Leiten mit respektierter Autorität: Mehr als eine Bitte und weniger als ein Befehl [1 ed.] 9783666407581, 9783525407585

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Leiten mit respektierter Autorität: Mehr als eine Bitte und weniger als ein Befehl [1 ed.]
 9783666407581, 9783525407585

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Gisela Klindworth

Leitenrespektierter mit Mehr als eine Bitte und weniger als ein Befehl

Autorität

Gisela Klindworth

Leitenrespektierter mit Mehr als eine Bitte und weniger als ein Befehl

Vandenhoeck & Ruprecht

Autorität

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: JeremyRichards/shutterstock.com Satz: SchwabScantechnik, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-666-40758-1

Inhalt Vorwort 7 Einführung 11 1 Autorität … 17 … ist nicht mehr das, was sie mal war … gibt es nur, wenn sie respektiert wird … balanciert zwischen verschiedenen Logiken Logiken erkennen Logiken balancieren … kann und muss gewonnen werden Autorität als Leihgabe Voraussetzungen schaffen Entscheidungen treffen  Ausbalancierung von Aufgaben- und Personenorientierung Wissen und Komplexitätsreduktion Kommunikation nach außen … geht verloren, wenn sie missbraucht wird

17 24 28 33 34 37 37 38 40 42 43 45 47

2 Respektierte Autorität in der Praxis 51 Bewegt sich da was? Oops – das wollte ich ja gar nicht Gelernt ist gelernt …  … von klein auf  … über Vorbilder  … auch in Fortbildungen, aber vor allem aus Erfahrungen, Austausch und Selbstreflexion Unbeschreiblich weiblich Über Erfolg redet frau nicht Autorität haben Autorität gewinnen Fachwissen Alles eine Frage der Haltung Balance zwischen Aufgaben- und Personenorientierung Den Rahmen gestalten

53 55 59 59 60 62 65 66 68 71 71 73 76 78

Inhalt

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Transparenz und Offenheit 82 Vertrauen 84 Nahbar und auf Augenhöhe 87 Diskutieren und entscheiden 89 Empathie und Fürsorge 94 Anerkennung 98 Auf der Welle reiten 99 Reden, reden, reden 100 Akzeptieren 105 Außenperspektive suchen 106 Ein Bild von Autorität 108 Räume und andere Symbole 108 Sprache und Präsenz 109 Kleider machen Leute? 111 Macht? Ärgere dich nicht! – Über den Umgang mit Hierarchien und Macht 114 Machtspiele spielen 115 Leiten ohne Macht 122 Kinder, Kinder! 126

3 Respektierte Autorität im »Dazwischen« 130 Mehrsprachigkeit 132 Voraussetzungen für respektierte Autorität 135 Funktion 135 Fachwissen 137 Arbeit an der Organisation 137 Neigung 140 Haltung 144 Balance zwischen Aufgaben- und Personen­orientierung: Entscheiden und vermitteln 149 Beziehungsgestaltung durch Balance von Komplementarität und Symmetrie 153 Bilder von Autorität 155 Kommunikation nach innen: Verbindlichkeit in einer Beziehung der Ungleichheit 157 Kommunikation nach außen: Selbstbehauptung in der Organisation und ihrem Umfeld 161

Interviewleitfaden 165 Literatur 167 6

Inhalt

Vorwort

Unsere Gegenwart ist durch sprunghafte Entwicklungen und Um­­ brüche in vielen Bereichen unserer Lebenswelt geprägt. Viele dieser Entwicklungen sind bedrohlich, weil sie uns die Grenzen aufzeigen, an die wir mit unserer Sicht auf die Welt geraten, denken wir etwa an den heraufziehenden Klimawandel, damit verbunden an das Wirtschaftsmodell des grenzenlosen Wachstums und vieles andere mehr. Manche Umbrüche sind eher positiv zu sehen, eröffnen sie doch neue Perspektiven, ermöglichen alternative Kooperationsformen und regen kreative Möglichkeitsräume an, in denen Menschen sich ihrer Kompetenzen und Fähigkeiten neu und anders bewusst werden. Jeder dieser Umbrüche weist darauf hin, dass sich gewohnte Sichtweisen auf die Welt als überlebt erwiesen haben und infrage gestellt werden. Der amerikanische Ökonom Peter Drucker zeichnet das Bild einer »nächsten Gesellschaft«, die sich am Horizont zeigt. In dieser können wir nicht mehr davon ausgehen, dass wir uns in einem »geschlossenen Kosmos« bewegen, den wir als Erkenntnisobjekt betrachten können und dem unser Denken »abbildend gegenübersteht«1. Schon heute leben wir in zunehmend volatilen, polykontexturalen Welten, in denen vielfältige Beschreibungen Gültigkeit beanspruchen. Früher als unumstößlich, als »objektiv« geltende Selbstverständlichkeiten werden dabei nun als Fiktionen erkennbar, als narrative Traditionen, die auch anders erzählbar sein können. Das Wort »narrativ« mit seinem Verweis auf das Erzählen von Geschichten könnte den Blick darauf verstellen, dass auf diese Weise durchaus Lebenswege massiv festgelegt wurden und über lange Zeit bestimmten Gruppen der Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen versperrt blieb – zum Teil ist es ja auch noch heute so. Denn auch wenn sich unser seelisches und soziales Leben in Geweben aus 1 Baecker, D. (2015). Designvertrauen: Ungewissheitsabsorption in der nächsten Gesellschaft. Merkur, 69 (799), 89–97. Vorwort

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Bedeutungen abspielt, können diese Gewebe sich doch so sehr verfestigen, dass sie zu Gefängnissen werden. Das vorliegende Buch behandelt vor diesem Hintergrund das Thema Führung. Es hinterfragt dabei zwei der Selbstverständlichkeiten, die zumindest im Kontext westeuropäischer Gesellschaften über Jahrhunderte eine Gültigkeit beanspruchten, die zunehmend hinterfragt wird. Die eine betrifft die Vorstellung, dass Führung eine Aufgabe sei, die nur von Männern angemessen erfüllt werden könne, die andere betrifft das Verständnis von Autorität als einer absoluten, nicht weiter zu hinterfragenden Gegebenheit, der man sich unterzuordnen habe. Über beide Themen wird inzwischen sehr anders gedacht. Führung erscheint heute nicht mehr als Qualität einer charismatischen Einzelpersönlichkeit, wie es überkommende »Great man theories« des letzten Jahrhunderts noch nahelegten. Es geht vielmehr um differenzierte Funktionen, die in Unternehmen nicht isoliert ausgeübt werden können und die daher komplexe Koordinations- und Kommunikationsfähigkeiten erfordern. Dass es keine Frage des Geschlechts ist, ob eine Person sich in diese Kompetenzen hineinarbeiten kann, liegt auf der Hand, das wird heutzutage wohl auch von keinem mehr bezweifelt. Und doch ist es, auch das zeigt dieses Buch anhand von acht spannenden und lebendigen Beispielen, ein langer Weg, bis Frauen, die in vielen gesellschaftlichen Feldern schon erfolgreich um eine gleichberechtigte Teilhabe gekämpft haben, auch im Kontext Führung die ihnen zustehenden Plätze selbstbewusst einnehmen und auf Augenhöhe agieren können. Wenn man Führung als die »Steuerung des Unsteuerbaren« versteht,2 dann ist es eben nicht mehr die Kernaufgabe von Führung, zu kommandieren, zu kontrollieren und entsprechende Instrumente anzuwenden. Vielmehr besteht die Aufgabe darin, auf der Basis einer persönlichen und reflektierten Haltung mit Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Beziehung zu treten, sie zu inspirieren, zu motivieren und Entwicklungsimpulse so 2 Wimmer, R. (2015). Die Steuerung des Unsteuerbaren. Der Konstruktivismus in der Organisationsberatung und im Management. In B. Pörksen (Hrsg.), Schlüsselwerke des Konstruktivismus (2. Aufl., S. 509–534). Wiesbaden: Springer.

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Vorwort

zu setzen, dass sich ihre Potenziale entfalten können. Dieses neue Führungsverständnis fordert weibliche Führungskräfte genauso he­ raus wie ihre männlichen Kollegen – und manche der geforderten Qualitäten bringen sie möglicherweise sogar eher mit ein als diese. Nahtlos schließt sich hier die Auseinandersetzung damit an, was eigentlich Autorität ausmacht, der zweite Akzent, um den dieses Buch kreist. Nicht hinterfragbare Formen von Autorität haben ihre Gültigkeit verloren. Schon lange kann sich kein Regierender mehr darauf berufen, »von Gottes Gnaden« als Herrscher eingesetzt worden zu sein, die über lange Zeit selbstverständliche Kopplung von Macht und Gehorsam löst sich auf. Zugleich sind damit aber nicht die Phänomene verschwunden, für die die »alte« Autorität eine – wie wir heute wissen – unzureichende Form der Lösung war. Ein neues Verständnis von Autorität, wie es auch hier vertreten wird, spiegelt einen Wandel, der sich auf vielen gesellschaftlichen Ebenen zeigt, in Elternschaft, in der Pädagogik, in der Psychologie und eben auch in der Unternehmensführung. Autorität wird es in diesen Bereichen weiterhin geben, geben müssen, doch hat sie ein neues Gesicht bekommen. Sie ist im Sinne des oben skizzierten Führungsverständnisses keine Verfügungsgewalt über andere Personen mehr, sondern sie wird in diesem Buch als Interaktionsbegriff, als Qualität einer dynamischen Beziehung zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden neu verstanden. Das alles klingt jetzt vielleicht einfacher als es ist. Ich sehe dieses Buch in einer Reihe mit anderen Werken, denen gemeinsam ist, dass sie die komplexen Herausforderungen skizzieren und reflektieren, denen wir uns in so vielen Feldern unserer Lebenswelt gegenübersehen. Langsam werden die Konturen der erwähnten »nächsten Gesellschaft« erkennbar, die neben vielen anderen Facetten auch einen Wandel unseres Verständnisses von Führung und von Autorität beinhalten. Wie sehr wir mittendrin sind in diesem Wandel, zeigt die Autorin sehr eindrücklich! Osnabrück/Witten, im November 2020 Arist v. Schlippe

Vorwort

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Einführung

»Es gibt in Deutschland immer noch viel zu wenige Frauen in Führungspositionen. Das hat mit weniger Chancen und einer männlichen Kultur zu tun, in der Männer gerne Männer befördern. Aber es hat auch damit zu tun, dass Frauen es sich sozialisationsbedingt nicht zutrauen. Und daran müssen wir arbeiten. Wenn das Buch dazu beiträgt, umso besser.« (Interview)

Was Frauen und Autorität miteinander zu tun haben? Sehr viel, wie wir in diesem Buch sehen werden. Weibliche Führungskräfte leiten oft anders als männliche. Die Art und Weise, wie Frauen (und manche Männer) leiten, wenn sie sich nicht an klassisch männlichen Führungsidealen orientieren, wird oft nicht als erfolgreiche Führungsarbeit angesehen. Dabei scheinen die gängigen Vorstel­ lungen davon, wie eine Leitungsposition ausgefüllt werden soll, nicht so von Erfolg gekrönt, wie manche glauben möchten. Laut einer Gallup-­Studie zur Arbeitsmotivation 2019 haben 16 Prozent aller Arbeitnehmenden innerlich gekündigt, 69 Prozent verrichteten Dienst nach Vorschrift und nur 15 Prozent haben eine hohe emotionale Bindung an ihre Organisation.3 In den jährlich durchgeführten Befragungen wird als ein wesentlicher Grund für die fehlende Bindung an das eigene Unternehmen die Leitung ausgemacht. Nur 21 Prozent der Befragten fühlen sich in der 2016 durchgeführten Stu3 Tödtmann, C. (2019). Gallup-Studie 2019: Rund sechs Millionen Beschäf­ tigte glauben nicht an ihr Unternehmen – mit 122 Milliarden Euro Folgeschäden, schuld sind die Führungskräfte selbst. https://blog.wiwo.de/ management/2019/09/12/gallup-studie-2019-rund-sechs-millionenbeschaeftigte-glauben-nicht-an-ihr-unternehmen-mit-122-milliardeneuro-folge­schaeden-schuld-sind-die-fuehrungskraefte-selbst (Zugriff am 21.09.2020). Im Jahresvergleich der Studien von 2001 bis 2018 gibt es kleinere Schwankungen, aber im Wesentlichen variieren die Daten nicht stark (Nink, M., 2018, S. 10). Einführung

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die durch die Führungskräfte motiviert, mit Engagement zu arbeiten, 18 Prozent erwogen wegen der Führungskraft eine Kündigung. Dabei besuchten 40 Prozent der Führungskräfte im selben Jahr eine Weiterbildung zur Verbesserung des Umgangs mit den Mitarbeitenden und 97 Prozent hielten sich für gute Vorgesetzte.4 In Führungskräfteseminaren sehen die Teilnehmenden es durchaus als ihre Aufgabe, Mitarbeitende zu motivieren, um Aufgaben optimal erfüllen zu können. Sie gehen davon aus, dass sie die Mitarbeitenden »mitnehmen« und dazu bewegen sollen, die Aufgaben auf eine bestimmte Weise umzusetzen. Ganz nach dem Motto: Ich will und soll die Leute zu etwas »bringen«, ohne zu manipulieren, und zwar so, dass sie selbst überzeugt sind. Die Mitarbeitenden »mitnehmen« und »zu etwas bringen« – das sind häufige Formulierungen von Leitungskräften, wenn sie ihre Aufgabe beschreiben. Dies sollen sie sogar dann schaffen, wenn weder die Mitarbeitenden noch sie selbst dem Auftrag Sinn abgewinnen können. Doch was heißt das genau? Wohin »bringen«? Und vor allem: Wie gelingt das beziehungsweise: Kann das überhaupt funktionieren? Lassen sich Menschen »bringen«? Während dies in manchen Bereichen und mit manchen Mitarbeitenden zu funktionieren scheint, erleben Führungskräfte Mitarbeitende andererseits als unflexibel, unmotiviert und blockiert, also als nicht bereit, sich, wohin auch immer, bringen oder mitnehmen zu lassen. Nach ihrem Eindruck machen manche Mitarbeitende trotz vieler Zugeständnisse »dicht« und blocken Anforderungen und Vorschläge schon aus Prinzip ab. Leitungskräfte haben das Gefühl, sich mit ihnen »festgebissen« zu haben. Führungsstile und -methoden sollen helfen, die Mitarbeitenden zur Motivation und zum Engagement für ihre Arbeit zu bewegen. Doch der Griff in die Werkzeugkiste läuft häufig ins Leere. Alles in allem fühlen sich viele Leitungskräfte oft ohnmächtig. Einige konzentrieren sich auf andere Aufgaben und lassen den Dingen ihren 4 Tödtmann, C. (2017). Gallup-Studie: Vorgesetzte schädigen die Firma, wenn sie das Thema Führung nicht beherrschen. https://blog.wiwo.de/management/2017/03/22/gallup-studie-vorgesetzte-schaedigen-die-firma-wenn-siedas-thema-fuehrung-nicht-beherrschen/ (Zugriff am 21.09.2020).

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Einführung

Lauf: Alle wissen ja, was sie zu tun haben, das regelt sich schon. Dies birgt die Gefahr, dass Mitarbeitende sich nicht wertgeschätzt fühlen und weitere Probleme entstehen. Viele Leitungskräfte sehnen sich nach einfachen Möglichkeiten und greifen zu Machtmitteln: Klare Ansage machen – die Ansage wird befolgt. Der Rückgriff auf machtvolle Durchsetzungsstrategien funktioniert zwar häufig, aber sehr oft eben auch nicht, und er riskiert die eingangs beschriebenen »Nebenwirkungen« der fehlenden Identifikation. Die Einflussmöglichkeiten auf der Ebene der machtvollen Durchsetzung von Anweisungen sind oft gering. Im Gegenteil müssen Führungskräfte fürchten, dass sie mit solchen »Ansagen« noch mehr Widerstand bei den Mitarbeitenden erzeugen. Daraus können starre Kommunikationsmuster entstehen, die von Misstrauen und gegenseitigen Vorbehalten geprägt sind, und es kommt zu inneren oder tatsächlichen Kündigungen. Das können sich Organisationen nur leisten, wenn sie genügend personelle Alternativen haben. Auf der Suche nach Wegen, die erstarrten Muster zu lösen, braucht es eine andere Art der Kommunikation in den Organisatio­nen. Für dieses »andere« wird in diesem Buch der Begriff der respektierten Autorität verwendet, um eine spezifische Beziehungsgestaltung zur Ausübung einer Leitungsfunktion zu beschreiben. Autorität ist ein einst heiß diskutierter Begriff, der mit »autoritär« im Sinne von Zwang in Zusammenhang gebracht und dann zu Recht kritisiert wurde. Doch der Verlust von Autorität hat eine Leerstelle hinterlassen, die allzu oft einen Rückgriff auf Machtmittel zur Folge hat. Daher sollen der Begriff und damit verbundene Vorstellungen und Haltungen auf eine Weise wiedergewonnen werden, die ein für alle Seiten gedeihliches und produktives Miteinander ermöglicht. Mit respektierter Autorität zu leiten ist nicht einfach ein neuer Führungsstil: Es geht nicht darum, dass sich Leitungskräfte auf bestimmte Kommunikationsstile konzentrieren mit Vorsätzen wie »Ich leite mit Wertschätzung und Transparenz« oder dergleichen, sondern es geht um ein bestimmtes Verständnis von Leitung, eine grundsätzliche Haltung zur Leitungsfunktion, eine bestimmte Art, das Miteinander in der Arbeit zu reflektieren und zu gestalten. Leitung mit respektierter Autorität ist nicht neu. Sie wird schon lange praktiziert, sehr häufig von Frauen, die als Leitungskräfte ohneEinführung

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hin keine brauchbaren Vorbilder hatten und daher eigene Strategien entwickelt haben. Sie wird auch – ebenso unbeachtet – von Männern praktiziert, die sich von dem traditionellen Bild von Autorität frei gemacht und andere Möglichkeiten ausprobiert haben. Doch gerade Frauen in Führungsfunktionen werden besonders beäugt: Kann sie das überhaupt? Müsste nicht ein Mann an der Spitze stehen? Und ihre Strategien werden nicht nur oft ignoriert, sondern auch geringschätzig bewertet. So wird ihnen nachgesagt, es fehle ihnen an Durchsetzungsvermögen oder an Entscheidungsstärke, ohne zu sehen, dass sie auf ganz anderen Wegen die Erreichung von Organisationszwecken anstreben, und das durchaus erfolgreich. Dieses Buch soll sichtbar machen, was unter Leitung mit respektierter Autorität zu verstehen ist, wie Frauen respektierte Autorität gewonnen haben und welcher Gewinn daraus für die Organisation, die Leitungskräfte und ihre Mitarbeitenden resultieren kann. Weibliche Formen der Autorität sind dann nicht als Abweichungen vom Normalfall zu belächeln, sondern als Standard und als Vorbilder hilfreich. Wenn in diesem Buch von weiblichen und männlichen Herangehensweisen die Rede ist und zwischen Frauen und Männern unterschieden wird, geht es keinesfalls darum, Geschlechterunterschiede festzuschreiben, sondern mit dem Geschlecht verbundene Zuschreibungen, Bewertungen und Diskriminierungen deutlich zu machen. Der Wert der oft abgewerteten Bilder von Weiblichkeit soll bewusst werden, unabhängig davon, ob Männer oder Frauen sie verkörpern oder gerade konterkarieren. Wenn von weiblichen Formen der Autoritätsgewinnung die Rede ist, sind die Männer mitgemeint, die diese ebenfalls verfolgen. Um die Vor-Bilder anschaulich, greifbar und verständlich zu ma­­ chen, wurden für dieses Buch Interviews mit weiblichen Leitungskräften durchgeführt. Ihre Erzählungen werden im zweiten Kapitel wie eine Art Lesebuch unkommentiert präsentiert. Damit können Frauen ermutigt werden, Leitungspositionen zu übernehmen und sich zuzutrauen, sich von üblichen männlichen Vorstellungen von Leitung zu lösen. Männer und Frauen sind eingeladen, die Potenziale zu entdecken, die in dieser Form der respektierten Autorität stecken, und sich zu trauen, trotz der traditionellen Bilder, denen sie 14

Einführung

ausgesetzt sind, Verhaltensweisen auszuprobieren, die ihnen möglicherweise viel mehr entsprechen oder schlicht erfolgreicher sind. Die meisten Fachbücher bieten Erklärungen von Sachverhalten und Handlungsanregungen, die in sich schlüssig und widerspruchsfrei konstruiert sind. Ambivalenzen werden als solche dargestellt und erklärt. Die in diesem Buch wiedergegebenen Erzählungen der interviewten Leitungskräfte passen nicht alle in ein Erklärungsmodell, denn sie zeigen verschiedene Sichtweisen von verschiedenen Menschen, die nicht immer miteinander übereinstimmen. Die Leserinnen und Leser geben dem ohnehin unterschiedliche Bedeutungen und konstruieren sich ein eigenes Bild daraus. Die Vielschichtigkeit der dargestellten Sichtweisen ist eine explizite Einladung dazu, sich ein eigenes Bild zu machen und mit Fragen, die sich aus der Lektüre ergeben, kreativ weiterzuarbeiten. Im ersten Kapitel werden die Grundlagen des hier vertretenen Autoritätskonzeptes dargelegt. Im dritten Kapitel werden die Erzählungen der Leitungskräfte in dieses Konzept eingeordnet und um Fragen ergänzt, welche die Lesenden zur Reflexion über die eigene Haltung zur Leitung anregen sollen. An dieser Stelle kommt in vielen Veröffentlichungen der Hinweis, es würde im Text um der besseren Lesbarkeit willen die männliche Form gebraucht, und es wird versichert, dass Frauen auch bei der männlichen Form mitgemeint seien. Oder man möchte die männliche Form nicht als solche, sondern als geschlechtsneutrale verstanden wissen. Doch Sprache prägt Wirklichkeit, deshalb mutet dieses Buch der Leserinnenschaft zu, sich mit anderen sprachlichen Formen auseinanderzusetzen, denn es geht hier ja genau darum, die herkömmlichen Konzepte und Bilder infrage zu stellen und andere Bilder entstehen zu lassen. So gibt es in diesem Text viele Bezeichnungen, die keine geschlechtsspezifische Aussage haben, wie Leitungskraft oder Mitarbeitende. Hin und wieder wird ein expliziter Unterschied zwischen Frauen und Männern gemacht. Davon abgesehen sind Männer, wenn die weibliche Form genutzt wird, mitgemeint – und umgekehrt. Das Grundkonzept für dieses Buch sowie der Interviewleitfaden wurden von Ulrike Ley und mir gemeinsam entwickelt. Auch an der Durchführung zweier Interviews hat Ulrike Ley mitgewirkt, Einführung

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und sie hat hilfreiche Hinweise für das erste Kapitel gegeben. Dafür sei ihr ganz herzlich gedankt! Vielen Dank auch an Ulla Niehaus und Christa Meyer für das Probelesen und ihre wertvollen Rückmeldungen dazu sowie an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht, die mich bei der Arbeit am Text so engagiert unterstützt haben! Meinen Gesprächspartnerinnen kann ich gar nicht genug danken: Sie haben sehr offen, lebendig und persönlich von ihren Erfahrungen berichtet. Ohne sie hätte es dieses Buch nicht geben können. Indem sie ihre Gedanken zu diesem Thema geteilt haben, haben sie wertvolle Anregungen für ein anderes Bild von Autorität gegeben!

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Einführung

1 Autorität …

 … ist nicht mehr das, was sie mal war Autorität ist ein Begriff, der zwar immer wieder wie selbstverständlich benutzt wird, dessen Bedeutung aber nicht eindeutig, sondern oft diffus erscheint. Autorität wird mal in einem negativen und mal in einem positiven Sinne verwendet. Im Negativen wird die Vorstellung von Autorität häufig mit »autoritär« gleichgesetzt: eine Person, die sich dominant gebärdet, keine anderen Meinungen außer der eigenen akzeptiert und sich mithilfe von Zwang und Gehorsam durchsetzt. Das Verständnis von »autoritär« wurde und wird in einer Weise kritisiert, die als großer sozialer Fortschritt betrachtet werden kann: Menschen sollen nicht mit anderen schrankenlos tun können, was sie wollen. Man kann ihnen mit Kontrolle, Gegenwehr und Korrektur begegnen. Dadurch werden Willkür und Ungerechtigkeit Grenzen gesetzt. Die Möglichkeit, Autorität zu hinterfragen, verbürgt Schutz und Freiheit für die Einzelnen. Trotz bestimmter Befugnisse müssen beispielsweise Funktionsträger ihre Entscheidungen und Handlungen begründen und gegebenenfalls durch Dritte überprüfen und korrigieren lassen. Öffentliche Aufmerksamkeit fand die Hinterfragung autoritären Verhaltens in der Bundesrepublik Deutschland5 durch die antiautoritäre Bewegung der 1960er Jahre, die sich mit dem Ziel gegen Autoritäten wandte, zu verhindern, dass sich nach Ende des Nationalsozialismus noch einmal Einzelne mit Macht, Zwang und Gewalt 5 Die Entwicklungen verliefen in der DDR und in anderen Ländern anders. Hier soll beispielhaft verdeutlicht werden, wie sich die Vorstellungen von Autorität und der Umgang damit veränderten. Ein differenzierteres Bild der Unterschiedlichkeit in diesen Entwicklungen würde den Rahmen dieser Publikation sprengen. Autorität … ist nicht mehr das, was sie mal war

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durchsetzen und die anderen blind gehorchen. Anstelle von einem autoritären Durchsetzen von Interessen sollte das Versprechen der Moderne eingelöst werden und die überzeugenderen Argumente ausschlaggebend für das Handeln von Menschen sein. Dies sollte nicht nur im öffentlichen Raum und in der Politik gelten, sondern die Menschen sollten grundsätzlich aufhören, vermeintlichen Autoritäten zu vertrauen und ihnen blind zu folgen. Stattdessen sollte eine Kultur der Auseinandersetzung und der Diskussion wachsen. Die Frauenbewegung kritisierte männliche Dominanz, Machtstreben und das männliche Bild von Autorität. Frauen beanspruchten Platz in den gesellschaftlichen Bereichen, in denen bis dahin fast ausschließlich Männer bestimmten. Eltern stellten eine geschlechter­ gerechte Haltung in der Kindererziehung in den Fokus, hinterfragten die Autorität der Erziehungsberechtigten und gründeten Kinderläden, in denen autoritäres Verhalten keinen Platz haben sollte. Kindern wurden Entscheidungsbefugnisse und eine damit einhergehende Verantwortung übertragen, die vorher noch bei den Eltern lag. Lehrerinnen und Lehrer sollten sich durch pädagogische Konzepte und durch motivierende Impulse Akzeptanz bei den Kindern und Jugendlichen verschaffen. Sanktionsmöglichkeiten wie Tadel, schlechte Zensuren und ein fehlender Schulabschluss sollten ihr Drohpotenzial verlieren, mit dem Kinder und Jugendliche dazu bewegt wurden, den an sie gestellten Anforderungen gerecht zu werden. Auch Amtsträger der Kirchen verloren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts rasch an Autorität. Nach und nach nahm schließlich die Akzeptanz der Autoritäten von Personen in öffentlichen Funktionen ab. Zusätzliche gesetzliche Regelungen mussten geschaffen werden, um die Durchsetzung von behördlicher Autorität gewährleisten zu können, da Mitarbeitende von Behörden, Polizei und Feuerwehr immer weniger respektiert und immer häufiger angegriffen wurden. Trotz der Kritik an der mit Zwang und Gehorsam verbundenen Vorstellung von Autorität blieben gleichzeitig alte Muster bestehen, die sich in autoritären, mit Macht gestalteten Beziehungen gebildet hatten. In der Arbeitswelt verschaffen sich Leitungskräfte weiterhin mit Zwang Gehör, wenn die Mitarbeitenden sich Anweisungen widersetzen. Die Legitimation dafür leiten sie aus ihrer Führungsfunktion ab: Ich bin Chef, also kann ich bestimmen, was die Mit18

Autorität …

arbeitenden tun und wie sie es tun, unabhängig davon, wie diese es sehen. Selbst in Bereichen, in denen der Anspruch gilt, gleichberechtigt und auf Augenhöhe zu kommunizieren, gewinnen bei Weitem nicht immer die besseren Argumente, sondern ihren Willen bekommen diejenigen, die Machtspiele gut beherrschen. Und nach wie vor erfüllen Mitarbeitende unhinterfragt Erwartungen von Organisationen, die durch die Leitungskräfte an sie herangetragen werden. Schließlich beruht auf dieser Prämisse das jeweilige Arbeitsverhältnis. Viele behalten eine starke Bindung zu ihren Vorgesetzten, selbst wenn sie sich ihnen widersetzen und im Auflehnungsmodus verharren. Sie rebellieren nicht gegen, sondern innerhalb der Autorität, indem sie sich weiterhin als abhängig von der vermeintlichen Autorität definieren und sich entsprechend verhalten. So kann es passieren, dass die Chefin als negatives Modell gesehen wird, und egal wie sie sich verhält oder was sie will – die Angestellten wollen das Gegenteil (vgl. Sennett, 1985, S. 15 ff.). Es ergibt sich also ein vielschichtiges Bild: In vielen Bereichen wird propagiert, man richte das Handeln an den besseren Argumenten aus, und dies ist auch teilweise der Fall. Die inhaltlichen Auseinandersetzungen stellen sich oft als ein aufwendiges Unterfangen heraus, können am Ende aber sehr erfolgreich sein. Wenn allerdings keine Seite die anderen überzeugen kann, ist das Ergebnis auch schon mal Bewegungslosigkeit. Neben oder auch unter den rationalen Diskursen funktionieren viele Kommunikationen weiterhin in der Logik der Macht. Auf der einen Seite werden Machtmittel und Zwang eingesetzt, auf der anderen Seite nimmt die Akzeptanz von Funktionsträgerinnen ab und Menschen ignorieren oder bekämpfen sie. Argumente können dann Teil des Machtkampfes sein und werden als »Munition« benutzt. Zwischen der Auseinandersetzung über Argumente und der Auseinandersetzung über Macht und Zwang scheint die Autorität verloren gegangen. Traditionell ist Autorität mit Macht assoziiert, doch dadurch, dass dieses Paradigma hinterfragt wurde, ist sie keiner der beiden Kommunikationslogiken mehr zuzuordnen. Das traditionelle Bild von Autorität ist männlich geprägt und in Macht eingebettet. Diese Macht muss nicht sichtbar sein, sondern kann implizit mit imaginiert werden. Es ist das Bild eines  … ist nicht mehr das, was sie mal war

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Mannes, der viel weiß und viele Mittel hat, um Dinge in Bewegung zu setzen. Neben negativen Sanktionen werden ihm auch Gratifikationen zugetraut, die Lob, Belohnung oder Schutz beinhalten können: der gute Vater, der versorgt und beschützt oder bestraft und dafür Zustimmung ohne Diskussion erwartet. Das Bild ist traditionell sowohl im Privaten wie auch in der Öffentlichkeit verankert. Es wird häufig ergänzt und unterstützt durch Charisma. Unter Charisma (griech.: Geschenk, Gnade) lässt sich nach Max Weber (1922) verstehen, dass es einer Person gut gelingt, den Eindruck persönlicher Stärke und Durchsetzungskraft mit inspirierenden Visionen, Siegeszuversicht und Selbstsicherheit zu erzeugen. Charismatische Personen können bei anderen die innere Bereitschaft wecken, ihren Äußerungen Glauben zu schenken und ihren Handlungs­ anweisungen zu folgen. Sie brauchen sich in der Regel nicht so sehr um die Gunst anderer zu bemühen, da sie über die Darstellung ihrer Person – ihrer Ausstrahlung – Vertrauen und die Anerkennung als Autorität gewinnen. Dieses Bild männlicher Autorität ist mit der Kritik an einer nicht zu hinterfragenden Machtausübung erodiert, sodass diejenigen, die sich darauf berufen wollen, auf einmal, quasi »nackt«, mit Macht und Zwang dastehen. Das männliche Bild von Durchsetzungskraft und Versorgung funktioniert in vielen Bereichen nicht mehr. Viele derjenigen, die gerne Autorität hätten, werden einem wichtigen Teil dieses Bildes nicht mehr gerecht. Spätestens mit dem Neoliberalismus wurde deutlich: Das Individuum ist auf sich allein gestellt. Wünsche nach Orientierung, Rahmung und Sicherheit werden nicht mehr erfüllt (vgl. Sennett, 1985, S. 94 ff.). Frauen waren und sind als Autorität in der Öffentlichkeit nicht präsent. Im Privaten wird Frauen – als Müttern – Durchsetzungsstärke auf der Basis von Liebe und Fürsorge zugetraut. Auch im Verborgenen mögen sie durchaus Einfluss haben und über Autorität verfügen. Öffentlich jedoch wird ihnen nur selten Autorität zuerkannt. »Das Dilemma jeder Beobachtung von Phänomenen in der Welt (von Gefühlen, Gedanken, Beziehungen) liegt dabei darin, dass sie etwas markiert (beobachtet) und etwas anderes nicht markiert (nicht beobachtet …). Damit macht sie sich für das Nicht20

Autorität …

beobachtete ›blind‹ – und zwar ohne es zu merken, denn würde sie es bemerken, würde sie es wieder beobachten. So bleiben wichtige Teile der Welt immer unbeobachtbar […]« (von Schlippe u. Schweitzer, 2012, S. 115). Gerade wenn man Geschlecht mitdenkt, fragt sich, wie sich auch konzeptionelle Ideen veränderten, wenn die weibliche Perspektive in die Beobachtung einbezogen würde. Frauen werden seltener als Führungskräfte in Betracht gezogen. Nur jede dritte Führungskraft ist eine Frau.6 Die erheblichen Vorbehalte gegen Frauen in Leitungspositionen werden selten öffentlich geäußert, die Frauen bekommen sie aber deutlich vermittelt.7 »Ich gelte in der Behörde als strikt, betont durchsetzungsfähig und nicht so diplomatisch, weil ich Dinge vehement einfordere, auf bestimmte Sachen bestehe oder Dinge anspreche. Wenn ein Mann auf den Tisch haut und sagt: ›Das geht so nicht‹, dann ist er durchsetzungskräftig. Wenn eine Frau auf den Tisch haut, dann ist sie hysterisch oder zickig. Wenn eine Frau vehement sagt: ›So nicht‹, kommt das nicht so gut an« (Interview).

Wenn Frauen in der Öffentlichkeit Durchsetzungsstärke und Entschiedenheit zeigen, wird das nicht selten als dominant interpretiert. Agieren sie weniger bestimmt und forsch, kann es heißen, sie könnten sich nicht durchsetzen und seien zu schwach. Und so sollen sie auch sein und bleiben: unauffällig und zurückhaltend.

6 https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/ Dimension-1/frauen-fuehrungspositionen.html (Zugriff am 24.08.2020). 7 Bei einer 2019 veröffentlichten Befragung unter Studierenden wurde eine indirekte Fragetechnik zur Erfassung der tatsächlichen Einstellung von Befragten zu weiblichen Führungskräften genutzt mit dem Ergebnis, dass 37 Prozent (gegenüber 23 Prozent bei direkten Fragen) Vorbehalte gegen weibliche Führungskräfte haben. 28 Prozent der Frauen und 45 Prozent der Männer schrieben Frauen im Vergleich zu Männern weniger Führungsqualitäten zu. https://link.springer.com/article/10.1007/s11199–018–0969–6 (Zugriff am 26.11.2020).  … ist nicht mehr das, was sie mal war

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Andere Vorstellungen von Autorität und andere Wege, Autorität herzustellen, werden oft nicht als solche sichtbar (vgl. Landweer u. Newmark, 2018, S. 190) oder sie werden als »Führungsschwäche« belächelt: »Diesen Kuschelkurs muss sie sich noch abgewöhnen, damit wird sie auf Dauer nicht weiterkommen.« »Frauen haben schlechtere Chancen, über männlich konnotierte Gestaltungsformen von Beziehung, etwa durch Delegation von Aufgaben, Vertreten von Normen, Erwartung von Disziplin, Autorität zu erwerben; Männer haben schlechtere Chancen, über weiblich konnotierte Gestaltungsformen von Beziehung, zum Beispiel durch Versorgungszuverlässigkeit, Einfühlung, Verbalisierung von Befindlichkeiten, Autorität zu erwerben. Und – was auffällt – für ›weibliche‹ Formen von Autorität wird diese Bezeichnung in der Regel nicht verwendet« (Großmaß, 2018, S. 173). Und so passen Frauen sich häufig den Vorstellungen männlich ge­­ prägter Autorität an und unternehmen Selbstoptimierungsversuche, um beispielsweise bestimmter und dominanter aufzutreten. Oder sie machen das Gegenteil und trauen sich nicht, die Unterschiedlichkeit der Rollen anzuerkennen und sich selbst andere Verhaltensweisen anzueignen. Viele Frauen waren und sind überzeugt davon, dass sie autoritäres Verhalten weder erdulden noch selbst zeigen wollen. Das hindert sie zuweilen daran, selbstbewusst aufzutreten und Entscheidungen zu treffen, weil sie befürchten, dann als autoritär gesehen zu werden. Aus Furcht, dominant zu erscheinen, versuchen sie, Verhaltensweisen zu vermeiden, die als Dominanz interpretiert werden könnten, indem sie beispielsweise viel argumentieren und sich rechtfertigen. Damit verzichten sie darauf, klar und entschieden aufzutreten, sodass sie ihre Stärke nicht zeigen können, die nichts mit Dominanz und Macht zu tun haben muss (Wille, 2018, S. 353 ff.). »Die Dozentin spürt den Entscheidungsdruck und wird unruhig. Sie entscheidet sich nach einer Zeit […] und führt dafür recht ausführlich eine Reihe von Gründen an. Sie merkt sofort: Ihre Art, eigens Gründe dafür zu geben, schwächt ihre Autorität und schürt eine Unzufriedenheit beider Gruppen« (Wille, 2018, S. 355). 22

Autorität …

Es gab viele Diskussionen darüber, wie Frauen sich gegen männliche Macht behaupten können, wenn sie sich Räume und Funktionen erkämpfen wollen, die für sie aufgrund ihrer Qualifikationen angemessen sind. Frauen beobachten die Spielregeln der Männer und nutzen sie, um sich zu behaupten, wenn es erforderlich ist, aber sie suchen auch nach anderen Kommunikationsformen. Die Diskussion um Macht war und ist weiterhin wichtig, da den Frauen immer noch viele Plätze verwehrt werden. Doch statt zu versuchen, dieses Modell zu kopieren und selbst mit Machtmitteln zu agieren, könnten sie sich selbstbewusst um die Gewinnung von Autorität bemühen und damit ihren Stärken gerecht werden. »Es fehlen aber eine Sprache und ein Denken, in denen Frauen von sich her denken und sprechen und sich zum Ausgangspunkt nehmen« (Wille, 2018, S. 351). Das Denken und das Sprechen von Frauen sollen in diesem Buch Raum haben. Das birgt Möglichkeiten, mehr und sehr verschiedene Formen der Autoritätsgewinnung zu erkennen. Damit ist gerade nicht gemeint, dass Männer so und Frauen anders sind, sondern dass in der Gesellschaft und in der Sozialisation von Männern und Frauen unterschiedliche Bilder und Erwartungen an die Geschlechter herangetragen werden. Auch wenn Männer traditionell als weiblich erachtete Muster übernehmen und Frauen sich Verhaltensweisen aneignen, die von manchen als den Männern vorbehalten betrachtet werden, tauchen geschlechtsspezifische Zuweisungen auf. So haben beispielsweise Männer in manchen Branchen möglicherweise mehr – berechtigte – Befürchtungen, dass sie ihrer Karriere schaden, wenn sie Elternzeiten nehmen. Für Frauen bedeuten Kindererziehungszeiten ebenfalls, dass ihre berufliche Laufbahn erheblich erschwert wird, aber bei ihnen wird davon ausgegangen, dass es so ist – was schon einen Unterschied macht. Aus weiblicher Perspektive denken heißt, nicht Gesehenes und gering Geschätztes in den Blick zu nehmen und die Stärken dieser Perspektiven und Verhaltensweisen wahrzunehmen.

 … ist nicht mehr das, was sie mal war

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 … gibt es nur, wenn sie respektiert wird Hannah Arendt (2016) beschäftigte sich schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Frage, wie man das Konzept der Autorität wiedergewinnen könne, mit dem Ziel, mithilfe von Autorität der Macht und dem Zwang Grenzen zu setzen. Sie wies darauf hin, dass Autorität nicht mehr erfahrbar sei, weil sie häufig mit Gehorsam gekoppelt werde. »Da Autorität immer mit dem Anspruch des Gehorsams auftritt, wird sie gemeinhin für eine Form von Macht, für einen Zwang besonderer Art gehalten. Autorität jedoch schließt gerade den Gebrauch jeglichen Zwanges aus, und wo Gewalt gebraucht wird, um Gehorsam zu erzwingen, hat Autorität immer schon versagt. Andererseits ist Autorität unvereinbar mit Überzeugen, welches Gleichheit voraussetzt und mit Argumenten arbeitet. Argumentieren setzt Autorität immer außer Kraft. […] Was beide gemeinsam haben, ist die Hierarchie selber, deren Legitimität beide Parteien anerkennen und die jedem von ihnen seinen von ihr vorbestimmten, unveränderten Platz anweist« (Arendt, 2016, S. 159 f.). Argumentieren setzt eine symmetrische Beziehung voraus, in der allein das bessere Argument Autorität erhält. Nach Arendt ist Autorität »klar sowohl gegen Zwang durch Gewalt wie gegen Überzeugen durch Argumente abzugrenzen« (S. 160). Bei Autorität geht es also um das »Dazwischen« – zwischen Macht und Argumentieren –, um eine Beziehung der Ungleichheit, die von beiden Seiten anerkannt ist. Auf der Suche nach der ursprünglichen Idee von Autorität be­­ schrieb Arendt deren Verständnis im antiken Rom. Dort waren Macht und Autorität auf zwei Instanzen verteilt: Die Macht ging vom Volk aus und die Autorität war im Senat bei den Ältesten verankert: »Diese Trennung von Macht und Autorität ist für uns sehr schwer zu verstehen, die ›Vermehrung‹, die der Senat den politischen Entscheidungen des Volkes hinzufügen muß, erscheint uns merkwürdig 24

Autorität …

ungreifbar […] und Mommsen nannte sie daher ›mehr als einen Ratschlag, und weniger als einen Befehl‹, nämlich ›einen Ratschlag, dessen Befolgung man sich nicht füglich entziehen kann‹« (Mommsen, zit. nach Arendt, 2016, S. 189). Wer demnach Autorität besaß, hatte keine Macht. Macht und Autorität waren institutionell getrennt, allerdings war Autorität, genauso wie Macht, an eine Funktion gebunden und beide waren aneinander gekoppelt. Mit dem Fehlen von Autorität als Funktion und der Hinterfragung von Autorität in Verbindung mit Macht kann sie nur noch kommunikativ hergestellt werden. Wenn man diese ursprüngliche Idee der Autorität für die Gegenwart fruchtbar und auf den Kontext der Arbeit als Leitungskraft anwendbar machen will, muss zunächst der Ratschlag durch die Bitte ersetzt werden, denn Aufgabe der Leitungskräfte ist ja, für die Erfüllung eines Organisationszweckes zu sorgen, wie die Erzielung eines Gewinnes, die Hervorbringung von Gütern oder Dienstleistungen, die Kontrolle der Einhaltung vereinbarter Regeln oder die Ausbalancierung verschiedener Interessen. Dabei kann es nicht um Ratschläge gehen, sondern darum, die Mitarbeitenden für ihren Einsatz für den Organisationszweck zu gewinnen. Der Erfolg einer Einflussnahme mithilfe eines Befehls ist durchaus begrenzt. Ein Arbeitsverhältnis begründet aber auch keine freie Entscheidung der Angestellten gegen eine Mitarbeit. Eine Bitte könnte also nicht grundsätzlich abgelehnt werden, insofern geht es um mehr als eine Bitte – und es gibt eben viele Weisen, ihr nachzukommen. Leitungskräfte haben zwar keine Autorität im Sinne von Verfügungsgewalt über andere Personen aufgrund ihrer Rolle, sie können ihre Funktion aber durchaus dazu nutzen, sich besondere Einflussmöglichkeiten zu verschaffen. Wer Einfluss hat, kann NeinWahrscheinlichkeiten in Ja-Wahrscheinlichkeiten transformieren (Luhmann, zit. nach Simon, 2018, S. 85), also die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine andere Person das eigene Verhalten nach den Erwartungen der Leitungskraft ausrichtet. Das Verhalten anderer Menschen lässt sich nicht bestimmen, aber eine Leitungskraft, die Autorität gewonnen hat, kann eine Richtung vorgeben, indem sie Maßstäbe setzt, an denen sich Mitarbeitende orientieren und  … gibt es nur, wenn sie respektiert wird

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ihr eigenes Handeln daran ausrichten (vgl. Landweer u. Newmark, 2018, S. 187). Wollte man Autorität also neu bestimmen, so geht es um eine Interaktion, in der eine Seite bereit ist, Einflussnahmen durch die andere Seite zu akzeptieren, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen und mit einer Gegenleistung. Die Interaktionsteilnehmenden haben somit jeweils unterschiedliche Möglichkeiten, Einfluss auszuüben. Grundlage ist eine empfundene Ausgewogenheit zwischen Geben und Nehmen in einer Beziehung der Unterschiedlichkeit. Man spricht von Komplementarität, wenn sich Verhaltensweisen von ungleichen Kommunikationsteilnehmenden ergänzen (vgl. Watzlawick, Beavin u. Jackson, 2017, S. 80). Respektierte Autorität als komplementäre Beziehung funktioniert so lange, wie der einen Person diese Autorität durch andere zugeschrieben wird. In dem Sinne ist diese Beziehung symmetrisch gerahmt. Eine symmetrische Beziehung bedeutet, dass Verhalten spiegelbildlich ist und beide nach Gleichheit streben (S. 80). Gleichheit ist in einem respektierten Autoritätsverhältnis dadurch gegeben, dass Autorität von denjenigen verliehen wird, welche die Bereitschaft haben, sich an dieser Autorität zu orientieren und ihr eigenes Handeln daran auszurichten. Sie können grundsätzlich jederzeit überprüfen, ob das Verhältnis von Geben und Nehmen für sie ausgewogen ist, und ihre Bereitschaft, die Autorität zu respektieren, jederzeit aufkündigen. Autorität ist also nicht statisch und nicht dauerhaft garantiert. Sie ist ambivalent und grundsätzlich – aber nicht andauernd – hinterfragbar, um nicht in ein Machtverhältnis umzuschlagen. Die Mitarbeitenden schreiben der Leitungskraft Kompetenzen zu und erstreben deren Anerkennung, womit ein Abstand zwischen beiden hergestellt ist. Sie wollen möglicherweise an der Stärke und Erfahrung der Leitungskraft teilhaben. Die Autorität kann ein Vorbild sein, also Verhalten zeigen, das andere für sich auch für möglich halten und erstreben, sie muss aber nicht als Vorbild dienen. Die Differenz im Autoritätsverhältnis muss nicht mit Distanz und Strenge markiert werden, sondern kann auch mit emotionaler Nähe und Vertrautheit verbunden sein. Es gibt dafür kein starres Verhaltens- und Beziehungsrepertoire (vgl. Landweer u. Newmark, 2018, S. 187). 26

Autorität …

Leitungskräfte mit Autorität können Räume schaffen, in denen sich Verschiedenheit entfalten kann, ohne dass Mitarbeitende be­­ fürchten müssten, es entstünden Ungerechtigkeiten. In Bezie­hungen mit respektierter Autorität kann sich Verschiedenheit über Vertrauen entwickeln, ohne in Gleichmacherei oder (verdeckte) Machstrukturen zu geraten (vgl. Wille, 2018, S. 351). Ein junger Teamleiter drückte sein Selbstverständnis in einem Führungskräfteseminar etwa so aus: »Ich nehme meinen Mitarbeitenden bestimmte Aufgaben ab, dafür stehen sie hinter mir.« Das ist weit mehr als ein Führungsstil und geht darüber hinaus, Mitarbeitenden Anerkennung und Wertschätzung sowie Gespräche auf Augenhöhe zuteilwerden zu lassen, während die Führungskraft ansonsten ihren Aufgaben nachgeht, Arbeit an die Mitarbeitenden verteilt und deren Ergebnisse später in Empfang nimmt oder kontrolliert. Es geht um die Gestaltung von Beziehungen – um die Gestaltung von Kommunikation.

