h ä l t n i s d e r b ü r g e r l i c h rechtlichen Vorschriften zueinander 1. Das Recht am Unternehmen im Verhältnis zu § 824 BGB Die Rechtsprechung betont immer wieder, daß dem innerhalb des § 823 Abs. 1 BGB entwickelten sonstigen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nur ein lückenausfüllender Charakter zukomme 2 . Jedoch hat die Rechtsprechung dies bisher meist nur i m Hinblick 1

A u f die M i t t e l des Schutzes vor unternehmensschädigenden Äußerungen, wie den Unterlassungs-, Widerrufs- u n d Schadensersatzanspruch sowie die möglichen Hilfsansprüche, w i r d hier nicht eingegangen, da die Spannungslage zwischen Meinungsäußerungsfreiheit u n d Unternehmensschutz die rechtliche Beurteilung dieser Ansprüche nicht berührt u n d die Frage nach diesen A n sprüchen erst auf der nachfolgenden Stufe gestellt werden kann. Ausführliche und auf den Schutz vor schädlichen Äußerungen zugeschnittene Darstellungen geben : Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre u n d des wirtschaftlichen Rufs, S. 7 ff.; Graßmann, S. 82 ff., u n d Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 223 ff. Siehe i m übrigen auch Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 164 ff. Einl. UWG. 2 B G H Z 36, 252, 257 — Gründerbildnis — ; BGH, N J W 63, 531, 533 — K i n d e r nähmaschine —; BGH, B B 65, 723 f. — Zonenbericht — ; BGH, N J W 66, 1617, 1618 — Höllenfeuer —, spricht von einem „Auffangtatbestand". Zustimmend zu dieser Rspr.: Schippel, S. 1; Gieseke, GRUR 50, 298, 304, 308; v. Caemmerer, S. 90; Völp, WRP 63, 109, 114; E. Reimer, Wettbewerbs- und WZR, 4. Aufl., 2. Kapitel, Anm. 9; Nipperdey, N J W 67, 1985, 1987, 1992, 1994; Baumbach-

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

auf die Normen des UWG festgestellt. Dennoch muß dieses Ergebnis auch i m Verhältnis zu § 824 BGB gelten 8 . Denn hier handelt es sich wie bei den UWG-Vorschriften u m eine Sondernorm, die nur für unwahre unternehmensschädigende Äußerungen gilt. Hinzu kommt, daß das Recht am Unternehmen gerade wegen der Unvollständigkeit der Norm des § 824 BGB entwickelt wurde 4 . Es geht also nicht an, dem lückenausfüllenden Recht am Unternehmen zusätzlich die gesetzliche Aufgabe des § 824 BGB einzuverleiben. Soweit unwahre Tatsachenäußerungen zur Beurteilung anstehen, gilt nur § 824 BGB. I m übrigen kommt das Recht am Unternehmen zur Anwendung 5 . 2. Das Recht am Unternehmen im Verhältnis zu § 826 BGB Zum Verhältnis des Rechts am Unternehmen zu § 826 BGB wurde bereits dargelegt, daß die Generalklausel des Unternehmensschutzes i n der heutigen Form die zeitgerecht verstandene deliktische Generalklausel des § 826 BGB teilweise überlagert, soweit nicht dem Recht am Unternehmen ein eigener Anwendungsbereich für fahrlässige Schädigungen verbleibt 6 . Es muß also von einer Anspruchskonkurrenz dieser beiden Vorschriften ausgegangen werden. 3. § 826 BGB im Verhältnis zu § 824 BGB Für die Auffassung, die die Formel von den „guten Sitten" an einem ethischen Standard zu orientieren versucht, muß unzweifelhaft kumulative Anspruchskonkurrenz zwischen beiden Vorschriften vorliegen. Da hier aber eine Interessenwertung für die Anwendung der deliktischen Generalklausel des § 826 BGB vorgeschlagen w i r d und § 824 BGB für unwahre Tatsachenäußerungen eine typisierte Interessenentscheidung bereithält, kann Raum für § 826 BGB nur dann bleiben, wenn die typisierte Interessenwertung versagt 7 . Hefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 115. Darauf, daß hierin ein Widerspruch zur Einordnung des Unternehmensschutzes unter die sonstigen Rechte i n § 823 Abs. 1 B G B liegt, wurde schon auf S. 54 i n Note 146 hingewiesen. 3 I n BGH, J Z 64, 509, 510 — Elektronenorgeln — machte der B G H auf die naheliegenden Bedenken aufmerksam, angesichts der speziellen Regelung des § 824 B G B auf den generalklauselartigen Deliktstatbestand des Rechts am Gewerbebetrieb zurückzugehen; i n der A n m . zu diesem U r t e i l (JZ 64, 511) befürwortet Deutsch die angedeutete Vorrangstellung des § 824 BGB. BGH, GRUR 67, 540, 542 — Die Nächte der B i r g i t Malmström — m i t zust. A n m . von Kleine, läßt den „Auffangtatbestand" des Rechts am Gewerbebetrieb durch die spezielle Gesetzesvorschrift des § 824 B G B ausgeschlossen sein. 4 Vgl. S. 39 f. 5 Das gilt auch f ü r wahre Tatsachenbehauptungen, vgl. S. 50 f. 6 Vgl. S. 66 f. 7 Es soll nicht verkannt werden, daß diese Auffassung den Vorstellungen des Gesetzgebers u n d der h. M. widerspricht, die noch Hoffnungen an den Aus-

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: Das einfache Gesetzesrecht

II. D a s V e r h ä l t n i s d e r wettbewerbsrechtlichen Vorschriften

zueinander

I m UWG konzentriert sich die Frage nach den Tatbestandskonkurrenzen auf das Verhältnis der Generalklausel zu den Sondervorschriften des Gesetzes. Die Entstehungsgeschichte des § 1 UWG kann dazu einen wichtigen Hinweis geben 8 . Das UWG vom 27. 5. 1896 bestand nur aus Einzeltatbeständen. I m Zuge der Gesetzesanwendung i n der Praxis erwies sich diese Regelung i n Anbetracht der Vielzahl der neu auftretenden und nicht erfaßten Wettbewerbsverstöße jedoch als unzulänglich, so daß durch Gesetz vom 7. 6. 1909 dem UWG die Generalklausel des § 1 U W G hinzugefügt wurde. Diese Tatsache sowie die Stellung des § 1 UWG an der Spitze des Gesetzes bringen zum Ausdruck, daß die Generalklausel das ganze Gesetz beherrscht. Sie soll ergänzend und unterstützend überall da eingreifen, wo die Einzelvorschriften des Gesetzes nicht ausreichen 9 . Eine Verständnismöglichkeit des Verhältnisses der Generalklausel zu den Sondervorschriften ist damit bereits ausgeschlossen. Es geht nicht an, ein nicht unter ein Sonderverbot fallendes Verhalten zugleich generell als nicht gegen § 1 UWG verstoßend anzusehen. Man kann also nicht, um den hier interessierenden § 14 UWG als Beispiel zu nehmen, wahre Tatsachenäußerungen deswegen als erlaubt betrachten, w e i l § 14 UWG nur unwahre Tatsachenbehauptungen verbietet 1 0 . Damit sind aber nicht alle Verständnismöglichkeiten erschöpft. § 1 UWG kann noch zu den Sondervorschriften i m Verhältnis kumulativer Anspruchskonkurrenz stehen 11 oder nur dann zur Anwendung kommen, sagewert eines ethischen Standards knüpft. Der (Ergänzungs-) F u n k t i o n einer Generalklausel gegenüber eng begrenzten Tatbeständen des gleichen Rechtsgebiets w i r d diese Auffassung aber gerecht. 8 Vgl. dazu Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 12 Einl. UWG, und Spengler, D W 60, 75, 78. 9 Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 1 zu § 1 U W G ; Brinkmann, W R P 63, 230, 236; Bergmann, S. 94 ff.; Eichmann, S. 16. 10 So ursprünglich Völp, W R P 60, 197, 198 f.; ders., W R P 61, 135, 138, abschwächend; ders., W R P 65, 125, 129, diese Auffassung aufgebend. Gegen die ursprüngliche Auffassung Völps: Spengler, D W 60, 75, 78; Leo, W R P 60, 293 f.; Borck, W R P 61, 1, 4; Wenzel, N J W 62, 81; Borck, W R P 62, 249; Brinkmann, WRP 63, 230, 236; Gödde, S. 92 ff.; Bergmann, S. 94 ff.; Eichmann, S. 16; Kubler, Wirtschaftsordnung, S. 25 Note 80; O L G Köln, GRUR 62, 102, 104 — B ü r o bedarf — ; O L G Celle, GRUR 62, 101, 102 — Waschmaschinen — ; BGH, N J W 61, 1916, 1918 — Betonzusatzmittel —. A l l diese Stimmen betrachten das Problem unter dem B l i c k w i n k e l der Zulässigkeit der vergleichenden Werbung. 11 I n der L i t e r a t u r und Rspr. w i r d nicht i m m e r klar, welche der beiden w e i teren Verständnismöglichkeiten gemeint ist. Ausdrücklich von k u m u l a t i v e r Anspruchskonkurrenz gehen jedoch aus: Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 1 zu § 1 U W G (der i n A n m . 209, 213 zu § 1 U W G u n d A n m . 1 zu § 14 U W G jedoch von einer „Ergänzung" des § 1 U W G spricht); D. Reimer i n A n m . zu BGH, GRUR 62, 45, 50 — Betonzusatzmittel — ; Borck, W R P 61, 1, 4; Bergmann, S. 96 f.

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

wenn ein Sondertatbestand nicht durch einen konkreten Sachverhalt verwirklicht ist. Für die letzte Möglichkeit spricht, daß die Sondertatbestände typisierte Interessenentscheidungen des Gesetzgebers bereithalten und sich demgemäß eine eigene Interessenwertung des Richters i m Rahmen des § 1 UWG erübrigt. Der allgemeine Tatbestand geht i n diesem Fall i n dem Sondertatbestand auf. Erst dann, wenn ein Sondertatbestand auf einen konkreten Sachverhalt nicht mehr anwendbar ist, kann § 1 UWG eingreifen. Für das Verhältnis des § 1 UWG zu § 14 UWG bedeutet dies, daß § 14 UWG dann vorgeht, wenn in einem konkreten Fall unwahre Tatsachenbehauptungen nach § 14 UWG zu beurteilen sind. III. D a s V e r h ä l t n i s d e r V o r s c h r i f t e n des B G B zu d e n e n des

UWG

Die Rechtsprechung 12 geht davon aus, daß die Vorschriften des UWG keine lückenlose Regelung des gesamten wettbewerblichen Handelns enthalten. Deshalb könne die Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften nicht generell unter dem Gesichtspunkt des Spezialgesetzes ausgeschlossen werden, wenn ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs vorliege. Wann eine spezielle Regelung die allgemeine verdränge, dürfe vielmehr nur aufgrund des Zusammenhanges, der Entstehungsgeschichte und insbesondere des Zwecks der Vorschrift beantwortet werden. Dieser Auffassung liegt unausgesprochen ein Verständnis der wettbewerblichen Generalklausel zugrunde, das sich am ethischen Standard zur Ausfüllung der Formel von den „guten Sitten" orientiert und dem hier nicht gefolgt wird. Wer wie hier i n der wettbewerblichen Generalklausel eine Delegationsnorm sieht, die die eigentlich dem Gesetzgeber obliegende Aufgabe der Interessenwertung und -entscheidung auf den Richter überträgt, damit dieser alle unvorhergesehenen sowie atypischen, durch die Sondernormen des UWG nicht erfaßten Wettbewerbsverstöße bewältigen kann, muß i m Gegensatz zur Rechtsprechung davon ausgehen, daß das UWG keine Lücken läßt 1 3 . Eine weitere Aussage, als daß das bürgerliche Recht mangels Lücken i m Wettbewerbsrecht keine solchen ausfüllen kann, läßt sich dieser Feststellung freilich nicht entnehmen. Nur noch ein Hinweis kann der lückenlosen Regelung des Wettbewerbs12 B G H Z 36, 252, 255 — Gründerbildnis — ; zust. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 46 Einl. UWG. 13 I m Ergebnis ebenso: Eichmann, S. 13 f.; Katzenberger, S. 150. Beider E r gebnis erklärt sich aus dem Abgehen vom ethischen Standard u n d dem Abstellen auf sozialgesellschaftliche Anschauungen bzw. sittliche Normen des sozialen Zusammenlebens. Dem Sinne nach ebenso Brinkmann, W R P 63, 291, 294 f., der von einer Interessenabwägung für § 1 U W G ausgeht u n d die Prüfung eines Anspruchs wegen eines Eingriffs i n das Recht am Unternehmen immer dann für „überflüssig" hält, wenn es u m Wettbewerbshandlungen geht. a. A. RGRK, Anm. 6 vor § 823 BGB.

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: Das einfache Gesetzesrecht

rechts abgewonnen werden. Es spricht viel dafür, daß neben einer solchen abschließenden Regelung eines bestimmten Rechtsgebiets für Normen eines anderen Rechtsgebiets kein Raum bleibt. Ob das wirklich der Fall ist, läßt sich allerdings nur anhand eines Vergleichs der verschiedenen Normen feststellen, deren Anwendungsbereich sich überschneidet. 1. Das Recht am Unternehmen im Verhältnis zu§ 1 UWG Wenn festgestellt wurde, daß dem generalklauselartigen Unternehmensschutz durch das Recht am Gewerbebetrieb nur ein lückenausfüllender Charakter zukomme 14 , das Recht gegen den unlauteren Wettbewerb aber keine Lücke aufweise, weil dessen Lücken durch die Generalklausel des § 1 UWG geschlossen würden, überrascht es nicht, daß das Recht am Unternehmen i m Wettbewerbsrecht keine Anwendung finden kann. Dieses Ergebnis w i r d bestätigt, wenn man die lückenschließende Funktion der beiden Generalklauseln noch einmal näher bezeichnet und vergleicht. Beide Normen 1 5 beherrschen jeweils die Rechtsgebiete, denen sie zugeordnet sind. Beide Normen erfüllen in den ihnen zugehörigen Rechtsgebieten dieselbe Funktion. Sie beauftragen den Richter, eine Interessenwertung dann vorzunehmen, wenn die typisierten Interessenentscheidungen des Gesetzgebers einen konkreten Sachverhalt nicht oder nur unzutreffend erfassen. Daraus kann nur folgen, daß die beiden Normen sich gegenseitig ausschließen 16 . Wenn von der Tendenz gesprochen wird, die Wettbewerbshandlung i m bürgerlichen Recht und i m Wettbewerbsrecht einheitlich zu behandeln 1 7 , so t r i f f t das nicht den Kern der Sache. Denn eine Wettbewerbshandlung darf nach der hier bisher zum Verhältnis vom Recht am Unternehmen zur wettbewerblichen Generalklausel vertretenen Auffassung nicht nach der bürgerlich-rechtlichen Regelung des Unternehmensschutzes beurteilt werden, da ansonsten die Gefahr besteht, daß speziell einschlägige, wettbewerbsrechtliche Wertungen außer Betracht bleiben 1 8 . 14

Vgl. S. 87 f. F ü r das Gebiet der unerlaubten Handlung des B G B t r i f f t das nicht voll zu, da sich dort das Recht am Unternehmen u n d § 826 B G B überlagern, vgl. S. 66 f. M a n muß sich also zum Recht am Unternehmen § 826 B G B hinzudenken und beide Normen § 1 U W G gegenüberstellen. 16 Wie hier die S. 90 Note 13 genannten Autoren. Wenn man § 1 U W G nicht an einem ethischen Standard orientiert u n d dennoch das Recht am Unternehmen ins Wettbewerbsrecht einführt, muß man bei der Interessenwertung zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit einer unternehmensschädigenden Handlung auch die Bewertungsfaktoren berücksichtigen, die sich aus dem Wettbewerbsrecht ergeben. Diese aber werden bereits bei der Interessenwertung zur Bestimmung der Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung i m Rahmen des § 1 U W G berücksichtigt, so daß sich das Recht am Unternehmen erübrigt. 17 So Brinkmann, W R P 63, 291, 294. 18 M a n kann dieser Gefahr auch dadurch aus dem Wege gehen, daß man für eine Wettbewerbshandlung das U n w e r t u r t e i l der Sittenwidrigkeit i n § 1 15

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2. T e i l : Das einfache Gesetzesrecht

Aus dem gleichen Grunde darf eine Handlung, die nicht Wettbewerbshandlung ist, nur nach der bürgerlich-rechtlichen Regelung des Unternehmensschutzes gewürdigt werden. Damit ist freilich wie häufig nur ein Grundsatz angesprochen, dessen Verwirklichung dort i n Gefahr gerät, wo die Entscheidung, ob eine Wettbewerbshandlung vorliegt oder nicht, insbesondere wegen des K r i teriums der Wettbewerbsabsicht nur schwer zu treffen ist. Es handelt sich um die Fälle, die i n der Typologie als unternehmensschädigende Äußerungen auf der Grenze zum Wettbewerb bezeichnet wurden 1 9 . 2. Das Verhältnis des § 826 BGB zu§l

UWG

Es gilt für das Verhältnis der deliktischen Generalklausel des § 826 BGB zu § 1 UWG nichts anderes als für das des generalklauselartigen Unternehmensschutzes zu § 1 UWG. Die beiden Regelungen können nebeneinander nicht zur Anwendung kommen. Die Rechtsprechung vert r i t t zwar m i t Rücksicht auf die kurze Verjährung des § 21 UWG eine andere Auffassung, da der sittenwidrig Handelnde nicht deswegen privilegiert werden dürfe, weil er i n Wettbewerbsabsicht handele 20 . Aber diese Rechtsprechung berücksichtigt zu Unrecht einen sittlichen Vorwurf, der dem Handelnden gerade nicht gemacht werden kann 2 1 . Außerdem würde diese Auffassung der Rechtsprechung in Verbindung mit der hier vertretenen Auslegung des § 826 BGB die Regelung des § 21 UWG, für die besondere rechtspolitische Gründe sprechen 22 , hinfällig werden lassen. 3. Das Verhältnis der bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln

zu §14 UWG

Wenn das UWG keine Lücken läßt und wenn die bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln immer zurücktreten, sofern das Gesetz in Sondertatbeständen typisierte Interessenentscheidungen bereithält, so können U W G sich m i t dem der Widerrechtlichkeit i n § 823 Abs. 1 B G B (Recht am Unternehmen) decken läßt, indem man i n die hier ebenfalls erforderliche Interessenwertung die wettbewerbsrechtlichen Wertungen einführt; so Brinkmann, W R P 63, 291, 295. Der Schritt zur ausschließlichen Geltung der beiden Normen i n den ihnen jeweils zugehörenden Rechtsgebieten ist dann freilich nicht mehr groß. 19 Vgl. S. 14 f. 20 B G H Z 36, 252, 256 — Gründerbildnis — ; ebenso Esser, Schuldrecht, § 201, 3 c. 21 Widersprüchlich ist diese Auffassung, w e n n man § 1 U W G i n die Überlegungen m i t einbezieht. Denn der dort konsequenterweise von der Rspr. und der h. M. zu erhebende sittliche V o r w u r f rechtfertigt dennoch die kurze V e r j ä h r u n g des § 21 UWG. 22 Vgl. Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 5 zu § 21 UWG.

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: Das einfache Gesetzesrecht

die bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln des Hechts am Unternehmen und des § 826 BGB ebensowenig wie § 1 U W G zur Anwendung kommen, falls § 14 UWG i n einem konkreten Sachverhalt verwirklicht ist 2 3 . Ist das nicht der Fall, so bleibt nur Raum für § 1 UWG, nicht dagegen für die genannten bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen. 4. Das Verhältnis des § 824 BGB zu den Vorschriften des UWG § 824 BGB enthält eine typisierte Interessenentscheidung, so daß bei seiner Verwirklichung anhand eines konkreten Sachverhalts § 1 UWG zurücktreten muß. I m übrigen sind die Voraussetzungen der Haftung aus § 824 BGB gegenüber denen des § 14 UWG unterschiedlich ausgestaltet, so daß beide Vorschriften nebeneinander zur Anwendung kommen müssen 24 . Die abschließende Regelung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb steht dem nicht entgegen, da die Lückenlosigkeit nur durch § 1 UWG gewährleistet wird, der aber hinter § 14 UWG zurücktritt. 5. Die Normen des UWG als Schutzgesetz im Sinne des § 823 BGB Die Bestimmung des § 823 Abs. 2 BGB darf nicht berücksichtigt werden, soweit das Schutzgesetz oder eine zu i h m gesondert ergangene Haftungsnorm an die Verletzung bereits eine Schadensersatzpflicht knüpft 2 5 . Andernfalls würde die kürzere Verjährungsfrist des § 21 U W G gegenüber der des § 852 zur BGB zur Wirkungslosigkeit verdammt.

23 a. A . BGH, W R P 68, 50, 51 — Spielautomat —, für das Verhältnis des Rechts am Gewerbebetrieb zu § 14 U W G : § 14 U W G verlange für den Schadensersatzanspruch gegenüber § 823 Abs. 1 B G B kein Verschulden; das Hinzutreten dieses Merkmals i n § 823 Abs. 1 B G B rechtfertige die A n w e n d u n g der dem Verletzten i n Bezug auf die V e r j ä h r u n g günstigeren Vorschriften der §§ 823 Abs. 1, 852 BGB. Hier scheint wieder § 1 U W G nicht i n die Überlegungen m i t einbezogen zu sein (allerdings w a r der Blick auf § 1 U W G durch die bei unberechtigten Schutzrechtsverwarnungen übliche Verneinung der Sittenwidrigkeit verbaut). Denn er gewährt Schadensersatz ebenfalls n u r bei Verschulden. Dennoch bleibt es bei der kurzen V e r j ä h r u n g des § 21 UWG. E i n Zurückgreifen auf das Recht am Unternehmen ist also ungerechtfertigt. 24 RGZ 74, 434, 435; B G H Z 36, 252, 256 — Gründerbildnis —. 25 B G H Z 36, 252, 256 — Gründerbildnis — ; Westermann, Schuldrecht, § 201, 3 c.

Zweites Kapitel

Das Offensein des einfachen Gesetzesrechts für verfassungsrechtliche Wertungen Nach der Darstellung der zivilrechtlichen Tatbestände, die dem Schutz des Unternehmens vor schädlichen Äußerungen dienen, soll noch vor der Erörterung der verfassungsrechtlichen Problematik der Meinungsäußerungsfreiheit und ihres verfassungsrechtlich gesteuerten Einwirkens auf das einfache Gesetzesrecht die Fähigkeit und Bereitschaft des Zivilrechts interessieren, Freiheitsentscheidungen des Verfassungsgebers aufzunehmen und zu respektieren, ohne daß eine bisher noch dahinzustellende verfassungsrechtliche Kraft dazu zwingt. Erst wenn feststeht, ob eine derartige Aufnahmebereitschaft besteht oder nicht vorhanden ist, kann die Arbeit fortfahren und untersuchen, ob die Verfassung sich dem zivilrechtlichen Verlangen anpaßt, ob sie noch darüber hinausgeht, indem sie dem Zivilrecht die Aufnahme ihrer Freiheitsentscheidungen i n dieser oder jener Form diktiert, oder ob sie das möglicherweise verfassungsrechtliche Entscheidungen abweisende Zivilrecht zur Aufnahme zwingt. Daß die Grundrechtsordnung und das Privatrecht nicht völlig beziehungslos nebeneinanderstehen und daß einerseits die Grundrechtsordnung sich dem Privatrecht zuneigt und andererseits die Privatrechtsordnung i n vielen Bereichen durchaus bereit ist, i m Grundrechtsabschnitt der Verfassung enthaltene Freiheitsentscheidungen aufzunehmen, hat Leisner eingehend nachgewiesen 1 . Damit ist freilich nur der große Überbau aufgezeigt, in den sich eine Lösung einpaßt, die darauf hinausläuft, daß die Privatrechtsordnung geneigt ist, verfassungsrechtliche Wertungen zu berücksichtigen. Allerdings schließt Leisners Untersuchung auch den Vorwurf aus, der die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen i m zivilrechtlichen Bereich als systemfremd abqualifiziert. Die endgültige Lösung der eingangs aufgeworfenen Frage i m Hinblick auf das Thema, dessen Ausführung der Auflösung der Gegensätze zwischen Meinungsäußerungs- und Unternehmensschutz dient, muß auf die einzelnen Vorschriften zurückgehen, die Unternehmensschutz gewähren. Einschlägig und besonders bedeutsam sind hier die drei Generalklauseln 1

Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 1 ff.

2. Kap. Das Offensein des einfachen Gesetzesrechts

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des Rechts am Unternehmen, des § 826 BGB und des § 1 U W G sowie die beiden enger begrenzten Tatbestände des § 824 BGB und des § 14 UWG, die generell oder i n Teilbereichen zu Interessenwertungen und Interessenentscheidungen auffordern. Zur Wertung der konkurrierenden und gegeneinander stehenden Interessen sind danach Bewertungsfaktoren oder Vorzugselemente erforderlich, die zum Ausdruck bringen, ob ein Interesse positiv oder negativ und mit welcher Stärke i m Vergleich zu anderen Interessen zu werten ist. Da die Bestimmungen, die den Richter zu Interessenwertungen ermächtigen, solche Bewertungsfaktoren meist nicht oder nur i n geringer Zahl aufweisen, sind die Bewertungsfaktoren an anderen Orten aufzusuchen. Doch darf der Richter die Fundstellen für Bewertungsfaktoren nicht beliebig auswählen. Denn aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung und aus der Bindung des Richters an Gesetz und Recht folgt, daß die Bewertungsfaktoren oder Vorzugselemente der Rechtsordnung zu entnehmen sind 2 . Daraus ist nun der entscheidende Hinweis darauf zu gewinnen, daß die Bewertungsfaktoren, soweit möglich, auch aus der Verfassung entnommen werden müssen. Denn der Verweis auf die Gesamtrechtsordnung beinhaltet den Verweis auf die Verfassung 3 . Häufig w i r d i n diesem Zusammenhang statt von der Verfassung von der Grundrechtsordnung gesprochen, deren Wertentscheidungen zu beachten seien 4 . Dahinter verbirgt sich bereits die weitere Überlegung, daß die Verfassung vor allem i m Grundrechtsabschnitt und nicht so sehr i m organisatorischen Teil Wertentscheidungen enthält, die die Entnahme von Bewertungsfaktoren ermöglichen. Damit ist jedoch der gesicherte Boden der Folgerungen verlassen, die allein vom einfachen Gesetzesrecht aus erlaubt sind, da die Frage, wo und wieweit das Verfassungsrecht Wertentscheidungen enthält, nur aus i h m heraus zu lösen ist. Deshalb muß die Erörterung des Offenseins des einfachen Gesetzesrechts für verfassungsrechtliche Wertungen m i t der Zusammenfassung abbrechen, daß dort, wo Interessenwertungen erforderlich sind, die Bewertungs2

Vgl. S. 59 ff. Larenz, Allg. Teil, S. 36; Kraft, S. 69, 86 u n d 249 f.; Eichmann, S. 56 ff.; Hubmann, AcP 155, 89, 99; Rehbinder, S. 64; K a r l Droste, W R P 64, 65, 71. Den gleichen Gedanken bringen, allgemeiner u n d nicht so sehr auf die I n t e r essenwertung zugeschnitten, zum Ausdruck Simitis, S. 180 ff.; Steindorff, JZ 60, 582, 583; Huber i n Schüle-Huber, S. 115 f.; Zippelius, S. 151 f. Es sind hier bewußt nur solche Autoren ausgewählt worden, die sich m i t dieser Frage ausschließlich unter dem Aspekt der Auslegung und Anwendung des Z i v i l rechts ohne ein Eingehen auf die Problematik der sogenannten D r i t t w i r k u n g der Grundrechte gewidmet haben. Denn die Stimmen zur sog. D r i t t w i r k u n g sehen das Problem aus der entgegengesetzten Richtung. Bei ihnen w i r d i n aller Regel nicht gefragt, ob und wo sich das einfache Gesetzesrecht aus eigener K r a f t verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen öffnet. 4 Larenz, a.a.O.; Hubmann, AcP 155, 89, 90, u n d Zippelius, S. 153, sehen die Verfassung auch unter dem engeren Aspekt des Grundrechtsabschnitts. 3

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2. Teil: Das einfache Gesetzesrecht

faktoren auch der Verfassung entnommen werden können, soweit die Verfassung Wertentscheidungen bereithält. Noch ein Wort zur Erforderlichkeit der Interessenwertung bei enger gefaßten Tatbeständen: Sie enthalten i n aller Regel typisierte Interessenentscheidungen, die eine erneute Interessenwertung grundsätzlich überflüssig machen. I m gleichen Maße entfällt die Notwendigkeit, auf aus dem Verfassungsrecht zu gewinnende Bewertungsfaktoren einzugehen 5 . Es kann jedoch sein, daß selbst enger gefaßte Tatbestände i n einzelnen Bereichen zu weit gefaßt sind. Als Beispiel mag § 824 Abs. 1 BGB dienen 6 . Dann sind zur weiteren, möglicherweise erforderlichen Eingrenzung wiederum Interessenwertungen vorzunehmen, bei denen die Frage nach der Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorzugselemente wie zuvor zu stellen und vorläufig zu lösen ist. Erst jetzt kann der folgende Teil der Arbeit auf die verfassungsrechtliche Problematik i n bezug auf den Meinungsäußerungs- und Unternehmensschutz eingehen. Und erst jetzt ist die Frage erlaubt, ob das Verfassungsrecht allgemein und speziell i n A r t . 5 Abs. 1 GG zivilrechtlich verwertbare Wertentscheidungen getroffen hat, die der zivilrechtlichen Aufnahmebereitschaft entgegenkommen und die das insofern „offene" Zivilrecht ausfüllen, oder ob gar das Verfassungsrecht eine zusätzliche Öffnung des Zivilrechts zur Berücksichtigung seiner Entscheidungen erzwingt.

5 Je mehr Tatbestände typisierend gefaßt sind, u m so mehr t r i t t die Bedeutung verfassungsrechtlicher Vorzugselemente zurück u n d u m so mehr rückt die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer N o r m i n den Vordergrund, vgl. dazu S. 232. 6 Vgl. S. 37 f.

Dritter Teil

Die Bedeutung des Verfassungsrechts für das einfache Gesetzesrecht aus verfassungsrechtlicher Sicht Nach dem Thema soll Gegenstand dieser Arbeit die Spannungslage zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Unternehmensschutz sein. Bisher beschäftigten sich die Erörterungen mit dem zivilrechtlichen Unternehmensschutz. Daß nun auf den verfassungsrechtlichen Meinungsäußerungsschutz eingegangen wird, erscheint nur folgerichtig. Wenn auch die Schwerpunkte der Erörterungen mit dem Gegensatzpaar zivilrechtlicher Unternehmensschutz und verfassungsrechtlicher Meinungsäußerungsschutz sowie der implizite angesprochenen Erforderlichkeit eines Ausgleichs dieses Gegensatzes ausreichend bezeichnet sind, so wäre es doch falsch, die Ausführungen auf diese Schwerpunkte zu beschränken. Denn bei näherem Zusehen fällt der Blick des Betrachters nicht nur auf die Schwerpunkte, die dem Gesamtbild die wesentlichen Konturen geben, sondern auch auf feinere Schattierungen und Abstufungen. So w i r d dem Unternehmen z. B. nicht nur zivilrechtlicher, sondern auch verfassungsrechtlicher Schutz gewährt. Und es kann der Meinungsäußerungsschutz wie i m Falle des Anzeigenboykotts nicht nur dem zustehen, der sich unternehmensschädigend äußert, sondern als Meinungsäußerungsschutz i m weiteren Sinne auch dem geschädigten Unternehmen. Umgekehrt kann sich auf den Unternehmensschutz nicht nur das geschädigte Unternehmen, sondern wie bei gewerblichen Leistungstests auch der berufen, der sich schädigend äußert, und der dafür zusätzlich den verfassungsrechtlichen Meinungsäußerungsschutz beansprucht. Schließlich kann der Meinungsäußerungsschutz ohne eine Inbezugsetzung zum einfachen Gesetzesrecht nicht ausreichend erfaßt werden, da die Meinungsäußerungsfreiheit nach A r t . 5 Abs. 2 GG nur i m Rahmen der Schranken der allgemeinen Gesetze gewährleistet wird. Und nicht zuletzt bedarf es auch eines Eingehens auf die Pressefreiheit. Denn für eine große Zahl der i n der Typologie aufgezählten Fälle, die schon mit dem Anzeigenboykott und m i t dem gewerblichen Leistungstest beispielhaft berührt wurden, ist zu ermitteln, ob sich aus der Pressefreiheit zusätz7

Koller

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrech

liehe Gesichtspunkte für den Schutz von Presseäußerungen gewinnen lassen. Alle diese Aspekte des Gesamtbildes müssen gelöst werden. Gleichwohl soll vorerst der Äußerungsschutz in seinem Verhältnis zum einfachen, insbesondere zivilrechtlichen Gesetzesrecht i m Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Denn die Erörterung dieser Schwerpunkte w i r d zeigen, daß die Lösungen der Teilprobleme, die nicht die wesentlichen Konturen des Gesamtbildes zeichnen, leicht aus dem Ergebnis der schwerpunktartigen Betrachtung abzuleiten sind.

Erstes Kapitel

Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 GG Einleitung: Der individualrechtliche und der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte Die Grundrechte sind „ i n erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Das ergibt sich aus der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee wie aus den geschichtlichen Vorgängen, die zur Aufnahme von Grundrechten i n die Verfassungen der einzelnen Staaten geführt haben" 1 . Demgemäß w i r d folgerichtig der Gehalt eines Grundrechts vorwiegend individualrechtlich gedeutet. A n dieser Betrachtungsweise w i r d auch hier festgehalten. Denn daran, daß die Grundrechte der Freiheit des einzelnen wegen verbürgt sind, ist nicht zu rütteln. Doch soll diese Betrachtungsweise von einer anderen Seite her ergänzt werden 2 . Denn eine Vielzahl m i t den Grundrechten mittelbar oder unmittelbar zusammenhängender Probleme wie etwa die Frage nach der sogenannten D r i t t w i r k u n g als auffälligstem Beispiel lassen sich nur mit einem ausdrücklichen oder gar unausgesprochenen Abgehen von der rein individualrechtlichen Betrachtung lösen. I m 1 BVerfG, JZ 58, 119, 120 — L ü t h — ; ebenso Maunz, Staatsrecht, 11. Aufl., S. 90, u n d Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. A I I 4 — vor a. 2 Wegen der Gefahr von Mißverständnissen muß schon hier darauf hingewiesen werden, daß der individualrechtliche Gehalt der Grundrechte keineswegs geleugnet werden darf; vgl. dazu S. 103 ff. I m Gegenteil, er soll gleichberechtigt i m Verhältnis wechselseitiger Ergänzung neben dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte stehen, den w i r später auch m i t „ i n s t i t u t i o neller Gehalt" bezeichnen wollen; vgl. S. 104 Note 22. Das Operieren m i t dem Begriff des Institutionellen oder dessen I n h a l t birgt immer wieder Möglichkeiten des Mißverstehens, denn es w i r d meist nicht sauber unterschieden z w i schen dem institutionellen Denken u n d der institutionellen Garantie. Darauf verweist m i t Recht Schnur , V V D S t R L 22, 201 (Diskussionsbeitrag). Raiser , GG und Privatrechtsordnung, S. Β 13 Note 22, spricht von einem uneinheitlichen Sprachgebrauch, Häberle, S. 82, von der „terminologischen Unbekümmertheit", m i t der oft gearbeitet werde. W i r werden darauf bei der angeblich i n der Pressefreiheit enthaltenen Einrichtungsgarantie zurückkommen.

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Moment kann diese Feststellung freilich nicht mehr als eine Hypothese sein. Sie soll auch nicht die den individualrechtlichen Aspekt ergänzende Betrachtung begründen, sondern nur die Grenzbereiche eines subjektiven Grundrechtsverständnisses illustrieren. Die ergänzende Betrachtung folgt daraus, daß die Grundrechte nicht nur der Freiheit des einzelnen wegen i n der Verfassung verankert sind, daß sie als subjektive öffentliche Rechte nicht nur der Grundrechtsberechtigten wegen verbürgt sind, sondern daß sie zugleich als Bestandteile der Verfassung und damit der Rechtsordnung objektives Recht darstellen 3 . Damit ist die von Häberle 4 treffend gekennzeichnete soziale Funktion der Grundrechte berührt. Denn die Grundrechte erschöpfen sich nicht i n der Funktion, dem einzelnen einen Freiheitsbereich anzuerkennen. Sie greifen darüber hinaus und wollen den einzelnen m i t dem i h m gewährten Freiheitsbereich i n ein sinnvolles Ganzes, i n eine Gesamtordnung hineinstellen. Das drückt sich schon darin aus, daß Freiheit nicht einem ganz bestimmten, sondern dem Individuum generell zugesprochen wird. Und das folgt des weiteren daraus, daß dem Individuum nicht nur ein Freiheitsbereich mit einen einzigen sachlichen Gehalt, sondern durch die verschiedenen Grundrechte mehrere Freiheitsbereiche verschiedenen sachlichen Gehalts zugeordnet werden. Diese verschiedenen Freiheitsbereiche dürfen und sollen nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, da 3 Schnur, V V D S t R L 22, 109 Note 16; Häberle, S. 4 ff.; Scheuner, V V D S t R L 22, 33 f., 43 f., 56; Eike v. Hippel, S. 48 f.; Friedrich Müller, S. 217; Raiser, G r u n d gesetz u n d Privatrechtsordnung, S. Β 13; Jäckel, S. 57 u n d S. 63; Reimers, A n m . 12. Einen objektrechtlichen Gehalt der Grundrechte anerkennt auch, wer die Grundrechte als oberste Werte ansieht und sie i n ein Wertsystem fügt; vgl. dazu die S. 101 Note 6 genannten Stimmen. V o m objektiv-rechtlichen Gehalt einzelner oder aller Grundrechte geht auch aus, wer einzelne oder alle G r u n d rechte als Wertentscheidungen, Grundwerte, Grundentscheidungen, unverzichtbare Werte, Ordnungssätze u n d Grundsatznormen begreift, ohne gleich von einem System auszugehen: Gallwas, S. 52; Raiser, GG u n d Privatrechtsordnung, S. Β 13; Zippelius, S. 152 f.; Peter Schneider, V V D S t R L 20, 30; Larenz, Methodenlehre, S. 318; Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 113 ff. und S. 333; Gerhard Müller, R d A 64, 121, 125; Leisner, DÖV 61, 641, 651; Bachof in: Die Grundrechte I I I 1, S. 164; ders., V V D S t R L 22, 184 (Diskussionsbeitrag); Obermayer, B a y V B l 65, 397, 399; Herbert Krüger, A l l g . Staatslehre, S. 540; Friedrich Müller, S. 205; B A G , N J W 55, 606; Nipperdey i n Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 15 I I 4 c (S. 93); ders., Grundrechte u n d Privatrecht, S. 14 f.; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 748; Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. A I V a (S. 88 f.); Dürig i n Maunz-Dürig, A n m . 99 zu A r t . 1 Abs. 3 GG. Weitere Ansätze i n Rspr. u n d Schrifttum, die auf die Annahme eines o b j e k t i v rechtlichen oder institutionellen Gehalts der Grundrechte hinauslaufen, nennt Häberle, S. 80 ff. 4 Häberle, S. 8 ff.; Smend, V V D S t R L 4, 44, 50 spricht v o m „sozialen Charakter", von der „sozialen, gruppenbildenden F u n k t i o n " speziell der Meinungsäußerungsfreiheit; letzteres greift Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 249, wieder auf; Bäumlin, S. 104, spricht (in Hinblick auf Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit) von einer sozial anerkannten Funktion.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 101 a n d e r n f a l l s die A u s ü b u n g der F r e i h e i t z u m Chaos z u f ü h r e n d r o h t . Daß diese G e f a h r m i t der S e t z u n g v o n G r u n d r e c h t e n n i c h t h e r a u f b e s c h w o r e n w e r d e n sollte, l i e g t a u f der H a n d . I s t das n i c h t der F a l l , so k ö n n e n G r u n d r e c h t e s u b j e k t i v e F r e i h e i t e n n u r m i t d e m Z i e l g e w ä h r e n , zugleich eine O r d n u n g d e r F r e i h e i t z u schaffen, die sich l e t z t l i c h als O r d n u n g des Gemeinschaftslebens e r w e i s t . Diesen Z u s a m m e n h a n g l e g t H ä b e r l e z u g r u n d e , w e n n er a u s f ü h r t , daß die G r u n d r e c h t e a u f das soziale Ganze h i n bezogen, i n ü b e r i n d i v i d u e l l e Z u s a m m e n h ä n g e e i n g e o r d n e t s i n d u n d so z u B a u s t e i n e n f ü r d i e soziale O r d n u n g als ganze w e r d e n 5 . D i e G r u n d r e c h t e i n i h r e r sozialen F u n k t i o n d a r a u f h i n z u k o n s t i t u t i v e n E l e m e n t e n eines verfassungsrechtlichen W e r t systems z u v e r d i c h t e n 6 , erscheint a l l e r d i n g s ebenso u n n ö t i g w i e u n b e g r ü n d e t . D e n n eine soziale O r d n u n g , w i e sie die V e r f a s s u n g insbesondere i m Grundrechtsteil anstrebt, m u ß nicht i n einem vollständigen u n d lückenlosen S y s t e m g i p f e l n . Sie k a n n auch p u n k t u e l l oder k o n t u r e n h a f t u n d a u s f ü h r u n g s b e d ü r f t i g gezeichnet w e r d e n , ohne daß deswegen die ordnende G r u n d k o n z e p t i o n i n Frage gestellt w i r d 7 .

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Häberle, S. 11.

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Häberle, S. 6 f., 11 u n d 39. Ebenfalls von einem Wertsystem oder einer Wertordnung i m Grundrechtsabschnitt der Verfassung sprechen: Eike v. Hippel, S. 39; Hoffmann, JuS 67, 393, 394; Leisner, JZ 64, 201; Wintrich, S. 13 f.; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 51 f.; Dürig i n Nawiasky-Festschrift, S. 176 f.; ders. i n S u m m u m ius, summa iniuria, S. 82; ders. i n Maunz-Dürig, A n m . 1 ff. zu A r t . 1 Abs. 1 GG; BVerfG, J Z 58, 119, 120 — L ü t h — ; zur Rspr. des BVerfG i n dieser Hinsicht Harnischfeger, S. 233 ff. Interessant ist, daß alle diese S t i m men zwar nicht wie Häberle den objektivrechtlichen oder institutionellen Gehalt der Grundrechte ausdrücklich hervorheben, daß sie aber einen solchen Gehalt unausgesprochen zugrunde legen. Denn sonst ließen sich die G r u n d rechte nicht als Werte verstehen. Gegen die Annahme eines Wertsystems i m Grundrechtsabschnitt, damit aber sicherlich nicht gegen den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte sprechen sich aus: Scheuner, V V D S t R L 22, 37 ff. und 42 ff.; Lerche, Ubermaß, S. 131; ders., Werbung, S. 32 f. u n d S. 101; ders., DÖV 65, 212, 214; Geiger, G r u n d rechte, S. 21; Forsthoff, Umbildung, S. 151 f.; ders., Verfassungsauslegung, S. 19; Leisner, DÖV 61, 641, 650; v. Pestalozza, Der Staat, Bd. 2 (1963), S. 425, 436 f.; Ehmke, V V D S t R L 20, 53, 82; Friedrich Müller, S. 213 u n d 216; Hesse, S. 27; Raiser, GG u n d Privatrechtsordnung, S. Β 14. 7 Die Ablehnung eines Wertsystems, die dennoch nicht die ordnende G r u n d konzeption leugnen w i l l , die notfalls durch Auslegung herzustellen ist, liegt auch den Auffassungen zur Verfassungs- u n d insbesondere Grundrechtsinterpretation zugrunde, die — meist unter Berufung auf die Einheit der Verfassung — eine harmonisierende, vorsichtig systematisierende oder das Prinzip praktischer Konkordanz realisierende Verfassungsauslegung befürworten; vgl. Hollerbach, AöR 85, 241, 255; Leisner, D Ö V 61, 641, 646 f.; v. Pestalozza, Der Staat, Bd. 2, 425, 438; Scheuner, V V D S t R L 20, 125 (Diskussionsbeitrag); ders., V V D S t R L 22, 37 Note 110, 51 ff., 53; Peter Schneider, V V D S t R L 20, 37 und Leitsatz 7 c; letzterem zustimmend Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 41; Ehmke, V V D S t R L 20, 77 ff.; Ossenbühl, DÖV 65, 649, 654 f. — Friedrich Müller, S. 213 f.; Hesse, S. 28; Raiser, GG und Privatrechtsordnung, S. Β 14.

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

I m übrigen kann die soziale Funktion der einzelnen Grundrechte verschiedene Bedeutungsgrade annehmen. Häberle 8 hat dies u. a. treffend mit dem Vergleich zwischen Petitionsfreiheit und Meinungsfreiheit gekennzeichnet, welch letztere für den demokratischen Willensbildungsprozeß „schlechthin konstituierend" 9 sei und um des Ganzen willen ständig aktualisiert werde und aktualisiert werden müsse. Zugleich illustriert die i n diesem Beispiel genannte Meinungsfreiheit 1 0 die fließenden Grenzen zu einem weiteren Aspekt des objektiv-rechtlichen Gehalts der Grundrechte. Sie öffnet das Blickfeld auf den von Smend 1 1 hervorgehobenen Sinn der Verfassung, „lebendige Menschen zu einem politischen Gemeinwesen zusammenzuordnen", woraus Häberle 1 2 die Eigenschaft der Grundrechte als „funktionelle Grundlage der Demokratie" ableitet 1 3 . Denn die freiheitliche Demokratie bedarf ihrem Wesen nach gewisser personeller Grundlagen und Grundfreiheiten, ohne die „die Minderheit keine Chance hat, zur Mehrheit zu werden" 1 4 . Und die freiheitliche Demokratie gewährt die Grundrechte nicht nur um der Berechtigten, sondern auch um ihrer selbst willen 1 5 , damit es i n den jeweiligen Grundrechtsbereichen durch die individuelle Grundrechtsausübung zu einem freiheitlichen Prozeß kommt, der ein Lebenselement der Demokratie bildet 1 6 . Denn die Grundrechte sind dafür da, daß sie ausgeübt und mit Leben erfüllt werden. Sie dürfen nicht tote oder abstrakte Gebilde bleiben, wenn die von der Verfassung angestrebte freiheitliche und demokratische Ordnung nicht ihre Lebenskraft entbehren soll. Aus dem bisher Gesagten läßt sich ein dritter und letzter hier interessierender Aspekt des objektivrechtlichen Gehalts der Grundrechte 8

Häberle, S. 10. Unter Berufung auf BVerfGE 7,198, 208 — L ü t h —. A u f die Bedeutung speziell des A r t . 5 Abs. 1 GG für die freiheitliche Demokratie ist sogleich zurückzukommen. Nicht n u r die Meinungsfreiheit und die übrigen i n A r t . 5 Abs. 1 GG genannten Grundfreiheiten, sondern auch Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit können hier als augenfällige Beispiele genannt werden; vgl. Häberle, S. 18; dem Sinne nach ebenso Habermas, 2. Aufl., S. 95, i n Hinblick auf die Funktionen der Öffentlichkeit i n der rechtsstaatlichen Ordnung. 11 Smend, Bürger u n d Bourgeois, S. 319 f. u n d Note 15. 12 Häberle, S. 16 und S. 17 ff.; ders., JuS 67, 64, 70. 13 Dem Sinne nach ebenso allgemein, jedoch weniger ausführlich: Geiger, Wandlungen der Grundrechte, S. 31 f.; Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, S. 112; Eike v. Hippel, S. 48 f. Auch die Stimmen, die die Bedeutung der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 G G für eine freiheitliche Demokratie (vgl. unten S. 106 Note 2—7 u n d S. 107 Note 8) anerkennen, wären hier zu nennen. 14 Häberle, S. 17. 15 Häberle, S. 20: Die Sicherung des privaten Lebens dürfe neben der politischen Bedeutung der Grundrechte nicht übersehen werden. 16 Häberle, S. 18. Es ist bemerkenswert, daß Häberle etwas beiläufig, aber doch auch i n dieser Allgemeinheit zutreffend den notwendigen „freiheitlichen Prozeß" nennt, der uns speziell als Meinungsbildungsprozeß noch beschäftigen wird. 9

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1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 103

gewinnen. Er wurde angedeutet m i t dem Herausheben der sozialen Funktion der Grundrechte, die mit der Ordnung des Gemeinschaftslebens erfüllt wird, und er kam mittelbar zum Ausdruck beim Verstehen der Grundrechte in ihrer Bedeutung als „funktionelle Grundlage der Demokratie", wenn auf den freiheitlichen Prozeß hingewiesen wurde, der durch die Grundrechtsausübung i n Gang kommen muß. Gemeint ist, daß die Freiheitsgewährleistungen der Grundrechte nicht nur personen-, sondern auch sachbezogen sind und sein müssen 17 . Denn die grundrechtliche Regelung visiert die tatsächlichen Lebensverhältnisse an, rezipiert sie, gibt ihnen neue Formen oder verbindet beide Ansätze zu einem ,sowohl als auch'. Immer gerät nicht nur der einzelne Grundrechtsberechtigte, sondern auch der ihn umgebende Raum und sein Verhältnis zu anderen Grundrechtsberechtigten i n das Blickfeld der grundrechtlichen Regelung. Die einzelnen oder auch korrespondierenden Grundrechtsverbürgungen stellen auf einen bestimmten Lebensbereich oder, sofern ein Lebensbereich schon durch unterverfassungsrechtliche Normenkomplexe erfaßt ist, auf ein bestimmtes Rechtsgebilde ab, um diesem erhöhte rechtliche Sicherheit zu gewähren 18 . Daraus folgt, und das ist nun das Entscheidende, daß man bei der juristischen Deutung der Grundrechte die tatsächlichen Lebensverhältnisse, die Lebenssachverhalte und die Lebensvorgänge unter Berücksichtigung ihrer Eigengesetzlichkeit nicht vernachlässigen darf 1 9 . Man muß bei der Auslegung der einzelnen Grundrechte den „Sozialbezug der Freiheit" und den „Wirklichkeitsbezug des Rechts" 20 i m Auge behalten. Das gilt nicht nur für die Deutung des objektivrechtlichen Gehalts der Grundrechte allein, sondern ebenso für deren individualrechtlichen Gehalt. Nicht Gegensätze dürfen hier angenommen werden, sondern nur eine Wechselbezüglichkeit zwischen beiden Inhalten 2 1 . Denn weder kann 17 Daß Grundrechte auch sachbezogen sind, bringen zum Ausdruck: Geiger, F u n k t i o n der Presse i m demokratischen Rechtsstaat, S. 11; Friedrich Müller, S. 204 f.; dem Sinne nach ebenso Häberle, S. 16, 95, 96 ff., 100, u n d Scheuner, V V D S t R L 22, 45; differenzierend u n d einschränkend Klein i n v. MangoldtKlein, Vorbem. A V I 3 c (S. 84 f.), der Garantien gesellschaftlicher Sachverhalte i n Verbindung m i t Grundrechten sowie i n Verbindung m i t Rechtseinrichtungen und Grundrechten anerkennt; Dagtoglou, DÖV 63, 638, sieht die Pressefreiheit als u m der Sache w i l l e n gewährleistet an; ders., Wesen und Grenzen, S. 11, versteht Grundrechte als personenbezogen, Einrichtungsgarantien dagegen als sachbezogen; an Dagtoglou, DÖV 63, 638, k n ü p f t Schnur, V V D S t R L 22, 118 Note 40, an u n d hebt hervor, daß eine Freiheit n u r personenbezogen sein könne; Schnur behält diese Linie aber nicht bei, w e n n er, S. 109 f. Note 16, feststellt, daß A r t . 5 Abs. 1 GG der freien K o m m u n i k a t i o n wegen bestehe. 18 Scheuner, V V D S t R L 22, 45. 19 Friedrich Müller, S. 204 f.; Häberle, S. 16, 100; Geiger i n : F u n k t i o n der Presse i m demokratischen Rechtsstaat, S. 11. 20 Häberle, S. 95. 21 Häberle, S. 96 ff.; ebenso, w e n n auch nicht derart ausgeprägt Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 64: er spricht dem institutionellen Aspekt Ergänzungs-

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3. Teil: Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

d e r i n s t i t u t i o n e l l e G e h a l t 2 2 eines G r u n d r e c h t s ohne die d a r i n e n t h a l t e n e n s u b j e k t i v e n B e r e c h t i g u n g e n , die erst d e n W e g w e i s e n z u r W i r k l i c h k e i t , z u m T e i l b e r e i c h der a n g e s t r e b t e n sozialen O r d n u n g u n d z u r B e d e u t u n g f ü r eine f r e i h e i t l i c h e D e m o k r a t i e , noch k ö n n e n die e i n z e l n e n s u b j e k t i v e n B e r e c h t i g u n g e n o h n e B e z u g a u f d e n i n s t i t u t i o n e l l e n G e h a l t gedeutet w e r den, d e r seinerseits erst d e n a l l u m f a s s e n d e n B l i c k a u f die tatsächlichen Lebensverhältnisse erlaubt 23. D a m i t s o l l e n die e i n l e i t e n d e n A u s f ü h r u n g e n z u r D e u t u n g der G r u n d rechte aus i h r e m i n d i v i d u a l r e c h t l i c h e n u n d aus i h r e m o b j e k t i v r e c h t l i c h e n G e h a l t enden. Sie erschienen deswegen n o t w e n d i g , w e i l der i n s t i t u t i o n e l l e G e h a l t h ä u f i g v e r n a c h l ä s s i g t oder z u m i n d e s t doch n i c h t ausreichend k l a r bezeichnet w i r d u n d w e i l i m V e r l a u f e dieser A r b e i t der f u n k t i o n zu; Schnur, V V D S t R L 22, 201 (Diskussionsbeitrag), meint, es ginge u m die Frage, was an Ergebnissen m i t Hilfe der beiden Betrachtungsweisen herausgeholt werden solle; es sei zu vermuten, daß sich die Ergebnisse meistens deckten. Wenn Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 55 Note 108, behauptet, daß Häberle die individualistische Komponente i m Denken Haurious i n seiner eigenen Konzeption schließlich doch verleugne, so ist das unzutreffend; das Gegent e i l geht bei Häberle aus den S. 96 ff., insbesondere S. 97, 98, 100, 102 deutlich hervor. 22 Wenn hier die Grundrechte nicht n u r als subjektive öffentliche Rechte, sondern auch als Bestandteile des objektiven Rechts verstanden werden, führt es am wenigsten i n die Irre, w e n n man von letzterem als dem objektivrechtlichen Gehalt, Inhalt, Bestandteil oder von der objektiv-rechtlichen Seite der Grundrechte spricht. Bachof, V V D S t R L 22, 184 (Diskussionsbeitrag), w i l l von objektiv-rechtlichen Verbürgungen einer bestimmten Ordnung, Scheuner, V V D S t R L 22, 201 (Diskussionsbeitrag), von objektiver Verbürgung, S. 91 von der Seite objektiven Verfassungsrechts sprechen. Scheuner stellt dies der „institutionellen Gewährleistung", der „institutionellen Garantie" gleich. Das t u t dem Sinne nach auch Bachof, a.a.O., der jedoch den Begriff „institutionelle Garantie" vermeiden w i l l , da er i n einem ganz bestimmten Sinne festgelegt sei. Dem ist zuzustimmen. Häberle, passim, spricht statt von der objektivrechtlichen von der institutionellen Seite oder v o m institutionellen Verständnis der Grundrechte, meint aber damit das gleiche. Deshalb soll hier der Ausdruck v o m institutionellen Gehalt, Inhalt, von der institutionellen Seite der Grundrechte gleichberechtigt neben dem Begriff ,objektivrechtlicher Gehalt' gebraucht w e r den. Eine Gedankenverbindung zu dem, was m i t den Begriffen Einrichtungs-, Instituts- oder institutionelle Garantie bezeichnet w i r d , soll damit allerdings nicht hergestellt werden. N u r der objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte ist gemeint. A u f die Einrichtungsgarantie w i r d erst bei der Pressefreiheit eingegangen. Daß die Begriffe Einrichtungs-, Instituts- und institutionelle Garantie i n diesem Zusammenhang auftauchen, ist begreiflich, da sie nach herkömmlichem Verständnis vorwiegend Erscheinungen objektiven Rechts erfassen. 23 Z u r Bestimmung des geregelten Lebensbereiches kann eine ergänzende geschichtliche Betrachtung wertvolle Hinweise geben; vgl. Scheuner, V V D S t R L 22, 45 ff. Die historische Betrachtung vermag aber auch die soziale u n d politische F u n k t i o n der Grundrechte erschließen zu helfen ; darauf verweist für die Meinungs- und Pressefreiheit Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 212 f., wenn er zur Bestimmung des Grundrechtsinhalts die Wirkweise der G r u n d rechte zu den Staats- u n d Gesellschaftsformen i n bezug setzen w i l l . I m Rahmen der vorliegenden A r b e i t kann die historische Betrachtung jedoch nur i n Randbereichen Hinweise geben.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 10

objektivrechtliche Gehalt des Grundrechts der Meinungs- und Pressefreiheit eine große Rolle spielt. Da er wichtigen Aufschluß für die Deutung der subjektiven Berechtigungen der genannten Grundrechtsverbürgungen zu geben vermag, soll er i m folgenden Abschnitt entgegen sonstigen Gepflogenheiten sogar vor den subjektiven Berechtigungen erörtert werden. Die Berechtigung dieses Vorgehens sowie die zugrundeliegenden Thesen über den Gehalt der Grundrechte werden dabei bestätigt. 1. Abschnitt: öffentliche Meinung und freiheitliche Kommunikation A. Der objektivrechtliche Gehalt der Kommunikationsgrundrechte: Der Schutz eines freiheitlichen Kommunikationsprozesses

Nachdem bisher der objektivrechtliche oder institutionelle neben dem so augenfälligen individualrechtlichen Gehalt der Grundrechte allgemein herausgearbeitet wurde, soll dem objektivrechtlichen Inhalt der Grundfreiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG, insbesondere aber der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit, nachgegangen werden. Was darunter zu verstehen sein wird, deutet sich an, wenn w i r die Erscheinung der Grundrechte als „funktionelle Grundlage der Demokratie" rekapitulieren. Es hatte sich bei der Erörterung dieses Aspekts herausgestellt, daß die Grundrechte einen freiheitlichen Prozeß intendieren, daß sie um der freiheitlich-demokratischen Ordnung willen m i t Leben erfüllt sein wollen. W i r d diese Einsicht auf die Kommunikationsgrundrechte projiziert, so können die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG nur den freiheitlichen Prozeß der Meinungsbildung oder, gelöst vom Begriff der Meinung, den Vorgang einer Kommunikation zwischen den einzelnen Grundrechtsträgern i n Freiheit anstreben. Denn das Leben m i t dem der durch die einzelnen subjektiven Berechtigungen des A r t . 5 Abs. 1 GG entsprechend den i n i h m enthaltenen Begriffen wie Meinung, Presse, Information, Rundfunk und Berichterstattung abgesteckte Raum erfüllt werden kann, muß die freie Kommunikation sein 1 . Einen anderen Inhalt erlauben die 1 Die Bezeichnungen dieses Vorgangs wechseln bei den einzelnen Stimmen i n Rspr. und Schrifttum, w e n n auch meist das gleiche gemeint w i r d . Noch nicht i n diesen Zusammenhang gehören jene, die davon ausgehen, daß A r t . 5 Abs. 1 GG die öffentliche Meinung oder das Entstehen einer öffentlichen Meinung garantiere. Darauf w i r d noch gesondert eingegangen. I m einzelnen sprechen: Schnur, V V D S t R L 22, 109 Note 16, u n d Böttcher, S. 37, von der freien K o m m u n i k a t i o n ; Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 349, vom Kommunikationsvorgang und, S. 350, von der öffentlichen S i n n k o m m u n i k a tion; BVerfGE 20, 56, 97 f. — Parteienfinanzierung — v o m freien u n d offenen Prozeß der Meinungs- u n d Willensbildung; BVerfGE 5, 85,135 — K P D - U r t e i l — und BVerfG, JZ 58, 119, 121 — L ü t h —, von der ständigen geistigen Ausein-

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

subjektiven Berechtigungen des Art. 5 Abs. 1 GG nicht. Wenn sich vielleicht auch Differenzierungen und Aufgliederungen vornehmen lassen, dem Wesen nach muß es sich immer um freiheitliche Kommunikation handeln. Ist so generell über die Bedeutung der Grundrechte als „funktionelle Grundlage der Demokratie" der Weg zu dem gebahnt, was den objektivrechtlichen Gehalt der Grundfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG und insbesondere der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit ausmacht, und sind so die soziale Funktion und der Gegenstand der Sachbezogenheit der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG, nämlich die freiheitliche Kommunikation in der Gemeinschaft erkannt, so bedarf es gleichsam i n einem Zurückgreifen noch eines Hinweises auf die Bedeutung der freien Kommunikation für die freiheitliche Demokratie. Daß die Kommunikationsgrundrechte wesentliche Strukturelemente der freiheitlichen Demokratie darstellen 2 , daß Art. 5 GG ein fundamentales Prinzip des demokratischen Verfassungslebens enthält 3 und daß die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG konstituierende Elemente objektiv demokratischer und rechtsstaatlicher Ordnung neben den subjektiven Rechten beinhalten 4 , wagt mit gutem Recht niemand zu bezweifeln 5 . Meist begnügt man sich damit, die Worte des BVerfG von Mund zu Mund gehen zu lassen, daß Meinungs- 6 und Pressefreiheit 7 für eine freiheitlichandersetzung, das L ü t h - U r t e i l zusätzlich v o m K a m p f der Meinungen; Dürig, DÖV 58, 194, 197, i n einer Besprechung des L ü t h - U r t e i l s von der geistigen K o m m u n i k a t i o n ; Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 23 ff., v o m i n t r a - u n d transindividuellen Meinungsbildungs- und Kommunikationsprozeß; Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 253 Note 38 und S. 259, v o m öffentlichen Meinungsprozeß; Lenz, JZ 63, 338, 346, vom permanenten Prozeß der öffentlichen M e i nungs- und Willensbildung; Schule i n Schüle-Huber, S. 26, vom Freiheitsraum für das Bürgergespräch i n öffentlichen Angelegenheiten; Hesse, S. 152, von der Freiheit des geistigen Prozesses; Noltenius, S. 92, v o m K o m m u n i k a t i o n s vorgang; Arndt, öffentliche Meinung, S. 14 f., v o m chancengleichen, freien Meinungsmarkt; Hesse, S. 152, von der Freiheit des geistigen Prozesses. 2 Böttcher, S. 37. 3 Scheuner, Die institutionellen Garantien des GG, S. 93. 4 Hesse, S. 149. 5 Neben den bisher schon Genannten heben die Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine freiheitliche Ordnung hervor: Rothenbücher, V V D S t R L 4, 11; Smend, V V D S t R L 4, 44, 50; Harnischfeger, S. 142; Herbert Krüger, DÖV 55, 597, 600; v. Münch, S. 44; Jahrreiß i n Thoma-Festschrift, S. 76; Reisnecker, S. 105; Maunz i n Maunz-Dürig, A n m . 36 zu A r t . 20 GG; Hoff mann, JuS 67, 393, 394; Kubier, Wirtschaftsordnung, S. 7; Eschenburg, S. 393; das gleiche betonen für die Pressefreiheit: Mallmann, J Z 64, 141, 144; ders., JZ 66, 625, 629; Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 9; Scheuner, V V D S t R L 22, 18 ff., 27 ff., 90 f., 204 (Diskussionsbeitrag); Lerche i n : Ev. Staatslexikon; das gleiche betonen für Presse- u n d Meinungsfreiheit: Scheuner, V V D S t R L 22, 2; Bäumlin, S. 104 f.; für Meinungsäußerungs-, Presse-, R u n d f u n k - u n d Filmfreiheit Reisnecker, S. 105 f. 6 BVerfG, JZ 58, 119, 121 — L ü t h — ; BVerfG, J Z 61, 535, 536 — SchmidSpiegel —. 7 BVerfGE 10, 118, 121 — Beschluß zur V e r w i r k u n g der Pressefreiheit —; BVerfGE 20,162, 174 — Spiegelteilurteil —.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 10

demokratische Grundordnung „schlechthin konstituierend" seien 8 . Dem ist nichts hinzuzufügen. W i r finden nur bestätigt, was die Erörterungen des objektivrechtlichen Gehalts der Grundrechte bereits andeuteten.

B. Der widersprüchliche Verweis auf die öffentliche Meinung

Gerade in diesem Zusammenhang verweisen zahlreiche Stimmen i n Rechtsprechung und Schrifttum auf einen Begriff, dessen Inhalt sich bei näherem Zusehen als vieldeutig, zu unbestimmt und irreführend herausstellt, und dessen vorerst durch Assoziationen bestimmter Gehalt dem bisher gewonnenen Ergebnis zu widersprechen scheint. So w i r d sogleich i m Anschluß an die Bedeutung aller oder einzelner Kommunikationsgrundrechte in einer freiheitlichen Ordnung die wichtige Position hervorgehoben, die einer frei gebildeten öffentlichen Meinung i n einer ebensolchen Ordnung zukommt 9 . Aber nicht nur i n dieser Konstellation, aus der vergleichsweise geringe Folgerungen gezogen werden können, erscheint die öffentliche Meinung. Die freie Bildung der öffentlichen Meinung w i r d als durch Art. 5 GG garantiert angesehen 10 . Hieraus werden teilweise bedeutsame Konsequenzen gezogen. So folgert das BVerfG, daß der freiheitliche Gehalt des Art. 5 Abs. 1 GG vor allem dort i n die Waagschale fallen müsse, wo der Redende i n erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen wolle 1 1 . Oder es w i r d hervorgehoben, daß der Rundfunk ein eminenter Faktor der öffentlichen Meinungsbildung sei 12 , daß sich in der Presse die öffentliche Meinung artikuliere 1 3 . Löffler 1 4 gar apostrophiert die Presse als Organ und Gestalterin der öffentlichen Meinung. 8 BVerfGE 20, 56, 97 f. — Parteienfinanzierung — t r i f f t diese Aussage für Meinungs-, Presse-, Rundfunk-, Fernseh- und Filmfreiheit einheitlich. 9 BVerfGE 8, 104, 112 — U r t e i l zum Volksbefragungsgesetz von Hamburg und Bremen —; BVerfG, JZ 61, 535, 536 — Schmid-Spiegel — ; Böttcher, S. 37; Rothenbücher, V V D S t R L 4, 11; Scheuner, Die institutionellen Garantien des GG, S. 93; ders., V V D S t R L 22, 20 ff.; Noltenius, S. 93; Ηaacke-Visbeck, S. 48 f. 10 BVerfGE 8, 104, 112 — U r t e i l zum Volksbefragungsgesetz von Hamburg und Bremen — ; zustimmend zu diesem U r t e i l Reisnecker, S. 176 ff.; BVerfGE 20, 56, 97 f. — Parteienfinanzierung — ; zur Rspr. des BVerfG insoweit Harnischfeger, S. 148 f., der allerdings das Ergebnis des BVerfG i n ein anderes Licht rückt, wenn er von der Garantie eines Prozesses, nämlich der Freiheit der Bildung der öffentlichen Meinung spricht; Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 265, 269, 285 ff., auf der Grundlage seiner Unterscheidung zwischen „klassischer Meinungsäußerungsfreiheit" (S. 243 ff.) u n d „öffentlicher Meinungsfreiheit" (S. 249 ff.); Scheuner, Die institutionellen Garantien des GG, S. 93; Noltenius, S. 91 ff.; Haacke-Visbeck, S. 49; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 108. 11 BVerfG, JZ 58,119,122 — L ü t h —. 12 BVerfGE 12, 205, 260 — Fernsehstreit —. 13 BVerfGE 20,162,175 — Spiegelteilurteil —. 14 Löffler, Presserecht, Einl. A, A n m . 3 und 14.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Angesichts solcher Übersteigerungen oder zu Übersteigerungen verleitenden Äußerungen wundert es nicht, wenn einige Autoren zwar Begriff und Erscheinung der öffentlichen Meinung nicht aus ihren Ausführungen verbannen, wohl aber die juristische Relevanz einschränken, indem sie entweder zurückhaltend argumentieren 15 oder die öffentliche Meinung sogar außer juristischen Kategorien zuweisen 16 . Schließlich w i r d die öffentliche Meinung nur noch mittelbar anvisiert, wenn die Rede auf den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung 1 7 oder auf den sozialen Sinn- und Funktionszusammenhang der öffentlichen Meinung 1 8 kommt. Hier t r i t t der durch den Begriff „die öffentliche Meinung" assoziierte Inhalt, der seine besondere Färbung durch den A r t i k e l gewinnt und auf einen beendeten oder abzuschließenden Vorgang hinweist, zugunsten eines anderen Gehalts zurück, der sich als noch nicht abgeschlossener, ständig sich wiederholender Lebensvorgang darstellt. Unter diesem Aspekt gerät das Operieren m i t dem Begriff der öffentlichen Meinung i n die Nähe dessen, was hier schon als durch die Kommunikationsgrundrechte intendiert angesehen wurde, nämlich i n die Nähe des freiheitlichen Kommunikationsprozesses. Daß diese Richtung stimmt, die die Erörterungen zur öffentlichen Meinung teilweise genommen haben, ja daß sogar hinter all dem Bemühen um „die öffentliche Meinung" i m Zusammenhang mit den Kommunikationsgrundrechten nichts anderes stecken darf als ein freilich irreführendes Beschreiben des durch den objektivrechtlichen Gehalt des A r t . 5 Abs. 1 GG angestrebten 15 Etwa Hellwig i n : Grundrechte u n d Grundpflichten der RV, S. 59: Wenn die Freiheit der Meinungsäußerung einen tieferen Sinn haben solle, so könne man n u r davon ausgehen, daß durch das freie Spiel der K r ä f t e die Bildung einer wertvollen öffentlichen Meinung zum Nutzen der Allgemeinheit am besten gefördert werde; oder Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 80 f.: Das objektive Verfahren der offenen u n d öffentlichen Auseinandersetzung u n d M e i nungsbildung stelle eine Bedingung der Möglichkeit dar, echte öffentliche Meinung zu bilden; Dürig, DÖV 58, 194, 197, i n einer Bespr. des L ü t h - U r t e i l s : Die Meinungsfreiheit sei nicht n u r einseitiges Individualrecht, sondern ein Gegenseitigkeitsrecht der geistigen K o m m u n i k a t i o n , m i t dessen Hilfe „öffentliche Meinung" zustande komme. 16 Scheuner, V V D S t R L 22, 20: Der Begriff der öffentlichen Meinung sei keine staatsrechtliche, w o h l aber eine staatswissenschaftliche u n d soziologische K a t e gorie. Habermas, 3. Aufl., S. 258 Note 3, spricht von der öffentlichen Meinung als einer sozialen Größe. 17 BVerfGE 20, 56, 97 f. — Parteienfinanzierung — hebt hervor, daß der Grundgesetzgeber sich für einen freien u n d offenen Prozeß der Meinungs- u n d Willensbildung des Volkes entschieden habe, spricht dann aber wieder von der Bildung der öffentlichen Meinung. Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 253 Note 38 und S. 259, spricht v o m öffentlichen Meinungsprozeß; ders., Die öffentliche Aufgabe, S. 11: öffentliche Meinung sei keine Summierung von Einzelmeinungen, sondern ein gesellschaftlich kollektiver Prozeß; Harnischfeger, S. 148 f., spricht von der Garantie eines Prozesses, nämlich der Freiheit der Bildung der öffentlichen Meinung. 18 Kubier, Wirtschaftsordnung, S. 5.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 10

freiheitlichen Kommunikationsprozesses, w i r d sich erweisen, wenn der hier relevante Inhalt des vielschichtigen Begriffes der öffentlichen Meinung aufgespürt worden ist.

C. Die öffentliche Meinung Der Begriff und sein verwertbarer Inhalt

I. D e r B e g r i f f d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g und seine möglichen I n h a l t e Obwohl die öffentliche Meinung 1 9 als geschichtliche und sogar der Neuzeit zugehörige Erscheinung anzusehen ist 2 0 , läßt sich bei der Verwendung des Begriffes heute weitgehende Unsicherheit feststellen 21 . Denn einmal treffen die gesellschaftlichen Voraussetzungen, aufgrund derer die klassische Lehre von der öffentlichen Meinung, verhaftet i n liberal-ideologischen Vorstellungen, ausgegangen ist, nicht mehr zu 2 2 . Und zum anderen sind zusätzlich zum ursprünglichen Inhalt weitere Gehalte i n den Begriff der öffentlichen Meinung eingeflossen, die vorerst bestimmt werden müssen, damit sich die weiteren Erörterungen auf den hier interessierenden Aspekt beschränken können. Aus Arndts und Noltenius' Untersuchungen 23 lassen sich zusammenschauend vier verschiedene Verständnismöglichkeiten der öffentlichen Meinung gewinnen. A n erster Stelle eines möglichen Verständnisses öffentlicher Meinung stehen solche Meinungen, die statistisch repräsentative Befragungen einzelner Personen ermitteln 2 4 . Sie können, sofern gleiche Meinungen ad19 M i t der öffentlichen Meinung haben sich befaßt: Arndt, öffentliche M e i nung; Scheuner, V V D S t R L 22, 20 ff.; Seidel, S. 12 ff.; Herbert Krüger, Allg. Staatslehre, S. 437 ff.; Noltenius, S. 97 ff.; Habermas, 2. Aufl., S. 256 ff.; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 4 ff.; Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 119 f.; Mangold i n Ev. Staatslexikon; Noelle, S. 7 ff.; Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 80 f.; Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 103 ff. 20 Den geschichtlichen Rahmen, i n dem sich die Lehre von der öffentlichen Meinung entwickelte, erfassen Scheuner, a.a.O.; Kübler, a.a.O., und Herbert Krüger, a.a.O. 21 Mangold, a.a.O.; Arndt, a.a.O., S. 2, w i r f t dem B V e r f G zu Recht vor, daß es nicht analysiere, was öffentliche Meinung sei, es behandele sie wie ein selbständiges, personifizierbares Wesen. N u r BVerfG, JZ 61, 535, 536 — SchmidSpiegel — gibt einen bescheidenen Ansatz zu dem, was unter öffentlicher Meinung verstanden werden kann. 22 Das entwickeln sehr deutlich Scheuner, V V D S t R L 22, 20 ff., u n d Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 4 ff. 23 Arndt, öffentliche Meinung, S. 3 ff.; Noltenius, S. 97 ff. 24 Arndt, öffentliche Meinung, S. 3 f., spricht von quantitativ-konstituierbarer Meinung, wie sie demoskopisch feststellbar sei; Noltenius, S. 97 f., bezeichnet diesen Aspekt der öffentlichen Meinung als soziologisches Summenphänomen.

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. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

diert und zu Gruppenmeinungen zusammengefaßt werden, je nach Größe und Gewicht der eine einheitliche Meinung vertretenden Gruppe als repräsentativ und Mindermeinungen verdrängend gelten und so nicht unzutreffend als öffentliche Meinung oder öffentliche Meinungen fungieren. Ein zweiter Aspekt möglichen Verständnisses öffentlicher Meinung erschließt sich, wenn man mögliche und möglicherweise herrschende Meinungen nicht nur vom Standpunkt repräsentativer Ermittlung i m Sinne einer rezeptiven Tätigkeit aus betrachtet, sondern den Blick auf die Gestaltung der Meinung und insbesondere repräsentativ sein sollender Meinungen wirft. Denn Meinung kann dadurch öffentlich und herrschend werden, daß sie absichtlich erzeugt, durch Einfluß und Machtausübung aufoktroyiert wird. Nicht die i m kleineren gesellschaftlichen Rahmen aufgezwungene Meinung ist gemeint, sondern die das Staatsganze erfüllende und abweichende, von den herrschenden nicht gebilligte Auffassungen unterdrückende Meinung 2 5 . A r n d t 2 6 wertet diese beiden Arten der öffentlichen Meinung als staatsneutral, weil es sie i n einer Diktatur ebenso wie einem Rechtsstaat, unter einem totalitären Regime ebenso wie in einer freiheitlichen Demokratie geben könne. Außerdem seien sie rechtlich indifferent, weil sie in einem Staat, der kein freiheitlich-demokratischer sei, allein als Faktum eine nur politische Beachtung erforderten, aber keine Legitimitätsgrundlage seiner Ordnung und seiner Regierung bedeuteten. Für die erste A r t der öffentlichen Meinung ist daraus nur die Folgerung zu ziehen, daß sie nicht objektivrechtlicher Gehalt einer grundrechtlichen Regelung wie der in den Kommunikationsgrundrechten des Grundgesetzes enthaltenen sein kann, die wichtiger Bestandteil einer freiheitlich-demokratischen Ordnung sein w i l l . Hinzu kommt, daß ein derartiges Verständnis der öffentlichen Meinung in keiner Weise den eingangs und ohne ein Abstellen auf die öffentliche Meinung deduzierten freiheitlichen Kommunikationsprozeß erfaßt, sondern nur Momentaufnahmen dieses Prozesses wiedergibt. Für die zweite Erscheinung der öffentlichen Meinung überzeugt Arndts Auffassung allerdings nicht. Denn diese Form der öffentlichen Meinung verträgt sich theoretisch nicht mit einer freiheitlichen Ordnung, wenn auch tatsächlich i n einer solchen Ordnung Mißbrauch getrieben und diese A r t der öffentlichen Meinung angestrebt werden kann. Eine von der Staatsgewalt dirigierte öffentliche Meinung ist zumindest partiell nicht 25

Arndt, öffentliche Meinung, S. 4, nennt diese Erscheinung die q u a l i t a t i v konstituierte Meinung; solche Meinung absichtlich zu erzeugen, sei das Handwerk autoritärer oder totalitärer Machthaber. 26 a.a.O., S. 4 f.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

staatsneutral. Ihr steht vor allem eine freiheitliche Ordnung nicht rechtlich indifferent gegenüber. Vielmehr scheint eine freiheitlich konzipierte Rechtsordnung hier abweisende Kräfte entfalten zu müssen. Schon daraus folgt, daß diese Form der öffentlichen Meinung nicht den objektivrechtlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte darstellen kann. Und nicht zuletzt würde sich ein derart gedeuteter institutioneller Gehalt der Grundfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG nicht mit dem bereits entwickelten vertragen, sondern ihm geradezu widersprechen. Eine dritte Verständnismöglichkeit öffentlicher Meinung eröffnen Noltenius 2 7 und Landshut 2 8 . Sie verweisen auf die plebiszitäre Artikulation öffentlicher Meinung, wie sie in der Weimarer Zeit bei der Ausübung der aktiven Funktion des souveränen Volkes, etwa bei der Wahl des Reichspräsidenten oder in Volksbegehren zum Ausdruck kommen konnte 2 9 . Daß diese A r t öffentlicher Meinung nicht den objektivrechtlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte erfüllen kann, zeigt schon die Tatsache, daß das Bonner Grundgesetz auf derartige plebiszitäre Vorgänge verzichtet. Und gerade mit den Kommunikationsgrundrechten sind sie sicherlich nicht angesprochen, wenn auch in ihrer Ausübung ein Moment „demokratischer Akklamation" 3 0 , aber eben nicht eine rechtsgeschäftliche Willensbildung des Staatsvolkes liegt 3 1 . Das letzte und entscheidende Verständnis öffentlicher Meinung, von dem aus sich eine Brücke zu dem hier bereits entwickelten objektivrechtlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte schlagen läßt, fördern Arndt und Noltenius 3 2 zu Tage. 27

Noltenius, S. 98, spricht i n diesem Sinne von „öffentlicher Meinung als organisierter Staatswillensbildung". 28 Landshut i n Laun-Festschrift, S. 586. 29 Noltenius, S. 98 f., weist ausdrücklich darauf hin, daß der enge sachliche Zusammenhang, i n dem die öffentliche Meinung m i t den von Landshut aufgeführten Vorgängen der „Staatswillensbildung" stehe, nicht zu einer Identifizierung und Beschränkung der öffentlichen Meinung auf bestimmte plebiszitäre Vorgänge führen dürfe. Eine solche Identifizierung und Beschränkung scheint Landshut aber vorzunehmen. 30 Carl Schmitt zitiert nach Seidel, S. 24. Scheuner, V V D S t R L 22, 27 ff., legt i n Hinblick auf die Pressefreiheit die Bedeutung der Grundrechtsausübung für i m demokratischen Verfassungsrecht so wichtige Begriffe w i e Konsens, Mehrheitsbildung, A u f t r a g und Kontrolle dar; Franz Schneider, Meinungs- und Pressefreiheit, S. 125, spricht von der K o n t r o l l f u n k t i o n der Presse über alle Vorgänge i m Staat und über den Staatsapparat selber; Geldbach, S. 61 ff., spricht ebenfalls von der K o n t r o l l f u n k t i o n der Presse; Lerche i n Ev. Staatslexikon nennt die kritische F u n k t i o n der Presse gegenüber staatlichen Organen und gesellschaftlichen Entwicklungen; BVerfGE 20, 162, 175: „ I n der repräsentativen Demokratie steht die Presse zugleich als ständiges K o n t r o l l - und Verbindungsorgan zwischen dem V o l k und seinen gewählten Vertretern i n Parlament u n d Regierung." Überall w i r d ein Moment positiver oder negativer „demokratischer A k k l a m a t i o n " sichtbar, das aber nicht allein auf die Ausübung der Pressefreiheit beschränkt werden darf. 31 Noltenius, S. 99. 32 Arndt, öffentliche Meinung, S. 5 ff. u n d S. 12 ff.; Noltenius, S. 98 ff.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

A r n d t nennt die „qualitativ-konstitutionelle Meinung", die einzig i n einem freiheitlich-demokratischen Staate möglich sei 33 . Dieser Staat sei „für den Bestand seiner Ordnung, seiner Struktur, seines Wesens darauf angewiesen, daß Meinungsbildung sich i m eigentlichen Sinne , öffentlicher Meinung' auf eine bestimmte, qualifizierte A r t ereignet" 3 4 . Die Meinungsbildung müsse sich freiheitlich und öffentlich vollziehen, wobei die Meinung — neben anderen Aspekten, die hier noch nicht interessieren — deswegen öffentlich sein, w e i l sie eine kommunikativ entstehende und sich fortdauernd vollziehende Meinungsvielheit und Meinungsgesamtheit darstelle, die sich aus kollektiven Bewußtseinsinhalten der Gesellschaft zusammensetze 35 . Interessant ist dabei, daß A r n d t die so verstandene öffentliche Meinung dem sozusagen subjektiven Rechtsgut des A r t . 5 Abs. 1 GG, nämlich der Freiheit des einzelnen Bürgers, gleichsam als objektives Rechtsgut zur Seite stellt 3 6 . Noltenius spricht von öffentlicher Meinung „als funktioneller Integration" und w i l l damit zum Ausdruck bringen, daß es sich bei öffentlicher Meinung und Meinungsbildung nicht um einen Vorgang handele, i n dem sachlich richtige Ergebnisse gefunden würden. Vielmehr sei die öffentliche Meinung ein Selbstzweck, der sich nicht punktuell erfassen lasse, sondern als ein Prozeß zu verstehen sei 37 . Wie weit Noltenius damit der hier vertretenen Auffassung naherückt, zeigt sich, wenn sie auch den Kommunikationsvorgang als durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt und deswegen die öffentliche Meinung als das grundrechtlich geschützte Gut ansieht 38 . II. D i e ö f f e n t l i c h e M e i n u n g gesellschaftlich-kollektiver

— ein Prozeß

Abgesehen davon, daß A r n d t und Noltenius ihre Ergebnisse wohl wegen des Ausgangspunktes der öffentlichen Meinung auf den Begriff Meinung abstellen, meinen beide Autoren denselben Lebensvorgang wie die hier vertretene Ansicht, da sie nur andere Worte zur Beschreibung wählen. Daß hier die Kommunikation und nicht die Meinung i m Vordergrund steht, folgt aus dem Lösungsweg, der nicht bei der öffentlichen Meinung, sondern allgemeiner und dennoch sachnäher bei den Kommunikationsgrundrechten ansetzt. Es empfiehlt sich auch, weiterhin vom Kommunikationsprozeß zu sprechen 39 ; denn die Bezeichnung Meinungs33

a.a.O., S. 5. Arndt, öfftenliche Meinung, S. 6. a.a.O., S. 14. 36 a.a.O., S. 12. 37 Noltenius, S. 100 f. 38 a.a.O., S. 92 f. 39 Aus Note 1 auf S. 105 f. läßt sich entnehmen, w e r von K o m m u n i k a t i o n s prozeß spricht oder sinngemäß gleiche Bezeichnungen verwendet. 34

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1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 113

bildungsprozeß 40 verengt i n unzulässiger Weise das Blickfeld. Wenn Art. 5 Abs. 1 GG zwar einzelne Grundfreiheiten aufgliedert, so ist doch der objektiv-rechtliche Gehalt der dort zusammengefaßten subjektiven Berechtigungen einheitlich zu sehen. Das ergibt sich aus eben dieser Zusammenfassung an einem verfassungsrechtlichen Ort wie aus dem sinngemäßen Korrespondieren dieser Freiheitsrechte. Nicht nur die K o m munikation zwischen Trägern gleicher Grundrechte, sondern auch zwischen Trägern verschiedener Grundrechte des A r t . 5 Abs. 1 GG soll gewährleistet sein. Denn erst durch diese Querverbindungen kann der grundrechtlich gewährte Raum mit vollem Leben erfüllt werden. Außerdem kann die Bezeichnung Meinungsbildungsprozeß irreführende W i r kungen entfalten. Dies gilt u m so mehr, wenn der Begriff ,öffentlich' 41 hinzutritt, da die Verbindung den Blick wieder auf die gerade zurückgedrängte „öffentliche Meinung" lenkt. Daß das hier vertretene Verständnis des objektiv-rechtlichen Gehalts der Kommunikationsgrundrechte abgesehen von den Stimmen, die i n dieser oder jener Form direkt auf einem freiheitlichen Kommunikationsprozeß abstellen, und abgesehen von A r n d t und Noltenius auch sonst nicht allein steht, zeigt sich, wenn man weiteren Stimmen nachgeht, die die öffentliche Meinung zitieren, ihren Inhalt aber nur am Rande streifen. Das w i r d besonders deutlich, wenn das BVerfG 4 2 die freie Bildung der öffentlichen Meinung schildert, „die sich i m freiheitlich-demokratischen Staat notwendig pluralistisch' i m Widerstreit verschiedener und aus verschiedenen Motiven vertretener, aber jedenfalls in Freiheit vorgetragener Auffassungen, vor allem i n Rede und Gegenrede vollzieht". Es w i r d auch deutlich, wenn Herbert Krüger Ranke zur Eigenschaft der öffentlichen Meinung zitiert 4 3 : „Sie ist i n unaufhörlicher Metamorphose begriffen, flüchtig, vielgestaltig: mit der Wahrheit und dem Recht zuweilen mehr, zuweilen minder i m Einklang: mehr eine Tendenz des Augen40 Ebenfalls aus Note 1 auf S. 105 f. folgt, w e r die Bezeichnung Meinungsbildungsprozeß oder ähnliche Umschreibungen gebraucht, ohne allein auf eine nicht näher erläuterte öffentliche Meinung abzustellen. 41 Der Zusatz öffentlich' erübrigt sich bei der hier vorgeschlagenen Bezeichnung, da seine Inhalte, die i h m i n der Zusammensetzung „öffentliche Meinung" gegeben werden können, i n der Erscheinung u n d Bezeichnung des freiheitlichen Kommunikationsprozesses aufgehen, w e n n man darunter einen Prozeß und nicht ein Endergebnis versteht. Z u m Begriff des „öffentlichen" i n diesem Sinn u n d i n diesem Zusammenhang Arndt, öffentliche Meinung, S. 14, und weniger ausführlich Noelle, S. 25. Eine interessante, aber staatstheoretische und i n diesem Zusammenhang nicht bedeutsame Deutung des Prädikats „öffentlich" an der Zusammensetzung öffentliche Meinung gibt Herbert Krüger, Allg. Staatslehre, S. 440 ff. 42 BVerfG, JZ 61, 535, 536 — Schmid-Spiegel — ; daraus folgt, daß Harnischfeger, S. 148 f., die Rspr. des B V e r f G i n Hinblick auf die öffentliche Meinung i n das rechte Licht gerückt hat; vgl. S. 107 Note 10. 43 Allg. Staatslehre, S. 446.

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Koller

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

blicks als eine fixierte L e h r e " , oder w e n n S e i d e l 4 4 seine Ü b e r l e g u n g e n b e i G u s t a v S c h m o l l e r e n d e n l ä ß t : „ D i e ö f f e n t l i c h e M e i n u n g i s t w i e eine große Ä o l s h a r f e v o n M i l l i o n e n v o n Saiten, a u f die die W i n d e v o n a l l e n Richtungen heranstürmen 45." N i c h t n u r d i e d r e i ersten V e r s t ä n d n i s m ö g l i c h k e i t e n d e r ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g s i n d n u n ausgeschaltet, s o n d e r n es ist auch das D o g m a des L i b e r a l i s m u s ü b e r w u n d e n , daß i n e i n e r ö f f e n t l i c h e n u n d f r e i e n D i s k u s sion das Richtige, das Gerechte u n d das W a h r e g e f u n d e n w e r d e 4 6 . D e n n n i c h t n u r d e r I n h a l t des A u s g e s a g t e n u n d n i c h t das E n d p r o d u k t einer i n t e g r i e r t e n ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g stehen i m V o r d e r g r u n d des Schutzzwecks des A r t . 5 A b s . 1 G G , s o n d e r n d e r K o m m u n i k a t i o n s v o r g a n g 4 7 . Z u g l e i c h e n t f a l l e n d a m i t die d e m l i b e r a l e n D e n k m o d e l l v e r h a f t e t e n E i n w ä n d e , die die ö f f e n t l i c h e M e i n u n g als e i n e n „ M y t h o s " 4 8 oder als eine „ F i k t i o n " 4 9 bezeichnen, i n s o w e i t als u n z u t r e f f e n d , als sie die B e d e u t u n g des o b j e k t i v r e c h t l i c h e n G e h a l t s des A r t . 5 I G G l e u g n e n . A u s der Ü b e r w i n d u n g des l i b e r a l e n D o g m a s f o l g t w e i t e r , daß d i e ö f f e n t l i c h e M e i n u n g auch als E n d p r o d u k t eines M e i n u n g s - oder K o m munikationsprozesses aus der D i s k u s s i o n u m d e n o b j e k t i v r e c h t l i c h e n oder i n s t i t u t i o n e l l e n G e h a l t des A r t . 5 A b s . 1 G G ausscheidet 5 0 . D e n n es 44

S. 35. I n diesem Sinne weiter Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 104: „ ö f fentliche Meinung als ,Knäuel· von Gruppenmeinungen, als pluralistisches Phänomen"; Lenz, J Z 63, 338, 345: „Die öffentliche Meinung ist das Gegenteil konstanter, organisierter für Status-quo-Verbürgungen sich eignender Normengefüge . . . Der Mangel an Organisation ist i h r primäres Kennzeichen" ; Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 18: „Die öffentliche Meinung ist etwas U n faßbares und Unorganisierteres"; Scheuner, V V D S t R L 22, 26: Die öffentliche Meinung . . . „ein schwer überschaubares Geflecht von Äußerungen" ; Friedrich Lenz, S. 23 u n d S. 221 f.: öffentliche Meinung . . . „eine unbestimmte Vielheit von Meinungsgruppen und Gruppenmeinungen"; Lerche, Werbung, S. 96: „ . . . der Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung . . . ( i s t ) . . . i n der Regel konkurrent u n d p l u r a l a n g e l e g t " , . . . „ein Prozeß der gegenseitigen Durchsetzung, Modifizierung u n d Neutralisation". 46 Z u r Entwicklung der öffentlichen Meinung vom liberalen Denkmodell zum heutigen Verständnis Scheuner, V V D S t R L 22, 20 ff.; Kubier, Wirtschaftsordnung, S. 5 ff., u n d Franz Schneider, Historische Voraussetzungen des A r t . 5 GG, S. 24 u n d S. 40 ff. 47 Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 349 f., der darauf hinweist, daß es eine funktionelle Beschränkung des Schutzbereichs des A r t . 5 Abs. 1 GG sei, wenn man die F u n k t i o n des Grundrechts i n der Garantie des öffentlichen Meinungsbildungsprozesses (mit dem Endziel „der" öffentlichen Meinung) sehe. 48 Seidel i m T i t e l seines Buchs u n d S. 178 als Ergebnis seiner Untersuchungen. 49 Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 119 f.; kritisch dazu Arndt, N J W 63,193,194. 50 Wie etwa Dürig, D Ö V 58, 194, 197, i n einer Besprechung des L ü t h - U r t e i l s : Die Meinungsfreiheit sei ein Gegenseitigkeitsrecht der geistigen K o m m u n i k a tion, m i t dessen Hilfe „öffentliche Meinung" zustande komme; Böttcher, S. 37: Die Wahrung der persönlichen Freiheit impliziere ein System von Einrich45

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 115

gibt höchstens Entwicklungsstadien i m Kommunikationsprozeß, die sich ausschnittsweise feststellen lassen, aber keine höhere Lebensdauer entwickeln als schnell dahinwelkende Blumen, da der Kommunikationsprozeß ständig fortschreitet und da bereits gebildete Meinungen ständig der Veränderung anheimfallen.

