Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte: Frühe sprachliche Bildung in einem von Migration geprägten Stadtviertel [1. Aufl.] 978-3-658-27030-8;978-3-658-27031-5

Evamaria Zettl untersucht sprachliche Bildung im Alltag einer Kita in einem von Migration und Marginalisierung geprägten

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German Pages XII, 302 [310] Year 2019

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Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte: Frühe sprachliche Bildung in einem von Migration geprägten Stadtviertel [1. Aufl.]
 978-3-658-27030-8;978-3-658-27031-5

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XII
Einleitung (Evamaria Zettl)....Pages 1-15
Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität (Evamaria Zettl)....Pages 17-67
Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie (Evamaria Zettl)....Pages 69-85
Methodische und methodologische Überlegungen (Evamaria Zettl)....Pages 87-130
Mehrsprachigkeit in der Kita (Evamaria Zettl)....Pages 131-198
Literalität in der Kita (Evamaria Zettl)....Pages 199-249
Fazit (Evamaria Zettl)....Pages 251-272
Back Matter ....Pages 273-302

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Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften

Evamaria Zettl

Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte Frühe sprachliche Bildung in einem von Migration geprägten Stadtviertel

Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften Reihe herausgegeben von Isabell Diehm, Frankfurt am Main, Deutschland Argyro Panagiotopoulou, Köln, Deutschland Lisa Rosen, Köln, Deutschland Patricia Stošic, Frankfurt am Main, Deutschland

Die Buchreihe „Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften“ versammelt erziehungswissenschaftliche deutsch- sowie englischsprachige Monographien (auch Qualifikationsarbeiten) und (einführende) Sammelbände, die Fragen von Erziehung und Bildung in Migrationsgesellschaften interdisziplinär (und auch international vergleichend) bearbeiten. Übergreifende Fragen lauten: Wie lassen sich der gesellschaftliche und insbesondere der pädagogische Umgang mit migrationsbedingter Diversität theoretisieren und rekonstruieren? Entlang welcher sozialen Kategorien wird Fremdheit in Migrationsgesellschaften erziehungswissenschaftlich und/oder pädagogisch hergestellt und legitimiert? Wie sind Inklusions- und Exklusionsprozesse in Bildungsinstitutionen zu verstehen? Der sozialwissenschaftliche Begriff der Inklusion ist hier relevant, denn er setzt nicht auf individuelle Assimilations- und Integrationsleistungen, sondern nimmt die soziale und institutionelle Konstruktion von (Un-)Fähigkeitszuschreibungen, (Un-)Auffälligkeiten und (Un-)Zugehörigkeiten von privilegierten und marginalisierten Personen bzw. Gruppen in den Blick. Ähnlich wie der Terminus Inklusion birgt auch der Begriff Migrationsgesellschaft ein kritisches Potential und fordert erziehungs- und sozialwissenschaftliche Forschung heraus. Mit ihm wird nicht nur die konstitutive Bedeutung von Migration für die gesamte Gesellschaft herausgestellt, sondern er regt zur Reflexion von Normen und Normalitätsvorstellungen und zu Veränderungen ungleichheitserzeugender Strukturen und Praktiken – auch in Bildungskontexten – an.

Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/16089

Evamaria Zettl

Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte Frühe sprachliche Bildung in einem von Migration geprägten Stadtviertel

Evamaria Zettl Pädagogische Hochschule Thurgau Kreuzlingen, Schweiz Dissertation Universität Bremen, Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften, 25.1.2018; leicht aktualisierte Version unter Einbezug neuester Forschungsliteratur. Die Arbeit wurde eingereicht unter dem Titel „Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte. Eine ethnographische Studie über frühe sprachliche Bildung in einem von Migration und sozialer Segregation geprägten Stadtviertel“. Die Dissertation wurde erstellt mit freundlicher Unterstützung des Projektfonds Forschung und E-Learning (FEL) der Pädagogischen Hochschule Thurgau.

ISSN 2524-4221 ISSN 2524-423X  (electronic) Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften ISBN 978-3-658-27031-5  (eBook) ISBN 978-3-658-27030-8 https://doi.org/10.1007/978-3-658-27031-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Meiner Familie und den Kindern und pädagogischen Professionellen von „X-Siedlung“ gewidmet

Danksagung

Mein herzlicher Dank gilt den pädagogischen Professionellen von „X-Siedlung“, der Kita-Leitung und ihrem Träger, die diese Forschung durch ihre großzügige Zustimmung erst ermöglicht haben, den Kindern der „Gruppe Blau“ und ihren Eltern sowie allen Bewohner*innen der „X-Siedlung“, die mich freundlich und interessiert aufgenommen haben und mich an ihrem Alltag teilhaben ließen. Ein besonderer Dank gilt meinen Vermietern in der „X-Siedlung“, sie öffneten mir viele Türen im Stadtviertel. Ganz herzlichen Dank an Marc Thielen und Isabell Diehm, die mit außerordentlichem Engagement, konstruktiven und ermutigenden Gesprächen, genauer Lektüre und großer Geduld über Jahre hinweg diese Dissertation betreut haben und mich in jeder Hinsicht sehr unterstützt haben. Der Abteilung Dozierendenforschung der PH Thurgau verdanke ich einen Beitrag zur Finanzierung der Arbeit, finanzielle Unterstützung beim Besuch von Tagungen sowie unzählige gute Gespräche und Hinweise. Ein großer Dank gilt dabei Christoph Maeder, der während des Feldaufenthalts und in der Schreibphase immer wieder für Motivation gesorgt hat und wertvolle methodische Hinweise gab. Dieter Isler verdanke ich die Anregung, mich mit dem Thema Literalität ethnographisch zu beschäftigen sowie zahlreiche ermutigende Gespräche und Hinweise. Meine Kolleginnen und Kollegen Achim Brosziewski, Susanne Brüggen, Simone Fässler, Ulrich Halbheer, Carmen Kosorok, Kathrin Keller und Angelika Schöllhorn waren in vielen Diskussionen über qualitative Forschung und die praktischen Seiten des Promovierens wichtige Ansprechpartnerinnen und -partner für mich. Danke auch an Stephan Nänny und Reto Stocker, die mir halfen, den Forschungsaufenthalt organisatorisch möglich zu machen und freie Zeit zum Schreiben zu bekommen. Mein besonderer Dank gilt auch zahlreichen weiteren Impulsgeber*innen: Eva-Christina Edinger, Fabian Kessl, Melanie Kuhn, Sibylle Künzli, Sabine Kutzelmann, Halyna Leontiy und dem Netzwerk Internationaler Konstanzer Doktorandinnen, Claudia Machold, Veronika Magyar-Haas, Sven Nickel, Kate Pahl, Argyro Panagiotopoulou, Annedore Prengel, Lotte Rose, Eva Rottmann, Heidi Simoni mit dem Team des Marie-Meierhofer-Instituts Zürich, Nathalie Thomauske, der Schreibgruppe der Universität Konstanz sowie dem Zentrum Mehrsprachigkeit der Universität Konstanz und dem Zentrum Lesen der FHNW. Die Interpre-

VIII

Danksagung

tationsgruppen und Forschungswerkstätten in Konstanz, Kreuzlingen und Zürich und die Doktorand*innenkolloquien in Bielefeld und Bremen waren ebenfalls eine große Hilfe für mich. Meine Lektorin Marie-Christin Lux unterstützte mich bei der Schlussredaktion. Meine Familie weckte schon früh mein Interesse an den Themen Migration und Mehrsprachigkeit und gab den Anstoß, in „X-Siedlung“ zu forschen. Mein Partner Martin Wegerhoff, mein Vater und meine Freundinnen und Freunde haben mich jahrelang motiviert und vielfältig unterstützt, auch ihnen sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt. Danke besonders auch an Berta, Deborah, Dorcas und Berteen sowie an Christian, Sonja, Joséphine, Werner und Monique, dass ich Euren mehrsprachigen und transnationalen Familienalltag in der Migrationsgesellschaft mit Euch teilen darf. Die Verbundenheit mit Euch ist eine große Inspiration für mich und war eine wichtige Motivation für diese Arbeit.

Inhalt

   

Einleitung..................................................................................................... 1    Ausgangslage: Sprachliche Bildung und frühe Kindheit ...................... 3    Forschungsziel und Fragestellungen der Arbeit .................................... 6    Disziplinäre Verortungen, methodologische und theoretische Zugänge .............................................................................................. 10    Zum Aufbau der Arbeit....................................................................... 13

 

Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität ................................................................................................... 17    Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung .................. 17    Frühe Bildung............................................................................... 18    Frühe Förderung ........................................................................... 21    Frühe sprachliche Bildung und frühe Sprachförderung................ 23    Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit ................................................................................ 38    Zum Konzept „Mehrsprachigkeit“ ............................................... 38    Diskurse über Mehrsprachigkeit als Defizit ................................. 42    Diskurse über Mehrsprachigkeit als Ressource, Menschenrecht und Bildungsziel ........................................................................... 43    Mehrsprachigkeit und Bildungsbedingungen ............................... 46    Frühe sprachliche Bildung und Förderung in Bezug auf Literalität .... 54    Zum Konzept „Literalität“ ........................................................... 54    Literalität als Set von Praktiken ................................................... 56    Linguistische Aspekte von Literalität........................................... 58    Literalitätspraktiken von Kindern vor Schuleintritt...................... 60    Literalität und Bildungsbedingungen ........................................... 62

 

Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie .............. 69    Praxistheorie ....................................................................................... 69    Grundzüge der Praxistheorie ........................................................ 70    Praxis/Diskurs-Formationen: Konzeptualisierung und erziehungswissenschaftliche Erprobung....................................... 73    Performativitätstheorie........................................................................ 78 

X

Inhalt Grundlagen der Performativitätstheorie ....................................... 78  Ritual als performativitätstheoretisches Konzept ......................... 79  Zur Kombination von Praxis- und Performativitätstheorie ................. 83 

       

Methodische und methodologische Überlegungen ................................. 87    Zur Passung von Forschungsgegenstand, Forschungsstrategien und Theorien .............................................................................................. 87    Zur Forschungsstrategie Ethnographie ............................................... 88    Grundlagen der Ethnographie ...................................................... 89    Reflexionen über das Lesen und Schreiben von Ethnographien .. 91    Zur Denkfigur des „fremden Blicks“ ........................................... 98    Gütekriterien für ethnographisches Schreiben ........................... 100    Ethnographie und Erziehungswissenschaft ................................ 101    Ethnographie, Differenzkonstruktionen und Ungleichheit ......... 103    Reflexive Grounded Theory ............................................................. 104    Grundlagen der Grounded Theory ............................................. 104    Grounded Theory und Selbstreflexivität .................................... 105    Das Forschungsfeld........................................................................... 107    Das Stadtviertel „X-siedlung“ .................................................... 107    Die Kita „St. Pankraz“ ............................................................... 109    Die „Gruppe Blau“ ..................................................................... 110    Feldzugang, Positionen im Feld und kommunikative Validierung ... 112    Auswahl des Feldes und Feldzugang ......................................... 112    Positionen im Feld...................................................................... 114    Kommunikative Validierung: Forschungspraktische, methodische und methodologische Überlegungen ..................... 121    Ethik im Forschungsprozess ............................................................. 122    Intrinsische Verpflichtungen ...................................................... 123    Extrinsische Werte und situative Abwägungen .......................... 124

 

Mehrsprachigkeit in der Kita ................................................................ 131    Konstruktionen zu Deutsch und familiärer Mehrsprachigkeit .......... 132    Zur Beschreibung des Artefakts ................................................. 132    Diskurse über Mehrsprachigkeit und das Artefakt „Buch der Gruppe Blau“.............................................................................. 136    Dokumentierte „Muttersprachen“ im Artefakt „Buch“ im Vergleich zu Aussagen im Feld über die Familiensprachen der Kinder................................................................................... 139    Sprachenverbote von Türkisch und Englisch .................................... 141    „Aber wir sprechen Deutsch“ ..................................................... 142 

Inhalt

XI „Hallo Zeynep, Deutsch sprechen“ ............................................ 145  „Du musst Deutsch sprechen“ .................................................... 146  Sprachenverbote in Resonanz zu Diskursen............................... 148  Nicht-Sprechen über Deutsch, Türkisch und Englisch ..................... 151    Nicht-Sprechen über das Deutschsprechen ................................ 152    Nicht-Sprechen über das Türkischsprechen von Kindern .......... 153    Nicht-Sprechen über das Türkischsprechen einer Mutter .......... 156    Nicht-Sprechen über ein Lied, das ein Kind auf Englisch singt . 159  Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen ...................................................................... 161    „nicht Türkisch gesprochen. Deutsch reden.“ - „Hoşgeldiniz“ .. 162    „Sag mal ‚rot’ auf Türkisch“ ...................................................... 164    „Der’s deutsch, der’s türkisch“ .................................................. 168    „Hab ich das richtig gesagt?“ ..................................................... 172    „Meine Mutter bringt mir’n bisschen Türkisch bei“ .................. 175    „Es steht nicht im ‚Buch’, welche Familiensprache sie spricht“ ....................................................................................... 179    „Spanisch? Türkisch? Arabanisch?“ „Ähm, ähm, ähm, Albanisch“ .................................................................................. 181    „Das ist wohl eine Phantasiesprache“ ........................................ 182    „Die Katrin kann gar kein Türkisch, die versteht uns nicht“ ...... 183  Englisch: Thematisierung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierung.......................................................................... 185    Wenn ihre kleine Schwester Gracelyn es nicht verstehe, solle sie es ihr auf Englisch sagen....................................................... 185    „Das hat dir Papa gezeigt, das ist auch o.k., aber in der Schule lernen die Kinder eine deutsche Eins“........................................ 187    „Du musst auf Englisch zählen“ ................................................. 188    „Englisch kann ich eh nicht lesen.“- „Ich schon. Das ist schwierig.“ ................................................................................. 189    „Du bist doch braun, du sprichst Spanisch. (…) Ich bin Englisch“ .................................................................................... 191  Zusammenfassung ............................................................................ 195

       

 

 

   

Literalität in der Kita ............................................................................. 199    Einfache Zeichen: Farben zur Strukturierung der Kita ..................... 200    Literalität im Raum der „Gruppe Blau“ ............................................ 203    „Im Namen des Vaters und des Sohnes“ .................................... 203    Nun ist das Wort ‚HUT‘ auf dem PC-Bildschirm ...................... 213  6.2.3 „Mein Name ist lang“................................................................. 216 

XII

Inhalt 6.2.4

Nun duckt er sich hinter die Pappbilderbücher .......................... 218  Literalität in der Garderobe ............................................................... 221  6.3.1 „Da ist jemand draufgetreten“ .................................................... 221  6.3.2 „Du sollst die Bücher einmal wegbringen“ ................................ 223    Wege zur Literalität: Vom Gruppenraum zu nicht alltäglich genutzten Räumen............................................................................. 226    Die „Bücherei“: „Wir tauschen Bücher aus. Bevor man auf den Teppich geht, muss man die Schlappen ausziehen.“ ........... 226    Die Kirche: „Und dann haben sie geteilt, und wieder geteilt, und wieder geteilt“ ..................................................................... 236    Vom Raum der „Gruppe Blau“ zum Gemeindesaal: „Ich hab nur Gemüse gegessen“ ............................................................... 243    Zusammenfassung ............................................................................ 247

 

 

Fazit.......................................................................................................... 251    Zum Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie ............................ 251    Potentiale und Grenzen des methodisch-methodologischen und theoretischen Zugangs ...................................................................... 252    Resümee der Befunde der Interpretationskapitel .............................. 256    Vergleichendes Fazit......................................................................... 258    Desiderata ......................................................................................... 262    Anregungen für die Praxis ................................................................ 267

Literaturverzeichnis ....................................................................................... 273

Einleitung

Sprache ist, so lautet der Konsens in Wissenschaft und Bildungspolitik, Voraussetzung für Bildung und gesellschaftliche Teilhabe in der Migrationsgesellschaft (vgl. Schneider et al. 2012: 4; Becker-Mrotzek/Roth 2018: 11). Der Begriff „Sprache“ meint dabei, wenn Bezug auf Deutschland genommen wird, meist implizit die deutsche Sprache (vgl. ebd.: 23)1. Eine Vertrautheit mit dem Deutschen, besonders mit dem schulrelevanten „literale[n] Sprachgebrauch“ (Isler 2016: 9), gilt als notwendige Bedingung für Schulerfolg (vgl. Grotlüschen/ Heinemann/Nienkemper 2009: 62; Feilke 2012)2. Die PISA-Studien zeigen: Jugendliche aus Deutsch sprechenden Familien und/oder aus Familien, deren „sozioökonomischer Status“ (OECD 2016a: 217ff.)3 in diesen Studien als hoch bezeichnet wird, weisen statistisch gesehen höhere Kompetenzstufen auf als Jugendliche, in deren Familien migrationsbedingt kein Deutsch gesprochen wird und/oder deren Eltern ein niedriger „sozioökonomischer Status“ (ebd.) zugeschrieben wird (vgl. Dombrowski/Solga 2009; Baader/Cloos/Hundertmark/Volk 2012: 21; Kaesler 2013; OECD 2016b). Die jüngste PISA-Studie (vgl. OECD 2018: 66) bestätigt diesen Befund: Die Lesekompetenz von Jugendlichen in Deutschland ist statistisch gesehen je nach sozioökonomischem Status ungleich verteilt4. Die familiär bedingten sprachlichen Unterschiede führen in der Schule zu „Sprachbarrieren“ (Kaesler 2013: 147) und sind eine der Ursachen für soziale Ungleichheit. 1

In vielen Texten über Sprache und Bildung in Deutschland bleibt es weitgehend implizit, dass mit „Sprache“ die deutsche Sprache gemeint ist. Auch Schneider et al. (2012) erwähnen dies nur am Rande. Vgl. hierzu Thomauske (2017: 16), die schreibt, mit „Sprachförderung“ sei eigentlich „Normsprachförderung“, auf Deutschland bezogen das Deutsche, gemeint. 2 Vgl. für einen ausführlichen Forschungsüberblick, der auch unterschiedliche Terminologien berücksichtigt, Abschnitt 3.3.1. Der Begriff der „Bildungssprache“, oft synonym zu „Schriftsprache“ verwendet, findet in der vorliegenden Arbeit keine Anwendung, da dieser Begriff diskriminierend gegenüber Kindern aus Milieus sein kann, denen Bildungsferne zugeschrieben wird (vgl. ausführlich Kapitel 3.7 und Panagiotopoulou (2017c)). 3 Reifizierungsrisiken, die solche Zuschreibungen bergen, werden bei Diehm, Kuhn und Machold (2010) und im Kapitel 4 der vorliegenden Arbeit reflektiert. 4 In dieser Veröffentlichung wird nicht nach einem ‚Migrationshintergrund‘ der Jugendlichen, sondern nur nach sozioökonomischem Status differenziert; anzumerken ist auch, dass diese Disparität in den vergangenen 17 Jahren deutlich geringer geworden, aber immer noch auffällig ist (vgl. ebd.).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Zettl, Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte, Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27031-5_1

2

1 Einleitung

Seit den ersten PISA-Ergebnissen wurde sprachliche Bildung in der Bildungspolitik besonders in Zusammenhang mit Debatten um Migration und Integration diskutiert (vgl. Thomauske 2017: 11). Im Bereich frühkindlicher Bildung bewirkte „PISA“ tiefgreifende Veränderungen (vgl. Diehm 2018: 14). Die deutsche Bildungspolitik hat in den letzten anderthalb Jahrzehnten unter dem Schlagwort der Integration einen Ausbau der Deutschförderung in Kindertagesstätten5 forciert (vgl. der „Nationale Integrationsplan“ der Bundesregierung, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung & Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2007: 47ff.; Thomauske 2017: 11) und fordert auch in Bildungsplänen einen verstärkten Fokus auf Literalität (vgl. exemplarisch Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin 2014: 101ff.). Dadurch soll schon vor Schuleintritt migrationsbedingt mehrsprachigen Kindern und Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten Familien stärkere Chancengleichheit in Hinblick auf schulisch geforderte Sprachfähigkeiten ermöglicht werden (vgl. Schneider et al. 2012: 4f.). Es gibt jedoch noch Forschungsbedarf hinsichtlich der Frage, was im sprachlichen Alltag von Kindertagesstätten tatsächlich geschieht (vgl. Schneider et al. 2012: 9; auf Mehrsprachigkeit bezogen Brandenberg/Kuhn/Neumann/Tinguely 2017: 255; in Hinblick auf den Sprachförderalltag für mehrsprachige Kinder vgl. Schmidt 2018: 200; ausführlich vgl. Abschnitt 1.1 und Kapitel 2). Diese Frage ist hoch relevant gerade im Fall von Kitas, die vor allem Kinder aus mehrsprachigen Familien bzw. Familien, denen ein sozioökonomisch niedriger Status zugeschrieben wird, besuchen; diese stehen schließlich besonders im Fokus bildungspolitischer Rhetorik (vgl. Thon/Mai 2018: 113; Thon/Menz/Mai/Abdessadok 2018: 2). Die vorliegende Studie möchte dazu beitragen, diese Wissenslücke zu schließen. Ihr Ziel ist es, sprachliche Praktiken in einer Kindertagesstätte zu untersuchen, die in einem von Migration und sozialer Segregation geprägten Stadtviertel liegt. Ein Fokus liegt dabei auf dem Umgang mit Mehrsprachigkeit und Literalität, zwei zentralen Aspekten im elementarpädagogischen Alltag der Migrationsgesellschaft. Das erste Kapitel schildert zunächst vertieft die im vorangegangenen Absatz skizzierte wissenschaftliche und bildungspolitische Ausgangslage (1.1). Hieraus leiten sich (1.2) Forschungsziel und Fragestellungen der Studie ab und es werden 5 In der vorliegenden Arbeit wird für das Forschungsfeld der „native term“ „Kindertagesstätte“ oder „Kita“ verwendet. Die Kinder, die die Kita ganz- oder halbtags besuchen, sind zwei bis sieben Jahre alt und verlassen diese bei Schuleintritt (vgl. ausführlich Kapitel 4.4.2). Der Begriff „Kindergarten“ wird nur dann benutzt, wenn er in der Sekundärliteratur oder in Bildungsdokumenten erscheint. Je nach Quelle wird dieser Begriff unterschiedlich gebraucht: In Schweizer Dokumenten ist der „Kindergarten“ eine obligatorische Bildungsinstitution für 4-6jährige, in deutschen Texten wird „Kindergarten“ gelegentlich als Synonym für „Kita“ verwendet (vgl. z.B. Kuhn 2013: 46f.).

1.1 Ausgangslage: Sprachliche Bildung und frühe Kindheit

3

(1.3) die disziplinäre Verortung der Arbeit sowie methodologische und theoretische Zugänge aufgezeigt. Abschließend wird der Aufbau der Arbeit (1.4) skizziert. Ausgangslage: Sprachliche Bildung und frühe Kindheit Die frühe Kindheit und frühkindliche Bildung sind seit einiger Zeit in den Fokus bildungspolitischer und wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gerückt (vgl. Baader/Cloos/Hundertmark/Volk 2012: 17; Diehm 2012: 50ff.; Kuhn 2013: 14; Betz/Koch/Mehlem/Nentwig-Gesemann 2016: 115; Bischoff 2017: 15ff.; Diehm 2018). Den enttäuschenden Ergebnissen der ersten PISA-Studie 2000 (Stanat et al. 2002) kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu: Erstmals gelangte an die Öffentlichkeit, dass 15-jährige in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern u.a. im Lesen eher unterdurchschnittliche Testergebnisse erzielten und ihre Kompetenzen zudem stark von ihrer Herkunft abhängig waren. Kausalzusammenhänge zwischen frühkindlicher Bildung und dem PISA-Abschneiden von 15-jährigen sind empirisch nicht bewiesen (vgl. Fthenakis 2005a: 13; Dollase 2014). Trotzdem kam der frühen Kindheit in Reaktion auf diese erste PISA-Studie in der Bildungspolitik eine verstärkte Bedeutung zu (vgl. Stamm/Viehhauser 2009: 404; Diehm/Magyar-Haas 2011: 217; Diehm 2012: 52; Bischoff 2017: 22). Die empirisch nicht hinreichend belegte Annahme, entscheidend für Bildungserfolg sei die frühe Prägung (vgl. Diehm 2018: 14), könnte hier einen Einfluss gehabt haben, ebenso wie der Versuch, durch den Fokus auf die frühe Kindheit von der Rolle des Schulsystems bei der Zementierung herkunftsbedingter Ungleichheit abzulenken (vgl. ebd.: 15). Das diffuse Konzept der „frühen Förderung“ wurde trotz lückenhafter empirischer Befunde zu einem „attraktiven Topos“ (Diehm 2012: 51). An dieses Konzept gebunden sind auch hohe Erwartungen, die Defizite von ‚Risikofamilien‘, besonders solchen ‚mit Migrationshintergrund‘6 (vgl. Diehm/Machold 2017: 311), auszugleichen. Nach Diehm (2012: 62) verbindet sich damit die „Hoffnung, das ausgleichen zu können, was bildungspolitisch und -administrativ Jahrzehnte lang versäumt wurde“. Die Folge war ein beträchtlicher „Innovations- und Veränderungsdruck“ (Kuhn 2013: 15) im Bereich frühkindlicher Bildung: ein forcierter struktureller Ausbau der frühkindlichen Betreuung in Kindertageseinrichtungen, die Forderung nach Professionalisierung und Akademisierung elementarpädagogischer Fachkräfte und die Einführung von Bildungsplänen für frühpädagogische Institutionen (vgl. Baader/Cloos/Hundertmark/Volk 2012: 17; Kuhn 2013: 15ff.; Betz/Koch/ Mehlem/Nentwig-Gesemann 2016: 115). 6

Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Differenzkategorie ‚Migrationshintergrund‘ in Erziehungswissenschaft, Bildungspolitik und Medien und Wissenschaft vgl. Stošić 2017.

4

1 Einleitung

Im Widerspruch zur derzeit noch geringen sozialen und finanziellen Anerkennung elementarpädagogischer Arbeit (vgl. Kuhn 2013: 307) stehen inzwischen die anspruchsvollen bildungspolitischen Aufgaben, die an Kindertagesstätten gestellt werden (vgl. Betz/Koch/Mehlem/Nentwig-Gesemann 2016: 115; Betz 2017: 428). Kindertagesstätten sollen verstärkt einen Fokus auf Sprache und Integration legen. Dies wurde konkretisiert sowohl in Bildungs- und Orientierungsplänen für Kindertageseinrichtungen, die inzwischen in allen Bundesländern vorhanden sind, als auch in zahlreichen Förderprogrammen (vgl. Nickel 2014: 645ff.; Kelle/ Schmidt/Schweda 2017: 69f.)7. Der bildungspolitische Auftrag, in Kindertageseinrichtungen verstärkt sprachliche Bildung und Förderung zu betreiben, ist begrüßenswert. Es ist unumstritten, dass sich ungleiche Bildungschancen bereits im Vorschulalter abzeichnen. Ein Grund hierfür ist z.B. die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht, von der es abhängig sein kann, „mit welchen sprachlichen und sozialen Praktiken Kinder bei der Einschulung bereits vertraut sind“ (Kaesler 2013: 147). Dennoch muss kritisch gefragt werden: Ist die bildungspolitische Begeisterung für frühe Sprachförderung durch empirische Befunde begründet? Welche Forschungsergebnisse gibt es überhaupt zu Sprache(n) im Alltag deutscher Kindertageseinrichtungen? Sprachfördermaßnahmen in Kindertageseinrichtungen, zunächst vor allem als Deutschförderung für segregierte Kleingruppen konzipiert, wurden eingeführt, obwohl eine empirische Evidenz ihrer Wirksamkeit nicht gegeben war8. Nachträglich in Auftrag gegebene Evaluationen kommen zum Ergebnis, dass diese segregierenden Fördermaßnahmen nicht oder nur minimal zu einem Zuwachs an Sprachkompetenz führen9 (vgl. Gasteiger-Klicpera/Knapp/Kucharz 2010; Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9; Beckerle 2017: 23ff. sowie die Metaanalyse von Egert (2017)). Ein unbeabsichtigter Nebeneffekt von Sprachförderung, die Defizitzuschreibung an Kinder, die nicht der monolingualen Norm entsprechen, zeigt sich bereits in Formulierungen des Berichts zur ersten PISA-Studie.

7 Exemplarisch sei für Baden-Württemberg das flächendeckende Programm „Sag mal was“ und sein Nachfolgeprogramm „SPATZ“ genannt (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg: http://www.kindergaerten-bw.de/SPATZ, Abfrage 30.7. 2018). 8 Generell weisen Kelle, Schmidt und Schweda (2017: 74) darauf hin, dass die nachhaltige Wirksamkeit von Förderung in der frühen Kindheit in Hinblick auf den Abbau von Bildungsungleichheit empirisch ungeklärt ist. 9 Inzwischen gibt es Befunde, die auf eine Wirksamkeit alltagsintegrierter Sprachförderung in Kitas hindeuten (vgl. Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9; Beckerle 2017: 221 konstatiert in ihrer Evaluation des „Fellbach-Konzepts“ zumindest für „Kinder, die ein schwaches sprachliches Ausgangsniveau aufwiesen“ eine Wirksamkeit alltagsintegrierter Sprachförderung durch eigens weiterqualifizierte Erzieherinnen); Egert (2017: 32) schreibt in ihrer auf die Förderung mehrsprachiger Kindergartenkinder bezogene Metaanalyse jedoch, dass eine Gegenüberstellung alltagsintegrierter und additiver Sprachförderung nicht die gewünschte Klarheit bringe, welches Konzept sinnvoller sei.

1.1 Ausgangslage: Sprachliche Bildung und frühe Kindheit

5

Seine Autor*innen postulieren, für Jugendliche ‚mit Migrationshintergrund‘ sei die Sprachkompetenz (implizit: die Deutschkompetenz) „die entscheidende Hürde in ihrer Bildungskarriere“ (Stanat et al. 2002: 13)10. Zehn Jahre nach dieser Aussage schreiben Schneider et al. (2012: 4f.) von bildungspolitischen Auswirkungen der ersten PISA-Studie u.a. in Bezug auf den Elementarbereich: „Seither [seit der ersten PISA-Studie, E. Zettl] investieren die Länder erhebliche personelle und sachliche Ressourcen in Sprachfördermaßnahmen (…) mit besonderer Berücksichtigung von Kindern mit Migrationshintergrund, da für diese ein besonders hohes Risiko besteht, keine hinreichenden (schrift)sprachlichen Kompetenzen zu entwickeln.“

Dieser besondere Fokus auf Kinder ‚mit Migrationshintergrund‘ als Zielgruppe für Sprachförderung (vgl. zusammenfassend Hortsch 2015: 42) geht einher mit einer diskursiven Darstellung ihrer Familien in öffentlichen Debatten als defizitär, da sie nicht der monolingualen Norm entsprächen bzw. integrationsunwillig seien (vgl. Panagiotopoulou 2017b: 257; Thomauske 2017: 12; 97ff.). Institutionen der frühen Kindheit stehen daher unter dem Druck, Sprachförderung im Sinne von Deutschförderung als Defizitkompensation zu betreiben (kritisch hierzu vgl. Diehm 2012: 59ff.; Thomauske 2017: 12ff.). Auch in einem Testverfahren zum Feststellen eines Sprachförderbedarfs werden Kinder mit gleichem festgestellten Sprachförderbedarf ungleich behandelt, je nachdem, ob sie einen ‚Migrationshintergrund‘ haben oder nicht (vgl. Diehm/Kuhn/Machold/Mai 2013 am Beispiel des „Delfin 4-Tests“). Über die tatsächlich durchgeführten Sprachförderpraktiken11 sowie Praktiken in Bezug auf Sprache(n) und Literalität allgemein ist im elementarpädagogischen Alltag zu wenig bekannt (vgl. Gasteiger-Klicpera/Knapp/Kucharz 2010: 9ff.; Schneider et al. 2012: 9; Brandenberg/Kuhn/Neumann/Tinguely 2017: 255; Schmidt 2018: 200). Die vorhandenen Arbeiten, die Antworten auf diese Frage suchen (z.B. Christmann/Graf/Hortsch/Panagiotopoulou 2010; Kewes 2012; Hinterwäller 2012; Hortsch 2015; Panagiotopoulou 2017a12) ermöglichen erste 10

Seit diesem ersten PISA-Befund hat sich zwar die durchschnittliche Lesekompetenz verbessert und ihre Abhängigkeit von der sozialen Herkunft etwas reduziert, aber auch in PISA 2012 und 2017 zeigen sich, wie bereits erwähnt, signifikante Unterschiede in der Lesekompetenz zwischen Jugendlichen unterschiedlicher sozialer Herkunft (vgl. Hohn/Schiepe-Tiska/Sälzer/Artelt 2013, OECD 2018). 11 Eine Ausnahme bilden die videographierten Fördersequenzen, die sich in der Evaluation des Sprachförderprogramms „Sag mal was“ befinden (vgl.Gasteiger-Klicpera/Knapp/Kucharz 2010: 171ff.). 12 Für den internationalen Kontext seien exemplarisch die Studien von Neumann und Seele (2012) über Mehrsprachigkeit in luxemburgischen Kitas genannt, die Arbeit von Isler, Künzli und Leemann (2010), die Sprachpraktiken in einem Schweizer Kindergarten mit familiären Praktiken vergleicht, Hortschs Untersuchung, die einen finnischen vorschulischen Kontext mit einem deutschen vergleicht (2015) sowie die Arbeiten von Kuhn und Neumann (2017) über Kindergärten in der Schweiz.

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1 Einleitung

Erkenntnisse bezüglich Praktiken in einzelnen Kindertagesstätten und -gärten13. Sie zeigen etwa auf (vgl. ausführlich Kapitel 2), wie andere Sprachen gegenüber dem Deutschen ignoriert oder marginalisiert werden und wie selten Literalität im Kita-Alltag erscheint. Die bisherigen, mikroanalytisch erhobenen Befunde sind nicht generalisierbar, aber doch vergleichbar (vgl. Christmann/Graf/Hortsch/Panagiotopoulou 2010). Daher ermöglicht die hier vorliegende Untersuchung eine wertvolle Erweiterung und Vertiefung dieser Studien. Forschungsziel und Fragestellungen der Arbeit Ziel dieser Arbeit ist, Praktiken in Bezug auf Sprache(n)14 in einer Kindertagesstätte zu untersuchen. Im Verlauf des Forschungsprozesses konkretisierte sich dieses Ziel: Als Forschungsfeld für die vorliegende Studie wurde eine Kindertagesstätte in einem Stadtviertel einer deutschen Großstadt ausgewählt, das von Migration und sozialer Segregation geprägt ist. Diese Wahl der Institution ist damit begründet, dass Bildungsungleichheit eng mit sozialräumlichen Faktoren zusammenhängt (vgl. auch OECD 2016a: 278). Schroeder (2002: 12) schreibt hierzu: „Es sind ‚bestimmte‘ Straßen, Siedlungen, Quartiere, gar Stadtteile oder Regionen, in denen Ungleichheit lokalisiert und sozialräumlich organisiert ist. (…) [I]m Alltag [ist] wahrnehmbar wie auch empirisch belegbar, dass soziale Räume nicht nur in Bezug auf Funktionen ausdifferenziert, sondern auch in Bezug auf Chancen gesellschaftlicher Teilhabe ungleich strukturiert sind.“

Gerade Kinder, die in solchen marginalisierten Stadtvierteln wohnen, sind laut bildungspolitischer Diskurse zu früher Förderung als Defizitkompensation Zielgruppe von Sprachfördermaßnahmen (vgl. Baader/Cloos/Hundertmark/Volk 2012: 20). Es dürfte daher besonders lohnend sein, gerade hier einen Blick auf Alltagspraktiken in Hinblick auf Sprache(n) zu werfen und zu fragen, inwiefern Diskurse zu Bildungsungleichheit, Migration und sozioökonomischer Benachteiligung in diesen Praktiken resonieren. Die vorliegende Studie wirft Schlaglichter auf Praktiken, die potentiell ungleichheitsrelevant sind und Anknüpfungspunkte

13 Die Studien sind z.T. auch ländervergleichend angelegt. Hortsch (2015) vergleicht die Transition von vorschulischen zu schulischen Bildungseinrichtungen von Kindern ‚mit Migrationshintergrund‘ in Rheinland-Pfalz mit einer Einrichtung in Finnland. Dies steht jedoch nicht im Fokus der vorliegenden Arbeit. 14 Mit „Sprache“ im Singular ist Sprache im Allgemeinen gemeint, nicht implizit das Deutsche wie häufig im Begriff „Sprachförderung“, der meistens präziser als „Deutschförderung“ bezeichnet werden könnte.

1.2 Forschungsziel und Fragestellungen der Arbeit

7

für Studien zur Erforschung von Ungleichheit geben können15. Eine erste Fragestellung lautet also: Was geschieht in Praktiken im Umgang mit Sprache(n) in einer Kindertagesstätte in einem von Migration und sozialer Segregation geprägten Stadtviertel? Im Verlauf der Untersuchung kristallisierten sich zwei wesentliche Aspekte heraus, die zur Fokussierung der Fragestellung auf den Umgang mit Mehrsprachigkeit und Literalität führten. Die Wahl dieser Themen erfolgte im Laufe eines längeren Suchprozesses im und nach dem Feldaufenthalt. Sie ergab sich aus den im Forschungsprozess induktiv mit Hilfe der (Reflexive) Grounded Theory gewonnenen Kategorien (vgl. Glaser/Strauss 1967/1998; Breuer 2010), aber auch aus theoretischen Reflexionen. Diese ergaben, dass der Umgang mit Mehrsprachigkeit und Literalität zentrale Aspekte früher sprachlicher Bildung sind. Solche Überlegungen finden sich etwa bei Panagiotopoulou (2010: 248f.), die schreibt: „im aktuellen deutschsprachigen elementar- und grundschulpädagogischen Diskurs [wird] die Notwendigkeit einer frühzeitigen und zugleich umfassenden sprachlichen Bildung betont, die sowohl Sprach(en)förderung, als auch Literalitätsförderung (oder Literacy-Erziehung) [Herv. i. O.] - insbesondere für Kinder mit Migrationshintergrund - mit einbeziehen sollte.“

Im Folgenden werden beide Aspekte einzeln, mit Blick auf das Forschungsinteresse fokussiert, skizziert. Mehrsprachigkeit ist angesichts bildungspolitischer Diskussionen über Migration und Bildung ein hoch aktuelles und normativ stark aufgeladenes Thema (vgl. Panagiotopoulou 2017a: 257; Thomauske 2017: 13f.; 97ff.; Dirim/Khakpour 2018). Es besteht ein Spannungsfeld zwischen den Anforderungen des monolingualen deutschen Bildungssystems (vgl. Gogolin 2008, 2010, 2017; Thomauske 2017: 13) und der Realität einer migrationsbedingt deutlich ausgeprägten „linguistischen Super-Diversität“ (vgl. Gogolin 2010; Creese/Blackledge 2010). Zwei Diskurse zeichnen sich in diesem Spannungsfeld ab: Mehrsprachigkeit als Defizit bzw. Mehrsprachigkeit als Gegenstand von Anerkennung und Wertschätzung und als didaktisch zu nutzende Ressource im Kontext von Sprachbildung und Menschenrecht (vgl. Gogolin/Krüger-Potratz/ Neumann 2005; Dirim/Mecheril 2010; Panagiotopoulou 2017b). In der Elementarpädagogik finden sich beide Positionen. Obwohl der Kindergarten, der im Gegensatz zur Schule keine Selektionsfunktion besitzt, 15 Es ist nicht das Ziel der vorliegenden Arbeit, die Genese von Ungleichheit oder ihre Überwindung zu untersuchen. Dies wäre Aufgabe einer Längsschnittstudie (vgl. Diehm/Kuhn/Machold/Mai 2013). Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 4.

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1 Einleitung

eigentlich gelassen mit Heterogenität umgehen könnte (vgl. Diehm 2012: 54), ist in pädagogischen und medialen Diskursen und Praktiken oft eine „Angst vor der frühkindlichen Mehrsprachigkeit“ (Müller/Schmitz 2014: 211) zu konstatieren. Dies gilt vor allem im Fall prestigeniedriger Sprachen (vgl. ebd.: 199; Panagiotopoulou 2017b: 257)16. In pädagogischen Praktiken werden ethnisierende Differenzen zwischen ein- und mehrsprachigen Kindern hergestellt (vgl. Panagiotopoulou 2017b: 258). So kommt es in Kindertageseinrichtungen zu Sprachentrennung bzw. Sprachenverboten (vgl. Thomauske 2017: 196-220). Da Mehrsprachigkeit für Identitätskonzepte zentral sein kann (vgl. Krumm 2009), ist dies ein bedenklicher Befund. Diskurse zu Mehrsprachigkeit als Gegenstand von Wertschätzung finden sich jedoch ebenfalls in der Elementarpädagogik. In Anlehnung an Prengels „Pädagogik der Vielfalt“ (1995) postuliert das Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege: „Wird mit sprachlicher Vielfalt respektvoll umgegangen, erfahren alle Kinder die Bedeutung von Sprachen in einer globalisierten Welt“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin 2014: 102; vgl. auch Thomauske 2017: 99). In diesem Spannungsfeld verschiedener Diskurse zu Mehrsprachigkeit stellt sich die Frage nach Praktiken im Umgang mit Mehrsprachigkeit im elementarpädagogischen Alltag. In der Ausdifferenzierung der ursprünglichen Fragestellung ergaben sich im Lauf der Datenerhebung und -auswertung und der Auseinandersetzung mit aktuellen Studien Unterfragen, die in Kapitel 5 ausführlicher dargestellt und behandelt werden: Welche Praktiken des Umgangs mit verschiedenen Sprachen in der erforschten Kita gibt es? Wie wird Mehrsprachigkeit in Artefakten repräsentiert, die in der Kita verwendet werden? Welche Differenzkonstruktionen und Dichotomisierungen im Umgang mit Sprachen werden sichtbar? In welchen Fällen werden Sprachen gar nicht thematisiert? Welche Selbstpositionierungen und Fremdzuschreibungen in Hinblick auf Sprachen erscheinen in den Daten? Wie verweisen die Praktiken und Artefakte auf übersituativ wirksame Diskurse zu Mehrsprachigkeit? Wie zeigt sich eine Praxis/Diskurs-Formation zum Umgang mit Mehrsprachigkeit in vorschulischen Bildungseinrichtungen anhand der vorliegenden Daten? 16 Dirim und Mecheril (2010: 105f.) gehen in ihrer machttheoretisch fundierten Analyse noch weiter und verwenden zusätzlich zum Begriff Prestige das Konzept (il)legitimer Sprachen.

1.2 Forschungsziel und Fragestellungen der Arbeit

9

Der zweite Schwerpunkt der Arbeit befasst sich mit Praktiken und Artefakten im Umgang mit Literalität. Literalität wird in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an Nickel (2010: 224) nicht-normativ definiert als Bündel sozialer Praktiken, die auf Schrift und Schriftlichkeit bezogen sind (vgl. ausführlich Kapitel 3.3). Als Folge der ersten PISA-Studie wurde Literalitätsförderung „zu einem wichtigen bildungspolitischen Thema“ (Knapp/Kucharz/Gasteiger-Klicpera 2010: 135; vgl. auch Nickel 2014). Für Bildungsverläufe relevant ist besonders die Vertrautheit mit Formen der Literalität, die in pädagogischen Institutionen praktiziert werden (z.B. Gespräche über Bücher; vgl. Isler/Künzli/Leemann 2010). Das Wissen über solche Praktiken wird in der Schule oft vorausgesetzt, jedoch nicht explizit vermittelt (vgl. Pieper/Rosebrock/Volz/Wirthwein 2004: 187). Daher kann eine Ursache für Bildungsungleichheit eine unterschiedlich ausgeprägte Vertrautheit mit schulrelevanten Literalitätspraktiken sein (vgl. Isler/Künzli/Leemann 2010). Dies wird bereits vor Schuleintritt sichtbar, da frühe Literalität als Eintritt in die Schriftkultur (vgl. Sales Cordeiro/Isler/ThévenazChristen 2011: 19) milieuspezifische Ausdifferenzierungen zeigt und damit im Bildungssystem unterschiedlich gut anschlussfähig ist. Kinder aus Milieus mit geringer Passung zu Schulkulturen (vgl. Helsper/Kramer 2011: 110) sind somit oft im Nachteil gegenüber Kindern, die bereits Wissen über schulisch geprägte Literalitätspraktiken in vorschulische pädagogische Institutionen mitbringen. Die vorliegende Arbeit möchte vor diesem Hintergrund Antworten auf folgende Fragen finden, die sich im Datenerhebungs- und Analyseprozess herauskristallisierten: Welche literalen Praktiken finden sich, in die Kinder einer spezifischen KitaGruppe involviert sind? Welche Artefakte, Räume und Rituale sind mit Literalität verknüpft? Inwiefern sind diese literalen Praktiken alltagsintegriert? Welche Inhalte werden in diesen Praktiken transportiert, bei welchen Inhalten sind Eltern mit adressiert? Welche Praxis/Diskurs-Formationen resonieren in diesen Praktiken und Artefakten?

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1 Einleitung Disziplinäre Verortungen, methodologische und theoretische Zugänge

Um diesen Forschungsfragen nachzugehen, werden erziehungswissenschaftliche, deutschdidaktische und für einige Aspekte linguistische Forschungsperspektiven verbunden. Für die Datenerhebung, Auswertung und Interpretation werden sozialwissenschaftliche methodologische und theoretische Perspektiven verwendet. Das Phänomen der transdisziplinären Beantwortung einer Frage existiert in vielen Themenbereichen, die sich mit den ersten Lebensjahren befassen17. Dies liegt auch darin begründet, dass es z.B. in Erziehungswissenschaft und Deutschdidaktik noch keine lange disziplinspezifische Forschungstradition zu diesem Thema gibt und daher oft Anknüpfungspunkte außerhalb des eigenen Faches gesucht werden müssen18. Durch die Betonung des institutionellen Kontextes Kindertagesstätte, den Einbezug bildungspolitischer Diskurse und dem Verweis auf erziehungswissenschaftliche Studien, etwa zu Differenzkonstruktionen, ist die Arbeit in der Erziehungswissenschaft verortet, vor allem in den Teildisziplinen der Migrations- und Elementarpädagogik19. Überlegungen zu Sprachenprestige entstehen an der Schnittstelle von Migrationspädagogik und Soziolinguistik. Darüber hinaus ist die Deutschdidaktik mit ihrem Fokus auf Sprache und Schriftlichkeit eine wichtige Bezugsdisziplin. Der Themenschwerpunkt zu Literalität (Kapitel 6) ist von deutschdidaktischen und linguistischen Theorien zu Schriftsprache, konzeptioneller und medialer Schriftlichkeit und qualitative Literalitätsforschung mit deutschdidaktischem Fokus angeregt. Zudem ist der Fokus des Literalitätskapitels auf Räume an soziologische Raumtheorien angelehnt. Die Methodologie zur Datenerhebung und -auswertung entstammt der qualitativen Sozialforschung, die theoretischen Hintergründe Praxis- und Performativitätstheorie (vgl. Kapitel 3) sind der Soziologie bzw. anthropologisch orientierten Erziehungswissenschaft entlehnt. Eine Analyse der Bezugnahme und Positionierung der einzelnen Disziplinen zueinander kann aufgrund des eng definierten Rahmens dieser Arbeit nicht geleistet werden. Zur Einordnung soll jedoch auf einen programmatischen Aufsatz des Deutschdidaktikers Kepser (2013) verwiesen werden, der die verschiedenen

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Die Zeitschrift „undKinder“ des Marie-Meierhofer-Instituts Zürich präsentiert in ihren Themenheften z. B. zu „Gender im Frühbereich“, „Nachhaltigkeit“ oder „Transkulturelle Kompetenz“ jeweils eine Vielfalt disziplinärer Herangehensweisen an ein Thema. 18 Als Vertreter der Deutschdidaktik konstatiert Kepser (2013: 53): „Man denke etwa an die, in den letzten Jahren immer wichtiger gewordene, frühkindliche Bildung, die (noch) keine Fächer kennt“. 19 Nach Honig und Neumann (2013: 4) gibt es auch die Bezeichnungen Frühpädagogik, Pädagogik der frühen Kindheit, Elementardidaktik, Kindheitspädagogik, die jeweils auf unterschiedliche Gegenstandsauffassungen schließen lassen.

1.3 Disziplinäre Verortungen, methodologische und theoretische Zugänge

11

genannten Disziplinen zueinander unter dem Dachkonzept der Kulturwissenschaften20 ins Verhältnis setzt (ebd.: 54-57)21. Für den Bereich der Erziehungswissenschaft verweist Kepser auf Brumlik (2006: 62) sowie auf Mecheril und Witsch (2006: 12), die ihre Disziplin ebenfalls als kulturwissenschaftlich positionieren (vgl. Kepser 2013: 56). Die vorliegende Arbeit folgt dieser Verortung und sieht Kulturwissenschaften im Sinne von Reckwitz (2011: 2) als „Forschungsprogramm“. Dieses zielt darauf, „die impliziten, in der Regel nicht bewussten symbolischen Ordnungen, kulturellen Codes und Sinnhorizonte zu explizieren, die in unterschiedlichsten menschlichen Praktiken (…) zum Ausdruck kommen und diese ermöglichen“ (ebd.). In diesem nicht-normativ ausgerichteten kulturwissenschaftlichen Rahmen, der von Praktiken als kleinster Analyseeinheit ausgeht, kann sich eine Ethnographie pädagogischer Felder verorten (vgl. Kepser 2013: 62). Diese fokussiert das von Feldteilnehmenden nicht (unbedingt) explizit Thematisierte in Praktiken, aber auch in Ritualen im Sinne einer anthropologisch orientierten performativitätstheoretischen Ritualforschung (vgl. Kepser 2013: 62), die Sprache(n) und Literalität einschließen können (vgl. ebd.: 63). In den folgenden Absätzen werden die eben genannten methodologischen und theoretischen Bezugspunkte der Arbeit, Ethnographie und Praxis- und Performativitätstheorie skizziert. Methodologisch knüpft die vorliegende Arbeit an das von Isler und Knapp (2012: 13) thematisierte Desiderat an: „In Hinblick auf die hohe Komplexität des beruflichen Handelns im Kindergartenalltag sollten … vermehrt ‚natürliche‘, nicht standardisierte Daten erhoben und analysiert werden“, wie sie etwa die Ethnographie generiert. Für die vorliegende Arbeit wurden in einem dreimonatigen Feldaufenthalt mit Hilfe Teilnehmender Beobachtung, Audioaufnahmen und dem Sammeln von Dokumenten Daten erhoben. Besonders die Frage nach Alltagspraktiken in pädagogischen Settings, die nicht unbedingt reflexiv verfügbar sind, lässt sich mit einer ethnographisch ausgerichteten Arbeit ertragreich verfolgen (vgl. Zinnecker 2000; Thielen 2015; ausführlich Kapitel 4). Die Forschungsstrategie Ethnographie kann dabei (vgl. Reckwitz 2003: 298 in Rekurs auf Amann/Hirschauer (Hrsg.) 1997b und Berg/Fuchs (Hrsg.) 1993) die 20 Kepser verortet die Deutschdidaktik (2013: 52) als „eingreifende Kulturwissenschaft“. Die vorliegende Arbeit dagegen positioniert sich vor allem als Grundlagenforschung mit einigen Anregungen für die Praxis am Ende der Arbeit, auf deren Basis vertiefte pädagogische, in die Praxis intervenierende Konzepte entworfen werden können. 21 Zum Thema der Positionierung von Fachdidaktiken in Bezug auf Erziehungswissenschaft und Fachdisziplin vgl. auch Gerner (2006), der dieses Thema am Beispiel der Deutschdidaktik verhandelt. Ohne eine übergreifende Wissenschaft wie die Kulturwissenschaft zu postulieren, systematisiert er theoretische Bezüge zwischen Deutschdidaktik, Erziehungswissenschaft und Literaturwissenschaft. An dieser Stelle soll mit Kepser argumentiert werden, da unter dem Dach der Kulturwissenschaft auch die Soziologie ihren Platz findet, auf die ebenfalls in dieser Arbeit Bezug genommen wird.

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1 Einleitung

Materialität und, wie in der vorliegenden Arbeit, Sprachlichkeit von Praktiken dokumentieren und analysieren (vgl. auch Panagiotopoulou 2017b). Die vorliegende Arbeit reflektiert zudem Merkmale ethnographischen Schreibens und versucht damit, den forschenden Blick auf Literalität im Feld auch auf Literalität in der eigenen Disziplin zu übertragen. Dabei zeigt sich eine überraschende Strukturanalogie: die Marginalisierung von narrativen literalen Praktiken im Feld, aber auch in der Erziehungswissenschaft. Um ethische Implikationen von Forschung aufzuzeigen, werden Überlegungen zur situativen Abwägung von Werten im Forschungsprozess in Anlehnung an Hammersley und Traianou (2012) dokumentiert (vgl. Kapitel 4). Zur Auswertung der Daten wird die (Reflexive) Grounded Theory verwendet (Glaser/Strauss 1967/1998; Strauss 1994; Breuer 2010). Die Auswertung nach Grounded Theory, allein und in Interpretationsgruppen, erfolgt vorwiegend induktiv, kann aber auch Kontextwissen der Forscherin mit einbeziehen (Strauss 1994: 44). Ihre Weiterentwicklung durch Breuer (2010) verknüpft das Verfahren von Glaser und Strauss Verfahren mit einer Forderung, die Positionen der Forscher im Feld und im Auswertungsprozess zu reflektieren. Diese Forderung wird durch migrationspädagogische Überlegungen zur Position der Forscherin in wirkmächtigen Differenzkategorien im Feld, z.B. als ‚weiße‘ Mehrheitsangehörige, ergänzt. Auch die sprachenbezogene Position der lebensweltlich einsprachigen Forscherin, die viele im Feld gesprochene Sprachen nicht versteht, sowie die literalen Praktiken des Erstellens von Feldnotizen werden reflektiert (vgl. Kapitel 4). Praxistheorie (vgl. Kapitel 3) (Reckwitz 2003, 2008) ist mit Ethnographie gut kompatibel. Sie lenkt den Blick von einzelnen Akteuren weg auf Praktiken und bietet die Möglichkeit einer präzisen Beschreibung elementarpädagogischen Alltags. Sie ist für einen Fokus auf Sprache und Literalität gut geeignet, denn sprachliche und Zeichen verwendende Praktiken als „Praktiken der Repräsentation“ sind nach Reckwitz (2008: 203) ein wesentliches Element der Praxistheorie. Zudem ermöglicht das praxistheoretische Konstrukt der Praxis/Diskurs-Formationen (Reckwitz 2008) eine Perspektive über die Mikroebene hinaus. Die vorliegende Arbeit erprobt dieses bei Diehm, Kuhn und Machold (2013) und Kuhn (2013) dargelegte Konzept als eine der ersten empirischen Studien und möchte aufzeigen, wie Diskurse z.B. zu Migration oder ‚bildungsfernen Familien‘ in Alltagspraktiken resonieren. Auch die Performativitätstheorie (Wulf/Zirfas 2001, 2004, 2006, 2007) eignet sich in ihrem präzisen Vokabular zur Beschreibung z.B. von Ritualen für eine Studie im elementarpädagogischen Alltag. Die vorliegende Studie geht in Anlehnung an Kuhn (2013) davon aus, dass „der elementarpädagogische Alltag (…) permanent inszeniert und performativ hervorgebracht wird“ (Kuhn 2013: 21).

1.4 Zum Aufbau der Arbeit

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Zum Aufbau der Arbeit In den vorherigen Abschnitten (Kapitel 1) wurde das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie dargestellt. Die Fragestellung wurde aus dem Kontext von Forschung und bildungspolitischen Diskursen zu Migration, Sprache(n) und früher Kindheit entwickelt sowie aus dem Befund, dass es noch zu wenig Forschung über sprachliche Alltagspraktiken in Kindertagesstätten gibt. Die Arbeit wurde in der Kultur- bzw. Erziehungswissenschaft und in der Deutschdidaktik verortet. In Kapitel 2 werden theoretische Ansätze zu früher sprachlicher Bildung dargelegt. Der diffuse Begriff der „frühen Bildung“ wird in seiner Komplexität kurz skizziert und dem der eher defizitorientierten „frühen Förderung“ (vgl. Diehm 2012) gegenübergestellt. Es werden Verwendungen beider Konzepte in Bezug auf Sprache in Kindertagesstätten aufgezeigt. Anschließend werden die zwei Schwerpunkte der Arbeit, Mehrsprachigkeit und (frühe) Literalität, theoretisch konzeptionalisiert. Es werden Diskurse zu Mehrsprachigkeit als Defizit und Chance aufgezeigt (vgl. Gogolin 2010) und mögliche Gründe für ungleiche Bildungsbedingungen mehrsprachiger Kinder in Deutschland diskutiert. Anschließend wird Literalität definiert, wobei ein Schwerpunkt auf einem Konzept von Literalität als Bündel sozialer Praktiken liegt, die mit Schrift oder konzeptioneller Schriftlichkeit zusammenhängen (vgl. Isler 2014). Das Kapitel 3 zeigt die theoretischen Perspektiven der Arbeit auf, indem es die Praxistheorie nach Reckwitz (2003, 2008) mit einem besonderen Augenmerk auf dem Konzept der Praxis/Diskurs-Formationen (vgl. Reckwitz 2008) vorstellt. Es wird exemplarisch gezeigt, wie Praktiken und Diskurse konzeptionell zusammengefügt werden können. Danach wird die Performativitätstheorie nach Wulf und Zirfas (2001 u.a.) unter besonderer Berücksichtigung des Ritualbegriffs skizziert und aufgezeigt, warum der Ritualbegriff für eine Analyse elementarpädagogischer Praktiken fruchtbar ist. Abschließend wird die Kompatibilität von Praxisund Performativitätstheorie in Anlehnung an Kuhn (2013) dargelegt und reflektiert, welchen Nutzen diese Kombination für eine ethnographische Analyse elementarpädagogischer Praktiken bietet. In Kapitel 4 werden methodische und methodologische Grundlagen vorgestellt. Im Fokus steht hierbei die Präsentation der Ethnographie als eine erziehungswissenschaftliche Forschungsstrategie (vgl. Zinnecker 2000). Die sprachliche Verfasstheit der vorliegenden Ethnographie wird in Anlehnung an Clifford und Marcus (1986) u.a. reflektiert, um die Positionierung der Arbeit in Bezug auf ihren Gegenstand, Sprache im Kindergarten, selbstreflexiv zu verdeutlichen. Die Denkfigur der „Befremdung der eigenen Kultur“ (Amann/Hirschauer 1997) wird auf ihr Reifizierungsrisiko hin betrachtet und Potentiale erziehungswissenschaftlicher Ethnographie, etwa die Erforschung von Differenzkonstruktionen, aufge-

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1 Einleitung

zeigt. Die Auswertung der Daten geschieht mit Hilfe der Reflexive Grounded Theory. Hierbei handelt es sich um eine Weiterentwicklung der Grounded Theory von Glaser und Strauss (1967/1998) durch Breuer (2009), die Selbstreflexivität als Haltung im Auswertungsprozess fordert. Es folgen eine Beschreibung des Forschungsfelds, des Feldzugangs, der Positionierungen der Forscherin und der kommunikativen Validierung. Am Ende des Kapitels stehen Reflexionen über situative Abwägungen im Forschungsprozess aufgrund ethischer Dilemmata im Feld in Anlehnung an Hammersley und Traianou (2012). In den Kapiteln 5 und 6, in denen die Daten analysiert werden, ist das Ziel eine „dichte Beschreibung“ und die Interpretation von Alltagspraktiken und Artefakten im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit und früher Literalität. Kapitel 5 untersucht den auf den ersten Blick widersprüchlichen Umgang mit Mehrsprachigkeit in Praktiken und Artefakten im Kita-Alltag: Nicht-deutsche Familiensprachen werden verboten, ignoriert oder wertschätzend thematisiert, wobei häufig eine Komplexitätsreduktion der tatsächlich gesprochenen Sprachenvielfalt entlang der Dichotomie deutsch / nicht-deutsch geschieht. In Zuschreibungen, welches Kind welche Sprache spreche, kann eine komplexe Aufschichtung von Selbstpositionierungen und Fremdzuschreibungen aufgezeigt werden, wobei Englisch in einigen Praktiken als prestigehohe Sprache und Türkisch als verallgemeinernde Kategorie für ‚nicht-deutsche Migrationssprachen‘ thematisiert wird. Diese Praktiken im Umgang mit Sprachen stehen in Resonanz zu unterschiedlichen Diskursen zu Mehrsprachigkeit als Defizit bzw. als Gegenstand von Wertschätzung. Kapitel 6 untersucht praxis- und performativitätstheoretisch Praktiken, Artefakte und Rituale im Umgang mit Literalität. Dabei wird eine Bandbreite von Praktiken und Artefakten von einfachen Zeichen, die noch nicht als literal beschrieben werden, über literale Praktiken auf der Einwortebene bis zu komplexeren Praktiken im Umgang mit Bilderbüchern und Geschichten aufgezeigt, darunter auch bislang kaum erforschte Praktiken z.B. liturgischer Literalität. Das Kapitel ist entlang der Räumlichkeiten in der erforschten Kita strukturiert. Hierbei liegt der Befund zugrunde, dass in unterschiedlichen Räumen unterschiedlich stark alltagsintegrierte Literalitätspraktiken stattfinden. Zudem wird aufgezeigt, an wen sie adressiert sind und welche pädagogischen Diskurse – etwa zu ‚bildungsfernen‘ Familien, Ernährungserziehung oder Religionspädagogik – in Resonanz zu diesen Praktiken stehen. Das abschließende Fazit (Kapitel 7) zeigt zusammenfassend Grenzen und Chancen des theoretischen und methodisch-methodologischen Vorgehens auf, führt Erkenntnisse aus den Kapiteln zu Mehrsprachigkeit und Literalität verdichtet zusammen und zieht Vergleiche zwischen diesen Kapiteln. Es zeigt Desiderata für Fragestellungen aus der Erziehungswissenschaft, Deutschdidaktik und benachbar-

1.4 Zum Aufbau der Arbeit

15

ten Disziplinen auf, die im Rahmen dieser Dissertation nicht beantwortet werden konnten, und gibt zudem Anregungen an Erzieherinnen und Kita-Trägerverbände für die pädagogische Praxis sowie die strukturelle Ausstattung von Kindertageseinrichtungen, die sich aus der Studie ableiten lassen.

Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität

Ziele des Kapitels sind Positionierungen und Skizzen aktueller Forschungsdiskussionen zu grundlegenden Begriffen dieser Arbeit. Zunächst zeigt eine Skizze auf, wie „frühe Bildung“ bzw. „frühe sprachliche Bildung“ im Verhältnis zum Konzept der „frühen Förderung“ bzw. „Sprachförderung“ verwendet wird. Eine Positionierung stellt anschließend dar, wie der Begriff „Mehrsprachigkeit“ in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, skizziert Diskurse zu Mehrsprachigkeit als Defizit und Chance, Ressource und Bildungsziel und beleuchtet Bildungsbedingungen mehrsprachiger Kinder in Deutschland mit Fokus auf dem Kindergarten. Der dritte Abschnitt schließlich zeigt auf, welche Facetten des Begriffs „Literalität“ für die vorliegende Arbeit relevant sind. Er diskutiert zudem Aspekte des Themas Literalität und Bildungsbedingungen mit Schwerpunkt auf dem Kindergarten. In den folgenden Absätzen wird der Begriff „frühe sprachliche Bildung“ für die Zwecke der vorliegenden Studie vertieft dargestellt. Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung In den empirischen Kapiteln dieser Arbeit wird der Begriff „sprachliche Praktiken“ verwendet. Bildungspolitisch wird jedoch nicht von Praktiken gesprochen, sondern normativ frühe sprachliche Bildung und Förderung gefordert; diese Normativität ist auch in der erforschten Kindertagesstätte wirkmächtig. Daher werden sprachliche Praktiken in den empirischen Kapiteln auch im Hinblick auf Praxis/Diskursformationen zu früher (sprachlicher) Bildung und Förderung mit besonderen Schwerpunkten auf dem Umgang mit Mehrsprachigkeit und Literalität untersucht. Die folgenden Ausführungen beleuchten zunächst Diskurse zu den oft diffus verwendeten Begriffen „frühe (sprachliche) Bildung“ und „frühe (Sprach-) Förderung“. Beide sind nach Diehm (2018: 12) in den letzten Jahren „zu zentralen Topoi der aktuellen Bildungsdebatte geworden“.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Zettl, Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte, Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27031-5_2

18 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Frühe Bildung Der Begriff der Bildung ist allgegenwärtig in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen ebenso wie in der Bildungs- und Sozialpolitik. Nach Andresen (2009: 76) ist er ein „fuzzy concept“, ein vages oder unzureichend definiertes Konzept (vgl. auch Tenorth 1997: 970 und Ehrenspeck 2009: 156). Die Komplexität seiner möglichen Bedeutungen – historisch gewachsen und in den verschiedenen Disziplinen aufgefächert – ist eine Herausforderung für jeden, der diesen Begriff definieren möchte22. Im Folgenden werden schwerpunktmäßig Diskurse zu früher sprachlicher Bildung bzw. Förderung vorgestellt, die für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie relevant sein können. Zunächst soll dargestellt werden, wie das Konzept „frühe Bildung“ historisch entstand. Daran anschließend wird der innerhalb des Konzepts zentrale Begriff „früh“ definiert sowie (frühe) Bildung von (früher) Förderung abgegrenzt. „Bildung heißt das Zauberwort“ schreiben Honig und Neumann über die Tendenz der letzten 15 Jahre zum Ausbau „nicht-familialer Kleinkinderziehung“ und damit einher-gehender frühpädagogischer Forschung (2013: 4). Die beiden Konzepte Bildung und Kindergarten, so König (2009: 23), sind jedoch bereits seit den Anfängen des Kindergartens miteinander verknüpft23. Der Stellenwert und die Definitionen des Bildungsbegriffs für den Kindergarten in Deutschland haben sich seitdem immer wieder gewandelt. Reyer (2006: 211f.; vgl. auch Diehm 2012: 55) spricht von fünf „Verdichtungszonen“ zwischen 1850 und den 1970er Jahren, in denen der Kindergarten immer wieder als Bildungsinstitution, die der Schule anzunähern sei, in den Fokus bildungspolitischer Diskussionen rückte. Seit Anfang der 1990er Jahre ist ein erneuter Zuwachs an politischem Interesse und Bildungskonzeptionen zu diesem Thema zu konstatieren. 1990 stärkte das Kinder- und Jugendhilfegesetz den Bildungsauftrag des Kindergartens (vgl. Diehm 2012: 51f.). Der Ausbau von Kindergärten zu Kindertagesstätten und die Diskussion um deren Qualität, die Bildungsqualität als zentrale Größe einschließt, wurde seit 1996 (Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem 3. Lebensjahr) in Deutschland verstärkt geführt (vgl. König 2009: 49). Zeitgleich mit der Ausweitung des Angebots an Betreuungszeiten, -plätzen und -formen und der verstärkten Inanspruchnahme von Kindergartenplätzen (vgl. Bischoff 2017: 23) kam es ebenfalls immer wieder zu Debatten um Bildungsaufträge und Qualität in Kitas. Ein wichtiger Katalysator für bildungspolitische Diskussionen waren die enttäuschenden Ergebnisse der 22

Für kurze Einführungen in die Bedeutungsvielfalt des Begriffs „Bildung“ siehe z.B. Tenorth (1997) oder Ehrenspeck (2009). 23 Zur historischen Darstellung der Entwicklung des Kindergartens und seiner Bildungskonzeptionen vom 19. Jahrhundert bis ins 21. Jahrhundert vgl. Reyer (2006), König (2009: 23ff.), Schäfer (2011: 13ff.) und Bischoff (2017: 20ff.).

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

19

ersten PISA-Studie im Jahr 2000. Infolge des „Pisa-Schocks“ wurde politisch ein rascher Ausbau von „strukturell-organisatorische[n] Maßnahmen“ für Kinder in den ersten Lebensjahren bis zur Grundschulzeit gefordert (Fthenakis 2005a: 13), obwohl die PISA-Studien nicht belegen konnten, dass tatsächlich frühkindliche Bildungsdefizite Schuld am schlechten Abschneiden der 15-Jährigen trugen (vgl. ebd.). Der Ausbau dieser Maßnahmen für die frühe Kindheit ging zuweilen schneller vonstatten als eine konzeptionelle erziehungswissenschaftliche Reflexion darüber, „nach welchem Konzept Kinder gebildet und gefördert werden sollten“ (ebd.: 14). Als Konsequenz aus den Befunden der ersten PISA-Studie gelten auch die Bildungspläne für den vorschulischen Bildungsbereich, die in den verschiedenen Bundesländern ausgearbeitet wurden (vgl. König 2009: 39). Zudem wurde auch im Bereich der Erziehungswissenschaft eine vertiefte Reflexion darüber angestoßen, was unter „früher Bildung“ zu verstehen ist. Im folgenden Abschnitt soll hieran anschließend zunächst dargestellt werden, wie der Begriff „früh“ in erziehungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Konzepten sowie in dieser Arbeit verwendet wird. Danach sollen Diskussionen aus der aktuellen Debatte aufgenommen werden, die sich explizit auf die frühe Kindheit beziehen. Handelt es sich beim Begriff „Bildung“ um einen oftmals nur vage definierten Terminus, so kann diese Kritik in gleicher Weise für den Begriff „früh(kindlich)“ angeführt werden. Die Begriffe „frühkindliche Bildung“ und „frühe Bildung“ werden in der Forschung synonym verwendet24. Welche Altersstufen oder Institutionen darunter verstanden werden, darüber gibt es jedoch in Politik und Wissenschaft keinen Konsens25. Diese Vielfalt von Konzeptionen ist – wie bereits im vorherigen Absatz skizziert – den bildungspolitischen Debatten der letzten fünfzehn Jahre geschuldet, in denen so rasch neue Bildungspläne, Fördermaterialien und Forschungsprojekte entworfen wurden, dass keine begriffliche Klarheit geschaffen werden konnte. Trotz der zuweilen großen definitorischen Unterschiede sind die Konzeptionen von „früher Kindheit“ jedoch alle von zwei Faktoren beeinflusst. Der eine ist ein Bündel von erziehungswissenschaftlichen und entwicklungspsychologischen Diskursen darüber, was diesen spezifischen Lebensabschnitt an Erziehungs- und Entwicklungsaufgaben und Bildungsmöglichkeiten kennzeichnet. Der zweite ist institutionell definiert: als gesetzlich vorgegebene Altersgrenze (Alter bei der Einschulung) oder sich bildungs- und gesellschafts24

Vgl. z.B. Fried, Dippelhofer-Stiem, Honig und Liegle (Hrsg.) (2003), die in ihrem Sammelband beide Begriffe synonym verwenden. 25 Gloger-Tippelt (2009: 631) definiert im „Handbuch Bildungsforschung“ die „frühe Kindheit“ „nach einer pragmatischen Einteilung“ unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten als die Altersstufe vom 2.- 4. Lebensjahr. Braches-Chyrek, Röhner, Sünker und Hopf (2014: 11) definieren die frühe Kindheit als „Zeitraum von der Geburt des Kindes bis zum Übergang in die Schule“.

20 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität politisch neu konstituierende institutionelle Grenzlinie (Alter der jüngsten Kinder in der institutionellen Kinderbetreuung). Diese institutionellen Altersgrenzen sind wiederum indirekt vom ersten Faktor bestimmt, den Diskursen darüber, was in diesem spezifischen Lebensabschnitt für Kinder möglich und sinnvoll ist. Beide Faktoren können den Anschein einer Kategorisierung nach „natürlichen“ Kriterien erwecken, sind aber diskursive Konstruktionen (vgl. Kelle 2008: 187)26. Diese Zuschreibung trifft den Kernbereich der meisten oben zitierten Definitionsversuche27. Im folgenden Abschnitt wird die Semantik des Begriffs „frühe Bildung“ skizziert. Neuere Definitionsversuche von „früher Bildung“ aus der Pädagogik zeigen zwei unterschiedliche Ansätze, die sich in den letzten Jahren einander annähern. Der erste Ansatz bezeichnet Bildung als Selbstbildung des Kindes. Auf (frühe) Kindheit bezogen erscheint dieser Gedanke auch bereits bei Rousseau, Fröbel und Montessori (vgl. Diehm/Magyar-Haas 2011: 218; Schäfer 2011: 14) und steht in der geisteswissenschaftlichen Tradition der Erziehungswissenschaft. In ähnlicher Form schreibt Laewen (2008: 73f.): Trotz der Diffusität des Bildungsbegriffs gebe es seit Humboldt die Aussage, „dass sich das Subjekt – in unserer Untersuchung das Kind – über Bildung ins Verhältnis setzt zur Welt und zu sich selbst als einem Teil der Welt“. Laewens zentrale Definition setzt dieses Subjekt und seine Erfahrungen ins Zentrum: „Bildung ist in diesem Zusammenhang als Eigenanteil des Kindes an seiner Entwicklung gefasst und wird als Konstruktion eines Welt- und Selbstbildes auf der Grundlage der Erfahrungen des Kindes verstanden.“ (ebd.: 75)

Dieser Selbstbildungsansatz sieht vor, dass die pädagogischen Professionellen den Kindern Lernumwelten anbieten. Kritiker*innen dieses Ansatzes erklären jedoch, dass die Form, in der dies genau geschehe, oft unklar bleibe (vgl. König 2009: 40). Zudem benachteilige der Selbstbildungsansatz Kinder aus eher bildungsfernen Familien, die mehr gezielte Unterstützung bräuchten (Grell 2010: 161; Diehm/Magyar-Haas 2011: 220f.). Die zweite Perspektive auf frühe Bildung betont, Bildung sei ein „sozialer Prozess“, der „in einem spezifischen Kontext stattfindet“ 26 Der Begriff „früh“ oder ein verwandtes Konzept, das alle Altersstufen von Kindergartenkindern in der erforschten Kita beschreiben würde, wurde im Feld mir gegenüber nie angesprochen. Damit ist ausgeschlossen, hier einen „native term“ und die im Feld dafür verwendeten Definitionen zu verwenden. Statt einer Klassifizierung aller Kinder unterschieden die Kindergärtnerinnen semantisch innerhalb der gesamten Kindergruppe die „U3-Kinder“, die „Mittelkinder“ und die „Schulkinder“. 27 In der erforschten Kita zeigt sich auch: Biologisches Alter und die Klassifikation von „altersgerechtem Verhalten“ und damit institutionelle Einordnung stimmen nicht immer überein. So ist ein Siebenjähriger, der eigentlich seines Alters wegen in die erste Schulklasse gehen sollte, als „entwicklungsverzögert“ eingestuft und bleibt noch ein Jahr länger im Kindergarten. Da diese Zuschreibung im Feld wirkmächtig ist, wird auch der Siebenjährige in die vorliegende Untersuchung einbezogen.

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

21

(Fthenakis 2005b: 27). Bildung im postmodernen Sinn berücksichtige damit „interaktionale und prozessuale Aspekte pädagogischer Qualität“ (ebd.). Bei diesem Ansatz gibt es Ähnlichkeiten zum Konzept von Bildung als Ko-Konstruktion; dieses prägt seit den 1990er Jahren international das Bildungsverständnis im frühpädagogischen Bereich und ist dem sozialkonstruktivistischen Paradigma entlehnt (vgl. König 2009: 38). Diese beiden Konzepte von früher Bildung – als Selbstbildung bzw. als KoKonstruktion – können sich ergänzen. Diehm und Magyar-Haas (2011: 221) beispielsweise gehen davon aus, „dass Kinder bereits sehr früh sozial kompetente Akteure sind. Sie produzieren und reproduzieren sozialen Sinn und Bedeutungen (…). Dies geschieht jedoch stets eingebettet in einen sozialen und materiellen Kontext, auch den der Kindertagesstätte. (…) Es geht also nicht um eine generelle Zurückweisung des Selbstbildungsgedankens, vielmehr um die Akzentuierung eines Ungleichgewichts in der Aufgabenverteilung zwischen Erwachsenen und Kindern, zumal den weniger privilegierten.“

Vergleicht man die vorliegenden auf frühe Kindheit bezogenen Bildungsdefinitionen mit denen der auf spätere Lebensalter bezogenen Bildungsdebatten, fällt auf, dass Paradigmen aus der allgemeinen Bildungsdiskussion auch in die Debatten um „frühe Bildung“ übernommen werden. Der Aspekt der Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit für unterprivilegierte Kinder – wie schon aus dem Zitat von Diehm und Magyar-Haas im letzten Abschnitt deutlich wird – ist in Diskussionen um frühe Bildung diskursiv besonders stark vertreten. Frühe Förderung Wie verhält sich der Begriff „(frühe) Förderung“ in Abgrenzung zu „(früher) Bildung“? Den Förderbegriff zu reflektieren ist fruchtbar, da davon ausgegangen werden kann, dass die Semantik des Förderbegriffs den pädagogischen Alltag in Kindertagesstätten prägt. „Förderung“ erscheint in den Daten häufig in den Aussagen erwachsener Feldteilnehmender28 ebenso wie in der Bezeichnung für die zusätzlich angestellten Kräfte, die von staatlichen Programmen zur „Sprachförderung“ finanziert werden; der Begriff „Bildung“ erscheint im Datenmaterial an keiner Stelle. Zudem ist der Begriff „(frühe) Förderung“ in praxisrelevanten Diskursen zur Elementarpädagogik allgegenwärtig (vgl. Diehm 2012).

28

Für die vorliegende Arbeit werden diese Aussagen nicht vertieft dargestellt, da sie den Rahmen des mit dem Kita-Trägerverband abgesprochenen Forschungsvorhabens sprengen würden.

22 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Zunächst werden Aspekte des Förderbegriffs generell benannt, anschließend einige Spezifika „früher Förderung“ skizziert. Der Begriff des Förderns bedeutet seit der frühen Neuzeit unter anderem, jemandem oder etwas einen Vorteil zu verschaffen oder jemanden zu bestärken (vgl. Grimm/Grimm (Hrsg.) 1862/2017, Bd. 3, Spalte 1893f.). Bis heute hat der Begriff diesen transitiven Charakter behalten. Während der Bildungs-begriff reflexiv verwendet werden und auf Selbsttätigkeit im Austausch mit der Welt verweisen kann, ist ein Sich-selbst-Fördern undenkbar, eine zu fördernde Person braucht eine andere Person, die sie fördert29. Der Begriff erscheint als zentraler Topos vor allem in der Sonderpädagogik und Begabtenförderung (vgl. Klieme/Warwas 2011: 806, Diehm 2012: 59). In der Regel steht eine bestimmte Kompetenz oder Gruppe besonders förderwürdiger oder -bedürftiger Kinder im Fokus, die ein feststehendes Programm durchläuft. Diehm (2012: 50) schreibt, der Begriff der Förderung sei jedoch „definitorisch noch unterbestimmt“ (ebd.). Nach Klieme und Warwas (2011: 807), die über individuelle Förderung schreiben, hat dieser Terminus ebenfalls keine große Bedeutung in der Erziehungswissenschaft, da er „keinen spezifischen Begriffsinhalt habe“. Manchmal wird er synonym mit „Bildung“ gesetzt, wie bei Stamm (2011: 8): „Unter ‚frühkindlicher Bildung‘ versteht man die ganzheitliche und bewusste Förderung des Kindes zwischen 0 und 6 Jahren in emotionaler, sozialer, motorischer, physischer, sprachlicher, mathematischer und kognitiver Hinsicht. Diese Förderung findet in der Familie, genauso wie in institutionellen Angeboten statt.“ In dieser Definition steht nicht das Subjekt als sich selbsttätig bildendes im Zentrum, sondern das Empfangen von Anregungen. Klieme und Warwas argumentieren, gegenüber dem Bildungsbegriff habe der Förderbegriff eingeschränkte Konnotationen, da er auf kognitive Kompetenzen fokussiert sei (Klieme/Warwas 2011: 807). Kochs Artikel über Förderprogramme bestätigt dies. Förderprogramme sind für sie „ausgearbeitete Materialien, die auf einen bestimmten Fähigkeitsbereich gerichtet sind“, weniger auf „die Persönlichkeit oder Situation der zu fördernden Person“ (2011: 402). Für Klieme und Warwas (2011: 807) ist Erziehung, nicht Bildung, das Konzept, das Förderung am ähnlichsten ist30.

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In einem pädagogischen Kontext wurde „Fördern“ vermutlich von Goethe zum ersten Mal verwendet, nämlich in den „Wahlverwandtschaften“ von 1809: „Der Gehülfe prüfte sie [die Knaben, E. Zettl] nach seiner Weise und hatte durch mancherley Fragen und Wendungen gar bald die Gemüthsarten und Fähigkeiten der Kinder zutage gebracht und, ohne dass es so schien, in Zeit von weniger als einer Stunde sie wirklich bedeutend unterrichtet und gefördert.“ (Goethe 1809: 128, zit. aus Grimm/Grimm 1863/2017 Bd. 3 Spalte 1893). 30 Der Titel eines Fachsymposions des „Papilio“-Programms zur Fortbildung von Erzieherinnen in Essen (2013) verknüpft die Gleichsetzung von Erziehen und Fördern mit dem Topos des Kindes in ‚sozial benachteiligten Stadtvierteln‘: „Kinder in Brennpunkten: Erziehen heißt fördern“ (Mayer 2013: 1).

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

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Der Förderbegriff wird dafür kritisiert, dass er in seiner bildungspolitischen Ausprägung eine defizitorientierte Sichtweise propagiert, die vermeintliche Mängel einzelner Bevölkerungsgruppen, besonders von Menschen ‚mit Migrationshintergrund‘, ausgleichen möchte. Bereits 1999 beschrieben Diehm und Radtke die Verknüpfung des institutionellen Förderdiskurses mit einem Defizitdiskurs (1999: 26): „Am geläufigsten aber ist der Versuch, die Ursachen für mangelnden Bildungserfolg in den Eigenschaften der Kinder, ihrer Eltern, in ihrem familialen Umfeld und sozialen Herkunftsmilieu zu verorten.“ (ebd.: 53, Herv. i. O.). Durch diese Lesart werden Kinder ‚mit Migrationshintergrund‘ oft erst in „Förderstunden“ (ebd.: 26), dann in „Sonderschulen“ überwiesen, wo der „sonderpädagogische Förderbedarf zuverlässig ermittelt werde“ (ebd.: 56). An dieser Praxis hat sich wenig geändert (vgl. auch Gomolla/Radtke 2009), auch wenn die „Sonderschulen“ inzwischen zu „Förderschulen“ umbenannt wurden. In „Erziehung, Markt und Gerechtigkeit“ (2006) vertieft Radtke diese Gedanken und kritisiert, dass nach den PISA-Ergebnissen Gründe für die „ungleiche Verteilung der Bildungserfolge und -misserfolge“ nicht in institutionellen und politischen Gegebenheiten gesucht wurden, sondern in Defiziten individueller familiärer Sozialisation. Bildungsinstitutionen versuchten, diese zugeschriebenen Defizite durch Förderansätze auszugleichen, was erfolglos bleibe und damit für die betroffenen Kinder beschämend sei (vgl. ebd.: 56). Radtke kontrastiert diese Fördersemantik mit einem Konzept von Bildung nicht in Hinblick auf wirtschaftlichen Nutzen, sondern als Menschenrecht, auf das jeder Mensch im Sinn einer Teilhabegerechtigkeit Anspruch hat (vgl. ebd.: 57). Zudem ist der Begriff „Frühe Förderung“ in Bezug auf die frühe Kindheit als bildungspolitische Forderung sowie als pädagogisches Schlagwort „derzeit ubiquitär“ (Diehm 2012: 50). Auffallend am Konzept Früher Förderung ist: Da der Besuch vorschulischer Bildungseinrichtungen nicht verpflichtend ist, ist frühe Förderung an die Mithilfe der Eltern gekoppelt und damit auch an „Eltern- und Familienbildung“ (Diehm 2012: 59). Damit sind weitgehende Defizitkonstruktionen verknüpft, die sich auf „gesellschaftliche Risikogruppen“, vor allem Familien mit Migrationshintergrund, beziehen. Implizit zeigen sich auch „humankapitaltheoretische Nutzenkalküle“, die in der Semantik zu früher Bildung und Förderung mitschwingen (ebd.: 64). Frühe sprachliche Bildung und frühe Sprachförderung Im Folgenden wird zunächst beleuchtet, was unter „Sprachförderung“ bzw. „sprachlicher Bildung“ mit Schwerpunkt auf Sprache in vorschulischen Bildungseinrichtungen verstanden werden kann und was Chancen und Risiken dieser

24 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Konzeptionen sein können. Wie bereits „Bildung“ und „Förderung“ werden diese Begriffe alltagssprachlich oft diffus und auch in wissenschaftlichen Diskursen oft synonym verwendet31, gelegentlich wird auch der eine von beiden als Oberbegriff für den anderen gebraucht32. Zunächst wird skizziert, welche Konzeptionen von Sprache sich in Diskursen zu früher sprachlicher Bildung und Förderung zeigen. Anschließend wird eine Differenzierung der beiden Konzepte vorgenommen und Befunde zu ihrer empirischen Wirksamkeit vorgestellt. Zu Konzeptionen von Sprache in Diskursen zu früher sprachlicher Bildung und Sprachförderung In vielen Handreichungen zu früher sprachlicher Bildung und Sprachförderung wird der Begriff „Sprache“ nicht weiter definiert (vgl. z.B. Bröder 2012). Meist wird „Sprache“ synonym mit „Deutsch“ verwendet oder explizit als „Bildungssprache Deutsch“ (Schneider et al. 2012: 23) beschrieben (zum Begriff der Bildungssprache vgl. Abschnitt 2.3.5). Dialekte oder Soziolekte bleiben unerwähnt; wenn Mehrsprachigkeit thematisiert wird, geschieht dies oft in Hinblick auf den Nutzen des Erstspracherwerbs für das Erlernen des Deutschen (vgl. Knapp/Kucharz/Gasteiger-Klicpera 2010: 121 und Abschnitt 2.2.3). Nach Knapp, Kucharz und Gasteiger-Klicpera (2010: 92) hat Sprachförderung im Kindergarten das Ziel, „die Kompetenz (…) der Kinder zu steigern, so dass sie gleichberechtigte Bildungschancen haben.“ Sprache wird hier pragmatisch und zukunftsorientiert als Voraussetzung für Erfolg im Bildungssystem unter dem Aspekt von Chancengleichheit konzeptualisiert. Eine solche Zukunftsorientierung sprachlicher Bildung und Förderung findet sich häufig implizit oder explizit in Diskursen zu Sprache in vorschulischen Bildungseinrichtungen (vgl. z.B. Schneider et al. 2012: 4f.). Diese Orientierung zeigt sich auch in konkreten Hinweisen zum erfolgreichen Spracherwerb: „Lieder und Sprachspiele“ seien „förderlich“, da „Kinder nicht nur korrekte Muster dargeboten bekommen, sondern diese imitierend und analogiebildend wiederholen. Damit prägen sie sich sprachliche Muster auf 31

Ein Buch von Kucharz, Mackowiak und Beckerle (2015) etwa hat den Titel „Alltagsintegrierte Sprachförderung“. Seine Konzeption ist in vielen Aspekten vergleichbar mit dem Konzept „Alltagsintegrierter Sprachbildung“, das Schneider et al. (2012: 23) skizzieren. 32 So versteht Nickel (2014: 648) Sprachförderung als „Teil sprachlicher Bildung“, Schneider et al. (2012: 24) dagegen schreiben: „Der Begriff Sprachförderung wird häufig auch als Überbegriff verwendet und umfasst dann die hier definierten Begriffe sprachliche Bildung und Sprachförderung.“ Becker-Mrotzek und Roth (2018: 16) schreiben über die Semantik der Begriffe Sprachförderung und Sprachbildung und konstatieren eine zunehmende Trennung der Begriffe Sprachbildung und Sprachförderung bei zugleich noch uneinheitlichem Gebrauch.

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

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phonologischer, morphologischer und syntaktischer Ebene ein. Hier ist insbesondere der wiederholende Charakter hervorzuheben, der in lernpsychologischer Hinsicht für das Merken wertvoll ist“ (ebd.: 98). Der gleich mehrfache Nutzen von Liedern oder Sprachspielen für Lernprozesse wird betont, nicht aber ihre ästhetische Dimension. Wenn durch Sprache im Kindergarten positive Emotionen geweckt werden, sind diese kein Selbstzweck. Fühlt es sich wohl, „kann sich das Kind auf neue Sachverhalte besser einlassen“. (Knapp/Kucharz/GasteigerKlicpera 2010: 95). Zu dieser Orientierung schreibt der Sprachwissenschaftler Trabant, es sei „aktuell geworden, unter dem Ausdruck ‚Sprache’ ein rein rationales Bezeichnungs- und Kommunikationsinstrument zu verstehen, das in den schärfsten Gegensatz zu Emotionalem, zu Poetischem, zu Bildhaftem, zu den Künsten gestellt wird.“ (Trabant 2012: 312). Eine weiter gefasste Perspektive auf Sprache wäre es, sie als Selbstzweck, als Tor zu Phantasie und ästhetischem Erleben zu konzeptualisieren, wie sie bereits W. von Humboldts Sprachtheorie von 1830-35 entwirft. Sie beschreibt einen zweckfreien, poetischen Überschuss der Sprache33. Eine ähnliche Perspektive findet sich in der zeitgenössischen Erziehungswissenschaft bei Wulf (2007a: 42). Er betont die Notwendigkeit ästhetischer – u.a. sprachlicher – Bildung ganz in der Tradition Humboldts und grenzt sie von kognitiv orientierter Förderung ab: „Ästhetische Bildung zielt auf die Bildung der Sinne, der Vorstellungen, der Empfindungen (…). Ihre zentralen Bereiche sind Literatur, Kunst, Musik sowie die darstellenden Künste (…). Ästhetische Bildung ist deshalb unverzichtbar, weil in ihrem Rahmen Seiten des Menschen entwickelt werden, die in Gefahr sind vernachlässigt zu werden, wenn Erziehung vorwiegend auf die Förderung kognitiver Leistungen ausgerichtet ist (…). Wer nicht gelernt hat, sich an Literatur, Kunst und Theater zu erfreuen und aus dem Umgang mit diesen Formen der Kultur Freude und Sinn zu schöpfen, hat viele Möglichkeiten für ein erfülltes Leben nicht entwickeln können.“ 33

Humboldt betont, dass Sprachen nicht aus der bloßen Notwendigkeit zur Kommunikation entstanden seien, sondern seit ihren Ursprüngen auch eine zweckfreie ästhetische, poetische und musikalische Komponente hätten: „(…) zur Hülfsleistung hätten unarticulirte Laute ausgereicht. Die Sprache ist auch in ihren Anfängen durchaus menschlich und dehnt sich absichtslos auf alle Gegenstände zufälliger sinn-licher Wahrnehmung und innerer Bearbeitung aus. (…) Die Worte entquillen freiwillig, ohne Noth und Absicht, der Brust, und es mag wohl in keiner Einöde eine wandernde Horde gegeben haben, die nicht schon ihre Lieder besessen hätte“ (Humboldt 1830-35/1973: 54). Auch in seinen praktischen Überlegungen „Der Königsberger Schulplan“ betont Humboldt die Wichtigkeit des Sprachunterrichts (am Beispiel alter Sprachen), nicht nur für Kognition, sondern auch für Gedächtnis und Imagination: „Denn die Kenntnis der Sprache ist immer, als den Kopf aufhellend und Gedächtnis und Phantasie übend (…) nützlich“ (Humboldt 1809/1964: Bd. XX: 173f.). Dieser Nützlichkeitsbegriff ist nicht im Sinn der Aufklärung als Orientierung auf einen Beruf hin zu verstehen, sondern auf die Entfaltung der Persönlichkeit gerichtet und hebt damit zumindest in der Theorie auch die Trennung von Milieus auf: „Auch Griechisch gelernt zu haben könnte auf diese Weise dem Tischler ebenso wenig unnütz sein, als Tische zu machen dem Gelehrten“ (ebd.: 174).

26 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Wulfs Lob auf ästhetische Bildung wird in Diskursen zu früher sprachliche Bildung bzw. Förderung kaum aufgegriffen; beide Begriffe gehen bislang in ihrem Konzept von Sprache eher von einem nützlichkeits- und schulbildungsorientierten Sprachbegriff aus, der „Freude und Sinn“ z.B. im Rezipieren von Literatur hintanstellt34. Alltagsintegrierte Sprachbildung und segregierende Sprachförderung Im Folgenden wird in Anlehnung an Nickel (2014), Schneider et al. (2012) und Becker-Mrotzek/Roth (2018: 17) eine Differenzierung der beiden Konzepte vorgenommen. Nickel (2014: 647f.) schreibt über „Sprachliche Bildung und Sprachförderung in der KiTa“: „Sprachliche Bildungsarbeit [Herv. i. O.] legt den Akzent ausdrücklich auf Bildung als Selbstbildung. Pädagogisch inszenierte Angebote werden wirksam, wenn sie von Kindern eigenaktiv wahrgenommen und verarbeitet werden. Sprachliche Bildungsarbeit richtet sich an alle Kinder (…)“. (ebd.: 647).

Im Fokus sprachlicher Bildung, so Nickel (ebd.), stehen besonders „nicht-strukturorientierte Verfahren [Herv. i. O.], die sich auf die Erweiterung der kommunikativen Handlungsmöglichkeiten der Kinder richten.“ Dabei werden nicht sprachstrukturelle Übungen durchgeführt, sondern es wird in authentischen Situationen möglichst anregend kommuniziert, um Kinder zu motivieren, sprachlich zu handeln und um ihre kommunikativen Fähigkeiten zu stärken (vgl. ebd.: 647f.). Dieser Ansatz wird ergänzt „durch die Fähigkeit zum expliziten Lernen“: „Planvoll gestaltete, inszenierte Interaktionen können es Kindern ermöglichen, neben der pragmatischen Sprachhandlungskompetenz narrative Strategien sowie ein erstes sprachsystematisches Wissen zu erwerben.“ (ebd.: 648) 35

Schneider et al. vertiefen diese Aspekte in ihren Überlegungen zur Weiterbildung von Erzieher*innen (2012: 30) in „Alltagsintegrierter Sprachbildung“:

34 Dagegen scheint das zweckfreie, rein gegenwartsbezogene ästhetische Vergnügen von Kindergartenkindern etwa an Sprachspielen und Geschichten in der Praxis durchaus häufig zu sein. Über ästhetisches Erleben von Kindergartenkindern zu forschen, ohne es für einen späteren sprachlichen oder sonstigen Nutzen zu instrumentalisieren, dürfte Thema einer eigenen Arbeit sein. 35 Auch wenn es hier nicht explizit erwähnt wird, kann dieser Satz auch unter dem Aspekt von Bildung als Ko-Konstruktion im Sinne des Abschnitts über „Frühe Bildung“ gelesen werden.

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

27

„Es geht darum, Gelegenheiten im Alltag zu schaffen und zu nutzen, in denen Erzieherinnen und Kinder möglichst häufig möglichst lang anhaltende Gespräche führen.“

Nicht nur die Quantität, sondern die Qualität ist dabei entscheidend. Erzieher*innen sollen lernen, ihr eigenes Sprechen zu reflektieren und z.B. verstärkt handlungsbegleitend sprechen, die Kinder zu möglichst komplexen Äußerungen anregen und Fragen stellen, die zum Beschreiben oder Erklären herausfordern. Sie sollen Rückmeldungen geben und Kinderäußerungen thematisch erweitern. Dies kann etwa durch dialogisches Bilderbuchbetrachten, die Bereitstellung von Rollenspiel-Ecken oder Projekte geschehen (vgl. ebd.) Die Kinder werden dabei angeregt, über Dinge zu sprechen, die für sie bedeutsam sind („focus on meaning“) (ebd.), damit sie ihren Wortschatz erweitern können; im Verwenden etwa von Reimen und Sprachspielen wird der Fokus auf Sprachstrukturelles gelenkt („focus on form and structure“) (ebd.); das Interesse an Schrift („focus on print“) (ebd.) soll ebenfalls geweckt werden. Einem so verstandenen Konzept früher sprachlicher Bildung für alle Kinder stellt Nickel Sprachförderung gegenüber, die an bestimmte Zielgruppen gerichtet strukturorientiert arbeitet: „Sprachförderung im engeren Sinne ist ein spezifischer Teil der sprachlichen Bildung und zielt auf einen gezielten und strukturierten Aufbau sprachlicher Fähigkeiten. Entsprechend richtet sich Sprachförderung an Kinder, die über weniger entwickelte sprachliche Kompetenzen verfügen. (…) Grundsätzlich wird postuliert, dass eine auf kommunikative Fähigkeiten abzielende sprachliche Bildungsarbeit für alle Kinder den Grundstein legt, sprachstrukturelle Zugänge aber für mehrsprachige Kinder und/oder für Kinder mit gering ausgebildeten sprachlichen Kompetenzen zusätzlich notwendig sein können (Ruberg/Rothweiler 2012). (…) Sprachförderung nutzt insbesondere strukturorientierte Verfahren, die auf den Erwerb sprachstruktureller Komponenten wie Verbzweitstellung, Gebrauch von Kasus und Genus etc. abzielen.“ (Nickel 2014: 648, Herv. i. O.)

Diese Sprachförderung wird auch als „inszenierte“, „spezifische“, „additive“ (vgl. Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 93), „segregierende“ oder „segregierte36“ (Diehm/Radtke 1999: 130; Diehm/Magyar-Haas 2010: 111) bezeichnet. Sie richtet sich an bestimmte, häufig durch vorgängige Diagnostik definierte Zielgruppen (vgl. Abschnitt 2.2.4 zu mehrsprachigen Kindern als Klientel) und zielt darauf ab – wie schon im Abschnitt über Förderung allgemein erwähnt – Defizite im Vergleich zu nicht förderbedürftigen Kindern zu reduzieren. Die Maßnahmen reichen hier von strukturierten Programmen mit vorgefertigten Materialien, die alle zu 36

Diehm und Magyar-Haas verwenden in ihrem englischen Aufsatz das Wort „segregated“ (2010: 111).

28 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität fördernden Kinder durchlaufen, bis zu offeneren Konzepten, die nur die Prinzipien der Gestaltung von Fördersituationen festlegen (vgl. Nickel 2014: 648). Kucharz, Mackowiak und Beckerle (2015: 95) schreiben kritisch: „Die Förderung selbst mit ihren Spielen, Materialien und Übungen findet in der Regel losgelöst von der Alltags-, Spiel- und Interessenssituation der Kinder statt.“ Ein Bestandteil des Begriffs „frühe Sprachförderung“ ist auch seine defizitäre Verwendung. In Praxishandreichungen37 und ihren Begründungen für die Notwendigkeit von Sprachförderung zeigt sich sogar eine „doppelte Defizitkonstruktion“ (Kuhn 2013: 15f.)38: Sowohl zu fördernde Kinder und ihre Familien als auch noch nicht genügend professionalisierte Fachkräfte39 werden als defizitär dargestellt. Bröder (2012: 21) schreibt, Familien hätten oft zu wenig Zeit zum Sprechen mit Kindern. Daher habe „die Kita eine wichtige kompensatorische Bedeutung, indem die Erzieherinnen sich Raum und Zeit dafür nehmen, mit den Kindern zu sprechen“. Bei Knapp, Kucharz und Gasteiger-Klicpera heißt es (2010: 133): „Diese Eltern [Eltern, die ihren Kindern nicht vorlesen, E. Zettl] benachteiligen ihre Kinder in hohem Maße, da Vorlesen an sich einen wichtigen Beitrag zum späteren Lernerfolg von Kindern darstellt.“ Daher werden auch die Eltern in Vorleseangebote eingebunden und somit in ihrer erzieherischen Kompetenz gefördert. Diehm bemerkt hierzu, dass die Ausweitung des pädagogischen Anspruchs auf die frühe Kindheit zu einem institutionalisierten „Zugriff auf die Familie als Sozialisations- und Erziehungsinstanz“ (Diehm 2012: 51) führt. In seiner Praxishandreichung beschreibt Ueffing (2009: 4) eine Defizitzuschreibung an Erzieher*innen: „Sprachförderung ist nach Pisa als Schlagwort in aller Munde. Es wird als mehr oder weniger dezente Forderung in den Raum gestellt, dass im Kindergarten mehr und besser gefördert werden sollte.“ (vgl. auch Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9). Auffällig ist bei beiden Defizitzuschreibungen: Sprachförderung hat als Zielgruppe Milieus mit vermeintlichen Bildungsdefiziten: das der „Risikofamilien“ vor allem mit Migrationshintergrund (vgl. Diehm/Machold 2017: 311) und das der noch nicht ausreichend ausgebildeten pädagogischen Professionellen.

37

Eine Diskursanalyse solcher Handreichungen wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit. Kuhn beschreibt diese Konstruktion in Hinblick auf Familien ‚mit Migrationshintergrund‘, aber sie kann auch allgemeiner auf ‚bildungsferne Risikofamilien‘ bezogen werden. 39 Zu einer Studie über den Professionalisierungsbedarf elementarpädagogischer Fachkräfte in Hinblick auf Sprachförderung vgl. Müller, Schulz, Geyer und Smits (2017). Auch hier lautet das Fazit, dass es einen solchen Bedarf gebe (vgl. ebd.: 451). 38

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

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Befunde zur Wirksamkeit von Sprachförderung und sprachlicher Bildung in vorschulischen Bildungseinrichtungen Zur Wirksamkeit von Sprachförderung und sprachlicher Bildung in vorschulischen Bildungseinrichtungen gibt es ein „deutliches Forschungsdesiderat“ (Nickel 2014: 649; vgl. auch Schneider et al, 2012: 9; Egert 2017: 31). Viele segregierende Sprachförderprogramme wurden nicht evaluiert (vgl. Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9) oder zeigen trotz hohen personellen und finanziellen Aufwands enttäuschende Ergebnisse (vgl. Schneider 2012: 9; Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 93, Beckerle 2017: 23ff.). Bereits 2010 wurde in der Evaluation des flächendeckenden baden-württembergischen Sprachförderprogramms „Sag mal was“ gezeigt: Die linguistisch aufwändig konzeptualisierte segregierende Deutschförderung in Kleingruppen zeigt unter keinem der im Förderprogramm anvisierten Aspekte von Sprachkompetenz positive Wirkung. Die geförderten Kinder, mehrheitlich Kinder, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, holen im Vergleich zu nicht geförderten Kindern nicht auf. Der Zuwachs an Sprachkompetenz im untersuchten Zeitraum kann vielmehr auch durch die im Untersuchungszeitraum ohnehin stattfindende kindliche Sprachentwicklung erklärt werden (vgl. GasteigerKlicpera/Knapp/Kucharz 2010). Wenig empirisches Wissen ist auch über die Qualität der Umsetzung vorhandener Programme vorhanden (vgl. Titz/Hasselhorn 2018: 291), so dass häufig unklar ist, ob die enttäuschenden Evaluationsergebnisse durch die Programme selbst oder ihre Umsetzung verursacht wurden (vgl. Schneider 2012: 10; für eine Metaanalyse über Sprachförderung für mehrsprachige Kinder vgl. Egert 2017; Titz/Hasselhorn 2018). Zudem zeigen Videoanalysen, dass Kinder in segregierenden Sprachfördersituationen, deren Inhalte losgelöst von ihrem Alltag erscheinen, oft wenig motiviert sind (vgl. Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 95). Dennoch werden diese Programme weitergeführt, dabei aber zunehmend durch Konzepte alltagsintegrierter sprachlicher Bildung ergänzt. Empirische Befunde über die Wirksamkeit alltagsintegrierter sprachlicher Bildung liegen bislang „nur vereinzelt vor, legen aber den Schluss nahe, dass es sich um eine durchaus erfolgversprechende Art der Sprachförderung handelt“ (Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9). Expert*innen sprechen sich daher generell für eine Weiterqualifizierung von Fachkräften als erfolgversprechende Strategie aus (vgl. Nickel 2014: 649, Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9f., Beckerle 2017; in Bezug auf mehrsprachige Kinder vgl. Egert 2017: 32; Titz/Hasselhorn 2018: 291f.). Erste Ergebnisse aus einem Weiterqualifizierungsprojekt (Beckerle 2017: 221) zeigen: „Die teilnehmenden Pädagoginnen verbesserten ihre Sprachförderkompetenzen; ein Teil der teilnehmenden Kinder verbesserten ihre Sprachkompetenzen“.

30 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Es besteht auch hier jedoch weiterer Forschungsbedarf40; Becker-Mrotzek und Roth (2018: 17) sowie Titz und Hasselhorn (2018: 291) warnen davor, vorschnell das Konzept von Sprachförderung für einzelne Kinder mit Förderbedarf zugunsten alltagsintegrierter sprachlicher Bildung abzulehnen, da dies die Kinder mit Förderbedarf benachteilige; sie plädieren dafür, individuelle Sprachförderung für einige Kinder weiterhin neben alltagsintegrierter sprachlicher Bildung für alle Kinder anzubieten. Ein ergänzender Befund, der für segregierte wie für alltagsintegrierte Settings Gültigkeit besitzt, lautet: Nach Egerts Metaanalyse (2017: 32) ist dialogisches Bilderbuchlesen für mehrsprachige Kinder eine erfolgversprechende Methode, wenn die Fachkräfte entsprechend weitergebildet werden. Chancen früher sprachlicher Bildung und Förderung Kuhn (2013: 19) schreibt über Konzeptionen und mögliche Effekte früher Sprachförderung: „Hier soll nicht in Abrede gestellt werden, dass Sprachfördermaßnahmen mit dazu beitragen können, bestehende Bildungsungleichheiten abzubauen. Wenn sich bildungspolitische Lösungsvorschläge allerdings allein auf die sprachliche Angleichung einer diskriminierten Gruppe an eine nicht infrage gestellte monolinguale Norm beschränken, dann trägt letztlich die ohnehin schon benachteiligte Gruppe die Verantwortung für ihre Benachteiligung aufgrund der Abweichung von der mehrheitssprachlichen Norm selbst. (Herv. i.O.)“

Sie formuliert in dieser Aussage nicht nur Kritik an der Förderung des Monolingualismus (vgl. Abschnitte 2.2.2- 2.2.3 zu Mehrsprachigkeit), sondern auch die Hoffnung, dass Bildungschancen unter anderem durch Sprachförderung verbessert werden können. Auch Diehm (2012: 63) gibt trotz ihrer Kritik zu bedenken: „Die Aufmerksamkeit, mit der die frühen Lebensjahre als Bildungsjahre derzeit bedacht werden, birgt für das einzelne Kind die Chance, seine Bildungspotentiale optimaler zu entfalten und mithin seine individuelle Zukunft positiv zu beeinflussen.“ Die vorliegende Arbeit folgt den Aussagen Diehms und Kuhns. Generell besteht trotz aller Kritik Anlass zur Hoffnung, dass ein verstärkter Fokus auf Sprache in Kindertagesstätten einen Beitrag zu höherer Chancengleichheit leistet.

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Vgl. auch die laufenden Forschungsprojekte für den Elementarbereich von Isler et al. (https://www.phtg.ch/forschung/forschungsbereiche/forschungsabteilung/aktuelle-projekte) sowie das laufende Projekt „SPRÜNGE“ (https://www.uni-frankfurt.de/62215284/SPRUENGE) von Betz, Kucharz und Mehlem, das die Wirksamkeit von Sprachförderung im Übergang Kindergarten- Grundschule untersucht (Abfragen 8.11. 2018).

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

31

Im Folgenden wird zunächst beleuchtet, was unter „Sprachförderung“ bzw. „sprachlicher Bildung“ mit Schwerpunkt auf Sprache in vorschulischen Bildungseinrichtungen verstanden werden kann und was Chancen und Risiken dieser Konzeptionen sein können. Wie bereits „Bildung“ und „Förderung“ werden diese Begriffe alltagssprachlich oft diffus und auch in wissenschaftlichen Diskursen oft synonym verwendet41, gelegentlich wird auch der eine von beiden als Oberbegriff für den anderen gebraucht42. Zunächst wird skizziert, welche Konzeptionen von Sprache sich in Diskursen zu früher sprachlicher Bildung und Förderung zeigen. Anschließend wird eine Differenzierung der beiden Konzepte vorgenommen und Befunde zu ihrer empirischen Wirksamkeit vorgestellt. Zu Konzeptionen von Sprache in Diskursen zu früher sprachlicher Bildung und Sprachförderung In vielen Handreichungen zu früher sprachlicher Bildung und Sprachförderung wird der Begriff „Sprache“ nicht weiter definiert (vgl. z.B. Bröder 2012). Meist wird „Sprache“ synonym mit „Deutsch“ verwendet oder explizit als „Bildungssprache Deutsch“ (Schneider et al. 2012: 23) beschrieben (zum Begriff der Bildungssprache vgl. Abschnitt 2.3.5). Dialekte oder Soziolekte bleiben unerwähnt; wenn Mehrsprachigkeit thematisiert wird, geschieht dies oft in Hinblick auf den Nutzen des Erstspracherwerbs für das Erlernen des Deutschen (vgl. Knapp/Kucharz/Gasteiger-Klicpera 2010: 121 und Abschnitt 2.2.3). Nach Knapp, Kucharz und Gasteiger-Klicpera (2010: 92) hat Sprachförderung im Kindergarten das Ziel, „die Kompetenz (…) der Kinder zu steigern, so dass sie gleichberechtigte Bildungschancen haben.“ Sprache wird hier pragmatisch und zukunftsorientiert als Voraussetzung für Erfolg im Bildungssystem unter dem Aspekt von Chancengleichheit konzeptualisiert. Eine solche Zukunftsorientierung sprachlicher Bildung und Förderung findet sich häufig implizit oder explizit in Diskursen zu Sprache in vorschulischen Bildungseinrichtungen (vgl. z.B. Schneider et al. 2012: 4f.). 41

Ein Buch von Kucharz, Mackowiak und Beckerle (2015) etwa hat den Titel „Alltagsintegrierte Sprachförderung“. Seine Konzeption ist in vielen Aspekten vergleichbar mit dem Konzept „Alltagsintegrierter Sprachbildung“, das Schneider et al. (2012: 23) skizzieren. 42 So versteht Nickel (2014: 648) Sprachförderung als „Teil sprachlicher Bildung“, Schneider et al. (2012: 24) dagegen schreiben: „Der Begriff Sprachförderung wird häufig auch als Überbegriff verwendet und umfasst dann die hier definierten Begriffe sprachliche Bildung und Sprachförderung.“ Becker-Mrotzek und Roth (2018: 16) schreiben über die Semantik der Begriffe Sprachförderung und Sprachbildung und konstatieren eine zunehmende Trennung der Begriffe Sprachbildung und Sprachförderung bei zugleich noch uneinheitlichem Gebrauch.