 … gibt es nur, wenn sie respektiert wird

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 … balanciert zwischen verschiedenen Logiken An welcher Stelle beginnt Kommunikation? Wenn die erste Person etwas sagt oder schon, wenn sie guckt, wie sie guckt? Wenn sie die – sprichwörtliche – Hand ausstreckt oder auch nicht? Wenn sie lächelt? Oder beginnt Kommunikation, wenn ein Treffen vereinbart wurde – oder schon, wenn sich eine Person vorgenommen hat, ein Treffen vorzuschlagen? Eine Äußerung, egal ob verbal oder nonverbal, ist nicht einfach eine Reaktion auf einen Reiz, sondern sie reagiert immer schon auf etwas Wahrgenommenes und im Voraus Angenommenes: Mit welchen Erwartungen gehe ich an eine Situa­tion heran? Was denke ich, was die anderen über mich und über diese Situation wohl denken und wie sie auf mich reagieren werden? Wie reagieren andere auf mich? Wie kleide ich mich, welchen Ton schlage ich an? Ohne darüber nachzudenken, bringen Menschen Annahmen über sich und andere mit in die Kommunikation. So kann es einen Unterschied in der Erwartung machen, ob eine Kommunikation mit einem Mann oder einer Frau stattfindet. Da mit Männern eher das Bild von Durchsetzungskraft und Stärke verbunden wird, flößt die Kommunikation mit einem Mann der anderen Person oft mehr Respekt ein als die Kommunikation mit einer Frau. Es macht einen Unterschied in der Haltung zu anderen Personen, ob man sich selbst in einer Position der Stärke, der Schwäche oder auf Augenhöhe sieht. Wenn sich zwei oder mehrere Personen treffen, ist es ganz und gar nicht ausgemacht, dass sie mit ähnlichen Erwartungen in die Kommunikation gehen. Je nachdem, was dann kommuniziert wird, ist von diesen Äußerungen wiederum das weitere Geschehen abhängig. Im Grunde ist es ein kleines Wunder, dass wir uns überhaupt verstehen. Und häufig verläuft Kommunikation anders als erwartet:

Eine Frau übernimmt die Leitung einer Abteilung, in der der Vor­ gänger gegen den Willen der Belegschaft von seinen Aufgaben ent­ bunden wurde. Sie überlegt, dass es womöglich viele Vorbehalte gegen sie geben wird, also bereitet sie sich darauf vor, bei ihrem ersten Treffen mit den Mitarbeitenden Überzeugungsarbeit leisten 28

Autorität …

zu müssen. Nachdem sie bei ihrer Vorstellung viele der von ihr anti­ zipierten Bedenken angesprochen und so gut wie möglich entkräftet hat, stellt sich heraus, dass die Belegschaft ganz neugierig auf und offen für »die Neue« war und gar keine Vorbehalte gegen sie hatte. Daher sind die Anwesenden erstaunt über ihre Ausführungen.

Kommunikation wird dadurch erschwert, dass verschiedene Kontexte unterschiedliche Kommunikationslogiken hervorbringen können und die Teilnehmenden an einer Kommunikation wissen müssen, wer gerade mit welcher Logik operiert:

Auf einem Wochenmarkt in Deutschland empörte sich ein Verkäu­ fer lauthals in gebrochenem Deutsch über einen Kunden, der mit ihm über den Preis einer Ware verhandeln wollte. Man sei hier in Deutschland und da koste die Ware den Betrag, der auf dem Schild stehe. Der Kunde solle sich nicht benehmen wie auf einem orientalischen Basar.

Man könnte fragen: Auf welchem Stuhl sitzen wir, wenn wir kommunizieren (vgl. von Schlippe, 2019, S. 89)? In diesem Beispiel zeigt sich der Unterschied zwischen einem orientalischen und einem deutschen Stuhl: Die Kommunikation auf dem orientalischen Stuhl heißt Verhandlung, auf dem deutschen Stuhl ist diese Kommunikation ersetzt durch ein Preisschild. Die beiden Kommunikationsteilnehmer kommunizieren von unterschiedlichen Stühlen aus. In Organisationen sind Kommunikationen auf eine ganz be­­ stimm­te Weise ausgerichtet, damit ihr Zweck erfüllt und ihre Ziele erreicht werden können. Dem ist das Wohlbefinden der in ihr Tätigen untergeordnet. Es ist, wenn überhaupt, Mittel zur Erfüllung des Organisationszweckes. Die Logik von Organisationen ist in der Regel auf Entscheidungen ausgerichtet (vgl. von Schlippe, 2019, S. 90). Im Gegensatz dazu wäre der Zweck eines Treffens von Freunden eher die Unterhaltung, das Erleben von Gemeinschaft oder das Wohlfühlen miteinander.  … balanciert zwischen verschiedenen Logiken

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In vielen Bereichen der Arbeitswelt geben die dort Tätigen sich nicht damit zufrieden, nur als funktionierende Rädchen in ihrer Organisation wahrgenommen zu werden. Mit Organisationslogik allein – ich liefere ein Ergebnis ab und bekomme dafür eine Vergütung – lässt sich schwerlich eine Motivation wecken, die über »Dienst nach Vorschrift« hinausgeht. Das wissen die meisten Leitungskräfte längst, erst recht in Zeiten, in denen spezialisierte Fachkräfte nicht beliebig austauschbar sind. Neben der Organisationslogik fließen immer auch andere Logiken in die Kommunikation in der Arbeitswelt ein. Es können mehrere Kommunikationssysteme gleichzeitig anwesend sein. Arist von Schlippe (2019) spricht in diesem Zusammenhang von »Polykontexturalität« (S. 91). Er zeigt am Beispiel von Familienunternehmen, dass neben der Entscheidungslogik der Organisation die Bindungslogik der Familie besteht. Die Mitglieder von Unternehmerfamilien können in unterschiedlichen Logiken miteinander kommunizieren, sodass es zu Störungen in der Kommunikation kommen kann. Geschlecht kann als eine Systemlogik verstanden werden, die in jeder Kommunikation vorhanden ist und diese mitbestimmt. Sie lässt sich als ein Bündel von Erwartungen verstehen, die sich am Geschlecht festmachen. Wir sehen andere Personen nicht als geschlechtliches Neutrum, sondern setzen automatisch mit der Erscheinung einer Person als Mann oder Frau etwas voraus und ordnen deren Verhalten und Äußerungen unterschiedlich ein. Je uneindeutiger die geschlechtsspezifischen Manifestationen, also Symbole, sind, die eine Person vermittelt, umso verwirrter können die Kommunikationsteilnehmenden sein. Die geschlechtsspezifische Systemlogik manifestiert sich über Körper, Sprache und Verhalten und ist verbunden mit tradierten Vorannahmen wie der Überlegenheit des Mannes in der öffentlichen Sphäre. Frauen traut und gesteht man bestimmte Fähigkeiten im beruflichen und öffentlichen Bereich seltener zu:8

8 Andersherum ist das selbstverständlich auch der Fall, aber die Fähigkeiten, die Männern häufig nicht zugetraut werden, beziehen sich klassischerweise eher auf den häuslichen und den versorgenden Bereich.

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Autorität …

In einem Hochschulgremium stellte eine von Männern besetzte Aus­wahl­kommission eine Kandidatin und einen Kandidaten für die Besetzung einer Stelle vor. Es gab einen Beschluss, dass bei glei­ cher Qualifikation die Frau zu bevorzugen sei. Die Herren führten die verschiedenen Kompetenzen der beiden detailliert auf  – sie unterschieden sich nicht wesentlich, allerdings hatte die Frau etwas bessere Leistungsbeurteilungen. Nach den weitschweifigen Ausfüh­ rungen schlossen die Vertreter der Kommission ihren Bericht mit der Bemerkung, der männliche Bewerber sei eindeutig höher quali­ fiziert. Auf Nachfrage eines – weiblichen – Mitglieds des Gremiums, aufgrund welcher Kriterien denn die eindeutig höhere Qualifikation festgestellt worden sei, lautete die Antwort: »Aufgrund des persön­ lichen Eindrucks der Kommissions­mitglieder.«

Sind Kommunikationslogiken nicht vereinbar, werden Kommu­ni­ka­ tionsmuster unter Umständen dauerhaft beschädigt (vgl. von Schlippe, 2019, S. 86). So gibt es mitunter viel Potenzial für Kommunikationsstörungen, wenn sich Verwirrungen zwischen der Kommunikation als Privatperson und der als Kollegin oder Kollege zeigen. Betriebsfeste sind zum Beispiel eine Gelegenheit, bei der Logiken vermischt werden, wenn die Grenze zwischen der Rolle als Kollegin, Vorgesetzter oder Mitarbeiterin und der Rolle als Privatperson zu verschwimmen droht. Viele Menschen sind in der Lage, Persönliches von sich preiszugeben, ohne diese Grenze zu verwischen, aber längst nicht alle. Ein anderes Beispiel ist der Versuch, in Organisationen generell auf die Anrede »Du« umzustellen, was bei manchen für Verwirrung sorgt. Zu erheblichen Irritationen kann es führen, wenn Mitarbeitende aus einer männlichen Überlegenheitsgeste heraus weibliche Leitungskräfte von oben herab behandeln. Die fehlende Anerkennung weiblicher Autorität ist eine alltägliche Herausforderung für Frauen in der Leitung, da ihnen häufig eine Erwartungshaltung entgegengebracht wird, die sie als minderwertig voraussetzt. Frauen, die Autorität gewinnen wollen, können also nicht von der Erwartung ausgehen, dass sie aufgrund ihrer Funktion und ihrer Kompetenz Autorität verliehen bekommen, auch wenn sie 150 Prozent der Leistung ihrer  … balanciert zwischen verschiedenen Logiken

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männlichen Kollegen bringen – sie müssen polyglott kommunizieren. Das heißt, sie müssen die Kommunikationsebenen unterscheiden und auf verschiedenen Ebenen kommunizieren können. Da sich in der Leitungsfunktion die Kommunikationen zwischen der Entscheidungslogik der Organisation und der Bindungslogik bewegen, können die Beteiligten in ein und demselben Gespräch über die Entscheidungen sprechen, die zur Erfüllung des Organisationszweckes getroffen werden müssen, und über die Bedingungen, die Mitarbeitende brauchen, um gut und engagiert ihre Arbeit machen zu können. Diese Ebenen lassen sich nicht immer gleich in Übereinstimmung bringen. Es geht auch nicht zwangsläufig um einen In­­te­­ ressenausgleich, sondern darum, dass der Austausch auf verschie­ denen Ebenen stattfinden kann. Weibliche Führungskräfte sind schon lange polyglott sozialisiert. Einerseits wird mit Frausein und Mütterlichkeit weiterhin die Sorge um andere assoziiert, andererseits wollen und müssen Frauen sich in der Arbeitswelt behaupten. Geschlechtlich unterschiedlich sozialisierte Menschen haben unterschiedliche Perspektiven auf die Welt und werden unterschied­ lich wahrgenommen. So gibt es beim Umgang mit Nähe beispielsweise geschlechtsspezifische Unterschiede. Klassisch männlich sozialisierte Personen sind vermutlich eher in der Lage, auf Nähe zu verzichten und die Entscheidungslogik als Grundlage ihrer Motivation zu akzeptieren. Möglicherweise legen sie auch mehr Wert auf genügend Raum für Individuation und Konkurrenz als Frauen. Gleichzeitig können sie womöglich besser Beziehungen so pflegen und gestalten, dass sie dem individuellen Fortkommen förderlich sind, da sie zweckgerichtet innerhalb der Beziehungslogik agieren. Aus den so geformten Beziehungen lassen sich leicht Bündnisse für oder gegen bestimmte Zwecke – und auch Personen – schmieden. Klassisch weiblich sozialisierte Personen hingegen schauen womöglich mehr mit Kriterien wie Sympathie und Fürsorge auf Beziehungen und lassen den persönlichen Nutzen außer Acht. Da­raus ergibt sich eine besondere Fähigkeit zur Herstellung von respektierter Autorität: die Interaktion in der Logik der Verbindlichkeit. Die Logik der Verbindlichkeit kann eine Brücke zwischen Organisationslogik und Beziehungslogik bilden. Dabei wird der Begriff der Verbindlichkeit 32

Autorität …

nicht in zeitlicher Dimension benutzt: Es geht nicht darum, eine Beziehung dauerhaft zu festigen, sondern darum, die Verbindung zwischen der Aufgabenorientierung und der Personenorientierung herzustellen. Leitungskräfte sind die Klammer der Verbindlichkeit.

Logiken erkennen Da die Art, wie Frauen (und Männer, die in anderen Logiken kommunizieren als in den traditionell männlichen) Autorität gewinnen, oft unsichtbar bleibt, stellt sich die Frage, wie man diese sichtbar macht. Es lassen sich verschiedene Wege finden, um deutlich zu machen, in welchen Logiken sich eine Kommunikation gerade bewegt. Dies können äußere Anzeichen wie Orte, Kleidung, Gebäude und Be­­ schilderungen sein (vgl. von Schlippe, 2019, S. 94), Reihenfolgen, Sitzordnungen, zeitliche Abfolgen, aber auch Sprache in ihren verschiedenen Arten der Übermittlung. Es kann eine Rede sein, in der die neue Leitungskraft vorgestellt wird, ein bestimmtes Auftreten, eine bestimmte Art zu reden, eine Art, sich im Raum zu platzieren und vieles mehr. Wir kennen eine Vielzahl von Markierungen, um eine hierarchische Beziehung von Abhängigkeit und Macht zu demonstrieren, angefangen bei Königsschloss und Königskrone, einer lauten, herrischen Stimme und Sätzen, die Befehle enthalten, über das Wartenlassen anderer bis hin zu Ehefrauen, die immer ein Stück hinter dem Mann gehen, und Schreibtischen, die so im Raum platziert sind, dass die Hereinkommenden sich sofort auf der einen Seite eines Tisches sehen, an dessen anderer Seite eine Person in einem großen Stuhl zurückgelehnt und lässig oder sehr beschäftigt über Papieren sitzt. Das Sitzen auf einem entsprechenden Stuhl kann allen, die dieses Symbol kennen, sehr schnell eine Beziehungslogik deutlich machen, so wie sich ein Kauf ohne viel Auseinandersetzung bewerkstelligen lässt, wenn ein Preisschild an der Ware befestigt ist. Kommunikation wird dadurch vereinfacht. Die Verkäuferin oder der Verkäufer muss nicht erst erklären, ob die Ware aufwendig hergestellt wurde oder sehr selten ist und welche Gegenleistung sie oder er dafür erwartet. Es reicht, die bezeichnete Summe zu zahlen und die Ware mitzunehmen.  … balanciert zwischen verschiedenen Logiken

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Massenmedien, Briefe, E-Mails oder elektronische Kurznach­ richten können Sprache über eine Distanz transportieren. Liebe, Recht, Wahrheit und vieles mehr lassen sich als symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien bezeichnen, da sie die Kommunikation erleichtern können (vgl. Luhmann, 2012, S. 13 f.). Auch geschlechtsspezifisch unterschiedlich ausgeprägte Kom­ mu­­ni­­ka­tionsweisen werden durch unterschiedliche Bilder von und Erwartungen aneinander hergestellt sowie durch ­unterschiedliche Vorstellungen darüber, welche Erwartungen auf welche Weise erfüllt werden müssen. Über Praktiken, Rituale und Bilder sind Vorstel­ lungen von Autorität an das männliche Geschlecht gekoppelt. So werden beispielsweise über Rhetorik, Auftreten oder Raumgestal­ tung Formen der Überlegenheit aufgebaut (vgl. Wille, 2018, S. 346). »Autorität nimmt je nach Personen und Kontext Gestalt an, sie zeigt sich auf unterschiedliche Art und wird auf unterschiedliche Art wahrgenommen« (Muraro, 2018, S. 21). Es ist nicht egal, wie Frauen sich verhalten – wie sie Beziehungen gestalten, wie sie sprechen, wie sie gehen. Durch neue sinnliche Marker entstehen neue Bilder von Autorität (vgl. Wille, 2018, S. 352). Gehen wir von respektierter Autorität als einer Kommunikation in der Logik der Verbindlichkeit aus, stellt sich die Frage, durch welche Markierungen respektierte Autorität gewonnen werden kann.

Logiken balancieren Kommunikation in der Logik der Verbindlichkeit ist sowohl zur Organisation als auch zur Person hin erforderlich und hilfreich. In Veröffentlichungen zur Neuen Autorität, die aus der Arbeit zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen entstand, ist die Rede von der »Ankerfunktion«, welche die verantwortliche Person innehat: »Die Stärke des Ankers ist etwas anderes als die Stärke der Faust […]. Der Anker ist eine […] Metapher, die aus dem Dilemma von 34

Autorität …

Gewinnen oder Verlieren herausführt und den Fokus auf Bindung legt […]« (von Schlippe, 2019, S. 97). Verbindlichkeit kann diesen Anker in der Arbeitswelt bieten: Indem sie eine Kopplung an die Organisationsziele herstellt und bewahrt und für Bindung, aber auch für Förderung und Wachstum sorgt. Leitungskräfte können polyglott kommunizieren, indem sie sich zwischen der Logik der fachlichen Auseinandersetzung und der Logik der Personenorientierung bewegen und damit deutlich machen, dass es um die gute Balance zwischen Aufgaben- und Personenorientierung geht.

Eine Mitarbeiterin wurde von der Leitungskraft gefragt, bis wann sie eine bestimmte Aufgabe erledigen könne. Daraufhin erklärte die Mitarbeiterin ausführlich, wie aufwendig die Erledigung dieser Aufgabe sei und dass sie sehr viel Zeit dafür benötigen würde. Die terminlichen Vorstellungen der Vorgesetzten befand sie für unrea­ listisch und setzte sich für die Erledigung einen sehr großzügigen Zeitrahmen, ließ ihn aber gleichzeitig auch offen. Es drohte das Spiel: »Das schaffen Sie doch bis …« – »Oh nein, das kann ich auf keinen Fall schaffen.« – »Aber es ist doch nur …« – »Nein, es ist auch noch  …« Die Leitungskraft beschloss, eine andere Form der Ver­ ständigung zu suchen. Sie verabredete sich zu einer Besprechung mit der Mitarbeiterin und bat sie, ihr genau zu erklären, was diese zu tun habe, und Schritt für Schritt einzuschätzen, wie viel Zeit sie dafür benötige. Das Gespräch ergab, dass die Mitarbeiterin den Aufwand jetzt selbst viel geringer einschätzte, als sie es zuvor in Abgrenzung zur Leitungskraft getan hatte. Darüber hinaus fühlte sie sich von der Vorgesetzten in ihrer Arbeit gesehen und verstanden.

Verbindlichkeit lässt sich beispielsweise auch über das Medium der Moral kommunizieren, denn von Autoritäten wird moralisch stimmiges Verhalten erwartet: Charakterstärke, Klarheit, Geradlinigkeit und innere Unabhängigkeit (vgl. Landweer u. Newmark, 2018, S. 187). Wenn Mitarbeitende ihren Leitungskräften morali … balanciert zwischen verschiedenen Logiken

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sche Geradlinigkeit zusprechen, erhöht sich ihre Bereitschaft, sich selbst an gemeinsam geteilten moralischen Richtlinien zu orientieren. Im Konzept der Neuen Autorität steht in Bezug auf Erziehungsfragen die Präsenz der verantwortlichen Erwachsenen im Zentrum der Aufmerksamkeit: »Und die Kraft des Ankers ist durchaus mit Stärke assoziiert, aber nicht mit einer, die es darauf anlegt, dem anderen überlegen zu sein. Jeder Schritt des beharrlichen Widerstands gegen das problematische Verhalten des Kindes wird von Beziehungsangeboten des Kindes begleitet. Durch die Präsenz der Eltern wird es möglich, das Medium zu wechseln« (von Schlippe, 2019, S. 99). Im Organisationskontext könnte Ansprechbarkeit als Kontextmarkierung dienen: Die Leitungskraft ist da, ist grundsätzlich verfügbar und nimmt die Anwesenheit, das Engagement, die Fachlichkeit und die Individualität aller Mitarbeitenden wahr, selbst dann, wenn eine physische Präsenz nicht gegeben ist. In welchem Medium auch immer die Kommunikation stattfindet – entscheidend ist die Haltung der Leitungskräfte, mit der sie ihre Aufgabe betrachten. Eine respektierte Autorität kann schwerlich wachsen, wenn sie sich in einer Einbahnkommunikation sehen, sich also darauf beschränken, die Aufgaben zur Erfüllung der Organisationsziele weiterzugeben, ohne die Kommunikation in die andere Richtung zu berücksichtigen. Sie ernten Widerstand von den Mitarbeitenden, wenn die Rechnung Vertrauen gegen Schutz nicht mehr aufgeht (vgl. Sennett, 1985, S. 206). Leitungskräfte sind Übersetzerinnen und Übersetzer in beide Richtungen, nicht nur in die eine.

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Autorität …

 … kann und muss gewonnen werden Wir müssen das alte erodierte Bild von (männlicher) Autorität durch neue Bilder ersetzen, das heißt, wir müssen eine andere Haltung zu Kommunikationen und Beziehungsgestaltungen gewinnen, durch die dann wiederum respektierte Autorität entstehen kann. Es braucht einen anderen Blick auf und andere Bewertungen von Verhaltensweisen, die aus dieser Haltung entstehen können. Dafür wird hier nun ein Rahmen entwickelt. Im zweiten Kapitel erzählen Frauen, wie sie die Kommunikation in ihrer Organisation gestalten und was sie dazu veranlasst, sich so und nicht anders zu verhalten. Damit stehen konkrete Bilder zur Verfügung, die diese Formen der Kommunikation markieren.

Autorität als Leihgabe In Organisationen werden unterschiedliche Organisationsformen gewählt, mithilfe derer das Zusammenspiel der Beteiligten geregelt und die Beiträge der Einzelnen gesteuert werden sollen. Damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass alle Beteiligten ihren optimalen Beitrag zur Erreichung des Organisationsziels leisten. Je nach Organisation werden die Strukturen so geschaffen, dass mehr oder weniger Ungleichheit in den Beziehungen der Organisations­ mitglieder hergestellt wird, sei es in Bezug auf die Aufgaben, die Einzelnen zugewiesen werden, die Bezahlung oder die Festlegung, wie die Mitglieder zueinander in Beziehung stehen, wer also leitet, wer kontrolliert etc. Leitungskräften ist qua Funktion in der Regel die Befugnis zu­­ gewiesen, einen größeren Einfluss auf die Mitarbeitenden in ihren Teams, Abteilungen oder Bereichen auszuüben als umgekehrt. Dass es in Organisationen Personen gibt, die diese Funktion innehaben, ist in der Regel eine nicht weiter hinterfragte Annahme der meisten Mitglieder einer Organisation. Die Meinungen teilen sich eher in der Frage, wie diese Funktion ausgeübt wird oder ausgeübt werden sollte.  … kann und muss gewonnen werden

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Um bei Mitarbeitenden die Bereitschaft zu erhöhen, sich an Vorgaben zu orientieren und das eigene Verhalten daran auszurichten, können Leitungskräfte verschiedene Voraussetzungen schaffen und Angebote machen, um Verbindlichkeit herzustellen und Autorität zu gewinnen. Zunächst kann man ihnen Autorität verleihen, etwa durch eine Vorgängerin oder durch Vorgesetzte. Das sind die berühmten »Vorschusslorbeeren«. Verliehen wird ihnen Autorität grundsätzlich auch durch ihre Funktion, also durch die Definition ihrer Person innerhalb einer bestimmten Hierarchie, die wir häufig mit »oben« und »unten« assoziieren. Ob sie Autorität durch andere oder durch ihre Funktion verliehen bekommen haben oder ob sie in ein skeptisches Umfeld kommen, in dem sie über keine Autoritätsleihgabe verfügen – in beiden Fällen kommt früher oder später der Zeitpunkt, an dem die Leitungskräfte selbst Autorität gewinnen müssen. Denn die Leihgabe erhält sich nicht dauerhaft und ist irgendwann aufgebraucht. Der Prozess des Gebens und Nehmens beginnt. Leitungskräfte können etwas von Mitarbeitenden erwarten, aber auf Dauer funktioniert das nur, wenn sie ihrerseits bestimmte Erwartungen erfüllen.

Voraussetzungen schaffen Aufgabe der Leitungskräfte ist es, den Rahmen zu gestalten, in dem die Arbeit verrichtet wird. Dazu gehört, dass Aufgaben und Verantwortlichkeiten geklärt und Arbeitsroutinen etabliert sind. Dies kann geplant geschehen, indem sie von der Leitung vorgeschrieben werden, oder sich im Tun ergeben und sich im Laufe der Zeit verfestigen. Menschen machen Dinge zum ersten Mal, und wenn sie damit erfolgreich sind, wiederholen sie die dafür verwendeten Strategien in der gleichen oder ähnlichen Weise. Je öfter sie erfolgreich sind, desto öfter wiederholen sie die Verhaltensweisen, sodass Muster im Gehirn entstehen (vgl. Hüther, 2007, S. 9). Über Kommunikation bilden sich Handlungsmuster, über die viele Akteurinnen und Aktionen koordiniert werden können (vgl. Simon, 2018 S. 77). Sie geben einen Orientierungsrahmen vor, der je nach Organisation 38

Autorität …

mehr oder weniger starr oder beweglich ist. So sind beispielsweise in einer Verwaltung sehr viele Handlungsabläufe geregelt, in einem kleinen, jungen Unternehmen dagegen eher weniger. Vorgeschriebene Kommunikationswege entstehen zum Beispiel durch die formale Struktur der Organisation mit ihrer Hierarchie: Wer hat wann mit wem worüber zu kommunizieren, bevor eine Entscheidung getroffen wird? Wer entscheidet, wer wann Urlaub bekommt? Wer muss wie mit wem kommunizieren, um diese Entscheidung herbeizuführen? Bis hin zu: Wer darf mit welcher Farbe unterschreiben? Hierarchien stellen asymmetrische Beziehungen her und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass die Angehörigen einer Gruppe mit Ungleichheiten umgehen können, ohne in einen Kampf zu geraten. Sie dienen also der Vermeidung von Konflikten und Machtkämpfen und schaffen den Rahmen, innerhalb dessen eine andere Form von Kommunikation erforderlich ist als Macht. Hierarchien können jedoch genauso Kommunikation über Macht begünstigen, wenn nicht gleichzeitig Symmetrie in den Beziehungen vorhanden ist. Es kommt also darauf an, wie innerhalb einer hierarchischen Beziehung kommuniziert wird.

Der Forscher Sapolsky berichtet von einer Pavianherde, in der sich ein Teil der Männchen um einen Kadaver stritt, der vergiftet war. Diese Männchen starben und weniger aggressive Paviane rückten in der Hierarchie auf. Zehn Jahre später herrschte immer noch eine Kultur der geringeren Aggression und der stärkeren Zusammengehö­ rigkeit (Sehnsucht nach Autorität, 3sat Wissenschaftsdoku, 2017).

Wenn Kommunikationswege informell entstehen, können Leitungskräfte diese Prozesse nicht einseitig beeinflussen, aber sie können sie thematisieren und mitgestalten. Je nachdem, wie die Gestaltung des Rahmens abläuft, kann Auto­­ rität gewonnen oder verspielt werden. Woher bekommen Leitungskräfte also ihr Wissen darüber, wie sie die Bedingungen gestalten sollten – aus Seminaren und Büchern, von Beratungsfirmen, aus  … kann und muss gewonnen werden

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Befragungen der Belegschaft, aus einem gemeinsamen Entwicklungsprozess mit der gesamten Belegschaft oder nur mit bestimmten Führungsriegen? Und wie werden diese Muster dann geprägt – durch Vorgaben, Diskussionen oder informell eingespielte Routinen? Und werden dabei weibliche Leitungskräfte mitgedacht? Wie passen diese Muster für die Arbeitsbedingungen, Denk- und Vorgehensweisen von Frauen und wie für die von Männern? Bei der Schaffung der Voraussetzungen können Leitungskräfte viel Autorität verschenken, wenn sie nicht die relevanten Logiken berücksichtigen und die Balance zwischen Komplementarität und Symmetrie halten. Tun sie dies aber, können sie nicht nur durch den Prozess Autorität gewinnen, sondern auch für die Zukunft festigen.

Entscheidungen treffen Leitungskräfte können Entscheidungen selbst treffen oder beschlie­ ßen, dass sie dies an andere delegieren. Manche Leitungskräfte meinen, dass sie Stärke demonstrieren müssen, indem sie allein entscheiden und die Mitarbeitenden dann »mitnehmen«, also in der Form beteiligen, dass diese die getroffenen Beschlüsse im Nachhinein nachvollziehen, einsehen und umsetzen können. Sie befürchten, dass ihre Autorität untergraben wird, wenn sie sich dem Urteil und der Anerkennung durch die Mitarbeitenden aussetzen, indem sie sie nach ihrer Meinung fragen, bevor sie zu einem Entschluss kommen. »Entscheidungsfreudige« Personen gelten oft als besonders durchsetzungsfähig und es wird ihnen eher zugetraut, dass sie andere Menschen mitziehen. »Einsame Entscheidungen« können die fachliche Kompetenz der Mitglieder einer Gruppe, wenn auch indirekt, infrage stellen und dadurch die eigene Autorität schwächen. Auch wenn Tatsachen geschaffen werden, die nicht mehr grundsätzlich hinterfragbar sind, ist die Symmetrie der Beziehung gefährdet. Dagegen sind gemeinsam durchdachte Entscheidungen, in die die Kompetenz aller direkt Beteiligten einfließt, meist die besseren.

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Autorität …

Die Abteilung einer Behörde bekam nach einer weitreichenden gesetzlichen Veränderung einen großen Arbeitsbereich hinzu und es war eine grundlegende Umstrukturierung erforderlich. Eine externe Beratungsfirma führte eine ausführliche Analyse durch und machte Vorschläge zur Umstrukturierung. Als die Mitarbeitenden von die­ sen Vorschlägen erfuhren, äußerten sie so viel fundierte Kritik an den Plänen, dass die Führungskraft die Beratungsfirma von ihren Aufgaben entband und dafür sorgte, dass die Mitarbeitenden der Abteilung den Veränderungsprozess selbst steuerten. Alle Betei­ ligten waren mit großem Engagement dabei, machten Vorschläge, diskutierten, durchdachten und schufen neue Prozesse, die am Ende sehr hilfreich waren und von allen getragen wurden.

Es könnte die Frage relevant werden, welche von den an einer Entscheidung beteiligten Personen die Verantwortung trägt. In einer Organisation überschaubarer Größe, in der alle die Konsequenzen von Beschlüssen gleichermaßen tragen, ist es am ehesten vorstellbar, dass auch alle an einem Strang ziehen. Dies könnte zum Beispiel in einem kleinen Start-up-Unternehmen der Fall sein, in dem sämtliche Beschäftigte mit gleich vielen Ressourcen beteiligt sind. Doch sobald unterschiedliche Interessen im Spiel sind, beeinflussen sie den Austausch und die Beschlüsse. Es kommen also verschiedene Formen der Entscheidungsfindung infrage. Eine Leitungskraft kann der Meinung von kompetenten Mitarbeitenden folgen, dafür sorgen, dass es einen Konsens in der Gruppe gibt oder diese durch das Fällen einer Entscheidung entlasten. Auf jeden Fall übernimmt sie die Verantwortung für die Beschlüsse  – dafür übt sie ihre Funktion schließlich aus  – und stellt so Verbindlichkeit her und schafft Vertrauen. Wo Vertrauen herrscht, muss nicht jede Entscheidung hinterfragt und jede Arbeit kontrolliert werden – dennoch bleibt es möglich. Ein entsprechender Umgang mit diesen Zweifeln kann das Vertrauen stärken.

 … kann und muss gewonnen werden

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 Ausbalancierung von Aufgaben- und Personenorientierung Leitungskräfte gewinnen Autorität, wenn sie im Gegenzug für er­­ brachte Arbeitsleistungen für die Mitarbeitenden sorgen. Unter Fürsorge im Arbeitskontext ist neben der Sorge um ein gutes Miteinander auch die Sorge um Einzelne und Gruppen zu verstehen, auch wenn diese eine andere ist als familiäre Fürsorge. Mitarbeitende geben ein Stück ihrer Freiheit auf, damit sich jemand um sie kümmert und ihnen Orientierung, Geborgenheit und Stabilität gibt (vgl. ­Sennett, 1985, S. 20). Fürsorge kann beispielsweise auch darin bestehen, dass die Leitungskraft sich für gute Arbeitsbedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten der Einzelnen einsetzt. Dafür bringen die Mitarbeitenden mit ihrer Kompetenz, Intelligenz, Kreativität und Urteilsfähigkeit Unberechenbarkeit in Strukturen. Anders als bei Maschinen kann man bei Menschen nicht mit Sicherheit vorhersagen, wie sie handeln werden. Für Organisationen sind ihre Mitglieder paradox, da sie einerseits immer austauschbar sein müssen, dies andererseits aber gerade nicht sind, weil sie mit ihren individuellen Beiträgen einen Stillstand der Organisation verhindern (vgl. Simon, 2018 S. 73). Leitungskräfte als Schnittstelle zwischen den Aufgaben des Unternehmens auf der einen Seite und den Mitarbeitenden auf der anderen Seite müssen die Erwartungen von außen so transformieren, dass machbare Aufgaben für die Organisationseinheit entstehen und gleichzeitig Bedingungen schaffen, die für die Bewältigung der Aufgaben erforderlich sind. Bei der Sorge um ein gutes Miteinander geht es um die Ausbalancierung von Aufgabenorientierung und Personenorientierung. Dazu gehört die Berücksichtigung des Gemeininteresses der Organisation in Relation zu individuellen Interessen. »Aufgabe der Autorität ist immer gewesen, die Freiheit zu begrenzen und gerade dadurch zu sichern […]« (Arendt, 2016, S. 162). In der modernen Gesellschaft gilt es eher als Versagen, abhängig zu sein, sodass eine Anerkennung von Autoritäten und eine frei42

Autorität …

willige Unterordnung tendenziell als Schwäche gelten (vgl. Sennett, 1985, S. 53 ff.). Besonders für manche Männer, aber auch für manche Frauen, stellt es eine Herausforderung dar, sich einer weiblichen Leitungskraft mit anderen Formen der Kommunikation unterzuordnen. Damit es ihnen leichter fällt, müssten sie den Gewinn, den sie dadurch haben, erkennen. Wenn weibliche Führungskräfte ihren Beitrag zum Geben und Nehmen für so selbstverständlich halten, dass er nicht explizit sichtbar wird, schwindet möglicherweise die Bereitschaft, die Autorität anzuerkennen, oder sie entsteht gar nicht erst. Das soll wiederum nicht »Tue Gutes und rede darüber« heißen, sondern lediglich, dass weibliche Leitungskräfte selbst den Wert, den ihre Fürsorge hat, wahrnehmen und deutlich machen sollten. Die Werte einer Organisationseinheit (z. B. Bindung) zu kommunizieren und damit sichtbar zu machen, zeigt nicht nur die Arbeit der Leitungskraft, sondern bedeutet auch einen Anker, der dem Team zur Verfügung steht.

Wissen und Komplexitätsreduktion In einer hochdifferenzierten Gesellschaft sind viele Wissensgebiete von Spezialisten abgedeckt. Niemand kann mehr über alle ihn be­­ treffenden Bereiche alles wissen, das heißt, es gibt keine Sicherheit über das Wissen. Stattdessen muss man Expertinnen vertrauen. Die Auseinandersetzung über die Inhalte und somit über Argumente ist begrenzt, wenn es Unterschiede im Wissensstand gibt. Hier zeigt sich ein wichtiger Aspekt von Autorität: Menschen trauen anderen Menschen zu, dass sie über das notwendige Wissen verfügen und daraus die richtigen Konsequenzen ableiten. Dadurch verleihen sie den »Wissenden« eine fachliche Autorität. An dieser richten sie ihr Denken und Handeln aus, zumindest in einem bestimmten Fachgebiet. Die Autorität hilft, Komplexität zu verringern, indem sie Wissen zusammenfasst und auf einfache Weise präsentiert. Wenn Leitungskräfte dabei ihre eigene Position und ihre eigene Sichtweise transparent darstellen, ist es Mitarbeitenden möglich, die soziale Konstruiertheit von Präsentationen bestimmter Sachverhalte nachzuvollziehen (vgl. Kurbacher, 2018, S. 305).  … kann und muss gewonnen werden

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Komplexitätsreduktion entlastet von der Aufgabe, von außen herangetragene Sachverhalte selbst überprüfen zu müssen. Dieses Vertrauen in die Urteile und Entscheidungen der Leitungskräfte kann grundsätzlich vorhanden sein, ist allerdings nicht unbegrenzt. Sobald stärkere Zweifel entstehen, können die präsentierten Sachverhalte überprüft werden und die Kommunikation entwickelt sich in Richtung Auseinandersetzung und das Ringen um die besseren Argumente. In der Arbeitswelt gibt es durchaus Diskussionen darüber, wie viel Fachwissen Leitungskräfte haben müssen, um ihren Bereich gut führen zu können und ob sie sich nicht eher auf Managementfähigkeiten fokussieren sollten.

Eine Leitungskraft kam neu in ein Team mit dem Selbstverständnis, dass die Leitung sich ums Management kümmert und selbst keine inhaltliche Arbeit übernimmt. Das Team war es gewohnt, sich mit schwierigen inhaltlichen Fragen an die Führungskraft wenden zu können und bei der Lösung eines Problems unterstützt zu werden. Die Mitarbeitenden gingen davon aus, dass die Leitung inhaltliche Verantwortung übernehmen würde. Sie baten die neue Leitungs­ kraft, sich ein oder zwei Tage Zeit zu nehmen, um sich gründlich in das Aufgabengebiet einarbeiten zu lassen. Die Führungskraft ver­ sprach, dies zu tun, kam dem Wunsch dann aber doch nicht nach. Die Weigerung der Leitungskraft, sich mit inhaltlichen Fragen zu befassen, nahm das Team als Inkompetenz und »Drückebergerei« wahr. Einige Zeit später wurde die Führungskraft von ihrer Funktion entbunden, weil die Mitarbeitenden geschlossen die Zusammen­ arbeit verweigert hatten.

Autorität wird gestärkt, wenn Vorgesetzte – in welcher Form und Intensität auch immer – wissen, womit sich ihr Team beschäftigt, und diesem ein gewisses Spezialwissen zur Verfügung stellen. Dazu kann auch gehören, dass sie Wissen über den Organisationszweck so vermitteln, dass die Mitarbeitenden einen übergreifenden Sinn in ihrem Handeln sehen. Denn ein Zweck lässt sich besser erfüllen, wenn man ein Wozu? hat, das Orientierung bietet. 44

Autorität …

Kommunikation nach außen Bis hierher wurden die Leitungsaufgaben nach innen beschrieben. Doch als Bindeglied zwischen Personen und Aufgaben müssen Führungskräfte die Kommunikation so gestalten, dass sie auch nach außen als Autorität anerkannt werden. Nach außen, das meint Kollegen und Kolleginnen auf derselben Ebene, die eigenen Vorgesetzten und die für die Organisation relevanten Akteurinnen wie Kundinnen, Klienten, Kooperationspartner, Bürgerinnen, Politik, Öffentlichkeit etc. In diesem Umfeld haben Leitungskräfte nicht automatisch durch ihre Funktion einen Autoritätsvorschuss, da andere Akteurinnen ähnliche Rollen ausfüllen oder vorgesetzt sind. Um hier zu kooperativen Beziehungen zu gelangen, sich Respekt zu verschaffen und die Bereitschaft zur Begegnung auf Augenhöhe zu gewinnen, ist der individuelle Gestaltungsspielraum begrenzter als bei den Impulsen, die Führungskräfte nach innen geben können. Der Handlungsrahmen wird stark durch andere bestimmt, aber Autorität lässt sich dennoch gewinnen. Es gibt Möglichkeiten zur Mitgestaltung der Kommunikation und das eigene Fachwissen lässt sich so einbringen, dass es sichtbar und für andere hilfreich ist. Wenn Frauen Autorität nach außen gewinnen wollen, stoßen sie oft auf größere Schwierigkeiten als Männer, besonders dann, wenn es um Begegnungen geht, die Chancen bieten, sich für eine weitere Karriere zu profilieren. Bringen Frauen sich dann mit ihren Kompetenzen und Ideen ein oder versuchen sie, Projekte aktiv voranzutreiben, werden ihre Initiativen nicht selten von anderen übernommen und als die eigenen präsentiert. Oder sie erleben eine Abwertung ihrer Person, weil man ihr Verhalten als aufdringlich oder narzisstisch bewertet. »Ich will da unbedingt etwas erreichen, dränge Kollegen immer wieder dazu, mich zu unterstützen. Von Männern, die so hartnäckig sind, sagt man: ›Die brennen für ihr Thema, haben ein echtes Anliegen.‹ Ich hingegen bekomme zu hören: ›Mädel, sei doch mal ein bisschen anders, du hast doch so viel Potenzial.‹ Das soll heißen: Sei umgänglicher, geschmeidiger, reihe dich schön ein, sei  … kann und muss gewonnen werden

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brav und nicht so kämpferisch. So bin ich aber nicht« (Emmi Zeulner, CSU-Bundestagsabgeordnete).9 Auch wenn sie versuchen, eine Kommunikation auf Augenhöhe herzustellen, indem sie sich aufs Erklären und Argumentieren verlegen, erreichen sie zum Teil das Gegenteil, wenn andere sich ermuntert fühlen, dies als Rechtfertigungsversuche und damit als Selbstabwertung aufzufassen. So haben sie einerseits ihre Rationalität unter Beweis zu stellen, um sich in einer Welt von »männerdominierten« Spielregeln zu behaupten. Andererseits untergraben gerade ausführliche Erklärungen ihre Autorität (vgl. Wille, 2018, S. 353). Kommunikation nach außen darf nur in bestimmten Beziehungen und in einigen Themenfeldern in Komplementarität stattfinden und muss selbstbewusste, symmetrische Kommunikationsangebote enthalten, die sich, ebenso wie die Kommunikation nach innen, zwischen Argumentation und Macht bewegen, zwischen Wissen und Nichtwissen, zwischen Geben und Nehmen und zwischen Offenheit und Entschiedenheit.

9 In »Wenn eine Frau redet, drehen sich viele Männer um, quatschen, hören nicht mehr zu«, ZEIT Nr. 39 vom 17.09.2020, S. 8.

