Maßstäbegerechtigkeit im Länderfinanzausgleich: Die Länderfinanzen zwischen Autonomie und Nivellierung [1 ed.] 9783428526734, 9783428126736

In seiner Entscheidung vom 11.11.99 hat das BVerfG für den Länderfinanzausgleich ein Maßstäbegesetz gefordert, das eine

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Maßstäbegerechtigkeit im Länderfinanzausgleich: Die Länderfinanzen zwischen Autonomie und Nivellierung [1 ed.]
 9783428526734, 9783428126736

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1099

Maßstäbegerechtigkeit im Länderfinanzausgleich Die Länderfinanzen zwischen Autonomie und Nivellierung

Von Adrian Jung

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

ADRIAN JUNG

Maßstäbegerechtigkeit im Länderfinanzausgleich

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1099

Maßstäbegerechtigkeit im Länderfinanzausgleich Die Länderfinanzen zwischen Autonomie und Nivellierung

Von Adrian Jung

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung der Mathews-Stiftung im Förderfonds des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft

Die Juristische Fakultät der Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12673-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort In seiner Entscheidung vom 11. November 1999 hat das Bundesverfassungsgericht für den Länderfinanzausgleich ein Maßstäbegesetz gefordert, welches eine Pflicht des Bundesgesetzgebers konstituiert, als Erstinterpret der Verfassung deren Vorgaben durch allgemeine, nachvollziehbare, ihn selbst bindende Maßstäbe zu konkretisieren. Das Maßstäbegesetz soll Leistungsansprüche der Bundesländer aus dem politischen Kompromiss herauslösen und eine rein interessenbestimmte Verständigung über Geldsummen sicher ausschließen. Dieses Gesetz hat der Gesetzgeber im September 2001 erlassen. Die Untersuchung widmet sich Geltungsgrund sowie Ausgestaltung des Maßstäbegesetzes und wurde im Frühjahr 2007 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt sind Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur berücksichtigt. An erster Stelle danke ich meinem verehrten akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Paul Kirchhof, der die Anregung zu dieser Arbeit gegeben und wesentlich zu ihrem Gelingen beigetragen hat. Nicht nur hat er diese Untersuchung mit all seiner Erfahrung fortwährend unterstützt und gefördert, sondern auch meine gesamte wissenschaftliche Ausbildung wohlwollend begleitet und mein juristisches Denken geprägt. Er hat mir in meiner Zeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heidelberger Institut für Finanz- und Steuerrecht stets den Freiraum gewährt, der für die Erstellung der Arbeit erforderlich war. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Ekkehart Reimer für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens, seinen vielfachen Rat sowie seine Anregungen, von der diese Arbeit erheblich profitieren konnte. Weiteren Dank für die schöne gemeinsame Zeit am Heidelberger Institut und den fachlichen Austausch schulde ich Herrn Dr. Ulrich Palm, Herrn Dr. Christian von Stockhausen und Herrn Marcus Zelyk sowie Herrn Prof. Dr. Hanno Kube und Herrn Prof. Dr. Christian Seiler. Frau Marjana Pfeifer hat darüber hinaus auf vielfältige Weise zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Ihr gilt mein besonderer Dank. Dank gebührt auch der Mathews-Stiftung im Förderfonds des Stifterverbandes für die deutsche Wissenschaft, welche die Veröffentlichung dieser Arbeit durch ihre großzügige Bezuschussung zu den Druckkosten gefördert hat. Gewidmet sei diese Arbeit in herzlichster Dankbarkeit meinen Eltern. Mannheim, im April 2008

Adrian Jung

Inhaltsverzeichnis 1. Kapitel Verfassungsrechtliche Maßstäbe

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A. Bundesstaatlichkeit und die Bedeutung finanzieller Autonomie . . . . . . . . . . . . . . 11 B. Das Maßstäbegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der neue Weg des Bundesverfassungsgerichts: Das Maßstäbegesetz . . . . . . II. Der Regelungsgehalt des Maßstäbegesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grund des Maßstäbegesetzes nach der gerichtlichen Begründung . . . . . . . . IV. Rechtsfolgen des Maßstäbegesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Normenhierarchische Verankerung des Maßstäbegesetzes . . . . . . . . . . . . . .

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C. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 I. Verfassungsvorgabe: Angemessener Ausgleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Die beiden Komponenten des Finanzausgleichs: Finanzautonome Verschiedenheiten und finanzsolidarische Annäherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Föderatives Gleichbehandlungsgebot und föderative Gleichheit . . . . . . . . . III. Föderative Gleichheit und Gleichbehandlung in der Rechtsprechung . . . . . . IV. Föderative Gleichheit und Gleichbehandlung in der Literatur . . . . . . . . . . . 1. Das Völkerrecht als Geltungsgrund der föderativen Gleichheit . . . . . . . 2. Das Bundesstaatsprinzip als Geltungsgrund der föderativen Gleichheit . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Besonderheiten der bundesstaatlichen Gleichheit und des Gleichheitssatzes im Finanzausgleichsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Exkurs: Die bundesstaatliche Gleichheit in ausgewählten Bereichen . . . . . .

22 22 22 23 26 26 28 29 35 39 41

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Systematik und Zweck des Finanzausgleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einfluss des Demokratieprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der grundrechtliche Gleichheitssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 45 46 48 50 53 54

8

Inhaltsverzeichnis VII. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 VIII. Das Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Entstehungsgeschichte des Willkürverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Herleitung und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Föderativer Gleichheitssatz und Willkürverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Stellungnahme und Anwendung im Recht des Finanzausgleichs . . . . . . 82 a) Rechtsstaatliche Elemente des föderativen Gleichheitssatzes . . . . . . 82 b) Bundesstaatliche Elemente des föderativen Gleichheitssatzes . . . . . 86 c) Der Gesetzgeber als Erstinterpret der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . 91 d) Gleichheitssatz und Autonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 4. Bundestreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5. Bedeutung des Willkürverbotes für den Länderfinanzausgleich und das Maßstäbegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 IX. Gleichheit in der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Argumente gegen eine „Gleichheit in der Zeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Argumente für eine „Gleichheit in der Zeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

F. Die Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Paul Kirchhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Klaus Vogel / Paul Kirchhof . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Jürgen W. Hidien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Stefan Korioth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ulrich Häde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Kritische Würdigung unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nivellierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbot der Veränderung der Finanzkraftreihenfolge . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schwächungsverbot und Abstandsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 123 124 124 125 126 127 128 129 129 130

G. Die Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historischer Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Entwicklung der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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H. Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I. Die Verhältnismäßigkeit im bundesstaatlichen Verhältnis . . . . . . . . . . . . . 136

Inhaltsverzeichnis II. III.

IV. V.

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Die Übertragbarkeit der Verhältnismäßigkeit in das Finanzausgleichsrecht Die Verhältnismäßigkeit als richtiger Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Diskussion und Identität von Ziel und Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Maßstabsschwäche der Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verhältnismäßigkeit und Maßstäbegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Kapitel Die Zusammengehörigkeit von Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

161

A. Das Zusammenwirken von Angemessenheit und Gleichheitssatz im „angemessenen Ausgleich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 B. Der unausweichliche Schritt zum Maßstäbegesetz

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

C. Widerlegung der Kritik an der Forderung nach einem Maßstäbegesetz . . . . . . . I. Keine Rechtsgrundlage im Verfassungstext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einordnung in die Gesetzesdogmatik – Rechtsstaatlichkeit und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verstoß des Finanzausgleichsgesetzes gegen das Maßstäbegesetz . . . . . . . IV. Die politische Durchsetzbarkeit des Maßstäbegesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

167 167 172 186 187 190

3. Kapitel Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

191

A. Sonderbedarfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Generelle Voraussetzungen zur Berücksichtigung von Sonderbedarfen . . . II. „Einwohnerveredelung“ der Stadtstaaten und Großstädte . . . . . . . . . . . . . . III. Hafenlasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191 197 198 204

B. Inhalte des Maßstäbe- und Finanzausgleichsgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Steuerertragsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der horizontale Finanzausgleich, insbesondere der angemessene Ausgleich IV. Bundesergänzungszuweisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Kosten der politischen Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teilungsbedingte Sonderlasten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonderlasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . .

208 209 209 212 219 222 223 225

10

Inhaltsverzeichnis 4. Extreme Haushaltsnotlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 5. Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich überproportionaler Belastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227

C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

1. Kapitel

Verfassungsrechtliche Maßstäbe A. Bundesstaatlichkeit und die Bedeutung finanzieller Autonomie Der Staat der Gegenwart ist in erster Linie Finanzstaat, ein Staat gestützt auf seine Finanzmacht. Aus diesem Grunde nimmt die Finanzverfassung im Bundesstaat eine überragende Stellung ein: „Finanzmacht ist heute die wirksamste, umfassendste und beweglichste Form der Staatsgewalt“ 1. Bei einer Entscheidung für eine Untergliederung des Gesamtstaates in Länder mit eigener Staatlichkeit und eigener demokratischer Legitimation ist insbesondere der Finanzausgleich zwischen Gesamtstaat und Gliedstaaten sowie zwischen den Gliedstaaten untereinander von besonderer Bedeutung 2. Er bestimmt „den Charakter des Bundesstaates“, seine „Struktur“ sowie seine „Entwicklung“ 3. Deshalb müssen auch die Gliedstaaten in einem angemessenen Rahmen eigene Finanzmittel zur freien Verfügung haben und „in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und voneinander unabhängig“ (Art. 109 Abs. 1 GG) sein. Die bundesstaatliche Finanzverfassung der Bundesrepublik Deutschland stützt sich dabei auf zwei Säulen: Autonomie des Bundes und der Länder einerseits, Solidargemeinschaft zwischen Bund und Ländern sowie unter den Ländern andererseits. Zwischen diesen beiden Prinzipien sucht Art. 107 GG einen „angemessenen Ausgleich“ zu schaffen. Dennoch müssen sowohl die Autonomie einerseits als auch die dem Bürger zugute kommende, gleichmäßige staatliche Aufgabenerfüllung in ihrer Unterschiedlichkeit bestehen bleiben; sie müssen als gegenläufige Prinzipien (mit einem gemeinsamen Ursprung) im Wege „praktischer Konkordanz“ aufeinander abgestimmt und zu größtmöglicher Entfaltung geführt werden 4. Die Gegenläufigkeit finanzieller Autonomie und bundesstaatlicher Solidarität bietet deshalb ein hohes Konfliktpotential 5. Diese Gratwanderung des Bundesge-

1 2 3 4

Sigrid Boysen, Gleichheit im Bundesstaat, S. 75. Ernst Deuerlein, Föderalismus, S. 140. Ernst Deuerlein, Föderalismus, S. 271. Lerke Osterloh, EuGRZ 2002, S. 309 (313).

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

setzgebers zwischen Autonomie und Solidarität hat auch die Gerichte schon mehrfach beschäftigt, das erste Mal bereits 1952, also unmittelbar nach Inkrafttreten des Grundgesetzes. Seit dieser Zeit sind drei weitere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu diesem Thema ergangen 6; es gab zwei große Grundgesetzreformen in diesem Bereich, doch stand immer der Konflikt zwischen Autonomie und Solidarität im Vordergrund. So klagten (in unterschiedlichen Konstellationen) sowohl die finanzschwachen Länder, die mehr Solidarität einforderten, als auch die finanzstarken, die auf mehr Autonomie pochten. Mittlerweile stehen im Finanzausgleich wenige Geberländer vielen Nehmerländern gegenüber 7. Außerdem sind die Kriterien für die Umverteilung der Finanzkraft aufgrund ihrer Komplexität nicht mehr nachzuvollziehen, entsprechen aus diesem Grunde nicht mehr der Rechtsstaatlichkeit. Daneben sind die Gerechtigkeitswertungen mancher Regelungen obsolet geworden und nicht mehr gültig, was dazu führt, dass der Finanzausgleich elementaren Gerechtigkeitsvorstellungen zuwiderläuft und deshalb in verstärktem Maße für Unfrieden sorgt. Hinzu kommt, dass sich die Abschöpfungsquote nicht nach gleichmäßig angewandten und sachgerechten Maßstäben bestimmt. Wäre dies der Fall, so „schadet es [ . . . ] nicht, wenn nur einige wenige Länder ausgleichsverpflichtet und verhältnismäßig viele ausgleichsberechtigt sind“ 8. Diese Maßstäbegerechtigkeit wurde jedoch lange Zeit nicht beherzigt. In seiner jüngsten Entscheidung aus dem Jahre 1999 hat sich das Bundesverfassungsgericht entschlossen, diesen Kreislauf der Nachbesserungen von unverständlichen und ungerecht gewordenen Regelungen zu durchbrechen. Es hat dem Gesetzgeber aufgegeben, ein Maßstäbegesetz zu erlassen, welches langfristige Maßstäbe vorgibt, wohingegen das Finanzausgleichsgesetz nur noch die kurzfristigen Ausgleichsfolgen regelt. Diese Konstruktion wird seither in der Literatur heftig angegriffen und soll im Folgenden auf ihre Tragfähigkeit überprüft werden. Hierbei soll insbesondere auf die Gleichmäßigkeit und die Sachgerechtigkeit des Finanzausgleichs sowie auf die oben erwähnten, für alle Länder gültigen, gleichen Maßstäbe eingegangen werden, die elementare Gerechtigkeitsvorstellungen formulieren und bereits in den Begriffen der Angemessenheit und des 5 Sigrid Boysen, Gleichheit im Bundesstaat, S. 75: „Ungleichheiten auf diesem Gebiet können zu mittelbaren und unmittelbaren Vermögenseinbußen beim Steuerpflichtigen bzw. der öffentlichen Hand führen und enthalten deshalb ein besonders hohes Konfliktpotential“. 6 Die abweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 2006, das Land Berlin betreffend (2 BvF 3/03), befasst sich nicht mit dem „System“ des Länderfinanzausgleichs, sondern beschäftigt sich mit der Einzelfrage, ob dem Land Berlin Bundeshilfen zur Überwindung einer extremen Haushaltsnotlage zu gewähren sind. 7 Jens-Peter Schneider, Der Staat 40 (2001), S. 272 (277ff.), der die Gefahr der „Übernivellierung“ anspricht. 8 Theodor Maunz in: Maunz/Dürig, GG, Art. 107 Rn. 67; Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 631.

B. Das Maßstäbegesetz

13

Ausgleichs verankert sind, die der Bundesgesetzgeber aber lange Zeit nicht im Länderfinanzausgleich verwirklicht hat.

B. Das Maßstäbegesetz I. Der neue Weg des Bundesverfassungsgerichts: Das Maßstäbegesetz Seinen Gesetzgebungsauftrag aus Art. 106 und 107 GG zur Konkretisierung der Verfassung und zur Regelung des Länderfinanzausgleichs hatte der Gesetzgeber bis zum Jahre 2001 ausschließlich im Finanzausgleichsgesetz wahrgenommen. In seiner jüngsten Entscheidung zum Finanzausgleich aus dem Jahre 1999 9 hat das Bundesverfassungsgericht ein neuartiges Regelungskonzept entwickelt. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, zusätzlich zum Finanzausgleichsgesetz ein Maßstäbegesetz 10 zu schaffen, welches zwischen das Grundgesetz und das Finanzausgleichsgesetz treten solle 11. Der Gesetzgeber habe aus der Finanzverfassung einen „doppelten Auftrag“ 12. Das Maßstäbegesetz solle gemeinsam mit den Vorschriften der Finanzverfassung und dem Finanzausgleichsgesetz zu einem dreistufigen Gesamtsystem führen, das aus drei aufeinander aufbauenden Rechtserkenntnisquellen beruhe: „Das Grundgesetz gibt in der Stetigkeit des Verfassungsrechts die allgemeinen Prinzipien für die gesetzliche Steuerzuteilung und den gesetzlichen Finanzausgleich vor; der Gesetzgeber leitet daraus langfristige, im Rahmen kontinuierlicher Planung fortzuschreibende Zuteilungs- und Ausgleichsmaßstäbe ab; in Anwendung dieses den Gesetzgeber selbst bindenden maßstabgebenden Gesetzes (Maßstäbegesetz) entwickelt das Finanzausgleichsgesetz sodann kurzfristige, auf periodische Überprüfung angelegte Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen“ 13.

II. Der Regelungsgehalt des Maßstäbegesetzes Auch den Regelungsinhalt und die Voraussetzungen des zu schaffenden Maßstäbegesetzes gibt das Bundesverfassungsgericht vor. Das Maßstäbegesetz muss das 9

BVerfGE 101, 158ff. Dieses Maßstäbegesetz hat der Bundesgesetzgeber mittlerweile erlassen: Gesetz über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz – MaßstG) vom 9. September 2001, BGBl I, S. 2302ff., geändert durch Art. 16 des Föderalismusreform-Begleitgesetzes vom 5. September 2006, BGBl. I, S. 2098 (2106). 11 Zur rechtlichen und politischen Ausgangssituation bei Antragstellung und im Laufe des Verfahrens vgl. Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 32ff. 12 BVerfGE 101, 158 (216). 13 BVerfGE 101, 158 (217). 10

14

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Grundgesetz durch anwendbare, allgemeine und den Gesetzgeber selbst bindende Maßstäbe gesetzlich konkretisieren und ergänzen. Der Gesetzgeber muss die „langfristig anwendbaren Maßstäbe“ bestimmen, aus denen dann die konkreten Folgen abgeleitet werden können. Richtige Handlungsform sei das zustimmungspflichtige Gesetz. Hierbei verlangt das Bundesverfassungsgericht insbesondere in folgenden Bereichen eine Konkretisierung: Die „Grundsätze“ des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 und 2 GG müssten inhaltlich verdeutlicht werden, insbesondere seien die Tatbestände der „laufenden Einnahmen“ und der „notwendigen Ausgaben“ so bestimmt und berechenbar zu machen, dass daraus ein Verteilungsschlüssel abgeleitet werden könne. Daneben müsse unterschieden werden zwischen „laufenden“ und „sonstigen“ Einnahmen sowie zwischen „notwendigen“ und „sonstigen“ Ausgaben (Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG). Nur so werde die Umsatzsteuerverteilung vollziehbar. Außerdem müsse der Gesetzgeber die „Unterdurchschnittlichkeit der Einnahmen“ gemäß Art. 107 Abs. 1 Satz 4, 2. Hs. GG berechenbar definieren und das Gesamtvolumen der Ergänzungsanteile bestimmen. Die „unterdurchschnittliche Finanzkraft“ solle durch die Maßstabbildung zu einem „entwicklungsbestimmten Tatbestand“ werden und nicht nur „Jahresereignis“ sein. Drittens sei der Gesetzgeber verpflichtet, auf der Stufe des horizontalen Finanzausgleichs gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG die „Voraussetzungen“ für Ausgleichsansprüche und -verbindlichkeiten, sowie die „Maßstäbe“ der Höhe der Ausgleichsleistungen zu bestimmen. Eine jährliche Regelung im Finanzausgleichgesetz genüge Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG nicht. Des Weiteren sei der Gesetzgeber ermächtigt, für „benannte und begründete“ Sonderlasten Ergänzungszuweisungen vorzusehen 14.

III. Grund des Maßstäbegesetzes nach der gerichtlichen Begründung Die langfristige gesetzliche Maßstabbildung soll nach Ansicht des Verfassungsgerichts eine rein interessenbestimmte Verständigung über Geldsummen ausschließen oder zumindest erschweren. Die Regelung des Finanzausgleichs im Grundgesetz mit seinen behutsam aufeinander abgestimmten Regeln über Steueraufkommen und Finanzverteilung stünden nicht zur Disposition von Bund und Ländern und müssten daher durch ein Maßstäbegesetz längerfristig abgesichert werden. Ein Maßstäbegesetz werde implizit von den Art. 106f. GG vorausgesetzt: Deutlich sei der Regelungsauftrag zum Erlass eines Maßstäbegesetzes in der Revisionsklausel des Art. 106 Abs. 4 Satz 1 GG. Diese Verfassungsnorm setze einen 14

BVerfGE 101, 158 (215ff.).

B. Das Maßstäbegesetz

15

gesetzlich festgelegten Maßstab für die Bestimmung der Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder voraus, nach denen die Umsatzsteueranteile von Bund und Ländergesamtheit zu berechnen seien. Ohne einen solchen langfristig angelegten gesetzlichen Maßstab lasse sich nicht feststellen, ob sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich anders entwickelt habe. Darüber hinaus verlange die Finanzverfassung sowohl in den Art. 106 Abs. 3 und 4 GG als auch in Art. 107 Abs. 2 GG eine gesetzliche Maßstabgebung, die den rechtsstaatlichen Auftrag eines gesetzlichen Vorgriffs in die Zukunft in der Weise erfülle, dass die Maßstäbe der Steuerzuteilung und des Finanzausgleichs bereits gebildet seien, bevor deren spätere Wirkungen konkret bekannt würden. Der Finanzausgleich dürfe nicht dem freien Spiel der politischen Kräfte überlassen bleiben. „Ein Maßstäbegesetz schafft abstrakte Kriterien für konkrete Finanzfolgen, in denen der Gesetzgeber sich selbst und der Öffentlichkeit Rechenschaft gibt, die rechtsstaatliche Transparenz der Mittelverteilung sichert und die haushaltswirtschaftliche Planbarkeit und Voraussehbarkeit der finanzwirtschaftlichen Autonomiegrundlagen für den Bund und für jedes Land gewährleistet“. Der Gesetzgeber habe die in der Verfassung nur allgemein vorgegebenen Ziele der Umsatzsteuerverteilung („billiger Ausgleich“, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG) und des horizontalen Finanzausgleichs („angemessener Ausgleich“, Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG) durch die langfristige und langjährige (Vergleichs-) Maßstabsbildung handhabbar, nachvollziehbar und überprüfbar zu machen 15.

IV. Rechtsfolgen des Maßstäbegesetzes Nach diesen Vorgaben soll das Maßstäbegesetz zu einem dreistufigen Gesamtsystem führen, das Maßstäbegesetz als „Mittelbau“ unterhalb der Verfassung, aber über dem Finanzausgleichgesetz. In letzterem sollen dann die konkreten, in Zahlen gefassten Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen dargestellt werden, die aus dem langfristigen Maßstab des Maßstäbegesetzes abgeleitet werden. Um dies zu gewährleisten, müsse das Maßstäbegesetz in zeitlichem Abstand vor seiner konkreten Anwendung im Finanzausgleichsgesetz getroffen werden, mithin bevor dem Gesetzgeber die Finanzierungsinteressen von Bund und Ländern und die sich jährlich verändernden Aufkommen und Finanzbedürfnisse bekannt seien. Daneben fordert das Bundesverfassungsgericht für das Maßstäbegesetz eine „Selbstbindung“ des Gesetzgebers. Durch diese sei das Maßstäbegesetz gegen aktuelle Finanzierungsinteressen, Besitzstände und Privilegien abgeschirmt und könne seine Aufgabe als „Maßstäbe setzendes“ Gesetz erfüllen 16.

15 16

BVerfGE 101, 158 (215ff.). BVerfGE 101, 158 (217f.).

16

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

V. Normenhierarchische Verankerung des Maßstäbegesetzes Das Maßstäbegesetz wirft in seiner Struktur als verfassungskonkretisierendes Gesetz zwischen Grundgesetz und ausführendem oder vollziehendem Gesetz viele Fragen auf. Diese Konstruktion ist in Deutschland eher – aber nicht völlig – unbekannt: so gibt es zum Beispiel das Haushaltgrundsätzegesetz und die Haushaltsgesetze sowie Art. 91a GG a. F. 17. Ob das Maßstäbegesetz wirklich eine eigenständige Art von Gesetz im Sinne der Normenhierarchie darstellt, wird an späterer Stelle geklärt werden. Die Forderung nach einer für das deutsche Recht doch eher ungewöhnlichen „mittleren Instanz“ wirft die Frage auf, ob das Maßstäbegesetz nicht zielführender „Holzweg“ oder jener „dritte Weg“ 18 ist, der in der Lage ist, den Finanzausgleich verfassungskonform auszugestalten und einen angemessenen Ausgleich herbeizuführen.

C. Vorgehensweise Im Folgenden soll versucht werden, das Maßstäbegesetz über die vom Bundesverfassungsgericht erwähnten Punkte hinaus aus der Verfassung abzuleiten. Dafür muss das Maßstäbegesetz in der Verfassungsvorgabe des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, dem angemessenen Ausgleich, verankert werden. Hierbei soll das Maßstäbegesetz allein einer rechtlichen Prüfung unterzogen werden, ökonomische oder allokatorische Erwägungen, die sich auf die konkrete Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs auswirken könnten, bleiben außer Betracht. Diese rechtliche Prüfung bedarf einer exakten Auslegung dieser Bestimmung in ihren beiden Komponenten: des Ausgleichs und der Angemessenheit. Um das Maßstäbegesetz verstehen zu können, müssen zuerst die Anordnungen des Grundgesetzes klar herausgearbeitet werden. Sodann müssen mögliche Kritikpunkte am Maßstäbegesetz im Lichte dieser Grundgesetzauslegung betrachtet werden. Da der 17 Die Dreistufung des österreichischen Finanzausgleichs ist mit der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Dreiteilung nicht zu vergleichen. Das Bundes-Verfassungsgesetz der Republik Österreich bestimmt nämlich in Art. 13 Abs. 1 lediglich: „Die Zuständigkeiten des Bundes und der Länder auf dem Gebiet des Abgabenwesens werden durch ein eigenes Bundesverfassungsgesetz (‚Finanz-Verfassungsgesetz‘) geregelt“. Dieses daraufhin erlassene Bundesverfassungsgesetzvom 21. Jänner 1948 (BGBl. Nr. 45/1948, zuletzt geändert mit BGBl. Nr. 201/1996) über die Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen dem Bund und den übrigen Gebietskörperschaften (Finanz-Verfassungsgesetz 1948 – F.-VG. 1948) regelt allgemein finanzverfassungsrechtliche Fragen, etwa in gleicher Dichte wie das deutsche Grundgesetz. Der eigentliche Finanzausgleich wird normiert durch das „Bundesgesetz, mit dem der Finanzausgleich für die Jahre 2005 bis 2008 geregelt wird und sonstige finanzausgleichsrechtliche Bestimmungen getroffen werden (Finanzausgleichsgesetz 2005 – FAG 2005)“, BGBl. I, Nr. 156/2004. 18 So bereits die Überschrift bei Fritz Ossenbühl, Vogel-FS, S. 227 (227).

C. Vorgehensweise

17

Bund zwischenzeitlich ein Maßstäbegesetz erlassen hat, soll dies abschließend auf seine Tragfähigkeit mit den zuvor herausgearbeiteten Verfassungsgrundsätzen überprüft werden. Das Erfordernis eines Maßstäbegesetzes beendet den Prolog zur Entstehungsgeschichte eines neuen gesamtdeutschen Finanzausgleichs mit einer „kühnen Wendung“ 19. Ob es eine Wendung in die richtige Richtung war, muss sich im folgenden erweisen.

I. Verfassungsvorgabe: Angemessener Ausgleich Das Maßstäbegesetz soll die Entscheidungen des Finanzausgleichsgesetzgebers nachvollziehbar und überprüfbar machen. Dies ist grundlegendes Ziel. Es stellt sich aber die Frage, ob das Maßstäbegesetz hierzu geeignet ist und vor allem, ob die Verfassung den Gesetzgeber verpflichtet, ein solches Gesetz zu schaffen. Das Bundesverfassungsgericht hält sich bei der Ableitung des Maßstäbegesetzes aus der Verfassung sehr bedeckt. Es stellt fest, dass Art. 106 Abs. 4 Satz 1 GG einen gesetzlich festgelegten Maßstab für die Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern verlangt, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 und 2 GG „Grundsätze“ sowie Art. 107 Abs. 2 GG eine Maßstabssetzung voraussetzt. Im Einzelnen leitet das Bundesverfassungsgericht das Maßstäbegesetz, wie oben bereits kurz erwähnt, aus folgenden Verfassungsvorschriften ab: „Dieser Regelungsauftrag an den Gesetzgeber wird auch in der Revisionsklausel des Art. 106 Abs. 4 Satz 1 GG deutlich. Diese Verfassungsnorm setzt einen gesetzlich festgelegten Maßstab für die Bestimmung der Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder voraus, nach denen die Umsatzsteueranteile von Bund und Ländergesamtheit zu berechnen sind. Ohne einen solch langfristig angelegten gesetzlichen Maßstab lässt sich nicht feststellen, ob sich das Verhältnis zwischen Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich anders entwickelt hat. Der Auftrag zur Umsatzsteuerverteilung ist erst vollziehbar, nachdem der Gesetzgeber die verfassungsrechtlich vorgegebenen ‚Grundsätze‘ des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nrn. 1 und 2 GG inhaltlich verdeutlicht und insbesondere den Tatbestand der ‚laufenden Einnahmen‘ und der ‚notwendigen Ausgaben‘ so bestimmt und berechenbar geformt hat, dass daraus Verteilungsschlüssel abgeleitet werden können. Auf der zweiten Stufe ist der Gesetzgeber ermächtigt, die Unterdurchschnittlichkeit der Einnahmen gemäß Art. 107 Abs. 1 Satz 4, 2. Hs. GG berechenbar zu definieren und das Gesamtvolumen der Ergänzungsanteile näher zu bestimmen. Die dritte Stufe, der horizontale Finanzausgleich, verlangt vom Gesetzgeber ebenfalls zunächst eine Maßstabgebung, aus der dann die konkreten Ansprüche und Verbindlichkeiten abgeleitet werden können. Nach Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG genügt es nicht, dass das Finanzausgleichsgesetz die Ausgleichsansprüche und die Ausgleichsverbindlichkeiten regelt, vielmehr sind die ‚Voraussetzungen‘ für Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten sowie die ‚Maßstäbe‘ für die Höhe der Ausgleichsleistungen im Gesetz zu bestimmen. Auf der vierten Stufe schließ19

Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (335).

18

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe lich wird der Gesetzgeber ermächtigt, für benannte und begründete Sonderlasten [ . . . ] Ergänzungszuweisungen vorzusehen. Das Gesetz ermöglicht eine Unterscheidung zwischen laufenden und sonstigen Einnahmen sowie zwischen notwendigen und sonstigen Ausgaben, macht eine wesentlich veränderte Entwicklung des Verhältnisses zwischen Einnahmen und Ausgaben (Art. 106 Abs. 4 Satz 1 GG) anhand eines diese Entwicklung begleitenden Maßstabs feststellbar und entfaltet die zentrale Größe der durchschnittlichen Finanzkraft (Art. 107 Abs. 1 Satz 4, 2. Hs., Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2, Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG) als einen entwicklungsbestimmten Tatbestand und nicht nur als ein Jahresereignis. Außerdem hat der Gesetzgeber die nur allgemein vorgezeichneten Ziele der Umsatzsteuerverteilung (‚billiger Ausgleich‘, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG) und des horizontalen Finanzausgleichs (‚angemessener Ausgleich‘, Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG) durch die Verpflichtung zur Maßstabbildung und zur Begründung finanzwirtschaftlich handhabbar, nachvollziehbar und überprüfbar zu machen“ 20.

Das zu erreichende Ziel wird also genau beschrieben: Das Maßstäbegesetz soll, zwischen Verfassung und Ausführungsgesetz stehend, handhabbare, nachvollziehbare, begründete und überprüfbare Maßstäbe setzen. Die Begründung des Maßstäbegesetzes durch das Bundesverfassungsgericht und seine Ableitung aus dem Verfassungstext sind jedoch denkbar kurz. Das Gericht leitet, so scheint es, die Pflicht zur Schaffung eines Maßstäbegesetzes allein aus dem doch eher dürftigen Wortlaut der Art. 106 und 107 GG ab. So meint das Gericht, dem Wortlaut des Art. 106 Abs. 4 Satz 1 GG 21 die Forderung nach einem „gesetzlich festgelegten Maßstab“ für die Berechnung der Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern entnehmen zu können. Auch im Rahmen des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG 22 entnimmt das Bundesverfassungsgericht der Aufforderung an den Gesetzgeber, „Grundsätze“ festzulegen, die Forderung nach einem Maßstäbegesetz. Des Weiteren werden die in Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG 23 genannten „Voraussetzungen für die Ausgleichsansprüche“ sowie „die Maßstäbe für die Höhe der Ausgleichsleis-

20

BVerfGE 101, 158 (215f.). „Die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer sind neu festzusetzen, wenn sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder anders entwickelt; [ . . . ].“ 22 „Bei der Festsetzung [ergänze: der Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern] ist von folgenden Grundsätzen auszugehen: 1. im Rahmen der laufenden Einnahmen haben der Bund und die Länder gleichmäßig Anspruch auf Deckung ihrer notwendigen Ausgaben. Dabei ist der Umfang der Ausgaben unter Berücksichtigung einer mehrjährigen Finanzplanung zu ermitteln. 2. Die Deckungsbedürfnisse des Bundes und der Länder sind so aufeinander abzustimmen, dass ein billiger Ausgleich erzielt, eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden und die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird.“ 23 „Die Voraussetzungen für die Ausgleichsansprüche der ausgleichsberechtigten Länder und für die Ausgleichsverbindlichkeiten der ausgleichspflichtigen Länder sowie die Maßstäbe für die Höhe der Ausgleichsleistungen sind in dem Gesetz zu bestimmen.“ 21

C. Vorgehensweise

19

tungen“ als ein bereits aus dem Wortlaut entnehmbares deutliches Indiz für die Kreation eines Maßstäbegesetzes angesehen. Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich somit nicht nur auf den angemessenen Ausgleich, den es neben dem „billigen Ausgleich“ des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG allerdings ausdrücklich erwähnt 24, sondern auf jede einzelne Stufe des Länderfinanzausgleichs, mag er vertikal oder horizontal, obligatorisch oder fakultativ sein, wie die Zuweisung von Umsatzsteuerergänzungsanteilen oder Bundesergänzungszuweisungen. Daneben macht das Gericht den Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG fruchtbar, der sowohl von „Voraussetzungen“ als auch von „Maßstäben“ spricht, die der Gesetzgeber zu setzen hat. Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist das Auffinden des hinter dem Maßstäbegesetz und dem Wortlaut des Grundgesetz stehenden gedanklichen Schemas, welches vom Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung zugrunde gelegt wurde. Zwischen dem Ausgleich und seiner Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG besteht ein Spannungsverhältnis, das sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nur durch ein Maßstäbegesetz lösen lässt. Dieses Spannungsverhältnis besteht in gewissem Maße auch für die nur „allgemein vorgezeichneten Ziele der Umsatzsteuerverteilung (‚billiger Ausgleich‘, Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG)“ 25. Allerdings liegt im Gebot des angemessenen Ausgleichs das zentrale 26 und wesentliche 27, aber auch das schwierigste 28 Problem des Länderfinanzausgleichs, da an dieser Stelle die beiden gegenläufigen Interessen, nämlich die bundesstaatliche Solidarität und die bundesstaatliche Autonomie am deutlichsten aufeinandertreffen und der Zielkonflikt des Länderfinanzausgleichs am deutlichsten zutage tritt 29. „Außerdem hat der Gesetzgeber die nur allgemein vorgezeichneten Ziele [ . . . ] des horizontalen Finanzausgleichs (‚angemessener Ausgleich‘, Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG) durch die Verpflichtung zur Maßstabsbildung und zur Begründung finanzwirtschaftlich handhabbar, nachvollziehbar und überprüfbar zu machen“ 30.

24 Der „billige Ausgleich“ des Art. 106 GG formuliert eine ähnliche Problematik wie der „angemessene Ausgleich“ des Art. 107 GG, vgl. etwa Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 80; Jürgen W. Hidien, Die Verteilung der Umsatzsteuer, S. 308; Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 58. Allerdings stellt das horizontale Element den zentralen Bestandteil des bundesdeutschen Finanzausgleichs dar, da vor allem dieser zu Konflikten führt und es erst an dieser Stelle zu einer echten Umverteilung kommt. 25 BVerfGE 101, 158 (216). 26 Otto-Erich Geske, DÖV 1985, S. 421 (427). 27 Peter Selmer, VVDStRL 52 (1993), S. 10 (49). 28 Werner Heun, Der Staat, Bd. 31 (1992), S. 205 (228). 29 Vgl. dazu Christoph Degenhart, ZG 15 (2000), S. 79 (81). 30 BVerfGE 101, 158 (216).

20

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Der angemessene Ausgleich ist möglicherweise nur dann „angemessen“ im Sinne der Verfassung, wenn zum Finanzausgleichsgesetz noch ein Maßstäbegesetz tritt, welches einen größeren Rahmen abdeckt, mit der „Rationalität und Objektivität eines Maßstäbegesetzes“ 31 die Verfassung konkretisiert, eine „mehrjährige Finanzplanung“ gewährleistet sowie „eine rein interessenbestimmte Verständigung über Geldsummen“ 32 sicher ausschließt. Es dürfen nicht mehr nur in einem „Kamingespräch unter den Ministerpräsidenten der Länder“ 33 ausgehandelte Kompromisse kodifiziert werden, die ohne langfristige Planungsgrundlagen abänderbar sind. Auf diese Weise wurde den Ländern Finanzkraft nicht nach gleichen, auch nicht über einen bestimmten Zeitraum fortentwickelte, sondern nach unberechenbaren, willkürlichen und „maßstabslosen“ Kriterien gewährt. Diese Forderung nach einem willkürfreien Finanzausgleich muss ihre Grundlage im „angemessenen Ausgleich“ des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG finden. Um das Maßstäbegesetz zu verstehen, muss deshalb zunächst das Spannungsverhältnis des angemessenen Ausgleichs aufgelöst werden, dieser gleichsam in seinen beiden Komponenten, im „Ausgleich“ und der „Angemessenheit“ verstanden werden.

II. Die beiden Komponenten des Finanzausgleichs: Finanzautonome Verschiedenheiten und finanzsolidarische Annäherung Der angemessene Ausgleich verbindet zwei Komponenten, die sich diametral gegenüberstehen. Er geht von einer Verschiedenheit der Gliedstaaten aus, möchte sie aber finanziell annähern, ohne sie zu harmonisieren. Der angemessene Ausgleich versucht hierbei zwei Komponenten zu kombinieren, die beide dem Bundesstaatsprinzip entstammen, aber dennoch Gegensätze darstellen: die föderative Finanzautonomie einerseits, auf der anderen Seite die bundesstaatliche Finanzsolidarität. Der eine Aspekt betont die Autonomie und die Freiheit, der andere Egalisierung und Nivellierung. Beide Elemente sind im bundesstaatlichen Verhältnis unerlässlich. Ohne eigene Finanzautonomie hätten die Gliedstaaten nur sehr geringe Einflussmöglichkeiten im Finanzstaat der heutigen Zeit, ohne die Finanzsolidarität könnte nur ein Teil der Bundesländer seine Autonomie verwirklichen. Dies soll verhindert werden. Der angemessene Ausgleich verlangt eine „versöhnende Abwägung“ 34 dieser beiden Prinzipien.

31 32 33 34

Fritz Ossenbühl, Rudolf-FS, S. 227 (228). BVerfGE 101, 158 (217). Fritz Ossenbühl, Rudolf-FS, S. 227 (228). Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 293.

C. Vorgehensweise

21

Die Autonomie der Gliedstaaten ist Folge ihrer Staatlichkeit, ihrer vom Grundgesetz gewollten, aber auch vorgefundenen Unterschiedlichkeit. Sie beruht neben strukturellen geografischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten auch auf autonomen politischen Entscheidungen, die vom einzelnen Gliedstaat zu verantworten sind und nur in Ausnahmefällen auf die bundesstaatliche Schicksalsgemeinschaft übertragen werden können. Diese zur Autonomie befähigende, vorgefundene und gewillkürte, Unterschiedlichkeit ist vom Grundgesetz gewollt und wird respektiert. Es verzichtet in seinem horizontalen Verteilungsmaßstab für Erträge bewusst auf eine finanziell gleichmäßige Finanzausstattung der Länder und orientiert sich am örtlichen Aufkommen. Die Finanzsolidarität zieht der bundesstaatlichen Autonomie dort Grenzen, wo die Finanzkraftunterschiede zwischen den Gliedstaaten als nicht mehr angemessen bezeichnet werden können und die Finanzautonomie der finanzschwachen Länder gefährdet wird. Das vom Bundesverfassungsgericht angesprochene „bündische Prinzip des Einstehens füreinander“ 35 verpflichtet die finanzstarken Länder unter Beachtung ihrer eigenen Autonomie zu gewissen finanziellen Hilfeleistungen an finanzschwache Länder zur Stärkung von deren Finanzautonomie 36. Ihr Zusammenspiel soll im Folgenden näher erläutert werden, insbesondere der grundgesetzliche Versuch, beide Prinzipien zu vereinen. Art. 107 Abs. 2 GG ist die Kombination der Erfordernisse der Angemessenheit und des Ausgleichens, der Autonomie und der Egalisierung, der Freiheit und der Nivellierung, die Kombination des Übermaßverbots mit dem Gleichheitssatz, also zweier Rechtsprinzipien vertikaler und horizontaler Gerechtigkeit, die in der Grundrechtslehre als fundamentale Gegensätze gelten 37. Dieses Erfordernis des angemessenen Ausgleichs verlangt vom Gesetzgeber eine auf Messbarkeit und Mäßigung staatlichen Handelns angelegte, auf das Wägen und Gewichten aufbauende, eine bedachte Annäherung sichernde Gesetzgebung 38. Die Umsetzung soll im Maßstäbegesetz erfolgen. Hierbei wird natürlich der Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, der „angemessene Ausgleich“, im Vordergrund stehen, die beiden hinter ihm stehenden Prinzipien der Finanzautonomie und Finanzsolidarität dürfen dabei jedoch nicht aus dem Blick verloren werden.

35 36 37 38

BVerfGE 72, 330 (330, 386, 387, 397, 419). Vgl. zum Ganzen auch: Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 293f. Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1961, S. 30 m. Fn. 6. Vgl. Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (133).

22

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz I. Einleitung Zunächst soll der Begriff „Ausgleich“ eingehender dargestellt werden. Dabei soll insbesondere dessen Beziehung zur föderativen Gleichheit der Länder in Bezug auf den Finanzausgleich näher eingegangen werden. Besonderes Augenmerk wird auf dem föderativen Gleichbehandlungsgebot liegen, wie es in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts sowie in den Stellungnahmen der Literatur immer wieder beschrieben wird. Hierbei wird, wie schon Gerhard Leibholz in dem Vorwort zu Die Gleichheit vor dem Gesetz bemerkte, eine Rolle spielen, dass „ein jedes Buch über ‚die Gleichheit‘ [ . . . ] Gefahr“ läuft, „sich im Uferlosen zu verlieren. Denn nicht ohne Grund sind die Gedanken der Freiheit und Gleichheit die weltbewegenden Mächte gewesen, die jahrhundertelang in der Geschichte wie in der Kultur der Völker sich in immer neuen Formen ausgewirkt haben, und unter deren Zeichen wir noch heute leben“. Dies gilt natürlich für föderative Gleichheit und Gleichbehandlung in gleichem Maße. Insbesondere muss dies für den Länderfinanzausgleich gelten, da jener durch die Zuweisung von Finanzmacht Freiheit verbürgt, außerdem die finanzielle Freiheit und finanzielle Gleichheit der Gliedstaaten im Bundesstaat auch von der Bevölkerung wachsam beobachtet werden, wobei finanzielle Besitzstände verteidigt, auf der anderen Seite finanzielle Begehrlichkeiten geweckt werden.

II. Föderatives Gleichbehandlungsgebot und föderative Gleichheit Grundsätzlich ist sowohl in Rechtsprechung als auch in der Literatur im Bereich des Länderfinanzausgleichs eine noch im Einzelnen darzustellende föderative Gleichheit der Bundesländer sowie ein damit einhergehendes föderatives Gleichbehandlungsgebot des Bundes anerkannt. Die föderative Gleichheit sowie das föderative Gleichbehandlungsgebot werden jedoch weder in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch in der Literatur mit der gewünschten Deutlichkeit hergeleitet, seine Auswirkungen auf den Länderfinanzausgleich nicht sauber beschrieben. Dies soll nun im Folgenden unter Berücksichtigung aller bestehenden Begründungsansätze geschehen. In besonderem Maße soll dies am hier interessierenden Finanzausgleichsrecht vollzogen werden; eine gänzliche Ausklammerung anderer bundesstaatlicher Bereiche wird jedoch nicht möglich sein. Es gilt dabei zu beachten, dass die föderative Gleichheit der Länder und das föderative Gleichbehandlungsgebot nicht identisch sind. Die Gleichheit ist statisch, sie beschreibt einen Zustand, das Ergebnis eines Vergleichs, die Übereinstimmung

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

23

zweier Personen oder Sachverhalte, im Rahmen der föderativen Gleichheit mehrere Länder in einer bestimmten Hinsicht mit mindestens einem sich unterscheidenden Merkmal 39. Sind die zu vergleichenden Personen, Gegenstände, Sachverhalte oder Länder in allen zu vergleichenden Merkmalen gleich, liegt keine Gleichheit, sondern Identität vor. Sowohl der allgemeine wie auch der föderative Gleichheitssatz begründen hingegen ein Verhaltensgebot. Der Gleichheitssatz stellt für den durch ihn Verpflichteten eine Gleichbehandlungspflicht dar, die auf Seiten des Berechtigten mit einem allgemeinen oder föderativen Gleichbehandlungsanspruch korrespondiert. Dieses Gleichbehandlungsgebot verlangt, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Eigenart ungleich zu behandeln.

III. Föderative Gleichheit und Gleichbehandlung in der Rechtsprechung Bereits in seiner ersten finanzausgleichsrechtlichen Entscheidung prüfte das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß des Bundesgesetzgebers gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 GG), der darin hätte liegen können, dass der Bundesgesetzgeber von seinem Ermessen zum Erlass eines Finanzausgleichsgesetzes willkürlich Gebrauch gemacht habe, „indem er ohne zureichende sachliche Gründe ein Land im Gegensatz zu anderen mit unverhältnismäßig hohen Beiträgen belastet hätte“. Dort versucht das Gericht, ein föderatives Gleichbehandlungsgebot aus den Grundrechten herzuleiten. Allerdings stellt das Gericht nach einer ausführlichen Überprüfung des grundrechtlichen Gleichheitssatzes gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 GG fest, dass dieser nicht verletzt sei. Es kommt daher zu dem Ergebnis, dass „dahingestellt bleiben [kann], ob die Länder sich nach Art. 19 Abs. 3 GG in ihrem Verhältnis zum Bund überhaupt auf ihn berufen können“ 40. In der Entscheidung zum Finanzausgleichsrecht offen gelassen, hatte das Bundesverfassungsgericht bereits zuvor zur Neugliederung des Landes Baden-Württemberg geurteilt, dass der (grundrechtliche) Gleichheitssatz auf die Länder anzuwenden sei, seine Verletzung jedoch im konkreten Fall verneint 41. Ebenfalls bereits im ersten Band leitet das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Wohnungsbauförderung den föderativen Gleichheitssatz aus dem Bundesstaatsprinzip ab: „Als Glieder des Bundes besitzen die Länder, soweit positive verfassungsrechtliche Bestimmungen nicht entgegenstehen, den gleichen Status; sie stehen einzeln und gleichberechtigt nebeneinander; [ . . . ]“ 42.

39 40 41

Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 49, 52. BVerfGE 1, 117 (140ff.). BVerfGE 1, 14 (52f.).

24

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Diese beiden Prinzipien verband das Bundesverfassungsgericht sodann in der folgenden Finanzausgleichsentscheidung und konstatierte bereits in den Leitsätzen: „Aus dem Bundesstaatsprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz folgt ein föderatives Gleichbehandlungsgebot für den Bund im Verhältnis zu den Ländern. Der Bund ist zur Gleichbehandlung der leistungsschwachen Länder verpflichtet, wenn die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen das Ziel hat, deren Finanzkraft allgemein anzuheben. Berücksichtigt der Finanzausgleichsgesetzgeber Sonderlasten, so muss er diese benennen und begründen; sie müssen bei allen Ländern berücksichtigt werden, bei denen sie vorliegen“ 43. Das Bundesverfassungsgericht hielt also weiterhin eine föderative Gleichheit der Länder für gegeben, aus der ein föderatives Gleichbehandlungsgebot folgt. Es tauschte lediglich die Begründungslinie aus. Während es im Jahre 1952 den föderativen Gleichheitssatz noch ausschließlich auf die Grundrechte, und deren Geltung für inländische juristische Personen (Art. 19 Abs. 3 GG) stützte, findet nun das Bundesstaatsprinzip Eingang in die verfassungsrechtliche Begründung und wird weiterer Pfeiler einer föderalen Gleichbehandlungspflicht. Zum Teil spielt in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung auch das Prinzip der Bundestreue und des bundesfreundlichen Verhaltens eine Rolle: So will das Bundesverfassungsgericht „den verfassungsrechtlichen Grundsatz von der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten nach einer anderen Seite weiter [ . . . ] entwickeln: [ . . . ] In der Bundesrepublik Deutschland haben alle Länder den gleichen verfassungsrechtlichen Status; sie sind Staaten, die im Verkehr mit dem Bund Anspruch auf gleiche Beteiligung haben. Wo immer der Bund sich in einer Frage des Verfassungslebens, an der alle Länder interessiert und beteiligt sind, um eine verfassungsrechtlich relevante Vereinbarung bemüht, verbietet ihm jene Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten, nach dem Grundsatz divide et impera zu handeln, d. h. auf die Spaltung der Länder auszugehen, nur mit einigen eine Vereinbarung zu suchen und die anderen vor den Zwang des Beitritts zu stellen“ 44. Auch in der den Finanzausgleich betreffenden Entscheidung aus dem Jahre 1992 setzt das Gericht eine (nun allerdings vom Rechtsstaatsprinzip getragene) bundesstaatliche Gleichheit voraus und leitet aus ihr ein Gleichbehandlungsgebot ab: „Dem Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht von vornherein verwehrt, das Ergebnis des von ihm festgelegten Verfahrens, das auf einen angemessenen Ausgleich zielt und diesen an sich zu bewirken in der Lage ist, aus besonderen Gründen noch einmal zu korrigieren. Doch muss eine solche Korrektur dem verfassungsrechtlichen Willkürverbot genügen; es ist nicht nur grundrechtlich im allgemeinen Gleichheitssatz gesichert, sondern zugleich ein Element des das Grundgesetz 42 43 44

BVerfGE 1, 299 (315). BVerfGE 72, 330 (331f., Leitsatz 10; ebenso S. 404). BVerfGE, 12, 205 (255).

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

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beherrschenden Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) und gilt daher auch im Verhältnis von Hoheitsträgern untereinander“ 45. Bereits zuvor hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, dass sich juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht auf Art. 3 Abs. 1 GG berufen könnten, solange sie öffentliche Aufgaben wahrnehmen. „Allerdings bedeutet dies nicht, dass es ein verfassungsrechtliches Willkürverbot im Verhältnis von Hoheitsträgern zueinander überhaupt nicht gäbe. Das Willkürverbot ist nicht nur grundrechtlich gesichert; es ist vielmehr zugleich ein Element des objektiven Gerechtigkeitsprinzips und damit des das Grundgesetz beherrschenden Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit. Der allgemeine Gleichheitssatz, der in Art. 3 Abs. 1 GG als Grundrecht des Einzelnen garantiert ist, gilt daher darüber hinaus als selbstverständlicher ungeschriebener Verfassungsgrundsatz in allen Bereichen und für alle Personengemeinschaften“ 46. Das Bundesverfassungsgericht will also den Gleichheitssatz weiterhin zur Anwendung kommen lassen, allerdings nicht als subjektivöffentliches Recht, sondern in seinem objektivrechtlichem Gehalt, im Sinne eines Willkürverbotes, als Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit 47. Dem folgt die Aufforderung an den Gesetzgeber im jüngsten Finanzausgleichsurteil von 1999 „entsprechend dem verfassungsrechtlichen Auftrag [ . . . ] in einem maßstabgebenden Gesetz Kriterien herauszuarbeiten und festzulegen, die unter dem Gesichtspunkt bundesstaatlicher Gleichheit für Bund und Länder gleichermaßen gelten“ 48. Das Bundesverfassungsgericht erkennt also, wie insbesondere im letzten finanzausgleichsrechtlichen Urteil deutlich wird, eine föderative Gleichbehandlungspflicht an. Zu Beginn eher auf den grundrechtlichen Gleichheitssatz des Art. 3 GG gestützt, sei es mittelbar über Art. 19 Abs. 3 GG 49 oder ohne diese

45

BVerfGE 86, 148 (251). BVerfGE 23, 353 (372f.); ähnlich BVerfGE 26, 228 (244f.); BVerfGE 21, 362 (372): „Allerdings beansprucht der in dieser Norm [ergänze: Art. 3 Abs. 1 GG] zum Ausdruck kommende Gleichheitssatz oder das Willkürverbot auch Geltung für die Beziehungen innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus; jedoch handelt es sich insoweit um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der schon aus dem Wesen des Rechtsstaates, dem Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit folgt: die Konstruktion eines Grundrechtes der betreffenden juristischen Person des öffentlichen Rechts als eines subjektiven Rechts ist hierfür nicht erforderlich“. 47 Ebenso: Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 114; vgl. auch BVerfGE 23, 12 (24): „Zwar können sich Körperschaften des öffentlichen Rechts im Bereich der öffentlichen Aufgaben nicht auf Art. 3 Abs. 1 GG als Grundrecht berufen [ . . . ]. In Art. 3 Abs. 1 GG kommt jedoch zugleich ein allgemeiner Rechtsgrundsatz zum Ausdruck, der bereits aus dem Wesen des Rechtsstaats, dem Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit folgt; insofern beansprucht der Gleichheitssatz auch Geltung für die Beziehungen innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus“. 48 BVerfGE 101, 158 (227). 46

26

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

„Brücke“ 50, leitet das Bundesverfassungsgericht diese Pflicht mittlerweile aus dem Rechts- und Bundesstaatsprinzip ab 51. Diese Gleichbehandlungspflicht wird jedoch nicht weiter systematisiert. Vielmehr wird ein gleicher Status aller Länder vorausgesetzt, aus dem dann eine Gleichbehandlungspflicht abgeleitet wird, die sich allerdings eher auf ein objektivrechtliches Willkürverbot beschränkt 52.

IV. Föderative Gleichheit und Gleichbehandlung in der Literatur Ebenso wie das Bundesverfassungsgericht erkennt auch die Literatur eine Statusgleichheit der Länder an, aus der sie eine föderative Gleichbehandlungspflicht des Bundesgesetzgebers ableitet. Josef Isensee formuliert dies folgendermaßen: „Als Mitgliedstaaten der Bundesrepublik sind die Länder von Verfassungs wegen gleichberechtigt“ 53. Es herrscht soweit Einigkeit in der Rechtsfolge, dass es eine föderative Gleichheit und einen föderativen Gleichheitssatz gibt und geben muss, doch ist eine einheitliche dogmatische Herleitung dieser föderativen Gleichheit und deren rechtstatsächliche Ausprägung im Anwendungsbereich des Finanzausgleichs bislang noch nicht gelungen. Als Gründe für das Bestehen eines föderativen Gleichheitssatzes werden in der Literatur neben den vom Bundesverfassungsgericht genannten angeführt: ein Vergleich zur völkerrechtlichen Gleichheit der Staaten, die bundesstaatliche Ordnung im Allgemeinen sowie das Prinzip der Bundestreue. 1. Das Völkerrecht als Geltungsgrund der föderativen Gleichheit Die völkerrechtliche Gleichheit als Ausgangspunkt einer bundesstaatlichen Gleichheit wird genannt von Dietrich Schindler, der unter Verweis auf Art. 2 Abs. 1 der UNO-Charta konstatiert: „Ähnlich wie zwischen den souveränen Staaten der Grundsatz der Gleichheit gilt, stehen auch die Gliedstaaten der Bundesstaaten 49

Vgl. auch zur Problematik der Grundrechtssubjektivität juristischer Personen des öffentlichen Recht: Ralf Dreier, Scupin-FS, S. 81ff. 50 Vgl. auch Friedrich Klein, Scupin-FS, S. 165 (166); Norbert Achterberg, Die Rechtsordnung, S. 128ff.; Albert von Mutius in: BK, GG, Art. 19 Abs. 3, Rn. 96; Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 133ff. 51 Wohl auch in diese Richtung tendierend: Theodor Maunz, Klein-GS, S. 311 (312). 52 So auch die Schlussfolgerung von Friedrich Klein, Scupin-FS, S. 165 (172); ebenso: Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 9; mit Bedenken auch: Christian Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3, Rn. 222. 53 Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 129.

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

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zueinander auf dem Boden der Gleichheit“ 54. Auch Gerhard Leibholz hegt eine gewisse Sympathie für die Idee der Übertragung der völkerrechtlichen Gleichheit in den Bundesstaat: „Dieser Satz von der Gleichheit der Staaten im Völkerrecht hat nun seinerseits genetisch auf das Bundesstaatsrecht eingewirkt [ . . . ]“ 55. Josef Isensee ist bereit, „vorsichtige Analogien“ zu ziehen 56. Die Gleichheit der Staaten im Völkerrecht sei allgemein anerkannt und habe in internationalen Koordinationsvereinbarungen relativ klare Gestalt angenommen, sei mithin gleichsam ein „Grundrecht“ der Staaten. Die völkerrechtliche Gleichheit spiegele die menschenrechtliche Gleichheit. Das Prinzip der gleichen Souveränität aller Staaten mache keine Unterschiede trotz einer materialen Ungleichheit der Staaten, die Gebietsgröße, Bevölkerungszahl, politische Macht oder Ohnmacht betreffend 57. Zudem falle dieser „dogmatische Ansatzpunkt“ bei den Staaten nicht schwer, bei denen zuvor unabhängige, souveräne und gleichberechtigte Staaten sich durch Verträge zu einem bundesstaatlichen Zusammenschluss verpflichtet hätten 58. Dies seien heutzutage insbesondere die Schweiz und die Vereinigten Staaten von Amerika; Bundesstaaten, die aus Bünden unabhängiger Staaten hervorgegangen seien und deren Ursprung auch noch das gegenwärtige politische Bewusstsein präge 59. Dies sei auch bei der Gründung des Deutschen Reiches unter den deutschen Bundesstaaten der Fall gewesen: „Bei der Begründung des Norddeutschen Bundes und dem Hinzutritt der süddeutschen Staaten standen sich die bis dahin souveränen deutschen Staaten als völlig gleichberechtigte Persönlichkeiten gegenüber, und auf der Anerkennung dieser Gleichberechtigung, dieser Koexistenz einander ebenbürtiger staatlicher Personen, beruht das Bundesverhältnis, der bundesstaatliche Charakter des Reiches“ 60. Der Übergang zur (zentralistischer organisierten)

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Dietrich Schindler, Häfelin-FS, S. 371 (371). Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 143, der allerdings differenziert zwischen Bundesstaaten, bei denen es sich um eine Verbindung zuvor unverbundener Staaten handelt, bei denen der Gleichheitsgedanke stärker ausgeprägt ist sowie künstlich aus einem Einheitsstaat entstandenen Bundesstaaten, bei denen die gliedstaatliche „Widerstandskraft“ weniger hoch ist und Gleichheitsaspekte bei der Gestaltung des föderalistischen Organs eine geringere Rolle spielen. 56 Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 133. 57 Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 130. 58 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 112; Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 143. 59 Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 130. 55

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Weimarer Republik beendete nach wohl überwiegender Ansicht die Möglichkeit dieser historischen, völkerrechtlichen Ableitung. Dies gelte auch für den heutigen Bundesstaat, der nicht mehr gleichbedeutend sei mit dem (vertraglichen) Zusammenfinden mehrerer Staaten, sondern nur noch „die Summe aller [ . . . ] dezentralen Ausgliederungen“ bezeichne 61. 2. Das Bundesstaatsprinzip als Geltungsgrund der föderativen Gleichheit Häufig genannt für die Geltung des föderativen Gleichheitssatzes wird die bundesstaatliche Ordnung. So unterstünden die Länder einer Statusgleichheit. Diese ergebe sich aus dem bundesstaatlichen System 62. Manchmal wird der Bezug auf das bundesstaatliche System insoweit eingeschränkt, dass es nur in der Gestalt föderative Gleichheit gewähre, wie das Grundgesetz diese in concreto ausforme 63. Es finden sich aber auch Stimmen, die unmittelbar auf das Bundesstaatsprinzip zurückgreifen, wie etwa Carl Bilfinger, der schreibt, dass der „Grundsatz der Gleichheit der Länder [ . . . ] als ungeschriebener Satz des deutschen Bundesstaatsrechts besteht. Das Bundesstaatsrecht als solches enthält den erwähnten Satz nicht als einen Völkerrechtssatz, da es Völkerrecht in der Sphäre zwischen den deutschen Ländern und zwischen diesen und dem Reiche nicht geben kann, wohl aber als ein aus der völkerrechtlichen Sphäre historisch übernommenes Element“. Diese Gleichheit führe darüber hinaus zu einer absoluten Gleichberechtigung der Länder, die, soweit die Bundesverfassung nichts anderes positiv statuiere, auch in eine Gleichbehandlung der Länder münden müsse 64. In die gleiche Richtung argumentiert Roman Herzog, der ebenso das Bundesstaatsprinzip mit dem völkerrechtlichen Prinzip der Gleichheit verknüpft: „Auch dieses Prinzip [der (grundsätzlichen) Gleichheit der Länder] folgt unmittelbar aus dem herrschenden Bundesstaatsbegriff; denn wenn die Länder Staatsqualität besitzen, dann ist es nur folgerichtig, auf sie das allgemeine, insbesondere auch im Völkerrecht ausgeformte Prinzip der Gleichheit – und zwar grundsätzlich der formalen Gleichheit – anzuwenden“. Allerdings schränkt er diese Aussage in Bezug auf deren Konsequenzen selbst ein und konstatiert eine Pflicht des Bundes „nicht zur

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Paul Laband, Staatsrecht, Band I, S. 116. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 113. 62 Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 304f. 63 Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 133; Roman Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Rn. 66; Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 114; Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 304f. 64 Carl Bilfinger, Der Reichsrat, Bedeutung und Zusammensetzung in: Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band 1, S. 545 (554f.). 61

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

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formalen Gleichbehandlung der Länder, sondern lediglich zu einer materiellen Gleichbehandlung“ 65. 3. Stellungnahme Die Länder sind verschieden, etwa in Gebietsgröße, geografischer Prägung, Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft, politischer Stärke und vielen weiteren Faktoren 66. Dennoch erkennen sowohl Bundesverfassungsgericht als auch die Literatur grundsätzlich eine föderative Gleichheit sowie einen daraus abgeleiteten föderativen Gleichheitssatz grundsätzlich an. Dieser föderative Gleichheitssatz darf jedoch ebenso wie der menschenrechtliche Gleichheitssatz nicht zu einer „absoluten“ Gleichheit der Länder führen. Der Gleichheitssatz wahrt immer nur verhältnismäßige Gleichheit, Gleichheit in bezug auf ein bestimmtes Ziel, das tertium comparationis, niemals Identität 67. Er anerkennt Verschiedenheiten und setzt die Länder ebenso wie die Menschen nur in bezug auf einen (sachgerecht ausgewählten) Vergleichsgegenstand gleich 68. Er behandelt auch als föderativer Gleichheitssatz nur Gleiches gleich, ansonsten behandelt er die Länder ihrer Unterschiedlichkeit entsprechend verschieden 69. Die grundrechtliche Gleichheit lässt sich trotz dieser Ähnlichkeiten nicht ohne weiteres auf die bundesstaatliche Gleichheit übertragen. Aus diesem Grunde sind beide Begründungsansätze des Bundesverfassungsgerichts problematisch. Der Verweis auf den allgemeinen Gleichheitssatz ist nicht tragfähig, weil er auf die Grundrechte verweist und so dem Staat eine Berechtigung zugesteht, bei der er eigentlich Verpflichteter sein müsste 70. Andererseits greift auch der Verweis auf den Bundesstaat und „das föderative Prinzip“ als solches nicht, weil den Ländern im Gegensatz zum Menschen nicht qua Geburt der gleiche Status, nämlich die Menschenwürde, zuerkannt wird. Letztere werden gleichsam in eine

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Roman Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abs. 4, Rn. 66ff. Vgl. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 115. 67 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 18; Christoph Kannengießer in: SchmidtBleibtreu/Klein, GG, Art. 3, Rn. 2; Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 38, 72f.; Heinrich Triepel, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, S. 29; HansPeter Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, S. 111 (187); Konrad Hesse, Der Gleichheitsgrundsatz im Staatsrecht, in: ders., Ausgewählte Schriften, S. 233 (237). 68 Konrad Hesse, Lerche-FS, S. 121 (121). 69 BVerfGE 3, 58 (135); E 18, 38 (46); E 72, 141 (150); 84, 133 (158); E98, 365 (385); st. Rspr.; Christoph Kannengießer in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 3, Rn. 14; Konrad Hesse, Lerche-FS, S. 121 (121). 70 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 699; vgl. nur Norbert Achterberg, Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, S. 128. 66

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

elementare Gleichheit „hineingeboren“ 71, die Länder können sich nur insoweit auf eine Gleichheit berufen, wie sie ihnen das Grundgesetz in concreto gewährt 72. Dafür lassen sich eine Reihe von Gründen anführen: Würde sich eine föderative Gleichheit bereits prinzipiell aus einer „allgemeinen Bundesstaatstheorie“ ergeben, müsste die bundesstaatliche Gleichheit „in jedem Bundesstaat der Vergangenheit und Gegenwart nachweisbar sein“ 73. Dies ist jedoch nicht der Fall 74. Bereits zur Zeit des Kaiserreichs gab es die hegemoniale Stellung Preußens, die ganz erheblichen Einfluss auf die Willensbildung des (Gesamt-)Bundesstaates ausübte, sowie einige Reservatrechte der süddeutschen Staaten, insbesondere Bayerns 75. Auch in den Bundesstaaten der Gegenwart besteht eine föderative Gleichheit nicht von vorneherein. So gibt es beispielsweise in der Schweiz Kantone, die mit zwei Stimmen im Ständerat vertreten sind, wohingegen manche Kantone nur eine Stimme besitzen 76; zu erwähnen sind auch die vielfältigen Sonderrechte der Provinz Quebec im kanadischen Bundesstaat 77.