32 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Diese Orientierung zeigt sich auch in konkreten Hinweisen zum erfolgreichen Spracherwerb: „Lieder und Sprachspiele“ seien „förderlich“, da „Kinder nicht nur korrekte Muster dargeboten bekommen, sondern diese imitierend und analogiebildend wiederholen. Damit prägen sie sich sprachliche Muster auf phonologischer, morphologischer und syntaktischer Ebene ein. Hier ist insbesondere der wiederholende Charakter hervorzuheben, der in lernpsychologischer Hinsicht für das Merken wertvoll ist“ (ebd.: 98). Der gleich mehrfache Nutzen von Liedern oder Sprachspielen für Lernprozesse wird betont, nicht aber ihre ästhetische Dimension. Wenn durch Sprache im Kindergarten positive Emotionen geweckt werden, sind diese kein Selbstzweck. Fühlt es sich wohl, „kann sich das Kind auf neue Sachverhalte besser einlassen“. (Knapp/Kucharz/Gasteiger-Klicpera 2010: 95). Zu dieser Orientierung schreibt der Sprachwissenschaftler Trabant, es sei „aktuell geworden, unter dem Ausdruck ‚Sprache’ ein rein rationales Bezeichnungs- und Kommunikationsinstrument zu verstehen, das in den schärfsten Gegensatz zu Emotionalem, zu Poetischem, zu Bildhaftem, zu den Künsten gestellt wird.“ (Trabant 2012: 312). Eine weiter gefasste Perspektive auf Sprache wäre es, sie als Selbstzweck, als Tor zu Phantasie und ästhetischem Erleben zu konzeptualisieren, wie sie bereits W. von Humboldts Sprachtheorie von 1830-35 entwirft. Sie beschreibt einen zweckfreien, poetischen Überschuss der Sprache43. Eine ähnliche Perspektive findet sich in der zeitgenössischen Erziehungswissenschaft bei Wulf (2007a: 42). Er betont die Notwendigkeit ästhetischer – u.a. sprachlicher – Bildung ganz in der Tradition Humboldts und grenzt sie von kognitiv orientierter Förderung ab: „Ästhetische Bildung zielt auf die Bildung der Sinne, der Vorstellungen, der Empfindungen (…). Ihre zentralen Bereiche sind Literatur, Kunst, Musik sowie die darstellenden Künste (…). Ästhetische Bildung ist deshalb unverzichtbar, weil in ihrem Rahmen Seiten des Menschen entwickelt werden, die in Gefahr sind vernachlässigt zu 43

Humboldt betont, dass Sprachen nicht aus der bloßen Notwendigkeit zur Kommunikation entstanden seien, sondern seit ihren Ursprüngen auch eine zweckfreie ästhetische, poetische und musikalische Komponente hätten: „(…) zur Hülfsleistung hätten unarticulirte Laute ausgereicht. Die Sprache ist auch in ihren Anfängen durchaus menschlich und dehnt sich absichtslos auf alle Gegenstände zufälliger sinn-licher Wahrnehmung und innerer Bearbeitung aus. (…) Die Worte entquillen freiwillig, ohne Noth und Absicht, der Brust, und es mag wohl in keiner Einöde eine wandernde Horde gegeben haben, die nicht schon ihre Lieder besessen hätte“ (Humboldt 1830-35/1973: 54). Auch in seinen praktischen Überlegungen „Der Königsberger Schulplan“ betont Humboldt die Wichtigkeit des Sprachunterrichts (am Beispiel alter Sprachen), nicht nur für Kognition, sondern auch für Gedächtnis und Imagination: „Denn die Kenntnis der Sprache ist immer, als den Kopf aufhellend und Gedächtnis und Phantasie übend (…) nützlich“ (Humboldt 1809/1964: Bd. XX: 173f.). Dieser Nützlichkeitsbegriff ist nicht im Sinn der Aufklärung als Orientierung auf einen Beruf hin zu verstehen, sondern auf die Entfaltung der Persönlichkeit gerichtet und hebt damit zumindest in der Theorie auch die Trennung von Milieus auf: „Auch Griechisch gelernt zu haben könnte auf diese Weise dem Tischler ebenso wenig unnütz sein, als Tische zu machen dem Gelehrten“ (ebd.: 174).

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

33

werden, wenn Erziehung vorwiegend auf die Förderung kognitiver Leistungen ausgerichtet ist (…). Wer nicht gelernt hat, sich an Literatur, Kunst und Theater zu erfreuen und aus dem Umgang mit diesen Formen der Kultur Freude und Sinn zu schöpfen, hat viele Möglichkeiten für ein erfülltes Leben nicht entwickeln können.“

Wulfs Lob auf ästhetische Bildung wird in Diskursen zu früher sprachliche Bildung bzw. Förderung kaum aufgegriffen. Beide Begriffe gehen bislang in ihrem Konzept von Sprache eher von einem nützlichkeits- und schulbildungsorientierten Sprachbegriff aus, der „Freude und Sinn“ z.B. im Rezipieren von Literatur hintanstellt44. Alltagsintegrierte Sprachbildung und segregierende Sprachförderung Im Folgenden wird in Anlehnung an Nickel (2014), Schneider et al. (2012) und Becker-Mrotzek/Roth (2018: 17) eine Differenzierung der beiden Konzepte vorgenommen. Nickel (2014: 647f.) schreibt über „Sprachliche Bildung und Sprachförderung in der KiTa“: „Sprachliche Bildungsarbeit [Herv. i. O.] legt den Akzent ausdrücklich auf Bildung als Selbstbildung. Pädagogisch inszenierte Angebote werden wirksam, wenn sie von Kindern eigenaktiv wahrgenommen und verarbeitet werden. Sprachliche Bildungsarbeit richtet sich an alle Kinder (…)“. (ebd.: 647).

Im Fokus sprachlicher Bildung, so Nickel (ebd.), stehen besonders „nicht-strukturorientierte Verfahren [Herv. i. O.], die sich auf die Erweiterung der kommunikativen Handlungsmöglichkeiten der Kinder richten.“ Dabei werden nicht sprachstrukturelle Übungen durchgeführt, sondern es wird in authentischen Situationen möglichst anregend kommuniziert, um Kinder zu motivieren, sprachlich zu handeln und um ihre kommunikativen Fähigkeiten zu stärken (vgl. ebd.: 647f.). Dieser Ansatz wird ergänzt „durch die Fähigkeit zum expliziten Lernen“: „Planvoll gestaltete, inszenierte Interaktionen können es Kindern ermöglichen, neben der pragmatischen Sprachhandlungskompetenz narrative Strategien sowie ein erstes sprachsystematisches Wissen zu erwerben.“ (ebd.: 648)45

44 Dagegen scheint das zweckfreie, rein gegenwartsbezogene ästhetische Vergnügen von Kindergartenkindern etwa an Sprachspielen und Geschichten in der Praxis durchaus häufig zu sein. Über ästhetisches Erleben von Kindergartenkindern zu forschen, ohne es für einen späteren sprachlichen oder sonstigen Nutzen zu instrumentalisieren, dürfte Thema einer eigenen Arbeit sein. 45 Auch wenn es hier nicht explizit erwähnt wird, kann dieser Satz auch unter dem Aspekt von Bildung als Ko-Konstruktion im Sinne des Abschnitts über „Frühe Bildung“ gelesen werden.

34 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Schneider et al. vertiefen diese Aspekte in ihren Überlegungen zur Weiterbildung von Erzieher*innen (2012: 30) in „Alltagsintegrierter Sprachbildung“: „Es geht darum, Gelegenheiten im Alltag zu schaffen und zu nutzen, in denen Erzieherinnen und Kinder möglichst häufig möglichst lang anhaltende Gespräche führen.“

Nicht nur die Quantität, sondern die Qualität ist dabei entscheidend. Erzieher*innen sollen lernen, ihr eigenes Sprechen zu reflektieren und z.B. verstärkt handlungsbegleitend sprechen, die Kinder zu möglichst komplexen Äußerungen anregen und Fragen stellen, die zum Beschreiben oder Erklären herausfordern. Sie sollen Rückmeldungen geben und Kinderäußerungen thematisch erweitern. Dies kann etwa durch dialogisches Bilderbuchbetrachten, die Bereitstellung von Rollenspiel-Ecken oder Projekte geschehen (vgl. ebd.) Die Kinder werden dabei angeregt, über Dinge zu sprechen, die für sie bedeutsam sind („focus on meaning“) (ebd.), damit sie ihren Wortschatz erweitern können; im Verwenden etwa von Reimen und Sprachspielen wird der Fokus auf Sprachstrukturelles gelenkt („focus on form and structure“) (ebd.); das Interesse an Schrift („focus on print“) (ebd.) soll ebenfalls geweckt werden. Einem so verstandenen Konzept früher sprachlicher Bildung für alle Kinder stellt Nickel Sprachförderung gegenüber, die an bestimmte Zielgruppen gerichtet strukturorientiert arbeitet: „Sprachförderung im engeren Sinne ist ein spezifischer Teil der sprachlichen Bildung und zielt auf einen gezielten und strukturierten Aufbau sprachlicher Fähigkeiten. Entsprechend richtet sich Sprachförderung an Kinder, die über weniger entwickelte sprachliche Kompetenzen verfügen. (…) Grundsätzlich wird postuliert, dass eine auf kommunikative Fähigkeiten abzielende sprachliche Bildungsarbeit für alle Kinder den Grundstein legt, sprachstrukturelle Zugänge aber für mehrsprachige Kinder und/oder für Kinder mit gering ausgebildeten sprachlichen Kompetenzen zusätzlich notwendig sein können (Ruberg/Rothweiler 2012). (…) Sprachförderung nutzt insbesondere strukturorientierte Verfahren, die auf den Erwerb sprachstruktureller Komponenten wie Verbzweitstellung, Gebrauch von Kasus und Genus etc. abzielen.“ (Nickel 2014: 648, Herv. i. O.)

Diese Sprachförderung wird auch als „inszenierte“, „spezifische“, „additive“ (vgl. Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 93), „segregierende“ oder „segregierte46“ (Diehm/Radtke 1999: 130; Diehm/Magyar-Haas 2010: 111) bezeichnet. Sie richtet sich an bestimmte, häufig durch vorgängige Diagnostik definierte Zielgruppen (vgl. Abschnitt 2.2.4 zu mehrsprachigen Kindern als Klientel) und zielt darauf ab 46

Diehm und Magyar-Haas verwenden in ihrem englischen Aufsatz das Wort „segregated“ (2010: 111).

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

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– wie schon im Abschnitt über Förderung allgemein erwähnt – Defizite im Vergleich zu nicht förderbedürftigen Kindern zu reduzieren. Die Maßnahmen reichen hier von strukturierten Programmen mit vorgefertigten Materialien, die alle zu fördernden Kinder durchlaufen, bis zu offeneren Konzepten, die nur die Prinzipien der Gestaltung von Fördersituationen festlegen (vgl. Nickel 2014: 648). Kucharz, Mackowiak und Beckerle (2015: 95) schreiben kritisch: „Die Förderung selbst mit ihren Spielen, Materialien und Übungen findet in der Regel losgelöst von der Alltags-, Spiel- und Interessenssituation der Kinder statt.“ Ein Bestandteil des Begriffs „frühe Sprachförderung“ ist auch seine defizitäre Verwendung. In Praxishandreichungen47 und ihren Begründungen für die Notwendigkeit von Sprachförderung zeigt sich sogar eine „doppelte Defizitkonstruktion“ (Kuhn 2013: 15f.)48: Sowohl die zu fördernden Kinder und ihre Familien als auch noch nicht genügend professionalisierte Fachkräfte49 werden als defizitär dargestellt. Bröder (2012: 21) schreibt, Familien hätten oft zu wenig Zeit zum Sprechen mit Kindern. Daher habe „die Kita eine wichtige kompensatorische Bedeutung, indem die Erzieherinnen sich Raum und Zeit dafür nehmen, mit den Kindern zu sprechen“. Bei Knapp, Kucharz und Gasteiger-Klicpera heißt es (2010: 133): „Diese Eltern [Eltern, die ihren Kindern nicht vorlesen, E. Zettl] benachteiligen ihre Kinder in hohem Maße, da Vorlesen an sich einen wichtigen Beitrag zum späteren Lernerfolg von Kindern darstellt.“ Daher werden auch die Eltern in Vorleseangebote eingebunden und somit in ihrer erzieherischen Kompetenz gefördert. Diehm bemerkt hierzu, dass die Ausweitung des pädagogischen Anspruchs auf die frühe Kindheit zu einem institutionalisierten „Zugriff auf die Familie als Sozialisations- und Erziehungsinstanz“ (Diehm 2012: 51) führt. In seiner Praxishandreichung beschreibt Ueffing (2009: 4) eine Defizitzuschreibung an Erzieher*innen: „Sprachförderung ist nach Pisa als Schlagwort in aller Munde. Es wird als mehr oder weniger dezente Forderung in den Raum gestellt, dass im Kindergarten mehr und besser gefördert werden sollte.“ (vgl. auch Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9). Auffällig ist bei beiden Defizitzuschreibungen: Sprachförderung hat als Zielgruppe Milieus mit vermeintlichen Bildungsdefiziten: das der „Risikofamilien“ vor allem mit Migrationshintergrund (vgl. Diehm/Machold 2017: 311) und das der noch nicht ausreichend ausgebildeten pädagogischen Professionellen. 47

Eine Diskursanalyse solcher Handreichungen wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit. Kuhn beschreibt diese Konstruktion in Hinblick auf Familien ‚mit Migrationshintergrund‘, aber sie kann auch allgemeiner auf ‚bildungsferne Risikofamilien‘ bezogen werden. 49 Zu einer Studie über den Professionalisierungsbedarf elementarpädagogischer Fachkräfte in Hinblick auf Sprachförderung vgl. Müller, Schulz, Geyer und Smits (2017). Auch hier lautet das Fazit, dass es einen solchen Bedarf gebe (vgl. ebd.: 451). 48

36 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Befunde zur Wirksamkeit von Sprachförderung und sprachlicher Bildung in vorschulischen Bildungseinrichtungen Zur Wirksamkeit von Sprachförderung und sprachlicher Bildung in vorschulischen Bildungseinrichtungen gibt es ein „deutliches Forschungsdesiderat“ (Nickel 2014: 649; vgl. auch Schneider et al, 2012: 9; Egert 2017: 31). Viele segregierende Sprachförderprogramme wurden nicht evaluiert (vgl. Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9) oder zeigen trotz hohen personellen und finanziellen Aufwands enttäuschende Ergebnisse (vgl. Schneider 2012: 9; Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 93, Beckerle 2017: 23ff.). Bereits 2010 wurde in der Evaluation des flächendeckenden baden-württembergischen Sprachförderprogramms „Sag mal was“ gezeigt: Die linguistisch aufwändig konzeptualisierte segregierende Deutschförderung in Kleingruppen zeigt unter keinem der im Förderprogramm anvisierten Aspekte von Sprachkompetenz positive Wirkung. Die geförderten Kinder, mehrheitlich Kinder, die Deutsch als Zweitsprache sprechen, holen im Vergleich zu nicht geförderten Kindern nicht auf. Der Zuwachs an Sprachkompetenz im untersuchten Zeitraum kann vielmehr auch durch die im Untersuchungszeitraum ohnehin stattfindende kindliche Sprachentwicklung erklärt werden (vgl. GasteigerKlicpera/Knapp/Kucharz 2010). Wenig empirisches Wissen ist auch über die Qualität der Umsetzung vorhandener Programme vorhanden (vgl. Titz/Hasselhorn 2018: 291), so dass häufig unklar ist, ob die enttäuschenden Evaluationsergebnisse durch die Programme selbst oder ihre Umsetzung verursacht wurden (vgl. Schneider 2012: 10; für eine Metaanalyse über Sprachförderung für mehrsprachige Kinder vgl. Egert 2017; Titz/Hasselhorn 2018). Zudem zeigen Videoanalysen, dass Kinder in segregierenden Sprachfördersituationen, deren Inhalte losgelöst von ihrem Alltag erscheinen, oft wenig motiviert sind (vgl. Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 95). Dennoch werden diese Programme weitergeführt, dabei aber zunehmend durch Konzepte alltagsintegrierter sprachlicher Bildung ergänzt. Empirische Befunde über die Wirksamkeit alltagsintegrierter sprachlicher Bildung liegen bislang „nur vereinzelt vor, legen aber den Schluss nahe, dass es sich um eine durchaus erfolgversprechende Art der Sprachförderung handelt“ (Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9). Expert*innen sprechen sich daher generell für eine Weiterqualifizierung von Fachkräften als erfolgversprechende Strategie aus (vgl. Nickel 2014: 649, Kucharz/Mackowiak/Beckerle 2015: 9f., Beckerle 2017; in Bezug auf mehrsprachige Kinder vgl. Egert 2017: 32; Titz/Hasselhorn 2018: 291f.). Erste Ergebnisse aus einem Weiterqualifizierungsprojekt (Beckerle 2017: 221) zeigen: „Die teilnehmenden Pädagoginnen verbesserten ihre Sprachförderkompetenzen; ein Teil der teilnehmenden Kinder verbesserten ihre Sprachkompe-

2.1 Diskurse über frühe sprachliche Bildung bzw. Förderung

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tenzen“. Es besteht auch hier jedoch weiterer Forschungsbedarf50; Becker-Mrotzek und Roth (2018: 17) sowie Titz und Hasselhorn (2018: 291) warnen davor, vorschnell das Konzept von Sprachförderung für einzelne Kinder mit Förderbedarf zugunsten alltagsintegrierter sprachlicher Bildung abzulehnen, da dies die Kinder mit Förderbedarf benachteilige; sie plädieren dafür, individuelle Sprachförderung für einige Kinder weiterhin neben alltagsintegrierter sprachlicher Bildung für alle Kinder anzubieten. Ein ergänzender Befund, der für segregierte wie für alltagsintegrierte Settings Gültigkeit besitzt, lautet: Nach Egerts Metaanalyse (2017: 32) ist dialogisches Bilderbuchlesen für mehrsprachige Kinder eine erfolgversprechende Methode, wenn die Fachkräfte entsprechend weitergebildet werden. Chancen früher sprachlicher Bildung und Förderung Kuhn (2013: 19) schreibt über Konzeptionen und mögliche Effekte früher Sprachförderung: „Hier soll nicht in Abrede gestellt werden, dass Sprachfördermaßnahmen mit dazu beitragen können, bestehende Bildungsungleichheiten abzubauen. Wenn sich bildungspolitische Lösungsvorschläge allerdings allein auf die sprachliche Angleichung einer diskriminierten Gruppe an eine nicht infrage gestellte monolinguale Norm beschränken, dann trägt letztlich die ohnehin schon benachteiligte Gruppe die Verantwortung für ihre Benachteiligung aufgrund der Abweichung von der mehrheitssprachlichen Norm selbst. (Herv. i.O.)“

Sie formuliert in dieser Aussage nicht nur Kritik an der Förderung des Monolingualismus (vgl. Abschnitte 2.2.2- 2.2.3 zu Mehrsprachigkeit), sondern auch die Hoffnung, dass Bildungschancen unter anderem durch Sprachförderung verbessert werden können. Auch Diehm (2012: 63) gibt trotz ihrer Kritik zu bedenken: „Die Aufmerksamkeit, mit der die frühen Lebensjahre als Bildungsjahre derzeit bedacht werden, birgt für das einzelne Kind die Chance, seine Bildungspotentiale optimaler zu entfalten und mithin seine individuelle Zukunft positiv zu beeinflussen.“

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Vgl. auch die laufenden Forschungsprojekte für den Elementarbereich von Isler et al. (https://www.phtg.ch/forschung/forschungsbereiche/forschungsabteilung/aktuelle-projekte) sowie das laufende Projekt „SPRÜNGE“ (https://www.uni-frankfurt.de/62215284/SPRUENGE) von Betz, Kucharz und Mehlem, das die Wirksamkeit von Sprachförderung im Übergang Kindergarten- Grundschule untersucht (Abfragen 8.11. 2018).

38 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Die vorliegende Arbeit folgt den Aussagen Diehms und Kuhns. Generell besteht trotz aller Kritik Anlass zur Hoffnung, dass ein verstärkter Fokus auf Sprache in Kindertagesstätten einen Beitrag zu höherer Chancengleichheit leistet. Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit In den vorhergehenden Abschnitten wurden die Konzepte (frühe sprachliche) Bildung und Förderung eingeführt. Daran anschließend wird im folgenden Kapitel das Konzept der Mehrsprachigkeit, ein weiteres Kernkonzept der vorliegenden Arbeit, diskutiert. Hierfür werden zuerst Diskurse zu Mehrsprachigkeit als Defizit, als Ressource, Menschenrecht und Bildungsziel vorgestellt. Anschließend werden Bildungsbedingungen mehrsprachiger Kinder in Deutschland mit einem Schwerpunkt auf Kindertagesstätten vorgestellt. Zum Konzept „Mehrsprachigkeit“ Es ist schwer möglich, über sprachliche Bildung und Mehrsprachigkeit zu forschen, ohne „den Subtext des Themas zu beachten, der lautet: Man befindet sich auf politisch und ideologisch besetztem Terrain“ (Gogolin/KrügerPotratz/Neumann 2005: 10). Auch scheinbar rein deskriptive Forschung kann bereits im Design der Fragestellung normative Implikationen haben und ist oft implizit mit bildungspolitischen Diskursen verknüpft. Allerdings schließt die vorliegende Arbeit an die Überzeugung an, dass selbst im verminten Gelände der Mehrsprachigkeit „am Ende doch theoretisch glaubwürdig und empirisch geerdet argumentiert werden könne“ (Gogolin/Krüger-Potratz/Neumann 2005: 11). In diesem Sinne wird im folgenden Absatz mit Bezug auf aktuelle erziehungswissenschaftliche51 und linguistische Arbeiten zunächst kurz dargelegt, wie der Begriff „Mehrsprachigkeit“ in dieser Arbeit verwendet wird sowie einige Aspekte von Mehrsprachigkeit aufgezeigt. Anschließend werden vertieft Diskurse zu Mehrsprachigkeit als Defizit bzw. als Ressource und Bildungsziel dargestellt und die aktuelle Bildungssituation mehrsprachiger Kinder anhand von Programmatiken und empirischen Befunden diskutiert.

51 Für einen Überblick zu aktueller, v.a. erziehungwissenschaftlicher, Mehrsprachigkeitsforschung vgl. Lengyel (2017).

2.2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit 39 Der Begriff „Mehrsprachigkeit“52 wird in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an den Begriff „lebensweltlicher Mehrsprachigkeit“53 (Fürstenau 2011: 30 nach Gogolin 1988 und 2005) verwendet, der jedoch noch erweitert wird, um den vielfältigen Verwendungsweisen verschiedener Sprachen in den analysierten Daten gerecht zu werden: Mehrsprachigkeit bezeichnet in der vorliegenden Arbeit eine Eigenschaft von Sprecher*innen, die, z.B. durch Migration bedingt, aber auch durch Alltagskontakte zu Sprecher*innen verschiedener Sprachen oder in pädagogischen Settings vermittelt in ihren Lebenswelten zwei oder mehr Sprachen verwenden54. Der nächste Abschnitt zeigt einige Merkmale dieses Konzepts von Mehrsprachigkeit auf. Zunächst stellt sich die Frage, was unter „mehreren Sprachen“ zu verstehen ist. Linguistisch gesehen sind die Grenzen zwischen Sprachen und Varietäten wie Dialekten oder Soziolekten fließend. Wandruszka (1979: 13) postuliert daher, dass der Unterschied zwischen „mehrsprachigen“ und „einsprachigen“ Menschen eher theoretisch sei und Mehrsprachigkeit eine anthropologische Gegebenheit sei angesichts der vielen Sprachvarietäten wie z.B. Fachsprachen, denen wir begegnen. „Wir alle sprechen mehrere Sprachen, weil wir in mehreren, oft sehr verschiedenen menschlichen Gemeinschaften leben, deren Sprachen wir im Laufe unseres Lebens lernen“ (ebd.). Nach dieser Sichtweise gibt es eher ein Kontinuum und keine Dichotomie zwischen Menschen, die alltagssprachlich als „einsprachig“ und solchen, die als „mehrsprachig“ bezeichnet werden (vgl. Dirim/Mecheril 2010: 104). Dies ist ein gutes Argument gegen die begriffliche Aussonderung „Mehrsprachiger“ gegenüber einer monolingualen Norm. Aus pragmatischen Gründen wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff „Sprache“ jedoch nicht in Wandruszkas weitem Sinn verwendet. Auch weil im Feld die gängigen Bezeichnungen „Deutsch“, „Türkisch“, „Englisch“ oder „Spanisch“ verwendet werden, werden 52 Manchmal wird, möglicherweise in Analogie zum englischen „bilingualism“ und „multilingualism“, in der Literatur zwischen „Zweisprachigkeit“ und „Mehrsprachigkeit“ als dem Sprechen von mehr als zwei Sprachen im Alltag unterschieden (z.B. Gogolin 2013: 8). In der vorliegenden Arbeit wird diese Unterscheidung nicht getroffen im Sinn der weiten Konzeption von Wandruszka (1979) und Fürstenau (2011). In der erforschten Kita-Gruppe finden sich Kinder mit zwei oder mehr lebensweltlich verwendeten Sprachen; auch durch die ‚linguistische Super-Diversität’ in Kita und Stadtviertel (vgl. Creese/Blackledge 2010) kommen Kinder mit vielen Sprachen in Kontakt und eine Trennung zwischen Zwei- und Mehrsprachigkeit erschiene künstlich. 53 Der Begriff „lebensweltlicher Mehrsprachigkeit“ als einer Form individueller Mehrsprachigkeit (Fürstenau 2011: 30 nach Gogolin 1988 und 2005b) wird für Spezifika des Spracherwerbs in Migrationssituationen verwendet. Charakteristika lebensweltlicher Mehrsprachigkeit sind die dynamische Sprachentwicklung der ‚migrierten’ Sprache sowie das komplexe Verhältnis und die situative Sprachwahl zwischen Mehrheits- und Minderheitensprachen (vgl. Fürstenau 2011: 30). 54 Davon abgegrenzt wird „gesellschaftliche Mehrsprachigkeit“. In der vorliegenden Arbeit wird von individueller Mehrsprachigkeit ausgegangen. Bundesweite Statistiken zu individueller Mehrsprachigkeit existieren nicht; für den Stadtstaat Hamburg gibt es eine jährliche Totalerhebung viereinhalbjähriger Kinder mit Daten zu ihrer Mehrsprachigkeit, vgl. Lengyel (2017: 158f.).

40 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität hier, wie in den meisten linguistischen und erziehungswissenschaftlichen Arbeiten, diese native terms als Alltagsbegriffe von nationalstaatlich zu „Sprachen“ geadelten Varietäten verwendet. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass es sich bei diesen Sprachbezeichnungen um politisch wirkmächtige Konstruktionen handelt, die sich bei näherer linguistischer Betrachtung in ein Kontinuum von gegenseitig mehr oder weniger verständlichen Varietäten auflösen. In der Forschung zu Mehrsprachigkeit bei Kindern wurde lange von einer normativen Vorstellung von Einsprachigkeit als Normalität (vgl. Lengyel 2017: 157) ausgegangen und propagiert, dass im Fall von Zweisprachigkeit beide Sprachen gleich gut beherrscht werden sollten wie im Fall lebensweltlicher Einsprachigkeit. Dieses unrealistische Ideal berücksichtigt vieles nicht: Die verschiedenen Sprachen werden oft in verschiedenen lebensweltlichen Zusammenhängen verwendet, so dass z.B. der Wortschatz je nach Kontexten in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich ausgebaut ist (vgl. Gogolin 2010: 537; Fürstenau 2011: 30). Gleichzeitig entsteht eine dynamische Sprachsituation, in der die Sprache(n) des Herkunftslandes sich in der Migrationssituation verändern, aber auch die des Einwanderungslandes Einflüsse der Sprachen des Herkunftslandes zeigen (vgl. Gogolin/Krüger-Potratz 2010: 179) und somit „Ethnolekte“ entstehen (vgl. Dirim/Mecheril 2010: 112). Zudem wird als intentionales Redemittel zwischen den Sprachen gewechselt und sprachübergreifend agiert, was García (2009: 42ff.) als „Translanguaging“ bezeichnet (vgl. auch Creese/Blackledge 2010: 565f.; Lengyel 2017: 169)55. Wurde in früherer Mehrsprachigkeitsforschung meist von einem sukzessiven Erwerb von Erst- und Zweitsprache ausgegangen, berücksichtigen neuere Studien auch, dass mehrere Sprachen simultan in der Familie erworben werden können (vgl. Gogolin 2010: 537). Erwerbskonstellationen jenseits der Modelle „eine Person - eine Sprache“ und „eine Familiensprache - eine Umgebungssprache“ sind jedoch bislang kaum erforscht (Lengyel 2017: 159), obwohl sie in der Praxis häufig sein dürften56. Dass diese Sprachaneignungskonstellationen mehrsprachiger Eltern, die Translanguaging mit einer oder mehreren Herkunftssprachen und Deutsch betreiben, wenig untersucht sind, zeigt auch den eurozentrischen ‚bias’ vieler Studien. In Weltregionen mit „eher multilingualem Selbstverständnis“ wie in Teilen Afrikas oder Asiens sind Gesellschaften und Familien, in denen eine Vielfalt an Sprachen gesprochen wird, Normalität (vgl. Gogolin/Krüger55 Da dieses Wechseln zwischen Sprachen in den vorliegenden ethnographischen Daten nur sehr marginal erscheint, wird an dieser Stelle auf eine vertiefte Diskussion des Konzepts verzichtet. Bei Neumann (2015) und Panagiotopoulou (2017b) wird es ausführlicher anhand empirischer Befunde dargestellt. 56 Hierzu existieren m.W. keine Statistiken; die von Lengyel (2017: 158) zitierten Kategorien von Familien, in denen „überwiegend Deutsch“ oder „Deutsch als Zweit- oder Drittsprache“ gesprochen wird, umfassen aber auch solche Konstellationen.

2.2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit 41 Potratz/Neumann 2005: 6). Teilweise in Zusammenhang damit steht das noch wenig erforschte, in Migrationsgesellschaften immer stärker auftretende Phänomen linguistischer Super-Diversität. Dieses Konzept überträgt den Begriff „superdiversity“ (Vertovec 2007) aus der Migrationsforschung auf Sprachen (vgl. Gogolin 2010; Creese/Blackledge 2010; Neumann 2015). Neumann (2015: 27) definiert: “linguistic super-diversity refers to conditions under which different languages do not merely co-exist independently from one another, but rather are affected by a complex interplay of foreign and indigenous languages.”

Zu berücksichtigen ist auch, dass bereits in den Herkunftsländern der Migration eine große sprachliche Vielfalt herrscht. So werden laut Gogolin (2010: 534 in Rekurs auf Lewis, Simons und Fennig (Hrsg.) 2009) in der Türkei 34, in Polen 14 und in Indien 438 Sprachen gesprochen. Zudem wird die „Heterogenität der Herkunfts- und Ankunftskontexte“ (Gogolin 2010: 533) vielfältiger, die Größen der migrierenden Gruppen werden teils immer kleiner, so dass in einer Stadt immer mehr Sprachen gesprochen werden (vgl. Gogolin/Krüger-Potratz 2010: 192). Wie sich diese migrationsbedingte Super-Diversität z.B. im Alltag von Bildungsinstitutionen niederschlägt, darüber gibt es bislang nur wenige Studien (z.B. Creese/Blackledge 2010, Neumann 2015). Forschungsdesiderate bestehen noch zur Frage, wie die multilinguale Zusammensetzung einer Kindergruppe in einer Institution der Elementarbildung den Spracherwerb beeinflusst (vgl. Gogolin 2010: 538). Im Folgenden werden die hier skizzierten linguistischen und erziehungswissenschaftlichen Grundlagen ergänzt und vertieft. Sie beziehen sich, sofern dazu Forschung existiert, schwerpunktmäßig auf Kindertagesstätten. Da das Thema Mehrsprachigkeit, insbesondere in Verbindung mit Bildungsungleichheit, für das gesamte Bildungssystem relevant ist, werden ergänzend auch Befunde aus der Schulforschung angeführt (siehe auch Abschnitt 2.3.5 zu Literalität und Bildungsbedingungen)57. Zwei diskursive bildungspolitische, erziehungswissenschaftliche und linguistische Positionen zu migrationsbedingter Mehrsprachigkeit zeichnen sich ab, die teils längst nicht mehr von aktueller Forschung vertreten werden, aber in der Praxis wirkmächtig sind. Einerseits wird Mehrsprachigkeit als Defizit gesehen, andererseits (mit unterschiedlichen Begründungen) als Ressource, Menschenrecht oder sogar Bildungsziel für alle (vgl. auch Thomauske 2013a und b 57 Auch in bildungspolitischen und erziehungswissenschaftlichen Diskursen existiert die Annahme einer Kontinuität von vorschulischen Bildungseinrichtungen bis zum Schulabschluss in Bezug auf Sprache, beispielsweise wenn mit Berufung auf die PISA-Ergebnisse 15jähriger verstärkte vorschulische Sprachförderung gefordert wird (vgl. Gasteiger-Klicpera/Kucharz/Knapp 2010: 7).

42 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität und 2014). Beide Positionen werden im Folgenden ausführlich diskutiert, da sie grundlegend für den Interpretationsteil der vorliegenden Arbeit sind58. Diskurse über Mehrsprachigkeit als Defizit Mit dem Entstehen des Nationalstaats und des öffentlichen Schulsystems im 18. und 19. Jahrhundert setzte sich eine regionale Varietät des Deutschen als Nationalsprache durch (vgl. Gogolin 2010: 534 ff.). Im Lauf des 19. Jahrhunderts entstand mit dem Erstarken des Nationalismus der „monolinguale Habitus“ (vgl. Gogolin 1994; für eine ausführliche historische Darstellung zum Stellenwert von Mehrsprachigkeit an deutschen Schulen siehe Gogolin 2008 und Krüger-Potratz 2011). Dieser Habitus sah nationale Einsprachigkeit als Normalität und Mehrsprachigkeit als gefährdend für die Gemeinschaft und die Sprachentwicklung des Einzelnen (vgl. Thomauske 2013a und b). Die daraus entstandene assimilationsorientierte Tradition beeinflusst bis in die Gegenwart das Selbstverständnis des deutschen Bildungssystems (vgl. Gogolin 2010: 536; Fürstenau 2012: 7; Gogolin 2017: 103ff.). Kitas bilden hierbei keine Ausnahme. Kinder, die den monolingualen Anforderungen der Schule vor der Einschulung nicht entsprechen, gelten bis heute in bildungspolitischen Diskursen und in den Augen vieler Erzieher*innen und Eltern als risikobehaftet (vgl. Diehm/Kuhn/Machold/Mai 2013: 654; Thomauske 2017; Becker-Mrotzek/Roth 2018: 26). Spricht ein Kind jedoch migrationsbedingt Englisch oder eine andere prestigehohe Sprache zusätzlich zum Deutschen, wird diese Zweisprachigkeit im Bildungsalltag in der Regel nicht als Risiko, sondern als Vorteil gesehen (vgl. Fürstenau 2012: 7)59. Die Assimilationsorientierung bezieht sich vor allem auf prestigeniedrige Migrantensprachen und ist „im Kontext gesellschaftlicher Hierarchien zu verstehen“ (Fürstenau 2011: 33)60. Oft überschneidet sich die diskursive Darstellung eines Sprachdefizits mit den Topoi Bildungsferne, Armut, Kriminalität und „Kulturkonflikten“ von Kindern ‚mit Migrationshintergrund‘61 (vgl. Diehm/Radtke 58

Zum Verhältnis von Diskursen zu Praktiken vgl. ausführlich Abschnitt 3.1.2 zu Praxistheorie. Für einen Überblick über weitere prestigeträchtige Sprachminderheiten weltweit s. Skutnabb-Kangas (1999: 44). 60 Eine ausführliche Darstellung von Sprache in gesellschaftlichen Kontexten und Zusammenhängen von Sprache und Macht findet sich auch bei Bourdieu (1982/1990). Die vorliegenden Daten aus der Perspektive Bourdieus zu interpretieren wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit. 61 In Interviews mit dänischen Lehrpersonen zeigt Gitz-Johansen (2004) auf, dass deren Konstrukt „bilingual child“ das „zweisprachige Kind“ durchweg als exotisch, „anders“ und defizitär in Hinblick auf sprachliche, leistungsbezogene und soziale Kompetenzen darstellt (vgl. ebd.: 206). Dieses Konstrukt wird als Bedrohung für die dänische Schul- und Kinderkultur gesehen (218). Eine Lehrperson 59

2.2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit 43 1999: 58; Skutnabb-Kangas 1999: 45). Bei Sprachen mit niedrigem Prestige (und nur bei diesen) wird zudem oft das Argument angeführt, die Pflege mehrerer Sprachen lasse zu wenig Zeit für das Lernen des Deutschen62. Diese bis heute verbreitete Denkfigur reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück (vgl. Gogolin/KrügerPotratz/Neumann 2005: 4ff.), obwohl es inzwischen Konsens unter Linguist*innen und Erziehungswissenschaftler*innen ist, „dass lebensweltliche Mehrsprachigkeit in keiner Weise eine Einschränkung für die kognitive und sprachliche Entwicklung von Kindern darstellt“ (Fürstenau 2011: 32; vgl. auch Gogolin 2017: 107). Trotzdem ist diese defizitäre Perspektive auf Mehrsprachigkeit in Hinblick auf prestigeniedrige Minderheitensprachen auch weltweit weit verbreitet (vgl. Skutnabb-Kangas 1999, Fürstenau 2011: 34). Obwohl die theoretischen Konzeptionen der assimilationsorientierten Ausländerpädagogik etwa seit den 1980er Jahren als überholt gelten (vgl. ebd.: 127), ist die Denkfigur von Sprachförderung als Kompensation migrationsbedingter individueller Defizite auch im Zug eines „Neo-Assimilationismus“ (Fürstenau/Gomolla 2011: 14f.; vgl. Steinbach 2017) bis heute verbreitet. Dieser geht mit einer humankapitaltheoretischen Orientierung an Kompetenzen einher, die Kinder erwerben sollen, um im Berufsleben leistungs- und konkurrenzfähig zu sein (vgl. Fürstenau/Gomolla 2011: 15). Ein Beispiel eines solchen auf Mehrsprachigkeit bezogenen humankapitaltheoretischen Ansatzes ist die Antwort Essers (2009: 84) auf das Argument, Mehrsprachigkeit könne auf dem Arbeitsmarkt Vorteile bringen: „Die zur Zweitsprache zusätzliche Beherrschung der Muttersprache bei der Bilingualität bringt auf dem Arbeitsmarkt offenbar so gut wie nichts. Für den Statuserwerb hat die ‚Multikulturalität’ sogar einen deutlichen negativen Effekt.“ Somit wird qua Forschung die empirisch nachweisbare Diskriminierung Mehrsprachiger nicht kritisiert, sondern unhinterfragt als Norm gesehen, der sich Mehrsprachige anzupassen hätten (zur Kritik an Esser vgl. Castro Varela/Mecheril 2010: 48). Diskurse über Mehrsprachigkeit als Ressource, Menschenrecht und Bildungsziel In Bezug auf prestigehohe Sprachen wird Mehrsprachigkeit für Kinder der Elite seit Jahrhunderten als Ressource und Bildungsziel gesehen (vgl. Gogolin/KrügerPotratz/Neumann 2005: 3; Becker-Mrotzek/Roth 2018: 26). Auf prestigeniedrige fürchtet sogar, zweisprachige Kinder könnten bei einem Zoobesuch Tiere misshandeln, da sie zu Hause nicht lernten, gut mit Tieren umzugehen – eine Befürchtung, die sich als grundlos erweist (ebd.: 209f.). 62 In Bezug auf die Debatte um mehrsprachige Erziehung in den USA diskutiert Cummins (2000) kritisch diese auch als „time-on-task“ bekannte Denkfigur.

44 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Migrationssprachen bezogen lassen sich verschiedene Argumentationsstränge der letzten Jahrzehnte herausarbeiten, die im Folgenden kurz dargestellt werden. Erstens wird Mehrsprachigkeit nur als Ressource gesehen, weil sie als förderlich für den Deutscherwerb angesehen wird. Zweitens wird Mehrsprachigkeit unabhängig von ihrer Bedeutung für den Deutscherwerb als Ressource für kognitive Entwicklung z.B. beim Lernen weiterer Sprachen gesehen. Familiensprachen werden drittens in der Interkulturellen Pädagogik als Teil ‚kultureller Identität‘ im Rahmen einer Wertschätzung von Differenz beschrieben; ihr Gebrauch wird als Menschenrecht definiert. Schließlich wird Mehrsprachigkeit als Bildungsziel für alle Kinder gefordert. Die erste Aussage ist eine Schlussfolgerung aus der Cummins’schen Interdependenzhypothese (Cummins 1991: 77; Gogolin 2010: 541). Diese Hypothese besagt vereinfacht gesagt, dass nur bei einer fundierten Beherrschung der Erstsprache auch eine Zweitsprache in ihrer ganzen Komplexität gelernt werden kann63. Mit Berufung auf diese Hypothese argumentieren einige Autoren, die Förderung einer nicht-deutschen Erstsprache sei Mittel zum Zweck des Deutschlernens, aber kein Bildungsziel an sich64 (zu dieser Argumentation vgl. Krumm 2009; Gogolin 2010: 540; Fürstenau/Gomolla 2011: 13). Ein weiteres Argument für die Bewertung von Mehrsprachigkeit als Ressource betont aus linguistischer und entwicklungspsychologischer Sicht Vorteile für mehrsprachige Kinder. Aus spracherwerbstheoretischer Perspektive sei individuelle lebensweltliche Mehrsprachigkeit eine besonders günstige Voraussetzung für sprachliche und kognitive Entwicklung (vgl. Gogolin/Krüger-Potratz 2010: 179; Gogolin 2013: 8; kritisch zur Reichweite dieser Befunde vgl. Lengyel 2017: 161f.). Mehrsprachig aufwachsende Kinder entwickeln früher als einsprachig aufwachsende metasprachliche65 Fähigkeiten, die für Schrifterwerb wichtig sind (vgl. Fürstenau 2011: 32). Ihre kognitive Kontrolle, also z.B. die Fähigkeit, zwischen einem Gegenstand und der Bezeichnung dafür zu unterscheiden, ist stärker ausgeprägt (vgl. Gogolin 2010: 538). Zudem haben sie häufig Vorteile beim Lernen späterer Fremdsprachen (vgl. Berthele 2010: 234f.; Fürstenau 2011: 32; Lengyel 2017: 163).

63

Zur Diskussion dieser Hypothese vgl. Gogolin 2010: 541. Cummins selbst vertritt den Standpunkt, dass die Erstsprache nicht nur diesen instrumentellen Wert habe, sondern auch zur Identitätsbildung beitrage (vgl. Cummins 2000). 65 „Metasprachliche Fähigkeiten“ werden nach Oomen-Welke (2003: 455) folgendermaßen definiert: „Zu den metasprachlichen Fähigkeiten gehört Sprachwissen, nämlich mindestens das Wissen, welche Sprachmittel zu welcher Sprache gehören.“ „Metasprachlich“ im weiteren Sinne bedeutet dabei das Thematisieren von Sprache(n) und die Reflexion über sie, etwa im Sprachenvergleich. So hat „die metasprachliche Bewusstheit (…) die Möglichkeiten des Verfahrens einer Sprache oder der Sprachen überhaupt“ im Blick (ebd.: 456). 64

2.2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit 45 Eine Denkfigur, die Mehrsprachigkeit als Ressource unabhängig von ihrem Wert für das Erlernen der Zweitsprache oder andere kognitive Vorteile betont, findet sich in der Interkulturellen Pädagogik. Hier wird ihr im Sinn ‚kultureller Differenz‘ ein Eigenwert zugeschrieben. Die Anwesenheit mehrsprachiger Migrantenkinder soll im Sinn der Interkulturellen Pädagogik „als eine bereichernde Erfahrungs- und Lernmöglichkeit gestaltet werden“ (Diehm/Radtke 1999: 131). Unter dieser Prämisse soll die segregierende Sprachförderung überwunden werden und alle Kinder verschiedener Erstsprachen im Sinn sozialen Lernens sollen miteinander kommunizieren (vgl. ebd.: 130f.). Ihr Ziel ist nicht Assimilation oder Rückkehr ins Herkunftsland wie bei der Ausländerpädagogik, sondern Anerkennung und Erhalt kultureller Identität (vgl. ebd.: 128). Dieses Postulat einer ‚kulturellen Identität‘ kann kulturalistisch und essentialisierend im Sinn einer Stereotypisierung und positiven Diskriminierung wirken (vgl. ebd.: 152f.; zur Kritik Interkultureller Pädagogik vgl. auch Mecheril 2010: 63ff. und Kalpaka/Mecheril 2010: 84ff.). Zudem, so wird einigen frühen Strömungen der Interkulturellen Pädagogik vorgeworfen, übersehen sie, dass Sprachen wie auch andere ethnisch codierte Differenzkonstruktionen mit Machtasymmetrien verknüpft sind (vgl. Auernheimer 2006: 262; Mecheril/Quehl 2006). Reflektierter als das Konzept ‚Kultureller Identität‘ ist Krumms Erforschung von „Identitätskonstruktionen“ mehrsprachiger Kinder (2009). Er untersucht die Sprachbiographien mehrsprachiger Kinder und Jugendlicher und betont besonders die Bedeutung von Familiensprachen für die meisten mehrsprachigen Sprecher*innen (ebd.: 238f.). Dabei stellt er fest, dass der Einbezug von Familiensprachen in Bildungsinstitutionen „eine wichtige psychosoziale Funktion“ erfüllt, „nämlich die der Bestätigung des Selbstbildes und der als wichtig empfundenen Zugehörigkeiten“ (ebd.: 239). Dieses Argument zur Bedeutung von Sprache für Identität wird oft mit einer menschenrechtlich argumentierenden Forderung nach Anerkennung von Familiensprachen in einem Zug genannt. Aus Perspektive der Menschenrechte werden die negativen Konsequenzen von Assimilationsdruck oder gar Sprachenverboten für Kinder ‚mit Migrationshintergrund‘ u.a. von Skutnabb-Kangas (1999)66, Martin (2008) und dem Forum Menschenrechte (2011) kritisiert. Skutnabb-Kangas (1999: 57) verwendet den Begriff „linguicism“ für sprachenbedingte Diskriminierung (vgl. auch Dirim 201067, Thomauske 2013a: 95). 66 Skutnabb-Kangas (1999: 57) spricht von „ethnically and linguistically argued racisms, ethnicism and linguicism“. Dagegen richten sich die „linguistic human rights“ (ebd.: 57f.), die etwa das Recht, die eigenen Sprachen zu sprechen, und den Einbezug von Minderheitensprachen in Schulcurricula einschließen. 67 Dirim unterscheidet in diesem Artikel (ebd.: 95ff.) zwischen Linguizismus und dem heute gängigeren Neo-Linguizismus. Ersterer bestehe in expliziten Sprachenverboten, letzterer sei versteckter und betone, dass das Nicht-Sprechen von Erstsprachen zum Wohl der Sprechenden selbst sei; vgl. auch Steinbach (2017: 84f.).

46 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Das Menschenrecht des Kindes, seine eigene Sprache zu sprechen, ist in der UNKinderrechtskonvention (Vereinte Nationen 1989) unter Artikel 3068 im Rahmen des Minderheitenschutzes verankert (vgl. Günther/Günther 2007: 153). Noch weitgehender ist die Forderung, Mehrsprachigkeit als Bildungsziel für alle zu verankern. Laut Gogolin, Krüger-Potratz und Neumann (2005: 1) wäre es in „komplexen und differenzierten, weit entwickelten Migrationsgesellschaften“ konsequent, „wenn die allgemeine sprachliche Bildung als Bildung von (stets näherungsweise) mehrsprachigen Menschen konzipiert wäre und selbstverständlich das Ziel verfolgte, eine jede, einen jeden auf dem Weg zur kompetenten Mehrsprachigkeit ein gutes Stück voranzubringen“ (vgl. auch Gogolin 2017: 107). In diesem Sinne ist das Thema Umgang mit Mehrsprachigkeit nicht nur für eine Minderheit relevant, wenn auch die Umsetzungsperspektiven für dieses Postulat eher vage formuliert bleiben. Mehrsprachigkeit und Bildungsbedingungen Im Folgenden werden Umrisse von gegenwärtigen Bildungsbedingungen mehrsprachiger Kinder in Deutschland sowie ihre Vorgeschichte skizziert. Zur Geschichte segregierender Deutschförderung In der BRD entwickelte sich als Reaktion auf die Einwanderung von Familien, die kein Deutsch sprachen, ein segregierender, kompensatorischer, als Deutschförderung angelegter Ansatz des Umgangs mit Mehrsprachigkeit. Dieser setzte auf ausschließlich für mehrsprachige Kinder angelegte Deutschförderstunden und -klassen im Rahmen der Ausländerpädagogik69 (vgl. Diehm/Radtke 1999: 130; für einen historischen Überblick vgl. auch Krüger-Potratz 2011). Damit ist er zwar fortschrittlicher als die bloße Submersion, die in vielen Ländern praktiziert wird, bei der Kinder aus Minderheitensprachen, ohne jede Unterstützung in der 68

Der volle Text lautet: „Artikel 30 - Minderheitenschutz. In Staaten, in denen es ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten oder Ureinwohner gibt, darf einem Kind, das einer solchen Minderheit angehört oder Ureinwohner ist, nicht das Recht vorenthalten werden, in Gemeinschaft mit anderen Angehörigen seiner Gruppe seine eigene Kultur zu pflegen, sich zu seiner eigenen Religion zu bekennen und sie auszuüben oder seine eigene Sprache zu verwenden.“ (http://www.kinderrechtskonvention.info, Abfrage 8.11.2018). 69 Das Konzept „Ausländerpädagogik“ ist hier nach Diehm und Radtke (1999: 128) als „nachträgliche Rekonstruktion einer kritisierten Praxis“ zu verstehen, die bis etwa Anfang der 1980er Jahre im Umgang mit Migrantenkindern in Bildungsinstitutionen herrschte (ebd.), nicht als einheitliches Theoriegebäude (ebd.: 125 ff.).

2.2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit 47 Mehrheitssprache, am mehrheitssprachlichen Unterricht teilnehmen müssen (vgl. Skutnabb-Kangas 1999: 43ff.). Dennoch wird der Ansatz, kompensatorisch Deutschstunden und -klassen einzurichten, wie die gesamte Ausländerpädagogik seit den 1980er Jahren als defizitorientiert kritisiert (vgl. Diehm/Radtke 1999: 136). Zudem wirken getrennte Sprachförderklassen segregierend (vgl. ebd.: 130), so dass der paradoxe Effekt eintritt, dass ihre integrative Intention durch das Fördersetting konterkariert wird, besonders wenn diese Klassen auf Dauer angelegt sind (vgl. ebd.: 138). Das Ziel, dass durch kompensatorische Sprachförderung die Bildungschancen Mehrsprachiger ‚mit Migrationshintergrund‘70 sich denen von Kindern ‚ohne Migrationshintergrund‘ angleichen, wurde nicht erreicht. Die PISA 2000-Studie und ihre Nachfolgestudien71 zeigen ein schlechteres Abschneiden von Jugendlichen ‚mit Migrationshintergrund‘ im Vergleich zum Leistungsstand Gleichaltriger ‚ohne Migrationshintergrund‘ (vgl. Hortsch 2015: 11)72, obwohl zum Zeitpunkt der ersten PISA-Studie bereits seit Jahrzehnten segregierende Sprachförderung mit dem Ziel eines Ausgleichs von Bildungsbenachteiligungen praktiziert wurde. Segregierende Deutschförderung in Kindertagesstätten Durch das breite politische und mediale Echo auf die ersten Studien wie PISA oder IGLU wurde die Durchführung segregierender Deutschförderung besonders für den Vorschulbereich forciert und teils – etwa in Baden-Württemberg – flächendeckend eingeführt (vgl. Gasteiger-Klicpera/Knapp/Kucharz 2010: 7), in der Hoffnung, dass frühkindliche Bildung die Defizite der Schulpolitik auffangen könne (vgl. Diehm 2012). Doch auch im Bereich frühkindlicher Bildung ist segregierende Deutschförderung wenig erfolgversprechend (vgl. Abschnitt 2.1.3). Ein anderer Befund zeigt einen problematischen Nebeneffekt segregierender Sprachförderung für mehrsprachige Kinder: Diehm, Kuhn, Machold und Mai (2013) analysieren das in Nordrhein-Westfalen von 2007 bis 2014 verwendete „Delfin 4“Sprachscreeningsverfahren, das vierjährige Kinder auf ihre Performanz im 70 Nicht alle Kinder ‚mit Migrationshintergrund‘ sind lebensweltlich mehrsprachig, aber lebensweltlich mehrsprachige Kinder, die nicht einer der verschwindend kleinen autochthonen Sprachminderheiten wie Dänisch oder Sorbisch angehören, haben einen ‚Migrationshintergrund‘, siehe Abschnitt 3.6. 71 Auswertungen der auf Deutschland bezogenen PISA-Studien ab 2000 finden sich auf http://www.pisa.tum.de (Abfrage 21.11. 2018). 72 Rachner (2006) argumentiert, dass die Kompetenzmodellierung der PISA-Studie Aspekte u.a. mehrsprachigen Lernens zu wenig berücksichtigt und dass die Gründe für das schlechtere Abschneiden mehrsprachiger Kinder nicht durch die Studien selbst beantwortet werden. Zur Auswirkung der PISAStudien auf die Diskussionen um Sprachförderung siehe u.a. Dirim und Mecheril (2010: 99) sowie Lengyel (2018: 470).

48 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Deutschen hin testet und sie gegebenenfalls als förderbedürftig klassifiziert. Sie stellen fest, dass dieses Screening eine „Besonderung derjenigen Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist“ (ebd.: 653) darstellt. Kinder ‚mit Migrationshintergrund‘ wurden im Fall der untersuchten Kommune einem segregierenden Sprachkurs im Sinn kompensatorischer Sprachförderung zugewiesen, wohingegen Kinder ‚ohne Migrationshintergrund‘ Lesepaten im Sinn sprachlicher Bildung erhielten. Wie bereits im Abschnitt 2.1.3 zu früher sprachlicher Bildung und Sprachförderung beschrieben, wird trotz wachsender Kritik weiterhin segregierende Sprachförderung betrieben. Diese wird jedoch in zunehmendem Maße durch alltagsintegrierte Sprachbildung für alle Kinder ergänzt oder ersetzt73. Mehrsprachigkeit in Kitas: Konzeptionen Bezüglich des Stellenwerts von Familiensprachen in Kindertagesstätten können in den letzten Jahren vermehrt Bemühungen um Offenheit gegenüber migrationsbedingter Sprachenvielfalt auf bildungsprogrammatischer Ebene (vgl. KrügerPotratz 2011: 64; Jahreiß/Ertanir/Franke/Sachse/Kratzmann 2017: 44074) beobachtet werden. Auf der Ebene von Orientierungs- und Bildungsplänen für den Vorschulbereich wird das Thema Mehrsprachigkeit je nach Bundesland unterschiedlich konzeptualisiert (vgl. Lengyel/Salem 2018; zu einem Vergleich der Bildungsdokumente von Berlin, Thüringen und Baden-Württemberg zum Thema Mehrsprachigkeit siehe Thomauske 2017: 98 ff.)75. Mehrsprachigkeit wird in keinem Bildungsplan als Defizit gesehen. Häufig ist die Forderung vielmehr, Elemente wie Lieder, Geschichten oder Abzählverse aus verschiedenen Sprachen in den deutschsprachigen Kita-Alltag wertschätzend zu integrieren, wie etwa im Orientierungsplan für Baden-Württemberg (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2011: 37). In diesem Programm wird zwar von „Kompetenzen“ gesprochen, die Kinder in der Beherrschung ihrer „Herkunftssprachen“ aufweisen (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2011: 36), das Bildungsziel bezieht sich jedoch nur auf das Lernen des Deutschen (ebd.: 37). Im 2014 neu aufgelegten „Berliner Bildungsprogramm für Kitas und 73

Im baden-württembergischen „SPATZ“-Modell können Kita-Träger seit 2012 zwischen einem segregierenden und einem nicht-segregierenden Konzept wählen, vgl. http://www.kindergartenbw.de/,Lde/Startseite/SPATZ; Abfrage 21.11. 2018). 74 Jahreiß, Ertanir, Frank, Sachse und Kratzmann (2017: 441) führen in ihrem Forschungsüberblick auch normative Empfehlungen und Qualitätskriterien zum wertschätzenden Einbezug von Mehrsprachigkeit in Kitas von fachwissenschaftlicher Seite an. 75 Es sei auch auf jeweils aktuelle Dokumente aus Bundesländern sowie – auf die Schule bezogen – auf Beschlüsse der Kultusministerkonferenz hingewiesen, die sich auf http://www.bildungsserver.de bzw. http://www.kmk.org (Abfrage 21.11. 2018) befinden.

2.2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit 49 Kindertagespflege“ dagegen wird explizit von Mehrsprachigkeit als Bildungsziel gesprochen: „Sprachenvielfalt als Ressource und als Ziel in Bildungsprozessen“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2014: 102)76. Es gibt vermehrt Elternbildungsprojekte, die an die Herkunftssprachen der Eltern anknüpfen und an Kindertagesstätten angebunden sind, so die „Rucksack“Kita-Gruppen77, die Eltern anregen, ihr Kind in der Herkunftssprache zu Themen zu fördern, die parallel auf Deutsch in der Kita besprochen werden, sowie Spielgruppen, in denen Familiensprachen gesprochen werden oder die bilingual ausgerichtet sind78. Etwa 98% aller Kitas in Deutschland sind jedoch konzeptionell monolingual ausgerichtet. Von den 2% bilingualen Kitas ist die überwiegende Mehrheit bilingual mit den Prestigesprachen Englisch und Französisch79. Weniger als ein Tausendstel aller deutschen Kitas ist zweisprachig deutsch-türkisch angelegt (vgl. Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen FMKS e.V. 2014: 1), eine winzige Zahl angesichts der Tatsache, dass die größte Gruppe von Menschen ‚mit Migrationshintergrund‘ in Deutschland „türkeistämmig“ ist (Bundesministerium des Inneren/Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2014: 138)80. Im Vergleich zur institutionellen Mehrsprachigkeit anderer Länder81 nehmen Familiensprachen in deutschen vorschulischen Einrichtungen trotz bildungspro76

Für den Schulbereich beschreibt der Beschluss der Kultusministerkonferenz „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“ (2013: 3) folgendes Ziel: „Sie nimmt die sprachlich-kulturelle Vielfalt ihrer Schüler- und Elternschaft als Chance für interkulturelles Lernen bewusst wahr und berücksichtigt diese in der schulprogrammatischen Arbeit. Hierzu gehören auch die Würdigung und Förderung der sprachlichen Kompetenzen mehrsprachig aufwachsender Schülerinnen und Schüler.“ (https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Themen/Kultur/1996_10_25-Interkulturelle-Bildung.pdf, Abfrage 21.11.2018) 77 Exemplarisch seien die „Rucksack“-Grupppen in Nordrhein-Westfalen genannt, zu finden unter: Kommunale Integrationszentren. Landesweite Koordinierungsstelle: http://www.kommunale-integrationszentren-nrw.de/rucksack-1 (Abfrage 21.11. 2018). 78 Eine Statistik über Verbreitung, Nutzerkreis und Strukturen dieser Spielgruppen existiert den Rechercheergebnissen der Verfasserin zufolge nicht. 79 „In den bilingualen Kitas sind 21 verschiedene Sprachen vertreten: Die am häufigsten angebotene Fremdsprache ist Englisch in 437 Kitas (41%). An zweiter Stelle steht Französisch in 318 Kitas (30%). Es folgen mit Abstand Dänisch (57 Kitas, 5%, in Schleswig-Holstein), Spanisch (52 Kitas, 5%), Türkisch (42 Kitas, 4%), Russisch (36 Kitas, 3,5%), Sorbisch (32 Kitas, 3%, in Sachsen), Italienisch (20 Kitas, 2%),%) Plattdeutsch (19 Kitas, 2%, in Niedersachsen und Schleswig-Holstein) und mit weniger als ein Prozent Polnisch (acht Kitas), Griechisch (sieben Kitas), Tschechisch und Chinesisch (je sechs Kitas), Portugiesisch (fünf Kitas), Arabisch (vier Kitas), Japanisch (drei Kitas), Niederländisch (zwei Kitas) und je eine Kita mit Persisch, Hebräisch, Rumänisch und Schwedisch.“ (Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen FMKS e.V. 2014: 1). 80 Apeltauers wissenschaftlich evaluiertes und erfolgreiches „Kieler Modell“ (Apeltauer 2011 u.a.) für zweisprachig deutsch-türkische Kindergärten sei hier erwähnt. 81 Vgl. die Studie von Neumann, Schnoor und Seele (2012) zu vorschulischen Bildungseinrichtungen in Luxemburg.

50 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität grammatischer Offenheit und der oben genannten Initiativen einen geringen Raum ein. Oft existiert in Kindertagesstätten eine unterschwellige Stigmatisierung prestigeniedriger Migrantensprachen82, die das geringe gesellschaftliche Ansehen dieser Sprachen spiegelt83. Auch die von Thomauske (2013 a und b, 2014, 2017) untersuchten Aussagen von Erzieher*innen und Eltern zeigen diese Sprachhierarchien und damit auch Machtverhältnisse. Einzelne Eltern befürworten sogar das Verbot ihrer eigenen Erstsprache Türkisch in der Kita, da sie sich von besseren Deutschkenntnissen ihrer Kinder bessere Bildungschancen erhoffen (Thomauske 2014: 95; Thomauske 2017). Solche Sprachverbote wurden punktuell tatsächlich in die Praxis umgesetzt, sind politisch umstritten und wurden in der Forschung in Bezug auf deutsche Schulen kritisch diskutiert (vgl. Martin 2008; Fürstenau/Gomolla 2011: 13; Steinbach 2017). Durch die Abwertung prestigeniedriger Familiensprachen im Zuge von Assimilationsdruck können Sprachenkonflikte entstehen, die zur Verleugnung der Familiensprache oder zur Abwehr der dominanten Zweitsprache führen (vgl. Krumm 2009: 240 f.; vgl. auch ausführlich Gugenberger 2003)84. Günther und Günther (2007: 153) postulieren, dass die Praxis, Erstsprachen in Bildungseinrichtungen einzuschränken, „zu schweren emotionalen, sozialen, sprachlichen und kognitiven Beeinträchtigungen“ bis hin zum „schulischen Versagen“ führen kann (vgl. auch den nächsten Abschnitt). Angesichts dieser Bilanz stellt sich die Frage: Welche Praktiken sind in Studien über vorschulische Bildungsinstitutionen auf der Mikroebene erkennbar, die Mehrsprachigkeit im Vergleich zu Einsprachigkeit thematisieren?

82 Für eine globale Perspektive auf die Stigmatisierung von Sprachen und auf Sprachenverbote siehe Skutnabb-Kangas (1999). 83 In einer für Deutschland repräsentativen Umfrage (Rothe/Plewnia 2011: 221) nach den unsympathischsten Akzenten wurde als häufigstes Item genannt: „kein Akzent“ [d.h. „kein Akzent ist mir unsympathisch“, E.Zettl], danach folgten russische, türkische und polnische Akzente. Bei einer nichtrepräsentativen Schüler*innenumfrage wurden Türkisch und Russisch als die unsympathischsten Sprachen gesehen (ebd.: 227). 84 Brizić (2007) entwirft ein soziolinguistisches Modell, das erläutert, wie die Verdrängung und Verleugnung von Familiensprachen, wie z.B. Kurdisch in der Türkei, durch politische Verfolgung oder Assimilationsdruck vor der Migration eine Generation später in der Migrationssituation zu niedriger Sprachkompetenz z.B. im Deutschen führen kann.

2.2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit 51 Mehrsprachigkeit in vorschulischen Bildungsinstitutionen: Alltagspraktiken Für die Untersuchung von Alltagspraktiken in vorschulischen Bildungseinrichtungen in Bezug auf Mehrsprachigkeit bieten sich ethnographische Studien an85. Es gibt bereits einzelne, teils international vergleichende Studien zum Kita-Alltag in Hinblick auf Mehrsprachigkeit, Sprachförderung und Bildungsungleichheit. Wegweisend ist das „HeLiE“-Projekt, das die Themen Heterogenität und Literalität europäisch vergleichend im Übergang von vorschulischen zu schulischen Bildungsinstitutionen in Deutschland, Finnland, Luxemburg, Österreich und Griechenland untersucht (vgl. u.a. Christmann/Graf 2010; Christmann/Graf/Hortsch/Panagiotopoulou 2010; Hortsch 2010; Hortsch/Panagiotopoulou 2011; Christmann/Panagiotopoulou 2012; Hortsch 2015). Im Fokus stehen die „pädagogischdidaktischen Alltagspraktiken zur Sprach(en)- und Literalitätsförderung“ im Übergang vorschulischer Institutionen zur Schule mit Rücksicht auf strukturelle und curriculare Vorgaben und die „sprach- und schriftkulturellen Erfahrungen und Praktiken der teilnehmenden Vor-/Schulkinder“ (Christmann/Graf/Hortsch/Panagiotopoulou 2010: 115, Herv. i. O.). Beobachtet werden mehrsprachige Kinder ‚mit Migrationshintergrund‘, deren Bildungslaufbahn laut internationalen Studien als gefährdet gilt (ebd.: 116). Aus Platzgründen wird im Rahmen dieser Arbeit nur auf Ergebnisse verwiesen, die sich auf vorschulische Bildungseinrichtungen in Deutschland beziehen. Ergebnisse des „HeLiE“-Projekts und weiterer ethnographischer Studien werden im Folgenden thematisch gebündelt vorgestellt. Verschiedene Praktiken von Erzieher*innen in Bezug auf kindliche Mehrsprachigkeit weisen punktuell auf verschiedene Diskurse zu Mehrsprachigkeit hin: Akzeptanz und Integration der Erstsprache, Duldung von Mehrsprachigkeit ohne Wertschätzung, Differenzkonstruktionen zwischen prestigehohen und -niedrigen Sprachen und schließlich Abwertung nicht deutscher Erstsprachen. Die Akzeptanz und Integration der Erstsprache eines Kindes wird anhand einer Bilderbuchbetrachtungssequenz deutlich, in der ein Kind zu einer pädagogischen Professionellen in einer Sprache spricht, von der die Forscherin vermutet, es sei Urdu (Kuhn 2013: 168). Eine Duldung von Mehrsprachigkeit ohne Wertschätzung zeigt sich in der von Christmann und Graf (2010: 197f.) beobachteten Sprachfördersequenz: Die Sprachförderkraft lobt hier die Kinder für ihre Fortschritte im Deutschen und geht auf deren Äußerungen, dass sie zweisprachig seien, nicht ein. Sie betont im Sinn eines „monolingualen Habitus“ nur die

85 Wegen ihres Designs können ethnographische Studien, die keinen Längsschnitt darstellen, eher Differenzkonstruktionen als Ungleichheiten darstellen (vgl. ausführlicher Abschnitt 4.2.6 und den Thementeil der Zeitschrift für Pädagogik 2013: 5).

52 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Wichtigkeit des Deutschen für die Schule86. Hortsch (2015: 192) vergleicht eine finnische und eine deutsche Kindertagesstätte, u.a. in Bezug auf die Berücksichtigung der Erstsprachen mehrsprachiger Kinder. Sie stellt fest, dass diese in beiden Ländern von pädagogischen Professionellen nicht berücksichtigt werden und damit institutionell „implizit die jeweilige Landessprache gegenüber den mitgebrachten Sprachen der Kinder deutlich betont“ (ebd.) wird. Diehm und Magyar-Haas (2010: 112) beschreiben anhand der Analyse einer Sequenz, in der eine Erzieherin ein mehrsprachiges Kind adressiert: „Everything that is not stated in German is devalued and discriminated“. Praktiken von Kindern in deutschen Kitas, die Mehrsprachigkeit thematisieren, werden von Christmann und Graf (2010: 197f.) sowie Seele (2012: 316f.) dargestellt. Christmann und Graf beobachten, wie ein Junge, der kein Urdu versteht, mehrfach zwei Urdu sprechende Mädchen auffordert, Deutsch zu reden. Seele beschreibt, wie ein Mädchen (zweisprachig Deutsch/Arabisch) einen arabisch sprechenden Jungen fragt, warum er kein Deutsch spreche. In beiden Sequenzen wird Deutsch als Normalität gesehen und die Verwendung von Familiensprachen als Abweichung davon, was auf eine übersituative monolinguale Norm hindeutet. Bei der zweiten Sequenz könnte, wie Christmann und Graf (2010: 197f.) darlegen, zudem auch ein Wunsch des Jungen nach Kommunikation eine Rolle spielen. In den angeführten Datenbeispielen wird eine Bandbreite von Haltungen zwischen Wertschätzung und Abwertung von Erstsprachen durch Erzieher*innen sowie ein Einfordern des Deutschen durch Kinder deutlich. Die quantitative87 Studie von Kratzmann, Jahreiß, Frank, Ertanir und Sachse (2017), die Einstellungen und Fachwissen pädagogischer Fachkräfte zu Mehrsprachigkeit, ihre Berufsbiographien, mehrsprachigkeitsbezogene Performanz und Ausstattung der Kitas in Bezug auf Mehrsprachigkeit in süddeutschen Kitas erforscht, ergänzt diese Befunde. Jahreiß et al. gehen von drei Einstellungsdimensionen elementarpädagogischer Professionellen zu Mehrsprachigkeit aus: „multilingual-pädagogisch“ („Zweisprachigkeit als besondere Kompetenz, von der auch einsprachig deutsche Kinder profitieren, als positiv bzw. als Normalfall, anzusehen“, ebd.: 245); „assimilatorisch“ („eine Anpassung der mehrsprachig aufwachsenden Kinder an die deutsche Sprache“, ebd.) und „kompensatorisch“ („einen Ausgleich von Unterschieden zwischen einsprachig und mehrsprachig aufwachsenden Kindern herbeizuführen“, 86 Im internationalen Vergleich des „HeLiE“-Projekts zeigt sich, dass z.B. in den beobachteten Luxemburger Kita-Praktiken ein stärkerer Einbezug und eine stärkere Wertschätzung verschiedener Erstsprachen herrscht. 87 Diese Studie, die Praktiken unter Einbezug von Mehrsprachigkeit quantitativ als „Performanz“ zusammenfasst, bietet eine wertvolle Ergänzung zu den hier dargestellten ethnographischen Daten.

2.2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung: Umgang mit Mehrsprachigkeit 53 ebd: 246). Sie stellen erwartungsgemäß fest, dass diese Einstellungen in Zusammenhang mit dem pädagogischen Handeln der Fachkräfte stehen; die multilingualpädagogische Einstellung steht in positivem Zusammenhang zur Integration von Mehrsprachigkeit im Kita-Alltag, die assimilatorische und kompensatorische in einem negativen Zusammenhang (vgl. ebd.: 253). Nicht nur die Einstellungen, sondern auch das Fachwissen zu Mehrsprachigkeit stehen in Zusammenhang mit pädagogischem Handeln, wobei eine höhere Berufsausbildung mit höherem Fachwissen einhergeht (vgl. ebd: 253); zugleich sind Merkmale der jeweiligen Institution unabhängig von den einzelnen Professionellen relevant (ebd.: 255). So zeigt sich, dass eine hohe Anzahl an in der Kita gesprochenen Familiensprachen mehrsprachiges Handeln insofern einschränkt, dass eine Kommunikation in anderen Sprachen als Deutsch kaum umsetzbar ist (vgl. ebd.: 254); ein hoher Anteil von mehrsprachigen Kindern in einer Kita erhöht dagegen die mehrsprachigkeitsintegrierende Performanz (vgl. ebd: 55). Im Vergleich solcher Befunde mit ethnographischen Daten aus anderen Ländern mit einer stärkeren institutionellen Verankerung von Mehrsprachigkeit zeigt sich, dass die Bandbreite von Praktiken in Bezug auf Mehrsprachigkeit noch größer sein kann als in den erforschten deutschen Kitas, bis hin zu einer pragmatischen Zweisprachigkeit von Erzieher*innen und Kindern, die je nach Situation mit verschiedenen Kindern verschiedene Sprachen sprechen (Neumann/Schnoor /Seele 2012: 42ff.88). Die vorliegende Arbeit ergänzt die gegenwärtige Forschung zu Mehrsprachigkeit in vorschulischen Bildungsinstitutionen. Jede der erforschten Einrichtungen ist anders. Bedingt sind die Unterschiede u.a. durch sozialräumliche Ungleichheiten, die sich auf die Zusammensetzung der Kindergruppe auswirken, sowie im Vergleich zur Schule durch eine relative Freiheit in der Gestaltung des pädagogischen Alltags und die Unterschiede in der Trägerschaft (kirchliche Kitas haben 88 Neumann, Schnoor und Seele (2012) beschreiben drei Typen institutionellen Umgangs mit sprachlicher Diversität in Luxemburg. Der erste ist eine Monolingualisierung: Kinder, die Französisch sprechen, werden angehalten, Luxemburgisch zu sprechen (Förderung des Luxemburgischen); der zweite ist das Prinzip des „one face-one speech“, bei dem Erzieher*innen jeweils eine Sprache sprechen und die Kinder in verschiedenen Sprachen antworten können (Förderung multipler Einsprachigkeit). Ein dritter Typ ist eine pragmatische Zweisprachigkeit, in der Erzieher*innen mit verschiedenen Kindern verschiedene Sprachen sprechen (verständigungs- und nicht förderorientiert). Die Autor*innen konstatieren (ebd.: 43), dass sprachliche Verschiedenheit im Kindergarten in vorschulischen Bildungseinrichtungen nicht nur bearbeitet, sondern auch erzeugt wird. Die verschiedenen Strategien in den verschiedenen Einrichtungen produzieren sprachliche Diversität (ebd.: 43). Vgl. auch Neumann (2015: 35), der die Monolingualisierung in vielen Kitas in Luxemburg kritisiert, unter anderem, weil sie nicht auf das Translanguaging im luxemburgischen Alltag vorbereite. Zudem werde (vgl. ebd.) durch die forcierte Einsprachigkeit eine Differenz zwischen Kindergruppen hervorgehoben, die das Problem der Besonderung einiger Kindergruppen und ungleicher Bildungschancen erst erzeuge, das sie zu lösen vorgebe.

54 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität andere Auswahlkriterien für Personal und z.T. Kinder und teils andere Inhalte als kommunale). Es gibt dennoch Anknüpfungspunkte an bereits vorliegende Studien. Die von Seele (2012) und Diehm und Magyar-Haas (2010) herausgearbeiteten Differenzkonstruktionen zwischen verschiedenen Sprachen und besonders die Dichotomie Deutsch/Nicht-Deutsch werden auch in der vorliegenden Arbeit vertieft analysiert und erstmals explizit in Bezug zu Diskursen zu Mehrsprachigkeit gesetzt. Als weiterführende methodische Einbettung des Dateninterpretationsteils wird im Anschluss an das vorliegende Kapitel das Thema Literalität diskutiert. Auf diesem Aspekt sprachlicher Bildung liegt sowohl im Bereich früher sprachlicher Bildung im Allgemeinen als auch in den erhobenen Daten ein besonderer Schwerpunkt. Frühe sprachliche Bildung und Förderung in Bezug auf Literalität Der zweite thematische Schwerpunkt dieser Arbeit, Literalität, wird im Folgenden theoretisch umrissen. Zunächst werden verschiedene Konzeptionen von Literalität vorgestellt, um die Verwendung des Begriffs in der vorliegenden Arbeit zu präzisieren. Literalität wird vertieft als Set sozialer Praktiken und unter linguistischen Aspekten sowie in Hinblick auf das Alter vor Schulbeginn dargestellt. Anschließend werden Bildungsbedingungen in Bezug auf Literalität mit einem Schwerpunkt auf dem Kita-Alter skizziert. Zum Konzept „Literalität“ Ähnlich wie Mehrsprachigkeit ist Literalität ein Konzept, das stark normative Implikationen haben kann, die reflektiert werden müssen. Anders als Mehrsprachigkeit, die in einigen Diskursen als zu kompensierendes Defizit thematisiert wird, ist Literalität jedoch durchweg positiv konnotiert. Als defizitär wird eher, manchmal unreflektiert, eine Literalitätsferne von Kindern aus „benachteiligten Milieus“ angenommen (vgl. kritisch zu dieser Annahme Gregory/Williams 2000: 1f.89). Während nur wenige Autor*innen Mehrsprachigkeit als Bildungsziel für alle Kinder fordern, ist es in erziehungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Diskursen unwidersprochen, dass Literalität ein zentrales Bildungsziel für alle (Schul-)Kinder ist (vgl. Knapp/Kucharz/Gasteiger-Klicpera 2010: 135). Für das Alter, in dem Kinder vorschulische Bildungseinrichtungen besuchen, ist zumindest im deutsch89 Gregory und Williams (2000) schreiben in Bezug auf London von dem Mythos, dass Armut mit einem Defizit an Literalität einhergehe.

2.3 Frühe sprachliche Bildung und Förderung in Bezug auf Literalität

55

sprachigen Raum Literalität als Bildungsziel und Forschungsgegenstand noch ein relativ neues und nicht einheitlich definiertes Konzept mit verschiedenen Begriffen. Nickel (2014: 650) schreibt mit Verweis auf Rau (2007) und SauerbornRuhnau (2011): „Die Etablierung einer umfassenden Literacy-Theorie und der entsprechende wissenschaftliche Fachdiskurs, was unter Literacy-Bildung im Elementarbereich verstanden werden soll, haben in der deutschsprachigen Community de facto gerade erst begonnen.“

Die Begriffe „Literacy“ oder „Literalität“90 werden je nach Forschungsrichtung – Sprachwissenschaft und Deutschdidaktik, Entwicklungspsychologie, Erziehungswissenschaft und Anthropologie – unterschiedlich verwendet (zu einer Übersicht der Begriffsverwendungen und Forschungsdebatten im anglo-amerikanischen Raum vgl. Snow 2004; für den deutschsprachigen und z.T. angelsächsischen Raum vgl. Feilke 2006; Panagiotopoulou/Wintermeyer 2006; Bertschi-Kaufmann/Rosebrock 2009: 7ff.; Isler/Künzli/Leemann 2010: 61 ff.; Nickel 2010: 223ff.; Cordeiro/Isler/Thévenaz-Christen 2011: 18f; Isler 2014: 10ff.; Nickel 2014: 649ff.; Hortsch 2015: 38ff.)91. Allerdings werden diese Begriffe oft nicht synonym gebraucht. „Literacy“ kann in einem weiten Sinn, der in der vorliegenden Arbeit nicht verwendet wird, allgemeine Grundkompetenzen, etwa in den Begriffen „digital literacy“ oder „mathematical literacy“, bezeichnen (vgl. Sting 2003: 22, zit. in Panagiotopoulou/Wintermeyer 2006: 8), während der deutsche Begriff „Literalität“ oft enger gefasst ist und häufig synonym mit „Schriftkultur“ verwendet wird (vgl. ebd.). Angesichts einer Vielzahl von Verwendungen der verschiedenen Begriffe und Perspektiven zeigt Nickel (2010: 223) drei Forschungsrichtungen zu Literalität auf. Die erste vertritt eine kognitionspsychologische Sichtweise, die Literalität als Entwicklungsprozess kognitiver Umstrukturierung begreift (für eine entwicklungspsychologische Modellierung von Literalität im Kita-Alter vgl. Nickel 2013: 506ff.). Die zweite ist die „Skills-Perspektive“, die Literalität als Summe von Teilfähigkeiten sieht, wie sie etwa in Bildungsplänen oder internationalen Schulleistungsstudien als Lese- und Schreibkompetenzen operationalisiert werden. Die 90

Ulich (2003: 6) erläutert, dass der Begriff „Literalität“ in Anlehnung an das englische „Literacy“ gebildet sei. Nickel (2007: 87f.) präzisiert, Literalität sei an Buchstaben, also an graphische Zeichen gebunden. Literacy hingegen beziehe auch den Bereich der Literarität [Herv. E. Zettl], also die ästhetische Dimension der Ideen und Imaginationen, mit ein. Die vorliegende Arbeit bezieht unter dem Stichwort „Literalität“, den Begriffsverwendungen von Barton (2007) und Isler (2014) folgend, auch Praktiken mit ein, die nicht direkt an graphische Zeichen oder andere Artefakte gebunden, aber schriftsprachlich orientiert sind und sich damit der von Nickel erwähnten Ebene der Literarität annähern können.

91

56 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität dritte Forschungsrichtung nimmt einen Blickwinkel auf Literalität als Set sozialer Praktiken ein und betont die soziale Situiertheit von Literalitätspraktiken92. Diese Perspektive liegt auch den Untersuchungen der vorliegenden Arbeit zugrunde, da die ethnographisch erhobenen Daten sich gut anhand des Begriffs der Praktiken auswerten lassen (vgl. auch Kapitel 4) und der nicht-normative Blickwinkel dieser Sichtweise mit der qualitativen Forschung kompatibel ist. In der vorliegenden Arbeit wird dieses Konzept in Anlehnung an Isler (2014) durch eine linguistische Perspektive, die ebenfalls nicht-normativ argumentiert und sich gut mit dem Praxisbegriff verbinden lässt, vertieft: Literalität als konzeptionelle und/oder mediale Schriftlichkeit und metakommunikative Objektivierung von Sprache (vgl. dazu auch Nickel 2014). Im Abschnitt 2.3.5 werden auch kurz, um Aspekte des Themas Literalität und Bildungsbedingungen zu skizzieren, Elemente der kompetenzorientierten „Skills-Perspektive“ aufgezeigt, wie sie in internationalen Schulleistungsstudien dargestellt werden. Literalität als Set von Praktiken93 Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit wurde von den „New Literacy Studies“ inspiriert (z.B. Gregory/Williams 2001; Pahl/Rowsell 2005; Pahl/Rowsell (Hrsg.) 2006; Barton 2007: 34f.). Diese sind der „Theoriefamilie“ der Cultural Studies zugehörig (vgl. Grotlüschen/Heinemann/Nienkemper 2009: 62) und beschreiben vielfältige, nicht nur schulisch geforderte Literalitätspraktiken differenziert nach Milieus, Gender, Alter und institutionellen sowie familiären Kontexten (vgl. Barton 2007; Grotlüschen/Heinemann/Nienkemper 2009: 55). So untersucht etwa Rosowsky in seiner Studie „Heavenly Readings“ (2008) mehrsprachige 92

Eine weitere Perspektive ist die von Literalität als Befähigung im Sinne von Nussbaums „capability approach“. Sie ist gut mit dem Ansatz kombinierbar, Literalität als soziale Praxis zu sehen, fasst den Literalitätsbegriff jedoch sehr weit, so dass er mit dem Begriff „sprachliche Bildung“ synonym wird. Diehm und Magyar-Haas (2011: 223) fassen diesen Ansatz in Bezug auf Nussbaum (2000: 71) so zusammen: „Insbesondere die Schaffung von Gelingensbedingungen gilt es zu berücksichtigen, wenn es um Fragen von Erziehung und Bildung geht. Gefragt wird mithin danach, welche Ressourcen bereitgestellt werden und wie mit diesen umgegangen wird (…), damit jede/r über Wahlmöglichkeiten verfügen kann, um die eigene Vorstellung vom guten Leben zu verwirklichen, zu welchem literacy eine Grundvoraussetzung darstellt. Literacy als eine capability im Sinne Nussbaums bedarf äußerer, arrangierter, materieller und personeller Bedingungen, um möglichst vollumfänglich zur Geltung kommen zu können. Analog dazu werden hier unter literacy nicht nur die Lese- und Schreibkompetenzen oder das Verständnis und die Wiedergabe vom Sinngehalt unterschiedlicher Texte verstanden, vielmehr steht sie für eine umfassende sprachliche Bildung, die den Zugang zur Welt über Sprache eröffnet und umgekehrt die Verbindung des Individuums zur Welt ermöglicht.“ Es wäre Aufgabe einer eigenen Studie, die Daten der vorliegenden Arbeit unter diesem Blickwinkel zu interpretieren. 93 Zum Begriff der Praktiken vgl. auch Abschnitt 3.1.

2.3 Frühe sprachliche Bildung und Förderung in Bezug auf Literalität

57

liturgische Literalitätspraktiken einer Koranschule in England und definiert liturgische Literalität: „it restricts the literacy involved to that exclusively used for ritual and devotional practices“ (Rosowsky 2008: 3; zu religionsbezogener Literalität an einer englischen katholischen Grundschule vgl. auch Papen (2018)). Mit der Beschreibung dieser Praktiken geht eine Forderung nach ihrer Anerkennung und Aufwertung als Ressourcen einher, die die Gleichwertigkeit aller Literalitätspraktiken postuliert94 (vgl. Grotlüschen/Heinemann/Nienkemper 2009: 55; 62). Wie alle Praktiken sind Literalitätspraktiken historisch doppelt situiert: in der individuellen Lebensgeschichte und in historisch entstandenen sozialen Kontexten (vgl. Barton 2007: 35)95. Im deutschsprachigen Raum wird diese Sicht auf Literalität etwa von Nickel rezipiert. Er beschreibt in Anlehnung an die „New Literacy Studies“ Literalität als „Set unterschiedlicher sozialer Praxen96 [die auf Schriftsprache bezogen sind, E. Zettl], die mit verschiedenen Lebensbereichen (Familie, Schule, Arbeitsplatz, Religion etc.) verbunden sind“97 (Nickel 2010: 224; vgl. auch Pahl/Rowsell 2005; Pahl/Rowsell (Hrsg.) 2006, Barton 2007: 34f.). Isler (2014: 15) verwendet ebenfalls den Praxisbegriff und verknüpft diesen mit dem linguistischen Modell von Koch/Oesterreicher (1994) zu konzeptioneller und medialer Schriftlichkeit (vgl. auch Nickel 2007: 13ff.). Dieses Modell wird für die vorliegende Arbeit übernommen und deshalb im Folgenden auch in seinen Weiterentwicklungen und Ergänzungen kurz skizziert.

94 Eine klassische Studie der „New Literacy Studies“ ist „City Literacies“ (Gregory/Williams 2000) über ein von Migration geprägtes Stadtviertel in London. Die Autorinnen analysieren eine Fülle von familiären und im Quartier verankerten Literalitätspraktiken in verschiedenen Sprachen, die zwar nicht unbedingt den vom britischen Lehrplan geforderten entsprechen, aber wertvolle Ressourcen darstellen. 95 Für einen Überblick zu historischen Ausprägungen von Literalität, der allerdings einen engeren Literalitätsbegriff als die „New Literacy Studies“ verwendet, siehe Feilke (2006: 16f.). 96 In erziehungwissenschaftlichen Arbeiten, die praxistheoretisch argumentieren, werden die Pluralformen „Praxen“ und „Praktiken“ verwendet, je nachdem, ob als Singular „Praxis“ oder „Praktik“ angenommen wird. Die vorliegende Arbeit verwendet die Pluralform „Praktiken“ synonym zu „Praxen“. 97 Um die lebensweltliche Vielfalt dieser Praktiken zu betonen, wird „Literalität“ bei einigen Autoren auch in den Plural gesetzt. So schreibt Nickel (2010: 224) von „Literalitäten“, die er so definiert: „Wo sich die verschiedenen Praktiken des Schriftgebrauchs zu kohärenten Gruppen clustern lassen, ist es sehr hilfreich, von ihnen als unterscheidbaren Literalitäten zu sprechen. Eine Literalität ist dabei eine stabile, kohärente, identifizierbare Konfiguration von Praxen wie z.B. die Literalität des Rechts oder die Literalität spezifischer Arbeitsplätze“. Während die vorliegende Arbeit Nickels Sicht auf die Vielfältigkeit literaler Praktiken teilt, wird hier Literalität als Überbegriff für verschiedene Praktiken im Singular verwendet, um das Verbindende all dieser Praktiken – ihre konzeptionelle und/oder mediale Schriftlichkeit – zu betonen.

58 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Linguistische Aspekte von Literalität Koch und Oesterreicher (1994: 587) differenzieren das alltagssprachlich verwendete Begriffspaar „mündlich“ vs. „schriftlich“ in „medial“ und „konzeptionell“ mündlich bzw. schriftlich aus. Einerseits existiert eine Dichotomie von medial schriftlichen, also graphisch notierten, sprachlichen Äußerungen und medial mündlichen, also phonischen, Äußerungen. Andererseits gibt es ein Kontinuum zwischen den beiden Polen von konzeptionell schriftlichen und konzeptionell mündlichen Äußerungen (vgl. ebd.: 588): Während eine Vorlesung medial mündlich, aber konzeptionell schriftlich sein kann, können eine E-Mail oder ein Privatbrief medial schriftlich, konzeptionell aber mündlich sein. Konzeptionelle Mündlichkeit zeichnet sich durch Spontaneität, Dialogizität, Vertrautheit der Kommunikationspartner und stärkeren Bezug auf Sprecher-origo aus, also Bezug auf den Referenzpunkt der Sprecherin/des Sprechers, der sich durch Ausdrücke wie „ich“, „hier“, „da drüben“ oder „in einer Stunde“ zeigt. Charakteristika für den Pol der konzeptionellen Schriftlichkeit sind dagegen: „’raumzeitliche Distanz’, ’öffentlich’, ’fremde Partner’, ’emotionslos’, ’situations- und handlungsentbunden’, ’wenig Referenz auf origo’, ’keine Kooperationsmöglichkeit seitens des Rezipienten’, ’monologisch’, ’reflektiert-geplant’, ’fixes Thema’ usw.“ (ebd.). Konzeptionelle Schriftlichkeit ermöglicht es, Äußerungen über große Distanzen und Zeiträume hinweg verfügbar zu halten (vgl. ebd.). Auf textuell-pragmatischer Ebene ist sie u.a. durch eine sprachlich erzeugte Textkohärenz in einer komplexen Verknüpfung von Sätzen und Satzteilen, die über eine „und“Reihung hinausgeht, gekennzeichnet. Aus lexikalisch-semantischer Perspektive wird der Wortschatz ausdifferenziert, um die fehlenden Kontextinformationen auszugleichen. Synonyme, Abstrakta, Entlehnungen und eine standardisierte Terminologie kennzeichnen diese Differenzierung (vgl. ebd.). Feilke (2006) greift diese Überlegungen auf und ergänzt sie in seinen Ausführungen zum Strukturaspekt von Literalität. Er sieht als Hauptmerkmal konzeptioneller Schriftlichkeit „die maximale formale (sprachstrukturelle) Absicherung des Verstehens bzw. maximale Kontextunabhängigkeit für alle sprachlichen Formebenen (Wort, Satz und Text)“ (ebd.: 26), die mit einer maximalen Explizitheit einhergeht. Laute, auch nicht gehörte, die phonologisch zur Wortform gehören, Wörter, Sätze, Beziehungen zwischen Sätzen und Kontexte müssen expliziert werden und können nicht wie bei mündlicher Kommunikation aus dem Kontext erschlossen werden (vgl. ebd.: 27). Wenn „mündliche ‚Text’-Produktionen“ (Isler 2014: 13) zum eben beschriebenen Spektrum kommunikativer Schriftlichkeit gehören, zeichnen sie sich durch „global strukturierte Diskurseinheiten“ (ebd.: 14) aus. Diese können unterteilt werden in „darstellende realitätsbezogene“ und „darstellende fiktionale“ Erzäh-

2.3 Frühe sprachliche Bildung und Förderung in Bezug auf Literalität

59

lungen, in die Kategorie „instruierender/erklärender/argumentierender Sprachgebrauch“ sowie das Objektivieren von Sprache „auf einer metakommunikativen Ebene“ (ebd.), wobei zum Objektivieren von Sprache nicht nur explizite Sprachreflexionen gehören, sondern auch etwa Sprachspiele (vgl. ebd.) wie in vielen Kinderversen98. Isler (2014: 11) betont in Rekurs auf Wygotski (1934/1986) und Lahire (1993), dass eine „metakommunikative Objektivierung von Sprache als Gegenstand“ allgemein Voraussetzung für den Schriftspracherwerb, aber auch für „eine grundsätzliche Neustrukturierung des Denkens“ ist: Indem Sprache nicht nur pragmatisch gebraucht, sondern als Zeichensystem erkennbar wird, ermöglicht dieser reflexive Zugang eine über Begriffe vermittelte, systematische Perspektive auf die Welt. Feilke (2006: 27) argumentiert, dass Kinder für einen erfolgreichen Schrifterwerb eine „literale Sprachbewusstheit“ in Bezug auf schriftsprachliche Explizitformen lernen müssen. Isler (2014: 15) spricht von literalen Praktiken, wenn sie eines oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllen (Herv. i. O.)99: „* Sie dienen als (medial) mündliche Sprachhandlung der Ko-Konstruktion komplexer, situationstranszendierender Bedeutung (insbesondere beim realitätsbezogenen Berichten, beim fiktionalen Erzählen, beim Anleiten, Erklären und Argumentieren). Dabei erfüllen sie Anforderungen der schriftsprachlichen Standardvarietät (Kontextreduktion, Monologizität, Explizitheit, Korrektheit). * Sie dienen als (medial) schriftliche Sprachhandlungen der Kodierung oder Dekodierung von Bedeutung mittels konventioneller Zeichensysteme (Symbole und Schrift). * Sie dienen der Objektivierung von Sprache und dem Aufbau eines theoretisch-reflexiven Zugangs zur Sprache und zur Welt.“

Die vorliegende Arbeit folgt den Definitionen von Isler mit einer kleinen Einschränkung: Praktiken im Umgang mit schriftlosen Symbolen werden in 98 Aufgabe einer eigenen Arbeit wäre es, das Thema „Frühe Literalität“ noch stärker konzeptionell mit dem Thema Musik (Kinderlieder, rhythmisch gesprochene Verse) zu verknüpfen. Auch wenn Kinderlieder den Kindern nicht in schriftlicher Form vorliegen oder sie von den Kindern improvisatorisch verändert oder neu geschaffen werden, enthalten sie literale Elemente. Durch die Wiederholbarkeit der Lieder ist eine stärkere Kontextunabhängigkeit gegeben als in mündlichen Gesprächen. Narrative Elemente in Liedern sind ebenfalls literal. Reime, Rhythmen, die eine ungewöhnliche Betonung von Worten verlangen, Wortspiele und das Zerlegen von Worten in Silben und Laute beim Singen lenken den Blick weg vom Inhalt der Worte hin zu ihrem Klang und damit in Richtung einer Perspektive auf Sprache als Gegenstand. 99 Diese Definition schließt auch literale Fähigkeiten ein, was für die vorliegende Arbeit nicht relevant ist. Sie wird bei Isler für seine ethnographischen Studien an 5- bis 6-jährigen Kindern verwendet, wäre aber m.E. auch verallgemeinerbar auf Literalitätspraktiken allgemein.

60 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Anlehnung an Kress (1997: 116) in der vorliegenden Arbeit nicht zu Literalität gezählt, um den Literalitätsbegriff etwas einzugrenzen und damit für die Analyse der vorliegenden Daten zu schärfen100. Literalitätspraktiken101 von Kindern vor Schuleintritt In der Forschung haben sich verschiedene Termini entwickelt, die sich auf Literalität vor Schulbeginn beziehen. Das Konzept „Frühe Literalität“ (Sales Cordeiro/Isler/Thévenaz-Christen 2011:19) wird in der Forschung weitgehend synonym mit dem im amerikanischen Sprachraum gebräuchlichen Konzept „Emergent literacy“ (Yaden/Rowe/MacGillivray 1999:1; Nickel 2013: 501) verwendet102. Eine klare Abgrenzung vom „konventionellen Lesen und Schreiben“ und anderen schulischen Praktiken (Nickel 2013: 501) erscheint jedoch schwierig (vgl. auch Dehn 2011). Es ist eher ein Kontinuum von vorschulischen zu schulischen Praktiken der Unterstufe zu beobachten103. Zudem sind im Datenmaterial literale Praktiken teils an Kinder und Eltern adressiert (vgl. Kapitel 6.); Kinder beobachten auch literale Praktiken von Erwachsenen, was die Kategorie „Frühe Literalität“ sprengen würde und dennoch zur Lebenswelt von Kita-Kindern gehört. Daher wird in der vorliegenden Arbeit in Anlehnung an Isler (2014) auf die Verwendung eines eigenen Konzepts „frühe Literalität“ verzichtet und in der Kita beobachtete Praktiken, die der Definition von 2.3.3 folgen, als „literal“ bezeichnet. 100

Stattdessen wird für ein kleines Datenbeispiel mit schriftlosen Zeichen das Konzept der „social semiotics“ nach Jewitt und Kress (2003; 2010) verwendet, das im Abschnitt 6.1 skizziert wird. 101 Die vorliegende Arbeit nimmt weder den literalen Sozialisationsprozess, eine entwicklungspsychologische Modellierung noch eine Übersicht über Förderprogramme in den Blick. Für diese Aspekte vgl. Nickel (2013) und (2014). 102 Die Definition von „früh“ wird bei einigen Autor*innen entlang von Altersgrenzen konstruiert. Sales Cordeiro, Isler und Thévenaz-Christen (2011: 20) beziehen sich zwei- bis sechsjährige Kinder, Kümmerling-Meibauer (2011: 1f.) nimmt gezielt Kinder zwischen zehn Monaten und drei Jahren in den Fokus. Bei anderen wird „früh“ entlang institutioneller Rahmenbedingungen definiert: Sales Cordeiro, Isler und Thévenaz-Christen (2011: 19) markieren den „formellen Erstunterricht im Lesen und Schreiben“ als Grenze). 103 In anderen Ländern ist der Übergang von vorschulischen Institutionen zur Grundschule in Bezug auf Literalitätspraktiken noch fließender. Das schweizerische Konzept der Basisstufe etwa verbindet Kindergarten und Unterstufe in altersgemischtem Lernen und bringt damit Kindergartenkinder früher und stärker mit literalen Praktiken in Kontakt (vgl. Juska-Bacher et al. 2011: 69). Auf Finnland bezogen schreiben Hortsch und Panagiotopoulou (2011: 22), dass ein Drittel der finnischen Kinder bei Schuleintritt bereits lesen können. Andererseits haben Praktiken, die vorschulischer Literalität zugeschrieben werden, wie Vorlesen, auch nach dem Übergang von vorschulischen Bildungsinstitutionen in die Grundschule ihren Platz (ebd.: 23). Das Projekt „HeLiE“, das in verschiedenen europäischen Ländern Übergänge zwischen vorschulischen Bildungsinstitutionen und Grundschule in Bezug auf Literalität in den Blick nimmt, verwendet konsequenterweise nur den Begriff Literalität (vgl. ebd.) und verzichtet auf das Konzept „früher Literalität“.

2.3 Frühe sprachliche Bildung und Förderung in Bezug auf Literalität

61

Literalität im Kita-Alter kann u.a. bezeichnet werden als eine soziale „Teilhabe an einer elementaren literalen Praxis“ (Nickel 2013: 501). Diese Teilhabe ermöglicht „das kindliche Erfahrungswissen über den soziokulturellen Gebrauch von Schrift (dazu gehören: das Erkennen der Funktion von Schrift, die Entwicklung eines Buchstaben- bzw. Schriftkonzepts, die Ausbildung narrativer Fertigkeiten)“ (ebd.: 502). Praktiken, die dieses kindliche Erfahrungswissen ermöglichen104, sind etwa gemeinsames Geschichtenerzählen, Bilderbuchbetrachten und Vorlesen (vgl. Ulich 2003), das Sprechen und Singen von Versen und Spielliedern. Praktiken im Umgang mit Schrift und Symbolen ermöglichen auch eine erste Teilhabe an symbolischen Welten, wie das Erkennen, Zeichnen und Erfinden von Logos oder Buchstaben oder das Diktieren von Texten wie z.B. einer Einkaufsliste oder einer Textnachricht. Praktiken der Sprachreflexion, z.B. im Vergleich, wie lang verschiedene Wörter sind, oder in der Überlegung, welches Wort zu welcher Sprache gehört, gehören ebenfalls dazu (vgl. Ulich 2003: 13ff., Isler/Künzli/Leemann 2010: 62; Isler 2014105). Aus deutschdidaktischer Perspektive bieten solche literalen Praktiken viele Gelegenheiten für Lernprozesse. Sie fördern etwa die phonologische Bewusstheit und ermöglichen es, Sprache zu objektivieren (vgl. Isler 2014: 77). Nicht zuletzt eröffnen sie ein ästhetisches Erleben106 von Sprache, das nicht nur instrumentell der Kommunikation und Versprachlichung kognitiver Prozesse dient, sondern Freude vermittelt (zur Vorbereitung von Lesefreude vgl. Ulich 2003: 6; 8). Das Bewusstsein für die Bedeutung des Themas Literalität in Kindertagesstätten in Forschung, Bildungspolitik und pädagogischer Praxis ist jedoch noch relativ jung. Der folgende Abschnitt skizziert Befunde und Entwicklungen in Hinblick auf das deutsche Bildungssystem. Ziel des Abschnitts ist die Beantwortung der folgenden Fragen: Welche ungleichheitsrelevanten Befunde gibt es in Bezug auf Literalität im deutschen Bildungssystem? Damit zusammenhängend: Wie ist Literalität im Kita-Alter in den Fokus von Bildungspolitik und Forschung gerückt? Welche Bildungsbedingungen, soweit dies bereits erforscht ist, haben Kita-Kinder in Bezug auf Literalität?

104 Diese Aufzählung stellt eine vorläufige Heuristik dar und dürfte milieuspezifisch (s. Abschnitt 2.3.5) und individuell sehr unterschiedlich ausfallen. Es sei nochmals an Nickel (2014: 650) erinnert, der betont, der Fachdiskurs über Literalität im Elementarbereich sei noch am Entstehen. 105 Isler entwickelt ein sehr differenziertes, mit Hilfe eines komplexen Literalitätskonzepts und ethnographischer Daten Kategoriensystem literaler Angebote für 5-6jährige Vorschulkinder in ihren Familien (2014: 134ff.). 106 Zu einer fundierten Auseinandersetzung mit Ästhetik in der Deutschdidaktik vgl. auch Spinner 2007: 86.

62 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Literalität und Bildungsbedingungen Literalität in der Schule Unumstritten ist: In der Schule sind „Teilhabe, soziale Position und Erfolg maßgeblich von literalen Fähigkeiten abhängig“ (Isler 2014: 15; vgl. auch Schneider et al. (Hrsg.) 2012). Die normativen Anforderungen eines Bildungssystems stehen jedoch in einem Spannungsfeld zur rein deskriptiven Analyse literalitätsbezogener Praktiken. In Bezug auf dieses Spannungsfeld soll zweierlei vermieden werden: Zum einen soll die Normativität des Feldes nicht auf die Forschungsperspektive übertragen werden. Zum anderen sollten die nicht-normativen Beschreibungen vielfältiger Praktiken nicht vergessen lassen, dass im Bildungssystem eine wirkmächtige Normativität existiert, was für den Bildungserfolg unter relevanter Literalität verstanden wird107. Die „New Literacy Studies“ werden für das weitgehende Ausblenden dieser normativen Perspektive kritisiert, wie Grotlüschen/Heinemann/Nienkemper (2009: 62) schreiben: „Neben der Vielfalt sozialer Praktiken gibt es also, so die Kritiker/innen [der „New Literacy Studies“, E. Zettl], eine Mehrheitsliteralität. Wir interpretieren die hier gefundene Struktur als normativ, dominant, in Interessenkonflikten durchgesetzt und somit im Bourdieu‘schen Sinne ‚legitim‘. Die Nichtbeherrschung solcherart legitimer Literalität führt unmittelbar zu Nachteilen, z.B. in der Schule. Bei aller Ablehnung von Defizit- oder Mängelbeschreibungen darf ein solches Konfliktfeld nicht verschleiert werden, sondern muss u.E. zur Sprache gebracht werden.“

107

Das gegenwärtig weit verbreitete Konzept „Bildungssprache“ (u.a. Dehn 2011; Gogolin/Lange 2011; Feilke 2012 und 2013; Lange 2012; Gogolin/Lange/Michel/Reich (Hrsg.) 2013; Vollmer/Thürmann 2013) wird in der vorliegenden Arbeit nicht verwendet, da es definitorisch gegenüber „Literalität“ oder „Schriftsprache“ kaum weitere Präzisierungen bietet. So schreiben etwa Gogolin und Lange (2011: 11): „Mit Bildungssprache ist also ein bestimmter Ausschnitt sprachlicher Kompetenz bezeichnet. Gemeint ist ein formelles Sprachregister, d.h. eine Art und Weise Sprache zu verwenden, die bestimmte formale Anforderungen beachtet. Sehr grob charakterisiert, kann man sagen, dass Bildungssprache auch dann, wenn sie im Mündlichen vorkommt, an den Regeln des Schriftsprachgebrauchs orientiert ist. Besonderes Gewicht besitzt das Register im Bildungskontext: Es wird bei Lernaufgaben, in Lehrwerken und anderem Unterrichtsmaterial verwendet; es wird in Prüfungen und vielen Unterrichtsgesprächen eingesetzt.“. Hier wird nicht deutlich, worin der Unterschied von „Bildungssprache“ zu „Schriftsprache“ oder „Literalität“ liegt. Zudem kann die Begrifflichkeit „Bildungssprache“, auch wenn die Autorinnen und Autoren das explizit nicht intendieren, in ihrer Popularisierung so verstanden werden, dass es ein höherwertiges Sprachregister sei als andere und dass es nur eine Bildung und eine Sprache dafür gebe. Nickel (2014: 647) merkt zudem an, dass „eine umfassende und empirisch fundierte Beschreibung dieses Registers noch aussteht“. Für eine Kritik des Begriffs „Bildungssprache“ vgl. auch Panagiotopoulou 2017c.

2.3 Frühe sprachliche Bildung und Förderung in Bezug auf Literalität

63

Grotlüschen, Heinemann und Nienkemper schreiben, dass „es dominante Konzepte“ gibt, die sich „im Interesse sozial oben stehender Schichten stillschweigend gegenüber anderen durchsetzen“ (ebd.: 56; vgl. auch Fürstenau/Lange 2012: 42 und Hortsch 2015: 39). Diese „legitime Literalität“ wird oft in der Schule zu wenig explizit thematisiert (vgl. z.B. Feilke 2012: 4). Dies ist problematisch, da der Mangel an expliziter Vermittlung zum Nachteil für Kinder wird, die diese Praktiken familiär bedingt nicht so gut beherrschen wie andere, denen sie aus ihren Familien bereits vertraut sind. Eine solche familiär bedingte unterschiedliche Vertrautheit mit Literalitätspraktiken zeigt sich auch in international vergleichenden Schulleistungsstudien wie PISA, IGLU und TIMSS108. Die dort gemessenen, an kognitiven Fähigkeiten orientierten Konstrukte von Lese- und Schreibkompetenzen109, die in Deutschland ausschließlich auf das Deutsche bezogen erhoben werden, sind enger gefasst als das hier verwendete Konzept der Literalitätspraktiken. Dieses schließt auch konzeptionelle Schriftlichkeit ohne Gebrauch von Schrift und im Schulkontext eher randständige Literalitätsformen wie Literalität in prestigeniedrigen Familiensprachen ein110. Dennoch können die Schulleistungsstudien Hinweise auf eine milieuspezifisch unterschiedliche Vertrautheit mit Literalität geben, die ungleichheitsrelevant ist. In international vergleichenden Studien spiegeln sich auf Deutschland bezogen, so Hortsch (2015: 41), „gravierende Unterschiede zwischen den Leseleistungen von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund wider und zeigen sogleich auch einen deutlichen Zusammenhang zwischen den Leseleistungen der Kinder und ihrer sozialen Herkunft“ (vgl. auch Abschnitt 2.2.4 zu Mehrsprachigkeit). In der IGLU-Studie 2011 etwa „ergab sich für die Viertklässlerinnen und Viertklässler ein im internationalen Vergleich relativ enger Zusammenhang zwischen Sozialschicht und Lesekompetenz“ (Wendt/Stubbe/Schwippert/Bos 2015: 29). Die ersten PISA-Erhebungen 2000 und 2003 zeigten: „Im internationalen Vergleich gab es damals nur wenige OECD-Staaten, in denen die Kopplung zwischen dem sozio-ökonomischen Status der Eltern und den gemessenen Kompetenzen ihrer Kinder so eng war wie in Deutschland“ (Prenzel/Sälzer/Klieme/Köller 2013: 246). 108 Eine Präzisierung, wie der inhaltlich noch wenig konkretisierte Begriff „Legitime Literalität“ sich zu Konzepten von Lese- und Schreibkompetenzen verhält, wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit. 109 Zum konzeptionellen Zusammenhang der Begriffe „Lesekompetenzen“ und „Literalitätspraktiken“ vgl. Bertschi-Kaufmann und Rosebrock (2009: 7): „Über die Bildungsnorm Lesen und die damit zusammenhängenden Kompetenzanforderungen hinaus interessiert Literalität deshalb als kommunikative und sozial situierte Praxis, die sich mit den räumlichen und den medialen Bedingungen, den Konventionen und den individuellen Gestaltungen konturiert und alle schriftbezogenen Handlungen einschließt.“ 110 Zu einer kritischen Betrachtung des Lesekompetenzbegriffs nach PISA vgl. Hurrelmann (2009: 24f.) und Rachner (2006).

