Mehr als tönende Luft: Politische Echowirkungen in Lied, Oper und Instrumentalmusik [1 ed.] 9783412509996, 9783412509217

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Mehr als tönende Luft: Politische Echowirkungen in Lied, Oper und Instrumentalmusik [1 ed.]
 9783412509996, 9783412509217

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JOST HERMAND

MEHR ALS TÖNENDE LUFT

Politische Echowirkungen in Lied, Oper und Instrumentalmusik

Jost Hermand

Mehr als tönende Luft Politische Echowirkungen in Lied, Oper und Instrumentalmusik

2017 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Das Notenbeispiel stammt aus dem „Rosenkavalier“ von Richard Strauss. © 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Textbaustelle, Berlin Druck und Bindung: Finidr, Cesky Tesin Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50921-7

Inhalt

Vorbemerkung

Zum Problem des „Politischen“ in der deutschen Musik . . ..........

7

Von Gottsched bis Gervinus

Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik .. ........................... 12 „Komponieren: heißt das nicht Handeln bei Ihnen?“

Die Zielutopie in Beethovens Symphonien ................................... 29 Viermal Leonore

Beethovens Bemühungen um die Oper .......................................... 39 Zersungenes Erbe

Zur Geschichte des Deutschlandlieds (1842) ................................... 58 Die unmusikalische Revolution

Berlin, 1848/49 ..................................................................................... 76 Angemaßte oder wahre Größe?

Zur Musik der Gründerzeit ............................................................... 95 Unterschwellige Ideologieanklänge

Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889) ................................................ 112

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Inhalt

Karl Kraus und Georg Knepler

Die Offenbachiaden . . .......................................................................... 128 „Wir arme Leut“

Manfred Gurlitts Wozzeck (1926) ..................................................... 145 Anpassung oder Widersetzlichkeit?

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935) .. ..................................... 157 Vom Biblischen Weg (1927) zum Survivor of Warsaw (1947)

Arnold Schönbergs zionistische Wende .......................................... 174 In der Fremde

Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts HollywoodElegien (1942) ........................................................................................ 194 „Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher)

Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen Deutschen Demokratischen Republik (1945–1965) ........................................... 213 Der sich als unpolitisch verstehende „Modernismus“ in der E-Musik der frühen Bundesrepublik

Karlheinz Stockhausens Gruppen für 3 Orchester (1958) ............... 229 Gedoppelte Mimesis

Georg Lukács’ materialistische Musikästhetik (1963) ................... 243 Anmerkungen ...................................................................................... 263 Personenregister ................................................................................. 293

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Vorbemerkung Zum Problem des „Politischen“ in der deutschen Musik

Wenn in Deutschland heutzutage überhaupt noch von „politischer Musik“ gesprochen wird, dann meist nur im Rückblick auf jene eindeutig rechts- oder linksengagierten Lieder und Märsche, die in „unserem postheroischen Zeitalter“, wie es gern heißt, jede „eingreifende“ Relevanz verloren hätten. Damit meint man einerseits die patriotisch anfeuernden Lieder der Befreiungskriege wie „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“ und „Lützows wilde, verwegene Jagd“, wilhelminische Triumphgesänge wie „Heil dir im Siegerkranz“ und „Stolz weht die Fahne Schwarz-Weiß-Rot“ oder das nazifaschistische Horst-Wessel-Lied „Die Fahne hoch“, andererseits die kommunistische Internationale „Völker, hört die Signale“, Arbeiterlieder wie „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ oder die Rote Kampfmusik der späten zwanziger Jahre. All das wird – ohne noch groß auf die ideologischen Unterschiede derartiger Lieder einzugehen – meist über einen Kamm geschoren und teils zu Recht, teils zu Unrecht als chauvinistisch, totalitaristisch oder schlechthin undemokratisch angeprangert, da es in seiner gemeinschaftsbetonten Einstellung gegen das Prinzip des persönlichen Durchsetzungsdranges des Einzelnen in der gegenwärtigen als pluralistisch ausgegebenen Market Driven Society verstoße.

7

Vorbemerkung

So viel zur unteren Ebene musikalischer Ausdrucksformen, in denen das Politische so unverhüllt wie nur möglich in Erscheinung tritt, ja sich geradezu plakativer Mittel bedient. Doch damit erschöpft sich das Problem des „Politischen“ keineswegs. Schließlich gab es in der Vergangenheit auch auf der höheren Ebene der Musik genug Lieder, Opern und Instrumentalwerke, die sich in aller Offenheit zu politisch eingreifenden Tendenzen bekannten und sich deshalb im Gegensatz zu vielen der älteren Politlieder und Marschgesänge wegen ihrer musikalischen Qualität und fortschrittlichen Gesinnung nicht von vornherein disqualifizieren lassen. Im Hinblick auf sie bedient man sich demzufolge – ob nun bei Aufführungen von Mozarts adelskritischer Hochzeit des Figaro und seiner aufklärerisch gemeinten Zauberflöte, Beethovens Eroica und seiner im Geist der Französischen Revolution entworfenen Fidelio-Oper, Schuberts Winterreise sowie mancher Wagner’schen Musikdramen – lieber einer Reduzierung ins Individualpsychologische oder auch Erotisierung, um sie im Sinne der verbreiteten Posthistoire-Stimmungen in der als überzeitlich hingestellten Gefühlswelt der gegenwärtigen Eventgesellschaft anzusiedeln, in der alles von vornherein ins Private und damit Subjektive zu tendieren scheint. Doch Bemühungen dieser Art betreffen letztlich nur jene E-Musik, die – prozentual gesehen – im heutigen Kulturbetrieb ohnehin eine kaum noch beachtete Rolle spielt. Was dort den Ton angibt, sind weder die früheren Politgesänge, die lediglich in der Achtundsechziger-Bewegung eine kurzlebige Beachtung fanden, die älteren symphonischen oder kammermusikalischen Werke, die ehemals hochgeschätzten Opern, die religiös gestimmten Kantaten und Choräle sowie die zum Teil noch klassenspezifisch orientierten Volkslieder, sondern fast ausschließlich motorisch antreibende Rockmusikrhythmen oder irgendwelche Silly Love Songs, in denen es in öder Wiederholung stets um die gleichen Glücks- oder Trauermomente jener zusehends außengelenkten Einzelmenschen innerhalb einer anonymen Massengesellschaft geht, die sich trotz der mehr oder minder gleichgeschalteten Konsumorientierung weiterhin als höchst unterschiedliche Subjekte fühlen sollen. 8

Zum Problem des „Politischen“ in der deutschen Musik

Wo im Hinblick auf ein derartiges mit viel Schlagzeug- und Gitarrengeklimper untermaltes Gesinge überhaupt noch theoretisiert wird, stellen systemkonforme Musikjournalisten diese zusehends immer schematischer werdende U- oder Popmusik meist als Ausdruck jener Ideologie der Ideologielosigkeit hin, die aufgrund der seit 1989 in ganz Deutschland durchgesetzten neoliberalen Demokratiekonzepte auf alle als überspannt hingestellten politischen Alternativvorstellungen getrost verzichten könne. Doch mit Behauptungen dieser Art entlarven sich solche Theoretiker – gesellschaftskritisch gesehen – lediglich als systemkonforme Vertreter eines populistischen Demokratieverständnisses, die trotz der weiter bestehenden sozialen Ungleichheit innerhalb der neuen Bundesrepublik1 an der Ideologie jener nivellierten Mittelstandsgesellschaft festzuhalten versuchen, die angeblich längst zu dem von Ludwig Erhard bereits in den fünfziger Jahren verkündeten „Wohlstand für alle“ geführt habe.2 Die Repräsentanten einer solchen Haltung sprechen daher im Hinblick auf die heutige Bundesrepublik nicht mehr von einer in verschiedene Klassen aufgespaltenen Arbeitsgesellschaft, sondern fast nur noch von einer homogenen Erlebnisgesellschaft,3 in der sich alle Menschen im Rahmen der sich ständig erweiternden Freizeit den ihnen von den populären Massenmedien gebotenen Sportsendungen, Krimis sowie der unaufhörlich dudelnden Popmusik hingeben könnten. Und die Fernseh-, Video- und Musikindustrien tun das Ihrige, diesem Trend so profitgierig wie nur möglich nachzukommen, um mit Hilfe neuer technischer Erfindungen immer mehr Menschen in ihren Bann zu ziehen.4 Das wird zwar von fast niemandem mehr als „politisch“ verstanden, führt aber in seiner massenmedialen Auswirkung durchaus zu jenen pseudodemokratischen Gleichheitsgefühlen, mit denen die meinungsbeeinflussenden Trägerschichten der herrschenden Kulturszene irgendwelche sozialen Unmutsgefühle von vornherein verhindern wollen.5 Und was wäre „politischer“ als das? Welche Folgen das für die sogenannte E-Musik im Rahmen des heutigen Kulturbetriebs hatte, ist nur allzu offensichtlich. Sowohl die ältere, meist als „klassisch“ ausgegebene Instrumentalmusik als auch 9

Vorbemerkung

die seit den zwanziger Jahren entstandene „neutönerische“ E-Musik sind durch den Siegeszug der mechanisierten Popmusik immer stärker ins Abseits geraten. Die traditionellen Symphoniekonzerte sowie ihre Wiedergabe im Rundfunk und im Internet haben zwar nicht aufgehört,6 bewirken aber in der Öffentlichkeit nicht mehr jenes Aufsehen, das sie früher einmal erregten. Schließlich ist in diesem Bereich seit fast 100 Jahren kaum noch etwas entstanden, was die daran interessierten Schichten ebenso akzeptabel wie die Instrumentalmusik des 17. bis 19. Jahrhunderts finden. Doch auch die sogenannte klassische Musik verliert allmählich ihre gesellschaftliche Relevanz. Eine immer kleiner werdende gesellschaftliche Schicht hört sie zwar noch, erfreut sich an ihrem Wohlklang und ihrer Gemütstiefe, aber ohne sich noch groß Gedanken darüber zu machen, welche zweckdienlich unterhaltende oder gesellschaftlich aufputschende Funktion diese Art von Musik einmal im höfischen, klerikalen und bürgerlichen Musikleben gespielt hat. Was dadurch – von einigen musikhistorisch gebildeten Hörern und Hörerinnen einmal abgesehen – bei der Wiedergabe derartiger Werke heutzutage wahrgenommen wird, sind weder die anpassungsbereiten Tendenzen ins Feudalistisch-Aristokratische, die obrigkeitsfrommen bzw. in eine resignative Innerlichkeit ausweichenden Intonationen des Religiösen, die aufmüpfigen Ausdrucksgebärden des progressiv gesinnten Bürgertums, die ins Maßlose ausgreifenden Attitüden sich als genialisch dünkender Außenseiter noch der rebellische Charakter jener für die Armen und Entrechteten eintretenden Kompositionen, sondern weitgehend jene Wohlklänge, denen zwar als tief empfundene, aber letztlich unbestimmte Gemütsstimmungen zugrunde liegen zu scheinen. Und damit ordnet sich selbst die ältere Instrumentalmusik in jenes sich als unpolitisch verstehende Konzertwesen ein, in dem – unter Absehung irgendwelcher inhaltlich fassbaren Intonationen – die gleiche gesellschaftliche Irrelevanz herrscht, die sich im Zeichen der allerorts verkündeten Posthistoire-Stimmungen in fast allen Kunstformen der sogenannten Nachmoderne verbreitet hat. Dennoch wird 10

Zum Problem des „Politischen“ in der deutschen Musik

diese sich als „klassisch“ verstehende E-Musik von bestimmten, meist älteren Schichten des gebildeten Mittelstands zum Teil noch immer rezipiert. Weitgehend „out“ ist dagegen jene „neutönerische“ Musik, die in den zwanziger Jahren und dann noch einmal in der frühen Bundesrepublik ein nicht unbeachtliches Aufsehen erregte. Sie ist diejenige Musik, die heutzutage wegen ihrer Atonalität, Melodielosigkeit, ja ins Bizarre übergehenden Klangwelt fast niemand mehr hören will.7 Wie die bildende Kunst, wo auf der angeblich höheren Ebene fast alles in Form von Abstraktionen, Installationen, Landart-Gebilden und Videospielereien ins Bedeutungslose überzugehen droht,8 hat daher auch die E-Musik gegenwärtig einen gesellschaftlich irrelevanten Nullpunkt erreicht. Sie existiert zwar noch als Nischenprodukt, ob nun als einzelpersönlich aufgefasstes „Kulturelles Erbe“ oder als Schwundform eines elitären Modernismus bzw. Postmodernismus, löst aber im Hinblick auf die Gesamtgesellschaft keine eingreifenden Tendenzen mehr aus. So betrachtet ist sie ebenso einflusslos geworden wie die meisten Werke der gegenwärtigen E-Literatur oder der sogenannten Kunstmarktkunst. Wie dem – angesichts der überwältigenden Dominanz der U- oder Popmusik – entgegenzusteuern wäre, zeichnet sich bisher nirgends ab. Allerdings bedürfte es dazu nicht nur einer Reihe neuer musiktheoretischer Überlegungen, sondern auch neuer Gesellschaftsvorstellungen, wie eine wahrhafte Demokratie durchzusetzen wäre, in der sich auch im Kulturleben eine die vorgebliche Ideologie der Ideologielosigkeit überwindende Gesinnung verbreiten würde, die sich eine kulturelle Höherbildung aller in diesem Staat nicht nur lebenden, sondern zugleich sozial gleichgestellten und bildungsberechtigten Bürger und Bürgerinnen zur Aufgabe machen würde. Erst dann könnte auch die Musik, und zwar in allen ihren Formen, wieder im besten Sinne gesellschaftlich bedeutungsvoll werden.

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Von Gottsched bis Gervinus Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik

I

Trotz der überwältigenden Fülle an weltlicher und geistlicher Musik, die bereits im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im 17. Jahrhundert komponiert wurde, und trotz der hohen Qualität, welche diese Musik in Satztechnik und Affektbehandlung auszeichnet, haben die maßgeblichen Kunstrichter dieser Ära ihr, falls sie überhaupt auf sie eingingen, in der „Hierarchie der Künste“ stets den untersten Platz angewiesen. Ja, selbst noch im 18. Jahrhundert, als die musikalischen Darbietungsformen an Quantität und Qualität ständig bedeutsamer wurden, änderte sich das Verhalten der offiziellen Ästhetik in dieser Hinsicht nicht viel. Die führenden Theoretiker nahmen zwar die zeitgenössische Musik immer stärker wahr, betrachteten jedoch ihre verschiedenen Gattungen weiterhin vornehmlich als Produkte einer handwerklich ausgeführten Fertigkeit, die sich mit den genialisch inspirierten Werken von Dichtern oder auch Malern nicht vergleichen lassen. Diese Haltung geht vor allem auf zwei Beweggründe – eine sozioökonomische und eine kunsttheoretische – zurück, die zwar aufs Engste miteinander korrespondieren, aber im Folgenden um der größeren Klarheit halber nacheinander behandelt werden sollen.

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Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik

Um mit dem ersten Aspekt zu beginnen: Während sich manche Dichter wie etwa Martin Opitz oder Daniel Casper von Lohenstein bereits im 17. Jahrhundert eines hohen gesellschaftlichen Ranges erfreut hatten, wurden fast alle Komponisten dieser Ära von ihren höfischen oder kirchlichen Auftraggebern weitgehend als in ihren Diensten stehende Notenverfertiger eingeschätzt, von denen sie als Hofkapellmeister oder Kantoren vornehmlich eine für ihre Festivitäten oder Gottesdienste „gebräuchliche“ Musik erwarteten. Und die meisten Komponisten kamen dieser autoritären Anforderung auch nach, indem sie in immenser Arbeitsleistung unentwegt neue Werke aufs Papier brachten, die nicht für ihren eigenen Ruhm oder eine bereits ins Auge gefasste Nachwelt gedacht waren, sondern lediglich den erwünschten hoheitlichen Ansprüchen genügen sollten. An dieser Situation änderte sich auch im 18. Jahrhundert nicht viel. So werden etwa Ignaz Jakob Holzbauer – neben unzähligen anderen Werken – über 200 Symphonien zugeschrieben. Auch Johann Sebastian Bach, der bedeutendste protestantische Kantor des frühen 18. Jahrhunderts, komponierte noch 216 geistliche Kantaten und über 246 Orgelwerke. Ja, Christoph Graupner verfertigte für die Darmstädter Schlosskirche sogar 1418 Kantaten. Selbst nach der Jahrhundertmitte, als in größeren Handelsmetropolen wie Leipzig und Hamburg eine gewisse Verbürgerlichung des Musiklebens einsetzte,1 komponierten Johann Joachim Quantz für Friedrich den Zweiten von Preußen noch 300 Flötenkonzerte und Franz Joseph Haydn für den Fürsten Nicolaus von Esterházy in Eisenstadt noch 24 Opern, 126 Barytontrios, 68 Streichquartette und über 100 Symphonien, um ihrer Stellung als Hofmusiker nachzukommen. Auch der junge Wolfgang Amadeus Mozart musste sich im Dienst des Salzburger Fürstbischofs Hieronymus von Colloredo noch mächtig dranhalten, um das von ihm verlangte Komponier- und Aufführungspensum zu befriedigen. Ja, als er nach mehr Freizügigkeit und Anerkennung verlangte, nannte ihn der damals amtierende Fürstbischof einen „liederlichen Kerl“ und forderte ihn auf, „sich weiter zu scheren“. Ein solcher Notenverfertiger war für „Seine Hoheit“ noch ein Domestik und kein Künstler, 13

Von Gottsched bis Gervinus

der eine seiner Begabung entsprechende Würde besaß oder nach einer solchen verlangen durfte. So viel – in aller Kürze – zur gesellschaftlichen Situation fast aller Komponisten des 18. Jahrhunderts in den unzähligen Residenzen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Und dementsprechend wurde auch den Werken, die sie schufen, keine besondere Hochachtung entgegengebracht. Hauptsache, diese Werke waren ständig neu und erfüllten damit die von ihnen erwartete Zweckdienlichkeit im Rahmen der höfischen oder geistlichen Repräsentationsbedürfnisse. Ebenso ungünstig erwies sich in dieser Hinsicht, um auf die kunsttheoretischen Aspekte der weitverbreiteten Geringschätzung der Musik innerhalb der vieldiskutierten „Hierarchie der Künste“ zu kommen, die im frühen 18. Jahrhundert in den ästhetischen Theoriebildungen einsetzende Rückbesinnung auf die antiken Mimesiskonzepte, welche sich vor allem gegen den barocken Schwulst des autoritären Absolutismus wandten. Da jedoch die Hauptvertreter dieser Richtung weitgehend Bürgerliche waren, die keinerlei Einfluss auf die höfischen Auftraggeber der Musik und der bildenden Künste hatten, fassten sie dabei fast ausschließlich die Literatur ins Auge, von der sie sich im Bereich des ihnen zugänglichen Publikationswesens noch am ehesten eine Verbreitung ihrer den künstlerischen Interessen des gebildeten Mittelstands entgegenkommenden rationalistischen bzw. aufklärerischen Gesinnung erhofften. Und zwar beriefen sie sich dabei gern auf die Poetik des Aristoteles und die darin aufgestellten Nachahmungstheorien, in denen sie – im Gegensatz zu der ständig ins Prunkvoll-Überladene tendierenden Literatur des Barock – ein Vorbild für eine wesentlich realitätsbezogenere Darstellungsweise sahen. In dieser Hinsicht konnten sie sich daher durchaus auf die großen Dichtwerke der Griechen und Römer stützen, während ihnen die Musik der Antike, die offenbar wesentlich primitiver gewesen sein musste, keinen Rückhalt für ihre Theoriebildungen bot. „Wie sah es denn um die Musik in den alten Zeiten aus?“, fragte sich etwa Johann Samuel Petri in seiner Anleitung zur praktischen Musik noch im Jahr 1782. Und seine lapidare Antwort 14

Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik

lautete: „Ziemlich schlecht.“2 Mit den Griechen und Römern als Vorbildern einer sowohl ästhetischen Perfektion als auch inhaltlich bedeutsamen Kunst, wofür sich nicht nur in der antiken Literatur, sondern auch in der antiken Skulptur genügend Beispiele fanden, war also auf dem Gebiet der Musik nicht viel Staat zu machen. Und damit fehlte der Musik für die klassizistisch eingestellten Kunsttheoretiker des 18. Jahrhunderts eine entscheidende Legitimationsbasis. II

Wie sollte sich also auf der Grundlage derartiger sozialer Vorbedingungen und kunsttheoretischer Anschauungen eine steigende Hochschätzung von Musik entwickeln? Vor allem die sich der Aufklärung zuwendenden Kunsttheoretiker des frühen 18. Jahrhunderts, die sowohl mit einem moralischen als auch mit einem künstlerischen Emanzipationsanspruch auftraten, konnten demzufolge mit dieser Kunstform wenig anfangen, da sie weder ihrem Verlangen nach einer größeren Liberalität noch ihrem Bemühen um eine an antiken Vorbildern ausgerichteten Ästhetik entsprach. Im Gegenteil, sie sahen in ihr diejenige Kunst, welche am stärksten der feudalabsolutistischen oder klerikalen Bevormundung unterworfen war. Schließlich verlangte sie nach Aufführungsorganen wie Opernhäusern, umfangreichen Orchestern und hochbezahlten Stars, die dem damaligen Bürgertum noch gar nicht zur Verfügung standen. Lediglich in der sich zu einer bedeutenden Handelsmetropole entwickelnden ehemaligen Hansestadt Hamburg kam es 1678 zur Gründung eines bürgerlichen Opernhauses, in dem jedoch ebenfalls die üblichen Hofopern mit ihren barocken Haupt- und Staatsaktionen aufgeführt wurden, was zwar die lokale Adels- und Patrizierschicht durchaus zu goutieren wusste, jedoch die pragmatisch denkenden Kaufmannsfamilien eher langweilte, worauf dieses Opernhaus zweimal Konkurs anmelden musste und 1828 endgültig geschlossen wurde. Auch die Orchestermusik blieb lange Zeit ein vorwiegend höfisches Phänomen. Von den Konzerten an den Höfen, die oft während der 15

Von Gottsched bis Gervinus

festlichen Diners stattfanden und daher als Tafelkonsort oder Tafelkonfekt bezeichnet wurden, nahmen die bürgerlichen Schichten bis weit in das 18. Jahrhundert hinein ebenso wenig wahr wie von den an den Höfen aufgeführten Opern. Sie begnügten sich noch mit jenen als „Collegia musicae“ geltenden Musizierabenden, die in den Häusern reicher Kaufleute oder angesehener Akademiker stattfanden. In der Auswahl der gespielten Stücke hielt man sich hierbei meist an in Generalbassmanier komponierte Duette und Triosonaten oder an die in Frankreich beliebten Suiten. Um die Jahrhundertwende schlossen sich dann auch Studenten zu solchen Spielgruppen zusammen, wofür das 1701 von Georg Philipp Telemann in Leipzig gegründete „Collegium musicum“ das bekannteste Beispiel ist. Die einzige Form von Musik, an der in diesem Zeitraum alle Stände teilhatten, war selbstverständlich die sonntägliche Kirchenmusik. In den katholischen Kirchen dominierten dabei nach wie vor die von den Geistlichen gesungenen Messen, in den protestantischen die mit einem Orgelvorspiel eingeführten Gemeindelieder sowie einige seit dem späten 17. Jahrhundert kunstvoll komponierte Kantaten, Oratorien und Passionsmusiken. Auch derartige Werke ließen sich nicht in den Dienst der Aufklärung stellen. Da jedoch die Moralvorstellungen des damaligen Bürgertums noch stark in den Tugendbegriffen der christlichen Religion verankert waren, schlossen selbst viele der sich weiterhin zu einem auf der Vernunft beruhenden Deismus bekennenden Emanzipationsverfechter ihren Frieden mit den kirchlichen Institutionen und wagten nur in Ausnahmefällen, die dort gespielte Musik öffentlich anzugreifen. Um so schärfer verurteilten sie dagegen das höfische „Opernunwesen“, wie sie es nannten. Und zwar griffen sie dabei meist jene Argumente auf, mit denen bereits seit dem späten 17. Jahrhundert mehrere französische Rationalisten gegen das Höfisch-Hybride dieser Kunstform zu Felde gezogen waren. So hatte etwa Charles de Saint-Evremont schon 1677 in seinem Lettre sur les Opéras das „Unnatürliche“ einer solchen musikalischen Gattung scharf angeprangert, die durch ihre hanebüchenen Liebeshandlungen sowie ihr leeres Koloraturgeklingel 16

Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik

gegen alle Gesetze der Vernunft verstoße. Im gleichen Tenor äußerten sich darauf Jean de la Bruyére, Nicolas Boileau und Jacques Bossuet,3 worauf sich in England 1711 auch Joseph Addison und in Italien 1724 Luigi Muratori in den Chor der Opernverächter einreihten. Unter den deutschen weiterhin obrigkeitsfromm, aber kunsttheoretisch räsonierenden Frühaufklärern spielte sich vor allem Johann Christoph Gottsched, der 1728 in der 85. Nummer seines Biedermann die Oper als gräulichen „Mischmasch von Musik und Poesie“ anprangerte, als Präzeptor einer strikten Rationalismus auf. Noch schärfer zog er 1730 in seinem Versuch einer Kritischen Dichtkunst für die Deutschen vom Leder, worin er die Oper als das „ungereimteste Werk“ bezeichnete, das „der menschliche Verstand jemals erfunden“ habe.4 Unter Berufung auf Saint-Evremont kanzelte er hier das höfische Musiktheater als absolut unnatürlich, gespreizt und buhlerisch ab.5 Ja, Gottsched wagte sogar, sich kritisch über die meisten zeitgenössischen geistlichen Kantaten zu äußern, in denen – seiner Meinung nach – ebenfalls lediglich ein „unverständliches Geheule“ vorherrsche. „Gedanken“, wie sie unter „vernünftigen Leuten“ gang und gäbe seien, finde man weder hier noch in der Oper.6 In beiden Genres, die sich vornehmlich durch lächerliche Wiederholungen, Koloraturen, ja Kehlenakrobatik auszuzeichnen versuchten, erklärte er, gehe der „Verstand“ letztlich leer aus.7 Christian Gottlieb Ludwig, ein ihm Gleichgesinnter, veröffentlichte daher 1734 ein Büchlein unter dem Titel Versuch eines Beweises, daß ein Singspiel oder eine Oper nicht gut sein können, um so dem höfischen Opernwesen ein für alle Mal den Garaus zu machen. III

Solche Unmutsäußerungen gegen die übertriebenen Verzierungskünste im herrschenden Musikbetrieb nahmen jedoch um die Jahrhundertmitte allmählich ab. Nachdem die spätbarocke Spektakeloper durch die Musikdramen Christoph Willibald Glucks sowie die sich wesentlich realistischer gebende italienische Opera buffa zusehends 17

Von Gottsched bis Gervinus

in den Hintergrund gedrängt wurde, ergriffen manche Aufklärer für diese Formen der Oper, welche ihren Anschauungen in vielem entgegenkamen, durchaus Partei. Um so kritischer äußerten sie sich dagegen über jene Instrumentalmusik, die bisher ein Privileg der Höfe war, aber im gleichen Zeitraum – jedenfalls in größeren Handelsstädten wie Hamburg, Frankfurt und Leipzig – durch die Entstehung professioneller Orchestervereinigungen eine immer größere Rolle zu spielen begann. Im Gegensatz zur gesellschaftskritischen Haltung in manchen Singspielen seit Giovanni Battista Pergolesis La serva padrona (1733) oder der humanistischen Gesinnung in Glucks Alceste (1767) erschien ihnen diese Form der Musik wegen ihrer auf eine textliche Grundlage verzichtenden „Inhaltslosigkeit“ von vornherein nicht aussagekräftig genug und daher schlechthin bedeutungslos. Und auch in dieser Hinsicht stützten sie sich wiederum auf jene französischen Kritiker, die aufgrund ihrer aufklärerischen Gesinnung bereits vor ihnen gegen das Vordringen einer „wortlosen“ Musik zu Felde gezogen waren. Den maßgeblichen Vertreter einer solchen Einstellung sahen sie in Jean-Jacques Rousseau, der alle Musikstücke ohne Text, also Symphonien, Solokonzerte und Sonaten als bloßen „Plunder“ („fatras“) verworfen hatte.8 Schließlich war Rousseau schon in seinem Lettre sur la musique française (1752) – im Gegensatz zur „gotisch-barbarischen“ Kontrapunktik sowie der gekünstelten höfisch-barocken Musik – für die „natürliche“ Überzeugungskraft jener an Texte gebundenen Melodien eingetreten, in denen eine wahre Rührung oder leidenschaftliche Erregung herrsche. Und mit solchen Anschauungen stand er in Frankreich keineswegs allein da. Auch Bernard de Fontenelle sowie der Abbé Noël-Antoine Pluche lehnten eine Musik ohne Worte von vornherein als „nichtssagend“ ab. Was diese Theoretiker, zu denen sich auch Denis Diderot und Jean d’Alembert gesellten, in dieser Gattung allenfalls gelten ließen, waren jene „redenden“ oder „malenden“ Ausdrucksformen der Instrumentalmusik, die sich den Gesetzen der Mimesis anzupassen versuchten und daher nicht nur dem Ohr, sondern auch dem nach Begriff- oder Anschaulichkeit verlangenden Verstand etwas zu bieten 18

Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik

hätten. Wer solchen Forderungen nicht nachkomme, erklärten sie, produziere lediglich tönende Luft oder bestenfalls einen angenehm kitzelnden Ohrenschmaus, was eines „vernünftigen“ Menschen letztlich nicht würdig sei. Ebenso unmissverständlich drückten sich darauf auch viele der deutschen Musiktheoretiker in diesen Jahrzehnten im Hinblick auf die von ihnen ebenfalls abgelehnte Instrumentalmusik aus. Woran sie innerhalb der Musik noch am ehesten Gefallen fanden, waren, wie gesagt, lediglich weltliche Vokalwerke, da sie hier vom Bedeutungsgehalt der Texte ausgehen konnten, denen die Musik lediglich zu einer größeren Wirkung verhelfe. In der auf eine derartige Grundlage verzichtenden Instrumentalmusik sahen sie dagegen eine höchst problematische Wendung ins Formalistische oder ausschließlich Empfindelnde, wie sie behaupteten, durch die jede inhaltliche Vorbildlichkeit verloren gehe. So verwarf sie etwa Christian Gottfried Krause in seinem Buch Von der musikalischen Poesie (1753) als ein kurzweiliges Vergnügen für „Liebhaber und Kenner“, um damit auf das rein Kulinarische einer solchen Musikausübung hinzuweisen.9 Dieselbe Einstellung findet sich in dem Artikel „Musik“ in der einflussreichen Allgemeinen Theorie der Schönen Künste (1771–1774) von Johann Georg Sulzer, in der er die Aufführungen von Symphonien oder Kammermusikwerken als nichtssagenden „Zeitvertreib“ abkanzelte, da zwar in ihnen ein „artiges und unterhaltsames, aber das Herz nicht beschäftigendes Geschwätz“ vorherrsche.10 Nicht minder kritisch äußerten sich auch andere Vertreter der deutschen Aufklärung über die sich rasch ausbreitende Instrumentalmusik. Johann Christoph Gottsched prangerte sie als „unverständlich“, ja als ein „leeres Geklingel“ an.11 Christian Friedrich Daniel Schubart erklärte, dass ihn ein „natürlich schönsingendes Bauernmädchen“ wesentlich stärker „rühre“ als der „erste Violinist der Welt“,12 Johann Adolf Scheibe nannte sie ein „bloßes Geräusch“, während sie Immanuel Kant mit dem „Geschnurr eines Paradiesvogels“ verglich.13 Sogar Moses Mendelssohn, der sonst auch das Empfindsame schätzte, bezeichnete sie in seinen Briefen über Kunst 19

Von Gottsched bis Gervinus

(1755) als ein „liebliches Geklingel von Tönen“, welches zwar „den Ohren schmeichele“, aber „keinen Verstand zum Führer“ habe.14 Und auch Gotthold Ephraim Lessing erklärte 1767 in seiner Hamburgischen Dramaturgie, dass die „unordentlichen Empfindungen“ in einer Symphonie von Johann Friedrich Agricola eher „abmattend als ergötzend“ seien. In der Poesie, schrieb er, gehe nie der „Faden unserer Empfindung“ verloren. In der Instrumentalmusik wisse man jedoch nie, woran man sei.15 Äußerungen dieser Art ließen sich leicht vermehren. Immer wieder wandten sich die vornehmlich an Literatur interessierten Theoretiker der deutschen Aufklärung gegen jene Zweckentbundenheit, die sie in der textlosen Musik am konsequentesten verwirklicht sahen. All das erschien ihnen als Formalismus, als Verselbständigung der künstlerischen Mittel und damit letztendlich als sinnlos. IV

Allerdings lässt sich dabei ein seltsamer Widerspruch beobachten. Indem nämlich die Aufklärung – auch in der Kunst – einerseits eine Befreiung des menschlichen Ausdrucksverlangens von allen höfischen und klerikalen Bevormundungen anstrebte und damit bereits in den Bereich der späteren Autonomieästhetik vorstieß, jedoch andererseits stets die didaktische oder zumindest erhebende Funktion sämtlicher künstlerischen Bemühungen betonte und deshalb alles sich als „zweckfrei“ Gebende von vornherein verwarf, musste sie die textlose Instrumentalmusik, die sich im Laufe des 18. Jahrhunderts immer stärker von der bis dahin vorherrschenden Vokalmusik emanzipierte, zwar wegen ihrer Ideenlosigkeit scharf ablehnen, sah sich jedoch gezwungen, zugleich ihr Autonomiestreben anzuerkennen, das in seinem subjektiven Ausdrucksverlangen durchaus aufklärerische Züge habe. Wohl am deutlichsten äußert sich dieser Widerspruch in Immanuel Kants Kritik der Urteilskraft (1790), in der er das Wesen der Kunst als „interesseloses Wohlgefallen“ jenseits aller Bindungen an thematische Bezüge oder außerkünstlerische Zwecke zu definieren 20

Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik

versuchte. Hier heißt es daher im Hinblick auf die Musik an einer Stelle: „Wenn man den Wert der schönen Künste nach der Kultur schätzt, die sie dem Gemüt verschaffen, zum Maßstabe nimmt“, so müsse man ihr „unter den schönen Künsten sofern den untersten, so wie sie unter denen, die zugleich nach ihrer Annehmlichkeit geschätzt werden, vielleicht den obersten Platz“ einräumen, „weil sie bloß mit Empfindungen spielt“. Diesen Spieltrieb innerhalb der Kunst verdammte zwar Kant nicht völlig, da er zu den wesentlichen Voraussetzungen der von ihm postulierten Autonomieansprüche gehöre, wertete ihn aber im Hinblick auf das „Erhabene“ als der höchsten Form der jeweils angestrebten künstlerischen Ausdrucksbemühungen zugleich ab. Vor allem in einer Musik ohne Worte sah er dementsprechend eine Kunst, die ihre Hörer lediglich „von Empfindungen zu unbestimmten Ideen“ verführe, während Literatur, Malerei und Plastik die mit ihnen Konfrontierten stets „von bestimmten Ideen zu Empfindungen“ anleite.16 Da, wo diese Kunstgattung in Form reiner Instrumentalmusik lediglich ins Autonome strebe, erschien sie daher Kant höchst fragwürdig. Eine derartige Musik verglich er demzufolge mit „Zeichnungen à la grecque“, mit „Laubwerk zu Einfassungen“ oder „Papiertapeten“, die „für sich“ nichts bedeuteten.17 Ja, Kant ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er auf die mangelnde ästhetische Spezifik der Musik im Allgemeinen hinwies, die auch im Medium der Vokalmusik nie ganz zu sich selbst komme. Während sie sich in der Instrumentalmusik zwar ins Autonome, aber Sinnlose erhebe, sinke sie in der Verbindung mit Texten notwendig zu einer dienenden Rolle herab. Jedenfalls erreiche sie in beiden Fällen nicht jenen Eigenwert, der alle anderen Künste auszeichne. V

Auch bei den zwei Weimarer „Klassikern“ finden sich ähnliche Anschauungen. Vor allem Goethe hat sich – trotz seiner Neigung zum Universalen – für Musik nur am Rande interessiert. Wie allen 21

Von Gottsched bis Gervinus

bürgerlichen Aufklärern des 18. Jahrhunderts erschien auch ihm die Vokalmusik wesentlich bedeutsamer als die Instrumentalmusik. Letztere schätzte er nur, soweit sie eine programmatische Ausdeutung zuließ, das heißt die ihr eigene Unbestimmtheit durch die Vorstellung eines „Bildes“ auszugleichen versuchte.18 Deshalb wandte er sich mehrfach gegen jene musikalischen Phrasierungen „ohne Worte und Sinn“, die „in der Luft vor unseren Augen schweben“.19 Noch despektierlicher äußert sich sein Mephisto über eine derartige Musik, der einmal unverblümt erklärt: „Das Trallern ist bei mir verloren, / Es krabbelt wohl nur um die Ohren, / Allein zum Herzen dringt es nicht.“20 Doch andererseits heißt es auch bei Goethe – im Sinne der bereits herausgestellten Widersprüchlichkeit der aufklärerischen Autonomieästhetik – plötzlich höchst unvermittelt: „Die Würde der Kunst erscheint bei der Musik vielleicht am eminentesten, weil sie keinen Stoff hat, der abgerechnet werden müßte.“21 Selbst Schiller, von dem man aufgrund seiner Neigung zu rhetorischem Aufputz eher einen Sinn für Musik erwarten würde, hat ihr in seinen ästhetischen Theorien keine bedeutsame Rolle zuerteilt. Da er in Anlehnung an Kant ebenfalls das Idealisch-Erhabene als den obersten Zweck der Kunst definierte, sah auch er im begriffslosen Medium der Töne kein besonders geeignetes Mittel, den menschlichen Geist oder auch das menschliche Gemüt in einen spezifisch „erhabenen“ Zustand zu versetzen, wie unter anderem aus seinen Bemerkungen zu Gottfried Körners Essay Über Charakterdarstellung in der Musik hervorgeht.21 Um eine solche Wirkung hervorzubringen, sei die Musik, wie er erklärte, viel zu schmelzend, zu angenehm, zu sinnlich. Demzufolge verurteilte er in seiner Schrift Über das Pathetische all jene Komponisten, die das menschliche Gemüt, das seiner Meinung nach vor allem „kräftig gerührt“ und „erhoben“ sein möchte, lediglich in sinnlose Rauschzustände versetzten. In ihren Konzerten, heißt es hier, erscheine plötzlich, wenn eine „schmelzende Passage vorgetragen werde“, auf allen Gesichtern „ein bis ins Tierische gehender Ausdruck der Sinnlichkeit“. Ein „wollüstiges Zittern ergreife den ganzen Körper, der Atem werde schwach, kurz alle Symptome der Berauschung 22

Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik

stellten sich ein: zum deutlichen Beweise, daß die Sinne schwelgen, der Geist aber oder doch das Prinzip der Freiheit im Menschen der Gewalt des sinnlichen Eindrucks zum Raube werde“.23 Eine Musik nach den Vorstellungen Schillers, welche sich bewusst in den Dienst der geistigen und gemüthaften „Veredlung“ des Menschen stellen würde, wie es bei ihm im 22. Brief Über die ästhetische Erziehung des Menschen heißt, solle daher auf die Klangsinnlichkeit des gegenwärtigen Konzertwesens verzichten und lieber wie die Vokalmusik der Alten „mit der ruhigen Macht der Antike“ auf uns zu wirken versuchen.24 Ob Schiller dabei an die Musikdramen Christoph Willibald Glucks dachte, erfahren wir nicht, wie überhaupt die meisten seiner Äußerungen über Musik – im Sinne seines Mentors Kant – reichlich abstrakt bleiben. VI

Ähnliche Anschauungen finden sich kurz darauf bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel, dessen Musikkapitel in seinen Vorlesungen über die Ästhetik in mancher Hinsicht einen Höhepunkt der aufklärerischen Musikauffassung bildet. Obwohl auch er der Musik wesentlich weniger Beachtung schenkte als den anderen Künsten, ist doch seine begriffliche Durchdringung der damit verbundenen Probleme wesentlich bedeutsamer als in Kants Kritik der Urteilskraft. Allerdings sah auch Hegel in der Musik vornehmlich eine „gestaltlose Empfindung“, welche sich nicht, wie er behauptete, „im Äußern und dessen Realität, also wie in der Literatur und bildenden Kunst, sondern nur in Äußerung schnell verschwindender und sich selbst aufhebender Äußerlichkeit kundzugeben vermag“.25 Was ihn dennoch von den Aufklärern des 18. Jahrhunderts unterschied, war eine durchgreifende Historisierung der von ihnen vertretenen Anschauungen. Während seine Vorgänger bei der Wesensbestimmung von Musik stets von überzeitlichen Normvorstellungen ausgegangen waren, bemühte sich Hegel bereits um spezifisch entwicklungsgeschichtliche Gesichtspunkte. Da nach seiner Meinung die Kunst ihren höchsten Grad der Vollendung schon 23

Von Gottsched bis Gervinus

in der Antike erlebt habe, war es für Hegel schwer, der Musik, deren künstlerische Vervollkommnung erst in der Neuzeit eingetreten sei, den gleichen ästhetischen Rang zuzugestehen, der die unüberbietbaren künstlerischen Meisterleistungen der Literatur und Skulptur der Griechen und Römer auszeichne. Auch bei Hegel wird demzufolge der Musik im Rahmen der Hierarchie der Künste nur eine drittrangige Rolle zugestanden. Sie sei zwar schon ungebundener als die Werke der bildenden Kunst, heißt es im Hinblick auf die Entwicklung des von ihm ständig nach einer größeren Verfreiheitlichung strebenden „Weltgeists“, habe aber nicht jene geistige Qualität, die in der neueren Literatur und Philosophie herrsche, sondern bleibe in rein sinnlichen Vermittlungsformen befangen. So folgerichtig diese Einschätzungen auf den ersten Blick auch wirken, selbst sie waren nicht frei von inneren Widersprüchen. Schließlich wird die Freisetzung des menschlichen Geistes auch bei Hegel vornehmlich als ein verstärktes Autonomiestreben, aber nicht als eine inhaltliche Umorientierung hingestellt, der ein konkretes Alternativtelos zugrunde liegt. Und zwar äußert sich das besonders deutlich in seiner Beurteilung der Instrumentalmusik, dem eigentlichen Prüfstein aller aufklärerischen Musiktheorien. In ihr sah zwar Hegel einerseits eine immer stärker werdende Tendenz ins Freiheitlich-Subjektive, also im Rahmen seines Denkens einen durchaus positiven Entwicklungsfaktor, jedoch andererseits – wegen ihres Verzichts auf eine gehaltvolle textliche Grundlage – eine zunehmende Leere, ja Bedeutungslosigkeit, weil es ihr an einem begrifflich erfassbaren „Inhalt“ mangele. Er ließ daher im Hinblick auf die Instrumentalmusik nicht davon ab, ihre Komponisten vor der Gefahr des „Formalismus“ zu warnen, da sich in dieser Art von Musik das Interesse vom Inhaltlichen immer stärker auf das „rein Musikalische“ verlagere und somit die textlose Musik zu einer „Sache für Kenner“ werde, die das „allgemeinmenschliche Kunstinteresse“ kaum noch angehe.25 Kein Wunder daher, dass Hegels Hauptinteresse der Vokalmusik galt, die der Gefahr der von ihm beschworenen Vereinseitigung weit weniger ausgesetzt sei. Doch auch in dieser Hinsicht stellte sich für 24

Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik

ihn zwangsläufig die Frage, worin denn das spezifisch Eigenständige einer solchen Musikform bestehe, die er dahingehend beantwortete, dass er den ihr zugrunde liegenden musikalischen Ausdrucksmitteln nicht nur eine dienende Rolle zubilligte, sondern ihr ureigenstes Wesen in ihrer Fähigkeit sah, den mit ihnen verbundenen Texten eine größere, ins Erhebende gesteigerte Wirkung zu verleihen. Daher solle sie sich den Worten nicht sklavisch anpassen oder sich total von ihnen emanzipieren, wie er schrieb, sondern zwischen diesen beiden Möglichkeiten eine idealisierende Vermittlerrolle zu spielen versuchen. Dementsprechend erwartete Hegel von den Komponisten seiner Zeit vor allem textgebundene Werke, denen die gleiche Struktur zugrunde liegen solle, um die sich vorher schon Giovanni Pierluigi Palestrina, Francesco Durante, Christoph Willibald Gluck und Wolfgang Amadeus Mozart bemüht hätten.27 Im Rahmen solcher Definitionsversuche gestand also Hegel einer derartigen Musik dennoch eine durchaus positive Funktion, wenn auch keinen konkreten Inhalt zu. In einer „wortlosen“ Musik machten sich dagegen, wie er mehrfach betonte, lediglich „gedankenlose Empfindungen“ oder „unbestimmte Bewegungen“ breit. Da sie keinen deutlich erkennbaren Inhalt habe, falle daher die Instrumentalmusik neben dem „inhalts- und gedankenvollen Reichtum“ der Literatur halt ab. Ja, Hegel sprach von ihr in diesem Zusammenhang sogar als einer Musik, die, wie gesagt, so „inhalts- und bedeutungslos“ sei, dass man sie „nicht eigentlich zur Kunst“ rechnen könne.28 VII

Doch das war bereits ins Leere gesprochen. Schließlich hatte zu diesem Zeitpunkt durch die steigende Beliebtheit der Instrumentalwerke Haydns, Mozarts und Beethovens sowie der darauf folgenden Welle der als „romantisch“ ausgegebenen Kompositionen eine nicht mehr aufzuhaltende Hochschätzung von Symphonien, Solokonzerten, Streichquartetten, Trios und Sonaten eingesetzt, die selbst viele Musiktheoretiker bewegte, gerade in diesen Musikformen den 25

Von Gottsched bis Gervinus

Ausdruck einer Befreiung aus den bisher in konventionelle Normvorstellungen eingezwängten menschlichen Gefühle zu sehen. Und das führte dazu, dass sich gerade diese Gattungen in dem sich immer stärker verbürgerlichenden Konzertleben als die beliebtesten Formen einer musikalischen Gemütserbauung durchsetzten. Die Einzigen, die sich im Laufe des frühen 19. Jahrhunderts – mit Hilfe des „progressiven Wortes“ – weiterhin gegen die inhaltslose „Unverbindlichkeit“ der Instrumentalmusik auflehnten, waren lediglich einige jungdeutsche oder vormärzliche Autoren, die weiterhin an aufklärerischen oder hegelianischen Anschauungen festzuhalten versuchten. So sah etwa Karl Gutzkow den wichtigsten Vorposten einer sich als fortschrittlich verstehenden Gesinnung eindeutig in der Literatur, während ihm die Musik – aufgrund ihrer Überschätzung des Romantisch-Unbestimmten oder auch Technisch-Artifiziellen – als etwas höchst Reaktionäres erschien, das sich wegen seiner inhaltlichen Unklarheit nicht in den Dienst einer allgemeinen Verfreiheitlichung stellen lasse. „Was soll überhaupt Musik?“, fragte er sich 1835 in seinem Roman Wally, die Zweiflerin. Und er kam dabei zu dem Schluss, dass sie an sich „nichts“ bedeute, da man in sie geradezu alles „hineinlegen“ könne. Und wegen dieser inhaltlichen Unbestimmtheit erklärte Gutzkow apodiktisch, müsse die Musik in Zukunft „aufhören, zu den Künsten gerechnet zu werden“.29 Auch um die Jahrhundertmitte gab es im Zuge vormärzlicher Strömungen sowie eines kritisch weiterwirkenden Hegelianismus noch immer einige „Aufklärer“, die nach wie vor unverdrossen für die Vormachtstellung des Wortes eintraten und deshalb den literarischen Ausdrucksformen eine merkliche Hochachtung entgegenbrachten, jedoch die Verehrung, welche man der Instrumentalmusik zollte, als Ausdruck einer romantisch-reaktionären Ideologie empfanden. Zu dieser Gruppe gehörte unter anderem Friedrich Theodor Vischer, der damals als einer der letzten Hegelianer galt. Er sah in der „bloßen Instrumentalmusik“ nach wie vor den ästhetischen Ausdruck einer verschwommenen „Bewußtlosigkeit“ und somit etwas künstlerisch und gesellschaftlich Minderwertiges. Nur an realistisch dargestellten 26

Aufklärerische Affekte gegen „wortlose“ Musik

„Gegenständen“, behauptete er in seiner Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen (1847 ff.), entfalte sich der „ganze Reichtum der Gefühlswelt“.30 Ebenso entschieden drückte sich Georg Gottfried Gervinus aus, der noch in seiner Ästhetik der Tonkunst von 1868 – in Frontstellung gegen den bereits übermächtig gewordenen Siegeszug der Instrumentalmusik – die inzwischen stattgefundene Trennung von Text und Musik als eine bedauerliche „Ehescheidung“ bezeichnete.31 Trotz des „Beifalls“ der „zahlreichsten Menschenklassen“, welche die Instrumentalmusik als das gegenwärtig „Höchste“, den „Stolz der Zeit“, ja den „eigentlichen Triumph der musikalischen Kunst“ hinstellten, hielt er als überzeugter Aufklärer im Gefolge Hegels eisern daran fest, dass die reine Instrumentalmusik nur nachahmend, gegenstandslos und daher „inhaltslos“ sei.32 „Alles, was man als ein Unaussprechliches in der Musik bezeichnen möchte“, erklärte er als entschiedener Verteidiger der Vokalmusik, „liegt in ihrer Fähigkeit, das feinste Empfindungswesen über die Sprache hinaus zu verklären, aber nur indem sie sich an dem festen Stamme der Sprache hinaufund hinüberrankt“.33 Doch mit derartigen Postulaten stand Gervinus in den Jahren nach der gescheiterten Achtundvierziger-Revolution bereits auf verlorenem Posten. Dem allgemeinen Trend ins Unengagierte folgend, verbreitete sich nämlich in dieser Ära selbst im Bereich der Musikästhetik die Neigung, gerade die immer beliebter werdenden Werke der Instrumentalmusik als Tonschöpfungen hinzustellen, deren Qualität vornehmlich darin bestehe, dass sie keiner von außen herangetragenen Rechtfertigung bedürften, kurzum: welche man rein um ihrer selbst willen schätzen solle, da sie in ihren Klangkombinationen eine weit größere Fülle an Assoziationen erwecke als eine sich an einen Text anklammernde Musik. Dafür spricht unter anderem das damals vielbeachtete Buch Vom Musikalisch-Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst (1854) von Eduard Hanslick, dessen Autor unter dem Motto „Der Inhalt der Musik sind (lediglich) tönend bewegte Formen“ gerade all das, was die aufklärerisch argumentierenden Musiktheoretiker als das bedauerliche Manko der reinen 27

Von Gottsched bis Gervinus

Instrumentalmusik, nämlich ihre Inhaltslosigkeit, angeprangert hatten, als das wahrhaft Positive dieser Art von Musik hinstellte. Hanslick fand, dass Musik keinen anderen Zweck habe, als tönende Luft zu sein, die im menschlichen Gemüt ein zwar unklares, aber dafür umso intensiveres Wohlgefallen errege. Und diese These erwies sich als so folgenreich, dass in der Nachmärzära außer Gervinus kaum noch jemand wagte, diesen Thesen zu widersprechen und weiterhin den ideologischen Unwert der Instrumentalmusik in Frage zu stellen. Neue, und zwar nationalistische, geniebetonte, impressionistisch-sezessionistische oder auch psychologisierende Musiktheorien entwickelten sich im Hinblick auf symphonische oder tonpoetische Musikformen erst in den Jahren nach 1871, als es aufgrund der sich wandelnden politischen und sozialen Voraussetzungen auch auf musikalischem Gebiet zu tief greifenden Umorientierungen kam.

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„Komponieren: heißt das nicht Handeln bei Ihnen?“ Die Zielutopie in Beethovens Symphonien

Während Haydn noch in publikumsgefälliger Manier 104 Symphonien komponieren konnte, ja es selbst Mozart in seinem kurzen Leben auf 41 Symphonien brachte, hat Beethoven nur neun Symphonien komponiert. Schon in diesem Quantitätsunterschied drückt sich ein unüberhörbarer Wandel in der Auffassung symphonischer Musik schlechthin aus. War die aus der Orchestersuite hervorgegangene Symphonie vor Beethoven – von wenigen Ausnahmen abgesehen – noch ein weitgehend ohrenerfreuendes Vorspiel, mit dem man abendfüllende Konzerte einzuleiten pflegte, wurde sie seit Beethoven zu einem höchst anspruchsvollen Bekenntniswerk, in das die jeweiligen Komponisten die gesamte Empfindungsfülle ihrer Persönlichkeit hineinzulegen versuchten. Und das ging nicht mehr in gefälligen Serienkompositionen. Deshalb haben fast alle bedeutenden Komponisten seit Beethoven selten mehr als neun oder zehn Symphonien komponiert. Schon Beethovens 1. Symphonie, der bisher in seinem Œuvre – außer seinen beiden frühen Klavierkonzerten – nur kammermusikalische Werke vorangegangen waren, hat diesen „bekennerischen“ Charakter. Ihre Steigerungen sind intensiver, ihre Bläserklänge herausfordernder, ihre Paukenschläge dröhnender als die fast aller seiner Vorgänger auf diesem Gebiet. Allerdings finden sich hier noch keine programmatischen Anklänge, die auf den ideologischen Hintergrund seiner aufbrausenden, 29

„Komponieren: heißt das nicht Handeln bei Ihnen?“

ja teilweise ins Stürmische übergehenden Kompositionsbemühungen verweisen. Da Kaiser Franz  II. – als Reaktion auf die Französische Revolution – in den neunziger Jahren die noch von Joseph II. privilegierten Freimaurerlogen kurzerhand verbot und 1795 sogar die Ordre erließ, die führenden Wiener Jakobiner hinrichten zu lassen, waren selbst Beethovens frühe Förderer, wie der freimaurerisch gesinnte Carl von Lichnowsky, bei öffentlichen Auftritten wesentlich vorsichtiger geworden und haben sicher auch den jungen Beethoven angehalten, seinen politisch-rebellischen Überzeugungen lieber in Noten als in Worten Ausdruck zu verleihen.1 Und das tat Beethoven dann auch, und zwar nicht nur in seiner 1., sondern auch in seiner 2. Symphonie, die er seinem Gönner Lichnowsky widmete und im April 1803 uraufführen ließ. Schon im ersten Satz ertönen hier – unter der für Beethoven charakteristischen Satzbezeichnung „Allegro con fuoco“ – die gleichen aufbrausenden Klänge wie in der voraufgegangenen Symphonie, wenn auch ebenfalls noch ohne irgendeinen zeitpolitischen Bezug. Doch während der Uraufführung dieses Werks arbeitete Beethoven bereits an seiner 3. Symphonie, die genau ein Jahr später ihre Premiere erlebte. In ihr ließ er – als ehemals linksrheinischer Sympathisant der Französischen Revolution – plötzlich seinem bisher verhaltenen Groll gegen den reaktionären Charakter des nachjosephinischen Wien freien Lauf und bekannte sich in aller Offenheit zu dem alle Liberalen dieser Zeit in Begeisterung versetzenden jungen Napoleon Bonaparte, in dem sie den Hauptgegner des feudalaristokratischen Ancien Régime, das heißt nicht den Bändiger, sondern den Vollstrecker der Ideen der Französischen Revolution sahen. Schon dass Beethoven dieser Symphonie den Titel „Bonaparte“ gab, war geradezu revolutionär. Schließlich hatte besagter Bonaparte den Österreichern im Jahr 1800 in der Schlacht von Marengo eine vernichtende Niederlage beigebracht. Ja, Beethoven, was noch provozierender war, beabsichtigte sogar ursprünglich, seine 3. Symphonie nicht in Wien, sondern in Paris uraufführen zu lassen. Trotz aller militärischen Anklänge ist dieses Werk keine Schlachtensymphonie, sondern ein politisches Konfliktgemälde, dessen 30

Die Zielutopie in Beethovens Symphonien

musikalische Substanz eher in der Revolutions- als in der Kriegsthematik begründet ist. Wer die gleiche Gesinnung wie Beethoven hatte, glaubte damals in ihr, wie Boris Assafjew schreibt, „die appellartigen Ausrufe der Redner und Volksführer, die dem Auftreten von Flut und Ebbe vergleichbaren Wellen von Stimmen aus den Volksmassen“ sowie die „Rhythmusintonationen der Trommeln, welche die Feinde der Revolution mit Schrecken erfüllen und die Revolutionäre in freudige Erregung versetzen“, zu vernehmen.2 Wie in so vielen Werken der französischen Revolutionsmusik manifestiert sich auch in diesem Werk jener zum Handeln aufrufende Aktivismus, jener „Élan terrible“, mit dem man die Volksmassen während der Französischen Revolution immer wieder zu neuen Begeisterungsstürmen hinzureißen versuchte. Wie in der Musik von Revolutionskomponisten, ob nun Étienne-Nicolas Méhul, André-Ernest-Modeste Grétry, FrançoisJoseph Gossec und Rodolphe Kreutzer, sollte diese „Sinfonia eroica“ ihre Hörer in einen emotionalen Tumult versetzen, um ihnen Mut zu geben, ebenfalls für die Ideale von „Liberté, Égalité et Fraternité“ in den Ring zu treten. Die Nachricht, dass sich Bonaparte am 18. Mai 1804 in Paris zum Kaiser krönte, muss daher Beethoven einen tiefen Schock versetzt haben. Wie wir wissen, strich er daraufhin die Widmung „Intitulata Bonaparte“ auf der Titelseite seiner Eroica kurzerhand durch. Doch die Partitur dieses Werks vernichtete Beethoven keineswegs. Als dann die 3. Symphonie 1806 im Druck erschien, trug sie den mysteriösen und doch höchst offenkundigen Titel „Sinfonia eroica, composta per festeggiare il sovvenire d’un granduomo“. Das klang fast so, als ob es sich bei diesem „granduomo“, diesem „großen Mann“, um einen Toten handele. Danach taucht Napoleon in Beethovens Denken und Werken kaum noch auf. Wenn er sich nach 1806 weiterhin auf ihn bezog, dann nur in negativer Form, das heißt als Symbol des Egoistischen und Tyrannischen. Die „Erinnerung an die Revolution“ blieb jedoch bei Beethoven auch weiterhin wach, erhielt jedoch in der Folgezeit im Verlauf der Befreiungskriegsstimmung ganz andere politische Akzentsetzungen. 31

„Komponieren: heißt das nicht Handeln bei Ihnen?“

In seiner 4. Symphonie, die im Spätsommer und Herbst 1806, also in einer relativ kurzen Zeitspanne entstand und im März 1807 uraufgeführt wurde, verzichtete dagegen Beethoven von vornherein auf alles „Bekennerische“, um nicht noch einmal in seinen utopischen Hoffnungen auf eine zunehmende Liberalisierung der Zeitumstände enttäuscht zu werden. Aufs Große und Ganze gesehen, wirkt sie in ihrer formalen Geschlossenheit wie eine Reprise der 1. und 2. Symphonie, das heißt enthält – im Gegensatz zur Eroica – keine programmatischen Anklänge. Ja, selbst in seiner 5. Symphonie, deren Komposition er im März 1808 abschloss und die später wegen ihres vierfach pochenden Klopfmotivs im ersten Satz gern als „Schicksalssymphonie“ bezeichnet wurde, verzichtete Beethoven wiederum auf irgendwelche Tonzusammenstellungen, die sich als programmatisch deuten ließen. Dass er mit diesem Werk dem „Schicksal in den Rachen greifen wollte“, wie es in der Presse öfters hieß, hat zwar metaphorisch gesprochen etwas Bestechendes, sagt aber wenig über ihren eigentlichen Bedeutungsgehalt aus. Falls sich dieser überhaupt entschlüsseln lässt, liegt ihm als Zielutopie sicher jene auch von anderen Aufklärern dieser Ära angestrebte Wendung aus dem Dunkeln ins Hellere zugrunde, die Hanns Eisler später mehrfach mit den Worten „Per aspera ad astra“ umschrieben hat. Schließlich ertönen in ihrem ersten Satz weitgehend düstere c-Moll-Akkorde, während sich der vierte Satz mit seinen aufsteigenden C-Dur-Motiven, im Zuge eines „Éclat triumphale“, wie man das in der Musik der Französischen Revolution genannt hatte, in geradezu atemberaubende Höhen versteigt. Wie in so vielen Werken der Aufklärung scheint auch hier das strahlende Licht der Sonne den Sieg über die Mächte der Finsternis davonzutragen – eine ideologische Bildvorstellung, die Beethoven vor allem an Mozarts Zauberflöte bewunderte. Fast zur gleichen Zeit arbeitete er an seiner 6. Symphonie, die er selbst als seine „Pastorale“ bezeichnete. Dieser Begriff wurde zwar schon im 17. Jahrhundert im Hinblick auf bestimmte Sätze verwendet, mit denen man sogenannten Weihnachtskonzerten eine Wendung 32

Die Zielutopie in Beethovens Symphonien

ins Schäferliche zu geben versuchte, ja erfreute sich sogar noch im 18. Jahrhundert im Rahmen gewisser programmatischer Suiten einer unverminderten Beliebtheit, bekam jedoch erst in Beethovens 6. Symphonie einen deutlich bekennerischen Charakter. Im Zuge eines gesteigerten Verlangens nach Betonung der subjektiven Eigenart im Rahmen größerer Emanzipationsbestrebungen geht es in diesem Werk nicht nur um eine ins Metaphorische überhöhte Schäferlichkeit oder ein als „bäuerlich“ ausgegebenes Stimmungsgemälde, sondern um Beethovens eigene Begeisterung für alles Unhöfische, Naturhafte, Unkomplizierte, das weder einer Ästhetisierung noch einer religiösen Verbrämung bedarf. Das drückt sich vor allem im ersten Satz aus, den er mit der programmatischen Überschrift „Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande“ versah, wo man nicht nur das Rollen der Postkutsche auf einer der Landstraßen außerhalb Wiens, sondern auch Beethovens befreites Aufatmen zu vernehmen glaubt, endlich aus der Enge der Stadt ins „Freie“ gelangt zu sein. Im zweiten Satz, der den Titel „Szene am Bach“ trägt und dem nicht nur ein melodisches Wasserrauschen zugrunde liegt, sondern der selbst die Imitation bestimmter Vogelstimmen nicht verschmäht, glaubt man Beethoven als frohgestimmten Wanderer wiederzutreffen. Danach folgen noch ein Tanz der Bauern und das bekannte Gewitter. Beschlossen wird das Ganze mit dem Satz „Frohe und dankbare Gefühle nach dem Sturm“, in dem sich Beethoven musikalisch unter die nach dem Unwetter dankbar aufatmenden Landleute zu mischen scheint. Anschließend verstrichen mehrere Jahre, bis Beethoven wieder an die Ausarbeitung einer neuen Symphonie ging. An ihr, seiner 7. Symphonie, arbeitete er von 1811 bis zum Frühjahr 1812. Ihre Uraufführung erlebte sie allerdings erst im Dezember 1813 in Wien. Dass ihr ein besonders großer Erfolg beschieden war, hängt weitgehend damit zusammen, weil sie vom Publikum als ein Werk der siegreichen Befreiungskriege aufgefasst wurde. Bei ihrer Premiere erklang sie vor zwei Orchestermärschen von Ladislaus Dussek und Ignaz Joseph Pleyel sowie Beethovens Tonpoem Wellingtons Sieg oder Die Schlacht bei Vittoria, das heißt Beethovens sogenannter „Schlachtensymphonie“, 33

„Komponieren: heißt das nicht Handeln bei Ihnen?“

mit der sein „lange gehegter Wunsch“, wie er selber schrieb, „unter den gegenwärtigen Zeitumständen auch eine größere Arbeit auf dem Altar des Vaterlandes niederzulegen“,3 endlich in Erfüllung gegangen sei. Ja, nicht nur im Donner der Schlachtensymphonie, sondern auch in den Marschrhythmen des vierten Satzes der 7. Symphonie glaubten damalige Hörer den wuchtigen Schritt der siegreich gegen Napoleon vorrückenden Truppen zu vernehmen, durch die man den selbstherrlichen französischen Empereur endlich bezwungen und über den Rhein zurückgedrängt habe. Deshalb stimmte nach den Aufführungen dieser beiden Symphonien das Wiener Publikum den gleichen Jubel an, welchen es ein Jahr später der Neubearbeitung von Beethovens Fidelio spendete, dem als Rettungs- und Befreiungsoper im Sinne der Französischen Revolution bei den Erstaufführungen der Jahre 1805/06 wegen ihrer rebellischen Intonationen noch kein Erfolg beschieden war, der aber jetzt als Ausdruck einer Befreiung von Tyrannenwillkür auf eine höchst aufnahmebereite Zuhörerschaft traf. Dagegen unterließ Beethoven bei seiner 8. Symphonie, an der er ebenfalls im Jahr 1812 arbeitete und die ihre erste öffentliche Aufführung im Jahr 1814 erlebte, seltsamerweise alle von ihm erwarteten „heroischen“ Gesten und kehrte, wie schon in seiner 4. Symphonie, abermals zu den Formschemata seiner ersten beiden Symphonien zurück. Allerdings verzichtete er auch in diesem Werk im Kopf- und Schlusssatz keineswegs auf ein vorwärtsdrängendes „Allegro vivace“, ja benutzte hier sogar erstmals die bisher ausschließlich in der Militärmusik verwendeten F-Trompeten und gebrauchte am Schluss des Finales, wie schon in seiner 7. Symphonie, als Vortragszeichen zweimal ein dreifaches „forte“, was der Berichterstatter der Allgemeinen musikalischen Zeitung im Jahr 1818, als sich die politische Situation nach den Befreiungskriegen wieder etwas „beruhigt“ hatte, als „allzu kreischend“ empfand.4 Danach hat Beethoven längere Zeit keine Symphonie mehr komponiert. Die forcierte Rückwendung zu den Herrschaftsformen des Ancien Régime, die 1815 – nach der endgültigen Verbannung Napoleons nach St. Helena – auf dem Wiener Kongress von den dort 34

Die Zielutopie in Beethovens Symphonien

versammelten Fürsten beschlossen wurde, musste alle, die sich von dem Sieg über Napoleon eine Erweiterung ihrer demokratischen Rechte versprochen hatten, notwendig deprimieren. Wie wir wissen, konnte sich Beethoven in der Zeit von 1815 bis 1820 – außer dem Liederkreis An die ferne Geliebte sowie der Hammerklaviersonate op. 106 – zu nichts Neuem entschließen. Was sollte ihn, den stets freiheitlich gestimmten Rebellen, jetzt noch begeistern? Wenn er die politische Situation überdachte, wütete eher „Gift und Galle“ in ihm, wie einer seiner Zeitgenossen schrieb. Beethoven selber erklärte 1817: „Was mich belangt, so ist geraume Zeit meine Gesundheit erschüttert, wozu auch unser Staatszustand nicht wenig beiträgt, wovon bisher noch keine Verbesserung zu erwarten, wohl aber sich täglich Verschlimmerung ereignet.“5 Aufgrund solcher ins Düstere tendierenden Anwandlungen schloss er im April des gleichen Jahres einen Brief an einen Freund in Prag mit den Sätzen: „Leben Sie wohl. – Übrigens macht einen alles um uns nahe her ganz verstummen.“6 Aber Beethoven wäre nicht Beethoven gewesen, wenn er sich nicht schon 1820 unter der Maxime „Weitermachen auch in finsteren Zeiten“ wieder zu neuen Kompositionen aufgerafft hätte, statt sich lediglich Stimmungen der Hoffnungslosigkeit oder gar des Verzichts hinzugeben. Und zu jenen Werken, in denen er dieses „Weitermachen“ in Töne zu übersetzen versuchte,7 gehört – neben der Klaviersonate op. 111 mit ihrem weit ausgesponnenen zweiten Satz – vor allem seine 9. Symphonie, an der er von Anfang 1823 bis Anfang 1824 arbeitete. Während sich um ihn herum eine ins Biedermeierliche stilisierte Harmlosigkeit verbreitete, deren ideologische Absicht darin bestand, den Eindruck eines wohlgeordneten, das heißt auf ständestaatlichen Prinzipien beruhenden Gesellschaftszustands zu erwecken, versuchte Beethoven in diesem Werk noch einmal alles aufzubieten, was im Zentrum der aufklärerischen Emanzipationsbestrebungen des späten 18. Jahrhunderts gestanden hatte. Und er war widerborstig genug, das nicht nur mit musikalischen Mitteln ausdrücken zu wollen, sondern griff dabei im vierten Satz sogar als Textgrundlage auf ein Gedicht des jungen Friedrich Schiller, nämlich die Ode An die Freude zurück, 35

„Komponieren: heißt das nicht Handeln bei Ihnen?“

das einige illuminatisch gesinnte Studenten, wenn auch auf eine andere Melodie, schon während der Anfangsjahre der Französischen Revolution auf den Straßen von Jena gesungen hatten. Vor allem den Zeilen „Alle Menschen werden Brüder“ sowie „Seid umschlungen, Millionen! / Diesen Kuß der ganzen Welt!“ gab Beethoven einen so emphatischen Ausdruck, dass er – wie bereits Florestans Traum von den „besseren Welten“ in seiner Fidelio-Oper – kaum noch singbar ist, sondern musikalisch fast ans Utopisch-Unerreichbare grenzt. All das war – vor dem Hintergrund der machtvoll durchgeführten Metternich’schen Restaurationsbestrebungen – absolut kühn. Einer seiner späten Konversationspartner fragte ihn daher verwundert: „Komponieren: heißt das nicht Handeln bei Ihnen?“8 Dass Beethoven diese Symphonie in Wien überhaupt aufführen durfte, hatte er nur seinem im Laufe der Jahre erworbenen Prestige zu verdanken. Obendrein waren die maßgeblichen Autoritäten klug genug, Beethoven nicht durch irgendwelche Verbote den Rang eines bedauernswerten Märtyrers zu verleihen. Also ließ man ihn gewähren – zumal ein anspruchsvolles Werk wie die 9. Symphonie unter den damaligen Konzertbedingungen ohnehin nur selten aufgeführt werden konnte. Und wenn es einmal erklang, wurde es – wie auch andere Spätwerke Beethovens – von manchen mit der Metternich’schen Politik übereinstimmenden Kritikern als das Werk eines taub gewordenen Komponisten hingestellt, das streckenweise ins Bizarre, wenn nicht gar Unaufführbare übergehe. Dass Beethovens Symphonien in den Rang kaum zu überbietender Meisterwerke aufstiegen, ist weitgehend den großen Dirigenten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu verdanken. Allerdings setzte dabei nach der gescheiterten Achtundvierziger-Revolution, wie schon nach dem Wiener Kongress von 1815, ein weiterer Rückgang liberaldemokratischer Freiheitshoffnungen ein. Und das führte zu einer bewussten oder unbewussten Verkennung von Beethovens politästhetischen Absichten. Statt bei der Interpretation seiner Werke die von ihm angestrebte Synthese subjektiver und zugleich kollektiver Emanzipationsbestrebungen in den Vordergrund zu rücken, die 36

Die Zielutopie in Beethovens Symphonien

auf den Leitideen der Französischen Revolution von 1789 beruhten, wurden jetzt seine Symphonien, vor allem nach dem siegreichen Abschluss des Krieges von 1870/71, als Ausdruck eines spezifisch deutsch-heroischen Geistes hingestellt. So tauschte etwa ein bedeutender Dirigent wie Hans von Bülow die plötzlich als phrasenhaft diffamierte Parole „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ nach diesem Krieg kurzerhand in die positive Devise „Infanterie, Kavallerie, Artillerie“ aus. Ja, derselbe Bülow zögerte nicht, Beethovens Eroica, die einst im Hinblick auf den jungen Napoleon konzipiert worden war, in eine Symphonie für „Otto den Großen“, den „Fürsten Bismarck“ umzuwidmen.9 Andere Musikkritiker sprachen im gleichen Zeitraum sogar vom „Blut-und-Eisen“-Beethoven oder sahen in ihm die edelste Verkörperung von Friedrich Nietzsches „Übermenschen“. Demzufolge nahm fast niemand Anstoß daran, als Max Klinger 1902 ein Beethoven-Monument schuf, das den Schöpfer der 9. Symphonie als einen nackten Heros darstellte, der sich auf einem imperial wirkenden Thron niedergelassen hat. Noch heldenhaftere Züge nahm das Beethoven-Bild bei den nationalistisch gestimmten Schichten im Ersten Weltkrieg und dann während des Dritten Reiches an. Statt weiterhin den gründerzeitlichen Bismarck-Beethoven zu beschwören, wurde jetzt in reaktionären Kreisen immer stärker der „völkische“ Beethoven herausgestrichen, in dessen Symphonien eine „arische Willenskraft“ zum Ausdruck komme, die es im Kampf gegen alles „Undeutsche“ und damit „Kulturlose“ einzusetzen gelte. Vor allem während des Zweiten Weltkriegs sollte unter dem Motto „Wenn ich Beethoven höre, werde ich tapferer“, wie es 1942 in der Deutschen Militär-Musiker-Zeitung hieß, seine Musik die an allen Fronten für Deutschlands „Größe“ kämpfenden Truppen in ihrer Tapferkeit im Hinblick auf den militärischen Endsieg bestärken.10 Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs im Mai 1945 setzte dagegen in der Wertschätzung Beethovens eine deutliche Rückwendung zum Konzept der zutiefst „humanisierenden“ Wirkung seiner Werke ein. Während in Ostdeutschland dabei vor allem seine innige 37

„Komponieren: heißt das nicht Handeln bei Ihnen?“

Verbundenheit mit den Ideen der bürgerlichen Aufklärung betont wurde, wich man in der ehemaligen Bundesrepublik bei der Einschätzung seiner Symphonien anfangs lieber ins Formalistische oder Essentielle aus. Erst im Zuge jener Liberalisierungswelle, die sich im Gefolge der Achtundsechziger-Bewegung entwickelte, ging man auch hier wieder stärker auf die historisch bedingten Impulse seiner Werke ein, um auf diese Weise sowohl den Übersteigerungen ins HeroischNationalistische als auch den Ausflüchten ins Abstrakt-Formalistische Paroli zu bieten. Allerdings wurde diese Sicht bereits kurz darauf von Beethoven-Einschätzungen, welche eher ins Psychologische, Wahrnehmungstheoretische, Ereignishafte oder Postmodernistische tendierten, verdrängt, die im Zeichen jener „Neuen Unübersichtlichkeit“ standen, von der Jürgen Habermas in den achtziger und neunziger Jahren so gern sprach.11 Entgegen solchen Tendenzen wäre es angebracht, Beethovens Symphonien wieder wesentlich „konkreter“ zu hören. Das bedeutet nicht, sich möglichst kongenial in den politischen Geist der Ära von 1789 bis 1827 einfühlen zu wollen. Schließlich wiederholt sich Geschichte nie direkt. Was an diesen Werken beerbbar ist, sind nicht die Ideen der Französischen Revolution, die inzwischen eine weitgehend andere Zielrichtung angenommen haben, sondern die „Haltungen“, die sich in ihnen ausdrücken. Und das waren in seinem Falle die Haltungen des Trotzigen, des Sich-Aufbäumens, des Anfeuernden, ja des im besten Sinne auf mehr soziale Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit Drängenden. Und wer wollte leugnen, dass diese Haltungen – solange wir noch immer nicht in jenen von allen großen Menschheitsfreunden anvisierten gesellschaftlichen Utopien leben – keineswegs veraltet sind?12

38

Viermal Leonore Beethovens Bemühungen um die Oper

I

Sowohl über die Entstehung von Beethovens Fidelio als auch über seine Aufführungsgeschichte sind wir durch viele detailreiche Studien bestens informiert.1 Zu diesen beiden Komplexen lässt sich also heute kaum noch etwas Neues beitragen. Immer wieder hat man entweder feuilletonistisch-oberflächlich oder wissenschaftlich-akribisch nachgezeichnet, wie Beethoven 1803 als Dreiunddreißigjähriger zum ersten Mal einen Opernplan ins Auge fasste, und zwar die Vertonung eines Librettos, das ihm Emanuel Schikaneder, der frühere Freund Mozarts, vorgeschlagen hatte. Und Beethoven ging auf diesen Vorschlag auch spontan ein. Dabei handelte es sich um ein von Schikaneder selbst entworfenes Drama aus der Zeit des alten Rom unter dem Titel Vestas Feuer. Doch die in ihm ausgeführte Handlung mit ihren konventionellen Intrigen und Verwandlungen sprach Beethoven so wenig an, dass er das Ganze – nach einigen Skizzen zur ersten Szene – wieder aufgab.2 Kurz darauf, nach einem ihm gemäßeren Text suchend, stieß er auf das Opernlibretto Léonore ou L’amour conjugale von Nicolas Bouilly, das ihn sofort in seinen Bann schlug. Dieses Werk gehörte zum Typ der französischen „Rettungsoper“, die sich seit 1800 auch in Wien und anderen deutschen Städten einer relativ großen Beliebtheit erfreute.3 Dafür sprechen vor allem jene Opern von Luigi Cherubini, 39

Viermal Leonore

Pierre Gaveaux, Simon Mayr, Étienne-Nicolas Méhul und Ferdi­ nando Paër, in denen als thematischer Hintergrund noch immer der Sturm auf die Bastille von 1789 durchschimmert, deren Librettisten jedoch inzwischen – aufgrund der nachrevolutionären Stimmung – auch andere Schrecken erregende oder rührselige Elemente in ihre jeweiligen Handlungsstränge aufgenommen hatten. Bei der Léonore Bouillys, in der eine zum Letzten entschlossene Frau ihren unschuldigen Mann, den freiheitlich gesinnten „Menschenfreund“ Florestan, aus dem Kerker befreit, handelte es sich angeblich um eine „wahre Begebenheit“ aus der Zeit der Französischen Revolution, die jedoch ihr Verfasser in das noch mittelalterlich anmutende Spanien des 16. Jahrhunderts verlegt hatte, um somit das Grausame des dargestellten Justizmissbrauchs noch glaubhafter zu machen.4 Nach der Lektüre dieses Librettos, das Gaveaux bereits 1798 zu einer Opernkomposition unter dem gleichen Titel verwandt hatte, bat Beethoven Joseph Sonnleithner, ihm doch diesen Text möglichst umgehend aus dem Französischen ins Deutsche zu übersetzen, um mit seiner Vertonung beginnen zu können. Obwohl sich Sonnleithner dabei weitgehend an den vorgegebenen Handlungsverlauf hielt, intensivierte er – vor allem im zweiten Teil – die Dramatik des Ganzen so sehr, dass Beethoven hier sein Bestes an musikalisch-melodramatischen Steigerungen leisten konnte. Allerdings milderte Sonnleithner dabei im Hinblick auf die Wiener Zensur – wie vor ihm schon Lorenzo da Ponte bei der Umarbeitung von Beaumarchais’ Lustspiel La folle journée in das Libretto für Mozarts Le nozze di Figaro – einige der politisch anstößigsten Stellen, die an die Liberté-Parolen der ersten Jahre der Französischen Revolution erinnerten, merklich ab.5 Was 1798 in Paris noch durchaus möglich war, hätte 1805 in Wien, als Beethoven die Komposition abschloss, niemals die Polizeihofstelle passiert. Schließlich war es hier ausdrücklich verboten worden, in einer Oper irgendwelche „hohen Persönlichkeiten“ zu kritisieren oder eine unziemliche „Freiheitsgesinnung“ zu verbreiten.6 Nachdem die Zensurbehörde das eingereichte Textbuch einer hochnotpeinlichen Prüfung unterzogen hatte, 40

Beethovens Bemühungen um die Oper

meldete der amtierende Staatsrat Ferdinand von Stahl zuerst Bedenken an, erlaubte aber dann doch die Inszenierung des Ganzen, weil die österreichische Kaiserin Marie Therese, die das Textbuch ebenfalls zu sehen bekam, aus Gründen der idealisierten „Gattenliebe“ und der „herzbewegenden“ Schlussszene ein persönliches Interesse daran nahm und die Aufführung des Fidelio gnädiglich befürwortete. Demzufolge schlug Sonnleithner den Wiener Behörden vor, die Premiere dieses die Ehe verherrlichenden Werks wegen des „rührenden Gemäldes der weiblichen Tugend“ auf den „Namenstag seiner Majestät der Kaiserin“ zu legen, und stellte den Rest der Handlung – mit deutlich abwiegelnder Tendenz – als eine „Privatrache“ des „bösgesinnten“ Pizarro an dem armen Florestan, das heißt als eine moralische und nicht eine politische Angelegenheit hin.7 Trotz dieses Eingriffs von oben waren die Zeitumstände für die Uraufführung dieser Oper am 20. November 1805 so ungünstig wie nur möglich. Schließlich hatten wenige Monate zuvor Österreich, Russland und England dem selbstherrlich auftretenden Empereur Napoleon den Krieg erklärt, worauf dieser mit seinen Truppen nach Österreich vorzudringen begann und am 13. November mit Teilen seiner Armee in Wien einmarschierte, nachdem der Hof, der Adel und Teile des gehobenen Bürgertums die Stadt kurz zuvor verlassen hatten. Ja, am 2. Dezember schlug Napoleon in der Schlacht bei Austerlitz die verbündeten österreichischen und russischen Truppen so vernichtend, dass die Habsburger am 25. Dezember im Friedensvertrag von Preßburg große Teile ihrer Besitztümer abtreten mussten. Als daher, wie gesagt, am 20. November 1805 Beethovens Fidelio oder Die eheliche Liebe im Theater an der Wien zum ersten Mal über die Bühne ging, war der Zuschauerraum halb leer,8 weil viele der musikinteressierten Wiener entweder aus der Stadt geflohen waren oder wegen der unsicheren Zeitumstände lieber zu Hause blieben. Daher musste der Fidelio nach zwei Wiederholungen wieder vom Spielplan abgesetzt werden. Auch die Rezensionen dieser Aufführungen fielen recht ungünstig aus. Sie warfen Beethoven unter konservativ-ästhetisierender Perspektive vor allem das „Modische“ des Befreiungsthemas im Gefolge der Oper 41

Viermal Leonore

Les deux journées, ou Le porteur d’eau (1800) von Luigi Cherubini vor und bemängelten zugleich seine Sucht, das „Schöne“ auf Kosten des „Neuen und Sonderbaren“ geopfert zu haben.9 Dieses Debakel war zwar für Beethoven anfangs geradezu niederschmetternd, zwang ihn aber zu einer dramaturgischen und musikalischen Revision seines Ur-Fidelio, den er am 29. März 1806, als sich die Verhältnisse in Wien wieder etwas beruhigt hatten, unter dem Titel Leonore oder Der Triumph der ehelichen Liebe, erneut inszenieren ließ. Aus den drei Akten der ersten Fassung waren inzwischen durch erhebliche Kürzungen im ersten Teil zwei Akte geworden. Somit wirkte das Ganze wesentlich gestraffter und führte schneller in die Dramatik der Handlung ein, ohne allzu lange in den bürgerlich-humoristischen oder auch rührseligen Szenen des Anfangs zu verweilen. Zu diesem Zwecke hatte Beethoven das Duett „Um in der Ehe froh zu leben“ sowie das Terzett „Ein Mann ist bald genommen“ kurzerhand gestrichen. Allerdings war sogar dieser Inszenierung kein großer Erfolg beschieden. Selbst die Reaktion in der Presse war kaum positiver als im Vorjahr. Sie lobte zwar einige Partien der Beethoven’schen Musik, bezeichnete aber das politisch aufreizende Libretto Sonnleithners als ein „gehaltloses Machwerk“ und fand die „rezitierenden Stellen“ geradezu abgedroschen.10 Und damit schien das Schicksal dieser Oper, auf deren Erfolg Beethoven so große Hoffnungen gesetzt hatte, endgültig besiegelt zu sein. Eine neue Chance zu einer weiteren Bearbeitung und Wiederaufführung dieses bisher höchst missgünstig aufgenommenen Werks ergab sich erst zu Beginn des im Jahr 1814 stattfindenden Wiener Kongresses, als Beethoven durch den Erfolg seiner Schlachtensymphonie plötzlich den Zenit seines äußeren Ruhms erreicht hatte.11 Deshalb holte er zu diesem Zeitpunkt auch seine inzwischen fast vergessene Fidelio-Leonore-Oper wieder hervor und bat Georg Friedrich Treitschke, den Text des Ganzen nochmals einer gründlichen Revision zu unterziehen. Dieser tilgte bei seiner Neubearbeitung des Librettos weitere kürzere Abschnitte und gab dafür dem freiheitssüchtigen Monolog Florestans zu Anfang des zweiten Akts ein 42

Beethovens Bemühungen um die Oper

wesentlich größeres Gewicht. Außerdem ließ er die Schlussszene in einem sonnenüberfluteten Schlosshof spielen, um dem Ganzen einen strahlenden Abschluss zu geben und zugleich mehr „Volk“ auf die Bühne bringen zu können als in den beiden früheren Fassungen, wo sich die letzte Szene in einem dunklen Verlies abgespielt hatte. Dass der Fidelio, wie diese Oper jetzt wieder hieß, zu diesem Zeitpunkt vom Wiener Publikum so begeistert aufgenommen wurde, hing jedoch nicht allein mit der wesentlich höheren Qualität der Textgrundlage sowie der verbesserten musikalischen Ausarbeitung, sondern auch mit der Gunst der politischen Umstände zusammen. Die Premiere fand am 23. März 1814, also wenige Tage vor dem endgültigen Sieg der Koalitionsarmeen über den „Tyrannen“ Napoleon und seiner Verbannung auf die Insel Elba statt. Endlich schienen die durch den französischen Eindringling heraufbeschworenen „bösen Geister“, wie es allgemein hieß, vertrieben zu sein und eine Zeit des Friedens und des Wohlstands anzubrechen. Vom Sturm auf die Bastille und all den Folgerungen, die sich hieraus ergeben hatten, sprach zu diesem Zeitpunkt fast niemand mehr. Demzufolge erschien diese Oper – im Gegensatz zu den Jahren 1805/06 – den Zensurbehörden plötzlich durchaus passabel und konnte ohne ihren Einspruch anstandslos über die Bretter gehen. Jetzt waren es vor allem der Hass auf die Tyrannenwillkür und die Musik Beethovens, die allgemein bewundert wurden, während ihre Revolutionsthematik von dem in patriotischer Hochstimmung schwelgenden Wiener Publikum kaum noch wahrgenommen wurde. II