D. Erste Folgerungen aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte

I. Ist nun als objektivrechtlicher Bestandteil der Kommunikationsgrundrechte der freiheitliche Kommunikationsprozeß ermittelt und gegen die Anfechtungen abgesichert, denen er durch das Operieren mit dem Begriff der öffentlichen Meinung ausgesetzt war, so muß noch einmal hervorgehoben werden, daß A r t . 5 Abs. 1 GG sich nicht i n der Gewährung subjektiver Berechtigungen erschöpft, sondern daß diese Norm kraft ihres institutionellen Gehalts einen freiheitlichen Kommunikationsprozeß gewährleistet und garantiert. Darum ist es irreführend, wenn statt dessen von der Garantie der freien Bildung der öffentlichen Meinung gesprochen w i r d 5 1 . Nicht ganz zureichend erscheint es auch, wenn der Schutz der geistigen Kommunikation als der Zweck der Regelung des A r t . 5 Abs. 1 GG begriffen w i r d 5 2 . Vorbehalte sind auch bei den Stimmen anzumelden, die vom Rechtsgut 53 oder etwa vom überindividuellen Rechtsgut bzw. Schutzgut des A r t . 5 Abs. 1 GG sprechen. Wenn es auch letztlich bei derartigen Überlegungen nicht so sehr um die Begriffe, sondern um den durch sie repräsentierten Inhalt geht — und insoweit herrscht hier grundsätzliche Übereinstimmung —, so erwecken doch Bezeichnungen wie Zweck, Rechtsgut oder Schutzgut den Eindruck, als sähen sie nicht die unmittelbare Gewährleistung des freiheitlichen Kommunikationsprozesses in Art. 5 Abs. 1 GG. II. M i t dem Schutz des freiheitlichen Kommunikationsprozesses i n Art. 5 Abs. 1 GG ist ein bereits näher gekennzeichneter Lebensvorgang in den Normbereich m i t einbezogen oder, umgekehrt betrachtet, erweist sich die Regelung des A r t . 5 Abs. 1 GG, abgesehen von der hinlänglich tungen, durch die die freie Kommunikation, das Entstehen einer freien öffentlichen Meinung gewährleistet werde; Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 80 f.: Das Verfahren der offenen u n d öffentlichen Auseinandersetzung stelle eine Bedingung der Möglichkeit dar, echte öffentliche Meinung zu bilden. 51 BVerfGE 8, 104, 112 — U r t e i l zum Volksbefragungsgesetz für Hamburg und Bremen — ; BVerfGE 20, 56, 97 f. — Parteienfinanzierung — ; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 108; Ηaacke-Visbeck, S. 49. 52 Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 249. 53 Hesse, S. 152; Arndt, öffentliche Meinung, S. 12; Lerche, Werbung, S. 81; Noltenius, S. 93. 8

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3. Teil: Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

bekannten Personenbezogenheit, ebenso sachbezogen, wie w i r es bereits für grundrechtliche Regelungen festgestellt haben. Damit ist es auch gerechtfertigt, die tatsächlichen Lebensverhältnisse i n die Auslegung der Kommunikationsgrundrechte, und zwar nicht nur ihres objektivrechtlichen Gehalts, sondern i m weiteren Verlauf der Arbeit ebenfalls i n die Auslegung ihres individualrechtlichen Gehalts m i t einzubeziehen 54 . Vorerst soll die Betrachtung jedoch beim institutionellen Gehalt der Grundfreiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG verweilen. Wenn nun die tatsächlichen Lebensverhältnisse hervorgehoben werden sollen, so verlagert sich die Betrachtung des Gesamtkomplexes freiheitlicher Kommunikationsprozeß auf den Teilinhalt Kommunikationsprozeß', da der wenngleich beschreibende Zusatz freiheitlich' schon mehr i n rechtliche Kategorien hineinreicht. Es sollen also vor allem Folgerungen aus dem Prozeßcharakter der Kommunikation gezogen werden. 1. Die Erfassung der Kommunikation als eines prozessualen Vorgangs ermöglicht es, bei der Ermittlung der an diesem Vorgang beteiligten Personen und Personenkreise nicht i n eine zu einseitige Betrachtungsweise zu verfallen. Zwar kann ein bestimmter Vorgang je nach seiner tatsächlichen Erscheinungsform möglicherweise nur durch diesen oder jenen Personenkreis i n Bewegung gesetzt werden, also auf bestimmte Urheber begrenzt sein. Bei der Kommunikation ist das jedoch, zumindest soweit sie als freiheitliche Kommunikation durch die grundrechtliche Regelung des GG angestrebt wird, nicht der Fall. Jeder kann nach A r t . 5 Abs. 1 GG am prozessualen Vorgang der Kommunikation beteiligt sein, und jeder muß die Möglichkeit haben, sich daran zu beteiligen. Das gilt für einzelne natürliche Personen, für Personengruppen jeder A r t und jeder Zusammensetzung, und das muß auch gelten für juristische Personen. Denn es sind keine Gründe ersichtlich, die die Kommunikation als prozessualen Vorgang auf einzelne ausgewählte Träger begrenzen 55 . Viel eher läßt sich aus der A r t und Weise des gewährleisteten Lebensvorganges ableiten, daß jeder, der i n irgendeiner Form kommunikativ tätig werden kann, als potentieller Träger der Kommunikation zu beurteilen ist 5 6 . 54

Vgl. S. 103 ff. Noltenius, S. 101, hebt m i t Recht hervor, daß die Bestimmung der öffentlichen Meinung als eines prozessualen Vorganges einige für die Erfassung des Phänomens wichtige Fehlerquellen, vor allem die Festlegung der öffentlichen Meinung auf bestimmte Träger, vermeiden lasse. 56 Forsthop, DÖV 63, 633, 635: „ N u r die aus allen denkbaren Quellen genährte u n d i n voller Freiheit sich formende öffentliche Meinung hat Gewicht und Chance, ernst genommen zu werden"; Lerche, Werbung, S. 96: Der Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung sei i n der Regel konkurrent u n d p l u r a l angelegt; Arndt, öffentliche Meinung, S. 14: Die qualitativ-konstitutionelle M e i nung sei öffentlich, w e i l die E i n w i r k u n g auf sie u n d i h r Empfang f ü r jedermann zugänglich seien. 55

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

Wenn nun Art. 5 Abs. 1 GG die Massenkommunikationsmittel Presse, Rundfunk (einschließlich Fernsehen) und F i l m besonders hervorhebt, so lassen sich daraus dennoch nicht gegenteilige Schlüsse ziehen. Zwar kommt den Massenkommunikationsmitteln i m Kommunikationsprozeß eine nicht zu verkennende Schlüsselstellung 57 zu, die das GG durch die besondere Hervorhebung sicherlich kennzeichnen w i l l . Doch geht es nicht an, die Massenkommunikationsmittel und insbesondere die Presse als Organe 58 und Instrumente 5 9 der öffentlichen Meinung oder öffentlichen Meinungsbildung zu bezeichnen 60 . Nicht nur deshalb, weil hier wieder irreführenderweise der Begriff der öffentlichen Meinung eingeführt wird, sondern weil ein Prozeß, der allen zur Teilnahme offensteht, die kommunikativ tätig werden können, etwas Unorganisiertes und Unorganisierbares ist 6 1 . 2. Bei dem Bemühen, die personelle Universalität des Kommunikationsprozesses herauszustellen, klang bereits mittelbar die thematische Universalität an. Ebenso wie jede Person und Personengruppe am Vorgang der Kommunikation beteiligt sein können, kann jede Mitteilung gleich welchen thematischen Bezuges i n den Kommunikationsprozeß eingehen. Denn eine Begrenzung auf ein Kommunikationsthema läßt sich aus A r t . 5 Abs. 1 GG nicht entnehmen. Kommunikation soll generell geschützt sein, alles was Mitteilung ist, muß ihr unterfallen. Das Erfordernis etwa des politischen, literarischen oder wissenschaftlichen Bezuges einer Mitteilung aufstellen, heißt den Kommunikationsprozeß i n unzulässiger Weise beschränken 62 . 57

Scheuner, V V D S t R L 22, 26, erkennt der Tagespresse eine solche Schlüsselstellung zu, obwohl sie einen gewissen A n t e i l an der Beeinflussung der Öffentlichkeit Rundfunk u n d Fernsehen habe überlassen müssen; Seidel, S. 54 ff., scheint von einer gegensätzlichen Gewichtsverlagerung auszugehen, wenn er von der abnehmenden Meinungsmacht der Tagespresse spricht. 58 Seidel, S. 33, spricht allgemein von den Massenkommunikationsmitteln als den Organen öffentlicher Meinung; Löffler, Presserecht, Einl. A, A n m . 3, und Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 119, sprechen die Presse als Organ der öffentlichen Meinung an. Gegen diese Bezeichnung Dagtoglou, Wesen und Grenzen, S. 17 ff.; ebenso Forsthoff, D Ö V 63, 633, 635; Schule i n Schüle-Huber, S. 24 f. Lerche i n Ev. Staatslexikon greift die Beschreibung der Presse als Organ der öffentlichen Meinung nur m i t Vorbehalt auf. 59 BVerfG, JZ 61, 535, 536 — Schmid-Spiegel —, nennt die Presse neben Rundfunk u n d Fernsehen als das wichtigste Instrument der B i l d u n g der öffentlichen Meinung. Dagegen Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 19 f. 60 Hieran zeigt sich, w o h i n das unreflektierte Verwenden des Begriffs der öffenltichen Meinung führen kann. Ebenso unzutreffend wie die Bezeichnung Organ oder Instrument ist es, w e n n gesagt w i r d , daß sich i n der Presse die öffentliche Meinung artikuliere (BVerfGE 20, 162, 175 — Spiegelteilurteil —). Schon eher geht es an, z. B. den Rundfunk als eminenten Faktor der öffentlichen Meinungsbildung zu bezeichnen (BVerfGE 12, 205, 260 — Fernsehstreit —). 61 Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 18; Lerche i n Ev. Staatslexikon; H e l m u t Lenz, J Z 63, 338, 345. 62 Dies versucht aber Copie, J Z 63, 494, 496 u n d Note 16, m i t der Trennung der

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3. Teil: Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

D i e h i e r v e r t r e t e n e thematische U n i v e r s a l i t ä t des K o m m u n i k a t i o n s prozesses 6 3 k a n n auch n i c h t deshalb auf politische oder n u r das G e m e i n wesen interessierende Bereiche b e s c h r ä n k t w e r d e n , w e i l d i e K o m m u n i k a t i o n s g r u n d r e c h t e als „ f u n k t i o n e l l e G r u n d l a g e der D e m o k r a t i e " 6 4 d i e n e n 6 5 . D e n n aus der R e l e v a n z e i n e r g r u n d r e c h t l i c h e n R e g e l u n g f ü r die freiheitlich-demokratische O r d n u n g darf nicht auf den thematischen I n h a l t eines g r u n d r e c h t l i c h g e r e g e l t e n Lebensbereiches geschlossen w e r den. Das l e h r t e i n B l i c k a u f andere g r u n d r e c h t l i c h e R e g e l u n g e n 6 6 . G l e i c h w o h l ist e i n solcher Schluß unausgesprochen vollzogen, a l l e r d i n g s auch d u r c h das u n g l ü c k l i c h e u n d u n ü b e r l e g t e O p e r i e r e n m i t d e m B e g r i f f der ö f f e n t l i c h e n M e i n u n g b e g ü n s t i g t w o r d e n , w e n n v e r s u c h t w i r d , m i t der öffentlichen von der gemeinen Meinung. E i n solcher Versuch steht nicht allein, das gleiche Bestreben kehrt immer wieder. Bevorzugte Ansatzpunkte sind der Begriff der Meinung i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG, die angeblich i n A r t . 5 Abs. 1 S. 2 GG enthaltene institutionelle Garantie der Presse u n d nicht zuletzt die der Presse so häufig zugesprochene öffentliche Aufgabe. Darauf ist i m einzelnen noch zurückzukommen. Doch zurück zur öffentlichen Meinung: Nach Lerche, Werbung, S. 78, ist sie vielgestaltig u n d nicht n u r politisch; sie müsse auch andere Inhalte i n sich aufnehmen können. 63 Ebenso Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 25 und S. 31; Noelle, S. 24 f. Ein wenig einschränkend Herbert Krüger, Allg. Staatslehre, S. 446 f.: Gegenstand der öffentlichen Meinung könne ein jedes Thema sein; da aber die Unzahl der Bildner u n d Träger der öffentlichen Meinung nicht i n Spezialfragen einzudringen vermöge, sehe sich die öffentliche Meinung auf die Beschäftigung m i t Prinzipienfragen gedrängt. H i n t e r dieser Aussage steht, ohne daß ausdrücklich davon gesprochen w i r d , die Vorstellung eines Kommunikationsprozesses. Wenn ausgesagt werden soll, daß Spezialfragen i n diesem Prozeß keine größere Bedeutung erlangen können, so ist das sicher richtig. Denn vielseitig k o m m u nizieren können mangels Spezialkenntnissen des einzelnen n u r allgemeine Themen. Dennoch darf daraus nicht der Schluß gezogen werden, daß Spezialthemen v o m Kommunikationsprozeß ausgeschlossen sind. Denn einmal kann K o m m u n i k a t i o n auch i m begrenzten Rahmen stattfinden u n d zum anderen können auf diesem Wege Spezialfragen zu Themen von allgemeiner Bedeutung heranwachsen. 64 Vgl. S. 102. 65 Dieser Aspekt der Kommunikationsgrundrechte kann höchstens die Frage veranlassen, ob die i m Kommunikationsprozeß gebildeten Meinungen u n d dam i t der Kommunikationsprozeß selbst an dieser F u n k t i o n teilnehmen können (darauf ist sogleich zurückzukommen), und w e n n ja, ob sie diese F u n k t i o n auch tatsächlich erfüllen. Z u letzterem kritisch — allerdings unter dem B l i c k w i n k e l eines fortentwickelten liberalen Modellbildes öffentlicher Meinung — Habermas, 2. Aufl., S. 252 u n d S. 257, der öffentliche Meinung nicht n u r als „kritische", sondern auch „rezeptive Instanz" versteht, u n d Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 103 f., der von „quasi-öffentlicher Meinung" spricht. 66 Sogar ein Blick auf die für eine freiheitliche Ordnung so wichtige V e r sammlungs- u n d Vereinigungsfreiheit gibt hier Aufschluß. Denn es sollen keineswegs n u r Versammlungen u n d Vereinigungen politischen Bezuges erfaßt werden. Bei der Versammlungsfreiheit bestehen aber vergleichbare, wenn auch nicht unbestrittene Begrenzungsbestrebungen; etwa Klein i n v. MangoldtKlein, A n m . I I I 2 zu A r t . 8 GG: Versammlungsschutz nur, w e n n öffentliche Angelegenheiten erörtert werden sollen; a. A. Hoff mann, JuS 67, 393, 396 f. u n d Note 44, der einen gemeinsamen Zweck, der jedoch nicht ein bloßes U n t e r haltungsinteresse sein darf, genügen läßt.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

Gegenüberstellung öffentlicher und gemeiner Meinung eine thematische Begrenzung einzuführen 67 oder wenn das BVerfG 6 8 solche Äußerungen bevorzugt beurteilen w i l l , die „einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf i n einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten" darstellen 69 . Aus einem weiteren Gesichtspunkt sind derartige Begrenzungsversuche des Kommunikationsprozesses i n thematischer Hinsicht zu verurteilen. Denn es lassen sich politische von unpolitischen, wissenschaftliche von unwissenschaftlichen, literarische von nichtliterarischen und sittliche von unsittlichen Äußerungen nur unter größten Schwierigkeiten scheiden. Hinzu kommt die Besonderheit des Politischen. Was heute noch ohne politischen Bezug bleibt, kann bereits morgen größte politische Relevanz erlangen. Als Beispiel mag dienen die große politische Bedeutung, die wirtschaftliche Fragen i n unserer Zeit erlangen können 7 0 . 3. Wenn hier die Bezeichnung Meinungsbildungsprozeß vermieden wurde, weil sie dazu verleitet, allzu schnell zur Annahme einer Bildung der öffentlichen Meinung abzugleiten, und wenn statt dessen bevorzugt von Kommunikationsprozeß gesprochen wurde 7 1 , so sollte damit nicht geleugnet werden, daß der Kommunikationsprozeß i n wesentlichen Teilbereichen einen Meinungsbildungsprozeß darstellt und nach der grundrechtlichen Konzeption auch darstellen soll 7 2 . Denn ein großer Teil der durch den Kommunikationsprozeß erfaßten Vorgänge dient mittelbar oder unmittelbar der Meinungsbildung einzelner Personen oder Gruppen. Da nun der Meinungsbildungsprozeß als ein wesentlicher Bestandteil des Kommunikationsprozesses erkannt ist und da später die i n Hinblick auf den Unternehmensschutz bedeutsamen qualitativen Anforderungen an eine Meinungsäußerung zu untersuchen sind, interessieren hier die Untersuchungen der Studiengruppe für Systemforschung an der Universität von Kalifornien i n Berkeley und an der Universität Heidelberg zum 67

So Copie , J Z 63, 494, 496 u n d Note 16. BVerfG, JZ 58,119,122 — L ü t h —. 69 Diese Entscheidung des B V e r f G soll hier noch nicht i n ihrem Ergebnis angegriffen werden. Denn dazu bedarf es eines Eingehens auf die Frage der D r i t t w i r k u n g und auf die durch A r t . 5 Abs. 2 GG gezogenen Grundrechtsgrenzen. Dieses Ergebnis allein aus der Gewährleistung einer freien B i l d u n g der öffentlichen Meinung abzuleiten, geht jedoch nicht an. 70 Arndt, N J W 64, 1312, 1313: Wirtschaftliche Vorgänge seien von gleichartig öffentlichem Interesse u n d von entsprechender Bedeutung f ü r die Freiheitlichkeit der gesellschaftlichen S t r u k t u r wie politische Geschehnisse; A r t . 5 GG schütze m i t demselben I n h a l t die Offenheit des Meinungsmarktes insgesamt. 71 Vgl. S. 112 ff. 72 Das w i r d auch deutlich bei Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 23 und S. 26, der v o m intraindividuellen u n d transindividuellen Meinungsbildungs- und Kommunikationsprozeß spricht. 88

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Prozeß der Meinungsbildung 7 3 . Denn diese Gruppe hat anhand von praktischen Versuchen festgestellt, daß die dialektische Methode der Meinungsbildung des einzelnen am förderlichsten ist. D. h., daß Meinungen sich eher dann bilden oder verändern, wenn die Meinungskontrahenten sich nicht auf die erläuternde Darlegung ihrer Standpunkte beschränken, sondern wenn sie die Meinung des Gegners angreifen, sie in Frage stellen, ihre Grundlagen anzweifeln oder die Konsequenzen der gegnerischen Meinung aufzeigen 74 . Daraus läßt sich der Schluß ziehen, daß der Meinungsbildungsprozeß als Teil des Kommunikationsprozesses seiner Effektivität beraubt wird, wenn man verlangt, daß Äußerungen sachlich, zurückhaltend und schonend sein müssen. I I I . Wurde bisher der Kommunikationsprozeß i m wesentlichen als Lebensvorgang betrachtet, so soll nun das freiheitliche' des Kommunikationsprozesses hervorgehoben werden. 1. Daß ein durch eine grundrechtliche Regelung i n eine freiheitliche demokratische Grundordnung hineingestellter Kommunikationsprozeß freiheitlich sein muß, folgt ohne weiteres aus den vorangegangenen Überlegungen. Zugleich w i r d dadurch aber auch die Wechselbeziehung deutlich, die i n Verbindung m i t dem Verständnis der Grundrechte als funktioneller Grundlage der Demokratie aufgedeckt werden kann. Nicht nur die Kommunikationsgrundrechte, sondern auch der durch sie gewährleistete freiheitliche Kommunikationsprozeß bilden eine unverzichtbare Grundlage der demokratischen Ordnung 7 5 . 2. Diese Überlegung kann jedoch nicht dazu führen, den Kommunikationsprozeß als eine dem staatlichen Leben i m Sinne einer überlieferten und überholten Trennung von Staat und Gesellschaft zugehörige K r a f t anzusehen. Gleichzeitig widerspricht diese Feststellung der Auffassung, die dem Kommunikationsprozeß allein eine Stellung i m gesellschaftlichen Leben zuerkennen w i l l 7 6 . Vielmehr ist der Kommunikationsprozeß ein Vorgang, der i n beiden Bereichen i n Gang gesetzt werden und 73

Vgl. den Bericht der Süddeutschen Zeitung v o m 13.12.1967. Unwahre Darstellungen durften allerdings i n dieser Phase der U n t e r suchungen nicht benützt werden. 75 Arndt, öffentliche Meinung, S. 5 ff.; Noltenius, S. 93; H e l m u t Lenz, JZ 63, 338, 344 u n d 346; Franz Schneider, Historisches Voraussetzungen des A r t . 5 GG, S. 35; Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 27 ff. Mehr i n Hinblick auf „die öffentliche M e i n u n g " : Herbert Krüger, Allg. Staatslehre, S. 452 ff.; Noelle, S. 7 ff.; Seidel, S. 24; Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 525 f.; Landshut i n L a u n Festschrift, S. 586; Fraenkel i n Herzfeld-Festgabe, S. 172. 76 So i n Hinblick auf die öffentliche Meinung Herbert Krüger, Allg. Staatslehre, S. 439; aus Krügers weiteren Ausführungen (S. 451 ff.) folgt aber, daß er dem Denken i n A l t e r n a t i v e n nicht erliegt, sondern auch das W i r k e n der öffentlichen Meinung aus dem gesellschaftlichen i n den staatlichen Bereich hinein anerkennt. 74

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

sich ereignen kann, und der beide Bereiche kommunizierend zu verbinden vermag 7 7 . 3. Wichtige, später zu verwertende Folgerungen für das Spannungsverhältnis zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Unternehmensschutz lassen sich gewinnen, wenn eine weitere Komponente des freiheitlichen Gehalts des Kommunikationsprozesses aufgedeckt wird. Sie wurde angedeutet bei der Erörterung des Verständnisses der öffentlichen Meinung als einer aufoktroyierten, staatlich gelenkten Meinung und ihres Verhältnisses zu einer freiheitlichen Ordnung 7 8 . Danach war unvereinbar mit einer freiheitlich-demokratischen Staatsverfassung ein Unterdrükken oder Steuern des Meinungsbildungsprozesses von Seiten der Staatsgewalt. Diese Aussage muß auf den Kommunikationsprozeß als die weitere Erscheinung übertragen, zugleich aber auch fortgeführt und differenziert werden, wobei nicht nur die Staatsgewalt, sondern auch gesellschaftliche Kräfte als potentielle Gegner eines freiheitlichen Kommunikationsprozesses i n die Betrachtung mit einzubeziehen sind. Eine erste unverzichtbare Feststellung folgt aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Kommunikationsprozesses, ohne daß es einer besonderen Begründung oder Prüfung dieses Ergebnisses bedürfte: Der freiheitliche Kommunikationsprozeß darf nicht als solcher beseitigt werden. Die freie geistige Auseinandersetzung muß immer gewährleistet bleiben, sie darf nicht durch andere Formen der Meinungsbildung ersetzt werden. Der Wert dieser Aussage ist freilich nicht besonders groß, da selbst ein sich ,in extremum' totalitär gebärdender Staat Restbestände freier Kommunikation nicht w i r d austilgen können. Und einer gesellschaftlichen Macht w i r d dies erst recht nicht gelingen. Die getroffene Aussage gewinnt jedoch an Wert, wenn hinzugefügt wird, daß die freiheitliche Kommunikation nicht i n ihrem Kern getroffen werden darf. Denn die freiheitliche Kommunikation, das folgt aus der verfassungsrechtlichen Gewährleistung, muß die Regel bleiben 7 9 . Sie darf nicht zur Ausnahme degradiert werden. Dieses Ergebnis ist auch nicht dadurch gefährdet, daß die einzelnen subjektiven Berechtigungen des A r t . 5 Abs. 1 GG und die ihnen i n A r t . 5 Abs. 2 GG gezogenen Schranken noch nicht m i t i n die Betrach77 I m Ergebnis ebenso Ridder, Die öffentliche Aufgabe, S. 10 f., u n d Arndt, öffentliche Meinung, S. 7, unter Hinweis darauf, daß die F u n k t i o n der G r u n d rechte sich nicht mehr i n der Ausgrenzung aus dem Staat erschöpfe; Lerche i n Ev. Staatslexikon: Die Presse als Quelle, Weg u n d Schauplatz der öffentlichen Meinung sei der Vorstellung v o m Staate einzufügen; allerdings sei dabei unter ,Staat 4 das politische Gemeinwesen i m Ganzen u n d nicht nur ein solches obrigkeitlich u n d herrschaftlich politischer Inhalte zu verstehen. 78 Vgl.S. 110 f. 79 Den Grundsatz- u n d Regelcharakter der Grundrechte hat Häberle, S. 44 ff., sehr deutlich herausgestellt; zustimmend Arndt, N J W 64, 1312. W i r werden darauf noch zurückkommen müssen bei den Begrenzungsmöglichkeiten der Grundfreiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG.

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

tung einbezogen worden sind. Denn aufgrund der subjektiven Berechtigung des Art. 5 Abs. 1 GG oder der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG zu einem gegenteiligen Ergebnis kommen, hieße die grundrechtliche Regelung pervertieren. So ungefährdet und so schnell dieses Ergebnis gewonnen werden konnte, so wenig praktische Bedeutung erlangt es für die Themenverbindung der Meinungsäußerungsfreiheit und des Unternehmensschutzes. Denn totale, beseitigende Eingriffe in den Kommunikationsprozeß sind in diesem Zusammenhang nicht nur die Ausnahme, sondern praktisch undenkbar. Die eigentliche Problematik entfaltet sich erst bei der rechtlichen Wertung von Einzeleingriffen, die erstens wesentlich häufiger, zweitens versteckter, heimlicher und raffinierter vorgenommen werden und die drittens nicht abschließend ohne Einbeziehung der subjektiven Berechtigungen und ihrer Schranken beurteilt werden können. Letzteres gilt nicht für Einzeleingriffe in den Kommunikationsprozeß, die w i r als systemfremde Eingriffe bezeichnen und deshalb vorziehen wollen, weil ihre rechtliche Würdigung ohne Einbeziehung der subjektiven Berechtigungen des Art. 5 Abs. 1 GG und ihrer Schranken zweifelsfrei ist. Die Eigenart dieser Eingriffe liegt darin, daß sie nach dem gesamten Regelungskomplex des A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG zulässige Meinungen und sonstige Äußerungen mit anderen als solchen Kräften zu fördern, zu unterdrücken oder zu fördern und zu unterdrücken versuchen, die einem freiheitlichen Kommunikationsprozeß entsprechen. Gemeint sind Druck, Zwang oder Gewalt beim Äußern oder Empfang von Meinungen oder anderen Mitteilungen 8 0 . Denn mit einem freiheitlichen Kommunikationsprozeß ist es nicht vereinbar, wenn einem Teilnehmer mit Gewalt vorgeschrieben wird, was er äußern und was er empfangen darf, obwohl die Rechtsordnung Äußerung und Empfang der Meinung nicht verboten hat. Die rechtlich zulässige Teilnnahme am Kommunikationsprozeß ist dann nicht mehr eine freiheitliche, sondern eine erzwungene. Ebenso ist es bei einem gewaltsamen Ausschluß; denn der Verzicht auf die Teilnahme darf dem Wesen des freiheitlichen Kommunikationsprozesses nach nur aufgrund eines freien Willensentschlusses erfolgen. Einer besonderen Hervorhebung bedarf die geistige Gewalt. Daß auch sie vom Verbot eines gewaltsamen Einwirkens auf den Kommunikationsprozeß mitumfaßt sein soll, kündigte sich schon bei der Verwendung der Worte Druck und Zwang an. Daß sie mitumfaßt sein muß, folgt daraus, daß die Freiheitlichkeit der Teilnahme oder eines Verzichts auf die Teilnahme am Kommunikationsprozeß ebenso durch geistige wie durch materielle Gewalt aufgehoben werden kann. Eine Sonderstellung ergibt 80 Das Problem gewaltsamer K o m m u n i k a t i o n taucht S. 164 ff. bei der M e i nungsdurchsetzung wieder auf.

. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1 3

sich nur aus der i m Vergleich zur materiellen Gewalt gesteigerten Schwierigkeit, festzustellen, wann nun wirklich i m Einzelfall versucht wird, mit geistiger Gewalt die Teilnahme am Kommunikationsprozeß zu manipulieren. Denn die Wirkung geistiger Kräfte entzieht sich allzu leicht einer äußerlichen Betrachtung, auf die auch eine juristische Wertung angewiesen ist, die Rechtsfolgen für und gegen den einzelnen nur dann gewährt, wenn deren tatsächliche Voraussetzungen bewiesen sind. Dieses i n Rechnung stellen der Realität zwingt zur Vorhersage, daß das Verbot eines gewaltsamen Einwirkens auf den Kommunikationsprozeß durch die Annahme geistiger Gewalt nur i n Extremfällen erfüllt werden kann, bei denen sich das Vorliegen geistiger Gewalt dem Betrachter den Umständen nach aufdrängen muß 8 1 . Bisher wurden ausdrücklich nur Angriffe gegen rechtlich zulässige Meinungsäußerungen oder andere Mitteilungen behandelt, und es standen nicht der Gesetzgeber und Richter, sondern andere Personen als Angreifer i m Vordergrund der Betrachtung. Nun dagegen sollen Einzeleingriffe des Richters und des Gesetzgebers i n den freiheitlichen Kommunikationsprozeß herausgestellt werden. Ihre Beurteilung gestaltet sich gegenüber der zuvor genannten Eingriffe wesentlich schwieriger. Denn die Verfassung, die mit den Grundrechten auch eine Ordnung des Gemeinschaftslebens schaffen w i l l 8 2 , kann den mit den Kommunikationsgrundrechten intendierten freiheitlichen Kommunikationsprozeß nicht beziehungslos i n einen freien Raum stellen. Sie muß ihn vielmehr i n eine Gesamtordnung fügen, die nicht allein unter dem Gesichtspunkt der Kommunikationsgrundrechte, sondern auch aller anderen verfassungsrechtlichen, insbesondere grundrechtlichen Regelungen gedeutet und verstanden werden muß. So kann es durchaus sein, daß Kommunikation einmal zugunsten des Persönlichkeits-, Eigentumsschutzes oder des Schutzes der persönlichen Ehre thematisch, personell oder i n Hinblick auf einzelne Mitteilungen beschränkt werden muß. Wann solche Beschränkungen erforderlich werden, vermag eine Betrachtung des Wesens des Kommunikationsprozesses nicht zu klären. Nur daß solche Beschränkungen nötig sein können, darf hier schon festgestellt werden. Wann und i n welchem Ausmaß sie zulässig sind, kann erst nach der Erörterung der subjektiven Berechtigungen des Art. 5 Abs. 1 GG und insbesondere ihrer Schranken in Art. 5 Abs. 2 GG geklärt werden. Sind nun thematisch, personell und in Hinblick auf einzelne Äußerungen Begrenzungen des Kommunikationsprozesses denkbar, so folgt zu81 Es müssen erst die weiteren Erörterungen zu den subjektiven Berechtigungen des A r t . 5 Abs. 1 GG u n d ihren Schranken abgewartet werden, bevor auf Beispiele i m Rahmen der abschließenden Beurteilung der Typologie eingegangen werden kann. 82 Hier ist die S. 100 ff. genannte soziale F u n k t i o n der Grundrechte angesprochen.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

mindest schon eine Schranke solcher Beschränkungen aus dem vorher Gesagten. Der freiheitliche Kommunikationsprozeß muß immer die Regel bleiben, er darf nicht zur Ausnahme degradiert werden. Andere Schranken sind hier noch nicht feststellbar. Daß sie existieren, steht außer Zweifel 8 3 . Dies zeigt die Grenzen des objektivrechtlichen Verständnisses der Grundrechte. W i r müssen uns nun den hier interessierenden subjektiven Berechtigungen des A r t . 5 Abs. 1 GG und ihren Schranken zuwenden.

2. Abschnitt: Der individualrechtliche Gehalt der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit 1. Unterabschnitt: Sinn und Ausgangspunkt der Auslegung A. Der Sinn dieser Erörterungen

Es mag überflüssig erscheinen, nach dem Sinn solcher Erörterungen zu fragen, die sich mit der Meinungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG als subjektiven Berechtigungen befassen, wenn das Thema ausdrücklich auf die verfassungsrechtlich gewährleistete und als subjektives Recht ausgestaltete Meinungsäußerungsfreiheit abstellt. Daß das nicht der Fall ist, folgt aus dem weiteren Teilinhalt des Themas, dem grundsätzlich zivilrechtlich ausgestalteten Unternehmensschutz und der aus dem Zusammenfügen beider Teilinhalte entstehenden Verschränkung des Z i v i l rechts m i t dem Verfassungsrecht. Denn diese Verschränkung bringt es m i t sich, daß der objektiv-rechtliche Bestandteil der zitierten Grundrechte eine weitere Aufwertung erfährt, wodurch zugleich die Ausführungen i m vorhergehenden Abschnitt bestätigt und der Erkenntniswert des individualrechtlichen Gehalts dieser Grundrechte gerade i n bezug auf die genannte Verschränkung auf ein allein vertretbares Maß zurückgedrängt werden. Gleichwohl bedarf es auch eines Eingehens auf den individualrechtlichen Gehalt der Meinungs- und Pressefreiheit. Denn wenn sich die i n der Vergangenheit vorgetragenen und auch heute i n alter und neuer Form verfochtenen Aussagen aufrecht erhalten lassen, daß die Meinungs83 Diese Schranken f ü r Grundrechtsbeschränkungen folgen nicht n u r mater i e l l aus der F u n k t i o n der Grundrechte, sondern schon rein formell aus A r t . 5 Abs. 2 GG, der nicht n u r von der Schranke der Gesetze, sondern verengend von der Schranke der „allgemeinen" Gesetze spricht.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

freiheit nicht Tatsachenäußerungen und auch nicht Werbeaussagen decke, daß eine Meinung einen allgemeingültigen oder gar politischen Inhalt aufweisen müsse oder daß die Pressefreiheit wegen der der Presse zuerkannten öffentlichen Aufgabe z. B. nicht rein unterhaltende Veröffentlichungen schütze, entfällt bereits auf der Ebene der grundrechtlichen Regelung die Zweifelhaftigkeit eines Unternehmensschutzes, weil, wer mit Tatsachenäußerungen, Werbeaussagen oder unterhaltenden Veröffentlichungen ein Unternehmen schädigt, sich nicht auf den grundrechtlichen Schutz seiner Äußerungen berufen kann 1 . Entfällt ein Schutz solcher Äußerungen wegen des spezifisch individualrechtlichen Gehalts der Grundrechte, so vermag auch der objektivrechtliche Gehalt allein nicht weiter zu verhelfen, da beide grundrechtlichen Inhalte aufeinander bezogen sind und ihre Deutung deshalb nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen führen darf. Die Wechselbezüglichkeit der beiden grundrechtlichen Gehalte ergibt nun eine weitere Begründung dafür, daß auch der individualrechtliche Gehalt der Meinungs- und Pressefreiheit untersucht wird. Denn zum einen können die subjektiven Berechtigungen den bisher gewonnenen objektivrechtlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte bestätigen und verfestigen, und zum anderen vermag der objektivrechtliche Gehalt dieser Grundrechte bei der Deutung der individuellen Berechtigungen in wichtigen Einzelfragen Aufschluß zu geben. Das w i r d gerade die Lösung der oben angeschnittenen und ähnlicher Streitfragen bestätigen. Und es w i r d sich dabei zeigen, daß auch die subjektiven Berechtigungen zur Lösung des einzelnen zivilrechtlichen Falles beizutragen vermögen, obwohl gerade i m Zivilrecht dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte eine erhöhte und überwiegende Bedeutung zukommt. B. Die Grundlage der Interpretation der individuellen Berechtigungen des Art. 5 Abs. 1 G G

Es kann und soll hier nicht das Problem der Verfassungs- und insbesondere der Grundrechtsinterpretation 2 i n voller Breite aufgerollt werden; denn das würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Wenn bisher dem 1 Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 359, weist auf diesen Aspekt für die Verschränkung der Presse- u n d Meinungsfreiheit m i t dem Persönlichkeitsschutz hin. 2 Vgl. zur Verfassungs- und Grundrechtsinterpretation Forsthoff, Umbildung, S. 147 ff.; dazu Hollerbach, AöR 85, 241 ff.; Forsthoff, Verfassungsauslegung; Leisner, DÖV 61, 641 ff.; von Pestalozza, Der Staat, Bd. 2, S. 425 ff.; Peter Schneider, V V D S t R L 20, I f f . ; Ehmke, V V D S t R L 20, 53 ff.; Ossenbühl, DÖV 65, 649 ff.; Scheuner, V V D S t R L 22, 33 ff.; Schnur, V V D S t R L 22, 103 ff.; Geiger, Wandlung der Grundrechte, S. 14ff.; Friedrich Müller, passim, u n d insbesondere zur Grundrechtsinterpretation S. 204 ff.; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 51 f.; Hesse, S. 20 ff.

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3. Teil: Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte eine besondere Bedeutung zugelegt wurde, so geschah es nur deswegen, weil die Kommunikationsgrundrechte ohne ihren institutionellen Gehalt nicht v o l l verständlich wären. Nicht anders soll fortan verfahren werden. Nur die Aspekte der Grundrechtsinterpretation werden nun hervorgehoben, die die Auslegung der Meinungs- und Pressefreiheit als subjektive Rechte zu beeinflussen vermögen. Dabei werden vorerst drei allgemeine Gesichtspunkte, die die Auslegung der Meinungs- und Pressefreiheit beherrschen, vorgezogen. Weil ihre Verwendung teils schon vorbereitet — so beim objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte —, teils ohne weiteres verständlich ist — so die Bedeutung der sog. immanenten Gewährleistungsschranken — und weil des weiteren ihre volle Auswirkung erst i n der Konfrontation mit Einzelfragen deutlich w i r d — so bei der Bedeutung der Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG für den Inhalt der Grundfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG —, w i r d hier nur ein Überblick gegeben, der das weitere Vorgehen verdeutlicht. I. D i e

Ansatzpunkte

der

Auslegung

1. Einen wichtigen Ausgangspunkt der Auslegung der Presse- und Meinungsfreiheit können w i r gleich vorausziehen, da er nach den bisherigen Ausführungen außer Streit steht und gerade zuvor genannt wurde. Es ist der objektiv-rechtliche Gehalt der Kommunikationsgrundrechte, die Gewährleistung eines freiheitlichen und umfassenden Kommunikationsprozesses, der bei der Auslegung der Meinungsäußerungsund Pressefreiheit als individuellen Berechtigungen aktiviert werden muß 3 . Wenn nun dieser Ansatzpunkt bisher und desgleichen wieder an dieser Stelle herausgestellt wurde, so soll das nicht heißen, daß dieser Ansatzpunkt der einzige oder der allein maßgebliche sei. Das Vorausstellen erklärt sich vielmehr daraus, daß der objektivrechtliche Gehalt der Kommunikationsgrundrechte i m Zusammenhang dieses Themas besondere Bedeutung erlangt, daß er allzu häufig vernachlässigt w i r d und daß er i m wesentlichen für alle Kommunikationsgrundrechte, also auch für Presse- und Meinungsfreiheit einheitlich gilt. Wenn Scheuner 4 zwar allgemein für die Grundrechtsauslegung, aber doch i m Kontext einer Erörterung der Pressefreiheit betont, „daß jedes Grundrecht i n seiner geschichtlichen wie i n seiner dogmatischen Zielrichtung und Ausgestaltung eine innere Mitte seiner Gewährleistung, damit aber auch eine innere Begrenzung i n sich trägt, die seinem Geltungsraum einen festen Kern und eine spezifische Ausdehnung geben", so spricht er damit ent3 Das folgt aus der oben dargestellten Wechselbezüglichkeit zwischen objektivrechtlichem und individualrechtlichem Gehalt der Grundrechte; vgl. dazu S. 103 ff. 4 V V D S t R L 22, 47.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t .

Abs. 1 GG 1

gegen dem ersten Anschein nicht völlig neue, hier nicht berücksichtigte Gesichtspunkte, sondern ebenfalls die Bedeutung des objektivrechtlichen Gehalts für die Grundrechtsauslegung an 5 . Aber Scheuner verweist damit unausgesprochen auf einen zweiten Aspekt der Grundrechtsauslegung, der auch Häberles 6 Ausführungen zugrunde liegt. 2. Gemeint sind die die einzelnen subjektiven Berechtigungen der Grundrechte prägenden Begriffe. Daß sie unverzichtbarer Ansatz der Grundrechtsauslegung sein müssen, ist so selbstverständlich, daß manche Stimmen es nicht für nötig halten, diesen Gesichtspunkt besonders hervorzuheben 7 . Andererseits werden die grundrechtlichen Begriffe gelegentlich zu „immanenten Gewährleistungsschranken" hochgelobt 8 und damit einer scheinbar erhöhten Bedeutung zugeführt. Zwischen diesen beiden gegensätzlichen Darstellungsweisen sachliche Gegensätze konstruieren zu wollen, hieße sie mißverstehen. Denn selbst wenn von den Begriffen der Grundrechte nicht gesprochen, statt dessen etwa eine „innere Begrenzung" 9 oder das grundrechtliche „ L e i t b i l d " 1 0 genannt wird, muß eine Auslegung bei den Begriffen ansetzen, die den grundrechtlichen Raum umrißhaft aufzeichnen oder i h m gar schon festere Konturen geben. Und wer die grundrechtlichen Begriffe zu immanenten Gewährleistungsschranken umformt, kann durchaus nicht mehr Konsequenzen ziehen, als ebenfalls die grundrechtlichen Begriffe zu interpretieren. Freilich lauern gerade hier besondere Gefahren 11 , wenn i n ein einzelnes Grundrecht 5 Das w i r d an der genannten Stelle nicht ganz klar, folgt aber doch aus dem Zusammenhang; vgl. Scheuner, V V D S t R L 22, 33 ff., insbesondere S. 33 f., 43 f., 56. 6 Das k o m m t zum Ausdruck, w e n n Häberle, S. 182, 184 f., 201, 210, 212, vom grundrechtlichen „ L e i t b i l d " spricht, das allerdings noch der Ausführung durch den Gesetzgeber bedürfe. 7 V o n den S. 125 Note 2 genannten Autoren z. B. gehen n u r wenige — und dann n u r meist am Rande — auf eine Interpretation der Begriffe ein: Leisner, DÖV 61, 641, 643, nennt die sprachliche Interpretation ausdrücklich. Ehmke, V V D S t R L 20, 53, 62, und Hesse, S. 21, streifen sie nur am Rande m i t dem V e r weis auf die Offenheit u n d Weite der normativen Verfassung; vgl. dazu auch Häberle, S. 186 f. Dieser Hinweis t r i f f t zwar grundsätzlich zu, verbirgt aber, daß i n Teilbereichen der Verfassung noch intensive sprachliche Interpretation getrieben w i r d . Die hermeneutischen Bemühungen u m die Meinungsfreiheit — man denke n u r an Meinung und Tatsache — illustrieren es deutlich, vermögen aber auch die Grenzen der sprachlichen Interpretation aufzuzeigen. Dennoch muß sie ein Ansatz u. a. für die Auslegung bleiben. 8 Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. Β X V 2. N u r i n diesem Sinn w i r d hier von „immanenten (Gewährleistungs-)Schranken" gesprochen. Es ist V o r sicht geboten, denn der Begriff der „immanenten Schranken" w i r d auch i n anderen Zusammenhängen gebraucht; vgl. dazu Lerche, Übermaß, S. 105 Note 30. 9 Scheuner, V V D S t R L 22, 47. 10 Häberle, S. 182,184 f., 201, 210, 212. 11 Die freilich auch bei einer schlichten Begriffsfestlegung bestehen. Erliegt ihnen der Interpret, so verbergen sich die entstehenden I r r t ü m e r aber nicht hinter dem Deckmantel „der immanenten Gewährleistungsschranken" und lassen sich schneller entlarven.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

nicht vorhandene Gewährleistungsschranken hineininterpretiert werden, um aus ihnen wiederum Folgerungen ziehen zu können 1 2 . Deshalb w i r d einer vermittelnden Auffassung der Vorzug gegeben, die die grundrechtlichen Begriffe ausdrücklich als Ansatz einer Auslegung der Grundrechte nennt, ohne gleich beschönigend von Gewährleistungsschranken zu sprechen. Für das Verhältnis dieses Ausgangspunktes der Auslegung zu dem unter 1. genannten ist hervorzuheben, daß die grundrechtlichen Begriffe zwar i n erster Linie der Auslegung der individuellen Berechtigungen dienen, daß sie des weiteren aber auch den objektivrechtlichen Gehalt bestimmen, da er i n solch engem Zusammenhang mit den i n den Grundrechtsbestimmungen gewährten subjektiven Rechten steht, daß er sich ohne sie nicht gewinnen läßt 1 3 . Wenn nun zuvor andererseits eine Berücksichtigung des objektivrechtlichen Gehalts bei der Auslegung der subjektiven Rechte befürwortet wurde, so w i r d nicht ein ,circulus vitiosus', sondern die enge Verflechtung und die Wechselbezüglichkeit zwischen objektivem und subjektivem Recht deutlich 1 4 . II. D i e B e d e u t u n g d e r S c h r a n k e n des A r t . 5 Abs. 2 GG f ü r d i e I n t e r p r e t a t i o n des A r t . 5 Abs. 1 GG Jede Interpretation der durch A r t . 5 Abs. 1 GG gewährten individuellen Rechte muß unvollständig bleiben, wenn sie ihre Arbeit m i t der Begriffsfestlegung unter Berücksichtigung des objektivrechtlichen Gehalts der Kommunikationsgrundrechte als beendet betrachtet. Denn ein solches Vorgehen übersieht, daß die auf diese Weise gewonnenen Ergebnisse nicht unverrückbar feststehen und eventuell durch eine Regelung des einfachen Gesetzgebers i n Frage gestellt werden können 1 5 . Außerdem gerät eine derart das Blickfeld eingrenzende Interpretation i n Gefahr, die i m Rahmen des A r t . 5 Abs. 1 GG zu leistende Arbeit zu überschätzen. 12 Kritisch u n d auf die Gefahren hinweisend Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 341 f. u n d S. 359. Eindrucksvolles Beispiel eines derartigen V o r gehens ist die der Presse zuerkannte öffentliche Aufgabe, aus der wiederum die verschiedensten Ergebnisse abgeleitet werden. 13 Vgl. S. 103 ff. 14 Vgl. S. 103 f. u n d S. 125. 15 Beispielhaft f ü r ein Vorgehen, daß bei Auslegung des A r t . 5 Abs. 1 GG die Schranken der allgemeinen Gesetze des A r t . 5 Abs. 2 GG v ö l l i g außer acht läßt, ist Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, zu nennen; vgl. dazu die kritische Stellungnahme Arndts, N J W 63, 193 f.; weniger kritisch, aber die Ausklammerung des A r t . 5 Abs. 2 GG als eine Lücke empfindend Mallmann, JZ 61, 141, 143. Bezeichnend auch Leisner, Ufita Bd. 37, S. 129 ff., der die M e i nungsäußerung auf das Äußern einer These i m politischen Bereich beschränkt, ohne auch n u r m i t einem Wort auf die F u n k t i o n der allgemeinen Gesetze f ü r A r t . 5 Abs. 1 GG einzugehen.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 129

Etwa indem sie Einzelprobleme auf die Ebene der Verfassung hebt und durch Verfassungsinterpretation zu klären versucht, die nach der Verfassungskonzeption nicht durch die Verfassung, sondern durch das einfache Gesetzesrecht zu lösen sind 1 6 . Es findet dann eine Gewichtsverlagerung vom i n Art. 5 Abs. 2 GG angesprochenen einfachen Gesetzesrecht i n den ausschließlich verfassungsrechtlichen Bereich des A r t . 5 Abs. 1 GG statt, während die Verfassung i n Wahrheit die Entscheidung zahlreicher Einzelfragen dem i n Art. 5 Abs. 2 GG angesprochenen einfachen Gesetzgeber auferlegt, eher also von einer Problemverschiebung aus A r t . 5 Abs. 1 i n Art. 5 Abs. 2 GG gesprochen werden kann. Bisher sind die vorangegangenen Sätze, die die Funktion des einfachen Gesetzgebers in Hinblick auf A r t . 5 Abs. 2 GG andeutungsweise aufwerten und einen Aspekt des Resultats der folgenden Überlegungen vorwegnehmen, nicht mehr als Vermutungen, die allerdings dadurch i n ein grelles Licht geraten, daß Häberle 1 7 pointiert die Tätigkeit des einfachen Gesetzgebers i m Umkreis der Grundrechte als Grundrechtsinterpretation bezeichnet. Denn wenn das wirklich i n dem Umfang oder, wie hier vermutet, zumindest für das Grundrecht des A r t . 5 Abs. 1 GG zutrifft, dann muß eine Grundrechtsauslegung, die diesen Gesichtspunkt verkennt und der Funktion des einfachen Gesetzgebers keine Beachtung schenkt, zumindest i n Teilbereichen notwendig i n falschen Bähen verlaufen. Spürt man der Frage nach, warum das so sein muß, so stößt man sofort auf das herkömmliche und der Konzeption Häberles genau entgegengesetzte Eingriffs- und Schrankendenken, das eine nur vorläufige und noch ausführungsbedürftige Gestalt i n der Kette der Grundrechte nicht kennt. Daraus folgt, daß die bisherigen Darlegungen nur bestehen können, wenn ein Abgehen vom Eingriffs- und Schrankendenken überhaupt möglich und speziell für die Schranken der allgemeinen Gesetze des A r t . 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt ist. 1. Obwohl das Eingriffs- und Schrankendenken für das Verständnis der Grundrechtsvorbehalte weitgehend verbreitet war und auch heute nicht unüblich ist, haben sich unter der Geltung des Grundgesetzes früh Stimmen i n der Literatur gemeldet, die gegen das Eingriffs- und Schran18 Es handelt sich u m die immer wiederkehrenden Bestrebungen A r t . 5 Abs. 1 GG aus sich heraus q u a l i t a t i v zu begrenzen. Beispielhaft sei n u r genannt : kein Schutz von Tatsachenäußerungen, n u r Schutz von Meinungen allgemeiner Bedeutung oder eines politischen Bezuges, Schutz n u r der guten, sachlichen, richtigen u n d wahren Meinung, kein Schutz der Unterhaltungs- oder Geschäftspresse. I m einzelnen werden w i r darauf noch zurückkommen. Es sei hier n u r auf das Mißtrauen gegenüber der Tätigkeit des einfachen Gesetzgebers hingewiesen, das i n einem solchen Verhalten zum Ausdruck k o m m t u n d sich m i t einem nach Vollständigkeit strebenden Eifer verbindet, der die Lösung möglichst vieler Einzelfragen durch Verfassungsinterpretation zu bewältigen versucht. 17 Häberle, S. 186.

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Koller

1 3 .

T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

kendenken Position bezogen 18 . Und bis heute haben diese Stimmen einen derart gewichtigen Zulauf erfahren 19 , daß man von einem erfolgreichen Aufweichen des solange festgefahrenen Eingriffs- und Schrankendenken sprechen kann. a) Nach K l e i n 2 0 gibt es „nach reiner Logik keine Schranken der Grundrechtsbestimmungen, sondern nur Begriffe derselben". Es sei streng logisch vielmehr so, „daß sich die Begriffe gewisser Grundrechte . . . erst durch gesetzgeberische Maßnahmen des (einfachen) Gesetzgebers konkretisieren, die Begriffe gewisser Grundrechte . . . ihre Ausprägung sogar erst durch entsprechende Maßnahmen der Verwaltungsbehörden und Gerichte aufgrund eines Gesetzes erhalten". Gegen eine Terminologie, die m i t der Bezeichnung „Schranken" für die Begriffsfestlegung arbeite und der es bewußt bleibe, daß es sich dabei um Begriffsfestlegung und nicht um Schranken handele, sei jedoch deshalb nichts einzuwenden, weil ein „System der Schranken" eine bessere Erkennntis der Verschiedenartigkeiten der Begriffsfestlegungen ermögliche. b) Häberle 2 1 geht m i t vergleichbarer, jedoch ausdrücklich herkömmliche Denkweisen verurteilender Radikalität vor. Er anerkennt nur zwei Grundtypen von Gesetzesvorbehalten. Einen ersten Typ bezeichnet er als „Begrenzungs- oder Güterabwägungsvorbehalt", der dem Gesetzgeber den Weg eröffne, das Grundrecht gegen kollidierende, gleich- und höherwertige Rechtsgüter abzugrenzen. Den zweiten Typ bilden die „Ausgestaltungsvorbehalte", die den Gesetzgeber zu leitbildgerechter inhaltlicher Ausgestaltung von Grundrechten ermächtigen 22 . Diese beiden Typen grundrechtlicher Gesetzesvorbehalte verschmelzen jedoch i m folgenden. Statt zweier Gesetzesvorbehalte verschiedenen Inhalts und verschiedener Funktion unterscheiden Häberles folgende Ausführungen 2 3 nur noch diese beiden Funktionen beim grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt schlechthin. Das zeigt sich etwa, wenn festgestellt wird, daß jede Begrenzung gleichermaßen Inhaltsbestimmung bedeute, wie umgekehrt jede Inhaltsbestimmung begriffsnotwendig Grenzziehungen zum Inhalt 18

Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. Β X V 1 b (S. 122). Häberle, S. 126 ff.; Eike v. Hippel, S. 52 ff.; Hesse, S. 121 ff.; Schnur, V V D S t R L 22,103 ff.; Lerche, Übermaß, S. 106 ff. 20 a.a.O. 21 Häberle, S. 126 ff., S. 180 ff. 22 Häberle, S. 141. Hinzuzufügen ist, daß diese Auffassung die Grundrechte von vornherein als innerhalb der ihnen immanenten, durch Güterabwägung zu ermittelnden Grenzen der materialen Allgemeinheit des verfassungsrechtlichen Wertsystems gewährleistet ansieht; vgl. Häberle, S. 51 ff. „Der Vorbehalt des Gesetzes ist das kodifikationstechnisch freilich nicht selten unglücklich gefaßte M i t t e l . . . zur V e r w i r k l i c h u n g der immanenten Grundrechtsgrenzen . . . " , so Häberle, S. 207. 23 Häberle, S. 180 ff. 19

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 131

habe 24 . Und es w i r d besonders deutlich, wenn Häberle zur zusammenfassenden Kennzeichnung der grundrechtsbegrenzenden und »ausgestaltenden Tätigkeit des Gesetzgebers den Begriff der „Grundrechtsausführung" bemüht 2 5 . Dies letzte wie die zusammenfassende Feststellung Häberles 26 , daß die Grundrechte und die ihnen zugeordnete Vorbehaltsgesetzgebung zusammen den Komplex „Grundrecht" bilden, interessieren in diesem Zusammenhang besonders. Es muß jedoch hervorgehoben werden, daß Häberle ebenso wie zuvor K l e i n seine Aussage auf den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt generell bezieht. War Häberle bis hierher nicht anders zu verstehen, so werden letzte Zweifel ob der endgültigen, generalisierenden Tendenz seiner Aussage beseitigt, wenn er auf die Evidenz der Fragwürdigkeit der klassischen Gesetzesvorbehalte hinweisend schließt: „Diese erscheinen ihrem Wortlaut und der Sache nach als eine staatsrechtliche Reminiszenz 27 ." Dem Gesetzgeber sind nach dieser Auffassung „Eingriffe", „Beschränkungen" und „Einschränkungen" i n grundrechtliche Bereiche ohne Ausnahme untersagt. Für durch grundrechtliche Gesetzesvorbehalte legitimierte Eingriffe bleibt kein Raum mehr 2 8 . Differenzierungen zwischen den einzelnen i m Grundrechtsteil der Verfassung enthaltenen Gesetzesvorbehalten sind nur noch hinsichtlich Ausmaß, A r t und Weise der Grundrechtsausgestaltung und -begrenzung berechtigt 29 . c) Auf Häberle aufbauend, jedoch die Grenzen nicht verwischend und innerhalb der Grundrechtsbegrenzung stärker differenzierend unterscheidet Hesse 30 ebenfalls zwischen Ausgestaltungs- und Begrenzungsvorbehalten. Nach i h m verfließen die Übergänge zwischen Ausgestaltung und Begrenzung jedoch nur gelegentlich 31 , und er gliedert die Begrenzungsvorbehalte, die der Zuordnung von Freiheitsrechten und anderen Rechtsgütern dienen 32 , i n allgemeine, qualifizierte und einfache Gesetzes24

Häberle, S. 185. Häberle, S. 197 ff. I n großer Nähe zu Häberles Auffassung bewegt sich Eike v. Hippel, S. 52, der den Gesetzesvorbehalt als der sachgerechten „ A u s führung" der abstrakten Grundrechtsnormen dienend begreift. Allerdings setzt v. Hippel, S. 53 Note 22, seine Auffassung von der Häberles ab, wenn er dessen Unterscheidung zwischen Begrenzung und Ausgestaltung als ungerechtfertigt ansieht. 26 Häberle, S. 205. 27 Häberle, S. 229 f. 28 Häberle, S. 222 f. 29 Häberle, S. 181 ff., 200, 208. Interessant ist u n d klärend w i r k t , daß Häberle dabei den Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Ausgestaltungs- u n d Begrenzungsbedürftigkeit eines Freiheitsrechtes u n d dem Sozialbezug der betreffenden Freiheit aufzeigt (S. 182 f.). „Je stärker der ,soziale Bezug' eines Grundrechtes ist, desto eher w i r d die Gesetzgebung eingeschaltet sein" (S. 208). 30 Hesse, S. 121 ff. 81 z. B. bei A r t . 14 Abs. 1 S. 2 u n d 12 Abs. 1 S. 2 GG; vgl. Hesse, S. 122. 32 Hesse, S. 125 f. 25

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1 3 . T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

vorbehalte 33 . Dabei rechnet er zu den ersteren den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze i n A r t . 5 Abs. 2 GG 3 3 . d) Einen ausgesprochenen extremen, wohl über das Ziel hinausschießenden, aber hier deshalb interessanten, weil überdeutlichen Standpunkt bezieht Schnur 34 . Nach i h m ergibt sich der Umfang eines Freiheitsrechtes nur aus den Schranken und nicht aus einer als vorgegeben angenommenen Substanz des Grundrechts 35 . Denn m i t dem Eintritt des einzelnen i n die Gemeinschaft höre die natürliche Freiheit auf; als Recht i n der Gemeinschaft gelte nur das, was dem einzelnen innerhalb der Schranken, die die Gemeinschaft errichte, an Freiheit übrig bleibe 36 . I n Hinblick auf die Pressefreiheit formuliert Schnur dann ganz speziell, daß, was Freiheit der Presse gemäß A r t . 5 Abs. 1 GG sei, m i t h i n von den Schranken abhänge, und deshalb die Zielsetzung bei der Betätigung dieser Freiheit i m Belieben des einzelnen stehe 37 . e) Eine gründliche, nicht so einseitig i n Richtung einer Grundrechtsausführung ausschlagende und dennoch die eingangs aufgestellte These vom Verhältnis der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG zu den Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG bestätigende Untersuchung der Systematik der grundrechtlichen Begrenzungen liefert Lerche 38 . Ergebnis ist eine stark differenzierte T y p i k der Grundrechtsgrenzen, die zwischen grundrechtsprägenden, grundrechtsverdeutlichenden und grundrechtseingreifenden Normen sowie zwei besonderen Fällen, den mißbrauchswehrenden und konkurrenzlösenden Grundrechtsbegrenzungen, unterscheidet 39 . Grund33

Hesse, S. 125. Schnur, V V D S t R L 22,101 ff. 35 Schnur, V V D S t R L 22, 103. Schnurs pointierte Frontstellung erklärt sich möglicherweise aus der i m vorangehenden Referat von Scheuner bezogenen Stellung, die (a.a.O., S. 47) jedem Grundrecht eine „innere Begrenzung" und einen „festen K e r n " zuspricht. Daß Schnurs Formulierungen dennoch nicht über den angestrebten sachlichen Gehalt seiner Ausführungen hinausschießen, belegt seine polemische Stellungnahme (a.a.O., S. 103 ff., insbesondere Noten 4, 5 u n d 9) zu jenen Stimmen, die von Grundrechtsinhalt, Inhaltsbestimmung, Determinierung oder einem substantiellen Denken ausgehen. Diese ablehnende Auffassung Schnurs setzt sich i n Widerspruch zu dem durch die Begriffe gegebenen grundrechtlichen Leitbild, das doch als etwas Vorgeformtes u n d V o r gegebenes begriffen werden muß, an dem sich erst die Vorbehalts- oder Schrankengesetzgebung orientieren kann u n d muß. 36 Schnur, a.a.O., S. 102 f. 37 Schnur, a.a.O., S. 104 f. Wenn Schnur seinen Darlegungen diese Wendung gibt, so muß i h m zugestimmt werden. Denn die vorliegende A r b e i t w i r d zeigen, daß der Gebrauch der grundrechtlich gewährten Freiheit i m Belieben des einzelnen steht u n d daß dieser Freiheitsgebrauch nicht durchreglementiert, die Freiheit nicht zur Ausnahme degradiert werden darf. Angesichts der weitergehenden, verabsolutierenden Formulierungen Schnurs k a n n seine Aussage jedoch nicht auf diesen Gehalt reduziert werden. 38 Lerche, Übermaß, S. 98 ff. 39 Lerche, Übermaß, S. 99 u n d S. 106 ff. 34

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 13

rechtsprägend seien solche Normen, die nicht i n einen schon gestalteten Grundrechtsbereich hineinschnitten, auch nicht nur dessen Grenzen interpretierten, sondern ihn erst aufbauten, mögen sie sich dabei auch i n einem vom Grundgesetz gezogenen Rahmen 4 0 zu verhalten haben. Dabei seien zwei wichtige Formen der Grundrechtsprägung zu unterscheiden, nämlich die mittelbare und die unmittelbare 4 1 . Handele es sich um mittelbare Grundrechtsprägung, so verwerte die Verfassung ein i n eine andere Zielrichtung gehendes gesetzgeberisches Normieren zugleich zur Eingrenzung und damit verfestigenden Gestaltung eines grundrechtlichen Bezirks. Die technische Möglichkeit dazu biete die Verweisung auf externe Normengefüge, die durch den Gesetzgeber ohne Blickrichtung auf das jeweilige Grundrecht aufgebaut würden; das Profil dieser externen Normen bezeichne sodann automatisch (mittelbar) die Grenzen der dadurch festgelegten Grundrechte 42 . Das sei der Fall z. B. bei den i n Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken der allgemeinen Gesetze 43 . Diese Normen vollzögen nur „echte Grundrechtsprägung", aber grundsätzlich keine Eingriffe in schon geprägte Grundrechtsbezirke 44 . f) Die stattliche Phalanx dieser Stimmen, die das generalisierende Verständnis der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte vom Eingriffsdenken 4 5 her i n Frage stellt, fördert zumindest eine unbestreitbare Erkenntnis. Bei der Bestimmung eines grundrechtlichen Gehalts muß Vorsicht walten, da vorschnell i n ein Grundrecht hineininterpretierte Ergebnisse sich i n Anbetracht eines durch das einfache Gesetzesrecht vollzogenen Grundrechtsaufbaus als unhaltbar und ungerechtfertigt erweisen können. Denn die Möglichkeit, daß einfaches Gesetzesrecht dieses oder jenes Grundrecht ausgestaltet, kann nicht mehr ausgeschlossen werden. Das soll allerdings nicht heißen, daß mit Rücksicht auf die durch den einfachen Gesetzgeber zu vollziehende Grundrechtsinterpretation das einfache Ge40 A u f den v o m Grundgesetz gezogenen, allgemeinen Rahmen, i n dem sich der Grundrechtsaufbau zu vollziehen habe, verweist Lerche, a.a.O., S. 107 und S. 114, ausdrücklich. Das erinnert an das von Häberle (vgl. S. 127 m i t Note 10) herausgestellte Grundrechtsleitbild u n d die hier hervorgehobene grundrechtliche Begrifflichkeit. Sachlich w i r d damit immer der gleiche Gesichtspunkt als ein T e i l des grundrechtlichen Gesamtbereichs angesprochen. 41 Lerche, a.a.O., S. 107 u n d S. 112. 42 Lerche, Ubermaß, S. 112. 43 Lerche, a.a.O., S. 112 ff. 44 Lerche, a.a.O., S. 115; ders. i n : Die Grundrechte I V 1, S. 473: Die allgemeinen Gesetze enthielten nicht zielstrebige Eingriffe, sondern übten n u r Reflexwirkungen aus. 45 Wenn Häberle, S. 222 ff., eine Reinigung des Rechtsbegriffes v o m E i n griffs- und Schrankendenken v o r n i m m t , u n d wenn hier bisher leicht v o r w u r f s v o l l ebenfalls vom Eingriffs- und Schrankendenken gesprochen wurde, so muß sich doch der A n g r i f f vor allem gegen ein verallgemeinerndes Eingriffsdenken richten. Denn der Begriff der Grundrechtsschranken ist zu farblos, u m allzu viel Unheil anrichten zu können.

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

setzesrecht auf die Ebene der Verfassung zu heben wäre. Denn selbst wenn die Auffassung von der Grundrechtsinterpretation durch den einfachen Gesetzgeber i n vollem Umfang zutrifft, werden doch nur der Rahmen und die Funktion der Gesetzgebung i m Grundrechtsbereich verfassungsrechtlich, nämlich i m einzelnen unterschiedlich nach der jeweiligen Grundrechtsbestimmung, festgelegt 46 . Die Qualifizierung des einfachen Gesetzesrechts ändert sich insoweit nicht. Das Vollständigkeitsstreben, das, wie bereits angedeutet 47 , für die Lösung möglichst vieler Einzelprobleme auf die Ebene des Verfassungsrechts rekurriert, ohne zu bedenken, daß die Verfassung die Lösung eines beträchtlichen Teils aller Einzelfragen dem einfachen Gesetzgeber überlassen kann, gerät also ins Wanken. Zur endgültigen Neuorientierung ist es jedoch i n diesem Zusammenhang, i n dem nur das Verhältnis der Schranken der allgemeinen Gesetze des A r t . 5 Abs. 2 GG zu den Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG interessiert, nicht nötig, die generalisierende Aussage Kleins und Häberles 48 zur Grundrechtsausprägung und -ausführung nachzuprüfen. Dies, obwohl Bedenken dagegen bestehen, die unübersehbaren, wenn auch teils mißglückten Differenzierungsversuche der Verfassung bei den Grundrechtsvorbehalten zu nivellieren und vorbehaltslos von einem Eingriffsdenken auf ein ,Ausführungsdenken' umzuschwenken 49 . Denn hier geht es nur darum, ob den allgemeinen Gesetzen des A r t . 5 Abs. 2 GG ein grundrechtsausführender Charakter beizumessen ist. 48 Häberle, S. 212: Die Einbeziehung der Gesetzgebung i n das Grundrecht bedeute nicht eine Erhebung i n den Verfassungsrang. Es gehe lediglich darum, die F u n k t i o n der Gesetzgebung und damit deren I n h a l t und Grenzen i m Sinne eines Leitbildes i n der Ebene der Verfassung zu sehen. Häberle t r i f f t diese Aussage entsprechend seiner vorausgegangenen Ergebnisse — G r u n d rechtsberührung n u r Ausgestaltung und Begrenzung — allgemein, ohne sich die Möglichkeit für Differenzierungen nach den unterschiedlichen Gesetzesvorbehalten offen zu halten. 47 Vgl. S. 128 f. 48 Neben K l e i n u n d Häberle ist hier auch Eike v. Hippel zu nennen, vgl. S. 131 Note 25. Hesse w i r d hier ausgespart, da er trotz des m i t Häberle übereinstimmenden Ausgangspunktes die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte nach ihren Eigenarten zu differenzieren vermag; das soll jedoch nicht heißen, daß i h m uneingeschränkt zugestimmt werden muß. Schnur w i r d i n diesem Zusammenhang nicht genannt, w e i l er wesentlich anders als Klein, Häberle und Eike v. Hippel ansetzt; sein Ausgehen von den Schranken des Freiheitsrechts setzt sich gleichermaßen von der Vorstellung eines Eingriffs wie einer Ausgestaltung ab. 49 Lerche, Übermaß, S. 99 f., bezieht i n diesem Sinne Stellung gegen K l e i n ; er weist nach, daß es sich weder u m eine von der Logik gelöste Terminologie noch u m die „ F i k t i o n " eines an sich feststehenden Komplexes handelt, wenn die grundrechtsprägenden u n d begriffsfüllenden Normen von den sonstigen abgehoben werden. I m m e r h i n ist bemerkenswert, daß Klein (in v. MangoldtKlein, Vorbem. Β X V 1 b, S. 122) eine Verschiedenartigkeit der Begriffsfestlegung anerkennt, w e n n er gegen die bisherige Terminologie nichts einwendet, „ w e i l ein ,System der Schranken' eine bessere Erkenntnis der Verschieden-

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 13

2. a) I n der Tat erfüllen die allgemeinen Gesetze des A r t . 5 Abs. 2 GG die Voraussetzungen grundrechtsausgestaltender, präziser und i n Anlehnung an die Diktion Lerches formuliert, mittelbar grundrechtsprägender Normen. Das deutet schon die Formulierung des Art. 5 Abs. 2 GG an: „Diese Rechte finden ihre Schranken i n den Vorschriften der allgemeinen Gesetze . . . " Wenn auch die Formulierung des Verfassungstextes hier nicht zu voreiligen, weiterhin nicht zu prüfenden Schlüssen verleiten darf 5 0 , so ergibt sich aus ihr zumindest doch der Hinweis, daß der Umfang der i n Art. 5 Abs. 1 GG geregelten Freiheitsrechte nicht allein aus der Verfassung, sondern auch aus außerhalb der Verfassung stehenden Normenkomplexen gewonnen werden muß, die nicht einmal ihre Grundlage in Art. 5 Abs. 1 und 2 GG finden. Der der engeren verfassungsrechtlichen Formel der „allgemeinen Gesetze" zu entnehmende rechtliche Gehalt bestätigt diesen Hinweis. Eines der der Formel der allgemeinen Gesetze zu entnehmenden Kriterien verlangt nämlich, daß sich i n den allgemeinen Gesetzen enthaltene Regelungen nicht ausschließlich und unmittelbar beschränkend m i t den i n A r t . 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Freiheitsrechten bzw. dem sich aus ihnen ergebenden objektivrechtlichen Gehalt, nämlich dem freiheitlichen Kommunikationsprozeß, befassen dürfen 5 1 . Nur ein i n eine andere Richtung als auf die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG zielendes Normieren des Gesetzgebers erfüllt das K r i t e r i u m des formal Allgemeinen. Die Erscheinung eines gegen die Grundrechte des A r t . 5 Abs. 1 GG gerichteten Eingriffs kann somit nicht als Inhalt eines allgemeinen Gesetzes angesehen werden. Das Eingriffsdenken ist zumindest für das Verständnis der Schranken der allgemeinen Gesetze eliminiert. b) Von einer anderen Seite her w i r d jedoch unvermutet der grundrechtsprägende Charakter der allgemeinen Gesetze i n Frage gestellt. artigkeit der Begriffsfestlegung ermöglicht"; einer differenzierenden Betrachtung zumindest ist K l e i n also nicht abhold. Bedeutsam ist hier auch die Stellungnahme Lerches zu Häberles Einheitskonzeption (DÖV 65, 212, 213 — Besprechung der Arbeit Häberles zur Wesensgehaltsgarantie, auf die bisher schon so häufig Bezug genommen wurde): Lerche befürwortet kräftige Differenzierungen. Er w i l l die Eingriffs- u n d Schrankenvorstellung als technische Vorstellung innerhalb der Fülle der rechtlichen Verflechtungen beibehalten und die F u n k t i o n der Verfassung als Formalisierung von typischen Konfliktslösungen nicht unterschätzen. 50 Die Fragwürdigkeit einer Auslegung, die bei einem weitergehenden Text als dem der allgemeinen Gesetze ansetzt, zeigt sich an den w e i t e r h i n i n A r t . 5 Abs. 2 GG genannten gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend u n d dem Recht der persönlichen Ehre, deren grundrechtsberührender Charakter jeweils gesondert zu prüfen ist. 51 Dieses später noch näher zu begründende u n d i n Widerstreit m i t Gegenmeinungen zu prüfende Ergebnis muß hier vorgezogen werden; vgl. i m einzelnen die Erörterungen zu den Erfordernissen des allgemeinen Gesetzes (S. 186 ff., insbes. S. 200 ff.).

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Dies kommt zum Ausdruck, wenn Hesse 52 die allgemeinen Gesetze des A r t . 5 Abs. 2 GG den Begrenzungsvorbehalten zuweist. Denn Aufgabe und Tragweite der Grundrechtsbegrenzungen sieht er darin, daß sie die durch die Freiheitsrechte gewährleisteten Lebensverhältnisse einander und die durch die Freiheitsrechte gewährleisteten Verhältnisse anderen Lebensverhältnissen zuordnen. Diese Aussage erinnert an die bereits speziell für den freiheitlichen Kommunikationsprozeß getroffene Feststellung 5 3 . Danach mußte der Kommunikationsprozeß i n eine Gesamtordnung eingepaßt werden, die schon der Natur der Sache nach nicht nur die freiheitliche Kommunikation, sondern auch andere verfassungsrechtliche Güter wie z. B. Eigentum und Persönlichkeit umgreift. Die von Hesse vorgenommene Zuordnung der allgemeinen Gesetze zu den Grundrechtsbegrenzungen kann also wegen dieses sachlich begründeten Gesichtspunktes nicht angezweifelt werden. I m Gegenteil, die von Hesse genannte Aufgabe der Grundrechtsbegrenzungen, deren Erfüllung er auch durch die i n Art. 5 Abs. 2 GG genannten allgemeinen Gesetze erwartet, erfährt eine Bestätigung durch das zweite K r i t e r i u m der allgemeinen Gesetze: Das allgemeine Gesetz muß dem Schutz eines verfassungsrechtlich fixierten Rechtsgutes dienen 54 . Neben das bereits genannte K r i t e r i u m der formalen Allgemeinheit t r i t t das Erfordernis der materiellen Allgemeinheit, das einerseits aus der Notwendigkeit einer Zuordnung des Kommunikationsvorganges zu anderen Lebensverhältnissen folgt und das andererseits die notwendige Zuordnung zu lösen versteht. Versteht man die Zuordnung m i t Hesse als Begrenzung, so werden Zweifel am bisher angenommenen grundrechtsprägenden Charakter der allgemeinen Gesetze wach. Aber auch umgekehrt läßt die bisher bejahte Grundrechtsprägung an der von Hesse angenommenen Grundrechtsbegrenzung zweifeln 5 5 . Vollends Verwirrung kehrt ein, wenn Scholler den allgemeinen Gesetzen eine weitere Funktion, nämlich die der Konkurrenz- und Kollisionslösung gegenüber ranggleichen und ranghöheren Rechtsgütern zuerkennt 5 8 , ohne überhaupt die Grundrechtsprägung zu 52

Hesse, S. 125 f. S. 123. 54 Vgl. den Hinweis i n Note 51 auf S. 135, vgl. insbes. S. 198 ff. 55 Bemerkenswert ist u n d verständlich w i r d hier die von Häberle allerdings allgemein für alle grundrechtsberührende Gesetze vorgenommene Verschmelzung der F u n k t i o n der Grundrechtsausgestaltung und -begrenzung; vgl. dazu S. 130 f. Dieser allgemeinen Aussage k a n n dennoch nicht gefolgt werden. Äußerstes Zugeständnis beim Verstehen der F u n k t i o n der allgemeinen Gesetze als Grundrechtsprägung ist die Sicht eines i n der Grundrechtsprägung enthaltenen Moments der Grundrechtsbegrenzung. 56 Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 389. A n der gleichen Stelle nennt Scholler die weiteren Funktionen der legislativen und sozialen Mißbrauchswehr, die die allgemeinen Gesetze zu erfüllen hätten. M i t der Bezeichnung „Mißbrauchswehr" rückt Scholler irreführend i n die Nähe der von Lerche, Übermaß, S. 99 u n d S. 117 ff., hervorgehobenen mißbrauchswehrenden G r u n d 53

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 13

erwähnen 57 . Denn nun steht neben der Grundrechtsprägung und -begrenzung noch die Konkurrenzlösung, die von Lerche 58 als eigene Form grundrechtsberührender Gesetze herausgestellt wurde. Eine Klärung muß deshalb mit der Frage beginnen, wie Lerche die Konkurrenzlösung begreift und wie er sie zu anderen grundrechtsberührenden Gesetzen abgrenzt 59 . Nach Lerche entsteht für den Gesetzgeber ein „Spielraum zur eigenständigen Konfliktschlichtung", wenn die volle Ausnützung bestimmter Verfassungssätze durch einen „Grundrechtsbegünstigten i n unmittelbaren Gegensatz zur Aussage anderer grundrechtlicher Normen geraten kann, ohne daß allgemein, d. h. von Verfassungs wegen, gesagt werden könnte, welche Norm vorgeht oder wieweit sie vorgeht oder ob gar die eine i n der anderen aufgeht". Denn hier sei die Grenze der „entscheidenden" Verfassung erreicht. Die Verfassung schließe hier den Kreis ihrer eigenen Bemessungen grundsätzlich ab, da sie für den engen Raum des Konflikts selbst keinerlei Maßstäbe zur Verfügung halte 6 0 . Diese letzte Bemerkung zeigt, daß die allgemeinen Gesetze zumindest nicht i m Sinne Lerches als konkurrenzlösend verstanden werden können. Denn die Grenze der „entscheidenden" Verfassung ist noch keineswegs erreicht, da die Verfassung wie gesehen die Zuordnung des freiheitlich gewährleisteten Kommunikationsprozesses zu anderen Lebensverhältnissen und Gütern dem Gesetzgeber der allgemeinen Gesetze überträgt und i m Sinne dieser Übertragung selbst eine Entscheidung trifft. Man geht natürlich nicht fehl, wenn man die derart bezeichnete Zuordnung als eine A r t Konkurrenzlösung begreift und bezeichnet. Doch hat man damit nur ein K r i t e r i u m des allgemeinen Gesetzes, das der materialen Allgemeinheit, und das noch unzureichend und irreführend erfaßt. Denn m i t der von Lerche i m Rahmen seiner Erörterungen grundrechtsberührender Gesetze hervorgehobenen, besonderen A r t konkurrenzlösender Normen rechtsbegrenzungen, ohne freilich deren sachlichen Gehalt mitzuerfassen. Denn Scholler, a.a.O., S. 388, meint m i t der F u n k t i o n legislativer Mißbrauchswehr das, was w i r m i t dem K r i t e r i u m der formalen Allgemeinheit, u n d m i t der F u n k t i o n sozialer Mißbrauchswehr das, was w i r m i t dem Erfordernis der materialen Allgemeinheit zur Bestimmung des allgemeinen Gesetzes erfassen wollen. 57 Scholler, a.a.O., S. 140 f. und S. 365 f., setzt sich zwar m i t den grundrechtsprägenden Normen i m Hinblick auf die allgemeinen Gesetze auseinander, doch geht der Aspekt der Grundrechtsprägung bei seiner Lösung (a.a.O., S. 388 f.) verloren. 58 Lerche, Übermaß, S. 99 und S. 125 ff. 59 Wenn Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 140 f., 363 ff. u n d 388 f., L e r ches Begriffe für die verschiedenen A r t e n grundrechtsberührender Normen verwendet oder sich an sie anlehnt, ohne sie m i t neuem u n d eigenem sachlichen Gehalt anzufüllen, so muß er sich eine Überprüfung an Lerches Ausführungen gefallen lassen. 60 Lerche, Übermaß, S. 126 ff., insbesondere S. 126 u n d S. 130.

1 3 . Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

haben die allgemeinen Gesetze nichts gemein 01 . Wenn es sich gleichwohl empfiehlt, um des besseren Verständnisses des Kriteriums der materialen Allgemeinheit willen ein Moment der Konkurrenzlösung i m nichttechnischen Sinne hinzuzudenken, so sollte statt von Konkurrenzlösung besser von Zuordnung gesprochen werden. Der Zuordnung wohnt natürlich auch ein Moment der Begrenzung inne, da die Zuordnung bestimmter Lebensbereiche und Güter häufig nur w i r d begrenzend erfolgen können. Dieser Aspekt w i r d es sein, der Hesse zur Bezeichnung Begrenzungsvorbehalt geführt hat. I m Ergebnis ändert das jedoch nicht den grundrechtsausgestaltenden oder -prägenden Charakter der allgemeinen Gesetze. Denn m i t der Grundrechtsprägung ist der formale Aspekt der allgemeinen Gesetze angesprochen, der durch das Moment der Zuordnung nicht verändert, sondern sachlich ergänzt wird, da die Ausgestaltung durch Zuordnung zu geschehen hat. 3. Zusammenfassend ist also festzuhalten, daß die eingangs aufgestellten Behauptungen zur Bedeutung der Schranken des A r t . 5 Abs. 2 GG für die Interpretation der subjektiven Berechtigungen des A r t . 5 Abs. 1 GG zutreffen. Der Interpret des Art. 5 Abs. 1 GG muß sich dessen bewußt sein, daß er das Auslegungsbemühen angesichts der Bedeutsamkeit des einfachen Gesetzesrechts für das Ausmaß der Grundrechtsgeltung nicht überspannen darf. Immer muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß der Grundrechtsinterpret Aufgaben an sich reißt, deren Erfüllung dem einfachen Gesetzgeber obliegt. 61 Das w i r d dadurch bestätigt, daß Lerche, Übermaß, S. 132 f., allerdings u m gekehrt argumentierend, eine Qualifizierung der konkurrenzlösenden Normen als Unterfälle der grundrechtsprägenden Normen ablehnt. Die Grenzen z w i schen beiden A r t e n lassen sich nicht verwischen. Neuestens geht Lerche, Meinungsfreiheit u n d Meinungsdurchsetzung, unveröffentlichter Vortrag vor der Berliner Jur. Gesellschaft v o m 16. 2.1968, einen anderen Weg. Neben dem wörtlichen Vorbehalt der allgemeinen Gesetze i n A r t . 5 Abs. 2 GG müßten zwei weitere Schichten die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG berührender Gesetze anerkannt werden. Die zweite Schicht von Begrenzungen setze sich aus Kollisionen der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG m i t anderen Verfassungsgehalten zusammen. Sofern damit ein selbständiger Gesetzesvorbehalt geschaffen werden soll, kann dem nicht gefolgt werden. Denn die Eigenart des Vorbehalts der allgemeinen Gesetze erschließt sich gerade i m Wechselspiel zwischen reflexiver Grundrechtsberührung u n d der Zuordnung unterschiedlicher verfassungsrechtlicher Gehalte. W i r d den allgemeinen Gesetzen i h r zuordnender Gehalt genommen u n d dieser zu einem eigenen Vorbehalt für die K o m m u n i k a t i o n s grundrechte aufgebaut, so werden die allgemeinen Gesetze einer typischen Aufgabe beraubt. Sofern Lerche eine dritte Schicht die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG berührender Normen herausarbeitet, die z. B. ein funktionierendes Pressewesen ermöglichen helfen u n d die er als eine A r t „Organisationsnormen" bezeichnet, ist. i h m zuzustimmen. Diese A r t interessiert hier jedoch nicht.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 13

Daß i m Rahmen des hier behandelten Themas meist zivilrechtliche Generalklauseln die Funktion des allgemeinen Gesetzes übernehmen, ändert an dieser grundsätzlichen Feststellung nichts. Zwar wächst dem Richter damit eine Aufgabe zu, deren Verwirklichung der einfache Gesetzgeber glaubte, nicht selbst leisten zu können, doch ändert das nichts daran, daß der Richter diese Aufgabe auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts und nicht auf der Ebene des Verfassungsrechts zu lösen hat. Der Richter prägt durch die Anwendung der Generalklauseln mittelbar den grundrechtlichen Bereich, er darf aber nicht unmittelbar Grundrechtsinterpretation über das Maß hinaus treiben, das hier allgemein dem Grundrechtsinterpreten zugestanden wird.

2. Unterabschnitt: Die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG A. Der Schutz der Äußerung einer Meinung

I. D e r

Begriff

der

Meinung

Die Schwierigkeiten der Auslegung des Begriffs der Meinung, die erstaunlichen Ergebnisse, die dennoch aus diesem Begriff hervorgezaubert werden, und der darin offenbar werdende innere Widerspruch kommen i n zwei Äußerungen Leisners deutlich zum Ausdruck. Einerseits betont er, daß der Begriff der Meinung i m Dunkeln liege wie kaum ein anderer der Verfassung 1 . Andererseits begreift er als Meinung nur eine Äußerung, die „eine wahrscheinliche, zustimmungsfähige These i n einem politischen Bereich beinhaltet" 2 . Um den Schwierigkeiten nicht sogleich zu erliegen und u m einen festen Ausgangspunkt zu gewinnen, soll erst von der schlichten Wortbedeutung ausgegangen werden, ohne daß der Begriff der Meinung zur Gewinnung qualitativer Merkmale in größere Zusammenhänge gestellt wird. Meinen heißt, eine eigene Anschauung zu irgendwelchen äußeren oder inneren Vorgängen besitzen, i m Zusammenhang m i t ihrer Entäußerung, diese Anschauungen auch mitteilen, vortragen. So nennt Ridder 3 Meinungen die „Ergebnisse von rationalen Denkvorgängen", „die geistigen Leistungen und Hervorbringungen der sie äußernden Menschen". Oder er spricht von Ansichten, Wertungen, Urteilen, Beurteilungen und Einschätzungen 4 . 1

Leisner, JZ 64, 201, 204. Leisner, Ufita Bd. 37, S. 147. Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 248. 4 Ridder, a.a.O., S. 249. Ebenso KZein i n v. Mangoldt-Klein, Anm. I I I 1 zu Art. 5 GG; Wernike i n Bonner Kommentar, A n m . I I 1 b zu A r t . 5 GG; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 107; Hoff mann, JuS 67, 393; deren Umschreibungen i m einzelnen, wenn auch n u r geringfügig, variieren. 2 3

14

. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Andere nennen noch Werturteile 5 , Stellungnahmen 6 , wertende Stellungnahmen 7 als Meinung oder heben gar die notwendig überzeugende, belehrende oder sonst richtunggebende geistige Wirkung solcher Äußerungen hervor 8 . A n diesen Bezeichnungen zeigt sich, daß Definitionsversuche der Meinung leicht i n Umschreibungen abgleiten. Das ist grundsätzlich unschädlich und einem besseren Verständnis förderlich. Nur muß davor gewarnt werden, i n die Beschreibung Gesichtspunkte einfließen zu lassen, die Ansatz einer weiteren, aber fehlerhaften Auslegung sein können. Das ist bei den vorangegangenen Bezeichnungen i n zweierlei Hinsicht der Fall. Einmal w i r d m i t Umschreibungen wie Ergebnis eines rationalen Denkvorganges, wertende Stellungnahme, Wertung, Werturteil der Eindruck erweckt, als sei Meinung nur, was auf gedanklichen Operationen und nicht auf emotionellen Vorgängen beruhe. Eine solche Beschränkung kann dem Meinungsbegriff aber nicht entnommen werden 9 . Wie eine Meinung entsteht, ist unbeachtlich, entscheidend kann nur sein, ob eine Meinung vorhanden ist, ob sie geäußert wird. Das bestätigt ein Blick auf den Kommunikationsprozeß. Sein Ablauf unterscheidet nicht gedanklich und emotionell begründete Meinungen; denn beide Arten setzen ihn i n Gang. Wer würde auch wagen, diese beiden Arten der Meinungsbegründung zu unterscheiden, die meist unlösbar miteinander verwoben sind. Deshalb ist es besser, nur solche Bezeichnungen wie These 10 , Ansicht, Anschauung und Stellungnahme zu verwenden. Zum zweiten führt die überzeugende, belehrende oder sonst richtunggebende geistige Wirkung, die eine Meinung angeblich hervorrufen soll, auf ein falsches Gleis. Denn es w i r d vom Ergebnis und Erfolg her argumentiert, während die Meinungsäußerungsfreiheit eine Tätigkeit und die Möglichkeit eines Tätigwerdens schützen w i l l . Die Möglichkeit der geistigen Wirkung hängt wesentlich von der Aufnahmefähigkeit und A u f nahmebereitschaft des Empfängers, nicht aber nur von der A r t der geäußerten Meinung ab. Es bestimmen also außerhalb der Meinung liegende Faktoren über ihre Anerkennung. Daß das nicht sein darf, bestätigt ein Blick auf den Kommunikationsvorgang. Ob sich eine Meinung i n i h m hält oder sich gar durchsetzt, ist völlig ungewiß, aber auch be5 BVerfGE 7, 198, 210 — L ü t h — ; BVerfGE 12, 113, 129 — Schmid-Spiegel — ; dazu Harnischfeger, S. 143; Hellwig i n : Grundrechte und Grundpflichten der RV, S. 15. 6 Hesse, S. 150; Maunz, a.a.O.; Hoff mann, a.a.O. 7 Scheuner, V V D S t R L 22, 63; Gerlach, S. 3 f. 8 Häntzschel, Hdb. d. Dt. Staatsrechts I I , S. 655; b a y V f G H E N F 4 I I 63, 76; I U I 23, 34. 9 Leisner, Ufita Bd. 37, S. 137: Der Verfassungsgeber habe bewußt keinen geschlossenen Katalog der Verbreitungsmittel der Meinung u n d also w o h l auch nicht einen solchen der Ausdrucksmittel schaffen wollen. 10 Von ,These' spricht Leisner, a.a.O., S. 138.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

deutungslos, da die Meinung nur objektiv geeignet sein muß, ein Element des Kommunikationsprozesses darzustellen 11 . Mehr kann von ihr nicht verlangt werden. Ebenso ungerechtfertigt ist das Erfordernis speziell des Geistigen der Wirkung 1 2 . Denn wie Meinungen gedanklich und emotionell begründet sein können, dürfen sie auch emotionelle Reaktionen hervorrufen. II. Q u a l i t a t i v e

Merkmale

der

Meinung

Die bisherige Stellungnahme zum Inhalt des Meinungsbegriffes deutet bereits die Richtung an, die auch weiterhin die Auseinandersetzung mit den verschiedentlich vorgeschlagenen qualitativen Merkmalen der Meinung einhalten wird. Diese Richtung, die bereits m i t der Betonung des Verhältnisses des Grundrechtsinhalts des A r t . 5 Abs. 1 GG zu den grundrechtsprägenden allgemeinen Gesetzen des A r t . 5 Abs. 2 GG festgelegt wurde, zeichnet sich dadurch aus, daß sie den freiheitlichen Gehalt des Art. 5 Abs. 1 GG nicht ohne besondere Notwendigkeit einzugrenzen versucht. Daß damit i n mancherlei Hinsicht gegen den Strom geschwommen wird, kann nicht geleugnet werden. Aber das verwirklichenswerte „Wagnis der Freiheit" 1 3 rechtfertigt die Mühen, die die Widerlegung jeder einzelnen gegenteiligen Auffassung bereitet. 1. So w i r d auch heute immer noch eine schon in der Weimarer Zeit vertretene Auffassung aufrecht erhalten, die den grundrechtlichen Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit auf „Stellungnahmen grundsätzlicher A r t , Stellungnahmen, die irgendwie allgemeingültig sein wollen", zu beschränken versucht 14 . Die Beschränkung scheitert jedoch an der Mög11 Scheuner, V V D S t R L 22, 63 : Die wertende Stellungnahme müsse nur fähig sein, ein Element der geistigen Auseinandersetzung zu sein. Wenn Scheuner damit das ,Geistige' der Auseinandersetzung nennt, so ist das zutreffend. Denn trotz des Abgehens von der ,geistigen W i r k u n g ' einer Meinung w i r d K o m m u n i k a t i o n hier als etwas durch den I n t e l l e k t Bewirktes angesehen, i n der jedoch die W i r k u n g emotioneller Momente nicht ausgeschlossen werden k a n n u n d aus der vor allem Meinungen nicht deshalb ausgeklammert werden d ü r fen, w e i l sie teilweise oder ganz auf emotionellen Vorgängen beruhen oder solche hervorrufen. 12 Leisner, Ufita Bd. 37, S. 138: „Über welchen psychologischen K a n a l ein Bewußtseinsinhalt zum anderen dringt, ob er i h n überhaupt erreicht oder erreichen kann, ist unbeachtlich." 13 Wenn Arndt, N J W 64, 24, von „Last und Gefahr der Freiheit" und Geiger, Gewissen, S. 133, v o m „Risiko der Freiheit" sprechen, so gehen sie doch davon aus, daß die Last zu tragen u n d dem Risiko nicht auszuweichen ist, w e i l bei Ausschaltung des Risikos auch die Freiheit erdrosselt würde. 14 Hensel, AöR n. F. 13 (1927), 100; Rothenbücher, V V D S t R L 4, 16 ff.; Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . I I I 1 zu A r t . 5 GG (S. 238); a. A. Böttcher, S. 93 f.; Häntzschel i n Hdb. d. Dt. StR I I , 655; Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 33 ff.; Hellwig i n : Grundrechte u n d Grundpflichten der RV, S. 16; Brinkmann-Hackenbroich, A n m . 1 1 a zu A r t . 5 GG; E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 24 f. ; weniger kritisch als die zuvor Genannten Leisner, Ufita Bd. 37, S. 145.