64 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Das Fazit, das nach PISA 2012 gezogen wurde, besagte: „Zwar ist der Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Status und erreichter Kompetenz nach wie vor hoch, aber er hat sich über die Zeit verringert.“ (ebd.: 272); ein Befund, der durch die jüngste PISA-Studie (vgl. OECD 2018: 66) bestätigt wurde. Literalität im Kita-Alter: Literalität in Familien Diese Disparitäten in Bezug auf Lesekompetenz zeichnen sich, so Schneider et al. (2012: 62), bereits in „Vorläuferfähigkeiten für den Erwerb des Lesens und Schreibens“ im Kita-Alter ab: „In der einschlägigen Literatur zur Vorhersage des Schulerfolgs im Bereich der Schriftsprache wird immer wieder herausgestellt, dass sich wichtige Vorläuferfähigkeiten für den Erwerb des Lesens und Schreibens schon in der frühen Kindheit entwickeln, der Schulbeginn in dieser Hinsicht also keineswegs die „Stunde Null“ darstellt (vgl. Artelt et al., 2005; Lenhard & Artelt, 2009; Schneider, 2009). Individuelle Kompetenzen in so unterschiedlichen Bereichen wie der phonologischen Informationsverarbeitung (phonologische Bewusstheit, sprachliches Arbeitsgedächtnis, verbale Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit), dem Wortschatz und dem Sprachverständnis sagen Unterschiede in späteren Leseleistungen bedeutsam vorher.“

Kinder aus verschiedenen Milieus erleben schon im Kita-Alter unterschiedliche literale Praktiken. Hoeft, Wendt und Kasper (2015: 157) konstatieren anhand von Datensätzen aus IGLU und TIMSS 2011, die auf Europa bezogen sind: „Mit Blick auf Aspekte von Chancengleichheit zeigen die hier berichteten Ergebnisse deutlich auf, dass Kinder bereits bei Schuleintritt über unterschiedliche Lernerfahrungen [in Bezug auf Early Literacy und Numeracy, E. Zettl] und Kompetenzen verfügen.“

Qualitative Studien über verschiedene Zeiträume und Länder (vgl. Isler 2014: 16) hinweg bestätigen und präzisieren diesen Befund. Bahnbrechend ist Heaths ethnographische Langzeitstudie „Ways with words“ (1983/2003). Sie untersucht Schriftpraktiken in Arbeiterquartieren von Afroamerikanern bzw. Weißen in den USA und arbeitet heraus, dass schon im Kleinkindalter Unterschiede zwischen den Milieus im Umgang mit Sprache und Schriftlichkeit bestehen, die unterschiedlich gut mit schulischen Praktiken kompatibel sind. Eine Passung zu schulischen Praktiken ist je nach Milieu unterschiedlich gut möglich. Wieler (1997, 2009) stellt in ihren in deutschen und niederländischen Familien durchgeführten methodentriangulierenden Fallstudien zum familiären Vorlesen mit Vierjährigen ebenfalls milieuspezifische Unterschiede fest. Sie beschreibt, dass in Milieus mit höherem

2.3 Frühe sprachliche Bildung und Förderung in Bezug auf Literalität

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sozio-ökonomischen Status den Kindern eher die Rolle eines „aktiven Rezeptionsund Gesprächspartners“, in Milieus mit niedrigerem sozioökonomischen Status eher die Rolle eines „stillschweigenden Zuhörers“ (2009: 11) zugewiesen wird. Kuyumcu und Şenyıldız schreiben in ihren Fallstudien über „Familiale Literalitätserfahrungen türkisch- und russischsprachiger Kindergartenkinder“ (2011: 109), dass die unterschiedlichen Praktiken dieser Kinder „mit der sozialen Lage der Familien nur teilweise erklärt werden können und auch von den Herkunftskulturen und weiteren individuellen und familiären Bedingungen beeinflusst werden.“ Isler (2014) beschreibt die literalen Familienkulturen von vier Schweizer Kindern im Kindergartenalter und konstatiert, wie selbst innerhalb einer milieuhomogenen Stichprobe von Familie zu Familie deutliche Unterschiede in Bezug auf Literalitätspraktiken zu beobachten sind. Literalität zwischen Familie und vorschulischen Bildungsinstitutionen Das Thema der Passung von Literalitätspraktiken zwischen Familie und vorschulischen Bildungsinstitutionen wird bei Isler, Künzli und Leemannn (2010) mikrosoziologisch untersucht. Sie beobachten die sprachlichen und literalen Praktiken und Fähigkeiten von 5- bis 6-jährigen Kindern in der Schweiz in ihren Familien sowie in Kinderhort und Kindergarten. Dabei ziehen sie das ungleichheitskritische Fazit, dass „die sprachliche und literale Performanz der Kinder dicht mit den Bedingungen der sozialen Situation verwoben ist und stark von der Vertrautheit (oder Fremdheit) mit den als gültig gesetzten Praktiken abhängt“, wobei „die Vernachlässigung oder Abwertung familiärer Ressourcen [im Kindergarten, E. Zettl] die Entwicklung sprachlicher Fähigkeiten erschwert“ (Isler/Künzli/Leemannn 2010: 71). Literalität in vorschulischen Bildungsinstitutionen: Konzeptionen Bildungspolitik und Forschung in Deutschland111 haben das Thema Literalität in vorschulischen Bildungsinstitutionen im Vergleich zur schon seit Längerem betonten Bedeutung des Bildungsbereichs Sprache erst relativ spät entdeckt (vgl. Hortsch/Panagiotopoulou 2011: 18). Knapp, Kucharz und Gasteiger-Klicpera (2010: 135) betonen die Bedeutung der Ergebnisse der ersten PISA-Studie in Hinblick auf Lesekompetenz und Ungleichheit für die bildungspolitische Konjunktur des Themas. Inzwischen ist das Thema auch in Bildungsplänen für vorschulische 111

Ulich (2003: 6) schreibt, dass das Thema „seit Anfang der 80er Jahre“ in Pädagogik und Forschung an Bedeutung gewinne, zunächst allerdings im angelsächsischen Raum.

66 2 Frühe sprachliche Bildung und Förderung, Mehrsprachigkeit und Literalität Bildung verankert (vgl. z.B. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport BadenWürttemberg 2011: 36; statt „Literalität“ wird hier der Begriff „Zeichen und Schrift“ verwendet). Nickel (2014: 649) schreibt: „In der deutschen Frühpädagogik gestaltet sich Literacy-Bildung höchst unterschiedlich. In der Praxis wird meist auf wenige, zudem überwiegend hierarchieniedrige Aspekte rekurriert“. Drei methodisch-konzeptionelle Schwerpunkte für Literacy-Bildung und -Förderung sind erstens die Entwicklung phonologischer Bewusstheit, z.T. in isolierten Trainings112, zweitens sogenannte „Literacy-Center“ mit vorbereiteten schriftbezogenen Spielumgebungen für Rollenspiele, wie z.B. einer Arztpraxis oder einer Post, sowie drittens dialogisches Lesen (vgl. ebd.: 651f.)113. Literalität in vorschulischen Bildungseinrichtungen: Alltagspraktiken Wie sieht jedoch Literalität im Alltag vorschulischer Bildungseinrichtungen aus? Das bereits im Abschnitt zu Mehrsprachigkeit erwähnte internationale Projekt „HeLiE“ nimmt den Umgang mit Heterogenität und die Förderung von Literalität im Übergang vom Elementar- zum Primarbereich im europäischen Vergleich in den Blick. Exemplarisch seien Christmann et al. (2010) genannt, die die Präsenz von Literalität im Alltag einer deutschen Kita, verglichen mit Luxemburg und Finnland, als kaum vorhanden beschreiben. Die Autorinnen sprechen von einer „quasi schriftfreien Umgebung und Praxis“ [Herv. i. O.]; Schrift erscheint in der von ihnen erforschten Kita fast nur in segregierenden Sprachfördersituationen, was auch im Widerspruch zu den Anforderungen des zuständigen Bildungsplans steht (2010: 122). Die aus dem „HeLiE“-Projekt entstandene Arbeit von Hortsch (2015) vergleicht ethnographisch, so der Untertitel der Arbeit, die „Transition von Kindern mit Migrationshintergrund in Deutschland und Finnland“ von vorschulischen Bildungseinrichtungen in die Schule in Bezug auf (schrift-)sprachliche Bildung. Auf einen deutschen Kindergarten in Rheinland-Pfalz bezogen stellt sie fest (ebd.: 150ff.): (Schrift-)sprachliche Aktivitäten werden kaum von Pädagog*innen initiiert, sondern von Kindern eigenaktiv praktiziert; teilweise erfahren die Kinder sogar „eine Zurückweisung ihrer (verbalisierten) (schrift-)sprachlichen Interessen“ (157; Herv. i. O.) Die einzige beobachtete Vorlesesequenz dient weniger der Auseinandersetzung mit einer Geschichte als der „Einführung in schulische 112

Zur Kritik dieser Trainings vgl. ebd.: 651. Aus sprachdidaktischer Perspektive gilt dialogisches Lesen (vgl. die Metaanalyse von Egert 2017: 32, siehe auch Abschnitt 2.1) als eine der wenigen Formen von Deutschförderung, die für mehrsprachige Kinder messbare positive Effekte vorweisen. 113

2.3 Frühe sprachliche Bildung und Förderung in Bezug auf Literalität

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Alltagspraktiken“ (158). In einem freiwilligen Förderkurs für Kinder ‚mit Migrationshintergrund‘ spielt nach Hortsch „die Schriftsprache im Kontext der Sprachförderung keine Rolle“ (165), ebenso wenig wie Literalitätspraktiken, die etwa verschiedene Familiensprachen oder in den Familien der Kinder verwendete Schriften thematisieren, obwohl die Kinder Gelegenheiten dazu schaffen. So zeigt ein Kind einem Erzieher ein „Tagebuch“ mit meist russischen Namen, er geht jedoch nicht vertieft darauf ein (vgl. Hortsch 2015: 155). Daher kommt dem außerinsitutionell erworbenen Wissen über Schriftsprache eine große Bedeutung zu. Dies verdeutlicht den Befund, dass in Deutschland Bildungserfolg stark von der sozialen Herkunft abhängig ist (ebd.: 189). In der beobachteten finnischen Kindertagesstätte dagegen zeigt sich ein stärker von Pädagog*innen strukturiert begleiteter (Schrift-)spracherwerb, der auch mehr Kontinuität in Hinblick auf Schriftsprachpraktiken in der Grundschule bietet (ebd.). Auf einen anderen deutschen Kindergarten bezogen legt Kewes (2012) einen ähnlichen Befund wie Hortsch dar und kritisiert den geringen Einbezug literalitätsbezogener Artefakte in den Alltag. Hinterwäller (2012) dagegen zeichnet ein positiveres Bild vielfältiger literalitätsbezogener Praktiken in einem dritten deutschen Kindergarten. Außer diesen Arbeiten wurde keine ethnographische Studie gefunden, die dezidiert Literalitätspraktiken in deutschen vorschulischen Bildungseinrichtungen in den Fokus nimmt114. Gerade die Verbindung der Aspekte Literalität und Mehrsprachigkeit sollte noch stärker erforscht werden115. Ein Befund von Schnoor und Seele (2017) anhand ethnographischer Daten aus einer Luxemburger Kita dürfte jedoch internationale Gültigkeit haben dürfte: Literalitätspraktiken haben „eine herausragende Bedeutung in der Erzeugung sozialer Differenzen“ (ebd: 179), was Schnoor und Seele entlang generationaler Ordnungen zeigen. Die im Rahmen dieses Kapitels zusammengestellte Übersicht aktueller Forschungsergebnisse und Konzepte zu (früher sprachlicher) Bildung und Förderung, zu Mehrsprachigkeit und Literalität zeigt, dass es bislang nur wenige Studien gibt, die sich mit Mehrsprachigkeit und Literalität im Kindergarten auseinandersetzen. Somit besteht ein deutlicher Forschungsbedarf dahingehend, die bisherigen Ergebnisse dieser Studien auszubauen und sie zu vertiefen.

114 In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist auch Kuhns ethnographische Arbeit zu Professionalität im Kindergarten. Von ihr untersuchte Praktiken wie das Sprechen eines Kinderverses (Kuhn 2013: 181) oder das Singen eines Liedes (ebd.: 182) werden jedoch nicht mit Fokus auf den Aspekt Literalität, sondern in ihrem Ritualcharakter gedeutet. 115 Quantitative Studien zu dialogischem Vorlesen für mehrsprachige Kinder und dem Vorlesen zweisprachiger Bücher (vgl. Lengyel 2018: 471) zeigen die Bedeutung dieser literalen Praktiken für die rach- und Literalitätsentwicklung.

Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie

Die vorliegende Arbeit bezieht sich in ihrer theoretischen Ausrichtung auf Konzepte der Praxis- und Performativitätstheorie, da beide kontextsensitive Interpretationen ethnographischer Beobachtungsdaten von pädagogischen Alltagspraktiken ermöglichen. Zur Definition des sich hieraus ableitenden theoretischen Rahmens werden im folgenden Kapitel die für die vorliegende Arbeit relevanten Elemente beider Theorieansätze diskutiert. Zunächst werden hierbei Kernelemente der Praxistheorie nach Reckwitz (2003, 2008) und Hillebrandt (2014) skizziert und exemplarisch gezeigt, wie Praktiken und Diskurse konzeptionell zusammengeführt werden können. Anschließend wird die Performativitätstheorie nach Wulf et al. (2001 u.a.) unter besonderer Berücksichtigung des Ritualbegriffs und mit Beispielen aus der Analyse elementarpädagogischer Settings skizziert. Zuletzt wird gezeigt, inwiefern beide theoretischen Ansätze kombinierbar sind und welchen Nutzen diese Kombination für eine ethnographische Analyse elementarpädagogischer Praktiken bietet. Praxistheorie Eine der zentralen theoretischen Grundlagen der vorliegenden Studie ist die Praxistheorie nach Reckwitz (2003) und Hillebrandt (2014), deren Kernelemente daher in diesem Abschnitt kurz dargestellt werden sollen. Anschließend wird exemplarisch anhand einer Studie von Kuhn (2013) gezeigt, wie Praktiken und Diskurse konzeptionell zusammengeführt werden können, um der Analyse von Praktiken eine übersituative Dimension zu geben. Auf theoretischer Ebene wird auch hierbei auf Reckwitz (2008) sowie auf Diehm, Kuhn und Machold (2013) sowie Kuhn (2013) verwiesen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Zettl, Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte, Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27031-5_3

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3 Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie Grundzüge der Praxistheorie

Die Praxistheorie, so betonen Schatzki (2001: 13), Reckwitz (2003: 282f.) und Hillebrandt (2014: 13), ist nicht ein auf einzelne Autor*innen zurückgehendes in sich geschlossenes Theoriegebäude, sondern ein „facettenreiches Bündel von Analyseansätzen“ (Reckwitz 2003: 282) innerhalb des Feldes der Kulturtheorien116 (vgl. ebd.: 288; für eine ausführliche Beschreibung dieser Ansätze vgl. Hillebrandt 2014). Reckwitz (2003: 289) und Hillebrandt (2014), die eine Synthese dieser Analyseansätze vorgelegt haben, betonen auch deshalb das Vorläufige und Unabgeschlossene ihrer Überlegungen. Die unter dem Begriff der Praxistheorie versammelten Ansätze müssen sich nach Hillebrandt (2014: 119) an immer neuen empirischen Studien erproben, da eine statische Praxistheorie „der Vielfalt und Dynamik der Praxis schlicht nicht gerecht werden“ könnte. Zudem dürfe die Praxistheorie theoretische Begriffe nie wichtiger nehmen als den „Vollzug der Praxis“ (Hillebrandt 2014: 119). In diesem Sinn möchte auch die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur empirischen Erprobung der Praxistheorie leisten. Hillebrandt (2014: 111f.) schlägt eine Synthese verschiedener praxistheoretischer Ansätze zu einer „Soziologie der Praxis“ vor, die dem „Ereignis-, Materialitäts-, Körper-, Ding-, Sinn- und Formationsparadigma“ verpflichtet ist. Im Folgenden werden diese sechs Paradigmen skizziert und – entsprechend des theoretischen Rahmens der vorliegenden Arbeit – punktuell durch die von Reckwitz vorgelegte Synthese der Praxistheorie von 2003 ergänzt. Unter „Ereignisparadigma“ versteht Hillebrandt, dass Praktiken „materielle Ereignisse“ sind. Nach Reckwitz (2003: 290) sind diese die „kleinste Einheit des Sozialen“. Hillebrandt führt weiter aus, dass Praktiken sich verketten und so die „Praxis“ formieren (2014: 111). Praktiken, so Hillebrandts Materialitätsparadigma, sind immer materiell verankert, ob in Körpern, Dingen oder Artefakten. Physische Körper, so postuliert das Körperparadigma, sind Quellen der Praxis. Das gilt nach Hillebrandt für Sprechakte wie Gesprächsbeiträge ebenso wie für Akte der Bewegung, etwa Gesten oder das Nutzen von Artefakten (ebd.: 112). Sie sind jedoch nicht nur Ursprung von Praktiken, sondern auch „Speicher der Sozialität, weil sich in ihnen die Praxis einschreibt, die dann als zuständliche Leiberfahrung – also als Habitus – wieder aus ihnen hervorgeht“ (ebd.). Bei aller Verfestigung bewegen sich Praktiken nach Reckwitz (2003: 294) in einem Spannungsfeld zwischen Routine, Wiederholung und Innovativität. Diese Offenheit für Innovationen sei durch die Eigenschaften der Praxis selbst bedingt,

116 Gelegentlich wird, so bei Hillebrandt, auch „Praxistheorien“ als Pluralbegriff verwendet, um seine Heterogenität zu betonen. In der vorliegenden Arbeit wird der in der Erziehungswissenschaft gebräuchliche Singular verwendet.

3.1 Praxistheorie

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etwa durch „Überraschungen des Kontextes“ (ebd.: 294), z.B. durch das Aufkommen neuer Artefakte. Das „Dingparadigma“ (Hillebrandt 2014: 114) betont die Bedeutung117 von Dingen und/oder Artefakten118 für den Vollzug von Praktiken. Diese sind „Bestandteile der Bedingungen für die Entstehung von Praktiken, die sich nur ereignen, wenn sozialisierte Körper und materielle Artefakte in spezifischer Weise assoziiert sind.“ Dinge und Artefakte sind also mehr als beispielsweise Kommunikationsthemen, sondern vielmehr „Teilelement[e] sozialer Praktiken“ (Reckwitz 2003: 291). Daher eignet sich die Praxistheorie insofern für den Untersuchungsfokus Sprache im pädagogischen Alltag, als sie Praktiken des Sprechens, Vorlesens, Bilderbuchbetrachtens etc. in ihrer Materialität begreift und damit die Bedeutung des Körpers und diverser Artefakte in den Mittelpunkt stellt. Das Sinnparadigma (Hillebrandt 2014: 114f.) beschreibt, dass Sinn in der Praxis entsteht, also nicht ahistorisch oder in einem nicht beobachtbaren Bewusstsein der Akteure gegeben ist. Erst wenn den Dingen und Artefakten von den sozialisierten Körpern Sinn zugeschrieben wird, entsteht die Handhabe der Dinge und Artefakte, die Assoziationen zwischen Körpern und Dingen bzw. Artefakten hervorbringt. So kann ein Kind, das familiär mit dialogischer Bilderbuchkommunikation sozialisiert wurde, in der Kita einem Bilderbuch den Sinn zuschreiben, daraus eine Geschichte zu erschließen, wenn es die illustrierten Seiten von vorne nach hinten blätternd betrachtet. Ein anderes Kind kann aufgrund seiner in den Körper eingeschriebenen Sozialisationserfahrungen einem Bilderbuch den Sinn geben, es als Waffe oder Deckung im Spiel einzusetzen (siehe Abschnitt 6.2.4). Ein Artefakt ermöglicht jedoch nicht beliebige Sinnzuschreibungen, so Reckwitz (2003: 291). Ein Bilderbuch lässt z.B. keinen Gebrauch als durstlöschendes Getränk zu. Reckwitz (2003: 290) betont, dass diese Sinngebung in Praktiken oft routiniert abläuft und einer „‚impliziten’, ‚informellen’ Logik“ folgt, die „häufig gar nicht mit einer Explizierungsfähigkeit oder Explizierungsbedürftigkeit dieses Wissens einhergeht“. In diesem Zusammenhang definiert Reckwitz (2003: 291) 117

Nach Hillebrandt (2014: 114) sind Dinge und/oder Artefakte für den Vollzug von Praktiken unumgänglich. Reckwitz (2003: 291) schreibt, es könne darüber gestritten werden, ob Artefakte für alle oder viele Praktiken notwendig seien. 118 Hillebrandt (2014: 76) verwendet das Wort „Dinge“ doppeldeutig. Es erscheint im weiteren Sinne in seinem Ausdruck „Dingparadigma“ als Überbegriff für „Dinge“ und „Artefakte“. Dinge im engeren Sinn im Gegensatz zu Artefakten sind für ihn „vorhandene, ungeformte Materie“ sowie „unbestimmte Materie“, Artefakte dagegen „spezifisch durch Praxis geformte Materie“ wie „technische Installationen, Gebrauchsgegenstände wie Töpfe, Tische und Stühle“. Reckwitz (2003: 290ff.) verwendet die Begriffe „Dinge“, „Objekte“ und „Artefakte“ ohne durchgehende begriffliche Trennung. In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff „Artefakte“ nach Hillebrandt verwendet, da die Hillebrandt’sche „vorhandene, ungeformte“ und „unbestimmte Materie“ für die hier dokumentierten Sequenzen in der Kita wenig relevant erscheint.

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3 Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie

auch Handeln: Es beinhalte durchaus Elemente von Intentionalität, normativen Kriterien und symbolischen Schemata, aber praxistheoretisch gesehen ist Handeln im Rahmen von Praktiken eine wissensbasierte Tätigkeit, die „know how“, nicht unbedingt „know that“ im Sinn einer Intentionalität und eines Reflektierens über das Handeln beinhaltet (ebd.: 292). Dies macht die Praxistheorie attraktiv für das Analysieren von ethnographischen Daten aus teilnehmender Beobachtung: Das „know how“ ist beobachtbar, meist aber nicht das „know that“, sofern es nicht im Feld spontan erläutert wird. Das Formationsparadigma schließlich (Hillebrandt 2014: 115f.) beschreibt, dass sich einzelne Praktiken – die Ereignisse – zu größeren Formationen gruppieren können. Im Folgenden soll auf Formationen bezogen die Begrifflichkeit von Reckwitz (2008: 201) verwendet werden119, der in einer Synthese von Praxistheorie und Diskursanalyse von „Praxis/Diskurs-Formationen“ spricht. Der Abschnitt 3.2.1 ist diesen Formationen daher ausführlicher gewidmet; zunächst werden jedoch Bezüge erziehungswissenschaftlicher Ethnographie zur Praxistheorie dargestellt. Für erziehungswissenschaftliche Ethnographie ist Praxistheorie aus verschiedenen Gründen fruchtbar (vgl. auch Ott/Schweda/Langer 2015: 4). Viele pädagogische Praktiken sind den Akteur*innen reflexiv nicht zugänglich (vgl. Breidenstein 2006: 19), können aber durch den praxistheoretischen Fokus auf routinisierte Handlungen, Körper und Artefakte sichtbar gemacht werden (vgl. Kuhn 2013: 166; Thielen 2014a: 208). Durch die Veränderbarkeit von Praktiken können Transformationsprozesse in pädagogischen Feldern beschrieben werden (vgl. Idel/ Rabenstein/Reh 2013). Praxistheorie ermöglicht es auch (vgl. Cloos/Köngeter/Müller/Thole 2009: 32), eine künstliche Trennung zwischen pädagogischen Professionellen und den Adressat*innen pädagogischen Handelns in der Analyse zu vermeiden, vielmehr werden sie in ihrer „gemeinsamen Produktivität“ (ebd.) untersucht. Pädagogische Prozesse basieren „auf einem gemeinsamen praktischen, inkorporierten Wissen“ (ebd.)120. Die praxistheoretische Perspektive auf Dinge wird durch Neumann (2017) vertieft und auf die Pädagogik angewendet: ein praxeologischer Zugang zur „Soziomaterialität des Pädagogischen“ (ebd.: 557) bestehe darin, empirisch zu untersuchen, was tatsächlich im Vollzug mit Dingen

119 Hillebrandt (2014: 115) ordnet Diskurse Praktiken unter und verwendet daher den Begriff „Praxisformationen“ für z.B. „schulische Erziehung oder wissenschaftliche Forschung“ (ebd.: 115), die aus „diversen körperlichen, dinglichen, symbolischen oder diskursiven Bestandteilen“ bestehen, die in ihrer Entstehung, ihrer Regelmäßigkeit und ihrer Dynamik untersucht werden können. Diese Begrifflichkeit wird hier nicht verwendet, denn Reckwitz’ Konzept (vgl. den nachfolgenden Abschnitt) reflektiert das Verhältnis von Praktiken und Diskursen expliziter. 120 Für weitere empirische Erprobungen von Praxistheorie und Reflexionen zum Verhältnis von Praxistheorie und Erziehungswissenschaft vgl. Budde, Bittner, Bossen und Rissler (Hrsg.) (2018).

3.1 Praxistheorie

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geschehe, nicht, was auf normativer Ebene mit ihnen auf pädagogische Weise geschehen solle (vgl. ebd.). Generell lenkt die Praxistheorie den Blick weg von einzelnen Akteur*innen hin zu Praktiken (vgl. Breidenstein 2008: 110), deren öffentliche Sichtbarkeit zur Entdeckung und Analyse einlädt, und löst den Blick weg vom „Input“ und „Output“ des Unterrichts hin auf die „Performanz des Lehrens und Lernens, an dem situativen und praktischen Vollzug von Unterricht“ (ebd.: 111) (zur Verbindung von Praxis- und Performativitätstheorie vgl. Absatz 4.4). Zugleich bietet die Praxistheorie den Vorteil, dass sie an Diskurstheorien anschlussfähig ist und pädagogische Diskurse in die Analyse von Praktiken einbeziehen kann. Der Einbezug von Diskursen ist für die vorliegende Arbeit aus folgendem Grund hilfreich: In der Interpretation der Daten werden etliche, auf den ersten Blick irritierend widersprüchliche Praktiken, z.B. im Umgang mit Mehrsprachigkeit, nur verständlich, wenn sie im Kontext übersituativer, wirkmächtiger Diskurse gelesen werden, die zeitgleich auftreten, aber einander widersprechende Inhalte aufweisen (z.B. Mehrsprachigkeit als Chance oder Defizit). Praxis/Diskurs-Formationen: Konzeptualisierung und erziehungswissenschaftliche Erprobung In diesem Abschnitt wird zunächst das Reckwitz’sche Konzept der „Praxis/Diskurs-Formationen“ (2008) skizziert, anschließend werden ausgewählte erziehungswissenschaftliche Reflexionen und empirische Studien zu diesem Thema kurz präsentiert. Reckwitz (2008: 188) konstatiert, in den Kulturwissenschaften gebe es zwei theoretische und methodologische Antworten auf die Frage, was die „letzte, kleinste oder erste Einheit der wissenschaftlichen Analyse“ ausmache: Praktiken oder Diskurse. Während nach Reckwitz Praxistheoretiker*innen von einem Primat der Praktiken ausgehen, da sie eine Vorgängigkeit des impliziten Sinns vor dem expliziten Sinn annehmen, verweist die Diskursanalyse auf die Zentralität von Diskursen für Sinnkonstitutionen der Moderne (vgl. ebd.: 191). Für Praxistheoretiker*innen seien Diskurse eine Form von körper- und artefaktgestützten Praktiken (vgl. ebd.: 193), aus radikal diskurstheoretischer Sicht seien auch nicht-sprachliche Praktiken als Kommunikationssysteme letztlich Diskurse (vgl. ebd.: 194). Reckwitz konzeptionalisiert jedoch die beiden Theorien und Methodologien als „zwei Seiten des gleichen kulturwissenschaftlichen Analyseprojekts“ (190) und hebt hervor, dass in der Forschungspraxis auf methodologischer Ebene Überschneidungen entstehen, die er argumentativ für eine Verbindung von Praxis- und Diskursanalyse fruchtbar macht (vgl. ebd.: 195).

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3 Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie

Beide, Praxis- wie Diskursanalyse, bieten Methodologien zur sinnrekonstruktiven qualitativ-empirischen Forschung (vgl. ebd.). Es unterscheidet sich jedoch die Zugänglichkeit der Forschungsgegenstände: Soziale Praktiken sind zwar visuell und auditiv unmittelbar zugänglich, aber ihre implizite Sinnstruktur muss erst interpretativ erschlossen werden (vgl. ebd.: 195f.). Im Fall nicht direkt visuell und auditiv beobachtbarer Praktiken muss allerdings auf andere Dokumenttypen (Interviews, Fotos, Artefakte) zurückgegriffen werden. Im Fall der Diskursanalyse sind die Daten leicht zugänglich, die Frage nach dem Kontext führt jedoch dazu, dass auch „nichtdiskursive Praktiken im Umkreis der Diskurse“ (ebd.: 199) berücksichtigt werden. Zudem basiert die Diskursanalyse auf der Annahme, dass Diskurse über sich selbst hinausweisen und „zu einem bestimmten Zeitpunkt denkmögliche Wissensordnungen“ prägen (ebd.: 200). Um dies zu belegen, ist jedoch nach Reckwitz ein Erforschen von umfassenderen „Dispositiven der Verschränkung von Körpern, Artefakten, Repräsentationen und Wissen“ (ebd.) notwendig, ein Kontext, der über Sprachliches hinausgeht. Angesichts dieser Verschränkungen fordert Reckwitz, Differenzen nicht zwischen Praktiken und Diskursen festzumachen, sondern diese als „zwei aneinander gekoppelte Aggregatzustände der materialen Existenz von kulturellen Wissensordnungen“ (ebd.: 202) zu sehen und „Praxis/Diskurs-Formationen“ zu analysieren, die Differenzen innerhalb von Praxis/Diskurs-Komplexen und zwischen verschiedenen Praxis/Diskurs-Komplexen aufzeigen (vgl. ebd.: 201). Reckwitz (2008) bleibt jedoch bei aller Aufwertung der Diskurse praxistheoretisch orientiert und integriert den Diskursbegriff in die Praxistheorie (vgl. auch Kuhn 2013: 98f. zu Reckwitz’ Positionierung). Er entwirft diskursive Praktiken als eine Teilmenge von Praktiken (vgl. Reckwitz 2008: 203), auch wenn er eine Über- oder Unterordnung von Praktiken in Relation zu Diskursen verwirft: „'Diskurse' stellen sich in diesem Zusammenhang als eine spezifische Menge von Praktiken dar, sie sind diskursive Praktiken, die sich zunächst auf der gleichen 'flachen' Ebene verstreuter Praktiken insgesamt bewegen, damit weder einen Oberflächen-Überbau noch einen tiefenstrukturellen Unterbau der Praxis bilden. Diskurse (diskursive Praktiken) unterscheiden sich dadurch, dass sie Praktiken der Repräsentation darstellen, das heißt Praktiken, in denen Objekte, Subjekte und Zusammenhänge auf eine bestimmte, regulierte Weise dargestellt werden und in dieser Darstellung als spezifische sinnhafte Entitäten erste produziert werden.“ (ebd.)

Den Begriff „Diskurs“ verwendet Reckwitz dabei als „Beobachterkategorie“ (ebd.). Dieselben Zeichen verwendenden Praktiken, z.B. der Alltagskommunikation, können je nach Beobachterstandpunkt unterschiedlich beschrieben werden: als „Praktiken spezifischen intersubjektiven Austauschs“ (ebd.), aber auch –

3.1 Praxistheorie

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sobald der Inhalt des Gesagten interpretiert wird – als eingefügt in einen Diskurskomplex (vgl. ebd.: 203f.). Reckwitz betont auch, diskursive Praktiken seien nicht losgelöst von Körpern und Materie, sondern hätten ihre eigene Materialität, die nicht selbst Thema der Repräsentation sei (vgl. ebd.: 205). Eine Differenz zwischen diskursiven und nichtdiskursiven Praktiken sei jedoch durch die Trennung implizit/explizit gegeben: Alle Praktiken enthielten „Wissensordnungen und Codes“, diskursive Praktiken „produzieren und explizieren“ selbst Wissensordnungen (ebd.). Dennoch bildeten diskursive und nichtdiskursive Praktiken gemeinsam Formationen: „Jene kulturellen Unterscheidungen, die in den Praktiken insgesamt zum Einsatz kommen, werden in den diskursiven Repräsentationen selber zum Thema“ (205). Als einfaches Beispiel sei genannt: Wenn Mädchen in Kindertagesstätten sich rosa Spielmaterialien nehmen und die blauen den Jungen überlassen, zeigen sie damit ein implizites Wissen über Unterscheidungen, das in ihren Praktiken resoniert. Wenn sie ihre Wahl selbst thematisieren, rufen sie explizit Diskurse zu Gender auf. Doch oft sind Praxis/Diskurs-Formationen nach Reckwitz nicht als homogene Gebilde wie in diesem Beispiel zu betrachten. Reckwitz verortet sich in einem poststrukturalistisch-dekonstruktiven Impetus, der „Instabilitäten und Agonalitäten“ (202) annimmt, die die Routinen und Reproduktionen der Praxis/DiskursFormationen immer wieder durchkreuzen (vgl. auch ebd.: 206). Als Forschungsstrategie empfiehlt er die „Suche nach den immanenten Widersprüchen innerhalb von Praxis/Diskurs-Formationen einerseits, die Rekonstruktion der möglichen Antagonismen zwischen unterschiedlichen Praxis/Diskurs-Formationen andererseits“ (ebd.: 207)121. Welche Vorteile bietet nun eine analytische Kopplung von Diskursen und Praktiken für die qualitative Forschung in der Erziehungswissenschaft? Zur Beantwortung der Frage werden Überlegungen von Diehm, Kuhn und Machold (2013) und Kuhn (2013) sowie exemplarisch eine empirische Analyse122 von Kuhn (2013) herangezogen. Diehm, Kuhn und Machold (2013) stellen sich die Frage, mit welchem theoretischen Ansatz ethnographische Daten aus dem Elementarbereich am ertrag121 Als Beispiel für eine solche brüchige Praxis-Diskurs-Formation nennt Reckwitz (2008: 207) die bürgerliche Privatsphäre im 19. Jahrhundert: „Die Praktiken und Diskurse der bürgerlichen Privatsphäre enthalten nicht einen einzigen widerspruchsfreien Code, sondern eine Überlagerung mehrerer, aneinandergekoppelter Sinnmuster, die teilweise im Spannungsverhältnis zueinander stehen“. 122 Weitere Beispiele für Studien, die das Verhältnis von Praktiken und Diskursen aus erziehungswissenschaftlicher Sicht ausloten und anhand empirischer Daten beleuchten, werden bei Diehm, Kuhn und Machold (2013: 38f. und 44) diskutiert. Langers wegweisende „diskursanalytische Ethnographie“ (2008) zu würdigen wäre Thema einer eigenen Arbeit. Da die vorliegende Studie Diskurse als Kontext hinzuzieht, aber keine eigenen Diskursanalysen im Sinne von Langer vornimmt, wird sie hier nicht weiter aufgegriffen.

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3 Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie

reichsten interpretiert werden können, um die Genese von Ungleichheit in den Fokus zu rücken. Ihr Ausgangspunkt ist die Kritik an der Ethnomethodologie. In der Ethnomethodologie wird eine ethnographierte Situation interpretiert, ohne Kontextwissen über außersituative, biographisch und historisch entstandene Machtverhältnisse zur Interpretation hinzuzuziehen. So bleiben „bestehende ethnische oder rassistische Herrschaftsverhältnisse oder hierarchische Generationenverhältnisse“ (ebd.: 36) ausgeblendet und unreflektiert, wodurch verschleiert wird, dass einige Akteure in pädagogischen Feldern privilegierter und machtvoller sind als andere (zu einer ausführlichen Kritik an der Ethnomethodologie vgl. zusammenfassend Kuhn 2013: 63ff.123). Als Alternative zur Ethnomethodologie zeichnen Diehm, Kuhn und Machold (2013: 43) die Möglichkeit auf, „Diskurs als Kontext“ zu sehen und damit ein Wechselverhältnis zwischen „großen diskursiven Formationen und (kindlichen) Mikropraktiken“ [Herv. i. O.] anzunehmen. In Bezug auf Reckwitz (2008) ergibt sich für Diehm, Kuhn und Machold (2013: 44) die Perspektive, mit der Annahme von Diskurs als Kontext „Warum-Fragen“ in den Fokus zu stellen, während die bloße Analyse situierter Praktiken nur auf „Wie-Fragen“ antworten kann. Sie verweisen dabei u.a. auf Connolly (2000), der in seiner Ethnographie über „South Asian girls“ Positionierungen in einer englischen Schule beschreibt und dabei berücksichtigt, dass diese nur verständlich werden in Zusammenhang mit rassistischen Diskursen in und außerhalb der Schule (vgl. ebd.: 515)124. Unter anderem seine Studie inspiriert Diehm, Kuhn und Machold (2013: 42) zu Reflexionen, wie ethnographische Ungleichheitsforschung Diskurse als Kontext aufnehmen kann. Für Diehm, Kuhn und Machold werden, ähnlich wie bei Reckwitz, Praxistheorie und Diskursanalyse nicht völlig gleich gewichtet, sondern es werden Diskurse herangezogen, um in der Interpretation von Praktiken Kontexte einbeziehen zu können. Kuhn (2013: 103f.) vertieft diese Perspektive und präzisiert, Diskurse könnten durch Analysen von Artefakten in die Untersuchung ethnographischer Daten eingebunden werden und somit eine übersituative Dimension aufzeigen. Diehm, Kuhn und Machold (2013: 44) gehen dabei jedoch nicht von einem 123 Kuhn (2013: 68) ergänzt die Kritik von Diehm, Kuhn und Machold um den Aspekt politischer Ambitioniertheit: Die politische „Enthaltsamkeit“ der Ethnomethodologie, die keine Vorschläge zur Veränderung des pädagogischen Feldes machen möchte, ist dann kritisch, wenn Benachteiligung und Ungleichheit in der pädagogischen Alltagspraxis sichtbar werden: „Eine bloße Beschreibung, die eben nicht den Anspruch verfolgt, gesellschaftliche und pädagogische Verhältnisse zu verändern, muss sich in dieser Hinsicht sicherlich dahingehend befragen lassen, ob sie nicht unintendiert selbst einen Beitrag dazu leistet, die etablierten Ordnungsverhältnisse aufrecht zu erhalten.“ 124 Zugleich beschreibt Connolly (2000: 512), wie die Diskurse die Positionierungen der „South Asian girls“ nicht prädeterminieren, sondern Kontexte bilden, die eher offen und kontingent sind und zu denen sich die Mädchen durchaus widerständig verhalten können.

3.1 Praxistheorie

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unidirektionalen Einfluss von Diskursen auf Praktiken aus, da Praktiken Diskurse auch infrage stellen können: „Pädagogische Praktiken stellen in dieser Perspektive Diskurse zur Verfügung bzw. problematisieren sie.“ Sie beschreiben dieses Verhältnis von Praktiken und Diskursen mit Bezug auf eine Studie von Connolly (2000) mit dem Verb „resonieren125“ (ebd.: 42). Dieser Begriff wird für die vorliegende Arbeit übernommen, da in ihm deutlich wird, dass Praktiken Diskurse nicht eins zu eins reproduzieren und durch diese prädeterminiert sind, sondern eher, metaphorisch gesprochen, anklingen lassen. Wie dies im Detail geschieht, kann in Mikroanalysen aufgezeigt werden. Diehm, Kuhn und Machold betonen auch, dass der Einbezug von Diskursen als Kontext einen Blick auf Prozesse der Herstellung von Ungleichheit, weniger auf die Ungleichheit selbst werfen kann (vgl. ebd.: 44). Dies entspricht dem Fokus der vorliegenden Arbeit: Ungleichheit selbst kann, da es sich nicht um eine Längsschnittstudie handelt, nicht in den Blick genommen werden. Allerdings können Schlaglichter auf die Entstehung von Ungleichheit geworfen werden126. Ein Ausschnitt aus einer Interpretation ethnographischer Daten in einem Kindergarten (Kuhn 2013) soll exemplarisch verdeutlichen, wie Diskurse zur Interpretation von Praktiken herangezogen werden können. In einer ethnographierten Sequenz hören Kinder unter Anleitung der Erzieherinnen ein Kinderlied auf einer CD, „Reise um die ganze Welt“, und singen und tanzen dazu. Die Beobachtungssequenz wird daraufhin untersucht, „welche regulierten Repräsentationen ‚ethnischer Differenz’ es [das Lied, E. Zettl] im Interaktionsalltag des Kindergartens erzeugt“ (Kuhn 2013: 104). Dieses vorgängig produzierte Artefakt127 entfaltet durch seine Reproduzierbarkeit „Wirkungen, die über die singuläre Interaktionssituation im pädagogischen Alltag hinausgehen“ (Kuhn 2013: 104). Die situative Aufführung des Kinderliedes ist durch das Artefakt jedoch nicht vorbestimmt, sondern entfaltet eine Eigendynamik, indem es körperlich aufgeführt wird. Als Praxis/Diskurs-Formation gesehen, wird eine doppelte Analyse möglich. Auf Diskursseite sind in Liedtext und Melodik, auf Ebene des Artefakts selbst „die diskursiv regulierten Repräsentationen ‚ethnischer Differenz’ rekonstruierbar“ (ebd.). Kuhn analysiert den Liedtext der CD auf diese Repräsentationen hin und stellt den Analysen Befunde aus der Beobachtungssequenz gegenüber, in denen das 125 „Resonieren“ wird hier explizit nicht im Sinne von Breuer (2010: 127f.) verwendet, der in Anlehnung an Devereux (1967/1973) mit diesem Begriff die Störungen beschreibt, die ein Forschungsobjekt bei den Forscher*innen hervorruft. Auch der Resonanzbegriff von Rosa (2016) ist nicht mit dem hier verwendeten identisch. 126 Weiterführende methodologische Reflexionen über praxistheoretisch verstandene Ethnographie und die Erforschung der Genese von Ungleichheit finden sich auch bei Rabenstein, Reh, Ricken und Idel (2013). 127 Zur Begründung, warum ein Kinderlied als Artefakt verstanden wird, vgl. ebd.: 242.

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3 Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie

pädagogische Personal noch über die Differenzkonstruktionen im Liedtext hinaus ethnisierende Körperpraktiken inszeniert. So ruft eine Erzieherin zum Liedtext „Wil sind alle Japanel“ „Bitte nett lächeln“ (vgl. ebd.: 246). Kuhn schließt daraus, dass „in situ vorhandene Artefakte die praktische Erzeugung von ‚Ethnizität’ zwar vorstrukturieren, diese aber keineswegs determinieren“ (ebd.: 251) und fasst zusammen (ebd.): „Unter der Annahme, dass die sog. ‚ethnische’ Wissensordnung material existent ist und sich in Körpern und Artefakten sedimentiert findet (Reckwitz 2008a: 202), konnte die Analyse des körperpraktischen Umgangs mit Artefakten im pädagogischen Alltag des Kindergartens Auskunft auf die Frage geben, wie diese imaginär bereisten Länder und ihre BewohnerInnen über diskursive Repräsentationen als die ‚ethnisch’ Anderen erzeugt wurden.“

Diese überzeugende Analyse zeigt, dass Praktiken keineswegs von Diskursen bestimmt werden, sondern Diskurse aufgreifen und situativ durch die Körperlichkeit der Praktiken verändern können. In den vorigen Abschnitten wurde aufgezeigt, dass die Praxistheorie mit ihrer Möglichkeit der Analyse von Praxis/Diskurs-Formationen eine Perspektive bietet, um pädagogische Alltagspraktiken präzise und gleichzeitig kontextsensibel zu beschreiben. Im folgenden Abschnitt werden die bisher ausgeführten praxistheoretischen Überlegungen um Skizzen zur Performativitätstheorie ergänzt. Performativitätstheorie In diesem und dem folgenden Abschnitt werden Grundbegriffe der Performativitätstheorie dargestellt, die vor allem in der Forschungsgruppe um Wulf in den „Berliner Ritualstudien“ entwickelt wurden (vgl. Zirfas/Wulf 2001; Wulf et al. (Hrsg.) 2001; Wulf 2005, 2007a, 2007b, 2008, 2014; Wulf/Zirfas 2004, 2006, 2007; Fischer-Lichte/Wulf 2010; Kellermann/Wulf 2011). Ergänzt werden diese durch Konzepte von Biffi, Jäger und Halfhide (2006) sowie Kuhn (2013), deren Nutzen für erziehungswissenschaftlich-ethnographische empirische Forschung im Elementarbereich ebenfalls dargestellt wird. Grundlagen der Performativitätstheorie Die Konzepte „Performatives“ und „Performativitätstheorie“ sind im Zug des „performative turn“ der Kultur- und Sozialwissenschaften entwickelt worden (zur Genese von Performativitätskonzepten in verschiedenen Disziplinen vgl.

3.2 Performativitätstheorie

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Wulf/Zirfas 2006: 292ff.). Unter dem „Performativen des Handelns“ wird nach Wulf und Zirfas (2007: 16f.) Folgendes verstanden: „Wenn vom Performativen des Handelns die Rede ist, dann wird damit ein einmaliges, zeitlich und räumlich begrenztes Ereignis bezeichnet. Modell ist dafür einmal die ‚künstlerische performance‘, zu der neben den Akteuren auch das Publikum gehört, welches für das Geschehen konstitutive Bedeutung hat. Erst im Zusammenwirken von Akteuren und Zuschauern entsteht eine ‚performance‘. Auch rituelle Aufführungen wie politische Demonstrationen, Zeremonien und Liturgien, oder Weihnachtsfeiern, Faschingsfeste und Amtseinsetzungen lassen sich nach diesem Modell begreifen. In diesen Fällen entstehen Aufführungen, in denen Menschen zum Ausdruck bringen, wie sie gesehen werden wollen und wie ihr Verhältnis zueinander ist. Auch hier werden Gemeinsamkeiten erzeugt und Gemeinschaften geschaffen. Das Performative zeichnet sich in diesen Zusammenhängen durch Körperlichkeit, Referentialität, Flüchtigkeit, Kreativität, Darstellung, Ereignishaftigkeit, Emergenz und Wiederholung/Ritualisierung aus (Wulf/Göhlich/Zirfas 2001; Wulf 2005).“

Die Performativitätstheorie verwendet oft Theatermetaphern, wie im Begriff der oben erwähnten „Aufführungen“, die sich an „Zuschauer“ richten. Körper sind zentrale Konstitutionsmomente dieser Aufführungen und Rituale128 (vgl. auch Wulf 2008: 69). Auch im Unterrichtsalltag verwendete Dinge können performativitätstheoretisch als „Requisiten“ beschrieben werden (vgl. Göhlich/Wagner-Willi 2001: 120, 161f. und 172). In der Performativitätstheorie wird von einer Annahme der Wiederholbarkeit und Routinisiertheit bei gleichzeitiger Möglichkeit zur Transformation ausgegangen (vgl. Wulf/Zirfas 2007: 17). Das Wissen, das solche performativen Praktiken129 ermöglicht, ist in der Regel implizit (vgl. Kuhn 2013: 166). Ritual als performativitätstheoretisches Konzept Grundlegend für eine performativitätstheoretische Perspektive auf das Pädagogische (wie auf das Soziale überhaupt) ist der Begriff des Rituals (vgl. auch Wulf 2007b; Kuhn 2013: 149f.; Wulf 2017). Dabei darf nicht vergessen werden, dass 128

Zur Unterscheidung von „Ritual“ und „Aufführung“ vgl. Wulf und Zirfas (2007: 17). Sie definieren „Aufführungen“ als „Geschehnisse zwischen Akteuren und Zuschauern“ und „Rituale“ (vgl. auch den ausführlicheren nächsten Abschnitt) als „wiederholbare Geschehnisse zwischen Akteuren“. Es gibt auch „ritualisierte“ und „rituelle Aufführungen“, die die Merkmale von beidem verbinden (ebd.). Eine Definition von „ritualisiert“ und „rituell“, die bei Wulf und Zirfas nicht immer trennscharf ist, findet sich bei Kuhn (2013: 179), vgl. hierfür auch das Ende dieses Absatzes. 129 Der Begriff „performative Praktiken“ stammt von Wulf (2008: 73).

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3 Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie

Rituale „Konstrukte der Forschung“ sind (Wulf/Zirfas 2004: 17) und der Ritualbegriff immer auf seinen praktischen Nutzen für die Dateninterpretation ethnographischer Daten im Kita-Alltag hin befragt werden muss. Daher werden an die hier dargelegten theoretischen Überlegungen oft Beispiele von ritualtheoretischen Interpretationen von Alltagspraktiken in Kindertagesstätten angehängt. In den nächsten Abschnitten werden formale Ritualmerkmale und Ritualfunktionen vorgestellt (vgl. Kuhn 2013: 178f.). Wo sich Ritualmerkmale und -funktionen überschneiden, wird dies gekennzeichnet. Anschließend wird erläutert, inwieweit sich Rituale von Ritualisierungen unterscheiden. Zirfas und Wulf definieren sechs Ritualmerkmale (2001: 193; vgl. auch Kuhn 2013: 179f.): „Repetitivität“, „Homogenität“, „Öffentlichkeit“, „Liminalität“, „Operationalität“ und „Symbolik“. Kuhn (2013: 208) ergänzt diese Aufzählung in Bezug auf Rituale im Kindergarten um die Merkmale „Musikalität“, „Artefaktverwendung“, „ludische Inszeniertheit“ und „Machtgebundenheit“. Im Folgenden werden diese Ritualmerkmale näher erläutert. Repetitivität wird nach Zirfas und Wulf (2001: 193) als eine „Veränderungen durchaus mit einbeziehende mimetische Tätigkeit“ verstanden. Wulf (2005: 9) vertieft diesen Gedanken in seinen Ausführungen über Mimesis130: „Bei der Wiederholung geht es darum, in einem mimetischen Prozess gleichsam einen ‚Abdruck’ früherer sozialer Handlungen zu nehmen und diesen auf neue Situationen zu beziehen. Die Wiederholung sozialen Handelns führt nie zur genauen Herstellung des früheren Arrangements, sondern stets zur Erzeugung einer neuen Situation, in der die Differenz zur früheren ein konstruktives Element ist.“ Das mimetische Wissen, das die Repetitivität von Ritualen ermöglicht, sei „körperlicher Natur und eng mit sinnlichen Prozessen verbunden“ (ebd.: 10). Das zweite von Zirfas und Wulf (2001: 193) benannte Ritualmerkmal wird als „Homogenität eines konventionalisierten förmlichen bzw. zeremoniellen Verfahrens“ (Herv. i. O.) bezeichnet. Kuhn (2013: 180) gibt als Beispiel für diese Homogenität eines Rituals den auf körperlicher Ebene durch Händehalten inszenierten Tischspruch vor dem Mittagessen an, der sich in der von ihr erforschten Kita in allen Gruppen findet. Als drittes nennen Zirfas und Wulf (2001: 193) die Öffentlichkeit, die „die Sozialität des Rituals betont“. Das vierte Ritualmerkmal nach Zirfas und Wulf (ebd.) ist das der Liminalität, die aufgrund ihrer Bedeutung im Kita-Alltag etwas ausführlicher vorgestellt wird. Liminalität besagt nach Zirfas und Wulf, dass „Rituale als Interventionen immer mit der Bearbeitung von Differenzerfahrungen (Brüchen, Übergängen, Krisen)“ (ebd.) verbunden sind. Insofern ist Liminalität nicht nur ein Ritualmerkmal, 130 Das Konzept der Mimesis, das von Wulf (2005) im Rahmen seiner Performativitätstheorie ausführlich behandelt und von Kuhn (2013: 157ff.) aufgegriffen wurde, ist für die Interpretation der vorliegenden Daten weniger relevant und wird daher hier nur kurz erwähnt.

3.2 Performativitätstheorie

81

sondern gibt zugleich Hinweise auf die Funktionen eines Rituals (vgl. Kuhn 2013: 181), etwa die Strukturierung von Übergängen. Jäger, Biffi und Halfhide (2006: 14) definieren in Anlehnung an Turner (1969/1989a) und Wagner-Willi (2005: 33) Liminalität als einen „Schwellenzustand“, „ein Zwischenstadium der Statuslosigkeit, in die Personen und Gruppen nach ritueller Ablösung von ihrem bisherigen sozialen Status, von ihrer sozialen Rolle (…) eintreten und die sie mit der rituellen Angliederung an eine neue Gruppe, mit der Einnahme einer neuen sozialen Position, wieder verlassen“. Räume und Territorialität sowie Zeit (z.B. im Jahreszyklus oder in Übergängen in einer Biographie) sind wichtige Konstitutionselemente der liminalen Phase (vgl. Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 15). Diese wird in Anlehnung an Turner (vgl. ebd.) als „Antistruktur“ bezeichnet, die allerdings keine völlige Strukturlosigkeit bedeute, sondern ein „ludisches Element“ ermögliche, ein „Spielen mit symbolischen Ausdrucksmitteln, mit Bedeutungen, mit Wörtern und mit der Dramaturgie“ (vgl. auch das Ritualmerkmal des Ludischen nach Kuhn 2013: 198). Bezogen auf Liminalität im Kindergarten, die Jäger, Biffi und Halfhide (2006: 53ff.) ethnographisch erforschen und ritualtheoretisch analysieren, lässt sich der Kindergarten selbst als Übergangsraum zwischen Familie und Schule definieren (vgl. ebd: 53). Aber auch der tägliche Weg zum Kindergarten kann als „liminale Phase“ bezeichnet werden (ebd.: 55): Die allmorgendliche „Auffangzeit“ mit Fokus auf Eingangsbereich, Garderobe und Hauptraum (vgl. ebd.: 55ff.) sowie mit Objekten des Übergangsraums (Straßenkleider, Straßenschuhe) (vgl. ebd.: 56) erleichtert es Kindern auf dem Weg von zu Hause in den Kindergarten, „schrittweise ihre private Identität ab[zu]legen und in eine neue [zu] schlüpfen“, die des Kindergartenkindes (ebd.: 58). Kuhn (2013: 181) interpretiert Tischsprüche im Kindergarten in Hinblick auf Liminalität. Sie markieren den Übergang zwischen zwei Phasen eines Kindergartentages, dem Freispiel und der Essenszeit. Als fünftes Ritualmerkmal definieren Zirfas und Wulf (2001: 193) die „Operationalität als praktische[n] Vollzug, der für die Teilnehmer am Ritual eine konkrete Änderung impliziert“, etwa im Status vom „Familienkind“ zum „Kindergartenkind“. Das sechste Ritualmerkmal nach Zirfas und Wulf (2001: 181) ist die „Symbolik, die die Transformation von Erfahrungen auf eine andere (z.B. soziale, religiöse) Bedeutungsebene ermöglicht“ (ebd.) [Herv. i. O.] und die Werte der Gemeinschaft ausdrückt, die das Ritual vollzieht (vgl. ebd.: 194). Am Beispiel eines Tischspruchs vor dem Mittagessen im Kindergarten zeigt Kuhn (2013: 181) das Ritualmerkmal Symbolik auf. Der Tischspruch endet mit „wir ha’m uns alle lieb“, die Kinder fassen sich dazu an den Händen. Nach Kuhn „konstruiert dieses Ritual normativ aufgeladen eine affektive Zusammengehörigkeit der Kindergartengruppe“ (ebd.).

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3 Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie

Kuhn ergänzt in Bezug auf Rituale im Kindergarten die Aufzählung der sechs Ritualmerkmale von Zirfas und Wulf um weitere vier: „Musikalität“, „Artefaktgebundenheit“, „Ludisches“ oder „Ludische Inszeniertheit“ und „Machtgebundenheit“ (Kuhn 2013: 189 und 208), was im Folgenden näher erläutert werden soll. Im Kindergarten findet sich häufig als Ritualmerkmal die „Musikalität“ (2013: 182), die sich auf diverse Lieder, Ton- und Klangsignale zur Strukturierung des Alltagsablaufs bezieht. „Artefaktverwendung“ (2013: 188) bezieht sich im Kindergarten z.B. auf Stühle als Artefakte, die die „Ordnungsverhältnisse innerhalb der Kindergruppe“ und den Gruppenraum strukturieren (ebd.). Hier führt Kuhn den praxistheoretischen Begriff des Artefakts und den hohen Stellenwert von Artefakten aus der Praxistheorie in die Performativitätstheorie ein. Das Ritualmerkmal des „Ludischen“ oder der „Ludischen Inszeniertheit“ (ebd.: 188f.), das Kuhn in Bezug auf ein Kreisritual im Kindergarten konstatiert, zeigt sich z.B. in einer Sequenz, in der eine Erzieherin mit Hilfe einer Handpuppe ein „Schauspiel“ inszeniert und dabei mit „Bedeutungen, Wörtern und der Dramaturgie“ (Kuhn 2013: 198 nach Turner 1982/1989b: 136) spielt. Die „Machtgebundenheit“ eines Rituals, so erläutert Kuhn (2013: 195f.), zeigt sich für die Beteiligten nicht direkt, da Rituale „ganz selbstverständlich von den Akteuren prozessiert werden“ (ebd.: 195).“ Rituale inszenieren sich als natürlich gegeben (ebd.: 195; vgl. auch Wulf/Zirfas 2004: 367). Im Kindergarten können die Machtverhältnisse etwa in Kreisritualen im Rederecht von Erzieherinnen und Kindern „erzeugt und verfestigt“ (Kuhn 2013: 195) werden. In den vorangegangenen Abschnitten wurden zehn für den Kindergartenalltag relevante Ritualmerkmale dargestellt, wobei das Merkmal Liminalität zugleich bereits auf Ritualfunktionen verweist. Die folgenden Abschnitte zeigen, ebenfalls soweit für den Kindergartenalltag relevant, systematisch Ritualfunktionen nach Wulf und Zirfas (2004: 18ff.) auf. Rituale haben eine gemeinschaftsbezogene, „kommunitäre“ Funktion (ebd.: 18), sie erzeugen und gestalten Gemeinschaft, stellen diese wieder her und ermöglichen emotionalen Zusammenhalt (vgl. ebd.). Sie wirken „stabilisatorisch“ (ebd.), indem sie durch Körperpraktiken Ordnungen stabilisieren, Einordnung und sogar Unterdrückung durch Machtasymmetrien ermöglichen. Indem sie „identifikatorisch-transformatorisch“ (ebd.) wirken, ermöglichen sie es, z.B. neue Mitglieder in eine Gemeinschaft aufzunehmen oder die Identität der Mitglieder einer Gemeinschaft zu verändern (z.B. vom Kindergartenkind zum Schulkind) sowie diesen Übergangsprozess zu gestalten. Rituale haben ebenfalls die Funktion, „gedächtnisstiftend“ zu sein (ebd.), indem sie zeitliche Kohärenz und Kontinuität durch Repetitivität herstellen und Zukunftsorientierung ermöglichen. Die „transzendent-magische“ Ritualfunktion (ebd.) gewährleistet die Kommunikation mit Heiligem, stiftet „Grenzziehungen

3.3 Zur Kombination von Praxis- und Performativitätstheorie

83

und Tabus“, macht „Zeiten, Räume, Gegenstände und Handlungen für die Menschen erfahrbar“ (ebd.: 23). Für die Interpretation der vorliegenden Daten relevant ist auch die Funktion der „Differenzbearbeitung“ von Ritualen (ebd.: 23). Rituale können nach Wulf und Zirfas „Brüche, Schwellen und Rahmen im Sozialen generieren bzw. markieren und gegebenenfalls aufheben (ebd.): „Wobei unter dem Begriff der Differenzbearbeitung die Differenzgenerierung bzw. -konstituierung oder -konstatierung ebenso gemeint ist wie der Versuch der Differenzaufhebung“ [Herv. i. O.]. Die Ritualfunktion der Differenzbearbeitung kann dabei als Kehrseite der Ritualfunktion der Gemeinschaftskonstitution gesehen werden (vgl. Kuhn 2013: 199). Bei der Formulierung „Differenzaufhebung“ merkt Kuhn (ebd.: 200) kritisch an, die Formulierung von der „Aufhebung“ unterstelle, dass es eine essentielle, z. B. ‚kulturelle’, Differenz gebe, die erst aufgehoben werden müsse. Damit bestehe die Gefahr, „Differenz“ nicht als Konstrukt, sondern als unhinterfragte, essentialisierende Vorannahme für die Dateninterpretation zu verwenden. In der vorliegenden Arbeit soll im Sinne Kuhns der Differenzbegriff verwendet werden, um die Hervorbringung von Differenzen aufzuzeigen und nicht, um diese als prä-existente Analysekategorien anzunehmen. Anschließend an diese Darstellung von Ritualmerkmalen und -funktionen kann konstatiert werden: Eine Analyse von Ritualen in pädagogischen Praktiken in Kindertagesstätten ist wegen ihrer zentralen Bedeutung im elementarpädagogischen Alltag fruchtbar. Nach Kuhn (2013: 178) sind Rituale ein „Konstitutionsmoment des Kindergartenalltags“. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass viele, aber nicht alle pädagogischen Praktiken dort ritualförmig sind. Gleichzeitig ist aber nicht jedes wiederkehrende Geschehen im Kita-Alltag ein Ritual. Die oben erläuterten Ritualmerkmale und -funktionen ermöglichen hierbei eine analytische Trennschärfe. Ein ausdifferenzierter Ritualbegriff performativitätstheoretischer Herkunft, wie er hier skizziert wurde, bietet ein hilfreiches Analysewerkzeug im Rahmen der Performativitätstheorie. Aber wie ist er mit Praxistheorie kombinierbar? Zur Kombination von Praxis- und Performativitätstheorie In den vorherigen Abschnitten wurden zentrale Begriffe der Performativitäts- und Praxistheorie dargestellt. Darauf aufbauend soll in diesem abschließenden Unterkapitel diskutiert werden, inwiefern diese beiden Ansätze zusammenpassen und welche Vorteile es bietet, nicht ausschließlich praxistheoretisch oder performativitätstheoretisch zu argumentieren. Eine Verbindung von Praxis- und Performativitätstheorie für die Analyse empirischer Daten hat sich bereits in den überzeugenden Studien von Cloos,

84

3 Theoretischer Rahmen: Praxis- und Performativitätstheorie

Köngeter, Müller und Thole (2009) sowie Kuhn (2013) bewährt. Auf theoretischer Ebene finden sich vielfältige Anknüpfungspunkte: Eine begriffliche Verbindung von Praxis- und Performativitätstheorie findet sich bereits bei Reckwitz, der performativitätstheoretische Konzepte als eine Inspiration für die Praxistheorie annimmt (Reckwitz 2003: 282 und 285). Er erläutert, praxistheoretisch informierte Sozialforscher*innen konzentrierten sich in ihrer „Rekonstruktion von Praktiken zunächst auf die Beobachtung der ‚skillful performance’ von Körpern.“ (ebd.: 290). Diese Betonung des Körperlichen teilen Praxis- und Performativitätstheorie (vgl. Wulf 2008: 69; Reckwitz 2003: 290). Materialität wird sowohl in der Performativitäts- als auch in der Praxistheorie jedoch nicht nur als Eigenschaft von Körpern beschrieben. Auch Requisiten, etwa Stühle oder Kleidung im Unterrichtsalltag, können performativitätstheoretisch beschrieben werden (vgl. Göhlich/Wagner-Willi 2001: 120, 161f., 172). Der Begriff „Requisit“ ist dabei dem praxistheoretischen „Artefakt“ verwandt, wobei Kuhn (2013: 187f.) konstatiert, dass die Praxistheorie stärker als die Performativitätstheorie die Bedeutung von Gegenständen für das Soziale und ihre Materialität betone. Daher verwendet sie den praxistheoretischen Begriff „Artefakt“ für ihr performativitätstheoretisch konzipiertes Ritualmerkmal der „Artefaktgebundenheit“ (ebd.: 208), eine Begrifflichkeit, der die vorliegende Arbeit folgt. Ähnlich wie in der Praxistheorie wird in der Performativitätstheorie von einer Annahme der Wiederholbarkeit und Routinisiertheit bei gleichzeitiger Möglichkeit zur Transformation ausgegangen (vgl. Wulf/Zirfas 2007: 17; Reckwitz 2003: 294). Das Wissen, das solche „performances“ ermöglicht, ist in der Regel implizit, wie auch die Praxistheorie es für das Wissen um Praktiken annimmt (vgl. Kuhn 2013: 166). Wulf und Zirfas (2007: 17) verwenden den Ausdruck „Performative Praktiken“ synonym zu „performative Akte“ für einzelne performative Ereignisse (vgl. auch Wulf 2008: 73, wo durchgängig der Begriff „Praktiken“ verwendet wird). Wulf et al. rekurrieren nicht explizit auf Praxistheorie. Dennoch ist für diese Arbeit die Definition performativer Praktiken als einer Teilmenge aller Praktiken im Sinn der Praxistheorie hilfreich, um Praxistheorie und Performativitätstheorie miteinander zu verknüpfen. Performative Praktiken, also Aufführungen, Rituale, Ritualisierungen und ritualisierte oder rituelle Aufführungen (vgl. Abschnitt 3.2.1), rücken die Funktionen solcher Praktiken für die Zuschauenden und Teilnehmenden, z.B. die gemeinschaftsstiftende Funktion im pädagogischen Alltag, präziser in den Fokus als es nur praxistheoretisch beschreibbar wäre. Besonders das Konzept des Rituals, das in der Elementarpädagogik eine zentrale Bedeutung hat, ermöglicht eine differenziertere Analyse vieler pädagogischer Praktiken, als es eine rein praxistheoretische Betrachtung nach Reckwitz (2003) und Hillebrandt (2014) leisten könnte. Diese wäre nicht in der Lage, rituelle Praktiken in ihren Spezifika zu erkennen und hielte

3.3 Zur Kombination von Praxis- und Performativitätstheorie

85

für alle Praktiken dasselbe Analyse-Instrumentarium bereit. Hier leistet die Performativitätstheorie einen Beitrag, z.B. zur Analyse der Differenzbearbeitung durch Rituale im Kita-Alltag, der über praxistheoretische Möglichkeiten hinausgeht. Die Praxistheorie wiederum bietet durch den Einbezug von Praxis/DiskursFormationen einen Blick auf ausgedehntere und komplexere Kontexte von pädagogischen Praktiken, was wiederum die Performativitätstheorie nicht vermag. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich Praxis- und Performativitätstheorie konzeptionell sowie in ihrer Anwendung in der Dateninterpretation gut ergänzen. An den Schluss dieses Kapitels sei ein Zitat von Hillebrandt (2014: 119) gestellt, das über die Praxistheorie geschrieben wurde, aber auch für die Performativitätstheorie Gültigkeit beanspruchen kann, und das zu den folgenden Interpretationskapiteln überleitet: Es ist „notwendig, darauf hinzuweisen, dass die soziologische Theorie der Praxis theoretische Begriffe nie wichtiger nehmen kann als den tatsächlichen Vollzug der Praxis“.

Methodische und methodologische Überlegungen

Im folgenden Kapitel werden die Passung von Forschungsgegenstand, Forschungsstrategien und Theorien sowie die Wahl der Forschungsstrategien Ethnographie und Grounded Theory begründet. Anschließend werden zuerst Grundlagen der Ethnographie dargestellt, danach wird in Rekurs auf die „Writing Culture“-Debatte das ethnographische Schreiben als Handwerkszeug und Gegenstand von Reflexion thematisiert. Qualitätskriterien für ethnographisches Schreiben nach Reichertz werden dargelegt und die Metapher der „Befremdung der eigenen Kultur“ reflektiert. Potentiale von Ethnographie für die Erziehungswissenschaft werden dargestellt mit einem Schwerpunkt auf der Erforschung von Differenzkonstruktionen und Ungleichheit. Abschließend werden Grundannahmen der Reflexive Grounded Theory skizziert sowie Feld, Feldzugang, Positionierung131 der Forscherin und kommunikative Validierung aufgezeigt und ethische Reflexionen vorgenommen. Zur Passung von Forschungsgegenstand, Forschungsstrategien und Theorien Der Forschungsgegenstand dieser Arbeit – sprachliche Alltagspraktiken von Kindern und Erzieherinnen in einer Kindertagesstätte – ist, wie bereits erwähnt, eine immer noch wenig erforschte „black box“ (Diehm 2013: 13, vgl. auch Schmidt 2018: 200). Eine Alltagspraktik, nach Reckwitz (2003: 291) ein „Nexus von wissensabhängigen Verhaltensroutinen“ im Sinne der Praxistheorie, ist reflexiv zumindest teilweise nicht zugänglich (Reckwitz 2003: 292; vgl. auch Kuhn 2013: 27) und damit etwa für ein interviewbasiertes qualitatives Verfahren nicht geeignet.

131

Breuer (2010: 30) verwendet die Begriffe „Position“ / „positionieren“ und „Rolle“ synonym, während Ouellette (2010: 68) zwischen „role“ als dauerhaft und „positioning“ als situativ ausgehandelt unterscheidet. Da auch eine ständig vorhandene Rolle, z.B. als Erwachsene, situativ mehr oder weniger relevant gemacht werden kann, verzichte ich ebenfalls auf die Differenzierung zwischen beiden Konzepten. Die Begriffe „Position“ und „Positionierung“ werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Zettl, Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte, Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27031-5_4

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Die Forschungsstrategie Ethnographie dagegen kann die Materialität, Körperlichkeit und – wie im Fall des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes – Sprachlichkeit von Alltagspraktiken unabhängig von ihrer reflexiven Verfügbarkeit für die Feldteilnehmenden dokumentieren und analysieren. Damit ist sie gegenstandsadäquat, wie Reckwitz (2003: 298) in Rekurs auf Amann und Hirschauer (Hrsg.) (1997b) sowie Berg und Fuchs (Hrsg.) 1993 schreibt. Der Forschungsgegenstand wird jedoch nicht nur aus praxistheoretischer, sondern auch aus performativitätstheoretischer Perspektive beleuchtet. Wulf und Zirfas (2007 u.a.) entwerfen hierfür eine performativitätstheoretisch ausgerichtete Ethnographie (vgl. dies.: 2007: 18). In Tholes Programmatik einer „Ethnographie des Pädagogischen“ (2010) sind sowohl Praxis- als auch Performativitätstheorie für neuere erziehungswissenschaftliche ethnographische Forschung besonders relevant. Eine Kombination von Ethnographie mit der Forschungsstrategie Grounded Theory (Glaser/Strauss 1967/1998) zur Datenauswertung ist ebenfalls gut mit Praxis- und Performativitätstheorie verknüpfbar132: Alle genannten Forschungsstrategien und Theorien sind in der qualitativen Sozialforschung verankert und erheben den Anspruch, zu Aussagen auf der Mikroebene zu gelangen. Zudem ermöglichen Ethnographie und Grounded Theory durch die (relative) Offenheit ihrer Vorgehensweisen überraschende Entdeckungen jenseits vorgefertigter Hypothesen, die sich gut auswerten lassen. Die Reflexive Grounded Theory (Breuer 2010) bietet gegenüber dem Vorgehen der „klassischen“ Grounded Theory nach Glaser und Strauss den Vorteil, dass die Positionen der Forscher*innen im Forschungsprozess selbst (nicht nur im Feld) immer wieder reflektiert werden und dadurch Reifizierungen, wenn nicht vermieden, so doch zumindest etwas eingeschränkt werden können. Diese Selbstpositionierung ist allerdings keine reflexio ex nihilo, sondern wiederum durch Diskurse vorstrukturiert, etwa die ethnographischen „confessional tales“ im Sinne Van Maanens (1988: 81ff). Zur Forschungsstrategie Ethnographie In den folgenden Abschnitten über Ethnographie werden Grundlagen der Ethnographie vorgestellt, insbesondere ihre disziplinären Traditionslinien, ihre Gegenstände, ihr Methodenpluralismus und die Teilnehmende Beobachtung sowie ihre Zirkularität und Offenheit. Anschließend wird ethnographisches Schreiben im 132

Dies haben bereits zahlreiche Arbeiten gezeigt (vgl. Kuhn 2013: 31 für Studien, die Grounded Theory und Ethnographie kombinieren; Kuhn selbst verbindet Ethnographie, Grounded Theory, Praxistheorie und Performativitätstheorie, was die vorliegende Arbeit inspirierte). Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff und Nieswand (2013: 124ff.) subsumieren das Codieren mit Hilfe der Grounded Theory als Teil des ethnographischen Forschungsprozesses.

4.2 Zur Forschungsstrategie Ethnographie

89

Blick auf seine epistemologischen Potentiale und Grenzen reflektiert und die Denkfigur der Fremdheit und Befremdung kritisch beleuchtet. Zuletzt werden Themen erziehungswissenschaftlicher Ethnographie, unter anderem Differenz und Ungleichheit, skizziert. Grundlagen der Ethnographie Die Forschungsstrategie der Ethnographie entstand in der Ethnologie (z.B. Malinowski 1922), der Großstadtsoziologie der Chicago School und der Soziologie des Alltags, die aus der ursprünglichen Perspektive auf „Fremde“ einen Blick auf die „Befremdung der eigenen Kultur“ machte (Amann/Hirschauer (Hrsg.) 1997b)133. Gegenstand der Ethnographie sind soziale Praktiken, die durch eine methodenplurale Forschungsstrategie unter dem Überbegriff „Feldforschung“ erfasst werden (ebd.: 32f.): Teilnehmende Beobachtung, die ergänzt werden kann z.B. durch ethnographische Interviews, das Sammeln von Artefakten und Anfertigen von Aufzeichnungen mit technischen Hilfsmitteln, z.B. Audioaufnahmen (Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 34; Thielen 2015: 331). Welche Methode oder welcher Datentyp bevorzugt wird, hängt von den feldspezifischen Besonderheiten (ebd.) ebenso ab wie von pragmatischen und ethischen Gesichtspunkten (z.B. Datenschutzvereinbarungen). Die verschiedenen gewonnenen Datentypen dienen dazu, das Forschungsfeld multiperspektivisch darzustellen (Friebertshäuser/Panagiotopoulou 2010: 309). Teilnehmende Beobachtung Kernstück dieses „integrierten Forschungsansatzes“ (Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 34) ist die Teilnehmende Beobachtung. Diese Methode, von Malinowski (1923) systematisiert und bei Spradley (1980) ausführlich behandelt134, setzt das reflektierte Auswählen eines Forschungsfelds voraus (ebd.: 39ff.) (vgl. auch Kap. 4.5). Die Wahrnehmungen während der Teilnehmenden Beobachtung geschehen mit allen Sinnen (ebd.: 71), fokussieren sich im Laufe des Feldaufenthalts immer stärker (ebd.: 103) und werden in Feldnotizen festgehalten, die später zu Protokollen erweitert werden (ebd.: 109) im Sinne einer „Dichte[n] Beschreibung“ (Geertz 1973/1995). Ein Forschungstagebuch dient der 133 Zur Geschichte der Ethnographie vgl. Fuchs und Berg (1993) sowie Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff und Nieswand (2013: 13ff.). 134 Für eine ausführliche Beschreibung der Teilnehmenden Beobachtung sei auf Spradleys „Participant Observation“ (1980) verwiesen.

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Selbstreflexion im Feld (Friebertshäuser/Panagiotopoulou 2010: 314). Durch die schriftliche Aufzeichnung erfolgt eine Distanzierung vom Forschungsfeld, die in Spannung zu den Anforderungen der Teilnahme und Beobachtung im Feld stehen kann (Spradley 1980: 89). Teilnehmende Beobachter*innen sind Personen mit doppelter Absicht (ebd.: 58); manchmal gleichzeitig, manchmal nacheinander sind sie „insider“ in der Teilnahme an der Situation und „outsider“ in ihrer reflektierten Distanz zur Situation (ebd.: 57; vgl. auch Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 68). Distanzierungsbewegungen und Analysephasen sind auch notwendig, um eine Überflutung durch Datenmengen oder ein dauerhaftes „going native“, eine vollständige Teilnahme ohne Selbstreflexivität, zu vermeiden (ebd.: 109). Wichtig ist dabei, sich zu vergegenwärtigen, dass das Beobachtete erst durch die Anwesenheit der Forschenden hervorgerufen wird (vgl. Hünersdorf 2008: 30). Teilnehmende Beobachtung bedeutet nicht nur Teilnahme und Mitschreiben im Feld. Vielmehr handelt es sich, wie bereits einleitend eingeführt, um eine „methodenplurale kontextbezogene Strategie“ [Herv. i. O.] (Lüders 2012: 389). Audioaufnahmen sind zur Unterstützung nützlich, wenn „die Komplexität, Detailliertheit und Geschwindigkeit des Geschehens – die Flüchtigkeit und Pausenlosigkeit des Sozialen – auch wiederholte und fokussierte Beobachtungen überfordert“ (Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand: 89f.). Ethnographische Interviews als informelle Gespräche (ebd.: 80ff.) können durch Beobachtung nicht zugängliches Wissen generieren und zur Überprüfung eigener Interpretationen eingesetzt werden (ebd.: 82). Textartefakte aus dem Feld zur Analyse hinzuzuziehen, ist ertragreich, da mit ihnen andere Raum-Zeit-Dimensionen relevant werden (ebd.: 92) und aus der Mikroebene der Alltagspraktik Verbindungen zu Diskursen gezogen werden können (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2013: 43 und Abschnitt 3.1.2 zu Praxis/Diskurs-Formationen). Bei allen ethnographischen Vorgehensweisen sind Offenheit und Zirkularität zentrale Merkmale (vgl. Thielen 2015: 330). Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff und Nieswand (2013: 78) beschreiben, wie der Forschungsprozess mit einer weiten Perspektive beginnt und sich dann z.B. thematisch, zeitlich oder räumlich sukzessiv fokussiert und die neu gewonnenen Hypothesen immer wieder am Feld überprüft werden (vgl. auch Spradley 1980: 73). Bei dieser anfänglichen Offenheit ist es jedoch nicht möglich oder gar wünschenswert, bereits vorhandenes theoretisches Vorwissen völlig auszublenden. Geertz (1973/1995: 38) schreibt in diesem Zusammenhang über den Beginn eines ethnographischen Forschungs- und Schreibprozesses: „Auch wenn man jeden Versuch einer dichten Beschreibung, die sich nicht auf das Offensichtliche und Überflüssige richtet, in einem Zustand allgemeiner Verwirrung darüber beginnt, was zum Teufel da vorgeht, und sich erst zurechtfinden muß, geht

4.2 Zur Forschungsstrategie Ethnographie

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man an die Sache doch nicht ohne irgendwelche intellektuellen Vorkenntnisse heran (jedenfalls sollte man es nicht). Theoretische Ideen entstehen nicht in einer jeden Studie völlig neu.“

Aus dieser Perspektive gesehen ist es wichtig, vor dem Feldaufenthalt bestehendes Vorwissen und Erkenntnisinteressen offen zu legen, um ihr mögliches “Einsickern” in die Datenerhebung zu reflektieren (vgl. auch den Abschnitt über Reflexive Grounded Theory). Da Ethnograph*innen selbst das Erhebungsinstrument darstellen (vgl. Amann/Hirschauer 1997a: 25), ist eine Selbstreflexivität ohnehin unumgänglich. Reflexionen über das Lesen und Schreiben von Ethnographien Die im folgenden Abschnitt zitierten Perspektiven auf das Lesen und Schreiben von Ethnographien wurden seit Mitte der 1980er Jahre in anglo-amerikanische und von dort aus teilweise in deutschsprachige soziologische Reflexionen übertragen. Sie werden im Folgenden ausführlich dargestellt, der Forderung von Atkinson und Hammersley (2007: 191) folgend, zeitgenössische Ethnograph*innen sollten sich auch mit Perspektiven aus Literaturtheorie, Rhetorik und Textlinguistik auseinandersetzen. Schreiber*innen von Ethnographien sind immer Leser*innen anderer ethnographischer Texte (vgl. Atkinson 1992: 4; Atkinson/Hammersley 2007: 191f.135), die im Forschungsprozess verschiedene Genres und Vorbilder für das eigene Schreiben kennen lernen. Dies hat nicht nur stilistische, sondern, bedingt durch die Untrennbarkeit von Sprache und Erkenntnismöglichkeiten, auch epistemologische Auswirkungen auf ihr eigenes Schreiben. Es ist aus verschiedenen Gründen ertragreich, die „Writing Culture“-Debatte über das Schreiben und Lesen von Ethnographien (Clifford/Marcus (Hrsg.) 1986), auch „textual turn“ (Atkinson 1992: 8) oder „Krise der Repräsentation“ genannt136, in die Erziehungswissenschaft zu übertragen. Im Zuge einer Forderung nach mehr Selbstreflexivität im Forschungsprozess (vgl. etwa Diehm/Kuhn/Machold 2010) ist es sinnvoll, auch das wissenschaftliche Schreiben selbst in den Blick zu nehmen: Es konstruiert sprachlich die Positionierung der forschenden und „beforschten“ Subjekte. Gerade für eine im sozialkonstruktivistischen Paradigma verortete Arbeit wie die vorliegende ist das 135 Zur Bedeutung des Lesens für Wissenschaftler*innen vgl. auch Strauss (1987/1994: 313), der allerdings den Fokus nicht auf das Erlernen textueller Muster, sondern das Herausfinden der analytischen Logik von Forschungsarbeiten legt. 136 Vgl. Berg/Fuchs (Hrsg.) 1993, Geertz 1967/1990, Geertz 1980, Van Maanen 1988, Olson 1991, Atkinson 1992, Van Maanen (Hrsg.) 1995.

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Problem der „Seltsamkeit des Konstruierens von vorgeblich wissenschaftlichen Texten aus Erfahrungen, die im weitesten Sinne biographisch sind“ (Geertz 1967/1990: 18, vgl. auch Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 178) und die Frage nach der Repräsentation dieser Biographizität nicht unproblematisch. Insbesondere können oft unreflektiert gebrauchte Metaphern über ethnographisches Forschen wie „Abenteuer“, „Grenzgang“, „fremder Blick/Befremdung“, die den Forschungsprozess prägen, hinterfragt werden, wie dies im nächsten Abschnitt am Beispiel der Metapher des „fremden Blicks“ geschieht. Zudem wird das narrative und metaphorische Schreiben in der „Writing Culture“-Debatte epistemologisch aufgewertet als wertvolle Quelle der Erkenntnis. Dies legitimiert auf theoretischer Ebene eine Erweiterung der Darstellungsformen in ethnographischen Texten, wie sie in der angelsächsischen Tradition längst üblich ist. Beziehen sich die vorhergehenden Argumente auf ethnographisches Forschen in der Erziehungswissenschaft allgemein, betreffen zwei Gesichtspunkte besonders die vorliegende Arbeit: Wenn sprachliche Bildung in einer Kindertagesstätte mit ihren teils impliziten, teils expliziten Normen des Sprachgebrauchs kritisch erforscht wird, ist es lohnend, auch die Sprache der eigenen Forschungstradition in den Blick zu nehmen. Gerade in einem so normativ aufgeladenen und politisch sensiblen Bereich wie dem des „richtigen“ Sprachgebrauchs in pädagogischen Settings sollten Wissenschaftler*innen der Versuchung widerstehen, sich implizit selbst als Hüter*innen unhinterfragter Sprachkompetenz darzustellen. Zudem hat ein Befund im Feld eine überraschende Strukturanalogie zutage gefördert: In der erforschten Kita werden narrative Formen des Sprechens marginalisiert und in abgegrenzte Bereiche außerhalb des Kita-Alltags verwiesen. In der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft sind Narrationen oft ebenfalls marginalisiert und auf abgegrenzte Textformen wie Vignetten und kurze Datenauszüge begrenzt. Die Gründe für diesen narrationsfernen Habitus in beiden Feldern sind scheinbar konträr, aber beide mit einer milieuspezifischen Adressatenorientierung verbunden. Diese schätzt Narrationen als zu komplex oder zu unterkomplex für die Rezipienten ein und ist mit einem damit verknüpften Stigma beziehungsweise der Furcht vor einem Stigma verbunden. Im Fall des Sprechens in der Kita ist es eine professionelle Einschätzung der Kinder als in „bildungsfernen Milieus mit wenig Narrationen aufwachsend“, für die Geschichten noch zu komplex seien und die erst schrittweise und in segregierten, marginalisierten und/oder ritualförmigen Praktiken an diese herangeführt werden müssen (vgl. Kapitel 6). Im Fall wissenschaftlichen Schreibens ist es möglicherweise die Furcht, die deutschsprachige „academic community“ in qualitativer Sozialforschung könne einen Text nicht als „richtige“ Wissenschaft sehen und als unterkomplexe, „unwissenschaftliche Literatur“ stigmatisieren, sollten narrative Elemente zugelassen werden. In beiden

4.2 Zur Forschungsstrategie Ethnographie

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Fällen, in der Kita wie in der Erziehungswissenschaft, verschwinden narrative Strukturen trotz dieser Marginalisierung nicht völlig. Sie erscheinen im Fall des Sprechens in der Kindertagesstätte an „besonderten“ Orten (vgl. die Abschnitte 6.3-6.4) oder im Fall erziehungswissenschaftlichen Schreibens als Vignetten, Metaphern oder als „Meta-Narrationen“ (vgl. Abschnitt 7.2). Auch aus dieser Perspektive – einer Strukturanalogie von Feld und Wissenschaft in Bezug auf ihr Verhältnis zu Narrativität – ist es daher lohnend, sich mit der Textualität ethnographischen Schreibens zu befassen. Innerhalb der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft gerieten einige der Traditionslinien ethnographischen Schreibens weitgehend in Vergessenheit, die jedoch für die methodisch-methodologischen Überlegungen der vorliegenden Studie zentral sind und daher im Folgenden kurz skizziert werden. Die Denkfigur eines Fremden, der einen distanzierten Blick auf eine vertraute Lebenswelt wirft, ist wesentlich älter als die wissenschaftliche Ethnographie: Sie entstammt der Literatur. Montesquieus „Lettres persanes“ (1721/1987) und Jonathan Swifts „Gullivers Travels“ (1726/2012) zeigen Selbstverständliches aus der Lebenswelt der Autoren und ihrer Leser*innen als kontingent und sozial konstruiert (vgl. Clifford 1986: 23; Geertz 1967/1990: 124)137. Die wissenschaftliche Ethnographie ist seit ihrem Begründer Malinowski, der Joseph Conrad zum Vorbild nahm, durch nichtwissenschaftliche Textgattungen geprägt (zu Malinowski vgl. Fuchs/Berg 1993: 84). Der frühere Journalist und Begründer der Chicago School Robert Parks sah seine Arbeit als eine Art „in die Tiefe gehende Reportage“ (Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 22). Geertz, der Literatur und Philosophie studierte und als Quereinsteiger zur Anthropologie kam, bezeichnet sich in einem Interview selbst als „novelist manqué“ und „rhetorician in the closet“ (Olson 1991: 245, 247). Dazu passend bemerkt der Literaturtheoretiker Roland Barthes (1975/1995: 158), der ethnologische scheine ihm von allen gelehrten Diskursen am meisten mit einer Fiktion verwandt. Geertz vergleicht die Ethnographie mit einem marokkanischen Maultier, das sich seiner Abstammung vom Pferd brüste und die Herkunft vom Esel verschweige – das Pferd sei die Wissenschaft, der Esel die Literatur (Geertz 1967/1990: 17). Diese Vergleiche sind nicht nur deshalb relevant, weil viele Ethnographen dezidiert literarische Stilmittel einsetzen, sondern weil ethnographische Texte 137 In der späteren Wissenschaft der Ethnographie ist das satirische Potential des ethnographischen Blicks leider selten, im deutschsprachigen Kontext fast nie ausgeschöpft worden. Zu Sarkasmus, Satire und Ironie in Goffmans ethnographischem Schreiben vgl. auch Fine und Martin (1995). Das Vorwort des klassisch gewordenen Sammelbands „Writing Culture“ endet mit einem satirischen sprachreflexiven Gedicht nach Lewis Carroll über die im Buch gebrauchten Fremdwörter (Clifford/Marcus 1986: ix). Dies wäre undenkbar im deutschsprachigen Raum, obwohl die Fremdwörterdichte dort noch höher sein dürfte.

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

nach Geertz „Fiktionen“ sind (1973/1995: 23): Viele Charakteristika von Literatur – Konstruktivität, Narrativität, die Verwendung von Tropen wie Metaphern, Vergleichen etc. – erscheinen auch in der Ethnographie (vgl. Clifford/Marcus (Hrsg.) 1986; Geertz 1967/1990 und 1973/1995; Atkinson 1992). Diese Eigenschaften werden im Folgenden kurz dargestellt. Ethnographische Texte, so argumentieren Geertz und spätere Vertreter der „Writing culture“-Debatte, besitzen Konstruktionscharakter, sind „Interpretationen … zweiter und dritter Ordnung“ (Geertz 1973/1995: 22f.). Dies bedeutet nicht, dass sie ununterscheidbar von Literatur sind, denn sie referieren auf „wirkliche“ Ereignisse (ebd.: 23). Nach Atkinson soll die Erkenntnis der Konstruktivität ethnographischen Schreibens helfen, textuelle Konventionen zu reflektieren, aber nicht zu einem Radikalkonstruktivismus und zu Resignation in Bezug auf die Darstellbarkeit sozialer Wirklichkeit führen (vgl. auch Atkinson/Hammersley 2007: 205). Die vorliegende Arbeit folgt dem Standpunkt von Atkinson (1992: 51f.), der die epistemologische Begrenztheit ethnographischer Darstellung, aber auch die Möglichkeit intersubjektiver Kommunikation hervorhebt138: „The ethnographer is undoubtedly an artisan who crafts narratives and representations. (…) our work is a human creation, but not necessarily the equivalent of a spurious measurement or finding. All our human capacity for symbolic activity is based on conventional and arbitrary signs and their interrelationships. That does not, however, rob them of practical value. We use them to interact with the world and with one another. (…) We do not have perfect theoretical and epistemological foundations; we do not have perfect methods of data collection; we do not have perfect or transparent modes of representation. We work in the knowledge of our limited resources. But we do not have to abandon the attempt to produce disciplined accounts of the world that are coherent, methodical, and sensible.”

Durch diese Muster werden die unzähligen Details der Beobachtung zu einem verständlichen und lesbaren Text vereinfacht und verwandelt und in ein wissenschaftliches „second-order narrative“ (Atkinson 1992: 12ff.) umgewandelt. Dieses kann, so Van Maanen (1988), verschiedenen Genres zugeordnet werden; relevant für die vorliegende Arbeit sind der „realist tale“ und der „confessional tale“139, die sich nach der Positionierung des Forschenden im Text unterscheiden. 138 Für eine soziologisch fundierte Epistemologie ethnographischen Schreibens vgl. auch Reichertz (1992). 139 Das dritte von Van Maanen beschriebene Genre, der „impressionist tale“ (Van Maanen 1988), ist für diese Arbeit nicht relevant, ebenso wenig experimentellere Genres, die mit Polyphonie oder streamof-consciousness experimentieren, wie sie im Zug besonders der anglo-amerikanischen postmodernen Ethnographie verwendet wurden (vgl. Hammersley/Atkinson 2007: 203f.). Es wäre ein Gewinn, solche Genres und ihre spezifischen Erkenntnismöglichkeiten in die deutschsprachige Erziehungswissenschaft reflektiert einzubringen.

4.2 Zur Forschungsstrategie Ethnographie

95

Ein zentraler Konstruktionsmodus von Ethnographien ist der narrative. Er wird im Folgenden weiter reflektiert140. Nach Adam (1990, zit. aus Atkinson 1992: 13) spiegeln Narrative die zeitliche Qualität menschlicher Erfahrung. Reichertz (1992: 337; vgl auch Atkinson 1992: 12f.) fasst wissenschaftstheoretische Diskussionen zusammen, die zeigen, „dass von den narrativen Mustern unserer Kultur Darstellungszwänge ausgehen, welchen sich auch die Wissenschaftler (vor allem Historiker und Ethnographen) nicht entziehen können (…): die Mehrstimmigkeit des beobachteten Handlungsgeschehens wird in einzelne, deutlich voneinander abhebbare Handlungszüge entlang einer Zeitachse angeordnet, Inkonsistenzen werden vereindeutigt.“ (Reichertz 1992: 337)

Der „realist tale“, bis heute eine gebräuchliche Form ethnographischen Schreibens, zeichnet sich durch eine fast vollständige Abwesenheit der Autor*innen in ihren Texten aus (ebd.: 45ff.). Sie erscheinen nur in kurzen, klar von der eigentlichen ethnographischen Beschreibung abgegrenzten Passagen wie dem Vorwort oder methodologischen Erläuterungen. Als Basis für die Autorität des Textes wird im „realist tale“ die nicht explizit gemachte, aber konventionell angenommene Erfahrung der Forscher*innen im Feld gesehen (ebd.). Reichertz (1992: 335) kritisiert diese Art zu schreiben: „Diese Ausmerzung des Autors hat zwei Folgen: er entzieht sich damit sowohl der eigenen als auch der fremden Kontrolle“. Aus einem Unbehagen an den epistemologischen Begrenzungen des „realist tale“ heraus wurde nach Van Maanen (1988: 92) der „confessional tale“ entwickelt: „Because realist tales are methodologically silent, because they adopt the conceit that data must be cleanly separated from the fieldworker (implying, no doubt, that virtually anyone would see, hear, and think the same things were they in the fieldworker's shoes), and because they offer only the fieldworker's tightly packaged account of the culture studied, confessions are necessary.”

Auch der „confessional tale“ setzt sich aus textuellen Konventionen zusammen (ebd.: 74ff.): Autor*innen werden als Figuren in ihren Texten sichtbar, die die Feldforschung, oft inmitten von Selbstzweifeln und Missgriffen, die aus einer Unkenntnis milieuspezifischer Praktiken resultieren, durchführen. Feldforscher*innen, die in diesem „confessional style“ schreiben, stellen ihren Lernprozess im Feld dar (ebd.: 76f.), ohne den Anschein eines völligen „going native“ erwecken zu dürfen. Van Maanen fordert:

140

In der Geschichtswissenschaft wird die Bedeutung von Narrationen für die Darstellung von Geschichte seit Jahrzenten diskutiert (vgl. Rhode-Jüchtern 2013).

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4 Methodische und methodologische Überlegungen „Authors must discuss their pre-understandings of the studied scene as well as their own interests in that scene; their modes of entry, sustained participation or presence, and exit procedures; the responses of others on the scene to their presence (and vice versa); the nature of their relationship with various categories of informants” (1988: 93f.).

Der „confessional style“ ergänzt meist den „realist style“ (ebd.: 74). In der vorliegenden Arbeit wird hauptsächlich der „realist style“ verwendet, aber vor allem im Abschnitt über Feld und Feldzugang durch den „confessional style“ ergänzt141. Dabei werden auch im Verwenden des „confessional style“ Grenzen der Selbstreflexivität epistemologisch deutlich, da diese ausschließlich innerhalb der Topoi einer klar definierten Textsorte geschieht; dennoch ermöglicht er eine zumindest partielle Selbstreflexion der Forscher*innen. Das Verwenden des „realist style“ hingegen folgt nicht nur den Genrekonventionen der meisten erziehungswissenschaftlichen Ethnographien, sondern auch dem Erkenntnisinteresse der Leser*innen dieser Arbeit, die primär Interesse an sprachlichen Praktiken im Kindergarten, nicht an der Subjektivität der Autorin haben dürften. Zugleich ist es jedoch nicht möglich, diese Praktiken aus einer Warte jenseits der Subjektivität zu beschreiben. Würde nur der „realist style“ verwendet, bestünde die Gefahr dieser Illusion. Eine ethnographische Monographie kann nach Atkinson jedoch nicht nur „tales“ als Narrative zweiter Ordnung enthalten, etwa in Form von Vignetten, Anekdoten und Datenfragmenten (Hammersley/Atkinson 2007: 198). Sie ergänzt diese auch durch „Meta-Narrative“, die die Monographie strukturieren: „Beyond the fragmentary narratives of persons and circumstances are the meta-narratives that shape the ethnography overall. The ethnographic monograph, for instance, may be ordered in terms of large-scale narratives. It may take the form of a story of thwarted intentions; a display of order in chaos; or disorder in a rational organization. It can set up a reader’s expectations only to deny them. It can transform the reported events of everyday life into the grand mythologies of human tragedy or triumph. The ethnography itself can become a morality tale; a high drama; a picaresque tale of lowlife characters; a comedy of manners; a rural idyll. It can draw explicitly on literary parallels and archetypes” (Atkinson 1992: 13).

Im Wechsel zwischen Narrativen und Meta-Narrativen, erzählenden und analytischen Passagen wird in der vorliegenden Arbeit nach Hammersley und Atkinson 141

Reichertz kritisiert den „confessional tale“ (1992: 346): Je stärker der Autor „die Idiosynkrasien seiner Subjektivität dem Leser enthüllt und je mehr er die vorgelegten Deutungen auf diese Subjektivität zurückführt, desto mehr enthüllt sich dem Leser die fehlende Reziprozität der Perspektiven.“ Dem sei entgegengestellt, dass eine vollständige Reziprozität der Perspektiven ohnehin eine Illusion ist und Verstehen nach Schütz (1955/1971: 372) lediglich eine Idealisierung dieser Reziprozität darstellt.

4.2 Zur Forschungsstrategie Ethnographie

97

(2007: 198f.) ein Mittelweg zwischen zu starker interpretativer Dichte und zu starker Detailfreudigkeit auf der narrativen Ebene angestrebt, im Bewusstsein, dass der Stil eines Textes nie allen Leser*innen gerecht werden kann (ebd.: 201f.). Auch Tropen (sprachliche Ausdrucksmittel uneigentlicher Rede142) dienen dieser Erhöhung der Lesbarkeit, die zugleich eine Interpretation ist. Für Atkinson ist die Verwendung von Tropen nicht nur eine Frage der Stilistik, sondern grundlegend für die analytische Kraft vieler sozialwissenschaftlicher Theorien und Modelle (vgl. ebd.: 12)143. Am Beispiel der Metapher erläutert er, dass so Vergleiche und Kontrastierungen mit anderen Feldern ermöglicht werden, Unvertrautes vertraut gemacht und gleichzeitig Vertrautes in neues Licht gerückt werden kann. Für die vorliegende Arbeit sind vor allem performativitätstheoretische Konzepte zu nennen: Das Soziale in Analogie zum Theater als Aufführung zu begreifen, das Requisiten, Aufführende und Zuschauer*innen erfordert, kann als metaphorisch bezeichnet werden. Auch der ritualtheoretische Begriff der Liminalität, wörtlich Schwellenzustand, kann als (verblasste) Metapher gesehen werden. Wenn sich auch die vorliegende Arbeit, anders als stilistisch durchkomponierte Texte etwa von Geertz, nicht am Kriterium der Ästhetik messen lassen möchte, soll doch in der vorliegenden Arbeit der Leser*innenbezug nach Reichertz (1992: 338) sowie Hammersley und Atkinson (2007: 201) reflektiert werden. In diesem Fall richtet sich die Arbeit an ethnographisch interessierte Erziehungswissenschaftler*innen, Forscher*innen aus benachbarten Disziplinen und Verantwortliche in Bildungsinstitutionen, die z.B. Sprachförderkonzepte entwickeln. Als ethisch problematisch (vgl. Abschnitt 4.6) könnte man die Tatsache bezeichnen, dass die Erzieherinnen im erforschten Feld ebenso wie die Eltern der Kinder, die durch ihre Erlaubnis die Forschung erst ermöglicht haben und ein legitimes Interesse an ihren Ergebnissen haben, wenig zum Adressat*innenkreis der vorliegenden Arbeit gehören144. In frühen Versionen des Textes waren die pädagogischen Professionellen aus dem erforschten Feld als „implizite Leserinnen“ (vgl. Iser 1972) sehr präsent, durch die Anforderungen der Textsorte Dissertation bedingt verlagerte sich die Adressat*innenorientierung im Lauf des Schreibprozesses auf die Erziehungswissenschaft und ihre Nachbardisziplinen (vgl. Hammersley/Atkinson 2007: 201f.).

142

Für eine Definition von „Tropus“ vgl. Däschler (1990: 476). Die in der performativen Pädagogik zentrale Theatermetaphorik ist ebenfalls ein Tropus, der erkenntnisgenerierend ist: „Wer die Gesellschaft als Theater versteht, verweist auf Theatralität als zentralen sozialen Schlüsselbegriff“ (Wulf/Zirfas 2007: 23). 144 Die kommunikative Validierung und der Vortrag für Erzieherinnen und Eltern (vgl. Abschnitt 4.5.3) waren in anderen, eher mündlich geprägten Genres gehalten. 143

98

4 Methodische und methodologische Überlegungen Zur Denkfigur des „fremden Blicks“

Wie bereits erwähnt, ist eine zentrale Denkfigur einer Ethnographie, die in der „eigenen Kultur145“ forscht, die des „fremden Blicks“ oder der „Befremdung der eigenen Kultur“. Amann und Hirschauer schreiben (1997a: 12), es gebe je nach Feld zwei mögliche Forschungsstrategien in der „eigenen Gesellschaft“ (ebd., vgl. auch Thielen 2015: 329). Einmal ist es, der Chicago School folgend, die Annahme, dass angesichts von Migration, Arbeitsteilung und Urbanisierung Subkulturen „methodisch als fremde Kulturen zu behandeln“ seien. Die zweite Forschungsstrategie, an die Alltagssoziologie angelehnt, beschreibt Vertrautes befremdend (vgl. Amann/Hirschauer 1997a: 12), als „’Othering’ des Eigenen“ (ebd.: 13; zu beiden Forschungstradition vgl. Kuhn/Neumann 2015). Auf die vorliegende Arbeit bezogen stellt sich die Frage: In welche dieser beiden Kategorien fällt die Perspektive einer erwachsenen weißen Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft aus einem eher ‚bildungsnahen‘ Milieu auf ein KitaKind ‚mit Migrationshintergrund‘ ‚of color‘ aus einem ‚bildungsfernen‘ Milieu? Muss sie Fremdes vertraut machen oder Eigenes im Sinn eines „Othering“ befremden? Jede Zuordnung birgt methodologische wie ethische Schwierigkeiten. Gleich drei mögliche problematische Differenzlinien – Alter, Milieu und ‚Migrationshintergrund‘ – finden sich hier, deren Zuschreibung als fremd oder vertraut in Bezug auf die Forscherin als performativer Akt zu verstehen ist, der nostrifiziert oder Differenzen konstruiert146. Die Problematik der Reifizierung im Forschungsprozess, die Diehm, Kuhn und Machold (2010) beschreiben, ist bereits innerhalb der Forschungsstrategie der Ethnographie angelegt, die aus deren Geschichte verständlich wird, aber das Dilemma der Positionierung der Forscherin nicht lösen kann (vgl. auch Kuhn/Neumann 2015: 36). Eine weitere methodologische Frage stellt sich: Ist es tatsächlich vollständig möglich, eine Fremdheit der Beobachter*innen herzustellen, indem durch begriffliche Mittel und Techniken der Distanzierung, z.B. durch räumliche Distanznahme und analytische Arbeit (vgl. Amann/Hirschauer 1997a: 28), so getan wird, als kämen die Beobachter*innen tatsächlich aus einem fernen Land und sähen vertraute Praktiken zum ersten Mal? Die epistemologischen Grenzen dieser Distanzierung werden selten aufgezeigt. Oft geschieht hier eher eine unreflektierte Verortung in 145 Der Begriff der Kultur wird hier in Anführungszeichen gesetzt, da er in der Ethnologie seit Längerem als pauschalisierend kritisiert wird (vgl. Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 31). Da er als Titel des einflussreichen Sammelbands „Die Befremdung der eigenen Kultur“ (Amann/Hirschauer (Hrsg.) 1997b) erscheint, wird er dennoch verwendet, aber kritisch betrachtet. 146 Einige neuere Darstellungen von Ethnographie verzichten denn auch auf die Metaphorik der „Befremdung“ und schreiben von „Dezentrierung des pädagogischen Blicks“ (Hünersdorf/Müller/Maeder 2008: 13) oder „Distanzierungen“ (Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 109). Trotzdem bleibt diese Metaphorik wirkmächtig, da sie die Genese der heutigen Ethnographie geprägt hat.

4.2 Zur Forschungsstrategie Ethnographie

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einem kulturkritischen Topos vom ‚fremden Blick‘147, dessen Chancen, aber auch dessen epistemologische Begrenztheit sich lange vor Beginn wissenschaftlicher Ethnographie in ihren Vorläuferwerken zeigen, nämlich literarischen Texten148. In Montesquieus „Lettres persanes“ (1721/1987) besuchen zwei Perser Paris und beschreiben es mit distanziertem Blick. Auch diese fiktiven Fremden besitzen in ihrem Blick auf Paris blinde Flecken der Wahrnehmung, die deutlich machen, dass der ‚fremde Blick‘ durch seine distanzierenden Beschreibungen zwar eine gewisse Erkenntnis ermöglicht, aber ebenso viel über die Subjektivität und Selbstinszenierung der ‚Fremden‘ (und natürlich das Bild von Fremden im Frankreich des 18. Jahrhunderts) aussagt wie über die Gegenstände, die die ‚Fremden‘ beschreiben (vgl. Todorov 1982). Noch deutlicher wird dies bei Erich Scheurmanns „Papalagi“149 (1920/2000), dem Bericht eines fiktiven Südseeinsulaners, der einen ‚fremden Blick‘ auf Europa wirft. Der Südseebewohner ist gleichzeitig der idealisierte wie stereotypisierte ‚Andere‘ zum zivilisationsverdorbenen Deutschen und ein Alter Ego des deutschen Kulturkritikers, der Topoi der Zivilisationskritik Anfang des 20. Jahrhunderts zitiert. Beim Vergleich des fiktiven Insulaners, der über Europa schreibt, mit den Forscher*innen, die nach Amann und Hirschauer ein „‚Othering’ des Eigenen“ (1997a: 13) betreiben, wird deutlich, dass die Konstruktion einer befremdenden Perspektive immer ihre epistemologischen Grenzen hat150: Zwar kann mit Hilfe rhetorischer Mittel eine gewisse Distanzierung vom Gegenstand erreicht werden, letztlich bleibt der sogenannte ‚fremde Blick‘ aber diskursiven Konventionen verhaftet. Der fiktive Südseeinsulaner bietet in Wirklichkeit eine europäische Perspektive, der ‚fremde Blick‘ bleibt der der Sozialwissenschaftler*innen, deren Distanzierung vom Gegenstand nur innerhalb überschaubarer diskursiver Grenzen, etwa eines Repertoires an Topoi wie der Theatermetaphorik, gelingt. Forscher*innen bleiben die „künstlichen Wilden“ (Geertz 1967/1990). Diese (relative) Distanzierung vom Feld geschieht zugleich um den Preis eines Othering 147 Eine Geschichte dieser Denkfigur und ihrer möglichen Verknüpfung mit ethnographischen Schriften wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit. 148 Auch in der Gegenwartsliteratur erscheint diese Denkfigur unabhängig von ihrem soziologischethnographischen Hintergrund attraktiv; die Autorin Annette Pehnt sagte in einem Gespräch im November 2013, ihr Anliegen beim Schreiben sei durch den Ausdruck „Befremdung der eigenen Kultur“ gut auf den Punkt gebracht. 149 Der „Papalagi“ wird auch von Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff und Nieswand (2013: 20) erwähnt, allerdings nicht als Vertreter eines literarischen Topos’, sondern als Beispiel für Kulturkritik und reflexive Ethnographie. 150 Diese Gegenüberstellung geschieht im Sinne Geertz’, der Literatur wie Ethnographie als „fictio“ bezeichnet (1973/1995: 23). Auch wenn, wie im vorigen Abschnitt dargestellt, Ethnographie und Literatur grundlegende Unterschiede aufzeigen, ist ihre rhetorische Verfasstheit – was sich gerade in der Metapher des „fremden Blicks“ zeigt – ähnlich und ein Vergleich zwischen literarischen und ethnographischen Verfahren daher berechtigt.

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

beziehungsweise einer Nostrifizierung der Feldteilnehmer*innen und der Konstruktion idealisierter ‚künstlicher Fremder‘, einer attraktiven, aber nicht per se erkenntnisförderlichen Selbstinszenierung vieler Ethnograph*innen151. Dies zu reflektieren ist auch im Umgang mit den ethnographischen Daten in der vorliegenden Arbeit notwendig. Ein völliger Ausweg aus diesem Dilemma zwischen Othering und Nostrifizierung ist nicht möglich. Beide Herangehensweisen an Ethnographie, die ‚Befremdung der eigenen Kultur‘ bzw. das Betrachten einer ‚fremden Lebenswelt‘, gehen von den Differenzkategorien ‚Eigene‘ / ‚Andere‘ aus (vgl. Kuhn/Neumann 2015: 36, Machold 2015: 85). Die Reifizierungsproblematik muss daher immer wieder, etwa in Interpretationsgruppen oder anhand des Offenlegens der Positionierung im Feld, diskutiert werden. Hieraus folgernd werden im nächsten Abschnitt Gütekriterien für ethnographisches Schreiben dargestellt. Gütekriterien für ethnographisches Schreiben Anders als Literatur erhebt Ethnographie den Anspruch, soziale Realitäten wiederzugeben (vgl. Geertz 1973/1995: 23). Allerdings ist dieser mit der Schwierigkeit verbunden, dass die Schreiber*innen von Ethnographien die einzigen Zeug* innen dieser Realitäten sind. Ihre Glaubwürdigkeit muss also textuell hergestellt werden. Nach Geertz macht die Glaubwürdigkeit einer Beschreibung aus, ob sie „dicht“, präzise und differenziert ist (vgl. Geertz 1995: 24). Für Reichertz (1992: 344f.) reicht dieses Kriterium nicht aus, ebenso wenig wie die nützlichen, aber nicht hinreichenden Kriterien vom logischen Aufbau, Widerspruchsfreiheit, möglichst vollständiger Materialdokumentation, einem Versuch, nachzuweisen, „dort“ gewesen zu sein, einer Selbst- und Fremdattestierung von Kompetenz und einer Präsentation der eigenen Subjektivität. Vielmehr sei ein entscheidendes Kriterium für die Generierung von Überzeugungskraft in der Ethnographie (1992: 346) „die im Text zum Ausdruck kommende Haltung, mit der sich der Ethnograph seinen eigenen Deutungen und den Deutungen seiner Kollegen zuwendet, um sie je nach den Erfordernissen des Einzelfalls aufeinander zu beziehen.“ 151 Die Selbstinszenierung von Ethnograph*innen, die mit dem ‚fremden Blick‘ auf die eigene Kultur arbeiten oder sich in ‚fremde Lebenswelten‘ begeben, findet sich oft verknüpft mit Topoi wie dem von Ethnographie als „abenteuerlich“ (Friebertshäuser/Panagiotopoulou 2010: 302), dem „Abenteuer“ (Honer 2012: 197) oder vom Ethnographen als „Grenzgänger“ (Zinnecker 2000: 393). Zinnecker (ebd.) beschreibt sogar ein „psychosoziales Bild der ethnographischen Persönlichkeit“ und ihrer Merkmale: Grenzgängertum, Querdenken und den „befremdenden Blick“ (ebd.). Damit adelt er einen Forschungsstil zu einem Charaktermerkmal und trägt vermutlich ungewollt zu einer Selbstdarstellung von ethnographisch Forschenden als verwegenen Seiltänzer*innen zwischen ‚Kulturen‘ und Disziplinen dar.