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Autorität …

 … geht verloren, wenn sie missbraucht wird Missbrauch von Autorität führt zu Vertrauensverlust und damit zum Verlust gegenseitiger Verbindlichkeit. Die Bereitschaft zur »Gefolgschaft« wird möglicherweise aufgekündigt und die Kommunikation nachhaltig gestört. Im Idealfall besteht respektierte Autorität in einer d ­ ynamischen Beziehung zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden, deren Balance immer wieder überprüft wird. Autorität verliehen bekom­ men heißt, andere vertrauen der Leitung und hinterfragen nicht kontinuierlich die Erwartungen ihrer Vorgesetzten. Doch können einmal gewonnene Autorität und Vertrauen natürlich auch missbraucht werden. Auch kann sich in Beziehungen, in denen Autorität über eine authentische, auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehungsgestaltung entstanden ist, ein »blindes Vertrauen« entwickeln. Dies entsteht, wenn Menschen so aufeinander eingespielt sind, dass sie gar nicht mehr wahrnehmen, wenn eine Verschiebung im Geben und Nehmen stattfindet. In diesen Fällen bildet sich ein einseitiges Machtverhältnis heraus. Macht ist eine Form, auf andere Menschen – Einzelne oder Gruppen – Einfluss zu nehmen. Sie kann als Mittel gesehen werden, den eigenen Willen auch gegen das Widerstreben einer Person durchzusetzen. Macht kann – genau wie Autorität – Komplexität reduzieren und damit endlose Diskussionen verkürzen. Viele versprechen sich vom Einsatz von Macht, dass alle Seiten einer Machtbeziehung deren Asymmetrie – eine oder einer befiehlt, die anderen folgen – akzeptieren, ohne dass Widerspruch und Diskussionen entstehen (vgl. Simon, 2018, S. 87). Weiter oben wurde schon beschrieben, dass das Risiko beim Einsatz von Macht darin besteht, dass Widerstreben nicht verhindert oder beseitigt, sondern womöglich erst hervorgerufen wird. Macht bricht zusammen, wenn diejenigen, denen gegenüber sie ausgeübt werden soll, Verhaltensalternativen sehen und nutzen. Der Einsatz von Machtmitteln hat mitunter einen hohen Preis. Wenn man Handlungen androht, setzt man sich selbst unter den Druck, diese auch auszuführen (vgl. Omer u. von Schlippe, 2010, S. 55). Tut man  … geht verloren, wenn sie missbraucht wird

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das nicht, macht man sich unglaubwürdig. Die Ausführung der angedrohten Handlungen kostet Geld, Zeit oder Privilegien und vor allem: Sie verändert das Image des oder der Machtausübenden und zerstört Autorität (vgl. Levold, 2014, S. 112 f.). Macht legt Verhalten nicht fest, sondern droht einer anderen Person oder Gruppe lediglich damit, etwas zu unterbinden oder zu beenden: Im Extremfall kommt es beispielsweise zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder dem Wegnehmen von Möglichkeiten. Kann Macht tatsächlich ausgeübt werden, nimmt sie dem Gegenüber (Entscheidungs-)Freiheit. Dies muss nicht offen kommuniziert werden. Es ist ausreichend, dass Beziehungen so etabliert sind, dass Menschen unhinterfragt Erwartungen erfüllen, weil sie negative Konsequenzen fürchten oder positive erhoffen (vgl. Luhmann, 2012, S. 20 f.). In Organisationen stellt sich in Machtkommunikationen die Frage, wer eher austauschbar ist (vgl. Simon, 2018 S. 89). Macht hat die Person, die für eine andere eine Funktion ausübt und dabei weniger austauschbar ist als umgekehrt. Ist dieses Verhältnis einseitig, so hat die eine Seite Macht. Arbeitgeberinnen und Leitungskräfte haben sie beispielsweise, wenn Mitarbeitende davon abhängig sind, ihre Arbeitsstelle auf jeden Fall zu behalten. Sobald sie Alternativen haben oder Arbeitsbedingungen, in denen ihre Anstellung nicht gefährdet ist (wie beispielsweise im öffentlichen Dienst oder im Beamtentum), verringern sich die Optionen der Leitungskräfte. Dann kann es zu einem Machtkampf kommen: Die Führungskraft ordnet ein Verhalten an und die entsprechende Mitarbeiterin entzieht sich dieser Anweisung, indem sie zum Beispiel eine Krankschreibung vorlegt oder andere Möglichkeiten findet, der Anweisung nicht nachzukommen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Machtverhältnisse in den Organisationen können sich schnell verändern, das heißt: Die Frage, wer ohne wen handeln kann, findet zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Antworten.

Elf Ärzte und 27 Pflegekräfte einer Abteilung wechselten, unter anderem aus Protest gegen immer schlechtere Arbeitsbedingun­ gen, gemeinsam von einem Berliner Krankenhaus in ein anderes. 48

Autorität …

Es war die Rede davon, dass dies das »Ergebnis einer langen und wohl nicht glücklich verlaufenen Diskussion« sei.10

Hat sich das Kommunikationssystem einmal im Medium Macht festgefahren, kann ein Wechsel des Kommunikationsmediums helfen (vgl. von Schlippe, 2019, S. 98). Das ist wesentlich leichter, wenn Leitungskräfte eine Beziehung respektierter Autorität etabliert haben, zu der sie zurückkehren können. Sie können wechseln in eine Kommunikation der Verbindlichkeit und gegenseitiger Loyalität. Auf dieser Basis könnte die Balance zwischen Macht und inhaltlicher Auseinandersetzung wieder in Richtung Auseinandersetzung verschoben werden. Dies wiederum heißt nicht, dass alles ausdiskutiert werden muss und das bessere Argument gewinnt, sondern zum einen geht es darum, aus dem Entweder-oder ein Beides zu suchen, zum anderen gilt es, eine Logik zu finden, in der die Kommunikation so stattfinden kann, dass sie ein Beides begünstigt. Um Missbrauch von Autorität zu verhindern, ist es wichtig, dass die Autoritätsbeziehung grundsätzlich hinterfragbar bleibt, somit also immer wieder Symmetrie als Kontrollinstanz in der Beziehung hergestellt wird. War Autorität früher durch Geschlecht, Tradition, Religion und Funktion legitimiert, muss heute zur Legitimation durch die Funktion die freiwillige Anerkennung durch andere dazukommen, damit eine hilfreiche (Arbeits-)Beziehung entstehen kann. Dies gelingt, indem Autorität offen gelebt und damit kritisierbar wird (vgl. Großmaß, 2018, S. 164; Sennett, 1985, S. 218 ff.). Das heißt nicht, dass ständig darüber geredet werden muss, ob eine Leitungskraft noch Vertrauen verdient hat oder nicht. Natürlich kann sie sehr bewusst hin und wieder überprüfen, ob dem so ist.

10 Nath, D. (2020). Kritik an Massenkündigung am Auguste-Viktoria-­Klinikum. rbb24 Inforadio, 18.02.2020, https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2020/ 02/reaktionen-vivantes-infektiologie-aerzte-wechseln-zum-st-joseph-albers. html (Zugriff am 29.11.2020).  … geht verloren, wenn sie missbraucht wird

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Eine Gruppe führte eine mehrtägige Teamentwicklung durch. Am zweiten Tag erklärten die Mitarbeiterinnen, sie verstünden nicht, wozu ihre Arbeitszeit in eine solche, in ihren Augen unnötige, Unter­ nehmung investiert werde, denn es sei in der Zusammenarbeit doch alles in bester Ordnung und alle seien sehr zufrieden. Die Leitungs­ kraft antwortete, sie wolle mit dem Workshop genau dies prüfen.

Die Führungskraft muss nicht ständig nachfragen und sich vergewissern, ob genug Vertrauen herrscht, aber sie gewinnt es gerade dadurch, dass sie grundsätzlich bereit ist, sich und ihre Entschei­ dungen hinterfragen zu lassen. Je weniger Angst Vorgesetzte vor kritischen Fragen seitens der Mitarbeitenden haben, desto eher können sie von sich aus auch andere Sichtweisen als ihre eigenen präsentieren. Die Zustimmung in sie wächst, wenn sie von sich aus da­ rauf achten, dass sie das ihnen entgegengebrachte Vertrauen nicht missbrauchen. Sie können immer wieder in einer symmetrischen Kommunikation die Rollen thematisieren: Wer ist wofür zuständig, hat diese und jene Verantwortung, fällt welche Entscheidungen? Dient die ungleiche Beziehung immer noch allen? Können alle Seiten mit ihren unterschiedlichen Beiträgen verschiedene Interessen so bedienen, dass ein gutes gemeinsames Miteinander möglich ist und sich niemand genötigt fühlt, zu Machtmitteln zu greifen? Autorität lässt sich so als ein Prozess ständiger Neuinterpretation betrachten (vgl. Sennett, 1985, S. 236).

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Autorität …

2 Respektierte Autorität in der Praxis

Wie sieht es konkret aus, wenn Leitungskräfte respektierte Autorität gewinnen oder schon verliehen bekommen haben? Was tun Vorgesetzte, um Autorität zu gewinnen? Welche Gedanken machen sie sich? Welche Fragen stellen sie sich? Mit welcher Haltung gehen sie an ihre Aufgabe? Woran erkennt man Leitungsverhalten, das zu einer Verleihung von Autorität führen kann? Es gibt nicht einen Stil, nicht ein bestimmtes Verhaltensrepertoire, das man anwendet. Die jeweiligen Organisationen unterscheiden sich durch ihre relevanten Umwelten, durch ihre Aufgaben, ihre Zwecke und ihre Regeln. In einer Behörde finden sich ganz andere Bedingungen als in einem Wirtschaftsunternehmen oder bei einem sozialen Träger. Dementsprechend finden sich unterschiedliche Kulturen und Orientierungen, auf die in unterschiedlicher Weise eingegangen werden muss. Allerdings gibt es bestimmte Grundprinzipien, die dazu geeignet sind, Autorität und damit Einfluss zu gewinnen. In diesem Kapitel erzählen Frauen in Leitungspositionen, wie sie an ihre Aufgaben herangehen, wodurch sie Autorität erlangen, wo für sie Schwierigkeiten liegen und welche besonderen Herausforderungen und Vorteile sich für sie als Frauen in Leitungsposi­tionen ergeben. Die Interviewpartnerinnen wurden nach Empfeh­lungen ausgewählt. Sie erzählen aus ihren unterschiedlichen Per­spek­tiven und Herangehensweisen.11 Ihre Aussagen sind thematisch zusammengefügt. Es kann also ein Absatz von der einen Frau geäußert worden sein und der nächste von einer anderen. Hin und wieder erzählen sie auch in längeren Abschnitten. Die Aussagen der Leitungskräfte werden nicht kommentiert, sondern sollen ein vielschichtiges Bild von autoritätsfördernder Führung vermitteln, das nicht konsistent sein muss. Vor allem sollen sie nicht 11 Der Interviewleitfaden findet sich am Ende des Buches. Respektierte Autorität in der Praxis

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vermitteln: »So macht man es«, sondern Anregungen geben, die eigenen Erfahrungen zu reflektieren und Ideen zu entwickeln, wie man sich selbst um Autorität bemühen könnte. Die einzigen Kommentare finden sich in Fußnoten, um bestimmte Aussagen für die Lesenden verständlich zu machen. Acht Frauen in Leitungspositionen berichten, darunter Teamund Abteilungsleiterinnen, Geschäftsführerinnen und Vorstände aus kleinen und großen Organisationen und Organisationseinheiten, angefangen bei einer Kommunalverwaltung über ein produzierendes, ein Finanzdienstleistungs- und ein Immobilienunternehmen bis hin zu einem Unternehmen aus dem Gesundheitswesen, einer Stiftung sowie einem sozialen und einem kirchlichen Träger. Die Interviewten befinden sich an unterschiedlichen Punkten in ihrer beruflichen Entwicklung: die Mittvierzigerin, die schon einige Leitungserfahrungen gesammelt hat und sich noch weiterentwickeln will, die Mittfünfzigerin, die den Status quo weitgehend erhalten oder in dieser oder einer anderen Position noch viel bewegen möchte oder muss, und die Siebzigjährige, die auf ihre Laufbahn als Führungskraft zurückblickt. Die Interviews wurden transkribiert, redigiert und gekürzt. Es wurden sehr, sehr viele relativierende Wörter aus den Sätzen herausgestrichen, wie: »Ich glaube«, »eigentlich«, »vielleicht«, »ziemlich«, »irgendwie«, »so ein bisschen«. – »Typisch weiblich«, diese Wörter so häufig zu benutzen? Im gesprochenen Wort wurde überwiegend die männliche Bezeichnung für Personen verwendet und dies wurde nicht verändert.

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Respektierte Autorität in der Praxis

Bewegt sich da was? Ich finde es bei Frauen in Führungspositionen schwierig, wenn sie die Eigenschaften der Männer annehmen und sich selbst als Frau in der Führung verlieren, weil sie erleben, dass man in dieser Drucksituation gewisse Egoismen an den Tag legen muss, um sich zu schützen. Es ist mir sehr wichtig, den Männern zu verklickern, dass wir durch Diversität bezogen auf Gender viel kompletter werden. Da ist noch Auf­ klärungsarbeit nötig. Wir können erfolgreicher sein, wenn wir erken­ nen, was Männer gut können und was Frauen gut können. Wir sollten schauen, dass wir es gemeinsam nach vorne bringen, und nicht aus den Frauen die besseren Männer machen. Frauen sind für Führung nicht gut aufgestellt – nicht in der Art und Weise, wie Führung heute in Organisationen gelebt wird. Eigentlich sind sie viel geeigneter, aber dafür muss sich die Führungskultur in den Organisationen ändern. Das ist eine männliche Führungskultur, da passen Frauen nicht rein. Wenn es als Übergang erst einmal eine harte Quote gäbe, um mehr Frauen in Führung zu bringen, würden wir auch kulturell etwas verän­ dern. Ich habe in dieser wunderbaren Rolle an der Spitze schon viel auf den Weg gebracht und die männliche Führungskultur verändert sich. Meine Vorstandskollegen und ich haben eine gute Zusammenarbeit. Wir lernen voneinander und es gibt die Bereitschaft, darüber zu reflek­ tieren. Es gibt eine Offenheit dafür, mehr Kommunikation zu suchen. Das freut mich sehr. Wenn auch meine männlichen Kollegen es anders machen, verändere ich Führungskultur. Ich muss oft gar nichts tun – es reicht, dass ich Vorstand bin. Wenn ich in Führungsrunden komme, in denen nur Männer sitzen, dann ent­ schuldigt sich der zuständige Leiter, dass sie nur männliche Führungs­ kräfte haben. Ich habe gar nichts gesagt, aber sie hatten gleich das Gefühl, sich erklären zu müssen. Es hat sich leider bis heute nichts daran geändert, aber es wird Thema dadurch, dass es eine Vorbildrolle gibt. Wir machen ein Magazin. Da gibt es immer ein Editorial, und wir haben überlegt, wer das schreiben kann. Da hat meine Kollegin gesagt, ich soll das machen. Und im Nachsatz sagt sie: »Dann ist mal eine Frau darauf.« Aber dafür stehe ich nicht zur Verfügung. Bewegt sich da was?

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In unserer Organisation geht es schon relativ progressiv zu. Ge­­ schlechterdemokratie ist eines unserer Ziele. Die männlichen Kollegen haben zumindest ein Problembewusstsein, was nicht heißt, dass es immer funktioniert. Aber ich agiere ja auch außerhalb, im Ministerium zum Beispiel, und da ist es teilweise noch sehr, sehr konservativ. Da ist es gut, gelassen, aber doch bestimmt zu sagen: »Ich hatte mich gemeldet«. Ich mache das nicht immer, weil ich finde, man darf es nicht überstrapazieren, weil es dann wahrscheinlich irgendwann verpufft. Ich kenne Arbeitgeber, bei denen werden Führungskräfte nach einem Set an Führungskompetenzen ausgewählt, das viele Softskills beinhaltet. Dazu gehören Toleranz und Redebereitschaft – Diplomatie in einem gewissen Sinne. Auch Männer müssen die zeigen und tun das auch. Der Typ Mann, der in Führungspositionen kommt, ist also heute zunehmend ein anderer. In vielen Unternehmen gibt es keinen Kom­ petenzkatalog und trotzdem werden die Führungskräfte genau nach den gleichen Kriterien gesucht. Auch hier ist der Bedarf da, Leute mit bestimmten Softskills in eine Führungsposition zu setzen. Früher hat man das nicht für nötig erachtet, sondern ist einfach nach der Aus­ prägung des Fachwissens gegangen.

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Respektierte Autorität in der Praxis

Oops – das wollte ich ja gar nicht Kein Kind hat als Berufswunsch, Führungskraft zu werden. Wann kommt man auf so eine Idee? Man sucht sich einen Beruf ja inhaltlich oder von der Aufgabe her aus. Man will Erzieherin oder Ingenieurin werden. Dann kommt man in Organisationen und da gibt es plötzlich Führungs­ kräfte. Vielleicht gibt es Leute, die relativ früh Chef werden wollen. Es könnte sogar ein Kindheitstraum sein, in der Hierarchie ganz nach oben zu kommen. Das kommt auf das Elternhaus an und das ist bestimmt geschlechtlich unterschiedlich. Keine Frau sagt: »Ich will Chefin wer­ den.« Wenn ich von Führungskraft rede, habe ich im Kopf, ob man Men­ schen führen und entwickeln und ein Team organisieren will. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand Betriebswirtschaft studiert, weil er das machen möchte. Vielleicht haben wir die Organisation eines Tages so verändert, dass die Karriereleiter nicht davon abhängig ist, dass jemand Führungskraft wird. Dieses Problem haben wir heute in allen Organisationen: Wenn ich Karriere machen will, muss ich Führungskraft werden, auch wenn ich gar kein Händchen für Führung habe. Wenn wir das aufgelöst hätten, dann ginge es nicht um Führung, sondern um Karriere: »Ich möchte einen wichtigen Posten innehaben und strate­ gische Entscheidungen treffen« oder »Ich möchte wichtige Projekte«. Ich habe nie studiert, habe eine kaufmännische Ausbildung und lange damit gehadert. Mein Vater hat immer gesagt: »Das brauchst du nicht. Du heiratest mal und kriegst Kinder.« Und es war relativ schnell klar, dass das nicht ganz mein Weg war. Ich war nicht berufstätig, als die Tochter geboren wurde. Das habe ich zehn Jahre gemacht und neben­ her ehrenamtlich gearbeitet. Dann wurde mir die Geschäftsführung auf Landesebene angeboten. Ich wäre von mir aus nie darauf gekommen. Als ich gefragt wurde, dachte ich, das kriege ich nie hin. Ich habe erst einmal ein halbes Jahr als geringfügig Beschäftigte gearbeitet  – ich brauchte den Notausgang, falls ich das nicht kann. Daraus hat sich vieles entwickelt. Es ging immer weiter. Ich habe mich nie irgendwo beworben, sondern wurde gefragt. Ich habe mir dann immer überlegt, ob ich das wollte oder nicht. Ich wurde gar nicht gefragt, ob ich die Leitung übernehmen will, sondern man ist mehr oder weniger stillschweigend davon ausgegan­ Oops – das wollte ich ja gar nicht

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gen, dass ich sie nehme. Ich hätte aktiv sagen müssen: »Ich will diese Leitung nicht machen.« Ich war 35 und damals sagte man, ich sei für das Kinderkriegen recht alt. Es war mir eigentlich viel zu früh, aber hätte ich das abgelehnt, dann hätte ich womöglich für zwanzig Jahre einen Vorgesetzten bekommen und mich die ganze Zeit geärgert, dass ich die Chance nicht ergriffen habe. Ich bin in die Leitung reingerutscht und habe dann festgestellt, dass es mir Spaß macht. Ich hatte in dieser ersten Leitungsrolle ein Team, das mir sehr schnell zurückgemeldet hat, dass sie es gut finden, wie ich das mache. Sie fanden gut, dass ich mich für sie und ihre Belange interessiere und nicht nur auf meine eigene Karriere aus bin, sondern immer abgewogen habe, was gut für das Unternehmen und was gut für das Team ist und wie ich mich einbringen kann. Ich habe mich nie als Führungskraft gesehen. Ich habe mich immer für den klassischen Teamplayer gehalten: Ich arbeite gerne im Team, möchte möglichst alles abstimmen und möglichst keine eigenen Ent­ scheidungen treffen. Ich habe dann erst verstanden, dass ich schon Lust darauf habe, eigene Entscheidungen zu treffen und die abzu­ stimmen. Viele Leute studieren Betriebswirtschaft, weil sie ein Team oder eine Abteilung führen wollen. Mir ist es darum gar nicht gegangen. Das ist selbst jetzt nicht mein zentraler Anspruch. Ich möchte Dinge voranbringen und ich will Sachen verändern, und das macht sich nun mal ganz gut, wenn man eine gewisse Verantwortung übernimmt, und die hängt meistens damit zusammen, Menschen zu führen. Ich habe die Geschäftsführung für den Vorstand gemacht, aber ich brauchte die Position nicht, wollte die auch nicht haben und habe mich immer als Projektleitung verstanden. Erst mit dieser Formalisierung war es nötig, aber was mir eigentlich Spaß macht, ist die inhaltliche Arbeit. Gerade beim Thema »Anpassen und mitspielen« ist Selbstreflexion bis heute wichtig für mich. Ich habe das Angebot, auf die nächste Ebene zu gehen: Will ich das überhaupt? Will ich diese Spielchen mitmachen? Als Projektleiterin ging es schon darum, die Organisation zu verstehen, weil es viel mit politischen Strategien zu tun hat, Projekte in einer gro­ ßen Organisation zu vertreten. Wie bringt man das Thema unter? Wie werden wichtige Entscheidungen getroffen oder was ist wichtig und was prioritär? Und je höher man kommt, desto größer wird der Anteil 56

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des Mitspielenmüssens. Als ich Bereichsleiterin wurde, wollte ich den Job nach einer Woche zurückgeben. Wir müssen junge Kolleginnen ansprechen. Es sagt ja keine Frau: »Ich würde gerne den nächsten Schritt machen.« Hohe Führungsposi­ tionen auszuschreiben und dann zu schauen, wer sich bewirbt, ist ein Teil der männlichen Führungskultur. Ich hätte mich auf keine Position beworben, die ich eingenommen habe, ich bin immer gefragt worden. Es fängt damit an, dass wir es zum Thema machen, dieses Bild erzeu­ gen, dass das eine Option wäre: Ich kann Vorstand werden. Es macht mir großen Spaß, mich einzubringen. Ich kann viel Einfluss nehmen und aus unseren Belangen heraus sagen, was wir brauchen und was wir deswegen gerne umsetzen möchten. Ich habe meine Ausbildung in einer Bank gemacht und nebenher Betriebswirtschaft studiert. Als ich Mitte zwanzig war, habe ich ein Team geleitet. Das ist mir so vor die Füße gefallen. Meine damalige Chefin wollte die Teamleitung aus persönlichen Gründen abgeben. Mein Chef konnte niemanden von außen einstellen, deshalb hat er mich gefragt. Da habe ich es gemacht, aber ohne groß etwas zu wissen. Dann kam eine Umstrukturierung und danach gab es kein Team mehr. Das war meine erste Erfahrung damit, und ich finde es cool, Verantwortung zu übernehmen. Während und nach dem Studium habe ich zunächst in der Unternehmenskommunikation und dann als Referentin gearbeitet. Die fachliche Schiene einer Referententätigkeit kann durchaus ihren Reiz haben, aber es gibt immer eine Abhängigkeit von einer Person, der man zuarbeitet, es ist nicht der eigene Input, den man gestaltet, obwohl ich vier Jahre super gerne mit meinem Chef zusammenge­ arbeitet habe. Aber ich finde es schöner, selbst Dinge zu entscheiden und zu gestalten. Mit Anfang dreißig habe ich mich für das damals noch existierende Frauenförderprogramm – ein Mentoringprogramm – beworben. Da musste man prüfen, ob man das wirklich will. Dann hat sich die Chance ergeben, vorübergehend eine Abteilungsleiterfunktion zu übernehmen. Es war eine super Chance, um Führungserfahrung für den Lebenslauf zu sammeln. Auf diese Stelle als Leiterin habe ich mich beworben. Das ist die Superstelle, weil ich unglaublich viel Freiraum habe. Ich will nicht sagen, dass ich machen kann, was ich will, aber es hat niemand gesagt: »Du machst jetzt keine Teams« oder »Du stellst nicht noch jemanden ein«. Oops – das wollte ich ja gar nicht

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Sie haben gesagt: »Okay, mach’ mal, Hauptsache, es funktioniert.« In anderen Unternehmen gibt es feste Strukturen und klare Vorga­ ben und es ist deutlich schwieriger, wenn man ausbrechen oder sein eigenes Ding machen will. Hier kann ich Eigenes gestalten und dafür die Verantwortung übernehmen. Im Vorstand könnte ich es mir auch vorstellen, denn es macht mir einfach Spaß, Dinge in eine Richtung zu lenken und zu überlegen, wie man da hinkommt, wie es gut ist oder wie man es gut macht. Der Firmeninhaber kennt meine Meinung dazu. Er weiß, dass ich das gerne möchte, aber es ist schon lange her, dass wir darüber gesprochen haben. Ich habe mich auch schon mal extern auf einen Vorstandsposten beworben. Das hat nicht geklappt. Im Vorstandsbereich ist eine klas­ sische Bewerbung natürlich selten. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich mich an einen Headhunter wende. Man muss sich schon darum bemühen. Im Moment hat sich hier so viel Neues ergeben und es sind so viele spannende Themen da, dass es keine Priorität hat. Ich denke nicht jeden Tag daran und richte auch nicht viel Energie darauf, aber es ist ein Thema, das mich umtreibt. Es muss nicht in den nächsten zwei Jahren sein, und wenn es nichts wird, dann habe ich auch ein glück­ liches Leben. Durch meine Tochter habe ich ein gutes Gegengewicht im privaten Bereich, was mich total erdet. Als sie noch nicht da war, war ich viel fokussierter auf dieses Berufs- und Karrierethema. Das ist mir immer noch wichtig und ich liebe meine Arbeit und werde nie zur Hausfrau mutieren, aber es ist mir wichtig, dass das miteinander schwingt.

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Gelernt ist gelernt …  … von klein auf Meine Mutter war eine ganz einfache, aber sehr starke Frau. Sie ging auf jeden Elternabend und hat sich als Elternbeiratsvorsitzende zur Wahl gestellt. Unser Klassenlehrer war 1,90 Meter groß, sie war nicht viel größer als ich. Sie stand vor ihm, hat ihren ganzen Mut zusammen­ genommen und die Probleme mit ihm besprochen. Dieses Bild habe ich ganz häufig im Kopf gehabt. Manchmal habe ich gedacht: »Jetzt hätte Mutterfels wieder dagestanden«. Ich habe es innerlich auch so gemacht, aber nicht in diesem Maße. Meine Mutter und meine Großmutter waren mehr oder weniger alleinerziehend, lebten aber nach klassischen Frauenbildern. Meine Mutter hat uns Kindern geholfen, eigenständige Menschen zu werden. Uns wurde etwas zugetraut und wir hatten Freiheiten. Es gab ja keinen Vater, der abends nach Hause kommt, Pantoffeln an, Bier vor die Nase und dann rumdomptieren. Es war immer eine Gruppensituation. Diese Familiennetzwerke haben mich geprägt. Ich bin nicht in einem Elternhaus groß geworden, das sich zum Thema Führung positioniert hat. Meine Eltern haben ganz einfache Be­­rufe gehabt, waren sehr fleißig und haben das Geld zusammengehal­ ten. Auf dem Gymnasium war ich die Einzige aus einer Arbeiterfamilie. Das habe ich damals gespürt und das hat mich geprägt. Alles, was ich heute bin und was ich erreicht habe, ist aus mir heraus erwachsen. Natürlich gab es immer Menschen, die mir geholfen und mich unter­ stützt haben, und wenn mein Mann das nicht mittragen würde, wäre das nicht möglich. Aber es ist mein Wille gewesen, das so zu machen, und es ist mein Ziel, das ich mir gesetzt habe, und das nicht, weil Mutti und Vati das im Hintergrund angeschoben haben. Es hat mir geholfen, dass mein Vater immer gesagt hat, man müsse sich nur vor sich selber rechtfertigen. Solange man sich noch im Spie­ gel angucken kann, ist alles gut. Und er hat mir früher nie gesagt: »Du bist ein Mädchen, du musst nicht Abitur machen«, sondern: »Lerne, mach’ was draus, damit du dein Geld mal leichter verdienst, als ich es musste. Du hast offensichtlich ganz gute Gaben mitbekommen.« Gelernt ist gelernt …

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Meine Mutter lebt im klassischen Frauenbild und macht das freiwillig. Viele Jahre dachte ich: »Wie kann man nur?« Aber sie fühlt sich wohl in ihrer Rolle. Weil ich das abgelehnt habe, hat es mich vielleicht ein bisschen männlich gemacht und frei von Geschlechterdenken. In dieser stark männlich geprägten Welt eines Finanzdienstleistungsunterneh­ mens hat mir das geholfen: Ich kann burschikos oder derb sein und die Männer mit ihren eigenen Worten gespiegelt schlagen. Das sind die nicht immer gewohnt. Als Kind war ich immer wieder in Rollen, in denen ich Führung über­ nommen habe. Natürlich war ich Mannschaftsführerin, aber lieber nicht die offizielle, sondern mir lag mehr eine mentale Rolle.

 … über Vorbilder Von meiner Vorgängerin habe ich ganz viel gelernt, nämlich Mensch­­ lich­keit und Zuhören. Die konnte zuhören und ganz schnell und kurz zusammenfassen. Wenn sie sich in einer Entscheidungsfindung nicht sicher war, hat man das nicht gemerkt. Sie kam oftmals morgens und hat gesagt: »Ich habe noch mal darüber geschlafen. So sollten wir es machen.« Sie hat uns allen nicht das Gefühl gegeben, dass sie die Alleinseligmachende ist. Sie hat uns bei Entscheidungs­prozessen mitgenommen und ich finde, das macht gute Führung aus. Sie konnte auch sagen: »Da haben wir uns verrannt. Lasst uns das noch mal neu überlegen und gucken, wie das geht.« Und sie konnte wahnsinnig hart­ näckig sein. Wenn sie etwas wollte und alle gesagt haben: »Das passt doch gar nicht«, dann konnte sie in ganz kurzen Sätzen sagen: »Darum passt es. Wollen wir nicht gemeinsam überlegen?« Und dann fing sie an. Sie hat überzeugt. Manchmal hat sie uns auch überfahren, aber viele Entscheidungen und ganz viele Projekte waren richtig angebracht und sind bis heute erfolgreich. Das habe ich übernommen. Ich habe nie so große Projekte gehabt, dafür war ich viel zu sehr in Alltagsgeschäfte eingebunden, aber ich habe versucht zu gucken, wie wir etwas wei­ terentwickeln können  – strategisches Denken. Es denken und dann klären, ob es geht, warum es nicht geht oder warum es ganz gut geht. Pfosten setzen. Mit dem Leiten, das konnte man lernen, da weiß man: »Jetzt hast du dich verrannt«, aber die Persönlichkeit, das geht nicht. 60

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Ein hauptamtlicher Mitarbeiter eines Projektträgers hat uns als Ehrenamtlichengruppe koordiniert, beraten und unterstützt, ohne in dem neuen Verein in einer verantwortlichen Rolle zu sein. Er hat eine ganz wichtige Orientierung gegeben und ist mutig reingegangen, als bestimmte Vorgehensweisen noch verschrien waren. Er hat das Paradigma hinterfragt, es gab einen riesigen Aufstand und er wurde angefeindet. Aber er war ganz überzeugt und unbeirrt und hat gesagt: »Das ist richtig und das mache ich so«. Da dachte ich am Anfang: »Wie schaffe ich das nur? Ich kann das nicht so toll.« Aber dann war ich mit praktischen Dingen beschäftigt und bin in die Rolle reingekommen. Einer meiner Chefs kam aus der Branche und hat Dinge selbst getan, bevor er Leute geführt hat. So jemand kann den Aufwand gut einschätzen. Und er war menschlich sehr angenehm und ausgeglichen. Die Tür war immer offen. Man konnte Fragen stellen, hat eine Antwort bekommen und konnte sich inhaltlich austauschen. Allerdings konnte er schlecht Nein sagen. Meine Kolleginnen hatten Kinder und Teil­ zeitstellen und wollten alle nur Dienstag, Mittwoch und Donnerstag arbeiten. Eine Kollegin und ich mussten die Randzeiten bedienen und hatten Februar und November für unseren Urlaub zur Auswahl. Er hat das nicht für das Team gelöst und hätte eine größere Verantwortung übernehmen müssen. Er ist sehr auf Harmonie bedacht und nicht sehr konfliktfreudig. Als ich hier eingestiegen bin, hatte ich eine steile Lernkurve. Mein Vor­­gesetzter hat mich auf einen Leiter hingewiesen, den ich eng führen sollte. Er hat von mir gefordert, diesen Konflikt anzugehen, war aber selber vollkommen konfliktunfähig. Im Dreiergespräch stand ich dann da und er hat geschwiegen. Das habe ich als illoyal empfunden. Ich hatte das Gefühl, dass ich aufgelaufen bin, denn es sah so aus, als ob ich als Neue den Konflikt gesucht hätte. Die Lektion, die ich gelernt habe: Konflikte müssen angesprochen werden und man darf sich nicht verstecken, schon gar nicht hinter jemandem, der in der Hierarchie unter einem steht.

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 … auch in Fortbildungen, aber vor allem aus Erfahrungen, Austausch und Selbstreflexion Man hat mir die Leitung mehr oder weniger aufoktroyiert und ich habe sie angenommen. Ich hatte das überhaupt nicht gelernt. Es wurden von der Verwaltung fortlaufend über Jahre Führungskräfteseminare zu verschiedenen Themen angeboten. Ich habe an ein- oder zweitägigen Inhouse­seminaren teilgenommen, zum Beispiel zum Thema Mitarbei­ tergespräch. Ich bin dort hingeschickt worden oder habe mich aktiv darum beworben. Das waren teilweise sehr gute Seminare. Man hat in der Organisation leider erst viele Jahre später ein Mentoring­programm für Frauen eingeführt, die später mal eine Führungsposition bekleiden sollen oder wollen. Ein solches Mentoring hätte ich auch gern wahr­ genommen. Bei mir lief ziemlich viel über Learning by Doing und ich hatte viele Führungsfortbildungen. Dort habe ich diese ganzen Methoden vermit­ telt bekommen, wie Personalgespräch, Zielvereinbarungen und aktives Zuhören, aber ich halte mich nicht genau an solche Abläufe. Es ist gut, so ein Rüstzeug zu haben, aber letzten Endes zählt die Erfahrung mehr und so etwas wie natürliche Autorität. Man kann mit Training nicht alles erreichen. Mir macht es in gewisser Weise auch Spaß, ich arbeite gerne mit Teams und habe gerne die Verantwortung für Leute. Es hat vielleicht auch etwas damit zu tun. Wie lernt man Leitung? Wir haben natürlich Entwicklungs- und Aus­ bildungsprogramme für junge Führungskräfte. Man kann eine Menge an Instrumenten lernen. Wir haben in unseren Ausbildungsprogrammen von Anfang an stark die Themen Haltung, Selbstreflexion und Selbst­ wirksamkeit im Fokus: sich selber hinterfragen. Selbstwirksamkeit ist ein ganz wichtiger Punkt in unseren Ausbildungsprogrammen. Extern bringen wir junge Führungskräfte mit anderen Führungskräf­ ten zusammen. Intern bekommen junge Führungskräfte eine nächst­ höhere Führungskraft als Mentor. Das ist insbesondere für die Frauen wichtig, weil in der ersten Führungsriege in der Regel Männer sind und man dann aus männlicher Sicht reflektieren und spiegeln kann, was gerade passiert. Ich bin selber immer wieder in dieser Rolle als Mentorin und mache das gerne. Durch Mentoring kann ich fördern, dass mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Und mir macht 62

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es wirklich Freude, die Entwicklung dieser jungen Frauen begleiten und mitbefördern zu können. Es ist toll zu sehen, was die mit ihrem Weg machen. Zu meiner Zeit gab es noch nicht so viele Fortbildungen. Da gab es mal »Einstieg ins Management« für drei Tage und dann war es das. Ich habe keine Führungsseminare besucht. Erst als ich ganz oben war, habe ich selber geschaut, dass ich mich von einem Coach begleiten lasse. Es war eher schauen, wie es andere machen, sich raussuchen, was mir davon gefällt und was nicht, und relativ schnell meinen eige­ nen Stil entwickeln. Man kann sich keinen Führungsstil aneignen, den man besonders toll findet. Jemand, der eine sehr autoritäre Erziehung genossen hat, würde sich wahrscheinlich schwertun, wenn er in ein Start-up käme, wo ein kooperativer Führungsstil gefragt ist. Man muss als Führung schauen, dass man Teams findet, mit denen man gut harmoniert, um die gut führen zu können und das Beste aus ihnen herauszuholen. Es gibt Konstellationen, da passt die Führungskraft nicht zu diesem Team oder das Team nicht zur Führungskraft. Ich stoße da an Grenzen, wo in Teams eine Tiefenexpertise gefordert ist, die ich nicht mitbringe. Hinter der Überlegung, dass man eine gute Führungskraft vor jedes Team stecken kann, stehe ich nicht mehr zu hundert Prozent. Mein Vorgesetzter ist zu meinen Mitarbeitern gegangen und hat Dinge hinter meinem Rücken gefragt. Oder er stand achtmal am Tag bei mir im Büro und wollte Informationen abgreifen. Er wollte mich nicht unterstützen oder Hilfe anbieten, sondern schauen, ob ich das richtig mache. Es ging so weit, dass er Dinge hinter meinem Rücken entschieden hat. Wir haben zusammen, und ich auch alleine, Coaching bekommen, aber das hat nichts genutzt. Es hatte gar nichts mit meiner Person zu tun, sondern es ging um das Verhältnis zwischen Bereichs­ leiter und Abteilungsleiter. Er hatte eine andere Vorstellung davon. Ich glaube auch, dass es ein Frauenthema war. Er hat uns nicht das Abstrak­ tionsvermögen zugetraut, Themen, die wir nicht studiert haben und die keine Frauendomäne sind, entscheiden zu können. Ich habe daraus eine Menge mitgenommen und gelernt, wie man sich abgrenzen kann und wann es keinen Sinn mehr macht, mit jemandem zusammenzuarbeiten. Ich habe Leitung gelernt über Beobachten und das Sammeln von Erfahrungen. Das größte Thema ist Selbstreflexion: Mich selbst beob­ Gelernt ist gelernt …

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achten und immer wieder fragen, was ich machen will und was nicht. Ich hatte in meiner Entwicklung kein Mentoring, aber ich habe seit Jahren gutes, kollegiales Coaching mit Führungskräften und Geschäfts­ führungen aus anderen Vorständen und Branchen. In meiner Coaching­ gruppe waren am Anfang nur Männer, die immer gesagt haben: »Als Mann würde ich jetzt das und das denken«. Bis heute ist das sehr hilfreich. Einige Jahre vorher hatte man mir den Vorsitz schon einmal ange­ boten und da habe ich ihn abgelehnt, weil ich ganz genau wusste, die Zeit war noch nicht reif dafür, das hätte ich nicht gekonnt. Da hätte ich mich unsicher gefühlt. Männer sind da anders gestrickt, die würden das machen und vielleicht feststellen, dass es nicht das Richtige ist. Später fühlte ich mich sicher und wusste, dass ich das kann. Als ich gefragt wurde, war das für mich in Ordnung. Ich habe dann alles in den nächsten Jahren gelernt. Ich hatte eine kleine Gruppe, da habe ich das alles hemmungslos ausprobiert. Die wussten, wenn ich für etwas geübt habe. Und ich habe Bekannte, die das studiert hatten, gefragt. Was anderes tun Schüler und Studenten auch nicht – wenn sie gut sind.

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Unbeschreiblich weiblich Die Fähigkeit, zwischen den Zeilen zu lesen, ein Gespür dafür zu haben, wenn ein Problem in der Luft liegt, und das anzusprechen, hat wahr­ scheinlich auch etwas mit weiblicher Intuition und Sozialisation zu tun. Dieses autoritäre Auftreten ist eher bei Männern: Auch wenn ich etwas nicht weiß, dann tue ich so, als ob ich es weiß. Frauen gehen eher noch einmal fragen oder sagen, dass sie es nicht wissen. Spezifisch weiblich ist vielleicht, dass man Fehler erst einmal bei sich sucht. Das ist nicht unbedingt hilfreich. Man kann die Fehler doch gut bei anderen finden. Wenn bestimmte Dinge nicht erledigt worden sind, dann frage ich mich, wo mein eigener Anteil ist. Habe ich das zu spät verteilt oder haben die gesehen, wenn ich selber Sachen nicht termingerecht geschafft habe? Muss ich immer Vorbild sein, alles perfekt machen, damit Mitarbeiter perfekt sind? Ich denke immer, ich muss alles gut machen. Ich muss alle Ter­ mine einhalten, Wertschätzung rüberbringen und gleichzeitig die unter­ nehme­rischen Belange verfolgen. Das ist manchmal ein bisschen over. Ich könnte mich an der einen oder anderen Stelle zurücklehnen und wenn ich drei Paralleltermine habe, etwas schieben. Wenn ich das mache, dann entschuldige ich mich fünfmal, rufe vorher an und sage: »Es geht jetzt nicht anders.« Manche Männer verschieben einfach. Vielleicht ist das so ein Frauending, dass die sich mehr einen Kopf machen und darüber nachdenken, wie das bei den anderen ankommt. In meinem Freundeskreis tut sich die eine oder andere schwer, nicht in die Perfektionsfalle zu tappen: Ich muss an jeder Front die Tollste, die Beste und die Schönste sein. Und daran scheitern sie, weil sie mit der Doppel­­rolle und den vielen Ansprüchen nicht zurechtkommen, die auf ihnen lasten. Ich bin nicht perfektionistisch. Null. Ich bin ein 80/20Typ. Ich bin bei fast allem zufrieden, wenn achtzig Prozent gut gemacht sind, abgesehen von Ausnahmen, in denen Dinge perfekt sein müssen. Mich entspannt das total, auch an der Kinderfront. Ich habe mich riesig gefreut, als ich wieder arbeiten konnte. Ich liebe meine Tochter und verbringe gerne Zeit mit ihr, aber ich bin keine gute Vollzeitmutter. Es ist ja die Frage, ob die Ansprüche tatsächlich da sind oder ob man sie sich nicht selbst einredet. Unbeschreiblich weiblich

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Über Erfolg redet frau nicht Ob ich erfolgreich bin, ist die Frage, da müssen Sie meine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen fragen. Was ich gut gemacht habe, weiß ich nicht. Da müssen Sie andere Leute fragen.

Ich bin natürlich deshalb erfolgreich, weil ich fleißig bin, oder? (lacht), und gut (lacht). Natürlich weiß ich, was ich gut gemacht habe. Ich war gerade selber über mich überrascht, wie schwer es mir fällt, das aus­ zusprechen, und dass ich es nicht aussprechen will. Es ist spannend, was da immer noch wirkt! Mich selber loben, das ist irgendwie blöd. Zu einer guten Führungsperson gehört, sich selbstkritisch zu sehen und sich nicht so wichtig zu nehmen. Es gehört zu einer guten Haltung einer Führungskraft dazu, sich nicht in den Vordergrund zu spielen und sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, sondern einfach zu machen und für das Team da zu sein. Wir wollen Leistung erbringen, das Ziel erreichen und natürlich erfolgreich sein. Ich habe gerne wichtige Aufgaben übernommen, um damit zu zeigen, dass ich es kann. Ich habe es gemacht und nicht darüber geredet. Ich habe Leistung erbracht und Themen bewegt und damit natürlich auch etwas gezeigt. Ich habe anscheinend Dinge so gut gemacht, dass man nicht darüber hinwegschauen konnte. Früher habe ich gesagt, ich habe einfach Glück gehabt, dass ich so erfolgreich war. Heute weiß ich, dass Glück alleine dafür nicht ausreicht. Wahrscheinlich ist das auch so ein Frauenthema – hups, schon passiert! Mittlerweile weiß ich, dass ich auch irgendetwas können muss. Das war für mich tatsächlich ein Weg, dahinterzukommen, was das wohl sein könnte. Für mich ist es zum einen wichtig, dass ich authentisch bin. Ich kann mich dauerhaft nicht als etwas anderes verkaufen, sondern ich bin so, wie ich bin. Natürlich muss ich hier und da Abstriche machen, was meine Rolle anbelangt, aber ich lasse mich nicht verbiegen. Wenn ich mich für etwas entscheide, dann bin ich durchaus zielstrebig. Und ich bin emphatisch, was für mich ein Vorteil ist, zumindest in den Orga­ nisationen, in denen ich bisher gearbeitet habe. Ich bin bei Weitem nicht die Beste im Fach, weil es mich eigentlich gar nicht interessiert. 66

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Ich bin besser in strategischen Sachen, ich kann das große ganze Bild stricken. Dann brauche ich viele Menschen, die verstehen, was ich ihnen erkläre, und das umsetzen. Wenn es optimal läuft, interessiert mich der Rest nicht mehr. Ich habe von Anfang an gelernt, in Netzwerken und zielorientiert an einer Sache zu arbeiten und mich nicht selber in den Vordergrund zu drängen und wichtigzumachen. Es ging um die Sache.