14

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

lichkeit, das Grundsätzliche vom weniger Grundsätzlichen zu scheiden 15 . Auch läßt sich diese Auffassung leicht mit einem Argument ,a maiori ad minus' i n Frage stellen 16 . Vor allem findet eine solche Beschränkung keine Stütze i m bisher ermittelten Inhalt des Begriffes der Meinung. Und nicht zuletzt vermögen zwei Argumente die Ablehnung dieser Auffassung entscheidend zu untermauern, zwei Argumente, die noch häufiger den Ausschlag für oder gegen diese oder jene Stimme i m Streit der Meinungen geben werden. Einmal nämlich verträgt sich die Begrenzung des Meinungsäußerungsschutzes auf Stellungnahmen grundsätzlicher A r t nicht mit dem freiheitlichen Kommunikationsprozeß, der jeder Meinung, gleich ob bedeutend oder unbedeutend, aufnahmebereit gegenübersteht. Und zum zweiten können derartige qualitative Einengungen des Meinungsäußerungsschutzes grundsätzlich nur vom Gesetzgeber der allgemeinen Gesetze vorgenommen werden. Um hier jedoch Mißverständnissen vorzubeugen: Die Natur der allgemeinen Gesetze verbietet ein Gesetz, das generalisierend nur Stellungnahmen grundsätzlicher A r t erlaubt, sich also speziell, das Gebot formaler Allgemeinheit verletzend mit der Meinungsäußerungsfreiheit befaßt 17 , sie erlaubt jedoch Gesetze, die Meinungen besonderer Bedeutung gegenüber anderen bevorzugen, weil sie ihnen gegenüber den Schutz anderer Rechtsgüter, mit dem sie sich allein befassen dürfen, zurücktreten lassen und damit nur mittelbar den Meinungsäußerungsschutz berühren 1 8 . 2. I m wesentlichen keine andere Beurteilung kann die Auffassung Leisners erfahren, die als Meinung nur eine Äußerung ansieht, die „eine wahrscheinliche, zustimmungsfähige These in einem politischen Bereich 15

Häntzschel, a.a.O.; Böttcher, a.a.O.; E. R. Huber, a.a.O. So E. R. Huber, a.a.O. Der Wert eines solchen Arguments ist freilich gering für eine Auffassung, die, w i e Rothenbücher, a.a.O., über den Weg einer Beschränkung des Grundrechtsschutzes den Boden zu bereiten versucht für eine Lösung der Problematik der allgemeinen Gesetze; vgl. dazu Böttcher, S. 93 f. Dennoch vermag ein solches Argument auch dann noch die Fragwürdigkeit dieses Ergebnisses zu signalisieren. 17 Vgl. i m einzelnen S. 200 ff. 18 Hier erweist sich die Zweifelhaftigkeit der auf den ersten Blick so überzeugenden Aussage E. R. Hubers, Empfehlungsverbot, S. 24 f., daß schon der Anspruch der öffentlichen Gewalt, eine grundsätzliche von einer sonstigen Meinung sondern zu wollen, einen unerträglichen Eingriff i n die Meinungsfreiheit bedeute. Denn der Gesetzgeber darf sich — wenn auch nicht u n m i t t e l bar, so doch mittelbar — m i t der Meinungsäußerungsfreiheit befassen. Sogar der Richter kann diese Befugnis übernehmen, dann nämlich, wenn sie durch den Gesetzgeber mittels Generalklauseln auf i h n delegiert wird. Insoweit erweist sich auch Arndts Aussage, N J W 63, 193, 194, daß der Richter nicht ein U r t e i l über den „richtig verstandenen", „verantwortungsbewußten" u n d „wahrhaftigen" Gebrauch der Presse- und Meinungsfreiheit fällen dürfe, als teilweise unzutreffend. 16

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1 3

beinhaltet" 1 9 . Einer solchen Beschränkung des Grundrechtsschutzes steht zu allererst der weitergehende Wortlaut des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG entgegen 20 . Ungeklärt bleibt weiterhin das Verhältnis einer derart bestimmten Meinungsfreiheit zur Pressefreiheit. Soll die Pressefreiheit ebenfalls nur für thesenhafte Äußerungen politischen Bezugs gelten? Und wie rechtfertigt sich der Unterschied der rechtlichen Beurteilung einer Meinungsäußerung i n und außerhalb der Presse, falls die Antwort nein lautet? Außerdem bildet das Politische nicht einen gegenständlich fixierbaren ,Sachbereich für sich', sondern stellt einen ,Modus' dar 2 1 ; denn jedes Thema ist geeignet, politische Bedeutung zu erlangen, so daß die Berechenbarkeit und Bestimmbarkeit des grundrechtlichen Schutzes zu wanken beginnt 2 2 . Ist nun bereits das von Leisner gewonnene Ergebnis entscheidenden Zweifeln ausgesetzt, so gebietet der prüfende Blick auf die Argumente und das methodische Vorgehen die endgültige Abkehr von seiner Auffassung 23 . Leisners Vorgehen läßt sich folgendermaßen kennzeichnen: Er müht sich nur um den Begriff der Meinung innerhalb Art. 5 Abs. 1 GG und stellt den Schutz der Meinungsäußerung i n das Ganze der Verfassung, ohne sich näher mit dem einheitlichen Regelungskomplex des A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG auseinanderzusetzen. Als Folge verfehlt Leisner den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechtsbestimmung des A r t . 5 Abs. 1 GG, die Gewährleistung eines freiheitlichen Kommunikationsprozesses. Das verleitet ihn dazu, den Schutz der Mitteilung von Tatsachen und den Schutz der Werbung aus der Meinungsäußerungsfreiheit auszugliedern 24 . Die Ablehnung einer gegensätzlichen ,Einheits'-auffassung oder l i b e r a len' Lösung begründet Leisner einführend 2 5 damit, daß A r t . 5 Abs. 1 GG sonst zu einem ,Auffangrecht' werde 2 6 . Da der Mensch sich nicht anders „entfalten" könne, als daß er spreche oder schreibe, „würde Art. 2 GG nahezu völlig von Art. 5 Abs. 1 GG überlagert werden". Die geringere 19

Leisner, Ufita Bd. 37, S. 147. Hoffmann, JuS 67, 393. 21 Herbert Krüger, Allg. Staatslehre, S. 681; zustimmend Hoff mann, a.a.O. 22 Ho ff mann, a.a.O. 23 w € r allerdings die hier vertretenen methodischen Grundlagen für die Auslegung des A r t . 5 Abs. 1 u n d 2 GG nicht anerkennt, w i r d vorsichtiger formulieren müssen. 20

24

Leisner, Ufita Bd. 37, S. 141 ff., 136 u n d 145 f. N u r diese Leisners Ausführungen allgemein begründende Argumentation soll hier behandelt werden. Die weiteren Argumente zur Ausgliederung der Tatsachenäußerung u n d der Werbung aus dem Grundrechtsschutz werden i m gegebenen Zusammenhang aufgeführt. Dort w i r d auch k l a r werden, daß die Erscheinung der Werbung i m Rahmen einer Erörterung des A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG zu differenzieren ist, bevor endgültige Aussagen erlaubt sind. 26 Leisner, a.a.O., S. 134. 25

14

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

gesetzliche Beschränkbarkeit des A r t . 5 GG gegenüber A r t . 2 GG durch die allgemeinen Gesetze würde dann für fast jede menschliche Tätigkeit gelten 27 . Dem ist entgegenzuhalten, daß der Bereich physischer Handlungen dem menschlicher Mitteilungen an Umfang und Bedeutung mindestens entspricht. Zum zweiten empfiehlt sich zur verfassungsrechtlichen Beurteilung menschlicher Tätigkeit, die dem Kommunikationsprozeß zuzurechnen ist, gerade die sachnähere Regelung des A r t . 5 Abs. 1 GG. Zur sachnäheren Regelung gehört auch der Abs. 2 des A r t . 5 GG 2 8 . Denn Art. 5 Abs. 2 GG enthält m i t dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze für menschliche Kommunikation den sachnäheren Gesetzesvorbehalt. Und außerdem muß ein nur beiläufiges Erwähnen der i n A r t . 5 Abs. 2 GG enthaltenen allgemeinen Gesetze deshalb kritisiert werden, weil dabei völlig die grundrechtsprägende Natur dieser Gesetze außer acht bleibt. Denn i n Anbetracht dieser Funktion und einer sich i m hier vorgetragenen Sinn bescheidenden Auslegung des Art. 5 Abs. 1 GG kann die Frage nurmehr lauten, wie sich die allgemeinen Gesetze zu Meinungen politischen Inhalts stellen 29 . 3. Aus dem bis hierher Vorgetragenen ergibt sich ohne weiteres, wie andere ähnliche qualitative Erfordernisse der Meinung m i t Ausnahme der Wahrheits- und Wahrhaftigkeitsanforderungen, die noch einer gesonderten Erörterung harren, zu beurteilen sind. Eine Meinung braucht nicht sachlich, gut, richtig und möglichst schonend geäußert zu sein, um Grundrechtsschutz zu genießen. Sie kann grundsätzlich auch unrichtig, schädlich, unsachlich und zersetzend sein 80 . Denn auf der Ebene des Verfassungsrechts und speziell des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG lassen sich Differenzierungen und Ausgliederungen aus dem Grundrechtsschutz anhand qualitativer Meinungsmerkmale nicht vornehmen 81 . Es sprechen dieselben 27

Leisner, a.a.O., S. 136. A u f die allgemeinen Gesetze geht Leisner, Ufita Bd. 37, S. 136, nur beim Vergleich der Beschränktbarkeit des A r t . 2 u n d 5 GG ein; ansonsten beachtet er sie nicht. 29 Hoff mann, JuS 67, 393: „Allenfalls kann das Ausmaß der i n A r t . 5 Abs. 2 GG vorgesehenen Schranken von dem Wirkungsbereich u n d der Bedeutung der Äußerung abhängen." 30 Arndt, N J W 63, 193, 194; ders., N J W 64, 1312; Lerche i n einem unveröffentlichten Vortrag vor der Berliner Jur. Gesellschaft am 16. 2.1968; Geiger, Gewissen, S. 133. W i r hatten schon S. 119 f. festgestellt, daß der Meinungsbildungsprozeß als T e i l des Kommunikationsprozesses seiner Effektivität beraubt w i r d , w e n n man verlangt, daß Äußerungen sachlich, zurückhaltend u n d schonend sein müssen. 31 Soweit die vorgenannten Qualitäten der Meinung aufgegriffen u n d abgelehnt werden, hat meist die Rspr. dazu Anlaß gegeben, die sich m i t dem V e r hältnis der Meinungsäußerungsfreiheit zum Persönlichkeits- u n d Unternehmensschutz zu befassen hatte. Diese Rspr. steht vor dem Dilemma, daß Person28

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

Gründe dagegen, die uns bewogen haben, eine Eingrenzung des Grundrechtsschutzes des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG auf Stellungnahmen grundsätzlicher A r t und Thesen politischen Inhalts abzulehnen. Wie dort können die qualitativen Merkmale der Meinung nur aus den allgemeinen Gesetzen folgen, deren Ausgestaltung des Rechtsgüterschutzes u. U. dazu führen kann, daß sich z. B. nur eine sachliche Meinung gegenüber einem ansonsten geschützten Rechtsgut durchzusetzen vermag. Dabei handelt es sich aber um eine auf der Ebene des einfachen Gesetzesrechts zu beantwortende Frage, die nicht auf die Ebene des Verfassungsrechts hinaufgehoben werden kann.

B. Der Schutz der Tatsachenäußerung

1. Der Begriff der Tatsache hat uns schon i m zivilrechtlichen Teil der Arbeit i m Zusammenhang der unterschiedlichen zivilrechtlichen Behandlung von Werturteilen und Tatsachenäußerungen beschäftigt 32 . Dort bereits gewonnene Erkenntnisse vermögen hier weiterzuhelfen, obwohl dort und hier die Auswertung i n eine gegensätzliche Richtung führt 3 3 . Es war dargelegt worden, daß einerseits die Wiedergabe von Tatsachen häufig durch wertende 3 4 Momente des Mitteilens beeinflußt w i r d und daß andererseits in der Wahrnehmung einer Tatsache fast immer ein schöpferisches, produktives Moment seitens des Wahrnehmenden steckt. Das hatte dazu geführt, dem Begriff Tatsache, verstanden i m Zusammenhang menschlicher Mitteilung und Wahrnehmung, einen nur stark begrenzten und selten realisierbaren Inhalt zuzuweisen. I m Kontext der Frage nach dem Grundrechtsschutz der Tatsachenäußerung hat der eine Aspekt der vorgenannten Erkenntnis, nämlich das lichkeits- u n d Unternehmensschutz — enthalten i n allgemeinen Gesetzen i m Sinne des A r t . 5 Abs. 2 GG — überwiegend generalklauselartig geregelt sind. Aus diesem Grunde ist häufig nicht ersichtlich, ob eine juristische Folgerung etwa des Inhalts, eine Meinung müsse sachlich bleiben, dem A r t . 5 Abs. 1 GG oder den zivilrechtlichen Generalklauseln, deren Ausgestaltung ja dem Richter überlassen ist, entnommen w i r d . Zivilrechtliche u n d verfassungsrechtliche A r gumentation verfließen ineinander. Deshalb muß K r i t i k i n diesen Fällen vorsichtig ansetzen, bevor der V o r w u r f unzulässiger Verfassungsinterpretation erhoben w i r d . 32 Vgl. S. 32 ff. 33 I m Zivilrecht wurde m i t Hilfe dieser Ergebnisse der Tatsachenbegriff auf Kosten des Werturteils erweitert, u m Vorschriften wie § 824 B G B und § 14 U W G überhaupt einen Anwendungsbereich zu schaffen. Hier dagegen dienen diese Ergebnisse zur Begründung eines möglichst weiten Meinungsbegriffes u m zumindest einen T e i l sogenannter Tatsachenäußerungen i n den G r u n d rechtsschutz einbeziehen zu können. Dabei soll hier freilich nicht stehengeblieben werden; vgl. dazu die weiteren Ausführungen. 34 Die Einflußnahme k a n n teilweise auch emotionell bedingt sein. Darauf soll es nicht ankommen, wenn n u r eine Stellungnahme i n der Tatsachenmitteilung liegt. 10

Koller

14.6

3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Sehen einer möglichen Stellungnahme bei der Wiedergabe von Tatsachen, das staatsrechtliche Schrifttum dazu bewegt, die derart gekennzeichnete Tatsachenmitteilung als Meinungsäußerung dem grundrechtlichen Schutz des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG zu unterstellen 35 . Franz Schneider 36 spricht bezeichnend von einer Meinungsäußerung durch „Positionsgebung" einer Tatsache. Dieses Ergebnis w i r d allgemein nicht angezweifelt, wenn auch unterschiedliche Auffassungen über das Ausmaß der i n die Meinungsäußerungsfreiheit einzubeziehenden Tatsachenmitteilungen bestehen mögen 37 . Dieses Ergebnis soll auch hier nicht weiter i n Frage gestellt werden, zumal der zweite Aspekt, nämlich das schöpferische, produktive Moment bei der Wahrnehmung einer Tatsache, den Ausgangspunkt dieser Auffassung bestätigt 38 . Wir wollen aber nicht bei diesem Ergebnis, das schon eine erhebliche Aufweichung der Fronten zugunsten des grundrechtlichen Schutzes der Tatsachenäußerung durch A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG darstellt, stehen bleiben, da nach dieser Auffassung ein Restbestand durch A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht geschützter Tatsachenäußerungen verbleibt, dessen Zuweisung zu A r t . 2 Abs. 1 GG nicht befriedigen kann. Denn die bloße Mitteilung, die reine, nackte oder rein sachliche Wiedergabe von Tatsachen enthält keine „Positionsgebung" und soll deshalb nicht dem grundrechtlichen Schutz des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG unterfallen 3 9 . Diese Feststellung muß, soweit sie den grundrechtlichen Schutz durch A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG betrifft, angezweifelt und widerlegt werden. Die Widerlegung w i r d zugleich weitere Argumente für den Grundrechtsschutz der durch persönliche Stellungnahmen beeinflußten Tatsachenmitteilung liefern. 35 Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 264 f.; Häntzschel i n : Hdb. d. Dt. StR I I , S. 655 f.; Reisnecker, S. 54; Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 26 ff.; Arntd, N J W 63, 193,194; E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 24; Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 306; Scheuner, V V D S t R L 22, 64; Wacke i n Schack-Festschrift, S. 203; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 107; Hamann, A n m . Β 1 zu A r t . 5 GG. Einen eigenen Weg geht v. Münch, S. 13: Eine Tatsachenwiedergabe sei dann als Meinungsäußerung anzusehen, w e n n aufgrund dieser Tatsachenkundgabe eine Diskussion zu erwarten u n d beabsichtigt sei. 38 Presse- und Meinungsfreiheit, S. 26. 37 Gegensätze werden ζ. B. deutlich bei Franz Schneider, a.a.O., S. 27 f., und Arndt, N J W 63, 193, 194, der jede Nachricht von einer Tatsache wegen der wertenden A u s w a h l als Meinung ansieht, während Franz Schneider starke Einschränkungen t r i f f t . 38 Freilich k a n n die Begründung dieser Auffassung nicht v o l l befriedigen, da sie n u r m i t aus dem Begriff der Meinung abgeleiteten Gesichtspunkten arbeitet und größere, i m Regelungskomplex des A r t . 5 Abs. 1 GG fußende Zusammenhänge übersieht. 39 Hellwig i n : Grundrechte u n d Grundpflichten der RV, S. 15; Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 264 f.; v. Münch, S. 11; Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . I I I 1 zu A r t . 5 GG (S. 239); Reisnecker, S. 48 f.; Wernike i n Bonner Kommentar, A n m . I I 1 b zu A r t . 5 GG; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 107; Gerlach, S. 4; Löffler, Presserecht, Rdnr. 24 zu § 1 RPG; Hamann, A n m . Β 1 zu A r t . 5 GG; Lerche, Werbung, S. 86: Nicht „meinungswertig" — und damit w o h l auch nicht grundrechtlich geschützt — seien „ r e i n " tatsachenmitteilende Aussagen.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

2. I m folgenden sind nun die zahlreichen Gesichtspunkte darzulegen, die für eine generelle Einbeziehung der Tatsachenmitteilung i n den Grundrechtsschutz des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG sprechen. Dafür ist hervorzuheben, daß ein einziges, wenn auch nicht zu unterschätzendes Gegenargument überwunden werden muß, das sich auf den Inhalt des Meinungsbegriffes stützt 4 0 . a) Einen ersten, wenngleich nicht allein entscheidenden, Ansatz bieten die Abgrenzungsschwierigkeiten, die darin bestehen, eine durch „Positionsgebung" gekennzeichnete und damit als Meinungsäußerung begriffene Tatsachenbehauptung von einer rein sachlich wiedergegebenen Tatsache zu trennen 4 1 . Die Trennung von Mischformen nach einem Schwerpunktkriterium vorzuschlagen 42 , h i l f t nicht weiter, wenn schon i m Grundsätzlichen Auffassungsunterschiede darüber aufeinanderprallen, ob jede Nachricht von einer Tatsache wegen der wertenden Auswahl Wiedergabe einer Meinung sei 43 , oder ob die Meinung, die allein i m Vorhaben zum Ausdruck komme, eine Tatsache zu äußern, zur Annahme einer Meinungsäußerung noch nicht ausreiche 44 . Ebenso wenig wie eine Trennung nach dem Schwerpunktkriterium befriedigt der Rat, die Grenze zugunsten der Annahme einer Meinungsäußerung möglichst weit zu ziehen 45 , wenn i h m nicht mehr an Überlegung zugrunde liegt, als praktischen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Eher sollten die Schwierigkeiten Anlaß sein, den Ausgangspunkt zu überprüfen, was nur heißen kann, daß der unterschiedliche Grundrechtsschutz für Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen i n Frage zu stellen ist. b) Die Schwierigkeiten einer Grenzziehung sind aber nicht nur begrifflich begründet, sie liegen auch i n der Natur der Sache. Denn Meinungsäußerungen sind eng mit Tatsachenmitteilungen und Tatsachenwahrnehmungen verbunden. Tatsachen sind i n aller Regel Grundlage und „Rohstoff" einer Meinung 4 6 . Die Diskussion der Meinungen ist ohne eine Orientierung am zugrunde liegenden Tatsachenmaterial undenk40

Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 305, der (a.a.O., S. 305 ff.) dem Grundrechtsschutz der Tatsachenbehauptung die w o h l bisher gründlichste U n tersuchung widmet, w i r f t der herrschenden Meinung vor, daß sie immer noch unter Mißachtung teleologischer Grundrechtsinterpretation durch einseitige Wortauslegung die Tatsachenbehauptung aus dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit ausklammere. 41 Hellwig i n : Grundrechte u n d Grundpflichten der RV, S. 16; Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 264; Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 305 f. 42 Leisner, Ufita Bd. 37, S. 143. 43 So Arndt, N J W 63,193,194. 44 So Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 27. 45 Scheuner, V V D S t R L 22, 64. 46 Ridder, a.a.O., S. 264. 10

14

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

bar 4 7 . Nur die Vorstellung einer Wechselwirkung, eines Hin- und Hergleitens zwischen Tatsachenmaterial und geistiger Verarbeitung w i r d dem Vorgang der Meinungsbildung gerecht. Dem widerspricht eine Trennung des grundrechtlichen Schutzes für Meinungsäußerung und Tatsachenwiedergabe. c) Weitere Argumente für eine Einbeziehung der Tatsachenäußerung i n den Grundrechtsschutz des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG folgen aus einer zusammenschauenden Betrachtung des Regelungskomplexes des A r t . 5 Abs. 1 GG. Einmal w i r d dort genannt die Informationsfreiheit, die für die Informationsbeschaffung nicht zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenmitteilung unterscheidet und nicht auf die Beschaffung meinungsmäßigen Informationsmaterials begrenzt werden kann. Diese „doppelte Gewährleistung der Informationsbeschaffung" gestattet einen Schluß auf die „gleichfalls doppelte Gewährleistung der Informationsverbreitung i m Rahmen der Meinungsäußerungsfreiheit" 48 . Zum zweiten kann das Verhältnis der Meinungsäußerungs- zur Pressefreiheit einerseits und das der Pressefreiheit zur Freiheit der Berichterstattung (durch Rundfunk und Film) andererseits widerspruchsfreier begriffen werden, wenn man den Schutz der Meinungsäußerung durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG den Schutz der Tatsachenäußerung beinhalten läßt. Denn es bedarf dann nicht eines Vorgehens, das den Schutz der Berichterstattung i n die Pressefreiheit „hineingeheimnißt" 4 9 , um die unstreitig und notwendig durch die Pressefreiheit mitumfaßte Freiheit der Tatsachenäußerung zu begründen. Vielmehr kann die Meinungsfreiheit, begriffen als generelle Äußerungsfreiheit, zwanglos als Teilinhalt der Pressefreiheit verstanden werden 5 0 . Und schließlich w i r d so der widerspruchsvollen Einsicht aus dem Wege gegangen, daß zwar der Journalist Meinungen und Tatsachen äußern dürfe, der einzelne aber nicht 5 1 . d) Es verwundert nach diesem Blick auf den Gesamtkomplex der Regelungen des Art. 5 Abs. 1 GG kaum noch, wenn i n diesem Zusammenhang erneut der objektivrechtliche Gehalt der Kommunikationsrechte zur Lösung einer der den Art. 5 Abs. 1 GG betreffenden Zweifelsfragen bemüht wird. Wenn dieser Aspekt auch schon i m letzten Punkt mittelbar berührt wurde, so muß er doch um der Klarheit willen deutlicher heraus47 Rehbinder, S. 84, betont, daß die Tatsachenäußerung als Grundlage des Meinungskampfes u n d der Diskussion durch A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt sein müsse; zustimmend Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 20. 48 Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 312; ebenso Wenzel, a.a.O., S. 20 f.; E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 24. 49 Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 305. 50 Wie sich die Pressefreiheit inhaltlich zur Meinungsfreiheit verhält, soll erst bei der Erörterung der Pressefreiheit geklärt werden; vgl. S. 168 f. 51 Ebenfalls gegen dieses Ergebnis Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 21 f.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

gestellt werden 5 2 . Wenn dem einzelnen nicht aufgrund des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG das Recht zuerkannt wird, Tatsachen mitzuteilen, w i r d der einzelne i n seiner Teilnahme am freiheitlichen und allumfassenden Kommunikationsprozeß spürbar beschränkt. Und diese Beschränkung erfaßt nicht nur die Rechtsposition des einzelnen, sondern sie betrifft auch den verfassungsrechtlich gewährleisteten Kommunikationsprozeß. Die hier angesprochene Beschränkung w i r k t sich auch dort als Beschränkung aus, ohne daß ein anderer Grund als der einer engherzigen Wortinterpretation des Begriffs der Meinung dafür spricht. Dieser Grund aber w i r d schon entwertet durch die fließenden Übergänge und die enge Verschmelzung von Meinung und Tatsache. Und er w i r d vollends aus dem Wege geräumt, weil Kommunikation zwar nicht auf Tatsachen, aber doch wesentlich auf Tatsachenäußerungen — auf die es hier allein ankommt — gründet. e) Es dient nur noch der Vervollkommnung, wenn abschließend darauf hingewiesen wird, daß die Tatsachenäußerung nach der hier vertretenen Auffassung auch dem speziell auf die menschliche Kommunikation zugeschnittenen, also dem sachgerechteren Vorbehalt der allgemeinen Gesetze unterstellt wird. 3. Alle Gesichtspunkte vereint ergeben das Gesamtbild: Der Schutz der Tatsachenäußerung erhält als grundrechtlichen Standort die Meinungsäußerungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG zugewiesen 53 . Die grundrechtlich geschützte Meinungsäußerungsfreiheit verwandelt sich damit bis hierher zu einer umfassenden Äußerungsfreiheit. Ob dieses Ergebnis allerdings uneingeschränkt bestehen bleiben kann, werden erst die weiteren Ausführungen zeigen.

52 Anklänge finden sich bei Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 308, der darauf hinweist, daß jeder Versuch, ein Element (z. B. das der Tatsachenverm i t t l u n g u n d -Verbreitung) des Prozesses der Meinungsbildung auszuschalten, diesen Prozeß empfindlich störe, w e i l er dann grundrechtlich nicht mehr v o l l geschützt sei. Ähnlich Arndt, N J W 63, 193, 194: M a n müsse zum Schutz der T a t sachenmitteilung durch A r t . 5 Abs. 1 GG kommen, w e n n man bedenke, daß die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG auf die öffentliche Meinungsbildung zielten. 53 Neben den schon genannten E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 24; Arndt, N J W 63, 193, 194; Rehbinder, S. 84, und Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 305 ff., sprechen sich ohne nähere Begründung für den generellen Schutz der Tatsachenmitteilungen i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG aus: Huber i n Schüle-Huber, S. 113; Hoff mann, JuS 67, 393, u n d Brinkmann-Hackenbroich, A n m . I 1 a zu A r t . 5 GG. Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 266, erachtet Tatsachenmitteilungen generell nur durch die nach i h m i n A r t . 21 GG geschützte öffentliche M e i nungsfreiheit als umfaßt an, während er für die individuelle Meinungsfreiheit Tatsachenmitteilungen nur als geschützt ansieht, sobald sie durch eine „Positionsgebung" gekennzeichnet sind (a.a.O., S. 264 f.).

1

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht C. Die Wahrheitserfordernisse der Meinungs- und Tatsachenäußerungen

Die Versuche, die Meinungsäußerungsfreiheit über das Aufstellen von Wahrheitspflichten zu begrenzen, sind ebenso alt wie das Bemühen, der Meinungsäußerung andere qualitative Merkmale abzuverlangen. Da das mögliche Ergebnis, daß eine zwar subjektiv für wahr erachtete, objektiv aber unwahre oder eine bewußt unwahre Meinungsäußerung keinen Grundrechtsschutz beanspruchen kann, die Diskussion um die Berücksichtigung des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit für derartige unternehmensschädigende Äußerungen schon auf der Ebene des Verfassungsrechts abschneidet, ist auch hier auf die Frage nach den Wahrheitserfordernissen einzugehen. Da außerdem auch Tatsachenmitteilungen i n den Äußerungsschutz nach A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG einbezogen sind und insofern dieselbe Erwägung gilt, muß zugleich den Wahrheitserfordernissen der Tatsachenäußerung nachgegangen werden. Trotz des einheitlichen Schutzes der Tatsachen- und Meinungsäußerung bestehen zwischen beiden Äußerungsformen doch solche Unterschiede, daß eine getrennte Behandlung geboten ist. I. D i e W a h r h e i t s e r f o r d e r n i s s e der Meinungsäußerung 1. Objektive Wahrheit für eine Meinungsäußerung zu fordern, wagte bisher mit gutem Grund niemand. Denn das Erfordernis der objektiven Wahrheit verträgt sich nicht m i t dem Wortlaut des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG, nachdem jeder seine Meinung äußern kann. Der objektiven Wahrheit entspricht an innerer Einstellung nicht das Meinen, sondern das Wissen, dessen Grundlage wiederum nicht die Meinung, sondern die Tatsache ist, die insoweit nicht wie bisher als Tatsachenbehauptung oder Tatsachenmitteilung verstanden werden darf. Der Blick auf den freiheitlich gewährleisteten Kommunikationsprozeß bestätigt auch dieses Ergebnis. Wären nur objektiv wahre Äußerungen erlaubt, so würde der Kommunikationsprozeß i m Kern getroffen. Erstaunlich ist nur, daß aus dieser uneingeschränkten und unbezweifelbaren Feststellung schon zweifelnder und vorsichtiger der gleichwohl unbedingt notwendige Schluß gezogen wird, zumindest wenn auch objekt i v unwahre, so doch subjektiv für wahr erachtete, also wahrhaftige Meinungen als durch die Meinungsäußerungsfreiheit gedeckt anzusehen. Denn welch anderer A r t der Meinungsäußerung als die wahrhaftige sollte geschützt sein, wenn schon objektive Wahrheit nicht gefordert werden kann? A n dieser Erkenntnis geht zwar grundsätzlich niemand vorüber 5 4 , 54

Wie hier Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 265; Lerche, Werbung, S. 112;

. Kap.: Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

doch w i r d sie m i t Klarheit und Verständlichkeit herabsetzenden Äußerungen verbrämt, wenn der I r r t u m als das notwendige Äquivalent des Erkenntnisprozesses dargestellt 55 , dem rechten Gebrauch einer Sache ein Maß von Mißbrauch zugesprochen, falsche Behauptungen i n einer freien Diskussion als unvermeidlich angesehen werden 5 6 oder dem Wesen der Meinung zugerechnet wird, daß man sie unter dem Vorbehalt äußere, sie könne falsch sein 57 . 2. Wesentlich schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob eine Meinungsäußerung noch Meinungsäußerung bleibt oder nicht und ob sie entsprechend den Grundrechtsschutz des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG verliert oder nicht, wenn sie zugleich als subjektiv und objektiv unwahr, also als unwahrhaftig zu beurteilen ist. Die Stimmen, die sich ausdrücklich mit dieser Frage beschäftigen und sie verneinen, nennen üblicherweise zwei Argumente für die Ablehnung. Einmal w i r d vorgebracht, daß das Recht der freien Meinungsäußerung aus der Menschenwürde folge, die nicht die bewußte Irreleitung schütze 58 . I n die gleiche Richtung zielt die Überlegung, daß die unwahrhaftige Aussage nicht der Idee der Meinungsfreiheit diene 59 . Zum zweiten w i r d hervorgehoben, daß unwahrhaftige Meinungsäußerungen ,per definitionem' der Meinungsäußerung keinen Grundrechtsschutz beanspruchen könnten 6 0 . Das erste Argument w i r d uneingeschränkt aus dem Wege geräumt, wenn man sich vorzustellen versucht, daß gegenüber einem Schwerkranken eine bewußt falsche Auskunft über den Krankheitszustand notwendig werden kann 6 1 oder daß gelegentlich i n einem Kollegium überstimmte Personen die Meinung der Mehrheit vertreten müssen 62 . Aber auch das zweite Argument gerät damit ins Wanken, obwohl ihm noch dadurch größere Festigkeit verliehen ist, daß der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht nur auf das Äußern einer Meinung, sondern auch darauf abstellt, daß jeder seine Meinung äußert 63 . Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 14; Arndt, N J W 64, 1312, 1313; Rehbinder, S. 81; Reisnecker, S. 9 f. 55 Reisnecker, S. 10. 58 U r t e i l des Supreme Court i n Washington, zitiert nach Arndt, N J W 64, 1312, 1313 Note 22. 57 Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 14. 38 Franz Schneider, a.a.O., S. 16. 39 Reisnecker, S. 10 f. 00 Franz Schneider, a.a.O., und Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 265, dessen Aussage allerdings n u r die von i h m von der öffentlichen Meinungsfreiheit abgetrennte klassische Meinungsfreiheit betrifft, während er erstere auch u n wahrhaftige Äußerungen schützen läßt. 81 Darauf weisen Brinkmann-Hackenbroich, A n m . I 1 a zu A r t . 5 GG, hin. 82 Darauf verweist Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 23. 63 Das Äußern einer fremden Meinung soll hier nicht als gesondertes Problem hervorgehoben werden. Denn wenn die M i t t e i l u n g einer fremden M e i -

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Da die doppelte Begründung aus dem Wortlaut sich i m ganzen doch als recht haltbar erweist, versucht man, den Wortlaut zu umgehen, indem man darauf verweist, daß das Grundgesetz allgemein und i n Art. 5 Abs. 1 GG i m besonderen nicht auf die innere Einstellung und die Überzeugung des einzelnen abstelle, subjektive Momente also nicht berücksichtige 64 . Dieser neue Weg erscheint jedoch i n Anbetracht der in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG getroffenen Aussage, daß jeder seine Meinung zu äußern habe, als recht zweifelhaft. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß es sich bei der Umgehung um einen Irrweg handelt und die Auffassung, daß die Meinungsäußerungsfreiheit auch unwahrhaftige Meinungsäußerungen schütze 65 , sich als unhaltbar erweist. Denn der bisher so hilfreiche Blick auf den durch A r t . 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Kommunikationsprozeß vermag diesmal keinen bestätigenden Hinweis zu geben. Weder kann gesagt werden, daß die Erscheinung des Kommunikationsprozesses zur Funktionserfüllung der unwahrhaftigen Meinungsäußerung bedürfe 66 , noch darf behauptet werden, daß der Kommunikationsvorgang unwahrhaftige Meinungsäußerungen nicht integrieren könne und deshalb abweisen müsse 67 . Es ist deshalb gerechtfertigt, als Ergebnis dieser Überlegungen festzuhalten, daß bei der Beurteilung des Grundrechtsschutzes der unwahrhaftigen Meinungsäußerung die Grenze der Aussagekraft des grundrechtlichen Leitbildes des A r t . 5 Abs. 1 GG erreicht ist. Weder kann allein aus A r t . 5 Abs. 1 GG der Grundrechtsschutz derartiger Äußerungen bejaht, noch kann er aus dieser Vorschrift verneint werden, obwohl der allerdings nicht allein entscheidende Wortlaut eine solche Aussage gerade noch rechtfertigen würde. So bietet sich allein als Rettungsanker die grundrechtsprägende und -aufbauende Funktion der allgemeinen Gesetze 68 . Ihnen muß die Befugnis zugesprochen werden, mittelbar — denn nung als solche kenntlich gemacht w i r d , so handelt es sich u m die M i t t e i l u n g einer Tatsache. W i r d dagegen die fremde Meinung als eigene vorgegeben, so geht es u m das hier behandelte Problem der unwahrhaftigen Meinungsäußerung. 64 Wacke i n Schack-Festschrift, S. 206; Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 310; Leisner, Ufita Bd. 37, S. 140 f. 65 Neben den auf S. 62 Note 61 u n d 62 u n d hier Note 64 genannten Autoren vertreten diese Auffassung: Arndt, N J W 63, 193, 194; Scheuner, V V D S t R L 22, 63; Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 265 f. für die öffentliche Meinungsfreiheit; Ridder zustimmend Mallmann, JZ 66, 625, 632. 66 Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 265 f., sieht allerdings auch die PseudoMeinungsäußerung als Aufbauelement f ü r die B i l d u n g der öffentlichen M e i nung an. Daß es sich u m ein unverzichtbares Aufbauelement handelt ist freilich nicht ausdrücklich gesagt, w o h l aber implizite angesprochen. 67 So wie etwa Hesse, S. 150, der die unwahrhaftigen Tatsachenäußerungen nicht durch A r t . 5 Abs. 1 GG geschützt sein läßt, w e i l sie nur der Pseudo-Operation einer Meinungsbildung dienen. 68 Das Zurückgehen auf die Schranken der allgemeinen Gesetze ist i n diesem F a l l nicht unzweifelhaft, da sie n u r für Äußerungen gelten, die A r t . 5 Abs. 1 GG

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1 3

nur so dürfen sie sich m i t den Grundfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG befassen — darüber Aussagen zu treffen, ob unwahrhaftige Meinungsäußerungen i m Einzelfall zum Nachteil eines anderen Rechtsguts als des des A r t . 5 Abs. 1 GG zulässig sind oder nicht 6 9 . II. D i e Wahrheitserfordernisse der Τ atsache η ä u ß e r u η g 1. Scholler 70 vertritt die Auffassung, daß die Tatsachenbehauptung sich grundsätzlich nicht m i t Wahrhaftigkeit begnügen könne, weil sie wahrheitsbezogen sei. Dem kann i n dieser Form nicht zugestimmt werden. Denn zutreffend ist diese Aussage nur, wenn die Behauptung einer Tatsache die Wiedergabe eines äußeren oder inneren Vorgangs i n seiner objektiv richtigen Gestalt beinhaltet 7 1 . Das aber ist wegen der bewußten oder unbewußten schöpferischen Beteiligung des Menschen in aller Regel nicht der Fall 7 2 , so daß schon deshalb das Verlangen nach objektiver Wahrheit bei der Tatsachenbehauptung zweifelhaft erscheint. Denn Unmögliches zu verlangen, kann nicht Aufgabe der Rechtsordnung sein. Des weiteren verweist Wenzel 73 auf einen wichtigen Gesichtspunkt, der Schollers Auffassung widerspricht. Würde man für Tatsachenäußerungen Übereinstimmung m i t der objektiven Wahrheit verlangen, so wäre eine freie Diskussion ausgeschlossen. Anders auf dem Boden des hier vertretenen objektivrechtlichen Gehalts der Kommunikationsgrundrechte ausgedrückt: Der freiheitliche Kommunikationsprozeß wäre in einem Teilbereich, nämlich dort, wo Tatsachenmitteilungen bedeutsam werden können, wesentlich beschränkt, wenn nicht gar verhindert, da die Möglichkeiten einer Veränderung des Wahrheitsgehalts oder eines Irrtums über den Wahrheitsgehalt einer Tatsachenäußerung meist nicht auszuschließen ist und das Risiko ungeschützter Tatsachenmitteilungen die Mehrzahl der Äußerungen schon i m Ansatz unterdrücken würde. grundsätzlich schützt. Doch selbst w e n n man letzteres w i e hier offen läßt, ist es gerechtfertigt, auf die speziell auf das Äußerungsrecht zugeschnittenen G r u n d rechtsschranken zu verweisen. 69 Das meint w o h l auch Mallmann, JZ 66, 625, 632: „ Z u r Rechtspflicht für den Einzelfall w i r d sie (die Wahrhaftigkeit der Meinungsäußerung) nur, soweit sie sich i n normierten Grundsätzen u n d Pflichten . . . konkretisiert." 70 Person u n d Öffentlichkeit, S. 310. Rehbinder, S. 84 f., läßt selbst die subj e k t i v wahre Tatsachenäußerung nicht durch A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt sein, w e i l sie nicht als Diskussionsgrundlage geeignet sei; diese Begründung erklärt sich daraus, daß Rehbinder Tatsachenäußerungen n u r deshalb i n den Grundrechtsschutz einbezieht, w e i l sie die Grundlage der Meinungsdiskussion bilden; dennoch erscheint der zutreffende Ansatz überzogen; denn auch nur subjektiv wahre Tatsachenäußerungen vermögen der Diskussion zu dienen. 71 Vgl. S. 33 m i t Note 24. 72 Vgl. S. 32 f. 73 W o r t - und Bildberichterstattung, S. 24.

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Ist so die Auffassung widerlegt, die für den Schutz der Tatsachenäußerung in Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG Übereinstimmung m i t der objektiven Wahrheit verlangt, so kann die Folge nur sein, daß zumindest subjektiv für wahr erachtete Tatsachenmitteilungen geschützt sind 7 4 . Das bestätigt die Überlegung, daß i n der Äußerung subjektiv für wahr erachteter Tatsachen eine Meinung zum Ausdruck kommt 7 5 , nämlich die Meinung, daß die mitgeteilte Tatsache der Wahrheit entspreche. Damit w i r d erneut die enge Verbindung zwischen Tatsachen- und Meinungsäußerung erhellt, die ebenfalls für einen einheitlichen Äußerungsschutz i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG spricht. 2. Bisher entsprechen sich also die Ergebnisse bezüglich der Wahrheitserfordernisse der Tatsachen- und Meinungsäußerung. Nun aber bei der Beurteilung bewußt unwahrer Tatsachenmitteilungen trennen sich die Wege. Denn als Äußerung einer Tatsache kann nicht mehr angesehen werden die bewußt falsche Mitteilung einer Tatsache 76 . Die bewußt falsche, entstellte, unrichtige Tatsachenmitteilung stellt objektiv und subjektiv nicht mehr die Äußerung einer Tatsache dar. Der grundrechtliche Schutz versagt, weil das grundrechtliche Leitbild solche Äußerungen ausschließt. Deswegen können auch die grundrechtsaufbauenden allgemeinen Gesetze für derartige Äußerungen keine Bedeutung erlangen.

D. Werbungsaussagen als Meinungs- und Tatsachenäußerung

I. D i e

Problemstellung

1. Die Frage nach dem Grundrechtsschutz der Werbeaussagen 77 i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG ist für die vorliegende Arbeit von entscheidender Bedeutung. Denn wenn das Grundgesetz i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 Werbungs74 Neben Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 24, v e r t r i t t diese M e i nung noch Mallmann, J Z 66, 625, 630; allerdings ist seine Untersuchung auf die Nachrichtenwiedergabe durch die Presse beschränkt. 75 Vgl. Wacke i n Schack-Festschrift, S. 204. 76 Ebenso für die Meinungsfreiheit Hesse, S. 150, m i t der S. 152 Note 67 genannten Begründung; für die öffentliche Meinungsfreiheit Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 266; f ü r die Pressefreiheit Erdsiek i n Festschrift für Nipperdey, S. 270: Bewußt unwahre Tatsachenbehauptungen seien durch die Pressefreiheit nicht gedeckt, w e i l sie das Gegenteil einer Information darstellten. F ü r die Meinungsfreiheit i m Ergebnis mißverständlich Wenzel, W o r t - u n d B i l d berichterstattung, S. 24; aus seiner Begründung folgt jedoch die Übereinstimmung m i t der hier vertretenen Auffassung. 77 I m allgemeinen w i r d i n diesem Zusammenhang nach dem Grundrechtsschutz der Werbung oder Werbeaussage u n d nicht nach dem der Äußerung i m wirtschaftlichen Wettbewerb gefragt. N u r O L G Nürnberg, M D R 65, 133 f.; Simon, W u W 56, 48, 54 f.; E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 23 ff.; Scheuner, V V D S t R L 22, 65; Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 24 m i t Note 14; v. Lesigang, W R P 62, 283, 284 f., u n d Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 26, gehen von der w e i teren Fragestellung aus. Es scheint, als ginge es den einen n u r u m Aussagen

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t .

Abs. 1 GG 1

äußerungen nicht m i t schützen w i l l , braucht bei einer Großzahl der i n der Typologie aufgeführten Beispielsfälle, die den geschäftlichen Wettbewerb betreffen, nicht mehr nach dem Einfluß der Meinungsäußerungsfreiheit auf die unternehmensschützenden Vorschriften des Wettbewerbsrechts gefragt zu werden, weil die vermutete Spannungslage zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Unternehmensschutz i n diesem Bereich entfällt. 2. Der erwähnten Problemstellung darf nicht die Wendung gegeben werden, die in der Frage zum Ausdruck kommt, ob Werbung an sich grundrechtlichen Schutz als Meinungsäußerung genießen kann. Denn nicht u m einen einheitlichen Komplex der Werbung kann eine Untersuchung kreisen, die das Ausmaß des grundrechtlichen Schutzes des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu ergründen sucht. Der Lösungsversuch muß vielmehr in Anbetracht der Vielfältigkeit der Werbungsformen beachten, daß die Frage nur lauten kann, ob einzelne, wenn auch typische Erscheinungsbilder der Werbung, die vorerst noch zurückhaltend als Werbungsaussagen, Werbungsäußerungen umschrieben werden sollen, als Meinungs- oder Tatsachenäußerung grundrechtlichen Schutz nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG erfahren. Die Diskussion um den Schutz der Werbungsäußerung durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG verliert diesen Gesichtspunkt zwar selten aus den Augen, gleichwohl w i r d dieser Aspekt häufig nicht genügend betont. Daß dieses Unterlassen zu Irrtümern führen kann, beweist die Tatsache, daß gelegentlich der Werbung ein einheitlicher verfassungsrechtlicher Standort in Art. 12 Abs. 1 und 14 GG zugewiesen wird. 3. Ist bereits derart eine differenzierende Betrachtungsweise nahegelegt, so fällt es nicht schwer, eine besondere Form von Werbungsaussagen i m weiteren Sinn vorwegzunehmen und aus zweierlei Gründen aus der Betrachtung auszusondern. Gemeint sind Public Relations, die Habermas 78 bezeichnenderweise „Meinungspflege" nennt und die andere mit „Öffentlichkeitsarbeit" umschreiben. I n diesem Bereich sind unternehüber die Leistung des sich Äußernden, während die anderen Stimmen auch Äußerungen ausschließlich über fremde Leistungen einschließen. Die Diskrepanz löst sich jedoch auf, wenn man bedenkt, daß die Bekanntmachungsfunktion der Werbung durch die Beeinflussungsfunktion ergänzt und gelegentlich sogar verdrängt w i r d (vgl. Gablers Wirtschafts-Lexikon, 5. Aufl., Stichwort »Werbung'). Das bedeutet, daß auch Äußerungen zu Zwecken des Wettbewerbs, die lediglich die Leistungen eines Mitbewerbers betreffen, zu den Werbeaussagen zählen, da sie die Werbesubjekte zugunsten der eigenen Leistung zu beeinflussen versuchen. Damit ist die folgende Untersuchung auf die Äußerung i m Wettbewerb schlechthin zu beziehen, obwohl der herkömmliche Sprachgebrauch beibehalten w i r d . 78 Habermas, 2. Aufl., S. 211, der an gleicher Stelle aber wieder entwertend formuliert: „Der Absender (der Public Relations) kaschiert i n der Rolle eines am öffentlichen W o h l interessierten seine geschäftlichen Absichten."

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

mensschädigende Äußerungen zwar denkbar, aber i n aller Regel doch nicht vorhanden, da Public Relations sich meist nur mit dem B i l d des eigenen Unternehmens oder der eigenen Institution i n der Öffentlichkeit befassen, ohne fremde Wirtschaftsunternehmen i n die Betrachtung einzubeziehen. Die zuvor aufgeführte Typologie bestätigt dieses Ergebnis, da i n ihr keine Problemfälle auftauchen, die dem Bereich der Public Relations zuzurechnen sind. Zum zweiten erübrigt sich eine besondere Hervorhebung der Public Relations in diesem Zusammenhang, da ihr grundrechtlicher Schutz i n Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG nicht zweifelhaft ist, soweit sie i n der Form von Tatsachen- und Meinungsäußerungen auftreten. Wenn dennoch mit dem Hinweis auf die zahlreichen Grenzfälle und die enge Verzahnung der Öffentlichkeitsarbeit mit der Werbung i m engeren Sinn für Absatz und Verkauf 7 9 Vorbehalte gegen eine solche Auffassung geltend gemacht werden, so ist auf die weiteren Ausführungen zur Werbungsaussage i m engeren Sinn zu verweisen, die dieser vermuteten Argumentation den Boden entzieht. II. V o r w i e g e n d a b l e h n e n d e Stellungnahmen in Rechtsprechung und S c h r i f t t u m 1. Das Problem des grundrechtlichen Schutzes der Werbeaussage durch die Meinungsäußerungsfreiheit ist nicht erst unter der Geltung des Grundgesetzes entstanden. Es hat schon Rechtsprechung und Schrifttum der Weimarer Zeit, wenn auch meist nur am Rande, beschäftigt. Das Problem interessiert heute nicht nur das verfassungsrechtliche Schrifttum, sondern auch die Zivilrechtsprechung sowie das Schrifttum zum Wettbewerbsrecht, die Verwaltungsrechtsprechung, die Rechtsprechung zum Strafrecht und nicht zuletzt die verfassungsrechtliche Rechtsprechung, obwohl hier noch keine engültigen Entscheidungen gefallen sind. Diese zahlreichen Schauplätze des Ringens um den grundrechtlichen Schutz der Werbeaussage erklären die Vielzahl der Begründungen und die oft zweifelhaften und widerspruchsvollen Ergebnisse. U m so erstaunlicher aber ist, daß bis heute dem Problem nur wenige ausführlicher begründete Untersuchungen gewidmet sind 8 0 . 2. Bemerkenswert ist, daß das Reichsgericht am Anfang seines Weges, der schließlich, wenn auch m i t anderer Begründung, zur endgültigen Anerkennung der Zulässigkeit der systemvergleichenden Werbung führte, betonte, daß den Anhängern verschiedener Wirtschaftssysteme 79 Wie es etwa i n der S. 155 Note 78 zitierten Bemerkung von Habermas deutlich w i r d . 80 Dazu gehören E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 23 ff.; Leisner, Ufita Bd. 37, S. 136 und S. 145 f.; Eichmann, GRUR 64, 57, 60 f.; ders., Vergleichende Werbung, S. 68 ff.; Lerche, Werbung, S. 76 ff.; Wache i n Schack-Festschrift, S. 197 ff.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

bei der systemvergleichenden Werbung nicht das Recht der freien Meinungsäußerung genommen werden könne, da es sich dabei um w i r t schaftspolitische Kundgebungen ohne Wettbewerbscharakter handele 81 . Später leugnete das RG den Wettbewerbscharakter des Systemvergleichs nicht mehr 8 2 , gab aber zugleich das aus dem Recht der freien Meinungsäußerung für die Zulässigkeit des Systemvergleichs abgeleitete Argument auf. Hier w i r d ein häufig wiederholter gegenseitiger Ausschluß der Argumente deutlich, dem w i r späterhin nicht zu folgen vermögen: Entweder ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs, dann kein Schutz der Werbeaussage durch die Meinungsäußerungsfreiheit, oder ein Handeln ohne Wettbewerbscharakter, dann Schutz durch die Meinungsäußerungsfreiheit 8 3 — allerdings nicht mehr Schutz der Werbeaussage, da sie regelmäßig ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs beinhaltet. Der B G H greift die Argumentation mit dem Recht der freien Meinungsäußerung beim Systemvergleich zwar i n einer Entscheidung wieder auf 8 4 , folgt aber sonst grundsätzlich dem geschilderten gegenseitigen Ausschluß der Argumente 8 5 . Insgesamt zeigt sich dennoch, daß die Front der Rechtsprechung, die i m allgemeinen als ablehnend gegenüber dem Schutz der Werbeaussage durch die Meinungsäußerungsfreiheit bezeichnet wird, bereits Einbruchsstellen aufweist. 81 RGZ 135, 38, 41 ff. — Fort m i t Zugaben — ; RG, GRUR 32, 729, 731 — Konsumgenossenschaft — ; RG, GRUR 33, 724, 726 — Versicherungswesen —; RG, GRUR 37, 60, 63 — Wissenschaftliche Werbeschrift — ; ebenso O L G H a m burg, M u W 33, 92; Schäfer, GRUR 37, 194, 195; vgl. auch: D. Reimer, Persönliche u n d vergleichende Werbung, S. 70 f.; Lieb, S. 43; Jörg, S. 26 f.; BaumbachHefermehl, 9. Aufl., A n m . 45 zu § 1 UWG. Wenn die genannte Rspr. den Wettbewerbscharakter des Systemvergleichs ablehnt, so ist das widerspruchsvoll, was die spätere Entwicklung zeigt. Denn der Systemvergleich ist Werbung, die den Wettbewerb beeinflussen w i l l . Letzteres rechtfertigt es, die Rspr. des RG zum Systemvergleich i m hier interessierenden Zusammenhang zu sehen. 82 RG, M u W 34, 284 — Desinfektionswatte —. 83 Darauf wurde schon S. 84 f. verwiesen. Es w i r d darauf noch auf S. 286 ff. zurückzukommen sein. Bezeichnend ist noch eine Entscheidung des RG, GRUR 35, 55, 59, i n Hinblick auf die Freiheit der Wissenschaft: „Rein wissenschaftliche Aufsätze, sofern sie n u r von dem nicht i m geschäftlichen Verkehr stehenden Verfasser verwendet werden, können niemals Wettbewerbszwecken dienen, u n d es wäre verhängnisvoll, die Freiheit der Wissenschaft durch leichtfertige Annahme einer Wettbewerbsabsicht zu beeinträchtigen." 84 BGH, GRUR 52, 416, 418 — Dauerdose —. 85 Vgl. die S. 15 Note 45—47 genannten Pressefehdefälle i m Verhältnis zu den S. 15 Note 45 auch genannten Entscheidungen B G H Z 14, 163 — Constanze I I — und BGH, N J W 68, 644 - Fälschung - . Vgl. ebenfalls B G H i n L M Nr. 141 zu § 1 U W G - Schwindelmittel - i m Verhältnis zu BGH, JZ 64, 509 - Elektronenorgeln - , u n d B G H i n L M Nr. 11 zu § 823 (Ai) B G B - Erdstrahlen —.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

3. Die neuere Rechtsprechung versteift jedoch i m wesentlichen die Front derjenigen, die sich gegen einen Schutz der Werbeaussage durch die Meinungsäußerungsfreiheit aussprechen. Besonders deutlich w i r d der Grund der Ablehnung des Grundrechtsschutzes der Werbeaussage in zwei Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes 88 . Werbemaßnahmen seien grundsätzlich deswegen nicht durch das Recht der freien Meinungsäußerung geschützt, w e i l sie „ i n keiner Weise überzeugende, belehrende oder sonst richtunggebende geistige Wirkung auf die Umwelt haben sollen oder können". Wenn das B V e r w G 8 7 äußert, „der Sinn der Werbung ist nicht die Äußerung einer bestimmten Ansicht, sondern die Beeinflussung des Käufers mit dem Ziel, ihn kaufbereit zu machen", und wenn der B G H vorbringt, der Werbungtreibende wolle Käufer für sein Erzeugnis werben und nicht eine persönliche Überzeugung zum Ausdruck bringen 8 8 , so deckt sich diese Argumentation dem Sinne nach mit der des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs 89 . Diese Auffassungen gehen zurück auf den von Häntzschel dargelegten Inhalt des Meinungsbegriffes 90 . Da diese Ansicht bereits als unvereinbar mit dem hier dargelegten Verständnis des A r t . 5 Abs. 1 GG erkannt wurde, erübrigt sich eine erneute Auseinandersetzung. Wenn gleichwohl daraus nicht vorschnell auf den Schutz der Werbeaussage durch die Meinungsäußerungsfreiheit geschlossen werden soll, so ist doch jetzt schon der Weg als ungenügend zu bezeichnen, der sich um den Grund80 B a y V f G H E N F 11 I I , 23, 34; 4 I I , 63, 76; der aber Ausnahmen zuläßt für belehrende Werbung für Werke einer neuen Kunstrichtung. 87 BVerwG, N J W 54, 1133, 1134; B V e r w G E 2, 172, 178 f.; ähnlich OVG Berlin i n Entsch. OVG Berlin Bd. 3, S. 8, 14; dem B V e r w G zustimmend Schmidt-Tophoff, S. 58. 88 BGHSt 5, 12, 22; 8, 360, 379; ähnlich O L G Braunschweig, N J W 56, 839, 840; dem B G H zustimmend Spengler, W R P 65,121,123. 89 Ebenso argumentieren Jürgens, V e r w A r c h 53, 105, 112 f.; Schuwerack, S. 69 Note 124, i n Hinblick auf die Außenwerbung; Rauschenbach, M A 55, 677, 683 f., i n Hinblick auf die Dauerwerbung; Neumann-Duesberg, JR 54, 82, 84; Strodthoff, S. 71, der allerdings „Werbebotschaften" m i t „künstlerischer Aussage" nach A r t . 5 Abs. 1 und 3 GG beurteilen w i l l . V ö l l i g ohne Begründung, aber ausdrücklich ablehnend Hamann, A n m . Β 1 zu A r t . 5 GG. Bemerkenswert ist auch der Versuch Werbung (Schule i n Schüle-Huber, S. 23) u n d Aussagen m i t Wettbewerbscharakter (OLG Nürnberg, M D R 65, 133 f. — Leberwursttest —) dadurch aus der Pressefreiheit auszuklammern, daß insoweit die öffentliche Aufgabe der Presse verneint w i r d . D a r i n zeigt sich erneut, daß Beschränkungsversuche der Meinungs- und Pressefreiheit stereotyp an denselben Stellen ansetzen, gleich ob die Unterhaltung, die Werbeaussage oder die unpolitische Äußerung aus dem Grundrechtsbereich eliminiert werden sollen. 90 Hdb. d. Dt. StR I I , S. 655, der zwar die Meinung nicht als Stellungnahme grundsätzlicher A r t begreift (Nachweis f ü r diese Auffassung S. 141 Note 14), jedoch geschäftliche Ankündigungen nicht i n den Grundrechtsschutz m i t einbezieht, w e i l sie nicht eine überzeugende, belehrende oder sonst geistige W i r kung ausüben. Daß die Auffassung, die Stellungnahmen grundsätzlicher A r t Voraussetzung des Grundrechtsschutzes sein läßt, die Werbeaussage erst recht nicht als Meinung verstehen kann, ergibt sich ohne weiteres.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1

rechtsschutz der Werbeaussage allein auf die Weise bemüht, daß er der V/erbeaussage eine überzeugende, belehrende oder sonst geistige W i r kung beizumessen versucht 91 . 4. Das BVerfG 9 2 hat zwar das Werbeverbot des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften an Art. 5 Abs. 1 und 2 GG gemessen und damit den Schutz der Werbeaussage durch die Meinungsäußerungsfreiheit bejaht, doch hat es für diese Auffassung keine Begründung geben müssen, da es das Gesetz über die Verbreitung j u gendgefährdender Schriften durch den Gesetzesvorbehalt zum Schutze der Jugend i n Art. 5 Abs. 2 GG gedeckt ansah. Damit kommt dieser Stellungnahme des BVerfG ebensowenig Erkenntniswert für das Problem des grundrechtlichen Schutzes der Werbeaussage zu wie jenen zahlreichen, vorwiegend i m wettbewerbsrechtlichen Schrifttum enthaltenen Stimmen, die die Frage nach der Bedeutung der Meinungsfreiheit i m Wettbewerbsrecht mit dem Hinweis darauf abwürgen, daß das Wettbewerbsrecht durch den Vorbehalt der allgemeinen Gesetze aufgenommen werde 9 3 . 5. Nach Leisners Aussage scheint die „Werbung an sich" eine „perfekte Meinungsäußerung" zu sein, da niemand es wagen könne, sie als etwas „Ungeistiges" hinzustellen 94 . Dennoch leugnet Leisner den grundrechtlichen Schutz der Werbeaussage durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, da „die Werbung" näher bei den Ausstrahlungen des Eigentums und der Berufsausübung stehe, so daß sie nach deren Regeln beurteilt und beschränkt werden müsse. Denn aus dem „Meinungsbegriff" hätten alle Äußerungen auszuscheiden, die durch eine „sachnähere", „sachzentralere" Bestimmung des GG in anderer Weise erfaßt würden 9 5 . 91 So etwa Eichmann, GRUR 64, 57, 61; ders., Vergleichende Werbung, S. 68 f.; so teils auch Wacke i n Schack-Festschrift, S. 201 ff. 92 BVerfGE 11, 234, 238; zustimmend Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 24 Note 14, u n d Wacke i n Schack-Festschrift, S. 201. Die Versuche, aus dem L ü t h U r t e i l (BVerfG, JZ 58, 119, 123) die voraussichtliche Stellungnahme des BVerfG zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der vergleichenden Werbung zu entnehmen — Spengler, D W 60, 75, 77, erwartet Zustimmung zum Verbot, während Brinkmann, WRP 63, 230, 237, und Jörg, S. 43 f., eine Ablehnung des Verbots der vergleichenden Werbung vorhersagen —, helfen wegen ihrer Zweifelhaftigkeit nicht, die Meinung des B V e r f G zum Schutz der Werbeaussage durch A r t . 5 Abs. 1 GG zu ergründen. 03 υ. Richthofen, S. 34; Graßmann, S. 23 ff.; Scholz, M A 65, 376, 378; Keller, S. 53; H. Droste, GRUR 53, 16, 17; D. Reimer, Persönliche und vergleichende Werbung, S. 72; Simon, W u W 56, 48, 54 f.; Seubert, B B 60, 965; BaumbachHefermehl, 9. Aufl., Allg. A n m . 60; O L G Bremen, DVB1 52, 564, 566; SchönherrBußmann, S. 66 f.; Lieb, S. 89; O L G Köln, GRUR 62, 102, 104 — Bürobedarf — ; O L G München, WRP 58,148. 94 Leisner, Ufita, Bd. 37,129,145. 95 Leisner, Ufita Bd. 37, 129, 136, 145 f. Hansen, M A 60, 735, betrachtet an sich die Werbeaussage als Meinungsäußerung, sagt aber, daß es praktisch ohne Bedeutung sei, w e n n die h. M. die Werbung nicht Meinungsäußerung sein lasse, da die Werbefreiheit schon durch das Grundrecht auf freie Entfaltung der Per-

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Gegen diese blendende und auf den ersten Blick überzeugende Deduktion bestehen jedoch Bedenken, die die Möglichkeit ausschließen, Leisners Ansicht zu folgen. Denn mit dem derart verstandenen K r i t e r i u m der „sachnäheren" und „sachzentraleren" Regelung kann es bei weiterer Verwendung gelingen, den Grundrechtsbereich der Kommunikationsgrundrechte nahezu völlig auszuhöhlen. Dies gilt vor allem deswegen, weil Meinungsäußerungen häufig i m Zusammenhang m i t einer beruflichen oder geschäftlichen Tätigkeit stehen, ohne daß es sich gleich um Werbung handelt. Zum zweiten geht es nicht an, die vielfältigen Erscheinungsformen der Werbung zu leugnen, u m den Gesamtkomplex der Werbung einem einheitlichen verfassungsrechtlichen Standort zuzuweisen. Denn damit werden nicht nur die differenzierten Erscheinungsformen der Werbung, sondern sogar die differenzierten Entscheidungen der Verfassung aufgehoben. Das führt zum dritten Einwand. Wenn die Verfassung schon differenzierte Entscheidungen bereithält, so ist kein Grund ersichtlich, darüber hinwegzugehen. Das gilt insbesondere dann, wenn sich der zu beurteilende Lebensvorgang wie bei der Werbung in einzelne Erscheinungsformen aufgliedern läßt. Eine solche besondere Erscheinungsform der Werbung ist die einzelne Werbeaussage, deren Zuweisung zu A r t . 12 Abs. 1 und Art. 14 GG nicht dem Erfordernis einer Beurteilung nach der sachnächsten grundrechtlichen Regelung entspricht. Das erhellt die folgende Begründung für die Einbeziehung der Werbeaussage i n den Schutz des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG.

der

III. D i e G r ü n d e f ü r d i e E i n b e z i e h u n g Werbeaussage in den G r u η d r ech t ssch u t ζ des A r t . 5 Abs. I S . 1GG

1. Notwendiger Ausgangspunkt der Geltung der Meinungsäußerungsfreiheit für Werbeaussagen muß sein, daß eine Werbehandlung als Meinungs- oder Tatsachenäußerung i m bisher festgestellten Sinn qualifiziert werden kann. Die werbliche Aussage muß deshalb sein eine einer Person zurechenbare Äußerung, die als These, Ansicht, Stellungnahme oder Mitteilung einer Tatsache zu verstehen und fähig ist, ein Element, einen Baustein des freiheitlichen Kommunikationsprozesses zu bilden 9 6 . Nicht sönlichkeit und freie W a h l und Ausübung des Berufes gesichert sei. Gegen diese Auffassung müssen die gleichen Einwände w i e gegen die Leisners geltend gemacht werden. Nicht generalisierend, sondern sorgfältig nach den einzelnen Erscheinungsformen unterscheidend, ordnen Lerche, Werbung, S. 72 ff., u n d Eichmann, GRUR 64, 57, 63 ff., die Werbung den verschiedenen grundrechtlichen Bereichen zu. 96 Hier bietet sich die Möglichkeit, einfachste Werbefälle, wie etwa die Erinnerungswerbung, deren Qualifizierung als Tatsachen- oder Meinungsäußerung Unbehagen bereitet, aus dem Grundrechtsschutz auszuschalten; vgl. dazu Wacke i n Schack-Festschrift, S. 204 u n d S. 207, u n d Lerche, Werbung, S. 86. Diese Werbefälle interessieren jedoch i n Hinblick auf den Schutz vor unternehmensschädigenden Äußerungen nicht weiter.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1 1

ausreichend ist es, allein nach der Meinungswertigkeit einer Werbungsäußerung zu forschen 97 . Denn dieses Merkmal vermag nur den Teil der Äußerungen herauszuschälen, die am Kommunikationsprozeß als Meinungsäußerungen teilnehmen, während nach der hier vertretenen A u f fassung auch Tatsachenmitteilungen i n den freiheitlichen Kommunikationsprozeß eingehen und deswegen Grundrechtsschutz nach A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG genießen. 2. Die geschäftliche, rein materielle oder vorwiegend materielle Zweckverfolgung der Werbeaussage hindert nicht ein Begreifen der Werbeaussage als Meinungs- oder Tatsachenäußerung. Denn das Ziel der Werbeaussage, den Käufer zu beeinflussen, ihn kaufbereit zu machen, verleiht der Werbeaussage keine derart hervorstechenden, i m Verhältnis zu anderen Äußerungen auffallenden Eigenschaften, die eine Ausklammerung der Werbeaussage aus dem Grundrechtsfeld des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG rechtfertigen würden. Lerche 98 hat zu Recht auf die geringe Unterscheidungsmöglichkeit des politischen und wirtschaftlichen Gehalts einer Meinungsäußerung, die mit politischem Gehalt unbezweifelbar grundrechtlich i n Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt ist, durch die allein brauchbaren Unterscheidungskriterien „Werbung für Ware" und „Werbung für Idee" hingewiesen. Denn die Ware von heute sei vielfach zur „Idee" geworden, und die Idee von heute werde vielfach als „Ware" verkauft. Aber nicht nur der Vergleich zum allgemein Politischen zeigt die Normalität der Werbeaussage i m Vergleich zu anderen grundrechtlich geschützten Äußerungen. Auch konkretere Beispiele vermögen die gewöhnlichen, durch nichts aus dem üblichen Rahmen fallenden Eigenschaften der Werbeaussage zu belegen. Wacke 99 hat sie deutlich herausgestellt, um seine Aussage zu erhärten, daß m i t der Meinungsäußerung stets ein Zweck, ein Ziel verfolgt werde, da es keinen Sinn habe, vor den Bäumen zu predigen. Er verweist auf den häufig werbenden Sinn religiöser Meinungsäußerungen und auf den der Werbung gleichenden Charakter der Wahlpropaganda. 3. Bisher sind die Argumente abgelehnt worden, die dazu dienen, um den Grundrechtsschutz der Werbeaussage durch die Meinungsäußerungsfreiheit zu verneinen. Wenn dabei schon deutlich wurde, daß die Werbeaussage den ihr gebührenden Grundrechtsschutz durch A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG beanspruchen kann, so sollen doch noch Gründe dargelegt werden, die den Grundrechtsschutz durch die Äußerungsfreiheit positiv erhärten. Da das Verständnis der Kommunikationsgrundrechte wie gesehen mit der Betrachtung der subjektiven Berechtigungen allein unvollkom97 98 99

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Lerche, Werbung, S. 86. Werbung, S. 78 ff. I n Schack-Festschrift, S. 205 f.

Koller

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts f ü r einfaches Gesetzesrecht

men bleibt und die bisher genannten Stimmen i m wesentlichen nur diesem Gesichtspunkt ihr Augenmerk gewidmet haben, wundert es nicht, wenn nunmehr die Gründe für eine Einbeziehung i n den Grundrechtsschutz aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte gewonnen werden 1 0 0 . a) Die Werbeaussage ist, wenn sie die Kriterien der Tatsachen- und Meinungsäußerung erfüllt, fähig und geeignet, am Kommunikationsprozeß teilzunehmen. Daß die Werbeaussage diese Kriterien i n aller Regel erfüllen wird, erklären die geringen qualitativen Anforderungen, die w i r an die Meinungs- und Tatsachenäußerung stellen konnten. b) Bestätigt w i r d dieses Ergebnis durch die personelle und thematische Universalität des freiheitlich gewährleisteten Kommunikationsprozesses 101 . Denn die freiheitliche und umfassende Gewährleistung verbietet den Ausschluß bestimmter Personen sowie bestimmter Themen aus dem Kommunikationsprozeß 1 0 2 . So können weder der Kaufmann 1 0 3 noch Meinungsäußerungen werbenden Inhalts 1 0 4 aus dem Kommunikationsprozeß ausgeklammert werden. c) Durch die Eingliederung der werblichen Aussage in den Grundrechtsschutz des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG werden Werbeäußerungen, die ebenso Kommunikation darstellen wie andere Äußerungen, dem Grundrechtsbereich zugeführt, der ausdrücklich auf menschliche Kommunikation zugeschnitten ist und der m i t seinem objektivrechtlichen Gehalt den freiheitlichen Kommunikationsprozeß gewährleistet. Die werbliche Aus100 Lerche, Werbung, S. 80 f., befürwortet die disziplinierende und steuernde W i r k u n g des überindividuellen Rechtsguts des A r t . 5 Abs. 1 GG, des F u n k tionszusammenhanges der öffentlichen Meinung, für die Werbeaussage, nachdem er die Feststellung, daß die geschichtliche H e r k u n f t des Grundrechts der Meinungsfreiheit den Schutz der Werbeaussage nicht mehr trage, m i t dem Hinweis auf die Sinnvariabilität einer jeden Verfassungsbestimmung aus dem Wege geräumt hat. Die Deutung des subjektivrechtlichen Gehalts der M e i nungsäußerungsfreiheit w i r d i n diesem Zusammenhang also ebenfalls durch die Berücksichtigung des institutionellen Gehalts der Kommunikationsgrundrechte ergänzt. 101

Vgl. S. 116 ff. Wenn Gödde, S. 91 f., die Werbeaussage nicht eine Meinungsäußerung sein läßt, w e i l sie keinen Beitrag zur öffentlichen Meinung, zum geistigen M e i nungskampf leiste, so w i r d deutlich, w o h i n ein mißverständlicher Begriff der öffentlichen Meinung ohne Reflexion über den sich dahinter verbergenden Lebensvorgang führen kann. 103 v. Lesigang, W R P 62, 283, 284: Das Recht auf Meinungsäußerung gelte auch für den „Handelsmann" i m weitesten Sinne. 104 Arndt, N J W 64,1312,1313; Lerche, Werbung, S. 78 ff., u n d Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 24, beziehen auch Äußerungen wirtschaftlichen Gehalts in den Schutz der Meinungsfreiheit ein. Lerche, a.a.O., S. 76 ff., u n d Peter Schneider, a.a.O., S. 24 Note 14, folgern daraus weiterhin den Schutz der Werbeaussage. 102

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 1 3

sage w i r d der sachnächsten grundrechtlichen Regelung zugeordnet 105 und nicht i n Grundrechtsbereiche wie die der A r t . 2 Abs. 1, 12 Abs. 1, 14 GG verwiesen, deren Normierungen der Erscheinung menschlicher Kommunikation keineswegs gerecht werden können. d) M i t der Zuordnung zur sachnäheren grundrechtlichen Regelung geht einher, daß die Werbeaussage nunmehr dem sachgerechteren Gesetzesvorbehalt, nämlich dem der allgemeinen Gesetze, gegenübertritt 1 0 6 , der ausdrücklich in Hinblick auf die Kommunikationsgrundrechte und damit auch für den Kommunikationsvorgang geformt wurde. 4. A u f dem Boden der hier vertretenen Auffassung ist es also unumgänglich notwendig, den Schutz der werblichen Aussage durch die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu gewährleisten 107 , die sich auf diese Weise erneut nicht nur als Freiheit zur Äußerung einer Meinung, sondern als Äußerungsfreiheit schlechthin erweist. Freilich darf dieses Ergebnis nicht überschätzt werden. Denn auch hier ist die Funktion des Gesetzgebers der allgemeinen Gesetze zu beachten. Ordnet man Werbeaussagen der Meinungsäußerungsfreiheit unter, so w i r d insoweit auch die Aufgabe des Gesetzgebers der allgemeinen Gesetze erweitert. Dem Gesetzgeber obliegt es nun, den grundrechtlichen Schutz der Werbeaussage mittelbar regelnd auszugestalten. Da gerade i m Bereich der Werbung Aussagen denkbar sind, deren Verbot bzw. rechtliche Schutzlosigkeit aus wettbewerbsrechtlichen oder anderen Gesichtspunkten empfehlenswert ist und da der Frage nach dem Rechtsschutz i m einzelnen nicht mehr m i t dem Hinweis auf den fehlenden Grundrechtsschutz der Werbeaussage i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG ausgewichen werden kann, verlagert sich das Rechtsschutzproblem der Werbeaussage vom Verfassungsrecht wesentlich auf den Boden des einfachen Gesetzesrechts.

105 Dieser Gesichtspunkt liegt auch Lerches Hinweis (Werbung, S. 80 f.) auf die disziplinierende u n d steuernde W i r k u n g des Funktionszusammenhanges der öffentlichen Meinung zugrunde. 108 Ebenso Lerche, Werbung, S. 84. 107 Zusammenfassend: F ü r den Schutz der Werbungsaussage i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG treten m i t den unterschiedlichsten Begründungen ein Burhenne, N J W 51, 249, 251; v. Lesigang, W R P 62, 283, 284; K . Droste, W R P 64, 65, 69, 71; Brinkmann, W R P 63, 230, 237; Jörg, S. 43; Bergmann, S. 142; Eichmann, GRUR 62, 57, 60 f.; ders., Vergleichende Werbung, S. 68 ff.; Olaf Werner, S. 37 f.; O L G Düsseldorf, D B 63, 1180; Fikentscher, Wettbewerb u n d gewerblicher Rechtsschutz, S. 116 Note 250; Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 24 Note 14; Lerche, Werbung, S. 76 ff.; E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 23 ff.; Wacke i n SchackFestschrift, S. 201 ff.; widersprüchlich Scheuner, V V D S t R L 22, 65 m i t Note 188, 82, 203.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht E. Die Meinungsäußerung und ihre Wirkung

Wenn man für das Grundrecht der freien Meinungsäußerung den möglichen grundrechtlichen Gehalt aufgliedern will, so bieten sich an Freiheit der Meinungsbildung, Freiheit der Meinungskundgabe und Freiheit der Meinungsdurchsetzung 108 . Der Grundrechtsschutz der beiden erstgenannten Freiheitsbereiche steht außer Zweifel. Der grundrechtliche Schutz der Meinungsdurchsetzung jedoch kann nicht so uneingeschränkt bejaht werden, da das Grundrecht des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG nur vom Äußern einer Meinung spricht. 1. Obwohl der Schutz des Äußerns einer Meinung nicht unmittelbar den Schluß auf den Schutz der Meinungsdurchsetzung erlaubt, so gibt doch der Äußerungsschutz einen wichtigen Hinweis. Da das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ebenso wie die anderen Grundfreiheiten dieses Artikels Kommunikation intendiert und gewährleistet und da Äußerungen auf einen Empfänger einwirken müssen, um Kommunikation in Gang zu setzen, muß die Realisation einer Meinungs- oder Tatsachenäußerung immer dann grundrechtlich zulässig sein, wenn sie der in Freiheit ausgetragenen Kommunikation entspricht. Es muß danach die Wirkung erlaubt sein, die man mit den Worten ansprechen, anregen, beeinflussen, überzeugen und belehren, auch der Auslösung von Reaktionen umschreiben kann. Es ist damit jenes Mittelfeld angesprochen, das zwischen der Emanation des „reinen Geistes" und dem Meinungskampf liegt 1 0 9 . Ein Verstehen des Grundrechts der Meinungsäußerungsfreiheit als eines Grundrechts der Überzeugungskraft 110 vermag diese Auffassung treffend zu umreißen. Nicht ist es möglich, die Primärwirkung der Meinungsäußerung aufzuspalten i n eine rein geistige, ideelle und eine materielle Wirkung mit der Folge, daß nur die ideelle Wirkung Grundrechtsschutz beanspruchen kann 1 1 1 . Denn die Wirkung einer menschlichen Äußerung, die nicht von einer physischen Handlung begleitet wird, kann primär — wenn man einmal emotinelle Reaktionen ausklammert — nur eine geistige sein 1 1 2 . 108 Diese Unterscheidung t r i f f t Lerche, Meinungsfreiheit u n d Meinungsdurchsetzung, unveröffentlichter Vortrag vor der Berliner Jur. Gesellschaft am 16. 2.1968. 109 So dem Sinne nach Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 37 f. 110 Lerche, a.a.O. (Note 108); E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 26: „ M e i nungsfreiheit ist Überzeugungsfreiheit." 111 So aber Häntzschel, Hdb. d. Dt. StR I I , S. 659 ff., insbesondere S. 660 f.; ähnlich Rothenbücher, V V D S t R L 4, 22, der die Meinung der m i t i h r verbundenen Willenshandlung gegenübersetzt u n d n u r der ersteren Grundrechtsschutz gewähren w i l l . 112 Gegen die Aufspaltung m i t diesem Argument Schnur, V V D S t R L 22, 124; i h m zustimmend Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 387 f. Ebenfalls ablehnend wegen der Unmöglichkeit einer Unterscheidung Böttcher, S. 92 f.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG

Erst sekundär können aufgrund der Entschlüsse oder Reaktionen der Adressaten einer Äußerung materielle Wirkungen eintreten 1 1 3 . Daß der Grundrechtsschutz des Äußernden nicht den Schutz des Adressaten einer Äußerung für diese Sekundärwirkungen m i t umfaßt, liegt auf der Hand 1 1 4 . Dennoch erfährt die Primärwirkung uneingeschränkten Grundrechtsschutz, gleich ob sie noch Sekundärwirkungen hervorruft oder nicht. Und der Schutz der Primärwirkung umfaßt für den Äußernden zugleich den der Sekundärwirkung 1 1 5 . Denn auch die Gesamtwirkung stellt die übliche, der menschlichen Kommunikation gemäße Realisation einer Meinung dar. 2. Nicht mehr grundrechtlich geschützte Meinungsdurchsetzung stellt das Hinzukommen von Druck, Zwang und Gewalt zur Meinungswirkung dar 1 1 6 . M i t der Verwendung von Druck, Zwang und Gewalt haben w i r uns schon beschäftigt bei der Betrachtung des Freiheitlichen des Kommunikationsprozesses 117 . Dabei hatten w i r festgestellt, daß gewaltsame Eingriffe i n den freiheitlich gewährleisteten Kommunikationsvorgang dem objektivrechtlichen Gehalt der Freiheitsrechte des A r t . 5 Abs. 1 GG widersprechen, sofern damit grundsätzlich zulässige Äußerungen gefördert oder unterdrückt werden sollen. Dieses Ergebnis w i r d bestätigt durch die Untersuchung der subjektiven Berechtigung des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG. Denn ohne Schwierigkeiten läßt sich aufgrund der vorangegangenen Feststellungen folgern, daß zumindest mit der Verwendung physischer Gewalt zur Meinungsrealisation das grundrechtliche Feld der Meinungsäußerungsfreiheit verlassen w i r d 1 1 8 , da physische Handlungen aus dem üblichen Rahmen der Kommunikationsgrundrechte herausfallen 119 . 113 Es sind dies die W i r k u n g e n die auf den von E. R. Hub er, Empfehlungsverbot, S. 33, sogenannten willensbildenden u n d tatauslösenden Momenten der Meinungsäußerung beruhen. 114 Freilich hat der insoweit fehlende Grundrechtsschutz nicht zur Folge, daß der Adressat f ü r die Sekundärwirkungen keinen Schutz beanspruchen kann. Die endgültige Aussage darüber ist anhand der v o m Adressaten i n A n spruch genommenen Grundrechte u n d anhand des einfachen Gesetzesrechts zu treffen. 115 E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 33, weist zu Recht darauf hin, daß die Meinungsäußerungsfreiheit i n der Wurzel vernichtet werde, w e n n man alle willensbildenden u n d tatauslösenden Momente aus der Meinungsäußerung ausschalte. 116 So auch Lerche, a.a.O. (S. 164 Note 108). 117 Vgl. oben S. 122 f. die Erörterung der sog. systemfremden Eingriffe i n den freiheitlichen Kommunikationsprozeß. 118 Ebenso Hoff mann, JuS 67, 393, 395; teilweise übereinstimmend Larenz, Anm. zu B G H i n A P Nr. 2 zu A r t . 5 Abs. 1 GG (Bl. 11 f.) — B l i n k f ü e r —, der den Einsatz wirtschaftlicher D r u c k m i t t e l als unzulässig u n d damit als nicht durch A r t . 5 Abs. 1 GG geschützt ansieht; ähnlich Arndt, N J W 64, 23; Biedenkopf, J Z 65, 553, 557; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 13 ff. V o m Einsatz w i r t schaftlicher Druckmittel ist die Androhung solcher M i t t e l zu unterscheiden, die dem Bereich geistiger Gewalt zugewiesen werden muß. 119 Scheuner, V V D S t R L 22, 63.

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Schwieriger zu beurteilen ist dagegen die Verwendung geistiger Gewalt. Zwar haben die Untersuchungen des Freiheitlichen des Kommunikationsprozesses gezeigt, daß der Einsatz geistiger Gewalt dem Wesen eines freiheitlich gewährleisteten Kommunikationsvorganges ebenfalls widerspricht. Und es leuchtet auch ein, daß der Einsatz geistiger Gewalt nicht mehr von einer als Grundrecht der Überzeugungskraft verstandenen Meinungsäußerungsfreiheit getragen wird. Aber vor einer Scheidung der geistigen Gewalt von der geistigen (Überzeugungs-) Wirkung einer Äußerung stehen fast unüberwindliche Hindernisse 120 , die es nur ermöglichen, offensichtliche Extremfälle juristisch zu erfassen. W i r wagen es nicht, uneingeschränkt Boykott und Pressehetze wegen des so unterschiedlichen Ausmaßes vorhandener Wirkungen dazu zu zählen, obwohl solche Fälle den Verdacht des Einsatzes geistiger Gewalt nahelegen. Eine endgültige Entscheidung w i r d i n derartigen Fällen nur eine sorgfältige Prüfung aller Umstände des Einzelfalles erlauben 1 2 1 . Einfacher schon ist die Androhung wirtschaftlichen Druckes zu beurteilen, da die Nähe zum Vollzug physischer Gewalt den Einsatz geistiger Gewalt eher offenbart 1 2 2 . Ist nun dargelegt, daß die Meinungsäußerungsfreiheit nicht mehr den Einsatz physischer und geistiger Gewalt deckt, so ist damit noch keine Aussage über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit solcher M i t t e l getroffen. Wenn Lerche 1 2 3 betont, daß das Verfassungsrecht diese Frage nicht erschöpfend beantworten könne, sie vielmehr die unterverfassungsrechtliche Rechtsordnung i m Rahmen der Verfassung entscheiden müsse, kann dem nicht vollends gefolgt werden. Zwar t r i f f t es zu, daß die subjektive Berechtigung des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG dazu schweigt. Einen gegensätzlichen Anhalt, der für die Unzulässigkeit des Einsatzes solcher M i t t e l spricht, hat aber bereits die Untersuchung des objektivrechtlichen Gehalts der Kommunikationsgrundrechte geliefert 1 2 4 . Diesen 120

Vgl. dazu den Hinweis S. 122 f. Lerche, a.a.O. (S. 164 Note 108), erweckt den Eindruck, als wolle er Boykott u n d Pressehetze grundsätzlich als Einsatz geistiger Gewalt begreifen. Dieser Feststellung ist m i t Vorsicht zu begegnen. Denn die Frage, w a n n eine Pressehetze vorliegt, u n d w a n n eine Äußerung die K r i t e r i e n einer B o y k o t t aufforderung erfüllt, muß zuvor geklärt werden. Wie schwierig das ist und wie schnell z. B. ein Boykott bejaht w i r d , ohne daß zugleich der Einsatz geistiger Gewalt angenommen werden kann, zeigen die Erörterung zur unternehmensschädigenden Äußerung (S. 4 f.), die Darstellung der Beispielsfälle (S. 6 ff.) u n d die abschließende rechtliche Würdigung dieser Fälle (S. 263 ff.). Z u m E i n satz geistiger Gewalt bei der Pressehetze vgl. ebenfalls S. 291 f. 122 Kubier, Wirtschaftsordnung, S. 9 ff., insb. S. 14, scheidet nicht zwischen dem Einsatz wirtschaftlichen Drucks u n d seiner Androhung. Aus dem Zusammenhang w i r d jedoch klar, daß er auch die Androhung als grundrechtlich nicht geschützt (und zugleich als zivilrechtlich unzulässig) ansieht. 123 Lerche, a.a.O. (S. 164 Note 108). 124 Vgl. S. 122 f. 121

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 167

Anhalt w i r d die Auseinandersetzung mit dem zulässigen Inhalt der allgemeinen Gesetze zu einem endgültigen Ergebnis verdichten 1 2 5 .

F. Die Geltung der Äußerungsfreiheit für Personenvereinigungen und juristische Personen des Privatrechts

Da unternehmensschädigende Äußerungen auch von Personenvereinigungen und juristischen Personen des Zivilrechts ausgehen können 1 2 6 , stellt sich als letztes die Frage nach dem Grundrechtsschutz solcher Personen und Vereinigungen. Der Grundrechtsschutz der Personenvereinigungen w i r d durch den Grundrechtsschutz der i n ihnen vereinten Personen gewährleistet. Soweit sich aber Personenvereinigungen i n ihrer Form juristischen Personen nähern, taucht auch hier die Frage nach einem spezifischen Grundrechtsschutz der Personen Vereinigung auf, die dann bejaht werden muß, wenn die Meinungsäußerungsfreiheit juristische Personen schützt. Der grundrechtliche Äußerungsschutz juristischer Personen w i r d größtenteils unter Berufung auf A r t . 19 Abs. 3 GG unbedenklich befürwortet 1 2 7 . Teils w i r d er aber auch bezweifelt 1 2 8 oder gar abgelehnt, weil eine juristische Person sich keine Meinung bilden könne 1 2 9 . Diesen Einwand räumt jedoch ein Blick auf das hier vertretene Grundrechtsverständnis aus dem Wege. Da es danach nicht auf die A r t der Meinungsbildung, sondern nur darauf ankommt, ob eine Meinungs- oder Tatsachenäußerung befähigt ist, Element des Kommunikationsvorganges zu sein 1 3 0 , und da die Organe einer juristischen Person für die juristische Person solche Äußerungen abgeben können, muß der Äußerungsschutz des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gemäß Art. 19 Abs. 3 GG auf juristische Personen erstreckt werden.

125

Vgl. S. 202. Unternehmensschädigende Äußerungen von Personen öffentlichen Rechts haben w i r S. 3 aus der Untersuchung ausgeklammert, so daß der G r u n d rechtsschutz der Personen öffentlichen Rechts hier nicht interessiert. 127 Bachof, VerfR, VerwR, VerfR I I , Nr. 89, unter Berufung auf B V e r w G E 18, 14; Wernike i n Bonner Kommentar, Erl. I I 1 a zu A r t . 5 u n d Erl. I 3 b zu A r t . 19 GG; Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . I I 6 zu A r t . 5 u n d A n m . V I 3 b zu A r t . 19 GG; Hoff mann, JuS 67, 393; Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 269. 128 Maunz, Staatsrecht, 16. Aufl., S. 98; Dürig i n Maunz-Dürig, A n m . 54 zu A r t . 19 Abs. 3 GG m i t Note 1. 129 Reisnecker, S. 89; Dürig, a.a.O. 130 Vgl. auch die Erörterungen zur personellen Universalität des K o m m u n i kationsprozesses S. 116 f. 128

168

3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

3. Unterabschnitt: Die Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG A. Problemstellung

Die vorliegende Arbeit ist durch das Thema auf die Meinungsäußerungsfreiheit beschränkt. Diese Beschränkung sollte nicht ausdrücken, daß unternehmensschädigende Äußerungen der Presse aus der Untersuchung ausscheiden. Das deuteten schon die ohne nähere Begründung in die Typologie aufgenommenen Beispielsfälle an, die schädliche Äußerungen über Gewerbeunternehmen i n Pressepublikationen schildern. Wenn trotz der Aufnahme dieser unternehmensschädigenden Äußerungen i n den Bereich des Themas die Untersuchung thematisch nur auf die Meinungsäußerungsfreiheit abstellt, so offenbaren sich darin keine Widersprüche. Denn alle i m Spannungsfeld zwischen Äußerungsschutz und Unternehmensschutz entstehenden Probleme betreffen, soweit sie verfassungsrechtlich determiniert sind, sachlich die Meinungsäußerungsfreiheit, gleich ob sie i m eigenen Gewand des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG oder inhaltlich aufgenommen i m weiteren und fremden Gewand der Pressefreiheit auftritt. Zum Nachweis dessen, daß die Meinungsäußerungsfreiheit inhaltlich in der Pressefreiheit aufgeht und daß deshalb auch Äußerungen i n Pressepublikationen grundsätzlich nicht anders zu beurteilen sind als Äußerungen einzelner Staatsbürger, bedarf es allerdings doch einer kurzen Untersuchung der Pressefreiheit. Dabei sollen nur die speziellen Fragen des Äußerungsschutzes das Augenmerk fesseln. Andere Probleme des Presserechts bleiben außerhalb. Das gilt nicht für die angebliche institutionelle Garantie und die angebliche öffentliche Aufgabe der Presse, da daraus hergeleitete Folgerungen auch den Äußerungsschutz der Presse betreffen.

B. Pressefreiheit und Meinungsäußerungsfreiheit

1. Die Pressefreiheit hat sich geschichtlich gesehen i n enger Nähe zur Meinungsfreiheit entwickelt 1 . Deshalb verwundert es nicht, wenn beide auch heute i n enger Beziehung zueinander stehen 2 und ein Verständnis des jüngeren Grundrechts der Pressefreiheit ohne ein Zurückgreifen auf die Meinungsäußerungsfreiheit unvollständig bleiben muß. Ebenso un1 Scheuner, V V D S t R L 22, 62 ff.; Dagtoglou, Wesen und Grenzen, S. 9 f.; Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 66 ff. 2 Lerche, Werbung, S. 84: Presse- und Meinungsfreiheit seien unlösbar m i t einander verwoben.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 169

vollständig aber muß erscheinen ein überkonsequentes Verfolgen dieses Ansatzes, das dazu führt, die Pressefreiheit als einen Unterfall der Meinungsfreiheit zu verstehen 3 . Soweit jedoch i n dieser Auffassung zum Ausdruck kommen soll, daß abgesehen vom Personenkreis und abgesehen vom Äußerungsmittel die Meinungsäußerungsfreiheit inhaltlich voll in der Pressefreiheit aufgeht, muß dem zugestimmt werden. Ein Umschreiben der Meinungsäußerungsfreiheit als eines „Kernrechts der Pressefreiheit" 4 vermag diesen Sachverhalt treffend wiederzugeben. Meist w i r d die derart i n der Pressefreiheit aufgehende Meinungsäußerungsfreiheit als materielle Pressefreiheit bezeichnet 5 , die wiederum als die Meinungsfreiheit der Presse, als das Grundrecht der freien publizistischen Meinungsäußerung wiedergegeben w i r d 6 . Aus allem folgt, daß dem einzelnen Presseorgan wie dem einzelnen Journalisten zumindest das gleiche Recht wie jedem einzelnen Staatsbürger zusteht, seine Meinung frei zu äußern, was in Konsequenz der bisher zur Meinungsäußerungsfreiheit geleisteten Untersuchungen zur Annahme eines generellen Äußerungsrechts führt. 2. Die Besonderheit des Rechts der Pressefreiheit gegenüber der Meinungsäußerungsfreiheit kommt i m M i t t e l der Äußerung zum Ausdruck 7 . Der Bereich der Presse w i r d danach entsprechend der geschichtlichen Entwicklung durch das Verfahren des Druckes oder ähnlich entwickelter Vervielfältigungsmethoden bestimmt, die Gedankeninhalte durch optische Eindrücke vermitteln 8 . W i r d so definiert i n Anlehnung an das Druck- und Vervielfältigungsverfahren, so muß die Pressefreiheit alle Druckererzeugnisse, insbesondere auch das Buch, umfassen 9 , obwohl i m 3 Als Unterfall der allgemeinen Meinungsäußerungsfreiheit betrachtet die Pressefreiheit Schnur, V V D S t R L 22, 101. Gegen eine solche Auffassung sprechen sich aus: Scheuner, V V D S t R L 22, 65; Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 12; Geiger i n : F u n k t i o n der Presse i m demokratischen Rechtsstaat, S. 14 f.; Huber i n Schüle-Huber, S. 113; Obermayer B a y V B l 65, 397, 398; Schwenk, N J W 62, 1321; BVerfGE 10, 118, 121; i m allgemeinen w i r d dabei als Begründung auf die institutionelle Sicherung u n d Eigenständigkeit der Presse i n A r t . 5 Abs. 1 S. 2 GG verwiesen; wie zweifelhaft diese Begründung ist, w i r d sich noch zeigen. Die Auseinandersetzung ist i m übrigen fruchtlos. 4 So Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 305. 5 Obermayer, a.a.O.; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 22; Löffler, Presserecht, Rdnr. 20 zu § 1 RPG; Mallmann, Publizistik 1959, S. 323, 328. 6 Mallmann, a.a.O. 7 Scheuner, V V D S t R L 22, 65 f. 8 I n Anlehnung an § 2 RPG Scheuner, V V D S t R L 22, 66; vgl. auch Lerche i n Ev. Staatslexikon. 9 Scheuner, V V D S t R L 22, 67; Mallmann, V V D S t R L 22, 181 (Diskussionsbeitrag); ders., J Z 64,141,144; Brinkmann-Hackenbroich, A n m . I 2 b zu A r t . 5 GG; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 107; Forsthoff, DÖV 63, 633, 634 f.; Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 31; Lerche i n Ev. Staatslexikon. A . A . , d . h . Schutz der Pressefreiheit nur für periodische Druckwerke befürwortend, Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 58 u n d S. 62; Obermayer, B a y V B l 65, 397, 398; kritisch speziell zu Schneiders Auffassung Arndt, N J W 63, 193, 194, und Mallmann, JZ 64,141, 143.