Und bei dieser Einschätzung blieb es auch in der Folgezeit. Lediglich in Zeiten politischer Unterdrückung wurde der Fidelio weiterhin als Befreiungsoper interpretiert. In den dazwischen liegenden Statusquo-Perioden beschränkte sich dagegen die Beethoven-Forschung bei der Behandlung des Fidelio vornehmlich auf formale oder gattungstheoretische Überlegungen,12 das heißt stellte höchst detailreiche 43

Viermal Leonore

Analysen an, welche Teile dieser Oper jeweils zum Genre des Drame sérieux, der Opéra comique, der Comédie larmoyante, des Tableau vivant, des bürgerlichen Trauerspiels, des Singspiels oder des deutschen Rührstücks zuzurechnen seien. Andere haben in diesem Umkreis die Ur-Leonore eingehend mit dem späteren Fidelio verglichen,13 an dem Phänomen der „Großen Oper“ herumgerätselt,14 genaue Analysen der einzelnen Musiknummern unternommen et cetera pp.15 Bedeutsame oder gar provokante Analysen, die auch den inhaltlichen Grundimpulsen dieser Oper nachgegangen wären und sie vielleicht sogar auf ihre ideologische Qualität befragt hätten, sind dagegen wesentlich seltener und lassen sich – genauer besehen – an den Fingern einer Hand abzählen. Einige wichtige Glanzlichter dieser Art finden sich in jenem kurzen Text, den Ernst Bloch unter dem Titel Marseillaise und Augenblick in Fidelio veröffentlicht hat.16 Mit all dem expressionistisch-utopischen Elan, der für diesen Autor typisch ist, heißt es hier, dass Beethovens Fidelio-Musik fast an jene „Grenzen der Menschheit“ vorstoße, wo sie sich als „erlangte Wir-Welt“ überhaupt erst konstituiere. Diese Musik, lesen wir weiter, sei „ein Kristall, aber aus künftiger Freiheit, ein Stern, aber als neue Erde“.17 Ja, das Trompetensignal im zweiten Akt deutete für Bloch bereits auf die „Ankunft des Messias“ hin, nach dem plötzlich jener „große Augenblick“ möglich werde, der sich einerseits auf einem „Stern der erfüllten Hoffnung“ und doch andererseits ganz konkret im Hier und Jetzt abspiele.18 Mit dem universalen Zug dieser Interpretation lassen sich an ideologischem Tiefgang eigentlich nur die verstreuten Bemerkungen zur Fidelio-Oper in Theodor W. Adornos nachgelassenen BeethovenFragmenten vergleichen.19 Was in ihnen vorherrscht, ist eine Sicht Beethovens, die davon ausgeht, dass den Werken seiner mittleren, sprich: „klassischen“ Periode stets eine gelungene Synthese zwischen objektiven Formgesetzen und höchst subjektiven Gefühlsimpulsen zugrunde liege. Und damit sei es Beethoven zwischen 1795 und 1815 gelungen, den dialektischen Fortschritt des Weltgeists in Töne zu bannen, in denen sich sowohl seine eigene Seelenstimmung als auch 44

Beethovens Bemühungen um die Oper

die philosophische Grundsignatur des von ihm durchlebten Zeitalters zu erkennen gebe. Wegen dieses doppelten Ausdrucksverlangens mache sich in der Musik des mittleren Beethoven, behauptete Adorno, nicht nur eine von der Französischen Revolution angefachte Sehnsucht nach weltbürgerlichen Solidaritätsgefühlen, sondern auch ein höchst persönliches Aufbegehren bemerkbar. Diese beiden Perspektiven, nämlich die Blochs und die Adornos, erscheinen mir für ein tieferes Verständnis des mittleren Beethoven und damit auch seiner Fidelio-Oper unverzichtbar. Schließlich äußert sich in diesem Werk, und zwar nicht nur in seiner Musik, sondern auch in seinem Text, der Beethoven von Anfang an faszinierte und in den er in seiner letzten Fassung sicher auch eigene sprachliche Wendungen einbrachte, eine weltanschauliche Haltung, bei der das Utopische, das Politische und das Weltgeistliche mit dem Höchstpersönlichen eine untrennbare Synthese eingehen. Hier bäumt sich jemand mit geradezu herkulischer Kraft sowohl gegen die politischen Missstände seiner Zeit als auch die Widrigkeiten seines eigenen Taubwerdens auf und schafft ein Werk, das trotz seiner kolportagehaften Handlungsführung sowie der durch die Zensur erzwungenen „Mäßigungen“ dennoch von einer geradezu revolutionären Sprengkraft ist, die weit über alles hinausgeht, was das damalige Wiener Publikum von anderen Aufführungen im Theater an der Wien gewohnt war. Das soll im Folgenden an zwei zentralen Szenen dieser Oper etwas genauer dargestellt werden: und zwar an Florestans Monolog zu Beginn des zweiten Aktes sowie der darauffolgenden Szene, in der sich Florestan und Leonore nach langer Trennung endlich wieder in die Arme fallen können. III

Florestans Monolog ist bisher zumeist im Rahmen früherer Opernszenen dieser Art interpretiert worden, in denen ein unschuldig Verurteilter in einem dunklen Verlies schmachtet und doch trotz aller zu erduldenden Qualen nicht die Hoffnung auf eine mögliche Befreiung 45

Viermal Leonore

aufgibt. Solche Szenen waren bereits in der italienischen Opera seria des Spätbarock Legion, erhielten aber im Rahmen des durch den Sturm auf die Bastille ausgelösten Beginns der Französischen Revolution eine ganz andere ideologische Qualität. Im Hinblick auf die Kerkerszenen in spätbarocken Opern, vor allem jene, die auf Librettos von Pietro Metastasio beruhen, handelte es sich meist um Episoden innerhalb jener Palastintrigen, wie sie für die höfisch gestimmten Opern dieser Zeit typisch waren. Ja, vergleichbare Handlungssituationen finden sich sogar noch in einer Reihe französischer Opern der sechziger und siebziger Jahre wie etwa im Déserteur (1769) von Pierre-Alexandre Monsigny oder in Aucassin et Nicolette (1779) von André-Ernest-Modeste Grétry, aber auch in späteren Opern wie Les rigueurs du cloître (1790) von Pierre-Montan Berton sowie der berühmt-berüchtigten Oper La caverne (1793) von Jean-François Lesueur, deren Höhlen- und Kerkerszenen unter anderem Jean-Nicolas Bouilly zu seiner Léonore angeregt haben. Doch ebenso wichtig dürften für Beethovens Fidelio die Verhaftungs- und Befreiungsszenen in der Oper Les deux journées, ou Le porteur d’eau (1800) von Luigi Cherubini gewesen sein, die kurz nach der Jahrhundertwende auch in Wien aufgeführt wurde und deren Inszenierung er dort nachweislich gesehen hat. Obwohl Beethoven bei der Abfassung seines Fidelio in Einzelzügen von diesen „Rettungsopern“ maßgeblich beeinflusst wurde, übertrifft seine Kerkerszene zu Anfang des zweiten Akts sämtliche älteren Szenen dieser Art sowohl an dramatischer Wucht als auch an musikalischer Ausgestaltung und hat dadurch alle anderen Opern dieses Typs in die Rumpelkammer der Geschichte verbannt. Hier wird sowohl gegen die unmenschliche Behandlung der zu Unrecht in den damaligen Kerkern schmachtenden Gefangenen protestiert als auch die politische Komponente dieser Einkerkerungen herausgestellt. Schließlich ist in Beethovens Fidelio nicht nur Florestan ein zu Unrecht verurteilter Märtyrer, sondern auch alle anderen in diesem Kerker eingesperrten Gefangenen sind Opfer eines tyrannischen Gouverneurs namens Pizarro, der offenbar in seiner Region – wie 46

Beethovens Bemühungen um die Oper

schon sein früherer Namensvetter im Peru der „edlen“ Inkas – keinerlei freiheitliche Regungen duldet. Und zwar wird das nicht nur im Schlusschor thematisiert, sondern bereits gegen Ende des ersten Akts, als die Gefangenen – durch eine wagemutige Intervention Fidelios – nach Monaten oder Jahren der Einschließung in unterirdischen Verliesen endlich einmal für wenige Minuten das Sonnenlicht der Freiheit erblicken dürfen und den hochbewegenden Gesang anstimmen: „O welche Lust, in freier Luft / den Atem leicht zu heben. / Nur hier, nur hier ist Leben / der Kerker eine Gruft.“ Doch gehen wir erst einmal auf Florestans Monolog ein, dessen instrumentale Einleitung auf „seine Angst, das Klopfen seines Herzens, den Pendelschlag der verrinnenden Zeit, des nahenden Todes, aber auch die sich nähernden Schritte“ hinzuweisen scheint. Im Gegensatz zu allen früheren Vertonungen dieser Szene wollte Beethoven hierin „mit offenkundigem persönlichem Engagement das Elend des Gefangenen“ sowie die „Folter der Isolation“ ausdrücken.20 Darauf folgt dann jener große ariose Aufschwung, der fast „an die Grenze der gesanglichen Ausführbarkeit“ reicht. All das kann kaum noch „belcanto“, das heißt „schön“ gesungen werden. In ihm wird das stimmlich kaum zu Bewältigende geradezu zum letztendlichen „Ausdrucksmittel“. Und auch im Allegroteil des „traumhaft-visionären Arienschlusses“ erwächst das „Ekstatische des Ausdrucks nicht zuletzt aus den extremen Anforderungen an den Gesang“, der gerade in seiner Forciertheit so überzeugend wirkt.21 Wie „dünn“ klingen dagegen die gleichen Stellen in den Leonoren-Opern von Pierre Gaveaux oder Fernando Paër. Sogar ähnliche Szenen bei Luigi Cherubini haben eher eine klassizistisch-kalte Ausdrucksform, die seelisch anspruchsvolle Hörer und Hörerinnen weitgehend ungerührt lässt. Selbst Beethovens Erstfassung dieser Szene von 1805/06 besaß noch nicht jene Intensität wie die der stark überarbeiteten Fassung von 1814, in der wir diesen Monolog heute hören. Die Orchestereinleitung dieser Szene malte er in der späteren Bearbeitung zwar etwas weiter aus, behielt sie aber sonst weitgehend bei. Auch das Rezitativ, das mit dem Aufschrei „Gott, welch’ Dunkel 47

Viermal Leonore

hier“ beginnt, ist mehr oder minder das gleiche geblieben.22 Dagegen ersetzte Beethoven die relativ „gemäßigte“ f-Moll-Arie „Ach, es waren schöne Tage“ in der Fassung von 1814 durch jene himmelstürmende D-Dur-Partie „Und spür ich nicht linde, sanft säuselnde Luft? / Und ist nicht mein Grab mir erhellet“, in der Florestan – im Zustand einer momentanen Verzückung – Leonore plötzlich in der Traumgestalt eines Engels erblickt, die ihn ins „himmlische Reich“ der ersehnten „besseren Welten“ hinüberzuführen scheint. Während sie ihm zuvor in einer tagträumerischen Stimmung nur als Gattin erschienen war, wird sie jetzt – wie Klärchen in der ebenfalls in einem Kerker spielenden Schlussszene von Goethes Egmont – zum „Engel der Freiheit“, der ihn zu einer visionären Ekstase hinreißt. Zusammenfassend lässt sich im Hinblick auf diese Szene sagen, dass ihre Fassung von 1805/06 noch in der „Trostlosigkeit der Gegenwart“ spielt, dagegen in der Fassung von 1814 bereits eine in die Zukunft weisende „Vision der Freiheit“ enthält.23 Ideologisch lässt sich daraus Folgendes schließen: Während in der Urfassung dieses Rezitativ mit anschließender Arie – vielleicht wegen der damals herrschenden Zensurbestimmungen – noch relativ „gemäßigt“ klingt, wird in der von Beethoven und Treitschke 1814 umgestalteten Arienfolge die visionär herbeigewünschte Gattin Leonore zu einer weit über die irdische Misere hinausragenden Figur, die den halbverhungerten Florestan in seinen Wachträumen in ein zwar „himmlisches“, aber zugleich „freiheitlich-besseres“ Reich aller erfüllbaren Sehnsüchte zu führen scheint. Und das verleiht dieser Szene einen neuen, völlig ungeahnten Glanz, der in seiner Ausdruckskraft sowohl menschlich als auch politisch die beiden früheren Fassungen weit übertrifft. Mit anderen Worten: In dieser und den folgenden Szenen, als sich Florestan und Leonore nach zweijähriger Trennung endlich wiedererkennen und beglückt umarmen, verbinden sich das Politische und das Persönliche zu einer geradezu untrennbaren Synthese, für die es an überwältigender Intensität im Bereich der Oper kaum Parallelen gibt. Zugegeben, ohne die politische Gesinnung Beethovens hätten diese Szenen sicher nicht jene Ausdruckskraft, die sie schon in der ersten 48

Beethovens Bemühungen um die Oper

Fassung von 1805 und dann verstärkt in der Fassung von 1814 haben. In ihnen bäumt sich jemand auf, der jede fürstliche Willkür, jede Zensur, jede Beengung seiner Freiheit als unerträglich empfindet und darum mit einem durch die Parolen der Französischen Revolution angefachten Emanzipationspathos jene Eindringlichkeit anstrebt, die dieser Oper im Rahmen aller politischen Befreiungsopern ihren einsamen Rang verleiht. Und doch äußert sich in diesem Pathos zugleich ein recht unverhüllt-privater Zug, nämlich das verzweifelte Bemühen Beethovens, wenigstens mit seiner Musik die Mauern jenes Kerkers der Taubheit zu sprengen, in den er sich wegen seiner zunehmenden Hörbehinderung eingesperrt fühlte. Florestans Monolog zu Anfang des zweiten Aktes ist daher nicht nur der heroische Gesang eines politisch Unterdrückten, der wieder das Licht der Freiheit erblicken möchte, sondern auch ein Ausdruck von Beethovens höchst persönlicher Stimme, in der sich ein unstillbarer Wunsch nach menschlicher Nähe und Wärme manifestiert. Und das gibt dieser Szene ihre erschütternde Glaubhaftigkeit. Wie wir wissen, begann Beethoven schon seit 1796 an Ertaubungssymptomen zu leiden24 und musste sich später zusehends monströser Hörapparate oder Konversationshefte bedienen, um überhaupt noch mit anderen Menschen kommunizieren zu können.25 In seinen Briefen finden sich die ersten Klagen über seine „Harthörigkeit“ erstmals im Jahr 1801. Schon zu diesem Zeitpunkt fühlte er sich plötzlich „unbehaust und verlassen“.26 „Meine Ohren, die sausen und brausen Tag und Nacht fort“, heißt es kurze Zeit später in einem Brief an Franz Wegeler, „ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu, seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil’s mir nicht möglich ist, den Leuten zu sagen: Ich bin taub.“ Doch erst im Jahr 1802 – nach sechs Monaten ländlicher Abgeschlossenheit – schrieb er am 6. Oktober sein bekanntes Heiligenstädter Testament, in dem er seinen „Brüdern“ den qualvollen Zustand seines Hörleidens offenbarte und sie bat, ihn nicht für „feindselig störrisch oder misanthropisch“ zu halten und das nötige Verständnis für seine zunehmende Taubheit aufzubringen, die ihn dazu zwinge, „wie ein Verbannter“ zu leben.27 49

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Mit den in der Überschrift erwähnten „Brüdern“ sind dabei höchst wahrscheinlich nicht nur seine beiden leiblichen Brüder Kaspar und Johann, sondern auch seine früheren Freimaurerbrüder, wenn nicht gar – wie in der Schlussszene des Fidelio – im Sinne der Fraternitéoder Verbrüderungsgesinnung der Französischen Revolution alle Menschen guten Willens gemeint, die ihr Leben eher in den Dienst höherer Ideale stellen, als sich einem blinden Egoismus und Materialismus zu verschreiben. Wie stark Beethoven zu diesem Zeitpunkt seine gesellschaftliche Isolierung empfand, die er mit mutigem Trotz als etwas Schicksalsgegebenes hinnahm, beweist ebenso eindringlich sein Oratorium Christus am Ölberge, das er 1803, also zwischen dem Heiligenstädter Testament und seinem Fidelio komponierte. Neben religiösen Anklängen herrscht in diesem Werk eine Stimmung menschlicher Verlassenheit, die sich erst gegen Schluss – aufgrund der nach schweren inneren Kämpfen erfolgenden Akzeptanz der Leiden – etwas aufhellt. Darum ist die Kerkerszene im Fidelio, die Beethoven kurz danach konzipierte und in der Florestan von seinem Leid als einer „schweren Prüfung“ spricht, nicht nur Ausdruck eines allgemeinen Freiheitsverlangens, sondern zugleich Ausdruck jener tiefen menschlichen Krise, die Beethoven selbst zu diesem Zeitpunkt durchmachte.28 IV

So viel zur inneren Identifikation Beethovens mit seiner Florestanfigur. Durch sie konnte er all das in Worte und Klänge umsetzen, was ihn damals bedrückte: seine menschliche Isolierung und zugleich seinen Wunsch, diesen Zustand der Verlassenheit nicht nur durch eine universal gemeinte Menschenverbrüderung, sondern auch durch eine persönliche Liebesbeziehung zu überwinden. Schließlich ist die Zeit, in der Beethoven seinen Fidelio komponierte, auch die Zeit, in der er sich am stärksten nach einer liebenden, wenn nicht gar ehelichen Verbindung mit einer zu ihm passenden Frau der Wiener Gesellschaft sehnte. Wir wissen in dieser Hinsicht vor allem von seinen 50

Beethovens Bemühungen um die Oper

Bemühungen um Josephine von Deym, die in einer unglücklichen Ehe lebte und deren fast 30 Jahre älterer Mann im Januar 1805 plötzlich starb. Josephine, die 1779 geboren war, wurde also schon mit 26 Jahren Witwe. Nach den Briefen zu urteilen, die Beethoven im Winter 1804/05 an sie schrieb,29 muss seine Neigung zu ihr höchst intensiv gewesen sein und noch bis zum Jahr 1806 angedauert haben. Doch nach allem, was wir über diese Liebesbeziehung wissen, lehnte Josephine von Deym den auch von ihr geliebten Beethoven – wegen seines misstrauisch-störrischen Wesens, das sich mit zunehmender Taubheit verstärkte, und wohl auch im Hinblick auf ihre vier unmündigen Kinder – nach reiflicher Überlegung schließlich doch als möglichen Ehekandidaten ab.30 Aufgrund dieser Fakten haben manche Musikwissenschaftler in Josephine von Deym Beethovens „Unsterbliche Geliebte“ gesehen, an die er jenen berühmten, aber undatierten und nie abgeschickten Brief verfasste, der die diesbezügliche Forschung lange Zeit in Atem gehalten hat, bis andere diese Frau schließlich in Antonie Brentano, geborene von Birkenstock, entdeckt zu haben glaubten.31 Aber daran soll hier nicht weiter herumgerätselt werden. Was feststeht, ist lediglich Folgendes. Gerade in dem Zeitraum, als Beethoven an seiner Erstfassung des Fidelio arbeitete, sowie in den kurz darauf folgenden Jahren scheint seine Sehnsucht nach einer möglichen Ehepartnerin besonders groß gewesen zu sein. Doch diese Sehnsucht blieb unerfüllt. Demzufolge ergab sich Beethoven – trotz seines heftigen Verlangens nach einer partnerschaftlichen Beziehung – schließlich in sein Schicksal, wohl ständig allein bleiben zu müssen. Von dem „Engel meines Herzens“, wie er Josephine in seinen Briefen gern nannte, blieb daher als Leitfigur seiner Wunschvorstellungen nur jene Leonore seines Fidelio übrig, in die Beethoven alles hineinlegte, was er von einer großgesinnten Frau erwartete: Edelmut, Hingebungsbereitschaft, Idealismus, Tapferkeit, allgemeine Menschenliebe und unwandelbare Treue. Demzufolge ist seine Leonore, obwohl es in dieser Oper eigentlich zentral um die Befreiung des in seiner Wahrheitsliebe aufrührerischen Florestan und der mit ihm eingekerkerten politischen Gefangenen geht, 51

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dennoch für seinen Fidelio von entscheidender Bedeutung. Sie setzt in männlicher Verkleidung die ganze Handlung in Bewegung, sie drängt darauf, die Gefangenen gegen Ende des ersten Aktes für eine Weile aus ihren Verliesen zu lassen, sie beredet den Gefängnisaufseher Rocco, sie als Gehilfe in den tiefsten Kerker mitzunehmen, wo sich jener geheimnisvolle Hauptgefangene befindet, in dem sie zu Recht Florestan vermutet, und sie zückt schließlich die Pistole gegen den tyrannischen Pizarro und verhindert dadurch die Ermordung ihres mit allen Fasern ihres Herzens geliebten Ehemanns. Deshalb schließt diese Oper nicht nur mit dem Jubelgesang der befreiten Gefangenen, endlich wieder das Licht der Freiheit zu erblicken, sondern auch mit der ebenso bewegenden Szene, in der sich Florestan und Leonore in die Arme fallen und nur noch stammeln können: „O Gott! – welch ein Augenblick“ und „O unaussprechlich süßes Glück.“ Zutiefst gerührt durch die Tapferkeit dieser Frau stimmen darauf alle anderen in jenen Hymnus ein, welcher diese beiden Zeilen noch einmal emphatisch wiederholt und dann zu dem Schluss­ chor ausholt: „Wer ein holdes Weib errungen, / stimm in unsern Jubel ein!“ Einen noch besseren Schluss hätte diese Oper gar nicht haben können. Diese glückliche Wendung wird zwar gegen Ende auch durch die Ankunft des benevolenten, fast an einen Vertrauten Josephs II. gemahnenden Ministers Fernando mit eingeleitet, aber sie ist zugleich das Ergebnis der ausdauernden, ja sogar den Tod nicht scheuenden Beharrlichkeit Florestans sowie jener alle bisher geltenden Geschlechterschranken hinter sich lassenden Leonore, die nicht zögert, selbst einem übermächtigen Tyrannen wie Pizarro Paroli zu bieten. V

Man hat sich oft gefragt, warum Beethoven keine weiteren Opern dieser Art verfasst hat. An dem nötigen Mut fehlte es ihm sicher nicht. Aber wer hätte gewagt, ihm ein dafür geeignetes Libretto zu schreiben? Wie wir wissen, hat ihm Franz Grillparzer angeboten, eine Melusine zu entwerfen. Doch damit konnte Beethoven nichts 52

Beethovens Bemühungen um die Oper

anfangen. Sowohl spätromantische Märchenthemen als auch mit erotischen Anspielungen durchsetzte Lustspielstoffe wie Mozarts Le nozze di Figaro oder Così fan tutte lehnte er ab. Er fasste lieber Heroisches im Sinne Schillers oder Revolutionäres à la Goethes Egmont ins Auge. Lediglich der Befreiungskrieg von 1813/14 bot ihm eine gewisse Stoffgrundlage dazu. Was jedoch in dieser Hinsicht vorherrschte, war meist Teutonisch-Superpatriotisches oder Dynastisch-Panegyrisches, und das sagte ihm nicht zu. Den einzigen Text, auf den er 1814 zufällig stieß und der ihm sofort gefiel, war das Drama Leonore Prohaska des Berliner Autors Johann Friedrich Leopold Duncker, der in diesem Jahr im Gefolge Friedrich Wilhelms III. zum Wiener Kongress angereist kam und mit dem er sich sofort anfreundete. Da es sich dabei um ein höchst aktuelles Thema handelte, konnte Beethoven – wegen der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit – nur die Begleitmusik zu diesem Drama komponieren und nicht das Ganze in eine Oper einschmelzen. Trotz seiner Musik wurde jedoch die Duncker’sche Leonore nicht aufgeführt, ja nicht einmal ihr Text hat sich erhalten. Während also Beethovens Fidelio mit seiner Leonore-Figur bis heute zum allgemein anerkannten Weltkulturerbe gehört, ist dieses Werk im Dunkel der Vergangenheit untergegangen.32 Interessanterweise handelte es sich bei Dunckers Titelheldin wiederum um eine kühne, diesmal aus dem Leben gegriffene Frauengestalt. Leonore Prohaska, die aus einem Potsdamer Waisenhaus stammte, war eine der bekanntesten Heldinnen des preußischen Befreiungskampfs gewesen. Sie hatte sich Anfang 1813 als Achtundzwanzigjährige als Mann verkleidet und sich dann wie Theodor Körner, Friedrich Ludwig Jahn und Karl Friedrich Friesen unter dem Namen August Renz in Breslau der „Schwarzen Schar“ unter der Leitung jenes Adolf von Lützow angeschlossen, der bereits vorher unter dem Dragoneroffizier Ferdinand von Schill als Guerilla gegen die französische Besatzungsarmee aufgetreten war. Nachdem sich August Renz in mehreren Scharmützeln als tapferer Soldat bewährt hatte, wurde er Ende September 1813 im Gefecht an der Goerde schwer verwundet. Erst jetzt erkannten seine Mitstreiter, dass sie es bei ihrem Kameraden 53

Viermal Leonore

Renz mit einer Frau zu tun hatten. Am 5. Oktober, also 13 Tage vor der Völkerschlacht bei Leipzig, erlag Leonore Prohaska ihren Verwundungen und stieg danach schnell zu einer legendären Figur auf, der viele Gedichte und andere literarische Ausdrucksformen, darunter das erwähnte Drama von Duncker, gewidmet wurden. Dass dies ein Stoff für Beethoven sein musste, versteht sich fast von selbst. Schließlich hatte er bereits in seinem Fidelio in der Figur der Leonore, die sich als Mann verkleidet, um ihren Gatten Florestan aus dem Kerker des tyrannischen Pizarro zu befreien, das heroische Verhalten einer politisch und menschlich bis zum Letzten entschlossenen Frau in Handlung und Musik umgesetzt. Nach einem optimistisch gestimmten Kriegerchor scheint allerdings in Dunckers Drama eher das Melancholische vorgeherrscht zu haben. Offenbar hat es sich beim Text dieses Werks um eine weit ausgedehnte Elegie gehandelt, die vor allem dem Andenken der früh verstorbenen Leonore Prohaska gewidmet war. Vermutlich wird das auch Beethovens Stimmung zu diesem Zeitpunkt entsprochen haben, der im Laufe der Verhandlungen des Wiener Kongresses zusehends einsah, dass es sich bei dem Länderschacher dieser Fürstenversammlung nicht um den Anbruch einer neuen, besseren Zeit, sondern um eine Restauration des gehassten Ancien Régime ging, also dass all der politische Enthusiasmus der Jahre 1813/14 letztlich vergeblich gewesen war. Und was eignete sich im Rahmen einer solchen Stimmung besser, als ein elegisches Denkmal für eine sinnlos gefallene Heldin des von ihm und anderen Idealisten als „Freiheitskampf“ aufgefassten Kriegs gegen Napoleon aufzurichten sowie einen sich daran anschließenden Trauermarsch zu komponieren, der fast wie ein großes „Umsonst“ klingt? Demzufolge blieb dieses Stück unaufgeführt – und auch Beethovens Trauermarsch wurde nie öffentlich gespielt und kam erst 1888 in der Alten Gesamtausgabe seiner Werke erstmals im Druck heraus. Was für zwei Leonoren, für die sich in der Opernliteratur des 18. Jahrhunderts – außer vielleicht den Gluck’schen Iphigenien und einigen Heroinen in den Befreiungsopern der Französischen 54

Beethovens Bemühungen um die Oper

Revolution – kaum irgendwelche Vorbilder finden! In den Opern vor Beethoven hatten, etwas vereinfacht gesprochen, im Hinblick auf das weibliche Geschlecht meist folgende, kaum variierte Grundtypen im Vordergrund gestanden: erstens das sinnlich-rücksichtslose Machtweib, zweitens die unter der Untreue ihres Mannes leidende hochherrschaftliche Dame und drittens das klug-intrigante Frauenzimmer aus den unteren Ständen. Im Gefolge der damals noch dominierenden Ständeklausel hatten demnach in der Opera seria stets Frauen der oberen Stände, ob nun aktiv-aggressiv oder passiv-trauernd, die Szene beherrscht. Man denke an all jene Frauengestalten von Claudio Monteverdis Poppea bis hin zu Händels Agrippina und Cleopatra, die sich jeder nur denkbaren Damentaktik bedienen, um sich den Weg zum Thron zu bahnen, oder an all jene leidenden Königinnen von Monteverdis Octavia bis hin zu Händels Rodelinda, die aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit von sinnlich leicht verführbaren Cäsaren oder anderen Herrscherfiguren entweder verbannt oder gar umgebracht werden. Und man erinnere sich im Hinblick auf die Opera buffa, in denen sich die gescheiten Frauenzimmer der niederen Stände in Werken wie Das herrsch-süchtige Camer-Magden Pimpinone (1725) von Georg Philipp Telemann, La serva padrona (1733) von Giovanni Battista Pergolesi, Il Barbiere di Siviglia (1782) von Giovanni Paisiello oder Il matrimonio segreto (1792) von Domenico Cimaroso irgendwelcher Intrigen bedienen, um gegen den Willen ihrer Väter oder ihres Vormunds jenen Mann zu heiraten, den sie wirklich lieben, oder die als Dienstmädchen ihren dümmlichen Herrn so lange unter Druck setzen, bis er sie schließlich zur Hausherrin macht. Wie weit ist Beethoven von all dem entfernt! Seine beiden Leonoren sind heroische Gestalten, die sich nicht an die übliche Rollenfixierung gebunden fühlen, sondern mit der ganzen Stärke ihres Charakters für Ziele eintreten, in denen sie sowohl ihre individuelle als auch ihre menschheitliche bzw. vaterländische Erfüllung zu finden suchen. Obwohl die eine in diesem Kampf triumphiert, während die andere dabei den Heldinnentod findet, sind beide Gestalten, die sich in aller Entschiedenheit über ihre Geschlechtszugehörigkeit im älteren Sinne 55

Viermal Leonore

zu erheben suchen und sich nicht nur als Frauen, sondern zugleich in einem übergeordneten Sinn als „wahrhafte Menschen“ empfinden. VI

So gesehen, ist Beethovens Fidelio- oder Leonoreoper eine Kulmination vieler, wenn nicht gar aller Wunschvorstellungen, die er in den Jahren zwischen 1804 und 1814 hegte. Indem er in ihr das Politische aufs Engste mit dem Persönlichen verband, geht die Botschaft dieses Werks weit über den damals üblichen Typus der Rettungs- oder Revolutionsoper hinaus. Sie ist nicht nur eine vom Geist der Französischen Revolution inspirierte Zeitoper, obwohl sie auch das ist, sondern zugleich ein Werk von einer hohen utopischen Qualität, das gegen Schluss jenen „erfüllten Augenblick“ menschlicher Verwirklichung beschwört, der sich immer nur als erträumter Vorschein auf „bessere Welten“ zu erkennen gibt. Deshalb wäre es müßig zu diskutieren, ob sich dieses Werk in seiner politischen Orientierung als josephinisch oder jakobinisch deuten lässt; ob es in seiner Beschwörung „Gottes“ noch christliche Elemente enthält oder bereits von rein weltlichen Glücksvorstellungen ausgeht; ob die Befreiung der Gefangenen nur durch einen Zufall, das heißt die Ankunft des Ministers, oder durch Leonores kühnes Eingreifen herbeigeführt wird. Auf alle diese Fragen gibt es keine eindimensionalen Antworten. Schließlich ging es Beethoven in dieser Oper zwar auch um die Erfüllung der Forderungen nach „Liberté, Égalité et Fraternité“, aber doch weniger in einem zeitpolitischen als in einem menschheitlichen Sinne. Mit diesem Werk wollte Jemand nicht nur ein musikalischer Vollstrecker der Französischen Revolution sein, sondern bäumte sich zugleich gegen die politische Misere aller Zeiten auf, in denen persönliche, ob nun männliche oder weibliche Ansprüche hinter einem tyrannischen Machtstreben oder vom Schicksal verhängter Leiden zurückstehen müssen. In ihm versuchte er jenen „erfüllten Augenblick“ zu beschwören, wie er nur in Werken mit utopisch-messianischen Hoffnungen aufleuchtet. Genauer gesehen, werden hier jene „besseren Welten“ anvisiert, die – in den 56

Beethovens Bemühungen um die Oper

Worten Ernst Blochs – lediglich auf jenem „Stern der Hoffnungen“ zu finden sind,33 wo eine allgemeine Brüderlichkeit oder besser Mitmenschlichkeit herrscht34 und somit alles Leid ein Ende findet. Am Schluss dieser Oper steht daher nicht nur das „hohe Paar“ Florestan und Leonore auf der Bühne, sondern auch eine aus allen Ständen zusammengesetzte Menschenmenge, die jenes bessere Volk verkörpert, das sich nicht mehr unter den Machtwillen eines willkürlich handelnden Tyrannen beugt. In dieser Szene herrscht für einen Augenblick der Moment jener „erfüllten Hoffnungen“, wo sich „Gerechtigkeit“ mit „Huld“ vereint, wo jeder Mensch endlich die zu ihm passenden Mitmenschen findet und wo schließlich alle in einen gemeinsamen „Jubel“ einstimmen.35 Dementsprechend mündet das Ganze in ein Hohes Lied der Freiheit, hinter dem eine so starke Tendenz ins Universale steht, dass man es weder auf eine Siegeshymne im Kampf gegen Napoleon noch auf einen religiösen „Aufschwung aus dem Irdischen in das unbegreiflich Himmlische“ reduzieren sollte.36 Hier werden seelische Energien freigesetzt, die auch heute noch auf ähnlich denkende und empfindende Menschen – trotz aller historischen Spezifität des Textes und der Musik – wegen ihres utopischen Mehrwerts eine ungeheure Wirkung ausüben können.37 Statt also Beethovens Fidelio im Hinblick auf irgendwelche zeitgeschichtlichen Ereignisse zu aktualisieren, sollte man bei künftigen Aufführungen dieser Oper lieber die ihr innewohnende Tendenz ins Mitmenschliche, Erhabene, ja Heroische intensivieren. Das wäre nicht nur werkgerechter, sondern auch politischer. So ist es zwar wohlgemeint, wenn bei gewissen Inszenierungen die Verliese Pizarros mit den Konzentrationslagern der Nazifaschisten oder den GPU-Gefängnissen Stalins gleichgesetzt werden, aber damit wird die eigentliche Botschaft dieses Werks völlig verfehlt.38 In ihm handelt es sich nicht um die Befreiung aus vorübergehenden Qualen. Hier geht es – im Sinne der besten Vertreter der idealistischen Philosophie um 1800 – um die Befreiung der Menschheit schlechthin, wie sie Beethoven dann im Schlusschor seiner 9. Symphonie noch einmal mit allen ihm zur Verfügung stehenden Ausdrucksmitteln zu beschwören versuchte.39 57

Zersungenes Erbe Zur Geschichte des Deutschlandlieds (1842)

Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt, Wenn es stets zu Schutz und Trutze Brüderlich zusammenhält, Von der Maas bis an die Memel, Von der Etsch bis an den Belt – Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt! Deutsche Frauen, deutsche Treue, Deutscher Wein und deutscher Sang Sollen in der Welt behalten Ihren alten schönen Klang, Uns zu edler Tat begeistern Unser ganzes Leben lang – Deutsche Frauen, deutsche Treue, Deutscher Wein und deutscher Sang! Einigkeit und Recht und Freiheit Für das deutsche Vaterland! Danach laßt uns alle streben Brüderlich mit Herz und Hand! 58

Zur Geschichte des Deutschlandlieds (1842)

Einigkeit und Recht und Freiheit Sind des Glückes Unterpfand – Blüh im Glanze dieses Glückes, Blühe deutsches Vaterland!

Nationalhymnen sind immer prekär – besonders die alten, die vom besten König, vom erwählten Volk, von unverbrüchlicher Einigkeit, vom Tod fürs Vaterland oder gar der Weltmission der eigenen Nation schwärmen. Und doch sind solche Lieder, da der Hang zur Tradition ein besonders zäher ist, nur mit geradezu übermenschlichen Anstrengungen durch neuere, zeitgemäßere Nationalhymnen zu ersetzen. Ganze Völker werden deshalb bei feierlichen Anlässen – weichen Herzens und feuchten Auges – immer wieder von denselben hanebüchenen Stumpfsinnigkeiten überwältigt und plärren einfach mit. Und zu den bekanntesten Gesängen dieser Art zählen auch jene Strophen, welche die Deutschen zu ihrer Nationalhymne erkoren. Dabei war gerade dieses Lied anfangs durchaus progressiv gemeint. Historisch gesehen gehört es in die breite Strömung jener vormärzlichen Lyrik, in der sich jene durch die Rheinkrise von 1840 erneut aufflackernde Sehnsucht nach nationaler Einigung Ausdruck zu verschaffen suchte, die bereits in den Befreiungskriegen ihren ersten Höhepunkt erlebt hatte.1 Und einer dieser Entflammten war der damals noch relativ unbekannte Germanist August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, ein verdienter Mediävist, Volksliedersammler und Dichter allbekannter Kinderlieder („Alle Vögel sind schon da“, „Kuckuck, Kuckuck, ruft’s aus dem Wald“ u. a.), dem man wahrlich nichts Blutrünstiges nachsagen konnte, sondern der 1830 als ehrfürchtiger JacobGrimm-Anhänger und Schützling des reaktionären Ministers Karl zum Altenstein an der Breslauer Universität Professor für deutsche Sprache und Literatur geworden war und sich dort zu einem biederen Sammler, Editor und Stubengelehrten entwickelt hatte. Doch unter dem Eindruck der Rheinkrise und der durch die Thronbesteigung des als „liberal“ geltenden Friedrich Wilhelms IV. geweckten Hoffnungen wurde selbst dieser Mann zu „garstigen“ Liedern hingerissen, deren 59

Zersungenes Erbe

erster Band Ende Juli 1840 unter dem Titel Unpolitische Gedichte in Hamburg bei Hoffmann und Campe erschien. Im Sinne der gerade unter damaligen Altgermanisten besonders verbreiteten nationalen Einheitssehnsucht zögerte er in diesem Band keineswegs, gegen die deutsche Kleinstaaterei, das Mucker- und Hofschranzenwesen und ähnliche Zielobjekte der vormärzlichen Kritik vom Leder zu ziehen, wobei – nach alter burschenschaftlicher Tradition – auch einige antifranzösische und antisemitische Äußerungen fielen. Anschließend hielt Hoffmann im Wintersemester 1840/41 die erste deutsche Vorlesung über das deutsche Volkslied und verfasste – über Nacht berühmt geworden – den zweiten Band seiner Unpolitischen Gedichte. Wie schon beim ersten griff er auch hier abermals auf vorgegebene Melodien zurück, um dem Ganzen eine bewusst volkstümliche Note zu geben. Während dieser Band im August 1841 in Hamburg gedruckt wurde, zog sich Hoffmann für kurze Zeit auf die damals noch zu England gehörende Insel Helgoland zurück und verfasste dort am 26. August im Stile älterer Volks- und Gesellschaftslieder das Lied der Deutschen, dem er die Melodie von Franz Joseph Haydns Kaiserhymne („Gott erhalte Franz, den Kaiser“) von 1797 unterlegte.2 Julius Campe, der ihn auf Helgoland besuchte, war von diesem Gedicht sofort hingerissen, da er sich von ihm einen ähnlich durchschlagenden Erfolg wie von Nikolaus Beckers Rheinlied („Sie sollen ihn nicht haben“) von 1840 versprach, legte dem Autor – ohne mit der Wimper zu zucken – vier Louis d’or auf den Tisch, segelte umgehend nach Hamburg zurück und ließ das Ganze bereits am 1. September in seinem Verlag als Einzeldruck mit beigefügten Noten erscheinen. Historisch gesehen ist dieses Gedicht das Resultat einer Entwicklung, die spätestens mit der Arndt’schen Frage „Was ist des Deutschen Vaterland?“ beginnt. In Wortlaut und Gesinnung schwingt daher viel Vorgeprägtes mit. Man denke an Heinrich Joseph von Collins Lied Österreich über alles von 1809 oder die Umdichtung dieses Liedes von Johann Daniel Runge, dem Bruder von Philipp Otto Runge, in Deutschland über alles von 1813.3 Doch nicht nur der Titel, auch die Zeile „Einigkeit und Recht und Freiheit“ waren längst Allgemeingut geworden. So 60

Zur Geschichte des Deutschlandlieds (1842)

sprach Johann Gottfried Seume bereits 1810 von „Einigkeit, Recht und Freiheit“. Ernst Moritz Arndt gebrauchte zur gleichen Zeit die Formel „Freiheit, Vaterland und Recht“. Bei Ferdinand Freiligrath kulminierte diese Gesinnung dann in dem Kehrreim „Deutschland und Freiheit über alles“.4 Ja, selbst die berüchtigten Verse „Von der Maas bis an die Memel, / Von der Etsch bis an den Belt“ bringen nichts wesentlich Neues. So hatte schon Philipp Jakob Siebenpfeiffer, wie alle Vertreter der großdeutschen Lösung, 1832 auf dem Hambacher Fest erklärt, dass er sich an alle Deutschen „vom Alpengebirge bis zur Nordsee“ wende.5 In Georg Herweghs Gedicht Die deutsche Flotte, das 1841 als Einzeldruck im Zürcher Exil herauskam, werden die Deutschen sogar als das Volk „vom Po bis zum Sunde“ herausgestrichen. Damit verglichen klingt Hoffmanns Text fast bescheiden. Selbst das mit der „Maas“ war damals nicht imperialistisch gemeint, da der niederländische Teil von Limburg beiderseits der Maas seit 1839 zum Deutschen Bund gehörte.6 In diesem Sinne ist das Lied der Deutschen der schlechthinnigste Ausdruck, wie man damals gesagt hätte, jener Patrioten der Befreiungskriege, politischen Romantiker, Burschenschafter und Vertreter der großdeutschen Lösung, die im Vergleich zu den preußenhörigen Kleindeutschen meist „liberaler“ waren, sowie großer Teile jener Nationalliberalen, aus denen sich dann die Hauptvertreter der Achtundvierziger-Revolution rekrutierten. Wer an diesem Gedicht Anstoß nahm, waren lediglich Linkshegelianer wie Arnold Ruge, der bereits 1840 geschrieben hatte, dass der „Patriotismus“ in einen „Humanismus“ übergehen müsse und deshalb das wahre Vaterland nur der „freie Staat“ sein könne.7 Ja, ein Dichter wie Heinrich Heine, der von Anfang an gegen jedes überspitzte Nationalgefühl aufgetreten war, stellte damals den ,,heldenmütigen Lakaien in schwarzrotgoldner Livree“ ebenfalls gern Begriffe wie Universalismus, Humanismus und Kosmopolitismus entgegen.8 Ganz zu schweigen von Karl Marx und Friedrich Engels, die bereits kurze Zeit später dazu übergingen, ihre wahre Heimat in der Internationalität des Sozialismus zu sehen. Doch nicht nur Ruge und Heine, sondern auch den preußischen Behörden erschien der Hoffmann’sche Nationalismus verdächtig. Sie 61

Zersungenes Erbe

eröffneten daher im Sinne der alten Demagogenverfolgungen, sprich: Radikalenerlasse, ein amtliches Untersuchungsverfahren gegen ihn, untersagten ihm im April 1842 jede weitere Ausübung seiner akademischen Lehrtätigkeit und vertrieben ihn schließlich im Dezember des gleichen Jahres wegen arger Verstöße gegen die „bestehende Ordnung der Dinge“ von seinem Lehrstuhl, ja ließen ihn sogar aus Preußen ausweisen. Anschließend wurde er von Bundesstaat zu Bundesstaat gehetzt, traf sich jedoch nach wie vor mit seinen Freunden, zu denen nicht die Schlechtesten wie Ferdinand Freiligrath, Adolf Glaßbrenner, Karl Gutzkow, Fritz Reuter und Karl Theodor Welcker gehörten. Außerdem publizierte er weiterhin unverdrossen im Zürcher Verlag des Literarischen Comptoirs mehrere Bändchen mit höchst „politischen“ Gedichten wie die Deutschen Lieder aus der Schweiz (1842) und die Deutschen Gassenlieder (1843), in denen er für eine aktive, opferbereite Gesinnung eintrat und sich gegen jene Gleichgeschalteten, Angepassten, Mitläufer, Elfenbeinturmbewohner, Brotstudierer, kurz: gegen jene biedermeierlichen Kriechlinge und Kellerasseln wandte, die sich nur allzu willig dem vorgegebenen Obrigkeitsstaat unterwarfen. Und zwar tat er das weiterhin auf der Basis umfunktionierter älterer Lieder, um so die breiten Massen zu erreichen. Doch auch inhaltlich ging Hoffmann stets von der Perspektive des Volkes aus, das er im Sinne von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ gegen die herrschenden Monarchen zu mobilisieren suchte. Er gehörte deshalb zu den Wenigen, die sofort erkannten, dass Unternehmungen wie die Regensburger Walhalla oder der Kölner Dombau nur obrigkeitliche Taktiken zur Verhinderung der deutschen „Einheit“ waren. Wo er darum auch auftrat und seine Lieder vorsang, stets wurde er von den Massen umjubelt und von der Polizei beargwöhnt oder einfach beim Schlafittchen gepackt. Hoffmann erwog daher 1844 vorübergehend die Auswanderung in die USA, fand aber ein Jahr später endlich Asyl auf einem mecklenburgischen Gutshof, wo ihm ein Freund einen Arbeitsnachweis und damit Heimatrecht verschaffte. Von diesem Zeitpunkt an wurde Hoffmann wesentlich ruhiger, beschränkte sich 62

Zur Geschichte des Deutschlandlieds (1842)

wieder auf seine germanistische Sammler- und Herausgebertätigkeit, die vor allem dem Volks- und Gesellschaftslied galt, beobachtete selbst die Achtundvierziger-Revolution nur von fern und schlug sogar die Wahl ins Paulskirchenparlament aus, da er sich noch immer eine Versöhnung mit der preußischen Universitätsverwaltung und somit eine Rückerstattung seiner Professur erhoffte. Und die Berliner Behörden honorierten diese Haltung auch – jedoch auf die schäbigste Weise. Sie zahlten ihm zwar ab 1849 ein jährliches Wartegeld von 375 Talern, stellten ihn aber nicht wieder ein. Hoffmann verbrachte daher den Rest seiner Tage als Bibliothekar des Herzogs von Ratibor im Kloster Corvey – weiterhin emsig sammelnd und edierend. Doch zurück zum Lied der Deutschen. Öffentlich gesungen wurde es zum ersten Mal von der Hamburger Turnerschaft am 5. Oktober 1841 bei einem Fackelzug für den freisinnigen Professor Karl Theodor Welcker. 1842 erschien es in den Deutschen Liedern aus der Schweiz,9 worauf es allmählich bekannter wurde und auch in manche Kommersbücher eindrang. Es hatte jedoch nicht den Erfolg, den sich Julius Campe gewünscht hatte.10 Vor allem nach dem Scheitern der Achtundvierziger-Revolution und der konsequenten Zurückdrängung aller demokratisch-populistischen Tendenzen wurde es immer seltener gesungen. Und als dann 1871 endlich die lang ersehnte Einigung zustande kam, war es nicht die von den bisherigen Patrioten erhoffte, das heißt eine vom Volk ausgegangene, sondern eine von oben herbeigezwungene. Hoffmann, der inzwischen 73 Jahre alt geworden war, begrüßte zwar diese Einigung in Zeilen wie „Und endlich ward beschieden / mir diese große Zeit / ein einig Reich voll Frieden / voll Glück und Herrlichkeit!“ Doch der frühere Enthusiasmus war dahin. Nicht ein demokratisches Nationalgefühl, sondern Franzosenhass und Hohenzollernkult hatten diese Einigung herbeigeführt. Kein Wunder daher, dass die Hymnen des Bismarck’schen oder Wilhelminischen Zeitalters Lieder wie Max Schneckenburgers Die Wacht am Rhein („Es braust ein Ruf wie Donnerhall“) von 1840 und die noch fatalere Kaiserhymne („Heil Dir im Siegerkranz“) wurden. Der Hoffmann-und-Campe-Verlag hatte daher um 1900 noch immer 63

Zersungenes Erbe

Hunderte von unverkauften Exemplaren des Lieds der Deutschen auf Lager, die allmählich zu Makulatur vergilbten. Und so blieb es bis 1914. Selbst der „neue Kurs“ unter Wilhelm II. kam dem Lied der Deutschen nicht wirklich zugute, da es sich weder vor den Karren des Dynastischen noch des Antifranzösischen spannen ließ. Eine wirkliche Nationalhymne hat daher Deutschland in dieser Zeit gar nicht besessen. So wird etwa 1908 in dem Büchlein Die Nationalhymnen der europäischen Völker nicht „Deutschland“, sondern nur „Preußen“ erwähnt, und zwar mit dem Lied „Ich bin ein Preuße! kennt ihr meine Farben?“ (1834) von Bernhard Thiersch. Ja, vielen Deutschen war damals Hoffmann von Fallersleben überhaupt kein Begriff mehr. Dass er das Lied „Alle Vögel sind schon da“ gedichtet hatte, war ebenso unbekannt wie die Tatsache, dass das Lied der Deutschen von ihm stammte. Während das eine längst anonymes Volksgut geworden war, wurde das andere wegen seiner „demokratischen“ Gesinnung offiziellerweise zusehends unterdrückt. Ein solches Lied war einfach nicht „hoffähig“ genug. So schrieb etwa Heinrich Gerstenberg, wohl der wichtigste Hoffmann-Forscher dieser Ära, dass die Hofbibliotheken Hoffmanns Unpolitische Gedichte noch 1914 im Giftschrank verwahrt hätten und dass man ihm abgeraten habe, sich überhaupt mit diesem Dichter zu beschäftigen, um sich nicht seine Karriere zu verbauen.11 Eine ähnliche Haltung bezogen damals die Alldeutschen. Auch sie empfanden das Lied der Deutschen viel zu „demokratisch“. Doch nicht nur das. Ihnen erschien dieses Gedicht in seiner Beschränkung auf den mitteleuropäischen Raum nicht imperialistisch genug. So schrieb etwa Arthur von Wallpach um 1900 in deutlicher Polemik gegen Hoffmanns Deutschlandlied:12 Wohlan, ein Gott, ein Volk, ein Reich, von Kapland bis zum Friesendeich, von Argentiniens Weizenflur bis in die Wolganiederung nur! Ein Deutschland ohne Schranken! 64

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Ja, Max Schneidewin erklärte 1899 in seinem Büchlein In Sachen des Nationalliedes, dass Deutschland durch die jüngste politische und ökonomische Entwicklung dazu berufen sei, eine „herrschende Stellung“ unter den „Völkern des Erdballs“ einzunehmen – und man deshalb das harmlose Deutschlandlied des besagten Hoffmann von Fallersleben keineswegs zur deutschen Nationalhymne machen solle.13 Statt „Wein und Gesang“ wurden von diesem Manne „Blut und Eisen“, statt „Recht und Freiheit“ der „Wille zur Macht“, statt „schwarz-rotgoldner“ Sentimentalitäten eine „schwarz-weiß-rote“ Tatgesinnung auf die Tagesordnung gesetzt.14 Wirklich beliebt war daher das Lied der Deutschen in diesen Jahren nur innerhalb der studentischen Jugend und jener „Nationalen Opposition“, die zwar auch imperialistisch gesinnt war, aber hierbei nicht so weit ging wie die Alldeutschen. In diesen Schichten herrschte noch jener Nationalismus, der letztlich bis auf Friedrich Gottlieb Klopstock und die Lyrik der Befreiungskriege zurückging. Derartige Nationalisten ersetzten daher Hoffmanns Zeilen „Deutsche Frauen, deutsche Treue / Deutscher Wein und deutscher Sang“ in frustrierter „Teutschheits“-Gesinnung durch die Zeilen „Deutsche Sitte, deutsche Treue / Deutscher Mut und deutscher Sang“, um nicht in den Verdacht des Weichlichen oder Genüsslichen zu geraten.15 Und es war diese Mentalität, die dem Lied der Deutschen in den Augusttagen des Jahres 1914 – neben der Kaiserhymne und der Wacht am Rhein – endlich zum nationalen Durchbruch verhalf. Von entscheidender Bedeutung war dabei der berühmte Heeresbericht vom 11. November 1914, in dem jene jungen Freiwilligenregimenter herausgestrichen wurden, die bei Langemarck unter Absingen des Liedes „Deutschland, Deutschland über alles“ die feindlichen Linien überrollt hatten. Von diesem Zeitpunkt an begann sich auch die ausländische Presse mit dem Lied der Deutschen auseinanderzusetzen und es als schamlosen Ausdruck des deutschen Imperialismus anzugreifen. Das äußerte sich vor allem in den verschiedenen Übersetzungen dieses Liedes. So begann etwa die amerikanische Fassung mit den Zeilen „Deutschland, Deutschland, first of nations, / Over All in this wide 65

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world“, während die französische die beiden nächsten Zeilen folgendermaßen wiedergab: „Si, pour se defendre et attaquer, / Elle s’unit fraternellement“.16 Heinrich Gerstenberg wandte sich daher 1916 in seinem Buch zur 75-Jahrfeier des Liedes der Deutschen bereits gegen die ausländische „Verläumdungssucht“, diesem Gedicht eine „Gier nach Weltbeherrschung“ unterzuschieben,17 sprach aber dann selber von „Deutschlands Weltberuf“ und verstieg sich schließlich zu der Behauptung: „Als Sänger des Deutschtums wird Hoffmann unvergeßlich sein, solange deutsches Lied in dem größeren Deutschland ertönt, das wir uns vom heutigen Kriege erhoffen.“18 Damit wurde dieses Lied endgültig vor einen wesentlich weiteren Horizont gerückt und konnte zu den verschiedensten Zwecken ausgeschlachtet werden: demokratischen, nationalen, chauvinistischen, imperialistischen oder gar rassistischen. So sangen es die geschlagenen deutschen Truppen, als sie im November 1918 zurück ins Reich marschierten. Die deutsche Nationalversammlung sang es am 12. Mai 1919 als Antwort auf die harten Friedensbedingungen der Westmächte. Doch auch die Brigade Ehrhardt sang es, als sie im März 1920 beim Kapp-Putsch durch das Brandenburger Tor in die Berliner Innenstadt einrückte. Der Reichspräsident Friedrich Ebert, als rechter Sozialdemokrat Vertreter einer national gesinnten Koalitions- und Versöhnungspolitik, erhob es daher 1922 offiziell zur deutschen Nationalhymne und erklärte am 11. August dieses Jahres, anlässlich einer offiziellen Feierstunde des Verfassungstages, unter deutlicher Bezugnahme auf die dritte Zeile des Hoffmann’schen Liedes: „Der Sang von Einigkeit und Recht und Freiheit soll der festliche Ausdruck unserer vaterländischen Gefühle sein.“19 Damit hatte die Weimarer Republik endlich eine Nationalhymne und die SPD endlich das Image des Vaterlandsfreundlichen. Die Linke war über diese Entwicklung natürlich höchst verbittert. Kurt Tucholsky sah darin den endgültigen Beweis, dass die Deutschen wieder einmal nichts hinzugelernt hätten und gab seiner schärfsten Abrechnung mit der Weimarer Republik den provozierenden Titel Deutschland, Deutschland über alles (1929), um damit auf die „törichten 66

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Verse“ jenes „großmäuligen Gedichts“ anzuspielen, das, wie er schrieb, „eine von allen guten Geistern verlassene Republik zu ihrer Nationalhymne erkor, und leider mit sehr viel Recht“.20 Umso begeisterter waren dagegen alle deutschbewussten oder völkisch gesinnten Kreise über diese Entscheidung. So dichtete Ernst Feise schon 1923 die neue Nationalhymne in das Lied der Auslandsdeutschen („Traute Heimat, deine Söhne“) um.21 Als 1924 nach zehnjähriger Unterbrechung die Bayreuther Festspiele fortgesetzt wurden, erhob sich nach dem Schluss­chor der Meistersinger von Nürnberg das gesamte Publikum und stimmte spontan „Deutschland, Deutschland über alles“ an. Und so konnte Max Preitz, ein Vertreter bürgerlich-völkischer Germanistik, bereits 1926 im Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts schreiben, dass das Lied der Deutschen durch die Schlacht von Langemarck in „alle Ewigkeiten“ mit dem „deutschen Schicksal verwachsen“ sei.22 Wen nimmt es da noch wunder, dass im Frühjahr 1933 nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten diese Hymne – neben dem Horst-Wessel-Lied – auch von der neuen Reichsregierung ausdrücklich als Deutschlands Nationalhymne bestätigt wurde. Hitler nannte sie am 1. August 1937 in Breslau die Hymne, „die uns Deutschen am heiligsten erscheint“.23 Und damit war für die nächsten „tausend Jahre“ an sich alles gesagt. Nicht nur bei jeder Parteiversammlung wurde sie gesungen, sondern überall: in Schulen, Kirchen, Kasernen, Theatern, ja selbst im Rundfunk, wo sie den Abschluss jeder Tagesdarbietung bildete.24 Der fleißige Gerstenberg brachte deshalb 1933 schnell ein neues Buch über die „deutsche Volkshymne“ heraus, wie er sie jetzt nannte, um sich bei den neuen Machthabern sofort ins rechte Licht zu rücken.25 Dass es dabei immer stärker zu imperialistischen und rassistischen Obertönen kam, konnte kaum ausbleiben. Erst jetzt wurde alles in diesem Lied auf die „großmäuligste“ Weise ausgelegt: ob nun die deutsche Treue, die deutsche Einigkeit oder das „über alles in der Welt“. Selbst das Loblied auf die „deutschen Frauen“ wurde plötzlich – nach Jahrhunderten „christlicher Demütigung“ des anderen Geschlechts – als bewusste Rückkehr zur hohen „germanischen Weiberbewertung“ gedeutet.26 Das Einzige, woran 67

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sich manche stießen, war der Preis des „deutschen Weins“, da „wir“, wie es in einem Nazipamphlet hieß, „mit Kräpelin den Alkohol als keimschädigend“ erkannt haben.27 Ihren Höhepunkt erlebte die nazifaschistische Begeisterung für das Lied der Deutschen im Jahre 1941, als sich die Niederschrift dieses Gedichts zum hundertsten Mal jährte und die deutschen Truppen noch immer „über alles in der Welt“ am Siegen waren. Alle vier Bücher, die aus diesem Anlass geschrieben wurden, nämlich Rudolf Alexander Moißls Das Lied der Deutschen (1941), Kurt Eggers’ August Heinrich Hoffmann von Fallersleben in seinen Liedern (1941), Wilhelm Marquards Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1942) und Ernst Haucks Das Deutschlandlied. Aus dem Kampf um unsere Einheit (1942), bekannten sich überschwänglich zum Dichter „unserer unsterblichen deutschen Nationalhymne“. Dass ihr erst Ebert zu diesem Ruhm verholfen hatte, wurde natürlich stets unterschlagen. Die meisten setzten dafür einfach den Namen „Hindenburg“ ein. Eine völlig neue Situation ergab sich im Hinblick auf eine mögliche deutsche Nationalhymne erst nach dem 8. Mai 1945. Aber wie nutzte man sie? In der Sowjetischen Besatzungszone wurde das Lied der Deutschen sofort offiziell verboten und am 5. November 1949 anlässlich der Gründung der DDR das Lied „Auferstanden aus Ruinen“ von Johannes R. Becher und Hanns Eisler zur Nationalhymne dieses Staats erklärt. Damit war ein deutlicher Neubeginn markiert.28 In der westlichen Trizone war man dagegen an solchen Traditionsbrüchen weniger interessiert.29 Als daher im Sommer 1949 die BRD gegründet wurde, wählte man zwar „Schwarz-Rot-Gold“ als die neuen Landesfarben, ließ jedoch die Frage nach einer neuen Nationalhymne vorerst offen. Einfach auf „Deutschland, Deutschland über alles“ zurückzugreifen, erschien damals selbst hier den meisten noch etwas zu früh. Als daher im September 1949 im Bundestag zum ersten Mal ein Antrag eingebracht wurde, das Deutschlandlied, wie es jetzt allgemein hieß, zur Nationalhymne zu erklären, weil dieses Lied einem „natürlichen, selbstverständlichen Volksbewußtsein“ entsprungen sei, um aus dem Text des Antragstellers Adolf von Thadden 68

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zu zitieren, fand sich dafür keine Mehrheit. Daran änderte auch die Broschüre Das Deutschlandlied nichts, die Friedrich Kochwasser 1949 in Nürtingen zur Unterstützung dieses Antrags herausbrachte und von der er 15.000 Exemplare verkaufte. Laut Verfassung stand das Entscheidungsrecht in solchen Fragen dem Bundespräsidenten, also Theodor Heuss, zu. Heuss war damals eindeutig gegen das Deutschlandlied, während Konrad Adenauer daran hartnäckig festzuhalten versuchte, was zu einem seltsamen „Hymnenstreit“ führte. Als Heuss weiterhin zögerte, sich in dieser Frage zu entscheiden, ergriff Adenauer am 18. April 1950 bei einer Kundgebung im Berliner Titania-Palast einfach die Initiative und stimmte am Schluss „spontan“ die dritte Strophe des Deutschlandlieds an, um so dem westdeutschen Alleinvertretungsanspruch in allen nationalen Belangen eine weitere ideologische Untermauerung zu geben. Die meisten SPD-Mitglieder verließen daraufhin den Saal, während sich die drei Westberliner Stadtkommandanten verwundert ansahen und sitzen blieben. Von der SPD schloss sich lediglich Ernst Reuter, der damalige Oberbürgermeister von Westberlin, dem Adenauer’schen Beispiel an.30 Als Kurt Schumacher diese Aktion zwei Tage später in der Neuen Zeitung als „unklug“ hinstellte, ging die CDU sofort zum Gegenangriff über. So schrieb etwa Ludwig Erhard, dass Adenauer mit dem Absingen des Deutschlandlieds bei einer politischen Kundgebung, die nur „wenige Kilometer von der Sektorengrenze“ entfernt stattgefunden habe, den ausdrücklichen „Willen der Bundesregierung unterstreichen“ wollte, „für die Freiheit und das Recht aller Deutschen einzutreten“.31 Wie entschieden man in Ostberlin gegen diesen Auftritt reagierte, belegt vor allem die Kinderhymne, die Bertolt Brecht wenige Monate später schrieb und in der er ein nichtchauvinistisches Nationalkonzept zu entwickeln versuchte. In ihr heißt es unter anderem:32 Und nicht über und nicht unter Andern Völkern wolln wir sein Von der See bis zu den Alpen Von der Oder bis zum Rhein. 69

Zersungenes Erbe

Und weil wir dies Land verbessern Lieben und beschirmen wir’s Und das Liebste mag’s uns scheinen So wie andern Völkern ihrs.

Doch auch Theodor Heuss gab sich nach diesem bewussten Handstreich nicht geschlagen und drang weiterhin auf einen offenen Traditionsbruch. Als er daher am Silvesterabend 1950 seine offizielle Rundfunkansprache an die westdeutschen Bürger beendet hatte, ließ er als vorläufige Nationalhymne die Hymne an Deutschland („Land des Glaubens, deutsches Land! Land der Väter und der Erben“) des alten Weltkriegsbarden Rudolf Alexander Schröder in der Vertonung von Hermann Reutter anstimmen. Doch der Widerhall war gering. Das Gleiche gilt für den Versuch des Norddeutschen Rundfunks, das Lied „Ich hab’ mich ergeben“ als neue Nationalhymne einzubürgern. Er scheiterte ebenso wie das Bemühen gewisser Kreise, das Deutschlandlied bei feierlichen Anlässen wie den Olympischen Winterspielen, die 1950 in Oslo stattfanden, durch die Schiller’sche Hymne an die Freude in der Vertonung Beethovens zu ersetzen. Doch die Rechten ließen im Zuge der allgemeinen Restaurierung des ökonomischen und gesellschaftlichen Gefüges in diesem Punkte nicht locker. Ein guter Beweis dafür ist die Broschüre Um das Deutschlandlied, die 1951 von der 1936 gegründeten Hoffmannvon-Fallersleben-Gesellschaft herausgegeben wurde und in der sich Edwin Erich Dwinger, Wilhelm Furtwängler, Hans Grimm, Hans Knappertsbusch, Erwin Guido Kolbenheyer, Heinz Steguweit und Will Vesper für die Beibehaltung des Deutschlandliedes einsetzten. Diese Schrift wurde im Oktober des gleichen Jahres auch dem Bundestag zur Prüfung überreicht. Aber Heuss blieb weiterhin standhaft. Erst als ihm Adenauer in einem Brief vom 29. April 1952 geradezu die Pistole auf die Brust setzte, gab er in einem Antwortschreiben vom 2. Mai endlich nach und erklärte am 6. Mai das Deutschlandlied offiziell zur (west-)deutschen Nationalhymne, empfahl jedoch, bei staatlichen Anlässen nur die dritte Strophe zu singen.33 Und zwar 70

Zur Geschichte des Deutschlandlieds (1842)

beteuerte er in seinem Brief an Adenauer noch einmal ausdrücklich, dass es ihm in diesem Punkt eigentlich um „einen tiefen Einschnitt in unserer Volks- und Staatengeschichte“ gegangen sei, er jedoch „den Traditionalismus und sein Beharrungsbedürfnis unterschätzt“ habe. Die ausländische Presse reagierte auf diese Entscheidung fast durchgehend negativ. Vor allem in Frankreich war man – ob nun rechts oder links – geradezu düpiert. „Eine solche Haltung“, schrieb Le Matin, „läßt das Schlimmste befürchten“. „Die Nationalhymne des Dritten Reichs ist die Nationalhymne Bonns geworden“, erklärte der Figaro. Le Monde nannte die Heuss’sche Erklärung einen „Sieg des Restaurationsgedankens“. Die Humanité sprach von einer rapiden „Rückwendung zum Militarismus“.34 Im Gegensatz dazu wurde das Heuss’sche Verhalten in der bundesrepublikanischen Presse fast einhellig gelobt. „Dieser Entschluß“, schrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 6. Mai 1952, wird „vom Volk, in allen seinen Schichten, als etwas Selbstverständliches begrüßt werden.“ Am gleichen Tag bekannte der Westberliner Tagesspiegel noch unverblümter: „Wer an unsere unterdrückten Landsleute im Osten denkt, sieht im Deutschlandlied weniger die Erneuerung einer Tradition als eine in die Zukunft weisende Verpflichtung.“ Zwei Tage später hieß es im Christ und Welt, als habe es nie einen Hitler und ein Drittes Reich gegeben: „Wir wollen meinen, daß sich mit dem Bekenntnis zum Deutschlandlied die Bundesrepublik zu den guten und großen Kräften unserer Vergangenheit hinwendet.“ Und damit war in der BRD der „Hymnenstreit“ vorläufig beigelegt und der Status quo hatte wieder einmal gesiegt. Die westdeutsche „Öffentlichkeit“, falls man von einer solchen in den fünfziger Jahren überhaupt sprechen kann, nahm diese Entscheidung fast widerspruchslos hin, ja begrüßte sie zum Teil sogar begeistert. So sangen etwa im Juli 1954 nach dem westdeutschen Sieg bei der Berner Fußballweltmeisterschaft alle anwesenden Bundesbürger, als nach dem Spiel die Melodie des Deutschlandlieds angestimmt wurde, nicht „Einigkeit und Recht und Freiheit“, sondern einfach „Deutschland, 71

Zersungenes Erbe

Deutschland über alles in der Welt“. Nicht viel anders, das heißt ebenso affirmativ, verhielt sich die Geschichtswissenschaft und Germanistik der fünfziger und sechziger Jahre in dieser Frage. So schrieb Fritz Sandmann 1962 in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, er hoffe, „daß dieses Lied einmal wieder vom gesamten deutschen Volk als Ausdruck echter Vaterlandsliebe gesungen werde“.35 Auch Ulrich Günther begrüßte 1966 in seinen Studien zur Geschichte und Didaktik der deutschen Nationalhymne die Entscheidung von 1952 als eine Entscheidung im Sinne „echter Tradition“.36 Ebenso affirmativ drückten sich Hermann Wendelbourg und Anneliese Gerben im Vorwort ihrer Ausgabe der Hoffmann’schen Lieder und Gedichte aus, die 1974 bei Hoffmann und Campe erschien.37 Nach ihrer Meinung habe gerade das Deutschlandlied „vielen Deutschen in den Wirren der Zeit“, sprich: im Dritten Reich, den „rechten Maßstab für ihr staatsbürgerliches Denken“ und damit einen „inneren Halt“ gegeben – eine Wirkung, die es auch heute noch ausüben könne. Noch schlimmer sah es in diesen Jahren im Hinterland der Provinzpresse und der alten deutschnationalen Dichtergemeinden aus.38 So erschienen am 7. Januar 1956 im Reichsruf, einer Wochenzeitung für das nationale Deutschland, die von der Deutschen Reichspartei herausgegeben wurde und in der ehemalige SS-Führer wie Peter Kleist und Erich Kernmayer tonangebend waren, folgende Ergänzungsstrophen zum Deutschlandlied: Deutschland, Deutschland über alles Und im Unglück nun erst recht. Nur im Unglück kann die Treue zeigen, ob sie wahr und echt. Und so soll es weiter klingen von Geschlechte zu Geschlecht: Deutschland, Deutschland über alles Und im Unglück: Nun erst recht!

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Zur Geschichte des Deutschlandlieds (1842)

Über Länder, Grenzen, Zonen hallt ein Ruf, ein Wille nur, überall, wo Deutsche wohnen, zu den Sternen hallt der Schwur: Niemals werden wir uns beugen, nie Gewalt für Recht anseh’n, Deutschland, Deutschland über alles Und das Reich wird neu ersteh’n.

Auch ein alter Nazi wie Ernst Hauck, der sich vor 1945 mit Büchern wie Welcher Rasse hat Jesus angehört? (1934) und Das Deutschlandlied. Aus dem Kampf um unsere Einheit (1942) einen „Namen“ gemacht hatte, ließ es sich nicht nehmen, am 17. August 1962 im Coburger Tageblatt noch einmal ins alte nationalistische Horn zu stoßen. Ja, manche dieser alten Völkischen bekannten sich dabei ganz offen zu einem militanten Antikommunismus und versuchten das „Vermächtnis“ Hoffmanns auch für die „unfreie Zone“ jenseits des „Eisernen Vorhangs“ virulent zu machen.39 So schrieb etwa Fritz Andrée im Jahre 1959: „Die Zerrissenheit des Volkes ist auch heute wieder eine Schicksalsfrage für uns Deutsche geworden. Hoffmanns Sehnen nach Einheit ist auch unser Sehnen. Er hat gewiß nicht ahnen können, daß unweit seiner Geburtsstadt die blutende Zonengrenze sich auftun und daß über die Weserbrücke bei Corvey, an seiner letzten Ruhestätte vorbei, keine durchgehenden Züge mehr in die östliche Hälfte Deutschlands rollen würden.“40 Mit ähnlichen Worten erklärte Gerhardt Seiffert 1964 in seiner Broschüre Das ganze Deutschlandlied ist unsere Nationalhymne, wie sehr er sich freue, dass sich das „gesunde Volksempfinden“ für dieses Lied entschieden habe und somit die Chance gegeben sei, dass sich die „Einigkeit“ eines Tages auch über die „Zonengrenze“ hinweg erstrecken würde. Nur so lässt sich erklären, weshalb darauf sogar offizielle Staatsvertreter wie der bayerische Ministerpräsident Alfons Goppel, der baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger und der Westberliner Volksbildungsstadtrat Hartmut Roeseler in einhelliger 73

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CDU-Verbundenheit dafür eintraten, doch endlich die Schüchtern­

heit vor der ersten Strophe des Deutschlandlieds zu überwinden und wieder voller Freimut „Deutschland, Deutschland über alles“ zu singen.42 Zu diesem Zwecke sollte damals in allen Schulen ihrer Hoheitsbereiche sogar eine von Heino besungene Schallplatte mit allen drei Strophen dieses Liedes verteilt werden. In die gleiche Kerbe haute Hans Jürgen Hansen, der im Frühjahr 1978 ein Nostalgiebilderbuch unter dem Titel Heil Dir im Siegerkranz. Die Hymnen der Deutschen herausbrachte, in dem er gegen Schluss mit wünschenswerter Offenheit erklärte: „Ein Menschenalter nach Hitler könnte eine souveräne Bonner Bundesregierung, in folgerichtiger schwarzrot-gold-demokratischer Tradition, getrost wieder den ganzen Text des ,Deutschland über alles‘ zur Staatshymne erklären.“43 Eine Opposition zu derartigen Tendenzen entwickelte sich in der BRD der fünfziger und sechziger Jahre kaum. Zugegeben, einige SPD-Abgeordnete wandten sich weiterhin gegen die Verwendung der ersten Strophe bei offiziellen Anlässen. Auch die Deutsche Volkszeitung sprach sich einmal gegen das Deutschlandlied aus.44 Doch erst Hans-Christian Kirsch verfasste 1969 mit seinem Roman Deutschlandlied eine glänzende und zugleich bittere Satire auf jenen westdeutschen Chauvinismus, wie er sich jahrelang in den Feiern zum 17. Juni manifestierte. Ansonsten beschränkte sich die Linke in diesem Punkte – im Sinne ideologiekritischer Manöver – meist auf ein historisches Zurechtrücken späterer Verfälschungen. Aber damit allein war es in diesem Fall nicht getan. So genügt es nicht, das Lied der Deutschen einfach durch einen Hinweis auf seine vormärzliche Vergangenheit zu rechtfertigen. Dieses Gedicht hat nun einmal nicht nur eine Intention, sondern auch eine Rezeption. Und die ist eindeutig negativ. Schließlich hat man es seit 1914 so stark mit falschen Gefühlen aufgeladen und angeheizt, dass seine Herkunft allmählich immer unwichtiger wurde. Wer daher jene Teile der deutschen Geschichte bewältigen will, die zugleich Teil der „deutschen Misere“ sind, sollte gerade gegen solche Traditionen radikal Front beziehen. Eine Ehrenrettung des Deutschlandliedes ist aus diesem Grunde für 74

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die Geschichtsbewussteren unter den Deutschen unmöglich geworden. Es war deshalb nicht falsch, aber unklug, als die westdeutschen Achtundsechziger neben Marx und Heine auch Hoffmann von Fallers­ leben auf einem Plakat abbildeten, das den Titel trug: „Wer heute unter die Berufsverbote fiele.“45 Da waren jene Linken wesentlich klüger, die 1975 in Anlehnung an ein Buch von Bernt Engelmann bei Protestversammlungen gegen das BRD-Establishment „Einig gegen Recht und Freiheit“ sangen.46 Denn darin steckte zugleich ein Stück echter Vergangenheitsbewältigung. Doch nach diesem Zeitpunkt hörten derartige Unmutserklärungen zusehends auf. Erst im Zuge der im Jahr 1989 einsetzenden Wiedervereinigungsbestrebungen kam es erneut zu Auseinandersetzungen über die Sinnfälligkeit dieses Lieds. So schlug etwa Lothar de Maizière, der letzte Ministerpräsident der DDR, im Frühjahr 1990 vor, die dritte Strophe des Deutschlandlieds mit dem Becher-Text „Auferstanden aus Ruinen“ zu verbinden, während sich einige Bürgerinitiativen und verschiedene Medien dafür einsetzten, Bertolt Brechts Kinderhymne als neue Nationalhymne zu verwenden. Doch Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte im November 1991 nachdrücklich, dass für das wiedervereinigte Deutschland nur die dritte Strophe des Deutschlandlieds in Frage komme. Und dabei blieb es bis heute.47

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I

Während in siegreichen Revolutionen meist eine Fülle neuer musikalischer Werke entstanden, in denen entweder die Jubeltöne über die vollbrachten Heldentaten oder die Klagen über die dabei geopferten Menschenleben vorherrschten, haben gescheiterte Revolutionen nur in Ausnahmefällen bedeutsame Kompositionen hinterlassen. Dafür spricht unter anderem ein Vergleich der Französischen Revolution von 1789 mit den verschiedenen europäischen Revolutionen von 1848/49. In den ersten fünf Jahren der Neunundachtziger-Revolution, als alles noch auf einen günstigen Ausgang der allgemeinen Volkserhebung hinzudeuten schien, gab es unter den 100 Komponisten, die damals in Paris lebten, wohl kaum einen, „der nicht unter anderem auch Lieder, Hymnen und Märsche für die Massen geschrieben hätte“, wie es bei Georg Knepler heißt.1 Demzufolge entstanden in diesen Jahren etwa 2500 bis 3000 neue Liedertexte, denen man – neben Neukompositionen – häufig die Melodien bekannter Volkslieder, religiöser Hymnen, Tanzweisen oder Opernmelodien unterlegte. Außerdem wurden eine dem „glücklichen Fortgang“ der Revolution dienliche Musikschule gegründet und ein Staatsverlag für Musik eingerichtet, der in regelmäßig erscheinenden Heften die Noten zu revolutionären Liedern, Hymnen, Tänzen, Märschen, Ouvertüren und Symphonien 76

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veröffentlichte. Und so erklang bei den großen Feiern auf dem Pariser Marsfeld, bei festlichen Umzügen und in der Assemblée nationale bald nur noch jene Musik, die zur Solidarisierung der Massen aufrief oder die hohen Ideen von „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ verkündete. Ja, sogar im Bereich der Oper herrschten plötzlich jene „fanfarenartigen Motive“, „Jubelstürme“ und „marschartigen Rhythmen“ vor, die auch in vielen Liedern und Hymnen dieser Jahre den Ton angaben.2 Kurzum: Überall ertönten mit einem Mal Klänge, die sich nicht mehr an die rituell festgelegten höfischen oder klerikalen Konventionen der voraufgegangenen Bourbonenherrschaft hielten, sondern in ihrer Aufführungspraxis sowie ihrer revolutionären Aufmüpfigkeit ganz neue Formen einer „musikalischen Öffentlichkeit“ schufen.3 Da in den gleichen Jahren im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation alles weiterhin im Zustand des gesellschaftlichen Status quo verharrte, fanden hingegen selbst jene Komponisten, die mit den Ideen der Französischen Revolution sympathisierten, kaum Gelegenheit, ihre Gesinnung auch in musikalischer Form auszudrücken. Schließlich gab es hier kein Marsfeld für große Aufmärsche, keinen Nationalkonvent, keinen Staatsverlag für Musik, ja nicht einmal Konzerthallen oder Opernhäuser, in denen sich eine Musik für die sogenannten breiten Massen aufführen ließ. Was auf diesem Gebiet den geradezu allmächtigen Ausschlag gab, war ein dynastisches bzw. klerikales System, das alle musikalischen Aufführungsformen weiterhin fest im Griff hatte. Und so verschafften sich die von politischem Unmut ergriffenen Gefühle nur in jenen Gedichten einen musikalischen Ausdruck, denen man – wie in der Hamburger Liederlese für Republikaner von 1797 – nach französischem Vorbild bekannte Melodien unterlegte. Wer Ohren hatte zu hören, konnte solche revolutionären Anklänge auch in einigen Symphonien von Paul Wranitzky und Antonin Reicha vernehmen. Doch wirklich ins Aufrührerische stieß hier nur Ludwig van Beethoven mit seiner für eine Pariser Uraufführung konzipierten Eroica von 1804 vor, wo sowohl kämpferisch-jubelnde als auch klagende Töne angeschlagen wurden, 77

Die unmusikalische Revolution

in denen sich ein lange unterdrückter Groll gegen die herrschenden Unrechtsverhältnisse endlich Luft zu verschaffen suchte.4 Im Gegensatz dazu wirkt die musikalische Landschaft der Jahre 1848/49, als es in Paris und auch in mehreren deutschen Städten zu revolutionären Aufständen kam, geradezu ärmlich. Zugegeben, es entstand auch in diesen Jahren eine Reihe aufrührerisch gestimmter Lieder und Märsche. Aber verglichen mit dem, was zwischen 1789 und 1794, ja noch bis 1804 in Paris und Wien an Kompositionen entstanden war, aus denen man die Parole „Liberté, Égalité, Fraternité“ herauszuhören glaubt, wirkt alles um 1848/49 Komponierte geradezu unbedeutend. Dieser Musik liegt nicht jener große menschheitliche Elan, welcher sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Zuge der emanzipatorischen Tendenzen der bürgerlichen Aufklärung entwickelt hatte, sondern eher ein national oder gar lokal begrenzter Aufruhrgeist zugrunde, der sich von den herrschenden Oberschichten wesentlich schneller unterdrücken ließ als der vom Gefühl eines utopischen Neuanfangs der Menschheitsgeschichte ausgehende Geist der Französischen Revolution von 1789. Und so ist auch die Musik dieser Ära weitgehend zweit- oder gar drittrangig und hat selbst in vielen Geschichtsbüchern, die sich mit diesem Zeitraum befassen, kaum nennenswerte Spuren hinterlassen. II

Doch greifen wir nicht voraus. Beginnen wir erst einmal mit der Frage: Welches Stadium hatte denn die musikalische Entwicklung in Deutschland und speziell in Berlin in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts erreicht?5 Im Bereich der institutionalisierten Musik, also im Opernbetrieb und im Konzertwesen war Berlin damals – im Gegensatz zu später – noch kein Zentrum besonders bedeutsamer oder gar innovativer Tendenzen. Wer in diesem Bereich den entscheidenden Ausschlag gab, waren weitgehend der 1840 inthronisierte König Friedrich Wilhelm IV. und die von ihm eingesetzten höheren Verwaltungsbeauftragten. Da der neue König mit Gaspare 78

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Luigi Pacifico Spontini, dem seit rund zwanzig Jahren amtierenden Generalintendanten der Oper, nicht besonders gut auskam, berief er 1842 den in Paris zu großen Ehren gekommenen ehemaligen Berliner Komponisten Giacomo Meyerbeer zum neuen Chef des Opernwesens, ja beredete ihn sogar, eine möglichst patriotische, das heißt preußisch-vaterländische Oper zu komponieren, mit der das am 18. August 1843 bis auf die Grundmauern niedergebrannte Königliche Opernhaus Unter den Linden wiedereröffnet werden sollte. Meyerbeer, der vorher mit seinen Opern Robert le diable (1831) und Les Huguenots (1836) nach Librettos von Eugène Scribe zu einem der erfolgreichsten Repräsentanten der europäischen Opernszene aufgestiegen war, fand zwar diese Idee nicht besonders verlockend, fügte sich aber dann dem Auftrag seines „allerhöchsten Herrn und Gebieters“. Ja, im Oktober 1843 trug er lapidarisch in sein Tagebuch ein: „Oper – Dessauer Marsch, Müller Arnold – siebenjähriger Krieg, patriotische Flöte – nicht Friedrich persönlich.“6 Während die Berliner Liberalen wie etwa Carl Friedrich Köppen, Franz Kugler und Adolph Menzel mit ihrem progressionsbetonten Friedrich-Bild in den gleichen Jahren eher die Erweiterung ihrer bürgerlichen Rechte beim neuen König einzuklagen versuchten, sollte also in dieser Oper lediglich das preußisch-vaterländische Bild Friedrichs „des Großen“ untermauert werden. Doch Meyerbeer tat sein Bestes, diesem royalistischen Ansinnen etwas entgegenzusteuern. Er fuhr nach Paris, versprach Scribe eine horrende Summe Geld, falls er ihm das Textbuch dazu schreiben würde, dem er und Scribe den vorläufigen Titel Premier flutiste du roi, episode de la guerre de sept ans gaben. Und Scribe, der wahrlich kein Preußenfreund war, willigte aus pekuniären Gründen schließlich ein, bat jedoch den ihn bedrängenden Meyerbeer, ihm hoch und heilig zu versprechen, niemandem zu verraten, dass das Libretto dieser Oper von ihm stamme. Wieder nach Berlin zurückgekehrt, gewann Meyerbeer in Ludwig Rellstab, dem königstreuen Feuilletonredakteur der Vossischen privilegierten Berliner Zeitung, einen gewandten Übersetzer des von Scribe verfertigten Textbuchs der erwünschten hohenzollernfrommen Oper, 79

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die jetzt den Titel Ein Feldlager in Schlesien erhielt. In „altfritzischer“ Gesinnung geht es in diesem Werk um eine anekdotische Episode aus dem Siebenjährigen Krieg, die Friedrich  II. beinahe das Leben gekostet hätte. Auf der Flucht vor ungarischen Häschern verbirgt sich der am Kampfverlauf unmittelbar beteiligte König erst ungesehen als Einzelner unter einer Brücke, entkommt dann ebenso ungesehen in ein Hauptmannshaus und entgeht schließlich – wiederum ungesehen – seinen Verfolgern als flötespielender böhmischer Musikant. Tatkräftige Hilfe erfährt er dabei von der bildschönen Hauptmannstochter Vielka, die sich als Zigeunerin verkleidet hat. Außerdem stehen in dieser Oper, wie immer bei Meyerbeer, große Massen- und Chor­ szenen im Vordergrund, bei denen „in leitmotivischer Andeutung der Dessauermarsch erklingt“ und die „Soldateska des prutzischen Lagers Mützen und Helme abnimmt“.7 Friedrich Wilhelm IV. gefiel das Ganze ausnehmend gut und Rellstab, der sich als alleiniger Librettist ausgab, erhielt für seine Bemühungen den Preußischen Adlerorden IV. Klasse. Für die Uraufführung am 7. September 1845 konnte zwar Meyerbeer für die Rolle der Vielka nicht Jenny Lind, die vielgefeierte „schwedische Nachtigall“, gewinnen, sondern musste sich mit der Berliner Sängerin Leopoldine Tuczek zufrieden geben. Erst bei einigen Wiederholungen durfte Jenny Lind die Rolle der Vielka übernehmen und verhalf durch ihre strahlenden Koloraturen diesem unter königlichem Druck entstandenen Opus dann doch zu einem Achtungserfolg. Ja, alle königstreuen Zeitungen, allen voran die Vossische, brachten überschwänglich lobende Rezensionen dieses höchst problematischen Machwerks. Friedrich Wilhelm IV. brüstete sich sogar in der Folgezeit mehrfach damit, Meyerbeer und Rellstab die Idee des Ganzen suggeriert zu haben. Besonders gefallen hatte ihm jene Stelle, wo die preußischen Grenadiere, als sie von einer möglichen Gefangennahme Friedrichs  II. hören, in den zum Letzten entschlossenen Ruf ausbrechen: „Für unsern König unser Blut!“8 Und so endete die gesamte Feldlager-Affäre schließlich doch in weitgehender Zufriedenheit. Nur Meyerbeer selbst und die Berliner Liberalen waren verschnupft. Obwohl sich Meyerbeer breitschlagen 80