4.2 Zur Forschungsstrategie Ethnographie

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Ein ethnographischer Text als „Ausdruck einer wissenschaftlichen Haltung“ überzeugt Leser*innen nach Reichertz (1992: 346) in einem performativen Sinn, wenn sie umgekehrt als Schreiber*innen eine ähnliche wissenschaftliche Haltung zum Forschungsprozess einnähmen: „Wenn dieser Akt des Zeigens von Deutungsarbeit eine wissenschaftliche Haltung zeigt, laut der der Ethnograph bei der Erstellung des Berichts gegenüber allen relevanten Elementen dieses Prozesses (Beobachtung, Deutung, (…) narrative Muster, Gültigkeitsregeln etc.) die wissenschaftliche Haltung eingenommen hat, die auch der Leser genötigt wäre einzunehmen, wenn er selbst seine Forschung darstellen wollte, dann überzeugt der Text den Leser.“

Den Leser*innen der Ethnographie wird hier eine herausgehobene Position als reflektierten Wissenschaftler*innen aus der gleichen Disziplin zugeschrieben152; für die Schreiber*innen bedeutet dies letztlich, dass es nur in einem ständigen inneren Dialog mit diesen „impliziten Leser*innen“ (vgl. Iser 1972) möglich ist, sich an diese Kriterien anzunähern. Ethnographie und Erziehungswissenschaft Wurden in den letzten Absätzen Grundlagen der Ethnographie aus disziplinübergreifender Perspektive skizziert, wird im Folgenden kurz der Fokus auf Ethnographie in der deutschsprachigen Erziehungswissenschaft gelegt. Seit den 80er Jahren verwendet153 und großenteils vor allem aus anglo-amerikanischer Soziologie und Anthropologie entlehnt (Zinnecker 2000: 388ff.), erfreut sie sich im Zug des „cultural turn“ wachsender Beliebtheit (vgl. Cloos/Thole 2006: 10, Hünersdorf/Müller/Maeder 2008: 12, zur Verbindung von Kindheitspädagogik und Ethnographie vgl. Bollig/Cloos 2018: 4f.). Zinnecker (2000: 384) definiert die Gegenstände „Pädagogischer Ethnographie“ als „alle dort [in pädagogischen Handlungsfeldern] vorfindlichen kulturellen Praxen154 und Orientierungen“. Diese weite Definition wird durch Thole (2010: 32) ergänzt um den performativitätstheoretischen Aspekt, demzufolge pädagogische Ethnographie besonders Prozesse der performativen 152

In Reichertz’ ansonsten sehr überzeugender Argumentation wird allerdings außer Acht gelassen, dass auch das Fachpublikum, das Ethnographien liest, heterogen ist. Muchow und andere forschten bereits in den 1920er Jahren mit Methoden, die der Ethnographie ähnlich sind. Ihre Arbeiten wurde erst Mitte der 1970er Jahre wiederentdeckt. Zu einem historischen Abriss von Ethnographie in der Pädagogik vgl. Zinnecker (2000) und Thole (2010). Für die internationale Diskussion sei auf die Zeitschrift „Ethnography and Education“ verwiesen, die besonders Beiträge aus dem angelsächsischen Sprachraum berücksichtigt. 154 Zum Begriff Praxen/Praktiken vgl. Abschnitt 3.1.1. 153

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Konstituierung und Inszenierung von „Wissen, Können und Handeln“ in den Blick nimmt. Beide Ansätze liegen dieser Arbeit zugrunde155. Erziehungswissenschaftliche Ethnographie ist innovativ, da sie disziplinrelevante Phänomene „nicht nur im Hinblick auf die darin sich vollziehenden intendierten Handlungen und Konzepte, didaktischen, räumlichen und sozialen Arrangements untersucht, sondern auch als Ausdruck einer spezifischen sozialen Lebenswelt mit ihren differenten Deutungen, Interaktionen und kulturellen Praxen verschiedener Akteure, Dokumente und Vergegenständlichungen betrachtet“ (Huf/Friebertshäuser 2012: 14). Zudem stärkt sie die Sprecherpositionen der Akteur*innen (vgl. Hünersdorf/Müller/Maeder 2008: 2), so dass Kinder als kompetente Handelnde zu Wort kommen (vgl. Friebertshäuser/Panagiotopoulou 2010: 305). Ethnographische Studien untersuchen beispielsweise den Alltag von Kindern in pädagogischen Institutionen aus ritualtheoretischer Perspektive (Wulf u.a. (Hrsg). 2001 und 2007, Jäger/Biffi/Halfhide 2006). Sie erforschen auch Felder und Praktiken, die vom erziehungswissenschaftlichen Mainstream aus gesehen eher randständig sind (Brüggen/Kosorok Labhardt/Maeder 2010 über Time-Out-Klassen; Rose/Schäfer 2009 über das Mittagessen in der Schule), und sie reflektieren normative Vorstellungen in der Pädagogik (ebd.; Diehm/Magyar-Haas 2012: 34ff). Der pädagogische Umgang mit Mehrsprachigkeit als ethnographischer Forschungsgegenstand verknüpft soziolinguistische mit erziehungswissenschaftlichen Perspektiven (für einen Forschungsüberblick vgl. Panagiotopoulou 2017a und b, ausführlich vgl. Abschnitt 2.2.4). Nach Zinnecker (2000: 393) und Hünersdorf, Müller und Maeder (2008: 13) liegt eine Qualität ethnographischer Forschung generell in ihrer kritischen Distanz zu „Selbstverständlichkeiten“ des pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Feldes. Ein zentrales Argument für den Ertrag der Ethnographie für die Erziehungswissenschaft ist es, einen „fremden Blick“ (Huf/Friebertshäuser 2012: 14) auf vertraute pädagogische Felder zu werfen (vgl. Abschnitt 4.2.3). Gleichzeitig ist sie der pädagogischen Praxis gegenüber nicht indifferent, sondern hat das Ziel, „Institutionen und Praxen des Erziehungssystems verbessern zu wollen“ (Hünersdorf/Müller/Maeder 2008: 13). Die Spannung zwischen Normativität und Deskription in der Ethnographie thematisieren auch Diehm und Magyar-Haas (2012). Gerade in der Frühpädagogik sind ethnographische Studien verbreitet, die auch in ihrer methodologischen Reflexion fruchtbar sind und, wie andere frühpädagogi155 Für eine detaillierte Darstellung verschiedener Strömungen ethnographischer Erziehungswissenschaft vgl. Friebertshäuser und Panagiotopoulou (2010: 304f.); auf eine analytische Trennung „Pädagogischer Ethnographie“ von anderen Traditionslinien innerhalb der erziehungswissenschaftlichen Ethnographie (ebd.) wird an dieser Stelle verzichtet. Für die Trennung von ethnographischer Kindheitsforschung in pädagogischen Settings von erziehungswissenschaftlicher Ethnographie vgl. Hünersdorf (2008: 38).

4.2 Zur Forschungsstrategie Ethnographie

103

sche Forschungsstrategien, zur Weiterentwicklung empirischer Methoden und Methodologien beitragen (vgl. Diehm 2018: 19). Ethnographie, Differenzkonstruktionen und Ungleichheit Empirische Befunde zeigen, dass das Bildungssystem „maßgeblich beteiligt an der Re-Produktion von ungleichheitsrelevanter Differenz, mithin auch von Ungleichheit“ ist (Diehm/Kuhn/Machold 2017: 1)156. Das Konzept der Differenz als Analysekategorie (vgl ebd: 3), die z.B. „soziale Ordnungsbildungen entlang der Kategorien Geschlecht, Ethnizität/race, Schicht/Klasse, körperliche (Un)Versehrtheit und ihre[r] Intersektionen“ (ebd.: 2) untersucht, erscheint dabei in erziehungswissenschaftlicher Forschung verstärkt seit den 90er Jahren. Eines der Potentiale erziehungswissenschaftlicher Ethnographie angesichts dieser Ausgangslage ist es, die „praktische Hervorbringung von Differenz“ (Diehm/Kuhn/Machold 2017: 13) in pädagogischen Settings in den Blick zu nehmen (vgl. Göhlich/Reh/Tervooren 2013, Rabenstein/Reh/Ricken/Idel 2013, Thielen 2015: 330, Diehm/Kuhn/Machold 2017: 1ff). Bereits seit fast zwanzig Jahren gibt es ethnographische Studien zu diesem Thema. Exemplarisch seien hier einige, auch für die methodischen Überlegungen der vorliegenden Studie wegweisende Arbeiten genannt: Connolly (2000) stellt die Frage, in welchem Maße rassialisierte Diskurse Alltagspraktiken beeinflussen, in die „South-Asian girls“ an einer Londoner Schule involviert sind. Weissköppel (2001, 2003) erforscht ethnische Kategorisierungen in einer Klasse von Sekundarschülerinnen und Schülern mit Hilfe eines eher performativ verstandenen Konzepts von „doing ethnicity“, Diehm, Kuhn, Machold und Mai (2013) untersuchen die Relevantsetzung ethnischer Kategorien durch pädagogische Professionelle. Thielen (2014a, b) erforscht praxistheoretisch die (Re-)Produktion von herkunftsbezogener Differenz in der Berufsvorbereitung, Machold (2015) geht in ihrer Ethnographie „Kinder und Differenz“ von poststrukturalistischen Überlegungen aus157. In den letzten Jahren dienen vermehrt praxistheoretische Überlegungen der Fundierung von ethnographischen Untersuchungen zu sozialen Differenzen, etwa im Forschungsprojekt von Rabenstein, Reh, Ricken und Idel „Gemeinschaft und soziale Heterogenität in Eingangsklassen reformorientierter Sekundarschulen 156 Zu grundsätzlichen Überlegungen zum Verhältnis von Differenz, Ungleichheit und Erziehungswissenschaft, die über ethnographische Studien hinausgehen, vgl. diesen Aufsatz und vertiefend den Sammelband von Diehm, Kuhn und Machold (Hrsg.): „Differenz – Ungleichheit – Erziehungswissenschaft“ (2017). 157 Vgl. auch das Schwerpunktheft „Ethnographie und Differenz“ (Zeitschrift für Pädagogik 5/2013).

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Ethnographische Fallstudien zu Anerkennungsverhältnissen in individualisierenden Lernkulturen.“ In diesem Projekt, so Rabenstein, Reh, Ricken und Idel (2013: 668), wird die These einer „sozial selektiven Herstellung von Schulerfolg als ‚ReInszenierung sozialer Differenzen“ untersucht. Dabei gehen die Autor*innen davon aus, dass Schulerfolg nicht objektiv messbar ist. Vielmehr fragen sie, „welche Unterschiede zwischen Schüler_innen als hierarchisierte Leistungs-Ungleichheiten in Praktiken produziert werden“ (ebd.: 669) und führen damit eine bislang wenig beachtete Mikroebene in die Diskussion um Bildungsungleichheit ein. Die vorliegende Arbeit folgt theoretischen Überlegungen von Diehm, Kuhn und Machold (2013), deren Verknüpfung von Ethnographie und Praxistheorie zur Erforschung der Genese von Ungleichheit bereits ausführlich im Kapitel 3.1.2 zu Praxis/Diskurs-Formationen dargestellt wurde. Göhlich, Reh und Tervooren (2013: 640) schreiben über das Potential ethnographischer Differenzforschung für die Erziehungswissenschaft: „In der erziehungswissenschaftlichen Bildungsforschung erlauben es ethnographische Designs deshalb (…) Fragestellungen zu verfolgen, die im Kern gegenwärtiger bildungspolitischer Bemühungen stehen, durch Bildung soziale Ungleichheit abzubauen und die sozialen Kohäsionskräfte in der Gesellschaft (…) zu stärken, gerade weil jene trotz allgemeiner Zustimmung in ihren Erfolgen merkwürdig begrenzt bleiben.“

Der ethnographische Ansatz ist hierzu „nicht zuletzt aufgrund der ihm eigenen kritischen Reflexivität von Wirklichkeitskonstruktionen“ (ebd.: 642) geeignet. Dieses Thema der Reflexivität wird im Folgenden anhand der Auswertungsstrategie Reflexive Grounded Theory vertieft ausgeführt. Reflexive Grounded Theory Im folgenden Abschnitt werden Charakteristika der Reflexive Grounded Theory (Breuer 2010) skizziert, die der Grounded Theory nach Glaser/Strauss (1967/1998) und Strauss (1987/1994) eine selbstreflexive Wendung hinzufügt, ohne ihre Grundlagen anzutasten. Daher werden zunächst Merkmale der Grounded Theory dargestellt und anschliessend um Charakteristika der Reflexive Grounded Theory erweitert. Grundlagen der Grounded Theory Grounded Theory ist nach Strauss (1987/1994) weniger als Methode denn als „Stil zu verstehen, nach dem man Daten qualitativ analysiert“ und aus diesen Daten

4.3 Reflexive Grounded Theory

105

Theorien entwickelt (Strauss 1987/1994: 29f.; vgl. auch Kuhn 2013: 31), wobei großenteils induktiv vorgegangen wird (vgl. Lamnek 2010: 102). Die Offenheit der Grounded Theory – hier folgt die vorliegende Arbeit der Strauss’schen Weiterentwicklung dieses Stils – ist dabei nicht voraussetzungslos, sondern kann Kontextwissen der Forscher*innen mit einbeziehen (Strauss 1987/1994: 44; vgl. auch zum Bezug von Vorwissen zur Analyse Lamnek 2010: 103). Analyseschritte sind das Codieren der Daten (Strauss 1987/1994: 56 ff.) durch zwei Typen von Kategorien, nämlich den soziologisch konstruierten und den natürlichen, also im Feld gefundenen Codes (ebd.: 64ff.). Dies geschieht in drei Stufen: offenem, axialem und selektivem Codieren. Das „offene Codieren“ (ebd.: 57ff.) entwickelt provisorische „Konzepte, die den Daten angemessen erscheinen“ (ebd.: 58) nach der Leitfrage „Was geschieht eigentlich in den Daten?“ (ebd., Herv. i. O.). Dies wurde in der vorliegenden Arbeit allein, aber auch in Interpretationsgruppen durchgeführt. Die Arbeit in der Gruppe trägt zu konzeptueller Dichte bei (vgl. Strauss 1987/1994: 354f.). Während des offenen Kodierens werden häufig Theorie-Memos geschrieben (ebd.: 62), um sich von den Daten weg in die Analyse zu bewegen. Dieses Schreiben bildete einen Schwerpunkt der Grounded-Theory-Interpretation der vorliegenden Arbeit. Im nächsten Schritt, dem axialen Kodieren, wird eine beim offenen Kodieren entdeckte „Schlüsselkategorie“ (ebd.: 63) detailliert auch in ihren Verbindungen zu anderen Kategorien untersucht. Das selektive Kodieren schließlich ordnet systematisch die anderen gewonnenen Kategorien der Schlüsselkategorie unter und setzt diese in Bezug zu den anderen (ebd.: 63, für eine Beschreibung, was eine Kategorie zur Schlüsselkategorie macht, s. S. 67; vgl. auch Strübing 2002: 331). Nach Strübing (2002: 338), der sich auf Corbin und Strauss (1990: 425f.) bezieht, ist die Qualität einer Analyse im Stil der Grounded Theory unter anderem nach ihrer „Dichte und Systematik“ (Herv. i. O.) zu beurteilen: „Diejenige [Analyse], deren Konzepte und Subkonzepte stärker und vielfältiger im Datenmaterial verankert und zugleich intensiver aufeinander bezogen sind, ist nach diesen Maßstäben die ‚bessere’ Theorie.“ Grounded Theory und Selbstreflexivität Breuer (2010) fügt diesen theoretischen Grundlagen noch ein Postulat der Selbstreflexivität und des Offenlegens des Forschungsprozesses hinzu, wie es bereits in den vorigen Abschnitten mehrfach aus unterschiedlicher Perspektive gefordert wurde. Er legt dar, dass die Erkenntnisvoraussetzungen des Forschens in einem Spannungsfeld liegen, das „anthropologische Generalität“ und „personale Spezifizität“ umfasst, also zwischen „allgemein gattungsspezifischen, gesellschaftli-

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

chen und historisch-kulturellen Voraussetzungen unseres Erkennens“ und „individuell-persönliche Bedingtheit und Idiosynkrasie“ verortet ist sowie, zwischen den beiden angesiedelt, „lokale, subkulturelle und familiäre Einflussfaktoren“ (ebd.: 118) enthält. Auf der Ebene der anthropologischen und historischen Bedingungen mündet die Reflexion in einer konstruktivistischen Sichtweise und einer Sprachreflexion (diese Aspekte wird allerdings von Breuer nicht weiter vertieft). Auf der zweiten Ebene, der des individuellen Subjekts, mündet sie in einer an Devereux (1967/1973) angelehnten Forderung, die „Affekte und Emotionen“ (Breuer 2010: 25), die in der Begegnung mit dem Forschungsfeld auftreten, im sozialwissenschaftlichen Erkenntnisprozess als „methodische Erkenntnisquelle“ (ebd.: 118) zu nutzen. Solche persönlichen Vorlieben und Abneigungen sind vermutlich ein sehr häufiges, aber kaum offengelegtes Argument bei der Methodenwahl. Diese Reflexion beginnt bereits beim Bewusstmachen der alltagsweltlichen Präkonzepte (vgl. ebd.: 28) zum Forschungsfeld, die möglicherweise erkenntnisleitend sein können, wenn sie rational verfügbar sind. Im ganzen Forschungsverlauf kann „das Fragen nach der Bedeutung und der Rolle eigener Anteile für den Verlauf des Forschungsprozesses, seine Fokussierungen und Hervorbringungen inspirieren und dabei Möglichkeiten des produktiven epistemologischen Nutzens eröffnen“ (ebd.: 115). Nach Breuer (2010: 117) sind Forscher*innen „oftmals nicht gewahr, dass ihr Wahrnehmen und Denken von soziokulturellen Schemata, Stereotypen, Haltungen, von sozialisatorisch bedingten Relevanzen und Werthaltungen, von persönlichen Appetenzen und Vorlieben, ebenso wie von Aversionen, Vermeidensneigungen und Blindheiten geprägt ist.“ Nicht nur epistemologisch, sondern auch ethisch problematisch werden solche blinden Flecken, wenn sie zu Reifizierung führen, z.B. von Menschen ‚mit Migrationshintergrund‘. Das Reifizierungsrisiko erscheint an verschiedenen Stellen im Forschungsprozess: bei der Auswahl des Feldes, bei den Aufmerksamkeitsrichtungen und Bezeichnungspraktiken (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2010: 87ff.; vgl. den Abschnitt über Feld und Feldzugang), aber auch durch die Wahl der Fragestellung, der Forschungsstrategien und Theorien. Diese Form der Reflexion kann mit Hilfe eines nicht zu veröffentlichenden Forschungstagebuchs (ebd.: 128) geschehen, das nach Breuer den gesamten Forschungsprozess umfasst (ebd.: 130f.). Diese Textsorte erwies sich als eine der Grundlagen für das Schreiben der vorliegenden Arbeit als sehr fruchtbar. Gleichzeitig hat die Reflexion des Forschungsprozesses auch Grenzen: Breuer und Devereux, die einer psychoanalytischen Subjektkonstruktion folgen, reflektieren nicht, dass ihr eigenes Schreiben über forschende Subjekte sich teilweise in diskursiven Konventionen der Psychoanalyse bewegt und damit eine überindividu-

4.4 Das Forschungsfeld

107

elle Subjektkonstitution in textuellen Konventionen erfolgt, wie es die bereits erwähnte „Writing Culture“-Debatte aufzeigt. In den folgenden Abschnitten werden Feldzugang und Positionierung der Forscherin im Feld ausführlich beschrieben. Dies geschieht in Anlehnung an die eben erwähnten Postulate von Breuer, an die Warnung vor Reifizierung nach Diehm, Kuhn und Machold (2010: 87ff.), an Van Maanens „confessional tale“ (vgl. Abschnitt 4.2.2) sowie an Reichertz’ Forderung nach einem Offenlegen des Forschungsprozesses im Sinn einer „wissenschaftlichen Haltung“ (vgl. Abschnitt 4.2.4). Das Forschungsfeld Zunächst wird im folgenden Abschnitt das Stadtviertel beschrieben, in dem die Daten erhoben wurden, anschließend die Kita selbst und zuletzt die „Gruppe Blau“, die im Fokus der vorliegenden Arbeit steht. Das Stadtviertel „X-siedlung“ Das Stadtviertel ist nicht nur bei der Auswahl der Kindertagesstätte relevant, sondern wird in den Daten selbst häufig von erwachsenen Feldteilnehmenden erwähnt als Begründung für das als problematisch angesehene Verhalten von Kindern158. Bei seiner Beschreibung ergibt sich jedoch eine Schwierigkeit: Durch die Notwendigkeit der Anonymisierung müssen Details ausgespart werden. So ist zu befürchten, dass durch diese „dünne Beschreibung“ das Quartier als Stereotyp eines ‚sozialen Brennpunkts‘ erscheint159 und einem herablassenden, scheinbar objektiven Diskurs über Minderheiten und Unterschichten160 Vorschub gibt. Zudem stellt sich die Frage: Impliziert die Anonymisierung nicht, es gebe viele ähnliche Stadtviertel, die alle austauschbar seien161? Die vorliegende Arbeit kann zu dieser Thema158

Aufgrund der Datenschutzvereinbarungen wird auf diesen Aspekt in der vorliegenden Arbeit nicht weiter eingegangen. 159 Auf das Reifizierungsrisiko durch Wissenschaft haben, wie bereits erwähnt, Diehm, Kuhn und Machold (2010) hingewiesen. Ihrer Ansicht nach ist es nicht möglich, dieser Problematik völlig zu entkommen, sie kann nur reflektiert werden. Hogrebe (2018) reflektiert das Risiko, Zuschreibungen zu „guter“ oder „schlechter“ Kindheit zu replizieren, in Bezug auf Forschung zum Thema residentieller Segregation in Kitas. 160 Zum Diskurs über Unterschichten in Medien und Politik s. das Kapitel in Chassé (2010: 18-55), „Die Moralisierung sozialer Ungleichheit- Konstruktionen der Unterschicht“. 161 Ob von Migration und Verarmung geprägte Großstadtviertel tatsächlich vergleichbar und austauschbar sind, darüber gibt es in der Soziologie verschiedene Ansichten. Bude (2008, S. 63) vertritt implizit diese These, indem er allgemein von den „Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf“ in

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

tik keine Stellung beziehen, betont aber, dass ethnographische Beschreibungen auf der Mikro-Ebene nicht auf die Makro-Ebene generalisierbar sind. „X-siedlung“ ist Teil des Programms „Soziale Stadt“ und somit im Sprachgebrauch der Bundesregierung ein „Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf“ (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (o.J.): http://www.staedtebaufoerderung.info, Abfrage 3.8. 2017). Gegen die Verwendung des Begriffs für die vorliegende Arbeit spricht, dass er normativ formuliert ist und für Stadtentwicklung eher geeignet scheint als für qualitative Sozialforschung162. Die vorliegende Arbeit verwendet dagegen die Bezeichnung „von Migration und Verarmung geprägtes Stadtviertel“ und lehnt sich damit an die Reflexionen von Schroeders Studie über Schulentwicklung im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg an: „Bildung im geteilten Raum. Schulentwicklung unter Bedingungen von Einwanderung und Verarmung“163. In seinem Kapitel über „Teilungsprozesse im Sozialen Raum“ (Schroeder 2002: 11ff.) beschreibt er die räumliche Metapher „Rand der Gesellschaft“ (ebd.: 12) und ergänzt: „Doch gewinnt der gesellschaftliche Rand nicht nur einen symbolischen, sondern auch einen empirischen Gehalt, indem sich soziale Strukturen verräumlichen: Es sind „bestimmte“ Straßen, Siedlungen, Quartiere, gar Stadtteile oder Regionen, in denen Ungleichheit lokalisiert und sozialräumlich organisiert ist. Ob diese randständigen Orte als Slum oder Ghetto, als soziale Brennpunkte oder Armutsviertel, als benachteiligte Quartiere oder Problemgebiete bezeichnet werden, hängt mit der gewählten wissenschaftstheoretischen Perspektive und dem politischen Standort des oder der Bezeichnenden zusammen. Wenig Klarheit wird dagegen mit solchen Etikettierungen über die realen Strukturen und Verhältnisse in ausgegrenzten sozialen Gefügen geschaffen.“

Nach Schroeder ist empirisch nachweisbar, dass soziale Räume „in Bezug auf Chancen gesellschaftlicher Teilhabe ungleich strukturiert sind“ (ebd.). Er siedelt sein Forschungsfeld Wilhelmsburg in der „sozialen Peripherie einer Großstadt“ an (2002: 14), eine Beschreibung, die auf „X-siedlung“ ebenfalls zutrifft. Etwas mehr als die Hälfte der Menschen in „X-siedlung“ besitzt einen deutschen Pass. Ungefähr 150 Nationalitäten sind dort vertreten. Ungefähr zwei Drittel der Bewohnerinnen und Bewohner haben mindestens einen Elternteil, der nach 1945 nach Deutschland eingewandert ist. Die Mehrheit kommt aus der Türkei, andere aus Balkanländern, Nord- und Zentralafrika und dem Nahen Osten. Das Deutschland und ihren Strukturen spricht; Neef und Keim (2007) beschreiben dagegen Unterschiede zwischen zwei Stadtvierteln innerhalb Deutschlands. 162 In der Studie von Neef und Keim (2007: 11) wird auch beschrieben, wie die Bewohner die Bezeichnung „Soziale Stadt“ und die pauschale Bewertung ihres Lebensraums als „Problemviertel“ ablehnen. 163 In der vorliegenden Arbeit wird „Einwanderung“ durch „Migration“ ersetzt, weil dieser Begriff weiter gefasst ist und auch z.B. Transmigration oder Remigration umfasst.

4.4 Das Forschungsfeld

109

Stadtviertel, vor dem Zweiten Weltkrieg ein Arbeiterviertel mit einigen polnischen Migrant*innen, wird in den Jahrzehnten nach Kriegsende zur bevorzugten Siedlung von Gastarbeitern aus der Türkei. Dies legt den Grundstein für die auch im Stadtbild sichtbare muslimische Prägung des Stadtviertels. Mit der wachsenden Arbeitslosigkeit aufgrund des Niedergangs verschiedener Branchen verarmt das Viertel, viele Deutsche und wohlhabendere Migrant*innen ziehen in Nachbarquartiere. Ein kleiner wirtschaftlicher Aufschwung verbessert zeitweilig das Image von „X-siedlung“ zeitweilig. Dennoch liegt die Arbeitslosenquote deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Die Deutschen, die dort wohnen, sind oft Menschen im Ruhestand mit geringer Rente, die immer schon in „Xsiedlung“ gewohnt haben, oder durch Arbeitslosigkeit und Hartz-IV-Bezug Verarmte, die wegen der geringen Mieten dorthin ziehen müssen. „X-siedlung“ ist ein medial bekanntes Stadtviertel, das immer wieder in Verbindung mit Migration, sozialer Segregation, Armut, Kriminalität und öffentlichkeitswirksamen Politiker*innenbesuchen in die Schlagzeilen gerät, aber auch mit Initiativen engagierter Bewohner*innen. Die Kita „St. Pankraz“164 „St. Pankraz“ ist eine katholische Kindertagesstätte im Zentrum von „X-siedlung“ mit etwa 90 Kindern, die Halbtags- und Ganztagsbetreuung anbietet. Träger ist ein kirchlicher Verband. Die Kita ist gleichzeitig Familienzentrum165, d.h. es werden auch Kurse für Eltern angeboten, ein Müttercafé sowie eine jährliche Familienfreizeit. Die Kita arbeitet eng mit Integrationsberater*innen, Logopäd*innen und Ergotherapeut*innen zusammen. Eine Sprachförderkraft betreut 2011 stundenweise in Kleingruppen Kinder, die einen standardisierten Sprachtest nicht bestanden haben, wofür das betreffende Bundesland Mittel bereitstellt166. Auf Bewerbung der Kita hin kommt im Sommer 2011 eine Vollzeitstelle für Sprachförderung dazu, da die Kindertagesstätte „St. Pankraz“ sich erfolgreich um eine Finanzierung als „Schwerpunkt-Kita Sprache und Integration“ auf eine Ausschreibung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hin beworben hat. 164 Dieses Pseudonym wurde gewählt, um zu anonymisieren und zugleich Verwechslungen mit existierenden Kitas zu vermeiden. Pankraz ist einer der wenigen Heiligen, nach denen in Deutschland bislang m.W. keine Kita benannt wurde. 165 Die Informationen stammen aus meinem Feldaufenthalt 2011 sowie der Homepage des Familienzentrums (Abfrage 23.4. 2012), deren Internetadresse aus Datenschutzgründen nicht genannt werden kann. 166 Der Name dieses Tests könnte einen genaueren Rückschluss auf die Region der Kita zulassen und wird daher nicht genannt.

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Die Kita „St. Pankraz“ steht im Ruf, die einzige Kita im Stadtviertel zu sein, in der darauf geachtet wird, dass die Kinder untereinander Deutsch sprechen (vgl. ausführlich Abschnitt 5.2). Dies erscheint nirgends schriftlich fixiert, prägt aber laut erwachsenen Feldteilnehmenden167 das Image der Kita auch für einige Eltern positiv. Für diese sei das Erstsprachenverbot ein Argument, ihre Kinder in „St. Pankraz“ anzumelden (vgl. ausführlich Kapitel 5.2 und Thomauske 2014: 95). Auch die Professionalität der Erzieherinnen in der Kita „St. Pankraz“, die sich in dieser Sprachenpolitik zeige, und der pädagogische Umgang mit dem als herausfordernd beschriebenen mehrsprachigen Umfeld wird von pädagogischen Professionellen, die im Stadtviertel tätig sind, als positiv hervorgehoben168. Die „Gruppe Blau“169 Die vorliegenden Daten werden auf Anregung der Kita-Leiterin in der „Gruppe Blau“ erhoben. Die folgende Kurzbeschreibung trägt Kategorien wie Alter, ‚Migrationshintergrund‘, Religion, Staatsangehörigkeit und Sprache Rechnung. Dass genau diese Kategorien gewählt wurden, die diskursiv häufig zur Kategorisierung von Kindern verwendet werden, birgt zwar ein Reifizierungsrisiko (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2010), bildet aber auch im Feld wirkmächtige Diskurse ab. Die „Gruppe Blau“ nimmt im Forschungszeitraum auch zweijährige Kinder auf. Im Kita-Jahr 2010/2011 sind fünf der 23 Kinder zwei Jahre alt. Ein Junge ist bereits sieben Jahre alt, da er aufgrund einer angenommenen Entwicklungsverzögerung ein Jahr von der Einschulung zurückgestellt wurde. Etwa zwei Drittel der Kinder haben laut Feldteilnehmenden einen ‚Migrationshintergrund‘170. Im Vergleich zu den städtischen Kindertagesstätten im Stadtviertel sei der Anteil dieser Kinder in dieser Einrichtung etwas geringer, da christliche Kinder vorrangig 167 Unter dem Begriff „erwachsene Feldteilnehmende“ werden im Folgenden anonymisierend die in der Kita auftretenden Erziehungsberechtigten der Kinder, das pädagogische Personal und die zahlreichen weiteren punktuell in der Kita tätigen Akteure (Integrationsberater*innen, Anbieter*innen von Elternkursen, Logopäd*innen und Ergotherapeut*innen, Ehrenamtliche und der Gemeindepfarrer) zusammengefasst. 168 Auch die diskursive Darstellung im Feld von „St. Pankraz“ als „Insel“ (Insel der Wertevermittlung und der Sauberkeit, auf der Deutsch gesprochen wird) im ‚sozialen Brennpunkt‘ fügt sich hier ein. 169 Diese Bezeichnung ist, wie alle verwendeten Namen, anonymisiert. 170 Auf eine genaue Erhebung wird verzichtet, da sie nicht im Fokus der Arbeit liegt. Laut Statistischem Bundesamt (2017: 4) lautet die Definition von „Migrationshintergrund“: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt.“ Dieser Begriff wird in der Praxis jedoch oft diffus gehandhabt und auf „Menschen mit Vorfahren aus dem Ausland“ oder eigene Migrationsgeschichte angewandt. Zur Problematik der Reifizierung, die mit solchen Beschreibungen einhergeht, vgl. Diehm, Kuhn und Machold (2010).

4.4 Das Forschungsfeld

111

aufgenommen würden. So gebe es eine Warteliste, erst würden christliche Kinder aufgenommen, dann alle anderen171. Laut dem Dokument „Buch“ der Gruppe Blau, in das die pädagogischen Professionellen Daten der Kinder eintragen, sind zwölf Kinder muslimisch, fünf katholisch, vier evangelisch und bei einem gibt es keine Angaben zur Religion. Die Spalte „Staatsangehörigkeit“ ist in fünfzehn Fällen mit „D“, einmal mit „T/D“ (für türkisch/deutsch), einmal mit „NL“ (niederländisch), einmal mit „Bulgar.“, zweimal mit „Nigeria“, einmal mit „T“ ausgefüllt und einmal leer gelassen. Neun der Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit haben – laut der Spalte „Muttersprache“ – eine andere als deutsche „Muttersprache“ (vgl. ausführlicher zur Darstellung von Mehrsprachigkeit in diesem Dokument das Kapitel 5.1)172. In der „Gruppe Blau“ arbeiten zwei pädagogischen Professionelle, die hier als „Brigitte“ und „Lisa“ anonymisiert werden. Zusätzlich unterstützt mehrfach die Woche eine Sprachförderkraft das Team, gelegentlich hilft auch die Kita-Leiterin mit. Einmal die Woche wird mit einer Musikpädagogin gesungen, eine Ehrenamtliche liest in unregelmäßigen Abständen Kleingruppen vor und eine andere (vgl. Kap. 6.4.2) gibt punktuell in der benachbarten Kirche religionspädagogische Inputs. Eine pädagogische Professionelle ist wochenlang im Alltag alleine mit der gesamten Gruppe von bis zu 23 Kindern173 – unter anderem mit fünf neu in die Kita gekommenen Zweijährigen, bei denen z.T. Windeln gewechselt werden müssen –, da es für ihre erkrankte Kollegin keine Vertretung gibt. Bereits ohne krankheitsbedingte Ausfälle wäre diese Personalausstattung mit einer Erzieherin für durchschnittlich 11,5 Kinder im Bundesvergleich unterdurchschnittlich. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 werden deutschlandweit durchschnittlich 8,7 Kinder in Kindertageseinrichtungen pro pädagogische Fachkraft betreut (Statistisches Bundesamt 2015: 7174). In bemerkenswerter Weise schaffen die pädagogischen 171

Das Gesetz zur frühkindlichen Bildung des betreffenden Bundeslandes schreibt hierzu, eine Diskriminierung u.a. aus Gründen von ethnischer Herkunft oder Bekenntnis sei unzulässig, die verfassungsgemäß verbrieften Rechte der Kirche blieben jedoch davon unberührt. Hogrebe (2018: 188) schreibt über einen Vergleich verschiedener Kita-Träger in einer nordrhein-westfälischen Kommune, katholische Kindertagesstätten unterschieden sich von anderen Trägern durch den geringeren Anteil von Kindern ‚mit Migrationshintergrund‘. Sie stellt die Frage (ebd.), „inwieweit systemimmanente Strukturen - und in diesem Fall einzelne Träger - an der Herstellung ungleicher Kindheiten beteiligt sind.“ Für das in der vorliegenden Arbeit thematisierte Stadtviertel liegen keine solchen Statistiken vor. 172 In diesem Kapitel wird auch gezeigt, dass die Angaben im „Buch“ nicht immer mit den tatsächlichen Daten übereinstimmen; eine durchgehende Überprüfung der Angaben wäre jedoch nicht Ziel dieser Arbeit, sie bieten eher ungefähre Anhaltspunkte. 173 Wegen Krankheitsfällen und anderen Fehlzeiten sind meist ca. 18 Kinder anwesend. 174 Die Zahl bezieht sich als Durchschnitt auf Einrichtungen, die Kinder zwischen 2 und 8 Jahren betreuen. In dieser Zahl sind krankheitsbedingte Ausfälle von Fachkräften oder Kindern nicht mitgerechnet. Unabhängig von diesen Statistiken berichten von Bischoff (2017: 172) interviewte

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Professionellen in der beschriebenen Kita es trotz Personalmangel und vielfältigen Herausforderungen, Konflikte zwischen den Kindern durchgehend zu entschärfen und eine ruhige und gewaltfreie Atmosphäre sicherzustellen. Dass diese Gewaltfreiheit keine Selbstverständlichkeit darstellt, zeigt sich an einem auffälligen Befund: Etliche Kinder erleben nach eigenen Beobachtungen und den Äußerungen pädagogischer Professioneller häusliche Gewalt175. Feldzugang, Positionen im Feld und kommunikative Validierung Zunächst werden im folgenden Abschnitt die Auswahl des Feldes und der Feldzugang beschrieben, anschließend werden Positionen im Feld aufgezeigt, die sich während des Forschungsprozesses ergeben, zuletzt wird die kommunikative Validierung am Ende des Datenerhebungsprozesses dargestellt. Auswahl des Feldes und Feldzugang176 Während der Themenfindungsphase für diese Arbeit werden Hospitationen in verschiedenen pädagogischen Einrichtungen durchgeführt. Den Ausschlag dafür, in „X-siedlung“ zu forschen, gibt jedoch ein persönliches Schlüsselerlebnis: „Hier liest doch keiner“ Bei einem privaten Aufenthalt 2009 verbringe ich einen Vormittag in „X-siedlung“ mit dem Ziel, ein deutsch-türkisches Wörterbuch zu finden. Ich frage in Geschäften und auf der Straße nach einem Buchladen oder einer Bibliothek in „X-siedlung“, weil ich davon ausgehe, dass ein Stadtteil mit etwa 20 000 Einwohnern über solche Einrichtungen verfügt. Ich bekomme jedoch zur Antwort: „Eine Buchhandlung gibt es im Nachbarviertel“ und „Hier liest doch keiner“. In einem Second-Hand-Shop finde ich einige alte Trivialromane, und die Besitzerinnen suchen eigens für mich im elementarpädagogische Professionelle, dass die Zeit häufig nicht reiche für zusätzliche Aufgaben wie Administration oder Elterngespräche. 175 In drei Monaten Feldaufenthalt erfahre ich von vier der zweiundzwanzig Kinder, dass sie zu Hause geschlagen werden, die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. In einer früheren Konzeption dieser Arbeit war Sprachförderung unter dem Aspekt häuslicher Gewalt stärker im Vordergrund, da u.a. ein Kind während einer Sprachfördersequenz davon erzählt, wie es zu Hause geschlagen wurde; vgl. die Desiderata am Ende der Arbeit. 176 Die betont narrative Form der Darstellung im folgenden Abschnitt versucht den Leser*innen zu ermöglichen, notwendig subjektive Entscheidungen im Forschungsprozess auch im Sinne der Reflexive Grounded Theory nachzuvollziehen.

4.5 Feldzugang, Positionen im Feld und kommunikative Validierung

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Telefonbuch nach einer Bibliothek, finden aber keine. Nach längerer Zeit erfolgloser Suche komme ich an der Kindertagesstätte „St. Pankraz“ vorbei, wo ich den Aushang an der Tür sehe: „Deutsch-Türkisches Kinderwörterbuch zu verkaufen“. Ich trete ein, sehe einen Tisch mit einigen deutsch-türkischen Bilderbüchern und einer ausliegenden Liste, komme mit der Kita-Leiterin ins Gespräch und bestelle einige Bücher. (Sept. 2009)

Das deutsch-türkische Kinderwörterbuch wird für mich zum Schlüsselobjekt, das – wie mir viel später deutlich wird – die Themen Literalität, Mehrsprachigkeit und frühe Kindheit verbindet. Ich frage mich, wie Literalitätspraktiken der Kinder in „X-siedlung“ aussehen könnten angesichts der Tatsache, dass sie auf den ersten Blick so wenige Ressourcen im Stadtviertel haben. Zudem beschäftigt mich, wie mehrsprachige Kinder in einer Bildungsinstitution in einem vielsprachigen Stadtviertel aufwachsen, auch angesichts von Diskursen zu Bildungsungleichheit und der Bedeutung des Deutschlernens für Bildungserfolg (vgl. auch die Einleitung und Kapitel 5). So erkundige ich mich ein Jahr später auf der Suche nach einem Promotionsthema bei der Leiterin von „St. Pankraz“ an, ob ich eine Woche hospitieren und dabei Notizen über die sprachliche Bildung der Kinder machen könne; sie stimmt zu. Nach diesem ersten Feldzugang 2010 frage ich, ob ich eine Dissertation über Sprache in ihrer Kindertagesstätte schreiben könne; die Leiterin der Kita gibt die Anfrage an den Trägerverband weiter. Dessen Rechtsabteilung hat einige Rückfragen: Wie wird mit den Ergebnissen umgegangen? Was würde passieren, wenn das Bild der Kita zu negativ wäre? Welche Vorteile hat der Trägerverband von der Arbeit? Daraufhin schicke ich ein fünfseitiges Bewerbungsschreiben an den Trägerverband, in dem ich das Projekt erläutere. Ich sichere zu, dass mein Ziel nicht eine Evaluation der Arbeit der Kita sei, dass es eine kommunikative Validierung und eine weitgehende Anonymisierung geben würde. Der Trägerverband könne von der Arbeit profitieren, indem ich z.B. dort einen Vortrag zum Thema anbieten könne (vgl. auch der Absatz zu kommunikativer Validierung in diesem Abschnitt und Kapitel 4.6 zu Ethik). Ich lege ein Empfehlungsschreiben einer Pastoralreferentin bei und bekomme die Zusage, unter den dargelegten Bedingungen forschen zu dürfen (zu anfänglichen Befürchtungen im Feld und „vertrauensbildende[n] Maßnahmen“ seitens der Forschenden vgl. Thielen 2015: 330f.). Vor meinem Feldaufenthalt schreibe ich auch einen Brief in einfachem Deutsch an alle Eltern der Kita, in dem das Forschungsvorhaben vorgestellt wird und gebeten wird, bei Rückfragen oder Nichteinverständnis zur Forschung mit mir Kontakt aufzunehmen (vgl. auch den Abschnitt zu Ethik). Dieses Vorgehen wird ungewollt aufschlussreich für das Thema literale Praktiken im Feld:

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4 Methodische und methodologische Überlegungen Der Elternbrief Die pädagogischen Professionellen geben den Kindern Kopien des von mir verfassten Briefs mit und hängen sie zusätzlich, groß kopiert und mit orangefarbenen Pfeilen versehen, in der Garderobe zur „Gruppe Blau“ auf. Ein Elternteil, dessen Kind in einer anderen als der „Gruppe Blau“ ist, ruft mich daraufhin an, um mir zu sagen, sein Kind solle nicht an der Forschung teilnehmen. Als ich das an meinem ersten Tag im Feld sage, gibt es unter erwachsenen Feldteilnehmenden großes Erstaunen, dass eine von etwa neunzig Familien auf den Brief reagiert hat. Dass Elternbriefe tatsächlich gelesen würden, sei eine große Ausnahme; der Vorfall wird zum Gesprächsthema des ganzen Vormittags. Im Feld werde mit Eltern hauptsächlich mündlich kommuniziert. (26. 9. 2010)

Eine Passung zwischen der literalen Praktik, einen Elternbrief zu verfassen und auszuteilen, und kommunikativen Praktiken der Eltern erscheint kaum gegeben. Die Forscherin fragt sich an diesem ersten Tag im Feld, ob sie zwar formal Datenschutzrichtlinien Genüge getan hat, aber durch andere Kanäle die Eltern adäquater erreicht hätte. Zudem verstärkt ungewollt der Elternbrief die monolingual deutsche Ausrichtung im mehrsprachigen pädagogischen Feld (vgl. auch den Absatz zu Positionen in Hinblick auf Mehrsprachigkeit in diesem Abschnitt). Zum Zeitpunkt des Abfassens, vor dem Feldaufenthalt, sind die Erstsprachen der Eltern jedoch nicht bekannt. Eine Erkundigung und eine Übersetzung in alle Erstsprachen hätte einen sehr hohen Aufwand bedeutet. Positionen im Feld Zunächst wird kurz erläutert, warum die Positionen der Forscherin im Feld ausführlich dargelegt werden und was unter „Position“ bzw. „Positionierung“ verstanden wird. Ein grundlegendes Problem von Forschung in Feldern mit wirkmächtigen Differenzkonstruktionen ist das der Reifizierung, also der Fortschreibung dieser Differenzkonstruktionen durch die Forscher*innen. Diehm, Kuhn und Machold (2010: 84) schreiben dazu: „Sinnrekonstruktive Forschung bewegt sich nicht im luftleeren (oder besser: differenzfreien) Raum, sondern ist eine in gesellschaftliche Kontexte eingebettete kulturelle Praxis, in der die soziale Wirkmächtigkeit der untersuchten Differenzlinien nicht aufgehoben ist.“

Wer Feldforschung betreibt, beeinflusst durch sein Vorwissen und seine sozialen Positionen die Arbeit in mehrfacher Weise: in der Weise, wie er oder sie im Feld wahrgenommen wird und mit dem Feld interagieren kann, ebenso wie in der Art,

4.5 Feldzugang, Positionen im Feld und kommunikative Validierung

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wie die gewonnenen Daten interpretiert werden. So wird die Wirklichkeit nicht „wirklich“ abgebildet, sondern immer nur geprägt durch die eigene Sichtweise (Diehm/Kuhn/Machold 2010: 84). Oft werden Positionierungen wie „weiße Mehrheitsangehörige“ oder „Erwachsene“ übersehen (ebd., 85) und tragen dadurch zu einem quasi-universalistischen Standpunkt und einer unreflektierten Reifizierung bei. Dieses Problem kann nicht vollständig gelöst, sondern nur sorgfältig reflektiert werden. Im Sinne dieser Aufforderung sowie der Reflexive Grounded Theory werden hier Positionen der Forscherin im Feld dargestellt. Der Begriff „Positionen“ wird hier, wie bereits erwähnt, synonym mit „Positionierung“ verwendet und als Überbegriff für situativ und übersituativ wirkmächtige Selbst- und Fremdpositionierungen definiert. Er wird einerseits in Anlehnung an Breuer (2010: 30) gebraucht, der über Forschung im Sinne der Reflexive Grounded Theory schreibt: „Als Forschender positioniere ich mich [im Feld, E. Zettl] und ich werde positioniert“. Breuer hat dabei auf die Forschungssituation bezogene situativ ausgehadelte Positionen im Auge, etwa wie die „als Gast-auf-Besuch, als Praktikant, als Neuling“ (ebd.). Andererseits ermöglicht der Begriff der Positionen auch, übersituativ wirksame Aspekte wie z.B. gender oder race einzubeziehen, wenn er nach Diehm, Kuhn und Machold (2010: 16) so verstanden wird: „Aus poststrukturalistischer Perspektive wird unter Position verstanden, dass bestimmten Akteuren nur bestimmte Diskurse zugänglich sind, durch die sie wiederum auf bestimmte gesellschaftliche Positionen verwiesen sind.“ Wie sie anhand einer Studie von Mac Naughton und Davis (2009) aufzeigen, ist dies jedoch nicht völlig deterministisch zu sehen: „in Bezug auf Positionen kann die poststrukturalistische Studie [von Mac Naughton und Davis, E. Zettl] aufzeigen, inwiefern jemand in der Lage ist, entgegen des dominanten Diskurses eine nicht-dominante Maskulinität zu leben oder zu erproben“. Die Konzepte von Breuer sowie von Diehm, Kuhn und Machold ergänzen sich m. E. insofern, als auch situativ entstehende Positionen, z.B. die der Expertin fürs Stadtviertel, auf übersituativ wirksame Diskurse verweisen können und übersituative Positionen wie z. B. als Erwachsene situativ mehr oder weniger oder gar nicht relevant gemacht werden können. Die im Folgenden skizzierten Positionen in ihrer Komplexität und ihren teils widersprüchlichen Anforderungen stellen nur eine schematische Vereinfachung von dem dar, was täglich an Selbstpositionierungen und Fremdzuschreibungen, oft unbemerkt und gelegentlich konflikthaft, im Feld geschieht177. Zunächst werden im Feld relevante Positionen gegenüber den Forschungsinteressen der Dissertation, Mehrsprachigkeit und 177 Es wäre Thema einer eigenen Arbeit, im Sinn der Intersektionalitätsforschung diese Positionen eingehend zu betrachten.

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Literalität, dargestellt. Anschließend wird auf weitere wirkmächtige Positionen hingewiesen. Position in Bezug auf Sprachen im Feld Die Position in Bezug auf Sprachen im Feld wird ausführlicher dargestellt, da sie für die Gewinnung der Daten ebenso wie für das Thema der Arbeit konstitutiv sind. Von den vielen in der Kindergruppe gesprochenen Sprachen (vgl. Abschnitt 4.4.3) sind mir, einsprachig aufgewachsen, nur Deutsch und Englisch zugänglich. Mein Plan, Türkisch zu lernen, scheitert aus Zeitgründen. Dennoch wird mir als „Sprachexpertin“ Zutritt gewährt, eine Zuschreibung, die durch meinen Beruf als Dozentin für Deutsch entsteht. Wären die einzigen von mir gesprochenen Sprachen etwa Bulgarisch und Türkisch, wäre ein Feldzugang unwahrscheinlich gewesen. Viele Familiensprachen, die im Feld marginalisiert werden – wie die Datenanalyse zeigt – werden so durch die Perspektive der Forscherin weiter marginalisiert, da sie in der Verschriftlichung, anders als Deutsch und Englisch, wenig berücksichtigt werden können. Kuhn (2013: 304) merkt zu einer vergleichbaren Konstellation kritisch an: „Nicht zuletzt wurden auch viele der Kinder im eingeschränkten hegemonialen Blick der nicht-mehrsprachigen Beobachterin repräsentiert, die an vielen Stellen in den Beobachtungsprotokollen vermerken musste, dass sie die Redebeiträge der Kinder nicht verstehen konnte“178. Es ist auch möglich, dass Kinder oder Eltern mich in ihren Familiensprachen angesprochen hätten, wenn ich signalisiert hätte, dass ich sie verstehe. Zudem gab es öfter Situationen, in denen mir nicht klar war, welcher Anteil der Äußerungen der Kinder lautmalerisch war, was von mir nicht verstandenes Deutsch war und welche sprachlichen Anteile von Familiensprachen der Kinder oder weiteren von den Kindern gehörten Sprachen stammen. Angesichts der Vielzahl von Sprachen im Feld, die von niemandem unter den Feldteilnehmenden alle verstanden werden, und angesichts auch des z.T. für mich 178 Hortsch (2015: 107), die als Nicht-Finnischsprecherin im finnischen Bildungssystem ethnographisch geforscht hat, zeigt auf, dass das Nicht- oder Wenig-Verstehen einer Sprache auch Chancen bietet: „Weiterhin eröffneten die fehlenden sprachlichen Kompetenzen des Finnischen eine ganz spezifische non-verbale Perspektive auf den pädagogischen Alltag. Erst durch den verstärkten (zunächst unbewussten) Einsatz nicht sprachlicher Elemente wie Gestik und Mimik wurden Aspekte des Alltags offenkundig, die vermutlich andernfalls nicht so (schnell) in Erscheinung getreten wären “ (Herv. i. O.). Es galt „auf Basis geringer sprachlicher Äußerungen, die jeweiligen Sinnkontexte zu entschlüsseln“ (ebd.). Im Fall des Vergleichs Finnland-Deutschland ist jedoch nicht von einem Prestigegefälle auszugehen, das sich innerhalb eines Feldes abspielt, wie es im Fall des Deutschen und Türkischen in den vorliegenden Daten ist.

4.5 Feldzugang, Positionen im Feld und kommunikative Validierung

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und die pädagogischen Professionellen schwer verständlichen Sprechens einiger Kinder, ist jedoch ein vollständiges Verstehen aller sprachlichen Praktiken ohnehin eine Illusion. Dieses Nicht-Verstehen wird in den Feldtagebüchern als Irritation, Frustration und Scham thematisiert, trotz der Fremdzuschreibung und Selbstpositionierung als „Sprachexpertin“ im Alltag nicht alles zu verstehen. In den Abschnitten 5.4.4-5.4.9 wird ausführlich dargestellt, welche Konsequenzen dieses Nicht-Verstehen in Praktiken im Umgang mit mehrsprachigen Kindern hat. Die Position der Teilnehmenden Beobachterin, die nur einen Teil aller im Feld gesprochenen Sprachen versteht, ist auf diese Weise ähnlich wie die Position aller anderen Feldteilnehmenden. Das Nicht-Verstehen der prestigeniedrigen Erstsprachen hat die Forscherin mit den Erzieherinnen gemeinsam, so dass sie deren Wahrnehmungen gut nachvollziehen kann. Gleichzeitig führt die Zuschreibung, „Sprachexpertin“ zu sein, zu einer prestigehohen Position im Feld; die „Expertin“ wird öfter gefragt, ob eine Formulierung auf Deutsch „so richtig gesagt werde“. Zugleich spiegelt das Schreiben der vorliegenden Ethnographie auf Deutsch (mit etlichen Begriffen aus dem Englischen) die Dominanz des Deutschen und die herausgehobene Position des Englischen als Prestigesprache im Feld wie in Diskursen über Bildung und in der deutschsprachigen erziehungswissenschaftlichen Forschung. Position in Bezug auf Literalität Wenn über Literalität geforscht wird, darf nicht übersehen werden, dass die literalen Praktiken der Forscherin selbst das Feld mitprägen, wie es generell zur Ethnographie als Forschungsstrategie gehört, dass die Forschenden das Feld beeinflussen und Teil der sozialen Wirklichkeit sind (vgl. Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 60f.). Das Schreiben der Feldforscherin in ihr Notizbuch erregt hier als literale Praxis die Aufmerksamkeit der Kinder, Ähnliches berichtet Hortsch (2015: 100) über ihre Ethnographie in finnischen und deutschen Bildungsinstitutionen. In den vorliegenden Daten erläutere ich meine Arbeit in Analogie zum Schreiben der Kinder: „ich schreib auch was auf“. In anderen Fällen bitten Kinder darum, vorzulesen, was ich gerade geschrieben habe179; hier wird eine generationale Differenz zwischen Erwachsener und Kindern in Bezug auf Lesekom179

An anderer Stelle in den Daten imitiert Gracelyn (6) überzeugend das Schreiben der Forscherin mit Bleistift in ihr Notizheft, indem sie ebenfalls mit Bleistift in die Kästchen des Hefts für die Forscherin unlesbare Zeichen produziert und auf Nachfrage erklärt, die Zeichen bedeuteten „Gracelyn ist eine Prinzessin“ bzw. „Ich bin eine Königin“ sowie ihre Straße und Hausnummer; zu einer kritischen Reflexion über Bezeichnungsprozesse für kindliche Literalitätspraktiken vgl. Machold (2015: 129). Jessica (4) fragt, ob die Forscherin Tagebuch schreibt, und verbindet so ihre Beobachtung des täglichen Schreibens in der Kita vermutlich mit Wissen über familiäre literale Artefakte und/oder Praktiken.

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

petenz relevant (vgl. auch Schnoor/Seele 2017 über Literalität und generationale Ordnung). Da das Schreiben den Alltag der Kinder wiedergibt und sein Inhalt daher Interesse erweckt, wird das Schreiben- und Lesenkönnen für die Kinder vermutlich als etwas Alltagsrelevantes und positiv Konnotiertes sichtbar Manchmal, wie in Abschnitt 5.4.5 dargestellt, lese ich Kindern auf ihre Aufforderung hin etwas vor, auch dies ist eine literale Praktik, die in bescheidenem Maße das Feld beeinflusst. Position als ‚weiße‘ Mehrheitsangehörige Die Position als ‚weiße‘ Mehrheitsangehörige wird nie explizit im Feld thematisiert, ist aber im Sinne postkolonialer Theorien gerade in ihrer Hegemonialität und Unsichtbarkeit zu reflektieren (vgl. Kuhn 2013: 304f.). Rassistische Beschimpfungen bleiben mir erspart180 ebenso wie die Erfahrung, dass Bildungszertifikate migrationsbedingt nicht anerkannt werden181. Zudem ist mein Aufenthalt in „X-siedlung“ nicht von Angst vor Abschiebung geprägt und unterscheidet sich somit vom Alltag einiger Kinder im Forschungsfeld. Ich bin auch aufgrund meiner Position als Mehrheitsangehörige in der privilegierten Situation, freiwillig in „X-siedlung“ zu sein und kann das Feld jederzeit verlassen, anders als etliche Feldteilnehmende, die durch Flucht nach „X-siedlung“ gekommen sind und/oder aus sozioökonomischen Gründen keine Möglichkeit finden, an anderen Orten zu leben182. Ein weiterer Aspekt der Mehrheitszugehörigkeit, der vielleicht den Feldzugang ermöglicht hat, ist es, in der Bitte um Erlaubnis zur Forschung an den kirchlichen Kita-Träger das Empfehlungsschreiben einer Pastoralreferentin anzuhängen. Diese Positionierung als ‚christlich‘183 erweist sich auch als Türöffner im Kontakt zu pädagogischen Professionellen und erlaubt, dass ich reibungslos ohne Gewissenskonflikte den täglichen christlichen Ritualen im Kita-Alltag folgen 180

Eine Integrationsberaterin ‚of color‘ berichtet dagegen, sie sei auf dem Weg zu ihrer Arbeit in der Kindertagesstätte rassistisch beschimpft worden. 181 So thematisieren einige Mütter, dass ihre Hochschulqualifikationen aus ihren Herkunftsländern in Deutschland nicht anerkannt würden und sie daher nicht in ihrem ursprünglichen Berufen arbeiten können. Möglicherweise wäre auch meine Bewerbung um den Feldaufenthalt schwieriger geworden, wenn ich keinen deutschen, sondern z.B. einen nigerianischen Hochschulabschluss vorgewiesen hätte. 182 Etliche Eltern berichten, wie sehr sie sich wünschten, von „X-siedlung“ wegzuziehen, um ihren Kindern bessere Chancen zu bieten. 183 Dass die eigene religiöse Position in manchen Feldern den Forschungsprozess beeinflussen kann und daher offengelegt werden sollte, zeigt Schoneville (Schoneville/Köngeter/Gruber/Cloos 2006: 250), der unter „Jesus Freaks“ forscht, ohne ihre Überzeugung zu teilen. Rosowsky (2008) erwähnt in „Heavenly Readings“ seine eigene religiöse Position als zentral für den Feldzugang: „As a researcher sharing the same faith, and who has worked within the community in question for many years, I have been able to access the homes and institutions relatively easily.” (S. 30)

4.5 Feldzugang, Positionen im Feld und kommunikative Validierung

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kann. Zugleich bin ich, wie die pädagogischen Professionellen und wenige Kinder, als Nichtmuslima Teil einer zumindest in der Kita hegemonialen Minderheit. Diese Position ist vergleichbar mit der der pädagogischen Professionellen, die mit den Kindern der „Gruppe Blau“ arbeiten. In ihren blinden Flecken könnte sie trotz allen Versuchen künstlicher Befremdung der der pädagogischen Professionellen ähneln. Position als temporäres Teammitglied und Erwachsene Den Erzieherinnen gegenüber erlebe ich, dass sie mir unterschiedliche Positionen zuweisen (zu situativen Positionierungen im Feld vgl. auch Unterweger/Sieber Egger/Maeder 2018: 16). Anfangs ist eine kurze Reserviertheit spürbar – verständlich, wenn man bedenkt, welche Zumutungen entstehen, wenn eine Feldforscherin im Arbeitsalltag auftaucht184. Dieses anfängliche Unbehagen legt sich bald185, und ich bekomme eine kleine Socke, die eine pädagogische Professionelle für alle Teammitglieder (Kinder oder Eltern bekommen keine) als Schlüsselanhänger gestrickt hat. Durch den akuten Personalmangel vor allem während Krankheitszeiten pädagogischer Professioneller helfe ich bei einfachen Tätigkeiten z.B. beim Austeilen des Mittagessens mit. Feldteilnehmende sagen, es sei eine Erleichterung, in einer Kindergruppe von etwa zwanzig Kindern eine zweite Erwachsene186 im Raum zu haben187. Auch die Kinder sprechen mich häufig in dieser Position als Erwachsene und temporäres Teammitglied an. Es ist eine situative Abwägung, wo ich den Kindern in dieser Position begegnen kann und wo ich auf die pädagogischen Professionellen verweise. Meine Position erweist sich auch durch die teils divergierenden Anforderungen des Forschungsprozesses und des pädagogischen Alltags als komplex.

184

Vgl. Wolff (2012). Vermutlich erleichtert es auch die Forschung, als Frau in einem Team, das ausschließlich aus Frauen besteht, zu forschen. 186 Zur Differenzkonstruktion Kinder/Erwachsene, die hier und in anderen Passagen in den Daten relevant gemacht wird, vgl. Kelle und Schweda-Möller (2017). Honig (2018: 207) schlägt das praxistheoretische Konzept der „generationierenden Praktiken“ vor. Eine Analyse der vorliegenden Daten unter Berücksichtigung dieses Aspekts wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit. 187 Ähnliche Situationen des Personalmangels berichtet Mandell aus ihrer Feldforschungserfahrung in den USA und Kanada: bei ihrer Forschung waren die Erzieherinnen in den von ihr besuchten Kitas dankbar, dass sie bei einfachen Tätigkeiten mithalf (Mandell 1988: 445). Vgl. auch Unterweger, Sieber Egger und Maeder (2018: 15). 185

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Position als „faule Forscherin“ Anfangs versuche ich nach Spradleys Anleitungen zur Teilnehmenden Beobachtung (1980: 34) möglichst viel Zeit in der Kita zu verbringen und später eher kürzere Zeiträume anwesend zu sein, um fokussiert und selektiv zu beobachten. Ich stelle jedoch fest, dass mein Vorhaben, im späteren Stadium der Feldforschung nur kürzere Zeiträume anwesend zu sein, Grund zu spöttischen Bemerkungen gibt188, dass ich – so meine eigene Paraphrase – als „faule Forscherin“ früher gehe. Durch den Personalmangel, die langen Arbeitszeiten und anstrengenden Arbeitsbedingungen der pädagogischen Professionellen habe ich tatsächlich oft ein schlechtes Gewissen, wenn ich vor dem Ende der Kita-Öffnungszeiten gehe und nicht jeden Tag Hilfstätigkeiten übernehme. Hier wird das Dilemma der Positionen zwischen „temporärem Teammitglied“ und „Forscherin“ deutlich ebenso wie die unterschiedliche Selbst- und Fremdwahrnehmung verschiedener Professionen. Im Feld erlebe ich es in dieser Spannung auch oft als ungerecht, dass meine Forschungsarbeit, die mir und vielen Feldteilnehmenden leichter vorkommt als die der pädagogischen Professionellen, besser bezahlt wird und als prestigehöher gilt als die eigentliche elementarpädagogische Arbeit mit Kindern (zu Elementarpädagogik als Profession vgl. Kuhn 2013). Position als Mitspielende Den Kindern gegenüber entwickeln sich, wie bereits beschrieben, häufig Positionen einer erwachsenen Hilfskraft oder einer Schreibenden. Diese Positionen werden immer wieder verhandelt; manchmal folge ich den Aufforderungen der Kinder, in ihren Rollenspielen mitzuspielen und halte mich auf ausdrückliche Einladung von Kindern an Orten auf, die Erzieherinnen normalerweise nicht betreten189 (z.B. auf dem Klettergerüst). Dabei gehe ich nicht so weit wie Mandell, die in ihrer Feldforschung phasenweise eine „Least-adult role“190 annimmt und zumindest anfangs in Gegenwart der Kinder keine Notizen macht. Ich entscheide je nach Situation, wann ich mit den Kindern mitspiele und wann ich als Beobachterin meine Eindrücke notiere. In einen Konflikt zwischen meinen Positionen als Erwachsene und Mitspielende gerate ich, als ein Mädchen oft meine Nähe sucht, das sonst keine Freundinnen in der Gruppe hat und dessen Aufgabe es eigentlich nach 188 Mandell beschreibt auch, wie sie befragt wurde, „Where were you?“, wenn sie einmal abwesend war. (Mandell 1988: 453). 189 Einmal erlebe ich jedoch eine Zurückweisung durch einen Jungen, dass ich nicht mitspielen solle, „weil du eine Frau bist.“ Dies ist das einzige Mal, dass Gender im Feld explizit thematisiert wird. 190 Mandell (1988: 438): „neither directing nor correcting children’s actions“.

4.5 Feldzugang, Positionen im Feld und kommunikative Validierung

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Ansicht erwachsener Feldteilnehmender wäre, gleichaltrige Freundinnen zu finden (zur Differenzkonstruktion Kinder/Erwachsene, die in diesen Äußerungen relevant gesetzt wird, vgl. Kelle/Schweda-Möller 2017). Generell soll die Aufzählung dieser Positionen die perspektivischen und forschungspraktischen Begrenzungen und Möglichkeiten der Datenerhebung und des Erkenntnisgewinns aufzeigen. In den folgenden Interpretationskapiteln werden diese Positionen teils nochmals explizit sichtbar, teils werden sie implizit deutlich. Kommunikative Validierung: Forschungspraktische, methodische und methodologische Überlegungen191 Kommunikative Validierung – also die Rückmeldung und Diskussion von vorläufigen Ergebnissen mit den Forschungsteilnehmenden – geschieht in dieser Arbeit aus forschungspraktischen, methodischen und methodologischen sowie forschungsethischen Gründen. Wie in diesem Kapitel beschrieben, fragt die Rechtsabteilung des Kita-Trägers, welchen Nutzen die Beteiligten von der Forschung hätten. Diese Frage ist im Vorfeld schwierig zu beantworten (vgl. den nächsten Abschnitt). Aber ich hoffe, dass eine kommunikative Validierung auch einen Vorteil für die Beteiligten bringt im Sinne einer Möglichkeit, das eigene Handeln zu reflektieren. Auch aus forschungsmethodischen und methodologischen Gründen kann eine kommunikative Validierung hilfreich sein, wie z.B. Girtler (2004: 88) postuliert. Die Aussagen der Erzieherinnen zu den von mir vorgestellten Daten, Codes und Interpretationsversuchen sind hilfreich für die weitere Interpretationsarbeit. Es ist jedoch nicht Ziel der Arbeit, Teilnehmerinnenperspektiven zu rekonstruieren. Die neu gewonnene Datensorte „Kommentare der Erzieherinnen“ wurde daher nicht explizit in die Arbeit aufgenommen192. Stattdessen werden die Perspektiven der Erzieherinnen dazu verwendet, die Plausibilität der vorläufigen Codes zu überprüfen. Neben diesen Überlegungen gibt es auch einen forschungsethischen Blickwinkel auf kommunikative Validierung (vgl. Abschnitt 4.6 zu Ethik).

191

Vgl. auch Wolff (2012: 348) und das Kapitel über Forschungsethik. Giesecke (http://www.michael-giesecke.de/giesecke/matrix/indexme.html, o.J., Abfrage 21.11. 2018) bezieht für sein Konzept der kommunikativen Sozialforschung die Validierung durch die Teilnehmer viel ausführlicher in den Forschungsprozess ein als im vorliegenden Fall. Seine Ideen zur „Triangulationssitzung“, wie er die Validierung von Daten und Hypothesen durch die Forschungsteilnehmer nennt (ebd.: o.S.), waren anregend für die vorliegende Arbeit. 192

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Ablauf der kommunikativen Validierung Im März 2013 stelle ich während einer kurzen letzten Phase Teilnehmender Beobachtung immer wieder Fragen an Erzieherinnen und führe Gespräche mit Feldteilnehmenden zu Hypothesen, Codes und Datensequenzen. Im Laufe des Forschungsprozesses verschiebt sich allerdings die Gewichtung einiger Themen nochmals, so dass einige Codes, die während der Validierung angesprochen werden, später weggelassen werden und neue Aspekte hinzukommen. Zum Zeitpunkt der kommunikativen Validierung ist diese spätere Verschiebung der Gewichtungen noch nicht abzusehen. Angesichts des jahrelangen Auswertungszeitraums der Daten wäre eine weitere Validierung zu einem noch späteren Zeitpunkt aus forschungspraktischen Gründen vermutlich wenig sinnvoll, da fast ein Jahrzehnt zwischen der Datenerhebung und der kommunikativen Validierung liegen würde. Im Juli 2013 halte ich auf Anregung der Kita-Leiterin auch einen Vortrag für Eltern und Erzieherinnen über vorläufige Ergebnisse meiner Arbeit. Er ist ebenfalls als kommunikative Validierung konzipiert, aber die vorläufigen Ergebnisse werden, anders als von mir erwartet, nicht diskutiert, sondern von Eltern durch weitere Beispiele ergänzt. Ethik im Forschungsprozess Es gibt heute, so der Ethik-Kodex der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft, „keine wissenschaftliche Erkenntnis oder Lösung mehr, die nicht der ethischen Reflexion ihres Wertes und ihrer Folgewirkungen bedarf“ (Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 2010: 179). Diese Erkenntnis setzt sich im deutschsprachigen Raum nur langsam durch. In den USA wird bereits in den 60er Jahren ein Ethikkodex für Soziologie geschrieben (vgl. Hopf 2012: 590). Spradley legt in seinem Standardwerk über „Participant Observation“ ein Kapitel zu Ethik in Anlehnung an die „Principles of Professional Resposibility“ der American Anthropological Association193 (Spradley 1980: 20 ff.) vor. Dagegen ist auffallend, wie viele deutschsprachige Arbeiten in der qualitativen Sozialforschung ohne explizite ethische Reflexion oder nur mit einem kurzen Verweis auf den Datenschutz auszukommen meinen. Die durch ethische Überlegungen entstehenden Dilemmata für die qualitative Forschung oder auch nur die mögliche Reichweite des Begriffs „Ethik“ für die Forschung werden dabei kaum reflektiert.

193 Diese Grundsätze von 1971 in der Überarbeitung von 1986 finden sich auf: http://www.americananthro.org/ParticipateAndAdvocate/Content.aspx?ItemNumber=1656. Eine Neufassung von 2012 findet sich auf: http://www.ethics.americananthro.org/category/statement (Abfragen 21.11. 2018)

4.6 Ethik im Forschungsprozess

123

Hammersley und Traianou (2012), die sich auf die breite Diskussion zur Forschungsethik im englischsprachigen Raum beziehen, präzisieren zunächst den Begriff „Ethik“. Dabei beschreiben sie zwei Verwendungsweisen des Begriffs „Ethik“ in der Sozialforschung. In der ersten wird Ethik als Wissenschaftszweig gesehen, der versucht herauszufinden, was aus welchen Gründen z.B. in der Sozialforschung als gut oder richtig gilt und wie ethische Entscheidungen getroffen werden können (vgl. Hammersley/Traianou 2012: 16). Die zweite Bedeutung bezeichnet Ethik als eine Zusammenstellung von Prinzipien (ebd.), die bestimmen, was z.B. in der Sozialforschung als richtiges Verhalten gilt. Im vorliegenden Abschnitt – wie auch bei Hammersley und Traianou – werden beide Konzepte von „Ethik“ verwendet: Es werden ethische Grundsätze dargelegt, zugleich wird die Auswahl und Gewichtung dieser Werte aber auch reflektiert, was auf Forschungsethik als Wissenschaftszweig verweist194. Intrinsische Verpflichtungen An erster Stelle der folgenden Reflexion steht die Frage: Welche Grundsätze, die im Forschungsprozess relevant werden, gehören überhaupt zum Feld der Ethik? Der erste Paragraph des Ethikkodex’ des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (2010: 180) lautet: „Die Mitglieder der DGfE streben in der Ausübung ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und ihres Berufes nach Wahrheit und Integrität.“ Ethik bezieht sich hier implizit nicht nur auf den Schutz von Forschungsteilnehmer*innen, sondern auch auf die Ansprüche an die Güte der Forschung. Hammersley und Traianou (2012) reflektieren explizit das Verhältnis zwischen der Suche nach Erkenntnis und dem Schutz von Forschungsteilnehmer*innen. Sie unterscheiden zwischen intrinsischen Verpflichtungen und extrinsischen Werten195 in der Forschung: Intrinsische Verpflichtungen geben das Ziel der Forschung an, extrinsische Werte bezeichnen Beschränkungen, die auf dem Weg zu diesem Ziel eingehalten werden sollten (vgl. Hammersley/Traianou 2012: 36 f.). Das Ziel der Forschung ist die Suche nach Wahrheit und die Erzeugung von für die Disziplin relevantem Wissen196. Diese intrinsische Verpflichtung muss in 194

Eine vertiefte wissenschaftliche Reflexion ethischer Prinzipien in qualitativer Sozialforschung auch unter Berücksichtigung philosophischer Traditionen wäre die Aufgabe einer eigenen Arbeit. 195 Im Original: “intrinsic obligations“ (2012: 45) , “virtues intrinsic to research” (ebd.: 46) und “extrinsic values” (ebd.: 52). Hammersley und Traianou ergänzen die “intrinsic obligations” um drei “virtues“ oder Tugenden, die Forschenden ermöglichen, dieser Verpflichtung nachzugehen: “dedication”, “objectivity” und „independence“, wobei die Forderung nach Objektivität nicht vollständig erreichbar ist (ebd.: 46ff.). 196 Inwieweit die Suche nach Wahrheit nach der Diskussion um die „Krise der Repräsentation“ ein Ziel von Forschung bleiben kann, diskutieren Hammersley und Traianou (2012: 40ff.). Ich schließe mich

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Zweifelsfällen mit extrinsischen Werten, die sich auf den Schutz von Forschungsteilnehmer*innen beziehen, abgewogen werden. Diese Perspektive wird auch in der vorliegenden Arbeit eingenommen. Somit bilden ethische Überlegungen die Grundlage des gesamten Forschungsprozesses. Extrinsische Werte und situative Abwägungen Als Nächstes ist zu fragen: Welches sind extrinsische Werte im Forschungsprozess und wie kann in Konflikten zwischen verschiedenen extrinsischen Werten oder zwischen diesen Werten und der intrinsischen Verpflichtung der Forschenden entschieden werden? Nach einer theoretischen Reflexion wird jeweils kurz skizziert, wie im vorliegenden Forschungsprozess versucht wurde, auf diese ethischen Aspekte einzugehen. Individuelle Autonomie und Recht auf Information der Forschungsteilnehmer*innen und ihre Konflikte mit anderen Grundsätzen Forschungsteilnehmer*innen werden vor der Forschung um ihre Zustimmung zu einem Forschungsprojekt gebeten und müssen vor der Zustimmung über Ziele und Methoden des Vorhabens informiert werden – dieses Prinzip ist allgemein anerkannt (vgl. DGfE 2010: 182)197. Hammersley und Traianou begründen dies mit dem Wert individueller Autonomie, der besagt, dass Menschen freie Entscheidungen über ihr Leben treffen können sollten (vgl. ebd. 2012: 75). Eine grundsätzliche Einschränkung dieses Wertes wird jedoch in der Genehmigung von Forschung mit Kindern deutlich198. In den „Standards erziehungswissenschaftlicher Forschung“ von 1996 (hier zit. aus: Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 2003: 862) wird ausgeführt, dass die Minderjährigen „in altersangemessener Form“ über die Forschung informiert werden sollen, wobei die Erziehungsberechtigten über die Forschungsteilnahme entscheiden. Ein solches Vorgehen wird von ihrer Ansicht an, dass Erkenntnis prinzipiell möglich ist, auch wenn durch die Debatten um die „Krise der Repräsentation“ unser Blick für voreilige Wahrheitsbehauptungen im Forschungsprozess geschärft wurde. 197 Zur Möglichkeit einer ausnahmsweise nachträglich geschehenden Einwilligung vgl. Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (2010: 182). 198 Erstaunlicherweise findet sich im Kodex des Vorstands der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft von 2010 kein Passus über dieses Thema, obwohl Minderjährige die häufigsten Forschungsteilnehmer sein dürften.- In der Unterscheidung zwischen Minderjährigen und Erwachsenen, die hier getroffen wird, wird aus Perspektive der Kindheitsforschung eine generationierende Ordnung (vgl. Honig 2018) sichtbar.

4.6 Ethik im Forschungsprozess

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Hammersley und Traianou (vgl. 2012: 87) begründet: Das Prinzip, die Autonomie des Individuums zu respektieren, kommt beim Forschen mit Kindern in Konflikt mit einer „ethics of care“ (2012: 87) und kann dieser untergeordnet werden. Auch im Forschen mit Erwachsenen ist jedoch die Achtung vor individueller Autonomie der Forschungsteilnehmenden als handlungsleitendes Prinzip schwierig einforderbar (vgl. ebd. 2012: 91 f.), diesmal jedoch nicht aus ethischen, sondern aus praktischen Gründen. In hierarchischen Strukturen können untergeordnete Feldteilnehmende, z.B. Praktikant*innen oder Aushilfekräfte, nicht völlig autonom zustimmen oder ablehnen, sobald hierarchiehöhere Feldteilnehmende eine Entscheidung über das Forschen in ihrer Institution getroffen haben. Ihr individueller Wille ist daher oft nicht eindeutig feststellbar. Handeln in solchen institutionellen Kontexten zeigt das für Ethnographie typische situative „muddling through“199, für das es kein vorgefertigtes Lösungsrezept gibt (Eberle/Maeder 2011: 67). Hammersley und Traianou schreiben (2012: 135) über die situativen Kompromisse, die solche Abwägungen erfordern: „Ethical judgment is primarily about which compromises are and are not legitimate in the relevant context“. Weitere Dilemmata ergeben sich aus den Fragen, in welcher Form und unter Herausgabe welcher Informationen um Erlaubnis für die Forschung gebeten wird. Der DGfE-Kodex präzisiert (Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft 2010: 182): „Besondere Anstrengungen zur Gewährleistung einer angemessenen Information sind erforderlich, wenn davon auszugehen ist, dass die in die Untersuchung einbezogenen Personen aufgrund ihres Bildungskapitals, ihrer Milieu- oder Schichtzugehörigkeit, ihrer sozialen Lage oder ihrer Sprachkompetenzen nicht ohne spezifische Informationen die Intentionen und Modalitäten des Forschungsvorhabens durchdringen können.“ Was bedeutet dies jedoch für die Praxis? Information von Eltern und Kindern Ich schreibe in Absprache mit der Kita-Leitung in einfachem Deutsch gehaltene Briefe an die Eltern (vgl. die Vignette „Der Elternbrief“; für die Erlaubnis zum ersten Feldzugang am 30.8. 2010, für den Feldaufenthalt 2011 am 18.4. 2011). Dort erkläre ich, dass ich mich für das Sprechen von Kindern interessiere und eine Arbeit darüber schreibe. Wenn sie Rückfragen haben oder dem Vorhaben nicht zustimmen, ihr Kind zu beobachten, können sie mich telefonisch, per Mail oder persönlich im Feld kontaktieren. Während der Feldforschung erkläre ich den Kindern, dass ich ein Buch über sie schreibe und dass mich interessiere, wie sie sprechen. Fragen sie mich, was ich aufschreibe, lese ich das von ihnen Gesagte vor. Weder Eltern noch Kindern sage ich 199 Dieser auch im Englischen umgangssprachliche Ausdruck ist vielleicht am treffendsten mit „Durchwursteln“ zu übersetzen.

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4 Methodische und methodologische Überlegungen jedoch, dass ich das Feld ausgewählt habe, weil ich in Milieus forschen möchte, die von Migration und sozialer Segregation geprägt sind. (Aug. 2010 - März 2013)

Hätte ich mein Erkenntnisinteresse vollständig offengelegt, würde ich möglicherweise die Forschungsteilnehmer*innen verletzen und die Zustimmung zur Forschung gefährden200. Hier gibt es eine Abwägung zwischen drei Grundsätzen: dem extrinsischen Wert des Rechts auf Information autonomer Individuen über Ziele der Untersuchung, dem extrinsischen Wert, Schaden für die Teilnehmenden durch Stigmatisierung zu vermeiden und der intrinsischen Verpflichtung zur Suche nach Erkenntnis. Diese Abwägung kann wiederum nach Hammersley und Traianou (2012: 93 ff.) nur situativ geschehen. Ziele und Methoden der Untersuchung sind damit zumindest zu großen Teilen offengelegt201. Gibt es auch eine ethische Verpflichtung, den Forschungsteilnehmer*innen Ergebnisse mitzuteilen? Der Ethik-Kodex des Vorstands der DGfE von 2010 erwähnt diese Verpflichtung nicht, anders als sein Vorläufertext von 1996 (DGfE 2003: 862). Spradley (1980: 25) schreibt in Anlehnung an Grundsätze der American Anthropological Association von 1971, wenn es praktikabel sei, sollten die Forschungsergebnisse der untersuchten Gruppe verständlich kommuniziert werden. Girtler (2004: 88, s. auch Kap. 3.4.1) begründet, es sei eine Frage des Respekts, Forschungsergebnisse dem Feld mitzuteilen202. Dabei ist zu bedenken, dass auch kommunikative Validierung den an der Forschung Beteiligten nur sehr begrenzten Einfluss auf die Forschungsresultate gibt, da die Redaktion des Textes den Forscher*innen überlassen bleibt. Zudem sind die Kita-Kinder selbst aufgrund ihres Verstehenshorizonts von der kommunikativen Validierung ausgeschlossen. Zusammenfassend kann gesagt werden: Die scheinbar triviale Frage nach Zustimmung und Information der Beteiligten zur Forschung birgt komplexe Dilemmata zwischen verschiedenen ethischen und forschungspraktischen Grundsätzen, die nur situativ entschieden werden können.

200 Ähnliche Abwägungen, wie viel Information den Forschungsteilnehmern gegeben werden sollte, finden sich in den „Standards erziehungswissenschaftlicher Forschung“ (DGfE 2003: 862): „Grundsätzlich sollen die Betroffenen (…) informiert werden, sofern das Ziel dieser oder einer späteren Untersuchung nicht dadurch gefährdet und/oder die Betroffenen nicht dadurch unnötig belastet werden“. 201 In die Überlegung, wie viel Information den Beteiligten gegeben wird, fließen natürlich auch Stereotypen seitens der Forscher*innen ein; vgl. die bereits erwähnte Diskussion um Reifizierungssensibilität bei Diehm, Kuhn und Machold (2010). 202 Ein weiteres Argument ist ethischer wie methodologischer Art: Ein anfängliches Benennen der Forschungsziele kann für eine Zustimmung problematisch sein, wenn die Forschungsfrage sich eventuell durch die offene Herangehensweise bei qualitativer Forschung mehrfach ändert und nicht bei jeder Änderung der Frage die Zustimmung der Beteiligten eingeholt werden kann (vgl. Hammersley/Traianou 2012: 94). Dies spricht auch für eine kommunikative Validierung, bei der solche nachträglichen Änderungen angesprochen werden können.

4.6 Ethik im Forschungsprozess

127

Unversehrtheit der Forschungsteilnehmenden, Nutzen der Forschung für sie und situative Abwägungen Auch das allgemein anerkannte Prinzip, dass Forschungsteilnehmer*innen kein Schaden entstehen soll und ihre Integrität und Rechte gewahrt bleiben sollen, führt auf den zweiten Blick zu komplexen Dilemmata (vgl. Vorstand der DGfE 2010: 182; Spradley 1980: 21; Maeder 1995: 94). Das Risiko, den Forschungsteilnehmer*innen Schaden203 zuzufügen, ist jedoch unvermeidbar (vgl. Hammersley/ Traianou 2012: 57)204. In vielen Forschungsprojekten führt die Frage nach der Privatsphäre der Forschungsteilnehmer*innen (vgl. ebd.: 99f.) zu Dilemmata und Abwägungen. Auf mein Projekt bezogen bedeutet dies: Darf ich auch Notizen z.B. über ein informelles Gespräch zwischen einer Erzieherin und mir über die Kinder machen, obwohl ich ihr mitgeteilt habe, dass ich nur die Sprache von Kindern im Fokus habe? Hier zeigt sich ein Dilemma zwischen dem extrinsischen Wert des Rechtes auf Information der Beteiligten und dem intrinsischen Wert der Suche nach Erkenntnis, die auch die Möglichkeit einer Erweiterung der Forschungsfrage einschließt. Nach Hammersley und Traianou (vgl. 2012: 140) kann es situativ vertretbar sein, vorübergehend eine unvollständige Information der Teilnehmer*innen über die Forschungsziele zum Zweck des Erkenntnisgewinns zu akzeptieren. In den veröffentlichten Daten meiner Arbeit wird jedoch nur Material präsentiert, das der schriftlich gegebenen Beschreibung meines Forschungsprojekts im Elternbrief nicht widerspricht. Der zweite oft als Dilemma erlebte Aspekt ist der der Darstellung von Forschungsresultaten, die schädigend sein könnten (vgl. Hopf 2012: 594f.). Eine weitgehende Anonymisierung ist selbstverständlich205, mit ihr besteht jedoch immer die bereits erwähnte Gefahr der Reifizierung (vgl. der Abschnitt über das Stadtviertel), etwa durch die Verwendung von Pseudonymen, durch die Geschlecht und ‚Migrationshintergrund‘ erkennbar werden. Solche Pseudonyme betonen diese 203 Für eine Diskussion, wie Schaden bewertet wird und welche Abstufungen von Schaden es gibt, vgl. Hammersley und Traianou (2012: 61ff.). 204 Die „Standards erziehungswissenschaftlicher Forschung“ (DGfE 2003: 863) sehen für den Fall, dass „begrenzte psychische Belastungen der Betroffenen“ nicht ausgeschlossen werden können, eine „geeignete Nachbetreuung“ vor, durch die „mit Sicherheit über die Untersuchung hinausreichende Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden können.“ Im Fall qualitativer Forschung dürfte diese Sicherheit nicht zu gewährleisten sein, da die Wirkungen der Forschung auf das Feld nie kontrollierbar sind. Der Ethik-Kodex des Vorstands der DGfE von 2010 (vgl. ebd.: 182) erklärt, die Forschungsteilnehmer*innen dürften keinen Schaden erleiden und müssten über mögliche Risiken aufgeklärt werden. Eine solche Aufklärung dürfte im Bereich qualitativer Forschung aus praktischen Gründen schwer machbar sein, da Risiken im Feld vorsichtig abschätzbar, aber nie vollständig vorhersehbar sind (vgl. Hammersley/Traianou 2012: 74). 205 Vgl. Spradley (1979: 23), Vorstand der DGfE (2010: 182).

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Differenzkategorien, unabhängig davon, ob sie in den untersuchten Praktiken für die Beteiligten tatsächlich relevant werden. Das kann einseitig lenkend auf den Interpretationsprozess einwirken und steht somit der intrinsischen Verpflichtung zum Erkenntnisgewinn im Weg. Gleichzeitig kann ein Bezeichnen von Kindern als „Katrin“ oder „Mustafa“ ethnisisierende und genderbezogene Stereotype hervorrufen und verstärken, was dem extrinsischen Wert der Achtung vor dem Individuum und dem Schutz vor Nachteilen durch Stereotypisierung entgegensteht. Ohne die Markierung von Geschlecht und Ethnizität in Pseudonymen wäre jedoch es vielleicht nicht möglich nachzuvollziehen, wann ungleichheitsrelevante Praktiken stattfinden. Beschreibungen können so zu „dünn“ werden, was der intrinsischen Verpflichtung zur Suche nach Erkenntnis widerspricht. In dieser Arbeit werden nach Abwägung oben genannter Werte Pseudonyme gewählt, die eindeutig nach Geschlecht und ‚Migrationshintergrund‘ gekennzeichnet sind. Dabei kommt, wie schon in anderen Kontexten (vgl. Abschnitt 4.4 zum Forschungsfeld), die Reifizierungsproblematik zum Tragen, die nie völlig aufgelöst, sondern nur reflektiert werden kann (vgl. auch Diehm/Kuhn/Machold 2010: 83ff). Eine weitere Schwierigkeit ist mit dem Thema Anonymisierung verbunden: Auch wenn für die wissenschaftliche Öffentlichkeit ausreichend anonymisiert wird, können sich die Forschungsteilnehmer*innen oft gegenseitig in den Daten erkennen. Durch die verfremdende wissenschaftliche Darstellungsweise können Irritationen ausgelöst werden (vergleichbare Schwierigkeiten beschreiben Maeder und Kosorok Labhardt 2012)206. Problematisch kann die Darstellung von Forschungsergebnissen auch sein, wenn Vorgesetzte potentiell rufschädigende Dinge über ihre Untergebenen erfahren. Soll die Forscherin unter Verweis auf den Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt auch Negatives berichten, wenn dies dem „legitimen Anspruch der untersuchten Personen und Institutionen“ entgegenstehen könnte, dass sie „durch den Forschungsprozess und die Forschungsergebnisse nicht geschädigt werden“ (Hopf 2012: 598f.)? Es gibt keinen allgemeingültigen Ausweg aus diesem Dilemma. Nicht nur das Darstellen von Ergebnissen, sondern bereits die Anwesenheit im Feld kann ethische Dilemmata erzeugen: Gibt es Situationen, in denen es vertretbar oder sogar notwendig ist, einzugreifen? Auch Nichteingreifen kann nach Hammersley und Traianou (2012: 65) zu Schaden führen. Laut Girtler (2004: 84) „gibt es Grenzen, die es auch dem Feldforscher schwer machen, bloß Zeuge zu sein. So wird er sich freilich dort einschalten, wo ein Mensch direkt körperlich bedroht wird oder Probleme mit der Gesundheit hat“. Vergleichbares erlebe ich im Feld am letzten Tag: 206 Auch hier ist kommunikative Validierung eine Möglichkeit, die Beteiligten wertschätzend einzubinden. Dennoch kann es nicht Ziel einer Forschungsarbeit sein, Irritationen unter den Forschungsteilnehmer*innen um jeden Preis zu vermeiden.

4.6 Ethik im Forschungsprozess

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Ich mache zwei Abschiedsfotos der Kindergruppe und sage, diese Fotos seinen eine private Erinnerung und nicht Teil der Daten. Als ich die wenige Sekunden hintereinander aufgenommenen Fotos betrachte, fällt mir auf, dass ein Junge auf dem zweiten Bild sehr verängstigt zusammenzuckt und einen panischen Gesichtsausdruck hat, nachdem das neben ihm sitzende Mädchen neben ihm lächelnd die Hand zum Winken gehoben hat. Die ungewöhnliche Körpersprache des Jungen deutet für mich zusammen mit anderen Beobachtungen aus dem Forschungsprozess auf häusliche Gewalt hin. Nach einigem Überlegen leite ich die beiden Fotos mit einem kurzen Kommentar, der meine Besorgnis über die häusliche Situation des Jungen ausdrückt, an die Erzieherin der Gruppe weiter (Juli/August 2011).

Hier zeigt sich nach Hammersley und Traianou (2012: 135) ein Dilemma zwischen zwei extrinsischen Werten: dem Recht der Teilnehmenden auf Datenschutz und Anonymität – in meiner Information an die Eltern hatte ich ja Fotos explizit ausgeschlossen – und der Besorgnis um das Wohlergehen des Kindes. Ein Grundsatz, der hier eine Hilfe bei der Abwägung von Werten sein kann, ist dabei der UN-Kinderrechtskonvention Art.3 entlehnt: Das Kindeswohl ist ein „vorrangig zu berücksichtigender Gesichtspunkt“ und wiegt hier meines Erachtens schwerer als Bedenken wegen Datenschutzes. (Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend 2007: 10) Über das Abwenden von Schaden hinaus stellt sich eine weitere ethische Frage: Müssen die Forschungsteilnehmer einen Gewinn aus dem Forschungsprojekt ziehen? Diese Überlegung ist auch aus forschungspraktischen Gründen relevant, da die Leiterin der Rechtsabteilung des Kita-Trägers wissen möchte, welchen Nutzen ihr Arbeitgeber von meinem Projekt hätte (vgl. den Abschnitt 4.5.1). Als mögliche Gegenleistung nenne ich ein Feedback für Erzieherinnen über ihre Arbeit (vgl. das Kapitel über kommunikative Validierung). Wolff (2012: 348) äußert sich aus ethischen wie praktischen Gründen skeptisch angesichts solcher Angebote: „Beide Seiten [die Forscher*innen und die Forschungsteilnehmer*innen, E. Zettl] müssen sich aufeinander einlassen, ohne rechte Gründe und Sicherheiten für Vertrauen zu haben. Angesichts einer solchen Konstellation mag es verständlich sein, wenn sich Forscher den Zugang mit problematischen Ankündigungen oder gar Versprechungen im Hinblick auf den erwartbaren Nutzen des Projekts für das untersuchte Feld erkaufen wollen“.

Dies sei jedoch „Hochstapelei“, da sich der tatsächliche Gewinn für das Feld angesichts der Trivialität der Ergebnisse in den meisten Fällen als gering herausstelle (ebd.). Eine konträre Position dazu vertritt Spradley (1980: 24), der die Richtlinien der „Principles of Professional Responsibility“ der American Anthropological

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4 Methodische und methodologische Überlegungen

Association von 1971 (Absatz 1d) zitiert: „Fair return should be given to them [the informants, E. Zettl] for all services“207. Das vorliegende Forschungsprojekt hat einen kleinen ungeplanten Nutzen: Es ist durch den akuten Personalmangel entlastend, zeitweise eine zusätzliche Erwachsene im Raum zu haben (vgl. Abschnitt 4.5). Durch gelegentliche Hilfstätigkeiten in der Kita208 kann ich den Feldteilnehmer*innen eine kleine Gegenleistung für die Möglichkeit zur Forschung bieten. Zudem wird (vgl. den Abschnitt 4.5.3) ein Vortrag auf Deutsch über vorläufige Forschungsergebnisse für interessierte Eltern gehalten. Dieser Nutzen lässt sich jedoch nicht generell auf andere Forschungsfelder übertragen. Der einzige Nutzen, den ein Forschungsprojekt aus ethischen Gründen zwingend haben soll, betrifft den intrinsischen Wert des Zugewinns an Erkenntnis (vgl. Hammersley/Traianou 2012: 134). Zusammenfassend kann gesagt werden: Ethik wird in diesem Kapitel sowohl als Darstellung von Grundsätzen als auch – mit dieser Darstellung verbunden – als Reflexion über diese verstanden. Zu unterscheiden sind die intrinsische Verpflichtung zur Suche nach Erkenntnis, die das einzig legitime Ziel von Forschung darstellt, und extrinsische Werte, die die Teilnehmer*innen schützen sollen, wie das Recht auf informierte Zustimmung oder die Vermeidung von Schaden. Manchmal entstehen im Forschungsprozess dilemmatische Situationen, in denen zwischen verschiedenen Grundsätzen oder zwischen ethischen und forschungspraktischen Überlegungen abgewogen werden muss. Beim Forschen mit Kindern sollte das Kindeswohl ein vorrangig zu berücksichtigender Wert sein. Meist gibt es jedoch keine völlig befriedigende Lösung für ein ethisches Dilemma, sondern nur situative Entscheidungen. Diese sollten jedoch transparent gemacht werden, um für spätere Forschungsprojekte eine stärkere Sensibilität für diese Abwägungen zu schaffen. In diesem Kapitel werden methodische und methodologische Überlegungen zu Ethnographie als Forschungsstrategie angestellt, Reflexive Grounded Theory wird als Auswertungsstrategie präsentiert und Feld, Feldzugang, Positionen der Forscherin und kommunikative Validierung werden skizziert. Abschließend werden ethische Grundsätze, die im Forschungsprozess relevant sind, reflektiert. So wird versucht, den Vorgang der Datenerhebung und -auswertung transparent zu machen, um die Leser*innen auf die beiden nächsten Kapitel hinzuführen, die Daten und Interpretationen vorstellen. 207 Dies könnte nach Spradley ein Exemplar der Forschungsarbeit sein oder immaterielle Dinge wie die Möglichkeit für Informant*innen, neue Erkenntnisse durch die Forschung zu gewinnen, eine interessierte Zuhörerin zu haben oder eine Forscherin in ihrem Versuch zu unterstützen, das Leben anderer zu verstehen (vgl. Spradley 1980: 24). 208 Hammersley und Traianou (2012: 59) schreiben dazu: „qualitative researchers often provide minor services of one kind or another“. Ich helfe z.B. bei der Essensausgabe und der Aufsicht von Kindern mit.

Mehrsprachigkeit in der Kita

Das vorliegende Kapitels analysiert ein Artefakt sowie Praktiken, die teilweise Artefakte einbinden, zum Thema Umgang mit verschiedenen Sprachen im Feld durch verschiedene Feldteilnehmende (Kinder, pädagogische Professionelle und weitere erwachsene Feldteilnehmende sowie die Forscherin). Im Feld und in der Datenanalyse fällt die Komplexität der Umgangsweisen mit Mehrsprachigkeit auf, die zunächst einer produktiven Irritation gleichkommt: Am selben Vormittag wird zwei Kindern von einer pädagogischen Professionellen das Sprechen in ihrer Familiensprache Englisch verboten, von einer anderen pädagogischen Professionellen wird dasselbe Kind aufgefordert, Englisch zu sprechen; Sequenzen mit Türkischverboten wechseln sich ab mit dem Nichtkommentieren oder positiven Hervorheben des Türkischen durch pädagogische Professionelle und Kinder. Diese Komplexität und scheinbare Widersprüchlichkeit theoriegeleitet herauszuarbeiten ist das Ziel des vorliegenden Kapitels. Es hat folgende Leitfrage: Welche Arten des Umgangs mit verschiedenen Sprachen finden sich im Artefakt „Buch der Gruppe Blau“ und welche (teilweise artefaktbasierten) Praktiken des Umgangs mit verschiedenen Sprachen in der erforschten Kita209 gibt es? Aus diesen Fragen ergaben sich im Analyseprozess Unterfragen, von denen in jedem Abschnitt eine oder mehrere davon relevant werden: Welche Differenzkonstruktionen und Dichotomisierungen im Umgang mit Sprachen werden sichtbar? In welchen Fällen werden Sprachen gar nicht thematisiert? Welche Selbstpositionierungen und Fremdzuschreibungen in Hinblick auf Sprachen erscheinen in den Daten? 209

Da die während des Untersuchungszeitraums verpflichtende Praxis, einen Sprachtest für alle Vierjährigen durchzuführen, nicht während der Forschungszeitfenster stattfindet und ich darüber auch keine Dokumente angefordert habe, bleibt diese Form des Umgangs mit Sprachen hier unberücksichtigt. Für eine Studie, die solche Tests untersucht, siehe Diehm, Kuhn, Machold und Mai (2013).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Zettl, Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte, Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27031-5_5

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Wie werden Übergänge zwischen Familie und Kita in sprachbezogenen Praktiken sichtbar? Welche Diskurse resonieren in Praktiken im Umgang mit Sprachen? Wie kann anhand der vorliegenden Praktiken und Artefakte sowie übersituativ wirksamer Diskurse eine Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ dargestellt werden? Was die Darstellung der Ergebnisse angeht, sei eine Bemerkung vorweggeschickt. Im Feld wird angesichts der stadtteilspezifischen linguistischen Super-Diversität (vgl. Creese/Blackledge 2010) oft eine Komplexitätsreduktion im Umgang mit Sprachen vorgenommen, indem etwa eine familiäre Einsprachigkeit angenommen wird oder Migrantensprachen als „Türkisch“ subsumiert werden. Im Forschungsprozess geschieht ebenfalls, ungeplant analog zu den Vereinfachungen im Feld, eine Komplexitätsreduktion in Hinblick auf den Umgang mit Mehrsprachigkeit. Allein die Auswahl und Strukturierung der Daten sowie das Weglassen von Daten, die für die Forscherin und in Interpretationsgruppen aufgrund begrenzter Sprachenkenntnisse und akustisch wie inhaltlich schwer verständlicher Passagen teilweise unverständlich geblieben sind, reduzieren Komplexität. Diese Strukturanalogie im Umgang mit Mehrsprachigkeit im Feld und in der Forschung muss zumindest erwähnt werden, um den Selektionsprozess, an dessen Ende die hier gezeigten Daten stehen, zu verdeutlichen. Die folgenden Darstellungen versuchen jedoch zugleich die Strategie, die feldspezifische Komplexität so viel wie nötig im Sinne der Lesbarkeit und zugleich so wenig wie möglich zu reduzieren. Konstruktionen zu Deutsch und familiärer Mehrsprachigkeit Der folgende Abschnitt beschreibt eine zweifache Reduktion der migrationsbedingten linguistischen „Super-Diversität“ (Gogolin 2010: 531; Creese/Blackledge 2010) von Familiensprachen (vgl. Abschnitt 2.2.1) durch das administrative Artefakt „Buch der Gruppe Blau“. Zur Beschreibung des Artefakts Das „Buch der Gruppe Blau“ besteht aus einem Vordruck, der von den pädagogischen Professionellen teilweise ausgefüllt wurde. Sowohl in den (nicht direkt beobachteten) Praktiken des Ausfüllens als auch im Vordruck selbst zeigen sich

5.1 Konstruktionen zu Deutsch und familiärer Mehrsprachigkeit

133

diese Reduktionen von Super-Diversität. Erstens geschehen sie in einer Dichotomisierung von Deutsch als nicht eigens zu erwähnender Norm und nicht-deutschen Sprachen als Abweichung davon. Zweitens finden sie als Monolingualisierung statt, die sich im Ignorieren familiärer Mehrsprachigkeit durch die Vorgabe zeigt, eine „Muttersprache“ zu notieren. Im „Buch“ der „Gruppe Blau“ sind analog zu einem schulischen „Klassenbuch“ Daten zu den Kindern der Gruppe festgehalten210. Hier findet sich auf der Seite, die für die vorliegende Interpretation relevant ist, der Vordruck einer Zeile mit Überschriften für folgende Spalten (s. Abb. nächste Seite): Name; Vorname; Bekenntnis; Geburtstag; Geburtsort; Geschlecht; Staatsangehörigkeit; Muttersprache; Tag und Ort der 1. Aufnahme; Ärztl. Attest vom; Krankenversicherung.

Die Spalten „Geburtsort“, „Ort der 1. Aufnahme“, „Attest“ und „Krankenversicherung“ sind nicht ausgefüllt211 und damit von den pädagogischen Professionellen als nicht relevant markiert. Ausgefüllt sind jedoch die anderen Spalten (mit einigen noch zu erwähnenden Ausnahmen bei einzelnen Kindern). Die Spalte „Staatsangehörigkeit“ ist in fünfzehn Fällen mit „D“, einmal mit „T/D“ (für Türkisch/Deutsch), einmal mit „NL“, einmal mit „Bulgar.“, zweimal mit „Nigeria“, einmal mit „T“ ausgefüllt und einmal aus unbekannten Gründen leer gelassen. Neun der Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit haben laut „Buch“ eine andere als die deutsche „Muttersprache“. Insgesamt gibt es sechzehn Kinder mit anderen „Muttersprachen“ als Deutsch: Es ist neunmal „türk“, zweimal „Engl.“, je einmal „arab.“, „marok“, „alba“, „bosn.“ und „bulg.“ eingetragen. Sechs Kästchen sind nicht beschriftet. Diese sechs nicht beschrifteten Kästchen stehen für Kinder ohne ‚Migrationshintergrund‘, die zu Hause laut dieser Kennzeichnung Deutsch sprechen. In einem dieser leeren Kästchen befindet sich ein handschriftlicher waagerechter Strich. Dieser könnte darauf hindeuten, dass es hier keine vom Deutschen abweichende Sprache zum Eintragen gibt oder der auf das nebenstehende Kästchen „Staatsbürgerschaft“ verweist und analog zur deutschen Staatsbürgerschaft die deutsche Sprache als nicht eigens einzutragende bezeichnet.

210 Es wird von den pädagogischen Professionellen im Bücherregal im Gruppenraum außerhalb der Reichweite von Kindern verwahrt. - Im Sinne einer möglichst vollständigen Anonymisierung werden nur die Spalten „Staatsangehörigkeit“ und „Muttersprache“ abgedruckt. 211 Die Praktiken des Ausfüllens des Artefakts (vermutlich zur Anmeldung der Kinder zu Beginn des Kita-Jahrs) geschahen nicht während der Feldaufenthalte und wurden daher nicht dokumentiert; die einzige beobachtete Sequenz, in der das „Buch“ Bestandteil einer pädagogischen Praxis wurde, wird in 5.4.3-5.4.7 beschrieben.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Auszug aus dem „Buch“ der „Gruppe Blau“, Frühjahr 2011

5.1 Konstruktionen zu Deutsch und familiärer Mehrsprachigkeit

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Die leeren Kästchen bzw. das mit einem waagrechten Strich markierte Kästchen für die Rubrik „Sprache“ bezeichnen Kinder, denen Deutsch als einzige Familiensprache zugeschrieben wird. Sie zeigen, dass Deutsch von den pädagogischen Professionellen fast durchgehend als selbstverständlich vorausgesetzt wird und nicht deutsche Sprachen als Abweichungen gesondert gekennzeichnet werden. Solche Unterscheidungen, so schreiben Diehm und Radtke (1999: 81f.), sind „immer auch Kategorisierungen, an die soziale Bewertungen gebunden sind“. Diehm und Radtke (ebd.: 82) beschreiben in Rekurs auf Klinger (1995) in den Termini formaler Logik ungleichgewichtige Oppositionen als kontradiktorisch im Sinne eines „A versus Nicht-A-Zusammenhangs“. Sie zitieren Klinger (1995: 41): „Im Verhältnis A zu Nicht-A hat nur der erste Term eine positive Bestimmung, einen wie auch immer definierten Inhalt, während der zweite Term, wie die Bezeichnung Nicht-A es schon sagt, nur als Nicht-Sein, als Mangel, als Beraubung von A gesetzt ist“. Diese Konstellation, so Diehm und Radtke (1999: 82), bleibe auch dann in ihrer Bewertung von Differenz bestehen, wenn Nicht-A das Bezeichnete und A das Unbezeichnete sei. In dieser Denkfigur, auf die vorliegenden Daten übertragen, könnte man das leere Kästchen, das für „Deutsch“ steht, als das unbezeichnete „A“ sehen, die Eintragungen für eine nicht deutsche „Muttersprache“ wäre das als defizitär konnotierte „Nicht-A“. Dabei wird das Deutsche in diesem Artefakt nicht als Normalität im Sinne eines statistisch gesehen häufigsten Vorkommens innerhalb der Kindergruppe dargestellt. In diesem Fall dann müssten die Kästchen für Türkisch sprechende Kinder leer bleiben, da diese laut „Buch“ die häufigste Gruppe bilden. Vielmehr wird die im Artefakt durch Auslassung dargestellte „Muttersprache: Deutsch“ in der vorliegenden Arbeit als „Norm“ im Sinne von Kuhn und Diehm verstanden (2015: 126)212. Für Kuhn und Diehm ist (ebd.) „Norm“ implizit etwas als Regularität Gesehenes, von dem aus es zu bearbeitende Abweichungen gibt (vgl. auch Abschnitt 5.1.2 zu Diskursen, die im Artefakt resonieren und diese Deutung unterstützen). Innerhalb des Blocks der nicht deutschen „Muttersprachen“ zeigt sich möglicherweise noch eine Differenz: Die „Muttersprache“ „Engl.“ für zwei nigerianische Kinder ist als einzige der beschriebenen Familiensprachen in Großbuchstaben geschrieben, obwohl die Regeln der Groß- und Kleinschreibung von Sprachadjektiven für alle aufgezählten Sprachen dieselben sind213. Im nächsten Abschnitt wird versucht, diese Beobachtung zu deuten. 212

Kuhn und Diehm verwenden die Formulierung „mehrheitssprachliche[n] Norm“ in der Interpretation eines Gesprächs zwischen einer Mutter und einer Erzieherin. Die Erzieherin erläutert, dass ein zweisprachiges Kind in der vorschulischen Bildungsinstitution kein Türkisch sprechen wolle, da es sich geniere. Es wolle - so die Deutung der Erzieherinnenaussage durch Kuhn und Diehm - der „mehrheitssprachlichen Norm“ entsprechen. 213 Es ist nicht die Absicht der vorliegenden Arbeit, die Rechtschreibkompetenz der pädagogischen Professionellen zu kritisieren oder ihnen sprachdiskriminerende Intentionen zu unterstellen; vielmehr

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

In den vorangegangenen Absätzen wird die Dichotomisierung durch Administration in Bezug auf „Deutsch vs. Nicht-Deutsch“ beschrieben, möglicherweise mit der weiteren Dichotomie „Englisch vs. andere Sprachen“ innerhalb des „nichtDeutschen“. Eine Monolingualisierung durch Administration findet sich in der Dokumentation der nicht deutschen „Muttersprache“. Der Singular „Muttersprache“ in der Spalte regt nicht dazu an, familiäre Mehrsprachigkeit zu berücksichtigen. Der Begriff selbst legt nahe, dass nur eine „Muttersprache“ pro Kind existiert214. Ebenso wenig bietet der Vordruck Platz für eine zeitliche Dimensionierung von Mehrsprachigkeit durch mögliche Wechsel der in einer Familie gesprochenen Sprachen etwa durch Migration oder geänderte Familienverhältnisse215. Familiäre Mehrsprachigkeit, ob unter Einbezug des Deutschen oder verschiedener Migrationssprachen, wird ignoriert. Damit wird ein wichtiger Teil der Lebenswelt vieler Familien als nicht relevant markiert. Diskurse über Mehrsprachigkeit und das Artefakt „Buch der Gruppe Blau“ Im Vordruck des Artefakts „Buch der Gruppe Blau“ und seinem Ausfüllen durch pädagogische Professionelle resonieren Diskurse über Mehrsprachigkeit, die im Folgenden kurz aufgezeigt werden. Erstens sind es historisch gewachsene und das ganze deutsche Bildungssystem durchziehende Diskurse zu Monolingualität und Migration, die in der erziehungswissenschaftlichen Forschung bereits ausführlich dokumentiert wurden (vgl. Kapitel 2.2.2). Zweitens ist es ganz konkret ein Gesetzestext, der zur Dokumentation von Familiensprachen verpflichtet und damit eine unmittelbarere Wirkung auf das Artefakt „Buch“ hat als die zuerst genannten Diskurse. Wie oben beschrieben, sind die Kästchen dann freigelassen, wenn als Familiensprache eines Kindes Deutsch angegeben wird. Mit Bezug auf Diskurse über liegt das Erkenntnisinteresse hier, ganz im Sinne der Praxistheorie, darin, unabhängig von einzelnen Subjekten Praktiken, Diskurse und ihre Resonanzen zu beschreiben. 214 Diehm, Kuhn, Machold und Mai (2013: 651) beschreiben den Ergebnisbogen des Delfin4-Tests für vierjährige Kita-Kinder in Nordrhein-Westfalen, auf dem die „Familiensprache“ angegeben werden muss und die Rubrik die Auswahlmöglichkeit „Deutsch, Nicht-Deutsch und zweisprachig mit Deutsch“ bietet. Hier findet sich eine ähnliche Dichotomie Deutsch vs. Nicht-Deutsch wie in den beschriebenen Daten, allerdings mit der Differenzierungsmöglichkeit, dass familiäre Zweisprachigkeit (aber nur im Fall einer Zweisprachigkeit „mit Deutsch“) Berücksichtigung findet. 215 Beim Feldaufenthalt 2013 ist ein Junge in der „Gruppe Blau“, dessen Polnisch und Deutsch sprechende Mutter nach der Trennung von ihrem Polnisch sprechenden Mann mit dem Kind nur noch Deutsch spricht. Der Junge schweigt in der Kita fast durchgehend. Solche Verschiebungen im Sprachgefüge von Familien und ihre Auswirkungen auf die sprachlichen Fähigkeiten und Identitäten der Kinder sind bislang kaum erforscht.