170

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

herkömmlichen Sprachgebrauch unter Presse nur die periodisch erscheinenden Druckwerke verstanden werden 1 0 . Daß das Übergehen des herkömmlichen Sprachgebrauchs nicht am Grundrechtsinhalt der Pressefreiheit vorbeizielt, bestätigt ein erneuter Blick auf den durch die Kommunikationsgrundrechte und somit auch durch die Pressefreiheit gewährleisteten, wie für die Pressefreiheit ebenfalls bedeutsamen freiheitlichen Kommunikationsprozeß. Denn dieser allumfassende Vorgang verlangt allseitigen Einsatz, für den er umfassenden Schutz gewährt. 3. Eigentlich könnte nun die Untersuchung der Pressefreiheit i m Zusammenhang des Themas enden, das das Spannungsfeld zwischen Äußerungs- und Unternehmensschutz betrifft. Denn aus der Verbindung der beiden zuvor erörterten Punkte folgt, daß i n Druckwerken jeder A r t all die Äußerungen enthalten sein können, die durch die Meinungsäußerungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, die hier als generelle Äußerungsfreiheit aufgedeckt wurde, grundrechtlich geschützt sind. Insbesondere schützt danach die Pressefreiheit auch unpolitische, geschäftliche, werbende, unterhaltende, unsachliche und objektiv unwahre Äußerungen sowie Tatsachenmitteilungen jeder A r t . Diese Feststellungen werden aber vom Boden einer in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG hineingelegten institutionellen Garantie und vom Boden einer der Presse zuerkannten und auferlegten öffentlichen Aufgabe angezweifelt, so daß es einer Überprüfung der bisher gewonnenen Ergebnisse anhand dieser beiden Gesichtspunkte bedarf. C. Die Pressefreiheit als Einrichtungsgarantie

I. D a s

Begriffsdilemma

1. Schon die Überschrift „Pressefreiheit als Einrichtungsgarantie" kann Angriffen, die auf einer strikten Begriffsfestlegung basieren, nicht standhalten. Das soll sie auch nicht, da sie i n Anbetracht der herrschenden Begriffsverwirrung nur ermöglicht, die Richtung zu weisen, i n die die folgenden Erörterungen gehen. Die Richtungsgabe allein reicht jedoch nicht aus, um sogleich mit der sachlichen Untersuchung beginnen zu können. Denn es bedarf zuvor einer Schilderung des Begriffsdilemmas 11 , das allein die Schwierigkeiten illustrieren kann, die bei dem Versuch entstehen, die Lösung des sachlichen Problems i n dogmatisch sichere verfassungsrechtliche Positionen einzupassen, und das Vorsicht gebietend 10

Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 58; Scheuner, V V D S t R L 22, 67. 11 Schon oben bei der Erörterung des objektivrechtlichen Gehalts der K o m munikationsgrundrechte, S. 99 Note 2, wurde auf die terminologische V e r w i r r u n g verwiesen.

1. Kap.: Die Meinungsäußerungs-und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 171

verlangt, nicht vorschnell bei unüberlegten Begriffsverwendungen einzuhaken, um ein an sich sachlich begründetes Ergebnis anzuzweifeln. Das BVerfG legt der i n Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit eine „objektivrechtliche Seite" bei, die das „Institut,freie Presse' " garantiere 12 . A n anderer Stelle nennt es die „institutionelle Eigenständigkeit" 1 3 , die „institutionelle Freiheit" 1 4 und die „institutionelle Sicherung der Presse" 15 . Löffler 1 6 deduziert, daß materielle und formelle Pressefreiheit sowie die Informationsfreiheit m i t einer „Verfassungsgarantie" versehen seien; die Pressefreiheit müsse deshalb als „Institution", als „öffentliche Rechtsinstitution" gewertet werden. Franz Schneider versteht die Pressefreiheit als „Instituts"- und „Einrichtungsgarantie" 1 7 , Peter Schneider 18 als „institutionelle Garantie", Lerche 19 als „institutionelle (oder quasi-institutionelle) Garantie", während Groß und Dagtoglou von einer institutionellen, Instituts- oder Institutionsgarantie der Presse ausgehen 20 . Scheuner 21 deutet die Pressefreiheit als „institutionelle Gewährleistung", Mallmann 2 2 spricht von „institutioneller Pressefreiheit" und K l e i n 2 3 von der „Garantie eines gesellschaftlichen Sachverhalts i n Verbindung mit einer Rechtseinrichtung". Ridder schließlich läßt die Presse an einer besonderen „institutionellen Verdichtung" partizipieren 24 . Es ist nun nicht so, daß hinter jeder begrifflichen Differenzierung sachliche Unterschiede stehen. Andererseits lassen sich sachliche Gegensätze in den Auffassungen der genannten Autoren gelegentlich nicht leugnen. Daraus w i r d deutlich, daß eine Untersuchung des sachlichen Gehalts 12

BVerfGE 20,162,175 — Spiegel-Teilurteil —. BVerfGE 12, 205, 260 — Fernsehstreit — u n d BVerfGE 10, 118, 121 — Beschluß zur V e r w i r k u n g der Pressefreiheit. 14 BVerfGE 12, 205, 261 — Fernsehstreit —. 15 BVerfGE 10, 118, 121 — Beschluß zur V e r w i r k u n g der Pressefreiheit —; ebenso Geiger i n : F u n k t i o n der Presse i m demokratischen Rechtsstaat, S. 14 f. 16 Löffler, Presserecht, Rdnr. 84 f. zu § 1 RPG. 17 Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 135; von der Pressefreiheit als Einrichtungsgarantie spricht auch Scholler, Person und Öffentlichkeit, S.288. 18 Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 64, der an gleicher Stelle aber nur die Berücksichtigung des institutionellen Aspekts der Pressefreiheit befürwortet. Lerche, Rechtsprobleme, S. 30 f. ·ί α Groß, DVB1 66, 562, 563; Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 10 ff. und S. 16. 21 Scheuner, V V D S t R L 22, 62, während er S. 69 auf die Notwendigkeit einer institutionellen Deutung hinweist. 22 Mallmann, JZ 64,141,144. 23 I n v. Mangoldt-Klein, A n m . V I 1 zu A r t . 5 GG, der aber auch auf die objektiv-institutionellen Elemente der Pressefreiheit verweist. 24 Ridder, Die öffentliche Aufgabe, S. 15 f.; früher, i n : Die Grundrechte I I , S. 257, sprach Ridder von der institutionellen öffentlichen Meinungsfreiheit, der er die Presse unterstellte. 13

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

grundsätzlich nicht oder nur m i t allergrößter Vorsicht bei der verwendeten Terminologie ansetzen darf. 2. Das w i r d noch klarer, wenn man die am häufigsten verwendeten Begriffe der Einrichtungs-, Instituts- und institutionellen Garantie m i t ihrem angeblichen Gehalt in bezug auf die Presse oder die Pressefreiheit dem herkömmlicherweise diesen Begriffen gegebenen Inhalt gegenüberstellt. Denn die herkömmliche Lehre ordnete unter dem Oberbegriff der Einrichtungsgarantie die Instituts- und die institutionelle Garantie ein, wobei sie die Institutsgarantie als die Verbürgung privatrechtlicher (etwa Art. 6 GG) und die institutionelle Garantie als Verbürgung öffentlichrechtlicher Einrichtungen (Art. 33 Abs. 5 und Art. 28 Abs. 2 GG) deutete 2 5 . Der Versuch, die Pressefreiheit als derart gekennzeichnete und durch Beispiele beschriebene privatrechtliche oder öffentlichrechtliche Einrichtung zu begreifen, scheitert sofort. Aber auch einem Verständnis der Presse als privatrechtlicher oder öffentlichrechtlicher Einrichtung stehen Hindernisse entgegen. Denn abgesehen von der Zweifelhaftigkeit einer Garantie der Presse 26 würde weder eine Qualifizierung der Presse als rein privatrechtliche noch als rein öffentlichrechtliche Einrichtung ihrer Stellung i n Staat und Gesellschaft gerecht. So wundert es nicht, wenn die zuvor genannten Stimmen ihre Interpretationsversuche ebensowenig mit der herkömmlichen Terminologie wie m i t dem Inhalt der herkömmlichen Begriffe abstimmen. 3. Eine Rettungsmöglichkeit aus der allgemeinen Verwirrung deutet jedoch der Hinweis auf die objektivrechtliche Seite 27 , die institutionellen Aspekte 28 , die objektiv-institutionellen Elemente 29 und die notwendig institutionelle Deutung der Pressefreiheit 30 an. Denn damit eröffnet sich eine Brücke zum hier bisher vertretenen objektivrechtlichen oder institutionellen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte. Ob die Erörterungen zur institutionellen oder Institutsgarantie der Pressefreiheit freilich tatsächlich i n diese Richtung gehen, w i r d erst die Untersuchung zeigen, die dem Ziel und dem Grund der Versuche nachspürt, die i n die Pressefreiheit eine Einrichtungsgarantie oder etwas ähnliches hineinlegen. 25 Vgl. Abel, S. 40 ff.; Hall/Peter, JuS 67, 355, 358 Note 35; Schnur, V V D S t R L 22,119; Dürig i n Maunz-Dürig, A n m . 97 zu A r t . 1 Abs. 3 GG. 26 Eine Garantie der Presse lehnen ab Lerche, Übermaß, S. 241 f. Note 336; ders., Rechtsprobleme, S. 31; ders. i n Ev. Staatslexikon; Schnur, V V D S t R L 22, 117. 27 BVerfGE 20,162,175 — Spiegel-Teilurteil —. 28 Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 64. 20 Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . V I 1 zu A r t . 5 GG. 30 Scheuner, V V D S t R L 22, 69. Daß Scheuners Untersuchung insgesamt i n diese Richtung weist, w i r d überall und insbesondere auf S. 91 deutlich.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 173

II. D a s Z i e l d e r A n e r k e n n u n g e i n e r E i η r i c h t u η g s g a r a η t ie 1. Einerseits steht hinter der Anerkennung einer institutionellen oder Institutsgarantie i m Rahmen der Pressefreiheit der Gedanke, der Presse oder den i m Pressewesen tätigen Personen eine „bevorzugte Stellung" 3 1 oder ein „Privileg" einzuräumen 32 . Die Presse soll „aus dem allgemeinen Maß der Verteilung von Recht und Pflicht" herausgenommen werden, um die Rechte anderer oder die Gemeinschaftsinteressen nötigenfalls zurücktreten lassen zu können 3 3 . 2. Andererseits liegt i m Bestreben, die Presse oder die Pressefreiheit mit einer institutionellen oder Institutsgarantie zu „schützen", der Versuch, die Presse mit einer erhöhten „Inpflichtnahme" zu belasten oder einer „Verstaatlichung" zuzuführen 34 . Darin offenbart sich kein Widerspruch zum ersten Punkt. Denn es fällt nicht schwer, an ein Privileg erhöhte Pflichten zu koppeln 3 5 oder die Privilegiengewährung an besondere Voraussetzungen zu knüpfen, um ζ. B. Geschäfts-, Unterhaltungsund Sensationspresse aus dem grundrechtlichen Feld der Pressefreiheit auszugliedern 36 . 3. Die Fragwürdigkeit der Privilegiengewährung und der Inpflichtnahme der Presse durch die Annahme einer Einrichtungsgarantie offenbart die Stellung der Presse i m freiheitlichen Kommunikationsprozeß 37 . Denn es wurde zwar eine Schlüsselstellung der Presse, nicht aber ihre Qualifizierung als Organ oder Instrument der öffentlichen Meinungsbildung bejaht. Und es war nicht die Schlüsselstellung der Presse i m Vergleich zur Stellung anderer Kommunikationsträger derart herausgehoben worden, daß eine Privilegiengewährung und Inpflichtnahme gerechtfertigt wären. 31

BVerfGE 20,162,176 — Spiegel-Teilurteil —. Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 13, sieht i n der Institutsgarantie „ein (freilich bedingtes) Privileg". Kritisch zur Privilegiengewährung Hall/Peter, JuS 67, 355, 358, u n d Rehbinder, DVB1 66, 559, 560 f. 33 Diesen Zusammenhang skizziert treffend Schnur, V V D S t R L 22,119. 34 Hall/Peter, JuS 67, 355, 358, u n d Groß, DVB1 66, 562, 563, setzen sich m i t der daraus entstehenden Gefahr f ü r die Pressefreiheit auseinander. Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 13 f., w a r n t davor, daß der Weg v o m Recht über die I n s t i t u t i o n zur Pflicht führen könne. Ridder, Die öffentliche Aufgabe, S. 18 ff., und Mallmann, JZ 64, 141, beschäftigen sich m i t dem Einwand, daß auf diese Weise die A x t an die Wurzel der Pressefreiheit gelegt werden könne. 35 F ü r die Pressefreiheit w i r d dann auf die Zweck- u n d Aufgabenbezogenheit der Verfassungsgarantie verwiesen; vgl. Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 11,13 und 16; BVerfGE 20,162,176 — Spiegel-Teilurteil —. 36 Meist setzen diese Versuche bei der angeblich der Presse obliegenden öffentlichen Aufgabe an, vgl. unten S. 178 f f u n d S. 180 f. Schon hieran w i r d die noch zu zeigende, etwas undurchsichtige Verquickung von Verfassungsgarantie und öffentlicher Aufgabe der Presse deutlich. 37 Vgl. S. 116 f. 32

174

3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrech t

III. D e r G r u n d d e r A n e r k e n n u n g einer Einrichtungsgarantie 1. Als Grund für die Anerkennung einer Einrichtungsgarantie i m Rahmen der Pressefreiheit w i r d häufig die der Presse obliegende öffentliche Aufgabe genannt 38 . Die besondere Aufgabe der Presse, ihre öffentliche Funktion sollen das Motiv einer Institutionalisierung der Pressefreiheit sein. Die Fragwürdigkeit dieser Begründung erhellt i m folgenden die Untersuchung der angeblich öffentlichen Aufgabe der Presse. Deren Ergebnis kann vorerst dahingestellt bleiben, da alle Versuche um die öffentliche Aufgabe der Presse auf der Beteiligung der Presse am öffentlichen Meinungsbildungsprozeß basieren und dieser Gesichtspunkt bereits als selbständiger Grund für die Annahme einer Einrichtungsgarantie i m Rahmen der Pressefreiheit genannt wird. 2. I n der Rechtsprechung des BVerfG, dessen Meinung teilweise vom Schrifttum übernommen oder als Anregung zu einer fortentwickelten Stellungnahme benützt wird, offenbart sich die Stellung der Presse i m Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung als der tragende Grund für eine institutionelle Sicht der Pressefreiheit 39 . So geht das BVerfG i m Beschluß zur Verwirkung der Pressefreiheit von der institutionellen Sicherung der Presse „als eines der Träger und Verbreiter der öffentlichen Meinung" i m Interesse einer freien Demokratie aus 40 . I m Urteil zum Fernsehstreit spricht es aus, „daß für den Rundfunk als einem neben der Presse stehenden, mindestens gleich bedeutsamen, unentbehrlichen modernen Massenkommunikationsmittel und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung die institutionelle Freiheit nicht weniger wichtig ist als für die Presse" 41 . Und i m Spiegel-Teilurteil betont das BVerfG, daß sich in der Presse „die öffentliche Meinung" artikuliere, was i n Verbindung mit der öffentlichen Aufgabe der Presse zur entsprechenden Rechtsstellung in der Verfassung führe 4 2 . Daß das BVerfG mit dieser Begründung nicht allein steht, zeigt Ridder 4 3 , der die Presse als „Faktor und .. . Medium der Meinungsbildung", 38 Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 113 ff. und S. 135; Groß, DVB1 66, 562 f.; Mallmann, Publizistik 1959, S. 323, 329. Hall/Peter, JuS 67, 355, 359 f., werten es n u r als folgerichtig, w e n n das B V e r f G (E 20, 162, 174 ff. — Spiegel-Teilurteil —) die öffentliche Aufgabe der Presse i m Zusammenhang m i t der Instituts- oder institutionellen Garantie sehe; Scheuner, V V D S t R L 22, 75, sieht den rechtlichen Gehalt der öffentlichen Aufgabe i n einer Verstärkung der institutionellen Gewährleistung. 39 Vgl. die kritische Stellungnahme von Hall/Peter, JuS 67, 355, 358, zu BVerfGE 20, 162, 174 ff. — Spiegel-Teilurteil —, die ebenso für die übrige Rspr. des BVerfG zu diesem Problem gelten kann. 40 BVerfGE 10,118,121. 41 BVerfGE 12, 205, 260 f. 42 BVerfGE 20,162,174 f. 48 Ridder, Die öffentliche Aufgabe, S. 15 f.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 175

als das „unentbehrliche Rückgrat des ganzen Meinungsprozesses" an einer „besonderen institutionellen Verdichtung" partizieren läßt. Und das zeigt Scheuner 44 , der die institutionelle Sicht der Pressefreiheit „von der grundlegenden Rolle der Presse i m öffentlichen Meinungskampf" ausgehen läßt. IV. D e r Gehalt

objektivrechtliche der P r e s s e f r e i h e i t

1. Die zuletzt genannten Auffassungen von Ridder und Scheuner und nicht zuletzt auch die Darlegungen des BVerfG erlauben den verbindenden Brückenschlag zum bisher hier vertretenen objektivrechtlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte und damit auch der Pressefreiheit, nachdem das in andere Richtungen gehende interpretatorische Bemühen nicht überzeugt. Denn einmal rücken diese Ansichten von den irreführenden Begriffen wie Einrichtungsgarantie, Institutsgarantie und institutionelle Garantie ab, verweisen statt dessen auf ein institutionelles oder objektivrechtliches Verständnis der Pressefreiheit, und zum zweiten schälen sie als Grund für eine solche Auffassung die Stellung der Presse i m öffentlichen Meinungsprozeß heraus. Daß wir, wenn w i r diese Stellungnahmen herausgreifen und mit dem bisher vertretenen objektivrechtlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte abzustimmen versuchen, nicht allein stehen, beweisen weitere Stimmen des Schrifttums. Denn Peter Schneider sieht als Teilinhalt des institutionellen Aspekts der Pressefreiheit eine spezielle Sicherung „des objektiven Verfahrens der Meinungsbildung", „des transindividuellen umgreifenden Meinungsbildungsprozesses" 45 . Und Lenz versteht als eigentlichen Inhalt des institutionellen Gefüges der Presse- und Rundfunkfreiheit nicht die publizistischen „Institutionen" selbst, sondern „den 44 45

Scheuner, V V D S t R L 22, 71.

Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 76 ff., der auf S. 78 f. zutreffend feststellt, daß das BVerfG m i t der Formel von der institutionellen Eigenständigkeit der Presse das Verfahren der offenen und öffentlichen Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Meinungsträgern meint. Angesichts dieser Erkenntnis verwundert es, daß Peter Schneider als zweiten Teilinhalt des institutionellen Gefüges der Pressefreiheit den Schutz des Presseunternehmens durch eine institutionelle Garantie begreift (a.a.O., S. 64 ff.), indem er ausdrücklich eine Parallele zum Recht am Gewerbeunternehmen zieht. Diese Bevorzugung des Presseunternehmens gegenüber anderen Meinungsträgern leuchtet nicht ein. Die Gewährleistung des Kommunikationsprozesses gibt dafür keine Anhaltspunkte. Denn n u r der freie Zugang zu einem Verfahren, nicht aber die Uberlebensmöglichkeit einzelner Beteiligter soll geschützt werden. Dafür sind andere grundrechtliche Bereiche zuständig, die als sachnähere Regelungen wie die A r t . 12 Abs. 1 u n d A r t . 14 GG für das Recht am Unternehmen auch sachgerechtere Ergebnisse liefern.

176

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Prozeß der öffentlichen Meinungskommunikation", auf den sie m i t bildend einwirken 4 6 . 2. Nur das Bemühen um das Institutionelle der Pressefreiheit ist also von einem sinnvollen Grund getragen, das versucht, der Stellung der Presse i m Kommunikationsprozeß gerecht zu werden. Da die vorliegende Arbeit dem objektivrechtlichen oder institutionellen Gehalt des A r t . 5 Abs. 1 GG, dem freiheitlich gewährleisteten Kommunikationsprozeß, schon eine eingehende Untersuchung gewidmet hat, bedarf es nun nur noch einer Abstimmung m i t der der Presse i n A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG gewährten Freiheit. W i r hatten gesehen, daß der Presse nicht mehr und nicht weniger als eine Schlüsselstellung i m Kommunikationsvorgang zukommt. Und es war bisher — allerdings ohne Berücksichtigung des objektiv rechtlichen Aspekts der Pressefreiheit — dargelegt worden, daß den einzelnen Presseorganen und den i m Pressewesen tätigen Personen das gleiche Äußerungsrecht zusteht wie jedem Staatsbürger. Die verbindende Sicht dieser beiden Punkte zeigt als erstes, daß der Presse weiterh i n der generelle Äußerungsschutz gewährt werden muß 4 7 . Denn der objektivrechtliche Gehalt der Kommunikationsgrundrechte und und damit auch der Pressefreiheit erlaubt es nicht, die Schlüsselstellung der Presse i m Kommunikationsvorgang durch Beschränkungen des Äußerungsschutzes zu beschneiden. Ansonsten würde der institutionelle Gehalt der Pressefreiheit verkannt und damit als Folge der Wechselwirkung zwischen subjektivrechtlichem und objektivrechtlichem Gehalt der subjektive Inhalt der Pressefreiheit vermindert. Zum zweiten zeigt die verbindende Sicht, daß der Presse trotz der Schlüsselstellung i m Kommunikationsvorgang nicht mehr an Äußerungsschutz als dem ein48 Lenz, J Z 63, 338, 344ff. I n diesem Zusammenhang sind noch zu nennen: Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 345, der den Begriff der institutionellen Pressefreiheit nicht überbewerten u n d an seiner Stelle von „Instrumentalisierungsschutz" sprechen w i l l ; Schnur, V V D S t R L 22, 109 Note 16 u n d 117 f. Note 40, der eine institutionelle Garantie i m Rahmen der Pressefreiheit ablehnt, sich aber nicht i n einen Gegensatz zur institutionellen Betrachtungsweise setzen w i l l und die „freie K o m m u n i k a t i o n " als durch A r t . 5 Abs. 1 GG gewährleistet ansieht; Bachof, V V D S t R L 22, 184 (Diskussionsbeitrag), der den Ausdruck „ i n s t i tutionelle Garantie" bei der Pressefreiheit vermeiden u n d statt dessen von „objektivrechtlichen Verbürgungen einer bestimmten Ordnung" sprechen w i l l (diese Ordnung kann nur der freiheitliche Kommunikationsprozeß sein!). 47 Auch Stimmen, die nicht so eindeutig auf den institutionellen Gehalt der Pressefreiheit abstellen, sondern mehr zur Annahme einer Einrichtungsgarantie oder etwas ähnlichem neigen, befürworten einen vergleichsweise umfassenden Schutz. Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 12; BVerfGE 10, 118, 121; 20, 162, 176, u n d Geiger i n : F u n k t i o n der Presse i m demokratischen Rechtsstaat, S. 14 f.: Gewährleistet sei alles, was m i t der Presse zusammenhänge: Nachrichten, Meinungen u n d Anzeigen. D a r i n w i r d deutlich, daß die Annahme einer institutionellen Garantie i m Rahmen der Pressefreiheit nicht unbedingt zu einer erhöhten Inpflichtnahme der Presse verleiten muß.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 177

zelnen Staatsbürger zustehen kann. Denn mehr als ein Schutz der Meinungsäußerung und Tatsachenmitteilung ist i m Rahmen des durch A r t . 5 Abs. 1 GG gewährten Äußerungsrechtes nicht denkbar 4 8 , jedenfalls dann nicht, wenn dieser Schutz so umfassend gedeutet w i r d wie hier. Daß die i m institutionellen Gehalt der Pressefreiheit zum Ausdruck kommende Schlüsselstellung der Presse dennoch i n anderen Bereichen als dem des Äußerungsrechts „honoriert" werden kann, zweifelt dieses Ergebnis nicht an. I m Rahmen des verfassungsrechtlich, weil grundrechtlich geregelten Äußerungsrechts der Presse ist eine „vorziehende" Interpretation, die, wie gesehen, auf kürzestem Wege i n eine „benachteiligende" umschlagen kann, jedoch ausgeschlossen. Auf eine — freilich unechte — Ausnahme muß noch verwiesen werden. Der Gesetzgeber der allgemeinen Gesetze kann wie immer bei den Kommunikationsgrundrechten mittelbar regelnd die eine oder andere Äußerung bevorzugen wie benachteiligen und bei der Bevorzugung naturgemäß auch die Stellung des Kommunikationsträgers i m Kommunikationsprozeß berücksichtigen. D. Die öffentliche Aufgabe der Presse

I. D i e

öffentliche

Aufgabe

— ein

Sachproblem

Während beim Institutionellen der Pressefreiheit die Begriffsverwirrung sofort zum Sachproblem führte, besteht bei der angeblich öffentlichen Aufgabe der Presse die Gefahr, daß der Grundrechtsinterpret der Versuchung erliegt, den sachlichen Gehalt aus dem Begriff der öffentlichen Aufgabe selbst abzuleiten. Ein solches Vorgehen verkennt, daß die öffentliche Aufgabe zu begründen ist, bevor ihre Interpretation beginnen darf. Denn die öffentliche Aufgabe der Presse ist zumindest verfassungsrechtlich nicht ausdrücklich normiert 4 9 . 48 N u r der Schutz der Presseanzeige bleibt offen, den w i r jedoch der formellen u n d nicht wie die S. 176 Note 47 Genannten — ebenso Scheuner, V V D S t R L 22, 16 Note 44 und S. 68 — der institutionellen Pressefreiheit zuweisen möchten; ebenso Löffler, Presserecht, Rdnr. 22 zu § 1 RPG, u n d Lerche, Rechtsprobleme, S. 30. Denn i m hier dargelegten institutionellen Gehalt hat das Anzeigenwesen keinen geeigneten Platz. Aber auch i n der materiellen Pressefreiheit ist kein Raum, da die Anzeige nicht immer mühelos als kommunikationsfähige M e i nungsäußerung oder Tatsachenmitteilung qualifiziert werden kann. Hier offenbart sich zugleich: Die formelle Pressefreiheit drohte i n der Vergangenheit durch eine überbetonte institutionelle Pressefreiheit aufgesogen zu werden. Sie kann n u n bei einem korrigierten Verständnis des Institutionellen der Pressefreiheit wieder einen eigenen Platz beanspruchen; vgl. dazu die Bemerkung Mallmanns, JZ 64,141,144. 49 Das Schriftleitergesetz v o m 4. Okt. 1933 brachte die Anerkennung der Tätigkeit des Hauptschriftleiters als ,öffentliche Aufgabe'. Heute kehrt die öffentliche Aufgabe i n einzelnen Landespressegesetzen wieder; vgl. dazu die Angaben bei Scheuner, V V D S t R L 22, 74 Note 222.

12

Koller

178

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

So kann es nicht weiterführen, dem A t t r i b u t des Öffentlichen sogleich größere Untersuchungen zu widmen 5 0 . Denn die Hoffnung, auf diese Weise sachlich voranzukommen, trügt. Es hilft aber ebensowenig weiter, die öffentliche Aufgabe der Presse als „Material für Festredner" 5 1 abzuqualifizieren oder sie als „reines Wichtigkeitsattribut" 5 2 zu apostrophieren, da der Presse die gleiche staatsbürgerliche Aufgabe obliege wie jedem anderen 53 . A l l e i n Erfolg verspricht eine Untersuchung, die dem Grund, dem Zweck und den Folgen der Annahme einer der Presse obliegenden öffentlichen Aufgabe nachspürt.

der

II. D e r Z w e c k u n d d i e F o l g e n Annahme einer öffentlichen Aufgabe

1. Die öffentliche Aufgabe der Presse w i r d bemüht, um das Institutionelle der Pressefreiheit in dieser oder jener Form zu begründen 54 . Diese Versuche basieren auf der besonderen Stellung, die die Presse i m Zusammenhang der öffentlichen Meinungsbildung einnimmt. Daß dieser Ausgangspunkt i n beschränktem Umfang der Wirklichkeit entspricht, war zuzugestehen. Dennoch konnte die der Presse i m Kommunikationsprozeß zuzusprechende Schlüsselstellung nicht zur Annahme einer institutionellen oder Institutsgarantie der Pressefreiheit oder gar der Presse führen. Dieses abschlägige Ergebnis betreffend das Institutionelle der Pressefreiheit läßt zugleich das für den entgegengesetzten Standpunkt herangezogene Argument der öffentlichen Aufgabe der Presse i n einem zweifelhaften Licht erscheinen. Denn der angeblich innere Zusammenhang zwischen öffentlicher Aufgabe und Einrichtungsgarantie erweist sich als brüchig. 2. Weiterhin dient die öffentliche Aufgabe der Presse ausdrücklich oder der Sache nach als immanente Gewährleistungsschranke der Pressefreiheit 5 5 . Denn, so w i r d dem Sinne nach gefolgert, die öffentliche Aufgabe sei der Presse um ihrer Stellung i m demokratischen Staatsleben willen auferlegt. Diese Stellung sei nur soweit hervorhebenswert, als sich die Presse mit politischen oder m i t Angelegenheiten von öffentlichem Interesse befasse, so daß der Schutz der um der öffentlichen Aufgabe willen gewährleisteten Pressefreiheit nicht weiter reichen dürfe als die 50 So aber Coing, S. 13 ff.; Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 23 ff.; dazu Mallmann, J Z 64, 141, 142 f.; ders., J Z 66, 625, 629; Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 89 ff. 51 Rehbinder, DVB166, 559, 560 f. 52 Diese Bezeichnung prägt Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 338. 38 Rehbinder, öffentliche Aufgabe, S. 125 f.; ders., N J W 63,1387,1388. 54 Vgl. S. 174. 55 Kritisch zu diesem Vorgehen Groß, N J W 63, 893, 894; Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 341 ff.; Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 27 ff.

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 179

Aufgabe 56 . Folgerichtig werden Unterhaltungs-, Geschäfts-, Sensationspresse und die Werbung aus dem grundrechtlichen Feld der Pressefreiheit herausgenommen, da sie nicht der öffentlichen Aufgabe dienen 57 . Obwohl die derart begründete öffentliche Aufgabe nur glaubhaft erscheint, wenn sie auf die politische Presse beschränkt w i r d 5 8 , t r i t t doch eine empfindliche und wenig überzeugende Verkürzung der Pressefreiheit ein, die sich i n einen auffälligen Gegensatz zum bisher hier vertretenen generellen Äußerungsschutz auch i m Rahmen der Pressefreiheit setzt. Dem mit dem Einwand zu begegnen, daß Meinungsbildung ebenfalls durch Hörspiele, musikalische Darbietung und Übertragung kabarettistischer Programme erfolgen könne 5 9 , ist zwar zutreffend, aber wenig sinnvoll, da die öffentliche Aufgabe als faszinierendes, aber irreführendes Argument unüberprüft bleibt. Allzu leicht könnte mit dem Einwand pariert werden, daß dann eben nur meinungsbildende Unterhaltung am Grundrechtsschutz teilnehme, das übrige, noch immer weite Feld der Unterhaltung, des Geschäfts, der Sensation und der Werbung aber ungeschützt bleibe 6 0 . Das aber darf nur geschehen, wenn die dazu berufene öffentliche Aufgabe keinen Zweifeln mehr unterliegt. Zustimmende Stellungnahmen zur öffentlichen Aufgabe der Presse gefährden die Pressefreiheit jedoch nicht nur, wenn grundsätzlich folgerichtig der Schutz der Presse auf die politische Presse beschränkt wird, sondern auch dann, wenn man zwar die öffentliche Aufgabe bejaht, aus ihr aber nicht so einschneidende Folgerungen zieht, die den grundrechtlichen Schutzbereich der Pressefreiheit antasten 61 . Denn es droht unter 58 So etwa Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 126 und S. 141; ders. etwas vorsichter, Historische Voraussetzungen des A r t . 5 GG, S. 36 f.; Mallmann, Publizistik 1959, S. 329, der später, JZ 64, 141, 142 f., u n d J Z 66, 625, 629, von dieser Auffassung abrückt; Coing, S. 19 f., für das „private Recht" der Presse; Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . V I 3 zu A r t . 5 GG. 57 So i m Ergebnis für die Geschäfts-, Vergnügungs- u n d Unterhaltungspresse Franz Schneider, Presse- und Meinungsfreiheit, S. 136 ff.; ders., Historische Voraussetzungen des A r t . 5 GG, S. 37; Klein, a.a.O.; Coing, S. 20, einschließlich der Werbung, allerdings n u r für das „private Recht" der Presse; Hesse, S. 151, ohne Begründung; Schule i n Schüle-Huber, S. 23, auch für die Werbung; ders., V V D S t R L 22, 166f. (Diskussionsbeitrag); Dürig i n : S u m m u m ius„ summa iniuria, S. 95: „Nuditätenmagazine, Modezeitschriften, Fußballzeitungen u n d ähnliche Presseerzeugnisse nehmen an der Weihe (!) der Pressefreiheit nicht t e i l " ; BGHSt 18,182 — Sittenrichter —. 58 Darauf verweist Forsthoff, Der Staat, Bd. 5, S. 10 f., der aber gegen die öffentliche Aufgabe Stellung bezieht. 59 So BVerfGE 12, 205, 260 — Fernsehstreit — ; zustimmend m i t weiteren Beispielen Ηaacke-Visbeck, S. 73 f. 60 I n diese Richtung zielen die Ausführungen von Koebel, Ufita Bd. 38, S. 2 f. 81 Die öffentliche Aufgabe bejahen i n unterschiedlicher Form, ohne daraus einen beschränkten Grundrechtsschutz zu folgern: Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 89 ff.; Groß, N J W 63, 893, 894; Erdsiek i n : Nipperdey-Festschrift, S. 263; Hall/Peter, JuS 67, 355, 359; Groß, DVB1 66, 562, 563; Scheuner, V V D S t R L 22, 68 f. und 74 ff. F ü r einen umfassenden Grundrechtsschutz i m Rahmen der

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

der Geltung der öffentlichen Aufgabe immer die Gefahr, daß die Freiheit der Presse um dieser Aufgabe willen sterilisiert w i r d 6 2 . Nicht ohne Grund w i r d die „Bindung der Pressefreiheit an die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben" als „Tendenz zur Einschränkung der Meinungsfreiheit" gewertet 6 3 . Und schließlich droht der Mißbrauch der öffentlichen Aufgabe dafür, „die andere, die freche Presse an das Messer des ,argumentum e contrario' zu liefern" 6 4 . Deshalb geht es nicht an, Sinn und Berechtigung der Annahme einer öffentlichen Aufgabe der Presse m i t dem Hinweis darauf dahingestellt sein zu lassen, daß man der Einschränkung des grundrechtlichen Bereichs der Pressefreiheit widerstrebe. Das w i r d noch deutlicher, wenn nun die Darstellung einer weiteren, i n der öffentlichen Aufgabe gründenden Tendenz folgt, die Pressefreiheit zu beschränken. 3. Denn man begnügt sich nicht nur damit, Unterhaltung, Sensation, Geschäft und Werbung um der öffentlichen Aufgabe w i l l e n aus dem Schutz der Pressefreiheit auszugliedern. Es w i r d die öffentliche Aufgabe vielmehr weiterhin bemüht, u m der Presse einen Pflichtenkatalog aufzubürden, der von der angeblich der Presse obliegenden Wahrheitspflicht ausgeht und diese zu einer Prüfungs-, Sorgfalts-, Sachlichkeits- und Vollständigkeitspflicht auffächert 65 . Diese Ableitung erscheint jedoch aus verschiedenerlei Gesichtspunkten äußerst fraglich. Denn erst einmal widerspricht diese Auffassung dem bisher hier vertretenen generellen Äußerungsschutz auch der Presse. Zum zweiten setzt sich dieser Standpunkt i n Widerspruch zur hier vertretenen Auffassung, daß qualitative Merkmale der Tatsachen- und Meinungsäußerung nicht aus dem Grundrecht, sondern höchstens aus den allgemeinen Gesetzen gewonnen werden können 6 6 . Drittens steht die Pressefreiheit ohne Erwähnung der öffentlichen Aufgabe sprechen sich aus Brinkmann-Hackenbroich, A n m . I 2 b zu A r t . 5 GG, und Lerche i n Ev. Staatslexikon. 62 Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 88. 63 Haacke-Visbeck, S. 77 f. 64 Küster, S. 25; dem Sinne nach verweisen ebenso auf diese Gefahr Thiele, S. 15; Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 343; Forsthoff, Der Staat Bd. 5, S. 10 f. ; Scheuner, V V D S t R L 22, 69 Note 202. 65 Löffler, N J W 65, 942; BVerfG, JZ 61, 535, 537; zustimmend zum BVerfG Scholz, M A 65, 376, 382; O L G Stuttgart, N J W 64, 48; Franz Schneider, Presseund Meinungsfreiheit, S. 103: Die Demokratie — i n diesem Zusammenhang sieht Franz Schneider auf S. 126 die öffentliche Aufgabe — verlange nach einer aufrichtigen u n d wahrhaftigen Presse. Wesentlich vorsichtiger bringt Ma Ilmann, JZ 66, 625 ff., die öffentliche Aufgabe m i t den Pressepflichten i n V e r bindung. Ablehnend gegenüber einer Sicht der öffentlichen Aufgabe als eines „Pflichtenfüllhorns" Hall/Peter, JuS 67, 355, 358; Scheuner, V V D S t R L 22, 75 f.; Haacke-Visbeck, S. 80. 68 Wie hier Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 27 f.; dagegen Mallmann,

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 181

Presse unter dem Gesetz der Aktualität, so daß eine Inpflichtnahme der Presse zu einer Beeinträchtigung ihres Tätigkeitsbereiches und der W i r k samkeit ihres Beitrages zum Kommunikationsvorgang führen muß 6 7 . Viertens könnte die Annahme einer öffentlichen Aufgabe der Presse ebenso zu einer Privilegiengewährung wie zu einer Inpflichtnahme führen. Und nicht zuletzt muß eine Inpflichtnahme der Presse als Folge der Annahme einer öffentlichen Aufgabe solange fraglich bleiben, als nicht sachliche Gründe zur Annahme der öffentlichen Aufgabe berechtigen. 4. Schließlich spielte die Anerkennung der öffentlichen Aufgabe der Presse eine Rolle i n Hinblick auf die Rechtfertigung des § 193 StGB durch Wahrnehmung berechtigter Interessen der Allgemeinheit 6 8 . Dieses inzwischen gelöste Einzelproblem kann jedoch nicht für sich allein die Notwendigkeit einer generell zu erfüllenden öffentlichen Aufgabe begründen.

einer

III. D e r G r u n d d e r A n n a h m e ö f f e n t l i c h e n A u f g a b e der Presse

Stehen bisher Zweck und Folgen der Annahme einer öffentlichen Aufgabe i n einem recht zweifelhaften und wenig aufschlußreichen Licht, so verschafft es größere und zugleich endgültige Klarheit, wenn man den Grund für die Anerkennung der öffentlichen Aufgabe aufsucht. Coing 6 9 geht aus von der Tätigkeit der Presse als „Organ der politischen Willensbildung", als „Institut der öffentlichen Meinungsfreiheit" und als „Organ öffentlicher K r i t i k " , die den „öffentlichen Aufgabenbereich der Presse" bestimme. Schüle 70 bejaht die öffentliche Aufgabe wegen der „Mitgestaltung der staatlichen Ordnung" durch die Presse, und Groß 7 1 sieht die öffentliche Aufgabe i m Zusammenhang m i t dem „Auftrag" der Presse, „bei der Bildung der öffentlichen Meinung mitzuwirken". Gleitet so der Blick vom Normativen der öffentlichen Aufgabe zur tatsächlichen Wahrnehmung dieser Aufgabe, so beachtet das Faktische erst richtig, wer die öffentliche Aufgabe nicht mehr als Aufgabe, JZ 66, 625, 630, der seinem Ansatz auf S. 632 r. Sp. aber nicht treu bleibt, wenn er auf die Ehrenschutzbestimmungen verweist, die das Erfordernis der W a h r haftigkeit von Meinungsäußerungen normieren könnten. 67 Diese Zusammenhänge würdigen zutreffend Helle, Schutz der persönlichen Ehre u n d des wirtschaftlichen Rufes, S. 115; Seidel, S. 80; Küster, S. 27; Erdsiek i n Nipperdey-Festschrift, S. 270; RGZ 148,154; 164, 41. 68 Vgl. dazu Mallmann, JZ 66, 625, 626 f., 628; Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 25 f.; Scheuner, V V D S t R L 22, 75; Schnur, V V D S t R L 22, 108 Note 15; Franz Schneider, Historische Voraussetzungen des A r t . 5 GG, S. 37; Helle, Schutz der persönlichen Ehre und des wirtschaftlichen Rufes, S. 19 ff. 69 S. 15 und S. 19 f. 70 I n Schüle-Huber, S. 26. 71 DVB1 66, 562, 563.

182

3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

sondern als Funktion der Presse 72 i m Rahmen der öffentlichen Meinungsbildung 7 3 oder der Sinnkommunikation 7 4 begreift. IV. D i e ö f f e n t l i c h e A u f g a b e a l s u n z u t r e f f e n d e U m s c h r e i b u n g der F u n k t i o n der Presse im Kommunikationsprozeß Der Grund der Anerkennung einer öffentlichen Aufgabe der Presse deckt sich also i m wesentlichen mit dem, der zahlreiche Autoren zur Bejahung des Institutionellen der Pressefreiheit i n dieser oder jener Form geführt hat. Stellung und Funktion der Presse i m Meinungsbildungsprozeß sollen gebührend berücksichtigt werden. Da w i r bereits den Meinungsbildungsprozeß entsprechend dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte des A r t . 5 Abs. 1 GG als Kommunikationsprozeß und die Stellung der Presse darin als eine Schlüsselstellung gedeutet haben, muß die angeblich öffentliche Aufgabe nun vor dieser Schlüsselstellung bestehen. Dieser Überprüfung hält die öffentliche Aufgabe nicht stand 75 . Denn trotz der erhöhten Bedeutung der Presse als Kommunikationsträger i m Vergleich zu den Kommunikationsmöglichkeiten des einzelnen Staatsbürgers kann die Presse nicht mehr an Äußerungsrecht beanspruchen als der einzelne. Eine „Honorierung" der Stellung der Presse i m Kommunikationsprozeß scheidet aus, da schon das Äußerungsrecht des einzelnen so umfassend wie möglich ausgestaltet ist. Zum anderen ist eine Beschränkung des Äußerungsrechts durch eine Ausgliederung gewisser Themenkreise aus dem Grundrechtsschutz und durch eine erhöhte Inpflichtnahme der Presse um einer womöglich i n der Schlüsselstellung der Presse i m Kommunikationsprozeß zum Ausdruck kommenden öffentlichen Aufgabe willen eben wegen dieser Schlüsselstellung unmöglich. Denn die thematische Begrenzung des Grundrechtsschutzes und die Inpflichtnahme mindern die Schlüssestellung der Presse, ja drücken die Presse i m Vergleich zu anderen Kommunikationsträgern in eine tatsächlich untergeordnete Position herab. 72

Thiele, S. 15. Mallmann, J Z 66, 625, 629. Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 345 ff. u n d S. 349 ff. N u r teilweise i n die Richtung Schollers und Mallmanns geht das Verständnis der öffentlichen Aufgabe durch Peter Schneider, Pressefreiheit, S. 94 ff.; denn Peter Schneider beschreibt die öffentliche Aufgabe unter drei Aspekten: a) indem sie Öffentlichkeit i. S. von Allgemeinzugänglichkeit schaffe, setze sie den „transindividuellen K o m m u n i k a t i o n s - u n d Meinungsbildungsprozeß" i n Gang; b) die Presse w i r k e als „Bildungsinstrument"; c) die Presse ermögliche die „Konstituierung eines politischen Forums". 75 Die öffentliche Aufgabe lehnen ab und demgemäß treten f ü r einen u m fassenden Grundrechtsschutz ein: Ηaacke-Visbeck, S. 78 ff.; Schnur, V V D S t R L 22, 113 ff.; Dagtoglou, Wesen u n d Grenzen, S. 23 ff.; Küster, S. 24 f.; Rehbinder, Öffentliche Aufgabe, S. 125 f.; dersfl. DVB1 66, 559, 560 f.; Thiele, S. 15; Scholler, Person u n d Öfentlichkeit, S. 336 ff., insbes. S. 345 ff. 73

74

1. Kap. : Die Meinungsäußerungs- u n d Pressefreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG 183

Erweisen sich so die aus der öffentlichen Aufgabe gezogenen Folgerungen als unhaltbar, so kann dies nicht ohne Rückwirkung auf die öffentliche Aufgabe der Presse selbst bleiben. Das bestätigt die Stellung der Presse i m Kommunikationsprozeß. Denn die erhöhte Bedeutung als Kommunikationsträger läßt die Aufgabe i m Vergleich zu anderen Kommunikationsträgern unverändert. Da Kommunikation auch sonst nicht eine öffentliche Aufgabe ist, kann sie es ebensowenig für die Presse sein. Der Presse steht deshalb weiterhin wie zuvor verfassungsrechtlich ein generelles Äußerungsrecht zu, das jedoch noch durch den grundrechtsprägenden Charakter der allgemeinen Gesetze des Art. 5 Abs. 2 GG für den Einzelfall andere Formen annehmen kann. E. Die Geltung der Pressefreiheit für Personenvereinigungen und juristische Personen des Privatrechts Daß das Grundrecht der Pressefreiheit seinem Wesen nach (Art. 19 Abs. 3 GG) für juristische Personen des Privatrechts 76 und ebenso für nichtrechtsfähige Vereinigungen 7 7 gilt, unterliegt i m Gegensatz zur Meinungsäußerungsfreiheit keinen Zweifeln.

78 Reisnecker, S. 90; Dürig i n Maunz-Dürig, A n m . 53 zu A r t . 19 Abs. 3 GG; Hoff mann, JuS 67, 393; Hall/Peter, JuS 67, 355; BVerfG, D Ö V 67, 384; Löffler, Presserecht, Rdnr. 86 zu § 1 RPG. 77 Reisnecker, S. 88; BVerfGE 20, 162, 171 — Spiegel-Teilurteil — für eine K G ; zustimmend Hall/Peter, JuS 67, 355.

Zweites Kapitel

Art. 5 Abs. 1 GG und das einfache Gesetzesrecht Überblick: Schon bisher hat der Blick auf die grundrechtsaufbauende und zuordnende Funktion der allgemeinen Gesetze des A r t . 5 Abs. 2 GG gelehrt, daß die Deutung des verfassungsrechtlichen Inhalts der Meinungsäußerungsfreiheit und Pressefreiheit den durch das Spannungsfeld zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Unternehmensschutz gestellten Anforderungen nicht genügen kann. Wenn die Untersuchung diesen A n satz weiter verfolgt und sich nun folgerichtig den allgemeinen Gesetzen und den diesen Gesetzen unterfallenden zivilrechtlichen, unternehmensschützenden Normen zuwendet, so ist doch damit das vielfältige Verhältnis der Meinungsäußerungsfreiheit zu den allgemeinen Gesetzen und insbesondere den unternehmensschützenden Normen noch nicht genügend erfaßt. Denn zu den grundrechtsprägenden Kräften der allgemeinen Gesetze treten allgemein und speziell bei der Spannungslage zwischen Meinungsäußerungsfreiheit und Unterenhmensschutz noch weitere das Verhältnis Grundrecht — einfaches Gesetzesrecht kennzeichnende W i r kungen hinzu, die das eingangs geschilderte B i l d relativieren 1 . Eine allgemein das Verhältnis Grundrecht — einfaches Gesetzesrecht bestimmende K r a f t ist die Erscheinung der „Gesetzmäßigkeit der Verfassung", die sich daraus erklärt, daß die Verfassung vielfach ein „Konzentrat" der unterverfassungsrechtlichen Rechtsordnung darstellt 2 . Diese Erscheinung spielt jedoch für die Meinungsäußerungsfreiheit keine bedeutende Rolle 3 , so daß sie als der grundrechtsaufbauenden Wirkung parallel gehende und sich m i t dieser teilweise berührende K r a f t vernachlässigt werden kann. 1 Einen Einblick i n das vielfältige Verhältnis der Grundrechte zum einfachen Gesetzesrecht und umgekehrt geben Scheuner, V V D S t R L 22, 59 f., und Lerche, Werbung, S. 33; ders., ZZP 78,11 f. 2 Zur „Gesetzmäßigkeit der Verfassung" vgl. Scheuner, V V D S t R L 22, 35 Note 99; Schnur, V V D S t R L 22, 131 f.; Friedrich Müller, S. 215; Häberle, S. 167 ff.; Burmeister, S. 26 Note 91; Raiser, GG u n d Privatrechtsordnung, S. Β 19; Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. A I I 4 e (S. 68); v. Pestalozza, Der Staat Bd. I I , S. 440 f.; Leisner, DÖV 61, 641, 648; ders., JZ 64, 201 ff.; ders., Recht u n d Staat, Heft 286/287. 3 Vgl. die Bemerkung Leisners zur Meinungs- u n d Pressefreiheit i n diesem Zusammenhang, J Z 64, 201, 204.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

185

Weiterhin bestimmt allgemein das Verhältnis Grundrecht — einfaches Gesetzesrecht die Konrtollfunktion der Grundrechte 4 , die bisher beim Verhältnis der Meinungsäußerungsfreiheit zum allgemeinen Gesetz darin zum Ausdruck kam, daß der Grundrechtsaufbau der allgemeinen Gesetze nur leitbildgerecht sein durfte, mit der Folge, daß die dem Grundrechtsleitbild widersprechende Ausgestaltung als nicht verfassungsgemäß zu werten war. Diese nicht nur bei der Grundrechtsausgestaltung bestehende Kontrollfunktion der Grundrechte entfaltet eine Wirkung, die den bisher gekennzeichneten Kräften entgegensteht. Schließlich gilt es die nur i m Verhältnis zum Zivilrecht und damit auch bei den hier einschlägigen unternehmensschützenden Normen wirksam werdende, der Kontrollwirkung parallel gehende, privatrechtsgestaltende K r a f t der Grundrechte zu berücksichtigen, gleich i n welcher Form sie zu bejahen ist 5 . Es stehen sich also i m Verhältnis der Meinungsäußerungsfreiheit zum unternehmensschützenden zivilrechtlichen Gesetzesrecht unter Außerachtlassung der Erscheinung der „Gesetzesmäßigkeit der Verfassung" folgende Wirkungen gegenüber: Einerseits die i n der grundrechtsaufbauenden und zuordnenden Funktion der allgemeinen Gesetze und andererseits die i n der kontrollierenden und privatrechtsgestaltenden Funktion der Grundrechte zum Ausdruck kommenden Kräfte. Diese drei Wirkungen gilt es u m der systematischen Klarheit willen zu trennen. Aber nicht nur der systematischen Klarheit dient die Trennung. Denn ihre Berechtigung folgt zusätzlich daraus, daß sich die gegensätzlichen Kräfte entgegen der ersten Vermutung nicht aufheben und daß sich die gleichlaufenden Wirkungen nicht verstärken. Vielmehr hat jede einzelne Erscheinung ihre eigene Bedeutung. Schwierigkeiten bereiten i n diesem Zusammenhang nur die für den Unternehmensschutz so bedeutsamen zivilrechtlichen Generalklauseln. Denn bei ihrer Anwendung muß der Richter die sonst vom Gesetzgeber wahrgenommene Aufgabe erfüllen, alle drei Erscheinungsformen des Verhältnisses des Grundrechts zum Zivilrecht und umgekehrt zur W i r kung zu bringen und zu beachten. Daß dabei leicht Gesichtspunkte der einen Kategorie i n die andere gleiten oder alle drei Erscheinungsformen generalisierend oder zusammenfassend gewürdigt und dabei Möglichkeiten des Mißverständnisses gesetzt werden, verwundert nicht. U m so sorgfältiger und unterscheidungsbewußter zu argumentieren, hat sich diese Arbeit als Ziel gesetzt.

4 5

Vgl. dazu S. 228 ff. und S. 235 f. Vgl. dazu S. 212 ff.

186

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

1. Abschnitt: Die allgemeinen Gesetze des Art. 5 Abs. 2 GG A. Das Allgemeine des allgemeinen Gesetzes

I. A l l g e m e i n

abgelehnte

Deutungen

1. Das Allgemeine der i n Art. 5 Abs. 2 GG genannten Gesetze läßt sich nicht identifizieren m i t dem Allgemeinen der i n Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG genannten Gesetze6. Das folgt vor allem daraus, daß A r t . 5 Abs. 2 GG nicht „Einschränkungs"- oder „Eingriffs"-befugnisse i n bezug auf die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG normiert 7 . Deshalb kann Gegensatz des Allgemeinen in Art. 5 Abs. 2 GG nicht das Individuelle sein 8 . Zugleich entfällt damit eine frühere, unabhängig von A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG gefundene Deutung des Allgemeinen i m Sinne einer personellen Allgemeinheit aller Deutschen 9 , der meist unter Hinweis auf die besonderen Gewaltverhältnisse nicht gefolgt wurde 1 0 . 2. Ebensowenig kann der Versuch überzeugen, jegliche Bedeutung des Zusatzes »allgemein' zu leugnen und demgemäß das allgemeine Gesetz als Gesetz schlechthin zu begreifen 11 . Diese Ansicht basiert auf der A u f fassung der Weimarer Zeit, daß die Bezeichnung ,allgemein' auf einem Redaktionsversehen des Verfassungsgebers beruht habe 12 . Dem ist entgegenzuhalten, daß die Väter des Grundgesetzes diese Auffassung kannten und die die Kommunikationsgrundrechte berührenden allgemeinen Gesetze mit dem Willen i n das Grundgesetz übernommen haben müssen, dem allgeminen Gesetz einen anderen Inhalt als dem Gesetz schlecht6 Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . I I I 2 a zu A r t . 19 GG; Bettermann, JZ 64, 601, 603; Arndt, J Z 65, 337, 340; Lerche, Werbung, S. 99. 7 Vgl. S. 135 ff.; diese Auffassung bestätigen v o m Standpunkt des hier zu lösenden Problems aus Bettermann, a.a.O., u n d Arndt, a.a.O. Schon hieraus folgt, daß das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 S. 2 GG nicht für allgemeine Gesetze gelten kann; ebenso Bettermann, JZ 64, 601, 603 Note 28, u n d Arndt, JZ 65, 337, 340 m i t Note 33; vgl. auch S. 201 Note 76. θ Bettermann, J Z 64, 601, 603: Gegensatz der Generalität der Gesetze des A r t . 19 Abs. 1 S. 1 GG sei ihre Individualität, Gegenbegriff des Allgemeinen i n A r t . 5 Abs. 2 GG sei das Spezielle; a. A. Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 25 f., der die Allgemeinheit als Gegensatz zur I n d i v i d u a l i t ä t und zur Spezialität deutet. fi So Vervier, AöR, n. F. 6, S. 4 und S. 6; a. A. Smend, V V D S t R L 4, 51; Hellwig in: Grundrechte und Grundpflichten der RV, S. 20 f.; Häntzschel i n Hdb. d. dt. StR I I , S. 658; Noltenius, S. 39 f.; E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 31; Böttcher, S. 91 f. 10 Smend, V V D S t R L 4, 51; Hellwig i n : Grundrechte u n d Grundpflichten der RV, S. 20 f.; Häntzschel i n Hdb. d. dt. StR I I , S. 658; Böttcher, S. 91 f. 11 Schnur, V V D S t R L 22,121 m i t Nachweisen i n Note 48. 12 Nachweise für diese Auffassung bei Hellwig, a.a.O., S. 20; vgl. auch Häntzschel, a.a.O.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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hin zu geben 13 . Das bestätigt ein Blick auf die formelle Logik, nach der der Umfang des Begriffs der allgemeinen Gesetze enger sein muß als der des Gesetzes14. II. F o r m a l e

Deutungen

Die formalen Deutungen des allgemeinen Gesetzes des A r t . 5 Abs. 2 GG betrachtet man i n aller Regel als i n einer Front stehend. Entsprechend bezeichnet man sie einheitlich als Sondergesetzlehre, die i n die allgemeinen Gesetze des Art. 5 Abs. 2 GG ein Verbot des Erlasses von Spezialgesetzen hineinlegt. Damit aber ist diese Lehre nicht ausreichend gekennzeichnet. Denn die weitere Frage muß lauten, in bezug worauf es sich um Spezialgesetze handeln soll. Daß diese Frage nicht unberechtigt ist, zeigen die unterschiedlichen Antworten, nach denen ein allgemeines Gesetz nicht ein Gesetz sein dürfe, das eine bestimmte Meinung oder eine Meinung allein wegen ihrer geistigen Wirkung verbiete; andere sehen als Spezialgesetz das Gesetz an, das sich speziell mit den Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG oder mit deren Rechtsgut befasse 15. Zugleich w i r d darin deutlich, daß eine Untersuchung sich nicht allgemein m i t der Sondergesetzlehre auseinandersetzen darf, sondern daß sie gemäß den unterschiedlichen Bezugspunkten des Speziellen und des Generellen differenzieren muß. 1. Einen ersten Bezugspunkt der Sondergesetzlehre gibt Häntzschels Auffassung wieder. Ausgehend davon, daß die Freiheit der Meinungsäußerung sich i n der Möglichkeit erschöpfe, geistig zu wirken, und daß das Geistige nicht u m seiner rein geistigen Wirkung w i l l e n unterdrückt werden dürfe 1 0 , t r i f f t Häntzschel folgende Unterscheidung: Es hat „die Freiheit der Meinungsäußerung vor allen Rechtsgütern solange den Vorrang . . . , als der Angriff auf sie lediglich mit dem ideellen M i t t e l sachlicher Überzeugung geschieht", und es hat „umgekehrt jedes Rechtsgut seinerseits vor der Freiheit der Meinungsäußerung den Vorrang . . . , sobald die Meinungsäußerung sich nicht auf ideelle Wirkungen be13

Darauf verweisen Nipperdey, DVB1 58, 445, 448, und Reisnecker, S. 145. So Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 388, unter Hinweis auf den Grundsatz der Reziprozität von Begriffsmerkmalen u n d Begriffsumfang. 15 Die Deutung des allgemeinen Gesetzes i m Sinne einer formalen Allgemeinheit leidet i n der Regel darunter, daß sie die möglichen Bezugspunkte des form a l Allgemeinen nicht genügend auseinanderhält; etwa Nipperdey, DVB1 58, 445, 448: alle Spezialgesetze gegen die Meinungsäußerung seien unzulässig; Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . I X 3 a zu A r t . 5 GG, nennt als Bezugspunkte eine Meinung als solche, die Meinungsfreiheit, das Rechtsgut des A r t . 5 Abs. 1 GG u n d die rein geistige W i r k u n g der Meinung; Löffler, Presserecht, Rdnr. 36 f. zu § 1 RPG, eine bestimmte Meinung und die Meinungsäußerungsfreiheit; vgl. noch Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 108, u n d Hesse, S. 152. Differenzierender geht vor Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 26. 16 Häntzschel i n Hdb. d. dt. StR. I I , S. 659. 14

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

schränkt, sondern gleichzeitig auch materiell Rechtsgüter verletzt oder unmittelbar gefährdet" 1 7 . Als Folge wertet Häntzschel nicht als allgemeines Gesetz, sondern als Sonderrecht gegen die Meinungsfreiheit solche Rechtssätze, „die eine an sich erlaubte Handlung allein wegen ihrer geistigen Zielrichtung und der dadurch hervorgerufenen schädlichen geistigen Wirkung verbieten oder beschränken" 18 . Hier w i r d offenbar, daß Häntzschel die oben bereits behandelte 19 und beim Problem der Meinungsdurchsetzung zu lokalisierende Unterscheidung zwischen der ideellen und materiellen Wirkung einer Meinungsäußerung vor allem i n Hinblick auf die allgemeinen Gesetze getroffen hat. Dennoch kann die ablehnende Stellungsnahme zu dieser Form der Sondergesetzlehre auf die oben gegebene Begründung verweisen, die betonte, daß eine Äußerung mit normaler Kommunikationswirkung auf den Adressaten grundsätzlich nur geistig wirke. 2. Parallel zu Häntzschels Auslegungsversuch gehen die Bemühungen Rothenbüchers und anderer auf seinen Ausführungen basierender Stellungnahmen 2 0 . Danach sind durch den Begriff der allgemeinen Gesetze solche Normen ausgeschlossen, die eine Meinung als solche, die eine bestimmte Meinung verbieten oder beschränken. Rothenbücher selbst sagt, daß seine Anschauung der von Häntzschel vertretenen am nächsten stehe. Das t r i f f t jedoch nur insoweit zu, als Rothenbücher der Meinung als solcher die mit ihr verbundene Willenshandlung gegenüberstellt 21 . Diese Auffassung muß sich die gleichen Einwände wie die Ansicht Häntzschels gefallen lassen. Soweit Rothenbücher aber auf eine bestimmte Meinung abstellt, gegen die sich allgemeine Gesetze nicht richten dürfen, ist einzuwenden, daß Eingriffe i n eine der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG überhaupt viel schwerer wiegen 2 2 und daß der Gesetzgeber durch mittelbare Regelungen eben doch 17

Häntzschel i n Hdb. d. dt. StR. I I , S. 660 f. Häntzschel, a.a.O., S. 659 f. H. zustimmend Hesse, S. 152; Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . I X 3 a zu A r t . 5 GG; Copie , JZ 63, 494, 495; Ridder i n : Die Grundrechte I I , S. 282; B A G , N J W 55, 506. Ablehnend Schnur, V V D S t R L 22, 124 f.; Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 387 f.; Böttcher, S. 91 ff.; ohne Differenzierung ablehnend zur Sondergesetzlehre Smend, V V D S t R L 4, 51; Noltenius, S. 139 f.; E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 33; Scheuner, V V D S t R L 22, 80 f. 19 Vgl. S. 164 f. 20 Rothenbücher, V V D S t R L 4, 20. R. stimmen zu: Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 108; Löffler, Presserecht, Rdnr. 36 zu § 1 RPG; Gerlach, S. 7; Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . I X 3 a zu A r t . 5 GG; Copie, JZ 63, 494, 495; Brinkmann-Hackenbroich, Anm. 4 b zu A r t . 5 GG. R.s Auffassung lehnen ab: Bettermann, JZ 64, 601, 603; Groß, DVB1 66, 562, 564, und Böttcher, S. 91 ff. 21 Vgl. S. 164 m i t Note 11. 22 Bettermann, JZ 64, 601, 603. 18

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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bestimmte Meinungen untersagen kann, wenn dies zum Schutze eines Rechtsgutes nötig ist 2 3 . 3. Eine dritte Auffassung begreift die Spezialität nicht vom Inhalt und von der Wirkung einer Meinungsäußerung, sondern von den i n A r t . 5 Abs. 1 GG enthaltenen Freiheiten her. Ihr parallel geht die Auffassung, die als Spezialgesetze jene Normen auffaßt, die sich gegen das Rechtsgut des A r t . 5 Abs. 1 GG, w i r müßten sagen, gegen dessen objektivrechtlichen Gehalt richten 2 4 . Als m i t Einschränkungen repräsentativ für diese dritte Auffassung muß Bettermanns Untersuchung zu den allgemeinen Gesetzen als Schranken der Pressefreiheit gelten 25 . Allgemeine Gesetze sind danach „solche Gesetze, die ein Verhalten des Bürgers ohne Rücksicht darauf behindern, beschränken oder verbieten, ob der Bürger ein Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG oder ein anderes Grundrecht, insbesondere ,nur' seine allgemeine Handlungsfreiheit' ausübt". „Nicht allgemein, sondern speziell i m Sinne des A r t . 5 Abs. 2 GG sind solche Gesetze, die sich speziell mit den Freiheiten des Abs. 1 befassen 26 ." Der Gleichheitsgrundsatz, der hinter den allgemeinen Gesetzen stecken soll, veranlaßt Bettermann zu dieser Deutung. Denn „die für alle verbindlichen Gesetze binden und begrenzen auch Presse, F i l m und Rundfunk; was jedermann recht ist, muß auch den Journalisten und Reportern, den Filmschaffenden, den Redakteuren und Managern des Funks und Fernsehens billig sein" 2 7 . Diese leicht polemischen und deshalb die Einseitigkeit verschleiernden Äußerungen offenbaren den ersten Begründungsmangel. Denn es geht nicht nur darum, daß die allgemeinen Gesetze Presse-, Film- und Rundfunkfreiheit begrenzen. Auch und gerade die Meinungsäußerungsfreiheit des einzelnen Staatsbürgers w i r d durch die allgemeinen Gesetze berührt 2 8 . Damit fällt die Begründung aus 23

Davon wurde bisher ausgegangen. Die weiteren Ausführungen zum Wesen des allgemeinen Gesetzes werden diese Behauptung untermauern. 24 Das Rechtsgut des A r t . 5 Abs. 1 GG nennen als Bezugspunkt des A l l g e meinen Lerche, Übermaß, S. 113; Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . I X 3 a zu A r t . 5 GG; Hesse, S. 152; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 108. 25 Bettermann, JZ 64, 601, 603. Jene Stimmen, die diesem Ansatz zustimmen, i h n aber m i t dem K r i t e r i u m der materialen Allgemeinheit verbinden, sollen hier noch nicht genannt werden. Die Meinungsäußerungsfreiheit als Bezugsp u n k t des Allgemeinen — allerdings neben anderen Bezugspunkten — nennen noch Häntzschel i n Hdb. d. dt. StR I I , S. 659; Klein, a.a.O.; Löffler, Presserecht, Rdnr. 37 zu § 1 RPG, u n d Hesse, S. 152. 26 Bettermann, a.a.O. 27 Bettermann, a.a.O., S. 603 f. Z u r Verwendung des Gleichheitsgrundsatzes bei der Deutung der allgemeinen Gesetze Kemper, S. 60, S. 65 ff. Dagegen Walter Schmidt, JZ 67, 151 ff., dessen Widerlegung aber nicht Bettermanns Argumentation m i t dem Gleichheitsgrundsatz t r i f f t , da Bettermann i h m eine andere Wendung gibt als Kemper; vgl. Schmidt, a.a.O., S. 153. 28 Aufschlußreich ist, daß Bettermann, JZ 64, 601, 603 f., bei der Begründung

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

dem Gleichheitssatz, der sich hinter dem allgemeinen Gesetz verbergen soll, i n sich zusammen. Sie läßt sich auch nicht i n der Form aufrechterhalten, daß die für alle verbindlichen Gesetze ebenso für den gelten müßten, dessen Äußerung nach A r t . 5 Abs. 1 GG Grundrechtsschutz beanspruchen könne. Denn die Äußerung einer Meinung oder Tatsache mit dem Ziel, Kommunikation i n Gang zu setzen, ist selbst ein ausreichender sachlicher Grund zu Differenzierungen gegenüber anderen menschlichen Verhaltensweisen. Aufgrund der Ablehnung der Geltung des Gleichheitsgrundsatzes i n diesem Zusammenhang ist Bettermann ebensowenig darin zu folgen, daß das allgemeine Gesetz allein eine Privilegierung der Grundrechtsträger des A r t . 5 Abs. 1 GG und ihrer Verhaltensweisen verbiete, dagegen Sonderregeln zu ihren Lasten zulasse 29 . Denn die Meinungsäußerungsfreiheit beschwört nicht nur die Gefahr der Privilegierung herauf 3 0 . Das lehrt ohne weiteres ein Blick auf die Praxis nur der Form nach demokratischer Staatsformen. Und das bestätigt die Konzeption des A r t . 5 Abs. 1 GG i n Verbindung mit dessen Abs. 2. Der Freiheit als Regel steht die Freiheitsbeschränkung und nicht die Privilegierung eines der Freiheitsträger des Art. 5 Abs. 1 GG als Ausnahme gegenüber. Nur die Freiheitsbeschränkung w i l l die Verfassung mit dem Verweis auf die allgemeinen Gesetze rechtsstaatlich ordnen. Obwohl der Gleichheitsgrundsatz aus Bettermanns Argumentation zum Wesen der allgemeinen Gesetze zu eliminieren ist, verbleibt doch ein zutreffender Ansatz, der es verdient, mit klärenden Zusätzen fortgeführt zu werden. Diesen Ansatz offenbart die schon genannte Feststellung, daß nicht allgemein solche Gesetze sind, „die sich speziell m i t den Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG befassen" 31 . Eine Variante dieser Auffassung sieht Bettermann in dem Abstellen darauf, „ob die gesetzliche Einschränkung oder der gesetzlich ermächtigte Eingriff auf die Freiheiten des Abs. 1 (oder eine von ihnen) gezielt, also speziell gegen sie gerichtet ist: dann Sondergesetz — oder ob sie i n anderer Richtung zielt und jene Spezialfreiheit(en) nur reflexweise, nur als Nebenwirkung trifft: dann allgemeines Gesetz" 32 . Diese beiden Umschreibungen vernur Presse, F i l m u n d Rundfunk anführt u n d erst beim Ergebnis die M e i nungsäußerungsfreiheit m i t dem Satz einführt: „Niemand kann aufgrund der Meinungs- und Mitteilungsfreiheit Privilegien beanspruchen." 20 So Bettermann, a.a.O., S. 604 und S. 609; wie hier Schmidt, a.a.O., S. 154; aus anderen Gründen lehnen Bettermanns Auffassung ab Böttcher, S. 104, und Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 386 f. 30 So aber Bettermann, JZ 64, 601, 609; diese These ist n u r dadurch zu erklären, daß Bettermann offenbar unausgesprochen eine Privilegierung von Presse, F i l m und F u n k bekämpft, vgl. dazu S. 189 Note 28. 31 Bettermann, a.a.O., S. 603. 32 Bettermann, a.a.O.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG und das einfache Gesetzesrecht

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deutlichen das erste K r i t e r i u m des allgemeinen Gesetzes, das K r i t e r i u m des formal Allgemeinen mit dessen zutreffendem Bezugspunkt, den Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG. Denn die Verfassung verweist m i t der Formel der allgemeinen Gesetze auf Normen, die sich nicht speziell mit dem Rechtsgebiet des durch diese Formel angesprochenen Grundrechts, hier also A r t . 5 Abs. 1 GG, befassen 33 . Unabhängig von Art. 5 Abs. 1 GG errichtete Normengebäude, deren gesetzgeberisches Ziel i n eine andere Richtung geht, werden zur Verfestigung des grundrechtlichen Bereichs des Art. 5 Abs. 1 GG herangezogen. Nur mittelbar und beiläufig die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG berührende Gesetze können allgemeine Gesetze sein. Der Gleichheitsgrundsatz vermag dieses Ergebnis nicht zu tragen, die Lösung folgt vielmehr aus einem vorsichtigen Abtasten der diesen Bereich beherrschenden Formtypik der Verfassung. Wenn Bettermann das Abstellen darauf, ob sich ein Gesetz speziell mit den Kommunikationsgrundrechten befaßt oder ob es diese nur reflexweise trifft, als subjektivierende Auffassung qualifiziert, der er deshalb nicht folgen möchte, weil es nicht auf die Vorstellung und Absicht des Gesetzgebers ankomme 34 , so läuft dies auf den natürlichen und zutreffenden Einwand hinaus, daß die formale Betrachtungsweise allein nicht genügen kann 3 5 . Zutreffend ist der Einwand jedoch nicht deshalb, weil der Gleichheitsgrundsatz die formale Deutung ergänzt und trägt, sondern weil die formale Deutung dadurch ergänzt und erst voll verständlich wird, daß der durch Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistete Kommunikationsprozeß anderen Lebensbereichen und damit anderen Rechtsgütern zugeordnet werden muß 3 6 . III. D i e D e u t u n g d e s a l l g e m e i n e n G e s e t z e s im Sinne einer materialen Allgemeinheit Die bei der formalen Betrachtung der allgemeinen Gesetze auftretenden Schwierigkeiten verleiteten schon früh dazu, dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze überhaupt keine formale Bedeutung beizumessen, ihn vielmehr nur i m Sinne einer materialen Allgemeinheit auszulegen. A n erster Stelle dieser Versuche steht die Auslegung, die Smend den 33 Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. X V 3 b (S. 132); Lerche, Übermaß, S. 112 f.; ders. i n : Die Grundrechte I V 1, S. 474 f.; Arndt, JZ 65, 337, 340; Obermayer, B a y V B l 65, 397, 400; Groß, DVB1 66, 562, 564; vgl. auch S. 135 ff. 34 Bettermann, JZ 64, 601, 603. 35 Die allein formallogische Auslegung der allgemeinen Gesetze beanstanden Smend, V V D S t R L 4, 51, und Schmidt, JZ 67, 151, 154. Bettermanns K r i t i k (a.a.O.) an der Betrachtung des allgemeinen Gesetzes als eines Reflexgesetzes m i t der Bemerkung, daß auch ein vorhergesehenes und beabsichtigtes Treffen der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG nicht die Anwendung der ersten Alternative des A r t . 5 Abs. 2 GG hindere und andererseits zwar allgemein formulierte, aber verdeckte Spezialgesetze unzulässig seien, t r i f f t den Kern. 38 Vgl. S. 135 f.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

allgemeinen Gesetzen gegeben hat 3 7 . Die „Allgemeinheit" der „allgemeinen Schranke der Grundrechtsausübung" sei selbstverständlich „die materiale Allgemeinheit der Aufklärung: die Werte der Gesellschaft, die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die konkurrierenden Rechte und Freiheiten der Anderen". Das sei auch die Allgemeinheit der die Kommunikationsgrundrechte berührenden Gesetze, so daß allgemeine Gesetze Normen seien, die deshalb der Meinungsfreiheit vorgingen, „ w e i l das von ihnen geschützte gesellschaftliche Gut wichtiger ist als die Meinungsfreiheit". Die Smendsche Auslegung des allgemeinen Gesetzes wurde wiederholt i n den unterschiedlichsten Formen aufgegriffen. So geht Scheuner von der Erforderlichkeit einer wertenden Einordnung der Pressefreiheit i n die allgemeine Rechtsordnung aus und sieht als allgemeine Gesetze die Gesetze an, die „ein der Meinungs- oder Pressefreiheit vorgeordnetes Rechtsgut" schützen 38 . Schnur sieht das entscheidende K r i t e r i u m darin, daß das allgemeine Gesetz „ein von der Verfassung anerkanntes Gemeinschaftsinteresse" schützen soll 3 9 . Diese Auslegung des allgemeinen Gesetzes überrascht nicht mehr, nachdem bisher schon die Notwendigkeit einer Zuordnung der Kommunikationsgrundrechte und des durch sie gewährleisteten Kommunikationsprozesses zu anderen verfassungsrechtlichen Gehalten oder einfachgesetzlichen Rechtsgütern nachgewiesen wurde 4 0 . I n Anbetracht der Notwendigkeit einer Zuordnung und i n Anbetracht dessen, daß die Verfassung für die Zuordnung keine „fertigen" Maßstäbe bereithält, kann der Smendschen These nicht mit dem Einwand begegnet werden, daß sie einen Zirkelschluß beinhalte und die beiden anderen i n A r t . 5 Abs. 2 GG enthaltenen Schranken zu Unterfällen der allgemeinen Gesetze herabwürdige 4 1 . Die K r i t i k an der Smendschen und den auf ihr basierenden Auffassungen kann vielmehr nur daran ansetzen, daß Smend und die i h m folgenden Autoren die Bedeutung formaler Kriterien i n einer rechtsstaatlichen Verfassung verkennen 4 2 . Das Ergebnis ist nicht falsch, wohl aber unvollständig, da es noch mit der spezifisch verfassungsrechtlichen Form des Vorbehalts der allgemeinen Gesetze i n A r t . 5 Abs. 2 GG abgestimmt 37 Smend, V V D S t R L 4, 51 ff.; zustimmend Kaufmann, V V D S t R L 4, 81 (Diskussionsbeitrag); Hellwig i n : Grundrechte u n d Grundpflichten der RV, S. 24; Schmidt, J Z 67,151,154. 38 Scheuner, V V D S t R L 22, 80 ff., 84, 89; ähnlich Noltenius, S. 139 f., u n d E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 34. 39 Schnur, V V D S t R L 22,125 f. 40 Vgl. S. 123 f. u n d S. 135 f. 41 Diese Einwände erheben Bettermann, J Z 64, 601, 602, u n d Groß, DVB1 66, 562, 564; dagegen Böttcher, S. 102 f., u n d Schmidt, J Z 67,151,154. 42 So wäre Böttchers, S. 96 f., K r i t i k an Smend zusammenzufassen.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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werden muß. Schließlich ist auch noch zu klären, ob den Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG Rechtsgüter schlechthin oder nur solche verfassungsrechtlichen Ranges vorgehen dürfen. Denn insoweit bleiben die Aussagen der zuvor genannten Autoren widersprüchlich. IV. D i e A u f f a s s u n g d e s Bundesverfassungsgerichts 1. Das BVerfG hat erstmals versucht bei der Auslegung der Formel der allgemeinen Gesetze formale und materiale Kriterien zu verbinden 4 3 . Das w i r d deutlich, wenn das BVerfG einerseits eine Güterabwägung zwischen dem gesetzlich geschützten und durch eine Meinungsäußerung beeinträchtigten Rechtsgut auf der einen Seite und der für eine freiheitliche Staatsordnung schlechthin konstituierenden Meinungsäußerungsfreiheit auf der anderen Seite verlangt und andererseits als allgemeine Gesetze alle Gesetze versteht, „die nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten". Insgesamt offenbart dies eine Bezugnahme einerseits auf Smend, andererseits auf Häntzschel und Rothenbücher. Diese i m L ü t h - U r t e i l begonnene Rechtsprechung des BVerfG hat viel K r i t i k erfahren müssen 44 . Der größte Teil der K r i t i k geht jedoch fehl, da die ablehnenden Stellungnahmen i n aller Regel übersehen, daß sich das BVerfG i m Lüth-Urteil nicht nur mit dem Wesen der allgemeinen Gesetze zu befassen hatte. Denn die außergewöhnliche Konstellation des zu entscheidenden Falles führte dazu, daß das BVerfG die ineinander allzu leicht verfließenden Fragenkreise der mittelbaren Drittwirkung, der Auslegung der Formel der allgemeinen Gesetze und der Anwendung der zivilrechtlichen Generalklausel des § 826 BGB lösen mußte. Eine Stellungnahme muß deshalb i m folgenden erst einmal die einzelnen sachlichen Probleme aufgliedern. Erst dann darf entsprechend differenzierte K r i t i k soweit erforderlich erfolgen. 2. I m Rahmen dieses Abschnitts interessiert vorrangig die Frage nach dem Wesen des allgemeinen Gesetzes. A n der Stellungnahme des BVerfG dazu fallen vorerst zwei kritisch zu würdigende Gesichtspunkte auf, sofern man sich noch nicht durch die „Wechselwirkung" zwischen Grundrecht und allgemeinem Gesetz und die zu einer Interessenabwägung ausgeweitete Güterabwägung irritieren läßt. 43

BVerfG, JZ 58,119,121 — L ü t h —. Vgl. zur m i t dem L ü t h - U r t e i l begonnenen Rspr. des B V e r f G i n dieser Frage Hoff mann, JuS 67, 393, 394 f.; Nipperdey, DVB1 58, 445, 446 ff.; Bettermann, JZ 64, 601 ff.; Böttcher, S. 97 ff.; vgl. des weiteren die zur „Wechselw i r k u n g " (S. 195 Note 48) u n d zur Güter- u n d Interessenabwägung (S. 197 Note 59) genannten Stimmen. 44

1

Koller

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Einmal verwertet das BVerfG für den formalen Ansatz seiner Auslegung der Formel der allgemeinen Gesetze die von Häntzschel und Rothenbücher gewonnenen Grundsätze. Dem kann die hier vertretene Auffassung nicht folgen, da sie die von Häntzschel und Rothenbücher befürwortete Trennung zwischen der ideellen und materiellen Wirkung einer Meinungsäußerung bzw. zwischen einer Meinung als solchen und einer Willenshandlung nicht nachvollzieht 45 . Dennoch verbleibt als positiv zu werten die erstmals vom BVerfG befürwortete Idee, eine Synthese zwischen den bis dahin vertretenen Definitionen des allgemeinen Gesetzes zu suchen. Zum zweiten bleibt dem BVerfG der Vorwurf nicht erspart, daß eine Synthese zwar versucht aber nicht gelungen ist. Das liegt erstens daran, daß das BVerfG die unverwertbaren Auffassungen Häntzschels und Rothenbüchers i n die Argumentation einführt. Es liegt aber auch daran, daß das BVerfG zwar die Notwendigkeit einer Zuordnung der Meinungsäußerungsfreiheit zu anderen Rechtsgütern erkennt, diese Erkenntnis aber nicht bei der Deutung des formal Allgemeinen der allgemeinen Gesetze berücksichtigt. Denn jede Auslegung des formalen Aspekts der allgemeinen Gesetze muß unvollständig bleiben, die nicht die wichtige zuordnende Funktion der allgemeinen Gesetze in die Überlegungen mit einbezieht und die die formellen Auslegungsergebnisse nicht mit dieser sachlichen Funktion abstimmt. 3. Nur bis zu diesem Punkt sind die Untersuchungen des BVerfG i m Lüth-Urteil allein den allgemeinen Gesetzen gewidmet. Es folgt jedoch sogleich die bereits skizzierte Verschränkung der Frage nach den allgemeinen Gesetzen mit den weiteren Problemen der D r i t t w i r k u n g und der Anwendung des § 826 BGB 4 6 . 45 Vgl. S. 164 f. u n d S. 187 f.; weniger kritisch zur Übernahme der Häntzschel/Rothenbücher'schen Formel durch das B V e r f G Böttcher, S. 101 f. I n t e r essant ist i n diesem Zusammenhang BVerfG, DÖV 67, 384: Diese Entscheidung hat erstmals ein Gesetz nicht als allgemeines Gesetz angesehen, w e i l es eine bestimmte Tätigkeit nur der Presse u n d nicht auch jedermann verboten hat. Auch dieser formale Ansatz überzeugt nicht ganz, w o m i t freilich nicht das Ergebnis der Entscheidung angezweifelt werden soll. Denn das formal Allgemeine läßt sich n u r unter Berücksichtigung der zuordnenden F u n k t i o n der allgemeinen Gesetze v o l l erfassen. Letztere w i r d zeigen, daß das formal Allgemeine nicht i n der Geltung für jedermann liegt. 48 Der daran geknüpfte Hinweis auf die Notwendigkeit einer differenzierenden Betrachtung gilt jedoch n u r f ü r das L ü t h - U r t e i l und andere Entscheidungen, die die Problemkreise der Meinungsäußerungsfreiheit, des allgemeinen Gesetzes, der D r i t t w i r k u n g und der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln i n einem behandeln. Nicht gilt er i n gleicher Weise für das V e r hältnis der Meinungsäußerungsfreiheit zur öffentlich-rechtlichen Norm, obw o h l die Probleme hier ähnliche Formen annehmen können u n d obwohl das B V e r f G dafür die i m L ü t h - U r t e i l entwickelte Rspr. übernommen hat; vgl. BVerfG, JZ 61, 535, 536 — Schmid-Spiegel —; BVerfGE 20, 162, 175 f. — Spiegel-Teilurteil —.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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a) Nachdem das BVerfG eine Auslegung des bürgerlichen Rechts i m Geiste der Verfassung befürwortet hat 4 7 , stellt es fest, daß die Problematik des Verhältnisses der Grundrechte zum Privatrecht i m Falle des Grundrechts der freien Meinungsäußerung nicht anders gelagert sei. Der erste Anschein spreche zwar dafür, daß die Schrankenwirkung die mittelbare D r i t t w i r k u n g aufhebe, doch werde diese Auffassung nicht der für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierenden Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit gerecht. Es müsse deshalb eine Wechselwirkung i n dem Sinn stattfinden, „daß die allgemeinen Gesetze zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts i m freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so i n ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen 48 . Harnischfeger hat treffend dargelegt, daß die vom BVerfG befürwortete Wechselwirkung dem Widerspruch zu verdanken ist, daß einerseits eine (mittelbare oder unmittelbare) D r i t t w i r k u n g der Grundrechte besteht, andererseits aber die einzelnen Grundrechtsvorbehalte grundsätzlich auch Zivilrecht als Schranken der Grundrechte i n sich aufnehmen 4 9 und folgerichtig die Grundrechte eigentlich keine Rolle für die Auslegung des Zivilrechts spielen dürften 5 0 . Darin w i r d deutlich, daß die angebliche Wechselwirkung zwischen Grundrecht und grundrechtsbeschränkendem Gesetz nicht i n den engeren Problemkreis des A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG, sondern der D r i t t w i r k u n g gehört 5 1 . b) Soweit das BVerfG eine Güter- und Interessenabwägung befürwortet, muß eine kritische Stellungnahme besondere Vorsicht walten lassen. Denn wenn das BVerfG zur Feststellung dessen, ob das durch ein allgemeines Gesetz geschützte und durch eine Meinungsäußerung beeinträchtigte Rechtsgut der Meinungsäußerungsfreiheit vorgeht, eine Güterabwägung vorschlägt 52 , so hat es zuvor aufgrund des Widerspruchs zwischen D r i t t w i r k u n g und Schrankenwirkung eine Wechselwirkung zwischen Grundrecht und allgemeinem Gesetz bejaht, die nun auf aller47

BVerfG, J Z 58,119,120 — L ü t h —. BVerfG, a.a.O., S. 121; vgl. dazu die ablehnende Stellungnahme von Schnur, V V D S t R L 22, 122 m i t Note 52, und Bettermann, JZ 64, 601, 602. 49 Daß auch das Zivilrecht allgemeines Gesetz sein kann, w i r d sogleich dargelegt; vgl. S. 208 ff. 50 Harnischfeger, S. 221. 51 Wo der allerdings lösbare Widerspruch zwischen D r i t t w i r k u n g und Schranken Wirkung häufig übersehen w i r d ; vgl. S. 222, 226 u n d 231. Gleichzeitig bestätigt sich hier die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abschichtung der zwischen dem Grundrecht und seinen Schranken w i r k e n d e n Kräfte, auf die bereits S. 184 ff. hingewiesen wurde. 52 BVerfG, JZ 58,119,121. 48

13*

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

dings nicht recht erklärliche Weise und zudem unausgesprochen in die Güterabwägung einfließt. Damit aber sind die verwickelten Darlegungen des BVerfG nicht erschöpft. Denn für die Anwendung der entscheidungserheblichen Z i v i l rechtsnorm, den § 826 BGB, schlägt das BVerfG eine Interessenabwägung vor 5 3 , die nun wiederum ohne klärenden Hinweis mit der zuvor für erforderlich gehaltenen Güterabwägung verschmolzen wird. Dadurch geschieht zweierlei: Die ursprünglich abstrakt gedachte Güterabwägung gewinnt äußerst konkrete Züge, und die Wechselwirkung zwischen Grundrecht und schrankenziehendem Gesetz w i r d über das Verbindungsglied der Güterabwägung i n die Interessenabwägung m i t hineingenommen. 4. I n Anbetracht dieser fast unlösbaren Verwicklungen kann dem BVerfG allerdings ein ernster, von den sachlichen Problemen weitgehend gelöster Vorwurf nicht erspart bleiben. Es hat die einzelnen Fragenkreise zu sehr verschmolzen, ohne sich u m eine systematisch und zugleich sachlich hilfreiche Differenzierung zu bemühen 54 . I m einzelnen ist bisher und teils auch vorgreifend eine auf folgende Weise differenzierte Stellungnahme abzugeben. a) Die Notwendigkeit einer Interessenwertung bei der Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln, insbesondere auch des § 826 BGB, w u r de bereits nachgewiesen 55 . Das gleiche gilt für das Offensein der zivilrechtlichen Interessenabwägung für verfassungsrechtliche Wertungen 5 6 und für die später darzulegende Ergänzung dieser Erscheinung durch die sog. D r i t t w i r k u n g der Grundrechte 57 . A n diesen Erkenntnissen ändert die spätere Behandlung der zivilrechtlichen Generalklausel als eines allgemeinen Gesetzes nichts. Denn wenn die Generalklausel i m einzelnen Anwendungsfall auf die Kriterien des allgemeinen Gesetzes überprüft wird, beeinflußt das nicht die A r t der Interessenwertung und der Drittwirkung. Umgekehrt berühren weder D r i t t w i r k u n g noch Interessenwertung die Kriterien des allgemeinen Gesetzes. Letztere müssen losgelöst vom Interpretationsproblem zivilrechtlicher Generalklauseln und von der Frage nach der D r i t t w i r k u n g der Grundrechte gefunden werden 5 8 . 53

BVerfG, a.a.O., S. 122. Böttcher, S. 108, w i r f t dem BVerfG eine Vernachlässigung der konstruktiven Seite vor. 55 Vgl. S. 58 ff., 64 ff. u n d 76 ff. 56 Vgl. S. 94 ff. 57 Vgl. S. 230 f. 58 Daß die Frage nach dem allgemeinen Gesetz und die Bestimmung der Rechts- oder Sittenwidrigkeit i m Einzelfall getrennt werden müssen, erkennen Reisnecker, S. 168, und Bettermann, JZ 64, 601, 607 f. Diese Erkenntnis bahnt 54

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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b) Die angebliche Wechselwirkung zwischen Grundrecht und schrankenziehendem Gesetz ist bereits von der Frage nach dem Wesen der allgemeinen Gesetze gelöst worden. Falls sie wirklich besteht, kann sie zwar die Interpretation des allgemeinen Gesetzes und damit auch die Interessenwertung i m Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln, nicht aber die aus der Verfassung zu gewinnenden Kriterien des allgemeinen Gesetzes beeinflussen. Sollte das BVerfG die angebliche Wechselwirkung mit der Frage nach den Kriterien des allgemeinen Gesetzes in einen Zusammenhang gebracht haben, so überzeugt das nicht. Zwar ist dies nicht ausdrücklich geschehen, doch scheint es, als habe das BVerfG die Wechselwirkung i n die Güter- und Interessenabwägung mit hineingenommen. c) Soweit das BVerfG von einer Güterabwägung spricht, liegt der Schwerpunkt seiner Untersuchung wieder bei der Frage nach dem allgemeinen Gesetz, obwohl das Verschmelzen der Güter- mit der Interessenabwägung diese Sicht verstellt 5 9 . Ein zustimmungsfähiger Aspekt w i r d in dem Verschmelzen der Gütermit der Interessenabwägung sichtbar. Das BVerfG befürwortet eine konkrete Güterabwägung anhand des einzelnen zu entscheidenden Falles. Nicht w i r d abstrakt das Rechtsgut einer Norm m i t der Meinungsäußerungsfreiheit verglichen 60 . I m übrigen aber bleiben Funktion und Bedeutung der hinzugefügten Interessenabwägung für die zu suchenden Kriterien des allgemeinen Gesetzes unklar. Der Verlauf der folgenden Ausführungen w i r d zeigen, daß die Interessenwertung bei der Bestimmung der Kriterien des allgemeinen Gesetzes keinen Platz findet. Es w i r d vielmehr so sein, daß die Ergebnisse der zivilrechtlichen Interessenwertung noch einmal anhand einer konkreten Güterabwägung zu prüfen sind. sich bereits an bei Lerche, Ubermaß, S. 150 Note 161, u n d DVB1 58, 524, 526 Note 28. 59 Hieran schließt sich der V o r w u r f des „Umbiegens" der verfassungsrechtlichen Güterabwägung i n eine zivilrechtliche Interessenabwägung an; so Bettermann, J Z 64, 601, 602; nach Böttcher, S. 100, t r i f f t dieser V o r w u r f nicht zu, da das BVerfG sich i m klaren gewesen sei, daß es nur u m eine Güterabwägung gehen könne; das überzeugt nicht, da das BVerfG, JZ 58, 119, 121 r. Sp. nur das Stichwort der „Güterabwägung" gibt, i m übrigen aber sofort auf die gegeneinanderstehenden Interessen abstellt. I m übrigen äußern sich kritisch zur Güter- u n d Interessenabwägung: Nipperdey, DVB1 58, 445, 449; Lerche, Übermaß, S. 150; ders. i n : Die Grundrechte I V 1, S. 474; ders., DVB1 58, 524, 526 Note 28; ders., DVB1 61, 690, 694; v. Pestalozza, Der Staat Bd. 2, S. 425, 448 f.; Friedrich Müller, S. 208 ff.; Harnischfeger, S. 240 f.; Hesse, S. 29; Schnur, V V D S t R L 22, 123, 127 f. Zustimmend Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., S. 51 f. und S. 108; Geiger, Wandlung der Grundrechte, S. 28; Häberle, S. 31 ff. u n d S. 188; Scheuner, V V D S t R L 22, 80 f., der eine W e r t abwägung i m Einzelfall befürwortet; Hoff mann, JuS 67, 393, 394 f. 60 BVerfG, JZ 58, 119,121.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

V. D i e

beide

Pole

verbindende

Lösung

Das BVerfG hat der Interpretation der Formel von den allgemeinen Gesetzen einen entscheidenden Anstoß gegeben. Denn die Auslegung war bis zum L ü t h - U r t e i l i n den gegensätzlichen Positionen des formal und des material Allgemeinen festgefahren, während die vom BVerfG vorgenommene Verbindung beider Ansatzpunkte nun als Vorbild zahlreicher weiterführender Auslegungsversuche dient. Dabei helfen die Stimmen, die nur die Verbindung herstellen, ohne weitere Folgerungen daraus zu ziehen noch nicht entscheidend weiter 6 1 . Denn daß ein rein äußerliches Zusammenstellen der beiden Gesichtspunkte die Interpretationsmöglichkeiten nicht erschöpft, zeigt erstmals Lerches ansonsten formal durchkonstruierte Überlegung, nach der die reflexive Berührung der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG dann unzulässig ist, wenn ihr Ausmaß einem direkten Eingriff gleichzuachten ist 6 2 . Dies offenbart, wenn auch nicht überdeutlich, den inneren Zusammenhang zwischen formeller und wertender Betrachtung, den w i r bereits streiften. A r n d t t r i f f t dann i n einer kurzen, aber m i t Beifall aufzunehmenden Stellungnahme den Kern: „Der innere Grund dafür, daß in einem allgemeinen Gesetz . . . die Freiheiten (des A r t . 5 Abs. 1 GG) nicht vorkommen, liegt darin, daß solche allgemeinen Gesetze nicht mehr tun, als sich dem Schutz des Rechtsgutes, auf das sie hin gelten wollen, zu widmen 6 3 ." Dieser Ansatz ist auszubauen und fortzuführen. Dabei vermögen die Untersuchungen Böttchers 64 wertvolle Hilfestellung zu leisten, da Böttchers Überlegungen i m wesentlichen auf der gleichen Basis ruhen, obwohl er die klar formulierte These Arndts nicht ausdrücklich als Ausgang nimmt. 1. Die wichtige Funktion der allgemeinen Gesetze des A r t . 5 Abs. 2 GG besteht i n der Einordnung des Kommunikationsprozesses i n die allgemeine Rechtsordnung und i m daraus folgenden, auf das grundrechtliche Leitbild Bedacht nehmenden Aufbau des Grundrechtsfeldes des Art. 5 Abs. 1 GG. Diese Funktion stellt den eigentlichen Grund der Aufnahme der Schranken der allgemeinen Gesetze i n die Verfassung und damit zugleich den materiellen Gehalt der allgemeinen Gesetze dar. Deshalb 61 So Reisnecker, S. 161 ff., der bei der formalen Betrachtung noch ganz auf dem Boden der Häntzschel/Rothenbücher'schen Auffassung steht; Schule i n Schüle-Huber, S. 28 f.; Obermayer, B a y V B l 65, 397, 400; Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 388 f. 62 Lerche, Übermaß, S. 112 ff., S. 114; ders. i n : Die Grundrechte I V 1, S. 473 ff., S. 475 f. 63 Arndt, J Z 65, 337, 340. 64 Böttcher, S. 90 ff., insbes. S. 104 ff. und S. 108 ff.