Über Erfolg redet frau nicht

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Autorität haben Bei einer Dienstbesprechung hat mein Wort mehr Gewicht als das anderer. Sie hören auf das, was ich sage. Natürlich sollen sie auch tun, was ich sage, aber wenn sie merken, dass das Blödsinn ist, dann sollen sie mir sagen, dass sie Probleme haben. Autorität hängt nicht an der Funktion. Sie wird nicht einmal verge­ ben und gilt ein Arbeitsleben lang, sondern sie entsteht immer wieder neu, je nachdem, in welchem Kontext ich arbeite. Führung und Autorität machen sich anhand der jeweils notwendigen Entscheidungs- und Führungsfunktionen fest, die ich in einer Arbeits­ gruppe brauche. Dazu kommt eine Führungspersönlichkeit, die ganz schnell reinspringt und Verantwortung übernimmt. Ich habe Autorität in dem Sinne, dass ich Verantwortung über­ nehme und damit auch Gestaltungsmacht habe. Ich möchte ja nicht ein weibliches Feigenblatt sein. Ich kann nicht bewerten, ob ich mich autoritär verhalte, das kann nur mein Gegenüber. Vielleicht finden Sie Menschen in dieser Organisation, die das Gefühl haben, dass ich autoritär bin, weil sie eine ganz andere Sensibilität haben oder das ganz anders definieren. Mir kann mal der Geduldsfaden reißen oder ein Thema so wichtig sein, dass ich Macht gezielt einsetze, um es durchzubringen. Mir wäre aber wichtig zu sagen, ich bin nicht autori­ tär, denn ich hasse Autorität. So bin ich aufgewachsen. Das musste ich für mich erst einmal klarstellen. Ich glaube, ich habe Autorität. Autorität und Respekt hängen sehr stark miteinander zusammen. Ich werde von meinen Mitarbeitern und auch von vielen anderen im Unternehmen respektiert, weil ich authen­ tisch und den anderen gegenüber respektvoll bin. Sie machen es nicht für das Unternehmen, sondern für mich, für einen meiner Manager oder für sich gegenseitig als Team, weil sie sich nicht im Regen stehen lassen wollen. Deshalb fühlen sich die Leute sehr wohl. Vor zwei Wochen habe ich schier geheult, als mir eine neue Mit­ arbeiterin, die jetzt zehn Wochen da ist, in einer fast einseitigen E-Mail geschrieben hat, wie glücklich sie ist, dass sie bei mir im Team arbeiten darf. Das hat mich sehr, sehr berührt. Das kommt ja nicht so oft vor, dass sich ein Frischling traut, so schön und nett an den Boss zu schreiben. 68

Respektierte Autorität in der Praxis

Ich habe ganz viel Zuneigung bekommen, ganz viel Freundlichkeit mir gegenüber erlebt. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich respektierte Autorität habe. Ja, ich denke schon. Als die neue Organisation gegründet wurde, musste ich entscheiden, wer von meinen Kollegen mitgeht und wen ich dalasse. Sie wären alle mitgekommen. Niemand hat gesagt, er möchte nicht mit. Das würde ich nicht komplett auf mein Konto buchen, aber zu einem guten Teil. Sie konnten die letzten zweieinhalb Jahre ruhig arbeiten, ich habe sie abgeschirmt. Es ist mir nie jemand in den Rücken gefallen. Entscheidungen wur­ den nicht in Zweifel gezogen und es wurde nicht hintenherum versucht, etwas anders zu gestalten, auch wenn ich die Entscheidung anders getroffen habe, als derjenige es vorgeschlagen hatte. Sie haben res­ pektiert, was ich gesagt habe, auch wenn sie nicht immer einer Mei­ nung mit mir waren. Autorität hat für mich im weitesten Sinne etwas mit Durchsetzungskraft zu tun. Ich bekomme Loyalität. Ich bekomme ganz viel zurück. Die Leute bedanken sich, wenn wir auf der Weihnachtsfeier sagen: »Wir sind so froh, dass du das so toll machst«, und sie sagen, dass sie gerne zur Arbeit kommen. Keiner lässt den Stift fallen, wenn die Kernarbeitszeit vorbei ist, sondern wenn es das Projekt erfordert, dann arbeiten die Leute. Da muss ich sagen: »Jetzt reicht es, geht nach Hause, wir können die Welt auch morgen noch retten.« Die Leute identifizieren sich total mit der Arbeit und bleiben bis neun Uhr abends, wenn das nötig ist. Autorität beweise ich damit, dass ich Dinge anstoßen oder been­ den kann, ohne dass es große Verluste und Verletzungen gibt – Dinge deutlich machen, die mit dem Arbeitsgebiet zusammenhängen. Dass ich Autorität habe, merke ich an der Körperhaltung meiner Mitarbeiter. Wenn ich Autorität habe, dann ist die Haltung offen – wenn es eine gute Autorität und nicht autoritär ist. Man kann Mitarbeitern ansehen, ob sie sich wohlfühlen oder ob sie Angst haben. Das sind die zwei ganz großen Pole. Dazwischen gibt es natürlich zwanzig andere Sachen. Wenn man keine Autorität hat, merkt man das selber. Man merkt, dass der Draht nicht mehr stimmt. Autorität ist etwas, das von einem selber kommt. Man hat sie zum Beispiel dadurch, dass man in seiner Fachkompetenz als Führungs­ person anerkannt wird. Macht hat etwas mit realen Zugängen zu Ent­ Autorität haben

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scheidungskompetenzen und Wissen zu tun, ob es zum Beispiel in meiner Macht steht, einen Vertrag zu verlängern oder nicht. Autorität kann eine Macht qua Anerkennung haben. Unter natürlicher Autorität verstehe ich, dass man keine Sorge hat, Position zu beziehen und Konflikte einzugehen. Es hat viel mit Auftreten zu tun, mit Selbstbewusstsein. Wenn ich mir einer Sache einigermaßen sicher und relativ selbstbewusst bin, dann brauche ich keine äußere Autorität und muss nicht permanent betonen, dass ich die Chefin bin. Dann kann ich mich zurücknehmen und das Team machen lassen, weil klar ist, wenn meine Entscheidung gebraucht wird, wird sie eingefor­ dert. Ich muss nicht mit der Faust auf den Tisch hauen, ich brauche keine äußeren Faktoren, die untermauern, dass ich Leiterin bin.

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Autorität gewinnen Meine Mitarbeitenden mögen mich, weil ich ein sehr humorvoller Mensch bin und bei uns viel gelacht wird. Ein Tag ohne Lachen ist vergeudet. Wenn man sich Gehör verschaffen, ein gewisses Standing haben oder die eigenen Belange durchbringen will, dann braucht man Autorität. Traurig ist es, wenn man es nur kann, weil man die Rolle innehat.

Fachwissen Ich habe Autorität aufgrund meiner Rolle als Leiterin, weil ich fast 25  Jahre Erfahrung mitbringe, weil ich mich mit einer bestimmten Sache intensiver beschäftigt habe, weil ich Dinge aufgrund meiner Ausbildung besser überblicken kann und weil ich mehr Einblick in benachbarte Gebiete habe. Auch aufgrund des Lebensalters gewinne ich Autorität Ich habe die fachliche Autorität, die Erfahrung und bin über die Netzwerke einflussreich. Die Kollegen wissen das. Argumentativ sind mir viele unterlegen. Und sie wissen, ich bin engagiert. Über die Jahre weiß ich viele Sachen, wende sie an und kann Wissen übertragen. Transferkompetenz ist immer wichtig. Ich bezeichne mich gerne als Trüffelschwein, weil ich sehe, wo der Bedarf ist. Damit ich noch wissen­ schaftlich basiert arbeiten kann, suche ich mir die relevanten Quellen, spreche die Experten an und filtere daraus die wesentlichen Informa­ tionen, die ich darstelle, strukturiere und unterfüttere. Dann frage ich die Kollegen, was sie an Informationen von der Arbeit vor Ort bringen, und das baue ich in ein konkretes Projekt um. Es ist mir wichtig, dass mich das Visionäre authentisch macht und dass man davon ausgeht, dass ich das nicht tue, um den anderen zu schaden oder um mich selber wichtig zu machen. Ich glaube, dass es deswegen am ehesten toleriert wird, wenn den Leuten der Ton nicht gefällt und sie sagen: »Wenn sie jetzt genervt ist und mich raus­ schmeißt, weil sie keine Zeit hat, dann muss sie wirklich gestresst sein.« Autorität gewinnen

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Die Fachlichkeit und das Methodenwissen sichern einen sehr ab. Das Fachwissen, das man hat, muss auf die eigenen Möglichkeiten und die eigene Lebenssituation angewendet werden können und darf nicht abgehoben sein. Die Leitungskraft muss eine Kompetenz haben, die dem Team fehlt, sodass die Leute sagen: »Die hat zwar von dem, was wir tun, keine Ahnung, aber sie hat Ahnung von etwas, das wir nicht haben, und das brauchen wir. Und deswegen bekommt sie von uns etwas.« Natürlich habe ich immer alles gelesen, was ich an Sitzungsordnern hatte. Ich kam immer vorbereitet in Sitzungen, war fachlich sicher. Und da, wo ich nicht sicher war: zuhören und gucken, was man daraus mitnehmen kann. Wenn es hieß, wir machen jetzt ein Gremium und brauchen eine Frau, dann habe ich gesagt: »Wenn ihr mich nur als Frau nehmt, dann will ich das nicht.« Ich wollte nicht Feigenblatt sein. Ich will wegen meiner Fachkenntnisse gefragt werden, dann kann ich das durchaus. Und das hat mich in ganz viele Gremien gebracht, in denen Männer die Vorherrschaft hatten. Es ist gut, in bestimmten Belangen eine Expertise mitzubringen. Wenn ich Führungskraft bin, muss ich mein Geschäft verstehen. Ich persönlich muss akzeptieren, dass ich fachlich immer wieder an Gren­ zen stoße, weil ich das nie von der Pike auf gelernt habe und weil ich bestimmt nicht die Verständigste in dem Fach bin – bis hin zu: Inte­ ressiert mich das überhaupt? Da bin ich dankbar, wenn ich Experten habe, die mir Dinge erklären können und für mich so aufbereiten, dass ich sie verstehe. Aber spätestens obendrüber sitzt dann einer, der versteht das auch nicht, und dem muss ja auch einer erklären, wie es geht. Da ist es manchmal ganz gut, wenn man nicht im Fach­ chinesisch daherredet, sondern jemanden hat, der das in die Einzel­ teile zerlegt hat und das weiter erklären kann. Ich verstehe mich als Mittler zwischen den Welten. Ich verstehe halbwegs, worum es geht, kann es priorisieren und in die andere, die Stakeholder-Welt, weiter­ tragen und vermitteln.

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Alles eine Frage der Haltung Möchte man etwas sein, möchte man etwas tun oder muss man etwas tun?

Ich bin Anführerin, Erste im Team, Coachin einer Mannschaft. Ich fühle mich den Mitarbeitern sehr verbunden und bin in dieser Organisation eingebunden, bin auch Mitarbeiterin, nicht nur Leiterin. Ich muss dafür sorgen, dass die anfallenden Aufgaben erledigt werden. Ich muss den Überblick haben, was an Aufgaben anfällt, und die müssen ordnungs­ gemäß und zeitnah erledigt werden. Sie müssen auf die Mitarbeiter verteilt werden und ich muss im Prinzip auch angeben, wie die Aufga­ ben erledigt werden. Ich fühle mich sehr verantwortlich dafür. Wenn bestimmte Dinge nicht gehen, weil der Aufgabenanfall sehr hoch ist, melden die Kollegen sich trotzdem krank oder machen ihren Bildungs­ urlaub. Ich muss sehen, wie die Aufgaben erledigt werden. Die Verant­ wortung ist eine andere, als wenn ich nur Mitarbeiterin wäre. Ich werde in bestimmte Aktivitäten nicht einbezogen. Wenn die sich untereinander treffen, finde ich es völlig in Ordnung, dass ich als Führungskraft nicht dabei bin. Ich habe freundschaftliche Bezüge zu Kollegen, aber keine Freund­ schaften. Jeder oder jede geht in seine Rolle. Ich verstehe mich als Teil eines Teams, das arbeitsteilig ist, nicht als besser oder schlechter. Da ist die Reinigungskraft genauso wichtig wie die Geschäftsführung. Jeder hat seine Aufgaben und muss im Rahmen seiner Kompetenzen und Ressourcen wirksam werden. Als Leitung habe ich eine Verant­ wortung für das Gesamte und fürs Steuern der Prozesse. Früher war ich ein Macher und habe die anderen überrollt. Wenn ich eine gute Idee hatte, habe ich gedacht, die anderen müssen es auch toll finden. Da hatte ich den einen oder anderen Lernerfolg, dass das so nicht funktioniert. Jetzt versuche ich, mich zurückzunehmen. Damit verbinde ich natürlich eine höhere Verantwortlichkeit für das Thema. Für mich ist es weniger Arbeit, denn wenn ein Vorschlag kommt, sage ich: »Super, gerne umsetzen.« In unserem Führungsbild sind Themen wie »Kommunikation auf Augenhöhe« enthalten, was meint, dass nicht Hierarchie, sondern das beste Ergebnis wichtig ist. Schon bevor ich Vorstand wurde, habe Autorität gewinnen

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ich das Thema »Kultur der Zusammenarbeit« übernommen. Welches Bild haben die Menschen? Es hat mit Verantwortung und einander wertschätzen zu tun, aber auch mit gemeinsam streiten. Es geht um das Teilen von Wissen und das gemeinsame Arbeiten  – also wirklich zusammenarbeiten. Wir wollen noch stärker weg von Organisations­ einheiten und von Hierarchiedenken. In der Mitte steht: Haltung ver­ bindet. Führung ist eine Frage der Haltung. Wenn man Menschen fragt, findet man unterschiedliche Worte, aber in unserer gemeinsamen Kultur verstehen wir unter der rich­ tigen Haltung wahrscheinlich alle im Großen und Ganzen dasselbe, wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Menschlichkeit und Übernahme von Verantwortung. Das sagen viele in der Organisation. Natürlich gehört dazu, meine Leistung zu bringen und dafür zu sorgen, dass wir die Kunden gut betreuen. Ich musste erst einmal lernen, Grundlagen klar auszusprechen: Haben wir dieselben Werte? Das finde ich toll, nicht zu definieren, was Haltung ist, sondern zu sagen, dass Haltung verbindet. Immer wieder muss man fragen, was das heißt. Auf den Punkt kann man immer wieder kommen, wenn man in der Diskussion das Gefühl hat, hier geht es nicht mehr um die Sache. Dann kann man fragen: Entspricht das unseren Werten? Der Begriff »autoritär« ist für mich nicht positiv besetzt. Es muss Regeln geben und gewisse Klarheit, aber unterm Strich geht es mir immer um die Frage des Respekts, zwischenmenschlich, aber auch in der Führung. Es gibt Hierarchie, aber es gibt auch heterarchisch geführte Teams, in denen es keine Führung in dem Sinne gibt. 12 Und spätestens da geht es um Respekt, Verständnis für andere Einstellun­ gen und um Akzeptanz für das, was wichtig ist. Autorität habe ich dadurch, dass ich auf Augenhöhe agiere, unbe­ queme Sachen klar anspreche und im Zweifel auch entscheide. Als Personal­verantwortliche muss ich natürlich auch Leute aus dem Unter­ nehmen entfernen, wenn sie nicht zu uns passen. Das passiert aber 12 In heterarchischen Organisationen sollen anstelle von starren, hierarchischen Strukturen lose oder nur zeitweise enge Verknüpfungen von Akteurinnen und Akteuren entstehen. Abstimmungen erfolgen in einem wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis qua Übereinkunft oder Verhandlung zwischen prinzipiell gleichberechtigten und relativ unabhängigen Entscheidungsträgerinnen und -trägern (vgl. Reihlen, 1998, S. 12).

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nie ohne Respekt der Person gegenüber. Deswegen fühle ich mich respektiert und sehe mich als Autorität in diesem Kontext. Ich bin gewohnt, komplex zu arbeiten und zu denken. Das macht mir Spaß. Ich sitze mit Weltelite, mit Politikentscheidern zusammen. Und am nächsten Tag muss ich mich um Excel-Schulungen kümmern. Das bringt mich wieder auf den Teppich. Aber das ist natürlich auch sehr komplex und anstrengend. Wir müssen sehen, wie wir Komplexi­ tät reduzieren können. Da rappelt es auch mal, aber wir sind immer noch einander zugewandt und es bewegt sich. Das gemeinsame Ziel verbindet uns. Grundsätzlich ist meine Philosophie, dass ich bereit bin zu geben, ohne sofort zu nehmen. Ich versuche immer zu erkennen, wo jemand steht, was ihn beschäf­ tigt und was ihn interessiert. Und was sind meine Themen? Ist der bereit, meine Themen zu hören? Bekommen wir eine gemeinsame Ebene und eine Verbindlichkeit hin? Es kann ja auch eine Entwicklung geben. Bei einem Politiker zum Beispiel hat es Jahre gedauert. Am Anfang war er richtig aversiv. Er hat nur mit anderen geredet und mich nicht angeguckt. Wenn ich geredet habe, hat er immer so getan, als wenn er mich nicht versteht. Aufgrund meiner Sachkompetenz und der Kontinuität hat er irgendwann Vertrauen gewonnen und ist davon aus­ gegangen, dass ich ihn in seinem Ego lasse und nicht so eine Aktivistin bin, die ihm schadet. Ich habe ihn immer als Menschen behandelt, auch wenn ich gesagt habe, wenn ich etwas anders sehe. In der Öffentlich­ keit wurde er auf eine Weise angefeindet, dass ich mich fremdgeschämt habe. Ich habe mir gesagt: Der hat die Funktion in der Partei, in der er für uns fachlich zuständig ist. Wir müssen einen Weg finden, mit­ einander klarzukommen. Ich habe mich nicht dazu hinreißen lassen, jemanden zu entwürdigen, indem ich ihn abwerte. Das merken Leute, wenn man sie verachtet. Natürlich gibt es auch Leute, von denen ich nicht viel halte. Dann sage ich mir: Wir müssen miteinander arbeiten und wir müssen eine Ebene finden. Dies und jenes geht. In der Führung kommt es einem zugute, wenn man eine gewisse Toleranz mitbringt, Dinge nicht zu persönlich nimmt und sich nicht allzu schnell auf den Schlips getreten fühlt, sondern Zweifel zulässt und die Redebereitschaft aufrechterhält. Das erlebe ich bei Frauen öfter. Ich habe gelernt, dass man manchmal Dinge einfach stehen lassen muss – einfach gucken, was kann ich davon gebrauchen und was geht Autorität gewinnen

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gar nicht? Man wird gelassener: Nicht mehr jedes Problem, das da steht, muss sofort gelöst werden und muss auch nicht für alle Seiten gelöst werden. Ich muss für mich entscheiden, in welche Richtung es geht und was das Wichtigste ist. Das muss ich dann durchsetzen. Die anderen Sachen bleiben widersprüchlich, ambivalent. Die sind einfach da, und manchmal muss man sie erneut ansprechen. Aber man kann nicht das ganze Haus einreißen und wieder neu bauen. Man muss Zimmer für Zimmer sauber machen und dann kann man weitersehen. Man muss natürlich für sich entscheiden, welche Form der Unaufgeräumtheit man für die jeweilige Aufgabe ertragen kann. Es ist sehr wichtig, dass man ganz klar sieht, wo es nicht weitergeht und wo man ran muss. Der Inhaber wollte mich nicht haben und war nicht begeistert, dass ich komme. An meinem ersten Tag wurde ich in sein Büro geführt und der erste Satz, den er zu mir sagte, war: »Warum haben wir Sie eigentlich eingestellt  – sind Sie überhaupt in der Lage, das hier zu machen?« Und ich habe geantwortet: »Ich wurde eingestellt, um hier Organisation und Struktur reinzubringen, und das kann ich.« Da hat er mich angeguckt und gesagt: »Das ist ja prima, dann setzen wir uns mal.« Das war unser Auftakt. Ich war in einem Finanzausschuss, in dem nur Männer mit schwar­ zen Anzügen und weißen Hemden sind. Die haben immer zu mir gesagt: »Wenn wir uns ganz gewaltig verknotet haben, dann melden Sie sich zu Wort und lassen Sie uns mal lachen.« Vielleicht ist es das: dass ich nicht so verkniffen an die Sache herangehe.

Balance zwischen Aufgaben- und Personenorientierung Ich leite einen bestimmten Bereich und habe damit eine Verantwort­ lichkeit für den Erfolg des Ganzen. Das ist ja kein Selbstzweck, sondern ein Wirtschaftsunternehmen muss natürlich Gewinne machen. Ich muss die Leute so leiten, dass sie bei größtmöglicher Zufriedenheit den maximalen Output liefern. Die Mitarbeiter bekommen von mir einen Arbeitsplatz und das Geld dafür. Sie bekommen von mir ein gutes Betriebsklima, wozu sie 76

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selber natürlich beitragen. Und sie bekommen von mir Anerkennung und Respekt, aber auch konstruktive Kritik. Sie geben mir dafür eine hohe Motivation zu arbeiten, auch über das geforderte Maß hinaus, sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Dadurch sind wir sehr erfolgreich und ich freue mich natürlich, insbesondere darüber, dass wir den Team­ gedanken leben und dadurch erfolgreich sind. Ich fühle mich in meiner Vision bestätigt, wie Führung funktioniert und mit Erfolg gekoppelt ist. In unserer Organisation schreiben wir uns ganz groß auf die Fahnen, dass wir einen Wandel zu einer anderen Kultur wollen. Dieser Kultur­ wandel geht in die Richtung, wie wir es in unserem Team leben, nur funktioniert Kulturwandel von oben nicht. Wenn innerhalb des Teams eine gute Beziehung ist, die Leute bereit sind, eine Extrameile zu gehen, Spaß am Job haben und sehen, dass sie sich entwickeln können, dann wird dieses Investment, das ich in diese Leute gebe, in der Wertsteige­ rung und Gewinnmaximierung im Unternehmen viel, viel stärker zum Ausdruck kommen, als wenn nur fachlich mit denen gesprochen und geguckt wird, dass jede Stunde für den Mandanten aufschreibbar ist. Wir sind ein zahlengetriebenes und zahlengesteuertes Unternehmen, das auch aus Menschen besteht, und ohne die können wir unseren Job nicht machen. Ich mache die Dinge nicht, weil sie mir immer am Herzen liegen, sondern weil ich eine bestimmte Rolle innehabe. Das impliziert, dass ich unternehmerische Belange im Auge haben muss, auch wenn ich das persönlich vielleicht nicht immer toll finde. Aufgabe einer Führungs­ kraft ist es, dem Team diese unternehmerischen Belange deutlich zu machen. Ein Unternehmen ist nicht dazu da, dass es jedem Einzelnen super geht, sondern es muss immer das Gemeinwohl angeschaut werden und es muss sich unterm Strich für das Unternehmen rech­ nen. Gerade wenn das Gemecker zu groß wird, muss man eine andere Perspektive reinbringen. Man muss die Balance halten zwischen den Aufgaben, die erledigt werden müssen, und den Belangen der Leute. Man wird nicht schwä­ cher, wenn man darauf Rücksicht nimmt. Ich will die nicht kaputt und krank machen, aber meine Rücksichtnahme auch nicht ausnutzen lassen. Am Anfang war ich jünger als meine Mitarbeiter und habe mich mit dem Delegieren schwergetan. Inzwischen spreche ich die Leute an und in der Regel machen die das. Ich sage: »Führen Sie heute bei der Autorität gewinnen

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Besprechung bitte Protokoll! Ich weiß, dass Sie keine Lust dazu haben, aber jetzt sind Sie dran. Sie sind nun mal der Jüngste. Ich musste das auch machen.« Und immer bedanke ich mich, wenn es gut ist. Ich gebe ihnen den größtmöglichen Freiraum, den sie brauchen, privat und Beruf zu vereinbaren, und zwar in einem Rahmen, den das Unternehmen so nicht vorgibt. Es gibt keine Gleitzeit und keine Über­ stunden, sondern feste Arbeitszeiten. Drei Monate nachdem ich hier angefangen hatte, sind wir in ein anderes Gebäude gezogen und waren damit aus dem Blick der obersten Führungsebene. Und das war für die Mitarbeiter und für mich gut, weil ich ihnen Dinge zugestehen konnte, solange die Arbeit läuft, ohne dass jemand sagt: »Was machst du da eigentlich?« Die oberste Prämisse war immer: Du kannst zu Hause arbeiten oder heute später kommen, aber sieh’ zu, dass du deinen Kram schaffst. Wenn von vier Leuten im Team drei am Brückentag in Urlaub wollen, geht das nicht. Sie müssen sich untereinander einigen, wer bleibt. Das hat eine gute Arbeitsbalance geschaffen. Die durften eine ganze Menge. Auf der anderen Seite bin ich oft dienstlich unter­ wegs und brauche Leute, die im Büro sitzen und ans Telefon gehen, wenn ich anrufe. Sie rufen immer zurück, wenn sie gerade nicht können. Wenn etwas fertig gemacht werden muss, bleiben sie länger, wenn sie es einrichten können. Das ist ein Geben und Nehmen und es hat sich gut eingespielt, ohne dass es schriftliche oder Homeoffice-Regelungen gibt und ohne dass sich jemand benachteiligt fühlt.

Den Rahmen gestalten Ich höre den Menschen zu und dafür erzählen sie mir eine ganze Menge. Mein Ziel ist – und das ist natürlich mein Bild von positiver Autorität und positiver Führungskraft  –, den Menschen einen guten Rahmen und so viel Orientierung zu geben, wie sie benötigen, damit sie gut arbeiten, gute Arbeitsergebnisse liefern und sich selbst in ihrer Arbeit gut entwickeln können. Den Rahmen würde ich auch als Sicherheit beschreiben: Ihr könnt selber ausprobieren. Wenn etwas schiefgeht, habt ihr meine Rückendeckung. Das Gesetz ist der Eckpunkt und die Moral ist der Bewegungsspiel­ raum, also die Kultur. Manches ist am Arbeitsplatz natürlich nicht ver­ 78

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handelbar. Man könnte in den Diskurs gehen, welche Verhaltensweisen denn für die Arbeit notwendig sind. In manchen Situationen sind mehr Toleranzbereiche gegeben als in anderen. Ich bin zwar die Leiterin, ich habe aber von vornherein gesagt, dass ich nicht in jedem Prozess im Detail drinstecke. Es gibt Leiter, die sind die besten Experten im Team und geraten dadurch irgendwann in einen Burn-out, weil sie sich für alles zuständig fühlen und nicht delegie­ ren können. Wenn man die ganze Zeit Ad-hoc-Probleme löst, also nur versucht, Feuer zu löschen, und nie die strategische Komponente bedienen kann, dann kann das nicht funktionieren. In meiner Rolle als Führung schaue ich, wie wir trotz hohem Druck weitermachen, welche Unterstützung wir uns holen können, mit wem wir Gespräche brauchen und wo wir uns einbringen. Ich sehe mich eher als Unterstützer. Die Mitarbeiterinnen können gerne zu mir kommen, und wenn ein Problem an Co-Partnern und Stakeholdern hängt, dann bringe ich mich gerne ein und sorge dafür, dass wir an einen Tisch kommen und Lösungen finden, aber ich bin nicht für ihre operativen Probleme zuständig. Die müssen sie selber lösen oder schauen, wie sie sich behelfen können. Zur Leitung gehört die Fähigkeit, in Systemen zu denken – voraus und zur Seite zu blicken: Was kann passieren, wenn ich einen Schritt tue? Ich gebe den Leuten Information, Orientierung, Rahmen, Sicherheit und Zuversicht, wenn ich zwei, drei Schritte voraussehe. Ich bin immer zufrieden, wenn es tatsächlich so eintritt und ich sagen kann: »Das war mir von vornherein klar und wir haben schon die Weichen gestellt.« Ich hatte immer viele Ideen und fand viele Sachen interessant und die Kollegen sind immer mitgegangen und haben die Dinge umgesetzt. Wenn ich eine Idee für ein tolles Projekt habe, mit dem man eine Situa­ tion verbessern kann, und die Kollegen springen darauf an und steuern eigene Ideen bei, kommt im gemeinsamen Geben und Nehmen Zug um Zug etwas dabei rum. Ich lege immer Wert auf Routinen. Als ich in den Vorsitz gewählt wurde, bin ich regelmäßig nach Berlin gefahren und habe alles Not­ wendige mit den zwei Geschäftsführern besprochen. Mein Vorgänger führte Gespräche am Telefon, mal mit der einen, mal mit dem anderen. Bei mir war klar: Mittwochs alle 14 Tage ist sie in Berlin und dann kann man das und das bereden. Dann bin ich auch innerlich da und muss mich nicht erst sortieren. Autorität gewinnen

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Wenn man aus einem überstrukturierten Unternehmen kommt, bringt man Erfahrung mit Routinen mit. Wir haben einmal in der Woche einen Jour fixe. Bis neun Uhr sollte man da sein, und wenn nicht, Bescheid sagen. Den Urlaub sollen sie absprechen, bevor sie zu mir kommen. Das war vorher ganz schlecht oder gar nicht geregelt. Das gehört zu einer normalen Unternehmensstruktur dazu, den äußeren Rahmen abzustecken, ohne alles ins Klein-Klein zu organisieren. Ich hoffe immer noch, in den letzten 25 Jahren meines Berufslebens einen Job zu finden, der zwischen den zwei Polen liegt – ein bisschen geregelt, aber noch ein bisschen Freiheit, Herausforderung, aber nicht Dauerstress. Keine Ahnung, ob es so etwas gibt. Von mir wird gar nicht erwartet, dass ich an meinem Schreibtisch erreichbar bin. Ich bin viel unterwegs und die Mitarbeiter wissen, dass sie mich immer anrufen können, und wenn ich nicht rangehe, dann rufe ich zurück. Das sind ungeschriebene Gesetze. Und das geht auch in die andere Richtung. Der Output, den die Mitarbeiter im Homeoffice bringen, ist kein anderer, als wenn die im Büro sitzen. Und damit ist die Pflicht zur physischen Präsenz aufgehoben. Das gibt nicht jeder Job her. Ich habe gedacht, dass es durch das virtuelle Arbeiten mit der Autorität schwieriger wird, aber die Kollegen haben mir gespiegelt, dass ich zu Hause viel greifbarer bin als vorher, weil ich nicht so viel unterwegs bin. Die schreiben: »Da liegt noch etwas, das müsstest du heute angucken, das muss raus.« Wir sprechen viel öfter miteinander als vorher – jeden zweiten Tag. Und dadurch tun sie die Dinge eher so, wie die Erwartungshaltung ist. Wir haben Formate gefunden, um über Distanz Nähe zu erreichen. Ich habe versucht, mich zurückzuhalten, was mir nicht immer leicht­ fällt, und habe gefragt, was fehlt euch, was braucht ihr, damit ihr nicht das Gefühl habt, isoliert zu sein? Das haben wir gesammelt und das meiste davon umgesetzt. Das Team geht normalerweise mehr oder weniger geschlossen zum Mittagessen. Wenn wir zu Hause arbeiten, trinken wir täglich um halb zwei virtuell Kaffee. Da geht es nicht um den Job, sondern um alles andere, wie bei einem Kaffeeplausch. Wir machen auch virtuelle After-Work-Partys mit immer unterschiedlichem Motto. Das macht es für sie wertvoll. Sie lieben die Menschlichkeit – dass es nicht nur um fachliche Gespräche geht und wie wir unseren 80

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Gewinn maximieren können, sondern dass das Interesse am Menschen bei allen Beteiligten im Team vorhanden ist. Es sind vornehmlich die Beziehungen, die ausmachen, dass die Menschen bereit sind, auch mal eine Extrameile zu gehen. Eine neue Mitarbeiterin hat geschrieben, sie findet es so toll, dass wir eine sehr offene Kommunikationskultur haben, selbst über die Entfernung  – sie ist bisher rein virtuell dabei. Sie findet es toll, wie das Team zusammenhält, wie man sie aufgenommen hat, dass sie bei Fragen immer Ansprechpartner hat, dass sie sich als vollwertiges Team­ mitglied anerkannt und total integriert fühlt und dass wir es schaffen, unsere Leute alle so einzubinden. Ich mache alle zwei Monate mit jedem Teammitglied eine Stunde Vieraugengespräch, damit ich ihre Perspektive mitbekomme und weil ich mit ihnen operativ nicht so viel zu tun habe. Und ich will erst ein­ mal verstehen, wie sie funktionieren. Einige Mitarbeiter haben bis­ lang noch nie regelmäßige Mitarbeitergespräche gehabt, und neulich habe ich von einer Mitarbeiterin die Rückmeldung erhalten, dass sie gar nicht wisse, was ihr das bringen soll. Ich finde, dass es wichtig ist, dass wir überhaupt eine Beziehung aufbauen und dass wir wissen, was wir voneinander erwarten, selbst wenn es ihr im Moment nichts bringt. Ich habe versucht, ihr das deutlich zu machen, und zum Schluss hatte ich tatsächlich den Eindruck, dass es wichtig war. Mittlerweile geht es besser. Es ist nicht immer einfach, aber der Kontakt ist da und die Beziehung wächst. Ich schreie nicht Hurra, aber es ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Von den siebzig Leuten in der Abteilung habe ich mit 14 Team­ leitern und Teamleiterinnen regelmäßig Kontakt. Sie berichten direkt an mich. Ich nehme mir auch Zeit, mit den Teams in Kontakt zu sein, natürlich nicht so eng, da würde ich mich ja verzetteln, aber ich sehe die Leute regelmäßig und wir machen Abteilungsversammlungen und Abteilungsklausuren, zu denen alle zusammenkommen. Ich versuche den Leuten zu zeigen, dass ich ihre Arbeit schätze. Wir hatten eine Putzfrau, die psychisch sehr angeschlagen war und über die geredet wurde. Da habe ich im Mitarbeiterkreis darüber gesprochen, wie wir miteinander umgehen. Das finde ich ganz wichtig. Es hat etwas mit Kultur, mit Respekt zu tun.

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Transparenz und Offenheit Es ist gut, wenn man es schafft, den Leuten zu vermitteln, warum bestimmte Dinge gemacht werden müssen oder warum man sich zu einer bestimmten Entscheidung durchgerungen hat. Ein Vorgesetzter hat mir ganz viele Dinge vorenthalten. Ich war gerade drei Wochen da, als er in Urlaub fuhr und es ein akutes Problem zu lösen gab. Die Informationen, die ich dazu brauchte, hatte ich nicht bekommen, und das hat mich sehr gestört. Für mich ist Transparenz total wichtig. Ich versuche, alle mitzuziehen, indem jeder Zugang zu vielen Informationen hat und verstehen kann, warum bestimmte Dinge wichtig sind. Ich glaube, dass Motivation und Verantwortungsgefühl gesteigert werden, wenn die Mitarbeiter die Zusammenhänge verste­ hen. In meiner Abteilung haben alle Mitarbeiter Zugang zur relevanten Post, mit Ausnahme der Personalsachen natürlich. Ich versuche, darü­ ber einen Teamgeist zu schaffen. Wenn zum Beispiel kurz vor Feier­ abend ein dringender Fall reinkommt, dann kann man ja so tun, als hätte man das nicht gesehen, und geht nach Hause. Man kann aber auch noch Bescheid sagen. Ich wende Macht an, wenn ich etwas entscheide, ohne mich zu rechtfertigen oder zu erklären. Wenn jemand das für Quatsch hält, muss er es trotzdem machen, einfach weil ich es sage. Ich kann es wieder auflösen, indem ich es transparent mache. Wenn ich merke, wir sind mit der Arbeit extrem im Hintertreffen, dann kann ich im Meeting sagen: »Diese Woche muss jeder zwanzig Steuererklärungen machen.« Ich kann das untermauern, indem ich transparent mache, dass diese Arbeit lange liegt und der Kunde unzufrieden wird. Ob sie es dann mit Lust machen, weiß ich nicht, aber die Chance, dass die Leute das nicht als Machtmissbrauch ansehen, ist deutlich höher. An mich werden Erwartungen gerichtet, die ich erfüllen muss, und das gefällt nicht jedem, aber ich versuche, durch möglichst viel Trans­ parenz und viel Information – manchmal auch Informationen, die noch nicht wirklich spruchreif sind – den Leuten das Gefühl zu geben, dass ich sie ernst nehme und dass ich ihnen vertraue. Ich habe nicht viel Widerstand, weil ich versuche, Transparenz in meine Entscheidungen zu bringen. Es kann sein, dass ich etwas alleine entscheide, weil Zeitdruck da ist und diese Entscheidung her 82

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muss. Aber ich versuche immer, transparent zu machen, wie ich zu der Entscheidung gekommen bin. Für die Leute ist es dann einfacher, dahinterzustehen. Ich sage ihnen, dass ich nicht erwarte, dass sie jede meiner Entscheidungen gut finden und mittragen müssen, so wie ich auch nicht jede Entscheidung des Vorstands gut finde, sie aber in meiner Rolle mittrage, solange ich die mehrheitlichen Ent­ scheidungen gut finde. Wenn das nicht so ist, muss man über etwas anderes sprechen. Es hat viel mit Kommunikation und mit Wertschätzung zu tun, mit Zuhören, damit, fair und respektvoll miteinander umzugehen. Auf der anderen Seite muss man durchaus Entscheidungen fällen und Konflikte eingehen können, wenn es notwendig ist. Man sollte nicht den Mantel des Schweigens über Dinge decken oder so tun, als wenn alles bestens wäre, wenn nicht alles bestens ist. Wenn es Konflikte gibt, fällt man eine Entscheidung und steht dazu – und erklärt sie. Im Unternehmen ist es manchmal einfacher, denn da geht es um Gewinn, und wenn der nicht stimmt, muss etwas getan werden. Wir sind eine Stiftung, die mit öffentlichen Geldern arbeitet, aber wir haben trotzdem Unternehmensziele und müssen manchmal Entscheidungen treffen, die nicht leicht sind. Da ist es wichtig, dazu zu stehen. Bei uns gab es früher mal eine Kultur, dass Entscheidungsträger sagten, wir könnten etwas nicht machen, weil der Betriebsrat oder andere es nicht wollten, obwohl es eigentlich die Entscheidung der Geschäftsführung war. Man sollte sagen, aus welchen Gründen man eine bestimmte Posi­ tion vertritt. Die Mitarbeiter verstehen das. Das ist sehr, sehr wichtig, da transparent zu sein. Wenn die Veränderungen deutlich werden, führt das vielleicht auch zu einer größeren Akzeptanz in meine Richtung. Achtzig Prozent des Teams wissen genau, warum das nötig war. Wir haben viel umorganisiert, weil die Komplexität sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Leitungskräfte zu groß war. Dann geht natürlich etwas an Beteiligtsein verloren. Das versuche ich mit den Lei­ tungsmitarbeiterinnen wiederherzustellen, indem wir es untereinander pflegen, also Bühnen dafür schaffen. Wir haben zum Beispiel jeden Monat interne Mitteilungen, in denen sich jeder profilieren kann oder, wenn er etwas liest oder hört, andere kontaktieren und fragen kann, wie die das machen und ob sie sich nicht vernetzen wollen. Autorität gewinnen

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Meine Mitarbeiter würden mich als eine beschreiben, die klar Ent­ scheidungen treffen, ganz schön kritisches Feedback geben und ihre Sachen durchsetzen kann. Ich gebe den Menschen Rückmeldung zu dem, was sie tun, gerne und häufig natürlich positive, denn wir wären als Organisation nicht so erfolgreich, wenn unsere Mitarbeiter und Mit­ arbeiterinnen nicht in der Regel einen richtig guten Job machen würden. Aber auch ein ehrliches, kritisches Feedback gibt Sicherheit. Ich bin jetzt seit drei Jahren in dieser Rolle und arbeite hier mit anderen Men­ schen zusammen als vorher. Die waren anderes gewohnt und mussten mich kennenlernen. Immer, wenn ich etwas gesagt habe, haben sie hinterfragt, ob ich das wirklich so meine oder ob ich nicht doch unzu­ frieden bin. Sie haben sich vorher schon verteidigt oder abgesichert. Und ich habe ihnen deutlich gemacht, dass ich das gesagt hätte, wenn ich etwas kritisch gesehen hätte. Wenn ich mal früher gehe, sage ich immer, warum ich früher gehe, und wenn es nur ist, weil ich heute mal früher gehe. Ich mag es gern, dass man kommuniziert, warum etwas so ist. Und das machen die genauso. Ich sage auch mal: »Ich bin nicht so fit, ich habe schlecht geschla­ fen«, damit die Mitarbeiter das einordnen können. Autorität gewinne ich durch Ehrlichkeit und Transparenz – auch mal zugeben, dass man auf Hilfe angewiesen ist oder falsch liegen kann. Im Beruf kann ich gut einschätzen, was ich alleine schaffe und wo ich Hilfe brauche, und die kann ich mir auch holen. Ich bin mir nicht zu fein, um Hilfe zu bitten, und ich kann sehr gut artikulieren, was fehlt. Es hilft viel, wenn man dafür nicht zu stolz oder zu beschämt ist. Das führt schnell dazu, dass es Fortschritt, Lösungen und Verbesserungen gibt.

Vertrauen Ich arbeite sehr viel mit Vertrauen. Jeder, der für mich arbeitet, be­­ kommt grundsätzlich einen Vertrauensvorschuss. Bisher bin ich damit auch sehr gut gefahren, denn die Fälle, in denen das enttäuscht wurde, sind sehr wenige. Ich habe erst einmal allerhöchstes Vertrauen in die Leute. Bis das enttäuscht wird, das braucht eine Weile. Die Kolleginnen wissen, ich bin da und sie haben Freiräume, wann, wie und wo sie arbeiten. Da 84

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muss schon ein Personalleiter kommen und sagen: »Hier läuft’s ja gar nicht mehr«, bis ich mich dahinterklemme. Ich würde immer denken, die kriegen das alleine hin und wissen, was von ihnen erwartet wird. Ich glaube, die Mitarbeiter finden mich nett, sie haben viel Vertrauen zu mir. Das sehe ich daran, was sie an mich herantragen, manchmal sogar ein bisschen zu viel. In Zukunft würde ich mich sicherlich besser abgrenzen, mich nicht so tief reinziehen lassen in die Details, weil es einen schon mitnimmt. Mein Chef sagte neulich, unser Führungsteam sei ihm fast schon zu harmonisch und dass wir extrem viel Rücksicht aufeinander nehmen. Aber das schafft ja Vertrauen und Redebereitschaft. Mein Anliegen ist es, sich nicht auf Fachlichkeit zu beschränken, sondern zu versuchen, ein Teamgefühl aufzubringen. Als Führungskraft ist man auf die Leute angewiesen, die einem auch mal Rückmeldung geben, entweder im Sinne von »Was ist denn mit dir los? In dem Gespräch warst du ganz schön emotional«, was man mög­ licherweise gar nicht mitbekommen hat. Oder es braucht eine Rück­ meldung in dem Sinne »Es gefällt mir gerade nicht, wie wir das machen«. Dafür brauche ich eine Vertrauensbasis oder zumindest das Wissen der Leute, dass sie so etwas sagen dürfen, ohne dass ihnen etwas passiert. Ich war immer sehr stolz auf Führungskräfte in meinem Team, die teilweise sehr frisch in dem Job waren und sich trotzdem schnell kri­ tische Gespräche zugetraut haben. Mir war immer wichtig, dass sie – wenn sie es wollten – von ihren Situationen und dem, was sie umtreibt, erzählten und wir gemeinsam überlegt haben, wie man damit umgehen kann. Auch wenn das keine schönen Erfahrungen sind, gehören die einfach zu dem Geschäft. Ich habe angeboten, bei so einem Gespräch dabei zu sein. Die meisten wollten das aber erst einmal alleine ver­ suchen. Und sie sind dabei stark gewachsen, weil sie gemerkt haben, dass sie das können. Ich habe hinter ihnen gestanden. Ich fand es toll, wenn ich in solche Überlegungen einbezogen war. Die meisten haben es mir gesagt, wenn es eine brenzlige Situation gab, damit ich Bescheid wusste, wenn etwas hochgekocht ist. Wenn man neu ist in so einer Position, dann braucht man jemanden, bei dem man das abladen kann und erfährt, er oder sie hat das selber schon erlebt und war dabei auch nicht erfolgreich. Das muss nicht immer alles super laufen, man kann auch Fehler machen. Autorität gewinnen

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Die Mitarbeitenden bekommen von mir Wertschätzung und sie geben mir Vertrauen, dass ich das Richtige will für die Abteilung. Wenn sie Fehler gemacht haben, sagen sie es mir. Das ist mir natürlich lieber, als wenn sie es nicht tun. Ich habe versucht, den Mitarbeitern Sicherheit für ihr Tun zu geben, Rückendeckung auch für Nachfragen. Eine neue Mitarbeiterin hat mich gebeten, in ihre Gruppe zu kommen, weil sie jemanden haben wollte, der nicht Dienst- und Fachvorgesetzter ist, sondern der menschlich auf ihre Sachen guckt. Da bin ich hingereist und habe ein ganzes Wochen­ ende an dieser Tagung teilgenommen. Die Mitarbeiter wünschen sich Feedback und: Wie können wir es anders machen? In der anderen Abteilung muss sehr viel mehr über den Schreibtisch des Abteilungsleiters gehen. Sie müssen sich viel mehr absichern, aber gleichzeitig ist weniger geregelt. Bei mir ist es mehr delegiert und die Referatsleitungen haben mehr Kompetenzen. Ich muss den Leuten sagen: »Ich vertraue euch, so wie ihr das macht.« Eine Referatsleiterin, die in der Region gelebt hat und die Sprache spricht, hat sowieso mehr Fachwissen als ich. Unser Verhältnis muss so sein, dass sie weiß, wann sie zu mir kommen und fragen muss. Ihre fachlichen Dinge muss sie selber regeln und entscheiden. Mir ist wichtig, dass ein Grundvertrauen da ist und die Beziehung grundsätzlich funktioniert. Dann kann der andere auch Fehler und Sachen nicht gut machen. Wenn man sich zum Beispiel von den Vor­ gesetzten nicht gut informiert fühlt und Termine ständig verschoben werden, finde ich das wenig wertschätzend. Allerdings lassen sich manche Dinge tolerieren, wenn man im Grundsatz Vertrauen in die Führungskraft und ihre Arbeit hat und davon ausgehen kann, dass sie die Organisation bereichert. Das ist ausschlaggebend dafür, dass sie bestimmte Sachen nicht gut machen darf. Es gibt Geschäftsführer, die werden von ihren Mitarbeiterinnen an der Nase herumgeführt, ohne dass sie es merken. Das ist eine sub­ tile Macht. In einem Fall arbeitet eine Frau dem Geschäftsführer zu. Ich halte sie nicht für fachkompetent, sie tut aber so, als ob sie es wäre. Sie hat eine Arbeit nicht erledigt und er hat das nicht gewusst. Ich gehe teilweise zu sehr in die Details, weil ich die Sache verstehen will, aber ich will nicht vorgeführt werden, weil eine Mitarbeiterin ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Man kann nicht alles wissen und 86

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muss sich verlassen können. Kontrolle geht auch zu weit. Das ist eine Gratwanderung. Ich möchte mich verlassen können, damit ich nicht vorgeführt werde. Das Risiko ist geringer, wenn die Kollegen wissen, dass man es von der Pike auf kann. In den letzten drei, vier Jahren wurde nicht mehr offen kommuniziert, es wurde gemauert und Dinge wurden versteckt. Manchen gegenüber habe ich jetzt Misstrauen und ich gehe davon aus, dass es nicht läuft. Aber die ganzen Jahrzehnte konnte ich mich immer darauf verlassen, dass wir nicht gegeneinander arbeiten. Deswegen versuche ich jetzt, die Organisation so umzustellen, dass ich ein Setting habe, in dem ich Vertrauen haben kann.