5.1 Konstruktionen zu Deutsch und familiärer Mehrsprachigkeit

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Monolingualität und Migration interpretiert, können die freigelassenen Kästchen für das Deutsche als „Nicht-Markierung des Eigenen“216 (Kuhn 2013: 248 in Rekurs auf postkoloniale Theorien, vgl. auch Said 1978/2003) im Gegensatz zu den ausgefüllten Kästchen für weitere Familiensprachen gesehen werden. Dass dieses „Eigene“ eine für selbstverständlich gehaltene Norm darstellt, steht mit großer Wahrscheinlichkeit in Resonanz zu einem das gesamte deutsche Bildungssystem durchziehenden, historisch lange gewachsenen wirkmächtigen politischen Diskurs217 über Monolingualität. Die Grundlage ist hierbei die Nationalsprache Deutsch, die als Norm gesetzt wird und damit nicht-deutsche Familiensprachen als Abweichungen von der Norm deklariert (vgl. u.a. Gogolin 1994/2008, Martin 2008, Kuhn/Diehm 2015: 110f.). In dem zum Forschungszeitpunkt gültigen Gesetz des betreffenden Bundeslandes resoniert ebenfalls dieser Diskurs: Wenn von „Sprachförderung“ die Rede ist, bezieht sich dieser Ausdruck auf Kinder mit nicht altersgemäßen Deutschkenntnissen, für die sie verpflichtend vorgesehen ist. „Sprache“ wird so mit dem Deutschen als unsichtbarer Norm gleichgesetzt (vgl. auch Abschnitt 5.3.1)218. Die im vorigen Abschnitt erwähnte Hervorhebung des Englischen durch Grossbuchstaben dagegen könnte eine Resonanz in Diskursen haben, die Mehrsprachigkeit mit Englisch als bildungsaffiner Sprache, deren Beherrschung Vorteile in Schule und Arbeitswelt bringt, als Vorteil darstellen (vgl. Fürstenau/Gomolla 2011: 13). Diese Deutung wird auch durch die in den Abschnitten 5.5.3-5.5.5 sich verdichtenden Hinweise auf eine herausgehobene Stellung des Englischen unterstützt. Dass, wie im vorigen Abschnitt beschrieben, nur eine „Muttersprache“ in der Familie durch den Vordruck angenommen wird, hat ebenfalls Resonanzen in Diskursen über Sprachen. Im Gefolge der nationalstaatlichen Vorstellung von Einsprachigkeit als Regel wird nur eine Sprache pro Familie vorausgesetzt (vgl. Gogolin 2010: 536) und Mehrsprachigkeit als Ausnahme und Risiko betrachtet. In dem Artefakt „Buch der Gruppe Blau“ resonieren jedoch nicht nur diese Diskurse. Es bezieht sich auch ganz konkret auf ein zum Forschungszeitpunkt 216

Kuhn (ebd.) verwendet diese Formulierung in Anlehnung an postkoloniale Theorien u.a. von Castro Varela/Dhawan (2005) und Spivak (2008) sowie in Bezug auf die kulturanthropologische und ethnologische Repräsentationsdebatte von Berg/Fuchs (Hrsg.) (1993). Einen expliziten Bezug der hier beschriebenen Praktiken im Umgang mit Mehrsprachigkeit zu diesen Theorien herzustellen wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit. 217 Der Begriff „politischer Diskurs“ in Hinsicht auf Sprachenpolitik wird hier nach Seele (2015: 264) verwendet, die in Bezug auf Luxemburg konstatiert, es gebe einen Diskurs über Luxemburgisch als Sprache der Integration. 218 So schreibt das Kinderbildungsgesetz (KiBiz) des Landes Nordrhein-Westfalen (2007: 464) Kitas und Kindergärten explizit vor, nicht-deutsche Familiensprachen von Kindern in vorschulischen Bildungseinrichtungen zu statistischen Zwecken jährlich zu dokumentieren und weiterzugeben. Auch hier wird das Deutsche als das unmarkierte Eigene nicht weiter für erwähnenswert gehalten, die Abweichung davon wird dokumentiert.

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gültiges Landesgesetz, das wiederum mit den erwähnten Diskursen verknüpft ist. Gesetzestexte und andere Verwaltungsvorschriften sind auch als Diskurse anzusehen und beeinflussen, so argumentieren Vertreterinnen der institutional ethnography219, sehr wirkmächtig Praktiken auf der lokalen Ebene von Institutionen (vgl. zu Texten in Institutionen Smith 2002: 35, Nadai 2012: 151, Kuhn/Mai 2016). Laut Gesetz sind die Eltern verpflichtet, neben Namen, Vornamen, Geschlecht, Geburtsdatum, Namen und Anschriften der Eltern sowie Nationalität auch die „Familiensprache“ des Kindes anzugeben220. Die erhobenen Daten dürfen anonymisiert zu statistischen Zwecken sowie für Qualitätsentwicklungs- und sicherungsmaßnahmen an das Landesamt für Statistik, die oberste Landesjugendbehörde und den Kita-Träger weitergegeben werden und müssen ohne Anonymisierung im Rahmen der zum Forschungszeitpunkt verpflichtenden Sprachstandsuntersuchungen an das Schulamt weitergeleitet werden. Somit kann die gesetzlich vorgeschriebene Dokumentation der „Familiensprache“, die im Artefakt „Buch“ geschieht, auf verschiedenen Ebenen eine administrative Relevanz entfalten und möglicherweise auf die Bildungslaufbahn des Kindes Einfluss nehmen. Nach Diehm und Machold (2017: 311), die auf Weber rekurrieren, können hier „ethnisch codierte“, in diesem Fall auf Sprache bezogene, „Ordnungsverhältnisse“221 in der Institution Kita angenommen werden. Zwar sind der Begriff „Muttersprache“ im Vordruck und der Begriff „Familiensprache“ aus dem Gesetz nicht identisch222, es erscheint jedoch dieselbe Denkfigur familiärer Einsprachigkeit223. Familiäre Mehrsprachigkeit, ob unter Einbezug des Deutschen oder verschiedener Migrationssprachen, wird per Gesetz und

219 Eine ausführlichere Hinzuziehung der Theorien der Institutional Ethnography würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 220 Die gleich nach dem Namen stehende Spalte „Bekenntnis“ wird vom Gesetzgeber nicht verlangt, aber zeigt, dass der Vordruck von einem kirchlichen Träger stammt, für den Konfession bzw. Religion eine Klassifikationskategorie darstellt. 221 Weber geht von einem Ethnizitätsbegriff als Beobachterkategorie zweiter Ordnung aus, die Sprache einschließen kann (vgl. Weber 1956/2009: 237), 222 Über diese unterschiedlichen Begriffsverwendungen lassen sich nur Vermutungen anstellen; möglicherweise wirkt der Begriff „Familiensprache“ für den Gesetzgeber wissenschaftlicher und weniger emotional. Zur Verwendung der verschiedenen Begriffe vgl. auch Fürstenau 2011: 31f. 223 Eine ähnliche Dichotomisierung und Reduktion auf eine einzige Familiensprache im Rahmen von Schuleingangsdiagnostik beschreibt Kelle (2010b: 235). Im „S-ENS Entwicklungsstandsscreening“ wird folgendermaßen zur Kategorisierung aufgefordert: „Die Erfassung des Migrationshintergrunds erfolgt mit der Frage nach der Familiensprache des Kindes: ‚Welche Sprache wurde in den ersten vier Lebensjahren mit dem Kind überwiegend gesprochen?’ Dies ist ein Indikator für die Familiensprache des Kindes. Es gilt folgende Kategorisierung: 1= Deutsch, 2= andere Sprache. Optional können weitere Sprachen differenziert erhoben werden.“ (ebd.). Hier erscheint die Kategorie „andere Sprache“ sogar explizit.

5.1 Konstruktionen zu Deutsch und familiärer Mehrsprachigkeit

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im Vordruck ignoriert und damit ein wichtiger Teil der Lebenswelt vieler Familien als nicht relevant markiert. Zusammenfassend lässt sich sagen: Sowohl der Vordruck des Artefakts „Buch“ als auch seine Ausfüllung durch die pädagogischen Professionellen resonieren mit Diskursen, darunter ganz konkret einem Gesetzestext, zu Deutsch als Norm in pädagogischen Einrichtungen und der Annahme einer einzigen Familiensprache pro Kind. Dokumentierte „Muttersprachen“ im Artefakt „Buch“ im Vergleich zu Aussagen im Feld über die Familiensprachen der Kinder Beim Vergleich der Informationen aus dem Artefakt „Buch“ mit Aussagen von erwachsenen Feldteilnehmenden über die Familiensprachen der Kinder fällt auf, dass im Artefakt die familiäre Sprachenvielfalt teils stark reduziert erscheint. Praxistheoretisch gesprochen: Wird das Thema „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ als eine Praxis/Diskurs-Formation nach Reckwitz (2008) konzeptionalisiert, fallen Brüche innerhalb dieser Formation ins Auge. Im Folgenden werden anhand der Thematisierung der Sprachen einzelner Kinder diese Brüche dargelegt. Die Sprachenkenntnisse der Kinder sind aus der Perspektive von Eltern und pädagogischen Professionellen viel komplexer als im Artefakt dargestellt. Ein Kind, zu dem im „Buch“ die niederländische Staatsangehörigkeit und die Bezeichnung „türk“ für seine „Muttersprache“ vermerkt wird, wächst laut erwachsenen Feldteilnehmenden in seinem transnationalen Alltag viersprachig (Deutsch, Türkisch, Kroatisch, Niederländisch) auf224. Ein Kind, bei dem „bulg“ als „Muttersprache“ steht, spricht nach Angaben einer pädagogischen Professionellen Bulgarisch und Türkisch zu Hause. Es wird einmal ermahnt, in der Kita kein Türkisch zu sprechen (s. Abschnitt 5.2.1). Diese Angaben zeigen, dass pädagogischen Professionellen bewusst ist, dass familiär oft mehr als eine Sprache gesprochen wird. Dass im „Buch“ nur eine Sprache eingetragen wird, liegt also mehr an den monolingualisierenden Vorgaben des Artefakts als an den Kenntnissen der Fachkräfte. Welche Sprache aus einer Vielfalt an Familiensprachen offiziell angegeben wird, ist oft auch vom Prestige dieser Sprache abhängig. Es ist möglich, dass im tatsächlichen familiären Gebrauch noch weitere Sprachen erscheinen, die prestigeniedrig sind und daher seitens der Eltern nicht (vgl. Brizić 2007) oder nur kursorisch erwähnt werden bzw. von den Fachkräften nicht erfragt werden. Die zwei 224 Es hat nach Angaben des Vaters eine türkische Mutter und einen kroatisch sprechenden Vater, hat in den Niederlanden, wo es geboren wurde, etwas Niederländisch gelernt, spricht mit seinen Eltern Deutsch und die Familiensprachen der Eltern und fährt regelmäßig zurück in die Niederlande, wo es wieder dem Niederländischen begegnet.

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Kinder, die aus der mit der Nationalität „Nigeria“ und der Sprache „Engl.“ bezeichneten Familie stammen, verstehen nach Angaben einer pädagogischen Professionellen auch afrikanische Sprachen, die sie nicht weiter benennt. Hier zeigt sich der „bias“ zugunsten der prestigehohen Kolonial- und Bildungssprache Englisch, den die Forscherin im Feld reproduziert, als sie nicht genauer nachfragt, um welche „afrikanischen Sprachen“ es sich handelt und inwiefern diese im Familienalltag präsent sind (zur Geringschätzung afrikanischer Sprachen, die koloniale Unterscheidungen fortschreibt, vgl. Dirim/Knappik/Thoma 2018: 58ff.)225. Die Forscherin reproduziert im Feld unbewusst Diskurse zu Englisch als kolonialer Prestigesprache, der eine höhere Bedeutung beigemessen wird als prestigeniedrigen „afrikanischen Sprachen“. Hier zeigt sich die Wirkmächtigkeit dieser Diskurse im Feld. Ein weiteres Kind, dem im Vordruck das Kürzel „marok“ zugeordnet ist, hat Eltern, die mit ihren Kindern Deutsch und eine marokkanische Varietät des Arabischen sprechen226, die sie selbst als „Arabisch“ bezeichnen. Ob die Bezeichnung „marok“ eine ad-hoc-Bezeichnung der pädagogischen Professionellen angesichts des ‚Migrationshintergrunds‘ der Eltern ist? Die Dokumentation der tatsächlich in der Familie gesprochenen Sprachen wirkt in diesem Beispiel sekundär gegenüber der Anforderung des Artefakts, eine plausibel klingende „Familiensprache“ aufzuzeichnen. Im Fall dieses Kindes ist eine Dichotomisierung „Deutsch vs. NichtDeutsch“ zu beobachten. Trotz deutscher Staatsbürgerschaft und in Deutschland geborener Eltern wird dieser Enkel von Einwanderern, der Deutsch als eine von zwei Familiensprachen spricht, als „nicht-deutschsprechend“ konstruiert – eine Konstruktion, die Gesetz und Vordruck durch ihr implizites Interesse an der Dokumentation nicht deutscher Familiensprachen nahelegen. Bei einem weiteren Kind (vgl. Abschnitt 5.4.7) wird „alba“ für „Albanisch“ als „Muttersprache“ eingetragen, obwohl das Kind nach Angaben einer Familienangehörigen „nicht gut Albanisch“ könne und vermutlich zu Hause mehr Deutsch als Albanisch gesprochen wird. Hier kann von einer administrativen Monolingualisierung im Sinn einer Reduzierung familiärer Mehrsprachigkeit auf eine Sprache gesprochen werden, die durch die Praktiken der Professionellen nicht durchbrochen wird. Dass das Wissen der Professionellen nicht stärker im „Buch“ dokumentiert wird, könnte seinen Grund nicht nur im Vordruck haben, sondern in dem bereits erwähnten Gesetz, 225 Persönliche Erfahrungen zeigen, dass in vielsprachigen Migrationskonstellationen mit Kolonialsprachen und indigenen Minderheitensprachen oft die prestigeniedrigen Minderheitensprachen von Eltern gar nicht erwähnt und auch von pädagogischen Fachkräften nicht eruiert werden; vgl. auch Brizić 2007. 226 Dieses Translanguaging konnte ich als zeitweilige Babysitterin der Familie im Alltag erleben. Zugleich ist als Schriftsprache Hocharabisch in Texten im Familienalltag präsent.

5.2 Sprachenverbote von Türkisch und Englisch

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das Kindertagesstätten verpflichtet, die „Familiensprache“ des Kindes zu dokumentieren und an verschiedene administrative Stellen weiterzugeben. Angesichts dieser monolingualisierenden Vorgaben und der knappen für administrative Aufgaben zugeteilten Zeit wäre eine Praxis, verschiedene Familiensprachen zu dokumentieren und dafür den engen Rahmen des Vordrucks zu sprengen227, für die pädagogischen Professionellen vermutlich keine attraktive Handlungsoption. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Das Artefakt „Buch“ und seine Verwendung durch pädagogische Professionelle zeigt eine mehrfache administrative Vereinfachung im Alltag vorhandener linguistischer Super-Diversität. Zum einen geschieht sie in der Konstruktion einer Dichotomie „Deutsch/NichtDeutsch“, in der das Deutsche trotz einer in der Praxis vorhandenen Mehrheit als „Türkisch sprechend“ bezeichneter Kinder die selbstverständliche, nicht eigens zu markierende Norm darstellt. Zum anderen wird auch die Vielfalt der Familiensprachen der Kinder zu Administrationszwecken vereinfacht und damit eine Monolingualisierung hergestellt, zu der es in der administrativen Logik gar keine Abweichung gibt. Laut Gesetz, Vordruck und Einträgen durch die pädagogischen Professionellen existiert familiäre Mehrsprachigkeit als relevante Kategorie gar nicht. Ein Kind, das Deutsch und weitere Familiensprachen spricht, ist so von der Dichotomisierung Deutsch vs. Nicht- Deutsch und gleichzeitig von der Monolingualisierung familiärer Sprachenvielfalt betroffen: Es wird als nicht-deutsches und familiär einsprachiges Kind konstruiert. Nach dieser Analyse werden im Folgenden Praktiken im Umgang mit Sprachen im Feld durch pädagogische Professionelle, Kinder und die Forscherin dargestellt, die sich im Spannungsfeld zwischen dem Verbieten, Ignorieren, differenzsetzenden und wertschätzenden Thematisieren sowie dem Konstruieren von Sprachen und sprachlichen Zugehörigkeiten bewegen. In einer dieser Praktiken (vgl. die Abschnitte 5.4.6- 5.4.7) wird das in den letzten Abschnitten analysierte „Buch der Gruppe Blau“ wieder aufgegriffen und so situativ relevant gemacht. Sprachenverbote von Türkisch und Englisch Wie bereits im Abschnitt zur Beschreibung des Forschungsfelds erwähnt, hat die erforschte Institution zum Forschungszeitraum im Stadtviertel den Ruf, die einzige Kita des Viertels zu sein, in der darauf geachtet werde, dass Deutsch gesprochen wird. Hieraus ergeben sich folgende Fragen: Inwiefern zeigen sich in 227

In einem Fall wird trotz des Singulars „Staatsbürgerschaft“ eine doppelte Staatsbürgerschaft „T/D“ in die Zelle eingetragen; beim Eintrag verschiedener Familiensprachen, auch in Abkürzungen, dürften die kleinen Zellen jedoch an ihre Grenzen stoßen und aufwändige Änderungen der Tabellenstruktur erfordern.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Alltagspraktiken Sprachenverbote? Welche Sprachen sind davon betroffen und welche Konsequenzen zeigen die ausgesprochenen Sprachenverbote für die Praktiken von Kindern? Wie die in den Äußerungen über die Kita öfter erwähnte Monolingualisierung hergestellt wird, bleibt in pädagogischen Praktiken während des dreimonatigen Feldaufenthalts im Frühjahr und Frühsommer 2011 häufig unsichtbar. Ende September 2010, während der ersten Tage im Feld, wird das Thema häufiger angesprochen. Dies könnte daran liegen, dass während der Eingewöhnungsphase im frühen Herbst, die unmittelbar vor den in 5.2.1-5.2.3 beschriebenen Praktiken liegt, das Thema Deutschsprechen angesichts der neu hinzugekommenen Kinder mit unterschiedlichen Familiensprachen eine besondere Relevanz erhält. „Aber wir sprechen Deutsch“ Mehrfach erscheint in den Daten das Verbot, Türkisch zu sprechen. Dieses Türkischverbot wird auch von Feldteilnehmenden als Charakteristikum der Kita angesichts des türkisch geprägten Stadtteils am stärksten hervorgehoben228. In folgendem Datenbeispiel greift die pädagogische Professionelle Brigitte ein, als Ahmed und Orhan untereinander Türkisch sprechen229: An einem Tisch am Fenster wird von Zeynep 230(4), Azra (5), Orhan (4) und Ahmed (5) ein Spiel gespielt, das auf Farbunterschieden aufbaut. Ich höre: „Kannst du mir ein weißes…“ „Wie heißt die Farbe?“ Ahmed und Orhan sprechen eine Sprache untereinander, die ich als Türkisch interpretiere. Die pädagogische Professionelle

228 Längere Gespräche unter Kindern, die ich anderen Sprachen als Türkisch hätte zuordnen können, werden nie beobachtet, so dass sich das Sprachenverbot vor allem auf das Türkische bezieht. Zur Zeit des Forschungsaufenthalts gibt es außer mehreren Kindern, die jeweils Deutsch, Türkisch oder Englisch untereinander sprechen können, noch einen Jungen und ein Mädchen, die u.a. Albanisch sprechen, die aber in den Daten nie miteinander in Kontakt kommen. Die Albanischkenntnisse des Mädchens schätzt deren Mutter als gering ein. Zwei Arabisch sprechende Kinder, deren Familien aus der Türkei bzw. aus Marokko kommen, dürften sehr unterschiedliche Sprachvarietäten des Arabischen sprechen. 229 Leider sind weitere Kontexte nachträglich nicht mehr rekonstruierbar, etwa, ob es sich um eine gelenkte Sprachfördersituation handelt, in der Farben abgefragt werden. Inwieweit die pädagogische Professionelle schon länger am Spiel beteiligt ist und ob sich Orhan und Ahmed an die Ermahnung halten, wird nicht aufgezeichnet, da zum Zeitpunkt der Beobachtung zu Beginn des ersten Feldaufenthalts andere Aspekte im Fokus sind. 230 Da sich in der „Gruppe Blau“ Kinder im Alter von 2 bis 7 Jahren befinden, wird angesichts dieser sehr heterogenen Bandbreite an Altersstufen und damit auch an Entwicklungsstufen im Spracherwerb in den Daten in Klammern immer das ungefähre Alter der Kinder angegeben. Auf eine genaue Altersangabe in Monaten wird verzichtet, da diese Information für die Interpretation der vorliegenden Daten weniger relevant sein dürfte.

5.2 Sprachenverbote von Türkisch und Englisch

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Brigitte sagt: „Aber wir sprechen Deutsch. Aber der Orhan spricht Deutsch, der Ahmed kann auch Deutsch“. (29. 9. 10)

Alle am Tisch spielenden Kinder verstehen Türkisch; ihre sprachlichen Praktiken können als Translanguaging gedeutet werden (vgl. García 2009: 42ff.; Creese/Blackledge 2010: 565f.), das niemanden von den Mitspielenden ausschließt. Für die pädagogische Professionelle und die Feldforscherin, an die die Gesprächsbeiträge der Kinder nicht adressiert sind, ist das Gespräch nur teilweise verstehbar231. Hier könnte die Intervention der pädagogischen Professionellen erfolgt sein, um für sich das Verstehen zu sichern und sich mit dem „wir sprechen Deutsch“ auf Deutsch als von allen verstandene lingua franca232 berufen. Ähnlich beschreibt Thomauske (2017: 196ff.) in ihrer Analyse u.a. von Äußerungen von Erzieherinnen in Deutschland und Frankreich, dass Sprachenverbote in Kitas mit der Notwendigkeit gemeinsamen Verstehens begründet werden. Ein anderer Grund ist sicherlich die von einigen pädagogischen Professionellen erwähnte ungeschriebene Regel, in der Kita „St. Pankraz“ generell Deutsch zu sprechen. „Wir sprechen Deutsch“ verweist auf eine Gemeinschaftsnorm233, wobei das „Wir“ nicht deutlich macht, ob die pädagogische Professionelle, Orhan und Ahmed gemeint sind oder ob das „Wir“ die ganze Gruppe oder Institution, das deutsche Bildungssystem oder den Nationalstaat Deutschland einschließt. „Wir sprechen Deutsch“ bedeutet hier implizit einen Ausschluss anderer Sprachen, obwohl semantisch die Sätze auch die Deutung erlauben würden „Wir sind in der Lage, neben anderen Sprachen Deutsch zu sprechen“. Liest man diesen Satz im Kontext der anderen Praktiken der pädagogischen Professionellen, versteckt er in seiner allgemeingültigen Aussage einen Befehl. Die Aussage „Aber der Orhan spricht Deutsch, der Ahmed kann auch Deutsch“ lässt den Schluss zu: Beide können Deutsch sprechen, also sollen sie das auch untereinander tun. Die Sätze sind im Indikativ gehalten, nicht im Imperativ. Sie wirken ermutigend und betonen Fähigkeiten der Kinder, lassen aber keinen Raum für Dissens234. Umgekehrt könnte auch argumentiert werden: Wenn die 231 Hier zeigt sich die Begrenztheit der Perspektive der Forscherin, die den türkischen Teil des Gesprächs nicht versteht (vgl. Abschnitt 4.5.2). 232 Als lingua franca wird in der Soziolinguistik eine Sprache verstanden, die zur Verständigung gesprochen wird, wenn die Kommunikationspartner verschiedene Familiensprachen haben (vgl. Glück (Hg.) 2010: 400). 233 Neumann (2015: 32) schreibt in seiner Ethnographie von Luxemburger vorschulischen Bildungsinstitutionen, dass in den Einrichtungen, die monolingual Luxemburgisch durchzusetzen versuchen, häufige Ermahnungen an der Tagesordnung sind. Sowohl wenn Kinder zu pädagogischen Professionellen sprechen, als auch, wenn Kinder untereinander sprechen, ermahnen die pädagogischen Professionellen, Luxemburgisch zu sprechen. 234 Mit Dirim argumentiert wäre diese Äußerung neo-linguizistisch (vgl. Dirim 2010: 109). Bei der Interpretation dieser Passage im Vergleich zur vorigen ist Dirims Beschreibung von linguizistischen

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Deutschkompetenz der Kinder ein Bildungsziel ist, müssten Kinder, die nach Einschätzung der pädagogischen Professionellen schon Deutsch sprechen können, dies nicht ständig unter Beweis stellen. Diese Regelung wird jedoch nicht durchgehend eingehalten. Wenige Minuten später beobachte ich Azra und Zeynep, die im Freispiel untereinander Türkisch sprechen, in gleicher Weise Azra und Orhan, allerdings ohne sanktioniert zu werden. Hier kann nachträglich nicht festgestellt werden: Bemerken die pädagogischen Professionellen dieses Türkischsprechen nicht oder ignorieren sie es (vgl. Abschnitt 5.3.2)? An demselben Morgen sprechen auch Ahmed und Orhan nochmals untereinander Türkisch. Ob dies in Opposition zur pädagogischen Professionellen geschieht, ob sie deren Aufforderung vergessen haben oder noch nicht vollständig in der Lage sind, Sprachen voneinander zu trennen, kann nicht festgestellt werden. Daraufhin sagt die pädagogische Professionelle Brigitte: Ahmed, kannst du ein bisschen Deutsch mit dem Orhan sprechen, und nicht türkisch? (29. 9. 2010)

An dieser Stelle erscheint das Sprachverbot wiederum als nicht begründungspflichtig; „Deutsch“ wird in Opposition zu „Türkisch“ gesetzt. Es ist mit der Frageform und dem abschwächenden „ein bisschen“ höflicher formuliert als „Du musst Deutsch sprechen“ (vgl. zu dieser Formulierung 5.3.3). Wiederum wird „können“ verwendet (im letzten Beispiel hieß es „Der Ahmed kann auch und neo-linguizistischen Tendenzen (Dirim 2010) hilfreich. „Du musst Deutsch sprechen“ ist eine linguizistische Aufforderung, die eine Sprache explizit als einzig legitime darstellt und eine andere verbietet. „Aber wir sprechen Deutsch“ dagegen betont das Kollektiv, das die „Sprach-Anderen“ zu ihrem eigenen Wohl einschließt; statt expliziter Verbote werden indikativisch formulierte Gebote (Dirim 2010: 109: „Wir halten uns alle daran, Deutsch zu sprechen“) aufgestellt und die „sprachlich Anderen“ programmatisch explizit mit einbezogen, aber „durch eine bestimmte Sprachen ausschließenden Inklusion ihrer Dispositionen beraubt“ (Dirim 2010: 109). Dass sich in den Daten beides findet, linguizistische wie neolinguizistische Aufforderungen, reflektiert verschiedene Diskurse über Mehrsprachigkeit als Defizit, deren fast gleichzeitiges Auftreten auch die vielfältige Ausdifferenzierung dieser Diskurse und die enge Verwandtschaft linguizistischer und neolinguizistischer Tendenzen zeigt. Vgl. auch Steinbach (2017: 83), die ein Interview mit einer deutschen Grundschullehrerin analysiert, die Kurdisch verbietet. Auf den ersten Blick klinge das Verbot „eher nach einem freundlich-pädagogischen Hinweis als nach bestrafenden Sanktionen (…) und dennoch gehen machtvolle Ansprachen damit einher.“ Nach Lengyel (2018: 469) entstammen solche Sprachenverbote dem Sprachförderungsverständnis der 1980er und 1990er Jahre, in dem kompensatorisch ein möglichst rascher Erwerb des Deutschen im Fokus steht. Die Forderungen nach Verboten nicht-deutscher Sprachen auf Pausenhöfen in deutschen und österreichischen Schulen (vgl. Dirim/Khakpour 2018: 202; Dirim/Knappik/Thoma 2018: 61) dürften neben den hier genannten Argumenten noch eine weiteres suggerieren: die mögliche Bedrohung durch Migrant*innen, in diesem Fall durch „das illegitime Sprechen über eine Person, die diese Sprache nicht versteht“ (ebd.: 62). Diese Denkfigur wird anhand der Analyse eines österreichischen Wahlkampfplakats, das „Deutsch als Pausensprache“ (ebd.: 61) fordert, herausgearbeitet.

5.2 Sprachenverbote von Türkisch und Englisch

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Deutsch“), dieses Mal mit der möglichen Doppeldeutigkeit: „können“ im Sinn von „in der Lage sein, etwas zu tun“ und „können“ als höflichere Aufforderung im Sinn von „sollen“. Ein „Nein“ auf die Frage der Erzieherin ist in der Formulierung jedenfalls nicht vorgesehen. Wird in Betracht gezogen, dass die beiden Praktiken, in denen Ahmed und Orhan auf ihre Sprachverwendung angesprochen werden, an demselben Vormittag geschehen, ist nicht zu beobachten, dass wiederholtes Türkischsprechen strenger gerügt würde als einmaliges oder eine Sanktion für wiederholte Regelverstöße angedroht würde235. „Hallo Zeynep, Deutsch sprechen“ Ebenfalls in der Freispielzeit wird beobachtet: Zeynep (4) tanzt alleine mit halb geschlossenen Augen, dreht sich im Kreis und singt einen Kindervers in einer Sprache, die ich als Türkisch interpretiere. Ein Mädchen236 sagt zu Zeynep: „Hallo Zeynep, Deutsch sprechen!“ Zeynep tanzt und singt ungeachtet dieser Aufforderung weiter. (26. 9. 2010)

Die Aufforderung des Mädchens, Deutsch zu sprechen, wird nicht begründet und geschieht im Befehlston. Vermutlich kopiert das Mädchen hier eine Praxis der pädagogischen Professionellen. Wie später in Abschnitt 5.2.4 gezeigt wird, verwendet eine pädagogische Professionelle mit „Du musst Deutsch sprechen“ eine ähnlich unbegründete Aufforderung. Da Zeynep sich in ihrem Singen nicht an bestimmte Personen zu richten scheint, ist es auch nicht wahrscheinlich, dass das Deutsche aus Verständigungsgründen eingefordert wird. Zeynep reagiert nicht auf die Aufforderung. Nach Dirim (2010: 91) werden Praktiken des Sprachenverbots zur „Wahrung bzw. Herstellung einer sozialen Rangordnung“ verwendet. So ist die Wirkungslosigkeit dieser Aufforderung von Kind zu Kind vermutlich dadurch begründet, dass sich Zeynep sich von einem anderen Kind, dem gegenüber sie sich in der sozialen Rangordnung nicht als niedriger positioniert sieht, keine Vorschriften machen lässt. Diese Sequenz ist die einzige im Datenmaterial, in der Kinder untereinander das Deutschsprechen anmahnen. Sie zeigt insofern die Wirkmächtigkeit der pädagogischen Praxis des Spra-

235 Dirim (2010: 101) verweist als Beispiel für eine Sanktionsdrohung auf ein Schild an einer Schule in Nordrhein-Westfalen: „Treten 20 Cent, Spucken 30 Cent, Türkisch sprechen 50 Cent“. 236 Da es mein erster Vormittag im Feld ist, kenne ich noch nicht alle Namen und weiß daher auch das Alter des Mädchens nicht.

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chenverbietens, als sie von Kindern kopiert wird, aber auch ihre partielle Wirkungslosigkeit, indem der Aufforderung nicht nachgekommen wird237. „Du musst Deutsch sprechen“ Der folgende Abschnitt, der kurz vor der in 5.2.2 untersuchten Sequenz stattfindet, analysiert, wie ein Verbot des Englischsprechens im Kita-Alltag geschieht. Freispielzeit. Die Geschwister Gracelyn (4) und Debora (6) sitzen an einem Tisch, malen und unterhalten sich auf Englisch [eine ihrer Familiensprachen], ich höre „Look, they are“, ich stehe etwa zwei Meter weiter weg im Raum. Als ich sie anschaue, unterbrechen sie ihre Unterhaltung. Katrin, eine der pädagogischen Professionellen, sagt: „Du musst Deutsch sprechen.“ Sie malen weiter, singen und summen etwas, das ich nicht verstehe; Gracelyn sagt: „schwarz“ (vermutlich bezieht es sich auf eine Farbe, die sie braucht). (26. 9. 2010)

Als die Kinder bemerken, dass sie von mir beobachtet werden, verstummen sie, möglicherweise, weil sie mich noch nicht kennen und vielleicht auch eine Ermahnung von mir als einer weiteren Erwachsenen angesichts ihres Englischsprechens befürchten. Einem der Mädchen wird, obwohl es schon aufgehört hat zu sprechen, nun befohlen, Deutsch zu sprechen. Implizit dürften beide gemeint sein; vielleicht wird auch explizit die ältere als Sprachvorbild für die jüngere, neu in die Kita gekommene, adressiert238. Der Befehl wird nicht begründet oder durch „bitte“ oder ein Hilfsverb wie „kannst“ in eine höfliche Form gebracht und wirkt routinisiert. Die Norm, Deutsch zu sprechen, wird als bekannt vorausgesetzt. Diese Praxis scheint nicht ungewöhnlich für die Kinder zu sein, sie protestieren nicht oder versuchen die Anweisung zu ignorieren, sondern malen weiter. Gracelyn wechselt ins Deutsche. 237

Eine zu den hier dargestellten Praktiken völlig konträre Haltung einer Erzieherin in einer deutschen Kita beschreiben Kuhn und Diehm (2015: 125f.): Eine zweisprachige deutsch-türkische Erzieherin hebt positiv in einem Elterngespräch hervor, wie ein ebenfalls zweisprachiges Kind in der Kita nicht nur Türkisch spreche, sondern auch die Erzieherin dazu bringe, Türkisch zu sprechen. Zudem ermuntere sie ein anderes zweisprachiges Kind, das aufgefallen sei, weil es kein Türkisch sprechen wolle, zum Türkischsprechen. 238 Ob dieser Befehl seitens der pädagogischen Professionellen auf meine Aufmerksamkeit für die Kinder und meine ungewohnte Gegenwart als „Sprachexpertin“ zurückzuführen ist? Im Feld äußere ich mich weder zustimmend noch ablehnend zur Sprachenverwendung in der Kita. Möglicherweise versuchen die pädagogischen Professionellen zumindest anfangs, im vermeintlichen Sinn einer „Sprachexpertin“ zu handeln. Dagegen spricht, dass die Kinder dieses Familiensprachenverbot schon gewohnt zu sein scheinen.

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Ein pragmatisches Argument für die Durchsetzung des Deutschen, nämlich die Unverständlichkeit der Familiensprache für weitere Beteiligte und damit deren Ausschluss aus der Kommunikation, wäre hier nicht sinnvoll. Sowohl die Geschwister, die in dieser Sequenz ausschließlich untereinander kommunizieren, als auch die zuhörenden Erwachsenen dürften das Englische der Kinder verstehe239. Was Neumann (2015: 32) in Bezug auf Sprachpraktiken in vielen luxemburgischen Kitas beschreibt, gilt auch für dieses Beispiel. Nicht das gegenseitige Verstehen, das ohnehin gegeben ist, ist das Ziel der Monolingualisierung, sondern eine Durchsetzung von Einsprachigkeit als pädagogischem Prinzip. Diese entspricht Diskursen zu Mehrsprachigkeit, wie am Ende dieses Abschnitts gezeigt wird. Das oben diskutierte Beispiel stellt die einzige Sequenz im Datenmaterial dar, in der das Englischsprechen verboten wird, während das Türkischsprechen häufiger verboten wird. Dies ist möglicherweise auf die höhere Zahl an Türkisch sprechenden Kindern zurückzuführen. Es könnte aber auch angenommen werden, dass der Grund im niedrigeren Sprachenprestiges des Türkischen im Vergleich zum Englischen liegt. Ähnlich beobachtet Thomauske (2017: 289f.) eine Höherbewertung von „Hegemonialsprachen“ wie dem Englischen im Gegensatz zu prestigeniedrigeren Migrationssprachen in Äußerungen von Eltern von Kita-Kindern. Andere pädagogische Professionelle kommentieren es nicht, wenn von Kindern Englisch gesprochen wird, oder thematisieren es wertschätzend (vgl. Abschnitte 5.3.4 und 5.5.1). Zugleich handelt es sich hier nicht um ein Verbot der englischen Sprache an sich. Die englische Sprache ist an einigen Stellen in nicht pädagogisch bearbeiteten Artefakten in der Kita präsent, z.B. in mehrsprachigen Spielanleitungen oder als „Cars“-Aufdruck auf Kinder-T-Shirts. Zudem wird es auch von Kindern, die nicht Englisch als Erstsprache sprechen, gelegentlich verwendet, sowie auch von pädagogischen Professionellen (vgl. Abschnitte 5.4.4 und 5.5.3). An der hier analysierten Stelle handelt es sich um nur an Kinder mit 239 Im Falle von Geschwistern, die zu Hause untereinander eine andere Sprache sprechen als in der Kita verlangt, wird die Ungleichbehandlung von Kindern mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache besonders deutlich. Kuhn (2013: 217ff.) beschreibt, dass das Thema Familiensprachensprechen unter Geschwisterkindern in einer von ihr erforschten Kita unterschiedlich gehandhabt wird: Während Kinder mit Deutsch als Familiensprache problemlos in derselben Kindergruppe aufgenommen werden und somit untereinander in der Kita ihre Familiensprache sprechen konnten, wird ein Geschwisterpaar, das nicht Deutsch als Familiensprache spricht, getrennt in zwei Gruppen untergebracht mit dem Argument des besseren Deutschlernens. Der Wert der Vertrautheit mit dem Geschwisterkind und der Möglichkeit, gerade in der Eingewöhnungsphase die Familiensprache zu sprechen, wird hier geringer geschätzt als das pädagogische Ziel, Deutsch zu lernen. Eine ähnlich begründete Trennung von Geschwisterkindern habe ich in „St. Pankraz“ nicht erlebt; eine Ungleichbehandlung besteht allerdings darin, dass ein Geschwisterpaar mit Deutsch als Familiensprache in der Kita die Möglichkeit hatte, die vertraute Familiensprache untereinander in der Kita zu sprechen, während dies für Gracelyn und Debora zumindest in dieser Sequenz unterbunden wird.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Englisch als Familiensprache gerichtetes Verbot durch eine einzige pädagogische Professionelle, Englisch zu sprechen. Ein am selben Tag vom selben Kind gesungenes englisches Lied wird ebenfalls nicht verboten (zu einer Deutung dieses Befunds vgl. Abschnitt 5.3.4). Zusammenfassend stellt sich für alle beschriebenen Praktiken eine Frage: Theoretisch wären verschiedene Bearbeitungsweisen der feldspezifischen linguistischen Super-Diversität in pädagogischen Alltagspraktiken möglich. Wie könnte also zu erklären sein, dass eine der Reaktionen von pädagogischen Professionellen auf nicht-deutsche Familiensprachen, die Kinder in der Kita sprechen, ein Verbot des Sprechens dieser Sprachen ist? Diese Frage wird in Abschnitt 5.2.4 diskutiert. Zudem ist auffallend, dass ausschließlich das Sprechen nicht-deutscher Familiensprachen durch Kinder versucht wird zu verbieten. Das Sprechen dieser Sprachen durch Erwachsene (vgl. Abschnitt 5.3.3) wird nie angesprochen, ebenso wenig werden schriftbasierte Artefakte in diesen Sprachen verboten240 (vgl. Abschnitt 7.4). Sprachenverbote in Resonanz zu Diskursen Kindern das Sprechen nicht-deutscher Familiensprachen an Bildungsinstitutionen als Extremform von Monolingualisierung zu verbieten hat gut dokumentierte Parallelen an einigen deutschen Schulen (vgl. Martin 2008, Dirim 2010, Steinbach 2017). Ein solches Verbot gibt es laut Erzieher*innen und Eltern auch in deutschen Kindertagesstätten bzw. bestimmten Kontexten innerhalb dieser Kitas, wie Thomauske (2014: 92; 2017: 197ff.) beschreibt. Ein Sprachenverbot erstaunt umso mehr, als Kindertagesstätten, die qua Gesetz keinerlei Selektionsfunktion haben oder Leistungsmessungen vornehmen, eigentlich gelassen mit Heterogenität umgehen könnten (vgl. Diehm 2012: 54). Umso interessanter ist die Frage, welche Gründe es haben könnte, dass in „St. Pankraz“ diese Verbotspraktiken beobachtet werden können. Die Äußerungen von Feldteilnehmenden zu den Praktiken des Sprachenverbietens stehen nicht im Fokus dieser Arbeit. Interviews mit den beteiligten pädagogischen Professionellen wären Aufgabe einer eigenen Arbeit241. Es lassen sich 240 Diese sind zum Forschungszeitraum allerdings auch ohne explizites Verbot mit der Ausnahme eines zweisprachigen Bilderbuchs, mehrsprachiger Spielanleitungen (vgl. Abschnitte 5.4.3, 5.4.4 und 5.5.4) und englischer Aufschriften auf Kleidungsstücken kaum im Gruppenraum der „Gruppe Blau“ präsent, während an Erwachsene adressierte Broschüren zu Bildungsthemen in verschiedenen Migrationssprachen im Eingangsbereich der Kita ausliegen. 241 Hier sei auf Thomauske (2017) verwiesen, die u.a. Äußerungen von Erzieherinnen in Deutschland zu Mehrsprachigkeit in Kitas untersucht, die im Rahmen von Fokusgruppendiskussionen gewonnen wurden; Steinbach (2017) analysiert ein Interview mit einer Grundschullehrerin zu Mehrsprachigkeit.

5.2 Sprachenverbote von Türkisch und Englisch

149

aber Resonanzen zwischen den Praktiken des Sprachenverbietens in der Kita und weit verbreiteten und sich überkreuzenden Diskursen zu folgenden Themen aufzeigen: Dies sind erstens Diskurse zu migrationsbedingter Mehrsprachigkeit als Defizit, zweitens zu Türkisch als prestigeniedriger Sprache, drittens zu integrationsunwilligen bildungsfernen Migrantenfamilien, viertens dem Stigma des Stadtviertels als „Parallelgesellschaft“ und damit zusammenhängend fünftens zu einer Hervorhebung von Bildungsinstitutionen als „Inseln“ im Stadtviertel (zum Verhältnis von Praktiken und Diskursen242 vgl. Abschnitt 3.1.2243). Erstens könnten Diskurse über Mehrsprachigkeit als Defizit im Vergleich zur Norm des Deutschsprechens, die historisch verwurzelt und immer noch wirkmächtig sind (vgl. Gogolin 1994/2008, Steinbach 2017: 76f.), zu einem Sprachenverbot geführt haben, besonders das verbreitete „Überforderungsargument“, die Vorstellung (vgl. Dirim 2010: 96 und Thomauske 2017: 286f.), der Gebrauch einer Sprache verdränge die Möglichkeit, eine andere Sprache zu lernen244. Die verbreitete Idee, Sprachförderung als Deutschförderung zu konzipieren und migrationsbedingte individuelle Defizite im Zug eines „Neo-Assimilationismus“ (vgl. Fürstenau/Gomolla 2011: 14f.) kompensieren zu wollen, könnte ebenfalls in extremer Ausprägung zu einem Sprachenverbot führen. Eine Denkfigur, etwas sei defizitär, könnte dazu einladen, dieses Defizitäre einfach zu verbieten in der Hoffnung, es möge verschwinden. Zweitens ist es auffällig, auch wenn die vorliegenden Daten keine statistische Repräsentativität beanspruchen, dass das Türkischverbot häufiger in den Daten erscheint und auch von Feldteilnehmenden häufiger thematisiert wird als das nur einmalig erscheinende Englischverbot. Ob Sprachenverbote auch so häufig wären, wenn alle mehrsprachigen Kinder Deutsch und Englisch sprächen245? Hier könnte Auch die quantitative Studie von Kratzmann, Jahreiß, Ertanir, Frank und Sachse (2017) zu Einstellungen und Wissen von pädagogischen Professionellen zu Mehrsprachigkeit - in schriftlicher Befragung erhoben - und ihren Korrelationen mit pädagogischer Performanz (s. Abschnitt 2.2.4) liefert aufschlussreiche Erkenntnisse. 242 Hiermit soll ausdrücklich nicht von einem Kausalverhältnis zwischen Diskursen und Praktiken die Rede sein, sondern eher von angedeuteten Parallelen zwischen Diskursen und Praktiken, die wiederum innerhalb der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in Kindertagessttätten“ in Widerspruch zu anderen Diskursen und Praktiken stehen. 243 In Bezug auf Sprachen sei Seele erwähnt (2015: 265), die praxistheoretisch argumentiert, warum sie Diskurse mit einbezieht: „monolingual agendas are language practices as well“. 244 Dieses Überforderungsargument wird laut Gogolin, Krüger-Potratz und Neumann (2005: 4ff.) nur bei prestigeniedrigen Sprachen verwendet. In den vorliegenden Daten wird jedoch einmal auch Englisch verboten, das im Feld und außerhalb des Feldes als prestigehoch gilt. Die Gründe hierfür sind im Rahmen der vorliegenden Studie nicht erklärbar. 245 Steinbach (2017: 83) berichtet in ihrer Analyse eines Interviews mit einer deutschen Grundschullehrerin ebenfalls, dass diese zwischen dem Englischen als bereichernder Sprache und dem Kurdischen als zu verbietender Sprache unterscheidet; allerdings bezieht sie sich auf das Englische als schulische Fremdsprache.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

nicht nur die Anzahl der Türkisch sprechenden Kinder relevant sein, sondern auch Diskurse über Türkisch als prestigeniedrige Sprache, die von einigen bildungsinteressierten türkischen Eltern im Feld übernommen werden, die das Türkischverbot in der Kita befürworten. Auch Thomauske (2014: 95) berichtet über einzelne Türkisch sprechende Eltern in Deutschland, die in Fokusgruppendiskussionen Türkischverbote befürworten246. Drittens überschneidet sich generell die diskursive Darstellung eines Defizits in der deutschen Sprache auch mit den Topoi Bildungsferne, Armut, Kriminalität und „Kulturkonflikten“ von Kindern ‚mit Migrationshintergrund‘ (vgl. Diehm/Radtke 1999: 58; Skutnabb-Kangas 1999: 45; zu essentialistischen Kulturalisierungen und Defizitkonstruktionen von Kindern ‚mit Migrationshintergrund‘ allgemein vgl. auch Diehm 2012: 60f., 64). Schon in der frühen Kindheit werden Kinder aus Familien ‚mit Migrationshintergrund‘ oft pauschalisierend als defizitär und förderbedürftig gesehen (vgl. ebd.: 59; zu negativen Stereotypen über diese Familien allgemein vgl. Westphal 2018: 161)247, was eine Wertschätzung des familiär Mitgebrachten dieser Kinder, wie etwa der Familiensprache(n), erschwert. Die oben genannten Topoi werden viertens im Fall von „x-berg“ zusätzlich verstärkt in Diskursen über das Stadtviertel, die im Gefolge medienwirksamer Politiker*innenbesuche verbreitet und in sozialen Netzwerken gepflegt werden. Das Stigma des Stadtviertels als „Parallelgesellschaft“ und Negativbeispiel für gescheiterte Integration (vgl. Thomauske 2017: 141ff. zu Diskursen über Parallelgesellschaften) ist auch zum Forschungszeitpunkt mit der wahrgenommenen Dominanz des Türkischen im öffentlichen Raum verknüpft. Das Stereotyp, Türkisch sprechende Familien in ethnisch segregierten Wohnvierteln seien besonders integrationsunwillig und ihre Kinder hätten aus diesem Grund mangelnde Deutschkenntnisse, könnte hier auch zum Tragen kommen (vgl. Gomolla/Radtke 2009: 183 ff., die diese Argumentationsfigur in Interviews mit Lehrpersonen herausarbeiten). Mit diesem Stigma ebenso wie mit Diskursen zu kompensatorischer früher Förderung verknüpft ist ein fünfter Diskursstrang248: In der diskursiven Konstruk246

Zum niedrigen Sprachenprestige des Türkischen in Deutschland vgl. Rothe und Plewnia (2012). Dies kann zusammen mit dem unbewiesenen, aber populären Argument „je früher, desto besser“ (Diehm 2012: 58) einen beträchtlichen „Förderdruck“ auf die pädagogischen Professionellen ausüben, deren Aufgabe als Deutschförderkräfte bildungspolitisch und medial an Gewicht gewonnen hat. Diese erscheint nahezu unlösbar, wenn die zu fördernde Klientel die erwünschten Deutschkenntnisse nicht ausreichend aufweist. 248 Vgl. auch die Überlegungen von Schroeder (2002: 19 ff., vgl. Kapitel 4.4.1) zu „Bildungsräumen“ als Produkten materieller Bedingungen, sozialer Interaktionsprozesse, diskursiver Markierungen und raumbezogener Stigmatisierungen. Die Bedeutung der Kategorie „herausforderndes Stadtviertel“ für frühpädagogische Professionelle zeigen auch die von Betz und Bischoff (2017: 108ff.) analysierten Interviews; es zeigt sich eine abwertende und z.T. defizitkompensierende Haltung der interviewten Pädagoginnen gegenüber den beschriebenen Quartieren und ihren Familien. 247

5.3 Nicht-Sprechen über Deutsch, Türkisch und Englisch

151

tion der Bildungsaufträge von Institutionen in „X-Siedlung“ durch Feldteilnehmende wird von einer „Insel“ im stigmatisierten Stadtviertel gesprochen249. Diese „Insel“-Metaphorik, die eine diskursive Abgrenzung zum Stadtviertel beschreibt (dem wilden „Meer“ der „X-Siedlung“), könnte ein Sprachenverbot begünstigen, indem metaphorisch gesprochen zum Schutz der Inselbewohner ein Damm durch ein Sprachenverbot gebaut wird. Zusammenfassend kann gesagt werden: Vermutlich ist es eine Kombination aus allen diesen genannten miteinander verflochtenen Diskurssträngen, die ein Verbot des Sprechens von Familiensprachen durch Kita-Kinder begünstigt. Diskurse über Überforderung durch Mehrsprachigkeit, das niedrige Sprachenprestige von Türkisch, Diskurse über Migrantenkinder als defizitär, das Stigma des Stadtviertels und das Bild von Bildungsinstitutionen dort als „Inseln“, dazu der mediale und politische Druck zur Förderung durch Defizitkompensation, der auf den pädagogischen Professionellen lastet, können zu Praktiken des Sprachenverbots beitragen. Sie determinieren jedoch keineswegs diese Praktiken, vielmehr bleibt den pädagogischen Professionellen ein Handlungsspielraum; dies zeigt sich auch darin, dass die Praktiken des Sprachenverbietens von Erzieherin zu Erzieherin unterschiedlich häufig sind. Nachdem in diesem Unterkapitel Praktiken des Sprachenverbietens und dazu resonierende Diskurse untersucht wurden, wird in den nächsten Abschnitten analysiert, wann über die Verwendung von Familiensprachen nicht gesprochen wird. Nicht-Sprechen über Deutsch, Türkisch und Englisch Neben den bereits erwähnten Sprachenverboten und den in 5.4 und 5.5 beschriebenen Praktiken des Thematisierens von im Feld verwendeten Sprachen wird in vielen Sequenzen über die Verwendung von Sprachen im Feld nicht gesprochen. Das Nicht-Sprechen wird im Folgenden nach Sandermann (2015) konzeptionalisiert. Sandermann befasst sich mit der Unterscheidung zwischen Nicht-Sprechen und Schweigen und betont, dass „Schweigen“ bereits ein interpretativer Begriff ist und empirisch nur „Nicht-Sprechen“ beobachtbar ist (ebd.: 309f.). Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass dieses „Nicht-Sprechen“ empirisch „nur beobachtbar [ist] in Situationen, in denen Sprechen oder Schreiben im Zuge der Beobachtung für möglich gehalten, wenn nicht sogar erwartet wird“ (ebd.). 249 Kuhn und Neumann (2017: 285) beschreiben in ihrer Interviewstudie mit einer Schweizer KitaLeiterin, die Kita werde „als ein sprachpraktischer Gegenort zum umgebenden Sozialraum“ inszeniert, eine Denkfigur, die im Gegensatz zu einer sozialraumorientierten Pädagogik stehe. Dies bezieht sich auf die Deutsch förderrnde Sprachenpolitik der Kita in einer zweisprachig deutsch-französischen Region; das Zitat könnte jedoch auch auf die hier beschriebene „Insel“-Metaphorik zutreffen.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita Nicht-Sprechen über das Deutschsprechen

Im gesamten Datenmaterial wird es weder in Gesprächen zwischen pädagogischen Professionellen und Kindern noch zwischen Kindern untereinander kommentiert, wenn in der Kita gerade Deutsch gesprochen wird. Zwar gibt es (vgl. Abschnitt 5.2.1-5.2.3) Aufforderungen, Deutsch zu sprechen, wenn Kinder jedoch nach dieser Aufforderung ins Deutsche wechseln, wird die Tatsache, dass sie jetzt Deutsch sprechen, ihnen gegenüber nie angesprochen250, ebenso wenig bei monolingual deutschen Kindern251. Deutschsprechen ist die unsichtbare Norm252, ähnlich wie im Artefakt „Buch der Gruppe Blau“ die leeren Kästchen unter der Rubrik „Muttersprache“ für Deutsch sprechende Kinder stehen. Bei Türkisch und Englisch, neben Deutsch den häufigsten im Feld vorkommenden Sprachen, gibt es dagegen unterschiedliche Reaktionen seitens der pädagogischen Professionellen: Verbieten, Nicht-Sprechen über die Verwendung dieser Sprachen (wie im folgenden Abschnitt dargestellt) und Thematisieren. Dass das Deutschsprechen von Kindern in den Daten gar nie kommentiert wird, könnte mit den bereits in 2.2.2 erwähnten Diskursen über Deutsch als für „natürlich“ gehaltene Norm zusammenhängen (vgl. Thomauske 2017: 59ff.) und findet eine Parallele in den leer gelassenen Kästchen im Artefakt „Buch“. Das Nichtvorhandensein von diskursiven Praktiken, die das Deutschsprechen kommentieren, in Resonanz zu einem Diskurs darzustellen, mag erklärungsbedürftig sein. Da dieser Diskurs aber vom Deutschen als etwas „Natürlichem“ ausgeht, das oft nicht eigens erwähnt wird - häufig werden nur die Abweichungen von dieser Norm als defizitär thematisiert - wird hier der Versuch unternommen, auch anhand dieses NichtSprechens Anteile einer Praxis/Diskurs-Formation aufzuzeigen. Diese Leerstelle 250

In Gesprächen von erwachsenen Feldteilnehmenden untereinander werden dagegen öfter die Deutschkenntnisse von Kindern, die Deutsch nicht als Familiensprache sprechen, miteinander verglichen und wahrgenommene Stärken und Defizite dieser Kinder besprochen. Diese Gespräche sind jedoch nicht Gegenstand dieser Arbeit. 251 Sandermann (2015: 309f.) schreibt, dass man Nicht-Sprechen erst feststellen könne, wenn es während des Beobachtens auffällt bzw. wenn während des Beobachtens ein Sprechen erwartet würde. Das Nicht-Sprechen über das Deutsche hingegen wurde für die Forscherin erst während der Dateninterpretation sichtbar. Dennoch soll der Begriff des Nicht-Sprechens hier verwendet werden, da der Kontrast des Nicht-Sprechens über das Deutsche zum Thematisieren anderer Sprachen im Datenmaterial sehr auffallend ist. 252 Eine Analogie hierzu findet sich in einer von Seele (2015: 265) beschriebenen luxemburgischen vorschulischen Bildungseinrichtung, allerdings in Bezug auf Berichte über Sprachförderung: Hier wird nie spezifiziert, dass es sich bei der zu fördernden Sprache um Luxemburgisch handelt, auch in Interviews sehen Erzieherinnen die Tatsache, dass es sich um Luxemburgisch handelt, als selbstverständlich an. Allerdings ist im offiziell dreisprachigen Luxemburg die Sprachenpolitik schwer vergleichbar mit dem offiziell monolingualen Deutschland.

5.3 Nicht-Sprechen über Deutsch, Türkisch und Englisch

153

im Diskurs kann dabei analog zu den leer gelassenen Kästchen im „Buch“ der „Gruppe Blau“ gesehen werden. Während über das Verwenden des Deutschen durchgehend nicht gesprochen wird, gibt es im Fall von nicht deutschen Sprachen mehrere mögliche Praktiken im Feld: Verbieten, Kommentieren, Elizitieren oder Nicht-Sprechen über sie. Drei Fälle dieses Nicht-Sprechens über nicht deutsche Sprachen werden im Folgenden vorgestellt. Nicht-Sprechen über das Türkischsprechen253 von Kindern Am ersten Tag im Feld, also fast zeitgleich zu einigen der in 5.2.1- 5.2.3 beschriebenen Sprachenverbote, wird Folgendes beobachtet: Azra und Zeynep sitzen an einem Mal- und Basteltisch am Fenster neben mir, sprechen Türkisch und malen zusammen etwas, das ich als Rakete interpretiere. Beide malen wortlos nebeneinander, dann sprechen sie wieder ab und zu Türkisch, kommentieren vermutlich, was sie tun, und malen immer noch konzentriert. Auch mit dem vorbeikommenden Orhan redet Azra auf Türkisch. Azra und Zeynep kommentieren wieder - so interpretiere ich es - auf Türkisch ihre Bilder, die pädagogische Professionelle Brigitte sitzt hinter den Kindern und redet mit der Sprachförderkraft, ohne auf das Türkischsprechen zu reagieren. (…254) Brigitte fragt Zeynep: „Was ist das, was du malst?“ „Ein Pferd“255. (26.9. 2010)

Anders als in den im vorigen Abschnitt interpretierten Sequenzen wird hier das Türkische seitens der pädagogischen Professionellen nicht verboten, sie spricht die Kinder auf Deutsch an, ohne auf das Türkische, das die Kinder untereinander sprechen, zu reagieren. Warum dies so ist, wird aus der vorliegenden Sequenz selbst nicht ersichtlich. Bekommt sie es nicht mit oder ignoriert sie es? Das NichtSprechen kann verschiedene Gründe haben, die die auf teilnehmender Beobachtung basierenden Daten nicht abschließend klären können, da in der Datenschutzvereinbarung zur Forschung in der Kita explizit nicht einzelne pädagogische 253 „Türkisch“ fungiert hier und im folgenden Abschnitt als von der Beobachterin behelfsmäßig verwendete Kategorie, nicht als präzise Sprachbezeichnung, da die Ethnographin selbst kein Türkisch spricht. Vgl. Kuhn (2013: 167), die eine von einem Kind in der Kita gesprochene Sprache „nachträglich und behelfsmäßig“ als „Urdu“ klassifiziert. 254 Durch das Auslassungszeichen wird hier ein kurzes Gespräch zwischen der pädagogischen Professionellen und der Sprachförderkraft markiert, das laut den Datenschutzvereinbarungen nicht veröffentlicht wird. 255 Diese sehr unterschiedlichen Deutungen des Gemalten, „Rakete“ (die Feldforscherin) vs. „Pferd“ (die Malende) zeigen, wie weit Interpretationen durch Forschung und Selbstauskünfte von Feldteilnehmenden auseinanderklaffen können.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Professionelle in den Fokus gerückt werden. Auffallend ist jedoch, dass hier wiederum ein Handlungsspielraum der pädagogischen Professionellen deutlich wird, innerhalb dessen sie Sprachen verbieten, ignorieren oder (wie in den Abschnitten 5.4.3 und 5.4.4) positiv herausheben. Dieser Spielraum ist nicht selbstverständlich; im Fall von körperlichen Auseinandersetzungen unter den Kindern greifen die Fachkräfte im Feld in jedem einzelnen beobachteten Fall mit bemerkenswerter Konsequenz ein. Als Muster zieht sich durch die Daten, dass einige pädagogische Professionelle das Sprachenverbot häufiger aussprechen als andere bzw. dass es bei einigen pädagogischen Professionellen in den Daten gar nicht vorkommt. Dass das Sprechen von Erstsprachen weniger konsequent unterbunden wird und es auch zahlreiche Praktiken des Ignorierens oder (vgl. Abschnitt 5.4.4) wertschätzenden Heraushebens von Erstsprachen gibt, kann seine Gründe in einem Spannungsfeld haben, das nach Maeder, Brüggen und Kosorok Labhart (2010: 20) so definiert wird: „Der Begriff Spannungsfeld bezeichnet widersprüchliche Erwartungen und Normen“, die [in einem bestimmten pädagogischen Setting, E. Zettl] „zum Tragen kommen“. In den folgenden Abschnitten wird dieses Spannungsfeld herausgearbeitet. Zur vertieften Interpretation der Sequenz kann eine bereits im Kapitel zum Forschungsfeld erwähnte Kontextinformation hilfreich sein256: Die hier anwesende pädagogische Professionelle duldet nach eigenen Aussagen nicht-deutsche Familiensprachen, wenn die Kinder neu in der Kita sind. Laut „Buch“ sind Azra und Zeynep erst seit knapp zwei bzw. seit fast einem Monat in der Kita, so dass die von der betreffenden pädagogischen Professionellen erwähnte Faustregel „während der Eingewöhnung257 noch keine Sprachenverbote“ ein neues Licht auf die Sequenz werfen könnte. Eine ähnliche Beobachtung findet sich bei Thomauske (2014: 96), die Äußerungen von Erzieherinnen wiedergibt, dass bei neu angekommenen Kindern das Verwenden von Familiensprachen im Sinn eines Übergangs von der Familie zur Kita begrüßt werde. Eine ethnographische Studie von Jäger, Biffi und Halfhide (2006) in Schweizer Kindergärten hilft, eine weitere Dimension dieser Sequenz herauszuarbeiten. Die Forscherinnen beschreiben performativitätstheoretisch, wie Kinder, die in den Kindergarten gehen, in Familie und Kindergarten zwei unterschiedliche „Sozialisationskontexte“ erleben, die sich „bezüglich ihrer Anforderungen, Möglichkeiten und Ziele“ unterscheiden (ebd.: 16). Die Frage nach der performativen 256 Normalerweise werden in dieser Arbeit keine Äußerungen von pädagogischen Professionellen veröffentlicht; an dieser Stelle ist es jedoch notwendig, um diese Praxis verständlich zu machen. 257 Ob die Phase der „Eingewöhnung“ bzw. des „Neu-Seins“ für die Feldteilnehmenden eine klare zeitliche Grenze hat und wie diese ggfs. gezogen wird, ist nicht Thema meiner Forschung. In Literatur zu Eingewöhnung wird von Phasen gesprochen, die mehrere Monate dauern können (vgl. Griebel/Niesel 2013: 101f.).

5.3 Nicht-Sprechen über Deutsch, Türkisch und Englisch

155

„Inszenierung von Übergängen“ zwischen Familie und Kindergarten (ebd.), die Jäger, Biffi und Halfhide aufwerfen, kann in Bezug auf die vorliegende Passage so beantwortet werden: Am Anfang der Kindergartenlaufbahn werden die Sozialisationskontexte Familie und Kindergarten von pädagogischen Professionellen noch nicht so stark getrennt inszeniert, daher wird die Familiensprache Türkisch anfangs noch nicht verboten, um mit ihrer Hilfe für das Kind eine Verbindung258 zwischen den Sozialisationsorten Familie und Kindergarten und den Positionierungen „Familienkind“ und „Kindergartenkind“ aufrechtzuerhalten (vgl. auch Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 83). In Bezug auf den deutschen Kontext kann argumentiert werden: Anders als in Schweizer Kindergärten, die strukturell dem Schulsystem zugeordnet sind und möglicherweise dadurch eine stärkere performative Trennung zur Familie erfordern, sind deutsche Kindergärten und Kindertagesstätten laut Kinder- und Jugendhilfegesetz, anders als die Schule, der Kinder- und Jugendhilfe zugeordnet und als familienergänzend konzipiert (vgl. Diehm 2012: 55). Laut §22.2 SGB VIII sollen Tageseinrichtungen für Kinder „die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen“259. Diese Konzeption könnte eine größere Flexibilität ermöglichen, die einen fließenderen Übergang Familie-Kita im Sinn eines Anschlusses an familiäre Sprachpraktiken erlauben und damit ein Sprachenverbot unnötig machen könnte. Allerdings, nimmt man den Wunsch einiger türkischer Eltern nach einem Türkischverbot in der Kita ernst, könnte eine Unterstützung der Wünsche der Eltern auch eben in einer stärkeren sprachlichen Trennung zwischen Kita und Familie und somit einem Sprachenverbot resultieren. Hier zeigt sich ein schwer aufzulösendes Spannungsfeld. Was soeben performativitätstheoretisch interpretiert wurde, kann ebenso als Praxis/Diskurs-Formation zum Thema „Eingewöhnung von Kita-Kindern“ gelesen werden. Sowohl in Aussagen von Feldteilnehmenden über die Eingewöhnungszeit als auch im Leitbild der Kita260 wird diese Zeit herausgehoben und als geprägt von besonderen pädagogischen Bemühungen beschrieben; diese Diskurse finden ihre Entsprechung in zahlreichen Fachartikeln und Handbüchern für pädagogische Fachkräfte zur Transition Familie-Kita261 (vgl. z.B. Griebel/Niesel 2013, Niesel/Griebel 2013, Roßbach/Kluczniok 2013). Gemeinsam haben alle diese Diskurse innerhalb der Praxis/Diskurs-Formation „Eingewöhnung von Kita258 Parallel zum Nicht-Verbieten des Türkischen für Kinder, die neu in der Kita sind, könnte man Eingewöhnungsrituale mit Übergangsobjekten für jüngere Kinder sehen wie die Märchen-CD eines zweijährigen Jungen, der diese immer am Beginn seiner Zeit in der Kita hören darf. 259 http://www.sozialgesetzbuch-sgb.de/sgbviii/22.html, Abfrage 21.11. 2018. 260 Das Leitbild wurde allerdings erst nach dem Feldaufenthalt veröffentlicht. 261 Es ist davon auszugehen, dass jede vorschulische Bildungseinrichtung über - wenn auch heterogene - Praktiken zur Gestaltung der Transition von der Familie zur Institution verfügt (vgl. Griebel/Niesel 2013a: 104).

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Kindern“, dass sie von über Wochen und Monaten gehenden schrittweisen Übergängen (Griebel/Niesel 2013: 95: „prozesshaftes Geschehen“) des Kindes in die Institution ausgehen. Dieses wird teils in deskriptiven Phasenmodellen mit flexiblen Zeitangaben operationalisiert (vgl. z.B. Griebel/Niesel 2013a: 99ff., 107). Dass die Kinder für die Institution „problematische Verhaltensweisen“ ablegen, wird dabei ebenfalls als längerer Prozess gesehen (vgl. ebd.: 107). Die Äußerung der pädagogischen Fachkraft, in der Eingewöhnungszeit keine Familiensprachen zu verbieten, kann man somit an der Schnittstelle zweier Praxis/Diskurs-Formationen angesiedelt sehen: der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ und der Praxis/Diskurs-Formation „Eingewöhnung von Kindern in Kitas“262. Hier sind jedoch auch Brüche innerhalb dieser Formationen zu beobachten: Während die pädagogische Professionelle Brigitte in der oben beschriebenen Sequenz nicht eingreift, wenn neu hinzugekommene Kinder Türkisch sprechen, interveniert am selben Vormittag die pädagogische Professionelle Katrin im Fall der Englisch sprechenden, ebenfalls neu in die Gruppe gekommenen Gracelyn (vgl. Abschnitt 5.2.3). Im Spannungsfeld der verschiedenen Diskurse „Erstsprachen verbieten“ versus „Kindern einen Übergang in die Kita erleichtern und sie erst schrittweise an Kita-Regeln gewöhnen“ scheint die beobachtete Praxis von Katrin mehr mit dem ersten, die von Brigitte mit dem zweiten Diskurs zu resonieren. Beide Praktiken sind zur selben Zeit in derselben Kita-Gruppe möglich, ohne von anderen pädagogischen Professionellen als unerwünscht angesprochen zu werden. Dies zeigt, dass die Brüchigkeiten innerhalb dieser Praxis/Diskurs-Formation relativ offen zutage liegen, aber nicht thematisiert werden.

Nicht-Sprechen über das Türkischsprechen einer Mutter Das nachfolgend dokumentierte Gespräch findet in der Zeit statt, in der die Eltern ihre Kinder in die Kita bringen; einige Kinder spielen ein Brettspiel mit einer pädagogischen Professionellen an einem Tisch im Eingangsbereich, ein Junge kommt dazu. 262 Einige Zeit nach dem Feldaufenthalt veröffentlicht die Kita ein pädagogisches Konzept, in dem ausdrücklich erwähnt wird, dass Kinder, die neu in die Kita gehen, oft noch in ihrer Muttersprache sprechen. Ob dies deskriptiv gemeint ist oder normativ im Sinne eines Nicht-Verbietens der „Muttersprache“, bleibt offen; jedenfalls wird die erste Zeit in der Kita als auch in sprachlicher Hinsicht herausgehoben dargestellt. Dieses, allerdings zeitlich den Daten nachgeordnete, Dokument bestätigt die hier ausgeführten Deutungen.

5.3 Nicht-Sprechen über Deutsch, Türkisch und Englisch

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Mesud kommt mit seiner Mutter, diese spricht mit einer pädagogischen Professionellen auf Deutsch über den Husten des Jungen. Anschließend spricht sie Türkisch (?) mit einzelnen deutschen Wörtern zu Mesud, ich verstehe „würfelen“; er soll wohl mitspielen, interpretiere ich. (26.9. 10)

Die Mutter verwendet ein situatives Code-Switching263, das von den Umstehenden nicht kommentiert wird: Mit der pädagogischen Professionellen wird Deutsch gesprochen, mit dem Kind in Translanguaging Türkisch mit einzelnen deutschen Worten; die verwendeten Sprachen werden so dem Sprachvermögen der Adressaten angepasst. Die Aussagen der pädagogischen Professionellen von Abschnitt 5.2.1, dass jemand, der Deutsch sprechen kann – wie diese Mutter – auch Deutsch sprechen soll, werden hier nicht wiederholt, das Türkischsprechen bleibt unkommentiert. Im gesamten Datenmaterial ist zu konstatieren: Eltern, die untereinander andere Sprachen als Deutsch sprechen, oder Eltern, die im Eingangsbereich mit ihren Kindern verschiedene Familiensprachen, teils in Translanguaging mit Deutsch, sprechen264, werden nicht ermahnt oder ermahnen sich gegenseitig, Deutsch zu sprechen265. Die pädagogische Professionelle Laura wird nicht von ihrer Kollegin Brigitte zurechtgewiesen, als sie „Hoşgeldiniz“ sagt (vgl. Abschnitt 5.4.1); als sich Logopädin und Ergotherapeutin einer Elternrunde vorstellen, übersetzen Mütter füreinander in ihre Familiensprachen. Auch pädagogische Professionelle sprechen in den Kita-Räumen gelegentlich andere Sprachen als Deutsch, so z.B. Französisch in einem Gespräch mit einer afrikanischen Integrationsberaterin266. 263 Generell sind Elternäußerungen nicht im Fokus der Beobachtung. In diesem Fall liegt jedoch das Erkenntnisinteresse nicht auf dem Inhalt, sondern den verwendeten Sprachen. 264 Viele mehrsprachige Eltern sprechen im Eingangsbereich mit ihren Kindern Deutsch; ob das daran liegt, dass Deutsch eine von mehreren in der Familie gesprochene Sprache ist, oder Deutsch als Sprache der Kita wahrgenommen wird oder die Eltern durch das Deutschsprechen ihre Wertschätzung von Bildung signalisieren möchten und das Kind im Erlernen der in der Kita legitimen Sprache unterstützen möchten, liegt nicht im Fokus dieser Arbeit. (Vgl. auch die Beobachtung von Huf (2011: 98) angesichts von Mehrsprachigkeit in einer englischen Einführungsklasse, dass auch ohne ein Sprachenverbot fast ausschließlich Englisch gesprochen wird; Eltern und Kinder scheinen Englisch als Sprache der Schule zu sehen.) 265 Eine rigidere Sprachenpolitik vertritt eine Erzieherin, die bei Thomauske (2014: 84) zitiert wird: Auch Eltern werden in der Garderobe ermahnt, in der Kita Deutsch zu sprechen: „zu Hause bitte Muttersprache, hier sprecht ihr jetzt bitte Deutsch“. Laut einer von Kuhn und Neumann (2017: 288) durchgeführten Interviewstudie mit einer Schweizer Kita-Leiterin in einer bilingualen deutsch-französischen Region spricht diese mit den Eltern Deutsch statt Französisch. Sie begründet dies mit der sozialpädagogisch-kompensatorischen Absicht, die Eltern zu Sprachvorbildern für ihre Kinder zu machen. 266 Zugleich macht diese Passage, im Sinne der Reflexive Grounded Theory interpretiert, deutlich, wie die Forscherin am ersten Tag im Feld ihre Aufmerksamkeit auf die Sprache der Feldteilnehmenden versucht zu fokussieren und zugleich ihr eigenes Nicht-Verstehen bearbeitet, indem sie das Gesprochene interpretiert. Nachträglich kann nicht geklärt werden, ob das gehörte „würfelen“ tatsächlich ein Translanguaging konstituiert, in dem der Elternteil ins Deutsche wechselt, um das Spiel zu erklären,

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Ähnlich schildert Neumann (2015: 31), dass sich Monolingualisierung in luxemburgischen Kitas nur an Kinder, nicht an Erwachsene richtet, und dass die Erwachsenen in den Kitas untereinander eher ein Translanguaging betreiben. Ein direktes Zurechtweisen von Eltern erscheint in den Daten nie, auch wenn Eltern durchaus im Fokus pädagogischer Erziehungsbemühungen durch Verbote sind (z.B. bei der Ernährungserziehung, wo das Mitgeben von „ungesundem“ Weißbrot als Pausenvesper nicht erwünscht ist) und Elternerziehung in Elternberatungskursen und an Eltern und Kinder gerichteten pädagogischen Angeboten in der Kita ubiquitär ist. Im Sinn einer generationalen Differenzziehung267 wäre ein direktiver Satz wie „Du musst Deutsch sprechen“, wie er einem Englisch sprechenden Kind gesagt wird (vgl. Abschnitt 5.2.3), an einen Elternteil gerichtet kaum denkbar; für Eltern wird in der Kita Werbung für freiwillige Deutschkurse gemacht. Diese generationale Differenzkonstruktion ist auch bemerkenswert, da andere Sprachkonventionen intergenerational eingehalten werden; tabuisierte Schimpfwörter werden im vorliegenden Datenmaterial bei Kindern sehr selten und bei erwachsenen Feldteilnehmenden gar nicht beobachtet. Die Gründe, Eltern den Gebrauch ihrer Familiensprachen in der Kita nicht zu verbieten, dürften vielfältig sein. Vermutlich würde ein Verbot nicht-deutscher Familiensprachen für Eltern in den Kita-Räumen zu paternalistisch wirken und angesichts der geringen Deutschkenntnisse einiger Eltern kaum praktikabel sein. Weitere mögliche Gründe können performativitäts- und praxis/diskurstheoretische Überlegungen erhellen. Performativitätstheoretischen Interpretationen von Jäger, Biffi und Halfhide (2006: 92) folgend, kann man den Eintritt in den Raum der elementarpädagogischen Einrichtung gemeinsam mit einem Elternteil als Praxis in der „liminalen Phase“ auf der täglich überschrittenen Schwelle zwischen „Familienkind“ und „Kita-Kind“ lesen; Eltern sind nur während dieser liminalen Phasen im Kita-Raum268. Im Eintritt der Mutter in den Raum erscheint zugleich ein Stück „Familie“ samt der familienbezogenen Regeln in der Kita (vgl. auch Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 82ff.), auch wenn das Kind in der vorgestellten Sequenz durch die Mutter bereits auf ein Spiel in der Kita hingewiesen wird und dadurch die Grenze Familie/Bildungsinstitution im Hinweis auf das Artefakt in der Kita bearbeitet wird. oder ob es sich um eine „Zuweisung und Festlegung von Sinn“ (Kuhn 2013: 290ff.) handelt. Hier wird das Prekäre von Verstehensprozessen in einem mehrsprachigen Umfeld, das Kuhn ausführlich diskutiert, sichtbar. 267 Das Thema generationale Differenzkonstruktionen in den vorliegenden Daten stärker herauszuarbeiten wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit. 268 In den von Jäger/Biffi/Halfhide (2006) untersuchten Schweizer Kindergärten findet sich eine stärkere Trennung von Kindern und Eltern im Hauptraum; dennoch ist die von ihnen aufgestellte Theorie, dass Kinder Schwellen überschreiten, in denen sie sich vom „Familienkind“ zum „Kindergartenkind“ verwandeln (ebd.: 83), auch für die vorliegende Arbeit nutzbringend.

5.3 Nicht-Sprechen über Deutsch, Türkisch und Englisch

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Vielleicht resoniert hier auch der in zahlreiche pädagogische Ratgeber und in pädagogisches und populärwissenschaftliches Alltagswissen diffundierte sprachwissenschaftliche Diskurs269 über die Bedeutung einer guten familiär erworbenen Erstsprachkompetenz des Kindes für das Lernen der Zweitsprache (vgl. z.B. Nodari/de Rosa 2006: 44 oder Knapp/Kucharz/Gasteiger-Klicpera 2010: 141) sowie die negativen Folgen für die Sprachentwicklung des Kindes, wenn die Eltern mit dem Kind ein fehlerhaftes Deutsch statt ihrer Erstsprache sprechen; dieser Diskurs wurde auch von zwei erwachsenen Feldteilnehmenden mir gegenüber aufgegriffen. Dieser Diskurs ist Teil der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“. Zudem könnte es auch angesichts des gesetzlichen Auftrags der Kita, mit den Eltern in einer Erziehungspartnerschaft zu kooperieren, unpassend wirken, Eltern direkt zurechtzuweisen. Nicht-Sprechen über ein Lied, das ein Kind auf Englisch singt Während in der in 5.2.3 besprochenen Sequenz die pädagogische Professionelle Katrin Gracelyn auffordert, Deutsch statt Englisch zu sprechen, greift die pädagogische Professionelle Brigitte ein englisches Lied, das Gracelyn am selben Vormittag singt, nicht weiter auf: Während der Freispielzeit. Gracelyn (4) steht am Maltisch und singt ein ABC-Lied, in dem das ABC auf Englisch buchstabiert wird: „A B C D E F G..“ (in Lautschrift: [eı biː siː diː …], E. Zettl). Brigitte schreibt Gracelyns Namen auf ein Bild, das diese gemalt hat: „Da steht GRACELYN drauf“. Brigitte fragt, ob sie das Bild für Gracelyns Portfolio haben kann. (26. 9. 2010)

Warum die vierjährige Gracelyn das ihr bekannte Deutschgebot hier nicht einhält, wird nicht klar. Möglicherweise weiß sie gar nicht, dass die Buchstaben im Lied auf Englisch sind; in der Kita wird jedenfalls in den vorliegenden Daten kein Buchstabieren auf Deutsch geübt. Warum die Erzieherin Brigitte anders als ihre Kollegin Katrin hier das Deutschsprechen nicht einfordert, könnte man durch individuelle Handlungsspielräume erläutern, aber auch praxistheoretisch versuchen zu konzeptionalisieren: Vielleicht gelten für die Praktiken „Sprechen“ und „Singen“ im Kita-Alltag unterschiedliche ungeschriebene Regeln270. Vielleicht wird

269 Dazu vgl. z.B. Diehm und Radtke (1999: 83), die schreiben, dass „wissenschaftliche Konstrukte ins Alltagsbewußtsein“ „diffundieren“. 270 In einer anderen Sequenz 2013 erlebe ich, dass zwei Kinder mir ein Lied auf Portugiesisch (Michel Telo, „Nossa“) vorsingen und eines sich dabei plötzlich umdreht und die Befürchtung äußert, die pädagogische Professionelle habe sie bemerkt. Als es sieht, dass sie nicht in Sichtweite ist, singen die

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

das Singen als stärker literal geprägte Praxis mit vorgegebenem Text, den Gracelyn nicht spontan ins Deutsche übersetzen könnte, von der pädagogischen Professionellen nicht verboten, ähnlich wie literale Artefakte auf Englisch nicht verboten werden. Zudem könnte das Lied in der Prestigesprache Englisch, noch dazu mit dem pädagogischen Gestus des Alphabet-Lernens versehen, zu sehr als „bildungsaffine Praktik“ gelten, um es zu verbieten. Zugleich wird das Lied, das Gracelyn aus dem außerinstitutionellen Kontext mitbringt, auch nicht weiter aufgegriffen und thematisiert oder mitgesungen, obwohl durch das Lied Literalität271 und Musik in die Kita eingebracht werden. Dies könnte im Rahmen der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ damit zusammenhängen, dass in den beobachteten Sequenzen, in denen in der Kita gesungen wird, ausschließlich deutsche Lieder gesungen werden und die Musikförderung ausdrücklich als Sprachförderung im Sinne von Deutschförderung konzipiert wird272. Unverbunden mit Gracelyns Singen geschieht durch die pädagogische Professionelle eine weitere literale Praxis, das Schreiben und Kommentieren des Namens „Gracelyn“. Eine Verknüpfung zwischen den Praktiken von Kind und Erzieherin, etwa im Aufgreifen des Themas „Buchstaben“, findet nicht statt. Damit geschieht in dieser Sequenz kein „Anschluss an lebensweltlich erworbene Ressourcen“ (Isler/Künzli/Leemann 2010: 71) in Bezug auf literale Praktiken in einer Familiensprache273, während in anderen pädagogischen Praktiken (vgl. 5.4.4 und 5.5.1) durchaus versucht wird, dieses familiär Mitgebrachte in den Kita-Alltag einzubringen. Zusammenfassend soll festgehalten werden: Gleich mehrere Brüche innerhalb der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ werden hier sichtbar. Am selben Vormittag, an dem Gracelyn das Sprechen einer ihrer Familiensprachen von einer pädagogischen Professionellen verboten wird, wird das Singen in derselben Sprache von einer anderen pädagogischen Kinder weiter. Ob sich die Befürchtung auf das Singen in einer nicht deutschen Sprache bezieht oder generell auf das Gesehenwerden, wird nicht deutlich. 271 Das Singen dieses Lieds kann nach Isler (2014) als literale Praxis verstanden werden, nicht nur, weil das Alphabet darin thematisiert wird und somit eine Objektivierung von Sprache stattfindet, sondern auch, weil darin in Form von Reimen mit Sprache gespielt wird (vgl. Isler 2014: 14). 272 Der zum Beobachtungszeitpunkt gültige Bildungsplan des betreffenden Bundeslandes sieht jedoch auch das gemeinsame Singen von Liedern in Familiensprachen der Kinder vor; hier wird wiederum ein Bruch in der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in Kindertagesstätten“ sichtbar, diesmal als Diskrepanz zwischen Praktiken in der beobachteten Kita und einem übersituativ relevanten Dokument. 273 Eine ähnliche Praktik in einer deutschen Kita wird von Hortsch (2015: 154f.) berichtet: ein Kind bringt ein „Tagebuch“ mit russischen Namen darin in die Kita mit; der Erzieher geht auf dieses mehrsprachige und literale Gesprächsangebot nicht vertieft ein, entgegen den in den Bildungs- und Erziehungsempfehlungen des betreffenden Bundeslandes angesprochenen „Begegnungen mit Menschen anderer Familiensprachen“ (vgl. Hortsch 2015: 155).

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 161 Professionellen nicht kommentiert. Am selben Tag, an dem Gracelyn das ABCLied singt, wird die ebenfalls (auf Türkisch) singende Zeynep von einem anderen Kind ermahnt, Deutsch zu sprechen. Dieses Kind vollzieht in seiner Aufforderung keine Trennung zwischen den Praktiken des Sprechens und Singens. Zugleich steht die Praktik, Gracelyns englisches Lied nicht zu kommentieren, in einem Spannungsfeld zu Praktiken der Wertschätzung von Familiensprachen, wie sie in Abschnitt 5.4 und 5.5.1 dargestellt werden. Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen In den folgenden Abschnitten wird gezeigt, wie das Türkische von pädagogischen Professionellen und Kindern wertschätzend thematisiert wird und Gegenstand von Fremdzuschreibungen und Selbstpositionierungen wird. Zunächst sollen kurz die verwendeten Begrifflichkeiten erläutert werden: Der Begriff der Wertschätzung in Bezug auf von Migrant*innen Mitgebrachtes ist in der Interkulturellen Pädagogik weit verbreitet (vgl. Diehm/Radtke 1999: 131, die über die Interkulturelle Pädagogik schreiben, ihr Ziel sei, kulturelle Unterschiede sollten „anerkannt und wertgeschätzt werden“ 274) und in Bildungsplänen (z.B. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport Berlin 2014: 21) verankert. De Houwer (2015: 121) postuliert, für das Wohlbefinden von Kindern „mit Migrationshintergrund“ in Kindergärten und -tagesstätten sei eine „Wertschätzung ihrer Nichtumgebungssprachen“ zentral im Sinne eines positiven Erwähnens („es sei wirklich super, dass ein Kind Türkisch oder Russisch oder Französisch usw. sprechen kann, und es sei schade, dass man selbst diese Sprachen nicht sprechen kann“ (ebd.: 121f.)). Zudem sollten die pädagogischen Professionellen einige zentrale Ausdrücke in den Familiensprachen der Kinder beherrschen (ebd.: 121), „interkulturelle Aktivitäten mit Musik, Essen und Trinken“ durchführen und die Eltern einbinden (ebd.: 122). Die vorliegende Arbeit verortet sich nicht in diesem Paradigma Interkultureller Pädagogik, greift aber den Begriff der Wertschätzung auf, um aufzuzeigen, wie diese Wertschätzung im Sinne Interkultureller Pädagogik im Feld betrieben wird und welche ungewollten Konsequenzen sie hat. Diese Praktiken der Wertschätzung von Familiensprachen, wie sie De Houwer aufzählt, sind (was in der Interkulturellen Pädagogik wenig reflektiert wird) verbunden mit Fremdzuschreibungen und Selbstpositionierungen, z.B. einer Selbstpositionierung als (nicht) Türkisch sprechend und Fremdzuschreibungen zu 274

Eine Diskussion der unterschiedlichen Begrifflichkeiten von Anerkennung und Wertschätzung oder ein Einbezug der Anerkennungstheorie nach Honneth (1992/2003), der zwischen Anerkennung und Wertschätzung unterscheidet, wäre Gegenstand einer eigenen Arbeit.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Kindern als „Türkisch“ sprechend. Die Begriffe „Fremdzuschreibungen“ und „Selbstpositionierungen“ werden in Anlehnung an Römhild (2007) verwendet. Sie schreibt in konstruktivistischem Sinne mit Rekurs u.a. auf Bukow und Llaryora (1988) von „Selbstpositionierungen“ und „Fremdzuschreibungen“ (vgl. ähnlich Diehm/Radtke 1999: 84, die den Begriff „Fremdzuordnung“ verwenden, und Weißköppel 2003: 225, die von „Fremddefinition“ spricht). Römhild (2007: 166) erläutert das Wechselspiel von Selbstpositionierung und Fremdzuschreibung: „Sich selbst oder andere hier als türkisch, deutsch oder russisch zu bezeichnen, geschieht … vor dem Hintergrund des eigenen Wissens über die Bedeutungen und Wirkungen ethnischer Kategorien in der Gesellschaft. Dies entspringt weniger einer expliziten Theorie oder einem spezifischen Bewusstsein als der unmittelbaren Erfahrung, was es in verschiedenen Kontexten heißt, als „Ausländerin“, als „Russin“, „Türkin“ oder „Deutsche“ adressiert und eingeordnet zu werden.“

In den folgenden Datenbeispielen werden solche Adressierungen augenfällig. „nicht Türkisch gesprochen. Deutsch reden.“ - „Hoşgeldiniz“ Die Vielfältigkeit und teilweise Widersprüchlichkeit von Praktiken im Umgang mit verschiedenen Sprachen wird, wie schon in den Abschnitten 5.2.1-5.3.4 dargestellt, oft innerhalb weniger Tage oder sogar eines einzigen Vormittags sichtbar. In der folgenden Sequenz zeigen sich sogar ein Verbot einer Familiensprache und eine Anrede in derselben Familiensprache durch zwei pädagogische Professionelle fast gleichzeitig: Im Hintergrund höre ich Brigittes Stimme: „nicht Türkisch gesprochen. Deutsch reden“ [ich sehe nicht, mit wem sie spricht], während Laura mehrere Eintretende [ich sehe ebenfalls nicht, wen] mit „Hoşgeldiniz“ [„Willkommen“ auf Türkisch] begrüßt. Laura setzt sich zu Ravza und Linda an den achteckigen Tisch und fragt Ravza: „Hattest du Schuhe eingekauft?“ „Nein.“ (10.5. 11)

Seitens der pädagogischen Professionellen Brigitte wird eine Differenzkonstruktion „Deutsch“/„Türkisch“ aufgestellt; wie in den im Herbst 2010 beobachteten Sequenzen wirkt das Verbot/Gebot routinisiert und nicht begründungspflichtig. Fast gleichzeitig spricht die pädagogische Professionelle Laura eine türkische Grußformel, ob zu Eltern und/oder zu Kindern, wird aus den Daten nicht ersichtlich275. Diese Sequenz findet während der Zeit statt, in der Kinder in die Kita ge275

Es ist auszuschließen, dass Brigitte ihre Anweisung „nicht türkisch gesprochen“ direkt an Laura richtet, da eine solche routinisierte, nicht begründete oder durch eine Höflichkeitsform abgeschwächte

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 163 bracht werden. Für den ersten morgendlichen Kontakt der Kinder mit den pädagogischen Professionellen gibt es meiner Beobachtung nach in der untersuchten Kita kein durchgängiges Ritual oder eine stereotype Formulierung, auch die sich verabschiedenden Eltern nutzen unterschiedliche Praktiken; die Begrüßung durch „Hoşgeldiniz“ erscheint einmalig in den Daten276. Es lohnt sich, diese kurze Begrüßungssequenz näher zu beleuchten, weil sie nach Jäger, Biffi und Halfhide (2006: 56) eine liminale Phase darstellt im bereits beschriebenen alltäglichen Übergang von „Familienkind“ zum „Kita-Kind“. Für die in der vorliegenden Arbeit untersuchte Kita wurde bereits in Abschnitt 5.3.2 beschrieben, dass das Türkische als „Schnittstelle“ zwischen Familie und Kita nach Aussage von Feldteilnehmenden toleriert werde, wenn die Kinder noch sehr jung und/oder neu in der Einrichtung sind. Laura geht noch einen Schritt weiter, indem sie an der Schwelle zwischen Familie und Kindertagesstätte, bei der Begrüßung, einen türkischen Willkommensgruss spricht und damit die Grenze zwischen Praktiken in Familie und Kita nicht so abrupt scheinen lässt277. Kurz danach spricht sie auch Deutsch, markiert aber durch den vorangehenden Gruß, dass sie das Türkischverbot ihrer Kollegin nicht auf sich bezieht und Türkisch als Familiensprache vieler Kinder willkommen heißt. Der Gruß „Hoşgeldiniz“ lässt sich nicht nur performativitätstheoretisch, sondern auch im Sinn der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ deuten. Hier geschieht ein (punktueller) Einbezug einer nicht deutschen Familiensprache, die wertgeschätzt werden soll, wie es etwa Bildungspläne fordern (z.B. das „Berliner Bildungsprogramm für Kitas und Kindertagespflege“, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin 2014: 21) im Sinne der „Wertschätzung ihrer Familie“ (ebd.). Eine Begrüßung auf Türkisch, wie sie in den vorliegenden Daten erscheint, kann also als Wertschätzung einer vom Deutschen verschiedenen Familiensprache im Sinne Interkultureller Pädagogik gelesen werden (vgl. auch De Houwer 2015) oder als kleiner Baustein einer „Didaktik der Sprachenvielfalt“ (Oomen-Welke 2010), die Mehrsprachigkeit aufgreift und sich ebenfalls im interkulturellen Paradigma verortet (ebd.: 481). Befehlsformulierung nur von einer Erwachsenen an ein Kind gerichtet denkbar ist. Ob Laura in Hörweite dieses Befehls ist, kann ich nicht rekonstruieren; allenfalls ließe sich ihr „Hoşgeldiniz“ als eine widerständige Reaktion auf Brigittes Anweisung deuten. Dagegen spricht jedoch, dass sie öfter im Kontakt mit Kindern, denen das Türkische als Familiensprache zugeschrieben wird, türkische Wörter, z.B. Farbwörter, einfließen lässt. 276 Auch der Abschied von den Eltern wird von Kind zu Kind verschieden gehandhabt. Im Schweizer Kindergarten, der von Jäger, Biffi und Halfhide (2006: 56f.) ethnographiert wurde, wird die Begrüßung stärker ritualisiert: Jedes Kind wird erst einzeln begrüßt, dann wird im Kreis das „Grüezilied“ gesungen. 277 Eine ähnliche Beobachtung findet sich bei Thomauske (2014: 96), die Äußerungen von Erzieherinnen referiert, die in der ersten Zeit der Kinder in der Kita einige Worte in den Familiensprachen der Kita-Kinder verwenden, um Vertrauen zu wecken.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Die Begrüßung in einer Familiensprache gehört dabei zu den Topoi dieser Didaktik, z.B. bei Schader (2000: 116): „Unsere Schule grüßt in allen Sprachen“, Ringler (2007: 55): „Begrüßungsformeln in den vorhandenen Sprachen gehören zum Alltag“, De Houwer (2015: 121): „Damit Kinder sich von Anfang an in der KiTGa [Kindergarten oder -tagesstätte, E. Zettl] willkommen fühlen, können ErzieherInnen versuchen, ‚Hallo’ zu sagen in allen Sprachen, die von ‚ihren’ Kindern zu Hause gehört werden.“ Das Spannungsfeld zwischen diesen Diskursen über wertschätzende Begrüßungen in der Familiensprache und Diskursen über Türkisch als prestigeniedrige Sprache innerhalb der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ könnte sich in der hier analysierten Sequenz „nicht Türkisch gesprochen. Deutsch reden“ - „Hoşgeldiniz“ niederschlagen. Zugleich positionieren sich die pädagogischen Professionellen innerhalb dieser Diskurs-Formation selbst: die eine als Vertreterin einer monolingualen Sprachenpolitik, die andere als Befürworterin einer Wertschätzung von Familiensprachen. „Sag mal ‚rot’ auf Türkisch“ Zum Erhebungszeitpunkt war es nicht beabsichtigt, einen ethnographischen Längsschnitt zu versuchen (zum Projekt einer ethnographischen Längsschnittstudie vgl. z.B. Diehm/Kuhn 2013). Dennoch lässt sich nachträglich ansatzweise im Fall „Ermina“ ein prozesshaftes Geschehen aufzeigen, wie Ermina eine Fremdzuschreibung als „türkisches Kind“ erfährt, sich von Sequenz zu Sequenz immer stärker selbst als „türkisches Kind“ positioniert und schließlich diese Positionierung wieder aufgibt. Diese Sequenzen werden im Folgenden ausführlich analysiert, wobei sie auch durch die Selbstpositionierungen und Fremdzuschreibungen anderer Feldteilnehmender in denselben Sequenzen kontextualisiert werden. Die bereits vorgestellte pädagogische Professionelle Laura, die Eintretende mit „Hoşgeldiniz“ begrüßt, fordert in der folgenden Sequenz das Sprechen türkischer Wörter von Kindern ein: Die pädagogische Professionelle Laura fordert Ermina (5) auf: „Sag mal ‚rot’ auf Türkisch“. Ermina antwortet nicht, Laura sagt selbst: „kırmızı.“ Marvin (7) fragt von hinten: „Und ‚rot’?“ Laura antwortet wieder: „kırmızı“. „Red?“ fragt ein Mädchen. „Das ist Englisch“, sagt Laura. Laura fragt: „Sag mal, Ermina, spricht man mit dir kein Türkisch zu Hause?“. Gelb ist auf Englisch ‚Yellow’, auf Türkisch ist es ‚sarı’ [Bei diesem Satz ist nachträglich nicht mehr rekonstruierbar, ob die Kinder Laura ergänzen oder Laura alles allein sagt, E. Zettl]. „Redet man Türkisch zu Hause mit dir?“ fragt Laura Ermina. Ermina schüttelt, auf Lauras Schoß sitzend, grinsend den Kopf. Omer (4) sitzt dabei, sagt nichts und reagiert ebenfalls nicht auf die Fragen,

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 165 was die verschiedenen Farben auf Türkisch heißen. Laura leitet anschließend zum gemeinsamen Zählen auf Türkisch an und spricht die Zahlen jeweils vor. (4.5. 11)

Zwei Aspekte dieser Sequenz werden im Folgenden thematisiert: erstens die Lerninhalte, die durch die pädagogische Professionelle eingeführt werden, zweitens die wiederholte Ansprache an die schweigende Ermina in Bezug auf deren Türkischkenntnisse. Zunächst zu den Lerninhalten: Hier fragt die pädagogische Professionelle, die Deutsch als Familiensprache spricht und in „x-berg“ Türkisch gelernt hat, nach Kenntnissen über türkische Farbadjektive und benennt diese. Ein in vorschulischer Deutschförderung häufiges Thema erscheint hier in Bezug aufs Türkische; anschließend werden in Praktiken des Vor- und Nachsprechens ähnlich wie im schulischen Anfangsunterricht in einer Fremdsprache Zahlen präsentiert. Unterrichtssprache ist dabei Deutsch, auch metasprachliche Kommentare wie „das ist Englisch“ oder „Sag mal ‚rot’ auf Türkisch“ geschehen auf Deutsch. Das Englische, das ein Kind durch die Nennung des Adjektivs „red“ in die Sequenz einbringt, wird kurz thematisiert, bis wieder das Türkische in den Fokus rückt. Es erstaunt auf den ersten Blick, dass in einer Sprachfördersequenz entgegen den bereits dargestellten Praktiken, das Türkische zu verbieten (vgl. Abschnitt 5.3.1), das Türkische so ausführlich thematisiert und sogar ansatzweise im Zählen und Farben-Benennen systematisch von einer pädagogischen Professionellen unterrichtet wird, die selbst etwas Türkisch gelernt hat. Die Sequenz wirkt auch bemerkenswert vor dem Hintergrund zweier ethnographischer Forschungsbefunde: bei frühkindlicher Sprachförderung wird in den beobachteten deutschen vorschulischen Bildungseinrichtungen nur das Deutsche thematisiert278, andere Sprachen werden delegitimiert (vgl. Diehm/Magyar-Haas 2010: 112; Christmann/Panagiotopoulou 2012: 44). Auch im Kontext des tendenziell monolingual ausgerichteten deutschen Bildungssystems allgemein (vgl. Dirim 2010; Gogolin 2008; Kuhn/Diehm 2015; Thomauske 2014 und 2017), in dem oft nur Prestigesprachen wie Englisch positiv beurteilt werden (vgl. z.B. Dirim 2010: 108) ist das Thematisieren des Türkischen auffallend. Entgegen der weit verbreiteten Hervorhebung des Englischen ist zu konstatieren, dass das Thematisieren dieser Sprache in der vorliegenden Sequenz eine vergleichsweise untergeordnete Rolle spielt und ein größerer Teil der Sequenz Türkisch als Thema hat. Lauras Praktiken finden jedoch ein Echo in Forschungsbefunden, laut denen Erzieherinnen migrationsbedingte Mehrsprachigkeit nicht nur im Falle von Prestigesprachen positiv thematisieren (vgl. Thomauske 2014: 96ff.; Thomauske 278 Diese ethnographischen Befunde sind nicht repräsentativ, sondern beziehen sich auf wenige vorschulische Bildungseinrichtungen; ihre Gültigkeit wird allerdings durch breitere Analysen des deutschen Schulsystems gestützt (vgl. Dirim 2010).

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

2017: 320ff.; Kuhn/Diehm 2015: 125ff.); diese resonieren wiederum mit Diskursen zu migrationsbedingter Mehrsprachigkeit als Chance und Ressource (vgl. Kap. 2.2.3) (zum Spannungsfeld zwischen einer häufigen Forcierung von Monolingualität und selteneren Beispielen der Wertschätzung von Mehrsprachigkeit in Äußerungen von Erzieherinnen vgl. auch Thomauske 2014). Aber auch sprachendidaktische Diskurse zu „Language awareness“ und „Didaktik der Sprachenvielfalt“ in Form von theoretischen Überlegungen, Bildungsplänen (vgl. Thomauske 2013b) und konkreten Unterrichtsmaterialien (z.B. Schader 2000), die Mehrsprachigkeit als Ressource thematisieren, könnten eine Resonanz in den Praktiken der pädagogischen Professionellen Laura finden. Wenn Laura die Kindergruppe, darunter auch den einsprachig Deutsch sprechenden Marvin, zum Zählen auf Türkisch anleitet, geschieht hier nicht nur eine Thematisierung, sondern auch ein Erwerb einer Migrationssprache, wie dies Gogolin, Krüger-Potratz und Neumann (2005: 1) im Sinn einer Erziehung aller Kinder zur Mehrsprachigkeit fordern. Als zweiter Aspekt in der Deutung dieser Sequenz ist die dreimalige Anrede an das Kind Ermina durch die pädagogische Professionelle Laura auffallend. Mit der forschen Aufforderung „Sag mal ‚rot’ auf Türkisch“ wird Ermina als Türkisch sprechendes Kind konstruiert. Diese Aufforderung könnte ein Versuch sein, im Sinne einer Wertschätzung von Familiensprachen, wie sie die interkulturelle Pädagogik propagiert, Erminas Fähigkeiten herauszuheben. Zugleich hebt sie Ermina vor der Kindergruppe heraus, z.B. vor dem nur Deutsch sprechenden Marvin. Hier zeigt sich eine Problematik Interkultureller Pädagogik, die Diehm und Radtke (1999: 152) herausarbeiten: „Kulturelle Differenzen im Unterricht bewusst in anerkennender Absicht zu thematisieren, mündet leicht in soziale Situationen, die durch die Reproduktion gängiger Kategorisierung zu einer Ausgrenzung Einzelner oder ganzer Gruppen führen können.“ Die so hervorgehobenen Kinder werden vor anderen Kindern „besondert“ (Kuhn 2013: 222). Ermina sagt auf Lauras Aufforderung nichts. Dies veranlasst Laura, selbst die Antwort zu geben und sich so in einer typisch pädagogischen Praxis als Wissende zu inszenieren (vgl. Kuhn 2013: 228). Ein zweites Mal stellt Laura Erminas Türkischkenntnisse ins Zentrum des Gesprächs mit einem überrascht und fast vorwurfsvoll wirkenden „Sag mal, Ermina, spricht man mit dir kein Türkisch zu Hause“; das „kein Türkisch“ klingt etwas defizitär und markiert gegenüber dem erwarteten „Türkisch“ und präferiert in dieser geschlossenen Frageform keine Antworten außer „Doch“ oder „Nein“. Auch bei der zweiten und dritten Nachfrage von Laura sagt Ermina nichts und äußert sich nur nonverbal durch grinsendes (verlegenes?) Kopfschütteln (zu einer ebenfalls nonverbalen Reaktion eines Kindes angesichts einer „Besonderung“ vgl. Kuhn 2013: 227). Das dreimalige Insistieren der pädagogischen Professionellen auf Erminas Türkischkenntnissen zeigt möglicherweise eine Resonanz zu Diskursen über die Bedeutung des Sprechens in

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 167 der Erstsprache für eine gute Zweitsprachkompetenz (vgl. Abschnitt 2.2.3), die Familien, die dieser Regel nicht folgen, als defizitär erscheinen lässt. Möglicherweise ist Lauras Anleitung, auf Türkisch zu zählen, auch als Defizitkompensation gegenüber Erminas Familie zu sehen, die diese entwicklungsförderliche Maßnahme, zu Hause Türkisch zu sprechen, versäumt habe. Ermina äußert sich verbal weder auf Deutsch noch auf Türkisch. Da Schweigen „zwar zahlreiche Deutungsmöglichkeiten beinhaltet, diese jedoch nur partiell offenlegt“ (vgl. Magyar-Haas/Geiss 2015: 9), können nur Vermutungen zur Deutung von Erminas Schweigens ausgesprochen werden279. Möglicherweise lässt die Frage nach der zu Hause gesprochenen Sprache sie verstummen, da sie der Erwartung, dass sie Türkisch spreche, nicht entsprechen kann. Ihre Deutschkenntnisse dagegen, wie andere Sequenzen zeigen, sind sehr gut, sie versteht Lauras Aufforderung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit und artikuliert sich in anderen Kontexten ohne auffallende Schwierigkeiten im Deutschen; dennoch antwortet sie hier auch nicht auf Deutsch. Zumindest bei der ersten Aufforderung wird das Deutsche delegitimiert, weil eine Antwort „auf Türkisch“ erwartet wird280. Erminas Nicht-Antworten könnte einen einfachen Grund haben: Ihre Familie spricht kein Türkisch, sondern Albanisch und Deutsch, so die spätere Auskunft einer anderen pädagogischen Professionellen, die ihrerseits Erminas Mutter befragt hat (vgl. ausführlicher Abschnitt 5.5.6)281. Durch die Aufforderung, ein Wort auf Türkisch zu sagen, und die fast vorwurfsvolle Frage, ob man zu Hause mit ihr „kein Türkisch“ spreche (andere potentielle Familiensprachen als Alternative 279 Wie der wegweisende Sammelband von Geiss und Magyar-Haas (Hg.) (2015) aufzeigt, gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf in der Erziehungswissenschaft zum Schweigen; vgl. Magyar-Haas und Geiss (2015: 19). 280 Zur Delegitimation von Sprachen in der Kita, die zum Schweigen von Kindern führt, vgl. eine Interpretation einer Sequenz durch Christmann und Panagiotopoulou (2012: 43ff.). Sie beschreiben, wie ein Vorschulkind in einer Deutschfördersequenz trotz mehrfacher Aufforderungen einer pädagogischen Professionellen, etwas zu sagen, schweigt. Christmann und Panagiotopoulou deuten dieses Schweigen in Anlehnung an Dirim (2010: 101f.), dass ein Sprechen in einer nicht deutschen Sprache von Erzieherinnen oft als nicht relevant und legitim gesehen werde und somit Kinder, die eine nicht deutsche Sprache sprechen, schweigen, statt auf andere Sprachen auszuweichen, da sie diese im Sinn einer institutionellen Monolingualität als nicht legitim einschätzen. Die im vorliegenden Abschnitt interpretierte Sequenz ist dagegen bemerkenswert, da in der Aufforderung „Sag mal ‚rot’ auf Türkisch“ nicht eine Migrationssprache, sondern das Deutsche delegitimiert wird. 281 Warum die pädagogische Professionelle Laura nichts über Erminas Familiensprache weiß und vermutet, dass diese Türkisch ist, ist nicht Thema dieser Arbeit. Wie in Abschnitt 5.5.6 dargelegt, weiß zunächst keine der mit Ermina arbeitenden pädagogischen Professionellen, welches ihre Familiensprachen sind. Dieses Nichtwissen könnte mit der Komplexität der linguistischen Super-Diversität in der „Gruppe Blau“ zusammenhängen. Die Vermutung, dass ein schwarzhaariges und -äugiges Kind mit nicht deutsch klingendem Namen türkischer Herkunft ist, könnte auch durch Intersektionalität erklärt werden (vgl. Walgenbach 2012).