2. Kap. : A r t . 5 Abs. 1 GG und das einfache Gesetzesrecht

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muß die Frage nach dem Wesen des allgemeinen Gesetzes diese Funktion zum Ausgang nehmen und mit ihrem Begreifen zuerst die materiellen Kriterien des allgemeinen Gesetzes entwickeln. Erst danach kann die Interpretation die von der Verfassung dem Grundrechtsvorbehalt gegebene äußere Form bis in alle Einzelheiten sinnvoll erfassen. a) Wenn nun als innerer Grund des Kommunikationsvorbehaltes die notwendige Einordnung des Kommunikationsprozesses i n die allgemeine Rechtsordnung erkannt ist, so t r i f f t das zwar grundsätzlich zu, es besteht jedoch die Möglichkeit, daß die Bezeichnung „allgemeine" Rechtsordnung zu weit greift. Denn die Stimmen, die das Problem der materiellen Einordnung erkennen, liefern i n dieser Hinsicht gegensätzliche Auffassungen. Sie nennen als mögliches Schutzgut des allgemeinen Gesetzes einen vorrangigen Gemeinschaftswert 65 , eine fixierte Verfassungssubstanz 66 , ein von der Verfassung anerkanntes Gemeinschaftsinteresse 67 oder schlicht andere Rechtsgüter 68 . Soweit diese Auffassungen den Gegensatz nahelegen, daß das allgemeine Gesetz entweder nur ein gemeinschaftswichtiges Gut oder auch individuelle Rechtsgüter schützen darf, liegen darin geringe Schwierigkeiten. Denn der enge Zusammenhang zwischen der Bedeutung eines Gutes für den einzelnen und für die Gemeinschaft läßt sich i n aller Regel nicht oder nur vordergründig aufspalten 69 . So spitzt sich die Auseinandersetzung darauf zu, ob das zu schützende Gut eine verfassungsrechtliche Anerkennung erfahren haben muß oder nicht. Dem w i r d jedoch sofort die Schärfe genommen, wenn man daran erinnert, daß die Verfassung i n weiten Passagen ein Konzentrat der einfach gesetzlichen Rechtsordnung darstellt 7 0 . Und der Gegensatz w i r d weiter reduziert, wenn man dem Hinweis Böttchers 71 auf den Kompetenzkatalog der Verfassung folgt, der zahlreiche Rechtsgüter auch ohne ausdrückliche Erwähnung verfassungsrechtlich anerkennt. Trotzdem soll der Frage nicht ausgewichen werden. Wegen der Bedeutung der Kom65 Smend, V V D S t R L 4, 52, der auch ein vorrangiges gesellschaftliches Gut, als Schutzgut nennt. 66 Lerche, Übermaß, S. 114; ders. i n : Die Grundrechte I V 1, S. 475; Böttcher, S. 110. 67 Schnur, V V D S t R L 22,125. 68 BVerfG, JZ 58, 119, 121 — L ü t h — ; E. R. Huber, Empfehlungsverbot, S. 34; Reisnecker, S. 163; Scheuner, V V D S t R L 22, 81; Obermayer, B a y V B l 65, 397, 400; Arndt, JZ 65, 337, 340. Abgesehen von Reisnecker, Obermayer u n d A r n d t w i r d dabei an ein der Meinungsfreiheit vorgehendes Rechtsgut gedacht. 69 Dafür, daß das allgemeine Gesetz auch dem Schutz individueller Rechtsgüter dienen kann: Nipperdey, DVB1 58, 445, 449; Lerche i n : Die Grundrechte I V 1, S. 475. 70 Vgl. S. 184. 71 Böttcher, S. 107.

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

munikationsgrundrechte für die freiheitlich-demokratische Ordnung glauben w i r i n Übereinstimmung mit Böttcher 7 2 den Kommunikationsprozeß nur verfassungsrechtlich anerkannten Rechtsgütern zuordnen zu können. b) Dies verfassungsrechtlich anerkannte Rechtsgut, dem der Kommunikationsprozeß durch die allgemeinen Gesetze zuzuordnen ist, muß nun nicht der Meinungsäußerungsfreiheit oder den anderen Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG i m abstrakt zu messenden Wert vorgehen. Das scheitert erst einmal daran, daß die Verfassung nicht ein Wertsystem i m Sinne einer Wertrangordnung enthält und daß ein solches Wertsystem auch nicht i n sie hineingelegt werden darf 7 3 . Zum zweiten läßt die Möglichkeit einer abstrakten Abwägung etwa des Unternehmensschutzes gegen die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG die Tatsache außer acht, daß das Ergebnis immer unbefriedigend bleiben muß, gleich ob man dem einen oder dem anderen den Vorzug gibt. Denn die A n t w o r t kann nur lauten, daß je nach den Umständen des Einzelfalles einmal das eine, ein andermal das andere Gut den Vorzug verdient. Drittens steht einer solchen Möglichkeit entgegen, daß der objektivrechtliche Gehalt des A r t . 5 Abs. 1 GG danach verlangt, daß der Kommunikationsprozeß die Regel bleibt und nicht zur Ausnahme degradiert w i r d 7 4 . Denn bei der Annahme einer Reihe den Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG vorgehender Rechtsgüter ist zu befürchten, daß der notwendige Regelcharakter des Kommunikationsprozesses angegriffen wird. Und viertens geht es, eng damit zusammenhängend, nicht u m eine, notwendig ein anderes Rechtsgut verdrängende, abstrakte Abwägung, sondern um die Zuordnung der einzelnen Güter 7 5 . 2. Erst die zuordnende Funktion der allgemeinen Gesetze vermag nun den formalen Aspekt des Vorbehalts zutreffend zu erschließen. Stellt man sich die beiden Möglichkeiten vor Augen, daß die Zuordnung entweder bei den Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG oder bei den zuordnenden Rechtsgütern ansetzt— wobei keineswegs geleugnet werden soll, daß die grundsätzlich i n die eine oder andere Richtung festgelegte Zuordnung ihre Ergebnisse auch m i t Rücksicht auf den anderen Pol aufbaut —, so scheidet für die allgemeinen Gesetze die erste Möglichkeit sogleich aus. Denn diese Gesetze müßten sich ausdrücklich mit den Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG befassen, wodurch ihnen der Cha72

Böttcher, S. 110. Vgl. S. 101. 74 Vgl. S. 121 f. 75 Vgl. S. 101 Note 7. Böttcher, S. 106, weist zu Recht auf die zwischen Meinungsfreiheit u n d kollidierendem Rechtsgut herzustellende Realation hin. 73

2. Kap. : A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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rakter des formal Allgemeinen genommen würde. Verbleibt nur die zweite Möglichkeit so heißt dies, daß die allgemeinen Gesetze ihren Regelungsgehalt den zuzuordnenden Rechtsgütern zu widmen haben. Der Aufbau der allgemeinen Gesetze hat unmittelbar i n Hinblick auf die verfassungsrechtlich anerkannten und kollidierenden Rechtsgüter zu erfolgen. Nur die zuzuordnenden Rechtsgüter sowie sie betreffende Aussagen dürfen ausdrücklich Inhalt des allgemeinen Gesetzes sein 76 , wenn auch diese Aussagen mittelbar i n Hinblick auf die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG formuliert sein können. Dies auch ausschließen zu wollen, hieße die zuordnende Funktion der allgemeinen Gesetze verkennen. Das derart gedeutete Gebot des Reflexgesetzes entspringt nicht verfassungsrechtlicher Willkür. Denn obgleich die Notwendigkeit einer Zuordnung besteht, w i l l doch die Verfassung der Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte zum Durchbruch verhelfen und sie deshalb gegen vorschnelle Beeinträchtigungen schützen 77 . Wenn nun schon Zuordnung nötig ist, so kann die Verfassung besonderen Schutz nur dadurch gewähren, daß sie den Gesetzgeber dazu zwingt, die Zuordnung an den kollidierenden Rechtsgütern zu orientieren. Denn das Maß der Auswirkung auf die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG differiert erheblich, je nachdem ob der Gesetzgeber ganze Kategorien von Meinungs- oder Tatsachenäußerungen wegen der Möglichkeit einer Kollision mit anderen Rechtsgütern oder ob er nur einzelne, tatsächlich ein bestimmtes Rechtsgut treffende und über das übliche Maß der Verletzung hinausgehende Äußerungen ausschaltet. Und eine nicht am kollidierenden Rechtsgut unmittelbar orientierte Aussage birgt viel eher die Gefahr, schnell noch einen nicht notwendigen Regelungsüberschuß m i t einzubeziehen als umgekehrt. Daß eine überschießende Regelung allerdings auch möglich ist, wenn die gesetzliche Aussage sich am kollidierenden Rechtsgut orientiert, ist nicht zu leugnen. Das liegt daran, daß die am kollidierenden Rechtsgut unmittelbar ausgerichtete Zuordnung ihre Aussage m i t den Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG abstimmen muß 7 8 . Einen solchen Überschuß zu erkennen, erlaubt nur eine wertende Betrachtung. Insofern ist also die formale Betrachtung zu ergänzen 79 . Des76 Eine weitere Bestätigung dafür, daß das Zitiergebot des A r t . 19 Abs. 1 S. 2 GG nicht f ü r allgemeine Gesetze gelten kann; vgl. S. 186 Note 7. 77 Vgl. Böttcher, S. 110. 78 Lerche i n : Die Grundrechte I V 1, S. 475, lehnt die Annahme eines Reflexgesetzes ab, wenn das Gesetz durch eine Bedachtnahme auf den Einzelfall, durch Individualisierung beherrscht w i r d . Diese Auffassung w i r d jedoch nicht der Zuordnungsfunktion der allgemeinen Gesetze gerecht, die n u r dann v o l l w i r k s a m werden kann, wenn auch bestimmte Äußerungen i n bezug auf ein durch sie beeinträchtigtes Rechtsgut i m K o n t e x t des konkreten Einzelfalles die Normfassung bestimmen. 79 Darauf wurde schon wiederholt hingewiesen. Auch Böttchers U n t e r suchung, S. 91 ff., insbes. S. 108 ff., des formal Allgemeinen w i r d laufend durch eine wertende Betrachtung ergänzt.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

sen gilt es sich zu erinnern, wenn w i r nun die formalen Kriterien negativ umreißen. a) Das allgemeine Gesetz darf keine Aussagen enthalten, die die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG unmittelbar betreffen. So wäre z. B. ein Gesetz unzulässig, das nur Tatsachen- oder Meinungsäußerungen politischen Inhalts erlauben würde. I m gleichen Maße wäre ein Gesetz unzulässig, das Meinungen einer bestimmten politischen Färbung, Aussagen mit werbendem Inhalt oder unterhaltende Äußerungen als nicht durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt klassifizieren würde. Denn solche Gesetze sind nicht an den kollidierenden Rechtsgütern, sondern unmittelbar an den Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG ausgerichtet. Extremfälle des derart errichteten Verbots sind erreicht, wenn ein Gesetz die Freiheitsbereiche des Art. 5 Abs. 1 GG vollständig „durchnormiert" und „reglementiert" 8 0 , sowie wenn die freiheitliche Kommunikation nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme darstellt 8 1 . b) Zweitens darf das allgemeine Gesetz nicht Druck, Zwang und Gewalt zur Meinungsdurchsetzung oder -Unterdrückung erlauben. Denn ein Gesetz, das Zwangsmittel bei der Durchsetzung einer Meinung legalisiert, widmet sich nicht nur den zuzuordnenden und kollidierenden Rechtsgütern, sondern mit dem die Zwangsmittel betreffenden Überschuß den Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG unmittelbar 8 2 . Ausgangspunkt einer solchen Regelung ist nicht die übliche, der freiheitlichen Kommunikationen entsprechende Wirkung von Tatsachen- und Meinungsäußerungen 8 3 . Es ersetzt vielmehr das allgemeine Gesetz die übliche Kommunikationswirkung durch eine besondere, der Kommunikation nicht gemäße Kraft, wodurch das Gesetz den Charakter eines allgemeinen Gesetzes selbst dann verliert, wenn es einen unmittelbaren Rechtsgüterschutz vorgibt. Dieses letzte Ergebnis kann freilich nur eine, die formale ergänzende, wertende Betrachtung vermitteln, deren Notwendigkeit schon betont wurde und die nun noch als eigener Punkt herauszustellen ist. c) Es ist denkbar, daß der Gesetzgeber ein kollidierendes Rechtsgut nicht nur zum Vorwand nimmt, u m eine bestimmte Form der Meinungsdurchsetzung entgegen dem unter b) genannten Verbot durchzusetzen, 80 Häberle, S. 196 f., weist zutreffend darauf hin, daß der I n h a l t der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG n u r negativ bestimmt werden darf. Eine positive Regelung dahingehend, welche Meinungen geäußert werden dürften, würde die unzulässige „Reglementierung" einer Freiheit beinhalten. 81 Vgl. S. 121 f. 82 Ebenso Böttcher, S. 105 f., m i t der Begründung, daß es sich bei der M e i nungsdurchsetzung nicht u m ein von der Meinungsfreiheit unabhängiges Rechtsgut handele. 83 Vgl. S. 122 f. u n d S. 165 ff.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG und das einfache Gesetzesrecht

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sondern auch, um einen bestimmten Kreis von Äußerungen entgegen dem unter a) genannten Verbot zu verbieten. Hier hat die von Lerche i m Zusammenhang m i t den allgemeinen Gesetzen genannte Figur des eingriffsgleichen Eingriffs ihren Platz 8 4 , obwohl w i r mehr als Lerche dazu neigen, auf die Wertung des jeweiligen Anwendungsfalles abzustellen, da die i m Zusammenhang des Themas so bedeutsamen Generalklauseln zeigen, daß die „normative Gesamtwirkung" einer abstrakt gefaßten Norm nicht oder nur äußerst schwierig zu bestimmen ist 8 5 . U m nun herauszufinden, ob ein Gesetz ein kollidierendes Hechtsgut zum Vorwand einer nach a) verbotenen Regelung nimmt, bedarf es eines konkreten Wertvergleichs, der zu ermitteln hilft, ob die i m einzelnen Entscheidungsfall zu Tage tretende Kollision mit einem verfassungsrechtlich anerkannten Rechtsgut das Ausmaß der die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG beschränkenden Regelung noch zu tragen vermag und ob nicht die zu beurteilende Norm nur noch der Form nach die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG mittelbar berührt. Für diesen konkreten Wertvergleich gibt es keinen absolut gültigen Maßstab, sondern nur leitende Gesichtspunkte, die der zuordnenden Funktion der allgemeinen Gesetze entnommen und an der Bedeutung der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG für eine freiheitlich-demokratische Ordnung 8 6 , der Bedeutung des kollidierenden Rechtsgutes und dem Ausmaß der wechselseitigen Beeinträchtigung vor und nach der Zuordnung orientiert werden müssen. 3. Sind so die Kriterien des allgemeinen Gesetzes erarbeitet, so verbleibt doch noch die bisher nur am Rande berührte Frage, ob eine Norm in ihrer abstrakten Formulierung oder i m konkreten Anwendungsfall an den Kriterien des allgemeinen Gesetzes zu messen ist 8 7 . Der Blick auf die i m Zusammenhang des Themas so wichtigen Generalklauseln lehrt sofort, daß die Antwort nicht lauten kann, nur die abstrakte juristische Leerformel sei auf die Kriterien des allgemeinen Gesetzes hin zu überprüfen. Denn die der Generalklausel mittels einer Interessenwertung zu entnehmende Norm offenbart nur der konkrete Anwendungsfall. 84

Lerche, Übermaß, S. 114; ders. i n : Die Grundrechte I V 1, S. 475 f. Dazu sogleich unter 3. 86 Vorwiegend dieser Gesichtspunkt leitet Böttcher, S. 107 f. und S. 109 f., bei der wertenden Trennung zwischen reflexivem u n d eingriffsgleichem V o r gehen des Gesetzgebers. Die Bedeutung der Kommunikationsrechte für die freiheitlich-demokratische Ordnung wurde schon S. 106 f. u n d S. 120 gewürdigt. 87 Damit beschäftigt sich ausdrücklich n u r Copie , J Z 63, 494, 495 m i t Note 13. Lerches Untersuchungen, Übermaß, S. 112 ff., u n d Die Grundrechte I V 1, S. 473 ff., weisen die Tendenz zu einer abstrakten Überprüfung auf, obwohl sie für Generalklauseln eine geschärfte Individualbezogenheit befürworten (vgl. die Zitate auf S. 196 i n Note 58). Bei Böttcher, S. 108 ff., geht die Tendenz sehr stark i n Richtung auf eine konkrete Überprüfung. 85

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Die endgültige A n t w o r t muß dennoch i m Sinne eines ,sowohl als auch* lauten. Denn die abstrakte Formulierung einer Form kann zumindest schon dahingehend geprüft werden, ob sie dem Schutz eines verfassungsrechtlich fixierten Rechtsgutes dient. Das gilt sogar für umfassende Generalklauseln, da sich deren Schutzrichtungen ohne größeren Aufwand ermitteln lassen. Weniger Aussagekraft hat die abstrakte Norm, wenn festzustellen ist, ob die Norm sich unmittelbar dem kollidierenden Rechtsgut widmet oder nicht. Denn hier erlaubt die abstrakte Normformulierung nur eine vorläufige Aussage, da der Norm, wie etwa ganz deutlich bei der Generalklausel, i m konkreten Anwendungsfall noch eine völlig andere Richtung gegeben werden kann. Den konkreten Wertvergleich schließlich ermöglicht, abgesehen von tatbestandlich äußerst eng gefaßten Normen, nur der konkrete Anwendungsfall einer Norm. N i m m t man wieder den Extremfall der Generalklausel als Beispiel, so ist das Ergebnis der Interessenwertung für den Einzelfall anhand des konkreten Wertvergleichs zu überprüfen. Obgleich dabei die Vorgänge der Interessenwertung zur Bestimmung der Rechtsoder Sittenwidrigkeit und die Überprüfung des Ergebnisses der Interessenwertung anhand eines konkreten Wertvergleichs zur Feststellung dessen, ob eine Norm noch als allgemeines Gesetz zu behandeln ist oder nicht, deckungsgleich zueinander verlaufen, berührt das doch nicht ihre unterschiedlichen Funktionen. Diese sind nach wie vor auseinander zu halten. Daß Interessenwertung und konkreter Wertvergleich zu verschmelzen drohen, darf nicht verwundern. Denn beide versuchen, in Extremfällen eines gesetzgeberischen „Versagens" zu helfen. I m Regelfall, zu dem der Unternehmensschutz, insbesondere vor Werturteilen, jedoch nicht gehört, braucht nicht so weit zurückgegangen zu werden, da dann i n aller Regel bereits die formalen Strukturen des allgemeinen Gesetzes i n Verbindung mit der engeren Normfassung Ergebnisse liefern. B. Das allgemeine Gesetz — Gesetz im formellen oder materiellen Sinn

Die Frage, ob es sich bei einem allgemeinen Gesetz des A r t . 5 Abs. 2 GG um ein Gesetz i m formellen oder materiellen Sinn handeln muß, w i r d nur gelegentlich und dann nur am Rande gestreift 88 . Eine solch beiläufige Behandlung oder gar ein Übergehen der Frage erscheint jedoch dann nicht mehr gerechtfertigt, wenn es wie hier um die teils gewohnheitsrechtliche Regelung des Unterenhmensschutzes geht. Denn mit der Annahme, beim allgemeinen Gesetz müßte es sich um ein Gesetz i m formellen Sinn han88 Etwa Löffler, Presserecht, Rdnr. 40 zu § 1 RPG; Klein i n v. MangoldtKlein, A n m . I X 3 a zu A r t . 5 GG; Reisnecker, S. 173 f., m i t weiteren Nachweisen.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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dein, würde das Recht am Unternehmen aus dem Spannungsfeld der Meinungsäußerungsfreiheit und des Unternehmensschutzes ausgeschaltet 8 9 , während andere unternehmensschützende Vorschriften wie §§ 824, 826 BGB und §§ 1,14 UWG darin verblieben. Das zeigt, wie zweischneidig es ist, aus rechtsstaatlichen Gründen als allgemeines Gesetz nur ein Gesetz i m formellen Sinn zuzulassen 90 , zumal sicherlich ebenso rechtsstaatliche Überlegungen zum Schutz des Unternehmens durch das Recht am Gewerbebetrieb geführt haben. Weiter als rechtsstaatliche Überlegungen bringt die Besinnung auf die zuordnende Funktion der allgemeinen Gesetze 91 . Deren Sinn und Notwendigkeit bleibt auch dann bestehen, wenn der Schutz des kollidierenden Rechtsgutes durch ein zuordnendes Gesetz i m materiellen Sinn bezweckt wird. W i l l man dennoch aus rechtsstaatlichen Gründen die Anforderung verstärken, so könnte man allenfalls als allgemeines Gesetz nur Recht i m Gesetzesrang zulassen 92 . C. Das allgemeine Gesetz und die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 G G

Bisher haben w i r gesehen, daß dem Gesetzgeber der allgemeinen Gesetze verboten ist, die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG i n bestimmten Formen und m i t bestimmten sachlichen Gehalten zu berühren. Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG verlangt nun eine Überprüfung der vorliegenden Ergebnisse an ihrem rechtlichen Gehalt. Denn es besteht immerhin die Möglichkeit, daß die Wesensgehaltsgarantie den Regelungsbefugnissen des allgemeinen Gesetzgebers Grenzen zieht, die weiter vorgeschoben verlaufen als jene, die sich aus dem Wesen des allgemeinen Gesetzes und aus dem Wesen des Kommunikationsprozesses ergeben. Ist das nicht der Fall, so braucht dem Wesensgehalt gegenüber den grundrechtsberührenden Regelungen der allgemeinen Gesetze keine Beachtung geschenkt zu werden, da sich dann entweder die für den 89 Das gilt ebenso f ü r das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Das mögliche A r gument, Persönlichkeitsrecht u n d Recht am Unternehmen seien als sonstiges Recht i m Sinne des § 823 Abs. 1 B G B Teil eines Gesetzes i m formellen Sinn, vermag nicht zu überzeugen, da beide Normen als gewohnheitsrechtlich entwickelte Generalklauseln v ö l l i g aus dem Rahmen des § 823 Abs. 1 B G B herausfallen. 90 So Löffler, Presserecht, Rdnr. 40 zu § 1 RPG; aus ähnlichen Überlegungen verlangt das B V e r f G für den Vorbehalt des A r t . 12 Abs. 1 GG m i t Ausnahme von vorkonstitutionellem Gewohnheitsrecht einen förmlichen Rechtssetzungsakt, BVerfGE 22, 114. Eine entsprechende Übertragung dieser Rspr. auf das allgemeine Gesetz verbietet sich i n Hinblick auf das Persönlichkeitsrecht. 91 Ähnlich Reisnecker, S. 173 f. 92 Sobald sich Gewohnheitsrecht auf ein Gesetz bezieht, hat es Gesetzesrang; vgl. Wolff , Verwaltungsrecht I, § 26 I I b (S. 112). Dem Recht am Unternehmen wäre also ebenso wie dem Persönlichkeitsrecht Gesetzesrang zuzusprechen.

206

3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

allgemeinen Gesetzgeber geltenden Verbote mit dem Verbot decken, den Wesensgehalt eines Grundrechtes anzutasten, oder sogar weiterreichen als die Wesensgehaltsgarantie. Das Grundgesetz hat mit der vorbildlosen Schaffung der Wesensgehaltsgarantie Rechtsprechung und Schrifttum vor die fast unlösbare Aufgabe gestellt, den Wesensgehalt der Grundrechte zu bestimmen. Der Schwierigkeit dieser Aufgabe entspricht die Vielfalt der vorgeschlagenen Lösungen 93 , die die ungeprüfte Übernahme dieses oder jenes Ergebnisses verbietet. Dennoch sieht sich die vorliegende Arbeit i n der glücklichen Lage, auf den Aufbau eines eigenen Lösungsweges verzichten zu können, da die Wesensgehaltsgarantie für den grundrechtsberührenden Gesetzgeber unabhängig davon, welcher Bestimmung des Wesensgehalts gefolgt wird, i m Vergleich zu den aus dem objektivrechtlichen Gehalt des Art. 5 I GG abgeleiteten und i m material Allgemeinen des allgemeinen Gesetzes enthaltenen Grenzen keine weiterreichende Verbote aufstellt. U m das zu beweisen, bedarf es einer Aufgliederung der bisher für den Art. 5 I GG berührenden Gesetzgeber gezogenen Schranken i n sachlich zu trennende Verbotszonen, deren Unterscheidung sich ohne weiteres anbietet. Die erste Zone läßt sich folgendermaßen umreißen: Der Kommunikationsprozeß als solcher darf nicht beseitigt werden 9 4 . Der Kommunikationsprozeß muß die Regel bleiben und darf nicht zur Ausnahme degradiert werden 9 5 . Und der Gebrauch der Kommunikationsgrundrechte darf nicht reglementiert, nicht durchnormiert sein, da nur Regelungen negativer A r t zulässig sind 9 0 . Alles Aussagen, die sich unabhängig von der einzelnen Grundrechtsausübung am objektivrechtlichen Gehalt der Kommunikationsgrundrechte ausrichten. Als zweite Verbotszone, die dem materiell allgemeinen Gehalt der allgemeinen Gesetze zu entnehmen ist, möchten w i r das zuvor gewonnene Ergebnis bezeichnen ,daß das Ausmaß der Beeinträchtigung des mit einem Kommunikationsgrundrecht kollidierenden Rechtsgutes dem Maß der Beschränkung des Kommunikationsgrundrechtes i n etwa entsprechen muß 9 7 . Wenn w i r nun die beiden derart umrissenen, für eine Grundrechtsberührung durch ein allgemeines Gesetz geltenden Verbotszonen den unterschiedlichen Auffassungen zum Wesensgehalt der Grundrechte ge93 Vgl. i m einzelnen Klein i n v. Mangoldt-Klein, Anm. V zu A r t . 19 GG; Lerche, Ubermaß, S. 236 ff.; Häberle, S. 234 f. u n d passim; Schule i n SchüleHuber, S. 49 ff.; Abel, S. 38 ff.; Eike v. Hippel, S. 47 ff.; Harnischfeger, S. 230 f.; Jäckel, S. 20 ff.; Hesse, S. 132; Schnur, V V D S t R L 22,130 ff. 94 Vgl. S. 121. 95 Vgl. S. 121 f. 06 Vgl. S. 124 u n d S. 202. 97 Vgl. S. 202 f.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG und das einfache Gesetzesrecht

207

genüberstellen, so fällt sofort auf, daß keine dieser Auffassungen zu einem den allgemeinen Gesetzgeber noch weiter beschränkenden Verbot führt. Denn das Ergebnis der Ansicht, die den Wesensgehalt als eine absolute Größe begreift und ihn mit Bezeichnungen wie Natur, Grundsubstanz, unumstößlich feststehender Wesenskern der Grundrechtsbestimmung 9 8 sowie institutioneller Gehalt oder ähnlich 9 9 umschreibt, legt in die Wesensgehaltsgarantie nichts anderes hinein, als dem Sinne nach in der zuerst genannten Verbotszone für den allgemeinen Gesetzgeber enthalten ist. Und die zweite Ansicht, die den Wesensgehalt als relative Größe deutet und ihn dann als angetastet ansieht, wenn ein Grundrecht stärker eingeschränkt wird, als dies der sachliche Anlaß, der zur Grundrechtsberührung führt, unbedingt gebietet 1 0 0 , t r i f f t eine der zweiten für den allgemeinen Gesetzgeber geltenden Verbotszone entsprechende Aussage. Die dritte Auffassung zum Wesensgehalt der Grundrechte schließlich, die die beiden zuvor genannten Ergebnisse zu verbinden versucht 1 0 1 , entspricht i m wesentlichen der für den allgemeinen Gesetzgeber angestellten Kombination beider Verbotszonen. Als Ergebnis gilt es also festzuhalten: Wie man auch die Ansichten zum Wesengeshalt der Grundrechte betrachtet, einzeln für sich oder i n einer ergänzenden Verbindung, das Ergebnis i n Hinblick auf die dem allgemeinen Gesetzgeber gezogenen Grenzen bleibt immer gleich. Größere Anforderungen an die grundrechtsberührenden allgemeinen Gesetze des Art. 5 Abs. 2 GG als zuvor können auch unter Einbeziehung der Wesensgehaltsgarantie nicht gestellt werden. Zumindest für die Kommunikationsgrundrechte bestätigt sich die schon häufig geäußerte Ansicht, daß der Wesensgehaltsgarantie nur eine klarstellende Funktion zukomme 1 0 2 .

98 So Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . V 4 a und d zu A r t . 19 GG; ähnlich Schnur, V V D S t R L 22, 131 ff.; vgl. auch die Nachweise bei Lerche, Übermaß, S. 239 Note 329. 99 Jäckel, S. 63; Abel, S. 39: Die Institutsgarantie (nur diese) decke sich m i t der Wesensgehaltsgarantie; Lerche, Übermaß, S. 239 ff. i. V. m. S. 248 f.: Der institutionelle Gehalt decke sich bei grundrechtsprägenden Normen (nur bei diesen) m i t dem Wesensgehalt. 100 BGHSt 4, 375 ff.; 4, 385 ff.; Eike v. Hippel, S. 54. 101 B V e r w G E 1, 48, 51 ff.; 1, 92, 94; 1,165, 168; 1, 269, 270, 272; 2, 85, 87; 2, 89, 94; 2, 295, 300; 4, 167, 171; Hesse, S. 132; Häberle, S. 234 ff.; Lerche, Übermaß, S. 239 ff. 102 Klein i n v. Mangoldt-Klein, A n m . V 7 a u n d b zu A r t . 19 GG; Häberle, S. 234 f.; Jäckel, S. 63; Abel, S. 39, für die Institutsgarantie; Lerche, Übermaß, S. 248 f., für grundrechtsprägende Normen.

208

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht D. Unternehmensschützendes Zivilrecht als allgemeines Gesetz

I. G r u n d s ä t z l i c h e

Eignung

des

Zivilrechts

Die Frage, ob eine Zivilrechtsnorm allgemeines Gesetz i m Sinne des A r t . 5 Abs. 2 GG sein kann, darf nicht verwundern. Denn wenn die A n t wort nein lautet, entfällt die Notwendigkeit, die für den Unternehmensschutz einschlägigen Zivilrechtsnormen auf die Kriterien des allgemeinen Gesetzes h i n zu überprüfen. Zugleich wären die vorhergehenden Ausführungen zum allgemeinen Gesetz überflüssig. Vorwiegend i n der Weimarer Zeit, aber auch noch unter der Geltung des Grundgesetzes bis zum Erlaß des Lüth-Urteils sahen sich Rechtsprechung und Lehre m i t dieser Frage nicht konfrontiert. Denn bis dahin überwog die Sicht, die die Geltung der Grundrechte ausschließlich auf das Verhältnis Bürger—Staat beschränkte. Grundrechtsbeschränkende Gesetze konnten nach dieser Auffassung folgerichtig nur solche Gesetze sein, die staatliches Handeln gegenüber dem einzelnen regelten, also Gesetze öffentlich-rechtlichen Charakters 103 . Erst die Annahme einer D r i t t w i r k u n g der Grundrechte lenkte den Blick auf die möglicherweise ebenfalls grundrechtsbeschränkende Wirkung der Zivilrechtsnorm 1 0 4 . I n der Folgezeit wurde speziell i n Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 und 2 GG entweder ohne nähere Begründung die Meinung vertreten, daß auch das Zivilrecht ein allgemeines Gesetz sein könne 1 0 5 , oder es wurde das Problem m i t einer auf der Annahme einer D r i t t w i r k u n g basierenden Begründung teils bejaht 1 0 6 , teils verneint 1 0 7 . Wenn die D r i t t w i r k u n g der Grundrechte i n dieser oder jener Form erst die Augen für das hier zu beurteilende Problem geöffnet hat, so heißt das doch nicht, daß die Geltung der Grundrechte i m Koordinationsverhältnis entscheidende Hinweise für die Lösung geben kann. I m Gegenteil, man muß die Geltung der Grundrechte zwischen den gleichgeord103

So der zutreffende Hinweis des BVerfG, J Z 58, 119, 121 — L ü t h —; ebenso Schule i n Schüle-Huber, S. 28; weniger beruht es w o h l auf einem Versehen, wenn i n den Aufzählungen der allgemeinen Gesetze durch das Schrifttum das Zivilrecht häufiger fehlt, so aber Huber i n Schüle-Huber, S. 114. 104 Obwohl i n der Drittwirkungsdiskussion diese Gegenwirkung häufig übersehen w i r d ; vgl. den Hinweis S. 195 Note 51. 105 Borck, W R P 59, 344, 345; ders., W R P 62, 359, 360; Scholz,, M A 65, 376; Keller, S. 25; Löffler, Presserecht, Rdnr. 39 zu § 1 RPG; Scheuner, V V D S t R L 22, 82; Gerlach, S. 7; Bettermann, JZ 64, 601, 607; Nipperdey i n Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 15 I I 4 f. (S. 105); Helle, Schutz der persönlichen Ehre u n d des wirtschaftlichen Rufs, S. 119; Uhlitz, N J W 66, 2097; Reisnecker, S. 173 u n d S. 254; Larenz, A n m . zu B G H i n A P Nr. 2 zu A r t . 5 Abs. 1 GG (Bl. 10 Rücks.) — B l i n k f ü e r — ; O L G Stuttgart, N J W 64, 595 — Fiat Europa — ; O L G Celle, N J W 64,1804,1805 f. — Volkswagentest —. io· BVerfG, JZ 58,119,121 — L ü t h — ; Scholler, B a y V B l 68, 41. 107

Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 28 ff.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

209

neten Rechtsgenossen ausklammern. Denn die i m Ergebnis unzutreffend ablehnende, i n sich aber folgerichtige Lösung Wenzels 107 zeigt, daß eine Beschränkung der i m Koordinationsverhältnis wirkenden Grundrechtsgeltung von vornherein, also bei der Bestimmung des Umfangs der D r i t t wirkung durch die grundrechtsbegrenzenden Gesetze erfolgen dürfe 1 0 8 , womit die Frage, ob Grundrechtsvorbehalte Zivilrechtsnormen aufnehmen können, aus dem engeren Zusammenhang des Problems der Grundrechtsgeltung i m Koordinationsverhältnis herausgelöst wird. Das berechtigt jedoch nicht zu der Annahme, daß das Zivilrecht die Kriterien des allgemeinen Gesetzes nicht zu erfüllen brauche. Denn sogar dann, wenn man von einer Geltung der Grundrechte zwischen den einzelnen Bürgern absieht, wartet die eingangs gestellte Frage auf eine Antwort. Das w i r d deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß das Privatrecht nicht nur Beziehungen zwischen den einzelnen Staatsbürgern, sondern auch Beziehungen zwischen diesen und dem Staat als Gesetzgeber 109 herstellt. Denn der Staat kann durch die Gestaltung des Privatrechts empfindlich i n das zwischen i h m und dem einzelnen Staatsbürger bestehende Grundrechtsverhältnis eingreifen. Dafür ein Beispiel aus dem hier interessierenden Problemkreis: Wenn der Staat als Z i v i l gesetzgeber etwa äußert, daß nur Meinungen einer bestimmten politischen Färbung den Vorrang vor dem Rechtsgut des durch die Äußerung betroffenen Rechtsgenossen beanspruchen können, t r i f f t er nicht nur eine Aussage über i m Koordinationsverhältnis geltende Rechte, sondern er beschneidet zugleich empfindlich das zwischen ihm und dem Äußernden bestehende Grundrechtsverhältnis aus A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG. Folge kann nur sein, daß die einzelne Privatrechtsnorm sich eine Überprüfung anhand der Kriterien des allgemeinen Gesetzes des A r t . 5 Abs. 2 GG gefallen lassen muß, damit derartige Ergebnisse nicht vorkommen. Positiv ausgedrückt, eine Privatrechtsnorm muß allgemeines Gesetz i m Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sein können. Dieses Ergebnis erhärten zwei weitere Überlegungen. Wenn die Funktion der allgemeinen Gesetze darin liegt, die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich anerkannten Rechtsgütern zuzuordnen, so ist kein Grund ersichtlich, der diese Zuordnung auf Gesetze öffentlichrechtlichen Charakters beschränken könnte. Eher offenbart die zuordnende Funktion das Gegenteil. Denn wenn etwa die Grundrechte des 108 übrigens ein Argument gegen die unmittelbare D r i t t w i r k u n g der G r u n d rechte, das i n engem Zusammenhang m i t dem schon aufgezeigten Gegensatz von D r i t t w i r k u n g u n d Schrankenwirkung steht; vgl. die Weiterverweisung S. 208 Note 104. 109 u n d Richter. Diese Rolle k a n n jedoch vorerst außer Betracht bleiben. A u f dieses Dreiecksverhältnis verweist zutreffend Gallwas, S. 38 u n d S. 52, der dann auch auf S. 53 zu dem Ergebnis kommt, daß Grundrechtsvorbehalte grundsätzlich Zivilrechtsnormen aufnehmen können. 1

Koller

210

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

A r t . 5 Abs. 1 GG m i t dem Persönlichkeitsrecht und dem Eigentum harmonisiert werden sollen, wenn die Zuordnung nur durch Gesetze erfolgen kann, die sich nicht mit den Kommunikationsgrundrechten, sondern nur mit den kollidierenden Rechtsgütern befassen dürfen, und wenn Gesetze, die das Persönlichkeitsrecht und das Eigentum aktualisieren, der Natur der Sache nach überwiegend zivilrechtlichen Charakter aufweisen, so müssen diese Gesetze allgemeine Gesetze sein können. Und nicht zuletzt unterliegt der Gesetzgeber nach Art. 1 Abs. 3 GG der Grundrechtsbindung. Zwischen dem Gesetzgeber zivilrechtlicher und dem öffentlich-rechtlicher Normen w i r d nicht unterschieden. Da Grundrechtsbindung auch die Bindung an Grundrechtsvorbehalte beinhaltet, muß der Gesetzgeber einer Zivilrechtsnorm die Kriterien des allgemeinen Gesetzes beachten, wenn er die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG berühren w i l l . Daß die Möglichkeit zur Grundrechtsberührung besteht, wurde gerade gezeigt. Somit schließt sich der Kreis: Eine Zivilrechtsnorm kann ein allgemeines Gesetz sein, da sie sich eine Überprüfung an dessen Kriterien aus den verschiedensten Gründen gefallen lassen muß. II. D i e v o r l ä u f i g e Überprüfung der u η t er η eh m eη ssch ü t ζ eη d eη Z i v i l r e c h t s n o r m e n an d e n K r i t e r i e n des a l l g e m e i n e n Gesetzes I m folgenden sind die Zivilrechtsnormen, die dem Unternehmensschutz dienen, auf die Kriterien des allgemeinen Gesetzes hin zu überprüfen, soweit das bisher möglich ist. Großartige Ergebnisse sind dabei nicht zu erwarten, da die A r t der zu beurteilenden Normen endgültige Aussagen vielfach erst anhand des konkreten Einzelfalles ermöglicht 1 1 0 . Insoweit w i r d noch ein Leitfaden dafür aufzustellen sein, welchen Weg die A n wendung der zivilrechtlichen Generalklausel aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nehmen muß und nicht nehmen darf. Dafür reichen die Kriterien des allgemeinen Gesetzes aber nicht aus, da noch die Erörterungen zur D r i t t w i r k u n g und zur verfassungskonformen Gesetzesauslegung abgewartet werden müssen. Vorerst nur soviel: 1. Die §§ 824 BGB und 14 UWG erfüllen die formalen Kriterien eines allgemeinen Gesetzes, da sie sich nicht unmittelbar m i t dem Kommunikationsgrundrechten befassen, sondern den Schutz außerhalb des Art. 5 Abs. 1 GG liegender Rechtsgüter in den Mittelpunkt ihrer Regelung stellen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß diese Normen sich m i t grundrechtlich geschützten Tatsachenäußerungen und ihrer schädigenden Wirkung auseinandersetzen. Denn die Zuordnung der Kommunikationsgrundrechte zu den kollidierenden Rechtsgütern kann und muß diese 110

Vgl. S. 203 f.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

211

Grundrechte mittelbar berühren. Davor braucht der Gesetzgeber die Augen nicht zu verschließen, solange nur die Regelungsaussage an den kollidierenden Rechtsgütern unmittelbar orientiert bleibt. Das aber ist bei den genannten Vorschriften der Fall. Bis hierher läßt sich entgegen der Vorankündigung endgültig feststellen, daß die §§ 824 BGB und 14 UWG den formalen Anforderungen des allgemeinen Gesetzes genügen. Denn in Anbetracht der recht engen tatbestandlichen Fassung dieser Normen erscheint es unmöglich, ihnen i m konkreten Anwendungsfall noch eine andere Wendung zu geben. Anders lautet das Ergebnis, soweit diese Normen eine, wenn auch auf bestimmte Fälle begrenzte Interessenwertung zulassen 111 . Hier gilt es sich der Vorläufigkeit der vorliegenden Überprüfung zu besinnen, da die Umstände des jeweils zu entscheidenden Einzelfalles größere Bedeutung erlangen. Die materiellen Kriterien des allgemeinen Gesetzes erfüllen die genannten Vorschriften ohne weiteres. Denn § 824 BGB schützt den Kredit, den Erwerb und das Fortkommen, § 14 UWG den Geschäftsbetrieb und den Kredit einer Person, alles Rechtsgüter, deren verfassungsrechtliche Anerkennung in A r t . 12 Abs. 1 und Art. 14 GG zum Ausdruck kommt. Soweit die Beeinträchtigung der Grundrechte des A r t . 5 Abs. 1 GG durch die allgemeinen Gesetze dem Maß der Beeinträchtigung des kollidierenden Rechtsgutes entsprechen muß 1 1 2 , reicht die Beurteilung aus, daß die sorgfältig abgestufte Regelung der §§ 824 BGB und 14 UWG diesem Erfordernis genügt. 2. Die weiterhin für den Unternehmensschutz einschlägigen zivilrechtlichen Generalklauseln des Rechts am Unternehmen und der §§ 826 BGB, 1 UWG bestätigen die angekündigte Vorläufigkeit der Ergebnisse der bis zu diesem Stadium fortgeschrittenen Untersuchung voll und ganz. Das gilt noch nicht für die materiellen Kriterien des allgemeinen Gesetzes. Denn das Rechtsgut des Rechts am Unternehmen findet verfassungsrechtliche Anerkennung in Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG 1 1 3 . Die gleiche verfassungsrechtliche Anerkennung erfährt der durch § 826 BGB gewährte Unternehmensschutz 114 . Bei § 1 U W G gilt hinsichtlich des durch das Wettbewerbsrecht gewährleisteten Unternehmensschutzes nichts an111

Vgl. S. 37 f. u n d S. 69. Vgl. S. 203. 113 Vgl. dazu S. 61 Note 180. 114 M a n könnte auch daran denken, als Schutzgut des § 826 B G B das Sittengesetz zu sehen, das verfassungsrechtliche Anerkennung i n A r t . 2 Abs. 1 GG erfährt. Aber v o m Boden der hier vertretenen Auffassung, die bei § 826 B G B nicht auf ein bestimmtes Maß der Sittlichkeit abstellt (vgl. oben S. 62 ff.), ist das unglaubwürdig. E i n differenzierendes Aufspüren der Schutzrichtungen des § 826 B G B erscheint deshalb angebrachter. 112

1*

212

3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

deres 115 . Doch erschöpft diese Sicht nicht die Schutzgüter des Wettbewerbsrechts, das in enger Verbindung mit dem zuvor genannten Rechtsgut zugleich die Unternehmerpersönlichkeit 116 und die Interessen der Allgemeinheit 1 1 7 schützen w i l l . Aber auch das bereitet keine Schwierigkeiten, da der Schutz der erwerbenden Persönlichkeit durch Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG und die Interessen der Allgemeinheit i m Verhältnis zum verfassungsrechtlichen Schutz des einzelnen etwa in Art. 14 Abs. 2 und 3 GG sowie in der Sozialstaatsklausel Anerkennung durch das Grundgesetz erfahren haben. Soweit die formalen Kriterien des allgemeinen Gesetzes den genannten Generalklauseln als Maßstab aufzuerlegen sind, bleiben die endgültigen Ergebnisse entsprechend der getroffenen Vorhersage aus. Denn die Aussage, daß die Generalklauseln sich nicht mit den Kommunikationsgrundrechten befassen, t r i f f t zwar zu, doch offenbart erst das Ergebnis der Interessenwertung, die für sich betrachtet nicht gegen die formalen Kriterien des allgemeinen Gesetzes verstößt 1 1 8 , die Norm, die für den zu entscheidenden Fall gilt. Und nur diese Norm kann endgültig an den K r i terien des allgemeinen Gesetzes gemessen werden.

2. Abschnitt: Die privatrechtsgestaltende Kraft des Art. 5 Abs. 1 GG 1. Unterabschnitt: Die Fragestellung Die Untersuchungen zur sog. D r i t t w i r k u n g der Grundrechte leiden i n aller Regel darunter, daß sie den Gegenstand der Erörterung nicht genau genug nennen und daß sie ihn häufig nicht genügend zu verwandten Erscheinungsformen absetzen1. Des weiteren ist als Mangel dieser 115

Vgl. S. 67 Note 2. So auch die auf S. 67 Note 2 genannten Autoren. 117 Vgl. S. 67 Note 1. 118 Vgl. dazu die Ausführungen S. 241 ff. u n d Bettermann, JZ 64, 601, 607 f., der jedoch übersieht, daß der Interessenwertung i m Einzelfall eine derartige Wendung gegeben werden kann, daß i h r Ergebnis den K r i t e r i e n des allgemeinen Gesetzes widerspricht. Nicht darf die Interessenwertung an sich aus der Sicht des allgemeinen Gesetzes verdammt werden, w e i l der Richter bei ihrem Vollzug auf den Einzelfall Bedacht n i m m t . Denn der Richter darf dies aufgrund der i n den Generalklauseln enthaltenen Delegation i m gleichen U m fang wie der Gesetzgeber bei Erlaß einer tatbestandlich exakt gefaßten Norm. Nicht können auch die die rechtsprechende Gewalt zu Interessenwertungen ermächtigenden Generalklauseln aus allgemeinen rechtsstaatlichen Erwägungen abgelehnt werden; vgl. Schule i n Schüle-Huber, S. 45; Huber i n SchüleHuber, S. 121; Scholz, M A 65, 376; BVerfGE 3, 225, 243. 1 Darauf verweist Raiser, GG u n d Privatrechtsordnung, S. Β 9 f.; sehr sorgfältig differenzierend geht vor Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. A I I 4. 116

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

213

Untersuchungen zu nennen, daß sie bei der Frage nach der privatrechtsgestaltenden Kraft der Grundrechte nicht ausreichend auf die Besonderheiten der verschiedenen Grundrechte und der unterschiedlichen Grundrechtsgehalte in einem Grundrecht verweisen 2 . I m Gegensatz dazu w i l l die vorliegende Arbeit einerseits speziell die privatrechtsgestaltende Kraft der Äußerungsfreiheit des einzelnen und der Presse ermitteln, was nicht ausschließt, daß die Lösung von einem allgemeinen Ansatz aus aufbaut. Und die Arbeit w i l l andererseits alle möglichen Erscheinungsformen einer privatrechtsgestaltenden Kraft der Grundrechte in die Betrachtung einbeziehen und auf ihre Relevanz für den vorliegenden Themenzusammenhang überprüfen. Nur eine Geltung der Grundrechte als subjektiver öffentlicher Rechte i m Privatrecht kann außer Betracht bleiben, da sie von keiner Seite ernstlich vertreten w i r d 3 . Es verbleiben dann als Möglichkeiten einer privatrechtsgestaltenden Wirkung der Grundrechte: Eine unmittelbare Geltung der Grundrechte i m Privatrechtsverkehr als subjektiver Rechte des Privatrechts, wobei eine unmittelbare Wirkung gegenüber jedermann oder nur gegenüber intermediären Gewalten (sozialen Mächten) möglich ist 4 . Des weiteren kommt in Betracht eine mittelbare Drittwirkung, die die Grundrechtsbestimmungen als Auslegungsregeln zivilrechtlicher Normen begreift oder ihnen Vorzugselemente für zivilrechtliche Interessenwertungen entnimmt 5 . Schließlich gilt es die Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers nach A r t . 1 Abs. 3 GG zu berücksichtigen 6 , die ebenfalls zu einer privatrechtsgestaltenden Wirkung der Grundrechte führen kann und die möglicherweise in einer abgewandelten Form, nämlich als 2 Sorgfältig i n dieser Richtung differenziert für A r t . 5 Abs. 1 GG Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 324 f. u n d S. 330. Wenn Scholler, a.a.O., S. 331 ff., die D r i t t w i r k u n g von Meinungs- und Pressefreiheit i m materiellen Sinn i n bezug setzt zu den verschiedenen Sphären des Privatseins u n d der Öffentlichkeit, so ist dem entgegenzuhalten, daß derartige Differenzierungen höchstens i m Rahmen der allgemeinen Gesetze vorgenommen werden können. U m ein eigentliches D r i t t w i r k u n g s p r o b l e m handelt es sich dabei nicht. 3 Vgl. etwa Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. A I I 4 d (S. 65); Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 13; Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S.355. 4 Nach Nipperdey i n Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., S. 94, genannt „absolute D r i t t w i r k u n g " , nach Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. A I I 4 d (S. 65) „einfach-mittelbare D r i t t w i r k u n g " . 5 Hierher gehören Kleins, a.a.O., Vorbem. A I I 4 f., Auffassung von den Grundrechtsbestimmungen als Auslegungsregeln, die mittelbare D r i t t w i r k u n g i m Sinne Dürigs u n d des BVerfG sowie die vertikale Normendurchdringung i m Sinne Burmeisters. 6 Darunter fallen die „zweifach-mittelbare D r i t t w i r k u n g " und die W i r k u n g der „Grundrechtsbestimmungen als Einrichtungsgarantien u n d Grundsatznormen" „ i n Rechtsbereiche außerhalb des Verfassungsrechts" nach Klein, a.a.O., Vorbem. A I I 4 d u n d e. Die Bindung des Zivilgesetzgebers gemäß A r t . 1 Abs. 3 GG wurde S. 209 f. bereits erwähnt.

214

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Grundrechtsbindung des Richters (ebenfalls nach Art. 1 Abs. 3 GG), ähnliche Wirkungen entfaltet. Als letzte eventuell privatrechtsgestaltende Kraft der Grundrechte bleibt zu nennen die Erscheinung der verfassungskonformen Gesetzesauslegung. Da die verfassungskonforme Gesetzesauslegung im verfassungsrechtlichen Gefüge jedoch teilweise dogmatische Besonderheiten aufweist, w i r d sie erst i m Anschluß an die verschiedenen Formen der privatrechtsgestaltenden Kraft der Grundrechte in einem engeren Sinn behandelt und diesen vergleichend gegenübergestellt.

2. Unterabschnitt: Die sog. D r i t t w i r k u n g der Grundrechte A. Das „Ob" einer Drittwirkung

1. Bisher wurde die verfassungskonforme Gesetzesauslegung, obwohl als möglicher Ausdruck einer privatrechtsgestaltenden K r a f t der Grundrechte erkannt, vorläufig aus der Erörterung ausgeklammert. Das gleiche soll noch mit der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers nach Art. 1 Abs. 3 GG geschehen. Denn die üblicherweise um die Geltung der Grundrechte i m Privatrechtsverkehr geführte Diskussion beschränkt sich auf die noch verbleibende unmittelbare und mittelbare Grundrechtsgeltung, die man mit D r i t t w i r k u n g i m engsten Sinn bezeichnen kann. Die in diesem engsten Rahmen vorgetragenen Argumente und Gegenargumente an die anderen und weiteren Erscheinungsformen einer privatrechtsgestaltenden K r a f t der Grundrechte heranzutragen, wäre ungerechtfertigt. Gleichwohl müssen sich die Endergebnisse eine Abstimmung m i t der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers und mit der verfassungskonformen Gesetzesauslegung gefallen lassen, die deshalb an gegebener Stelle wieder einzuführen ist. Die nun vorläufig auf die privatrechtsgestaltende K r a f t i m engsten Sinn beschränkte Erörterung muß zwei Fragen auseinanderhalten: Kommt den Grundrechten i m Privatrechtsverkehr überhaupt eine Bedeutung zu? Und wenn ja, auf welche Weise läßt sich die erkannte Bedeutung der Grundrechte i m Privatrechtsverkehr realisieren? 2. Die erste Frage ist an erster Stelle zu beantworten. Da die A n t w o r t jedoch weniger Schwierigkeiten bereitet als die der zweiten Frage, und da insoweit weitgehend Einigkeit herrscht, muß eine knappe Lösungsskizze genügen. Der Gedanke, daß die Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat darstellen, beherrscht noch immer und zu Recht

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG und das einfache Gesetzesrecht

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die Interpretation der Grundrechtsbestimmungen der Verfassung 7 . Wenn jedoch daraus der Schluß gezogen wird, daß sich die Grundrechte i n dieser „Staatsgerichtetheit" erschöpfen und eine darüber hinausgehende W i r kung der Grundrechte i n andere, vom Staat unmittelbar losgelöste Rechtsverhältnisse nicht in Frage kommt, so verkennt eine solche A u f fassung die Bedeutung der Grundrechte als Bestandteile des objektiven Rechts8. Den Hinweis auf die objektiv-rechtlichen Bestandteile der Grundrechte kann nicht der Einwand entkräften, daß die für ein richtiges Verständnis der Grundrechte notwendige historische Betrachtung nur eine Wirkung der Grundrechte i m Subordinationsverhältnis erlaube 9 . Denn neuere Untersuchungen der geschichtlichen Entwicklung der Grundrechte 10 haben gezeigt, daß mit Ausnahme des 19. Jahrhunderts 1 1 das Grundrechtsverständnis nicht in der bloßen Entgegensetzung zum Staat verhaftete. Selbst wenn dies unzutreffend wäre, ließe sich doch nicht leugnen, daß zumindest seit der Weimarer Zeit 1 2 eine Deutung der Grundrechte ausschließlich in Staatsrichtung den Gehalt verschiedener Grundrechte nicht mehr voll erfaßt. Unter der Geltung des Grundgesetzes hat sich die Tendenz verstärkt, die Grundrechte nicht nur als ausschließlich gegen den Staat gerichtete Rechte zu begreifen. Der Grund t r i t t zu Tage i m Anknüpfen des Grundgesetzes an wesentliche Grundsätze des Weimarer Verfassungslebens und i m Aufbauen einer Gegenposition zur nationalsozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung 13 . Die Tendenz selbst w i r d deutlich i n unmißverständlichen Verfassungsaussagen. Denn nach der Präambel w i l l das Grundgesetz nicht nur die staatliche Organisation neu ordnen, sondern dem „staatlichen Leben" schlechthin eine „neue Ordnung" geben 14 . Es ist 7

Vgl. z. B. BVerfG, J Z 58,119,120 — L ü t h —. Vgl. S. 100 m i t den Nachweisen i n Note 3. Eine derart strenge Auffassung w i r d k a u m vertreten. Denn meist w i r d wenigstens die Bedeutung der Grundrechte als Auslegungsregeln für das P r i vatrecht anerkannt; vgl. etwa Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. A I I 4 a—c und f; Ehmke, V V D S t R L 20, 53, 70, u n d ders., Wirtschaft u n d Verfassung, S. 78 ff.; Schmidt-Rimpler u. a., AöR 76, 165, 169 ff. u n d 173. Häufig w i r d jedoch dieser Gesichtspunkt als E i n w a n d gegen eine unmittelbare Grundrechtsgeltung i m10Privatrechtsverkehr verwendet. Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 3 ff. u n d S. 332 f.; Ramm, S. 43 ff.; Oestreich i n : Die Grundrechte 11, S. 9, 72 f. und 102. 11 Selbst für diese Zeit meint Hollerbach, AöR 85, 241, 254, eine erweiterte Grundrechtsgeltung annehmen zu können. 12 Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. A I I 4 b; Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 52 ff.; Nipperdey i n Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. H a l b bd., § 15 I I 4 c (S. 95 f.); Raiser, GG u n d Privatrechtsordnung, S. Β 6 f. A u f schlußreich sind i n diesem Zusammenhang die Darlegungen Häntzschels i n Hdb. d. dt. StR. I I , S. 651 ff., zu Geschichte, Wesen und verfassungsrechtlicher Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit. 13 Vgl. dazu Gerhard Müller, R d A 64, 121, 125, und Raiser, a.a.O., S. Β 8. 14 Darauf verweist Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 17; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 749 f. 8

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

dann n u r folgerichtig, den Grundrechten Bedeutung f ü r den A u f b a u e i n e r G r u n d o r d n u n g des w i r t s c h a f t l i c h e n , sozialen u n d p r i v a t e n Lebens zuzusprechen 1 5 . U n d des w e i t e r e n e r l a u b e n a l l e d r e i A b s ä t z e des A r t . 1 G G sowie der A r t . 19 A b s . 2 G G d e n Schluß, daß eine e r w e i t e r t e G r u n d r e c h t s g e l t u n g d e m Geist der V e r f a s s u n g e n t s p r i c h t 1 6 . Es d a r f n i c h t v e r w u n d e r n , w e n n n u n die B r ü c k e geschlagen w i r d z u m oben bereits u n a b h ä n g i g v o n der h i s t o r i s c h e n E n t w i c k l u n g d a r g e l e g t e n o b j e k t i v r e c h t l i c h e n G e h a l t d e r G r u n d r e c h t e 1 7 . D e n n dieser ist es, der d e n n u r i n die Staatsr i c h t u n g w i r k e n d e n s u b j e k t i v r e c h t l i c h e n G e h a l t der G r u n d r e c h t e e r gänzt. I h n m e i n e n die S t i m m e n , die i m Z u s a m m e n h a n g der D r i t t w i r k u n g s p r o b l e m a t i k v o n d e n G r u n d r e c h t e n als W e r t e n t s c h e i d u n g e n , Grundentscheidungen, unverzichtbaren Werten, Ordnungssätzen u n d G r u n d s a t z n o r m e n f ü r a l l e Bereiche des Rechts sprechen 1 8 , w o b e i ge15 So oder ähnlich: Laufke i n Festschrift für Heinrich Lehmann, S. 151 f.; Bachof i n : Die Grundrechte I I I 1, S. 164; Ramm, S. 51 f.; Going, S. 12; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 333; Friedrich Müller, S. 144 f.; a. A. Raiser , GG u n d Privatrechtsordnung, S. Β 11 f. Nicht berechtigt dieser Zusammenhang zu dem Schluß, daß wegen der Grundrechtsgeltung gegenüber dem Staat erst recht eine solche gegenüber Privaten i n Frage komme; diesen Schluß lehnen ab Dürig i n Nawiasky-Festschrift, S. 158; ders. i n Maunz-Dürig, A n m . 130 zu A r t . 1 Abs. 3 GG; ders., DÖV 58, 194, 196 f.; Nipperdey i n Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 15 I I 4 c (S. 97); Reimers, S. 15; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., § 13 I I 11 (S. 94). 16 Laufke i n Festschrift für Heinrich Lehmann, S. 154; Coing, S. 11; Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 139 ff. u n d S. 333; letzterem zustimmend Koebel, J Z 61, 521, 523; Gerhard Müller, R d A 64, 121, 125; Raiser, GG und Privatrechtsordnung, S. Β 10 f.; Dürig i n Maunz-Dürig, A n m . 102 und 131 zu A r t . 1 Abs. 3 GG. Das soll nicht heißen, daß die Geltung der Grundrechte i m Privatrechtsverkehr aus der Grundrechtsbindung des Richters nach A r t . 1 Abs. 3 GG folge; so aber BVerfG, J Z 58, 119, 120 — L ü t h — ; und Gallwas, S. 52 f.; dagegen Schmidt-Rimpler u.a., AöR 76, 165, 176f.; Dürig i n Nawiasky-Festschrift, S. 157; ders. i n Maunz-Dürig, A n m . 120 f. zu A r t . 1 Abs. 3 GG; Nipperdey i n : Die Grundrechte I V 2, S. 750 Note 36; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 315; Hesse, S. 140; Raiser, GG u n d Privatrechtsordnung, S. Β 11. Wenn die zuletzt genannten Stimmen die Ablehnung damit begründen, daß die Grundrechtsbindung des Richters nur bestehe, soweit die Grundrechte die Beziehungen der Staatsbürger zueinander regelten, was gerade zu beweisen sei, k a n n dem nicht i n vollem Umfang zugestimmt werden. Denn der Richter muß zumindest die dem Gesetzgeber auferlegte Grundrechtsbindung nach A r t . 1 Abs. 3 GG beachten und der Geltung der Grundrechte bei tatbestandlich weiter gefaßten Normen u n d bei Generalklauseln i n dem Maße zum Durchbruch verhelfen, wie es Aufgabe des Gesetzgebers gewesen wäre (vgl. dazu S. 228 ff.). Eine darüber hinausgehende privatrechtsgestaltende K r a f t folgt jedoch nicht unmittelbar aus A r t . 1 Abs. 3 GG; insofern ist den oben genannten ablehnenden Stimmen zuzustimmen. 17 Vgl. die S. 99 ff. vorgenommene Untersuchung, Scheuner, V V D S t R L 22, 59, ist also dazu zuzustimmen, daß sich die von Rspr. und Lehre befürwortete D r i t t w i r k u n g weniger auf die subjektiven Berechtigungen als eher nur auf die institutionellen Bestandteile der grundrechtlichen Vorschriften beziehen kann. 18 Vgl. die S. 100 Note 3 genannten Stimmen. Daraus folgt jedoch nicht die Notwendigkeit, die Grundrechte i n ein Wertsystem einzufügen; vgl. dazu S. 101 Note 6 und 7.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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legentlich der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung hilfreiche Unterstützung gewährt 1 9 . Ist so unzweifelhaft eine über das Verhältnis Bürger — Staatsgewalt hinausgehende Bedeutung der Grundrechte anzuerkennen, so darf dieses Ergebnis doch nicht zu vorschnellen Folgerungen etwa der A r t verleiten, daß nun allen Grundrechten gleichermaßen eine erweiterte Bedeutung zukomme 20 . Denn die objektivrechtlichen Gehalte der einzelnen Grundrechte sind von unterschiedlichem Gewicht. 3. Deshalb bedarf es noch eines Wortes zur Fähigkeit der Äußerungsfreiheit des einzelnen und der Presse, über das Verhältnis des Bürgers zur Staatsgewalt hinauszuwirken. Trotz der nicht erfolgten Übernahme der Regelung des A r t . 118 Abs. 1 S. 2 W V w i l l das Grundgesetz die Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit nicht auf das Verhältnis des Bürgers zum Staat zurückdrängen 21 . Denn das würde der eingangs erwähnten Entscheidung für eine möglichst umfassende Grundrechtsgeltung zuwiderlaufen. Und das würde auch nicht der Bedeutung der Kommunikation gerecht, die schon ihrer Natur nach über das Verhältnis des Bürgers zum Staat hinausreicht 22 , da sie umfassende Verbindungen innerhalb des staatlichen und des gesellschaftlichen Lebens sowie zwischen beiden Bereichen herstellt 2 3 . I n Konsequenz dieser Auffassung läßt sich die Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte nicht auf das Subordinationsverhältnis beschränken. Jede andere Auffassung würde dem bisher ermittelten objektivrechtlichen Gehalt der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG widersprechen.

B. Das „Wie" einer Drittwirkung

Wenn bis hierher den Grundrechten eine Wirkungskraft über die Geltung als gegen die Staatsgewalt gerichtete subjektive Rechte hinaus zugesprochen worden ist, so wartet noch die Frage auf eine Antwort, in welcher Form die Grundrechte auf den Privatrechtsverkehr einwirken. 19

Coing, S. 11, und Nipperdey, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 17 f. v. Caemmerer, S. 106; Laufke i n Festschrift für Heinrich Lehmann, S. 155; Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 20; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 752; Scholler, Person und Öffentlichkeit, S. 324 f. u n d S. 330. 21 Ebenso B A G , N J W 55, 506; Nipperdey, DVB1 58, 445, 448; ders. i n Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 15 I I 4 f (S. 105). 22 Z u r Drittwirkungsfähigkeit des A r t . 5 Abs. 1 GG vgl. die i n Note 21 Genannten u n d des weiteren: BVerfG, JZ 58, 119, 120 ff.; Nipperdey, G r u n d rechte und Privatrecht, S. 26; Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 321 ff.; Schule i n Schüle-Huber, S. 21 f.; Larenz, Anm. zu B G H i n A P Nr. 2 zu A r t . 5 Abs. 1 GG (Bl. 12 ff.) — B l i n k f ü e r — ; Franz Schneider, Presse- u n d Meinungsfreiheit, S. 52 ff.; Reisnecker, S. 191 f. 23 Vgl. S. 120 f. 20

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

Obwohl das Beispiel der Kommunikationsgrundrechte und ihres objektivrechtlichen Gehalts, der allein für fähig befunden wurde, über das Subordinationsverhältnis hinauszuwirken, es nahelegt, eine Wirkung der Grundrechte als subjektiver Rechte des Privatrechts auszuschließen, ist auch diese Auffassung i m Gegensatz zur Annahme einer nur mittelbaren Wirkung der Grundrechte im Privatrechtsverkehr geläufig. Die nähere Betrachtung der angeblich unmittelbaren D r i t t w i r k u n g der Grundrechte w i r d jedoch zeigen, daß i m Verlaufe einer ständigen Auseinandersetzung mit der Gegenauffassung die Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g ihre Positionen denen der Lehre von einer mittelbaren Grundrechtswirkung extrem annähern mußte. Hier werden die ersten Gründe zu finden sein, die auf die allein mögliche Annahme einer mittelbaren D r i t t w i r k u n g hinweisen. I. D i e a b s o l u t e o d e r unmittelbare Drittwirkung Die folgende Darstellung dieser Lehre w i r d zeigen, daß die gewählte Überschrift eigentlich nur noch mit starken Einschränkungen den Kern dieser Auffassung wiedergibt. 1. U m die Schwierigkeiten aufzuzeigen, denen die Annahme einer unmittelbaren Grundrechtsgeltung i m Privatrecht 2 4 begegnet, müssen kurz die Auffassungen dreier Autoren dargelegt werden. Denn nur so läßt sich eindeutig nachweisen, warum dieser Lehre zugunsten einer nur mittelbaren Grundrechtswirkung das Nachsehen zu geben ist. a) Geiger entnimmt den Grundrechtsbestimmungen absolute, subjektive private Rechte und absolut geschützte, privatrechtliche Rechtsgüter 2 5 . Das Bestreben, die Systematik des Privatrechts unzerstört zu lassen 26 , führt Geiger zu folgender Begrenzung dieser Rechte. Die subjektiven (privaten) Rechte reichen nicht weiter als der korrespondierende verfassungsrechtliche Anspruch gegen den Staat auf Unterlassung; d. h., daß die Grenze zwischen der rechtmäßigen und rechtswidrigen Ausübung dieser Rechte und der erlaubten und unerlaubten Beeinträchtigung entsprechend den durch die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte 24 Eine unmittelbare D r i t t w i r k u n g befürworten: B A G E 1, 185, 193 f.; 1, 258, 262; 4, 240, 243; 4, 274, 276 ff.; 7, 256, 260; 13, 168, 174 ff.; B G H Z 33, 145, 149 f.; 38, 317, 319 f.; Geiger, Die Grundrechte i n der Privatrechtsordnung; ders., Wandlung der Grundrechte, S. 15 f.; Laufke i n Festschrift für Heinrich L e h mann, S. 153 ff.; Nipperdey, DVB158, 445, 446 ff.; ders., Grundrechte und P r i v a t recht; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 747 ff.; ders. i n Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 15' I I 4 (S. 91 ff.); Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 379 ff. 25 Geiger, Grundrechte i n der Privatrechtsordnung, S. 34. 26 Geiger, a.a.O., S. 37.

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errichteten Schranken verläuft 2 7 . Die den Grundrechtsbestimmungen zu entnehmenden Rechtsgüter dagegen sind nach Geiger gegen jeden gezielten Eingriff geschützt 28 . Unabhängig von den noch insgesamt gegen die Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g zu erhebenden Einwänden, ist Geiger speziell folgendes vorzuhalten: Das Erfordernis des gezielten Eingriffs verdeckt nur die Erforderlichkeit einer Interessenwertung zur Bestimmung dessen, ob ein Eingriff wirklich vorliegt 2 9 . b) Leisner unterscheidet für die Geltung der den Grundrechtsbestimmungen zu entnehmenden subjektiven Privatrechte den Bereich des Vertragsrechts und den Bereich der außervertraglichen Rechtsbeziehungen 30 . Für das Ausmaß, i n dem bei vertraglichen Rechtsbeziehungen auf den Grundrechtsschutz verzichtet werden könne, seien die Gesetzesvorbehalte der einzelnen Grundrechte maßgebend 31 . Der Wesensgehalt der Grundrechte müsse dabei gewahrt bleiben 32 . I m Rahmen außervertraglicher Rechtsbeziehungen gelte der Kernbereichsschutz ebenfalls 33 . A n sonsten seien die möglichen Grundrechtskollisionen entsprechend der Regelung der einzelnen Grundrechtsvorbehalte zu lösen 34 . So gehe etwa ein Grundrecht ohne Vorbehalt dem mit einem Vorbehalt vor. Und bei zwei Grundrechten, die unter einem gleichen Vorbehalt ständen, ginge das speziellere vor 3 5 . c) Nipperdey schließlich anerkennt erst einmal eine unbeschränkte Grundrechtsgeltung gegenüber sozialen Gewalten 3 6 . Des weiteren aber befürwortet er eine allerdings teilweise beschränkte Geltung der den Grundrechtsbestimmungen zu entnehmenden subjektiven Privatrechte in der tatsächlichen Gleichheitslage 37 . Das Maß der Beschränkungsmög27

Geiger, a.a.O., S. 41 f. Geiger, a.a.O., S. 45 ff. 29 Das w i r d besonders deutlich bei dem von Geiger, a.a.O., S. 48, besprochenen Beispielsfall einer schädlichen Presseäußerung. I m übrigen versteht Geiger es nicht, fahrlässige Verletzungshandlungen zu erfassen; vgl. die K r i t i k von Koebel, JZ 61, 521. Weiterhin läßt Geigers offensichtlich nur auf das außervertragliche Handeln zugeschnittene Auffassung nicht erkennen, wie die D r i t t w i r k u n g bei vertraglichem Handeln verläuft. 30 Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 379. 31 Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 384. 32 Leisner, a.a.O., S. 389. 33 Leisner, a.a.O., S. 391. 34 Leisner, a.a.O., S. 391 ff. 35 Leisner, a.a.O., S. 392. 38 Nipperdey, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 19; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 752 f. 37 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 19 f.; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 754 f. 28

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

lichkeiten dieser Rechte bestimmt Nipperdey i m vertraglichen und i m außervertraglichen Bereich ebenso wie Leisner 38 . 2. Der derart ausgeführten Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g der Grundrechte ist folgendes zuzugestehen: a) Die Geltung der Grundrechte gegenüber intermediären Gewalten oder, wie Bydlinski plastisch formuliert, „ i n staatsähnlichen Unentrinnbarkeitssituationen" 3 9 kann i n dieser oder jener Form nicht angezweifelt werden 4 0 . Doch handelt es sich dabei um ein i m Vergleich zu einer allgemeinen Grundrechtswirkung i m Privatrechtsverkehr sachlich anders gelagertes Sonderproblem, dessen Eigenheiten eine getrennte Behandlung verlangen 41 . Denn i m Verhältnis des einzelnen zu sozialen Gewalten besteht eine dem Subordinationsverhältnis ähnliche Interessenlage 42 , deren Annahme i m Koordinationsverhältnis üblichen Zuschnitts ausscheidet. Diese besondere A r t der Grundrechtsgeltung 43 darf nicht mit der hier interessierenden Grundrechtswirkung verschmolzen werden. Wäre es anders, so würde der Blick auf die allgemeine privatrechtsgestaltende Kraft der Grundrechte getrübt 4 4 . b) Die Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g der Grundrechte zumindest i n der von Leisner und Nipperdey entwickelten Form gefährdet nicht die Privatautonomie 4 5 . Denn diese Lehre w i l l ebenso wie 38

Nipperdey i n : Die Grundrechte I V 2, S. 754 f. Bydlinski, Österr. Zeitschr. f. öff. R., Bd. X I I (nF), S. 437. 40 Eine unmittelbare Grundrechtsgeltung gegenüber intermediären Gewalten befürworten oder halten zumindest für erwägenswert: Forsthoff, U m b i l dung, S. 158; Scheuner, V V D S t R L 22, 73 und 76; Ballerstedt i n : Die G r u n d rechte I I I 1, S. 59; Klein i n v. Mangoldt-Klein, Vorbem. A I I 4 b; Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 19; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 752 f.; Ehmke, Wirtschaft u n d Verfassung, S. 80 f. ; Raiser, GG und Privatrechtsordnung, S. Β 12 f.; Bydlinski, a.a.O., S. 437; a. A. Reimers, S. 17 f. 41 So w i r d man w o h l den intermediären Gewalten i n diesen Situationen den Grundrechtsschutz aberkennen müssen. Welche Schwierigkeiten hier noch zu lösen sind, zeigt die gefährliche Nähe dieses Ausspruchs zu jenem dem BVerfG nach A r t . 18 GG vorbehaltenen Entscheid. 42 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 19, ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 753, spricht insoweit von einer nur fiktiven Gleichheitslage. 43 Sie erlangt i m Rahmen dieser Arbeit keine besondere Bedeutung und soll deshalb auf sich beruhen. 44 Dürig, DÖV 58, 194, 197, weist zutreffend darauf hin, daß die Lehre der unmittelbaren Grundrechtsgeltung zu Unrecht i h r „eigentliches Charisma" aus dem Bedürfnis ziehe, den Menschen gegenüber „sozialen Zwischenmächten" zu schützen. Wie berechtigt dieser Hinweis ist, zeigen Coing, S. 11; Nipperdey i n Enneccerus-Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., § 15 I I 4 c (S. 96); ders., G r u n d rechte und Privatrecht, S. 16 f.; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 749. 45 M i t diesem E i n w a n d begegnen der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g Dürig i n Nawiasky-Festschrift, S. 158 ff.; ders. i n Maunz-Dürig, A n m . 129 f. zu A r t . 1 Abs. 3 GG; Bachof i n : Die Grundrechte I I I 1, S. 173; Reimers, S. 16; Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, S. 79 und S. 82. 39

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diejenige, die eine mittelbare D r i t t w i r k u n g der Grundrechte befürwortet, die aus Art. 2 Abs. 1 GG folgende Gestaltungsfreiheit der Parteien i m privatrechtlichen Rechtsleben wahren 4 6 . Das w i r d deutlich, wenn nur der grundrechtliche Wesensgehalt als unverzichtbar hingestellt wird, während i m übrigen die grundrechtlichen Schrankenvorbehalte allein als Anhaltspunkte für die Beschränkbarkeit der Grundrechte bei vertraglichen Rechtsbeziehungen dienen 47 . c) Der weitere gegen die Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g erhobene Vorwurf, sie gefährde die Eigenständigkeit des Zivilrechts 4 8 , greift weiter als der zuvor genannte Einwand, da er nicht nur die Auswirkungen auf vertragliche, sondern auch auf außervertragliche Rechtsbeziehungen beanstandet. Aber auch dieser Tadel trifft nicht i n vollem Umfang zu. Denn die Vertreter der Lehre von der unmittelbaren D r i t t wirkung bemühen sich aufs äußerste, die den Grundrechten entnommenen subjektiven privaten Rechte in die herkömmliche Systematik des Privatrechts einzupassen. Diese Versuche sind auch teilweise erfolgreich. Dennoch bringt die unmittelbare D r i t t w i r k u n g i n Teilbereiche des Privatrechts Unruhe, die sich i n kaum lösbaren Problemen wie dem der Begrenzung der übernommenen Rechte abzeichnet. Und des weiteren nimmt die Gefahr zu, den Entscheidungen des einfachen Gesetzesrechts durch den unmittelbaren Rückgriff auf die Grundrechte auszuweichen 49 . 3. Die vorhergehenden drei Unterpunkte ließen die Frage nach dem „Wie" einer D r i t t w i r k u n g noch unentschieden, wenn auch der Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g der Grundrechte durch das Ausklammern der Grundrechtsgeltung gegenüber intermediären Gewalten ihr charismatischer Zug genommen wurde und sich i m übrigen Mängel bei der detaillierten Ausführung dieser Lehre offenbarten. Die nun folgenden Überlegungen nötigen jedoch endgültig dazu, der Lehre von der unmittelbaren Grundrechtsgeltung i m Privatrechtsverkehr den Rücken zu kehren. Dabei sind zwei Gruppen von Gründen zu unterscheiden. Die einen treten von außen an die Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g heran, während die anderen aus den Widersprüchen dieser Lehre selbst zu gewinnen sind. Der zweiten Gruppe kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil sie zwingend zur Bejahung einer mittelbaren Grund46 Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 318 f., S. 330 und S. 384 ff.; Nipperdey, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 18 f.; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 754 f. N u r Geiger, Grundrechte i n der Privatrechtsordnung, t r i f f t dieser E i n wand, da er überhaupt nicht auf die Problematik vertraglicher Rechtsbeziehungen eingeht. 47 Das w i r d besonders k l a r bei Nipperdey i n : Die Grundrechte I V 2, S. 755. 48 Dürig i n Nawiasky-Festschrift, S. 164; ders. i n Maunz-Dürig, Anm. 129 zu Art. 1 Abs. 3 GG; Esser, JZ 56, 555, 556; Ballerstedt i n : Die Grundrechte I I I 1, S. 56 f.; Ramm, S. 54. 49 Bydlinski, Österr. Zeitschr. f. öff. R., Bd. X I I (nF), S. 446 f.

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rechtsgeltung i m Privatrechtsverkehr führt, gleich wie man sie i m Endergebnis ausgestalten mag. a) Zur ersten Gruppe gehören folgende Überlegungen: aa) Die bisherige Entwicklung des Privatrechts unter der Geltung der Weimarer Verfassung und unter der Geltung des Grundgesetzes hat bewiesen, daß das Privatrecht aus sich heraus Entwicklungen vollzogen hat, die den dem Privatrecht in der Entstehungszeit nachfolgenden und teilweise neuernden Verfassungsentscheidungen ,cum grano salis' gerecht werden 5 0 . I n Anbetracht dieser Tatsache erscheint ein gewaltsamer Einfall der Grundrechte i n die Ebene des Privatrechts als voreilig und überflüssig. bb) Des weiteren läßt es der wiederholt betonte objektivrechtliche Gehalt der Grundrechte und insbesondere der hier interessierenden Äußerungsfreiheit als äußerst fragwürdig erscheinen, den Grundrechten auch Geltung als subjektiven Rechten des Privatrechts zu verschaffen 51 . Denn wenn es zutrifft, daß gerade dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte eine über das Subordinationsverhältnis hinausreichende Bedeutung zukommt, dann dürfte die Ableitung subjektiver Privatrechte aus den Grundrechten ausscheiden. Anderenfalls würde dem objektivrechtlichen Gehalt insoweit wieder seine eigene A r t genommen. b) Die zweite, weit wichtigere Gruppe der gegen die Lehre von der unmittelbaren D r i t t w i r k u n g vorzubringenden Argumente kennzeichnen folgende Überlegungen: aa) Den Thesen Leisners, Geigers und Nipperdeys ist erst einmal entgegenzuhalten, daß sie die aus der die D r i t t w i r k u n g beschränkenden Schrankenwirkung erwachsenden Widersprüche nicht hervorheben, geschweige denn zu lösen versuchen 52 . Zur Verdeutlichung: Die genannten Autoren befürworten eine Entnahme von subjektiven Privatrechten aus den Grundrechtsbestimmungen und versuchen diese i m Privatrecht geltenden Rechte durch die Grundrechtsschranken zu begrenzen, zu denen auch die Privatrechtsordnung zählt. Die ins Privatrecht i n abgewandelter Form hineinwirkenden Grundrechte werden also i n ihrer Wirkung durch die Privatrechtsordnung beschränkt, der sie selber angehören. Wenn sich diese Widersprüche überhaupt auflösen lassen, so doch nur auf die Weise, daß die Grundrechte eben nicht unmittelbar und vor allem nicht absolut, sondern nur i n modifizierter Weise i m Privatrecht wirken. 50 Raiser , GG und Privatrechtsordnung, S. Β 16 ff., und Bydlinski, österr. Zeitschr. f. öff. R., Bd. X I I (nF), S. 435, m i t dem zutreffenden Verweis auf Leisners Untersuchungen i n : Grundrechte u n d Privatrecht. 51 Dieser Gesichtspunkt wurde S. 217 f. bereits gestreift. 52 Darauf verweist Dürig i n Nawiasky-Festschrift, S. 171.

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bb) Tatsächlich lassen nun die zuvor genannten Autoren die drittwirkungsfähigen Grundrechte i n der richtigen Erkenntnis, daß beide am Koordinationsverhältnis beteiligte Parteien Grundrechtsträger sind 5 3 , i m Privatrechtsverkehr nicht absolut, auch nicht unmittelbar, sondern nur modifiziert und verkürzt wirken 5 4 . Denn sowohl bei vertraglichen wie auch bei außervertraglichen Rechtsbeziehungen sind nach dieser Lehre Einschränkungen der drittwirkenden Rechte bis zur Grenze des grundrechtlichen Wesensgehalts möglich. Falls das nicht überzeugt, weil die Begrenzung bis zum Wesensgehalt möglicherweise nicht den Regelfall, sondern nur die Ausnahme darstellt, so führt der Blick auf die außervertraglichen Rechtsbeziehungen weiter. Denn die deliktischen Beziehungen zeigen am deutlichsten, daß die Grundrechte nicht unmittelbar und nicht absolut als private Rechte gelten, da sowohl der Verletzte wie der Verletzer ein drittwirkendes Grundrecht zur Unterstützung anführen können, die Möglichkeit aber ausgeschlossen ist, beiden das volle Recht zuzuerkennen, was allein einer unmittelbaren und absoluten W i r kung gemäß wäre. Das Gegeneinanderstehen, die „ F r i k t i o n " 5 5 der Grundrechte schließt diesen Weg aus. cc) Ist derart dargetan, daß die Lehre von der unmittelbaren D r i t t wirkung der Grundrechte nicht mehr als eine modifizierte und verkürzte Grundrechtsgeltung i m Privatrecht befürwortet und befürworten kann, so muß des weiteren festgestellt werden, daß der vorgeschlagene Weg zur Modifizierung der Grundrechtswirkung nicht überzeugt. Die Orientierung an den grundrechtlichen Schranken ergibt keine zutreffenden Kriterien. Denn die Grundrechtsschranken sind infolge der ausdrücklichen Adressierung des Gesetzgebers nur auf das Subordinationsverhältnis zugeschnitten 56 . Die Grundrechtsschranken auf das Koordinationsverhältnis übertragen zu wollen, scheitert nicht nur daran, daß dem Grundrechtsträger statt der Staatsgewalt ein anderer Grundrechtsträger gegenübersteht, sondern auch daran, daß das Koordinationsverhältnis durch die Beteiligung des die Privatrechtsnormen bereitstellenden Gesetzgebers und des streitschlichtenden Richters, also durch die Staatsgewalt, zu einem Dreiecksverhältnis erweitert w i r d 5 7 . Aber nicht nur diese theoretischen Bedenken verbieten eine Orientierung an den Grundrechtsschranken. Auch die praktischen Ergebnisse dieser Auffassung 53 Nipeprdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 18 f.; ders. i n : Die Grundrechte I V 2, S. 755; Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 391; vgl. dazu auch Gerhard Müller, RdA 64, 121, 124 f.; Dürig, DÖV 58, 194, 196 f.; Bydlinski österr. Zeitschr. f. öff. R., Bd. X I I (nF), S. 439 f.; Hesse, S. 141. 54 Bydlinski, a.a.O., S. 442 und S. 444 f. M Gerhard Müller, RdA 64,121,124 f. 56 I m Ergebnis ebenso Bydlinski, Österr. Zeitschr. f. öff. R., Bd. X I I (nF), S. 438 f., u n d Gallwas, S. 53 ff. 57 Gallwas, S. 38 u n d S. 52; vgl. auch oben S. 209 m i t Note 109.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

befriedigen nicht, worauf Koebel anhand von Beispielen verweist 5 8 . Zutreffende Ergebnisse lassen sich höchstens durch sorgfältige Wertungen der gegeneinanderstehenden Interessen ermitteln. Doch ist damit der Boden der Lehre von der unmittelbaren Grundrechtswirkung endgültig verlassen. Gerhard Müller hat vorgeschlagen, die infolge einer unmittelbaren D r i t t w i r k u n g der Grundrechte auftretenden Friktionen unter Berücksichtigung der „Sachlogik", der „Natur der Sache", der „Sachgegebenheiten" und der „Sachverhaltsbedingungen" zu lösen 59 . Ganz abgesehen davon, daß diese These einer von der unmittelbaren und absoluten D r i t t w i r k u n g abrückenden, abwägenden Wertung T ü r und Tor öffnet, drängt diese Auffassung die Drittwirkungsproblematik sehr stark i n die Nähe einer vom Privatrecht her zu erschließenden mittelbaren Grundrechtsgeltung, da die Natur der Sache i n den Fällen, die für eine durch ein drittwirkendes Grundrecht beeinflußte Entscheidung i n Betracht kommen, i n aller Regel bereits privatrechtlich eingefangen ist und im Gegenzug vom Privatrecht her neue Konturen gewinnt. II. D i e

mittelbare

Drittwirkung

Der Weg zur Annahme einer unmittelbaren Wirkung der Grundrechte i m Privatrecht ist also aus den verschiedensten Gründen versperrt. Als Ausweg bleibt die Möglichkeit, eine verkürzte, modifizierte oder mittelbare Geltung der Grundrechte i m Privatrechtsverkehr anzunehmen, die der zuvor bejahten, über das Subordinationsverhältnis hinausreichenden Bedeutung der Grundrechte zu entsprechen versucht. 1. Repräsentativ für die Lehre von der mittelbaren Wirkung der Grundrechte i m Privatrecht 6 0 sind die Stellungnahmen Dürigs 6 1 und des BVerfG 6 2 . Beide entnehmen dem Grundrechtsabschnitt der Verfassung ein für alle Bereiche des Rechts geltendes Wertsystem 63 , dessen Wertentscheidungen auch das bürgerliche Recht beeinflussen. Dürig sieht als aufnahmefähig für die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen an „die wertausfüllungsfähigen und wertausfüllungsbedürftigen General58 Koebel, J Z 61, 521, 524 f., dessen Beispiele unter Zugrundelegung von BVerfGE 6, 32, 37 f., der entgegengesetzten Lösung zuzuführen wären, was ebensowenig befriedigt. 59 Gerhard Müller, R d A 64,121,126. 60 Dürig i n Nawiasky-Festschrift, S. 176 ff.; ders. i n Maunz-Dürig, A n m . 132 f. zu A r t . 1 Abs. 3 GG; Schule, AöR 82, 368, 372; Bachof i n : Die Grundrechte I I I 1, S. 164 und 173 f.; Ramm, S. 52; Coing, S. 12; Reimers, S. 16 f.; Bydlinski, Österr. Zeitschr. f. öff. R., Bd. X I I (nF), S. 442 ff.; Ehmke, Wirtschaft u n d V e r fassung, S. 81 f.; Maunz, Staatsrecht, 15. Aufl., § 13 I I 11 (S. 93 f.); BVerfG, J Z 58,119, 120 — L ü t h —. 61 Dürig i n Nawiasky-Festschrift, S. 176 ff. 62 BVerfG, JZ 58,119,120 — L ü t h —. 63 BVerfG, a.a.O.; Dürig, a.a.O., S. 176 f.; vgl. S. 101 m i t Note 6 u n d 7.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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klausein" des Zivilrechts 6 4 . Dabei unterscheidet er drei Intensitätsgrade der Wertausfüllung: Die Wertverdeutlichung, die Wertakzentuierung und die Schließung von privatrechtlichen Wertungslücken 65 . Das BVerfG geht i m wesentlichen nicht anders, wenn auch weniger detailliert vor, wenn es die Auslegung der zwingenden Normen des Privatrechts, vor allem aber der Generalklauseln, durch das verfassungsrechtliche Wertsystem beeinflußt sein lassen w i l l 6 6 . 2. Insbesondere die Lehre Dürigs 6 7 blieb vor K r i t i k nicht verschont. Leisner 6 8 und Burmeister 6 9 wenden vor allem ein, daß diejenigen der zivilrechtlichen Generalklauseln, die auf die „guten Sitten", „die Verkehrsanschauung" oder „den Handelsbrauch" verweisen, keine Wertausfüllung erfahren könnten, da sie nicht als Blankett für die Aufnahme anderer Norminhalte, sondern als Verweis auf etwas grundsätzlich Unnormierbares gedacht seien. Denn hauptsächlich die außerrechtliche, soziologische Entwicklung bestimme den Inhalt dieser Normen. Vom Boden dieser Arbeit aus 70 vermag dieser Einwand nicht zu überzeugen. Denn die für den Unternehmensschutz so bedeutsamen Generalklauseln, die für die Entscheidung auf die „guten Sitten" verweisen, lassen den Richter i m Stich, wenn man den Verweis wortwörtlich zu begreifen versucht. Wie bereits dargelegt 71 , h i l f t allein die Annahme weiter, daß der Gesetzgeber die eigentlich i h m obliegende Aufgabe, Interessenkonflikte durch Interessenwertungen zu lösen, auf den Richter durch die Generalklauseln delegiert hat. Daß die auf den Richter delegierte Interessenwertung auch verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen offen steht, wurde ebenfalls bereits bejaht 7 2 . Leisners als kritischer Einwand 64

Dürig, a.a.O. Dürig, a.a.O., S. 177 ff. ββ BVerfG, a.a.O. 67 Diese K r i t i k gilt auch dem ungenannten BVerfG, das den verfassungsrechtlichen Einfluß vor allem i n den Generalklauseln realisieren w i l l , t r i f f t es aber nicht so sehr i n dem i m L ü t h - U r t e i l entschiedenen Fall, da das BVerfG dort f ü r die A n w e n d u n g des § 826 B G B eine Interessenabwägung befürwortet, die nicht auf außerrechtliche Maßstäbe abstellt. 68 Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 364 ff. Leisner beanstandet Dürigs Lehre nicht, soweit die Wertausfüllung bei Normen ansetzt, die etwa auf „soziale Härte", einen „wichtigen G r u n d " u. a. abstellen. 69 Burmeister, S. 45 f. Note 159 u n d S. 46 ff. 70 „Handelsbrauch", „Verkehrsanschauung", „ T r e u u n d Glauben" interessieren hier nicht. Wieweit Leisners u n d Burmeisters Einwände für diese K l a u seln zutreffen, kann nicht nachgeprüft werden. Es scheint aber, als ob die ersten beiden Formeln w i r k l i c h auf außerrechtliche Maßstäbe verweisen, so daß die genannte K r i t i k insoweit zutrifft, u n d die Grundrechte dort n u r eine begrenzende F u n k t i o n erfüllen (vgl. Leisner, a.a.O., S. 367, u n d unten S. 228 ff.). Dagegen muß die Formel v o n „ T r e u u n d Glauben" w o h l w i e die von den „guten Sitten" behandelt werden. 71 Vgl. S. 64 ff. und S. 76 ff. 72 Vgl. S. 94 ff. 65

15

Koller

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

gedachte Bemerkung, daß die starren grundrechtlichen Berechtigungen i n eine Reihe von „wertgewichtigen Bausteinen" aufgelöst würden, die man auf die „typisch privatrechtliche Waage der Interessenabwägung" legen könne 7 3 , scheint also den richtigen K e r n zu treffen, obwohl gerade Dürig seine Lehre nicht bis zu diesem Punkt fortgeführt hat. 3. Denn insoweit t r i f f t Burmeisters 7 4 gegen Dürig gerichtete K r i t i k zu, daß Begriffe wie „Wertakzentuierung", „Wertverschärfung" und „Wertgewichtsverstärkung" nicht geeignet sind, „die Frage nach den Grenzen der Interpretationsfunktion der Verfassung für das einfache Gesetz hinreichend klar und befriedigend zu beantworten". Dürig läßt den u m die Rechtsanwendung Bemühten i n dem Moment i m Stich, da er auf die Notwendigkeit einer Wertausfüllung der zivilrechtlichen Generalklauseln verwiesen hat. Wie dies i m einzelnen zu erfolgen hat, sagt er nicht. Noch immer fehlen die Kriterien, nach denen die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen den den einzelnen zivilrechtlichen Fall entscheidenden Normen beizugeben sind. Denn m i t dem Verweis auf eine Wertausfüllung sind diese Fragen nicht beantwortet. Insbesondere schweigt Dürigs Lehre zu folgenden Erwägungen: Wie verhält sich die von i h m befürwortete mittelbare D r i t t w i r k u n g der Grundrechte zu der Grundrechtsbindung des Gesetzgebers nach A r t . 1 Abs. 3 GG, die möglicherweise bei weitgefaßten Tatbeständen i n eine Grundrechtsbindung auch des Zivilrichters umschlägt? Sind die Grundrechte beider am Koordinationsverhältnis beteiligter Grundrechtsträger zur Wertausfüllung geeignet, oder kommt nur das Grundrecht des einen oder des anderen i n Betracht? Erfährt die Wertausfüllung schließlich dadurch Einschränkungen, daß die zivilrechtlichen Generalklauseln den Grundrechtsschranken zuzuzählen sind 75 ? III. D i e

Lösung

1. Die bis zu diesem Punkt fortgeführte Untersuchung enthält auf eine kurze Formel gebracht zwei Ergebnisse, die den Ausgangspunkt für die endgültige Lösung bilden. Ein bedeutsamer Teil zivilrechtlicher Normen erlangt rechtliche Relevanz für den zu entscheidenden Einzelfall nur durch eine richterliche Interessenwertung, die auch verfassungsrechtlichen Wertungen offensteht. Und auf der anderen Seite hält die Verfassung i n den objektivrechtlichen Bestandteilen der Grundrechte eine Reihe von Wertentscheidungen bereit, die über den rein verfassungsrechtlichen Bereich hinausreichen. 73

Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 371 f. Burmeister, S. 47. 75 Gemeint ist die bereits mehrfach erwähnte, der D r i t t w i r k u n g möglicherweise gegenläufige Schrankenwirkung. 74

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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Wäre mit dem zuletzt genannten Aspekt die privatrechtsgestaltende Kraft der Grundrechte erschöpft, so dürfte die endgültige A n t w o r t nicht mehr zweifelhaft sein. Das B i l d w i r d aber dadurch vervollständigt und zugleich kompliziert, daß nun die anfangs beiseite gestellte Grundrechtsbindung des Gesetzgebers und die möglicherweise ebenfalls bestehende Grundrechtsbindung des Zivilrichters wieder in die Diskussion eingeführt werden müssen, da sie mit dem bisher behandelten Aspekt der privatrechtsgestaltenden Kraft der Grundrechte abzustimmen sind. 2. Äußerst wertvolle Schrittmacherdienste für die endgültige Lösung des derart gekennzeichneten Problemzusammenhanges leisten Gallwas' Untersuchungen zum Grundrechtsmißbrauch i m Koordinationsverhältnis, die ihn veranlassen, der Verwirklichung der Lehre Dürigs von der mittelbaren D r i t t w i r k u n g neue Akzente zu setzen 76 . a) Ausgehend von der Erkenntnis, daß bei der Aktualisierung der Grundrechte durch die zivilrechtlichen Generalklauseln die Wertgehalte der Grundrechte auf die bereits vorhandenen Wertelemente dieser Klauseln stoßen, stellt Gallwas fest: „Die Grundrechte lassen sich daher wohl nur so für das Privatrecht aktualisieren, daß man bei den Interessenabwägungen, zu denen die Generalklauseln jeweils auffordern, den Rechtswert der für den Konflikt einschlägigen Grundrechte einbezieht. Man ergänzt also den Bestand an Kollisionsnormen u m die Bewertungsmaßstäbe, die sich aus dem Grundrechtskatalog gewinnen lassen 77 ." M i t dieser Aussage erweckt Gallwas den Eindruck, als wolle er lediglich die bei der Interessenwertung zu beachtenden einfach gesetzlichen Bewertungsfaktoren durch die verfassungsrechtlichen Vorzugselemente ergänzen. Es scheint so, als wäre die Verbindung zwischen der verfassungsrechtlichen Wertungen offenstehenden zivilrechtlichen Interessenwertung und den verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen hergestellt. b) I n Wirklichkeit aber gewinnen Gallwas' Ausführungen eine entscheidend andere Wendung, wenn er folgert: „Der Richter wendet grundsätzlich die vorhandenen Zivilrechtsnormen an. Nur wenn die Ausübung 76 Gallwas, S. 52 ff., insbesondere S. 61 ff. Gallwas geht jedoch bei seinen Untersuchungen zusätzlich den Weg über die unmittelbare D r i t t w i r k u n g , die er ebenfalls als eine modifizierte u n d verkürzte W i r k u n g begreift (S. 58 ff.). Dieser Weg interessiert hier nicht, da er zu den gleichen Ergebnissen führt und nicht die i n diesem Zusammenhang so wichtigen u n d noch zu schildernden Lösungsansätze enthält. 77 Gallwas, S. 62 f. Bemerkenswert u n d zutreffend ist der Hinweis auf S. 63, daß es nicht angeht, die i n den Grundrechten enthaltenen Freiheitsgewährleistungen unbesehen zu Bestandteilen der Generalklauseln zu machen: „ V e r fehlt wäre es etwa, dem A r t . 5 Abs. 1 GG einen allgemeinen Wertordnungssatz zu entnehmen: Es ist rechtswidrig u n d verboten, die freie Meinungsäußerung des Menschen zu verhindern."