71 Die elementare Statusgleichheit bezieht sich nur auf die Menschenwürde. Diese Gleichheit in Würde gilt aber auch im grundrechtlichen Bereich nur in seiner konkreten Ausformung. Art. 3 GG fordert nur eine Gleichbehandlung. Über deren konkreten Inhalt sagt er nichts. Art. 3 GG ist prinzipiell „wertneutral“. Die Statusgleichheit ergibt sich somit aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG. Weil jeder Mensch Würde besitzt (Art. 1 Abs. 1 GG) und der Staat zur Gleichbehandlung seiner Bürger verpflichtet ist (Art. 3 Abs. 1 GG), muss er anerkennen, dass alle Menschen mit einer elementaren Würde ausgestattet sind. In anderen Bereichen muss der Staat dagegen die Verschiedenheiten akzeptieren. Vgl. hierzu Franz Klein, Gleichheitssatz und Steuerrecht, S. 25: „Ob verfassungsrechtlich die Menschen gleich zu behandeln sind, sagen andere Normen außerhalb dieses Satzes (ergänze: des Gleichheitssatzes), die Ungleichheiten als unwesentlich darstellen (z. B. Art. 3 Abs. 3 GG) oder gleiche Merkmale als wesentlich bezeichnen (Menschenwürde)“. 72 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 114; Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 33. 73 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 129. 74 Übrigens werden auch in Zentralstaaten die untergeordneten Verwaltungseinheiten nicht immer gleich behandelt. Man bedenke etwa neben anderen die weit reichenden, Unabhängigkeit vom Zentralstaat dokumentierenden Befugnisse und Sonderrechte der spanischen Autonomen Regionen Baskenland, Navarra oder Katalonien in Finanz- und Steuerfragen sowie die besonderen Rechte der französischen Region Korsika. 75 Vgl. Dietrich Schindler, Häfelin-FS, S. 371 (376); Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 86ff. m. w. N. 76 Art. 150 Abs. 2 der Schweizer Bundesverfassung vom 18. April 1999 verwendet nicht mehr den Begriff des Halbkantons. 77 Vgl. Dietrich Schindler, Häfelin-FS, S. 371 (377), der in den „weitmaschig“ gefassten Vorschriften des die Verfassungen von 1867 und 1982 ergänzenden, auf Betreiben Quebecs geschlossenen „Constitutional Accord“, der die Provinz Quebec als „distinct society“, als herausgehobene Gemeinschaft, anerkennt, eine „Gefahr für den bundesstaatlichen Zusammenhalt und die Einheit der Rechtsordnung Kanadas“ sieht, weil der Constitutional Accord der Provinz Quebec ein „schwer abgrenzbares Recht“ gebe, „Bundesvorschriften wegen Widerspruchs zu ihrer Identität abzulehnen“.

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

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Das amerikanische Prinzip der Präsidentenwahl durch Wahlmänner, bei dem die Bundesstaaten nicht die gleiche Stimmenanzahl haben, sondern eine abgestufte, je nachdem wie viele Abgeordnete sie in den Kongress, also Repräsentantenhaus und Senat (in dem jeder Staat die gleiche Stimmenanzahl, nämlich zwei besitzt), entsenden, eignet sich ebenso wenig zu einer Verneinung einer aus dem Bundesstaatsprinzip abgeleiteten föderativen Gleichheit wie der Aufbau des deutschen Bundesrates. Bei beiden handelt es sich nicht um eine Durchbrechung des bundesstaatlichen Gleichheitssatzes, sondern bringt die verschiedenen Bezugspunkte der Gleichheit zum Ausdruck. Hier ist keine „absolute Gleichheit“, sondern eine „verhältnismäßige Gleichheit“ verwirklicht. So ist bei beiden die Anzahl der Stimmen in grober Anlehnung an die Bevölkerungszahl der Gliedstaaten proportional gestuft 78. Die Herleitung einer föderativen Gleichheit aus dem „Wesen“ des Bundesstaates, aus dem Bundesstaatsprinzip im allgemeinen ist nicht zielführend. Da jede Bundesverfassung infolge unterschiedlicher historischer, politischer, wirtschaftlicher und sozialer Rahmenbedingungen einzigartig ist, muss sie auch unterschiedlich angewandt und ausgelegt werden. Eine Begründung föderativer Gleichheit und eines Gleichbehandlungsgebotes muss deshalb direkt an die verfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes anknüpfen 79. Zu Recht wird angeführt, im Grundgesetz habe sich das Gleichheitsprinzip entfaltet und positivrechtliche Ausgestaltung erfahren 80. Andererseits findet sich eine solche häufig nicht ausdrücklich in der Verfassung, sondern ergibt sich nur aus Hinweisen in der Präambel oder den Eingangsartikeln der Verfassung. Bund und Gliedstaaten haben getrennte Kompetenzbereiche, wobei die vom Bund erlassenen Normen in allen Gliedstaaten Geltung beanspruchen, die Länder jedoch nur innerhalb des ihnen zugewiesenen Kompetenzbereichs ihre Gesetzgebung frei gestalten „und dabei ihre Individualitäten und Ungleichheiten zum Ausdruck bringen“ können 81. Die Gleichheit der Gliedstaaten findet allerdings ihre Grenze an der Gleichheit der Bürger. In „Bundesparlamenten“ beruht eine Kammer auf der Gleichheit der Bürger, während die andere Kammer auf der Gleichheit der Gliedstaaten beruht. Einige Bundesstaaten, wie etwa die Bundesrepublik Deutschland, würdigen jedoch (zusätzlich) auch in der zweiten Kammer durch Berücksichtigung der Bevölkerungszahl bei der Stimmengewichtung die Gleichheit der Bürger 82. Eine Parallele zur menschenrechtlichen oder zur völkerrechtlichen Gleichheit ist nicht ohne weiteres möglich, da sowohl menschenrechtliche als auch völkerrechtliche

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So zumindest für den Bundesrat: Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 116. Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 132. 80 Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 133. 81 Dietrich Schindler, Häfelin-FS, S. 371 (371). 82 Dietrich Schindler, Häfelin-FS, S. 371 (371). 79

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Gleichheit auf universale Geltung angelegt und auf abstrakte Rechtssubjekte zugeschnitten sind, wohingegen Geltungsgrund der bundesstaatlichen Gleichheit die nationalstaatlich spezifische Ordnung des Grundgesetzes ist 83. Die Gleichheit der bundesstaatlichen Körperschaften ist in dem jeweiligen Bundesstaat institutionalisiert, sie äußert sich in seiner konkreten Verfasstheit und Ausdrucksgestalt 84. Um diese konkrete bundesstaatliche Gleichheit einzurichten oder zu gewährleisten ist jedoch das Bundesstaatsprinzip für sich allein nicht ausreichend bestimmt, vielmehr sind weitere ausformende Verfassungsnormen erforderlich. „‚Das Bundesstaatsprinzip‘ des Grundgesetzes ist keine gleichsam freischwebende konstitutionelle Einheit, sondern empfängt seine Prägung aus dem, was einzelne bundesstaatliche Normen anordnen. Die Herleitung bundesstaatlicher Gleichheit ist mit seinen einzelnen Anwendungsfällen verknüpft. Die Gleichheit der bundesstaatlichen Körperschaften ist in einem bestimmten Bundesstaat institutionalisiert. Sie äußert sich in bestimmter Verfasstheit und Ausdrucksgestalt. Bundesstaatliche Gleichheit ist das Resultat, nicht hingegen die ungeschriebene Grundlage der heutigen bundesstaatlichen Ordnung“ 85. Ebenso ist das Völkerrecht kein geeigneter Ansatzpunkt für die Begründung eines föderativen Gleichbehandlungsgebotes. Völkerrechtliche Gleichheitspositionen sind in ihrer Pauschalität grundsätzlich nicht mit den individuell durch das Grundgesetz angeordneten bundesstaatlichen Gleichheitspositionen kompatibel. Dies sagt nichts darüber aus, dass völkerrechtliche Anleihen nicht durchaus das bundesstaatliche Gleichbehandlungsgebot befruchten können, etwa als Auslegungshilfe im Rahmen einer Analogie. Sie vermögen jedoch nicht, eine konkrete verfassungsrechtliche Grundlage für das Gleichbehandlungsgebot zu ersetzen 86. Auch die Staatsqualität der Länder reicht als Begründung nicht aus. Zwar besitzen alle Länder Staatsqualität, deshalb in gewisser Weise auch den gleichen Status Staat 87. Im einzelnen sagt dies zwar etwas über ihre „Gleichheit“ aus, nicht jedoch über ihre Behandlung durch den Bundesstaat. Selbst bei (unstreitigem) Bestehen der „Statusgleichheit“ ergibt sich daraus noch kein explizites Verhaltensgebot für den Bundesgesetzgeber, denn prinzipiell steht die gliedstaatliche Autonomie, die auch im Länderfinanzausgleich ihre Ausprägung gefunden hat, einer „Gleichheit“ der Länder entgegen. Die Länder besitzen zwar nach dem Grundgesetz einen ge83

Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 133; Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 701. 84 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 114. 85 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 114 (Hervorhebungen hier). 86 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 699; Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 133. 87 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 134.

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

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wissen Status; sie sind alle Staaten. Dieser Status soll und darf aber nicht zu einer Nivellierung führen. Dieser gleiche Status ist keine Voraussetzung der Verfassung, sondern der sich aus den jeweiligen Verfassungsnormen ergebende Befund. Soll also im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG von einer „Statusgleichheit“ der Länder gesprochen werden, so ist dies das Ergebnis der Auslegung dieses Grundgesetzartikels, nicht jedoch dessen Vorbedingung. Zumindest missverständlich ist deshalb die Aussage Gerhard Leibholz, dass „bei der weiteren Frage, ob das Gleichheitsprinzip in bezug auf die Einzelstaaten im heutigen Reiche überhaupt als ein Verfassungsrechtsatz ausgesprochen werden kann und darf, [ . . . ] die geschriebene Verfassung wertvolle Fingerzeige“ leiste 88. Dies impliziert, die Gleichheit der Gliedstaaten liege der Verfassung voraus. Doch erkennt auch Gerhard Leibholz an, dass „dieser Gleichheitssatz [ . . . ] heute positiv deshalb für die Einzelstaaten Rechtens“ sei, „weil dem im Art. 109 Abs. 1 89 [WRV] ausgesprochenen Gedanken generelle Bedeutung zukommt“. Dennoch vertritt er den Standpunkt, dass dies ein Gedanke sei, „der letzthin [ . . . ] jeder ‚Rechts‘ordnung immanent ist und ihr zugrunde liegen muss, wenn sie in ihrer positiven Gestalt ihrer Aufgabe und ihrem Ziel, den Rechtsgedanken nach Möglichkeit zu fördern, nicht untreu geworden ist“ 90. Zwar entspricht diese Gleichbehandlung unserem heutigen Rechtsempfinden, doch liegt die Gleichheit der Gliedstaaten nicht als Statusgleichheit der Länder der Verfassung zugrunde, sondern ergibt sich letztlich aus den obengenannten Gründen aus ihr. Dies wird insbesondere deutlich, wenn auch Gerhard Leibholz anerkennen muss, „dass sich die widerstreitenden Prinzipien der relativen und absoluten Gleichheit miteinander paaren“ und somit indirekt feststellt, dass die bundesstaatliche Gleichheit jeweils nur in der Form besteht, in der sie durch die jeweilige Verfassung ausgeformt wird. So sei in einigen Gesichtspunkten, wie etwa bei den „besonderen wirtschaftlichen Beziehungen“ des Art. 78 Abs. 4 WRV 91 oder der „Wahrung der besonderen Landesinteressen“ gemäß Art. 83 Abs. 2 WRV 92, die Gleichheit der Länder nach ihrer Größe abgestuft zu berücksichtigen, wohingegen sie bei dem Recht auf Erhaltung der Lebensfähigkeit der Einzelstaaten nach Art. 8 WRV 93 absolut gleichbehandelt werden müssten. Auch

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Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 151. „Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich“. 90 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 152. 91 „Um die Vertretung der Interessen zu gewährleisten, die sich für einzelne Länder aus ihren besonderen wirtschaftlichen Beziehungen oder ihrer benachbarten Lage zu auswärtigen Staaten ergeben, trifft das Reich im Einvernehmen mit den beteiligten Ländern die erforderlichen Einrichtungen und Maßnahmen“. 92 „Bei der Verwaltung von Reichsabgaben durch Reichsbehörden sind Einrichtungen vorzusehen, die den Ländern die Wahrung besonderer Landesinteressen auf dem Gebiete der Landwirtschaft, des Handels, des Gewerbes und der Industrie ermöglichen“. 89

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

im Bereich der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern gelte das Prinzip der absoluten Gleichheit der Länder, allerdings uneingeschränkt nur im Bereich der ausschließlichen Gesetzgebung, nicht jedoch mit gleicher Sicherheit im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, da dort die Länder die Gesetzgebungskompetenz behielten, solange und soweit das Reich von seinem Gesetzgebungsrecht keinen Gebrauch mache und einem oder mehreren Ländern diesbezüglich Vorrechte eingeräumt sein könnten 94. Dies zeigt bereits deutlich, dass sogar innerhalb der Verfassung die Gleichheit der Gliedstaaten in verschiedenen Normen differenziert ausgestaltet und die Gleichheit nur in der jeweils durch den Verfassungstext verbürgten Form gewährleistet ist. Im Ergebnis gilt somit für die Gliedstaaten eine Statusgleichheit, die aber von der Verfassung vorgegeben wird und deren Rechtsfolgen in Form der Gleichbehandlungspflicht im Grundgesetz gesondert festzustellen sind. Menschen sind verschieden; kein Mensch ist mit einem anderen identisch 95. Jeder Mensch beansprucht aber in seiner Individualität die Unantastbarkeit seiner personellen Würde; „der individuelle Ist-Zustand einer Person entzieht sich rechtlicher Gestaltung“. Je deutlicher eine Rechtsfolge an persönliche Eigenschaften geknüpft ist, desto strikter werden durch den Gleichheitssatz rechtfertigende Gründe für die Unterscheidung verlangt; je weiter der einzelne hingegen sich den Gegebenheiten eines rechtlich gestaltbaren Umfeldes unterwirft, etwa in das Berufsleben eintritt, Eigentum erwirbt, in Vereinigungen mitwirkt oder am öffentlichen Leben teilhat, desto mehr unterliegt das individuelle Umfeld demokratischer Gestaltung 96. Die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) fordert somit in ihrem Kern für jedermann eine „menschenrechtliche Statusgleichheit“, für umfeldbezogene Regelungen sachgerechte und folgerichtige Entscheidungen 97. Im Bund-Länder-Verhältnis gibt es diese strikte Gleichbehandlung, wie sie das Grundgesetz für Menschen aufgrund deren Würde in Art. 3 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG vorsieht, nicht 98. Das Grundgesetz kennt eine solche „absolute Gleichbehandlung“ für die Länder weder textlich noch in der Sache. Das Grundgesetz 93 „Das Reich hat ferner die Gesetzgebung über die Abgaben und sonstigen Einnahmen, soweit sie ganz oder teilweise für seine Zwecke in Anspruch genommen werden. Nimmt das Reich Abgaben oder sonstige Einnahmen in Anspruch, die bisher den Ländern zustanden, so hat es auf die Erhaltung der Lebensfähigkeit der Länder Rücksicht zu nehmen“. 94 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 151. 95 Vgl. Paul Kirchhof, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 8. 96 Paul Kirchhof, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 14; ders., Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 196. 97 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 201.

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

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kann, so denn die Minimalanforderungen an die Staatsqualität erfüllt sind, die Staatlichkeit der Länder differenziert ausgestalten 99. Im Rahmen des grundrechtlichen Art. 3 Abs. 1 GG findet die Verfassung unterschiedliche Menschen vor, die vor dem Gesetz bei wesentlicher Gleichheit in bestimmten Bereichen gleich behandelt werden müssen; die Länder findet sie jedoch nicht vor, sondern werden in ihrer konkreten Gestalt und ihrer juristischen Persönlichkeit erst vom Grundgesetz formiert, Eigenschaften und Status erst durch dieses zugeteilt 100. So haben zwar alle Länder im Bundesrat Stimmrecht und nehmen an der Willensbildung teil, was ihrem Status als Staat entspricht, doch sind die Stimmen unterschiedlich gewichtet, die Gleichheit abgestuft, was wiederum verdeutlicht, dass es auf den jeweiligen Vergleichsmaßstab, das tertium comparationis ankommt, um einen föderativen Gleichheitssatz zu begründen. Die Konzeption aller Länder als Staaten durch den Verfassunggeber, etwa die Nennung aller Länder bereits in der Präambel und der Zuweisung von Rechten und Pflichten an vielen weiteren Stellen in der Verfassung macht jedoch deutlich, dass der Gesetzgeber „die Länder nicht als völlig verschiedene Gebilde“ betrachtet, „die zu vergleichen keinen Sinn macht“, sondern er den Ländern einen prinzipiell gleichen Status als Staat zugedacht hat, ohne sie in den einzelnen Bereichen „absolut gleich“ zu behandeln 101.

V. Die Besonderheiten der bundesstaatlichen Gleichheit und des Gleichheitssatzes im Finanzausgleichsrecht „Die Finanzordnung des Bundes setzt ungleiche Länder voraus und sucht nach Ausgleichsmöglichkeiten“ 102. Nicht nur der Gesamtstaat zeichnet sich durch eine „konkret-geschichtliche Individualität“ aus, auch die Länder sind von „realer Eigenständigkeit“ geprägt 103. Gleichheit ist nicht gleichbedeutend mit Identität. „Gleichheit setzt im Unterschied zur Identität zumindest zwei an einem Maßstab zu vergleichende Objekte voraus, die sich in Raum und Zeit unterscheiden“ 104. Es geht deshalb im Finanzausgleich eigentlich nicht um föderative Gleichheit, sondern um den Anspruch auf föderative Gleichbehandlung, insbesondere durch den Bundesgesetzgeber, mithin um den föderativen Gleichheitssatz. Die Gleichbehandlung muss sich auf die Auswahl bestimmter wesentlicher Eigenschaften oder 98 Den wertsystematischen Rückhalt des Gleichheitssatzes in der Menschenwürde betont insbesondere Reinhold Zippelius, VVDStRL 47 (1989), S. 7 (11); vgl. auch Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 112. 99 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 136. 100 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 257. 101 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 135ff. 102 Theodor Maunz, Klein-GS, S. 311 ( 314). 103 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 706. 104 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 706.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Verhältnisse beschränken: das Gleichheitsprinzip fordert eine rechtliche Bewertung von Ähnlichkeit und Verschiedenheit 105. Die Herstellung absoluter Gleichheit ist weder sinnvoll noch überhaupt möglich, im Hinblick auf die bundesstaatliche Ordnung sogar generell unerwünscht, da dies gliedstaatliche Autonomie bereits im Ansatz ersticken würde 106. Der Bundesstaat „verlöre sein eigentliches Wesen, wenn ungeachtet der Verschiedenheit seiner Glieder allen die gleiche Finanzausstattung zugewiesen würde“ 107. Deshalb unterliegt „die Einnahmenverteilung [ . . . ] dem Verbot, Ungleiches gleich zu behandeln (Nivellierungsverbot) und dem Gebot, Gleiches gleich zu behandeln (finanzausgleichsrechtliches Gleichbehandlungsgebot)“ 108. Das Nivellierungsverbot soll erst an späterer Stelle erörtert werden. Richtig ist sicherlich, dass auch die Art. 106 f. GG Ausdruck eines bundesstaatlich geprägten Gleichheitssatzes sind. Allerdings muss dies an den konkreten Vorschriften belegt werden. Auf den ersten Blick bietet der horizontale Länderfinanzausgleich gemäß Art. 107 Abs. 1 GG kein Bild der Gleichberechtigung unter den Ländern. Tatsächliche Verschiedenheiten unter den Ländern bilden den tatbestandlichen Anknüpfungspunkt für Unterschiede auf der Rechtsfolgenseite: So erhalten die Länder ein am örtlichen Aufkommen, beziehungsweise bei der Umsatzsteuer ein an der Bevölkerungszahl orientierten, verhältnismäßigen und damit ungleichen Anteil an den Gesamtsteuereinnahmen der Länder. Dies wird sogar im Rahmen der Umsatzsteuer noch durch die Möglichkeit der Einführung eines vorweggenommen Umsatzsteuerergänzungsanteils zugunsten finanzschwacher Länder erheblich verstärkt 109. Art. 107 Abs. 1 GG ist jedoch in das Gesamtsystem des Länderfinanzausgleichs einzubetten, insbesondere im Lichte seines Absatzes 2 zu betrachten. Art. 107 Abs. 1 GG schwebt ein dauerhaftes System vor Augen, welches alle Länder nach abstrakten Merkmalen kategorisiert und differenziert; für Landessteuern und dem Länderanteil an Einkommen- und Körperschaftsteuer wird eine proportionale Beteiligung am Aufkommen konstituiert, für das Umsatzsteueraufkommen eine proportionale Beteiligung der Länder gemessen an ihrer Bevölkerung, jedoch mit vorgeschalteter „Bedürftigkeitsprüfung“ 110. Diese Differenzierung versucht

105

Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 706; Paul Kirchhof, Geiger-FS, S. 82 (93). Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 712; Theodor Maunz, Klein-GS, S. 311 (319). 107 Joachim Wieland, DVBl. 1992, S. 1181 (1189); Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 712. 108 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 116; auch Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 707 will hier auf die „sog. Willkürrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum individualrechtlichen allgemeinen Gleichheitssatz zurückgreifen“, der den Gesetzgeber verpflichte, „Gleiches gleich, Ungleiches aber seiner Eigenart gemäß verschieden zu behandeln“. 109 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 164. 106

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

37

Art. 107 Abs. 2 GG abzumildern. Während Art. 107 Abs. 1 GG eher „autonome Verschiedenheiten“ bestätigt (mit Ausnahme des Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG), verfolgt Art. 107 Abs. 2 GG das Ziel einer „solidargemeinschaftlichen Annäherung“ 111. Das Grundgesetz findet unterschiedliche Länder vor, teilt diesen in Art. 107 Abs. 1 GG bestimmte Einnahmen zu, fordert jedoch sodann in Art. 107 Abs. 2 GG einen angemessenen Ausgleich. Im Gegensatz zu Art. 107 Abs. 1 GG, der die vorgefundenen Verschiedenheiten der Länder aufgreift, etwa in ihrer Größe, Randlage und vor allem ihrer Wirtschaftskraft, die die Finanzausstattung der Länder aufgrund der Verteilung der Finanzmassen nach dem örtlichen Aufkommen wesentlich beeinflusst, versucht Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG auf diese Unterschiede „ausgleichend“ einzuwirken 112. Dieser Auftrag an den Bundesgesetzgeber, auf die vorgefundenen Unterschiede mäßigend, korrigierend und ausgleichend einzuwirken, ist Ausfluss bundesstaatlicher Gleichbehandlung und dient der Sicherung der Länderautonomie in allen Ländern. Im Angleichungsauftrag des Grundgesetzes wird so ein föderatives Gleichbehandlungsgebot sichtbar. Jedes Bundesland muss durch den angemessenen Ausgleich die Möglichkeit erhalten, seine ihm zugewiesenen Aufgaben ungefähr in gleichem Maße ausüben zu können, insbesondere den Bürgern in den verschiedenen Gliedstaaten staatliche Leistung auf etwa gleichem Niveau zur Verfügung stellen zu können 113. Art. 107 Abs. 2 GG steigert darüber hinaus die Pflicht zur Beachtung des föderativen Gleichheitssatzes zu einem (noch näher darzulegenden) Angleichungsauftrag 114; allerdings darf der Ausgleich auch nicht zu einem Vollausgleich führen, er muss „angemessen“ bleiben 115. Hierbei 110

Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 220f. Vgl. Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 9. 112 Klaus Vogel, JA 1980, S. 577 (580); Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 221. 113 Lerke Osterloh, EuGRZ 2002, S. 309 (313); Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 224; Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 28; vgl. auch BVerfGE 72, 330 (383): „Die staatliche Selbständigkeit von Bund und Ländern stützt sich auf eine Aufgabenzuweisung und eine ihr entsprechende Finanzausstattung, die im Rahmen des gesamtstaatlich Möglichen eine sachgerechte Aufgabenerfüllung erlaubt“. Diesem Urteil folgend stellt BVerfGE 86, 148 (214) fest: „Erst dadurch kann die staatliche Selbständigkeit von Bund und Ländern real werden, können sich Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung entfalten“. Bereits zuvor hatte das Gericht in der Entscheidung zur Berufsausbildungssonderabgabe BVerfGE 55, 274 (300) konstatiert: „Die in den Art. 104a bis 108 GG enthaltenen finanzverfassungsrechtlichen Normen sind einer der tragenden Eckpfeiler der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes. Sie sollen eine Finanzordnung sicherstellen, die den Gesamtstaat und die Gliedstaaten am Gesamtertrag sachgerecht beteiligt; Bund und Länder müssen im Rahmen der verfügbaren Gesamteinnahmen so ausgestattet werden, dass sie die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Ausgaben leisten können, [ . . . ]“. 114 Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 113; Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 9. 115 Grundlegend, allerdings für den kommunalen Finanzausgleich, Johannes Popitz, Der künftige Finanzausgleich, S. 287: „Das Ziel ist dabei nicht der volle Ausgleich dieser 111

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

muss der Bundesgesetzgeber rechtlich werten. Er hat autonome Verschiedenheiten zu bestätigen, darf aber „das Ziel solidargemeinschaftlicher Annäherung“ nicht verfehlen 116. Insgesamt ist den Art. 106f. GG folgendes System zu entnehmen: Deutlich verfolgt die Verfassung das Ziel, finanzautonome Länder zu schaffen. Dies wird insbesondere offenbar, wenn sie den Ländern das in ihrem Zuständigkeitsbereich erwirtschaftete Aufkommen belässt. Jedes Land gewinnt auf diese Weise Autonomie. Sie erhalten und behalten grundsätzlich „ihren“ Anteil am örtlichen Aufkommen. Das Grundgesetz verwirklicht eine gewisse „Statusgleichheit“. Art. 107 Abs. 1 GG betont als Ausprägung der Bundesstaatlichkeit den Gedanken, dass jedes Bundesland Staatsqualität besitzt sowie seinen eigenen Haushalt führt (Art. 109 GG) und behandelt alle Länder in ihrer Autonomie gleich. Zwar ergibt sich eine Statusgleichheit der Länder aus oben genannten Gründen nicht direkt aus dem bundesstaatlichen Prinzip, doch kann die Verfassung selbst in ihren speziellen Anordnungen eine Statusgleichheit konstituieren. Dies hat die Verfassung durch die Steuerverteilung nach dem örtlichen Aufkommen insbesondere in Art. 107 Abs. 1 GG getan. Mit dieser Fixierung finanzautonomer Verschiedenheiten bei gleichzeitiger „Statusgleichheit“, durch die jedes Land dasjenige erhält, was in seinem Gebiet von seinen Finanzbehörden vereinnahmt worden ist, lässt es das Grundgesetz jedoch, wie bereits erwähnt, nicht bewenden. Vielmehr verlangt es vom Bundesgesetzgeber, die vorgefundenen Unterschiede angemessen auszugleichen. Dieser Ausgleich bezweckt die Versorgung der betreffenden Bürger der einzelnen Gliedstaaten mit einem Mindestmaß an gleichen staatlichen Leistungen. Neben der bundesstaatlichen Gleichheit der Länder, der Statusgleichheit in dem oben skizzierten Sinne, fordert und fördert das Grundgesetz über Art. 107 Abs. 2 GG indirekt die Gleichbehandlung der Bürger. Diese sollen in unterschiedlichen Gliedstaaten, mögen sie wirtschaftlich und finanziell auch noch so unterschiedliche Voraussetzungen aufweisen, ihren Einwohnern zumindest ähnliche staatliche und soziale Leistungen zur Verfügung stellen können 117. Die durch den Ausgleich bewirkte bundesstaatliche Solidarität darf jedoch die Verschiedenheiten nicht einebnen, sondern nur Verschiedenheiten – das stände im Widerspruch mit dem Wesen der Selbstverwaltung und wäre auch gar nicht erreichbar –, sondern lediglich eine gewisse Milderung dieser Verschiedenheiten ( . . . )“; vgl. auch BVerfGE 1, 117 (131); 72, 330 (386f., 397f., 404, 418f.), 86, 148 (214f., 220, 250); 101, 158 (222); Herbert Fischer-Menshausen, DÖV 1948, S. 10 (19); Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 82; Klaus Vogel / Paul Kirchhof in: BK, GG, Art. 107, Rn. 50f., 164; Markus Heintzen in: von Münch / Kunig, GG, Art. 107, Rn. 28; Helmut Siekmann in: Sachs, GG, Art. 107, Rn 31; Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 124; Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 107, Rn. 11, 24 und 31 m. w. N. 116 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 9. 117 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 22f.

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

39

mindern, da ansonsten eine gliedstaatliche Individualität nicht erhalten werden kann 118.

VI. Ergebnis Es bleibt somit festzuhalten, dass sich die föderative Gleichheit nicht aus einem wie auch immer gearteten „Wesen des Bundesstaates“ ergibt. Vielmehr ergibt sich föderative Gleichheit aus der jeweils einschlägigen bundesstaatlichen Verfassungsnorm. Im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG begründet das Grundgesetz einen Angleichungsauftrag unter den grundsätzlich unterschiedlichen Ländern, auf den im folgenden noch genauer eingegangen werden muss. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG konstituiert für den Bundesgesetzgeber in bezug auf die Länder allerdings zumindest ein „erweitertes Gleichbehandlungsgebot“, nachdem Art. 107 Abs. 1 GG noch den Gedanken der Verschiedenheit betont und jedem Land prinzipiell die Einnahmen zuweisen will, die in seinen Hoheitsgebiet erwirtschaftet wurden. Einerseits verlangt Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG die Gleichbehandlung der Länder im eigentlichen Sinne, also die Zurückweisung von Privilegien und die Verhinderung von Diskriminierungen, doch muss der Angleichungsauftrag auch in dem Sinne einer echten Angleichung der Länder verstanden werden, welche diese in die Lage versetzt, ihren hoheitlichen Aufgaben zum Wohle des Bürgers prinzipiell im Sinne einer Grundversorgung nachkommen zu können. Dabei darf die gliedstaatliche Autonomie nicht vernachlässigt werden. Die Länder sind autonom, organisatorisch und funktionell in den Grenzen des Art. 28 Abs. 1 GG vom Gesamtstaat unabhängig. Die Länder besitzen eine eigene Staatlichkeit. Dazu gehört auch die eigenständige Finanzierung als das Mittel selbständiger Aufgabenerfüllung. Die Verfassung verleiht den Ländern Finanzautonomie. Dazu gehört die Befugnis, „eigene Einnahmequellen zu erschließen und auszuschöpfen (Einnahmenautonomie, Art. 105 Abs. 2 und 3, Art. 106 Abs. 2 und 3, Art. 107 Abs. 1 GG) sowie das Recht, über die Verwendung der zur Verfügung stehenden Finanzmittel im Rahmen einer eigenen Haushaltswirtschaft zu entscheiden (Ausgabenautonomie, Art. 109 Abs. 1 GG)“ 119. Das Grundgesetz setzt mithin autonome Länder voraus und erkennt in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG die Verschiedenheit der Länder an, möchte sie jedoch finanziell angemessen und in einer Weise ausgestattet wissen, die ihnen die Erfüllung ihrer wesentlichen Pflichten erlaubt. Die föderative Gleichheit der Länder ergibt sich zwar aus der bundesstaatlichen Ordnung, wie sie sich im Grundgesetz darstellt, so dass die jeweilige Verfassungsnorm vorgibt, wie die bundesstaatliche Gleichheit in concreto ausgestaltet ist, im Rahmen des Art. 107 GG also die Anerkennung staatlicher Autonomie bei gleich118

BVerfGE 101, 158 (222); Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 126. 119 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 100.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

zeitiger Statusgleichheit. Dennoch ist damit noch nicht herausgearbeitet, welche allgemeinen Rechtsfolgen und Verhaltensgebote sich aus der föderativen Gleichheit ableiten lassen 120. Bedeutsamer als die status- oder wertmäßige Gleichheit der Länder, die im Gegensatz zur absoluten Gleichheit die Individualität der Gliedstaaten nicht aufhebt, ist deren Rechtsfolge, nämlich die Gleichbehandlung oder Gleichberechtigung der Bundesländer, mithin der föderative Gleichheitssatz 121. Es geht aber nicht nur um die im konkreten Fall einschlägige Norm, nämlich den Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern auch um Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser ist zwar als Grundrecht nicht auf die grundrechtsverpflichteten Länder anwendbar, wie gleich noch genauer zu zeigen sein wird, doch besteht zumindest, wie schon erwähnt, für die Länder im Finanzausgleichsrecht ein gleicher Status. Die Länder dürfen die in ihrem Gebiet vereinnahmte Finanzkraft prinzipiell behalten, sind hierin also gleichgestellt. Darüber hinaus müssen die Länder allerdings von ihren Einnahmen so viel abgeben, wie nötig ist, um alle Länder in die Lage zu versetzen, ihren Bürgern zumindest ein Mindestmaß an gleichen öffentlichen Leistungen zur Verfügung zu stellen. Dies gebietet Art. 3 Abs. 1 GG als Grundrecht aller Landesbürger. Föderative Gleichheit und Angleichungsauftrag greifen an dieser Stelle ineinander. Im Finanzausgleichsrecht sieht das Grundgesetz ebenso wie im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG den Gedanken der „verhältnismäßigen Gleichheit“ vor. Die Länder behalten prinzipiell die in ihrem Hoheitsgebiet getätigten Einnahmen, sie sollen ihre Bürger mit annähernd gleichen staatlichen Leistungen versehen können, sie besitzen alle Staatsqualität. Alle diese Punkte beschreiben den Status einer verhältnismäßigen Gleichheit: die Länder sind verschieden, etwa im Punkt ihrer Einnahmen, werden jedoch aufgrund ihrer Staatsqualität und Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG so gestellt, dass sie gegenüber dem eigentlichen „Bezugspunkt“, dem jeweiligen Landeseinwohner, in gleicher Weise agieren können. Jedes Land soll verhältnismäßig gleich in die öffentlichen Leistungen für seine Bürger investieren können. Mithin besteht im Finanzausgleichsrecht eine Statusgleichheit unter den Ländern, die Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG zwar nicht ausdrücklich normiert, aber dennoch voraussetzt. Diese Statusgleichheit ist dar120 Selbst wenn föderative Gleichheit besteht, müssen die Gleichbehandlungspflichten für den jeweiligen Rechtsbereich spezifisch bestimmt werden, es gilt ein „bereichsspezifischer“ Gleichheitssatz. Deshalb ist auch der folgende Satz von Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 712, richtig: „Finanzgleichheit ist mithin Rechtsgleichheit und bezieht sich auf die verfassungsgeprägten Gleichheitspositionen von Bund und Ländern in Form von Gleichbehandlung durch den Bundesgesetzgeber als Finanzausgleichsgesetzgeber. Ihr voraus liegen die prinzipielle verfassungsgeprägte Gleichberechtigung der föderativen Ausgleichspartner, die grundsätzliche föderative Gleichrangigkeit der staatlichen Befugnisse, die gleichen Aufgaben und Kompetenzen, die Gleichwertigkeit und gleiche Dringlichkeit aller staatlichen Aufgaben (Art. 30 GG) mit daran anknüpfender Lastenverteilung“. 121 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 707.

D. Bundesstaatliche Gleichheit und Gleichheitssatz

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über hinaus, ebenso wie die grundrechtliche des Art. 3 Abs. 1 GG, nicht absolut, sondern im Verhältnis, mit Blick auf ein bestimmtes Ziel, im vorliegenden Fall im Hinblick auf die berechtigten Interessen der Landesbürger an einer ungefähren Gleichbehandlung zu verstehen. Die Pflicht zu einer Gleichheit in den öffentlichen Leistungen führt aus diesem Grunde auch zu einer Statusgleichheit der Länder: nämlich die unterschiedlichen Länder bezüglich dieses Punktes trotz ihrer Verschiedenheit bezüglich ihrer Finanzausstattung verhältnismäßig gleichzustellen. Die föderative Gleichheit der Länder ergibt sich somit aus der konkreten Verfassungsnorm, nämlich dem Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, doch setzt dessen Telos zum Wohle der jeweiligen Landeseinwohner eine gewisse Statusgleichheit der Länder voraus, so dass im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG durchaus von einer „Statusgleichheit“ der Länder gesprochen werden kann.

VII. Exkurs: Die bundesstaatliche Gleichheit in ausgewählten Bereichen Bevor die Rechtsfolge des Art. 107 GG dargestellt wird, nämlich der föderative Gleichheitssatz und der Angleichungsauftrag, sollen auch andere bundesstaatliche Bereiche beleuchtet werden, um die doch sehr differenzierte Ausgestaltung des föderativen Gleichheitssatzes im Grundgesetz zu verdeutlichen. Trotz der oben bereits beschriebenen Verschiedenheit der Länder hat das Grundgesetz sie im Wesentlichen mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet. So weist das Grundgesetz den Ländern allgemein Befugnisse und Aufgaben zu. Nach Art. 30 GG sind die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben prinzipiell Sache der Länder. Art. 70 GG konkretisiert diese staatliche Aufgabenverteilung für den Bereich der Gesetzgebung: den Ländern steht das Recht zur Gesetzgebung zu, soweit das Grundgesetz keine Bundeszuständigkeit begründet. Art. 83 GG bestimmt darüber hinaus, dass die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, soweit das Grundgesetz nicht etwas anderes bestimmt oder zulässt. Diesen Vorschriften ist gemein, dass ihre Rechtsfolgen, soweit das Grundgesetz keine speziellen Ermächtigungen für den Bund vorsieht, alle Länder ohne Ausnahme treffen und dies „mit dem gleichen Inhalt und zur gleichen Zeit“. Es wird kein Land privilegiert oder benachteiligt, alle Länder haben die gleichen kompetenziellen Zuständigkeiten und werden vom Grundgesetz gleich behandelt; Art. 70 GG erfasst „sämtliche Länder ohne jegliche Differenzierung und ohne Zuweisung von legislativen Sonderrechten an einzelne Gliedstaaten“; Art. 83 GG konstituiert „für seinen Regelungsbereich eine verfassungsrechtliche Gleichheit der Länder“ 122. Darüber hinaus werden die

122

Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 165; 171; 176.

42

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

allen Ländern gleichermaßen zufließenden Kompetenzen auch noch „durch im wesentlichen gleich strukturierte Verfassungsorgane, Verwaltungsbehörden und Gerichte“ ausgeführt 123. In Gebieten der ausschließlichen Gesetzgebungsverantwortung der Länder, in denen diese aufgrund ihrer staatlichen Selbstbestimmung eine Koordination anstreben oder vereinbaren, gilt darüber hinaus nicht das demokratische Mehrheitsprinzip, sondern das bundesstaatliche Einstimmigkeitsprinzip 124. Die Länder schließen sich zusammen und kooperieren als „absolut“ Gleiche. Eine „besondere“ bundesstaatliche Gleichheit entsteht bei der grundgesetzlichen Regelung des Bundesrates gemäß Art. 51 Abs. 2 GG, der gliedstaatlichen Mitwirkung bei der bundesstaatlichen Willensbildung im Rahmen der Gesetzgebung. Dort besteht ein Recht auf gleichberechtigte Teilhabe, die jedoch vom Grundgesetz im Hinblick auf die „Gleichheit der Bürger“, also mit Blick auf die Bevölkerungszahlen in den einzelnen Ländern, differenziert ausgeformt und abgestuft ausgestaltet wird 125. Die Stimmenanzahl der prinzipiell gleichberechtigten Länder ist in „grober Anlehnung an die Einwohnerzahl proportional gestuft (Art. 51 Abs. 2 GG)“ 126. Es handelt sich bei der Stimmenverteilung des Art. 51 123

Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 115; ebenso: Hans-Peter Schneider, NJW 1991, 2448 (2451); Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 115; Georg Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 503f. 124 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 115; BVerfGE 41, 291 (308); Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 115; Konrad Hesse, Aspekte des kooperativen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland, in: ders., Ausgewählte Schriften, S. 148 (152). 125 Vgl. hierzu grundlegend Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 138ff.: „Das Prinzip der relativen Gleichheit, das durch das Vorhandensein eines Maßstabes charakterisiert wird, der die einzelnen Gliedstaaten entsprechend ihrer Machtstellung und Größe differenziert, sie somit auch nur ‚verhältnismäßig‘ in dem einzelstaatlichen Repräsentativorgan berücksichtigt, tritt zurück gegenüber dem Prinzip der absoluten Gleichheit, das unbeschadet der Quantitätsunterschiede, wie sie zwischen den einzelnen Staaten hinsichtlich des Gebietsumfangs, der Bevölkerungszahl usw. bestehen, jedem Staat den ganz gleichen Einfluss bei der Bildung des Willens des Gesamtstaates einräumt“. Dies führt er auf die Nähe des Bundesstaates zum Völkerrecht zurück, in dem er eine Gleichheit der Staaten verwirklicht sieht. Diese Gleichheit der Staaten könne in einem Bundesstaat jedoch nicht durchgängig verwirklicht werden, meist werde dort ein wie auch immer geartetes Mehrheitsprinzip eingeführt, so dass es mitunter zu Majorisierungen komme. Diese Majorisierungen könnten zu erheblichem Unfrieden führen, wie etwa im US-amerikanischen Sezessionskrieg oder im schweizerischen Sonderbundskrieg. Diese Antinomie lasse sich zwar nicht lösen, aber mildern, etwa durch eine starke Betonung des Individuums über eine „gleiche“ Wahl zum Parlament, die Einführung eines Grundrechtekataloges („bill of rights“), durch Minderheitenschutz, durch den Turnus von Über- und Unterordnung sowie durch die Zusammengehörigkeit im Nationalstaatsgedanken. 126 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 115.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Abs. 2 GG um einen „Kompromiss auf dem Mittelweg zwischen der Gleichberechtigung der Länder und Bevölkerungsarithmetik nach dem Prinzip der abgestuften Gleichheit“ 127. Diese nach der Bevölkerungszahl gestufte Gleichheit stellt dabei keine Ungleichbehandlung dar, sondern bringt den Kerninhalt des Gleichheitssatzes deutlich zur Geltung, nämlich Gleiches gleich, Verschiedenes seiner Eigenart entsprechend unterschiedlich zu behandeln. Zwar besitzen alle Länder ein Recht auf Teilhabe am Willensbildungsprozess des Bundes, doch sind sie in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht sowie im Hinblick auf ihre Einwohnerzahl in höchstem Maße verschieden, so dass das Grundgesetz auch in diesem Bereich nicht den Boden der Gleichbehandlung verlassen, sondern lediglich die unterschiedlichen Ausgangspositionen berücksichtigt hat 128. Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass das Grundgesetz bei seinen Wertentscheidungen die föderative Gleichheit immer im Blick hat, der föderative Gleichheitssatz sich durch das gesamte Grundgesetz zieht. Dies geschieht jedoch nicht in allen Bereichen als „formale“ Gleichheit, sondern wird in den einzelnen Bereichen der bundesstaatlichen Beziehungen individuell ausgeformt. Da das föderative Gleichbehandlungsgebot von der Verfassung differenziert ausgestaltet wird, muss nun insbesondere der in dieser Arbeit interessierende Bereich der föderativen Gleichbehandlung im Länderfinanzausgleich untersucht werden 129.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG Art. 107 Abs. 2 GG steigert den föderativen Gleichheitssatz, also die bundesstaatliche Pflicht, die Länder gleich zu behandeln, zu einem Angleichungsauftrag. Das Grundgesetz verpflichtet den Bundesgesetzgeber „sicherzustellen“, dass die

127

Hans Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, Art. 51, Rn. 2. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 115; anders: Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 161f., der zwar in der Berücksichtigung und Beteiligung aller Länder bei der Stimmenverteilung eine Gleichheit bezüglich der Mindestquote sieht, aber im Ergebnis kein „gleiches Stimmgewicht und folglich auch keine gleichen verfassungsrechtlichen Positionen“. Die Differenz erscheine angesichts der extremen Bevölkerungsunterschiede nur minimal. Art. 51 Abs. 2 GG kreiere deshalb hinsichtlich der Stimmenverteilung im Bundesrat „eine verfassungsrechtliche Ungleichheit“. Durch Art. 51 Abs. 2 GG entstünden den Ländern inhaltlich ungleiche Rechte, auch wenn jedes Land theoretisch bei Erreichen einer bestimmten Bevölkerungszahl auf die nächste „Stufe“ der Stimmengewichtung gehoben werde. Dies stelle keinen Einwand gegen die Rechtsungleichheit dar, sondern sei Ausfluss der Rechtsanwendungsgleichheit. 129 Weitere Fallgruppen außerhalb des Länderfinanzausgleichs, in denen das Grundgesetz eine bundesstaatliche Gleichheit konstituiert und einen föderativen Gleichheitssatz aufstellt, sollen hier nicht weiter erörtert werden. Es sei aber auf die Darstellung bei Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 156ff., verwiesen. 128

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

unterschiedliche Finanzkraft der Bundesländer „angemessen ausgeglichen“ wird, er muss also aktiv die Angleichung unter den Ländern betreiben. Um diesen Angleichungsauftrag des Grundgesetzes zu verstehen, muss jener sorgfältig ausgelegt werden. Erkennt man an, dass der Länderfinanzausgleich in Art. 107 Abs. 1 GG eine (Status-)Gleichheit der Länder voraussetzt, Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG darüber hinaus ein Verhaltensgebot, einen Angleichungsauftrag begründet, so muss die Frage beantwortet werden, ob dieser Auftrag zur Angleichung der Länderfinanzen möglicherweise mit anderen Verfassungsgrundsätzen angereichert werden kann, um so Art. 107 Abs. 2 GG handhabbar zu machen. So könnte der Angleichungsauftrag durchaus eine spezielle föderative Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes sein, auf den die Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG, insbesondere das Willkürverbot zu übertragen wäre. Indem Art. 107 Abs. 2 GG einen „angemessenen Ausgleich“ verlangt, könnte bereits der Wortlaut Aus-„Gleich“ auf den föderativen Gleichheitssatz verweisen, mit der Folge, dass die Länder gleich und willkürfrei zu behandeln sind, mithin eine Angleichung vorgenommen werden muss, diese aber dem Willkürverbot unterliegt 130. Eine solche Verbindung des Finanzkraftausgleichs mit dem Gleichheitssatz aus der sprachlichen Fassung des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG wird von Stefan Korioth abgelehnt. Nur weil das Wort Ausgleich den Bestandteil „gleich“ enthalte, bedeute dies nicht, dass hier der Gleichheitssatz einschlägig sei. Der Gleichheitssatz gebe nicht vor, die unterschiedliche Finanzkraft zu respektieren, mit der Folge, dass die Finanzkraftabschöpfung rechtfertigungsbedürftige Ausnahme sei, eine Durchbrechung des Verbots, Unterschiedliches verschieden zu behandeln, sondern ziele genau darauf ab, vorhandene Unterschiede abzubauen. Ausgleich meine Gleichheit, er respektiere keine Unterschiede, nur das Wort „angemessen“ verhindere, dass eine völlige Egalisierung eintrete. Stefan Korioth kommt bezüglich des Gleichheitssatzes zu folgendem Ergebnis: „Was der Gleichheitssatz mit dem doppelten Gebot, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Eigenart ungleich zu behandeln, zusammenschließt, tritt bei Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG in den Ausgleich und dessen Qualifikation auseinander. Indem Ausgleich Gleichheit meint und der Zusatz der Angemessenheit klarstellt, was an Ungleichheit bestehen bleiben soll, gibt es für einen systematischen Rückgriff auf den Gleichheitssatz keinerlei interpretatorische Notwendigkeit“ 131. 130 Vgl. auch Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 27, der konstatiert, dass die Stellungnahmen der Literatur zur Anreicherung des Annäherungsauftrags mit so vielen „Wenn“ und „Aber“, mit so vielen „Sowohl – Als Auch“ versehen seien, dass sie nicht in der Lage erschienen, das Dilemma des Harmonisierungsgebotes aufzulösen, sondern eher die im „angemessenen Ausgleich“ des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG verkörperte innere Spannungslage des Bundesstaatsprinzips widerspiegelten, deren Konsequenz, nicht jedoch deren Voraussetzung, der Länderfinanzausgleich sei.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Die föderative Gleichheit der Bundesländer ergibt sich aus der konkreten Auslegung der betreffenden Verfassungsnorm. Diese muss im Folgenden eingehender untersucht werden. Für die Auslegung maßgeblich sind vor allem deren Wortlaut sowie Telos.

I. Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 GG Der Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG verlangt, einen angemessenen Ausgleich sicherzustellen. Die Finanzkraft der Länder muss ausgeglichen werden. Dies kann aufgrund des Merkmals der Angemessenheit jedoch kein Vollausgleich sein 132. Auch die Staatsqualität der Länder würde einen solchen Schritt verbieten, da in der Identität der gleichen Finanzausstattung eine (Länder-)Autonomie nicht mehr möglich wäre 133. Identität würde gegen das föderative Gleichbehandlungsgebot verstoßen; denn der Gleichheitssatz, auch der föderative Gleichheitssatz, verlangt eine rechtliche Wertung vorhandener Unterschiede, gänzlich nivellieren darf er nicht 134. Auf den Punkt bringt es Jürgen W. Hidien: „Die Frage nach einer rechtlichen Angleichung und Annäherung realer Unterschiedlichkeit steht im Mittelpunkt des Zielkonflikts zwischen autonomer Verschiedenheit und solidargemeinschaftlicher Verpflichtung und generiert zusätzliche Brisanz aus dem Postulat der ‚Gleichwertigkeit‘ oder ‚Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse‘ (Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG). Finanzknappheit und Finanzautonomie fordern einen solidarischen, gerechten Kompromiss, den das Finanzausgleichsrecht sowohl im Bund-Länder-Verhältnis als auch im Länder-Länder-Verhältnis auf die Formel vom ‚billigen Ausgleich‘ (Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG) bzw. ‚angemessenen Ausgleich‘ (Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG), [ . . . ]“ bringt 135. Die Behauptung Stefan Korioths, Ausgleich meine Gleichheit und kenne keine Unterschiede, geht fehl. Ausgleich meint zwar Angleichung, doch ist dies im Gesamtsystem des Finanzausgleichs zu betrachten. Der Finanzausgleich will autonome Länder mit eigener Identität, nicht identische Länder ohne Autonomie. Diese Idee durchdringt die gesamten Normen des Finanzausgleichs. Die Grenze des Ausgleichs ist somit nicht nur die Angemessenheit, sondern auch der föderative Gleichheitssatz, wie er in den finanzausgleichsrechtlichen Normen der Art. 106 GG und Art. 107 GG zum Ausdruck kommt. Es geht im Rahmen der föderativen Gleichheit nicht in erster Linie um den gleichen Status, sondern um 131 132 133 134 135

Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 614f. Ebenso: Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 8. Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 126. Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 9. Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 713.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

den Anspruch auf föderative Gleichbehandlung, insbesondere durch den Bundesgesetzgeber, mithin um den föderativen Gleichheitssatz. Da es sich bei der Gleichheit der Länder jedoch nicht um eine absolute, sondern nur eine „relative“, eine verhältnismäßige Gleichheit handelt, muss der dem Gleichheitssatz immanente Vergleich auf „Gleichberechtigung, Gleichbehandlung, Angleichung oder Ausgleich“ zielen, so dass der Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, die Finanzkraft angemessen auszugleichen, durchaus als positivrechtliche Normierung eines föderativen Gleichheitssatzes verstanden werden kann 136. Allerdings vermag auch dieser Angleichungsauftrag auf den ersten Blick keine verbindlichen Grenzen für den „angemessenen Ausgleich“ vorzugeben, so dass noch weitere Aspekte in das föderative Gleichbehandlungsgebot und den Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG einfließen müssen.

II. Systematik und Zweck des Finanzausgleichs Auch der Telos spielt bei der Auslegung des föderativen Gleichheitssatzes eine wichtige Rolle. Hinter dem Finanzausgleich steht die Wahrung der staatlichen Autonomie, insbesondere die autonome Finanzhoheit der Bundesländer. Das Tragen von Lasten und die Übernahme eigener Aufgaben in eigener Verantwortung setzt die nötigen Finanzierungsmittel voraus 137. Um dies zu gewährleisten, belässt es der bundesrepublikanische Finanzausgleich nicht bei den vorgefundenen Finanzkraftunterschieden, die sich aufgrund der vertikalen Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern sowie der Verteilung unter den Ländern, die vornehmlich nach dem örtlichen Aufkommen erfolgt, bewenden, sondern verlangt zusätzlich zu diesen vorgefundenen Unterschieden die Sicherstellung eines angemessenen Ausgleichs. Dies dient dem Ziel, im gesamten Bundesgebiet eine Mindestversorgung mit öffentlichen Leistungen sicherzustellen. Diese ist nur dann gegeben, wenn den Ländern zumindest diejenigen Mittel zustehen, die sie zur Erfüllung der ihnen gesetzlich obliegenden Aufgaben benötigen. Darüber hinaus wird man jedoch allen Ländern durch die Ausgleichszahlungen ein Mindestmaß an finanzieller Eigenständigkeit in politischen Entscheidungen zubilligen müssen 138. Sollen die Länder in ihrer Haushaltswirtschaft selbständig und unabhängig sein, wie es Art. 109 Abs. 1 GG vorsieht, so rechtfertigt diese Selbständigkeit Unterschiede in ihrer finanziellen Ausstattung, fordert andererseits aber auch die Schaffung von (gleichen und dauerhaften) Voraussetzungen für diese finanziell eigenständige Haushaltsführung. Die Unterstützung der Haushaltsautonomie in den einzelnen

136

Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 707. Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 11; Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 234. 138 Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 234: „Die Staatlichkeit der Länder setzt eine gewisse Autonomie nicht zuletzt im Bereich der Finanzen voraus“. 137

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Ländern durch Umverteilung der ländereigenen Einnahmen statuiert finanzwirtschaftliche Solidarität und Gleichberechtigung innerhalb der Bundesländer 139. Ausgangspunkt einer teleologischen Auslegung des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG ist die Feststellung, dass diese Norm Bestandteil des Gesamtsystems Länderfinanzausgleich ist und als Teil dieses mehrstufigen Systems zur Verteilung der Finanzkraft im Bundesstaate dient. Sie stellt zwar eine eigenständige Ausgleichsstufe dar, die eigene Ausgleichsziele verfolgt, ihr Sinn und Zweck ist aber an das Gesamtsystem gekoppelt. Ziel dieses Gesamtsystems ist es, „Bund und Länder finanziell in die Lage zu versetzen, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben auch tatsächlich wahrzunehmen; denn erst dadurch kann die staatliche Selbständigkeit von Bund und Ländern real werden, können sich Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Aufgabenwahrnehmung entfalten. Art. 107 GG differenziert, spezialisiert und individualisiert diese generelle Verteilungs- und Ausgleichsfunktion für das horizontale Finanzausgleichsrechtsverhältnis“ 140. So korrigiert Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG die primäre Ertragsverteilung unter den Ländern, „soweit diese auch unter Berücksichtigung der Eigenstaatlichkeit der Länder aus dem bundesstaatlichen Gedanken der Solidargemeinschaft heraus unangemessen sind“ 141. Der „billige Ausgleich“ bei der Ertragsverteilung zwischen Bund und Ländern nach Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG garantiert noch keine „angemessene“ Finanzausstattung aller Länder, da diese aufgrund ihrer unterschiedlichen Voraussetzungen, insbesondere in der Wirtschaftsstruktur, nicht gleichmäßig an dem den Ländern zustehenden Ertrag beteiligt werden, sondern gemäß dem örtlichen Aufkommen (Art. 107 Abs. 1 GG). Auch durch die an der Einwohnerzahl orientierte Verteilung der Umsatzsteuer sowie durch die fakultativen Ergänzungsanteile kann die Lücke zu der „Mindestanforderung“ einer „angemessenen Finanzausstattung“ nicht geschlossen werden 142. Die Verfassungsnorm des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG beschreibt eine bundesstaatliche Konfliktlage. Auf der einen Seite sichert sie die bundesstaatliche Finanzautonomie der Länder, auf der anderen Seite begründet sie eine starke Finanzsolidarität unter diesen, verbindet prinzipiell gegenläufige Prinzipien, wobei jedoch die Autonomie im Vordergrund steht. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG findet Länder vor, die bereits mit eigenen Finanzmitteln ausgestattet sind, bezieht diese Finanzausstattung in die Ausgleichsregelung mit ein und zwingt die finanzstarken Länder zu einer Abgabe aus Eigenem. Es geht mithin nicht mehr nur um die bundesstaatliche Autonomie, sondern auch um die finanzielle Solidarität. Hierbei ist nicht nur die Autonomie Ausdruck des Bundesstaatsprinzips, sondern auch die Solidarität unter 139 140 141 142

Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 12. Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 33. BVerfGE 72, 330 (386). Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 33.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

den Ländern. In der Finanzsolidarität verwirklicht sich das „bündische Prinzip des Einstehens füreinander“; es verpflichtet die Länder „ungeachtet ihrer Eigenstaatlichkeit und finanziellen Selbständigkeit zu gewissen Hilfeleistungen an andere, finanziell leistungsschwache Länder“ 143. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG zieht somit der Finanzautonomie der Länder dort Grenzen, wo Finanzkraftunterschiede innerhalb der bundesstaatlichen Ordnung nicht mehr als angemessen hingenommen werden können. Der Länderfinanzausgleich dient folglich dem Ziel, die „richtige Mitte“ zu finden zwischen der „Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder“ und der „solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen“. Diese „versöhnende Konkordanz von finanzautonomer Verschiedenheit und finanzsolidarischer Annäherung erfordert keine (einseitige) Maximierung eines Rechtsguts, sondern eine abwägende Optimierung zweier bundesstaatlicher Rechtsprinzipien“ 144. Besonders deutlich wird die bundesstaatliche Spannungslage in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG im Tatbestandsmerkmal des angemessenen Ausgleichs. Somit bleibt festzuhalten, dass „der spezielle bundesstaatliche Gleichheitssatz (‚ausgeglichen‘) [ . . . ] eine rechtliche Wertung vorhandener realer Finanzkraftunterschiede und ihre annähernde, Autonomie wahrende Verminderung“ verlangt, „der Angemessenheitsgrundsatz [ . . . ] die Ausgleichsintensität mit Blick auf die für die Angleichung verwendeten, einem anderen Land autonom zustehenden Finanzmittel“ beschränkt. Ausgleichsziel bildet „die individuelle Finanzautonomie aller Länder, für deren Herstellung oder Bewahrung der Solidarausgleich bloßes Mittel ist“. Der Länderfinanzausgleich hat die „finanzielle Selbständigkeit, Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit“ sowohl der finanzschwachen als auch der finanzstarken Länder zum Ziel. Er soll fehlende Finanzautonomie ergänzen und vorhandene garantieren 145.

III. Einfluss des Demokratieprinzips Neben dem Bundesstaatsprinzip ist auch das Demokratieprinzip Bestandteil des bundesrepublikanischen Finanzausgleichs 146. Der Wähler des jeweiligen Landes143

BVerfGE 72, 330 (386f.). Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 35. 145 Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 35; ebenso: Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 9f., vgl. bereits den Titel der Untersuchung; ders., Staatliche Einnahmen, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 88, Rn. 39. 146 In der Sache gleich, aber mit Berufung auf das Bundesstaatsprinzip, sowie direkt auf die „Eigenverantwortlichkeit und Finanzautonomie der Bundesmitglieder“: Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 36f. Dies verkennt jedoch Sinn und Zweck 144

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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parlaments muss über Wahlen Einfluss auf die ihn betreffenden finanzwirtschaftlichen Entscheidungen nehmen können, andererseits ist er von den Entscheidungen des gewählten Organs betroffen und an diese gebunden. Diese Voraussetzung ist aber nur erfüllt, wenn die Folgen einer die Finanzen betreffenden Entscheidung bei dem Land verbleiben, welches diese getroffen hat 147. „Bundesstaatliche, finanzielle Verluste [dürfen] grundsätzlich nicht ‚sozialisiert‘ und Gewinne grundsätzlich auch nicht ‚privatisiert‘ werden“ 148. Das Abwälzen der durch finanzwirtschaftliche Fehlentscheidungen entstandenen Nachteile auf ein anderes Land sowie das Abschöpfen des Ertrages von dessen rationaler Finanzpolitik widerspräche dem Demokratieprinzip, da es einem Bürger zugute käme, der durch seine Wahlentscheidung diesen Verlust oder Erfolg in keiner Weise verursacht hat 149. Die oben beschriebene „Statusgleichheit“ gewährleistet einem jeden Land Finanzautonomie mit der Folge, durch eigenständige Entscheidungen eine eigene Finanzpolitik zu entfalten und gegenüber dem Landesstaatsvolk verantworten zu dürfen, aber auch zu müssen. Die vorwiegend über Steuern erzielte Finanzkraft eines Landes fordert eine Rückwirkung im Guten wie im Schlechten auf die Landesbürger; die Bürger müssen an einer verbesserten Finanzausstattung teilhaben, ein „unwirtschaftliches Haushaltsgebaren“ anteilig tragen. Der Länderfinanzausgleich soll nur „strukturelle Nachteile“ ausgleichen 150. In diesen Vorgaben liegt zwar einerseits eine für des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG. Dieser gewährt den Ländern Finanzautonomie nicht als Selbstzweck, sondern nur aufgrund deren Rückkoppelung mit dem Bürger. Für diesen müssen in allen Ländern ähnliche öffentliche Leistungen bestehen. Aus diesem Grunde liegt hier das Demokratieprinzip näher, obwohl das Bundesstaatsprinzip (und innerhalb dieses Rahmens die Finanzautonomie und Eigenverantwortlichkeit) auch eine Rolle spielt. Vgl. auch die eher formale, heute nicht mehr tragende Begründung von BVerfGE 1, 117 (133), auf die Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 37, Fn. 93 hinweist: „Eine Kontrolle der Ausgabenwirtschaft der Länder ist sowohl dem Bunde als auch den Ländern untereinander durch Art. 109 GG verwehrt. Aber auch hierdurch wird der horizontale Finanzausgleich nicht berührt. Denn in § 5 FAG sind nur bestimmte typische Ausgaben, und zwar durchweg nach objektiven Maßstäben in die Berechnung des Ausgleichs einbezogen worden, so dass weder eine leichtfertige Ausgabenwirtschaft eines ausgleichsberechtigten Landes noch eine sparsame Ausgabenwirtschaft eines pflichtigen Landes die Höhe der Beiträge und Zuschüsse berühren kann. Deshalb ist auch der Vorwurf unberechtigt, dass die ausgleichspflichtigen Länder die Folgen fremder Willensentscheidungen zu tragen hätten“. Die autonome Haushaltswirtschaft gemäß Art. 109 GG ist durchaus ein Grund, der gegenseitige Kontrolle in der Haushaltswirtschaft der Länder untereinander oder durch den Bund verhindert. Dahinter steht die finanzielle Autonomie der Länder, so dass Art. 109 GG Bestandteil des Bundesstaatsprinzips ist. Art. 109 GG hat jedoch nicht ausschließlich die Autonomie der Länder im Blick, sondern soll auch verhindern, dass ein Land die Folgen fremder Willensentscheidungen zu tragen hat und dient somit letztendlich auch wieder dem Demokratieprinzip. 147 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 14. 148 Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 37. 149 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 14. 150 BVerfGE 86, 148 (230).

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

alle Länder gleiche Mindestausstattung, auf der anderen Seite installiert es jedoch auch ein Nivellierungsverbot und einen Nivellierungsschutz, welcher die Vor- und Nachteile der jeweiligen Landesfinanzpolitik nicht einem anderen Lande überantwortet. Nur bei einem „Mindestmaß an Konnexität“ zwischen Last und Mitwirkung auf Landesebene kann der einzelne sein Lebenskonzept effektiv verwirklichen 151. Die bundesstaatliche „Statusgleichheit“ der Länder fordert, dass der finanzwirtschaftliche Handlungsspielraum jedes Landes eine Autonomie in der Finanzierung sicherstellt 152. Das Demokratieprinzip stärkt somit zunächst einmal die gliedstaatliche Autonomie; es betont die Verschiedenheit der Länder. Die bundesstaatliche Struktur mit eigenständigen Ländern, die jeweils ihre eigene staatliche Struktur, wie Länderparlamente, Länderregierungen, Ländergerichtsbarkeit etc. unterhalten, wäre als Prinzip bereits ad absurdum geführt und wäre völlig überflüssig, würde sie nicht auf gliedstaatliche Autonomie zielen. Der Länderfinanzausgleich bedarf allerdings noch weitergehender Konturierung und Gestaltung durch den Gesetzgeber, um seine vermittelnde Position zwischen Autonomie und Solidarität zu finden. Dieses könnte im Maßstäbegesetz geschehen. Festzuhalten bleibt: der Länderfinanzausgleich möchte zum Schutze aller Bundesmitglieder nicht alle finanzwirksamen Ursachen für Finanzkraftunterschiede in diesen einstellen und ausgleichen, sondern gewisse Unterschiede in finanzieller Hinsicht, ob positiv oder negativ für das jeweilige Land, bei den Ländern belassen 153. Das gebietet das Demokratieprinzip.