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

werden hier nicht erwähnt) wird Ermina möglicherweise beschämt. Ihre Deutschkenntnisse oder Kenntnisse in weiteren Sprachen werden in dieser Situation nicht für relevant erklärt, sondern eine vermeintliche Türkischkompetenz konstruiert, der sie nicht entspricht282. „Der’s deutsch, der’s türkisch“ In den folgenden Abschnitten werden längere aufeinander folgende Sequenzen im Umgang mit Mehrsprachigkeit und dem Bilderbuch „Sinan und Felix“ vorgestellt, die vier Tage nach der eben geschilderten Passage stattfinden. Zunächst wird hier das Bilderbuch283 „Sinan und Felix“ (Çelik/Korthues 2007) vorgestellt, da es als Artefakt „Teilelement sozialer Praktiken“ (Reckwitz 2003: 291) ist. Eine Beschreibung dieses Bilderbuchs wird daher an den Anfang der Untersuchung von Praktiken, in denen dieses Artefakt verwendet wird, gestellt. Das Buchcover mit dem Titel „Sinan und Felix“ und dem Untertitel „Mein Freund Arkadaşim“ zeigt eine farbige Zeichnung zweier gleich großer lächelnder Jungen, die einander gegenübersitzen (s. Abbildung nächste Seite). Einer ist schwarzhaarig, einer blond; im Vergleich von Text und Illustration wird klar, dass der schwarzhaarige Junge Sinan ist. Das Buch erzählt auf Deutsch die Geschichte der befreundeten Jungen Sinan (der Deutsch und Türkisch spricht) und Felix (der Deutsch und ein paar Worte Türkisch spricht) und ihrer Begegnung mit den türkischen Kindern Murat und Hülya. Ein Konflikt zwischen Felix und dem älteren, Türkisch und Deutsch sprechenden Jungen Murat entsteht; die Pointe des Buches ist, dass Felix in diesem Konflikt von seinen rudimentären Türkischkenntnissen profitiert. Mehrsprachigkeit wird hier auch für einen deutschen Jungen als Vorteil gesehen. Die Geschichte dient als Anlass, türkische Ausdrücke im deutschen Text kontrastiv zum Deutschen einzuführen. Auf jeder Seite findet sich ein Kasten mit deutschen Ausdrücken, die ins Türkische übersetzt werden und sich auf den Inhalt der Seite beziehen. In Klammern wird dabei die türkische Aussprache in lateinischer Schrift geschrieben. Am Ende des Buches finden sich weitere spielerische Hinführungen ins Türkische: eine Seite „Finde die gleichklingenden Wörter!“, einfache Sätze, Zahlen und Farben auf Türkisch sowie Rätselreime.

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Auch Omers Schweigen in der interpretierten Sequenz könnte so gedeutet werden: Aufgefordert, Türkisch zu sprechen, sagt er nichts. Wie andere Sequenzen zeigen, ist es wahrscheinlich, dass er die deutsche Aufforderung zum Türkischsprechen versteht, aber da er (laut Angaben einer anderen pädagogischen Professionellen) Arabisch als Familiensprache spricht, kann er nichts zur Praxis, Farben auf Türkisch zu benennen, beitragen. 283 Die Praktiken im Umgang mit diesem Bilderbuch könnten auch im Kapitel „Literalität“ interpretiert werden. Die Zuordnung dieses Abschnitts zum vorliegenden Kapitel liegt darin begründet, dass in der vorliegenden Interpretation das Thema Mehrsprachigkeit im Fokus steht.

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 169

Buchcover „Sinan und Felix“ (Celik/Korthues 2007)284 Das Buch richtet sich vor allem an deutschsprachige Lesende ohne Türkischkenntnisse; eine Botschaft des Buches ist: „Türkisch ist gar nicht so schwer!“ (Celik/Korthues 2007: o.S.). Da die Protagonisten im frühen Grundschulalter sein dürften, ist davon auszugehen, dass das Buch öfter vorgelesen als selbst gelesen wird. Ein an Kinder adressierter Satz, der sich implizit auch an Erwachsene richten dürfte, lautet (Celik/Korthues 2007: o.S.): „Damit du die türkischen Wörter und Sätze richtig aussprechen kannst, wurden sie bestmöglich in die deutsche Schreibweise umgesetzt.“285 284

Abdruck des Buchcovers mit freundlicher Genehmigung des SchauHoer Verlags. Das Buch durchzieht ein Konzept von „Language awareness“, das zur wertschätzenden Aufmerksamkeit auf eine fremde Sprache und zur Kommunikation ermutigen soll. Einige Aspekte des Buches erinnern an Diskurse zu Interkultureller Pädagogik. Nach Mecheril (2008: 17) richtet sich Interkulturelle Pädagogik mit ihrem Appell zur Verständigung vor allem an Angehörige der Mehrheitsgesellschaft - die Identifikationsfigur im Buch ist der deutsche Felix. Die Interkulturelle Pädagogik

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

In den nächsten Abschnitten wird gezeigt, wie das Artefakt „Bilderbuch“ Praktiken in Bezug auf das Thematisieren von Sprachen prägt, aber nicht determiniert. Dieses Verhältnis von Artefakten zu Praktiken wird im Sinn von Kuhn (2013: 251) beschrieben, die in Rekurs auf Reckwitz (2003) argumentiert, dass „in situ vorhandene Artefakte die praktische Erzeugung von ‚Ethnizität’ zwar vorstrukturieren, diese aber keineswegs determinieren“ (ebd.: 251). Die pädagogische Professionelle Elisabeth kommt zusätzlich zu den regulären Fachkräften zur „Gruppe Blau“, um sie punktuell zu entlasten. Da sie eher sporadisch in die Gruppe kommt, kennt sie die Kinder nicht so gut wie die regulär für die Gruppe Verantwortlichen. Sie leitet eine Bilderbuch-Vorlesesequenz für eine Kleingruppe von Kindern außerhalb der regulären Gruppenaktivitäten im Hauptraum an. Dieses Vorlesen kann im Rahmen von Praxis/Diskurs-Formationen sowohl zu früher sprachlicher Bildung als auch zu Sprachförderung gesehen werden. Dialogisches Vorlesen verweist auf Diskurse zu sprachlicher Bildung als Ko-Konstruktion, bei der Kinder und pädagogische Professionelle gemeinsam Bedeutungen ko-konstruieren. Zugleich verweist das Setting in einer vom Alltag der „Gruppe Blau“ räumlich und personell getrennten Kleingruppe auf segregierende Fördersituationen, wie sie in früher Sprachförderung häufig sind. Die Vorlesesituation beginnt mit dem Vorstellen des Bilderbuchs: Die pädagogische Professionelle Elisabeth sitzt auf dem Sofa in der Garderobe286 vor der Gruppe Blau und liest einer kleinen Gruppe von Kindern Bilderbücher vor. Ich sitze schräg gegenüber auf einer niedrigen Bank. Elisabeth holt das Buch „Sinan und Felix“ und sagt, auf den Buchumschlag zeigend: „Das ist ein türkischer Junge, das ist ein deutscher Junge. Wer ist hier ein türkischer Junge?“ Youssef (2)287 sagt „Ich“ und streckt dazu seine Hand hoch. (8.5. 2011)

Als erster Aspekt der Bilderbuchbetrachtung wird eine Differenzkonstruktion relevant gemacht, die bereits an prominenter Stelle durch Titel und Covergestaltung angedeutet wird. Während im Buch jedoch nie von „türkischen“ und „deutschen“ Kindern die Rede ist, nur von „Türkisch“ und „Deutsch“ als Sprachen, wird durch die Bezeichnung „türkischer Junge“ ein diffuseres alltagssprachliches Konzept befürwortet, wie Diehm und Radtke (1999: 147) feststellen, Kontakte auf Augenhöhe zwischen Angehörigen verschiedener ‚Kulturen‘ und hebt zugleich Differenzen hervor mit dem Ziel, durch deren Thematisieren Verständnis zu erreichen: „Aus der Sicht der ‚Interkulturellen Pädagogik’ soll die Kategorie ‚Kultur’ (…) als anerkennenswerte ‚Differenz’ behandelt werden, aber sie bleibt die dominante Unterscheidung. Nun geht es darum, die anderen/Fremden zu verstehen und mit ihnen auszukommen.“ Tatsächlich werden sprachliche Differenzen auf jeder Seite thematisiert mit dem Ziel, Verstehen zu erzeugen. 286 Die Garderobe als Ort von Liminalität und Literalität wird im Kapitel zu Literalität ausführlicher besprochen. 287 Youssef ist fast drei Jahre alt (zwei Jahre elf Monate).

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 171 aufgerufen. Wenn die Kinder, die das Bild auf dem Buchcover sehen, „türkischer Junge“ hören, verstehen sie dann unter einem „türkischen Jungen“ einen Jungen, der als phänotypisches Differenzmerkmal zum „deutschen Jungen“ mit schwarzen Haaren und etwas dunklerer Hautfarbe als der „deutsche Junge“ dargestellt wird? Oder assoziieren die Feldteilnehmenden mit dem Gegensatz „türkischer Junge“ „deutscher Junge“ ein Bündel von „ethnisch codierten Unterscheidungen“ (Diehm/Kuhn/Machold/Mai 2013: 644), das neben dem Phänotyp Sprache, Nationalität, ‚Migrationshintergrund‘, Kultur und Religion288 umfasst? Die Diffusität der alltagssprachlichen Kategorien „Türkisch“ und „Deutsch“ entspricht der Unschärfe und Arbitrarität, die der Differenzkategorie „Ethnizität“ zu Eigen ist (vgl. Diehm/Radtke 1999: 84; Diehm/Kuhn/Machold/Mai 2013: 651, jeweils im Rekurs auf Weber 1956/2009: 237)289. Die Frage „Wer ist hier ein türkischer Junge?“ schlägt eine Brücke zwischen dem Artefakt und den anwesenden Kindern, indem sie zu Selbstpositionierungen der Kinder „hier“ im Kita-Alltag und zur Identifikation mit dem abgebildeten Jungen einlädt. Gleichzeitig eröffnet sie ein Bündel von Praktiken „dialogische[r] Bilderbuchkommunikation“, bei der unter anderem Verbindungen zwischen den Büchern und dem Leben der buchbetrachtenden Kinder hergestellt werden (vgl. Ulich 2003: 10), hier über die Kategorie Ethnizität zwischen dem „türkischen“ Jungen auf dem Cover und „türkischen“ Jungen in der Kindergruppe. Youssef scheint mit der Praxis dialogischer Bilderbuchkommunikation oder zumindest mit pädagogischen Frage-Antwort-Praktiken vertraut, auch seine Geste (Hand aufzeigen) demonstriert eine Vertrautheit mit pädagogischen (schulvorbereitenden) Praktiken. Aus den Daten wird nicht erkennbar, ob die Frage, wer von den Kindern ein „türkischer Junge“ ist, tatsächlich aus einer Unwissenheit der pädagogischen Professionellen resultiert oder eine Einladung zur Identifikation ist. Hier ist jedoch eine Kontextinformation für das Verständnis hilfreich: Youssef, dessen Grosseltern aus Marokko nach Deutschland migriert sind, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt und zu Hause Deutsch und marokkanisches Arabisch spricht, ordnet 288 Die Kategorien „deutsch/türkisch“ werden im Feld auch für „christlich/muslimisch“ verwendet; das zeigt die Bezeichnung „türkische Wurst“ für Wurst vom Halal-Metzger sowie folgende Episode: Ravza macht ein Tierpuzzle und zeigt mir eine Spinne darauf. „Das ist eine Kreuzspinne“, sage ich. Ravza antwortet daraufhin: „Das ist vielleicht eine deutsche Spinne“. Hier wird deutlich, wie die Kategorie „deutsch“ mit „christlich“ aus der Perspektive eines muslimischen Kindes verbunden ist; zu möglichen intersektionalen Aspekten dieser Sequenz vgl. Walgenbach (2012). 289 Diehm und Radtke (1999: 83) präzisieren: „Der Ethnizitätsbegriff bezeichnet dagegen eine Identifikations- und Unterscheidungspraxis zweiter Ordnung. Jetzt geht es darum, wann und wie aus kulturellen, sprachlichen und religiösen, aber auch ‚rassischen’ Unterscheidungen Unterschiede werden, von denen absichtsvoll sozialer Gebrauch [Herv. i. O.] gemacht wird. Dies geschieht sowohl durch Selbst- als auch durch Fremdzuordnung von Individuen oder Gruppen zu ethnischen Merkmalen, d.h. durch Selbst- oder Fremdethnisierung (vgl. Bukow/Llaryora 1988).“

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sich als „türkischer Junge“ ein290. Ob er bereits die Praxis „Hand aufzeigen und ‚ich’ sagen“ beherrscht, aber die Frage noch nicht verstanden hat? Möglicherweise lässt die alternativlose Option „deutscher Junge“ (blond, hellhäutiger als der „türkische Junge“) versus „türkischer Junge“ (schwarzhaarig, mit etwas dunklerer Hautfarbe als der „deutsche Junge“) gar keine andere Möglichkeit für Youssef, als sich als „türkischer Junge“ zu identifizieren. Vielleicht hat Youssef auch erlebt, wie das Arabische oder seine Religion als „nicht deutsch“ klassifiziert wurden. Die Frage, wer ein „türkischer Junge“ sei, könnte man auch als Aufforderung zu einer Selbstpositionierung in der Dichotomie deutsch/fremd verstehen. Ermina ist bei dieser Sequenz anwesend; ob sie sich angesichts ihres Aussehens auch wie Youssef als „nicht deutsch“ klassifiziert, kann nur vermutet werden. „Hab ich das richtig gesagt?“ Gleich im Anschluss an die eben beschriebene Sequenz geschieht Folgendes: Sie [die pädagogische Professionelle Elisabeth, E. Zettl] liest die türkischen Ausdrücke, die auf der zweiten Seite des Buches in einem Kasten in einer Art Transkription mit Übersetzung abgedruckt sind: „‚Hoşgeldin’ war ‚willkommen’. ‚Teşekkür ederim’ (sie hat Schwierigkeiten mit der Aussprache, stockt) war ‚danke’. Hab ich das richtig gesagt?“ Ermina, die auf dem Schoß der pädagogischen Professionellen sitzt, sagt „Richtig“. Ermina zeigt auf die Schrift im Buch: „Lesen.“ Der folgende Satz der pädagogischen Professionellen ist unverständlich, Youssef, der am Rand der zuhörenden Kindergruppe steht, ruft in einem spielerischen Tonfall „Hiilfeee“, sehr laut, ich kann daher schlecht verstehen, was gesprochen wird. Jessica macht Youssef leise nach. Die pädagogische Professionelle fragt: „Fahrrad heißt bisiklet?“ Ermina: „Ja.“ „Tor heißt gol oder goll?“ Ermina: „Goll“. Die pädagogische Professionelle sagt: „Keskene: ich bin sauer. Lütfen, ich weiss, was Lütfen heißt. Bitte.- Sprichst du auch manchmal Deutsch mit Mama?“ Ermina: „Ä-ä.“ Die pädagogische Professionelle fragt: „In welcher Sprache unterhaltet ihr euch?“ Ermina: „Türkisch.“ Youssef stampft im Vordergrund mit den Beinen auf, sagt zu mir „kuck mal“; er scheint schon längere Zeit nicht mehr dem Vorlesen zuzuhören und dreht der pädagogischen Professionellen Elisabeth den Rücken zu. (8.5. 2011)

Aus der Kindergruppe ist jetzt eindeutig Ermina in den Fokus gerückt, sowohl von ihrer räumlichen Positionierung im Schoss der pädagogischen Professionellen her als auch von ihrer Positionierung als Sprachexpertin, die ihr die pädagogische 290

Youssef ist derselbe Junge, dessen „Muttersprache“ im „Buch“ (s. Abschnitt 5.1.1) als „marok“ bezeichnet wird. Sowohl im Artefakt „Buch“ als auch in der beschriebenen Praktik geschieht eine Fremdzuschreibung nicht deutscher Eigenschaften.

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 173 Professionelle anbietet. Youssef, der sich anfangs als „türkischer Junge“ gemeldet hat, ist nicht mehr am Bilderbuchgespräch beteiligt, wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, dass er kein Türkisch versteht und Ermina sichtbar zur einzigen Gesprächspartnerin wurde. Die wiederholte Frage nach dem Richtig oder Falsch von türkischer Aussprache mit dem Angebot, dass Ermina die pädagogische Professionelle korrigieren kann, verkehrt die für die Elementarpädagogik typischen Rollen von Deutsch fördernden pädagogischen Professionellen und zu fördernden Kindern mit geringen Deutschkenntnissen, außer dass die zu fördernden Kinder vermutlich nicht fragen würden: „Ist das richtig?“. Die pädagogische Professionelle stellt das Türkischsprechen Erminas als etwas Besonderes heraus, das die generationale Differenz „wissende Erwachsene“ versus „unwissende Kinder“ sich hier umkehrt. Während in Abschnitt 5.4.9 das Kind Berat eine Differenz zieht zwischen „uns“, die Türkisch sprechen, und der nicht Türkisch sprechenden pädagogischen Professionellen, versucht hier die pädagogische Professionelle, diese Differenz zumindest teilweise aufzuheben, indem sie einige Worte Türkisch aufgreift, wie es die Intention des Buches ist, und thematisiert. In den Sätzen „Sprichst du auch manchmal Deutsch mit Mama?“ und „In welcher Sprache unterhaltet ihr euch?“ zeigt sich dagegen wieder eine Frage, die typischerweise pädagogische Professionelle an Kinder richten, etwa in Testverfahren291. Die Geschichte der beiden Jungen „Sinan und Felix“ ist in diesem Bilderbuchgespräch gar nicht im Fokus, sondern die Aufmerksamkeit wird in der Bilderbuchkommunikation ausschließlich auf das Phänomen „Familiensprache“ gerichtet. Die folgende Sequenz greift eine Doppelseite im Bilderbuch (Çelik/Korthues 2007: o.S.) auf, die zunächst kurz beschrieben wird. Nach dem Ende der Geschichte von „Sinan und Felix“ werden Kästchen mit Bildern mit deutschen und türkischen Bildunterschriften gezeigt mit der Anleitung „Auf dieser Seite siehst du Wörter, die auf Deutsch und Türkisch fast genau gleich klingen, aber etwas ganz anderes bedeuten. Finde die Paare!“ Beispielsweise gibt es ein Bild mit einem Mädchen, das die Zunge herausstreckt, und der Bildunterschrift „dil“ und ein Bild mit der Pflanze „Dill“ und entsprechender Unterschrift. Im Seitenlayout sind deutsche und türkische Wort-Bild-Kombinationen nach dem Zufallsprinzip auf die Seite verteilt und nehmen jeweils gleich viel Raum ein.

291

Vgl. z.B. die Eingabemaske des Delfin-4-Tests, zu deren Bearbeitung die Frage gestellt wird, ob die getesteten Kinder zu Hause Deutsch sprechen (vgl. Diehm/Kuhn/Machold/Mai 2013: 651).

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Diese Doppelseite kann zum Einprägen türkischer Wörter für Deutsch sprechende Kinder und zum Ausbilden metasprachlicher Bewusstheit anregen292. Die pädagogische Professionelle kommentiert die Seite folgendermaßen (hier setzt sich die letzte dokumentierte Sequenz nahtlos fort): Elisabeth sagt: „Hier ist Dill ein Gewürz und dil ist eine Zunge. Kalp ist auf Türkisch Herz und auf Deutsch ein Tier. Da ist aber eure Sprache ganz schön schwer, wenn es da immer die gleichen Wörter gibt, jungejunge.“ (8.5.11)

In dieser Sequenz zeigt sich wiederum, dass Praktiken von einem Artefakt „zwar vorstrukturiert, aber nicht determiniert sind“ (vgl. Kuhn 2013: 243). Während die gleich klingenden Wörter im Deutschen und Türkischen im Buch gegenübergestellt sind, beschreibt Elisabeth nur das Türkische und verwendet dabei die Bezeichnung „eure Sprache“ als Fremdzuschreibung für „die“ Sprache der Kinder; wen sie mit dieser Zuschreibung adressiert, bleibt unklar. In der generalisierenden Positionierung des Türkischen als „eure Sprache“ wird eine Dichotomie „deutsche Erzieherin / türkische Kinder“ aufgebaut. Die Zuschreibung von „schwer“ zum Türkischen könnte mit dem verstärkenden „jungejunge“ durchaus als Kompliment gemeint sein, vielleicht auch in Umkehrung des verbreiteten Stereotyps, dass Deutsch eine schwer zu lernende Sprache sei, oder als Rechtfertigung der Erzieherin, selbst kein Türkisch zu sprechen. Sie steht jedoch konträr zum Satz auf dem Buchcover, der im Sinne einer Erziehung zur Mehrsprachigkeit postuliert, „dass Türkisch gar nicht so schwer ist“. Dies veranschaulicht die Eigenmächtigkeit von Praktiken gegenüber Artefakten, in denen sie verwendet werden. Im Buch sind die gleich klingenden Wörter im Deutschen und Türkischen gegenübergestellt; der Satz „Da ist eure Sprache aber ganz schön schwer, wenn es da immer die gleichen Wörter gibt“ macht jedoch das Deutsche unsichtbar und erweckt den Eindruck, das Türkische sei voller Homonyme. Die Sequenz setzt sich wie folgt fort: Debora sagt, dass sie auf Türkisch zählen lernt. Elisabeth fragt: „Magst du Englisch zählen?“ Sie zählen auf Englisch von eins bis zehn. Elisabeth sagt: „Ihr könnt ja drei Sprachen. Du hast Türkisch gelernt, du kannst Deutsch und Englisch.“ (8.5. 2011)

Wiederum (vgl. Abschnitt 5.4.2) wird das Zählen als pädagogische Praxis herausgehoben. Debora, die Englisch als Familiensprache spricht, erzählt, dass sie auf Türkisch zählen lerne. Dass dies für sie berichtenswert ist, geschieht möglicherweise, weil Elisabeth das Türkische vorher positiv herausgehoben hat; vielleicht 292

Hierzu gehört das Zuordnen von Wörtern zu verschiedenen Sprachen und auch die Bewusstheit dafür, dass ein Bezeichnetes in verschiedenen Sprachen verschiedene Bezeichnungen haben kann (vgl. z.B. Oomen-Welke 2003).

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 175 hat sie das Zählen auf Türkisch auch von der pädagogischen Professionellen Laura (vgl. ebd.) gelernt und als „pädagogisch wertvolle Praxis“ wahrgenommen. Die pädagogische Professionelle Elisabeth geht nicht weiter auf Deboras Thematisierung türkischer Zahlen ein und spricht sie stattdessen auf die Elisabeth bekannte Familiensprache Englisch an. Das gemeinsame Zählen auf Englisch ist um so bemerkenswerter, als Debora das Englische von einer anderen pädagogischen Professionellen verboten wird (Abschnitt 5.2.1); von einer weiteren Erzieherin wird es ignoriert (Abschnitt 5.3.4). Abschließend lobt Elisabeth die Sprachkompetenz mit dem „Ihr könnt ja drei Sprachen“ (wer mit „ihr“ gemeint ist, wird aus den Daten nicht ersichtlich) ganz im Sinne eines pädagogischen Diskurses zur Wertschätzung von Mehrsprachigkeit, um gleich zu differenzieren: Debora habe Türkisch gelernt und könne Deutsch und Englisch. Damit wird eine Trennlinie gezogen zwischen dem Türkischen, von dem Elisabeth vermutlich annimmt, dass Debora nur ein paar Wörter in der Kindertagesstätte gelernt habe, und dem „Deutschen und Englischen“, den Sprachen, die Debora in der Kita bzw. nach Auskunft des „Buchs“ in der Familie spricht. Durch die Formulierung wird Türkisch herausgehoben, das „Deutsche und Englische“ werden als gleichwertig dargestellt293. „Meine Mutter bringt mir’n bisschen Türkisch bei“ Neun Tage nach der eben beschriebenen Sequenz kommt Ermina mit dem Bilderbuch „Sinan und Felix“, das in einer Kiste in der Garderobe aufbewahrt wird, zu mir. Ich sitze am Eingangsbereich. Ermina kommt zu mir mit dem Bilderbuch „Sinan und Felix“ und sagt „Kuck mal, der’s deutsch, der’s türkisch.“ Sie zeigt auf die Figuren auf dem Titelblatt. Ermina: „Lies mir vor. Das’s deutsch, das’s türkisch.“ Sie zeigt auf das Kästchen mit deutschen Sätzen und ihren türkischen Übersetzungen auf der 293 Ein kontrastierender Vergleich mit früheren Abschnitten ist hilfreich, um dieses „können“ zu deuten. In der in 5.2.1 beschriebenen Sequenz sagt eine pädagogische Professionelle: „Aber wir sprechen Deutsch. Aber der Orhan spricht Deutsch, der Ahmed kann auch Deutsch“ (29.9. 10). Hier wird das Deutschsprechen-Können mit dem Deutschsprechen-Müssen gleichgestellt. In Abschnitt 5.5.1 heißt es: Die pädagogische Professionelle Elisabeth (…) sagt zu Debora, wenn ihre kleine Schwester Gracelyn nicht verstehe, solle sie es ihr auf Englisch sagen [Gracelyn ist seit zwei Monaten in der Kita, E. Zettl]. Eine andere pädagogische Professionelle sagt, Gracelyn könne Deutsch. Das Deutsch-Können wird in dieser Sequenz nicht mit einem Sprachenverbot verbunden, aber verknüpft mit der Denkfigur „Wer Deutsch kann, braucht kein Englisch zu sprechen“. Im gerade eben genannten Beispiel dagegen werden Deutsch und Englisch nebeneinander genannt ohne eine Hierarchie zwischen der Sprache der Bildungseinrichtung und der Familiensprache, das „Können“ beider Sprachen wird positiv betont.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita ersten Doppelseite. Ich lese die türkischen Wörter im Kästchen vor, frage sie, ob ich sie richtig ausspreche, sie nickt. Ich frage: „Was heißt willkommen?“ Sie antwortet nicht. Ich antworte: „Das weiß ja sogar ich, das heißt hoşgeldin.“ Sie zeigt erst: „Lies vor“, und deutet auf die Worterklärungen auf der rechten Seite, dann zeigt sie schnell auf die linke Seite, ich sage sinngemäß, erst das Eine, dann das Andere. Ich lese eine Seite Text auf Deutsch vor (nicht am Anfang des Buches, sie ist aber trotzdem verständlich). Ich lese weiter vor und kommentiere den Text: „Ich ärgere mich auch, wenn ich hier kein Türkisch kann.“ Ich lese „Tor“, frage: „Gol oder goll?“ Sie: „Nein, engol. Meine Mutter bringt mir’n bisschen Türkisch bei.“ (17.5.11)

Ermina hat vermutlich, wie ich auch, die Bilderbuchbetrachtung mit der pädagogischen Professionellen Elisabeth in Erinnerung, wenn sie mir das Buch zeigt. Obwohl sie aller Wahrscheinlichkeit nach noch nicht lesen kann, hat sie sich eingeprägt, dass in den Kästchen deutsche und türkische Sätze stehen. Ich wiederhole, ohne dass ich dies realisiere, nun Elisabeths Verhalten, vielleicht als Folge eines „going native“ (vgl. Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 68, Amann/Hirschauer 1997: 27ff.), in dem ich unbewusst mehr die Praktiken der pädagogischen Professionellen zu kopieren versuche denn als Feldforscherin agiere294. Hier muss im Sinne der Reflexive Grounded Theory die Positionierung der Forscherin explizit reflektiert werden, um sie für die Analyse fruchtbar zu machen. Als „weiße“ deutsche Forscherin würde sie vermutlich von allen Feldteilnehmenden als „nicht türkisch“ identifiziert295. Sie spricht in dieser Positionierung, die analog der Positionierung der ausnahmslos „weißen“ deutschen pädagogischen Professionellen ist, Ermina als „türkisches“, nicht-deutsches Kind an. Die Forscherin betreibt also eine Differenzkonstruktion, wie sie durch das Bilderbuch und pädagogische Professionelle vorstrukturiert wurde. Es geschieht hier ein „Othering“ entlang der Dichotomie „deutsch/türkisch“ bzw. „deutsch/fremd“. Die Forscherin reproduziert die blinden Flecken der pädagogischen Professionellen, indem sie die Sprache Erminas als „Türkisch“ klassifiziert. Die Positionierung der Feldforscherin als am „Anderen“, Unbekannten interessierte Deutsche ermöglicht es Ermina, sich als Expertin für das Nicht-Deutsche, „Andere“, der Forscherin Unbekannte zu inszenieren. Auch wenn das Sprechen einer nicht-deutschen Sprache hier nicht stigmatisiert, sondern wertgeschätzt wird, wird es doch „besondert“. 294 Trotz dieser methodischen Kritik an den Daten soll die vorliegende Sequenz hier dokumentiert werden, da sie Auskunft nicht nur über die zeitweilige Selbstpositionierung der Forscherin gibt, sondern auch Aufschichtungen in der immer deutlicher werdenden Selbstpositionierung von Ermina als „türkisches Kind“ aufzeigt. 295 Vgl. auch Machold (2015: 126), die ebenfalls ethnographisch den elementarpädagogischen Alltag erforscht und reflektiert, dass sie kein Türkisch spricht und von Feldteilnehmenden als nicht-türkischsprechend wahrgenommen wird.

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 177 Ermina nickt; auf meine Frage nach dem türkischen Wort für „Willkommen“ schweigt sie. Ähnlich wie Laura in Abschnitt 5.4.2 („Sag mal, Ermina, spricht man mit dir kein Türkisch zu Hause“) reagiere ich auf Erminas vielfältig deutbares Schweigen mit Verwunderung, ja sogar mit einer impliziten Abwertung der Türkischkenntnisse Erminas in dem Satz „Das weiß ja sogar ich“. Nachdem Ermina hier zum dritten Mal in meinen Daten als Türkisch sprechendes Kind angesprochen wird, zweimal davon beinahe vorwurfsvoll, weil sie diesem Bild nicht entspreche, könnte dies bei Ermina den Wunsch wecken, den Erwartungen der erwachsenen Feldteilnehmenden zu entsprechen und zu demonstrieren, dass sie tatsächlich Türkisch spricht; zudem könnte die Bemerkung der Feldforscherin, sie ärgere sich, weil sie kein Türkisch könne, diese Sprache für Ermina als attraktiv und prestigehoch darstellen. Über einen längeren Zeitraum hinweg wird Ermina von verschiedenen pädagogischen Professionellen und der Feldforscherin zugeschrieben, Türkisch zu sprechen. Wie der Deutsch und marokkanisches Arabisch sprechende Youssef, der sich (vgl. Abschnitt 5.4.3) meldet, als er sich als „türkischer Junge“ identifizieren kann, erfährt Ermina durch die Zuschreibung als „türkisches“ Kind mit Hilfe des Artefakts „Bilderbuch“ einen großen Gewinn an Aufmerksamkeit: Sie sitzt als „Sprachexpertin“ auf dem Schoss der pädagogischen Professionellen und darf diese belehren, kann diese Positionierung bei der ebenfalls sehr interessierten Feldforscherin wiederholen und übt sich in der Praxis „Aussprache korrigieren/Laute deutlich aussprechen“. Erminas Aussagen über das Thema Türkisch in der Familie innerhalb weniger Tage im Mai 2011 zeigen, dass ihre Selbstpositionierung sich verändert: Erst schweigt sie, schüttelt (verlegen?) grinsend den Kopf (4.5. 2011), antwortet dann mit „Ä-ä“ auf die Frage nach dem familiären Deutschsprechen und mit „Türkisch“ auf die Frage nach der Familiensprache (8.5. 2011) und sagt schließlich von sich aus, ihre Mutter bringe ihr „’n bisschen Türkisch bei“. Nachdem sie erlebt hat, wie das Nicht-Türkisch-Sprechen durch Laura und die Forscherin als defizitär gesehen wird, positioniert sie sich immer stärker entlang der Fremdzuschreibung als Türkisch sprechendes und somit wertgeschätztes Kind. Erst auf Nachfrage, dann von sich aus spricht sie darüber, dass ihre Mutter ihr Türkisch beibringe; möglicherweise wird es auch relevant, dass sie angesichts des „Spricht man mit dir kein Türkisch zu Hause?“ auch ihre Mutter in ein günstiges Licht rücken möchte und daher von sich aus „pädagogisch wertvolle“ Sprachpraktiken ihrer Mutter erwähnt. Diese Aufschichtung von Fremdzuschreibungen und Selbstpositionierungen kann durch ein Zitat von Römhild (2007: 166) erhellt werden. Sie schreibt in Rekurs auf Hall (1991/1994), wie Migrant*innen zu „Experten für das ethnische Unterscheidungssystem“ werden: „Es ist ein Lernprozess, die Kategorien, in denen

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man gedacht wird, kennen zu lernen und ihre Bedeutungen für das eigene Leben zu verstehen“. Ähnlich wie beim Vorlesen durch Elisabeth, bei dem der Inhalt der Geschichte „Sinan und Felix“ durch das Thematisieren der Sprachen in den Hintergrund rückt, lese ich nun auch nicht chronologisch die Geschichte vor, sondern inszeniere Ermina als Expertin für türkische Aussprache. Dass sie mir eine andere „richtige“ Aussprache für „Tor“ („engol“) sagt als neun Tage zuvor bei Elisabeth („goll“), fällt mir nicht auf. Auch im folgenden Abschnitt verhalte ich mich anfangs ähnlich wie Elisabeth („Ihr könnt ja drei Sprachen“, vgl. Abschnitt 5.4.4) angelehnt an Diskurse zur Wertschätzung des Türkischen als Erstsprache und positioniere mich als Person, die, ebenfalls ähnlich wie Elisabeth, etwas Türkisch lernen möchte. Ich sage: „Toll, dann kannst du zwei Sprachen. Bringst du mir Türkisch bei?“ Sie sagt mir Zahlen, ich schreibe sie hinten in mein Notizbuch. „Bir ist eins“, sage ich. Sie diktiert mir: „bem“ (2), „iz“ (3), „üle“ (schlecht leserlich) (4), „idgünen“ (5), „ günem“ (6). Ich frage: „Idgünen oder idgümen?“ Sie spricht mir die Laute deutlich vor, ich frage sonst auch noch nach Lauten. Ich sage: „Keskene, das klingt ganz nach: ich bin sauer.“ Ermina und ich schauen die Seite mit gleich klingenden Wörtern an. Ich frage: „Araba heißt auto, fiş heißt Steckdose, hab ich das richtig ausgesprochen?“ Sie nickt. Ich sage: „Kalb“ (zum Bild vom Kalb). Sie: „Das ist nicht Kalb“ (zeigt auf das Bild mit einem Kalb), ich verstehe nicht, was sie meint. Ermina freut sich sichtlich, wenn ich etwas auf Türkisch vorlese. Nachdem sie gegangen ist, stelle ich aber fest, dass sie mir ganz andere Zahlen gesagt hat als im Buch unter der Rubrik „Türkische Zahlen“ stehen. (17.5. 11)

Das Zählen von eins bis zehn wird, wie bereits bei den pädagogischen Professionellen Laura (5.4.2) und Elisabeth (5.4.4), als exemplarisch für grundlegende Sprachkenntnisse praktiziert. Die Frage „Bringst du mir Türkisch bei?“ impliziert, dass Ermina Türkisch kann, ähnlich wie Lauras Fragen nach Farbadjektiven auf Türkisch; zugleich steht in den Fragen von Laura und der Feldforscherin das Beherrschen von häufig gebrauchtem Wortschatz (Farbadjektive, Zahlen) als symbolisches pars pro toto für das Beherrschen des Türkischen. Die Bitte der Forscherin, dass eine Feldteilnehmende ihr Türkisch beibringen solle, erinnert an lange Feldaufenthalte in der außereuropäischen Ethnologie, bei denen die im Feld gesprochenen Sprachen erst im Feld gelernt werden müssen. Sie ist auch im Kontext des Interesses der Forscherin am Türkischlernen zu sehen, die sich ärgert, weil sie anders als geplant während des Feldaufenthalts nicht die Zeit dazu findet. Gleichzeitig bestärkt sie in ihrer Wertschätzung von Erminas „Türkischkenntnissen“ diese weiter in ihrer Expertenposition. Ermina geht auf diese Positionierung und den Einstieg „Bir ist eins“ ein und diktiert Zahlen, bei denen sie auf Nachfrage („idgünen oder idgümen?“) souverän eine phonetische

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 179 Unterscheidung vornimmt. Danach schauen wir uns, genau wie Elisabeth im Abschnitt 5.4.4, die Doppelseite mit den gleich klingenden Wörtern auf Deutsch und auf Türkisch an, ich frage Ermina wieder nach der richtigen Aussprache. Fest steht, dass Erminas „Türkischsprechen“ (unabhängig von seinem Realitätsgehalt) im Feld zu Situationen führt, in der die Selbstpositionierungen und Fremdzuschreibungen für alle Beteiligten Gewinn versprechen: Ermina erhält Aufmerksamkeit, Zuwendung und Anregungen und darf sogar Erwachsene korrigieren, die pädagogische Professionelle kann eine dialogische Bilderbuchkommunikation mit dem Ziel einer Wertschätzung von Familiensprachen durchführen und die Feldforscherin freut sich, dass ein Kind die Themen Mehrsprachigkeit und Literalität von sich aus thematisiert und ihr eigenes Interesse am Türkischlernen auf Resonanz stößt. Der Satz, als Ermina auf das Bild mit dem Kalb deutet, „Das ist nicht Kalb“, wird im Feldprotokoll kommentiert, er sei für die Forscherin unverständlich; allerdings wird in der Sequenz auch nicht weiter darauf eingegangen. Hier zeigt sich ein grundlegendes Thema nicht nur in mehrsprachigen Kontexten: „Ungewissheit ist zunächst ein Strukturmerkmal jeder Lebenspraxis“ (Helsper 2008: 162). Trotz dieser kurzen Irritation meines Zu-Verstehen-Glaubens von Ermina beschreibe ich während des Protokollierens weiterhin Ermina in einer semantischen Vereindeutigung als „türkisches Kind“, das sich, so das am selben Tag geschriebene Protokoll, „sichtlich freut“, wenn Türkisch gesprochen wird. Um so bewusster wird mir meine Ungewissheit nachträglich, als ich feststelle, dass Ermina mir keine türkischen Zahlwörter gesagt hat. „Es steht nicht im ‚Buch’, welche Familiensprache sie spricht“ Am selben Tag spreche ich mit einer weiteren erwachsenen Feldteilnehmenden über die vorangegangene Sequenz: Ich habe ein Gespräch mit einer erwachsenen Feldteilnehmenden und erzähle von der Situation mit Ermina und „Sinan und Felix“, dass sie so interessiert war. Die erwachsene Feldteilnehmende sagt, Ermina spreche gar kein Türkisch. Ich sage: „Sie hat doch gesagt, ihre Mutter bringt ihr etwas bei.“ Sie sagt, dass möglicherweise Türkisch in der Familie eine Rolle spiele. Es steht nicht im „Buch“, welche Familiensprache sie spricht, sie schaut nach, findet es aber nicht. Die erwachsene Feldteilnehmende sagt zu mir, man sollte Erminas Familiensprache im „Buch“ dokumentieren (17.5. 11)296 296 Beim Aufzeichnen dieser Passage stellt sich das ethische Dilemma, dass laut der Datenschutzvereinbarung nur Äußerungen unter Kindern und zwischen Kindern und Erwachsenen im Fokus stehen, verwendet werden; nach Hammersley und Traianou (2012) ist eine situative Abwägung dieses

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Hier zeigen sich unterschiedliche professionelle Wissensbestände über Ermina: Die pädagogischen Professionellen Laura und Elisabeth wissen nichts über Erminas Erstsprache; eine weitere Feldteilnehmende verweist auf das Artefakt „Buch“, in dem Familiensprachen qua Institution und Gesetzesvorlage dokumentiert sein sollten. Eines der leer gelassenen Felder im „Buch“, die sonst ausschließlich Deutsch sprechenden Kindern vorbehalten sind (vgl. Abschnitt 5.1.1), ist versehentlich auch Ermina zugeordnet. Anders als bei den Kindern, bei denen das leere Kästchen selbstverständlich für das Deutsche steht, soll hier durch das Ausfüllen des Kästchens eine Informationslücke geschlossen werden. Auch die Selbstpositionierung der Feldforscherin als Person, die sich beruflich für Sprachen interessiert, könnte gegenüber der Feldteilnehmenden relevant werden. Dies zeigt sich auch drei Tage später deutlich: Ermina ist vermutlich Kurdin, sagt eine erwachsene Feldteilnehmende, als ich erzähle, dass Ermina mir ganz andere Zahlen gesagt hat als im Buch stehen. Später sagt mir eine weitere erwachsene Feldteilnehmende, Ermina sei Albanerin. Offensichtlich hat sie Erminas Mutter gefragt, die überrascht gewesen sei, dass Ermina gesagt habe: Meine Mutter bringt mir etwas Türkisch bei. Aber Ermina spreche auch nicht richtig Albanisch, sagt diese erwachsene Feldteilnehmende. Sie sagt, von Hülya [einem anderen Kind aus der „Gruppe Blau“, mit dem Ermina schon länger befreundet ist, E. Zettl] habe Ermina offensichtlich etwas Türkisch gelernt (20. 5. 11).

Der Wunsch der Forscherin nach Vereindeutigung der Situation und einer im linguistischen Sinne korrekten Zuschreibung einer Familiensprache zu Ermina führt zu weiteren Nachforschungen seitens der Feldteilnehmenden. Aus der retrospektiven analytischen Distanz (vgl. Breidenstein/Hirschauer/Kalthoff/Nieswand 2013: 68) lässt sich dieses Erkenntnisinteresse kritisch betrachten: Wird durch den Versuch, Ermina eine Familiensprache zuzuschreiben, nicht auch eine Kategorisierung ähnlich der im Feld gängigen Kategorien betrieben und somit die Reifizierung im Feld selbst verschärft? Römhild schreibt hierzu (2007: 163): „Die gesellschaftliche Praxis des Unterscheidens, Klassifizierens, Hierarchisierens entlang von Kriterien der Herkunft und Zugehörigkeit produziert also die ethnischen Minderheiten, die sie anschließend zum Problem erklärt.“ Auch wenn die Klassifikationsversuche Erminas durch die Forscherin diese nicht zum „Problem“ erklären möchten, ist nicht zu leugnen, dass Ermina dadurch extrinsischen Werts „Datenschutz“ mit dem intrinsischen Wert „Wissenszuwachs“ notwendig. Da diese und die folgenden Passagen m. E. für das vertiefte Verständnis der Sequenz unabdinglich sind, gleichwohl aber die Datenschutzvereinbarung nicht gebrochen werden soll, wird hier noch stärker als sonst anonymisiert. Es wird nur der Begriff „erwachsene Feldteilnehmende“, nicht aber die Pseudonyme für die einzelnen Feldteilnehmenden verwendet; Äußerungen werden paraphrasiert, nicht wörtlich wiedergegeben.

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 181 vor allem als Repräsentantin einer Sprachengruppe, weniger als Subjekt, adressiert wird. Im Sinne der Selbstreflexivität im Forschungs- und Auswertungprozess in Anlehnung an die Reflexive Grounded Theory muss hinzugefügt werden: Zum Datenerhebungszeitpunkt war die Forscherin als studierte Linguistin und Literaturwissenschaftlerin noch nicht stark von differenzsensibler Migrationspädagogik geprägt. Das in den Daten auffallende wiederholte Insistieren auf dem Herausfinden der „wahren“ Familiensprache ist vielleicht ebenso durch Resonanzen mit differenzziehenden, scheinbar wertschätzenden Diskursen aus der Interkulturellen Pädagogik zu erklären wie die Praktiken anderer Feldteilnehmender. Die Antworten aus dem Feld auf die Anfragen der Forscherin sind von Überraschung und Defizitbeschreibung geprägt: Ermina spreche in der Familie kein Türkisch und auch nicht „richtig“ Albanisch. Dennoch wird im „Buch“ daraufhin in Erminas Spalte „alba“ eingetragen; dass Ermina vermutlich wesentlich besser Deutsch als Albanisch spricht, und dies vielleicht auch in der Familie häufiger tut, wird ignoriert (vgl. Abschnitt 5.1.3). Somit hat die Forscherin ungewollt zu Reifizierung durch Forschung beigetragen (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2010). „Spanisch? Türkisch? Arabanisch?“ „Ähm, ähm, ähm, Albanisch“ Einen Monat später frage ich Ermina selbst nach ihrer Familiensprache: Ich frage Ermina in Anwesenheit von Debora, welche Sprache Ermina spricht. Debora fragt: „Spanisch? Türkisch? Arabanisch?“ Ermina sagt: „Ähm, ähm, ähm [Pausen zwischen den „Ähms“, E. Zettl] Albanisch.“ Ich frage Debora nach ihrer Familiensprache, sie sagt ohne Zögern „English“ [mit englischer Aussprache, E. Zettl] (20.6. 11)

Deboras „Spanisch? Türkisch? Arabanisch?“ schlägt als Fremdzuschreibung drei Sprachen vor: eine im Feld nicht vorkommende, die (vgl. Abschnitt 5.5.5) als unverständliche Sprache der „Anderen“ gesehen werden kann; das im Feld ubiquitäre „Türkisch“, mit dem Ermina die letzten Monate immer wieder in Verbindung gebracht wurde, und das Phantasiewort „Arabanisch“ (Arabisch? Albanisch?), das ebenfalls ein Platzhalter für etwas Unverständliches sein könnte. Ermina geht diesmal nicht wie in den vorigen Sequenzen auf die Zuschreibungen ein, Türkisch zu sprechen. Hatte sie in der Passage in Abschnitt 5.4.2 noch geschwiegen bei der Frage auf ihre Familiensprache und sich in den Abschnitten 5.4.3-5.4.5 immer stärker im Zuge der Fremdzuschreibung als „türkisches Kind“ mit dem Türkischen identifiziert („Meine Mutter bringt mir n bisschen Türkisch bei“), fällt hier das Zögern auf, bevor sie „Albanisch“ sagt. Fällt ihr auf Anhieb das deutsche Wort für diese Sprache nicht ein, oder beschämt die Forscherin unwillentlich Ermina, weil

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

diese nun zugibt, kein Türkisch zu sprechen, anders als sie der Forscherin und der pädagogischen Professionellen Elisabeth gegenüber früher behauptet hatte? Ob Ermina die mit Zuwendung verbundene Fremdzuschreibung/Selbstpositionierung als „türkisches Kind“ nur ungern aufgibt? Oder ob eine ungewollte Beschämung darin liegt, dass Ermina auf eine Familiensprache festgelegt werden soll, die ihr vielleicht im Vergleich zum Deutschen gar nicht so geläufig ist? Das Zögern und das dreimalige „Ähm“ könnten nach Wertenbruch und Röttger-Rössler (2011: 242) ein Ausdruck von Scham sein, „eine Form 'sozialer Angst'“, genauer der Angst, „vor den Augen der anderen zu versagen, den sozialen Erwartungen nicht zu entsprechen und sich dadurch eine Blöße zu geben“. Im Vergleich zu Erminas Reaktion fällt auch auf, dass Debora nicht zögert, bevor sie „English“ sagt. Diese Familiensprache scheint für Debora schneller abrufbar und unproblematischer in der Nennung als für Ermina das Albanische zu sein. „Das ist wohl eine Phantasiesprache“ Fast zwei Monate später beschäftigt mich die Frage immer noch, aus welcher Sprache die Zahlen stammen, die Ermina mir diktiert hat, und die weder dem Türkischen noch dem Albanischen zugeordnet werden können. Ich adressiere nun eine Familienangehörige von Ermina als Expertin: Ich frage eine Familienangehörige von Ermina nach den Zahlen, die Ermina in mein Heft diktiert hat. Sie sagt, Ermina kann nicht gut Albanisch. ‚Bir’ sei türkisch. „Und die anderen Zahlen?“ frage ich. Das weiß sie nicht, das sei wohl eine Phantasiesprache. (19.7. 2011)

Das Thema Nichtwissen und Vermuten, welcher Sprache eine Äußerung zuzuordnen sei, das im Zusammenhang mit der im Feld vorhandenen linguistischen SuperDiversität (vgl. Creese/Blackledge 2010) immer wieder auftaucht, erscheint sogar in der Aussage von Erminas Familienangehöriger: Sie wisse nicht, welche Sprache das sei, es sei „wohl“ eine Phantasiesprache. Der Begriff „Phantasiesprache“ lässt offen, ob diese Sprache als absichtliche Täuschung erfunden wurde oder in der Phantasie „entstand“ in einer Art „Als-obSpiel“ (vgl. Diehm/Kuhn 2005: 228)297. Dass erst als Reaktion auf 297

Eine ähnliche Konstruktion einer Phantasiesprache durch Kinder, die ausgelöst durch einen pädagogischen Impetus von Erwachsenen ist, wird im Kinderbuch „Ich Tarzan – du Nickless!“ (Murail 2012) beschrieben. In diesem Buch wird ein französischer Junge von seinem Vater gedrängt, im Campingurlaub Kontakt mit einem fremdsprachigen Kind aufzunehmen, um eine Fremdsprache zu lernen. Als er einen irischen Jungen trifft, der kein Französisch spricht, erfinden die zwei Kinder eine Sprache, die sie „Holländisch“ nennen, und lassen ihre Eltern im Glauben, sie lernten tatsächlich Holländisch.

5.4 Türkisch: Wertschätzung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierungen 183 Fremdzuschreibungen Selbstpositionierungen konstruiert werden (vgl. auch Römhild 2007), wird hier augenfällig. Ähnlich beschreiben Kalpaka und Mecheril (2010: 86), wie Kinder zu einem „interkulturellen Frühstück“ Schafskäse und Oliven mitbringen; alle freuen sich, allerdings erzählen die Kinder später, sie würden zu Hause gar nicht frühstücken und hätten nur etwas mitgebracht, weil alle etwas mitbrächten und um der Lehrerin eine Freude zu machen. Zusammenfassend kann gesagt werden: In einer aufwändigen Verstrickung von Selbstpositionierungen und Fremdzuschreibungen, an denen Kinder und Erwachsene ebenso beteiligt sind wie diverse Artefakte (ein Bilderbuch, das „Buch“, das Notizbuch der Forscherin mit den aufgeschriebenen Zahlen) wird erst das Türkische, dann das Albanische für ein Kind als Familiensprache festgelegt. Diese Zuschreibungen während der Praxis des Farben-Benennens, Bilderbuchbetrachtens und Zahlen-Aufschreibens wie im administrativen Akt des Eintrags im „Buch“ konstruieren Ermina als „nicht deutsch“, obwohl vermutlich das Deutsche die Sprache ist, in der sie über die meisten Fähigkeiten verfügt. Zugleich wird Erminas Kreativität in ihrer Selbstpositionierung sichtbar. Um Diskurse zu früher Bildung aufzugreifen: Hier geschieht Bildung in einem aufwändigen Prozess der Ko-Konstruktion. In diesem Fall ist die Ko-Konstruktion als „türkisch“ jedoch mit ihrer alltäglichen Lebenswelt nicht deckungsgleich. „Die Katrin kann gar kein Türkisch, die versteht uns nicht“ Während in den letzten Abschnitten Kindern von pädagogischen Professionellen zugeschrieben wird, dass sie Türkisch sprechen, und sie sich daraufhin auch als Türkisch sprechend positionieren, findet sich in der folgenden Sequenz eine Fremdzuschreibung eines Kindes an eine pädagogische Professionelle. Als die Kinder mich bereits besser kennen, erzählen sie mir manchmal ungefragt von ihrem Alltag. Hier erzählt Berat von einem deutsch-türkischen MutterKind-Projekt298: Berat (5) erzählt mir von einem Ausflug in einen Spielepark für Mamas und Kinder; es sei auf Deutsch und Türkisch, aber nicht in anderen Sprachen. Wenn andere (sagt er sinngemäß) kommen, die Englisch oder so sprechen, verstehen sie das nicht. „Die Katrin [eine pädagogische Professionelle aus der Gruppe Blau, E. Zettl] kann gar kein Türkisch, die versteht uns nicht.“ (17.5. 2011)

298 Da es im Stadtviertel zahlreiche Elternbildungsprojekte gibt („Rucksack“-Projekte, Stadtteilmütter etc.) und die Frage nach der Art des Projekts nicht im Fokus stand, habe ich nicht weiter nachgefragt, was genau in diesem Projekt gemacht wurde.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Auffallend ist, dass Berat weniger vom Inhalt des Ausflugs erzählt als von den dort gesprochenen Sprachen299 bzw. dem Nicht-Verstehen. Hier erscheint zunächst nicht die sonst so häufige Dichotomie „Deutsch“ vs. „Türkisch“, sondern eine zwischen „Deutsch und Türkisch“ und „Englisch oder so“. Englisch zu sprechen wird hier nicht als etwas Positives hervorgehoben wie in Abschnitt 5.5.4 Vielmehr scheint „Englisch“ ein Platzhalter für Sprachen zu sein, die von Menschen gesprochen werden, die kein Türkisch oder Deutsch verstehen. Im letzten Satz dagegen wird wieder eine Dichotomie „Deutsch“ vs „Türkisch“ aufgestellt (möglicherweise gleichzeitig mit einer Dichotomie „Kita“ „Aktivitäten außerhalb der Kita mit Müttern“). Erzählte Berat anfangs sinngemäß noch von „Deutsch und Türkisch“, das beim Ausflug gesprochen werde, ist es jetzt ein Ausschlusskriterium, dass die Deutsch sprechende pädagogische Professionelle Katrin kein Türkisch spricht. Wenn er sagt: „Die versteht uns nicht“, klingt das wie Stolz auf die Sprache, der er sich zugehörig fühlt, und ein Kritisieren eines Defizits, das möglicherweise um so stärker wahrgenommen wird, als es sich bei Katrin um eine Autoritätsfigur, eine erwachsene pädagogische Professionelle, handelt; das „Die“ vs. „uns“ stellt Katrin als nicht gruppenzugehörig im Gegensatz zu einer Gruppe dar, die das gemeinsame Verstehen eint300. Diese Sequenz ist die einzige in den gesamten Daten, in der Türkischsprechen von einem Türkisch sprechenden Kind als etwas Positives, Gruppenzugehörigkeit Definierendes erwähnt wird, allerdings um den Preis des verbalen Ausschlusses anderer, die „gar kein Türkisch“ verstehen. Performativitätstheoretisch könnte man hier argumentieren, dass mit dem Ausflug von Müttern und Kindern etwas thematisiert wird, das im Außerhalb der Kita stattfindet und für das andere Regeln - hier wird Türkisch und Deutsch gesprochen - gelten als in der Kita, aber auch andere Wertigkeiten - nicht Türkisch zu sprechen gilt implizit in Bezug auf die beschriebene Gruppe als Defizit301. Praxistheoretisch gewendet, erscheint hier ein weiterer Aspekt der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“, der die Brüchigkeit und Widersprüchlichkeit dieser Formation zeigt. Im Kontrast zu Praktiken des Sprachenverbietens, die auch Katrin durchführt (vgl. Abschnitt 5.2.1), oder des Nicht-Sprechens über Erstsprachen in der Kita werden hier Türkischkenntnisse als Voraussetzung für Verstehen und mithin Zugehörig299

Ich hatte im Vorfeld von Berats Erzählung nicht explizit nach Sprachen gefragt; es wäre aber möglich, dass Berats Mutter ihrem Sohn erzählt hat, dass ich mich mit Sprachen beschäftige. 300 Dass ein Kita-Kind auf seine nicht-deutsche Familiensprache, die die Erzieherinnen nicht verstehen, stolz sei, erwähnt auch eine Erzieherin, die in Thomauske (2014: 97) zitiert wird. Diese Aussage liest Thomauske im Zusammenhang mit der mehrsprachigkeitsfreundlichen Haltung der zitierten Erzieherinnen. 301 Man könnte diese Passage auch im Rahmen der institutional ethnography deuten und Katrin als Vertreterin der Institution Kita im Kontrast zu einer außerinstitutionellen Gruppe sehen; dies wäre Thema einer eigenen Arbeit.

5.5 Englisch: Thematisierung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierung

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keit thematisiert, wenn auch für Veranstaltungen außerhalb der Kita. Diese Äußerung geschieht in der Kita selbst und verweist auf einen Kontext, in dem das Türkische (so deute ich Berats Aussage) unwidersprochen einen höheren Stellenwert einnehme als in der Kita. Englisch: Thematisierung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierung Analog zu den vorangegangenen Abschnitten wird hier untersucht, wie Englisch als Ressource und Prestigesprache, aber auch in Kontrast zum Deutschen und zum (fiktiven) Spanischen thematisiert wird und Gegenstand von Fremdzuschreibung und Selbstpositionierung wird. In den folgenden Abschnitten wird zunächst beschrieben, wie pädagogische Professionelle das Englische als Familiensprache von Kindern thematisieren; anschließend werden Passagen aufgezeigt, in denen Kinder, die Englisch nicht als Familiensprache sprechen, sich selbst als „Englisch sprechend“ positionieren. Anders als in 5.4 wird darauf verzichtet, den Begriff „Wertschätzung“ in der Kapitelüberschrift zu verwenden, da z.B. in 5.5.2 mehr von Duldung als von Wertschätzung gesprochen werden kann. Zudem ist dort, wo Englisch nicht als Familiensprache, sondern als bildungsaffine prestigehohe Fremdsprache thematisiert wird, der Begriff „Wertschätzung“ im Sinne von de Houwer (2015) et al., wie er in 5.4 verwendet wird, nicht sinnvoll, da sich im Sinn Interkultureller Pädagogik Wertschätzung auf etwas migrationsbedingt Mitgebrachtes bezieht und nicht auf eine prestigehohe Fremdsprache. Wenn ihre kleine Schwester Gracelyn es nicht verstehe, solle sie es ihr auf Englisch sagen Am ersten Vormittag im Feld wird die Familiensprache Englisch des Geschwisterpaares Gracelyn und Debora gleich mehrfach thematisiert (vgl. auch Abschnitt 5.2.3). Hier wird ein mögliches Nicht-Verstehen des Deutschen durch Gracelyn diskutiert: Die pädagogische Professionelle Elisabeth spielt mit den Kindern ein Würfelspiel und sagt zu Debora, wenn ihre kleine Schwester Gracelyn es nicht verstehe, solle sie es ihr auf Englisch sagen [Gracelyn ist seit zwei Monaten in der Kita, E. Zettl]. Eine andere pädagogische Professionelle sagt, Gracelyn könne Deutsch. Elisabeth fragt alle nach ihrem Wochenende, sowohl die Kinder als auch die anderen pädagogischen Professionellen. (…) (26. 9. 10).

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Im Kontext des vorliegenden Datenauszugs zum gemeinsamen Spielen steht das Erklären und (Nicht-)Einfordern der Einhaltung von Spielregeln im Fokus der Beobachterin; die Äußerung, wenn Gracelyn nicht verstehe, solle sie es ihr auf Englisch sagen, dürfte sich auch auf die Spielregeln und den Spielablauf beziehen. Dabei bleibt mehrdeutig, ob die ältere Schwester der jüngeren auf Englisch die Regeln erklären oder die jüngere der älteren ihr Nichtverstehen auf Englisch kundtun solle. Dieser Einbezug ihrer Familiensprache soll Gracelyn auch angesichts ihrer von der pädagogischen Professionellen Elisabeth als gering eingeschätzten Deutschkenntnisse eine Partizipation ermöglichen und sie, vielleicht auch als neu hinzugekommenes Kind, in die Gruppe der Spielenden integrieren. Gracelyns Verständnis des Spiels wird hier als Wert höher gewichtet als ein Nicht-Verstehen des Englischen seitens der anderen, kein Englisch sprechenden Kinder (zur Zuschreibung durch eine elementarpädagogische Professionelle, dass ein Kind etwas nicht verstehe, vgl. auch Kuhn 2013: 276). Elisabeth weist der älteren und mit der Kita länger vertrauten Schwester eine Verantwortung für die jüngere und neu hinzugekommene zu, damit sie dem Spiel folgen kann. Hier werden zwei Möglichkeiten aufgezeigt: „nicht verstehen“ vs. „kann Deutsch“. Ähnlich wie in der Formulierung „Der Ahmed kann auch Deutsch“ (vgl. Abschnitt 5.2.1) werden nicht Lernprozesse thematisiert, sondern das Deutschkönnen wird als Kompetenz dargestellt, die die Kinder besitzen oder nicht. In vielen Situationen des Spracherwerbs dürfte jedoch ein graduelles Verstehen und Sprechen eher die Regel sein. Die Kinder beteiligen sich auch nicht selbst am Gespräch; es wäre ja durchaus denkbar, dass Debora oder Gracelyn selbst eingreifen, um Gracelyns Deutschkenntnisse zu konstatieren oder dass Gracelyn gefragt wird, ob sie das Spiel versteht. Vielmehr scheint es selbstverständlich zu sein, dass die Erzieherin über Gracelyn in ihrer Anwesenheit spricht und über ihren Kopf hinweg ihr Sprachkenntnisse attestiert. Dieses Intervenieren „im Sinne von oder für einzelne oder mehrere Kinder“ lässt sich als „advokatorische pädagogische Praktik“ (Kuhn 2013: 274 in Rekurs auf Heite 2008: 151 und Brumlik 2004: 159, Herv. i. O.) lesen. Indirekt wird Gracelyn durch diese Praktik zugeschrieben, dass sie keine Anrede auf Englisch brauche, da sie das Deutsche versteht. Andere mögliche Argumente fürs Englischsprechen, wie stärkere Vertrautheit oder differenziertere Ausdrucksmöglichkeit, werden nicht genannt. Diese Sequenz findet am selben Tag statt wie das Englischverbot seitens der Erzieherin Katrin; so erlebt Debora am selben Tag Sätze von zwei Erwachsenen: „Du musst Deutsch sprechen“ und die Anweisung, wenn ihre kleine Schwester Gracelyn nicht verstehe, solle sie es ihr auf Englisch sagen. Beide Sätze „Du musst“ und „du sollst“ sind als Anordnungen angelegt. Hier ist die angewiesene Verwendung des Englischen gekoppelt an ein angenommenes Nicht-Verstehen

5.5 Englisch: Thematisierung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierung

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und Nicht-Können. Der Gebrauch einer Familiensprache - so auch die implizite Argumentation der Erzieherin, die sagt „Aber der Ahmed kann Deutsch, der Orhan kann auch Deutsch“ - ist dann legitim, wenn es jemandem hilft, der das Deutsche zu wenig beherrscht. Mit der Aussage der pädagogischen Professionellen, Gracelyn könne Deutsch, zeigt sie ihr Wissen als Gruppenerzieherin, die die Kinder besser kennt als Elisabeth, die nur sporadisch in der Gruppe ist. Die Aussage wirkt, als machten Gracelyns Deutschkenntnisse ein Englischsprechen mit ihr seitens ihrer Schwester überflüssig. Die Möglichkeit oder Legitimität eines situativen Translanguaging jenseits der Argumentation „Verstehen oder nicht“ erscheint in den Äußerungen der Erzieherinnen nicht. „Das hat dir Papa gezeigt, das ist auch o.k., aber in der Schule lernen die Kinder eine deutsche Eins“ Wie schon in früheren Sequenzen wird das Thema Zahlen häufig aufgegriffen, hier als Praxis, die sich mit Literalität verschränkt: Debora soll eine Elf „malen“ und malt englische Einsen [die nur aus einem Strich bestehen, E. Zettl]. Die pädagogische Professionelle Brigitte sagt: „Das hat dir Papa gezeigt, das ist auch o.k.“, und erklärt sinngemäß, aber in der Schule lernen die Kinder eine deutsche Eins malen (1.7.11).

Debora gibt das Zeichen „Elf“ inhaltlich korrekt wieder302 und demonstriert damit ihre Fähigkeiten, ein Zahlwort zu verstehen und wiederzugeben. Sie verwendet dabei eine Zeichenkonvention, die in Handschriften aus englischsprachigen Ländern oft verwendet wird und von der Feldforscherin, vermutlich vor dem Hintergrund des Vorwissens, dass die Familie von Debora aus der früheren britischen Kolonie Nigeria stammt, als „englische Eins“ gedeutet wird. Seitens der Erzieherin wird dies als familiär mitgebrachte Ressource thematisiert und mit „auch o.k.“ darauf hingewiesen, dass das Zeichen, das Debora vertraut ist, im Kontext der Kita akzeptiert wird, allerdings als zusätzlich, nicht als einzig gültiges. Anschließend wird durch das „aber“ eine Differenz zwischen Kita und Schule als Bildungsinstitutionen konstruiert, ebenso wie zwischen den verschiedenen Ziffernkonven302

Zur Zuschreibung, dass Debora „malen“ solle im Gegensatz zum schulischen Schreiben, vgl. auch Machold (2015: 129), die herausarbeitet: „In der konventionellen Lesart ist Malen etwas, das von Kindern bereits in ihren frühen Jahren getan werden kann (…) Schreiben hingegen obliegt Menschen im Schulalter und später.“ Vgl. auch Schnoor und Seele (2017: 192), die in Bezug auf ihre Ethnographie luxemburgischer Kitas schreiben, dass „Schriftlichkeit a priori bei den Erwachsenen verortet wird“. Für eine vertiefte Interpretation dieses Abschnitts mit dem Fokus auf Diversität und Überschneidungen von Differenzkonstruktionen vgl. Zettl (2019a).

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

tionen: In der Schule lernen die Kinder eine „deutsche Eins“ malen. Wie diese aussieht, wird für Debora in der Sequenz nicht deutlich. Die Kindertagesstätte wird hier durch Brigitte als toleranter gegenüber Heterogenität als die Schule dargestellt; gleichzeitig wird hier schon auf schulische Konventionen hingewiesen. Hier ist eine Thematisierung von Familiensprachen und aus der Familie mitgebrachten Ressourcen zu sehen, die die Unterschiede zwischen Sprachen und Zeichensystemen aufgreift und eine stärkere Hierarchisierung von legitimen Praktiken auf die Schule schiebt. Möglicherweise resonieren hier Diskurse zu Language awareness im Sinne wertschätzender Sprachenvergleiche (vgl. z.B. Oomen-Welke 2003, 2010). „Du musst auf Englisch zählen“ Während in den vorangegangenen beiden Abschnitten Englisch als Familiensprache thematisiert wurde, haben die folgenden Abschnitte gemeinsam, dass sich Kinder in ihnen als „Englisch sprechend“ positionieren unabhängig von ihrer Familiensprache. In folgender Situation im Freispiel wird Englischsprechen durch ein Kind thematisiert, das Deutsch als Familiensprache spricht: Gracelyn (4) und Jessica (2) legen an einem Tisch Zahlenpuzzles, die Minirechenaufgaben darstellen. Jessica sagt: „Eins zwei drei“. Gracelyn sagt: „Guck, Jessica, guck. Guck mal.“ Jessica sagt, auf die Zahlenpuzzles deutend: „Mein Name heißt Jessica. Hab Jessica schreibt. Buchstaben. Ein Buchstabe.“ Ich frage mich, ob sie denkt, dass die Ziffern Buchstaben seien. Jessica sagt weiter: „Fünf, seven, eight.“ Debora (6) kommt dazu: „Drei brauchen wir noch.“ Jessica zeigt auf die Ziffernplättchen: „Da sind Buchstaben drauf.“ [es folgt eine längere Sequenz, in der Debora, von der pädagogischen Professionellen Brigitte angeleitet, die Werte von dreistelligen Zahlen auf Deutsch benennt]. Jessica: „Du musst auf Englisch zählen.“ Sie ‚zählt’ auf Englisch und zeigt dabei auf Ziffern, kann aber nicht den Ziffern die richtigen Zahlworte zuordnen. (26. 10. 2010)

Dass die Ziffernplättchen in der Kita für Kinder frei zugänglich sind, könnte auf Diskurse zu früher Bildung als Selbstbildung im Sinne eines Bereitstellens von Lernumgebungen hindeuten (vgl. Abschnitt 2.1.1). Ein Benennen in einer bestimmten Sprache schreiben die Artefakte nicht vor; sie eignen sich für ein- wie mehrsprachige Praktiken. Jessica trennt in ihren Äußerungen nicht zwischen Zahlen und Buchstaben, auch eine Zuordnung eines Zahlworts zu einer Ziffer und eine klare Trennung zwischen englischen und deutschen Zahlwörtern („Fünf, seven, eight“) ist ihren

5.5 Englisch: Thematisierung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierung

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Äußerungen nicht entnehmbar, was die Feldforscherin aus einer normativen Perspektive („die richtigen Zahlworte“) beschreibt. Jessica benennt Praktiken aus einem pädagogischen Kontext (das Schreiben des eigenen Namens, das Erkennen von Buchstaben303) und fordert auf: „Du musst auf Englisch zählen“. Ob sie diese Aufforderung an sich selbst richtet - tatsächlich beginnt sie auf Englisch Zahlworte zu sagen -, an die Erzieherin, die auch Englisch sprechen kann, oder an die ebenfalls am „Zahlentisch“ aktiven Debora und Gracelyn, die Englisch als Familiensprache sprechen, bleibt unklar. Dieser Satz „Du musst auf Englisch zählen“, der ähnlich direktiv formuliert ist wie das „Du musst Deutsch sprechen“ der Erzieherin Katrin, dürfte aus dem familiären Kontext entnommen sein, da ein Gebot, Englisch zu sprechen, noch dazu an eine Zweieinhalbjährige gerichtet, seitens der Erzieherinnen schwer vorstellbar wäre. Nach Aussagen von Feldteilnehmenden lernt Jessica in ihrer einsprachig deutschen Familie einige Wörter auf Englisch. Hier findet eine familiäre Praxis im Umgang mit Sprache Eingang in die Kindertagesstätte. Diese positive Bewertung des Englischen als „Hegemonialsprache“ in einer Familie wird, wie bereits erwähnt, auch bei Thomauske (2017: 289) beschrieben. Die Artefakte „Ziffernplättchen“ bieten Jessica die Möglichkeit, zwischen Praktiken aus Familie und Institution eine Brücke zu schlagen und Praktiken aus der Familie in die Kita einzuführen. Brigitte kommentiert Jessica gegenüber deren Praxis nicht; dieses Nichtkommentieren dem Kind gegenüber ist deshalb auffällig, weil in anderen Kontexten Sprachen verboten oder im Sinne einer wertschätzenden Language awareness thematisiert werden. Ein Sprachenverbot scheint hier unangemessen, da es sich bei Englisch nicht um Jessicas Familiensprache handelt und ausschließlich nicht deutsche Familiensprachen verboten werden; aber auch ein wertschätzendes Thematisieren erscheint nicht und somit auch keine Möglichkeit einer anerkennenden Verbindung zwischen familiären und institutionellen Praktiken (vgl. Isler/Künzli/Leemann 2010: 71). „Englisch kann ich eh nicht lesen.“- „Ich schon. Das ist schwierig.“ In der folgenden Sequenz kommt ein erwachsenes Familienmitglied mit der fünfjährigen Trixi in die Kita; wenn Trixi in die Kita gebracht wird, spielen die beiden immer als Übergangsritual ein Kartenspiel, bevor sich das Familienmitglied verabschiedet. Diesmal möchte Trixi ein anderes Spiel als das gewohnte spielen und

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Hier überschneiden sich die Themen Umgang mit Mehrsprachigkeit und Literalität; in diesem Kapitel stehen nicht Jessicas frühe literale Praktiken im Sinne eines Umgangs mit Symbolen im Vordergrund, sondern der Umgang mit mehreren Sprachen.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

weist das Familienmitglied auf das Kartenspiel „Alles Tomate“ hin, das eine mehrsprachige Spielanleitung enthält304. Später kommt ein Familienmitglied305 von Trixi mit Trixi (5); Trixi möchte das „Tomatenspiel“ [das Kartenspiel „Alles Tomate“ mit einer Aufschrift auf der Packung „Ab 6 Jahren“, E. Zettl] spielen. Eine erwachsene Feldteilnehmende fragt: „Du bist noch nicht sechs, ist das schon was für dich?“ Sie nimmt die Spielanleitung. „Englisch kann ich eh nicht lesen.“ Melanie (4) sagt: „Ich schon. Das ist schwierig.“ Die erwachsene Feldteilnehmende liest die Spielanleitung laut auf Deutsch. (21.6.11)

In dieser Sequenz könnte man von alltagsintegrierter sprachlicher Bildung sprechen, die eine für Trixi möglicherweise bedeutsame Lerngelegenheit enthält: eine Spielanleitung zu einem von ihr gewünschten Spiel und damit die Möglichkeit, dekontextualisierte medial schriftliche Sprache zu verstehen. Zugleich werden zwei Differenzen thematisiert: eine generationale Differenz (vgl. auch Machold 2015: 165) und eine Differenz in Hinblick auf Lesekompetenz im Englischen. Das Alter als Maßstab für „durchschnittlich erwartbare … Kompetenzniveaus“ (Kelle 2010: 26) wird von einem erwachsenen Familienmitglied angesprochen, und es wird gefragt, ob angesichts von Trixis Alter das Spiel für sie passend sei. Beim Blick auf die Spielanleitung, die vermutlich hervorgeholt wird, um abzuschätzen, ob Trixi das Spiel schon verstehe, konstatiert die erwachsene Feldteilnehmende, sie könne kein Englisch lesen; alle an dieser Sequenz Beteiligten haben nur Deutsch als Familiensprache. Dieses Nicht-Können, das etwas resignativ als etwas Selbstverständliches („eh nicht“) dargestellt wird, veranlasst die vierjährige Melanie, sich im Kontrast zum erwachsenen Familienmitglied Trixis zu positionieren. Das Lesenkönnen und Englischkönnen, das sie sich zuschreibt, hebt sie hervor durch „Das ist schwierig“, als literale und fremdsprachige Praxis, vielleicht auch als Praxis, die nicht einmal alle Erwachsenen beherrschen. Das Familienmitglied reagiert nicht darauf; würde sie Melanies Aussage für bare Münze nehmen, könnte sie Melanie die Anleitung zum Lesen übergeben. Wäre Melanie auch eine Erwachsene, würde Jessicas Familienmitglied diesen Satz möglicherweise als arrogant wahrnehmen oder sie bitten, doch das Englische vorzulesen. Melanies Selbstzuschreibung von Fähigkeiten, die über die von einer Vierjährigen erwar304 Grund für die Mehrsprachigkeit der Spielanleitung ist vermutlich die Tatsache, dass das Spiel in verschiedenen Ländern verkauft wird; es handelt sich hier nicht um ein Artefakt, das Mehrsprachigkeit - wie im Fall mehrsprachiger Bilderbücher - als Lernziel inszeniert. Für eine vertiefte Interpretation dieser Passage mit einem Fokus auf Diversität vgl. Zettl (2019a). 305 Auch hier ist eine situative Abwägung nach Hammersley und Traianou (2012) zwischen der Datenschutzvereinbarung und dem Erkenntnisinteresse an dieser Passage notwendig; als Kompromiss zwischen beidem wurde die Anoynmisierung noch weitgehender als sonst betrieben.

5.5 Englisch: Thematisierung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierung

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teten hinausgehen, wird ignoriert; dies stellt vielleicht generationale Differenzkonstruktionen wieder her, in denen Erwachsenen mehr (literales) Wissen als Kindergartenkindern zugeschrieben wird (zu Schrift und generationalem Ordnen vgl. Schnoor/Seele 2017: 193)306. „Du bist doch braun, du sprichst Spanisch. (…) Ich bin Englisch“ Als ich anlässlich der kommunikativen Validierung 2013 zurück ins Feld gehe, kommen einige Kinder sofort auf mich zu. Sie möchten, dass ich ihnen die Namen vorlese, die im Bücherregal im Gruppenraum auf den Ordnern für die Entwicklungsdokumentationen der Kinder stehen. Martina (6) zeigt mir die Namen der Kinder, die auf den Ordnerrücken stehen. Gracelyn (6) sagt: „Das ist Spanisch“. Ich lese die Namen vor. Hülya (6) sagt: „Ich will aber Englisch hören.” Gracelyn: „Jetzt Spanisch”. Ich frage: „Wer spricht denn Spanisch?” Hülya sagt zu Gracelyn: „Du bist doch braun, du sprichst Spanisch.” Gracelyn: „Nein, ich bin Englisch.“ Gracelyn sagt zu mir: „Du sprichst Spanisch.“ Ich sage „Mhm.“ Gracelyn deutet aufs Aufnahmegerät: „Die sprechen Spanisch. Die sprechen echt Spanisch. Kuck mal, was die sprechen.“ Hülya sagt zu mir: „Ich bin Englisch. Du hast eine Unterhose an.“ Ich antworte lachend: „Und du bist ein Popstar.“ Ich frage, warum sie von „Spanisch“ reden. Sie antworten darauf nicht. (18.3. 2013)

In dieser Sequenz werden zwei Begriffe von den Kindern verwendet, um Sprachen zu bezeichnen: „Englisch“ und „Spanisch“. Die Zuschreibungen zu Äußerungen oder Personen werden ständig spielerisch in einer Art „ ‚Als-ob-Spiel’, wie es unter Kindern dieses Alters so beliebt ist“ (Diehm/Kuhn 2005: 228), neu verhandelt und lassen eine Vielzahl möglicher Erklärungen zu. Bezeichnet Gracelyn die Namen als „Spanisch“, weil sie sie nicht lesen kann und Schrift an sich fremd für sie ist? Verwendet sie den Begriff als verallgemeinernde Bezeichnung für „die nicht deutsch klingenden Namen der Kinder in der Kita“? Er wurde (vgl. Abschnitt 5.4.7) bereits zwei Jahre zuvor von Gracelyns Schwester verwendet, als sie Ermina nach ihrer Familiensprache fragte: „Spanisch? Türkisch? Arabanisch?“; auch hier klingt „Spanisch“ wie ein Platzhalter für etwas nicht Verstandenes. Oder möchte Gracelyn, die weiß, dass ich mich für Sprachen interessiere, testen, ob ich ihr glaube? Geschieht hier eine Einladung an die Feldforscherin, ein ‚Als-ob-Spiel’ 306

Das Nicht-Sprechen der Erwachsenen über Trixis Aussage ist vieldeutig; hier ist es möglicherweise ein Schweigen aus einer Machtposition heraus (vgl. Geiss/Magyar-Haas 2015), das zeigt, dass sie es nicht nötig hat, auf die Äußerung einer Vierjährigen einzugehen, die sich als kompetenter inszeniert als die Erwachsene.

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mitzuspielen? Die Tatsache, dass auch beim erneuten Feldeintritt 2013 niemand in der Kindergruppe Spanisch spricht, lässt Raum für Vermutungen. Hülyas „Ich will aber Englisch hören!” stellt sie in eine Art Wettbewerb mit Gracelyn um meine Aufmerksamkeit, Gracelyn möchte „Spanisch“, Hülya „Englisch“. Verwundert über dieses überraschende Auftauchen von „Spanisch“ in der Kita, frage ich, wer Spanisch spricht. Hülyas an Gracelyn gerichtete Antwort „Du bist braun, du sprichst Spanisch“ schreibt durch die beiden parallel angelegten Hauptsätze einer Hautfarbe direkt eine Sprache zu, eine Denkfigur, für die es in den vorliegenden Daten oder bislang in der vorliegenden Arbeit beschriebenen, in den Daten resonierenden Diskursen zu Mehrsprachigkeit keine Parallele gibt307. Diese Bemerkung von Hülya, die spontan und im Tonfall nicht abschätzig wirkt, ist eine Fremdzuschreibung (Römhild 2007, vgl. auch Diehm/Radtke 1999: 84). Hülyas Aussage kann gelesen werden als eine Verknüpfung von Sprache und Aussehen in einer Fremdzuschreibung im Sinne von: „Wer anders als ich aussieht, spricht auch anders“. Von einer Deutsch sprechenden, in der Hautfarbe nicht beschriebenen unsichtbaren Norm ausgehend, wird passend zum „anderen Aussehen“ „braun“ ein anderes, unverständliches Sprechen postuliert. Geht man nach Weber von einem Ethnizitätsbegriff als Beobachterkategorie zweiter Ordnung aus, die Sprache und Aussehen einschließen kann (vgl. Weber 1956/2009: 237), erscheint hier nach Diehm und Radtke (1999: 84 in Rekurs auf Rex 1990: 146) „situationale Ethnizität“. Diese stellt „eine strategisch einsetzbare, temporär verfügbare Ressource, von der Gebrauch gemacht werden kann oder nicht“ dar. Die eben zitierte Passage ist die einzige im vorliegenden Datenmaterial, in der phänotypische Differenzen thematisiert werden308. Gracelyn greift diese Form der Ethnizitätskonstruktion jedoch nicht auf und ignoriert die Anspielung auf ihre Hautfarbe. Sie antwortet auch nicht: „Nein, ich spreche Englisch“, sondern „Nein, ich bin englisch“ [Herv. E. Zettl]. Vielleicht deutet dies auf eine starke Verbindung zwischen Sprache und Identität für sie hin309, vielleicht ist das Prestige des Englischen generell attraktiv für sie. Da Hülya 307

Dies könnte daran liegen, dass Zuschreibungen von Eigenschaften zu Hautfarben zumindest in gegenwärtigen pädagogischen Diskursen als nicht legitim, essentialisierend und potentiell rassistisch gelten. 308 Angesichts verschiedener Studien zu Unterscheidungen entlang der Hautfarbe durch Kinder in vorschulischen Bildungseinrichtungen (z.B. Diehm/Kuhn 2005: 227 oder die in Mac Naughton/Davis 2009 zusammengefasste Forschung) ist es erstaunlich, dass im Feld Hautfarbe so selten thematisiert wird, obwohl es über den ganzen Forschungszeitraum Kinder verschiedener Hautfarben in der Kindergruppe gab. Sprache, nicht Hautfarbe ist die wichtigste ethnische Differenzkategorie in den vorliegenden Daten. Warum dies so ist, darüber kann nur spekuliert werden, möglicherweise prägt eine starke Thematisierung von Sprachen in „Heinrichsberg“ und von Deutschförderung in der Kita eine Differenzierung entlang von Sprachen durch die pädagogischen Professionellen. 309 Eine Studie über Sprachen und Identität entlang der vorliegenden Daten wäre Thema einer eigenen Arbeit.

5.5 Englisch: Thematisierung, Fremdzuschreibungen, Selbstpositionierung

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von dieser Sprache fasziniert scheint, soll Gracelyns Behauptung, „englisch“ zu sein, wahrscheinlich auch ihr Ansehen in Bezug auf Hülya erhöhen und die Fremdzuschreibung, „braun“ und somit anders als Hülya zu sein, relativieren. Nun, da Gracelyn die Zuschreibung, Spanisch zu sprechen, zurückgewiesen hat, schreibt Hülya der Forscherin zu, Spanisch zu sprechen (und möglicherweise auch, „woanders“ herzukommen). Auf mein „Mhm“ geht sie nicht weiter ein und deutet auf das laufende Aufnahmegerät, auf dem, wie sie erlebt hat, die Stimmen von Kindern der Kindergruppe aufgezeichnet wurden. Ich habe am selben Vormittag den Kindern angeboten, ihre eigenen Stimmen auf dem Aufnahmegerät anzuhören, diese sind jedoch wegen der geringen Lautsprecherkapazität des Geräts oft nur schwer verständlich. Diesen undeutlich klingenden Stimmen auf dem Aufnahmegerät schreibt Gracelyn nun zu „Die sprechen Spanisch. Die sprechen echt Spanisch. Kuck mal, was die sprechen“. Wofür „Spanisch“ steht, ändert sich laufend: von den (für die Kinder teils noch nicht lesbaren) Namen auf den Ordnerrücken zu einer Verbindung mit Gracelyns Hautfarbe zur Feldforscherin zu den Stimmen auf dem Aufnahmegerät. Das Unverständliche oder medial durch Schrift oder Tonaufnahme Veränderte und somit für die Kinder schwer Verständliche wird als „Spanisch“ bezeichnet, analog zur Redewendung „Das kommt mir spanisch vor“, in der „Spanisch“ als Platzhalter für etwas Unverständliches steht310. Mit größter Wahrscheinlichkeit weiß Gracelyn, dass die aufgenommenen Kinder der „Gruppe Blau“, darunter sie selbst, kein Spanisch sprechen. Die dreifache Betonung des Sprechens auf dem Aufnahmegerät könnte eine Aufforderung an mich sein, das Gerät einzuschalten, aber auch eine Form von Scherzkommunikation darstellen. Kotthoff (2003: 4) schreibt anhand eines Forschungsüberblicks und empirischer Befunde über Komik und Humor bei Kindern über den „Spaß an schlichten Inkongruenzen“. Wenn etwas behauptet wird, von dem die Behauptende weiß, dass es nicht wahr ist, kann dies für Kinder häufig zur Quelle von Komik werden (für Erwachsene ist dies oft weniger komisch, vgl. ebd.: 10f.) und womöglich ein Necken von anderen darstellen, von denen man sich nicht sicher ist, ob diese es auch als unwahr erkennen (vgl. ebd.: 4f.; 8ff.) Nun sagt Hülya, die nach Aufmerksamkeit zu suchen scheint und die Forscherin ebenfalls neckt: „Ich bin Englisch, du hast eine Unterhose an“. Englisch „sein“ ist etwas, was bereits Gracelyn behauptet hatte; vielleicht fühlt sich Hülya, die ja das „Englisch“-Thema begonnen hatte, jetzt ausgeschlossen und führt es jetzt weiter. Sie nimmt eine Rahmung ihrer Aussage als Scherzkommunikation

310 Die Redewendung „Das kommt mir spanisch vor“ existiert z.B. auch im Englischen als „It’s all Greek to me“ (Walter u.a. (Hrsg.) 1998: 163). In beiden Beispielen wird eine Fremdsprache jeweils als Platzhalter für etwas vom Standpunkt der Sprecher*innen aus Unverständliches verwendet.

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

(vgl. Goffman 1974/1980, Kotthoff 2003: 7) durch das Wort „Unterhose“ vor311, das unter Kindern im Feld öfter zu Gelächter führt; durch das Lachen der Forscherin wird ihre Rahmung bestätigt (vgl. Kotthoff ebd.). Hülya schreibt sich spielerisch Prestige zu: sie „ist“ „Englisch“, während die (erwachsene) Forscherin eine Unterhose trägt wie ein Kind, das noch nicht die Spielregeln angemessener Kleidung kennt. Nach Kotthoff (2003: 4f.) könnte man hier von einer zweifachen Komik der Inkongruenz sprechen: Hülya weiß, dass die Erwachsene angezogen vor ihr steht und Hülya selbst nicht Englisch „ist“ und findet Freude am Aussprechen des Inkongruenten. Zugleich hat ihre Komik ein antiautoritäres Element (vgl. ebd.: 7) im Necken der Erwachsenen. Ich spiele das Spiel, Hülya Prestige zuzuschreiben, mit und sage ihr, da ich in Erinnerung habe, dass sie gern singt und tanzt, dass sie ein Popstar sei. Hülya, deren Familiensprache Türkisch ist, und Gracelyn, mit Englisch als einer ihrer Familiensprachen, behaupten hier beide spielerisch, „Englisch“ zu sein (statt „Spanisch“, Deutsch oder Türkisch zu sprechen oder türkischer bzw. nigerianischer Herkunft zu sein.). Eine Deutungsmöglichkeit ist, dass „Englisch“ hier eine sprachliche, nicht geographische Bezeichnung ist, die in Diskursen innerhalb und außerhalb der Kita zu Englisch als Prestigesprache präsent ist (vgl. Thomauske 2017: 289ff.)312. Gleichzeitig wird in dieser Sequenz deutlich: Die Kinder greifen nicht etwa existierende Diskurse als bloßes Echo auf, sondern schaffen selbst (sprach-)spielerisch situativ neue diskursive Praktiken, die zwar teilweise mit Diskursen resonieren können, aber auch durch Verschiebung Neues generieren. Den Versuchen der Forscherin, die Ursachen der Verwendung von „Spanisch“ zu verstehen, setzen sie eine spielerische Verschiebung der Zuschreibungen zu diesem Wort entgegen. Hier kann mit Reckwitz (2003: 294) argumentiert werden, der von einer „Offenheit und Veränderbarkeit“ von Praktiken spricht313; nach Fthenakis (2003) kann hier von einer Ko-Konstruktion von Bedeutungen gesprochen werden, die nur teilweise zu einem (neu) festgelegten Sinn führt. Mit Reckwitz und Fthenakis 311

Diese Form der Komik beschreibt Kotthoff (2003: 10) als „Umgang mit Tabus“; parallel zur Reinlichkeitserziehung von Kindern fänden Kinder oft mit dem Körper zusammenhängende tabuisierte Themen komisch. 312 Wenig später singen mir Hülya und Azra ein Lied von Michel Telo („Nossa“) vor und tanzen dazu; offensichtlich haben sie das Lied und das dazugehörige Musikvideo oft gehört. Sie bezeichnen den ersten Teil des portugiesischen Liedes als „englisch“. Vielleicht ist die Konnotation von Musik, die sie gern singen, mit „englisch“ auch ein Grund für die Selbstzuschreibung „Ich bin englisch“. Damit wäre Englisch weniger als bildungsaffine, „schwierige“ Sprache (vgl. 5.5.4 „Das ist schwierig“) denn als Sprache der Musik beliebt. 313 Das performativitätstheoretische Konzept des Ludischen könnte weiterhelfen, diesen Aspekt herauszuarbeiten; allerdings wird es performativitätstheoretisch bislang für die Beschreibung von Ritualen verwendet (vgl. Kuhn 2013: 189). Eine Erweiterung des Konzepts des „Ludischen“ auch für nichtrituelle Kontexte wie diesen wäre Thema einer eigenen Arbeit.

5.6 Zusammenfassung

195

lässt sich allerdings noch nicht erklären, worin der spielerische und teils komische Aspekt dieser Sequenz liegt. Kotthoffs Theorie zur Scherzkommunikation bei Kindern bietet hier eine gute Ergänzung zur Praxistheorie314. Am Ende der Sequenz, auf das erneute Nachfragen der Forscherin hin, sagen die Kinder nichts; das Nicht-Sprechen ist, so ein Deutungsversuch, möglicherweise widerständig gegen die Versuche von Fremdzuschreibung durch die Forscherin oder ein Schweigen aus Verlegenheit, nach all dieser Scherzkommunikation keine „ernsthafte“ Antwort zu wissen (zur Vieldeutigkeit des Schweigens vgl. Magyar-Haas/Geiss 2015). Zusammenfassung Die dargestellten Befunde werden im folgenden Abschnitt kurz zusammengefasst anhand der am Kapitelanfang aufgeworfenen Fragen: Welche Arten des Umgangs mit verschiedenen Sprachen finden sich im Artefakt „Buch der Gruppe Blau“ und welche (teilweise artefaktbasierten) Praktiken des Umgangs mit verschiedenen Sprachen in der erforschten Kita315 gibt es? Aus diesen Fragen ergaben sich im Analyseprozess Unterfragen, von denen in jedem Abschnitt eine oder mehrere davon relevant werden: Welche Differenzkonstruktionen und Dichotomisierungen im Umgang mit Sprachen werden sichtbar? In welchen Fällen werden Sprachen gar nicht thematisiert? Welche Selbstpositionierungen und Fremdzuschreibungen in Hinblick auf Sprachen erscheinen in den Daten? Wie werden Übergänge zwischen Familie und Kita in sprachbezogenen Praktiken sichtbar? Welche Diskurse resonieren in Praktiken im Umgang mit Sprachen? Wie kann anhand der vorliegenden Praktiken und Artefakte sowie übersituativ wirksamer

314

Eine Studie zu Komik und Migration, wie sie Leontiy (2013 u.a.) in Bezug auf Erwachsene vornimmt, könnte auch mit Hinblick auf Kinder interessant sein. In den bisherigen Studien über Ethnizität und Kindheit wird diesem Aspekt bislang noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt; so könnte man z.B. das ethnisierende Kinderlied mit den Zeilen „Wil sind alle Japanel“ (Kuhn 2013: 246) auch unter komiktheoretischen Aspekten betrachten. 315 Da die während des Untersuchungszeitraums verpflichtende Praxis, einen Sprachtest für alle Vierjährigen durchzuführen, nicht während der Forschungszeitfenster stattfindet und ich darüber auch keine Dokumente angefordert habe, bleibt diese Form des Umgangs mit Sprachen hier unberücksichtigt. Für eine Studie, die solche Tests untersucht, siehe Diehm, Kuhn, Machold und Mai (2013).

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

Diskurse eine Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ dargestellt werden? Deutsch ist im Artefakt „Buch“ wie in Praktiken in der Kindertagesstätte die fast immer316 unsichtbare Norm, während andere Familiensprachen oft thematisiert werden. Wird eine andere Sprache als Deutsch in der Kindertagesstätte gesprochen, wird dies in einigen Fällen angemahnt im Sinne einer Differenzkonstruktion, etwa in „nicht Türkisch gesprochen. Deutsch reden“ (vgl. Abschnitt 5.4.1), wobei mit einer Ausnahme eines Verbots des Englischsprechens das Türkische verboten wird und somit eine Dichotomie zwischen legitimem und illegitimem Sprachgebrauch aufgestellt wird. Hier können im Rahmen der Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ Anklänge an Diskurse über Deutsch als monolinguale Norm und Mehrsprachigkeit als Defizit aufgezeigt werden. Andere Sprachen als das Deutsche bleiben auch gelegentlich unkommentiert, etwa beim Türkischsprechen einer Mutter oder neu in die Kita gekommener Kinder; in einer performativitätstheoretischen Deutung werden solche aus Familien stammende Praktiken geduldet, da sie in Übergangsbereichen zwischen Familie und Kita stattfinden. Auch das Singen eines englischen Liedes durch ein Kind wird vermutlich als literale Praxis nicht verboten, aber auch nicht kommentiert. Das Thematisieren von nicht deutschen Sprachen geschieht jedoch nicht nur als Sprachenverbot. Das Aufgreifen des Türkischen und des Englischen wird im vorliegenden Kapitel getrennt behandelt. Das Türkische wird auch im Sinne eines wertschätzenden Heraushebens in Resonanz zu Diskursen über die Wertschätzung von Familiensprachen im Sinne Interkultureller Pädagogik thematisiert317. Hier werden Kinder in komplexen Verschränkungen von Fremdzuschreibung und Selbstpositionierung unabhängig von ihren Familiensprachen als „Türkisch sprechend“ ko-konstruiert. Die Zuschreibung und Komplexitätsreduktion, die hier geschieht, hat eine Analogie in den Einträgen im „Buch“, in dem Kindern eine (vermeintliche) „Muttersprache“ zugeschrieben wird teils unabhängig von ihren mehrsprachigen Elternhäusern. Aufgrund der fehlenden Sprachenkenntnisse von Feldforscherin und pädagogischen Professionellen, der linguistischen Super-Diversität im Feld und den nicht immer mit den tatsächlich gesprochenen Sprachen übereinstimmenden Selbstpositionierungen der Kinder dauert es längere Zeit, bis der Konstruktionscharakter dieser Zuschreibungen deutlich wird.

316 Die Frage „Sprichst du auch manchmal Deutsch mit Mama?“ (Abschnitt 5.4.4) bezieht sich auf familiäre Praktiken, nicht solche in der Kindertagesstätte. Einzig in der Äußerung des Jungen Berat (Abschnitt 5.4.9) erscheint die Beschreibung, bei einer außerhalb der Kita stattfindenden Mutter-KindGruppe werde „Deutsch oder Türkisch“ gesprochen.

5.6 Zusammenfassung

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Im Fall des Englischen ist zweierlei zu beobachten: einerseits ein Adressieren des Englischen als Familiensprache durch pädagogische Professionelle, andererseits als Prestigesprache durch Kinder, deren Familiensprache nicht Englisch ist. Zur ersten Beobachtung: Anders als im Fall des Türkischen sprechen alle (ausnahmslos deutschen) pädagogischen Professionellen und die Feldforscherin selbst Englisch, was den hohen Stellenwert des Englischen im deutschen Bildungssystem augenfällig macht. Gleichzeitig geschieht eine andere Adressierung Englisch sprechender als Türkisch sprechender Kinder: Während Türkisch sprechende Kinder auf ihre Kenntnisse hin befragt werden und sie als Experten für ihre Familiensprache inszeniert werden, geschieht die Thematisierung des Englischen durch pädagogische Professionelle eher beiläufig. Im Fall von Englisch als Familiensprache zweier Geschwister wird in einer Sequenz das Englischsprechen im Fall eines Nichtverstehens angeregt; in einem anderen Fall werden Differenzen zwischen einer „englischen Eins“ und einer „deutschen Eins“ thematisiert im Sinn von Schulvorbereitung. Für Kinder scheint es sehr attraktiv zu sein, „Englisch“ zu beherrschen; in einem Fall fordert ein Kind mit Deutsch als Familiensprache, das offensichtlich einige Wörter Englisch zu Hause lernt, zum Zählen auf Englisch auf, in einem anderen Fall postuliert ein Kind, Englisch lesen zu können. In beiden Fällen werden schulische Praktiken mit dem Englischen verknüpft. In einer scherzhaften Inszenierung von „Spanisch“ versus „Englisch“ schreiben Kinder sich und Artefakten gegenseitig Sprachen zu, wobei „Spanisch“ als die unverständliche Sprache der „Anderen“ (‚of color‘, unverständlichem Sprechen oder in noch nicht lesbaren Aufschriften) erscheint, während „Englisch“ eine begehrte Selbstpositionierung ist, was auf Diskurse zu Englisch als Prestigesprache verweist. An verschiedenen Stellen im Datenmaterial werden übersituative Dimensionen sichtbar. In verschiedenen Artefakten (dem vorgedruckten „Buch“ zur Dokumentation von Kinderdaten, das sich wiederum auf ein Landesgesetz bezieht, dem Bilderbuch „Sinan und Felix“ und mehrsprachigen Spielanleitungen), die in Praktiken im Feld verwendet werden, erhält das Thematisieren von Sprachen eine übersituative Dimension. Eine weitere ergibt sich daraus, dass in den verschiedenen und teils scheinbar widersprüchlichen Thematisierungsweisen von Sprachen verschiedene Diskurse zu Sprachen resonieren und eine Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ bilden. Zudem zeigt sich indirekt im Umgang mit Sprachen, die Kinder aus ihren Familien mitbringen, ob und wie stark in der Kindertagesstätte eine Trennung „Familienkind“ / „Kita-Kind“ situativ relevant gemacht wird. Eine solche Trennung verweist ebenfalls auf Diskurse, etwa zu als defizitär angesehenen Familien ‚mit Migrationshintergrund‘, deren Erziehung man kompensatorisch ausgleichen müsse, versus Diskursen zu familiär Mitgebrachtem als Ressource. Auch Diskurse zum Verhältnis zwischen Kindertages-

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5 Mehrsprachigkeit in der Kita

stätte und Familie scheinen auf. Die Praxis/Diskurs-Formation „Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita“ ist also höchst komplex: Sie ist verknüpft mit weiteren Diskursen zur Position von Familien in frühkindlicher Bildung sowie zu Bildung und Migration, und in ihr resonieren, wie im Kapitel ausführlich dargelegt, widersprüchliche Diskurse zu Deutsch als Norm und Englisch als Prestigesprache, Mehrsprachigkeit als Defizit, aber auch zu Wertschätzung von Erstsprachen.

Literalität in der Kita

Das vorliegende Kapitel stellt die Fragen: In welche literalen318 Praktiken sind die Kinder der „Gruppe Blau“ involviert? Welche Artefakte, Räume und Rituale sind mit Literalität verknüpft? Inwiefern ist Literalität in der Kita alltagsintegriert? Welche Inhalte werden in diesen Praktiken transportiert, bei welchen Inhalten sind Eltern mit adressiert, und welche Praxis/Diskurs-Formationen resonieren in diesen Inhalten? Dabei wird eine Bandbreite von Praktiken und Artefakten aufgezeigt: von einfachen Zeichen, die als bedeutungstragend, aber noch nicht als literal beschrieben werden, über literale Praktiken, die auf einzelne Wörter bezogen sind, bis zu komplexeren Praktiken im Umgang mit Bilderbüchern und Geschichten. Es kommen auch Praktiken in den Blick, die bislang in der Literatur zu Literalität in vorschulischen Bildungsinstitutionen wenig beachtet werden, z.B. religiöse literale Praktiken oder der Umgang mit einem PC-Programm. Als Strukturierungsversuch angesichts der Komplexität der Daten wird ein Rundgang durch die Räume der Kita ausgewählt319. Dabei wird zunächst ein Zeichensystem vorgestellt, das die gesamte Kita durchzieht, anschließend werden literale Praktiken und Artefakte diskutiert, die im Gruppenraum der „Gruppe Blau“ angesiedelt sind. Danach werden Bündel von Praktiken präsentiert, die in der Garderobe, in der „Bücherei“, in der zur Gemeinde gehörenden Kirche sowie teils im Gruppenraum, teils im Gemeindesaal stattfinden. Die Gliederung der Kapitelstruktur entlang der Orte, an denen Literalitätspraktiken stattfinden, begründet sich nicht nur in der Analyse der Daten auf Grundlage der Grounded Theory, die eine Verbindung bestimmter Praktiken mit bestimmten Räumen aufzeigt. Vielmehr kommt Räumen für die dort statt-

318 319

Bei 6.2 handelt es sich um Praktiken und Artefakte, die zeichentragend, aber noch nicht literal sind. Vgl. Zettl (2019b).

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Zettl, Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte, Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27031-5_6

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6 Literalität in der Kita

findenden Praktiken in elementarpädagogischer Programmatik oftmals eine besondere Bedeutung zu320, so bei Bollig (2003: 13): „In der pädagogischen Programmatik von Kindertagesstätten haben Objekte, im Sinne von Spielzeugen, Räumen und Einrichtungen schon immer eine prominente Rolle gespielt (vgl. Fröbel, Montessori, oder in der Reggio-Pädagogik). Konzeptionell geraten sie heute vor allem als Inventare vorbereiteter, bildsam anregender Umwelten für kindliche (Selbst)Bildungs- und Entwicklungsprozesse (s. von der Beek/Buck/Rufenach 2001, Regel/Kühne 2001) in den Blick. Räume und Objekte erhalten dabei die Funktion eines „dritten Erziehers“; Erzieherinnen wählen die Gestaltung von Räumen und deren Inventar sorgfältig unter Aspekten der Schaffung von Gelegenheitsstrukturen für bestimmte soziale und individuelle Prozesse der Kinder aus321.“

Auch praxis- und performativitätstheoretisch ist Raum neben Zeit und Artefakten nach Kuhn (2013: 25) ein „Konstitutionsmoment des elementarpädagogischen Alltags“ (vgl. ausführlich ebd.: 173ff.). Wenn im vorliegenden Kapitel von Räumen in der Kita gesprochen wird, ist es hilfreich, mit Jäger, Biffi und Halfhide (2006: 10) zu differenzieren: In Anlehnung an die Raumsoziologin Löw322 (2001) beschreiben sie Raum nicht nur als „materielles Objekt“, sondern als „relationale (An)Ordnung von Lebewesen und sozialen Gütern an Orten“ (Löw 2001: 160, zit. in Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 10). Er wird unter anderem durch „Spacing“, also die Anordnung z.B. von Stühlen im Raum konstituiert (Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 10f. in Rekurs auf Löw 2001: 158f.). In den folgenden Daten wird der Fokus vor allem auf die unterschiedliche Zugänglichkeit und Nutzbarkeit durch verschiedene Zielgruppen der Räume gelegt. Diese lässt sich nicht nur durch den materiellen Raum, sondern auch durch „Spacing“ erklären. Einfache Zeichen: Farben zur Strukturierung der Kita Bevor auf literale Praktiken und Artefakte eingegangen wird, sollen zunächst kurz Zeichen im Sinn der „social semiotics“ (vgl. Kress 1997; Jewitt/Kress 2003) vorgestellt werden, die im Alltag der Kita omnipräsent sind und Ähnlichkeiten mit Schriftsystemen aufweisen (vgl. Maeder/Brosziewski 2019: i. V.), aber weniger komplex sind, da sie von weniger bedeutungsunterscheidenden Zeichen ausgehen. 320 Zu Räumen und Raumkonzepten in der Erziehungswissenschaft generell vgl. Glaser und Thole (2018); für raumanalytische Perspektiven auf Sprachen in einer Kita vgl. Kuhn und Neumann (2017). 321 Der auch unter pädagogischen Professionellen gängige Topos vom Raum als dritten Erzieher wurde im Feld ebenfalls öfter erwähnt. 322 Ein ausführlicher Forschungsüberblick zu Raumsoziologie findet sich bei Edinger (2015).

6.1 Einfache Zeichen: Farben zur Strukturierung der Kita

201

Es handelt sich um Farbsysteme. Sie bestehen aus gesprochener Sprache (Farbadjektiven) und farbigen Artefakten, die teils eigens hergestellt sind, um Bedeutung durch Farbe zu vermitteln, teils als bereits bestehende Artefakte aufgegriffen werden, um Farben als bedeutungstragende Systeme zu thematisieren. Sie weisen einen höheren Abstraktionsgrad auf als ikonische Zeichen wie z.B. Smileys, bei denen noch ein Zusammenhang zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten sichtbar ist, und verweisen so bereits auf alphabetische Schriftsysteme, bei denen eine Arbitrarität zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten gegeben ist323. Ein Farbsystem mit den vier bedeutungsunterscheidenden Elementen Gelb, Rot, Grün und Blau strukturiert das gesamte Kita-Gebäude, jeder Gruppe ist dabei eine Farbe zugeordnet. Alle Gruppen werden dabei durch die Farbbezeichnungen als gleichwertig dargestellt, es gibt z.B. keine Gruppen von Älteren oder Jüngeren. Die Gänge, die zu den entsprechenden Räumen hinführen, und die Garderoben sind an den Wänden mit grafischen Elementen in den jeweiligen Gruppenfarben gestaltet. Durch dieses einer einfachen Semiotik folgende „Spacing“ werden die Gebiete der einzelnen Gruppen markiert und voneinander getrennt. In den Räumen selbst finden sich an den Wänden und Artefakten, wie z.B. an einem großen Spiegel, zahlreiche geometrische Formen in den entsprechenden Farben. Eine Wand zur visuellen Orientierung, die die räumliche wie personelle KitaStruktur darstellt, findet sich im Eingangsbereich: Auf der Pinnwand im Eingangsbereich sind vier farbige Tonpapiere mit Erzieherinnenfotos darauf und den Namen der jeweiligen Gruppenerzieherinnen darunter, die verschiedenen Farben stehen für die Gruppe rot, blau, grün, gelb (die Erzieherinnenfotos der Gruppe Grün sind auf grünem Farbtonpapier aufgeklebt u.a.). (…) In der Mitte ist ein Bild der Kita-Leiterin mit ihrem Namen darunter, ihr Foto ist von vier Farbdreiecken in den vier Farben der Gruppen umrahmt. An der Ecke der Pinnwand ist ein Regenbogen mit Sonne. (2.5. 2011)

Die Kita-Leiterin wird grafisch in die Mitte der Organisation gestellt, das Rechteck, das ihr Foto umrahmt, bildet die Basis der vier Gruppendreiecke. Der Regenbogen kann als Symbol eines harmonischen Zusammenspiels zwischen den verschiedenen Gruppen gedeutet werden. Die Fotos der Elternsprecher*innen der „Gruppe Blau“ sind in einem blauen Rahmen in der Gruppe aufgehängt. Nach Angaben von Feldteilnehmenden dient dies auch zur Orientierung der Eltern, die wenig Deutschkenntnisse haben. Im Kita-Alltag funktioniert, so die Beobachtung während der gesamten Feldphase, dieses einfache Orientierungssystem 323 Kress (1997: 9) erläutert das System folgendermaßen: „writing, a system of signs in which form and meaning have no intrinsic connection: the letters s h i p, for instance, do not reveal the meaning that is attached to them in this sequence unless it is pointed out.”

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6 Literalität in der Kita

reibungslos. Dass Feldteilnehmende sich in ein andersfarbiges Gruppenzimmer als das ihnen zugeordnete verirren, wird nie beobachtet324. Dieser Rückgriff auf einen visuellen Modus zur räumlichen wie personellen Orientierung für Kinder und Eltern ist zweifach erklärbar: In seiner Adressierung an Kinder erinnert er an Montessoripädagogik, die das Unterscheiden von „Sinnesmaterial“ (Montessori 1909/1987: 114), z.B. von Farben (ebd.: 115), als Lerngegenstand für Kinder thematisiert. Dabei wird bei der Bereitstellung pädagogischen Lernmaterials die „Isolierung einer einzigen Eigenschaft im Material“, beispielsweise Farbe (ebd.), angestrebt, damit Kinder „Kontraste, Identitäten und Abstufungen“ kennen lernen (ebd.: 127). Das Vier-Farben-System, das die Räumlichkeiten und zugleich Personalstruktur der Kita gliedert, kann so in Resonanz zur Montessoripädagogik gesehen werden325. Zugleich hat die Pinnwand im Eingangsbereich in ihrer Adressiertheit an Eltern Strukturanalogien in multimodalen, stark visuell geprägten Artefakten, wie sie Schroeder (2011: 209ff.) in Bezug auf Anweisungen für Personal in Einfacharbeitsplätzen, etwa Anweisungen zur Gebäudereinigung oder zum Stapeln von Containern, beschreibt. Schroeder (ebd.: 215) vertritt die These, „dass Anforderungen an Schriftsprachigkeit im Niedriglohnsektor heutzutage weniger lexikalischer, als vielmehr ikonischer Natur sind [Herv. i. O.]“. Er benennt hier unter anderem „Farbcodes“ (ebd.) als Beispiel für visuelle Modes. Diese verlangen von ihren Adressat*innen die Fähigkeit, multimodale Zeichensysteme, aber nicht unbedingt Schrift zu dekodieren. Analog dazu befinden sich auf der Pinnwand, die die Kita-Struktur veranschaulicht, verschiedene Modi: Fotografien, die Farbigkeit der Tonpapiere, die Formen der Dreiecke, die auf das Foto der Kita-Leiterin hindeuten, sowie Schrift in den Bildunterschriften unter den Fotos. Den Eltern wird dabei durch die Vielzahl nicht schriftbasierter Modi ein von Schriftkenntnissen relativ unabhängiges visuelles Orientierungssystem angeboten326. Ob hier eine intendierte Adressiertheit an Illettrist*innen oder nicht Deutsch sprechende Eltern 324 Allerdings findet keine Beobachtung in der direkten Eingewöhnungsphase neu angekommener Kinder statt, so dass in den Daten bei fast allen Feldteilnehmenden mit einer mindestens mehrwöchigen Gewöhnung ans Gebäude zu rechnen ist. 325 Darüber hinaus schildert Montessori (ebd.), dass Kinder von einfachen Kontrasten, etwa zwischen rot und gelb, ausgehend später komplexere Farbabstufungen begreifen; dies wurde in der erforschten Kita nicht beobachtet. 326 Die Annahme, dass etliche Eltern nicht genügend (auf Deutsch) lesen und schreiben können, wird wiederholt von erwachsenen Feldteilnehmenden geäußert. Gleichzeitig ist im Eingangsbereich auch eine Adressierung an schriftsprachkundige Eltern zu beobachten. Hier liegen in einer größeren Anzahl Broschüren und Flyer zu Erziehungsthemen und Bildungsinstitutionen in verschiedenen Sprachen aus. Dieser Befund erstaunt angesichts der Studie von Jahreiß, Ertanir, Frank, Sachse und Kratzmann (2017: 448), die den Einbezug von Mehrsprachigkeit in von Migration geprägten Kitas in Süddeutschland untersuchen: die große Mehrheit der erforschten Kitas hat kein mehrsprachiges Informationsmaterial.