1

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

eines subjektiven Rechts den Verpflichteten i n dessen grundrechtlich gesicherter Freiheit i n einem Maß beschneidet, das bei Würdigung aller Umstände, vor allem i n Anbetracht der Wertentscheidungen, die i m Grundrechtskatalog gefallen sind, nicht mehr vertretbar erscheint, kann (und muß 7 8 ) die berechtigende Norm beseitige geschoben werden." Statt dessen sei auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze von Treu und Glauben und der guten Sitten zurückzugreifen 79 . Daß Gallwas sich damit von seinem Ausgangspunkt löst, w i r d klar, wenn er den Generalklauseln in diesem Fall nur „eine formale, nur weiterverweisende Funktion" zuerkennt und mit Leisner 8 0 meint, daß diese Form der D r i t t w i r k u n g nichts anderes sei, als „eine Negation der D r i t t w i r k u n g — oder eine unmittelbare D r i t t w i r k u n g " 8 1 . Denn der einzelne Zivilrechtsfall w i r d entweder unmittelbar aus der Verfassung entschieden oder es verbleibt bei der rein zivilrechtlichen Entscheidung. 3. Der Ausgangspunkt und das Ergebnis der Untersuchung von Gallwas liefern nun fruchtbare Ansatzpunkte für die eigene Lösung. a) Beginnen w i r mit dem Ergebnis, das die D r i t t w i r k u n g leugnet, wenn eine zivilrechtliche Norm den verfassungsrechtlichen Entscheidungen entspricht, und das eine sogar unmittelbare, die Zivilnorm ersatzlos beiseite schiebende Grundrechtswirkung bejaht, wenn die zivilrechtliche Norm einer Verfassungsentscheidung widerspricht. Es wäre nahezu unverständlich, wenn i n diesem Zusammenhang nicht das Stichwort von der Verfassungsmäßigkeit und der Verfassungswidrigkeit einer Norm fiele, das zugleich den Blick auf die in Art. 1 Abs. 3 GG diktierte Grundrechtsbindung auch des Zivilgesetzgebers lenkt 8 2 . Denn das zuvor dargestellte Ergebnis besagt nichts anderes, als daß eine unter Mißachtung der Grundrechtsbindung durch den Zivilgesetzgeber geschaffene Norm außer A n wendung bleiben muß, weil sie verfassungswidrig ist. Der Zivilrichter darf einen derartigen Grundrechtsverstoß nicht perpetuieren. Das heißt aber nicht, wie es Gallwas befürwortet, daß der Zivilrichter die zivilrechtliche Norm beiseite schieben und unmittelbar aus der Verfassung judizieren kann. Denn dem steht die Aussage des A r t . 100 Abs. 1 GG entgegen. 78

Das „ m u ß " folgt aus den Ausführungen Gallwas' auf S. 60 f. u n d S. 64. Gallwas, S. 63. 80 Leisner, Grundrechte und Privatrecht, S. 369. 81 Gallwas, S. 64. Diese überraschende Wendung i n den Ausführungen Gallwas' ist w o h l aus dem Thema zu erklären, dem sich Gallwas zu stellen hatte: Mißbrauch von Grundrechten. Denn eine möglicherweise weitergehende F u n k t i o n der Grundrechte i m Privatrecht als die, welche dem unberechtigten Gebrauch von Grundrechten entgegentritt, interessierte nicht. 82 Vgl. dazu S. 209 f. Auch Gallwas, S. 52 f., n i m m t die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers zum Ausgang. 79

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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Es scheint, als rücke die Untersuchung m i t der Wendung zu Art. 100 Abs. 1 endgültig von der Drittwirkungsproblematik ab. Das ist jedoch nicht der Fall, da w i r die D r i t t w i r k u n g i m engsten Sinn i n den großen Rahmen der privatrechtsgestaltenden Kraft der Grundrechte hineinstellen wollen. Und das ist auch deswegen nicht der Fall, weil eine noch vorzunehmende Unterscheidung wieder zur D r i t t w i r k u n g i m engsten Sinn zurückführt. Die Notwendigkeit der angekündigten Unterscheidung w i r d deutlich, wenn w i r nach der Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer zivilrechtlichen Generalklausel i n Hinblick auf Grundrechtsentscheidungen fragen. Denn die Frage stellen heißt einsehen, daß sie nicht mit ja oder nein beantwortet werden kann. Der Grund liegt i m weiten Deutungs- oder Anwendungsraum der Generalklausel. Noch tiefer geht die Überlegung, daß nicht schon die abstrakt gefaßte juristische Leerformel, sondern erst die auf den Einzelfall applizierte Gesetzesformel die streitentscheidende Norm offenbart. Dies führt uns, obwohl die letzte Fragestellung — allerdings in unterschiedlichem, am Maß der Abstraktion einer Normfassung orientierten Ausmaß — für alle Gesetzesfassungen gilt, zur hier notwendigen Unterscheidung zwischen enger und weiter gefaßten juristischen Tatbeständen 83 . Erstere stehen in so enger Verbindung zu den zu entscheidenden Sachverhalten, ihr Anwendungs- und Deutungsraum ist so beschränkt, daß sie die Antwort auf die Frage, ob der Gesetzgeber bei ihrer Abfassung die Grundrechtsbindung nach A r t . 1 Abs. 3 GG beachtet hat, ohne weiteres ermöglichen. Fällt die A n t w o r t negativ aus, so ist A r t . 100 Abs. 1 GG zu beachten. A m Beispiel des hier interessierenden A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG erläutert: Da die Grundrechtsbindung speziell an A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG für den Zivilgesetzgeber bedeutet, daß er die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG nur berühren darf, sofern er den Kriterien des allgemeinen Gesetzes gerecht w i r d 8 4 , ist eine Norm verfassungswidrig und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG zu behandeln, wenn sie, obwohl sie die Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG berührt, nicht die Kriterien des allgemeinen Gesetzes erfüllt. Beim zweiten Kreis gesetzlicher Tatbestände, zu denen w i r vor allem die Generalklauseln rechnen 85 , bereitet der weite Deutungs- und A n 83 Auch Gallwas' Untersuchung, S. 63 f., liegt diese Unterscheidung zu G r u n de, doch f ü h r t sie i h n zu anderen Ergebnissen. Denn beim Widerspruch einer zur ersten Gruppe gehörenden N o r m zu einer Grundrechtsentscheidung zieht er nicht die Folgerungen aus A r t . 100 Abs. 1 GG, sondern weicht auf die zur zweiten Gruppe gehörenden, angeblich den Durchgriff auf die Verfassung erlaubenden Normen aus. 84 Vgl. S. 209 f. 85 Die Grenzen zwischen beiden Tatbestandsgruppen sind natürlich fließend. Was bei den Ubergängen zu beachten ist, w i r d sogleich unter d) erwähnt.

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

wendungsraum Schwierigkeiten. Etwa sagen zu wollen, ob § 826 BGB sowie § 1 UWG verfassungsmäßig oder verfassungswidrig sind, ist unmöglich. Damit scheidet A r t . 100 Abs. 1 GG aus der Betrachtung völlig aus. Dabei stehen bleiben können w i r aber nicht. Denn die weite Fassung solcher Normen schließt nicht aus, daß ihre Anwendung i m Einzelfall grundrechtswidrig und damit verfassungswidrig ist, obwohl der Gesetzgeber eine solche Anwendung bei der Schaffung der Norm nicht i m Auge hatte, und weil der Gesetzgeber eine solche Anwendung wegen der weiten Normfassung nicht ausschließen konnte. Hier gilt es nun, A r t . 1 Abs. 3 GG zu aktualisieren. Denn da der Gesetzgeber i n den hier interessierenden Generalklauseln die ihm obliegende Aufgabe der Interessenschlichtung auf den Richter übertragen hat, wandert die dem Gesetzgeber obliegende Grundrechtsbindung ebenfalls auf den Richter aus und schlägt in eine Grundrechtsbindung des Zivilrichters um. Der Z i v i l richter muß nun i m gleichen Umfang wie sonst der Zivilgesetzgeber die Grundrechtsbindung bei der Anwendung der zivilrechtlichen Generalklausel beachten. Anders formuliert: Der Richter unterliegt dem Verbot verfassungskonträrer Auslegung und Anwendung von tatbestandlich weit gefaßten Zivilrechtsnormen, insbesondere also von zivilrechtlichen Generalklauseln 86 . A m Beispiel des A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG erläutert: Der Richter darf nicht der aus der Generalklausel zu gewinnenden, den Einzelfall entscheidenden Norm eine solche Wendung geben, daß sie die Kriterien des allgemeinen Gesetzes verletzt. b) Die Grundrechtsbindung des Gesetzgebers bei der Setzung eindeutig und klar gefaßter Tatbestände und das unmittelbar damit zusammenhängende Verbot verfassungskonträrer Auslegung tatbestandlich weiter gefaßter Zivilrechtsnormen erschöpfen jedoch nicht die privatrechtsgestaltende K r a f t der Grundrechte. Denn nun gilt es, den Inhalt des Lösungsansatzes von Gallwas zu verwerten. Einleitend ist darauf zu verweisen, daß sich die Anwendung einer zivilrechtlichen Generalklausel nicht nur i n den Gegensatz grundrechtswidrig oder grundrechtsgemäß spannen läßt. Denn auch wenn eine Grundrechtsverletzung ausscheidet, sind doch Entscheidungen des jeweiligen Einzelfalles unter Anwendung einer Generalklausel denkbar, die i n unterschiedlicher Weise dem Gehalt eines Grundrechtes entsprechen, ohne daß sich die eine oder andere dieser denkbaren Lösungen zu einer Grundrechtsverletzung auswächst 87 . Hier kann der objektivrechtliche, über das Subordinationsverhältnis hinaus geltende Gehalt der Grundrechte aktualisiert werden, u m der 88 Dieses Verbot sprechen i m Zusammenhang m i t der D r i t t w i r k u n g an: Leisner, Grundrechte u n d Privatrecht, S. 366 f.; Eichmann, GRUR 64, 57, 68. 87 Ebenso Burmeister, S. 36 u n d S. 80; H a r a l d Bogs, DVB1 65, 633, 634 Note 3.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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verfassungsnächsten Entscheidung des Einzelfalles zum Durchbruch zu verhelfen. Das geschieht dadurch, daß i n die zur Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln erforderlichen und verfassungsrechtlichen Werte offenstehenden Interessenwertungen aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte zu gewinnende Vorzugselemente eingeführt werden, die gleichwertig neben die bereits vorhandenen zivilrechtlichen Bewertungsfaktoren treten 8 8 . M i t diesem Ergebnis w i r d eine modifizierte Form der D r i t t w i r k u n g der Grundrechte i m engsten Sinn bejaht, die über die zuvor dargestellte privatrechtsgestaltende Kraft der Grundrechte hinausgeht. Der Leitsatz von Gallwas und Leisner 8 9 , entweder „eine Negation der D r i t t w i r k u n g — oder eine unmittelbare D r i t t w i r k u n g " — t r i f f t also nicht mehr zu. c) Die beiden Formen der privatrechtsgestaltenden K r a f t der Grundrechte stellen zugleich das Problem der nach bisheriger Betrachtung sich möglicherweise gegenseitig aufhebenden D r i t t w i r k u n g der Grundrechte und Schrankenwirkung des Privatrechts in ein klärendes Licht. Denn die beiden Gegenkräfte kollidieren bei der Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers und bei dem an den Zivilrichter gerichteten Verbot verfassungskonträrer Ausglegung nicht, w e i l in diesen Fällen das Grundrecht mit der Schranke zum Tragen kommt. Die Grundrechtsbindung und das Verbot verfassungskonträrer Auslegung verlangen nämlich eine Ausrichtung des Privatrechts am Grundrecht mit seinen Schranken. Das Privatrecht muß als Schranke des Grundrechts entsprechend den Erfordernissen der einzelnen Grundrechtsvorbehalte aufgebaut werden, so daß Grundrechtswirkung und Schrankenwirkung solange nicht kollidieren, als das Privatrecht die geschlossene Grundrechtsbestimmung nicht verletzt. Soweit den Grundrechten zu entnehmende Vorzugselemente i n eine zivilrechtliche Interessenwertung einfließen, t r i t t tatsächlich eine der Schrankenwirkung des Privatrechts entgegengesetzte Wirkung ein, doch heben sich diese Kräfte nicht auf, da die Schrankenwirkung unmittelbar auf die Grundrechte als subjektive öffentliche Rechte und höchstens mittelbar auf deren objektivrechtlichen Gehalt w i r k t , während die entgegengesetzte Kraft unmittelbar aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte erwächst. Die Kraftfelder berühren sich also, jedoch nicht i n der Weise, daß die Hauptkräfte einander aufheben 90 . 88 Dies gilt nicht n u r für die außervertragliche Rechtsbeziehungen, sondern auch für die vertragliche Rechtsbeziehungen regelnden Generalklauseln w i e etwa § 138 Abs. 1 BGB. 89 Vgl. S. 228 m i t Note 81. 90 So findet die v o m B V e r f G i m L ü t h - U r t e i l angenommene „Wechselwirkung" (vgl. S. 195) eine angemessene Lösung.

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3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

d) Wurden bisher tatbestandlich konkret und tatbestandlich allgemein gefaßte Rechtssätze auseinandergehalten, um zu einer praktikablen Lösung der privatrechtsgestaltenden K r a f t der Grundrechte zu kommen, so soll diese Entgegensetzung doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß ihr eine gewisse Einseitigkeit der Betrachtung zugrunde liegt. Denn es gibt Normen, deren Zuweisung zu dem einen oder zu dem anderen Bereich nicht voll befriedigen kann. U m auch i n solchen Fällen noch zu einer zutreffenden Entscheidung zu kommen, gilt es folgendes zu beachten. Je spezieller und konkreter der Anwendungsbereich einer Norm wird, desto geringere Bedeutung erlangt das Verbot verfassungskonträrer Auslegung, und desto mehr nähert sich die Beurteilung einer Norm dem Punkt, bei dem für die Entscheidung nur noch die Alternative verfassungsgemäß oder verfassungswidrig interessiert. Zugleich mit der Annäherung an diesen Punkt schwindet die Bedeutung der verfassungsrechtlichen Vorzugselemente bei zivilrechtlichen Interessenwertungen 91 , da i m Extremfall einer konkret gefaßten Norm das Ergebnis einer Interessenwertung entweder nur verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sein kann.

3. Unterabschnitt: Die Erscheinungsformen der privatrechtsgestaltenden K r a f t der Grundrechte i m Verhältnis z u m Grundsatz der verfassungskonformen Gesetzesauslegung

I. D i e

Fragestellung

Das Verbot verfassungskonträrer Gesetzesanwendung und die Möglichkeit der Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen bei der Anwendung tatbestandlich weitgefaßter Gesetzesvorschriften des Z i v i l rechts rücken i n große Nähe zum Grundsatz verfassungskonformer Gesetzesauslegung. Das gilt auch dann, wenn man nicht allein den durch die Wortwahl „verfassungskonforme Gesetzesauslegung" hervorgerufenen Assoziationen folgt, die eine verbindende Sicht zum i m Grundsatz verfassungskonformer Gesetzesauslegung m i t enthaltenen „normerhaltenden Prinzip" nicht erlauben, sondern auch dann, wenn als eigentliche Triebkraft des Grundsatzes verfassungskonformer Gesetzesauslegung das Bestreben erkannt wird, einfach-gesetzliche Normen vor dem Urteil der Verfassungswidrigkeit zu bewahren. Denn die Diskussion u m den Grundsatz verfassungskonformer Gesetzesauslegung richtet Überlegungen und Argumente i n der Regel nicht allein am „normerhaltenden Prin91 Harald Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, S. 140 f.: „ . . . je technischdetaillierter eine gesetzliche Regelung ist, u m so weniger werden die allgemeinen Verfassungsgrundsätze einen sinnbestimmenden Einfluß ausüben."

2. Kap. : A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

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zip" aus. Häufig und gerade i m engeren Bereich grundrechtskonformer Gesetzesauslegung greifen sie weiter und erinnern an die um die mittelbare Geltung der Grundrechte i m Privatrecht geführte Auseinandersetzung. Daß nicht belanglose Zufälle das Aneinanderrücken diktieren, beweisen zahlreiche Stimmen i m Schrifttum, die teils bewußt, teils unbewußt die verfassungskonforme Auslegung von Gesetzen des privaten Rechts m i t der mittelbaren Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht vergleichen oder sonst i n Verbindung bringen 9 2 . Wenn nun demnach Berührungspunkte zwischen der privatrechtsgestaltenden K r a f t der Grundrechte und der grundrechtskonformen Gesetzesauslegung als einem Teilbereich der verfassungskonformen Gesetzesauslegung nicht ausgeschlossen werden können, muß der Grundsatz verfassungskonformer Gesetzesauslegung bis zu dem Punkt untersucht werden, der eine der folgenden Aussagen erlaubt: Entgegen der ursprünglichen Annahme bestehen keine Berührungspunkte; oder es bestehen zwar Kontakte, doch beeinflussen sie nicht die bisher festgestellten Ergebnisse zur privatrechtsgestaltenden Kraft der Grundrechte; oder ein innerer Zusammenhang zwischen beiden modifiziert die bisher in bezug auf den grundrechtlichen Einfluß auf das Privatrecht gewonnenen Erkenntnisse. II. D i e v e r f a s s u n g s k o n f o r m e Gesetzesauslegung herkömmlichen Verständnisses 1. Die verfassungskonforme Gesetzesauslegung herkömmlichen Verständnisses 93 w i r d i m allgemeinen mit folgenden Formeln umrissen: „Eine Gesetzesbestimmung i s t . . . immer so auszulegen, daß sie mit den Grundsätzen der Verfassung in Einklang steht 9 4 ." „Sind . . . verschiedene Deutungen einer Norm möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die 92 Schwenk, N J W 62, 1321, 1325; Hesse, S. 141; Bender, M D R 59, 441, 446; Herzog, B a y V B l 59, 276 f.; Jürgens, V e r w A r c h 53, 105, 108; Michel, JuS 61, 274, 276; Mertens, JuS 62, 261, 263 f.; Burmeister, S. 40 f.; Haak, S. 1; Eckardt, S. 45; Spanner, AöR 91, 503, 508; Harald Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, S. 137. 93 Sie vertreten: die Rechtsprechung, vgl. die Nachweise bei Burmeister, S. 1 f. Note 1—4; Dürig, J Z 53, 459 (Anm. zu BVerfGE 2, 266, 282); Maunz-Dürig, Anm. 67 zu A r t . 20 GG; Bender, M D R 59, 441 ff.; Menger, V e r w A r c h 50, 387 ff.; 51, 68 f.; 52, 305 ff.; Engisch, Einführung, S. 83; Wintrich i n Laforet-Festschrift, S. 249; ders. i n Nawiasky-Festschrift, S. 209; Stern, N J W 58, 1435 (Anm. zu BVerfGE 8, 28, 33 f.); Peter Schneider i n : 100 J. dt. Rechtsleben, S. 286 f.; ders., V V D S t R L 20, 29 f.; Imboden i n H. Huber-Festschrift, S. 142; Ehmke, V V D S t R L 20, 74 f.; Schack, JuS 61, 269 ff.; Michel, JuS 61, 274 ff.; Spanner, AöR 91, 503 ff.; Hesse, S. 31 ff.; Haak, Eckardt und Harald Bogs, Verfassungskonforme Auslegung. Kritisch Reinicke, N J W 55, 1662, 1665; Lerche, DVB1 61, 690, 698 Note 76, und Burmeister, S. 77, soweit es sich u m Normen handelt, die überwiegend verfassungswidriger Deutung zugänglich sind. 94 B V e r w G E 5, 148, 152.

234

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts f ü r einfaches Gesetzesrecht

einer Wertentscheidung der Verfassung besser entspricht 95 ." „Ein Gesetz (ist) nicht für nichtig zu erklären . . . , wenn es i m Einklang mit der Verfassung ausgelegt werden kann 9 6 ." Ziel der verfassungskonformen Auslegung ist demnach „die Herstellung materialer Übereinstimmung von Gesetzes- und Verfassungsnorm durch Beseitigung von inhaltlichen Widersprüchlichkeiten" 97 , um den Ausspruch der Verfassungswidrigkeit einer Norm zu vermeiden. Darin w i r d nicht nur deutlich, daß es sich bei dem Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung um einen zweistufigen Auslegungsvorgang handelt, der sowohl Gesetzes- wie Verfassungsinterpretation beinhaltet 9 8 , sondern es offenbart sich auch schon folgendes: Da die verfassungskonforme Gesetzesauslegung die Rechtserkenntnis berührt, scheint sie noch auf gleicher Stufe mit sonstigen Interpretationsprinzipien zu stehen. Dieser Eindruck w i r d jedoch verwischt durch den Zuschnitt auf die Auslegung mehrdeutiger und verfassungsrechtlich teilweise zweifelhafter Gesetze 99 . Denn infolge der darin liegenden Abkehr von der scharfen Trennung der richterlichen Erkenntnistätigkeit und der richterlichen Normenkontrollpflicht berührt die verfassungskonforme Gesetzesauslegung auch das Problem der Rechtsgeltung, da sie materiell ein Stück Normenkontrolle vorwegnimmt 1 0 0 . Die hier ins Auge tretende Doppelpoligkeit der verfassungskonformen Gesetzesauslegung, die einmal am Problem der Rechtserkenntnis, zum anderen am Problem der Rechtsgeltung orientiert ist, bleibt nicht ohne Folgen. Denn sie führt erstens zu einer Zwiespältigkeit der Ansichten i n Rechtsprechung und Schrifttum, die die verfassungskonforme Gesetzesauslegung einmal mehr als echte Erkenntnismethode, das andere Mal mehr als bloße Aussage über den Rang der herkömmlichen Erkenntnismittel begreifen 101 . Und zum zweiten lassen sich die zur Begründung des Grundsatzes der verfassungskonformen Gesetzesauslegung angeführten Argumente den beiden Polen entsprechend aufgliedern und die Frage nach den Grenzen der verfassungskonformen Auslegung sowie ihrem Verhältnis zu anderen Auslegungsmitteln je nach der Ausrichtung auf diesen oder jenen Pol unterschiedlich beantworten. Drittens schließlich w i r d uns die unterschiedliche Polung veranlassen, entsprechend den Untersuchungen Burmeisters innerhalb des Grundsatzes verfassungs95 96 97 98

S. 34.

BVerfGE 8, 210, 221. BVerfGE 2, 222, 282. Burmeister, S. 4. Schack, JuS 61, 269, 271; Michel, JuS 61, 274, 275; Eckardt,

99

Burmeister, S. 10. Burmeister, S. 7 u n d S. 12 f. 101 Darauf verweist Burmeister, 100

S. 14 ff.

S. 54; Hesse,

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

235

konformer Gesetzesauslegung unterschiedliche Bereiche gegeneinander abzuschichten. 2. Wie angekündigt lassen sich die Gründe für die Anerkennung des Grundsatzes verfassungskonformer Gesetzesauslegung aufgliedern, je nachdem, ob man den Grundsatz mehr aus der Sicht des Problems der Rechtserkenntnis oder mehr aus der Sicht des Problems der Rechtsgeltung betrachtet. a) Beginnen w i r mit dem Grund, der den Grundsatz der verfassungskonformen Gesetzesauslegung nicht als normerhaltendes Prinzip, sondern allein als Erkenntnismethode tragen kann, obwohl er üblicherweise generell zur Begründung der verfassungskonformen Gesetzesauslegung vorgebracht wird. Gemeint ist die Sicht der Rechtsordnung als einer Einheit 1 0 2 , die Ausdruck findet in einem allgemeinen Konformitätsprinzip 1 0 3 und die speziell in Hinblick auf das Verhältnis des Verfassungsrechts zum einfachen Gesetzesrecht die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Gesetzesrechts verlangt 1 0 4 . b) Die weitere Komponente des Grundsatzes verfassungskonformer Auslegung berührt das Argument, das von der Vermutung für die Verfassungsmäßigkeit einer Norm ausgeht 105 . Doch offenbart es bereits die Zweifelhaftigkeit des i m Grundsatz verfassungskonformer Auslegung mit enthaltenen normerhaltenden Prinzips. Denn hinter der Gültigkeitsvermutung darf sich nicht mehr an Erwartung verbergen, als daß der Gesetzgeber erfahrungsgemäß und mit einem relativ hohen Wahrscheinlichkeitsgrad verfassungsgemäß, nicht aber verfassungsfeindlich vorgeht 1 0 6 . Erfahrung und Wahrscheinlichkeit werden aber gerade dann in Frage gestellt, wenn Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm 102 Wintrich i n Laforet-Festschrift, S. 249; ders. i n Nawiasky-Festschrift, S. 209; Engisch, Einführung, S. 83; Peter Schneider, V V D S t R L 20, 29 f.; Imboden i n H. Huber-Festschrift, S. 142; Ehmke, V V D S t R L 20, 74 f.; Eckardt, S. 44 f.; Spanner, AöR 91, 503, 507; Harald Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, S. 21 und 23; Hesse, S. 32; Burmeister, S. 84 ff.; b a y V f G H E N F 5 I I 19, 27 f.; 5, I I 41, 53. Soweit i n diesem Zusammenhang m i t der Stufentheorie der Reinen Rechtslehre gearbeitet w i r d , vgl. Michel, JuS 61, 274, 275 f.; Mertens, JuS 62, 261, 263; Harald Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, S. 23 ; Burmeister, S. 87 ff. 103 Michel, JuS 61, 274, 275; Burmeister, S. 29 ff. 104 Imboden, a.a.O.; Mertens, a.a.O.; Eckardt, S. 44 f.; einschränkend Hesse, S. 32. los BVerfGE 2, 266, 282, u n d Dürig i n der A n m . zu diesem Urteil, JZ 53, 459; Bender, M D R 59, 441, 446 f.; Maunz-Dürig, A n m . 63 zu A r t . 20 GG; Peter Schneider i n : 100 J. dt. Rechtsleben, S. 286 f.; Imboden, a.a.O., S. 142; Eckardt, S. 40. 106 Ablehnend oder zweifelnd zur Gültigkeitsvermutung Burmeister, S. 93 ff. ; Bachof, J Z 62, 350, 351; Spanner, AöR 91, 503, 506 ff.; Menger, V e r w A r c h 50, 387, 390; Lerche, DVB1 61, 690, 698 Note 76; Michel, JuS 61, 274 u n d 276; Haak, S. 184 ff.; Harald Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, S. 21 f.

236

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

auftreten, so daß die Verfassungsmäßigkeit bzw. Verfassungswidrigkeit einer Norm zur Erlangung endgültiger Gewißheit doch positiv nachzuprüfen ist. Haak, der die Gültigkeitsvermutung bei der Mehrdeutigkeit einer Gesetzesnorm ablehnt 1 0 7 , versteht das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung bei mehrdeutigen Gesetzesnormen als Verzahnung und Ineinandergreifen von Verfassungs- und Gesetzesbindung 108 : „Der Richter wendet den verfassungsmäßigen Teil des Gesetzes und statt des verfassungswidrigen Teils die Verfassung an 1 0 9 ." So bestechend diese Argumentation auch erscheint, das normerhaltende Prinzip der verfassungskonformen Auslegung bleibt zumindest weiterhin zweifelhaft. Denn die Aufhebung der Gesetzesbindung begegnet den Einwänden Burmeisters, daß eine Norm nicht beliebig teilbar sei und daß der aufgehobenen Gesetzesbindung nach der Konzeption des Grundgesetzes der Ausspruch der Verfassungswidrigkeit als Konsequenz folgen müsse 110 . 3. Große Schwierigkeiten treten auf bei der Bestimmung der Grenzen des Grundsatzes der verfassungskonformen Gesetzesauslegung 111 . Insbesondere w i r d gefragt, wieweit sich der Richter mit der Hilfe der verfassungskonformen Gesetzesauslegung über Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck eines Gesetzes hinwegsetzen dürfe. Die Lösung sucht das Schrifttum aus einem sinngerechten Verständnis der Zuständigkeit und Funktion des Bundesverfassungsgerichts 112 und aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung 1 1 3 zu gewinnen. Des weiteren ist das Verhältnis des Grundsatzes verfassungskonformer Gesetzesauslegung zu den übrigen, herkömmlichen Auslegungsmitteln Quelle zahlreicher Zweifelsfragen 114 . Steht die verfassungskonforme Auslegung gleichwertig neben den bisher anerkannten Auslegungs107

Haak, S. 184 ff. Haak, S. 112,114,121 ff. 109 Haak, S. 123. 110 Burmeister, S. 80 ff. 111 Vgl. dazu BVerfGE 2, 266, 282; 8, 28, 33 f.; Stern i n einer A n m . zu letzterem Urteil, N J W 58, 1435; Menger, V e r w A r c h 50, 387, 390 zu BVerfGE 9, 194, 197 ff.; BVerfGE 8, 71; Bender, M D R 59, 441, 444 zustimmend zu BVerfGE 8, 28, 33 f., u n d 8, 71; Peter Schneider i n : 100 J. dt. Rechtsleben, S. 286 f.; Ehmke, V V D S t R L 20, 74 f.; Schack, JuS 61, 269, 274; Spanner, AöR 91, 503, 511 f.; Horst Joachim Müller, J Z 62, 471, 474 f. 112 So Schack, JuS 61, 269, 274; Eckardt, S. 55; Spanner, AöR 91, 503, 512; Burmeister, S. 120 ff. A. A. Michel, JuS 61, 274, 279, und Harald Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, S. 67. 113 Michel, JuS 61, 274, 278 f.; Spanner, AöR 91, 503, 512; Harald Bogs, a.a.O., S. 68 f.; a. A. Eckardt, S. 54. 114 Dazu Menger, V e r w A r c h 50, 387, 391; 52, 305, 313 f.; Michel, JuS 61, 274, 277; Haak, S. 112, 118, 120, 121; Spanner, AöR 91, 503, 511; Harald Bogs, a.a.O., S. 26; Burmeister, S. 7 ff. und S. 62 ff. 108

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

237

methoden oder hat sie diesen gegenüber eine auslesende oder sonst weiterreichende Funktion? Wir können und wollen diesen Schwierigkeiten hier nicht nachspüren. Denn die Überflüssigkeit eines solchen Bemühens w i r d sogleich offenbar. Dennoch hat es einen Sinn, diese Zweifelsfragen anzuschneiden. Sie zeigen dem Betrachter, der seine Aufmerksamkeit zugleich auf den zuvor bereits berührten, möglicherweise doppelten Inhalt des Grundsatzes verfassungskonformer Gesetzesauslegung lenkt, daß die Antworten unterschiedlich ausfallen müssen, je nachdem, ob man die verfassungskonforme Gesetzesauslegung allein als reine Auslegungsmethode oder ob man sie zugleich i n Verbindung mit dem normerhaltenden Prinzip sieht. III. D i e v e r f a s s u n g s k o n f o r m e Auslegung bei Burmeister Burmeister hat erstmals die doppelte Polung des Grundsatzes verfassungskonformer Gesetzesauslegung voll erkannt und vor allem die Konsequenz daraus gezogen, indem er folgende Formen unterscheidet und getrennt behandelt. 1. A n erster Stelle steht die zu einem allgemeinen Prinzip „vertikaler Normendurchdringung" ausgeweitete verfassungskonforme Gesetzesauslegung 115 . Da die verfassungskonforme Auslegung Ausdruck eines allgemeinen interpretatorischen Konformitätsprinzips sei 1 1 6 , sei es logisch keineswegs zwingend, auf die Verfassung nur dann zurückzugreifen, wenn Zweifel an einer Vorschrift auftauchten. Denn die von der verfassungskonformen Gesetzesauslegung vorausgesetzte Erschließungsfunktion der Verfassung wie auch die Erschließungsfähigkeit einer Norm aus dem darüberstehenden Recht stelle ein allgemeines hermeneutisches Problem dar, das von besonderer Bedeutung für generalklauselartig gefaßte Tatbestände sei 1 1 7 . Die hermeneutische Verwertbarkeit von Verfassungsrecht als Erkenntnismittel sei logisch am ehesten und weitesten denkbar, wenn der Verfassung nicht als Prüfungsmaßstab gegenüber dem i n seiner Geltung angezweifelten Gesetz eine spezielle Kontrollfunktion obliege 118 . Auch das eindeutig verfassungsmäßige, aber eine Skala verschiedener Deutungen ermöglichende Gesetz sei verfassungskonformer Auslegung zugänglich, so daß von einer zwingenden sachlichen und kompetenziellen Anknüpfung des Grundsatzes verfassungskonformer Auslegung an das normerhaltende Prinzip bei solcher Be115 116 117 118

Burmeister, Burmeister, Burmeister, Burmeister,

S. 26 ff. S. 29 ff. S. 34 m i t Note 123. S. 35.

238

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

trachtung keine Rede sein könne 1 1 9 . Zur Bestätigung verweist Burmeister auf die grundsätzlich Anerkennung der Interpretationsfunktion der Verfassung für niederrangiges Recht, die in der Diskussion um die D r i t t w i r k u n g der Grundrechte zum Ausdruck komme 1 2 0 . 2. A n zweiter Stelle geht Burmeister auf Normen ein, die „auch verfassungswidriger Deutung zugänglich" sind, „die aber nach der Überzeugung des Interpreten nicht die maßgebliche, vom Sachfall gebotene und den gewichtigsten Kriterien getragene Auslegung darstellt" 1 2 1 . Der bloße Zweifel, gestützt auf eine nur mögliche Gesetzdeutung, bleibe jedoch gemäß der eindeutigen Aussage des Art. 100 GG für die Normgeltung irrelevant. Es bedürfe deshalb nicht des Rückgriffs auf das normerhaltende Prinzip der verfassungskonformen Auslegung. Vielmehr stehe in Übereinstimmung mit der Aussage des Art. 100 GG über die Bestandsstärke einer Norm gegenüber verfassungsrechtlicher Anzweiflung als Grundsatz der Rechtserkenntnis das Verbot verfassungskonträrer Auslegung, das gleichsam als negatives Gegenstück des Grundsatzes verfassungskonformer Auslegung bei der Feststellung des konkreten Gesetzessinnes eine generelle Bevorzugung der verfassungswidrigen Interpretationsmöglichkeit verbiete 1 2 2 . 3. A n dritter Stelle stehen für Burmeister jene mehrdeutigen Normen, deren verfassungswidrige Deutung nicht mehr nur eine mögliche, sondern eine gleichermaßen begründete und von maßgeblichen oder gar überwiegenden Erkenntnismitteln getragene Auslegung darstelle, so daß die Kassation zwar noch nicht als einzige Möglichkeit zur Vermeidung eines Verfassungsverstoßes erscheine, jedoch die Bejahung der Verbindlichkeit ein weitergehendes Zugeständnis an die Autorität und Bestandsstärke des Gesetzes voraussetze als zuvor. Hier erst komme, wenn überhaupt, das normerhaltende Prinzip der verfassungskonformen Gesetzesauslegung zum Einsatz 1 2 3 . Daß und aus welchen Gründen Burmeister i m Ergebnis die Erstrekkung der verfassungskonformen Gesetzesauslegung i n der Ausprägung als normerhaltendes Prinzip auf diesen Bereich mehrdeutiger Normen ablehnt 1 2 4 , interessiert hier nicht weiter. Bedeutsam für den vorliegenden Themenzusammenhang sind allein die beiden ersten Formen verfassungskonformer Auslegung und insbesondere die Tatsache, daß Bur119 120 121 122 123 124

Burmeister, Burmeister, Burmeister, Burmeister, Burmeister, Burmeister,

S. 36. S. 40 ff. S. 69 ff., insbes. S. 72. S. 72 f. m i t Note 265 u n d S. 87. S. 75 f. S. 77 ff.

2. Kap.: A r t . 5 Abs. 1 GG u n d das einfache Gesetzesrecht

239

meister erstmals die verschiedenen Inhalte dieses Grundsatzes differenziert.

Hinblick

IV. D a s E r g e b n i s i n auf die privatrechtsgestaltende K r a f t der G r u n d r e c h t e

1. Die Darstellung des Grundsatzes verfassungskonformer Auslegung hat bisher gezeigt, daß sowohl die Gründe, die zur Bejahung des Grundsatzes geführt haben, wie die Einzelprobleme, die bei der Anwendung dieses Grundsatzes bei der Gesetzesinterpretation entstehen, jeweils i n einem anderen Licht erscheinen, je nachdem, ob man die verfassungskonforme Auslegung als reine Erkenntnismethode begreift oder ob man sie mit dem normerhaltenden Prinzip in Verbindung bringt und damit die Frage der Rechtsgeltung berührt. So vermag einerseits der Einfluß verfassungsrechtlicher Wertentscheidungen auf das niedere Gesetzesrecht nicht das normerhaltende Prinzip zu tragen. Andererseits können die schon für das normerhaltende Prinzip zweifelhafte Gültigkeitsvermutung und die zweifelhafte Aufhebung der Gesetzesbindung nicht das Verständnis des Grundsatzes verfassungskonformer Auslegung als einer reinen Erkenntnismethode stützen. Und schließlich entfallen bei der Lösung vom normerhaltenden Prinzip die problemreiche Grenzbestimmung des Grundsatzes i n Hinblick auf Funktion und Zuständigkeit des BVerfG sowie die zweifelhafte Überordnung des Grundsatzes über die sonst üblichen Auslegungsmethoden. I n Anbetracht dieser Erkenntnisse ist es nicht nur praktisch vorteilhaft, sondern auch methodisch notwendig, das normerhaltende Prinzip vom übrigen Inhalt des Grundsatzes verfassungskonformer Gesetzesauslegung abzuspalten. Hierauf überdeutlich den Blick gelenkt und die Möglichkeit der Durchführung erstmals bewiesen zu haben, ist das Verdienst Burmeisters. Seine Untersuchungen werden bis auf die Stellungnahme zum normerhaltenden Prinzip durch die bereits vorliegenden Ergebnisse zur privatrechtsgestaltenden K r a f t der Grundrechte voll und ganz bestätigt. 2. I m übrigen folgt aus der Gegenüberstellung des übriggebliebenen Inhalts des Grundsatzes verfassungskonformer Gesetzesauslegung mit den zuvor genannten privatrechtsgestaltenden Kräften der Grundrechte: a) Das Verbot verfassungskonträrer Auslegung, das aus der bei weiter gefaßten gesetzlichen Tatbeständen i n eine Grundrechtsbindung des Richters umschlagenden Grundrechtsbindung des Zivilgesetzgebers entwickelt wurde, w i r d durch die auf Art. 100 GG gestützten Darlegungen Burmeisters zum Verbot verfassungskonträrer Auslegung als eines nega-

240

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

tiven Gegenstücks des Grundsatzes verfassungskonformer Gesetzesauslegung erhärtet. b) Das von Burmeister i m Rahmen des Grundsatzes verfassungskonformer Gesetzesauslegung entwickelte allgemeine Prinzip vertikaler Normendurchdringung bestätigt die zuvor vorgeschlagene Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Wertungen bei zivilrechtlichen Interessenwertungen, da es als allgemein geltendes Prinzip auch die an den Grundrechten orientierte Auslegung und Anwendung des Privatrechts umfaßt. Diese grundsätzliche Übereinstimmung bedarf jedoch noch eines klärenden und eines korrigierenden Hinweises. Korrigierend insofern, als Burmeister den Einfluß verfassungsrechtlicher Wertungen auf Generalklauseln, die auf außerrechtliche Maßstäbe verweisen, herunterspielt 1 2 0 . Denn hier wurde schon darauf hingewiesen, daß Burmeister zumindest für die Formel von den „guten Sitten" i n § 826 BGB und § 1 UWG nicht gefolgt werden kann 1 2 6 . Klärend insofern, als Burmeister für das Prinzip vertikaler Normendurchdringung die Geltung der einschlägigen Verfassungsbestimmung für die nach einfachem Gesetzesrecht (hier: Privatrecht) zu entscheidende Rechtsfrage verlangt 1 2 7 . Denn das wurde bisher auch für den engeren Bereich der privatrechtsgestaltenden K r a f t der Grundrechte vorausgesetzt, insbesondere wurde die Äußerungsfreiheit des einzelnen und der Presse daraufhin untersucht, ob sie über das Subordinationsverhältnis hinauswirkt 1 2 8 . Daß sie auch geeignet ist, auf die unternehmensschützenden Zivilrechtsnormen einzuwirken und daß die unternehmensschützenden Vorschriften fähig sind, diese Einflüsse aufzunehmen, beweist der bisherige Verlauf der vorliegenden Arbeit.

125

Burmeister, S. 45 Note 159 u n d S. 46 f. m i t Note 162. Vgl. S. 225 f. 127 Burmeister, S. 42 ff. : „Erfordernis gleicher Normqualität von Erschließungs- u n d Erfüllungsnorm." 128 Vgl. S. 217. 126

Drittes

Kapitel

Zusammenfassende Vorbereitung zur abschließenden rechtlichen Würdigung der Typologie A. Das Verbot verfassungskonträrer Auslegung

Die Untersuchung hat gezeigt, daß der Zivilrichter bei der Anwendung und Auslegung tatbestandlich weiter gefaßter Zivilrechtsnormen, insbesondere also zivilrechtlichen Generalklauseln, das Verbot der verfassungskonträren Gesetzesauslegung beachten muß 1 . Da dieses Verbot i n Hinblick auf die Grundfreiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG bedeutet, daß der Zivilrichter mit der i n der Entscheidung des Einzelfalles offenbar werdenden Norm nicht die Erfordernisse des allgemeinen Gesetzes des Art. 5 Abs. 2 GG mißachten darf 2 , sind nun noch einmal die oben entwickelten Kriterien des allgemeinen Gesetzes3 i m Zusammenhang m i t dem Verbot der verfassungskonträren Auslegung zusammenfassend darzustellen, damit die hier bedeutsam werdenden Kriterien für die abschließende Betrachtung der einzelnen Fallkategorien bereitstehen. 1. Soweit es als notwendig erachtet wurde, daß das durch die allgemeinen Gesetze den Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG zuzuordnende Rechtsgut verfassungsrechtlich anerkannt sein muß 4 , haben die weitergehenden Untersuchungen zur Frage, wieweit die unternehmensschützenden Zivilrechtsnormen in ihrer abstrakten Fassung den Kriterien des allgemeinen Gesetzes entsprechen, bereits dargelegt, daß die hier interessierenden Vorschriften des Unternehmensschutzes den gestellten A n forderungen genügen 5 . Damit braucht die abschließende Betrachtung dieses Erfordernis des allgemeinen Gesetzes nicht mehr zu berühren. 2. Zweitens durfte die i n einem allgemeinen Gesetz enthaltene Aussage nicht unmittelbar, nicht ausschließlich und auch nicht generell die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG betreffen, sondern i n dieser Form nur 1 2 3 4 5

16

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Koller

S. 229 f. u n d S. 239 f. S. 229 f. i. V. m. S. 209 f. S. 198 ff. S. 199 f. S. 211 f.

242

3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

an den zuzuordnenden Rechtsgütern ausgerichtet sein*5. Da nun die bei den unternehmensschützenden Generalklauseln notwendig werdenden Interessenwertungen sehr stark auf den Einzelfall Bedacht nehmen und dabei gezwungenermaßen die zu beachtenden grundrechtlichen Berechtigungen des einzelnen unmittelbar in das Blickfeld des entscheidenden Richters geraten, scheint es, als müsse dieses Verbot ständig verletzt werden. Doch täuscht diese Betrachtung. Denn die Bedachtnahme auf den Einzelfall, die dadurch gemildert wird, daß das Postulat der Regelbildung besteht 7 , und die Berücksichtigung der Freiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG bei der Entscheidung 8 verletzen nicht das Erfordernis des formal Allgemeinen des allgemeinen Gesetzes. Letzteres entfaltet verbietende Schranken i n Verbindung mit dem Verbot verfassungskonträrer Auslegung nämlich nur, wenn der Richter nicht berücksichtigt, daß die Entscheidungsaussage nur in Hinblick auf ein zuzuordnendes Rechtsgut erfolgen darf. Das bedeutet i m einzelnen: Die Gründe, die den Richter zur Entscheidung leiten, müssen an der Tatsache ausgerichtet sein, daß der Richter ein durch die Ausübung der Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG beeinträchtigtes Rechtsgut den entsprechenden Grundrechten zuordnet. Die entscheidungserheblichen Gründe dürfen und müssen notwendigerweise auch die die Grundrechte des A r t . 5 Abs. 1 GG berührenden Gesichtspunkte berücksichtigen, weil anders die Zuordnung nicht erfolgen kann. Nicht aber darf der Richter seine Entscheidung auf Gründe stützen, die ausschließlich dem Problemkreis der Grundrechtsgeltung des Art. 5 Abs. 1 GG gewidmet sind, gleich, ob nun ein beeinträchtigtes und zuzuordnendes Rechtsgut unberücksichtigt i m Hintergrund steht oder ob ein außerhalb des Art. 5 Abs. 1 GG stehendes Rechtsgut überhaupt nicht berücksichtigt ist. Und schließlich darf der Richter seine auf zulässige Gründe gestützte Entscheidungsaussage nicht so formulieren, daß sie generell eine Aussage über die Grundrechtsgeltung des Art. 5 Abs. 1 GG trifft. Als Beispiel: Wenn die Interessenwertung i m Einzelfall oder für eine Fallkategorie dazu führt, daß eine rein unterhaltende Äußerung keinen Vorrang vor dem Schutz des Unternehmens verdient, darf der Entscheidungsaussage nicht die Wendung gegeben werden, daß Unterhaltung allgemein keinen Grundrechtsschutz nach Art. 5 Abs. 1 GG verdiene. Entgegen dem ersten Anschein bieten überraschenderweise eine sachgerechte Interessenwertung und das sachgerecht formulierte Ergebnis 6 7 8

Vgl. S. 202. Vgl. S. 5 m i t Note 2. Vgl. S. 200 ff.

3. Kap.: Vorbereitung zu rechtlicher Würdigung der Typologie

243

der Interessenwertung die Gewähr dafür, daß das K r i t e r i u m des formal Allgemeinen des allgemeinen Gesetzes nicht verletzt wird. Denn die Interessenwertung kann erst einsetzen, wenn gegeneinanderstehende Rechtsgüter einander berühren und als Folge rechtlich relevante Interessenkollisionen entstehen. Zugleich führt die Interessenwertung dazu, daß alle gegeneinanderstehenden rechtlich geschützten Interessen bei der Entscheidung berücksichtigt werden. Und schließlich enthält das Ergebnis der Interessenwertung keine über den zur Entscheidung anstehenden Konflikt hinausgehende Aussage. Damit ist gewährleistet, daß die das Ergebnis der Interessenwertung repräsentierende und darin zur Entstehung gelangende Norm durch die Grundrechtsausübung des A r t . 5 Abs. 1 GG beeinträchtigte Rechtsgüter diesen Grundrechten zuordnet und daß sie, obwohl sie erlaubterweise auch die Freiheiten des A r t . 5 Abs. 1 GG berührende Gesichtspunkte berücksichtigt, ihre Normaussage unmittelbar am zuzuordnenden, weil beeinträchtigten Rechtsgut und nicht allein an den Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG orientiert. Dennoch sind die hier errichteten Schranken für das richterliche Vorgehen bei der die Grundrechte des A r t . 5 Abs. 1 GG berührenden A n wendung der zivilrechtlichen Generalklauseln nicht bedeutungslos, da sie es ermöglichen, eine verfehlte, gegen die Erfordernisse des allgemeinen Gesetzes verstoßende Interessenwertung schnell zu entlarven. 3. Drittens durfte das allgemeine Gesetz nicht Druck, Zwang oder Gewalt zur Durchsetzung oder Unterdrückung einer Meinungs- oder Tatsachenäußerung erlauben 9 . Hierzu bedarf es keiner weiteren Ausführungen außer des Hinweises, daß eine sachgerechte Interessenwertung nicht dazu führen wird, Druck, Zwang oder Gewalt bei der Meinungsdurchsetzung und zur Meinungsunterdrückung zuzulassen, da der objektivrechtliche Gehalt des Art. 5 Abs. 1 GG eine solche Kommunikationswirkung nicht mehr trägt. Das gegenteilige Ergebnis einer Interessenwertung würde eine durch Druck, Zwang oder Gewalt geförderte Äußerung ungerechtfertigt bevorzugen oder eine durch die gleichen M i t t e l unterdrückte Äußerung ungerechtfertigt benachteiligen. Dennoch muß wie zuvor das Verbot von Druck, Zwang und Gewalt bei der Meinungsdurchsetzung und zur Meinungsunterdrückung als kontrollierender Leitsatz über der richterlichen Interessenwertung stehen. 4. Soweit schließlich die durch ein allgemeines Gesetz vollzogene Zuordnung einem konkreten Wertvergleich standhalten muß 1 0 , kommt dieser Aussage ebenfalls nur die Funktion eines kontrollierenden Leitsatzes zu, da das Ergebnis einer sachgerechten Interessenwertung die Freiheiten 9 10

16*

Vgl. S. 202. Vgl. S. 202 f.

244

3. T e i l : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

des Art. 5 Abs. 1 GG nur soweit beschneiden wird, wie es dem Maß der Beeinträchtigung des durch eine Äußerung betroffenen Rechtsgutes entspricht. B. Die Einführung verfassungsrechtlicher Vorzugselemente in die zivilrechtliche Interessenwertung

Die Möglichkeit, bei der zivilrechtlichen Interessenwertung verfassungsrechtliche Wertungen zu berücksichtigen, eröffnete ein Aspekt der privatrechtsgestaltenden K r a f t des A r t . 5 Abs. 1 GG. Dem objektivrechtlichen Gehalt des A r t . 5 Abs. 1 GG sollte ein bei der zivilrechtlichen Interessenwertung verwertbares Vorzugselement entnommen werden. Auf welche Weise das zu geschehen hat und inwieweit dabei noch Abstufungen innerhalb des objektivrechtlichen Gehalts des Art. 5 Abs. 1 GG möglich sind, wurde bisher nicht untersucht. Das soll i m folgenden geschehen. Zuvor bedarf es jedoch noch insoweit einer Ergänzung, als die ausschließliche Behandlung des i m Vordergrund des Interesses stehenden A r t . 5 Abs. 1 GG bisher den Blick auf möglicherweise weitere, i m Spannungsfeld zwischen Äußerungsfreiheit und Unternehmensschutz bedeutsam werdende, verfassungsrechtliche Vorzugselemente verschlossen hat 1 1 . I. D i e d e n U n t e r n e h m e n s s c h u t z b e t r e f f e n d e n V οr ζ u g se1 em eη t e 1. Andere Zusammenhänge haben uns bereits zur verfassungsrechtlichen Anerkennung des Rechts am Unternehmen i n A r t . 12 Abs. 1 und Art. 14 GG geführt 1 2 . Dieser Gesichtspunkt legt es uns nahe, in die zivilrechtliche Interessenwertung für das Interesse des durch eine unternehmensschädigende Äußerung Verletzten, ungestört unternehmerisch tätig zu werden, ein Vorzugselement aus A r t . 12 Abs. 1 i n Verbindung m i t A r t . 14 GG einzuführen. Doch übersieht diese Betrachtung, daß das Interesse des Verletzten an Unternehmensschutz bereits rechtlich durch die einfachgesetzlichen unternehmensschützenden Vorschriften als schutzwürdig anerkannt ist. Beim Recht am Unternehmen unterliegt das keinem Zweifel. Das gilt aber ebenso für die noch weiter gefaßten Generalklauseln des § 826 BGB und des § 1 UWG, deren auch unternehmensschützender Inhalt bereits Gegenstand dieser Untersuchung war. Damit kann das Vorzugselement für das Interesse des Verletzten, i n seiner unternehmerischen Tätigkeit nicht beeinträchtigt zu werden, unmittel11 Es sind die S. 97 f. ausgesparten feineren Schattierungen des Gesamtbildes nachzuholen. 12 Vgl. S. 211 u n d S. 61 m i t Note 180.

3. Kap. : Vorbereitung zu rechtlicher Würdigung der Typologie

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bar dem einfachen Gesetzesrecht entnommen werden. Eines Zurückgreifens auf die Verfassung bedarf es insoweit nicht mehr. 2. Nun ist es zusätzlich so, daß bei zahlreichen Fällen der unternehmensschädigenden Äußerung, etwa bei der Werbeaussage, bei der Veröffentlichung von Warentests oder bei der Pressefehde, die schädigende Aussage zur unternehmerischen Tätigkeit des Verletzers gehört, so daß auf der Seite des Angreifers nicht nur das Interesse an ungestörter Teilnahme an der grundrechtlich gewährleisteten Kommunikation, sondern ebenso sein Interesse an ungestörter unternehmerischer Tätigkeit gewertet werden muß 1 3 . Für das letztere folgt ein positiver Bewertungsfaktor ebenfals daraus, daß das Recht am Unternehmen die unternehmerische Tätigkeit zivilrechtlich schützt. Das mag momentan überraschen, w i r d jedoch durch die Überlegung erklärt, daß das Recht am Unternehmen nicht nur dem Schutz des bereits Erworbenen dient, sondern auch die Möglichkeit offenhalten w i l l , mittels des bereits Erworbenen die unternehmerische Tätigkeit fortzuführen und zu erweitern. A u f die verfassungsrechtliche Wertentscheidung i n A r t . 12 Abs. 1 und Art. 14 GG braucht hier ebenfalls nicht zurückgegangen zu werden, da das Zivilrecht sie bereits verwirklicht. Gleichwohl bestätigt die doppelte verfassungsrechtliche Gewährleistung, daß das Recht am Unternehmen nicht nur das Interesse am bereits Erworbenen, sondern ebenso das Interesse am noch zu Erwerbenden schützt 14 . II. D a s a u s A r t . 5 A b s . 1 G G zu g e w i n n e n d e V ο r ζ u g s e 1 em e η t 1. Wenn bisher davon gesprochen wurde, daß das die Äußerungsfreiheit betreffende Vorzugselement nicht der subjektiven Berechtigung, sondern deren objektivrechtlichen Gehalt zu entnehmen ist, so w i r d sofort klar, daß nicht der Satz i m Zivilrecht gelten kann: Es ist rechts13 Lerche, Werbung, S. 72 ff. verweist für die Freiheit der Werbungsaussage nicht n u r auf A r t . 5 Abs. 1, sondern auch auf A r t . 12 Abs. 1 u n d A r t . 14 Abs. 1 GG. Arndt, N J W 64, 1312, 1313, u n d Bofinger, N J W 65, 1833, 1837, heben für Warentestpublikationen hervor, daß dem Testinstitut nicht n u r die Pressefreiheit, sondern auch das Recht am Unternehmen zur Seite steht. 14 Das w i r d übrigens i m gleichen Maße bedeutsam für den Rechtsschutz des durch eine unternehmensschädigende Äußerung Betroffenen, da es gerade die Eigenart der unternehmensschädigenden Äußerung darstellt, zukünftige und bestehende Geschäftsbeziehungen zu Kunden, Lieferanten und anderen, also etwas nicht zum materiellen Bestand des Unternehmens Gehörendes zu stören. N u r ist dies schon traditioneller I n h a l t der rechtlichen Betrachtung der Stellung dessen, der Sanktion für eine Beeinträchtigung begehrt. Dagegen w i r d häufig übersehen, daß auch das Interesse des Verletzers, sofern er Unternehmer oder ein Unternehmen ist, u. U. durch ein dem Recht am Unternehmen zu entnehmendes Vorzugselement bei der Interessenwertung zu berücksichtigen ist.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

widrig, die Äußerungsfreiheit des einzelnen zu beeinträchtigen 15 . Vielmehr kann das aus dem objektivrechtlichen Gehalt des Art. 5 Abs. 1 GG zu gewinnende Vorzugselement für zivilrechtliche Interessenwertungen nur folgenden Inhalt haben: Das Interesse des einzelnen, ungehindert am Kommunikationsprozeß teilzunehmen, w i r d verfassungsrechtlich durch A r t . 5 Abs. 1 GG geschützt. Demzufolge muß der herkömmliche Bestand an zivilrechtlichen Bewertungsmaßstäben durch einen positiven Faktor ergänzt werden, der dafür sorgt, daß das Interesse an der Kommunikationsteilnahme in der Interessenwertung als schutzwürdig berücksichtigt wird. Obwohl i m Regelfall dieses Vorzugselement dem zur Seite steht, der sich unternehmensschädigend äußert, muß gelegentlich dieses Vorzugselement auch auf Seiten des Verletzten i n die Interessenwertung eingeführt v/erden. Dann nämlich, wenn wie etwa bei den Pressefehdefällen 1 6 die Unternehmensschädigung nicht nur das Interesse an ungestörter unternehmerischer Tätigkeit, sondern zugleich das Interesse an einer ungehinderten Teilnahme am Kommunikationsprozeß berührt. 2. Wenn bisher der grundrechtsaufbauenden bzw. grundrechtsprägenden und der damit i n engem Zusammenhang stehenden zuordnenden Funktion der allgemeinen Gesetze eine besondere Bedeutung bei der Bestimmung des grundrechtlichen Gehalts des Art. 5 Abs. 1 GG beigemessen wurde 1 7 und wenn der Richter durch die Besonderheit der zivilrechtlichen Generalklauseln, die die gesetzgeberische Interessenwertung in die Hand des Richters delegieren 18 , i n Hinblick auf A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG i n die Stellung des Gesetzgebers der allgemeinen Gesetze hineinwächst, darf die Frage nicht erstaunen, wie weit der Richter bei seiner Entscheidung nach den unterschiedlichen sachlichen Gehalten der einzelnen Kommunikationsbeiträge differenzieren kann. Diese Frage ist i m Zusammenhang zu sehen mit dem wiederholt sichtbar gewordenen Bemühen in Rechtsprechung und Lehre, etwa Äußerungen politischen Gehalts einen bevorzugten oder gar ausschließlichen Grundrechtsschutz angedeihen zu lassen und unterhaltende sowie werbende Äußerungen aus dem grundrechtlichen Feld auszuklammern 19 . Soweit solche Bestre15

Vgl. S. 227 Note 77. Arndt, N J W 64, 23; Larenz, A n m . zu B G H i n A P Nr. 2 zu A r t . 5 Abs. 1 GG (Bl. 10) — B l i n k f ü e r — ; Thiele, S. 18, und Biedenkopf, JZ 65, 553, 556, weisen i n Stellungnahmen zur Entscheidung des B G H i m Falle B l i n k f ü e r (vgl. S. 7 u n d S. 15 m i t Note 47) darauf hin, daß f ü r das angegriffene Presseunternehmen ebenfalls A r t . 5 Abs. 1 GG zu beachten sei. 17 Vgl. S. 128 ff., 142,144,145,152 f., 163. 18 Vgl. S. 59 ff. 19 Die Ansatzpunkte sind zahlreich, etwa bei der zivilrechtlichen Interessenabwägung (vgl. S. 44), i m Zusammenhang einer auf die öffentliche Meinung gestützten Argumentation (vgl. S. 118 ff.), beim Begriff der Meinung (vgl. 16

3. Kap. : Vorbereitung zu rechtlicher Würdigung der T y p o l o g i e 2 4 7

bungen bisher beim Begriff der Meinung, bei der öffentlichen Aufgabe der Presse und anderen Punkten ansetzten, konnte ihnen nicht zugestimmt werden, weil sie jeweils die Äußerungsfreiheit zu weit eingeschränkt hätten. Und doch würde man diese Eingrenzungsversuche verkennen, wenn man ihnen ablehnend entgegenhielte, daß der Kommunikation i n allen Bereichen gleiche Bedeutung zukomme. Denn der Kern jener Überlegungen, daß etwa Kommunikation i m politischen Bereich bedeutsamer als reine Unterhaltung und Kommunikation in der Öffentlichkeit bedeutsamer sei als in der Privatsphäre, widersteht jeder A n fechtung. Eine unterschiedliche Bedeutung des thematischen Inhalts und des Bezuges zur Öffentlichkeit bei einzelnen Kommunikationskreisen anzuerkennen, heißt aber nicht, daß die möglichen Differenzierungen i n der gleichen Weise juristische Relevanz erlangen wie bisher. Denn der Weg einer unmittelbar die subjektiven Berechtigungen des Art. 5 Abs. 1 GG begrenzenden Grundrechtsinterpretation, die sich am sachlichen Inhalt und dem Bezug zur Öffentlichkeit bei bestimmten Gruppen von Äußerungen orientiert, ist, wie verschiedentlich bei der Untersuchung der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit als subjektiver Rechte dargelegt, vor allem mit Rücksicht auf die thematische und personelle Universalität des Kommunikationsprozesses unmöglich. Ebensowenig kann das allgemeine Gesetz unmittelbar regelnd und nach den verschiedenen Kommunikationskreisen differenzierend i n den Grundrechtsbereich des Art. 5 Abs. 1 GG etwa mit dem Inhalt eingreifen, daß Äußerungen politischen Bezuges oder Äußerungen in der Öffentlichkeit Grundrechtsschutz genießen, unterhaltende und werbende Aussagen sowie Äußerungen i n der Privatsphäre dagegen nicht. Hier schlägt ebenfalls die grundsätzlich thematische und personelle Universalität des Kommunikationsprozesses durch. Des weiteren geht es nicht an, die privatrechtsgestaltende Kraft der Äußerungsfreiheit begrenzen zu wollen 2 0 . Denn das Art. 5 Abs. 1 GG zu S. 141 ff. u n d S. 156 ff.), bei der angeblichen Einrichtungsgarantie der Presse oder Pressefreiheit (vgl. S. 173) u n d der öffentlichen Aufgabe der Presse (vgl. S. 178 ff.) ; vgl. auch den Hinweis auf S. 129 Note 16. Gelegentlich werden auch Tendenzen deutlich, statt nach dem thematischen Bezug einer Äußerung nach der Person des Äußernden zu differenzieren, vgl. S. 44 m i t Nachweisen i n Note 89 — 91; kritisch zu dieser Tendenz die dort i n Note 88 Genannten. Abgesehen davon, daß diese Tendenz letztlich auch auf einer Differenzierung nach dem thematischen Bezug einer Äußerung beruht, steht i h r die personelle Universalität des Kommunikationsprozesses entgegen, vgl. S. 116 f. 20 Wie etwa Coing, S. 19 f., der die Pressefreiheit i m Privatrecht auf die Behandlung allgemeiner Angelegenheiten i m Staats- und Wirtschaftsleben, i m Leben der Gesellschaft, der Wissenschaft, der K u n s t u n d des Sports beschränken w i l l . Anders, aber i m Ansatz ebenfalls n u r auf die Drittwirkungsproblemat i k beschränkt und die Bedeutung der F u n k t i o n der allgemeinen Gesetze i n diesem Zusammenhang nicht erwähnend, Scholler, Person u n d Öffentlichkeit, S. 331 f.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

entnehmende und i n die zivilrechtliche Interessenwertung einzusetzende Vorzugselement ist i n Bezug zu setzen zur thematischen und personellen Universalität des durch den objektivrechtlichen Gehalt des Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Kommunikationsprozesses. Diese thematische und personelle Unbegrenztheit läßt es nicht zu, daß einzelne Kommunikationsbereiche i m Rahmen der privatrechtlichen Betrachtung völlig unter den Tisch fallen. Wie wenig gangbar alle diese Wege sind, zeigt, daß alle Versuche immer wieder bei dem Ergebnis enden, Äußerungen politischen Inhalts oder Äußerungen öffentlichen Bezuges sind erlaubt, andere nicht 2 1 . Es verbleibt dann noch allein die Möglichkeit, daß der allgemeine Gesetzgeber einerseits von der thematischen und personellen Universalität des Kommunikationsprozesses ausgeht, andererseits der unterschiedlichen Bedeutung einzelner Kommunikationskreise aber dadurch Rechnung trägt, daß er bei der Zuordnung der beeinträchtigten Rechtsgüter entsprechend den einzelnen Kommunikationsbereichen differenziert. Etwa i n der Form, daß er einer zwar schädigenden, aber zum politischen Kommunikationsbereich gehörenden Äußerung grundsätzlich den Vorzug vor einem bestimmten beeinträchtigten oder i n einem bestimmten Maß verletzten Rechtsgut gibt, während er eine i m gleichen Maß beeinträchtigende, aber zur unterhaltenden Kommunikation gehörende Äußerung gegenüber demselben Rechtsgut zurückdrängt. Dieses Vorgehen steht i n voller Übereinstimmung mit der dem Gesetzgeber der allgemeinen Gesetze auferlegten und deswegen auch erlaubten Tätigkeit 2 2 . Und dieses Vorgehen vermag zugleich den tatsächlich vorhandenen sachlichen Unterschieden zu juristischer Relevanz zu verhelfen. Dieses Prozedieren muß auf die den Gesetzgeber der allgemeinen Gesetze vertretende Tätigkeit des Richters bei der Anwendung zivilrechtlicher Generalklauseln projiziert werden. Das kann nur bedeuten, daß der Richter innerhalb des aus Art. 5 Abs. 1 GG zu gewinnenden und i n die zivilrechtliche Interessenwertung einzusetzenden Vorzugselements nach der unterschiedlichen Bedeutung der einzelnen Kommunikationsbereiche differenziert. Die Berechtigung dazu folgt aus der für den allgemeinen Gesetzgeber stellvertretend ausgeübten Funktion sowie aus dem sachlich unterschiedlichen Gehalt der verschiedenen Kommunikationskreise, der m i t dem A r t . 5 Abs. 1 GG zu entnehmenden Vorzugselement bis i n den entfernten Bereich zivilrechtlicher Interessenwertun21 Oder man läßt n u r allgemeine, für das Gemeinwesen bedeutsame Äußerungen zu. So etwa ist Coing, a.a.O., zu verstehen; allerdings ist es unerklärlich, daß er den Sport i n diesen Bereich hineinnimmt, während er Unterhaltung, Sensation u n d wirtschaftliche Werbung ausklammert. 22

Vgl. S. 128 ff. u n d S. 198 ff.

3. Kap. : Vorbereitung zu rechtlicher Würdigung der T y p o l o g i e 2 4 9

gen durchschlägt. Das Ergebnis der Differenzierung müssen sein Vorzugselemente gleichen Inhalts, aber verschiedener Stärke. 3. Zur vollen Erkenntnis des bis hierher gediehenen, mehr theoretischen Ansatzes soll nun versucht werden, innerhalb des Gesamtbereiches des Kommunikationsprozesses einzelne Kommunikationskreise entsprechend ihrem unterschiedlichen sachlichen Gehalt und ihrem unterschiedlichen Bezug zur Öffentlichkeit 2 3 gegeneinander abzusetzen, sowie ihrem möglicherweise unterschiedlichen Gewicht i m Verhältnis zum potentiell geschädigten Unternehmen nachzuspüren. a) Als einen ersten allerdings noch äußerst vielgestaltigen, weil weitgreifenden Kommunikationskreis möchten w i r bezeichnen die umfassende und i n totaler Öffentlichkeit stattfindende Kommunikation, die öffentlich i n dem Sinne ist, daß sie alle Kommunikationsträger einschaltet und erreicht oder einschalten und erreichen kann, weil die A r t des Kommunikationsthemas jedem potentiellen Kommunikationsträger eine Teilnahme am Kommunikationsprozeß nahelegt oder diese zumindest nicht ausschließt. Solche Kommunikation i n voller Öffentlichkeit und mit der Teilnahmemöglichkeit für jedermann w i r d dem Sinn der freiheitlichen Gewährleistung des Kommunikationsprozesses durch den objektivrechtlichen Bestandteil der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG voll gerecht. Sie muß als der eigentliche Inhalt der freiheitlichen Gewährleistung angesehen werden. Dennoch kann dieses Ergebnis für unsere Zwecke noch nicht befriedigen. Denn die Unterschiede innerhalb des Kommunikationsprozesses müßten sich dann i n einer Gegenübersetzung von öffentlicher und nicht-öffentlicher Kommunikation erschöpfen. Zur Ergänzung muß deshalb eine Differenzierung nach den inhaltlichen und thematischen Unterschieden dieses Kommunikationsbereiches erfolgen, die eine weitere Aufsplitterung i n einzelne Kommunikationskreise erlaubt. aa) Innerhalb der allumfassenden öffentlichen Kommunikation steht die öffentlich-politische Diskussion an erster Stelle. Zu ihr rechnen Äußerungen jedweden politischen Inhalts, also insbesondere Äußerungen i n Hinblick auf die Außen-, Innen-, Wehr-, Wirtschafts- und K u l t u r politik, ohne daß diese Aufzählung einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Diese öffentliche und politische Kommunikation stellt entsprechend der historischen Entwicklung der Kommunikationsgrundrechte 23 Beide Ansätze sollen zu einem einheitlichen verschmolzen werden. Zwar lassen sie sich auch trennen, dann aber muß man bestehende Zusammenhänge etwa zwischen dem Politischen und der Öffentlichkeit zerreißen. Außerdem bringen feinste u n d weitverzweigte Abstufungen keinen Vorteil, da sie i n der Interessenwertung doch wieder verwischen. Letztere und damit auch die i n sie einzusetzenden Bewertungsfaktoren müssen praktikabel, übersichtlich und weitgehend kontrollierbar bleiben.

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

und entsprechend ihrer grundlegenden Bedeutung für eine freiheitlichdemokratische Staatsordnung den eigentlichen und äußerst wichtigen Kernbereich des durch den objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Kommunikationsprozesses dar. bb) A n die zweite Stelle ist die Kommunikation über veröffentlichte oder sonst öffentlich bekannt gewordene Gedanken, Leistungen oder Ereignisse zu stellen, die nicht zum politischen Bereich gehören und Themenkreise berühren, die der Kunst, der Religion oder sonst weltanschaulichen Überlegungen zuzuordnen sind. Ist somit das kommunikationsmäßige Eintreten und Werben für sowie Erörtern von Ideen und gedanklichen Leistungen angesprochen, so muß des weiteren der Blick fallen auf ein ebensolches Verhalten in Hinblick auf die der Öffentlichkeit bekanntgemachte Ware oder sonstige gewerbliche Leistung. Denn die enge Beziehung zwischen dem Eintreten für eine Ware und dem Befürworten einer Idee 2 4 läßt sich nicht leugnen, wo wie hier in beiden Bereichen ideelle und materielle Gehalte menschlicher Äußerungen häufig miteinander konkurrieren. M i t diesen beiden einander berührenden und teilweise ineinander verfließenden Kommunikationskreisen entfernen w i r uns vom Kernbereich des Kommunikationsprozesses, ohne daß w i r uns schon dem Randbereich nähern. U m ein B i l d zu bemühen: Diese Kommunikationsbereiche umschließen als Ring das eigentliche Zentrum des Kommunikationsprozesses, den Kern öffentlich-politischer Kommunikation. Wer das Eintreten für die gewerbliche Leistung und das Erörtern dieser Leistung auf diese Weise als zu hoch gehoben ansieht, dem sei entgegengehalten, daß die Diskussion um die gewerbliche Leistung i n der heutigen, von wirtschaftlichen Entwicklungen äußerst abhängigen Zeit eine Bedeutung erlangt hat, die sich auf höherer Ebene i n der gesteigerten Anerkennung der Bedeutung der Wirtschafts- und Konjunkturpolitik widerspiegelt. cc) A n die dritte Stelle setzen w i r die Kommunikation, die der reinen Unterhaltung dient, ohne i n andere Bereiche hinüberzugreifen. Sie ist dem Randbereich des Kommunikationsprozesses zuzuordnen. Nicht kann sie entsprechend früheren Erörterungen und entgegen anderweitigen Bestrebungen aus i h m ausgegliedert werden. b) Geht man nun wieder vom sachlichen Gehalt der Kommunikation auf das Maß der Öffentlichkeit zurück, so läßt sich ein Bereich teilweise öffentlicher Kommunikation auffinden, der etwa auf einzelne Kleingemeinden, einzelne Städte, Gebiete oder Länder, also regional be24 Die schon oben i m Zusammenhang des Grundrechtsschutzes der Werbeaussage auffiel, vgl. S. 161 m i t Note 98.

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schränkt ist, wobei auch dort der Inhalt, die Themen der Kommunikation in die drei zuvor genannten Gruppen zerfallen. Das B i l d eines Keiles kann diesen Kommunikationsbereich verdeutlichen, der von den Randgebieten des Kommunikationsprozesses bis i n dessen Zentrum vorstößt. c) Orientiert man die Betrachtung weiterhin am Maß der Öffentlichkeit, so stößt man auf Kommunikation innerhalb von Gruppen, Verbänden und anderen Gemeinschaften wie etwa Gewerkschaften, kirchlichen und anderen weltanschaulichen Organisationen. Gegenstand des derart umgrenzten Kommunikationsbereiches können die beiden zuerst genannten Themengruppen und mit Einschränkung auch der zuletzt genannte Themenbereich sein. Bildlich handelt es sich wiederum um einen Kommunikationskeil, der jedoch nur gelegentlich in das Zentrum des Kommunikationsprozesses, in die öffentlich-politische Diskussion, reicht. d) A n letzter Stelle schließlich, den Bereich der Öffentlichkeit völlig verlassend, steht die Kommunikation i n der Privatsphäre, also i n der Familie, i m Freundes- oder Bekanntenkreis. Sie erfaßt thematisch ebenfalls alle drei zuvor genannten Gruppen, vermag jedoch höchstens i n Ausnahmefällen i n das Zentrum des Kommunikationsprozesses, die öffentlich-politische Kommunikation, einzudringen. e) Vor der zusammenfassenden Betrachtung der eben gegebenen Darstellung der einzelnen Kommunikationskreise und -keile, die entsprechend dem Ausgangspunkt der Untersuchung ein Wertgefälle aufspüren will, ist noch möglichen Einwänden gegen die vorgenommene Aufgliederung zu begegnen. Die Gruppierung ficht der mögliche Einwand nicht an, daß die Grenzen fließend verliefen und daß demgemäß z. B. das, was heute noch unpolitisch sei, morgen schon von größter Aktualität sein könne. Denn die fließenden Übergänge werden nicht geleugnet. I m Gegenteil, sie sind ebenfalls unausgesprochene Grundlage dieser Betrachtung. Doch kommt es auf sie nicht an, da der Richter die Qualifizierung i m Augenblick der Entscheidung vorzunehmen hat und da die Qualifikation nicht über die Alternative Grundrechtsschutz oder Aberkennung des Grundrechtsschutzes, sondern, was gleich zu zeigen sein wird, über die Stärke des zivilrechtlich einzusetzenden und aus dem Grundrecht des A r t . 5 Abs. 1 GG zu entnehmenden Vorzugselementes entscheidet. Denn dies Vorzugselement ist in jedem Fall, ob schwach oder stark, zu berücksichtigen, sofern es nur um Meinungs- oder Tatsachenäußerungen geht. Des weiteren ist es wenig fruchtbar, der zuvor gegebenen Aufgliederung entgegenzuhalten, sie sei unvollständig, da sie noch weiterhin und zusätzlich bestehende Unterschiede sowie differierende Gewichte nicht beachte. Denn es w i r d hier nach einem deutlichen und praktisch verwertbaren Wertgefälle gesucht, dessen möglicherweise feineren und feinsten Abstufun-

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3. Teil : Bedeutung des Verfassungsrechts für einfaches Gesetzesrecht

gen keineswegs geleugnet werden. Praktisch brauchbar aber ist nur ein Wertgefälle, dessen Abstufungen i n der Interessenwertung noch zum Tragen kommen. Und insoweit darf man die Feinfühligkeit der Interessenwertung nicht überschätzen. Suchen w i r nun ein augenfälliges Wertgefälle innerhalb der zuvor genannten Kommunikationskreise und Kommunikationskeile so stehen an erster Stelle die öffentlich-politische Diskussion und an letzter Stelle die rein unterhaltende Kommunikation, gleich ob letztere i m Bereich der Öffentlichkeit oder i n der Privatsphäre stattfindet. Gehen w i r tastend und vorsichtig abfühlend weiter, so folgt an zweiter Stelle die öffentliche Diskussion betreffend gedankliche und gewerbliche Leistungen. Bei der teilweise öffentlichen Kommunikation können w i r ein deutlich merkbares Wertgefälle, abgesehen vom Maß der Öffentlichkeit, das jedoch wegen der nur regionalen Begrenzung nicht den Ausschlag gibt, nicht feststellen. Deshalb muß die teilweise öffentliche Kommunikation entsprechend ihrem thematischen Inhalt jeweils an der ersten oder zweiten Stelle plaziert werden. A n dritter Stelle folgt dann die Kommunikation innerhalb von Gruppen und Verbänden und an vierter Stelle die Kommunikation in der Privatsphäre, wobei hier wiederum, abgesehen von der reinen Unterhaltung, die thematischen Unterschiede nicht ausreichen, um noch einmal feinere Abstufungen vorzunehmen. Damit bietet Art. 5 Abs. 1 GG fünf Vorzugselemente gleichen Inhalts — das Interesse an einer ungehinderten und ungestörten Äußerung erfährt rechtliche Anerkennung —, aber verschiedener Stärke: Das Vorzugselement 1. Grades betrifft die öffentlich-politische Kommunikation. Das Vorzugselement 2. Grades betrifft die öffentliche Kommunikation über gedankliche und gewerbliche Leistungen. Das Vorzugselement 3. Grades gilt der Kommunikation innerhalb von Gruppen und Verbänden. Das Vorzugselement 4. Grades wertet die Kommunikation i n der Privatsphäre, und das Vorzugselement 5. Grades betrifft die reine Unterhaltung in der Privatsphäre und auf allen Ebenen der Öffentlichkeit. Dieses letzte Vorzugselement verdient i m Rahmen des Themas jedoch keine weitere Beachtung, da unternehmensschädigende Äußerungen i n aller Regel nicht i m rein unterhaltenden Bereich fallen. Es verbleiben also vier Vorzugselemente gleichen Inhalts, aber verschiedener Stärke, die i n die den Unternehmensschutz betreffenden zivilrechtlichen Interessenwertungen eingeführt werden können. A n dem Terminus „Einführen" i m Zusammenhang mit dem Wesen der Interessenwertung w i r d deutlich, daß die Bewertung einer Äußerung durch ein Vorzugselement schwächeren Grades noch nichts über den Ausgang der Interessenwertung und damit über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beeinträchtigung aussagt. Dies bestätigt die Tatsache,

3. Kap. : Vorbereitung zu rechtlicher Würdigung der T y p o l o g i e 2 5 3

daß in aller Hegel m i t dem Hinzuziehen eines Vorzugselementes absteigenden Grades ein schwächeres Maß der Beeinträchtigung des Unternehmens korrespondiert, da etwa eine Äußerung in der Privatsphäre weniger Schaden anrichtet als eine solche i n der Öffentlichkeit. Denn daraus folgt in Verbindung m i t den Grundsätzen der Interessenwertung, die dem Ausgleich i m Einzelfall zusammentreffender Interessen, nicht aber einer abstrakten, vom einzelnen Konfliktsfall losgelösten Wertung dient, daß der Schutz des Unternehmens nicht automatisch mit dem Einsatz eines Vorzugselementes tieferen Grades wächst.

Vierter

Teil

Die Typologie im Lichte des verfassungsrechtlich beeinflußten einfachen Gesetzesrechts

Vorbemerkung: Die A r t und der U m f a n g der Untersuchung

Der abschließenden Betrachtung der Erscheinungsformen der unternehmensschädigenden Äußerung anhand der bisher vorliegenden Ergebnisse zur grundrechtlichen Äußerungsfreiheit und zum einfach-gesetzlichen Unternehmensschutz sind räumliche und sachliche Grenzen gesetzt. Dies deshalb, weil die rechtliche Entscheidung für jede einzelne Fallgruppe und für jede Fallvariante innerhalb einer Fallgruppe insbesondere dann, wenn, wie äußerst häufig bei der unternehmensschädigenden Äußerung, eine Generalklausel zur Vornahme einer Interessenwertung zwingt, nicht nur die Interessen an ungehinderter Kommunikation und an ungestörter unternehmerischer Tätigkeit, sondern eine Vielzahl zusätzlich bestehender, gegensätzlicher und konkurrierender Interessen zu berücksichtigen hat. Dafür bedürfte es einer umfangreichen Untersuchung, die die i m zur Entscheidung anstehenden Fall relevanten Interessen erforscht, die für diese Interessen möglicherweise einschlägigen gesetzlichen und verfassungsrechtlichen Bewertungsfaktoren aufsucht, über ihre Anwendbarkeit entscheidet und schließlich die einschlägigen Bewertungsfaktoren nach den Grundsätzen der Interessenwertung einer abschließenden Abwägung zuführt. Kurzum, es müßte für jede Fallgruppe und jede Fallvariante eine Entscheidung mindestens i m Umfang eines richterlichen Urteils abgefaßt werden, die in vielerlei Hinsicht über das dem Spannungsfeld zwischen Äußerungsfreiheit und Unternehmensschutz gewidmete Thema hinausgreifen würde. Hinzu kommt, daß den Entscheidungen eine sorgfältige Feststellung und Abgrenzung des entscheidungserheblichen Sachverhalts vorauszugehen hätte, der keineswegs nur so stichpunktartig skizziert sein dürfte wie i n der an den Anfang gestellten Typologie und wie i n den meisten höchstrichterlichen Entscheidungswiedergaben. Denn häufig w i r d schon die geringste Sachverhaltsverschiebung die Interessenlage ändern und damit i n aller Regel auch das Ergebnis der Interessenwertung umwerfen.

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

Ergeben sich derart die Grenzen der abschließenden Betrachtung von selbst, so gilt es doch, ihren verbleibenden Kern zu umreißen. Dieser folgt unmittelbar aus dem Thema, das sich am Spannungsfeld zwischen Äußerungsfreiheit und Unternehmensschutz orientiert. Dem Spannungsfeld zufolge soll vor allem der Auswirkung des A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG auf den Unternehmensschutz bei den einzelnen Fallgruppen und Fallvarianten nachgegangen werden. Das bedeutet i m einzelnen, daß das Verbot der verfassungskonträren Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln i m Hinblick auf den A r t . 5 GG wo notwendig zu aktualisieren und auf die Berücksichtigung der aus A r t . 5 Abs. 1 GG zu gewinnenden Vorzugselemente für die zivilrechtliche Interessenwertung bei den einzelnen Fallgruppen hinzuweisen ist. A u f diesen Kern allein kann sich die abschließende Betrachtung freilich nicht beschränken. Hinzutreten sollen von Fall zu Fall Hinweise auf bis hierher quasi als Nebenprodukte der Behandlung des Spannungsfeldes zwischen Äußerungsfreiheit und Unternehmensschutz gewonnene Ergebnisse, die schon vorhandene Stellungnahmen des Schrifttums und der Rechtsprechung i n ein neues Licht rücken. Weiterhin w i r d es gelegentlich auch nötig sein, bisher bei der Darstellung des einfachen Gesetzesrechts noch nicht berücksichtigtes SpezialSchrifttum zu einzelnen Fallgruppen i n die Erörterung m i t einzubeziehen, wodurch der Rahmen der abschließenden Ausführungen wieder geweitert wird. Zum Ausgleich sind deshalb einige weniger wichtige Fallgruppen, deren rechtliche Betrachtung anhand der bisherigen Untersuchung und i m analogen Verfahren zur jetzt folgenden Darstellung bestimmter Fallkategorien sich von selbst versteht, aus der Betrachtung auszuscheiden.

1. Abschnitt Die außerhalb des Wettbewerbs liegenden Problemfälle A. Boykott

I. D e r B e g r i f f d e s B o y k o t t s u n d s e i n e r e c h t l i c h e B e u r t e i l u n g in der V e r g a n g e n h e i t Die Erscheinung des Bokotts hat eine wechselvolle, mit der sozialen Entwicklung i n engem Zusammenhang stehende Geschichte durchlaufen 1 und dabei die verschiedensten Bereiche des menschlichen Lebens berührt. Dies i n Verbindung m i t den häufig äußerst einschneidenden Folgen für den durch den Boykott Betroffenen hat frühzeitig nicht nur die allgemein 1

Vgl. zur Geschichte des Boykotts von Heckel, S. 273 ff.; Kolbe, Walther, S. 10; Polzius, S. 4 ff.

S. 9 ff.;

. Abschn.: Die a u e r

e Wettbewerb liegenden Problemfälle

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menschliche Aufmerksamkeit, sondern insbesondere auch die speziell juristisch orientierte Betrachtung etwa auf dem Gebiet des Bürgerlichen Rechts, des Wettbewerbsrechts und später auch des Arbeitsrechts auf den Boykott gelenkt. 1. A m Anfang der juristischen Beurteilung stand das Bemühen um die begriffliche Verfestigung der Erscheinung des Boykotts. Diese Versuche zur begrifflichen Fixierung des Boykotts 2 haben bis heute noch nicht zu einem allseitig anerkannten Ergebnis geführt 3 , obwohl eine gewisse Verfestigung und Übereinstimmung i n weiten Bereichen 4 erreicht worden ist, so daß ein Ausweichen auf Formulierungen wie, der Boykottbegriff sei „ein etwas nebelhafter Begriff" 5 oder gar ein „Chamäleon" 6 , nicht mehr erlaubt ist. Vielmehr muß i n Anlehnung an Oertmann 7 formuliert werden, daß es sich beim Boykott um ein Kampf-, Zwang-, Druck- oder Machtmittel handelt 8 , kraft dessen die Veranstalter andere Personen zum Abbruch rechtlicher oder persönlicher Beziehungen zu den damit zu treffenden Dritten oder zur Nichteingehung solcher Beziehungen zu bestimmen versuchen. Damit w i r d klar, daß an der Boykotthandlung insgesamt drei Parteien 9 beteiligt sind, nämlich der Verrufer oder Boykottierer 1 0 , der Adres2 Z u m Begriff des Boykotts: Oertmann i n : Verhandlungen des 28. dt. J u r i stentages, Bd. 2, S. 35; ders., Der politische Boykott, S. 7; i h m zustimmend Puttfarcken, Boykott, S. 6 f., u n d Polzius, S. 8 f.; Reuß, AcP 156, 89, 91; Nipperdey, DVB1 58, 445; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 157 ff. zu § 1 U W G ; O L G Hamburg, M D R 52, 295 — Sonderinformationsdienst —. 3 Dies gilt insbesondere für das Arbeitsrecht, vgl. Dietz, JuS 68, 1 m i t Nachweisen i n Note 2, u n d schlägt sich meist darin nieder, daß n u r oder auch zwei Parteien als ausreichend für eine Boykottbeteiligung angesehen werden; vgl. auch Nipperdey, DVB1 58, 445, der allerdings i n : Verhandlungen des 34. dt. J u r i stentages, Bd. 1, S. 401, drei Parteien für den Boykott voraussetzt. Zur Dreiparteienlehre i m übrigen unten Note 9. 4 M i t Ausnahme des i n Note 3 genannten arbeitsrechtlichen Schrifttums. D a r i n w i r d deutlich, daß sich der Boykott innerhalb u n d außerhalb des Arbeitsrechts unterschiedlich entwickelt hat. Bejahend zu dieser Entwicklung Oertmann i n : Verhandlungen des 28. dt. Juristentages, Bd. 2, S. 48; Pape, S. 247; Kolbe, S. 11; Spengler, W u W 53,195, 203; Puttfarcken, Boykott, S. 40 ff. 5 Spengler, W u W 53,195, 200. 6 Kestner-Lehnich, S. 243. 7 Der politische Boykott, S. 7. 8 A u f diese Weise begreifen den Boykott Oertmann i n : Verhandlungen des 28. dt. Juristentages, Bd. 2, S. 35; Maschke, S. 8; Krückmann, AcP 113, 161, 171; Nipperdey, DVB1 58, 445. 9 Der sog. Dreiparteienlehre folgen: Oertmann i n Verhandlungen des 28. dt. Juristentages, Bd. 2, S. 38 ff.; ders., Der politische Boykott, S. 10 u n d S. 15 ff.; Pape, S. 246; Kolbe, S. 11; Maschke, S. 2; B G H Z 19, 72, 77 f. — Gesangbuch — ; BGH, GRUR 65, 440, 442 — Milchboykott — ; Rinck, Wirtschaftsrecht, S. 241; v. Godin-Hoth, Anm. 27 zu § 1 U W G ; Bussmann-Pietzcker-Kleine, S. 67; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., § 1 U W G A n m . 157—160; O L G Hamburg, M D R 52, 295 — Sonderinformationsdienst — ; Spengler, W u W 53, 195, 201; Puttfarcken,

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Koller

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

sat der Boykottaufforderung ( = Verrufserklärung), sowie der Verrufene oder Boykottierte. Selbst wenn gelegentlich die Meinung vertreten wird, der Boykott könne auch zwischen zwei Parteien stattfinden, kann diese Auffassung 11 doch unbeachtet bleiben, da das Typische der das Thema beherrschenden unternehmensschädigenden Äußerung i n der Beteiligung von drei Personen liegt 1 2 . Soweit der Adressat einer Boykottaufforderung durch die Verrufserklärung zu einem gegen den Verrufenen gerichteten Verhalten bestimmt wird, verlangen Rechtsprechung und Schrifttum vielfach eine Beeinflussung des Willens des Adressaten, eine bloße Anregung soll nicht genügen 13 . Hierin w i r d meist das Hauptproblem einer Abgrenzung des Boykotts zu sonstigen schädlichen Äußerungen gesehen 14 , wobei nicht immer ganz klar wird, ob das Erfodernis einer Willensbeeinflussung über die Notwendigkeit eines Kausalzusammenhanges zwischen dem Boykottaufruf und dem Verhalten des Adressaten hinausgeht oder nicht 1 5 . W i r vermögen dem nicht näher qualifizierten und kaum feststellbaren Erfordernis der Willensbeeinflussung, sofern es über die Notwendigkeit eines Kausalzusammenhanges zwischen dem Boykottaufruf und Boykott, S. 9; Polzius, S. 11; Hiersemann, W R P 66, 294, 296; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 212. Zur Frage, w a n n die Abhängigkeit des Adressaten vom Verrufer aus t a t sächlichen oder aus Rechtsgründen die Annahme einer Dreizahl von Beteiligungen ausschließt: Puttfarcken, Boykott, S. 14 ff.; Spengler, W u W 53, 195, 204; Polzius, S. 16 f.; Hiersemann, W R P 66, 294, 296; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 160 zu § 1 U W G ; B G H Z 19, 72, 77 — Gesangbuch —. Z u r sog. gemeinschaftlichen A b k e h r — Verrufer und Adressat sprechen sich ab und werden gleichzeitig nach beiden Richtungen tätig —: BGH, GRUR 65, 440, 442 — Milchboykott —. 10 V e r r u f u n d Boykott bzw. Verrufserklärung und Boykottaufforderung w e r den i m allgemeinen als Synonyme gebraucht, vgl. Oertmann i n : Verhandlungen des 28. dt. Juristentages, Bd. 2, S. 34 f.; Puttfarcken, Boykott, S. 39; Polzius, S. 19; B G H Z 19, 72, 77 f. — Gesangbuch — ; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 157 zu § 1 UWG. N u r Lobe, S. 181 u n d S. 183, u n d Rosin, S. 196, wollen die Begriffe trennen, was sie dann dazu führt, den Boykott als ein Zweiparteienverhältnis zu begreifen, obwohl sie insgesamt m i t dem Boykott und dem i h m vorgeschalteten V e r r u f den gleichen Vorgang erfassen wie hier. 11

Vgl. dazu das S. 257 Note 3 genannte arbeitsrechtliche Schrifttum. Vgl. S. 3 f. 13 BGH, N J W 54, 147 — ambulanter Brothandel — ; BGH, W R P 64, 276 — Möbelherstellergenossenschaft — ; O L G Hamburg, M D R 52, 295 — Sonderinformationsdienst — ; Oertmann, Der politische Boykott, S. 27; Puttfarcken, Boykott, S. 27 f.; Polzius, S. 15 ff.; Helle, N J W 64, 1497, 1500; Hiersemann, W R P 66, 294, 297; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 159 zu § 1 U W G ; ders., 8. Aufl., A n m . 11 zu § 26 G W B ; Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 212. 14 Oertmann, a.a.O.; Puttfarcken, a.a.O. 15 Spengler, W u W 53, 195, 203 f., geht davon aus, daß Kausalität genügt, w ä h rend Puttfarcken, a.a.O., den Kausalzusammenhang als „Ausgangspunkt" für die Annahme einer echten Willensbeeinflussung n i m m t . 12

. Abschn.: Die a u e r

e Wettbewerb liegenden P r o b e m f ä l l e

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dem Verhalten des Adressaten hinausgehen sollte, keine besondere Bedeutung für den allgemeinen Boykottbegriff beizumessen 10 . Denn der größere Zusammenhang der unternehmensschädigenden Äußerung lehrt, daß, selbst wenn eine über das Erfordernis bloßer Kausalität hinausgehende Willensbeeinflussung abzulehnen ist, der Kausalzusammenhang zwischen einer Äußerung und dem Dritte schädigenden Verhalten des Adressaten der Äußerung aber noch besteht, die rechtliche Beurteilung nicht mit dem Ausspruch enden darf: Die Äußerung ist rechtmäßig, weil sie nicht die Kriterien des Boykottbegriffs erfüllt. Daß dieses U r teil nicht gefällt werden darf, zeigen insbesondere die innerhalb des Gesamtkomplexes der unternehmensschädigenden Äußerung zwischen ihren einzelnen Erscheinungsformen nicht immer für das Urteil der Rechtswidrigkeit erheblichen, weil beweglichen Grenzen 17 . Dennoch liegt dem Bestreben, für den Boykott eine Willensbeeinflusung zu verlangen, die Hoffnung zugrunde, an einen derart verfestigten Boykottbegriff das U r teil der Rechtswidrigkeit knüpfen zu können, mit der Folge, daß das diesen Begriff nicht erfüllende Verhalten als rechtmäßig zu beurteilen ist. Beides aber ist verfehlt, womit dieser Versuch einer bereits an möglichen Rechtsfolgen orientierten Bestimmung des Boykottbegriffs scheitern muß. Insoweit ist der Aussage des BVerfG voll zuzustimmen, daß „für die rechtliche Beurteilung . .. davon auszugehen (ist), daß ,Boykott' kein eindeutiger Rechtsbegriff ist, der als solcher schon eine unerlaubte (sittenwidrige) Handlung bezeichnet" 18 . Das soll uns freilich nicht hindern, i m Verlauf der weiteren Ausführungen für bestimmte einzelne Boykottformen zu einem anderen Ergebnis zu kommen. 2. Wenn w i r bisher versucht haben, in Anlehnung an frühere Lehren die Lebenserscheinung des Boykotts begrifflich zu fassen und wenn w i r dabei die Versuche zurückgewiesen haben, diesen Begriff i n einem Vorgriff auf die rechtliche Wertung durch das über die Notwendigkeit eines Kausalzusammenhanges hinausgehende Merkmal der Beeinflussung des Willens des Adressaten einzuengen, so müssen w i r noch vor der eigenen rechtlichen Beurteilung des Boykotts einen kurzen Blick werfen auf seine rechtliche Wertung i n der Vergangenheit. Wenn Oertmann 1 9 bei der Frage nach den Rechtsfolgen der Verrufserklärung die Rechtswirkungen i m Verhältnis zwischen dem Verrufen16 Die Beeinflussung des Willens des Adressaten hat nichts damit zu tun, daß der Boykott als Druck-, Zwang- oder K a m p f m i t t e l gegenüber dem V e r rufenen gewertet werden kann. 17 Darauf wurde S. 4 f. hingewiesen. 18 BVerfG, J Z 58, 119, 122 — L ü t h — ; ebenso O L G Stuttgart, J Z 61, 380, 383 — Leuchtskalenwaage —, u n d Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 211 und S. 216. 19 I n : Verhandlungen des 28. dt. Juristentages, Bd. 2, S. 51.