Nahbar und auf Augenhöhe Für mich steht völlig außer Frage, dass ich mich dem Grunde nach auf Augenhöhe mit jedem bewege, mit dem ich spreche, ob das der Vor­ stand ist oder meine Sekretärin oder ein Praktikant. Menschen, die mich nicht kennen, trauen sich aufgrund meiner Rolle nicht, mir zu widersprechen. Da kann ich mich verhalten, wie ich will, denn an der Funktion wird etwas festgeschrieben: Man hat gelernt, dass man dem Vorstand nicht widersprechen darf. Als Vor­ stand bekommt man fast nur positive Resonanz. Aber  – und das ist weiblicher und das versuche ich zu leben – ich bin einfach nahbarer. Wer mich kennt, traut sich inzwischen, mir zu widersprechen. Mir ist das Thema »Hierarchie, Rangordnung« unwichtiger  – ich glaube, das ist weiblicher. Ich bin in Gesprächen ergebnisoffener. Ich höre ganz bewusst zu, was die anderen sagen, was sie denken und was sie für Vorschläge haben, weil ich etwas ändern will. Wenn ich überall die Ranghöchste sein muss, dann darf ich nicht so viele Empfehlungen annehmen. Ich muss ja zeigen, dass ich es besser weiß. Das ist unser altes Bild von Autorität. Ich hoffe vor allem, dass meine Mitarbeiter mich ehrlich erleben. Ich glaube, sie würden mich als nahbar, wirklich ansprechbar und ehr­ lich beschreiben, also nicht nur gespielt. Viele Rituale und Symbole sind ja Distanz schaffend. Die Vorstandsetage schafft Distanz und das stört mich. Das ändere ich dadurch, dass ich schon an der U-Bahn die Autorität gewinnen

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Kolleginnen und Kollegen treffe und wir dann zusammen ins Büro lau­ fen. Ich gehe viel durchs Haus. Wenn ich mit jemandem sprechen will, gehe ich zum Teil ganz bewusst einfach los und hoffe, dass er da ist. Am Anfang war das für die Kollegen erschreckend in dem Sinne: »Oh, ist was passiert, der Vorstand kommt vorbei!?« Inzwischen freuen sie sich und sagen: »Frau X geht mal wieder über den Flur.« Auf dem Weg treffe ich viele Kollegen, die mir etwas sagen. Das ist meine Möglich­ keit mitzubekommen, was in der Organisation wirklich los ist. Dadurch, dass die Menschen mich als nahbar und ehrlich wahrgenommen haben, bekomme ich vieles ehrlich erzählt, auch wenn es immer eine gewisse Selektion bleibt. Ich mache mir meinen Kaffee selber. Das ist eine Möglichkeit, an der Maschine mit den Kolleginnen zu sprechen, die gerade da sind. Solche kleinen symbolischen Dinge sind mir wichtig. Wir sind nicht mehr in einer Welt, in der die Assistentin den Führungskräften alles hinterher­ trägt, das ist total unmodern. Es wird trotzdem teilweise so gemacht. Alle sagen immer: »Mensch, es ist ganz anders als früher.« Es gibt noch eine weitere große Abteilung, die wird von einem Mann geführt. Es ist da hierarchischer und weniger transparent. Das fängt schon äußerlich an. Bei mir ist es zum Beispiel so, dass jeder in mein Zimmer kommen kann. Es gibt die Möglichkeit, über das Vorzimmer zu gehen, es gibt aber auch eine Tür, die direkt in mein Zimmer führt. Natürlich sollen nicht permanent Leute bei mir reinplatzen. Ich möchte aber trotzdem, dass es möglich ist. Bei meinem Kollegen in der anderen Abteilung kann man nur durch das Vorzimmer zu ihm, weil er sagt: »Dann kommen ständig die Leute an, da werde ich wahnsinnig.« Das ist ein ganz anderes Signal: »Ich bin nicht direkt ansprechbar.« Wenn ich Termine habe oder wenn ich mich konzentrieren muss, geht das nicht, aber ansonsten lasse ich die Tür auf, weil ich in Kontakt bleiben will. Ich glaube, das schätzen die Leute. Es ist manchmal schon ein bisschen viel. Dann sage ich, sie sollen einen Termin machen, wenn sie etwas Längeres haben. Aber es hat sich eingependelt. Bei Frauen gehe ich schneller auf die persönliche Ebene. Wenn ich weiß, die hat ein Kind, dann spreche ich sie darauf an und frage, wie alt es ist. Bei Männern bin ich vorsichtiger, was informelle Gespräche angeht. Ich warte ab, was mir an Information gegeben wird, und dann fange ich etwas damit an. 88

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Mit Frauen komme ich viel schneller und einfacher ins Gespräch, es ist gleich eine ganz andere Ebene. Ich muss immer sofort lächeln. Mein persönlicher Ehrgeiz und meine persönliche Freude ist, wenn ich merke, dass sich auch meine männlichen Kollegen auf ein intensives Gespräch mit mir einlassen. Ich höre ihnen zu. Ich würde schon sagen, dass das weiblicher ist, diese Nahbarkeit, dieses Ansprechbarsein. In unserer Führungsleitlinie stand das Wort Wertschätzung. Dann kam eine große Reorganisation und danach war der Begriff der Wert­­schätzung total negativ besetzt. Es hieß: »Was hier passiert, ist etwas anderes, Wert­ schätzung ist eine Phrase.« Wir haben mit allen 14.000 Menschen einen wirklich umfangreichen Diskussionsprozess geführt. Und es war klar, Wertschätzung hat etwas von Hierarchien, geht von oben nach unten. Als Vorstand spende ich Wertschätzung an die Mitarbeitenden. Wir haben es ersetzt durch das Thema »Ich führe, ich kommuniziere auf Augenhöhe«. Es heißt, ich nehme dich, Sach­bearbeiterin Frau Möller, wahr und rede mit dir auf Augenhöhe, weil du deinen Job genauso engagiert machst wie ich meinen Vorstandsjob. Es geht darum, alle 14.000 Menschen in der Organisation, in ihrer Rolle und in dem, was sie leisten, zu schätzen und zu sagen, ihr macht euren Job gut. Natürlich gibt es auch die, bei denen es Probleme gibt, aber als Organisation sind wir erfolgreich. Wir sind kein hierarchieloses Unternehmen, aber wir wollen unabhängig von Hierarchie da zusammenarbeiten, wo es sinnvoll ist.

Diskutieren und entscheiden Dieses Von-oben-nach-unten-Durchgeben mache ich äußerst ungerne. Ich finde es schöner, wenn man gemeinsam bestimmte Vorgehens­ weisen entwickelt, weil es den Leuten mehr bringt, wenn sie hinter einer Entscheidung stehen, als wenn sie die nur aufgedrückt bekommen. Kleinere Entscheidungen treffen die Mitarbeiter selbst, bei größeren entscheide ich die zum Teil im Team. Ich verlasse mich sehr auf ihre Einschätzung, aber es gibt strenge und weniger strenge Mitarbeiter, wenn zum Beispiel die Höhe eines Bußgeldes festgelegt werden muss. Man muss versuchen, eine einheitliche Linie zu verfolgen. Dazu greife ich ein und bremse, denn keiner ist davor gefeit, dass er Leute nicht mag und deswegen strenger ist. Autorität gewinnen

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Jeder soll sagen, was er denkt, und seine Meinung begründen. In der Regel läuft das auf Augenhöhe. In Besprechungen höre ich erst einmal zu und fasse dann zusammen, was gesagt worden ist. Teilweise sind das sehr wichtige Hinweise. Nichts ist schlimmer, als wenn man alleine redet und die Mitarbeiter nicken nur oder verschränken ihre Arme und sagen nichts. Dann sage ich: »Sagen Sie doch mal was dazu!« Ich kann doch nicht alles überschauen, dafür ist der Laden zu groß. Man ist darauf angewiesen, dass man Informationen bekommt. Darum müssen die sich einbringen und mitdenken. Das tun sie nur, wenn sie etwas sagen dürfen. Wenn Leute neu sind, sind sie manchmal ein wenig verschüchtert, aber ich habe einen offenen Ton. Mit der Zeit tauen sie auf. Ich hatte mal eine Referendarin, die war sehr forsch. Da musste ich auch mal sagen: »Das geht so nicht.« Ich mochte sie gerne. Bei der Beurteilung habe ich gesagt: »Sie werden anecken mit der Art, seien Sie vorsichtig. Bei mir können Sie das machen, ich bin nicht so steif, aber wenn Sie an einen typischen Behördenmenschen geraten, kann das ins Auge gehen.« Wenn jemand mal vehement etwas einfordert, kann man sagen: »Das geht jetzt nicht«, und das begründen. Ich sage offen, wenn ich etwas nicht ändern kann. Dadurch machen die Leute mit und bringen sich ein. Ganz selten sage ich: »Es tut mir leid, ich entscheide das jetzt.« Ich diskutiere Sachen lieber aus. Schöner würde ich es finden, wenn die Leute in der Diskussion zu einem Ergebnis kommen und das dann mittragen. Zu lange diskutieren wir nicht. Teilweise erwarten sie, dass ich entscheide, wie sie in einer bestimmten Sache verfahren sollen, und die Verantwortung dafür trage. Manchmal schimpfen sie über ihre Kollegen und wollen, dass ich Partei ergreife oder schlichte. Bei banalen Fragen sage ich, dass sie sich selbst einigen müssen und die Hauptsache ist, dass sich jeder wohlfühlt. Das akzeptieren sie auch. Kann ich erwarten, dass ein Team von Mitarbeitern sich selbst organisiert, und wenn sie das nicht schaffen, sich selber Feedback geben? Ich bin der Meinung, dass das so sein sollte. Alles andere würde ich als Eingriff durch die Führungskraft empfinden, die ich mir selber zumindest nicht wünschen würde. Ich habe eine Zeitvorgabe für die Besprechungen eingeführt. Das fördert die Autorität. In der Vergangenheit habe ich das zu sehr laufen lassen, sodass alle genervt waren, wenn das zu lange gedauert hat. 90

Respektierte Autorität in der Praxis

Wer die Leitung hat, muss irgendwann an bestimmte Dinge einen Punkt machen und sie abschließen. Es geht nicht darum, meinen Stand­ punkt durchzuziehen, sondern eine Diskussion, eine Planung zu einem Ende zu bringen. Und auch, wenn man nicht zu einem Entschluss kommen kann  – es gibt ja Diskussionen um Projekte, in denen man sich dreht und dreht und nicht zu einem Ende kommt. Dann muss es jemanden geben, der sagt: »Leute, es geht oder es geht nicht. Wir machen es oder wir machen es nicht. Aber ich mache jetzt den Punkt.« Wenn es gut geht und man alle mitnehmen kann, ist es eine schöne Sache, aber man muss auch aushalten, dass man manchmal nicht alle mitnehmen kann. Jeder darf seine Meinung äußern und wird gehört, egal, ob das der Praktikant oder die Sekretärin ist. Man überlegt gemeinsam, ob das Sinn macht oder nicht. Das ist eine sehr offene Kommunikationskultur. Allerdings gibt es natürlich auch hierarchisch geprägte Situationen, wenn es um bestimmte Entscheidungen geht, die zu treffen sind. Dann geht es nicht um einen Konsens, sondern dann bin ich für bestimmte Dinge verantwortlich und muss schauen, dass sie laufen. Deswegen ist es eine Mischung aus beidem und das funktioniert für mich sehr gut. Ich darf mehr, kann mehr entscheiden und habe mehr Spielräume als andere, aber ich bin nicht der Mensch, der sagt: »Ich möchte es so und nicht anders.« Ich bin in dem Sinn keine autoritäre Autorität, dass ich Macht ausübe  – direkt durchregiere, anordne und sanktioniere, wenn etwas nicht passiert. Ich führe eher über Inhalte und Ziele und sage, was wir erreichen wollen. Wir orientieren uns am Ziel, überlegen verschiedene Methoden und schauen, ob sie gut gewählt sind. Jeder sollte die Freiheit haben, im Rahmen der geltenden Gesetze und der geltenden Regelungen seinen Weg zu finden. Ich stecke den Rahmen ab und sage: »Das sind die Faktoren, so würde ich es machen.« Und wenn jemand kommt und sagt: »Du hast das nicht bedacht« oder »Es gibt noch einen anderen Weg«, dann höre ich mir das an und justiere nach und gehe einen anderen Weg. Ich habe das Image, sehr teamorientiert zu sein. Es heißt, dass in unserer Abteilung die beste Atmosphäre herrscht. Mir wird nachgesagt, dass ich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehe und schätze, auch die, mit denen ich nicht direkt zusammenarbeite, und dass ich eine gute Managerin bin, dass ich Entscheidungen fällen kann und sie nicht Autorität gewinnen

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aufschiebe. Ich glaube, das wird sehr geschätzt, denn die Leute wollen auch ein bisschen Verantwortung abgeben, und dafür bin ich da, dass ich sage: »Okay, wir machen es jetzt so und nicht so.« Nur gute Atmo­ sphäre reicht nicht, sondern man muss die Balance finden zwischen Partizipation und Wertschätzung einerseits und dem Treffen von Ent­ scheidungen andererseits. Ich glaube, dass mir das ganz gut gelingt. Wenn man das erste Mal eine Führungsposition innehat, gelingt einem diese Gratwanderung nicht so, weil man denkt, dass man besonders autoritär auftreten oder sich immer durchsetzen muss. Natürlich sind sie nicht immer zufrieden mit allem, was ich mache, das ist klar. Jede Führungskraft löst mit ihren Entscheidungen natürlich auch Kritik aus und ich denke, dass ich die nicht immer erfahre, auch wenn wir eine relativ offene Atmosphäre haben. Manchmal gibt es auch Entschei­ dungen, die ich mittragen muss und die nicht gerade auf Gegenliebe stoßen, und wahrscheinlich denken sie dann, dass ich mehr hätte machen müssen. Man darf sich aber auch nicht jede mögliche Kritik zu eigen machen, denn dann kann man diese Entscheidungen nicht mehr fällen. Männer können das vielleicht manchmal etwas besser, nicht darauf zu achten, wie das ankommt. In einem Team gab es sehr fordernde Mitarbeiter. Da habe ich relativ schnell gemerkt, dass die einen richtig über den Tisch ziehen, wenn man denen den kleinen Finger reicht. Das war ein Prozess, zu erkennen, dass es nicht immer hilft, nur nett und kompromissbereit zu sein und so aufzutreten, dass wir immer eine Lösung finden. Wenn man sagte: »Das machen wir jetzt so, Ende des Gesprächs«, haben sie das viel besser angenommen, als wenn man gefragt hat, was sie vorschlagen. Das ist jedes Mal aus dem Ruder gelaufen, weil sie nicht zu einem gemeinsamen Konsens gekommen sind. Wir sitzen dicht beieinander und ich bekomme viel mit. Und dann höre ich, das läuft in eine gute Richtung. Die kommen nicht mehr so oft zu mir, und das finde ich total angenehm. In dem alten Team mit mehr als zwanzig Mitarbeitern gab es ein paar Kollegen, die keinen Teamleiter hatten und direkt bei mir dranhingen. Sie haben mir deutlich mehr Arbeit gemacht als die in den Teams, weil die mit jedem kleinsten Ding zu mir gekommen sind. Dafür sind andere Themen, die originär bei mir liegen, zu kurz gekommen. Es ist nicht immer gut, sich so tief einzufinden, weil es die Leute dazu animiert, nicht selbst zu entschei­ 92

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den oder Angst davor zu haben, Entscheidungen zu treffen. Das wieder umzudrehen, ist nicht einfach. Die Mitarbeitenden kommen ab und zu mit fachlichen Dingen, wenn kein Manager im Haus ist. Einige kommen zu mir, wenn sie das Gefühl haben, im Team stimmt etwas nicht und man müsste darüber sprechen. Wir sind gerade dabei, stärker zu fördern, dass sie mit Ideen kommen, wenn sie denken, da könnten wir etwas vorantreiben, etwas verbes­ sern und effizienter machen. Das Innovative soll noch stärker aus den Mitarbeitern sprudeln, aber in Ansätzen ist es schon da. Die Büroleitungen sind den Referatsleitungen unterstellt, aber mein Vorgänger führte trotzdem Personalgespräche mit den Büroleitungen alleine durch. Wenn die Abteilungsleitung Personalgespräche ohne die direkte Vorgesetzte mit der Büroleitung führt, können ja ganz wider­ sprüchliche Bilder entstehen. Das habe ich verändert, um meine Refe­ ratsleitungen zu stärken. Sie als unmittelbare Vorgesetzte müssen natür­ lich dabei sein. Das fanden die gut. Damit habe ich ihre Autorität gestärkt. Ich schätze die Referatsleiterinnen und -leiter sehr und weiß, was die können. Warum soll ich da im Detail in Entscheidungen involviert sein, die mit deren Fachkompetenz zu tun haben? Wenn eine Referatsleiterin anders entscheidet, als ich es entschieden hätte, dann muss ich damit leben, außer es widerspricht dem, was ich vorher gesagt habe, oder es widerspricht den Prinzipien der Organisation. Dann würde ich natürlich ein Gespräch darüber führen. Aber die Leute sind kompetent, sie haben in der Regel eine gute Erklärung für ihre Entscheidungen. Manchmal sage ich: »Oh, das hätte ich aber gerne gewusst«, aber das ist normal in einer großen Organisation. Es gibt natürlich äußere Kriterien, also wenn es um Budgetverschiebungen oder um Personalfragen geht. Bei den inhaltlichpolitischen Fragen zählen Erfahrungswerte. Ich habe wahnsinnig viele Personalthemen: Leute fallen krankheitsbedingt aus – wie machen wir das jetzt mit den Projekten? Wie sollen sie vorgehen, wenn in den Büros etwas nicht funktioniert? Sie kommen auch mit inhaltlichen Themen  – wie ich die zukünftige Weiterentwicklung der Programme sehe, ob wir da die richtigen Schwerpunkte setzen. Es gibt ein großes Vertrauen, dass sie wissen, wann sie zu mir kommen. Wenn es in einem Team massive Pro­bleme gibt, ist klar, da muss ich rein, da ist manchmal auch der Vor­ stand mit drin. Die Leute haben ein Gespür dafür. Man kann ja nicht bei jedem kleinen Projekt vorher regeln, wer zuständig ist. Autorität gewinnen

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Empathie und Fürsorge Ich brauche keine Führungskräfte, die mich an die Hand nehmen, aber jemanden, der mir im Zweifel zur Seite steht. Genau das Gleiche versuche ich auch für meine Mitarbeiter zu verkörpern – da zu sein.

Als Mutter habe ich am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, wenn man voll berufstätig ist und Kinder zu Hause hat. Als Mutter habe ich vielleicht ein größeres Verständnis für Kollegen, die wegen der Kinder nicht so können, wie sie wollen. Aber vielleicht hätte ich das auch, wenn ich kein Kind hätte, wenn ich mich in die Situation eines anderen hineinversetzen kann, ohne dass ich es selbst erlebt haben muss. Wenn es jemandem privat nicht gut geht, dann leidet die Arbeit darunter. Ich habe viel Vertrauen genossen und wir haben immer eine Lösung für das individuelle Problem gefunden. Deshalb habe ich eine gewisse Autorität. Bei den Mitarbeitern gelte ich ein bisschen als »Mama«‚ die sich kümmert. Wenn ich morgens komme, mache ich eine Runde und gebe jedem die Hand. Ich bekomme dann relativ gut mit, wie die Stimmung ist. Ich brauche sie ja nur anzuschauen und sehe sofort, ob etwas ist. Und ich frage auch: »Ist irgendwas? Geht es Ihnen nicht so gut?« Ich habe auch schon eine Mitarbeiterin nach Hause gefahren, weil sie krank war. Man hat ja eine Fürsorgepflicht. Wenn ich schon da bin und jemand kommt später, dann kommen die zu mir rein. Zweimal im Jahr haben wir Feste. Wenn jemand Geburtstag hat, dann wird für ein Geschenk gesammelt. Ich schreibe die Karte und denke mir immer einen anderen Text aus. Das wird sehr geschätzt. Es wird der Platz geschmückt und ab und zu ein Frühstück ausgegeben. Das versuchen wir mit der Besprechung zu verbinden. Es darf nicht zu viel Zeit dabei draufgehen, das ist auch wichtig. Vielleicht bin ich zu nett. Der eine lässt sich scheiden, dann geht’s dem nicht gut. Die andere hat eine Herztransplantation vor sich, da schmelze ich dahin vor Mitleid. Dadurch, dass ich alleinerziehend war, habe ich großes Verständnis dafür, wenn jemand Stress mit der Unterbringung von Kindern hat oder wenn ein Kind krank ist. Dann 94

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fordere ich eher von der Behördenleitung ein, dass ich mehr Leute brauche, als dass ich sie kaputt mache. Meine Vorgesetzte erwartet von mir, dass ich dafür sorge, dass die Leute fit sind, die hier arbeiten. Wenn ich sage, dass wir so viel zu tun haben, dass das nicht mehr zu schaffen ist und wir mehr Leute brauchen, sagt sie, dass es nicht mehr Leute gibt und ich dafür sorgen soll, dass die Mitarbeiter effizienter sind. Wenn ich sage: »Ich habe jemanden mit hohem Blutdruck, das ist schwierig«, antwortet sie: »Dann soll er Tabletten nehmen.« Ich sehe auch die Probleme, aber wenn jemand krank ist, ist er krank. Ich habe von Kollegen gehört, dass sie, wenn bei ihnen jemand krank ist, denen die Arbeit nach Hause schicken. Ich würde gar nicht auf so eine Idee kommen, es sei denn, jemand hat einen Finger gebrochen und kann nicht schreiben, aber telefonieren, und bietet das an. Ich sehe mich in der Führung klar in einer begleitenden Funktion. Ich glaube schon, dass ich über genug Empathie verfüge, um mitzu­ kriegen, wie es meinen Leuten geht. Ich spreche sie aktiv an, wenn ich merke, da ist etwas nicht in Ordnung. Eine Kollegin hatte als eine der wenigen einen befristeten Vertrag. Ich habe mitbekommen, dass es sie, aber auch das ganze Team, massiv umgetrieben hat. Da habe ich mit ihr Gespräche geführt, um ihr die Sorge zu nehmen, und mich dafür eingesetzt, dass dieser Vertrag entfristet wird. Sachen, die in meinem Ermessen liegen, die mache ich. Es gibt ja Führungskräfte, bei denen sagt man: »Die weiß sowieso nicht, was bei uns los ist.« Ich weiß, was die Leute persönlich umtreibt, was ihnen wichtig ist und was der Motivator ist, damit ich das besser bedienen kann und weiß, wie ich sie mitnehmen muss. Die Mitarbeiter ziehen mit, aber es gibt ganz viele Dinge, auf die ich keinen Einfluss habe. Die Menge an Arbeit von außen zum Beispiel oder bestimmte Entscheidungen der Verwaltungsleitung. Ich habe auch keinen Einfluss darauf, wie viel Geld sie bekommen. Ich kann versuchen, ihre Stelle anzuheben. Das mache ich auch regelmäßig. Ich kann ver­ suchen, dass das Arbeitsklima gut ist. Ich kann Leuten Fortbildungen genehmigen, damit jeder einmal in den Genuss kommt, etwas Nettes zu machen. Oder ich bin großzügig, wenn sie fragen, ob sie Telearbeit machen können. Da habe ich das Vertrauen, dass sie die Arbeit erledigen. In gewisser Weise gelte ich als fürsorglich. Ich sage auch mal: »Du musst jetzt nach Hause gehen.« Oder: »Du musst eine Pause Autorität gewinnen

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machen. Du kannst nicht zwölf Stunden durcharbeiten, weil wir dich auch nächste Woche noch brauchen.« Ich habe teilweise sehr junge Mitarbeiter. Eine ist so motiviert, dass man manchmal Sorge hat, dass sie irgendwann heiß läuft. Klar ist hier alles extrem anspruchsvoll und man muss immer schnell sein. Aber alles hat seine Grenzen, ich möchte sie ja auch noch in einem Jahr in arbeitsfähigem Zustand an meiner Seite haben. Jüngere Kolleginnen benötigen vielleicht erst einmal Stabilität, im Sinne von: Was kann ich eigentlich, was traue ich mir zu? Traue ich mich, vor Personalleitern eine Präsentation zu halten, und wie geht es mir hinterher damit? Die sind sehr dankbar dafür, dass ich da bin und wir zusammen an diesen Themen arbeiten. Ich darf Mitarbeiter entwickeln, natürlich mit ihnen zusammen. Durch die Entwicklung der Personen entwickle ich auch die Abteilung, was nicht immer im Gleichklang laufen muss. Einer meiner Manager wollte den nächsten Entwicklungsschritt machen, aber ich hatte in meiner Struktur keinen Platz, damit er ihn machen konnte, weil es bestimmte Kriterien voraussetzt, die ich ihm nicht bieten konnte. Da musste ich ihn schweren Herzens eine Weile abgeben. Das war für mich als Abteilungsleitung extrem ungünstig, weil mir dieser Platz gefehlt hat, aber für ihn war es sehr gut, weil er sich entwickeln und dann den nächsten Karriereschritt machen konnte. Wenn ich die nächste Effizienzsteigerung übermittelt bekomme, dann gehe ich nicht zu demjenigen, von dem ich weiß, dass er die größten Probleme damit hat oder sich sowieso schon wahnsinnig unter Druck fühlt, sondern zu dem, von dem ich weiß, dem gefällt es auch nicht, aber mit dem kann ich darüber sprechen und überlegen, was wir jetzt machen. Es gibt Menschen, die erwarten viel von ihrer Führungskraft, sehen aber nicht unbedingt, dass sie ihr etwas zurückgeben können, jeden­ falls nichts, was über den Nullachtfünfzehn-Job hinausgeht. Aber es gibt heutzutage viele, die gerne jemanden haben, der sie unterstützt und begleitet, ihnen mit Rat und Tat zur Verfügung steht und ein offenes Ohr hat, und dafür geben sie Engagement zurück und sind bereit, über den Tellerrand Dinge zu übernehmen und voranzubringen. Sie sehen, dass sie sich selbst weiterentwickeln können und gleichzeitig Dinge einfa­ cher werden, wenn sie mitmachen. Dann ist es ein Geben und Nehmen. 96

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In anderen Positionen bin ich auch schon mal in die Mutterrolle gegangen, aber in der jetzigen nicht. Ich habe ein Büro mit zwölf Leu­ ten geleitet, in dem das Interkulturelle dazukam: Weiße Frau aus dem Ausland führt ein gemischtes Team mit ganz eigenen Erfahrungen. Am Anfang wollte ich sehr vorsichtig und sensibel sein und bin manchmal über das Ziel hinausgeschossen. Es gab zu viele Diskussionen, ich hab’ zu viel Zeit darauf verwendet, Probleme zu lösen, die da nicht hingehör­ ten. Aber das ist natürlich auch eine Lernkurve. Für bestimmte Dinge kann man als Führungskraft nicht verantwortlich gemacht werden und sollte es auch nicht. Da muss man sich abgrenzen. Ich habe mit der Zeit gelernt, zu sagen: »Das ist nicht mein Job, sprich mit der Person, die dafür zuständig ist, oder löse es alleine.« Die Mitarbeiter waren wahrscheinlich schon der Meinung, dass man auch mal mit einem privaten Thema zu mir kommen kann und ich mir persönliche Dinge zu einem bestimmten Grad anhöre. Sie hatten Vertrauen zu mir. Wir hatten eine Sekretärin, die hatte ihr Tagebuch auf ihrem dienstlichen PC, und als ich dort während ihrer Abwesen­ heit etwas gesucht habe, bin ich darauf gestoßen. Als ich sie darauf ansprach, wollte sie mir ihren ganzen Rutsch noch einmal erzählen und meine Zustimmung finden. Da habe ich gesagt, dass ich keine Ehe­ beraterin bin. Das war für mich eine gewaltige Grenzüberschreitung und ich fühlte mich missbraucht. Ich wollte sie nicht ganz arg verletzen, aber ich musste sie verletzen. Ich habe von vornherein versucht deutlich zu machen, womit die Mitarbeiter zu mir kommen können und wo ich meine Grenzen sehe. Eigentlich bräuchte es Leute, die explizit Probleme lösen, damit die normalen Arbeiten getan werden können. Ich bin gerade dabei, so eine Struktur zu schaffen, damit es nicht immer das Gefühl gibt, hier fehlt etwas, es kümmert sich keiner. Es gibt Themen, die nehme ich im Team­ meeting auf, wenn sie Klärung nach draußen brauchen, beispielsweise in der Geschäftsführung. Aber wenn sie eine einheitliche Briefvorlage wollen, dann sage ich: »Macht das doch – wenn es euch hilft.« Fachlichkeit in der Führung heißt auch, in welchem Maße ich auf Bedürfnisse von Mitarbeitenden eingehe. Wenn Mitarbeiter kein Excel können, muss ihnen das peinlich sein und sie müssen es sich selber beibringen. Wenn Mitarbeiter sich dazu eine Fortbildung wünschen, dann rennt die Leitung doch nicht gleich los und organisiert das. Autorität gewinnen

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Führungskräfte zu leiten, ist etwas anderes. Wenn ich direkt im Team jeden Einzelnen behandele, als wenn er komplett eigenverant­ wortlich wäre, überfordere ich vielleicht den einen oder anderen. Zu­­ mindest muss man sich das erst einmal entfalten lassen, damit die Leute merken, dass es durchaus erwünscht ist, dass sie sich einbringen. Es gibt Kollegen, die sehr selbstständig arbeiten und viel Berufs­ erfahrung mitbringen, sodass sich die Abstimmung in Grenzen hält. Die wissen, wenn sie eine Entscheidung treffen, dann würde ich sie nie vor Dritten in Zweifel ziehen, selbst wenn es nicht die Entscheidung wäre, die ich getroffen hätte. Ein, zwei Mal habe ich gedacht: »Das ist jetzt aber keine gute Idee.« Dann spricht man im Nachgang hinter verschlossenen Türen darüber, aber ich würde das immer auf meine Kappe nehmen, wenn das von oben nicht goutiert wird.

Anerkennung Ich rede mit den Teams über ihre Projekte, wenn es sich anbietet. Ich bin nicht so strikt hierarchisch, dass ich nur mit Referatsleitungen in Kon­ takt bin. Meine Mitarbeitenden bekommen Anerkennung und Chancen von mir. Mir ist sehr wichtig, dass sich Leute entwickeln und aufsteigen können und dass nicht immer nur die Person, die in der Hierarchie etwas weiter oben steht, gesehen wird. Wenn Leute zum Beispiel Texte für die Öffentlichkeit schreiben, sollten die richtigen Namen darunter stehen, nicht die Person, die es verantwortet. Ich finde es wichtig, dass Perso­ nen, die an einem Projekt mitgearbeitet haben, sichtbar und benannt werden und Dank bekommen. Es muss auf allen Ebenen klar sein: Wir sind ein Team und das Ergebnis ist nur gut, weil alle einen guten Job gemacht haben und nicht nur die Projektleitung. Insofern bekommen sie von mir Anerkennung und Wertschätzung, und es fällt mir auf, wenn Leute gut sind. Das merke ich mir – ich mache mir mentale Notizen. Und wenn sich dann eine Chance im Haus ergibt, dann frage ich die Leute: »Wäre das was für dich? Vor einem Jahr habe ich festgestellt, dass du Portugiesisch sprichst. Jetzt wird die Stelle zu Brasilien frei.« Ich glaube, dass sich die Leute wirklich gesehen und gefördert fühlen. Sie können ja nicht mit 14.000 Menschen reden und das wird auch nicht erwartet. Natürlich gibt es den Weihnachtsbrief, in dem man auf 98

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das Jahr zurückschaut. Das sind ja Rituale. Ich glaube, dass Menschen das wollen und das gerne annehmen, wenn sie gelobt werden. Das Ent­ scheidende geschieht aber im persönlichen Kontakt und bei einzelnen Arbeitsergebnissen. Ich glaube, dass man mir das persönlich abnimmt. Wir müssen lernen, Erfolge zu feiern, das ist nicht unsere Stärke. Das Loben ist bei uns nicht so inflationär. Das wissen wir seit Jahren und daran arbeiten wir. Wir haben immer wieder Events, wenn jemand etwas Großes gewon­ nen hat. Wenn sich die Leute extrem angestrengt haben, muss man das feiern  – einfach »Danke« sagen: »Ihr habt einen großartigen Job gemacht.« Wir haben ein neues Instrument für Feedback im virtuellen Raum ausprobiert. Wir hatten festgestellt, dass wir im Feedbackgeben bes­ ser werden müssen, aber das im virtuellen Raum auszuprobieren, ist etwas heikel, insbesondere, wenn es um kritisches Feedback geht. Und dann habe ich eine sogenannte Feedbackdusche vorgeschlagen. Ein Mitarbeiter meldet sich freiwillig und dann haben alle fünf Minuten Zeit, über die positiven Eigenschaften dieses Mitarbeiters nachzudenken. Jeder sagt, was ihm besonders wertvoll an diesem Menschen erscheint und was ihn kennzeichnet. Ich fand spannend, wie die Menschen damit lernen umzugehen und wie das die Gruppe verändert hat, allein schon in diesem Moment. Da war so viel Dankbarkeit der einzelnen Menschen untereinander. Obwohl es virtuell war, war es sehr emotional und es ist so viel Wärme, Nähe und Freude entstanden. Das war faszinierend. So viele Gedanken haben wir uns gemacht, wie wir das lösen können und auf einmal  – zack!  – haben wir ein Medium gefunden, über das Emotionen sehr spürbar waren.

Auf der Welle reiten Ressourcenorientiert arbeiten heißt: Man kann nichts verlangen, was nicht geht. Aber es ist manchmal mühselig, das herauszufinden.

Genau gucken, wann die Welle kommt, und dann mit wenig Kraft­ aufwand das Ziel erreichen, auf der Welle mitreiten, nicht gegen den Strom anschwimmen, nicht untertauchen, nicht ertrinken, sondern den Autorität gewinnen

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Schwung mitnehmen – das gefällt mir: Nicht zu sehr in den Widerstand gehen, sich nicht an Dingen abarbeiten, die ich nicht ändern kann. Menschen können sich nur begrenzt ändern. Die Aufgabe ist, immer zu erkennen, inwieweit ein Verhalten einfach durch einen Hinweis ange­ passt wird, ob eine Änderung nur mit erhöhtem Kraftaufwand möglich ist oder ob es gar nicht geht. Und wenn sie nicht zu beeinflussen ist, dann muss ich die Konsequenz daraus ziehen. Entweder verhalte ich mich in der Situation defensiv und ändere das Thema oder meine Ziel­ setzung, oder ich sage, dieser Mensch kann diese Arbeit nicht machen, weil sein Verhaltensrepertoire nicht zu den Aufgaben passt. Das ist dann nicht wertend. Natürlich bin ich auch emotional oder sehe die Sachen manchmal gefärbt, aber das zu versachlichen ist sehr hilfreich. Jemanden rauszuwerfen ist vielleicht nur ein Versuch, der Ausei­ nandersetzung mit Menschen aus dem Weg zu gehen, immer wieder Feedback zu geben und immer wieder in diesen anstrengenden Aus­ tausch zu gehen, um eine Verhaltensänderung bei einem Menschen zu erzielen. Wir haben nicht die Möglichkeit, einfach jemanden raus­ zuwerfen, und das ist auch gut so. Das können wir nicht als Körper­ schaft, als Großunternehmen, und das entspricht nicht unserer Kultur, unserem eigenen Anspruch. Irgendwann kann es auch mal zu Ende sein und ich muss sagen, das geht alles auf Kosten von anderen Kollegen. Aber das ist wirklich ganz am Ende. Die Wirkung von Kündigungen auf die Organisation und das Team kann man sich vorstellen.

Reden, reden, reden Wenn man nicht spricht, dann wissen die anderen auch nicht, was man will.

Am Anfang hatte ich mit einem schwierigen Mitarbeiter zu tun. Ich war 31, er war Mitte fünfzig. Ich war neu in der Organisation und mein damaliger Abteilungsleiter sagte: »Den musst du eng führen.« Ich bin dann zu autoritär aufgetreten, weil ich gedacht habe, ich muss mich durchsetzen. Das würde ich heute so nicht mehr machen. Ich würde erst einmal versuchen zu verstehen, wie es überhaupt zu dieser Kon­ frontation gekommen ist. Ich habe meinen eigenen Stil, was nicht heißt, dass ich nicht am Ende eine Entscheidung fälle, die hart ist. Aber 100

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damals habe ich noch nicht richtig verstanden, wie es kommunikativ geht. Ich habe aus dieser Geschichte wahnsinnig viel gelernt, aber es war am Anfang sehr hart. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, aber wenn mir jemand sagt, dass etwas nicht gut läuft, dann muss ich mit dieser Informa­ tion etwas machen. Dann spreche ich mit der Person und verändere etwas mit ihr. Wenn man den Draht zum Gegenüber verloren hat, fragt man sich, liegt es an mir oder an meinem Gegenüber? Und wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, dann muss ich feststellen, dass es auch an mir liegt. Viel­ leicht lasse ich es jetzt mal lieber und komme morgen noch mal darauf zurück. Und wenn ich gut bin, dann sage ich das zu meinem Gegenüber: »Heute kommen wir nicht weiter, wollen wir das nicht morgen nochmal besprechen? Schlafen wir mal drüber.« Aber man merkt es nicht immer. Ich verstehe mich nicht als autoritäre Führungskraft. Ich sage nicht: »Du machst dies, du machst jenes.« Ich fühle mich nicht ansatzweise wohl, wenn ich Dinge durchdrücken muss. Und ich scheue Konflikte. Darin bin ich nicht gut. Ich bekomme die sehr wohl mit, spüre die, aber ich muss mich sehr überwinden, solche Sachen nicht zu verdrängen oder zu sagen: »Das kriegen die schon alleine hin.« Ich mag es nicht gerne, mir die Leute vorzunehmen und so ein Gespräch zu Ende zu führen. Ich tue es schon, aber ich mag es nicht. Es ist der Teil meiner Arbeit, der mir keinen Spaß macht. Den jungen Führungskräften sage ich, dass unsere größte Baustelle ist, kritisches Feedback zu geben. Wenn man Kritik äußern müsste, wird eher nichts gesagt. Man sollte es nicht nur denken und es ande­ ren erzählen, sondern auch sagen: »Es reicht nicht, was du bringst.« Das macht keinen Spaß, aber es gehört dazu. Das muss man lernen als Führungskraft. Wenn das jemand gerne macht, dann wird er bitte keine Führungskraft bei uns. In den Diskussionen mit unseren jungen Führungskräften ist mir aufgefallen, dass wir das Gefühl haben, es sei unsere Aufgabe, jedes Problem zu lösen. Wenn ich in meinem Team einen Mitarbeiter habe, der die Leistung nicht bringt, dann gehe ich nicht mit einer Lösung ins Gespräch, dann sage ich nicht, was er machen soll und ab morgen funktioniert das dann. Als Führungskraft muss man ins Gespräch gehen, auch wenn man keine Lösung hat, und das Pro­ blem erst einmal ansprechen. Wenn wir das als Führungskräfte lernen, Autorität gewinnen

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haben wir einen anderen Anspruch. Für mich als Führungskraft ist das die Kür: Wenn ich ein Gespräch geführt und das Gefühl habe, es ist gut gelaufen, gehe ich an diesem Abend zufrieden nach Hause. Wenn man Konfliktgespräche führen kann, ist es natürlich das Sahnehäubchen. Die Arbeit mit vielen Ehrenamtlichen macht die Leitungsfunktion komplizierter und anders als Leitungsfunktionen in anderen Zusam­ menhängen. Zum Beispiel gibt es das Problem mit zu alt werdenden ehrenamtlichen Mitarbeitern, die nicht aufhören können. Als ich noch nicht mal fünfzig war, mussten wir eine Regelung finden, damit wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sagen konnten: »Jetzt musst du aufhö­ ren.« Da müssen Sie die Leitung wahrnehmen mit offenen Worten, aber die offenen Worte dürfen nicht verletzen. Ich musste vor allen Dingen lernen, Alternativen aufzuzeigen: »Die Kirchengemeinde, in der Sie leben, die hat doch sicher einen Altenklub, wollen Sie da nicht mitarbeiten?« Von den kleinen Katastrophen haben sie nichts erzählt, die großen kom­­men immer beim Chef an. Die kleinen Katastrophen bekommt man irgendwann nebenher erzählt und dann muss man damit umgehen können. Dann habe ich versucht, einen Rat zu geben und zu sagen: »Wenn Sie eher gekommen wären, hätten wir das vielleicht anders regeln können.« Vielleicht haben sie gedacht, sie wollten mich damit nicht behelligen, weil ich sowieso zu viel zu tun hatte. Das kann etwas Fürsorgliches, aber auch etwas Schützendes für sich selber gewesen sein. Vielleicht hatten sie Angst vor Kritik, bei den größeren Katastro­ phen vielleicht auch vor Folgen. An manchen Stellen muss man scharf kritisieren, zum Schutz der ganzen Einrichtung. Es ist nicht immer alles so lieb und so brav. Wenn es da eine Schwierigkeit gab, die scharf zu kritisieren war, dann habe ich auch scharf kritisiert. Wenn die Mitarbeiter überlastet sind, mit ihrer Rolle nicht zurecht­ kommen oder fachlich-organisatorisch überfordert sind, sagen sie es mir nicht. Wenn ich sehe, dass sie etwas nicht schaffen, bespreche ich es zuerst in der Managerrunde, um zu verifizieren, ob das nur mein Eindruck ist oder ob die Kolleginnen und Kollegen sich womöglich ähnliche Gedanken gemacht haben. Wir überlegen uns dann, ob der Mitarbeiter direkt angesprochen werden muss und wer den Mitarbeiter darauf anspricht oder ob man es auf eine höhere, allgemeine Ebene heben kann, sodass man es zunächst im Team anspricht. Das hängt davon ab, was es ist. 102

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Ich arbeite total gerne mit Leuten zusammen, die Lust haben, Dinge voranzubringen. Das ist einfach, denn das unterstützt meine eigenen Ziele. Ich erwarte dieses Verhalten von allen. Und wenn ich Mitarbeiter habe, die das nicht wollen oder können, dann ist es für mich immer wieder eine Herausforderung. Aber ich versuche dann trotzdem, eine Beziehung aufzubauen. Das funktioniert auch, es ist manchmal ein bisschen holprig und es dauert, aber es geht. Ich versuche, die nicht aufzugeben, sondern sie immer ins Gespräch zu holen, damit ich ver­ stehe, über welchen Motivator sie funktionieren. Den kann ich vielleicht auch leichter bedienen. Es müssen ja nicht alle gleich sein. Ich habe manche Dinge kennengelernt, die mir gegen den Strich gehen, weil ich das anders sehe. In einer schwierigen Gemengelage mit Partnern musste man immer im Hinterkopf haben, was zu deren Selbstverständnis und was zu unserem Selbstverständnis gehört. Das ist schwierig. Ich habe es über einen Eklat lernen müssen. Bei einem unserer üblichen Treffen wurden wir ausgeschlossen, und ich habe erst hinterher gemerkt, wie mich das verletzt hat. Wir haben das spä­ ter aufgearbeitet und es ist erledigt, aber ich habe da gemerkt, wie dünn manchmal das Eis zwischen solchen Gruppen ist. Wir haben zuerst im kleinen Rahmen diskutiert und dann im ganz großen, damit wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrer jeweiligen Betroffen­ heit abholen konnten. Ich musste meine eigene Betroffenheit hinten anstellen, um die der Mitarbeiter besser auffangen zu können. Mein Tisch war noch nicht abgeräumt, aber ich musste zuerst dafür sorgen, dass die anderen etwas zu essen bekamen. Es gibt hier und da mal Widerstände, die wir dann überwinden oder austragen. Manchmal macht es Sinn, das eins zu eins zu machen, weil ein bestimmter Mitarbeiter ein Thema hat. Wenn es die ganze Truppe anbelangt oder Teile, dann nehmen wir das in ein normales Team­ meeting mit. Wenn ich merke, da müssen wir uns als Team weiter­ entwickeln, da ist ein Knackpunkt, den wir überwinden müssen, dann machen wir beispielsweise einen Workshop und bringen die Themen hoch, um ein neues Vorgehen für die Mannschaft zu entwickeln. Die Mitarbeitenden können nicht nur mitreden, sie sind auch mit verant­ wortlich. Das ist mir ganz wichtig. Da bin ich Teilnehmerin und lasse das von außen moderieren. Wenn diese Entscheidungen im Konsens getroffen werden und nicht komplett gegen die Strategie sind  – wo Autorität gewinnen

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ich dann einhaken müsste –, dann trage ich die mit. Und dann gibt es auch die entsprechende Verantwortlichkeit. Nach meiner Erfahrung über die Jahrzehnte gibt es immer weniger Leute, die Verantwortung für sich und ihr Handeln übernehmen. Sie finden unser Projekt toll und möchten jemand sein in der Organisa­ tion, aber die Fähigkeit oder die Bereitschaft, sich zu engagieren, die suche ich jetzt bei einigen Mitarbeitenden. Das Leiten wird immer stärker eingefordert, sodass man Ansagen und Vorschriften machen muss. Das kann natürlich auch damit zusammenhängen, dass wir mehr Mitarbeitende sind. Aber vielleicht ist meine Generation anders als die heutige. Ich habe nie erwartet, dass Kollegen mehr machen, als sie bezahlt bekommen, aber die Zeit, die sie da sind, sollen sie kon­ zentriert, engagiert und kompetent ihre Fähigkeiten einbringen. Über etwas eigentlich Unstrittiges wird wochenlang, stundenlang diskutiert, weil man erwartet, dass jemand kommt und das macht. Da bin ich mit meinen Leitungskünsten am Ende. Man fühlt sich gerne autonom und selbstbestimmt, ohne die Dinge zu tun, die dazu erforderlich sind. Es ist sehr anstrengend, sie immer auf diese Diskrepanz hinzuweisen. Ich hatte eine Mitarbeiterin, die nach dreißig Jahren persönliche Motivations- und Alkoholprobleme hatte. Auf die persönlichen Pro­bleme habe ich am Anfang Rücksicht genommen. Dann habe ich mehrere Gespräche geführt, aber es wurde nicht besser. Schließlich habe ich ein Gespräch zusammen mit meinem Stellvertreter geführt, um dem Ganzen einen offizielleren Charakter zu geben, aber auch damit bin ich gescheitert. Ich habe sie immer mehr kontrolliert, was ich normaler­ weise nicht tue. Ich habe Fehler gefunden und sie mit diesen Fehlern konfrontiert. Sie hatte dann eine Ausrede, die ich hingenommen habe, aber ich habe weiter kontrolliert und sie nochmals damit konfrontiert. Dann war klar: Wenn das nicht besser wird, dann kommt die Abmah­ nung und eventuell ein Disziplinarverfahren. Daraufhin hat sie sich weg­ beworben und ich war sehr dankbar. Sie hatte auch sehr gute Seiten, war dann aber im Leistungstief, was man für ein paar Monate tolerieren kann, doch das dauerte zu lange. Ich hätte ungern ein richtiges Diszi­ plinarverfahren angestrebt. Dabei gibt es letzten Endes nur Verlierer. Ich habe eine ganze Weile daran gearbeitet, meinen Vorgesetzten indirekt davon zu überzeugen, dass ich meine Aufgabe auf die Kette kriege. Das hat gut geklappt, und zwar mit guter Arbeit. Aber nach 104

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einem Jahr gab es einen harten Cut. Er kann sehr ausfallend und persön­ lich werden, und da gibt es Grenzen des guten Geschmacks. Das hatte sich eine ganze Weile hochgeschaukelt und dann war für mich klar, dass ich da reingehe, um zu klären, wie wir das gütlich beenden können. Und dann hatten wir ein sehr gutes Gespräch und sind übereingekommen, dass wir es noch einmal miteinander probieren. Seitdem funktioniert es. Er reißt sich am Riemen. Wenn er mich anruft und gerade nicht so gute Laune hat, ist das hart an der Grenze des guten Geschmacks, aber er ist nicht mehr über meine persönliche Grenze hinausgegangen.