IV. Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse Sinn und Zweck des Art. 107 Abs. 2 GG verpflichtet mithin gemeinsam mit dem Demokratieprinzip den Staat dazu, alles staatliche Handeln auf das Wohl des Bürgers auszurichten 154. Häufig wird daneben die Formel von der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ genannt 155, als ein den angemessenen Ausgleich konkretisierendes Verfassungselement. Zwar wird oft – bereits mit kritischem Blick – festgestellt, dass diese Formulierung „schon eine Art magischen Glanz angenommen hat“ 156, „dem sich die Rechtswelt zu fügen habe“ 157, doch enthält das Grundgesetz keinen allgemeinen Auftrag auf Schaffung oder Bewahrung einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet 158, so dass der normative Gehalt 151

Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 127. Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 8. 153 Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 38. 154 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 15. 155 Vgl. zum Erfordernis der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ im Allgemeinen: Wolfgang Däubler, Mahrenholz-FS, S. 455ff. 156 Peter Lerche, Berber-FS, S. 299 (299). 157 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 15. 152

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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der Finanzverfassung darüber Auskunft geben muss, ob der Auftrag zur Schaffung einheitlicher Lebensverhältnisse Impulse und verbindliche Grenzen für den Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG vorgeben kann. In der Verfassung taucht der Begriff der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ nur noch an einer Stelle auf, allerdings als Bestandteil der Finanzverfassung: Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG. Seit der Neufassung des Art. 72 GG vom 15. November 1994 159 begründet die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet keine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes mehr, sondern letztere wird nunmehr davon abhängig gemacht, ob die Herstellung „gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Der Wortlaut bezieht sich ausdrücklich nicht mehr auf einheitliche, sondern nur noch auf gleichwertige Lebensverhältnisse 160. Diese Norm stellt jedoch vorrangig eine Vorschrift zum Schutz der Länderkompetenzen dar; durch die Verfassungsänderung sollten die Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes deutlicher begrenzt und die Grenze zugunsten der Länder justitiabler gemacht werden 161. Ein Verfassungsgebot zur Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse lässt sich aus Art. 72 Abs. 2 GG nicht ableiten, obwohl die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse Grund für ein Tätigwerden des Bundes sein kann, aber ein konkret gestaltetes Verfassungsgebot zum Tätigwerden enthält es nicht 162. Darüber hinaus belässt der Begriff der gleichwertigen Lebensverhältnisse deutlich mehr Raum für Verschiedenheiten in den Ländern als die Formulierung „einheitliche Lebensverhältnisse“. Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG verpflichtet den Bundesgesetzgeber die Einnahmen aus der Umsatzsteuer so zwischen Bund und Ländergesamtheit zu verteilen, dass eine Überbelastung der Steuerpflichtigen vermieden, aber auch „die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet gewahrt wird“. Die Forderung nach einer Vereinheitlichung findet sich jedoch ausschließlich im vertikalen Finanzausgleich 163. In Art. 107 Abs. 2 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber sogar bewusst von dieser Forderung nach Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse abgesehen 164. Dies widerspräche der für die Bundesstaatlichkeit unverzichtbaren Ausformung des „örtlichen Aufkommens“ 165. Ein solcher Textbefund 158

Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 25. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994, BGBl. I, 1994, S. 3146. 160 Ebenso: Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 235; Lerke Osterloh, EuGRZ 2002, S. 309 (312). 161 Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 236. 162 Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 236; Klaus-Dirk Henke / Gunnar Folke Schuppert, Rechtliche und finanzwirtschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen, S. 44. 163 Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 26. 159

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

spräche eigentlich am ehesten dafür, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als Ausgleichsmaßstab des horizontalen Finanzausgleichs auszuschließen 166. Bereits bei der Einführung des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG wurde bemängelt, dass die Wahrung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse bei künftigen Neuverteilungen der Umsatzsteueranteile von Bund und Ländern „kaum lösbare Einordnungsschwierigkeiten“ mit sich bringen würde, weil die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im vertikalen Finanzausgleich nicht sinnvoll verankert werden könne, da die Länder dem Bund in ihrer Gesamtheit gegenüberständen, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse als Vergleichsmaßstab aber nur dort sinnvoll sei, wo zwischen den Ausgleichspartnern heterogene Lebensverhältnisse beständen 167. Diese Zurückhaltung der Verfassung gegenüber finanzwirtschaftlichen Vereinheitlichungsaufträgen rechtfertigt sich nach Paul Kirchhof aus zwei Gründen: Zum einen sei das Finanzverfassungsrecht nicht geeignet, alle vorgefundenen Unterschiedlichkeiten, wie „landschaftliche Umgebung, das Klima und die wirtschaftsgeographischen Gegebenheiten“ zu verändern, weshalb Einheitlichkeit „nur für das öffentliche, für verfassungsrechtliche Weisungen zugängliche Leistungsangebot hergestellt werden“ könne, deshalb nur bezüglich der Idee der Rechtsund Wirtschaftseinheit gelte. Zum anderen müsste eine Vereinheitlichung als Angleichungsauftrag bestimmte Raumkategorien gegeneinander abwägen, z. B. „den höheren Lohnwert der Großstadt und die höhere ‚Lebensqualität‘ auf dem Lande“ sowie „Unterschiede in den regionalen oder örtlichen Lebenshaltungskosten“. Das Verfassungsgebot der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ sei deshalb nur „in der verengten Form einer Pflicht zur ‚Wahrung eines Mindeststandards für wesentliche Lebensverhältnisse‘ zu vollziehen“ 168. Dem tritt Fritz Ossenbühl mit folgenden Argumenten entgegen: Ersteres sei selbstverständlich; niemand könne oder müsse Pflichten erfüllen, die nicht erfüllbar seien („nemo ultra posse obligatur“). Zweitem begegnet er mit dem Hinweis, dass die Ansicht Paul Kirchhofs eine „Frontstellung gegen Egalisierung und Ni164 Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 40; Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 16; Niederschriften über die Sitzung des Unterausschusses des Rechtsausschusses des Bundesrates vom 20. März 1968, S. 16f. und des Rechtsausschusses des Bundesrates vom 27. März 1968, S. 63; vgl. auch: Stenographischer Bericht der 171. Sitzung des fünften Bundestages, S. 9182ff.; BT-Drucks. V/3605, S. 8. 165 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 16; Begründung des Bundesrates für die Einberufung des Vermittlungsausschusses zum Finanzverfassungsreformgesetz, BT-Drucks. V/3826, S. 7. 166 Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 26. 167 Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 26; Bundesministerium der Finanzen, Verteilung der Umsatzsteuer – Maßstäbe und Verfahren, Rn. 79. 168 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 17.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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vellierung“ aufbaue; beides seien jedoch keine verfassungsrechtlich zulässigen Ziele des Finanzausgleichs 169. Dennoch bleibt festzuhalten: Art. 107 Abs. 2 GG nennt das Erfordernis der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ selbst nicht. Dieses findet sich nur in Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG; in Art. 107 GG wurde es 1969 bei den Beratungen zu einem einstufigen Bedarfsausgleich sogar bewusst abgelehnt. Der Grundsatz der Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse darf deshalb nicht als Motor eines unitarischen Bundesstaates verstanden werden, sondern als notwendige Grenze föderaler Vielfalt 170; aus ihm kann sich nach dem eben Gesagten „nach unten“ nur die Forderung nach einem Mindestniveau der öffentlichen Leistungen gegenüber den Einwohnern des Landes ableiten lassen, nicht jedoch ein „annähernd gleiches Versorgungsniveau“ 171; „nach oben“ ist er ohnehin völlig unbestritten durch das Verbot der Nivellierung beschränkt. Alles weitere ist eine Frage der genauen Ausformung des Angleichungsauftrags für die der Auftrag zur Wahrung der einheitlichen Lebensverhältnisse zwar eine absolute Ober- und Untergrenze vorgeben kann, jedoch bei näherem Hinsehen im Vagen bleibt, und dem Gesetzgeber keine detaillierteren Anleitungsmomente zur Schaffung eines angemessenen Ausgleichs geben kann 172.

V. Sozialstaatsprinzip Auch das Sozialstaatsprinzip wird häufig als „Impuls“ für die Vereinheitlichung der Lebensverhältnisse verstanden 173. Doch sei auch der Grundsatz der Sozial169

Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 27. Klaus-Dirk Henke / Gunnar Folke Schuppert, Rechtliche und finanzwirtschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen, S. 46. 171 Ebenso: Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 237; Peter Selmer, VVDStRL 52 (1993), S. 10 (25f.); Klaus-Dirk Henke / Gunnar Folke Schuppert, Rechtliche und finanzwirtschaftliche Probleme der Neuordnung der Finanzbeziehungen, S. 45. 172 Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 27f.: „Fragt man nach dem unmittelbaren Anwendungsgehalt eines Harmonisierungsgebotes, so dürfte die Antwort eher negativ ausfallen. Mit welchen Zusätzen oder Einschränkungen man auch immer das Harmonisierungsgebot versehen mag, fest steht, dass der stets weite Toleranzrahmen für eine ‚Vereinheitlichung‘ der Lebensverhältnisse allein dem Finanzausgleichsgesetzgeber überantwortet ist, dessen Gestaltungsfreiheit nicht durch spitzfindige Unterscheidungen geschmälert werden kann. Der Raum, der der Frage, ob die ‚Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet‘ ein Verteilungsmaßstab oder ein Verteilungsziel im Rahmen des Länderfinanzausgleichs ist, zugemessen wird, erscheint deshalb im Vergleich zum Ertrag der angestellten Erwägungen unangemessen“. Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 42: „Festzuhalten bleibt, dass die Formel von der Einheitlichkeit oder Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse als politischer Programmauftrag und als ein bundesstaatspolitisches (End-) Ziel auch im Kontext des Art. 107 Abs. 2 GG im Adressaten des Bundesgesetzgebers seinen Platz finden kann, als begriffsleitende Ausgleichsratio eignet sie sich nicht“. 170

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

staatlichkeit konkretisierungsbedürftig; einen Aufgaben- und Funktionenkatalog, aus dem sich für ein einzelnes Finanzierungsvorhaben „Rang und Rechtfertigung“ ergebe, enthalte es nicht. Zwar legitimiere das Sozialstaatsprinzip Initiativen des Staates im sozialen Bereich, doch enthalte es einen „permanenten Gestaltungsauftrag“, welcher vor allem durch den Gesetzgeber im Rahmen seines sozial-, wirtschafts- und auch finanzpolitischen Gestaltungsermessen auszufüllen sei 174. Somit ergibt sich aus dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip nichts anderes als aus der verfassungsrechtlichen Forderung nach Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse; auch aus diesem dürfte sich kaum mehr als ein verfassungsrechtlicher Mindeststandard der Angleichung ableiten lassen 175.

VI. Der grundrechtliche Gleichheitssatz Als weiterer Ansatzpunkt zur näheren Ausgestaltung des Angleichungsauftrages wird noch der grundrechtliche Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG ins Spiel gebracht. Zwar habe kein Bürger Anspruch auf bestimmte öffentliche Leistungen oder auf die Schaffung bestimmter öffentlicher Einrichtungen, doch wenn der Staat solche gewähre, müsse er alle Bürger gleich behandeln 176. Bloße Erwartungen der Bürger, in allen Landesteilen des Bundesstaates in gleichem Maße mit öffentlichen Gütern versorgt zu werden, führten jedoch nicht zu einer Verpflichtung zum Ausgleich von Leistungskraftunterschieden. Die Entwicklung der Grundrechte weg von reinen Abwehrrechten gegen hoheitliche Eingriffe hin zu immer ausgeprägteren Teilhabeansprüchen in bezug auf staatliche Leistungen stärke die Forderung nach annähernd gleicher Versorgung mit öffentlichen Gütern im Bundesgebiet 177. Diese Ausgleichsverpflichtung treffe den Landesgesetzgeber, sei aber logischerweise auf dessen Hoheitsgebiet beschränkt, da das Bundesstaatsprinzip Belastungsunterschiede auch gegenüber Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertige, soweit die Länder unterschiedliche Maßnahmen treffen. Diese Begrenzung werde durch den Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG in der Gleichheitsbindung des Bundesgesetzgebers durchbrochen. Der horizontale Finanzausgleich fordere einen Ausgleich der finanzwirtschaftlichen Unterschiede. In Rahmen des Finanzausgleichs seien durch die Landeshoheit nicht alle Finanzkraftunterschiede gerechtfertigt, sondern gerade Anlass für das Ausgleichgebot. Dieses vermehre den finanzwirtschaftlichen Gehalt des Art. 3 Abs. 1 GG. Die durch den „angemessenen Ausgleich“ erreichte Annäherung in der 173 Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 25f.; Stefan Korioth, DVBl. 1991, S. 1048 (1056); Hans Pagenkopf, DÖV 1979, S. 613 (614). 174 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 18. 175 Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 237. 176 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 20ff. 177 Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 238.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Finanzausstattung der Länder sei durch das Gleichheitsgrundrecht gebunden, was bedeute, dass es in seiner ausgleichenden Wirkung dem Bürger verpflichtet bleibe. Die Finanzkraft eines Landes solle nur zu einem – am Gleichheitsgrundrecht gemessenen – finanzwirtschaftlichen Handeln ermächtigen, was dazu führe, dass der horizontale Finanzausgleich an folgendem Ziel gemessen werden müsse: die geforderte Annäherung sei wegen der Grundrechte der Grundrechtsberechtigten herzustellen. Es gehe um die Gleichheit finanzstaatlichen Handelns gegenüber dem Gleichheit beanspruchenden Grundrechtsberechtigten. Ergebnis dieses Ansatzes sei somit, dass Bezugsgröße des Finanzausgleichs nur der Einwohner sein könne, nicht jedoch die „anonyme Größe der allgemeinen Lebensverhältnisse“. Dennoch habe die Formel von der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse und der grundrechtliche Gleichheitssatz eine Gemeinsamkeit: Der Gleichheitssatz könne nicht auf die „Einebnung sozialer, geographischer, wirtschaftsstruktureller Vielfalt unter den Ländern“ zielen, „sondern auf ein im Mindestbestand ähnliches finanzwirtschaftliches Leistungsangebot gegenüber den Einwohnern“ 178. Die Grundrechte bekräftigen somit die Forderung nach einem „Mindestniveau öffentlicher Leistungen“, wofür auch die weitgehend bundesgesetzlich festgelegten Leistungspflichten von Ländern und Kommunen ein Indiz darstellen. Ein deutliches Zurückbleiben der Länder hinter der durchschnittlichen Finanzkraft dürfte aus diesem Grunde durch Art. 3 Abs. 1 GG ausgeschlossen sein, „weitergehende, konkrete grundrechtliche Ansprüche einzelner Bürger auf eine bestimmte Finanzausstattung eines Landes oder eine besondere Gestaltung der Einnahmenverteilung“ lassen sich durch die Grundrechte jedoch nicht begründen 179. So wendet auch Fritz Ossenbühl ein, die Feststellung, es gehe nicht um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse, sondern um die von Paul Kirchhof beschriebene „Gleichheit finanzstaatlichen Handelns gegenüber dem aufgrund von Art. 3 Abs. 1 GG Gleichbehandlung beanspruchenden Grundrechtsberechtigten“, weshalb „Bezugsgröße eines Finanzausgleichs [ . . . ] deshalb der Einwohner, nicht die anonyme Größe der allgemeinen Lebensverhältnisse“ sein müsse, scheine eher eine „begriffliche Präzisierung des Harmonisierungsgebotes“ zu sein, als eine „sachlich erhebliche Unterscheidung“ von anderen in der Literatur vertretenen Positionen 180. Dennoch gilt, dass die Versorgung der Einwohner mit öffentlichen Leistungen ein zentrales Thema des Länderfinanzausgleichs ist und eine gegenteilige Auf-

178 179

Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 21ff. Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 238; ebenso: Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag,

S. 19f. 180

Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 27.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

fassung den Grundrechten, insbesondere Art. 3 Abs. 1 GG zuwiderlaufen würde. Auf der „Ausgabenseite“ des Bürgers, im Steuerrecht, gilt ähnliches. Dort ist eine gleichmäßige Belastung der Bürger Ziel des grundrechtlichen Gleichheitssatzes. Das Bundesverfassungsgericht hat, unter Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG, festgestellt, dass der Gleichheitssatz verlangt, in seiner „bereichsspezifischen Anwendung auf das gegenwärtige Steuerrecht, dass jeder Inländer je nach seiner finanziellen Leistungsfähigkeit gleichmäßig zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben herangezogen wird“ 181. Das Finanzverfassungsrecht belastet oder begünstigt die Bürger zwar nicht unmittelbar, sondern belastet und begünstigt zunächst die jeweiligen Länder, doch steht hinter den Ländern das Wahlvolk, seine Bürger, die Anspruch haben auf den Genuss der dort erwirtschafteten wirtschaftlichen Vorteile, andererseits jedoch auch selbst verursachte wirtschaftliche Lasten tragen müssen und im Ergebnis einen Anspruch auf ein sachgerechtes Mindestniveau an Ausstattung mit öffentlichen Leistungen haben. Der grundrechtliche Gleichheitssatz gilt zwar im Finanzausgleichsrecht nicht direkt. Dort gilt Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, der Bund und Länder verpflichtet. Der grundrechtliche Gleichheitssatz gilt aber mittelbar, seine Wertungen beeinflussen die Auslegung des Finanzausgleichs. Für die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes im Rahmen des horizontalen Länderfinanzausgleich gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG sprechen insbesondere drei Argumente, die, soweit sie oben beschrieben wurden, kurz, ansonsten eingehender dargelegt werden sollen: Als erstes ist der Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG zu nennen. Durch die Verwendung des Begriffes des Ausgleichs findet der Gleichheitssatz im Bereich des Länderfinanzausgleichs seine spezialgesetzliche Anerkennung. Durch die Verpflichtung des Bundesgesetzgebers sicherzustellen, dass die Länderfinanzen angemessen ausgeglichen werden, wird dieser schon dem Wortlaut nach auf eine Gleichbehandlung der Länder verpflichtet. Diese Wortlautauslegung wird bestätigt durch den Sinn und Zweck des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG will das Gleichheitsgrundrecht der Bürger in den Ländern gewahrt wissen, indem es die Gliedstaaten mit einem Mindestmaß an Finanzmitteln ausstattet und so den Ländern die Möglichkeit eröffnet, ihre Bürger mit annähernd gleichen öffentlichen Aufgaben zu versorgen und deren Gleichheit im bundesweiten Vergleich zu wahren. Dieser Sinn und Zweck führt zwar nicht zu einer Anwendung des Art. 3 Abs. 1 GG auf die Länder, denn diese können aufgrund ihres Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts und Grundrechtsverpflichtete nicht in den Genuss des subjektiven Rechts des Art. 3 Abs. 1 GG kommen, sondern nur für deren grundrechtsberechtigte Bürger. Der Gleichheitssatz, der ausschließlich für die grundrechtsberechtigten Bürger

181

BVerfGE 93, 121 (138) – Vermögensteuer.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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gilt, wird durch die Länder nur vermittelt und gilt für diese mithin nur mittelbar. Er greift aber in seiner objektivrechtlichen Ausgestaltung. Der Gleichheitssatz gewährt nicht nur ein subjektives Recht, sondern hat auch einen objektivrechtlichen Gehalt, er ist als eine „Grundentscheidung der grundgesetzlichen Ordnung“ zu verstehen 182, als ein „überpositiver Rechtsgrundsatz“ 183. Dieser objektivrechtliche Gehalt des Gleichheitsgrundrechtes besteht aus dem „objektiven Willkürverbot“, welches wiederum dem Rechtsstaatsprinzip entnommen sowie aus dem in Art. 3 Abs. 1 GG enthaltenen „allgemeinen Prinzip der Gerechtigkeit“ abgeleitet wird 184. So nimmt das Bundesverfassungsgericht folgerichtig an, dass nicht der grundrechtliche Gleichheitssatz Richtlinie für die föderative Gleichbehandlung ist, sondern das in der Rechtsstaatlichkeit sowie im Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit wurzelnde Willkürverbot 185. Das Gericht hat bereits früh anerkannt, dass „das Willkürverbot auch Geltung für die Beziehungen innerhalb des hoheitlichen Staatsaufbaus“ beansprucht, da es sich bei diesem „um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der schon aus dem Wesen des Rechtsstaates, dem Prinzip der allgemeinen Gerechtigkeit folgt“, handelt 186. Konkretisiert hat es diese Aussage in seinem dritten Urteil zum Länderfinanzausgleich, in dem es feststellt, dass der Bundesgesetzgeber im Rahmen des angemessenen Ausgleichs dem Willkürverbot genügen muss; dieses sei „nicht nur grundrechtlich im allgemeinen Gleichheitssatz gesichert, sondern zugleich ein Element des das Grundgesetz beherrschenden Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) und gilt daher auch im Verhältnis von Hoheitsträgern untereinander“ 187. Im Folgenden soll nun auf das rechtsstaatliche Willkürverbot eingegangen werden und überprüft werden, auf welche Weise es für den angemessenen Ausgleich und den Länderfinanzausgleich fruchtbar gemacht werden kann.

182

Lerke Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 65. BVerfGE 1, 208 (233). 184 Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 65. 185 Das Willkürverbot leitet sich nach herrschender und richtiger Meinung neben dem Rechtsstaatsprinzip auch aus dem grundrechtlichen Gleichheitssatz ab. Dessen Auslegung kann deshalb auch für das föderative Willkürverbot Impulse geben, seine Grundlage kann jener aber nicht sein. A. A. Albert Bleckmann, Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, S. 68, der der Auffassung ist, dass sich der auf die Länder anwendbare Gleichheitssatz auch aus dem individualrechtlichen Gleichheitssatz ableiten lässt. 186 BVerfGE 21, 362 (372). 187 BVerfGE 86, 148 (251). 183

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

VII. Ergebnis Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG ist somit nach seiner Struktur ein (erweiterter) spezieller Gleichheitssatz, der Finanzkraftunterschiede „in gewissem Umfang“ korrigiert, ohne der finanziellen (Start-)Gleichheit der Länder zuviel Bedeutung zuzumessen. Es geht in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG nicht um Startgleichheit, sondern um (verhältnismäßige) Annäherung. Bestes Argument für diese Argumentation ist das horizontale Ertragsverteilungssystem des Grundgesetzes, das an das örtliche Aufkommen anknüpft und einer Verteilung nach Bedarf eine klare Absage erteilt 188. Sinn dieses Angleichungsauftrages ist der Gedanke, dass die Funktionsfähigkeit des Bundesstaates auf der finanziellen Autonomie seiner Glieder fußt, was wiederum ein Mindestmaß an finanzieller Homogenität unter diesen erfordert und Konfliktfälle vermeidet. Vor diesem Hintergrund ist die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, der Länderfinanzausgleich habe „die richtige Mitte zu finden zwischen der Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Bewahrung der Individualität der Länder auf der einen und der solidargemeinschaftlichen Mitverantwortung für die Existenz und Eigenständigkeit der Bundesgenossen auf der anderen Seite“ 189. Besondere Bedeutung spielt hierbei der Gleichheitssatz in seiner föderativen Ausprägung, insbesondere das Willkürverbot.

VIII. Das Willkürverbot 1. Einleitung Im Folgenden soll das Willkürverbot näher dargestellt werden, seine Herleitung im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes, seine Übertragung in das Recht des Finanzausgleichs, sowie die Rechtsfolgen, die eine Anwendung des Willkürverbotes im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG zeitigt. Nicht nur der Gesamtstaat zeichnet sich durch eine „konkret-geschichtliche Individualität“ aus, auch die Länder sind von „realer Eigenständigkeit“ geprägt. Die Länder sind verschieden, keinesfalls identisch, aber auch nicht „absolut“ gleich. Die Gleichbehandlung muss sich deshalb auf die Auswahl bestimmter wesentlicher Eigenschaften oder Verhältnisse beschränken: der Gleichheitssatz fordert eine rechtliche Bewertung von Ähnlichkeit und Verschiedenheit. Dieser im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG grundsätzlich bestehende „Bewertungsauftrag“ richtet sich an jegliche staatliche Gewalt: der Gesetzgeber muss die Rechtsetzungsgleichheit wahren, die Verwaltung die Rechtsanwendungsgleichheit, Regierung 188 189

Rolf Grawert, Die Kommunen im Länderfinanzausgleich, S. 113. BVerfGE 72, 330 (398).

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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und Parlament besitzen eher einen Gestaltungsauftrag, die Verwaltung einen vollziehenden, die Rechtsprechung hingegen einen bewahrenden, rückblickenden und nachvollziehenden Kontrollauftrag 190. Dieser Bewertungsauftrag besteht aber, wie dargelegt, nicht nur im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG, sondern auch als rechtsstaatliches Gebot. Im Rahmen des föderativen Gleichheitssatzes nach Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG liegt der Gestaltungs- oder Bewertungsauftrag auch im Finanzausgleichsrecht beim Gesetzgeber, dem Bundesverfassungsgericht kommt nur die Rolle der kontrollierenden Instanz zu. Der Bewertungsauftrag des föderativen Gleichheitssatzes muss zwar im Wesentlichen anhand der maßgeblichen Verfassungsnormen vorgenommen werden, doch greifen auch andere Instrumente: vorrangig zu nennen sind hier das Willkürverbot sowie das Prinzip der Sachgerechtigkeit, daneben das Prinzip der Folgerichtigkeit sowie der Systemgerechtigkeit. a) Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG Zum besseren Verständnis des föderativen Gleichheitssatzes soll in der gebotenen Kürze die Dogmatik des grundrechtlichen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG dargestellt werden. Die Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG setzt im Rahmen der Rechtsetzungsgleichheit eine differenzierte Handhabung des grundrechtlichen Gleichheitssatzes durch den Gesetzgeber sowie eine am jeweiligen Sach- und Regelungsbereich ausgerichtete gleichheitsrechtliche Maßstabsbildung voraus 191. Ausgangspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG ist eine Statusgleichheit, welche die „Gleichheit jedes Menschen in Existenzanspruch und Würde, Teilhabe am Recht und Zugehörigkeit zum Sozialstaat anerkennt“ 192 und allein an den „Tatbestand Mensch“ anknüpft, auf diese Weise Gleichheit in Individualität und Würde ermöglicht 193. Diese Statusgleichheit gilt als Menschenrecht nur für Aspekte, die den Menschen in seiner Person und Eigenschaft als Mensch betreffen. In diesem Rahmen ist durch den Gesetzgeber eine Entsprechungsgleichheit herzustellen. Im Unterschied hierzu steht der „allgemeine Lebensbereich“, in dem der demokratische Gesetzgeber eine sehr viel weitere Gestaltungsgleichheit verwirklichen darf. Der Gleichheitssatz ist „bereichsspezifisch“ anzuwenden und an die Gegebenheiten des jeweiligen zu regelnden Sachbereichs anzupassen 194. 190

Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (146f.). Vgl. zum Folgenden: Paul Kirchhof, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 28ff.; ders., NJW 1987, S. 2354 (2356); ders., Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 193ff.; ders., Lerche-FS, S. 133 (141ff.). 192 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 193. 193 Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (141). 191

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Hierbei muss der Gesetzgeber die Verschiedenheiten der zu vergleichenden Personen und Sachverhalte vollständig und unverfälscht aufnehmen und sie als reale Grundlage anerkennen. Dies erfordert bei der Bildung von Vergleichsgruppen und Tatbestandsgattungen die Beachtung der dem regelungsbedürftigen Bereich innewohnenden Ordnung, die dann ihrerseits zum Anknüpfungspunkt für Unterscheidungsgebote, -verbote und -ermächtigungen wird. Beachtet der Gesetzgeber diese Aspekte, so regelt er den Tatbestand der differenzierenden Regelung sachgerecht 195. Die Sachgerechtigkeit wird zum Teil auch als Realitätsgerechtigkeit bezeichnet 196. Neben der Sachgerechtigkeit muss der Gesetzgeber des Weiteren Sorge dafür tragen, dass die bezüglich Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten getroffenen Wertungen nicht mit den Grundsätzen und Wertungen der Gesamtrechtsordnung in Konflikt geraten. Diese Wertungen ergeben sich aus der Verfassung, aber auch aus verfassungskonkretisierenden einfachen Gesetzen. Steht das Gesetzesvorhaben hiermit im Einklang, wahrt der Gesetzgeber Systemgerechtigkeit in der Gesamtrechtsordnung 197. Die in der Gesamtrechtsordnung systemgerecht verankerten Regelungen müssen darüber hinaus auch innerhalb des jeweils zu normierenden Teilbereichs systemgerecht ausgestaltet werden. So ist die Systemgerechtigkeit innerhalb eines Teilsystems nur dann gewährleistet, wenn etwa eine Regelung des Berufsrechts berufsspezifisch, eine solche des Steuerrechts abgabenkonform getroffen ist. Ein weiterer Teilaspekt ist die Folgerichtigkeit. Sie fordert die folgerichtige Ausgestaltung im Binnenbereich eines Teilrechtssystems und die Stimmigkeit des gesamten Gesetzgebungswerks, ohne vorheriges oder nachfolgendes Recht als invariablen Ausgangspunkt des Vergleichs festzuschreiben. Sie ist nur dann gewährleistet, wenn die betreffende Regelung die Wertentscheidung und den zugrundeliegenden Grundgedanken des Gesetzgebers in konsequenter und widerspruchsfreier Weise umsetzt. Die Folgerichtigkeit nimmt in gewissem Maße den

194 Paul Kirchhof, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 32; vgl. auch: ders., Rudolf-FS, S. 277ff. 195 Auf die Sachgerechtigkeit als Kriterium des Gleichheitssatzes weisen darüber hinaus ausdrücklich hin: Wolfgang Rüfner in: BK, GG, Art. 3, Rn. 29f.; Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 35f. 196 Vgl. nur BVerfGE 93, 121 (136); Paul Kirchhof, Die Verschiedenheit des Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 34. 197 Vgl. zur Systemgerechtigkeit einer Regelung als Anforderung des Gleichheitssatzes Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, S. 49ff.; Franz-Joseph Peine, Systemgerechtigkeit, S. 184ff.; Christian Starck, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3, Rn. 44ff.; zur Entwicklung dieses Kriteriums in der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts vgl. Stefan Huster, Rechte und Ziele, S. 389f.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Gedanken der Gleichheit in der Zeit auf und sichert so eine gewisse Kontinuität gegenüber dem vertrauten und deshalb Vertrauen genießenden Recht. Bei Rückführung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf ein Gebot der Statusgleichheit sowie der Sach- und Folgerichtigkeit kommt der Generalklausel eines allgemeinen Willkürverbots die Aufgabe zu, das grobe Unrecht abzuwehren; sie stellt eine Notwehrlinie gegen schlechthin unvertretbares Staatshandeln dar. Der allgemeine Gleichheitssatz wird auf diese Weise zu einer Gerechtigkeitskontrolle. Er verlässt den Rahmen wertenden Vergleichens und beurteilt eine staatliche Maßnahme ausschließlich nach ihrer Vertretbarkeit oder Unvertretbarkeit. Aus dem gleichheitsrechtlichen Willkürverbot wird so ein rechtsstaatliches Objektivitätsgebot. Das gleichheitsrechtliche Gebot einer realitätsgerechten, systemgerechten, folgerichtigen und widerspruchsfreien Rechtsordnung hat das Bundesverfassungsgericht insbesondere im Steuerrecht entwickelt 198. Diese Teilbereiche des Gleichheitssatzes sind eng miteinander verwoben, weshalb häufig nicht genau zwischen den einzelnen Teilinhalten unterschieden wird 199. Gemeinsamer Geltungsgrund aller Teilbereiche ist der Gedanke, dass sich gesetzliche Regelungen innerhalb der Rahmenbedingungen des betreffenden Sachbereichs besonders auswirken und deshalb bezüglich dieses Sachbereichs sehr viel sensibler abzustimmen sind. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat das Bundesverfassungsgericht zur Auslegung des Gleichheitssatzes neben dem Willkürverbot die sogenannte Neue Formel entwickelt. Danach gebietet „diese Verfassungsnorm [Art. 3 Abs. 1 GG], alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Demgemäß ist dieses Grundrecht vor allem dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“ 200. Das Bundesverfassungsgericht richtet damit die Prüfungsdichte des Gleichheitssatzes nach dem personalen Bezug der zu treffenden Regelung aus 201. Durch die Neue Formel erhöht das Bundesverfassungsgericht die Kontrolldichte im Vergleich zum Willkürverbot, da nicht länger irgendein sachlicher Grund für die differenzierende staatliche Maßnahme ausreichend ist, sondern eine Überprüfung und Gewichtung erfolgen muss, ob die tatsächlichen Unterschiede die Ungleich198 Vgl. hierzu Paul Kirchhof, StuW 2000, S. 316ff.; Ulrich Palm in: Umbach/Clemens/Dollinger (Hrsg.), BVerfGG, Finanzgerichtsbarkeit und Verfassungsgerichtsbarkeit, Rn. 19ff. mit den dortigen Nachweisen. 199 Vgl. etwa Manfred Gubelt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 3, Rn. 30; Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 35. 200 Erstmals: BVerfGE 55, 72 (88); vgl. auch E 82, 60 (86); 95, 39 (45). 201 Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 97.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

behandlung rechtfertigen 202. Das Bundesverfassungsgericht hat durch die Neue Formel vermeintlich den Gleichheitssatz etwas vom Willkürverbot gelöst. Grund hierfür war wohl die immer größer werdende Diskrepanz zwischen der relativ hohen Kontrolldichte bei Freiheitsrechten, etwa bei der extensiven Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG als „Auffangtatbestand“ mit klar ausgeprägten Schranken, und der mit dem Willkürverbot relativ weit zurückgenommen gerichtlichen Kontrolle bei den Gleichheitsrechten 203. Allerdings muss auf die Neue Formel für den weiteren Fortgang dieser Untersuchung nicht näher eingegangen werden. Dies ergibt sich aus zweierlei „gleichheitsrechtlichen“ Gründen sowie einem Argument aus Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG: Zum einen ist der Anwendungsbereich der Neuen Formel auf Personen (oder gar auf Personengruppen) begrenzt, sie gilt nicht für die differenzierende Behandlung von Sachverhalten. Zum zweiten greift die Neue Formel nur bei Vergleichen, nicht jedoch im Anwendungsbereich des „rechtsstaatlichen Gleichheitssatzes“. Eine Anwendung der Neuen Formel im Recht des Länderfinanzausgleichs würde somit an beiden Voraussetzungen scheitern: Im Rahmen der föderativen Gleichheit geht es nicht um Personen oder Personengruppen, sondern um die „gleichheitsgerechte“ Regelung eines Sachverhalts, und zum anderen ist dort nicht der grundrechtliche, vergleichende, mit einer Ungleichbehandlung verknüpfte Gleichheitssatz betroffen, sondern das von einem Vergleich gelöste, bei Privatpersonen über die Verfassungsbeschwerde im Gleichheitssatz grundrechtlich bewehrte, aber dennoch prinzipiell rechtsstaatlich abgeleitete Verbot der willkürlichen staatlichen Behandlung angesprochen. Darüber hinaus ist Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG so an202 Manfred Gubelt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 3, Rn. 14; vgl. aber auch Roman Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Anhang, Rn. 7f., der darauf hinweist, dass die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an die gerichtliche Kontrolle theoretisch mit der Neuen Formel deutlich gestiegen sind, praktisch jedoch keine Entscheidungen des Gerichts ergangen seien, aus denen sich eindeutig eine Verschärfung des Kontrollmaßstabs herauslesen ließe, nach denen also eine Entscheidung nach der Neuen Formel zu einem anderen Ergebnis käme als die Willkürprüfung. Roman Herzog weist jedoch auch darauf hin, dass nicht zu erkennen sei, ob das daran liege, dass das Bundesverfassungsgericht die neuen verschärften Anforderungen noch nicht umgesetzt habe oder der Gesetzgeber für seine Regelungen regelmäßig Gründe angebe, die gewichtig genug seien. Außerdem wirft er die Frage auf, ob denn nicht auch für die der Neuen Formel unterfallenden Fälle terminologisch der Begriff der Willkür angemessen sei. Willkür läge nicht nur beim Fehlen jeglichen sachlichen Grundes vor, sondern auch dann, wenn aus einem vorhandenen Grund völlig unangemessene Konsequenzen gezogen würden. Hierbei handele es sich jedoch lediglich um terminologische Überlegungen, da die Praxis Neue Formel und Willkürverbot strikt trennte. Bemerkenswert ist hierbei, dass er die „Willkürlichkeit der Konsequenzen“ mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip vergleicht, bei dessen Begründung man auch auf das Willkürverbot zurückgreifen könnte, wenn es nicht die polizeirechtlichen Ursprünge gäbe. Auf diese Weise spricht er bereits den Zusammenhang zwischen Gleichheitssatz und Verhältnismäßigkeitsgedanken kurz an. 203 Roman Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Anhang, Rn. 6.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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gelegt, dass dem Gesetzgeber ein sehr weites Gestaltungsermessen verbleibt. Dieses Gestaltungsermessen würde durch die Neue Formel und deren erhöhte Kontrolldichte erheblich eingeschränkt und der Gesetzgeber zu sehr eingeengt. So bleibt es bei folgender „Regel“ des Bundesverfassungsgerichts: „Außerhalb des so umschriebenen Bereichs lässt der Gleichheitssatz dem Gesetzgeber jedoch weitgehende Freiheit, Lebenssachverhalte je nach dem Regelungszusammenhang verschieden zu behandeln. Die Grenze bildet soweit allein das Willkürverbot“ 204. Ein Punkt ist jedoch beachtenswert: Das Bundesverfassungsgericht hat zur Neuen Formel entschieden, dass sich „aus dem allgemeinen Gleichheitssatz [ . . . ] je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber“ ergeben, „die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen“ 205. Das Bundesverfassungsgericht verbindet somit in der neuen Formel die Verhältnismäßigkeit mit dem Gleichheitssatz, eigentlich zwei unterschiedliche Prinzipien der horizontalen (Gleichheitssatz) und der vertikalen (Übermaßverbot) Gerechtigkeit. Dieses Zusammenwirken von Verhältnismäßigkeitsgedanken und Gleichheitssatz soll im Folgenden noch weiter vertieft werden, aus den oben genannten Gründen jedoch nicht im Rahmen der Neuen Formel. Es ist allerdings zweifelhaft, ob die Neue Formel wirklich den Gedanken der Verhältnismäßigkeit aufgreift. Dies wird zum Teil bejaht, denn dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit werde mit dieser Rechtsprechung in wesentlichen Bereichen des Gleichheitssatzes Rechnung getragen 206. Die neue Formel bringt zwar ein neues Element in die Gleichheitsprüfung ein: es wird eine engere Beziehung zwischen Differenzierungskriterium, Differenzierungsziel, Gleich- und Ungleichbehandlung gefordert. Das Differenzierungskriterium als solches unterliegt einer Bewertung. Der differenzierende Grund muss von solcher Art und solchem Gewicht sein, dass er die Ungleichbehandlung auch dem Ausmaß nach rechtfertigt. Art und Gewicht der Differenzierungen müssen somit zu dem mit der rechtlichen Regelung verfolgten Zweck in einem angemessenen (bzw. verhältnismäßigen) Verhältnis stehen. Deshalb konstatiert Roman Herzog, die „Behauptung, es sei das Verhältnismäßigkeitsprinzip in die Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG eingebaut worden, liegt nicht völlig neben der Sache“ 207. Eine weitere Vertiefung in die Struktur der Neuen Formel ist jedoch in dieser Arbeit nicht erforderlich. Das Zusammenwirken von Übermaßverbot und Gleichheitssatz soll in dieser Arbeit allein am Maßstab des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, in dessen Rahmen die Neue Formel

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BVerfGE 92, 53 (69); 97, 271 (291). BVerfGE 88, 87 (96); 93, 99 (111); 97, 271 (290). Vgl. nur Manfred Gubelt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 3, Rn. 14. Roman Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Anhang, Rn. 6.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

nicht greifen kann, dargestellt werden. Allerdings sollte der enge Zusammenhang beider Prinzipien bereits an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben. b) Entstehungsgeschichte des Willkürverbotes Im Folgenden soll das rechtsstaatliche Willkürverbot näher dargestellt werden. Dieses muss im Zentrum eines staatsorganisationsrechtlichen Angleichungsauftrages stehen. Rechtliche Gleichheit und tatsächliche Ungleichheit haben das Denken des Menschen schon seit der Antike geprägt 208. In der Neuzeit ist der Gleichheitssatz wahrscheinlich Bestandteil jedweder Rechtsordnung des westlichen Kulturkreises seit ihn die verfassunggebende Versammlung des Staates Virginia 209 im Jahr 1776 erstmals zu einem Menschenrecht erklärte 210. In Deutschland hielt der Gleichheitssatz bereits in der Paulskirchenverfassung von 1849 Einzug 211, allerdings ging es zum damaligen Zeitpunkt eher darum, Ständeunterschiede zu beseitigen und staatsbürgerliche Gleichheit zu erreichen. Neben diese Abschaffung der ständischen Ungleichheit trat mit Erstarken der Rechtsstaatsidee die allgemeine Gleichbehandlung durch Verwaltung und Gerichte im Rahmen allgemeiner Gesetze, also die Rechtsanwendungsgleichheit 212. Der Gleichheitssatz wurde als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips verstanden, nämlich als Verbürgung der Gesetzmäßigkeit von Verwaltung und Gerichten 213. Von einer Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz oder gar seiner wirksamen gerichtlichen Kontrolle war man noch weit entfernt. Allerdings hatte sich in den Vereinigten Staaten von Amerika 214 sowie in der Schweiz 215 bereits eine andere Auffassung durchgesetzt 216. Dort

208

Vgl. Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 25 m. w. N. Section 1: „That all men are by nature equally free and independent . . . “. Vgl. auch die Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten vom 4. Juli 1776: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal . . . ”, die Déclaration des droits de l’Homme et du Citoyen vom 26. August 1789: Article premier: „Les hommes naissent et démeurent libres et égaux en droit“ oder die französische Verfassung von 1793: „Tous les hommes sont egaux par la nature et devant la loi“. 210 Vgl. Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 25; Wolfgang Rüfner in: BK, GG, Art. 3, Rn. 2. 211 „Vor dem Gesetz gilt kein Unterschied der Stände. Der Adel als Stand ist aufgehoben. Alle Standesvorrechte sind abgeschafft. Die Deutschen sind vor dem Gesetze gleich.“ 212 Hans Peter Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, S. 111 (115). 213 Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 27. 214 Dort lautet der 14. Zusatz zur Verfassung: „Citizenship rights: [ . . . ] No state shall make or enforce any law which shall abridge the privileges or immunities of citizens of the United States; [ . . . ] nor deny to any person within its jurisdiction the equal protection of the laws“. 209

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wurde in der Rechtsprechung das Verbot staatlicher Willkür des Gesetzgebers entwickelt 217. Im Hinblick auf diese Entwicklung wurde das Willkürverbot zur Zeit der Weimarer Republik, und zwar maßgebend von Heinrich Triepel und Gerhard Leibholz als führende Köpfe einer als „Neue Lehre“ bezeichneten Auffassung unter teilweise heftigem Widerstand für das deutsche Recht fruchtbar gemacht 218. Diese Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte bedeutete eine gedankliche Abkehr von dem in Lehre und Rechtsprechung der damaligen Zeit herrschenden Rechtspositivismus 219. Eine Übernahme durch die Rechtsprechung fand erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch das Bundesverfassungsgericht statt 220.

215 Art. 4 Abs. 1 Satz 1 der Schweizerischen Bundesverfassung in der alten Fassung lautete: „Alle Schweizer sind vor dem Gesetz gleich“. 216 Hans Peter Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, S. 111 (116); Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 28; Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (135). 217 Vgl. hierzu die Verweise bei Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 36ff., 78ff., 111ff. Besonders bemerkenswert ist hierbei der Fall des Supreme Court Marbury vs. Madison aus dem Jahre 1803 (5 U.S. [1Cranch] 137 [1803]), indem der Supreme Court sowohl den Vorrang der Verfassung ausführlich begründete als auch ein Letztentscheidungsrecht der Gerichte und damit auch eine Kontrolle des Gesetzgebers ermöglichte, obwohl der Wortlaut in dieser Hinsicht nicht eindeutig war. Nach Auffassung von Werner Frotscher / Bodo Pieroth, Verfassungsgeschichte, Rn. 45 haben sich in diesem Urteil die Erfahrungen niedergeschlagen, welche die vormalige Kolonie der Vereinigten Staaten mit dem Mutterland England gemacht hatte, nämlich, dass auch Parlamente Unrecht tun können: „It is emphatically the province and the duty of the judicial department to say what the law is. Those who apply the rule to particular cases, must of necessity expound and interpret that rule. If two laws conflict whith each other, the courts must decide on the operation of each. So if a law be in opposition to the constitution; if both the law and the constitution apply to a particular case, so that the court must either decide that case comfortably to the law, disregarding the constitution; or comfortably to the consitution, disregarding to the law; the court must determine which of these conflicting rules governs the case. This is of the very essence of judicial duty. If then the courts are to regard the constitution; and the constitution is superior to any ordinary act of the legislature, the constitution, and not such ordinary act, must govern the case to which they both apply“. 218 Vgl. die Nachweise und die Aufstellung der von beiden Seiten vorgetragenen Argumente bei Hans Peter Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, S. 111 (115ff.), der sich allerdings selbst deutlich für eine Übertragung des Willkürverbotes in das deutsche Recht ausspricht: „Rechtsgleichheit materiell-sachlicher Art heißt die Forderung, Bindung auch des Gesetzgebers selbst mit Hilfe richterlicher Prüfung des Parlamentsaktes am Maßstab der Gleichheit im Sinne materialer Gerechtigkeit die Rezeptur. Die in den Vereinigten Staaten beobachteten Erfahrungen scheinen zu ermutigen, das Beispiel der nicht nur räumlich benachbarten Schweiz gilt als nachahmenswert“. 219 Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 29. 220 Bereits in seinen ersten Urteil im Jahre 1951 stellt das Bundesverfassungsgericht bei der Auslegung des Gleichheitssatzes auf das Willkürverbot ab, BVerfGE 1, 14 (52): „Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich

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c) Herleitung und Inhalt Das Willkürverbot hat nach überlieferter Dogmatik zwei Standbeine: den Gleichheitssatz sowie das Rechtsstaatsprinzip 221. „Die Unverbrüchlichkeit des Rechts bindet alle Rechtsunterworfenen, verlangt ausnahmslose Befolgung, sichert die Gleichheit aller Menschen vor dem Recht. Die Gleichheit vor dem Gesetz ist deshalb nicht nur ein Grundrecht, sondern auch Geltungsbedingung des Rechtsstaates“ 222. Die gedankliche Vorarbeit für den Durchbruch des Willkürverbotes im deutschen Recht als Bestandteil des allgemeinen Gleichheitssatzes leisteten Heinrich Triepel in seinem Gutachten Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien von 1924 sowie Gerhard Leibholz in seiner 1925 erschienenen Dissertation Die Gleichheit vor dem Gesetz, die insbesondere zwei wesentliche Punkte für die Grundrechtsdogmatik herausarbeiteten: Zum einen ist hier die Bindung des Gesetzgebers an die Grundrechte zu nennen, andererseits die Erarbeitung von Kriterien, die geeignet erscheinen, diese gesetzgeberische Grundrechtsbindung handhaben zu können, da die herkömmliche Rechtsanwendungsgleichheit nicht auf den mit ausgeprägtem Gestaltungsermessen ausgestatteten Gesetzgeber passte. Die Erkenntnis, dass der Gleichheitssatz und die anderen Grundrechte nicht nur Verwaltung und Gerichte binden, sondern auch den Gesetzgeber, der Bürger mithin die Grundrechte nicht ausschließlich aus der Hand des Parlaments „empfängt“, so der herrschende Gedanke im Konstitutionalismus, dieses Parlament vielmehr auch einer Grundrechtsbindung unterliegen musste, war zur Zeit der Weimarer Republik eine bemerkenswerte wissenschaftliche Leistung. Sollte der Gleichheitssatz für den Gesetzgeber gelten, so musste die „Neue Lehre“ unter Führung von Gerhard Leibholz den Inhalt des Gleichheitssatzes im Sinne des Willkürverbotes neu definieren 223. Der Gedankengang von Gerhard Leibholz ist hier von besonderer Bedeutung, da das Bundesverfassungsgericht das Willkürverbot im Rahmen des Gleichheitssatzes vollumfänglich anerkennt 224. bezeichnet werden muss“; vgl. auch Hans Peter Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/ Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, S. 111 (116f.): „Er ist in erster Linie ein Kampf der Theorie gewesen. Die Rechtsprechung hat bis 1933, als er Ziel und Richtung verlieren musste, in ihm mit praktischer Auswirkung kaum mehr Stellung bezogen“. 221 Vgl. BVerfGE 55, 72 (89f.); 78, 232 (248), st. Rspr.; zur Gegenmeinung, die nur das Rechtsstaatsprinzip heranziehen will, vgl. Manfred Gubelt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 3, Rn. 12 m. w. N.; vgl. zur Entstehungsgeschichte des Rechtsstaatsprinzips, Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, S. 141. 222 Paul Kirchhof, Geiger-FS, S. 82 (82). 223 Ebenso: Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 29; Wolfgang Rüfner in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 16. 224 St. Rspr. seit BVerfGE 1, 14 (52); vgl. auch Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 102.

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Seinen Ursprung nahm das Willkürverbot im Hinblick auf Art. 109 Abs. 1 WRV im oben genannten Rechtsgutachten Heinrich Triepels: „Der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz bedeutet die Forderung, dass die einzelnen Rechtssätze alles als gleich zu behandeln haben, was ungleich zu behandeln Willkür bedeuten, d. h. auf dem Mangel einer ernsthaften Erwägung beruhen würde. Das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz wird durch Unterscheidungen verletzt, für welche sich entweder kein oder doch kein bei vernünftig und gerecht denkenden Menschen verfangender Grund anführen lässt“ 225. Ausgebaut wurde das Willkürverbot in der Dissertation von Gerhard Leibholz. Er befasst sich zunächst in seiner Schrift mit der Frage, welche staatlichen Gewalten durch Art. 109 WRV verpflichtet werden. Hierbei verwirft er die Beschränkung des allgemeinen Gleichheitssatzes auf Verwaltung und Gerichte als „gegenwärtig nicht mehr berechtigt“ und befürwortet eine Ausdehnung auf den Gesetzgeber. Er beruft sich für seine These auf die Entstehungsgeschichte der Grundrechte, die das Individuum nicht nur gegen Willkürakte der Verwaltung, sondern auch gegen solche des Gesetzgebers schützen sollten. So vergleicht er etwa Art. 109 WRV mit Art. 110 Abs. 2 WRV, der die landesfremden Reichsangehörigen den Einheimischen gleichstellte, mit Art. 129 Abs. 1 WRV, welcher den Beamten ihre wohlerworbenen Rechte garantierte und mit Art. 153 WRV, der eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit erlaubte. Diese richteten sich alle nicht nur an die Verwaltung, sondern auch an den Gesetzgeber. Daneben beruft er sich auf den Wortlaut der Norm. Der älteren Lehre wirft er vor, sie deute „vor dem Gesetz“ in „angesichts“ des Gesetzes um. Das Wort „vor“ verlange aber auch die Bindung des Gesetzgebers durch die „Normesnorm“, die Verfassung. Die Bestätigung, den Gleichheitssatz auch im Sinne einer Bindung des Gesetzgebers verstehen zu dürfen, findet Gerhard Leibholz in der außerdeutschen Literatur und Rechtsprechung, insbesondere in derjenigen der Vereinigten Staaten und der Schweiz, „die durch ihre bundesstaatliche Organisation eine gewisse Verwandtschaft mit der des Deutschen Reiches aufweisen“ und in denen die Rechtsprechung über die Einhaltung des Gleichheitssatzes durch den Gesetzgeber wache 226. Bezüglich des Willkürverbotes, das er als geeignetes Kriterium zur Bindung des Gesetzgebers an den Gleichheitssatz ansieht, stützt sich Gerhard Leibholz insbesondere auf zwei Argumentationslinien: Zum einen zieht er rechtsphilosophische Argumente heran, in Form der Rezeption der von Rudolf Stammler begründeten und von Walter Burckhardt in das Schweizer Recht übertragenen „Lehre von dem richtigen Rechte“ 227, zum anderen benutzt er rechtsvergleichende

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Heinrich Triepel, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, S. 30. Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 34ff.; ebenso: Heinrich Triepel, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, S. 30ff. 227 Rudolf Stammler, Die Lehre vom richtigen Rechte. 226

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Argumente, insbesondere führt er die Vereinigten Staaten sowie die Schweiz an, deren Obergerichte beide den Gleichheitssatz als Willkürverbot verstanden 228. Dabei geht er folgendermaßen vor: Zunächst diskutiert er einige vertretene Interpretationen des Gleichheitssatzes und lehnt diese allesamt ab 229. Sodann stellt er diesen Begriffen seine eigene Auslegung entgegen. Er vertritt die These, dass unter Gleichheit immer nur „verhältnismäßige Gleichheit“ 230 oder „Gleichheit in diesem relativierten Sinne“ 231 verstanden werden könne. Wann jedoch letztlich etwas gleich oder ungleich behandelt werden müsse, wann etwas wesentlich gleich oder ungleich sei, lasse sich nicht aus dem Gleichheitssatz entnehmen 232. Vielmehr sei diese Wertung in der Rechtsordnung angelegt, wie er im Kapitel „Rechtsidee und Rechtsbegriff“ beschreibt, und zwar in deren Bindung an die „Gerechtigkeit als eine Idee, die absolute Geltung beansprucht“ 233. Allerdings könne der Gerechtigkeitsbegriff niemals abschließend definiert werden, da er in einem stetigen Wandel begriffen sei 234; eine Prüfung des Gleichheitssatzes könne deshalb auch niemals „positiv“ mit dem Gerechtigkeitsbegriff argumentieren, sondern müsse immer „negativ“ anhand des „gegensätzlichen Korrelatbegriff[s] von Gerechtigkeit“ und dessen „radikale[r] und absolute[r] Verneinung“, mithin anhand der Willkürprüfung, festgestellt werden 235. Dabei erkennt auch Gerhard Leibholz an, dass „der Willkürbegriff selbst [ . . . ] materiell eindeutig nicht bestimmbar und formal durch ein Kriterium nicht abzu-

228 Ebenso: Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 102ff., der aber beiden Begründungssträngen kritisch gegenübersteht. 229 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 38ff. 230 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 45. 231 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 47. 232 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 45ff., insbesondere S. 48: „Mit derartigen Redewendungen ist das Problem aber nicht gelöst, sondern nur angeschnitten, weil die Frage gerade ist, wann und unter welchen Voraussetzungen die Verschiedenheiten als rechtlich relevant, wesentlich usw. bezeichnet werden können und wann nicht“. Ebenso auch S. 53: „Was nach den bisherigen Ausführungen im Mittelpunkt der Untersuchung stehen muss, ist die Gewinnung des materiellen Gehaltes des Gleichheitsbegriffes“. 233 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 53ff., insbesondere S. 54. 234 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 56ff., insbesondere S. 56: „Ein nicht formaler Gerechtigkeitsbegriff, also ein Begriff, der in die Definition selbst einen bestimmten Inhalt oder einen konkreten Zweck aufnimmt, muss notwendig seine Allgemeingültigkeit preisgeben. Denn eine inhaltliche Zweckbestimmung kann durch seine Abhängigkeit von den äußeren Verhältnissen immer nur eine relative Geltung beanspruchen, und selbst wenn man sich mit dieser Tatsache abfinden wollte, so wird doch die Diskussion über die Berechtigung des Gemeinzweckes, der in den Gerechtigkeitsbegriff zu rezipieren ist, infolge der Verschiedenheit der für maßgeblich erachteten Wertmaßstäbe nie zu einer Einigung und zu einem wirklich befriedigendem Ergebnis führen“. 235 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 72ff.

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grenzen“ sei 236, allerdings sei über den Begriff der Willkür weit „eher Einigkeit zu erzielen als über die Gerechtigkeit eines staatlichen Akts“ 237. Als Definition für „willkürliches Recht“, das sich nur im Grad, also quantitativ, vom „unrichtigen Recht“ unterscheide, schlägt er vor, „dass für den staatlichen Akt (Rechtssatz, Urteil, Verwaltungsakt) schlechterdings überhaupt kein oder doch jedenfalls nur ein in der Hauptsache unvernünftiger Grund angeführt werden kann“ 238. Inhaltlich bezeichnete Gerhard Leibholz Willkür als eine graduell gesteigerte Unrichtigkeit, die zwar rechtslogisch nicht nachvollzogen werden könne, da es nur Recht und Unrecht gebe 239, die er aber aus „praktischen Erwägungen“ und „Zweckmäßigkeitserwägungen“ rechtfertigen will 240. Darüber hinaus stellt er klar, dass „naturgemäß [ . . . ] der Spielraum des freien Ermessens für den Gesetzgeber ein erheblich größerer als für die Justiz und Verwaltung“ ist und „demgemäß [ . . . ] die Möglichkeit eines willkürlichen Verhaltens 236 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 87, ähnlich S. 73: „Weiter folgt daraus, dass der Willkürbegriff ebenso wenig wie der der Gerechtigkeit [ . . . ] in eine material gebundene Definition gepresst werden kann“. 237 Fabian von Lindeiner, Willkür im Rechtsstaat?, S. 91. 238 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 87. 239 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 76: „Es kann sich also somit nur um einen rein quantitativen Unterschied, um Grade der Fehlerhaftigkeit, handeln. In diesem Sinne kann man aber nun zwischen den einzelnen Sätzen unterscheiden, zwischen solchen, die zwar sachlich, wenn auch unrichtig begründet sind und denen, die sich überhaupt nicht rechtfertigen lassen. Ersteres wäre etwa der Fall, wenn die Norm sich infolge ihrer zu weiten Fassung auf Tatbestände erstreckt, die infolge ihrer Verschiedenheit nicht gleichbehandelt werden dürfen oder wenn umgekehrt infolge der zu engen Fassung Fälle durch die Norm nicht getroffen werden, die an sich der gleichen Bewertung unterliegen sollten; eine solche Feststellung hat stets nur rechtspolitische Bedeutung. Wenn sich andererseits ein vernünftiger Grund für das in der Norm für maßgeblich erachtete Kriterium überhaupt nicht finden lässt, wenn der vom Rechtssatz normierte Tatbestand mit der an denselben geknüpften Rechtsfolge schlechthin unvereinbar ist, wenn überhaupt kein innerer Zusammenhang zwischen der getroffenen Bestimmung und zwischen dem durch dieselbe erstrebten Zweck besteht, oder wenn ein solcher zwar besteht, aber in einem völlig unzulänglichen Verhältnis, so kann man diese Norm als willkürlich charakterisieren“. 240 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 77: „In Erkenntnis der Unvollkommenheit aller menschlichen Institutionen muss auf die Erfüllung des Verlangens, die Rechtsidee jeweils ganz in der Rechtsordnung erfassen zu wollen, Verzicht geleistet, kann andererseits aber auch nicht den neuerdings durch die Freirechtsschule wieder belebten Forderungen beigepflichtet werden, die in der Wahrung der Rechtsidee dem Richter die Befugnis, den Gesetzesbefehl abzuändern, zuschreiben wollen. Denn damit würden nicht zu entbehrende Imponderabilien des staatlichen Lebens wie die Rechtssicherheit und die Notwendigkeit eines festen, einheitlichen Rechtsgefüges preisgegeben werden. Das Rechtsbewusstsein ist nämlich trotz seiner lebendigen Einheit vielfach, rein erkenntnistheoretisch gesehen, nicht mit der genügenden Sicherheit zu ermitteln, zumal in der Gegenwart, wo das einheitliche Rechtsbewusstsein durch Partei-, Klassenbindungen usw. oft verdunkelt wird, und nur in einzelnen Fällen, vor allem eben bei Willkürakten, in voller Klarheit nach außen hin in Erscheinung tritt“.

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bei der Legislative näher im Bereich der Wahrscheinlichkeit als bei der Rechtsanwendung“ liegt. Wegen dieses vergrößerten Spielraums müsse die Willkür des Gesetzgebers allgemein beantwortet werden: „Es muss der Maßnahme unter objektiver Würdigung aller Umstände im Widerspruch zu unserem Rechtsbewusstsein ein objektiv entschließbares Motiv zugrunde liegen, dem Maßgeblichkeit für die Determinierung des Gesetzgebers im konkreten Fall nicht eingeräumt ist“ 241. Gerhard Leibholz hatte den rechtsstaatlichen Bezug des Gleichheitssatzes erkannt und formuliert: „Dieses Verbot der Willkür bedeutet nichts anderes als die Bindung der Verfassung an die Rechtsidee und damit die Einführung eines nicht formalen Elementes in den damit erst zu Ende gedachten Rechtsstaatsgedanken“ 242. Dieser rechtsstaatliche Bezug führt dazu, dass das Willkürverbot in seiner jetzigen Definition die Möglichkeit eröffnet, beliebige (willkürliche) Fehler, gleich ob mit oder ohne Bezug auf Vergleichsfälle zu rügen 243. So verwundert es nicht, dass „mit dem Aufschwung ‚materieller‘ Rechtsstaatskonzeptionen“ das Rechtsstaatsprinzip „zum Garanten materieller Gleichheit“ und „zum Schutzschild gegen ‚Willkür‘“ wurde, nachdem in der dem „formellen Rechtstaatsdenken“ verhafteten vorkonstitutionellen Zeit die These vertreten wurde, der Rechtsstaat fordere eine „formale Gleichheit“ 244. Das Willkürverbot hebt somit die Rechtsfrage aus dem Bereich des einfachen Rechts und verallgemeinert sie zu einer Gerechtigkeitswertung, zumindest in elementaren rechtsstaatlichen Anforderungen; diese Verallgemeinerung macht den Gleichheitssatz in Form des Willkürverbotes zu einer „anpassungsfähigen, wertungsoffenen Generalklausel“, zu einem allgemeinen „Gerechtigkeitspostulat“ 245, das nicht mehr die Durchsetzungskraft hat wie im Konkreten, sondern eher eine Rolle als Feinabstimmung, als Gerechtigkeitsreserve, speziell für den Gesetzgeber einnimmt. Das Willkürverbot bringt den allgemeinen Gleichheitssatz funktionenspezifisch zur Geltung, d. h. für die Gesetzgebung gilt er als Gestaltungsgleichheit, für die Rechtsprechung als Kontrollgleichheit. Diese Verallgemeinerung des Gleichheitssatzes führt dazu, dass die Gleichheit aller vor dem Gesetz „in den Mittelpunkt des Rechtsstaatsprinzip gerückt und dort als Gerechtigkeitswertung entfaltet wird“ 246. So wird denn im Anschluss an Gerhard Leibholz konstatiert, in dem auf dem Menschenwürdeprinzip basierenden Gleichheitssatz stecke in

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Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 98. Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 72. 243 Wolfgang Rüfner in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 24. 244 Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 303. 245 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 82, 237. 246 Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (134). 242

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Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip die „Idee der Gerechtigkeit“ 247. Dies stößt allerdings auch auf Widerstand. So formulierte Willi Geiger, insbesondere bezüglich der Tatsache, dass der Gleichheitssatz zwar Teilaspekte des Rechtsstaatsprinzips aufgreift, dieses aber nicht erschöpft, dennoch bei willkürlichen Maßnahmen immer herangezogen wird, durchaus kritisch in einem Sondervotum folgendermaßen: „Wo nur die Überlegung durchgreift, ‚so wie in diesem Fall, darf niemals von Rechts wegen gehandelt werden; deshalb ist dieses Ergebnis in jedem Fall unerträglich‘, mag man im allgemeinen Sprachgebrauch ebenfalls von ‚Willkür‘ reden, im Rechtssinn ergibt sich aber die Verfassungswidrigkeit nicht aus Art. 3 GG, sondern aus einer anderen Verfassungsvorschrift oder im System der Verfassung möglicherweise am Ende mangels einer ausdrücklichen spezielleren Regelung aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG), das u. a. auch in Art. 3 GG eine wichtige, aber nur begrenzte Ausprägung oder Konkretisierung erfährt. Denn gerecht ist nicht nur, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Ungleichheit verschieden zu behandeln; gerecht ist auch, kriminelles Unrecht zu bestrafen, für schuldhaft verursachten Schaden Ersatz leisten zu müssen, vertragliche Verpflichtungen erfüllen zu müssen, erarbeitetes Eigentum nicht entschädigungslos opfern zu müssen, usw. usf.“ 248. Dieses Sondervotum wendet sich nicht nur gegen die Verbindung des Gleichheitssatzes mit der Idee der Gerechtigkeit, sondern ebenso gegen die Gleichsetzung des Gleichheitssatzes mit einem rechtsstaatlichen Willkürverbot. So findet sich in dieser Argumentation auch generell Kritik an der Erweiterung des Gleichheitssatzes auf ein allgemeines Willkürverbot, bei dessen Anwendung Vergleichspaare keine notwendige Rolle mehr spielen. Die Gleichheitsprüfung sei bei einer Erweiterung auf ein allgemeines Willkürverbot keine Gleichheitsprüfung im eigentlichen Sinne des Wortes mehr. Auch fordere der Gleichheitssatz keine von Vergleichspaaren unabhängige Willkürprüfung; andere Formen der Willkürprüfung seien ohne „Umweg“ über Art. 3 Abs. 1 GG möglich. Willkürliche staatliche Maßnahmen könnten über die jeweiligen betroffenen Grundrechte, zumindest über Art. 2 Abs. 1 GG gerügt werden. Diese Anbindung an einzelne Grundrechte könnte auch die Entstehung eines von einer allgemeinen Willkürprüfung geförderten „Subsumtionsbreis“ verhindern 249. Dennoch wird man nicht umhin können, im Gleichheitssatz wichtige Elemente des Rechtsstaatsgedankens verankert zu sehen 250. „Die Herrschaft des Rechts setzt 247

Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, S. 1495. So das Sondervotum von Willi Geiger in: BVerfGE 42, 79 (81f.). 249 Vgl. nur die Kritik bei Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 364. 250 A. A. Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 481ff., der dem Rechtsstaatsprinzip nur insoweit Geltungskraft zukommen lassen will, wie es in der Verfassung positiv normiert 248

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voraus, dass das Recht unverbrüchlich für jedermann gilt, gegenüber jedermann gleich angewandt wird und inhaltlich die Gleichheit in Würde und Freiheit achtet. In dieser Gewährleistung unveräußerlicher Inhalte des Rechtsstaatsprinzips wahrt der Gleichheitssatz Bedingungen moderner Verfassungsstaatlichkeit“ 251. Die „Idee der Gerechtigkeit“ ist dem Willkürverbot inhärent 252. Hierbei ist zu beachten, dass sich die Gerechtigkeit aus dem Bereich des Rechtsempfindens und des überpositiven Rechts gelöst hat und durch die Erkenntnis, dass diese konkretisierungsbedürftig und damit menschlicher Rechtsetzung zugänglich ist, Eingang in die Sphäre des positiven Rechts gefunden hat 253. Bereits das Bundesverfassungsgericht hatte das Willkürverbot als Prinzip der „allgemeinen Gerechtigkeit“ 254 und Teil des „objektiven Gerechtigkeitsprinzips“ 255 charakterisiert, welches in der Verknüpfung mit dem Rechtsstaatsprinzip alle Elemente des Rechtslebens durchdringe. Besonders bemerkenswert ist, dass das Gericht diese Formulierungen herangezogen hat, um die Geltung des Willkürverbotes nicht nur im grundrechtlichen Bereich zu begründen, sondern dieses in den hoheitlichen Bereich des Staatsorganisationsrechtes zu übertragen 256. Nach Auffassung von Gerhard Robbers ist dieser Rückgriff des Bundesverfassungsgerichts auf die Gerechtigkeit notwendig, weil es zwar die Grundrechte als objektives Wertesystem auffasse, dieses jedoch nicht auf Personen des öffentlichen Rechts übertrage, da dies die „eigentliche Bedeutung der Grundrechte eher verwischen und ihre Schutzwirkung verwässern könnte“. Aus diesem Grunde könne das Willkürverbot nicht aus dem Wertesystem der Grundrechte gefolgert werden, sondern in „Abgrenzung dazu aus dem Prinzip ist. Vgl. auch S. 302ff.: Dort bezeichnet er die Reduzierung des Rechtsstaatsprinzips auf die Verhinderung von Willkür als „konsequent“. Trotz des gewaltigen argumentativen Aufwandes, das Rechtsstaatsprinzip in allen Bereichen des Verfassungsrechts einzusetzen, bleibe am Ende nur eine vor Willkür schützende Generalklausel. „Die Aufstellung der Gleichung ‚Rechtsstaatlichkeit‘ gleich ‚Ausschluss von Willkür‘“ werde dadurch begünstigt, dass der Rechtsstaatsbegriff ebenso wie derjenige der Willkür „zeitlich und örtlich“ bedingt und damit wandelbar sei. Dieses Denken führe das Rechtsstaatsprinzip mit dem „Aufschwung ‚materieller‘ Rechtsstaatskonzeptionen“ zum „Garanten materieller Gleichheit und zum Schutzschild gegen ‚Willkür‘“. Diese Gleichsetzung trage nicht zur Problemlösung bei und bringe „keinen Gewinn an juristischer Präzision mit sich“, öffne „sich eher noch weiteren Leerformeln“. 251 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 150. 252 Vgl. nur Reinhold Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7 (11, 23f., 27): Art. 3 Abs. 1 GG als „Verpflichtung zur Gerechtigkeit“; ebenso Wolfgang Rüfner in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 3f. 253 Gerhard Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 38. 254 BVerfGE 23, 12 (24). 255 BVerfGE 21, 362 (372); 23, 353 (372f.). 256 So schon: Gerhard Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 40.