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ließ, für den königlichen Hof weitere Pflichtwerke wie Fackeltänze und Festkantaten zu komponieren, beschlich ihn schon nach ein bis zwei Jahren das ungute Gefühl, sich in Berlin auf allzu kleinliche Verhältnisse eingelassen zu haben, zumal er mit dem von Friedrich Wilhelm  IV. im gleichen Jahr wie er ernannten Opernintendanten Karl Theodor von Küstner, der ein recht engherziger Bürokrat war, immer wieder ins Gehege kam. Daher zog es ihn nach der Uraufführung seines Feldlager in Schlesien wieder stärker nach Paris zurück, wo er mit der Oper Robert le diable seinen ersten großen Erfolg erzielt hatte. Ja, ein noch größerer Erfolg war wenige Jahre später seinen Les Huguenots beschieden, die in Paris nach ihrer Uraufführung über tausendmal über die Bühne gingen.9 Und so ersuchte Meyerbeer Friedrich Wilhelm IV. schon 1846 und dann noch einmal gegen Ende 1847, ihn aus seinen Verpflichtungen in Berlin zu entbinden, um sich in Paris wieder der Grand Opéra widmen zu können. Und der König gab diesem Gesuch schließlich widerwillig nach. So viel – andeutungsweise – zu den vormärzlichen Aufführungsbedingungen an der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Für kurze Zeit war Meyerbeer ihr einziger Star. Nachdem er sich anfangs noch für Louis Spohrs Faust (1842) und Albert Lortzings Der Wildschütz (1843) eingesetzt hatte, zog er sich danach aus der Dirigiertätigkeit mehr und mehr zurück. Was sonst in den vierziger Jahren in diesem Hause aufgeführt wurde, hat – wie Meyerbeers Feldlager in Schlesien – inzwischen eine dicke Staubschicht angesetzt. Etwas mehr Furore machten dagegen die seit 1824 im Königstädtischen Theater aufgeführten italienischen Buffoopern, bei denen Henriette Sonntag bis 1850 mit ihrem hohen Sopran brillieren konnte. Hier ließen sich musikinteressierte Berliner und Berlinerinnen Werke von Gioachino Rossini und Gaetano Donizetti gefallen, die weitgehend als „harmlos“ galten und daher nicht mit den üblichen Zensurschwierigkeiten zu kämpfen hatten. Die in diesem Hause aufgeführten Opern trugen lediglich zur belustigenden Unterhaltung bei und erregten deshalb keine den Hof verstörenden „nationalen“ Gefühle, die gegen die vaterländisch-preußischen Interessen verstoßen hätten. Derartigen 81

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Emotionen, wie sie etwa 1821 anlässlich der Uraufführung von Carl Maria von Webers Der Freischütz im Schinkel’schen Schauspielhaus auf dem Gendarmenmarkt entfacht worden waren,10 wollten die Berliner Hofkreise jetzt von vornherein einen Riegel vorschieben. Also blieb der Spielplan der Lindenoper in den vierziger Jahren relativ traditionell. Nicht einmal der junge Richard Wagner konnte hier Fuß fassen, obwohl ihn Meyerbeer dem Intendanten Küstner mehrfach empfahl. Küstner ließ zwar wegen der Dresdner Erfolge Wagners, die eine gewisse Neugier erweckt hatten, eine Aufführung des Fliegenden Holländer und dann sogar des Rienzi zu, sorgte aber – wie Ludwig Rellstab in der Vossischen Zeitung – dafür, dass beide Opern keinen großen Erfolg hatten.11 Eine ähnliche Geschmacksrichtung vertrat Carl Gottfried Wilhelm Taubert, den Friedrich Wilhelm IV., ebenfalls im Jahr 1842, und zwar als Opernkapellmeister und Konzertdirigenten angestellt hatte. Auch der konservativ gesinnte Taubert suchte, wie Küstner, eine enge Verbindung zum preußischen Königshaus und war als Komponist, wie es später hieß, stets dort „am glücklichsten“, wenn er im Bereich des „Graziösen, Bürgerlich-Naiven und Volkstümlichen“, kurzum: Biedermeierlichen blieb, wofür vor allem seine zahlreichen Kinderlieder und salonhaften Klavierstücke sprechen.12 Was demzufolge in der Staatsoper bis 1848 über die Bühne ging, waren, wie gesagt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, fast alles „Belanglosigkeiten“.13 Denn wer erinnert sich heute noch an jene Werke von Carl Eckert, Heinrich Esser, Friedrich Wilhelm Kücken oder August Schäffer, die in der Ära Küstners und Tauberts ihre Uraufführungen im Königlichen Opernhaus Unter den Linden erlebten? Was bei genauerer Beleuchtung als Gesamteindruck der vormärzlichen Opernära in Berlin in kritischen Augen haften bleibt, ist also ein recht farbloses Bild einer zwar regen Betriebsamkeit, aber zugleich restaurativen Unterdrückung aller gegen den Strich lockenden Bestrebungen. Allerdings bleibt dabei die Frage offen, ob solche aufmüpfigen Tendenzen im Bereich des Opernwesens, wo alles weitgehend den Verfügungen des jeweils herrschenden Dynasten zu folgen hatte, in diesem Zeitraum überhaupt möglich gewesen wären. Zugegeben, 82

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wie immer gab es auch hier Sonderfälle, die sich nicht nahtlos in die Berliner Aufführungsbedingungen integrieren ließen. Und zu diesen gehörte nicht nur Richard Wagner, sondern auch ein weniger anspruchsvoller, aber ebenso liberaler Opernkomponist wie Albert Lortzing, der zwar eher ins Volkstümliche, wenn auch nicht „Tümliche“ tendierte, aber in seinen Opern der mittleren vierziger Jahre, als er in Leipzig als Kapellmeister angestellt war, unter dem Einfluss der dortigen Tunnelgesellschaft und seines Freundes Robert Blum durchaus gegen den Strich aufmuckende Gesinnungen unterstützte.14 Und das führte schließlich dazu, dass ihm seine Leipziger Kapellmeisterstelle im Jahr 1847 wegen „finanzieller Schwierigkeiten“, wie es hieß, aufgekündigt wurde. Obwohl Lortzing ursprünglich Berliner war und zu Adolf Glaßbrenners engsten Freunden gehörte, übersahen ihn die Berliner Hofkreise ganz bewusst, zumal er im zweiten Akt seines Wildschütz die zeitenthobene Sophokles-Vorliebe Friedrich Wilhelms  IV. höchst ironisch persifliert hatte. Im Gegensatz zu solchen liberalen Aufwallungen unterstützten die preußischen Hofkreise lediglich jene Strömungen, die sich entweder im Sinne Metternichs als „restaurativ“, als preußisch-patriotisch oder in einem allgemein kulturgeschichtlichen Sinne als „biedermeierlich“ bezeichnen lassen und die heute nur noch als kontrastierende Folie zu den aufmüpfigen Gegenkräften ein gewisses historisches, ja fast ins Antiquarische abgeblasstes Interesse für sich beanspruchen können. III

So viel zu den vormärzlichen Opernverhältnissen unter Friedrich Wilhelm IV. Fast die gleichen Beobachtungen lassen sich im Bereich des Berliner Konzertlebens der vierziger Jahre anstellen. Das einzige bedeutende Symphonieorchester war damals in dieser Stadt die Königliche Hofkapelle, die weitgehend als Opernorchester fungierte. Überhaupt spielten Konzerte lange Zeit eine wesentlich unbedeutendere Rolle als Opernaufführungen, die im Zentrum des öffentlichen Interesses der musikliebenden Kreise standen und auch bei Hofe die 83

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dementsprechende Beachtung fanden. Vor allem Werke der Kammermusik wurden fast ausschließlich in Privathäusern wie etwa bei den Sonntagsmusiken der Familie Mendelssohn-Bartholdy oder den sogenannten Singe-Tees aufgeführt. Außerdem gab es eine Reihe regelmäßig veranstalteter Garten- und Gasthauskonzerte, bei denen sich neben Berliner Musikern auch durchreisende Virtuosen produzierten. Überhaupt spielte das Virtuosentum, das von allen gesellschaftskritischen oder gar revolutionären Tendenzen ablenken sollte, in dieser Ära eine besonders prononcierte Rolle. So traten damals in Berlin zirkushafte Geiger wie Alexandre-Jean Boucher, die ihre Violine hinter dem Rücken oder auf dem Kopf spielten,15 aber auch ernsthafte Divas und Virtuosen wie Angelica Catalani, Franz Liszt und Niccolò Paganini auf, bei deren Konzerten in der Singakademie, im Konzertsaal des Königlichen Schauspielhauses oder im ApolloSaal des Königlichen Opernhauses der Zuschauerstrom manchmal geradezu ungeahnte Ausmaße annahm. Regelmäßige Abonnementskonzerte mit der Opernkapelle, meist sechs im Jahr, fanden erst seit dem musikalischen Wendejahr 1842 statt. 1843/44 übernahm Felix Mendelssohn-Bartholdy die Leitung dieser Konzerte und bereicherte sie zugleich mit solistischen Darbietungen. Doch schon 1845 beendete Mendelssohn seine dortige Tätigkeit und kehrte wieder nach Leipzig zurück, da ihm wie Meyerbeer „das ungroßmütige Zurückbleiben in Fortschritt und Entwicklung“ innerhalb der Berliner Verhältnisse als zu provinziell erschien.16 Und auch andere bekanntere Komponisten und Dirigenten zog es damals nicht nach Berlin, wovon sie sich – aufgrund der engstirnigen Kulturpolitik Friedrich Wilhelms IV. – keine besonderen Entfaltungsmöglichkeiten erhofften. IV

Als daher im März 1848 die mit den herrschenden Zuständen unzufriedenen Berliner Bürger, Handwerker, Dienstboten und Arbeitsmänner – in Anlehnung an die Pariser Februarrevolution – aus politischen, 84

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sozialen, ökonomischen und kulturellen Gründen zu den Waffen griffen und zum offenen Aufruhr übergingen, sah es für kurze Zeit so aus, als ob sich die Verhältnisse auch auf musikalischem Gebiet ändern würden. Doch wie sollten sich im Opern- und Konzertwesen, deren Interessenten fast alle aus den an der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Status quo bedachten Oberschichten stammten, irgendwelche Reformen durchführen lassen? Das hätte letztlich einen Gesamtumsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse vorausgesetzt. Und daran waren nicht nur die Hofkreise, sondern auch weite Kreise des gehobenen Bürgertums nicht interessiert. Die Letzteren wollten zwar Reformen, die ihnen mehr Freiheit gewährt hätten, aber keine Gleichmacherei mit den unteren Bevölkerungsschichten. Sie fanden es durchaus richtig, dass es in kultureller Hinsicht weiterhin bei einer strikten Trennung zwischen den gebildeten Oberklassen und dem ungebildeten „Pöbel“ blieb. Selbst viele der sogenannten Freiheitsverfechter unter den Mittelschichten, die einen ihren persönlichen Interessen dienlichen Liberalismus erstrebten, vertraten daher in Sachen „Kultur“ meist einen bildungsbürgerlichen Stellvertretungsanspruch, der die unter ihnen stehenden Gesellschaftsklassen von vornherein ausschloss. Demzufolge war es für die Hofkreise auf dem Sektor Musik, der in seinen höheren Formen, also der Oper und dem Konzert, weitgehend ihrer Verfügungsgewalt unterstand, relativ leicht, den in ihren Augen bewährten kulturellen Status quo aufrechtzuerhalten. So berief etwa Friedrich Wilhelm IV. am 14. Februar 1848, also kurz vor dem Ausbruch der revolutionären Unruhen, einen konservativbiedermeierlichen Komponisten wie Otto Nicolai und nicht Albert Lortzing als seinen neuen Hofkapellmeister und betraute ihn zugleich mit der Leitung des Königlichen Hofchores. Und Nicolai erwies sich als ein treuer Diener seines Herrn, das heißt tat nichts, um in den folgenden Monaten die Forderungen der bürgerlichen Liberalen zu unterstützen. Als die Aufrührer im März 1848 sowohl die Lindenoper als auch das Schauspielhaus auf dem Gendarmenmarkt besetzten und darauf drangen, das Wort „Königlich“ aus der Bezeichnung 85

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dieser beiden Gebäude zu streichen, um so aus Hoftheatern endlich „Nationaltheater“ zu machen, ließ er diese Aktionen im Sande verlaufen. Auch am Spielplan des Opernhauses, das nur für kurze Zeit seine Aufführungen unterbrach, wurde wenig geändert. Wenn man bedenkt, welche revolutionären Wandlungen sich damals im Musikleben Wiens abspielten, mutet die Berliner Opernund Konzertsituation der Jahre 1848/49 geradezu idyllisch an. Als es in Wien ab März 1848 zu blutigen Straßenkämpfen kam, war dort an einen geregelten Opern- und Theaterbetrieb kaum mehr zu denken. Alles schien ins Wanken zu kommen oder neue Formen anzunehmen. Auch viele der in Wien lebenden Komponisten wurden vom aufrührerischen Elan der folgenden Monate mitgerissen. So vertonte etwa Albert Lortzing, der wegen seiner Kündigung in Leipzig eine Stelle als Kapellmeister am Theater an der Wien angenommen hatte, im Frühjahr 1848 nicht nur einige Revolutionslieder von Carl Rick und Karl Herloßsohn,17 sondern komponierte sogar eine Revolutionsoper, der er den Titel Regina gab und deren Partitur er Mitte 1848 abschloss. Schon ihre Anfangsszene sollte ein absolutes Novum in der deutschen Operngeschichte sein. In ihr stehen nämlich erstmals streikende Arbeiter auf der Bühne, während im Hintergrund, wie es in der Bühnenanweisung heißt, ein „ansehnliches Fabrikgebäude“ und „große Schlote“ zu sehen sind. Während sich die reformistisch gesinnten Arbeiter auf Verhandlungen einlassen wollen, gehen die danach auftretenden Freikorpsleute kurzentschlossen zur Tat über und werfen Feuerbrände in die Fabrik. Doch am Schluss siegen letztlich die Liberalen über die freibeuterischen Chaoten und stimmen einen hoffnungsvollen Freiheitsjubel an, dem sich sogar die gutgesinnten Bürger anschließen. Da jedoch Ende Oktober die Wiener Revolution von den kaiserlichen Truppen niedergeschlagen wurde, blieb Lortzing auf seiner Regina sitzen. Sogar ein relativ freizügig eingestellter Musikverlag wie Breitkopf & Härtel in Leipzig, dem Lortzing am 23. November 1848 die Partitur und das Textbuch der Regina zuschickte, lehnte eine mögliche Aufführung sofort ab. Ähnlich erging es Lortzing in Frankfurt und Wiesbaden. In Berlin versuchte 86

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er es erst gar nicht, da er die dortigen Verhältnisse als zu konservativ, wenn nicht gar reaktionär empfand. Ähnliche Erfahrungen musste Richard Wagner machen, der zwar an den Dresdner Unruhen im Jahr 1849 nicht aktiv teilnahm, aber sich wenigstens mit seinen Reden und Schriften zu der verbreiteten Aufruhrgesinnung bekannte. Wie wir wissen, wurde deshalb von der sächsischen Regierung ein Steckbrief gegen ihn ausgestellt. Und so blieb Wagner schließlich nichts anderes übrig, als sich einer drohenden Verhaftung oder gar möglichen Hinrichtung durch eine Flucht in die Schweiz zu entziehen. V

Doch zurück zu den Berliner Musikverhältnissen im gleichen Zeitraum. Wie gesagt, hier verlief im Opern- und Konzertwesen alles viel ruhiger als in Wien oder auch in Dresden. Und wo sich Widerspruch regte, wurden von Seiten des Hofes die Zügel einfach etwas fester angezogen. So reagierte etwa der Hof nicht einmal auf jene am 14. Juli 1848 von einigen Liberalen verfasste Denkschrift des Tonkünstlervereins zu Berlin über die Reorganisation des Musikwesens, in der die Frage aufgeworfen wurde, ob man nicht die Oper, an der das Königliche Haus und das gebildete Publikum so interessiert seien, in ein „künstlerisches Volksbildungsinstitut“ umwandeln könne, statt in ihr lediglich ein „Schaugepränge“ oder einen „kurzweiligen“ Zeitvertreib zu sehen.18 Statt auf solche Forderungen einzugehen, ersetzte Friedrich Wilhelm IV. im Sommer 1851, als sich die Verhältnisse wieder „beruhigt“ hatten, in bewusst provozierender Art den Generalintendanten der Hofoper Karl Theodor von Küstner durch Botho von Hülsen, einen Leutnant des Kaiser-Alexander-Gardegrenadierregiments, der im Mai 1849 aktiv mitgeholfen hatte, den Dresdner Aufstand blutig niederzuschlagen und auch in seinem Auftreten als Opernintendant ein äußerst soldatisches Betragen an den Tag legte.19 Da Otto Nicolai, dessen biedermeierliche Oper Die Weiber von Windsor bei ihrer Uraufführung am 9. März 1849 einen beispiellosen Erfolg hatte, bereits im Sommer 1849 starb, ernannte Hülsen Anfang 1851 Heinrich Ludwig 87

Die unmusikalische Revolution

Dorn zum neuen Opernkapellmeister, dessen Kompositionen, wie die seines Kollegen Taubert, den gleichen unüberhörbaren „biedermeierlichen Einschlag“ aufwiesen und der, wie Küstner, Hülsen und Taubert, ebenfalls als ein Gegner des als revolutionär geltenden Richard Wagner galt. Und so blieb der Spielplan der Lindenoper weiterhin recht traditionell. Neben den allerseits beliebten Erfolgsopern von Adolphe-Charles Adam, Daniel Aubert, Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti, Friedrich von Flotow, Giacomo Meyerbeer und Gioachino Rossini kam es dort kaum zu sensationellen Uraufführungen oder gar Inszenierungen gesellschaftskritischer Werke. Von Richard Wagner brachte Hülsen im gleichen Zeitraum lediglich 1856 den Tannhäuser und 1859 den Lohengrin heraus, das heißt Opern, die auch von der Mehrheit des weitgehend konservativ gesinnten Publikums – trotz ihrer mittelalterlichen Drapierung – nicht besonders geschätzt wurden. Gewisse Änderungen im Hinblick auf das Opernwesen fanden lediglich auf einer etwas niederen Ebene statt. Als das Königstädtische Theater gegen Ende der vierziger Jahre in finanzielle Schwierigkeiten geriet und darauf seine Tore schließen musste, trat 1850 das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater an seine Stelle, das sich vor allem der volkstümlichen Oper und der sogenannten Posse mit Gesang annahm. An ihm fand der wegen seiner liberalen Gesinnung weitgehend erfolglose Albert Lortzing seinen letzten Unterschlupf als Kapellmeister, bevor er 1851 zutiefst verbittert starb. Doch die beliebteste Bühne dieser Ära war das im Februar 1844 mit königlichem Privileg am Rande des Tiergartens eröffnete Kroll’sche Etablissement. Hier wurden anfangs vor allem Konzerte, Maskenbälle und Ballette veranstaltet und ab 1850 auch Possen oder Operetten, ja schließlich sogar Opern aufgeführt.20 Mit anderen Worten: Hier bildete sich ein ins Profitorientierte tendierendes Junktim von hoher Kunst und anspruchsloser Unterhaltung heraus, bei dem zwar manchmal auch die seriöse Musik zu ihrem Rechte kam, die jedoch durch die Nachbarschaft zu Jux, Grisettenspäßen, Walzerabenden sowie dem Auftreten dubioser Zauberkünstler zwangsläufig viel von ihrer früheren „Bedeutsamkeit“ verlor. 88

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VI

Kommen wir zu einigen vorläufigen Folgerungen. Wenn man die Gesamtheit dieser Entwicklungen im Berliner Musikleben während der Mitte des 19. Jahrhunderts ins Auge fasst, entsteht der Eindruck einer geradezu unerschütterlichen Kontinuität. Trotz der Aufstände von 1848 blieb im Opern- und Konzertbetrieb alles beim angeblich Altbewährten. Und das war auch kaum anders zu erwarten. Schließlich verlief diese Revolution erfolglos und führte in der Nachmärzära – trotz einer gewissen Öffnung ins Bürgerlich-Kommerzielle – nicht zu einer Zunahme liberaler Tendenzen. Dazu waren das Opern- und Konzertwesen viel zu stark im Rahmen jener dynastischen Besitzverhältnisse verankert, die aus diesen Unruhen eher gestärkt als geschwächt hervorgingen. Neue Musikformen hätten sich auf diesem Gebiet wahrscheinlich nur dann entwickelt, wenn es zu einer Veränderung oder gar einem Umsturz der bisherigen Gesellschaftsordnung und der in ihr herrschenden kulturellen Organisationsstrukturen gekommen wäre. Während einer Revolution, besonders einer scheiternden, hat die sogenannte anspruchsvolle oder seriöse Musik stets einen besonders schweren Stand. Revolutionäre Literatur kann man auch unter repressiven Zuständen schreiben und unter Umgehung der Zensur sogar als eingeschmuggelte Konterbande unter die Leute bringen. Darin hatten schon die Jungdeutschen und dann die Vormärzler eine erstaunliche Findigkeit entwickelt.21 Auch aufmüpfige Karikaturen lassen sich auf dem gleichen Wege publik machen. Aber Opern und Symphonien? Sie können letztlich nur im Rahmen kapitalintensiver Institutionen aufgeführt werden. Hier war also jedem revolutionären Aufbegehren von vornherein eine Schranke gesetzt, was sowohl Richard Wagner in Dresden als auch Albert Lortzing in Wien erfahren mussten. Ja, andere Komponisten gaben nach 1848/49 jede Hoffnung auf, ihren Werken einen revolutionären Anstrich geben zu können. Doch wer hegte zu diesem Zeitpunkt unter der damaligen Komponisten überhaupt noch solche Träume? Wahrscheinlich nur sehr wenige, da die 89

Die unmusikalische Revolution

meisten in Kapellmeisterverhältnissen groß geworden waren, in denen eine bedingungslose Gefolgschaftstreue gegenüber den Obrigkeiten zu den selbstverständlichen Voraussetzungen ihres Berufslebens gehörte. VII

Aber gab es nicht auch andere Formen von Musik, die finanziell nicht so aufwendig waren wie die Oper oder das Symphoniekonzert und daher keinen institutionellen Rahmen voraussetzten? Wie steht es denn mit dem Lied, das aufgrund seiner inhaltlichen Eingängigkeit und seines schnellen Verbreitungsmodus in fast allen Revolutionen im Vordergrund gestanden hat? Fragen wir also weiter: Gab es nicht auch in der Berliner Achtundvierziger-Revolution, selbst wenn sie nach wenigen Monaten blutig niedergeschlagen wurde, wenigstens zu Anfang einige Lieder, die sich als Ausdruck einer wahrhaft revolutionären Gesinnung charakterisieren lassen? Die Antwort darauf ist relativ einfach: Es gab sie, aber sie waren bei weitem nicht so zündend wie vorher die Marseillaise sowie später die Internationale oder We Shall Overcome. Dennoch sollte man sie nicht von vornherein als unbedeutend abqualifizieren. Wie immer, wenn es sich um die Musik der revoltierenden Unterklassen handelt, fließen hier die dokumentarisch erschlossenen Quellen wesentlich spärlicher als bei der Musik der jeweils herrschenden Gesellschaftsschichten. Während selbst viele der dürftigsten Opern und symphonischen Werke in gedruckten Zeugnissen überliefert sind und auch sonst an einer musikgeschichtlichen Erschließung dieser Werke nicht gespart wird, wissen wir über die Musik des sogenannten Vierten Standes, vor allem über jene Lieder, mit denen sich diese Klasse gegen die herrschende Unterdrückung und Ausbeutung Luft zu machen versuchte, reichlich wenig. So geht etwa das viel gerühmte Lexikon Musik in Geschichte und Gegenwart in seinem Abschnitt „Musik des Vierten Standes“, wo es sich um die Berliner Musiksituation in der Mitte des 19. Jahrhunderts handelt, lediglich auf die musikalischen Unterhaltungsbedürfnisse der Unterschichten, also 90

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auf Tänze und Gassenhauer wie Denkste denn, du Berliner Pflanze ein, während es von den Vormärzliedern nur das weitverbreitete Lied auf jenen Heinrich Ludwig Tschech erwähnt, der 1844 ein miss­ lungenes Attentat auf das preußische Königspaar unternommen hatte.22 Doch wahrscheinlich wurden damals auf den Berliner Straßen bereits vor 1848 wesentlich mehr solcher aufmüpfigen Lieder gesungen wie etwa das ebenfalls 1844 entstandene Lied Das Blutgericht „nach einer Melodie des damals sehr populären Volksliedes Es liegt ein Schloß in Österreich“,23 das sich auf den zeitgleich erfolgten Aufstand der schlesischen Weber in Peterswaldau und Langenbielau bezieht. Überhaupt war es in diesen Jahren wie schon im Zeitalter der Französischen Revolution beliebt, irgendwelchen aufrührerischen Gedichten bekannte Melodien unterzulegen, um so zu ihrer schnellen Verbreitung beizutragen. Besonders August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der 1842 wegen seiner rebellischen Gedichte, die unter dem bewusst irreführenden Titel Unpolitische Lieder erschienen waren, seine Breslauer germanistische Professur verloren hatte, war ein Meister solcher Techniken. Das beweist unter anderem sein Lied der Deutschen, dem er die Melodie von Gott erhalte Franz den Kaiser unterlegte und der als reisender Barde selber zur Verbreitung seiner Lieder beitrug – wohl wissend, dass in politisch unruhigen Zeiten Gedichte bloß Gedichte bleiben, die nur von gebildeten Einzelnen wahrgenommen werden, während Lieder stets die Chance haben, auch die „breiten Massen“ zu erreichen.24 VIII

Zur Berliner Situation des politisch-revolutionären Liedes der Jahre 1848/49 lässt sich lediglich Folgendes sagen. Als die Meldungen von der Pariser Februarrevolution Berlin erreichten, verbreitete sich auch unter dem dortigen Bürger- und Arbeiterstand eine steigende Unruhe. Die ersten revolutionär gestimmten Versammlungen fanden am 6., 7. und 9. März in den sogenannten Zelten im Tiergarten statt, bei denen Forderungen nach Gleichberechtigung aller Bürger sowie nach 91

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Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit laut wurden. Allerdings verliefen diese Zusammenkünfte noch relativ friedlich. Zu ersten blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Versammlungsteilnehmern und dem preußischen Militär kam es am 13. März, worauf sich die Spannungen zwischen den Bürgern und dem Königshaus wesentlich verschärften. Als am 17. März die Nachricht vom Sieg der Revolution in Wien in Berlin eintraf, fühlten sich die zur Konfrontation entschlossenen Revolutionäre stark genug, dem König am folgenden Tag eine Resolution zu überreichen, in der sie den Abzug des Militärs und die Gründung einer Bürgerwehr forderten. Zugleich erließen sie einen Aufruf an alle mit dem herrschenden Regime unzufriedenen Bürger, sich am folgenden Tag vor dem Berliner Schloss einzufinden.25 Als sich darauf am 18. März etwa 10.000 Menschen auf dem Schlossplatz versammelten, wurden von den dort herbeigeströmten Demonstranten möglicherweise die ersten Revolutionslieder gesungen. Daraufhin war der König so eingeschüchtert, dass er bei dieser Kundgebung den Berlinern die vom Bürgermeister Franz Christian Naunyn geforderte Einberufung der Vereinigten Landtage und – unter dem Jubel der Versammelten – zugleich eine größere Presse- und Zollfreiheit versprach, ja sogar in abwiegelnder Tendenz bekannte, dass er sich selber an die Spitze der liberalen Bewegung in ganz Deutschland stellen wolle.26 Das fand bei den Massen durchaus Anklang. Als jedoch Prinz Wilhelm, der beim niederen „Volk“ wegen seiner reaktionären Gesinnung besonders verhasst war, anschließend wahllos in die Volksmenge schießen ließ, kam es zu blutigen Straßenkämpfen, bei denen über 150 Berliner ihr Leben lassen mussten. Die ersten politischen Lieder, die zu diesem Zeitpunkt entstanden, galten weitgehend den Opfern dieser Kämpfe. Eins dieser Lieder begann mit der Strophe: „Vor dem Berliner Schlosse / Ertönt ein Trauerlied: / Da liegen viel hundert Tote, / Sie liegen in Reih und Glied. / Und Leich’ um Leiche tragen / Die Bürger stumm heran, / Als wollten sie sagen: König / Da sieh, was du getan.“27 Ja, es gab sogar Bänkellieder im Berliner Dialekt, in denen diese „jroße Mordjeschichte“ besungen wurde.28

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Als das Militär endlich aus Berlin zurückgezogen wurde und Prinz Wilhelm für eine Zeit lang nach London ausweichen musste, wohin sich auch der gestürzte österreichische Staatskanzler Metternich begeben hatte, entstanden vor allem Spottlieder auf den einst geradezu allmächtigen „Kartätschenprinz“, wie er jetzt hieß, dem man auf Seiten der Aufständischen mit einer harten Vergeltung drohte, falls er je wieder nach Berlin zurückkehren sollte. Eins dieser Lieder fing auf die Melodie des Gassenhauers „Komme doch, komme doch, komm du Schöne“ mit den Zeilen an: „Komme doch, komme doch, Prinz von Preußen, / Komme doch, komme doch nach Berlin. / Wir wolln dir mit Steine schmeißen / Und dir’s Fell über die Ohren ziehn.“29 In einem anderen dieser Lieder, welchem man die seit 1840 populär gewordene Melodie von Nikolaus Beckers Gedicht „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“ unterlegte, hieß es nicht minder unverblümt: „Wir wollen ihn nicht haben / Den Herrn Kartätschen-Prinz. // Wir wollen ihn nicht haben / Den Schild der Despotie, / Der für der Freiheit Gaben / Nie fühlte Sympathie.“30 Da die Straßenunruhen auch nach dem 18. März andauerten, entstanden in der Folgezeit erneut Lieder, welche den Aufständischen Mut zu weiteren Kämpfen machen sollten. Zu ihnen gehörte mit Sicherheit der Berliner Demokratenmarsch, dessen von Moritz Loevinson verfasster Text von H. Bauer vertont worden war und der mit den Zeilen begann: „Vorwärts! Vorwärts! Deutschlands Söhne, / Vorwärts mutig ins Gefecht / Niemand wag’ es mehr und höhne / Unsre Freiheit, unser Recht!“31 Die gleiche Aufruhrgesinnung machte sich in jenem Freiheitsmarsch Luft, in dem es unter anderem hieß: „Hurra! Wacht auf! Steht Mann für Mann, / Wer nur den Arm kann regen! / Hurra! Herbei, was kämpfen kann. / Hurra! Dem Feind entgegen!“32 Ja, vielleicht wurden bei solchen Auseinandersetzungen auch Lieder wie das erste deutsche Streiklied von Carl Fröhlich: „Nun, Brüder, stehet wie ein Mann, / Die ernste Stunde kam; / Nun richtet vorwärts kühn den Blick, / Nur Memmen kehren feig’ zurück, / Verächtlich ohne Scham“ oder sogar schon das Arbeiterlied des Schneiders 93

Die unmusikalische Revolution

Lüchow: „Es quillt und keimt von unten auf, / Wie frisch gesäte Saat; / Es wächst wohl aus der Erd’ heraus; / Das Proletariat!“ gesungen.33 All das klingt nach Hass, nach Männerstolz, nach Heroismus – und doch war diese Revolution von vornherein zum Scheitern verurteilt, mochten auch einige ihrer Lieder noch so freiheitsdürstend, wenn nicht gar umstürzlerisch gestimmt klingen. Wie wir wissen, scheiterte sie aus vielen Gründen, von denen zwei besonders hervorstechen: erstens an jenem weitverbreiteten Konservativismus der Metternich’schen Restaurationsgesinnung, die sich seit 1815 in vielen Köpfen festgesetzt hatte, und zweitens an der sozioökonomischen Besorgtheit des liberalen Bürgertums, das letztendlich mehr „Angst vor den revolutionär gesinnten Berliner Arbeitern“ als vor den von der Feudalaristokratie angeführten Truppenverbänden hatte,34 die am 10. November 1848 unter der Leitung des preußischen Generalfeldmarschalls Friedrich Graf von Wrangel, ohne auf einen nennenswerten Widerstand zu stoßen, erneut in Berlin einmarschierten und damit dem „tollen Jahr“, wie es später bei den nachmärzlichen Reaktionären abschätzig hieß, ein Ende bereiteten. Und so blieb auch die Musik dieser Revolution nur eine Marginalie innerhalb der allgemeinen Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts. Die wesentlich effektiveren Demonstrations- und Protestlieder entstanden erst, als die Zahl der Industriearbeiter immer größer wurde und in den sozialdemokratischen Gesängen der siebziger und achtziger Jahre ihre „klassische“ Ausprägung fanden – während die gehobene, seriöse Musik im gleichen Zeitraum immer stärker ins Nationalistische à la Richard Wagner, Ichbewusst-Anspruchsvolle à la Johannes Brahms und Anton Bruckner oder Ästhetizistische à la Richard Strauss abdriftete und sich erst innerhalb der expressionistischen Strömungen zwischen 1910 und 1923 wieder, wenn auch in betont „modernistischer“ und damit weitgehend volksfremder Form den revolutionären Tendenzen der sogenannten Novembristen anzunähern versuchte. Doch das gehört bereits auf ein anderes Blatt.35

94

Angemaßte oder wahre Größe? Zur Musik der Gründerzeit

I

Unter dem Begriff „Gründerzeit“ verstehen die meisten historisch bewussten Deutschen vornehmlich jene Zeitspanne, welche auf die im Jahr 1871 vollzogene Gründung des Zweiten Kaiserreichs und den sich daran anschließenden enormen, wenn auch kurzlebigen wirtschaftlichen Aufschwung folgte. Unter dieser Perspektive betrachtet, werden also mit dem Schlagwort „Gründerzeit“ vor allem der maßlos übersteigerte Nationalismus der bismarckschen und frühwilhelminischen Ära sowie der ebenso, zum Teil durch die französischen Reparationszahlungen angekurbelte ökonomische Bereicherungsdrang umschrieben, der nach dem sogenannten Gründerkrach von 1873 und der darauf folgenden wirtschaftlichen Depression zu einer raschen Polarisierung in neureiche und proletarisch notleidende Bevölkerungsschichten führte. Und das bewirkte, dass sich unter den aristokratischen und bürgerlichen Führungsschichten ein forcierter Chauvinismus breit machte, während sich anderthalb Millionen Deutsche zur Auswanderung in die Vereinigten Staaten gezwungen sahen und große Teile der verarmenden Bevölkerungsschichten mit der gegen diese Verhältnisse opponierenden Sozialdemokratischen Partei zu sympathisieren begannen, was den Reichskanzler Otto von Bismarck im Jahr 1878 dazu veranlasste, diese Partei bis zum Jahr 1890 95

Angemaßte oder wahre Größe?

durch die von ihm durchgesetzten Antisozialistengesetze soweit wie möglich zu unterdrücken. So viel erst einmal in aller Kürze zur politischen und sozioökonomischen Konstellation der siebziger und achtziger Jahre im wieder hergestellten Deutschen Kaiserreich. Fragen wir uns nun: Wie haben sich jene höchst dramatischen Ereignisse auf die verschiedenen Künste dieser Ära ausgewirkt? Um es gleich vorwegzunehmen: Aufgrund all dieser Vorgänge und den sich daraus ergebenden ideologischen Polarisierungen kam es auch in ihnen keineswegs zu einer einheitlichen, in sich geschlossenen Stilformation, sondern notwendigerweise zu einem Stilpluralismus, bei dem nicht nur affirmative und antagonistische Ausdrucksformen höchst unvermittelt nebeneinander standen, sondern sich auch mannigfache Überschneidungen ergaben. Ja, nicht nur das. Neben der ins Monumentalisierende drängenden spezifisch gründerzeitlichen Kunst und der sich dagegen auflehnenden naturalistischen Bewegung der achtziger Jahre ließen sich viele Schriftsteller, Maler und Komponisten – trotz der sich dramatisch verändernden politischen und sozioökonomischen Verhältnisse – nicht umgehend bewegen, auf jene Stilhaltung zu verzichten, die sich in der Nachmärzära zwischen 1848 und 1871 als künstlerische Ausdrucksform jenes „Bürgerlichen Realismus“ durchgesetzt hatte, für den eine eher bescheidene, sich anpassungsbereit gebende Gesinnung bezeichnend war. Dafür sprechen nicht nur die Romane und Novellen von Theodor Fontane, Wilhelm Raabe und Theodor Storm, sondern auch die fast noch biedermeierlich wirkenden Genregemälde dieser Ära sowie die vielen bürgerlich gefühlvollen Kammermusikwerke, die sich selbst nach 1871 weiterhin einer großen Beliebtheit erfreuten. Auch diese Genres gilt es daher im Auge zu behalten, statt im Hinblick auf die Kunst der siebziger und achtziger Jahre einfach pauschalisierend von „der“ Kunst der Gründerzeit zu sprechen. Und doch, trotz derartiger Differenzierungen ist es dennoch nicht unangebracht, diese verschiedenen Stilhaltungen und die in ihnen zum Ausdruck kommenden ideologischen Gesinnungen als „gründerzeitlich“ 96

Zur Musik der Gründerzeit

zu bezeichnen, da sie in ihrem Für oder Wider durch die nach 1871 eintretenden Ereignisse, ob nun in direkter oder indirekter Form, beeinflusst wurden. Durch die endlich errungene Wiederherstellung der deutschen Einheit, die fast alle Deutschen seit über 60 Jahren herbeigesehnt hatten, kamen auch die Künstler der siebziger und achtziger Jahre nicht umhin, auf die von Bismarck errungene Reichsgründung, den kurz darauf folgenden wirtschaftlichen Aufschwung und die danach einsetzende Verelendung der unteren Bevölkerungsschichten zu reagieren, ob nun – je nach ihrer sozialen Stellung und der sich daraus ergebenden ideologischen Gesinnung – mit rückhaltlosem Chauvinismus, geniekultischer Überheblichkeit, gedämpfter Affirmation, altpreußischer Zurückhaltung oder sozialdemokratischer Aufmüpfigkeit. Denn schließlich war 1871 nicht jenes Reich entstanden, das einmal den bürgerlich-liberal gesinnten Achtundvierzigern vorgeschwebt hatte, sondern ein autoritäres Bismarckreich, in dem weitgehend die preußische Adelsclique das Sagen hatte, was, wie gesagt, zu einer ideologischen Polarisierung führte, die auf allen gesellschaftlichen Gebieten und daher auch in den Künsten zu höchst verschiedenen Orientierungen führte. II

Fassen wir erst einmal jene künstlerische Stilhaltung ins Auge, in der eine rückhaltlos affirmative Haltung dem von Bismarck geschaffenen Zweiten Kaiserreich gegenüber vorherrschte. Ihr lag weitgehend eine lautstark umjubelte Wiederherstellungsgesinnung zugrunde, die in der von Bismarck inthronisierten Hohenzollerndynastie – im Sinne der beliebten Barbarossa-Barbablanca-Gleichsetzung – eine Restitution der mittelalterlichen Hohenstauferherrschaft erblickte, um so dem Zweiten Kaiserreich eine imperiale und zugleich weit in die Geschichte zurückreichende Legitimation zu geben. Und diese ideologische Orientierung wirkte sich zwangsläufig auch auf die sich damit identifizierenden Künste aus, in denen nach 1871 ein dekorationssüchtiger Historismus einsetzte, der sich in spezifisch gründerzeitlicher 97

Angemaßte oder wahre Größe?

Legitimationsstrategie aller hoheitsbetonten Stilelemente – ob nun romanischer, gotischer, renaissancehafter, barocker oder klassizistischer Formvorstellungen – bediente, um so den Eindruck neu erstandener „Größe“ zu erwecken. Doch andererseits griff diese Richtung – in Übereinstimmung mit den neureichen Stilbemühungen westeuropäischer Industrieländer wie England und Frankreich – auch jene Stilhaltungen auf, die sich bereits kurz zuvor in London und Paris in Form der High-Victorian-Art und des Beaux-Arts-Stils durchgesetzt hatten, mit denen sich das dortige zu wirtschaftlicher Macht aufgestiegene Industriebürgertum dieser beiden Länder stilistisch ebenfalls im Ahnenbuch der Geschichte eintragen wollte, um so seine soziale Gleichstellung mit der älteren Aristokratie zu betonen. Diese Wendung ins Historistische führte demnach in der frühen Gründerzeit zu zwei zwar verschiedenen, aber dennoch miteinander korrespondierenden Stilhaltungen: einer hohenzollenfrommen Monumentalisierung sowie einer parvenühaften Tendenz ins Prunkvolle, wenn nicht gar Protzenhafte, mit der auch das neureiche deutsche Großbürgertum seine ökonomische Machtstellung demonstrieren wollte. Diesen beiden künstlerischen Manifestationen wurde demzufolge von den sogenannten Meinungsträgerschichten der siebziger und achtziger Jahre der meiste Beifall gezollt. Und zwar überwogen dabei wie in allen auf Ästhetisierung der Politik bzw. gesellschaftliche Repräsentation bedachten Zeiten weniger die literarischen als die visuellen und akustischen Ausdrucksformen. Was die meisten Deutschen damals als die maßgebliche Kunst ihrer „Heroenzeit“ empfanden, waren demnach in erster Linie nicht Romane oder Gedichte, sondern anspruchsvolle Bauten wie das Reichstagsgebäude und die Nationalgalerie, die Berliner Siegesallee, der Aufführungsstil des Meininger Hoftheaters, die Historienbilder Anton von Werners, die Bismarckporträts Franz von Lenbachs, der Kaisermarsch Richard Wagners, die Bayreuther Festspiele, das Lied vom deutschen Kaiser von Max Bruch, die Bismarckhymne von Karl Reinthaler, die bei den Sedanfeiern gesungenen Lieder sowie die von prächtig ausgestatteten Militärkapellen gespielte Marschmusik. 98

Zur Musik der Gründerzeit

Doch, wie gesagt, neben diesen national gestimmten Werken galt innerhalb der Künste dieser Ära auch all das als ebenso gründerzeitlich, was in den Salons dieser Ära ausgestellt wurde: nämlich jenes mehr oder minder geschickt arrangierte Durcheinander angeblich wertvoller Kunstwerke, mit Goldschnitt versehener Klassikerausgaben, kostbar wirkender Pfauenfedern und metallisch glänzender Nippesfiguren, mit dem die bürgerlichen Emporkömmlinge ihre zu festlichen Diners eingeladenen Gäste, unter denen selten ein Renommierbaron fehlen durfte, den Eindruck eines sorgenfreien, nur der Geselligkeit und Kunst gewidmeten Lebens vorzuspiegeln versuchten.1 Hier herrschte das, was man damals als prunkvolles Makartisieren bezeichnete, jedoch von ästhetisch anspruchsvolleren Kritikern schon kurze Zeit später als salonidealistische Geschmacklosigkeit abgetan wurde. III

Doch trifft all das auch auf jene künstlerischen Großleistungen dieser Jahrzehnte zu, die sich weder als eindeutig chauvinistisch noch als eindeutig parvenühaft charakterisieren lassen? Waren sie völlig frei von solchen Tendenzen oder waren auch sie – bewusst oder unbewusst – lediglich Widerspiegelungen jenes ominösen Zeitgeists, der letztlich fast allen Ausdrucksformen einer bestimmten Ära zugrunde liegt? Eins lässt sich von vornherein nicht leugnen: Schon in ihrem Streben ins Bedeutungsvolle, mit dem sie sich von der eher bescheidenen Stilhaltung des Bürgerlichen Realismus der Jahre zwischen 1848 und 1871 abzusetzen versuchten und sich ebenfalls dem Trend ins Historistische anschlossen, waren auch sie durchaus Ausdruck ihrer Zeit. Allerdings sollte man im Hinblick auf die dahinterstehenden Künstler eher von einer indirekten als von einer direkten Identifizierung mit dem Geist der Gründerzeit sprechen, da sich manche von ihnen in ihrem ins Genialische gesteigerten Anspruch durchaus als einzelgängerisch, wenn nicht gar außergesellschaftlich empfanden. Und doch ist auch dieses Einzelgängertum unter den sogenannten Größen dieser Zeit nicht ohne die zeitgeschichtlichen 99

Angemaßte oder wahre Größe?

Voraussetzungen zu verstehen. Was ihm indirekt zugrunde lag, war ein prononcierter Geniekult, der meist auf einer kaum bewussten indirekten Identifikation mit Bismarck, der alles überragenden Großfigur dieser Ära, beruhte. Schließlich war er es, der durch seine geniale, wenn nicht gar übermenschliche Willenskraft das geschafft hatte, was den „breiten Massen“ der Achtundvierziger-Revolution nicht gelungen war, nämlich die Größe und Weltgeltung des 1806 untergegangenen Deutschen Kaiserreichs wieder herzustellen. Und daraus hatte sich nach 1871 in der meinungsbeeinflussenden Oberschicht auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens ein übersteigerter Geniekult entwickelt, der nicht nur Politikern, sondern auch Künstlern entgegengebracht wurde. Wie noch nie zuvor – von Johann Wolfgang Goethe einmal abgesehen – wurden Künstler in diesen Jahren so verehrt wie der Malerfürst Franz von Lenbach, der Dichterfürst Paul Heyse oder der Komponistenfürst Richard Wagner, die nicht nur von den Höfen gefördert wurden, sondern sich auch selber als imperiale Regenten auf ihren Gebieten empfanden. In ihnen sah man nicht nur Maler, Dichter oder Musiker, sondern wahrhafte Genies, deren Werke es durchaus mit den künstlerischen Leistungen der Antike oder der Renaissance aufnehmen könnten. Künstler wie diese erschienen daher vielen bestbürgerlichen Kunstfreunden wie mit geheimnisvollen Kräften begnadete Olympier, die selbst preußischen Kriegshelden wie Helmuth von Moltke oder Albrecht von Roon durchaus ebenbürtig seien. So viel zum direkten, unverhüllten Geniekult der Gründerzeit. Er ist eher abstoßend als anziehend und erschöpft sich weitgehend in einer vordergründigen Affirmation der von Bismarck, der angeblich alle anderen Größen dieser Epoche überragenden Gestalt, geschaffenen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse. Doch das eigentlich Bemerkenswerte dieses Geniekults war, dass ihm auch einige der bedeutenderen Künstler dieser Ära huldigten oder zumindest unbewusst verfielen. Genauer besehen gehörten dazu bezeichnenderweise eher jene, die sich von den Höfen fernhielten und ihre Werke ohne einen direkten Bezug zu den zeitgenössischen Ereignissen schufen, 100

Zur Musik der Gründerzeit

aber sich trotz alledem nicht ohne den vorherrschenden Geniekult verstehen lassen. Wohl ihren markantesten Ausdruck fand diese Gesinnung in den Schriften des jungen Friedrich Nietzsche, vor allem in seiner Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik (1873) sowie seinen Unzeitgemäßen Betrachtungen (1873–1876), die letztlich höchst zeitgemäße Betrachtungen waren, in denen er alle ins Übermenschliche tendierenden Politiker, Philosophen und Künstler zu „Leuchttürmen der Menschheit“ verklärte. Noch schärfer als bei den anderen kommt bei ihm, dem eigentlichen Philosophen der Gründerzeit, die innere Identifikation mit jenen vereinzelten Genies zum Ausdruck, die trotz aller äußeren Widerstände stets die höchsten, wenn auch unerreichbaren Ziele ins Auge gefasst hätten. Daher sah er selbst in Bismarck, der vielen seiner damaligen Zeitgenossen als einmalig erschien, nur einen Schneider, der den deutschen Flickenteppich wieder zusammengenäht habe. Wahre Größe wäre für Nietzsche gewesen, wenn Bismarck an dieser Aufgabe tragisch gescheitert wäre. Doch sogar ein solches Urteil sollte man nicht antigründerzeitlich interpretieren. Für Nietzsche zählte eben nur die ins Maßlose tendierende Genialität, nicht ein genau berechnender Realitätssinn. Den überließ er lieber den „Vielzuvielen“ oder „Allermeisten“ unter den von ihm verachteten Subalternmenschen seiner eigenen Gegenwart.2 Derart steile Ansprüche finden sich in der zwar weitgehend historistisch eingestellten, aber noch vielfach den Stilmerkmalen des Bürgerlichen Realismus der fünfziger und sechziger Jahre verpflichteten Gründerzeitliteratur kaum.3 Man zögert daher fast, in diesem Zusammenhang auf einen Roman wie Ein Kampf um Rom (1876) von Felix Dahn hinzuweisen, obwohl es auch in ihm um den von Nietzsche gern verklärten Untergang der heroisch kämpfenden Ostgoten geht. Selbst die historischen Novellen des sich zum Deutschtum bekennenden Conrad Ferdinand Meyer haben – trotz heldisch gezeichneter Protagonisten wie Ulrich von Hutten, Gustav Adolf von Schweden und Fernando Pescara – nicht die von Nietzsche geforderte „Größe“. Das Gleiche gilt für Paul Heyse, der zwar 1871 in seinem Deutschen 101

Angemaßte oder wahre Größe?

Novellenschatz forderte, in Zukunft lediglich Erzählungen zu schreiben, in deren Zentrum eine „starke Silhouette“ vor einem „deutungssteigernden Hintergrund“ stehen solle,4 aber in seinen eigenen Werken diese Forderung kaum einzulösen vermochte. Wesentlich anspruchsvoller traten dagegen einige Maler in diesem Zeitraum auf. Neben nationalistisch gesinnten Historienmalern und salonidealistischen Ausstattungskünstlern gab es hier durchaus eine Reihe einsamer Genies oder die sich zumindest dafür hielten, denen eine gewisse Größe nicht abzusprechen ist. Da wäre etwa ein Deutschrömer wie Hans von Marées, der sich in weltverlorener Verbissenheit damit abquälte, seine antikisierenden Tafelbilder so lange zu übermalen, dass sie fast den Charakter respektheischender Reliefs annahmen. Und da wäre Arnold Böcklin, der sich auf seinen Selbstporträts der siebziger Jahre mit einer herrischen Pose ins Bild setzte, der ein geradezu übermenschliches Selbstwertgefühl zugrunde zu liegen scheint. Ja, selbst ein weniger anspruchsvoller Künstler wie Wilhelm Leibl war alles andere als ein bloßer „Bauernmaler“, der mit seinen Drei Frauen in der Kirche (1878) und seinen Wildschützen (1882) sogar bei „realistischen“ Bildern eine innere Monumentalität anstrebte, die ihresgleichen sucht, ja der einige seiner Bilder wieder zerschnitt, falls sie seinem hochgestochenen Ehrgeiz nicht entsprachen. Und auch Anselm Feuerbachs Urteil des Paris (1870) sowie sein Gastmahl des Alkibiades (1875) zeichnen sich durch einen ins Genialische strebenden Gestaltungswillen aus, der so stark ins Großformatige drängt, dass sich sein Gastmahl nur im weiträumigen Treppenhaus der Berliner Nationalgalerie aufhängen ließ.5 IV

Doch kommen wir endlich als dem eigentlich Ziel- und Endpunkt all dieser Betrachtungen zu den Großleistungen gründerzeitlicher Komponisten wie Richard Wagner, Anton Bruckner und Johannes Brahms, die sich bis heute einer weltweiten Anerkennung erfreuen. Wegen ihrer inzwischen ins Zeitlose erhobenen „Größe“ zögert man 102

Zur Musik der Gründerzeit

fast, sie ebenfalls als „gründerzeitlich“ zu charakterisieren, zumal dieser Begriff – sowohl aus politischen als auch aus ästhetischen Gründen – fast nur noch abschätzig, wenn nicht gar eindeutig negativ verwendet wird. Doch bei einer strikt historischen Sehweise, die sich nicht von irgendwelchen Posthistoire-Stimmungen beirren lässt, kommt man nicht umhin, selbst ihre Werke als direkten oder indirekten Ausdruck jener politischen und sozioökonomischen Zeitsituation der siebziger und achtziger Jahre zu interpretieren, der sich auch sie nicht entziehen konnten. Beginnen wir mit Richard Wagner, dem Ältesten dieser drei Komponisten, der lediglich mit seinen Spätwerken in die Gründerzeit hineinragt. Während er in seinen frühen Opern wie dem Liebesverbot (1836) und dem Rienzi (1840) noch relativ unbehelligt jungdeutschen bzw. vormärzlichen Anschauungen huldigen konnte, war er 1849 wegen seiner Beteiligung an der Dresdener Revolution aus dem deutschen Staatenbund ausgewiesen worden. Danach hatte er sich in der Nachmärzperiode in seiner Oper Tristan und Isolde (1865) zeitweilig weltentsagenden Nirwanastimmungen hingegeben. Erst die auf eine politische Vereinigung aller deutschen Staaten drängenden nationalliberalen Strömungen gaben ihm wieder einen neuen Auftrieb, der ihn zur Komposition seiner deutschbewussten Oper Die Meistersinger von Nürnberg (1868) bewegte. Im Zuge dieser Wendung ins Nationalistische begrüßte er daher 1870 den Sieg der deutschen Truppen über die auch von ihm als Erzfeinde empfundenen Franzosen, komponierte nach der am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal zu Versailles erfolgten Proklamierung des Zweiten Kaiserreichs einen Wilhelm I. gewidmeten Kaisermarsch, stattete in Berlin dem eben ernannten Reichskanzler Bismarck einen Besuch ab und entschloss sich darauf, mit Hilfe des bayrischen Königs Ludwig II. in Bayreuth ein Festspielhaus errichten zu lassen, in dem er zur mythologischen Verklärung des neuen deutschen Reichs sein vierteiliges Musikdrama Der Ring des Nibelungen uraufführen wollte. All das spricht bereits für sich selbst und macht den späten Wagner zu einem der eindeutigsten Vertreter der gründerzeitlichen 103

Angemaßte oder wahre Größe?

Hochstimmung der Jahre nach 1871. Und daran änderte sich auch in den folgenden Jahren nichts, weder in seiner eigenen Gesinnung noch in der ihm von nationaler Seite entgegengebrachten Ehrerbietung. Als daher am 13. August 1876 die ersten Bayreuther Festspiele mit der Uraufführung des Rheingold eröffnet wurden, war die patriotisch gestimmte Begeisterung unter den daran Teilnehmenden groß, die diesen Festakt nicht nur als ein musikalisches, sondern auch als ein politisches Ereignis begrüßten. Schließlich ging es in dieser Tetralogie nicht nur um einen völlig neuen, weniger auf Arien als auf Leitmotiven beruhenden Operntyp, sondern zugleich um jene germanischen Götter und Helden, die auch in anderen gründerzeitlichen Werken gern als die urtypischen Vertreter einer wahrhaft deutschen Geisteshaltung herausgestrichen wurden. Ja, dass selbst Kaiser Wilhelm I. zu dieser Demonstration deutscher Größe und Geschichtsmächtigkeit angereist kam, empfand Wagner als eine besondere Ehre und bestärkte ihn in dem Gefühl, mit seinem Festspielhaus und der darin aufgeführten Nibelungentetralogie ein wahres Nationaltheater geschaffen zu haben.6 Doch dieser zeitbedingte Nationalismus, so stark er auch war, macht Wagner nicht allein zu einem Hauptvertreter jener Geisteshaltung, die gemeinhin als „gründerzeitlich“ gilt. Daneben gibt es noch mindestens zwei andere Aspekte, die für eine solche Einordnung sprechen. Da wäre erst einmal das Parvenühafte seines Auftretens und die damit verbundenen Ansprüche, welche Wagner im Hinblick auf sein persönliches Wohlleben stellte. In dieser Hinsicht unterschied er sich keineswegs von den aus den Mittelschichten des damaligen Bürgertums aufgestiegenen Industriekapitänen in den Berliner Tiergartenvillen, ja versuchte sie mit seinem Bayreuther Wohnsitz „Wahnfried“ sogar noch zu übertreffen. Um als jemand zu gelten, der es „geschafft“ hatte, umgab sich auch er dort mit allem, was ihm sein Leben erleichterte, was kunstvoll wirkte und was auf Besucher den gewünschten respektheischenden Eindruck erwecken sollte. Doch was fast noch gründerzeitlicher wirkt, ist, dass er den Anspruch auf einen solchen Lebensstil als die seiner Genialität 104

Zur Musik der Gründerzeit

durchaus angemessene Voraussetzung zu seinem künstlerischen Schaffen empfand. In dieser Hinsicht teilte er bedenkenlos jenen Geniekult, der einerseits, wie gesagt, mit der weitverbreiteten Bismarck-Verehrung zusammenhing, andererseits ein Produkt jenes Künstlerkults war, den man in diesen Jahren auch anderen zu Olympiern erhobenen Dichtern und Malern entgegenbrachte. Was Wagner darin bestärkte, waren nicht nur die allgemein umjubelten Erfolge seiner ins Bombastische gesteigerten Musikdramen, in denen viele seiner Verehrer den entscheidenden Durchbruch zu einer alle anderen Formen des bisherigen Opernwesens in den Hintergrund drängenden „Zukunftsmusik“ sahen, sondern auch die Bewunderung seines königlichen Gönners Ludwig  II.,7 der in ihm einen neuen Tannhäuser oder Lohengrin erblickte, sowie die geradezu abgöttische Verehrung von Seiten seiner Frau Cosima und des jungen Friedrich Nietzsche, welcher ihn 1873 in seinem Buch Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik als den neuen Alexander den Großen im Bereich der Kunst hingestellt hatte. Doch auch andere seiner Bewunderer erblickten in ihm nicht nur einen jener herkömmlichen Opernkomponisten, die sich lediglich mit der musikalischen Ausmalung ihnen zur Verfügung gestellter Librettos begnügt hätten, sondern einen ins geradezu Übermenschliche strebenden „Tondichter“, der alle seine Operntexte mit genialischem Anspruch selbst verfasst habe, um ihnen die von ihm gewünschte programmatische Zielsetzung zu geben. Daher empfand Wagner sein Bayreuther Festspielhaus nicht nur als ein Nationaltheater, sondern auch als ein auf seine Person zugeschnittenes Wagnertheater. Dementsprechend komponierte er sein letztes Musikdrama Parsifal, das auf eine mythische Verklärung des Königlich-Genialischen hinausläuft, von vornherein als ein Bühnenweihfestspiel, das nur in Bayreuth aufgeführt werden durfte, um es mit der Gloriole eines einzigartigen, alle anderen Opern dieser Zeit übertreffenden Werks auszugeben. Und das führte dazu, dass manche seiner Kritiker schon damals im Hinblick auf Wagner nicht mehr von wahrer Größe, sondern lediglich von angemaßter Größe sprachen. 105

Angemaßte oder wahre Größe?

Doch das blieben vorerst Ausnahmen, die von der Mehrheit seiner Verehrer nicht ernst genommen wurden. V

Während also Wagner in den siebziger und achtziger Jahren ständig berühmter wurde, blieb Anton Bruckner, einem seiner ihn geradezu „untertänigst“ bewundernden Anhänger, die auch von ihm angestrebte Anerkennung lange Zeit versagt. Und zwar lag das nicht daran, weil er Österreicher war. Schließlich war die k.-u.-k.-habsburgische Doppelmonarchie bis in die sechziger Jahre hinein ein Teilstaat des Deutschen Bunds, also Teil des ehemaligen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gewesen, in dem sich viele der im Kernland dieses Staats lebende Bürger weiterhin durchaus als Deutschösterreicher empfanden. Daher gab es selbst nach 1871 zwischen der sogenannten Donaumonarchie und dem Zweiten Deutschen Kaiserreich in künstlerischer Hinsicht kaum gravierende Unterschiede. Hier wie dort herrschte der gleiche dem Historismus verpflichtete Stil, der ins Pompöse, ja geradezu Monumentale tendierte, und zwar nicht nur in der Architektur der Ringstraßen oder der Malerei von Hans Makart, sondern auch in der Musik. Von dem Kreis um Eduard Hanslick einmal abgesehen, der in diesen Jahren eindeutig Johannes Brahms favorisierte, gab es daher auch in Wien genug Wagner-Anhänger, die sich rückhaltlos in den Bannkreis seiner Musikdramen ziehen ließen. Und einer davon war, wie gesagt, Anton Bruckner. Was ihn von Wagner als Komponist unterschied, war weniger sein Österreichertum als seine tiefe Verwurzelung im habsburgischen Katholizismus. Nach seiner Ausbildung zum Organisten in St. Florian bei Linz komponierte er daher in den fünfziger Jahren erst einmal fast ausschließlich geistliche Chor- und Orgelwerke, die zwar schon zum Teil ins Klangvoll-Monumentale übergehen, aber noch nicht jene zu absoluter Größe gesteigerten Züge aufweisen, die später in vielen Kompositionen der gründerzeitlichen Musik vorherrschend wurden. Sein Interesse an weltlichen Werken setzte bei ihm erst in den frühen 106

Zur Musik der Gründerzeit

sechziger Jahren ein. So studierte er 1863 erstmals die Partitur von Wagners Tannhäuser. Darauf komponierte er – im Zuge der auch in Deutschösterreich einsetzenden Begeisterung für „unsere Altvordern“ – ein Jahr später seinen Germanenzug für Männerchor mit Bläsern auf einen Text von August Silberstein, in dem es um den Kampfgeist der „Söhne Teutonias“ geht, die mit „freudigem Mut“ ihr Leben für ihr Vaterland hingeben wollen. Wiederum ein Jahr später nahm Bruckner in München an einer Aufführung von Wagners Tristan und Isolde teil, die ihn so tief beeindruckte, dass er sich entschloss, von nun an auch ins weltliche Fach überzugehen und weit ausladende Symphonien im Stile Wagners zu komponieren. Allerdings blieb er – nun schon über 40 Jahre alt – nach wie vor in der Gedankenwelt des Katholizismus und Deutschösterreichertums befangen. Was ihn an Wagner anzog, waren nicht dessen ideologische Anschauungen, denen ein wirres Gemisch aus Feuerbach’scher Religionskritik, schopenhauerischen „Wahn“-Vorstellungen, antisemitischen Ressentiments und deutschnationalen Überheblichkeitsgefühlen zugrunde liegt, sondern lediglich die ihn tief beeindruckende Klangfülle von Wagners Musik, das heißt das ständig Neuansetzende und dann sich machtvoll Übersteigernde, in dem der von der Orgel herkommende Bruckner weniger eine neuartige „Zukunftsmusik“ als eine Wiederauferstehung barocker, ins Überweltliche weisender Klanggebilde sah. Dafür sprechen schon Bruckners zwei Symphonien aus den Jahren 1869 und 1872, die er jedoch später, da sie ihm nicht monumental genug erschienen, wieder verwarf oder einer gründlichen Revision unterzog. Ein ihn befriedigender Durchbruch ins Klangübersättigte gelang ihm erst mit seiner 3. Symphonie von 1873, mit deren Partitur er nach Bayreuth pilgerte, um sie dort – nun schon fast 50 Jahre alt – dem „unerreichbaren, weltberühmten und erhabenen Meister der Dicht- und Tonkunst in tiefster Ehrfurcht“, wie er in seiner Widmung schrieb, überreichen zu können.8 Und Bruckner versäumte auch nicht, 1876 nach Bayreuth zu fahren, um sich dort an der zu anmaßlicher Größe gesteigerten Uraufführung von Wagners Ring des Nibelungen berauschen zu können. 107

Angemaßte oder wahre Größe?

In seinen weiteren sechs Symphonien, die Bruckner in den folgenden zwei Jahrzehnten komponierte, ließ er darum nicht davon ab, sich ständig aufs Neue mit barocker Terrassendynamik, blockhaft gegeneinander gestellten Motivkomplexen, gewaltigen Crescendopartien und machtvollen Bläsereinsätzen um eine immer größere Klangfülle zu bemühen, um so jene bereits von Wagner angestrebte musikalische Bedeutsamkeit zu erreichen oder gar noch überbieten zu können. Allerdings verzichtete er dabei – im Gegensatz zu Wagner – auf alle programmatischen Absichten. In seiner Musik ist alles nur ins Pathetische gesteigerter Klang, der sich nach unvermuteten Unterbrechungen immer wieder zu neuen, ins Verklärende gesteigerten Höhen erhebt. In ihr wird nichts wie in den Wagner’schen Musikdramen thematisch festgelegt, sondern bleibt lediglich anfeuernde oder wohlig-berauschende Symphonik. Und damit ordnen sich Bruckners Symphonien zwar ebenfalls in den gründerzeitlichen Trend ins Monumentalisierende ein, vermeiden aber all das Plakative, das für viele andere Werke dieser Zeit bezeichnend ist. Das soll nicht heißen, dass Bruckner außerhalb der ideologischen Hauptströmungen dieser zwei Jahrzehnte gestanden habe. Er blieb zwar in einem herkömmlichen Sinne zutiefst katholisch und kaisertreu, ja huldigte sogar in einigen späten Chorwerken wie Der deutsche Gesang (1892) und Helgoland (1893), in denen er seinen ins Pathetische überbordenden Stil in den Dienst eines deutschtümelnden Patriotismus stellte,9 durchaus reaktionären Anschauungen, bemühte sich aber in seinen symphonischen Hauptwerken – trotz mangelnder Anerkennung – als Komponist stets um eine „Größe“, die wegen ihres Verzichts auf chauvinistische Überhöhungen nicht anmaßlich wirkt, sondern ihre Hörer und Hörerinnen allein durch eine ins Monumentale gesteigerte Klangfülle von ihrer Gemütstiefe zu überzeugen versucht.

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Zur Musik der Gründerzeit

VI

Bruckners ebenso bedeutsamer, wenn nicht noch bedeutsamerer Antipode Johannes Brahms konnte sich dagegen über mangelnde Anerkennung nicht beklagen. Er begann wie viele der jüngeren Komponisten der Nachmärzära im Gefolge Robert Schumanns und Felix Mendelssohn-Bartholdys mit einer Fülle für die damalige Zeit charakteristischer Klavier- und Kammermusikwerke, das heißt mit Serenaden, Sonaten, Trios, Quartetten und Quintetten, die sofort eine allgemeine Zustimmung fanden. Brahms brauchte sich daher seinen Lebensunterhalt nicht wie Bruckner durch eine ermüdende Lehrtätigkeit zu verdienen, sondern konnte schon in seinen Anfängen als Klaviervirtuose und Komponist ein relativ sorgenfreies Leben führen. Doch anstatt sich im Zuge des damals aufblühenden bürgerlichen Konzertwesens unter die immer zahlreicher werdenden Solisten einzureihen, ergriff ihn schon in den späten sechziger Jahren der Ehrgeiz, sich auch um die Großformen der Instrumentalmusik zu bemühen. Er blieb daher kein Klaviervirtuose und entzog sich zugleich allen ihn einengenden Liebesbeziehungen, die zu einer familiären Bindung geführt hätten, sondern widmete sich als Einzelgänger nur seiner nach wahrer Größe strebenden Werkbesessenheit. Bewusst oder unbewusst spielte dabei sicher auch jener Trend ins Monumentalisierende, der im Gefolge der Reichseinigungsbemühungen und dann der Gründung des Zweiten Kaiserreichs einsetzte, eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dass Brahms davon sogar ideologisch ergriffen wurde, beweist sein dem deutschen Kaiser und den im Deutsch-Französischen Krieg gefallenen Soldaten gewidmetes Triumph­lied von 1871, dem zwar kein nationalistisch gestimmter Text, sondern das Klopstockgedicht Auferstehung sowie einige Passagen aus der Offenbarung des Johannis zugrunde liegen, das er jedoch ohne den auch von ihm begrüßten Sieg über den „Erzfeind“ Frankreich nie komponiert hätte.10 Aber das blieb eine einmalige Gefühlsaufwallung, der Brahms keine weiteren nationalistisch gefärbten Werke folgen ließ. Ja, er kehrte sogar ein Jahr später dem neugegründeten 109

Angemaßte oder wahre Größe?

Kaiserreich den Rücken und zog 1872 nach Wien um, wo er – von mancherlei Reisen unterbrochen – den Rest seines Lebens verbrachte. In deutlicher Distanzierung zum neudeutschen Chauvinismus wagte er sich hier, wenn auch in indirekter Identifikation mit der immer stärker werdenden Tendenz ins Weitausladende und Monumentalisierende aller konzertanten und symphonischen Großformen der Instrumentalmusik an die Komposition seiner 1. Symphonie, mit der er alles zu überbieten versuchte, was in dieser Gattung seit Beethovens 9. Symphonie komponiert worden war, und die sich 1876 sofort als ein durchschlagender Erfolg erwies. Das Gleiche gilt für sein drei Jahre später uraufgeführtes Violinkonzert, mit dem er ebenfalls, und zwar an Schwierigkeit und Länge ein Werk schuf, das bis heute als das bedeutendste deutsche Violinkonzert des späten 19. Jahrhunderts gilt. Statt sich jenen Komponisten anzuschließen, die sich vor allem durch programmatische Bekenntnisse auszuzeichnen versuchten, ging es Brahms in diesen beiden Werken, deren innere Dramatik wie in den Symphonien Bruckners bis an die Grenzen des Erreichbaren stößt, einzig und allein um eine höchstmögliche Intensität des musikalischen Ausdrucks. Er stimmte daher nicht in den Chor jener Chauvinisten ein, die sich zu hohenzollernfrommen Gesängen hinreißen ließen, Jubellieder auf Hermann den Cherusker oder Jungsiegfried komponierten oder wie Hans von Bülow Beethovens ursprünglich im Hinblick auf Napoleon konzipierte Eroica mit der Widmung „dem neuen Otto dem Großen, dem Reichskanzler Bismarck“ versahen.11 Im Gegensatz zu derartigen sich dem neuen Zeitgeist anbiedernden Proklamationen blieb Brahms ein eigensinniger Vertreter einer zwar gleichfalls ins Höchste strebenden Musik, die sich jedoch von allen ins Nationalistische tendierenden Überhöhungen fernhielt. Wie sein Wiener Freund Eduard Hanslick, der schon 1854 in seinem Buch Vom Musikalisch­ Schönen. Ein Beitrag zur Revision der Ästhetik der Tonkunst gegen alle tondichterischen Verbrämungen innerhalb musikalischer Ausdrucksformen eingetreten war,12 lehnte daher auch Brahms die Wagner’sche, ins Klangschwülstig-Programmatische tendierende „Zukunftsmusik“ 110

Zur Musik der Gründerzeit

als einen Verstoß gegen die innere Gesetzmäßigkeit der bereits bestehenden musikalischen Ausdrucksformen ab. Für ihn zählte fortan nur noch das Absolute, das heißt die bis zu Bach und Händel zurückreichenden Gattungsbestimmungen der älteren Instrumentalmusik.13 Daher blieb er ein „monologisierender“ Einzelgänger,14 während sich in der Folgezeit immer mehr Komponisten der wagnerischen Kompositionsweise anschlossen. Alles, was Brahms in den späten siebziger und achtziger Jahren komponierte, ob nun seine weiteren drei Symphonien, sein 2. Klavierkonzert, seine zwei symphonisch angelegten Ouvertüren sowie sein Doppelkonzert für Violine und Violoncello, steht deshalb nach wie vor im Zeichen der gleichen Musikauffassung. Brahms gebrauchte dafür zwar nicht die Formel „Lex mihi ars“, aber sie blieb bewusst oder unbewusst für ihn die höchste Maxime.15 Und dadurch blieb seine „Größe“ weitgehend frei von irgendwelchen aktuellen Bezügen. Dennoch ist auch sie – wie die Musikdramen des späten Wagner und die Symphonien Bruckners – ein indirekter Ausdruck jenes alle bisherige Musik überbieten wollenden Gestaltungswillens, der ohne die Zeitstimmung der Gründerzeit sicher andere Formen angenommen hätte. Daher ließen sich die Hauptwerke von Bruckner und Brahms später nicht in dem Sinne ins Chauvinistische aktualisieren wie die nationalistisch intendierten Musikdramen des späten Wagner, die im Dritten Reich eine ins Rassistisch-Heldenhafte verklärte Wirkung erfuhren, sondern sind wegen ihrer mit rein musikalischen Mitteln erreichten „Größe“ inzwischen Teil jenes bedeutsamen „kulturellen Erbes“ geworden, dessen gründerzeitliche Voraussetzungen nur noch von musikhistorisch gebildeten Hörern oder Hörerinnen wahrgenommen werden.

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Unterschwellige Ideologieanklänge Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889)

I

Als Mahlers 1. Symphonie 1889 in Budapest ihre Uraufführung erlebte, war der Erfolg nicht gerade überwältigend. Ein großer Teil des Publikums stand der scheinbaren Formlosigkeit und kühnen Harmonik dieses Werks völlig verständnislos gegenüber und riet dem neunundzwanzigjährigen Komponisten, sich lieber auf seine Kapellmeistertätigkeit zu beschränken, statt solche Monstrositäten in die Welt zu setzen. Aber Mahler gab sich nicht geschlagen, sondern versuchte bei folgenden Aufführungen dieses Werks das Interesse der Zuhörer durch ein suggestives Programm zu erwecken. Statt einfach „1. Symphonie in D-Dur“ zu schreiben, hieß es jetzt: „1. Symphonie. ‚Titan‘. I. Abteilung: Aus den Tagen der Jugend. Jugend-, Frucht- und Dornenstücke. 1. Frühling und kein Ende. 2. Bluminenkapitel. 3. Mit vollen Segeln. II. Abteilung: Commedia umana. 4. Gestrandet. Ein Totenmarsch in Callots Manier. 5. Dall’Inferno al Paradiso.“ Doch leider war auch diese Mühe vergebens. Denn bei einem Titel wie „Titan“ dachten die meisten eher an Goethes Prometheus oder Beethovens Sinfonia eroica als an das, was wirklich dahinterstand, nämlich Jean Pauls Titan-Roman. Und so stieß dieses Werk auch weiterhin auf Ablehnung. Denn was hatte ein grotesker Trauermarsch oder ein ironisch persiflierter Kirchweihländler mit dem „Titanischen“ zu tun? 112

Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889)

War ein solcher Widerspruch nicht eine bewusste Extravaganz – vor allem für jene, die sich dabei nicht an Jean Paul erinnert fühlten? Eine besonders scharfe Kritik erfuhr der Mahler’sche „Titan“, als er 1894 beim Musikfest des Allgemeinen Deutschen Musikvereins in Weimar aufgeführt wurde. Zu den wenigen, die sich damals nicht von den offiziellen Kritikastern in ihrem Urteil beeinflussen ließen, gehörte der achtzehnjährige Bruno Walter. Doch selbst er erlebte die innere Zerrissenheit dieses Werks nicht im Sinne Jean Pauls, sondern bezeichnete das Ganze noch in seiner Mahler-Biographie von 1937 als Mahlers „Werther“.1 Die 1. Symphonie stand darum lange unter einem ungünstigen Stern. Der Titel „Titan“ schien diesem provokanten Opus eher abträglich als förderlich zu sein. Mahler verzichtete deshalb nach 1900 auf alle programmatischen Erklärungen und begnügte sich wieder mit dem schlichten Titel „1. Symphonie“. Einer der Hauptgründe dafür mag seine tiefe Abneigung gegen den verbreiteten Verismus innerhalb der Musik dieser Jahre gewesen sein, deren Repräsentanten unter einem Programm weniger einen Seelenvorgang als eine epische Illustration verstanden. So konnte sich Mahler trotz aller Hochachtung für Richard Strauss mit Werken wie dem Till Eulenspiegel oder dem Don Quixote nicht recht anfreunden. Das Klirren zerspringender Teller oder das Geblöke einer Schafherde musikalisch nachzuahmen, empfand er als „Realismusrummel“, wie er im Dezember 1896 an Max Marschalk schrieb. Um nicht in diese Richtung eingereiht zu werden, vollzog Mahler demzufolge um die Jahrhundertwende in seinen eigenen Werken eine deutliche Wendung vom Rhapsodischen zum deklamatorisch Monumentalen. Dafür spricht unter anderem, dass er in seiner 1. Symphonie plötzlich auf das „Bluminenkapitel“ verzichtete, um sich der traditionellen Viersätzigkeit anzupassen. Dennoch gab er seine frühere Neigung zum Illustrierenden nicht völlig auf. Allerdings erhielt dabei das Programmatische immer stärker den Charakter rein ideeller Konzeptionen. Statt etwas zu beschreiben, wollte er jetzt nur noch „Erlebnisvorgänge“ darstellen. Dementsprechend erklärte er am 17. Februar 1897 in einem Brief an Arthur Seidl: „Nur wenn ich 113

Unterschwellige Ideologieanklänge

erlebe, ‚tondichte‘ ich.“ Selbst im Hinblick auf seinen „Titan“ ließ er fortan bloß noch die Darstellung unmittelbarer Erlebnisse gelten. So wie Beethovens Symphonien lediglich ein „inneres“, aber kein äußeres Programm hätten, schrieb er am 20. März des gleichen Jahres an Marschalk, sei auch seine 1. Symphonie rein aus der Seele geschöpft. Leider sind diese Äußerungen von manchen seiner Anhänger, deren musikalisches Stilideal bereits im Zeichen des nach 1900 einsetzenden Beethoven-, Brahms- und Bruckner-Kults stand, viel zu wörtlich genommen worden. Hinweise auf Außermusikalisches schienen den Formanbetern dieses Zeitraums wie Sünden wider den heiligen Geist der Musik. So sprach etwa Paul Stefan in seinem Mahler-Buch von 1920 im Hinblick auf den Titel „Titan“ von einem „Sichanbequemen an die Forderung des Tages“, das in diesem Werk zu einer seltsamen Verwirrung geführt habe. Um „endlich das Gerede einzudämmen, die früheren Werke Mahlers seien Programmmusik“, hob er lediglich das „streng Symphonische“ hervor.2 Auch Richard Specht stellte in seiner Mahler-Monographie von 1913 die programmatische Absicht der 1. Symphonie als eine Fehlentscheidung hin, da sich beim „Titanischen“ niemand an Jean Paul erinnert fühle. Weder das jugendliche Feuer Albanos aus dem Titan noch die romantische Verträumtheit Walts aus den Flegeljahren hätten etwas mit diesem Werk zu tun. „Nein“, heißt es bei ihm, „in dieser stürmisch losfahrenden, von Sonne und Liebe, Qual und Verachtung, Trotz und Sieg in dem wilden Ungestüm der Jugend erzählenden ersten Symphonie ist nichts von Schwindscher oder Jean-Paulscher Jugend.“3 Eine ähnliche Meinung vertrat Natalie Bauer-Lechner 1923 in ihren Erinnerungen an Gustav Mahler. Sie behauptete, Mahler habe den Titel „Titan“ nur darum gestrichen, weil er fatalerweise an den längst veralteten Jean Paul erinnere. Nichts Sentimentales oder Witzelndes im Sinne Jean Pauls, schrieb sie, sondern das Leben und Leiden eines „kraftvoll-heldenhaften Menschen“ ständen im Vordergrund dieses Werks.4 Selbst Paul Bekker, der vor dem Ersten Weltkrieg in seinen Beethoven-Studien noch deutlich zu einer tondichterischen Hörweise tendiert hatte, lehnte 1921 in seinem Buch Mahlers Symphonien alle programmatischen Erwägungen 114

Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889)

von vornherein ab. Was ihm jetzt interessierte, waren vornehmlich „Aufbau, thematische Gestaltung und innere Entwicklung“. Daher charakterisierte er die besagten literarischen Anspielungen als unnötige ,,Wegmarken“, die nur für Mahlers intime Freunde, aber nicht für seine immer größer werdende Hörergemeinde von Bedeutung seien. „Diesen wird vielleicht auch der frühere Untertitel des Werks ,Titan‘ verständlich sein“, heißt es hier im Hinblick auf die 1. Symphonie, „für uns Spätere hätte Enträtselung solcher Beischriften bestenfalls Kuriositätsreiz.“5 Bei diesem Standpunkt ist die spätere Mahler-Forschung mehr oder minder stehen geblieben. Völlig totgeschwiegen wird Jean Paul in Donald Mitchells Gustav Mahler. The Early Years (1958) und Heinrich Kraliks Gustav Mahler (1968). Hans Ferdinand Redlich ging zwar in seiner Studie Bruckner and Mahler (1955) auf den Titel „Titan“ ein, bezeichnete ihn jedoch als irreführend, da man bei einem solchen Wort eher an einen prometheischen Kraftakt als an einen halbwegs vergessenen Jean-Paul-Roman denke.6 Noch negativer drückte sich Kurt Blaukopf aus, der in seinem Buch Gustav Mahler oder Der Zeitgenosse der Zukunft (1969) schrieb: „Wer auch nur ein paar Seiten von Jean Pauls Werk gelesen hat, muß zu der Überzeugung gelangen, daß von dem Manierismus Jean Pauls nichts in die 1. Symphonie Mahlers eingegangen ist.“7 Ebenso entschieden distanzierte sich Alphons Silbermann in seinem Mahler-Lexikon (1986) von einer solchen Pa­rallelisierung.8 Lediglich Bruno Walter setzte sich etwas genauer mit dem „Inhalt“ von Mahlers 1. Symphonie auseinander. Sie rein programmatisch zu deuten, also ausschließlich auf Jean Paul zu beziehen, fand allerdings auch er „absurd“, wie es in seinem MahlerBuch von 1937 heißt.9 Erst als alter Mann erinnerte er sich, und zwar in seinen Begleitworten zu einer Neuaufnahme dieser Symphonie, an den engen Zusammenhang dieses Werks mit dem Jean Paul’schen Titan.10 Und auch Constantin Floros ging später noch einmal auf diesen Aspekt ein.11 Nach all diesen Zitaten und beiläufigen Äußerungen hat man zwangsläufig den Eindruck, als sei der Einfluss Jean Pauls auf den 115

Unterschwellige Ideologieanklänge

jungen Mahler ein recht peripherer gewesen, der für das Verständnis seiner 1. Symphonie nicht unbedingt erforderlich ist. Doch warum sollte Mahler, der in allen anderen geistigen und künstlerischen Fragen so kompromisslos verfuhr, gerade bei der Titelgebung dieses Werks ins Unverbindliche ausgewichen sein? Um nicht weiterhin im Bereich willkürlicher Vermutungen zu bleiben, ist es daher angebracht, sich etwas eingehender als bisher mit Mahlers Werdezeit und zugleich seinem Konzept des „Programmatischen“ auseinanderzusetzen. II

Beginnen wir mit einem Blick auf die Jahre vor der Entstehung dieser Symphonie, in denen Mahlers Leben von Einsamkeit und Verbitterung gezeichnet war. Sein Vater war ein jüdischer Fuhrmann und später Branntweinschankwirt, der seiner Familie erst in Kalischt und dann in Iglau ein halbwegs erträgliches Leben zu ermöglichen suchte. Von Mahlers 13 Geschwistern überlebten nur fünf das frühe Kindesalter, während sich einer seiner Brüder das Leben nahm. Auch beide Eltern starben früh. Der neunzehnjährige Mahler verdingte sich daher als Hauslehrer, sorgte gewissenhaft für seine jüngeren Geschwister und führte im Übrigen ein hartes, entsagungsvolles Leben. Anschließend wirkte er in Hall und Iglau als Kapellmeister an kleinen Sommertheatern und Schmierenbühnen, sparte, so gut er konnte, ruinierte dabei seine Gesundheit und versuchte sich in seiner knapp bemessenen Freizeit autodidaktisch weiterzubilden. Sein einziger menschlicher Kontakt waren einige Jugendfreunde. Ansonsten vertiefte er sich in seine Bücher, die er im Januar 1895 in einem Brief an seinen „Urfreund“ Friedrich Löhr als seine „wahren Brüder und Väter und Geliebten“ bezeichnete. Schon diese kurzen Hinweise erinnern deutlich an Jean Pauls Jugend: hier wie dort die gleichen mühsamen Anfänge, der gleiche Bücherenthusiasmus und der gleiche autodidaktische Werdegang. Ja, selbst den unübersehbaren Provinzialismus und das enge Verhältnis zu den Geschwistern haben beide gemeinsam. Wie wir wissen, versuchte 116

Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889)

Jean Paul aus dieser von Armut und Entbehrung gezeichneten Jugend wenigstens in seinen Schriften in eine Welt des seelischen Reichtums auszuweichen, in der es keinerlei Mangel zu geben scheint. Neben empfindsamen und idealistischen Überspanntheiten schreckte er dabei auch vor skurrilen und grotesken Partien nicht zurück, wodurch sich oft die seltsamsten Brechungen einstellen. Demzufolge haben fast alle seiner Werke eine „Tönevielfalt“, wie man um 1800 gesagt hätte, die ihnen einen Zug ins Schwerverständliche, wenn nicht gar „Unleserliche“ geben. Dass der junge Mahler der Komplexität dieser dichterischen Welt geistig gewachsen war, beweisen jene Briefe, in denen er sich mit Romantikern wie Achim von Arnim, Clemens Brentano, den Schlegels und den Brüdern Boisserée auseinandersetzte. Und zwar tat er dies nicht nur beiläufig, sondern durchaus mit tieferem Verständnis für den spezifisch deutsch-romantischen Charakter dieser Autoren. Die gleiche Tendenz zur Überwindung seiner kleinbürgerlichen böhmisch-jüdischen Herkunft liegt seinen frühen Opernfragmenten nach Texten von Ludwig Uhland und Franz Grillparzer, seinem BechsteinOratorium sowie seinen Wunderhorn-Liedern zugrunde. Eine Lektüre der Jean Paul’schen Hauptwerke kann also beim frühen Mahler mit Sicherheit vorausgesetzt werden. Bewusst oder unbewusst wird dabei die innere Verwandtschaft – die äußere Enge und zugleich seelische Weite – der ausschlaggebende Faktor gewesen sein. Besonders Mahlers Briefstil ist bis 1895 voller Reminiszenzen an Jean Paul. So schrieb er am 7. Juni 1879 an Josef Steiner: „Die höchste Glut der freudigsten Lebenskraft und die verzehrendste Todessehnsucht: beide thronen abwechselnd in meinem Herzen.“ Wenige Sätze später heißt es: „Da lacht die Sonne mich an – weg ist das Eis von meinem Herzen, ich sehe den blauen Himmel wieder und die schwankende Blume, und mein Hohnlachen löst sich in das Weinen der Liebe auf.“ Julius Epstein gegenüber entschuldigte er sich 1885, dass er aus dem „sanften Adagio“ seiner Gefühle häufig „durch die Dissonanzen seines Zornes in ein wildes Finale hineinmoduliere“. 117