Akzeptieren Wir waren alle vom Leid der kranken Menschen schwer betroffen und hatten eine hohe Motivation, an dieser Situation etwas zu ändern. Und da sind wir viele Bündnisse auf der politischen Ebene und mit der ent­ sprechenden Community eingegangen. Das war eine Zeit, in der man viele Befindlichkeiten und Eitelkeiten akzeptiert hat. Wenn man mit Leuten auf einer Ebene ist, kann man auch mal informell reden und Dinge diskutieren, ohne dass man Angst haben muss, dass die damit gleich hausieren gehen. Mit siebzig Prozent der Führungskräfte in meinem letzten Team habe ich gerne und offen zusammengearbeitet, geredet, mich ausgetauscht. Und bei dreißig Prozent der Teamleiter dachte ich, wir arbeiten zusammen, aber wir müssen nicht über das Maß hinaus miteinander zu tun haben. Dann läuft es eben über eine sehr aufs Geschäft bezogene Beziehung. Für Mitarbeitende ist es sicher angenehmer, wenn die Führungs­ kraft da 14  Stunden sitzt und sich kümmert und die anderen gehen nach Hause. Mein Job ist es aber, strategische Aufgaben zu erledigen, und weniger, operatives Feuer zu löschen. Das muss ich aushalten. Im Moment versuche ich, mich damit zu beruhigen, dass ich mir sage, sie wissen ja nicht, was ich im Detail alles mache und woran wir im Hinter­ grund schon arbeiten. Dinge, die unsere Arbeit nachhaltig verändern werden – und hoffentlich auch zu ihrem Vorteil. Früher dachte ich, jeder tickt wie ich, und konnte viele Sachen gar nicht verstehen. Mittlerweile freue ich mich sehr, dass es Menschen gibt, die anders ticken, denn sonst würde meine Abteilung nicht funk­ tionieren, weil dann keiner die Detailarbeit machen würde. Wir haben Autorität gewinnen

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Männer und Frauen und drei oder vier Nationen im Team, was sehr bereichernd ist. Allerdings sind wir mit dieser Diversität auch an unsere Grenzen gekommen. Eine indische Kollegin, die schon eine Weile in Deutschland lebte und extrem gut Deutsch sprach, blieb komplett in ihrem indischen Kontext. Wir haben zwar versucht, sie zu integrieren, aber es hat nicht funktioniert. Das Pro­blem lag sowohl an ihr als auch an uns als Team. Daraus haben wir gelernt, dass wir das nächste Mal am Anfang viel stärker auf diese kulturellen Unterschiede achten und versuchen müssen, Verständnis zu generieren im Sinne von: Was ist in unserer Kultur wichtig? Wenn ich die Autorität verliere, dann verliere ich mein Gegenüber. Ich erreiche mein Gegenüber nicht mehr. Es ist eine innere Distanz da, mit der man nicht umgehen kann. Man weiß nicht, ob man noch mehr Worte gebrauchen soll oder ob das die Sache nur verschlimmert. Und da dann Entscheidungen treffen, ist ausgesprochen schwierig. Man hat das manchmal auch in Gremien. Da stellt man etwas vor und erntet blankes Unverständnis, weil man sich vergaloppiert hat. In Gremien ist es ganz schwierig, das geradezubiegen, aber in einer persönlichen Beziehung kann man sagen: »Heute ist nicht mein Tag, lass’ uns das verschieben.« In Gremien können Sie nicht verschieben, weil da ja mehrere Leute sitzen. Dann muss man die Größe haben – die man ja selten hat – zu sagen: »Ich habe mich vergaloppiert.« Das ist schwie­ rig. Wenn Sie das mal machen, ist das sicherlich autoritätsfördernd. Wenn Sie das aber zur Regel werden lassen, können Sie Ihre Autorität in den Eimer werfen. Wenn Sie immer wissen, wo es langgeht, und die anderen mitnehmen können, dann ist das eine gute Sache, wenn Sie dann mal sagen: »Da habe ich mir das dabei gedacht, ich habe jetzt Ihre Argumente gehört, das geht ja gar nicht.« Dieses Zugestehen, »Ich habe mich geirrt«, fällt natürlich wahnsinnig schwer. Ich habe das in einem Fall gemacht.

Außenperspektive suchen Was mir immer wieder hilft, ist, in eine Beobachterrolle zu kommen, auf eine Metaebene zu gehen und mich im Team zu beobachten: mich rauszunehmen und zu beobachten, meine Rolle zu vergessen und nur zu schauen, was passiert. Meine Perspektive ist eine andere. Wenn 106

Respektierte Autorität in der Praxis

ich mir die Situation, wie sie gerade war, als Betrachter von außen angucke, was lerne ich da­raus, was habe ich erkannt? Daraus kann ich ableiten, was ich verändern muss. Es hilft, schneller zu erkennen, wo man Stellschrauben ziehen kann oder wo Stolpersteine sind und wo man gegensteuern oder Dinge anders machen muss. Wenn es ganz schwierige Sachverhalte gab, dann habe ich mich mit Freunden und Kollegen besprochen. Da baut man vor, damit es bestimmte Eskalationen nicht gibt: »Das haben wir vor, hör’ dir das mal an.« Ein guter Resonanzboden ist mein Mann, auch wenn ich ihn nicht dauernd mit solchen Dingen belatschere. Der hat nichts mit sozialer Arbeit zu tun, steht völlig außerhalb und sagt manchmal: »Hast du dir das oder das überlegt?« Das braucht jeder, ob das nun der Partner ist oder ein Kollege oder jemand anderes. Ich reflektiere das privat. Mit Kollegen oder Kolleginnen auf meiner Ebene tausche ich mich aus, weil sie das besser einschätzen können, wenn sie die Leute kennen, um die es geht. Wenn ich Sachen hatte, die mit dem Personenkreis einer bestimm­ ten Kollegin zu tun hatten, dann habe ich mich mit ihr abgesprochen. Wir haben das gemeinsam entwickelt und ins Gremium gebracht. Ich hatte einen exzellenten Chef, der für mich ein großes Vorbild war und den ich heute noch hier und da befrage, wenn ich mich spie­ geln möchte. Ich habe mir immer Feedback geholt, im privaten, aber auch im beruflichen Kontext, um mich abzusichern: »Sagt mir Bescheid, wenn ich mich zu sehr daran gewöhnt habe, wenn ich das zu sehr mache.« Das war für mein eigenes Selbstbild wichtig.

Autorität gewinnen

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Ein Bild von Autorität Räume und andere Symbole Wir sind im Großraumbüro, ich habe da meine Ecke und das ist für mich ein guter Arbeitsplatz. Es ist mir nicht wichtig, wo ich platziert bin. Büroeinrichtung war mir völlig egal. Ich brauchte einen Schreibtisch, einen PC und Telefon. Man bringt ein bisschen was Privates mit, aber eigentlich war mir das wurscht. In meinem Büro bemühe ich mich um eine freundliche Atmosphäre. Ich habe immer Getränke da. Es ist wichtig, dass Leute sich willkom­ men fühlen. Gerade auch für Personalgespräche sollte eine gute Raum­ atmosphäre herrschen. Als ich die Stelle übernommen habe, habe ich den Raum erst einmal umgestaltet. Ich habe Witze gemacht, dass es aussieht wie im Krankenhausaufenthaltsraum: Alles weiß, da waren gar keine Pflanzen. Man muss kein Gewächshaus haben, aber ein paar freundliche Akzente, damit Besucher sich wohlfühlen, sind mir total wichtig. Das ist wahrscheinlich typisch weiblich. Aber es haben alle gesagt: »Mensch, ist der Raum auf einmal schön.« Der Schreibtisch war ohnehin in einer Ecke, den musste ich nicht umstellen. Ich hätte es sonst getan. Es ist ein lang gezogener Raum, und wenn man rein­ kommt, ist da die Sitzgruppe mit so einem Holzding mit verschiedenen Teesorten, sodass man sich einen Tee nehmen kann. Ich habe ein Einzelbüro, aber das ist so klein, dass daraus keine Ansprüche abgeleitet werden können. Ich brauche das Einzelbüro nicht wegen meiner Funktion, sondern weil ich konzentriert arbeiten und Telefonate führen muss und weil ich vertrauliche Unterlagen habe. Ich setze bewusst Maßstäbe, um Ansprüche an formale Erwartungen der Kollegen niedrig zu halten. Als die Büros umgestaltet wurden, habe ich nur ein Einzelbüro ver­ langt und keinen Wert auf ein großes Büro gelegt. Alle anderen Leiter auf meiner Ebene haben große Büros. Das ist eine kleine Machtpräsen­ tation. Meine anerzogene Bescheidenheit war nicht gut. Als später der Bürotrakt nochmals baulich verändert wurde, habe ich auch ein Büro mit Konferenztisch verlangt. Das ist eigentlich lächerlich, aber es ist wichtig, dass man sich nicht nach außen selber kleinmacht. 108

Respektierte Autorität in der Praxis

Ich will etwas verändern. Ich verzichte ganz bewusst immer wie­ der auf Symbole, auf Machtinsignien. Ich habe ein tolles Vorstands­ büro, da war ich am Anfang skeptisch, aber viele haben gesagt: »Das brauchen Sie.« Die Mitarbeiter sollen wahrnehmen, dass ich wirklich Vorstand bin. Viele Menschen in unserer Organisation haben kaum die Gelegenheit, mich persönlich zu erleben. Sie machen sich über unser Intranet ein Bild von mir. Ich kann nicht ganz auf Symbolik ver­ zichten, ich muss die Rolle annehmen. Das war für mich ein Lerneffekt zu akzeptieren, dass das dazugehört. Es ist ja auch etwas Schönes. Die Bilder hinter meinem Schreibtisch sind ein Geschenk meines Mannes. Sie sind ein Teil von mir. Und es ist immer Gesprächsthema. Die Menschen, die in mein Büro kommen, sehen das, aber es sind wenige von den 14.000. Ein positiver Effekt der virtuellen Welt ist, dass inzwischen alle mal einen Blick in mein Büro geworfen und die Bilder gesehen haben.

Sprache und Präsenz Ich achte bei der Sprache darauf, dass sie einfach ist und nicht vulgär – keine geschraubte Bürosprache, sondern ganz normal von Mensch zu Mensch. Sprachlich richte ich mich nach meinem Gegenüber. Aus welchem Bereich kommt er oder sie? Wie muss ich ihm die Sachen näherbrin­ gen? Kann ich mich auf Fachsprache verständigen oder würde ich ihn damit überfordern und ihm das Gefühl geben, dass er doof ist? Das ist für mich alles Teil der Vorbereitung für Kundentermine. Dieses komplette Setting entscheidet wesentlich mehr über Erfolg und Miss­ erfolg als der reine Inhalt. Wenn sich jemand an uns wendet, gehe ich davon aus, dass er weiß, warum er sich an uns wendet. Deswegen ist der Rest das Wichtigere. Im Team duzen wir uns eigentlich alle. Das Du schafft eine vermeint­ liche Nähe, die zum Teil reflektiert werden muss. Manchen Praktikanten mussten wir sagen, dass wir nicht die besten Freunde sind. Wenn es zu Entlassungen oder drastischeren Maßnahmen kommt, ist es über diese gefühlte Nähe etwas schwieriger. Am besten finde ich Vornamen und Sie. Jetzt ist die komplette Kommunikation umgestellt. Wir duzen Ein Bild von Autorität

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alle, auch schon Bewerber, weil das modern ist, so die Begründung, die sie geliefert haben. Ich versuche, darauf zu achten, dass die Körpersprache nicht zu feindlich wirkt. Ich versuche, nicht mit verschränkten Armen dazusit­ zen. Aber ich weiß nicht, ob ich unbewusst trotzdem Sachen mache, die man nicht machen sollte. Ich versuche, mich sehr zu disziplinieren, aber ich gehöre leider zu den Leuten, denen man sehr viel im Gesicht ansehen kann. Man merkt sofort, wenn ich irritiert bin oder etwas nicht so gut finde. Da brauche ich gar nicht die Beine übereinanderschlagen und die Arme kreuzen – das merkt man alleine an der Mimik und Gestik. Ich muss nicht in der ersten Reihe sitzen. Ich beobachte lieber und interveniere, als dass ich den Raum domptiere und steuere. Die Lei­ tungssitzungen moderiere ich, aber nach außen muss ich nicht immer die Wichtigste sein. Ich kann mich gut zurücknehmen. Das tut meiner Autorität keinen Abbruch. Wenn ich eine Funktion habe, wenn ich Gast­ geberin bin und erwartet wird, dass ich etwas sage, dann tue ich das, aber nicht, weil es mein innerster Drang ist, mich darstellen zu müssen. Wir hatten letzte Woche Besuch von der Bundesbeauftragten. Da war natürlich klar, dass sie erst einmal mit mir redete. Ich habe ein bisschen repräsentiert. Dann wollte sie die Mitarbeiterinnen hören und ich war abgemeldet. Das fand ich nicht beleidigend, sondern das war die Rolle. Das ist wichtig, dass man immer sagt, man oder frau hat eine Rolle. Ich bin keine Frau, die eine zierliche, kleine Stimme hat, aber auch keine laute. Man merkt manchmal, dass eine Frau es von der Stimme her schwerer hat, gehört zu werden, vor allem, wenn nur Männer drum herum sitzen, die sie nicht hören wollen. Wenn ich auf ein Podium gehe, eine Rede halten oder eine Begrü­ ßung machen muss, dann achte ich schon darauf, mit einem durch­ gedrückten Rücken dazustehen, aber sonst nicht. Ich habe festgestellt, dass ich eine andere Autorität habe, wenn ich mich breitbeinig vor jemanden hinstelle. Ich stehe jetzt manchmal wie ein Mann da, fast wie ein Baum, fest auf meinen beiden Beinen und nicht mehr eingeknickt. Das ist auch für mich selber frappierend anders, das hätte ich nie gedacht. Ich merke deutlich, wie die Leute reagieren, wenn ich etwas zu besprechen habe und breitbeinig dastehe. Ich strahle mehr Autorität aus. 110

Respektierte Autorität in der Praxis

Einer der Gründe, warum ich es als Frau leichter hatte, Vorstand zu werden, ist, dass man mich wegen meiner Körpergröße nicht über­ sehen konnte. Natürlich macht das einen Unterschied bei der Präsenz am Tisch. Es gibt Studien, dass größere Menschen in höhere Positionen kommen. Da wirken ganz archaische Mechanismen in uns. Wenn ich in öffentlichen Veranstaltungen auf Podien sitze, haben Männer ein anderes Auftreten: »Hier bin ich und ich sage das jetzt.« Ich würde die Dinge vorsichtiger formulieren. Gewisse Unterschiede können allerdings ruhig da sein. Gerade bei einer öffentlichen Veran­ staltung kann sich das Publikum selber ein Bild machen, was es besser findet. Wenn ich in Managementrunden mit anderen Abteilungsleitun­ gen bin, habe ich manchmal den Eindruck, da läuft typisch männliches Verhalten: Ich sage etwas, und dann kommt ein Mann und wiederholt noch einmal, was ich gesagt habe, und das wird dann auf einmal ganz anders wahrgenommen. Da sage ich inzwischen: »Danke XY, dass du noch einmal wiederholt hast, was ich gesagt habe, das bestärkt es.« Ich versuche, es gelassen zu sehen, aber achte darauf, mir nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen.

Kleider machen Leute? Für mich ist Authentizität auch bei meiner Kleidung wichtig. Ich muss mich darin wohlfühlen. Ich glaube, dass ich bei einem Kundentermin weniger erfolgreich bin, wenn ich mich verkleidet fühle. Ich bin nie unpassend angezogen, aber vielleicht ungewöhnlich, und ich habe nie einen Grund gesehen, das zu ändern. Ich kann auch nicht mit einer zerrissenen Jeans oder Jogginghose ins Büro gehen. Das passt nicht zu unserem Produkt. Wenn ich zu einem Mandantentermin gehe, mache ich mir Gedanken, was das für ein Kunde ist, und passe meine Kleidung entsprechend an, um den Kunden nicht zu überfor­ dern. In einem Unternehmen aus der verarbeitenden Industrie bin ich eher leger gekleidet, um ihnen auf Augenhöhe zu begegnen und es mir nicht so schwer zu machen. Auf der anderen Seite gibt es in unserer Branche das Bild von der Frau in Kostüm und Pumps, gerne in Grau, Blau, Schwarz oder Weiß. Das bricht langsam auf. Wenn es gut läuft, hat der CFO heutzutage wenigstens keine Krawatte mehr Ein Bild von Autorität

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an. Zwischen diesem total legeren und dem sehr stark uniformen Rand spielt sich das ab. Wir haben früher gelernt, dass wir uns nicht anpassen: Wir gehen weiterhin in den geflickten Jeans. Und irgendwann merkt man, so ganz passt es nicht. Manchmal habe ich einen schwarzen Anzug an oder eine einfarbige Jacke, weil es für mich dann leichter ist. Aber ich habe viele bunte Jacken und nutze die Freiheit ganz bewusst, um einen Kontra­ punkt zu setzen. Ich habe bewusst mit dem Thema Farbe gespielt, um mich nicht allzu sehr anpassen zu müssen. Das muss ich langsam wie­ der ändern, weil sich die Kleidungskultur ja total verändert hat. Es ist viel legerer geworden, auch auf Führungs- und Vorstandsebene. Und es wird ein bisschen farbiger. Ich halte viel davon, sich in bestimmten Situationen angemessen zu kleiden, weil ich meine Stellung nicht unnötig dadurch drücken will, dass ich in T-Shirt und Jeans komme, wenn gerade der Wirtschafts­ prüfer zugegen ist oder der oberste Geschäftsführer. Das finde ich sogar bei meinen Mitarbeitern wichtig, auch wenn ich denke, darauf kann es nicht ankommen. Ich komme aus dem Bankenumfeld, wo auf Kleidung Wert gelegt wird. Und das habe ich auch hierher transportiert. Wenn ich weiß, es gibt keinen offiziellen Termin, der Chef ist nicht im Haus und es sind auch keine externen Geschäftspartner da, ist es anders, aber wenn wir große Veranstaltungen haben, staffiere ich mich entsprechend aus. Denn wenn ich mich wohlfühle in meiner Haut, dann habe ich auch ein anderes Auftreten, wenn ich in einen Raum komme. Im Bundestag oder im Ministerium sehe ich anders aus, als wenn ich weiß, dass ich einen Tag nur im Büro bin. Ich würde mich immer etwas förmlich kleiden und je nach Situation etwas mehr oder weniger. Das gehört zum Spiel dazu. Kleidung war mir natürlich wichtig. Ich habe einmal an einer Ver­ anstaltung teilgenommen, da ging die Vorsitzende aufs Podium und ihr Unterrock guckte unter ihrem Kleid hervor. Da habe ich zu meiner damaligen Mitarbeiterin gesagt: »Wenn mir das irgendwann passiert, dann sag’ mir so etwas.« Ich saß in der ersten Reihe, direkt vor ihr, und dachte: »Oh, schrecklich.« Bei der Eröffnung der Geschäftsstelle standen die andere Geschäftsführerin und ich beide in einem roten Gewand da und diese Rottöne bissen sich auch noch. Seitdem haben 112

Respektierte Autorität in der Praxis

wir uns vorher abgesprochen. Aber ansonsten habe ich mich nie angepasst. Ich habe mich immer geweigert, mich schick anzuziehen. Ich würde kein durchlöchertes T-Shirt anziehen, wenn ich eine Bundesministe­ rin treffe, aber ich würde mir auch keine Bluse besorgen. Es kostet mich zu viel Überwindung, mich an Vorstellungen Dritter anzupassen und mich zu verkleiden. Das hat am Anfang sicherlich manchmal zu Irritationen geführt, wenn ich underdressed war, aber weil ich in der Branche fachliche Autorität habe, wird das hingenommen. Oder man schmückt sich sogar noch damit, dass nicht alle in Blüschen und mit Nylonhose da sind, sondern dass ich mit T-Shirt und Jeans komme. Aber in unserer Branche ist es auch relativ bunt. Das Mischen von Poli­ tikebene und Basisarbeit fand ich immer so toll. Diesen Community-­ Geist, diese Toleranz, die Vielfalt habe ich jahrzehntelang gelebt. Es ist nicht homogen, sondern vielfältig. Jeder darf so sein, wie er ist, darf auch seine Marotten haben.

Ein Bild von Autorität

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Macht? Ärgere dich nicht! – Über den Umgang mit Hierarchien und Macht Autorität hat viel mit Respekt zu tun, Macht ist etwas, was man sich selber gerne verleiht, anstrebt und benutzt. Man kann Macht haben, ohne Autorität zu haben. Von der Konnotation her ist Macht bei mir negativ, Autorität ist eher positiv. Bei Macht denkt man sofort an Machtmissbrauch. Ein bisschen Macht muss man natürlich auch haben. Es ist die Frage, ob man Autorität hat, wenn man komplett machtlos ist. Macht ausspielen würde zu meiner Vorstellung von Akzeptanz oder Respekt in der Führung nicht passen. Macht ist der Unterschied zwischen Autorität und autoritär. Macht gehört zur Autorität dazu. Wenn ich unangenehme Aufgaben verteile oder jemandem sage: »Jetzt kochen Sie mal Kaffee«, ist das Macht? Wenn ich Leuten keinen Zugang zu Informationen gewähre, dann habe ich Macht. Ich habe Macht, wenn ich jemanden zur Beförderung vorschlage. Als Behörde, als Eingriffsverwaltung, habe ich manchmal Macht. Ich kann Bußgelder, Strafverfahren verhängen und Leute überwachen. Aus der Leitungsposition habe ich eine gewisse Macht, einfach aufgrund des Systems, das ist hierarchisch. Ober sticht Unter. Das nehmen die Leute einem überhaupt nicht übel, wenn man das so sagt. Als meine Vorgesetzte einmal etwas entschieden hatte, womit ich nicht einverstanden war, habe ich gesagt: »Okay, Ober sticht Unter. Ich bin nicht einverstanden, aber du hast das so entschieden.« Die kam damit überhaupt nicht zurecht, dass ich das so direkt gesagt habe. Jeder wünscht sich, dass die Leute überzeugt sind. Früher hat man nur über Macht und über klare Anweisungen geführt. Es war nicht immer so, dass Mitarbeiter selbst mitdenken, voranbringen und sich trauen, Verbesserungen zu kommunizieren. In den letzten Jahr­ zehnten hat sich das Bedürfnis herauskristallisiert, sich einzubringen. Es ist ja nicht so, dass einer die Weisheit mit Löffeln gefressen hat und alles perfekt von oben nach unten durchdeklinieren kann. Es wird immer Macht und Führung geben, wo Menschen zusammen­ kommen. Wie sich das manifestiert und wie sich das in Hierarchien 114

Respektierte Autorität in der Praxis

festschreibt, das verändert sich gerade. Auch agile Projekte werden geführt. In agilen Projektorganisationen gibt es Rollen, die bestimmte Gestaltungs- und Entscheidungsmacht haben. Das ist Führung. Es ist nicht nach Schulterklappen verteilt. Ob ich viel Macht hatte? Wofür Macht? Das wäre die Frage. Ich kann Ansagen machen, aber das ist keine Macht. Ich hätte die Macht, den Geschäftsführer zu entlassen oder Mitarbeiter rauszuschmeißen, aber die hätte ich nie alleine. Das muss immer ein Gremienbeschluss sein. Ich musste mich immer auseinandersetzen. Das bringen solche Gremien und solche Vereine mit sich, dass der Einzelne nie alles alleine machen kann. Der reine Begriff Macht hat für mich einen negativen Touch. Dass ich Macht über Mitarbeiter und über die Arbeiten habe, widerstrebt mir. Ich fühle mich bei dem Gedanken nicht wohl, Macht in der Füh­ rung einzusetzen. Ich kann es natürlich. Ich kann hingehen und eine Anweisung geben, und wenn das nicht so gemacht wird, wie ich mir das vorstelle, kann ich für eine Abmahnung oder für einen Rausschmiss sorgen. Aber das passt für mich nicht zusammen. Ich versuche, es als ein Spiel zu sehen, wenn es besonders politisch wird oder besonders unternehmerisch. Ich mache mir einmal mehr bewusst, dass ich nur eine Rolle innehabe, und überlege mir, wie ich mich positionieren kann, sodass ich mich halbwegs wohl damit fühle. Aber Macht auszuspielen würde mich nicht auszeichnen. Wenn mir das in der Führung widerfährt, würde ich mir die Frage stellen, ob ich da richtig bin.

Machtspiele spielen Ich kann auch schweigen und zuhören. Ich muss mich nicht unbedingt das zwanzigste Mal zu Wort melden, wenn es um ein Thema geht, das schon stundenlang besprochen wurde, und alles gesagt ist, nur noch nicht von mir.

Das Thema »Hierarchie klären« ist nach meiner Erfahrung ein typisch männliches Vorgehen, das immer stattfindet, wenn mehr als drei Per­ sonen an einen Tisch kommen, und zwar immer am Anfang. Manchmal ist es eine lange Rangelei, manchmal kennt sich die Gruppe und ist eingespielt und dann braucht man nur einmal schauen: Wie ist denn Über den Umgang mit Hierarchien und Macht

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heute die Stimmung? Das machen Frauen nicht so sehr. Männer ach­ ten genau darauf, wer wo sitzt, wer als Erster das Wort ergreift, wer welches Thema anspricht und was sagt. Das ist Machtdemonstration, männliche Führungskultur, und Führung hat ja etwas mit Macht zu tun. Das ist ein gelernter Mechanismus, um in einer Organisation das Machtgefüge zu klären und zu wissen, wer Entscheidungen treffen darf, wie wir vorankommen und wen ich auf meine Seite ziehen muss, damit ich mein Thema durchbringe. Das macht manche Dinge einfacher, wenn ich weiß, ich muss nur Herrn Meyer überzeugen, das ist heute der Wichtigste am Tisch. Eine Organisation ist ja nicht nur im Organi­ gramm festgeschrieben, sondern es geht auch darum, wer gerade gut gelitten ist. Das muss ich austesten. Und wenn ich weiß, wer gerade das Sagen hat, dann bekomme ich meine Themen besser durch, weil ich weiß, wen ich überzeugen und auf meine Seite bekommen muss. Das trägt dazu bei, dass Entscheidungen getroffen und Ergebnisse erzielt werden. Ob es die guten Entscheidungen sind, ist eine andere Frage. In einem Team war ich inhaltlich total auf die Mitarbeiter angewie­ sen und brauchte deren Input, um Dinge beurteilen zu können. Sie waren nicht in der Lage, selbst eine Entscheidung zu treffen. Zu Anfang haben sie meine Entscheidungen nicht akzeptiert und mein über­ geordneter Chef hat hinter meinem Rücken mit denen diese Themen diskutiert. Dadurch sind wir auch inhaltlich nicht vorangekommen. Das Ganze wurde immer wieder angefeuert von einem Kollegen, der gerne die Abteilungsleiterposition gehabt hätte. Er hatte deutlich mehr Berufserfahrung als ich und war mir fachlich haushoch überlegen, aber ihm wurde die Führungskompetenz abgesprochen, denn selbst im normalen Umgang zwischen den Mitarbeitern hatte der arge Ausreißer. Es gab dann mehrere Gespräche und mein Vorgesetzter hat gesagt: »Entweder du fügst dich oder du gehst.« Die erste Reaktion war: »Dann geh’ ich«, aber letzten Endes ist er eingeknickt und danach hatten wir das beste Verhältnis, das man sich vorstellen kann. Wir haben unglaublich gut zusammengearbeitet und gute Ergebnisse erzielt. Ich fand es spannend zu sehen, wie schnell der Kollege eingelenkt hat und wie entspannt der danach war. Man könnte ja auch meinen, dass er sich nach der Niederlage viel schlechter fühlt – nö. Die Ränge waren geklärt. Diese Machtgeschichten sind auch geschlechterspezifisch. Wenn da eine Frau mit dreißig Jahren Berufserfahrung gerne die Posi­ 116

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tion gehabt hätte, hätte sie vermutlich anders agiert, wenn auch nicht unbedingt konstruktiv. Ich bekomme ganz viele Eigenschaften von Mitarbeitern gar nicht mit, die werden mir nur berichtet. Zu mir sind die immer ganz anders. Mir gegenüber sind sie eher auf Augenhöhe, nicht kriecherisch. Einige treten anderen gegenüber von oben herab und dominant auf. Ich habe gelernt, dass manche Männer erst mal checken: Welche Rolle nimmt die Frau jetzt in Beziehung zu mir ein? Ist das Mutter, Freundin oder Beziehungsobjekt? Dann wirst du einsortiert. Und wenn die Rolle klar ist, dann muss man diese Rollenebene abchecken. Da übernehme ich oft die Mutterfunktion. Bei einer Kollegin war klar: Das war eine »Krankenschwester«, die wurde nie als Sexualobjekt adressiert oder als Frau degradiert. Das war eine Autorität. Da gehen die Männer auch auf äußere Merkmale: weiße Haare, höheres Alter. Als ich wusste, das sind die Mechanismen, habe ich die Karte auch ausgespielt, dann war das erledigt, dann konnte man seine Arbeit machen. Als ich jünger war, hingen bei manchen Männern, mit denen ich beruflich zu tun hatte, Pin-ups an den Wänden. Die Männer guckten erst einmal, wie ich reagieren würde. Oder sie machten Sprüche, die ich überhörte. Jetzt ist das nicht mehr so. Als ich einmal eine Ord­ nungsmaßnahme durchführen musste, wurde ich tätlich angegriffen und musste flüchten. Ich glaube, das wäre nicht passiert, wenn ich ein Mann gewesen wäre. In der Regel habe ich einen vollgepackten Terminkalender, und wenn ich in so ein Meeting komme, weiß ich, jetzt kann ich mich erst einmal zurücklehnen und in Ruhe ankommen, denn es findet ja erst einmal ein Machtspiel statt, das ich mir anschauen kann. Ich mische mich dann nicht ein. Wenn ich in diesem Meeting etwas mir Wichtiges durch­ setzen möchte, dann kann ich dieses Spiel auch wunderbar spielen. Dann spiele ich von Anfang an mit, um mein Thema durchzubringen. In bestimmten Situationen kann man damit schneller Dinge regeln, als wenn man mit einer weiblichen Art und Weise herangeht. Ich fand es immer furchtbar, darauf zu achten, wem ich nach dem Mund reden oder dass ich selber wichtige Themen besetzen muss. Ich bin mehr an der Sache orientiert. Und das merke ich bei meinen weiblichen Mit­ arbeiterinnen auch: Wenn Frauen an einen Tisch kommen, findet das nicht unbedingt statt, da ist mehr Sachorientierung. Es ist ein anderer Über den Umgang mit Hierarchien und Macht

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Umgang mit Macht und Hierarchie, eine andere Form der Kommuni­ kation und es sind andere Dinge wichtig. Das kann dazu führen, dass Frauen schneller ins Arbeiten kommen und pragmatischer sind. Wenn es dann aber zum Konflikt kommt, dauert es länger. Das erlebe ich jeden Tag in meinem Führungsalltag. Beides hat Vor- und Nachteile, wie immer. Zu männlicher Führungskultur gehört natürlich auch das Thema »Präsentismus«  – was sind wichtige Themen, die ich besetzen muss, was sind wichtige Posten? Man achtet ganz gezielt auf den eigenen Rang. Ich will ja etwas gestalten. Das System funktioniert so und es ist wichtig, darauf zu achten und das zu wissen. Es wäre mir natürlich lieber, diese Machtspiele nicht zu spielen. Es wäre mir lieber egal, wer der Wichtigste am Tisch ist. Ich möchte meine Meinung sagen und die Meinung von jedem hören. Ich möchte mehr an der Sache orientiert sein und einen hierarchie­ freien Dialog. Das schreiben wir inzwischen auch in unsere Unter­ nehmens- und Führungsleitlinien, aber es wird in der männlichen Füh­ rungskultur nicht gelebt. In meiner Rolle als Vorstand versuche ich, mich anders zu verhalten und damit die Unternehmenskultur zu ändern, denn Kultur hat viel mit Zuschreibung zu tun. Ich versuche, durch gute Kommunikation und Streitkultur gute Lösungen gemeinsam zu erarbei­ ten, aber ich kann auch Sachen durchsetzen. Machtspiel ist negativ besetzt. Ich setze Vorstandsmacht als Funk­ tion ein. Ich habe als Frau gelernt, selbstbewusst zu sagen, dass ich Macht will und habe. Ich möchte keine Machtspiele machen, aber ich möchte Gestaltungsmacht, ich möchte positive Macht. Und Autorität ist für mich Verantwortung. Um Verantwortung erfüllen zu können, Antwort geben zu können, brauche ich Gestaltungsmacht. Wenn ich Verantwortung übernehme, dann erfolgt eine Machtzuschreibung. Und das hat etwas mit Autorität zu tun. Nur Funktion und Macht – das kann jemand innehaben und gar keine persönliche Autorität haben. Wir hatten in den Behörden und in der Politik immer Unterstützung, weil wir in eine Lücke reingegangen sind, aber auch durch gute Lobby­ arbeit durch Aktivisten. Und darüber ist es möglich gewesen, nach und nach auszubauen. Es war nicht so, dass wir rumgerannt sind und erzählt haben, was wir machen wollen, sondern wir wurden gefragt: »Wir wol­ len gerne, dass ihr Sozialarbeit einsetzt und dass ihr in Kontakt geht. Wir wollen Projektmittel bezahlen und Sozialarbeiter engagieren.« Und 118

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wir haben selber Projekte angeboten. Das ist organisch gewachsen, eine Aufgabe kam zur anderen. Wir haben immer geguckt, was ist der Bedarf? Und dann muss man Weichen stellen und Lobbyarbeit machen. Netzwerke knüpfen ist in solchen Gremien das Allerwichtigste, damit Sie ein Gegenüber haben, mit dem Sie gut umgehen können. Und wenn Sie das Gegenüber kennen, können Sie in schwierigen Sach­ verhalten mal zum Telefonhörer greifen und fragen: »Wie sehen Sie das?« Netzwerke sind die Schmiere, die unser ganzes Leben am Laufen hält: Nicht an anderen vorbeigehen, nicht mauscheln, sondern versu­ chen, Dinge anzusprechen, auch wenn man völlig unterschiedlicher Meinung ist  – den anderen dazu bringen, zumindest meine Haltung zu akzeptieren. Ich muss im Sachverhalt nicht immer zu einer Gleich­ macherei finden. Man sollte Netzwerke knüpfen und diese am Leben halten, ohne andere auszuschließen. In theologischen Fragen können wir unterschiedlicher Meinung sein, aber bei unseren Projekten sind wir alle einer Meinung. Das ist Respekt, dass ich akzeptiere, dass der andere eine andere Meinung, eine andere Zugangsweise hat, aber wir können es miteinander machen. Ich habe Protektion vom Inhaber, er schätzt mich. Es liegt nicht nur an meiner Autorität, sondern er hat mir in der Vergangenheit auch den einen oder anderen vom Hals gehalten, der mir Böses gewollt hätte. Das ist für mich in Ordnung, weil das hier ja keine Einzelaktion ist. Es zählen die eigene Leistung, die eigene Autorität und die eigene Persön­ lichkeit, aber sicherlich auch das Netzwerk, das man um sich herum hat und das einen auch ein Stück weit schützen können sollte. Das war vielleicht zu Anfang der einzige Grund, warum das mit dem einen oder anderen gut geklappt hat. Da konnte ich Dinge ausfechten, die einem Niederlassungsleiter oder einem Geschäftsführer nicht ganz so gut gefallen. Es gab eine Situation, in der ich mir aktive Hilfe von meinem zuständigen Vorstand geholt habe. Ein Niederlassungsleiter hat auf Kosten einer Mitarbeiterin von mir ziemlich übel agiert. Das überstieg meinen Wirkungsgrad. Als ich es alleine versucht habe, hat es zwar gefruchtet, aber es hat zu lange gedauert, denn die Mitarbeiterin war kurz davor, das Unternehmen zu verlassen. Wenn mich jemand zweimal tränenüberströmt anruft, dann ist die Grenze des guten Geschmacks erreicht. Die haben sie malträtiert und ich konnte sie nicht so schützen, wie sie es gebraucht hätte, weil ich zu weit weg war. Jetzt hat die Kol­ Über den Umgang mit Hierarchien und Macht

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legin einen Schutz von ganz oben. Sie hat sich lange dagegen gewehrt, dass es jemand erfährt, aber ich konnte nichts mehr für sie tun, ich war am Ende meiner Macht. Ich bin zum Vorstand gegangen und dann haben wir ein Dreiergespräch geführt. Da gab es ein paar harte Worte. Der Vorstand war ein sehr umgänglicher Mensch und so hatte ich den bis dahin noch nicht erlebt. Man sollte sich nicht zu fein sein, auf die Hilfe anderer zurückzugreifen, wenn man merkt, dass man selbst nicht mehr weiterkommt. Hierarchien gibt es nicht nur, um Anweisungen zu empfangen, sondern auch, um Unterstützung zu bekommen, wenn es alleine nicht mehr funktioniert. Mittlerweile haben sich viele Arbeits­ beziehungen auf der inhaltlichen Ebene so verbessert, dass die Leute das für eine gute Konstellation halten und mir nichts wollen oder mir kein Messer in den Rücken rammen würden, wenn ich mich umdrehe. Es ist hilfreich, dass ich relativ schlagfertig bin. Ich sage auch: »Das war unter aller Kanone, vielen Dank fürs Gespräch.« Ich bin jetzt seit fast drei Jahren dabei und habe mir Anerkennung erkämpft. Ich weiß, wie mein Job geht und dass ich den Laden zusammenhalte. Bevor ich gekommen bin, gab es viel Fluktuation im Marketing. Und nun sieht man, dass es eine gewisse Konstanz gibt und wir gute Arbeitsergeb­ nisse bringen. Das wird anerkannt. Und mit meiner Schlagfertigkeit muss ich mich nicht verstellen. Ich bin dabei und gleichzeitig wissen sie, dass ich mir nicht alles gefallen lasse. Als es darum ging, wie viel Personal mitkommt, saßen wir vor Per­ sonallisten. Und ein Geschäftsführer sagt: »Du hast zwanzig Leute, das ist ja total überdimensioniert.« Da sage ich: »Wir machen die Arbeit für 25 Leute, und wenn du die Gehaltsstruktur mit der der Personalabtei­ lung vergleichst, wirst du sehen, dass wir preiswerter sind. Also, bevor du dich aufregst, schau’ erst einmal hinter die Fassade.« Das Thema war dann durch. Dagegenhalten und den Mund aufmachen ist wichtig. Wenn Männer ihre Netzwerke abgezogen haben, haben sie versucht, mich auszuschließen, aber das ging nicht immer. Ich habe nachgefragt und habe dann meine Meinung dazu gesagt. Man sagte dann: »Wie wir schon besprochen haben …« – »Wieso? Wo haben Sie das besprochen? Das gehört doch hier in diese Besprechung.« Ich habe einfach mal nach­ gefragt, wenn es wichtig war. Ich habe mir meinen Platz genommen. Sie haben so getan, als wäre ich nicht da, wenn sie sich unterhalten haben. Da kamen diese klassischen chauvinistischen Sprüche, die ich 120

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einfach aufgegriffen und einen Gegenspruch daraus abgeleitet habe. Dann haben sie es meistens selber schnell gemerkt. Ich versuche, in deren Sprachwelt einzutauchen und zu retournieren, wenn es nötig ist, ohne zu zart besaitet zu sein, damit sie es verstehen. Frauen sagen häufig, sie kämen nie zu Wort in so einer männlichen Konferenz, weil sie immer überrollt werden. Aber es macht einfach keinen Sinn, die beleidigte Leberwurst zu spielen und zu sagen: »Ich arme Frau komme gar nicht durch«, sondern man sollte einfach beob­ achten und denen dann einen vor den Latz knallen. Dann merken sie schon, dass man auch noch da ist. Mein Chef hat dieses machomäßige, diesen Habitus, den M ­ änner haben, wenn sie mit anderen Männern zusammenkommen, die in Führung sind – dieses Abchecken und vermeintlich Kumpelhafte und Lockere, mit lockeren Sprüchen, die so über die Lippen gehen, Abwer­ tungen und geringschätzige Bemerkungen. Ein paar Frauen in seinem näheren Umkreis haben ihm in den letzten Jahren gesagt: »Das ist unter aller Kanone, was Sie hier machen.« Er versucht, es zu ändern, aber er fällt immer in alte Muster. Ich bin konfliktfreudig, sonst könnte ich mit ihm nicht arbeiten – da ist nichts mit »ausgeglichen«. Wenn mich etwas stört, dann spreche ich das an. Sicherlich gab es auch Zeiten, in denen ich deutlich übers Ziel hinausgeschossen bin und das viel zu massiv geäußert habe, aber das mildert sich mit der Zeit etwas ab. Es gibt sehr viele Intrigen. Leute gehen zum Beispiel an mir vorbei zum Vorstand. Wir haben eine Doppelspitze und das lädt dazu ein, Leute gegeneinander auszuspielen oder sich für bestimmte Dinge Rücken­ deckung zu holen. Wenn so etwas passiert, spreche ich das an. Das kann ich nicht akzeptieren. Wir haben Kommunikationswege und es kann nicht sein, dass auf diese Weise versucht wird, Entscheidungen herbeizuführen. Macht ist ja nicht per se etwas Negatives. Es kann für mich auch entlastend sein, wenn ich sagen kann: »Das hat der Vorstand so ent­ schieden.« Wenn ich das Gefühl habe, dass es unfair ist oder dass es darum geht, sich auf intransparente Weise Vorteile zu verschaffen, dann würde ich versuchen, dagegen vorzugehen. Oder ich würde mir überlegen, ob es mir wichtig genug ist, um da viel Energie reinzuste­ cken. Gelassenheit finde ich total wichtig. Bei Sachen, die mir wirklich wichtig sind, würde ich ein paar Gespräche führen, beispielsweise: »Der Über den Umgang mit Hierarchien und Macht

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Aufsichtsrat wird da gerade so beeinflusst, wie es nicht in unserem Interesse ist«, damit auch die Gegenposition im Aufsichtsrat benannt wird. Wenn man für bestimmte Sachthemen oder für bestimmte Ziele brennt, dann muss man eine Gegenstrategie entwickeln. Wenn Männer eine wahnsinnig maskuline oder schreckliche Mei­ nung vertraten, konnte ich mich mit denen auseinandersetzen und habe etwas gesagt. Wenn sie sich ausschließend verhalten, dann denke ich, so sind sie. Aber bei Frauen denke ich: Warum stellen wir uns als Frauen so nach außerhalb? Männer machen das viel gekonnter, subtiler. Die machen ihre Netzwerke, das fällt nicht so auf. Bei Frauen ist das manchmal schwierig. Sie machen es so, dass der andere sich gewaltig zurückgesetzt fühlt. Da sage ich dann lieber nichts, da bin ich feige. Wenn mir Macht entgegengebracht wurde, war ich manchmal hilf­ los. Manchmal kann man ganz schlecht damit umgehen. Manchmal muss man sie anerkennen. Dann muss man tief durchatmen und sich dem stellen: Was will der oder die von mir? Und dann gucken, ob man sachlich damit umgehen kann. Machtausübung kommt ja meistens nicht sonderlich sachlich daher, da kann man versuchen, es auf eine sachlich Ebene zu bringen. Aber mich dieser Macht ausliefern, das tue ich nicht. Ich versuche, dagegen anzugehen. Für mich persönlich ist eine große innere Distanz wichtig. Ich nehme mich selber nicht so wichtig und damit auch alle anderen um mich herum nicht. Ich lehne mich zurück und schaue, gehe auf die Metaebene: Was machen wir hier eigentlich, was passiert hier gerade? Und ganz konkret: Interessiert es irgendeinen Kunden, was wir hier gerade tun?