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der allgemeinen Gerechtigkeit“, die nicht mehr Teil des grundrechtlichen Wertesystems sei, sondern diesem vorausliege. Andererseits komme das Gericht an anderer Stelle gut ohne den Bezug auf die Gerechtigkeit aus, indem es sich bezüglich der Geltung des Gleichheitssatzes im Rahmen des hoheitlichen Staatsaufbaus auf einen „ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz“ berufe. Gerhard Robbers hält dabei die zweite Variante für überzeugender, da dies zu einer Legitimation aus dem Verfassungstext führe und nicht durch Berufung auf die Gerechtigkeit das gewünschte Ergebnis „eher nur behaupte“. Hier werde ein unausgetragener Gegensatz zweier Grundrechtstheorien deutlich: zum einen verstehe das Gericht die Grundrechte als Wertesystem, andererseits wolle es die Grundrechte strikt dem Staat-Bürger-Verhältnis zuordnen und auf dieses beschränken. Diesen Streit trage das Gericht nicht aus, sondern weiche auf die Argumentation mit der Gerechtigkeit aus, folge aber indirekt und unausgesprochen der Auffassung der Grundrechte als Werteordnung. Die Bezugnahme auf die Gerechtigkeit diene dem Gericht daher als salvatorische Klausel, die eine Entscheidung entbehrlich mache und dem Gericht alle Entscheidungsmöglichkeiten belasse 257. Zuzustimmen ist Gerhard Robbers insoweit, als er konstatiert, dass das Bundesverfassungsgericht die Grundrechte und den Gleichheitssatz nicht direkt in den staatsorganisationsrechtlichen Bereich überträgt. Ein solches wäre denn auch das vielzitierte „etatistische Schelmenstück“. Der Staat ist Grundrechtsverpflichteter und kann nicht gleichzeitig Grundrechtsberechtigter sein (Konfusionsargument) 258. Aus diesem Grunde scheint es nicht abwegig, dass das Gericht hier mit dem Rechtsstaatsprinzip und der Gerechtigkeit argumentiert, denn auch eine objektive grundrechtliche Werteordnung vermag den Gleichheitssatz nicht in das hoheitliche Verhältnis hineinzutragen. Auch für eine Vorstellung der Grundrechte als Werteordnung ist ein gewisses „Außenverhältnis“ Voraussetzung. Recht hat Gerhard Robbers auch damit, dass die Berufung auf die Gerechtigkeit zur rationalen Begründung dieses Ergebnisses, nämlich der Geltung des Gleichheitssatzes im staatsinternen Bereich nur wenig beitragen kann, da die Beurteilung einer Sache als gerecht natürlich unterschiedlichen Ansichten unterliegt. Allerdings erkennt auch er an, dass das Bundesverfassungsgericht mit einem solchen Verständnis der Verfassung deren wesentliche Teile als richtig oder gerecht ansieht 259 und deshalb den Gleichheitssatz im hoheitlichen Bereich als Willkürverbot zurecht auf Rechtsstaatsprinzip und Gerechtigkeit stützt. Ein umfassendes (auf der Rechtsstaatlichkeit basierendes) Gerechtigkeitsgebot ist durchaus in der Lage, grobes Unrecht zurückzuweisen. Zwar ist die Forderung 257

Gerhard Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 40f.; BVerfGE 21, 362 (372). Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 699; vgl. nur Norbert Achterberg, Die Rechtsordnung als Rechtsverhältnisordnung, S. 128. 259 Gerhard Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 42. 258

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nach Gerechtigkeit nach wie vor Bestandteil der geschriebenen Verfassung, fügt dieser jedoch ein (im positiven Recht nur anklingendes) Element hinzu, nämlich die Forderung nach (materieller) Gerechtigkeit 260. Immerhin war die Verknüpfung des 260 Vgl. auch Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 242. Anders sieht dies Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 335ff., der ein eigenständiges Rechtsstaatsprinzip ablehnt und nur die geschriebene Verfassung zur Begründung des Willkürverbotes gelten lassen will. Er konstatiert folgendes: Die Grundrechtsordnung stelle nicht nur Abwehrrechte gegen die staatliche Gewalt zur Verfügung, sondern gebe als objektive Wertordnung zugleich allem staatlichen Handeln programmatische Impulse und habe deshalb die Verwirklichung materieller Gerechtigkeit zum Ziel. Ein generelles Gebot materieller Gerechtigkeit könne somit nur noch dann aus dem Rechtsstaatsprinzip folgen, wenn „die Grundrechte zwar ein lückenloses Gerechtigkeitsbild“ zeichneten, aber das Grundgesetz darüber hinaus noch ein erweitertes „fassbares Bild von Gerechtigkeit“ enthielten. Angesichts der „Vielfalt konkurrierender Gerechtigkeitsideen“, vor allem in der Philosophie, sei die zweite Voraussetzung unerfüllbar. Auch die erste bleibe unerfüllt, da die Grundrechte (in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip) abschließend die „materielle Gerechtigkeit“ der Verfassung festlegten. Diese gerechtigkeitsprägende Eigenschaft der Grundrechte sei besonders ausgeprägt in Begriffen, die sich „elastischen, einströmenden Werten“ öffneten. Dies seien insbesondere der Würdebegriff des Art. 1 Abs. 1 GG, der Persönlichkeitsschutz des Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 2 Abs. 1 GG sowie der eine Schlüsselrolle einnehmende Willkürbegriff des Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser sei zwar nicht ausdrücklich in Art. 3 Abs. 1 GG enthalten, aber doch in jenen hineinzulesen. Dennoch akzeptiert Philip Kunig das Willkürverbot als Generalklausel des Gleichheitssatzes, wie es von Gerhard Leibholz herausgearbeitet wurde. Allerdings stelle „die Elastizität des Willkürbegriffs [ . . . ] einer plausiblen Anwendung im Einzelfall wenig Hindernisse in den Weg [ . . . ]“. Doch biete der Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG mit seiner „auf wertendes Vergleichen angelegten Prozedur“ einen klareren Maßstab „als das Anlegen des schlichten Gerechtigkeitsmaßstabs, wie ihn das Rechtsstaatsprinzip fordern soll“. So schließt Philip Kunig seine Ausführungen zur materiellen Gerechtigkeit folgendermaßen: „Wenn also das Willkürverbot ein – begrenztes – Gerechtigkeitsgebot ist, dann spricht – zumal in Anbetracht der einzelnen Freiheitsgrundrechte als punktueller Gerechtigkeitsverbürgungen – alles dafür, eine abschließende Regelung anzunehmen und dem Rechtsstaatsprinzip erneut einen allgemeinen Anwendungsbereich zu bestreiten. Andernfalls träte im übrigen neben die Generalklausel Willkürverbot eine weitere, noch vagere Generalklausel; beides zusammen böte zur Relativierung jedweden einfachen Rechts nach den Gerechtigkeitsvorstellungen des Rechtsanwenders die Handhabe“. Ob man nun das Willkürverbot direkt aus Art. 3 Abs. 1 GG ableitet oder den Weg über das Rechtsstaatsprinzip wählt, macht jedoch m. E. im Ergebnis keinen Unterschied. Das Willkürverbot bleibt gegensätzlicher Korrelatbegriff zur Gerechtigkeit und muss deshalb an den zeitlich und örtlich bedingten Wertvorstellungen der Gemeinschaft festgemacht werden. Dies geschieht im Begriff der Willkür, dessen Inhalt sich nicht ändert, gleich, ob man ihn aus Art. 3 Abs. 1 GG oder dem Rechtsstaat gewinnt. Mir erscheint es jedoch ehrlicher, das Willkürverbot, welches die gesamte Verfassung durchzieht, nicht ausschließlich in Art. 3 Abs. 1 GG zu verankern, sondern ihm auch eine Stütze im Rechtsstaatsprinzip zu gewähren, da dies deutlicher zum Ausdruck bringt, dass das Willkürverbot die gesamte Verfassung durchzieht und nicht auf die Grundrechte beschränkt ist. Eine Geltendmachung über Art. 3 Abs. 1 GG bleibt hiervon natürlich unberührt.

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Gleichheitssatzes mit der Gerechtigkeit schon Aristoteles 261 ein Anliegen und zieht sich durch die Geschichte 262. Durch diese Argumentation mit der Gerechtigkeit ändert das Gericht den Inhalt des Art. 3 Abs. 1 GG nicht, sondern erweitert dessen Anwendungsbereich. Diese Argumentation soll nicht auf einen Maßstab außerhalb der Verfassung verweisen, sondern vielmehr die Wertungen ihrer Normierungen und Grundprinzipien, etwa des Rechtsstaatsprinzips, in diese einbeziehen 263. Mit dieser Bindung des Willkürverbotes als fundamentales Rechtsprinzip an das Rechtsstaatsprinzip 264 begründet das Bundesverfassungsgericht dessen Funktion Da Philip Kunig eine Ableitung des Willkürverbotes aus dem Rechtsstaatsprinzip ablehnt, kann er auch den föderativen Gleichheitssatz nicht über ein rechtsstaatliches Willkürverbot herleiten, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 312ff. 261 Aristoteles, Politik, übersetzt von Franz F. Schwarz, Stuttgart 1989, 1280a: „So scheint auch das Gleiche gerecht zu sein und ist es sogar, aber nicht unter allen, sondern nur unter Gleichen“. 262 Vgl. hierzu: Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 48ff. 263 Gerhard Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 42. 264 Vgl. Wolfgang Rüfner, BK, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 23; den Rechtsstaatsgedanken betont auch Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 254, der das Verbot der Willkür in ein Objektivitätsgebot des Staates wendet, um den rechtsstaatlichen Bezug deutlicher hervorzuheben: „Dieses Objektivitätsgebot kennzeichnet die äußerste Notwehrlinie des Rechtsstaates gegenüber einer staatlichen Gewalt, die bei der Setzung und Verwirklichung des Rechts rechtsstaatliche Mindestanforderungen so deutlich verfehlt und sich damit von ihrer Rechtsbindung so weit entfernt, dass ihr Handeln die Qualität rechtsstaatlichen Wirkens verliert. Das Objektivitätsgebot korrigiert den Gesetzgeber, wenn er schlechthin unvertretbare, dem Gleichmaß entgegenlaufende Gleichstellungen oder Unterscheidungen trifft“. Gleichzeitig soll es dem Gesetzgeber helfen, die graduelle Unterscheidung von „lediglich unrichtigem Recht“ und die Verletzung von rechtsstaatlich erheblichem Verfassungsrecht besser durchführen zu können. Durch diese Hinwendung vom (negativen) Willkürverbot zu einem (positiven) Objektivitätsgebot kann das eher unscharfe rechtsstaatliche Willkürverbot handhabbarer gemacht werden. Das Objektivitätsgebot gibt stärker als das Willkürverbot einen rechtlichen Rahmen vor, innerhalb dessen sich die staatliche Gewalt bewegen muss. Die Unterscheidung zwischen „lediglich unrichtigem Recht“ und zu ahndendem Verfassungsverstoß wird durch den Rahmen des Objektivitätsgebots trennschärfer umschrieben: „Das Objektivitätsgebot verdeutlicht den Tatbestand der verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Staatsentscheidungen im Geltungsgrund des Rechtsstaatsprinzips und seiner verfassungsgesetzlichen Ausprägungen, gibt ihm damit mehr Positivität, schwächt aber zugleich seine Rechtsfolgen ab, weil es dem Gerechtigkeitsprinzip das ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde, gleichrangige Prinzip der Rechtssicherheit entgegenstellt. Die praktischen Konsequenzen werden vor allem sichtbar, wenn die bloße Fehlanwendung eines Gesetzes von der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts abzugrenzen ist“ (Rn. 245). Und er führt weiter aus: „Das aus dem Gleichheitssatz entwickelte Objektivitätsgebot wendet sich somit gegen das von rechtlichen Vorgaben und rechtsstaatlichen Vorgaben gelöste Staatshandeln, gegen die elementare Verletzung des gleiche Geltung beanspruchenden Rechts, gegen eine die Verfasstheit des Staates gefährdende Abwendung vom Recht und damit von der Gleichheit vor dem Gesetz, gegen den drohenden Verlust

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zur Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit und zur Abwehr gemeinschädlicher Regelungen auch dort, wo die klassische Konstellation des Vergleichens nicht gegeben ist 265. Das Willkürverbot ist als objektives Gerechtigkeitsprinzip sowohl im Gleichheitssatz als auch im Rechtsstaatsprinzip verankert. Der Gleichheitssatz beruht somit auf dem Gedanken der Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeitsidee ist jedoch nicht rational formulierbar; die Gerechtigkeit ist auf die der jeweiligen Rechtsordnung zugrundeliegenden Gedanken zugeschnitten, ist „mit dem Leben selbst in unauflöslicher Einheit verbunden und durch diese Stoffbezogenheit in steter Entwicklung begriffen“, mithin zeitlich und örtlich bedingt 266. Die Gerechtigkeit ist wandelbar und nur im Rechtsideal in reiner Form zu erhalten 267. Die Rechtsordnung wiederum ist darauf angewiesen, dass sich die Normadressaten an sie gebunden, sich ihr verpflichtet fühlen. Hieraus gewinnt sie ihre Geltungskraft. Ein (im Sinne der Gerechtigkeit durchaus wandelbares) Rechtsbewusstsein kann, ebenso wie ein Rechtsbindungsbewusstsein und eine gemeinvon rechtsstaatlicher Identität. In dem Vorwurf, das Objektivitätsgebot verletzt zu haben, klingt die Besorgnis um die Geltungs- und Gestaltungskraft der Staatsverfassung mit. Dem Rechtsstaat ist verfassungsrechtliches Unrecht unterlaufen, wenn staatliches Handeln nicht nur einen Rechtsfehler begangen hat, sondern aus der Gebundenheit an das Recht und dementsprechend der Gleichheit des Betroffenen vor dem Recht herausgetreten ist. Das Objektivitätsgebot fördert die Sensibilität für die Unterscheidung zwischen Rechtsanwendungsfehler und Rechtsbruch, zwischen der durch die Fachgerichtsbarkeit zu gewährleistenden Rechtsanwendungsgleichheit und der dem Bundesverfassungsgericht aufgegebenen Kontrolle der Verfassungsverletzung“ (Rn. 255). Das Objektivitätsgebot ist nach Paul Kirchhof das Instrument zur Einbettung des allgemeinen Gleichheitssatzes in das Rechtsstaatsprinzip. Es unterscheide sich vom Willkürverbot darin, dass ersterem nicht bereits beim Vorliegen eines sachlichen Grundes genügt sei, sondern eine „positive Qualifikation als rechtsstaatlich hinreichendes Handeln“ notwendig sei. Darüber hinaus suche das Objektivitätsgebot den rechtfertigenden Grund in der Gesamtheit der Verfassung und nicht nur in einem Vergleich zwischen zwei unterschiedlichen Regelungen. Das Objektivitätsgebot richte seine Abwehrwirkung auf die Gesamtverfassung aus, während das Willkürverbot eher die Einzelfallregelung im Blick habe. Somit verschärfe es das Willkürverbot im Erfordernis des rechtfertigenden Grundes, lockere es aber bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit, weil es nur auf die Gesamtverfassung blicke, und positiv Recht und Gerechtigkeit umsetzen wolle. Der Verfassung ist nicht nur dann Genüge getan, wenn grobes Unrecht vermieden wird, sondern erst dann, wenn staatliches Handeln „die verschiedenen rechtsstaatlichen Prinzipien einheitlich verwirklicht“. „Das Objektivitätsgebot fordert die Verwirklichung des Rechts, das Willkürverbot ein Unterlassen des Unrechts“. Hierbei ist das Objektivitätsgebot zu verstehen als positive Verwirklichung der Verfassung, das Willkürverbot als „ergänzende Gerechtigkeitskorrektur“ des geschriebenen Verfassungsrechts (Rn. 257ff.). 265 Manfred Gubelt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 3, Rn. 12. 266 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 57f. 267 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 87.

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schaftliche Rechtsüberzeugung, einen zuverlässigen Anhaltspunkt und Maßstab für eine (gerechte) Rechtsordnung bieten 268. Gleichheit bedeutet somit (in „rechtsstaatlicher“ Hinsicht) eine ohne Willkür gehandhabte Gesetzgebung oder Gesetzesanwendung der Staatsorgane, ausgerichtet am jeweiligen Rechtsbewusstsein der betreffenden Gemeinschaft 269. Diese Rückführung des Gleichheitssatzes auf das Willkürverbot ergibt sich somit aus drei Gründen 270: Gleichheit kann nur verhältnismäßige Gleichheit bedeuten, fordert mithin differenzierende Normen 271. Der Gerechtigkeitsgedanke des Gleichheitssatzes ist in stetiger Entwicklung begriffen, muss daher als „elastischer und anpassungsfähiger“ Rechtssatz verstanden werden 272. Diese Aufgabe kann wie oben ausgeführt nur durch den Willkürbegriff erfüllt werden 273. Die Gleichheit vor dem Gesetz kann nicht jede unrichtige Rechtsanwendung oder Rechtsetzung korrigieren, sondern muss als Notwehrlinie gegen grundlegende Rechtsverstöße erhalten bleiben 274. Die Verankerung des Rechtsstaatsprinzips im Gleichheitssatz wird somit in der Verallgemeinerung im Willkürverbot deutlich. Der allgemeine Gleichheitssatz be-

268 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 88. 269 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 88. 270 Vgl. auch Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 89. 271 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 72; Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 89f. 272 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 90. 273 Kritisch Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 303: „Die Aufstellung der Gleichung ‚Rechtsstaatlichkeit‘ gleich ‚Ausschluss von Willkür‘ wird möglich durch die allgemeine Meinung, dass – wie der Rechtsstaatsbegriff – auch der Willkürbegriff ‚zeitlich und örtlich‘ bedingt, dass er wandelbar ist; [ . . . ]“. 274 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 90. Vgl. auch Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 302, der diesem Befund jedoch kritisch gegenübersteht: „Der gewaltige argumentative Aufwand, mit dem das [Rechtsstaats-] Prinzip, in allen Bereichen des Verfassungsrechts eingesetzt wird, gerinnt bei näherem Hinsehen zu einer vor ‚Willkür‘ schützenden Generalklausel. Insbesondere die ‚Konkretisierungsbedürftigkeit‘, die ‚Janusköpfigkeit‘, die Reduzierung auf ‚Rechtsstaatlichkeit im Ganzen‘, die gewahrt bleiben müsse, führen mit Notwendigkeit zu diesem Ergebnis. Es mit allen Mitteln immanenten verfassungsrechtlichen Argumentierens größerer dogmatischer Trennschärfe zuzuführen, kann, [ . . . ], kaum gelingen“. Und er führt weiter aus, S. 305: „Das Rechtsstaatsprinzip als Schutz vor Willkür also – eine Gleichsetzung, die keinen Gewinn an juristischer Präzision mit sich bringt, sich eher noch weiteren Leerformeln öffnet“.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

steht im Konkreten aus einer Statusgleichheit des Menschen, die diesen in seinen Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten je nach Lebenssituation rechtlich würdigt 275, in der „Generalklausel des Willkürverbotes [kommt ihm] nur noch die Aufgabe zu, das grobe Unrecht, das schlechthin unvertretbare Staatshandeln abzuwehren“ 276. Dies schließt an die oben dargestellte Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG an: Ausgangspunkt ist die Statusgleichheit, der Gleichheitssatz wird über seine Teilinhalte näher ausgeformt und mündet letztendlich in die Generalklausel des Willkürverbots, in dessen Rahmen der Gesetzgeber ein weites Gestaltungsermessen besitzt. So besteht die Anbindung des Gleichheitssatzes an das Rechtsstaatsprinzip insbesondere im Willkürverbot, das als „verfassungsrechtliche Gegenwehr gegen eine Verletzung von Elementarprinzipien des Rechts“ fungiert 277. Diese Unterscheidung zwischen grundrechtlicher Gleichheit und rechtsstaatlichem Willkürverbot stellt aber nur eine Abstufung zwischen der mit individueller Existenz verknüpften und einer „in den Ordnungsrahmen der geltenden Rechtsordnung eingefügten“ Gleichheit dar, hat in Art. 3 Abs. 1 GG jeweils seinen Geltungsgrund und kann auch über diesen geltend gemacht werden 278. Der Gesetzgeber hat bis zur Grenze der Willkür selbst zu entscheiden, welche Elemente der zu regelnden Lebensumstände für die Gleich- oder Ungleichbehandlung maßgeblich sind 279. Der Gleichheitssatz enthält somit nicht nur ein subjektives Recht auf Gleichbehandlung, sondern auch eine objektivrechtliche Komponente. Dieses subjektive Recht zum Schutze der grundrechtlichen Gleichheit und das objektivrechtliche, aus dem Rechtsstaatsgedanken abgeleitete Willkürverbot unterscheiden sich in dem Aspekt einer allein mit der individuellen Existenz verknüpften Gleichheit und einer „in den Ordnungsrahmen der geltenden Rechtsordnung eingefügten und von dieser abhängigen Gleichheit“ 280. Je weiter sich der Gleichheitssatz von einem subjektiven Recht auf Gleichbehandlung entfernt, desto weiter wird die 275 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 199: „Inhalt der Statusgleichheit: Die unabänderliche Gleichheit jedermanns sichert seinen Status als Mensch, als Person und als Persönlichkeit, also seine Existenz, seine Teilhabe am Recht und seine freie Entfaltung in Würde“. 276 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 235. 277 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 150. 278 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 204. 279 Wolfgang Rüfner in: BK, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 17; BVerfGE 71, 39 (53) m. w. N.; E 72, 255 (271) m. w. N.; 78, 104 (121). 280 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 204.

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Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers. Im Rahmen des objektivrechtlichen Willkürverbotes muss der Gesetzgeber selbst den Rahmen aufzeigen, innerhalb dessen er Gleichbehandlung gewährt. Geltungsgrund für sowohl grundrechtliche Gleichheit als auch rechtsstaatliches Willkürverbot ist dennoch Art. 3 Abs. 1 GG; auch letzteres kann im Grundrechtebereich durch Rüge des Art. 3 Abs. 1 GG geltend gemacht werden, eine Berufung auf Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip ist insoweit nicht vonnöten 281. In diesem rechtsstaatlichen Gebot zur Objektivität 282 sichert Art. 3 Abs. 1 GG „die Unverbrüchlichkeit und Allgemeinheit des Rechts, die Unbefangenheit und Unparteilichkeit der Rechtsanwendung und die sachgerecht annähernde und differenzierende Rechtsetzung und Rechtdurchsetzung“ 283. Auf Art. 3 Abs. 1 GG können sich die Länder als grundrechtsverpflichtete Körperschaften des öffentlichen Rechts selbstverständlich nicht berufen, die rechtsstaatliche Komponente greift allerdings auch im staatsorganisationsrechtlichen Bereich. Zwar können die Länder eine Verletzung derselben nicht im Wege der Verfassungsbeschwerde rügen, doch können sie die Verletzung objektiven Rechts auf andere Weise geltend machen. Das Recht muss von allen staatlichen Stellen beachtet werden. Die Gleichheit gilt als föderative Gleichheit für die Länder, die sich zwar nicht auf das Grundrecht berufen können, das sich aus der individuellen Existenz herleitet, wohl aber auf das in einen legislatorischen Ordnungsrahmen eingefügte, von ihm abhängige rechtsstaatlich-objektive Recht. 2. Föderativer Gleichheitssatz und Willkürverbot Ebenso wie Gerhard Leibholz die Verankerung des Willkürverbotes im grundrechtlichen Gleichheitssatz vorangetrieben hat, forderte er dies auch für den föderativen Gleichheitssatz. Diese Übertragung konnte insbesondere gelingen, da er dem Gleichheitssatz eine „generelle Bedeutung“ für die gesamte Rechtsordnung zubilligte, die auch im bundesstaatlichen Bereich Geltung beansprucht 284. Den ersten systematischen Entwurf einer föderativen Gleichberechtigung machte jedoch Paul Laband 285. Dieser hatte bereits im Jahre 1874 neben „Rechten der

281

Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 204. 282 BVerfGE 84, 239 (268ff.); Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 41. 283 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 41. 284 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 152. 285 Paul Laband, Hirths Annalen des Deutschen Reichs 1874, S. 1487ff.; ders., Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 116f.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Bundesstaaten als einzelner“, die er als jura singulorum bezeichnete und welche nur den Rechtsbereich außerhalb der Reichskompetenz betrafen, sowie den als jura singularia bezeichneten, auf einen bestimmten Rechtstitel zurückzuführenden Vorrechten einzelner Staaten als Ausnahme von der für alle Gliedstaaten geltenden Regel, das Prinzip der Gleichberechtigung der Länder als eine dritte, selbständige Gruppe von Rechten anerkannt 286. Paul Labands föderativer Gleichheitssatz gründet sich dabei auf das „Rechtsgefühl und Wesen eines Bundes“, den „Rechtsbegriff“, „den Begriff der sittlichen Freiheit“ sowie auf die „Maxime der Koexistenz“. So bestehe die Gleichberechtigung der Gliedstaaten nicht absolut, sondern nur „nach Verhältnis ihrer Größe und Leistungskraft und nach Maßgabe der für alle geltenden verfassungsmäßigen oder gesetzlichen Prinzipien“. Eine Durchbrechung könne nur mit Zustimmung des betroffenen Staates erfolgen, da ohne diese Zustimmungserklärung „kein Gesetz, auch nicht in den für Verfassungsänderungen vorgeschriebenen Formen, zulässig“ sei. So sei die Aufhebung der Existenz aller Gliedstaaten und die Schaffung eines Einheitsstaates durch Reichsgesetz zulässig, nicht jedoch die Abschaffung eines oder einiger weniger Staaten 287. Weiterhin konstatiert er: „Dass Ausnahmen von dem Grundsatz der Gleichheit der Rechte und Pflichten vorkommen, ist kein genügender Grund, um die Geltung dieses Prinzips als Regel zu bestreiten“ 288. Die Thesen fanden bereits in der Zeit des Kaiserreichs Zustimmung, ernteten aber auch Widerspruch 289. Auch Gerhard Leibholz wendet sich gegen die von Paul Laband vorgetragene These 290. So sei nicht geklärt, warum der föderative Gleichheitssatz denn Verfassungsrechtssatz sei, aber kein Sonderrecht im Sinne des Art. 78 Abs. 2 RV 291 enthalte, obwohl dieser doch anderen Verfassungsbestimmungen vorgehen solle. Außerdem könne die Begründung nicht tragen, die

286 Paul Laband, Hirths Annalen des Deutschen Reichs 1874, S. 1487 (1504ff.) bezeichnete diese Rechte als „Rechte, welche nicht allen Staaten gleichmäßig, sondern nur Einem oder Einigen entzogen werden sollen, resp. Mehrbelastungen einzelner Staaten über das Maß hinaus, welches als Regel für alle gilt“. 287 Paul Laband, Hirths Annalen des Deutschen Reichs 1874, S. 1487 (1514f.). Vgl. hierzu auch: Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 148f. 288 Paul Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. I, S. 117, Fn. 1. 289 Vgl. die Nachweise bei Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 80ff. 290 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 150. Ähnlich auch bereits zuvor: Georg Jellinek, Staatenverbindungen, S. 302ff.; Edgar Loening, Hirths Annalen des Deutschen Reichs 1875, S. 337 (359ff.) sowie auch Albert Haenel, Deutsches Staatsrecht, S. 820ff. 291 „Diejenigen Vorschriften der Reichsverfassung, durch welche bestimmte Rechte einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit festgestellt sind, können nur mit Zustimmung des berechtigten Bundesstaates abgeändert werden“.

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Möglichkeit einer Majorisierung von Einzelstaaten sei „mit der Maxime der Koexistenz, mit dem Begriff der sittlichen Freiheit, also mit dem Rechtsbegriff selbst unvereinbar“ 292, da sittliche Freiheit und Rechtsbegriff nicht notwendigerweise identisch seien. Jedenfalls, und das hebt Gerhard Leibholz ganz deutlich hervor, sei Paul Laband „der Nachweis nicht gelungen, dass das Prinzip der Gleichberechtigung der Gliedstaaten eine auch den Verfassungsgesetzgeber bindende Norm in dem Sinne der Notwendigkeit einer einzelstaatlichen Zustimmung zu dem Eingriff des Gesamtstaates war“ 293. Gerhard Leibholz bewegen im Rahmen des föderativen Gleichheitssatzes ebenso wie im Rahmen des allgemeinen Gleichheitssatzes zwei Fragen: zum einen stellt er sich die Frage, inwieweit der Gesetzgeber an den Gleichheitssatz gebunden ist. Die zweite Frage, auf die Gerhard Leibholz eine Antwort gibt, betrifft die Frage der Ausgestaltung dieser Bindung der staatlichen Gewalt, insbesondere des Gesetzgebers, an den bundesstaatlichen Gleichheitssatz. Die Frage der gesetzgeberischen Bindung ist unter der Herrschaft des Grundgesetzes mit einer Bindung jeglicher staatlicher Gewalt an dieses beantwortet. Interessant ist hingegen die Beantwortung der Frage, wie der bundesstaatliche Gleichheitssatz ausgestaltet werden muss, ob er auch in Form eines Willkürverbotes verstanden werden muss. So beschreibt Gerhard Leibholz den föderativen Gleichheitssatz als jeder Rechtsordnung immanent. Positivrechtlich komme dem (eigentlich grundrechtlichen) Gleichheitssatz des Art. 109 Abs. 1 WRV generelle Bedeutung für das Verfassungsrecht zu, so dass er auch im Verhältnis des Gesamtstaates zu den Gliedstaaten sowie in deren Beziehungen untereinander gelte. So könne „die Bestimmung des Gleichheitsbegriffes naturgemäß nur in derselben Weise erfolgen, wie dieses oben bei der Analyse des Art. 109 Abs. 1 [W]RV. der Fall war“. Er verweist deshalb auf seine Ausführungen zum grundrechtlichen Gleichheitssatz, „wobei nur der allerdings selbstverständliche Unterschied hervorgehoben werden muss, dass als Adressat für die Rechtsetzung wie die Vollziehung des Reiches nicht die Individuen, sondern die Staaten fungieren“. 293a Die Dogmatik des Gleichheitssatzes sowie das Willkürverbot gelten damit auch im föderativen Bereich. Eine zweite Monographie aus dieser Zeit, welche sich eingehend (und ausschließlich) mit dem föderativen Gleichheitssatz beschäftigt, stammt von Kurt Behnke. Dieser versteht die Gleichheit ebenso wie Gerhard Leibholz als ein den Gesetzgeber verpflichtendes Prinzip. Bezüglich Inhalt und Ausgestaltung des fö-

292

Paul Laband, Hirths Annalen des Deutschen Reichs 1874, S. 1487 (1514). Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 150; ebenso Albert Haenel, Deutsches Staatsrecht, S. 808ff., 820, auf den Gerhard Leibholz ausdrücklich verweist. 293a Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 152ff. 293

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

derativen Gleichbehandlungsgebotes im Sinne eines Willkürverbotes sind keine wesentlichen Unterschiede erkennbar, auch Kurt Behnke fordert bei gesetzgeberischen Maßnahmen die Länder betreffend einen nicht willkürlich gewählten Maßstab 294. Eine Differenz zwischen den beiden besteht in der Herleitung des föderativen Gleichheitssatzes. So lehnt Kurt Behnke eine Ableitung des föderativen Gleichheitssatzes aus dem „‚Rechtsbegriff‘ des Bundesstaates“, wie dies von Gerhard Leibholz propagiert wurde, ab. In diesem Sinne führt er aus: „Es besteht neuerdings vielfach die Neigung, aus dem ‚Rechtsbegriff‘ des Bundesstaats die Gleichheit der Gliedstaaten abzuleiten, weil jede Rechtsordnung die Willkür ablehne und somit rechtlich einen Zustand der Gleichheit herbeiführe. Einer solchen Auffassung steht aber die Tatsache entgegen, dass sehr wohl eine Rechtsordnung bestehen kann, ohne dass die Willkür ausgeschlossen zu sein braucht (wie z. B. im absoluten Staat) und ohne dass einer solchen Staatsverfassung der Rechtscharakter abgesprochen werden kann. Gegenüber den bloß formalen Rechtsbeziehungen, die jedes Staatsrecht herbeiführt, hat doch erst die neueste Entwicklung den Begriff des ‚Rechtsstaates‘ geschaffen und damit eine Staatsordnung mit bestimmten Inhalt gekennzeichnet. Wenn dieser positiv rechtlichen Abhandlung ein so eng gefasster Bundesstaatsbegriff zugrunde gelegt würde, so dürfte ihr kaum der Vorwurf einer petitio principii erspart bleiben“ 295. 3. Stellungnahme und Anwendung im Recht des Finanzausgleichs a) Rechtsstaatliche Elemente des föderativen Gleichheitssatzes Die geschriebene Verfassung liefert sicherlich mehr als die von Gerhard Leibholz formulierten „wertvollen Fingerzeige“ für die Ausgestaltung des föderativen Gleichheitssatzes, sie muss Grundlage für Inhalt und Form des föderativen Gleichheitssatzes sein. Nur sie kann den Ausgangspunkt für den (oder zumindest einen 296) staatsorganisationsrechtlichen föderativen Gleichheitssatz bilden. Allerdings darf ein Punkt nicht übersehen werden: Positives Recht kann auch ungeschrieben sein 297. Für die Positivität ist es zumindest dann allemal ausreichend, wenn sich Anknüpfungspunkte im geschriebenen Recht finden 298.

294

Kurt Behnke, Die Gleichheit der Länder im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 15ff. Kurt Behnke, Die Gleichheit der Länder im deutschen Bundesstaatsrecht, S. 34, Fn. 37. 296 Vgl. Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 312. 297 Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 84; Ernst von Hippel, VVDStRL 10 (1952), S. 1ff.; Alfred Voigt, ebenda, S. 33ff. 298 Vgl. Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 84; Norbert Achterberg, Antinomien verfassungsgestaltender Grundentscheidungen, in: Der Staat 8 (1969), S. 159ff.; ders., Theorie und Dogmatik des öffentlichen Rechts, S. 250ff. 295

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Geltungsgrund des föderativen Gleichheitssatzes ist zuvörderst das Rechtsstaatsprinzip, sowie die in ihm wurzelnde Bindung aller Staatsgewalt an die Verfassung. Der grundrechtliche Gleichheitssatz ist zwar in gewisser Weise „Vorbild“ für den föderativen Gleichheitssatz, doch ist staatlichen Organisationen die Berufung auf Grundrechte, auch über den „Umweg“ des Art. 19 Abs. 3 GG aus den bereits dargelegten Gründen verwehrt. Dies muss auch im Finanzausgleichsrecht gelten. Zwar geht es dort vor allem um die Ausstattung des Bundes und der Länder mit Finanzmitteln, die dazu dienen sollen, die jeweilige staatliche Einheit im Interesse ihrer Bürger zu befähigen, diese mit einem Mindestmaß an öffentlichen Leistungen zu versorgen, doch bleiben die „Adressaten“ dieses Gleichstellungsanspruchs immer noch die dem staatlichen Bereich zuzuordnenden Länder, die gegenüber ihren Bürgern grundrechtsverpflichtet sind, sich jedoch nicht auf Grundrechte berufen können. Der „dreifache Geltungsgrund“ des Willkürverbots, nämlich das Rechtsstaatsprinzip, die Bindung jeglicher Staatsgewalt an die Verfassung und der Gleichheitssatz, der die Allgemeingeltung des Rechts und der Verfassung subjektivrechtlich verbürgt und dem Individuum den Weg zur Verfassungsbeschwerde öffnet 299, verkürzt sich im staatsorganisationsrechtlichen Bereich auf die ersten beiden Säulen, insbesondere auf die erste: das Rechtsstaatsprinzip. Die Verfassungsbindung der staatlichen Gewalt stellt sich gleichsam als Teil dieses Prinzips dar. Der Rechtsstaat meint eigentlich lediglich einen Staat, der an das Recht gebunden ist. Art. 20 Abs. 2 GG, einer der tragenden Pfeiler des Rechtsstaatsgedankens, bindet jegliche Staatsgewalt an „Gesetz und Recht“. Gesetz wird hierbei gemeinhin als positiv gesetztes Recht verstanden, Recht als überpositives Naturrecht 300. Im Rechtsstaat ist deshalb die Verletzung jedweder Norm verboten, auch die Verletzung von Naturrecht. Es gilt also ein materieller Rechtsstaatsbegriff, der die Durchsetzung der (materiellen) Gerechtigkeit zum Ziel hat 301. Das Gleichheitsgrundrecht und der föderative Gleichheitssatz greifen diesen rechtsstaatlichen Gedanken und das Streben nach Gerechtigkeit in ihrem Gehalt auf. Eine Maßnahme orientiert sich nicht am Gerechtigkeitsgedanken und verletzt damit den Gleichheitssatz, „wenn sich für sie [ . . . ] keine vernünftigen Erwägungen finden lassen, die sich aus der Natur der Sache ergeben oder sonstwie einleuchtend sind“ 302. Dieses Prinzip ist nach der zutreffenden Begründung von Gerhard Leibholz rechtsstaatlich fundiert und findet aus diesem Grunde auch

299 Vgl. Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 249. 300 Vgl. nur Friedrich E. Schnapp in: von Münch / Kunig, GG, Art. 20 Rn. 35; Albert Bleckmann, Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, S. 23. 301 Albert Bleckmann, Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, S. 23. 302 BVerfGE 10, 234 (246).

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

im ausschließlich rechtsstaatlich begründeten föderativen Gleichheitssatz Anwendung. Richtige Ausformung zur Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit ist hierbei das Willkürverbot, das nicht nur gleichheitsrechtlich relevant wird, sondern als „fundamentales Rechtsprinzip der Durchsetzung der materiellen Gerechtigkeit und der Abwehr gemeinschädlicher Regelungen auch dort dient, wo es nicht um die Beurteilung konkreter Vergleichspaare geht“ 303. Aufgrund dieser rechtsstaatlichen Herleitung muss somit der rechtsstaatliche „Anteil“ des Gleichheitssatzes, nämlich das Willkürverbot, in allen rechtlichen Bereichen eines demokratischen Rechtsstaates Geltung erlangen, auch im innerstaatlichen Bereich. Dies gilt für das Recht des Finanzausgleichs, in dem die Gliedstaaten dem Bund wie Dritte gegenüberstehen und aufgrund der gravierenden Auswirkungen einer Ungleichbehandlung bei der Ausstattung mit Finanzmitteln, der Lebensader der Länder, die wie eingangs erwähnt, sogar Grundrechte Dritter betreffen, in besonderem Maße, aber nicht nur dort. Der Gleichheitssatz gilt als auf das Rechtsstaatsprinzip gestützter Gleichheitssatz im föderativen Bereich. Dies ergibt sich aus der Dogmatik des Art. 3 Abs. 1 GG sowie aus der dort verankerten Rechtsstaatlichkeit 304. Insoweit trifft die Aussage, der Gleichheitssatz müsse „auf die Kompetenzen und die finanziellen, persönlichen Mittel der Länder, Gemeinden und sonstigen Körperschaften bezogen werden, weil nur die Gleichheit dieser Mittel sicherstellt, dass die einzelnen Länder und Gemeinden die Interessen ihrer ‚Mitglieder‘ einigermaßen gleichmäßig befriedigen können: Der auf diese Körperschaften anwendbare Gleichheitssatz leitet sich damit letztlich aus dem individualrechtlichen Gleichheitssatz ab“ 305, nur teilweise zu. Gemeint sein kann hier nur das rechtsstaatliche Element des Gleichheitssatzes, nicht der gesamte individualrechtliche Gleichheitssatz. Dieser kann nicht komplett auf den föderativen Gleichheitssatz übertragen werden, sondern kann lediglich Dogmatik und den Inhalt des föderativen Gleichheitssatzes in prägender Weise mitbestimmen. Im föderativen Gleichheitssatz tritt das Willkürverbot besonders hervor, da diese Verallgemeinerung des Gleichheitssatzes das am stärksten rechtsstaatlich geprägte Element desselben ist. Die anderen Teilinhalte des Gleichheitssatzes werden jedoch hierdurch nicht ausgeschlossen, insbesondere gelten auch die Gedanken der Sachgerechtigkeit, der Systemgerechtigkeit sowie der Folgerichtigkeit. So ist der Gesetzgeber auch im Rahmen des föderativen Gleichheitssatz an die von ihm selbst gesetzten Maßstäbe gebunden. Die Interessen der Länder muss er willkürfrei abwägen. Dies ist auch ein Gebot der materiellen Gerechtigkeit.

303 Manfred Gubelt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 3, Rn. 12; vgl. auch Heinrich Triepel, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, S. 26ff; Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 72ff., Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 86ff. 304 Vgl. auch Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 116. 305 Albert Bleckmann, Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, S. 68.

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Somit gibt der grundrechtliche Gleichheitssatz eine Wertordnung vor, die auch im föderativen Gleichheitssatz von Bedeutung ist. Die Übertragung in den föderativen Bereich muss jedoch über das im Gleichheitssatz verankerte rechtsstaatliche Willkürverbot erfolgen 306. Der föderative Gleichheitssatz gilt im Finanzausgleichsrecht. Dort wird das rechtsstaatliche, föderative Objektivitätsgebot sogar noch verstärkt durch die Grundrechte der Landesbürger, die betroffen sind, wenn den Gliedstaaten eine erheblich unterschiedliche Finanzausstattung zur Verfügung steht. Dieser föderative Gleichheitssatz kann aber gerade wegen der verstärkenden Wirkung der finanzausgleichsrechtlichen Besonderheiten nicht im „leeren“ Raum stehen, sondern muss konkret in der Verfassung verankert sein. Dies geschieht in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG. Durch den Begriff Ausgleich und die Verpflichtung des Gesetzgebers auf einen solchen statuiert das Grundgesetz einen verfassungsrechtlichen Angleichungsauftrag, den der Gesetzgeber nach den Prinzipien des föderativen Gleichheitssatzes erfüllen muss. Prinzipiell ist Gerhard Leibholz deshalb zuzustimmen: „Dieser Gleichheitssatz ist heute positiv deshalb für die Einzelstaaten Rechtens, weil dem im Art. 109 Abs. 1 ausgesprochenen Gedanken generelle Bedeutung zukommt“. Und er konstatiert weiter: „Die Bestimmung des Gleichheitsbegriffes kann hier naturgemäß nur in derselben Weise erfolgen, wie dieses oben bei der Analyse des Art. 109 Abs. 1 RV. der Fall war“ 307. Gerhard Leibholz nimmt mit diesen Sätzen natürlich bezug auf das von ihm zuvor begründete Willkürverbot, das nach dem oben Dargestellten nicht nur für Art. 109 Abs. 1 WRV, sondern auch für Art. 3 Abs. 1 GG gilt. Da das Willkürverbot seine Herkunft, wie gezeigt, nicht nur im allgemeinen Gleichheitssatz, sondern auch im Rechtsstaatsprinzip und der materiellen Gerechtigkeit hat, ist das rechtsstaatliche Willkürverbot auch im staatsorganisationsrechtlichen, finanzausgleichsrechtlichen Bereich anwendbar 308.

306

Vgl. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 114. Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 152ff. 308 Dies sieht Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 313ff nach einer Auswertung von mehreren ausgewählten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen es um das staatsinterne Willkürverbot geht, anders. Seine Auswahl stellt er unter dem Gesichtspunkt zusammen, dass sich unterschiedliche Ableitungen zwischen staatsorganisationsrechtlichem und gleichheitsrechtlichem Willkürverbot nur in Entscheidungen auswirken können, bei denen die Verfassungswidrigkeit bejaht werde, da das staatsorganisationsrechtliche Willkürverbot keinesfalls höhere, sondern eher niedrigere Anforderungen an das Willkürverbot stelle als der individuelle Gleichheitssatz. An den Entscheidungen macht Philip Kunig sodann fest, dass „die wenigen Entscheidungen, die das Bundesverfassungsgericht bisher auf ein selbständiges staatsinternes Willkürverbot als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzip gegründet hat, [ . . . ] ihre Bestätigung also bereits im geschriebenen Verfassungsrecht (nämlich in Art. 20 Abs. 2 und 3 GG, Art. 131 GG, Art. 134 GG)“ finden, „und sie den Rahmen eines als inhaltsgleich mit Art. 3 Abs. 1 GG 307

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Gerhard Leibholz kommt zu folgendem Ergebnis bezüglich der Übertragung des Gleichheitssatzes in Form des Willkürverbotes in den staatsorganisationsrechtlichen Bereich: „Es ist ein Gedanke, der letzthin, – das Nähere ist oben ausgeführt –, jeder ‚Rechts‘ordnung immanent ist und ihr zugrunde liegen muss, wenn sie in ihrer positiven Gestalt und ihrem Ziel, den Rechtsgedanken nach Möglichkeit zu fördern, nicht untreu geworden ist“ 309. b) Bundesstaatliche Elemente des föderativen Gleichheitssatzes Das Bundesverfassungsgericht entnimmt den föderativen Gleichheitssatz jedoch nicht nur dem rechtstaatlichen Objektivitätsgebot, sondern auch dem Bundesstaatsprinzip. Es spricht in den Urteilen, in denen auf einen föderativen Gleichheitssatz Bezug genommen wird, neuerdings auch die Bundesstaatlichkeit an und bezieht den föderativen Gleichheitssatz auf diese 310. Dass das Bundesstaatsprinzip empfundenen Rechtssatzes“ verlassen, „um den Besonderheiten des Staatsorganisationsrechtes Rechnung zu tragen“. Nach Philip Kunig schließt etwa die „Einheitlichkeit der Staatsorganisation“ die Willkür aus und setzt die Maßstäbe, nicht jedoch das Grundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG, das nur dem Bürger gegen den Staat zustehe. So resümmiert er über das staatsinterne Willkürverbot: „Was bleibt, ist der Versuch, durch den Rückgriff auf ein allgemeines Rechtsstaatsprinzip Argumentationsspielraum für ‚freies‘ Judizieren zu finden. Soweit geschriebenes Recht auf diese Weise beiseite geschoben wird, ist dies unzulässig; soweit geschriebenes Recht nicht auffindbar ist, ergibt sich das Verbot von Willkür im Verhältnis der Staatsorgane zueinander aus ihrer gleichgerichteten Aufgabenstellung, die Art. 20 Abs. 3 GG anerkennt und voraussetzt. Keine inhaltlichen Maßstäbe, die hierüber hinausführten, sind von den Verfassungsinterpreten vorgeschlagen, geschweige denn durch die nötige Konsistenz der Rechtsbehauptung als normativ verbindlich etabliert worden“. Diesem Ansatz ist jedoch nicht zuzustimmen. Das Rechtsstaatsprinzip ist integraler Bestandteil des deutschen Verfassungsrecht, ist Bestandteil des Gleichheitssatzes, gilt wie gezeigt als Willkürverbot, kann deshalb auf alle Bereiche staatlichen Handelns übertragen werden und gilt aus diesem Grunde auch im innerstaatlichen Bereich, insbesondere im föderativen Gleichheitssatz. Es ist unzulässig, sich bei der Erforschung desselben darauf zu beschränken, Widersprüche in der Lehre und der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aufzudecken, sondern muss in einer tief greifenden Analyse die „innere Einheit“ dieses Prinzips erkennen und versuchen, es ausgewogen zu definieren (So Albert Bleckmann, Die Struktur des allgemeinen Gleichheitssatzes, S. 22.). Daneben lässt sich sagen, dass verfassungsrechtliche Normen zwar herangezogen werden müssen, soweit sie vorhanden sind, dass das Rechtsstaatsprinzip in Rechtsprechung und Lehre so weit konkretisiert ist, dass es unbedenklich ist, auf dieses Prinzip zurückzugreifen, und dieses nicht als Argumentationsspielraum für freies Judizieren missbraucht werden kann. Bereits Gerhard Leibholz hat den Gleichheitssatz als rechtsstaatliches Willkürverbot nachvollziehbar begründet und ihm im Sinne der materiellen Gerechtigkeit Konturen gegeben. Dieses rechtsstaatliche Prinzip lässt sich aufgrund der obigen Begründung mühelos in den innerstaatlichen Bereich übertragen und ist deshalb Bestandteil des deutschen Verfassungsrechts. 309 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 152.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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ohne Bezug auf seine konkrete grundgesetzliche Ausformung kein Verhaltensgebot begründen kann, wurde schon oben ausführlich dargelegt. Anders sieht es mit dem der Rechtsstaatlichkeit entspringenden Willkürverbot aus. Das Willkürverbot ist im Rechtsstaatsprinzip (und im Gleichheitssatz) verankert und im deutschen Verfassungsrecht grundlegend, gilt mithin auch im föderativen Gleichheitssatz. Man könnte nun an eine Verbindung beider Prinzipien denken. Marcus C. F. Pleyer hält für die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Verbindung des allgemeinen Gleichheitssatzes in Form des Willkürverbotes mit dem Bundesstaatsprinzip zwei Begründungen für denkbar: Entweder habe das Gericht, nachdem es die Geltung des Gleichheitsgedankens allgemein festgestellt habe, nur noch die Verbindung zum staatsorganisationsrechtlich geprägten Bundesstaatsprinzip herstellen wollen, um so den Gleichheitssatz „sektoral“ zu spezifizieren oder das Bundesverfassungsgericht trenne zwischen Gleichheitssatz und der vorausliegenden Frage der Gleichheit der Länder, indem es das Bundesstaatsprinzip zur Begründung einer prinzipiellen Statusgleichheit benutze und aus dem allgemeinen Gleichheitssatz sodann ein generelles Verhaltensgebot im Sinne einer Gleichbehandlungspflicht der Länder konstituiere 311. Für letztere Alternative spreche, dass das Bundesverfassungsgericht bereits andernorts die „Statusgleichheit“ der Länder auf das „föderalistische Prinzip“ gegründet habe 312 sowie bereits in anderen Entscheidungen diese zwei Stufen bei der Prüfung des Gleichheitssatzes zugrunde gelegt habe 313. Dogmatisch korrekt ist jedoch wohl eher die erste Interpretationsmöglichkeit dieser bundesverfassungsgerichtlichen Aussage: das rechtsstaatliche Willkürverbot, das „nicht nur grundrechtlich im allgemeinen Gleichheitssatz gesichert“ ist, „sondern zugleich ein Element des das Grundgesetz beherrschenden Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG)“ ist und „daher auch im Verhältnis von Hoheitsträgern untereinander“ gilt 314, entfaltet auch im Finanzausgleichs310 Vgl. nur BVerfGE 72, 330 (331f., Leitsatz 10, S. 404): „Aus dem Bundesstaatsprinzip und dem allgemeinen Gleichheitssatz folgt ein föderatives Gleichbehandlungsgebot für den Bund im Verhältnis zu den Ländern“. 311 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 243. 312 BVerfGE 1, 299 (315); 39, 96 (119). 313 BVerfGE 12, 205 (255f.): „In der Bundesrepublik Deutschland haben alle Länder den gleichen verfassungsrechtlichen Status; sie sind Staaten, die im Verkehr mit dem Bund Anspruch auf gleiche Behandlung haben. [ . . . ] Jener Grundsatz verbietet es auch, dass die Bundesregierung bei Verhandlungen, die alle Länder angehen, die Landesregierungen je nach ihrer parteipolitischen Richtung verschieden behandelt, [ . . . ]“. Das Bundesverfassungsgericht sah dies zwar nicht als einen Verstoß gegen das Willkürverbot, sondern als Verstoß gegen den Grundsatz des bundes- bzw. länderfreundlichen Verhaltens, doch war das Verhalten der Bundesregierung auch willkürlich, da sie die Länder ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelte. 314 BVerfGE 86, 148 (251).

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

recht Wirkkraft, was zur Folge hat, dass die Länder nicht willkürlich behandelt werden dürfen und der Gesetzgeber rechtsstaatliche Prinzipien in Bezug auf die Ausgestaltung des Finanzausgleichs zugrunde legen muss. Dieses rechtstaatliche Objektivitätsgebot muss sodann dergestalt mit dem Bundesstaatsprinzip verbunden werden, dass Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG als bundesstaatliche Ausprägung des Finanzausgleichsrechts in seinem Verhaltensbefehl, dem Angleichungsauftrag, der durch die Angemessenheit beschränkt wird, vom Bundesgesetzgeber erfüllt wird. Für die Begründung des föderativen Gleichheitssatzes ist die bundesstaatliche Ordnung „als solche“ ohne konkrete Ausformung im Grundgesetz nicht geeignet 315. Es gilt das zur föderativen Gleichheit Gesagte gleichermaßen. Das Argument Philipp Kunigs, der bundesstaatliche Gleichheitssatz in der Form eines Willkürverbotes ergebe sich bereits aus dem „Wesen des Bundesstaates“, mithin direkt aus dem Bundesstaatsprinzip, da „die Zweckgerichtetheit des staatlichen Gefüges in seiner Gesamtheit, die Einheitlichkeit des Staates als einer auf die Verwirklichung von Zwecken gerichteten Veranstaltung, [ . . . ] a priori keinen Raum für willkürliches Verhalten von staatlichen Untereinheiten untereinander“ zulässt 316, verfängt nicht. In formeller Hinsicht beschränkt sich die zentrale Bedeutung des Bundesstaatsprinzips auf die Festlegung einer (bundes-)staatlichen Struktur in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere auf die Gliederung des Gesamtstaates in Länder, deren Ausstattung mit Kompetenzen und ist insoweit wertfrei; aber auch materielle Bundesstaatstheorien, die sich mit dem „fundamentalen Gestaltungsprinzip“, der „Idee“, dem „Wesen“ und der „Wirklichkeit“ bundesstaatlicher Ordnung beschäftigen, führen nicht zum Ziel 317. So haben unter „dem Dach des Begriffes Föderalismus verschiedenartige, ja gegensätzliche Auffassungen und 315 Vgl. nur Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 114: „‚Das Bundesstaatsprinzip‘ des Grundgesetzes ist keine freischwebende konstitutionelle Einheit, sondern empfängt seine Prägung aus dem, was einzelne bundesstaatliche Normen anordnen. Die Herleitung bundesstaatlicher Gleichheit ist mit seinen einzelnen Anwendungsfällen verknüpft“. 316 Philip Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 313; hierbei nimmt er bezug auf Günter Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 3, Rn. 55, der allerdings auch das Rechtsstaatsprinzip zur Begründung des föderativen Gleichheitssatzes hinzuziehen will und m. E. nicht das „Wesen des Bundesstaates“ bei der Begründung des föderativen Gleichheitssatzes im Blick hat, sondern die Bundesstaatlichkeit in ihrer konkreten rechtsstaatlichen Ausformung des Grundgesetzes: „Es geht in diesen Fällen nicht um die grundrechtliche Qualität des Gleichheitssatzes, sondern um seine Geltung auch außerhalb des Grundrechtsbereiches als allgemeiner, z. B. auch im Rechtsstaatsprinzip (oder in anderer Stoßrichtung auch im Bundesstaatsprinzip) verankerter Rechtssatz“. Günter Dürig möchte wohl das Rechtsstaatsprinzip in ähnlicher Weise vom Bundesstaatsprinzip trennen wie Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 700, der das Rechtsstaatsprinzip nur „nach außen“ wirken lassen möchte, das Bundesstaatsprinzip hingegen „nach innen“. Vgl. hierzu die folgenden Absätze. 317 Hartmut Bauer, Bundestreue, S. 220ff.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Vorstellungen Unterschlupf“ gefunden 318. Das Wesen des Bundesstaats sei eine „Leerformel“, „die als freischwebende Denkfigur manches andeutet und vieles zulässt“ 319. Philip Kunig indes geht bei seiner Aussage zweifelsohne von einem rechtsstaatlich organisierten Bundesstaat aus und übersieht dabei, dass auch ein Bundesstaat seine Gliedstaaten willkürlich behandeln kann; insoweit gilt das oben zur grundrechtlichen Gleichheit Ausgeführte, auch diese verbürgt an sich noch keinen Willkürschutz 320. Zwar bestehen auch bundesstaatliche Verhaltensgebote, wie etwa der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG; diese ergeben sich aber aus der jeweiligen das Bundesstaatsrecht betreffenden Norm 321. Dennoch will wohl auch Philip Kunig „rechtsstaatliche“ Prinzipien an den föderativen Gleichheitssatz anlegen. Da er jedoch das Rechtsstaatsprinzip als ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz wegen seiner „Besonderheiten und Vagheiten“ weitgehend ablehnt, muss er einen „Umweg“ wählen : „Wenn ‚Rechtsstaatlichkeit‘ eine kategorisierende Bezeichnung für die Staatlichkeit des Grundgesetzes ist, [kann] man den geschilderten Umstand auch als Ausfluss von Rechtsstaatlichkeit begreifen“ 322. So besteht im deutschen Bundesstaat ein aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitetes Willkürverbot im innerstaatlichen, dem Bundesstaatsprinzip zugeordneten Bereich, abgeleitet aus der rechtsstaatlichen Verfasstheit des Grundgesetzes in seiner konkreten bundesstaatlichen Ausgestaltung. Sicherlich ist die Bundesstaatlichkeit, wie sie im Grundgesetz ausgestaltet ist, grundsätzlich der Ausgangspunkt der bundesstaatlichen Gleichheit und nimmt die Rechtsstaatlichkeit bereits in sich auf. Alle Länder sind in der Finanzverfassung mit dem gleichen Status ausgestattet, der dort eine konkrete Ausgestaltung erfahren hat. Im Finanzausgleichsrecht sollen die Länder mit einem Mindestmaß an finanziellen Mitteln ausgestattet werden, um den Bürgern eine Grundausstattung mit öffentlichen Leistungen zu sichern 323. Bedenkenswert ist der Gedanke, den föderativen Gleichheitssatz aus der bundesstaatlichen Ordnung ohne explizite Normenaussage als allgemeinen Rechtsgedan318

Ernst Deuerlein, Föderalismus, S. 9; vgl. auch: Hartmut Bauer, Bundestreue, S. 225. Hartmut Bauer, Bundestreue, S. 230. 320 Ebenso: Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 242, Fn. 21. 321 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 242. 322 Philip Kunig, Rechtsstaatsprinzip, S. 313. 323 Vgl. auch Bernd Kowalsky, Die Rechtsgrundlagen der Bundestreue, S. 150: „Ein Staatswesen, das zwar sein Handeln gegenüber dem Individuum am Gleichheitssatz ausrichtet, gleichzeitig aber in seinem ‚Innenbereich‘ – sozusagen in seinem eigenen Haus – einer willkürlichen Herrschaft die Tür öffnete, würde unglaubwürdig. Ein solches Verhalten könnte schließlich auch nicht ohne Rückwirkungen auf das Verhältnis des Staates zum Einzelnen bleiben. Daher lässt sich für den Bereich des Bundesstaates die Forderung aufstellen, dass Bund und Länder in ihren Beziehungen zueinander den Geboten des Gleichheitssatzes unterworfen sind“. 319

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

ken abzuleiten. Kurt Behnke hatte in seiner Dissertation aus der Weimarer Zeit Die Gleichheit der Länder im deutschen Bundesstaatsrecht aus einer „Gesamtschau“ aller den Bundesstaat betreffenden Verfassungsnormen den föderativen Gleichheitssatz entwickelt. Diesem schließt sich Marcus C. F. Pleyer für die heutige Zeit an. Denn auch den länderbezogenen Regelungen des Grundgesetzes liege ein Prinzip zugrunde, in dem der Gleichheitssatz deutlich werde: So gebe es einen gleichen Status der Länder, der nur Ausnahmen zulasse bei erstens historisch bedingten Privilegien einzelner Länder, zweitens bei nachvollziehbaren Differenzierungen, die Eigenschaften der Länder betreffend und drittens bei Zuweisung spezieller abgestimmter Rechte an Länder in besonderer Lage. Hieran sei zu erkennen, dass die Grundlinie all dieser Differenzierungen die „rationale Sachgerechtigkeit“ sei, also eine Gleichbehandlung der Länder mit sachgerechten und begründeten Ausnahmen 324. Gegen eine „Gesamtschau“ aller bundesstaatlichen Normen ließe sich jedoch einwenden, dass gerade im Bundesstaatsprinzip so viele, zum Teil auch gegensätzliche Rechtsinstitute verortet werden, dass eine Gesamtschau nicht zielführend sein kann 325. Selbst wenn man lediglich die Normen herausfiltert, die nur die föderative Gleichheit oder den föderativen Gleichheitssatz betreffen, ist eine Gesamtschau problematisch. So stellt Roman Herzog treffend fest, dass von Fall zu Fall genau untersucht werden müsse, ob der Bund zu formaler Gleichbehandlung der Länder verpflichtet sei, denn immerhin ebne Art. 51 Abs. 2 GG dieses Prinzip doch in gehörigem Maße wieder ein. Daher müsse man zu dem Ergebnis kommen, dass der Bund im allgemeinen nicht zu einer formalen Gleichbehandlung der Länder verpflichtet sei, sondern nur zu einer materiellen Gleichbehandlung. Dies bedeute, dass eine formale Gleichbehandlungspflicht nicht aus einer Zusammenschau der Verfassung herausgelesen werden könne, sondern nur die Pflicht des Bundes zur gerechten Verteilung von Lasten und Begünstigungen 326. Dies bedürfte jedoch weiterer Konkretisierung. Außerdem ist die „rationale Sachgerechtigkeit“ weniger dem Bundesstaatsprinzip zuzuordnen, sondern eher dem zum Rechtsstaatsprinzip gehörenden Objektivitätsgebot. Im Rahmen des Länderfinanzausgleichs muss eine Gesamtschau allerdings überhaupt nicht vorgenommen werden. Die Frage, ob die generelle Ausgestaltung der Bundesstaatlichkeit ohne konkrete Normaussage einen föderativen Gleichheitssatz begründen kann, braucht nicht beantwortet zu werden, denn Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG richtet einen direkten Verhaltensbefehl an den Gesetzgeber: die 324

Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 251f. Vgl. etwa auch den Hinweis von Hartmut Bauer, Bundesstreue, S. 236 zur Ableitung der Bundestreue aus einer Gesamtschau der das Bundesstaatsprinzip betreffenden Normen: „Indes ist eine solche Zusammenstellung von Einzelhinweisen für eine normativ arbeitende Rechtswissenschaft nicht überzeugend“. 326 Roman Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Rn. 68. 325

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Länder, die in ihrer Unterschiedlichkeit vorgefunden werden, müssen gleich behandelt werden, die Unterschiede in finanzieller Hinsicht müssen auf angemessene Art ausgeglichen werden 327. Dies schließt eine (gleichheits)gerechte und (rechtsstaatlich) willkürfreie Verteilung von Lasten und Pflichten mit ein 328. Auf diese Weise schafft die konkrete Ausgestaltung der Bundesstaatlichkeit, der Staatsorganisation im Rahmen des Finanzausgleichs, für unterschiedliche Länder eine Gleichbehandlungspflicht, die durch Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG zu einem Angleichungsauftrag verdichtet wird. Dieser Angleichungsauftrag stellt auch einen bundesstaatlichen Verhaltensbefehl dar. In Verbindung mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Willkürverbot, das im Rahmen des grundrechtlichen Gleichheitssatzes uneingeschränkt Anwendung genießt, könnte nach dem eben Gesagten das Bundesstaatsprinzip, genau wie vom Bundesverfassungsgericht judiziert, eben jene Ausformung des föderativen Gleichheitssatzes hervorbringen, der die geforderte Bewertung von Ähnlichkeit und Verschiedenheit der Länder gemäß dem Verhaltensbefehl des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG auf rechtlich sichere Füße stellt. c) Der Gesetzgeber als Erstinterpret der Verfassung Das Willkürverbot dient allgemein zur Kontrolle der Staatsgewalt, zur Abwehr unvertretbarer Maßnahmen. Es wirkt sich jedoch bezüglich der einzelnen Staatsgewalten unterschiedlich aus. Gegenüber dem Gesetzgeber und der Regierung begrenzt das Willkürverbot lediglich deren Gestaltungsraum, für die Verwaltung stellt es ein Verbot der Sachfremdheit dar, gegenüber der Rechtsprechung ver-

327

Vgl. Roman Herzog in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20, Rn. 68: „Wenn es dafür [gemeint ist die materielle Gleichbehandlungspflicht, also die Pflicht zur gerechten Verteilung von Lasten und Pflichten] eines ausdrücklichen Beweises aus dem Verfassungstext bedürfte, so wäre hier auf Art. 107, d. h. auf die Verfassungsvorschrift über den Finanzausgleich zwischen ‚armen‘ und ‚reichen‘ Ländern zu verweisen, den ja ebenfalls der Bund anzuordnen hat“. 328 Anders sieht dies offenbar Marcus C. F. Pleyer, der allein in Art. 91a Abs. 4 Satz 2, 2. Hs. GG das föderative Gleichbehandlungsgebot gegenüber dem einfachen Gesetzgeber angeordnet sieht. Richtig ist, dass diese Norm, da sie einen sehr speziellen Regelungsgegenstand besitzt, nicht für Generalisierungen zugänglich ist. Dass sie jedoch die einzige Norm sein soll, die den föderativen Gleichheitssatz ausdrücklich normiert, stimmt nicht. In der Formulierung: „Die Beteiligung [an den Ausgaben] ist für alle Länder einheitlich festzusetzen“ (Art. 91a Abs. 4 Satz 2, 2. Hs. GG) ist der föderative Gleichheitssatz ebenso enthalten wie in der Formulierung des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG: „Durch das Gesetz ist sicherzustellen, dass die unterschiedliche Finanzkraft der Länder angemessen ausgeglichen wird“. M. E. geht Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG sogar über Art. 91a Abs. 4 Satz 2, 2. Hs. GG hinaus. Dort müssen die Länder nämlich nicht nur „einheitlich“ behandelt werden, vielmehr gibt ersterer dem Bundesgesetzgeber darüber hinaus sogar den Auftrag, die vorgefundene Unterschiedlichkeit der Länder aktiv auszugleichen.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

hindert es eine gesteigert fehlerhafte Rechtsanwendung. Für den Gesetzgeber ist das Verbot der Willkür und das Objektivitätsgebot somit die äußerste Grenze seiner Gerechtigkeitswertungen, damit auch Gerechtigkeitsmaßstab und gleichsam „Rechtsstaatsreserve“, die den grob fehlerhaften Eingriff zurückweist. Das Willkürverbot gewinnt seinen Gehalt aus den Grundrechten als wertstiftende, grundlegende Normen, aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie aus den Gerechtigkeitsvorstellungen der staatlichen Gemeinschaft, wie sie im Grundgesetz normiert sind 329. Der Gesetzgeber ist und bleibt Erstinterpret der Verfassung 330. Er besitzt deshalb alle Möglichkeiten zu gesetzgeberischer Deutung, Ausprägung und Konkretisierung derselben 331. Die Kritik einer Bindung des Gesetzgebers an das Willkürverbot, mit der Begründung, dass eine solche Bindung dazu führe, dass das Bundesverfassungsgericht als kontrollierende Instanz seine Vorstellungen über die gerechteste, vernünftigste oder zweckmäßigste Ansicht des Gesetzgebers stellen könnte, greift nicht. Der (föderative) Gleichheitssatz lässt dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsraum. Der Grund hierfür liegt in der Leibholzschen Definition der Willkür als gesteigerte Form der Unrichtigkeit 332. Willkürlichkeit des Gesetzgebers liegt dann nicht vor, wenn er im Rahmen seines Entscheidungsraums eine gerechte Lösung findet, die sich jedoch nicht als die „zweckmäßigste“, „vernünftigste“ oder „gerechteste“ darstellt 333. Vielmehr ist aufgrund der primären Grundgesetzauslegung durch den Gesetzgeber die getroffene Regelung nur dann willkürlich, wenn sich ein vernünftiger, sachlicher Grund überhaupt nicht finden lässt 334. Das Bundesverfassungsgericht erhält somit durch den Gleichheitssatz nicht die Kompetenz, seine Wertungen an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers zu setzen, sondern lediglich die Befugnis, der Kompetenz des Gesetzgebers Schranken zu setzen 335.