Unterschwellige Ideologieanklänge

Neben solchen jugendlich-enthusiastischen Gefühlsparaphrasen finden sich jedoch beim frühen Mahler auch einige direkte Hinweise auf Jean Paul. Besonders aufschlussreich in dieser Hinsicht sind die Briefe an Friedrich Löhr, mit dem er sich wie Walt mit Vult in den Flegeljahren verbunden fühlte. Ihm berichtete er im Juli 1883 von einer Pilgerfahrt nach dem Jean Paul’schen Wunsiedel, deren Bedeutung er dem Freund offenbar nicht näher zu erläutern brauchte. Im Februar 1887 schrieb er an den inzwischen verheirateten Fritz: „Ich denke die ganze Zeit zu Euch hin und vergegenwärtige mir Eure Jean-Paulsche Klause.“ Am 1. Januar 1885 schickte er ihm einen Neujahrsbrief, in dem in typisch Jean Paul’scher Manier vom „Weltenregisseur“ die Rede ist. In einem Schreiben an Oskar Eichberg heißt es am 30. März 1895: „Ich bin jetzt 34 Jahre alt und habe mir à la Quintus Fixlein schon eine kleine Bibliothek zusammengeschrieben.“ Über die innere Bindung an Jean Paul kann also kein Zweifel bestehen. Ja. diese Wahlverwandtschaft wird von Friedrich Löhr in seinen Anmerkungen zu Mahlers Briefen, die 1925 erschienen, ausdrücklich bestätigt.12 Und zwar wies Löhr dabei besonders auf die Entstehungszeit der 1. Symphonie hin, die er als eine Phase von „nicht überbotener Seelenbewegung“ in Mahlers Leben charakterisierte, „deren Höchstes er in heiliger Verschwiegenheit bewahrt hat“.13 Damit meinte er vor allem die Jahre von 1884 bis 1888, also die Zeit von Mahlers ersten größeren Anstellungen in Kassel, Prag und Leipzig sowie seiner unglücklichen Liebe zu Johanna Richter, welche ihn in ihrer seelischen Unbedingtheit bis an den Rand der Selbstaufgabe drängte.14 Doch warum fühlte sich Mahler in dieser Situation gerade von Jean Paul so angezogen und nicht von Goethe, Stifter oder Keller? Höchstwahrscheinlich war es der ständige Kontrast zwischen dem Kauzig-Humoristischen und Seraphisch-Gefühlvollen, das Nebeneinander von Ironie, jugendlichem Auftrumpfen, wildester Schwermut und zugleich Zweifeln an den selbstgesteckten Idealen. So gesehen waren die Werke Jean Pauls für Mahler eine Seelenlandschaft, die ihn vor jeder Einseitigkeit bewahrten, ihn also weder zum oberflächlichen Zyniker noch zum sentimentalen Stimmungskomponisten 118

Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889)

werden ließen. Er verfiel daher nicht in irgendwelche bequemen Harmonisierungstendenzen, sondern bewahrte sich eine innere Offenheit, die sogar Ausbrüche ins Krude und Groteske ermöglichte. So bezeichnete er seine Wunderhorn-Gesänge, ja selbst seine schmerzlich empfundenen Lieder eines fahrenden Gesellen (1884) in einem Brief vom Dezember 1896 an Max Marschalk ausdrücklich als „Humoresken“, um damit die ständigen Digressionen aus dem gefühlsmäßig Überschwänglichen ins Ironische zu rechtfertigen. Ein anderer Jean Paul’scher Grundzug ist die von Mahler in diesen Jahren scharf herausgestellte Gegensätzlichkeit der einzelnen Motive. An sich liegt dieser Tendenz das gründerzeitliche Stilprinzip der „Konfrontation“ zugrunde,15 das Mahler zum Teil von Bruckner übernahm. Während jedoch Bruckner mit solchen abrupten Gegensätzen eindeutig ins Monumentale tendierte, neigte Mahler eher zum Kleinteiligen. Seine Kontraste haben nichts Freskoartiges, sondern bestimmen selbst die kleinsten Phrasierungen. Ähnlich den vielgestaltigen Metaphernspielen und geistreichen Abschweifungen bei Jean Paul tauchen daher in den Werken des jungen Mahler ständig neue Motive und Klangfarben auf, die sich erst nach mehrmaligem Hören voll erschließen. Dieser seelische Reichtum und zugleich diese technische Finesse sind das spezifisch Jean Paul’sche des Mahler’schen Titan, der zu den originellsten Erstlingswerken der gesamten Musikliteratur gehört. So wie Jean Paul in seinem Titan das eigene Ich in Gestalten wie Albano, Schoppe und Roquairol zerlegte, steht im Mahler’schen Titan das Edelste neben dem Kauzigsten, das Seraphische neben dem Sarkastischen, das innig Gefühlte neben dem Schauspielerhaften. Der Reichtum der Stimmungen, nicht die symphonische Geschlossenheit machen den Rang dieses Werks aus. Die programmatischen Überschriften der einzelnen Sätze spielen dabei nicht nur auf den Jean Paul’schen Titan, sondern auf Jean Paul im Allgemeinen an, und zwar im Hinblick auf jene deutsch-romantische Gefühlsstimmung, in die sich der junge Mahler so verzweifelt hineinzusteigern versuchte. Schon die 1. Abteilung, „Jugend-, Frucht- und Dornenstücke“ überschrieben, verweist weniger auf den Titan als auf den Roman Blumen-, 119

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Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs und damit Jean Pauls Aufenthalt in Hof, der Mahlers Werdezeit in den böhmischen Kleinstädten entspricht. Der Versuch, sich aus der Gedrücktheit dieser Enge aufzuschwingen, ist daher keine „Wanderburschenromantik der böhmischen Landstraße“, wie Richard Specht behauptet,16 sondern hat wesentlich existentiellere Züge. Das „Bluminen-Kapitel“, das später weggefallen ist, verdankt seine Wortbildung zweifellos der Jean Paul’schen Herbst-Blumine. Auch der dritte Satz hat trotz seiner „böhmischen“ Elemente wenig mit Folklorismus zu tun. Was Mahler hier ausdrücken wollte, war das Hineingestoßensein in eine Welt des Derben, Bäuerlichen und Platten, in der selbst das Heiligste, die Kirchweihe, zum Anlass derber Belustigungen wird. Vorbilder dafür sind in den Jean Paul’schen Werken geradezu Legion. Dass Mahler die 2. Abteilung „Commedia umana“ genannt hat, hängt höchstwahrscheinlich mit dem Jean Paul’schen Begriff der „komischen Passion“ zusammen. Besonders krass tritt diese Doppeldeutigkeit in dem „Totenmarsch in Callots Manier“ zutage, der durch seine forcierte Banalität einen höchst realistischen und doch gespensterhaften Eindruck erweckt. Aufgrund dieser Neigung zum Grotesken hat man Mahler im Hinblick auf Ernst Theodor Amadeus Hoffman oft als „Kreislers Wiedergeburt auf der Ebene des irdischen Lebens“ bezeichnet, wie es bei Paul Stefan heißt.17 Wenn man jedoch bedenkt, wie unbekannt Hoffmann während der siebziger und achtziger Jahre in Deutschland war, wirkt diese These etwas fragwürdig. Zudem enthalten die Briefe Mahlers keinerlei Belege für solche Identifikationen, während Anspielungen auf Jean Paul immer wieder auftauchen. Bruno Walter hat daher diesen Satz wesentlich zutreffender mit der selbstmörderischen Stimmung Roquairols in der 32. Jobelperiode des Jean Paul’schen Titan verglichen.18 Als weiteres Vergleichswerk böte sich der Siebenkäs an, wo an zentraler Stelle auf höchst ironische Weise ein Scheintoter zu Grabe getragen wird. Auch an eine Travestie des Trauermarsches von Beethovens Sinfonia eroica ließe sich denken, da es sich bei Mahler nicht um einen titanischen 120

Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889)

Übermenschen, sondern eher um eine gequälte Kreatur handelt, die auf alle äußeren Demütigungen mit Rückzügen ins Seelische oder sarkastischen Seitenhieben antwortet. III

So viel zu der These, dass in Mahlers 1. Symphonie der Einfluss Jean Pauls wohl doch eine größere Rolle spielt, als viele Musikwissenschaftler bisher angenommen haben. Doch ein Nachweis solcher Beeinflussungen bliebe letztlich oberflächlich, wenn nicht zugleich nach den tieferen Gründen dieser inneren Identifikationen oder Homologien gefragt würde. Sicher haben hierbei auch die bereits erwähnten Ähnlichkeiten der sozialen Herkunft sowie der Versuch, sich auf eine möglichst genialische, wenn auch gebrochene Weise darüber hinwegzusetzen, eine Rolle gespielt. Und auch die jugendliche Unsicherheit, das Hin- und Hergerissensein zwischen idealistischer Überspanntheit und tiefster Wehmut, haben zu der nicht zu leugnenden Affinität Mahlers zu Jean Paul beigetragen. Aber letztlich muss im Hinblick auf Mahlers „Zerrissenheit“ auch seine österreichischjüdische Doppelexistenz zur Erklärung herangezogen werden. Denn erst sie machte ihn für die Werke Jean Pauls, die in den siebziger und achtziger Jahren des vorletzten Jahrhunderts kaum noch jemanden interessierten, in einem tieferen Sinne aufnahmebereit. In diesem Punkte müsste also eine wesentlich tiefere Sonde angesetzt werden, um der besonderen Art seines musikalischen Stils, der weitgehend auf Gegensätzlichkeiten beruht, wirklich auf die Spur zu kommen. Dazu sollen im Folgenden erste Erklärungsansätze geboten werden. Wie wir wissen, stammte Mahler aus Iglau, einer deutschsprachigen Stadt im damaligen Böhmen, wo er in eine Welt hineinwuchs, in der sich den meisten Juden, falls sie höhere Aspirationen hatten, die Assimilation in die deutsche Kultur als die einzige geistige und gesellschaftliche Aufstiegschance anbot. Auch der junge Mahler wählte diesen Weg, und zwar voller Vertrauen, von der liberalen Bourgeoisie Österreichs und Deutschlands als gleichrangiger Bildungsbürger, 121

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wenn nicht gar als musikalisches Genie anerkannt zu werden. Dies gelang ihm auch relativ schnell. Schließlich wurde er schon 1883, also mit 23 Jahren, für drei Jahre als zweiter Kapellmeister an das Königlich-Preußische Theater in Kassel verpflichtet. Doch eine solche frühe Anstellung an einem angesehenen Opernhaus musste selbstverständlich auch Neider auf den Plan rufen, und diese stellten sich auch schnell genug ein. Kein Wunder daher, dass Mahler dort umgehend angegriffen wurde. Schließlich waren die achtziger Jahre in Deutschland eine Zeit des besonders virulenten Antisemitismus, der vor allem durch die Schriften Hermann Ahlwards, Eugen Dührings, Paul de Lagardes, Adolf Stoeckers, Heinrich von Treitschkes, aber auch Richard Wagners immer wieder neu angefacht wurde. Besonders unrühmlich verhielt sich in dieser Hinsicht jenes Kasseler Volksblatt für wirtschaftlich-soziale Neugestaltung, das sich Reichsgeldmonopol nannte und unter dem Titelmotto erschien: „Die Judenfrage ist eine soziale Frage. – Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an, / Das halte fest mit deinem ganzen Herzen.“ In ihm wurde Mahler am 2. Mai 1885, also mitten während der Entstehungszeit seiner Lieder eines fahrenden Gesellen und der Planungsskizzen zur 1. Symphonie, als ein hergelaufener „Jude“ angegriffen, dem man in Kassel viel zu viel Ehre erweise und sogar unter Hintansetzung des ersten Kapellmeisters Wilhelm Treiber die Leitung eines großen Musikfestes übertragen habe, bei dem es um eine Aufführung des Oratoriums Paulus von Felix Mendelssohn-Bartholdy ging. Ja, am 23. Mai erschien in diesem Blatt sogar noch ein zweiter Angriff gegen Mahler und die gesamte jüdische „Mischpoche“, der in seinen antisemitischen Ausfällen noch schärfer war.19 Und da auch die von Mahler damals angebetete Johanna Richter, eine der Sopranistinnen am Kasseler Theater, seine Liebe nicht erwiderte, er sich also von allen Seiten abgestoßen, angegriffen, ja angepöbelt sah, reichte er schließlich im Herbst dieses Jahres seine Entlassung ein und ließ sich vom Prager Theater engagieren. Dass unter solchen Bedingungen seine Lieder eines fahrenden Gesellen sowie die Entwürfe zur 1. Symphonie, in denen Mahler durch eine 122

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prononcierte Naturliebe sowie sein Bekenntnis zur Romantik seine Deutschheit unter Beweis stellen wollte, einen Zug ins Zwiespältige bekamen, konnte kaum ausbleiben. Was sich also oberflächlich – wegen des ständigen Tönewechsels – als Jean-Paulisieren beschreiben lässt, ist zugleich Ausdruck einer inneren Zerrissenheit, die mit Mahlers geistiger, seelischer und kultureller Ortslosigkeit zwischen Deutschen und Juden zusammenhängt. Obwohl er sich von der jüdischen Welt weitgehend abgewandt hatte und sich nichts sehnlicher als eine volle Anerkennung von Seiten des deutschen und österreichischen Bildungsbürgertums erhoffte, dieses ihn jedoch nur sehr ungnädig akzeptierte, ja ihm in Momenten des Konkurrenzneides oder nationaler Hochgefühle seine Außenseiterposition nur allzu deutlich merken ließ, sah er sich immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen. Und dies erzeugte in seinem Inneren jenen herzzerreißenden Zwiespalt aus Anpassung und Trotz, den er lieber auf jeanpaulisierende Art in poetische Metaphern einkleidete, als ihn auf gesellschaftlich-konkrete Weise aus seiner Unerwünschtheit als Jude abzuleiten und sich damit als Nichtakzeptierter bloßzustellen. Statt also Heinrich Heines Buch der Lieder zu vertonen, dessen ironisch-sentimentale Gemütsstimmung ebenfalls auf die in ihm zum Ausdruck kommende deutschjüdische „Zerrissenheit“ zurückgeht und das Mahlers Seelenlage an sich genau so gut, wenn nicht noch besser entsprochen hätte, hielt er sich in seiner Lektüre und seinen Kompositionen lieber an deutschromantische Dichtungen, um damit seine forcierten Anpassungsbemühungen unter Beweis zu stellen. Die gleiche Konsequenz zog Mahler in seinem öffentlichen Leben. Anstatt sich rückhaltlos zu seinem Judentum zu bekennen, nur noch mit „israelitischen“ Glaubensgenossen zu verkehren und sich aus Wut über die engstirnigen Deutschen oder Österreicher der zionistischen Bewegung anzuschließen, ließ er nicht davon ab, weiterhin als deutsch-österreichischer Dirigent und Komponist mit einem deutlich hervorgekehrten Assimilationsstreben aufzutreten. Obwohl er in Iglau in einer relativ orthodoxen Gemeinde groß geworden war, hat er nach dieser Zeit nie wieder eine Synagoge betreten und sich in 123

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den späten neunziger Jahren, als er Wiener Hofoperndirektor werden sollte, vorher ohne allzu viele Bedenken am 23. Februar 1897 katholisch taufen lassen. Außerdem heiratete er eine Nichtjüdin und ließ sich auf einem katholischen Friedhof beerdigen. Doch selbst solche Entscheidungen haben ihm in den Augen der Antisemiten nicht viel geholfen. Schließlich begannen derartige Gruppen bereits in diesen Jahren, das Jüdischsein nicht mehr als eine Glaubenssache, sondern als eine Frage der rassischen Herkunft zu betrachten. Demzufolge musste Mahler erfahren, dass durch den Taufakt zwar einige bürokratische Schwierigkeiten wegfielen, das Judesein ihm jedoch weiterhin wie ein nicht abzuwaschender Makel anhaftete. Mahler wurde daher nicht nur in Kassel, sondern in allen weiteren Stationen seiner Karriere von antisemitisch eingestellten Gruppen oder auch nur böswilligen Neidern pausenlos als „Artfremder“ angegriffen. So unterstellte ihm etwa die Presse in Budapest, wo er von 1888 bis 1891 an der Königlich-Ungarischen Oper als Kapellmeister tätig war, „daß er sich nur für die jüdische Bourgeoisie in der Stadt interessiere“.20 Ja, als Mahler 1897 seine Stelle als Kapellmeister an der Wiener Hofoper antrat, wandte sich nicht nur Cosima Wagner, sondern ein geradezu unübersehbarer Chor erregter Antisemiten gegen die Berufung „eines Juden“ zum Chef des „ersten Opernhauses der Welt“.21 In Wien selber, wo im gleichen Jahr der bekannte Antisemit Karl Lueger sein Amt als Oberbürgermeister der Stadt antrat, war es vor allem ein Blatt wie die Reichspost, das in übelster Weise über Mahler herfiel und ihn bereits am 14. April dieses Jahres beschuldigte, dass er am Dirigentenpult lediglich „mauschele“. In das gleiche Horn stieß die in Wien erscheinende Deutsche Zeitung, die Mahler bis zu seinem Rücktritt als Operndirektor im Jahr 1907 unentwegt mit „antisemitischer Häme“ überschüttete.22 Sogar in den musikwissenschaftlichen Publikationen der gleichen Jahre, von denen man eine größere Objektivität erwarten würde, wurden auf antisemitischer Seite ständig Adjektive wie „abartig, unkünstlerisch, verseucht, dekadent, undeutsch, verjudet, verbrecherisch usw.“ gebraucht,23 wenn es um Mahlers Symphonien oder seine Orchesterlieder ging. 124

Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889)

Bekanntermaßen hat Mahler auf diese Angriffe nur selten öffentlich reagiert. Doch dafür sprechen seine späteren Kompositionen eine umso deutlichere Sprache. In ihnen, wie schon in seiner 1. Symphonie, blieb es weiterhin bei jenem auffälligen Zwiespalt zwischen tiefsten Depressionen und empfindsam-idealistischen Aufschwüngen, der sich weder in den Werken eines nichtjüdischen Erfolgskomponisten wie Richard Strauss noch in denen weniger erfolgreicher nichtjüdischer Komponisten wie Max Reger oder Hans Pfitzner findet. Während in den Werken dieser drei Musiker um die Jahrhundertwende bei Strauss eine impressionistisch glitzernde Farbenpracht, bei Reger ein formalistisch orientiertes Fugen- und Variationsprinzip und bei Pfitzner eine deutsch-romantische Grundstimmung vorherrscht, die ihren Kompositionen – bei aller Verschiedenheit – eine durchgehende Stimmigkeit gibt, äußert sich in den Werken Mahlers stets eine innere Zerrissenheit. Hier wird nichts vereinheitlicht, sondern jene Jean Paul’sche Vieltönigkeit beibehalten, in die Mahler alles hineinlegen konnte, was ihn auf den verschiedenen Stationen seines deutsch-jüdischen Leidenswegs zutiefst bewegte. In ihnen stehen daher betont deutschtümelnde Partien neben nicht enden wollenden Trauermärschen, ekstatische Visionen neben Ländlermotiven, musikalisch nachgeahmte Vogelstimmen neben kaum zu überbietenden Sarkasmen sowie trotzig-rebellische Klänge neben Abschnitten, in denen eine geradezu religiös gestimmte Erlösungssehnsucht zum Durchbruch kommt. Viele unter den deutschen Musikliebhabern und -liebhaberinnen, denen es beim Hören von Musik um 1900 in erster Linie um seelische Einfühlung, ja totale Identifikation ging, fühlten sich deshalb von Mahlers Musik weitgehend abgestoßen, obwohl sie ihn zum Teil als „genialischen“ Operndirigenten bewunderten. Sie sahen in seinen Symphonien lediglich eine geschickt arrangierte „Kapellmeistermusik“, die nichts wirklich Authentisches habe, sondern sich weitgehend mit Anspielungen, Zitaten oder gar Plagiaten begnüge. Und eine solche Musik bezeichneten diese Schichten gern als typisch „jüdisch“. Da es den Juden an einer „arteigenen“ Musiktradition fehle, 125

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liest man in ihren Schriften immer wieder, seien sie notwendig auf oberflächliche Aneignungen oder Imitationen angewiesen. Was also die deutschbewussten Hörer und Hörerinnen an Mahlers Werken vermissten, war vor allem eine einheitliche Grundhaltung. Während sie im Hinblick auf Tonpoeme oder Opern auch Farbig-Realistisches duldeten, erwarteten sie von Symphonien fast etwas Sakrales oder zumindest Absolutes, das sich an Vorbildern wie Beethoven, Brahms oder Bruckner orientiere. Mahlers Symphonien empfanden sie deshalb wie rhapsodische Potpourris, denen jeder innere Zusammenhang fehle. Diese Uneinheitlichkeit ist bis heute der Hauptgegenstand vieler Mahler-Interpretationen geblieben. Sie als spezifisch „modern“ zu deuten, wie das häufig geschehen ist, wäre ebenso pauschalisierend, wie sie wegen ihrer intertextuellen Rückbezüge und eklatanten Formbrüche als Inbegriff postmoderner Kompositionsweisen hinzustellen. Mit derart vagen Umschreibungen würde alles historisch oder gesellschaftlich Konkrete aus ihnen zwangsläufig eliminiert. Auch die Herausarbeitung der Jean-Paul’schen Vieltönigkeit reicht keineswegs aus, um dieser Musik wirklich gerecht zu werden, wie wir gesehen haben. Letztlich stammen ihre kreativen Impulse aus wesentlich tieferen Schichten. Und in diesen herrschte weitgehend jene deutschjüdische Zerrissenheit, die sich zwar in Mahlers Kompositionen nicht politisch-programmatisch, aber doch künstlerisch deutlich genug äußert. Trotz aller forcierten Assimilationsbemühungen blieben daher seine Symphonien die Werke eines Außenseiters. Zum Beweis dieser These haben sich viele auf den von seiner Frau Alma überlieferten Ausspruch Mahlers berufen: „Ich bin dreifach heimatlos: als Böhme unter den Österreichern, als Österreicher unter den Deutschen und als Jude in der ganzen Welt.“24 Doch eines solchen Belegs hätte es kaum bedurft. Für diese These spricht auch seine Musik, und zwar schon die seiner 1. Symphonie. Wohl die bekanntesten Interpretationsmuster für diese „Zerrissenheit“ finden sich bei Theodor W. Adorno, der in seinem langen Mahler-Essay im Hinblick auf dessen Symphonien vor allem den „Ton des Traumatischen“ und die „Gebrochenheit“ des Ausdrucks 126

Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889)

herausgearbeitet hat.25 Allerdings blieb er dabei, was die unterschwelligen Ideologieanklänge betrifft, recht allgemein. So wird etwa die Tatsache, dass Mahler Jude war, nur am Rande erwähnt. Was Adorno an Mahlers Werken interessierte, war vor allem dreierlei: erstens Mahlers „Revolte“ gegen die „bürgerliche Musik“, bei der er sogar die Verwendung „plebejischer Elemente“ nicht verschmäht habe; zweitens das „Epische“, ja fast „Romanhafte“ der Mahler’schen Musik; sowie drittens ihre formale und seelische Komplexität, die jeden Ausweg ins „Einheitsstiftende“ vermeide.26 Eine solche Sehweise sollte nicht kommentarlos hingenommen werden. So scheint mir der Begriff „Revolte“ im Hinblick auf Mahlers Werke allzu hochgegriffen. Dazu sind sie – trotz ihrer Vieltönigkeit – viel zu assimilationsbereit. Der Hinweis auf das „Epische“ oder „Romanhafte“ kommt dem Wesen dieser Musik schon näher. Und auch der für Mahlers Symphonien charakteristische Mangel an „einheitsstiftenden“ Elementen wird von Adorno mit überzeugenden musikalischen Beispielen belegt. Allerdings geschieht das meist recht kunstimmanent. Dabei gäbe es gerade bei Mahler in Bezug auf sein Judentum und seinen Assimilationsdrang so viel mehr zu sagen.27 Möge dieser Aufsatz mit seiner Interpretation der tieferen Ursachen von Mahlers Jean-Paulisieren in seiner 1. Symphonie einen ersten Fingerzeig dazu liefern.28

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Karl Kraus und Georg Knepler Die Offenbachiaden In memoriam Rudolf Kolisch und Felix Pollak I

Über Karl Kraus, den Vielbewunderten und zugleich heftig Umstrittenen, wissen wir – aufgrund einer geradezu überbordenden Sekundärliteratur – geradezu alles. Aber wer war Georg Knepler, der heutzutage fast nur noch einigen Musikwissenschaftlern bekannt ist? Und wie kam es eigentlich zwischen diesen beiden, dem vierundfünfzigjährigen Kraus und dem zweiundzwanzigjährigen Knepler, der sich in Wien noch mitten in seinem Musikstudium befand, im Jahr 1928 zu einer intensiven Zusammenarbeit, die fast drei Jahre währte? Warum wählte Kraus – neben Franz Mittler und Otto Janowitz – gerade Knepler aus, ihn bei seinen sogenannten Offenbachiaden am Klavier zu begleiten, die er in diesen Jahren in Wien, Prag, Berlin, München und anderen deutschen Städten geradezu pausenlos vortrug oder „vorlas“, wie er sich selber ausdrückte?1 Nun, Knepler studierte damals als Sohn aus sogenanntem gutem Hause in Wien bei Guido Adler, Wilhelm Fischer, Rudolf von Ficker, Robert Lach und Egon Wellesz nicht nur Musikwissenschaft,2 sondern begann unter Anleitung des Schönberg-Anhängers Eduard 128

Die Offenbachiaden

Steuermann, zu dessen Schülern und Schülerinnen damals auch Al­fred Brendel, Lili Kraus und Theodor Wiesengrund gehörten, zugleich eine pianistische Karriere, die nicht nur Kraus, sondern auch andere Wiener Musikliebhaber beeindruckte.3 Wie und wo Kraus diesen jungen Pianisten kennenlernte, wissen wir nicht genau, da sich Knepler, der zutiefst Uneitle, selbst in seinem umfangreichen Buch Karl Kraus liest Offenbach. Erinnerungen. Kommentare. Dokumentationen (1984) darüber weitgehend ausschwieg.4 Kraus begann mit seinen Offenbachiaden – nachdem er bereits viele Jahre lang vor allem eigene Texte, aber auch Texte anderer Autoren wie William Shakespeare, Johann Wolfgang Goethe, Johann Nepomuk Nestroy, Ernst Elias Niebergall, Gerhart Hauptmann und Frank Wedekind vorgetragen hatte – im Jahr 1926, wobei er stets allein auf der Bühne stand, redete, sang und gestikulierte, während sich sein Klavierbegleiter mit einem Platz hinter dem Vorhang begnügen musste. Wie wir aus vielen Berichten wissen, war der Erfolg dieser Vorlesungen, die er bis zu seinem Tode im Jahr 1936 fortsetzte, zu Anfang geradezu überwältigend und nahm erst in den frühen dreißiger Jahren allmählich ab.5 Man fragt sich unwillkürlich: Warum bevorzugte Kraus bei seinen musikalischen Darbietungen ausgerechnet die Operetten oder besser Opéras bouffes jenes Jacques Offenbach, der in den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts einmal als das alle anderen Vertreter dieses Genres überragende Genie gegolten hatte, aber inzwischen von Operettenkomponisten wie Emmerich Kálmán, Franz Lehár, Johann Strauß und Franz von Suppé weitgehend in den Hintergrund gedrängt worden war? Von den neueren „Operettenfabrikanten“ hielt Kraus, wie wir wissen, fast gar nichts. Ihre Werke erschienen ihm albern, sentimental, harmlos, auf bloßen Ohrenschmaus bedacht, kurzum: wie das Konsumgut einer irregeleiteten Welt – und damit menschlich und ästhetisch „unwürdig“. In Offenbach hingegen sah Kraus, der weder die Wiener Operette noch die französische Grand Opéra oder das Wagner’sche Musikdrama schätzte, dagegen einen ihm konge­nialen Satiriker, der sich über die erbärmliche Großmannssucht 129

Karl Kraus und Georg Knepler

und kapitalistische Veräußerlichung des französischen Zweiten Kaiserreichs unter Napoleon  III. ebenso unbarmherzig lustig gemacht habe wie er über die inzwischen untergegangene habsburgische K.-u.k.-Monarchie sowie die auf sie folgende, von vielen Widersprüchen durchzogene österreichische Republik der zwanziger Jahre. In vielen Opéras bouffes dieses Komponisten, vor allem in Werken wie Blaubart, Die Briganten, Die Prinzessin von Trapezunt, Pariser Leben, Die Reise in den Mond, Die Großherzogin von Gerolstein, Madame L’Archiduc, Périchole, Die Schwätzerin von Saragossa und Die Kreolin, deren deutsche Textfassungen Kraus selbst bearbeitete und obendrein mit von ihm verfassten „Zeitstrophen“ versah,6 glaubte er einen ihm zutiefst verwandten Künstler gefunden zu haben, der als jüdischer Außenseiter, gnadenloser Satiriker und Feind aller nationalen Überheblichkeit der bürgerlichen Gesellschaft seiner Zeit einen nicht minder entlarvenden Spiegel vorgehalten habe, wie er das mit seiner bewusst provokanten Zeitschrift Die Fackel versuchte. II

Doch zurück zu seiner Zusammenarbeit mit Georg Knepler in den Jahren 1928 bis 1931. Wohin es beide, wie so viele der damaligen Wiener Komponisten und Autoren, darunter Arnold Schönberg, Alban Berg und Robert Musil, in diesen Jahren zog, war die politisch aufgewühlte und zugleich künstlerisch höchst produktive Welt der Metropole Berlin. Obwohl Knepler in diesen Jahren auch als Korrepetitor und Dirigent an der Wiener Volksoper, am Wiener Stadttheater sowie an den Opernhäusern in Mannheim und Wiesbaden tätig war,7 forderte ihn Kraus immer wieder auf, auch als Klavierbegleiter an seinen Offenbachiaden mitzuwirken. Obendrein promovierte Knepler 1931 sogar an der Wiener Universität mit einer Arbeit über Die Form in den Instrumentalwerken Johannes Brahms’, worin er – in der damals üblichen, rein formanalytischen Interpretationsweise – die Abwendung dieses Komponisten von der eher rhapsodischen Melodienfülle der Romantik zu einer „strengeren Gebundenheit im Sinne der 130

Die Offenbachiaden

Wiener Klassiker“ nachzuweisen versuchte,8 um sich damit zugleich ein Entreebillet zur akademischen Welt zu verschaffen. Doch das eigentliche Zentrum ihrer vielfältigen Aktivitäten wurde, wie gesagt, in diesen Jahren eindeutig Berlin, wo sich für Kraus und Knepler – durch die Fülle der dort in Gang gekommenen linksliberalen und marxistischen Musikbestrebungen – wesentlich günstigere Möglichkeiten eröffneten als in Österreich. Obwohl Kraus auch in Wien mehrfach vor einem Arbeiterpublikum Vorlesungen gehalten hatte,9 ja nach dem berüchtigten Massaker vom 15. Juli 1927 in aller Schärfe gegen den amtierenden Polizeipräsidenten Johann Schober aufgetreten war, war er enttäuscht, dass er in seiner Heimatstadt nicht nur, wie erwartet, von der herrschenden Großbourgeoisie, sondern auch von einigen sozialdemokratischen Funktionären wie Alexander Amadeus Pisk in der Wiener Arbeiter-Zeitung als unzuverlässiger Bundesgenosse angegriffen wurde.10 Also zog es ihn immer häufiger nach Berlin, wo er bei den dortigen Linken eine wesentlich größere Zustimmung fand und in der Folgezeit eine seiner sogenannten Vorlesungen nach der anderen halten konnte. Hier wurden zudem seine am 20. Oktober 1929 im Theater am Bülowplatz aufgeführten Unüberwindlichen von Herbert Jhering begeistert begrüßt, hier brachte das Schiffbauerdammtheater am 15. Januar 1930 sein Drama Die letzte Nacht heraus, hier las er eine Bühnenfassung der Letzten Tage der Menschheit vor, hier sendete der Berliner Rundfunk in seiner Wortregie und unter der Mitwirkung von Ernst Busch, Trude Hesterberg, Peter Lorre und Helene Weigel elf seiner Offenbach-Bearbeitungen, hier wurde im April 1931 seine Fassung der Offenbach’schen Périchole sogar in der Krolloper aufgeführt, hier konnte er am 8. Januar 1932 seine 100. Vorlesung halten usw. usw. Nicht nur Teile der gebildeten bürgerlichen Oberschicht jubelten ihm in dieser Stadt zu, auch viele der dortigen Linken, darunter neben Herbert Jhering sogar Bertolt Brecht, Hanns Eisler und Helene Weigel, fanden nicht nur Kraus’ Vortragskunst, sondern auch die satirische Schärfe seiner Angriffe gegen das herrschende Justemilieu faszinierend. Trotz der von ihm nie geleugneten Abneigung 131

Karl Kraus und Georg Knepler

gegen den Kommunismus fühlte sich daher Kraus in seiner radikalen Kritik der abgelebten Bürgerwelt von diesen Kreisen durchaus verstanden. Selbst in dem jungen Brecht, dessen frühe dramatische Exaltationen Kraus in der Fackel noch höhnisch abgelehnt hatte,11 glaubte er einen höchst bedeutenden Autor und zugleich wichtigen Mitstreiter gefunden zu haben. Vor allem Brechts Dreigroschenoper, in der Kraus die gleiche parodistische Absicht erkannte wie in seinen Offenbach-Bearbeitungen, begeisterte ihn. Kraus erklärte damals sogar, dass er Brecht „für den einzigen deutschen Autor“ halte, „der heute in Betracht zu kommen hat“, weil er der „einzige“ sei, der ein „Zeitbewußtsein“ besitze, statt jener „Flachheit und Ödigkeit“ der „beliebteren Reimer der Lebensprosa“ zu huldigen, die sich unter den Autoren der Neuen Sachlichkeit verbreitet habe.12 Ja, Kraus trug im Januar 1932 sogar einige Stücke aus Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny vor, wobei ihn Kurt Weill am Klavier begleitete. Und der sonst überkritische Brecht erwiderte diese Hochschätzung von Seiten Kraus’ durchaus. Demzufolge lud er ihn schon „bei seinen Vorbesprechungen zur Dreigroschenoper ein und freute sich, daß Kraus zu dem kurz darauf schnell berühmt werdenden Eifersuchtsduett noch eine Strophe hinzudichtete“.13 Anschließend saßen beide „fast jeden Abend mit einigen Freunden in einem Bierkeller in der Friedrichstraße zusammen“, wie Heinrich Fischer berichtet.14 Überhaupt müsste der Einfluss von Kraus auf Brechts Theorie des „Epischen Theaters“ – im Hinblick auf gestischen Vortrag, satirische Überspitzung, Vermischung von Text und Musik, Verzicht auf „schöngesungene“ Partien und vieles andere mehr – einmal genauer untersucht werden. Doch dazu ist hier leider nicht der Ort.15 Wenden wir uns daher – unserem Thema entsprechend – wieder Georg Knepler zu, den es, wie gesagt, in den gleichen Jahren ebenfalls nach Berlin zog und der dort wie Kraus fast mit dem gleichen Personenkreis, vor allem mit dem Komponisten der Roten Kampfmusik Hanns Eisler, aber auch mit Bertolt Brecht, Helene Weigel und dem „Barrikaden-Caruso“ Ernst Busch Kontakte aufnahm. Er begleitete zwar Kraus bis 1931 bei seinen Offenbachiaden weiterhin 132

Die Offenbachiaden

am Klavier, übernahm aber zugleich, sich im Gefolge Hanns Eislers zum Marxisten mausernd, die Leitung von Berliner Arbeiterchören. Wie sehr er sich dabei sowohl ästhetisch als auch politisch engagierte, beweist unter anderem nicht nur, dass er zwei Wochen nach der am 30. Januar 1933 erfolgten Machtübergabe an Hitler auf einer Arbeiterversammlung Helene Weigel bei ihrem Vortrag von Brechts Wiegenlieder einer proletarischen Mutter am Klavier begleitete, sondern auch dass er kurz zuvor einen Beitrag unter dem Titel Einstimmiger oder mehrstimmiger Chorgesang für die Zeitschrift der revolutionären Arbeitersänger Kampfmusik verfasst hatte, in dem er – wiederum unter dem Einfluss Eislers – dafür eingetreten war, bei aller agitatorischen Absicht im Sinne der KPD keineswegs auf einen gewissen Kunstcharakter zu verzichten, um nicht ins allzu Platte abzugleiten.16 III

Doch nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 war es mit all diesen Bemühungen erst einmal vorbei. Schließlich hatten die Großindustriellen und Großagrarier – unter dem Jubel der Hugenberg’schen Deutschnationalen Volkspartei – den amtierenden Reichspräsidenten Paul von Hindenburg inzwischen bedrängt, endlich Adolf Hitler und seiner NSDAP die Macht zu übergeben, um so Deutschland vor einer möglichen „Bolschewisierung“ zu bewahren. Und Hitler tat genau das, was diese Kreise von ihm erwarteten: Er verbot die Kommunistische Partei und ging gegen ihre Anhänger mit einer Schärfe vor, die in ihren Auswirkungen an das mörderische Treiben der rechtsradikalen Freikorpsverbände der frühen Weimarer Republik erinnerte. Um ihr Leben zu retten oder der Einkerkerung zu entgehen, flohen daher nicht nur die leitenden Funktionäre der KPD, sondern auch fast alle mit dieser Partei sympathisierenden Künstler, vor allem die Juden unter ihnen, die damals in der KPD das einzige Bollwerk gegen den antisemitisch eingestellten Nazifaschismus gesehen hatten, ins Ausland. Kraus war schon vorher wohlweislich in Wien geblieben, wohin auch Brecht und Helene Weigel Anfang 1933 vorübergehend 133

Karl Kraus und Georg Knepler

auswichen. Auch Knepler zog sich nach Wien zurück, wo er 1934 in die Kommunistische Partei Österreichs eintrat und linke Blätter vertrieb, was dazu führte, dass er kurzzeitig verhaftet wurde und anschließend nach England emigrierte, wo er nicht nur als Dirigent, Chorleiter, Klavierlehrer und für das österreichische Emigrantentheater „Laterndl“ tätig war,17 sondern sich auch eine genauere Kenntnis der marxistischen Klassiker aneignete, deren Werke fortan die theoretische Grundlage seiner politischen Aktivitäten sowie seiner musikwissenschaftlichen Arbeiten wurden.18 Während Knepler und Brecht bis zu ihrem Lebensende an ihrer marxistischen Grundhaltung festhielten und eine klare antifaschistische Haltung einnahmen, schwieg sich Kraus 1933 über die inzwischen in Deutschland stattgefundenen Ereignisse erst einmal aus und stellte sogar die Herausgabe seiner Fackel vorübergehend ein. Erst im Oktober dieses Jahres gab wieder er ein neues, lediglich acht Seiten umfassendes Heft dieser Zeitschrift heraus, in dem sich jene schnell bekannt werdenden Zeilen „Das Wort entschlief, als jene Welt erwachte“ befanden. Wie der nach Schweden entflohene Kurt Tucholsky, der zum gleichen Zeitpunkt erklärte, „daß Gewalt kein Objekt der Polemik, Irrsinn kein Gegenstand der Satire“ seien,19 erklärte Kraus anschließend sogar noch: „Zu Hitler fällt mir nichts ein“.20 Brecht – zutiefst enttäuscht über das als Verrat empfundene Schweigen des von ihm noch kurz zuvor hochverehrten Kraus – schrieb daraufhin sein Gedicht Über die Bedeutung des zehnzeiligen Gedichts in der 888. Nummer der Fackel und bat Helene Weigel, es ihm persönlich zu überbringen. Aber offenbar nahm Kraus, der sonst so leicht Reizbare, ihm den kritischen Ton dieses Gedichts nicht übel, sondern unterstützte sogar den in Not geratenen Brecht vorübergehend finanziell. Doch danach, als sich Kraus in aller Offenheit zum Dollfuß-Regime bekannte, von dem er hoffte, dass es dieser Regierung gelingen würde, einen übereilten „Anschluss“ Österreichs an Nazideutschland zu verhindern,21 vermieden sowohl Brecht als auch Knepler jegliche öffentlichen Äußerungen über Kraus.22 Ja, beide blieben nicht in Wien. 134

Die Offenbachiaden

Brecht ging nach Dänemark, dann nach Schweden und Finnland und schließlich 1940 in die Vereinigten Staaten, während Knepler bis Kriegsende im Londoner Exil blieb. Brecht, der erst 1947 nach Europa zurückkehrte, und zwar erst in die Schweiz und dann nach Ostberlin, schwieg sich auch in den folgenden Jahren über Kraus weiterhin aus. Und auch Knepler, der nach Kriegsende wieder nach Wien übersiedelte und dann, wozu ihn vor allem sein Freund Ernst Hermann Meyer bewegte, im November 1949, also unmittelbar nach der Gründung der DDR, ebenfalls nach Ostberlin ging, äußerte sich danach in der Öffentlichkeit nicht mehr über Kraus. Stattdessen setzte er sich von Anfang an, erst als ÖKP- und dann als SED-Mitglied umgehend für die Herausbildung einer marxistisch orientierten Musikwissenschaft ein, indem er in Ostberlin jene Hochschule für Musik gründete, die später in Hanns-Eisler-Hochschule umbenannt wurde, und wirkte anschließend als Ordinarius für Musikwissenschaft an der Ostberliner Humboldt-Universität.23 Auch von ihm gibt es in der Anfangszeit der DDR keine öffentlichen Aussagen über Karl Kraus, dessen politische Anschauungen – vor allem wegen seiner Sympathie für das arbeiterfeindliche Dollfuß-Regime, das der KPD-Stückeschreiber Friedrich Wolf in seinem Drama Floridsdorf (1935) schärfstens angeprangert hatte – in diesem Staat als nicht akzeptierbar galten.24 IV

Doch damit ist das Thema „Karl Kraus und Georg Knepler“ noch lange nicht erschöpft. Im Gegenteil, damit beginnt es in mancher Hinsicht erst. Allerdings sollte es noch eine geraume Weile dauern, bis sich Knepler höchst ausführlich mit dem Musikverständnis von Kraus auseinanderzusetzen begann. In den fünfziger und sechziger Jahren beschäftigten ihn in der DDR erst einmal zwei andere, wenn auch später zu Kraus hinführende Fragestellungen: zum einen die Frage, wie sich der bisherige Klassencharakter von Musik, das heißt die verhängnisvolle Spaltung in eine elitäre und eine populäre Musik, überwinden lasse, zum anderen, welche Maßnahmen man einleiten 135

Karl Kraus und Georg Knepler

müsse, um einen „Musiker neuen Typs“ heranzubilden,25 der sich im Rahmen des von der SED angestrebten Aufbaus des Sozialismus in den Anfangsjahren der DDR für eine musikalisch anspruchsvolle und zugleich politisch „eingreifende“ Musikpraxis einsetzen würde. Für diese Bemühungen sprechen vor allem Kneplers um 1960 in den ostdeutschen Beiträgen zur Musikwissenschaft publizierten Auseinandersetzungen mit jenen westdeutschen Musikkritikern, die à la Theodor W. Adorno, Carl Dahlhaus und Hans Heinz Stuckenschmidt den Gegensatz von E- und U-Musik weiterhin mit arroganter Pose als unüberwindlich hinstellten, das heißt sich kaltherzig mit der herrschenden Polarisierung in eine elitäre E-Musik und eine triviale Unterhaltungsmusik abgefunden hätten.26 Und in der Problematisierung derartiger Fragestellungen kam Knepler – im Zuge seiner am historischen Materialismus geschulten Grundüberzeugungen – zwangsläufig immer wieder auf die Frage zurück, wann, wo und in welcher Form es gelungen sei, die unleugbare Klassengebundenheit von Musik schon vorher überwunden zu haben. In den fünfziger Jahren wies er dabei im Sinne der SED-Richtlinien, wenn auch nicht mit der gleichen Unerbittlichkeit wie Ernst Hermann Meyer in seinem Buch Musik im Zeitgeschehen (1952),27 erst einmal auf das Vorbild des sowjetischen Musiklebens hin, wo sich bereits zu diesem Zeitpunkt eine Annäherung dieser beiden Ebenen der Musikpraxis sowie des Hörverhaltens der sogenannten breiten Massen angebahnt habe.28 Doch in der Folgezeit ging Knepler wie in seinem zweibändigen Werk Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts (1961) auch auf frühere Versuche ein, welche sich schon in der feudalistischen und dann der bürgerlichen Gesellschaft bemüht hätten, selbst in der Musik die bestehenden Klassenbarrieren zu überwinden und eine Art Aoder Allgemeinmusik anzustreben, die weder eindeutig elitär noch eindeutig populistisch gewesen sei. Und dabei kam er, als in der Honecker-Ära nach 1971 die vornehmlich an der Sowjetunion ausgerichteten Musikbemühungen der Ulbricht-Jahre, denen weitgehend die Maxime „Sozialistisch im Inhalt, national in der Form“ zugrunde gelegen hatten, allmählich in den Hintergrund traten, neben den 136

Die Offenbachiaden

Bemühungen Hanns Eislers und Kurt Weills auch auf die Offenbachiaden von Karl Kraus zurück. Dafür spricht vor allem Kneplers Essay Karl Kraus und die Bürgerwelt, den er 1975 in Sinn und Form herausbrachte.29 Statt Kraus als „einen guten bürgerlichen Liberalen“ hinzustellen, wie das ein Jahr zuvor bei den Wiener Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag von Kraus von Seiten Hans Weigels und Marcel Reich-Ranickis geschehen war, charakterisierte ihn Knepler in diesem Essay als einen eindeutigen „Linken“, den man keineswegs von rechts vereinnehmen solle. Und zwar habe diese Gesinnung selbst seiner Vorliebe für Jacques Offenbach, einem von Kraus’ wichtigsten „Bundesgenossen im Kampf gegen die Bürgerwelt“, zugrunde gelegen, der in seinen Operetten „arm und reich, mit ausgeprägter Sympathie für den erstgenannten Personenkreis“ stets kritisch gegenübergestellt habe.30 Was Knepler in diesem Essay an Kraus bemängelte, war lediglich dessen nörglerisches Einzelgängertum. In fast allen anderen Haltungen, Fragen und Vorstellungen sei er dagegen ein maßgeblicher Vorkämpfer einer „sozialistischen Umwälzung“ der gesamten, sich „liberal“ gebenden Bürgerwelt gewesen, wie man schon 1924 in der Fackel nachlesen könne.31 An den Schluss dieses Essays stellte daher Knepler den bekennerischen Satz: „Was Karl Kraus denkend, Anstoß gebend, anklagend, kämpfend, Künftiges vorwegnehmend, schrieb, sprach und sang, wird noch postum an jener großen revolutionären Aufgabe weiterwirken, die ihm vorschwebte.“32 Um dieser Überzeugung einen weiteren Nachdruck zu verleihen, verfasste Knepler in den frühen achtziger Jahren sogar noch ein umfangreiches Buch unter dem Titel Karl Kraus liest Offenbach. Erinnerungen. Kommentare. Dokumentationen zu all diesen Fragestellungen, das 1984 nicht nur beim Ostberliner Henschel-Verlag für Kunst und Gesellschaft, sondern im selben Jahr auch beim Löcker Verlag in Wien herauskam. Dieses Buch ist die bedeutendste Hommage, die je über Kraus und sein Verhältnis zur Musik geschrieben wurde. Natürlich verschwieg Knepler als erklärter Marxist und Antifaschist darin keineswegs auch einige Schattenseiten von Kraus’ politischen Ansichten, ob nun seine Hassliebe Heinrich Heine gegenüber, seine antisemitisch klingenden 137

Karl Kraus und Georg Knepler

Angriffe auf Maximilian Harden und Alfred Kerr, seinen zeitweiligen Antikommunismus sowie seine problematische Befürwortung des Dollfuß-Regimes, charakterisierte sie aber à la Brecht weitgehend als klassenverhaftete Fehlleistungen eines „guten Unverbesserlichen“, dem es letztlich – trotz aller arroganten Posen – stets um eine radikale Aufdeckung der grundsätzlichen Verkehrtheit der herrschenden politischen, kulturellen und sozioökonomischen Verhältnisse gegangen sei. Und im Hinblick auf diese Sehweise interpretierte Knepler auch die Vorliebe von Kraus für jenen Jacques Offenbach, der in seinen Opéras bouffes nie nachgelassen habe, den trügerischen Glanz des französischen Zweiten Kaiserreichs der fünfziger und sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts – also einer Zeit, die damals noch nicht so weit zurücklag wie heute – auf eine höchst witzige, das heißt breite Schichten der Bevölkerung ansprechende und zugleich unbarmherzig karikierende Weise als Ära einer machtbesessenen und besitzgierigen Gesellschaftsordnung bloßzustellen, ja mitleidslos durch den oft apostrophierten „Kakao“ zu ziehen.33 So weit, so einleuchtend. Aber wie verfuhr Kraus, der weder ein Theaterleiter noch ein Operettendirigent war, dabei eigentlich bei seinen szenischen Auftritten? Als egozentrischer Intellektueller und zugleich gesellschaftskritischer Satiriker entschied er sich, die deutschen Textfassungen der Offenbach’schen Werke erneut zu bearbeiten und zugleich mit zusätzlichen „Zeitstrophen“ zu versehen und sie dann in solistischer Darbietung selbst vorzutragen und vorzusingen, wobei er zwischen 1928 und 1931 zur musikalischen Untermalung, wie bereits gesagt, unter anderem auch den jungen Georg Knepler heranzog. Und zwar begann Kraus mit diesen von ihm als „Vorlesungen“ bezeichneten Offenbachiaden im Jahr 1926 in Wien. Wie er dabei verfuhr und welche Wirkung er damit erzielte, hat Knepler in seinem Buch Karl Kraus liest Offenbach, dem nicht nur persönliche Erinnerungen, sondern auch in den siebziger und achtziger Jahren angestellte Forschungen zugrunde liegen, höchst überzeugend dargestellt. Und zwar begann Kraus, der zuvor in seinem „Theater der Dichtung“ – neben eigenen Texten – vor allem Werke von Shakespeare, 138

Die Offenbachiaden

Goethe und einer Reihe anderer deutscher Autoren vorgetragen hatte, seine Offenbachiaden, wie wir in diesem Buch erfahren, am 20. Februar 1926 mit einer Blaubart-Vorlesung.34 Im Gegensatz zu dem ihm verhassten „Tiefstand“ des damaligen Operettenwesens eines Emmerich Kálmán, Franz Lehár und Johann Strauß, das kein Verständnis für den „Unsinn der Burleske“ mehr aufbringe, sondern in den Bereich einer halb sentimentalen, halb oberflächlichen Albernheit abgesunken sei, wie er in der Fackel schrieb,35 wollte er damit diesem Genre wieder einen tieferen, in die gesellschaftliche Realität „eingreifenden“ Charakter abgewinnen. Worum es also Kraus bei seinen Offenbachiaden letztlich ging, betonte Knepler immer wieder, sei nicht eine Aufwertung der Operette schlechthin gewesen, sondern eine auf die Gegenwart bezogene Wiederbelebung jener satirischen Elemente, welche die Frühform dieses Genres, nämlich die Offenbach’sche Opéra bouffe ausgezeichnet hätten. So habe er sich schon in seiner ersten Blaubart-Vorlesung vor allem darum bemüht, die Verhöhnung jener speichelleckenden Untertanengesinnung am Hofe des Königs Bobèche dadurch zu verschärfen, indem er die diesbezüglichen Partien mit sechs von ihm verfassten Zeitstrophen versah. Und die Zustimmung, die Kraus mit seinen zahlreichen Offenbachiaden beim Wiener Publikum und dann auch in Berlin, Prag, München und anderen deutschen Städten fand, war anfangs geradezu überwältigend, wie Knepler nachweisen konnte. Nicht nur linksliberal eingestellte Zuhörer, selbst einige auf höchste modernistische Ansprüche pochende Schönberg-Anhänger, darunter Alban Berg, Rudolf Kolisch und Eduard Steuermann, ließen es – trotz mancher Einwände – nicht an Lobpreisungen fehlen.36 Natürlich gab es auch Angriffe von Seiten der bürgerlich-reaktionären Presse. Doch die berührten Kraus nicht, sondern bestärkten ihn nur, seine Angriffe auf das ihm verhasste Pressewesen und die hinter ihm stehenden gewinngierigen Geldgeber zu verschärfen. Was ihn verärgerte, war, wie gesagt, lediglich eine Kritik in der Wiener Arbeiter-Zeitung von dem zum rechten Flügel der Sozialdemokratie gehörenden Paul Amadeus 139

Karl Kraus und Georg Knepler

Pisk.37 Daher war er umso erfreuter, nach 1926 bei den Berliner Linken eine ihn bestärkende Zustimmung zu finden. V

Doch nochmals zurück zu der zentralen Frage: Warum bevorzugte Kraus bei seinen musikalischen Vorlesungen gerade die Werke jenes Jacques Offenbach, der sich bei den meisten Musikliebhabern der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre nicht unbedingt einer besonderen Vorliebe erfreute? Zugegeben, man erinnerte sich nach wie vor an die betörende Melodie der Barcarole im zweiten Akt seiner romantisierenden Oper Hoffmanns Erzählungen. Doch gerade sie hat Kraus nie vorgetragen. Auch Offenbachs schmissige Cancan-Einlagen waren in den zwanziger Jahren noch relativ bekannt. Aber wer interessierte sich weiterhin für die satirischen Passagen in seinem Blaubart, seiner Prinzessin von Trapezunt, seinen Briganten oder seiner Großherzogin von Gerolstein? Es waren jedoch gerade diese Werke, die Kraus besonders reizten. Im Gefolge Offenbachs wollte auch er – wie zur gleichen Zeit Bertolt Brecht und Kurt Weill in ihrer Dreigroschenoper (1928) sowie ihrem Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny (1929) – mit seinen Opéras-bouffes-Vorlesungen das hochgestochene Unwesen der auf Kothurnen daherschreitenden Großopern Richard Wagners und seiner Nachfolger wie auch die in arioser Sentimentalität ertrinkenden Operetten eines Franz Lehár ins Lächerliche ziehen, um so mit seiner „Offenbach-Renaissance“ dem satirischen Singspiel zu einem neuen Durchbruch zu verhelfen. Wie bereits P. Walter Jacob in seiner Offenbach-Monographie von 1969 stellte daher Knepler gerade diese Tendenz in aller Schärfe heraus, indem er nicht nur den höhnischen Vortragsstil von Kraus betonte, sondern ebenso nachdrücklich auf die von ihm hinzugefügten Zeitstrophen verwies.38 Ob nun Kraus oder Knepler, beide sahen in Offenbach vor allem den Komponisten jener Buffonerien, für die Henri Meilhac und Ludovic Havély mit parodistischer Absicht die ihm gemäßen Librettos geschrieben hätten, mit denen sich die Grand 140

Die Offenbachiaden

Opéras eines Giacomo Meyerbeer sowie die von Napoleon III. in Paris durchgesetzten Wagner’schen Musikdramen am besten karikieren ließen. Im Sinne Offenbachs habe auch Kraus, wie Knepler wiederholt beteuerte, allen hochgesteigerten Gefühlsschwulst von vornherein als eine verlogene Komplementärerscheinung der von ihm als verächtlich hingestellten „verkehrten Welt“ empfunden. In der für ihn bezeichnenden Akzentuierung des Wortes und nicht der Musik habe er demzufolge in einem seiner Aphorismen erklärt: „Leidenschaften können Musik machen. Aber nur wortlose Musik. Darum ist die Oper ein Unsinn. Sie setzt die reale Welt voraus und bevölkert sie mit Menschen, die bei einer Eifersuchtsszene, bei Kopfschmerz, bei einer Kriegserklärung, ja sterbend selbst auf die Koloratur nicht verzichten. Sie führt durch die Inkongruenz eines menschenmöglichen Ernstes mit der wunderlichen Gewohnheit des Singens sich selbst ad absurdum. In der Operette ist dagegen die Absurdität vorweggeben.“ In ihrer chaotischen und zugleich satirischen „Heiterkeit“ lasse sie eher ein „Bild unserer realen Verkehrtheiten“ erahnen als in einer noch so schön gesungenen Arie. Daher habe ihm, wie Kraus schrieb, der „Opernwitz in Offenbachs ‚Blaubart‘ mehr Empfinden beigebracht“ als hundert noch so gefühlsmäßig überladene Opern.39 Und genau das betonte auch Knepler, obwohl man von ihm als Musikwissenschaftler eher ein intensiveres Eingehen auf die Offenbach’sche Musik als auf den Kraus’schen Vortragsstil erwarten würde. Auch er hielt die Offenbach’schen Opéras bouffes vor allem für Werke eines satirisch gemeinten „Zeittheaters“. Mit ihren „Götter- und Heroensatiren“, heißt es bei ihm, hätten sie in Form „grausamer Travestien der großen Opern“ ihrem Publikum ein „Konterfei ihrer eigenen Gesellschaft“ geboten, über das die reicheren, auf ihre Machtfülle vertrauenden Schichten so lange gelacht hätten, bis das französische Zweite Kaiserreich in den Jahren 1870/71 schmählich untergegangen sei.40 Dass dieser Sicht nicht nur Kneplers marxistische, auf die jeweils herrschenden Klassenverhältnisse bezogene Einstellung zugrunde liegt, sondern durchaus mit den kritischen Intentionen von Kraus 141

Karl Kraus und Georg Knepler

übereinstimmt, lässt sich wohl kaum in Zweifel ziehen. Schließlich habe schon Kraus, wie Knepler erklärte, nicht nur im Allgemeinen von der „Verkehrtheit“ der gesellschaftlichen Verhältnisse gesprochen, sondern im Hinblick auf die herrschenden sozioökonomischen Verhältnisse seiner eigenen Zeit auch in der Fackel ständig höchst konkret vom „bürgerlichen Verfall“, vom „Schlamm dieser Bürgerlichkeit“, von der „Abschaffung der bürgerlichen Welt“, vom „kapitalistischen Geist“, von der „kapitalistischen Zeitungswelt“ und der „kapitalistischen Justiz“ gesprochen.41 Doch ebenso ausführlich ging Knepler darauf ein, dass Kraus dieser ins flach Rationalistische, Mechanisierte, Habgierige der kapitalistischen Zustände, kurz: dieser ins Wesenslose entfremdeten Welt immer wieder die Daseinsform des „Ursprungs“, das heißt einer „freieren Humanität“ entgegengestellt habe.42 Einen der besten Beweise dafür sah er in dem Faktum, welche Bedeutung die Worte „Rausch“, „Lebenslust“ und „ungezügeltes Sichausleben“ für Kraus gehabt hätten. Eine ähnliche Tendenz sei auch bei seiner Sicht vom Wesen des Weiblichen zu beobachten, in dem Kraus – im Gefolge von Peter Altenberg und Frank Wedekind müsste man hinzufügen – eine Verkörperung all jenes „Echten, Ursprünglichen, das von der offiziellen Unkultur noch nicht erstickt worden sei“, gesehen habe.43 Allerdings ging Knepler in diesem Zusammenhang – wohl aus Rücksicht auf die damals noch herrschende Prüderie – nicht darauf ein, wie stark sich Kraus aus diesem Grund zugleich für eine längst überfällige Straffreiheit im Hinblick auf Homosexualität, Prostitution, Kuppelei, Abtreibung und Ehebruch ausgesprochen habe.44 In dieser Hinsicht begnügte sich Knepler lieber damit, auf jene Lust an der Sinnlichkeit, am erotischen Taumel oder am Sichhingeben an augenblickliche Launen hinzuweisen, die sich schon in den Opéras bouffes Offenbachs finde, in denen noch nicht jener mechanisierte, ins Sportliche entfremdete Sex herrsche, wie er im Zuge der Neuen Sachlichkeit der mittzwanziger Jahre Mode geworden sei. Demgegenüber habe Kraus immer wieder betont, dass es sich in Offenbachs Werken, wie etwa in manchen Szenen seines „Lustspiels“ Pariser Leben, 142

Die Offenbachiaden

vornehmlich um „Orgien lebendigster Narrheit“ handele,45 in denen noch das Ungezügelte der menschlichen Lebenslust herrsche, welches in den Schlachten des Ersten Weltkriegs und der darauffolgenden ernüchterten Nachkriegszeit untergegangen sei. Der von Kraus angestrebten „Offenbach-Renaissance“ liege daher der verzweifelt-hartnäckige Versuch zugrunde, wie es bei Knepler heißt, dennoch, trotz alledem etwas von dem aufmüpfigen Esprit und der immer wieder durchbrechenden Lebenslust der Offenbach’schen Werke in die eigene Zeit zu „verretten“, wie sich Bertolt Brecht ausgedrückt hätte. Mit ihnen habe er versucht, der schon damals im kapitalistischen Sumpf ertrinkenden Welt – spöttisch und verbittert zugleich – mit der Absicht entgegenzutreten, sich mit den Mitteln der Satire sowie dem Bekenntnis zu einem halbwegs unentfremdeten Leben im Hinblick auf eine Form jener Menschlichkeit durchzuringen, in der einmal kein Imperialismus, keine kapitalistische Habgier, kein Oberklassenbewusstsein, sondern ein Leben herrschen würde, das allen Menschen einen Freiraum für ihre ursprüngliche Natur erlauben würde. Und Kraus habe das mit der für ihn bezeichnenden Hartnäckigkeit versucht, indem er nicht nur ein aufreizendes FackelHeft nach dem anderen herausgeben habe, sondern zwischen 1926 und 1936 auch 134 Mal vor einem im Laufe der Jahre allmählich immer kleiner werdenden Publikum als Offenbach-„Vorleser“ aufgetreten sei. Auf die Frage, ob das politisch richtig war, ging Knepler nicht ein. Für ihn, den Marxisten, blieb Kraus – trotz mancher Vorbehalte – bis zu seinem Tode ein Partisankünstler, der im Rahmen seiner bürgerlichen Klassenschranken stets das ihm Mögliche versucht habe. Die Frage, ob dieses Mögliche selbst auf dem Umweg über die bewusst persiflierenden Werke von Jacques Offenbach zu erreichen sei, ließ Knepler dagegen unbeantwortet. Sicher glaubte er, wie auch Kraus oder Brecht, dass man sogar mit Bearbeitungen älterer gesellschaftskritischer Werke in das gegenwärtige Geschehen „eingreifen“ könne. Allerdings übersah er dabei zum Teil den grundsätzlichen Unterschied, der zwischen den Offenbach’schen Opéras bouffes und den Kraus’schen Offenbachiaden besteht. Schließlich dominiert bei 143

Karl Kraus und Georg Knepler

Offenbach – trotz aller satirischen Absicht – stets ein lebenslustiger Esprit, während bei den Kraus’schen „Invektiven“ gegen die ihm verhasste Bürgerwelt fast durchgehend das Ernsthafte,46 ja geradezu Unerbittliche vorherrscht. Dennoch bleiben die Kraus’schen Offenbachiaden bis heute, obwohl wir lediglich einige kurze Tondokumente davon besitzen, ein Markstein möglicher Bearbeitungsversuche von inzwischen als „veraltet“ geltenden Bühnenwerken, denen noch der Wille zu einer politisch „eingreifenden“ Tendenz – mit welchen Mitteln auch immer – zugrunde lag. Jedenfalls haben sie nichts oder wenig mit den meisten der heute gängigen Formen jenes Regietheaters gemein, in denen es nur noch um ein lukratives Gewinnstreben oder eine wahllose, unhistorische, verflachende postmoderne Beliebigkeit geht.47

144

„Wir arme Leut“ Manfred Gurlitts Wozzeck (1926)

I

Manfred Gurlitt ist einer der großen Unbekannten unter den deutschen Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts. Die Gründe dafür sind mannigfacher Art. Erstens hat die Oper als theatralische Gattung in diesem Zeitraum ohnehin jenen früheren Status als eine der wichtigsten musikalischen Kompositionsformen eingebüßt, den sie einmal seit dem 17. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts besaß, als sie sich auf höfischer Ebene, aber dann auch innerhalb des Bürgertums einer unbezweifelten Aura erfreute und immer größere Bevölkerungsschichten in ihren Bannkreis zog. In dieser Hinsicht teilt also Gurlitt das Schicksal vieler deutscher Opernkomponisten der letzten hundert Jahre, ob nun Werner Egk, Wolfgang Fortner, Ottmar Gerster, Hans-Werner Henze, Paul Hindemith, Carl Orff, Hans Pfitzner, Aribert Reimann, Wolfgang Rihm oder Franz Schreker, denen es ebenso wenig gelang, ihren Werken einen festen Platz im Repertoire der weiterhin bestehenden Opernhäuser zu sichern und die sich wie er ebenfalls mit kurzlebigen Achtungserfolgen begnügen mussten. Außer der Salome und dem Rosenkavalier von Richard Strauss werden dort fast nur noch ältere Werke von Wolfgang Amadeus Mozart und Richard Wagner oder italienische und französische Opern des 19. Jahrhunderts in Szene gesetzt, deren Melodienfülle das heutige 145

„Wir arme Leut“

Publikum eher anzieht als der sich „modernistisch“ gebende Deklamationsstil der auf sie folgenden Musikdramen. In dieser Hinsicht bildet also der fast unbekannte Gurlitt keineswegs eine Ausnahme. Zweitens hat im Laufe des 20. Jahrhunderts nicht nur auf kommerzieller Ebene, sondern auch in den Künsten eine Innovationssucht eingesetzt, mit der man sich bemüht, dem konsumgierigen Publikum ständig Neues, noch nie Dagewesenes zu bieten, weshalb selbst durchaus begabte Künstler verführt wurden, sich den jeweils herrschenden Zeitmoden anzupassen, um nicht ins Abseits zu geraten oder völlig vergessen zu werden. Doch nicht nur das. Auch die vielfältigen Umbrüche in politischer Hinsicht von der wilhelminischen Ära des Zweiten Kaiserreichs, der Zeit der Weimarer Republik und des Nazifaschismus sowie der darauffolgenden Besatzungsperiode, der Teilung Deutschlands in zwei sich feindlich gegenüberstehende Staaten bis hin zur Wiedervereinigung in den Jahren 1989/90 haben in den künstlerischen und ideologischen Neuorientierungen vieler, wenn nicht aller Komponisten unübersehbare Spuren hinterlassen, welche sich nicht unbedingt günstig auf ihr Schaffen ausgewirkt haben. Auch in dieser Hinsicht steht also Gurlitt, der in vielen dieser Phasen nicht nur um seine Existenzgrundlage, sondern auch als sogenannter Vierteljude nach 1933 sogar um sein Überleben besorgt sein musste, nicht allein. Drittens war es Gurlitt nicht beschieden, sich als freischaffender Künstler vor allem seinen kompositorischen Bemühungen widmen zu können. Nach seinem Studium in Berlin bei Engelbert Humperdinck und Karl Muck schlug er sich seit 1908 erst als Korrepetitor an der Berliner Hofoper und dann als Orchesterleiter in Essen und Augsburg durchs Leben, bis er 1914 als Kapellmeister und schließlich als Generaldirektor am Stadttheater in Bremen angestellt wurde, wodurch ihm als Opern- und Konzertdirigenten kaum Zeit zu seinem eigenen Schaffen blieb. Und auch in den letzten Jahren der Weimarer Republik, in denen er ab 1927 als Gastdirigent an der Berliner Staatsoper sowie beim Rundfunk arbeitete und sich zugleich an zahlreichen Schallplattenaufnahmen für die Firma Odeon beteiligte, war er viel zu 146

Manfred Gurlitts Wozzeck (1926)

beschäftigt, um sich vornehmlich als Komponist hervorzutun. Dass Gurlitt zwischen 1920 und 1933 dennoch vier Opern komponierte, nämlich Die Heilige (1920) nach Carl Hauptmann, Wozzeck (1926) nach Georg Büchner, Soldaten (1930) nach Jakob Michael Reinhold Lenz und Nana (1933) nach Émile Zola und Max Brod, wirkt daher fast wie ein kleines Wunder. II

Wie lassen sich diese vier Werke musikalisch und ideologisch im Musikleben der Weimarer Republik verorten? Sind sie für diese Ära zeittypisch, zeichnen sie sich durch eine hohe kompositorische Qualität aus oder haben sie einen vorwiegend epigonalen Charakter? Das wären die entscheidenden Fragen, die es bei ihrer Interpretation zu berücksichtigen gilt. Und zwar soll es dabei vor allem um die Oper Wozzeck gehen, die schon durch die Büchner’sche Textvorlage die größte Gewichtigkeit hat. Angespornt durch die weltliterarische Bedeutsamkeit dieses Dramenfragments gelang Gurlitt bei der Ver­ operung dieses Werks in einer vierjährigen Schaffensperiode wohl das Beste, was ihm überhaupt zu schaffen vergönnt war. Dass er ein derart aufwühlendes Werk zustande bringen würde, überraschte selbst jene, die ihn zwar als Dirigenten zu schätzen wuss­ ten, aber seinen bisherigen Werken nicht viel abgewinnen konnten. Weder sein 1912 erstmals gespieltes Klavierquintett noch seine während des Ersten Weltkriegs komponierte „Musikalische Legende in drei Vorgängen“ Die Heilige, die im Januar 1920 in Bremen uraufgeführt wurde, hatten das Publikum zu Beifallsstürmen hingerissen. Im Gegenteil, die Kritiker der Bremer Nachrichten, des Berliner BörsenCourier und der Neuen Musik Zeitung warfen seiner Heiligen, bei der es sich um eine handlungsarme, ins Schwermütige tendierende und mit spätimpressionistischen Stimmungsklängen durchsetzte Lebensverzichtsoper handelte, recht unverblümt vor, eine zwar „gekonnte, aber müde“ Oper komponiert zu haben,1 in der eine „Nirwana“Sehnsucht herrsche, welche nichts von dem widerspiegele, was in 147

„Wir arme Leut“

den sozialrevolutionären Parolen der expressionistischen Kunst und der Novemberrevolution von 1918 vorgeherrscht habe. Mit anderen Worten: Diese Kritiker empfanden seine Heilige als ein Werk, in dem noch immer jene Fin-de-siècle-Stimmung herrsche, die um die Jahrhundertwende tonangebend gewesen sei. Und das bringe „uns heute nicht weiter“, schrieben sie, sondern wirke eher erschlaffend.2 Diese Kritik war sicher berechtigt. Aber welcher Komponist will schon, wenn sich ihm die Möglichkeit bietet, darauf verzichten, ein einmal geschaffenes Werk, selbst wenn sich die Zeitsituation inzwischen grundsätzlich geändert hat, dennoch aufführen zu lassen? Allerdings ließ Gurlitt diese Oper später nicht noch einmal in Szene setzen. Schließlich hatte auch er seit der Novemberrevolution eingesehen, dass ein solches Werk – angesichts der politisch turbulenten Verhältnisse in der frühen Weimarer Republik – zwangsläufig total unzeitgemäß wirken müsse. Wie viele andere Künstler und Intellektuelle war auch er als anteilnehmender Zeitgenosse von den inzwischen eingetretenen Ereignissen zutiefst aufgewühlt worden und hatte in Bremen nicht nur 1920 eine Gesellschaft für Neue Musik gegründet, sondern sich sogar für die sozialrevolutionären Forderungen der Unabhängigen Sozialdemokraten engagiert. Und in diesem Zusammenhang entschloss er sich nach der Uraufführung seiner Heiligen im Jahr 1920, für seine nächste Oper eine Textvorlage zu wählen, die seinen vom Zeitgeist beeinflussten politischen Anschauungen am ehesten entsprechen würde. Nach kurzen Überlegungen erschien ihm dabei das wirkungsvollste derartiger Werke das Büchner’sche Dramenfragment Wozzeck zu sein, das seit dem Naturalismus der späten achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts als das erste deutsche Proletarierdrama galt und das 1910 auch viele Vertreter des Expressionismus als das Bedeutsamste aller deutschen sozialrevolutionären Werke hingestellt hatten.

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Manfred Gurlitts Wozzeck (1926)

III

Diese Entscheidung, so überraschend sie auf den ersten Blick erscheint, sollte man keineswegs als opportunistisch abwerten. Sie entsprach durchaus Gurlitts inzwischen gewandelten ideologischen Überzeugungen. Ansonsten wäre aus seinem Wozzeck lediglich ein musikalisches Machwerk und nicht eine der bedeutendsten Opern der zwanziger Jahre geworden, die in ihren musikalischen Ausdrucksmitteln sogar die im gleichen Zeitraum entstandenen Opern von Paul Hindemith und Franz Schreker übertrifft. Als Textvorlage benutzte Gurlitt dabei die 1913 im Insel-Verlag erschienene Ausgabe des Büchner’schen Wozzeck, welche auf die von Karl Emil Franzos 1879 erstmals edierte Fassung dieses Dramenfragments zurückgeht, dem Franzos am Schluss die Worte „er ertrinkt“ angefügt hatte, um so dem Ganzen einen ihm sinnfällig erscheinenden Abschluss zu geben. Außerdem entschloss sich Gurlitt, von den 25 überlieferten Szenen sieben zu streichen, die ihm nicht unbedingt in den dramatischen Verlauf der Handlung zu passen schienen. Worum es ihm in dieser Oper letztlich ging, war vor allem das Bemühen, die Leidensgeschichte des armen, an seiner niedrigen sozialen Stellung und der Untreue seiner Marie verzweifelnden Wozzeck so krass wie möglich in Szene zu setzen, welche seinen Protagonisten schließlich zum Mord an der von ihm geliebten Marie und dann zum Selbstmord treibt. Dass Büchner höchstwahrscheinlich geplant hatte, auf die Ermordung Maries und die anschließende Verhaftung Wozzecks eine Gerichtsszene folgen zu lassen, in der sich der Hauptmann und der Doktor – wegen ihrer unmenschlichen Erniedrigung Wozzecks – als die wahrhaft Schuldigen an all diesen Vorgängen herausstellen würden, wie die neuere Büchner-Forschung vermutet,3 konnte Gurlitt noch nicht ahnen. Er hielt den ihm zur Verfügung stehenden Text – einschließlich der Zeile „er ertrinkt“ – wie alle damaligen Büchner-Leser noch für absolut authentisch. Und so konnte er nur die Leidensgeschichte seines zur Verzweiflung getriebenen „Helden“, aber nicht die darauffolgende Bloßstellung seiner Unterdrücker darstellen. Im 149

„Wir arme Leut“

Sinne dieser Handlungsführung beschloss er daher seine Oper nach Wozzecks Tod mit einem von ihm hinzugefügten Epilog, in dem eine „Menge Volks in gedrückter Haltung“ plötzlich höchst eindrucksvoll und zugleich provokativ „Wir arme Leut“ zu singen anfängt, um so den Eindruck des ausschließlich Mitleidserweckenden zu vermeiden, sondern stattdessen auf die erbärmliche gesellschaftliche Situation aller „Armen und Entrechteten“ hinzuweisen. IV

So viel zur Textgestaltung dieses Werks, das eine durchaus linksorientierte Note hat. Und dem entspricht auch die musikalische Ausgestaltung der einzelnen Szenen dieser Oper. Trotz ihrer Einteilung in drei Akte folgen sie im Sinne expressionistisch aufwühlender Stationendramen in atemberaubender Schnelligkeit aufeinander. Obwohl Gurlitt dabei eine große Orchesterbesetzung vorschrieb, werden in den einzelnen Szenen stets nur kleine Instrumentengruppen eingesetzt, um das jeweils Charakteristische der verschiedenen Handlungsabläufe zu betonen.4 Und zwar verzichtete Gurlitt dabei keineswegs auf den Einsatz älterer musikalischer Formelemente, ob nun fugierter Abschnitte, Passacaglia-Wiederholungen, sonatenähnlicher Reprisen oder choralartiger Partien mit kirchentonalen Wendungen, die ihm aus seiner Studienzeit und Dirigententätigkeit vertraut waren, unterbrach sie jedoch immer wieder mit Militärmarschrhythmen, Gassenhauerklängen, fanfarenartigen Akkorden, Jägerliedern, reigenartigen Passagen sowie anderen ins Volkstümliche übergehenden Klangelementen, um so den Eindruck des Gekünstelten oder gar Elitär-Modernistischen zu vermeiden. Dennoch wirkt das Ganze keineswegs zusammengestückelt, sondern durchaus geschlossen, da alle diese Stilmittel stets dazu dienen, lediglich die Leidensgeschichte des armen Wozzeck zu unterstreichen, und nie um ihrer selbst willen eingesetzt werden. Und einige der damaligen Kritiker wussten das auch zu würdigen. Allerdings betonten sie dabei als musikverständige „Sachkenner“ eher 150

Manfred Gurlitts Wozzeck (1926)

das „Neue“ der Gurlitt’schen Tonsprache, anstatt auch auf das inhaltlich Aufrüttelnde dieses Werks einzugehen, das sowohl in seinen sozialkritischen als auch antimilitaristischen Tendenzen durchaus jenen sich rebellisch gebenden Werken des Expressionismus entspricht,5 die sich nach der Novemberrevolution von 1918 mit Parolen wie „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ oder „Nie wieder Krieg“ für eine Welt der sozialen Gerechtigkeit und Friedfertigkeit eingesetzt hatten. Da jedoch die bürgerliche Kunstkritik – nach einer kurzen, eher modisch gefärbten als ernsthaften Anteilnahme an solchen utopischen Hoffnungen – bereits in den Jahren 1922/23 derartige Forderungen als ideologisch überspitzt abgelehnt hatte, ja sich danach zusehends mit „neusachlicher“ Gesinnung für eine marktwirtschaftliche Wohlstandssteigerung des gesellschaftlichen Mittelstands einzusetzen versuchte, konnte Gurlitts Oper Wozzeck im Jahr 1926 mit ihrem Schlussappell „Wir arme Leut“ nur noch einen sogenannten Achtungserfolg erzielen. Was die zeitgenössischen Musikkritiker daher in bewusst entideologisierender Absicht an diesem Werk herausstrichen, war lediglich seine „feine Kunstfertigkeit“, das „transzendentale Fluidum ihrer Klangwelt“, seine „melodischen Erfindungen“, seine „Seelenmalerei“, seinen „Kammertonsatz“ sowie die „Originalität seiner Tonsprache“, also all das, was sich vor allem „einem geschulten Ohr offenbare“,6 aber nicht ihre inhaltliche Aussagekraft, die sie als Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“ lieber außer Acht ließen. Statt auch und vor allem den sozialanklagenden Charakter des Büchner’schen Texts und der von Gurlitt im gleichen Sinne angestrebten musikalischen Umsetzung dieses zur Empörung herausfordernden Librettos herauszustreichen, wichen sie mit derartigen Charakterisierungen fast durchgehend ins Unverbindliche formalästhetischer Erwägungen oder subjektiver Originalitätsmerkmale aus, um sich damit als wohlmeinende Liberale auszugeben, denen es zwar um das ästhetisch Innovative gehe, aber ohne damit irgendwelche gesellschaftlichen Alternativvorstellungen zu verbinden.

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„Wir arme Leut“

V

Von solchen Kritiken ließ sich jedoch Gurlitt, obwohl sich zwischen 1926 und 1930 pro Jahr jeweils 50 neue Opern um die Publikumsgunst bewarben,7 keineswegs entmutigen oder gar umstimmen. Dafür spricht vor allem seine Oper Soldaten, die nicht zufällig am 9. November 1930 in Düsseldorf unter der Leitung von Jascha Horenstein uraufgeführt wurde. Ihr Libretto beruht auf einem gleichnamigen Drama von Jakob Michael Reinhold Lenz, einem der als besonders aufmüpfig geltenden Vertreter der sogenannten Sturm-und-DrangBewegung, den auch Georg Büchner – bekannterweise – hochgeschätzt hat. Wie in seinem Wozzeck ging es Gurlitt in dieser Oper abermals um die Leidensgeschichte eines gesellschaftlich niedrig stehenden Bedienten namens Stolzius, der seine leichtlebige Braut Marie an einen draufgängerischen, ihr Präsente machenden adligen Offizier namens Desportes verliert, der sie nach der Verführung hartherzig sitzen lässt, worauf sie zum „Bettelweib“ herabsinkt, während Stolzius den reuelosen Desportes am Schluss kurzerhand ermordet und sich selbst das Leben nimmt. Formal ist das Ganze wiederum in eine Fülle kurzer Szenen eingeteilt, die sich wie in der voraufgegangenen Oper in schneller Folge aneinanderreihen. Und auch das Ende, wo im Orchester lautstarke Dies-irae-Klänge ertönen, erinnert an den Schluss seines Wozzeck. Die musikalische Ausgestaltung wirkt dagegen weniger expressiv als in der Büchner-Oper, sondern verzichtet, vor allem in ihren liedhaften Einlagen, keineswegs auf eher traditionelle Elemente. Daher konnte sich im Jahr 1930 auch dieses Werk nicht durchsetzen. Es gab zwar einige lobende Stimmen, aber die meisten Kritiker erwarteten zu diesem Zeitpunkt – im Zuge der immer rasanter eskalierenden Innovationssucht – von einer neuen Oper etwas stilistisch absolut Neuartiges. Gurlitts Soldaten-Oper, die sich in ihrem Bemühen, nicht nur die modernistisch eingestellten Kenner, sondern auch die herkömmlichen Opernbesucher zu erreichen, neben avantgardistischer auch altgewohnter Stilmittel bediente, erschien daher den anspruchsvollen 152

Manfred Gurlitts Wozzeck (1926)

Connaisseurs nicht zeitgemäß genug, sondern lediglich „stilbrüchig“.8 Ihnen ging es nicht primär um die gesellschaftspolitische Ausdruckskraft musikdramatischer Werke, sondern vornehmlich um die jeweils verwendeten neuartigen kompositorischen Stilmittel, kurzum: um jene „Materialrevolution“, die später zum ästhetischen Hauptkriterium Theodor W. Adornos und seiner Anhänger wurde, während sie die Ausdrucksmächtigkeit der jeweils verwendeten Librettos wesentlich weniger interessierte. Daher hätte auch Gurlitts darauffolgende Oper, die wiederum eine „Literaturoper“ war, zu der ihm Max Brod nach dem Roman Nana von Émile Zola die Textvorlage geschrieben hatte, bei dieser Art von Kritikern keine Gnade gefunden. Schließlich rückte hier Gurlitt von der expressiv-atonalen Gestaltungsweise seines Wozzeck noch weiter ab als in den Soldaten und bemühte sich um eine wesentlich eingängigere musikalische Untermalung der Erfolgs- und dann Leidensgeschichte seiner Protagonistin. Aber dieses Werk, das er 1932/33 abschloss, erlebte keine Aufführung mehr,9 da Gurlitt, wie gesagt, trotz mancher Anerkennungsbemühungen seinerseits10 als Vierteljude von den Nazifaschisten aus dem deutschen Musikleben ausgeschlossen wurde und schließlich 1939 ins Exil nach Japan auswich. VI

Doch zurück zu seinem Wozzeck, dem wohl eindrucksvollsten Werk, das Gurlitt in den zwanziger Jahren gelungen ist. Dass dieser Oper kein überwältigender Erfolg beschieden war, hat vielerlei Gründe, die keineswegs mit einer mangelhaften ästhetischen Qualität zusammenhängen. Das Schicksal der Nichtbeachtung teilte sie mit vielen anderen Opern der Weimarer Republik, in denen nicht mehr die älteren Hochkulturgenres, sondern Massenmedien wie der Film, die Unterhaltungsmusik, der Rundfunk und das Pressewesen das Haupt­ interesse auf sich zogen. Und dadurch verlor die Oper, die ohnehin schon vorher ein hochelitäres Genre war, zusehends an Bedeutung. Gut, die bekannteren Opern des 18. und 19. Jahrhunderts, in denen 153

„Wir arme Leut“

sich berühmte Sänger und Sängerinnen als Stars aufspielen konnten, erfreuten sich bei den bildungsbürgerlichen Schichten weiterhin eines nicht nachlassenden Interesses. Aber die sogenannten „neumodischen“ Opern, die in ihrer deklamatorischen Art auf die herkömmlichen Kehlkopfkünste bewusst verzichteten, fanden selbst bei den hochkulturell interessierten Schichten keinen nachhaltigen Widerhall mehr. Was in diesem Bereich noch am ehesten ein aufnahmebereites Publikum anzog, waren jene Opern, die sich entweder betont „zeitnah“ oder betont „avantgardistisch“ gaben. Als zeitnah empfand man damals in diesem Genre all das, was wie Paul Hindemiths Oper Neues vom Tage (1929) sowohl inhaltlich als auch musikalisch seinen der Neuen Sachlichkeit verpflichteten Charakter herauszustellen versuchte oder sich wie Ernst Kreneks Jonny spielt auf (1927) und die Dreigroschenoper (1928) von Bertolt Brecht und Kurt Weill um den Eindruck des Jazzartigen bemühte. Als avantgardistisch galten dagegen vor allem die Werke der extrem modernistischen Schönberg-Schule, allen voran Alban Bergs Wozzeck-Oper (1925), die kurz vor Gurlitts Wozzeck ihre Uraufführung erlebt hatte. Wenn daher in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den auf Schönbergs „Radikalität“ eingeschworenen Kreisen überhaupt noch von innovativen Opernwerken gesprochen wurde, war es immer und immer wieder Alban Bergs Wozzeck, während sie Manfred Gurlitts Wozzeck keinerlei Beachtung schenkten. Was diese Kritiker und ihr Gefolge als wichtig ansahen, war allein die in Bergs Oper zum Ausdruck kommende neuartige, teils atonale, teils zwölftönige Kompositionsweise, während sie die Textvorlage dieses Werks weitgehend unberücksichtigt ließen.11 Nichts gegen die geradezu unglaubliche Kunstfertigkeit, welche Bergs Werk auszeichnet, das bereits in den zwanziger Jahren von sich als „aufgeschlossen“ gebenden Liberalen sowie manchen aus dem Expressionismus herkommenden oder dem Schönberg-Kreis angehörenden Modernismusfanatikern wie Oskar Bie, Karl Holl, Rudolf Schäfke, Walter Schrenk, Paul Stefan und Adolf Weißmann 154

Manfred Gurlitts Wozzeck (1926)

als geradezu „unüberbietbar“ hingestellt wurde.12 Und solche Lobeshymnen sind auch nach 1945 bis heute keineswegs verstummt. Dabei legte man den Hauptakzent meist auf die einmalig gelungene formale Perfektion dieses Werks, die sich allerdings, wie es manchmal einschränkend heißt, nur musikalisch geschulten Kennern wirklich erschließe. Was dieser Oper ihre alle anderen modernen Opern überragende „Größe“ gebe, behaupteten sie immer wieder, sei nicht der Text Büchners, sondern allein die Musik Bergs. Ja, manche gingen dabei so weit, Bergs Kunstwollen sowie die von ihm erreichte formale „Geschlossenheit“ über Büchners ästhetische Gestaltungsabsicht oder auch -fähigkeit zu stellen. Vor allem Theodor W. Adorno, der in den zwanziger Jahren bei Alban Berg Kompositionslehre studiert hatte, reihte deshalb Bergs Wozzeck immer wieder unter die wahrhaft gültigen Meisterwerke des 20. Jahrhunderts ein.13 Das gleiche tat Hans Heinz Stuckenschmidt, der Berg 1956 als einen „der größten Musikdramatiker aller Völker und Zeiten“ bezeichnete und seine Argumentation mit dem apodiktischen Statement beschloss: „Darüber gibt es heute keine Diskussion mehr.“14 Nicht minder enthusiastisch äußerte sich Pierre Boulez über dieses Werk, der ein Jahr später in einem Pamphlet gegen die zeitgenössische Oper erklärte, dass nach Bergs Wozzeck keine wirklich „neue Oper“ mehr komponiert worden sei, die „über Berg hinausgehe“.15 Solche Thesen, nämlich dass Alban Bergs Wozzeck alle anderen Opern des 20. Jahrhunderts in den Schatten stelle sowie dass dieses Werk selbst den Text Büchners weit hinter sich lasse, sollten ins Zukunft nicht kritiklos hingenommen werden. Schließlich handelt es sich bei Büchners Woyzeck um das erste bedeutsame Proletarierdrama der deutschen Literatur, von den sprachlichen Qualitäten dieses Dramas ganz zu schweigen. Was man daher im Hinblick auf Bergs Oper eher herausstellen sollte, wäre vor allem der nicht zu leugnende Widerspruch zwischen der Büchner’schen Textvorlage und der schönbergisierend-elitären Kompositionsweise Bergs, die in einem deutlichen Widerspruch zueinander stehen. Ja, was noch bedenklicher wirkt, ist das Faktum, dass Berg seine Wozzeck-Oper 155

„Wir arme Leut“

zutiefst nihilistisch enden ließ, statt ihr – im Sinne Büchners – einen gesellschaftspolitischen Appellcharakter zu geben. Unter dieser Perspektive betrachtet, ist zwar Gurlitts Wozzeck nicht die bedeutendere Oper, hat jedoch eine wesentlich größere gesellschaftliche Aussagekraft. In ihr geht es tatsächlich um die Leidensgeschichte der „armen Leut“ und nicht vornehmlich um eine Zurschaustellung all jener in den zwanziger Jahren als extrem modernistisch geltenden Kompositionsweisen, welche zwar innovativ, aber keineswegs progressiv gestimmt waren. Das soll nicht heißen, dass man heute nur noch Gurlitts Wozzeck und nicht auch den Wozzeck Bergs aufführen sollte. Genau besehen haben sich beide dieser Opern inzwischen „überlebt“. Einem elitären Hochkulturgenre wie der Oper weiterhin einen gesellschaftspolitischen Anstrich zu geben, wird im Zuge der immer stärker werdenden Wendung ins Massenmediale kaum noch möglich sein. Diese Funktion haben inzwischen ganz andere Kunstgattungen übernommen. Dennoch, trotz alledem sollten wir Werke, die in der Vergangenheit diesen Anspruch vertreten haben, nicht ganz übersehen. Schließlich hat die Leidensgeschichte der „armen Leut“ keineswegs an aktueller Relevanz verloren. Daher dürften auch die früheren Leidensgeschichten dieser Bevölkerungsschicht keineswegs vergessen werden. Schließlich liegt auch den Kämpfen der Vergangenheit ein Appellcharakter zugrunde, der alle historisch denkenden Menschen zu einem „Eingreifen“ in die gegenwärtigen gesellschaftlichen Konflikte bewegen sollte.