6.2 Literalität im Raum der „Gruppe Blau“

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vorliegt, ist nicht Thema der vorliegenden Arbeit. Sichtbar ist jedoch eine Funktionalität, die durch den Farbcode und die Fotos jenseits deutscher Schriftkenntnisse Informationen über die Kita kommuniziert327. Literalität im Raum der „Gruppe Blau“ Nach diesem Überblick über die Verwendung einfacher, literalitätsähnlicher Zeichen im gesamten Kita-Gebäude führt der „Rundgang“ durch die Kita zunächst in den Raum der „Gruppe Blau“. „Im Namen des Vaters und des Sohnes“ Jeden Tag gibt es in der Kita an den Mittagstischen vor dem Essen komplexe sprachlich, musikalisch und gestisch ausgeformte literale Praktiken, die im folgenden Abschnitt ausführlich entlang der Fragestellungen dargestellt werden: Wie sind sie räumlich, zeitlich und personell im Kita-Alltag positioniert? Mit welchen Diskursen sind sie zu Praxis/Diskurs-Formationen verknüpft und wie können sie performativitätstheoretisch im Sinn eines Rituals gedeutet werden? Im Datenmaterial werden die täglichen Praktiken, die dem Mittagessen vorangehen, mehrfach im Juli 2011 dokumentiert. Sie finden an den Gruppentischen in der Mitte des Gruppenraums der „Gruppe Blau“ statt, an denen die Kinder vormittags optional im Freispiel basteln oder Spiele spielen können. Für das Mittagessen werden diese Tische zu Essenstischen. Die Praktiken an den Essenstischen sind durch dieses „Spacing“ an einem materiell wie symbolisch zentralen Ort für die „Gruppe Blau“. Sie stellen die einzigen Praktiken dar, die täglich gemeinsam

327 Auch im angebotenen Spielmaterial ist auffällig, dass Farben in einer Skala von vier oder sechs kontrastierenden Farbtönen als bedeutungstragende Elemente eingesetzt werden, z.B. bei Würfelspielen, bei denen die verschiedenen Spielfiguren verschiedenen Spielenden zugeordnet werden, oder bei Geschicklichkeitsspielen, bei denen verschiedene Farben verschiedene Aufgaben symbolisieren. Bauklötze unterscheiden sich ebenfalls durch standardisierte Farbtöne. In den Daten werden Farben zudem häufig zur Thematisierung von Gender („pink“ und „blau“) angesprochen. In Daten, die während des Freispiels in Gesprächen unter Kindern aufgenommen wurden, sind Farbadjektive zur Benennung von Artefakten häufig. Ein Beispiel: Ein Kindergartenkind unbekannten Alters, zu Besuch in der „Gruppe Blau“, bereitet ein Würfelspiel vor. Es sieht, dass ein Spielwürfel mit Farbunterscheidungen in der falschen Schachtel liegt und somit nicht zum Spiel passende Farbcodes zeigt. Es sagt: „Das Weiß ist pink“ (5.7.2011), d.h. das weiße Farbfeld wird mangels eines pinkfarbenen Felds verwendet, um die pinkfarbene Figur vorwärts zu bewegen. Dieses Kind zeigt bereits Einsicht in die Arbitrarität von Zeichen. Inwiefern durch die Verwendung farbunterscheidender Artefakte frühe Abstraktionsfähigkeiten eingeübt werden, wäre Thema einer eigenen Arbeit, vieles deutet darauf hin.

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von allen Anwesenden gleichzeitig durchgeführt werden328. Während die Kinder an den gedeckten Gruppentischen sitzen, noch ohne das Essen auf den Tellern, stehen die Erzieherinnen so zwischen den Tischen, dass sie für alle gut sichtbar sind329. Gemeinsam ist allen Praktiken folgender Ablauf, der zur Mittagszeit auf das Aufräumen nach dem Freispiel oder eine Spielrunde im Kreis folgt: Hinsetzen und Aufforderung zum Ruhigsein - Kreuzzeichen mit Gebet - Lied (eines aus einer Auswahl von Liedern) - Kreuzzeichen mit Gebet - Tischspruch (einer aus einer Auswahl von Sprüchen) - Beginn des Essens. Diese Repetitivität ist ein Ritualmerkmal nach Zirfas und Wulf und wird verstanden als eine „Veränderungen durchaus mit einbeziehende mimetische Tätigkeit“ (Zirfas/Wulf 2001: 193). Die vorliegenden Datensequenzen wurden am 7.7. 2011 (Beginn des Mittagsrituals) sowie am 8.7. 2011 (Hauptteil des Mittagsrituals) aufgezeichnet330. Am Beginn der gemeinsamen sprachlichen Praktiken steht das Hinsetzen der Kinder an die Tische und ein durch eine Erzieherin initiiertes Ruhigwerden der Kinder, das diese gestisch und verbal inszeniert, wie in dem folgenden Beispiel: Kurz vor dem Mittagessen. Brigitte sagt, als alle an den Tischen sitzen: „Schraubt mal alle den Mund zu, Schlüssel zu, abschließen“. Sie begleitet die Aufforderung mit einer Geste des Abschließens, die die rechte Hand am Mund macht. Viele Kinder machen sofort diese ihnen vertraut wirkende Geste, Brigitte fordert einige, die ihrem Aufruf nicht nachgekommen sind, einzeln zum „Abschließen“ auf: „Hülya, wo hast du den Schlüssel hergeholt, Jessica, wie machst du das ohne Schlüssel?“ Dann „schließen“ sie alle gestisch den Mund „ab“ und „schließen“ wieder „auf“ für das Tischgebet. (7.7. 2011)

Hier zeigt sich eine liminale Phase (vgl. Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 53ff.) im Übergang zwischen dem Aufräumen nach dem Freispiel und dem gemeinsamen Beten,

328

Aktivitäten im „Kreis“ sind zwar für alle verpflichtend, wechseln aber häufiger. In einer Datensequenz wird einem „Schulkind“ die Rolle der Erzieherin übertragen, es leitet das gemeinsame Sprechen an, ebenfalls im Stehen vor den sitzenden Kindern. 330 Dass die Daten von zwei aufeinanderfolgenden Tagen stammen, hat den Grund, dass am 8.7. 2011 kein Übergang zum Mittagsritual ethnographiert wurde, da zum Beobachtungszeitpunkt der Fokus ausschließlich auf dem Mittagsritual selbst lag, das am 8.7. 2011 erstmals als Audiofile aufgenommen wurde. Das Mittagsritual selbst wurde mehrfach ethnographiert; es zeigt sich eine ritualtypische Homogenität (vgl. Zirfas/Wulf 2001: 193). Der „Übergang“ zum Mittagsritual wird nur einmal in den Daten dokumentiert, so dass nicht sicher gesagt werden kann, ob es sich hier bereits um einen Teil des Mittagsrituals handelt oder eher um ritualisierte Praktiken, die optional vor dem Mittagsritual stehen können. 329

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Singen und Sprechen im Hauptteil des Mittagsrituals331. Dieses Mittagsritual kann wiederum als liminale Phase zwischen Freispiel und Mittagessen gedeutet werden (vgl. Kuhn 2013: 181). Der hier dokumentierte Ablauf markiert einen gestisch begleiteten Übergang vom individuellen Sprechen zum gemeinsamen Sprechen im Tischritual, ähnlich wie Rose/Schäfer (2009: 195) über „Mittagessen in der Schule“ schreiben: Eine „Aufforderung zur Lärmreduktion“ „kündigt nicht nur theatralisch eine bedeutungsvolle … Zäsur an, sondern schafft erst den Rahmen für eine gemeinsame innere Ausrichtung der Kinder auf das kommende Ereignis.“ Dass die Geste des Abschließens von allen Kindern eingefordert wird, leitet auch hin zu den gemeinsamen Gesten im Mittagsritual, die ebenfalls von allen Kindern durchgeführt werden. Die „Machtgebundenheit“ (Kuhn 2013: 195f.) von Ritualen im elementarpädagogischen Alltag wird sichtbar, indem die Erzieherin das Abschließen initiiert und kontrolliert und sich während dieser Phase das alleinige Rederecht zuspricht. Zugleich wirkt der Ausdruck „Schraubt mal alle den Mund zu“ spielerisch und komisch in seiner Metaphorik, indem der Mund mit einer Tür oder einem Gegenstand, der zugeschraubt werden muss, verglichen wird. Das Ritualmerkmal ludischer Inszeniertheit (vgl. Kuhn 2013: 188f.) tritt hier in Erscheinung. Diese metaphorische Aufforderung leitet die Phase gemeinsamen, rituellen und gestisch begleiteten Sprechens und Singens ein332. Die Kinder, die Erzieherinnen und die Feldforscherin bekreuzigen sich gemeinsam und sprechen: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes Amen.“ Ohne Pause nach dem Kreuzzeichen wird danach auf die Melodie von „Hopp hopp hopp, Pferdchen lauf Galopp“ gesungen: „Mampf mampf mampf boah hab ich Kohldampf“ [es folgt ein gemeinsames Singen, das später in diesem Abschnitt ausführlicher dokumentiert wird, E. Zettl]. Brigitte sagt: „Super, das reicht, das ist ausreichend genug. Im Namen des Vaters und des Sohnes“ (sie macht wieder das Kreuzzeichen und die Kinder stimmen ein) und des Heiligen Geistes Amen.“ (8.7. 2011)

Bevor diese Sequenz untersucht wird, werden in diesem und den folgenden Abschnitten (in Anlehnung an Kuhns Vorgehen 2013: 243) jeweils die in ihr verwendeten Texte kurz dargestellt und erläutert, welche Formen von Literalität verwendet werden. Anschließend werden im Sinne von Praxis/Diskurs-Formationen Diskurse aufgezeigt, die in den Praktiken resonieren. Zuletzt wird in einer performati-

331 In den Daten wird das vor jedem Mittagessen stattfindende Ritual als „Tischgebet“ oder mit dem native term „beten“ bezeichnet. Da es nicht nur religiöse, sondern auch weltliche Lied- und Spruchelemente enthält, wird es im Folgenden „Mittagsritual“ genannt. 332 Das folgende Datenmaterial ist aus teilnehmender Beobachtung und Audioaufnahme montiert.

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vitätstheoretischen Lesart dargestellt, wie Ritualmerkmale und -funktionen erscheinen. Das „Im Namen des Vaters“, aus einem Bibelzitat (Matthäus 28: 19) abgewandelt333, ist monologisch und verwendet, wie für literale Praktiken typisch, eine kontextreduzierte Sprache (vgl. Isler 2014: 15). So wird in dem Gebet nicht erläutert, wer „Vater“, „Sohn“ und „Heiliger Geist“ sind. Die Formulierung „Im Namen des“ gehört einer biblisch und liturgisch geprägten Sprachvarietät an. Ob die Kinder verstehen, wer gemeint ist, bleibt unklar. Eine ähnliche Sequenz findet sich bei Papen (2018: 127f.), die beschreibt, wie Grundschulkinder an einer katholischen Grundschule ein Kirchenlied singen und ein „Ave Maria“ beten, ohne den alltagsfernen Wortschatz erklärt zu bekommen. Für Papen steht nicht unbedingt der Versuch kognitiven Verstehens der Texte im Mittelpunkt dieser Praxis, sondern eher ein performatives körperliches Nachvollziehen in Gemeinschaft, das beschützend wirken oder einem ästhetischen Erleben nahekommen könne; diese Deutung ist auch für die vorliegenden Daten schlüssig. In Anlehnung an Rosowsky (2008; vgl. auch Papen 2018: 122) kann hier von „Liturgischer Literalität“ gesprochen werden, einer kaum erforschten Form der Literalität334. Das Kreuzzeichen als Gebet und liturgische Segensgeste, das ein gesprochenes „Im Namen des Vaters“ einschließt, demonstriert Zugehörigkeit zum (vor allem katholischen) christlichen Glauben. Im katholischen Brauchtum ist es u.a. im Rahmen eines Tischgebets mit dem Ablauf Kreuzzeichen - (veränderbares) Gebet - Kreuzzeichen335 verbreitet. Das gesamte „Mittagsritual“ mit dem Ablauf: Kreuzzeichen Lied - Kreuzzeichen - Tischspruch kann als Erweiterung und teilweise Säkularisierung dieses Ablaufs gesehen werden. Repetitivität und Homogenität des Kreuzzeichens sind dabei Ritualmerkmale nach Zirfas/Wulf (2001: 193). Hier zeigen sich fruchtbare Ergänzungen von Literalitäts- und Performativitätstheorie: Die Wiederholbarkeit und Gleichförmigkeit des „Im Namen des Vaters“ bedingt eine kontextreduzierte Sprache, die z.B. auf Deixis verzichtet. In den vorliegenden Daten ist auffallend, dass alle Anwesenden am Gebet mit der dazugehörigen Geste teilnehmen, diese Teilnahme routiniert wirkt und bruchlos vollzogen wird (während im späteren Verlauf des Rituals Brüche zwischen den Vorgaben der Erzieherin und den Praktiken der Kinder kurz sichtbar werden). Dies 333

Vgl. Verband der Diözesen Deutschlands, Körperschaft des öffentlichen Rechts, als Rechtsträger der Deutschen Bischofskonferenz, http://dbk.de/kirche-a-z/?no_cache=1&w=Kreuzzeichen (Abfrage 17.5. 2017) 334 Für den Kontext Kindertagesstätte sind mir keine Studien bekannt, die religiöse Praktiken als Literalitätspraktiken beschreiben; Papen (2018) forscht über „religious literacy“ an einer englischen katholischen Grundschule aus der Perspektive einer Literalitätsforscherin und schreibt, es gebe kaum Studien über dieses Thema (ebd.: 123). 335 Diese Information verdanke ich einer katholischen Theologin, die nicht genannt werden möchte.

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dürfte auf die Unveränderlichkeit und Einfachheit des Kreuzzeichens bei veränderbaren Liedern und Tischsprüchen zurückzuführen sein. Auch wenn weniger als ein Viertel der Kinder (fünf von zweiundzwanzig) der „Gruppe Blau“ als „katholisch“ im Klassenbuch registriert sind, wird anlässlich des Beginns der Mahlzeit eine homogene Gemeinschaft dargestellt, in der religiöse und konfessionelle Differenzen unsichtbar werden oder bleiben (vgl. ausführlicher Abschnitt 6.4.2.). Dies ist umso auffälliger, als während der Mahlzeiten religiöse Unterschiede deutlich werden, indem halal hergestellte „türkische Wurst“ und nicht halal hergestellte Wurst sichtbar getrennt serviert werden336. Performativitätstheoretisch lassen sich hier zwei Ritualfunktionen aufzeigen: die „kommunitäre“ Ritualfunktion, die Gemeinschaft erzeugt (vgl. Wulf/Zirfas 2004: 18f.), und die Funktion der „Differenzbearbeitung“ (vgl. ebd.: 23), die Differenzen (hier: zwischen den Religionen der Kinder) aufheben kann. Die Verwendung des Kreuzzeichens verweist zudem im Sinn einer Praxis/Diskurs-Formation „Religiöse Bildung in Kindertagesstätten“ auf das Leitbild des Kita-Trägers337 und das Selbstverständnis der Kita als kirchlich. Dieses sieht eine Hinführung der Kinder zum katholischen Glauben und dazugehörigen Ritualen vor. Zugleich resonieren in der Verwendung des Kreuzzeichens Diskurse zu Kitas als Orten früher Begegnung mit Religion, die unabhängig von der Trägerschaft der Kitas, z.B. in den Bildungsplänen verschiedener Bundesländer, festgeschrieben sind. So steht im Orientierungsplan des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2011: 46): „Wissen Kinder um die Möglichkeit des Betens und gottesdienstlichen Feierns? Haben Kinder die Möglichkeit, die Sprache religiöser Symbole kennen zu lernen?“ Zusammenfassend gesagt: Das Kreuzzeichen als liturgische literale Praktik erfüllt (zumindest in den vorliegenden Daten) die Ritualfunktionen der Gemeinschaftsbildung und Differenzaufhebung und verweist auf Diskurse zu religiöser Bildung338. Wird das Kreuzzeichen im Kontext des gesamten Mittagsrituals gesehen, ist Folgendes auffällig (zumindest für die Forscherin, bei den anderen Feldteilnehmenden löst das keine sichtliche Irritation aus): Zwischen den Teilen des „Mittagsrituals“ mit ihren so heterogenen Sprachregistern – liturgischer Literalität und künstlich umgangssprachlichen Kinderversen – finden praktisch keine Pausen statt. Möglicherweise wird das Mittagsritual als Einheit gesehen, möglicherweise 336 Das Kreuzzeichen, das ein Ritual einer in der Kita hegemonialen Minderheit ist und trotzdem selbstverständlich von allen praktiziert wird, könnte auch, in Analogie zum „Deutschsprechen“, als nicht diskutierte Norm für alle Kinder gesehen werden. 337 Aus Datenschutzgründen wird es nicht direkt zitiert. 338 In anderen Varianten des Mittagsrituals, wenn statt eines Spruchs ein Gebet gesprochen wird, findet gestisch eine Differenzierung statt: Christliche Kinder falten die Hände, muslimische Kinder formen die Hände zu einer Schale, eine Praxis, wie sie ähnlich der Religionspädagoge Harz (2014: 148) vorschlägt, um Anschluss an die verschiedenen religiösen Traditionen in Familien zu zeigen.

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ist das Kreuzzeichen auch so routinisiert, dass der plötzliche Wechsel der Sprachregister vor und nach dem Kreuzzeichen den Teilnehmenden nicht auffällt. Das „Mampf“-Lied, ein humoristisches Kinderlied, stammt aus einem Gratisheft für Kinder mit dem Titel „Mampf“ der Supermarktkette REWE (REWE Markt GmbH 2010), das Kindern gesunde Ernährung nahebringen möchte. Aus einer Liedkopie wird auch während der vorliegenden Datensequenz von Erzieherin Brigitte laut gelesen, somit wird diese als Artefakt relevant. Die Sequenz verläuft so: Ohne Pause nach dem Kreuzzeichen wird auf die Melodie von „Hopp hopp hopp, Pferdchen lauf Galopp“ gesungen: „Mampf mampf mampf boah hab ich Kohldampf. Könnte Riesenberge fressen, wann gibt’s endlich was zu essen? Mampf mampf mampf, mann hab ich Kohldampf.“ Zu „Riesenberge“ heben einige Kinder ihre Hände in Bergform in die Luft. Erzieherin Brigitte sagt: „Super, total schön. Cool. Dann probieren wir das mal mit dem Obst, wo ich selber lesen muss – aber Hauptsache, die [unverständlich] kapieren das hinterher“. Gleichzeitig mit Brigittes Worten singen einige Kinder: „Obst, Obst. Bunte ...“ Brigitte sagt: „Jetzt kommt was Schweres. Dann kommt ne ... lllopp“ (sie sucht auf einem Liedblatt den Text und liest laut): „Bunte Farben, Vitamine, Äpfel, Kirschen, Mandarine. Obst, Obst, Obst.“ Dann richtet sie sich an die Kinder: „Ok, das geht: Bunte Farben, Vitamine, Äpfel, Kirschen, Mandarine.“ (sie singt und die Kinder stimmen mit ein): „Obst, Obst, Obst, damit du besser tobst.“ Brigitte sagt: „Super, das reicht, das ist ausreichend genug. Im Namen des Vaters [alle sprechen mit und bekreuzigen sich] und des Sohnes und des Heiligen Geistes Amen.“ (8.7. 2011)

Die in den Daten gesungenen Strophen sind mit zwei Strophen auf dem Liedblatt praktisch identisch. Ein Kinderlied zu singen stellt eine Form „prä- und paraliterarischer Kommunikation“ (Nickel 2007: 88) im Sinn einer frühen Literalitätserfahrung dar. Die Kinder können Brigittes Lesen des Liedblatts, also eine Praktik, die mit einem medial schriftlichen literalen Artefakt verbunden ist, beobachten. Hier erscheinen zugleich die Ritualmerkmale Artefaktverwendung (vgl. Kuhn 2013: 188) und Musikalität (ebd.: 182). Auch wenn der Wortschatz des Liedes teilweise umgangssprachlich ist („Kohldampf“), ist es eher eine artifizielle Mündlichkeit: Die Ellipse „Könnte Riesenberge fressen“ und die Betonung von „Kohldampf“ auf der zweiten Silbe sind für Umgangssprache ungewöhnlich und dem Versmaß geschuldet. Der Text ist trotz der Anrede mit „du“ monologisch (ein Literalitätsmerkmal nach Isler 2014: 15), da keine Möglichkeit gegeben ist, in einen Dialog mit dem Liedtext zu treten

6.2 Literalität im Raum der „Gruppe Blau“

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oder diesen zu variieren. Durch den Reim als Sprachspiel (vgl. Isler 2014: 16) besteht eine Möglichkeit zur Objektivierung von Sprache339. Der sprachliche Duktus der ersten Strophe wirkt humoristisch (das an Comics erinnernde „Mampf“, das „so’n Kohldampf“, „boah hab ich“ und die Übertreibung „Riesenberge fressen“). Einen Tag vor der oben ausführlich dokumentierten Sequenz bringt die Erzieherin den Kindern Gesten zu dem Lied bei: Zu „Mampf“, sagt Brigitte, gibt’s kreisförmige Bewegungen, und bei „Riesenberge“ Hände nach oben und Arme hoch. (7.7. 2011)

Hier wird das Ritual durch die pädagogische Praxis des Anleitens durchbrochen. In der Durchführung der Gestik wird zugleich das Ritualmerkmal ludischer Inszeniertheit (vgl. Kuhn 2013: 188f.) deutlich. Während das vorangehende Kreuzzeichen nicht altersstufenspezifisch ist, wirkt dieses Lied an kleine Kinder adressiert. In der dritten Strophe wird ein „du“ pädagogisch angesprochen: Der Obstgenuss führt zu „besser tobst“. Sie verbindet das Ziel einer Selbstoptimierung („besser“) humoristisch mit der Freude am „Toben“. Das Attraktive „Bunte Farben“ wird mit dem Gesunden „Vitamine“ verbunden. Damit wird der Topos, dass Obst gesund sei, hier aufgegriffen. In der Datensequenz zeigt sich ein Unterschied zwischen dem Kreuzzeichen und dem Singen des Liedes. Während das Kreuzzeichen ohne Brüche von allen Beteiligten durchgeführt wird, wird das Singen des „Mampf“-Lieds unterbrochen, da Brigitte die Kinder mehrfach lobt, einmal unterbricht sowie den Text der zweiten gesungenen Strophe zunächst selbst liest und dann vorsingt. Der Kommentar Brigittes „Jetzt kommt was Schweres“ zeigt möglicherweise, dass das Lied für alle Beteiligten noch nicht so routiniert ist wie das Kreuzzeichen. Die Homogenität des Rituals wird hier aufgebrochen, da die Teilnehmenden das Lied erst einstudieren müssen und entsprechend stärker pädagogisch – im Loben, Ermahnen und Instruieren – agiert wird. Das „Mampf“-Lied wird für das sogenannte „Tigerfest“ einstudiert, ein Fest zum Thema gesunder Ernährung (vgl. Abschnitt 6.4.3), zu dem die Eltern eingeladen sind. Auf dem vorgedruckten Liedblatt sind sieben Strophen, die die Vorzüge verschiedener Lebensmittel preisen, darunter auch Süßigkeiten („Gummibären, Schokokuchen muss ich auch einmal versuchen“, REWE Markt GmbH 2010: 1). Aus ihnen sucht die Erzieherin die erste und dritte Strophe heraus. Angesichts des Themas gesunder Ernährung könnte die Wahl der „Obst“- und „Vitamine“Strophe pädagogisch begründet sein. Der Satz Brigittes, der das Singen beendet: 339

Ob die Kinder das „Mampf“-Lied nutzen, um selbst sprachspielerisch tätig zu werden, konnte nicht beobachtet werden.

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„Super, das reicht, das ist ausreichend genug“, bezieht sich möglicherweise darauf, dass zwei Strophen des Liedes für das Vorführen bei den Eltern ausreichen und die Kinder diese schon gut beherrschen. So ist das Lied an Kinder, aber auch an ihre Eltern gerichtet (vgl. auch Abschnitt 6.4.3). In Anlehnung an Ewers (2012: o.S.) kann von einer Mehrfachadressierung gesprochen werden340. Das Lied ist Teil der Praxis/Diskurs-Formation „Erziehung zu gesunder Ernährung“. Sie ist auch in vielen Bildungs- und Orientierungsplänen für Kindertagesstätten verankert (vgl. z.B. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg 2011: 29f. und Abschnitt 6.4.3). Dass das „Mampf“-Lied witzig sein möchte, könnte mit der pädagogischen Forderung zusammenhängen, man müsse vermitteln, dass gesunde Ernährung Spaß mache341. Auch auf dem Cover der „Mampf“-Broschüre steht: „Hallo Kids! Ich zeige euch, wie viel Spaß gesundes Essen macht“ (REWE Markt 2010: 1). Die Verwendung der Umgangssprache wird möglicherweise ebenfalls vor diesem Hintergrund geduldet. Würde ein Kind der „Gruppe Blau“ das Wort „fressen“ statt „essen“ im Kita-Alltag verwenden, würde es möglicherweise korrigiert; im Vers „Riesenberge fressen“ wird dies jedoch akzeptiert. Zugleich ist das Singen und rhythmische Sprechen vor dem Essen im Rahmen der Praxis/Diskurs-Formation zu früher musikalischer Erziehung interpretierbar, die Musik in vorschulischen Bildungseinrichtungen zur Förderung schulvorbereitender Kompetenzen einfordert. Gerade Singen mache Kindern nicht nur Freude, sondern sei unter anderem auch nützlich für Konzentration, Wortschatzerweiterung, Ausdruck von Gefühlen und Teamfähigkeit (z.B. im Orientierungsplan des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg 2011: 12). Unmittelbar auf die im vorherigen Abschnitt dargestellte Datensequenz folgt das Ende des „Mittagsrituals“: Brigitte sagt: „So“. Einige Kinder sprechen rhythmisch: „Eins zwei drei.“ Brigitte unterbricht: „Alles klar?“ Einige Kinder sprechen: „Piep piep piep“. Brigitte unterbricht laut: „Halt, zusammen anfangen? Eins zwei drei.“ Alle sprechen, fassen sich an den Händen und klopfen auf den Tisch: „Piep piep piep wir ha’m uns alle lieb

340 Der Begriff der Mehrfachadressierung stammt aus der Kinder- und Jugendliteraturforschung und bezeichnet einen „Sonderfall der kinder- und jugendliterarischen Kommunikation, bei der ein Text an mehr als eine Adressatengruppe gerichtet ist“, etwa an Kinder und Erwachsene (Ewers 2012: o.S.). Hier wird er auf eine kommunikative Situation, die ein Kindermedium verwendet, übertragen. 341 So steht in einem Orientierungsplan für Bildung in Kitas von 2016, pädagogische Professionelle sollten versuchen, „nach Möglichkeit zu vermitteln, dass gesunde Ernährung einschließlich der Zubereitung (zusammen mit den Kindern) Spaß macht“ (Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport und Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2016: 86f.)

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jeder isst so viel er kann nur nicht seinen Nebenmann und ihr wisst auch ganz genau auch nicht eure Nebenfrau. Haut rein.“ (8.7. 2011)

Bei dem Kindervers „Piep piep piep“ am Ende des Mittagsrituals kann von einer „prä- oder paraliterarischen Kommunikation“ (Nickel 2007: 88) gesprochen werden, die an kleine Kinder adressiert, rhythmisiert und gereimt ist. Wurde das Essen im „Mampf“-Lied humoristisch als „Riesenberge fressen“ übertrieben, werden hier die Grenzen des exzessiven Essens („isst so viel er kann“, „Haut rein“) humoristisch bei den Sitznachbar*innen festgelegt. Diese Form der Komik, die exzessive Körperlichkeit betont (vgl. McKenzie 2005: 86342), steht im Widerspruch zu der Regulierung des Essens in der Realität der Kita: Das, was mitgebracht und gegessen wird, ist reglementiert (z.B. soll kein Weißbrot mitgebracht werden), und auch „ungesittetes“ Essen, z.B. Kleckern auf dem Tisch und Spielen mit dem Essen in der Kindertagesstätte, wird nicht geduldet. Die Komik des Liedes und des Tischspruchs steht auch im Gegensatz zur Sakralität des Kreuzzeichens und scheint diese aufzubrechen. Auffällig ist jedoch, dass sich durch das ganze Mittagsritual, sakral wie humoristisch, eine Trias durchzieht: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“, „Mampf mampf mampf“, „Obst Obst Obst“, „Eins zwei drei“, „Piep piep piep“ – diese Strukturwiederholung könnte innerhalb des Mittagsrituals mit seinen disparat erscheinenden Teilen Kohärenz erzeugen. Zugleich erscheint hier, wie Kuhn (2013: 181) am Beispiel einer Variante dieses Tischspruchs zeigt, das Ritualmerkmal Symbolik. Der Satz „wir ha’m uns alle lieb“, zu dem sich die Kinder an den Händen fassen, konstruiert nach Kuhn „normativ aufgeladen eine affektive Zusammengehörigkeit der Kindergartengruppe“ (ebd.)343. Auch das Ritualmerkmal „Machtgebundenheit“ nach Kuhn (2013: 195f.) zeigt sich wieder, indem die Erzieherin selbstverständlich die Kinder durch „Halt, zusammen anfangen“ unterbricht. Das gemeinschaftliche Sprechen, das hier eingefordert wird, verweist wiederum auf die Ritualfunktion der Gemeinschaftskonstitution nach Wulf/Zirfas (2004: 18f.). Auffällig ist, dass, möglicherweise auch durch diese Ritualmerkmale bedingt, keine Möglichkeit für individuelle Äußerungen der Kinder im Rahmen des Rituals besteht. So wird in den Daten auch kein einzelnes Kind erkennbar.

342 McKenzie untersucht an Kinder adressierte Komik in Bezug auf Bakhtins Theorie des Körpers (1965/1968). Das „Riesenberge fressen“ könnte nach McKenzie als Bakthinsche karnevaleske Groteske gedeutet werden (McKenzie 2005: 85ff.). 343 Dadurch, dass dieser Spruch in der hier erforschten Kita ebenso wie bei Kuhn (2013) erscheint, kann vom Ritualmerkmal Homogenität (vgl. Zirfas/Wulf 2001: 193) auch über Kita-Grenzen hinweg gesprochen werden.

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Dass rituelle Praktiken vor der gemeinsamen Mahlzeit stehen, kann im Rahmen einer Praxis/Diskurs-Formation zu Ritualen im elementarpädagogischen Kontext gelesen werden. Nach Kuhn (2013: 178) sind Rituale ein „Konstitutionsmoment des Kindergartenalltags“. Der Entwurf der Grundsätze zur Bildungsförderung für Kinder von 0 bis 10 Jahren des Landes Nordrhein-Westfalen begründet die Wichtigkeit von Ritualen gerade auch für Mahlzeiten: „Eine strukturelle Rhythmisierung des Tagesablaufs mit festen Ritualen, Regeln und Signalen, wie z.B. Frühstück, (…) Mittagessen und Abholzeit, gibt den Kindern Orientierung und Sicherheit.“ (Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2010: 23; vgl. auch den Orientierungsplan Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg 2011: 29f.)

Das „Mittagsritual“ ist nicht nur im Rahmen dieser Praxis/Diskurs-Formationen zu Ritualen in elementarpädagogischen Institutionen zu lesen, sondern, wie bereits dargelegt, auch im Kontext von Praxis/Diskurs-Formationen zu den Bildungsbereichen sprachliche Bildung/Literalität, religiöse Bildung, Ernährungs- und Musikerziehung344. Diese Vielschichtigkeit wiederum verweist auf eine übergreifende Praxis/Diskurs-Formation, die die Verknüpfung von Bildungsbereichen in der frühen Kindheit zum Thema hat, wie sie z.B. im Orientierungsplan für Bildung und Erziehung in baden-württembergischen Kindergärten und weiteren Kindertageseinrichtungen steht: „Alle Bildungs- und Entwicklungsfelder sind eng miteinander verknüpft“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg 2011: 28; vgl. auch den Entwurf der Bildungsgrundsätze des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration und des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2010: 39). An den hier interpretierten Sequenzen wird im Sinne dieser Praxis/Diskurs-Formation deutlich, dass Literalitätspraktiken nicht isoliert erscheinen, sondern verschiedenen Bildungsbereichen zugleich zugeordnet werden können, auf verschiedene Praxis/Diskurs-Formationen verweisen und im vorliegenden Fall auch ritualförmig sind. In den vorliegenden Daten zeigt sich zudem für die Analyse, dass Literalitätsund Performativitätstheorie sich fruchtbar ergänzen345: Literale Artefakte wie z.B. Liedblätter werden u.a. in rituelle Kontexte eingebunden (vgl. das Ritualmerkmal der Artefaktverwendung nach Kuhn 2013: 188). Zudem bedingt die Homogenität von Ritualen (vgl. Zirfas/Wulf 2001: 193) eine kontextreduzierte und monolo344 Zum Zusammenhang zwischen Ernährungserziehung, Sprachförderung und weiteren Bildungsbereichen vgl. auch Bender/Krompàk (2017: 40f.). In ihrer ethnographischen Studie eines Schweizer Kindergartens „konnten (…) viele Situationen rekonstruiert werden, in denen das Thema Ernährung mit Zielen sprachlichen Lernens verbunden wurde“ (ebd.: 43). 345 Eine vertiefte Verknüpfung von Literalitäts- und Ritualtheorien wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit.

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gische Sprache. Nach Isler (2014: 15) sind Kontextreduktion und Monologizität Merkmale von Literalität. Zusammenfassend kann gesagt werden: Räumlich wie zeitlich befindet sich dieses Ritual täglich in der Mitte des Kita-Alltags, ist für alle verpflichtend und nimmt auch durch seine Komplexität und seine Resonanzen zu vielfältigen Praxis/Diskurs-Formationen eine herausgehobene Stellung ein. Nun ist das Wort ‚HUT‘ auf dem PC-Bildschirm Der folgende Abschnitt führt den Rundgang durch den Raum der „Gruppe Blau“ weiter zum PC-Tisch. In Studien über Literalität in elementarpädagogischen Institutionen finden digitale Medien bislang wenig Erwähnung346. Umso erwähnenswerter sind literale Praktiken im Umgang mit dem Artefakt PC in den vorliegenden Daten, die exemplarisch an einer Sequenz gezeigt werden. Bei ihrer Beschreibung und Deutung wird Maeder (2015: 145) gefolgt. Er sieht Computer in pädagogischen Settings als „Artefakte“ unter vielen anderen im „Haushalt der Dinge“ und beschreibt PCs in einer Schweizer Primarschule so: „Sie wurden als letzte eingeführte Artefakte gewissermaßen den vielen Dingen in serieller Ordnung zugegeben. So gesehen sind die Computer zunächst einfach ein weiteres Ding, das in die reichhaltige materielle und symbolische Ausrüstung dieses sozialen Ortes räumlich eingegliedert werden muss. Und wie jeder Gegenstand, jedes ausgehängte Alphabet, jede sichtbare Darstellung von Zahlenräumen und -reihen auf Plakaten usw. je ein eigenes Wissenssystem (Schrift, Zahlen, Tiere usw.) adressieren, wird auch der Computer in diesen Haushalt der Dinge als ein weiteres Element aufgenommen und in die Ordnung der ‚Zeigestruktur des Erziehens‘ (Prange 2005) eingefügt.“ (Maeder 2015: 145)

Im Folgenden wird zunächst das „Spacing“ des PCs im Gruppenraum der „Gruppe Blau“ beschrieben. Der Gruppenraum erstreckt sich über zwei Stockwerke und besitzt eine Treppe, die beide verbindet. Am Treppenabsatz in der Mitte der Treppe steht ein PC an einem Tisch mit Stuhl. Jäger, Biffi und Halfhide (2006: 131) schreiben dazu: „Die Raumgestaltung durch die Kindergärtnerin widerspiegelt also die allgemein und individuell genormten Vorstellungen davon, was KitaKinder in diesen Räumen tun sollen und wie sie dies tun sollten. Über die Differenzierung des Raumes schaffen sie [die Kindergärtnerinnen, E. Zettl] also Möglichkeitsräume für kindliches Handeln. In jedem Raumbereich ist jedoch nur Bestimmtes möglich, anderes nicht.“ 346 Zu früher Literalität unter Einbezug digitaler Medien in Familien gibt es jedoch einige Studien, für einen Forschungsüberblick, der neue Medien einschließt, und eigene Befunde vgl. Isler (2014).

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So ermöglicht der Arbeitsplatz mit einem PC, dass ein einziges Kind, dass dem Gruppengeschehen den Rücken zudreht, dort sitzend arbeitet. Das oben beschriebene „Spacing“ aber lässt den PC von vielen Stellen des Gruppenraums aus gut sichtbar sein und erlaubt es, dass Kinder, die auf der Treppe stehen, anderen bei der PC-Nutzung zuschauen. Zusätzlich ermöglicht es, dass die regulären Gruppenerzieherinnen die Kinder am PC anleiten, ohne den Rest der Kindergruppe aus dem Blick zu verlieren. Diese Anleitung wird also nicht an zusätzlich eingestellte Sprachförderkräfte oder Ehrenamtliche delegiert, wie dies bei vielen anderen Sprachförderaktivitäten der Fall ist, sondern ist im Rahmen des pädagogischen Alltags möglich. Der PC-Arbeitsplatz auf dem Treppenabsatz ist zwar räumlich abgesetzt, z.B. von den multifunktionalen Tischen im unteren Stock oder der Puppenecke im Obergeschoss, aber von diesen aus zugänglich347. Durch diese Raumgestaltung werden Praktiken am PC anderen Alltagspraktiken wie dem Spielen mit Puppen im Obergeschoss oder dem Malen an den Tischen im unteren Stockwerk als Teil des Kita-Alltags gleichgestellt348. Der Computer darf mit Erlaubnis einer pädagogischen Professionellen und unter ihrer Aufsicht verwendet werden. Das Sprachförderprogramm „Lollipop und die Schlaumäuse“ (Kochan/Scheimann/Schröter 2006) ist installiert. Ziele des Programms, das für Vorschulkinder und die erste Klasse konzipiert ist, sind eine Hinführung zum schulischen Lesen und Schreiben, Wortschatzerweiterung, Förderung der phonologischen Bewusstheit und des Hörverständnisses allgemein. Durch die Verwendung dieser Software werden drei sich teils überschneidende Praxis/Diskurs-Formationen zur Förderung früher Literalität, zu Medienpädagogik und zu Schulvorbereitung in elementarpädagogischen Institutionen aufgerufen, die sich auch in Bildungsplänen widerspiegeln. So findet sich im Entwurf der Grundsätze zur Bildungsförderung für Kinder von 0 bis 10 Jahren des Landes Nordrhein-Westfalen die Forderung, Kindern die Gelegenheit zu geben, „Schrift als ein Informations- und Kommunikationsmedium kennenzulernen“ (Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NordrheinWestfalen / Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes NordrheinWestfalen 2010: 62). Erzieher*innen wird hier empfohlen, dass Kinder „Computer nutzen, PC-Kurse für Kinder, altersentsprechende Spiele und Software“ verwenden (ebd.: 89). Dies ist auch als Schulvorbereitung zu sehen: „Kinder, die in die 347 Diese Zugänglichkeit ist insofern eingeschränkt, dass die pädagogischen Professionellen Kinder, die unruhig wirken, öfter bestimmten Räumen zuweisen. Dies soll die Ausbreitung von Unruhe vermeiden. 348 Eine weitere Möglichkeit wäre z.B., den PC in einem separaten, nur einer bestimmten Kindergruppe zugänglichen Raum aufzustellen, was ihn stärker von den Alltagspraktiken im Gruppenraum trennen würde.

6.2 Literalität im Raum der „Gruppe Blau“

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Schule kommen, stehen in der Kontinuität längst begonnener Bildungsprozesse, die weiterzuführen und neu anzustoßen sind.“ (ebd.: 35). Im Feldprotokoll ist auffällig, dass der Computer mit dem Lernprogramm für viele Kinder ein attraktives Artefakt darstellt. Mehrfach bitten Kinder darum, ihn nutzen zu können, wirken enttäuscht, wenn bereits ein anderes Kind dort sitzt und schauen aufmerksam zu, wenn jemand anderes den PC verwendet, wie in den folgenden Daten: Am Computer wird ein Schreib- und Lernprogramm genutzt; Ahmed (6) sitzt auf dem Schoß der pädagogischen Professionellen Brigitte. Auf dem Bildschirm steht AHMED. Ahmed malt etwas am PC, fünf Kinder schauen zu. Jessica (2) fragt: „Kann ich auch was malen?“, aber jetzt ist Ahmed dran. Brigitte sagt: „Ahmed malt das ganze Bild rot“, was dieser auch mit Hilfe der Maus tut. Anschließend malt er mit Hilfe des Mauszeigers ein A, dann ein A-ähnliches Gebilde, dann ein X. Ein Mädchen sagt: „Ein X.“ Es herrscht eine konzentrierte Atmosphäre. Ahmed soll Sonnenstrahlen malen, sagt Brigitte; er malt eine Sonne und innen die Sonne aus. Nun wird eine andere Übung am PC gezeigt. „Hören“, sagt Brigitte und berührt Ahmeds Ohren. Die Übung heißt „Mäusetheater“ für Hörverständnis, die PC-Stimme sagt „Male den braunen Stuhl mit dem grünen Pinsel an“. Brigitte muss Ahmed weiterhelfen, indem sie die Sätze langsam wiederholt. Ahmed ist sehr konzentriert bei der Sache. Am Ende wirkt er erfreut, als die „Schlaumäuse“ singen, dass er die Aufgabe gut gelöst hat. (…) Auf dem PC werden nun Verkehrszeichen gezeigt. Brigitte fragt, auf ein blauweißes „Radweg“-Schild deutend: „Was ist das, Ahmed? Ein biklet?“ (Offensichtlich hatte Ahmed ein türkisches Wort für „Fahrrad“ gesagt.) (…349) Nun ist das Wort „HUT“ auf dem PC-Bildschirm und wird von einer Computerstimme vorgelesen, nachdem Ahmed ein Logo angeklickt hat. Brigitte zeigt auf Ahmeds Kopf und erklärt gestisch, was ein Hut ist. (26.9. 2010)

Durch das Sitzen auf dem Schoß der Erzieherin hat Ahmed eine herausgehobene und geborgen wirkende Stellung, zugleich wird eine generationale Differenz (vgl. Machold 2015: 165) sichtbar. Das Dreieck Kind-Erwachsene-Artefakt erinnert an Beschreibungen zur frühen Bilderbuchkommunikation in der „Mutter-KindDyade“ (Braun/Neu-mann-Braun 2002: 74). Ähnlich wie in diesen wird das Benennen (ebd.) geübt („Was ist das, Ahmed?“). Die Praktiken, die das PC-Spiel in dieser Sequenz anbietet, sind jedoch interaktiver ausgerichtet, als es durch ein Bilderbuch ermöglicht würde: den eigenen Namen auf dem Bildschirm sehen, mit Hilfe der Maus Flächen, Formen und Buchstaben malen, Hören, das Gehörte mit Bildern verbinden und diese anmalen, Symbole (das „Radweg“-Schild) erkennen, Wörter vorlesen lassen. Auch Praktiken früher Literalität sind dabei: ein Wort, 349 Das Auslassungszeichen kennzeichnet Äußerungen von Brigitte der Forscherin gegenüber und weitere Sequenzen, in denen Wortbedeutungen abgefragt werden.

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6 Literalität in der Kita

dessen Schriftbild zu sehen ist, vorlesen zu lassen, wobei das Vorlesen auf der Ein-Wort-Ebene bleibt, die Auseinandersetzung mit dem Piktogramm für „Radweg“ oder das „Malen“ von Buchstaben. Sie sind eng verknüpft mit Praktiken, die literalitätsrelevant sein können, wie dem Umgang mit der Maus oder Übungen zum Wortschatz. Was Maeder (2015: 150) über ICT in der Schule schreibt, gilt auch für die vorliegenden Daten: „Und wenn wir das Zeigen als eine zentrale Handlungskategorie im Lehrberuf akzeptieren, ja gar definieren (vgl. Prange 2005), so wird die ICT den Möglichkeitsraum an vorzeigbarem Material für alle Beteiligten tatsächlich wesentlich erweitern.“ Hier wird z.B. ein Verkehrsschild gezeigt und benannt. Ahmed erlebt eine doppelte Ansprache350, die ausgesprochen multimodal ist (vgl. Carey/Kress 2003): das Zeigen und Benennen durch die Bilder und Animationen auf dem PC, das Vorlesen eines Wortes durch die Computerstimme, die Musik des „Mäuselieds“ sowie die gestischen und verbalen Äußerungen von Brigitte. Sie begleitet Ahmeds Praktiken sprachlich („Ahmed malt das ganze Bild rot“) und unterstützt ihn erfolgreich beim Verstehen der Aufgabenstellungen und Aufgaben. Zugleich akzeptiert sie Ahmeds Antwort in einer nicht deutschen Sprache – was das PC-Programm selbst nicht vorsieht – und greift Ahmeds Mehrsprachigkeit und Translanguaging auf („Ein biklet?“), ohne sie künstlich hervorzuheben. „Mein Name ist lang“ Im Gruppenraum der „Gruppe Blau“ sind an einer Fensterfront, die sich über den Bastel- und Maltischen befindet, die Vornamen aller Kinder in farbigen Druckbuchstaben in zufällig erscheinender Anordnung angeklebt. Dieses „Spacing“ ermöglicht, dass sie für Kinder, Eltern und pädagogische Professionelle an zentraler Stelle ständig sichtbar sind. Die vorliegende Sequenz zeigt eine Praktik im Umgang mit diesem Artefakt: (…) Ich bin mit Gracelyn (4) am Fenster, an dem die Namen stehen. Sie sagt und scheint dabei stolz zu sein: „Mein Name ist lang“. Sie zeigt ihren Namen am Fenster und weiß auch, wo der Name ihrer Schwester Debora ist. Andere Namen erkennt sie auf meine Frage hin nicht. (28.9. 2010)

350 Dabei ist die Ansprache durch den PC einer Interaktion, die gemeinsamen Sinn konstruiert, täuschend ähnlich, stellt aber keine solche dar. Dies leistet nur die Ansprache durch die Erzieherin, die auf Ahmeds Äußerungen, z.B. im Aufgreifen des türkischen Ausdrucks, eingeht und so gemeinsames Verstehen ermöglicht.

6.2 Literalität im Raum der „Gruppe Blau“

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Gracelyn macht die Forscherin auf das Schriftbild ihres Namens aufmerksam. Nach Nickel (2013: 507) ist die Auseinandersetzung mit der „geschriebenen Form des eigenen Namens“ Zeichen eines frühen Interesses an Schrift. Genauer gesagt, zeigt sie Wissen darüber, dass Wörter unabhängig von der Länge des Bezeichneten unterschiedlich lang sein können, im Schriftbild wie in der Aussprache351. Für Gracelyn, die wesentlich kleiner ist als ihre Schwester und viele andere ältere KitaKinder, bietet das Namensfenster eventuell auch eine Möglichkeit, stolz auf ihren „langen“ Namen hinzuweisen und dadurch in der Kita symbolisch auf eine positiv konnotierte Weise gegenwärtig zu sein. Auch wenn Gracelyn noch nicht alle Namen lesen kann, orientiert sie sich beim Erkennen des Namens ihrer Schwester möglicherweise am Initialgraphem (vgl. Nickel 2013: 507) oder an der Länge, Farbe oder Position dieses Namens. Auch frühes Schreiben wird durch die räumliche Nähe der beschrifteten Fenster zu den Bastel- und Maltischen angeregt und erscheint häufig in den Daten, so bereits am ersten Tag im Feld: Am Fenster sind mit farbigen Druckbuchstaben die Namen aller Kinder der Gruppe befestigt. Vor dem Fenster sitzen Kinder und malen (…). Büşra (5) hat ihren Namen zu ihrer Hand geschrieben, die sie mit Umrissen gezeichnet hat, und malt konzentriert. Fünf Kinder malen dort. Ich frage, ob ich mich neben Büşra setzen kann. Ein Mädchen352 neben Büşra redet mit ihr auf Türkisch353 und schreibt „Buchstaben“ ohne konventionelle Bedeutung mit dem Symbol für „Frau“ dazwischen. Ein Junge schreibt ein A und Elisabeth fragt: „Willst du ‚Azra’ schreiben?“ [Azra ist der Name eines der Mädchen in der Gruppe]. Der Junge zeigt auf das Fenster auf ein A, das zu einem anderen Namen gehört. Elisabeth sagt: „Das ist der gleiche Buchstabe, beides ein „A“.“ Büşra hat inzwischen zweimal ihren Namen geschrieben, das „s“ verkehrt herum. Sie schaut zu mir hin, während ich Notizen mache, ich sage, ich schreibe auch was auf. (26.9. 2010)

Die Praktiken des Malens und Schreibens wirken noch wenig voneinander getrennt, die dazu verwendeten Artefakte – Basteltische, Papier und Buntstifte – sind 351 Vgl. Nickel (2013: 507), der ein entwicklungspsychologisches Modell des kindlichen Schrifterwerbs darstellt und für die „Funktions- und Emblemphase“ konstatiert: Kinder stehen in dieser Phase vor der Herausforderung, „sich von der Inhaltsseite der Sprache ab- und der Formseite zuzuwenden. Recht bekannt ist der sogenannte Wortlängenvergleich, bei dem Kinder bestimmen sollen, welches der Wörter ‚Kuh’ oder ‚Eichhörnchen’ das längere sei. Wenn Kinder noch die Inhaltsseite der Sprache fokussieren, gehen sie davon aus, dass das größere Tier auch durch das größere Wort symbolisiert wird. Erst mit der zentralen Einsicht in den Lautbezug unserer Schrift sind die Ausbildung einer phonemischen Strategie und der Übergang in die nächste Phase möglich.“ Eine vertiefte Betrachtung der Daten aus entwicklungspsychologischer Perspektive wäre Gegenstand einer eigenen Arbeit. 352 Da es sich um Daten aus dem ersten Tag im Feld handelt, sind der Forscherin noch nicht alle Namen bekannt. 353 Zum Nicht-Kommentieren des Türkischsprechens vgl. das Kapitel zu Mehrsprachigkeit.

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6 Literalität in der Kita

dieselben354. Schreibversuche werden von verschiedenen Kindern, wie häufig in den Daten beobachtet, eigeninitiativ unternommen. Von ähnlichen Praktiken in einem Kindergarten in Rheinland-Pfalz berichtet Hortsch (2015: 151). Dabei werden z.T. „willkürliche Buchstabenfolgen“ (Nickel 2013: 507) produziert, wie sie für den Schrifterwerb in der frühen Kindheit typisch sind355, z.T. wird der eigene Name geschrieben. Der Junge, der ein A schreibt, wird von Elisabeth mit Hilfe der Namen auf dem Fenster befragt, was er schreiben möchte. Sie spricht das A aus und unterstützt ihn möglicherweise bei der Laut-Buchstaben-Zuordnung. Auch wenn sie ihm noch keine ganzen Wörter vorliest, signalisiert sie Interesse und Unterstützung für seine Schreibpraktik. Wenn über Literalität geforscht wird, muss erwähnt werden, dass die literalen Praktiken der Forscherin selbst das Feld mitprägen (vgl. ausführlicher Abschnitt 4.5.2 zur Positionierung der Forscherin im Feld, Machold 2015: 126 sowie Schnoor und Seele 2017: 179f.). Das Schreiben der Forscherin ist als eine der literalen Praktiken im Feld gegenwärtig. Als Strukturanalogie des Forschungsprozesses zu Praktiken im Feld ist auffallend, dass die Forscherin schreibend, aber (fast) nie lesend gesehen wird, ebenso wie die Kinder im Kita-Hauptraum häufiger mit Schreiben als mit buchbezogenen Praktiken beschäftigt sind. Nun duckt er sich hinter die Pappbilderbücher Der folgende Abschnitt zeigt drei Sequenzen im Umgang mit Bilderbüchern, die Kinder aus eigener Initiative im Raum der „Gruppe Blau“ durchführen. Die folgende Sequenz zeigt exemplarisch, wie Bilderbücher in ihrer Materialität unabhängig von ihrem zeichentragenden Charakter verwendet werden: Marek (4) ist allein in der Sitzmulde, einem Teil des Gruppenraums, der meist dem Freispiel vorbehalten ist. Er hat aus „Duplo“-Plastikbausteinen eine Art Maschinengewehr gebaut und „schießt“ in der Sitzmulde mit „piuu, piuu“-Lauten auf andere Kinder außerhalb der Sitzmulde und in die Luft. Anschließend geht er aus der Sitzmulde heraus und nimmt zwei etwa 40-50 cm hohe stabile Pappbilderbücher, die am Geländer lehnen, das die Sitzmulde vom Essensbereich trennt. Er schlägt beide auf und lehnt sie aufgeschlagen wieder ans Geländer. Nun duckt er sich hinter die Pappbilderbücher, so dass nur noch der obere Teil des Gesichts und das „Maschinengewehr“ zu sehen sind, und „schießt“ lautstark in die Sitzmulde hinunter. Die

354 Vgl. auch die Bemerkung der pädagogischen Professionellen im Abschnitt 5.6.2, ein Kind solle eine Elf „malen“. Hier zeigt sich ein Unterschied zur Schule, wo Deutsch und Kunst in getrennten Fächern mit getrennten Artefakten unterrichtet werden. 355 Nickel beschreibt diese (ebd.) als „Funktions- und Emblemphase (logographemische Strategie)“.

6.2 Literalität im Raum der „Gruppe Blau“

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pädagogische Professionelle Elisabeth sagt, es gebe doch auch Waffen mit Schalldämpfer und es gebe Zielfernrohre, wo er erst zielen könne. (19.3. 2013)

Hier werden die Bilderbücher ausschließlich in ihrer Materialität als stabile, tragbare und Sichtschutz bietende Artefakte verwendet, die zu einer improvisierten Deckung werden. Die pädagogische Professionelle geht nicht weiter auf diese Form der Verwendung der Bücher ein, möglicherweise, da Marek die Bücher nicht beschädigt (vgl. die Abschnitte 6.4.1 und 6.5.1 über Ermahnungen pädagogischer Professioneller, Bücher nicht zu beschädigen). Stattdessen schlägt sie im Aufgreifen von Mareks Aktivitäten Varianten für sein Spiel vor, vielleicht in der Absicht, seine Lautstärke zu drosseln („Schalldämpfer“) oder seinen Wortschatz („Zielfernrohre“) zu erweitern. Ein Angebot, Bilderbücher als Träger von Zeichen und Bedeutung zu verwenden, findet nicht statt. Auch in einer anderen Situation wird beobachtet (allerdings ohne die Anwesenheit pädagogischer Professioneller), dass ein Bilderbuch als Teil eines Kampfspiels verwendet wird, indem ein Kind dem anderen ein Pappbilderbuch spielerisch auf den Kopf schlägt. In einer weiteren Situation wird ein Kind beobachtet, das sich mit einem textlosen Wimmelbilderbuch beschäftigt: Marvin (6) sitzt mit Trixi (5) am Tisch, zeigt auf ein Wimmelbilderbuch, sagt „Stinkunterhose“, wiederholt das Wort, blättert in dem Buch, zeigt dann auf einen Jungen in Unterhose, kreischt mit hoher Stimme ohne Worte, zeigt kreischend auf eine Tube, die im Buch auf dem Boden liegt, und zeigt auf eine putzende Frau im Buch und sagt „Die putzt“. Trixis Reaktion kann ich nicht beobachten, sie sagt nichts. Die pädagogische Professionelle Brigitte sagt: „Du suchst dir jetzt jemand Gleichaltrigen zum Spielen.“ (2.5. 2011)

Marvin erzählt keine fortlaufende Geschichte, sondern zeigt auf einzelne Bilder. Die Gattung Wimmelbilderbuch, die unzählige einzelne Momentaufnahmen ohne lineares Erzählen zeigt, begünstigt diese Form der Verbalisierung. Marvin kennt offensichtlich das Bilderbuch, als er „Stinkunterhose“ sagt und dann erst das passende Bild dazu heraussucht. Dies erscheint ihm wichtiger als das Betrachten von Bildern in einer vorgegebenen Reihenfolge. Im mehrfachen Benennen eines körperlichen Tabuthemas und in Marvins Kreischen erscheint Komik356 (vgl. Kotthoff 2003: 10 über Reinlichkeitserziehung und Komik von Kindern im Umgang mit Tabuthemen). Die putzende Frau mit „Die putzt“ zu beschreiben, könnte auf eine Vertrautheit mit Praktiken des Bilderbenennens hindeuten, bleibt jedoch auf einer sehr einfachen Zweiwortebene. Die gesamte Sequenz wirkt nicht als Dialog mit Trixi 356 In einer ähnlichen Sequenz zeigt Debora (6) der Forscherin in einer Schwimmbadszene aus einem Wimmelbilderbuch lauter „Popos“, was sie sichtlich komisch findet.

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6 Literalität in der Kita

angelegt, sondern eher monologisch. Die pädagogische Professionelle beendet sie mit einer Anweisung. Sie geht nicht auf Marvins Bildkommentare ein, sondern impliziert mit ihrer Bemerkung, er solle sich jemand Gleichaltrigen zum Spielen suchen, dass Marvins Beschäftigung nicht altersangemessen sei357. Hier wird Alter als Differenzkategorie relevant gesetzt (vgl. Machold 2015: 72). Ob damit die Tatsache gemeint ist, dass er neben der jüngeren Trixi sitzt, die Auseinandersetzung mit (für kleinere Kinder konzipierten) Wimmelbildern, seine skatologische Freude an der „Stinkunterhose“ oder alles zusammen, bleibt offen. Ein Buch, das seinem Alter angemessener sein könnte, wird nicht vorgeschlagen. In einer weiteren von einem Kind initiierten Sequenz geschieht eine vertiefte Auseinandersetzung mit einem Bildinhalt, die über das bloße Benennen hinausgeht: Azra (5) sitzt auf der Bank am Eingangsbereich und schaut sich alleine ein „Was ist was“-Sachbuch „Unsere Erde“ (Sutton/Hull 1962/1971) an. Sie kommt zu mir und zeigt mir eine Illustration, die laut Untertitel „Im Innern einer Eishöhle“ heißt. Diese zeigt einen Mann und eine Frau, die dicht nebeneinander in einer Höhle stehen, die viel größer gezeichnet ist als die Menschen. Azra sagt, auf die Figuren zeigend: „Und da’s358 die Kind und da’s kein Mama und Papa. Die weint schon“. (18.5. 2011)

Azra deutet ohne Kenntnis der Bildunterschrift und vermutlich ohne Wissen, dass es sich um eine Illustration in einem Sachbuch handelt, den Inhalt des Bildes schlüssig in einer fragmentarischen Narration. Die im Vergleich zur großen Eishöhle kleinen Figuren deutet sie als „die Kind“, die – so eine mögliche Lesart ihrer Äußerung – allein ohne Eltern sind. „Die weint schon“ kann, wird der ersten Lesart gefolgt, als Folge der Abwesenheit der Eltern gedeutet werden. Das Weinen ist eine Interpretation Azras, die auf der Bildvorlage nicht zu sehen ist, das „schon“ setzt die Aussage in eine zeitliche Abfolge, der möglicherweise noch weitere Aspekte folgen können. Azras Assoziationen zum Bild wirken wie das phantasievolle Fragment einer Erzählung, die über eine bloße Wiedergabe des Abgebildeten hinausgeht und stattdessen die Atmosphäre des Bildes einfängt, die die Eishöhle als kalt und riesig darstellt. Durch das dreifache „und“ erhält die Äußerung beinahe ästhetische Qualitäten. Zugleich wird eine kindliche Lebenswelt auf das Bild (das Erwachsene darstellt) projiziert, die möglicherweise Bezüge zu Azras eigener Lebenswelt hat. Die Komplexität von Azras Äußerung geht weit über eine bloße Bildwiedergabe (wie bei Marvins „Die putzt“ über eine putzende Frau) hinaus.

357 Marvin ist zum Beobachtungszeitpunkt fast sieben Jahre alt und wegen Entwicklungsverzögerung ein Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt. 358 Es ist nicht hörbar, ob „das“ als „da’s“, also als Abkürzung von „da ist“, „das ist“, als Kurzform für „das sind“ oder „das“ verwendet wird.

6.3 Literalität in der Garderobe

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Die drei Sequenzen, die exemplarisch in diesem Abschnitt dargestellt werden, zeigen die Spannweite von Praktiken, die Kinder selbst im Umgang mit Bilderbüchern initiieren, vom Verwenden der bloßen Materialität des Bilderbuchs bis zum Erfinden eines Geschichtenfragments anhand einer Bildvorlage. In den nächsten Abschnitten wird dargestellt, wie von pädagogischen Professionellen initiierte Bilderbuchbetrachtungen verlaufen. Literalität in der Garderobe Im folgenden Abschnitt wird gezeigt, wie die Garderobe, Ort der Liminalität zwischen Familie und elementarpädagogischer Institution (vgl. Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 54ff.), zugleich Ort von Literalität ist. „Da ist jemand draufgetreten“ In der Garderobe ist im Frühjahr 2011 zeitweise die „Bücherkiste“ untergebracht, eine durchsichtige Kiste mit Bilderbüchern in unterschiedlichem Zustand. Das älteste Buch darin ist ein abgenutztes „Was ist Was“-Sachbilderbuch von 1971 (vgl. Abschnitt 6.2.4). Dass die Bücher eine Zeitlang in der Garderobe, nicht im Hauptraum, untergebracht sind, wird von Feldteilnehmenden dadurch begründet, dass Eltern beim Kommen und Gehen informell Bücher für ihre Kinder ausleihen können, was die Forscherin in einem Fall auch beobachtet (2013 wird diese sporadische Ausleihpraxis durch das „Bibliotheksritual“ ersetzt, vgl. Abschnitt 6.4.1). Aus welchen Gründen die „Bücherkiste“ sich zeitweise im Hauptraum befindet, wird nicht deutlich und stand während des Feldaufenthalts auch nicht im Fokus des Interesses. Die Garderobe fungiert auch als Ort der Literalität, der an Eltern adressiert ist. Hier gibt es Aushänge und Elternbriefe. Allerdings wird oft davon ausgegangen wird, dass diese nicht gelesen werden (vgl. Abschnitt 4.5.1). Die Annahme, dass Eltern aus ‚bildungsfernen‘ Familien ihren Kindern zu wenig Kontakt zu Literalität vermitteln (vgl. z.B. Ulich 2003: 8; kritisch zu dieser Annahme vgl. Gregory/Williams 2000: 1f.), könnte bei diesem „Spacing“ der Bücherkiste eine Rolle spielen. Allerdings bedingt es auch, dass die Bücher für die Kinder während der Freispielphase, die vor allem im Hauptraum stattfindet, nicht gut zugänglich sind. Auch die Erzieherinnen, die regulär in der „Gruppe Blau“ arbeiten, halten sich während der Freispielphase nicht in der Garderobe auf. Dadurch sind die dort

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6 Literalität in der Kita

vorhandenen Bücher wenig in den Kita-Alltag integriert359. Alle anderen Spiel-, Bastel- und Malsachen befinden sich im Hauptraum und die Bücherkiste wird, solange sie sich in der Garderobe befindet, durch ihr „Spacing“ von diesen getrennt. Vorgelesen wird von einer pädagogischen Professionellen, die nicht zum regulären Team der „Gruppe Blau“ gehört, sondern mit gruppenübergreifenden pädagogischen Aufgaben betraut ist, z.B. um mit Kleingruppen Spiele zu spielen oder vorzulesen (vgl. ausführlich ihre Vorlesesequenz von „Sinan und Felix“ im Kapitel zu Mehrsprachigkeit). Dass Literalität im Sinne von Umgang mit Bilderbüchern im Hauptraum der Gruppe und in den Praktiken der regulären Erzieherinnen wenig präsent ist, ist nicht nur für die hier beschriebene Kindertagesstätte bezeichnend. Ethnographische Daten aus dem HeLiE-Projekt (z.B. Christmann/Graf/Hortsch/Panagiotopoulou 2010) beschreiben Kinder im Alltag eines Kindergartens in Rheinland-Pfalz sogar in einer „quasi schriftfreien Umgebung und Praxis“ [Herv. i. O.] (Christmann/Graf/Hortsch/Panagiotopoulou 2010: 121; vgl. auch Hortsch 2015: 151ff.). Literalitätspraktiken begegnen den Kindern dort, so die Forscherinnen, beinahe ausschließlich in segregierten Fördersituationen, nicht von den regulären Erzieherinnen angeleitet. Ähnliches berichtet, auf einen anderen deutschen Kindergarten bezogen, Kewes (2012). Eine Sequenz im Umgang mit der Bücherkiste in der Garderobe verläuft folgendermaßen: Die pädagogische Professionelle Elisabeth sitzt auf dem Sofa bei der Bücherkiste in der Garderobe vor Gruppe Grün, ich sitze auf der Holzbank an der Garderobe mit Blick aufs Sofa. Elisabeth schaut mit Trixi (5), Zoran (5), Omer (4) und Youssef (2) ein „Bubu“-Bilderbuch an. Elisabeth zeigt auf ein Bild im Buch und fragt: „Ist das gemütlich, auf einem Bein zu stehen?“ Elisabeth lässt die Kinder auf einem Bein stehen. Sie deutet auf ein Bild mit Bubu, der seinen Kopf in einem Topf stecken hat: „Schafft der das?“ Youssef zeigt auf das Buch: „Das er kaputt, und…“ Berat (5) kommt mit seiner Mutter in die Garderobe, sie sprechen leise kurz mit mir360 […] Elisabeth sagt, aufs Buch zeigend: „Da ist ein Dachs drin.“ Youssef sagt: „Ein ganz großer Dachs.“ Die Kinder stehen zu sechst um Elisabeth herum und wirken sehr aufmerksam. Elisabeth fragt, verschiedene Bücher aus der Bücherkiste nehmend: „Hebt ihr die Bücher immer auf, wenn die auf‘m Boden liegen? Da ist jemand draufgetreten. Soll ich die mal ins Büro nehmen und reparieren? Das ist angeblich ein Duftbuch. Das riecht nach Erdbeeren. Schade, das Buch“ - sie zeigt auf ein anderes Buch - „kann ich jetzt wegschmeißen. Schade, da fehlt ja die Hälfte.“ (8.5. 2011)

359

Bei den in 6.2.4 geschilderten, von Kindern initiierten Sequenzen zum Umgang mit Büchern wird aus den Daten nicht klar, ob die Kinder sie aus der Bücherkiste aus der Garderobe geholt haben oder ob sie aus Zeiten stammen, in denen die Bücherkiste im Eingangsbereich der „Gruppe Blau“ ist. 360 Die Auslassung kennzeichnet den Gesprächsinhalt.

6.3 Literalität in der Garderobe

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Das Vorlesen in der Garderobe geschieht hier und in anderen Sequenzen vor dem Hintergrund des Kommens von Kindern mit ihren Eltern. Youssefs Versuch, selbst anhand der Bilder zu erzählen, wird (zumindest für die Forscherin) unterbrochen durch die Ankunft einer Mutter mit Kind. Auffallend ist, dass keine fortlaufende Geschichte vorgelesen wird, sondern eher einzelne Bilder dialogisch kommentiert und nachgestellt werden, was die Kinder sichtlich interessiert. Braun und Neumann-Braun (2002: 74) stellen in Bezug auf Praktiken von Müttern und Kleinstkindern im Umgang mit Bilderbüchern Vergleichbares fest: „[D]ie Situation des Bilderbuchgebrauchs [wird] nicht zwangsläufig durch die Aufgabe zu erzählen bestimmt“; „es kann z.B. auf rein deskriptiver Ebene (z.B. beim Zeigen und Benennen) operiert werden.“ Die in den vorliegenden Daten geschilderten Praktiken ermöglichen ein Vertrautwerden mit dem Artefakt Bilderbuch, dem Betrachten einzelner Bilder und dem Erstellen von Vermutungen. Kenntnisse über narrative Strukturen werden jedoch nicht vermittelt, da keine z.B. kausalen oder temporalen Beziehungen zwischen den Bildern aufgebaut werden (zu Literalität als fiktionalem Erzählen vgl. z.B. Isler 2014: 16). Die letzte Sequenz widmet sich nicht mehr einem Buchinhalt, sondern kommentiert diverse Bücher aus der „Bücherkiste“: „Da ist jemand draufgetreten“ und „Schade, da fehlt ja die Hälfte“ thematisieren Bücher in ihrer Materialität als leicht zu zerstörende Artefakte, nicht als Träger von Bedeutung und Geschichten. Im „Büro“, einem ausschließlich Erwachsenen vorbehaltenen Ort, werden sie repariert und bedürfen besonderer Anleitungen zum Umgang. Kinder werden in den Daten immer wieder adressiert, Bücher sorgfältig zu behandeln, was impliziert, dass sie diese Sorgfalt per se (vielleicht auch der Annahme folgend361, dass Kinder aus ‚bildungsfernen Milieus‘ keine Bücher gewohnt sind) vermissen lassen. „Du sollst die Bücher einmal wegbringen“ Die folgende Sequenz zeigt, wie der Zugang zu Kinderbüchern in der liminalen Phase zwischen Familie und Kita verhandelt wird: Die Mütter von Aidan (2 ½) und Jessica (5) kommen mit ihren Kindern aus der Garderobe in den Raum der „Gruppe Blau“, Aidans Mutter kommt mit einigen Kinderbüchern in Heftchenform in der Hand. Die pädagogische Professionelle Brigitte sagt 361

Zu Äußerungen von elementarpädagogischen Fachkräften über Familien aus verschiedenen Milieus vgl. Thon und Mai (2018). Thon und Mai betonen, dass der Auftrag an die Fachkräfte, mit Heterogenität umzugehen, ein Kategorisieren von Familien mit sich führt (vgl. ebd: 114) und analysieren, „wie Fachkräfte mit dem Dilemma von Kategorisierungen und Zuschreibungen ringen“ (ebd.). Eine Ergänzung der vorliegenden Daten mit Interviews elementarpädagogischer Professioneller, wie sie Thon und Mai vornehmen, wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit.

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6 Literalität in der Kita zu Aidan und seiner Mutter: „Keine Garantie, dass hier nichts kaputtgeht. Und wenn deine Bücher kaputtgehen, dann weinst du. Deshalb hab ich den Spielzeugtag abgeschafft - dieses Mitbringen.“ Aidans Mutter weist Aidan darauf hin, dass es auch in der Kita Bücher gebe. Aidan sagt lauter: „Ich will das jetzt.“ Aidans Mutter versucht wieder, ihn zum Abgeben der mitgebrachten Bücher zu bewegen. Aidan spricht leise in jammerndem Tonfall. Brigitte sagt: „Ich kauf kein neues“. Aidans Mutter setzt sich hin und liest ihrem Sohn aus dem mitgebrachten Buch vor, ich verstehe sie schwer, weil parallel Brigitte und andere sprechen. Brigitte sagt zu Aidans Mutter, sie dürfe gerne bleiben zum Vorlesen. Aidans Mutter liest eine Weile vor, parallel unterhalten sich Brigitte und Jessicas Mutter über ein Vorlesebuch, ein Kind spricht mich auf mein Aufnahmegerät an. Aidan sagt weinerlich: „Bücher“, als seine Mutter sich verabschiedet. Sie geht, Aidan spielt weiter mit den mitgebrachten Kinderbüchern, ohne sie zu öffnen; parallel liest Carolin aus einem anderen Buch vor. Brigitte sagt zu Aidan in Hinblick auf seine mitgebrachten Bücher: „Du sollst die Bücher einmal wegbringen. Wir warten solange auf dich.“. Er legt sie in die Garderobe. „Geht doch“, sagt Brigitte. (18.7. 2011)

In der vorliegenden Sequenz ist in zweifacher Hinsicht eine liminale Phase (vgl. Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 54ff.) zu beobachten. Die erste betrifft Aidans Status: Er ist als Zweijähriger noch ein „U-3-Kind“, für das teilweise gelockerte Regeln gelten, die den Übergang Familie-Kita erleichtern sollen. So wird bei den jüngsten Kindern der Gruppe das Mitbringen von Gegenständen aus der Familie noch teilweise geduldet362, wobei in den vorliegenden Daten schon eine Hinführung zu den Gruppenregeln für ältere Kinder zu beobachten ist, die kein Mitbringen privater Artefakte tolerieren („deshalb hab ich den Spielzeugtag abgeschafft - dieses Mitbringen“.) Dies wird damit begründet, dass private Gegenstände in der Kita „kaputt gehen“ können (zur Annahme, dass Kinder Bücher leicht kaputt machen, vgl. auch den vorherigen Abschnitt) und dann nicht ersetzt werden („Ich kauf kein neues“). Aidans Mutter gibt ihrem Sohn die Bücher in die Kita mit und es folgt eine längere Verhandlungssequenz über ihr Abgeben. Indem Aidan diese Regelung erklärt wird, wird er adressiert als jemand, der Verständnis für Regeln aufbringen soll und nicht mehr ganz am Anfang seiner Kita-Laufbahn steht. Dies kann im Rahmen der Praxis/Diskurs-Formation zu schrittweisen Übergängen (Griebel/Niesel 2013: 95: „prozesshaftes Geschehen“) des Kindes in die Institution gelesen werden und somit ein Zeichen dafür sein, dass Aidan sich gerade in der liminalen Phase zwischen dem neu angekommenen „U3-Kind“ und dem eingewöhnten Kita-Kind befindet, 362 Eine ähnliche Argumentation einer Erzieherin in einem Schweizer Kindergarten wird bei Jäger/Biffi/Halfhide (2006: 86) dargestellt: Es sei ein längerer Lernprozess für Kinder, sich im Kindergarten vom geliebten mitgebrachten Spielzeug zu trennen. Allerdings gibt es in diesem Kindergarten „spezielle Zeigetage“, an denen Spielzeug gezeigt werden kann.

6.3 Literalität in der Garderobe

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dem die Regeln der Institution nun mit wachsender Konsequenz nahegebracht werden. Noch in einer zweiten Hinsicht stellt die oben gedruckte Sequenz eine liminale Phase dar. In ihr geschieht der allmorgendliche Übergang zwischen Familie und Kita: Die Mutter kommt in den Kita-Raum und liest nach ausdrücklicher Erlaubnis der Erzieherin Aidan etwas vor363. Diese Erlaubnis deutet darauf hin, dass es die Erzieherin ist, die im Kita-Raum bestimmen kann, welche Praktiken geduldet werden. Nach dem Abschied der Mutter spielt Aidan noch eine Weile mit den Büchern, die Erzieherin fordert ihn nun nachdrücklich auf, die Bücher wegzubringen. Dass Aidan die Bücher in die Garderobe (vermutlich an seinen „Platz“ unter seinem Haken, wo auch seine Jacke und Schuhe hängen) legt, wird akzeptiert. Die Garderobe fungiert hier wieder (vgl. auch Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 73ff. und das Kapitel zu Mehrsprachigkeit) als liminaler Raum, in dem von zu Hause Mitgebrachtes toleriert wird, aber auch als Raum für Literalität. Aidans Bücher werden von den pädagogischen Professionellen im Rahmen der Praxis/Diskurs-Formation zu Übergängen Familie-Kita als Übergangsobjekte gesehen, deren Benutzung im Hauptraum Aidan sich abgewöhnen soll. Während die Bücherkiste (vgl. den vorherigen Abschnitt) ermöglichen soll, Bücher aus der Kita in Familien mitzunehmen, ist der umgekehrte Fall offensichtlich nicht vorgesehen. Eine weitere Möglichkeit wäre, die Bücher (wie auch Aidans Märchen-CD) im Rahmen der Praxis/Diskurs-Formation zu früher Literalität als Ressourcen aus der Familie zu sehen und sie z.B. inhaltlich zu thematisieren, um diese Ressource anzuerkennen und eine „Brücke“ zwischen Literalität in der Familie und der Kita zu schlagen (zur Anerkennung familiärer Ressourcen in Kindergärten vgl. Isler/Künzli/Leemann 2010). Hortsch (2015: 157) schreibt in Bezug auf eine Kita in Rheinland-Pfalz, dass die Kinder dort sogar „eine Zurückweisung ihrer (verbalisierten) (schrift-)sprachlichen Interessen“ erfahren (Herv. i. O.). In den vorliegenden Daten bleiben Aidans familiäre Literalitätserfahrungen zumindest relativ unverbunden mit seinem Kita-Alltag364.

363 Ein weiteres literales Übergangsritual von Aidan ist über längere Zeit eine mitgebrachte MärchenCD, die er eine Weile nach dem Weggang der Mutter hören darf. Die Inhalte der CD, die angesichts des Geräuschpegels in der „Gruppe Blau“ ohnehin kaum hörbar sind, scheinen für Aidan jedoch weniger attraktiv als die Funktion der CD als vertrautes „Hintergrundgeräusch“. 364 Ob Aidan die Bemerkung seiner Mutter, es gebe auch in der Kita Bücher, später aufgreift, wird in den Daten nicht ersichtlich.

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6 Literalität in der Kita Vom Gruppenraum zu nicht alltäglich genutzten Räumen

In den folgenden Abschnitten werden Bündel von Literalitätspraktiken beschrieben, die sich nicht oder nur teilweise im Raum der „Gruppe Blau“ abspielen. Der erste Abschnitt beschreibt den komplexen Weg vom Gruppenraum zur „Bücherei“ und dort stattfindende, stark ritualisierte und vom Alltag getrennte Praktiken der Buchnutzung. Der zweite Abschnitt zeigt auf, wie in der benachbarten Kirche religiöse literale Praktiken stattfinden, die zwar räumlich getrennt vom Alltagsgeschehen der „Gruppe Blau“ sind, aber strukturell eng mit diesem verbunden. Der dritte Abschnitt schildert, wie ein komplexes Bündel von Literalitätspraktiken zur Ernährungserziehung im Raum der „Gruppe Blau“ beginnt und im benachbarten Gemeindesaal mit einem Puppentheater endet, das an Kinder und Eltern adressiert ist. Die „Bücherei“: „Wir tauschen Bücher aus. Bevor man auf den Teppich geht, muss man die Schlappen ausziehen.“ Beim erneuten Feldeintritt 2013 ist die bereits in den Daten zur „Garderobe“ sichtbare Tendenz zur Trennung buchbezogener Praktiken vom Alltag noch deutlicher geworden. Das informell mögliche Ausleihen von Büchern aus der Bücherkiste in der Garderobe wird durch ein komplexes Ritual des Bücher-Ausleihens durch eine eigens zur Sprachförderung eingestellte Fachkraft ersetzt. Es ist „Büchereitag“. Die „Mittelkinder“ (die Kinder, die weder neu im Kindergarten noch im Jahr vor der Einschulung sind) Youssef (5), Aidan (5) und Yvonne365 gehen mit mir und der Sprachförderkraft nach dem Frühstück aus dem Gruppenraum durch Garderobe und Eingangsbereich in die „Bücherei“. Die Bücherei ist das Zimmer für Erzieherinnen. 2011 gab es dort bereits eine Regalwand mit Bilderbüchern, die nur den Erzieherinnen zugänglich war, jetzt ist eine Bücherkiste gegenüber der Regalwand dazugekommen, auf dem Boden liegt ein weicher Teppich und über der Bücherkiste hängt das „Regelplakat“ [vgl. Abbildung, E. Zettl]. Die Kinder ziehen vor der Tür zum Erzieherinnenzimmer ihre Hausschuhe aus und setzen sich im Schneidersitz auf den Teppich. Die Sprachförderkraft fordert Aidan auf, mir zu erklären, was sie machen. Aidan sagt: „Wir tauschen Bücher aus. Bevor man auf den Teppich geht, muss man die Schlappen ausziehen.“ Youssef soll nun das „Regelplakat“ erklären. Auf einem orangefarbenen Plakat sind in einer Collage Regeln zur Buchbenutzung grafisch dargestellt. Am oberen Ende der 365

Yvonnes Alter wurde nicht erhoben, da sie beim erneuten Feldeintritt 2013 neu in der Gruppe war und das „Buch“ mit den Geburtstagen der Kinder nur 2011 dokumentiert wurde. Als „Mittelkind“ dürfte sie auch etwa fünf Jahre alt gewesen sein.

6.4 Vom Gruppenraum zu nicht alltäglich genutzten Räumen

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linken Plakathälfte steht ein lachender „Smiley“ mit Mundwinkeln nach oben, am oberen Ende der rechten ein „Smiley“ mit nach unten zeigenden Mundwinkeln. Darunter findet sich eine Art Tabelle mit erwünschtem und unerwünschtem Verhalten gegenüber Büchern: Unter dem lachenden Smiley ist eine weiße Hand, unter dem traurigen Smiley eine Hand mit braunen Flecken dargestellt, eine Zeile darunter unter dem lachenden Smiley ein Foto mit Kindern, die auf einem Sofa sitzend lesen, unter dem traurigen ein Kind, das auf einem Gerüst klettert – laut Feldteilnehmenden eine Aufforderung, nicht mit Büchern herumzuturnen. Eine Zeile weiter findet sich unter dem lachenden Smiley eine Tasche, auf der ein Buch mit Bücherwurm aufgezeichnet ist, unter dem traurigen zwei Fotos: eine Hand, die Papier schneidet und ein Kind, das malt – laut Feldteilnehmenden eine Aufforderung, Bücher in der Büchertasche zu transportieren, Bücher nicht zu zerschneiden oder zu bemalen. Zuunterst unter dem lachenden Smiley ist ein siebentägiger Ausschnitt aus einem Kalender zu sehen, unter dem traurigen sind es vierzehn Tage, als Erinnerung an die Ausleihfrist (s. Abb.; Foto E. Zettl).

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6 Literalität in der Kita

Youssef zeigt auf den lachenden und traurigen Smiley und sagt zu der dreckigen Hand darunter: „Bäh“. Sinngemäß sagt er, wenn man das Buch mit sauberen Händen gelesen hat, gibt es einen grünen Stempel. „Was dürfen wir nicht?“ fragt die Sprachförderkraft. „Nicht reißen“, sagt Youssef. „Nicht zerreißen“, sagt Aidan. Die Sprachförderkraft sagt: „Aidan, jetzt ist der Youssef dran, der erzählt die Regeln.“ Yvonne sitzt still daneben und blättert in einem Buch. „Youssef, zeig mal“, sagt die Sprachförderkraft und deutet auf seine Büchertasche. Sie sagt: „Da packen wir das Buch rein und können es in dieser schönen Büchertasche mit nach Hause bringen. Wie lange können wir ein Buch ausleihen?“ Yvonne erzählt, was sie mit der Bücherkiste machen. „Hier kann man Bücher rausholen, welche, die man gerne möchte.“ (21. 3. 2013)

6.4 Vom Gruppenraum zu nicht alltäglich genutzten Räumen

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Das Einüben des Umgangs mit Büchern wird als Ritual zelebriert, das einen eigenen Tag und eigene Zeitrhythmen (die Dauer des Bücherausleihens von einer Woche) beansprucht. Es gibt eigens bereitgestellte oder sogar hergestellte Artefakte (das „Regelplakat“ und die „Büchertasche“), einen besonderen Raum, besondere Körperpraktiken, eine eigens definierte Zielgruppe (die „Mittelkinder“), ja sogar ein eigenes Vokabular („Büchereitag“, „Regelplakat“, „Büchertasche“). Für die Forscherin lässt die Sprachförderkraft die Kinder die Büchereiregeln erläutern. Im wiederkehrenden Vollzug, den die Kinder auf Aufforderung verbalisieren können, finden sich die Ritualmerkmale Repetitivität und Homogenität nach Zirfas und Wulf (2001: 193). Das Ritualmerkmal der Liminalität als Schwellenzustand, der zeitlich und räumlich strukturiert ist (vgl. Zirfas/Wulf 2001: 193; Kuhn 2013: 181; Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 14), wird im Wechsel der Gruppenstruktur und im langen, komplexen Weg zu den Büchern deutlich. Die drei Kinder trennen sich durch diesen Weg vorübergehend von der „Gruppe Blau“ und werden für den Bibliotheksbesuch zur als „Mittelkinder“ bezeichneten Kleingruppe (vgl. zu dieser rituellen Ablösung von einer sozialen Rolle im Rahmen von Liminalität Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 15366). Im Abschnitt 6.4 wird gezeigt, wie die „Bücherkiste“ in der Garderobe, getrennt vom Hauptraum, untergebracht, dabei aber prinzipiell allen zugänglich ist. Durch die neue Anordnung ist der Weg zum Buchkontakt noch länger geworden, er durchquert die gesamte Kita und ist nur einer besonderen Gruppe zugänglich. Eine überraschende Strukturanalogie zu diesem „Spacing“ findet sich zu Benutzern der Oxforder Bibliothek der Radcliffe Camera. Edinger (2015: 221) schreibt: „bereits der Zugang zur Schwelle der Bibliothek ist nur für BibliotheksnutzerInnen (…) gestattet“. Diese durchqueren eine der Öffentlichkeit nicht zugängliche Grünfläche und betreten dann über eine Treppe die Bibliothek. Edinger interpretiert dies ritualtheoretisch: „Es findet nach van Gennep ein vollständiger Passageritus von Ablösung, Übergang und Angliederung statt“ (ebd.). Eine vergleichbare Passage durchlaufen auch die „Mittelkinder“ auf dem Weg zur „Bücherei“. In den vorliegenden Daten ist die „Bücherei“ zugleich das Erzieherinnenzimmer, das normalerweise Kindern nicht zugänglich ist und nur für diesen besonderen Anlass für Kinder geöffnet wird. Auffällig ist die Praktik, die Hausschuhe vor dem Erzieherinnenzimmer auszuziehen, die Aidan unmittelbar nach der Praktik des Bücher-Austauschens benennt. Die Kinder ziehen morgens ihre Straßenschuhe in der Garderobe aus und die Hausschuhe an und verbringen den Kita-Tag in Hausschuhen (zu diesem Wechsel von Schuhen vgl. auch Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 73ff.). Vor der „Bücherei“ dagegen ziehen die Kinder sogar die Hausschuhe 366 Dieser Statuswechsel kann nach Zirfas und Wulf (2001: 193) auch mit dem Ritualmerkmal der Operationalität bezeichnet werden.

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6 Literalität in der Kita

aus. Wenn die Erzieherinnen den Raum als Besprechungsraum verwenden, sitzen sie mit Hausschuhen auf Stühlen an einem Tisch, die Kinder, die ihn als Bücherei verwenden, sitzen dagegen ohne Hausschuhe auf einem weichen Teppich neben dem Besprechungstisch. Hier könnte argumentiert werden, dass der Raum erst am „Büchereitag“, durch die Praktiken des Hausschuhe-Ausziehens, des Sitzens auf dem Teppich und der Benutzung der literalitätsbezogenen Artefakte zur „Bücherei“ wird. Das Ausziehen der Hausschuhe ist weniger durch Hygieneregeln erklärbar als durch Strukturanalogien zu Liminalitätsritualen in anderen Räumen, in denen Literalitätspraktiken stattfinden. Im Folgenden werden diese Strukturanalogien aufgezeigt. Sie mögen nicht intendiert sein, auffällig sind sie dennoch. Edinger (2015: 196ff. und 211ff.) definiert „Schwelle“ (ebd.: 214) in Bezug auf die verschiedenen Schwellen in wissenschaftlichen Bibliotheken, die vor dem Buchzugang überschritten werden müssen: „Schwellen sind symbolische Orte und mit einem Bedeutungsüberschuss versehen, der sich nicht allein aus ihrer materiellen Gestalt(ung) erklären lässt.“ In den vorliegenden Daten finden sich einige Beschreibungen von Räumen im Stadtviertel, die ebenfalls das Ausziehen der Schuhe als symbolhafte Schwelle vor den Zugang zu Literalität setzen. So findet sich im nahegelegenen Kinderkulturzentrum ein mit Stoff ausgeschlagenes „Geschichtenzimmer“, in dem Geschichten erzählt werden und vor dessen Betreten die Straßenschuhe ausgezogen werden. Auch die Bibliothek der benachbarten Grundschule, die mit Teppichboden ausgelegt ist, verlangt ein Ausziehen der Straßenschuhe vor dem Bibliotheksraum. Schließlich ist in Koranschulen und Moscheen (nicht nur) im Stadtviertel das Schuhe-Ausziehen vor dem sakralen Raum rituell erforderlich. Dass ein doppeltes Schuhe-Ausziehen stattfindet – erst das Ausziehen der Straßenschuhe vor dem Kita-Hauptraum, dann das Ausziehen der Hausschuhe vor der Bücherei –, ist auch im Stadtviertel dem Wissen der Forscherin nach einmalig. Das Ritualmerkmal der „Symbolik, die die Transformation von Erfahrungen auf eine andere (z.B. soziale, religiöse) Bedeutungsebene ermöglicht“ (Zirfas/Wulf 2001: 181) und die Werte der Gemeinschaft ausdrückt, die das Ritual vollzieht (vgl. ebd.: 194), soll anhand des Regelplakats anschaulich gemacht werden. Das Plakat strukturiert potentielle Praktiken der Buchbenutzung binär in „fröhlich“ und „traurig“ machende. Dabei ist der Wert der Reinheit und Unversehrtheit eines Buches zentral, nicht der mögliche Inhalt von Geschichten und Bildern. Das „Regelplakat“ stellt eine schriftlose Nutzerordnung für die Bibliothek dar. Die Selbstverpflichtung, Bücher nicht zu beschädigen, die der Buchbenutzung vorangeht, steht in einer langen Tradition. Edinger (2015: 2011) untersuchte in diesem Zusammenhang etwa die „Reader Declaration“ der Bodleian Library in

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Oxford, die ebenfalls das Nicht-Beschädigen oder Entwenden von Büchern zum Inhalt hat. In den vorliegenden Daten sollen schmutzige Hände, die Youssef mit „Bäh“ kommentiert, vor der Buchbenutzung gereinigt werden. Dies erinnert an Praxis/Diskurs-Formationen zur Hygieneerziehung in der Elementarpädagogik (vgl. z.B. den Orientierungsplan für Kindergärten und weitere Kindertageseinrichtungen des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg 2011: 30: „Welche Möglichkeiten bietet der Kindergarten, Techniken zur Pflege des eigenen Körpers zu erlernen und zu üben?“). Vor der Buchbenutzung wird so auch eine weitere Schwelle, die des Händewaschens, errichtet. Nach Angaben von Feldteilnehmenden sind die Flecken auf der „schmutzigen“ Hand Schokoladenflecken, somit wird eine rituelle Trennung von Lesen und Essen angemahnt367. Ähnlich findet sich in der Studie von Hortsch (2015: 151f.) über einen Kindergarten in Rheinland-Pfalz die Ermahnung einer Erzieherin, dass ein Kind nur mit sauberen Fingern ein Buch anfassen soll und somit „die Auseinandersetzung mit Büchern für Frau Lohmann [die Erzieherin, E. Zettl] etwas Besonderes ist“. Der grüne Stempel, den Youssef erwähnt, belohnt die „saubere“ Buchbenutzung. Laut Feldteilnehmenden gibt es für eine bestimmte Anzahl an Stempeln Süßigkeiten, so dass die erfolgreich praktizierte Trennung von Lesen und Essen wiederum mit Essen belohnt wird368. Die Unversehrtheit des Artefakts Buch wird noch weiter betont: „nicht reißen“, sagt Youssef. Das Plakat zeigt dagegen, dass Malen und Schneiden unerwünscht seien. Hier kann von einer Ausdifferenzierung von Praktiken gesprochen werden: Während Reißen, Malen und Schneiden durchaus im Kinderalltag, etwa beim Basteln, legitime Praktiken sind, sind sie es im Kontext der Buchbenutzung nicht. Auffällig ist, wie viel Raum in der Sequenz die Verbote („was dürfen wir nicht?“) einnehmen. Den verschiedenen Verboten steht laut Regelplakat ein Gebot gegenüber – das zur Benutzung der „schönen Büchertasche“. Die Büchertasche wird damit zum Objekt des Übergangs (vgl. Jäger/Biffi/Halfhide 2006: 90) im Buchtransport zwischen Familie und der Kita. Dass sogar der Transport der Bücher auf dem Weg zur und von der Bücherei mit Hilfe eines speziellen Artefakts ritualisiert ist (vgl. das Ritualmerkmal Artefaktgebundenheit nach Kuhn 2013:

367 Edinger (2015: 221) merkt in Bezug auf wissenschaftliche Bibliotheken an, dass auch „Reinigungsrituale“ wie z.B. Händewaschen vor dem Umgang mit seltenen Buchbeständen stehen können. 368 Die Rolle von Süßigkeiten erscheint in den Daten ambivalent. Sie müssen von Büchern ferngehalten werden und werden Kindern als ungesund dargestellt (vgl. z.B. Abschnitt 6.4.3) und dienen hier doch als Belohnung für die Einhaltung von Regeln.

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188), geht noch über Regelungen in wissenschaftlichen Bibliotheken hinaus, die nur den Transport innerhalb der Bibliothek regeln369. Buchbezogene Praktiken werden somit vielfach „besondert“: Buchbenutzung wird von Praktiken des Kinderalltags wie Klettern, Malen, Schneiden, Reißen und Essen getrennt, findet nur nach einer komplexen Passage nach dem Überschreiten verschiedener Schwellen statt, steht nur einer bestimmten Zielgruppe zu einer festgelegten Zeit offen und wird von einer Sprachförderkraft, nicht von den regulären Erzieherinnen, durchgeführt370. In der oben zitierten Passage erwähnen Kinder auf Aufforderung der Sprachförderkraft auch, was sie tatsächlich mit den Büchern tun. Ihre Aussagen sind an die erstmals anwesende Forscherin gerichtet. Es ist zu vermuten, dass die Kinder hier antworten, was sie als besonders relevant für eine neu hinzugekommene Erwachsene erachten. Aidan sagt: „Wir tauschen Bücher aus. Bevor man auf den Teppich geht, muss man die Schlappen ausziehen.“ Er beschreibt die Praxis in der Bücherei als Austausch (nicht etwa als Anschauen oder Lektüre). Sie scheint eng mit dem Ort „Teppich“ und der Regel des Hausschuhe-Ausziehens verbunden. Yvonne sagt über die Bücherkiste: „Hier kann man Bücher rausholen, welche, die man gerne möchte.“ Hier steht erstmals die Erlaubnis, etwas Buchbezogenes zu tun, und das individuelle Interesse an einzelnen Büchern („gerne möchte“) Vordergrund. Ob dieses Interesse tatsächlich zu einer vertieften inhaltlichen Beschäftigung führt, bleibt offen. Die folgende Datensequenz schließt an die vorhergehende an: „Wer hat das Buch mit dir angeschaut?“ fragt die Sprachförderkraft Yvonne. „Papa“. „Welche Tiere hast du denn ...“ [Aufzeichnung unvollständig, da der Fokus der Forscherin zu den gleichzeitig ablaufenden Gesprächen von Youssef und Aidan wechselt]. Gleichzeitig schauen Youssef und Aidan ein Buch an. Youssef zeigt auf ein Nikolaus-Bilderbuch, in dem ein Schiff zu sehen ist: „Ou, da ist ein Nuf. Da ist ein Piratenschiff.“ Die Sprachförderkraft fragt Aidan: „Wer hat mit dir das Buch angeschaut?“ „Alle.“ „Was war das für ne Geschichte?“ „Der kleine Drache Buran, der nur Eis spuckt.“ Youssef kommentiert ein Nikolaus-Bilderbuch mit glitzernder Goldfolie auf den Bildern, das er aus der Bücherkiste geholt hat: „Die haben Gold gefunden. Die Schiffe sind hier, die Goldschiffe.“ Die Sprachförderkraft fragt: „Youssef, wo ist dein Buch?“ (Sie meint offensichtlich das Buch, das er letzten Freitag 369 Dass auch der Transport der Bücher reguliert wird, erinnert an die Regelungen, die Feldteilnehmende der Forscherin anlässlich eines Aufenthalts in einer Koranschule im Stadtviertel mitteilten: Auch auf dem Weg in die Koranschule und zurück soll der Koran nicht achtlos getragen werden, sondern in einer bestimmten Haltung (vor der Brust, nicht vor dem Bauch). 370 Eine weitere Lesart wäre, dass diese vielfache Besonderung im Sinne einer Inszenierung der „Magie des Buches“ die Bücher auch besonders attraktiv für Kinder machen könne. Mögliche langfristige Auswirkungen des „Bibliotheksrituals“ auf die buchbezogenen Praktiken der Kinder wären Aufgabe einer eigenen (Längsschnitt-)Studie.

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ausgeliehen hat und nun in der Büchertasche wieder mitgebracht hat.) „Youssef, wer hat mit dir das Buch gelesen?“ „Keiner. Das hab ich angeguckt.“ Youssef zeigt auf das Nikolausbuch: „Das hier ist Gold. Der Boot schwimmt und Ende.“ Aidan fordert: „Vorlesen! Kleine Raupe Nimmersatt!“ (21.3. 2013)

Jedes Kind wird zunächst gefragt, wer mit ihm zu Hause das ausgeliehene Buch angeschaut habe, bevor auf Inhalte des Buchs eingegangen wird. Hier werden die Familien in das „Bibliotheksritual“ mit einbezogen und ihre Mitwirkung überprüft371. Eine Praxis/Diskurs-Formation, die sich damit teils überschneiden dürfte, ist die einer frühen Förderung im Sinn einer Kompensation familiärer Defizite. Nach Diehm (2012: 52) adressiert sich die Debatte um frühe Förderung „zuvörderst an die Familie“, „beziehen sich die allgegenwärtigen Förderansinnen auf die sogenannten gesellschaftlichen Risikogruppen, allen voran die Familien mit Migrationsgeschichte“. Eine weitere Praxis/Diskurs-Formation zum notwendigen Einbezug von Eltern in die Sprachförderung, wie sie z.B. der Bildungsplan BadenWürttemberg (2011: 36) fordert, dürfte sich mit der eben erwähnten der notwendigen Förderung von „Risikogruppen“ überschneiden. Gerade im Bereich der Literalität wird angenommen, dass sie Kindern aus ‚bildungsfernen‘ Familien und/oder Familien ‚mit Migrationshintergrund‘ nicht in der für den Schulerfolg erforderlichen Ausprägung zur Verfügung steht und dass daher Eltern und Kinder gemeinsam gefördert werden sollen (vgl. z.B. Nickel 2010). Die in den vorliegenden Daten erscheinende Frage, ob die Eltern den Kindern vorgelesen haben, findet sich etwa auch im praxisnahen „Handbuch Kita-Pädagogik“ (Kuyumcu/Kuyumcu 2004, http://www.kindergartenpaedagogik.de/1384.html, Abfrage 7.11. 2018) oder in den Vorlesestudien der Stiftung Lesen (2007-2018) (etwa: „In jeder dritten Familie besteht Förderbedarf, weil dort die Eltern zu selten oder nie vorlesen“, Stiftung Lesen 2014: 29, https://www.stiftunglesen.de/download.php?type= documentpdf&id=1357, Abfrage 7. 11. 2018). In beiden Quellen wird das NichtVorlesen als Defizit beschrieben. Youssef beginnt dreimal eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Bilderbuch, indem er Bilder kommentiert („Ein Piratenschiff“) („Die haben Gold gefunden. Die Schiffe sind hier, die Goldschiffe“). Seine Kommentare lassen das Gerüst einer kleinen Erzählung erahnen, bei der der Schluss markiert ist („und Ende“). Hier hätte ein dialogisches Vorlesegespräch entstehen können (vgl. Wieler 1997, Egert 2007: 32). Youssefs Äußerungen werden jedoch nicht weiter

371 Eine andere Deutung wäre: Die wiederkehrende Frage nach dem elterlichen Vorlesen könnte dem „Bibliotheksritual“ ein weiteres Strukturelement verleihen und damit Kindern Sicherheit im Ablauf des Rituals geben.

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aufgegriffen372, sondern zweimal von der pädagogischen Professionellen unterbrochen, um Aidan und Youssef nach dem elterlichen Vorlesen zu befragen. Bemerkenswert ist, dass Youssef sich nicht entmutigen lässt und einen weiteren Anlauf nimmt, über das „Nikolausbuch“ zu sprechen. Diesmal wird er von Aidans Vorlesewunsch unterbrochen, dem die pädagogische Professionelle folgt. Die Praktik der pädagogischen Professionellen, auf Kinderäußerungen bei Bilderbuchpraktiken im Kindergarten nicht weiter einzugehen, ist nicht auf die vorliegenden Daten beschränkt. So wird bereits bei Tizard und Hughes beschrieben (1984: 237, zit. in Wieler 1997: 115), dass dies erfolge, wenn pädagogische Professionelle andere Ziele verfolgen als die, die sie den Kinderäußerungen zuschreiben. In den vorliegenden Daten wirkt für die pädagogische Professionelle die Frage, wer den Kindern zu Hause vorgelesen hat, vordringlicher als Youssefs Kommentare zu den Buchillustrationen. Eine dialogische Bilderbuchkommunikation (vgl. Wieler 1997) kann so jedoch nicht stattfinden. Die folgende Sequenz, in der Inhalte eines Bilderbuchs relevant werden, schließt unmittelbar an: Es ist sehr still, die Sprachförderkraft hält das Buch [Die Kleine Raupe Nimmersatt, E. Zettl] so, dass die Kinder die Bilder sehen können, und beginnt vorzulesen. Aidan zeigt: „Die Sonne hat zwei Augen, ein Nase und ein Mund. Draußen ist das nicht so. Bestimmt will die Raupe die Sonne auffressen.“ „Was frisst sie da?“ fragt die Sprachförderkraft. „Früchte. Ein Apfel, ein Donut.“ Youssef sagt gleichzeitig sehr oft, auf sein Nikolausbuch zeigend: „Aidan, das musst du dir ansehen.“ Aidan reagiert nicht darauf und zeigt auf ein Foto von Eric Carle, dem Autor der „Kleinen Raupe Nimmersatt“: „Der hat das geschrieben.“ Aidan hält ein Buch fest: „Das gehört mir. Schön warm. Einmal lass ich das Buch von der Sonne aufwärmen.“ Er sagt: „Ich hab heute Geburtstag“ und hüpft dazu. Youssef hat das Nikolausbuch, zeigt auf den Rand: „Hier die Nummer.“ Die Sprachförderkraft sagt: „Ja, du bist das Geburtstagskind.“ Aidan ruft in den Flur: „Burtstagskind!“ Die Sprachförderkraft geht kurz weg, ich frage: „Soll ich vorlesen?“ Ein Kind antwortet: „N-N. Nummer vorlesen.“ Yvonne sagt: „Ich geh besser mal runter. Zieh solang meine Schuhe an“, und steckt ein Buch in ihre Büchertüte. (21.3. 2013)

Aidan kommentiert die Illustrationen und vergleicht Illustration und Realität („Draußen ist das nicht so“) und zeigt damit Wissen über Fiktionalität (vgl. z.B. Wieler 1997: 263). Er stellt spontan eine Vermutung über die Intention der Raupe und den Fortgang der Geschichte an („Bestimmt will die Raupe die Sonne 372 Hier hätte eine Ko-Konstruktion von Sinn erfolgen können, wäre die pädagogische Professionelle auf Youssefs Äußerungen eingegangen. Nach Egerts Metaanalyse (2017: 32) ist dialogisches Lesen eine der wenigen empirisch wirksamen Sprachfördermassmahmen für mehrsprachige Kinder; es wäre zu begrüßen (vgl. ebd.), wenn es mehr gezielte Weiterbildungen für pädagogische Professionelle zu diesem Thema gäbe.

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auffressen“373), wie sie sich auch in vielen schulischen Praktiken findet374. Dass Aidan dies ohne vorherige Initiierung durch die Vorlesende sagt, deutet auf eine Vertrautheit mit bilderbuchbezogenen Praktiken hin. Die Frage der pädagogischen Professionellen „Was frisst sie da?“, eine geschlossene Frage, die zum Benennen und Klassifizieren auffordert, findet sich in vielen Bilderbuchbetrachtungen (vgl. z.B. Wieler 1997: 25; Hortsch/Panagiotopoulou 2011: 25; Hortsch 2015: 159) und kann der Verständnissicherung dienen. Nach Hortsch und Panagiotopoulou können solche Fragen auch als Hinführung auf „schulische Testkultur“ (ebd.) gesehen werden. Aidans Antwort: „Früchte. Ein Apfel, ein Donut“ bleibt unkommentiert. Die Aufmerksamkeit der Feldforscherin wendet sich Youssef zu, der seit Längerem vergeblich versucht, Aidan auf „sein“ Nikolausbuch aufmerksam zu machen. Aidan dagegen deutet auf das Foto des Autors der „Kleinen Raupe“. Die beiden Kinder scheinen um Aufmerksamkeit zu wetteifern, die Praxis des Vorlesens wird unterbrochen, eine vollständige Geschichte nicht präsentiert (vgl. auch Hortsch 2015: 159, die in Bezug auf einen Kindergarten in Rheinland-Pfalz ebenfalls beobachtet, dass der „vorgelesene Text bzw. die Geschichte nicht mehr im Mittelpunkt steht“). In ihren Beiträgen zeigen die Kinder Wissen über Literalität, z.B. über den Autor des Buches („Der hat das geschrieben“; vgl. auch Ulich 2003: 10) oder die Ausleihnummer am Buchrücken. Aidan scheint fasziniert von der Materialität des Buches („Schön warm. Einmal lass ich das Buch von der Sonne aufwärmen“) und gleichzeitig vom Thema Sonne, das sich auch in der Buchillustration wiederfindet. Youssef versucht immer wieder, Kontakt zu Aidan aufzunehmen. Später lehnt Aidan der Forscherin gegenüber das „Vorlesen“ des Inhalts zugunsten des Vorlesens der „Nummer“ (der Ausleihnummer) ab. Attraktiver als der Inhalt von Büchern scheinen für ihn die Formalia des Ausleihens und vor allem, dass er „Burtstagskind“ ist, zu sein. Yvonne verlässt nun ohne in den Daten erkennbaren Grund die Bibliothek und zeigt Ritualwissen in der Verwendung der „Büchertasche“ und der Ankündigung, dass sie die Schuhe wieder anzieht und somit die Schwelle von der Bibliothek „runter“ wieder überschreiten möchte. Auffallend ist, wie schnell die Kinder von einem Thema zum anderen wechseln, auch wenn viele Beiträge Literalität thematisieren. Eine längere Gesprächsstruktur zu einem Thema, z.B. einer fortlaufenden Geschichte, wird kaum sichtbar. Es kann somit festgehalten werden, dass die Kinder über Wissen zu einem komplexen Ritual verfügen, das den richtigen Umgang mit dem Artefakt Buch 373

Auch in dieser Sequenz („Bestimmt will die Raupe die Sonne auffressen“) findet sich eine Verbindung von Literalität und komisch-grotesker Übertreibung des Essens, wie sie schon im „Mampf“-Lied besungen wurde („Riesenberge fressen“). 374 Das „Bilden von Hypothesen über den Fortgang des Textes“ gehört aus deutschdidaktischer Perspektive zu „effektive[n] Strategien“ im schulischen Lesetraining (von Wedel-Wolff 2012: 429).

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einübt. Sie zeigen Vertrautheit mit buchbezogenen Praktiken wie der, einzelne Illustrationen zu kommentieren, zu benennen und Vermutungen über den Fortgang der Geschichte zu erstellen. Das dialogische Erzählen oder Vorlesen einer vollständigen Geschichte ist in den vorliegenden Daten jedoch nur ansatzweise sichtbar. Die Kirche: „Und dann haben sie geteilt, und wieder geteilt, und wieder geteilt“ Die vorletzte Sequenz dieses Kapitels findet ebenfalls außerhalb der Kita statt, in der Kirche „St. Pankraz“. Die Gebäude Kirche und Kindergarten sind nicht nur durch den gleichen Namen und die unmittelbare Nachbarschaft, sondern auch strukturell durch die kirchliche Trägerschaft und das Leitbild der Kita verbunden. Der Kirchenraum steht tagsüber offen, die Forscherin beobachtet jedoch nie, dass er im Alltag von Kindern, Eltern oder pädagogischen Professionellen betreten würde. Es ist allerdings möglich (dies stand zum Forschungszeitpunkt nicht im Fokus der Beobachtungen), dass einzelne der Kinder mit ihren Familien in die Angebote der Kirchengemeinde eingebunden sind und somit der Kirchenraum Teil ihres familiären Alltags ist. Für alle Kinder der Kita „St. Pankraz“ gibt es vor den Ferien Kindergottesdienste. Zudem gehen die Kinder der „Gruppe Blau“, begleitet von den Gruppenerzieherinnen, viermal zu religionspädagogischen Angeboten einer Ehrenamtlichen in die Kirche. Die dritte der vier Sequenzen wird im Folgenden beschrieben. Die Kirche wird in diesen Sequenzen, anders als der nur einer Teilgruppe von Kindern zugängliche Raum „Erzieherinnenzimmer“, allen Kindern zugänglich gemacht, unabhängig von Alter oder Religion375. Die Kinder verlassen, um in die Kirche zu gehen, den Hauptraum, ziehen ihre Straßenschuhe an und gehen aus dem Kita-Gebäude in die benachbarte Kirche. Von Feldteilnehmenden kommentiert wird im Nachhinein, wie auffallend ruhig sich die Kinder in der Kirche verhalten. Sie setzen sich im Kreis auf den Boden in den Altarraum vor dem Altar, zum Kreis gehören auch die Ehrenamtliche, die Erzieherinnen und die Forscherin. Die aus dem Kita-Alltag vertraute Kreissituation, die das für Gottesdienste typische Sitzen in Kirchenbänken ersetzt, schlägt möglicherweise für die Kinder einen Bogen zurück zu Praktiken im Kreis des Gruppenraums. Zugleich ermöglicht dieses Setting auch eine Kontrolle der Praktiken der Kinder, die vermutlich besser 375

Für eine religionspädagogische Reflexion des Kirchenraums als Lernort für alle Kita-Kinder unabhängig von ihrer Religion vgl. Harz (2014: 139), der allerdings einen Fokus auf interreligiöse Bildung setzt und Moscheebesuche mit einbezieht.