329 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 243, 254. 330 BVerfGE 101, 158 (217); vgl. bereits zuvor Paul Kichhof, Symposion für Peter Lerche, S. 5 (16): „Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen der Erstinterpret des Grundgesetzes, die Rechtsprechung ihr Zweitinterpret“. 331 Vgl. Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 238; Peter Lerche, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsprägung und Grundrechtseingriff, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 121, Rn. 1ff. 332 Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 76f. 333 Vgl. Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 238; Peter Lerche, Grundrechtlicher Schutzbereich, Grundrechtsprägung und Grundrechtseingriff, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 121, 1ff. 334 Vgl. Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 238. 335 Robert Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 375.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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So konstatiert denn auch Jürgen W. Hidien, dass dem „vagen Willkürbegriff“ zwei Funktionen zukommen, die seine Übertragung in das föderative Finanzausgleichsverhältnis gestatten: „Materiellrechtlich fungiert er als gegensätzlicher Korrekturbegriff von Gerechtigkeit und zur absoluten Negierung der Rechtsidee. [ . . . ] Das formale [ . . . ] Verbot willkürlicher Differenzierung lässt sich auch im föderativen Gleichheitssatz nutzbar machen. Funktionellrechtlich beantwortet der Willkürbegriff auch die maßgebliche Frage des ‚Quis judicabit‘, indem er als ‚Vehikel richterlicher Zurückhaltung‘ [ . . . ] die Grenzen verfassungsrechtlichen Zugriffs markiert und dem Gesetzgeber eine sehr weitgehende Gestaltungsfreiheit belässt, ohne das Gericht zu verpflichten, die – unerfindliche – gerechteste und zweckmäßigste Vergleichslösung zu suchen“ 336. Der materiellrechtliche Gedanke der Gerechtigkeit ist der deutschen Rechtsordnung immanent, so dass sich Willkür verbietet. Ebenso ist der zweite Gedanke richtig. Durch das Erfordernis der Willkürfreiheit und der Zurücknahme des verfassungsgerichtlichen Prüfungsumfangs in diesem Bereich verbleibt die Erstinterpretation für den föderativen Gleichheitssatz und den Länderfinanzausgleich beim Gesetzgeber, wie dies von der Verfassung vorgesehen ist. Dies ist jedoch nicht Voraussetzung für die Anwendung der Willkürrechtsprechung auf das Finanzausgleichsverhältnis, sondern deren Folge. Im Rahmen dieser Erstinterpretation des rechtsstaatlichen Willkürverbots muss der Gesetzgeber jedoch einige Punkte beachten, um sich nicht dem Vorwurf der Willkürlichkeit auszusetzen: Der grundrechtliche Gleichheitssatz bietet dem Menschen eine elementare Gleichheit unter dem Begriff der Statusgleichheit. Hierbei anerkennt der Gleichheitssatz zwar diese elementare Statusgleichheit des Menschen, doch erkennt und akzeptiert er auch die Verschiedenheit der gleich zu behandelnden Menschen, deren Individualität und deren Recht zur unterschiedlichen Freiheitsausübung. Für den föderativen Gleichheitssatz im Rahmen des Länderfinanzausgleichs muss diese Dogmatik des grundrechtlichen Gleichheitssatzes entsprechend gelten. Wie gezeigt besteht auch für die Länder eine föderative Gleichheit. Dies ergibt sich aus der bundesstaatlichen Verfassung in ihrer konkreten Ausformung. Diese Gleichheit kann in unterschiedlichen staatlichen Bereichen verschieden ausgestaltet sein. Im Bereich des Finanzausgleichs lässt sich hierbei durchaus von einer „Statusgleichheit der Länder“ sprechen. Dort fordert der föderative Gleichheitssatz nämlich, wie sich aus dem Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG sowie dessen Sinn und Zweck in Verbindung mit dem Anspruch auf Gleichbehandlung der in dem jeweiligen Land lebenden Bürger ergibt, dass alle Länder in gleicher 336 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 707f., der allerdings das föderative Gleichbehandlungsgebot ebenso wie den grundrechtlichen Gleichheitssatz nur auf Vergleichsfälle anwenden will.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Weise mit einem zur Autonomie befähigenden Mindestmaß an finanziellen Mitteln ausgestattet werden müssen. Jedem Land müssen zumindest die Mittel zur Verfügung stehen, die benötigt werden, um Aufgaben, die auf gesetzlichen Verpflichtungen beruhen, sinnvoll wahrnehmen zu können. Nur auf diese Weise kann eine Mindestversorgung mit staatlichen Leistungen im Bundesgebiet sichergestellt werden. Diese finanzielle Mindestausstattung der Länder ist somit Postulat des rechtsstaatlichen, föderativen Gleichheitssatzes. Autonomie ist, wie oben schon erläutert, hierbei zu verstehen als das Recht, durch Parlaments- und Regierungsentscheidungen eine eigene Finanzpolitik zu entfalten und diese gegenüber dem Landesstaatsvolk zu verantworten 337. Der Gleichbehandlungsgrundsatz, der für alle Länder eine finanzielle Mindestausstattung verlangt, wird auch nicht von Art. 106 Abs. 8 GG durchbrochen. Zwar dient der Sonderlastenausgleich des Art. 106 Abs. 8 GG, den der Bund einzelnen Ländern oder Gemeinden zu gewähren hat, nicht dazu, allgemein die Finanzkraft und Finanzausstattung aller Gebietskörperschaften gleichmäßig autonomiegerecht aufzufüllen, sondern stellt auf individuelle Belastungen ab. Gerade in diesem individuellen Ausgleich manifestiert sich jedoch Gleichheit und ländergerechte Autonomie: Art. 106 Abs. 8 GG fungiert als „das staatsorganisationsinterne Pendant zur Aufopferungs- und Enteignungsentschädigung“. „Voraussetzung des Anspruchs ist eine extern verursachte besondere Ausgabenbelastung, Anspruchsziel ist die Herstellung der Gleichheit“ 338. Es soll aber nicht nur Gleichheit (wieder-)hergestellt werden, sondern darüber hinaus auch die landesspezifische Autonomie. Jedes Land soll in die Lage versetzt werden, seine Aufgaben autonom zu erfüllen, seine Autonomie wahrnehmen zu können, und soll nicht durch Belastungen, die ihm vom Bund auferlegt sind und „für die es nichts kann“, gebunden sein. Ähnliches gilt im Übrigen für Bundesergänzungszuweisungen nach Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG, die nicht allgemein der Anhebung der Länderfinanzkraft dienen, sondern besondere, benannte und begründete, Belastungen ausgleichen sollen.

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Peter Selmer / Carsten Brodersen, Finanzverfassungsrechtliche Grundfragen, S. 9; Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 234. Dieser hält allerdings einen Ausgleich, der nur die gesetzlichen Pflichtaufgaben umfasst, nicht für ausreichend. Die Staatlichkeit der Länder setze auch eine gewisse finanzielle Autonomie der Länder voraus. Diese Eigenständigkeit sei aber nur gewährleistet, wenn sie nicht nur die Pflichtaufgaben umfasse, sondern einen gewissen Spielraum gewähre. Nur ein solcher Ausgleich sei „angemessen“. 338 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 118; Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 718; so auch: Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 137; Theodor Maunz in: Maunz/Dürig, GG, Art. 106, Rn. 97.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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d) Gleichheitssatz und Autonomie Der länderspezifischen „Statusgleichheit“, die für alle Länder eine Mindestausstattung festlegt, steht die gliedstaatliche Autonomie entgegen. Diese begrenzt den Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG. Eine „gute“ Landesfinanzpolitik muss vom Wähler honoriert, eine „schlechte“ vom Wähler beanstandet werden können. Allerdings spielen sich bundesstaatliche Autonomie und föderativer Gleichheitssatz auch in die Hände: Einerseits begrenzt die Autonomie der Länder die finanzielle Angleichung unter den Ländern, andererseits steht sie als weiterer Rechtsgrund des Länderfinanzausgleichs neben dem föderativen Gleichheitssatz. Denn die staatliche Autonomie verlangt ebenso wie der bundesstaatliche Gleichheitssatz, dass alle Länder gleichermaßen „am Gesamtertrag der Volkswirtschaft“ beteiligt werden und ihnen eine aufgabengerechte Finanzausstattung gewährt wird 339, zumindest insoweit als dies zur Erfüllung eines Mindestmaßes an staatlichen Leistungen erforderlich ist. Angemessenheit und Ausgleich, Autonomie und Solidarität stehen sich mithin nicht nur antinomisch gegenüber, sondern stehen auch in gewisser Weise ergänzend nebeneinander. Der Autonomiegedanke verkörpert sich insbesondere im Erfordernis der „Angemessenheit“ des Ausgleichs. Durch das Finanzausgleichsgesetz findet ein Eingriff in die Autonomie der ausgleichspflichtigen Länder statt, da diesen Ländern eigene, bereits in den Haushalt eingestellte Finanzmittel entzogen werden und anderen Ländern zugewiesen werden. Diese „eingriffsähnliche“ Problematik soll im nächsten Abschnitt über die Angemessenheit des Ausgleichs weiter vertieft werden. Der Eingriff muss hierbei bezüglich des Ausgleichsziels, nämlich die Ausstattung aller Länder mit einem gewissen Mindestmaß an finanziellen Mitteln, um so eine einigermaßen einheitliche Versorgung der jeweiligen Landeseinwohner mit öffentlichen Aufgaben gewährleisten zu können, als ein „angemessener“ gerechtfertigt werden. So wird sichergestellt, dass der Eingriff nur so weit geht, wie es erforderlich ist, um die finanzwirtschaftliche Befähigung der ausgleichsberechtigten Länder zur autonomiegerechten Erfüllung ihrer Finanzaufgaben aufrecht zu erhalten und zu unterstützen. Daher bleibt es festzuhalten, dass sowohl tertium comparationis als auch Ziel des angemessenen Ausgleichs die Finanzautonomie der Länder ist. Die Finanzen der Länder sollen durch die Zuweisung einer Grundausstattung an Haushaltsmitteln ihre verfassungsrechtlich gewährleistete Autonomie stützen. Dies wird bestätigt durch den gesamten Aufbau des Finanzausgleichs: Zuerst der primäre Finanzausgleich, in dem bereits vertikal ein „angemessener Ausgleich“ zwischen Bund und Ländern stattfindet 340. Hierauf aufbauend folgt der horizontale Finanzausgleich. In einem ersten Schritt besteht dort im Rahmen der Zuweisungen von

339

Vgl. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 116.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Umsatzsteuerergänzungsanteilen an finanzschwache Länder bereits in Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG ein auf die Einzelländer ausgerichtetes, wenn auch fakultatives Angemessenheitskorrektiv. Auf diese durch die Prinzipien der Gleichheit, Gleichbehandlung und Angemessenheit geprägten Vorgaben baut der sekundäre horizontale Finanzausgleich, der eigentliche Finanzausgleich, letztlich auf und zielt auf eine weitere „angemessene“ Annäherung der bereits angenäherten Finanzausstattung der Länder. Der „angemessene Ausgleich“ kann sodann durch Bundesergänzungszuweisungen nach Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG weiter verbesondert und verfeinert werden 341. Der Länderfinanzausgleich dient folglich der gliedstaatlichen Autonomie. Die Länder sollen durch die Zuweisung finanzieller Mittel zur freien Verfügung in die Lage versetzt werden, eine eigenständige Politik zu machen. Solidarität in Form der finanziellen Ausgleichsverpflichtungen der „reichen“ Länder dient hierbei als Mittel zum Zweck. Daneben findet das Übermaßverbot (oder einzelne seiner Aspekte) generell verstärkt Einzug in den Gleichheitssatz. Dies verwundert auf den ersten Blick, ist doch der Gleichheitssatz ein Element der horizontalen Gerechtigkeit, der Verhältnismäßigkeitsgedanke ein solches der vertikalen Gerechtigkeit. Außerdem fehlt bei einer Gleichheitsprüfung das „Ziel“ im Sinne einer Zweck-Mittel-Relation der Freiheitsrechte. Eine Gemeinsamkeit beider Prinzipien besteht allerdings darin, dass beide Verkörperungen der Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit sind 342. So treffen sich beide Kriterien „im Anspruch auf Legitimität der Zielsetzung sowie objektiv sachgerechte und abgewogene Wirkung und Begründung der staatlichen Einwirkung“ 343. e) Ergebnis „Das allgemeine rechtsstaatliche Willkürverbot bietet deshalb auch einen Maßstab für Finanzausgleichsgesetze“ 344. Der Gleichheitssatz ist ein „Kerninhalt“ des Rechtsstaatsprinzips. Das Rechtsstaatsprinzip hat allerdings nur dort einen konkreten Inhalt, wo Verfassungsnormen es verdeutlichen und ausformen; nimmt das 340 Vgl. nur Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 und 2 GG: Der „gleichmäßige Anspruch“ der Länder auf Deckung ihrer Ausgaben, die erforderliche „mehrjährige Finanzplanung“ hierzu sowie das Erfordernis, die Deckungsbedürfnisse der Finanzen von Bund und Ländern so aufeinander abzustimmen, dass ein „billiger Ausgleich“ erzielt wird. 341 BVerfGE 101, 158 (232f.). 342 So auch: Manfred Gubelt in: von Münch / Kunig, GG, Art. 3, Rn. 15: „Als Grundsatz mit Verfassungsrang, hergeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20, bindet das Übermaßverbot alle staatliche Gewalt. [ . . . ] Darüber hinaus sind seine Teilgebote wie Eignung und Angemessenheit Bestandteile für ein gerechtes (objektives, sachgerechtes, systemgetreues) Handeln der Staatsorgane“. 343 Lerke Osterloh in: Sachs, GG, Art. 3, Rn. 17. 344 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 9.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Grundgesetz keine genaue Ausgestaltung des Rechtsstaatsprinzips vor, geht die Verfassung, wie beim Willkürverbot und beim Objektivitätsgebot, nicht in das Konkrete, bleibt das Rechtsstaatsprinzip „generalklauselartige Gerechtigkeitsreserve“ und bildet die „elementare und äußerste Grenzlinie“ des rechtsstaatlich Vertretbaren. Im Konkreten ist der Gleichheitssatz prägnant und justitiabel, in seiner verallgemeinernden Annäherung an das Gerechtigkeitsprinzip ist er zwar prägendes Element des Staatswesens, aber unscharf, flexibel und nur beschränkt justitiabel 345. Der nur auf dem Willkürverbot beruhende föderative Gleichheitssatz bedarf somit der weiteren Ausformung durch den Gesetzgeber. Die Erstinterpretation des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG sowie des föderativen Gleichheitssatzes muss beim Gesetzgeber verbleiben. Dieser ist Adressat des Angleichungsauftrags. Das Willkürverbot verlangt jedoch von diesem die Schaffung eines Maßstabs, in der Ausgestaltung desselben genießt der Gesetzgeber jedoch eine weitgehende Einschätzungsprärogative. Es muss Maßstäbe geben, die Länder dürfen nicht willkürlich behandelt werden. Maßstäbe sind ebenfalls vonnöten, um dem Gleichheitssatz justitiable Konturen zurückzugeben. Die Verpflichtung zur Schaffung objektiver Maßstäbe streitet für sich allein noch nicht für ein dem Finanzausgleichsgesetz übergeordnetes Maßstäbegesetz. Ein Maßstäbegesetz, das langfristig und losgelöst von der Tagespolitik allgemeine Maßstäbe vorgibt, ist jedoch in besonderem Maße dazu befähigt, das rechtsstaatliche Willkürverbot sowie das alle staatliche Gewalt bindende Objektivitätsgebot in besonderem Maße zu beherzigen und umzusetzen. Der föderative Gleichheitssatz gebietet gleichsam ein Maßstäbegesetz, „das im Rahmen der erforderlichen Verfassungskonkretisierung [ . . . ] die abstrakten Grundlagen für die im Finanzausgleichsgesetz zu regelnden konkreten Ausgleichsfolgen schafft“ 346. Mithin bleibt festzuhalten, dass nur ein allgemeines Gesetz die rechtstaatlichen Grundbedingungen der Verfassung einhalten kann 347. Die Allgemeinheit des Gesetzes war im Finanzausgleichsgesetz zunehmend nicht mehr verwirklicht, vielmehr wurden dort politische Kompromisse ohne langfristigen Bezug geschlossen. Vor diesem Hintergrund wird das Maßstäbegesetz noch verständlicher und wichtiger. Nur das Maßstäbegesetz gibt dem Gesetz seine eigentliche rechtsstaatliche Funktion (in der Allgemeinheit des Gesetzes) zurück, legt den Gesetzgeber auf seine Funktion fest, gibt diesem seine Gestaltungsfreiheit wieder, indem es seine Rolle als bloßer „Gesetzgebungsnotar“ beendet und so Willkür vorbeugt. 345

Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (141). BT-Drs. 14/5951, S. 2. 347 Vgl. hierzu grundlegend BVerfGE 40, 237 (249): „Im Rahmen einer demokratischparlamentarischen Staatsverfassung, wie sie das Grundgesetz ist, liegt es näher anzunehmen, dass die Entscheidung aller grundsätzlichen Fragen, die den Bürger unmittelbar betreffen, durch Gesetz erfolgen muss [ . . . ]“; Thomas Würtenberger, Staatsrechtliche Probleme politischer Planung, S. 185ff. 346

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Der Gesetzgeber muss Erstinterpret der Verfassung bleiben, denn nur er kann entscheiden, ob er der bundesstaatlichen Solidarität oder der bundesstaatlichen Autonomie größere Bedeutung zumisst. Für eine der beiden muss er sich aber (stringent) entscheiden. Hierbei genügt das vor allem auf politischem Kompromiss aufbauende Finanzausgleichsgesetz diesen Anforderungen nicht. Dem Gesetz soll seine ursprünglich zugedachte Funktion wieder zurückgegeben werden 348: es soll widerspruchs- und willkürfreifrei sein sowie in seiner abstrakten und nicht an Rechtsfolgen orientierten Fassung eine dauerhafte normative Ordnung schaffen 349. Nicht umsonst formuliert das Bundesverfassungsgericht: „Das Gesetz gestaltet in seiner formellen Allgemeinheit rational planmäßig die Zukunft, setzt eine gewisse Dauerhaftigkeit der Regel voraus, erstreckt ihre Anwendung auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger Fälle, wahrt damit Distanz zu den Betroffenen, wendet die Aufmerksamkeit des regelnden Organs dem auch für die Zukunft verpflichtenden Maß zu und verwirklicht die Erstzuständigkeit des Gesetzgebers bei der Verfassungsinterpretation“ 350. Das Maßstäbegesetz ist folglich eine Rückbesinnung auf das „klassische“ Gesetz: Es schafft (eine rechtsstaatlich gewollte und geforderte) Distanz zu den unterschiedlichen, in Ausgleich zu bringenden Interessen und vermeidet die kurzfristige „interessenbestimmte Verständigung über Geldsummen“. Der Finanzausgleich ist mehr als ein bloßes (politisches) Verfahren zum Interessenausgleich; eine Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Länder und des Bundesrates akzeptiert das Bundesverfassungsgericht nicht, sondern fordert vom Gesetzgeber unmissverständlich, seine rechtsstaatliche Pflicht zu erfüllen und nicht einer Machtverlagerung in Richtung Bundesrat tatenlos zuzusehen. Das (rechtsstaatliche) Willkürverbot ist somit Grundlage des bundesstaatlichen Finanzausgleichs. Es fordert aufgrund seiner generalklauselartigen Weite vom Gesetzgeber selbstgesetzte Maßstäbe: „Im Rahmen finanzieller Ausgleichsregelungen ist der Gesetzgeber daran gebunden, selbstgesetzte Maßstäbe nicht ohne sachlichen Grund wieder aufzugeben. Finanzausgleichsregelungen müssen in sich widerspruchsfrei sein“ 351. Allerdings reicht die Kenntnis des Gesetzgebers, selbstgesetzte Maßstäbe einzuhalten und nicht (grundlos) wieder aufzugeben, allein nicht aus. Vielmehr bedarf es zur Umsetzung dieser Maßstäbe einer gesetzlichen Regelung. Das Bundesverfassungsgericht ist in seiner jüngsten Entscheidung nicht den Weg gegangen, diese Maßstäbe selbst im Finanzausgleichsgesetz zu verankern, sondern hat den Gesetzgeber verpflichtet, hierfür ein eigenständiges Maßstäbe348

So ausdrücklich BVerfGE 101, 158 (217). Vgl. auch Hanno Kube, Finanzgewalt in der Kompetenzordnung, S. 156; unter dem Gesichtspunkt der Rechtsquellenlehre, Paul Kirchhof, Festgabe Bundesverfassungsgericht, Zweiter Band, S. 50 (77ff.). 350 BVerfGE 101, 158 (217f.). 351 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 119. 349

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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gesetz zu erlassen. Das Bundesverfassungsgericht erfüllt mit der Forderung nach einem Maßstäbegesetz somit ein Anliegen des föderativen Gleichheitssatzes, der sich in einem rechtsstaatlichen Willkürverbot manifestiert. So müssen „gleiche Maßstäbe“ für die Anspruchsberechtigung und Ausgleichsverpflichtung auf die Länder Anwendung finden, insbesondere im horizontalen Länderfinanzausgleich nach Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG; in diese Berechnungen müssen alle Länder gleichermaßen einbezogen werden. Auch für die Bundesergänzungszuweisungen gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG gilt der „Grundsatz des gleichen Maßstabs“; bei der allgemeinen Anhebung der Länderfinanzkraft ist der Bund „zur Gleichbehandlung der Länder verpflichtet“. Sollen hingegen Sonderlasten ausgeglichen werden, muss der Gesetzgeber diese benennen und begründen sowie sie bei allen Ländern berücksichtigen, bei denen sie vorliegen. Diese Sonderlasten müssen hierbei so umschrieben werden, dass „alle Länder mit einer vergleichbaren Last bei entsprechender Relation zu ihrem Aufkommen ebenfalls“ in den Genuss dieser Ergänzungszuweisungen kommen können 352. Der Gesetzgeber darf nicht einzelne Gliedstaaten anders als andere behandeln, indem er etwa explizit benannten Ländern eine Sonderbehandlung zuteil werden lässt; außerdem muss er alle Tatbestandsmerkmale abstrakt und inhaltlich so bestimmen, dass keinesfalls bestimmte Gliedstaaten diese Voraussetzungen regelmäßig erfüllen, wohingegen andere permanent ausgeschlossen bleiben. Der Gesetzgeber muss die Gleichbehandlung in einem „entwicklungsbestimmten Tatbestand“ niederlegen 353; Ausnahmen bedürfen der Rechtfertigung. Dies alles mündet schließlich in folgendes Prinzip: „Sachwidrige Benachteiligungen müssen ausgeschlossen sein“ 354. Gleiches muss natürlich für sachwidrige Bevorzugungen gelten. Willkürliche Ungleichbehandlung sollen auf jeden Fall verhindert werden. Der Begriff der Sachgerechtigkeit, der auch das Objektivitätsgebot indiziert, dient sowohl in der Argumentation zum grundrechtlichen Gleichheitssatz 355 als auch im Rahmen des föderativen Gleichheitssatzes 356 „als Hilfsmittel zur Konturierung des Willkürverbotes“ 357. Der Gesetzgeber muss die Vergleichsgrundlagen nach objektiv verlässlichen Maßstäben entwickeln, die verhindern sollen, dass die „ausgleichspflichtigen Länder die Folgen fremder Wil-

352

BVerfGE 72, 330 (404ff.); 86, 148 (271ff.); Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 118f. BVerfGE 101, 158 (217); Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 286 spricht vom „Prinzip der Offenheit des Tatbestandes“. 354 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 118. 355 BVerfGE 21, 12 (26); 26, 302 (310); 29, 327 (335); 42, 65 (72); 55, 72 (90). 356 BVerfGE 1, 117 (141); 72, 330 (407, 415). 357 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 726. 353

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

lensentscheidungen“ zu tragen haben 358. Das aus dem föderativen Gleichheitssatz abgeleitete Willkürverbot erschöpft sich jedoch nicht nur in dem Gebot der Sachund Realitätsgerechtigkeit, sondern schließt auch die Systemgerechtigkeit, die Vollständigkeit und Folgerichtigkeit mit ein. „Abweichungen von selbstgesetzten oder vorgegebenen Regelungsmaßstäben indizieren einen Gleichheitsverstoß“ 359. Die Systemgerechtigkeit als „Hilfsmittel“ des Willkürverbotes verlangt Maßstäbe 360. Hierbei bedeutet „finanzrechtliche Systemgerechtigkeit [ . . . ] zunächst nicht, dass der Ausgleichsgesetzgeber seine von ihm gewählten Differenzierungskriterien auf das jeweilige Regelungsziel ausrichtet. [ . . . ] Sie meint auch nicht den generellen Wertungs- und Systemzusammenhang mit dem einschlägigen Verfassungsgesetz, die nach systematischen oder teleologischen Maßstäben lediglich die Gleichheit vor dem Grundgesetz aktualisiert und insoweit keinen zusätzlichen Abgrenzungsertrag abwirft. Als Selbstbindung des Ausgleichsgesetzgebers deckt sich der vage Maßstab der Systemgerechtigkeit insbesondere nicht mit der finanzverfassungsrechtlich vorgegebenen Ordnung und Stufenabfolge des ‚Gefüges‘ oder ‚Systems‘ des föderativen Finanzausgleichs. Das letztere ist bindend aufgegeben und vorstrukturiert, während der einfache Finanzausgleichsgesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsraums Systemansatz, Systemaufstellung und Systemerhaltung verfassungskonform ausdifferenzieren darf, und sich auf diese Weise eigenen Bindungen unterwirft.“ 361 Der Gesetzgeber muss Maßstäbe innerhalb des Systems der Art. 106f. GG setzen, zu deren Einhaltung er verpflichtet ist, solange er diese Maßstäbe nicht ändert. Hält er sich nicht an die von ihm gesetzten Maßstäbe, begeht der Gesetzgeber einen Gleichheitsverstoß. Er verstößt gegen den föderativen Gleichheitssatz in Form des Willkürverbots in seiner Ausprägung als Prinzip der Systemgerechtigkeit. „Die Verletzung des finanzausgleichsrechtlichen Konsequenzgebotes indiziert daher zugleich eine Verletzung des föderativen Gleichheitsprinzips“ 362. Selbstgesetzte Regelungsmaßstäbe kann der Gesetzgeber nicht verlassen, wenn dies Ausgleichsfolgen nach sich zieht, die zu den Ausgleichsmaßstäben in Widerspruch stehen. Prinzipiell ist die Systemgerechtigkeit im jeweiligen Gesetzeswerk geregelt. Dort muss sie eingehalten werden. Mit dem Erfordernis, hierfür ein eigenes Maßstäbegesetz zu konstruieren, betritt das Bundesverfassungsgericht Neuland. Entgegen deutlicher Kritik in der Literatur wird das Maßstäbegesetz in besonderem Maße dem Gedanken der Systemgerechtigkeit und dem föderativen Gleich-

358 BVerfGE 1, 117 (133, 141); 86, 148 (222ff.); Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 727f., S. 743. 359 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 743. 360 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 730. 361 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 730. 362 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 730f.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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heitssatz gerecht. Der Gedanke der Systemgerechtigkeit mit der Verpflichtung des Gesetzgebers, sich im Rahmen der von ihm „selbst gesetzten Maßstäbe“ zu halten, wird durch das Maßstäbegesetz nicht nur umgesetzt, sondern verlangt vom Gesetzgeber darüber hinaus, sich diesen Gedanken der Systemgerechtigkeit jederzeit bewusst zu machen. Dies war bei einer Regelung ausschließlich im Finanzausgleichsgesetz nicht der Fall. Aufgrund des Maßstäbegesetzes muss der Gesetzgeber seine selbstgesetzten Maßstäbe nicht nur im Rahmen der von ihm selbst getroffenen Regelung beachten, sondern muss sogar zunächst – bewusst – Maßstäbe setzen und kann erst dann konkrete Verteilungsentscheidungen treffen. Gleiches gilt für Gesetzesänderungen. Betrifft eine solche die Maßstäbe, so müssen zunächst diese geändert werden, bevor die Ausgleichsfolgen angepasst werden können. Durch das Maßstäbegesetz wird ein verantwortungsvoller Umgang mit der Systemgerechtigkeit ermöglicht. Dennoch bleibt der Gesetzgeber Erstinterpret der Verfassung. Gleiches gilt für das Prinzip der Folgerichtigkeit. Dieses hindert den Ausgleichsgesetzgeber nicht daran, „einen verfassungskonformen neuen Systemansatz einzuführen“ 363. Vielmehr fordert es „einen zwischen Verfassungsgesetz und einfachem Gesetzesrecht abgestimmten Wertungszusammenhang“. „Auf diese Weise bewehrt das föderative Gleichheitsprinzip die finanzausgleichsrechtliche ‚Einheit der Rechtsordnung‘ und unterbindet verfassungsrechtliche und einfachrechtliche Wertungswidersprüche (Prinzip der Widerspruchsfreiheit)“ 364. Auch das Maßstäbegesetz verhindert keinen neuen Systemansatz, verlangt jedoch die Änderung der Maßstäbe vor Änderung der eigentlichen Finanzausgleichsfolgen. Dies ist einer der Gründe, warum das Maßstäbegesetz in besonderem Maße dem Grundsatz der föderativen Gleichheit entspricht. Darüber hinaus verpflichtet das föderative Willkürverbot im Rahmen des Finanzausgleichsrechtes den Bundesgesetzgeber, sein Wirken transparent zu machen und bei Unterscheidungen Gründe zu benennen und diese zu begründen (Benennungsund Begründungsgebot). Daneben verpflichtet der föderative Gleichheitssatz den Bundesgesetzgeber zur „kontinuierlichen Beobachtung und Überprüfung der ausgleichs- und gleichheitsrelevanten Sachverhaltselemente“ 365. Das Bundesverfassungsgericht lässt beispielsweise einen Sonderlastenausgleich nur dann zu, wenn der Gesetzgeber diese benennt und begründet 366, wenn mithin

363

Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 743. Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 732. 365 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 743. 366 Siehe nur BVerfGE 101, 158 (225): „Durch den tatbestandlichen Ausweis der Sonderlasten im Maßstäbegesetz wird sichergestellt, dass die ausgewiesenen und benannten Sonderlasten bei allen lastenbetroffenen Ländern berücksichtigt werden, dass die berücksichtigten Sonderlasten in angemessenen Abständen auf ihren Fortbestand über364

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

eine besondere Rechtfertigung vorliegt. Allein das Erfordernis des sachlichen Grundes ist schon ein formaler Hinweis auf den föderativen Gleichheitssatz und das rechtsstaatliche Willkürverbot. Neben diesem formalen Aspekt ist das Benennungs- und Begründungsgebot jedoch auch materiell Ausfluss des föderativen Gleichheitssatzes. „Die legislative und judikative Gleichheitsprüfung macht nur Sinn, wenn der Gesetzgeber bereits im Vorfeld, und nicht erst auf Nachfragen durch Nachschieben von Gründen verpflichtet ist, finanzrelevante Einschätzungen gleichheitskonform zu veröffentlichen, d. h. offiziell auch im Verfahren zu benennen und zu begründen“ 367. Der Gesetzgeber unterliegt somit aufgrund des föderativen Gleichheitssatzes sowohl einem Benennungsgebot als auch einem Begründungsgebot. Dieses Benennungs- und Begründungsgebot gilt nicht nur verfahrensrechtlich, sondern ist vom Bundesgesetzgeber auch in materieller Hinsicht einzuhalten. „Insoweit muss sich der Finanzausgleichsgesetzgeber bewusst werden, dass solche Begründungen und finanzrelevanten veröffentlichten Materialien keinen Selbstzweck verfolgen, sondern von diesem Begründungsgebot geradezu bezweckt werden. Ihre Aufnahme in die gesetzliche Regelung selbst wäre wünschenswert“ 368. Hierbei spricht Jürgen W. Hidien zwei Punkte an, die von zentraler Bedeutung sind. Beiden Punkten ist in vollem Umfang zuzustimmen. Zum einen wehrt er sich gegen den „Selbstzweck“ des Begründungsgebotes, und macht insbesondere die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Begründung seiner Regelungen aufgrund des föderativen Gleichheitssatzes deutlich. Zum anderen spricht er die erwünschte gesetzliche Normierung dieser Begründungszusammenhänge an. Aus den oben genannten Gründen ist sowohl die gesetzgeberische Verpflichtung zur Begründung als auch deren gesetzliche Normierung aufgrund des bundesstaatlichen Gleichheitssatzes nicht nur lediglich wünschenswert, sondern geboten. Ohne (das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte und rundweg anerkannte) Benennungs- und Begründungsgebot liefe eine Gleichbehandlungspflicht des Gesetzgebers ins Leere, könnte die Gleichbehandlung nicht nachvollzogen oder gerichtlich überprüft werden. Dies könnte dann lediglich durch ein wenig gleichheitskonformes „Nachschieben von Gründen“ geschehen. Beide Aspekte vereint das Maßstäbegesetz. Dieses soll nach der Intention des Bundesverfassungsgerichtes dazu dienen, die Begründungzusammenhänge darzulegen, und zwar nicht nur als Selbstzweck, sondern als Bestandteil des föderativen Gleichheitssatzes. Somit

prüft werden und dass die Kontrolle durch die Gerichtsbarkeit und Öffentlichkeit einen deutlich greifbaren Anknüpfungspunkt gewinnt“. Bereits in E 72, 330 (406) hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt: „Zudem ist der Bundesgesetzgeber verpflichtet, die berücksichtigten Sonderlasten in angemessenen Abständen auf ihren Fortbestand zu überprüfen. Andernfalls könnte die ursprüngliche Gleichbehandlung der Länder infolge einer Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten im Laufe der Zeit in eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung umschlagen“. 367 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 738. 368 Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 739.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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ist das Maßstäbegesetz auch aus diesem Grunde in besonderem Maße geeignet, die Vorgaben der Verfassung umzusetzen. Auch die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Beobachtungs- und Überprüfungspflicht des einfachgesetzlichen Länderfinanzausgleichs als „entwicklungsbestimmter Tatbestand“ findet ihren Ursprung im föderativen Gleichheitssatz. Die Beobachtungs- und Überprüfungspflicht steht in einem engen Zusammenhang zu dem Erfordernis der „Gleichheit in der Zeit“, realisiert sich doch im Gleichheitsprinzip das „Gebot der Zeitgerechtigkeit“ 369, welches den Gesetzgeber verpflichtet, alle seine Maßnahmen laufend bezüglich ihrer Wirkungen auf ihren Gerechtigkeitsgehalt abzustimmen. Diesem Erfordernis kam der Finanzausgleichsgesetzgeber nicht nach. Vielmehr versuchte er über Nachbesserungen und verspätete Korrekturen des Finanzausgleichsgesetzes dem legislativen „Verspätungsdilemma“ oder „time-lag“ zu entgehen. Einzige vorbeugende Komponente in dieser Problematik war lediglich der Verfassungstext, der mit seiner „zukunftsoffenen Rechtsbegrifflichkeit“ und „elastischen Rechtsnormen“ die Kontinuität und Realitätsnähe des Ausgleichsrechtes wahrte 370. Durch das Maßstäbegesetz wird dieses Dilemma abgemildert. Zwar lässt sich eine gesetzgeberische Verspätung auf geänderte Verhältnisse wohl nie ganz verhindern, doch ist der Finanzausgleichsgesetzgeber nach Erlass des Maßstäbegesetzes nicht mehr nur auf die Leitlinien der Verfassung und deren Rechtsoffenheit angewiesen, um den Finanzausgleich an die Realität anzupassen. Vielmehr kann er selbst Maßstäbe setzen, die Kontinuität und Realitätsnähe vereinen und helfen, dem Länderfinanzausgleich langfristig eine Struktur zu geben. Lösungen des Gesetzgebers „von Fall zu Fall“ genügen dem Beobachtungs- und Überprüfungsgebot nicht. Die Normen des Finanzausgleich müssen jederzeit in ihrem vollen Normgehalt verfassungskonform gelten und dem föderativen Gleichheitssatz entsprechen. Dies gilt insbesondere bei der Änderung der bestehenden Rechtslage: „Der Ausgleichsgesetzgeber, will er nicht einen gänzlichen Paradigmenwechsel vollziehen, befindet sich für jede gleichheitskonforme Regelung nicht mehr in einer frei gestaltbaren, nicht vorstrukturierten Regelungssituation, sondern in einer rechtlich geformten, durch ihn selbst in ihrer Entwicklung begleiteten und geleiteten Wirklichkeit. Die Einführung neuer Korrekturbedingungen wird dadurch nicht grundsätzlich unmöglich gemacht, die Rechtsentwicklung wird auch nicht unvertretbar zementiert oder führt zur ‚Verkrustung‘ des gesetzlich Hergebrachten, sondern bedingt lediglich, dass der Gesetzgeber sach-, system- und zielgerecht die Tragweite und Wirkungsweise ausgleichsrelevanter Änderungen vorweg prüft, im Nachgang überprüft und gegebenenfalls nachfasst oder nachbessert“ 371. Die Verwirklichung dieser verfassungsrechtlichen Forderung wird durch

369 370

Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 55. Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 740.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

das Maßstäbegesetz gewährleistet. Der Gesetzgeber kann seine Kodifikation jederzeit ändern, dabei bleibt jedoch sichergestellt, dass er sich weiterhin an die von ihm selbst gesetzten Maßstäbe hält. Auf diese Weise ist sowohl der Beobachtungs- und Überprüfungspflicht genügt sowie den gesetzgeberischen Kontinuitätsverpflichtungen in sach- und systemgerechter Art und Weise. Nur durch Maßstäbe kann der „entwicklungsbestimmte Tatbestand“ des Finanzausgleichs verfassungskonform umgesetzt werden. Das aus dem föderativen Gleichheitssatz abgeleitete rechtstaatliche Willkürverbot, das in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG in seiner konkreten bundesstaatlichen Ausgestaltung Anwendung im Recht des Länderfinanzausgleichs findet, fordert langfristige Maßstäbe, die in sich widerspruchsfrei sein müssen und ohne sachlichen Grund nicht mehr aufgegeben werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat hierfür zurecht den Weg eines dem Finanzausgleichsgesetz vorgehenden Maßstäbegesetzes gewählt. Durch dieses erfüllt der Gesetzgeber die Anforderungen, die das Willkürverbot an den Länderfinanzausgleich und insbesondere an Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG stellt. 4. Bundestreue Gerhard Leibholz beruft sich auf weitere Kriterien zur Begründung des föderativen Gleichheitssatzes. So gelte dieser deswegen, „weil auch in der neuen Reichsverfassung die Vertragstreue und bundesfreundliche Gesinnung rechtssatzmäßig verbürgt sind“. Und er führt weiter aus: „Geltungsgrund der Vertragstreue, der bundesfreundlichen Gesinnung usw. ist heute wie früher nicht die Tatsache, dass das Reich auf einer ‚föderativen Rechtsgrundlage‘ von Verträgen beruht, sondern dass die geschichtlichen Zusammenhänge noch weiter fortwirken, der Entstehungsmodus, der Vertrag, als weiter geltend vorgestellt wird. Diese Vorstellung erhält den bündischen Gedanken rechtssatzmäßig auch dort, wo er in der Weimarer Verfassung nicht oder nur undeutlich zum Ausdruck gelangt ist, lebendig und in Geltung. Auf dieser Norm fußt seinerseits auch der Satz von der Gleichheit der Glieder im Bundesstaat, weil von einer Wahrung der Vertragstreue nur dann gesprochen werden kann, wenn jeder Partner den anderen als gleichberechtigten Kontrahenten betrachtet und ihn demgemäß behandelt“ 372. So stellt sich die Frage, inwieweit das Prinzip der Bundestreue, oder aber wie Gerhard Leibholz es bezeichnet, die bundesstaatliche Vertragstreue oder bundesfreundliche Gesinnung für die Auslegung des bundesstaatlichen Gleichheitssatzes im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG eine Rolle spielt. Den Zusammenhang sieht auch das Bundesverfassungsgericht, das in seiner ersten Rundfunkentschei371 372

Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 741f. Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 152ff.

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dung bereits urteilt: „Im deutschen Bundesstaat wird das gesamte verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedern sowie das verfassungsrechtliche Verhältnis zwischen den Gliedern durch den ungeschriebenen Verfassungsgrundsatz von der wechselseitigen Pflicht des Bundes und der Länder zu bundesfreundlichem Verhalten beherrscht“. Das Bundesverfassungsgericht leitet aus diesem Prinzip eine Reihe konkreter Handlungspflichten ab und schlägt noch in derselben Entscheidung die Brücke in das Recht des Länderfinanzausgleichs: „Im Zusammenhang mit Erwägungen über die Verfassungsmäßigkeit des sog. horizontalen Finanzausgleichs steht der Satz: ‚Das bundesstaatliche Prinzip begründet seinem Wesen nach nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Eine dieser Pflichten besteht darin, dass die finanzstärkeren Länder den schwächeren Ländern in gewissen Grenzen Hilfe zu leisten haben‘“ 373. Das Bundesverfassungsgericht kommt hierbei zu dem Schluss, dass der Bund „bei Verhandlungen, die alle Länder angehen“ nicht „nur mit einigen eine Vereinbarung“ suchen dürfe, sondern, da alle Länder den „gleichen verfassungsrechtlichen Status“ besitzen, auch „im Verkehr mit dem Bund Anspruch auf gleiche Behandlung haben“, mithin gleich zu behandeln sind 374. Das Bundesverfassungsgericht greift somit an dieser Stelle das Element der bundesstaatlichen Statusgleichheit auf und setzt dieses in Beziehung zur Bundestreue. So stellt sich nun die Frage, ob die Bundestreue neben dem rechtsstaatlichen Willkürverbot Grundlage des föderativen Gleichheitssatzes sein kann. Diese Frage ist zu bejahen. Es gibt einige essentielle Grundlagen, die einen allgemeinen Zusammenhang zwischen Bundestreue, rechtsstaatlichem Willkürverbot sowie (ferner) dem Verhältnismäßigkeitsprinzip begründen. Erweitert man den allgemeinen Gleichheitssatz aus den obengenannten Gründen zu einem alle staatlichen Bereiche umfassenden rechtsstaatlichen Willkürverbot, so vergrößert sich dessen Anwendungsspielraum, werden seine Voraussetzungen allgemeiner. Dort „trifft“ sich das rechtsstaatliche Willkürverbot mit anderen (eher weit gefassten) Prinzipien, die im Kern auf die Einhaltung materieller Gerechtigkeit zielen. Ein (willkürlicher) Verstoß gegen den (föderativen) Gleichheitssatz beschreibt eine Ungerechtigkeit, welche den Staat seiner Rechtsstaatlichkeit beraubt. Dieser Anspruch des Rechtsstaates macht vor der Bundesstaatlichkeit nicht halt. Die Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes hat Auswirkungen auf die konkrete Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik, so dass der rechtsstaatliche Gleichheitssatz auch im föderalen Staatsaufbau gilt; auf der anderen Seite verbietet das nach überwiegender Auffassung bundesstaatliche, auf Treu und Glauben beruhende Prinzip der Bundestreue jegliche willkürliche Bevorzugungen oder Diskriminierungen 373 374

BVerfGE 12, 205 (254) mit Verweis auf E 1, 117 (131). BVerfGE 12, 205 (255f.).

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

einzelner Glieder des Bundesstaates und wirkt so in seiner allgemeinen Geltung wieder auf die (föderale) Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes und insbesondere auf das rechtsstaatliche Willkürverbot und den Gleichheitssatz zurück 375. Einen Schritt weiter geht Bernd Kowalsky. Er leitet das Prinzip der Bundestreue nicht aus Treu und Glauben ab, sondern verankert es im Rechtsstaatsprinzip, stellt also eine gedankliche Verbindung zwischen Bundestreue und Rechtsstaatsprinzip her und kommt zu folgendem Ergebnis: „Die Parallelität von Funktion, Zielsetzung und Rechtscharakter beider Institute erwies sich [ . . . ] als so weit übereinstim375 Ebenso Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 245f.; vgl. aber auch Hartmut Bauer, Die Bundestreue, S. 241, der zwar „bei einem Vergleich der Zielsetzungen und Funktionsweisen [ . . . ] auf einer höheren Abstraktionsebene manche Parallele zwischen Bundestreue und Rechtsstaatlichkeit“ für möglich hält, doch ändere dies nichts daran, „dass das Rechtsstaatsprinzip thematisch nicht zentral auf die Bundesstaatlichkeit bezogen ist“; widersprüchlich Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 700f., der konstatiert, Bundesstaatlichkeit und Rechtsstaatlichkeit seien „zwei eigenständige Rechtsprinzipien“, die sich zwar gegenseitig „befruchten“ könnten, aber dennoch sei zweifelhaft, ob sich das „rechtsstaatliche Verteilungsprinzip generell überhaupt in die staatliche Binnenorganisation verpflanzen lässt“. Denn jenes binde „die Staatsgewalt ‚nach außen‘“; Bundesstaatlichkeit sei „Staatsinternum“. So stünden beide Prinzipien gleichsam nebeneinander. Kritisch zu Recht, Marcus C. F. Pleyer, S. 246, Fn. 43, der feststellt, dass der „Rechtsstaatsgrundsatz auch nach innen wirkt, da viele seiner Unterprinzipien die Binnenorganisation determinieren, und das Bundesstaatsprinzip ebenso nach außen gerichtet ist, wenn sein gewaltenteilender Effekt zur Absicherung der Freiheitssphäre des Bürgers beiträgt“. Zur Begründung der von ihm sogenannten Finanzsolidarität greift jedoch auch Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 749ff., wieder auf das Prinzip der Bundestreue zurück. Diese Finanzsolidarität stehe als drittes Element neben der bundesstaatlichen Gleichheit und der gliedstaatlichen Autonomie. Sie sei ein „ausgleichendes Rechtsprinzip“, das zwischen den rechtlichen „Extrempositionen föderalistischer oder unitaristischer Natur“ vermitteln müsse. In der Verfassung sei die Finanzsolidarität in den materiellen Unterstützungs- und Hilfeleistungspflichten des Art. 107 Abs. 2 GG verankert. Sie umfasse ein finanzrechtliches Schädigungsverbot, ein finanzrechtliches Beistandsgebot, eine föderative Funktionshilfe sowie die föderative Sanierungshilfe, also das „Beistandsgebot“ bei „extremen Haushaltsnotlagen“. Somit erkennt auch Jürgen W. Hidien letztlich die Bundestreue als bedeutsam und maßstabsetzend für den Länderfinanzausgleich an. Warum dies jedoch auf einer dritten Ebene zwischen föderativer Gleichheit und Angleichung einerseits sowie bundesstaatlicher Autonomie andererseits stattfinden soll, erschließt sich nicht. Die Bundestreue wirkt in ihren Zielsetzungen und Folgen ähnlich wie das föderative Willkürverbot, verpflichtet ebenso wie dieses, kein Land willkürlich auszugrenzen oder ihm auf sonstige Weise zu schaden. Das „bündische Prinzip des Einstehens füreinander“ ist ebenso Teil des Angleichungsauftrags wie das Verbot der willkürlichen Bevorzugung oder Diskriminierung einzelner Länder. Auch dieses Prinzip dient dem Ziel, die Länder in die Lage zu versetzen, ihre Bürger mit einem Mindestniveau an Leistungen zu versorgen. Es will also Angleichung, um Autonomie zu gewährleisten und steht damit dem föderativen Gleichheitssatz näher als der Autonomie. Art. 107 Abs. 2 GG möchte generell einen Ausgleich schaffen zwischen Autonomie und Angleichung. Er gibt Angleichung und Gleichbehandlung vor, um gliedstaatliche Autonomie zu erhalten und zu schaffen. Die Einführung einer dritten Ebene ist hierfür nicht nötig, da jegliches finanzausgleichsrechtliches staatliches Handeln zwischen Autonomie und Ausgleich vermittelt und vermitteln muss.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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mend, dass von einer Deckung der Bundestreue nach herkömmlichem Verständnis mit rechtsstaatlichen Grundsätzen im Bund-Länder-Verhältnis gesprochen werden kann. Die Bundestreue ist daher mit dem Rechtsstaatsgebot, soweit es im föderalen Bereich anwendbar ist, identisch“. Und er führt weiter aus: „Dies erlaubt uns, die Bundestreue dahingehend zu bestimmen, dass sie Bund und Ländern gebietet, sich in ihrem Verhältnis zueinander in Übereinstimmung mit den rechtsstaatlichen Geboten zu behandeln. Hierzu zählen der allgemeine Gleichheitssatz, die Grundsätze der Bestimmtheit, Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit“ 376. Diese These, die Bernd Kowalsky eingehend erläutert 377, geht allerdings relativ weit. Ganz davon abgesehen, dass das Prinzip der Bundestreue nach herrschender Auffassung nicht im Rechtsstaatsprinzip verankert wird, sondern auf dem auch den Bereich des Bundesstaates durchdringenden Grundsatz von Treu und Glauben beruht 378, spielen sich doch die Gemeinsamkeiten zwischen Bundestreue und rechtsstaatlichem Willkürverbot auf einer relativ hohen Abstraktionsebene ab 379. Diese Parallele in der Verallgemeinerung lässt auf einen Zusammenhang schließen; bestimmte Gemeinsamkeiten zwischen (rechtsstaatlichem) Gleichheitssatz, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Bundestreue sind anzuerkennen. Bereits Peter Lerche hat darauf hingewiesen, dass die „Tatbestände des ungeschriebenen Prinzips vom bundesfreundlichen Verhalten des Bundes und der Länder [ . . . ] Grundsätzen des Übermaßverbotes nicht von vornherein entzogen sind“ 380; ebenso spricht Hermann-Wilfried Bayer davon, dass „das Prinzip der Bundestreue [ . . . ] die Aufsichtsorgane des Bundes [ . . . ] in der Wahl ihrer Mittel“ binde und sich insoweit mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit decke 381. Basieren nun Gleichheitssatz und Angemessenheit auf der materiellen Gerechtigkeit und werden sie durch eine Verallgemeinerung einander angenähert, in dieser ihrer tatbestandlichen Konturen beraubt 382 und liegt das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit auch der Bundestreue zugrunde, so könnte zwischen allen Prinzipien eine Verbindung bestehen. Bundestreue und rechtsstaatliches Willkürverbot könnten mithin beide gleichermaßen Grundlage des föderativen Gleichbehandlungsgebotes sein. Diesen Weg schlägt Marcus C. F. Pleyer mit guten Argumenten ein: Da die Bundestreue die bundesstaatliche Ausprägung des Grundsatzes von Treu und 376 Bernd Kowalsky, Die Rechtsgrundlagen der Bundestreue, S. 245; Hervorhebungen im Original. 377 Bernd Kowalsky, Die Rechtsgrundlagen der Bundestreue, S. 209ff. 378 Vgl. etwa Hartmut Bauer, Bundestreue, 243ff. 379 Vgl. Hartmut Bauer, Bundestreue, S. 241. 380 Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 160. 381 Hermann-Wilfried Bayer, Die Bundestreue, S. 91 mit Fn. 53. 382 Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (133f.).

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Glauben sei und aus der Bundestreue ein föderativer Gleichheitssatz mit Diskriminierungsverboten abgeleitet werden könne, sei der Gleichheitssatz bereits im Prinzip von Treu und Glauben angelegt. Das Rechtsprinzip „Treu und Glauben“ lasse sich wiederum auf die materielle Gerechtigkeit zurückführen, die auch die Grundlage des Rechtsstaatsprinzips darstelle, mithin auch des rechtsstaatlichen Willkürverbotes. Der Gleichheitssatz entspringt somit letztendlich der materiellen Gerechtigkeit, deren Prinzipien Eingang in das Grundgesetz gefunden haben, gleichgültig ob man sie aus der Rechtsstaatlichkeit oder aus Treu und Glauben ableitet 383. Dennoch darf man diese generalklauselartige „Übereinstimmung“ des föderativen Gleichheitssatzes mit der Bundestreue nicht überstrapazieren, sie ist für den weiteren Fortgang dieser Arbeit aber auch nicht entscheidend, doch wird man wohl anerkennen müssen, dass zwischen beiden Rechtsprinzipien (sowie auch zur Angemessenheit) Verbindungen bestehen, die sich auf die föderative Gleichbehandlung und somit auch auf die Auslegung des Länderfinanzausgleichs auswirken. Weiteres herauszufinden wäre Aufgabe einer eigenständigen Untersuchung. Beide Prinzipien durchziehen das gesamte deutsche (Verfassungs-)Recht und haben im Rahmen des Finanzausgleichs die gleiche Rechtsfolge, nämlich das Verbot, einzelne Teile des Bundesstaates willkürlich ungleich zu behandeln, in der Form, dass einzelne Glieder diskriminiert oder bevorzugt werden. Das bundesstaatliche Prinzip des bundes- und länderfreundlichen Verhaltens, die „Vertragstreue“ beeinflusst damit die Auslegung des Länderfinanzausgleichs 384. Auch dieses schreibt Maßstäbe fest, von denen der Gesetzgeber nicht zum Nachteil einzelner Länder willkürlich abweichen darf. Die Bundestreue fordert damit ähnliches wie das aus dem föderativen Gleichheitssatz abgeleitete Willkürverbot, kann diesen bereits im Wort „ausgeglichen“ verankerten föderativen Gleichheitssatz somit verstärken und ergänzen. Dabei muss allerdings ein Punkt beachtet werden: die Bundestreue gilt zwar als ungeschriebenes Verfassungselement universell und durchzieht alle Bereiche der Rechtsordnung (insoweit in Übereinstimmung mit dem Willkürverbot), doch kön-

383

Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 248. Insoweit unrichtig Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 700f., der den Zusammenhang zwischen rechtsstaatlichem Willkürverbot und Bundestreue verkennt und konstatiert, die Zurückführung des föderativen Gleichheitssatzes auf die Bundestreue würde zu einer Vermischung zweier selbständiger Rechtsprinzipien führen, obwohl beide ihren Ursprung in der Bundesstaatlichkeit hätten. Ersteres beschreibe Positionen der Gleichheit und der Gleichberechtigung der Länder, wohingegen die Bundestreue die „Vertragstreue“, das Zusammenstehen der Bundesgenossen zueinander beschreibe. Zwar könnten auch hier wechselseitige Beziehungen zwischen den beiden Prinzipien bestehen, da beide Prinzipien willkürliche Handlungsweisen zurückwiesen, doch behielten beide Prinzipien ihre eigenständige Bedeutung. 384

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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nen einzelne Verfassungsnormen die Bundestreue näher ausformen (auch insoweit in Übereinstimmung mit dem Willkürverbot). Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG fordert ein gewisses Maß an Homogenität unter den Ländern, doch steht wie beschrieben die gliedstaatliche Autonomie im Vordergrund. Hierin unterscheidet er sich von dem, auch auf das Prinzip der Bundestreue zurückzuführende Homogenitätsgebot des Art. 28 GG. Letzterer fordert von den Ländern vor allem in seinen Absätzen 1 und 3 Homogenität. „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen“. Absatz 3 sichert die Kompetenz des Bundes, die eben beschriebene verfassungsmäßige Ordnung in Ländern und Gemeinden zu gewährleisten. Art. 28 GG setzt damit auf weitgehende Homogenität. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG versucht dagegen, die widerstreitenden Interessen der gliedstaatlichen Autonomie und einer Harmonisierung der Länder in Einklang zu bringen, wobei der Schwerpunkt bei der Ländereigenständigkeit liegt. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG steht somit gleichsam als Brücke zwischen der Eigenständigkeit der Länder, die er bewahren will, und dem Homogenitätsgebot des Art. 28 GG. Letzteres wird dadurch verwirklicht, dass der Länderfinanzausgleich finanzschwachen Ländern (finanziell) hilft, ihren staatlichen und demokratischen Pflichten nachzukommen. So gilt im Länderfinanzausgleich das Prinzip der Bundestreue. Es müssen jedoch die Besonderheiten des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG beachtet werden. 5. Bedeutung des Willkürverbotes für den Länderfinanzausgleich und das Maßstäbegesetz Bereits Kurt Behnke hatte erkannt, dass der föderative Gleichheitssatz für die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen dem Gesamtstaat und seinen Gliedern objektive, rational erfassbare und „gleichmäßig anwendbare“ Maßstäbe verlange; die „politische Machtstellung“ sei dagegen als „Gradmesser auch für die Rechtsstellung der Gliedstaaten“ problematisch, öffne sie als „subjektiv gefärbtes Unterscheidungsmerkmal“ doch Tür und Tor für willkürliche Differenzierungen 385. Dies deckt sich insbesondere mit der Aussage des Bundesverfassungsgerichts, den Länderfinanzausgleich „nicht dem freien Spiel der politischen Kräfte“ zu überlassen 386. Den angemessenen Ausgleich ganz, ohne ein dazwischengeschaltetes Direktiv, in die Hände des Finanzausgleichsgesetzgebers zu geben, scheint deshalb problematisch. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG verfolgt das Ziel, autonome Länder zu schaffen; dies nicht nur für den Lauf eines Jahres, sondern – unter Verwirklichung der Gleichbehandlung der Länder – auf Dauer. Hierbei verlangt der föderative Gleichheitssatz eine regelmäßige und regelgerechte Angleichung. 385 386

Kurt Behnke, Die Gleichheit der Länder im Bundesstaatsrecht, S. 56. BVerfGE 101, 158 (218).

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Für Gerhard Leibholz ist die folgende „Erkenntnis [ . . . ] von Wert und verdient festgehalten zu werden“, die er für den allgemeinen Gleichheitssatz macht, welche aber auf die föderative Gleichbehandlung übertragen werden muss, dass nämlich „der materielle Bestand des Gleichheitsbegriffes von nur relativer Geltung und seinem Inhalte nach wandelbar“ ist 387. Im Rahmen des Länderfinanzausgleichs kommt hinzu, dass die föderative Gleichheit der Länder nicht nur im Moment der Umverteilung, sondern über den gesamten Zeitraum des Länderfinanzausgleichs gilt, denn die Länder sollen dauerhaft in ihrer Autonomie tätig werden können und Planungssicherheit für ihre Projekte erhalten. Dies bedeutet, dass der föderative Gleichheitsbegriff zwar wandelbar bleiben muss, aber nicht beliebig gewandelt werden darf. Die föderative Gleichheit der Länder fordert nicht nur die Angleichung der Finanzkraftunterschiede im laufenden Haushaltsjahr, sondern will es den Gliedstaaten ermöglichen, seinen Bürgern ein Mindestmaß an staatlichen und sozialen Leistungen zur Verfügung zu stellen. Andererseits darf der Finanzausgleich auch nicht erstarren. Dies erfordert nicht nur eine Verteilung der finanziellen Mittel im Haushaltsjahr, sondern fordert auch, die Länder über einen gewissen Zeitraum gleich zu behandeln und mit Mitteln auszustatten, damit diese ihren Aufgaben nachkommen können. Diese Aufgabe, wie bisher, lediglich im Finanzausgleichsgesetz zu regeln, das jederzeit geändert werden kann sowie Entscheidungen von politischen Kompromissen und parteipolitischer Couleur abhängig macht, erscheint nicht sinnvoll und erfüllt auch nicht die Vorgaben des Art. 107 Abs. 2 GG bezüglich der föderativen Gleichbehandlung der Länder. An dieser Stelle kann das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Maßstäbegesetz den nötigen „Befreiungsschlag“ darstellen, der in der Lage ist, das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Solidarität, zwischen Angleichungsauftrag und angemessenem Ausgleich zufriedenstellend und verfassungskonform unter Beachtung der föderativen Gleichheit der Länder zu lösen. Art. 107 Abs. 2 GG gibt trotz aller gegenteiligen Auslegungs- und Anreicherungsbemühungen der Literatur lediglich einen Rahmen vor, den nur der Bundesgesetzgeber ausfüllen kann; dies hat das Bundesverfassungsgericht erkannt und darauf angemessen reagiert, als es den Gesetzgeber aufforderte, das Maßstäbegesetz zu erlassen. Dieses bietet die Möglichkeit, diesen von der Verfassung offen gelassenen Spannungsrahmen auszufüllen. Das Maßstäbegesetz hat insbesondere den Vorteil, dass es den föderativen Gleichheitssatz sachgerecht umsetzt, Willkürverbot und Objektivitätsgebot durch ein allgemeines Gesetz wahrt, aber gleichzeitig den Gesetzgeber als Erstinterpreten der Verfassung belässt. Der Gesetzgeber würde weiterhin den föderativen Gleichheitssatz im Rahmen des Länderfinanzausgleichs ausgestalten, wäre aber durch das Maßstäbegesetz verpflichtet, objektive und willkürfreie Kriterien zu

387

Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 29.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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schaffen, die, obwohl veränderbar, nur nach eingehender, transparenter Prüfung und nur durch Änderung der Maßstäbe geändert werden könnten.

IX. Gleichheit in der Zeit Bei der Gleichbehandlung im Rahmen des Finanzausgleichs könnte noch eine weitere „Dimension“ zu berücksichtigen sein. Zieht man das Gleichbehandlungsgebot heran, so muss man im Bereich des Finanzausgleichs Rücksicht darauf nehmen, dass dieser zwar jährlich stattfindet, aber insgesamt ein immer wiederkehrender kontinuierlicher Prozess ist. Eine wirkliche Gleichbehandlung von Bund und Ländern ist nur dann möglich, wenn die Maßstäbe, nach denen die jährlichen Ausgleichsleistungen bestimmt werden, längerfristig gleich blieben. Eine Forderung nach Gleichbehandlung muss sich dann also nicht nur auf einen bestimmten Zeitpunkt, sondern auf einen längeren Zeitraum beziehen 388. Joachim Becker 389 sieht ein solches Verständnis im jüngsten Finanzausgleichsurteil angedeutet: Zum einen werde erst durch die Berücksichtigung einer „Gleichheit in der Zeit“ verständlich, warum das Gericht darauf verweise, dass der zentrale Begriff der „durchschnittlichen Finanzkraft“ ein „entwicklungsbestimmter Tatbestand“ und nicht nur ein „Jahresereignis“ sei 390. Dies könne nur bedeuten, dass verfassungsrechtlich grundsätzlich eine Gleichbehandlung in der Zeit geboten sei, die nur möglich sei, wenn die den einzelnen Ausgleichsleistungen in den entsprechenden Jahren zu Grunde liegenden Kriterien gleich blieben, was das Bundesverfassungsgericht mit den dem Finanzausgleich „zugrundeliegenden, gleichbleibenden Indikatoren“ angesprochen habe. Zum zweiten werde bei den Bundesergänzungszuweisungen darauf verwiesen, dass alle Länder gleich zu behandeln seien. Das föderale Gleichbehandlungsgebot verlange, dass die Kriterien für die Berücksichtigung von Sonderlasten in der den Gesetzgeber bindenden maßstabgebenden Regelung festgeschrieben würden. Diese Aussage mache deutlich, dass letztlich das föderale Gleichbehandlungsgebot den eigentlichen Grund dafür bilde, dass die Maßstäbe des Finanzausgleichs überhaupt konkretisiert werden müssten, nämlich um Transparenz herzustellen und so überhaupt erst eine realistische Möglichkeit zur Überprüfung zu schaffen, 388

Joachim Becker, NJW 2000, 3742 (3745). Joachim Becker, NJW 2000, 3742 (3742ff.). 390 BVerfGE 101, 158 (216): „Das Gesetz ermöglicht eine Unterscheidung zwischen laufenden und sonstigen Einnahmen sowie zwischen notwendigen und sonstigen Ausgaben, macht eine wesentlich veränderte Entwicklung des Verhältnisses zwischen Einnahmen und Ausgaben (Art. 106 Abs. 4 Satz 1 GG) anhand eines diese Entwicklung begleitenden Maßstabs feststellbar und entfaltet die zentrale Größe der durchschnittlichen Finanzkraft (Art. 107 Abs. 1 Satz 4, 2. Hs., Art. 107 Abs. 2 Sätze 1 und 2, Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG) als einen entwicklungsbestimmten Tatbestand und nicht nur als ein Jahresereignis“. 389

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

ob die Pflichten zur Gleichbehandlung der einzelnen Glieder des Bundesstaates beim Finanzausgleich eingehalten würden. Durch diesen Hinweis werde klar, dass die Forderung nach einer Gleichbehandlung der Länder untereinander nicht schon dann erfüllt sei, wenn alle Länder in dem entsprechenden Jahr des Finanzausgleichs gleichbehandelt würden, sondern nur dann, wenn die Länder Ausgleichsleistungen nach gleichen, für einen längeren Zeitraum geltenden Kriterien erhielten. Das Maßstäbegesetz müsse unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung betrachtet werden, allerdings nicht punktuell, sondern in der Zeit. Vorausgesetzt werde also, dass ein Gleichbehandlungsgebot nicht schon dann gewahrt sei, wenn eine Gleichbehandlung in einem bestimmten Zeitpunkt gewährleistet sei, sondern erst dann, wenn sie über einen bestimmten Zeitraum erfolge. Das Bundesverfassungsgericht mache an dieser Stelle mehr als deutlich, dass es das Grundgesetz in der Weise auslege, dass es verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen sei, einem Land in einem Jahr aufgrund eines bestimmten Tatbestandes Ausgleichsleistungen zu gewähren, während ein anderes Land, bei dem dieser Tatbestand erst zu einem späteren Zeitpunkt eintrete, keine entsprechenden Ausgleichsleistungen bekomme. Das Bundesverfassungsgericht erweitere in dieser Entscheidung die Gleichbehandlungspflichten im innerstaatlichen Bereich des Finanzausgleichs, indem es einen Perspektivenwechsel von der „eindimensionalen“, punktuellen Gleichbehandlung hin zu einer zweidimensionalen Beurteilung der Gleichbehandlung, über einen bestimmten Zeitraum hinweg, vornehme. Die verfassungsrechtliche Forderung nach einem Maßstäbegesetz missachte also keine gesetzten Maßstäbe, sondern setze vielmehr neue Maßstäbe in der Gleichheitsdogmatik 391. Grundsätzlich spielt das zeitliche Element im Rahmen des grundrechtlichen Gleichheitssatzes keine vordergründige Rolle 392; insoweit wird von der Zeit abstrahiert 393. So wird die Freiheit als „Magnet [ . . . ] nach vorn“ betrachtet, der gegenüber einer „statisch verstandenen“ Gleichheit als „Freiheit der Abänderung“ wirke. Es gehe um die Dimension der „Entwicklung“, der „Erwartung“, der „Progression“, des „Fortschritts“, die in einer Verfassung, die „von der dynamischen Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1)“ geprägt sei, nicht durch einen „statisch verstandenen Gleichheitssatz“ konterkariert werden könne 394.