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Anpassung oder Widersetzlichkeit? Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935)

I

In der Entwicklung der sogenannten „Neuen Musik“, für die sich nach dem Ersten Weltkrieg viele der jüngeren wie auch älteren Komponisten der Weimarer Republik einzusetzen versuchten, nahm Hindemith von vornherein eine Sonderstellung ein. Ihm ging es nicht vornehmlich darum, den bisherigen Konzert- und Opernbetrieb mit modernistisch wirkenden Klängen „aufzufrischen“, sondern sich um eine völlig neuartige Funktion jener bisher als „höhergeartet“ geltenden Musik im Kulturleben der Gesamtbevölkerung zu bemühen, die eher ihren „Gebrauchscharakter“ als ihre bildungsbürgerliche Sonderstellung betonen sollte. Statt weiterhin der winzig kleinen Schicht der verwöhnten Kenner sowie der repräsentationsbedürftigen Mitglieder der gesellschaftlichen Oberschicht in den „heiligen Hallen“ exquisit dekorierter Konzertsäle oder Opernhäuser einen wohlgefälligen Ohrenschmaus zu bieten, wollte er alle Formen der Musik, ob nun der Ernsten oder E-Musik sowie der Unterhaltsamen oder U-Musik, in Ausdrucksmittel einer Allgemeinen oder A-Musik verwandeln, die von allen Schichten der Bevölkerung als relevant empfunden würde. Kurzum: Er reihte sich weder in die Clique jener Komponisten ein, die wie Richard Strauss oder Hans Pfitzner nach wie vor unbeirrt an den Stilmitteln der sogenannten spätromantischen Musik festhielten 157

Anpassung oder Widersetzlichkeit?

oder wie Arnold Schönberg durch betont modernistische Klangexperimente Aufsehen zu erregen suchten, noch schloss er sich wie Emmerich Kálmán, Franz Lehár oder Paul Lincke jenem Trend ins Sentimental-Operettenhafte an, der einen vorwiegend kommerziellen Charakter hatte, sondern bemühte sich, zwischen diesen verschiedenen Gruppierungen den Weg zu einer zwar neuartigen, aber zugleich sozialbetonten Musik einzuschlagen. Und für diese Bemühung war ihm jedes Mittel recht: ob nun als „Bürgerschreck“ gedachte Klangkonvulsionen im Sinne des Expressionismus wie seine frühen Operneinakter Mörder, Hoffnung der Frauen (1919) nach Oskar Kokoschka oder Sancta Susanna (1921) nach August Stramm, seine verhohnepipelnden Wagner-Parodien, seine Film- und Rundfunkkompositionen, seine Experimente mit elektronisch gesteuerten Musikapparaten wie dem Trautonium, seine Werke für die vorübergehend beliebten Welte-Mignon-Klaviere, seine Schul-, Jugend­und Laienmusikkompositionen, sein Revuesketch Hin und zurück (1927) für fünf Sänger, Bläsersextett, zwei Klaviere und Harmonium nach einer Vorlage des Kabarettisten Marcellus Schiffer, seine Zeitoper Neues vom Tage (1928) im Stile der Neuen Sachlichkeit, seine Lehrstückkompositionen auf Texte von Bertolt Brecht für die Baden-Badener Kammermusiktage zur Förderung zeitgenössischer Musik, seine Orchesterwerke im Stil vorbürgerlicher Aufführungsbedingungen (1926–1930), seine unzähligen Lieder, seine Zusammenarbeit mit Fritz Jöde im Rahmen der Singebewegung, seine Kinderoper Wir bauen eine Stadt (1930), sein Unterricht an der Volkshochschule in Berlin-Neukölln, seine Teilnahme am Plöner Musiktag (1932) und vieles andere mehr. All das machte Hindemith in den zwanziger Jahren unter ähnlich Gesinnten sowie lediglich an musikalischen Novitäten Interessierten schnell berühmt, stieß jedoch die weiterhin auf die „Größe“ der deutschen Musiktradition schwörenden Kreise sowie die nur auf modernistische Originalität bedachten Musikkritiker eher ab. Sowohl die nach wie vor nationalistisch eingestellten Musikliebhaber als auch die elitär-versnobten Connaisseurs sahen daher in Hindemiths zum 158

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935)

unmittelbaren „Gebrauch“ gedachter Kompositionsweise lediglich einen sie empörenden Bruch mit der anspruchsvollen Traditionsfolge von Schütz und Bach über Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Weber, Schumann bis hin zu Wagner und Brahms, die der deutschen Musik lange Zeit ihre unbezweifelte Weltgeltung verliehen habe, während ihm die hochgestochenen Modernisten zumeist eine opportunistische Anpassung an den sogenannten „Zeitgeist“, wenn nicht gar ein „Abgleiten“ ins Triviale vorwarfen. Doch von solchen Kritiken ließen sich die von Hindemith angesprochenen Schichten keineswegs beirren. Und so wurde bei vielen Aufführungen seiner Werke nicht nur gebuht, sondern auch begeistert getrampelt und geklatscht. Manche solcher Konzerte erwiesen sich deshalb zum Teil als vielkolportierte Sensationen, über die sich einige Kritiker – ob nun in Pro- oder Kontragesinnung – gar nicht genug erregen konnten, ja führten sogar dazu, dass ihn ein Sozialdemokrat wie Leo Kestenberg, der von den Arbeiterbildungsvereinen herkam und im Preußischen Kulturministerium die Musikabteilung des Zentralinstituts für Erziehung und Volksbildung leitete, im Jahr 1927 als Professor für Kompositionslehre an die Berliner Hochschule für Musik berief. Zugegeben, manche von Hindemiths Werken aus diesen Jahren wirken durchaus wie Zugeständnisse an den novitätsorientierten Zeitgeschmack, der sich in der Phase der sogenannten „relativen Stabilisierung innerhalb der politischen und sozioökonomischen Verhältnisse“ zwischen 1924 und 1930 in Form der Neuen Sachlichkeit auch auf anderen Ebenen des Kulturlebens der Weimarer Republik ausbreitete.1 Doch das war es nicht allein, was Hindemith damals bewegte. Selbst in manchen seiner eher schockierenden oder auch modisch wirkenden Kompositionen dieser Ära äußert sich letztlich, wie gesagt, das Bemühen, sogar die Ernste oder E-Musik größeren Schichten der Bevölkerung näherbringen, statt sich wie Schönberg und seine Anhänger mit ihrer gekünstelten Zwölftonmusik in elitärer Weise von den sogenannten „breiten Massen“ abzuwenden. Immer wieder betonte er, dass es ihm in seiner Musik vor allem um 159

Anpassung oder Widersetzlichkeit?

das Gemeinsame, ja Gemeinschaftliche gehe. Sogar im Hinblick auf seine eher anspruchsvollen Kammermusikwerke schrieb er daher ausdrücklich: „Diese Musik ist weder für das Konzertsaal noch für den Künstler geschrieben. Sie will Leuten, die zu ihrem eigenen Vergnügen singen und musizieren wollen, interessanter und neuzeitlicher Übungsstoff sein.“2 Ja, er reihte sich selber – im Gegensatz zu fast allen anderen Komponisten dieses Zeitraums – als praktizierender „Musikant“ ständig in musikalische Ensembles ein, zuerst in das Rebling-Quartett, dann das Amar-Quartett und schließlich mit Szymon Goldberg und Eduard Steuermann in ein Streichtrio. Später gab er als Bratschist oder Geiger sogar vielbeachtete Solokonzerte. Solange die Phase der sogenannten „relativen Stabilisierung“ der Weimarer Republik anhielt, hatte Hindemith im Rahmen all dieser Bemühungen durchaus Erfolge. Als es jedoch nach dem „Schwarzen Freitag“ von 1929 und der darauf einsetzenden Weltwirtschaftskrise zu einer massiven politischen Polarisierung der Weimarer Republik, das heißt zu einem sprunghaften Anwachsen der NSDAP sowie der KPD kam, sah er sich einer völlig neuen ideologischen Situation gegenüber, in der seine „demokratisch“ ausgerichteten Gemeinschaftsvorstellungen immer illusorischer wurden. Auf der einen Seite formierte sich der von Alfred Rosenberg ins Leben gerufene Kampfbund für deutsche Kultur, dem sich nicht nur eindeutig präfaschistisch gesinnte Kreise anschlossen, sondern mit dem sogar ein weltweit anerkannter Komponist wie Richard Strauss zu sympathisieren begann, auf der anderen kam es zu der von Hanns Eisler propagierten Roten Kampfmusik, die sich vor allem an das von der KPD umworbene „klassenbewusste Proletariat“ wandte, wodurch die von Hindemith angestrebten Bemühungen um eine eher liberal und zugleich gemeinschaftsbetonte „Neue Musik“ zusehends illusorischer erschienen. Im Zuge dieser Entwicklung distanzierte sich Hindemith sowohl von den präfaschistischen Musikkonzepten der Rosenberg-Anhänger als auch der kommunistischen Wendung Eislers und Brechts und sympathisierte – ideologisch verunsichert – vorübergehend mit einer ins Zeitlos-Mythologische ausweichenden Gesinnung. Dafür spricht vor 160

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935)

allem sein Oratorium Das Unaufhörliche von 1931, zu dem ihm Gottfried Benn die Textvorlage geschrieben hatte, das jedoch im Tumult der politischen Auseinandersetzungen relativ unbeachtet blieb. Doch was nun? Wo gab es für ihn zu diesem Zeitpunkt noch Gruppen, mit denen er weiterhin in seinem Sinne „musizieren“ konnte? Otto Klemperers Kroll-Oper, wo 1928 seine Oper Neues vom Tage uraufgeführt worden war, musste ihre Tore schließen. Leo Kestenberg wurde 1932 aus seinem Amt entfernt, die Kammerorchester lösten sich auf, die Singebewegung tendierte zusehends nach rechts, kurzum: Überall drängten sich stattdessen die SA-Kohorten mit ihrem Horst-WesselLied in den Vordergrund, dem eine zum Endsieg über alle nichtfaschistischen Gruppierungen entschiedene Gesinnung zugrunde lag. Wie sollte sich Hindemith angesichts dieser Situation verhalten? Er war zwar weder Jude noch Kommunist, gegen welche sich die Hauptwut der braunen Horden wandte, galt aber bei vielen NS-Vertretern wegen seiner neutönerischen Musik als ebenso „undeutsch“, das heißt als ein exponierter Vertreter jener „artvergessenen Systemzeit“, wie die Nazifaschisten die Weimarer Republik bezeichneten, der sich von der glorreichen deutschen Musik des klassisch-romantischen Zeitalters zugunsten einer seelenlosen „Geräuschmusik“ abgewandt hätte, die ebenso „entartet“ wie die seiner jüdischen oder linksorientierten Zeitgenossen sei. Von einigen Anhängern der älteren „völkischen“ Bewegung sowie militanten Präfaschisten wurde daher auch Hindemith als „kulturbolschewistisch“ eingestuft oder wegen seiner Zusammenarbeit mit Szymon Goldberg, Leo Kestenberg, Otto Klemperer und Eduard Steuermann als „jüdisch versippt“ angegriffen. Derartige Anpöbeleien verunsicherten Hindemith zwar vorübergehend, bewegten ihn aber nicht zu Gegenangriffen, da er wie viele Antifaschisten, darunter selbst Bertolt Brecht und Heinrich Mann, relativ gelassen hoffte, dass der „braune Spuk“ nur von kurzer Dauer sein würde. Selbst als der Reichspräsident Paul von Hindenburg auf Drängen der Großindustriellen und Großagrarier, die wie schon nach der Novemberrevolution von 1918 eine erneute „Bolschewisierung“ Deutschlands befürchteten, Hitler und seiner NSDAP am 30. Januar 161

Anpassung oder Widersetzlichkeit?

1933 die Macht übergab, änderte sich an seiner Haltung nicht viel. Schließlich wurde er im Gegensatz zu anderen, meist jüdischen oder linksorientierten Komponisten und Dirigenten nicht vertrieben, sondern blieb weiterhin Professor an der Berliner Hochschule für Musik, erfreute sich der Unterstützung Wilhelm Furtwänglers und des Mainzer Schott-Verlags, ja hatte sogar Freunde oder zumindest Sympathisanten innerhalb der NSDAP, die den gemeinschaftsbezogenen Charakter seiner Musik durchaus zu schätzen wussten. Doch welche Art von Werken sollte er jetzt – angesichts der alle Sparten des Kulturlebens betreffenden ideologischen Umbruchsituation – in Angriff nehmen? Etwa Militärmärsche, SA-Lieder, völkisch gesinnte Oratorien oder Interludien für die parteiamtlichen Thingspiele? Eine derartige Festlegung erschien ihm von vornherein zu eng. Schließlich empfand er sich zwar als „Deutscher“, aber nicht als antisemitisch eingestellter Arierfanatiker, dem es vornehmlich darum ging, an einer „völkischen Gesundung“ Deutschlands mit imperialistischen Zielsetzungen mitzuwirken. Daher lehnte er selbst ein Angebot Robert Leys, des Leiters der NS-Organisation Kraft durch Freude, die sich ebenfalls zu gemeinschaftsbetonten Idealen bekannte, sich an ihren Bestrebungen zu beteiligen, in aller Entschiedenheit ab. Wofür sich Hindemith stattdessen entschloss, war, eine großangelegte Oper zu komponieren, in der er seine eigenen Anschauungen über ein sinnvolles Verhältnis eines Künstlers zu den „breiten Massen“ des Volkes thematisieren wollte. Das Ergebnis dieser verantwortungsbewussten Selbstfindung im Strudel der sich überstürzenden politischen Verhältnisse war die zwischen 1933 und 1935 komponierte Oper Mathis der Maler. II

Da Hindemith nach dem 30. Januar 1933 viele seiner bisherigen Wirkungsmöglichkeiten einbüßte und er sich zusehends auf sich selbst zurückgeworfen sah, musste die von ihm ins Auge gefasste Oper notwendig ein persönliches Bekenntniswerk werden. Doch welcher 162

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935)

Stoff eignete sich für ein derartiges Projekt? Ein „zeitnahes“ Thema zu wählen, erschien ihm von vornherein zu riskant. Schließlich wäre damit eine eindeutige Stellungnahme zu den inzwischen eingetretenen politischen Verhältnissen verbunden gewesen. Also wich er wie so viele Vertreter der Inneren Emigration der dreißiger Jahre lieber ins Geschichtliche aus. Doch auch das war nicht unproblematisch, da selbst die meisten historischen Stoffe von den Nazifaschisten bereits in ihrem Sinne mit eindeutig positiven oder ebenso eindeutig negativen Akzenten versehen waren. Wo ließ sich also im Verlauf der deutschen Geschichte eine politische Konstellation finden, fragte sich Hindemith, in der einem Künstler die Entscheidung aufgezwungen wurde, sich entweder den Herrschenden zu unterwerfen, die Partei des unterdrückten Volkes zu ergreifen oder weiterhin unbeirrt an der Vollendung seiner Werke zu arbeiten, ohne mit einer solchen Oper den Zorn der braunen Machthaber zu erregen? Nach einigen Überlegungen erschien ihm dafür die turbulente Umbruchszeit des frühen 16. Jahrhunderts, das heißt die Ära der Bauernkriege, der lutherischen Reformbemühungen sowie die Haltung der damaligen Fürsten diesen beiden Phänomenen gegenüber die sinnfälligste Parallele zu den zwischen 1930 und 1933 eingetretenen Verhältnissen zu bieten. Als Hauptfigur fasste er dabei den Maler Mathis Gothart Nithart, genannt Grünewald ins Auge. Schließlich war Grünewald damals ebenfalls vor die Entscheidung gestellt worden, entweder weiterhin als Hofmaler im Dienste des Erzbischofs von Mainz tätig zu bleiben, sich den rebellischen Bauern anzuschließen oder sich als Eremit von den politischen Auseinandersetzungen abzuwenden und sich nur noch seiner Kunst zu widmen. Eine solche Konstellation schien Hindemith noch am ehesten geeignet, um den ihn bedrängenden Fragen nach der Funktion von Kunst in politisch erregenden Zeiten nachzugehen. Da Hindemith diese Problemstellung für ihn als Künstler und politisch denkenden Menschen nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten plötzlich als die einzig wichtige erschien, entschloss er sich, die Textvorlage zu seiner Mathis-Oper nicht irgendeinem Schreiberling 163

Anpassung oder Widersetzlichkeit?

zu überlassen, sondern das Libretto zu dieser Oper selbst zu verfassen, um damit dem Ganzen den Charakter eines eigenwilligen Bekenntniswerks zu geben, in dem er – trotz der allegorischen Übersetzung ins Historische – den Weg seiner eigenen Selbstfindung innerhalb der inzwischen eingetretenen politischen Umbruchszeit darzustellen hoffte. Und zwar zog er dabei von Anfang 1933 bis Mitte 1934 eine Fülle wissenschaftlicher Schriften zu den Bauernkriegen, den lutherischen Reformbestrebungen sowie dem Leben und Schaffen Grünewalds zu Rate, um dem Ganzen einen möglichst „konkreten“ Anstrich zu geben. Immer wieder setzte er in insgesamt sechs Entwürfen zu einer neuen Szenenfolge an,3 ja zog sogar zeitweilig – neben dem Maler Mathis, dem Erzbischof von Mainz und dem Bauernführer Hans Schwalb – sogar die Figur Martin Luthers in den Handlungsverlauf ein, um die von ihm ins Auge gefasste Problemstellung so ideologisch bedeutsam wie nur möglich herauszustellen. Wofür sich Hindemith letztlich entschied, war eine Szenenfolge in sieben Bildern mit jeweils mehreren Auftritten. Das erste Bild spielt im Klosterhof der Antoniter in Isenheim, wo Mathis gerade die Wände des Kreuzgangs mit religiösen Szenen bemalt, als plötzlich der von den fürstlichen Einsatzgruppen verfolgte Hans Schwalb, ein Anführer der aufständischen Bauern, hereinstürzt, dem Mathis zur Flucht verhilft, um ihn vor seinen Häschern zu retten. Als ihn diese zur Rede stellen, bekennt er sich in aller Offenheit zu seiner Tat. Im zweiten Bild, in dem Mathis weiterhin an seiner Sympathie für die aufständischen Bauern festhält, entlässt ihn darauf der Erzbischof von Mainz aus seinem Dienst. Im dritten Bild verbrennen die Papisten die ihnen als Teufelswerke erscheinenden lutherischen Schriften. Im vierten Bild sieht Mathis, wie die aufständischen Bauern erst die Burg des Grafen von Helfenstein verwüsten und dann von ihren Verfolgern rücksichtslos niedergemetzelt werden. Auch Mathis gerät in Gefahr, von gnadenlos dreinschlagenden Landsknechten umgebracht zu werden, kommt aber auf Einspruch der Gräfin von Helfenstein mit dem Leben davon und flieht. Im fünften Bild weigert sich der Mainzer Erzbischof, eine ihm von Luther im Jahr 1525 empfohlene 164

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935)

Ehe einzugehen und entscheidet sich, nach wie vor dem „alten Glauben“ treu zu bleiben. Im sechsten Bild befindet sich Mathis auf der Flucht im Odenwald und erlebt in ihn bestürzenden Halluzinationen die „Versuchung des heiligen Antonius“. Im siebten Bild hat Mathis seinen Isenheimer Altar vollendet und will den Rest seines Lebens als Eremit in der Einsamkeit beschließen. So viel erst einmal in reduzierter Vereinfachung zum Handlungsablauf dieser Oper. Wie zu erwarten, hat sich Hindemith – angesichts der nach 1933 einsetzenden Antipathiewelle gegen sein Schaffen – über die ideologische Grundhaltung, die diesem Libretto zugrunde liegt, sowohl privat als auch öffentlich kaum geäußert. Doch eins steht wohl unumstößlich fest. Er wollte mit dieser Szenenfolge die Gutwilligen unter den neuen Machthabern keineswegs verstören oder gar schockieren. Er versuchte lediglich, sich zu einem „Kunstwollen“ zu bekennen, das selbst in Zeiten politischer Wirren keineswegs jene hochgesteckten, ins Überzeitliche tendierenden Zielsetzungen aus dem Auge verliert, die aller großen Kunst ihren einsamen Rang verleihen. Und er wählte hierfür einen Künstler, welcher trotz aller äußeren Bedrängnisse nie den gemeinschaftsbezogenen Charakter seines Schaffens vergisst, so wie sich auch Hindemith schon in manchen seiner Werke der späten zwanziger Jahren für eine sozialverpflichtete Kunst eingesetzt hatte, um sich damit von den modernistisch-elitären Kompositionen seiner Frühzeit zu distanzieren, in denen er in expressionistischer Manier lediglich mit ungewohnten, als Bürgerschreck gedachten Klanggebilden aufgetrumpft hatte. In einer späteren „Einführung“ zu dieser Oper schrieb er daher zwar höchst verhalten, aber doch deutlich genug, dass es ihm in diesem Werk vor allem darum gegangen sei, einen Künstler darzustellen, der zu „Beginn des 16. Jahrhunderts“ mit seiner „zweifelnden, suchenden Seele“ den „Einbruch einer neuen Zeit mit ihrem unvermeidlichen Umsturz der bisher geltenden Anschauungen“ erlebt habe und der trotz seines Neuerertums, wie später Johann Sebastian Bach, im Strom des künstlerischen „Fortschritts“ ein hartnäckiger „Bewahrer“ älterer Traditionen geblieben sei.4 In der im frühen 165

Anpassung oder Widersetzlichkeit?

16. Jahrhundert „gewaltig arbeitenden Maschinerie des Staates und der Kirche“, betonte Hindemith im Folgenden höchst bezeichnend, habe Grünewald „dem Drucke dieser Mächte wohl standgehalten“, ja nicht gezögert, auf seinen Bildern darzustellen, wie ihn die „wildbewegten Zeitläufe mit all ihrem Elend, ihren Krankheiten und Kriegen erschüttert“ hätten.5 Noch historisch verschlüsselter und doch zugleich zeitbezogener hätte sich Hindemith nach den auch ihn „erschütternden“ Ereignissen des Ersten Weltkriegs, den turbulenten Jahren der Weimarer Republik sowie der Machtübergabe an die Nazifaschisten im Jahr 1933 kaum ausdrücken können. Schließlich empfand sich auch er bei der Niederschrift dieses Librettos und der darauffolgenden Komposition seiner Mathis-Oper als ein Neuerer und zugleich Bewahrer, der sich aufs Engste mit dem ihn umgebenden deutschen Volk und seinen Kulturtraditionen verbunden fühlte. Und das wollte er in diesem Werk – angesichts der nazifaschistischen Verfälschungen der deutschen Geschichte und Kultur ins Rassistische und Militaristisch-Imperiale – so allegorisch verschleiert und doch so eindeutig wie nur möglich zum Ausdruck bringen, wobei er hoffte, unter den im Dritten Reich gebliebenen Künstlern und Musikfreunden genug Gesinnungsgenossen zu finden. Um das zu erreichen, vermied Hindemith sowohl bei der Niederschrift des Librettos als auch bei der musikalischen Formgebung seines Mathis alles, was den Anschein des von vielen engstirnigen Kulturfunktionären des NS-Regimes abgelehnten „Modernismus“ der zwanziger Jahre erwecken könnte und orientierte sich bei seinem Schaffensprozess – ohne dabei ganz auf sein Neuerertum zu verzichten – an jenem „Bewährten“, das er wie auch andere Komponisten der Weimarer Republik nie ganz verleugnet hatte. In seinem Libretto äußert sich das vor allem in jenen Redewendungen, die an die Oden Friedrich Hölderlins gemahnen, von dem er zu diesem Zeitpunkt auch einige Lieder vertonte. Ebenso traditionsbewusst wirkt die Musik seiner Mathis-Oper, die nicht nur auf „freier Erfindung“ beruht, sondern auch eine Reihe „alter Volkslieder, Streitgesänge aus 166

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935)

der Reformationszeit sowie gregorianischer Choräle“ verarbeitet, wie Hindemith selber zugab.6 All das hätte also den sogenannten Gutwilligen unter den nazifaschistischen Musikkritikern durchaus zusagen oder gar gefallen müssen. Man fragt sich daher unwillkürlich, warum diese Oper, obwohl sich der von ihnen anfangs hochgeschätzte Dirigent Wilhelm Furtwängler dafür nachdrücklich einsetzte, im Jahr 1935 nicht aufgeführt werden konnte. Hing das mit Hindemiths kompositorischer Vergangenheit, seiner sich manchmal eigenwillig gebenden Persönlichkeit oder mit den in seiner Mathis-Oper aufgegriffenen Themenstellungen zusammen? Doch bevor darauf eingegangen werden soll, noch kurz einige Bemerkungen zu der Frage, welche Rolle spielten denn der Maler Grünewald, die lutherische Reformbewegung sowie die Bauernkriege in der NS-Ideologie? Mussten ihre Vertreter Hindemiths Anschauungen in dieser Hinsicht empörend finden oder stimmten sie in der Einschätzung dieser Problemumkreise mit ihm weitgehend überein? III

Um es gleich vorwegzunehmen: Inhaltlich hatten sie an dieser Oper – von der resignierend wirkenden Schlussszene einmal abgesehen – kaum etwas auszusetzen. Sowohl sprachlich als auch musikalisch passte dieses Werk an sich durchaus in ihre Vorstellung einer wahrhaft deutschen Oper. Schließlich schätzten auch die NS-Ideologen Hölderlin und Bach als hochbedeutsame Repräsentanten der deutschen Kulturtradition. Und auch in Mathis Gothart Nithart, genannt Grünewald, sahen sie wie Hindemith einen der wichtigsten Vertreter der altdeutschen Malerei. Dafür spricht unter anderem, dass ihn Wilhelm Pinder, der damalige Doyen der deutschen Kunstgeschichte, in seinem Buch Die deutsche Kunst der Dürerzeit (1940) mit überschwänglichen Worten als „eine völlig einmalige, so auf der Welt nie wiederkehrende Seele“ charakterisierte,7 der sich ohne Zögern „auf die Seite der Bauern“ gestellt habe und der als eigenwilliger Maler sogar Dürer übertreffe.8 167

Anpassung oder Widersetzlichkeit?

An der Figur Grünewald kann es also nicht gelegen haben, dass diese Oper 1935 nicht aufgeführt wurde. Und auch Hindemiths Darstellung der Religionskonflikte des frühen 16. Jahrhunderts stimmt weitgehend mit den Anschauungen der NS-Machthaber und ihrer ideologischen Helfershelfer überein. Wie sie vermied selbst er, in dieser Hinsicht eindeutig Partei zu ergreifen. Sowohl Albrecht von Brandenburg, der halbwegs humanistisch gesinnte Erzbischof von Mainz, als auch der Protestant Riedinger und dessen Tochter Ursula haben bei ihm durchaus positive Züge, anstatt den einen als Papisten zu verteufeln und die anderen lediglich als Vertreter eines protestantischen Fortschrittsgeists zu charakterisieren. Alle drei sind letztlich Deutsche, welche von den gleichen guten Absichten beseelt sind. Nicht viel anders verhielten sich die Vertreter des NS-Regimes zu diesem Zeitpunkt, die durchaus bemüht waren, zum Wohle des von ihnen begründeten Dritten Reichs mit beiden Konfessionen zu kooperieren, um damit mögliche innenpolitische Konflikte zu vermeiden. Ja, sogar in ihrer ideologischen Beurteilung der Bauernaufstände des frühen 16. Jahrhunderts stimmten Hindemith und die meisten Historiker der dreißiger Jahre in vieler Hinsicht überein. Statt diese Aufstände à la Friedrich Engels im Sinne linksorientierter Ideologien eindeutig positiv, das heißt als die erste wahrhaft „deutsche Revolution“ zu bewerten, betonten beide – wenn auch mit verschiedener Gewichtigkeit – das durchaus Zwielichtige dieser Aufstände. Hindemith ging es dabei vor allem darum, das zwar Gerechtfertigte dieser Rebellion herauszustellen, aber wie Martin Luther und Philipp Melanchthon zugleich ihre Exzesse zu verdammen, ohne dabei auf das grundsätzliche Problem einzugehen, ob bei Aufständen dieser Art solche gewaltsamen Auswüchse nicht letztlich unvermeidbar gewesen seien. Im Hinblick auf die NS-Einschätzung der Bauernkriege sei in diesem Zusammenhang lediglich auf das Buch Die große Wendung im deutschen Bauernkrieg (1939) von Adolf Waas verwiesen, in dem einerseits – unter Berufung auf Wilhelm Borées Psychologie des Bauerntums (1935) – im Sinne der nazifaschistischen Blut-und-Boden­ Ideologie vornehmlich der Gerechtigkeitssinn des „bäuerlichen 168

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935)

Denkens“ herausgestrichen wird, der „stets eine besondere Kraft hatte und auch heute noch hat“, welcher jedoch andererseits im frühen 16. Jahrhundert zu einer „zerstörerischen Umsturzbewegung“ geführt habe,9 wodurch die Gefahr einer totalen Zersplitterung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation entstanden sei, die lediglich durch das autoritäre Eingreifen der Fürsten verhindert worden sei und so zu einer neuen, innerlich gefestigten Staatenbildung geführt habe. Und damit glaubte Waas im Sinne des NS-Regimes, sowohl der „Urkraft“ des deutschen Bauerntums gerecht geworden zu sein als auch die Notwendigkeit staatlicher Organisierungsprinzipien herausgestrichen zu haben. Derartige Rechtfertigungsstrategien lagen Hindemith von vornherein fern. Ihm ging es weder um die „Urkraft“ der Bauern noch um eine innerlich gefestigte und zugleich national ausgerichtete Staatsgesinnung. Seine Bauern sind lediglich geschundene, bis aufs Hemd ausgebeutete Kreaturen und sein Fürstbischof von Mainz ist weder deutschbewusst noch herrschsüchtig, ja entschließt sich gegen Ende von Hindemiths Mathis-Oper sogar, sich als Eremit in eine ländliche Klause zurückzuziehen. Und auch Mathis kommt am Schluss, nachdem er seinen großen Altar vollendet hat, zu der Einsicht, dass es besser sei, sich aus den Wirren der Zeit herauszuhalten und Einsiedler zu werden, statt sich den Resten der weiter kämpfenden Bauern anzuschließen oder wieder staatlich angestellter Hofmaler zu werden. Mit anderen Worten: Er stellt sich weder wie der Maler Jörg Ratgeb auf die Seite der Aufständischen, der dafür 1526 in Pforzheim von den landesherrlichen Henkern gevierteilt wurde, noch entscheidet er sich wie Lucas Cranach, ein angesehener Maler im Dienste des lutherisch gesinnten Fürsten Friedrich der Weise von Sachsen zu werden, sondern wählt – in Anbetracht der noch unentschiedenen politischen Wirren – lieber den Weg in die Einsamkeit. Dass diese Haltung durchaus der Situation Hindemiths in den Jahren zwischen 1933 und 1935 entsprach, liegt auf der Hand. Auch er wollte als Systemgegner nicht unterdrückt werden oder sich rückhaltlos den neuen Lehren der Nazifaschisten anschließen, sondern 169

Anpassung oder Widersetzlichkeit?

wählte lieber den ihm ratsam erscheinenden Ausweg in eine abwartende Zuschauerhaltung, bis sich herausstellen würde, welche Fraktion innerhalb des NS-Kulturbetriebs die Oberhand bekommen würde: die Gruppe der sogenannten Gutwilligen oder die der rücksichtslos verbohrten Fanatiker. So gesehen, lassen sich die letzten Szenen seiner Mathis-Oper, wie gesagt, am besten als ein zeitweiliger Rückzug in eine Art innerer Emigration deuten, welcher die Engstirnigen unter den NS-Kulturfunktionären notwendigerweise zum Widerspruch herausfordern musste. Doch es waren nicht allein diese letzten, auf den Ton einer abwartenden Resignation gestimmten Szenen, die dazu führten, dass 1935 die von Wilhelm Furtwängler geplante Uraufführung von Hindemiths Mathis der Maler an der Berliner Staatsoper nicht zustande kam. Dazu trug noch eine Reihe anderer Umstände bei, die zwar relativ bekannt sind, aber auf die auch in diesem Zusammenhang noch einmal eingegangen werden soll, um auf das Illusorische von Hindemiths Hoffnung hinzuweisen, mit seinem Mathis der Maler „d i e deutsche Oper“ schaffen zu wollen,10 welche selbst die NSFührungsschichten von seinem geschichtsbewussten und zugleich volksverbundenen Anschauungen überzeugen sollte. IV

Obwohl schon kurz nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten die Hälfte von Hindemiths Werken von den Anhängern der Rosenberg’schen NS-Kulturgemeinde als „kulturbolschewistisch“ eingestuft wurde, reagierte er anfangs auf solche Maßnahmen, die er als vorübergehende Forciertheiten empfand, mit äußerster Gelassenheit. Schließlich hatte er sich selbst – spätestens seit seinem Oratorium Das Unaufhörliche und dem Plöner Musiktag – sowohl inhaltlich als auch musikalisch von den expressionistischen und neusachlichen Werken seiner Frühzeit abgewandt und sich zu einem eher traditionsbewussten Kunstwollen entschlossen. Daher bezog er erst einmal, wie gesagt, eine Abwartehaltung. „Nach allem, was hier vorgeht“, 170

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935)

schrieb er dementsprechend am 15. April 1933 an seinen Verleger Wilhelm Strecker in Mainz, „glaube ich, daß wir keinerlei Grund haben, mit Sorgen in die musikalische Zukunft zu sehen. Nur die nächsten Wochen muß man vorübergehen lassen.“11 Trotz weiterer Verbote und anderweitiger Schikanen machte sich Hindemith deshalb schon zwei Monate später mit der festen Absicht, in Deutschland zu bleiben, und darauf hoffend, nach den ersten „Säuberungen“ doch von den neuen Machthabern als Komponist anerkannt zu werden, an sein Mathis-Projekt, in dem es um die „Parallele der damaligen Zeit mit der unsrigen und vor allem um ein einsames Künstlerschicksal“ gehen solle, wie Ludwig Strecker nach einem Gespräch mit Hindemith voller Begeisterung an seinen Bruder Wilhelm schrieb.12 Ja, zwischen Dezember 1933 und Februar 1934 komponierte Hindemith bereits eine dreisätzige Mathis-der-Maler-Symphonie, in der er sich um die musikalische Ausdeutung der Bilder Engelskonzert, Grablegung und Die Versuchung des heiligen Antonius des Grünewald’schen Isenheimer Altars bemühte. Da sich ihre Uraufführung am 12. März 1934 durch Wilhelm Furtwängler und den Berliner Philharmonikern unvermuteterweise als ein spektakulärer Erfolg erwies, der sogar einige nazifaschistische Musikkritiker zutiefst beeindruckte,13 glaubte Hindemith, dass auch seine Mathis-Oper, an deren Textherstellung und Komposition er bis zum Sommer 1935 arbeitete, sicher ebenso glatt über die Bühne gehen würde. Doch genau das Gegenteil trat ein. Die Angriffe gegen ihn und seine Werke nahmen von Seiten derer, die ihm sowohl einen irreführenden Modernismus als auch eine „jüdische Versipptheit“ vorwarfen, im Laufe des Jahres 1934 eher zu als ab. Schon im Februar 1934 bezichtigte ihn Friedrich Welter in der Zeitschrift Die Musik unter dem Titel Hindemith. Eine kulturpolitische Betrachtung, der gleichen „unreinen Gesinnung“ zu huldigen, die auch für Autoren wie Lion Feuchtwanger, Thomas Mann und Stefan Zweig typisch sei, deren Werke die „deutsche Studentenschaft“ im Mai 1933 zu Recht verbrannt hätten.14 Und auch an anderen Schmähschriften dieser Art war in den folgenden Monaten kein Mangel.15 Lediglich Wilhelm Furtwängler 171

Anpassung oder Widersetzlichkeit?

bekannte sich weiterhin zu ihm und erklärte in seinem Beitrag Der Fall Hindemith, den er am 25. November 1934 in der Deutschen Allgemeinen Zeitung einrücken ließ, in aller Entschiedenheit: „Sicher ist, daß für die Geltung deutscher Musik in der Welt keiner der jungen Generation mehr getan hat als Hindemith.“ Ja, er fügte diesem provozierenden Bekenntnis sogar noch den die Führungsclique des NS-Regimes ebenso aufreizenden Satz an: „Wir können es uns nicht leisten, angesichts der auf der ganzen Welt herrschenden unsäglichen Armut an wahrhaft produktiven Musikern, auf einen Mann wie Hindemith so ohne weiteres zu verzichten.“16 Und dieser Zeitungsartikel brachte das seit Anfang 1933 bereits brodelnde Fass endlich zum Überlaufen. Nicht nur der unentwegt auf eine „nordische“ Gesinnungsreinheit pochende Alfred Rosenberg griff ihn an, selbst der sich bis dahin eher „großherzig“ verhaltende Joseph Goebbels verhöhnte ihn in einer Sportpalastrede als einen „atonalen Geräuschemacher“.17 Ja, sogar Hitler, den bereits 1929 die Szene mit der nackten Diva in Hindemiths Oper Neues vom Tage schockiert hatte, wandte sich gegen ihn. Von einer Uraufführung von Hindemiths Mathis der Maler, die für 1935 vorgesehen war, konnte danach keine Rede mehr sein. Aus Protest gegen all diese Vorgänge legte daraufhin Furtwängler sowohl sein Amt als Staatsoperndirektor als auch als Dirigent der Berliner Philharmoniker nieder und zog sich in die gleiche Abwartehaltung wie Hindemith zurück. Dennoch blieben beide „Deutsche“, wenn auch „Deutsche auf Widerruf“, die zwar an den besten Traditionen der deutschen Musik festzuhalten versuchten, aber sich gegen ihre nazifaschistische Korrumpierung ins Chauvinistische zu wehren versuchten. Während sich jedoch Furtwängler in der Folgezeit zu einer widerwilligen Kompromissbereitschaft mit dem dort herrschenden Regime entschloss, gab Hindemith, als im Jahr 1936 von den dortigen Behörden ein grundsätzliches Verbot seiner Werke verordnet wurde, sein Amt als Kompositionslehrer an der Berliner Hochschule für Musik endgültig auf. Und so erlebte seine Mathis-Oper ihre Uraufführung nicht in Berlin, sondern seltsamerweise mit ausdrücklicher Genehmigung 172

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935)

der Reichsmusikkammer erst am 28. Mai 1938 im Stadttheater in Zürich. Doch das allein genügte Hindemith nicht. Da er im Dritten Reich keine Wirkungsmöglichkeiten mehr sah, entschloss er sich im September 1938, nicht wieder nach Deutschland zurückzukehren, sondern im Exil zu bleiben. Die deutsche Erstaufführung seiner Mathis-Oper konnte daher erst nach dem katastrophalen Zusammenbruch des Dritten Reichs am 13. Dezember 1946 an der Stuttgarter Staatsoper erfolgen.

173

Vom Biblischen Weg (1927) zum Survivor of Warsaw (1947) Arnold Schönbergs zionistische Wende

I

Als Schönberg 1925 auf Betreiben von Leo Kestenberg als Kompositionslehrer an die Preußische Akademie der Künste in Berlin berufen wurde,1 galt er in den an E-Musik interessierten Kreisen als der weitaus exponierteste Vertreter jener dodekaphonischen Kompositionen, die selbst manche mit den modernistisch-elitären Strömungen innerhalb des Musiklebens der zwanziger Jahre sympathisierenden Kritiker wegen ihrer ins Bizarre übergehenden Tonfolgen als intellektualistisch-verschoben und dementsprechend „schwerverständlich“ empfanden. Ja nicht nur das, die nationalistisch eingestellten Kritiker, welche in der Musik die eigentliche „Ars sacra“ aller deutschen Kunstbemühungen sahen, griffen ihn bereits zu diesem Zeitpunkt als den Hauptvertreter jener Strömungen an, die ihnen als undeutsch, unarisch, semitisch oder gar asiatisch erschienen.2 Und dadurch galt sein Œuvre in diesen Kreisen, selbst wenn es in vielem lediglich jener neuen „Geistigkeit“ entsprach, die Wassily Kandinsky und Franz Marc 1912 im Blauen Reiter verkündet hatten, schon damals und nicht erst 1933 als ein Politikum, bei dessen rabiater Verdammung es nicht allein um das Ungewohnte seiner Tonsprache, sondern auch um eindeutig antisemitische Vorurteile ging, indem man auf traditionsbewusster 174

Arnold Schönbergs zionistische Wende

Seite das Antiromantische, Kalte, Berechnende seiner Musik als kabbalistisch-ausgeklügelt und damit artfremd hinstellte, das im totalen Gegensatz zum Hauptstrom der deutschen Musikentwicklung stehe. Schönberg hat auf derartige Angriffe bis 1933 auf dreierlei Weise reagiert: 1. durch ideologische Anpassung, 2. durch ästhetizistische Absonderung und 3. durch strikte Geheimhaltung seines Interesses an spezifisch jüdischen Fragen. Zu Punkt 1: Die ideologische Anpassung, ja Assimilation kam seiner „konservativen“ Natur, von der er so gern sprach, in manchem durchaus entgegen. Schließlich hatte er als akademisch orientierter Brahmsianer und nicht als neutönerisch gesinnter Wagnerianer begonnen, war 1898 in Wien vom jüdischen Glauben zum Protestantismus übergetreten, hatte sich im Ersten Weltkrieg ausgesprochen obrigkeitshörig verhalten und war in der Weimarer Republik nicht sofort zu den Vernunftrepublikanern oder gar Linken übergelaufen, sondern hatte sich weiterhin zu einer system­ immanenten Gesinnung bekannt, hätte also den ihn verdammenden Status-quo-Vertretern, falls er nicht jüdisch gewesen wäre, ideologisch durchaus akzeptabel, wenn nicht gar sympathisch sein müssen. Zu Punkt 2: Auch die ästhetizistische Absonderung, die in manchem seiner Defensivhaltung gegen die massenmediale Korrumpierung der Musik entsprang, verstieß nicht gegen irgendwelche nationalistischen Vorurteile. Allerdings regte sie Schönberg schon früh zur Gründung eines Vereins für musikalische Privataufführungen an, bei dessen Konzerten er fast nur eigene Werke oder die seiner Schüler aufführen ließ, ja verführte ihn im Laufe der Jahre immer stärker, in sich einen genialen Außenseiter zu sehen und sich von einer erlesenen Schar ihm treu ergebener Jünger ständig beweihräuchern zu lassen. Obwohl diese Haltung auf gewisse Tendenzen der L’art-pour-l’artBewegung um 1900, den Wiener Sezessionismus und ähnliche Phänomene zurückging,3 nahm sie bei ihm wesentlich schärfere Formen an, da sich diese Geniepose bei Schönberg zugleich mit dem Gefühl verband, ein jüdischer Außenseiter zu sein, der sich im Gegensatz zu den in der deutschen Tradition verankerten Kreisen als bewusst „avantgardistisch“ verstand. Allerdings ließ er dabei nie durchblicken, 175

Vom Biblischen Weg (1927) zum Survivor of Warsaw (1947)

für wen dieser Avantgardismus letztlich eintrat. Das Ergebnis dieser Haltung war daher zwangsläufig ein relativ entleerter Progressionsfetischismus,4 der sich zwar als Fortschritt in der Behandlung des musikalischen Materials begriff, aber – genauer besehen – das Neue rein um des Neuen willen akzentuierte. Dementsprechend notierte sich Schönberg unter dem anspruchsvollen Titel Neue Musik – Meine Musik kurz vor 1930: „Das Neue in der Musik wird zuerst im sogenannten Technischen wahrnehmbar, nicht aber im Gedanklichen.“5 Und so tendierte seine Musik dieser Jahre, die sich jeder nachweisbaren ideologischen Implikationen enthielt, notwendigerweise ins Technizistische, Esoterische, ja Außergesellschaftliche. In ästhetizistischer Absonderung wollte sie nur Musik, nur Kunststück, nur geordnetes Material, nur „L’art pour l’art“ sein und sperrte sich stolz gegen jedwede „Indienstnahme“, wie Theodor W. Adorno das später genannt hat.6 Denn auf all das, was Schönberg in diesem Zeitraum menschlich und politisch wirklich bewegte, und damit kommen wir zu Punkt 3, nämlich den ihn maßlos empörenden Antisemitismus seiner Umwelt, wollte er weder direkt, das heißt publizistisch noch indirekt, das heißt künstlerisch reagieren, um seine Gegner nicht noch offener herauszufordern. Obwohl sein privates Hauptinteresse schon damals jüdischen Fragen galt,7 blieb er nach außen weiterhin der strenge Künstler, der nur dem „Geist“ zu dienen schien. Schönbergs private Briefe und Aufzeichnungen der zwanziger Jahre sprechen jedoch in dieser Hinsicht eine ganz andere Sprache. Das beweisen unter anderem seine heftigen Reaktionen auf den Antisemitismus, dem er sich 1921 bei einem Sommerurlaub in Mattsee bei Salzburg ausgesetzt sah,8 sowie seine ebenso verärgerten Reaktionen auf das Gerücht, dass selbst beim Bauhaus antisemitische Tendenzen herrschten, die ihn 1923 nicht nur zu gereizten Briefen an Wassily Kandinsky,9 sondern auch zu jenen 24 Zeilen bewegten, die er im Frühjahr 1924 in einem reichlich obskuren von Rudolf Seiden in Wien herausgegebenen Pamphlet unter dem Titel Pro Zion! Vornehmlich nichtjüdische Stimmen über die jüdische Renaissancebewegung einrücken ließ.10 Während Autoren wie Hugo 176

Arnold Schönbergs zionistische Wende

Bettauer, Franz Theodor Czokor, Walter von Molo, Philipp Scheidemann und Wilhelm von Scholz ihre prozionistischen Bekenntnisse in dieser Broschüre durchgehend in einen unerträglichen Phrasenschwall einbetteten, beschränkte sich Schönbergs Beitrag auf eine klar herausgestellte These, nämlich dass sich Recht stets aus Macht herleite und daher auch die Juden endlich einen eigenen, bis an die Zähne bewaffneten Staat haben müssten, um sich selbst verteidigen zu können und nicht weiterhin als Staatenlose auf den Schutz anderer angewiesen zu sein. Darauf folgerte er mit glasklarer Schärfe und Militanz: „Die Wiederaufrichtung eines jüdischen Reichs könnte nur so geschehen, wie ähnliche Dinge in der Geschichte immer wieder entstanden sind: nicht durch das Wort und die Moral, sondern immer durch erfolgreiche Waffen und gleiche Interessenvertretung.“11 Mit einer solchen Äußerung stand Schönberg im Rahmen des damaligen österreichischen und deutschen Zionismus relativ vereinzelt da. Diese Bewegung war in den frühen zwanziger Jahren weder machtvoll noch militant, sondern eine verschwindend kleine Gruppe innerhalb des deutschsprachigen Zionismus. Ihre Organisation nannte sich Zionistische Vereinigung Deutschlands, stand seit 1924 unter der Leitung Kurt Blumenfelds und umfasste etwa 20.000 Menschen, also lediglich 3,5 Prozent der deutschen Juden.12 Ihre Hauptforderung war, wieder bewusste, das heißt volkhaft empfindende und zugleich rückkehrwillige Juden zu werden. Statt sich weiterhin zu assimilieren und damit den Juden in sich selbst zu töten, wie es 1930 in dem Buch Der jüdische Selbsthaß von Theodor Lessing hieß, verlangten sie eine verstärkte Schätzung ihrer jüdisch-nationalen Eigenart sowie eine völkerrechtliche Regelung der Palästinafrage zu ihren Gunsten. Statt sich taufen zu lassen, Mischehen einzugehen und sich mit der deutschen Kultur zu identifizieren, gaben sie sich alle Mühe, die intellektuell und religiös interessierten Schichten unter den deutschen Juden – unter Berufung auf Martin Buber, Jakob Klatzkin und Robert Weltsch – bei ihren Rückkehrkonzepten nicht nur mit nationaljüdischen oder gar völkischen, sondern auch mit mystischspirituellen Vorstellungen für eine „selektive Immigration“ und einen 177

Vom Biblischen Weg (1927) zum Survivor of Warsaw (1947)

„allmählichen Aufbau“ jüdischer Siedlungen in Palästina für sich zu gewinnen. Dennoch verhallten ihre „Rückkehr“-Parolen weitgehend im Leeren. Insgesamt wanderten in den zwanziger Jahren nur 2000 deutsche Juden nach Palästina aus, von denen fast die Hälfte wieder zurückkehrte,13 da sie dieses Land als zu fremd, zu tropisch und vor allem als zu kulturlos empfanden.14 Schönbergs Pro-Zion-Bekenntnis blieb daher in Deutschland weithin unbeachtet. Selbst wenn es die Vertreter der Jüdischen Rundschau oder zionistische Pazifisten wie Martin Buber, Albert Einstein oder Arnold Zweig tatsächlich gelesen hätten, wäre es ihnen sicher viel zu „militant“ erschienen. Die meisten dieser Zionisten dachten nicht realpolitisch, sondern „geistig“, das heißt religiös, mystisch, literarisch oder kulturbetont. Wenn sie von Zionismus sprachen, also ihren jüdischen Zukunftshoffnungen eine Zielutopie zu geben versuchten, gerieten sie meist ins Fahrwasser jenes jüdischen Messianismus, mit dem in diesen Jahren selbst Walter Benjamin, Ernst Bloch und Gustav Landauer sympathisierten und der von seinen Gegnern meist als „Expreßionismus“ charakterisiert wurde, um damit das LiterarischVerquollene oder Wild-Nebulose solcher Konzepte zu charakterisieren. Zutiefst verstanden hätten damals das Schönberg’sche Pro-ZionBekenntnis nur ostjüdische Fanatiker innerhalb der zionistischen Bewegung wie Wladimir Jabotinsky, der im Ersten Weltkrieg Kommandeur der Jewish Legion war, sich 1920 als Führer der Haganah in Jerusalem im Kampf gegen die Araber einen Namen machte, das von der zionistischen Weltorganisation propagierte Konzept einer friedlichen Infiltration Palästinas als unwirksam verwarf und die Notwendigkeit einer jüdischen Armee zur Schaffung eines großisraelischen Staats beiderseits des Jordans befürwortete. Jabotinsky hatte daher 1925 aus Protest gegen die allzu vorsichtig taktierende Politik Chaim Weizmanns eine zionistische Jugendorganisation mit paramilitärischen, ja fast „faschistischen“ Zügen gegründet und sich schließlich dem Aufbau einer militanten Zionistenpartei gewidmet, der er im April 1925 den Namen Zohar (Union der Zionisten-Revsionisten) gab, um damit kundzutun, dass es ihm in erster Linie um 178

Arnold Schönbergs zionistische Wende

die Rückbesinnung auf den staatsgründenden Elan des frühen Zionismus im Sinne Theodor Herzls ging.15 II

Und vor diesem Hintergrund muss auch Schönbergs zionistisch-revisionistisches Utopiedrama Der biblische Weg verstanden werden, an dem er in den Jahren 1926/27 arbeitete. Was er in ihm zum Ausdruck bringen wollte, war zweierlei: 1. den einzig richtigen, nämlich den „biblischen“ Weg zur Gründung eines jüdischen Staats darzustellen, und 2. zu zeigen, welche Schwierigkeiten einer solchen Staatsgründung – wegen der inneren Gespaltenheit der Juden und zugleich der menschlichen Schwäche ihrer Führergestalten – notwendig im Wege stehen würden. Im ersten Akt dieses Dramas werden vor allem die gegensätzlichen Positionen der in der Diaspora in unzählige Gruppen zerspaltenen Juden vorgestellt und daraus die Notwendigkeit eines alle Juden zu einem gemeinsamen Willen vereinigenden Führer abgeleitet. Auf der einen Seite stehen hier die Kritiker der Bewegung, die jene Einwände der liberalen Assimilationsjuden gegen den Zionismus artikulieren, wie sie in den zwanziger Jahren vornehmlich die Vertreter des Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens gegen die Herzlianer vorbrachten. Sie erklären, 1. dass sich die Westjuden längst in eine zusammenhangslose Schicht von „Gelehrten, Künstlern, Händlern und Wechslern“ aufgelöst hätten, der sowohl ein „Arbeiter- als auch ein Bauernstand“ fehle, die also nie wieder zu einem „Volk“ zusammenwachsen könnten, 2. dass die „nationalistische Überheblichkeit“ der Zionisten ein Relikt des 19. Jahrhunderts sei, welches heutzutage überhaupt keine Relevanz mehr habe, und 3. dass daher jeder Versuch, innerhalb der modernen Welt der Technik und der Internationalität einen auf völkischen Kriterien beruhenden Judenstaat zu errichten, an das Werk von „Phantasten“ gemahne, die immer noch nicht eingesehen hätten, dass das Wesen des Judentums in seinen geistigen Einzelleistungen, aber nicht in einem archaisch 179

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anmutenden Kollektivwillen bestehe. Wir sind „Intellektuelle“, betonen sie, denen nichts ferner liege, als in einem weit entfernten, tropisch heißen Land in einem „Volk von Bauern und Hirten“ aufzugehen.16 Demgegenüber führen die Revisionisten folgende Argumente für die Errichtung eines neuen Judenstaats ins Feld: 1. dass die Juden ohne einen eigenen Staat ständig in der Angst vor neuen Pogromen leben müssten und 2. aufgrund dieser Angst entweder zu einem jüdischen Selbsthass oder zu einer ihr eigenes Wesen auslöschenden Anpassung neigten. Um solchen Tendenzen entgegenzuwirken, propagieren diese Gruppen eine merkliche Abschwächung der jüdischen Überintellektualisierung, eine steigende Wertschätzung sportlicher, vor allem paramilitärischer Übungen, eine durch Lagertraining herbeigeführte Abhärtung, einen Verzicht auf zu viele Einzelmeinungen sowie eine damit korrespondierende Anerkennung eines Führers, der allen Juden einen nationalen Gesamtwillen aufzwingen würde. Den fähigsten Mann für eine derart gigantische Aufgabe sehen sie in Max Aruns, der überall Bünde organisiere, vielfältige Verträge abschließe und im Kaiser von Ammongäa einen Regierungschef gefunden habe, der bereit sei, den Juden aller Länder für eine hohe Summe Geldes ein Siedlungsgebiet für etwa 30 Millionen Menschen abzutreten. Diesem Führer bedingungslos zu folgen, sei daher die höchste Pflicht aller volkhaft denkenden Juden. Dieser Max Aruns erinnert als Realpolitiker und „ehemaliger Schriftsteller“ eindeutig an Theodor Herzl, der 1903 von der britischen Regierung ein ebenso großes Gebiet in Uganda zum Zwecke einer jüdischen Staatsgründung erwerben wollte, wie es Aruns in diesem Drama dem Kaiser von Ammongäa abzukaufen versucht. Doch nicht nur das Uganda-Ammongäa-Projekt verbindet Herzl und Aruns, auch ihr Anspruch, charismatisch erwählte „Führer“ zu sein, spielt in beider Leben eine entscheidende Rolle.17 In diesem Punkt dachten Herzl und Schönberg wie Max Nordau, der bereits 1898 erklärt hatte, dass die Juden „ein loser Haufen von Individuen ohne organischen Zusammenhang“ seien, die erst lernen müssten, ihren zionistischen „Führern eisern zu gehorchen“.18 Doch andererseits 180

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wirkt dieser Aruns – im Gegensatz zu dem eindeutig realpolitisch und nicht religiös orientierten Herzl – wie eine seltsame Mischung aus Moses (Max) und Aaron (Aruns), der von der altjüdischen Vorstellung eines „unsichtbaren und unvorstellbaren“ Gottes besessen ist und von Zeit zu Zeit von mystischen Anwandlungen ergriffen wird. In einer Rede vor den Sportorganisationen der auf ihn eingeschworenen Jugendverbände am Schluss der ersten Aktes, die mit Ritualen der „Huldigung, des Fahnenschwenkens und Händehochhebens“ beginnt,19 beschwört deshalb Aruns sowohl den Gedanken der körperlichen Ertüchtigung der Juden, um aus ihnen ein zum Letzten entschlossenes Volk zu schaffen, als auch die Vorstellung, in einem neuen jüdischen Staat endlich den uralten jüdischen „Gottesgedanken zu Ende zu träumen und zu Ende zu leben“.20 Als die Juden endlich in Ammongäa ankommen, erweist sich jedoch das dortige Leben als so mühsam, dass die blinde Verehrung der Volksmassen für Aruns in einen ebenso blinden Hass umschlägt. Ja, er wird schließlich von den sich betrogen fühlenden Juden auf offener Straße mit Holzknüppeln erschlagen. Um dem Ganzen dennoch einen positiven Schluss zu geben, ergreift Guido, einer seiner Jünger, die Macht und verspricht den an ihn Glaubenden, das große Werk seines Vorgängers sowohl politisch als auch religiös zu Ende zu führen. Wie Aruns stellt er hierbei die Abstreifung aller „materiellen“ Fesseln als das höchste Ziel der endlich gereinigten Juden hin. „Wir haben ein Ziel“, erklärt er, „wir müssen alle den Gedanken vom einzigen, ewigen, unvorstellbaren Gott denken lernen. Wir wollen uns geistig vervollkommnen, wollen unseren Gottestraum träumen dürfen – wie alle alten Völker, die die Materie hinter sich haben.“21 Und danach fällt der Vorhang. Und so ist dieses Stück, obwohl in ihm ständig von „Führer“, „Volk“, „Ja-Sagern“ und „Abhärtung“ die Rede ist, letztlich kein faschistisches, nur auf politische Stärke und anschließende Weltherrschaft eines blutsmäßig ausgezeichneten Volks drängendes Drama, sondern ein Stück, das trotz aller rabiaten, von tiefer Verletztheit zeugenden Einzelzüge im Bereich mystisch-spiritueller Tendenzen bleibt. Für 181

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die nahe Zukunft, erklärt Guido in seiner Schlussansprache, werde es für die Juden erst einmal darum gehen, sich „als Volk sicher zu fühlen“ und sich vornehmlich der Aufgabe ihrer eigenen „Vergeistigung“ zu widmen.22 Angesichts der Schwäche der deutschen zionistischen Bewegung und der in den späten zwanziger Jahren von Seiten der NSDAP einsetzenden antisemitischen Propaganda entschied sich jedoch Schönberg, dieses Drama nicht zu publizieren, um sich nicht als blinder Utopist bloßzustellen. Dennoch ließ ihn der Gedanke der „Vergeistigung“ des jüdischen Volks nicht wieder los. Daher begann er kurz darauf, ein Werk ins Auge zu fassen, in dem er sich lieber als Komponist zu einer ähnlichen, aber allen konkreten politischen Folgerungen aus dem Wege gehenden Gesinnung bekennen wollte. Damit ist die Fragment gebliebene Oper Moses und Aron gemeint, von der er allerdings vor 1933 nur zwei Akte vollenden konnte. Im Gegensatz zu seinem Drama Der biblische Weg geht es jedoch hier eher um eine Konfrontation zwischen den „baalschen“ Materialisten unter den Juden und der einsamen Führergestalt jenes Moses, der sein Volk zu einer neuen Gottgläubigkeit erziehen möchte, jedoch wie sein Max Aruns daran vorerst scheitert. Wie Schönberg dieses Musikdrama damals abzuschließen gedachte, wissen wir nicht genau. Doch dieser Entscheidung wurde er nach der Machtübergabe an die Nazifaschisten am 30. Januar 1933 ohnehin enthoben. Er verlor als Jude nicht nur seine Stellung an der Berliner Akademie, sondern sah sich wegen der ständigen Angriffe von Seiten der deutschvölkischen Fanatiker gezwungen, so schnell wie möglich ins Exil auszuweichen. III

Wie tief ihn das verletzt haben muss, lässt sich kaum vorstellen. Obwohl Schönberg immer wieder angegriffen worden war, hatte er dennoch jahrelang geschwiegen und mit seiner wirklichen Gesinnung hinterm Berg gehalten, um sich seine akademische Stellung und seinen künstlerischen Wirkungskreis zu erhalten. Diese Rücksichten gab 182

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er im Frühjahr 1933 in Paris endgültig auf.23 Bereits im Mai dieses Jahres entwarf er dort ein Programm zu einer neupalästinensischen Partei, in dem er die Juden aller Länder aufrief, angesichts des deutschen Faschismus eine militante Sammlungsbewegung zu gründen und einen eigenen Staat zu gründen. „Wir Juden›“, erklärte er, „haben seit 2000 Jahren nicht im eigenen Interesse gehandelt, sondern in dem der Gastländer. Und dadurch haben wir den Instinkt für das Interesse des eigenen Volks verloren.“24 An anderer Stelle schrieb er sogar noch schärfer: „Wir sind Asiaten und nichts Wahrhaftiges verbindet uns mit dem Westen.“25 Es war daher nur konsequent, dass sich Schönberg im Zuge dieser radikalen Abwendung von allem „Europäischen“ am 24. Juli 1933 in einer Pariser Synagoge wieder in die jüdische Glaubensgemeinschaft aufnehmen ließ und hierbei Marc Chagall als einen seiner Zeugen aufbot.26 Als Autor hoffte Schönberg der von ihm ins Auge gefassten Partei die nötige Unterstützung zu geben, indem er Max Reinhardt aufforderte, sein Stück Der biblische Weg möglichst umgehend übersetzen zu lassen und in London aufzuführen.27 Doch aus diesem Vorhaben wurde nichts. Ebenso wenig wurde aus Schönbergs Plan, im Spätsommer 1933 in Frankreich seine Oper Moses und Aron abzuschließen. Offenbar erschien ihm zu diesem Zeitpunkt die unmittelbare Aktion erst einmal dringlicher. „Ich halte es für wichtiger als meine Kunst“, schrieb er im Hinblick auf sein zionistisches Engagement, „und ich bin entschlossen, nichts anderes mehr zu machen, als für die nationale Sache des Judentums zu arbeiten.“28 Demzufolge konzipierte er im August dieses Jahres einen Entwurf für eine jüdische Einheitspartei und formulierte auch in mehreren Essays wie Jüdische Religion, Zionismus, Boykott und Der Internationalismus der Juden immer aufs Neue seine Gedanken zur Judenfrage, die meist auf eine Stärkung des „mosaischen Glaubens“ und des „nationalen Bewußtseins“ zu Gunsten der bisherigen „Zersplitterung“ und „Überintellektualisierung“ hinausliefen.29 „Palästina ist unser Land“, erklärte er, „dort gehören wir hin. Dort müssen wir wieder hingelangen.“30

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Doch die letzte Konsequenz, nämlich sich umgehend nach Haifa oder Tel Aviv einzuschiffen, zog Schönberg nicht. Schließlich war er nichts als ein Komponist, für den es in Palästina überhaupt keinen seinen Talenten entsprechenden Wirkungskreis gegeben hätte. Aus diesem Grund nahm er im Herbst 1933 einen Lehrauftrag am Malkin Conservatory in Boston an, der ihm das bitter benötigte Einkommen garantierte und ihm zugleich die Möglichkeit eröffnete, Europa endgültig den Rücken zu kehren und in den USA, dem Land mit dem zweitgrößten jüdischen Bevölkerungsanteil in der Welt, einen effektiven Propagandafeldzug für die von ihm geplante jüdische Einheitspartei aufzuziehen. Bereits im November dieses Jahres hielt er auf Englisch erste Reden vor jüdischen Organisationen in Boston und New York, denen er ein Four Point Program seiner neuen Jewish Unity Party vorstellte, das auf folgenden Postulaten beruhte: „I. The fight against Anti-Semitism must be stopped. II. A United Jewish Party must be created. III. Unanimity in Jewry must be enforced with all means. IV. Ways must be prepared to obtain a place to erect an independent Jewish State.“31 Doch dieser Plan, so energisch ihn Schönberg auch propagierte, fand unter den US-amerikanischen Juden wenig Anklang. Die meisten von ihnen fühlten sich in den Vereinigten Staaten relativ wohl und hatten keinerlei Absichten, nach Palästina auszuwandern. Obendrein existierte in den dreißiger Jahren auch in den USA ein unübersehbarer Antisemitismus, den viele der dort lebenden Juden nicht durch ein militantes Beharren auf ihrem „Anderssein“ unnötig verschärfen wollten. Daher sah sich Schönberg – nach mehreren Anläufen – schließlich gezwungen, in all diesen Fragen etwas „realistischer“ zu denken. Er gab zwar seinen so vehement vertretenen Plan einer Jewish Unity Party in den folgenden Jahren nicht ganz auf, verzichtete jedoch auf jede weitere Propagandatätigkeit für den Zionismus. Das soll nicht heißen, dass Schönberg in den folgenden Jahren, nachdem er aus Gesundheitsgründen in das wärmere Klima nach Los Angeles umgezogen war, seinen so vehement vertretenen Plan einer Jewish Unity Party völlig aufgab. Seinen hinterlassen Papieren zufolge arbeitete er 184

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an seinem Four Point Program noch bis mindestens 1939 weiter.32 Aber solche Pläne verloren gegen Mitte der dreißiger Jahre viel von ihrer bisherigen Dringlichkeit. In Los Angeles – weit entfernt von den damaligen Zentren der Politik – wurde ihm immer bewusster, wie unsinnig es gewesen wäre, seine Kunst völlig einer neupalästinensischen Propaganda zum Opfer zu bringen, für die zu diesem Zeitpunkt in den USA überhaupt keine reale Wirkungschance bestand. Also fügte er sich ein, unterrichtete als Kompositionslehrer vorübergehend an der University of Southern California sowie an der University of California in Los Angeles und machte sich privat wieder ans Komponieren. Doch trotz dieser scheinbaren Assimilation stand auch in dieser Stadt sein Leben weiterhin im Zeichen einer nicht aufhebbaren Diskrepanz. Was Schönberg auch tat, alles blieb von tiefen Widersprüchen durchzogen: Einerseits vertrat er eine prononciert zionistische Gesinnung, deren letzte Konsequenz eine sofortige Umsiedlung nach Palästina gewesen wäre, andererseits passte er sich wie in Berlin abermals an eine ihn nicht verstehende und nur widerwillig akzeptierende Gesellschaft an, die ebenfalls nicht ganz frei von antisemitischen Vorurteilen war; einerseits sagte er sich von seiner deutsch-österreichischen Herkunft radikal ab, andererseits sprach, empfand und dachte er weiterhin deutsch, ja komponierte sogar deutsch, wie ihm seine US-amerikanischen Bekannten versicherten; einerseits lebte er in Los Angeles in einer Hollywoodwelt, in der fast ausschließlich eine gefällige, wenn nicht gar sentimental-verkitschte Film- und Gebrauchsmusik florierte und seine eigenen Werke kaum eine Chance hatten, aufgeführt zu werden, andererseits hielt er selbst hier hartnäckig an seiner dodekaphonischen Kompositionsweise fest, die allgemein als bizarr empfunden wurde. Kurzum: Auch in Kalifornien blieb Schönberg ein unangepasster Außenseiter, der wie schon in Wien und Berlin einerseits an dieser Außenseiterrolle litt, in ihr jedoch andererseits die einzige Legitimationsbasis seiner menschlichen und künstlerischen Existenz erblickte. Daher trat Schönberg auch in den USA weiterhin so auf, wie er sich vor 1933 gegeben hatte, nämlich als selbst erwählter Vertreter, ja 185

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Hauptrepräsentant seiner zwölftönigen und damit in seinen Augen avanciertesten Form modernistischer E-Musik schlechthin. Immer wieder verschanzte er sich hinter der aristokratischen Pose eines verkannten Genies, dessen wahre Bedeutung man erst „einige Jahrzehnte“ später erkennen würde.33 In diesem Punkt vertrat er nach wie vor jenes zwischen 1900 und 1930 in Europa weitverbreitete Konzept einer künstlerischen Avantgarde, deren Hauptcharakteristikum darin bestanden hatte, durch den Gebrauch neuer, gewagter Stilmittel ihrer eigenen Zeit so weit wie möglich vorauszueilen. Doch trotz all dieser Stilisierung ins Geniehafte, Unerkannte, ja Prophetische, mit der er sein durch die Vertreibung aus Deutschland stark beschädigtes Ich zu stabilisieren versuchte, überkam Schönberg in diesen Jahren stets die kalte Wut, wenn er sich klar machte, wie wenig er von seiner USamerikanischen Umwelt beachtet wurde. Sein besonderer Zorn galt dabei Dirigenten wie Arturo Toscanini, Bruno Walter, ja selbst Otto Klemperer, der seit 1933 das Philharmonische Orchester in Los Angeles leitete, die immer nur die „Klassiker“ spielten, statt sich auch einmal für seine Werke einzusetzen. Wohlwollende, die ihm rieten, sich in solchen Dingen etwas konzilianter oder zumindest diplomatischer zu verhalten, fertigte er bei solchen Anlässen gern mit der hochfahrendironischen Bemerkung ab: „Eher werde ich Amerika zerstören.“34 Hartnäckig, wie er war, hielt deshalb Schönberg trotz aller Nichtbeachtung in seinen neu entstehenden Werken fast durchgehend an seiner dodekaphonischen Technik fest. Das gilt vor allem für sein 4. Streichquartett (1936), sein Violinkonzert (1936) und sein Klavierkonzert (1942), denen meist eine einzige Zwölftonreihe zugrunde liegt. So viel zum musikalischen Anspruch, den er mit diesen Werken vertrat. Doch wie verhielt sich Schönberg eigentlich gegenüber inhaltlichen Fragen? Berief er sich auch in dieser Hinsicht weiterhin lediglich auf das Prinzip der absoluten Autonomie oder verraten seine Werke der späten dreißiger und frühen vierziger Jahre auch etwas von seinen politischen und religiösen Anschauungen? Wo brachte er in ihnen eigentlich seine Erbitterung über das Auseinanderbrechen der deutsch-jüdischen Symbiose zum Ausdruck? 186

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Beginnen wir mit den spezifisch deutschen Elementen. Wurden sie von Schönberg in diesem Zeitraum völlig eliminiert? Keineswegs. Schließlich war er sich trotz des tiefen Grabens, der ihn von seiner Herkunft trennte, weiterhin höchst bewusst, dass er als Komponist in der Nachfolge der Linie Bach-Beethoven-Brahms stand und mit seinen Werken nach wie vor zur Weltgeltung der deutschen Musik beitrug. Das hatte Alban Berg bereits 1933 vorhergesehen, als er Schönbergs verkündete Wende zum „Asiatischen“ mit den Worten kommentierte: „Selbst wenn ich eine Abkehr vom Okzident menschlich für möglich halte (ich glaub’s ja nicht, oder zumindest seine Zuwendung zum Orient halte ich nicht für möglich), so besteht für mich die unerschütterliche Tatsache seines musikalischen Schaffens, für die es nur eine Bezeichnung gibt: deutsch.“35 Für die Richtigkeit dieser Sätze spricht nicht nur Schönbergs hartnäckiges Festhalten an seiner bisherigen Kompositionsweise, sondern auch seine an der University of California in Los Angeles und in seinen Privatstunden praktizierte Lehrmethode, die sich fast ausschließlich auf die Analyse bekannter Meisterwerke der deutschen Musik von Bach, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Schumann und Brahms beschränkte, während er andere Komponisten nur streifte.36 Außerdem orchestrierte Schönberg 1937 mit großer Liebe das Brahms’sche Klavierquartett in g-Moll und ging später daran, drei deutsche Volkslieder für gemischten Chor a cappella zu setzen. Beide dieser Vertonungen zeugen von einer tiefen Vereinsamung in Los Angeles, die Schönberg immer wieder durch eine Rückversicherung bei dem zu überwinden versuchte, was er unter älterer „Kultur“ verstand. Aus diesem Grund schreckte er selbst nach dem Krieg, als es in den Vereinigten Staaten zu einer verbreiteten Hasswelle gegen Deutschland kam, nicht davor zurück, sich nachdrücklich für Komponisten oder Dirigenten wie Richard Strauss, Hans Pfitzner und Wilhelm Furtwängler einzusetzen, die für ihn keine Nazis, sondern „Kulturmenschen“, das heißt Menschen höherer Art waren.37

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IV

Das spezifisch „Jüdische“, das man in seinen Werken dieser Jahre erwartet, spielt dagegen eine erstaunlich geringe Rolle. Während Schönberg 1934 noch geschrieben hatte: „Eine nationale jüdische Musik zu schaffen, ist mir eine heilige Aufgabe und besonders interessant für die Juden, die in großer Zahl früher als auch in unseren Tagen dazu beigetragen haben, dass die arische Musik so vollkommen wurde, wie sie heute ist, denn wir können unsere geistige Überlegenheit nur zeigen, indem wir eine neue jüdische Musik schaffen“,38 traten solche Zielsetzungen bei ihm im Laufe der dreißiger Jahre allmählich in den Hintergrund. Das hängt sowohl mit seiner Erbitterung über die US-amerikanischen Juden, die sich gegen sein dodekaphonisches Werk weitgehend sperrten und höchstens seine noch wohlgefällig klingende Verklärte Nacht gelten ließen, als auch mit jenen Berichten zusammen, die er aus Palästina erhielt, wo man auf „künstliche“ Weise, wie er 1938 an Jakob Klatzkin schrieb, eine „jüdische Originalmusik zu erzeugen“ versuche und für seine eigenen „Leistungen“ überhaupt kein Verständnis aufbringe.39 Deshalb setzte Schönberg sein Werk nach 1934/35 erst einmal da fort, wo er 1933 stehen geblieben war: beim Dodekaphonischen und beim Deutschen. Selbst sein Moses und Aron blieb aus diesem Grund in der Schublade. Erst 1937 entwickelte er erste Neuansätze auf diesem Gebiet, indem er eine mehrteilige Jüdische Symphonie entwarf,40 die einen ausgesprochen programmatischen Charakter haben sollte und deren Sätzen er folgendes Ideengerüst unterlegte: „I. Predominance (superiority) provokes envie (sic). II. a) What they think about us, b) what we think about them, c) conclusion. III. The sacred feasts and costumes – Die heiligen Feste und Gebräuche. IV. The day will come.“41 Diese Symphonie gedieh jedoch nie über ihre Planungsphase hinaus. Das einzige Werk, das Schönberg vor Kriegsende komponierte und das einen eindeutig jüdischen Charakter hat, ist sein Kol nidre für Sprecher, gemischten Chor und Orchester, welches der Rabbiner Jakob Sonderling bei ihm bestellt hatte und das Schönberg am 4. Oktober 188

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1938, am Vorabend des Jom-Kippur-Fests, in Los Angeles selbst uraufführte. Das Kol nidre ist ein liturgischer Text, „dessen wesentlicher Inhalt darin besteht, alle im Widerspruch zum mosaischen Glauben geleisteten Gelübde für nichtig zu erklären und die reuigen Sünder wieder in die jüdische Glaubensgemeinschaft aufzunehmen“, das also für Schönberg eine höchst existentielle Bedeutung hatte.42 Statt sich jedoch am Jom Kippur lediglich von all jenen Verpflichtungen, „die man während des Jahres eingegangen war, zu lösen“, wie es dem früheren Brauch entsprach, verstand er diesen Text dahingehend, dass sich durch das Kol nidre „alle, die freiwillig oder zum Schein den christlichen Glauben angenommen hatten, wieder mit ihrem Gott versöhnen dürfen“.42 Und damit kommen wir zu der letzten Phase in Schönbergs Leben, den Jahren zwischen 1945 und 1951. Während seine Werke von 1935 bis 1945 weitgehend im Zeichen einer merklichen Diskrepanz zwischen modernistisch-elitären und jüdisch-volkhaften Zielsetzungen gestanden hatten, kam es gegen Kriegsende in seinem Denken und Schaffen zu einer gewissen Vereinheitlichung in Richtung auf ein neujüdisches Programm, in dem er zwar auch manche seiner früheren Denk- und Kompositionsweisen „aufzuheben“ versuchte, das aber dennoch viel geschlossener wirkt als das Denken und Schaffen seines ersten US-amerikanischen Jahrzehnts. Und zwar wurde dieser Wandlungsprozess durch eine Fülle verschiedener Ursachen ausgelöst: seine Pensionierung, die ihn plötzlich in tiefe Armut stürzte, die ersten Symptome einer Herzschwäche, die ihn mit der Unabweislichkeit des Todes konfrontierten, das gleichbleibende Gefühl der Fremdheit in den USA, die kaum zu fassenden Nachrichten über Auschwitz und andere nazifaschistischen Vernichtungslager, die verstärkte Wichtigkeit des Religiösen sowie die Meldungen über den Befreiungskampf des jüdischen Volks in Palästina, der 1948 zur Gründung des Staates Israel führte. All das verunsicherte Schönberg in seiner forcierten Hybris, verinnerlichte ihn aber zugleich und gab damit seinem Werk eine neue inhaltliche Qualität.

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Dafür sprechen unter anderem folgende Fakten: sein 1946 komponiertes Streichtrio, das er kurz nach seinem ersten Herzinfarkt schrieb und in dem er dem Gefühl der Todesnähe, aber auch der nochmaligen Errettung einen zutiefst bewegenden Ausdruck verlieh, seine größere Nachsicht mit den ihn und sein Werk missverstehenden US-amerikanischen Juden sowie seine 1946/47 komponierte Kantate A Survivor from Warsaw for Narrator, Men’s Chorus and Orchestra, in der er die Schuld seiner früheren Abtrünnigkeit und zugleich seine Rückbesinnung auf den jüdischen Glauben zu verarbeiten suchte. Und zwar bediente sich Schönberg hierbei eines kurzen Texts, in dem ein Überlebender des Warschauer Aufstands zwischen dem 19. April und dem 16. Mai 1943 den Tag der endgültigen Niederlage beschrieben hatte, an dem die letzten Juden von den deutschen Soldaten zum Abtransport in ein Massenvernichtungslager zusammengetrieben wurden und sich im Zustand der totalen Erniedrigung plötzlich auf ihren alten Gott besannen, den sie so lange vergessen hatten, ja spontan das Gebet Sch’ma Ysroel („Höre Israel“) intonierten, um damit jene Glaubensgewissheit zu demonstrieren, die den Juden in den letzten 2000 Jahren immer wieder über die vielen Pogrome hinweggeholfen habe.44 Wie schon in seinem Kol nidre von 1938 verwandte er auch hier wiederum einen Sprecher, um auch diesem Werk eine weit über das Ästhetische hinausgehende politische und religiöse Unmittelbarkeit zu geben. Dass ihm dies gelang, steht wohl außer Frage. Der Survivor from Warsaw wirkt darum so überzeugend, weil sich der späte Schönberg in diesem Werk bemühte, alles, was ihn in diesen Jahren bewegte, auf einen Nenner zu bringen: das Erschrecken über seine eigene Trägheit des Herzens, das Mitleid mit den gemordeten Brüdern und Schwestern, die neue Bekräftigung im Glauben und zugleich die Hoffnung auf ein Erez Israel, in dem die Juden endlich nach ihren eigenen Gesetzen und Vorstellungen leben können. Und zwar fasste er das alles in einer einzigen, äußerst knappen, nur acht Minuten währenden Szene zusammen, die im Pianissimo beginnt und mit einer im Fortissimo vorgetragenen Glaubensgewissheit schließt und der wie 190

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in allen seinen Zentralwerken seit 1925 eine einzige Zwölftonreihe (Fis-G-C-As-E-Dis-B-Cis-A-D-F-H) zugrunde liegt.45 Sprachlich spielt sich das Ganze – trotz der Kürze der Zeit – auf drei Ebenen ab: der des Englischen des Erzählers, bei der sich Schönberg „wörtlich“ an den vorgegebenen Text hielt,46 der des Deutschen auf der Ebene des die Befehle gebenden Feldwebels und schließlich der des Hebräischen im Sch’ma Yisroel der in den Tod marschierenden Juden gegen Ende. Der Unerbittlichkeit des Texts entspricht dabei die Unerbittlichkeit der Musik, die genauso kalt wirkt wie der trockene, das heißt keineswegs „gesungene“ Text des Sprechers.47 Was also dominiert, ist eine Musik, die jedes Abrutschen ins Sentimentale vermeidet und sich nur am Schluss in der lautstark vorgetragenen Bekräftigung im Glauben auch ein Zitat aus der traditionellen jüdischen Liturgie gestattet, das jedoch so geschickt in den Duktus des Reihencharakters eingebettet ist, dass es nur von bereits Eingeweihten als ein solches erkannt werden kann.48 Und damit fand Schönberg endlich seine „Identität“, nämlich die Identität mit dem Leiden und Glauben seines Volks, das nur seine Religion vor der Auslöschung bewahrt habe. Indem er Auschwitz als seinen Ort erkannte, fühlte sich auch Schönberg – jenseits seiner deutsch-österreichischen Herkunft, Sprache, Bildung und Musikalität – plötzlich als ein glaubensbewusster Jude. A Survivor from Warsaw ist daher sein überpersönlichstes und zugleich sein persönlichstes Werk, indem hier im Schicksal seines Volks auch sein eigenes Schicksal mitverhandelt wird. Dass dieses Werk manchen seiner bisherigen Bewunderer, die in ihm lediglich einen unerbittlichen Avantgardisten gesehen hatten, missfiel, konnte daher nicht ausbleiben. Sie empfanden jede politische Indienstnahme von Musik als eine unverzeihliche Korruption ins Affirmative. Da vor allem Adorno nach wie vor fest am Prinzip der „Verweigerung“, wenn nicht gar der „totalen Negation“ festhielt,49 musste es demzufolge zwischen diesen beiden Männern notwendig zu schweren Missverständnissen kommen.50 Während Adorno einen nichtzionistischen Antiutopismus vertrat, der keine „Lösung“ der 191

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bestehenden Konflikte anerkannte, ja überhaupt nichts Richtiges im Falschen fand,51 weshalb er Schönberg vorwarf, in seinem Survivor from Warsaw „durch’s Eingedenken von Erfahrungen, welche der Kunst schlechterdings sich entziehen“, den „ästhetischen Bereich“ verlassen zu haben,52 schlug Schönberg in den wenigen Jahren, die ihm noch vergönnt waren, immer nachdrücklicher den von ihm als richtig erkannten biblischen Weg ein. Die Gründung des Staates Israel war daher für ihn eins der zentralen Erlebnisse seiner letzten Lebensjahre. Allerdings blieb sein Verhältnis zur jüdischen Religion auch in diesem Zeitraum – im Sinne seines Moses und Aron – das eines Suchenden, für den nach alter jüdisch-mystischer, aber auch deutsch-expressionistischer Tradition, wie sie Martin Buber in seinen Ekstatischen Konfessionen (1909) zusammengefasst hatte, das Göttliche sich nur in Momenten der Steigerung, des Gebets, der Ekstase, also im Zustand der religiösen Verzückung anzudeuten scheint, ohne je wirklich fassbar zu werden. Dementsprechend sind Schönbergs letzte Kompositionen fast ausschließlich, und zwar im politischen und persönlichen Sinn, jüdisch­ religiöse. Das Chorwerk Dreimaltausend Jahre, das er 1949 komponierte, steht ganz im Zeichen der „Wiederkehr Gottes“ ins gelobte Land. Darauf folgte 1950 als sein letztes abgeschlossenes Werk der Psalm De profundis für sechsstimmigen Chor a cappella, den er dem Staate Israel widmete. Die Werke Israel Exists Again und Moderner Psalm aus den gleichen Jahren blieben dagegen Fragment. Ja, Schönberg erlebte noch kurz vor seinem Tod, dass ihn der Staat Israel im April 1951 zum Ehrenpräsidenten der Israel Academy of Music in Jerusalem ernannte. In seinem Dankschreiben an den israelischen Staat erklärte er, dass es schon „seit vier Dekaden“ sein „sehnlichster Wunsch“ gewesen sei, ein „residierender Bürger“ dieses Staats zu werden.53 Ob er sich jedoch in diesem Land wirklich zu Hause gefühlt hätte, sei dahingestellt. Schließlich kann ein lebenslanges Außenseitertum, das sich immer wieder als Sezessionismus, Elitismus, ja als offene Massenverachtung äußerte, nicht über Nacht in eine Liebe für ein ganzes Volk umschlagen. Doch vor diese Entscheidung wurde 192

Arnold Schönbergs zionistische Wende

Schönberg aufgrund seines hohen Alters und seines angegriffenen Gesundheitszustands nicht mehr gestellt. Drei Monate später starb er in Los Angeles im Alter von 77 Jahren, ohne je wieder europäischen Boden betreten zu haben oder ins Land seiner Urväter zurückgekehrt zu sein.54

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In der Fremde Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts Hollywood-Elegien (1942)

Bertolt Brecht: Das ist der klassische Ort, wo man Elegien schreiben muß. Man ist nicht ungestraft in Hollywood. Man muß das einfach beschreiben. Hanns Eisler nach seiner Ankunft in Hollywood: Für mich ist hier eine Hölle der Dummheit, der Korruption (einer wahrscheinlich unbeschreibbaren!) und der Langeweile. Das einzige gute ist mein neues Liederbüchlein („Hollywooder Liederbüchlein“ genannt).