Leiten ohne Macht Machtkämpfe würden mich herausfordern, weil ich auf der einen Seite menschlich darauf reagiere und mich auf der anderen Seite daran erin­ nere, dass ich eine Rolle innehabe, die nun mal vorsieht, dass ich mich mit solchen Menschen auseinandersetze. Ich versuche zu verstehen, warum die so reagieren. Meistens ist es ja so, dass eine Angst oder eine Unsicherheit damit einhergeht, oder es gibt ein Unverständnis für bestimmte Sachen. Dann hilft es, erst einmal zu verstehen, was der 122

Respektierte Autorität in der Praxis

Treiber für diese Reaktion ist, damit ich dann darauf reagieren kann. Ich habe das noch nie gehabt, dass das wirklich eskaliert wäre. Ich könnte in meiner Machtposition als Partnerin und Abteilungs­ chefin Dinge anordnen, die die Mitarbeiter machen müssten, weil es in ihrem Arbeitsvertrag steht, die aber womöglich kompletter Quatsch wären. Wenn ich beispielsweise zu meiner Sekretärin sage: »Du bringst mir jeden Morgen um neun Uhr Kaffee vom Laden und bitte geschüt­ telt und nicht gerührt«, dann würde die das machen, weil sie denkt, sonst entlasse ich sie. Daran habe ich kein Interesse. Aber wenn es mal eng wird, sage ich schon mal: »Wärst du so lieb, würdest du mir einen Kaffee holen, ich schaffe es zeitlich nicht?«, dann hat sie das bis jetzt auch immer gemacht. Wenn sie Nein sagen würde, wäre das für mich auch in Ordnung. Dann trinke ich eben keinen Kaffee. Wenn ich meine Rolle benutze, um andere Menschen Dinge tun zu lassen, die eigentlich völliger Quatsch sind, nur damit ich mich besser fühle oder meine Position stärke, dann ist das für mich Macht, die nicht aus einem respektvollen Autoritätsgedanken kommt. Wenn ich Bußgelder verhänge, versuche ich das so zu tun, dass es der Sache angemessen ist. Es besteht die Gefahr, dass manche Behördenmitarbeiter ihre Macht den Bürgern gegenüber missbrauchen. Da sehe ich mich nicht so gefährdet. Ich versetze mich ganz häufig in die Position des anderen und verstehe, was für sie schwierig ist. Das macht das Leben nicht einfacher. Macht ist, wenn ich etwas durchsetzen will, was die ganze Gruppe, die ich gegenüber habe, nicht will. Und wenn ich dann keine Diskussion mehr zulasse und sage, wie es gemacht wird, ist das für mich Macht und autoritär. Das ist etwas, was mir nicht sonderlich liegt. Ich bin dem natürlich begegnet, und man ist auch manchmal in der Versuchung zu sagen, »so und jetzt ist Schluss«. Ab und zu habe ich das gemacht, wenn sich Sachen immer wieder im Kreis gedreht haben. So etwas schaukelt sich dann ja hoch. Ich mag solche Machtworte nicht, aber manchmal müssen sie sein. Damit sie nicht so häufig nötig waren, habe ich Vorbesprechungen geführt, um das Feld zu bereiten. Ich muss Verträge ab einer gewissen Summe unterschreiben, das hat etwas mit Macht zu tun. Dadurch, dass die Leute wissen, dass Ent­ scheidungen über meinen Schreibtisch müssen, wissen sie natürlich auch, dass sie das mit mir abstimmen müssen. Das ist eine riesige Über den Umgang mit Hierarchien und Macht

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Abteilung mit siebzig Mitarbeitenden, und dadurch, dass festgelegt ist, dass bestimmte Dinge von mir autorisiert werden müssen, habe ich natürlich eine bestimmte Macht. Aber ich nutze Macht nicht gezielt. Mir fällt es schwer, wenn sich ein Team gegen mich zusammentut. Ich wollte mal eine Quereinsteigerin in eins meiner Teams bringen, weil sie einen Neuanfang starten sollte. Ich wollte ihr noch eine Chance geben. Die Teamleiter haben sich strikt geweigert, diese Person in ihre Teams aufzunehmen, und haben mir massiv Gegenwehr gegeben. Ich musste an deren Menschlichkeit appellieren. Die haben unternehme­ risch argumentiert, dass sie nicht jemanden reinnehmen können, den sie anlernen müssen, weil er keine Ahnung hat und die Sache womög­ lich noch erschwert. Ich habe gesagt: »Wie würdet ihr denn wollen, wie mit euch umgegangen wird, wenn euch so ein Fehler unterlaufen ist? Würdet ihr euch nicht auch wünschen, dass das Unternehmen es noch einmal mit euch versucht?« Einer hat dann Einsicht gezeigt und sie bei sich aufgenommen. Am Ende hat alles gut geklappt. Und hinterher haben einige zurückgemeldet, sie hätten gar nicht verstanden, warum sie sich so angestellt hätten. Aber es hat schon eine Weile gedauert, bis man wieder ein Miteinander gefunden hat. Wenn etwas nicht so gut läuft, wird natürlich immer versucht zu belehren, zu motivieren, Einvernehmen zu erzielen, aber es kommt schon vor, dass man mal eine Ermahnung ausspricht. Bei uns in der Betriebskultur ist ziemlich viel »laissez faire«, gibt es sehr viele Frei­ heiten, was in Ordnung ist, solange die Freiheit genutzt wird, um zur Zielerreichung beizutragen. Es war immer meine Haltung, wenn jemand sich falsch entschieden hat und wir es als Team verstehen, dann tragen wir das gemeinsam und versuchen, den Fehler auszugleichen. Wenn wir eine Stelle zu besetzen hatten, habe ich gesagt: »Sucht euch einen aus und sagt mir Bescheid, wen ihr haben wollt. Wenn ihr das als Team entschieden habt, vertraue ich darauf, dass das eine gute Entscheidung ist. Dann mach’ ich das Formale.« Ich hab’ mir die Leute noch nicht mal angeschaut. Wir waren uns auf Leitungsebene alle einig, wir wollen den partizipativen Weg weitergehen. Diejenigen, die etwas umsetzen, sollen auch die maximale Verantwortung für ihren Bereich tragen. Nun haben die Mitarbeiter einen Betriebsrat gegründet, obwohl sie gesagt haben, dass sie mit allem zufrieden sind und gar nichts ändern wollen. Mit dem Betriebsrat hat man ein Delegationsprinzip, repräsentative 124

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Macht. Er entscheidet über Projekte, mit denen er überhaupt nichts zu tun hat. Die Mitarbeiter haben sich gezielt entmachtet und haben das nicht kapiert. Ich habe mir den Mund fusselig geredet: »Das ist ein Rückschritt und ihr wisst nicht, was ihr damit macht.« Und: »Warum denn?« – »Na ja, weil alle anderen das auch haben.« Da war ich wirk­ lich machtlos. Meine Mitarbeiter erwarten von mir, dass ich mich meinen Vorge­ setzten gegenüber durchsetze und mehr Leute für mein Amt rekru­tiere. Ich gebe ihnen gegenüber manchmal offen zu, dass ich in bestimmten Aspekten machtlos bin. Manche Sachen kann ich nicht ändern. Ich kann weder die Kunden noch die Rechtsvorschriften noch die Arbeits­ last ändern. Eine Mitarbeiterin war sehr lange da und war älter als ich. Sie war sehr gut vernetzt und besaß dadurch Macht. Sie hat versucht zu intri­ gieren, nicht nur gegen mich, auch gegen andere. Ich habe mit der Ver­ waltung gesprochen, aber niemand wollte da ran, auch wenn alle auf meiner Seite waren, weil sie sehr unbeliebt war. Ich musste sie behalten. Eine Mitarbeiterin spielt ihre Schwerbehinderung als Macht aus. Als wir eine Rufbereitschaft angeordnet bekamen, holte sie sich ein Attest und machte nicht mit, sodass alle anderen öfter dran sind. Da bin ich ohnmächtig. Ich habe mich erkundigt, aber da kann man nichts machen. Ich werde versuchen, einen personellen Ausgleich zu bekom­ men, weil ich sie nicht ganz einsetzen kann. Bestimmte Machtkämpfe führe ich gar nicht, wenn ich nicht gewinnen kann. Da ärgere ich mich zwar, aber ich versuche, das System zu akzeptieren. Bei Machtkämpfen mit meiner Vorgesetzten lasse ich sie entscheiden und überlasse ihr die alleinige Verantwortung dafür.

Über den Umgang mit Hierarchien und Macht

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Kinder, Kinder! Ich habe die Leitung übernommen und war kurz darauf schwanger. Ich bin in Mutterschutz gegangen und wollte eigentlich gerne stillen und ein halbes Jahr Pause machen, aber da hat man mir sehr dringend nahe­ gelegt, dass ich zumindest zwei Tage die Woche komme. Das habe ich gemacht, als das Kind acht Wochen alt war. Als es fünf Monate alt war, bin ich mit 75 Prozent der Stunden einer Vollzeitstelle zurückgegangen. Ich habe fünf Tage die Woche gearbeitet und war immer erreichbar. Das war mir eigentlich zu schnell, denn es gab damals keine Kinder­ betreuungsmöglichkeiten dafür. Ich war natürlich stark damit beschäf­ tigt, Kind, Haushalt und Leitung hinzubekommen. Diese Zerrissenheit ist echt ein Problem. Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht ausreichend Mutter war, weil ich oft gearbeitet habe, und nicht ausreichend Che­ fin. Es gibt ja die Diskussion, ob man reduziert arbeiten und trotzdem Führungskraft sein kann. Mit dreißig Stunden beispielsweise ist man keine halbe Portion, mit zwanzig Stunden schon. Ich habe früher gedacht, ich bin nicht benachteiligt, weil ich Frau bin, sondern weil ich Mutter bin, weil ich immer pünktlich nach Hause musste. Das war extrem anstrengend, wenn die Arbeit nicht fertig war und ich das Kind vom Kindergarten abholen musste. Da habe ich mich benachteiligt gefühlt, weil ich das alles alleine machen musste. Wenn ich Sonderrechte für mich eingefordert hätte, wäre es mir als Leitungs­ kraft negativ ausgelegt worden. Ich habe zwar reduziert gearbeitet, aber immer wenn etwas anlag, ganztägig, nachmittags oder abends, habe ich einen Babysitter gebucht. Meine Mitarbeiter machen das in der Regel nicht. Ich habe einen männlichen Kollegen, der ist zwei Jahre älter und mein Stellvertreter. Er war meistens länger da als ich. Ich habe 75 Pro­ zent der Vollzeitwochenstunden auf fünf Tage verteilt gearbeitet, bin also zwei Stunden früher gegangen. Er hat deshalb mehr vom täglichen Geschäft mitbekommen. Er hat ein bisschen gestichelt, und wenn ich nicht da war, hat er ohne Notwendigkeit sofort Dinge erledigt, die auch noch am nächsten Tag von mir selbst hätten erledigt werden können. Damit hat er meine Autorität infrage gestellt. Es war für mich schwierig, zu sagen: »Das ist aber meine Sache, weil ich die Leiterin bin.« Das 126

Respektierte Autorität in der Praxis

leichte Gestichel habe ich ignoriert und nicht angesprochen, denn es hat mich selber geärgert, dass ich nicht immer da war. Es gibt noch manchmal so leichte Tendenzen zum Sticheln, weil ich mit neunzig Prozent der Stunden immer noch etwas reduziert arbeite, aber das hat eine ganz andere Qualität. In der Arbeitszeitreduktion sehe ich ein großes Spannungsfeld: Die Führungskraft als Anker, die Verbindlichkeit und Fürsorge gewährleistet, muss erreichbar für die Mitarbeiter sein. Das schafft innere Konflikte, wenn gleichzeitig Kinder da sind. In Männerrunden passiert es sehr häufig, dass bestimmte Cha­ raktereigenschaften von Frauen negativ abgetan werden. Wenn man nachfragt, dann heißt es, dass eine Frau zu einem Termin nicht kann, und wie sie Karriere machen will, wenn sie Kinder hat – als ob Männer zu jedem Termin könnten! Es wird besser, aber so wie unsere Organisa­ tion jetzt tickt, ist mein Job, die Abteilung und den Standort zu führen, mit einer halben Stelle nicht machbar. Da fehlen noch Modelle wie das Sharing-Modell, um zu zeigen, dass das sehr wohl funktioniert.13 Als ich hier anfing, haben wir in meinem zweiten und dritten Ein­ stellungsgespräch lange darüber diskutiert, dass ich nicht jeden Tag bis 21 Uhr bleiben kann, sondern auch zu Hause arbeite. Meine Tochter war damals drei und da kann immer mal etwas sein. Und mein Mann hat damals noch im Schichtdienst gearbeitet. Alle drei Wochen musste ich meine Tochter um 17 Uhr aus dem Kindergarten holen. Ich wollte das geklärt wissen, bevor ich hier anfange. Mir war wichtig, dass es mir nicht negativ ausgelegt wird, wenn ich mal nicht hier bin. Wir Frauen erlegen uns die Eier legende Wollmilchsau in sehr vielen Fällen selbst auf. Die Maßstäbe an uns selbst sind deutlich höher als das, was das Umfeld von uns erwartet. In vorauseilendem Gehorsam wollen wir immer beweisen, dass wir nicht da sind, weil wir Frauen sind, sondern weil wir noch besser sind als die männlichen Kollegen. Wir zerfleischen uns selbst in diesem vorauseilenden Gehorsam. Ich 13 Unter dem Schlagwort »Geteilte Führung« oder »Shared Leadership« probieren Führungskräfte Modelle aus, wie Leitungsstellen von zwei Personen übernommen werden können. Dazu gibt es je nach den Erfordernissen verschiedene Zeitaufteilungen, wie beispielsweise abwechselnde wochenweise Anwesenheit mit einem gemeinsamen Arbeitstag, an dem die Aufgaben übergeben werden. Kinder, Kinder!

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habe viele Jahre nicht gesagt: »Wir müssen aufhören, weil ich meine Tochter abholen muss«, sondern ich habe gesagt: »Wir müssen pünkt­ lich Feierabend machen, weil ich einen Anschlusstermin habe.« Und irgendwann habe ich mich gefragt, ob ich eigentlich doof bin. Es gibt keinen Grund, mein Kind zu verstecken. Und siehe da, es war nie ein Störfaktor, sondern im Gegenteil: Das hat mehr Nähe geschaffen. Meistens kam dann von Männern: »Ich muss die auch immer abholen und habe volles Verständnis.« Ich kann mich an keinen Fall bei meinen Mandanten erinnern, in dem die Offenheit zu Restriktionen geführt hat. Intern war das anders. Ein Vorgesetzter sagte zu mir: »In deiner Position wird man nicht schwanger.« Oder die Männer machen bescheuerte Termine, an denen du als Mutter einfach nicht kannst. Gleichberechtigung gelingt erst, wenn wir sagen, die Vorstandssit­ zung ist um 16 Uhr zu Ende, weil der Vorstand sein Kind vom Kinder­ garten ab­­holen muss. Ich bringe den jungen Frauen, die ich begleite, bei: »Steht zu dem, was ihr seid, und sagt das ganz offen.« Das ist in den seltensten Fällen Böswilligkeit, sondern meist Unbedarftheit und Unwissenheit. Je weni­ ger wir als Frauen »Stopp!« sagen, desto mehr werden wir übergangen und desto mehr versuchen wir, es immer wieder auszugleichen, indem wir immer noch mehr arbeiten. Unsere Quote geht auch deshalb nicht nach oben, weil wir keine finden, die den Job machen will. Wir wollen die Leute befördern, aber die sagen, dass sie es zu diesen Bedingun­ gen nicht möchten. Bei diesen Frauen in den Podiumsdiskussionen habe ich mich so schlecht gefühlt und dachte: Wie macht die das? Sie sieht blendend aus, stillt während der Telefonkonferenz ein Kind an der Brust, verkauft ein Unternehmen und lächelt dabei, und das Haus ist aufgeräumt – es gibt keine Probleme. Irgendetwas stimmt nicht mit mir, denn mein Alltag sieht anders aus. Bis ich erkannt habe, dass das die falschen Rollen­ modelle sind. Eine Mitarbeiterin kam aus einer Schulung mit solchen Rollenmodellen und sagte: »Ich habe mein Kind, weil ich es wollte. Ich liebe meine Mutterrolle und möchte gerne beides, aber wenn es nicht geht, dann möchte ich keine Karriere machen.« Viele junge Männer haben ihre Ansichten verändert. Einer meiner Kollegen war ein ganzes Jahr in Elternzeit – das war echt hart. Nichts­ destotrotz ist es mir wichtig, das zu ermöglichen, denn wenn man es 128

Respektierte Autorität in der Praxis

nicht tut, gehen die Leute, weil sie es anderswo bekommen. Und die Erfahrungen aus ihrer Elternzeit beeinflussen ihr Leitungsverhalten zum Positiven, selbst wenn es nur das Verständnis ist, wie sich womöglich eine alleinerziehende Frau fühlt. Allerdings ist die Hemmschwelle bei uns im Unternehmen extrem hoch. Junge Kollegen haben sich gegen Elternzeit entschieden, weil sie Angst hatten, dass es einen Karriere­ knick gibt. In unserer männlich geprägten Kultur ist das Thema »Kinder« eines für Frauen. In Deutschland sagen die Frauen: »Ich hab’ mich entschie­ den, ich will mich um meine Kinder kümmern.« Warum entscheiden sich alle französischen Frauen anders? Was ist eine freie Entscheidung, was nicht? Wenn wir wirklich Parität erreichen wollen, dann müssen wir in der Familienarbeit Gleichberechtigung erzeugen. Was Frauen tun, muss viel stärker in den Mittelpunkt der Gesellschaft geholt werden, um die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und das kriegen wir nur hin, wenn mehr Frauen mit diesem Blick in Entscheidungspositionen sind. Mein Mann akzeptiert, dass ich deutlich mehr verdiene als er und dass er einen Großteil der Betreuung übernimmt. Er hat auch eine Führungsposition, allerdings mit einem sehr viel geregelteren Arbeits­ ablauf. Aber wenn bei ihm etwas ansteht, verschiebe ich auch meine Termine und stehe zur Verfügung. Wir sind ein gutes Team zusammen.

Kinder, Kinder!

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3 Respektierte Autorität im »Dazwischen«

Die Frauen, die im zweiten Kapitel zu Wort kommen, orientieren sich an verschiedenen Führungsstilen und -modellen. Die Organisationen, in denen sie arbeiten, haben unterschiedliche Spielregeln, denen sie sich anpassen müssen, wenn sie »mitspielen« wollen. Und sie haben unterschiedliche Spielräume, um Einfluss auf diese Regeln zu nehmen. »Spielregeln wirken in Unternehmen als Verhaltenserwartungen. Sie vermitteln, welche Verhaltensweisen erwünscht sind und welche unterlassen werden sollten, und markieren so einen Raum, in dem sich jeder frei bewegen kann« (Grubendorfer, 2019, S. 18). Durch ihre Position innerhalb ihrer Organisation haben sie unterschiedliche Blickwinkel. Je höher sie in der Hierarchie positioniert sind, desto stärker haben sie die Organisationsumwelt im Blick, die Einfluss auf die zu erfüllenden Aufgaben hat, wie potenzielle Kundinnen, Bürgerinnen und die Interessen der Eigentümerinnen oder der Gemeinschaft. Und sie haben einen Blick auf die Organisation als Ganzes mit ihren Strukturen und Kommunikationsmustern. Sind sie auf einer niedrigeren Hierarchiestufe tätig, haben sie einen anderen Blick auf die Ziele der Organisation, weil sie weniger Einfluss da­rauf nehmen können. Sie fühlen sich oft als »Sandwichkräfte« zwischen Erwartungen aus der Organisationsspitze und denen aus den Organisationseinheiten, für die sie verantwortlich sind. Aus den unterschiedlichen Möglichkeiten, die Aussagen der Leitungskräfte zu lesen und zu interpretieren, können die Leserinnen und Leser eigene Schlüsse ziehen. Eventuelle Widersprüchlichkeiten oder Inkongruenzen sind absichtlich nicht geglättet worden, damit die Vielschichtigkeit und Vielfalt in den Herangehensweisen sichtbar bleiben. Trotz dieser Heterogenität ergibt sich aus ihren Erzählungen ein Bild davon, aus welcher Haltung sie agieren, welche 130

Respektierte Autorität im »Dazwischen«

Strategien sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben verfolgen und wie es ihnen gelingt, als Autorität respektiert zu werden. In diesem Kapitel soll der Blick auf einige Aspekte gelenkt werden, die als Leitfaden dafür dienen können, welche Haltung und welche Verhaltensweisen am ehesten dazu geeignet sind, Autorität zu gewinnen.

Respektierte Autorität im »Dazwischen«

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Mehrsprachigkeit Die interviewten Leitungskräfte haben unterschiedliche Definitionen von Autorität und Macht, aber alle haben eine Vorstellung davon und setzen sich mit der Frage auseinander, wie sie zu Autorität und Macht stehen und sich dazu verhalten. Sie bezeichnen Autorität als etwas Positives und grenzen sie von autoritärem Verhalten ab, das sie negativ bewerten. Sie möchten keine Macht einsetzen, aber sie halten es für möglich oder auch erforderlich, dass sie in bestimmten Situationen auf Machtstrategien zurückgreifen – aber nur in Ausnahmen und als letztes Mittel nach dem Ausschöpfen aller kommunikativen Möglichkeiten und in Verbindung mit Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Sie bewegen sich in dem beschriebenen »Dazwischen« – sie kommunizieren zwischen Bitte und Befehl und verfolgen die Vorstellung vom gegenseitigen Geben und Nehmen in der Beziehung zwischen Leitung und Mitarbeitenden. Sie agieren gleichzeitig sowohl in Beziehungslogik als auch in Entscheidungslogik und agieren auf beiden Ebenen verbindlich: Auf der einen Seite versuchen sie, zu den bestmöglichen Arbeitsbedingungen beizutragen, auf der anderen Seite verlieren sie die Aufgaben, die in ihrer Organisation zu erledigen sind, nicht aus den Augen. Einige der Leitungskräfte schildern, wie sie innerhalb der Ge­­ schlechterlogik kommunizieren – indem sie auch hier sehr flexibel hin- und herwechseln. So nehmen sie Herausforderungen an und kontern, wenn Männer beispielsweise testen, ob sie in ihrer männlichen Kommunikation bestehen können. Auf asymmetrische Beziehungsangebote reagieren sie mit symmetrischer Kommunikation. Oder sie nehmen sich ihren Raum, wenn er ihnen vorenthalten wird. Das setzt natürlich entsprechendes Selbstbewusstsein voraus.

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Respektierte Autorität im »Dazwischen«

Augenhöhe herstellen Mit einer Person Ihres Vertrauens könnten Sie folgende Übungen durchführen: a) Gehen Sie für fünf Minuten in ein Rollenspiel mit einem beliebi­ gen Gesprächsinhalt. Das kann die fiktive Situation einer Aus­ stellungseröffnung sein oder ein Gespräch mit einer Kollegin auf dem Flur  – alles, was Ihnen in den Sinn kommt, ist geeig­ net. Bevor Sie beginnen, einigen Sie sich darauf, wer aus dem Hochstatus und wer aus dem Tiefstatus kommuniziert, das heißt: Person A führt das Gespräch aus einer inneren Haltung der Überlegenheit, B reagiert aus dem Gefühl der Unterlegenheit. Nach einer Weile tauschen Sie die Positionen. Dieser Tausch kann nach einer kurzen Unterbrechung erfolgen, er kann aber auch mitten im Gespräch stattfinden.​ Beobachten und besprechen Sie hinterher miteinander, in wel­­cher Position Sie sich wohler fühlen und wie sich die Kom­ munikation durch die Veränderung der Haltung wandelt. b) Führen Sie erneut ein Gespräch, doch dieses Mal geht nur Ihr Gegen­­über in den Hochstatus, während Sie versuchen, das Ge­­ spräch auf Augenhöhe zu führen. Das könnte jetzt eine Dis­ kus­ sion sein, an deren Ende eine Entscheidung steht. Probieren Sie verschiedene Formulierungsmöglichkeiten aus. Beobachten Sie, aus welcher Haltung heraus Ihre Reaktionen entstehen – wollen Sie kämpfen, können Sie gelassen bleiben, geraten Sie automatisch in den Tief- oder in den Hochstatus? Wie steht es mit Ihrem Selbstbewusstsein – wann ist es gering, wann ist es überzogen und wann fühlen Sie sich sicher und stark?

Für die Stärkung des eigenen Selbstbewusstseins ist es manchmal sehr hilfreich, nicht allein zu bleiben, sich helfen zu lassen und mit anderen über deren Erfahrungen, Pläne, Strategien und Befürchtungen zu sprechen. Die Leitungskräfte haben eindringlich darauf hingewiesen:

Mehrsprachigkeit

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»Sie sollte schauen, dass sie einen Mentor findet, ob das die eigene Führungskraft ist oder jemand anders, aber sie sollte sich in dieser ers­ ten Zeit mit jemandem regelmäßig austauschen und reflektieren, ob die andere Person vielleicht auch schon bestimmte Erlebnisse hatte und wie diese damit umgegangen ist. Nur, weil jemand anders mehr Erfahrung hat, muss es nicht das Richtige sein, aber den Austausch suchen und reden, finde ich extrem wichtig. Wenn bei uns eine Führungskraft neu war, bekam sie eine andere Führungskraft an ihre Seite, die ihr durch die ersten Prozesse half« (Interview). »Es hilft sehr, wenn man sich punktuell professionell von außen begleiten lässt, zum Beispiel über ein Mentoringprogramm, damit man über gewisse Stöckchen kommt, über die man selbst nicht so ohne Weiteres springt« (Interview).

In den Aussagen im zweiten Kapitel wird viel Selbstbewusstsein wahrnehmbar, ohne dass die Frauen in Überheblichkeit geraten: Sie sind sich ihrer Kompetenzen und ihrer Leistung bewusst und reflektieren ihre Art zu kommunizieren. Sie gestehen sich und anderen Fehler zu und können deshalb ihr Verhalten und ihre Entscheidungen vertreten und durchsetzen, aber auch infrage stellen. Dadurch agieren sie in Komplementarität, die von Symmetrie gerahmt wird (vgl. Kap. 1, S. 26). Voraussetzung dafür ist, dass man nicht anstrebt, stets die perfekte Leitungskraft zu sein, sondern eine, die sich im Prozess weiterentwickelt. Die Leitungskräfte wägen ab, wann es sich lohnt, eine Ausein­ an­­dersetzung zu führen, um ihre Interessen durchzusetzen, und wann sie darauf verzichten, um sich nicht in eine angreifbare Position zu bringen. Sie überlegen, wann sie sich auf die Sachebene begeben und argumentieren, wann sie auf bestimmte Beziehungsdefinitionen, zum Beispiel mit geschlechtsspezifischen Anspielungen und Abwertungen, reagieren und kontern und wann sie diese ignorieren. Selbst wenn sie bei einer Gelegenheit zu wenig und bei einer anderen zu viel agieren würden – dadurch ist eine Kommunikation noch nicht für immer festgelegt.

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Respektierte Autorität im »Dazwischen«

Voraussetzungen für respektierte Autorität Autorität lässt sich nicht durch die Anwendung von Tools gewinnen, sondern es bedarf bestimmter Voraussetzungen, die reflektiert werden sollten: Was beinhaltet eigentlich die Leitungsfunktion, worin besteht die durch eine Funktion festgelegte Unterschiedlichkeit und wie lässt sie sich so markieren, dass der Unterschied für alle Seiten hilfreich (statt hinderlich) ist? Welche Neigungen, Kompetenzen und inneren Haltungen braucht es, um sich in einer Weise verhalten zu können, welche respektierte Autorität durch andere wahrscheinlicher macht?

Funktion »Sie sollte ihren eigenen Weg finden, sich in ihrer Rolle gut etablieren und sich wohlfühlen« (Interview).

Viele Führungskräfte denken, dass sie ihre Funktion markieren müssen, indem sie Durchsetzungsstärke und Entschiedenheit demonstrieren und sich forsch und machtvoll durchsetzen, um sich zu behaupten. Sie berufen sich auf ihre Funktion als Leitungskraft, fällen Entscheidungen, ohne andere einzubeziehen, gehen auf Distanz zu den Mitarbeitenden und fordern diese beispielsweise auf, ihre Arbeit zu präsentieren, ohne selbst zu zeigen, was sie tun. Oder sie geben Handlungsanweisungen, ohne darauf zu achten, ob diese auf ein Einverständnis der Betroffenen stoßen, kommunizieren aus einer Position der Überlegenheit etc., sodass ihr Verhalten als autoritär erlebt wird. Dies mag daran liegen, dass sie nicht wissen, wie sie den Unterschied anders markieren könnten. Manche Leitungskräfte fühlen sich damit überfordert, bestimmte Aufgaben, die mit ihrer Funktion verbunden sind, zu übernehmen, verschanzen sich hinter ihrer fachlichen Arbeit und kümmern sich beispielsweise nicht um Beziehungsgestaltung in dem von ihnen zu verantwortenden Bereich, sodass Kämpfe und Konflikte entstehen und die Mitarbeitenden sich im Stich gelassen fühlen. Wo ist also ein guter Platz der Leitungskraft in Beziehung zu ihren Mitarbeitenden, der Autorität wahrscheinlicher macht? Die Voraussetzungen für respektierte Autorität

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Übernahme einer Funktion kann Autorität »leihweise« markieren – damit ist sie aber noch nicht kommunikativ hergestellt. Die Frage ist, mit welchen Verhaltensweisen die Leitungsfunktion so ausgefüllt werden kann, dass die Unterschiedlichkeit deutlich wird und trotzdem Kommunikation auf Augenhöhe stattfinden und Vertrauen entstehen kann. Autorität, und damit Einfluss, kann man gewinnen, wenn man es schafft, von anderen passende Zuschreibungen zu erhalten. Die Führungskraft ist abhängig von den Zuschreibungen, die schon da sind, also Erwartungen, die in der Organisation an sie gestellt werden (Groth, 2017, S. 86 f.). Die Erwartungen der Organisationsleitung oder der Stakeholder sind mitunter andere als die der Mitarbeitenden. Passend werden die Zuschreibungen, wenn die Leitungskraft es schafft, die jeweiligen Erwartungen miteinander in Einklang zu bringen. Das Erwartungsbündel aufschnüren Notieren Sie, was Sie denken, welche Erwartungen an Sie gestellt werden von ▶ Ihren Mitarbeitenden ▶ Ihren Vorgesetzten ▶ anderen Mitgliedern der Organisation ▶ Menschen, die mit Ihrer Organisation in Kontakt sind (Kundinnen, Klienten, Öffentlichkeit …) Fragen Sie Ihnen vertraute Personen in diesem Umfeld nach ihren Erwartungen. Stimmen diese mit dem überein, was Sie angenom­ men haben? Welchen von diesen Erwartungen wollen Sie entspre­ chen, welchen müssen Sie entsprechen und an welchen Stellen kann ein Verhalten, das den Erwartungen nicht entspricht, gute neue Impulse geben und Erwartungshaltungen verändern?

Die Erwartungen beziehen sich in der Regel auf den Umgang mit Fachwissen und mit der Erfüllung von Leitungsaufgaben.

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Respektierte Autorität im »Dazwischen«

Fachwissen Einige der interviewten Frauen beschreiben eine nicht immer leicht herzustellende Balance im Umgang mit Fachwissen: Einerseits ist es wichtig, dass die Leitungskraft genügend Fachkenntnisse in dem Bereich hat, den sie verantwortet. Leitungskräfte verlieren Autorität, wenn sie dies nicht tun. Sie können damit in eine Position der fachlichen Unterlegenheit geraten oder fehlendes Interesse an der Arbeit der Mitarbeitenden signalisieren. Andererseits dürfen sie sich nicht in den Details verlieren, weil Leitung andere Aufgaben beinhaltet als die (alleinige) inhaltliche Arbeit und sie sich überfordern oder ihre originären Führungsaufgaben vernachlässigen, wenn sie sich zu viel mit diesen Fragen beschäftigen. Die Leitungskräfte betonen in den Interviews, dass sie genau so viel wissen müssen, wie sie brauchen, um einen fundierten Blick für ihr Fachgebiet als Ganzes zu bekommen. Für Entscheidungen konsultieren sie die entsprechenden Fachleute, doch müssen sie so viele Kenntnisse besitzen, dass sie selbst die Entscheidung fachlich nachvollziehen und nach außen vertreten können. Außerdem müssen sie in der Lage sein, inhaltliche Fragen und entsprechende Weiterentwicklungen voranzutreiben oder damit Schritt zu halten. Unterschiedlichkeit können Leitungskräfte also dadurch markieren, dass sie anders mit Fachwissen umgehen als ihre Mitarbeitenden. Sie können auf Fachlichkeit orientiert agieren, indem sie den Blick auf das große Ganze ihres Bereiches behalten. Auf Leitungsebene und gegenüber Vorgesetzten ist ebenfalls eine gute Balance erforderlich. Frauen denken oft, sie müssten 150 Prozent der Leistung ihrer männlichen Kollegen erbringen, um die gleiche Anerkennung zu erlangen. In den Interviews werden andere Strategien deutlich, die zeigen, wie die Leitungskräfte ihre Sachorientierung und ihre Kompetenzen mit einer erfolgreichen Umsetzung, Vermittlung und Positionierung dieser Qualifikationen verbinden.

Arbeit an der Organisation Leitung hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten auf das gleiche Ziel hin orientiert und organisiert sind.

Voraussetzungen für respektierte Autorität

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»In einem Sozialsystem bzw. in der Kommunikation vollzieht sich Führung, sofern reflektiert und kontrolliert wird, ob die gegenwärtige Praxis noch zu den zukünftigen Anforderungen passt. Führung wird damit zu einer Fähigkeit eines Systems, sich hinterfragend zu beobachten« (Groth, 2017, S. 83). Leitung unterstützt, dass sich die Organisation flexibel an eine hohe Komplexität und schnell an Veränderungen anpassen kann. »Programme, Kommunikationswege, Personen14 und Kultur wirken hochkomplex zusammen und bilden den Rahmen für die spezifische Identität eines Unternehmens, für sein Selbst(bild) […]. Das Selbst kann als Metainstanz eines Unternehmens bezeichnet werden, die einen bestimmten Reifegrad erlangen kann. Es hängt vom Reifegrad des Selbst (seiner Elaboriertheit) ab, wie viel Umweltkomplexität ein Unternehmen verarbeiten kann. Das Selbst zur Reife zu bringen, ist Aufgabe von Führung. Bei unreifem Selbst ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass höchst relevante Umwelt­ entwicklungen außerhalb der Wahrnehmung des Unternehmens bleiben« (Grubendorfer, 2019, S. 75). Führungsarbeit heißt, auf eine Weise zu agieren, welche die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass alle Potenziale bestmöglich entfaltet werden können und die Arbeit optimal und mit besten Ergebnissen verrichtet werden kann. Leitungskräfte brauchen den Blick dafür, welche Voraussetzungen in welchem Fall geschaffen werden müssen. »Man beschäftigt sich mit Themen, die gar nichts mit Inhaltlichem zu tun haben, sondern fünfzig Prozent, wenn nicht sogar noch mehr der Zeit, sind dafür da, dass man Rahmenbedingungen schafft, die dazu führen, dass die Menschen sich in einem guten Setting bewegen, um produktiv werden zu können und sich im besten Fall zu einem großen 14 Darunter sind allgemein die Spielregeln einer Organisation zu verstehen. Sehr grob lassen sie sich so beschreiben: Wie werden die Aufgaben erledigt (Programme), wer darf was entscheiden (Kommunikationswege) und wer arbeitet mit wem zusammen (Personen)? (vgl. Grubendorfer, 2019, S. 40 ff.).

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Respektierte Autorität im »Dazwischen«

Teil der Zeit auch noch wohlfühlen. Man leitet die Menschen an, eine gute Arbeit zu machen. Wer davon gestresst ist, sollte darüber nach­ denken, ob er nicht lieber in eine fachliche Position geht« (Interview).

Leitungskräfte organisieren den Rahmen für Routinen und Verantwortlichkeiten. Was sind Erfolg versprechende Ziele und Strategien und wie kommen wir dahin? Wie werden Arbeitsabläufe und -routinen am besten gestaltet? Welche Absprachen, welche Kommunikationswege und -mittel sind für diese Organisation oder Organisationseinheit die günstigsten? Wer kann welche Arbeit am besten verrichten? Da mögen für das eine Team oder die eine Abteilung ganz andere Wege die richtigen sein als für andere. Führung an sich ist nicht sichtbar – ganz so wie Gartenarbeit: Wenn sie gemacht wurde, kann man die Arbeit erahnen, aber nicht sehen. Leitungsarbeit sichert Normalität, also den Rahmen, der Wachstum und ein gedeihliches Miteinander erst ermöglicht. Wie wichtig diese Arbeit ist, wird erst sichtbar, wenn sie nicht oder nicht gut gemacht wird. Dann entsteht Unordnung und vieles geht schief: Einiges gedeiht sehr gut und breitet sich überall aus, anderes hat keinen Platz mehr und geht verloren, sodass die Vielfalt schwindet. Welche Rahmensetzungen welche Folgen haben, lässt sich weder genau messen noch steuern. Kommunikation zwischen Menschen und in Organisationen lässt sich als lebendes selbstorganisiertes System verstehen (vgl. von Schlippe u. Schweitzer, 2012, S. 118), das man bestenfalls durch Beisteuern beeinflussen kann. »Wir beteiligen uns erkennbar, verantwortlich und anschlussfähig daran, Perspektiven zu weiten und Möglichkeiten zu erschließen […]. Beisteuern ist unbedingte Kooperation: Einseitig und allein entscheidend geht das nicht« (Systemische Gesellschaft, 2016, S. 11). Strategien oder Anordnungen werden nicht eins zu eins umgesetzt und funktionieren oft nicht genau so, wie ursprünglich geplant. Leitungskräfte können aber Maßstäbe setzen zur Orientierung und Ausrichtung des Handelns. Noch weniger beeinflussbar sind kulturelle Muster, also Verhal­ tensroutinen, die sich von ganz allein entwickelt haben und als intuiVoraussetzungen für respektierte Autorität

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tiver Versuch gesehen werden können, Defizite auszugleichen, die durch bestehende, vereinbarte oder verordnete Strukturen oder deren Fehlen entstanden sind (Grubendorfer, 2019, S. 64 f.). Will man beispielsweise den Ablauf von Besprechungen effektiver gestalten, reichen Appelle oder Verabredungen meist nicht aus, um Gewohnheiten zu ändern, selbst wenn alle zu Veränderungen bereit sind. Erst wenn Leitungskräfte zum Beispiel konsequent dafür sorgen, dass eine Besprechung ein fest definiertes Ende hat, im Stehen oder virtuell stattfindet, oder einen anderen strukturellen Rahmen setzen, können sich neue Muster bilden. Und es kann passieren, dass all das nicht hilft, sodass ganz andere Wege gefunden werden müssen. »Das habe ich gelernt: Struktur geht vor Kultur. Man setzt den Rahmen, und wie genau das umgesetzt wird, das ist verhandelbar« (Interview).

Entscheidend für die Gewinnung oder den Erhalt von Autorität ist dabei das Vorgehen, mit dem dieser Rahmen hergestellt wird. Sehen Leitungskräfte es als ihre alleinige Aufgabe an, die Organisation zu beobachten? Auf welche Weise finden die Erfahrungen und die Erwartungen des Umfeldes Berücksichtigung? Werden sie nicht abgefragt, sollte deutlich werden, welche Gründe dazu geführt haben, dass bestimmte Erfahrungen und Erwartungen nicht berücksichtigt wurden. Für die Mitarbeitenden ist es wichtig zu sehen, dass die Leitungskräfte sie und ihre Kompetenzen einbeziehen und für gute Bedingungen sorgen, auch wenn sie nicht immer die optimalen Möglichkeiten dafür haben. Respektierte Autorität lässt sich nur in der Kommunikation durch Beisteuern gewinnen. Wie Leitungskräfte ihre eigene Funktion sehen und verantwortungsvoll ausfüllen, spielt dabei eine wichtige Rolle.

Neigung »Super – sie ist noch so jung und schon Teamleiterin, sie kann noch Vorstand werden!« (Interview).

Die meisten der interviewten Frauen haben nicht von sich aus eine Leitungsposition angestrebt, sondern wurden gefragt. Einige haben 140

Respektierte Autorität im »Dazwischen«

pragmatische Gründe dazu bewogen, sich darauf einzulassen, andere haben während der Arbeit als Leitungskraft gemerkt, dass ihnen die Aufgabe Freude macht. Wer in einer Leitungsposition arbeiten möchte, sollte sich Gedan­ ken darüber machen, was sie oder ihn dazu antreibt. Nicht wenige Führungskräfte merken erst sehr spät, dass ihnen die Aufgabe nicht liegt. Auch die Mitarbeitenden oder die Vorgesetzten der Leitungskräfte können feststellen, dass die Erfüllung der Leitungsaufgaben nicht in zufriedenstellender Weise erfolgt. Dann den Schritt zurück zu machen, ist sehr schwer. Daher ist es wichtig, frühzeitig zu reflektieren, was man sich von der Übernahme einer Leitungsposition verspricht und welche Neigungen einen dazu veranlassen. Die interviewten Frauen hoben hervor, dass Freude an der Arbeit mit Menschen erforderlich ist. »Eine Ex-Kollegin hat eine Führungsposition übernommen und sagt immer, sie habe keinen Bock mehr auf diesen Kindergarten. Und dann sage ich: ›Der Kindergarten ist dein Job.‹ Wenn eine junge Kollegin eine Leitungsfunktion übernehmen will, sollte sie sich gut überlegen, ob sie Spaß daran hat, Beziehungsthemen in ihren Arbeitsalltag zu integrieren« (Interview).

Wer gemeinsam mit anderen Menschen Ideen entwickeln und um­­ setzen kann und gerne dazu beiträgt, dass sich gute Beziehungen und eine gute Atmosphäre in einer Gruppe entwickeln, bringt passende Voraussetzungen mit. Ebenfalls wichtig ist der Wunsch, gestalten zu wollen sowie die Freude an der Umsetzung von Ideen, auch wenn das Ergebnis am Ende anders aussieht, als es geplant war, weil alle miteinander daran gearbeitet haben. Neigungen klären Je nachdem, welche Antreiber Sie dazu motivieren, große Anstren­ gungen zu unternehmen, um eine Funktion auszufüllen, die Ihnen angetragen wurde oder um die Sie sich bemüht haben, könnte es Ihnen schwer- oder leichtfallen, die Kommunikation so zu gestalten,

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dass sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, Autorität zu gewinnen. Um das herauszufinden, stellen Sie sich folgende Fragen.15 Wenn Sie eine Übereinstimmung finden, fragen Sie sich weiter, in welcher Weise sich diese Neigung mitunter auf Ihr Verhalten als Leitungskraft auswirkt. ▶ Was bringt mich dazu, eine bestimmte Leitungsposition überneh­ men zu wollen? • Es ist großartig, wenn die anderen machen, was ich sage. • Die anderen bewundern mich, nehmen mich wichtig oder haben zumindest großen Respekt vor meiner Position – ich bin etwas Besonderes. • Ich will anderen (eventuell auch mir) beweisen, dass ich es zu etwas bringe. • Ich bringe den Laden in Schwung und halte ihn zusammen. • Ich kann eine Menge Geld verdienen. • Ich muss mich um die Mitarbeitenden kümmern. Einer muss es ja machen. • Es ist besser, wenn ich es mache, als wenn andere es tun. • Ich kann besser kontrollieren, was passiert. • Die Sache interessiert mich und ich will sie voranbringen. • Ich habe Einflussmöglichkeiten und ich bin stolz, wenn Dinge, die ich in Gang gebracht habe, Wirklichkeit werden und Früchte tragen. • Das Wort Ehrgeiz ist nicht nur negativ besetzt, sondern es kommt darauf an, ob es dabei um meinen eigenen Vorteil geht oder um den Vorteil aller. • … ▶ Kann ich mich darauf einlassen, bestimmte Dinge zu vertreten, die ich lieber anders hätte? Wo sind meine Grenzen?

15 Hier empfiehlt sich ein sehr prüfender Blick auf sich selbst und die eigenen Antworten, weil manche Neigungen nicht zum eigenen Selbstbild passen könnten. So gestand sich eine Leitungskraft Ehrgeiz als Antrieb erst zu, als Kolleginnen Beispiele für ihren Ehrgeiz aufzählten und darauf hinwiesen, dass so ein Antrieb nicht per se negativ sein muss.

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▶ Kann ich eine interessante Herausforderung darin erkennen, mit schwierigen Kolleginnen und Kollegen in den Austausch zu gehen und zu versuchen, ihre Perspektive einzunehmen und mit meiner eigenen Perspektive in Einklang zu bringen? ▶ Habe ich Lust, mich immer wieder auf Veränderungen einzulassen und immer wieder zu hinterfragen, was ich vorhabe oder was ich erreicht habe?

Wer eine hohe Neigung hat, die eigene Selbstbestätigung und Selbstbehauptung wahrzunehmen, läuft Gefahr, Entwicklungen und Meinungen zu übersehen, die dieser zuwiderlaufen. Karriereorientierung kann dazu verführen, einseitig Aufgaben in den Vordergrund zu stellen, nach guten Zahlen und Bewertungen zu streben und die Balance mit der Personenorientierung zu vernachlässigen. Führungskräfte, deren Interesse darauf gerichtet ist, Dinge zu bewegen, könnten eher dazu neigen, den Blick für das Ganze zu behalten sowie Impulse von außen aufzugreifen und mit den eigenen Zielrichtungen in Einklang zu bringen. Wer sachorientiert vorgeht, muss nicht so viel auf Selbstdarstellung achten, sondern kann Aufgaben- und Personenorientierung besser im Gleichgewicht halten. Bei der Überprüfung eigener Neigungen könnte eine gute Vorsorge darin bestehen, den Grad der »Durchlässigkeit« von negativen Zuschreibungen auf das eigene Selbstwertgefühl zu prüfen. So tendieren gerade Frauen dazu, sich von – verbalisierter oder nur empfundener – Kritik verunsichern zu lassen. »Sie sollte sich nicht beirren lassen – dass etwas in ihr selbst ist und aus ihr selbst herauskommt. Natürlich sind wir soziale Wesen. Wenn ein Kollege sich bedankt oder ein Lob ausspricht, bin ich auch empfäng­ lich dafür. Ich weiß auch, dass ich zu wenig lobe. Aber es ist wichtig, sich nicht vom Lob oder von der Missachtung anderer zu abhängig zu machen, sondern erst einmal zu gucken, was einem wichtig ist« (Interview).