391

Joachim Becker, NJW 2000, S. 3742 (3745f.). Vgl. aber grundlegend zu der „Gleichheit in der Zeit“ im Bereich der Grundrechte: Paul Kirchhof, Gleichheit in der Funktionenordnung, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 125, Rn. 46ff. 393 Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 38. 394 Günter Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 194; Hervorhebungen im Original. 392

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Dennoch kann das zeitliche Element nicht gänzlich aus dem Gleichheitssatz verbannt werden: Gleichheit bedeutet Gleichheit des Menschen in einem bestimmten Zeitabschnitt, der von einem Gesetz mit einer bestimmten Geltungsdauer umgrenzt wird 395. So wird auch gesehen, dass jede „Rechtsänderung, Befristung und Stichtagsregelung“ eine „prinzipiell rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung“ darstellt 396. Auch die Bestimmung des „Inkrafttretens einer Norm“ beinhalte ein Gleichheitsproblem; die Wahl des Zeitpunktes sei aber durch die Gesetzgebungsbefugnis als solche vor dem Gleichheitssatz gerechtfertigt 397. Auch bei eventuellen „Ungleichbehandlungen zukünftiger Grundrechtsträger“, so wird gesagt, sei Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt, da der Gesetzgeber nicht verpflichtet sei, eine „intertemporäre, intergenerative Ungleichbehandlung“, wie sie etwa aufgrund der demografischen Entwicklung in der staatlichen Rentenversicherung absehbar sei, auszugleichen 398. Insofern sei die Zeit die „‚offene Flanke‘ der Gleichheit“ 399. Dies wird jedoch auch anders gesehen: So verwendet Günter Dürig die „Zeit“ als einen „Topos des ‚rechten Maßes‘ zwischen Trägheit und Erstarrung, zu der Gleichheit ohne Freiheit in letzter Konsequenz führt, und ziellosem Treiben und Getriebenwerden als Exzess einer Freiheit ohne Gleichheit“. Durch die Einführung der Komponente Zeit verfolgt er somit in erster Linie das Ziel, eine gewisse Konstante in die Gesetzgebung einzuführen. Dies formuliert er so: „Die verfassungsrechtliche Freiheit belässt, eröffnet und erzwingt primär rechtlich relevante Bewegungsfreiheit, Abänderung, Mobilität usw., ohne dass allein die Zeitdauer des Vorherigen die normative Abänderung blockieren kann. Die verfassungsrechtliche Gleichheit jedoch bringt in diese Bewegung, Abänderung, Mobilität usw. rechtlich relevante Zeitmaße“ 400. Auch Paul Kirchhof will beide Seiten berücksich-

395

Christian Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3, Rn. 255. Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 38; vgl. auch: Christian Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3, Rn. 256ff. 397 Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 38. 398 Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 39; a. A. Hans D. Jarass, NZS 1997, S. 545 (551); Timo Hebeler, Generationengerechtigkeit als soziales Gebot in der sozialen Rentenversicherung, S. 123ff.; ders., DRV 2002, S. 270 (275ff.). 399 Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 39; Günter Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 194. 400 Günter Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 195 (Hervorhebungen im Original) bedient sich zur Darstellung des zeitlichen Zusammenhangs von Freiheit und Gleichheit eines Vergleichs mit dem Autofahren: „Autofahrer als Autofahrer sind nur gleich, solange der Wagen stillsteht. Bei ‚freier Fahrt‘ kommt Bewegung in den Stillstand, die bis zur mörderischen Raserei führen kann. Also braucht man wieder einen gleichen Zeitmaßstab als Regulator, der primär zwar davon ausgeht, dass Autofahrer schließlich fahren wollen, aber der die Beliebigkeit des Tempos bremst (also z. B. durch Geschwindigkeitsbegrenzungen auf 50 Stundenkilometer in Ortschaften)“. 396

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

tigt wissen: „Der Gleichheitssatz fordert, den heutigen Fall ebenso zu behandeln wie den gleichen gestrigen; Gleichheit verlangt aber auch, den heutigen veränderten Fall entsprechend seiner Veränderung gegenüber dem gestrigen anders zu behandeln. Gleichheit wahrt Bestand trotz der Zeit und sichert Veränderung entsprechend veränderten Zeiten“ 401. Entsprechend dieser beiden Ansätze werden Argumente sowohl für als auch wider eine grundrechtliche „Gleichheit in der Zeit“ vorgebracht. Hauptsächlich erörtert wird die „Gleichheit in der Zeit“ vor allem für den Bereich der Grundrechte, etwa im Rentenrecht, der Staatsverschuldung sowie im Umweltrecht unter den Stichpunkten „Langzeitverantwortung“, „ökologische Verteilungsgerechtigkeit“ und „Nachweltschutz“. Die vorgebrachten Argumente gelten allerdings auch für den föderativen Gleichheitssatz. 1. Argumente gegen eine „Gleichheit in der Zeit“ So wird gegen eine „Gleichheit in der Zeit“ eingewandt, Leistungen und Belastungen würden durch den Gesetzgeber zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingebracht, mithin handele es sich um unterschiedliche Gesetze von unterschiedlichen Entscheidungsträgern, auf deren Verhältnis der Gleichheitssatz überhaupt nicht anwendbar sei 402. Darüber hinaus wird vorgebracht, dass die Ungleichbehandlung verschiedener Personen zu verschiedenen Zeiten nicht zu vermeiden sei, wenn nicht jegliche Reform oder Erneuerung verhindert werden solle. Jede geänderte oder neu geschaffene Regelung, die Belastungen und Begünstigungen anders verteile als zuvor, schaffe „Gewinner und Verlierer“ und damit Ungleichheit. Diese Ungleichheit sei jedoch gerechtfertigt, Härten müssten durch schonende Übergangsregelungen abgemildert werden, wie dies in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Stichtagsregelungen hinreichend deutlich herausgearbeitet worden sei. Drittens wird angeführt, dass durch den Aspekt der „Gleichheit in der Zeit“ potentiell ein Vergleich von strukturell Unvergleichbarem durchgeführt werden müsse. Norm und Normadressat könnten sich nur „innerhalb einer geschichtlich gewachsenen, zeitlich begrenzten und damit halbwegs konkreten Situation aufeinander beziehen“; keinesfalls dürfe man den zeitlichen Geltungsbereich einer Verfassung „über die Grenzen praktischer Vernunft hinaus“ ausdehnen.

401 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 46. 402 Hans Zacher, DRV 1987, S. 714 (727); Timo Hebeler, Generationengerechtigkeit als soziales Gebot in der sozialen Rentenversicherung, S. 123ff.; Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 40.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Des Weiteren wird konstatiert, dass jede Rechtsänderung zu einer Ungleichheit zwischen Bisherigem und Neuem führe, dass dies jedoch etwas völlig „Normales“ sei, dennoch seien Gesetzesänderungen prinzipiell noch nie als „ungerecht gebrandmarkt“ worden 403. Als Hauptargument wird jedoch der im Demokratieprinzip verankerte Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ angeführt, der eine Erstarrung der Rechtsordnung verhindern und Gesetzesänderungen ermöglichen soll 404. Einer Gleichheit in der Zeit stehe der Gestaltungsauftrag der Staatsorgane, insbesondere der des Gesetzgebers im Wege. Durch die Änderung der Rechtslage schaffe der Gesetzgeber mit dem neuen Gesetz eine andere Rechtsgleichheit als diejenige, die letzteres verdrängt habe 405. Diese „Durchsetzungskraft“ des neuen Rechtes beruhe dabei nicht auf der Überzeugung, dass das neuere Recht das gerechtere sei 406, sondern auf der Kompetenz und Befugnis des Gesetzgebers zur Gestaltung der Rechtslage. Dieser Rechtsfortschreibungs- und Rechtserneuerungsauftrag habe zur Folge, „dass der Gleichheitssatz keinen Individualanspruch auf Aufrechterhaltung einer Rechtslage, auch kein Grundrecht auf Kontinuität gewähren kann“ 407. 2. Argumente für eine „Gleichheit in der Zeit“ Für eine „grundrechtliche“ Gleichheit in der Zeit werden einige Argumente vorgebracht. Aufschluss über die Möglichkeit einer Nutzbarmachung der „Gleichheit in der Zeit“ für das Maßstäbegesetz kann allerdings nur Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG geben. Es wird deshalb zu überprüfen sein, ob die spezifische Auslegung des angemessenen Ausgleichs die Forderung nach Gleichheit in der Zeit unterstützt, ob das Maßstäbegesetz mithin aus einer „Gleichheit in der Zeit“ abgeleitet werden kann. Dennoch seien an dieser Stelle die „allgemein grundrechtlichen“ Argumente kurz vorgetragen.

403 Timo Hebeler, Generationengerechtigkeit als soziales Gebot in der sozialen Rentenversicherung, S. 127, mit Verweis auf Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 138, der jedoch dort nur die Frage nach der „Gleichheit in der Zeit“ aufwirft und in Rn. 139 zwar einer „Gleichheit in der Zeit“ den dem Demokratieprinzip entspringenden Gestaltungsauftrag des Gesetzgebers entgegenhält, aber dennoch durch den Gleichheitssatz „objektive Kontinuitätsgewähr und subjektiven Vertrauensschutz“ gewahrt sieht. 404 Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 3, Rn. 40. 405 Timo Hebeler, Generationengerechtigkeit als soziales Gebot in der sozialen Rentenversicherung, S. 125; Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 50. 406 So aber noch: Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 57f. 407 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 50.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

So wird angeführt, dass die Entwicklung weg vom klassischen Eingriffsbegriff und hin zu einem „offenen Eingriffsbegriff“ ein Indiz dafür sei, Grundrechtseingriffe nicht mehr nur in einer Momentaufnahme zu betrachten, sondern auch im Sinne einer „zeitlichen Dynamisierung“ verfahrensmäßig zu deuten und deshalb auch belastende Verfahren als Eingriffe anzusehen. Außerdem wird die Zeitabhängigkeit des Gleichheitssatzes ins Spiel gebracht. Der Maßstab für eine gerechte Gleichbehandlung sei in Art. 3 Abs. 1 GG „nicht vorgegeben, sondern aufgegeben“, weshalb der Gleichheitssatz offen für den Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen sei; er müsse von jeder Generation mit deren „Verständnis und Selbstverständnis“ ausgefüllt werden und sei deshalb intergenerativ angelegt. Auch aus der Verfassung als ein auf die Ewigkeit angelegtes Konstrukt werden zeitliche Verschränkungen hergeleitet. Bei der Auslegung und Konkretisierung des geltenden Verfassungsrechts seien die Folgen für zukünftige Generationen mitzubedenken 408. 3. Stellungnahme Art. 3 GG kennt als Gleichheitsrecht keinen Eingriff in seinen Schutzbereich, so dass die Öffnung des Eingriffsbegriffs nicht als Argument für eine „Gleichheit in der Zeit“ herangezogen werden kann. Auch die Offenheit des Art. 3 GG für die Ausfüllung mit „gerechten“ Inhalten sowie die auf Dauer angelegte Verfassung vermögen anhand der oben dargelegten Gegenargumente nicht begründen, warum eine Gleichbehandlung in der Zeit zwingend erforderlich sein soll. Die beiden letzteren Ideen bleiben vage und sind mehr vom Rechtsgefühl geleitet, die Gleichheit „gerecht“ auszulegen 409. Als Idealtypus schwebt dem Grundgesetz nicht das statische Gesetz vor, sondern es enthält vielmehr eine Reihe von Gesetzgebungsaufträgen und Staatszielen, die neue Gesetze und häufige Gesetzesänderungen erforderlich machen. Dies wird umso stärker durch den technologischen Fortschritt begünstigt, der den Gesetzgeber zwingt, immer neue Gefahren abzuwehren und den sozialen Ausgleich sicherzustellen. Hierdurch entsteht eine „Dynamisierung der Gesetzgebung“, die dazu führt, dass sich der Geltungszeitraum eines Gesetzes verengt, kürzer wird, manchmal auch hektischer. Auf jeden Fall führt sie zu einem „Weniger“ an Gleichheit in der Zeit, dennoch verschließt sich das Grundgesetz einem „statischen

408 Timo Hebeler, Generationengerechtigkeit als soziales Gebot in der sozialen Rentenversicherung, S. 127ff. m. w. N. 409 Timo Hebeler, Generationengerechtigkeit als soziales Gebot in der sozialen Rentenversicherung, S. 127ff.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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Gesetz“ und verlangt eine offene, dynamische Rechtsordnung, mit der Fähigkeit, auf Veränderungen und neue Gefährdungslagen zu reagieren. So findet sich darüber hinaus das durchaus stichhaltige Argument, dass der Gesetzgeber bei unbeabsichtigten „Nebenwirkungen“ von Gesetzen, die neue Probleme hervorbringen, oder aber bei „verfassungsrechtlichen Pannen“ erneut zum Mittel der Gesetzgebung greifen dürfe, was zeige, dass der Gleichheitssatz nur für die Geltungsdauer des Gesetzes Geltung beanspruche. So könne niemand sich auf eine Verletzung des Gleichheitssatzes berufen, wenn mehrere zeitlich aufeinanderfolgende Regelungen für sich genommen dem Gleichheitssatz entsprächen und die betreffende Person sich lediglich im Verhältnis zur früheren Regelung ungerecht behandelt fühle 410. Dies bedeutet allerdings noch nicht, dass der Aspekt der Gleichbehandlung in der Zeit für den angemessenen Ausgleich im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG keine Rolle spielt. Durch die Darstellung der Argumente für eine grundrechtliche Gleichheit in der Zeit hat sich lediglich ergeben, dass sich eine solche nicht abstrakt und von der konkreten Diskussion losgelöst für alle Bereiche über Art. 3 Abs. 1 GG begründen lässt. Dennoch bleibt „staatliches Handeln im Ablauf der Zeit [ . . . ] vorrangig ein Thema des Gleichheitssatzes“ 411. Speziell im Rahmen des Länderfinanzausgleichs muss überprüft werden, ob im Rahmen des angemessenen Ausgleichs zeitliche Aspekte der Gleichheit eine Rolle spielen. Anhaltspunkte für eine solche Deutung finden sich im Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Allerdings müssen sie auf ihre Tragfähigkeit untersucht werden. Diese würden dann jedoch nur im speziellen Fall des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG gelten, sich auf den angemessen Ausgleich beziehen, der auf den rechtsstaatlichen Aspekt des Gleichheitssatzes rekurriert, und sich nicht generell in eine Gleichheitsdogmatik hineinpressen lassen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, der Finanzausgleich sei ein „entwicklungsbestimmter Tatbestand“ und nicht nur „Jahresereignis“ weist auf eine Forderung nach Gleichbehandlung der Länder in der Zeit hin. Diese Idee des Gerichts ist nicht neu. Bereits Klaus Vogel / Paul Kirchhof wollen das zu verteilende Finanzaufkommen nicht lediglich auf das Haushaltsjahr beziehen, sondern auf „größere Zeitabschnitte“ der Vergangenheit und Zukunft. So solle es dem Gesetzgeber erlaubt sein, Einkommenszuschläge durch „Vorwegabsetzung“ zu erreichen und bestimmte (nicht alle) Länder in ihren „zukünftigen Ertragschancen 410 Christian Starck in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3 Rn. 255; vgl. auch Günter Dürig in: Maunz/Dürig, GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 194, 210ff.; Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 47ff. 411 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 48.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

zu fördern und anzugleichen“. Der Finanzkraftausgleich sei nämlich nicht nur Ausgleich der vorhandenen Mittel, sondern auch der der vorhandenen Ertragsquellen; er müsse sich nicht unbedingt auf das Einkommensergebnis beschränken, sondern könne auch die Einkommensvoraussetzungen umfassen. Klaus Vogel / Paul Kirchhof verankern dies allerdings im Begriff der Angemessenheit 412 und nicht in dem des Ausgleichs. Unstreitig ist, dass das gegenwärtige Finanzaufkommen „periodisch und angemessen“ auszugleichen ist. Allerdings wendet sich Jürgen W. Hidien gegen eine Auslegung der Angemessenheit als dem Anknüpfungspunkt einer zeitbezogenen Ertrags- oder gar Bedarfskorrektur. Das Finanzausgleichsrecht fordere seit jeher eine jährliche Be- und Abrechnung des Finanzausgleichs; hierbei sei die finanzausgleichsrechtliche Vergangenheit bereits abgeschlossen und könne gemäß dem haushaltsrechtlichen Grundsatz „in praeteritum non vivitur“ nicht neu aufgerollt werden; für die Zukunft könne der Finanzausgleich nicht die Rolle des Subventions- oder Chancenausgleichs übernehmen, sondern müsse Ertrags- und Bedarfsgestaltungen akzeptieren. Es gebe allerdings „aus dem Rechtsprinzip der bundesstaatlichen Finanzgleichheit“ abgeleitete Pflichten des Finanzausgleichsgesetzgebers zur Beobachtung und Überprüfung des Finanzausgleichs. Dies gelte insbesondere für die richtige Ermittlung der Finanzkraftunterschiede und für die Frage, ob eine (neue) Einnahme ausgleichsfähig oder ob sie der Höhe nach nicht ausgleichsrelevant sei. Diese Verpflichtung lasse sich aus dem „finanzwirtschaftlich geprägten Finanzkraftbegriff“ herleiten. Sie ergebe sich aber auch aus der „Dynamik und Flexibilität des Finanzausgleichs, der unter einem Vorbehalt der laufenden Anpassung nach Maßgabe der veränderten Verhältnisse“ stehe 413. Insbesondere die Beobachtungs- und Überprüfungspflichten sowie die Anpassungs- und Erneuerungspflichten lassen sich zwar aus dem Prinzip der föderativen Gleichbehandlung ableiten, aber schließen ein sehr bedeutsames zeitliches Element ein, sollen die Gleichbehandlung über einen gewissen Zeitraum sicherstellen, denn ohne Überprüfungspflichten „könnte die ursprüngliche Gleichbehandlung der Länder infolge der Veränderung der tatsächlichen Gegebenheiten im Laufe der Zeit in eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung umschlagen“ 414. Festzuhalten bleibt, dass die Verpflichtung zu einem „angemessenem Ausgleich“ vom einfachen Gesetzgeber einen kontinuierlichen Prozess der Annäherung und Differenzierung, einen zeit- und gegenwartsgerechten Finanzausgleich verlangt. Dies stellt auch Jürgen W. Hidien nicht in Frage, der eine, immerhin „aus dem Rechtsprinzip der bundesstaatlichen Finanzgleichheit“ gewonnene, Beobachtungs412 413 414

Klaus Vogel / Paul Kirchhof in: BK, GG, Art. 107, Rn. 170. Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 349f. So bereits BVerfGE 72, 330 (406).

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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und Überprüfungspflicht des Finanzausgleichsgesetzgebers durchaus anerkennt, welche, soll sie nicht leer laufen, in eine Anpassungspflicht des Gesetzgebers münden muss. Er wendet sich lediglich gegen die Ableitung dieser Pflicht aus dem Kriterium der Angemessenheit sowie gegen die Verlängerung der Be- und Abrechnungsmethode auf mehr als ein Jahr und hält die jährliche Überprüfung für angemessen. Dieser Einschätzung einer rein jährlichen Betrachtungsweise hat das Bundesverfassungsgericht jedoch eine Absage erteilt. Das Gericht will den Finanzausgleich gerade nicht als ein „Jahresereignis“ verstanden wissen, sondern als einen „entwicklungsbestimmten Tatbestand“. Prinzipiell gilt im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG folgendes: Der horizontale Finanzausgleich ist nicht durch die Verfassung geregelt, sondern dem Bundesgesetzgeber überantwortet. Dadurch sichert Art. 107 Abs. 2 GG die Anpassungsfähigkeit des Ausgleichs, verlangt aber auch eine realitätsgerechte Einschätzung des zukünftigen Bedarfs. Die gesetzgeberische Verpflichtung, die Realität bei der Gesetzgebung angemessen zu berücksichtigen, wurde bereits näher erläutert. Das Bundesverfassungsgericht hat das Erfordernis „realitätsgerechter“ Gleichheit insbesondere für das Finanz- und Steuerrecht entwickelt 415. Es beschränkt sich dabei aber nicht nur auf das Verhältnis Staat-Bürger, sondern gilt auch innerhalb des Staatsaufbaus, also interföderativ, denn es enthält nicht nur gleichheitsrechtliche Erwägungen, sondern ist auch im Rechtsstaatsprinzip verankert. Diese realitätsgerechte Gleichheit muss sodann gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts folgerichtig 416 und widerspruchsfrei 417 umgesetzt werden. Auch diese Kriterien sind Bestandteil des föderativen Gleichheitssatzes. Erst bei folgerichtiger und widerspruchsfreier Erfüllung dieser Verpflichtung zum realitätsgerechten Finanzausgleich liegt ein „angemessener Ausgleich“ vor. Insbesondere korrespondiert der Finanzausgleich nur bei einem solchen Verständnis mit den Erfordernissen einer mehrjährigen Finanzplanung, wie sie in den Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1, 2. GG und Art. 109 Abs. 3 GG angesprochen und vorausgesetzt werden. Wird der Gesetzgeber in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG zur Angleichung verpflichtet, so verlangt dieser besondere Gleichheitssatz eine fortwährende Prüfung, in welcher Hinsicht und in welchem Ausmaß Ungleichheiten zu beachten sind oder nicht 418, der Gesetzgebungsauftrag enthält einen Anpassungs- und Erneuerungs-

415 Vgl. BVerfGE 23, 242 (256); 25, 216 (226); 41, 269 (280, 282f.); 87, 153 (172); 93, 121 (136). 416 Vgl. BVerfGE 23, 242 (256); 84, 239 (271); 87, 153 (170); 93, 121 (136). 417 Vgl. BVerfGE 98, 106 (118). 418 Reinhold Zippelius, VVDStRL 47 (1989), 7 (20f.).

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

auftrag. Die Rechtskontinuität ist auf den Wandel der Verhältnisse zu beziehen. Dies bedeutet, das Gesetz kann nicht nur in einem bestimmten Zeitpunkt betrachtet werden, sondern kann nur dann den von der Verfassung geforderten Anpassungs- und Erneuerungspflichten genügen, wenn es auch „in der Zeit“ sowohl den Verfassungsvorgaben als auch den gewandelten tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Die Entwicklung finanzwirtschaftlicher Unterschiede löst bei einer bestimmten Intensität eine Anpassungspflicht aus. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG kann somit nur „angemessen“ durchgeführt werden, wenn er den gesetzten Rahmen einhält und seine Anpassungs- und Erneuerungspflichten mit einer gewissen Kontinuität fortzuschreiben versucht. Neben den Anpassungs- und Erneuerungspflichten des Gesetzgebers dienen auch die Einhaltung von Beobachtungs- und Überprüfungspflichten einer Gleichbehandlung in der Zeit, ebenso wie die abstrakte und generelle Formulierung eines Tatbestandes, der nicht für einen geschlossenen Kreis von Ländern gilt, sondern die Möglichkeit bietet, durch seine abstrakte Formulierung auch Länder zu integrieren, die die dort festgesetzten Voraussetzungen erst zu einem späteren Zeitpunkt erfüllen 419. Diese Auslegung des Angleichungsauftrages gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG als eine „finanzwirtschaftliche Gleichheit in der Zeit“ ist ein wesentlicher Ansatzpunkt für das Maßstäbegesetz. Grundsätzlich wird die Gleichbehandlung durch die Allgemeinheit des Gesetzes übermittelt. Ohne allgemeine Gesetze kann es keine Gleichheit geben. Dies wäre eigentlich durch das allgemeinverbindliche Finanzausgleichsgesetz erfüllt. Eines zusätzlichen längerfristigen Maßstäbegesetzes bedürfte es nicht. Die Allgemeinverbindlichkeit einer Regel ist allerdings nicht gleichbedeutend mit der Gewährleistung der Gleichheit, sondern nur deren Voraussetzung; die Allgemeinheit des Gesetzes liegt materiell „in der rationalen Verwirklichung des Gemeinwohls, seiner Verpflichtung auf das bonum commune“. Bereits diese Verpflichtung verdeutlicht übrigens auch die enge Verflechtung des Gleichheitssatzes mit dem Gerechtigkeitsprinzip. Formell fordert das Gesetz einen gewissen Geltungsumfang, der „Privilegien und eine ‚Klassengesetzgebung‘ zurückweist und die gleiche Gesetzesunterworfenheit von jedermann betont“. „Diese formelle Gesetzesallgemeinheit erwartet vom Gesetz eine rational-planmäßige Gestaltung des Gemeinwesens, setzt deshalb eine gewisse Dauerhaftigkeit der Regel voraus und 419

Vgl. Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 286, der speziell in bezug auf Bundesergänzungszuweisungen folgendes schreibt: „ Eine solch abstrahierende Fassung gewährleistet nicht nur die Gleichbehandlung der Länder bei der aktuellen Entscheidung über die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen, sondern darüber hinaus auch eine Gleichbehandlung in der Zeit. Indem eine ständige Überprüfung an den rationalen Maßstäben der abstrakten Regelung garantiert, dass ein Land Bundesergänzungszuweisungen nur so lange erhält, wie es die Voraussetzungen hierfür noch erfüllt, wird die Entstehung von Pfründen ausgeschlossen, die zu ihrer Begründung ausschließlich auf eine lange Tradition verweisen können“.

E. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 GG

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erstreckt ihre Anwendung auf eine unbestimmte Anzahl künftiger Fälle“. Darüber hinaus dient die Allgemeinheit des Gesetzes auf diese Weise dem Gleichheitssatz, „indem sie das Vernünftig-Allgemeingültige gewährleistet und Egalität in Jedermannsrechten oder die Regelungen des Grundlegenden, auf Dauer Bedeutsamen, über die Zeiten hinaus Maßgeblichen der Gesetzgebung zuweist“ 420. So soll die materielle Gleichheitsbindung der staatlichen Gewalt staatliches Handeln und die bestehende Ordnung in die Entwicklung einbetten, das Recht fortschreiben und erneuern. „Gleichheit gegenüber Veränderungen lockert rechtliche Bestandsgarantien; Gleichheit gegenüber Bestehendem wahrt die Kontinuität eines erneuerungswilligen Staates“. Diese „Zeitabhängigkeit der Gleichheit“ wird jedoch normalerweise durch die „generell abstrakte Regel“ gewährleistet, welche die „von den Wechselfällen und Zufälligkeiten des Augenblicks gelöste Ordnung und ihre von unterschiedlichen Auffassungen der Staatsorgane unabhängige Handhabung“ sichert. Die Norm wahrt mithin „Normalität in der Entwicklung des Gemeinwesens“ und dient einer „Entzeitung“ des Rechts 421. „Diese Wirkung gesetzgeberischer Maßnahmen in der zeitlichen Dimension“ verlangt folglich die Einhaltung eines „Gebotes der Zeitgerechtigkeit“, welches vom Gesetzgeber fordert, „seine Maßnahmen auch hinsichtlich ihrer zeitlichen Wirkungen und Relationen auf ihren Gerechtigkeitsgehalt abzustimmen“ 422. Einem Trugschluss unterliegt, wer die „rational-planmäßige Gestaltung des Gemeinwesens“ und die „Dauerhaftigkeit der Regel“ im Recht des Finanzausgleichs durch das Finanzausgleichsgesetz gewahrt sieht. Dies ist nicht der Fall. Dort wurden kurzfristige Entscheidungen getroffen, das Bundesverfassungsgericht sah sich in seinem jüngsten Urteil gezwungen, den Finanzausgleich gegen die im Finanzausgleichsgesetz jährlich erneut normierten „aktuelle[n] Finanzierungsinteressen, Besitzstände und Privilegien“ abzuschirmen. Hierbei greift es in ganz ähnlicher Weise obige Formulierung auf, erweitert diese dann sogar noch, um über die „Bildung langfristiger Maßstäbe [ . . . ] dem Gesetz wieder seine herkömmliche rechtsstaatliche Funktion“ zuzuweisen: „Das Gesetz gestaltet in seiner formellen Allgemeinheit rational planmäßig die Zukunft, setzt eine gewisse Dauerhaftigkeit der Regel voraus, erstreckt ihre Anwendung auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger Fälle, wahrt damit Distanz zu den Betroffenen, wendet die Aufmerksamkeit des regelnden Organs dem auch für die Zukunft verpflichtenden Maß zu und

420 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 153; ders., Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 26f. 421 Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 48; vgl. auch Gerhard Husserl, Recht und Zeit, S. 52f. 422 Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, S. 55.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

verwirklicht die Erstzuständigkeit des Gesetzgebers bei der Verfassungsinterpretation“ 423. Das Bundesverfassungsgericht versucht also über das Maßstäbegesetz zwei Dinge zu erreichen: zum einen möchte das Gericht mit dem Maßstäbegesetz die Allgemeingültigkeit des Gesetzes deutlich hervorheben, die es im „Jahresereignis“ des Finanzausgleichsgesetzes nicht mehr gewahrt sieht. Zum anderen sollen hierdurch die besonderen Voraussetzungen des Länderfinanzausgleichs eingehalten werden, die die Pflicht zum allgemeingültigen Gesetz, wie dargelegt, noch erweitern können, dieses mithin auch „in der Zeit“ Wirksamkeit entfalten und die Kontinuität sicherstellen, aus diesem Grunde die besonderen Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG sowie den föderativen Gleichheitssatz wahren. Das Maßstäbegesetz soll nicht nur die „Dauerhaftigkeit der Regel“ sichern, „rational planmäßig“ die Zukunft gestalten oder eine „unbestimmte Vielzahl“ zukünftiger Fälle regeln, sondern auch die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers auf ein „zukünftiges Maß“ legen, die „Distanz zu den Betroffenen“ wahren und die „Erstzuständigkeit des Gesetzgebers“ beachten. Diese Forderung wird durch das Maßstäbegesetz optimal umgesetzt. Durch dieses bleibt der Gesetzgeber Erstinterpret der Verfassung, sein Gestaltungsauftrag wird ihm nicht entzogen, er bleibt somit selbst finanzausgleichsrechtlicher Akteur. Der Gesetzgeber kann auf diese Weise selbst langfristige Maßstäbe vorgeben, wird nicht auf ein nur die jährlichen Ausgleichsfolgen normierendes Finanzausgleichsgesetz beschränkt, dessen langfristige Maßstäbe notgedrungen durch die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung vorgegeben wären. Des Weiteren kommt der Gesetzgeber im Maßstäbegesetz seinen besonderen finanzausgleichsrechtlichen Pflichten zur Wahrung der Kontinuität nach. Er kann auf diese Weise seinen Rechtsanpassungs- und Rechtserneuerungsauftrag wahrnehmen, Maßstäbe setzen und auch eine „Gleichheit in der Zeit“ wahren. Im Ergebnis verlangt die Verpflichtung zum „angemessenen Ausgleich“, dass die finanziellen Grundlagen der Finanzautonomie eines jeden Landes im Rahmen des variablen Finanzausgleichs kontinuierlich fortgeschrieben werden. Damit ergibt sich das Gebot zur Kontinuität nicht nur aus dem zum Angleichungsauftrag gesteigerten föderativen Gleichheitssatz, sondern auch aus der zu berücksichtigenden Finanzautonomie der Länder. Die Finanzautonomie der Länder ist in ihrem Ursprung jedoch kein gleichheitsrechtliches Element, sondern ein in der Freiheit verankertes. Diese freiheitliche Autonomie wird man im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG nicht am Begriff des Ausgleichs festmachen können, sondern nur im Begriff der Angemessenheit, ein gewöhnlich im Zusammenhang mit den Freiheitsrechten verwendeter Begriff. Festzuhalten bleibt: Der horizontale Finanz-

423

BVerfGE 101, 158 (217f.).

F. Die Angemessenheit

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ausgleich ist Planungsgrundlage der Finanzautonomie, verlangt damit Stetigkeit, ermutigt zur finanziellen Anstrengung und zur Unterscheidung unter den Ländern, wahrt die Solidarität in dem parlamentarischen und dem gubernativ-planerischen Bemühen um Verbesserung der öffentlichen Finanzen in jedem Land. Aus diesen Gründen gilt für den Gesetzgeber die Pflicht, den Finanzaugleich auch an dem Gedanken der „Gleichbehandlung in der Zeit“ auszurichten.

F. Die Angemessenheit Nachdem die Elemente des Ausgleichs dargelegt wurden, gilt es nun, die Angemessenheit näher zu spezifizieren, also die Frage zu beantworten, wann ein „angemessener“ Ausgleich erreicht ist. In Rechtsprechung und Literatur gibt es eine Reihe von Versuchen, diejenigen Probleme aufzulösen, die durch den „angemessenen Ausgleich“ entstehen.

I. Paul Kirchhof Nach Paul Kirchhof 424 fordert der Begriff des „Angemessenen“ „eine normativ wertende Erfolgskontrolle gegenüber jedem Finanzausgleich [ . . . ]“. „Angemessen“ sei nur der „Finanzausgleich, der den Staatszielbestimmungen einer autonomen, deshalb unterschiedlichen Bundesstaatlichkeit, eines auf ähnliche finanzwirtschaftliche Lebensbedingungen drängenden Gleichheitssatzes, eines auf eine auch finanzwirtschaftlich spürbare Mitbetroffenheit des Wählers aufbauenden Demokratieprinzips und eines zumindest die finanzwirtschaftliche Vernachlässigung jedes einzelnen Bürgers verbietenden Sozialstaatsprinzips“ entspricht. Angemessen ist ein Finanzausgleich dann, wenn er das Spannungsverhältnis zwischen dem bundesstaatlichen Nivellierungsverbot und dem solidargemeinschaftlichen Vereinheitlichungsauftrag so auflöst, dass er die leistungsschwachen Länder zur wirksamen Erfüllung ihrer Aufgaben befähigt, den leistungsstarken Ländern jedoch den Leistungs- und Sparsamkeitswillen erhält und die Auswirkungen finanzwirtschaftlicher Entscheidungen der Länder regional begrenzt. Aus diesen Vorgaben will Paul Kirchhof eine Unter- und eine Obergrenze des Finanzausgleichs herleiten. Die Untergrenze lasse sich folgendermaßen umschreiben, wobei sich eine genaue zahlenmäßige Grenze nicht finden lasse: Ein Ausgleich sei stets geboten, wenn in einem finanzschwachen Bundesland die finanzielle Leistungsfähigkeit nicht gesichert sei, obwohl sie ohne Einbuße der Leistungsfähigkeit der leistungsstarken Bundesländer herzustellen sei. Die Obergrenze sieht er erreicht bei einer Nivellierung der Länderfinanzkraft oder einer wesentlichen Schwächung der Finanzkraft eines der gebenden Länder. 424

Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 58ff.; Hervorhebungen im Original.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Doch auch hier ließen sich der Verfassung keine genauen Werte entnehmen. Sowohl Schwächungs- als auch Nivellierungsverbot bezögen sich nicht nur auf das Gesamtvolumen eines Länderhaushalts, sondern auch auf die finanzielle Entschließungsfreiheit der Länder. Deshalb müsse jedem Land ein Entschließungsraum verbleiben, der finanzwirtschaftliche Investitionen außerhalb der Pflichtaufgaben erlaube und Investitionen zum weiteren Erhalt der Finanzstärke gestatte.

II. Klaus Vogel / Paul Kirchhof Ähnlich sehen es Klaus Vogel / Paul Kirchhof 425, wonach die Untergrenze dann unterschritten sei, wenn ein Land nicht mehr in der Lage sei, eigene Finanzentscheidungen zu treffen, sondern lediglich noch fremdbestimmte Entscheidungen durchführen könne. Dies könne jedoch nur dann gelten, wenn auf der anderen Seite den ausgleichspflichtigen Ländern ein „hinreichender Finanzspielraum“ verbleibe. Allerdings bringen sie eine Zahl in die Diskussion ein. So sei ein Rückstand der Finanzkraft von mehr als 10 v. H. gegenüber der Mehrzahl der anderen Länder in der Auswirkung auf die Leistungsfähigkeit eines Landes so nachhaltig, dass ein Finanzausgleich erforderlich würde. Eine prozentual bestimmte Grenze, die sich nur schwer in Zahlen ausdrücken lasse, sehen sie im Sinne des Schwächungsverbotes dann überschritten, „wenn die Ausgleichsbeträge 20 v. H. des Haushaltsvolumens des [gebenden] Landes“ überstiegen.

III. Jürgen W. Hidien In die gleiche Richtung argumentiert auch Jürgen W. Hidien 426. Er konstatiert, dass der bundesstaatliche Finanzausgleich im Hinblick auf die Quantität und die Obergrenze der zu verteilenden Finanzmasse begrenzt sei: der Maßstab des finanziell Machbaren überlagere materielle Rechtsprinzipien. Der Maßstab des finanziell Möglichen verdränge den Maßstab des Rechts. Der Finanzierbarkeitsvorbehalt werde quasi zum „finanzstaatlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip“ und schütze den privaten Finanzier staatlicher Leistungskraft. Er fungiere als haushaltsrechtlich fixierte Obergrenze und Regulativ für ausgleichspolitische und ausgleichsrechtliche Ansprüche im bundesstaatlichen Finanzverhältnis. Der Staatshaushalt sei faktische Leistungsgrenze für den bundesstaatlichen Finanzkraftvergleich. Ein Steuerstaat könne seine Leistungsfähigkeit nur erhalten, wenn er die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaft nicht beeinträchtige und insbesondere nicht durch überhöhte Steuern oder überspannte Reglementierung die Volkswirtschaft 425 426

Klaus Vogel / Paul Kirchhof in: BK, GG, Art. 107, Rn. 54, 52. Jürgen W. Hidien, Finanzausgleich, S. 625f.

F. Die Angemessenheit

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lähme. Speziell für dieses Anliegen habe das Grundgesetz in Art. 106 Abs. 3 S. 4 Nr. 2 GG im vertikalen Finanzausgleich das grundsätzliche Verbot einer „Überbelastung des Steuerpflichtigen“ statuiert.

IV. Stefan Korioth Stefan Korioth 427 ist anderer Auffassung: Er nimmt an, dass der Stufenbau der bundesstaatlichen Einnahmenverteilung den Schluss nahe lege, dass dem horizontalen Finanzausgleich des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, der bereits auf angeglichene Länder treffe, das Konzept einer weitgehenden Egalisierung zugrunde liege, der reinen Finanzkraftauffüllung der finanzschwachen Länder. Dies ergebe sich bereits aus der Entstehungsgeschichte des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG. Während bei Inkrafttreten der Verfassung der Finanzausgleich noch fakultativ gewesen sei und sich auch nach dem horizontalen Finanzausgleich einzelne ausgleichsberechtigte Länder noch mit mehr als 25 v. H. unter der durchschnittlichen Länderfinanzkraft befunden hätten, sei es durch die Änderungen in der Finanzverfassung und im Finanzausgleichsgesetz zu einer immer stärkeren Angleichung der finanzschwachen und finanzstarken Länder gekommen. Dies gehe so weit, dass alle Finanzausgleichsgesetze seit 1969 eine Auffüllung der Länderfinanzkraft der finanzschwachen Länder auf mindestens 95 v. H. des Länderdurchschnitts vorgesehen hätten. Das Finanzausgleichsgesetz von 1969 sei darüber hinaus im Bundesrat einstimmig beschlossen worden. Die Verfassung segne mithin nur den Länderkonsens bezüglich der „fast“ vollständigen Finanzkraftauffüllung ab. Das Finanzausgleichsgesetz zeige deutlich, dass der Gesetzgeber die fast vollständige Angleichung als angemessen empfinde. Die Entstehungsgeschichte spiegele das Bemühen, einerseits nicht gegen das Nivellierungsverbot zu verstoßen, andererseits aber auch einen solchen Ausgleich zwischen Eigenverantwortlichkeit der Länder und Harmonisierung ihrer Länderfinanzen zu schaffen, dass „auch die finanzschwachen Länder ein weitgehend ausgeglichenes Niveau im Verhältnis zu den finanzstarken Ländern erreichen können“ 428. Das zentrale Ziel des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, Bund und Länder in die Lage zu versetzen, die ihnen verfassungsrechtlich zukommenden Aufgaben wahrnehmen zu können, stelle darauf ab, den finanzschwachen Ländern – bis zur Grenze des Nivellierungsverbotes – eine aufgabengerechte Finanzausstattung zu verschaffen. Die Hebung der Finanzkraft der finanzschwachen Länder ist für Stefan Korioth der „Schwerpunkt des angemessenen Ausgleichs“, denn er ist der Ansicht, „was für die 427

Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 620ff. Ähnlich auch Hans Pagenkopf, Finanzausgleich im Bundesstaat, S. 261, der die „politische Entscheidung des Bundesgesetzgebers“ erkennt, unter „Vermeidung einer Nivellierung“ auch den finanzschwachen Ländern „ein weitgehend ausgeglichenes Leistungsniveau im Interesse der versorgten Bevölkerung“ zu gewähren; Hervorhebung im Original. 428

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

finanzstarken Länder möglicherweise nur ein quantitativer Verlust an finanziellen Mitteln ist, kann für die finanzschwachen Länder den qualitativen Sprung zur finanzwirtschaftlichen Selbständigkeit bedeuten“. Der gebotene Grad der Anhebung in Vomhundertsätzen lasse sich nicht genau ausdrücken. Unangemessen sei jedoch ein Ausgleich, der lediglich ein „Gemeinschaftsexistenzminimum“ oder einen „unabweisbaren Finanzbedarf“ gewähre 429. Beide Begriffe seien unklar, ließen aber anklingen, dass nur die Finanzierung des Mindestumfangs der verfassungsrechtlichen Pflichtaufgaben umfasst sei. Dies sei mit der Stufenfolge des Art. 107 GG nicht mehr zu vereinbaren. Die Ausstattung der Länder mit dem „Gemeinschaftsexistenzminimum“ solle bereits durch die Steuerverteilung nach Art. 107 Abs. 1 GG erreicht werden. Art 107 Abs. 2 Satz 1 GG habe mehr zum Ziel, da die Finanzautonomie der finanzschwachen Länder erst dann hergestellt sei, wenn sie über die Finanzierung von Pflichtaufgaben hinaus noch einen eigenen Handlungsspielraum besäßen, der ihnen eine selbständige und unabhängige Haushaltsführung (Art. 109 Abs. 1 GG) gewährleiste. Zielvorgabe sei die aufgabengerechte Finanzausstattung.

V. Ulrich Häde Diese Auffassung wird im Prinzip von Ulrich Häde 430 geteilt. Für ihn ergibt sich die Angemessenheit des Ausgleichs aus einem Zusammenspiel der Länderautonomie, dem Erfordernis einheitlicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sowie aus den Grundrechten der Bürger in den am Länderfinanzausgleich teilnehmenden Ländern. Der angemessene Ausgleich solle in jedem Land eine angemessene Finanzausstattung sicherstellen, welche die Deckung der Ausgaben und die Erfüllung der Aufgaben auf „annähernd gleichem Niveau“ ermöglichen müsse. Mindestens eine Grundversorgung zur Erfüllung derjenigen Aufgaben aufgrund gesetzlicher Verpflichtung müsse gewährleistet sein, um eine Mindestversorgung mit staatlichen Aufgaben im Bundesgebiet sicherzustellen. Allerdings setze die staatliche Autonomie auch finanzielle Autonomie voraus. Von finanzieller Autonomie und damit von der „Angemessenheit“ des Ausgleichs könne jedoch nur gesprochen werden, wenn die verfügbaren Mittel eines jeden Landes über die Kostendeckung der Pflichtaufgaben hinaus gewisse finanzielle Spielräume lasse. Mit diesem Anspruch auf Finanzausstattung kollidiere der Anspruch der finanzstarken Länder, ihre höhere Leistungskraft nicht vollständig an die finanzschwachen Länder abgeben zu müssen. Er ist der Meinung, dass sich dieses in Art. 107 GG „angelegte Spannungsverhältnis [ . . . ] nicht ganz auflösen lassen“ werde, da es zum Bundesstaat gehöre, der Autonomie und Solidarität miteinander verbinde.

429 430

So Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 33ff., 57. Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 233ff.

F. Die Angemessenheit

127

Als Obergrenze des Ausgleichs sieht Ulrich Häde eine wesentliche Beeinträchtigung der finanzstarken Länder, welche ihnen jeden „Anreiz zur Ausschöpfung der eigenen Steuer- und sonstigen Einnahmequellen“ nähme. Im horizontalen Ausgleich des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG sieht er keinen „Spitzenausgleich“. Wenn die Finanzkraft einzelner Länder weit unter dem Durchschnitt liege, müssten die finanzstarken Länder außerordentlich hohe Transfers leisten. Die Grenze sei erst dann erreicht, wenn weitere Abzüge bei den finanzstarken Ländern dazu führen würden, dass diesen selbst keine ausreichende Finanzausstattung mehr verbleibe.

VI. Kritische Würdigung unter Berücksichtigung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Zahlenmäßige Präzisierungen für die „Angemessenheit“ des Ausgleichs sind nicht zielführend. Der Finanzausgleichsgesetzgeber erreicht die Obergrenze sicher dann, wenn die Ausgleichsmaßnahme zu einer Nivellierung der Länderfinanzkraft führt. Seinen Gestaltungsraum überschreitet er aber nicht nur bei völliger Nivellierung oder gar Übernivellierung, sondern bereits, wenn der „vorgesehene Ausgleich die Leistungsfähigkeit der gebenden Länder entscheidend schwächte“ 431. Vor der Schwelle zur Nivellierung muss ein gewisser Abstand gewahrt bleiben 432. Dabei ist zu betonen, dass sich sowohl Schwächungs- als auch Nivellierungsverbot nicht nur auf das Gesamtvolumen eines Länderhaushalts beziehen, sondern auch auf die finanzielle Entschließungsfreiheit der Länder. Jedem Land muss ein Entschließungsraum verbleiben, der finanzwirtschaftliche Investitionen außerhalb der Pflichtaufgaben zum Erhalt der Finanzstärke erlaubt 433. Aus diesem Grunde wird die Untergrenze dann unterschritten, wenn ein Land nicht mehr in der Lage ist, eigene Finanzentscheidungen zu treffen, sondern lediglich noch „fremdbestimmte“ Entscheidungen durchführen kann. Andererseits muss auf Seite der ausgleichspflichtigen Länder ein „hinreichender Finanzspielraum“ verbleiben 434. So konstatiert das Bundesverfassungsgericht völlig treffend: „Die Frage, bis zu welchem Intensitätsgrad in den so abgesteckten Grenzen der horizontale Finanzausgleich vorangetrieben werden kann, ist eine finanzpolitische und keine verfassungsrechtliche. Sie entzieht sich der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht“ 435.

431 432 433 434 435

BVerfGE 1, 117 (131). Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 82. Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 60f. Klaus Vogel / Paul Kirchhof in: BK, GG, Art. 107, Rn. 54. BVerfGE 1, 117 (134).

128

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Die genaue Höhe des Ausgleichs ist somit keine rechtliche Frage, sondern eine politische. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Verfassung auf die Ausgestaltung des angemessenen Ausgleichs keinen Einfluss nimmt, sondern nur, dass der Gesetzgeber Erstinterpret bei der Ausgestaltung des angemessenen Ausgleichs bleiben muss. Das Grundgesetz kann jedoch für diese politische Entscheidung Maßstäbe vorgeben. Bereits im Ansatz kritisch zu betrachten ist die Idee, die Länderfinanzen „weitgehend“ zu egalisieren. Es ist zwar richtig, dass eine Finanzkraftabschöpfung bei den finanzstarken Ländern regelmäßig „nur ein quantitativer Verlust an Mitteln ist“, wohingegen diese Zuweisungen für die finanzschwachen Länder erst die Autonomie ausmachen. Die Länderautonomie ist unbestrittenermaßen Kernziel des Finanzausgleichs, doch wird diese nicht durch eine weitgehende Egalisierung erreicht. Die finanzschwachen Länder müssen zwar soviel an Ausgleich erhalten, dass sie selbst finanzautonome Entscheidungen treffen können, dies darf jedoch nicht dazu führen, dass den finanzstarken Ländern verwehrt bleibt, die „Früchte“ ihrer Entscheidungen zu einem gewissen Maße auch zugunsten „ihrer“ Landesbevölkerung einzusetzen. Dies gebietet das Demokratieprinzip. Politische Entscheidungen eines Landes müssen im Positiven wie im Negativen auf das diese Entscheidung tragende Wahlvolk zurückfallen. Es ist nicht einzusehen, warum den finanzschwachen Ländern, über die Gewährung eines Mindestmaßes an Autonomie hinaus, finanzielle Mittel gewährt werden, die sie „fast“ in gleicher Weise ausstatten wie die finanzstarken Länder. Ein „angemessener“ Ausgleich, der auch einen „maßvollen“ Ausgleich meint, ist damit nicht zu erzielen. 1. Nivellierungsverbot Einigkeit besteht insoweit, dass der Länderfinanzausgleich kein Instrument ist, um zwischen den Ländern völlige finanzielle Gleichheit herzustellen 436. Schon nach dem Wortlaut ist ein angemessener Ausgleich weniger als ein voller Ausgleich. Eine Nivellierung widerspräche der bundesstaatlichen Struktur des Grundgesetzes, die gerade eine unterschiedliche Struktur der Länder vorsieht. Außerdem wäre das differenzierte System des Art. 107 GG sinnlos, wenn der angemessene Ausgleich in der Lage wäre, das Ergebnis der Steuerverteilung völlig aufzuheben und finanzielle Gleichheit zwischen den Ländern herzustellen 437. Das Nivellierungsverbot ist zentrales Element, um einen angemessenen Ausgleich zu erreichen; es hat in alle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Eingang gefunden und wird auch in der Literatur nicht angezweifelt. 436 437

BVerfGE 1, 117 (131); 72, 330 (387, 398, 415ff.); 86, 148 (215); 101, 158 (222). Stefan Korioth, Finanzaugleich, S. 544, 612.

F. Die Angemessenheit

129

Nicht einheitlich beurteilt wird die Herkunft dieses Prinzips. So findet sich die Ableitung aus dem Prinzip der föderativen Gleichbehandlung: „Die Einnahmenverteilung unterliegt dem Verbot, Ungleiches gleich zu behandeln (Nivellierungsverbot) und dem Gebot, Gleiches gleich zu behandeln (finanzausgleichsrechtliches Gleichbehandlungsgebot)“ 438 ebenso wie der Ansatz, das Nivellierungsverbot aus der Angemessenheit und der Länderautonomie herzuleiten. Insbesondere werden genannt die konkrete Bundesstaatlichkeit, denn nur bei Anerkennung der Unterschiede sei staatliche Individualität und Autonomie zu bewahren, sowie das Demokratieprinzip, das verlange, dass die Landesfinanzkraft Rückwirkungen auf seine Einwohner habe 439. Diese Problematik muss in dieser Arbeit nicht gelöst werden, da das Nivellierungsverbot auf jeden Fall Gültigkeit beansprucht. Es zeigt auf jeden Fall, wie eng beieinander der Ausgleich und die Angemessenheit im Bereich des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG stehen. 2. Verbot der Veränderung der Finanzkraftreihenfolge Auch das Verbot der Veränderung der Finanzkraftreihenfolge ist fester Bestandteil der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Abgeleitet aus dem Nivellierungsverbot ist eine Veränderung der Finanzkraftreihenfolge notwendigerweise dann erreicht, wenn die durch die horizontalen Finanzausgleichsleistungen bewirkte Umverteilung zu einer Änderung der Finanzkraftreihenfolge der betroffenen (ausgleichspflichtigen) Bundesländer führt und deren Finanzkraft quasi „übernivelliert“ wird, die Finanzkraftabstände nicht nur aufgehoben, sondern in ihr Gegenteil verkehrt werden 440. 3. Schwächungsverbot und Abstandsgebot Bereits in seiner ersten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht aus dem bundesstaatlichen Prinzip ein Verbot abgeleitet, „die Leistungsfähigkeit der gebenden Länder entscheidend zu schwächen 441. Dabei ist „Leistungskraft“ nicht identisch mit der „Finanzkraft“; die Leistungskraft ist erst dann entscheidend getroffen, wenn der Ausgleich auf Seiten der Geberländer deren Handlungsraum

438 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 116; kritisch hierzu Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 304f.; ders., Länderfinanzausgleich und föderatives Nivellierungsverbot, ZRP 1998, S. 274ff. 439 Peter Michael Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 130f.; Hans Pagenkopf, DÖV 1979, S. 613ff. 440 BVerfGE 72, 330 (418f.); 86, 148 (250); Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 239, Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 613f.; Peter Michael Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 129. 441 BVerfGE 1, 117 (131); bestätigt in BVerfGE 72, 330 (398).

130

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

entscheidend verengt oder bei den starken Ländern zu einer Finanzausstattung führt, die nicht mehr aufgabenangemessen ist. Was der Finanzausgleich bei den schwachen Ländern als Finanzausstattung herstellt, darf er bei den starken Ländern nicht zerstören. Außerdem darf er den Reichtumsvorsprung nicht zur Gänze aufheben 442. Im Rahmen des Schwächungsverbotes wird die Verbindung gezogen zur Angemessenheit als „finanzausgleichsspezifisches Übermaßverbot“, das dem Gesetzgeber schon vor der Schwelle des Nivellierungsverbotes Grenzen setzt 443. So muss die Finanzkraft der Geberländer nach dem Finanzausgleich noch „merklich“ und „deutlich“ über dem Länderdurchschnitt liegen. Dieses Abstandsgebot rechtfertigt sich aus dem Gedanken, dass gliedstaatlich eigenständig erwirtschaftete finanzielle Gestaltungsräume auch in dem Land honoriert werden müssen, in dem sie entstehen und so wiederum dessen Wahlvolk zugute kommen 444. 4. Ergebnis Somit können Ober- und Untergrenze des angemessenen Ausgleichs nur in den „Extremen“ bestimmt werden, das Grundgesetz dem angemessenen Ausgleich keine Zahlen vorgeben. Die Anwendung und Auslegung des Begriffes Angemessenheit obliegt dem Gesetzgeber. Dennoch muss das Spannungsverhältnis zwischen dem Angleichungsauftrag einerseits und der finanzwirtschaftlichen Autonomie der Länder andererseits anhand der verfassungsrechtlichen Vorgaben gelöst werden. 442 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 628; Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 311ff.; ähnlich: Peter Michael Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 132, der auf den „Grundsatz der relativen Annäherung finanzwirtschaftlicher Leistungsfähigkeit“ verweist, starre Abstandsquoten zurückweist, aber über das Übermaßverbot schon „vor der Schwelle des Nivellierungsverbotes“ zu Grenzen der Umverteilung kommt; vgl. auch Bernd Kowalsky, Die Rechtsgrundlagen der Bundestreue, S. 244, der im Schwächungsverbot, ebenso wie im Nivellierungsverbot die Anwendung der Verhältnismäßigkeit sieht; wohl ebenso Hermann-Wilfried Bayer, Bundestreue, S. 84, der im Schwächungsverbot eine unverhältnismäßig starke Belastung einzelner Länder erblickt. In der Sache ähnlich, aber ohne Bezugnahme auf das Übermaßverbot, BVerfGE 1, 117 (131); 72, 330 (417), das Beträge in Höhe von 4,08 und 7,16 v. H. der Gesamtausgaben des Geberlandes für unbedenklich hält und erlaubt, Beträge in die Ausgleichspflicht einzubeziehen, die zwischen 100 und 102 v. H. der Ausgleichsmesszahl liegen, also nur knapp oberhalb der „Nivellierung“, „wenn nur so die erforderlichen Ausgleichszuweisungen aufgebracht werden können“. Im Gegensatz zu Klaus Vogel / Paul Kirchhof in: BK, GG, Art. 107, Rn. 52 lehnt das Gericht die Bestimmung einer Grenze über einen bestimmten prozentualen Vorsprung der Finanzkraft ab, da es nur darauf ankomme, die finanzielle Leistungsfähigkeit oder den finanziellen Handlungsraum nicht zu schwächen. Nach Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 629 ist das Abschöpfungsvolumen im Verhältnis zu den Gesamtausgaben des Landes entscheidend, da sich in ihnen seine Leistungsfähigkeit zeige. 443 Vgl. nur Peter Michael Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 133b. 444 Vgl. Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 311.

G. Die Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit

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G. Die Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit I. Einleitung Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG fordert einen angemessenen Ausgleich. Dies könnte einen „abwägenden“ Ausgleich zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern im Sinne der Verhältnismäßigkeit, häufig auch als Übermaßverbot bezeichnet, meinen, der mit den Kriterien der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (oft auch Angemessenheit genannt) operiert. Es stellt sich also die Frage, ob der konfliktträchtige „angemessene Ausgleich“ des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG trotz seiner Zugehörigkeit in das Recht der bundesstaatlichen Ordnung durch eine „Interessenabwägung“ im Sinne der Verhältnismäßigkeit aufgelöst werden kann. Die Angemessenheit stellt nach überkommener Betrachtungsweise eine „rechtsverbindliche Relation“ zwischen Mittel und Zweck im Sinne der Verhältnismäßigkeit her. So wird angeführt, dass „das Tatbestandsmerkmal der ,Angemessenheit‘ [ . . . ] nach gefestigter Tradition des deutschen öffentlichen Rechts einen Bewertungsauftrag [enthält], der den Gesetzgeber auf die Einzelkriterien der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit verpflichtet“ 445. Wenn dem so wäre, könnte die „Angemessenheit“ des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG möglicherweise in Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) unterteilt werden. In einem zweiten Schritt wäre dann zu untersuchen, wie die Angemessenheit des Ausgleichs durch Abwägung zweier Interessenlagen in der Praxis Realität werden könnte: ob also die Feststellung genügt, dass die Verhältnismäßigkeit im Finanzausgleich Anwendung findet oder ob es eines weiteren gesetzgeberischen Umsetzungsschrittes wie des Maßstäbegesetzes bedarf, das den Gesetzgeber die Angemessenheit nach den von der Verfassung vorgegebenen und hier entwickelten Kriterien selbst umsetzen lässt, ihn gleichsam „mit ins Boot“ holt und ihm die Interpretation der Verfassung überlässt.

II. Begriffsbestimmung Zunächst müssen kurz die verwendeten Begrifflichkeiten geklärt werden. So finden sich in Rechtsprechung und Schrifttum die Begriffe Verhältnismäßigkeit (im engeren wie im weiteren Sinne), Übermaßverbot sowie die Begriffe der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit 446. Nach der klassischen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht die Verhältnismäßigkeit (im

445

Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 54ff. Vgl. aber auch das Subsidiaritätsprinzip, etwa in Josef Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, insbesondere S. 278ff., 281. 446

132

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

weiteren Sinne) bis heute aus drei Teilgrundsätzen: der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit, wobei diese auch mit dem synonym gebrauchten Begriff der Verhältnismäßigkeit (im engeren Sinne) umschrieben wird 447. Der Begriff des Übermaßverbotes wird sowohl von der Rechtsprechung 448 als auch von einem Großteil der Literatur 449 als mit der Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) identisch verstanden und synonym als Oberbegriff gebraucht, häufig auch durch die Verwendung beider Begriffe 450. Unter dem Grundsatz der Geeignetheit wird verstanden, dass mit der beabsichtigten Maßnahme oder dem beabsichtigten Gesetz der gewünschte Erfolg überhaupt erreicht werden kann, es geht also um die generelle Eignung des Mittels für den verfolgten Zweck; unter dem Grundsatz der Erforderlichkeit, dass von allen geeigneten Maßnahmen oder Gesetzen die- bzw. dasjenige ausgewählt werden muss, die oder das für den oder die Betroffenen – bei gleicher Eignung der Maßnahme – weniger einschneidend ist; sowie unter dem Grundsatz der Angemessenheit, dass die Maßnahme oder das Gesetz wertend mit dem beabsichtigen Zweck in Beziehung gesetzt werden muss, mithin eine auf „Wägen und Gewichten“ 451 aufbauende Mittel-Zweck-Relation stattfinden muss 452.

III. Historischer Überblick Das Verhältnismäßigkeitsprinzip hat seine Wurzeln nicht erst in der deutschen Rechtsgeschichte, sondern hat bereits in seinen drei Ausprägungen der proportionalen Tatvergeltung (iustitia vindicativa), der zuteilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva) und dem „Gedanken, dass Recht dem Nutzen der einzelnen oder der Gesellschaft zu dienen habe und der sich daraus ergebenden Begrenzung des

447 BVerfGE 7, 377 (407ff.); 19, 330 (337); 21, 150 (155); 26, 215 (228); 27, 211 (219); 28, 264 (280); 30, 292 (316); 36, 47 (59); 40, 371 (382f.); 41, 251 (264); 48, 118 (124); 61, 126 (134); 63, 131 (144);70, 1 (26, 28, 31); 72, 9 (23); 73, 301 (317); 74, 203 (214f.); 78, 38 (50); 79, 256 (270); 80, 1 (24); 81, 70 (89ff.); 82, 209 (230); 84, 133 (152f.); 85, 360 (373ff.); Rüdiger Konradin Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S. 68f. 448 BVerfGE 20, 351 (361); 22, 114 (123); 23, 127 (133); 28, 175 (188); 30, 250 (266); 76, 1 (50). 449 Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 861f.; ders., Lerche-FS, S. 165 (166); Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (136); eine genaue Darstellung der Begrifflichkeiten findet sich bei: Lothar Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 19f. 450 Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 21 hingegen plädiert für einen Begriff des Übermaßverbots, welcher nur die Grundsätze der Erforderlichkeit und der Angemessenheit umfasst, der Grundsatz der Eignung dagegen sei ein selbständig neben dem Übermaßverbot stehender Grundsatz. 451 Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (133). 452 Rüdiger Konradin Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S. 67; Lothar Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 50ff., 56ff., 75ff.; Rainer Dechsling, Das Verhältnismäßigkeitsgebot, S. 5.

G. Die Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit

133

Einsatzes rechtlicher Mittel durch ihre Zweckmäßigkeit und damit auch durch eine proportionale Mittel-Zweck-Relation“ bereits Eingang in das römische Recht gefunden 453. In Deutschland findet der Gedanke der Verhältnismäßigkeit erstmals Anwendung im Polizeirecht, nämlich in § 10 II 17 des Allgemeinen Landrechts für die preußischen Staaten vom 1. Juni 1794 454, der eine Begrenzung der Polizeigewalt auf „die nöthigen Anstalten“ vorsieht 455. Dies geht auf Carl Gottlieb Svarez zurück, der bereits 1791, ganz im Sinne der Aufklärung und der mit ihr verbundenen Rationalität des Menschen, konstatierte: „[ . . . ] der erste Grundsatz des öffentlichen Staatsrechts ist, dass der Staat die Freiheit der einzelnen nur soweit einzuschränken berechtigt sei, als es notwendig ist, damit die Freiheit aller bestehen könne, [ . . . ]“. Zweitens müsse „der Schaden, welcher durch die Einschränkung der Freiheit abgewendet werden soll, [ . . . ] bei weitem erheblicher sein als der Nachteil, welchen das Ganze oder auch die einzelnen durch eine solche Einschränkung leiden“ 456. Von dieser Eingriffsbegrenzung im Polizeirecht fand der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Eingang erst in das Verwaltungsrecht und später dann auch in das Verfassungsrecht 457. Vor allem das preußische sowie das sächsische Oberverwaltungsgericht leiteten aus dieser Beschränkung staatlicher Macht, terminologisch noch uneinheitlich, das Übermaßverbot, den Grundsatz der Erforderlichkeit sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit her 458. Den Begriff vom „Gebot der Verhältnismäßigkeit polizeilichen Handelns“ verwendete erstmals Günther Heinrich von Berg in seinem Handbuch des Teutschen Policeyrechts aus dem Jahre 1802 459. Die Klarstellung, dass es sich bei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit um eine „Rechtsschranke“ handelt, stammt von Otto Mayer aus dem Jahre 1895 460.