I

Wer hätte je vermutet, dass der Schönberg-Schüler Hanns Eisler, der sich 1926 in Berlin mit seinen bitter-ironischen Zeitungsausschnitten im Stil der Neuen Sachlichkeit von der herkömmlichen Form des subjektiv-stimmungsvollen Liederzyklus scheinbar endgültig verabschiedet hatte, rund 15 Jahre später in Hollywood noch einmal eine Reihe relativ eingängig klingender Lieder komponieren würde? Hatte nicht Theodor Wiesengrund schon kurz nach der Uraufführung der Zeitungsausschnitte erklärt, dass Eislers frühe Lieder den Eindruck 194

Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts Hollywood-Elegien (1942)

erweckten, als wollten sie damit die Form dieser Gattung endgültig „beendigen“?1 Ja, war nicht Eisler seit 1927 dazu übergegangen, seine Musik fast ausschließlich in den Dienst der KPD zu stellen, an der Berliner Marxistischen Arbeiterschule zu unterrichten, Artikel für die Rote Fahne zu schreiben, Lieder für die Agitpropgruppe Das Rote Sprachrohr sowie die Musik für Bertolt Brechts Die Maßnahme, Die Mutter sowie den Film Kuhle Wampe zu komponieren, Reisen in die UdSSR zu unternehmen, sich 1935 in Paris an der Gründung der Volksfront zu beteiligen, 1937 mit Marschliedern am Kampf der Internationalen Brigaden in Spanien teilzunehmen und an einem Lenin-Requiem zu arbeiten? Durch alle diese Aktivitäten war er zum bekanntesten Vertreter jener Roten Kampfmusik geworden, in der von seinen schönbergisierenden oder neusachlichen Anfängen fast nichts mehr zu spüren war. Was bewegte ihn daher, sich nach 1940 im US-amerikanischen Exil – neben der „Brotarbeit“ für zahlreiche Filmgesellschaften – nicht nur erneut der Zwölftontechnik, sondern auch der Form des Liederzyklus zuzuwenden, von denen er sich seit 1927 mehrfach scharf distanziert hatte? Die Gründe dafür waren, wie bei Eisler nicht anders zu erwarten, vor allem politischer Art. Die Sowjetunion, wo sich inzwischen die Doktrin des Sozialistischen Realismus durchgesetzt hatte und in der daher große Teile seiner Musik, spätestens seit der dort im Jahr 1937 ausgelösten Expressionismusdebatte, als in einem „westlichen“ Sinne avantgardistisch und damit formalistisch galten, schied für ihn nach diesem Zeitpunkt als mögliches Zufluchtsland aus. Also blieben nach den vielen politischen Rückschlägen seit 1938 für ihn nur die USA als Asylland übrig. Doch auch das erwies sich – wegen der dort eng begrenzten Einwanderungsquoten – als äußerst schwierig. Demzufolge konnte Eisler erst 1940 – nach einem zweimaligen Ausweichen in das benachbarte Mexiko – endlich in New York festen Fuß fassen. Aber wie sollte er in dieser Stadt, die ihn 1935, anläss­ lich der dortigen Aufführung von Brechts Die Mutter, schon einmal enttäuscht hatte, politisch aktiv werden? Er konnte zwar dort vorübergehend an der New School for Social Research unterrichten 195

In der Fremde

und mit Hilfe der Rockefeller-Foundation sogar ein Forschungsprojekt über Filmmusik anfangen, aber mehr war für ihn, da in diesem Land – vor dem Überfall der Japaner auf Pearl Harbor Ende 1941 und dem dadurch ausgelösten Kriegseintritt der USA auf Seiten Englands und der Sowjetunion – anfangs noch ein weitverbreiteter Isolationismus herrschte, kaum möglich. Also fühlte sich Eisler vorübergehend auf sich selbst zurückgeworfen und komponierte 1941 vor allem jenes zwölftönige Sextett Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben, das er am 18. November dieses Jahres abschloss und zu Schönbergs 70. Geburtstag in Los Angeles aufzuführen gedachte. Dass er am 15. April 1942 New York verließ und ebenfalls nach Los Angeles übersiedelte, geht jedoch nicht nur auf seine seit 1927 immer wieder unterdrückte Verehrung seines früheren Lehrers, des „großen Meisters“ Schönberg, zurück, sondern hatte auch rein materielle Gründe. Schließlich hoffte Eisler, von den dortigen Filmkonzernen genügend Kompositionsaufträge zu erhalten, um endlich seiner Existenz eine festere Basis zu geben. Dass ihm das nicht auf Anhieb gelang, ist bei seiner politischen Einstellung kaum verwunderlich. Den ersten bedeutsamen Auftrag dieser Art erhielt er von Fritz Lang, der ihn 1943 aufforderte, die Musik für den Film Hangmen Also Die zu komponieren. Bis dahin und auch später schlug sich Eisler, so gut es ging, mit irgendwelchen „Brotarbeiten“, das heißt der Komposition der in Hollywood üblichen Gebrauchsmusik durch.2 Einer der ersten Lichtblicke in seinen frühen kalifornischen Jahren war, dass er dort – nach mehrjähriger Trennung – wieder mit Bertolt Brecht zusammentraf, der bereits am 15. Juli 1941 – nach einer komplizierten Flucht aus Finnland über die Sowjetunion und die Philippinen – in Los Angeles eingetroffen war. Und so saßen die beiden, wie bereits vorher in Berlin und Dänemark, endlich wieder zusammen. Doch welch ein bitteres Wiedersehen: weit weg von Europa, weit weg von möglichen linken Aktivitäten, weit weg von irgendwelchen Theatern, Verlagen oder Agitpropgruppen. Und das zu einem Zeitpunkt, als die Nazifaschisten, gegen die beide bis dahin mit ihren Werken anzukämpfen 196

Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts Hollywood-Elegien (1942)

versucht hatten, weiterhin an allen Fronten am Siegen waren. Ja, dazu noch auf der anderen Seite des Planeten, in Hollywood, der von Brecht und ihm gehassten Traumfabrik des Kapitalismus, wo am laufenden Band jene massenmedialen Produkte hergestellt wurden, mit denen man der Gesamtbevölkerung ein falsches Bewusstsein einzutrichtern versuchte. Mussten hier nicht sowohl Eisler als auch Brecht, ohne jede Hoffnung, an dieser Situation irgendetwas verändern zu können, notwendig ideologisch verzweifeln? Wurden sie in dieser Stadt nicht von den erfolgreichen Tuis, die sich skrupellos den Diktaten der großen Filmkonzerne fügten, als mitleidig belächelte Randexistenzen angesehen? Schließlich zählten in Hollywood nur der finanzielle „Success“ sowie das sich daraus ergebende gesellschaftliche Prestige. Wer wusste hier schon, dass Eisler, Brecht und Schönberg vor 1933 einmal in Deutschland berühmte Künstler waren, ja dass Eisler und Brecht selbst noch im Exil der mittdreißiger Jahre in Europa zu den häufig zitierten deutschen Künstlern gehört hatten? Hier sanken alle drei plötzlich auf den Status von „Nobodies“ herab. Eisler war wenigstens unter einigen Filmkomponisten bekannt. Brecht wurde dagegen sogar von bekannteren US-amerikanischen Schriftstellern häufig gefragt: „Mr. Breckt? How do you spell your name?“ Noch übler erging es Schönberg, von dem fast keiner der dortigen 200 Filmkomponisten je gehört hatte, während er vor 1933 in Europa einmal als der Kühnste unter den Avantgardisten in der Musik verehrt worden war. Dementsprechend musste sich Schönberg, als er – wohl durch Zufall – zu einem offiziellen Bankett der Filmkomponisten in Hollywood eingeladen wurde, von seinem Tischnachbarn die dummdreiste Frage gefallen lassen: „Hi Arnie. Who are you? Never heard of you. But your stuff must be good, otherwise you wouldn’t be sitting here.“3 Was also tun in einer so „deplorablen“ Situation, fragten sich Eisler und Brecht zwangsläufig immer wieder.

197

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II

Wie deprimiert Brecht in seinen ersten zwei Jahren in Los Angeles war, darüber geben vor allem die Notate in seinem Arbeitsjournal ausführlich Bescheid. Nichts, aber auch nichts sagte ihm in dieser Stadt zu. Zuerst waren es die „nuttigen Kleinbürgervillen“ mit ihren rosaroten, gelben oder türkisgrünen Innenwänden, die er abstoßend fand.4 Alles wirke hier so, erklärte er, als ob man versucht habe, mit billiger Hübschheit den meisten Profit herauszuschlagen.5 An sämtlichen Wänden, ja selbst an den Sträuchern und Bäumen, die sich nur durch ständiges Sprengen am Leben erhalten ließen, glaubte er irgendwelche Preisschildchen zu erblicken. Zudem wechselten hier alle Menschen ständig ihre „Arbeitsstellen und ihre Berufe“ und zögen in „andere Bezirke oder Städte“ um. Gefühle wie „Heimat“ oder „Vaterland“, notierte er sich, seien ihnen demzufolge völlig fremd. Ja, nicht einmal Freundschaften oder Feindschaften gebe es unter ihnen. Jeder gehe in dieser Stadt lächelnd an den anderen vorbei. In einem besonders deprimierten Moment schrieb daher Brecht: „Hier kommt man sich vor wie Franz von Assisi im Aquarium, Lenin im Prater (oder Oktoberfest), eine Chrysantheme im Bergwerk oder eine Wurst im Treibhaus.“6 Man fragt sich deshalb zwangsläufig: Warum blieb Brecht eigentlich in Los Angeles? Warum ging er nicht nach New York? Schließlich gab es dort viele Theater, aber eben nur am Broadway, wo man seine Stücke ohnehin nicht aufgeführt hätte. Um also sich und seiner Familie überhaupt eine finanzielle Basis zu verschaffen, musste er zwangsläufig in Los Angeles bleiben und sich wie viele andere deutsche Exilanten bemühen, bei einer der großen Hollywood-Firmen ein erfolgversprechendes Filmskript unterzubringen.7 Dass er hierzu nicht die nötige Gewieftheit besaß, war ihm durchaus bewusst. Dennoch reihte er sich erst zögernd, aber dann etwas energischer in die Reihe jener Schreiberlinge ein, die eine Filmstory nach der anderen entwarfen, von der sie sich erhofften, mit einem Riesenscheck belohnt zu werden. Doch mit all seinen Drehbuchentwürfen wie Bermuda 198

Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts Hollywood-Elegien (1942)

Troubles, Der Brotkönig lernt Brot backen, Caesars letzte Tage, Der Mantel und The Crouching Venus hatte er kein Glück. Lediglich sein Filmskript Trust the People, bei dem es sich um den am 25. Mai 1942 erfolgten Heydrich-Mord handelte, fand das Interesse Fritz Langs, der allerdings dem Ganzen den reißerischen Titel Hangmen Also Die gab und obendrein einige „schmutzige Sentimentalitäten und Unwahrhaftigkeiten“ in den Handlungsverlauf einbaute.8 Da Brecht die Gage für dieses „Treatment“ ein kleines finanzielles Polster ermöglichte, wollte er danach mit den von ihm verachteten Produktionsstätten des „Weltrauschgifthandels“, wie er die Hollywood-Studios nannte, nichts mehr zu tun haben.9 Doch was jetzt? Schließlich war er ein linker Stückeschreiber und Lyriker. Doch wie konnte er in dieser Stadt eine Kunst entwickeln, mit der er die kulturell ungebildeten Unterklassen, die für jeden konsequent denkenden Marxisten letztlich die wichtigste Adressatenschicht bilden, ohne allzu große Zugeständnisse an die üblichen „Wonnen der Gewöhnlichkeit“ erreichen? Existierte eine solche Bevölkerungsschicht überhaupt in den USA? Und wenn ja, gab es innerhalb dieser Schicht genügend Menschen, die mit einem proletarischen Klassenbewusstsein eine solche Kunst erwartet hätten? Und je länger Brecht über solche Fragen nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass es in Hollywood, der Hauptstadt der kapitalistischen Traumindustrie, die lediglich vom Verkauf einer gewinnbringenden „Abendunterhaltung“ lebte, geradezu absurd gewesen wäre, sich überhaupt solchen Erwartungen hinzugeben.10 War diese Stadt nicht in erster Linie eine Durchgangsstation für Jobsuchende, die einen „Fast buck“ machen wollten? Kurzum: Zählten hier nicht auch die Künstler zu jenen Tuis, die ihr Talent skrupellos an die jeweils Kapitalkräftigsten vermieteten? Wo war also in Hollywood Brechts Publikum? An sich fast nirgends. Und sank nicht damit auch er zu einem jener Tuis herab, der sich wie alle anderen Tuis gezwungen sah, die wirtschaftlich Mächtigen mit den jeweils gewünschten „Waren“ zu beliefern, wie es in seinem zynisch versachlichten Gedicht Liefere die Ware! aus diesen Jahren heißt?11 199

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III

Um in dieser Situation seinem Unmut wenigstens etwas Luft zu verschaffen, schrieb Brecht auf Anregung Hanns Eislers, der sich in der gleichen oder zumindest einer ähnlich gearteten Lage befand, eine Reihe von Gedichten, die er Hollywood-Elegien nannte. Schon der Titel dieser Gedichte löste unter seinen Freunden und Bekannten Befremden aus. Das Wort „Hollywood“ schien so gar nicht zu der altehrwürdigen, bis in die Antike zurückreichenden Gattungsbezeichnung „Elegie“ zu passen. Auch die Wortkonstellation „Brecht“ und „Elegie“ irritierte manche seiner Gesinnungsgenossen. Schließlich hatte diesem aus Deutschland vertriebenen Autor bisher nichts ferner gelegen, als sich ohne triftigen Grund irgendwelchen elegischen Stimmungen hinzugeben. Zu schmollen, übelzunehmen, in der eigenen Seele herumzustochern oder gar den verkannten, bemitleidenswerten Außenseiter zu spielen: All das empfand Brecht als ausgesprochen „bürgerlich“. Im Gegensatz zu vielen anderen Exilschriftstellern, die sich in ihrer hoffnungslosen Vereinzelung in elitäre Privatideologien oder zumindest Privatstimmungen zurückzogen, fühlte er sich weiterhin – so hoffnungslos es auch schien – mit jenen gesellschaftlichen Kräften solidarisch, deren Ziel es war, nicht nur die materielle Basis allen menschlichen Zusammenlebens zu ändern, sondern auch die muffigen Hinterstübchen der bisherigen Gefühlskultur auszulüften. Warum also die Bezeichnung „Elegien“? Gehörte nicht die Elegie im Sinne von „Klage“ oder „wehmütigem Schmerz“ seit der Empfindsamkeit des 18. Jahrhunderts zum Formenschatz jener Lyrik, die sich vorwiegend im Umkreis bedeckter Himmel, undurchdringlicher Nebel, trüber Regentage, nächtlicher Verlorenheit oder melancholisch stimmender Friedhöfe bewegt? Davon ist jedoch in Brechts Hollywood-Elegien nirgends die Rede. Nicht das Gefühl des Unerwiderten oder Trauernden herrscht in ihnen vor, sondern ein klarer, treffender, aktivistischer, ja zum Teil sogar sarkastischer Ton. Wenn also Brecht diesen Gedichten dennoch den Titel „Elegien“ gab, so muss das schon 200

Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts Hollywood-Elegien (1942)

schwerwiegende Gründe gehabt haben. Und dazu gehörten vor allem folgende. Was ihn in Los Angeles elegisch stimmte, war erst einmal die ungeheure Diskrepanz, die in dieser blütenreichen, nach den Engeln benannten Stadt zwischen dem luxurierenden Lebensstil der von der Filmindustrie profitierenden Millionäre und ihren Trabanten sowie der Armut der restlichen Bevölkerung herrschte. Diese Erbitterung versteht sich für einen Marxisten von selbst. Doch ebenso empörte und bedrückte es Brecht, dass er – als linksorientierter deutscher Exilant auf der Flucht vor den deutschen Nazifaschisten – gerade hier Zuflucht suchen musste, um überhaupt überleben zu können. Schließlich sah er sich in dieser Stadt gezwungen, statt den Armen in ihrem Kampf gegen die Ausbeuter beizustehen, seinen Geist wie alle anderen bürgerlichen Tuis an die wirtschaftlich Stärkeren zu vermieten, das heißt dem Kapitalismus auf den Strich zu gehen. Im Hinblick auf die „andere Seite“ der Gesellschaft wirkt daher die Stadt Hollywood – trotz ihres paradiesischen Anstrichs – in diesen Gedichten wie eine „Hölle der Unbemittelten und Erfolglosen“, in der die „Gebeine der Goldwäscher“ bleichen und die vom „Ölgeruch der Filme“ erfüllt ist. Überall, lesen wir, herrsche hier der „Gestank der Gier und des Elends“. Von produktiver Arbeit oder auch sinnvoller Kunst und Kultur sei an diesem Ort nirgends die Rede. Jeder verkaufe sich so gut oder so schlecht, wie es eben gehe. Ja, über Hanns Eisler und ihn selbst heißt es in der vierten Elegie gedemütigt und selbstbewusst zugleich: „Unter den grünen Pfefferbäumen / Gehen die Musiker auf den Strich, zwei und zwei / mit den Schreibern. Bach hat ein Strichquartett im Täschchen. Dante schwenkt / Den dürren Hintern.“12 Wie so oft lehnte sich Brecht auch bei diesen Gedichten an bereits bestehende Modelle an, die er in seinem Sinne zu widerlegen oder umzufunktionieren versuchte. So war er etwa – trotz seiner grundsätzlichen Abneigung gegen Goethe – mit dessen Römischen Elegien, und zwar nicht nur wegen ihrer erotisch gefärbten Partien, recht genau vertraut. Doch derartig enthusiastisch gestimmte „Elegien“, in denen sich Zeilen finden wie „Nun bin ich endlich geborgen!“ 201

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oder „Froh empfind ich mich nun auf klassischem Boden begeistert; / Vor- und Mitwelt spricht lauter und reizender mir“,13 müssen Brecht geradezu wie ein Hohn auf seine eigene Situation erschienen sein. Denn worin äußerte sich in diesen Gedichten eigentlich das „Elegische“? Im Hinblick auf solche Gedichte bot sich also für Brecht nur die Umfunktionierung aus dem Individualistisch-Begeisterten und zugleich Bildungsmäßig-Privilegierten ins Gesellschaftlich-Kritische an. Krasser gesagt, zwischen diesen beiden Haltungen konnte es letztlich keine Vermittlung geben. Dafür spricht schon sein Gedicht Die Hölle der Enttäuscher, das Brecht 1935 nach seinem ihn zutiefst deprimierenden Besuch New Yorks niederschrieb, in dem er bereits in aller Schärfe den merkantilen Charakter der USA herausgestellt hatte.14 Eine ähnliche Tendenz liegt dem vielstrophigen Gedicht Hell aus dem Gedichtzyklus Peter Bell the Third von Percy Bysshe Shelley zugrunde, das Brecht 1938 mit Hilfe von Margarete Steffin aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt hatte, in dem es um eine gnadenlose Beschreibung des geldgierigen Geschäftslebens der Großstadt London geht.15 Hier ist der Bezug zu den Hollywood-Elegien sogar noch enger, was Brechts Gedicht Nachdenkend über die Hölle belegt, das zur gleichen Zeit wie seine Elegien entstand, in dem ausdrücklich von „meinem Bruder Shelley“ die Rede ist,16 der die Stadt London als einen Ort beschrieben habe, in dem vor allem die „Verdammten“ ihr Unwesen trieben.17 Ja, Brecht übersteigerte die von Shelley in epischer Ausführlichkeit dargestellte Negativität Londons sogar noch, indem er betonte, dass heutzutage nicht London, sondern Los Angeles zum Inbegriff der „Hölle“ geworden sei. Was jedoch Brecht bei der Niederschrift seiner sieben HollywoodElegien aufs Papier brachte, waren keine langatmigen Lamentationen à la Shelley. Im Gegenteil, er beschränkte sich auf ein paar geradezu epigrammatisch zugespitzte Kurzzeiler, in denen er so knapp wie möglich die fatale Gegensätzlichkeit herauszustellen versuchte, die in dieser Stadt zwischen dem Versprechen eines Paradieses und der Realität der Hölle herrsche. In möglichst unlyrischer Form wird in ihnen lediglich konstatiert, dass sich in dieser Stadt alles Lebendige, 202

Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts Hollywood-Elegien (1942)

Sinnversprechende ins Leblose, Kalte verwandelt habe. In ihnen ist Hollywood nicht das Traumziel all jener Glückssuchenden, die naiverweise immer noch darauf hofften, in dieser Stadt eines schönen Tages ein großer Star oder eine alles überstrahlende Diva zu werden, sondern wo es nur um Kauf und Verkauf gehe und wo sich selbst jene, die dieses Marktgetriebe zutiefst ablehnten, gezwungen sähen, sich ebenfalls unter die Verkäufer einzureihen. Von Freundschaft oder gar Liebe sei daher in dieser Stadt nirgends die Rede. Selbst die jungen Schauspielerinnen glichen hier mannequinartigen Puppen, die sich am Abend „verzweifelt kleine Fläschchen mit Geschlechtsgeruch“ kauften,18 um in all dieser Abgestorbenheit den Anhauch des Lebendigen vorzutäuschen. Als daher Brecht diese Elegien am 20. September 1942 Hans Winge vorlas, sagte dieser verdutzt: „Sie sind wie vom Mars aus geschrieben.“19 So gesehen, wirken seine Hollywood-Elegien wie Gedichte über eine „verkehrte Welt“, in der alles auf dem Kopf zu stehen scheint. Aber sie sind zugleich Elegien des Marxisten Brecht, der in dieser Traumfabrik des marktwirtschaftlichen Systems – trotz seiner ungebrochen antikapitalistischen Gesinnung – zu einem ihrer Belieferer herabgesunken war, der also seinen „Feinden“ diente, statt in Moskau an der Seite seiner wahren Freunde zu sitzen. Doch welche Freunde hatte Brecht damals in der UdSSR? Saß er nicht in Los Angeles, weil er darauf keine rechte Antwort wusste? Und so vermischen sich in diesen Gedichten Hohn und Scham, Klage und Anklage, Objektives und Subjektives auf eine geradezu untrennbare Weise. Deshalb sind seine Hollywood-Elegien bei aller Verfremdung des Elegischen zugleich echte Elegien. Letztendlich beklagen sie das Schicksal jenes unbekannten Dante, der das in ihnen geschilderte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, welches er zutiefst verabscheut, zugleich beliefert und noch froh sein muss, dass man seine hintergründigen Machenschaften nicht durchschaut. Denn was war in einer solchen Situation, die nur nach systemstützenden „Waren“ verlangte, anderes zu machen, als solche „Waren“ herzustellen? Schließlich herrschten hier die marktbestimmenden Geldsäcke geradezu absolut. Solchen Leuten 203

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war mit „Kunst“ im Sinne Brechts überhaupt nicht beizukommen. „Was soll ich ihnen sagen?“, fragte sich daher Brecht in einem anderen Gedicht, das er zur gleichen Zeit verfasste. Und er gab darauf die einzige ihm gemäß erscheinende Antwort: „Das [nämlich daß es so ist, wie es ist] will ich ihnen sagen!“20 Diese Stadt war für ihn lediglich ein Ort der Korruption, in dem es keinerlei soziales Verantwortungsgefühl gab. Und fast alle der hier Wohnenden schienen in seinen Augen diesen Zustand zu akzeptieren, sich anzupassen, „happy“ zu sein und schließlich mit einem Lächeln auf den Lippen im Sumpf des falschen Bewusstseins immer tiefer zu sinken, wie es in einer Variante zu den Hollywood-Elegien heißt.21 Mit derart lakonischen, aber einprägsamen Bildern bemühte sich Brecht, dieser Hollywood-Welt, in der alles schäbig, alles verhunzt, alles käuflich sei, letztendlich doch ein Quäntchen „Kunst“ abzuringen – hoher Kunst sogar, die in ihrem treffenden Sarkasmus und ihrer epigrammatischen Zuspitzung nicht nur der Haltung eines schmähsüchtigen Thersites entsprang, sondern in kärglichen, wenn auch sorgfältig gesetzten Worten dem verächtlich-ungefügigen Stoff dennoch ein Höchstmaß an formaler Klarheit abzugewinnen suchte. Dies ist eine Kunst der Kunstlosigkeit, die bei aller Verzweiflung zugleich einen Stachel der Widersetzlichkeit enthält. Trotz aller Erbitterung über die nazifaschistischen Siege an allen europäischen Fronten des Jahres 1942 und trotz der Bereitwilligkeit, mit der selbst das deutsche Proletariat den Anordnungen seines „Führers“ folgte, hielt Brecht selbst in der „Hölle“ Hollywoods an der Überzeugung fest, dass es ein jämmerlicher Verrat gewesen wäre, sich irgendwelchen defätistischen Stimmungen hinzugeben oder ins Opportunistische auszuweichen. Im Gegenteil, er versuchte selbst an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt, als es keine Chance gab, eine Kunst zu schaffen, mit der er die von ihm erhofften „Weltveränderer“ erreichen konnte, „Kunst“ zu machen, und zwar Kunst seiner Art. Dass ein solcher Versuch an einem Ort wie Hollywood, wo die Ideen der Herrschenden nahezu unumschränkt herrschten, letztlich hybrid war, sah selbst er ein. Trotz alledem ließ er nicht nach, sogar in dieser scheinbar hoffnungslosen Situation das 204

Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts Hollywood-Elegien (1942)

ihm Bestmögliche zu leisten. Und das gibt diesen Gedichten ihre bis heute beeindruckende Größe. IV

Hanns Eisler, der sich zu diesem Zeitpunkt – ebenfalls abgeschnitten von allen linksorientierten Wirkungsmöglichkeiten – in der gleichen „deplorablen“ Situation wie Brecht befand und offenbar sogar derjenige war, der ihn zu diesen Elegien angeregt hat, zeigte sich daher von diesem Zyklus so angetan, dass er sie nicht nur als seine „Lieblingsgedichte“ bezeichnete,22 sondern sofort daran ging, sie zu vertonen. Schließlich fühlte sich auch er in Hollywood, auf Kompositionsaufträge der dortigen Filmmagnaten hoffend, an einen Ort verschlagen, wo er zwar seinem Freund Brecht endlich wieder nahe sein konnte, aber wie dieser – nach Jahren vielfältiger Aktivitäten für die „Dritte Sache“, wie Brecht den Sozialismus nannte – am Gefühl der totalen Entfremdung litt. Worauf sollte man hier, fragte sich auch er, im Zustand der politischen Vereinzelung weiterhin hoffen. Zugegeben, aufgrund seiner umgänglichen Art fand Eisler in dieser Stadt relativ schnell andere Exilanten wie Theodor W. Adorno, ja selbst Arnold Schönberg und Thomas Mann, mit denen er gesellschaftliche Kontakte aufnehmen konnte, aber letztlich blieb Brecht für ihn sowohl politisch als auch künstlerisch seine wichtigste Bezugsperson, dem er nach dem Ende der Exiljahre – im Gegensatz zu Adorno, Schönberg und Mann – sogar nach Ostberlin folgte. Allerdings waren Eisler und Brecht nicht unbedingt in allem einer Meinung. Es wäre daher verfehlt, sie als siamesische Zwillinge zu charakterisieren.23 So war Eisler auf menschlicher Ebene eher konziliant, während Brecht im Umgang mit anderen Menschen, vor allem wenn ihm deren politische Überzeugungen nicht zusagten, manchmal recht „laut, scharf und unerbittlich“ sein konnte, wie es Eisler später formulierte.24 Und auch in ästhetischer Hinsicht wichen ihre Anschauungen zum Teil weit voneinander ab. Nicht nur dass Eisler die Musik Beethovens sowie der auf ihn folgenden deutsch-romantischen 205

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Komponisten hoch in Ehren hielt, verstörte Brecht. Auch dass Eisler Thomas Manns Romane und Schönbergs Zwölftonkompositionen schätzte, konnte er nicht verstehen. Ja, selbst Eislers Interesse an modernen „bürgerlichen“ Autoren wie James Joyce und Marcel Proust befremdete ihn.25 Um jedoch Eisler nicht zu verstimmen, schwieg sich daher Brecht nach dessen lobenden Erwähnungen solcher Komponisten und Autoren lieber vielsagend aus. Wohl das bekannteste Beispiel dafür ist Brechts Reaktion auf Eislers zwölftönige Komposition Vierzehn Arten, den Regen zu beschreiben, die Eisler 1942 anlässlich des 70. Geburtstags des von ihm weiterhin bewunderten Meisters Schönberg in Los Angeles aufführen ließ. Nachdem Brecht sie gehört hatte, schrieb er in sein Arbeitsjournal höchst ironisch: „Vielleicht ist mein Tuiroman doch nicht …“, um auf das für die Durchsetzung des Sozialismus „Unbrauchbare“ derartiger Kompositionen hinzuweisen.26 Der späte Eisler, der dieses Notat in Brechts Arbeitsjournal durchaus kannte, erklärte deshalb seinem Gesprächspartner Hans Bunge gegenüber: „Brecht hat in seinem Tagebuch nicht vermerkt, daß er darüber enorm geflucht hat. Das weiß ich aber, daß er ja hinter meinem Rücken auch darüber Wutanfälle bekommen hat.“27 Doch irgendwelche „großen Kräche“ wurden zwischen beiden in diesem Zeitraum geflissentlich vermieden. Schließlich ging es sowohl Brecht als auch Eisler weniger um das Ich oder das Du als um die „Dritte Sache“. Statt in der „Splendid isolation“ des rein Künstlerischen zu verharren, versuchten sie mit ihren Mitteln, selbst mit scheinbar kleineren Werken wie den Hollywood-Elegien endlich die Kluft zwischen dem breiten Publikum und der Kunst zu schließen. Allerdings war ihnen dabei stets bewusst, dass die Verwirklichung dieses Bemühens nicht allein mit ästhetischen Mitteln zu erreichen war, sondern dass hierzu erst einmal eine Reihe tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen nötig war, um so – auch in der Kunst – einem weltverändernden Sozialismus die Wege zu ebnen.

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V

Doch wie ließ sich diese ins Sozialistische zielende Absicht bei der Vertonung der Brecht’schen Hollywood-Elegien erreichen? Bevor sich auf diese Frage eine halbwegs schlüssige Antwort geben lässt, sei eingangs auf die Entstehungsgeschichte und die musikalische Fassung dieser Lieder eingegangen. Dass ihre Textfassungen zum Teil von der späteren Druckfassung abweichen, hängt sicher damit zusammen, dass Brecht – der ewige Verbesserer – bei der späteren Drucklegung noch kleinere Veränderungen vornahm. Und zwar vertonte Eisler Brechts Elegien in folgender Reihenfolge: Nr. VI, Nr. IV, Nr. III, Hollywood, Nr. I, Nr. II und I saw many friends.28 Wie wichtig Eisler diese Vertonungen waren, beweist schon die Tatsache, dass er diese sieben Lieder in einen Gesangszyklus einfügte, den er ausdrücklich Hollywooder Liederbuch nannte und der insgesamt 46 Lieder enthält, wo sie – neben anderen Liedern nach Texten von Brecht, die weitgehend der Steffinschen Sammlung aus der Zeit in Dänemark entnommen sind – als die Nummern 19, 21, 22, 23, 24, 25 und 27 erscheinen.29 Was diese sieben Vertonungen mit fast allen Liedern des Hollywooder Liederbuchs gemeinsam haben, ist ein relativ eingängiger Parlandostil, der sich nur hin und wieder zu dramatischen Ausbrüchen steigert. In seiner Gesamtanlage gehört dieses Liederbuch durchaus in die Tradition jener großen Liederzyklen von Franz Schubert, Robert Schumann, Johannes Brahms und Hugo Wolf, das heißt hat in seiner Vortragsart etwas Intimes, Melancholisches, ja manchmal fast ins Empfindsame Übergehendes. Jedenfalls wirkt dieser Zyklus in seiner gesungenen Form keineswegs so bitter oder sarkastisch-scharf wie viele der ihm zugrunde liegenden Texte von Brecht. Und das verwundert bei einem Komponisten wie Hanns Eisler, dessen vorangegangene Songs und Märsche häufig selbst vor dem Lauten und Hingeschmetterten nicht zurückgeschreckt waren. Allerdings handelte es sich dabei meist um Chorlieder, bei denen Eisler bestimmte Agitpropgruppen im Auge hatte. Ja, selbst die meisten seiner früheren Sololieder wirken vielfach aufrüttelnd oder zumindest scharf akzentuiert. 207

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All das weicht in seiner Vertonung der Brecht’schen Hollywood-Elegien einer wesentlich gedämpfteren Tonlage, die zwar nichts Romantisch-Stimmungsvolles hat, aber keineswegs die gleiche bittere Kälte aufweist, die in Brechts Gedichten herrscht. Das hängt zum Teil sicher damit zusammen, dass diese Lieder nicht für sich stehen, sondern in einen weit ausgedehnten Zyklus eingebettet sind, dessen Gedichte zwar ebenfalls vorwiegend von Brecht stammen, aber denen auch Texte von Blaise Pascal, Johann Wolfgang Goethe, Friedrich Hölderlin, Eduard Mörike und Joseph von Eichendorff zugrunde liegen. Und da in den Texten dieser Autoren nicht nur der Ton der unbarmherzigen Anklage, sondern auch eine Vielfalt von Tönen der Wehmut, des Hoffens, ja selbst einer verhaltenen Freude herrscht, hat dieser Kontext offenbar auch auf Eislers Vertonungen der Brecht’schen Hollwood-Elegien eingewirkt und verleiht deshalb seinem Liederbuch den Eindruck einer seltenen Geschlossenheit. Dennoch sollten dabei kleinere Variationen nicht unbeachtet bleiben.30 So betont etwa Eisler in der ersten Nummer („Über den vier Städten kreisen die Jagdflieger“) im Gegensatz zu der in großen Legatobögen „in die tiefsten Oktaven hinabsteigenden Baßstimme“ zugleich höchst eindringlich „im Diskant gleich fünfmal die Terzen c-e als diatonische Bestandteile des C-Dur-Dreiklangs“, um damit auf die in die Höhe steigenden Jagdflieger hinzuweisen, die sich über den in dieser Stadt herrschenden „Gestank der Gier und des Elends“ zu erheben suchen.31 In der zweiten Nummer („Unter den grünen Pfefferbäumen“) herrscht dagegen im flanierenden Dreivierteltakt und einer scheinbar „belanglos hingesetzten Sechzehntelbewegung“32 ein eher das Elegische parodierender Scherzoton vor, der in seiner „Molto accelerando“ überschriebenen Schlusspassage fast ans „ChaplineskGroteske“ grenzt.33 In der dritten Nummer („Die Stadt ist nach den Engeln benannt“), welche die Überschrift „Mit finsterem Schmalz vorzutragen“ aufweist, dominiert nach einer eher zurückhaltenden Passage das mit „Vorwärts a tempo“ überschriebene Trotzige. In der vierten Nummer („Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen“) sowie der fünften Nummer („Die Stadt Hollywood hat mich belehrt“) kommt 208

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streckenweise eher das Verzweifelte zum Durchbruch, das sich an die Klangfolgen irgendwelcher imaginierten Trauermärsche anzulehnen versucht und erst in den Schlusspassagen in eine anklagende Espressivo-Stimmung übergeht. Anschließend macht sich in der sechsten Nummer („In den Hügeln wird Gold gefunden“), die mit „Mäßige Viertel elegant“ überschrieben ist, wiederum ein leicht ironisierender Ton bemerkbar, worauf in der siebten und letzten Nummer („I saw many friends“) erneut das Trauernde überwiegt. Doch all das sind letztlich nur kleinere Abweichungen von einer durchgängig gedämpften Tonlage, die eher wehmütig als kämpferisch klingt. Fast alle diese Gesänge wirken wie Lieder eines Leidenden – allerdings eines Leidenden, dem es nicht nur um sein eigenes Schicksal geht. In ihnen wird zugleich das Schicksal all jener Menschen mitbedacht, die damals noch immer auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs litten und starben, und zugleich all jener, die davon in der profitgierigen Unkulturindustrie Hollywoods keinerlei Notiz zu nehmen schienen. Der Ton, der sich dabei einstellt, ist der Ton eines verzweifelten Hoffens und zugleich der Ton der Todesnähe, der dieses Hoffen immer wieder in Frage stellt. Im Gegensatz zu Brecht klingen dabei – mit musikalischen Rückerinnerungen an Schubert und Schumann, als den beiden größten deutschen Liedkomponisten – in Eislers Liederbuch sogar einige schmerzlich empfundene Heimwehmotive an. So sind in der Nr. 41 die fünf Strophen aus Hölderlins HeidelbergOde („Du, der Vaterlandsstädte / Ländlichschönste, so viel ich sah“) ausdrücklich „Schubert gewidmet“, während die Nr. 26 („Aus der Heimat hinter den Blitzen rot, / da kommen die Wolken her“) die Überschrift „Erinnerung an Eichendorff und Schumann“ trägt.34 Solche Töne werden Brecht, den das „bürgerliche“ Kulturerbe, welches „Murxisten“ wie Georg Lukács und Johannes R. Becher damals unbedingt in den Sozialismus „verretten“ wollten, geradezu anwiderte, weniger gefallen haben. Aber um Eisler, dem er so viel verdankte, nicht zu verstören, wird er sich – wie auch über dessen Rückfälle ins Schönbergisierende – wahrscheinlich wiederum vielsagend ausgeschwiegen haben. Die Vertonung seiner Hollywood-Elegien 209

In der Fremde

wie auch das „Gestische“ an den Hölderlin-Vertonungen hat ihm dagegen offenbar gefallen.35 Schließlich war auch er gar nicht so karg und gefühlsarm, wie er sich meist gab, um mit geradezu programmatischer Hartnäckigkeit den „Bürger“ in sich selbst zu unterdrücken.36 So hat Brecht zwar immer wieder betont, dass er keine Musik möge, bei der man wie beim Anhören von Beethovens 9. Symphonie unnötigerweise in ein gefühlvolles „Schwitzen“ gerate.37 Doch wer beginnt schon zu „schwitzen“, wenn ein solches Werk erklingt? Dazu muss man schon ein starkes Gefühl haben. VI

Da diese Lieder weitgehend stille Lieder sind, deren Melismen sich nicht ohne weiteres nachsingen lassen, war ihnen anfangs – im Gegensatz zu den frühen Brecht-Vertonungen, die Eisler und Brecht 1934 in Paris in Willi Münzenbergs Editions de Carrefour unter dem Titel Lieder Gedichte Chöre publiziert hatten, wie auch den Tucholsky- und Wedekind-Liedern, welche Eisler in den fünfziger Jahren höchst effektvoll vertonte und die in Ernst Busch ihren überzeugendsten Interpreten fanden – keine große Resonanz beschieden. Und auch die ihnen zugrunde liegenden Brecht-Texte sind erst spät in den Kanon des Zitierbaren aufgestiegen. In den USA galten sie als „peinlich“ und in Deutschland als „exotisch“. Eisler und Brecht hatten zwar gehofft, dass diese Lieder nach 1945 in den Vereinigten Staaten im Druck erscheinen könnten, doch daraus wurde angesichts des schon im Herbst 1947 einsetzenden Kalten Kriegs und der darauffolgenden Verhöre, in die sowohl Brecht als auch Eisler verwickelt wurden,38 vorerst nichts. Selbst Adorno, der ursprünglich im Sinne seines Aufsatzes über die US-amerikanische Kulturindustrie39 ein Vorwort dazu schreiben wollte,40 zog angesichts dieser Entwicklung sein Angebot wieder zurück und drang sogar darauf, dass bei der Publikation des von Eisler und ihm verfassten Buchs Composing for Films (1947) sein Name nicht genannt werden durfte, um nicht auch in die Schusslinie der antikommunistischen „Hexenjäger“ zu geraten. 210

Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts Hollywood-Elegien (1942)

Und so blieb es um diese Gedichte wie auch ihre Vertonungen längere Zeit relativ still. Selbst in der DDR, wo sie offenbar als zu privat oder zu formalistisch galten, wurden sie bis zu Eislers Tod nicht aufgeführt. Noch weniger Interesse fanden sie in der ehemaligen Bundesrepublik, wo man im Laufe der fünfziger Jahre – im Gegensatz zu Brecht und Eisler – den Produkten der US-amerikanischen Massenmedien eine geradezu kultische Verehrung entgegenbrachte. Daher wurden die dortigen Germanisten erst in den späten siebziger Jahren auf Eislers Liederbuch aufmerksam.41 Die erste vollständige Publikation dieses Werks besorgte Manfred Grabs 1976 im Rahmen der in Leipzig erscheinenden Gesammelten Werke Eislers.42 Doch sogar dann dauerte es noch sechs Jahre, bis es 1982 – anlässlich des 20. Todestags Eislers – in der DDR zur ersten musikalischen Gesamtaufführung des Hollywooder Liederbuchs durch Roswitha Trexler und Josef Christof kam. Während dabei durch den hohen Sopran dieser Sängerin eher der kalte Ton Brechts überwog, legte Matthias Goerne im Jahr 1998 bei seiner Wiedergabe dieser Lieder – schon aufgrund seiner warmen Baritonstimme – den Akzent eher auf das Wehmütig-Trauernde. Und wer sie in dieser Aufnahme hört, vernimmt sie bis heute als Lieder einer längst vergangenen Zeit, in der sich jene Menschen, die man aus ihrem Vaterland vertrieben hatte, im „kalifornischen ZelluloidMekka“43 – ohne Rückhalt bei sich mit ihnen solidarisierenden Gruppen – weitgehend „entfremdet“, wenn nicht gar verloren vorkamen. All das sollte auch in Zukunft beim Lesen dieser Texte oder beim Anhören dieser Lieder nicht vergessen werden, nämlich unter welch schwierigen Bedingungen sie damals in Los Angeles entstanden sind. Was für Möglichkeiten boten sich denn Eisler und Brecht in dieser Stadt überhaupt an? Hier gab es keine „lesenden Arbeiter“, keine Chorgruppen wie Das Rote Sprachrohr, kein Theater am Schiffbauerdamm und keine kommunistischen Laienspielgruppen, mit denen sie politisch kooperieren konnten. An diesem Ort herrschte allein die Profitgier. Und fast alle im Umkreis von Hollywood wohnenden und arbeitenden Menschen empfanden damals die dort herrschenden 211

In der Fremde

Verhältnisse noch als das bestmögliche Wirtschaftssystem. Ja, manche der auf die Segnungen des Kapitalismus schwörenden US-Amerikaner entblödeten sich nicht einmal, die frisch angekommenen deutschen Exilanten – im Sinne ihrer allein auf das Ökonomische ausgerichteten Denkweise – naiverweise zu fragen: „Und wie viel verdient dieser Hitler eigentlich im Monat?“ Was sollten demzufolge Marxisten im Jahr 1942, als noch kein Ende des Zweiten Weltkriegs abzusehen war, anderes tun, als – neben der „Brotarbeit“ für die Filmindustrie – Elegien zu schreiben und diese dann zu vertonen? Zum Glück währte diese Zeitspanne nicht lange. Schon nach dem Debakel von Stalingrad im Winter 1942/43, als es für die Nazifaschisten keine Hoffnungen auf einen Endsieg mehr gab, wandten sich auch Brecht und Eisler wieder hoffnungsvolleren Projekten zu.44

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„Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher) Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen Deutschen Demokratischen Republik (1945–1965)

I

Während die Hauptvertreter der ostdeutschen Literatur, ob nun ältere, aus dem Exil heimkehrende Autoren und Autorinnen wie Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Anna Seghers, Friedrich Wolf und Arnold Zweig oder auch in der DDR aufgewachsene Autoren und Autorinnen wie Volker Braun, Heiner Müller, Ulrich Plenzdorf und Christa Wolf, ja sogar einige bildende Künstler wie Willi Sitte und Werner Tübke auch außerhalb der DDR relativ bekannt waren, hatten die meisten westlichen Kulturinteressenten vom Musikleben dieses Staates keine rechte Vorstellung. Manche kannten zwar berühmte Sänger, Dirigenten und Ensembles wie Theo Adam, Franz Konwitschny, Kurt Masur, Peter Schreier, die Thomaner und das Leipziger Gewandhausorchester, aber sie waren ihnen vor allem als Interpreten barocker, klassischer und romantischer Musik und nicht als Interpreten jener Musik vertraut, die innerhalb der DDR entstanden war. Dagegen blieben die Werke fast aller DDR-Komponisten – von Ausnahmen wie Hanns Eisler einmal abgesehen – im Westen weitgehend unbekannt. 213

„Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher)

Und zwar hängt das nicht nur mit dem abnehmenden Interesse an allen sogenannten höheren Formen von Musik zusammen, die in Westdeutschland schon in den fünfziger Jahren immer stärker durch die Pop- und Filmmusik in den Hintergrund gedrängt wurde. Daran waren auch die schwierigen Aufführungsbedingungen und der komplizierte Devisenumtausch schuld. DDR-Bücher ließen sich auch in der BRD ohne weiteres nachdrucken und sogar ostdeutsche Gemälde waren den dortigen kulturinteressierten Schichten durch Bildbände des Leipziger Seemann Verlags relativ leicht zugänglich. Aber Partituren? Wer wäre in Westdeutschland das kostspielige Risiko eingegangen, irgendwelche DDR-Oratorien, -Opern oder -Symphonien aufzuführen – wohlwissend, wie klein hier das Publikum für moderne Musik ohnehin war? Also ließ man es lieber sein und verdammte diese Musik schon in den fünfziger Jahren von vornherein – wie Theodor W. Adorno – als „gegängelte Musik“,1 kurzum: als staatskonform, von totalitaristischen Absichten durchsetzt, ergo: stalinistisch, oder wegen ihres Mangels an avantgardistisch-modernistischen Formelementen als altmodisch, hausbacken, ergo: langweilig. Und bei diesen Verdikten blieb es auch in der Folgezeit. Lediglich die westdeutschen Achtundsechziger entwickelten ein kurzlebiges Interesse für Hanns Eisler, das jedoch weitgehend seinen vor 1933 oder im Exil komponierten Werken und nicht seinen in der DDR entstandenen Kompositionen galt. Wie es zu dieser fatalen Auseinanderentwicklung kam, die weitgehend mit dem Kalten Krieg und der durch ihn bewirkten Spaltung Deutschlands zusammenhing, lässt sich am besten anhand eines kurzen Rückblicks auf die unmittelbare Nachkriegszeit veranschaulichen. Im Sommer und Herbst 1945 war im Hinblick auf die E-Musik die Ausgangsposition in allen vier Besatzungszonen erst einmal recht ähnlich. Überall waren viele Opern- und Konzerthäuser zerstört worden, überall bestand ein Mangel an Noten. Aber schon nach wenigen Monaten kam es allerorten wieder zur Aufführung jener Meisterwerke der barocken, klassischen und romantischen Musik, die wie eh und je den Hauptteil der üblichen Konzertprogramme 214

Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur

bestritten hatten. Ja, bei vielen kulturbewussten Menschen herrschte dabei durchaus das Gefühl, dass die ältere deutsche Musik von Bach bis Brahms das Gute am deutschen Wesen in besonders nachdrücklicher Form zum Ausdruck gebracht habe. Demzufolge ertönten damals in allen vier Besatzungszonen immer wieder Bachs Mat­ thäuspassion, Mozarts Zauberflöte und Beethovens Neunte, um so zu einer allgemeinen Katharsis von den politischen Verfehlungen des Nazifaschismus beizutragen. In der Viermächtestadt Berlin war es vor allem der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, der sich für die Pflege des „klassischen Erbes“, aber auch für die Aufführung von im Dritten Reich verfemten Werken ausländischer und modernistischer Musik einsetzte. So konnten die dortigen E-Musikinteressenten schon 1946/47 Werke von Hanns Eisler, Sergej Prokofjew und Dimitri Schostakowitsch, aber auch von Béla Bartók, Alban Berg, Benjamin Britten, Aaron Copland, Artur Honegger, Olivier Messiaen, Arnold Schönberg, Anton Webern und Kurt Weill hören.2 Doch die Breite dieses Angebots blieb innerhalb Ostberlins und der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) eine kurze Episode. Schon im Jahr 1948, nach der Verdammung weiter Bereiche der westlichen Musik durch den sowjetischen Kulturfunktionär Andrej Shdanow, kam es in der SBZ – im Zuge des sich schnell verschärfenden Kalten Krieges – zu ersten Abgrenzungsmanövern gegenüber dem Westen und zugleich in enger Anlehnung an die in der UdSSR herrschende Musikpolitik zu ersten Grundsatzerklärungen, wie das bestehende Musikleben, das immer noch entweder einen bildungsbürgerlichen oder einen ins Triviale verkitschten Charakter habe, im Sinne des Aufbaus einer sozialistischen Musikkultur zu verändern sei. Hierbei entwickelten einige sich der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) anschließende Musiktheoretiker und Komponisten – neben der zu erwartenden Kritik an der westlichen Musik – seit 1949/50 zugleich eine Reihe idealistisch-hochgespannter Konzepte, von denen sie sich erhofften, dass dieser Umwandlungsprozess auch die sogenannten breiten Massen ergreifen und begeistern würde. 215

„Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher)

Beginnen wir mit der Kritik an den westlichen Formen der damaligen Musik, die sich in vielen Parteierklärungen,3 den ersten Jahrgängen der zu diesem Zeitpunkt entstehenden Periodika wie Musik und Gesellschaft, Musikforum und Musik in der Schule, den Programmen des 1951 gegründeten Verbandes Deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler sowie dem 1952 erscheinenden Buch Musik im Zeitgeschehen von Ernst Hermann Meyer niederschlug, die als Dokumente der vielbeschworenen Formalismusdebatte in die Musikgeschichte eingegangen sind. Am schärfsten wurde innerhalb dieser Erklärungen die westliche Unterhaltungsmusik angegriffen, die – aus „Profitgründen“ – auf das Leichtabsetzbare im Bereich des Sentimental-Verkitschten, aber auch des Erotisch-Anmachenden oder Chauvinistischen zugeschnitten sei und so zu einer „künstlerischen Verarmung“ der breiten Massen beitrage.4 Auf diesem Gebiet versuche die „amerikanische Amüsierindustrie“, wie es hieß, wirklich alles, um mit ihrem „Boogie-Woogie-Kosmopolitismus“ die „kulturelle Unabhängigkeit“ anderer Länder zu untergraben.5 Ebenso scharf attackierten manche DDR-Kritiker die sogenannte Ernste oder E-Musik des Westens. Ihren Komponisten warfen sie ein „auftragsloses Schaffen“ vor, das zu einer „Isolierung des Künstlers“ von der Gesellschaft geführt habe und in vielen Fällen auf eine allen „humanistischen“ Zielen entfremdete „überentwickelte, preziöse L’art pour l’art-Musik“ hinauslaufe.6 Als Beispiele führten sie dabei meist die Werke Arnold Schönbergs und seiner Schüler an, denen in ihren formalistisch-kosmopolitischen, das heißt alle „nationalen Wurzeln verleugnenden Absichten“ der gleiche „Imperialismus“ zugrunde liege wie der amerikanischen Pop-Musik.7 Nicht minder kritische Urteile fällten sie über die angeblich „inhaltslosen“ Werke Igor Strawinskys, aber auch über viele andere Vertreter modernistischer Musikströmungen. Als daher 1950 in Dresden die sich weitgehend auf ein Schlagzeugensemble stützende Oper Antigonae von Carl Orff aufgeführt wurde, warfen die Funktionäre der SED den dafür Verantwortlichen vor, dass dieses Werk wegen seiner „monotonen, unmelodischen“ Musik lediglich ein weiteres Beispiel für den im Westen grassierenden „Formalismus“ sei.8 Die gleichen 216

Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur

Vokabeln gebrauchte Ernst Hermann Meyer 1952 in seinem Buch Musik im Zeitgeschehen, wo er von den Komponisten der westlichen Moderne – wegen ihrer Tendenz ins Volksverbundene – lediglich Leoš Janáček, Béla Bartók, Ralph Vaughan Williams und Zoltan Kodaly von seiner Kritik ausnahm, während er den Rest, vor allem den von Theodor W. Adorno und seinen Adepten angehimmelten, rein subjektivistisch komponierenden Arnold Schönberg in die Rubrik der „formalistischen Hypermoderne“ einreihte.9 Schon aus dieser Kritik lässt sich indirekt erschließen, welches die positiven Ziele der Musikpolitik der frühen DDR und der in sie gesetzten Hoffnungen waren. Um die nicht nur im Westen, sondern auch im eigenen Lande weiterbestehende Aufspaltung der Musikszene in triviale und elitäre Genres zu überwinden, gaben sich viele Kulturfunktionäre der frühen DDR der Hoffnung hin, dass sich – falls man alle Komponisten auffordern würde, nicht mehr allein ihren eigenen Neigungen zu folgen, sondern sich voll und ganz in den Dienst des Aufbaus einer friedliebenden antifaschistischen Gesellschaft zu stellen – eine bedeutsame Musik schaffen lasse, die alle Menschen ansprechen würde. Von nun an sollte es, wie sie erklärten, keine musikalischen Teilkulturen, das heißt eine elitäre Musik für die Angehörigen der älteren Bourgeoisie und eine triviale für die breiten Massen, sondern nur noch eine Musik geben, die sich als der künstlerische Ausdruck einer nichtantagonistischen Gesellschaft verstehe. Und zwar zog man dabei immer wieder die Maxime Lenins heran: „Die Kunst gehört dem Volke; sie muß ihre tiefsten Wurzeln in den breiten schaffenden Massen haben, sie muß von diesen verstanden und geliebt werden.“ Als erster Schritt auf diesem Wege zu einer wahrhaft sozialistischen Musikkultur, die sich – wie alle anderen Künste – darum bemühen würde, ein ästhetischer Antriebsmotor zu der von Johannes R. Becher erhofften „einen großen, gebildeten Nation“ zu sein, wurde dabei die Schaffung einer Vokalmusik ins Auge gefasst, welche sich in ihren Texten zu einem „heroischen Pathos, revolutionären Kämpfertum, zu Patriotismus und Optimismus, zu Lebensfreude und Glück“ bekennen würde, um damit in ihren Hörern und Hörerinnen all jene 217

„Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher)

Empfindungen zu wecken, wie es 1953 bei dem Kulturfunktionär Eberhard Rebling hieß, „die sich aus den herrlichen Perspektiven auf eine zukünftige kommunistische Gesellschaft in Wohlstand, Glück und Frieden, ohne Elend, Not und Krieg“ ergeben.10 Der gleiche Rebling verstand darunter eine Musik, die „durch ihre Verbindung mit dem Wort, ihre einfache und fesselnde melodische Gestaltung, durch ihre deutschen Intonationen und ihr Anknüpfen an die im Volke lebendigen fortschrittlichen Traditionen früherer Epochen direkt zu den Massen der Werktätigen“ sprechen würde.11 Damit wurden schon zu diesem Zeitpunkt mehrere Leitpunkte klar umrissen, die auch in der Folgezeit immer wieder als Postulate auftauchten. Um mit dem Inhaltlichen zu beginnen: Was von der SED gefordert wurde, waren erst einmal prinzipiell optimistische Zielvorstellungen, die sich zu einer Umgestaltung der Gesamtgesellschaft im Sinne des Sozialismus bekennen würden, um so eine Fortführung jener subjektiv-melancholischen, ja angeblich tragischen Stimmungen zu verhindern, mit denen große Teile der bisherigen Bourgeoisie ihre rücksichtslose Ausbeutung und Genussgier ästhetisch verschleiert hätten. Stattdessen legte die SED den Hauptnachdruck vornehmlich auf Weltanschauungskonzepte wie Frieden, Solidarität, Parteilichkeit und Aufbauwillen. Als die beste Ausdrucksform solcher Tendenzen stellte sie vor allem eine Vokalmusik hin, deren Texte in möglichst verständlicher, aber zugleich melodisch mitreißender Form vorgetragen werden sollten, um ihre Hörer und Hörerinnen emotional aufzuputschen und ihnen zugleich Leitlinien für ihre politische Gesinnung und ihren Arbeitswillen zu vermitteln. Als Vorbilder dafür wurde vor allem auf die Sowjetmusik und die Rote Kampfmusik der späten zwanziger Jahre, aber auch auf das ältere, noch nicht vom Faschismus korrumpierte Volkslied hingewiesen, um auch eine nationale Komponente in diese Richtlinien einzubringen. Vor eine wesentlich schwierigere Aufgabe sahen sich die Partei­ theoretiker gestellt, als es galt, auch Leitlinien für eine sozialistische Musikkultur im Rahmen der Instrumentalmusik aufzustellen, wo die „Inhalte“ nicht so direkt in Erscheinung treten wie in der auf 218

Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur

Texten beruhenden Vokalmusik, sondern nur in indirekter Form – als Gefühle, Stimmungen, Gedankenblitze oder malerisch ausgestaltete Partien – wahrgenommen werden können.12 In diesem Bereich zog man zur Unterstützung der eigenen Vorstellungen meist die bereits von Franz Mehring und Georg Lukács aufgestellte These von der Vorbildlichkeit der Kunst des progressiven Bürgertums heran, um auch im Hinblick auf die Instrumentalmusik eine für jede marxistische Sicht von Geschichte und Kultur unabdingbare Perspektive der „dialektischen Aneignung“ in solche Diskussionen einzubringen und zugleich die bisher von den höheren Formen der Kunst ausgeschlossene Arbeiterschaft für diese Art von Musik zu gewinnen. So stellte etwa Ernst Hermann Meyer schon 1952 die These auf, dass Beethoven der bedeutendste deutsche „Jakobiner“ gewesen sei, in dessen Musik sich jener Fortschrittsgeist widerspiegele, wie er sich nur bei mit dem sogenannten einfachen Volk verbundenen Komponisten finde.13 Andere sprachen in diesen Jahren davon, dass sich Schuberts große C-Dur-Symphonie in ihrem „hinreißenden Optimismus“ letztlich nur als „Protest und Aufruf gegen die herrschende Lethargie und Passivität seiner Landsleute“ verstehen lasse.14 Ja, selbst die 1. Symphonie von Brahms wurde als musikalischer Ausdruck des „Kämpfens und Siegens“ gedeutet, die ohne den „historischen Kampf des deutschen Volkes um Einheit und Freiheit“ nicht entstanden wäre.15 Aber nicht nur symphonische und kammermusikalische Kompositionen,16 selbst die ältere Kirchenmusik, vor allem die von Johann Sebastian Bach, in der er sich als ein Vertreter „nationaler Selbstbestimmung und Wegbereiter des Fortschritts“ erweise, welcher nie von den Idealen des „Humanismus und des Friedenswillens“ abgelassen habe,17 wurden in die neue sozialistische Musikpolitik integriert. Durch die These von der progressiven Parteilichkeit jener Teile des deutschen Bürgertums, die sich in ihren besten künstlerischen Leistungen stets der nationalen Tradition verbunden gefühlt und sie zugleich mit humanistischen Inhalten erfüllt hätten, wurde so ein Musikkonzept postuliert, das in letzter Konsequenz – in Anlehnung an 219

„Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher)

Johannes R. Bechers Ausspruch „Vorwärts zu Goethe!“ – fast auf das Motto „Vorwärts zu Beethoven!“ hinauslief. Jedenfalls schloss dieses Konzept von vornherein jede Anlehnung an irgendwelche von den Vertretern der bürgerlich-modernistischen oder sozialistisch-avantgardistischen Kunst aufgestellten Modelle weitgehend aus. Das Ziel dieser Musiktheorie war also weder ein pseudoutopischer Futurismus noch eine neue Agitpropmusik, sondern eher eine „volkstümliche Klassik“, die sich von allen formalistischen bzw. proletkultischen, das heißt sich vom Geist des Humanismus entfernenden kompositorischen Bemühungen fernhalten müsse. Ihre Progressivität solle sich, wie es hieß, weniger formal als inhaltlich äußern, mit anderen Worten: sich derjenigen „Tradition der deutschen Musik, die in der deutschen Geschichte mehrmals eine mobilisierende Kraft zur Vorwärts­entwicklung der menschlichen Gesellschaft dargestellt hat, würdig erweisen“, wie es das wichtigste Musiklexikon der DDR noch Mitte der sechziger Jahre definierte.18 Als theoretischer Unterbau wurde dazu meist die in der Sowjet­ union aufgestellte Theorie des Sozialistischen Realismus herangezogen. Während sich diese Methode in ihrer Verpflichtung zu thematischer Verbindlichkeit auf die Literatur und Malerei relativ leicht anwenden ließ, bot sie für die Komponisten und Musikwissenschaftler wesentlich mehr Probleme. So konnte man zwar den neuen Optimismus auch in Noten ausdrücken, aber um welche Form des Optimismus es sich dabei konkret handelte, musste vor allem im Bereich der textlosen musikalischen Genres notwendig ambivalent bleiben. Also begnügten sich manche Theoretiker auf diesem Gebiet weitgehend mit relativ vagen Kriterien wie gefühlsmäßige Klarheit, Verständlichkeit, ideelle Substanz oder Volkstümlichkeit, in denen sich ein „historisches Vorwärtsschreiten“ manifestiere,19 das die Tendenz zur Umgestaltung des gesamten gesellschaftlichen Lebens im Sinne des Sozialismus zum Ausdruck bringen sollte. Um solche Vorstellungen aus der Theorie auch in die Praxis zu übertragen, wurde bereits in den ersten Jahren der DDR den dazu erforderlichen musikpädagogischen Bemühungen eine besondere 220

Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur

Beachtung geschenkt. Den Auftakt dazu bildeten die neuen Liederbücher, die an alle DDR-Schulen und Gruppen der Freien Deutschen Jugend (FDJ) in zehntausenden, wenn nicht hunderttausenden Exemplaren verteilt wurden und neben älteren Volksliedern auch eine Reihe sozialistischer Aktivisten-, Aufbau-, Kinder- und Weltjugendlieder enthielten.20 Eine ähnliche Rolle spielten die Schallplatten, die bei der kurz nach dem Krieg von Ernst Busch ins Leben gerufenen Firma Lied der Zeit herauskamen. Auch die Gestaltung von Feiern – ob nun der verweltlichten Weihnachtsfeste, der Jugendweihen oder der Feiern anlässlich nationaler Gedenktage – wurde stets musikalisch untermalt. Die erste Anregung dazu gab das vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands publizierte „Material zur Ausgestaltung von Feierstunden für Kinder“, das 1951 in einer Anthologie unter dem Titel Lernt und schafft wie nie zuvor erschien. Doch nicht nur die Schulkinder und die Jungen Pioniere der FDJ, auch die noch in der Weimarer Republik und im Dritten Reich groß gewordenen Erwachsenen wurden in diese musikpädagogischen Bemühungen einbezogen. Dieser Aufgabe widmeten sich vor allem die vier Musikhochschulen in Halle, Berlin, Weimar und Dresden sowie die vielen Volksmusikschulen, wo sich Musikinteressierte in Abendkursen im Singen und im Bereich der Instrumentalmusik vervollkommnen konnten. Ebenso nachdrücklich wurden die Fabrikarbeiter – als die zentralen Repräsentanten der Werktätigen – mit derartigen Bildungsprogrammen umworben. So bestanden etwa die lokalen Funktionäre der SED immer wieder darauf, anspruchsvolle Arbeiterchöre oder Arbeitersymphonieorchester zu gründen und sich der Einübung großer klassischer Werke zu widmen, statt sich lediglich mit Instrumenten wie Ziehharmonika oder Gitarre zu begnügen. Wie die in den fünfziger Jahren allerorten in der DDR stattfindenden Musiktage und -wochen sollten alle diese Bemühungen dazu dienen, das „Bündnis der Arbeiter“ mit der „kunstschaffenden Intelligenz“ zu festigen und so den Weg zu der „einen großen, gebildeten Nation“ zu ebnen.21

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„Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher)

II

Aber kommen wir endlich zu jenen Komponisten und ihren Werken, die sich in den Jahren zwischen 1945 und 1965 tatsächlich in den Dienst all dieser Theorien, Aufgaben und Proklamationen stellten. Etwas vereinfacht gesprochen, lassen sich dabei vier Gruppen von Musikschaffenden unterscheiden: 1. die offiziellen Vertreter der SED, die sich bereits in den späten zwanziger Jahren für die kommunistischen Kulturbestrebungen innerhalb der Musik eingesetzt hatten, 2. die linken Avantgardisten der mittleren und späten Weimarer Republik, die zumeist dem bürgerlich-modernistischen Lager entstammten, 3. die im Dritten Reich verbliebenen Komponisten, die nach 1945 nicht in den Westen gegangen waren, sondern in der Sowjetischen Besatzungszone und dann der DDR blieben, sowie 4. die Vertreter der jüngeren Generation, die ihre musikalische Ausbildung erst in den späten vierziger und frühen fünfziger Jahren in der SBZ bzw. DDR erhielten. Der Hauptvertreter der ersten Gruppe war Ernst Hermann Meyer, der – wie Nathan Notowicz, Harry Goldschmidt, Georg Knepler, Eberhard Rebling und Kurt Schwaen – schon vor 1933 in seiner Studienzeit für die Ziele der KPD eingetreten war. Bereits damals hatte er mit Hanns Eisler an der Marxistischen Berliner Arbeiterschule (MASCH) unterrichtet, sich als Chorleiter und Komponist der Kampfgemeinschaft der Arbeitersänger betätigt, Beiträge für die Rote Fahne geschrieben und die Zeitschrift Kampfmusik herausgegeben.22 1933 war er als Kommunist und Jude nach England ins Exil ausgewichen, von wo er, nachdem er mehrere musiktheoretische Werke verfasst hatte, 1948 als Professor für Musiksoziologie an die Ostberliner Humboldt-Universität berufen wurde. Dort gründete er kurz darauf die Zeitschrift Musik und Gesellschaft, spielte lange Zeit eine führende Rolle im Komponistenverband der DDR, schrieb das einflussreiche Buch Musik im Zeitgeschehen (1952) sowie andere musiktheoretische und musikhistorische Werke, in denen er vor allem Beethoven als den größten deutschen Komponisten, nämlich als 222

Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur

„Kämpfer und Revolutionär“ herausstrich, der musikalisch stets „in der Sprache des Volkes gedacht“ habe.23 1950, 1952 und 1963 erhielt er den Nationalpreis der DDR und stieg Anfang der sechziger Jahre sogar zum Kandidaten für das Zentralkomitee der SED auf. Außerdem komponierte er in diesen Jahren – neben Liedern nach Gedichten des deutschen „Klassikers“ Goethe – eine geradezu unübersehbare Fülle von Liedern, Chören und Oratorien nach Texten von Johannes R. Becher, Stephan Hermlin, Kuba (d. i. Kurt Barthel), Wladimir Majakowski, Erich Weinert und anderen Kommunisten, die häufig Titel wie Des Sieges Gewißheit, Lied an Stalin, Der tausendjährige Lenin, Dank an die Sowjetarmee, Lied vom Bau des Sozialismus und Lied der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft trugen. In allen diesen Werken ging er stets, wie er selbst beteuerte, vom „Inhalt“ und nicht von „formalen Überlegungen und abstrakten Stilproblemen“ aus.24 Demzufolge komponierte er auf möglichst eingängige Weise eine Musik „zwischen Tradition und Aktualität“, die sich an Zielen wie „Frieden, Aufbau, Planerfüllung und Vorwärtsentwicklung des Menschen“ orientierte, das heißt vornehmlich Botschaften an die „produktiven Menschen“ innerhalb der Gesamtgesellschaft enthielt, statt sich wie die modernistisch-elitären Komponisten des Westens in erster Linie an die „nichtproduktive Klasse“ der bürgerlichen Oberschicht zu wenden.25 Die Gruppe der linken Avantgardisten war dagegen wesentlich kleiner. Zu ihr gehörten – genau genommen – nur Hanns Eisler und Paul Dessau. Eisler, der als persönlicher Schüler Arnold Schönbergs mit dodekaphonischen Werken angefangen hatte, war gegen Ende der zwanziger Jahre zur Roten Kampfmusik übergegangen, hatte 1931 die Musik zu Bertolt Brechts Die Maßnahme geschrieben und musste dann 1933 wie Ernst Hermann Meyer ebenfalls als Kommunist und Jude ins Exil fliehen. Dort hatte er in den dreißiger Jahren einerseits eine relativ eingängige antifaschistische Kampfmusik, andererseits Werke mit betont modernistisch-komplizierten, das heißt auf Zwölftonreihen beruhenden Stilmitteln geschrieben. Zu den letzteren Werken gehört unter anderem seine Deutsche Symphonie (1936–1938) nach Texten 223

„Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher)

von Bertolt Brecht, mit der er sich zu jener Volksfrontbewegung bekennen wollte, die alle aus dem Dritten Reich Vertriebenen – also sowohl Schönberg als auch Brecht – umfassen würde.26 Mit solchen Kompositionen war er jedoch bei den strengen Vertretern des Sozialistischen Realismus auf Widerstand gestoßen. Deswegen zog er es vor, lieber in die USA als in die UdSSR zu gehen. In seinen ersten Jahren in der DDR stellte er sich anfangs mit der Vertonung der von Johannes R. Becher verfassten Nationalhymne wie auch den Neuen deutschen Volksliedern nach Texten von Becher, die sich offen zum Kommunismus bekannten, eindeutig auf die Seite der SED. Dass es dennoch zwischen ihm und der Partei immer wieder zu Spannungen kam, hing einerseits mit Eislers offenem Eintreten für Schönberg zusammen, dessen Musik man ins Sozialistische „umfunktionieren“ solle, wie er erklärte, und ergab sich andererseits aus der Eisler’schen Kritik an Goethes Faust. In einem von ihm selbst verfassten Opernlibretto versah er nämlich diese Figur mit eindeutig negativen Zügen, womit er auf den massiven Widerstand all jener Vertreter der sogenannten Vollstreckertheorie stieß, die im Gefolge Walter Ulbrichts in der DDR vornehmlich eine Erfüllung des goethezeitlich-faustischen Humanismus sahen.27 Und so blieb es bis zu Eislers Tod im Jahr 1962 bei einem recht gespannten Verhältnis zwischen ihm und der SED, das zwar politisch auf wechselseitiger Hochachtung, aber nicht auf Übereinstimmung in Fragen der formalen Gestaltungsprinzipien innerhalb der Kunst beruhte. Eine ähnliche Spannung entwickelte sich zwischen Paul Dessau und der SED in den fünfziger Jahren. Dessau, der als Jude ins Exil gehen musste, arbeitete seit 1942 mit Brecht zusammen. Er kehrte 1948 nach Berlin zurück, komponierte weiterhin Bühnenmusiken für Brecht, aber auch für DEFA-Filme wie Du und mancher Kamerad und wurde wegen dieser Werke von der SED in den fünfziger Jahren zweimal mit dem Nationalpreis ausgezeichnet. Dagegen ging die SED mit ihm wegen seiner Vertonung von Brechts Verhör des Lukullus scharf ins Gericht, die sie wegen ihrer „formalistisch-modernistischen“ Elemente im Neuen Deutschland als eine Musik angriff, 224

Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur

welche „ihre Hörer mit Mißtönen und intellektualistischen Klügeleien überschütte“, das heißt den „rückständigen Teil des Publikums in seinen Auffassungen bestärke“, während sie den „fortschrittlichen Teil vor den Kopf stoße“.28 Einem ähnlichen Widerstand begegnete Dessau mit seinem ebenfalls auf einem Text von Brecht beruhenden Deutschen Misere (1945), das wegen seiner „düsteren“ Stimmung, die dem von der SED geforderten politischen Optimismus widersprach, erst 1966 uraufgeführt werden konnte.29 Eine wesentlich größere Gruppe bildeten dagegen jene Komponisten, die 1933 weder zu den Kommunisten noch zu den Juden gehört hatten, im Dritten Reich geblieben waren und sich nach dem Krieg als „vom nationalsozialistischen Regime Mißbrauchte oder Getäuschte“ ausgaben.30 Die in den fünfziger Jahren bekanntesten Vertreter dieser Gruppe waren in der DDR Max Butting, Fidelio F. Finke, Ottmar Gerster, Leo Spies, Heinz Vogt, Rudolf Wagner-Régeny und Wolfgang Zeller, aber auch viele andere, die zwischen 1933 und 1945 zum Teil Hitlerjugendlieder, NS-Oratorien oder völkische Kantaten komponiert hatten,31 jedoch in der Nachkriegszeit – ob nun aus Überzeugung oder Opportunismus – Lieder für die Freie Deutsche Jugend, die deutsch-sowjetische Freundschaft oder den siegreichen Aufstieg der Arbeiterklasse schrieben. Ein besonders typischer Vertreter dieser Gruppe war Ottmar Gerster, der von 1927 bis 1945 an der Essener Folkwang-Schule tätig war, 1936 Hermann Görings Luftwaffe mit dem Männerchor Deutsche Flieger voraus feierte und auch mit seinen Opern Enoch Arden (1936) und Die Hexe von Passau (1941) im Dritten Reich beachtliche Erfolge hatte, bevor er 1947 als Professor an die Weimarer Musikhochschule berufen wurde. In der DDR machte er vor allem durch seine Lieder der Nationalen Front (1951), seine Kantate Eisenhüttenkombinat Ost (1951) und seine Ballade vom Manne Karl Marx (1961), die auf Texten von Johannes R. Becher, Stephan Hermlin, Hans Marchwitza und Paul Wiens beruhten, von sich reden. Aufgrund dieser Aktivitäten wurde er bereits 1951 Vorsitzender des DDR-Komponistenverbandes und erhielt in der Folgezeit zwei Nationalpreise. 225

„Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher)

Die Gruppe derjenigen DDR-Komponisten, die erst in den fünfziger Jahren zu komponieren begann, war dagegen ebenso klein wie die der ehemaligen Exilanten. Zu ihren von der SED am meisten geschätzten Vertretern gehörten Günter Kochan und Siegfried Matthus. Wohl am weitesten brachte es Kochan, der zwischen 1950 und 1965 für seine Kompositionen unter anderem den Preis der Freien Deutschen Jugend sowie zwei Nationalpreise erhielt und schließlich 1965 zum Mitglied der Akademie der Künste in Ostberlin ernannt wurde. Unter Kochans Vokalwerken stechen vor allem seine zahlreichen Jugend- und Massenlieder mit Titeln wie Wir lieben unsere Heimat, Genosse General, Der Sozialismus lebt, Laßt euch grüßen, Pioniere und Her mit dem Friedensvertrag hervor, die in der SED-Presse allgemein gerühmt wurden. Den gleichen Beifall erhielten manche seiner Orchesterwerke. So lobte etwa Eberhard Rebling an Kochans 1. Violinkonzert vor allem das „Anknüpfen an klassische Vorbilder, besonders an Brahms“.31 Matthus, der zwar auch Werke nach Texten von Stephan Hermlin, Kuba und Paul Wiens schuf, ging dagegen direkten Bekenntnissen wie auch Anlehnungen an „Klassisches“ möglichst aus dem Wege und bemühte sich, eine eigene, eher als halbmodern zu charakterisierende Tonsprache zu finden. III

Kommen wir zu Folgerungen. Erreichte die SED mit ihrer Musikpolitik, das heißt der Förderung einer neuen, mit sozialistischen Inhalten erfüllten Vokalmusik zwischen 1950 und 1965 wirklich das, was sie sich vorgenommen hatte, nämlich eine allmähliche Aufhebung des extremen Gegensatzes zwischen einer trivialen Unterhaltungsmusik für die breite Masse der sogenannten Werktätigen sowie einer Pflege des klassischen Erbes für die sogenannten gebildeten Schichten? Und war damit bereits jener Weg zu der „einen großen, gebildeten Nation“ eingeschlagen, von dem Idealisten wie Johannes R. Becher anfangs geträumt hatten? Obwohl viele SED­Theoretiker diesen optimistischen Kurs auch in den sechziger Jahren beizubehalten versuchten, sprechen 226

Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur

die statistischen Fakten eher gegen ihre Bemühungen. Für die breite Masse blieb weiterhin die Tanz-, Schlager- und Operettenmusik die Musik schlechthin, während die bildungsbürgerlichen Schichten vornehmlich Opern und Konzerte mit barocker, klassischer und romantischer Musik bevorzugten. Die sozialistische Musik der eben beschriebenen vier Komponistengruppen spielte dagegen im Musikleben der DDR eine ebenso marginale Rolle wie die modernistische Musik in der westlichen Bundesrepublik zwischen 1950 und 1965.33 Es gab zwar immer wieder Idealisten, die sich mit viel Eifer für sie einsetzten, um so endlich die ältere, weitgehend klassenbedingte Aufsplitterung in zwei musikalische Teilkulturen, das heißt eine sogenannte hohe und eine sogenannte niedere zu überwinden, doch sie sahen sich hierbei stets der Tatsache gegenüber, dass die breite Masse, für welche die neue sozialistische Musik komponiert und aufgeführt wurde, ihnen dabei nur widerwillig oder überhaupt nicht folgte. Das hatte viele Gründe. Einer der wichtigsten darunter war das Faktum, dass die DDR nicht aus einer sozialistischen Revolution, sondern aus der Niederlage des Dritten Reiches und der darauf folgenden Okkupation durch die Rote Armee hervorgegangen war. Viele Menschen setzten daher in der DDR das neue Regime – im Sinne der damaligen Totalitarismustheoreme – einfach mit dem NS-Regime gleich und empfanden die SED-Politik genauso diktatorisch oder zumindest präskriptiv wie die Politik der Nazifaschisten. Im Hinblick auf die Jahre von 1949 bis 1965 von einer wahrhaft „sozialistischen Musikkultur“ in der DDR zu sprechen, wäre deshalb allzu beschönigend. Schließlich bildete sie lediglich einen kleinen Ausschnitt aus dem tatsächlichen Musikleben dieses Staates, das sich mehrheitlich von den Einflüssen der Partei freizuhalten versuchte. Nüchtern betrachtet, musste also Walter Ulbricht auch auf diesem Gebiet wie „ein tragischer shakespearscher König über ein Volk von Feinden regieren“, wie sich Heiner Müller später ausdrückte.34 Und so gab die SED im Laufe der siebziger Jahre ihren Traum von einer unentfremdeten „hohen Musik für jedermann“ allmählich auf und kehrte weitgehend zu dem bisher verdammten älteren Status quo 227

„Auf andere Art so große Hoffnung“ (Johannes R. Becher)

zurück. Der sozialistische Impuls blieb zwar noch eine Weile bestehen, spielte aber eine immer geringere Rolle. Die Klassiker des älteren Bürgertums erfreuten sich dagegen als Repräsentanten des „kulturellen Erbes“ weiterhin einer unverminderten Wertschätzung. Selbst manche der bisher als „formalistisch“ verpönten E-Musikwerke des Westens, wie die Arnold Schönbergs und seiner Schüler, konnten in der Folgezeit auch in der DDR aufgeführt werden. Parallel dazu lässt sich innerhalb der Werke der DDR-Komponisten eine Entwicklung von der mit „Inhalten“ gefüllten Vokalmusik zu zwar als „realistisch“ ausgegebenen, aber letztlich schwer verständlichen Instrumentalwerken beobachten. Ja, selbst die sogenannte triviale Tanzmusik, der man noch 1958 in Form des „Lipsi“ einen etwas würdevolleren Charakter zu geben suchte, passte sich weitgehend älteren oder aus dem Westen eindringenden Vorbildern an, ja übernahm sogar schon ab 1964 gewisse Elemente der anglo-amerikanischen Rockmusik. Und damit verbreitete sich zwar eine größere „Freiheit“ auf diesem Gebiet, jedoch eine Freiheit, die weitgehend auf den Verzicht auf eine sozialistische Umwandlung der gesamten Musikszene hinauslief.36

228

Der sich als unpolitisch verstehende „Modernismus“ in der E-Musik der frühen Bundesrepublik Karlheinz Stockhausens Gruppen für 3 Orchester (1958)

I

Kurz nach dem Zusammenbruch des Naziregimes im Mai 1945 herrschten im Bereich der sogenannten anspruchsvollen Musik in allen vier Besatzungszonen noch kaum gravierende Unterschiede. Überall, ob nun in stehen gebliebenen oder umgehend restaurierten Opernhäusern und Konzerthallen, aber auch Stadtsälen und Schulgebäuden wurden vor allem jene als „klassisch“ geltenden Werke gespielt oder aufgeführt, mit denen man den unwillkommenen „Besatzern“ beweisen wollte, dass es in der kulturellen Vergangenheit Deutschlands nicht nur auf den Nazifaschismus hinweisende Kompositionen, sondern auch solche mit einer zutiefst humanistischen Gesinnung gegeben habe. An Aufführungen von Bachs Matthäus-Passion, Mozarts Zauberflöte oder Beethovens Fidelio war deshalb kein Mangel. Und zwar gingen dabei in dieser Hinsicht die wichtigsten Impulse fast ausschließlich von jenem kunstinteressierten Bildungsbürgertum aus, das sich bereits seit 150 Jahren als diejenige Gesellschaftsschicht empfand, der in allen kulturellen Belangen ein eindeutiger Führungsanspruch zustehe.1 229

„Modernismus“ in der E-Musik der frühen Bundesrepublik

Während es nach dem Ersten Weltkrieg – im Zuge der expressionistischen Aufruhrgesinnung – selbst in diesem Bereich zu gewaltsamen Umbrüchen ins „Neutönerische“ gekommen war,2 verbreitete sich jetzt eher eine Haltung der Rückbesinnung auf Bewährtes, Klassisches, sich auf gut- oder bestbürgerliche Traditionen Stützendes, das sich irgendwelchen Neuansätzen gegenüber weitgehend verschloss. Was diese Kulturbeflissenen im Rahmen der hehren „Frau Musica“ weiterhin bevorzugten, war vornehmlich Beseeltes, Tröstendes, Heilendes oder auch religiös Empfundenes, kurzum: all jenes, was schon während des Dritten Reichs vielen Vertretern der sogenannten Inneren Emigration einen empfindungsgesättigten Rückhalt gegen die nazifaschistische Korrumpierung der deutschen Musiktradition ins Rassistische oder Militaristische geboten hatte. Zugegeben, diese Schichten rangen sich auch zu einer Anerkennung jener halbwegs „modern“ klingenden Werke von Béla Bartók, Paul Hindemith, Arthur Honegger, Darius Milhaud und Igor Strawinsky durch, die im Dritten Reich verboten waren, ja ließen sogar Werke von Komponisten wie Boris Blacher, Werner Egk, Carl Orff und Winfried Zillig gelten, die nach 1933 in Deutschland geblieben waren und nicht auf gewisse modernistische Klangkombinationen verzichtet hatten. Was jedoch über die moderierte Klangwelt einer derartigen „Halbmoderne“ hinausging, wurde in den ersten Nachkriegsjahren von den meisten Musikkritikern noch abgelehnt. Und das waren vor allem jene Werke, die sich in den zwanziger Jahren im Sinne Arnold Schönbergs und seiner Anhänger mit ihrer dodekaphonischen Kompositionsweise um eine radikale Formalisierung aller musikalischen Ausdrucksmittel bemüht hatten. Ja, manche Kritiker warfen in den Jahren 1946/47 einer derartigen Musik, die auf alle melodisch klingenden Ansätze verzichtete, noch eine „unmäßige Langeweile“ vor und bezweifelten grundsätzlich, ob in einer solchen modernistisch-elitär überspitzten Kompositionsweise überhaupt ein fruchtbarer Keim zu „einer neuen und entwicklungsfähigen Kunst“ stecke.3 Eine Änderung in dieser Hinsicht trat erst ein, als es im Zuge des 1947/48 einsetzenden Kalten Kriegs zwischen den USA und der 230

Karlheinz Stockhausens Gruppen für 3 Orchester (1958)