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

den und dem Verrufenen als am wichtigsten beurteilte, so hat er damit das eigentliche Kernproblem der rechtlichen Beurteilung des Boykotts gekennzeichnet, das die Rechtsprechung und das Schrifttum i m folgenden bis zum heutigen Tage beschäftigte 20 . Vor der Anerkennung des Rechts am Gewerbebetrieb durch die Rechtsprechung beurteilten das Reichsgericht 21 und das Schrifttum 2 2 den Boykott fast ausschließlich 23 nach § 826 BGB. Dabei wurde der Boykott grundsätzlich für zuläsisg und nur bei Vorliegen folgender Umstände für sittenwidrig erachtet 24 : 1. M i t dem Boykott ist eine öffentliche Verrufserklärung verbunden, die den Zweck und Erfolg hat, den Gegner wirtschaftlich völlig zu vernichten; 2. Verrufserklärungen werden ohne Angaben von Tatsachen oder mit aufreizendem Inhalt öffentlich verbreitet; 3. Die Boykottmaßnahme steht i n unbilligem Verhältnis zur Handlungsweise des Boykottierten. Somit lief die Beurteilung der Sittenwidrigkeit des Boykotts auf eine Wertung von Anlaß, Zweck, M i t t e l und Wirkung des Boykotts hinaus. Pointiert formuliert, hinter ihr verbarg sich eine nicht näher spezifizierte und nicht ausdrücklich als solche gekennzeichnete Interessenwertung, die mit einer Beurteilung nach einem allgemein sittlichen Maßstab nur noch wenig gemein hatte. I m folgenden wandelte sich die Beurteilung des Bokotts mit der A n erkennung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu einer mehr formalistischen Betrachtung. I m Einklang damit, daß anfänglich ein rechtswidriger Eingriff i n das Recht am Gewerbebetrieb nur dann angenommen wurde, wenn eine Maßnahme den Bestand des Betriebes als solchen traf 2 5 , wurde der Boykott nur dann als rechtswidrig angesehen, wenn er sich gegen den Bestand eines Unternehmens richtete 2 6 . M i t dem Abgehen der Rechtsprechung vom Bestandserfordernis 27 wandelte sich erneut die Beurteilung des Boykotts. Da jeder Boykott gegen einen Gewerbebetrieb nun einen Eingriff i n das Recht am Ge20 Auch darin erweist sich der Boykott als ein echter Unterfall der unternehmensschädigenden Äußerung, bei der ebenfalls vorrangig das Verhältnis z w i schen dem sich nachteilig Äußernden und dem Geschädigten interessiert. 21 RGZ 64,155; 76, 35; 79,17; 93, 303; 104, 327; 140, 423; 155, 25. 22 Oertmann, a.a.O., S. 70 ff.; ders., Der politische Boykott, S. 88 ff.; Kolbe, S. 38 ff.; Lobe, S. 185 f.; Rosin, S. 204 f. 23 Andere Wege sind gegangen Pape, S. 256 f., und Walther, S. 35 ff. (Boykott als Beeinträchtigung des Rechts am Gewerbebetrieb); Maschke, S. 57 und S. 80 ff. (Boykott als Eingriff i n eine i n § 823 Abs. 1 B G B geschützte allgemeine Entschlußfreiheit, sofern der Boykott die Merkmale der Nötigung erfüllt); Krückmann, S. 191 ff. (Boykott rechtswidrig, falls er den Tatbestand der E r pressung erfüllt). 24 RGZ 140, 423, 431. 25 Vgl. S. 40. 26 Vgl. dazu die oben S. 40 Note 59 gegebenen Nachweise. 27 Vgl. S. 40.

. Abschn.: Die a u e r

e Wettbewerb liegenden Problemfälle

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werbebetrieb darstellte, der nach der ursprünglichen Auffassung die Rechtswidrigkeit der Handlung indizierte, mußte der Boykott grundsätzlich als rechtswidrig und daher als unzulässig angesehen werden 2 8 . So war vorübergehend der ursprüngliche und recht überzeugende A n satz des Reichsgerichts verschüttet, dem sich die Rechtsprechung jedoch wieder näherte, als sie zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs i n das Recht am Unternehmen eine positive Rechtswidrigkeitsprüfung verlangte 2 9 . II. D i e r e c h t l i c h e Beurteilung des B o y k o t t s u n t e r A u s w e r t u n g d e r i m z w e i t e n und dritten Teil gewonnenen Ergebnisse l.Die Beurteilung

des Boykotts im allgemeinen

Eine Aufforderung, bestimmte Personen und Unternehmen zu boykottieren, stellt nicht dar eine Mitteilung von Tatsachen, obwohl mit ihr Tatsachenbehauptungen verbunden sein können und obwohl gelegentlich eine Tatsachenmitteilung die Wirkung eines Boykotts entfalten kann, ohne daß deshalb freilich die Tatsachenmitteilung zu einer Boykottaufforderung i m hier dargelegten Sinn wird. So ist es gerechtfertigt, § 824 BGB für die Beurteilung einer Boykottaufforderung auszuschließen 30 . Allein einschlägig für das Urteil über die Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit eines Boykotts außerhalb des Wettbewerbs sind danach das Recht am Unternehmen und § 826 BGB. I n Verfolgung der i m zweiten Teil gewonnenen Ergebnisse bedarf es dann zur Beurteilung jedes einzelnen Boykottfalles einer Interessenwertung, deren Ausgang über die Rechtsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit eines Boykotts entscheidet, so daß sich schon aus diesem Grunde die Aussage verbietet, der Boykott sei generell unzulässig, w e i l rechtswidrig. Denn nur für einzelne, noch näher darzustellende Boykottfälle, läßt sich vorhersagen, daß sie unzulässig, weil rechtswidrig sind. Die Umkehrung dieses Ergebnisses nötigt zu der Feststellung, daß der Boykott grundsätzlich nicht rechtswidrig und damit zulässig ist 3 1 . 28 Vgl. etwa Nipperdey, DVB1 58, 445, 446; Puttfarcken, Boykott, S. 105; Polzius, S. 59 u n d S. 68 f.; Reimer, Wettbewerbs- u n d WZR, 4. Aufl., 1. Bd., 2. Kap., Rdnr. 13. 29 Vgl. S. 42 f.; speziell i n Hinblick auf die Beurteilung des Boykotts zustimmend Spengler, W u W 53, 195, 204 ff., u n d Reuß, A c P 156, 89,100 ff. 30 Die Meinung, daß ein Boykott nicht durch die M i t t e i l u n g von Tatsachen erfolgen kann, vertreten Pape, S. 267 f.; Oertmann, Der politische Boykott, S. 30; BGH, WRP 64, 276 — Möbelherstellergenossenschaft — ; Hiersemann, WRP 66, 294, 296. Wenn auch w i r dieser Meinung folgen, so heißt das nicht, daß Tatsachenmitteilungen m i t B o y k o t t w i r k u n g e n generell rechtmäßig sind. Denn darüber muß erst nach § 824 B G B entschieden werden. 31 Dies natürlich nur unter dem Vorbehalt eines positiven Ausganges der Interessenwertung.

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

I n Konsequenz der zu Beginn dieses letzten Teils wiedergegebenen Grundsätze für die abschließende Betrachtung scheidet eine Interessenwertung für alle denkbaren Fallkonstellationen des Boykotts aus. Es muß deshalb ein Verweis auf die allgemeinen Grundsätze der Interessenwertung genügen. Diese Grundsätze sind jedoch durch einen Hinweis auf die Ergebnisse des dritten Teils zu ergänzen. Insbesondere sind danach auf der Seite dessen, der zu einem Boykott auffordert, die aus Art. 5 Abs. 1 GG zu gewinnenden Vorzugselemente unterschiedlicher Stärke zu berücksichtigen. Hinzu tritt, falls ein Unternehmen zum Boykott auffordert, das einfach-gesetzliche und verfassungsrechtlich in den Art. 12 Abs. 1 und A r t . 14 Abs. 1 GG abgesicherte Vorzugselement des Unternehmensschutzes. Der zuletzt genannte Wertungsfaktor steht vor allem dem durch einen Boykott Betroffenen zur Seite. Für seine Interessen ist außerdem ein aus Art. 5 Abs. 1 GG zu entnehmendes Vorzugselement einzusetzen, wenn der Boykott seine Äußerungfreiheit berührt. Das gilt jedoch nicht für die sogleich darzustellenden besonderen Fälle, bei denen die Äußerungsfreiheit i n Verbindung mit dem Verbot verfassungskonträrer Auslegung stärkere Wirkungen entfaltet. Diese allgemeinen Hinweise auf die Interessenwertung lassen ein gewisses Gefühl der Unzufriedenheit zurück, das nach weiterer Konkretisierung verlangt. Doch scheitern alle weiteren Konkretisierungsversuche an dem proteusartigen Charakter der unternehmensschädigenden Äußerung, der sich bis auf den Boykott auswirkt. Wenn nun i m folgenden der unformbaren Masse aller Boykotterscheinungen einzelne näher bestimmbare Boykottformen abgerungen werden, so manifestiert sich dari n der einzige Weg, der das Gefühl der Unzufriedenheit i n erträglichen Grenzen zu halten vermag und dessen Weiterverfolgung allein Erfolg verspricht. Gleichwohl w i r d immer ein Rest von Fällen, beim Boykott ebenso wie bei der weiteren Erscheinung der unternehmensschädigenden Äußerung, verbleiben, der nur mittels der durch die Generalklauseln des Rechts am Unternehmen und des § 826 BGB gegebenen Befugnis zur Interessenwertung gelöst werden kann 3 2 . Bemerkenswert ist hieran, daß die zum Zwecke der Typisierung aus der umfassenden Erscheinung der unternehmensschädigenden Äußerung herausgegriffenen Boykottfälle m i t dem nicht vertypbaren Restbestand wieder i n den allgemeinen Bereich der unternehmensschädigenden Äußerung zurückfallen, weil hier wie dort eine Interessenwertung zur rechtlichen Entscheidung herangezogen werden muß, deren Ergebnis sich nicht anhand anderer typischer Fälle vorhersagen läßt 3 3 . Dieser Vorgang w i r d immer wieder bei 32 Was die Notwendigkeit der Existenz gesetzlicher Generalklauseln immer wieder bestätigt. 33 Das gilt nicht i n gleichem Maße für die bereits i n § 824 B G B näher konkretisierte rechtliche Wertung von Tatsachenmitteilungen.

. Abschn.: Die a u e r

e Wettbewerb liegenden Problemfälle

263

bereits stärker differenzierten Fallgruppen zu beobachten sein. M i t dieser Erscheinung konform geht die bereits getroffene Feststellung, daß die verschiedenen Typen der unternehmensschädigenden Äußerung keine starren Grenzen aufweisen.

2. Die Beurteilung

der besonderen

Boykottfälle

a) Boykott als gewaltsame Meinungsdurchsetzung Das Problem der Zulässigkeit eines solchen Boykotts stellt sich angesichts folgender bisher getroffener Aussagen: Der Boykott ist ein Kampf-, Druck- oder Zwangsmittel 3 4 . Das Verbot verfassungskonträrer Auslegung in Hinblich auf A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG untersagt für die hier interessierenden zivilrechtlichen Generalklauseln eine Auslegung, die Druck, Zwang oder Gewalt zur Meinungsdurchsetzung und -unterdrükkung zuläßt 3 5 . Das derart offenbar gewordene Problem jedoch durch eine Verbindung beider Aussagen dahingehend lösen zu wollen, daß jeder Boykott unzulässig sei, weil er Druck und Zwang zur Meinungsdurchsetzung verwende, hieße die Gefahr einer zu weit gehenden Beschränkung des freiheitlichen Kommunikationsprozesses heraufbeschwören, dessen möglichst umfassenden Schutz das Verbot der Anwendung von Druck, Zwang und Gewalt zur Meinungsdurchsetzung gerade bezweckt. Denn die bisher nur allgemein dargestellten Erscheinungen des Boykotts und insbesondere der Boykottaufforderung sind noch nicht genügend spezifiziert, um generell die Verwendung von Druck, Zwang und Gewalt zur Meinungsrealisation bejahen zu können. Das w i r d i m einzelnen schon ohne ein Abstellen auf das K r i t e r i u m der Gewalt deutlich, wenn w i r uns daran erinnern, wie schwierig eine Boykottaufforderung von einer sonstigen schlicht unternehmensschädigenden Äußerung abzugrenzen ist 3 6 . Eine endgültige und zutreffende Lösung der Frage nach der Zulässigkeit eines Boykotts i n Anbetracht des Verbots der Gewaltanwendung bei der Meinungsdurchsetzung läßt sich vielmehr nur erreichen, wenn i m Ansatz die mögliche Gewalteinwirkung auf den Adressaten der Boykottaufforderung von der auf den Boykottierten getrennt und wenn versucht wird, die Gewalt vom Gegenpol der normalen und üblichen Kommunikationswirkung einer Äußerung her zu bestimmen 37 .

34 35 36 37

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

S. 257 m i t Note 8. S. 243. S. 4 f. S. 164 ff.

264

4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

aa) Bokott unter Verwendung von Gewalt gegen den Adressaten der Boykottaufforderung Gewalt gegen den Adressaten der Boykottaufforderung liegt dann vor, wenn der Verrufer der Verrufserklärung eine solche Form gibt oder derartige Begleitumstände hinzufügt, daß die Boykottaufforderung über die normale und übliche Kommunikationswirkung einer Äußerung 3 7 , über die Einflußkraft des i n Freiheit kommunizierenden Wortes 38 hinausgeht. Deshalb ist es gewaltsame Meinungsrealisation, wenn der Boykottierer der Wirkung seiner Verrufserklärung gegenüber dem Adressaten dadurch Erfolg zu verleihen sucht, daß er den Adressaten zu einem seiner Erklärung gemäßen Verhalten durch physische Gewalt 3 9 , ökonomischen Druck 4 0 oder durch die Androhung des einen oder anderen Mittels bestimmt. Ist mit der Androhung physischer Gewalt und w i r t schaftlichen Druckes die geistige Gewalt berührt 4 1 , so ist daran zu erinnern, daß hier auch andere und subtilere Formen geistiger Gewalt einzuholen sind. W i r denken etwa an eine von einer intermediären Gewalt an ihrer Gewalt unterworfene Personen gerichtete Boykottaufforderung oder eine durch eine Pressehetze größeren Zuschnitts unterstützte Verrufserklärung. α) Bei der rechtlichen Beurteilung eines derart gegen den Adressaten einer Verrufserklärung ausgeübten Zwanges fällt abgesehen davon, daß der ausgeübte Zwang regelmäßig aus straf- wie zivilrechtlichen Gründen unzulässig sein w i r d und einen Verstoß gegen den Gehalt des A r t . 2 Abs. 1 GG beinhaltet 4 2 , sofort auf, daß die zur Meinungsrealisation verwendete Gewalt keinen Grundrechtsschutz nach A r t . 5 Abs. 1 GG erfährt 4 3 . Zudem erinnern w i r uns, daß ein allgemeines, die Grundrechte 38 Arndt, N J W 64, 23, zustimmend Biedenkopf, J Z 65, 553, 557, hebt i n H i n blick auf den F a l l B l i n k f ü e r (BGH, N J W 64, 29) die Einflußkraft des Wortes von wirtschaftlicher Macht ab; dieser Ansatz ist zutreffend, er darf jedoch nicht auf die Gegenüberstellung zur wirtschaftlichen Macht beschränkt bleiben. 39 Etwa w e n n die Adressaten eines Verrufs gewaltsam durch Boykottposten v o m Besuch eines Geschäfts abgehalten werden, vgl. den S. 40 Note 59 genannten Fall. 40 Beispiele i n BGH, N J W 64, 29 — B l i n k f ü e r — ; BGH, GRUR 59, 244 — Versandbuchhandel —. Nicht gehört hierher O L G Düsseldorf, M D R 53, 356 — E r o t i k —, da i n diesem F a l l kein Druck auf den Adressaten des Boykotts ausgeübt wurde. 41 Z u m Verbot des Einsatzes auch der geistigen Gewalt vgl. S. 122 f., 166 f. i. V. m. S. 202, 243. 42 Helle, N J W 64, 1497, 1500, stellt besonders diesen Verstoß heraus; er sieht auf S. 1502 aber auch die Verletzung des A r t . 5 GG. 43 Vgl. S. 165 ff. Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 214 ff., arbeitet treffend die Besonderheit eines durch Zwang gegen den Adressaten begleiteten Boykottaufrufs heraus. Doch entgleitet i h m der positive Ansatz, da er, statt auf A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG einzugehen, sofort zu einer Interessenabwägung überleitet. Zudem bringt Wenzel m i t Ausnahme des Blinkfüer-Falles (BGH, N J W 64, 29) Beispiele, bei denen Zwang gegen den Adressaten des Boykottaufrufs nicht ausgeübt w i r d .

. Abschn.: Die a u e r

e Wettbewerb liegenden Problemfälle

265

des A r t . 5 Abs. 1 GG berührendes Gesetz nicht die Verwendung von Gewalt zur Meinungsdurchsetzung legalisieren darf, wenn es nicht den Charakter eines allgemeinen Gesetzes einbüßen w i l l 4 4 . Das heißt für den mit der Anwendung zivilrechtlicher Generalklauseln befaßten Richter, daß auch er gemäß dem Verbot verfassungskonträrer Auslegung nicht den Einsatz von Gewalt bei der Durchsetzung einer Meinung oder sonstigen Äußerung für zulässig erklären kann 4 5 . Damit erweist sich der mit Gewalt gegen den Adressaten einer Boykottaufforderung unterstützte Aufruf zum Boykott gegenüber dem Adressaten i n jedem Fall als unzulässig und rechtswidrig. Bei diesem Ergebnis kann jedoch nicht stehengeblieben werden, da i m Zusammenhang des Themas vorrangig die Rechtsbeziehungen zwischen dem Verrufer und dem Verrufenen interessieren. Dazu ist erst einmal zu sagen, daß mit dem Urteil der Rechtswidrigkeit für eine durch Gewalt unterstützte Boykottaufforderung das wichtigste Glied aus der gesamten Boykotthandlung herausgebrochen wird. Die Folge kann nur sein, daß die Boykotthandlung insgesamt i n sich zusammenfällt, d. h. insgesamt und damit auch gegenüber dem Boykottierten rechtswidrig ist. Das folgt für den Regelfall der Gewaltanwendung gegen den Adressaten nicht aus den Auswirkungen der gegen den Adressaten geübten Gewalt auf den Verrufenen, sondern aus der Einheit der Boykotthandlung deren W i r kungen nicht rechtmäßig sein können, wenn die Boykottaufforderung rechtswidrig ist. Denn die Auswirkungen der gegen den Adressaten zur Meinungsdurchsetzung eingesetzten Gewalt auf die Kommunikationsmöglichkeiten des Boykottierten sind gering, da nur die Kommunikation mit dem Adressaten der Verrufserklärung über das Boykottthema, nicht dagegen Kommunikation über andere Themen und m i t anderen Personen, insbesondere i n der Öffentlichkeit, versperrt ist 4 6 . ß) Sind bisher die Folgerungen vorwiegend aus den Äußerungsrechten des Boykottierers und des Adressaten der Boykottaufforderung gezogen, so gibt es doch noch eine Fallkonstellation bei der zusätzlich das Äußerungsrecht des Boykottierten voll zum Tragen kommt. Das ist der Fall, wenn die Gewalteinwirkung auf den Adressaten des Boykottaufrufs dem Verrufenen für seine Kommunikationsbeiträge den Weg an die Öffentlichkeit versperrt. Damit es dazu kommt, muß der Adressat der Verrufserklärung, gegen den die Gewalt eingesetzt wird, für den Verrufenen 44

Vgl. S. 202. Vgl. S. 243 i. V. m. S. 229 f. u n d S. 202. 46 Das w i r d i m F a l l der Pressehetze meist anders sein, da m i t i h r i n aller Regel geistiger Zwang sowohl gegen den Adressaten des Verrufs als auch gegen den Verrufenen ausgeübt w i r d . Damit überschreitet dieser F a l l die Grenze zur zweiten sogleich darzustellenden Untergruppe der m i t Gewalt gegen den Adressaten verbundenen Boykottaufforderungen. 45

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

zugleich die Stelle sein, über die die Kommunikationsbeiträge des Verrufenen üblicherweise ihren Weg an die Öffentlichkeit und i n den Kommunikationsprozeß nehmen. Zu denken ist etwa an den Fall, daß Vertriebsstellen von Presseerzeugnissen die Adressaten einer von Gewalt begleiteten Boykottaufforderung sind. Das Äußerungsrecht des Verrufenen kommt hier deshalb ins Spiel, weil die Gewalt nicht nur zur Meinungsdurchsetzung gegenüber dem Adressaten, sondern auch zur Unterdrückung der Meinung, zutreffender und allgemeiner, der Kommunikationsbeiträge des Boykottierten führt. Denn der Erfolg des Verrufs hält die Meinung des Verrufenen vom Publikum fern und schaltet damit die Instanz der Öffentlichkeit aus 47 . Der Verrufene w i r d „mundtot" gemacht 48 . y) Wenn w i r nun die zu Anfang i n der Typologie genannten Boykottfälle mit den bis hierher gewonnenen Ergebnissen vergleichen, so w i r d sofort die Unzulänglichkeit der dort vorgenommenen Klassifizierung klar. Denn die gerade dargestellte Gruppe rechtswidriger Boykottfälle umfaßt nicht nur Boykottaufforderungen i n Verbindung mit wirtschaftlichem Druck 4 9 , sondern Verrufserklärungen unter Einsatz jeder Form von Zwang und Gewalt. Andererseits erfaßt sie nicht die Fälle, bei denen Druck, Zwang und Gewalt nicht auf den Adressaten, sondern nur auf den Verrufenen zielen. Aus diesem letzten Grunde muß der vom OLG Düsseldorf entschiedene Erotik-Fall aus dieser Gruppe ausscheiden 50 . Von den verbleibenden Fällen ist der vom B G H entschiedene Fall „Versandbuchhandel" 51 der Gruppe zuzurechnen, bei der sich der Zwang gegen den Adressaten des Boykottaufrufs richtet, ohne daß dadurch dem Verrufenen die Möglichkeit genommen wird, sich am Kommunikationsprozeß zu beteiligen. Denn der Schutzverband der Buchhändler und Verleger verlieh der gegen eine Versandbuchhandlung gerichteten und an die Lieferanten der Versandbuchhandlung adressierten Boykottaufforde47

So die K r i t i k Kühlers, Wirtschaftsordnung, S. 13 f., an den Konsequenzen des Blinkfüer-Falles (BGH, N J W 64, 29). 48 So die Formulierung des O L G Hamburg, N J W 62, 917, 918 — B l i n k f ü e r I (Berufungsurteil) — ; zustimmend Biedenkopf, JZ 65, 553, 557. 49 Anders anscheinend Kühler, Wirtschaftsordnung, S. 11 u n d S. 13 ff.; doch läßt sich die seinen Ausführungen beigegebene Begründung zwanglos auf andere Formen der Gewaltanwendung ausdehnen. 50 O L G Düsseldorf, M D R 53, 356 — Erotik —. Kühler, Wirtschaftsordnung, S. 14 f., der den auf den Adressaten des Verrufs ausgeübten Zwang nicht von dem auf den Verrufenen ausgeübten trennt, w i l l diesen F a l l m i t den gleichen Überlegungen entscheiden wie den B l i n k f ü e r - F a l l . Das ist, obwohl das E r gebnis zutrifft, nicht ganz überzeugend. Vgl. des weiteren zu diesem F a l l die Ausführungen unten S. 273 i. V. m. S. 271 f. 51 BGH, GRUR 59, 244, m i t A n m . Droste. Z w a r ist dieser F a l l dem w e t t bewerblichen Bereich zuzurechnen, er ist aber dennoch als Beispielsfall geeignet. Zudem können die m i t einem Zwang verbundenen Boykottaufforderungen auch i m Wettbewerbsrecht nicht anders beurteilt werden als hier, dazu S. 292 ff.

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rung mit dem Androhen eines möglichen Umsatzrückganges (als Folge einer Liefer- und Abnahmesperre) Nachdruck. Der Fall Blinkfüer 5 2 dagegen gehört zur zweiten hier entwickelten Untergruppe. Denn einmal wurde auf die Adressaten der Boykottaufforderung mit dem Androhen eines Abbruchs der Geschäftsbeziehungen ökonomischer Druck 5 3 und ferner infolge der mächtigen Marktstellung des Zeitungskonzerns, der Stellung einer intermediären Gewalt nicht unähnlich 54 , gegenüber den Zeitungshändlern als Adressaten zusätzlich geistiger Zwang ausgeübt. Ferner wurde der Wochenzeitung „Blinkfüer" durch den auf die Zeitungshändler ausgeübten Zwang der Zugang zum Kommunikationsprozeß verschlossen 55 , wogegen das Äußerungsrecht der Wochenzeitung „Blinkfüer", das ist die Pressefreiheit, eine zusätzliche Sperrwirkung entfaltet 5 6 . Die Entscheidung des BGH für die Zulässigkeit des gegen „Blinkfüer" gerichteten Boykotts ist deshalb abzulehnen 5 7 . Der Boykottaufruf des Senatsdirektors L ü t h 5 8 kann dagegen nicht i n die hier vorgestellte Gruppe der mit dem Einsatz von Gewalt gegen den Adressaten verbundenen Boykottaufforderung eingegliedert werden. Denn L ü t h stand, worauf A r n d t 5 9 mit Recht hinweist, „keine andere Macht zur Verfügung als der Einfluß seines Wortes". Das ist zwar bei näherem Zusehen nicht so zweifelsfrei, wie es A r n d t erscheint, da L ü t h 52

BGH, N J W 64, 29, u n d O L G Hamburg, N J W 62, 917, 918. Darauf verweisen Arndt, N J W 64, 23 f.; Biedenkopf, JZ 65, 553, 557; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 11 und S. 13 ff.; Thiele, S. 18; Larenz, A n m . zu B G H in A P Nr. 2 zu A r t . 5 Abs. 1 GG (Bl. 11 f.); Helle, N J W 64,1497,1500. 54 „Der Spiegel" v o m 5. 2.1968 (22. Jg., Nr. 6, S. 74) begründet das Abhängigkeitsverhältnis m i t dem hohen A n t e i l (30—50 °/o) der Konzernblätter am U m satz des Zeitungs- und Zeitschriftengroßhandels. Scheuner, V V D S t R L 22, 73 f. Note 218, ist der einzige, der den B l i n k f ü e r - B o y k o t t i m Zusammenhang m i t dem Problem der Grundrechtsgeltung gegenüber intermediären Gewalten sieht. A u f dieses Problem braucht jedoch nicht näher eingegangen zu werden, da das hier aktualisierte Verbot verfassungskonträrer Auslegung sowieso schon zu einer unmittelbaren W i r k u n g des A r t . 5 Abs. 1 GG zugunsten des B l i n k f ü e r Verlages führt. 55 Dem Sinne nach ebenso Larenz, a.a.O. (Bl. 12); Arndt, N J W 64, 23, 24; Biedenkopf, JZ 65, 553, 557 f.; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 11 u n d S. 13 f. 56 Deshalb hätte der B G H auch die dem B l i n k f ü e r - V e r l a g zustehende Pressefreiheit berücksichtigen müssen. Dem Sinne nach wie hier, jedoch m i t teilweise anderer Begründung Larenz, a.a.O. (Bl. 12 ff.); Biedenkopf, a.a.O., 557 ff.; Arndt, N J W 64, 23 f.; Thiele, S. 18; O L G Hamburg, N J W 62, 917 f. — Blinkfüer I—. 57 I m Ergebnis wie hier Larenz, A n m . zu B G H i n A P Nr. 2 zu A r t . 5 Abs. 1 GG (Bl. 12 ff.); Biedenkopf, J Z 65, 553, 557 ff.; Arndt, N J W 64, 23 f.; Thiele, S. 18; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 11 und S. 13 f.; Helle, N J W 64, 1497, 1500 und 1502; Haacke-Visbeck, S. 93 f. 58 BVerfG, J Z 58,119. 59 Arndt, N J W 64, 23; zustimmend Biedenkopf, JZ 65, 553, 557; ähnlich Scheuner, V V D S t R L 22, 73 f. Note 218. 53

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als Leiter der staatlichen Pressestelle der Stadt Hamburg und als Vorsitzender des Hamburger Presseklubs eine nicht zu unterschätzende Einflußmacht besaß. Dennoch erreichte diese Einflußkraft nicht ein solches Maß, um sie als geistige Gewalt gegen die Adressaten der Boykottaufforderung, angesprochen war die Öffentlichkeit, zu werten.

bb) Boykott ohne Einsatz von Gewalt gegen den Adressaten des Verrufs als Gewalt gegen den Verrufenen Ausgangspunkt der Absonderung dieser Boykottfälle ist die normale und übliche Kommunikationswirkung auf den Adressaten der Verrufserklärung, dessen Handeln, Denken und Reden diesmal nicht durch eine gewaltsame Einwirkung des Boykottierers beeinflußt wird. Die Berechtigung der gesonderten Betrachtung dieser Boykottfälle folgt daraus, daß trotz des Fehlens einer gewaltsamen Einwirkung des Verrufers auf den Adressaten des Verrufs die Androhung und die Durchführung des Boykotts einen Einfluß auf den Boykottierten ausüben oder auszuüben versuchen, der zumindest auf den ersten Blick m i t der normalen Kommunikationswirkung nicht übereinstimmt. Den der Verrufene soll nicht mit einem an ihn adressierten Wort überzeugt, sondern durch ein i h m wirtschaftlich nachteiliges Verhalten unter Druck gesetzt werden. Gleichwohl erlaubt diese letzte Feststellung nicht sogleich den Schluß auf die Unzulässigkeit des Boykotts, bei dem die Verrufserklärung nicht durch den Einsatz von Gewalt gegen den Adressaten des Verrufs begleitet wird. Denn vor dem abschließenden Urteil ist es notwendig, der Kommunikationswirkung auf das nach wirtschaftlichem Erfolg strebende und zugleich potentiell am Kommunikationsprozeß beteiligte Unternehmen nachzugehen. α) Ausgangspunkt der Überlegung soll sein der Regelfall der unternehmensschädigenden Äußerung. Wenn ihr Ziel die K r i t i k eines Unternehmens ist, so w i l l sie einen engeren Kreis von interessierten Personen oder gar die Öffentlichkeit von ihrer Auffassung überzeugen, die etwa eine Ware bemängelt, weil sie zu teuer ist, weil sie eine minderwertige Qualität aufweist oder weil ihre Verwendung zu Gesundheitsschädigungen führt, oder die das Vorgehen eines Unternehmens anprangert, weil es Belange der Allgemeinheit, der seiner Produktionsstufe vorausgehenden Hersteller oder seiner Abnehmer nicht genügend berücksichtigt. Erreicht diese K r i t i k ihr Ziel, die Angesprochenen zu überzeugen, obwohl der Kritisierte und/oder die für ihn Partei ergreifenden Personen Gelegenheit hatten, ihren Standpunkt zu verteidigen, und obwohl sie diese Gelegenheit womöglich nutzten, so ist es als normale Folge zu werten, wenn die Adressaten der K r i t i k sich vom kritisierten Unternehmen abkehren, da dieser spezielle Kommunikationsvorgang ebensogut zu-

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gunsten des kritisierten Unternehmens hätte enden können. Und es muß gleichfalls als natürliche Folge angesehen werden, daß das kritisierte Unternehmen unter dem Druck und der Notwendigkeit des wirtschaftlichen Erfolges sein Verfahren ändert, wenn es nicht seine bestehenden oder potentiellen Geschäftsbeziehungen aufs Spiel setzen w i l l . Denn das Unternehmen steht wegen des Strebens nach wirtschaftlichem Erfolg in einer freiwilligen und natürlichen Abhängigkeit zu Kunden, Lieferanten und Kreditgebern. Zudem lassen diese Abhängigkeit sowie der gelegentlich aus ihr fließende Zwang zu einem bestimmten wirtschaftlich orientierten Verhalten die Meinungen und die Kommunikationsmöglichkeiten des Unternehmens gänzlich unberührt. Denn selbst wenn das Unternehmen mittelbar durch seinen K r i t i k e r und unmitelbar durch seine Abnéhmer, Lieferanten oder Kreditgeber i n Verbindung mit der Notwendigkeit eines wirtschaftlichen Erfolges zu einem bestimmten wirtschaftlichen Verhalten gezwungen wird, verbleibt i h m doch die Möglichkeit, auf seiner abgelehnten Auffassung zu beharren und mit ihr weiterhin am Kommunikationsprozeß teilzunehmen. Ziel dieser kritisierenden und deshalb unternehmensschädigenden Äußerung ist i n Konsequenz der geschilderten Zusammenhänge also nicht die gewaltsame Durchsetzung der eigenen und die gewaltsame Unterdrückung einer fremden Meinung oder Äußerung. Die Meinungsund Äußerungsfreiheit des Kritisierten ist nicht betroffen, da sie mit Ausnahme eines Verhaltens das Kommunikation ist, nicht das meinungsgemäße Verhalten schützt. Das ist nun nicht anders, wenn die K r i t i k an einem Unternehmen sich dadurch zu einer Boykottaufforderung verdichtet, daß der Kritisierende ausdrücklich dazu auffordert, sich gemäß der absprechenden K r i t i k zu verhalten, dem Kritisierten also den Rücken zuzukehren. Denn das Maß des Einflusses der Äußerung auf den Adressaten hat der Aufruf des Verrufers, die Folgerungen aus seinen kritischen Äußerungen zu ziehen, nicht verstärkt. Und ebensowenig haben sich dadurch das Maß, die Richtung und die Ursache des auf den durch die kritische Äußerung Betroffenen, also den Verrufenen, ausgeübten Druckes verändert. Als Ergebnis ist deshalb festzuhalten: Die i m Verhältnis zum Adressaten gewaltlose Boykottaufforderung ist trotz des auf den Verrufenen durch die Androhung des Boykotts oder durch die Boykottfolgen ausgeübten Druckes nicht wegen des Verbots der Gewaltanwendung zur Meinungsdurchsetzung unzulässig, wenn der Boykott ein kommunikationsunabhängiges Verhalten herbeiführen w i l l . ß) Völlig anders muß die Beurteilung ausfallen, wenn der mittels eines Boykotts auf den Verrufenen ausübbare wirtschaftliche Druck, der in der Abhängigkeit des Unternehmens vom wirtschaftlichen Erfolg w u r -

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zeit, dazu benutzt wird, um den Boykottierten zu einer bestimmten Meinung, zum Entäußern oder Unterlassen des Äußerns eines Kommunikationsbeitrages zu zwingen. Die Bezeichnung „Kommunikationsboykott" gibt diesen Sachverhalt treffend wieder, während i m Gegensatz dazu die zuvor behandelte Erscheinung mit der Beschreibung „Geschäftsboykott" eingefangen wird. Völlig anders zu beurteilen ist der Kommunikationsboykott deshalb, weil der Verrufer die Abhängigkeit des Unternehmens vom materiellen Erfolg sachwidrig dazu mißbraucht, um die Kommunikationsmöglichkeiten des boykottierten Unternehmens zu beschränken. Denn die ökonomische Abhängigkeit des Unternehmens w i r d nicht mehr entsprechend dem natürlichen und notwendigen Ablauf einer freien Wettbewerbswirtschaft zur Steuerung des Waren- und Leistungsangebots verwendet, die ihrerseits in einer natürlichen Abhängigkeit zum Ausgang einzelner Kommunikationsvorgänge stehen. Vielmehr w i r d die Abhängigkeit des Unternehmens vom materiellen Erfolg i n die Ebene des sich freiheitlich vollziehenden Kommunikationsprozesses verlagert, wo sie einen Fremdkörper darstellt, weil der Interessenzusammenhang zerreißt. Deshalb muß in diesem Fall der mittels eines Boykotts ausgeübte wirtschaftliche Druck, der Kommunikation fördern oder unterdrücken w i l l , als Gewalt zur Meinungsdurchsetzung und -Unterdrückung qualifiziert werden, die der zivilrechtliche Generalklauseln anwendende Richter entsprechend dem Verbot verfassungskonträrer Auslegung in Hinblick auf A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG nicht zulassen darf 6 0 . Ergebnis ist also: Die gegen ein Unternehmen gerichtete Boykottaufforderung oder vollzogene Boykotthandlung, die allein der Durchsetzung einer Meinung, der Verhinderung oder Steuuerng der Kommunikation dient (Kommunikationsboykott), ist unzulässig, obwohl die Boykottaufforderung ohne Einsatz von Gewalt gegen den Adressaten des Verrufs erfolgt. γ) Besonderheiten ergeben sich beim Boykott eines gewerblichen Kommunikationsträgers, insbesondere also eines Presseunternehmens. Denn hier drohen Geschäfts- und Kommunikationsboykott untrennbar ineinander zu verfließen. Gleichwohl können die zuvor getroffenen Aussagen i n modifizierter Form fortgelten, wenn man die unterschiedlichen Ziele eines solchen Boykotts berücksichtigt. 60 I m Ergebnis ähnlich Reimer, Wettbewerbs- und WZR, 3. Aufl., 79. Kap., Anm. 7 (S. 562), unter Berufung auf Oertmann i n : Verhandlungen des 28. dt. Juristentages, Bd. 2, S. 74 : Es „liegt ein sittenwidriger Boykottzweck vor, wenn der Boykott dazu dienen soll, den Boykottierten zur Aufgabe einer v o m V e r rufer abweichenden Rechtsauffassung oder einer sonstigen Meinung zu veranlassen. Denn die Beseitigung bloßer Meinungsverschiedenheiten darf niemals i m Boykottwege ausgetragen werden".

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aa) A n erster Stelle steht die Boykottaufforderung, die Anstoß nimmt an einem einzelnen Kommunikationsbeitrag eines gewerblichen Kommunikationsträgers und die deshalb die Adressaten des Aufrufs zu veranlassen versucht, diesen Kommunikationsbeitrag zu meiden, etwa indem vom Kauf einer bestimmten Ausgabe einer Zeitung oder Zeitschrift oder vom Kauf eines Buches abgeraten wird. Diese Boykottaufforderung steht dem zuvor geschilderten normalen Geschäftsboykott trotz des Boykotts eines Kommunikationsbeitrages noch nahe. Das folgt daraus, daß der einzelne Kommunikationsbeitrag zugleich eine Ware oder gewerbliche Leistung darstellt, die zum Verkauf steht 6 1 . Spürt man dem Sinn und dem Zweck einer derartig begrenzten Boykottaufforderung nach, so w i r d offenbar, daß der Boykott nicht dazu dient, den Verrufenen vom Kommunikationsprozeß gewaltsam auszuschließen, sondern daß er darauf zielt, die Adressaten des Verrufs aufgrund ihres eigenen und freien Entschlusses vor der Aufnahme mißbilligter Äußerungen zu bewahren. Dies insbesondere deshalb, weil i n diesen Fällen der boykottierte Kommunikationsbeitrag i n aller Regel schon vor Erlaß des Boykottaufrufs an die Öffentlichkeit gelangt. Eine gewisse Form der Kommunikationspression liegt jedoch darin, daß der Verrufene womöglich von der Veröffentlichung ähnlicher Beiträge für die Zukunft absieht. Doch ist das nur eine natürliche Konsequenz der als Gewerbe betriebenen Kommunikation, die durch den erwerbswirtschaftlichen Zwang in die Abhängigkeit des Publikums gerät. Als Folge scheidet die Annahme von Gewalt zur Meinungsdurchsetzung gegenüber dem Verrufenen beim Boykott eines einzelnen i n der Regel bereits veröffentlichten oder sonst bekannt gewordenen Kommunikationsbeitrages aus. ßß) Anders allerdings muß das Urteil lauten, wenn der naturnotwendig bestehende erwerbswirtschaftliche Zwang, der dazu führen kann, daß der Kommunikationsträger i n Zukunft von der Veröffentlichung ähnlicher Kommunikationsbeiträge absieht, dadurch verstärkt und verändert wird, daß etwa statt eines beanstandeten Buches alle Erzeugnisse eines Verlages, statt einer einzelnen oder einer Folge von Zeitschriften oder Zeitungen das ganze Blatt oder sein Verlag boykottiert werden, u m den Verrufenen zur Zurücknahme seines Kommunikationsbeitrages oder zum Nichtveröffentlichen ähnlicher Beiträge i n der Zukunft zu bewegen. Denn i n diesem Fall w i r d das freie Spiel der Kräfte zugunsten des Verrufers manipuliert. Die Boykottaufforderung bekommt eine überschießende Tendenz, die einer wertenden Betrachtung nicht verborgen bleibt. Als Folge ist der über den natürlichen erwerbswirtschaftlichen Zwang hinausgehende Druck als Einsatz von Gewalt zur Meinungs61 Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 8 ff., spricht i n diesem Zusammenhang von .Meinungsbildung als Gewerbe".

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durchsetzung und -Unterdrückung zu beurteilen. Der generelle Boykott eines Kommunikationsträgers wegen eines einzelnen beanstandeten Kommunikationsbeitrages ist deshalb unzulässig. 77) Als letzte Möglichkeit des Boykotts eines gewerblichen Kommunikationsträgers verbleibt der generelle Verruf wegen einer ständig eingehaltenen qualitativen Ausrichtung oder ideellen Tendenz. Zu denken wäre etwa an den Aufruf, das Blatt einer bestimmten politischen Färbung nicht zu lesen, weil der Verrufer diese politische Richtung ablehnt. I n diesem Fall geht der Verruf über die normale Kommunikationswirkung und über den üblichen erwerbswirtschaftlichen Zwang nicht hinaus, unter dem der tendenziöse und gewerbliche Kommunikationsträger steht. Denn wer eine Tendenz als Ware vertreibt und damit w i r t schaftliche Erfolge erzielen w i l l , begibt sich freiwillig i n die Abhängigkeit des Publikums 6 2 . Und wer auf diese Abhängigkeit hinweist, also das Publikum auffordert, Konsequenzen aus der Stellung als Konsument zu ziehen, w i r k t nicht über das übliche Maß hinaus auf den Boykottierten ein. Weder die Äußerungsfreiheit des Verrufers noch die des Verrufenen entfalten deshalb eine Sperrwirkung für einen derartigen Boykott, da der Verruf sich nicht als Gewalt zur Meinungsdurchsetzung oder -Unterdrückung auswirkt. Das gilt für alle gewerblichen Kommunikationsträger, auch für Presseunternehmen, da die Pressefreiheit nicht einen Bestandsschutz für das einzelne Presseunternehmen beinhaltet 6 3 . δ) Zum Abschluß sind einige der am Beginn der Arbeit genannten Beispielsfälle an den hier entwickelten Ergebnissen zu überprüfen. Zugleich soll damit in Teilbereichen einhergehen eine Umgruppierung einiger eingangs in der Typologie genannter Fallkategorien. Für den Geschäftsboykott erübrigen sich Beispiele, da einige bereits i m Verlauf der Darstellung genannt wurden. Typisch als Beispielsfälle für den Kommunikationsboykott sind die Boykottaufforderungen, die dazu führen sollen, das wirtschaftlich tätige Unternehmen zu einer bestimmten politischen Stellungnahme zu zwingen, oder die durch den Verruf des Unternehmens den Unternehmer zur Aufgabe seiner politischen Einstellung oder seines sonstigen politischen Engagements zu bestimmen versuchen 64 . 62 Z u Recht geht Kühler, Wirtschaftsordnung, S. 15, davon aus, daß „die wirtschaftliche Abhängigkeit des Prozesses Meinungsbildung" insoweit hinzunehmen ist. 63 Vgl. S. 172 m i t Note 26. Zutreffend für den engeren Zusammenhang Helle, N J W 64, 1497, 1502: A r t . 5 Abs. 1 GG gibt der Presse keinen Anspruch darauf, „daß sie gelesen, gekauft u n d abonniert w i r d " . 64 Insoweit haben die Stimmen recht, die einen Boykott aus politischen G r ü n -

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Ein bezeichnendes Beispiel für den Boykott eines gewerblichen K o m munikationsträgers, der sich nicht durch eine bestimmte Tendenz auszeichnet, bietet der vom OLG Düsseldorf entschiedene Fall „ E r o t i k " 6 5 . Denn hier wurde generell zum Boykott eines Filmtheaters aufgerufen, obwohl nur ein vorgeführter F i l m zu beanstanden war. I m Einklang m i t den zuvor dargestellten Ergebnissen führte das OLG dazu aus, daß eine scharfe und herabsetzende K r i t i k an Filmen nicht versagt werden könne. Es dürfte auch vom Besuch des Filmes abgeraten werden. Nicht jedoch sei es erlaubt, „schlechthin und allgemein zum Nichtbesuch des F i l m theaters" aufzufordern, da damit der Verrufene unzulässigem wirtschaftlichen Druck ausgesetzt werde 6 6 . Des weiteren kann der Anzeigenboykott i n diese Fallgruppe hineinreichen. Der Anzeigenboykott zielte jedoch i n den bisher bekanntgewordenen Fällen auf die von einem gewerblichen Kommunikationsträger vertretene Tendenz. Hierher gehören die vom OLG K ö l n 6 7 und vom OLG Hamburg 6 8 entschiedenen Fälle. Das eine Mal forderte ein Privatmann zum A n zeigenboykott einer Illustrierten wegen ihrer Tendenz zur „Schund- und Schmutzliteratur" auf, und i m anderen Fall richtete sich der von einer Jugendgruppe innerhalb einer der großen Parteien Deutschlands ausgerufene Anzeigenboykott gegen eine der K P D politisch nahestehende Zeitung. Beide Aufrufe sind entsprechend den vorhergehenden Ausführungen zulässig, so daß die entgegengesetzte Entscheidung des OLG Hamburg nicht überzeugt 69 . Eine letzte Überlegung betrifft den Boykottaufruf des Senatsdirektors Lüth. Über diesen Aufruf wurde bisher nur ausgesagt, daß ihn nicht der Einsatz von Gewalt gegen den Adressaten begleitete 70 . Die weiteren Überlegungen müssen sich wie schon die Ausführungen des BVerfG auf die Auswirkungen des Verrufs auf die Produktionsfirma und auf die Verleihfirma des neuen Harlan-Films beschränken 71 . Dann zeigt eine nähere Analyse des recht komplexen Boykottzwecks, daß das Filmschaffen Harlans in der Nachkriegszeit, dessen Aussagen L ü t h nicht k r i den für unzulässig erklären; vgl. Maschke, S. 149 f.; Krückmann, S. 284; Oertmann, Der politische Boykott, S. 54 ff.; Puttfarcken, Boykott, S. 106; Schippel, S.113. 65 O L G Düsseldorf, M D R 53, 356. 68 Vgl. Kühler, Wirtschaftsordnung, S. 14 f. 67 O L G Köln, N J W 65, 2345; vgl. dazu Arndt, N J W 66, 871 f. 68 O L G Hamburg, M D R 52, 295 — Sonderinformationsdienst —. 69 I m Ergebnis ebenso Kühler, Wirtschaftsordnung, S. 15, u n d Helle, N J W 64, 1497,1502. 70 Vgl. S. 267 f. 71 BVerfG, JZ 58, 119 — L ü t h — ; n u r die Produktions- und die Verleihfirma, nicht Harlan selbst, hatten geklagt. F ü r die hier angestellten Überlegungen folgt diese Bescheidung zusätzlich aus der Beschränkung des Themas auf den Unternehmensschutz. 1

Koller

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tisierte, nur wegen der Filmproduktion Harlans in der Zeit des Dritten Reiches beanstandet und verrufen wurde. Damit stellt sich diese Boykottaufforderung i n Konsequenz der zum Verruf eines gewerblichen, aber tendenzfreien Kommunikationsträgers dargestellten Grundsätze entgegen der Auffassung des BVerfG als unzulässig dar. Anders hätte das Urteil nur lauten dürfen, wenn Harlan mit seinem neuen Filmschaffen die i n der Zeit des dritten Reiches vertretene Tendenz weiter verfolgt hätte. b) Boykott bei Fehlen eines echten Interessenkonflikts Aus dem allgemeinen Grundsatz der Interessenwertung, daß alle Interessen auszuscheiden haben, die nicht durch den Sachverhalt selbst berührt und zur Geltung gebracht werden 7 2 , folgt die Unzulässigkeit einer Boykottaufforderung — wie übrigens auch die der sonstigen unternehmensschädigenden Äußerung —, die sachfremde Ziele verfolgt 7 3 . Für den Unternehmensboykott bedeutet dies, daß der Verruf nur Zielen dienen darf, die mit der spezifischen, also insbesondere der wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens i n Zusammenhang stehen. Damit scheidet z. B. der Boykott eines Unternehmens aus, der das Unternehmen oder den Unternehmer zu einer nicht mit der wirtschaftlichen Tätigkeit i n Zusammenhang stehenden Meinung, zu einem bestimmten Kommunikationsbeitrag oder zum Unterlassen einer Äußerung zwingen w i l l . Das bisher verfassungsrechtlich begründete Verbot eines Kommunikationsboykotts gegenüber einem Unternehmen, das nicht ein gewerblicher Kommunikationsträger ist, w i r d also durch rein zivilrechtliche Überlegungen bestätigt. Dennoch erlangt diese Fallgruppe eigene Bedeutung, da das sachfremde Boykottziel nicht unbedingt eine Meinung oder eine Äußerung sein muß. Das erhellt der vom B G H i m Ergebnis zutreffend entschiedene Fall „Spätheimkehrer" 7 4 . Denn dort stand das Ziel des Boykotts, die Ausdehnung des Mietverhältnisses auf den Heimkehrer, i n keinem Zusammenhang mit dem boykottierten Einzelhandelsgeschäft der Vermieterin. c) Boykott gegen den, der das Boykottziel nicht erfüllen kann Die Unzulässigkeit dieser A r t des Boykotts 7 5 folgt aus dem gleichen Grunde wie dem, der zur Unzulässigkeit des Boykotts bei Fehlen eines 72 Vgl. Hubmann, A c P 155, 85, 103 ff.; ders., JZ 57, 753, 755, Anm. zu B G H Z 24, 200 — Spätheimkehrer —; Kraft, Interessenabwägung, S. 80. 73 Hubmann, AcP 155, 85,105. 74 B G H Z 24, 200; vgl. dazu die A n m e r k u n g von Hubmann, a.a.O. 75 I m Ergebnis ebenso Helle, N J W 64, 1497, 1501; Puttfarcken, Boykott, S. 107 ff.; Redeker, N J W 56, 1073 f., A n m . zu L G Stuttgart — Milchstreik — (an gleicher Stelle abgedruckt); Schippel, S. 109 f.

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echten Interessenkonflikts führte. Denn der Boykott, der sich mit einem an sich berechtigten Zweck an die falsche Adresse wendet, büßt die Berechtigung des Boykottzwecks ein, da der Boykottzweck nicht isoliert, sondern auch in Hinblick auf die Stellung des Angegriffenen zu ermitteln ist. B. Kritik künstlerischer Leistungen

Bedeutung für das Thema erlangt die K r i t i k künstlerischer Leistungen nur, wenn sich die K r i t i k als unternehmensschädigende Äußerung ausw i r k t . D. h., daß die Beurteilung des möglicherweise die Person des Künstlers treffenden Schadens außer Betracht bleibt. I n diesem Zusammenhang interessieren allein die Fälle, bei denen ein privatwirtschaftlich betriebenes Unternehmen Produktion, Vertrieb oder Angebot der künstlerischen Leistung übernommen oder unterstützt hat 7 6 . Gegen die derart beim unternehmerischen Schaden ansetzende rechtliche Beurteilung kann nicht eingewendet werden, daß der möglicherweise bei diesen Fällen entstehende unternehmerische Schaden deswegen ohne Bedeutung und unbeachtlich bleiben müsse, weil das Unternehmen nicht unmittelbar geschädigt werde 7 7 . Denn wenn sich der Künstler und ein Unternehmen zur wirtschaftlichen Auswertung eines Kunstwerkes verbinden, dann entsteht eine i n die gleiche Richtung zielende Interessengemeinschaft, die bei einer nachteiligen Äußerung über das Kunstwerk sowohl den Künstler als auch das Unternehmen unmittelbar geschädigt sein lassen kann. Damit ist freilich noch nichts über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer solchen kritischen Äußerung ausgesagt. Denn das Urteil darüber erlaubt erst eine Wertung aller weiteren Tatumstände, zu denen an erster Stelle eine tatsächlich vorhandene Schädigung gehört. Es soll hier nur dem möglichen Bestreben vorgebeugt werden, weitere Erörterungen mit dem ohnehin zweifelhaften Merkmal der unmittelbaren Schadenszufügung abzuwürgen. Als Rechtsgrundlage zur Beurteilung der K r i t i k künstlerischer Leistungen dienen die bereits näher dargestellten §§ 824, 826 BGB und das Recht am Unternehmen, sofern es sich bei dem K r i t i k e r wie i n aller Regel nicht um einen Wettbewerber des geschädigten Unternehmens handelt. I n den K r i t i k e n enthaltene Tatsachenäußerungen sind nach § 824 BGB zu beurteilen, sofern eine Nachprüfung nicht ihre Wahrheit 76 Die verschiedenen Tätigkeitsstufen — Produktion, Verleih, Angebot — können auch verschiedene Unternehmen wahrnehmen. So k a n n etwa eine F i l m k r i t i k den Produzenten, den Verleiher und den Theaterbesitzer schädigen, vgl. Koebel, Ufita Bd. 38, S. 22. 77 So hat etwa der BGH, GRUR 67, 540, 542 — Die Nächte der B i r g i t M a l m ström — den Importeur eines nachteilig besprochenen Films n u r als mittelbar betroffen angesehen.

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ergibt. Dagegen ist die Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit von Werturteilen mit einer durch das Recht am Unternehmen und durch § 826 BGB legitimierten Interessenwertung zu ermitteln. I n diese Interessenwertung sind neben den einfach-gesetzlichen Bewertungsfaktoren für den sich nachteilig Äußernden das aus A r t . 5 Abs. 1 GG zu entnehmende Vorzugselement und für den Geschädigten zusätzlich zu diesem ihm ebenfalls zur Seite stehenden Bewertungsfaktor ein aus A r t . 5 Abs. 3 GG, der Gewährleistung der Freiheit der Kunst, zu entnehmendes Vorzugselement einzusetzen. Das Ergebnis dieser Interessenwertung läßt sich nicht endgültig für alle Fälle bestimmen. Dennoch w i r d die Interessenwertung i n aller Regel und abgesehen von besonderen Fallkonstellationen, wie etwa bei einem Hinübergleiten in die zuvor dargestellten rechtswidrigen Boykottfälle, zum Urteil der Rechtmäßigkeit für Kunstkritiken i m hier zugrunde gelegten Sinn führen 7 8 . C. Der vergleichende Warentest

1. Die Fragestellung Zu Beginn dieser Arbeit wurden bereits die vielfältigen Formen der Erscheinung Warentest vorgestellt 7 9 . Die abschließende Betrachtung w i l l sie nicht alle aufgreifen, sondern sich auf die wichtigste und einschneidendste Form des Warentests, nämlich auf den vergleichenden Warenund Leistungstest beschränken, dessen Ergebnisse private und erwerbswirtschaftlich betriebene Publikationsorgane an die Öffentlichkeit weitergeben. Denn diese Form des Warentests hat i n der Vergangenheit das größte Interesse i n der Öffentlichkeit gefunden und auch Rechtsprechung und Lehre am häufigsten beschäftigt. Demgegenüber ist die Resonanz anderer Testformen, etwa des Einzeltests, vergleichsweise gering geblieben. Auch läßt sich ihre rechtliche Beurteilung ohne weiteres ermitteln, wenn man erst einmal Klarheit über die juristische Wertung des vergleichenden Warentests gewonnen hat. Die rechtlichen Stellungnahmen zur Zulässigkeit des vergleichenden Warentests i n der zurückliegenden Zeit zeigen eine stark einschränkende und einengende Tendenz, deren i n aller Regel unausgesprochener Grund in der ursprünglichen Form der von der Zeitschrift D M durchgeführten und publizierten Tests zu sehen ist 8 0 . Die unbequemen und häufig Anstoß 78 Grundsätzlich f ü r die Zulässigkeit derartiger K r i t i k e n sprechen sich aus: Koebel, Ufita, Bd. 38, S. 22; ders. i n Anm. zu BGH, JZ 66, 478, 480 — Warentest — ; Arndt, N J W 66, 871; O L G Hamburg, N J W 59, 1784, 1785 — Zeitschriftenbeobachtungsdienst —. 79 Vgl. S. 10 f. 80 Darauf verweist zutreffend Nähme, N J W 65, 1848. Die Animositäten gegen D M sind zumindest seit dem Übergang i n den Verlag Nickel & Bärmeier,

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erregenden Praktiken der D M alter Form ließen viele Untersuchungen zur Zulässigkeit des vergleichenden Warentests mehr zum Ausdruck von Wunschvorstellungen über die A r t und Weise eines sachgerecht durchgeführten Warentests als zu einer juristisch fundierten Aussage über die rechtlichen Grenzen des vergleichenden Warentests werden. Wohl aus dem gleichen Grund erwecken zahlreiche Stellungnahmen den Eindruck, als sei für die Zulässigkeit des vergleichenden Warentests 81 ein positiver Nachweis zu erbringen, während doch die juristische Fragestellung mangels einer positiven Normierung i n Wahrheit nur lauten kann: Wer kann auf Grund welcher Vorschrift den vergleichenden Warentest insgesamt verbieten oder der Ausführung und Veröffentlichung des Tests qualitative Grenzen setzen 82 ? Da ein anderer Ansatzpunkt und ein nicht streng an diesem Ansatz orientiertes Vorgehen nur i n die Irre führen, muß die eben formulierte Frage Grundlage der folgenden Erörterung sein. 2. Die Nichtanwendung des Wettbewerbsrechts für den neutralen und unabhängigen vergleichenden Warentest Wenn gelegentlich ohne nähere Begründung ausgeführt wird, ein Test müsse neutral sowie von einem von Industrie und Handel unabhängigen Testinstitut vorgenommen werden 8 3 , so leitet diese an sich zutreffende Behauptung dennoch fehl, weil sie i m Zusammenhang mit den sonst häufig an den Test gestellten qualitativen Anforderungen nicht ihre berechtigte Grundlage zu erkennen gibt. Denn die geforderte Neutralität und Unabhängigkeit des Tests lassen sich richtig und nachprüfbar nur als Abgrenzungskriterium zum Wettbewerbsrecht verstehen 84 . Da der vergleichende Warentest nämlich erheblich den Erfolg eines Unternehmens i m Wettbewerb beeinflußt, stehen i h m möglicherweise wettbewerbsrechtliche Vorschriften entgegen. Dies gilt um so mehr, als der verFrankfurt, nicht mehr gerechtfertigt, da sich das Bild der Zeitschrift seitdem —81wohl auch unter geschäftlichen Einbußen — kräftig gewandelt hat.

Nähme, N J W 65, 1848, gibt die Stellungnahmen zur Zulässigkeit des Warentests i n Rspr. u n d Schrifttum m i t der Formel „grundsätzlich j a — aber nicht so" treffend wieder. Kritischer noch Bofinger, N J W 65, 1833: V o m G r u n d satz der Zulässigkeit des vergleichenden Warentests sei wenig übrig geblieben. 82 Dietrich Schultz, N J W 63, 1801, 1802 f., u n d Graßmann, S. 30, fragen ausdrücklich nach den der Zulässigkeit des Warentests entgegenstehenden N o r men. 83 Etwa Ulrich Scholz, M A 65, 376, 380, der das Erfordernis der Neutralität i n erster L i n i e aus dem — seinerseits recht zweifelhaft begründeten — W a h r heitsgrundsatz ableitet. 84 So ausdrücklich Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 21; dem Sinne nach ebenso Möhring, M A 62, 967, 972 u n d 975; Rinck, B B 63, 1027, 1029; v. Richthofen, S. 18 ff., S. 23 f. und S. 30; Ulmer i n FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 18; Keller, S. 55 f.; Hefermehl, GRUR 62, 611, 615; Bußmann, GRUR Ausi. 64, 196, 198; Bofinger, N J W 65, 1836; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 196 f.

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

gleichende W a r e n t e s t tatsächlich o b j e k t i v eine W e t t b e w e r b s h a n d l u n g d a r s t e l l t 8 5 . D e n n o c h scheidet die A n w e n d b a r k e i t des W e t t b e w e r b s r e c h t s m a n g e l s einer W e t t b e w e r b s a b s i c h t des W a r e n t e s t e r s aus, w e n n e i n v o n P r o d u k t i o n u n d H a n d e l u n a b h ä n g i g e s I n s t i t u t den Test d u r c h f ü h r t u n d veröffentlicht 86. H i e r also h a t das K r i t e r i u m der N e u t r a l i t ä t seinen r i c h t i g e n P l a t z . S i n d U n a b h ä n g i g k e i t u n d N e u t r a l i t ä t g e w a h r t 8 7 , so k o m m t a l l e i n das b ü r g e r liche Recht z u r A n w e n d u n g . D a b e i m R e g e l f a l l des v e r g l e i c h e n d e n Warentests, d e r d e r V e r b r a u c h e r i n f o r m a t i o n u n d n i c h t der W e t t b e w e r b s f ö r d e r u n g d i e n e n w i l l , die W e t t b e w e r b s a b s i c h t f e h l t , soll die w e i tere rechtliche B e t r a c h t u n g a u f diesen R e g e l f a l l b e s c h r ä n k t w e r d e n . 3. Die rechtliche des vergleichenden Warentests

Beurteilung nach bürgerlichem

Recht

I m e i n z e l n e n k o m m e n f ü r die rechtliche B e u r t e i l u n g des v e r g l e i c h e n d e n W a r e n t e s t s die u n t e r n e h m e n s s c h ü t z e n d e n V o r s c h r i f t e n des Rechts 85

Ebenso O L G Stuttgart, B B 63, 831; Borck, W R P 59, 344, 345; Rinck, B B 61, 613; Hefermehl, GRUR 62, 611, 613; v. Richthofen, S. 23 f.; Graßmann, S. 37; allein Bofinger, N J W 65, 1833, 1836, leugnet das Vorliegen einer objektiven Wettbewerbshandlung, da die A u s w i r k u n g auf den Wettbewerb n u r eine Reflexwirkung sei. Daß dritte, am Wettbewerb selbst nicht beteiligte Personen Wettbewerbshandlungen vornehmen können, wurde S. 83 f. dargelegt. 86 O L G Celle, N J W 64, 1804, 1806 — Volkswagentest — ; Rinck, B B 61, 613; Hefermehl, GRUR 62, 611, 613; Möhring, M A 62, 967, 972; Völp, WRP 63, 109, 112; v. Richthofen, S. 23 f.; Graßmann, S. 37, lehnen die Anwendung des W e t t bewerbsrechts wegen fehlender Wettbewerbsabsicht ab. Gegen die A n w e n d u n g des Wettbewerbsrechts aus anderen Gründen oder ohne Begründung: Borck, W R P 59, 344, 345; Rinck, B B 63, 1027, 1029; Ulmer i n FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 18; Bofinger, N J W 65, 1833, 1836; Keller, S. 55 f.; Bußmann, GRUR Ausi. 64, 196, 198; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 21; Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 196 f. 87 Gefahren drohen der Neutralität und Unabhängigkeit, (a) wenn Produktion und Handel am Testunternehmen finanziell oder sonst m i t der Möglichkeit der Einflußnahme beteiligt sind, (b) bei Anzeigenaufträgen seitens der U n t e r nehmen, deren Waren getestet werden, (c) bei der Großabnahme der Testzeitschriften seitens der i m Test gut abschneidenden Firmen. Vgl. zu (a) L G Köln, B B 63, 832; Bofinger, N J W 65, 1833, 1836; Völp, W R P 63, 109, 112; v. Richthofen, S. 28; i n aller Regel werden i n solchen Fällen die Neutralität u n d Unabhängigkeit nicht mehr gewahrt sein. Vgl. zu (b) Möhring, M A 62, 967, 975; Rinck, B B 63, 1027, 1029; Völp, W R P 63, 109, 112; v. Richthofen, S. 31; Bußmann, GRUR Ausi. 64,196,199; Ulmer i n FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 20; Nähme, GRUR 64, 484 f.; Graßmann, S. 55 f.; Ulrich Scholz, M A 65, 376, 381; H e l m u t Droste, GRUR 65, 219, 220; Bock, Zg GenW, Bd. 15, 109, 111; Tetzner, N J W 65, 725, 727; Bofinger, N J W 65, 1833, 1837; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 197; i n aller Regel w i r d die Anzeigen vergäbe die Neutralität nicht aufheben, doch kann die Beurteilung i m konkreten Einzelf a l l anders ausfallen, es bedarf dann des Nachweises der Beeinflussung. Vgl. zu (c) Hefermehl, GRUR 62, 611, 615; Möhring, a.a.O.; Rinck, a.a.O.; Bußmann, a.a.O.; Graßmann, a.a.O.; Bock, a.a.O.; Bofinger, a.a.O.; Wenzel, a.a.O.; hier w i r d eine Beseitigung der Neutralität nur zu bejahen sein, wenn die Großabnahme bereits vor der Durchführung des Tests vereinbart ist.

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am Unternehmen und der §§ 824 und 826 BGB i n Betracht, die zwar den vergleichenden Warentest nicht für unzulässig erklären, i h m aber doch gewisse Grenzen ziehen können. Denn die Veröffentlichung der vergleichenden Tests kann für die Hersteller und Händler der getesteten und nichtgetesteten Waren derart weitreichende Folgen haben 88 , daß zumindest qualitative Grenzen für den vergleichenden Test und seine Veröffentlichung i m Bereich des Möglichen liegen. Allerdings wäre es schon hier unvollständig, wenn nicht den möglicherweise schädlichen Auswirkungen des vergleichenden Warentests auf die Produzenten und Händler der Schaden gegenübergestellt würde, den die Verbraucher erleiden, wenn dem Kauf wertloser oder unbrauchbarer Waren mangels zureichender Informationsmöglichkeiten nicht vorgebeugt werden kann 8 9 . Denn nur dieser zusätzliche Aspekt läßt den möglichen Schaden der durch den Test betroffenen Unternehmen i m rechten Licht erscheinen. a) Die Anwendbarkeit des § 824 BGB einerseits und des § 826 BGB sowie des Rechts am Unternehmen andererseits hängt nun davon ab, ob eine Testäußerung als Tatsachenmitteilung oder als Werturteil zu qualifizieren ist. Nicht geht es an, Testaussagen deshalb ausschließlich als Tatsachenäußerungen betrachten zu wollen, weil ein in einem Test enthaltenes Urteil immer auf Tatsachen beruhe oder doch beruhen müsse 90 . Denn einmal sind durchaus Testaussagen denkbar und i n der Regel in Testveröffentlichungen vorhanden, die sich nicht auf eine Tatsachengrundlage zurückführen lassen und deren Richtigkeit deshalb nicht nachgeprüft werden kann 9 1 . Und zum anderen hieße es, voreilig rechtliche Schlüsse ziehen, wenn behauptet würde, daß der Test nur solche Urteile enthalten dürfe, deren Richtigkeit sich anhand von Tatsachen belegen läßt. Schließlich ist es ebensowenig möglich, Testaussagen ausschließlich als Werturteile zu begreifen, da als Testaussage nicht nur die abschlie88 Die Auswirkungen des Tests auf Händler und Hersteller schildern treffend, aber zu einseitig Möhring, M A 62, 967, 972, u n d Völp, W R P 63, 109, 110. 89 So Bofinger, N J W 65, 1833, 1835, unter Hinweis auf Märzen, Zeitschr. f. handelsw. Forschung. 1962 (Heft 6), S. 299. 90 I n diese Richtung weisen Helles, N J W 62, 1177 u n d 1179, allerdings nicht ganz widerspruchsfreien Äußerungen. Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 198 f., leitet aus dem angeblich aus dem Wesen des Warentests folgenden Erfordernis der O b j e k t i v i t ä t ab, daß Testveröffentlichungen sich auf die Wiedergabe nachprüfbarer Fakten, also auf Angaben m i t Tatsachencharakter beschränken müssen; Meinungsäußerungen seien i n Tests grundsätzlich unzulässig. 91 Vgl. Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 20 Note 53; hiervon gehen auch diejenigen aus, die Testaussagen als Werturteile u n d Tatsachenbehauptungen begreifen und/oder zur Anwendung des § 824 B G B u n d des Rechts am U n t e r nehmen gelangen, vgl. etwa Weitnauer, D B 63, 55; Völp, W R P 63, 109; Ulmer i n FlW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 18 f.; Spengler, M A 66, 453, 459; Borck, WRP 62, 359, 360; v. Richthofen, S. 42 ff. und S. 75; Bußmann, GRUR Ausi. 64, 196,197; Graßmann, S. 47 ff. und S. 69 ff.

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ßende Empfehlung — deren Vorhandensein übrigens durchaus nicht zwingend ist 9 2 —, sondern auch die einzelnen Zwischenergebnisse des Tests anzusehen sind, bei denen es sich i n aller Regel um Tatsachenmitteilungen handeln w i r d 9 3 . Als Ergebnis ist also festzuhalten, daß Testaussagen sowohl Werturteile wie Tatsachenbehauptungen enthalten können 9 4 , wobei als Tatsachenmitteilungen auch Urteile gelten, deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit dem Beweise zugänglich ist 9 5 . b) Weil Testveröffentlichungen weitgehend Tatsachenmitteilungen und nachprüfbare Werturteile enthalten, die sich unternehmensschädigend auswirken können, ist § 824 BGB wenn auch nicht die ausschließliche 96 , so aber doch eine äußerst wichtige Rechtsgrundlage zur Beurteilung vergleichender Testveröffentlichungen 97 . aa) Aus Abs. 1 dieser Vorschrift folgt, daß unwahre Äußerungen m i t Tatsachencharakter rechtswidrig und infolgedessen unzulässig sind. Dam i t ist ein bedeutsamer Kernsatz für die rechtliche Beurteilung vergleichender Warentests ausgesprochen, der zahlreiche i n der Rechtsprechung und i m Schrifttum an den vergleichenden Warentest gestellte qualitative Anforderungen 9 8 als an der rechtlichen Wirklichkeit vorbeigehende Wunsch Vorstellungen entlarvt 9 9 . Alle Überlegungen betreffend Äußerungen mit Tatsachencharakter, die über diesen Kernsatz hinausgehen, haben keine rechtliche Durchschlagskraft. Das gilt etwa für die gegen die Zulässigkeit des Warentests vorgebrachten Bedenken aus der 92

Vgl. S. 10 f. m i t Note 25. Anders Bofinger, N J W 65, 1833, 1834, w o h l u m zur Anwendbarkeit der Meinungsäußerungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG zu gelangen: Die Testaussage sei „überwiegend" u n d i n der abschließenden Empfehlung „ausschließlich" Werturteil, Meinungsäußerung, nicht Tatsachenbehauptung. 94 Vgl. S. 279 Note 91 m i t den dort gegebenen Nachweisen. 95 Vgl. S. 33 f. 96 So aber Völp, W R P 63, 109, 113 f.; Bofinger, N J W 65, 1833, 1837 ff.; Nähme, N J W 65,1848,1849 f.; vgl. dazu auch S. 48 ff. u n d S. 49 f. 97 Deshalb sind die Stellungnahmen unzutreffend, die n u r das Recht am Unternehmen zur rechtlichen Beurteilung des Warentests heranziehen; vgl. etwa Borck, W R P 59, 344, 345; Rinck, B B 61, 613; Hefermehl, GRUR 62, 611, 614; Tetzner, N J W 65, 725, 726; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 194. 98 Z u den weitgehenden Anforderungen an den Test u n d die Testveröffentlichung vgl. Hefermehl, GRUR 62, 611, 614 ff.; i m wesentlichen zustimmend Borck, W R P 62, 359; Möhring, M A 62, 967, 975 ff.; Rinck, B B 63, 1027, 1029; Völp, W R P 63, 109, 115 f.; v. Richthofen, S. 56 ff. u n d S. 67 ff.; Bußmann, GRUR Ausi. 64, 196, 199; Ulmer i n FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 19; Graßmann, S. 57 ff.; Ulrich Scholz, M A 65, 276, 378 ff.; H. Droste, GRUR 65, 219, 220; Bock, Zg GenW. Bd. 15, 109, 111; Tetzner, N J W 65, 725, 727; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 198 ff. 99 Kritisch zu den äußerst weitgehenden Anforderungen äußern sich : Nähme, GRUR 64, 484, 485; Arndt, N J W 64, 1312 f.; Bofinger, N J W 65, 1833, 1834 f. u n d 1837 f.; Kubier, Wirtschaftsordnung, S. 21 ff. 93

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Ü b e r l e g u n g , daß das Z i e l des Warentests, M a r k t t r a n s p a r e n z f ü r d e n V e r b r a u c h e r z u schaffen, w e g e n d e r U n z u l ä n g l i c h k e i t des Tests u n d w e g e n des i r r a t i o n a l e n V e r h a l t e n s der V e r b r a u c h e r s c h a f t n i c h t e r r e i c h b a r s e i 1 0 0 . U n d das g i l t ebenso f ü r a l l e Ü b e r l e g u n g e n z u r V e r g l e i c h b a r k e i t der getesteten O b j e k t e 1 0 1 , z u r N o t w e n d i g k e i t einer s a c h k u n d i g e n P r ü f u n g 1 0 2 u n d e i n e r sachlichen D a r s t e l l u n g der T e s t e r g e b n i s s e 1 0 3 , z u r M ö g l i c h k e i t eines r e p r ä s e n t a t i v e n A u s w a h l t e s t s 1 0 4 , z u r N o t w e n d i g k e i t eines Tests m e h r e r e r P r ü f m u s t e r 1 0 5 , z u r Pflicht, a l l e D a t e n z u p r ü f e n u n d die T e s t ergebnisse v o l l s t ä n d i g d a r z u s t e l l e n 1 0 6 , u n d z u m E r f o r d e r n i s , die j o u r nalistische Sorgfaltspflicht z u b e a c h t e n 1 0 7 sowie d e n Test o b j e k t i v d a r zustellen108. Diese q u a l i t a t i v e n A n f o r d e r u n g e n a n d e n v e r g l e i c h e n d e n Test ü b e r zeugen f ü r Ä u ß e r u n g e n m i t Tatsachencharakter n u r , s o w e i t die M i ß a c h t u n g der i n i h n e n z u m A u s d r u c k k o m m e n d e n G r u n d s ä t z e z u r U n w a h r h e i t der Testaussage f ü h r t . D . h., daß zahlreiche d e m v e r g l e i c h e n d e n u n d v e r ö f f e n t l i c h t e n Test gestellte A n f o r d e r u n g e n zu ü b e r p r ü f e n u n d an 100 Vgl. dazu Hundhausen, Zeitschr. f. handelsw. Forschung 1962 (Heft 6), S. 271 ff.; Gerhard Meyer, M A 63, 3 ff. (kritisch zu Hundhausen); v. Holt, M A 66,117 ff. 101 Vgl. Hefermehl, GRUR 62, 611, 615; v. Richthofen, S. 64 f.; Spengler, M A 66, 453, 456; Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 207 f. 102 Hefermehl, GRUR 62, 611, 616; Möhring, M A 62, 967, 978; ν. Richthofen, S. 61 ff.; Ulmer, FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 19; H. Droste, GRUR 65, 219, 220; Bock, Zg GenW, Bd. 15, S. 109, 111; Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 202 f. 103 O L G Stuttgart, N J W 64, 595, 596 — Fiat Europa — ; O L G Nürnberg, M D R 65, 133 — Leberwursttest — ; Möhring, M A 62, 967, 975; Rinck, B B 63, 1027, 1029; υ. Richthofen, S. 67 ff.; Graßmann, S. 60 f.; Scholz, M A 65, 376, 382; Η . Droste, GRUR 65, 219, 220; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 208. 104 Ablehnend Möhring, M A 62, 967, 975 u n d 978; Bollack, N J W 63, 986 ff.; v. Richthofen, S. 65 ff.; m i t Bedenken Ulmer i n FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 20. F ü r die Möglichkeit eines Auswahltests D. Schultz, N J W 63,1801 f.; Rinck, B B 63, 1027, 1030; Bußmann, GRUR Ausi. 64, 196, 200; Graßmann, S. 62; Bock, Zg GenW, Bd. 15, S. 109, 111; Spengler, M A 66, 453, 456; Keller, S. 46; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 22 Note 64; Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 205 ff. 105 Hefermehl, GRUR 62, 611, 616; Möhring, M A 62, 967, 978; ν . Richthofen, S. 61; Graßmann, S. 58; Bock, Zg GenW, Bd. 15, S. 109, 111, treten f ü r die N o t wendigkeit einer Prüfung mehrerer Prüfmuster ein. Α. A. Völp, W R P 63, 109, 115; von F a l l zu F a l l differenzierend Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 203 f. 106 Hefermehl, GRUR 62, 611, 617; Graßmann, S. 58 f. u n d S. 60. 107 Graßmann, S. 58; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 208 ff.; O L G Stuttgart, B B 63, 831; N J W 64, 595, 597 — Fiat Europa — ; O L G N ü r n berg, M D R 65, 133 — Leberwursttest — ; BGH, VersR 66, 1189, 1190. Richtigerweise können Sorgfaltspflichten erst für das U r t e i l über die Fahrlässigkeit Bedeutung erlangen. 108 Ulmer i n FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 19; Scholz, M A 65, 376, 381; Bock, Zg GenW, Bd. 15, 109, 111; Tetzner, N J W 65, 725, 727; Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 198 f.

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4. Teil : Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

dem Kernsatz des § 824 Abs. 1 BGB zu messen sind. Das Ergebnis einer solchen Überprüfung w i r d die bisher teilweise recht weitgehenden Erfordernisse auf ein erträgliches Maß reduzieren 109 , so daß dem Test und der Testpublikation der Entfaltungsraum zurückgegeben wird, der i h m nach der Rechtsordnung gebührt und den i h m manchmal nicht ausschließlich am Gesetz orientierte Vorstellungen streitig machen 110 . Dieses Resultat w i r d ausschließlich aus § 824 Abs. 1 BGB gewonnen. Zu seiner Begründung bedarf es keiner Berufung auf die Äußerungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG, wie dies gelegentlich geschieht 111 . Auch w i r d dieses Ergebnis in keiner Weise durch Art. 5 Abs. 1 und 2 GG korrigiert, da § 824 Abs. 1 BGB den Kriterien des allgemeinen Gesetzes entspricht 1 1 2 und i n Anbetracht der tatbestandlich engen Fassung dieser Vorschrift die Berücksichtigung eines aus Art. 5 Abs. 1 GG zu gewinnenden Vorzugselementes ausscheidet 113 . bb) Besonderheiten ergeben sich jedoch für fahrlässig unwahre Tatsachenäußerungen aus § 824 Abs. 2 BGB. Denn für solche Äußerungen ist die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches ausgeschlossen, wenn die notwendig werdende Interessenwertung 114 zugunsten dessen ausfällt, der den vergleichenden Test veröffentlicht. M i t dem Verweis auf die Interessenwertung entsteht die Frage nach den typischen Bewertungsfaktoren für unternehmensschädigende Test109 So überschreitet z. B. ein Auswahltest, der repräsentativ ist und sich als Auswahltest zu erkennen gibt, nicht die Grenzen der Wahrheit. 110 V i e l vorsichtiger gehen die S. 280 Note 99 genannten Autoren vor, wenngleich ihre Stellungnahmen fast ins andere E x t r e m umschlagen und dem Warentest zu viel Entfaltungsraum gewähren. Bemerkenswert das O L G Düsseldorf, B B 65, 685: Dem Warentest müsse ein angemessener Spielraum gew ä h r t werden. 111 Die Stellungnahmen zum Komplex Warentest und Meinungsäußerung sind vielfältig, selten sorgsam begründet und meist widersprüchlich. Dafür, daß die Testaussage unter die Meinungs- und Pressefreiheit fällt, sprechen sich aus: O L G Stuttgart, B B 63, 831; N J W 64, 48 u n d 595 — Fiat Europa — ; O L G Celle, N J W 64, 1804 — Volkswagentest — ; O L G Düsseldorf, B B 65, 685; O L G Nürnberg, M D R 65, 133 — Leberwursttest — ; BGH, VersR 66, 1189; Borck, W R P 59, 344, 345; Helle, N J W 62, 1177, 1179; Hefermehl, GRUR 62, 611, 614; υ. Richthofen, S. 33 f.; Nähme, GRUR 64, 484; ders., N J W 65, 1848, 1849 f.; Graßmann, S. 23 ff.; Arndt, N J W 64, 1312 f.; Bofinger, N J W 65, 1833, 1835; Kubier, Wirtschaftsordnung, S. 19 ff.; Keller, S. 20 und S. 22. A . A . Bollack, N J W 63, 986, 987 f., für den Auswahltest, da dieser nicht der Schaffung von Markttransparenz diene; Dürig, V V D S t R L 22, 196 f. (Diskussionsbeitrag): A r t . 12 GG sei einschlägig; Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 199: M e i nungsäußerungen seien als Testaussage unzulässig (allerdings ohne Nennung des A r t . 5 Abs. 1 GG). Soweit überhaupt auf das Problem der D r i t t w i r k u n g des A r t . 5 Abs. 1 GG eingegangen w i r d , beruft man sich auf das L ü t h - U r t e i l des BVerfG; vgl. O L G Celle, a.a.O.; O L G Stuttgart, N J W 64, 48 — Fiat Europa — ; Borck, a.a.O.; Helle, a.a.O.; Hefermehl, a.a.O.; v. Richthofen, S. 34 f. 112 Vgl. S. 210 f. u n d S. 228 f. 113 Vgl. S. 230 f. i. V. m. S. 232. 114 Vgl. S. 37 f.

. Abschn.: Die a u e r

e Wettbewerb liegenden Problemfälle

283

Veröffentlichungen. Für das Testorgan sind hier zu nennen das i m einfachen Gesetzesrecht enthaltene Vorzugselement, das der unternehmerischen Tätigkeit des Testorgans rechtliche Anerkennung verleiht 1 1 5 , sowie das aus Art. 5 Abs. 1 GG zu entnehmende Vorzugselement zweiten Grades 116 . Weiterhin w i r k t sich positiv für den Testveranstalter aus das aus dem Wettbewerbsrecht i n Verbindung mit dem Verfassungsrecht zu gewinnende Vorzugselement, das das Interesse der Verbraucherschaft an den die Markttransparenz fördernden Informationsmöglichkeiten positiv bewertet 1 1 7 . Demgegenüber steht dem betroffenen Unternehmer als typisches Vorzugselement allein der dem zivilrechtlichen Unternehmensschutz zu entnehmende Bewertungsfaktor zur Seite. Ginge es nur um die eben genannten Vorzugselemente, so würde das Ergebnis der Interessenwertung wegen der Häufung der Bewertungsfaktoren auf der Seite des Testveranstalters bereits feststehen. Fahrlässig unwahre Tatsachenäußerungen würden den Testveranstalter nie zum Schadensersatz verpflichten. Obwohl dieses Ergebnis dem logischen Gefüge des scheinbar eine Privilegierung anstrebenden § 824 Abs. 2 BGB zu entsprechen scheint, kann die Untersuchung hier nicht stehenbleiben. Denn § 824 Abs. 2 BGB ist entsprechend den obigen Ausführungen 1 1 8 als eine beschränkte Generalklausel für die Schadensersatzregelung bei fahrlässig unwahren Tatsachenäußerungen anzusehen. D. h., daß entgegen dem ersten Eindruck, den die Vorschrift des § 824 Abs. 2 BGB vermittelt, die Interessen des durch eine Äußerung berührten Personenkreises nicht abstrakt und auf die in § 824 Abs. 2 BGB genannten Personen beschränkt, sondern konkret anhand aller Umstände des einzel115 M i t Recht heben Arndt, N J W 64, 1312, 1313, u n d Bofinger, N J W 65, 1833, hervor, daß auch dem Testorgan das Recht am Unternehmen zur Seite steht; vgl. außerdem S. 245. 118 Vgl. S. 250 i. V. m. S. 252. H i e r i n erschöpfen sich entgegen anderweitigen Ausführungen (vgl. S. 282 f. Note 111) die Wirkungen des A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG, da das Verbot verfassungskonträrer Auslegung wegen des enger. Anwendungsraumes des § 824 Abs. 2 B G B schweigt. 117 Vgl. S. 78 f und A r t . 5 Abs. 1 S. 1, 2. Halbs. GG. Nicht geht es an m i t Möhring, M A 62, 967, 975, diese Interessen n u r zu berücksichtigen, wenn sie von Verbraucherverbänden wahrgenommen werden. I m Ergebnis wie hier O L G Stuttgart, B B 63, 831; N J W 64, 48 u n d 595, 596 — Fiat Europa —; O L G Celle, N J W 64, 1804, 1807 — Volkswagentest — ; O L G Düsseldorf, B B 65, 685, Helle, N J W 62, 1177, 1178; Hefermehl, GRUR 62, 611, 614; v. Richthofen, S. 23 und S. 51 ff.; Graßmann, S. 54 f.; Tetzner, N J W 65, 725, 727. Übrigens sind an diesem P u n k t alle Argumente zusammenzuraffen, die die Informationsbedürftigkeit des Verbrauchers i n Anbetracht des Uberangebots an Waren, der Undurchsichtigkeit des Angebots, der vielfach technischen K o m pliziertheit der Waren u n d des Uberangebots an Werbung hervorheben; vgl. etwa v. Richthofen, S. 3; Bußmann, GRUR Ausi. 64, 196; Exposé des D I H T , M A 64, 780, 781; Nähme, GRUR 64, 484; Graßmann, S. 17 ff.; Bock, Zg GenW, Bd. 15, S. 109 f.; Tetzner, N J W 65, 725, 726; Bofinger, N J W 65, 1833 f., 1835 f.; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 23. 118 Vgl. S. 37 f.

284

4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

nen Sachverhalts zu bemessen sind. Demzufolge sind etwa auch Bewertungsfaktoren für das innere menschliche Verhalten 1 1 9 zu berücksichtigen, wodurch freilich das dem § 824 Abs. 2 BGB nach dem Wortlaut eigentlich vorausgehende Urteil über die Fahrlässigkeit wieder i n die Regelung des § 824 Abs. 2 BGB mit hineingenommen w i r d 1 2 0 . Für den vergleichenden Warentest bedeutet dies, daß der Ausschluß des Schadensersatzanspruches z. B. von der sorgfältigen Auswahl einer Prüfungsmethode oder vom Maß etwa der Sorgfalt abhängen kann, die darauf verwendet wird, beim Test nicht auf einen „Ausreißer" hereinzufallen. Nun kann mit Recht bemängelt werden, daß nun doch Tür und Tor offenstehen, um den vergleichenden Test auf diesem Umweg mit qualitativen Anforderungen zu belasten oder gar erdrosselnd zu überlasten. Dem ist jedoch mit dem Postulat einer harmonisierenden Anwendung des § 824 Abs. 1 und 2 BGB für fahrlässig unwahre Tatsachenäußerungen zu begegnen. Denn das Ausbrechen des Gesetzgebers aus einem eng umgrenzten Tatbestand zu einer Interessenwertung nur für den Schadensersatzanspruch darf nicht dazu führen, daß deshalb, weil die Interessenwertung notwendigerweise stärker individualisieren muß als das nach § 824 Abs. 1 BGB zu fällende Urteil über die Rechtswidrigkeit und die Schuld, der Schadensersatzanspruch gewährt wird, wo das Urteil über die Rechtswidrigkeit und insbesondere über die Fahrlässigkeit einer unwahren unternehmensschädigenden Äußerung infolge einer mehr an objektiven Maßstäben orientierten Betrachtung bereits negativ ausgefallen ist. Als Folge muß sich die Interessenwertung nach § 824 Abs. 2 BGB vor einer zu weit gehenden Individualisierung hüten, während das Urteil über die Rechtswidrigkeit und über die Fahrlässigkeit nach § 824 Abs. 1 BGB mehr individualisierend, also nicht mehr ausschließlich nach einem objektiven Maßstab zu fällen ist. Die Konstruktionsschwächen des Gesetzgebers, die i n § 824 BGB offenbar werden, sind damit freilich nicht völlig aus dem Wege geräumt 1 2 1 . c) Er verbleiben als Testaussagen Werturteile, die mittels einer durch das Recht am Unternehmen und durch § 826 BGB legitimierten Inter119

Vgl. dazu S. 82 m i t den i n Note 76 genannten Nachweisen. Aufschlußreich ist insoweit BGH, J Z 67, 94 — Teppichkehrmaschine — m i t der A n m e r k u n g von Deutsch. N u r t r i f f t die K r i t i k von Deutsch, das logische Gefüge des § 824 B G B werde dadurch zerbrochen, nicht den BGH, sondern den Gesetzgeber, der den § 824 B G B schon m i t einem logischen Bruch geschaffen hat. 121 Verbleibende Unzuträglichkeiten können nur v o m Gesetzgeber beseitigt werden. Als neue gesetzliche Regelung bietet sich an entweder generell eine Interessenwertung zur Bestimmung der Rechtswidrigkeit fahrlässig unwahrer Tatsachenäußerungen, wobei der Schadensersatzanspruch an das U r t e i l der Fahrlässigkeit geknüpft w i r d , oder eine Regelung wie bisher, die jedoch den Schadensersatzanspruch nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit gewährt. 120

. Abschn.: Die a u e r

e Wettbewerb liegenden Problemfälle

285

essenwertung zu beurteilen sind 1 2 2 und schon deswegen nicht grundsätzlich unzulässig sein können 1 2 3 . Für die für den vergleichenden und veröffentlichten Warentest typischerweise einzusetzenden Bewertungsfaktoren w i r d auf die Erörterung zur Anwendung des § 824 Abs. 2 BGB auf Testaussagen m i t Tatsachencharakter verwiesen. I m übrigen gelten die bisher aufgezeigten Grundsätze zur Interessenwertung bei unternehmensschädigenden Werurteilen. Soweit sich mit Testaussagen Boykottaufforderungen verbinden 1 2 4 , sind die Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung des Boykotts heranzuziehen.