453 Franz Wieacker, Fischer-FS, S. 867 (874f.); Klaus Stern, Lerche-FS, S. 165 (167f.) ; vgl. zur Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsgedankens vor seiner Anwendung in Deutschland: Marc d’Avoine, Die Entwicklung der Verhältnismäßigkeit, S. 85ff. 454 Hans Hattenhauer, Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten; vgl. hierzu Andreas Schwennicke, Die Entstehung der Einleitung des Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794. 455 Klaus Stern, Lerche-FS, S. 165 (168); Lothar Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 3; vgl. auch die eingehende Darstellung dieser Entwicklung bei Stephanie Heinsohn, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 32 ff., 46 ff.; Barbara Remmert, Verfassungs- und verwaltungsrechtsgeschichtliche Grundlagen des Übermaßverbotes. 456 Carl Gottlieb Svarez, Vorträge über Recht und Staat, S. 486f. 457 Fritz Ossenbühl, Lerche-FS, S. 151 (152). 458 Vgl. PrOVGE 13, 273 (278); 13, 424 (426); 18, 336ff.; 31, 409 (410); 37, 401 (407); 44, 342 (343); 45, 416 (423f.); 51, 284 (288); 51, 313 (314f.); 61, 255 (262); JbSächsOVG 7, 195 (198); 8, 131 (135f.); 10, 329 (331f.); 15, 42 (44). 459 Günther Heinrich von Berg, Handbuch des Teutschen Policeyrechts, Bd. 2, S. 89ff.; Klaus Stern, Lerche-FS, S. 165 (168).

134

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Das Verhältnismäßigkeitsprinzip entstand in Deutschland im Verwaltungsrecht und griff erst von dort aus, begünstigt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, ins deutsche Verfassungsrecht über 461. Erstmals als „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Zweck und Mittel“ im Urteil zum nordrheinwestfälischen Landeswahlgesetz 1954 ausdrücklich erwähnt 462, in der Stufenfolge des Art. 12 GG im Apothekenurteil weiter ausgebaut 463, kulminierte es später dann in folgender Formulierung: „In der Bundesrepublik Deutschland hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verfassungsrechtlichen Rang. Er ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, im Grunde aus dem Wesen der Grundrechte selbst [ . . . ]“ 464.

IV. Die Entwicklung der Verhältnismäßigkeit Obwohl der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auf das Rechtsstaatsprinzip und auf das „Wesen der Grundrechte“ gestützt wird 465, ergibt sich nicht zwangsläufig eine Beschränkung auf eine Funktion als Grundrechtsschranke. So wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den „Sprung“ aus dem Polizeirecht in die Verfassung geschafft hat, sowie aus dem Bereich der Grundrechtsschranken in das Privat- und Arbeitsrecht 466, könnte er in weitere Bereiche des Grundgesetzes, wie etwa in das Finanzausgleichsrecht, zu übertragen sein, denn immerhin „ist nach einhelliger Auffassung [ . . . ] das gesamte öffentliche Recht dem Grundsatz 460 Otto Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. 1, S. 267; Lothar Hirschberg, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 4; Klaus Stern, Lerche-FS, S. 165 (168). 461 Klaus Stern, Lerche-FS, S. 165 (171); vgl. auch Rupprecht von Krauss, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere S. 19, 25, 26ff., 51. 462 BVerfGE 3, 383 (399) – Gesamtdeutscher Block: Die Regelung „ist ein geeignetes Mittel, diesem Zweck zu dienen. Sie überschreitet auch nicht die Grenzen, die durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwischen Zweck und Mittel gezogen sind. Innerhalb dieser Grenzen aber ist der Gesetzgeber mangels einschlägiger besonderer Bestimmungen der Verfassung frei“. 463 BVerfGE 7, 377 (Leitsatz 6, 405, 407f.). 464 BVerfGE 19, 342 (348f.); Klaus Stern, Lerche-FS, S. 165 (172). 465 Vgl. nur Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 29ff.; Eberhard Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 (585); Uwe Langheineken, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 44, der den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als „Mittel zur Verwicklichung gerechter Ausgleichung und damit des Gerechtigkeitsprinzips“ bezeichnet; ganz anderer Ansicht: Philipp Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 350ff., der ebenso wie bei der föderativen Gleichbehandlung auch bei dem Verhältnismäßigkeitsgedanken eine Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip ablehnt. Dem sind jedoch die obigen Argumente entgegenzuhalten. 466 Zu nennen sind hier insbesondere die „kollidierenden Vorschriften des Privatrechts“, vgl. BVerfGE 35, 202 (221) – Lebach-Urteil, sowie des Arbeitsrechts, in deren Rahmen Arbeitgeber etwa bei verhaltensbedingten Kündigungen wegen des Verhältnismäßigkeitsgedankens zuerst abmahnen müssen oder aber Aussperrungen in verhältnismäßiger Weise vornehmen müssen, vgl. BAG, VersR 1971 , S. 824 (824); BAGE 71, 92 (92; Leitsatz 2).

G. Die Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit

135

der Verhältnismäßigkeit unterworfen“. Dies gelte „unangefochten“ für alle Maßnahmen, die in bürgerliche Freiheiten eingriffen und sie beschränkten, sei aber nicht auf diese begrenzt, sondern habe seine Anwendung „im Laufe der Zeit“ durch „Anziehungs- und Überzeugungskraft“ in den Bereich der sogenannten Leistungsverwaltung ausdehnen können. Dort gelte er nicht nur in klassischen Eingriffskonstellationen, sondern auch in der reinen Leistungsverwaltung, wie etwa bei der Subventionsgewährung 467. Es bleibt festzuhalten, dass „die Faszination, die der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Machtbegrenzungsnorm ausübt, [ . . . ] dazu geführt [hat], dass man ihn überall dort einzusetzen versuchte, wo es um die Begrenzung von staatlicher Macht geht“ 468. Peter Lerche spricht von einer Loslösung des Übermaßverbotes aus dem Bereich der Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips sowie von seiner Erweiterung und Übertragung zu „Grundsätzen inmitten einer dirigierenden Verfassung“, die dem Übermaßverbot eine allgemeine Bedeutung für das Staatshandeln zumessen 469. Dennoch (oder gerade aufgrund der Erweiterung des Verhältnismäßigkeitsgedankens) finden sich mahnende Stimmen zu einer weiter gehenden Erweiterung und sprechen sich in dieser Hinsicht für äußerste Behutsamkeit aus. Peter Lerche warnt vor einer „Überdehnung des gesetzesbindenden Übermaßverbots“ 470; Fritz Ossenbühl sieht sich zwar nicht als Skeptiker oder Kritiker des Verhältnismäßigkeitsgedankens, aber immerhin als „Mahner“ der Gefahren einer immer weiter fortschreitenden Erweiterung und Gebrauchs desselben 471. So sei, verursacht durch das im Übermaß angewandte Übermaßverbot, eine „Knochenerweichung der Rechtsordnung“, die „Einsetzung weicher Topoi an die Stelle harter Direktiven, Maßstäbe und Strukturen“ oder „eine nicht mehr kontrollierbare Überschwemmung der unterschiedlichsten Rechtsgebiete“ genauso zu befürchten wie „die gleichmacherische, aufweichende Rolle, die das Übermaßverbot spiele“. Daneben wird eine Verschiebung im staatlichen Machtgefüge befürchtet, weg vom Gesetzgeber und hin zur rechtsprechenden Gewalt. So würden „in die Leerformel des Verhältnismäßigkeitsprinzips [ . . . ] Zwecksetzungen, Zweckwertungen, Tatsachenfeststellungen [ . . . ], Prognosen und Einschätzungen 467 Fritz Ossenbühl, Lerche-FS, S. 151 (153); vgl. auch Franz Eppe, Subventionen, S. 137ff.; Michael Ch. Jakobs, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 154ff.; Klaus Vogel, Ipsen-FS, S. 539 (553). 468 Fritz Ossenbühl, Lerche-FS, S. 151 (153); in diesem Sinne auch: Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 61ff., insbesondere S. 77; vgl. aber auch die Zurückweisung dieses „Versuchs“ durch das Bundesverfassungsgericht bei Kompetenznormen, BVerfGE 81, 310 (338). 469 Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 61ff. 470 Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, Vorwort. 471 Fritz Ossenbühl, Lerche-FS, S. 151 (156).

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

eingespeist und in einem schwer rationalisierbaren Vorgang miteinander in Beziehung gesetzt“. Die Verhältnismäßigkeit ermögliche alles zwischen „judicial self restraint und umfassender Kontrolle“ und eröffne „dem kontrollierenden Richter die Möglichkeit zur Einzelfallgerechtigkeit, aber auch den selbst erteilten Dispens vom rechtsstaatlichen Prinzip der Gesetzmäßigkeit“ 472.

H. Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 GG Die Auslegung der „Angemessenheit“ ist schwierig 473. Bei der Angemessenheit handelt sich um eine Anweisung an den Gesetzgeber, die Verfassung als Erstinterpret auszulegen. Doch ist die gesetzgeberische Auslegung nicht unbedingt letztverbindlich; die Verfassung kann dem Gesetzgeber durchaus einen mit gewisser normativer Substanz angereicherten Verfassungsauftrag zur Auslegung vorgeben 474.

I. Die Verhältnismäßigkeit im bundesstaatlichen Verhältnis Die pauschale Ablehnung der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Länderfinanzausgleichs ist nicht angezeigt. Wie sie die Forderung nach einem Maßstäbegesetz beeinflussen kann, muss noch herausgearbeitet werden. Zunächst müsste der Gedanke der Verhältnismäßigkeit, der eigentlich im Wesen der Grundrechte und im Rechtsstaatsprinzip zu Hause ist, auch im bundesstaatlichen Binnenverhältnis Anwendung finden. Es gilt zu beachten, dass die Nichtüberdehnung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an sich ein hehres und richtiges Ziel ist, um ihn vor einer Aushöhlung zu bewahren. Allerdings führt dies zu einem Zirkelschluss: Entweder ergibt sich aus der Verfassung, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in das Finanzausgleichsrecht mit allen Konsequenzen zu übertragen und der angemessene Ausgleich als Abwägungsgebot zu verstehen ist oder nicht. Die Übertragbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgedankens in das Bundesstaatsprinzip gestaltet sich schwierig. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Kalkar-Urteil vom 22. Mai 1990 zu der Frage der Ausübung der Bundeskompe472

Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. XIII, der eine Einschränkung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eher durch die Rücknahme der gerichtlichen Kontrollintensität erreichen möchte, vgl. ders., Vorbereitung grundrechtlichen Ausgleichs durch gesetzgeberisches Verfahren, S. 97 (121); ihm folgend: Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (144); anders: Fritz Ossenbühl, Lerche-FS, S. 151 (157f.), der den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eher tatbestandlich beschränken möchte; vgl. auch ders., VVDStRL 39 (1980), S. 147 (189); Detlef Merten, Schambeck-FS, S. 349 (377). 473 Vgl. Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 81f. m. w. N. 474 A. A. Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 81f.

H. Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 GG

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tenzen und des Weisungsrechtes zu Lasten der Länder folgendes entschieden und damit in den Augen vieler der Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgedankens im Rahmen des Bundesstaatsprinzips eine klare Absage erteilt: „Neben der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten gibt es keine Verfassungsgrundsätze, aus denen Schranken für die Kompetenzausübung in dem von Staatlichkeit und Gemeinwohlorientierung bestimmten Bund-Länder-Verhältnis gewonnen werden könnten. Aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranken für Einwirkungen des Staates in den Rechtskreis des Einzelnen sind im kompetenzrechtlichen BundLänder-Verhältnis nicht anwendbar. Dies gilt insbesondere für den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; ihm kommt eine individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion zu. Das damit verbundene Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff kann weder speziell auf die von einem Konkurrenzverhältnis zwischen Bund und Land bestimmte Sachkompetenz des Landes noch allgemein auf Kompetenzabgrenzungen übertragen werden“ 475. Es liegt nahe, dem Übermaßverbot die Anwendung im Bereich der Finanzverfassung, der ebenso wie der Bereich der Kompetenzen zum Bundesstaatsprinzip gehört, zu verweigern, ist doch das Übermaßverbot vom Bundesverfassungsgericht eindeutig als eine „aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Schranke“ qualifiziert worden, die schon thematisch im Bundesstaatsprinzip keinen Platz habe 476. Allerdings beschreibt das Bundesverfassungsgericht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch als „eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsstaatsprinzips, dessen Geltung nicht auf bestimmte Rechtsgebiete beschränkt ist“ 477. Vielmehr sei der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz „bei der Auslegung und Anwendung der Normen des einfachen Rechts stets zu beachten“ 478. Außerdem gilt, wie oben gezeigt, auch das rechtsstaatliche Willkürverbot im bundesstaatlichen Binnenbereich. Auch vom rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgebot darf erwartet werden, dass es nicht vor der Bundesstaatlichkeit halt macht 479. Darüber hinaus lässt sich die Verhältnismäßigkeit ebenso wie das Willkürverbot und die Bundestreue als Element der materiellen Gerechtigkeit definieren. Die Verhältnismäßigkeit muss deshalb im auf Gerechtigkeit angelegten Grundgesetz für jedes staatliche Verhalten Geltung beanspruchen dürfen.

475

BVerfGE 81, 310 (338). Fritz Ossenbühl, Lerche-FS, S. 151 (163). 477 BVerfGE 43, 242 (288). 478 BVerfGE 43, 101 (106). 479 Vgl. etwa Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 245 in bezug auf das rechtsstaatliche Willkürverbot: „Dieser Anspruch des Rechtsstaates macht vor der Bundesstaatlichkeit nicht halt“. Es ist zumindest eine Überlegung wert, warum für das ebenso wie der Gleichheitssatz aus den Grundrechten stammende, aber ebenso mit einer rechtsstaatlichen Komponente ausgestattete Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht ähnliches gelten soll. 476

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgedankens im Bereich des Bundesstaatsprinzips stößt sich folglich vor allem an seiner Herleitung, insbesondere an der vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen Ableitung des Verhältnismäßigkeitsgebots aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie aus den Freiheitsrechten. Mit diesem Punkt eng verbunden ist denn nun auch die Weigerung des Gerichts, das Übermaßverbot auf das Bundesstaatsprinzip zu übertragen, obwohl dort Gemeinsamkeiten oder zumindest Ähnlichkeiten nicht übersehbar sind. Prinzipiell nimmt das Bundesverfassungsgericht an, dass sich Übermaßverbot und Verhältnismäßigkeitsprinzip „als übergreifende Leitregeln allen staatlichen Handelns zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip ergeben“ 480, folglich keine Verankerung im Gesetz benötigen. Dennoch finden sich eine Reihe von Anhaltspunkten im Verfassungstext, die auf die Verhältnismäßigkeit verweisen könnten 481. Bezug genommen wird hier meist auf Art. 72 Abs. 2 GG. So befindet etwa Josef Isensee: „Die Berufung auf das Übermaßverbot ist schlechthin ungeeignet, die verfassungsrechtlich vorgegebene Kompetenzverteilung zu verschieben und eine ungeschriebene Zuständigkeit zu begründen. Dagegen kommt eine bereichsbegrenzende Anwendung des Übermaßverbotes dort in Betracht, wo das Grundgesetz sie anordnet, um die Eigenständigkeit und den Wirkungskreis der Länder tunlichst zu schonen. Das gilt für das Erforderlichkeitskriterium bei der Inanspruchnahme einer konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit durch den Bund (Art. 72 Abs. 2 GG). Die Bundesaufsicht darf unter den Mitteln, die ihr das Grundgesetz in Art. 84 zur Verfügung stellt, jeweils nur das wählen, das die Eigenverantwortung der Länder beim Vollzug der Bundesgesetze am wenigsten beeinträchtigt 482. Dies ist ein Ansatz, der die hier vertretene Auffassung unterstützen würde 483. Das Bundesverfassungsgericht scheint von seiner Linie, die es noch im KalkarUrteil vertreten hatte, etwas abgekommen zu sein. Im Altenpflege-Urteil vom 24. Oktober 2002 konstatiert es nämlich, ganz im Sinne einer Verhältnismäßigkeitsprüfung: „Art. 72 Abs. 2 GG trägt dem – mit dem Kriterium der Erforderlichkeit bundesgesetzlicher Regelung – Rechnung und verweist den Bund damit auf den geringst möglichen Eingriff in das Gesetzgebungsrecht der Länder. ‚Erforderlich‘ ist die bundesgesetzliche Regelung danach nur soweit, als ohne sie die vom

480

BVerfGE 23, 127 (133). Vgl. die nicht dem Grundrechtsbereich entstammenden Verweise auf die Verhältnismäßigkeit bei Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 350ff., wie etwa Art. 37 Abs. 1 GG, 72 Abs. 2 GG, 87 Abs. 3 Satz 2 GG sowie 140 GG iVm 136 Abs. 3, 4 WRV. Ein Verweis auf Art. 107 Abs. 2 GG fehlt allerdings. 482 Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 118. 483 Auch in die Formulierung „solange und soweit“ des Art. 72 Abs. 2 GG a. F. wird der Verhältnismäßigkeitsgedanke hineingelesen, vgl. Philip Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, S. 352. Für die jetzige Formulierung „wenn und soweit“ muss dasselbe gelten. 481

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Gesetzgeber für sein Tätigwerden im konkret zu regelnden Bereich in Anspruch genommene Zielvorgabe des Art. 72 Abs. 2 GG, also die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse oder die im gesamtstaatlichen Interesse stehende Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit, nicht oder nicht hinlänglich erreicht werden kann. Dabei muss dem Gesetzgeber eine Prärogative für Konzept und Ausgestaltung des Gesetzes verbleiben“ 484. Dies wird auch in der Literatur mit Wohlwollen aufgenommen. So lehnen Reinhold Zippelius / Thomas Würtenberger eine Beschränkung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ausschließlich auf die Funktion, die Freiheitssphäre des Bürgers zu bestimmen und zu verteidigen, ab: „Derartige rigorose Begrenzungen der Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes können nicht überzeugen. Immerhin fordert Art. 72 Abs. 2 GG eine Erforderlichkeitsprüfung, wenn der Bund seine Kompetenz der konkurrierenden Gesetzgebung ausüben möchte. Hier wird im Altenpflege-Urteil zu Recht überprüft, ob ein Bundesgesetz zur Verfolgung der in Art. 72 Abs. 2 GG genannten Ziele geeignet und ob der Grundsatz des geringst möglichen Eingriffs in das Gesetzgebungsrecht der Länder beachtet ist [ . . . ]. Außerdem wird mit guten Gründen vorgeschlagen, Beschränkungen der kommunalen Selbstverwaltung nicht an den Kriterien eines Kernbereichsschutzes zu messen, sondern einer Verhältnismäßigkeitskontrolle zu unterziehen“ 485. Eine Übertragung in das bundesstaatliche Verhältnis kann auch nicht allein deshalb abgelehnt werden, weil Rechtsstaats- und Bundesstaatsprinzip zwei getrennte Materien sind 486. Das Gegenteil ist der Fall: Obwohl das Übermaßverbot im Rechtsstaatsprinzip fußt, ist eine Übertragung in das Bundesstaatsprinzip nicht ausgeschlossen; auch das Bundesstaatsprinzip enthält nämlich sehr deutliche rechtsstaatliche Elemente 487. So bezeichnet Konrad Hesse 488 die „Bundesstaatlichkeit als komplementäres Element der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung“. Der konkrete bundesstaatliche Aufbau des Grundgesetzes vervollständige die Ordnung des sozialen Rechtsstaats durch seine gewaltenteilenden Wirkungen. Zwar gehe es bei der Bundesstaatlichkeit primär um die Zuordnung zu unterschiedlichen Hoheitsträgern, zugleich werde jedoch durch gegenseitige Mitwirkungsund Kontrollbefugnisse ein Machtmissbrauch erschwert, Freiheitlichkeit gesichert und Voraussetzungen für eine Konfliktverhütung und -bewältigung geschaffen. Auch die Bundesstaatlichkeit zeichne sich, ebenso wie die Rechtsstaatlichkeit, durch Gewaltenteilung aus. Dies sei vor allem die den Bundesstaat kennzeichnende, dem dezentralen Aufbau entspringende vertikale Gewaltenteilung wie die Aufteilung der Gesetzgebungs-, Vollziehungs- und Rechtsprechungskompetenzen 484 485 486 487 488

BVerfGE 106, 62 (149). Reinhold Zippelius / Thomas Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, S. 112. Ebenso: Rudolf Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 400. Ebenso: Konrad Hesse, Grundzüge, Rn. 229ff.; ders., Smend-FS, S. 71 (90). Konrad Hesse, Grundzüge, Rn. 223ff.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

zwischen Bund und Ländern, die zugleich noch mit einer Verschränkung oder „Gewaltenbalancierung“ verbunden sei, wie etwa in der mittlerweile aufgehobenen Rahmengesetzgebung (Art. 75 GG a. F.), dem landeseigenen Vollzug von Bundesgesetzen (Art. 84 GG) sowie der Aufgliederung der Rechtsprechungsfunktionen, was das Aufkommen einer „omnipotenten Staatsgewalt“ verhindern soll. Mit dieser vertikalen Gewaltenteilung verknüpft der Bundesstaat des Grundgesetzes aber auch die eigentlich im Rechtsstaatsprinzip verankerte horizontale Gewaltenteilung. Mit der Einrichtung des Bundesrats hat der Verfassunggeber neben Bundestag und Bundesregierung noch ein weiteres „bundesstaatliches“ Organ erschaffen, das zur Gewaltenteilung und -balancierung beiträgt: die bundesstaatliche Ordnung verknüpft innerhalb der obersten Bundesorgane deren interne politische und rechtliche Kontrolle mit der Kontrolle dieser wichtigsten Organe durch die Exekutiven der Länder. Gewaltenbalance wird nicht nur durch die Rechtsstaatlichkeit gesichert, sondern auch durch die Verwirklichung der Ordnungen der Demokratie und des Bundesstaats. Mit dieser Aussage wird bestätigt, was im rechtsstaatlichen Willkürverbot bereits dargestellt wurde: rechtsstaatliche Elemente machen vor dem Bundesstaat des Grundgesetzes nicht halt. Für eine Übertragung des Verhältnismäßigkeitsgedankens in Bereiche, die (auch) dem Bundesstaatsprinzip unterliegen, sprechen zusätzlich eine Reihe weiterer Argumente. So spricht zum Beispiel Peter Lerche von einem „dirigierenden Teil der Verfassung“, dessen Bestandteil unter anderem das Übermaßverbot sei, aber nicht nur dieses, sondern auch der von ihm aus dem Übermaßverbot herausgetrennte Grundsatz der Eignung, der Bestimmtheitsgrundsatz sowie das Gleichheitsgebot. Dieser „dirigierende Teil“ bestehe aus stetigen Verfassungsdirektiven und verlange stetigen staatlichen Vollzug des sich immer wieder neu aktualisierenden Verfassungsauftrags 489. Jener war zwar von Peter Lerche ausschließlich auf den Bereich der Grundrechte bezogen (es sollten nicht mehr nur allein Eingriffe in Freiheit und Eigentum Schranken unterliegen, sondern für den gesamten grundrechtlichen Bereich sollten „sachgebundene Ordnungen [gelten], deren kontinuierliche, aktive Aufrechterhaltung gegenüber dauernder Gefährdung dem Gesetzgeber zur stetigen Aufgabe“ werden) 490, doch ist diese Begrenzung auf die Grundrechte nicht zwingend: Wortlaut und der hinter diesen Aussagen stehende Gedanke ließe durchaus eine Übertragung in andere Bereiche zu 491; die Begrenzung ergibt sich lediglich aus der Zeit der Entstehung dieses Werkes, bei der erst einmal die Verhältnismäßigkeit im Bereich der Grundrechte in geordnete Bahnen gelenkt werden sollte und musste; die Entwicklung der Verhältnismäßigkeit in anderen Bereichen spielte zum damaligen Zeitpunkt noch keine Rolle und fand deshalb in Peter Lerches Werk (noch) keinen Eingang. 489 490 491

Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 61ff., insbesondere S. 64 und S. 77. Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 65. So auch Rudolf Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 400.

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Eine Beschränkung der Verhältnismäßigkeit auf den Bereich der Grundrechte stößt somit auf Bedenken. Rudolf Stettner kommentiert die Beschränkung auf diesen mit folgenden Worten: „[Dieser Bereich] war [ . . . ] bislang nahezu ihr einziges (aber überaus wesentliches!) Wirkungsfeld, doch eine voraussetzungsmäßige Verknüpfung mit den Grundrechten liegt auch dann nicht vor, wenn man sie als Teil des Rechtsstaatsprinzips behandelt“ 492. Bedeuten soll dies, dass die Anwendung der Verhältnismäßigkeit nicht auf die Grundrechte beschränkt sein kann, wenn man sie auch aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitet 493. Außerdem wird die Verhältnismäßigkeit mittlerweile als alle staatlichen Bereiche umfassende Idee des „rechten Maßes“, der „Ausgewogenheit“ verstanden 494, als für den Staat in all seinen Wirkungsgeboten gültiges Rechtsgebot, nicht „mit Kanonen auf Spatzen zu schießen“, als Entfaltung der „Gerechtigkeitsidee“ 495, als ein allgemeines Prinzip des „Wägens und Gewichtens“ 496; unter diesen Voraussetzungen kann eine Beschränkung der Verhältnismäßigkeit auf bestimmte Normgruppen nicht mehr gerechtfertigt werden 497. Der Verhältnismäßigkeitsgedanke hat seine Ursprünge im Verhältnis Staat-Bürger; im Bereich der Grundrechte. Als Element der Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit erscheint es durchaus legitim, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz immer dann anzuwenden, wenn Eingriffe in autonome Rechts- oder Kompetenzsphären zu prüfen sind. Die Grundrechte bleiben zwar das Hauptanwendungsgebiet, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt aber als Element der Gerechtigkeit den Wertungen des Prinzips der Bundestreue nicht fern und kann mit diesem „eine Verbindung eingehen“ und gemeinsam mit diesem rechtsstaatswidrige Beeinträchtigungen abwehren, mögen diese sich nun im innerstaatlichen Raum abspielen oder nicht. Das „Denken in den Kategorien von Freiraum und Eingriff“ ist aus diesem Grunde auf innerstaatliche Rechtsverhältnisse übertragbar, soweit der Verfassunggeber bestimmte Kompetenzsphären der Länder besonders schützt und andererseits eingriffsgleiche Beeinträchtigungsmöglichkeiten anderer Kompetenzträger vorsieht 498. In diesem Fall muss eine verhältnismäßige Abwägung zwischen den Interessen beider Kompetenzträger möglich sein 499.

492

Rudolf Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 400f. Vgl. etwa Josef Isensee, Subsidiarität und Verfassungsrecht, S. 230ff. mit Fn. 39, 253ff., insbesondere S. 257: „[ . . . ] werden rechtsstaatliche Elemente wie das Übermaßverbot auch auf interne staatliche Beziehungen angewendet“. 494 Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 481. 495 Eberhard Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 (585). 496 Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (133). 497 Rudolf Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 401. 493

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gilt heute ebenso wie das Willkürverbot als „allgemeiner Rechtsgrundsatz mit Verfassungsrang“ nicht nur für Exekutive und Gerichte, sondern auch für den Gesetzgeber 500; ebenso wie jenes und die Bundestreue ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine Ausprägung des „Gerechtigkeitsgedanken“ und verwirklicht den formellen und materiellen Rechtsstaat 501. Dem Gesetzgeber muss zwar als Erstinterpret eine Einschätzungsprärogative verbleiben, er hat einen Gestaltungsraum bei der Ausgestaltung von Gesetzen, doch obliegt die Kontrolle dem Bundesverfassungsgericht 502. Dies stellt, wie im Rahmen des Willkürverbotes, keine Kompetenzverschiebung dar. Das Gleichheitsgebot entstammt ebenso wie das Prinzip der Verhältnismäßigkeit dem Bereich der Grundrechte, kommt im Finanzausgleichsrecht dennoch, wenn auch als rechtsstaatliches Willkürverbot und föderatives Gleichbehandlungsgebot, zur Anwendung. All dies geschah im Anwendungsbereich des Bundesstaatsprinzips, obwohl es auch für das Gleichheitsgebot erst einer differenzierten Übertragung aus dem grundrechtlichen Bereich bedurft hätte. Dies führt zwar nicht zwangsläufig zu einer möglichen Übertragung des Verhältnismäßigkeitsge-

498 Dies ist sicherlich richtig. Gilt die Verhältnismäßigkeit wie im Subventionsrecht sogar unabhängig von einer Eingriffssituation, muss diese bei Vorliegen einer solchen gerade gelten. Dies gilt auch für den Finanzausgleich, bei dem in die Finanzausstattung der reichen Länder eingegriffen wird. 499 Karl-Peter Sommermann in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 308, der darauf verweist, dass das „stufenweise Vorgehen“ im Rahmen der Kompetenzausübung des Bundes den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips genügen muss, auch wenn letzteres nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht anwendbar sei. „Da das Verhältnismäßigkeitsprinzip indes als regulativer Maßstab rationale, Willkür vermeidende Kriterien für alle hoheitlichen Maßnahmen liefert, die in abgrenzbare Rechts- oder Kompetenzsphären eingreifen, bildet nach zutreffender Ansicht hier das Bundesstaatsprinzip in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz die Schranke für die Ausübung des Weisungsrechts“; ebenso Michael Sachs in: Sachs, GG, Art. 20, Rn. 70, der zwar auf die Bundestreue bezug nimmt und sie als Kompetenzausübungsschranke beschreibt, aber festhält, dass eine Abwägung zwischen den beteiligten Interessen vorzunehmen ist, unter Umständen auf eigene Ziele zu verzichten ist und „in der Sache [ . . . ] dabei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Geltung [kommt], den das BVerfG freilich als solchen für unanwendbar erkärt“. 500 Karl-Peter Sommermann in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 306. 501 Georg Ress, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im deutschen Recht, in: Kutscher/Ress/Teitgen/Emacora/Ubertazzi (Hrsg.), Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in europäischen Rechtsordnungen, S. 5 (16f.), der auch darauf hinweist, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zwar für die Grundrechte entwickelt wurde und dort in besonderem Maße gelte, dass aber dieser Grundsatz „kein individuelles Grundrecht“ sei, sondern ein „Grundsatz des objektiven Verfassungsrechts“ und damit weniger subjektives Recht als objektives Prinzip. 502 Vgl. nur Ernst-Wolfgang Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 29 (1990), S. 1 (25).

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dankens in das Bundesstaatsprinzip, soll aber offenkundige Parallelen aufzeigen und eine Übertragung „denkmöglicher“ machen. Prinzipiell ist eine Übertragung des Übermaßverbotes in bundesstaatliche Bereiche aufgrund der genannten Argumente grundsätzlich möglich, eine weitgehende Anerkennung blieb ihm aber sowohl in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch im Schrifttum versagt. Die Unterschiede zwischen dem (föderativen) Gleichheitssatz und der Verhältnismäßigkeit, beides Elemente der Gerechtigkeit, sind jedoch nicht so groß, beide Rechtsinstitute verschieden zu behandeln. Eine Übertragung bleibt denkbar, kann aber erst nach Untersuchung der einschlägigen Normen erfolgen.

II. Die Übertragbarkeit der Verhältnismäßigkeit in das Finanzausgleichsrecht Ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz greift, kann letztlich nur über die Auslegung des Art. 107 Abs. 2 GG festgestellt werden. Anhaltspunkt ist der Begriff der „Angemessenheit“. Stefan Korioth wendet hierzu ein: „Warum [ . . . ] die Verwendung eines Wortes, das in der Kurzumschreibung der Verhältnismäßigkeitsprüfung deren letzte Stufe bezeichnet, zur Rezeption dieser Prüfung zwingen soll, ist nicht einsichtig, zumal bei anderen Bestimmungen des Grundgesetzes, die das Merkmal ‚angemessen‘ aufweisen, keine Verbindung zum Übermaßverbot besteht“ 503. Das Bundesverfassungsgericht hat in keiner finanzausgleichsrechtlichen Entscheidung die Angemessenheit explizit als Verhältnismäßigkeit bezeichnet. Ein Gutachten der Sachverständigenkommission beim Bundesfinanzministerium befindet zur vertikalen Umsatzsteuerverteilung und dem in Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG genannten Begriff des „billigen Ausgleichs“: „Dieser terminus vermittelt keine weiteren Maßstäbe für eine ‚Rationalisierung‘ des Abstimmungsprozesses oder für eine rechtliche Beurteilung des Abstimmungsergebnisses. Mit Sicherheit kann dem Ziel, zu einem ‚billigen Ausgleich‘ zu kommen, nur die negative Folgerung entnommen werden, dass die Umsatzsteuerverteilung keinen bloß rechnerischen Vorgang darstellt, auch dann nicht, wenn die ‚laufenden Einnahmen‘ und die ‚notwendigen Ausgaben‘ ermittelt sind. Insoweit eröffnet Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG gewissermaßen eine zweite Stufe des Verteilungsverfahrens, auf der Korrekturen möglich sind. Verwiesen ist 503 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 616f. mit Fn. 687 unter Verweis auf das „angemessene Verhältnis“ der Länderzugehörigkeit der Beamten bei Bundesbehörden, Art. 36 Abs. 1 Satz 1 GG, sowie auf Art. 48 Abs. 3 GG, den Anspruch auf angemessene Entschädigung der Abgeordneten. Den Unterschied zu Art. 107 Abs. 2 GG erkennt Stefan Korioth bereits selbst: In beiden erstgenannten Fällen liegt keine mit einem Eingriff vergleichbare Situation vor, wie dies im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 GG der Fall ist, wie gleich noch zu zeigen sein wird.

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auf den politischen Kompromiss, zu dem alle Beteiligten mit Rücksicht auf das Verfassungsgebot der Bundestreue verpflichtet sind“ 504. Hierbei geht Fritz Ossenbühl 505 davon aus, dass der „billige Ausgleich“ dem „angemessenen Ausgleich“ durchaus vergleichbar sei, da das Angemessene auch als das Billige verstanden werde 506 und kommt deshalb zu dem Ergebnis einer „erheblichen normativen Substanzschwäche“, als „Hinweis auf einen politischen Kompromiss“, zumindest aber zu einem „besonders weiten Entscheidungsspielraum“ des Gesetzgebers. Dem Verweis auf den politischen Kompromiss ist jedoch durch das jüngste finanzausgleichsrechtliche Urteil, das Maßstäbe verlangt, die aus der Verfassung abgeleitet werden müssen, eine klare Absage erteilt worden, wohingegen der Gestaltungsraum des Gesetzgebers 507 die Einführung der Verhältnismäßigkeit im Finanzausgleichsrecht weiterhin zulässt. An Versuchen einer Übertragung der Verhältnismäßigkeit in das finanzausgleichsrechtliche Verhältnis hat es deshalb nicht gemangelt. Bereits vor dem Kalkar-Urteil hatte das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung zum Städtebauförderungsgesetz entschieden, dass Finanzhilfen des Bundes im Rahmen des Tatbestandes des Art. 104 a Abs. 4 GG „nicht in das freie politische Ermessen des Bundes gestellt“ seien. Vielmehr bedeute das Wort „erforderlich“ eine „Verrechtlichung“ und damit verbunden eine „Begrenzung“ der Bundeskompetenz 508. Daraus wurde dementsprechend geschlossen, dass der „erforderliche“ Finanzausgleich nicht der politisch erhoffte und erwünschte, sondern der gerade noch in seiner Belastungswirkung vertretbare, mithin verhältnismäßige Finanzausgleich sei 509. Der Wortlaut „angemessen“ ist in der Tradition des deutschen Verfassungsrechts Bestandteil des Verhältnismäßigkeitsprinzips, das sich in die Einzelkriterien der

504 Sachverständigenkommission zur Vorklärung finanzverfassungsrechtlicher Fragen für künftige Neufestlegungen der Umsatzsteueranteile, Maßstäbe und Verfahren zur Verteilung der Umsatzsteuer nach Art. 106 Abs. 3 und Abs. 4 Satz 1 GG. 505 Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen, S. 80f. 506 Vgl. auch Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 58. 507 Vgl. nur Klaus Vogel / Paul Kirchhof in BK, GG, Art. 107, Rn. 161, die von einem „typischen Wertungsbegriff“ sprechen, über den die Entscheidung grundsätzlich dem Gesetzgeber zustehe; Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 55 spricht von einem „Bewertungsauftrag“. 508 BVerfGE 39, 96 (113). 509 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 56; a. A. Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 85, der zwar anerkennt, dass das Bundesverfassungsgericht die „Erforderlichkeit“ überprüft, eine Prüfung, die „zum Kern des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ gehöre, aber nicht, weil es die Verhältnismäßigkeit überprüfen wolle, sondern weil die Erforderlichkeit ein ausdrücklich geschriebenes Tatbestandsmerkmal sei.

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Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit, manchmal auch als Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne bezeichnet, aufspaltet. Das Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit enthält im Rahmen der (grundrechtlichen) Verhältnismäßigkeitsprüfung einen Bewertungsauftrag, der den Gesetzgeber auf eine rechtsverbindliche Relation und Abwägung von Zweck und Mittel verpflichtet 510. Der Wortlaut angemessen kann also durchaus auf die Verhältnismäßigkeit verweisen. Sogar Stefan Korioth, der die Angemessenheit nicht als Verhältnismäßigkeit verstanden wissen will und die sprachlichen Anklänge für „vage“ hält, meint, dass „angemessener Ausgleich“ bedeute, dass „eine Ländergruppe nicht zu viel und nicht zu wenig“ gebe „und die andere nicht zu viel oder zu wenig“ erhalte 511. Dies mündet im Ergebnis ebenfalls in eine Abwägung, auch wenn er diese nicht als Verhältnismäßigkeit verstanden wissen will. Bestätigt wird dies dadurch, dass neben dem Wortlaut „angemessen“ die Stufenfolge der Art. 106 f. GG an sich schon verhältnismäßig ist. Die durch Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG hergestellte Finanzkraft und Finanzausstattung der Länder soll deren verfassungsrechtlich gewährleistete Autonomie stützen. Dieses geschieht zunächst durch die originäre Finanzausstattung der Länder im primären (vertikalen) Finanzausgleich, in dessen Rahmen bereits ein angemessener Ausgleich zwischen Bund und Ländern vonstatten geht (Art. 106 Abs. 3, insbesondere Satz 4 Nr. 1 und 2 GG). Fortgesetzt wird dies im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs, in dem gemäß Art. 107 Abs. 1 Satz 4, 2. Hs. GG ein auf die Einzelländer ausgerichtetes, allerdings fakultatives, Angemessenheitskorrektiv nachfolgt. Der horizontale Finanzausgleich des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG baut auf dieses durch die Prinzipien der Gleichheit und Angemessenheit auf und zielt auf eine Verfeinerung der angemessen angenäherten Finanzausstattung. Er kann sodann nachfolgend durch Bundesergänzungszuweisungen weiter verbesondert und verfeinert werden. Der Länderfinanzausgleich ist schon in seiner grundgesetzlichen Ausgestaltung auf verhältnismäßige Eingriffe in die Länderfinanzautonomie angelegt. Die sprachliche Fassung des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG ist eine spezialgesetzliche Anerkennung eines gesetzlichen Bewertungsauftrags. Der Gesetzgeber muss angemessene Maßstäbe und Richtlinien für den Länderfinanzausgleich setzen und hierbei unterschiedliche Positionen, Interessen und Wünsche abwägen. Dies in die Anwendung des Übermaßverbotes münden zu lassen, erscheint auf den ersten Blick durchaus nachvollziehbar, ist dieses doch für gesetzgeberische Abwägungen im deutschen Verfassungsrecht schon lange Tradition 512. Dies kann jedoch nur unter zwei Voraussetzungen gelingen. Es muss im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG eine eingriffsähnliche Situation vorliegen und das Verhältnismä-

510 511 512

Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 54ff. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 619. Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 129.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

ßigkeitsprinzip muss im Finanzausgleichsrecht sinnvoll in seinen Teilbereichen Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit anwendbar sein. So wird angeführt, dass für eine Überprüfung des Staatshandelns am Übermaßverbot in Form einer Zweck-Mittel-Prüfung stets ein zielgerichteter Eingriff des Staates zugrunde liegen müsse, „dass das Übermaßverbot sich der Sache nach auf ,Eingriffe‘“ beschränke 513. Die Verhältnismäßigkeit und insbesondere der Teilbereich der Angemessenheit haben sich in der jüngeren Rechtsentwicklung weit ausgedehnt. In seiner derzeitigen Handhabung gerät das Übermaßverbot in die Nähe eines dem Gerechtigkeitsprinzip nahekommenden Grundgedankens, eines allgemeinen Prinzips des „Wägens und Gewichtens“ oder einer Verpflichtung auf das „jeweils Bessere“ 514. Die Verhältnismäßigkeit hat sich vom polizeirechtlichen Eingriff gelöst 515, der Wortlaut „angemessen“ sowie das in der materiellen Gerechtigkeit verankerte „Abwägungsgebot“ könnten bereits für eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Finanzausgleichsrecht ausreichen. Allerdings scheitert eine Übertragung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht am Fehlen einer eingriffsähnlichen Situation. Eine solche liegt im Finanzausgleichsrecht durchaus vor. Die Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes setzt zwei Größen voraus, die zueinander in Beziehung gesetzt werden können, im Bereich der Grundrechte etwa der Zweck der Regelung einerseits, auf der anderen Seite Inhalt und Ausmaß des Grundrechtseingriffs. Diese Zweck-Mittel-Relation lässt sich auch im Finanzausgleichsrecht herstellen: Der Bundesgesetzgeber trifft eine finanzausgleichsrechtliche Regelung, zu der er wegen Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet ist, mit dem Zweck die finanzielle Autonomie der finanzschwachen Länder herzustellen und zu gewährleisten. Dabei greift er jedoch notwendigerweise in die finanzielle Autonomie der finanzstarken Länder ein, die aus ihrem eigenen Haushalt etwas abgeben müssen; Bund und Länder treten sich hierbei nicht als gleichberechtigte Hoheitsträger gegenüber, der Bund tritt den Ländern gegenüber vielmehr als „Ordnungs- und Regelungsmacht“ auf, der über das finanzielle Wohl und Wehe der jeweiligen Länder entscheiden kann. Somit liegt ein „Eingriff“ in rechtlich geschützte Positionen vor, mit dem Ziel andere rechtlich geschützte Positionen zur Geltung zu

513

Fritz Ossenbühl, Lerche-FS, S. 151 (158). Vgl. Paul Kirchhof, Lerche-FS. S. 133 (134ff.). 515 Vgl. zu dieser Entwicklung eingehend: Rüdiger Konradin Albrecht, Zumutbarkeit als Verfassungsmaßstab, S. 72ff. Er beschreibt sehr anschaulich den Weg des Bundesverfassungsgerichts und der Literatur vom Eingriff hin zu einer „möglichen und nötigen Abwägung“, die sich auch in den Begrifflichkeiten niederschlägt: Weg von Zweck und Mittel, hin zu „Vorteil“ und „Nachteil“, „Mittel“ und Erfolg“ sowie „eingriffsweise und förderungsweise betroffenen Rechtsgütern“. Er führt aus: „Löst man die Verhältnismäßigkeit (im weiteren Sinne) solchermaßen von ihrem polizeirechtlichen Ursprung, so verwirft man letztlich auch die strenge Eingriffsbezogenheit der Angemessenheitsprüfung“. 514

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bringen. Der Boden für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgedankens im Finanzausgleichsrecht ist also prinzipiell bereitet. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar ausgeführt, dass dem Verhältnismäßigkeitsprinzip eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Position zukommt 516, doch sichert Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG in erster Linie die finanzielle Autonomie der Länder, hat also freiheitssichernde Funktion. Eine angemessene „Abgabe aus Eigenem“ kann nur durch eine Abwägung hergestellt werden, was für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips spricht, denn dieses gilt als allgemeines Prinzip des „Wägens und Gewichtens“ 517 in Situationen des Zusammenstoßes oder des Konfliktes 518, die des „schonendsten Ausgleichs“ bedürfen. Es stimmt mithin nicht, dass die Kategorien von Freiheit und verhältnismäßigem Eingriff allein in das Verhältnis Staat und Bürger gehören. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip entstammt diesem Bereich, es muss nicht auf diesen Bereich beschränkt bleiben; wenn es um die Finanzausstattung der Länder geht, sind Ähnlichkeiten zwischen ihnen und dem Staatsbürger erkennbar: die Länder sind zwar nicht gleichheitsberechtigt, haben aber Anspruch auf föderative Gleichbehandlung. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist zwar nicht für die Länder entwickelt worden, sie haben aber dennoch einen Anspruch auf ein maßvolles Eingreifen in ihre Autonomie, in ihren Status als eigenständiger Staat. Dies ergibt sich aus der Eigenstaatlichkeit der Länder, aus ihrer Autonomie, aus ihrem Status und insbesondere aus Art. 107 Abs. 1 GG, der den Ländern den Anteil am Finanzaufkommen belässt, der von ihren Finanzbehörden vereinnahmt worden ist. Darüber hinaus ist es dem betroffenen Landesbürger ebenso wie im Rahmen des föderativen Gleichheitssatzes nicht zuzumuten, „übermäßig“ viel von den von ihm mitfinanzierten Steuern abzugeben, ohne dass er über dieses Geld ein politisches Mitspracherecht erhält. Er hat einen Anspruch darauf, nur „verhältnismäßig“ höher belastet zu werden als Einwohner anderer Länder. Auch in diesem Bereich muss eine politische Landesentscheidung Rückwirkungen auf das sie tragende Wahlvolk haben. Dies gebietet das Demokratieprinzip.

III. Die Verhältnismäßigkeit als richtiger Maßstab Damit ist noch nicht klargestellt, ob die Verhältnismäßigkeitsprüfung einen Maßstab für die „Angemessenheit“ des Länderfinanzausgleichs vorgeben kann. Es wird aber angeführt, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip einen regulativen Maßstab rationaler, Willkür vermeidender Kriterien bietet für alle hoheitlichen 516 517 518

BVerfGE 81, 310 (338). Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (136). Rudolf Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, S. 402.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Maßnahmen, die in abgrenzbare Rechts- oder Kompetenzsphären eingreifen 519. Dies würde für die Anwendung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung sprechen. Speziell im Bereich des Finanzausgleichs wird dies auch anders gesehen. So finden sich Ausführungen, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen des Finanzausgleichs nicht sinnvoll durchführbar sei, da Ziel und Mittel im Rahmen des Finanzausgleichs identisch seien. Jede Ausgleichszahlung sei für einen „angemessenen Ausgleich“ geeignet; der „angemessene Ausgleich“ sei bei einer Verhältnismäßigkeitsprüfung sowohl Ziel als auch Prüfungsmaßstab; die Angemessenheit könne deshalb nicht aus dem angemessenen Ausgleich herausgegriffen werden, um so auf die Verhältnismäßigkeit zu verweisen 520. Oder es wird eingewandt, dass die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für den Finanzausgleichsprozess ausscheide, „weil dieser Grundsatz die Wahl zwischen mehreren zur Verfügung stehenden Alternativen voraussetzt. Um eine solche Auswahl von Alternativen geht es im Finanzausgleich jedoch nicht. Überdies ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit insoweit eine Leerformel, als er die zu verwendenden Vergleichsmaßstäbe, auf die es entscheidend ankommt, nicht mitliefert, sondern nur einen Abwägungsvorgang zwischen vorgegebenen Größen und Kriterien vorsieht“ 521. Es werden an der Durchführung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung zwei Dinge kritisiert: Die behauptete Identität von Ziel und Mittel und die damit verbundene „Alternativlosigkeit“, bei der es nur um die Umverteilung von Finanzkraft gehe, sowie die Maßstabsschwäche der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Diesen Kritikpunkten soll im Folgenden nachgegangen werden. 1. Vorschlag Paul Kirchhof 522 will trotz der oben erwähnten Widrigkeiten die Angemessenheit des Ausgleichs im Sinne des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG an den traditionellen Kriterien der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne überprüfen. Er gibt jedoch zu bedenken, dass das Prinzip des schonendsten Ausgleichs, der Verhältnismäßigkeit, in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG auf die Besonderheit treffe, dass im Rahmen von Mittel und Zweck dasselbe Rechtsgut abgewogen werden müsse. Zweck der Angleichung sei die angemessene Finanzausstattung eines Landes, Mittel die teilweise Umverteilung der Finanzkraft. Sowohl Mittel als auch Zweck des Ausgleichs sei die Finanzkraft. Er kommt hierbei zu folgendem 519 Karl-Peter Sommermann in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20 Abs. 3, Rn. 39. 520 Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 91. 521 Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 91. 522 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 54ff.

H. Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 GG

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Ergebnis: „Geeignet ist jede Maßnahme, die objektiv zu einem Angleichungserfolg beiträgt“. Geeignet seien somit alle Ausgleichszahlungen, die zu einer Annäherung der Länderfinanzkraft führten, nicht jedoch diejenigen, welche die Finanzkraft nivellierten. Erforderlich seien Ausgleichszahlungen, die „unabhängig von autonom zu verantwortenden Bedarfsentscheidungen eine unverzichtbare, Autonomie ermöglichende Finanzausstattung für jedes Land sicherstellen“. Dies ergebe sich aus folgenden Aspekten: Der Finanzausgleich müsse Landesautonomie gewährleisten. Dies setze einen „finanzwirtschaftlichen Handlungsspielraum“ voraus und weise andererseits aber auch die Folgen finanzwirtschaftlicher Entscheidungen dem Entscheidungsträger zu. Ausgleichsmaßstab dürfe mithin nicht die Deckungslücke je Einwohner werden, da eine Mitfinanzierung autonom herbeigeführter Defizite durch die Ländergesamtheit dem Autonomiegedanken zuwiderlaufe. Der Ausgleich beliebiger Deckungslücken sei nicht erforderlich und deshalb verfassungswidrig. Erforderlich seien lediglich solche Ausgleichszahlungen, „die dem finanzschwachen Land eine Deckung seines unabweisbaren Finanzbedarfs, sein Gemeinschaftsexistenzminimum, die Hinlänglichkeit seiner Finanzausstattung sichern“. Die Zumutbarkeit liege nur dann vor, wenn die mit der Maßnahme bezweckten Vorteile die mit ihr verbundenen Nachteile deutlich überwögen. Deshalb sei jede Ausgleichsmaßnahme verfassungswidrig, „wenn die durch sie erreichte Vervollständigung der Finanzkraft des ausgleichsberechtigten Landes im Vergleich zur entsprechenden Minderung der Finanzkraft des ausgleichspflichtigen Landes nicht deutlich die finanzwirtschaftliche Autonomiefähigkeit insgesamt verbessert“. Vorteil des Empfängers und Nachteil des Gebenden seien am gleichen Rechtsgut zu messen, nämlich an der Finanzkraft als Grundlage der „finanzwirtschaftlichen Staatlichkeit“ eines jeden Landes. Ein deutliches Überwiegen der Vorteile liege nur dann vor, wenn der Verlust an realer Finanzautonomie beim gebenden Land geringer zu bewerten sei als der Zuwachs an realer Finanzautonomie beim nehmenden Land 523. Eine rechnerische Proportionalität genüge nicht. Verhältnismäßig im engeren Sinne sei nur ein solcher Ausgleich, der mit den Zuwendungen einen bedeutenderen Autonomiegestaltungsraum vermittele als er den gebenden Ländern entziehe. Dies sei dann gegeben, wenn erst durch die Zuweisung es dem empfangenden Land möglich sei, seine Pflichtaufgaben zu erfüllen, wohingegen das gebende Land weiterhin einen Raum für freiwillige Aufgaben behalte. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sei dann gewahrt, wenn dem ausgleichsberechtigten Land erstmals ein Mindestraum an finanzpolitischer Entscheidung vermittelt, dem gebenden Land aber ein deutlich weiterer Entscheidungsraum belassen werde. Da Zuweisung und Verlust identisch sein müssten, könne der

523

Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 234.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

deutliche Vorteil nur dadurch erreicht werden, dass die Ausgleichszahlungen im elementaren Bedarf des staatswirtschaftlichen „Existenzminimums“ verblieben und deshalb in normativer Bewertung bedeutsamer erschienen als die Verringerung eines großen, nur in der Spitze beschnittenen Entscheidungsraums. 2. Gegenrede Stefan Korioth 524 hingegen möchte das Tatbestandsmerkmal der „Angemessenheit“ nicht als einen Verweis auf die Verhältnismäßigkeit sehen, welchem die zentrale, die Intensität des Ausgleichs steuernde Rolle zugewiesen wird. Dieses Verständnis der Angemessenheit als Verhältnismäßigkeit diene nur dazu, den Gestaltungsraum des Gesetzgebers zugunsten der finanzstarken Länder einzuschränken. Die Einordnung in die Kategorien der Verhältnismäßigkeit lasse die Finanzkraft der gebenden Länder als „vorausgesetzte Sphäre der Freiheit und Autonomie“ erscheinen, die „Finanzkraftabschöpfung als rechtfertigungsbedürftige Ausnahme“. Er lehnt ein solches Verständnis aus vier Gründen ab: Die sprachliche Fassung der Norm verleite geradezu zu einem Vergleich zwischen Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit. Allerdings seien die „sprachlichen Anklänge [ . . . ] mehr als vage“. Die Verwendung lediglich eines Wortes, das die letzte Stufe der Verhältnismäßigkeitsprüfung umschreibe, zwinge nicht dazu, eine solche durchzuführen. Zwar habe der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Verfassungsrang, doch sei er meist ungeschriebenes Verfassungsprinzip, explizite Anordnungen fehlten meist. Dass hier nur wegen des Wortes „angemessen“ etwas anderes gelten solle, sei nicht einzusehen, insbesondere mit Blick auf andere Bestimmungen des Grundgesetzes, die auch das Tatbestandsmerkmal der „Angemessenheit“ aufwiesen, jedoch nicht mit der Verhältnismäßigkeit in Bezug gesetzt würden 525. Zweitens wendet er ein, dass das Übermaßverbot schon aus sich heraus untauglich sei, eine „dirigierende Leitlinie bei der Bestimmung der verfassungsgebotenen Intensität des Länderfinanzausgleichs abzugeben“. Es setze nur bestimmte Größen zueinander in Beziehung, aber keine materiellen Maßstäbe, sondern sei sogar vielmehr auf letztere angewiesen. Mittel-Zweck-Überlegungen seien etwas anderes als solche zur Angemessenheit des Finanzkraftausgleichs. Der Ausgleich ziele nicht auf Differenzierung, sondern auf Egalisierung der Länderfinanzen. „Angemessener“ Ausgleich bedeute nicht geeignet und erforderlich, sondern nur,

524

Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 615ff. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 616f. mit Fn. 687 unter Verweis auf das „angemessene Verhältnis“ der Länderzugehörigkeit der Beamten bei Bundesbehörden, Art. 36 Abs. 1 Satz 1 GG, sowie auf Art. 48 Abs. 3 GG, den Anspruch auf angemessene Entschädigung der Abgeordneten. 525

H. Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 GG

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dass die eine Ländergruppe nicht zu viel gebe und die andere nicht zu wenig erhalte. Nur auf diese Weise sei es zu verstehen, wenn das Bundesverfassungsgericht von „gewissen Grenzen“ und der „richtigen Mitte“ spreche und verlange, dass die Leistungsfähigkeit der finanzschwachen Länder gestärkt, die der finanzstarken nicht entscheidend geschwächt und die Länderfinanzen nicht nivelliert würden. Drittens solle der Bereich des Staatsorganisationsrechts, und insbesondere der des Finanzausgleichsrechts, „dem sachlichen Anwendungsbereich des Verhältnismäßigkeitsprinzips entzogen bleiben“. Die Kategorien von Freiheit und verhältnismäßigem Eingriff gehörten allein in das Verhältnis von Staat und Bürger, welchem das Übermaßverbot entstamme; staatsorganisationsrechtliche Rechtsverhältnisse seien von Staatlichkeit und Gemeinwohlorientierung geprägt. Bundesstaatliche Zuordnungen fügten sich nicht in Eingriffs- und Schrankendenken. Die bundesstaatlichen Normen enthielten eigene differenzierte Regelungen über das Verhältnis von Bund und Ländern; diese dürften nicht durch den „Weichmacher“ Verhältnismäßigkeit überspielt werden. Dies habe auch das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Außerdem passe die für die Grundrechte entwickelte Verhältnismäßigkeit aufgrund der Identität von Ziel und Mittel nicht in den Finanzausgleich. Bei ersterem könne das Ziel des Eingriffs, welches sich aus der gesetzlichen Regelung ergebe, zu Inhalt und Ausmaß in Beziehung gesetzt werden; dies lasse sich nicht auf die Umschichtung finanzieller Mittel im Länderfinanzausgleich übertragen. Das Ziel des Finanzausgleichs sei die Stärkung der Finanzkraft der ausgleichsberechtigten Länder, Mittel hierzu die „Abschöpfung und Umschichtung von Einnahmen“. Mit diesem Mittel versage jedoch die Verhältnismäßigkeitsprüfung; jede Ausgleichszahlung sei geeignet, einen Finanzkraftausgleich herbeizuführen. Die Erforderlichkeit der Ausgleichszahlung sei auf das Ziel des angemessenen Ausgleichs insgesamt zu beziehen; da dieses Ziel, nämlich der „angemessene Ausgleich“, in der gesamten Verhältnismäßigkeitsprüfung Prüfungsmaßstab sei, könne die Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG nicht auf die Verhältnismäßigkeit im Ganzen verweisen. In diesem Zusammenhang wirft er Paul Kirchhof vor, dieser versuche dem „Dilemma“ zu entgehen, indem er das Ziel des Finanzausgleichs in einen „unabweisbaren Finanzbedarf“, in ein „Gemeinschaftsexistenzminimum“ umdeute. Damit werde jedoch als „Ziel“ vorgegeben, was erst durch die Verhältnismäßigkeitsprüfung erwiesen werden solle. Auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne lasse sich nicht sinnvoll prüfen. Die Annahme Paul Kirchhofs, eine Ausgleichsmaßnahme sei nach Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungswidrig, „wenn die durch sie erreichte Vervollständigung der Finanzkraft des ausgleichsberechtigten Landes im Vergleich zur entsprechenden Minderung der Finanzkraft des ausgleichspflichtigen Landes nicht deutlich die

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

finanzwirtschaftliche Autonomiefähigkeit“ verbessere, stelle nur beide Seiten des Mittels fest; der Bezug auf das Ziel, den Ausgleich, fehle. In eine ähnliche Richtung argumentiert Fritz Ossenbühl 526, der ebenfalls schon bei der Eignungsprüfung die Verhältnismäßigkeitsprüfung als gescheitert ansieht, denn im Finanzausgleich lasse sich „die Zweiteilung in geeignete und ungeeignete Maßnahmen gedanklich nicht vollziehen“, weil jede Ausgleichszahlung geeignet sei, die Finanzkraft der Länder anzugleichen. Auch bei der Erforderlichkeitsprüfung besteht eine Übereinstimmung mit Stefan Korioth. So hält es Fritz Ossenbühl im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung für evident, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit keine Maßstäbe mitliefere, sondern sich als „äußerst vage Generalklausel“, als „Leerformel“ erweise. Die Erforderlichkeit einer Maßnahme könne nämlich nur dann bestimmt werden, wenn das Ziel der Maßnahme feststehe. Da aber der „angemessene Ausgleich“ das Ziel, also somit Element der Verhältnismäßigkeitsprüfung sei, könne die Angemessenheit „schon rein logisch“ nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einschließen. Der Erforderlichkeitsgrundsatz liefere keine Maßstäbe mit, sondern enthalte lediglich ein Abwägungsgebot zwischen mehreren vorgegebenen Größen. Paul Kirchhof umgehe dies, indem er unter Berufung auf die Selbstverantwortlichkeit der Länder den unabweisbaren Finanzbedarf als Ausgleichsziel definiere. Die Restriktion der Ausgleichszahlungen ergebe sich deshalb auch nicht aus dem Erforderlichkeitsgrundsatz, sondern allein aus der davon unabhängigen Definition des Ausgleichsziels. Die Erforderlichkeitsprüfung bringe keinen Erkenntnisgewinn, weil sie nur dort greife, wo zur Erreichung eines Zieles mehrere Mittel, also gleichwertige Alternativen, zur Verfügung stehen. Auch die Angemessenheit von Zweck und Mittel lasse sich nicht sinnvoll bestimmen, denn diese Stufe erfordere Maßstäbe, die der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu bieten in der Lage sei, sondern die sich aus weiteren Kriterien wie etwa der Intensität des Eingriffs oder der Gewichtigkeit des Zwecks in Verbindung mit einer konkreten Abwägung ergäben. Die von Paul Kirchhof vorgenommene Kategorisierung, dass die bezweckten Vorteile die Nachteile deutlich überwiegen müssten, stimme nicht mit den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne überein. 3. Diskussion und Identität von Ziel und Mittel Richtig ist an Stefan Korioths Aussage, dass das Prinzip der Verhältnismäßigkeit im Verfassungsrecht für die Grundrechte entwickelt worden ist 527. Seine Folgerung, dass sich die für diesen Bereich entwickelte Dogmatik jedoch keinesfalls auf das

526

Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 84ff.

H. Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 GG

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Finanzausgleichsrecht übertragen lasse, trifft nach dem oben Gesagten nicht zu. Immerhin muss auch Stefan Korioth einräumen, dass sich die Belastung der ausgleichspflichtigen Länder in ihre Finanzkraft als „Eingriff“ darstellen lässt 528. Zweitens lässt sich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht auf die Grundrechte beschränken. Die grundsätzliche Aussage, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gehöre nicht in den staatsorganisationsrechtlichen Bereich, wurde bereits oben widerlegt. Stefan Korioth ist der Auffassung, dass der „angemessene Ausgleich“ auf die Egalisierung der Länderhaushalte ziele und die Angemessenheit nur umschreibe, dass die finanzschwache Seite nicht zu viel bekomme, die finanzstarke nicht zu viel gebe 529. Dieses Verständnis greift zu kurz. Hier muss das eigentliche Ziel des angemessenen Ausgleichs berücksichtigt werden: die Länderautonomie. Autonome Länder bedürfen einer „angemessenen“ Finanzausstattung, aber hätte der Verfassunggeber eine weitgehende Egalisierung als Ziel des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG angesehen, so hätte er eine Formulierung gewählt, die eine solch weitgehende Nivellierung zumindest erahnen lässt. Der Verfassunggeber hat sich für die Formulierung „angemessener Ausgleich“ entschieden, was gerade nicht auf eine „weitgehende“, sondern eben nur auf eine angemessene Angleichung schließen lässt. Wenn Stefan Korioth im Recht wäre, hätte die Verfassung auch einen „fast“ oder „weitgehend“ egalisierten Finanzausgleich vorschreiben können und nicht das Wort „angemessen“ gewählt. Dieses Wort muss daher noch eine tiefere Bedeutung haben. Bereits der Begriff „angemessen“ drückt eine gewisse Zurückhaltung, eine Abwägung zwischen Ausgleichsziel und Ausgleichsfolgen aus. Es soll nicht eine weitgehende Angleichung stattfinden, sondern eben „nur“ eine angemessene. Aus der Praxis, eine relativ weitgehende Angleichung vorzunehmen, lässt sich nicht ableiten, dass eine solche von Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG gefordert wird. Dies wäre ein Rückschluss in die falsche Richtung. Die Verfassung macht Vorgaben, die das Gesetz einhalten muss, nicht jedoch schafft das Gesetz eine Praxis, welche die Auslegung der Verfassung beeinflusst. Außerdem hätte sich der Verfassunggeber, mit der fein ausbalancierten Stufenfolge der Art. 106f. GG keine solche Mühe geben müssen. Er hätte nicht die „örtliche Vereinnahmung“ regeln müssen sowie die Umverteilung im horizontalen Finanzausgleich und den Bundesergänzungszuweisungen. Er hätte jedes Land anteilig, möglicherweise nach seiner Einwohnerzahl, an den Steuereinnah527 Vgl. nur Friedrich E. Schnapp in: von Münch / Kunig, Art. 20, Rn. 27; Klaus Stern, Staatsrecht, Bd. I, S. 865. 528 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 617ff. 529 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 619.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

men beteiligen können. Natürlich will der Länderfinanzausgleich eine gewisse Angleichung erreichen, aber „Angemessenheit“ bedeutet mehr als Egalisierung. Schließlich lässt sich auch der Vorwurf, Paul Kirchhof wolle nur die Interessen der finanzstarken Länder verteidigen, die Verhältnismäßigkeitsprüfung bedeute eine Verengung des Gestaltungsraumes zugunsten der finanzstarken Länder 530, nicht halten. Der Verfassunggeber wollte die Interessen von finanzschwachen und finanzstarken Ländern zu einem „angemessenen“ Ausgleich bringen. Als „angemessener Ausgleich“ bei Interessengegensätzen ist jedoch die Verhältnismäßigkeitsprüfung anerkannt. Sie ist ein Weg, zwei sich diametral gegenüberstehende Positionen „angemessen“ auszugleichen. Zwar müssen auch und vor allem diejenigen Länder geschützt werden, die ihre Finanzkraft nicht durch eigene Anstrengungen sicherstellen können, aber ebenso die finanzstarken Länder vor einer Überbelastung. Es kann nicht sein, dass sie zum Wohle der anderen Länder ihr selbst Erwirtschaftetes übermäßig abgeben. Gerade aufgrund ihrer Finanzkraft, die Begehrlichkeiten weckt, muss sich der Schutz der Verfassung auch auf sie erstrecken. Dies verwirklicht das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Um eine Bevorzugung geht es bei dem Verständnis der „Angemessenheit“ als Verhältnismäßigkeit gerade nicht, sondern um einen gerechten, alle Interessen berücksichtigenden und damit „verhältnismäßigen Eingriff“. Interessant ist jedoch der sowohl von Stefan Korioth als auch von Fritz Ossenbühl vorgebrachte Einwand, die Anwendung der Verhältnismäßigkeitsprüfung funktioniere im Finanzausgleichsrecht aufgrund der Identität von Ziel und Mittel nicht. Die Identität von Ziel und Mittel im abstrakten Typus des Rechtsgutes wird auch von Paul Kirchhof, der den Verhältnismäßigkeitsgedanken für das Finanzausgleichsrecht fruchtbar machen will, nicht bestritten. „Zweck der Angleichung ist eine angemessene Ausstattung jedes Landes mit Finanzkraft; Mittel des Ausgleichs ist die partielle Umverteilung vorhandener Finanzkraft“ 531. Im Polizeirecht sind die Verhältnismäßigkeiterfordernisse der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit besonders ausgeprägt und finden dort ihren wesentlichen Anwendungsbereich im Eingriffsrecht, in dem sich Mittel und Zweck deutlich voneinander abheben. Allerdings gibt es auch im Verhältnis zwischen Staat und Bürger hierbei Abstufungen, teilweise wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip verallgemeinert, wird zu einer Abwägungsermächtigung. Bei freiheitsermöglichendem und freiheitsgestaltendem Staatshandeln wie bei staatlicher Daseinsvorsorge verringert sich die Distanz zwischen hoheitlichem Staat

530

Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 616; ebenso Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 84. 531 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 55.