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gelingt, als es bei einem Sitzen in den für Erwachsene konzipierten Kirchenbänken möglich wäre376 (vgl. Magyar-Haas/Kuhn 2011 zu pädagogischen Kreissituationen). Die Kinder sitzen im Kreis, die Ehrenamtliche Beate erzählt: „(…) Da sind immer ganz ganz viele Menschen gekommen, wenn der irgendwo war. Alle wollten Jesus sehen. Die wollten Jesus hören. Und es wurden immer mehr. Und einmal sind sie den ganzen Tag mit Jesus gelaufen. Und als es Abend wurde, da sagte Jesus: ‚Ja, die Leute ha’m alle Hunger [unverständlich] die können doch jetzt nicht hier irgendwo was zu essen kaufen. Geht doch gar nich.’“ Ein Kind sagt etwas Unverständliches, eine pädagogische Professionelle sagt: „Pscht, ja.“ Beate fährt fort: „Und er fragte seine Freunde: ‚Sagt mal, wie viel Brot habt ihr eigentlich?’ Da sagten sie: ‚Wir ha’m nur sieben Brote.’ Und viel Menschen, das waren viertausend.“ Ein Kind sagt: „Vier“. Beate fährt fort: „Viertausend Menschen, das’s fast so viel wie in n kleines Fußballstadion passen, n großer Fußballplatz. Und dann sagte Jesus: ‚Dann gebt mir mal die Brote, die ihr habt.’ Und er nahm das Brot und sagte: ‚Guter Gott, danke für das Brot, guter Vater, danke für das Brot.’ Und dann brachte er die Brote seinen Freunden und sagte: ‚Teilt mal aus.’ Und dann haben sie geteilt, und wieder geteilt, und wieder geteilt, und alle viertausend Leute wurden satt. Könnt ihr euch das vorstellen? Alle, die da waren, die wurden satt. Und es waren hinterher sogar noch Reste da.“ (13.7. 2011)

Die vorliegende Passage ist die einzige in den untersuchten Daten, in der freies, nicht bildgestütztes Erzählen durch eine Erwachsene vorkommt. Hortsch (2015) und Kewes (2012) berichten in ihren Daten über Literalität in deutschen Kindertagesstätten nichts über diese Form der erzählten Geschichten. Auffallend ist, auch im Vergleich zu den Bilderbuch-Sequenzen, bei denen oft eher Einzelbilder als eine ganze Geschichte im Fokus stehen, dass hier eine längere Geschichte monologisch erzählt wird. Eine kurze Unterbrechung durch ein Kind wird schnell wieder in die Bahnen des Zuhörens gelenkt. Anders als bei den Sequenzen der Bilderbuchbetrachtung steht die Geschichte selbst im Fokus, nicht etwa die Frage nach dem korrekten Umgang mit dem Artefakt Buch, nach der richtigen Aussprache oder elterlichen Vorlesepraktiken. Beate verwendet konzeptionell schriftsprachliche Elemente (z.B. das Präteritum), die z.T. liturgischer Literalität (vgl. Rosowsky 2008: 3) zugerechnet werden können, wie etwa die Anrede „Guter Gott“ / „Guter Vater“. Diese durchmischt sie jedoch auch konzeptionell mit mündlicher Umgangssprache, die mit vielen Füllwörtern durchsetzt ist („Dann gebt mir mal die Brote“, „hier irgendwo was zu essen kaufen, geht doch gar nich“). Auch die wiederkehrende Reihung „und dann“ ist konzeptionell mündlich. 376

Beim Abschlussgottesdienst vor den Sommerferien, bei dem die Kinder in den Kirchenbänken sitzen, ist eine größere Unruhe spürbar als in der hier beschriebenen Kreissituation.

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6 Literalität in der Kita

Durch einen Vergleich („das sind fast so viel wie in n kleines Fußballstadion passen“) und eine direkte Anrede „Könnt ihr euch das vorstellen?“ werden die Kinder in einem ihnen vermutlich vertrauten Sprachregister angesprochen. Dieser Wechsel zwischen konzeptioneller Schriftlichkeit und bereits bekannter konzeptioneller Mündlichkeit bietet eine gute Möglichkeit der Einführung in konzeptionelle Schriftlichkeit. Aus den monologischen Daten ist zwar nicht zu schließen, wie die Kinder das Gehörte rezipieren, aber die konzentrierte Stille deutet darauf hin, dass ein länger andauerndes Interesse und zumindest ein teilweises Verständnis gegeben ist. Die Sequenz fährt fort mit einer symbolischen Veranschaulichung der Geschichte: Beate sagt: „Wie das gegangen ist? Das ist nur ein Wunder, ne? Wenn so wenig da ist, und alle werden satt? Wir können mal ausprobieren, wie das vielleicht gegangen sein könnte. Ich hab hier ein Brötchen“ – sie hält ein Brötchen hoch – „meint Ihr, da kriegt jeder was mit von?“ Ein Kind377 sagt: „Ja“, mehrere Kinder sagen: „Nein“. Beate fährt fort und hält das Brötchen in der Hand: „Wollnwer mal ausprobieren. Das Brötchen, das lassen wir jetzt mal rumgehen. Und jeder macht sich nur so viel ab, dass alle andern auch noch was kriegen…also nich jetzt reinbeißen, sondern nur so viel, dass du etwas hast und alle andern auch noch was kriegen“ (…) Brigitte kommentiert: „Super, was sie weitergibt. Azra, jetzt hast du nichts. Azra, du musst ein bisschen haben.“ (…) Beate fragt: „Ham alle? Jetzt ham alle. Guckt mal, von dem einen Brötchen haben alle was bekommen. So viel ist noch übrig. Kuck mal, ist noch mehr übrig“ (Beate zeigt, dass ein Stück des geteilten Brötchens noch da ist). (…) „Ihr dürft das ruhig jetzt essen.“ (…) Ein Kind sagt: „Das Brot war sehr lecker.“ Beate sagt: „Mhm“. Ein anderes Kind sagt: „Ja, das Brot war lecker“. Beate sagt: „Vielleicht war das auch so bei den vielen Menschen, dass jeder sich nur so viel genommen hat, dass er auch satt wurde. Wir sind natürlich jetzt nicht satt geworden davon. Ich wollte euch nur zeigen, dass man schon teilen kann und jeder bekommt was. Jeder kriegt was mit. Ihr habt doch vorher gesagt, da kriegen wir nicht alle was von, ne. Aber ihr habt doch was gekriegt. Und damals war das vielleicht auch so. Und vielleicht hatten viele Leute auch noch Brot in der Tasche, das sie mitgenommen hatten für den Tag und ha’m das auch geteilt. Auf jeden Fall wurden alle satt und die Menschen haben sich gefreut: ‚Jetzt sind wir alle satt geworden‘, und ham Gott gedankt.“ (13.7. 2011)

377

Da die vorliegenden Daten aus einer Audiofile transkribiert sind, kann im Nachhinein nicht mehr bestimmt werden, welche Kinder hier und an anderen Stellen etwas gesagt haben. Teils ist es technisch bedingt auch schwer zu unterscheiden, was von Brigitte und was von Beate gesagt wurde. Dies ist für die Interpretation jedoch nebensächlich.

6.4 Vom Gruppenraum zu nicht alltäglich genutzten Räumen

239

Es ist einmalig im Datenmaterial, dass eine Sequenz, die eine Geschichte handlungsorientiert378 umsetzt, so lange konzentriert von der ganzen „Gruppe Blau“ verfolgt wird, während bei Vorleseaktivitäten bereits in kleineren Grüppchen oft schnell Unruhe aufkommt und die pädagogischen Professionellen die Themen häufig schnell wechseln oder Einzelbilder zeigen. Beate, unterstützt von der regulären Erzieherin Brigitte, leitet dagegen eine Sequenz von Praktiken für die ganze Gruppe an, in der die biblische Geschichte multimodal veranschaulicht wird379 und danach explizit interpretiert wird. Zunächst wird eine mögliche Gattung der Geschichte mit der metanarrativen Bemerkung „Das ist nur ein Wunder, ne?“ angedeutet, dann wird mit Hilfe eines Brötchens schlüssig demonstriert, wie das „Wunder“ auch ohne übernatürliche Kräfte zustande gekommen sein könnte. In den darauffolgenden Praktiken werden Kinder zu einem Umgang mit dem Brötchen angeleitet („nich jetzt reinbeißen“, „dass alle andern auch noch was kriegen“), der den Bedürfnissen der ganzen Gruppe gerecht werden soll. Der didaktische Umgang mit einem Lebensmittel unterscheidet sich insofern vom Umgang mit anderen didaktischen Objekten, dass Lebensmittel essbar sind (vgl. Bender/Krompàk 2017: 40) und die Freude am Essen „hochmotivierend wirken“ könnte (ebd.: 48). Die Kommentare der Erwachsenen verdeutlichen, dass sie die Kinder in der zentroramatischen Kreissituation (vgl. Magyar-Haas/Kuhn 2011: 27f.) im Blick haben und darauf achten, dass alle Kinder dieselben Praktiken durchführen. Zugleich werden nicht nur Praxis/Diskurs-Formationen zu früher Literalität und religiöser Bildung (vgl. Abschnitt 6.2.1) aufgerufen, sondern auch zu Ernährungserziehung380 und Erziehung zu Sozialkompetenz im Kindergarten, wobei sich die Praxis/Diskurs-Formationen zu Ernährungserziehung und Sozialkompetenz ohnehin teils überschneiden. Im Entwurf der Bildungsgrundsätze Nordrhein-Westfalen heißt es etwa:

378 Deutschdidaktisch gesprochen könnte hier von handlungsorientiertem Vorgehen im Umgang mit einem Text gesprochen werden, in dem „die Lernenden nicht nur kognitiv, sondern auch affektiv und lebenspraktisch angesprochen“ werden (Knoche 2012: 291). 379 Die nonverbalen körperlichen Praktiken im Umgang mit dem Brötchen könnten hier als ein Modus gedeutet werden, der das Gesprochene ergänzt; zu Multimodalität in religiösen literalen Praktiken vgl. auch Papen (2018: 129). 380 Ein kleiner Widerspruch zwischen den verschiedenen Praxis/Diskurs-Formationen, der jedoch in den Daten nicht weiter thematisiert wird, erscheint: Während in der Kita „Weißbrot“ in Resonanz zur Praxis/Diskurs-Formation zu gesundem Essen nicht mitgebracht werden darf, wird in der Kirche ein Milchbrötchen rituell verteilt. Möglicherweise gelten im Kirchenraum andere Regeln als in der Kita oder die Ehrenamtliche kennt die Regel, Weißbrot zu vermeiden, nicht. Es ist auch denkbar, dass das symbolische Teilen eines Brötchens als performatives Nacherleben einer biblischen Geschichte als andere Kategorie aufgefasst wird als das Essen „zum Sattwerden“.

240

6 Literalität in der Kita „Tischmanieren, der richtige Umgang mit Besteck und ein gutes Sozialverhalten (anderen die Schüsseln weiterreichen, darauf achten, dass jeder etwas bekommt; anderen beim Auffüllen helfen) sind weitere Aspekte, die zu einer guten Atmosphäre gemeinsamer Mahlzeiten gehören“ (Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2010: 58).

Nach dem Ende dieser Praktiken schlägt Beate den Bogen zurück zur biblischen Geschichte und zeigt Unterschiede und Analogien der Geschichte mit dem eben Praktizierten auf: „Und damals war das vielleicht auch so. Und vielleicht hatten viele Leute auch noch Brot in der Tasche, das sie mitgenommen hatten für den Tag und ha’m das auch geteilt.“ Diese komplexe und zugleich anschauliche Interpretation einer Geschichte, die eine metanarrative Ebene durch Kommentare über die Geschichte eröffnet und einen Bogen zu Alltagspraktiken schlägt, ist in den Daten einmalig. In einer späteren Sequenz wird auch das Abendmahl thematisiert. Wieder werden hier Religion, Literalität und Essen zugleich zum Thema: Beate fährt fort: „Dann hat er seinen Freunden noch ein Geschenk gemacht. Er hat sich mit ihnen noch mal zum Essen getroffen. Und als sie um den Tisch saßen, da nahm er das Brot, und sagte: Lieber Vater, danke für das Brot. Und er gab das Brot seinen Freunden und sagte: Esst alle davon, und immer, wenn ihr euch trefft, sollt ihr Brot teilen und dabei an mich denken. Tut dies zu meinem Gedächtnis, hat er gesagt. Da sollt ihr an mich denken. Und dann spürt ihr, dass ich bei euch bin.“ Ein Kind fragt: „Ist das echtes Brot?“ Beate sagt: „Das ist echtes Brot. Und seine Freunde ha’m das Brot gegessen und gespürt, dann ist Jesus bei uns. Und sie haben das immer wieder getan.“ Brigitte sagt mahnend: „Jessica!“ Beate fährt fort: „Und immer noch heute, wenn sich die Christen treffen, dann essen sie von dem Brot. Und deshalb steht das Brot am Tisch. Am Altar“ – sie deutet auf den Altar – „und jeder, der in’ Gottesdienst kommt, der bekommt so ein kleines Stückchen Brot. Und dann spüren die Christen, Jesus ist auch heute noch bei uns.“ (13.7.2011)

Ein „kleines Stückchen Brot“ wie das, das die Kinder gegessen haben, wird nun auch als Verweis auf eine weitere Erzählung, die der Einsetzung des Abendmahls, gedeutet. Mit Wiederholungen wird die vorhergehende Geschichte aufgegriffen („danke für das Brot“) und Bausteine liturgischer Literalität mit dem wörtlichen Bibelzitat „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ eingebaut. Die Rückfrage eines Kindes „Ist das echtes Brot?“ verdeutlicht ein Interesse an der Geschichte, etwa den Wunsch, eine Analogie zum eben gegessenen realen Brötchen herzustellen. Beate schlägt nun noch einmal einen Bogen zur Gegenwart, indem sie auf den Altar deutet und beschreibt: „und jeder, der in’ Gottesdienst kommt, der bekommt so ein kleines Stückchen Brot. Und dann spüren die Christen (...)“.

6.4 Vom Gruppenraum zu nicht alltäglich genutzten Räumen

241

Hier zeigt sich das Differenzdilemma (vgl. Kuhn 2013: 214), wie es für pädagogisches Handeln in Bezug auf Differenzen konstitutiv sein kann: Werden diese thematisiert und damit potentiell ungleichheitsrelevant reproduziert oder nicht thematisiert, was auch zu Ungleichheiten führen kann? Das Bestreben, die gesamte Kindergruppe ohne Ausnahme einzuschließen, wie es bereits beim Brötchenessen deutlich wurde („Azra, du musst ein bisschen haben“), findet ein Echo in der Formulierung „jeder, der in’ Gottesdienst kommt, der bekommt so ein kleines Stückchen Brot“. Das „Spacing“ in der Kreisform, in der sich ausnahmslos alle Teilnehmenden an den Praktiken befinden, unterstützt diesen Einschluss. Dann wird jedoch ergänzt: „Und dann spüren die Christen, Jesus ist auch heute noch bei uns.“ Das „bei uns“ bezieht sich hier nur auf „die Christen“, während die Mehrzahl der anwesenden Kinder zumindest laut „Klassenbuch“ muslimisch ist. Nur fünf der Kinder sind katholisch und damit potentiell zukünftig zum Abendmahl zugelassen. Dieses Dilemma zwischen performativer und narrativer Herstellung von Gemeinschaft und Ausschluss ist durch die pädagogische Professionelle nicht lösbar. Letztlich ist es ein Dilemma auf der Ebene des Kita-Trägers und eine konzeptionelle Anfrage an die Religionspädagogik, wie in einem Kindergarten religiöse Literalität gestaltet werden kann, wenn das Leitbild des Kita-Trägers ein Vertrautwerden mit christlichen Werten, Ritualen und biblischen Geschichten vorsieht, die Mehrheit der Kinder jedoch keiner christlichen Kirche angehört. Für das vorliegende Kapitel liegt der Fokus zwar auf früher Literalität, diese lässt sich jedoch, wie die eben interpretierte Sequenz zeigt, nicht trennen von anderen Praxis/Diskurs-Formationen wie Religionspädagogik (vgl. auch Abschnitt 6.3.1) mit ihren eigenen Dilemmata. In der vorliegenden Sequenz lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob sich Kinder durch die Formulierung „die Christen“ ausgeschlossen fühlen oder, wie es im größten Teil der Sequenz geschieht, alle als Teil einer Gruppe erleben. Je nachdem, wie stark zugehörig sie sich fühlen, dürfte auch ihre Offenheit gegenüber den erzählten Geschichten und damit gegenüber Literalitätspraktiken unterschiedlich sein. Praxistheoretisch gesprochen ist auffällig, dass die liturgischen Literalitätspraktiken in diesem Kapitel ausschließlich katholisch ausgerichtet sind und zugleich nur in deutscher Sprache stattfinden. Dies wird auch durch das „Spacing“ im Kirchenraum unterstützt, obwohl die Mehrzahl der Familien laut „Klassenbuch“ muslimisch und mehrsprachig sind381. Hier könnte im Sinne der Intersektionalitätsforschung (vgl. exemplarisch Walgenbach 2012: 80ff.) von einem Zusammentreffen der Differenzlinien Religion und Sprache, das ungleichheitsrele381 An dieser Stelle sei nochmals explizit darauf hingewiesen, dass keine Wertung, nur eine Beschreibung und Analyse von Praktiken vorgenommen wird.

242

6 Literalität in der Kita

vant sein kann, gesprochen werden382. Inwiefern dies für die spätere Bildungslaufbahn der Kinder konkret relevant wird, müsste eine Längsschnittstudie klären. Da die vorliegende Arbeit sich schwerpunktmäßig mit früher sprachlicher Bildung befasst, soll auf diesen Aspekt nur am Rande hingewiesen werden. Ihn zu vertiefen wäre Aufgabe einer eigenen Arbeit. Einige weitere Anmerkungen seien erlaubt, die die beobachtete Sequenz in einen weiteren Kontext stellen. Gerade aus einer wichtigen Strömung katholischer Theologie, der franziskanisch geprägten, gehen Anregungen zu wertschätzendem interreligiösen Dialog aus (vgl. Berkenbrock 2014). Auch das Leitbild eines katholischen Kita-Trägerverbandes erwähnt diesen in den Formulierungen „Dialog der Kulturen und Religionen“ und „interreligiöses Miteinander“ (Leitbild des Zweckverbands Katholische Tageseinrichtungen für Kinder des Bistums Essen, www.kita-zweckverband.de/ueber-uns/leitbild/.html, Abfrage 5.8. 2016). Dennoch ist interreligiöse Bildung in Kindertagesstätten laut dem Religionspädagogen Harz (2014: 53) schon in der Theoriebildung wenig präsent. Interreligiöses Wissen bei Kindergartenkindern, so Harz (ebd.) mit Verweis auf eine Studie von Edelbrock/Biesinger/Schweitzer (2010: 19), ist kaum vorhanden; laut Dommel (2018: 466) wird interreligiöses Lernen nur in einer Minderheit von Kitas praktiziert. Vor diesem Hintergrund erstaunt die eben interpretierte Sequenz nicht. Dennoch könnte darüber nachgedacht werden, wie diese Sequenz unter Berücksichtigung von Ansätzen des interreligiösen Dialogs aussehen könnte, wie sie z.B. Harz für Kitas entwickelt. Das „Eigene sich und den anderen deutlich zeigen“ (Harz 2014: 13), ein Schritt interreligiöser Pädagogik, geschieht in den vorliegenden Daten bereits. Mit der Formulierung „die Christen“ wird markiert, wem diese Glaubensinhalte zuzuordnen sind. Mögliche weitere Schritte im Sinn interreligiöser Erziehung wären z.B., im Gespräch „vom Gemeinsamen aus[zu]gehen“ (Harz 2014: 137) und z.B. eine Geschichte zum Teilen von einer Vertreterin oder einem Vertreter einer anderen Religion erzählen zu lassen, „Raum für die Darstellung des Seinen ein[zu]räumen“ (ebd.: 138) und „Ambiguitätstoleranz“ (ebd.) zu entwickeln. So müssen nicht alle Unterschiede eingeebnet oder die eigene Religion aufgegeben werden, aber die „‚Schnittmengen‘ des Gemeinsamen“ (ebd.) könnten vergrößert werden383. Angesichts der Personalknappheit im Forschungsfeld und der Vielfalt weiterer Aufgaben in der Kita mögen solche Desiderate utopisch wirken, aber sie könnten zu einem stärkeren Einbezug kindlicher Lebenswelten in die Kita, einer (noch) stärkeren Identifikation mit religiösen literalen Praktiken und

382

Insofern als vorrangig katholische Kinder aufgenommen werden, ist bereits die Zusammensetzung der „Gruppe Blau“ von dieser Differenzlinie geprägt. 383 Aus Platzgründen werden hier nur einzelne Aspekte angeführt. Für ausführlichere Darstellungen und Praxisbeispiele vgl. Harz 2014.

6.4 Vom Gruppenraum zu nicht alltäglich genutzten Räumen

243

einer umfassenderen Bildung der Kinder verschiedener religiöser Prägungen führen. Vom Raum der „Gruppe Blau“ zum Gemeindesaal: „Ich hab nur Gemüse gegessen“ Ein einziges Mal in den Daten geschieht im Raum der „Gruppe Blau“ für die ganze Gruppe eine literale bilderbuchbezogene Praktik. Sie wird nicht von den regulären Gruppenerzieherinnen durchgeführt, sondern von der pädagogischen Professionellen Elisabeth, die zeitweise in verschiedenen Gruppen tätig ist. Sie erzählt frei das Bilderbuch „Lisa und ihre Stowis“ (Steinbicker/Kempken 1985), das mit Hilfe von Metaphern Stoffwechselvorgänge veranschaulichen möchte: Die fünfjährige Lisa isst viele Süßigkeiten, nachts im Traum zeigt ihr Teddy ihr ein Haus mit einem lachenden Clownsgesicht, das von kleinen grünen „Stowis“ (Stoffwechselwichten) aus Essen gebaut wird; der Hausbau steht metaphorisch für die Stoffwechselvorgänge in Lisas Bauch. Wenn Lisa zu viele Süßigkeiten isst, werden die „Stowis“ traurig, das Clownsgesicht auf dem Haus weint und das Haus bekommt ein löchriges Dach und wird baufällig. Beim Aufwachen erzählt Lisa den Traum ihrer Mutter, die sie anregt, den Stowis „Obst und Gemüse, Milch und Joghurt und statt Bonbons lieber Rosinen und Nüsse“ zu geben, damit das Haus wieder schön aussieht. (zusammengefasst nach Steinbicker/Kempken 1985: o.S.)

Im bilderbuchgestützten Erzählen zeigt die pädagogische Professionelle Elisabeth eine Illustration des Hauses der „Stowis“ in Lisas Bauch: „Was machen die Stowis da?“ fragt Elisabeth. Marvin (6) sagt: „Aber das gibt’s doch gar nicht, in dem Bauch sind doch keine Löcher.“ Elisabeth sagt sinngemäß, in dem Buch gebe es das schon, „die sind ganz klein.“ Als das Essen besprochen wird, singt Ahmed „Mampf-mampf-mampf“ vor sich hin. (… ) Da sagt Elisabeth, auf die Illustration zeigend: „Das ist der ungesunde Brei, der ganz klebrig ist. Wie sieht das Haus aus?“ Ein Kind sagt: „Das ist so’n Clownshaus, das ist kaputt.“ Der Regen macht aua, sagt Ahmed (6) sinngemäß. Elisabeth sagt: „Das ist krank geworden, das Haus.“ Azra (5) sagt: „Aber ich hab morgens so mein Bauchschmerzen.“ Ahmed sagt: „Erstmal essen Gemüse, weil das Haus nicht mehr kaputt. Dann hat das Haus schön.“ Elisabeth sagt: „Ich hab am Freitag die Stowis eingeladen.“ Jessica (3) sagt: „Ich hab zu Hause keine Stowis.“ Elisabeth sagt: „Die sind so klein, die sind im Bauch.“ Ahmed zeigt auf: „Ich hab nur Gemüse gegessen.“ […] Elisabeth sagt: „Freitag ist’n Fest, da ha’m wir jemand eingeladen, da sind die Stowis, da gibt es Puppentheater.“ (5.7.2011)

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6 Literalität in der Kita

Elisabeth gerät zweimal in die Situation, die Geschichte vor den Kindern plausibel machen zu müssen: Auf „das gibt’s doch gar nicht“ von Marvin antwortet sie, den Wahrheitsgehalt noch offenlassend, im Buch gebe es das schon. Jessicas „Ich hab zu Hause keine Stowis“ wird dagegen deutlicher beantwortet: „Die sind so klein, die sind im Bauch“. In dieser Ambivalenz im Umgang mit dem Wahrheitsgehalt der Geschichte zeigt sich ein Dilemma. Werden Geschichten zu pädagogischen Zwecken verwendet, kann um der Botschaft willen (hier der Aufforderung, sich gesund zu ernähren) die Fiktionalität der Geschichte in den Hintergrund rücken. Dies geschieht allerdings hier um den Preis, dass eine Realität behauptet wird, die nicht den Erfahrungen der Kinder entspricht („in dem Bauch sind doch keine Löcher“). Würde jedoch die Fiktionalität der Geschichte betont, könnte die pädagogische Intention unerreicht bleiben. Wenn es die Stowis gar nicht wirklich gäbe, warum sollten sich Kinder dann auf ihre Bitte hin gesund ernähren? Würde zudem erläutert, dass die „Stowis“ eine Fiktion in Anlehnung an reale Vorgänge darstellt, wären die Kinder vermutlich überfordert. Nach kurzer Diskussion bleibt Elisabeths Deutung der Geschichte als unsichtbare Wirklichkeit („die sind so klein, die sind im Bauch“) schließlich unwidersprochen. Deren Botschaft, sich gesund zu ernähren – „erstmal essen Gemüse“ – kann Ahmed sprachlich fehlerhaft, aber inhaltlich korrekt wiedergeben384. Mit dem Singen des „Mampf“-Lieds (vgl. Abschnitt 6.2.1.) nimmt er eine Verknüpfung zu einer anderen Praktik innerhalb der Praxis/Diskurs-Formation „Erziehung zu gesundem Essen“ vor. Mit seiner Selbstpositionierung „Ich hab nur Gemüse gegessen“, verbunden mit der schulischen Geste des „Aufzeigens“, richtet er sich ganz nach der pädagogisch erwünschten Aussage. In der gesamten Sequenz steht die inhaltliche Aufforderung, sich gesund zu ernähren, im Vordergrund. Die Freude an Geschichten an sich erscheint dagegen zweitrangig. Elisabeth beendet das Vorlesen mit der Ankündigung eines Puppentheaters. Hier wird eine Geschichte, einmalig in den Daten, in verschiedenen Medien (Bilderbuch, Puppentheater) als Medienverbund385 dargestellt, worauf Elisabeth explizit hinweist. An den Fenstern der Kita werden zudem von den Erzieherinnen aus grünem Kartonpapier gebastelte „Stowis“ befestigt und die Geschichte somit visuell im Kita-Alltag präsent gemacht. Drei Tage nach dieser Sequenz findet das „Tigerfest“ zum Thema gesunde Ernährung statt, zu dem Eltern und Kinder eingeladen sind und bei dem auch das „Mampf“-Lied für die Eltern (vgl. Abschnitt 6.3.1) vorgetragen wird. Zum Schluss des Festes gehen Eltern, Kinder und Erzieherinnen in das benachbarte Gemeindehaus von „St. Pankraz“ und schauen sich 384 Dass Ahmed sprachlich nicht korrigiert wird, könnte auch darauf hindeuten, dass die Botschaft der Ernährungserziehung für die pädagogische Professionelle an erster Stelle steht. 385 Kurwinkel (2013: o.S.) definiert „Medienverbund“ folgendermaßen: „Ein Medienverbund ist ein aus Einzelmedien (vgl. Wolf 1999, S.40) bestehendes System“.

6.4 Vom Gruppenraum zu nicht alltäglich genutzten Räumen

245

das Puppentheaterstück „Lisa und ihre Stowis“ an. Das Gemeindehaus, das zum einzigen Mal in den vorliegenden Daten von den Kindern der „Gruppe Blau“ betreten wird, bietet genügend Platz für Eltern und Kinder aller Kindergruppen. Etwa hundert Personen befinden sich im Saal. Die für die Kinder nicht alltäglichen Räumlichkeiten und das Setting als Abschluss des Festes heben das Puppentheater als etwas Besonderes heraus. Es ist jedoch durch das vorgängige bilderbuchgestützte Erzählen von Elisabeth im Raum der „Gruppe Blau“ und die Papierfiguren an den Fenstern bereits im Kindergartenalltag präsent. Das „Spacing“ des Puppentheaters im Gemeindesaal dürfte mit der Mehrfachadressierung (vgl. Ewers 2012) des Puppentheaters an Eltern und Kinder zusammenhängen. Eine Gruppe dieser Größe hat in den Kita-Räumlichkeiten selbst keinen Platz mehr. Bei der Aufführung wird mehrfach deutlich, dass Kinder und Eltern zum Thema gesundes Essen adressiert werden386. Ein Flyer, der an die Zuschauenden ausgeteilt wird, hat eine an Kinder gerichtete Seite zum Ausmalen und eine an Erwachsene adressierte, auf der Informationen und Kontaktadressen zum Thema gesundes Essen stehen387. Die Einladung des Puppentheaters zum Thema Ernährung durch die Kita, das „Spacing“ des Puppentheaters für Kinder und Eltern und der Flyer dürften mit einer Praxis/Diskurs-Formation resonieren, die die Erziehung der Bevölkerung zu gesundem Essen und damit Gesundheitsprävention zum Thema hat. Nach Foucault lässt sich dies so deuten: Strategien zur Hervorbringung und Erhaltung der „öffentlichen Gesundheit“ (Foucault 1976/1999: 167) setzt Foucault historisch seit Mitte des 18. Jahrhunderts an. Diese wurden „zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen (…): Bio-Politik der Bevölkerung.“ (Herv. i. O.)“ (ebd.: 166.). Wirkmächtig sind sie, wie z.B. die Bedeutung des Präventionsbegriffs in der öffentlichen Gesundheitsvorsorge zeigt, bis heute, und werden vor allem auf Kinder bezogen. So fordert z.B. der „Ratgeber zur Prävention und Gesundheitsförderung“ des Bundesministeriums für Gesundheit (2016), „[g]esundes Essverhalten bei Kindern [zu] stärken“ (ebd.: 51). Diese Praxis/Diskurs-Formation beinhaltet auch die Denkfigur, Eltern aus ‚bildungsfernen Milieus‘ gemeinsam mit ihren Kindern zur gesunden Ernährung zu erziehen (zu Eltern bestimmter Milieus als Adressat*innen pädagogischer Interventionen vgl. auch Thon/Mai 2018: 124). So steht im Entwurf der Grundsätze für Bildungsförderung für Kinder von 0 bis 10 Jahren für Nordrhein-Westfalen388: 386 Auf Wunsch der Aufführenden werden in dieser Arbeit keine Datenauszüge aus dem Puppentheater verwendet. 387 Ebenfalls aus Datenschutzgründen wird der Flyer nicht wörtlich zitiert. 388 Die endgültige, nur wenig von der Fassung von 2010 abweichende Version der Grundsätze für Bildungsförderung ist aus dem Jahr 2016. Da zum Zeitpunkt der Datenerhebung dieses

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6 Literalität in der Kita „Ernährungsgewohnheiten sind stark familiär und kulturell geprägt und auch von sozioökonomischen Faktoren abhängig; aus diesem Grund ist es notwendig, die Familien mit einzubeziehen. Individuelle Unterstützung und Beratung, Informationsveranstaltungen, gemeinsames Kochen usw. sind nur einige Möglichkeiten, um Eltern an das Thema heranzuführen.“ (Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen / Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2010: 58)

Auch wenn nicht explizit von Defiziten in den Familien gesprochen wird, erscheint implizit der Gedanke, dass einige Familien aufgrund ihrer kulturellen oder sozioökonomischen Lage („kulturell und sozioökonomisch geprägt“) weniger in der Lage sind, für gesunde Ernährung zu sorgen. Zu diesem Diskurs tragen Studien zur Bevölkerungsgesundheit bei, die nach Milieus differenzieren. Sie gehen davon aus, dass Menschen aus Milieus mit eher niedrigem sozioökonomischen Status sich statistisch betrachtet ungesünder ernähren und stärker zu Übergewicht neigen (vgl. z.B. Wippermann 2009). Brandl-Bredenbeck und Brettschneider (2010: 82) fassen in ihren auf Kinder bezogenen Studienergebnissen zusammen, „dass niedriger sozialer Status mit höherem Konsum von Softdrinks, Chips und Pommes einhergeht“389. Die wirkmächtige Konstruktion einer „normalen“ kindlichen Entwicklung (vgl. z.B. die von Kelle/Tervooren (2008) herausgegebenen Studien) resoniert hier ebenfalls. In dieser wird kindliches Übergewicht als Abweichung von der Norm konzeptualisiert. Diese Diskurse könnten dazu beitragen, dass insbesondere Ernährungserziehung, die an Kinder und Eltern gerichtet ist, in der beobachteten Kita so prominent ist. Hier wird nochmals deutlich: Familien der Unterschichten gelten als „gesellschaftliche Risikogruppen“ und geraten in den Fokus defizitkompensierender pädagogischer Bemühungen (vgl. Diehm/Kuhn 2006: 143ff.; Diehm 2012: 52). In dieser „pädagogisch-kompensatorischen Perspektive“ [Herv. i. O.] wird ein Bild vom Kind sichtbar, das dieses „durch seine Umwelt gefährdet oder bereits negativ geprägt, gar beschädigt sieht und das es durch Erziehung zu heilen gilt“ (Diehm/Kuhn 2006: 143). Mit der Erziehung des Kindes werden zugleich auch seine potentiellen Gefährder*innen sozialpädagogisch erzogen.

Entwurfsdokument den aktuellen Stand bildungspolitischer Überlegungen darstellt, wird es hier als Teil einer Praxis/Diskurs-Formation zitiert. 389 In dieser Studie ist bemerkenswert, dass bereits in den teils polemischen Bezeichnungen der Lebensstile ein bias zugunsten gesundheitsbewusster Milieus sichtbar wird: Den „Medienjunkies“, „TVGlotzer[n]“, „Stubenhocker[n]“ und „Computerfreaks“ werden „Gesundesser“ und „Sportaktive“ gegenübergestellt (ebd.: 7).

6.5 Zusammenfassung

247

Zusammenfassung Die Leitfragen für das vorliegende Kapitel lauten: In welche literalen Praktiken sind die Kinder der „Gruppe Blau“ involviert? Welche Artefakte, Räume und Rituale sind mit Literalität verknüpft? Inwiefern ist Literalität in der Kita alltagsintegriert? Welche Inhalte werden in diesen Praktiken transportiert, bei welchen Inhalten sind Eltern mit adressiert, und welche Praxis/Diskurs-Formationen resonieren in diesen Inhalten? Zunächst wurden kurz die einfachen (Farb-)Zeichen dargestellt, die die KitaRäumlichkeiten strukturieren und Eltern wie Kindern unabhängig von ihren Deutsch- oder Schriftkenntnissen zugänglich sind. Anschließend wurde das räumlich und zeitlich im Zentrum der Aktivitäten der „Gruppe Blau“ stehende komplexe „Mittagsritual“ dargestellt, das liturgische Literalität mit blödelnden Kinderliedern und -sprüchen verbindet und von den regulären Gruppenerzieherinnen angeleitet wird. Die verschiedenen Praktiken dieses Rituals resonieren in Diskursen zu Ernährungserziehung, früher religiöser und musikalischer Erziehung und Ritualen im Kindergarten. Literale Artefakte, wie z.B. Liedblätter, werden u.a. in rituelle Kontexte eingebunden. Wie in der Pädagogik der frühen Kindheit postuliert, überschneiden sich Bildungsbereiche. Performativitätstheoretisch analysiert, finden sich Ritualmerkmale und -funktionen wie ludische Inszeniertheit, Machtgebundenheit und Gemeinschaftskonstitution. Zudem bedingt die Homogenität von Ritualen eine kontextreduzierte und monologische Sprache, wie sie typisch für Literalität ist. Im Raum der „Gruppe Blau“ hat der PC-Tisch eine herausgehobene Position. Hier geschieht unter anderem eine Praktik früher Literalität (das Lesen eines Wortes) in einem multimodalen, dialogischen Kontext, wobei die Praktiken der Erzieherin, die sich einem einzelnen Kind zuwendet, an dialogisches Bilderbuchbetrachten zwischen Eltern und Kind erinnern. Hier werden Praxis/Diskurs-Formationen zu Medienpädagogik und Schulvorbereitung aufgerufen. Weitere literale Praktiken im Gruppenraum, die von Kindern teils selbst initiiert werden, teils von regulären Gruppenerzieherinnen begleitet werden, finden sich im Zeigen und Schreiben des eigenen Namens und Benennens einzelner Buchstaben mit Hilfe des Artefakts „Fenster der Vornamen“. Bilderbücher werden in von Kindern initiierten Praktiken als Waffe, Anlass zum Blödeln oder zum Erfinden eines Geschichtenfragments genutzt.

248

6 Literalität in der Kita

Von zusätzlichen Fachkräften angeleitete Literalitätspraktiken, die im Zusammenhang mit Bilderbüchern und Geschichten stehen, wirken personell wie räumlich aus dem pädagogischen Alltag ausgelagert. Von einem Kind mitgebrachte Bilderbücher werden nicht als familiäre Ressource wahrgenommen, sondern in die Garderobe verbannt. Vorlesesequenzen, durch Ermahnungen zur richtigen Buchbenutzung unterbrochen, finden in der Garderobe statt. Die Garderobe ist zeitweise auch Ort der „Bücherkiste“ als liminaler Raum zwischen Kita und Familie. Eine noch stärkere Trennung literaler Praktiken und Artefakte vom Kita-Alltag zeigt sich in Praktiken innerhalb der „Bücherei“, die freitags einer bestimmten Gruppe unter Aufsicht einer Sprachförderkraft zugänglichen ist. Diese Praktiken sind zu einem komplexen „Büchereiritual“ ausgeformt: Die Buchbenutzung ist nur nach dem Überschreiten vieler Schwellen und nach Anleitung durch das „Regelplakat“ möglich, dies verleiht den Büchern einen alltagsenthobenen Charakter. Stärkeres Gewicht als der Umgang mit Geschichten hat in der dokumentierten Sequenz das Abfragen, ob die Eltern den Kindern zu Hause vorgelesen haben. Hier wird die Annahme eines Defizits ‚bildungsferner‘ Eltern, die nicht vorlesen, deutlich. In der benachbarten Kirche werden biblische Geschichten durch eine Ehrenamtliche erzählt und im Teilen eines Brötchens visualisiert. Diese Sequenz ist räumlich und personell vom Kita-Alltag getrennt, aber thematisch vielfältig mit diesem verbunden. Dass alle Kinder ungeachtet ihrer Religion an der Unterweisung in der Kirche teilnehmen, führt zu einem Differenzdilemma. Das einmalig stattfindende Puppentheaterstück im Gemeindehaus wird durch Vorlesen in der „Gruppe Blau“ vorbereitet und damit an den Kita-Alltag angebunden. Im Puppentheaterstück selbst geschieht eine Mehrfachadressierung an Eltern und Kinder in der Hinführung auf gesundes Essen. Zwischen den einzelnen Stationen dieses Rundgangs bestehen Analogien: Literalität wird häufig mit Erziehung zum ‚richtigen‘ Umgang mit dem Artefakt Buch, mit Religionspädagogik und Erziehung zum ‚richtigen‘ Essen verknüpft. Die Prominenz dieser Themen könnte nicht nur mit dem kirchlichen Bildungsauftrag der Kita zusammenhängen, sondern auch mit einer pädagogischen Adressierung an die Eltern. Dass die Eltern bereits durch das Farbsystem der Kita, aber auch die Kontrolle ihres Vorleseverhaltens und ihre Ernährungserziehung in den Blick geraten, zeigt ein implizites Bild der Eltern als wenig Deutsch sprechend oder wenig schriftsozialisiert, nicht mit ‚bildungsbürgerlichen‘ Praktiken wie dem Vorlesen vertraut und als zu wenig in der Lage, ihrem Kind gesunde Ernährung nahezubringen. Im Sinn eines (sozial-)pädagogischen Versuchs einer Defizitkompensation, der an Familien ‚mit Migrationshintergrund‘ und aus der Unterschicht

6.5 Zusammenfassung

249

gerichtet ist, werden Eltern durch literale Praktiken in die Erziehungsbemühungen der Kita eingeschlossen.

Fazit

Zunächst werden im Fazit das Erkenntnisinteresse der Studie und seine Relevanz kurz rekapituliert. Anschließend werden Potentiale und Grenzen des methodischmethodologischen und theoretischen Zugangs reflektiert. Darauf folgt eine Zusammenfassung der Kernaussagen der Datenkapitel zu Mehrsprachigkeit und Literalität (Kap. 5 und 6). Hierbei werden Aspekte dieser Kapitel vergleichend zusammengeführt und mit Themen aus dem Theorieteil verknüpft. Abschließend werden Desiderata für weitere Forschungsarbeiten aufgestellt und Anregungen für die Praxis skizziert. Zum Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie Die vorliegende Arbeit widmet sich, in Anlehnung an ein von Diehm (2013: 13) formuliertes Desiderat, den Fragen390: Was geschieht in Praktiken in Bezug auf Mehrsprachigkeit und Literalität in einer Kindertagesstätte in einem von Migration und sozialer Segregation geprägten Stadtviertel? Welche literalen bzw. auf Mehrsprachigkeit bezogenen Artefakte werden in diesen Praktiken verwendet, und in welchen Diskursen resonieren diese Praktiken? Diese Fragen sind insbesondere angesichts der Forschungsdesiderate, die „black box“ des Kita-Alltags (Diehm 2013: 13) vertieft in den Fokus zu nehmen und zu erforschen, wie „Sprachbildung im Alltag der Kindertageseinrichtungen tatsächlich ausgestaltet wird“ (Schneider et al. 2012: 9), relevant. Die Bedeutung des Bildungsbereichs Sprache für die frühe Kindheit und spätere Bildungschancen kann dabei nicht hoch genug eingeschätzt werden (vgl. Schneider et al. 2012). Das Thema Mehrsprachigkeit ist hier besonders relevant, da trotz einer immer stärker von Migration geprägten Gesellschaft das deutsche Bildungssystem monolingual 390

Ausführlichere Unterfragen werden im Abschnitt zum Resümee der einzelnen Kapitel rekapituliert.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 E. Zettl, Mehrsprachigkeit und Literalität in der Kindertagesstätte, Inklusion und Bildung in Migrationsgesellschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-27031-5_7

252

7 Fazit

ausgerichtet ist (vgl. Gogolin 2010: 534 ff., Steinbach 2017: 76f.) und mehrsprachige Kinder Benachteiligungen hinsichtlich ihrer Bildungschancen erfahren (vgl. Thomauske 2017: 11 ff.). Literalität bildet ebenfalls einen zentralen Aspekt früher sprachlicher Bildung (vgl. Nickel 2014: 649), da unser Alltag literal geprägt ist und Literalität in der frühen Kindheit in den „intentionalen Erwerb von Schrift und die Teilhabe an Schriftlichkeit“ einmündet (ebd.). Reflexion des methodisch-methodologischen und theoretischen Zugangs Die vorliegende Arbeit verortet sich innerhalb kulturwissenschaftlicher, qualitativ orientierter Grundlagenforschung. Die gewählte Forschungsstrategie ist die Ethnographie, wobei die Auswertung mit Hilfe der (Reflexive) Grounded Theory unternommen wurde. Als theoretische Folien fungierten dabei v.a. Praxis- und Performativitätstheorie (vgl. ausführlich Kapitel 3 und 4). Im Folgenden werden zusammenfassend die Potentiale und Grenzen dieser Bezüge für diese Arbeit reflektiert. Auf methodisch-methodologischer Ebene wurde in der vorliegenden Studie ein von Isler und Knapp benanntes Desiderat aufgegriffen (2012: 13): Angesichts der Komplexität pädagogischen Handelns sollten im Kindergarten in Bezug auf Sprachliches „vermehrt ‚natürliche‘, nicht standardisierte Daten“ erhoben werden. Ethnographie als Forschungsstrategie bietet den Vorteil, solche Daten erheben und damit das „Wie“ des pädagogischen Alltags in den Blick nehmen zu können (vgl. Zinnecker 2000; Thole 2010; Thielen 2015). Die Flexibilität der Forschungsstrategie Ethnographie, die neben Notizen aus Teilnehmender Beobachtung auch Audioaufnahmen und den analytischen Einbezug von Artefakten wie dem „Buch“ der „Gruppe Blau“ oder Bilderbüchern ermöglichte, war für die Durchführung der Studie besonders hilfreich. Ethnographische Daten bieten sich zudem auch für die Analyse von Differenzkonstruktionen in pädagogischen Settings an (vgl. Diehm/Kuhn/Machold/Mai 2013), was in der vorliegenden Studie beispielsweise in Bezug auf Unterscheidungen zwischen verschiedenen Sprachen versucht wurde. Das Thema Bildungsungleichheit konnte in der vorliegenden Studie ohne einen Längsschnitt nicht direkt untersucht werden (vgl. ebd.). Die Thematik war jedoch bei der Auswahl des pädagogischen Feldes relevant und kann in weiterführenden Studien thematisiert werden. Eine der Stärken von Ethnographie ist es, die situative Herstellung von Differenzen in pädagogischen Settings zu beschreiben (z.B. Breidenstein/Kelle 1998; Diehm/Kuhn 2006 u.a.; Seele 2012), die potentiell ungleichheitsrelevant sind. In „Tiefenbohrungen“ konnten mögliche Ansatzpunkte zur Genese von Ungleichheit gezeigt werden, denen es in weiteren Studien,

7.2 Reflexion des methodisch-methodologischen und theoretischen Zugangs 253 etwa in ethnographischen Längsschnitten oder quantitativen Studien, nachzugehen lohnt (vgl. die Desiderata). Im ethnographischen Forschungsprozess wurde in der vorliegenden Arbeit auch die sprachliche Praxis ethnographischen Schreibens reflektiert. So spiegelt die Verfasstheit der vorliegenden Ethnographie auf Deutsch mit gelegentlichen Zitaten aus dem Englischen die Dominanz des Deutschen und die herausgehobene Position des Englischen als Prestigesprache im Feld wie in Diskursen über Bildung und in der deutschsprachigen erziehungswissenschaftlichen Forschung (vgl. auch Thomauske 2017: 347). Zudem ist die vorliegende Studie durch Textsortenkonventionen vorstrukturiert, etwa die „realist tales“ oder „confessional tales“ (vgl. Van Maanen 1988), die die möglichen Erkenntnisse im Rahmen dieser Konventionen einschränken. Auch die Metapher der „Befremdung der eigenen Kultur“, die in der ethnographischen Forschung häufig verwendet wird, birgt potentielle Reifizierungsrisiken (vgl. Diehm/Kuhn/Machold 2010). Was als „eigene Kultur“ definiert werden kann, ist in einem von Differenzkonstruktionen geprägten Feld eine problematische Festschreibung. Ist die „eigene Kultur“ das gesamte Feld des Kindergartens, vielleicht auch nur die der Erwachsenen oder die der Deutschen? Im ersten Fall kann von einer Nostrifizierung, im zweiten Fall von einem Othering gesprochen werden. Daher wurde diese Denkfigur in der vorliegenden Arbeit kritisch hinterfragt. Eine verstärkte Reflexion über Textualität, Metaphorik und Narrativität in der deutschsprachigen erziehungswissenschaftlichen Ethnographie wäre generell wünschenswert. Im anglophonen Raum wurde sie bereits u.a. durch die „Writing Culture“-Debatte (Clifford/Marcus 1986; Van Maanen 1988; Geertz 1967/1990, 1980) angeregt. Statt die historische Verwandtschaft von Literatur und Ethnographie verschämt zu leugnen (vgl. Geertz 1967/1990: 17), könnte eine stärkere Experimentierfreudigkeit mit verschiedenen Textsorten innerhalb des ethnographischen Schreibens gewinnbringend sein. Gerade in Forschungen über Sprache und Literalität ist die sprachliche Verfasstheit dieser Studien oft ein „blinder Fleck“ und könnte noch stärker reflektiert und bewusster ausgestaltet werden, was im Rahmen einer Qualifikationsarbeit nur bedingt möglich war. Humor wäre hierbei etwa ein Mittel, die Positionierungen der Forscherin im Feld oder die Spannungen zwischen verschiedenen Diskursen gleichzeitig selbstreflexiv und lesefreundlich darzustellen391.

391

In vielen ethnographischen Forschungen zeigen sich nicht nur komische Momente im Feld, sondern auch unfreiwillig komische Aspekte im Interpretieren der Daten, wenn z.B. das Gefälle zwischen den Sprachregistern im Feld und dem der wissenschaftlichen Deutungen zu hoch wird. Es wäre eine lesefreundliche und erkenntnisförderliche Möglichkeit, Humor ins wissenschaftliche Schreiben einfließen zu lassen, wie dies etwa bei Goffmans „Asylums“ (1961) geschieht (vgl. Fine/Martin 1).

254

7 Fazit

Die ethnographischen Daten wurden mit Hilfe der Forschungsstrategie Grounded Theory ausgewertet392. So ermöglichten Ethnographie und Grounded Theory durch die (relative) Offenheit ihrer Vorgehensweisen überraschende Entdeckungen jenseits vorgefertigter Hypothesen. Die Reflexive Grounded Theory nach Breuer (2010) bot neben dem Vorgehen der Grounded Theory nach Glaser und Strauss (1967/1998) folgenden Vorteil: Die Positionen der Forscherin in Bezug auf ihre eigene Biographie, Vorlieben und Abneigungen wurden im Forschungsprozess selbst und nicht nur im Feld immer wieder reflektiert. Dadurch wurden Reifizierungen, wenn nicht vermieden, so doch zumindest etwas eingeschränkt. Im Verlauf des Forschungsprozesses stellte sich jedoch heraus, dass der Nutzen der Reflexive Grounded Theory für die vorliegende Arbeit insofern begrenzt war, dass viele Erkenntnisse, die aus dieser Selbstreflexion gewonnen wurden, zu trivial oder zu persönlich für die Darstellung in der vorliegenden Arbeit waren. Zudem geschieht Selbstreflexion niemals voraussetzungslos, sondern wird immer durch Diskurse ethnographischen Schreibens wie den „confessional tale“ (Van Maanen 1988) vorstrukturiert. Sie wurde in dieser Studie auch ergänzt durch Aspekte differenzsensibler Ungleichheitsforschung, die Positionen der Forscherin z.B. in Bezug auf im Feld relevante Differenzlinien aufzuzeigen versuchte. Als theoretische Folien für die Interpretation wurden vor allem Praxis- und Performativitätstheorie gewählt. Ethnographie und Praxistheorie sind (vgl. Reckwitz 2003: 298) gut kompatibel, da sie u.a. die Sprachlichkeit von Praktiken in den Blick nehmen können. Ihre Kombination eignet sich generell für die Erforschung pädagogischer Alltagspraktiken (vgl. das Konzept der „Ethnographie des Pädagogischen“ (Thole 2010), die den Feldteilnehmenden reflexiv nicht unbedingt verfügbar sind und sich daher Methoden wie z.B. Interviews verschließen. Die Kombination von Ethnographie und Performativitätstheorie (vgl. Wulf/Zirfas 2006 u.a.) ermöglichte einen Fokus z.B. auf Rituale, die ein konstitutives Element des Kindergartenalltags darstellen (vgl. Kuhn 2013: 174ff.), gerade in Bezug auf sprachliche Rituale. Die Reichweite der Erkenntnisse der vorliegenden Studie ist insofern begrenzt, als sie, wie Studien in den eben genannten methodisch-methodologischen und theoretischen Paradigmen generell, auf der Mikroebene angesiedelt und nicht verallgemeinerbar oder reproduzierbar ist, sondern höchstens Vergleiche mit anderen Arbeiten ermöglichen kann (vgl. ausführlicher die Desiderata). Für die vorliegende Arbeit bieten sich z.B. die Arbeiten der Forscherinnengruppe um Diehm, Kuhn, Machold und Mai (2013 u.a.) an. Ein punktueller Bezug über die 392 Die Kombinierbarkeit beider Verfahren haben bereits zahlreiche Arbeiten gezeigt (vgl. Kuhn 2013: 31 für Studien, die Grounded Theory und Ethnographie kombinieren). Breidenstein, Hirschauer, Kalthoff und Nieswand (2013: 124ff.) subsumieren das Codieren mit Hilfe der Grounded Theory als Teil des ethnographischen Forschungsprozesses.

7.2 Reflexion des methodisch-methodologischen und theoretischen Zugangs 255 Mikroebene hinaus wurde durch das Konzept der Praxis-/Diskursformationen versucht, das pädagogische Praktiken in weitere Kontexte, etwa Diskurse über Mehrsprachigkeit oder Diskurse zu Gesundheit und stigmatisierten Milieus, stellte. Wo Praxis-/Diskursformationen einbezogen wurden, bestand zudem die Möglichkeit, nicht nur nach dem „Wie“, sondern auch nach dem „Warum“ sozialer Praktiken zu fragen. Hier sei ein weiteres Desiderat angefügt: Das Konzept der Praxis/Diskursformationen und der Resonanzen von Diskursen in Praktiken (vgl. Diehm/ Kuhn/Machold 2013: 644) war bislang empirisch noch kaum erprobt und könnte auch in einer praxis-/diskurstheoretischen Reflexion noch ausdifferenziert werden. Insbesondere könnte erkenntnisförderlich sein, inwiefern es verschiedene Formen der Resonanz gibt, etwa im Vergleich von direktiv angelegten Diskursen wie Gesetzen oder Lehrplänen zu weniger direktiven, aber dennoch wirkmächtigen Diskursen, z.B. über „gute Bildung“. Auch eine Präzisierung, wie weit eine Praxis-Diskursformation sinnvoll gefasst werden kann, um damit analytisch ertragreich arbeiten zu können, könnte in einer vertieften theoretischen Arbeit ertragreich sein. Welche ethischen Implikationen qualitative Forschung haben kann, reflektiert ein eigener Abschnitt. Der Erkenntnisgewinn qualitativer Forschung – hier folgt die vorliegende Arbeit der Ethikreflexion von Hammersley und Traianou (2012) – bildet einen intrinsischen Wert. Im Forschungsfeld geschahen situative Abwägungen dieses Werts mit extrinsischen Werten, vor allem zum Schutz von Forschungsteilnehmenden. Ein möglicher Nutzen für die Forschungsteilnehmer*innen kann nicht generell geplant werden. Zugleich bestand die Gefahr der Reifizierung durch Forschung, die etwa das Stigma des Stadtviertels fortschreiben könnte, oder ein geringes Risiko potentieller Nachteile für Feldteilnehmende. Diese wurden, so ist zu wünschen, durch den intrinsischen Wert des Erkenntnisgewinns aufgewogen. Zudem wurde versucht, das Reifizierungsrisiko durch die Reflexion der Positionierung der Forscherin auch im Austausch mit anderen Forschenden in Interpretationsgruppen und Kolloquien sowie auf Tagungen gering zu halten, auch wenn es nie völlig ausgeschaltet werden kann. Es wäre generell zu wünschen, dass eine vertiefte Ethikreflexion in die deutschsprachige qualitative Sozialforschung Einzug hält, nicht im Sinn eines Aufstellens starrer Richtlinien, sondern als situativ anzuwendendes und immer neu zu differenzierendes Instrumentarium zur Abwägung. Wann ist der Forschungsprozess am Ende angelangt? Die Unabschließbarkeit ethnographischer Forschung wird bei Amann und Hirschauer (1997a: 29) thematisiert: „Es geht in der Ethnographie gewissermaßen darum, sich – nachdem man etwas verstanden hat – noch mehr zu wundern (…) Dieser Prozeß des Befremdens ist im Prinzip unabschließbar: er entspricht der Bodenlosigkeit kultureller

256

7 Fazit

Phänomene.“ Die Schwierigkeiten dieser Bodenlosigkeit beschreiben Hammersley und Traianou (2012: 46f.:) “(…) research is ‘greedy’: it makes potentially unlimited demands upon its practicioners – there is no fixed end point intrinsic to it, and it can always be pursued in a variety of directions.”

Auf Grounded Theory bezogen schreibt Kuhn (2013: 39) in Anlehnung an Mey und Mruck 2007, für Qualifikationsarbeiten seien nur „Theorieskizzen“ leistbar. Wegen der Bodenlosigkeit qualitativer Forschung werden in den Desiderata Perspektiven für weitere Forschungsprojekte aufgezeigt. Zunächst werden jedoch die Interpretationskapitel überblicksartig zusammengefasst und Querverbindungen unter ihnen aufgezeigt. Resümee der Befunde der Interpretationskapitel Der folgende Abschnitt fasst die Erkenntnisse der Interpretationskapitel überblicksartig zusammen, ohne sie nochmals ausführlich zu diskutieren. Im Kapitel 5 zu Mehrsprachigkeit wurden folgende Fragen gestellt, die hier zusammengefasst werden: Welche Praktiken des Umgangs mit verschiedenen Sprachen in der erforschten Kita gibt es? Wie wird Mehrsprachigkeit in Artefakten repräsentiert, die in der Kita verwendet werden? Welche Differenzkonstruktionen und Dichotomisierungen im Umgang mit Sprachen werden sichtbar? In welchen Fällen werden Sprachen gar nicht thematisiert? Welche Selbstpositionierungen und Fremdzuschreibungen in Hinblick auf Sprachen erscheinen in den Daten? Wie verweisen die Praktiken und Artefakte auf übersituativ wirksame Diskurse zu Mehrsprachigkeit? Wie zeigt sich eine Praxis-/Diskursformation zum Umgang mit Mehrsprachigkeit im Kindergarten anhand der vorliegenden Daten? Die Analysen zeigen, dass auf Mehrsprachigkeit bezogene Praktiken und Artefakte die Komplexität der Sprachenvielfalt entlang der Dichotomie Deutsch/nichtDeutsch reduzieren. Diese Differenzziehung und die daraus folgenden praktischen Verwicklungen können als „Metanarrativ“ des Kapitels nach Atkinson (1992: 13) gelesen werden.

7.3 Resümee der Befunde der Interpretationskapitel

257

Im Artefakt „Buch“ der „Gruppe Blau“ wurde sichtbar, dass Kindern, die zu Hause verschiedene Sprachen, darunter Deutsch, sprachen, nur eine Sprache zugewiesen wurde, nämlich ihre (vermeintliche) nicht-deutsche „Muttersprache“. Pädagogische Praktiken im Umgang mit Mehrsprachigkeit waren auf den ersten Blick widersprüchlich. In Familien gesprochene Sprachen wurden verboten, ignoriert oder wertschätzend thematisiert, wobei das Sprechen des Deutschen nie angesprochen wurde. Diese Praktiken wurden in Resonanz zu verschiedenen und teils einander widersprechenden Praxis-Diskursformationen gedeutet: zu Mehrsprachigkeit besonders im Fall prestigeniedriger Sprachen als Defizit, zur Eingewöhnungsphase von neu in den Kindergarten gekommenen Kindern, für die die monolinguale Norm noch nicht galt, zu Deutsch als Norm, Englisch als Prestigesprache und zur Wertschätzung von Erstsprachen im Sinn Interkultureller Pädagogik. Zugleich resonierten sie in Diskursen zu kompensatorischer Sprachförderung, die familiäre Defizite beheben möchte. Alle diese Praktiken führten zu Differenzkonstruktionen, Fremdzuschreibungen und Selbstpositionierungen, die teils mit Hilfe von Artefakten geschahen, etwa einem deutsch-türkischen Bilderbuch. Die in die Praktiken involvierten Kinder nahmen dabei spielerisch selbst Fremdzuschreibungen und Selbstpositionierungen vor. „Englisch“ und „Türkisch“ waren dabei attraktive Selbstpositionierungen, „Spanisch“ galt als Sprache der „Anderen“. Sie ordneten so spielerisch zusammen mit den pädagogischen Professionellen und der Forscherin Äußerungen, Artefakten und Personen Sprachbezeichnungen zu, die teilweise nicht den tatsächlich gesprochenen Sprachen entsprachen, aber eine Wirkmächtigkeit als Zuschreibungen entfalteten. Die Bemühungen, die deutsche Sprache beizubringen und durchzusetzen, führten dabei zu einem paradoxen Effekt. Gerade dadurch wurden bereits in der frühen Kindheit „nicht-deutsche“ Identitäten konstruiert. Migrationspädagogisch kann hier von wirkmächtigen Zugehörigkeitsordnungen gesprochen werden (vgl. Mecheril/Thomas-Olalde/Melter/Arens/Romaner 2013: 27f.). Diese stellen Dominanzzusammenhänge her, in denen gesellschaftliche Zugehörigkeiten „gesetzlich, politisch und kulturell gegenüber anderen privilegiert sind“ (ebd.: 28). Zudem operieren Zugehörigkeitsordnungen meist, wie in den vorliegenden Daten, „mit einer exklusiven Logik“ (ebd.). Diese schreibt entweder eine „deutsche“ oder „türkische“ Identität zu. Mehrfachzugehörigkeiten (vgl. auch Mecheril 2010: 185f.) sind in dieser Denkfigur nicht vorgesehen. Im Kapitel 6 zu Literalität wurden folgende Fragen gestellt: Welche literalen Praktiken finden sich, in die Kinder der „Gruppe Blau“ involviert sind? Welche Artefakte, Räume und Rituale sind mit Literalität verknüpft? Inwiefern sind diese literalen Praktiken alltagsintegriert?

258

7 Fazit

Welche Inhalte werden in diesen Praktiken transportiert, bei welchen Inhalten sind Eltern mit adressiert? Welche Praxis-Diskursformationen resonieren in diesen Praktiken und Artefakten? Hier wurde die praxistheoretische Perspektive des vorhergehenden Kapitels durch performativitätstheoretische und in einigen Passagen raum- und zeichentheoretische Ansätze ergänzt. „Metanarrativ“ des Kapitels (vgl. Atkinson 1992: 13) war ein Weg durch verschiedene, mehr oder weniger zugängliche Räume auf der Suche nach literalen Praktiken. Zunächst wurde im Sinn der „social semiotics“ aufgezeigt, wie Farben als einfache, an Eltern und Kinder adressierte Zeichen das Kita-Gebäude strukturierten. Ein komplexes tägliches Mittagsritual verband liturgische Literalität mit Ernährungserziehung und Gemeinschaftskonstitution. Im Kita-Hauptraum fanden sich diverse literale Praktiken, die meist auf der Einwortebene angesiedelt waren: Am PC wurden einzelne Wörter gelesen, am „Fenster der Vornamen“ schrieben und lasen Kinder ihren Namen und es wurden Bilder in Bilderbüchern benannt. Die Garderobe als liminaler Raum zwischen Kita und Familie war ebenfalls Ort der Literalität. Beim Vorlesen in der Garderobe wurde deutlich, dass eher zum materialschonenden Umgang mit Büchern erzogen wurde, als dass Inhalte im Vordergrund stünden. An drei Orten, die Kindern nur punktuell zugänglich waren, fanden einzelne Literalitätspraktiken statt: In der „Bücherei“ gab es ein stark alltagssepariertes komplexes Ausleihritual, das die Kontrolle elterlichen Vorlesens mit einbezog, in der Kirche fand ein handlungsorientiertes Erzählen biblischer Geschichten statt und im Gemeindezentrum ein Puppentheater zur Ernährungserziehung. In allen literalen Praktiken wurde deutlich, dass der Fokus nicht auf Geschichten an sich, sondern ihren pädagogischen Inhalten bzw. auf korrekter Buchbenutzung lag. Im Sinne einer sozialpädagogischen Defizitkonstruktion und -kompensation wurden bei etlichen Praktiken Kinder und Eltern gemeinsam in den Blick genommen. Bei der mehrfach erscheinenden Ernährungserziehung zeigten sich Praxis-/Diskursformationen zu Unterschichtenfamilien zugeschriebener ungesunder Ernährung. Vergleichendes Fazit Die Themen Umgang mit Mehrsprachigkeit und Literalität sind potentiell ungleichheitsrelevant, da sie schulische sprachliche Bildung vorbereiten. Sie wurden

7.4 Vergleichendes Fazit

259

in den letzten Jahren in der Bildungspolitik, etwa in deutschen Bildungsplänen, und in der Forschung (vgl. die wegweisenden Arbeiten des Teams um Christmann/Graf/Hortsch/Panagiotopoulou (2010 u.a.)) in den Fokus genommen. Der folgende Abschnitt möchte in Bezug auf die vorliegende Arbeit Querverbindungen zwischen beiden Themenblöcken aufzeigen. Beim Vergleich der Kapitel zu Mehrsprachigkeit und Literalität fiel auf: Erstens betrafen etliche Praktiken Mehrsprachigkeit und Literalität, wobei die große Mehrheit der literalen Praktiken auf Deutsch geschah, ohne dass dies thematisiert wurde. Zweitens gab es zahlreiche Anknüpfungspunkte zwischen beiden Bündeln von Praktiken. Mehrsprachige literale Artefakte und auf diese bezogene Praktiken wurden, anders als Praktiken des Sprechens, niemals verboten, gleich in welchen Sprachen sie erschienen. Die Diskurse über Mehrsprachigkeit als Defizit schienen ihre Wirkung zu verlieren, sobald diese Mehrsprachigkeit schriftlich festgehalten wurde. Schrift als schulvorbereitendes, prestigehohes Medium schien auch prestigeniedrigen Sprachen eine unhinterfragte Existenzberechtigung zu geben. Praktiken im Umgang mit dem „Fenster der Vornamen“ als prominentem literalen Artefakt im Gruppenraum zeigten, dass Kinder verschiedener Familiensprachen sich mit ihren Namen im Lesen und Schreiben auseinandersetzen konnten, ohne dass eine Hierarchie von Sprachen oder eine Besonderung nicht-deutscher Sprachen sichtbar würde. Im Umgang mit anderen literalen Artefakten erschien eine Tendenz zur Dichotomisierung „Deutsch – nicht-Deutsch“. Diese folgt einer „exklusiven Logik“ (Mecheril/Thomas-Olalde/Melter/Arens/Romaner 2013: 28), wie sie charakteristisch für migrationsbezogene Zugehörigkeitsordnungen ist. Im Fall des Bilderbuchs „Sinan und Felix“ wurde von pädagogischen Professionellen, Kindern und der Forscherin thematisiert, wer ein „türkisches Kind“ sei, wobei diese Zuschreibung offensichtlich attraktiv für Kinder war. In Hinblick auf Schulvorbereitung wurde im Schreiben der „englische[n] Eins“, die „auch o.k. ist“, deutlich, dass im Kindergarten gelassener mit literaler Heterogenität umgegangen wurde als mit auf Mündlichkeit bezogener Heterogenität. Englisch zu sprechen wurde teilweise verboten, Englisch zu schreiben nicht. Angesichts der großen Mehrheit mehrsprachiger Kinder in der Gruppe war auch auffallend, dass es außer den Praktiken rund um das „Fenster der Vornamen“ eine überschaubare Zahl literaler Artefakte und Praktiken gab, die alle das Deutsche mit einbezogen. Kein Artefakt, das Kindern zugänglich war, verwandte ein anderes Alphabet als das lateinische, obwohl es Familien gab, in denen die arabische Schrift präsent war393. Das Bilderbuch „Sinan und Felix“ war das einzige 393

In Broschüren im Eingangsbereich, die an Eltern gerichtet sind, fanden sich allerdings auch die arabische und kyrillische Schrift.

260

7 Fazit

während des Feldaufenthalts verwendete mehrsprachige Bilderbuch, das Spiel mit der auch auf Englisch gedruckten Gebrauchsanweisung war wahrscheinlich nicht wegen seiner mehrsprachigen Anleitung im Feld vorhanden. Diese wurde eher zufällig thematisiert. Der Befund einer monolingualen Ausrichtung in der „Gruppe Blau“ gilt auch für schriftbasierte Artefakte und Praktiken. Dieser Befund ist nicht singulär, sondern wird durch die quantitative Studie von Jahreiß, Ertanir, Frank, Sachse und Kratzmann (2017) bestätigt, die Kitas mit einem hohen Anteil mehrsprachiger Kinder in süddeutschen Städten erforschen: Für diese Kitas wird konstatiert, dass es wenig mehrsprachiges Material (z.B. Bilderbücher, Hörmedien) gibt (vgl. ebd.: 449) und räumliche Arrangements und Informationspolitik weitgehend monolingual deutsch sind (ebd: 450). Für die vorliegende Studie zeigt sich zudem: Das Artefakt „Buch“ der „Gruppe Blau“, das nur von pädagogischen Professionellen eingesehen wurde, stellt ebenfalls eine Besonderung mehrsprachiger Kinder gegenüber nur Deutsch sprechenden dar. In den literalen Praktiken, die Inhalte von Geschichten transportierten, wurde ausschließlich das Deutsche verwendet, in allen ritualisierten literalen Praktiken ebenfalls. Nicht-deutsche Sprachen erschienen in Vorlesepraktiken im Thematisieren ihrer Aussprache („Gol oder goll?“), ihrer Adressiertheit an bestimmte Personen, im Thematisieren ihrer Schwierigkeit („da ist aber eure Sprache ganz schön schwer“), jeweils aus der Perspektive der deutschen Sprache gesehen. Dass jemand, der eine nicht-deutsche Familiensprache sprach, ein literales Artefakt vorgestellt hätte, geschah in den vorliegenden Daten nicht394. Zudem war auffallend, dass liturgische Literalität ausschließlich auf Deutsch stattfand und (mit Ausnahme der möglichen Gebetshaltung der Hände in einer Schale) ausschließlich christlich bzw. katholisch orientiert war, obwohl die Kinder mehrheitlich weder katholisch waren noch ausschließlich Deutsch sprachen. Sowohl Religion bzw. Konfession als auch Sprache waren die einer hegemonialen Minderheit (vgl. die Desiderata). Es wurden „Dominanzzusammenhänge“ (Mecheril/Thomas-Olalde/Melter/Arens/Romaner 2013: 28) sichtbar, wie sie für migrationsgesellschaftliche Zugehörigkeitsordnungen (vgl. ebd.) kennzeichnend sind: Sie privilegieren bestimmte Zugehörigkeiten gegenüber anderen, im vorliegenden Fall, indem sie ihnen Sicht- und Hörbarkeit verschaffen und andere (fast) unsichtbar und unhörbar lassen. Auf die Raumstruktur der Kita bezogen zeigte sich, dass die Garderobe Ort von Literalität und Mehrsprachigkeit war. Hier wurde, während Eltern kamen und gingen, ein deutsch-türkisches Bilderbuch vorgelesen. Am Übergang zwischen Familie und Gruppenraum lag der Raum, an dem Eltern ihre Familiensprachen sprachen, ohne dass diese verboten würden. Hier wurden die von einem Kind aus 394 Es wurde allerdings während des Feldaufenthalts von Plänen berichtet, mehrsprachige Eltern beim Vorlesen in der Kita einzubeziehen.

7.4 Vergleichendes Fazit

261

der Familie mitgebrachten Bücher abgelegt, die als Übergangsobjekte im KitaHauptraum nicht erwünscht waren. In diesem Raum stand zeitweilig die „Bücherkiste“, die den Transport von Büchern in die Familien ermöglichen sollte. Durch dieses „Spacing“ wurde deutlich, dass Mehrsprachigkeit und Literalität (zumindest in Form von Bilderbüchern) weniger im Kita-Alltag als in liminalen Räumen Platz fanden. Die Garderobe war dabei sowohl liminaler Raum als auch Raum für Mehrfachzugehörigkeiten (vgl. Mecheril 2010: 185), in dem das Deutsche und nicht-deutsche Familiensprachen einen Raum fanden und Kinder Familienkinder und Kindergartenkinder waren. In Bezug auf beide Themenfelder, Mehrsprachigkeit wie Literalität, konnte auch gezeigt werden, dass Praktiken im Umgang mit Sprachen und Literalität häufig von Förderkräften durchgeführt wurden, die nicht zum regulären Team gehörten, sondern stundenweise additive Förderung in administrativ hergestellten Kleingruppen und gesonderten Räumen betrieben. Diese Förderkräfte kannten die Kinder häufig nicht so gut wie die regulären pädagogischen Professionellen, was vereinfachende ethnisierende Konstruktionen wie die eines „türkischen Kindes“ begünstigte und zum eher alltagsfernen Charakter von Literalitätspraktiken beitrug. Mehrsprachigkeit und Literalität wurden so, durch „Spacing“ und Besonderung in Kleingruppen mit besonderen Förderkräften, vom Kita-Alltag getrennt, aber auch demonstrativ inszeniert, etwa in der Frage „Wer ist hier ein türkischer Junge?“. Im komplexen „Bibliotheksritual“ geschahen literale Praktiken erst nach dem Überschreiten diverser räumlicher und symbolischer Schwellen. Zudem war die „Bibliothek“ nur für eine Kleingruppe einmal die Woche zugänglich. In beiden Themenfeldern, Mehrsprachigkeit wie Literalität, zeigten sich zudem Praxis-/Diskursformationen, die Familien mit ‚Migrationshintergrund‘ bzw. Familien aus Unterschichten als defizitär sehen, ihre Ressourcen wenig in den Blick nehmen und sie zu Adressaten kompensatorischer pädagogischer Bemühungen machen (vgl. Diehm 2012). So wie Familiensprachen verboten wurden, wurden auch Bücher aus der Familie nicht in den Hauptraum mitgenommen. Das Essen wurde reglementiert – Weißbrot als Pausenbrot war verpönt, für Vollkornbrot wurde geworben – und elterliche Vorlesepraktiken wurden abgefragt. Es fand so eine kompensatorische Erziehung von Familien zu bildungsbürgerlichen deutschen Praktiken statt, sei es (teilweise) im Umgang mit Mehrsprachigkeit, sei es im Umgang mit Ernährung und Literalität. Dies alles kann im Kontext größerer Diskurse zu Defiziten von ‚bildungsfernen‘ Milieus und/oder Familien mit ‚Migrationshintergrund‘ gesehen werden. Generell wurde bei der Analyse von Praktiken, die Mehrsprachigkeit und/oder Literalität betreffen, deutlich, dass unterschiedliche Differenzziehungen vorgenommen wurden. In Bezug auf Literalität verliefen sie zwischen denen, die

262

7 Fazit

Artefakte wie eine Spielanleitung oder ein Liedblatt lesen konnten und denen, die es nicht konnten, im Sinn einer generationalen Differenzlinie, an deren Schwelle die Kindergartenkinder standen. Viele konnten schon ihren Namen erkennen und einzelne Buchstaben lesen, aber keine vollständigen Texte, und waren daher auf das Vorlesen durch Erwachsene angewiesen. In Bezug auf Mehrsprachigkeit verliefen sie komplexer: Hier erschien die Differenzlinie Alter ebenfalls (die jüngeren, neu in den Kindergarten gekommenen Kinder durften noch ihre Familiensprachen sprechen), aber es wurden auch Differenzlinien konstruiert zwischen denen, die (einsprachig) Deutsch sprachen und denen, die (vermeintlich) andere Sprachen sprachen. In einem Fall nahm ein Kind eine ethnisierende Zuschreibung entlang des Phänotyps Hautfarbe vor: „Du bist braun, du sprichst Spanisch“. Englisch als eine zusätzlich zum Deutschen familiär oder schulisch erlernte Prestigesprache wurde dabei teilweise anders behandelt als die Familiensprache Englisch, die in einer Sequenz verboten wurde. Eine intersektionale Überschneidung literaler und sprachbezogener Differenzkonstruktionen fand sich in der Behauptung eines einsprachig deutschen Kindes, es könne auf Englisch lesen und das sei schwierig. Hier schrieb sich das Kind eine eigentlich mit Schulerfahrung und/oder Englisch sprechender Familie zusammenhängende prestigehohe Fähigkeit zu. Aus der Perspektive von Kindergartenkindern verbanden sich Literalität und das Thematisieren nicht-deutscher Sprachen auch, indem sie spielerisch den Kindernamen auf den Rücken der Dokumentationsordner den Begriff „Spanisch“ zuordneten. Das Nicht-Verstandene – im Sinn des Nicht-Lesenkönnens wie des sprachlichen Nicht-Verstehens – wurde hier einer fremden Sprache zugeschrieben. Schließlich wurden Literalität und Mehrsprachigkeit Anlass zu Komik und Lachen durch Kinder. Sie fanden komische Aspekte in literalen Artefakten („Stinkunterhose!“) wie in Selbstpositionierungen entlang von Sprachen („Ich bin Englisch, du hast eine Unterhose an“). In diesen Sequenzen zeigte sich, dass Kinder Bedeutungen aktiv ko-konstruierten (vgl. Diehm/Magyar-Haas 2011: 221) und nicht nur unidirektional von pädagogischen Praktiken und Diskursen beeinflusst wurden. Desiderata Zunächst werden Desiderata vorgestellt, die die Erweiterung der vorliegenden Studie um neue Erkenntnismöglichkeiten vorschlagen. Anschließend werden Fragestellungen aus Erziehungswissenschaft, Linguistik und Fachdidaktiken skizziert, die in der vorliegenden Studie nur am Rand oder gar nicht behandelt werden konnten.

7.5 Desiderata

263

Ein erneuter Feldeintritt im selben oder einem strukturell vergleichbaren Kindergarten wäre ertragreich, da sich inzwischen Diskurse zu früher sprachlicher Bildung stärker zu alltagsintegrierter Bildung hin orientiert haben (vgl. Kucharz/Mackowiak/Beckerle/Knapp 2015). Inwieweit diese Diskurse nun verstärkt mit pädagogischen Praktiken resonieren, wäre eine Frage für eine eigene Arbeit. Zudem könnte untersucht werden: Wie hat sich durch die (unter anderem fluchtbedingte) Migration in den letzten Jahren die „linguistische Hyperdiversität“ im erforschten Kindergarten verändert? Wie wird mit der eventuell noch größeren linguistischen Komplexität pädagogisch umgegangen, möglicherweise auch unter Berücksichtigung neuerer Diskurse zu Migration? Das auf die Deutschschweiz bezogene laufende Projekt „MePraS“ (Mehrsprachige Praktiken von Kindern und Fachpersonen in Spielgruppen) (Isler/Kirchhofer/Brosziewski/Castelletto/Dursun: http://www.phtg.ch/forschung/forschungs abteilung/aktuelle-projekte/mepras, Abfrage 20.3. 2017) erforscht derzeit ethnographisch Praktiken sprachlicher Bildung im Alltag von Spielgruppen395 mit einem hohen Anteil mehrsprachiger Kinder. Zudem werden Orientierungen von Fachpersonen zu Mehrsprachigkeit und sprachlicher Bildung in einer Gruppenwerkstatt erhoben. Schlussfolgerungen aus dieser Studie werden vermutlich auch für das Generieren weiterer Fragestellungen zum Kita-Alltag in Deutschland relevant sein. Ein weiteres laufendes Projekt in Schweizer Kindergärten, „Alltägliche Vielfalt. Eine ethnographische Studie zum Umgang mit Heterogenität im Kindergarten (Sieber/Unterweger/Knoll/Maeder/Jaeger, https://phzh.ch/de/Forschung/ Forschung-auf-einen-Blick/ProjektDB/?idpr=380, Abfrage 19.5. 2017) untersucht allgemein, „wie die soziale und individuelle Heterogenität im integrativen Schweizer Kindergarten gehandhabt wird. Ein zentrales Augenmerk gilt dabei der Frage, wie die Kindergartenlehrpersonen vom ersten Kindergartentag an Kinder einschätzen und unterscheiden.“ Auch die Befunde aus diesem Projekt können Anregungen für weiterführende Studien über Herstellung von Differenz, auch migrationsbezogener Differenz, in Kindergärten sein. Eine weitere, zentrale offene Frage lautet: Sind die in den vorhergehenden Kapiteln dargestellten Praktiken und Artefakte für späteren Schulerfolg bedeutsam und können sie ggfs. zum Abbau von Bildungsungleichheit beitragen? Das Thema Bildungsungleichheit kann in der vorliegenden Studie, wie bereits erwähnt, nicht direkt untersucht werden, ist jedoch bei der Auswahl des pädagogischen Feldes relevant und kann in weiterführenden Studien thematisiert werden. Es gibt bislang noch zu wenig Forschung, um darzustellen, welche Praktiken sprachlicher 395 Das Projekt erforscht Deutschschweizer Spielgruppen. Diese sind nicht-obligatorische Angebote für Kinder von ca. 3-5 Jahren, die meist nur wenige Stunden pro Woche stattfinden. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen unterscheiden sich je nach Kanton.

264

7 Fazit

Bildung bzw. Literalität396 im Kindergarten unter welchen Bedingungen die Grundlage für schulischen Erfolg legen könnten. Deutschkenntnisse und erste Begegnungen mit Literalität gehören unzweifelhaft dazu. Aber welche Konsequenzen haben im Einzelfall das Türkischverbot im Kindergarten oder die administrative Konstruktion „nicht-Deutsch als Muttersprache sprechender“ Kinder für deren Schulerfolg? Inwiefern ist z.B. das „Mittagsritual“ mit seiner liturgischen Literalität für Literalität in der Schule relevant?397 Wieweit sind biblische Erzählungen auch für nicht-christliche Kinder motivierend, um schulrelevanten Wortschatz und Textverstehen vorzubereiten? Unter welchen Umständen sind im Gruppenraum frei verfügbare Bilderbücher eine Hilfe für Kinder, um das Geschichtenverstehen einzuüben? Was können Praktiken im Umgang mit einem PC-Programm zur Sprachförderung schulvorbereitend leisten, was nicht? Um festzustellen, welche Bildungsinhalte tatsächlich in den ersten Schuljahren relevant werden und wie sich die Konstruktionen von Kindern „nicht-deutscher Muttersprache“ durch pädagogische Professionelle und Artefakte auf die weitere Schullaufbahn auswirken, sind weitere (Längsschnitt-)Studien notwendig, die Kinder in Kindergarten und Schule in den Blick nehmen. Angesichts der hoch spezifischen sprachlichen Praktiken ist ihre Anschlussfähigkeit in der Schule gewinnbringend mit weiteren qualitativen Studien zu erforschen. Das „HeLiE“-Projekt (Christmann/Hortsch/Graf/Panagiotopolou 2010 u.a.) hat hier erste Schritte getan, die literalen und auf Mehrsprachigkeit bezogenen Praktiken im Kindergarten und ersten Schuljahr zu vergleichen. Auch die ethnographische Längsschnittstudie von Diehm, Kuhn, Machold und Mai (2013 u.a.), kann dazu beitragen, diese Befunde auf eine breitere Basis zu stellen. Sie untersucht die Alltagspraktiken pädagogischer Professioneller in Bezug auf Kinder mit und ohne ‚Migrationshintergrund‘, um ethnisch codierte Unterscheidungen und die Genese von Ungleichheit über einen längeren Zeitraum zu erforschen. Nicht als Längsschnitt angelegt, aber ebenfalls über den institutionellen frühpädagogischen Kontext hinausgehend wäre eine vergleichende ethnographische Untersuchung von Praktiken in Bezug auf Mehrsprachigkeit und Literalität in Kindertagesstätte und Familie. Sie könnte untersuchen, welche Anschlussfähigkeit bzw. Passungsschwierigkeiten zwischen beiden Lebenswelten erscheinen, mit dem Ziel, diese Passung noch stärker optimieren zu können. Die auf Schweizer Kinder bezogene ethnographische Studie von Isler, Künzli und Leemann (2010) 396 Gleiches gilt, wie bereits in Kapitel 3.7.4 erwähnt, in Bezug auf den Begriff „Bildungssprache“ und seine Konsequenzen für schulischen Erfolg. Dieser bedarf noch einer stärkeren konzeptionellen und empirisch fundierten Ausdifferenzierung (vgl. Nickel 2014: 647). 397 Papen (2018) sieht in ihrer Analyse religiöser literaler Praktiken an einer katholischen Grundschule diese als wertvoll für den Aufbau literaler Fähigkeiten an; für den deutschen Kontext fehlen solche Befunde noch, auch die vorliegende Studie erlaubt keinen solchen Schluss.

7.5 Desiderata

265

könnte hier Vorbild sein. Die laufenden und kürzlich abgeschlossenen Studien zu Kindertageseinrichtungen von Betz et al. (exemplarisch vgl. Betz/Koch/Mehlem/Nentwig-Gesemann 2016; Betz/Bischoff 2017) werden sicherlich ebenfalls Anregungen für weiterführende Forschungen geben. So erforscht das Projekt „SprachHabitus“ den Umgang von elementarpädagogischen Professionellen mit Anforderungen zur Sprachförderung von Kindern ‚mit Migrationshintergrund‘ (vgl. Betz/Koch/Mehlem/Nentwig-Gesemann 2016); das Projekt „Kinder zwischen Chancen und Barrieren. Wie Eltern, Kinder, Kita & Schule interagieren“ thematisiert unter anderem die „Konstruktion von Differenz von frühpädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtungen“ (so der Titel eines Aufsatzes von Betz/Bischoff 2017). An solche Studien anschließen könnten z.B. vertiefte Untersuchungen zur Konstruktion literalitätsbezogener Differenzen durch Fachkräfte, die mit Beobachtungsdaten zu Literalität in der Kita trianguliert werden. Mit entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen wäre auch die Ethnographie eines ganzen Stadtviertels wie „Heinrichsberg“ in Bezug auf mehrsprachigkeitsbezogene und literale Praktiken gewinnbringend, um die vielfältigen sprachlichen Praktiken von Kindern, z.B. in Kita, Familien, Schule und Tagesbetreuung, Freizeiteinrichtungen oder religiösen Bildungsorten, herauszuarbeiten. Die umfangreiche Studie „City Literacies“ (Gregory/Williams 2000) über Literalität und Mehrsprachigkeit in einem Londoner Viertel, das von Migration geprägt ist, könnte hier Vorbild sein. Aus migrationspädagogischer Perspektive wäre ein stärkerer Fokus auf Zugehörigkeitsordnungen (vgl. Mecheril/Thomas-Olalde/Melter/Arens/Romaner 2013: 27ff.), machtkritische Perspektiven (vgl. Dirim/Mecheril 2018) und Intersektionalität (vgl. Walgenbach 2012), wie er im vorliegenden Kapitel nur angedeutet werden kann, für eine weitere Studie gewinnbringend. Die Differenzlinien „Migrationshintergrund“ und „Bildungsferne“ wirken in den vorliegenden Daten eher unverbunden. Eine stärkere Verbindung oder Strukturanalogie zwischen beiden Kategorien kann durch Interviews mit pädagogischen Professionellen aufgezeigt werden, wie sie Betz und Bischoff (2017) vornehmen398 Unter einer Analyseperspektive auf Zugehörigkeitsordnungen könnten nicht nur sprachliche, sondern z.B. auch konfessionelle und religiöse Differenzkonstruktionen und ihre Intersektionen in den Blick genommen und damit der Zusammenhang von Macht und Zugehörigkeitsordnungen (vgl. ebd.: 28) stärker herausgearbeitet werden. Webers Konzept von Ethnizität als Beobachterkategorie zweiter Ordnung (vgl. Weber 1956/2009: 237; Diehm/Radtke 1999: 83f.), das Religion, Sprache, Hautfarbe, Nationalität und viele andere mögliche Kategorien einschließen kann, könnte hierbei erkenntnisleitend sein. Auch die Konstruktion bzw. Relevant398

Äußerungen von pädagogischen Professionellen zu diesem Thema können aus Datenschutzgründen, wie bereits erwähnt, nicht in die vorliegende Arbeit aufgenommen werden (2017).

266

7 Fazit

setzung von Differenzen entlang der Kategorien Geschlecht, Alter und Generation (vgl. Machold 2015: 72; zu Generation vgl. Kelle/Schweda-Möller 2018 sowie Honig 2018; zur Verbindung von Schrift und generationalem Ordnen vgl. Schnoor/Seele 2017) könnte in einer vertieften Arbeit stärker in den Fokus genommen werden. Das Thema religiöse Bildung in einem multireligiösen Umfeld, das in der vorliegenden Arbeit nur am Rande erwähnt wurde, könnte auch aus einer Perspektive der Erforschung religiöser Literalität, wie sie Rosowsky (2008) und Papen (2018) einnehmen, oder der Religionspädagogik vertieft werden. In den vorliegenden Daten erschien immer wieder das Thema häusliche Gewalt (vgl. Abschnitt 4.6). Es konnte wegen des Schwerpunkts der Arbeit auf Mehrsprachigkeit und Literalität kaum berücksichtigt werden, beeinflusste aber ebenfalls sprachliche Praktiken, etwa wenn ein Kind in einer Sprachfördersequenz erzählte, wie es zu Hause geschlagen wurde. Es wäre ein möglicher Schwerpunkt einer eigenen Arbeit, die Thematik von Sprechen, Körper und Gewalt bei Kindergartenkindern vertieft in den Blick zu nehmen. Auch das fast durchgehende Schweigen einzelner Kindergartenkinder während des Feldaufenthalts wäre ein fruchtbares Thema für eine eigene Studie. Erziehungswissenschaftliche Deutungen dieses Schweigens (vgl. Geiss/Magyar-Haas 2015) oder eher der Klinischen Linguistik entlehnte Analysen wären Aufgaben einer eigenen Arbeit. Aus spracherwerbstheoretischer bzw. deutschdidaktischer Perspektive könnten die Themen Mehrsprachigkeit und Literalität noch zum Aspekt der „language awareness“, also der Sprach(en)bewusstheit, die für den Erwerb der Schriftsprache als bedeutsam gilt, verknüpft werden. Der Kontakt mit mehreren Sprachen gilt als vorteilhaft für den Erwerb von „language awareness“ (vgl. Oomen-Welke 2003, Luchtenberg 2010). Da die vorliegende Arbeit jedoch nicht Modelle des Spracherwerbs, sondern pädagogische Praktiken in den Fokus nimmt, wäre eine Vertiefung Thema einer eigenen Arbeit. Ebenso könnte aus spracherwerbstheoretischer Perspektive ein Stufenmodell zum Literalitätserwerb, wie es etwa Nickel (2013) vorstellt, auf empirische Daten angewandt und ggfs. durch diese ausdifferenziert werden. Die laufende deutschdidaktische Studie „EmTik“ (Isler/Dinkelmann /Kirchhofer/Hefti 2018) zur Förderung mündlicher Textfähigkeiten durch pädagogische Professionelle in Schweizer Spielgruppen wird ebenfalls neue Erkenntnisse über Literalität im Vorschulalter generieren, die Anhaltspunkte für weitere ethnographischen Erkundungen bieten könnten. Ein stärker zeichentheoretischer, an den „social semiotics“ nach Jewitt und Kress (2003) orientierter Blick auf den Kindergartenalltag könnte dagegen helfen, auch nicht-literale Zeichensysteme und multimediale Zeichenkombinationen stärker in den Blick zu nehmen, wie dies in der vorliegenden Arbeit punktuell geschieht. Schließlich wäre ein medienpädagogischer Fokus auf den Kindergartenalltag angesichts der pädagogischen Praktiken am PC und dem häufigen Thema-

7.6 Anregungen für die Praxis

267

tisieren von Medienfiguren durch die in der vorliegenden Arbeit erforschten Kinder ebenfalls Aufgabe einer eigenen Studie. Anregungen für die Praxis Ziel dieser Studie ist Grundlagenforschung, nicht das Aufzeigen von best-practiceBeispielen. Es sei an dieser Stelle nochmals betont: Wenn die Arbeit auch gelegentlich das Brüchige und Widersprüchliche in Praktiken pädagogischer Professioneller aufzeigt (vgl. auch Kuhn 2013: 303f.), ist es nicht ihre Absicht, Handlungsmuster oder Haltungen einzelner Personen zu kritisieren, sondern Praktiken aufzuzeigen, die in komplexen Spannungsfeldern mit verschiedenen Diskursen resonieren. Die Konsequenzen elementarpädagogischer Praktiken für die weitere Schullaufbahn sind noch wenig erforscht und generell besteht noch ein „enormes Forschungsdesiderat“ (Kuhn 2013: 306) zum elementarpädagogischen Alltag. Zudem besteht bei Anregungen für die Praxis die Gefahr, dass „verkürzte oder simplifizierende ad-hoc-Maßnahmen“ ohne Berücksichtigung der komplexen Kontextbedingungen eingesetzt werden (Thomauske 2017: 346). Dennoch sollen in Anlehnung an Isler (2014: 361f.) Anregungen für die Praxis im Kindergarten aufgestellt werden, die sich auch auf weitere Studien z.B. von Diehm/Kuhn/Machold (2010 u.a.), Kuhn (2013), Isler (2014), Hortsch (2015) und Thomauske (2017) stützen. Diese Anregungen richten sich an Kita-Trägerverbände, die Entwicklung von Sprachlernkonzepten, Materialien zur Dokumentation, Curricula und Weiterbildungen wie auch an pädagogische Professionelle selbst399. In Bezug auf den Umgang mit Mehrsprachigkeit in der Kita wird bereits seit zwei Jahrzehnten gefordert, aktuelle linguistische und sprachdidaktische Erkenntnisse in Aus- und Weiterbildung400 pädagogischer Professioneller einfließen zu lassen (vgl. Thomauske 2017: 352, für aktuelle Forderungen Kratzmann/Jahreiß/Frank/Ertanir/Sachse 2017: 256; zum Aspekt Mehrsprachigkeit in aktuellen Curricula in Ausbildungen für Erzieher*innen vgl. König 2018: 579401). Zu 399

Thomauske (2017: 47f.) zeigt diskursanalytisch eine Verschränkung dieser Ebenen auf zwischen der Mesoebene der „Rahmenrichtlinien oder Curricula, Sprachlern- und -lehrkonzepte, Personalschlüssel oder Ausstattung“ und der Mikroebene des Umgangs mit Mehrsprachigkeit in Kitas. 400 Eine Studie über das Selbstverständnis elementarpädagogischer Fachkräfte (Betz 2017: 435) zeigt auf, dass etwa ein Drittel der befragten Fachkräfte generell den Wunsch nach Weiterbildung äußern; die Themen Sprachförderung (27%), Interkulturelle Pädagogik/Integration (21%) und Benachteiligung von Migrant/innen (19%) wünscht sich ein geringerer Teil der Befragten. 401 König (2018: 579) schreibt: „Allerdings zeigt sich bislang u.a. in der Querschnittaufgabe Sprachliche Bildung keine differenzsensible Haltung bezüglich pädagogischer Settings unter Einbeziehung von Mehrsprachigkeit.“ Kratzmann, Jahreiß, Frank, Ertanir und Sachse (2017: 239) stellen in ihrer

268

7 Fazit

ergänzen wäre, dass neuere migrationspädagogische Erkenntnisse ebenso berücksichtigt werden sollten402. Dabei sollte der Fokus auf bi- oder plurilingualen Spracherwerbsprozessen, der Reflexion von hierarchisierenden Unterscheidungen zwischen Sprachen (vgl. Dirim/Khakpour 2018: 215ff.) sowie den komplexen Fähigkeiten mehrsprachiger Kinder liegen. Dieses Desiderat ist bislang jedoch nicht ausreichend umgesetzt (vgl. ebd.;). Dabei wäre ein nicht-essentialisierendes Konzept von Ethnizität (vgl. Kuhn 2013: 94ff.) und seine Reflexion hilfreich, um differenzsensibles Handeln zu ermöglichen. Auch generalisierende Defizitannahmen in Bezug auf sozioökonomisch benachteiligte Familien oder weitere Konstruktionen von Heterogenität könnten stärker reflektiert werden, wie Betz und Bischoff (2017: 115) vorschlagen: „Hier können z.B. für Ausbildungskontexte Konzepte entwickelt werden, um Handlungs- und Denkmuster, z.B. diskriminierende Zuschreibungen, bewusster zu machen und für die fall- und situationsspezifischen Handlungsmuster von Eltern und Kindern zu sensibilisieren, die z.B. aus Distanzen im sozialen Raum entstehen“.

In Folge eines stärkeren Einbezugs wissenschaftlicher Erkenntnisse könnte auch ein Verbieten von Sprachen im Kita-Alltag der Vergangenheit angehören. Dieses Verbieten führt dazu, dass „eine gleichberechtigte Teilhabe an Bildungsprozessen von Anderssprachigen [Herv. i. O.] Kindern eingeschränkt wird, da sie sich nicht mit ihren gegebenen individuellen (sprachlichen) Mitteln in das Geschehen der Einrichtung einbringen können“ (Thomauske 2017: 356). Darüber hinaus führt das Abwerten anderer Sprachen als der deutschen zu einer „internalisierten Stigmatisierung“ (ebd.) von Familien, mit der möglichen Konsequenz, dass Kinder in der Kindertagesstätte schweigen (vgl. Thomauske 2017: 210 ff.; 356). Zu einer Aufhebung von Sprachenverboten gehört jedoch „die Bereitschaft, Macht und Kontrolle abzugeben und sich auf neues, bisher unbekanntes und bisweilen verunsicherndes Terrain zu begeben“ (ebd.: 362). Eine aus den eben genannten Befunden entwickelte Sensibilisierung pädagogischer Professioneller in Bezug auf monolinguale Normativität und reflektierten Umgang mit Mehrsprachigkeit wäre folgendes Konzept (vgl. Thomauske 2017: 359): Kinder und Erwachsene dokumentieren sprachliche Praktiken, in die KitaKinder involviert sind. Diese werden genutzt für Reflexion unter pädagogischen Professionellen (vgl. auch Kuhn 2013: 307), möglicherweise auch unter Einbezug von Kindern und Eltern, welche Konsequenzen der Umgang mit verschiedenen quantiativen Studie zu Einstellungen, Fachwissen und Biographien von elementarpädagogischen Fachkräften fest: „Wissen über Mehrsprachigkeit wird nach den vorliegenden Daten stärker über eine höher qualifizierende Berufsausbildung vermittelt“. 402 Als Desiderat für die Lehrer*innenbildung wird dies von Steinbach (2017) formuliert.

7.6 Anregungen für die Praxis

269

Sprachen im Kita-Alltag hat. Dies könnte auch eine mögliche linguistische SuperDiversität im Feld deutlicher aufzeigen und monolingualisierende Konstruktionen reduzieren. Solche Reflexionsräume wirken jedoch z.T. (noch) utopisch aus verschiedenen Gründen: zu wenig fehlende Zeit und Ressourcen, sprachliche Aspekte, möglicherweise auch Distanz zwischen Eltern und pädagogischen Professionellen aufgrund fehlender Anerkennung des jeweiligen Gegenübers (vgl. ebd.: 361). In Bezug auf den Umgang mit Literalität wären ebenfalls „strukturell verankerte Reflexionsräume“ (Kuhn 2013: 307; vgl. auch Mecheril 2010: 191) für pädagogische Professionelle hilfreich. Praktiken im Umgang mit dem „Fenster der Vornamen“ oder das „Mittagsritual“ ermöglichen bereits komplexe Begegnungen mit Literalität im Alltag. Eventuell könnten weitere literale Artefakte, etwa Bilderbücher, Storytelling-Apps oder Erzähltheater („Kamishibai“) im Kita-Alltag integriert werden, die komplexere narrative Praktiken ermöglichen. Das Präsentieren von Geschichten im Vorlesen oder freien Erzählen mit Visualisierung (vgl. die Kapitel 5 und 6) kann, wie die vorliegenden Daten gezeigt haben, auch in einer Gruppe mit heterogenen Deutschkenntnissen durchgeführt werden403. Es wäre auch wünschenswert, dass dies noch häufiger und stärker alltagsintegriert geschehen würde404. Literalität in Form von Geschichten oder Versen könnte dabei nicht nur Vehikel für sonstige pädagogische Zwecke wie z.B. Ernährungs- oder religiöse Erziehung oder die Erlangung von Kompetenzen sein, sondern einen ästhetischen Eigenwert genießen, der die Freude an der Sprache als Selbstzweck auch im Sinne von Humboldts Sprachphilosophie in den Mittelpunkt stellt (vgl. Wulf 2007a: 42). Was der Deutschdidaktiker Spinner (2008: 12) in Bezug auf ästhetische Bildung in der Schule schreibt, könnte auch für den Kindergarten gelten: „Wenn man der ästhetischen Bildung in der Schule einen Platz geben will, dann muss die ästhetische Erfahrung als ein Innehalten im zweckorientierten Tun, diesem Hauptgeschäft der Schule, möglich werden. Es muss ein ästhetisches Genießen geben dürfen ohne den Hintergedanken, dass etwas zu erarbeiten ist“.

Auch eine Reflexion im Team, ggfs. unter Einbezug des Trägerverbands, über Literalitätspraktiken im Kita-Alltag und über christliche liturgische Literalität in

403 Es wäre vermutlich auch gewinnbringend, das „Erzählbrücken“-Projekt (Naujoks 2018), das regelmäßiges szenisches Erzählen als literale Praxis mit neu zugewanderten Grundschulkindern praktiziert, auf Kitas auszuweiten und Begleitforschung dazu zu betreiben. 404 Auch größere personelle Ressourcen für eine vertiefte Kooperation zwischen Familien und Kita in Bezug auf Literalität wären wünschenswert. Für weiterführende Überlegungen zu Family Literacy vgl. Nickel (2010) und Isler (2014).

270

7 Fazit

Kindergruppen mit verschiedenen religiösen und konfessionellen Zugehörigkeiten wäre anzuregen. Zum Thema einer Verbindung von Mehrsprachigkeit und Literalität könnten noch stärker mehrsprachige oder nicht-deutsche literale Praktiken und Artefakte in den Alltag eingebunden werden. Auf Luxemburg bezogen beschreiben Christmann, Graf, Hortsch und Panagiotopoulou (2010) mehrsprachige Leseecken. Es wäre zu prüfen, inwieweit sich dieses Setting in den deutschen Kontext übertragen lässt. Das von Kuyumcu und Kuyumcu (2004) entwickelte Konzept für mehrsprachige Literalität in deutschen Kindergärten verbindet die Familienbildung von Eltern in Bezug auf Literalität mit einem engen Einbezug von Eltern in mehrsprachige literale Praktiken im Kindergarten (ausführlich zur Elternbildung in Bezug auf Literalität vgl. auch Nickel 2010). Unter Mithilfe von Eltern könnte z.B. auch kyrillische oder arabische Schrift im Gruppenraum sichtbar werden. Auffallend in den vorliegenden Daten ist, dass pädagogische Professionelle Literalität in Form von Reimen und Liedern ausschließlich auf Deutsch praktizieren.; Singen Kinder auf Englisch, Türkisch oder Portugiesisch, bleibt dies unkommentiert. An dieser Stelle könnten vorhandene familiäre literale Ressourcen noch stärker in den Kita-Alltag eingebunden werden, um eine stärkere Passung von Bildungsprozessen zwischen Familie und Kita zu erreichen (vgl. Isler/Künzli/Leemann 2010). Alle hier vorgebrachten Denkanstöße könnten dabei bereits in der elementarpädagogischen Ausbildung reflektiert und mit weiteren fachdidaktischen oder linguistischen Erkenntnissen verknüpft werden. Bei „ethnographischen Erkundungen des späteren Praxisfeldes“ (Kuhn 2013: 307) könnten spätere elementarpädagogische Professionelle zudem im Rahmen einer stärkeren Akademisierung und Forschungsorientierung ihres Berufs selbst wertvolle Reflexionsmöglichkeiten erhalten405. Eine zentrale Anregung für die Praxis betrifft die Ebene von Bildungspolitik und Kita-Trägern: Grundsätzlich war (s. das Kapitel zu Feldzugang) in der erforschten Kita zu beobachten, dass es einen ausgeprägten Personalmangel im Vergleich zum Bundesdurchschnitt gab (vgl. Statistisches Bundesamt 2015, https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Soziales/KinderJugendhilfe/KindertageseinrichtungenPersonalschluessel5225409159004.pdf?__blob =publicationFile, Abfrage 11.11.2016). Generell kann in Deutschland noch von einer „strukturellen Unterausstattung von Kindertagesstätten“ (Kuhn 2013: 307) 405 Bei solchen Anregungen ist jedoch immer zu bedenken, dass ohnehin ein großer Qualifizierungsund Legitimationsdruck auf frühpädagogische Fachkräfte im Zug der Orientierung der Frühpädagogik auf Bildung hin besteht, wie Starke (2018) kritisch schreibt. Es erscheint dilemmatisch, einerseits stärkere Forschungsorientierung und bessere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu fordern und zugleich nicht diejenigen als defizitär darzustellen, die diese Möglichkeiten verstärkt nutzen sollen.

7.6 Anregungen für die Praxis

271

gesprochen werden. Auf das Forschungsfeld bezogen zeigte sich: Während langer Krankheitszeiten gab es keine Vertretungen, so dass allein aus diesem Grund kaum Zeit für gezielte sprachliche Bildung und Reflexion pädagogischer Praxis blieb. Zugleich waren viele Förderkräfte und Ehrenamtliche punktuell in der Gruppe tätig, ohne dass es Zeit für Teamkommunikation gegeben hätte. Dies führte zu Fehleinschätzungen, wie im Fall der Konstruktion eines „türkischen“ Kindes und zu einem Nebeneinander verschiedener pädagogischer Konzepte im Umgang mit Mehrsprachigkeit. Ebenfalls auf der Ebene des Trägers und der Bildungspolitik wäre es dringend geboten, den Betreuungsschlüssel pro Kind generell zu erhöhen (vgl. Bock-Famulla/Keinert 2014 im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung) und mehr bezahlte Zeit für Teamreflexion (vgl. den vorigen Abschnitt)406 und Elterngespräche zur Verfügung zu stellen. Mit mehr regulärem Personal könnte alltagsintegrierte sprachliche Bildung (vgl. z.B. Kucharz/Mackowiak/Beckerle/Knapp 2015) intensiver betrieben werden. Bislang stehen die bildungspolitischen Forderungen an eine herausgehobene Rolle des Kindergartens in Bezug auf Chancengleichheit und Sprachförderung auch in keinem Verhältnis zur „eklatanten Unterbezahlung“ (Kuhn 2013: 307) und manchmal gesundheitsschädlichen mangelnden Gratifikation407 elementarpädagogischer Professioneller. Zusammenfassend gesagt ist eine dreifache Aufwertung notwendig: Erstens wäre zu hoffen, dass die familiär mitgebrachten Ressourcen von Kindern – ihre Mehrsprachigkeit, ihre literalen Praktiken und Artefakte – aufgewertet und Familiensprachen nicht mehr verboten werden. Zweitens sollte Literalität, insbesondere in Form von Geschichten, im Kindergartenalltag stärker verankert werden. Dabei wäre zu wünschen, dass die Freude an einer Geschichte, an Liedern und Versen (auch in verschiedenen Sprachen) und das kreative Mitgestalten durch Kinder auch als Selbstzweck ihren Platz haben könnten. So schreibt der Elementarpädagoge, Kinderbuchautor und Geschichtenerzähler Lorenz Pauli (2017: o.S., http://www.mupf.ch/philosophie, Abfrage: 4.1. 2017): „Sprache soll nicht nur Werkzeug oder Transportmittel sein, sondern auch ein Spielzeug. (...) Geschichten sollen Spass machen. Pädagogische Absichten stehen hinten

406 Ein weiterer Aspekt, der sich zwar nicht auf sprachliche Bildung bezieht, aber im Feld als sehr relevant erschien, ist folgender: Für als belastend erlebte Situationen, z.B. in Teamkonflikten, im Umgang mit Eltern oder in der Frage, wann das Jugendamt z.B. bei Verdacht auf häusliche Gewalt informiert werden sollte, wäre eine Supervision für das Team oder einzelne pädagogische Professionelle ggfs. hilfreich gewesen. Auch hierfür fehlten leider Zeit und Ressourcen. 407 Eine Studie von Viernickel, Voss, Mauz, Schumann und Gerstenberg (2013) in Bezug auf die Gesundheit pädagogischer Professioneller in Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen zeigt auf, dass diese ein erhöhtes Krankheitsrisiko unter anderem aufgrund mangelnder Gratifikation haben.

272

7 Fazit an. Und Geschichten dürfen auch mal einen anderen Ausgang nehmen, als ich ihn eigentlich geplant habe. Denn die Kinder sind Teilhaber [Herv. i. Orig.].)“

Drittens ist eine professionsbezogene Aufwertung dringend notwendig: Elementarpädagogische Professionelle sollten von professionalisierter Aus- und Weiterbildung zu sprachlicher Bildungsarbeit profitieren, die aktuelle Forschungen berücksichtigt (vgl. Nickel 2014: 655). Sie sollten bessere Arbeitsbedingungen in Hinblick auf die Gruppengröße erhalten, mehr bezahlte Zeit für Aufgaben wie Teamkommunikation und -reflexion haben und größere finanzielle und soziale Anerkennung erfahren.

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