UdSSR auch unter jenen deutschen Kulturtheoretikern, die sich dieser ideologischen Wende sofort anschlossen, im Hinblick auf eine wahrhaft zeitbezogene Kunst nicht nur in der Literatur und den bildenden Künsten, sondern auch in der Musik zu einer deutlichen Polarisierung in eine als freiheitlich-individualistisch sowie eine als gemeinschaftsbezogen-sozialistisch ausgegebene Haltung kam. In der Sowjetischen Besatzungszone setzten sich danach immer stärker jene an der stalinistischen Kulturpolitik orientierten Konzepte durch, in denen das Massenbezogene im Vordergrund stand, während man in den drei Westzonen fast ausschließlich jenen künstlerischen Gestaltungswillen als vorbildlich hinstellte, der allein von subjektiven Antriebsimpulsen ausging. Und das führte im Osten innerhalb der sich für eine Wende ins Sozialistische einsetzenden Führungsschichten zwangsläufig zu einer wachsenden Abneigung gegen alles, was ihnen als egoistisch und damit gesellschaftlich unverbindlich erschien, während im Westen eine sich für die Interessen der sogenannten breiten Massen einsetzende E-Musik zusehends als „totalitaristisch“ angeprangert wurde. Wegen des immer noch bestehenden Traditionsbewusstseins breiter Teile des am Geltungsanspruch der klassisch-romantischen E-Musik festhaltenden Bildungsbürgertums konnte sich allerdings dieser Trend ins Modernistisch-Elitäre links der Elbe nicht so schnell durchsetzen, wie einige Vertreter der betont „neutönerisch“ eingestellten Richtung erhofft hatten. Selbst die dort bereits 1947 von Hans Heinz Stuckenschmidt höchst energisch vorgetragene Aufforderung, in Schönberg nicht länger einen „fischböckigen Außenseiter“ zu sehen,4 sowie Theodor W. Adornos Philosophie der neuen Musik vom gleichen Jahr, in der er Arnold Schönberg als den bedeutendsten Komponisten des frühen 20. Jahrhunderts herausgestrichen hatte, blieben daher anfangs relativ unbeachtet. Gewisse Werke der sogenannten Halbmoderne à la Paul Hindemith ließ sich das musikinteressierte westdeutsche Bildungsbürgertum zu diesem Zeitpunkt gerade noch gefallen, nicht aber eine sich von aller Tonalität und Melodik distanzierende „unklassische“ Musik, in die man sich nicht einfühlen konnte, die nichts 231

„Modernismus“ in der E-Musik der frühen Bundesrepublik

Mitreißendes oder zumindest wohlig Stimmendes hatte, sondern die von vornherein ausgeklügelt, ja kalt wirkte und daher alle gemüthaften Bedürfnisse unbefriedigt ließ. Daher erklärten viele Vertreter dieser Schicht, dass dies eine Musik sei, die nach den Schrecken der Kriegszeit niemand hören wolle. Doch von diesen auf eine Pflege und Weiterführung der klassischromantischen Musiktradition pochenden Kreisen ließen sich die Exponenten einer radikal „neutönerischen“ eingestellten E-Musik keineswegs beirren. Im Gegenteil. Sie wollten wahrhaft „zeitgemäß“ sein, indem sie im Sinne ihrer antitotalitaristischen Einstellung nicht nur den Nazifaschismus, sondern im Gefolge von Theodor W. Adorno, Hannah Arendt und Karl R. Popper auch den Kommunismus, ja überhaupt alle gesamtgesellschaftlichen Weltanschauungen ablehnten und sich zu einer entschieden antiideologischen Haltung bekannten, der lediglich das Postulat einer durch nichts eingeengten Subjektivität zugrunde lag. Manche Historiker haben das später als eine Ideologie der Ideologielosigkeit charakterisiert, ohne sich dabei klarzumachen, wie konformistisch selbst dieser angebliche Nonkonformismus in der damals einsetzenden ideologischen Konstellation des Kalten Kriegs war, mit dem sich in den drei Westzonen gewisse Cliquen in ihren Kunsttheorien von dem sich im Osten propagierten Sozialistischen Realismus abzusetzen versuchten. Dafür einige Beispiele. So schrieb etwa Günter Kehr 1948 in der für diese Haltung besonders nachdrücklich eintretenden Zeitschrift Melos unter dem bewusst aufreizenden Titel Intellektuelle Arroganz: „Lieber ein dekadenter Intellektueller als ein gefährlicher Kraftprotz sein, der ‚gesunden‘ Herdenmentalität ergeben“,5 womit er nicht nur den Nazifaschismus, sondern auch den Kommunismus meinte. Auch Heinrich Strobel wandte sich mit gleicher Zielsetzung im selben Blatt gegen all jene, die sich noch immer nach „unserem ‚herrlichen‘ Volkskonzert“ zurücksehnten.6 Doch damit unterstützten sie – gewollt oder ungewollt – lediglich jenen Trend, durch den die von ihnen propagierte bewusst antiklassisch orientierte E-Musik immer esoterischer, formalistischer und damit inhaltsloser wurde, ja schließlich nur noch 232

Karlheinz Stockhausens Gruppen für 3 Orchester (1958)

eine höchst marginale Schicht von sich als „Experten“ verstehenden Musikliebhabern interessierte. II

Eine allmähliche Änderung im Bereich des anspruchsvollen Konzertlebens trat im Westen erst nach der Gründung der ehemaligen Bundesrepublik im Jahr 1949 ein. Jene Halbmoderne, die sich wegen ihrer Tonalität, ihrer Melodik sowie ihrer humanistischen oder religiösen Inhaltlichkeit bis dahin noch einer gewissen Beliebtheit erfreut hatte, galt danach in den betont modernistisch auftretenden Kreisen zunehmend als rückständig, wenn nicht gar „out“, während jene atonalen, dodekaphonischen oder als „abstrakt“ apostrophierten Werke Arnold Schönbergs und seiner Schüler von den gleichen Kreisen immer nachdrücklicher zum allein gültigen Maßstab einer im besten Sinne unengagierten und damit angeblich freiheitlich gesinnten Musikauffassung erhoben wurden. Man hat sich oft gefragt, welche Organisationen, Publizisten oder auch Hörerschichten diesen Wandlungsprozess begünstigten, nachdem viele der eher konservativ eingestellten Musikliebhaber eine derartige Musik in den Jahren zuvor bereits auf die Aussterbeliste gesetzt hatten. Aufs Große und Ganze gesehen waren in diesem Zusammenhang hauptsächlich die Trägerschichten folgender zwei Weltanschauungskonzepte mitbestimmend. Damit sind innerhalb der ideologischen Polarisierung der frühen Bundesrepublik vor allem jene eher konservativen und eher neoliberalen Strömungen gemeint, die sich entweder zu der christlich-abendländischen Gesinnung Konrad Adenauers oder zu den von Ludwig Erhard vertretenen marktwirtschaftlichen Anschauungen bekannten, welchen eine durch nichts eingeschränkte Verfreiheitlichung aller Lebensbereiche zugrunde lag. Dass sich diese ideologischen Richtungsvorgaben nicht nur politisch und sozioökonomisch auswirkten, sondern auch die Kunstszene beeinflussten, konnte nicht ausbleiben. Allerdings erwies sich dabei im Zuge des bereits in den frühen fünfziger Jahren einsetzenden 233

„Modernismus“ in der E-Musik der frühen Bundesrepublik

„Wirtschaftswunders“ die neoliberale Richtung als die wesentlich einflussreichere, was selbst im Bereich der sich als „zeitgemäß“ verstehenden E-Musik zu einer merklichen Abschwächung eher traditionsbewusster Bestrebungen führte. Dennoch versuchten selbst bis zum Ende der fünfziger Jahre vorwiegend konservativ eingestellte Musikkritiker an ihren seit der unmittelbaren Nachkriegszeit als richtungsweisend empfundenen Anschauungen festzuhalten. Vor allem die Autoren der Zeitschrift Musica verwarfen weiterhin nicht nur den immer stärker werdenden Einfluss der Unterhaltungsmusik in den Massenmedien, sondern auch ebenso obstinat alle rein „formalistischen“ Experimente in der Ernsten oder E-Musik. So forderte etwa Fred Hamel, einer ihrer Beiträger, noch 1957 nach wie vor eine konsequente Rückkehr zu den „drei lauteren Quellen des abendländischen Kulturerbes“, nämlich „dem Folkloristischen, dem Humanen und dem Sakralen“.7 Nicht minder eindeutige Positionen gegen eine rein „formalistisch“ orientierte E-Musik bezogen Alois Melichar in seinem Buch Musik in der Zwangsjacke (1958), Hans Schnoor in Harmonie und Chaos. Musik der Gegenwart (1962) sowie Walter Abendroth in Selbstmord der Musik? Zur Theorie und Phraseologie des modernen Schaffens (1963), in denen sie sich weiterhin zu einem sozialbezogenen Traditionsbewusstsein bekannten, das nicht nur die Wenigen, sondern auch die Vielen ins Auge fassen würde. Doch in solchen Anschauungen sahen die neoliberalen Modernisten nur einen Rückfall ins Nazifaschistische oder eine gefährliche Übereinstimmung mit den rechts der Elbe propagierten sozialistischen Musikkonzepten. Dieser Gruppe konnte es demzufolge in der modernen E-Musik gar nicht elitär, esoterisch, experimentell, formalistisch oder hermetisch genug zugehen. Daher wandte sie sich in ihrer Polemik gegen irgendwelche gemeinschaftsbezogenen Relevanzansprüche sowohl gegen alle äußeren als auch alle inneren Feinde. So griff etwa Theodor W. Adorno, der in diesem Zeitraum zu einem der Hauptsprecher dieser Richtung wurde, einerseits 1953 in seinem Aufsatz Gegängelte Musik die Enge der Musikpolitik hinter dem „Eisernen 234

Karlheinz Stockhausens Gruppen für 3 Orchester (1958)

Vorhang“ an und wandte sich andererseits 1956 in seinem Aufsatz Kritik am Musikantentum gegen den in der Zeitschrift Musica befürworteten Regress ins Traditionelle der noch immer „jugendbewegten“ Laienmusik. Ja, er zögerte in diesem Zusammenhang nicht, den neoliberalen „anonymen Markt der bürgerlichen Zeit“ als die einzige Form zu verteidigen, die dem modernen Komponisten genug Raum lasse, von den gesellschaftlich vorgegebenen Normen „abzuweichen“.8 Doch auch eine Reihe anderer Vertreter dieser Richtung stimmte in den fünfziger Jahren immer vehementer das Lob jener E-Musik an, die sich gegen alle sozialverpflichtenden Bevormundungen sperre und damit ihren Beitrag im Kampf gegen das „Totalitäre“ leiste. Nur eine solche Musik sei die wahre „musica reservata“, wie es 1955 bei Hans Renner hieß.9 In der Zeitschrift Melos wurde sie als die „Musik für die ‚happy few‘“ hingestellt, „die einzig und allein der Kunst dienen wollen“.10 Hans Heinz Stuckenschmidt schrieb 1955, dass alle große Kunst immer „esoterisch“, ja „nutzlos“ gewesen sei und sich darum in den legendären „elfenbeinernen Turm“ zurückziehen solle. Ja, er bezeichnete sie in diesen Jahren sogar als eine „Musik gegen jedermann“, die völlig „zweckfrei“ sei und selbst mit einer „noch so kleinen Gruppe von Hörern“ keinen Kompromiss schließen dürfe.11 Andere zitierten in diesem Zusammenhang gern jenes hochelitäre Motto, das sich in einem Brief Arnold Schönbergs vom 26. Juni 1945 an William S. Schlamm findet, wo es heißt: „If it is art, it is not for the masses. If it is for the masses, it is not art.“12 III

So viel zur ideologischen Grundstimmung jener westdeutschen Musiktheoretiker, die sich zwar in ihrer intellektuellen Absonderungstendenz zu einer „Hohen Kunst gegen jedermann“ bekannten, sich aber damit – bewusst oder unbewusst – letztlich als willfährige Mitläufer jener neoliberalen Gesinnung erwiesen, die auch der Erhard’schen Wirtschaftswundermentalität zugrunde lag, deren Hauptantriebsimpulse in einer modernistischen Innovationssucht bestanden, welche 235

„Modernismus“ in der E-Musik der frühen Bundesrepublik

sich auf allen Gebieten auswirken sollte. Und davon blieb auch das Musikleben dieser Ära nicht unbeeinflusst. Hierfür spricht, dass sich im Zuge der rasch anwachsenden Warenproduktion auch im Bereich der Künste ein ästhetischer Supermarkt herausbildete, in dem zwar die Billigwaren der schlager- und tanzorientierten Unterhaltungs- oder U-Musik dominierten, jedoch den klassischen sowie modernistischelitären E-Musikwerken – im Sinne der auf eine angeblich subjektive Verfreiheitlichung hinauslaufenden Pluralisierung der Gesamtgesellschaft – zugleich eine hochkulturelle Gourmetecke eingeräumt wurde. Dass damit die Vertreter des Elitismus zu einer Winkelexistenz verdammt wurden, verstörte jedoch die meisten unter ihnen keineswegs. Im Gegenteil, sie sahen in dieser Entwicklung, wie gesagt, eher eine Bestätigung ihrer sie auszeichnenden Sonderstellung, ja gaben sie sich sogar alle Mühe, diese Haltung so selbstbewusst wie nur möglich herauszustreichen. Allerdings trugen zu ihrem Bekanntwerden nicht nur die bereits erwähnten theoretischen Verlautbarungen, sondern auch eine Reihe spektakulär inszenierter Tagungen, Kongresse und Konzertreihen bei, die in den frühen fünfziger Jahren in den Feuilletons der anspruchsvollen Zeitungen und den Spätprogrammen mancher Rundfunksender als ideologisch willkommene Beweisstücke der allerorts begrüßten Freiheitsgesinnung eine nicht zu übersehende Beachtung fanden. Neben den von Karl Amadeus Hartmann in München veranstalteten Musica-viva-Konzerten sowie den vom Fürsten Max Egon von Fürstenberg finanzierten Donaueschinger Musiktagen spielten dabei vor allem die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik im Kranichsteiner Musikinstitut in Darmstadt eine wichtige Rolle, wo nicht nur Konzerte mit Werken der älteren, jetzt als „avantgardistisch“ ausgegebenen Modernisten der zwanziger Jahre stattfanden, sondern auch eine Reihe der diese Richtung unterstützenden Theoretiker programmatische Erklärungen abgaben. Wohl die wichtigste Initialzündung ging dabei von dem im Juni/ Juli 1951 in Darmstadt abgehaltenen Ferienkurs aus. Hier führten unter der Leitung angesehener Dirigenten wie Ferenc Fricsay, Eugen 236

Karlheinz Stockhausens Gruppen für 3 Orchester (1958)

Jochum, Joseph Keilberth, Fritz Lehmann, Hans Rosbaud, Hermann Scherchen und Winfried Zillig nicht nur Werke von Boris Blacher, Luigi Dallapicola, Wolfgang Fortner, Karl Amadeus Hartmann, Hans Werner Henze, Paul Hindemith, Ernst Krenek, Olivier Messiaen, Carl Orff, Arnold Schönberg sowie anderer bis dahin noch unbekannter Komponisten auf, sondern hier hielten zugleich Theodor W. Adorno, Willi Reich, Josef Rufer und Hans Heinz Stuckenschmidt Vorträge zur Situation der Neuen Musik im Allgemeinen und zu Alban Berg, Arnold Schönberg und Anton Webern im Besonderen, um vor allem auf die nicht zu überschätzende Rolle der sogenannten Wiener Schule bei der Herausbildung einer wahrhaft modernen Musik hinzuweisen. Außerdem fand im gleichen Jahr in Darmstadt ein Internationaler Zwölftonkongress statt, der diese Zielrichtung noch schärfer herauszustellen versuchte. Statt auch auf irgendwelche Inhaltsfragen oder gar gesellschaftliche Funktionsbestimmungen dieser Art von Musik einzugehen, beschränkte man sich dabei fast ausschließlich auf die formalen Aspekte der als spezifisch „modernistisch“ ausgegebenen Kompositionsbemühungen. Es fiel zwar manchmal auch das Wort „revolutionär“, aber damit war stets jene von Adorno als allein entscheidende „Materialrevolution“ gemeint, die letztlich weitgehend mit jener Innovationssucht übereinstimmte, die auch den aufs Neue angekurbelten technologischen Modernisierungsbestrebungen im Rahmen der hektisch in Gang gesetzten marktwirtschaftlichen Warenproduktion zugrunde lag. Neu war daran eigentlich nur – nach der beschämenden Katastrophe des Nazifaschismus – die angestrebte Erweiterung ins Internationale. Doch selbst sie ging letztlich durchaus konform mit jenen als „westlich“ ausgegebenen Parolen, die sich in der frühen Bundesrepublik auch auf anderen künstlerischen Gebieten durchzusetzen begannen. Schließlich vollzog sich zur gleichen Zeit in der westdeutschen Malerei jene Wende zum US-amerikanischen Abstract Expressionism sowie zur französischen Peinture informel, die unter Betonung rein formaler Aspekte ebenfalls auf jegliche Inhaltsbestimmungen verzichtete, um sich damit von den als hoffnungslos veraltet 237

„Modernismus“ in der E-Musik der frühen Bundesrepublik

hingestellten Tendenzen innerhalb der „realistischen“ Malweise hinter dem „Eisernen Vorhang“ abzusetzen.13 Kurzum: Was in den folgenden Jahren in der als „neutönerisch“ ausgegebenen modernistischen E-Musik Westdeutschlands maßstabsetzend wurde, war jene dodekaphonische, serielle, punktuelle, aleatorische oder elektronisch gesteuerte Kompositionsweise, die, obwohl sie mit dem Anspruch des Originellen, ja total Neuartigen auftrat, durchaus mit den damaligen technologischen Innovationsschüben der marktwirtschaftlichen Produktionsweisen übereinstimmte. Und darum wurde sie von den systemkonformen Presseorganen der BRD keineswegs abgelehnt, sondern als durchaus „zeitgemäß“ hingestellt. Und das gab ihr einen solchen Aufschwung, dass sie unter den führenden Musikkritikern schon Mitte der fünfziger Jahre als die wichtigste Richtung in dieser Beziehung galt und fast alle jüngeren Komponisten in ihren Bann zog, die über Dreiklangakkorde oder Melodieansätze nur noch die Nase rümpften, wodurch als „halbmodern“ geltende Komponisten wie Paul Hindemith, dessen Werke in den ersten Nachkriegsjahren noch viel gespielt worden waren, kaum noch beachtet wurden. IV

Als die größte Zukunftshoffnung unter den jüngeren westdeutschen E-Musikkomponisten galt damals Karlheinz Stockhausen. Während in seinen frühen Vokalwerken noch ein „gemäßigt moderner“ Stil vorherrscht, wie jene drei Lieder beweisen, die er 1950 bei den Darmstädter Ferienkursen eingereicht hatte, weist seine 1951 entstandene Sonatine für Violine und Klavier bereits erste Erfahrungen mit der immer stärker einsetzenden Verkultung der Schönberg’schen Zwölftontechnik auf. Doch ebenso stark beeinflussten ihn im gleichen Jahr in Darmstadt einige Werke von Olivier Messiaen und Karl Goeyvaerts, die auch Stockhausen dazu bewegten, seine folgenden Werke im Hinblick auf Tonhöhe, Tondauer, Artikulation und Oktavlage nach streng vereinheitlichten kompositorischen Prinzipien zu organisieren. 238

Karlheinz Stockhausens Gruppen für 3 Orchester (1958)

Als ebenso richtungsweisend empfand er die damals auch von anderen an den Darmstädter Ferienkursen teilnehmenden Rednern und Komponisten angepriesene serielle Technik des Schönberg-Schülers Anton Webern, der in seinen dodekaphonischen Abstraktionsprinzipien sogar noch konsequenter als sein ehemaliger Lehrer verfahren war. Dafür spricht bereits Stockhausens Komposition Kreuzspiel für Oboe, Bassklarinette, Klavier und drei Schlagzeuger von 1951, das damals als ein Musterbeispiel dieser Kompositionstechnik angesehen wurde. Ja, 1953 ließ er sich sogar von der Wiener Universal Edition sämtliche gedruckten Partituren Weberns schicken, hielt daraufhin einen Vortrag über Weberns Konzert für 9 Instrumente und leitete zugleich mit Luigi Nono ein Kammerkonzert mit fünf Stücken Weberns ein.14 Und damit festigte sich sein Ruf allmählich. Von nun an gehörte er neben Komponisten wie Pierre Boulez, Bruno Maderna, Olivier Messiaen, Luigi Nono und Pierre Schaeffer zu den am meisten beachteten und vielfach aufgeführten Vertretern der jüngeren Generation, der neben den Altmeistern der Wiener Schule auch von Theoretikern wie Theodor W. Adorno, Josef Rufer, Heinrich Strobel und Hans Heinz Stuckenschmidt ernst genommen wurde. Doch sein entscheidender Durchbruch erfolgte erst, als er 1956 seine im Kölner Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks hergestellte Klangstudie Gesang der Jünglinge abschloss und sie danach in Darmstadt vom Tonband abspielen ließ. Darauf brachte sie sogar die Deutsche Grammophongesellschaft umgehend als Schallplatte heraus. Ja, von der sich für derartige Werke interessierenden Presse wurde sie wegen ihrer technischen Originalität zeitweilig als das bedeutendste Werk eines jüngeren westdeutschen Nachkriegskomponisten geradezu in den Himmel gehoben. Fast ein ebenso großes Aufsehen erregte Stockhausens am 24. März 1958 vom Symphonieorchester des Westdeutschen Rundfunks in Köln uraufgeführte Komposition Gruppen für 3 Orchester, an deren Einstudierung sich neben Stockhausen auch Pierre Boulez und Bruno Maderna beteiligten. Da sich der große Sendesaal des WDR für die Aufstellung der drei Orchester als ungeeignet erwies, fand dieses 239

„Modernismus“ in der E-Musik der frühen Bundesrepublik

Konzert, das bis auf den letzten Stehplatz ausverkauft war, in einem der weiträumigen Säle des Kölner Messegeländes statt. Dort sahen sich die begierig herbeigeströmten Adepten derartiger Klangkonvulsionen drei Orchestergruppen gegenüber, die insgesamt 109 Spieler umfassten und bei denen vornehmlich die Schlagzeuger dominierten. Als das Ganze nach 22 Minuten unvermutet abbrach, klatschten oder trampelten fast alle begeistert, ja manche Fanatiker dieser Art von E-Musik fanden noch viele Jahre später, dass dieses Konzert „d a s musikalische Ereignis der fünfziger Jahre“ gewesen sei.15 Was im Hinblick auf dieses Werk besonders gelobt wurde, war stets das Unzusammenhängende der Stockhausen’schen Kompositionsweise, das heißt das Punktuelle, Strukturlose, Atonale, Melodielose, Vereinzelte, ständig neu Ansetzende, als unmimetisch Ausgegebene, mit anderen Worten: die Vermeidung jeglicher thematischer Zusammenhänge oder reprisenartiger Wiederholungen. Selbst aus der Aufteilung in drei Orchester ergaben sich keine strukturellen Kontrastwirkungen. Sie unterstützte lediglich die bewusste Wahllosigkeit der jeweiligen Klangcluster oder Solopartien. Überhaupt hatte das Ganze weder einen Anfang noch ein Ende. Es setzte einfach ein und hörte ebenso unvermutet wieder auf, ja weigerte sich in seiner willkürlichen Aneinanderreihung teils dumpfer, teils schriller Töne, den Eindruck einer symphonischen oder tonpoetischen Folgerichtigkeit oder Geschlossenheit zu erwecken. Alles sollte so offen und damit so richtungslos wie nur möglich wirken. In dieser Musik wurde nichts ausgedrückt, nichts verkündet, nichts Seelenbewegendes angestrebt. Bei ihr ging es einzig und allein um scheinbar willkürlich aufeinanderfolgende Klänge und Geräusche, die mit dem Anspruch auftraten, sich von allen ästhetischen Konventionen emanzipiert zu haben. Und das wurde von all jenen, die sich dafür begeistern ließen, als eine neutönerische Rebellion gegen jene E-Musik empfunden, in der sie lediglich die weiterwirkenden Normen des Althergebrachten, Muffigen, sich auf klassische Traditionen Stützenden sahen, denen man endlich mit dem Elan einer subjektivitätsbetonten Jugendlichkeit entgegentreten solle. Auch in den Künsten dürften keine 240

Karlheinz Stockhausens Gruppen für 3 Orchester (1958)

ideologischen Richtungsvorgaben mehr vorherrschen, liest man daher in den einschlägigen Blättern dieser betont modernistisch eingestellten Richtung in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre immer wieder, sondern nur noch aus subjektiven Impulsen hervorgehende Einzelleistungen. Ohne zu merken, dass man mit einer solchen Haltung lediglich jene Ideologie des Erhard’schen Neoliberalismus unterstützte, die sich in diesem Zeitraum in der BRD sowohl auf politischer als auch auf marktwirtschaftlicher Ebene durchsetzte und der CDU/CSU im Jahr 1957 zur absoluten Mehrheit im Bundestag verhalf, glaubten viele Anhänger dieser forciert innovativen Kunstauffassung, weiterhin nonkonformistische, wenn nicht gar rebellisch aufbegehrende Außenseiter innerhalb einer als altmodisch empfundenen Gesinnungsethik zu sein, in der nach wie vor das Traditionsbewusste vorherrsche. Zugegeben: Aufs Große und Ganze gesehen, blieben Komponisten wie Stockhausen – zahlenmäßig gesehen – selbstverständlich Außenseiter, wurden jedoch von den modernistisch orientierten Kunstkritikern dieser Jahre, die längst alle gemeinschaftsbezogenen Kunstkonzepte aus den Augen verloren hatten, in ihrer verengten Sehweise als die wichtigsten Vertreter jener ins Unverpflichtete tendierenden In-Kunst des Abstraktionismus herausgestrichen, die von gleichgesinnten Kritikern in den Jahren 1955 und 1959 anlässlich der Documenta-Ausstellungen in Kassel auch im Hinblick auf die Malerei als die wahrhaft zeitgemäße, weil sich gegen alle inhaltlichen Vorgaben sperrende Kunst ausgegeben wurde, die sich mit antiöstlicher Tendenz ebenfalls zu einem westlich-freiheitlichen Modernismus bekenne. Ideologiekritisch betrachtet, lässt sich daher sowohl der sich als außergesellschaftlich gebende Modernismus der neutönerischen E-Musik als auch die Gegenstandslosigkeit der westdeutschen Malerei der fünfziger Jahre, wie gesagt, nur als ein konformistischer Nonkonformismus interpretieren, der daher nicht unterdrückt wurde, sondern sich – im Gegenteil – von Seiten der staatlichen Institutionen und meinungsbildenden Zeitschriften dieser Ära einer lebhaften Unterstützung erfreute. 241

„Modernismus“ in der E-Musik der frühen Bundesrepublik

Statt also weiterhin ständig die angebliche Ideologielosigkeit derartiger Kunstbestrebungen herauszustellen, wäre es in Zukunft angebrachter, eher auf die neoliberale Innovationssucht der gleichzeitig einsetzenden technologischen Modernisierungsbemühungen innerhalb der bundesrepublikanischen Warenproduktion der frühen fünfziger Jahre hinzuweisen. Auch Karlheinz Stockhausen war, so kunstbesessen er sich in seinen zahlreichen Kompositionen, Reden und Schriften auch gab, letztlich wie alle anderen sich betont modernistisch gebenden Komponisten dieser Ära kein freischwebender Künstler, sondern ein sich im Widerstreit der damals aufeinanderstoßenden Ideologien zu einer neoliberalen Haltung bekennender westdeutscher Bundesbürger, dessen Werke durchaus in diesem Zusammenhang interpretiert werden sollten. Und darum ist auch seine Musik nicht nur tönende Luft, so abstrakt sie sich auch zu geben versucht, sondern hat durchaus einen indirekt erkennbaren Widerspiegelungscharakter, obwohl sich dieser in vielen Fällen nur einem historisch denkenden und zugleich politisch geschulten Hörer zu erkennen gibt. Stockhausens große Zeit waren deshalb die fünfziger Jahre, als seine Kompositionen wegen ihrer radikalen Atonalität, ihrer seriellen Struktur und ihrer bizarren Klangkombinationen noch als angeblich aufmüpfig, ja geradezu revolutionär galten. Dagegen verloren in dem darauffolgenden Jahrzehnt, als es in der BRD zu einer Reihe neu einsetzender gesellschaftskritischer Tendenzen kam, die sich auch in den Künsten bemerkbar machten, nicht nur die gegenstandslose Malerei, sondern auch der neutönerische Modernismus in der E-Musik ihre bisherige Monopolstellung. Und von der Auswirkung dieser ideologischen Wandlungsprozesse blieb auch Stockhausen nicht verschont, der zwar weiterhin hektisch komponierte, aber sich dabei nicht den neuen Richtungsbestimmungen innerhalb der Künste anschloss, sondern zusehends in mystische Stimmungsklänge auswich, die jedoch – wie überhaupt die modernistische E-Musik – immer weniger beachtet wurden. Doch damit überschreiten wir bereits die Grenzen der in diesem Aufsatz vorgegebenen seriellen Parameter, wie sich Stockhausen ausgedrückt hätte. 242

Gedoppelte Mimesis Georg Lukács’ materialistische Musikästhetik (1963)

I

Bei der Erörterung spezifisch materialistischer Musiktheorien gilt es im Hinblick auf Georg Lukács erst einmal einige Vorurteile und Einwände auszuräumen. Und das wären vor allem folgende drei: 1. Gehört der „Ungar“ Georg (György) Lukács überhaupt in die Geschichte der „deutschen“ Musikphilosophie? 2. War nicht dieser Mann in seinen ästhetischen Anschauungen ein unbelehrbarer Stalinist, über den die Geschichte inzwischen hinweggegangen ist? Und 3.Was hat denn Lukács, der sich neben politischen und philosophischen Fragen offenbar nur für die Rolle des „Realismus“ in der Literatur interessiert hat, überhaupt von Musik verstanden? Kommt denn diese in seinem Werk – im Gegensatz zu den Schriften von Theodor W. Adorno und Ernst Bloch – überhaupt an zentraler Stelle vor? Oder ist sie nur eine belanglose Marginalie? Ad 1. Der erste Einwand ist der gravierendste. Lukács war zwar tatsächlich „Ungar“, aber doch Ungar aus der alten K.-u.-k.-Donaumonarchie, in der sich die jüdische Bildungselite – zu der auch seine Eltern gehörten, die vor 1914 sogar Thomas Mann in ihr Haus einluden – ebenso stark zur deutschen wie zur ungarischen Kultur hingezogen fühlte. Außerdem hat Lukács große Teile seines Lebens in Heidelberg, Wien und Berlin verbracht, wollte sich in Heidelberg 243

Gedoppelte Mimesis

habilitieren und dort eine Universitätsanstellung bekommen, hat die Mehrheit seiner philosophisch-ästhetischen Schriften auf Deutsch verfasst und war gegen Ende seines Lebens froh darüber, dass sein Buch Die Eigenart des Ästhetischen zuerst in Deutschland, dem „alten Kernland der philosophischen Ästhetik“, herauskam.1 Und außerdem, bei anderen „Größen“ der deutschen Kultur wie etwa Paul Celan, Franz Kafka oder Albert Schweitzer wären wir ja auch nicht so kleinlich, den ersten als „galizischen“ Lyriker, den zweiten als „österreichischen“ Juden und den dritten als „französischen“ Elsässer zu bezeichnen. Ad. 2. Auch alle Vorwürfe aus dem NATO-Bereich, und zwar von Theodor W. Adorno (1958) bis Daniel Bell (1992), dass Lukács – politisch gesehen – ein stalinistischer Dogmatiker und Prediger des Terrors sowie – ästhetisch gesehen – ein moskauhöriger Klassikverehrer und bornierter Verteidiger des „Sozialistischen Realismus“ gewesen sei,2 zu denen sich – im Zuge des Kalten Kriegs – selbst im Bereich des Warschauer Pakts obendrein Verdikte wie „Verräter“ oder „Revisionist“ gesellten, sind letztlich journalistische Pauschalisierungen, die einer genaueren Analyse nicht standhalten. Lukács hat sich zwar seit Ende des Ersten Weltkriegs bis zu seinem Tode im Jahr 1971 stets für die Idee des Sozialismus eingesetzt, ist aber durch sein hartnäckiges Insistieren auf einer „Demokratisierung“ des Kommunismus mehrfach mit den KP-Führungsschichten in schwere Konflikte geraten, zuerst 1928 durch seine Blum-Thesen und dann 1949 in der Budapester Lukács-Diskussion. Konsequenterweise trat er daher 1956 beim ungarischen Aufstand gegen die Stalinisten sofort als Minister für Volksbildung in das Reformkabinett unter Imre Nagy ein und hat diesen Akt fast mit seinem Leben bezahlen müssen. Danach war er für den Ostblock weitgehend eine Persona non grata, weshalb seine weiteren Bücher nicht mehr beim Ostberliner Aufbau Verlag herauskommen konnten, sondern beim westdeutschen Luchterhand Verlag erschienen. Und auch der Vorwurf der „blinden Verteidigung“ des Sozialistischen Realismus gehört in den gleichen Bereich strategischer Übertreibungen. Sogar in diesem Punkt sollte man in Zukunft nicht nur im Hinblick auf seine Hauptwerke nach 1956, sondern schon auf 244

Georg Lukács’ materialistische Musikästhetik (1963)

seine Publikationen davor sehr sorgfältig zwischen einigen taktischen Zugeständnissen sowie der seit 1930/31 relativ konstant durchgehaltenen Linie eines marxistischen Erbeverständnisses unterscheiden, mit dem er sich gegen alle vulgärsoziologischen oder gar stalinistischen Verengungen einer wahrhaft linken Ästhetik zur Wehr setzte. Ad 3. Was bleibt, ist der Vorwurf, dass Lukács keine intensiven Musikkenntnisse besessen habe. Dieser Einwand lässt sich schon damit entkräften, dass bei ihm zu Hause viel Musik gespielt wurde,3 er die Werke Béla Bartóks zu schätzen wusste und sich nachweislich mit den die Musik betreffenden Schriften Theodor W. Adornos, Ernst Blochs und Max Webers auseinandergesetzt hat. Und schließlich, muss man unbedingt Musikwissenschaftler sein, um sich über Musik äußern zu können? Die Beschäftigung mit dieser Kunstform ist doch keine Geheimwissenschaft. Kann man sich dem Phänomen des Musikalischen – wie Immanuel Kant, Johann Gottfried Herder, Friedrich Wilhelm Schelling, Arthur Schopenhauer und Friedrich Nietzsche – nicht auch philosophisch nähern? Ja, haben nicht diese Denker zum Teil wesentlich tiefere Fragen im Hinblick auf die Musik aufgeworfen, als sie sogenannte Musikexperten stellen würden, die sich vornehmlich für die formale Analyse kompositorischer Strukturen interessieren? Auch der Vorwurf mangelnder musikwissenschaftlicher Kenntnisse wäre demnach kein schwerwiegender Einwand. Doch nun zu der entscheidenden Frage: Wo setzte sich denn Lukács – auf seine spezifische, das heißt philosophische Weise – am ausführlichsten mit dem Wesen des Musikalischen auseinander? Er tat das in dem Kapitel „Musik“ im zweiten Halbband seines Spätwerks Die Eigenart des Ästhetischen, den er nach mehreren Vorstufen in der Deutschen Zeitschrift für Philosophie (1952) und der Festschrift für Ernst Bloch (1955) in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre niederschrieb.5 Dieser Band erschien 1963 in Darmstadt bei Luchterhand, mit dessen Verleger Frank Benseler Lukács zu diesem Zeitpunkt einen ausführlichen und für seine Ansichten höchst aufschlussreichen Briefwechsel führte.6 Doch bevor dieser Problemumkreis behandelt werden soll, muss erst noch ein kurzer Blick auf Lukács’ kunsttheoretische 245

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Konzepte dieser Jahre im Allgemeinen sowie ihr Verhältnis zu jenen ontologischen Fragen geworfen werden, die ihn zur gleichen Zeit und kurz danach beschäftigten. Viele werden erst einmal stutzen, dass sich ein angeblich so bornierter „Stalinist“ wie Lukács überhaupt mit dem Phänomen „Ontologie“ auseinandergesetzt hat. War nicht die gesamte Seinsproblematik eher eine Sache Martin Heideggers sowie mancher Vertreter des sich an ihn anschließenden Existentialismus, worin Lukács stets einen philosophischen Irrweg gesehen hat? Was verstand denn Lukács unter dem primär „Seienden“? Wie wir wissen, wurde er erstmals von Wolfgang Harich, seinem Lektor beim Aufbau Verlag, zu solchen Fragestellungen angeregt, der ihm Anfang der fünfziger Jahre als Einführung hierzu die Schriften von Nikolai Hartmann empfahl.7 Was jedoch bei Hartmann – wie in seinem Buch Teleologisches Denken von 1951 – zwar nicht im Transzendenten, aber im Bereich des Unhistorischen verharrt, wurde von Lukács eindeutig vom Kopf auf die Füße gestellt und in der Sphäre des individuell erlebten „Alltagslebens“ verankert. Auf diese Weise wollte Lukács – bei aller Anerkennung der Gesetze des Gesellschaftslebens – auch dem „subjektiven Faktor“ ein gewisses Recht zugestehen. Bei seinem damit verbundenen Rekurs auf den frühen Marx der Pariser Manuskripte, in denen dieser die Ausbildung der fünf Sinne in all ihren Dimensionen als das erstrebenswerte Endziel der menschheitlichen Entwicklung hingestellt hatte,8 ging es dem späten Lukács bei seinen ontologischen Studien primär darum – nach allen Depravierungen des Kommunismus ins Stalinistische –, endlich wieder eine genuin marxistisch fundierte Objekt-Subjekt-Dialektik zu restaurieren, um damit den potentiellen Bewegungsspielraum der menschlichen Subjekte innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung besser verorten zu können. Das bedeutete weder eine Wendung ins Ahistorische noch eine „bürgerliche Re-Individualisierung“,9 sondern eher eine Rückbesinnung auf das, was Marx in seinen Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie im Hinblick auf die Kategorien Arbeit, Reproduktion, Ideologie und Entfremdung als „Daseinsformen“ oder 246

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„Existenzbestimmungen“ umschrieben hatte.10 Lukács wollte damit sagen, dass zwar alle teleologischen Setzungen des Einzelmenschen irgendwie in den gesellschaftlichen Gesamtprozess münden, aber damit der subjektive Faktor keineswegs eliminiert werde. Im Gegenteil, in seinem Ankampf gegen die zunehmende „Entfremdung“ beweise der Mensch, dass er weder ein Sklave der objektiven Verhältnisse noch ein nur auf sich selbst bezogenes Wesen sei. Und in diesem Ankampf spielte für Lukács gerade die Schaffung von Kunst noch eine wichtige, wenn nicht gar unverzichtbare Rolle – womit wir endlich bei dem Buch Die Eigenart des Ästhetischen und seinem „Musik“-Kapitel wären. II

Dieses Buch war ursprünglich auf drei Bände geplant, von denen Lukács allerdings nur einen fertigstellte, um sich dann seinen ontologischen Studien widmen zu können. Mit diesem monumentalen Fragment, dessen erster Band bereits 1600 Schreibmaschinenseiten umfasste,11 wollte er jenen Gedankenprozess zu Ende führen, der bei ihm schon 1930/31 nach der Lektüre der Marx’schen Pariser Manuskripte und der engen Zusammenarbeit mit Michael Lifschitz eingesetzt hatte, nämlich dass erst die Aufhebung der Entfremdung zu einer Vermenschlichung des Menschen und damit Verwirklichung aller in ihm schlummernden Möglichkeiten führen könne.12 Statt also irgendwelchen idealistisch-voluntaristischen oder vulgärsoziologischen Vorstellungen von Kunst nachzuhängen, ging es Lukács nach diesem Zeitpunkt – trotz der durch die politischen Ereignisse der Folgezeit vielfach verursachten Unterbrechungen – bei der Betrachtung von Kunst immer stärker um eine Berücksichtigung der Dialektik zwischen Objektivität und Subjektivität. Er lehnte daher in der Kunst jeden blinden Utopismus, jeden faktografischen Fetischismus sowie jede Tendenz zur Schönfärberei scharf ab. Stattdessen bemühte er sich – bei allem „Sinn für Kontinuität“, den Thomas Mann, einer seiner größten Verehrer,13 so an ihm schätzte – unter ständigen Rückbezügen auf den frühen Marx, in allen großen Kunstwerken jene nach 247

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„Totalität“ drängende Welterfassung nachzuweisen, durch die sie der scheinbar allgewaltigen „Entfremdung“ Paroli zu bieten versuche. Und damit kommen wir zu jener Spezifik des Ästhetischen, mit der sich Kunst – seiner Meinung nach – von allen anderen Ausdrucks- und Erkenntnismöglichkeiten des Menschen unterscheide. Da Lukács’ Ästhetik in erster Linie eine Inhaltsästhetik ist, nach der selbst die Form stets die „Form eines bestimmten Inhalts“ sei,14 konnte diese Spezifik für ihn nur in der Art der jeweiligen Darstellung oder Mimesis der Wirklichkeit bestehen. Infolge dessen war Kunst für Lukács eins der wichtigsten Ergebnisse des „Befreiungskampfes“ der sich zur Vernunft durchringenden Menschen von der Vorherrschaft der sie überformenden Mächte des Mythologischen oder Religiösen.15 In ihr versuche sich der Mensch über die von ihm erfahrene Welt ein konkretes Bild zu verschaffen, bei dem sich das widergespiegelte Stück Wirklichkeit zugleich als Ausdruck der jeweiligen Bewusstseinsstufe der sich im Einzelmenschen manifestierenden gesellschaftlichen Entwicklung erweise. So gesehen, war Kunst für Lukács ein mit sich „identisches Subjekt-Objekt“-Gebilde und damit eine „Welt“ in sich.16 Er erklärte dementsprechend unter dem Zwischentitel „Die Besonderheit als ästhetische Kategorie“, dass jedes Kunstwerk, das nach „Totalität“ der Welterfassung strebe, eine „wertbetonte Mitte zwischen Subjektivität und Objektivität“ bilde, kurzum: jene „Mittelstellung“ einnehme, „die – vom Standpunkt des Menschen, also anthropomorphisierend – beide Extreme von ihrer Einseitigkeit befreie: die Subjektivität von ihrer in sich eingesperrten Partikularität, die Objektivität von ihrer Menschenferne“.17 Und damit unterscheide sich die spezifische Art der ästhetischen Widerspiegelung von jenen wissenschaftlichen Erkenntnisbemühungen, welche weder die gleiche Integrationsfähigkeit noch jene Kraft der Evokation oder gar die Fähigkeit zu kathartischen Wirkungen hätten, wie sie die Kunst aufweise. Demzufolge sei sie sowohl ein Ausdruck des Ansichseins als auch ein Ausdruck des Fürsichseins, ja habe durch diese Verlebendigungsmöglichkeit sogar die Fähigkeit, uns in ihren Erzählungen und Abbildungen wesentlich tiefer in den 248

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Sinn geschichtlicher Wirklichkeitserfahrung einzuführen als jede szientifische Untersuchung. Lassen wir erst einmal jedwede Kritik an diesen Konzepten beiseite und fragen wir uns, wie es Lukács gelang, diese Mimesisvorstellungen auch im Hinblick auf die musikalischen Ausdrucksformen zu situieren, und was er unter einem gesellschaftlich determinierten, aber sich zugleich gegen die in dieser Gesellschaft herrschende Entfremdung auflehnenden Subjekt verstand. Auf den ersten Blick scheint hier eine Antinomie aufzuklaffen, die nur schwer zu überbrücken ist. Denn wo gibt es in der Musik episch- oder visuell-abbildliche Möglichkeiten, wie sie der Literatur und den bildenden Künsten zur mimetischen Verlebendigung ihrer thematischen Absichten zur Verfügung stehen? Müssen nicht an ihr solche Spekulationen von vornherein scheitern? Wie konnte also ein zum marxistischen Materialismus übergeschwenkter Hegelianer wie Lukács, dessen Hauptinteresse, wie gesagt, zeit seines Lebens der großen „realistischen“ Literatur galt, einer Kunstform wie der Musik mit solchen Erwägungen letztlich gerecht werden? Ja, wie ließ sich überhaupt an Musik, vor allem wenn man an den weiten Bereich der Instrumentalmusik denkt, die auf die Stütze des Worts von vornherein verzichtet,18 mit den von Lukács vorgeschlagenen Mimesisvorstellungen herangehen, selbst wenn man dabei noch so differenziert verfuhr wie er? Statt sich mit vorschnellen Antworten auf derartige Fragen zu begnügen, empfiehlt es sich, erst einmal auf Lukács’ eigene Kriterien einzugehen, mit denen er sogar die ästhetische Besonderheit des Musikalischen in den Bereich seiner Widerspiegelungstheorien einzubeziehen versuchte. Schließlich ist vor allem die Auseinandersetzung mit Instrumentalmusik für jeden materialistisch eingestellten Kunstphilosophen stets der schwierigste Prüfstein, an dem er sein Weltbild beweisen muss. Wenn man schon Materialist ist, muss man es nämlich auf allen Gebieten sein und kann sich keine Ausnahmen oder blinden Flecken erlauben. Und das wusste auch Lukács genau, als er sein Buch Die Eigenart des Ästhetischen schrieb. Sein Musikkapitel 249

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im zweiten Halbband dieses Werks ist daher keineswegs ein unwillig verfasstes Zugeständnis an die betont „systematische“ Anlage des Ganzen, in dem selbst Ornamentik und Architektur berücksichtigt werden, sondern soll den entscheidenden Beweis dafür liefern, dass der von ihm behauptete Mimesischarakter sämtlichen ästhetischen Ausdrucksformen, sogar der scheinbar abstrakten oder absoluten instrumentalen Musik zugrunde liegt. Lukács verfuhr dabei folgendermaßen. Er begann mit der Feststellung, dass heutzutage der mimetische Charakter von Musik von den meisten westlichen Musiktheoretikern und -theoretikerinnen bestritten werde. Ja, im Bereich des „Modernismus“ werde die alte, seit der Antike vorherrschende Widerspiegelungstheorie nicht nur in der Musiktheorie, sondern sogar im Hinblick auf die Literatur und bildenden Künste allgemein in Frage gestellt. Vor allem seit dem Expressionismus leugne man innerhalb dieser Theoriebildungen eine in der Außenwelt vorgegebene Objektivität und betone stattdessen den puren Subjektivismus mit all seinen selbstreflexiven Begleiterscheinungen. Damit würden jedoch die „Reaktionen der Subjektivität“ notwendigerweise von „ihrer konkreten Umwelt isoliert“ und sämtliche ästhetischen Ausdrucksbemühungen in den Bereich der „solipsistischen Partikularität“ zurückgeworfen, wie er schrieb, das heißt verlören ihren Bezug zur „Totalität“, was eine zunehmende „Verarmung“ der inhaltlichen Momente bewirkt habe.19 Am heftigsten werde in diesem Umkreis die „Wechselbeziehung zwischen dem Abbilden der Wirklichkeit und der affektiven Reaktion auf sie“ in der Musiktheorie geleugnet.20 Dagegen habe man seit der Antike, das heißt bereits seit der 12. Pythischen Ode Pindars, seit Platon, seit den Pythagoräern, also seit rund 2500 Jahren, stets an der These festgehalten, dass das mimetisch „abgebildete Objekt der Musik“ ohne Zweifel das „innere Leben des Menschen“ sei, das sich in ihr widerspiegele.21 Ja, noch im 19. Jahrhundert, als es zu einer rapiden Ausbreitung der Instrumentalmusik gekommen sei, habe es sich selbst ein von der Romantik herkommender Philosoph wie Arthur Schopenhauer nicht nehmen lassen, vom Inhalt der Musik, wenn schon 250

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nicht als „Abbild von Ideen“, so doch von einem objektiven „Abbild des Willens“ zu sprechen.22 Anschließend setzte sich Lukács mit einigen naturphilosophischen Betrachtungsweisen von Musik auseinander. Während er Johann Gottfried Herders Anschauung, dass der Mensch in der Frühzeit die Musik als ein der Natur abgelauschtes Tönen empfunden habe, wegen der damit verbundenen Missachtung nicht zu übersehener gesellschaftlicher Wandlungsprozesse schroff ablehnte, da sie weit hinter die Musiktheorien Pindars und Aristoteles’ als etwas vom Menschen Erzeugtes zurückfalle, gestand er den Pythagoräern in dieser Hinsicht durchaus einige Pluspunkte zu. Doch erst Hegel habe mit seiner Auffassung der Kunst als etwas durch menschliche Arbeit Erzeugtes und zugleich als gesellschaftliches Tun die Dinge endlich ins rechte Licht gerückt. Schließlich hänge die Entstehung der Musik aufs Engste mit menschlichen Tätigkeiten wie dem Tanz oder auch dem Singen von Arbeitsliedern zusammen, die nichts „Natürliches“, sondern etwas „Künstliches“ seien. Zugleich hätten beide einen eminent „mimetischen“ Charakter, der sich aus den Bewegungsrhythmen des Tanzes oder jenen den Arbeitsprozess erleichternden Gesangsrhythmen ergebe, mit denen die Menschen ihren Empfindungen einen motorisch intensivierten Ausdruck zu geben versuchten.23 In diesem Sinne sei die Musik, wie es apodiktisch heißt, nur als „Mimesis des menschlichen Innenlebens“ zu verstehen, in der sich sowohl gesellschaftlich-geschichtliche Prozesse als auch die durch diese Prozesse ausgelösten oder in sie einstimmenden Gefühle widerspiegelten. Und damit kam Lukács auf seine schon zu Anfang postulierte These von der inhaltlichen Dialektik aller Kunstformen zurück. Während sich die Antike noch mit der Feststellung begnügt habe, dass die Musik die Widerspiegelung der menschlichen „Innerlichkeit“, also des „menschlichen Seelenlebens“ sei, müsse man sich heute in diesem Punkt um wesentlich konkretere Definitionen bemühen. Schließlich habe es diese „Innerlichkeit“ in einer angeblich „unmittelbaren und ursprünglichen Form“ nie gegeben. „Sie ist ein Produkt der gesellschaftlich-geschichtlichen Entwicklung der Menschheit“, wie er an 251

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einer Stelle erklärte,24 das heißt setze eine Differenzierung dieser „Innerlichkeit“ durch immer komplexere gesellschaftliche Zusammenhänge voraus. Dennoch sei sie dadurch nicht abstrakter oder gar gegenstandslos geworden, sondern spiegele eben diese fortschreitende Differenzierung wider, die zwar auch – wie alle geschichtlichen Phänomene – von Zeit zu Zeit Rückfälle ins Schlichtere oder gar Barbarische aufweise, da es nun einmal auch im gesellschaftlich-politischen Leben immer wieder zu derartigen Regressionen komme. Aber letztlich verliere sie selbst im Zuge dieser Differenzierung nicht ihre inhaltlich bestimmte Gegenständlichkeit. Und zwar teile sie das mit allen bedeutenden Kunstformen, deren Größe darin bestehe, sowohl das „bloß Einzelne“ als auch das „kahl Allgemeine“ aufzuheben. Ja, Lukács beschloss diese Argumentation sogar noch mit dem betont wertesetzenden Diktum: Indem sie das tue, bilde sie „eine echte Mitte der wahren, weltumspannenden, die Welt richtig spiegelnden, auf sie exemplarisch reagierenden menschlichen Innerlichkeit“.25 Das bedeutet etwas weniger emphatisch ausgedrückt: dass selbst in der neuzeitlichen Instrumentalmusik keine willkürlichen, gegenstandslosen Gefühle ausgedrückt würden, sondern stets solche, in denen sich eine bestimmte Zeitsituation in ihrer subjektiven Vermittlung widerspiegele. So weit, so gut. Aber worin besteht denn diese „Gegenständlichkeit“ eigentlich, die in Literatur und bildender Kunst jedem Leser oder Betrachter höchst sinnfällig gegenübertritt, während sich in der Welt der Töne – ohne die Stütze des Wortes – das Gegenständliche und damit eine realistisch erkennbare Wiedergabe dem Hörer von vornherein entzieht? Was bedeutet daher in diesem Zusammenhang der Terminus „Mimesis“? Ist das nicht ein aus Systemgründen herbeibemühter Begriff, um auch der Musik, die scheinbar unverbindlich, das heißt ohne bildlich-realistische, symbolische oder allegorische Prägnanz daherzutönen scheint, eine materialistische Zwangsjacke anzulegen? Ich glaube nicht. Lukács wollte damit nur sagen, dass sie zwar keine direkten, aber dennoch indirekte Abbilder oder besser „Abbilder von Abbildern“ enthalte und dadurch trotz ihrer scheinbaren Unrealistik letztlich doch „gegenständlich“ in 252

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einem gesellschaftlich-historischen Sinne bleibe. Kurzum: Musik war für ihn der Ausdruck einer „gedoppelten Mimesis“ oder „Mimesis der Mimesis“, deren Wesen nicht in einer den objektiven Gegenständen angenäherten „Ähnlichkeit“ bestehe, sondern die ihre durch das Subjekt vermittelte Welterfassung in einer Tonsprache ausdrücke, die trotz ihrer angeblichen Abstraktheit dennoch stets auf die jeweilige Zeitsituation und damit die konkrete Wirklichkeit bezogen bleibe. Mit anderen Worten: Musik war für Lukács – im Gegensatz zu allen Formalisten – nicht einfach „tönende Luft“ oder ein „Schachspiel mit Klängen“, sondern ein Phänomen, das sich durch ein erlebtes Miteinander von objektiver Welterfahrung und subjektiver Vermittlung auszeichne und sich damit von eher „realistischen“ Kunstformen wie Literatur und Malerei nur graduell, aber nicht prinzipiell unterscheide. Statt also bloßer Subjektausdruck zu sein, komme es in ihr – ob nun den jeweiligen Komponisten bewusst oder unbewusst – stets zu einer komplexen „Verdoppelung der Widerspiegelungsprozesse“, die sich keineswegs von den vielfältigen Wechselbeziehungen zur gesellschaftlich-historischen Welt ablösen ließen, in der sie entstanden seien und die sich in ihr in „Form einer gedoppelten Mimesis zur Kunst konstituierten“.26 Doch zwei Dinge zeichneten dabei die Musik im Besonderen aus. Indem sie eine „Objektivation menschlicher Emotionen“ sei, habe sie einen Evokationscharakter, der viel stärkere kathartische Wirkungen auslöse als jene Kunsterlebnisse, die man durch Werke der Literatur oder der bildenden Künste erfahren könne. Schließlich spiegele sich in ihr die subjektive Welterfahrung – gerade durch ihre scheinbare Unrealistik – wesentlich intensiver wider als in anderen Kunstformen, weil in ihr die „unbestimmte Gegenständlichkeit zur Grundlage einer maximalen Evokationsfähigkeit des mimetisch bearbeiteten Lebensstoffes“ werden könne.27 Und damit leitete Lukács – nach langen Definitionsexerzitien – allmählich zu Bewertungsfragen über. Allerdings verlor er sich auch dabei nie in Abstraktionen, sondern blieb durchaus historisch konkret. Wie der frühe Marx in seinen Bemerkungen über Balzac, der trotz seiner konservativ-royalistischen Anschauungen wegen seines tiefgreifenden „Realismus“ dennoch ein 253

Gedoppelte Mimesis

großer Künstler sei,28 redete deshalb auch Lukács keineswegs einer direkten „Parteilichkeit“ das Wort. Die Bedeutsamkeit aller großen Kunst bestand für ihn in diesem Buch in erster Linie darin, ob sie sich in ihrer „Welterfassung“ sowohl von der bloßen Subjektivität als auch der bloßen Objektivität distanziere und nach jener „Mitte“ strebe, die in ihrer gestalterischen Synthese ein echtes Spiegelbild der jeweiligen Zeitsituation bilde. Darin sah er die „entfetischisierende Funktion“ von Kunst schlechthin.29 Allerdings gab Lukács hierbei nie seine historisierende Perspektive auf. Deshalb ließ er sich an dieser Stelle nicht mehr wie früher zu diffamierenden Bemerkungen über „atonale“ Tonsysteme hinreißen, sondern stellte auch sie einfach als Signaturen einer „bestimmten gesellschaftlich-geschichtlichen Lage“ hin. Ja, er ließ in diesem Zusammenhang – neben Bloch – sogar Adorno zu Worte kommen, der ebenfalls, wie Lukács nachdrücklich unterstrich, immer wieder auf die „historischen Implikationen“ aller Formen der Musik hingewiesen habe, das heißt nie so weit gegangen sei, den Gebrauch der „musikalischen Mittel“ von ihrer „Genesis“ abzutrennen.30 Und zu dieser historischen Genesis gehöre, dass die Musik gerade in den letzten Jahrhunderten enorme qualitative Sprünge in Richtung einer ständigen Differenzierung und Ausweitung des menschlichen Erlebnisvermögens durchgemacht habe, weshalb sie Hegel im Rahmen seines entwicklungsgeschichtlichen Denkens als „eine typische Kunst der romantischen Periode“ erschienen sei.31 In ihr komme es nicht nur zu einer Differenzierung, sondern auch zu einer Freisetzung vieler innerhalb der reglementierten gesellschaftlichen Zustände unterdrückten Gefühle, die sich nur in ihr – in Form emotionaler Steigerungen – voll ausgelebt hätten. Ihre „Inhalte“ seien daher in ihrer „unbestimmten Gegenständlichkeit“, wie sich Lukács immer wieder ausdrückte, das heißt ihrer suggestiven Abstraktheit der menschlichen Auffassungsgabe einerseits ferner, andererseits näher als die der anderen Künste. Allerdings dürfe man sich dabei nicht einfach von einer unbestimmten Gefühlsduselei zu sinnlosen Sentimentalitäten hinreißen oder sich von Werken ohne großen „geistigen Gehalt“ 254

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überschwemmen lassen. Am besten gefielen Lukács daher Kompositionen mit einer „gesellschaftlich-menschlichen Schicksalsatmosphäre wie Mozarts Zauberflöte, Bergs Wozzeck oder die Cantata profana von Bartók“.32 Auch folkloristische Elemente lehnte er in der Musik keineswegs ab und verübelte es Adorno, dass dieser in seiner Aufsatzsammlung Dissonanzen von 1956 den Gebrauch solcher Elemente in der Musik Bartóks als „völkisch“ abgestempelt habe.33 Doch das bedeutet nicht, dass es Lukács stets um einen „programmatischen“ Inhalt in der Musik gegangen sei. Er blieb in diesem Punkt durchaus bei seinem Konzept der verpflichtenden „Mitte“ einer untrennbaren Objekt-Subjekt-Relation, wie sie für alle Künste gelte. Im Gegensatz zu Schopenhauer und Nietzsche gestand er daher der Musik zwar eine Besonderheit, aber keine überspannte Ausnahmerolle innerhalb der Künste zu. Ja, er kritisierte sogar einige Deutsche dafür, ihr lange Zeit eine Sonderstellung eingeräumt und häufig – fasziniert von der „Unbestimmtheit“ der Musik – mit ihr gegen die „Vernunft frondiert“ zu haben, was Thomas Mann in seinem Aufsatz Deutschland und die Deutschen sowie seinem Roman Doktor Faustus zu Recht nachdrücklich kritisiert habe.34 III

So viel in gebotener Kürze zu den Hauptideen, die Lukács im Musikkapitel seines Buchs Die Eigenart des Ästhetischen zu formulieren versuchte. Doch nun zur Rezeption und Kritik dieser Ideen bei einigen Musiktheoretikern sowie zu einer zusammenfassenden Einschätzung der Besonderheit von Lukács’ Musikästhetik. Im Rahmen der Rezeptionsgeschichte seiner Anschauungen, die bisher recht spärlich war und vor allem in die siebziger und achtziger Jahre fiel, lassen sich bei genauerem Hinsehen drei Gruppen unterscheiden: 1. die relativ objektive, ja in manchem durchaus positiv gestimmte Rezeption innerhalb der ungarischen Musikwissenschaft, für die hier zwei Aufsätze von Dénes Zoltai herangezogen werden sollen, 2. die verständnisvoll-solidarische Kritik von Günter Mayer und Georg Knepler in der DDR, 255

Gedoppelte Mimesis

die sich hauptsächlich auf die musiktheoretischen Konzepte Hanns Eislers stützten, sowie 3. die wesentlich kritischere Einschätzung der Lukács’schen Musikästhetik durch einen westdeutschen Musikologen wie Albrecht Riethmüller und die recht scharfe Kritik des aus Prag in die BRD übergesiedelten Musikwissenschaftlers Vladimir Karbusicky. Ad 1. Was bei einem Ungarn wie Dénes Zoltai nicht verwundert, war die resolute Verteidigung Lukács’ gegen die Verdächtigungen und Angriffe Adornos, der sowohl den Sozialisten Lukács als auch Bartók, den größten ungarischen Komponisten des 20. Jahrhunderts, mehrfach in ein ideologisch fragwürdiges Licht gerückt habe,35 um damit beide aus der Kernzone einer modernen Kunst und Ästhetik herauszueskamotieren. Im Gegensatz zu Adorno, der 1958 im Monat – vom sicheren Frankfurt aus – so schnöde gewesen sei, den 1956 in Budapest unter Einsatz seines Lebens gegen den Stalinismus aufgetretenen Lukács anzugreifen, habe sich Lukács 1963 im Musikkapitel seines Buch Die Eigenart des Ästhetischen Adorno gegenüber recht fair verhalten. Obendrein sei es unsinnig, schrieb er, Lukács wegen seiner Parteinahme für Bartók – unter Berufung auf Schönberg als des einzigen Vertreters einer wahrhaft zeitgemäßen Musik – als einen minderwertigen Exponenten der Antimoderne anzuprangern. All das empfand Zoltai zu Recht als orthodoxe Verkultung der sogenannten Zweiten Wiener Schule, über die das Rad der Geschichte inzwischen ebenso hinweggegangen sei wie über die von Lukács verurteilte pseudomarxistische Verkultung stalinistischer Kunstkonzepte. Ad 2. Der Beitrag Zur Polemik zwischen gegensätzlich Gleichgesinnten, den Günter Mayer und Georg Knepler, zwei der wichtigsten Musikwissenschaftler der DDR, Anfang der siebziger Jahre für den Band Dialog und Kontroverse mit Georg Lukács schrieben, befasste sich hauptsächlich mit den verschiedenartigen, aber ideologisch gleichgestimmten Anschauungen Georg Lukács’ und Hanns Eislers zur Musiktheorie.36 Er erschien zu einem Zeitpunkt, als es nach einem langen, von Seiten der SED erzwungenen Schweigen über Lukács in der DDR wieder möglich wurde, sich mit diesem Autor – wenn auch in kritischer Absicht – erneut auseinanderzusetzen. Wie zu erwarten, 256

Georg Lukács’ materialistische Musikästhetik (1963)

stellten sich Mayer und Knepler dabei eindeutig auf die Seite Eislers und warfen Lukács vor, trotz seiner zwar philosophisch hochgestochenen, aber meist zutreffenden Spekulationen über die unbestimmte Gegenständlichkeit in der Musik, die auf beste marxistische Traditionen zurückgingen, in seinem Verhältnis zur Tradition zu einer „Fetischisierung der klassischen Werke“ zu neigen.37 Ebenso unangemessen fanden Mayer und Knepler, dass Lukács in einer „auf allgemeinste Zusammenhänge orientierten Denkweise“ befangen bleibe und zudem inhaltlich weitgehend zu einer einseitigen „Weltanschauungskritik“ tendiere, das heißt Form- und Gestaltungsproblemen – vor allem im Rahmen der neueren Musik – kaum Beachtung schenke. Das war zwar etwas überspitzt gesagt, sollte aber Eislers unablässiges Bemühen um konkrete Anwendungsmöglichkeiten der Musik im Zuge der anstehenden Klassenkampfsituationen unterstreichen, denen Lukács im Musikkapitel seines Buches Die Eigenart des Ästhetischen überhaupt keine Beachtung geschenkt habe.38 Ad 3. Doch nun zur westdeutschen Kritik. Über Theodor W. Adornos generelle Abneigung dem mittleren und späten Lukács gegenüber war bereits die Rede, obwohl sich in den Ausführungen zur historisch bedingten Abbildfunktion der Musik in den Werken beider durchaus manche Ähnlichkeiten feststellen ließen. Doch im Zuge des Kalten Krieges, der in den fünfziger Jahren gerade in Westdeutschland recht scharfe Formen annahm, passte nun einmal Adorno diese ganze Richtung nicht mehr. Und so blieb er lieber bei einer allgemeinen Ablehnung, statt sich etwas genauer mit Einzelaspekten der Lukács’schen Musikästhetik auseinanderzusetzen. Relativ verständnisvoll ging dagegen Albrecht Riethmüller – nach der Wende von 1989 – auf Lukács’ Anschauungen ein. Er warf ihm lediglich vor, dass seine Ästhetik auf den ersten Blick wie „ein Stück seltsamer Planwirtschaft“ wirke, das zwar viele „abstrakte Prinzipien“ aufweise, aber kaum Hinweise auf konkrete Kompositionen enthalte, was sich sowohl „zum Schaden der Ästhetik als auch der Erkenntnis von Musik“ auswirke.39 Außerdem habe das Ganze einen „altmodischaltertümelnden Zug“, da es weitgehend vergangenheitsorientiert sei 257

Gedoppelte Mimesis

und fast überhaupt nicht auf die Musik der „Moderne“ eines Pierre Boulez oder Karlheinz Stockhausen, ja nicht einmal auf das Werk von Hanns Eisler eingehe.40 Doch für die Abbildtheorie, das heißt die These der indirekten oder gedoppelten Mimesis, mit der sich Lukács sowohl gegen die westlich-formalistische Theorie der absoluten Musik als auch gegen die Befürwortung einer platten Instrumentalisierung der Musik im Sinne des Sozialistischen Realismus wandte, brachte Riethmüller viel Verständnis auf.41 Weniger glimpflich sprang dagegen Vladimir Karbusicky mit der Lukács’schen „Widerspiegelungstheorie“ um, die er als eine nichtssagende Floskel zu „destruieren“ versuchte.42 Ihm ging es vornehmlich darum, die Fragwürdigkeit dieses Begriffs aufzuzeigen, indem er Lukács – wegen seiner angeblich „stalinistischen« Herkunft aus den dreißiger Jahren – als ideologisch „obsolet“ bezeichnete.43 Zur Unterstützung seiner Ausführungen zog Karbusicky dabei unter anderem die Schriften Tibor Kneifs heran, der bereits 1971 in seiner Musiksoziologie geschrieben habe, dass die „Theorie der Widerspiegelung“ eine „Sonderblüte der östlichen selbstzerknirschenden Lust an Formlosigkeit und der bekennenden, stammelnden Seele der Dostojewskischen Helden“ sei, die in einer „sozialistischen Musikästhetik westlicher Prägung“ sicher nie „irgend­eine Rolle spielen würde“.44 So viel zu einigen Aspekten der Rezeption von Lukács’ Musikästhetik diesseits und jenseits des sogenannten Eisernen Vorhangs. Bedingt durch die Situation des Kalten Krieges und die höchst kontroverse Rolle, die der „demokratische Sozialist“ Lukács darin spielte, blieb sie zwangsläufig zwiespältig, um es milde auszudrücken. Mit einem bedeutenden Philosophen wie Lukács, der sich weder der Lagermentalität der „westlichen“ oder „östlichen“ Ideologien anschloss, sondern immer wieder – wie sein früherer Freund Ernst Bloch – den Versuch unternahm, zwischen diesen beiden Blöcken einen „Dritten Weg“ zu finden,45 wodurch beide mit den staatssozialistischen Parteien in Ungarn und der DDR in Konflikt gerieten, konnte es selbst nach ihrem Tode kaum zu einer sinnvollen Rezeption ihrer Gedankenwelt kommen. Was also in den letzten drei Jahrzehnten des 258

Georg Lukács’ materialistische Musikästhetik (1963)

20. Jahrhunderts im Hinblick auf Lukács überwog, war entweder ein verlegenes Schweigen, ein ungarischer Stolz auf Lukács’ Vorliebe für Béla Bartók, ein mitleidiges Lächeln über das angeblich Altmodische seiner Ideenwelt, eine damit verbundene Verkultung einer nicht näher definierten „Moderne“ oder eine mehr oder minder offene Feindschaft, aber keine sich am möglichen Wahrheitsgehalt seiner Thesen entzündende Diskussion. Diese kann selbstverständlich auch im Rahmen dieses Essays nicht nachgeholt werden. Aber abschließend sollen dafür wenigstens einige Anhaltspunkte nachgeliefert werden. IV

Von zentraler Bedeutung wäre dafür nach wie vor sein Versuch, im Hinblick auf die Musik, womit vorwiegend die Instrumentalmusik gemeint ist, eine Inhaltsästhetik zu entwickeln, die auch in dieser Kunstform jenen „mimetischen“ Charakter aufzuspüren versucht, der in der älteren, ja selbst noch in großen Teilen der neueren Literatur und bildenden Kunst so offensichtlich ist. Die Vorurteile gegen eine solche Sicht sind allbekannt. Schon im 18. Jahrhundert, als die Instrumentalmusik erstmals voll zu sich selber kam, hat man von aufklärerischer Seite her immer wieder gefragt, was denn diese Kunstform, die offenbar so inhaltslos und damit begriffslos sei, eigentlich zum „Fortschritt“ der Menschheit beitrage, und sich daher zum Teil gegen ihre Ausbreitung gesträubt.46 Eine Änderung in dieser Hinsicht trat erst mit jener von der Empfindsamkeit in die Romantik übergehenden Geistesströmung ein, die in gegenaufklärerischer Absicht gerade die Instrumentalmusik wegen ihrer begrifflichen Unbestimmtheit und damit angeblich reinen Gefühligkeit zur Höchsten aller Künste erhob. Und die Wirkung solcher Thesen erwies sich gerade im Deutschland des 19. Jahrhunderts, wo sich wegen der hochgespannten Kulturbemühungen, aber unterentwickelten gesellschaftlichen Liberalität das Philosophieren und das Komponieren als ideale Möglichkeiten einer Flucht in die „überschwängliche Misere“ anboten, als höchst folgenreich. 259

Gedoppelte Mimesis

Musiktheorien, die sich nicht der romantischen Idee der „absoluten“ Musik anschlossen, sondern auch diese Kunstform auf eine bürgerlich-realistische, linksliberale oder gar materialistische Weise zu interpretieren versuchten, hatten daher in diesem Land lange Zeit einen schweren Stand. Und diesen schweren Stand hatten sie zum Teil noch im 20. Jahrhundert, als sich im Gegenzug zu eindeutig reaktionären Kunstkonzepten jene avantgardistischen oder auch nur modernistischen Kunsttheorien entwickelten, die durch die ideologischen Frontstellungen des Kalten Krieges, das heißt in Abwehr gegen vulgärsoziologische oder platt stalinistische Widerspiegelungstheorien dazu übergingen, ihre gesellschaftskritischen Positionen zugunsten des Abstrakten, Nichtrepräsentativen, ja Gegenstandslosen aufzugeben. Selbst auf dem Gebiet der Musiktheorie, das im Gegensatz zur Malerei nicht zu den wichtigsten Kampfzonen des Kalten Krieges gehörte, wurden daher jene Denker, die sich im Osten um eine im besten Sinne materialistische Musiktheorie bemühten, links der Elbe kaum wahrgenommen.47 Oder wo war im Westblock damals von Schriften wie Die Intonation (1951) von Boris Assafjew, Über das Spezifische in der Musik (1959) von Zofia Lissa, Vorlesungen zur marxistisch-leninistischen Ästhetik (1969) von Moissej Kagan, Realismustheorie und Probleme der Musikästhetik (1971) von Alexander Farbstein, Zur Frage der ästhetischen Form-Inhalt-Relationen in der Musik (1971) von Eberhard Lippold oder Gedanken einer nicht-aristotelischen Musik­ ästhetik (1976) von Harry Goldschmidt die Rede? Doch dies waren genau jene Schriften, in deren Umkreis auch Lukács’ Musikkapitel in seinem Buch Die Eigenart des Ästhetischen (1963) gesehen werden muss. Schließlich herrschte auch in ihnen das gleiche Bemühen um eine „mimetische“ Erklärung der Musik, die sich nicht von platten vulgärsoziologischen Widerspiegelungskonzepten leiten ließ, sondern sich zum Teil ebenfalls mit der Vorstellung jener in den musikalischen Verlauf eingegangenen „Intonationen“ beschäftigt, denen ein deutlicher, wenn auch jeweils subjektiv gefärbter oder abgewandelter Rückbezug auf die in seiner Entstehungszeit herrschenden oder auch im Konflikt miteinander liegenden Stimmungen, Gedanken, 260

Georg Lukács’ materialistische Musikästhetik (1963)

Triebe, Gefühle, ja aller nur denkbaren gesellschaftlichen Motivationsursprünge zugrunde liegt. Solchen Einsichten lässt sich schwerlich widersprechen. Schließlich ist auch in der Musik stets alles mit allem verbunden, erschließt jedoch seinen vollen Bedeutungsgehalt nur jenen Menschen, die hinter den unmittelbar sinnlich-akustischen Gratifikationen sowie den jeweiligen seelischen Gefühlsaufwallungen zugleich all das mitzuhören verstehen, was von der den Komponisten umgebenden Mitwelt in ihre Musik eingegangen ist. So betrachtet ist das Hören ernst zu nehmender Musik ein genau so anspruchsvoller Vorgang wie die Lektüre eines klassischen Dramas von Goethe und Schiller oder das Betrachten eines mit kryptischen Symbolen ausgestatteten Bildes von Caspar David Friedrich. Gut, man kann auch in eine Beethoven-Symphonie wie in eine warme Badewanne einsteigen und im Gefühl der Wohligkeit alle anderen geistigen oder seelischen Verstehensmöglichkeiten ausschalten. Aber gehen dabei nicht all jene Assoziationen verloren, die wir beim Lesen anspruchsvoller Literatur oder beim Betrachten ebenso anspruchsvoller Werke der älteren Malerei haben?48 So betrachtet, ist Musik viel verführerischer als Literatur oder Malerei. Bei ihr können wir auch dösen, uns von den jeweiligen Melodien einfach animieren lassen oder einfach mitschwimmen. Und das hat – in gewissen Situationen – durchaus seinen Funktionswert. Aber entwürdigen wir sie nicht damit letztlich zu einem seelischen Vibrator oder wohlig dahinplätschernden Hintergrundgeräusch? Es wäre daher für anspruchsvolle Hörer und Hörerinnen, die sich bemühen, auch mit den Ohren zu denken und sich der Historizität ihrer eigenen Gefühle sowie auch der in der jeweils gehörten Musik ausgedrückten Gefühle bewusst zu werden, von Zeit zu Zeit nicht unwichtig, von Musiktheoretikern wie Lukács daran erinnert zu werden, dass auch den scheinbar inhaltslosen Klangfolgen der Instrumentalmusik deutlich oder undeutlich erkennbare seelische oder geistige Vorgänge zugrunde liegen, die wie alle anderen kulturellen Phänomene nicht von ihren materialistisch zu erklärenden Ursprüngen abgelöst werden können. Wie viel intensiver und zugleich umfassender könnte bei 261

Gedoppelte Mimesis

einem solchen Hören nicht nur unser Genussvermögen sowie unsere Ausbildung eines verfeinerten akustischen Sinnes, sondern zugleich unser historisch-gesellschaftlich vermitteltes Weltverständnis werden! Das soll nicht heißen, dass alles, was Lukács in dem Musikkapitel seines Buchs Die Eigenart des Ästhetischen zusammengefasst hat, notwendig stimmig ist. Manches zeugt schon von einer gewissen Unkenntnis in Fragen der Musiktheorie und manches wird sicher allzu stark ins Theoretisch-Philosophische abstrahiert. Aber seine Grunderkenntnis bleibt dennoch wichtig: Sogar Instrumentalmusik ist nicht nur tönende Luft, nicht nur mathematisch-serielles Spiel oder unvermittelter Gefühlsausdruck. Selbst wenn sie so tut, das eine oder das andere zu sein, ist sie sowohl subjektiv gespiegelter als auch objektivierter Ausdruck von mehr, ja oft von wesentlich mehr. Genauer betrachtet, ist Musik stets die Klangwelt ihrer eigenen Zeit, so wie Philosophie stets die Ideenwelt ihrer eigenen Zeit zusammenfasst, wie sich Adorno ausdrücken würde.49 Und in diesem Punkt waren sich Lukács und Adorno als alte Hegelianer, wenn sie auch im Kalten Krieg politisch höchst unterschiedliche Positionen bezogen, dennoch in manchem ähnlich.50

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Anmerkungen

Da es in diesem Buch nicht um eine zusammenfassende Darstellung aller politischen Echowirkungen in der deutschen Musik und Musiktheorie geht, sondern ausschließlich Einzelaspekte der sich daraus ergebenden Fragestellungen behandelt werden, wurde auf eine ins Unendliche ausufernde Bibliographie sämtlicher damit verbundenen Problemumkreise bewusst verzichtet. Einen gewissen Ersatz dafür bilden lediglich einige in den Anmerkungen erwähnte weiterführende Lektürehinweise. Für die Computerisierung meines Manuskripts sorgte wiederum Justin Court, während mir Carol Poore bei bibliografischen Recherchen und beim Korrekturlesen half. Beiden sei für ihre Bemühungen auch an dieser Stelle nochmals aufrichtig gedankt. Zum Problem des „Politischen“ in der deutschen Musik 1 Vgl. Hans-Ulrich Wehler: Die neue Umverteilung. Soziale Ungleichheit in Deutschland, München 2013. 2 Vgl. mein Buch: Kultur im Wiederaufbau 1945–1965, München 1986, S. 21 ff. 3 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt a. M. 1993. 4 Vgl. u. a. Markus Heidingsfelder: System Pop, Berlin 2012, Christian Bielefeldt und Marc Rendzich: Popgeschichte. Stars, Sounds, Stile, Handorf 2012, und Ralf von Appen et al. (Hrsg.): Populäre Musik. Geschichte, Kontexte, Forschungsperspektiven, Laaber 2014. 263

Anmerkungen

5 Vgl. mein Buch: Die Wenigen und die Vielen. Trägerschichten deutscher Kultur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Köln 2017, S. 306. 6 Vgl. Ramona Fülfe: Kulturmarketing. Impulse für eine zielgruppengerechte Ansprache im Bereich E-Musik, Hamburg 2011. 7 Vgl. meinen Aufsatz: Avantgarde, Moderne, Postmoderne. Die Musik, die (fast) niemand hören will. In Ders.: Beredte Töne. Musik im historischen Prozeß, Frankfurt a. M. 1991, S. 225–242. 8 Vgl. meinen Aufsatz: Freiheit im Kalten Krieg. Zum Siegeszug der abstrakten Malerei in Westdeutschland. In Hugo Borger et al. (Hrsg.): ’45 und die Folgen. Kunstgeschichte eines Wiederbeginns, Köln 1991, S. 135–162.

Von Gottsched bis Gervinus 1 Vgl. hierzu mein Buch: Die Wenigen und die Vielen. Trägerschichten deutscher Kultur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Köln 2017, S. 103 ff. 2 Johann Samuel Petri: Anleitung zur praktischen Musik, Leipzig 1782, S. 10. 3 Vgl. zum Folgenden auch mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981, S. 21 ff. 4 Johann Christoph Gottsched: Versuch einer Kritischen Dichtkunst für die Deutschen, Leipzig 1751, S. 739. 5 Ebd., S. 731 ff. 6 Ebd., S. 726. 7 Ebd., S. 727. 8 Zit. in Hugo Goldschmidt: Die Musikästhetik des 18. Jahrhunderts, Zürich 1915, S. 95. 9 Christian Gottfried Krause: Von der musikalischen Poesie, Berlin 1753, S. 95. 10 Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Leipzig, 2. Aufl., 1793, Bd. III, S. 431. 11 Johann Christoph Gottsched: Auszug aus des Herrn Batteux Schönen Künsten, Leipzig 1754, S. 281–207. 12 Christian Friedrich Daniel Schubart: Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, Wien 1806, S. 335.

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Anmerkungen

13 Zit. in Michael Mann: Ästhetik und Soziologie der Musik 1600–1800. In: Propyläen Weltgeschichte. Hrsg. von Golo Mann und August Nitschke, Berlin 1964, Bd. VII, S. 599. 14 Moses Mendelssohn: Gesammelte Schriften, Leipzig 1843, Bd. VI, S. 70. 15 Gotthold Ephraim Lessing: Hamburgische Dramaturgie, 27. Stück. In Ders.: Lessings Werke. Hrsg. von Karl Balser, Weimar 1959, Bd. V, S. 132–137. 16 Immanuel Kant: Werke. Hrsg. von Wilhelm Weischedel, Wiesbaden 1957, Bd. V, S. 26. 17 Ebd., Bd. V, S. 310. 18 Johann Wolfgang Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1. Buch, 11. Kapitel. In Ders.: Sämtliche Werke, Stuttgart 1854, Bd. III, S. 156. 19 Vgl. Walter Serausky: Die musikalische Nachahmungsästhetik im Zeitraum von 1700 bis 1850, Münster 1929, S. 194. 20 Johann Wolfgang Goethe: Faust II (wie Anm. 18), Bd. II, S. 438. 21 Ders.: Maximen und Reflexionen. In ebd., Bd. III, S. 379. 22 Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Hrsg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert, München, 2. Aufl., 1960, Bd. II, S. 1044 ff. 23 Ebd., Bd. II, S. 516. 24 Ebd., Bd. II, S. 639. 25 Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Ästhetik. Hrsg. von Friedrich Bassenge, Berlin, 2. Aufl., 1965, Bd. II, S. 19. 26 Ebd., Bd. II, S. 269. 27 Ebd., Bd. II, S. 307 f. 28 Ebd., Bd. II, S. 271. 29 Karl Gutzkow: Wally, die Zweiflerin, Mannheim 1835, S. 36 f. 30 Friedrich Theodor Vischer: Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen, Stuttgart 1923, Bd. V, S. 66 f. 31 Georg Gottfried Gervinus: Händel und Shakespeare. Zur Ästhetik der Tonkunst, Leipzig 1868, S. 144. 32 Ebd., S. 159. 33 Ebd., S. 166.

Die Zielutopie in Beethovens Symphonien 1 Vgl. mein Buch: Beethoven. Werk und Wirkung, Köln 2003, S. 53 f.

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Anmerkungen

2 Boris Assafjew: Die musikalische Form als Prozeß, Berlin 1976, S. 298. Vgl. dazu auch meine Aufsätze: Beethoven oder Bonaparte? Vom Anderen und vom Selbst in der „Sinfonia eroica“. In Ders.: Beredte Töne. Musik im historischen Prozeß, Frankfurt a. M. 1991, S. 51–68, und: Allons enfants de la musique. Pariser Revolution und Wiener Klassik. In Erhard Schütz (Hrsg.): Vergangene Zukunft, Bonn 1992, S. 153–176. 3 Zit. in Albrecht Riethmüller: „Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria“. In: Beethoven. Interpretationen seiner Werke. Hrsg. von Albrecht Riethmüller et al., Bd. II, Darmstadt, 2. Aufl., 1996, S. 37. 4 Ebd., S. 401. 5 Ludwig van Beethoven: Sämtliche Briefe. Hrsg. von Emerich Kastner, Leipzig 1910, S. 453. 6 Ebd., S. 461. 7 Vgl. meinen Aufsatz: „Weitermachen“ auch in „wüsten Zeiten“. Beethovens Klaviersonate op. 111. In: Archiv für Musikwissenschaft 55, 1999, S. 95–110. 8 Zit. in Stephan Ley: Beethoven. Sein Leben in Selbstzeugnissen, Briefen und Berichten, Wien 1959, S. 296. 9 Vgl. mein Buch: Beethoven (wie Anm. 1), S. 14. 10 Ebd., S. 14. 11 Jürgen Habermas: Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt a. M. 1985. 12 Leicht veränderte Fassung meines gleichnamigen Einleitungsessays. In: Von der Ersten bis zur Neunten. Beethovens Symphonien im Konzert und im Museum. Hrsg. vom Beethoven-Haus in Bonn, Bonn 2008, S. 12–21.

Beethovens Bemühungen um die Oper 1 Vgl. die ausführliche Bibliographie zu Beethovens „Fidelio“ in Willy Hess: Das Fidelio-Buch, Winterthur 1986, S. 394–414. 2 Vgl. ebd., S. 34 f., wie auch Raoul Biberhofer: „Vestas Feuer“. Beethovens erster Opernplan. In: Die Musik 22, 1929/30, S. 409–414. 3 Vgl. u. a. Sieghart Döhring: Die Rettungsoper. Musiktheater im Wechselspiel politischer und ästhetischer Prozesse. In Helga Lühning und Sieghard Brandenburg (Hrsg.): Beethoven zwischen Revolution und Restauration, Bonn 1989, S. 109, und Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit, Zülpich 1998, S. 257 ff. 266

Anmerkungen

4 Genaueres darüber in Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 37 f. 5 Vgl. Thayer’s Life of Beethoven, Princeton 1987, Bd. I, S. 386, Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 55, und Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 3), S. 285. 6 Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 3), S. 275. 7 Vgl. hierzu Dietmar Holland: Rettung der Kolportage durch die Musik. Zu Beethovens „Fidelio“. In Attila Csampai und Dietmar Holland (Hrsg.): Ludwig van Beethoven. Fidelio. Texte, Materialien, Kommentare, Reinbek 1981, S. 23, und Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 54. 8 Thayer’s Life of Beethoven (wie Anm. 5), Bd. I, S. 387, 391. Eine genauere Beschreibung der historischen Situation liefert „Der Freimüthige“ vom 26. Dezember 1805. 9 Zit. in Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 60. 10 Zeitung für die elegante Welt vom 20. Mai 1806. 11 Vgl. Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 82, Helga Lühning und Wolfram Steinbeck (Hrsg.): Von der „Leonore“ zum „Fidelio“, Frankfurt a. M. 2000, und Michael O. Tusa: Beethoven’s Essay in Opera: Historical, Text-Critical, and Interpretative Issues in „Fidelio“. In Glenn Stanley (Hrsg.): Cambridge Companion to Beethoven, Cambridge 2000, S. 204–207. 12 Vgl. ebd., S. 394–414. 13 Vgl. z. B. Harry Goldschmidt: Die Ur-Leonore. In Ders.: Beethoven. Werkeinführungen, Leipzig 1975, S. 253–283. 14 Heinrich W. Schwab: Fidelio. In Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus und Alexander L. Ringer (Hrsg.): Beethoven. Interpretationen, Laaber, 2. Aufl., 1996, Bd. I, S. 558 f. 15 Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 119–212. 16 Ernst Bloch: Prinzip Hoffnung, Berlin 1955, Bd. III, S. 194 f. 17 Ebd., S. 195. 18 Ebd., S. 194. Vgl. hierzu auch Hans Mayers Aufsatz: Beethoven und das Prinzip Hoffnung. In Ders.: Versuche über die Oper, Frankfurt a. M. 1981, S. 71–89. 19 Theodor W. Adorno: Beethoven. Philosophie der Musik, Frankfurt a. M., 2. Aufl., 1994.