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Für Selbstschutz sorgen Erörtern Sie für sich oder mit einer Person, die Sie gut kennt, folgende Fragen: ▶ Kann ich es aushalten, wenn ich kritisiert werde? Was müsste ich noch lernen, um gelassen mit Kritik, Widerständen und anderen Herausforderungen umgehen zu können? ▶ Kann ich mich ausreichend schützen oder bin ich leicht ver­­letzbar? ▶ Wie könnte ein Schutz aussehen? ▶ Kann ich Dinge stehen lassen, auch wenn sie mir nicht gefallen? ▶ Kann ich mich selbstbewusst für die Dinge einsetzen, die mir wichtig sind, ohne zu große Angst vor negativen Konsequenzen zu haben? ▶ Wie sehr hänge ich an einer Position? Fühle ich mich frei genug, um bei Unvereinbarkeiten gehen zu können?

Leitungskräfte müssen damit rechnen, Ziel heftiger Kritik bis hin zu Anfeindungen zu werden. Daher brauchen sie die Fähigkeit, sich mit der Kritik auseinandersetzen zu können, ohne sich persönlich so angegriffen zu fühlen, dass ihr eigenes Wohlbefinden gefährdet ist oder sie sich hinter einem Freund-Feind-Schema verbarrikadieren. Dazu gehört auch die Neigung, Auseinandersetzungen führen zu wollen, wenn es erforderlich ist. Die Fähigkeit dazu lässt sich erlernen. »Sie sollte bei sich bleiben und authentisch sein. Sie soll keine unsicht­ baren Grenzen aufbauen, sondern über die Grenze, die sie sich selber stellt, springen. Die meisten Grenzen werden sich per se auflösen« (Interview).

Haltung Haltung kann beschrieben werden als eine Menge von Erwartungen, die eine Person an sich und andere heranträgt, über die Art und Weise, wie die Kommunikation zwischen ihnen abläuft. Abhängig davon, mit welchen Erwartungen Leitungskräfte an das Umfeld 144

Respektierte Autorität im »Dazwischen«

der Organisation, also die Stakeholder, die Mitarbeitenden, die Organisationsspitze etc. herangehen, können sie andere mehr oder weniger gewinnen, ihnen Autorität zu verleihen. Jede und jeder kann Autorität gewinnen, aber das geht nicht über das Erlernen oder die Aneignung einzelner Verhaltensweisen. Die Chancen, Autorität zu gewinnen, haben auch nichts damit zu tun, wie eine Leitungskraft ist, sondern damit, mit welcher Haltung sie an ihre Leitungsfunktion herantritt, also welche Erwartungen sie an andere richtet und welche sie wiederum für sich annimmt und bearbeitet. Haltungen prüfen Diskutieren Sie mit anderen die folgenden Haltungen. Welche sind erforderlich und hilfreich für den Aufbau von produktiven Arbeits­beziehungen und welche erschweren diesen womöglich? Welche ­passen (wie) zusammen? Können Aussagen so verändert werden, dass sie zu einer hilfreichen Haltung führen? Welche Art der Kommunikation ergibt sich aus den jeweiligen Haltungen? ▶ Die Mitarbeitenden werden dafür bezahlt, dass sie die Leistung erbringen, da gibt es nichts zu meckern. ▶ Wenn die Mitarbeitenden/Kolleginnen und Kollegen/Vorge­ ­ setzten sich anders verhalten würden, könnte alles so gut laufen. ▶ Ich muss dafür sorgen, dass die machen, was ich will, und meine Anweisungen befolgen, ohne ständig zu diskutieren. ▶ Ich brauche Mitarbeitende, die unberechenbar sind, deshalb kann ich sie auch nicht kontrollieren. ▶ Die Mitarbeitenden nutzen meine Gutmütigkeit aus. ▶ Die Mitarbeitenden müssen ihre Probleme untereinander regeln. ▶ Ich muss die Mitarbeitenden auf ihre Fehler hinweisen und ihnen sagen, wie sie die abstellen können. ▶ Ich muss dafür sorgen, dass die Ziele der Organisation erreicht werden. ▶ Ich muss dafür sorgen, dass die Kundinnen/Bürgerinnen be­­ kom­­men, was sie brauchen/wollen. ▶ Ich muss dafür sorgen, dass sich die Mitarbeitenden wohlfühlen.

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▶ Ich muss signalisieren, dass ich in allen relevanten Sachverhalten Bescheid weiß. ▶ Bevor ich eine Entscheidung treffe, hole ich mir Expertise von meinen Mitarbeitenden und berate mich dann mit ihnen. ▶ Als Vorgesetzte/Vorgesetzter bereite ich erst einmal eine Ent­­scheidung vor, dann können die Mitarbeitenden ihre Kommen­ tare dazu abgeben. Danach entscheide ich, ob ich sie be­­rück­sichtige.

Wer davon ausgeht, dass Bezahlung als Bedingung des Gebens ausreicht, damit Mitarbeitende ihre Aufgaben ohne eine Erwartung an weitere Gegenleistungen erledigen, ist auf ein Team angewiesen, das diese Sicht weitgehend teilt oder andere Gründe hat, diese Art der Beziehungsgestaltung zu akzeptieren (zum Beispiel eine Bezahlung, die für die einzelnen Mitglieder entsprechend attraktiv ist). Wer die Wahrscheinlichkeit erhöhen möchte, dass eine hohe Identifizierung mit der Arbeit und dem Team und damit eine erhöhte Leistungsbereitschaft entsteht, wird andere Erwartungen an sich und die Mitarbeitenden stellen. Eine Leitungskraft verwendete im Interview zur Beschreibung einer für sie sehr hilfreichen Haltung das Bild des Wellenreitens: nicht Kraft damit verschwenden, gegen die Wellen anzukämpfen, sondern den Schwung der Welle ausnutzen und mit ihr vorwärtskommen. Auch andere Führungskräfte beschrieben ihre Haltung in ähnlicher Weise. Sie tun, was möglich ist, und sie suchen nach dem, was möglich ist. Sie streben nach einer gemeinsamen Suche nach Lösungen. Sie haben ihren eigenen Standpunkt, akzeptieren aber auch, wenn andere anders sind und anderes wollen, und nehmen sich und ihre Meinungen und Absichten an bestimmten Punkten zurück. Sie reflektieren ihre Arbeit und die Reaktionen auf ihr Verhalten intensiv und suchen immer wieder das Gespräch. Aus dieser Haltung heraus tun die interviewten Leitungskräfte Dinge, die aus traditionell männlicher Sicht eher als autoritätsmindernd angesehen werden könnten, da sie darauf verzichten, Überlegenheit in der Beziehung herzustellen. Wenn sie, wie im zweiten Kapitel geschildert, ihren Kaffee selbst machen und dabei mit 146

Respektierte Autorität im »Dazwischen«

Mitarbeitenden ins Gespräch kommen, wenn sie an den privaten Sorgen der Beschäftigten Anteil nehmen oder sich überlegen, wie sie dafür sorgen können, dass die Kolleginnen und Kollegen trotz Homeoffice ihr »Heimatgefühl« aus dem Miteinander bei der Arbeit bewahren können, mögen Außenstehende dies als »Kuschelkurs« betrachten, in ihrem Umfeld kann es aber genau die richtige Art sein, die Belange des Teams so zu berücksichtigen, dass die Mitglieder hinter ihnen stehen. »Ich dachte, ich mache es mal anders und schaue, was passiert. Und es ist nie etwas passiert. Wir Frauen sind die größten Verhinderer unserer eigenen Frauenbewegung, weil wir uns in etwas reinzwängen lassen oder uns so ein Gerüst aufbauen, statt davon auszugehen, dass es keine Schranke gibt, und einfach machen« (Interview).

Mitarbeitende brauchen ein Signal, dass die Leitungskraft bei aller Ungleichheit auch Gleichheit innerhalb des Arbeitsverhältnisses anstrebt, um ihr Autorität zu verleihen. Es muss wahrnehmbar sein, dass die Leitungskraft einen Ausgleich von Geben und Nehmen will und sich darum bemüht und dass dieser Ausgleich mehr ist als materielle Anreize, ein Lob oder eine Auszeichnung. Es ist eine Haltung erforderlich, die einen Ausgleich auf kommunikativer Ebene sucht. Die interviewten Leitungskräfte machen deutlich, dass sie zwar die Unterschiedlichkeit in den Aufgaben und somit auch in der Kommunikation sehen und praktizieren. Aber sie vertreten sehr klar die Haltung, dass sie die Symmetrie, also die Gleichheit zu anderen, wollen. Weder halten sie es für erstrebenswert noch halten sie es für sinnvoll, hilfreich oder praktikabel, auf eine Kommunikation auf Augenhöhe zu verzichten. Man könnte also fragen, ob Menschen mit eher weiblich sozialisierten Haltungen sich häufiger »erlauben«, permanente Hinterfragungen vorzunehmen. Auf der anderen Seite beschrieben die Leitungskräfte das Sich-selbst-Hinterfragen als weibliche Selbstbeschränkung: Frauen können sich selbst behindern, wenn sie zu perfekt sein und niemals Fehler machen wollen oder wenn sie davor zurückschrecken, ihre eigenen Leistungen sichtbar zu machen.

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Mitgehen und standhalten Diskutieren Sie mit Menschen Ihres Vertrauens, ▶ wie viel Hinterfragen und »Mitgehen« mit anderen hilfreich ist und an welchen Punkten die eigene Einstellung verteidigt und durchgesetzt werden muss, ▶ wo ein guter Weg ist zwischen Überheblichkeit und Aufdring­ lichkeit auf der einen und übertriebener Bescheidenheit auf der anderen Seite.

Es ist hilfreich, sich der Balance bewusst zu sein zwischen selbstkritischem Hinterfragen und selbstbewusster Durchsetzung. Dieses Gleichgewicht ist immer wieder neu herzustellen.

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Balance zwischen Aufgaben- und Personen­ orientierung: Entscheiden und vermitteln Auf die Frage, was sie den Mitarbeitenden geben, antworten die Leitungskräfte, dass sie ihnen zuhören und ihnen Respekt, Anerken­ nung, Wertschätzung, Information, einen hilfreichen Rahmen, Orientierung, Unterstützung, ein gutes Betriebsklima, Rückendeckung, Sicherheit, Chancen zur Weiterentwicklung und Rückmeldung in Form von Lob, Dank und konstruktiver Kritik geben. Außerdem heben einige hervor, dass sie sich besonders dafür einsetzen, dass die Mitarbeitenden ihr Privatleben so gut wie möglich mit den beruflichen Anforderungen in Einklang bringen können. Fast alle antworten dasselbe auf die Frage, was sie dafür bekommen: Vertrauen, Zuneigung, Loyalität, eine hohe Motivation und großes Engagement bei der Arbeit. Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass das Verhältnis von Führungskräften zum Team im Prinzip paradox ist: Einerseits ist es wichtig, auf die innovativen Fähigkeiten der Beschäftigten in verlässlicher Weise zurückgreifen zu können. Andererseits darf eine Organisation nicht von ihren Angestellten abhängig sein (vgl. Kap. 1, S. 42). Je spezialisierter die Aufgaben sind, desto weniger austauschbar sind die Mitarbeitenden (vgl. Grubendorfer, 2019, S. 34). Für Organisationen ist es also ratsam, die Loyalität ihrer Beschäftigten zu gewinnen, nicht nur um eine hohe Effizienz zu erzielen, sondern auch um sie langfristig an sich zu binden. Auf der anderen Seite darf die Aufgabenorientierung nicht aus dem Blickfeld geraten. In den Interviews wird deutlich, dass die Führungskräfte das, was sie zu geben haben, immer wieder darauf überprüfen, ob die Balance zwischen Geben und Nehmen erhalten bleibt. Diese darf nicht in ein Zu-viel-Geben kippen, wenn sie beispielsweise so sehr auf die Wünsche von Mitarbeitenden eingehen, dass die Aufgaben darunter leiden. Andererseits achten die interviewten Frauen sehr darauf, sich nicht autoritär durchzusetzen. Das »Dazwischen« wird von ihnen intensiv reflektiert. Die Leitungskräfte sind beiden Seiten gegenüber verbindlich und müssen dazwischen ausgleichen. Dies macht sich vor allem an Entscheidungen fest. Balance zwischen Aufgaben- und Personen­orientierung

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Die Befragten gehen davon aus, dass Mitarbeitende von ihnen Entscheidungen erwarten. Dies kann der Fall sein, wenn sie die Verantwortung nicht selbst tragen wollen oder wenn sich mehrere Beteiligte uneins sind. »Man muss Bock haben, Entscheidungen zu treffen. Das macht nicht jeder so gerne – muss ja auch nicht jeder machen« (Interview). »Sie sollte keine Angst vor Entscheidungen haben und gleichzeitig die Leute mitnehmen. Diese Balance ist wichtig: zuhören, die Kompetenz abfragen, delegieren, aber nicht zu meinen, man sei ein Teammitglied. Man ist eine Führungskraft und man muss Entscheidungen fällen. Das ist ein Rollenwechsel und der fällt Frauen vielleicht ein bisschen schwerer. Wenn ich vorher Mitglied im Team war und dieses dann leite, muss ich einen Rollenwechsel vollziehen und begreifen. Dazu gehört, dass ich mich traue, Entscheidungen zu treffen. Junge Führungskräfte sollten nicht ver­ suchen, sich immer bei den jeweiligen Vorgesetzten abzusichern, sondern die Entscheidungen fällen, die in ihrem Kompetenzbereich liegen. Viele sind unsicher und wollen alles zehnmal absichern und das ist schwierig. Das ist ein Risiko. Wer entscheidet, der macht auch Fehler. Wenn dann Fehler passieren, dann ist es eben so. Es kann ja nicht alles nach oben delegiert werden und eine Person über alles entscheiden« (Interview).

Entscheidungen treffen heißt, ein Risiko einzugehen, weil man erst hinterher weiß, ob die eigenen Annahmen und Folgerungen richtig waren. Wenn sie hundertprozentig abgesichert sein soll, handelt es sich nicht um eine Entscheidung, sondern um eine notwendige Folge bestimmter Voraussetzungen (vgl. Simon, 2018, S. 66 ff.). Wer entscheidet, übernimmt Verantwortung und setzt sich Kritik aus. Wer diese Verantwortung nicht trägt, ist weniger angreifbar, verzichtet aber dafür auf gewisse Einflussmöglichkeiten. Aus den Interviews geht hervor, dass Leitungskräfte die Mitarbeitenden schon deshalb in Entscheidungen einbeziehen, weil sie das Verantwortungsgefühl aller für diejenigen Angelegenheiten wecken möchten, für die alle Verantwortung tragen können. Entscheidungen können aus einem Gruppenkonsens entstehen, solange die Führungskraft diese vertritt. Dies kann die Autorität 150

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stärken, weil sich durch die Einbeziehung aller Beteiligten die Symmetrie als Klammer für die ungleiche Beziehung herstellen lässt. »Das Wichtigste ist, dass man Spaß daran hat, sich mit Leuten ausei­ nanderzusetzen, auch mit Leuten, die mal unangenehm sind oder die komplett anders ticken. Dann hat man eine gute Basis und braucht nicht unbedingt der beste Facharbeiter zu sein, sondern man kann sich auf das Know-how seiner Mitarbeiter verlassen, sich darauf stützen und auf der Basis die Entscheidungen treffen« (Interview).

Kann der Mut zu Entscheidungen einerseits dazu führen, dass Mitarbeitende ihren Leitungskräften Autorität verleihen, so ist es andererseits für das Erlangen von Autorität zuträglich, wenn die Mitglieder der Organisation oder der Organisationseinheit frühzeitig in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Wenn Führungskräfte für die Vorbereitung von Entscheidungen darauf verzichten, die dafür relevanten Mitglieder der Organisation einzubeziehen, weil sie befürchten, dass sie dann auch Meinungen berücksichtigen müssten, die ihnen nicht behagen, könnte dies dazu beitragen, dass sie wichtige Informationen nicht bekommen und Autorität verlieren. Wird eine Entscheidung vorbereitet oder sogar schon gefällt, ohne vorher die in dieser Angelegenheit kompetenten Personen in der Organisation zu konsultieren, wird daraus möglicherweise die folgende Aussage über die Arbeitsbeziehung abgeleitet: Ich brauche deine Kompetenz nicht und weiß selbst ohne dein Zutun genug über dieses Thema. Die Symmetrie in der Beziehung – wir brauchen uns gegenseitig – geht verloren. Lob und Wertschätzung sind dann überflüssig, weil sie sich in Worten, aber nicht in einem entsprechenden Verhalten ausdrücken. Ob Entscheidungen nach und unter Einbeziehung der Mitarbei­ tenden oder in kleinem Kreis oder von der Leitungskraft allein gefällt werden – wichtig ist, eine grundsätzliche Verständigung über die Wege zur Entscheidungsfindung herzustellen. Wenn maßgeblich Beteiligte ohne ersichtliche Gründe außen vor gelassen werden, kommt es schlimmstenfalls zu Verstimmungen und dem Eindruck, es werde autoritär verfahren und fehle an Wertschätzung. Entscheidungen sind grundsätzlich hinterfragbar beziehungsweise erklärbar. In den Interviews wurde erwähnt, dass Mitarbei­ Balance zwischen Aufgaben- und Personen­orientierung

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tende den Leitungskräften ungeliebte Entscheidungen nicht anlasten, wenn diese nachvollziehbare Gründe dafür transparent machen. Haben die Führungskräfte die Entscheidung nicht selbst gefasst, tragen sie dennoch einen Teil der Verantwortung dafür. Sie können durch Erklärungen Nachvollziehbarkeit herstellen oder deutlich machen, dass und weshalb sie sich selbst einer Entscheidung fügen. Oder sie können versuchen, dadurch verursachte Nachteile zu kompensieren. Gerade in der Kommunikation von an anderer Stelle getroffenen Entscheidungen wird die Verbindungsaufgabe von Leitungskräften deutlich: zu allen Seiten und nicht nur zu einer loyal zu sein. Wer andere als verantwortlich vorschiebt oder die Entscheidung mit Zeitdruck erklärt, erweckt kein Vertrauen, sondern den Anschein, keine Verantwortung übernehmen zu wollen, und setzt damit die eigene Autorität aufs Spiel.

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Respektierte Autorität im »Dazwischen«

Beziehungsgestaltung durch Balance von Komplementarität und Symmetrie »Wir brauchen mehr Frauen in Autoritätspositionen, weil Frauen ein anderes Verhältnis zu Hierarchie und zu Macht haben« (Interview).

Manche Führungskräfte fragen sich, wie sie die Mitarbeitenden dazu bewegen können, dies und jenes zu tun oder zu lassen, damit sie ihre Leitungsaufgaben erfüllen können. Menschen lassen sich jedoch nicht steuern wie Maschinen. Es gibt kein Rezept, das anzuwenden wäre, um sich selbst Autorität zu verschaffen. Es gibt nur Möglichkeiten, Kommunikation mit anderen so zu gestalten, dass bestimmte Verhaltensweisen wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher werden. Wer Autorität gewinnen möchte, kann Beziehungsangebote ma­­ chen, die von anderen so aufgenommen werden, dass sie geneigt sind, die Äußerungen dieser Person zu beachten und ihr Handeln daran auszurichten. Die Ausrichtung des eigenen Handelns an den Äußerungen einer anderen Person geschieht erst, wenn diese gewisse »Prüfungen« bestanden hat, also Kriterien erfüllt hat, sodass zukünftig ein gewisses Grundvertrauen besteht und Aussagen ungeprüft respektiert werden. Unterschiedliche Beziehungsmuster Wie beschreiben Sie den Unterschied zwischen einer Beziehung zwischen Leitungskraft und Mitarbeitenden, die durch respektierte Autorität getragen ist, im Vergleich zu einer Beziehung, die durch folgende Termini beschrieben wird? ▶ Mütterlichkeit/Väterlichkeit ▶ (autoritäre/-r) Chefin/Chef ▶ Freundin/Freund ▶ Kollegin/Kollege ▶ Frauen/Männer

Balance von Komplementarität und Symmetrie

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Je nachdem, was die Beteiligten für Erfahrungen miteinander ge­­ macht und welche gegenseitigen Erwartungen sie daraus abgeleitet haben, kann Vertrauen entstehen oder auch nicht. Einige der Verhaltensweisen, die im zweiten Kapitel beschrieben wurden, sollen hier nun in den Fokus genommen werden, um zu zeigen, wie man ein Beziehungsangebot macht, das gleichzeitig die Ungleichheit und die Gleichheit einer Beziehung kommuniziert.

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Respektierte Autorität im »Dazwischen«

Bilder von Autorität Die Haltung, die eine Person anderen gegenüber hat, findet auch in Symbolen ihren Ausdruck. Unterschiede werden wahrgenommen, wenn sie markiert sind. Über Markierungen lässt sich Unterschiedlichkeit, aber auch Gleichheit demonstrieren. Dafür können Orte, Symbole, Körperhaltung, Verhalten wie Umgang mit Zeit oder Aufmerksamkeit, Routinen und andere Verhaltensweisen genutzt werden (vgl. Kap. 1, S. 33). So kann beispielsweise demonstriert werden, wenn jemand Funktionalität oder Vertrautheit bevorzugt oder wie viel Distanz oder Nähe jemand möchte. Die interviewten Leitungskräfte haben sehr unterschiedliche Markierungen vorgenommen, mit denen sie auch unterschiedliche Aussagen treffen wollten. Sie haben sich sehr viele Gedanken darü­ber gemacht, was sie über äußere Zeichen kommunizieren wollen. Sie setzen sich deutlich von den vorherrschenden, männlich geprägten Bildern von Autorität ab. Entweder versuchen sie, eher auf Markierungen von Gleichheit zurückzugreifen, oder sie akzeptieren die Betonung des Unterschieds, sorgen aber gleichzeitig für Signale von Nahbarkeit. So reichen die Markierungen bei der Gestaltung ihrer Arbeitsplätze von einem Schreibtisch im Großraumbüro über ein bescheidenes, kleines, separates Büro, das Anspruchslosigkeit zum Ausdruck bringen soll, hin zu Räumen zum Sich-willkommen-­ Fühlen und den üblichen repräsentativen Räumen, die zwar den höheren Status markieren, aber dennoch andere Akzente setzen, wie persönliche Bilder oder die Atmosphäre gemeinsamer Arbeit. Manche Markierungen können Irritationen hervorrufen, andere können hilfreiche Impulse geben. Die befragten Leitungskräfte achten sehr auf den Kontext, in dem sie sich bewegen, wenn sie ihre Kleidung auswählen, und passen sich ihrem Umfeld an, setzen allerdings kleine eigene Akzente, um den Erwartungshorizont (leicht) zu verschieben16. In einem Fall wird die traditionelle Business16 Da die Erwartungen an Frauen bezüglich ihrer Kleidung nicht so uniform sind wie die an Männer, fällt es weiblichen Führungskräften sicherlich leichter, solche Akzente zu setzen. Bilder von Autorität

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Erscheinung auch gewählt, um das eigene Gefühl für den Status zu stärken. Eine andere Führungskraft wiederum will ihren Status ganz bewusst nicht über Kleidung symbolisieren, sondern ihre Autorität über ihre Fachlichkeit als Kontextmarkierung gewinnen. Spezifische körperliche und sprachliche Ausdrucksweisen nutzen die Leitungskräfte vor allem für die Kommunikation nach außen, also auf gleichrangiger oder höherer Hierarchieebene und gegenüber Stakeholdern, um sich behaupten zu können. Es geht um den festen Stand, starke körperliche Präsenz und unaufdringliches, aber selbstbewusstes Auftreten. Sie achten zum Beispiel darauf, eine einfache Sprache zu nutzen, sie versuchen aber nicht, sich eine ganz andere Körperhaltung oder Ausdrucksweise anzutrainieren. Ein Bild von Autorität Führen Sie sich folgende Bilder vor Augen: ▶ Welches Bild habe ich von autoritären Männern? Welches Bild habe ich von autoritären Frauen? ▶ Welches Bild habe ich von einem Mann, dem ich eine gute Auto­ rität verleihe? Wie nehme ich ihn körperlich wahr, wie nehme ich ihn atmosphärisch wahr? Wie würde ich sein Umfeld beschreiben? ▶ Welches Bild habe ich von einer Frau, der ich eine gute Autorität verleihe? Wie nehme ich sie körperlich wahr, wie nehme ich sie atmosphärisch wahr? Wie würde ich ihr Umfeld beschreiben? ▶ (Wie) würde ich mich selbst als Führungskraft davon unter­ scheiden wollen? ▶ Wie tritt eine respektierte Führungskraft auf? Was tut sie nicht?

Die Symbolisierung über Räume, Körper und Sprache ist eine Ebene der Kommunikation, in der sich ausdrücken kann, welche Kommunikationsformen Leitungskräfte favorisieren.

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Kommunikation nach innen: Verbindlichkeit in einer Beziehung der Ungleichheit So wie die Arbeit von Führungskräften die Arbeit an der Organisation ist, so ist sie auch Arbeit am Team. Die Frage »Wie gehe ich mit Konflikten um?« kommt beispielsweise oft zu spät – nämlich dann, wenn der Konflikt bereits da ist. Um noch einmal auf die Metapher des Gärtnerns für die Füh­ rungsarbeit zurückzukommen: Je besser die Bedingungen des Gedeihens sind, desto stärker werden die Pflanzen und desto besser kommen sie mit Widrigkeiten zurecht. Die unsichtbare Arbeit der Gärtnerin besteht darin, die richtigen Plätze für die Pflanzen zu finden, sie optimal auszustatten und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht behindern, sondern möglichst gegenseitig unterstützen. Damit die Mitarbeitenden gute Gründe haben, gerne zur Arbeit zu kommen, und es gar nicht erst zu Konflikten kommt, versuchen die befragten Leitungskräfte, Kommunikationsmuster zu befördern, die durch gegenseitiges Vertrauen geprägte Beziehungen schaffen. Wenn sie transparent kommunizieren, tun sie dies mit grundsätzlicher Offenheit für die Hinterfragbarkeit von Überlegungen und Entscheidungen, stellen damit Augenhöhe her und bieten Orientierung und Sinn, ohne dass sie die Unterschiedlichkeit der Rollen vernachlässigen. Durch ihre Nahbarkeit sind sie berechenbar. Sie agieren mit Empathie und mit der Sorge um eine gute Verfasstheit der Mitarbeitenden, damit diese einen zuverlässigen, stabilen Rahmen haben, in dem sie ihre Energie auf die Arbeit (statt auf Sorgen) lenken können. Indem die Leitungskräfte den Mitarbeitenden zuhören und sich mit ihnen und ihrer Arbeit auseinandersetzen, verleihen sie ihnen Anerkennung. Verbindlichkeit herstellen Überlegen Sie, was Sie schon tun und was Sie außerdem noch tun könnten, um diese Ziele zu verfolgen:

Kommunikation nach innen

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▶ Mit welchen Verhaltensweisen können Sie Ihren Mitarbeitenden signalisieren, dass Sie nahbar sind und auf Augenhöhe kommu­ nizieren? Was würde in Ihre Umgebung p ­ assen und was würde die Mitarbeitenden eher befremden? Wie könn­­ten Sie Nahbar­­keit herstellen, wenn viel im Homeoffice ge­­arbei­tet wird? ▶ Welche Sachverhalte machen Sie transparent, welche nicht? (In welchen Fällen) würde durch zu viel Transparenz Loyalität verletzt? ▶ Wie sprechen Sie mit Ihren Mitarbeitenden über die Ziele und die Aufgaben der Organisation? Kann dadurch die Sinnhaftigkeit ihres Tuns erhöht werden? Welche anderen Komponenten tra­ gen in Ihrem Kontext dazu bei, dass die Mitarbeitenden eine Sinnhaftigkeit in ihrem Tun sehen? ▶ Was verschafft Ihren Mitarbeitenden Stabilität? ▶ Was heißt in Ihrem Kontext Fürsorge? In welcher Weise sollte für die Mitarbeitenden gesorgt werden?

Es geht nicht nur darum, Vertrauen der anderen zu gewinnen. Die Leitungskräfte betonen, wie wichtig es ist, dass sie selbst den Mitarbeitenden vertrauen. Dies bedeutet einen gewissen Verzicht auf Kontrolle und die Möglichkeit eines Risikos. Es braucht einen transparenten Erwartungsrahmen, innerhalb dessen sich die Mitarbeitenden eigenverantwortlich bewegen können. Dieser kann nicht so umfassend sein, dass alle möglicherweise eintretenden Ereignisse damit im Vorfeld geklärt werden. Es besteht immer die Möglichkeit, dass es zu unterschiedlichen Deutungen und Herangehensweisen kommt. Der Rahmen muss immer wieder neu interpretiert und ausgehandelt werden. Fehlendes Vertrauen kann als Abwertung der Fähigkeiten und Leistungen interpretiert werden. Eine enge Kontrolle lädt dazu ein, Verantwortung abzugeben und nur noch das zu tun, was klar vorgegeben wird. Oder es kann sich eine »Hinterbühne« entwickeln, also eine Kommunikation, die nicht mehr in den Austausch zwischen allen kommt. Das Vertrauen, das die Leitungskräfte ihren Mitarbeitenden geben und von ihnen bekommen, trägt dazu bei, dass sie Rückmeldungen zu den Entwicklungen in der Organisation und zu 158

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ihrer eigenen Arbeit bekommen. Sie können mithilfe ihrer Präsenz dafür sorgen, dass »ganz nebenbei« Dinge angesprochen werden, die wichtig sind. Präsenz kann auch virtuell, wie zum Beispiel bei der Arbeit im Homeoffice, vorhanden sein, da sie durch Nahbarkeit und Ansprechbarkeit hergestellt wird. Ebenso nutzen Leitungskräfte natürlich Verabredungen wie regelmäßige Sitzungen, Personalgespräche oder Teamklausuren, um gegenseitiges Feedback zu ermöglichen. Durch die Rückmeldung, die sich die Leitungskräfte holen, sorgen sie unter anderem dafür, dass ihre Autorität weiterhin symmetrisch abgesichert ist, also dass sich nicht kommunikative Muster entwickeln, die Misstrauen begünstigen. Sie können dadurch auch gezielt Veränderungen anstoßen. Es gibt Führungskräfte, die für Veränderungsprozesse lieber Expertise und Unterstützung von außen holen, sei es, weil sie den eigenen Mitarbeitenden nicht genügend Kenntnisse zutrauen, oder aber, weil sie auf diese Weise besser kontrollieren können, wie die Entwicklung abläuft, da sich externe Dienstleistende in der Regel am Auftrag der Kunden orientieren. Der Blick von außen kann selbstverständlich hilfreich sein, aber ohne die Kenntnisse von innen ist die Gefahr groß, dass Veränderungen Probleme hervorbringen oder gar ganz scheitern und Vertrauen zerstören. Wenn bestimmte Kommunikationsmuster allen in einer Organisa­ tionseinheit bekannt und vertraut sind, erübrigen sich andere. Hat sich beispielsweise gegenseitiges Vertrauen etabliert, entfallen aufwendige Überprüfungen oder ein Auskämpfen bestimmter Positionen. Das heißt nicht, dass es nicht zu Konflikten kommen kann, aber im Idealfall werden unterschiedliche Interessen in kommunikativen Mustern ausgehandelt, die Konflikte überflüssig machen, wenn schwierige Fragen zu klären sind. Die Interviewpartnerinnen haben die verschiedenen Strategien beschrieben, mit denen sie an die Bewältigung schwieriger Situationen gehen. Vor allem wurde eines deutlich: Sie suchen immer wieder das Gespräch und verzichten auf »Ansagen«, also Anordnungen, die sich auf Macht berufen. »Ansagen« kürzen Auseinandersetzungen erstmal ab, doch zerstören sie langfristig Vertrauen und funktionieren nur dann, wenn Mitarbeitende bereit sind, sich solchen Kommunikation nach innen

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Anordnungen zu fügen. Im zweiten Kapitel schildern die Leitungskräfte, wie sie alle Möglichkeiten ausschöpfen, um in Gesprächen Lösungen herbeizuführen. »Ihr müsst nicht sofort eine Lösung haben, aber geht mal rein und macht Erfahrungen. Und wenn man damit Erfolg hat und gezeigt hat, dass Menschen sich entwickeln können, wenn man einen Weg gefun­ den und womöglich herausgefunden hat, was an privaten Problemen dazu beigetragen hat, dass die Leistung nicht stimmt, und man etwas in Bewegung bringen konnte, dann ist das das i-Tüpfelchen« (Interview).

Wenn sich die Kommunikation im Medium Macht festgefahren hat (vgl. Kap. 1, S. 49), wechseln die Führungskräfte das Kommunikationsmedium und begeben sich in die Logik der Verbindlichkeit – und lassen nicht locker, sodass es selten vorkommt, dass keine Lösung gefunden wird. In diesen wenigen Fällen suchen sie nach anderen Auswegen, beispielsweise mithilfe der Einbeziehung von Personen in anderen Funktionen, wie direkten Vorgesetzten, übergeordneten Leitungskräften und anderen Instanzen.17 Die Verbindlichkeit zwischen den Aufgaben und den Personen, die Leitungskräfte über bestimmte Kommunikationsmuster herstellen können, sowie die beharrliche Bewegung zwischen Bitte und Befehl erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Vertrauen entsteht und Autorität verliehen wird.

17 Hier lassen sich Parallelen zu einem Prinzip der Neuen Autorität finden, das auf Beharrlichkeit statt spontaner Durchsetzung baut, und zu einem weiteren, das in der Nutzung von Koalitionen besteht. Die Idee der Neuen Autorität wurde von Haim Omer in Israel aus dem Konzept der Gewaltlosigkeit für die Beratung von Familien erarbeitet und in Deutschland in Zusammenarbeit mit Arist von Schlippe weiterentwickelt. Das Grundprinzip »Stärke statt Macht« fokussiert auf Stärke als einem Anker, den Erziehende Kindern und Jugendlichen bereitstellen und der auf elterlicher Präsenz als Kontextmarkierung beruht. Auf dieser Basis werden für das Verhalten von Erziehenden weitere Prinzipien vorgeschlagen: Selbstkontrolle, Transparenz, Koalitionen, Wiedergutmachung, Beharrlichkeit (vgl. Omer u. von Schlippe (2010), Körner et al. (2019); für die Übertragung dieser Prinzipien auf die Führungspraxis vgl. Baumann-Habersack (2017), Geisbauer (2018)).

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Kommunikation nach außen: Selbstbehauptung in der Organisation und ihrem Umfeld Auf die Frage, worauf eine junge Kollegin ihrer Meinung nach besonders achten solle, bezogen sich viele Antworten der Interviewten auf die Kommunikation gegenüber Vorgesetzten, anderen Führungskräften und Entscheidungsträgerinnen. »Das Thema Netzwerken gehört dazu, dass Frauen sich untereinander helfen, unterstützen, verbünden, sich reflektieren, sich in Runden bege­ ben, in denen man den Frust loswerden kann« (Interview). »Sie sollte zuhören, Netzwerke schaffen und Verbündete suchen, auch im eigenen Laden. Ich habe in ganz vielen Gremien die Neuen an die Hand genommen und gesagt, wo es langgeht. Als ich in eine Konferenz gewählt worden war und das erste Mal dorthin kam, kannte ich keine Menschenseele und kam mir völlig verloren vor. Als ich zehn Jahre dort Mitglied war, konnte ich den Neuen sagen, worauf man achten muss, wer wichtig ist und wen man mit ins Boot holen muss. Eine Kollegin hat mir gesagt, dass das für sie ganz wichtig gewesen sei, dass jemand da war, der gesagt hat, worauf sie achten muss: Das Fettnäpfchen muss ich nicht unbedingt nutzen« (Interview). »Ich versuche, mir einen sicheren Raum zu schaffen. Wir hatten ein­ mal im Jahr eine Führungskräfteveranstaltung, die anfangs für mich aufregend war, auch wenn ich sonst kein Mensch bin, der aufgeregt ist. Ich kann mich auch auf eine Bühne stellen und etwas erzählen, das ist okay. Aber wenn man nicht weiß, was von einem erwartet wird und was man von sich preisgeben muss, ist das extrem spannend. Und da habe ich geschaut, dass ich jemanden an meiner Seite habe, den ich mag« (Interview).

Orientierung und Sicherheit sind der eine Vorteil dieser Form der Unterstützung, das schnellere Kennenlernen der Spielregeln und Ideen, wie man sich innerhalb dieses Umfeldes behauptet, der andere. Die Kenntnis der Spielregeln kann zu selbstbewussten, symKommunikation nach außen

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metrischen Kommunikationsangeboten verhelfen. Das »Mitspielen« kann heißen, Entscheidungen nicht allein über eine sachliche Auseinandersetzung und Argumente herbeiführen zu wollen, sondern sich auch Unterstützung für wichtige Anliegen zu holen. Leitungskräfte könnten sich fragen, ob diese Form des Mitspielens tatsächlich sein muss oder ob es nicht eine Beteiligung am Ringen um Macht ist, die mit der Idee einer respektierten Autorität eigentlich nicht zusammenpasst. »Ja, ihr seid anders, und ja, das nervt, aber wir müssen da erst einmal mit­­spielen, um unsere Themen durchzusetzen. Man muss sich auf die Machtspiele einlassen. Da bin ich in wunderbaren Streitgesprächen mit jungen Kolleginnen, die da nicht mitmachen und sich auf die Spiel­ regeln nicht einlassen wollen. Sie sagen: ›Ich bewerbe mich nicht für die nächste Ebene.‹ Ich führe ständig diese Diskussion. Und ich kann die Kolleginnen so gut verstehen. Ich versuche sie zu überzeugen, ein bisschen mitzumachen, denn wenn man drin ist, kann man auch etwas ändern. Und natürlich bin ich auch egoistisch und will, dass alle mit auf die nächste Ebene kommen, damit wir diese männliche Führungskultur ändern, aber ich gebe auch mit, dass man sich zu einem gewissen Grad darauf einlassen muss« (Interview).

Leitungskräfte könnten mit Unterstützung durch andere die Be­­ dingungen klären, die mindestens gegeben sein müssen, damit das Mitspielen zum Erfolg führt. Damit Frauen Autorität verliehen wird, müssen sie die Anerken­ nung ihrer Kompetenzen erlangen, sowohl was ihr Fachwissen als auch ihre Führungsqualitäten angeht. Wenn die Art der Leitung von gängigen Vorstellungen abweicht, wird es besonders schwierig, diesen Kompetenzen Geltung zu verschaffen. Es sollte aber geprüft werden, ob es allein damit getan ist, überragend mehr zu leisten, damit die Eignung von Frauen zur Führungskraft anerkannt wird. Weibliche Leitungskräfte befürchten häufig, dass sie sich zu sehr in den Vordergrund spielen könnten, wenn sie mit ihren Fähigkeiten sichtbar sein wollen. In den Interviews ist bemerkenswert, dass die meisten der Frauen wenig oder gar nicht über ihre Leistungen reden, weil sie das als unangemessene Form der Selbstdar162

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stellung betrachten. Hier zeigt sich ein Dilemma: Einerseits legen sie Wert darauf, dass nicht diejenigen in einflussreiche Positionen kommen, die viel Energie darauf verwenden, sich besonders viel und gut darzustellen, und die Versprechungen, die darin liegen, später nicht erfüllen. Andererseits stellt sich die Frage, wie gute Leitungspotenziale überhaupt sichtbar werden, wenn Frauen als Führungskraft auf diese Form der Selbstdarstellung verzichten. Auch hier geht es wieder um die Balance: Sie müssen nicht ständig die eigenen Leistungen hervorheben, aber wenn sie engagiert und weitsichtig auf das große Ganze des jeweiligen Wirkungskreises schauen und sich dafür einsetzen, wenn sie Netzwerke nutzen, um eigene Ideen ins Spiel zu bringen, andere davon überzeugen und ihre Vorhaben effektiv und erfolgreich umsetzen, können sie deutlich machen, dass sie führen können und Lust auf mehr davon haben. Sichtbar werden Erzählen Sie bitte einer anderen Person, was Sie gut können und welche Erfolge Sie hatten. Lassen Sie sich dann Rückmeldung von Ihrem Gegenüber geben: ▶ Wie wirkte diese Darstellung – • eher übertrieben, eher untertrieben oder genau richtig? • aufdringlich oder viel zu zurückhaltend? • weitschweifig, langatmig oder präzise und prägnant? • selbstbewusst oder unsicher? ▶ Wurden Ihre Kompetenzen deutlich?

Für Organisationen ist es wertvoll, Führungsqualitäten als wichtig zu bewerten, die traditionell als weibliche Eigenschaften angesehen wurden, und die darauf gerichtet sind, mit respektierter Autorität zu leiten. Denn damit erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die wichtigste Ressource von Organisationen, ihre Mitarbeitenden, einen großen Teil ihrer Energie und ihrer Zeit dafür einsetzen, mit Freude, einem hohen Maß an Identifikation und engagiert an einer gemeinsamen Sache zu arbeiten.

Kommunikation nach außen

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Interviewleitfaden

1. Wie war Ihre berufliche Entwicklung? Haben Sie Kinder? Haben Sie Ihre Kinder allein erzogen? 2. Wie viele Mitarbeitende führen Sie? Wie ist der Anteil an Männern und Frauen? Wie ist die Altersverteilung? 3. Wie haben Sie gelernt zu leiten? An welchen Vorbildern haben Sie sich (negativ) orientiert? 4. Was verstehen Sie unter Leitung? 5. Was genau tun Sie, das Sie zu einer erfolgreichen Führungskraft macht? 6. Hat Ihnen Ihre weibliche Sozialisation (auch Vorbilder, wie Eltern oder Mutterschaft) etwas Spezifisches für die Leitungsfunk­tion mitgegeben? 7. Wie werden bei Ihnen Entscheidungen getroffen und kommuniziert? 8. Welche Routinen gibt es bei Ihnen, die Sie wichtig finden? 9. Wie nehmen Sie Einfluss in die verschiedenen Richtungen (z. B. auf Kommunikation)? 10. Haben Sie Autorität bei Ihren Mitarbeitenden? Woran merken Sie das? Was verstehen Sie unter Autorität? 11. Wo würden Sie den Unterschied zwischen Autorität und Macht sehen? 12. Mitarbeitende kommen Verhaltens-/Leistungserwartungen nicht nach – was tun Sie dann? 13. Waren/Sind Sie auch manchmal autoritär? 14. Wurde Ihre Autorität schon einmal hinterfragt? Werden Sie (von Mitarbeitenden und von außen) mit Machtstrategien konfrontiert? Wie reagieren Sie darauf? 15. Keine Autorität haben – kennen Sie das bei sich/bei anderen? 16. Was bekommen Ihre Mitarbeitenden von Ihnen – was geben sie Ihnen dafür?

Interviewleitfaden

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17. Womit – mit welchen Anliegen – kommen die Mitarbeitenden zu Ihnen? 18. Was sagen sie Ihnen nicht? 19. Was für ein Image haben Sie in Ihrer Organisation? 20. Was machen Sie anders als männliche Führungskräfte? 21. Haben Sie es erlebt, dass Sie als weibliche Leitungskraft (von Männern und Frauen) anders behandelt wurden als Männer? 22. Was ist Ihnen wichtig bei Ihrer (Körper-)Sprache und der Ge­­ staltung der Räume? 23. Reden Sie mit Männern anders als mit Frauen, mit Jungen anders als mit Älteren? 24. Inwiefern weicht Ihr Führungsstil von der Kultur Ihrer Organisation ab? 25. Wie unterstützen Sie Ihre Führungskräfte dabei, Autorität zu gewinnen? 26. Was raten Sie einer jungen Kollegin – worauf sollte sie achten? 27. Möchten Sie noch auf eine Frage antworten, die nicht gestellt wurde?

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Interviewleitfaden

Literatur

Arendt, H. (2016). Was ist Autorität? In H. Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I (S. 159–200). München: Piper. Baumann-Habersack, F. (2017). Mit neuer Autorität in Führung. Die Führungshaltung für das 21. Jahrhundert. Wiesbaden: Springer. Geisbauer, W. (2018). Führen mit neuer Autorität. Stärke entwickeln für sich und das Team. Heidelberg: Carl-Auer. Großmaß, R. (2018). »Autorität« als sexuierte Dimension sozialer Beziehungen. In H. Landweer, C. Newmark (Hrsg.), Wie männlich ist Autorität? Feministische Kritik und Aneignung (S. 153–177). Frankfurt a. M.: Campus. Groth, T. (2017). 66 Gebote systemischen Denkens und Handelns in Management und Beratung (2. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Grubendorfer, C. (2019). Einführung in systemische Konzepte der Unternehmenskultur (2. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer. Hüther, G. (2007). Biologie der Angst. Wie aus Stress Gefühle werden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Körner, B., Lemme, M., Ofner, S., von der Recke, T., Seefeldt, C., Thelen, H. (Hrsg.) (2019). Neue Autorität. Das Handbuch. Konzeptionelle Grundlagen, aktuelle Arbeitsfelder und neue Anwendungsgebiete. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kurbacher, F. A. (2018). Das ambivalente Verhältnis von Autorität und Freiheit – Von Thomasius über Derrida zu Arendt und Muraro. In H. Landweer, C. Newmark (Hrsg.), Wie männlich ist Autorität? Feministische Kritik und Aneignung (S. 301–316). Frankfurt a. M.: Campus. Landweer, H., Newmark, C. (2018). Verdeckte Autorität – Moderne Gefühls­ dynamiken. In H. Landweer, C. Newmark (Hrsg.), Wie männlich ist Autorität? Feministische Kritik und Aneignung (S. 177–194). Frankfurt a. M.: Campus. Levold, T. (2014). Macht. In T. Levold, M. Wirsching (Hrsg.), Systemische Therapie und Beratung – das große Lehrbuch (S. 110–113). Heidelberg: Carl-Auer. Luhmann, N. (2012). Macht (4. Aufl.). Konstanz/München: UVK. Muraro, L. (2018). »Der Neid ist ein Huhn, das seine Eier ausbrütet und so unsere heimlichen Wünsche warm hält«. In H. Landweer, C. Newmark (Hrsg.), Wie männlich ist Autorität? Feministische Kritik und Aneignung (S. 19–30). Frankfurt a. M.: Campus. Nink, M. (2018). Engagement Index. Die neuesten Daten und Ergebnisse der Gallup-Studie. München: Redline. Omer, H., Schlippe, A. von (2010). Stärke statt Macht. Neue Autorität in Familie, Schule und Gemeinde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Literatur

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Literatur