D. Kreditschutzlisten und sonstige unternehmensschädigende Äußerungen

Überlegungen zur rechtlichen Beurteilung dieser Formen der Unternehmensschädigung 125 sollen unterbleiben, da es sich dabei, wie i m wesentlichen bisher bei der abschließenden Betrachtung der Typologie, nur um ein i n der Wiederholung uninteressantes Zusammensetzen der bisher gewonnenen rechtlichen Erkenntnisse handeln würde 1 2 6 . Es muß deshalb dem dennoch an der rechtlichen Lösung dieser Fälle Interessierten überlassen bleiben, die rechtliche Beurteilung anhand der bisher gewonnenen Kriterien selbst vorzunehmen.

122 Außer den auf S. 280 i n Note 97 Genannten befürworten eine A n w e n dung des Rechts am Unternehmen (allerdings wie hier neben § 824 BGB) Helle, N J W 62, 1177; Weitnauer, D B 63, 55, 56 f.; v. Richthofen, S. 42 ff.; Bußmann, GRUR Ausi. 64, 196, 197; Ulmer i n FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 18 f.; Graßmann, S. 69 ff.; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 20 m i t Note 53. Den Hinweis Küblers bestätigen O L G Stuttgart, B B 63, 831; N J W 64, 48 u n d 595 — Fiat Europa — ; O L G Celle, N J W 64, 1804, 1805 — Volkswagentest — ; O L G Düsseldorf, B B 65, 685; O L G Nürnberg, M D R 65, 133 — Leberwursttest —; i n all diesen Entscheidungen geht es u m Beeinträchtigungen des Gewerbebetriebes, die als Werturteile aufgefaßt werden. 123 Dies gegen die Bestrebungen, die Benotung als bedenklich (Möhring, M A 62, 967, 978), Empfehlungen nur i n Ausnahmefällen als zulässig (v. Richthofen, S. 71 f.), Gesamtprädikate i m Regelfall als unzulässig (Wenzel, W o r t - und B i l d berichterstattung, S. 200) u n d Meinungsäußerungen i m Test generell als unzulässig (Wenzel, a.a.O., S. 199) anzusehen. 124

Vgl. dazu Rinck, B B 61, 613 f. Z u r bisherigen rechtlichen Beurteilung der Kreditschutzlisten vgl. die Nachweise S. 11 Note 28. 125

126 Etwa die rechtliche Beurteilung von wahren Tatsachenäußerungen (vgl. S. 50 f.), die analoge Anwendbarkeit des § 824 B G B auf Werturteile (vgl. S. 49 f.) u n d die Auswirkungen des A r t . 5 Abs. 1 GG auf die unternehmensschützenden Vorschriften (vgl. S. 228 ff., 239 f., 241 ff.).

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

2. Abschnitt: Die auf der Grenze z u m W e t t b e w e r b liegenden Problemfälle A. Ein Wettbewerber als Presseinformant

Für die rechtliche Beurteilung sind zu trennen die vom Wettbewerber an eine Zeitung oder Zeitschrift gegebene Information und die auf dieser Information beruhende sowie in der Zeitung oder Zeitschrift veröffentlichte Äußerung, also das Handeln des Presseorgans. Die rechtliche Würdigung des Handelns des Presseorgans ist vergleichsweise unproblematisch. Denn i n aller Regel w i r d die Presseveröffentlichung, obwohl sie objektiv eine Wettbewerbshandlung darstellt 1 , nicht von einer Wettbewerbsabsicht getragen sein 2 , so daß das Wettbewerbsrecht insoweit ausscheidet. Damit kommen grundsätzlich für das auf einer Information durch einen Wettbewerber beruhende Handeln eines Presseorgans die unternehmensschützenden Vorschriften des allgemeinen Deliktsrechts zur Anwendung. Von den bisher entwickelten Grundsätzen abweichende Besonderheiten ergeben sich dabei nicht. Anders dagegen verhält es sich bei den Äußerungen des Informanten, deren rechtliche Beurteilung zum besonderen Problem dieser Fallgruppe führt. Denn i n der Regel w i r d trotz des bestehenden Informationswillens des Wettbewerbers eine Wettbewerbsabsicht zu bejahen sein 3 , da sie das Handeln des Wettbewerbers nicht allein zu bestimmen braucht und da sie nur dann ausscheidet, wenn sie völlig hinter andere Beweggründe zurücktritt 4 . Als Folge ist eine Anwendung des Wettbewerbsrechts für die Äußerungen des Informanten unumgänglich. Das führt aber nach der bisher h. M. zu Unzuträglichkeiten, da nach den von ihr verfolgten Grundsätzen mit der Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts automatisch die Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertungen des A r t . 5 Abs. 1 GG entfällt 5 . Die Wettbewerbsabsicht entfaltet sich i m Ergebnis zum Sperriegel, mit dessen Hilfe verfassungsrechtliche Einflüsse abgewehrt werden. Der tiefere Grund dieser Auffassung liegt darin, daß Äußerungen i m Wettbewerb und insbesondere Werbeaussagen nach der überwiegenden Ansicht nicht als Meinungsäußerungen i m Sinne des Art. 5 Abs. 1 GG fungieren 6 . 1

Vgl. zu den K r i t e r i e n der Wettbewerbshandlung insoweit S. 83 f. Zumindest bei den hier interessierenden typischen Fällen verhält es sich so; vgl. BGH, N J W 64, 1181 — Schwindelmittel —, und BGH, M D R 68, 643 — Pelzversand —. 3 D a r i n liegt ebenfalls das Typische dieser Fallgruppe; vgl. die i n Note 2 angeführten Entscheidungen und Fritze, GRUR 67, 576. 4 Vgl. S. 84 f. 5 Vgl. S. 84 f. u n d S. 157. 6 Vgl. S. 156 ff. 2

2. Abschn. : Die auf der Grenze zum Wettbewerb liegenden Problemfälle

287

Diese Auffassung wurde zuvor aus den verschiedensten Gründen widerlegt 7 , so daß schon deshalb eine Korrektur der rechtlichen Beurteilung der Äußerungen des Informanten erforderlich erscheint. Aber nicht nur diese allgemeinen Überlegungen zum Grundrechtsschutz der Äußerung i m Wettbewerb, sondern auch speziell an den Besonderheiten dieser Fallgruppe orientierte Erwägungen fordern zu einer Korrektur auf. Denn erst einmal geben die Diskrepanzen zwischen der Beurteilung der Äußerungen des Informanten und den auf diesen Informationen beruhenden Veröffentlichungen zu Bedenken Anlaß 8 . Zum zweiten stört die Tendenz der bisherigen Auffassung, dem Wettbewerber in Angelegenheiten des wirtschaftlichen Wettbewerbs den Zugang zur Öffentlichkeit zu versperren. Und zum dritten behindert die strikte Anwendung des Wettbewerbsrechts auf die Aussagen des Informanten i m Endeffekt die Arbeit der Presse, deren Informationsquellen die herkömmliche A n sicht zu beschränken droht 9 . Eine juristische Beurteilung, die diesen Gedanken, deren Berücksichtigung durch die Ergebnisse dieser Arbeit i m zweiten und dritten Teil vorbereitet ist, Rechnung tragen w i l l , muß i n die auch i m Wettbewerbsrecht durch § 1 U W G 1 0 und durch § 14 Abs. 2 U W G 1 1 legitimierten Interessenwertungen das aus Art. 5 Abs. 1 GG zu gewinnende Vorzugselement einführen 1 2 . Dieses Vorzugselement t r i t t neben das positiv zu bewertende Informationsinteresse der Allgemeinheit 1 3 . Damit nähert sich i n diesem Fall wie gewünscht die rechtliche Beurteilung der Äußerungen des Informanten der der aufgrund dieser Informationen erfolgten Presseveröffentlichungen 14 . Und zugleich sind deshalb trotz der Berücksichti7

Vgl. S. 160 ff. Beispielhaft BGH, N J W 64, 1181 — Schwindelmittel —: Das Verhalten des Informanten sei unabhängig davon zu beurteilen, wie das Verhalten der dabei beteiligten Presseorgane (aufgrund des A r t . 5 Abs. 1 S. 2 GG) zu werten sei. 9 So treffend BGH, M D R 68, 643 f. — Pelzversand —. 10 Vgl. S. 76 ff. 11 Vgl. S. 69. 12 I m Ergebnis ebenso Fritze, GRUR 67, 576, unter Berufung auf das Verständnis der Generalklauseln als Einbruchsstellen für die Grundrechte durch das BVerfG; ähnlich auch BGH, M D R 68, 643, 644 — Pelzversand —, der die Vorschrift des § 1 U W G verfassungskonform auslegt (!) ; vgl. S. 232 ff. 13 Vorwiegend auf diesen Bewertungsfaktor stellt ab BGH, M D R 68, 643 f. — Pelzversand —; es fehlt dort ein sorgfältiges Absetzen zur rechtlich positiven Wertung des Äußerungsinteresses des Informanten; der G r u n d liegt w o h l darin, daß der B G H dann die den Grundrechtsschutz der wettbewerblichen Äußerung i n A r t . 5 Abs. 1 GG verneinende Rspr. hätte aufrollen müssen. 14 Die bisher abrupten Übergänge v o m allgemeinen Deliktsrecht zum W e t t bewerbsrecht werden für die auf der Grenze liegenden Fälle gemildert. I m übrigen sind die Wahrheitsanforderungen (§ 824 B G B einerseits und §§ 3, 14 U W G andererseits) ohnehin vergleichbar. Das i n BGH, M D R 68, 643, 644, aufgestellte Erfordernis sachlicher Information erscheint i n Anbetracht der neueren Rspr. zu den an Äußerungen zu stellenden qualitativen Anforderungen (vgl. S. 43 f.) auf den ersten Blick zweifelhaft, ist aber w o h l aus wettbewerbsrechtlichen Erwägungen gerechtfertigt. 8

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

gung wettbewerbsrechtlicher Gesichtspunkte die Informationen Wettbewerbers i n aller Regel als zulässig anzusehen 15 .

des

B. Meinungskampf und wirtschaftlicher Wettbewerb der Presse

I.

Pressefehde

1. I n der Auseinandersetzung zwischen Presseorganen fallenden unternehmensschädigenden Äußerungen droht immer die rechtliche Beurteilung nach dem Wettbewerbsrecht. Das deshalb, weil derartige Äußerungen regelmäßig objektiv eine Wettbewerbshandlung darstellen und subjektiv meist auch von einer Wettbewerbsabsicht getragen sind, was eigentlich zur Anwendung des nach der traditionellen Auslegung des Art. 5 Abs. 1 GG äußerungsfeindlichen Wettbewerbsrechts 16 führen müßte. Gleichwohl weichen höchstrichterliche Entscheidungen und die Stellungnahmen i m Schrifttum 1 7 dem Wettbewerbsrecht i n aller Regel dadurch aus, daß sie das Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht bei derartigen Äußerungen verneinen. Meist w i r d dazu vermerkt, daß die Äußerungen i m Rahmen einer Pressefehde nicht dem Wettbewerb, sondern dem Meinungskampf dienten und/oder als ein Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung aufzufassen seien 18 . Die letzte Feststellung t r i f f t sicherlich für die Mehrzahl aller Pressefehdefälle zu. Zustimmung verdient auch die Tatsache, daß die traditionelle Lehre sich nicht i m Netz ihrer äußerungsfeindlichen Auslegung des A r t . 5 Abs. 1 S. 1 GG und, i n innerem Zusammenhang damit, des Wettbewerbsrechts verfängt. Dennoch kann die herkömmliche Argumentation wegen der folgenden beiden Feststellungen und wegen der aus ihrer Kombination folgenden Unzuträglichkeiten nicht befriedigen. Denn einmal zeigen die beiden Constanze-Entscheidungen des B G H 1 9 sowie die Entscheidung dieses Gerichts i m Falle Blinkfüer 2 0 , wie fließend, 15 I m Ergebnis ebenso Fritze, GRUR 67, 576, u n d BGH, M D R 68, 643 — Pelzversand —. 16 Vgl. S. 84 f. u n d S. 154 ff. 17 Vgl. B G H Z 3, 270 — Constanze I — ; O L G München, W R P 63, 282 f.; O L G Hamburg, N J W 62, 917 — B l i n k f ü e r I — ; BGH, N J W 64, 29 f. — B l i n k f ü e r I I — ; zustimmend Arndt, N J W 64, 23; O L G Hamburg, M D R 66, 674 — Schwangerschaftsunterbrechung — ; BGH, N J W 66, 1617 — Höllenfeuer — ; Wenzel, W o r t und Bildberichterstattung, S. 125 f.; ders., A n m . zu BGH, N J W 68, 644 — F ä l schung —. N u r ausnahmsweise wurde eine Wettbewerbsabsicht bejaht, so etwa B G H 14, 163 — Constanze I I —; BGH, GRUR 58, 35; BGH, N J W 68, 644 f. — Fälschung —. 18 Helle, N J W 64, 1497, 1502; Kubier, Wirtschaftsordnung, S. 13; ders., A n m . zu BGH, J Z 67,174,179 — Höllenfeuer — ; BGH, N J W 66,1617 — Höllenfeuer — ; O L G Hamburg, M D R 66, 674 — Schwangerschaftsunterbrechung — ; O L G M ü n chen, W R P 63, 281. 19 B G H Z 3, 270, u n d 14, 163. Die Vorinstanz hat zuerst eine Wettbewerbsabsicht abgelehnt, sie später jedoch bejaht. 20 BGH, N J W 64, 29.

2. Abschn. : Die auf der Grenze zum Wettbewerb liegenden Problemfälle

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ja unentwirrbar die Grenzen zwischen Meinungskampf und Wettbewerb verlaufen. Insbesondere der Fall Blinkfüer beweist die Verquickung der Motive, da die dem Rundschreiben des Springer-Verlages vom B G H unterlegten ausschließlich politischen Motive 2 1 i n Anbetracht der Tatsache an Bedeutung verlieren, daß „Hör-Zu" bereits ein Jahr später selbst Ostprogramme veröffentlichte 22 , obwohl es zuvor i n dem Rundschreiben geheißen hatte: Ganz unbegreiflich erscheine es, daß es immer noch „Spekulanten" gebe, „die sich mit dem Abdruck der Ostzonenprogramme für die Verbreitung der Lügen aus Pankow hergeben" 23 . So ist Küblers Feststellung 24 weitgehend zuzustimmen, daß der Versuch, das Motiv einer Auseinandersetzung zwischen zwei auch wirtschaftlich rivalisierenden Zeitungen zu ermitteln, i n aller Regel scheitern müsse. Die bisherigen Ausführungen zur Wettbewerbsabsicht bei Pressefehden erscheinen damit i n einem neuen Licht. Und zum zweiten kann die herkömmliche Argumentation insoweit nicht überzeugen, als sie bei Bejahung der Wettbewerbsabsicht in konsequenter Weiterführung der Auffassung, daß Äußerungen i m Wettbewerb nicht als Meinungsäußerungen Grundrechtsschutz erfahren 25 , das von verfassungsrechtlichen Wertungen unbeeinflußte Wettbewerbsrecht anwendet 2 6 . Aus der verbindenden Sicht beider Vorbehalte folgt nun drittens, daß die rechtliche Wertung, je nachdem, ob eine Wettbewerbsabsicht bejaht wird, eine abrupte Wendung nimmt, die den fließenden, tatsächlichen Übergängen nicht gerecht wird. 2. Die Lösung hat i n Konsequenz der i m zweiten und dritten Teil gewonnenen Ergebnisse und i n Anlehnung an die zur rechtlichen Beurteilung der Äußerungen des Presseinformanten dargelegten Grundsätze davon auszugehen, daß auch dann, wenn für Pressefehden das Wettbewerbsrecht angewendet wird, die verfassungsrechtlichen Wertungen des A r t . 5 Abs. 1 GG zu berücksichtigen sind, da Art. 5 Abs. 1 GG auch die Äußerungen i m Wettbewerb schützt, sofern sie nur als Meinungsoder Tatsachenäußerungen qualifiziert werden können 2 7 . Das gilt u m so mehr, als der Wettbewerb zwischen Presseorganen weitgehend Meinungskampf ist. Denn der Wettbewerb der Meinungen ist das typische 21

a.a.O., S. 30. Vgl. Biedenkopf, J Z 65, 553, 556 m i t Note 25, u n d „Der Spiegel" vom 5. 2. 1968 (22. Jg., Nr. 6) auf S. 76 ff. 23 Der Wortlaut des Rundschreibens ist abgedruckt i n J Z 64, 95. 24 JZ 67,177,179. 25 Vgl. S. 156 ff. 26 Vgl. S. 84 f. u n d S. 157. 27 Vgl. S. 160 ff. 22

19

Koller

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

B i l d des durch A r t . 5 Abs. 1 GG mitgeschützten Kommunikationsprozesses. Die Konsequenz dieser Auffassung ist, daß sich die rechtliche Beurteilung der Pressefehde nach Wettbewerbsrecht der nach dem allgemeinen Deliktsrecht annähert 28 . Der nach der traditionellen Lehre abrupte Übergang w i r d gemildert. Zugleich entfallen die einschneidenden Folgen der Annahme einer zumindest immer latent vorhandenen Wettbewerbsabsicht. Dennoch entfällt nicht die Bedeutung der Wettbewerbsabsicht als A b grenzungskriterium für die Anwendbarkeit des allgemeinen Deliktsrechts und des Wettbewerbsrechts auf Pressefehdefälle. Denn beide Rechtskreise dürfen trotz der fließenden Übergänge auf dem speziellen Gebiet der Pressefehde nicht verschmelzen. Das verbietet schon die Tatsache, daß manche Pressefehdefälle mehr i n das Gebiet des wirtschaftlichen Wettbewerbs als in das des Meinungskampfes hineinreichen 29 und daß das Wettbewerbsrecht für diese Fälle die geeigneteren rechtlichen Wertungen bereithält 3 0 . Deshalb ist bei Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht weiterhin das Wettbewerbsrecht, allerdings unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertungen des Art. 5 Abs. 1 GG, einschlägig. Nur kann i n Anbetracht der Besonderheit der Pressefehdefälle nicht mehr eine Vermutung für die Wettbewerbsabsicht beim Vorliegen einer objektiven Wettbewerbshandlung streiten 31 . Es ist i m Gegenteil davon auszugehen, daß der i m Rahmen einer Pressefehde Geschädigte, der Rechtsfolgen aus dem Wettbewerbsrecht begehrt, die Wettbewerbsabsicht des Verletzers nachzuweisen hat. Und da bei den Pressefehdefällen die Motive für Äußerungen wie dargelegt i n aller Regel wettbewerblicher und „meinungskämpferischer" Natur sind, reicht es nicht aus, 28 I m Ergebnis ebenso O L G Hamburg, M D R 66, 674 — Schwangerschaftsunterbrechung —. Kühler, JZ 67, 177, 179, weist ausdrücklich darauf hin, daß die nach dem Wettbewerbsrecht getroffene Entscheidung nicht wesentlich von der des allgemeinen Deliktsrechts abweichen könne, da es vor allem auf die Grundsätze und Maßstäbe des Verfassungsrechts ankomme. 29 So etwa die Fälle, die den auf S. 288 i n Note 17 an letzter Stelle genannten Entscheidungen zugrundeliegen. 30 Was dazu führen kann, daß die qualitativen Anforderungen an nach dem Wettbewerbsrecht zu beurteilende Äußerungen heraufgeschraubt werden ; vgl. dazu BGH, N J W 66, 1617 — Höllenfeuer —, gegenüber BGH, N J W 68, 644 — Fälschung —. 31 O b w o h l das i n der Regel der F a l l ist, vgl. S. 84. Eine U m k e h r der Beweislast befürwortet auch Wenzel, W o r t - u n d Bildberichterstattung, S. 126; seine Abstufungen für die Erfordernisse an den Nachweis der Beweislast (a.a.O., S. 126 ff.) überzeugen allerdings nicht; denn einerseits sind die Voraussetzungen, an die Wenzel die Abstufungen knüpft, erst zu beweisen, und zum anderen haben die Wertungen, die Wenzel zu den Abstufungen führen, nicht bei der Beweislast, sondern bei den nach § 826 BGB, dem Recht am U n t e r nehmen u n d § 1 U W G notwendig werdenden Interessenwertungen ihren Platz.

2. Abschn. : Die auf der Grenze zum Wettbewerb liegenden Probiemfälle

291

wenn wettbewerbliche Motive als mitbestimmend für Äußerungen i m Rahmen einer Pressefehde nachgewiesen werden. Vielmehr müssen dann wettbewerbliche Gesichtspunkte den Schwerpunkt der Motivation darstellen. II.

Presseboykott

Der Boykott gegen gewerbliche Kommunikationsträger i m allgemeinen ist bereits behandelt worden. Dadurch, daß dieser Tatbestand dahingehend eingeengt wird, daß es sich nun um einen von einem Presseorgan ausgerufenen und gegen ein Presseunternehmen gerichteten Boykott handelt, ergeben sich keine Besonderheiten, sofern nach den eben entwickelten Kriterien die Anwendung des Wettbewerbsrechts außer Betracht bleibt. Insoweit gelten die Ergebnisse zur Zulässigkeit und Unzulässigkeit eines Boykotts außerhalb des Wettbewerbs auch für die engere Erscheinung des Presseboykotts 32 . Soweit die Schwerpunkte der Motivation eines Presseboykotts auf wettbewerblichem Gebiet liegen und damit eine Beurteilung nach dem Wettbewerbsrecht erforderlich wird, läßt sich vorerst nach dem bisherigen Stand der Untersuchung nur die Aussage treffen, daß die Resultate i m Wettbewerbsrecht nicht wesentlich von den bisherigen Ergebnissen abweichen dürfen. I m übrigen sind die Untersuchungen zum Boykott auf dem Gebiete des Wettbewerbs abzuwarten. III.

Pressehetze

Bisher wurde festgestellt, daß der Einsatz geistiger Gewalt zur Meinungsdurchsetzung und -Unterdrückung dem objektivrechtlichen Gehalt des Art. 5 Abs. 1 GG widerspricht 3 3 , keinen Grundrechtsschutz erfährt 3 4 und nicht durch ein einfaches Gesetz legalisiert werden darf 3 5 . Dabei fiel der Hinweis, daß auch eine Pressehetze unzulässiger Einsatz geistiger Gewalt bei der Meinungsdurchsetzung sein kann 3 6 . Die Schwierigkeiten bestehen nur darin, daß bisher brauchbare Kriterien fehlen, die es erlauben, eine Pressekampagne als Ausübung psychologischen Zwanges, der über die normale Kommunikationswirkung hinausgeht, zu entlarven. Dabei ist nicht die Motivation dessen entscheidend, der eine Pressekampagne veranlaßt 3 7 , sondern allein der tatsächlich ausgeübte Zwang. 32 BGH, N J W 64, 29 — B l i n k f ü e r —, ist ein Beispielfall für einen m i t Gew a l t gegen den Adressaten verbundenen und deshalb unzulässigen Presseboykott. 33 Vgl. S. 122 f. 34 Vgl. S. 165 ff. 35 Vgl. S. 202. 36 Vgl. S. 166 f. i. V. m. S. 202. 37 So aber offensichtlich O L G München, W R P 63, 282.

19*

292

4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

Zu seiner Feststellung sind sorgfältige Untersuchungen nötig, die den Rahmen der Arbeit sprengen würden, da sie weit über den Kreis rein juristischer Überlegungen hinausreichen. Deshalb muß trotz der rechtlichen Vorbereitung die Beurteilung der Fälle der Pressefehde aus tatsächlichen Gründen offenbleiben.

3. Abschnitt: Die Problemfälle innerhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbs A. Boykott

1. Bevor w i r uns der rechtlichen Beurteilung allgemein wettbewerblicher Boykottfälle zuwenden, sind die bisher für unzulässig erklärten Verrüfe daraufhin zu untersuchen, ob sie auch innerhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbs auftreten und ob bei einer bejahenden Antwort auf diese Frage dem Urteil über die Unzulässigkeit weiterhin Bestandskraft zukommt. A n erster Stelle stand der mit Gewalt gegen den Adressaten begleitete Boykottaufruf, der deswegen als rechtswidrig zu werten war, weil ein allgemeines Gesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht Gewalt zur Meinungsdurchsetzung erlauben darf 1 . Diese Form des Boykotts ist auch auf dem Gebiete des wirtschaftlichen Wettbewerbs ohne weiteres denkbar 2 . Und auch hier darf die rechtliche Beurteilung nicht anders ausfallen als auf dem Boden des allgemeinen Deliktsrechts. Entscheidend dafür ist, daß Äußerungen innerhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbs ebenfalls Grundrechtsschutz nach Art. 5 Abs. 1 GG erfahren und daß i m Zusammenhang damit dem § 1 UWG nicht eine die Kriterien des allgemeinen Gesetzes verletzende Auslegung gegeben werden darf 3 . Aus diesem Grunde kommt der dem Leistungswettbewerb widersprechenden Behinderung des Mittbewerbers keine entscheidende Bedeutung mehr zu. Der oben an zweiter Stelle für unzulässig erklärte und dort so genannte Kommunikationsboykott, der zwar keine Gewalt gegen den Adressaten einsetzt, aber dadurch unzulässigen Zwang gegen den Verrufenen ausübt, daß er dessen Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Erfolg dazu mißbraucht, um die Ansichten oder Äußerungen des Verrufenen zu manipulieren 4 , w i r d regelmäßig i m wirtschaftlichen Wettbewerb nicht i n Er1

Vgl. S. 264 ff. BGH, GRUR 59, 244 — Versandbuchhandel —. 3 Vgl. S. 160 ff. u n d S. 241 ff. i. V. m. S. 228 ff. u n d S. 239 f. sowie S. 198 ff. und S. 208 ff. 4 Vgl. S. 269 f. 2

3. Abschn. : Die Problemfälle innerhalb des wirtschaftl. Wettbewerbs

293

scheinung treten. Denn das Typische dieses Boykotts ist, daß nicht die wirtschaftliche Entwicklung eines Wettbewerbers, sondern seine Meinungen oder Äußerungen beeinflußt werden sollen. Deshalb fehlt in diesen Fällen die für die Anwendung der einschlägigen Vorschriften erforderliche Wettbewerbsabsicht. A n dritter Stelle war der generelle Boykott eines gewerblichen Kommunikationsträgers aus Anlaß eines speziellen Kommunikationsbeitrages wegen des über die normale Kommunikationswirkung hinausgehenden Zwanges gegen den Verrufenen für unzulässig erklärt worden 5 . Diese Form des Boykotts kann, obwohl grundsätzlich Ziel dieses Verrufes nicht die geschäftliche Entwicklung eines Wettbewerbers, sondern die Meinungs- oder Äußerungspression ist, dann auf das Gebiet des w i r t schaftlichen Wettbewerbs übergreifen, wenn der Boykott von einem gewerblichen Kommunikationsträger oder zu seinen Gunsten von einem Dritten ausgerufen wird. Denn hier t r i t t die Wettbewerbsabsicht derart mitbestimmend hinzu, daß die Beurteilung des Boykotts grundsätzlich i n den Bereich des § 1 UWG gerät. Dennoch ist wie zuvor ein solcher Boykott aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig, da er abgesehen von den wettbewerblichen Auswirkungen Gewalt zur Meinungsdurchsetzung und -Unterdrückung verwendet. Schließlich bleibt als unzulässiger Boykott nach den vorangegangenen Ausführungen der Verruf bei Fehlen eines echten Interessenkonflikts übrig 6 , den das Wettbewerbsrecht aber deshalb nicht anders beurteilen kann, weil für die nach § 1 UWG erforderliche Interessenwertung ebenfalls deren allgemeine Grundsätze gelten 7 . 2. I n Konsequenz der bisher entwickelten Grundsätze zur unternehmensschädigenden Äußerung i m allgemeinen und zu deren rechtlicher Beurteilung durch § 1 U W G i m besonderen wäre für die verbleibenden Boykottfälle innerhalb des geschäftlichen Wettbewerbs zur Beantwortung der Frage nach der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit jeweils auf das von den Umständen des einzelnen Falles abhängige Ergebnis der Interessenwertung zu verweisen. Zugleich würde dieser Verweis die Aussage einschließen, daß auch der Boykott innerhalb des Wettbewerbs abgesehen von Ausnahmefällen grundsätzlich zulässig ist. Dem steht jedoch die Auffassung des wettbewerblichen Schrifttums entgegen, das den Boykott i m Wettbewerb weitgehend als Behinderungswettbewerb klassifiziert und deshalb für unzulässig erklärt 8 . Diese Ansicht erscheint allerdings bei näherem Zusehen aus zweierlei Gründen als nicht unangreifbar. 5

Vgl. S. 271 f. Vgl. S. 274, wozu w i r i n diesem Zusammenhang auch den Boykott gegen den zählen, der das Boykottziel nicht erfüllen k a n n (vgl. S. 274 f.). 7 Vgl. S. 77 f. 8 Puttfarcken, Boykott, S. 79; Polzius, S. 67; Baumbach-Hefermehl, 9. A u f l , 6

294

4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

Denn einmal spricht gegen diese Auffassung die nicht genügend verfestigte Gestalt des Boykotts, die es insbesondere unmöglich macht, die Boykottaufforderung eindeutig von sonstigen Äußerungen mit unternehmensschädigenden Wirkungen abzugrenzen 0 . Ein illustres Beispiel etwa liefert die eingangs i n der Typologie gesondert dargestellte M a r k t information für den gewerblichen Handel. Sofern i n derartigen Marktinformationen Werturteile enthalten sind 1 0 , droht ihnen das Urteil der Rechts- bzw. Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG allein deswegen, weil sie i n die Nähe des mit Vorurteilen belasteten Begriffs der Boykottaufforderung rücken. Dies, obwohl nur besondere Umstände Werturteile i m Wettbewerb, von der Boykottaufforderung einmal abgesehen, nach § 1 UWG sittenwidrig sein lassen 11 . Wer den Boykott i m Wettbewerb für unzulässig erklärt, sollte deshalb die Fernwirkungen einer solchen Aussage bedenken, die allzu leicht Wettbewerbern die freie Rede beschneidet. Zum zweiten gilt es sich der Ausführungen zum Boykott außerhalb des Wettbewerbs zu erinnern, soforn dort die Wirkung des Boykotts als Gewalt, Druck und Zwang gegen den Adressaten oder den Verrufenen i m Gegensatz zu der normalen Kommunikationswirkung und der freiwilligen Abhängigkeit eines Unternehmens vom wirtschaftlichen Erfolg bestimmt wurde. Denn nachdem auch i m Bereich des Wettbewerbs die Boykottfälle unzulässig sind, die sich als Gewalt zur Meinungsdurchsetzung oder -Unterdrückung auswirken, verbleiben grundsätzlich allein die Boykottaufforderungen der weiteren rechtlichen Wertung, deren unternehmensschädigende Folgen allein auf die normale Kommunikationswirkung und auf den natürlichen Zwang zum geschäftlichen Erfolg zurückgehen. A n m . 166 zu § 1 U W G ; Wenzel, W o r t - und Bildberichterstattung, S. 212 f.; υ. Godin-Hoth, Anm. 27 zu § 1 U W G ; Bußmann-Pietzcker-Kleine, S. 67. A . A . Rinck, Wirtschaftsrecht, Rdnr. 860, und Reimer, Wettbewerbs- und WZR, 3. Aufl., 79. Kap. I I I , A n m . 5 ff. Vorsichtiger argumentiert die Rspr.; von den bei Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 169 zu § 1 UWG, genannten Entscheidungen wertet n u r das O L G Stuttgart, N J W 55, 389, den Boykott eindeutig als Behinderungswettbewerb. 9 Vgl. S. 4 f. u n d S. 262 f. Deshalb müssen die Versuche fruchtlos bleiben, die Boykottaufforderung von einer „bloßen" Meinungsäußerung abzugrenzen; vgl. O L G Stuttgart, a.a.O., u n d BGH, N J W 54,147 — ambulanter Brothandel —. A u f das parallel gehende Bemühen u m eine Trennung der bloßen Anregung von einer Willensbeeinflussung wurde bereits S. 258 f. eingegangen. 10 Tatsachenäußerungen sind nach § 14 U W G zu beurteilen; ihnen k o m m t i n diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu, da sie nicht Boykottaufforderungen sein können (vgl. S. 261 m i t Note 30). 11 Dies hätte Hiersemann, W R P 66, 294 ff., verstärkt herausstellen müssen; denn die am Boykottbegriff orientierten begrifflichen Konstruktionen zur A b grenzung der M a r k t i n f o r m a t i o n v o m Boykott verkennen, daß der Tatbestand des Boykotts für ein solches Vorgehen tatsächlich und rechtlich zu unbestimmt ist.

3. Abschn. : Die Problemfälle innerhalb des

i r t s c h a f t . Wettbewerbs

295

Den derart wirkenden und von der schlicht unternehmensschädigenden Äußerung schwierig abzugrenzenden Boykott generell als Behinderungswettbewerb aufzufassen, erscheint äußerst zweifelhaft. Zwar handelt es sich bei i h m nicht um eine typische Erscheinung des Leistungswettbewerbs, da der Wettbewerb nicht nur durch die eigene Leistung, sondern durch Äußerungen gesteuert wird. Doch geht es um Wirkungen, die gleichermaßen innerhalb wie außerhalb des Wettbewerbs nicht das normale Maß überschreiten. Das alles spricht, abgesehen von den schon genannten Ausnahmefällen, für die grundsätzliche Zulässigkeit des Boykotts auch i m Wettbewerb. Dennoch soll das abschließende Urteil speziell wettbewerbsrechtlichen Stellungnahmen vorbehalten bleiben, die sich allerdings mit den hier gegebenen Ansätzen auseinandersetzen müssen.

B. Die vergleichende Werbung

der

I. D e r Ausgangspunkt rechtlichen Beurteilung

1. Die vergleichende Werbung beinhaltet als Wirtschaftswerbung stets objektiv und subjektiv ein Handeln zu Zwecken des Wettbewerbs. Als Folge kommen für die rechtliche Beurteilung der vergleichenden Werbung nur die i m zweiten Teil dargestellten unternehmensschützenden Vorschriften des Wettbewerbsrechts i n Betracht 12 . 2. Ein Rekapitulieren dieser Vorschriften verhilft sofort zum zweiten Basispunkt der rechtlichen Beurteilung der vergleichenden Werbung. Denn soweit in ihr Äußerungen mit Tatsachencharakter enthalten sind, die den Boden der Wahrheit verlassen, treffen die Vorschriften der §§3, 14 UWG eine klare Aussage. Die unwahre vergleichende Werbung ist nicht erlaubt 1 3 . Damit reduziert sich das Problem der Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit der vergleichenden Werbung auf die rechtliche Beurteilung wahrer Angaben und der Werturteile, die nicht dem Beweise zugänglich sind. 3. Des weiteren ist hervorzuheben, daß vergleichende Werbung nur vorliegt und demgemäß ihre Zulässigkeit nur dann problematisch sein kann, wenn die Werbeaussage auf die Ware oder Leistung eines Wett12 Von diesem Standpunkt gehen alle Stellungnahmen zur vergleichenden Werbung aus. Das ist so selbstverständlich, daß n u r Völp, W R P 60, 197, 198, es besonders hervorhebt. Eine A n w e n d u n g der unternehmensschützenden V o r schrift des bürgerlichen Rechts neben denen des Wettbewerbsrechts scheidet aus, vgl. S. 90 ff. 13 Ebenso Spengler, D W 60, 75; Völp, W R P 60, 197, 198 f., unter Hinweis auf RG, GRUR 31, 983; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 20 und 25 zu § 1 U W G ; Brinkmann, WRP 63, 268, 273.

296

4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

bewerbers Bezug n i m m t 1 4 . Denn daß Werbemaßnahmen, die sich nur m i t der eigenen Leistung oder Ware befassen, grundsätzlich zulässig sind, unterliegt keinem Zweifel. Außerdem wäre m i t solchen Äußerungen das Spannungsfeld zwischen Äußerungsfreiheit und Unternehmensschutz verlassen und das der vorliegenden Arbeit gestellte Thema gesprengt. Verbleiben also als erheblich für die weitere Untersuchung nur Äußerungen i n der Werbung, die die eigene Ware oder Leistung zur Ware oder Leistung eines oder mehrerer Wettbewerber i n Bezug setzen, so gilt es zu bestimmen, wann eine Bezugnahme tatsächlich vorliegt. Zweifelsfrei und unproblematisch ist sie, wenn die Werbemaßnahme Mittbewerber ausdrücklich m i t Namen nennt 1 5 . Dagegen tauchen Schwierigkeiten auf, wenn Wettbewerber zwar nicht genannt, aber doch nach den Umständen für den durch die Werbung angesprochenen Personenkreis erkennbar sind. I m allgemeinen w i r d dazu i m Schrifttum 1 6 und vor allem in der Rechtsprechung 17 vorgetragen, daß eine Bezugnahme auch dann noch vorliege, wenn der angesprochene Personenkreis die Mittbewerber erkennen könne. I m Prinzip ist das zutreffend. Gleichwohl stellt die Erkennbarkeit der Bezugnahme die „crux interpretationis" der vergleichenden Werbung dar 1 8 . Denn eine vorschnelle Annahme der Erkennbarkeit dehnt das ohnehin problematische Verbot der vergleichenden Werbung möglicherweise derart aus, daß der Grund des Verbots, der nur i n der Bezugnahme liegen kann, u m so zweifelhafter wird. Deshalb ist zur Annahme einer vergleichenden Werbemaßnahme erforderlich, daß die Bezugnahme auf einen oder mehrere Wettbewerber deutlich erfolgt und eindeutig erkannt werden kann 1 9 . Das hat zur Folge, daß aus dem engeren Kreis der vergleichenden Werbung die typischen Fälle des Systemvergleichs und der Richtpreiswerbung wegen fehlender Bezugnahme ausscheiden 20 . Diese Arten der 14 Z u r Bezugnahme vgl. Spengler, D W 60, 75, 80 f. ; D. Reimer, Persönliche und vergleichende Werbung, S. 22 f.; v. Rützen-Kositzkau, W R P 56, 61, 62 und 64; Borck, W R P 61, 1, 2, 72 u n d 74; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 20 u n d 31 zu § 1 U W G ; BGH, B B 63, 1274 — Fernsehinterview — ; O L G Köln, GRUR 62, 102, 103 — Bürobedarf — ; O L G Celle, GRUR 62, 101 f. — Waschmaschinen — ; O L G Düsseldorf, D B 63,1180. 15 D. Reimer, Persönliche u n d vergleichende Werbung, S. 23; Borck, W R P 61. 72 und 74. 16 D. Reimer, a.a.O.; i m Ansatz ebenso, jedoch u m strengere Anforderungen an die Erkennbarkeit bemüht, Spengler, D W 60, 75, 80 f.; v. Rützen-Kositzkau, W R P 56, 61, 64; Borck, WRP 61, 70, 74. 17 Vgl. die Note 14 genannten Entscheidungen. 18 Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 54. 19 So Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 31 zu § 1 UWG. Schönherr, a.a.O., S. 57, w i l l statt dessen den Aggressivitätsgehalt der Werbebehauptung prüfen; doch w i r d damit kein leichter zu handhabendes K r i t e r i u m zur Verfügung gestellt. 20 Vgl. S. 18 f. m i t Note 58 auf S. 18 u n d Note 61 auf S. 19.

3. Abschn. : Die Problemfälle innerhalb des w i r t s c h a f t . Wettbewerbs

297

Werbung können deshalb auch nicht als Ausnahmefälle des sog. Verbots der vergleichenden Werbung angesehen werden 2 1 . Ihre Zulässigkeit folgt nicht daraus, daß besondere Gründe die Überlegungen aufheben, die für die Unzulässigkeit der vergleichenden Werbung sprechen, sondern daraus, daß die Gründe für die Unzulässigkeit der vergleichenden Werbung mangels einer Bezugnahme gar nicht relevant werden können 2 2 .

der

II. D a s s o g . V e r b o t vergleichenden Werbung

I m allgemeinen w i r d die vergleichende Werbung als unzulässig angesehen und deshalb von einem Verbot der vergleichen Werbung gesprochen 23 . Nach den bisherigen Erkenntnissen können w i r dem nur für die unwahre Vergleichswerbung zustimmen. I m übrigen müssen w i r die endgültige Stellungnahme hinausschieben und statt dessen die Gründe aufsuchen, die zum Verbot der vergleichenden Werbung geführt haben. Außerdem ist die Stellung der Ausnahmefälle i m Rahmen des Verbots zu skizzieren, um auf diese Weise die Tragweite des Verbots zu ermitteln. Erst i m Anschluß an die danach folgende Prüfung der gegen das Verbot vorgebrachten Argumente können w i r uns unter Berücksichtigung der i m zweiten und dritten Teil entwickelten Ergebnisse für eine der folgenden Möglichkeiten entscheiden: Aufrechterhaltung, Neuorientierung oder Aufhebung des Verbots. 21 Deshalb wurde S. 20 von den Sonderfällen der vergleichenden Werbung gesprochen. Daß es sich beim Systemvergleich nicht u m einen Ausnahmefall der vergleichenden Werbung handelt, ist nicht ganz unstreitig. Wie hier E. Reimer, Wettbewerbs- u n d WZR, 3. Aufl., 78. Kap. V, Rdnr. 12; D. Reimer, Persönliche u n d vergleichende Werbung, S. 70; Spengler, D W 60, 75, 76; Seubert, B B 60, 965, 967 f.; Borck, WRP 61, 70, 76; Hartmann, N J W 63, 517, 518; Gödde, S. 53; Jörg, S. 26 f. A. A. Tetzner, N J W 53, 87, 88; Sonderland, D B 51, 813, 814; H. Droste, GRUR 51,140,142 f.; Lieb, S. 126 f. u n d S. 147. 22 Ist die Bezugnahme doch gegeben, so gleitet die Richtpreiswerbung i n den Preisvergleich, der Systemvergleich i n den Warenvergleich ab. Erst dann gelten die Rechtsgrundsätze für die Vergleichswerbung. 23 BGH, GRUR 52, 582 — Sprechstunde — ; BGH, GRUR 52, 416, 417 — Dauerdose — ; O L G München, W R P 58, 148; BGH, GRUR 59, 488, 489 — K o n s u m genossenschaft — ; O L G K ö l n , GRUR 62, 102, 104 — Bürobedarf — ; O L G Celle, GRUR 62, 101, 102 — Waschmaschinen — ; BGH, B B 63, 1274 — Fernsehinterview — ; O L G Düsseldorf, GRUR 64, 36 — Kläranlagen — ; O L G Nürnberg, WRP 67, 412; H. Droste, GRUR 51,140,141; Sonderland, D B 51, 813 f.; E. Reimer, Wettbewerbs- und WZR, 3. Aufl., 78. Kap. V, Rdnr. 11; Bohrer, M A 56, 345 f.; D. Reimer, Persönliche u n d vergleichende Werbung, S. 19 ff.; Seubert, B B 60, 965 f.; Spengler, D W 60, 75 ff.; Leo, W R P 60, 293, 295 f.; Borck, W R P 61, 70, 72 ff.; Krieger, B B 62, 240 f.; Spengler, M A 62, 283 ff.; Borck, W R P 62, 249, 250; Möhring, M A 62, 967, 969 f.; v. Brunn, W R P 64, 177, 178 f.; Spengler, W R P 65, 121 ff.; Borck, WRP 65, 199, 200; Vogt, M A 65, 820 u n d 822; Lieb, S. 122 ff. Eine w e r t volle Darstellung der das Verbot der vergleichenden Werbung begründenden Rspr. des RG gibt Völp, W R P 60,197,199 ff.

298

4. Teil : Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

1. Vereinzelt wurde versucht, das Verbot der vergleichenden Werbung, das nirgends i m Gesetz ausdrücklich angesprochen und gleichwohl i m Rahmen des § 1 UWG zu lokalisieren ist, durch eine Anerkennung als Gewohnheitsrecht allen Anfechtungen zu entziehen 24 . Diese Auffassung ist aus den unterschiedlichsten Gründen auf heftigen Widerspruch gestoßen 25 . Bezeichnenderweise hat auch die Rechtsprechung diese Argumentation nie übernommen 26 , obwohl sie der Rechtsprechung, wenn sie zutreffend wäre, wertvolle Dienste in der Auseinandersetzung mit dem teilweise werbungsfreundlichen Schrifttum hätte leisten können. Gegen die Anerkennung des Verbots der vergleichenden Werbung w i r d vorgebracht, daß i m Rahmen des § 1 UWG kein Raum sei für Gewohnheitsrecht 27 . Überzeugender ist die Gegenauffassung, die es für möglich hält, daß die Auslegung eines Gesetzes als selbständige Rechtsquelle neben die ausgelegte Norm treten kann 2 8 . Gelegentlich kommen auf dem letzten Gedanken basierende Überlegungen sowie Untersuchungen, die gar nicht auf diese Schwierigkeiten stoßen, zu dem Ergebnis, daß die vergleichende Werbung zwar ursprünglich gewohnheitsrechtlich verboten gewesen sei, daß dieses Gewohnheitsrecht jedoch wegen eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 und 2 GG unter der Geltung des Grundgesetzes nicht fortbestehen könne (Art. 123 Abs. 1 GG) 2 9 . Diese Konstruktion erscheint schon in Anbetracht der bisher i m dritten Teil gewonnenen Ergebnisse recht gewagt. Daß ihr schließlich die Zustimmung zu versagen ist, w i r d sogleich zu zeigen sein, wenn die Darstellung der Gründe folgt, die für die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung sprechen 30 . I n diesem Stadium bedarf es noch nicht des Rückgriffs auf Art. 5 Abs. 1 und 2 GG, da für das Verbot der vergleichenden Werbung deswegen eine gewohnheitsrechtliche Geltung ausscheidet, w e i l ein durch eine allgemeine Übung manifestierter Rechtsgeltungswille nicht besteht 31 . Denn gegen dessen Annahme sprechen der relativ kurze Zeit24

Spengler, D W 60, 75, 78; Leo, W R P 60, 293, 296 f. Völp, W R P 61, 135 f.; Borck, W R P 61, 70 f.; ders., W R P 62, 249 f.; Wenzel, N J W 62, 81; Antoni , B B 62, 1171; v. Lesigang, W R P 62, 283, 290; Brinkmann, W R P 63, 230, 235 ff.; K . Droste, W R P 64, 65, 70 f.; ders., W R P 64, 300, 303 f.; ders., D B 63, 719, 722 f.; ders., N J W 64, 818; Gödde, S. 86 ff.; Kubier, W i r t schaftsordnung, S. 25, Note 77; Jörg, S. 37 ff.; Eichmann, Vergleichende Werbung, S. 18; Olaf Werner, S. 32 ff. 26 Darauf verweist zutreffend Brinkmann, W R P 63, 230, 237. 27 Borck, W R P 61, 70 f.; ders., W R P 62, 249 f.; Wenzel, N J W 62, 81; Antoni , B B 62,1171; Eichmann, Vergleichende Werbung, S. 18. 28 Leo, W R P 60, 293, 297; Brinkmann, W R P 63, 230, 236; Gödde, S. 87 f. 29 Brinkmann, W R P 63, 230, 236 f.; Jörg, S. 41 ff.; Olaf Werner, S. 37 f. 30 Die spätere Prüfung ist methodisch konsequenter, da das Verbot der vergleichenden Werbung erst an A r t . 5 Abs. 1 u n d 2 GG gemessen werden kann, wenn sein Ausmaß u n d seine Tragweite feststehen. 31 v. Lesigang, W R P 62, 283, 290; K . Droste, W R P 64, 65, 70 f.; ders., W R P 64, 300, 303 f.; ders., D B 63, 719, 722 f.; Gödde, S. 87 f.; Olaf Werner, S. 32 ff. 25

3. Abschn.: Die Problemfälle innerhalb des wirtschaftl. Wettbewerbs

299

räum der Geltung des Verbots, der durch Kriegs- und Nachkriegszeit gemindert w i r d 3 2 , die relativ häufigen Verstöße 33 und vor allem die schon i m Jahre 1951 begonnene juristische Auseinandersetzung um die Zulässigkeit des Verbots der vergleichenden Werbung, die bis heute noch nicht beendet ist. 2. Nachdem eine gewohnheitsrechtliche Geltung des Verbots der wahren Vergleichswerbung entfällt, sind die angeblich für die Unzulässigkeit, bzw. nach der herkömmlichen Diktion, für die Sittenwidrigkeit der vergleichenden Werbung sprechenden Gründe aufzusuchen und nachzuprüfen. Denn wegen des spezifischen Charakters der einschlägigen Norm des § 1 UWG kann die Formel vom Verbot der Vergleichswerbung nur noch den Inhalt haben, daß die vergleichende Werbung deswegen nicht erlaubt ist, weil besondere Gründe das nach § 1 UWG zu treffende Urteil regelmäßig negativ ausfallen lassen. a) So w i r d als Argument für die Unzulässigkeit der vergleichenden Werbung vorgebracht, daß niemand Richter in eigener Sache sein könne 3 4 . Die Schwäche dieser Überlegung offenbart sich i n der Ablehnung, die sie weitgehend gefunden hat 3 5 . Soweit Urteile nachprüfbar sind, steht ihr entgegen, daß wahre und objektiv unanfechtbare Urteile auch dann keinen Anstoß erregen können, wenn sie von einer Partei ausgehen 36 . Weiter freilich greift der Einwand, daß die Zulässigkeit jeder Form der Werbung angegriffen werde, wenn man mit dem Urteil in eigener Sache argumentiere 3 7 . Damit ist ein wichtiger Gesichtspunkt angeschnitten, der die Argumentation mit dem Richter i n eigener Sache i n einem fragwürdigen Licht erscheinen läßt. Seine Schwäche liegt nur darin, daß das gewählte B i l d selbst unangetastet bleibt, denn in erster Linie muß das 32

v. Lesigang, a.a.O.; K . Droste, D B 63, 719, 722 f.; Völp, WRP 61,136. Völp, W R P 61,135; Olaf Werner, S. 32 ff. 34 Kohler, M u W X V I , 127, 128; vgl. zu Kohler Brinkmann, W R P 63, 268, 272; RG, GRUR 31, 1299, 1301 — Hellegold — ; Sonderland, D B 51, 813, 814; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 27 zu § 1 UWG. 35 Völp, WRP 60, 197, 200; ders., W R P 61, 135, 139; Leo, W R P 60, 293, 294; Borck, W R P 61, 70, 72 f.; ders., W R P 62, 249 f.; Wenzel, N J W 62, 81; v. Lesigang, WRP 62, 283, 285; Tetzner, N J W 62, 1087; Brinkmann, WRP 63, 268, 272; Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 62; K . Droste, W R P 64, 65, 69; liiert, S. 62; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 25 Note 77; Jörg, S. 53 f.; Olaf Werner, S. 53 ff.; BGH, GRUR 52, 416, 417 — Dauerdose — ; O L G Bremen, W R P 62, 44, 45 — Bremens größte Tageszeitung — ; B K a r t A , W u W 63, 643, 656. 30 Völp, WRP 60, 197, 200. Wenn Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., Anm. 27 zu § 1 UWG, feststellt, daß niemand i n eigener Sache objektiv urteilen könne und daß dem Werbenden die Möglichkeit wirklicher Nachprüfung fehle, so gibt er Bedenken Raum, die teils i n dieser Allgemeinheit nicht überzeugen und die teils durch die §§ 3,14 U W G aufgefangen werden. 37 Leo, W R P 60, 293, 294; v. Lesigang, W R P 62, 283, 285; Tetzner, N J W 62, 1087; Brinkmann, W R P 63, 268, 272; Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 62; liiert, S. 62. 33

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

Argument vom Richter i n eigener Sache deswegen ausscheiden, weil das B i l d nicht auf den paßt, der vergleichend wirbt. Denn richten kann i n diesen Fällen nur der angesprochene Verbraucher, während der vergleichend Werbende für die eigene Sache, wenn auch mit Urteilen i n einem weiteren Sinn, plädiert 3 8 . b) Wohl i n engem Zusammenhang mit dem Vorherigen steht die Überlegung, daß der Vergleich nicht Sache des Wettbewerbers sei und deshalb dem Verkehr überlassen bleiben müsse 39 . Denn dieses Argument kann nur meinen, daß die Werbung dem Verbraucher nicht den Kaufentscheid abnehmen dürfe. Das aber ist eine selbstverständliche Zuständigkeitsentscheidung, an der auch die vergleichende Werbung nicht rüttelt. c) I n eine andere Richtung zielt das Argument, daß der Vergleich in der Werbung den Verkehr irreführe oder doch zumindest irreführen könne 4 0 . Die Bedeutung dieser Überlegung mindert die Tatsache, daß die §§ 3, 14 UWG die Werbung mit unwahren und irreführenden A n gaben ausschließen und daß die allein problematische wahre Vergleichswerbung vor dem Vorwurf der notwendigen Irreführung oder Täuschung besteht 41 . Aber auch die sicherlich bestehende Gefahr der Irreführung, die darin liegt, daß möglicherweise unter dem Vorwand, die Wahrheit zu sagen, die Unwahrheit gesagt wird, kann nicht generell für die Unzulässigkeit der Vergleichswerbung sprechen 42 . Denn wenn dieser Überlegung Bedeutung zukommen soll, so kann sie nur die Entscheidung des einzelnen Falles beeinflussen — dann nämlich, wenn ein Vergleich tatsächlich irreführt oder täuscht —, nicht aber ein generelles Verbot der wahren Vergleichswerbung begründen. d) Schließlich w i r d gegen die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung vorgebracht, daß der Mitbewerber es sich nicht gefallen zu lassen brauche, „ i n den fremden Anpreisungen als M i t t e l zur Erhöhung der eigenen Leistungsfähigkeit des Anpreisenden verwendet zu werden" (sog. „Hellegold-Motiv") 4 3 . Dieses Argument versuchen einzelne Stellungnahmen 38 Borck, W R P 61, 70, 72 f.; Wenzel, N J W 62, 81; Brinkmann, W R P 63, 268, 272; K . Droste, W R P 64, 65, 69; Olaf Werner, S. 53 ff.; B K a r t A , W u W 63, 643, 656. 39 So RG, GRUR 31, 1299, 1301 — Hellegold — ; Leo, W R P 60, 293, 295; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 28 zu § 1 UWG. A. A. Völp, W R P 60, 197, 200 f. 40 RG, GRUR 44, 154; Baumbach-Hefermehl 9. Aufl., A n m . 26 zu § 1 U W G ; Krieger, B B 62, 240. 41 Völp, W R P 60, 197, 202; ders., W R P 61, 135, 139 und 141; ders., GRUR 62, 178, 184; ders., W R P 65, 125, 129; Leo, W R P 60, 293, 294; Wenzel, N J W 62, 81, 82; Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 62; Olaf Werner, S. 68 ff.; O L G Bremen, WRP 62, 44, 45 — Bremens größte Tageszeitung — ; B K a r t A , W u W 63, 643, 656. 42 O L G Bremen, a.a.O. 43 RG, GRUR 31, 1299, 1301 — Hellegold — ; Lobe, M u W X V I , 129 („Pflügen m i t fremdem Kalbe"); Sonderland, D B 51, 813, 814; Leo, W R P 60,293,295; Borck, WRP 61, 70, 73; ders., W R P 62, 249, 250; ders., W R P 65, 199, 200; liiert, S. 63 f.; O L G Düsseldorf, D B 63,1180.

3. Abschn.: Die Problemfälle innerhalb des wirtschaftl. Wettbewerbs

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mit der Überlegung zu entkräften, daß es nur wettbewerbsgerecht sei, wenn das günstigste Angebot zum Zuge komme; zudem sei es regelmäßig Inhalt der Werbung, auf das bessere Angebot hinzuweisen 44 . Dieses Gegenargument, obwohl für sich betrachtet unangreifbar, entkräftet das „Hellegold-Motiv" jedoch nicht. Denn in Wahrheit verbirgt sich dahinter eine Abwägung 4 5 , die w i r i n diesem Stadium, i n dem allein die Tragfähigkeit des „Hellegold-Motivs" und damit die Wertung der Stellung des durch eine Vergleichswerbung Betroffenen interessiert, noch nicht nachvollziehen können. Bleibt das „Hellegold-Motiv" auf diese Weise unangefochten, so ist doch noch zu begründen, warum es „unzulässig" sein soll, „das Fremde als Folie für die Anpreisung des Eigenen" 4 6 zu benutzen 47 . Hier h i l f t das eben schon zitierte, aber erst jetzt einzuführende, weil für die Stellung des betroffenen Wettbewerbers aufschlußreiche Wesen des Wettbewerbs weiter, das nicht nur verlangt, daß das günstigste Angebot zum Zuge kommt, sondern das ebenso fordert, daß ein Anbieter nur aufgrund der eigenen Leistung und ohne Behinderung eines Mitbewerbers Erfolg hat 4 8 . Denn dieses Prinzip gefährdet die Vergleichswerbung, die die fremde Leistung herabsetzt und beeinträchtigt, um die eigene hervorzuheben. Liefert so das „Hellegold-Motiv" ein Argument gegen die Zulässigkeit der Vergleichswerbung, so ist daraus doch nicht der Schluß zu ziehen, daß die vergleichende Werbung generell als unzulässiger Behinderungswettbewerb zu qualifizieren sei 49 . Denn für eine derart endgültige Aussage ist erst der Ausgang der weiteren Untersuchung abzuwarten 50 . 44 So oder ähnlich Völp, W R P 60, 197, 200; ders., W R P 61, 135, 140; ders., GRUR 62, 178, 184; Jörg, S. 55 f.; Olaf Werner, S. 60 ff.; O L G Bremen, WRP 62, 44, 45 — Bremens größte Tageszeitung — ; B K a r t A , W u W 63, 643, 656. 45 Die Argumentation der i n Note 44 genannten Stimmen stellt eine verdeckte Interessenwertung dar. I m Gegensatz zum hier bereits verfolgten und auch weiterhin zu verfolgenden Weg fehlt jedoch eine Offenlegung der G r u n d lage u n d der zu beachtenden Prinzipien. 46 So Leo, W R P 60, 293, 295. 47 K . Droste, W R P 65, 36, 39, konstatiert zu Recht zur herkömmlichen V e r wendung des „Hellegold-Motivs", daß es sich u m eine „petitio p r i n c i p i i " handele. 48 Vgl. S. 80 f. 49 Leo, W R P 60, 293, 295, sieht die Vergleichswerbung als Behinderungswettbewerb an; ablehnend Völp, W R P 61,135,140. Borck, W R P 61, 70, 73 f., sieht neben dem „Hellegold-Motiv" noch eine Behinderungskomponente; Brinkmann, W R P 63, 268, 273, stellt eine Beeinträchtigung des Mitbewerbers fest, und Lieb, S. 126 f., sieht als Grund für die Unzulässigkeit der vergleichenden Werbung eine unzumutbare (!) Sonderbeeinträchtigung des Mitbewerbers an. 50 Der zeigen w i r d , daß w i r ähnlich w i e Brinkmann, W R P 63, 268, 273, insoweit n u r einen Bewertungsfaktor für das Interesse des geschädigten M i t b e werbers annehmen.

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4. Teil : Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

3. Die Reichweite des sog. Verbots der vergleichenden Werbung läßt sich am leichtesten von den Ausnahmefällen her bestimmen. Diese Ausnahmefälle haben w i r bereits zu Beginn unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Veranlassung in der Typologie zusammengestellt 51 . Es sind demnach zulässig der Vergleich auf Verlangen des Kunden, der Fortschrittsvergleich, der Abwehrvergleich und der Vergleich in Wahrnehmung eines berechtigten Interesses, worunter bisher fallen der Vergleich bei einem Kundenirrtum oder bei der Gefahr einer Irreführung und der Preisvergleich bei identischen Erzeugnissen. Es ist nun nicht nötig, auf die Voraussetzungen und die Grenzen dieser Vergleichsarten einzugehen 52 . Vielmehr genügt es in diesem Zusammenhang, nach dem Grund für die Zulässigkeit der Ausnahmefälle zu fragen, da hier i n erster Linie nicht die tatsächliche, sondern die rechtliche Tragweite des Verbots der Vergleichswerbung interessiert. Der Grund für die Zulässigkeit der Ausnahmefälle liegt offen zutage. Er kommt nicht nur i m Vergleich zur Wahrnehmung eines berechtigten Interesses, sondern auch i m Vergleich auf Verlangen des Kunden, i m Fortschrittsvergleich und i m Abwehrvergleich deutlich zum Ausdruck: Der Vergleich ist dann gerechtfertigt, wenn er der Wahrnehmung eines berechtigten Interesses dient. D. h., daß das für die Unzulässigkeit der Vergleichswerbung sprechende „Hellegold-Motiv" immer dann zurücktritt, wenn ihm ein anderes berechtigtes Interesse gegenübersteht, das den Vorzug verdient. Aus diesem Ergebnis lassen sich verschiedene, teils recht bedeutsame Folgerungen ziehen. Erst einmal geht es offensichtlich nicht mehr um die Sittenwidrigkeit der vergleichenden Werbung, so daß die A u f fassung eine Bestätigung erfährt, die die rechtliche Beurteilung der Vergleichswerbung als Ordnungsproblem und nicht als Frage nach der möglichen Verletzung eines ethischen Standards betrachtet 53 . Zugleich w i r d dadurch i n einem für das hier zu behandelnde Thema wichtigen Teilbereich die Auffassung bestätigt, daß die Vorschrift des § 1 UWG nicht durch einen Verweis auf die Maßstäbe der Sittlichkeit, sondern durch eine Interessenwertung zu aktualisieren ist 5 4 . Des weiteren bekommt die Formel vom Verbot der vergleichenden Werbung nun einen neuen Inhalt. Die Vergleichswerbung ist nur noch 51

Vgl. S. 20 ff. Sie kommen schon S. 20 ff. i n der Beschreibung der einzelnen Ausnahmekategorien zum Ausdruck. F ü r weitere Einzelheiten muß auf die dort gegebenen Nachweise verwiesen werden. 53 So Spengler, D W 60, 75, 78; Borck, W R P 61, 70, 73; Völp, W R P 61, 135, 139; K . Droste, DB 63, 719, 723; ders., N J W 64, 818; a. A. Hartmann, N J W 63, 517, 520. 54 Vgl. S. 76 f. 52

3. Abschn.: Die Problemfälle innerhalb des wirtschaftl. Wettbewerbs

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verboten, wenn sie nicht der Wahrnehmung eines berechtigten Interesses dient. D. h., daß die Vergleichswerbung immer dann erlaubt ist, wenn das Ergebnis der durch § 1 UWG legitimierten Interessenwertung zugunsten dessen ausfällt, der vergleichend w i r b t 5 5 . Wann das der Fall ist, kann jedoch nicht immer mit endgültiger Gewißheit vorausgesagt werden 56 . Gewiß ist das Ergebnis der Interessenwertung nur i n den bisher verfestigten und typisierten Ausnahmefällen. Schließlich bedeutet der neu formulierte Inhalt des Verbots, daß weitere Ausnahmefälle vom Verbot der Vergleichswerbung zuzulassen sind 5 7 . Genauer dargestellt heißt dies, daß eine weitere „Vertypung" zulässiger Vergleichsfälle nicht ausgeschlossen werden kann. III. D i e der

G r ü n d e für die vergleichenden

Zulässigkeit Werbung

Wenn w i r uns nun den Argumenten der Stimmen zuwenden, die die grundsätzliche Zulässigkeit der vergleichenden Werbung befürworten 5 8 , so ist aufgrund der bisherigen Untersuchung zur rechtlichen Tragweite des Verbots der vergleichenden Werbung die Vorhersage gerechtfertigt, daß die möglichen Gründe für die Zulässigkeit der Vergleichswerbung das bisherige Ergebnis mit großer Wahrscheinlichkeit nicht umstoßen können. Die für die Zulässigkeit vorgebrachten Argumente, die einer Überprüfung standhalten, werden höchstens die bei der Interessenwer55

So auch Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 30 und 38 zu § 1 U W G ; Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 67 f.; Eichmann, Vergleichende Werbung, S. 129. 56 Deshalb ist es gleichermaßen unzutreffend, w e i l irreführend, entweder vom Verbot oder der generellen Zulässigkeit der Vergleichswerbung zu sprechen. Angesichts der Bedeutung dieser Frage für die wettbewerbliche Praxis sollte äußerst vorsichtig formuliert werden. 57 Ebenso D. Reimer, Persönliche und vergleichende Werbung, S. 145; Wenzel, N J W 62, 81, 83 f.; Spengler, M A 62, 283, 291; Schönherr, a.a.O., S. 17; O L G Düsseldorf, GRUR 64, 36 — Kläranlagen —. Nicht stimmt die hier vertretene Auffassung m i t der überein, die eine Ausweitung der zulässigen Vergleichswerbung i n Anlehnung an den System- und Fortschrittsvergleich fordert oder befürwortet; vgl. Völp, W R P 61, 135, 141; Schwammberger, N J W 61, 1185, 1189; Wenzel, N J W 62, 81, 82 ff.; Brinkmann, WRP 63, 230, 232; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 24 Note 76; B K a r t A , W u W 63, 643, 657 f.; O L G Bremen, W R P 62, 44, 46 — Bremens größte Tageszeitung — (anknüpfend an den Vergleich auf Verlangen des Kunden). 58 Burhenne, N J W 51, 249 (allerdings m i t widersprüchlichen Einschränkungen); Völp, WRP 60, 197 ff.; ders., W R P 61, 135 ff.; ders., GRUR 62, 178 ff.; Schwammberger, N J W 61, 1185 ff.; Märzen, Zeitschr. f. handelsw. Forschung, 1962 (Heft 6), S. 284 ff.; Wenzel, N J W 62, 81, 84; Rinck, B B 62, 105, 106; Antoni , B B 62, 1171 ff.; v. Lesigang, W R P 62, 283 ff.; Tetzner, N J W 62, 1087 ff.; Hartmann, N J W 63, 517, 520; Feldmann, B B 63, 673, 674; Brinkmann, W R P 63, 230 ff., 268 ff., 291 ff.; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 23 ff.; Bergmann, S. 113 ff.; 135 u n d 144; Olaf Werner, S. 32 ff.; Gödde, S. 102 ff., 111 f. und 143; Jörg, S. 44 und S. 57 f.

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

tung zu beachtenden Bewertungsfaktoren ergänzen und damit unter Umständen i m Einzelfall zu einer erweiterten Zulässigkeit der Vergleichswerbung führen 5 9 . 1. Gelegentlich wurde gegen das Verbot der vergleichenden Werbung die weitgehende Zulässigkeit der Vergleichswerbung i m Ausland angeführt 6 0 , die um so mehr Bedeutung habe, als einer Rechtsvereinheitlichung i m Rahmen der EWG keine unüberwindlichen Schranken entgegenstehen dürften. Es liegt auf der Hand, daß diese Argumentation die Rechtslage nach bestehendem deutschen Recht wenig beeinflussen kann. A l l e i n ein bedeutsamer Gesichtspunkt läßt sich daraus gewinnen, der für die hier bezogene Position freilich nichts Neues bedeutet. Es wäre ungerechtfertigt anzunehmen, daß die vergleichende Werbung gegen ethische Grundsätze verstößt und deswegen sittenwidrig i m eigentlichen Sinne dieses Wortes ist. 2. Soweit V ö l p 6 1 versucht hat, die Zulässigkeit der wahren vergleichenden Werbung aus § 14 UWG herzuleiten, ist auf die obigen Ausführungen zur Konkurrenz des § 1 UWG mit den übrigen Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb zu verweisen 62 . Eine Interpretation des UWG, die wahre Äußerungen i m Rahmen des Wettbewerbs generell als erlaubt ansieht, scheidet deshalb aus. 3. Des weiteren w i r d als Argument für die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung die Entscheidung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe59 Z u Recht w i r d hervorgehoben, daß inzwischen die Positionen der Befürworter u n d der Gegner der Zulässigkeit der vergleichenden Werbung einander nahe stehen; vgl. Wenzel, N J W 62, 81, 82; Greifelt, W R P 62, 143; Hartmann, N J W 63, 517, 519; Brinkmann, W R P 63, 291, 295; Borck, W R P 65, 199, 200. I m übrigen müßten auch diejenigen, die die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung befürworten, wieder Ausnahmekategorien bilden; vgl. dazu Spengler, M A 62, 283, 291 f. Soweit der Auseinandersetzung noch eine Bedeutung für die Frage der Beweislast zuerkannt w i r d (vgl. Burhenne, N J W 51, 249, 251 Note 18; Hartmann, N J W 63, 517, 519; Feldmann, B B 63, 673, 674; Brinkmann, W R P 63, 291, 294; Jörg, S. 93 ff.; Olaf Werner, S. 24; O L G München, W R P 58, 148; BaumbachHefermehl, 9. Aufl., A n m . 30 zu § 1 U W G ; Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 68 f.), ist das nicht überzeugend. Denn i m Rahmen des § 1 U W G obliegt dem Kläger die Beweislast, vgl. Borck, W R P 61, 1, 4; ders., W R P 62, 249; ders., WRP 65, 199, 200. Entstehende Unzuträglichkeiten müssen i m Wege der Gesetzgebung bereinigt werden. Das beabsichtigt der i n erster Lesung i m Bundestag behandelte E n t w u r f eines Gesetzes zur Änderung des U W G ; vgl. Südd. Zeitung v. 11./12. Nov. 1967 u n d v o m 28. März 1968. 60 Z u r vergleichenden Werbung i m Ausland: H. Droste, GRUR 51, 140, 141; Tetzner, N J W 53, 87, 88 m i t Note 5; Leo, W R P 60, 293, 298; Spengler, M A 62, 283, 284; Brinkmann, W R P 63, 230, 233 ff.; Kubler, Wirtschaftsordnung, S. 27; Baumbach-Hefermehl, 9. Aufl., A n m . 60 ff. zu § 1 U W G ; B K a r t A , W u W 63, 643, 659. 81 Völp, W R P 60, 197, 198f.; ders., W R P 61, 135, 138 (einschränkend); ders., WRP 65,125,129 (diese Auffassung preisgebend). 62 Vgl. S. 89 f. u n d dort i n Note 10 die Nachweise f ü r die Völps Auffassung ablehnenden Stellungnahmen.

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schränkungen für einen Wettbewerb i n Freiheit bemüht. Die entsprechenden Stellungnahmen weisen darauf hin, daß das Wettbewerbsprinzip das Lauterkeitsprinzip einenge und daß die vergleichende Werbung deshalb zulässig sein müsse, w e i l sie einen dynamischen Wettbewerb fördere 63 . Diese Argumentation verbindet zwei Gesichtspunkte, die u m der größeren Klarheit w i l l e n getrennt zu behandeln sind. Denn einmal geht es darum, ob die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen i m Rahmen einer rechtlichen Beurteilung nach § 1 U W G berücksichtigt werden kann. Das ist der Fall. Denn die Entscheidung des GWB für die Freiheit des Wettbewerbs ist als Bewertungsfaktor i n die durch § 1 U W G legitimierte Interessenwertung einzuführen 64 . A n zweiter Stelle ist zu untersuchen, ob die vergleichende Werbung tatsächlich den Wettbewerb fördert 6 5 . Denn nur dann, wenn das der Fall ist, kommt das aus der grundsätzlichen Entscheidung des GWB zu gewinnende Vorzugselement zum Tragen. A n dieser Stelle sind alle Versuche einzuordnen, die sich um den Nachweis der Zulässigkeit der vergleichenden Werbung unter dem Gesichtspunkt bemühen, daß die Vergleichswerbung die Markttransparenz fördere 66 . Denn die Funktionsfähigkeit des durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen gewährleisteten freien Wettbewerbs verlangt nach Markttransparenz. Diese Entscheidung stimmt mit dem vorwiegend durch das UWG getragene Leistungsprinzip überein. Zugleich unterstützt die Verzahnung zwischen beiden Rechtsgebieten die Geltungskraft dieses Ergebnisses i m Bereich des UWG. Und nicht zuletzt beinhaltet die positive gesetzliche Bewertung aller Maßnahmen, die der Markttransparenz dienen, eine positive Stellungnahme zum Bedürfnis und Interesse der Verbraucher nach Marktinformation 6 7 . Zum Abschluß der Untersuchung dieses möglicherweise für die Zulässigkeit der Vergleichswerbung sprechenden Gesichtspunktes kommt es nun entscheidend darauf an, ob die vergleichende Werbung die Markt63 Schwammberger, N J W 61, 1185, 1186; Völp, W R P 61, 135, 136; ders., GRUR 62, 178, 181 ff.; Brinkmann, W R P 63, 268, 269 ff.; Jörg, S. 44 ff.; Bergmann, S. 135; B K a r t A , W u W 63, 643, 656 f. a. A. Leo, W R P 60, 293, 296; v. Brunn, WRP 64,177; Spengler, W R P 65,121,123. 64 Vgl. S. 81 65 Was m i t Rücksicht auf die zwischen dem G W B u n d dem U W G hergestellte Verzahnung unter Beachtung der Grundsätze beider Rechtsgebiete beurteilt werden muß. 66 Diese Verbindung stellen her Rinck, B B 62, 105; Jörg, S. 51; Bergmann, S. 135; Antoni, B B 62, 1171, 1172 f.; Völp, W R P 60, 197, 204; Wenzel, N J W 62, 81, 82; liiert, S. 43; B K a r t A , W u W 63, 643, 657. 67 Z u m Schutz der Interessen der Verbraucher u n d der Allgemeinheit durch das Wettbewerbsrecht vgl. S. 78 f. Die Notwendigkeit einer Markttransparenz lokalisieren an dieser Stelle Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 64; Leo, WRP 60, 293, 296; Schwammberger, N J W 61, 1185, 1187; Brinkmann, WRP 63, 268, 273.

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Koller

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4. Teil : Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

transparenz fördert. Die Meinungen darüber gehen weit auseinander 68 . Die Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Möglichkeit einer Förderung der Markttransparenz durch vergleichende Werbemaßnahmen werden auch dadurch nicht leichter, daß die §§ 3, 14 UWG irreführende und unwahre Angaben i n der Werbung ausschließen 69 . Denn die Markttransparenz verlangt nicht nur Wahrheit, sondern auch Vollständigkeit in bezug auf die i n Betracht kommenden Marktdaten. Gelegentlich w i r d für die die Markttransparenz fördernde Wirkung der vergleichenden Werbung auf den vom RG entschiedenen Bromuralfall verwiesen 70 . Der dort gegebene Sachverhalt ist freilich recht spektakulär, aber mehr, als daß i m Einzelfall eine vergleichende Werbemaßnahme die Markttransparenz fördern kann, besagt er nicht. U m einen vergleichbaren Einzelfall handelt es sich bei dem i n der neuesten Rechtsprechung positiv entschiedenen Preisvergleich bei identische Erzeugnissen 71 . Aus diesen Einzelfällen generell auf die die Markttransparenz fördernde Wirkung der Vergleichswerbung zu schließen, ist angesichts der Eigenarten der Werbung verfehlt. Wenn überhaupt eine solche Aussage i n Betracht kommt, so wäre sie durch eine ein Spezialuntersuchung zu überprüfen. Doch spricht eine große Wahrscheinlichkeit für das Eintreten folgender Annahme: Nur in ganz bestimmten und eng begrenzten Fällen kann die vergleichende Werbung die Markttransparenz fördern 7 2 . Das führt uns zu dem Ergebnis, daß nur dann die die Notwendigkeit einer Markttransparenz berücksichtigende gesetzliche Wertung bei der Beurteilung der Vergleichswerbung relevant wird, wenn die vergleichende Werbung wirklich i m zur Entscheidung anstehenden Fall die Markttransparenz fördert. Nicht kommt dieses Vorzugselement bei der zur rechtlichen Beurteilung erforderlichen und durch § 1 UWG legiti08 Davon, daß die vergleichende Werbung geeignet ist, die Markttransparenz zu fördern, gehen aus: Schwammberg er, N J W 61, 1185, 1187; Märzen, Zeitschr. f. handelsw. Forschung, 1962 (Heft 6), S. 289 f. u n d S. 300 f.; Wenzel, N J W 62, 81, 82; Rinck, B B 62,105; Völp, W R P 60, 197, 204 f.; ders., GRUR 62, 178, 184; Antoni, B B 62, 1171, 1172 f.; Tetzner, N J W 62, 1087, 1088; Brinkmann, W R P 63, 268, 273; Schönherr i n Schönherr-Bußmann, S. 64; Jörg, S. 51; Bergmann, S. 135. Skeptisch oder ablehnend äußern sich: Leo, W R P 60, 293, 296; Borck, W R P 61, 1, 3; Krieger, B B 62, 240; Greifelt, W R P 62, 143, 144 f.; Spengler, M A 62, 283, 287 ff.; Borck, W R P 62, 249, 252; Möhring, M A 62, 967, 969; Spengler, W R P 65, 121,124; liiert, S. 42 ff.; Lerche, Werbung, S. 113. 69 Vgl. S. 295. 70 RGZ 143, 362; vgl. dazu Völp, W R P 60, 197, 204 f.; ders., GRUR 62, 178 f.; Brinkmann, W R P 63, 230, 231; B K a r t A , W u W 63, 643, 657. Jörg, S. 8, u n d Eichmann, Vergleichende Werbung, S. 7, weisen zu Recht auf die Nähe des hier entschiedenen Werbefalles zur anlehnenden Werbung hin, ein Gesichtspunkt, der die Entscheidung des RG möglicherweise zu rechtfertigen vermag. 71 Vgl. S. 22. 72 Bei nicht nachprüfbaren Werturteilen ist das nicht der Fall, so daß insoweit das hier behandelte Vorzugselement nie zum Einsatz kommen kann.

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mierten Interessenwertung i n jedem Fall zum Einsatz. Und schon gar nicht ist dieser Gesichtspunkt so entscheidend, daß aus i h m unter Ausschaltung jeglicher anderer Überlegungen die generelle Zulässigkeit der vergleichenden Werbung gefolgert werden könnte. 4. Die Stellungnahmen zum Einfluß des A r t . 5 Abs. 1 und 2 GG auf die rechtliche Beurteilung der vergleichenden Werbung sind äußerst vielfältig und widersprüchlich. Obwohl diesem Gesichtspunkt i m allgemeinen keine große Bedeutung beigemessen wird, gibt es doch Stimmen, die die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung aus Art. 5 Abs. 1 und 2 GG herleiten. Insgesamt ist aber Völp 7 3 dennoch darin zuzustimmen, daß die eigentliche Kraftquelle der Reformer des Rechts der Vergleichswerbung nicht in der diese Arbeit beherrschenden Vorschrift des Grundgesetzes liegt. Daß der Einflußkraft des A r t . 5 GG auf das Verbot der vergleichenden Werbung nur geringe Aufmerksamkeit geschenkt wird, ist i n der weit verbreiteten Auffassung begründet, daß sich der Grundrechtsschutz des Art. 5 Abs. 1 GG nicht auf Werbeaussagen erstreckt 74 . Daß dies nicht zutrifft, wurde bereits dargelegt 75 . Ebensowenig können die Stellungnahmen überzeugen, die zwar Werbeaussagen stillschweigend als durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt ansehen, aber die Einflußkraft dieser Entscheidung auf das UWG m i t dem Argument verneinen, daß A r t . 5 Abs. 1 GG nur innerhalb der Schranken der allgemeinen Gesetze gelte, zu denen das UWG gehöre 76 . Denn hier fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Problem der D r i t t w i r k u n g des A r t . 5 Abs. 1 GG und m i t der Frage, ob das UWG und speziell das aus i h m abgeleitete Verbot der vergleichenden Werbung den verfassungsrechtlichen Kriterien des allgemeinen Gesetzes entsprechen 77 . Die gleichen Einwände sind gegen die Auffassung Burhennes vorzubringen, der allerdings aus Art. 5 GG (und zugleich aus den Art. 2, 11, 18 GG) die grundsätzliche Zulässigkeit der vergleichenden Werbung herleitet und diese Regel mit Rücksicht auf die verfassungs73

WRP 65,125,129. Vgl. S. 156 ff. 75 Vgl. S. 160 ff. Aus den dort genannten Gründen k a n n auch Gödde, S. 91 f., nicht darin gefolgt werden, daß die vergleichende Werbeaussage deswegen keinen Grundrechtsschutz nach A r t . 5 Abs. 1 GG erfahre, w e i l sie nicht zur B i l dung der öffentlichen Meinung beitrage. 76 H. Droste, GRUR 53,16.17; D. Reimer, Persönliche und vergleichende Werbung, S. 72; Simon, W u W 56, 48, 54 f.; Seubert, B B 60, 965, 966; BaumbachHefermehl, 9. Aufl., A l l g . A n m . 60; Lieb, S. 87 ff.; Schönherr i n SchönherrBußmann, S. 66 f.; O L G Köln, GRUR 62, 102, 104 — Bürobedarf — ; O L G M ü n chen, W R P 58,148. 77 Diese Einwände gelten auch, soweit die i n Note 76 genannten Stellungnahmen ungeprüft die v o m B V e r f G propagierte „Wechselwirkung" zwischen dem Grundrecht des A r t . 5 Abs. 1 GG und dem allgemeinen Gesetz übernehmen. 74

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4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

rechtlichen Einschränkungen des Sittengesetzes und der perönlichen Schutzrechte wieder zur Ausnahme verkehrt 7 8 . Eine geringe Anzahl von Stellungnahmen sieht A r t . 5 GG i m Zusammenhang m i t einer gewohnheitsrechtlichen Geltung des Verbots der vergleichenden Werbung 7 9 . Ausgangspunkt dieser Darlegungen ist die gewohnheitsrechtliche K r a f t des Verbots. Sie sei jedoch unter der Geltung des Grundgesetzes dadurch beseitigt, daß das Verbot dem Art. 5 Abs. 1 und 2 GG widerspreche (Art. 123 Abs. 1 GG) 8 0 . Bemerkenswert ist, daß Brinkmann und Jörg als Vertreter dieser Auffassung ihre Ergebnisse auf zwei Formulierungen des BVerfG stützen. Brinkmann bezieht sich auf den Satz, daß es „grundsätzlich zulässig ist, aus ernsthaften Motiven i n der Öffentlichkeit den Absatz bestimmter Organisationsformen des Verkaufs zu bekämpfen, auch wenn bei Erfolg solcher Meinungsäußerungen wirtschaftliche Unternehmen zum Erliegen kämen . . ." 8 1 , und Jörg geht davon aus, daß das Recht zur freien Meinungsäußerung erst dann zurücktreten muß, „wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Bestätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden" 8 2 . Für die Auseinandersetzung mit dieser Auffassung wären zahlreiche Ansatzpunkte gegeben. Als wichtigste seien nur genannt: Es fehlt eine Untersuchung der Tragweite des Verbots der vergleichenden Werbung als Grundlage für das Urteil der Verfassungswidrigkeit. Äußerst fragwürdig erscheint die Ableitung der Verfassungswidrigkeit des Verbots der Vergleichwerbung aus den genannten Formulierungen des BVerfG. Und i m Zusammenhang damit vermißt man eine Auseinandersetzung mit dem Wesen der allgemeinen Gesetze des Art. 5 Abs. 2 GG. Diese Bedenken können jedoch ebenso wie die Ablehnung des Ausgangspunktes, daß dem Verbot der vergleichenden Werbung ursprünglich eine gewohnheitsrechtliche K r a f t zukam, auf sich beruhen. Denn die Frage, ob das Verbot der vergleichenden Werbung gegen Art. 5 Abs. 1 und 2 verstößt, kann aufgrund der bisher i n dieser Arbeit durchgeführten Untersuchungen ohne weiteren Aufwand gelöst werden. 78 Burhenne, N J W 51, 249, 250 f. Nicht setzt sich Burhenne m i t dem Problem des Grundrechtsschutzes der Werbeaussage auseinander. Nach Burhennes eigener Darlegung ändert das Ergebnis seiner Überlegungen n u r die Beweislastverteilung (zur Frage der Beweislast vgl. Note 59 auf S. 304). Gegen B u r hennes widersprüchliche Begründung wenden sich: Völp, W R P 60, 197, 203; Spengler, D W 60, 75, 77 f.; Borck, W R P 61,1, 4; Lieb, S. 88. 79 Brinkmann, W R P 63, 230, 237; Jörg, S. 42 ff.; Olaf Werner, S. 32 ff.; ähnlich Bergmann, S. 142 ff., der allerdings nicht von der gewohnheitsrechtlichen K r a f t des Verbots ausgeht. 80 N u r Olaf Werner, S. 37 f., geht nicht einmal auf die Problematik des A r t . 5 Abs. 2 GG ein. 81 Brinkmann, W R P 63, 230, 237, unter Bezugnahme auf BVerfGE 7, 198, 219 — L ü t h —. 82 Jörg, S. 43, unter Berufung auf BVerfGE 7,198, 210 — L ü t h —.

3. Abschn. : Die Problemfälle innerhalb des w i r t s c h a f t . Wettbewerbs

309

Auszugehen ist von dem Inhalt des Verbots, das die vergleichende Werbung nur dann als nicht erlaubt ansieht, wenn sie nicht der Wahrnehmung eines berechtigten Interesses dient 8 3 . Demgegenüber steht das Verbot verfassungskonträrer Auslegung des § 1 UWG i n Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 und 2 GG, daß eine Beachtung der Kriterien des allgemeinen Gesetzes verlangt 8 4 . D. h., daß das neu formulierte Verbot der Vergleichswerbung nur dann verfassungswidrig ist, wenn es eines der Kriterien des allgemeinen Gesetzes verletzt. Geht man diese Kriterien durch, so ist allein denkbar, daß das Verbot der Vergleichswerbung unzulässigerweise unmittelbar die Äußerungsfreiheit und nicht ein zuzuordnendes Rechtsgut berührt 8 5 . Das ist jedoch nicht der Fall. Denn vergleichende Werbeäußerungen sind wegen der durch das „Hellegold-Motiv" angesprochenen Beeinträchtigung der Mitbewerber nur dann verboten, wenn der Werbende nicht ein berechtigtes, das „Hellegold-Motiv" außer K r a f t setzendes Interesse verfolgt. Darin w i r d deutlich, daß das Verbot der Vergleichswerbung m i t dem neu formulierten Inhalt den Schutz eines zuzuordnenden Rechtsgutes bezweckt und sich nicht allein und nicht unmittelbar der Äußerungsfreiheit des A r t . 5 Abs. 1 GG widmet. Von einer verfassungswidrigen und deshalb neu zu orientierenden Regelung kann nicht gesprochen werden 8 8 . Dieses Ergebnis hindert allerdings nicht, i n Konsequenz der i m dritten Teil dargelegten Grundsätze 87 i n die durch § 1 UWG legitimierte und zur Beurteilung der Vergleichswerbung erforderliche Interessenwertung für die Interessen des Werbenden ein aus Art. 5 Abs. 1 GG zu gewinnendes Vorzugselement zweiten Grades einzuführen 88 , das i n Anbetracht des komplexen Charakters der Interessenwertung jedoch keine umstürzenden Wirkungen entfaltet. IV. D i e

abschließende

Würdigung

Die Untersuchungen der für die Zulässigkeit der vergleichenden Werbung vorgebrachten Gründe zeigt, daß sich an der Unzulässigkeit der vergleichenden Werbung i m Falle einer für den Werbenden negativ ausgehenden Interessenwertung nichts ändert. A l l e i n neue Gesichtspunkte für die Interessenwertung wurden aufgedeckt 89 . Sie vermögen jedoch die 83

Vgl. S. 302 f. Vgl. S. 241 ff. 85 Vgl. S. 241 ff. i. V. m. S. 202. 86 Ebenso Eichmann, Vergleichende Werbung, S. 70. 87 Vgl. S. 245 ff. i. V. m. S. 230 f. 88 F ü r die Berücksichtigung der Wertentscheidung des A r t . 5 Abs. 1 GG i m Rahmen des § 1 U W G treten ebenfalls ein, Eichmann, Vergleichende Werbung, S. 68 ff.; K . Droste, W R P 64, 300, 304 m i t Note 1; ders., D B 63, 719, 725; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 23 ff. 89 Lerche, Werbung, S. 112 f., weist noch auf die Notwendigkeit einer Berücksichtigung des A r t . 12 Abs. 1 GG hin. W i r haben diesen Gesichtspunkt S. 244 f. 84

310

4. Teil: Typologie i m Lichte des Gesetzesrechts

bisher geübte Rechtspraxis nicht zu ändern, da sie den bisher in den Ausnahmefällen vom Verbot der Vergleichswerbung vertypten Interessenwertungen schon zugrunde liegen 9 0 und da sie das „HellegoldM o t i v " nicht generell außer K r a f t setzen. Anders kann das Ergebnis nur lauten bei besonderen Fallkonstellationen, d. h. bei möglicherweise neu zu entwickelnden Ausnahmefällen, deren Besonderheiten jedoch nicht vorherzusehen sind. Hier kann einmal eines der neu hinzugewonnenen Vorzugselemente den Ausschlag geben.

C. Sonstige unternehmensschädigende Äußerungen

Schon zu Beginn der abschließenden Untersuchung der einzelnen Fallgruppen der unternehmensschädigenden Äußerung anhand der i m zweiten und dritten Teil gewonnenen Ergebnisse wurde betont, daß aus den verschiedensten Gründen nicht alle Erscheinungsformen der Unternehmensschädigung durch Äußerungen behandelt werden. Nur die wichtigsten und interessantesten Gruppen waren herauszugreifen. Dabei ist deutlich geworden, wie sich die Äußerungsfreiheit auf die unternehmensschützenden Vorschriften des einfachen Gesetzesrechts und i n Konsequenz dazu auf die anhand der einschlägigen Vorschriften zu gewinnenden Entscheidungen i m Einzelfall auswirkt. Nur selten mußten bisherige Entscheidungen umgestoßen werden. Etwas häufiger ergaben sich geringe Korrekturen. Und meistens konnten bisherige Entscheidungen aufrecht erhalten bleiben. Der Wert der Untersuchung zeigte sich dann darin, daß sie die Grenzen der Wirkungskraft der verfassungsrechtlichen Entscheidung des A r t . 5 Abs. 1 GG illustrierte. Denn es war nicht nur Ziel der Arbeit, dort, wo es erforderlich erschien, der Geltungskraft des A r t . 5 GG zum Durchbruch zu verhelfen, sondern auch dort, wo die W i r k k r a f t des A r t . 5 GG nachläßt oder versagt, einem allzu voreiligen Rekurrieren auf die Entscheidungen des Verfassungsrechts vorzubeugen. Die weitere Untersuchung der sonstigen unternehmensschädigenden Äußerungen innerhalb des Wettbewerbs würde, wie schon bei der sonstigen unternehmensschädigenden Äußerung außerhalb des Wettbewerbs angedeutet, i m Vergleich zum bisher Dargelegten nichts Neues bringen. Es ginge wie bisher nur u m ein Zusammensetzen der i m zweiten und dritten Teil gewonnenen Resultate, wobei Wiederholungen unvermeidlich wären. Deshalb soll die Arbeit an dieser Stelle enden. I m übrigen w i r d i n diesem Offenlassen das Offensein der Erscheinungsformen der unternehmensschädigenden Äußerung deutlich. Denn Vollständigkeit schon generell f ü r die unternehmensschädigende Äußerung behandelt. Auch insoweit erfährt die bisherige Rechtspraxis zur vergleichenden Werbung keine neue Endergebnisse zu Tage fördernden Korrekturen. 90 So etwa beim Preisvergleich bei identischen Erzeugnissen; vgl. S. 22.

3. Abschn.: Die Problemfälle innerhalb des w i r t s c h a f t . Wettbewerbs

311

ließe sich angesichts ständig neu auftretender Formen nie erreichen. Daran angeknüpft sei nur noch der Hinweis auf die Notwendigkeit einer alle Differenzierungen der unternehmensschädigenden Äußerung beachtenden Betrachtung 91 . Denn das hat der letzte Teil dieser Arbeit gezeigt: Zutreffende Entscheidungen lassen sich nur gewinnen, wenn das Typische jeder einzelnen Fallgruppe deutlich herausgehoben und wenn bei Neuerscheinungen der Unterschied zu alten Formen festgestellt wird.

91 Beispielhaft für eine diese Notwendigkeit nicht beachtende Betrachtung sind die meisten Stellungnahmen zur Zulässigkeit der Testwerbung. Vorzüglich dagegen Will, S. 98 ff., dessen Differenzierungen S. 22 f. f ü r die Typologie übernommen w u r d e n (vgl. S. 23 Note 75). Vgl. i m übrigen zur Testwerbung Rinck, B B 63,1027,1030; Ulmer i n FIW-Schriftenreihe, Heft 20, S. 23; Bußmann, GRUR Ausi. 64, 196, 201; Graßmann, S. 131 ff.; H. Droste, GRUR 65, 219, 221; Tetzner, N J W 65, 725, 729; Borck, W R P 65, 199, 201; Kübler, Wirtschaftsordnung, S. 26, Note 83; Völp, W R P 63, 109, 113; Keller, S. 67 ff.; Gödde, D B 67, 1074; Dietrich Schultz, JuS 65, 86; Borck, W R P 63, 149.

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