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Anmerkungen

20 Helga Lühning: Florestans Kerker im Rampenlicht. Zur Tradition der Sotteranea. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration (wie Anm. 3), S. 137–204. 21 Ebd., S. 203. 22 Vgl. hierzu und zum Folgenden Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 173–177. 23 Ebd., S. 177. 24 Thayer’s Life of Beethoven (wie Anm. 5), S. 373 f. Vgl. hierzu auch Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 3), S. 216–227. 25 Vgl. George Thomas Ealy: Of Ear Trumpets and a Resonance Plate. Early Hearing Aids and Beethoven’s Hearing Perception. In: Nineteenth Century Music 17, 1994, S. 262–273. 26 Hans-Josef Irmen: Beethoven in seiner Zeit (wie Anm. 3), S. 217. 27 Zit. in ebd., S. 222 f. Vgl. hierzu auch Maynard Solomon: Late Beethoven. Music, Thought, Imagination, Berkeley 2003, S. 143 f. 28 Vgl. Lewis Lockwood: Beethoven, Florestan, and the Varieties of Heroism. In Scott Burnham und Michael P. Steinberg (Hrsg.): Beethoven and his World, Princeton 2000, S. 27–47. Hier wird auf S. 37 der Christus in Beethovens Oratorium „Christus am Ölberg“, das er 1803 komponierte und noch im gleichen Jahr im Theater an der Wien uraufführte, geradezu als „Ur-Florestan“ interpretiert. 29 Vgl. Joseph Schmidt-Görg: Beethoven. Dreizehn unbekannte Briefe an Josephine Gräfin Deym, geb. von Brunsvik, Bonn 1957. 30 Vgl. Peter Clive: Beethoven and his World, Oxford 2001, S. 62 f. 31 Maynard Solomon: Beethoven, New York, 2. Aufl., 2001, S. 207 ff. 32 Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz: „Heil dir, Germania!“ Ludwig von Beethovens patriotische Kompositionen. 1813–1815. In Jost Hermand und Michael Niedermeier (Hrsg.): Revolutio germanica. Die Sehnsucht nach der „alten Freiheit“ der Germanen. 1750–1820, Frankfurt a. M. 2002, S. 263 ff. 33 Ernst Bloch: Prinzip Hoffnung (wie Anm. 16), S. 195. 34 Vgl. Rudolf Bockholdt: Freiheit und Brüderlichkeit in der Musik Beethovens. In: Beethoven zwischen Revolution und Restauration (wie Anm. 3), S. 77–108. 35 Wohl die beste Umsetzung dieser Absichten bildet Walter Felsensteins „Fidelio“-Film von 1952. 268

Anmerkungen

36 Zit. in Willy Hess: Fidelio-Buch (wie Anm. 1), S. 94. 37 Dietmar Holland schreibt daher zu Recht: „Gegen Ende geht es um mehr als die Überwindung Pizarros. Die Musik verschmilzt zwar mit der Bühnenaktion, aber sie illustriert sie nicht. Nach der Fanfare bricht sie in einen unbeschreiblichen Befreiungstaumel aus, der alle Worte übersteigt. Das ist Beethovens unverzichtbare Botschaft, Mut zu machen, daß um Freiheit zu kämpfen sich lohnt.“ In Ders.: Rettung der Kolportage durch die Musik. In: Ludwig van Beethoven. Fidelio (wie Anm. 7), S. 31. 38 Vgl. dazu auch das Nachwort meines Buchs: Glanz und Elend der deutschen Oper, Köln 2008, S. 261 ff. 39 Teils gekürzte, teils erweiterte Fassung meines Aufsatzes: Beethovens Leonoren. In Heidi Beutin, Wolfgang Beutin, Heinrich Bleicher-Nagelsmann, Herbert Schmidt und Claudia Wörmann-Adam (Hrsg.): Frauenbilder in Kunst und Literatur, Mössingen 2012, S. 241–260.

Zur Geschichte des Deutschlandlieds 1 Vgl. Der deutsche Vormärz. Hrsg. von Jost Hermand, Stuttgart 1967, S. 375 ff. 2 Auch das Lied „Ir sulc sprechen willekommen“ von Walther von der Vogelweide mag Hoffmann als Vorbild gedient haben. 3 Vgl. hierzu Heinrich Gerstenberg: Deutschland, Deutschland über alles. Ein Lebensbild des Dichters Hoffmann von Fallersleben, München 1916, S. 38 f. 4 Ebd., S. 61 ff. 5 Zit. in Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermärchen. Hrsg. von Karl-Heinz Fingerhut, Frankfurt 1976, S. 90. Bei Siebenpfeiffer hat die „Germania“ allerdings die „Fackel der Aufklärung“ in der Hand. 6 Fritz Gause: Die Entstehung des Deutschlandliedes. In: Jahrbuch der schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 15, 1970, S. 88–91. 7 Zit. in Heinrich Heine: Deutschland (wie Anm. 5), S. 144. 8 Heinrich Heine: Werke und Briefe. Hrsg. von Hans Kaufmann, Berlin 1961, Bd. I, S. 432 f. 9 Ebd., S. 16f.

269

Anmerkungen

10 Noch erfolgloser blieben die Lieder „Deutschland über alles“ von Robert Zimmermann und „Deutschland über alles“ von Karl Simrock, die 1848 erschienen. Vgl. Helmut Lamprecht (Hrsg.): Deutschland, Deutschland. Politische Gedichte vom Vormärz bis zur Gegenwart, Bremen 1969, S. 101 ff. 11 Vgl. Heinrich Gerstenberg: Deutschland (wie Anm. 3), S. 5. 12 In ebd., S. 223. 13 Max Schneidewin: In Sachen des Nationalliedes, Hameln 1899, S. 12. 14 Ebd., S. 29 ff. 15 Vgl. Heinrich Gerstenberg: Deutschland (wie Anm. 3), S. 77. 16 Vgl. Politische Dichtung. In: Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen, Leipzig 1936, Bd. III, S. 299. 17 Heinrich Gerstenberg: Deutschland (wie Anm. 3), S. 1. 18 Ebd., S. 61, 89. 19 Zit. in Max Preitz: Hoffmann von Fallersleben und sein Deutschlandlied. In: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts, 1926, S. 310. 20 Deutschland, Deutschland über alles!, Leipzig 1929, S. 230, 12. 21 Vgl. Heinrich Gerstenberg: Deutschland, Deutschland über alles! Vom Sinn und Werden der deutschen Volkshymne, München 1933, S. 96. 22 Max Preitz: Hoffmann von Fallersleben (wie Anm. 19), S. 327. 23 Zit. in Ernst Hauck: Das Deutschlandlied. Aus dem Kampf um unsere Einheit, Dortmund 1942, S. 59. 24 Vgl. dazu Fritz Sandmann: Das Deutschlandlied und der Nationalismus. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 13, 1962, S. 653 ff. 25 Vgl. Fußnote 21. 26 Ernst Hauck: Das Deutschlandlied (wie Anm. 23), S. 36. 27 Ebd., S. 37. 28 Vgl. dazu Sabine Schutte: Nationalhymnen und ihre Verarbeitung. In: Hanns Eisler. Argument-Sonderband 5, 1975, S. 208–217. 29 Lediglich die britische Militärregierung verbot am 18. August 1945 vorübergehend das öffentliche Absingen des „Deutschlandliedes“ für ihre Zone. 30 Vgl. Spiegel 4, 1950, Nr. 17 vom 27. April, S. 4. 31 Neue Zeitung vom 21. April 1950. 32 Bertolt Brecht: Gesammelte Werke. Hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a. M. 1967, Bd. X, S. 977. 270

Anmerkungen

33 Dieser Briefwechsel ist abgedruckt bei Gerhardt Seiffert: Das ganze Deutschlandlied ist unsere Nationalhymne, Fallersleben 1964, S. 16 ff. 34 Vgl. Spiegel 6, 1952, Nr. 20 vom 14. Mai, S. 11. 35 Fritz Sandmann: Das Deutschlandlied (wie Anm. 24), S. 655. 36 Ulrich Günther: … über alles in der Welt? Studien zur Geschichte und Didaktik der deutschen Nationalhymne, Neuwied 1966, S. 118. 37 Vgl. Lieder und Gedichte, Hamburg 1974, S. 247 f. 38 Über die Hoffmann-Gedenktafeln wie auch andere HoffmannErinnerungs­stätten aus den fünfziger Jahren vgl. Fritz Andrée: Wirkungs- und Erinnerungsstätten des Dichters Hoffmann von Fallersleben, Fallersleben 1959. 39 Ebd., S. 38. 40 Ebd., S. 6. 41 Gerhardt Seiffert: Das ganze Deutschland (wie Anm. 33), S. 15, 34. 42 Vgl. u. a. Der Stern, 1978, Nr. 13, S. 17, Frankfurter Rundschau vom 29. April 1978 und Die Zeit vom 31. März 1978. 43 Hans Jürgen Hansen: Heil Dir im Siegerkranz. Die Hymnen der Deutschen, Oldenburg 1978, S. 77. Vgl. dazu auch Roland Schlink: Hoffmann von Fallerslebens vaterländische und gesellschaftskritische Lyrik, Stuttgart 1981, S. 45–69, Rainer Daehnhardt: Geburt, Tod und Auferstehung des Deutschlandliedes, Parede 2003, Peter Reichel: Schwarz, Rot, Gold. Kleine Geschichte der Nationalsymbole nach 1945, München 2005, und Jürgen Zeichner: Einigkeit und Recht und Freiheit. Zur Rezeptionsgeschichte von Text und Melodie des Deutschlandlieds von 1933 bis heute, Köln 2008. 44 John Halding: Das Deutschlandlied. 50 Jahre Nationalhymne. In: Deutsche Volkszeitung, 1972, Nr. 33, S. 5. 45 Vgl. das Buch: Berufsverbot. Ein bundesdeutsches Lesebuch. Hrsg. von Wolfgang Beutin, Thomas Metscher und Barbara Meyer, Fischerhude 1976, wo Hoffmann von Fallersleben neben Lessing, Fichte, Pestalozzi, Einstein und anderen „Radikalen“ erscheint. 46 So geschehen beim Bauer-Rothe-Streik an der FU Westberlin im Wintersemester 1976/77. Eine der Protestversammlungen im Auditorium maximum stand dabei unter dem Titel „Wissenschaft und Recht und Freiheit“.

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Anmerkungen

47 Stark bearbeitete Fassung meines gleichnamigen Aufsatzes in Ders.: Sieben Arten an Deutschland zu leiden, Königstein 1979, S. 62–74.

Die unmusikalische Revolution 1 Georg Knepler: Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1961, Bd. I, S. 210. 2 Ebd., S. 208. 3 Vgl. meinen Aufsatz: Allegro con fuoco. Der Widerhall der Französischen Revolution in der deutschen Musik. In Ders.: Beredte Töne. Musik im historischen Prozeß, Frankfurt a. M. 1991, S. 31 f. 4 Vgl. ebd., S. 37 ff. 5 Vgl. u. a. Adolf Weissmann: Berlin als Musikstadt. Geschichte der Oper und des Konzerts von 1740 bis 1911, Berlin 1911, Oswald Schrenk: Berlin und die Musik. 200 Jahre Musikleben einer Stadt. 1740–1940, Berlin 1940, Horst Seeger und Ulrich Bökel: Musikstadt Berlin, Leipzig 1974, und Ludwig Finscher: Berlin. In: Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel, 2. Aufl., 1994, Bd. I, S. 1434 ff. 6 Zit. in Bernd W. Wessling: Meyerbeer. Wagners Beute – Heines Geisel, Düsseldorf 1984, S. 215. 7 Ebd., S. 219. 8 Ebd., S. 219 f. 9 Ebd., S. 220. 10 Vgl. meinen Aufsatz: Carl Maria von Weber: „Der Freischütz“. In Ders.: Glanz und Elend der deutschen Oper, Köln 2008, S. 101–114. 11 Vgl. Adolf Weissmann: Berlin als Musikstadt (wie Anm. 5), S. 223 f. und 227. 12 Vgl. Musik in Geschichte und Gegenwart, Kassel 1966, Bd. XIII, Sp. 148. 13 Vgl. Hugo Fetting: Die Geschichte der deutschen Staatsoper, Berlin 1955, S. 155. 14 Vgl. meinen Aufsatz: Albert Lortzing: Regina. In Ders.: Glanz und Elend der deutschen Oper (wie Anm. 10), S. 115–131. 15 Vgl. Heinrich Heine: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Bd. VI. Hrsg. von Jost Hermand, Hamburg 1973, S. 5 ff. und 401 ff. 16 Vgl. Bernd W. Wessling: Meyerbeer (wie Anm. 6), S. 221. 17 Vgl. meinen Aufsatz: Albert Lortzing: Regina (wie Anm. 14), S. 126 ff. 18 Vgl. Oswald Schrenk: Berlin und die Musik (wie Anm. 5), S. 122–124. 272

Anmerkungen

19 Vgl. Werner Otto: Die Lindenoper. Ein Streifzug durch ihre Geschichte, Berlin 1985, S. 206. 20 Thomas Wicke: Vom Etablissement zur Oper. Die Geschichte der Kroll-Oper, Berlin 1993, S. 29 ff. 21 Vgl. die Literaturhinweise in der Anthologie: Das Junge Deutschland. Texte und Dokumente. Hrsg. von Jost Hermand, Stuttgart 1988, S. 393–404. 22 Vgl. Musik in Geschichte und Gegenwart (wie Anm. 5), S. 1439 f. Vgl. auch Inge Lammel: Arbeitermusikkultur in Deutschland. 1844–1945, Leipzig 1984, S. 15. 23 Vgl. Hans J. Schütz: Nun, Brüder, stehet wie ein Mann. Flugblätter, Lieder und Schriften deutscher Sozialisten. 1833–1863, Neunkirchen 1979, S. 134. 24 Vgl. den vorhergehenden Aufsatz: Zersungenes Erbe. Zur Geschichte des „Deutschlandlieds“ (1842), S. 58–75. 25 Vgl. dazu auch Thomas Ludewig: Berlin. Geschichte einer deutschen Metropole, München 1986, S. 51. 26 Vgl. Wilhelm Blas: Die deutsche Revolution, Berlin 1893, Nachdruck Berlin 1978, S. 136. 27 Zit. in Ulrich Otto: Die historisch-politischen Lieder und Karikaturen des Vormärz und der deutschen Revolution von 1848/49, Köln 1982, S. 240. 28 Ebd., S. 310. 29 Ebd., S. 313. 30 Ebd., S. 317. 31 Ebd., S. 296. 32 Zit. in Inge Lammel: Lieder der Revolution von 1848, Leipzig 1957, S. 36 f. Vgl. auch Wolfgang Steinitz: Deutsche Volkslieder demokratischen Charakters aus sechs Jahrhunderten, Berlin 1962, Bd. II, S. 260. 33 Vgl. Hans J. Schütz: Nun, Brüder, stehet wie ein Mann (wie Anm. 23), S. 231 und 245. 34 Vgl. Werner Otto: Die Lindenoper (wie Anm. 19), S. 206. 35 Erstdruck in Roland Berbig, Iwan-M. D’Aprile, Helmut Peitsch und Erhard Schütz (Hrsg.): Berlins 19. Jahrhundert. Ein Metropolen-Kompendium, Berlin 2011, S. 189–202.

273

Anmerkungen

Zur Musik der Gründerzeit 1 Vgl. hierzu meine Aufsätze: Der gründerzeitliche Parvenü. In Werner Düttmann (Hrsg.): Aspekte der Gründerzeit, Berlin 1974, S. 7–15, und: Grandeur, High Life und innerer Adel. Gründerzeit im europäischen Kontext. In: Monatshefte 69, 1977, S. 189–206. 2 Vgl. Georg Lukács: Die Zerstörung der Vernunft. Der Weg des Irrationalismus von Schelling zu Hitler, Berlin 1955, S. 244 ff. 3 Vgl. meinen Aufsatz: Zur Literatur der Gründerzeit. In Ders.: Von Mainz nach Weimar 1793–1919. Studien zur deutschen Literatur, Stuttgart 1969, S. 211–249. 4 Paul Heyse: Jugenderinnerungen und Bekenntnisse, Stuttgart, 5. Aufl., 1912, Bd. II, S. 68– 72. 5 Vgl. hierzu allgemein Richard Hamann und Jost Hermand: Gründerzeit, Berlin 1965, S. 37 ff. 6 Vgl. David C. Large: The Political Background of the Foundation of the Bayreuth Festival 1876. In: Central European History 11, 1978, S. 162–172, und Thomas Seedorf: Musik – Theater – Helden – Kult. Das Festspielhaus in Bayreuth. In Achim Aurnhammer und Ulrich Bröckling (Hrsg.): Vom Weihegefäß zur Drohne. Kulturen des Heroischen und ihre Objekte, Würzburg 2014, S. 207–219. 7 Vgl. Hans Mayer: Richard Wagner, Reinbek 1959, S. 107 f., und Solveig Weber: Das Bild Richard Wagners. Ikonographische Bestandsaufnahme eines Künstlerkults, Mainz 1993. 8 Vgl. Karl Grebe: Anton Bruckner, Reinbek 1972, S. 80 ff., und Egon Voss: Wagner-Zitate in Bruckners Dritter Symphonie? In: Die Musikforschung 49, 1996, S. 403–406. 9 Vgl. Georg Knepler: Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1961, Bd. II, S. 699, und Wolfgang Grandjean: Anton Bruckners „Helgoland“ und das Symphonische. In: Die Musikforschung 49, 1995, S. 349–368. 10 Vgl. u. a. Walther Siegmund-Schultze: Johannes Brahms: Eine Biographie, Leipzig 1966, S. 61 f., und Sabine Giesbrecht-Schutte: Gründerzeitliche Festkultur. Die „Bismarckhymne“ von Karl Reinthaler und ihre Beziehung zum „Triumphlied“ von Johannes Brahms. In: Die Musikforschung 52, 1999, S. 70–88. 11 Vgl. mein Buch: Beethoven. Werk und Wirkung, Köln 2009, S. 14. 12 Vgl. Hans A. Neunzig: Johannes Brahms, Reinbek 1973, S. 64 f. 274

Anmerkungen

13 Vgl. u. a. Thomas Krehahn: Der fortschrittliche Akademiker. Das Verhältnis von Tradition und Innovation bei Johannes Brahms, Salzburg 1998, S. 22–49. 14 Vgl. Georg Knepler: Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts (wie Anm. 9), Bd. II, S. 904. 15 Vgl. Peter Gülke: Brahms. Bruckner. Zwei Studien, Kassel 1989, S. 50 ff.

Gustav Mahlers 1. Symphonie (1889) 1 Bruno Walter: Gustav Mahler, Wien 1937, S. 107. 2 Paul Stefan: Gustav Mahler, München 1910, S. 87. Vgl. dazu auch Jens Malte Fischer: Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Biographie, Wien 2003, S. 195 ff. 3 Richard Specht: Gustav Mahler, Berlin, 3. Aufl., 1922, S. 174. 4 Natalie Bauer-Lechner: Erinnerungen an Gustav Mahler, Wien 1923, S. 148. 5 Paul Bekker: Mahlers Symphonien, Berlin 1921, S. 64. 6 Hans Ferdinand Redlich: Bruckner and Mahler, London 1955, S. 181. 7 Kurt Blaukopf: Gustav Mahler oder Der Zeitgenosse der Zukunft, Wien 1969, S. 88. 8 Alphons Silbermann: Mahler-Lexikon, Bergisch Gladbach 1986, S. 117 f. 9 Bruno Walter: Gustav Mahler (wie Anm. 1), S. 112. 10 Columbia Records 5794. 11 Constantin Floros: Gustav Mahler. Die geistige Welt Gustav Mahlers in systematischer Darstellung, Wiesbaden, 2. Aufl., 1987, S. 54 ff., 155. 12 Gustav Mahler: Briefe. Hrsg. von Friedrich Löhr, Wien 1925, S. 477. 13 Ebd., S. 480. 14 Vgl. hierzu Alexander L. Ringer: „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Allusion und Zitat in der musikalischen Erzählung Gustav Mahlers. In Hermann Danuser u. a. (Hrsg.): Das musikalische Kunstwerk. Geschichte, Ästhetik, Theorie, Laaber 1988, S. 590. 15 Vgl. Richard Hamann und Jost Hermand: Gründerzeit, Berlin 1965, S. 103 ff. 16 Richard Specht: Gustav Mahler (wie Anm. 3), S. 176. 17 Paul Stefan: Gustav Mahler (wie Anm. 2), S. 7. 18 Vgl. Anm. 10.

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Anmerkungen

19 Vgl. Hans Joachim Schaefer: Gustav Mahler in Kassel, Kassel 1982, S. 32–35. 20 Alphons Silbermann: Mahler-Lexikon (wie Anm. 8), S. 11. 21 Zit. in ebd., S. 10. 22 Ebd., S. 11. 23 Ebd., S. 12. Vgl. hierzu auch Henry A. Lea: Gustav Mahler. Man on the Margin, Bonn 1985, S. 43–66, Susan M. Filler: Mahler as a Jew in the Literature. In Theodore Albrecht (Hrsg.): Essays for Dika Newlin, Kansas City 1988, S. 65–85, Gerhard Scheit und Wilhelm Svoboda: Feindbild Gustav Mahler. Zur antisemitischen Abwehr der Moderne in Österreich, Wien 2002, und Oliver Hilmes: Im Fadenkreuz. Politische Gustav-Mahler-Rezeption. Eine Studie über den Zusammenhang von Antisemitismus und Kritik an der Moderne, Frankfurt a. M., 2003. 24 Alma Mahler: Erinnerungen an Gustav Mahler, Frankfurt a. M. 1971, S. 137. 25 Theodor W. Adorno: Mahler. Eine musikalische Physiognomik, Frankfurt a. M. 1960, S. 38, 47. 26 Ebd., S. 55, 96, 99, 49. 27 Eine bescheidene Vorstufe zu diesem Beitrag bildet bereits mein Aufsatz: Der vertonte „Titan“. In: Hesperus. Blätter der Jean-Paul-Gesellschaft 29, 1965, S. 1–5. 28 Teils verkürzte, teils erweiterte Fassung meines Aufsatzes: Deutsch-jüdische Zerrissenheit. Gustav Mahlers 1. Symphonie. In Ders.: Judentum und deutsche Kultur, Köln 1996, S. 71–84.

Karl Kraus und Georg Knepler 1 Georg Knepler: Karl Kraus liest Offenbach. Erinnerungen. Kommentare. Dokumentationen, Wien 1984, S. 13 ff. 2 Vgl. Gerhard Oberkofler: Über das musikwissenschaftliche Studium von Georg Knepler an der Wiener Universität. In: Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft 3, 2006. 3 Vgl. das Knepler-Kapitel in meinem Buch: Vorbilder. Partisanenprofessoren im geteilten Deutschland, Köln 2014, S. 122. 4 Wie ich von John Knepler, dem Sohn Georg Kneplers, hörte, „übernahm er die Klavierbegleitung, weil Otto Janowitz erkrankt war und Kraus dringend einen Ersatz brauchte. Ein gemeinsamer Bekannter 276

Anmerkungen

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schlug ihn vor, es kam zu einem Test und er wurde akzeptiert, zumindest von Kraus, wenn auch nicht von seiner antisemitisch eingestellten Freundin Sidonie Nádherný.“ So in einem Brief John Kneplers vom 26. April 2015 an den Verfasser. Nach Äußerungen von Rudolf Kolisch und Felix Pollak dem Verfasser gegenüber. Georg Knepler: Karl Kraus liest Offenbach (wie Anm. 1), S. 212 ff. Vgl. mein Buch: Vorbilder (wie Anm. 3), S. 122. Georg Knepler: Die Form in den Instrumentalwerken Johannes Brahms’, Wiener Universitätsbibliothek, S. 165. Vgl. den Beitrag von Hans Eberhard Goldschmidt: Die Vorlesungen für Arbeiter. In: Karl Kraus liest Offenbach (wie Anm. 1), S. 233 ff. Vgl. ebd., S. 141 f. Fackel 649, 1924. Fackel 868, 1932. Vgl. Friedrich Rothe: Karl Kraus. Die Biographie, München 2003, S. 33. Heinrich Fischer: Erinnerung an Karl Kraus. In: Forum 8,90, 1961. Erste Ansätze dazu finden sich bei Kurt Krolop: Bertolt Brecht und Karl Kraus. In: Philologica Pragensia 4, 1961, S. 95–112 und 203–230, James K. Lyon: „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ und „Gegensätze ziehen sich an“. Das dialektische Verhältnis Karl Kraus–Bertolt Brecht. In Joseph Strelka (Hrsg.): Karl Kraus. Diener der Sprache. Meister des Ethos, Tübingen 1990, S. 267–285, und Dieter Reinhold Krantz: Karl Kraus und Bertolt Brecht. Dramentheorie und Realisierung. Ein Vergleich. Diss. Waterloo, Ontario, Canada 1991. Vgl. dazu auch meinen Aufsatz: Karl Kraus und Bertolt Brecht. Über die Vergleichbarkeit des Unvergleichlichen. In: Brecht Yearbook 40, 2016, S. 219–233. Wiederabgedruckt in Georg Knepler: Gedanken über Musik. Reden. Versuche. Aufsätze. Kritiken, Berlin 1980, S. 116–121. Vgl. Franz Bönisch: Das österreichische Exiltheater „Laterndl“ in London. In: Österreicher im Exil 1934–1945. Hrsg. vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien 1977, S. 441. Vgl. Gerhard Scheit: Die letzte Nacht vor der Maßnahme. Hanns Eisler, Karl Kraus und Bertolt Brecht. In: Wespennest 113, 1999. Vgl. Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Berlin 1986, Bd. I, S. 468. 277

Anmerkungen

20 Vgl. hierzu u. a. Jan Knopf: Bertolt Brecht. Lebenskunst in finsteren Zeiten, München 2012, S. 274 ff. 21 Vgl. Georg Knepler: Karl Kraus liest Offenbach (wie Anm. 3), S. 191. 22 Vgl. Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in acht Bänden. Hrsg. von Elisabeth Hauptmann, Frankfurt a. M., 1967, Bd. VIII, S. 432. 23 Vgl. mein Buch: Vorbilder (wie Anm. 2), S. 123. 24 Die Einzigen, die es in der kurzen „Tauwetter“-Phase um 1956/57 in der DDR wagten, mit positiv gesetzten Akzenten auf Karl Kraus hinzuweisen, waren Lotte Sternbach-Gärtner: Bertolt Brecht und Karl Kraus. In: Neue deutsche Literatur 4, H. 10, 1956, S. 158–159, und Hans Mayer: Karl Kraus und die Nachwelt. In: Sinn und Form 9, H. 5, 1957, S. 934–947. 25 Vgl. mein Buch: Vorbilder (wie Anm. 3), S. 123. 26 Vgl. Georg Knepler: Reaktionäre Tendenzen in der westdeutschen Musikwissenschaft. In: Beiträge zur Musikwissenschaft 2, 1960, H. 3, S. 5 ff. Vgl. hierzu auch Anne C. Shreffler: Berlin Walls. Knepler and the Ideologies of Music History. In: Journal of Musicology 20, 2003, S. 498–525. 27 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Ernst Hermann Meyers Polemik gegen die „westliche Unkultur“ in der Musik. In Ulrich J. Blomann (Hrsg.): Kultur und Musik nach 1945. Ästhetik im Zeichen des Kalten Krieges, Saarbrücken 2013, S. 252–265. 28 Vgl. mein Buch: Vorbilder (wie Anm. 3), S. 123. 29 Georg Knepler: Karl Kraus und die Bürgerwelt. In: Sinn und Form 27, 1975, H. 3, S. 332–370. 30 Ebd., S. 350. 31 Fackel 657, 1924. 32 Georg Knepler: Karl Kraus und die Bürgerwelt (wie Anm. 29), S. 370. 33 Vgl. u. a. Wilma Abeles Iggers: Karl Kraus. A Viennese Critic of the Twentieth Century, Den Haag 1967, S. 85–88, Peter Hawig: „Die Zeit ist eine Operette“. Jacques Offenbach und Karl Kraus. In Ders.: Jacques Offenbach. Facetten zu Leben und Werk, Köln 1999, S. 235–254, und Edward Timms: Karl Kraus’s Adaptations of Offenbach. The Quest for the Other Sphere. In: Austrian Studies 13, 2005, S. 91–108. 34 Georg Knepler: Karl Kraus liest Offenbach (wie Anm. 1), S. 15. 35 Fackel 717, 1926. 278

Anmerkungen

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Vgl. Georg Knepler: Karl Kraus liest Offenbach (wie Anm. 1), S. 228 ff. Vgl. ebd., S. 142. P. Walter Jacob: Jacques Offenbach, Reinbek 1969, S. 60 ff. Karl Kraus: Aphorismen, 97 f. Vgl. Georg Knepler: Karl Kraus liest Offenbach (wie Anm. 1), S. 74 f. Ebd., S. 86 f. Vgl. dazu auch Hans Mayer: Karl Kraus und die Nachwelt (wie Anm. 24), S. 942 f. Vgl. Georg Knepler: Karl Kraus liest Offenbach (wie Anm. 1), S. 87. Vgl. hierzu Alfred Pfabigan: Karl Kraus und der Sozialismus, Wien 1976, S. 92. Karl Kraus: Offenbach-Renaissance. In: Fackel 757, 1927. Vgl. hierzu Michael Naumann: Der Abbau der verkehrten Welt. Satire und politische Wirklichkeit im Werk von Karl Kraus, München 1969, S. 40. Vgl. das Nachwort meines Buchs: Glanz und Elend der deutschen Oper, Köln 2008, S. 262–269.

Manfred Gurlitts Wozzeck (1926) 1 Vgl. hierzu Helma Götz: Manfred Gurlitt. Leben und Werk, Frankfurt a. M.1996, S. 169 f. 2 Vgl. Die Musik 16, Oktober 1922, S. 69. 3 Vgl. u. a. Thomas Michael Mayer (Hrsg.): Georg Büchner, München 1979, und Henri Poschmann: Georg Büchner. Dichtung der Revolution und Revolution der Dichtung, Berlin 1983. 4 Vgl. Helma Götz: Manfred Gurlitt (wie Anm. 1), S. 172–187. 5 Vgl. Jost Hermand und Frank Trommler: Die Kultur der Weimarer Republik, München 1978, S. 299 ff., und meinen Aufsatz: Expressionism and Music. In Gertrud Bauer Pickar und Karl Eugene Webb (Hrsg.): Expressionism Reconsidered, München 1979, S. 58–73. 6 Vgl. Helma Götz: Manfred Gurlitt (wie Anm. 1), S. 189–192. 7 Vgl. Thomas Koebner: Die Zeitoper in den zwanziger Jahren. Gedanken zu ihrer Geschichte und Theorie. In Dieter Rexroth (Hrsg.): Zu Paul Hindemiths Schaffen in den zwanziger Jahren, Mainz 1978, S. 62. 8 Vgl. Melos 9, 1930, S. 543. 9 Vgl. Helma Götz: Manfred Gurlitt (wie Anm. 1), S. 222 ff. 279

Anmerkungen

10 Ebd., S. 116–118. 11 Vgl. zum Folgenden meinen Aufsatz: Georg Büchner und Alban Bergs „Wozzeck“. Tiefstes Elend – höchste Kunst. In Ders.: Glanz und Elend der deutschen Oper, Köln 2008, S. 179–196. 12 Ebd., S. 179 f. 13 Vgl. Alban Berg: Wozzeck. Hrsg. von Attila Csampai und Dietmar Holland, Reinbek 1985, S. 200. 14 Melos 1956, H. 2, S. 46. 15 Zit. in Volkmar Scherliess: Alban Berg, Reinbek 1975, S. 64.

Paul Hindemiths Mathis der Maler (1935) 1 Vgl. hierzu das Musikkapitel in Jost Hermand und Frank Trommler: Die Kultur der Weimarer Republik, München 1978, S. 299–352. 2 Zit. in Giselher Schubert: Paul Hindemith, Reinbek 1981, S. 69. 3 Vgl. Gudrun Breimann: „Mathis der Maler“ und der „Fall Hindemith“. Studien zu Hindemiths Opernlibretto im Kontext der kulturgeschichtlichen und politischen Bedingungen der 30er Jahre, Frankfurt a. M. 1997, S.103–133. 4 Paul Hindemith: Mathis der Maler. In Paul Hindemith: Mathis der Maler. In: Emi Classics, 1985, S. 37. 5 Ebd., S, 38. 6 Zit. in Gudrun Breimann: „Mathis der Maler“ (wie Anm.3), S. 39. Vgl. dazu auch Franz Wöhlke: „Mathis der Maler“ von Paul Hindemith, Berlin 1965, S. 16–19. 7 Wilhelm Pinder: Die deutsche Kunst der Dürerzeit, Leipzig 1940, S. 260. 8 Ebd., S. 256. 9 Adolf Waas: Die große Wendung im deutschen Bauernkrieg, München 1939, S. 33. 10 In einem Brief Wilhelm Streckers an seinen Bruder Ludwig. Zit. in Gudrun Breimann: „Mathis der Maler“ (wie Anm. 3), S. 62. 11 Zit. in Giselher Schubert: Paul Hindemith (wie Anm. 2), S. 79. Vgl. dazu auch Claudia Maurer Zenck: Zwischen Boykott und Anpassung an den Charakter der Zeit. Über die Schwierigkeit eines deutschen Komponisten mit dem Dritten Reich. In: Hindemith-Jahrbuch 9, 1980, S. 65–129. 280

Anmerkungen

12 Ebd., S. 80. 13 Vgl. Gudrun Breimann: „Mathis der Maler“ (wie Anm. 3), S. 33 ff. Vgl. etwa Friedrich Wilhelm Herzog: Hindemith: „Mathis der Maler“. Bedeutsame Sinfonie-Uraufführung in Berlin. In: National-Zeitung Essen vom 16. März 1934. 14 Die Musik 26, 1934, S. 418. 15 Vgl. u. a. NS-Kulturgemeinde: Paul Hindemith – Kulturpolitisch nicht tragbar. In: Die Musik 27, 1934, H. 2, S. 138, Alfred Rosenberg: Ästhetik oder Volkskampf? In: Völkischer Beobachter vom 6. Dezember 1934, S. 1 f., und Friedrich Wilhelm Herzog: Der Fall Hindemith – Furtwängler. In: Die Musik 27, 1935, H. 4, S. 241–243. 16 Zit. in Fred K. Prieberg: Musik im NS-Staat, Frankfurt a. M. 1982, S. 66. 17 Joseph Goebbels: Signale der neuen Zeit, München 1934, S. 332.

Arnold Schönbergs zionistische Wende 1 Vgl. meinen Aufsatz: 1925. Arnold Schönbergs Berufung an die Berliner Akademie der Künste. In: Berlin-Wien. Eine Kulturbrücke, Berlin 2007, S. 25–34. 2 Vgl. u. a. Alfred Heuß: Alfred Schönberg. Preußischer Kompositionslehrer. In: Zeitschrift für Musik 92, 1925, S. 583–585. 3 Vgl. Richard Hamann und Jost Hermand: Stilkunst um 1900, Berlin 1967, S. 214 ff. 4 Vgl. Hans G. Helms: Schönbergs Sprache und Ideologie. In: Ulrich Dibelius (Hrsg.): Herausforderung Schönberg, München 1974, S. 103. 5 Arnold Schönberg: Neue Musik – Meine Musik. In: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 1, 1976/77, H. 2, S. 100. 6 Zit. in Willi Reich: Arnold Schönberg oder Der konservative Revolutionär, Wien 1968, S. 239. 7 Vgl. meinen Aufsatz: Die Metapher „heile Welt“. Zu Adornos Antiutopismus. In Ders.: Orte. Irgendwo. Formen utopischen Denkens, Königstein 1981, S. 104 ff. 8 Vgl. meine Aufsätze: „Der biblische Weg“. Zur Radikalität von Schönbergs zionistischer Wende. In Rudolf Stephan und Sigrid Wiesmann (Hrsg.): Bericht über den 3. Kongress der Internationalen SchönbergGesellschaft, Wien 1996, S. 196, und: Arnold Schönbergs Radikalität. 281

Anmerkungen

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In Peter Weiser (Hrsg.): 2. Internationales Theodor Herzl-Symposium, Wien 1998, S. 100–114. Vgl. Jost Hermand: Der biblische Weg (wie Anm. 8), S. 197. Rudolf Seiden: Pro-Zion! Vornehmlich nichtjüdische Stimmen über die jüdische Renaissancebewegung, 2. Folge, Wien 1924, S. 33–34. Ebd., S. 34. Vgl. u. a. Richard Lichtheim: Die Geschichte des deutschen Zionismus, Jerusalem 1954, S. 147–241. Vgl. meinen Aufsatz: Juden in der Kultur der Weimarer Republik. In Walter Grab und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Juden in der Weimarer Republik, Sachsenheim 1986, S. 20. Vgl. meinen Aufsatz: Bürger zweier Welten. Arnold Zweigs Einstellung zur deutschen Kultur. In Julius H. Schoeps (Hrsg.): Juden als Träger bürgerlicher Kultur in Deutschland, Sachsenheim 1989, S. 74. Vgl. Yaacov Shavit: Jabotinsky and the Revisionist Movement 1925–1948, London 1988. Arnold Schönberg: Der biblische Weg, 1927, Ms., S. 16. Ebd., S. 8. Max Nordau: Aufgaben des Zionismus (1898). In Ders.: Zionistische Schriften. Hrsg. vom Zionistischen Aktionskomitee, Köln 1909. Arnold Schönberg: Der biblische Weg (wie Anm. 16), S. 28. Ebd., S. 46. Ebd., S. 102. Ebd., S. 102. Vgl. hierzu auch meinen Aufsatz: Entscheidungsjahr 1933. Zionistischer Utopismus bei Schönberg, Döblin und Zweig. In Ders.: Engagement als Lebensform. Über Arnold Zweig, Berlin 1992, S. 101 ff. Zit. in Michael Mäckelmann: Arnold Schönberg und das Judentum, Hamburg 1981, S. 212. Ebd., S. 45. Vgl. Leonhard Stein: Schoenberg’s Jewish Identity. A Chronology of Source Material. In: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 3, 1979, H. 1, S. 6. Arnold Schönberg: Ausgewählte Briefe. Hrsg. von Erwin Stein, Mainz 1958, S. 197. Zit. in Eberhard Freitag: Arnold Schönberg, Reinbek 1974, S. 133. 282

Anmerkungen

29 Zit. in Michael Mäckelmann: Arnold Schönberg (wie Anm. 24), S. 232. 30 Ebd., S. 249. 31 Zit. in Alexander L. Ringer: Arnold Schönberg and the Prophetic Image in Music. In: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 1, 1976/77, H. 1, S. 38. 32 Alexander L. Ringer: Arnold Schönberg and the Politics of Jewish Survival. In: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 3, 1979, H. 1, S. 44. 33 Arnold Schönberg: Ausgewählte Briefe (wie Anm. 27), S. 261. 34 Zit. in Hans Heinz Stuckenschmidt: Arnold Schönberg. Leben – Umwelt – Werk, Zürich 1974, S. 365. 35 Zit. in Michael Mäckelmann: Arnold Schönberg (wie Anm. 24), S. 237. 36 Vgl. Walter Howard Rubsamen: Schoenberg in America, New York 1951, S. 473. 37 Vgl. Hans Heinz Stuckenschmidt: Arnold Schönberg (wie Anm. 34), S. 431. 38 Zit. in Michael Mäckelmann: Arnold Schönberg (wie Anm. 24), S. 264. 39 Arnold Schönberg: Ausgewählte Briefe (wie Anm. 27), S. 221. 40 Hans Heinz Stuckenschmidt: Arnold Schönberg (wie Anm. 34), S. 381 f. 41 Zit. in Michael Mäckelmann: Arnold Schönberg (wie Anm. 24), S. 277. 42 Willi Reich: Arnold Schönberg (wie Anm. 6), S. 263. 43 Arnold Schönberg: Ausgewählte Briefe (wie Anm. 27), S. 227. 44 Vgl. hierzu allgemein Reinhold Brinkmann: Ästhetische und politische Kriterien der Kompositionskritik. In: Darmstädter Beiträge zur Neuen Musik 13, 1973, S. 28–41. 45 Vgl. u. a. Klaus Schweizer: „Ein Überlebender aus Warschau“. In: Melos 41, 1974, S. 365–371, Wilfried Gruhn: Zitat und Reihe in Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“. In: Zeitschrift für Musiktheorie 5, 1974, H. 1, S. 29–33, Christian Martin Schmidt: Schönbergs Kantate: „Ein Überlebender aus Warschau“. In: Archiv für Musikwissenschaft 33, 1976, S. 174–188 und 261–277, Beat Follmi: Eine narratologische Analyse von Arnold Schönbergs Kantate „A Survivor from Warsaw“. In: Archiv für Musikwissenschaft 55, 1998, S. 26–56, und meinen Aufsatz: A Survivor from Germany. Schönberg im Exil. In Alexander Stephan (Hrsg.): Exil. Literatur und die Künste nach 1933, Bonn 1999, S. 113–115. 46 Willi Reich: Arnold Schönberg (wie Anm. 6), S. 182. 283

Anmerkungen

47 Arnold Schönberg: Ausgewählte Briefe (wie Anm. 27), S. 283. 48 Vgl. Charles Heller: Tradtional Jewish Material in Schoenbergs „A Survivor from Warsaw“. In: Journal of the Arnold Schoenberg Institute 3, 1979, H. 1, S. 69–74. 49 Vgl. meinen Aufsatz: Die Metapher „heile Welt“ (wie Anm. 7), S. 109. 50 Vgl. Jan Maegard: Schönberg hat Adorno nie leiden können. In: Melos 41, 1974, S. 262. 51 Vgl. meinen Aufsatz: Die Metapher „heile Welt“ (wie Anm. 7), S. 113. 52 Vgl. Klaus Schweizer: „Ein Überlebender aus Warschau“ (wie Anm. 45), S. 366. 53 Arnold Schönberg: Ausgewählte Briefe (wie Anm. 27), S. 297. 54 Gekürzte Kompilation meiner in den Anmerkungen 1,8, 23 und 45 zitierten Aufsätze.

Hanns Eislers Vertonungen von Bertolt Brechts Hollywood-Elegien (1942) 1 Vgl. Nathan Notowicz: Wir reden hier nicht von Napoleon. Wir reden hier von Ihnen! Gespräche mit Hanns Eisler und Gerhart Eisler, Berlin 1971, S. 51. 2 Vgl. Hanns Eisler: Fragen Sie mehr über Brecht. Hrsg. von Hans Bunge, Darmstadt 1986, S. 15. 3 Vgl. mein Buch: Kultur in finsteren Zeiten. Nazifaschismus, Innere Emigration, Exil, Köln 2010, S. 240. 4 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal. Hrsg. von Werner Hecht, Frankfurt a. M. 1973, S. 469. 5 Vgl. meinen Aufsatz: Brecht in Hollywood. In Ders.: Die Toten schweigen nicht. Brecht-Aufsätze, Frankfurt a. M. 2010, S. 107 f. 6 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal (wie Anm. 4), S. 392. 7 Vgl. hierzu allgemein Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln, Berlin 1986, Bd. II, S. 24–47. 8 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal (wie Anm. 4), S. 527. 9 Ebd., S. 497. 10 Ebd., S. 346. 11 Bertolt Brecht: Gesammelte Werke in acht Bänden. Hrsg. von Elizabeth Hauptmann, Frankfurt a. M. 1967, Bd. IV, S. 851. 12 Ebd., Bd. IV, S. 850. 284

Anmerkungen

13 Johann Wolfgang Goethe: Lyrische und epische Dichtung, Leipzig 1961, S. 306 f. 14 Bertolt Brecht: Gesammelte Werke (wie Anm. 11), Bd. IV, S. 532. 15 Vgl. hierzu auch Robert Cohen: Die Großstadtlyrik Bertolt Brechts. In: Argument, 1998, H. 228, S. 769–782, und Albrecht Dümling: Die Hollywood-Elegien. In: Brecht Handbuch. Hrsg. von Jan Knopf, Stuttgart 2001, Bd. II, S. 360. 16 Bertolt Brecht: Gesammelte Werke (wie Anm. 11), Bd. IV, S. 830. 17 Percy Bysshe Shelley: The Poetical Works. Hrsg. von Harry Buxton Forman, London 1877, S. 194–197. 18 Bertolt Brecht: Gesammelte Werke (wie Anm. 11), Bd. IV, S. 850. 19 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal (wie Anm. 4), S. 692. 20 Bertolt Brecht: Gesammelte Werke (wie Anm. 11), Bd. IV, S. 852. 21 Ebd., Bd. IV, S. 840. 22 Hanns Eisler: Fragen Sie mehr über Brecht (wie Anm. 2), S. 90. 23 Vgl. meinen Aufsatz: Die ungleichen Zwillinge. Brecht und Eisler. In Ders.: Die Toten schweigen nicht (wie Anm. 5), S. 125–133. 24 Vgl. Hanns Eisler: Fragen Sie mehr über Brecht (wie Anm. 2), S. 99, und Ders.: Bertolt Brecht und die Musik. In: Sinn und Form, 2. Sonderheft Bertolt Brecht, 1957, S. 440. 25 Hanns Eisler: Fragen Sie mehr über Brecht (wie Anm. 2), S. 138. 26 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal (wie Anm. 4), S. 419. 27 Hanns Eisler: Fragen Sie mehr über Brecht (wie Anm. 2), S. 199 und 251. 28 Vgl. Albrecht Dümling: Laßt euch nicht verführen. Brecht und die Musik, München 1985, S. 481. 29 Albrecht Dümling: Die Hollywood-Elegien (wie Anm. 15), Bd. II, S. 358–363. 30 Vgl. dazu im Einzelnen Albrecht Betz: Hanns Eisler. Musik einer Zeit, die sich eben bildet, München 1976, S. 126–167, Albrecht Dümling: Laßt euch nicht verführen (wie Anm. 28), S. 479–485, Claudia Albert: „Das schwierige Handwerk des Hoffens“. Hanns Eislers „Hollywooder Liederbuch“, Stuttgart 1991, S. 39–80, und Markus Roth: Der Gesang als Asyl. Analytische Studien zu Hanns Eislers „Hollywood-Liederbuch“, Hofheim 2007. 31 Albrecht Dümling: Laßt euch nicht verführen (wie Anm. 28), S. 481. 285

Anmerkungen

32 Claudia Albert: „Das schwierige Handwerk des Hoffens“ (wie Anm. 30), S. 79. 33 Albrecht Dümling: Laßt euch nicht verführen (wie Anm. 28), S. 482. 34 Vgl. dazu auch Wolfgang Hufschmidt: Willst zu meinen Liedern deine Leier drehen? Zur Semantik der musikalischen Sprache in Schuberts Winterreise und Eislers Hollywood-Liederbuch, Dortmund 1986, und Thomas Phleps: „… ich kann mir gar nicht vorstellen etwas Schöneres“. Das Exilschaffen Hanns Eislers. In Hanns-Werner Heister, Claudia Maurer Zenck und Peter Petersen (Hrsg.): Musik im Exil. Folgen des Nazismus für die internationale Musikkultur, Frankfurt a. M. 1993, S. 497–503. 35 Bertolt Brecht: Arbeitsjournal (wie Anm. 4), S. 497. 36 Vgl. dazu meinen Aufsatz: Thomas Mann und Bertolt Brecht. Repräsentant und Verräter der bürgerlichen Klasse. In Ders.: Die Toten schweigen nicht (wie Anm. 5), S.148 f. 37 Vgl. Hanns Eisler: Fragen Sie mehr über Brecht (wie Anm. 2), S. 13, und Hanns Eisler: Schriften. Bd. I. Musik und Politik 1924–1948. Hrsg. von Daniela Reinhold, Hofheim 2000, S. 360. 38 Vgl. meinen Aufsatz: Unvorhersehbare Folgen. Die drei Eislers und Brechts „Maßnahme“. In: Brecht Yearbook 30, 2005, S. 363–380. 39 Vgl. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt a. M. 1972, S. 108–150. 40 Vgl. Hanns Eisler: Fragen Sie mehr über Brecht (wie Anm. 2), S. 45, und Albrecht Dümling: Laßt euch nicht verführen (wie Anm. 28), S. 487 f. 41 Vgl. meinen Aufsatz: Hollywood-Elegien. In Walter Hinck (Hrsg.): Ausgewählte Gedichte Brechts mit Interpretationen, Frankfurt a. M. 1978, S. 98–104, und Dieter Thiele: Von der Prosa zur Elegie. Brechts Exilerfahrungen in Hollywood und ihre ästhetischen Folgen. In Lutz Winckler (Hrsg.): Antifaschistische Literatur, Königstein 1979, Bd. III, S. 34–62. 42 Die neueste Ausgabe ist die von Oliver Dahin und Peter Deeg (Hrsg.): Hollywooder Liederbuch. Hollywood Songbook, Leipzig 2008. 43 Dieter Thiele: Von der Prosa zur Elegie (wie Anm. 41), S. 57. 44 Überarbeitete Fassung meines Aufsatzes: Hanns Eislers Vertonung der Brecht’schen „Hollywood-Elegien“. In: Musik-Kontexte. Festschrift für 286

Anmerkungen

Hanns-Werner Heister. Hrsg. von Thomas Phleps und Wieland Reich, Hamburg 2011, S. 246–259.

Ansätze zu einer sozialistischen Musikkultur in der Sowjetischen Besatzungszone und der frühen Deutschen Demokratischen Republik (1945–1965) 1 Vgl. Theodor W. Adorno: Dissonanzen, Göttingen 1957, S. 46–61. 2 Vgl. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland, Köln 1968, S. 154 und 106. 3 Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur. Entschließung des ZK der SED vom 17. März 1951. In: Einheit VI, 89, 1951, S. 591. 4 Vgl. Ernst Hermann Meyer: Musik im Zeitgeschehen. Berlin 1952, S. 140–169, sowie meine Aufsätze: Resisting Boogie-Woogie Culture, Abstract Expressionism, and Pop Art. German High-Brow Objections to the Import of American Forms of Culture. In Alexander Stephan (Hrsg.): Americanization and Anti-Americanism. The German Encounter with American Culture after 1945, New York 2005, S. 67–77, und: Ernst Hermann Meyers Polemik gegen die „westliche Unkultur“ in der Musik. In Ulrich J. Blomann (Hrsg.): Kultur und Musik. Ästhetik im Zeichen des Kalten Krieges nach 1945, Saarbrücken 2015, S. 252–265. 5 Ernst Hermann Meyer: Musik im Zeitgeschehen (wie Anm. 4), S. 162– 164. 6 Ebd., S. 140 ff. 7 Helmut Holtzhauer: Gegen den Formalismus in der Kunst. In: Sächsische Zeitung vom 25. April 1950. 8 Kampf gegen den Formalismus (wie Anm. 3), S. 584. 9 Ernst Hermann Meyer: Musik im Zeitgeschehen (wie Anm. 4), S. 157 und 163. 10 Zit. in Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland (wie Anm. 2), S. 56. 11 Zit. in ebd., S. 65. 12 Vgl. mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik. Berlin 1981, S. 113–130. 13 Ernst Hermann Meyer: Musik im Zeitgeschehen (wie Anm. 4), S. 61.

287

Anmerkungen

14 Zit. in Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland (wie Anm. 2), S. 293. 15 Zit. in ebd., S. 293. 16 Vgl. hierzu u. a. Frank Schneider: Das Streichquartettschaffen in der DDR bis 1970. Leipzig 1980. 17 H. L.: Die Jugend eröffnet das Bachjahr. In: Neues Deutschland vom 19. März 1950. 18 Horst Seeger: Musiklexikon, Leipzig 1966, Bd. II, S. 328. 19 Ernst Hermann Meyer: Musik im Zeitgeschehen (wie Anm. 4), S. 191. 20 Vgl. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland (wie Anm. 2), S. 260 f. 21 Ernst Hermann Meyer: Musik im Zeitgeschehen (wie Anm. 4), S. 96. 22 Vgl. hierzu Mathias Hansen (Hrsg.): Ernst Hermann Meyer. Das kompositorische und theoretische Werk, Leipzig 1976. Ferner Konrad Niemann und Frank Schneider: Ernst Hermann Meyer. Eine biographische Studie. In: Sammelbände zur Musikgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik, Leipzig 1980, Bd. III, S. 9–80. 23 Vgl. Ernst Hermann Meyer: Ludwig van Beethoven. Ein Genius der deutschen Nation (1952) und: Beethoven und die Volksmusik (1952). In Ders.: Aufsätze über Musik, Berlin 1957, S. 86 und 101. 24 Ebd., S. 67. 25 Ernst Herman Meyer: Musik im Zeitgeschehen (wie Anm. 4), S. 182. 26 Vgl. meinen Aufsatz: Der Aufmarsch der Dissonanzen. Hanns Eislers „Deutsche Symphonie“. In Ders.: Sieben Arten an Deutschland zu leiden, Königstein 1979, S. 94–110. 27 Vgl. Alexander Abusch: Faust – Held oder Renegat in der deutschen Nationalliteratur? In: Sinn und Form 5, 1953, S. 189. 28 H. L.: „Das Verhör des Lukullus“. Ein mißlungenes Experiment in der Deutschen Staatsoper. In: Neues Deutschland vom 22. März 1951. Vgl. auch Joachim Lucchesi (Hrsg.): Das Verhör in der Oper. Die Debatte um die Aufführung „Das Verhör des Lukullus“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau, Berlin 1993. 29 Vgl. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland (wie Anm. 2), S. 302. 30 Ebd., S. 116. 31 Ebd., S. 136–138. 288

Anmerkungen

32 Zit. in ebd., S. 70. 33 Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Die restaurierte „Moderne“ im Umkreis der musikalischen Teilkulturen der Nachkriegszeit. In Werner Klüppelholz (Hrsg.): Musikalische Teilkulturen, Laaber 1983, S. 172–193. 34 Heiner Müller: Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen, Köln 1992, S. 83. 35 Vgl. Fred K. Prieberg: Musik im anderen Deutschland (wie Anm. 2), S. 92. 36 Stark bearbeitete Fassung meines gleichnamigen Aufsatzes in Dagmar Ottomann und Markus Symmank (Hrsg.): Poesie als Auftrag. Festschrift für Alexander von Bormann, Würzburg 2001, S. 195–206.

Karlheinz Stockhausens Gruppen für 3 Orchester (1958) 1 Vgl. mein Buch: Die Wenigen und die Vielen. Trägerschichten deutscher Kultur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Köln 2017, S. 276. 2 Vgl. meinen Aufsatz: Revolution und Restauration. Thesen zur politischen und ästhetischen Funktion der Kunst-Ismen nach 1918 und nach 1945. In Gerald D. Feldman et al. (Hrsg.): Konsequenzen der Inflation, Berlin 1989, S. 331–349. 3 Vgl. Bernard Gavoty: Zum Problem der Zwölftonmusik. In: Melos 14, 1946/47, S. 247. 4 Hans Heinz Stuckenschmidt: Das Problem Schönberg. In: Ebd., S. 143. 5 Günter Lehr: Intellektuelle Arroganz. In: Melos 15, 1948, S. 225. 6 Heinrich Strobel: Melos 1946. In: Melos 14, 1946/47, S. 2. 7 Fred Hamel: Vom wahren Wesen der Musik. In: Musica 11, 1957, S. 692. 8 Theodor W. Adorno: Gegängelte Musik. In Ders.: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt, Göttingen 1956, S. 61. 9 Hans Renner: Geschichte der Musik, Stuttgart 1965, S. 177 ff. 10 Melos 27, 1960, S. 262. Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Die restaurierte Moderne im Umfeld der musikalischen Teilkulturen der Nachkriegszeit. In Werner Klüppelholz (Hrsg.): Musikalische Teilkulturen, Laaber 1983, S. 172–193. 11 Vgl. Hans Heinz Stuckenschmidt: Musik eines halben Jahrhunderts 1925–1975, München 1976, S. 100 f. 12 Arnold Schönberg: Letters. Hrsg. von Erwin Stein, London 1958, S. 235.

289

Anmerkungen

13 Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Freiheit im Kalten Krieg. Zum Siegeszug der abstrakten Malerei in Westdeutschland. In Hugo Borger et al. (Hrsg.): ’45 und die Folgen. Kunstgeschichte eines Wiederbeginns, Köln 1991, S. 135–162. 14 Vgl. Imke Misch und Markus Bandur (Hrsg.): Karlheinz Stockhausen bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt 1951–1996, Kürten 2001, S. 61–65, 15 Michael Kurtz: Stockhausen. Eine Biographie, Kassel 1988, S. 129.

Georg Lukács’ materialistische Musikästhetik (1963) 1 Vgl. den Brief von Georg Lukács an Frank Benseler vom 11. November 1961. In Rüdiger Dannemann und Werner Jung (Hrsg.): Objektive Möglichkeit. Beiträge zu Georg Lukács’ „Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins“, Opladen 1995, S. 83. 2 Vgl. Theodor W. Adorno: Erpreßte Versöhnung. Zu Georg Lukács’ „Wider den mißverstandenen Realismus“. In: Der Monat, 1958, H. 7, S. 37–49, und Daniel Bell. In: Die Zeit, Nr. 39 vom 19. September 1992. 3 Laut persönlicher Aussagen Hans Mayers in Madison Anfang der siebziger Jahre. 4 Georg Lukács: Die Eigenart des Ästhetischen, Darmstadt 1963, Bd. II, S. 330–401. 5 Vgl. den Brief von Georg Lukács an Frank Benseler vom 11. Dezember 1959. In: Objektive Möglichkeit (wie Anm. 1), S. 68. 6 Ebd., S. 67–104. 7 Vgl. Werner Jung: Zur Ontologie des Alltags. Die späte Philosophie von Georg Lukács. In: Objektive Möglichkeit (wie Anm. 1), S. 255. 8 Karl Marx: Ökonomisch-philosophische Manuskripte. In Karl Marx und Friedrich Engels: Werke, Ergänzungsband, 1. Teil, Berlin 1974, S. 541 f. 9 Vgl. Frank Benseler: Der späte Lukács und die subjektive Wende im Marxismus. Zur „Ontologie des gesellschaftlichen Seins“. In: Objektive Möglichkeit (wie Anm. 1), S.143. 10 Karl Marx: Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, Berlin 1975, S. 26. Vgl. hierzu auch Werner Jung: Georg Lukács, Stuttgart 1989, S. 10 ff.

290

Anmerkungen

11 Vgl. den Brief von Georg Lukács an Frank Benseler vom 11. Dezember 1959. In: Objektive Möglichkeit (wie Anm. 1), S. 68. 12 Vgl. István Hermann: Die Gedankenwelt von Georg Lukács, Budapest 1978, S. 177 ff. 13 Georg Lukács zum siebzigsten Geburtstag, Berlin 1955, S. 141. 14 Georg Lukács: Die Eigenart des Ästhetischen, Darmstadt 1963, Bd. XII der Gesammelten Werke, S. 689. Im Folgenden als GW abgekürzt. 15 GW Bd. XII, S. 746. Vgl. hierzu auch Werner Jung: Georg Lukács (wie Anm. 10), S. 26–29. 16 Ebd., S. 325. 17 Ebd., S. 227. 18 Vgl. hierzu allgemein mein Buch: Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik, Berlin 1981. 19 GW Bd. XII, S. 330. 20 Ebd., S. 330. 21 Ebd., S. 331. 22 Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung. In Ders.: Sämtliche Werke, Leipzig o. J., Bd. I, S. 345 ff. 23 GW Bd. XII, S. 346. 24 Ebd., S. 339. 25 Ebd., S. 255. 26 Ebd., S. 363. 27 Ebd., S. 366. 28 Karl Marx und Friedrich Engels: Über Kunst und Literatur. Hrsg. von Manfred Kliem, Frankfurt a. M. 1968, Bd. I, S. 581–591. 29 GW Bd. XII, S. 350. 30 Ebd., S. 370. 31 Ebd., S. 373. 32 Ebd., S. 385. 33 Theodor W. Adorno: Dissonanzen. Musik in der verwalteten Welt, Göttingen 1956, S. 105 f. Vgl. dazu GW Bd. XII, S. 373. 34 GW Bd. XII, S. 397. 35 Dénes Zoltai: Das homogene Medium in der Kunst. In Udo Bermbach und Günter Trautmann (Hrsg.): Georg Lukács. Kultur – Politik – Ontologie, Opladen 1987, S. 229–232, und: Über die Anwendbarkeit

291

Anmerkungen

der Ästhetik in den Musikwissenschaften. In Gerhard Pasternak (Hrsg.): Zur späten Ästhetik von Georg Lukács, Frankfurt a. M. 1990, S. 151–162. 36 Günter Mayer und Georg Knepler: Zur Polemik zwischen gegensätzlich Gleichgesinnten. In Werner Mittenzwei (Hrsg.): Dialog und Kontroverse mit Georg Lukács, Leipzig 1975, S. 358–395. 37 Ebd., S. 370. 38 Ebd., S. 373. 39 Albrecht Riethmüller: Die Musik an der Grenze der ästhetischen Mimesis bei Georg Lukács. In: Zur späten Ästhetik von Georg Lukács (wie Anm. 35), S.163. 40 Ebd., S. 164. 41 Vgl. hierzu auch Albrecht Riethmüller: Die Musik als Abbild der Realität. Zur dialektischen Widerspiegelungstheorie in der Ästhetik. In: Archiv für Musikwissenschaft, Beiheft 15, 1976, S. 82 ff. 42 Vladimir Karbusicky: Acht destruktive Thesen als Würdigung Lukács’. In: Zur späten Ästhetik von Georg Lukács (wie Anm. 35), S. 196. 43 Ebd., S. 199. Karbusicky wies dabei vor allem auf die 1931 und 1936 in Moskau und Leningrad publizierten Schriften von David Tamarschenko hin. 44 Zit. in ebd., S. 200. 45 Vgl. zur Theorie des „Dritten Weges“ mein Buch: Zuhause und anders­ ­wo. Erfahrungen im Kalten Krieg, Köln 2001, S. 7–26. 46 Vgl. Konkretes Hören. Zum Inhalt der Instrumentalmusik (wie Anm. 18), S. 21–31. 47 Vgl. das Kapitel „Materialistische Musiktheorie“. In: Ebd., S. 113–131. 48 Vgl. hierzu meinen Aufsatz: Beethoven oder Bonaparte? Vom Anderen und vom Selbst in der „Sinfonie eroica“. In Ders.: Beredte Töne. Musik im historischen Prozeß, Frankfurt a. M. 1991, S. 65 f. 49 Jost Hermand: Der vertonte Weltgeist. Theodor W. Adornos Beethoven-Fragmente. In Bernhard Müßgens et al. (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft. Festschrift für Brunhilde Sonntag, Osnabrück 2001, S. 151–166. 50 Ins Deutsche übersetzte Fassung meines Aufsatzes: Double Mimesis. Georg Lukács’ Philosophy of Music. In Jost Hermand und Gerhard Richter (Hrsg.): Sound Figures of Modernity. German Music und Philosophy, Madison 2006, S. 244–260. 292

Personenregister A Abendroth, Walter  234 Adam, Adolphe-Charles  88 Adam, Theo  213 Addison, Joseph  17 Adenauer, Konrad  69, 70, 233 Adler, Guido  128 Adorno, Theodor W.  44, 45, 126, 127, 136, 153, 155, 176, 191, 205, 210, 214, 217, 231, 232, 234, 237, 239, 243, 244, 245, 254, 255, 256, 257, 262 Agricola, Johann Friedrich  20 Ahlward, Hermann  122 Albrecht von Brandenburg  168 Alembert, Jean d’  18 Altenberg, Peter  142 Altenstein, Karl zum  59 Amar, Licco  160 Andrée, Fritz  73 Arendt, Hannah  232 Aristoteles  14, 251 Arndt, Ernst Moritz  60, 61 Arnim, Achim von  117 Assafjew, Boris  31, 260 Aubert, Daniel  88 293

B Bach, Johann Sebastian  13, 111, 159, 165, 167, 187, 201, 215, 219, 229 Balzac, Honoré de  253 Bauer, H.  93 Bauer-Lechner, Natalie  114 Beaumarchais, Pierre-AugustinCaron de  40 Becher, Johannes R.  68, 75, 209, 213, 217, 220, 224, 225, 226 Bechstein, Ludwig  117 Becker, Nikolaus  60, 93 Beethoven, Johann van  50 Beethoven, Kaspar van  50 Beethoven, Ludwig van  8, 25, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 70, 77, 110, 112, 114, 120, 126, 159, 187, 205, 210, 215, 219, 220, 222, 229, 261 Bellini, Vincenzo  88 Benn, Gottfried  161 Benseler, Frank  245

Anmerkungen

Berg, Alban  130, 139, 154, 155, 156, 182, 187, 215, 237, 255 Berton, Pierre-Montan  46 Bettauer, Hugo  177 Bie, Oskar  154 Bismarck, Otto von  37, 95, 97, 100, 101, 103, 105, 110 Blacher, Boris  230, 237 Blaukopf, Kurt  115 Bloch, Ernst  44, 45, 57, 178, 243, 245, 254, 258 Blum (d. i. Georg Lukács)  244 Blumenfeld, Kurt  177 Böcklin, Arnold  102 Boileau, Nicolas  17 Boisserée, Melchior  117 Boisserée, Sulpiz  117 Borée, Wilhelm  168 Bossuet, Jacques  17 Boucher, Alexandre-Jean  84 Boulez, Pierre  155, 239, 258 Brahms, Johannes  94, 102, 106, 109, 110, 111, 114, 126, 159, 187, 207, 215, 219, 226 Braun, Volker  213 Brecht, Bertolt  69, 75, 131, 132, 133, 134, 138, 140, 143, 154, 158, 160, 161, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 223, 224, 225 Breitkopf & Härtel (Musikverlag)  86 Brentano, Antonie  51 Brentano, Clemens  117 Britten, Benjamin  215

Brod, Max  147, 153 Bruch, Max  98 Bruckner, Anton  94, 102, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 114, 119, 126 Bruyére, Jean de la  17 Buber, Martin  177, 178, 192 Büchner, Georg  147, 148, 149, 151, 152, 155, 156 Bülow, Hans von  37, 110 Bunge, Hans  206 Busch, Ernst  131, 132, 210, 221 Butting, Max  225 C Campe, Julius  60, 63, 72 Catalani, Angelica  84 Celan, Paul  244 Chagall, Marc  183 Cherubini, Luigi  39, 42, 46, 47 Christof, Josef  211 Cimarosa, Domenico  55 Collin, Joseph von  60 Colloredo, Hieronymus von  13 Copland, Aaron  215 Cranach, Lucas  169 Czokor, Franz Theodor  177 D Dahlhaus, Carl  136 Dahn, Felix  101 Dallapicola, Luigi  237 Dante Alighieri  201, 203 Dessau, Paul  223, 224, 225 Deym, Josephine von  51 Diderot, Denis  18 294

Anmerkungen

Dollfuß, Engelbert  135 Donizetti, Gaetano  81, 88 Dorn, Heinrich Ludwig  88 Dühring, Eugen  122 Duncker, Johann Friedrich Leopold  53 Durante, Francesco  25 Dürer, Albrecht  167 Dussek, Ladislaus  33 Dwinger, Edwin Erich  70

Ficker, Rudolf von  128 Filbinger, Hans  73 Fischer, Heinrich  132 Fischer, Wilhelm  128 Floros, Constantin  115 Fontane, Theodor  96 Fontenelle, Bernard de  18 Fortner, Wolfgang  145, 237 Franz II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs  30, 60 Franzos, Karl Emil  149 Freiligrath, Ferdinand  61, 62 Fricsay, Ferenc  236 Friedrich, Caspar David  261 Friedrich der Weise von Sachsen  169 Friedrich II. von Preußen  13, 79, 80 Friedrich Wilhelm III. von Preußen  53 Friedrich Wilhelm IV. von Preußen  59, 78, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 87 Friesen, Karl Friedrich  53 Fröhlich, Carl  93 Fürstenberg, Max Egon von  236 Furtwängler, Wilhelm  70, 162, 167, 170, 171, 172, 187

E Ebert, Friedrich  66, 68 Eckert, Carl  82 Eggers, Kurt  68 Egk, Werner  145, 230 Ehrhardt, Hermann  66 Eichberg, Oskar  118 Eichendorff, Joseph von  208, 209 Einstein, Albert  178 Eisler, Hanns  32, 68, 131, 132, 133, 135, 137, 160, 194, 195, 196, 197, 200, 201, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 222, 223, 224, 256, 257, 258 Engels, Friedrich  61, 168 Epstein, Julius  117 Erhard, Ludwig  9, 69, 233, 235, 241 Esser, Heinrich  82 Esterházy, Nicolaus von  13

G Gaveaux, Pierre  40, 47 Gerben, Anneliese  72 Gerstenberg, Heinrich  64, 66, 67 Gerster, Ottmar  145, 225 Gervinus, Georg Gottfried  27, 28 Glaßbrenner, Adolf  62, 83

F Farbstein, Alexander  260 Feise, Ernst  67 Feuchtwanger, Lion  171 295

Anmerkungen

Gluck, Christoph Willibald  17, 18, 23, 25, 54 Goebbels, Joseph  172 Goerne, Matthias  211 Goethe, Johann Wolfgang  21, 22, 48, 53, 100, 112, 118, 129, 139, 201, 208, 220, 223, 224, 261 Goeyvaerts, Karl  238 Goldberg, Szymon  160, 161 Goppel, Alfons  73 Göring, Hermann  225 Gossec, François-Joseph  31 Gottsched, Johann Christoph  17, 19 Grabs, Manfred  211 Graupner, Christoph  13 Grétry, André-Ernest-Modeste  31, 46 Grillparzer, Franz  52, 117 Grimm, Hans  70 Grimm, Jacob  59 Grünewald (d. i. Mathis Neithardt)  163, 164, 166, 167, 168, 171 Günther, Ulrich  72 Gurlitt, Manfred  145, 146, 147, 148, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 156 Gustav Adolf von Schweden  101 Gutzkow, Karl  26, 62 H Habermas, Jürgen  38 Hamel, Fred  234 Händel, Georg Friedrich  55, 111 Hansen, Hans Jürgen  74

Hanslick, Eduard  27, 28, 106, 110 Harden, Maximilian  138 Harich, Wolfgang  246 Hartmann, Karl Amadeus  236, 237 Hartmann, Nikolai  246 Hauptmann, Carl  147 Hauptmann, Gerhart  129 Havély, Ludovic  140 Haydn, Franz Joseph  13, 25, 29, 60, 159, 187 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  23, 24, 25, 27, 251, 254 Heidegger, Martin  246 Heine, Heinrich  61, 75, 123, 137 Heino (d. i. Heinz Georg Kramm)  74 Henze, Hans Werner  145, 237 Herder, Johann Gottfried  245, 251 Herloßsohn, Karl  86 Hermlin, Stephan  223, 225, 226 Herwegh, Georg  61 Herzl, Theodor  179, 180, 181 Hesterberg, Trude  131 Heuss, Theodor  69, 70, 71 Heydrich, Reinhard  199 Heyse, Paul  100, 101 Hindemith, Paul  145, 149, 154, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 230, 231, 237, 238 Hindenburg, Paul von  133, 161

296

Anmerkungen

Hitler, Adolf  67, 71, 74, 133, 134, 161, 172, 212 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus  120 Hoffmann und Campe (Verlag)  60, 63 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich  59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 70, 72, 73, 75, 91 Hölderlin, Friedrich  166, 167, 208, 209, 210 Holl, Karl  154 Holzbauer, Ignaz Jakob  13 Honecker, Erich  136 Honegger, Arthur  215, 230 Horenstein, Jascha  152 Hugenberg, Alfred  133 Hülsen, Botho von  87 Humperdinck, Engelbert  146 Hutten, Ulrich von  101

Joyce, James  206 K Kafka, Franz  244 Kagan, Moissej  260 Kálmán, Emmerich  129, 139, 158 Kandinsky, Wassily  174, 176 Kant, Immanuel  19, 20, 21, 22, 23, 245 Kapp, Wolfgang  66 Karbusicky, Vladimir  256, 258 Kehr, Günter  232 Keilberth, Joseph  237 Kernmayer, Erich  72 Kerr, Alfred  138 Kestenberg, Leo  159, 161, 174 Kirsch, Hans-Christian  74 Klatzkin, Jakob  177, 188 Klemperer, Otto  161, 186 Klopstock, Friedrich Gottlieb  65, 109 Knappertsbusch, Hans  70 Kneif, Tibor  258 Knepler, Georg  76, 128, 129, 130, 131, 132, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 222, 255, 256, 257 Kochan, Günter  226 Kochwasser, Friedrich  69 Kodály, Zoltan  217 Kohl, Helmut  75 Kokoschka, Oskar  158 Kolbenheyer, Erwin Guido  70 Kolisch, Rudolf  128, 139 Konwitschny, Franz  213 Köppen, Carl Friedrich  79

J Jabotinsky, Wladimir  178 Jacob, P. Walter  140 Jahn, Friedrich Ludwig  53 Janáček, Leoš  217 Janowitz, Otto  128 Jean Paul  112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 123, 125, 126, 127 Jhering, Herbert  131 Jochum, Eugen  237 Jöde, Fritz  158 Joseph II., Kaiser des Heiligen Römischen Reichs  30, 52 297

Anmerkungen

Körner, Gottfried  22 Körner, Theodor  53 Kralik, Heinrich  115 Kräpelin, Karl  68 Krause, Christian Gottfried  19 Kraus, Karl  128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144 Kraus, Lili  129 Krenek, Ernst  154, 237 Kreutzer, Rodolphe  31 Kuba (d. i. Kurt Barthel)  223, 226 Kücken, Friedrich Wilhelm  82 Kugler, Franz  79 Küstner, Karl Theodor von  81, 82, 87, 88

Lincke, Paul  158 Lind, Jenny  80 Lippold, Eberhard  260 Lissa, Zofia  260 Liszt, Franz  84 Löcker (Verlag)  137 Loevinson, Moritz  93 Lohenstein, Daniel Casper von  13 Löhr, Friedrich  116, 118 Lorre, Peter  131 Lortzing, Albert  81, 83, 85, 86, 88, 89 Lüchow  94 Luchterhand (Verlag)  244, 245 Ludwig, Christian Gottlieb  17 Ludwig II. von Bayern  103, 105 Lueger, Karl  124 Luther, Martin  164, 168 Lützow, Adolf von  7, 53

L Lach, Robert  128 Lagarde, Paul de  122 Landauer, Gustav  178 Lang, Fritz  196, 199 Lehár, Franz  129, 139, 140, 158 Lehmann, Fritz  237 Leibl, Wilhelm  102 Lenbach, Franz von  98 Lenin, Wladimir Iljitsch  198 Lenz, Jakob Michael Reinhold  147, 152 Lessing, Gotthold Ephraim  20 Lessing, Theodor  177 Lesueur, Jean-François  46 Ley, Robert  162 Lichnowsky, Carl von  30 Lifschitz, Michael  247

M Maderna, Bruno  239 Maizière, Lothar de  75 Majakowski, Wladimir  223 Makart, Hans  106 Mann, Heinrich  161 Mann, Thomas  171, 205, 243, 247, 255 Marchwitza, Hans  225 Marées, Hans von  102 Marie Therese, Kaiserin des Heiligen Römischen Reichs  41 Marquard, Wilhelm  68 Marschalk, Max  113, 114, 119 Marx, Karl  61, 75, 246, 247, 253 298

Anmerkungen

Masur, Kurt  213 Matthus, Siegfried  226 Mayer, Günter  255, 256, 257 Mayr, Simon  40 Mehring, Franz  219 Méhul, Étienne-Nicolas  31, 40 Melanchthon, Philipp  168 Melichar, Alois  234 Mendelssohn-Bartholdy, Felix  84, 109, 122 Mendelssohn, Moses  19 Menzel, Adolph  79 Messiaen, Oliver  215, 237, 238, 239 Metastasio, Pietro  46 Metternich, Clemens Wenzel Lothar von  36, 83, 93, 94 Meyerbeer, Giacomo  79, 80, 81, 82, 84, 88, 141 Meyer, Conrad Ferdinand  101 Meyer, Ernst Hermann  135, 136, 216, 217, 219, 222, 223 Milhaud, Darius  230 Mitchell, Donald  115 Mittler, Franz  128 Moißl, Rudolf Alexander  68 Molo, Walter von  177 Moltke, Helmuth von  100 Monsigny, Pierre-Alexandre  46 Monteverdi, Claudio  55 Mörike, Eduard  208 Mozart, Wolfgang Amadeus  8, 13, 25, 29, 32, 39, 40, 53, 145, 159, 187, 215, 229, 255 Muck, Karl  146 Müller, Heiner  213, 227

Münzenberg, Willi  210 Muratori, Luigi  17 Musil, Robert  130 N Nagy, Imre  244 Napoleon Bonaparte  30, 31, 34, 35, 37, 41, 43, 54, 57, 110 Napoleon III. von Frankreich  130, 141 Naunyn, Franz Christian  92 Nestroy, Johann Nepomuk  129 Nicolai, Otto  85, 87 Niebergall, Ernst Elias  129 Nietzsche, Friedrich  37, 101, 105, 245, 255 Nono, Luigi  239 Notowicz, Nathan  222 O Offenbach, Jacques  129, 131, 132, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144 Opitz, Martin  13 Orff, Carl  145, 216, 230, 237 P Paër, Ferdinando  40, 47 Paganini, Niccolò  84 Paisiello, Giovanni  55 Palestrina, Giovanni Pierluigi  25 Pascal, Blaise  208 Pergolesi, Giovanni Battista  18, 55 Pescara, Fernando  101 Petri, Johann Samuel  14 Pfitzner, Hans  125, 145, 157, 187 299

Anmerkungen

Pindar  250, 251 Pinder, Wilhelm  167 Pisk, Alexander Amadeus  131 Platon  250 Plenzdorf, Ulrich  213 Pleyel, Ignaz Joseph  33 Pluche, Noël-Antoine  18 Pollak, Felix  128 Ponte, Lorenzo da  40 Popper, Karl R.  232 Preitz, Max  67 Prohaska, Leonore  53, 54 Prokofjew, Sergej  215 Proust, Marcel  206

Riethmüller, Albrecht  256, 257, 258 Rihm, Wolfgang  145 Rockefeller (Foundation)  196 Roeseler, Hartmut  73 Roon, Albrecht von  100 Rosbaud, Hans  237 Rosenberg, Alfred  160, 170, 172 Rossini, Gioachino  81, 88 Rousseau, Jean-Jacques  18 Rufer, Josef  237, 239 Ruge, Arnold  61 Runge, Johann Daniel  60 Runge, Philipp Otto  60

Q Quantz, Johann Joachim  13

S Saint-Evremont, Charles de  16, 17 Sandmann, Fritz  72 Schaeffer, Pierre  239 Schäffer, August  82 Schäfke, Rudolf  154 Scheibe, Johann Adolf  19 Scheidemann, Philipp  177 Schelling, Friedrich Wilhelm  245 Scherchen, Hermann  237 Schiffer, Marcellus  158 Schikaneder, Emanuel  39 Schiller, Friedrich  22, 23, 35, 53, 70, 261 Schill, Ferdinand von  53 Schlamm, William S.  235 Schlegel, August Wilhelm  117 Schlegel, Friedrich  117 Schneckenburger, Max  63 Schneidewin, Max  65

R Raabe, Wilhelm  96 Ratgeb, Jörg  169 Rebling, Eberhard  218, 222, 226 Rebling, Gustav  160 Redlich, Hans Ferdinand  115 Reger, Max  125 Reicha, Antonin  77 Reich-Ranicki, Marcel  137 Reich, Willi  237 Reimann, Aribert  145 Reinhardt, Max  183 Reinthaler, Karl  98 Rellstab, Ludwig  79, 80, 82 Renner, Hans  235 Reuter, Fritz  62 Reutter, Hermann  70 Rick, Carl  86

300

Anmerkungen

Schnoor, Hans  234 Schober, Johann  131 Scholz, Wilhelm von  177 Schönberg, Arnold  128, 130, 139, 154, 158, 159, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 196, 197, 205, 206, 215, 216, 217, 223, 224, 228, 230, 231, 233, 235, 237, 238, 239, 256 Schopenhauer, Arthur  245, 250, 255 Schostakowitsch, Dimitri  215 Schreier, Peter  213 Schreker, Franz  145, 149 Schrenk, Walter  154 Schubart, Christian Friedrich Daniel  19 Schubert, Franz  8, 159, 187, 207, 209, 219 Schumacher, Kurt  69 Schumann, Robert  109, 159, 187, 207, 209 Schütz, Heinrich  159 Schwaen, Kurt  222 Schwalb, Hans  164 Schweitzer, Albert  244 Scribe, Eugène  79 Seghers, Anna  213 Seiden, Rudolf  176 Seidl, Arthur  113 Seiffert, Gerhardt  73 Seume, Johann Gottfried  61 Shakespeare, William  129, 138 Shdanow, Andrej  215

Shelley, Percy Bysshe  202 Siebenpfeiffer, Philipp Jakob  61 Silbermann, Alphons  115 Silberstein, August  107 Sitte, Willi  213 Sonnleithner, Joseph  40, 41, 42 Sonntag, Henriette  81 Sophokles  83 Specht, Richard  114, 120 Spies, Leo  225 Spohr, Louis  81 Spontini, Gaspare Luigi Pacifico  79 Stahl, Ferdinand von  41 Stalin, Josif  57 Stefan, Paul  114, 120, 154 Steffin, Margarete  202 Steguweit, Heinz  70 Steiner, Josef  117 Steuermann, Eduard  129, 139, 160, 161 Stifter, Adalbert  118 Stockhausen, Karlheinz  238, 239, 240, 241, 242, 258 Stoecker, Adolf  122 Storm, Theodor  96 Stramm, August  158 Strauß, Johann  129, 139 Strauss, Richard  94, 113, 125, 145, 157, 160, 187 Strawinsky, Igor  216, 230 Strecker, Ludwig  171 Strecker, Wilhelm  171 Strobel, Heinrich  232, 239

301

Anmerkungen

Stuckenschmidt, Hans Heinz  136, 155, 231, 235, 237, 239 Sulzer, Johann Georg  19 Suppé, Franz von  129

Wagner, Richard  8, 82, 83, 87, 88, 89, 94, 98, 100, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 111, 129, 141, 145, 158, 159 Wallpach, Arthur von  64 Walter, Bruno  113, 115, 120, 186 Weber, Carl Maria von  82 Weber, Max  159, 245 Webern, Anton  215, 237, 239 Wedekind, Frank  129, 142, 210 Wegeler, Franz  49 Weigel, Hans  137 Weigel, Helene  131, 132, 133, 134 Weill, Kurt  132, 137, 140, 154, 215 Weinert, Erich  223 Weißmann, Adolf  154 Weizmann, Chaim  178 Welcker, Karl Theodor  62, 63 Wellesz, Egon  128 Welter, Friedrich  171 Weltsch, Robert  177 Wendelbourg, Hermann  72 Werner, Anton von  98 Wiens, Paul  225, 226 Wiesengrund, Theodor (später Theodor W. Adorno)  129, 194 Wilhelm I. von Deutschland  103, 104 Wilhelm, Prinz von Preußen  92, 93 William, Ralph Vaughan  217 Winge, Hans  203 Wolf, Christa  213 Wolf, Friedrich  135, 213 Wolf, Hugo  207

T Taubert, Carl Gottfried Wilhelm  82, 88 Telemann, Georg Philipp  16, 55 Thadden, Adolf von  68 Thiersch, Bernhard  64 Toscanini, Arturo  186 Treiber, Wilhelm  122 Treitschke, Georg Friedrich  42, 48 Treitschke, Heinrich von  122 Trexler, Roswitha  211 Tschech, Heinrich Ludwig  91 Tübke, Werner  213 Tucholsky, Kurt  66, 134, 210 Tuczek, Leopoldine  80 U Uhland, Ludwig  117 Ulbricht, Walter  136, 224, 227 V Vesper, Will  70 Vischer, Friedrich Theodor  26 Vogt, Heinz  225 W Waas, Adolf  168, 169 Wagner, Cosima  124 Wagner-Régeny, Rudolf  225 302

Anmerkungen

Wrangel, Friedrich von  94 Wranitzky, Paul  77

Zillig, Winfried  230, 237 Zola, Émile  147, 153 Zoltai, Dénes  255, 256 Zweig, Arnold  178, 213 Zweig, Stefan  171

Z Zeller, Wolfgang  225

303

OK! AUC H ALS eBO

JOST HERMAND

GRÜNE KLASSIK GOETHES NATURVERSTÄNDNIS IN KUNST UND WISSENSCHAFT

Goethe verbrachte die Hälfte seines Lebens mit bildkünstlerischen und naturwissenschaftlichen Studien, bei denen es ihm vornehmlich um ein holistisches Verständnis der in all ihren Erscheinungsformen zu respektierenden Natur ging. Nach einer Darstellung der lebensgeschichtlichen Etappen von Goethes Bemühungen um ein immer vertiefteres Verständnis der Natur bildet eine ausführliche Rezeptionsgeschichte all jener Natur wissenschaftler und Philosophen, die vom frühen 19. Jahrhundert bis in der Gegenwart in Goethe einen »grünen Klassiker« gesehen haben, den Abschluss des Buches. Liegt auch als EPUB für eReader, iPad und Kindle vor. Dieses DRM-freie eBook ist unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten zitierfähig und enthält Interaktionen: Anmerkungen und Registereinträge sind verlinkt, Querverweise und Weblinks sind interaktiv. Die Hauptkapitel-Überschriften haben Backlinks auf das Inhaltsverzeichnis. 2016. 168 S. 16 S/W- UND 22 FARB. ABB. GB. 135 X 210 MM. ISBN 978-3-412-50359-8 [BUCH] | ISBN 978-3-412-50630-8 [E-BOOK]

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Wenn man von einem erweiterten Kulturbegriff ausgeht, der auch die sozioökonomischen und ideologischen Voraussetzungen ästhetischer Ausdrucksformen mitbedenkt, sind alle Kunstwerke letztlich politisch. Und zwar gilt das selbst für jene wortlose Musik, die in vielen rationalistischen, romantischen und formalistischen Theoriebildungen, ob nun unter negativer oder positiver Perspektive, wegen ihres nichtmimetischen Charakters vornehmlich als „tönende Luft“ interpretiert worden ist. Wie untrennbar jedoch nicht nur Lieder und Opern, sondern auch Werke der Instrumentalmusik mit dem jeweils herrschenden Zeitgeist verbunden waren, soll in diesem Buch anhand ausgewählter Beispiele nachgewiesen werden. Jost Hermand ist Professor em. für deutsche Kulturgeschichte an der University of Wisconsin-Madison (USA) und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin.

ISBN 978-3-412-50921-7 | WWW.BOEHLAU-VERLAG.COM