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und freiheitsberechtigtem Bürger, so dass sich auch Mittel und Zweck relativieren. Ein in polizeirechtlicher Striktheit angewandtes Verhältnismäßigkeitprinzip liefe Gefahr, den staatlichen Gestaltungsraum zu sehr durch verfassungsrechtliche Schranken und gerichtliche Kontrolle zu verengen. Sehr anschaulich ist in diesem Zusammenhang das Beispiel von Paul Kirchhof : Sollen Haushaltsmittel zum Straßenbau eingesetzt werden und dieser dann über ein Industrieansiedlungsprogramm die Staatseinnahmen mehren, wird der jeweilige Zweck auch zum Mittel; die Bezugsgröße des Verhältnismäßigkeitsprinzips wird austauschbar, Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit geraten in Abhängigkeit zu den jeweils zur Entscheidung stehenden Zielen. Für staatliche Eingriffe ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Sinne des Polizeirechts streng und freiheitsschützend einzusetzen, für das Recht staatlicher Leistungen, Daseinsmitgestaltung, Planung und Organisation hingegen auf eine Abwehr grober Unangemessenheiten zurückzunehmen 532. Würden bei staatlicher Rechtsetzung die gleichen Maßstäbe gelten wie im Polizeirecht, so würde der Gestaltungsraum des Gesetzgebers über die Maßen eingeschränkt. Ähnlich ist die Situation im Finanzausgleichsrecht. Auch dort geht es um „Eingriffe im weiteren Sinne“ 533. Allerdings handelt es sich nicht um einen Eingriff im Sinne des Polizeirechts. Vielmehr wird den finanzstarken Ländern etwas abverlangt, nämlich die Abgabe von finanziellen Mitteln aus Eigenem. Soweit liegt ein Eingriff vor. Auf der anderen Seite ist der verfolgte Zweck die Umverteilung genau dieser durch Abschöpfung erlangten Mittel auf die finanzschwachen Länder, mit dem Ziel, diese in die Lage zu versetzen, autonome Entscheidungen zu treffen. Diese finanzausgleichsrechtliche Besonderheit führt zu den von Stefan Korioth und Fritz Ossenbühl aufgezeigten Schwierigkeiten. Weiter hilft auch hier der Sinn und Zweck des Art. 107 Abs. 2 GG und des Länderfinanzausgleichs im Allgemeinen. Da dieser auf die Herstellung der Autonomie der Länder zielt, unter weitgehender Belassung der Ländereinnahmen bei den Ländern, in denen sie erwirtschaftet wurden (mit Ausnahme der Umsatzsteuereinnahmen) und so die demokratische Rückbindung der Entscheidungsträger an das Wahlvolk sicherstellt, ist es nicht angemessen, den finanzstarken Ländern übermäßig viel zu nehmen. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung ist als Abwägung zugunsten der betroffenen finanzstarken Länder durchzuführen; es gelten jedoch nicht die gleichen Kriterien wie für einen polizeirechtlichen Eingriff. „Der ‚Eingriff‘ in die Finanzautonomie und Eigenständigkeit der ausgleichspflichtigen Länder ist nur soweit gerechtfertigt, um die gefährdete Finanzautonomie der ausgleichsberechtigten Länder zu sichern“ 534. 532 533 534

Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (143f.). So die Formulierung bei Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 88. Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 35.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nach dem eben Gesagten durchzuführen. Es ist nicht ausgeschlossen, die Angemessenheit gleichzeitig als zu erreichendes Ziel und als Prüfungsmaßstab einzustufen. Einen „angemessenen Ausgleich“ kann man nur erreichen, wenn man die Angemessenheit zuvor bestimmt. Deshalb muss die Angemessenheit sowohl Ziel des Finanzausgleichs als auch deren Prüfungsmaßstab sein. Dann müssen aber die Maßstäbe der Angemessenheit bestimmt sein. Dies kann durchaus durch eine Mittel-Zweck-Abwägung geschehen. Der Begriff „angemessen“ drückt schon seinem Wortlaut nach eine gewisse Zurückhaltung, eine Abwägung zwischen Ausgleichsziel und Ausgleichsfolgen aus. Es bietet sich daher an, die Verhältnismäßigkeit zu einem Prinzip des Wägens und Gewichtens zu verallgemeinern. Um den Besonderheiten des Finanzausgleichs gerecht zu werden und den Tatbestand der Verhältnismäßigkeit nicht zu überdehnen, wird das Übermaßverbot so zu einer generellen Abwägungsermächtigung, die nicht einfach in die Bestandteile der Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne aufgelöst werden kann, sondern ihre Maßstäbe erst noch finden und entfalten muss 535, deshalb aber weiterer Maßstäbe bedarf. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist in seiner praktischen Handhabung nicht auf die Abwägungen zwischen Eingriff und Eingriffszweck beschränkt, sondern hat sich zu einem „eigenständigen Prinzip des Gewichtens und Wägens“ der jeweils betroffenen öffentlichen und privaten Güter und Interessen entwickelt 536. 4. Die Maßstabsschwäche der Verhältnismäßigkeit Ausgleichsziel des Länderfinanzausgleichs ist nicht der rechnerische Ausgleich, sondern die autonomiegerechte Angleichung. Autonomiegerecht bedeutet aber, dass die finanzielle Autonomie der Länder bei jeder gesetzgeberischen Maßnahme im Mittelpunkt stehen muss. Es muss eine Abwägung stattfinden, inwieweit eine Umverteilung den finanzstarken Ländern Autonomie nehmen und den finanzschwachen geben darf. Problematisch ist am Verhältnismäßigkeitsmaßstab, und das scheint zu verunsichern, dass „darüber was im einzelnen Fall verhältnismäßig ist, [ . . . ] das Prinzip nichts“ sagt 537. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird von Lothar Hirschberg als „weit gefasste Generalklausel“ charakterisiert, die er im Anschluss an Karl Larenz als „den Gedanken des rechten Maßes, der Ausgewogenheit“ kennzeichnet, „der mit dem Gedanken der Gerechtigkeit untrennbar verbunden ist“ 538. Dabei cha-

535

Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (136). Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (136). 537 Konrad Hesse, Grundzüge, S. 29; ebenso Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 293: „Insbesondere vermittelt dieser rechtsstaatlich-formale Grundsatz, seine Anwendung im bundesstaatlichen Finanzrechtsverhältnis vorausgesetzt, keinen zu536

H. Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 GG

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rakterisiert er das Verhältnismäßigkeitsprinzip (unzutreffend) als „Leerformel“, möchte diesen Begriff aber aufgrund seiner negativen Bewertung vermeiden 539. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt nach allgemeiner Auffassung, Mittel und Zweck gegeneinander abzuwägen 540. Dieses Abwägungsgebot enthält noch kein Entscheidungskriterium. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss nach heutigem Verständnis „also als ein formales Prinzip in dem Sinne charakterisiert werden, dass er selbst keine inhaltlichen Maßstäbe angibt, nach denen die jeweilige Entscheidung zu erfolgen hat“ 541. Darüber hinaus liegt im Finanzausgleichsrecht zwar eine Eingriffssituation im weiteren Sinne vor, doch wird keine typische Verhältnismäßigkeitsprüfung verlangt, sondern eine verallgemeinerte, in Ansätzen vom Verhältnismäßigkeitsprinzip gelöste Abwägung. Eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im eigentlichen Sinne kann nicht durchgeführt werden, da dies im Finanzaugleichsrecht auf die oben dargestellte Besonderheit der Identität von Ziel und Mittel trifft. Dennoch muss aufgrund der Länderautonomie eine Abwägung zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern getroffen werden. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist maßstabslos, vermag als solches keine substantiellen normativen Elemente in die Prüfung einzubringen und muss sich an der vorgefundenen Wertigkeit der Abwägungsgüter sowie der Dringlichkeit oder Relevanz des zu erreichenden Ziels orientieren 542. Allerdings muss, so der konkrete Fall, der Länderfinanzausgleich ein angemessener sein. Im Vordergrund steht die Länderautonomie. Die armen Länder müssen in die Lage versetzt werden, autonome Entscheidungen zu treffen, die Autonomie der reichen Länder darf nicht „übermäßig“ eingeschränkt werden. Der Finanzausgleich statuiert somit eine Abwägungspflicht; Mittel der Abwägung ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Dies ist ein formales Prinzip, das im Rahmen der Eignung und Erforderlichkeit gleichwertige Alternativen voraussetzt, die im Finanzausgleichsrecht aufgrund der sätzlichen materiellen Rationalitätsgewinn für die Feststellung der Ausgleichsintensität und der Ausgleichsgehalte“. 538 Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 481. 539 Lothar Hirschberg, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 246. 540 BVerfGE 34, 238 (250); 38, 105 (118); Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 22; Eberhard Grabitz, AöR 98 (1973), S. 568 (575); Bill Drews / Gerhard Wacke / Klaus Vogel / Wolfgang Martens, Gefahrenabwehr, S. 267. 541 Lothar Hirschberg, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 77, 246f.; Konrad Hesse, Grundzüge, S. 29; vgl. auch die grundsätzliche Kritik bei Bodo Pieroth / Bernhard Schlink, Grundrechte, Rn. 289ff., aufbauend auf Bernhard Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, der eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne generell ablehnt, und keine rationalen und verbindlichen Maßstäbe erkennen kann. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung bedeute eine bloße Stimmigkeitskontrolle. 542 Vgl. etwa Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 88; Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 618f.

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1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Identität von Zweck und Mittel nicht existieren. Allerdings kann es im Rahmen des Länderfinanzausgleichs Differenzierungen in der Belastungsintensität geben, die in Beziehung zu den Nutzen gesetzt werden müssen, die sie bei den Empfängern erzielen. An diesem Punkt entfernt sich der angemessene Ausgleich von der eigentlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung und wird zu einer eingriffsbezogenen, verallgemeinernden Abwägung. In dieser Verallgemeinerung ist die vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung zwar noch ein Prinzip des Wägens und Gewichtens, verliert aber die formale Strenge der polizeirechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung und öffnet sich gesetzgeberischen Wertungen und Abwägungsentscheidungen. Eine solche Verallgemeinerung der Verhältnismäßigkeit, die sich von ihrem Ausgangspunkt entfernt und allgemein „den Wert des verfolgten Gesetzeszwecks, den Rang der betroffenen Gemeinschaftsgüter“ prüft, birgt die Gefahr, Maßstäbe zu empfinden oder aufzuzeigen, die in dieser Weise gar nicht bestehen. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip wird zu einer generellen Abwägungsermächtigung, die ihren Maßstab erst selbst entfalten muss. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, der in seiner ursprünglichen Funktion Grundrechte und grundrechtsgleiche Rechtsgüter zur „optimalen“ Wirksamkeit bringen und die Freiheitsgewährleistung schlechthin „optimieren“ will, wird völlig von seiner Herkunft aus dem Polizeirecht gelöst und zu einer Verpflichtung auf das jeweils Bessere verallgemeinert 543. An dieser Stelle ist Behutsamkeit geboten. Diese „Lücke“ in den Maßstäben muss der Gesetzgeber selbst füllen. Hier greift das Maßstäbegesetz. Der Abwägung ist nicht genüge getan, wenn die Ausgleichsfolgen in einem politischen Kräftemessen für ein Jahr bestimmt werden. Der Länderfinanzausgleich ist vielmehr, wie das Bundesverfassungsgericht sagt, ein „entwicklungsbestimmter Tatbestand“. Der Angemessenheit des Ausgleichs wird der Gesetzgeber deshalb nur gerecht, wenn diese losgelöst von den konkreten Ausgleichsfolgen vorab bestimmt wird. Der Gesetzgeber muss dazu eine Güterabwägung durchführen. Hierbei muss er Maßstäbe setzen, die auf lange Sicht angelegt sind, die er im Laufe der Zeit überprüft und die auf eine Fortentwicklung des Finanzausgleichs gerichtet sind. Er darf sich nicht darauf beschränken, ein Finanzausgleichsgesetz zu erlassen, sondern muss „angemessene“ Maßstäbe setzen, an denen er die konkrete Finanzverteilung und -zuweisung ausrichtet und die Güterabwägung festmacht. Er muss selbst Maßstäbe für die Abwägung im Länderfinanzausgleich setzen und kann nur so seine verfassungsrechtlichen Pflichten erfüllen. Die Verhältnismäßigkeit gilt im Finanzausgleichsrecht nicht in der strikten polizeirechtlichen Dogmatik, sondern als Prüfungsmaßstab, der einen fairen und gerechten Ausgleich gewährleistet, weder die gebenden noch die empfangenden Länder überbeansprucht und in ihrem finanziellen Leistungsvermögen überfordert.

543

Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (136).

H. Angemessenheit im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 GG

159

Richtig ist deshalb folgende Aussage: „Wie weit allerdings unterhalb der Nivellierungsgrenze die Angleichung der Länderfinanzkraft vorangetrieben wird, ist eine Frage der Gewichtsverteilung zwischen bundesstaatlicher Autonomie und bundesstaatlichem Nebeneinander einerseits, bundesstaatlicher Solidarität und Gleichheit andererseits, für die das Finanzverfassungsrecht aus sich heraus nur grobe Maßstäbe vorgeben kann“ 544. Das Finanzverfassungsrecht bedarf weiterer Konkretisierung. Dies kann die Verfassung selbst nicht leisten. Auch das Bundesverfassungsgericht ist hierzu nicht berufen, da es nicht Erstinterpret der Verfassung ist. Erstinterpret des Grundgesetzes und dessen „Ansprechpartner“ bleibt der Gesetzgeber. Dieser muss die Maßstäbe konkretisieren. Hierfür reicht ein einfaches Finanzausgleichsgesetz, das nur die konkreten Ausgleichsfolgen regelt, nicht aus. Vielmehr bedarf es aus den obigen Gründen des Setzens von Maßstäben, welche die Verfassung konkretisieren, aber nicht die konkreten Ausgleichsfolgen normieren. Das Gesetz, in dem die Abwägung vorgenommen und die Entscheidung über die Autonomie der Länder getroffen wird, darf nicht politischen Verhandlungen vorbehalten bleiben, sondern muss abstrakt und vorgelagert erlassen werden. Ist dies nicht der Fall, wird der Länderautonomie in der Abwägung nicht genügend Bedeutung beigemessen.

IV. Verhältnismäßigkeit und Maßstäbegesetz Durch das Maßstäbegesetz wird sichergestellt, dass der Gesetzgeber seinen Abwägungspflichten im Sinne der Verhältnismäßigkeitsprüfung nachkommt 545 und Maßstäbe setzt, die den angemessenen Ausgleich verfassungskonform umsetzen 546. Das Grundgesetz verlangt vom Gesetzgeber einen angemessen Ausgleich. Dies enthält die Forderung nach einer Güterabwägung, ohne selbst die Maßstäbe 544

Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 119. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Gesetzgeber die Abwägung auch wirklich vornimmt. Diese Abwägungspflicht ergibt sich zwar aus dem Begriff der Angemessenheit, doch hat eine echte Abwägung des Gesetzgebers vor Erlass des Maßstäbegesetzes niemals stattgefunden. Erst über das auch aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgeleitete Maßstäbegesetz findet eine gesetzgeberische Bewertung statt. Dies widerlegt auch den Einwand bei Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 293: „Einer Analogie bedarf es nicht, da sich der formale Mehrgewinn, nämlich die Notwendigkeit einer Bewertung von Ausgleichsverfahren und Ausgleichsergebnis direkt aus dem Begriff des Angemessenen ergeben“. 546 Vgl. hierzu die von Peter M. Huber / Stefan Storr, Der kommunale Finanzausgleich, S. 80ff. für den kommunalen Finanzausgleich herausgearbeiteten, in die Abwägung einzustellenden Belange. Für das Maßstäbegesetz sind von diesen etwa die Leistungsfähigkeit der Länder, die Rücksichtnahme auf die übrigen Beteiligten des Finanzausgleichs und das Willkürverbot von Bedeutung. Darüber hinaus muss natürlich in besonderem Maße die gliedstaatliche Autonomie sowie das Demokratieprinzip berücksichtigt werden, das einen Verbleib der Folgen von Finanzentscheidungen an den Stellen fordert, an denen sie getroffen wurden. 545

160

1. Kap.: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

mitzuliefern, die in dieser Güterabwägung von Belang sind. Diese Lücke kann nur der Gesetzgeber als Erstinterpret der Verfassung füllen. Ihm wird der Verfassungsauftrag erteilt, einen angemessenen Ausgleich herzustellen. Dieser Ausgleich ist nicht angemessen, wenn der Gesetzgeber seiner Pflicht zur Güterabwägung, bei der die finanzielle Autonomie der Länder im Vordergrund steht, nicht nachkommt. Seine Pflicht erfüllt der Gesetzgeber nicht, indem er jährlich neue Ausgleichsfolgen statuiert. Seiner Verpflichtung kommt er vielmehr nur dann nach, wenn er diese Entscheidung über die von ihm selbst zu setzenden Maßstäbe unabhängig von etwaigen politischen Verständigungen vorab „angemessen“ regelt, das heißt insbesondere unter Berücksichtigung der (finanziellen) Autonomieerweiterung bei den finanzschwachen Ländern sowie Autonomiebeschränkung bei den finanzstarken Ländern bei der Umverteilung von Finanzkraft, und hierbei nicht auf Verteilungsfolgen schaut. Angemessen ist der Länderfinanzausgleich dann, wenn der Gesetzgeber auch im Rahmen seiner Abwägungspflicht dem Benennungsund Begründungsgebot sowie seinen Prüfungs- und Beobachtungspflichten nachkommt. Insoweit gilt hier das zum föderativen Gleichheitssatz Gesagte. Das Wort angemessen bedeutet deshalb, dass der Finanzausgleich „an Maßstäben gemessen“, an diese „angemessen“ werden muss.

V. Ergebnis Somit ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip durchaus Maßstab des Finanzausgleichsrechts, zwar nicht in seiner polizeirechtlichen Striktheit, sondern ebenso wie das Willkürverbot als rechtsstaatliche Gerechtigkeitsreserve mit Gestaltungsraum für den Gesetzgeber. Der Gesetzgeber muss aufgrund der Besonderheiten im Finanzausgleich seine Maßstäbe selbst setzen, wird dabei aber durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Vorgaben des Finanzausgleichs selbst gebunden. Angestrebt wird vom Länderfinanzausgleich lediglich die individuell aufgabengerechte Finanzausstattung. Die Feststellung des Ziels „angemessener Ausgleich“ entbindet nicht von der Pflicht, dieses Ziel handhabbar und überprüfbar zu machen. Eine Abwägung muss durchgeführt werden, dies kann im Länderfinanzausgleichsrecht aufgrund der dortigen Besonderheiten, Identität von Ziel und Mittel, Maßstabsschwäche in der Verallgemeinerung, nicht durch die Verhältnismäßigkeit selbst eingebracht werden, sondern nur durch das Maßstäbegesetz. Dieses wahrt gleichzeitig den Gestaltungsraum des Gesetzgebers.

2. Kapitel

Die Zusammengehörigkeit von Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz Die Verpflichtung des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, einen „angemessenen Ausgleich“ der Länderfinanzkraft sicherzustellen, verlangt vom Gesetzgeber, neben der Beachtung der föderativen Gleichbehandlung, Messbarkeit und Mäßigung, ein Wägen und Gewichten. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG kombiniert die Angemessenheit mit dem Ausgleich, nach dem oben Gesagten eine Kombination des Übermaßverbotes mit dem Gleichheitssatz, verlangt also eine Verbindung zweier Rechtsprinzipien vertikaler und horizontaler Gerechtigkeit, die in der Grundrechtsdogmatik als Gegenteil gelten 1. Es stellt sich nun erstens die Frage, ob sich Verhältnismäßigkeit und Gleichheitssatz wirklich so diametral und unvereinbar gegenüberstehen oder ob sie doch möglicherweise den gleichen Ursprung und das gleiche Ziel haben und deshalb gemeinsam angewandt neue Maßstäbe setzen können 2. Zweitens muss die Frage beantwortet werden, ob sich dieses Zusammengehen und Zusammengehören von Gleichheit und Angemessenheit im Finanzausgleichsrecht verwirklicht. Drittens muss darüber hinaus geklärt werden, ob und wie diese Zusammengehörigkeit gesetzlich abgesichert werden muss, um eine verfassungskonforme Anwendung beider Prinzipien sicherzustellen und voll zur Geltung zu bringen. Die überkommene Lehre sieht im Gleichheitssatz ein Element horizontaler Gerechtigkeit, im Verhältnismäßigkeitsprinzip ein Prinzip vertikaler Gerechtigkeit. Der Gleichheitssatz stellt grundsätzlich Gleichgestellte, sich „auf einer Ebene Befindende“ gleich, das Verhältnismäßigkeitsprinzip wehrt Angriffe einer übergeordneten (staatlichen) Stelle ab. Beide Prinzipien greifen aber ineinander über, wenn sie durch eine Verallgemeinerung dem Gerechtigkeitsprinzip angenähert und in dieser Verallgemeinerung ihrer tatbestandlichen Konturen beraubt werden 3. Trotz der Gegensätzlichkeit eines zur Verallgemeinerung verpflichtenden Gleichheitssatzes und eines individualisierenden Übermaßverbotes bedingen und vervoll-

1 2 3

Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 30. Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. XIIIf. Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (133f.).

162

2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

ständigen sich beide Prinzipien gegenseitig. Außerdem stehen die Freiheitsrechte jedermann oder zumindest jedem Staatsbürger (gleich) zu, begründen auf diese Weise elementare Gleichheiten. Die Gleichheit aller Menschen liegt vor allem darin, dass jeder seine Individualität (frei) entfalten darf. Diese Einheit von Freiheit und Gleichheit sichert die Allgemeingeltung der Freiheit, begrenzt und bindet diese Freiheit (gleichmäßig!) in Rechtspositionen, individualisiert aber auch die Freiheit, je nach Verschiedenheit und individueller Freiheitsausübung der Vergleichspersonen. „Der Gleichheitssatz sichert eine elementare Statusgleichheit des Menschen, anerkennt aber deren Verschiedenheit bei Individualität und unterschiedlicher Freiheitsausübung“ 4. Am deutlichsten wird der Berührungspunkt beider Prinzipien in einem ihnen eigenen „Verhältnismäßigkeitsgedanken“. So wahrt die Gleichbehandlung nie Identität, sondern nur verhältnismäßige Gleichheit; Gleichheit gibt es nicht absolut, sondern immer nur „hinsichtlich“ eines Vergleichsstandpunkts, einer bestimmten Gemeinsamkeit 5. Das Übermaßverbot fordert eine Maßstabsgerechtigkeit hinsichtlich eines bestimmten Zieles, eine „Angemessenheit“, welche die Belastungswirkung staatlichen Handelns auf das Belastungsziel abstimmt. Beide Rechtsprinzipien begründen also durch ihre Verhältnismäßigkeiten den Anspruch, eine individuell spürbare Belastung auf ein vorgegebenes Ziel auszurichten: „Der Gleichheitssatz bindet staatliches Handeln an die das tertium comparationis bestimmende rechtserhebliche Gemeinsamkeit; das Übermaßverbot an das die Belastung rechtfertigende gemeinschaftserhebliche Ziel“ 6. Der Schnittpunkt von Gleichheit und Verhältnismäßigkeit findet sich auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Um vor dem Gleichheitssatz Bestand zu haben, muss eine gesetzliche Maßnahme nicht nur nach ihrem Grund, sondern auch nach ihrem Ausmaß „angemessen“ sein; die Legitimation vor Art. 3 Abs. 1 GG hat auch die Intensität der Ungleichbehandlung zu berücksichtigen. Am deutlichsten kommt dieser Intensitätsbezug der Rechtfertigungsanforderungen aus Art. 3 Abs. 1 GG in der bereits angesprochenen Neuen Formel zum Ausdruck, wonach der allgemeine Gleichheitssatz verletzt ist, „wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten“ 7.

4

Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (137f.). Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (138); Heinrich Triepel, Goldbilanzenverordnung und Vorzugsaktien, S. 29f; Gerhard Leibholz, Die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 72f.; Hans Peter Ipsen, Gleichheit, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, Bd. II, S. 111 (187); Konrad Hesse, Der Gleichheitsgrundsatz im Staatsrecht, in: ders., Ausgewählte Schriften, S. 233 (237f.). 6 Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (139). 5

A. Das Zusammenwirken beider Grundsätze im „angemessenen Ausgleich“

163

Das Gesetz ist Instrument und Mittler der Gleichheit. Das durch das freiheitsberechtigte Individuum geprägte Verhältnismäßigkeitsprinzip ist hingegen vorrangig Maßstab der gesetzesanwendenden Eingriffsverwaltung, deutet in seiner „Generalklausel“ aber einen Kernbereich des für gesetzliche Regelungen unzugänglichen Übermaßes an, verbleibt dennoch im Übrigen ein sehr allgemeines, gesetzgeberische Gestaltung nur sehr lose dirigierendes Ziel 8. Für die Praxis haben diese Vorgaben mithin folgende Konsequenzen: Wenn die Verfassung mit ihrem Gebot des Gleichmaßes und Verbot des Übermaßes staatliches Handeln generalklauselartig, aber umfassend anleitet, so prägen Gesetzgeber und Regierung diese Vorgaben aus; die Verwaltung vollzieht Gesetz und Weisung; die Rechtsprechung kontrolliert nachdenkend, nachvollziehend. Auf der Grundlage dieser Funktionsunterschiede finden die Verwaltung und die Rechtsprechung den Rahmen des Vergleichs und der Verhältnismäßigkeitsprüfung grundsätzlich im Gesetz vor; sie haben eine Gleichheit vor dem Gesetz (Rechtsanwendungsgleichheit) und eine Verhältnismäßigkeit entsprechend dem Gesetz (verhältnismäßige Gesetzeshandhabung) zu verwirklichen. Gesetzgeber und Regierung hingegen haben die Ziele ihres Handelns selbst zu bilden, die Belastbarkeit von Rechtspositionen im Dienste dieses Ziels selbst zu gewichten, Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten in ihrer Rechtserheblichkeit selbst zu qualifizieren. Gleichheit und Übermaßverbot sind deshalb für die gesetzesanwendenden Gewalten Teilinhalt der Gesetzesbindung, für Gesetzgeber und Regierung hingegen eher Rechtsbildungsaufträge. Die Verfassung lässt dem Gesetzgeber einen Handlungsraum, macht ihn zum Erstinterpreten der Verfassung. Das Verfassungsgericht darf nur kontrollieren, diese Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers aber nicht an sich ziehen. Es bleibt Zweitinterpret der Verfassung 9. Der Gesetzgeber besitzt alle Möglichkeiten zu gesetzgeberischer Deutung, Ausprägung und Konkretisierung.

A. Das Zusammenwirken von Angemessenheit und Gleichheitssatz im „angemessenen Ausgleich“ Der angemessene Ausgleich nimmt sowohl das Prinzip der Verhältnismäßigkeit als auch das der Gleichheit in sich auf; beide Prinzipien laufen in einem dem Gerechtigkeitsvorbehalt nahekommenden Grundgedanken zusammen. Aus dem Umstand, dass das Prinzip des angemessenen Ausgleichs im Sinne des Art. 107

7 BVerfGE 55, 72 (88) (Hervorhebung nicht im Original); st. Rspr., vgl. nur BVerfGE 100, 195 (205); 103, 225 (235). 8 Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (145). 9 Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (147f.).

164

2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

Abs. 2 Satz 1 GG Verhältnismäßigkeit und Gleichheit vereint, ergibt sich für das Finanzausgleichsrecht eine verpflichtende Anwendung beider sich ergänzender Prinzipien. Die Bundesländer besitzen (föderative) Gleichheit und Finanzautonomie, beide gewähren das Recht, durch Parlaments- und Regierungsentscheidungen eine eigene Finanzpolitik zu gestalten und diese gegenüber dem Landesstaatsvolk zu verantworten. Im föderativen Gleichheitssatz ist einerseits die Forderung einer für alle Länder gleichen Mindestausstattung enthalten, auf der anderen Seite jedoch auch ein Nivellierungsverbot und ein Nivellierungsschutz installiert, welcher die Vor- und Nachteile der jeweiligen Landesfinanzpolitik nicht einem anderen Lande überantwortet. Bundesstaatliche Eigenständigkeit und föderativer Gleichheitssatz, Angemessenheit und Ausgleich sowie finanzielle Autonomie und Solidarität stehen sich mithin nicht nur antinomisch und unvereinbar gegenüber, sondern ergänzen sich: Einerseits begrenzt die Autonomie der Länder die finanzielle Angleichung unter den Ländern, andererseits steht sie als weiterer Rechtsgrund des Länderfinanzausgleichs auch neben dem föderativen Gleichheitssatz. Denn die staatliche Autonomie verlangt ebenso wie der bundesstaatliche Gleichheitssatz, dass alle Länder gleichermaßen „am Gesamtertrag der Volkswirtschaft“ beteiligt werden und ihnen eine aufgabengerechte Finanzausstattung gewährt wird 10, zumindest insoweit als dies zur Erfüllung eines Mindestmaßes an staatlichen Leistungen erforderlich ist. Das allgemeine rechtsstaatliche Willkürverbot bietet einen Maßstab für den Finanzausgleich, da zwar der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als Grundrecht nur für den Einzelnen gilt, darüber hinaus jedoch auch „als selbstverständlicher, ungeschriebener Verfassungsgrundsatz in allen Bereichen und für alle Personengemeinschaften“ 11. Die Angemessenheit schließt an diesen Gedanken an. Das Finanzausgleichsgesetz ist für die ausgleichspflichtigen Länder ein Eingriff in ihre Autonomie, weil diesen hierbei Finanzmittel entzogen und anderen Ländern als eigene Finanzausstattung zugewiesen werden. Versteht man die Angemessenheit nach dem oben Gesagten als Verhältnismäßigkeit muss dieser Eingriff in die Finanzautonomie der ausgleichspflichtigen Länder mit Hinsicht auf das Ausgleichsziel als „angemessen“ gerechtfertigt werden. Zu beachten ist jedoch, dass nicht die völlige Gleichheit der Länder das Ziel ist, sondern nur die autonomiewahrende, der Länderautonomie gerecht werdende Angleichung. Definiert man das Ziel des „angemessenen Ausgleichs“ in dieser Weise, bedeutet „angemessen“, dass der Eingriff in die Finanzhoheit der ausgleichspflichtigen Länder nur soweit gehen darf, wie es die Finanzausstattung der ausgleichsberechtigten Länder zur Erfüllung ihrer Finanzaufgaben erfordert, aber nicht darüber hinaus.

10 11

Vgl. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 116. Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 9; BVerfGE 6, 84 (91).

A. Das Zusammenwirken beider Grundsätze im „angemessenen Ausgleich“

165

Ein umfassendes (auf der Rechtsstaatlichkeit basierendes) Gerechtigkeitsgebot, in dem Objektivitätsgebot und Angemessenheit enthalten sind, kann grobes Unrecht zurückweisen, eröffnet dem Gesetzgeber aber auch einen weiten Gestaltungsraum. Ein solches Vorgehen fußt zwar nach wie vor auf der geschriebenen Verfassung, fügt dieser jedoch ein (im positiven Recht nur anklingendes) Element hinzu, nämlich eben diese Forderung nach (materieller) Gerechtigkeit 12. Durch die Anwendung des föderativen Gleichheitssatzes und der Verhältnismäßigkeit wird dieser gesetzgeberische Gestaltungsraum eingeschränkt. Wie bereits dargestellt, ist das Gesetz Voraussetzung, wenn auch nicht hinreichender Garant der Gleichheit. Ohne Gesetz kann es keine Gleichheit geben. Ein solches Gesetz kann jedoch nur das allgemeine Gesetz sein. Ein Gesetz wie das Finanzausgleichsgesetz, das nur den politischen Kompromiss kodifiziert, entspricht nicht dem allgemeinen Vorbehalt des Gesetzes. Die materielle Allgemeinheit des Gesetzes verpflichtet auf das bonum commune. Die formelle Gesetzesallgemeinheit betont die gleiche Gesetzesunterworfenheit jedermanns, weist Privilegien zurück, verlangt eine gewisse Dauerhaftigkeit der Regel, also eine Gleichheit in der Zeit und erstreckt die Gesetzesanwendung auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger Fälle. Dafür bedarf es des Maßstäbegesetzes. Darüber hinaus kann die im generellen Gesetz transportierte Gleichheit das Übermaßverbot aufnehmen und überbringen. Die Freiheitsgarantien mäßigen die gleichförmige Breitenwirkung des abstrakt-generellen Gesetzes, ermächtigen im Rahmen des Gesetzes zu verhältnismäßigen Differenzierungen und drängen den Gesetzgeber insbesondere im Maßstab der Erforderlichkeit zu individualisierenden Regelungen. Sowohl Gleichmaß als auch Übermaßverbot unterliegen (materiell) dem Objektivitätsgebot, der „Sachlichkeit“, wobei der Gleichheitssatz alles Staatshandeln formt, das Übermaßverbot nur staatliches Eingreifen mäßigt 13. Soweit der Staat also „Vergünstigungen gewährt oder von Lasten verschont, tritt das Eingriffe abwehrende Übermaßverbot als Rechtsmaßstab zurück; der Gleichheitssatz übernimmt das alleinige Regime“. Auf die gleiche Weise funktioniert auch der Finanzausgleich: die föderative Gleichbehandlung muss immer gegeben sein, das Übermaßverbot wird nur bei eingriffsähnlichen Situationen relevant, betrifft also nur die finanzstarken Länder, deren Finanzkraft zur Umverteilung herangezogen wird. In der generalklauselartigen Abwägung überbringt dieser Verhältnismäßigkeitsgedanke einen Kernbereich des für gesetzliche Regelungen unzugänglichen Übermaßes, bleibt aber im Übrigen eher allgemeines, die gesetzgeberische Gestaltung nur lose dirigierendes Ziel. Beide Prinzipien geben zwar Grenzen der gesetzlichen Ausgestaltung vor, bedürfen jedoch einiger weite-

12

Vgl. auch Paul Kirchhof, Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 242. 13 Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (145).

166

2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

rer Maßstäbe für den Länderfinanzausgleich, die nur der Gesetzgeber selbst mit Hilfe dieser generalklauselartigen Vorgaben setzen kann. Die Beurkundung des politischen Kompromisses reicht nicht aus 14.

B. Der unausweichliche Schritt zum Maßstäbegesetz Diese Überlegungen führen somit zum Maßstäbegesetz. Nur durch dieses wird sichergestellt, dass der Gesetzgeber seinen Pflichten nachkommt, die ihm sowohl der föderative Gleichheitssatz als auch das Übermaßverbot auferlegen, wie etwa die oben erwähnten Beobachtungs- und Überprüfungspflichten, die System- und Folgerichtigkeit oder das maßvolle Eingreifen. Nicht umsonst stellt die Begründung des Gesetzesentwurfs des Maßstäbegesetzes fest, dass dieses „grundlegende rechtsstaatliche Funktionen“ 15 erfüllen soll. Allerdings stellen sowohl der föderative Gleichheitssatz als auch das Übermaßverbot im Finanzausgleichsrecht nur Generalklauseln dar. Eigentlicher Maßstabgeber bleibt der Gesetzgeber. Dieser muss die Generalklauseln mit eigenen Wertungen auf- und ausfüllen. Dies gebietet sein Erstinterpretationsrecht sowie seine demokratische Legitimation. Das Maßstäbegesetz verbindet somit die Angemessenheit mit dem Ausgleich, das Übermaßverbot mit dem föderativen Gleichheitssatz. Es füllt den Finanzausgleich innerhalb der dem Gesetzgeber aufgrund dieser Prinzipien gesetzten Grenzen mit gesetzgeberischen Wertungen. Auf diese Weise gibt es, richtig angewandt, den Ländern ihre „Gleichheit“ und Autonomie zurück, dem Bundesgesetzgeber seine Freiheit über das Gesetzgebungsverfahren. Er ist nicht mehr nur der Notar politischer Kompromisse. Es setzt so das Korrelationsgebot zwischen Autonomie und Solidarität um, erfüllt die generalklauselartige Verbindung zwischen (rechtsstaatlichem) Willkürverbot und Übermaßverbot mit Leben.

14 Vgl. hierzu Paul Kirchhof, Lerche-FS, S. 133 (145f.); ders., Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 161ff. 15 Vgl. hierzu die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz – MaßstG), BT-Drs. 14/5951, S. 10. BVerfGE 101, 158 (217) spricht von der „herkömmlichen rechtsstaatlichen Funktion“ des Maßstäbegesetzes.

C. Widerlegung der Kritik

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C. Widerlegung der Kritik an der Forderung nach einem Maßstäbegesetz Das Maßstäbegesetz ist folglich aus der grundgesetzlichen Forderung nach einem „angemessenen Ausgleich“ abzuleiten, um die föderative Gleichbehandlung und die Verhältnismäßigkeit des Ausgleichs zu wahren. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die gegen das Maßstäbegesetz vorgebrachten Kritikpunkte widerlegt werden.

I. Keine Rechtsgrundlage im Verfassungstext Die Konstruktion des Maßstäbegesetzes hat zum Teil heftige Kritik erfahren. Es wurde etwa darauf verwiesen, dass das Maßstäbegesetz keine Rechtsgrundlage besitze und sich auch kaum bemühe, „seine gänzlich aus dem Rahmen gediegener juristischer Methode fallende Verfassungsauslegung zu untermauern“ 16. Die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgericht sei zwar elegant, aber „Augenwischerei“. Die Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts und die Betonung der Erstzuständigkeit des Gesetzgebers für den Finanzausgleich sei zwar zu begrüßen, doch durch den „doppelten Auftrag“ und das neue Maßstäbegesetz werde der Gesetzgeber nur „umso stärker an die Kandare“ genommen. Existenz und Inhalt des Maßstäbegesetzes seien vom Bundesverfassungsgericht in seiner jüngsten Entscheidung „erfunden“ worden 17. Daneben wird angeführt, dass die Verfassung offensichtlich nur von einem Gesetz zur Regelung des Finanzausgleichs ausgehe und es keine Grundlage für eine zweites Gesetz gebe 18. Das Bundesverfassungsgericht habe „autorativ rechtsfortbildend und praktisch ohne Anhalt im Normtext der Art. 106 und 107 GG“ die Figur des Maßstäbegesetzes geschaffen 19. Der Wortlaut, den das Bundesverfassungsgericht zitiere und aufgreife, gebe eine Auslegung der Verfassung, die zwei getrennte Gesetze fordere, das Maßstäbegesetz und das Finanzausgleichsgesetz, nicht her 20. So fin-

16

Hans Heinrich Rupp, JZ 2000, S. 269 (270). Bodo Pieroth, NJW 2000, S. 1086 (1086). 18 Helmut Siekmann in: Sachs, GG, Art. 104a, Rn. 42d; Bodo Pieroth, NJW 2000, S. 1086 (1086). 19 Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (336). 20 Joachim Wieland, DVBl. 2000, S. 1310 (1312), der einen Anhaltspunkt in der Verfassung vermisst, dass der Gesetzgeber zwei Gesetze zu erlassen habe; Hans Heinrich Rupp, JZ 2000, S. 269 (270); Christoph Trzaskalik, Rudolf-FS, S. 379 (380) mit dem Hinweis, dass es, wenn das Maßstäbegesetz dem Wortlaut so leicht zu entnehmen sei, erstaune, dass das Bundesverfassungsgericht in früheren Finanzausgleichsverfahren nicht auf diese Idee gekommen sei; Jörn Axel Kämmerer, JuS 2003, S. 214 (214 und 216): Ein zweistufiges Gesetzgebungsverfahren sei nicht angeordnet, auf Maßstäbe werde nur 17

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2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

det sich die Aussage: „Der Wortlaut der Verfassung wird nicht ernst genommen. Art. 107 Abs. 2 GG bezeichnet das Finanzausgleichsgesetz als ‚das Gesetz‘ im Singular. Er nimmt Bezug auf Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG, wonach dieses Gesetz ein Bundesgesetz sein muss, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. In Übereinstimmung damit hatte das BVerfG noch 1986 festgestellt: ‚An Verfahrensregelungen enthält Art. 107 Abs. 2 GG nur, dass das erforderliche Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates ergehen muss‘. Zwar steht es dem Gesetzgeber in den Grenzen des Missbrauchsverbotes frei, Gesetze zu teilen und statt eines zwei oder mehr Gesetze zu erlassen. Aber dort, wo das Grundgesetz dem Gesetzgeber ein einzelnes Gesetz aufgibt, ihn für verpflichtet zu halten, zwei Gesetze zu erlassen, ist mit dem Wortlaut nur schwer vereinbar. Das Urteil behauptet, Gesetzgebungsaufträge bestünden ‚insbesondere‘ auch für die Kriterien für die Gewährung von Umsatzsteuerergänzungsanteilen gem. Art. 107 Abs. 1 Satz 4, 2. Hs. GG und für die Benennung und Begründung der Bundesergänzungszuweisungen gem. Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG. Es stellt diese Gesetzgebungsaufträge in eine Reihe mit denjenigen für die Maßstäbe bei der vertikalen Umsatzsteuerverteilung gem. Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG und die Voraussetzungen für die Ausgleichsansprüche und Ausgleichsverbindlichkeiten sowie die Maßstäbe für deren Höhe gem. Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG. Während aber die letzten beiden Fälle durch den Indikativ (‚werden festgesetzt‘) und die Befehlsform (‚sind zu bestimmen‘) in der Tat Gesetzgebungsaufträge darstellen, handelt es sich in den erstgenannten Fällen um fakultative Gesetzgebung (‚können vorgesehen werden‘, ‚kann bestimmen‘). Ob der Gesetzgeber von diesen Ermächtigungen Gebrauch macht, liegt allein in seiner Kompetenz. Die Umdeutung von einer Kann- in eine Muss-Vorschrift im Weg verfassungskonformer Auslegung ist zwar aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bekannt. Aber ein höherrangiger Maßstab, einmal Bezug genommen und die Forderung nach einem Maßstäbegesetz sei zweifelhaft; Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (336); Thomas Christmann, DÖV 2000, S. 315 (324); Joachim Becker, NJW 2000, S. 3742 (3744f.): Auch die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene „Aufspaltung“ des Finanzausgleichs in zwei Gesetze besitze keinen Anhaltspunkt im Wortlaut der Verfassung. So sei in der Begründung der Entscheidung zwar von getrennten Gesetzen die Rede, etwa dass das Maßstäbegesetz z. B. die langfristigen Ausgleichsmaßstäbe, das Finanzausgleichsgesetz die kurzfristigen Ausgleichsfolgen regele, sowie dass das Maßstäbegesetz vor seiner konkreten Anwendung im Finanzausgleichsgesetz erlassen werden müsse, doch gebe der Tenor der Entscheidung dem Gesetzgeber nur auf, bis spätestens 31. 12. 2002 die nach Maßgabe der Gründe notwendigen Maßstäbe festzulegen. Die Form sei im Tenor nicht festgelegt. Das Finanzausgleichsgesetz gelte nur bis spätestens 31. 12. 2004, eine Neuregelung sei nicht nur bei den Maßstäben, sondern auch bei den übrigen Finanzausgleichsregelungen nötig. Lege man nun aber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gewissermaßen „verfassungskonform“ aus, so müsse man annehmen, dass das Gericht nicht darauf bestehe, dass die Konkretisierung und die Anwendung der Maßstäbe verfassungsrechtlich zwingend in zwei verschiedenen Gesetzen erfolgen müsse, sondern nur darauf, dass die konkretisierten Maßstäbe des Finanzausgleichs getrennt von ihrer Umsetzung und Anwendung zu regeln seien. Dies könne auch in einem einzigen Gesetz erfolgen.

C. Widerlegung der Kritik

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der entsprechendes dem BVerfG erlauben würde, existiert nicht. Die Annahme eines Gesetzgebungsauftrags in den Fällen des Art. 107 Abs. 1 Satz 4, 2. Hs. und Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG verletzt daher die Kompetenz des Gesetzgebers“ 21. Diese Verletzung des Wortlauts sieht auch Joachim Becker, der aber anmerkt, zwar könne man auf die Idee kommen, in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG sei mit der Formulierung „das Gesetz“ nicht unbedingt das „eine“ oder das „gleiche“ Gesetz gemeint, sondern der Sinn der Verweisung auf Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG könnte auch darin zu sehen sein, „dass nur die dort enthaltene Anforderung an das dort angesprochene Gesetz, nämlich dass ihm der Bundesrat zustimmen muss, auf die gesetzlichen Regelungen des Absatzes 2 erstreckt werden soll. Dadurch wäre eine zweimalige Wiederholung, dass gesetzliche Regelungen des Finanzausgleichs der Zustimmung des Bundesrates bedürfen, vermieden“. Allerdings hält selbst Joachim Becker dies für unwahrscheinlich. So scheue sich die Finanzverfassung auch in anderen Bereichen nicht, für jedes einzelne zustimmungsbedürftige Gesetz, einen entsprechenden Nebensatz aufzuführen und nehme auch sonst wenig Rücksicht auf flüssige und kurze sprachliche Gestaltung. Deswegen müsse angenommen werden, dass die Verfassung davon ausgehe, dass die verschiedenen Stufen des Finanzausgleichs in einem Gesetz geregelt werden müssten, was auch sinnvoll sei, da der Finanzausgleich zwar schrittweise erfolge, aber letztlich einen Gesamtzusammenhang bilde, was auch für seine Maßstäbe gelte 22. Dennoch bestehe eine gesetzgeberische Verpflichtung zur Konkretisierung der Maßstäbe der Finanzverfassung: Eindeutig sei in diesem Sinne aber nur der Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 GG. Dieser bestimme einen angemessenen Ausgleich und verlange, die Maßstäbe für die Höhe der Ausgleichsleistungen in einem Gesetz festzulegen. Zu Recht verweise also die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung darauf, dass die „Voraussetzungen“ und „Maßstäbe“ des Länderfinanzausgleichs durch Gesetz konkretisiert werden müssten. Darin werde auch von den Kritikern zumeist ein Gesetzgebungsauftrag zur Konkretisierung und Ergänzung der verfassungsrechtlichen Regeln gesehen. Ein solcher Gesetzgebungsauftrag werde auch für die Umsatzsteuerverteilung in Art. 106 Abs. 3 Satz 3 bis 6 GG anerkannt. In Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG werde ebenfalls eine Zielsetzung des Finanzausgleichs festgelegt, nämlich ein „billiger Ausgleich“ der Deckungsbedürfnisse. Bei dem zu erlassenden Gesetz sei von den Grundsätzen des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG auszugehen. Allerdings nenne die Verfassung die Grundsätze dort selbst. Aus diesen Regelungen lasse sich also nur ableiten, dass die einzelnen finanziellen Folgerungen, die sich aus der Anwendung dieser Grundsätze ergeben, im Gesetz geregelt werden müssten;

21 22

Bodo Pieroth, NJW 2000, S. 1086 (1086). Joachim Becker, NJW 2000, S. 3742 (3743).

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2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

es bestehe gemäß Art. 106 GG – im Gegensatz zur Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – kein Auftrag zur Konkretisierung dieser Grundsätze. Ähnlich stelle sich die Lage bei den Ergänzungsanteilen nach Art. 107 Abs. 1 S. 4 GG und den Bundesergänzungszuweisungen nach Art. 107 Abs. 2 S. 3 GG dar. Zwar könnten die vom Bundesverfassungsgericht angenommenen Gesetzgebungsaufträge nicht mit dem Argument abgelehnt werden, dass es sich bei diesen Möglichkeiten des Finanzausgleichs lediglich um fakultative Gesetzgebung handele und es in der Kompetenz des Gesetzgebers stehe, ob er von dieser Ermächtigung Gebrauch mache. Nutze er sie aber, nur für diesen Fall, so werde man die Entscheidung des Gerichts jedenfalls sinnvollerweise interpretieren müssen, werde in der Entscheidung aus der Verfassung der Auftrag zur Konkretisierung von Maßstäben hergeleitet. Gegen einen aus finanzverfassungsrechtlichen Regelungen abgeleiteten Gesetzgebungsauftrag zur Konkretisierung dieser Maßstäbe bezüglich der Ergänzungsanteile des Art. 107 Abs. 1 Satz 4 GG spreche aber, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben selbst schon sehr konkret seien und deshalb aus finanzverfassungsrechtlichen Gründen keine zwingende Notwendigkeit einer Konkretisierung gegeben sei. Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG enthalte keine ausdrückliche Verpflichtung, die Kriterien für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen getrennt von der Bestimmung ihrer konkreten Höhe festzulegen. Zwar sei der Begriff der Finanzschwäche durchaus konkretisierungsbedürftig, aber mangels Anhaltspunktes im Wortlaut werde man aus den verfassungsrechtlichen Regelungen keinen, von der eigentlichen Festlegung der Höhe der Bundesergänzungszuweisungen getrennten Gesetzgebungsauftrag zur Konkretisierung der abstrakten Kriterien ableiten können. Mit Ausnahme der ausdrücklichen Regelung des Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG ließen sich also Gesetzgebungsaufträge zur Konkretisierung des Finanzausgleichs verfassungsrechtlich nicht begründen. Außerdem gehe das Urteil über Einzelfälle hinaus und leite das Maßstäbegesetz aus der gesamten Finanzverfassung ab. Damit begehe das Bundesverfassungsgericht einen methodischen Fehler, den schon Hans Kelsen als unzulässige Hypostasierung angeprangert habe. Aus mehreren Rechtsnormen werde ein Sammelbegriff, ein „Denkbehelf oder Hilfsbegriff“ gebildet, unter den dann subsumiert werde 23. Auch der zeitlich vorangehende Erlass des Maßstäbegesetzes, ohne dessen finanzielle Folgen zu beachten, wird im Hinblick auf das rechtsstaatliche und demokratische Bestimmtheitsgebot kritisiert. Diese Prinzipien verlangten eigentlich

23

Bodo Pieroth, NJW 2000, S. 1086 (1086).

C. Widerlegung der Kritik

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vom Gesetzgeber, die zu erwartenden Folgen so genau wie möglich abzuschätzen und zu prognostizieren, bevor er eine gesetzliche Regelung erlasse 24. Kritisiert wird auch die vom Bundesverfassungsgericht angeblich selbst vorgenommene und nicht im Grundgesetz verankerte Hierarchisierung von Maßstäbegesetz und Finanzausgleichsgesetz, die sowohl das Rechtsstaatsgebot als auch das Demokratieprinzip verletze. So wird dem Gericht vorgeworfen, es schaffe eine eigene Normenhierarchie mit „Supergesetzen“, für die ein erweiterter „Bestandsschutz“ gelte, zwischen Parlamentsgesetz und Verfassung. Dabei sei die Normenhierarchie im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG verankert 25. Kritisiert wird darüber hinaus auch, dass das Maßstäbegesetz in seiner Ausgestaltung durch das Bundesverfassungsgericht eine gewisse Ähnlichkeit zum Haushaltsgrundsätzegesetz nach Art. 109 Abs. 3 GG aufweise, es in Art. 107 GG jedoch im Gegensatz zu Art. 109 Abs. 3 GG keine ausdrückliche Anordnung eines solchen Grundsätzegesetzes gebe, eine vergleichbare Ermächtigung fehle. Das Bundesverfassungsgericht habe keine Befugnis, dem Maßstäbegesetz einen Vorrang vor dem Finanzausgleichsgesetz einzuräumen: das Grundgesetz kenne nur „normale“ Gesetze. Beim Haushaltsgrundsätzegesetz lasse sich seine Vorrangwirkung gegenüber dem Haushaltsgesetz zumindest noch damit begründen, dass es ein zustimmungspflichtiges Gesetz sei, das Haushaltsgesetz jedoch ein einfaches Parlamentsgesetz. Im Rahmen des Finanzausgleichs seien jedoch sowohl das Maßstäbegesetz als auch das Finanzausgleichsgesetz zustimmungspflichtige Gesetze 26. Auch der vermeintlich höhere Bestandsschutz des Maßstäbegesetzes stößt auf Widerstand. Ein solcher müsse nämlich schon aus Gründen des grundgesetzlichen Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ausscheiden. Demokratie sei Herrschaft auf Zeit mit dem Gebot periodischer Neuwahl. Der Gesetzgeber dürfe aber einen späteren Gesetzgeber nicht binden. Allein die Verfassung binde den Gesetzgeber. Es sei unmöglich, dass der einfache Bundesgesetzgeber den einfachen Bundesgesetzgeber binde. Dies verstoße gegen das Demokratieprinzip, denn die angenommene Selbstbindung würde die Mehrheitsverhältnisse im Parlament außer Kraft setzen sowie den Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ 27. Eine Selbstbindung des

24

Joachim Linck, DÖV 2000, S. 325 (329); Hans Peter Bull / Veith Mehde, DÖV 2000, S. 305 (309) halten dies für „wünschenswert“ und einen „harten Brocken“, aber nicht für zwingend. 25 Hans Heinrich Rupp, JZ 2000, S. 269 (271); Bodo Pieroth, NJW 2000, S. 1086 (1086); Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 45. 26 Helmut Siekmann in: Sachs, GG, Art. 104a, Rn. 42d; Hans Heinrich Rupp, JZ 2000, 269 (270); Joachim Linck, DÖV 2000, 325 (328); Bodo Pieroth, NJW 2000, 1086 (1087); Hans-Peter Schneider / Uwe Berlit, NVwZ 2000, 841 (843f.). 27 Helmut Siekmann in: Sachs, GG, Art. 104a, Rn. 42d; Bodo Pieroth, NJW 2000, S. 1086 (1087); Hans-Peter Schneider / Uwe Berlit, NVwZ 2000, S. 841 (843f.).

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2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

Gesetzgebers sei verfassungsrechtlich zweifelhaft. Art. 20 Abs. 3 GG verpflichte den Bundesgesetzgeber ausschließlich auf das Grundgesetz, eine Bindung oder Selbstbindung an von ihm erlassene Gesetze bestehe nicht. Der Gesetzgeber sei frei, jederzeit Gesetze zu ändern oder in späteren Gesetzen abweichende Regelungen aufzunehmen, wobei das spätere Gesetz dem früheren vorgehe. Der Gesetzgeber könne folglich das Maßstäbegesetz zugleich mit dem Erlass oder einer Änderung des Finanzausgleichsgesetzes sowie zu jedem anderen Zeitpunkt revidieren. Die Bindungswirkung, die sich daraus ergebe, dass das Maßstäbegesetz die Finanzverfassung konkretisiere, sei keine Selbstbindung des Gesetzgebers, sondern die Bindung durch die Verfassung 28. Die Aufstellung bindender Maßstäbe sei nur auf eine Art möglich: durch eine Verfassungsänderung nach Art. 79 Abs. 2 GG. Nehme der verfassungsändernde Gesetzgeber eine Konkretisierung der Art. 106 f. GG nicht vor, sei es um die Verfassung vor unnötiger Detailbefrachtung zu bewahren oder weil er die nötige Zweidrittelmehrheit nicht erreiche, so dürfe das Bundesverfassungsgericht dies nicht umgehen, indem es ein einfachgesetzliches „lex superior“ kreiere, das die gleichen Folgen wie eine Verfassungsänderung besitze, ohne jedoch über eine vergleichbare Legitimation zu verfügen 29. Diese dargestellte Kritik am Maßstäbegesetz und dessen verfassungsgerichtlicher Herleitung entbehren auf den ersten Blick nicht einer gewissen Überzeugungskraft, wenn auch der Versuch, die Entscheidung „verfassungskonform“ so zu interpretieren, dass sie nur ein einziges Gesetz verlange, über das Ziel hinausschießt. So ist der vom Bundesverfassungsgericht herangezogene Wortlaut der Art. 106 f. GG durchaus dürftig und dunkel. Dennoch spricht dies nicht unbedingt gegen das Maßstäbegesetz. Die Forderung nach einem solchen ist durchaus nachvollziehbar, vor allem vor dem Hintergrund der Aushebelung der Allgemeinheit des Gesetzes im Finanzausgleichsrecht und der damit verbundenen Willküranfälligkeit des Finanzausgleichs. In der Tat ist eine rechtsdogmatische Ableitung des Maßstäbegesetzes, wie gezeigt, durchaus möglich und ergibt sich aus dem angemessenen Ausgleich sowie dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip.

II. Einordnung in die Gesetzesdogmatik – Rechtsstaatlichkeit und Demokratieprinzip Die rechtsdogmatische Ableitung des Maßstäbegesetzes aus Angemessenheit und Ausgleich, aus föderativer Gleichbehandlung und Übermaßverbot wurde ausführlich dargestellt. Hier sollen nun noch einige Punkte ergänzt werden und auf die Kritik eingegangen werden. Außerdem soll noch deutlicher herausgestellt wer28 29

Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (353); vgl. dort Fn. 52. Joachim Linck, DÖV 2000, S. 325 (325ff.).

C. Widerlegung der Kritik

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den, warum das Maßstäbegesetz nicht nur wünschenswert ist, sondern unbedingt erforderlich. Ein ausschlaggebender Grund für die Schaffung des Maßstäbegesetzes ergibt sich aus dem Prinzip der Systemgerechtigkeit und der Folgerichtigkeit, die auch für den im Rechtsstaatsprinzip verwurzelten föderativen Gleichheitssatz gilt. Ein Widerspruch des Gesetzgebers zu den Wertungen der Verfassung stellt sich als Akt der Willkür dar; allerdings ist der Widerspruch zur Verfassung nicht die einzige Möglichkeit zu einer willkürlichen Handlung. Der willkürliche und gleichheitswidrige Akt kann auch im Widerspruch zu den die Verfassung ausformenden normativen Strukturen liegen, die einen stärkeren Bezug zu den spezifischen Wertungen des Grundgesetzes aufweisen. Zumindest liegt hierin ein Indiz für Willkür, wenn der Gesetzgeber gegen näher am Grundgesetz stehende einfachgesetzliche Normen verstößt. „Ein Wechsel von Wertungsgesichtspunkten, der, ohne einen Eingriff in einzelne [ . . . ] Rechte zu bewirken, doch normative Wertungen in gesteigerter Nähe zu konkreten Verfassungspositionen missachtet und deshalb rechtsstaatlichen Bedenken begegnet, muss auch unter dem Aspekt der Willkürfreiheit relevant sein“ 30. Der Gesetzgeber hat sich in den bisherigen Finanzausgleichsgesetzen nicht in der Lage gezeigt, diese im Sinne der Art. 106 f. GG systemgerecht auszugestalten 31. Dies scheint gerade im besonders umstrittenen Bereich der öffentlichen Finanzen und bei der Verteilung der knappen Mittel nur (gleichheits)gerecht, rechtsstaatskonform und willkürfrei möglich zu sein, wenn dem Finanzausgleichsgesetz ein Maßstäbegesetz vorgeschaltet wird, welches der Verfassung „näher“ steht 32.

30

Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, S. 80f. unter Verweis auf den Vertrauensschutzgesichtspunkt der Verfassung; Peter Lerche, AöR 90 (1965), S. 341 (362), Rupert Scholz, Konzentrationskontrolle, S. 29; vgl. auch Klaus Vogel, Schiedermaier-FS, S. 113ff., der ausdrücklich auf das Maßstäbegesetz Bezug nimmt und zu der Vertrauensschutzproblematik sowie dem Rechtsstaatsprinzip in Relation setzt. Ein weiteres Beispiel ist für ihn ein Parlamentsgesetz, das gegen einen völkerrechtlichen Vertrag verstößt. Grundsätzlich sei der Gesetzgeber nämlich aus rechtsstaatlichen Gründen an das Zustimmungsgesetz gebunden. Ein „Wortbruch des Gesetzgebers“ würde zu einer Unwirksamkeit des Parlamentsgesetzes führen. Das Zustimmungsgesetz werde hierdurch nicht zu einer höherrangigen Norm, sondern bewirke nur, dass der Gesetzgeber durch das Zustimmungsgesetz an das verfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip gebunden werde. Die Höherrangigkeit ergebe sich also nicht aus dem Gesetz, sondern aus der Verfassung selbst, vgl. auch ders., JZ 1997, S. 161 (165ff.). 31 Vgl. zum Erfordernis des Maßstäbegesetzes, auch in Verbindung mit Reformen des gesamten Finanzausgleichs Christian Waldhoff, ZG 15 (2000), S. 193ff. (insbesondere 207ff.). 32 Zur Erforderlichkeit von Konkurrenzregeln allgemein, vgl. Christian Seiler, Der souveräne Verfassungsstaat, S. 114.

174

2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

Einfache Gesetze stehen prinzipiell nicht alle in gleicher Entfernung zur Verfassung. Einfaches Recht und Verfassungsrecht stehen auch nicht beziehungslos nebeneinander. Verfassungsbegriffe müssen konkretisiert werden. Verfassungsrecht wird damit durch die einfachgesetzliche Ausprägung mitbestimmt, ohne dass das einfache Recht auf diese Weise selbst Bestandteil der Verfassung würde. Der Gesetzgeber ist somit nicht nur Erstinterpret der Verfassung, einfaches Gesetzesrecht nicht nur Hilfsmittel zur Auslegung von Verfassungsbegriffen, sondern jener beeinflusst aufgrund seiner weiten Gestaltungsbefugnis auch in hohem Maße die Verfassung und deren Auslegung. Der Gesetzgeber wirkt damit auch verfassungsprägend 33. Auf diese Weise geraten Normen, die einen gesteigerten Bezug zur Verfassung aufweisen und in Bezug auf die Verfassung eine erhöhte Grundsätzlichkeit aufweisen, in eine größere Verfassungsnähe und werden systemprägend. Ein Verstoß gegen diese Normen kann so zur Systemwidrigkeit führen und den Willkürvorwurf begründen. Der Gesetzgeber muss folgerichtig agieren, das heißt er darf von einmal gesetzten Maßstäben nicht mehr abweichen. Das ist insbesondere bei den fakultativen Elementen des Finanzausgleichs von Belang. Hier gibt die Verfassung nur das Mittel vor, das Ob und Wie des Einsatzes bleibt dem Gesetzgeber überlassen, etwa bei den Ergänzungsanteilen sowie den Bundesergänzungszuweisungen. Nutzt der Gesetzgeber diese Mittel, was ihm freisteht, hat er dafür Sorge zu tragen, dass diese in verfassungskonformer Weise und systemgerecht umgesetzt werden. Er darf auf sie im Gegensatz zum angemessenen Ausgleich gänzlich verzichten, regelt er sie, muss er Maßstäbe einhalten und darf sich nicht zu ihnen in Widerspruch setzen. In gewisser Weise führt das Erfordernis der Folgerichtigkeit zu einer Pflicht zu gesetzgeberischer Kontinuität. Erhöht eine kontinuitätswidrige Norm normalerweise die verfassungsrechtlichen Bedenken, so gilt dies aus den genannten Gründen im Finanzausgleichsrecht im Besonderen. Speziell interessieren beim Maßstäbegesetz und Finanzausgleichsgesetz mögliche systemwidrige Rechtsänderungen. Dies kann natürlich, wie oben bei der Gleichheit in der Zeit gezeigt, nicht so weit gehen, dass der Gesetzgeber seine eigenen Regelungen nicht mehr zu ändern vermag. Dennoch ist besonders im Finanzausgleichsrecht eine autonomiegerechte Gleichbehandlung in der Zeit erforderlich, neben den bereits angesprochenen Gründen auch deshalb, weil dem Bundesgesetzgeber im Finanzausgleich immer die gleichen Betroffenen, nämlich die Länder, gegenüber stehen und deshalb eine Entscheidung „von Jahr zu Jahr“ nicht mit dem föderativen Gleichheitssatz zu vereinbaren ist, dieser vielmehr Maßstäbe fordert. Dieses Bekenntnis zur Gleichbehandlung in der Zeit ruft aber sofort die Frage hervor, ob dies nicht notwendig zu einem Stillstand der Gesetzgebung führen 33

Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, S. 82ff.

C. Widerlegung der Kritik

175

muss, der von der Verfassung so nicht gewollt sein kann. Eine solche Forderung kann also nicht für alle Zeiten Gleichbehandlung verlangen. Diese kann vielmehr nur erhoben werden, wenn Abweichungen von ihr erlaubt sind. Anpassungen müssen zulässig sein, wenn sie auf gewandelte äußere Umstände zurückgehen, auf neues Wissen und neue Erkenntnisse zurückzuführen sind oder eine Anpassung an neue Vorstellungen des demokratischen Gesetzgebers darstellen. Unter diesen Einschränkungen ist aber auch eine Gleichbehandlung in der Zeit geboten. Diese „Gleichheit in der Zeit“ erklärt die angenommene Bindung an die maßstabgebenden Regelungen. Entgegen der Formulierung des Bundesverfassungsgericht ist der Gesetzgeber nicht an die von ihm gesetzten „Maßstäbe“ gebunden, sondern kann diese vielmehr jederzeit ändern, wenn sich die Umstände geändert haben, wenn er neue Erkenntnisse gewonnen hat oder er innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen neue Vorstellungen verwirklichen will; nur solange er dies nicht tut, muss er diese Maßstäbe auf Grund seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Gleichbehandlung aller Glieder des Bundesstaates gleichmäßig anwenden 34. Das Maßstäbegesetz lässt Veränderungen zu, kann weiterentwickelt werden und setzt gleichzeitig Maßstäbe für die Einhaltung der föderativen Gleichbehandlung, die auch in der Zeit wirksam werden. Das Maßstäbegesetz wahrt somit Gleichheit und Entwicklung. Hat sich der Gesetzgeber einmal für ein System entschieden, so muss er es folgerichtig fortführen. Im Finanzausgleichsrecht bestand bislang die Besonderheit, dass ein wirkliches gesetzgeberisches System nicht erkennbar war, zumindest aber ein bestehendes System mit vielen Ausnahmen bestand, das die Folgerichtigkeit des Finanzausgleichs beeinträchtigte. Das Maßstäbegesetz zwingt den Gesetzgeber nun, ein solches bewusst zu entwickeln und umzusetzen. Das Maßstäbegesetz wird vom föderativen Gleichheitssatz und der Angemessenheit sowie vom Rechtsstaats- und Demokratieprinzip gefordert. Der föderative Gleichheitssatz fordert eine willkürfreie, sach- und systemgerechte Umsetzung des Länderfinanzausgleichs. Dies ist aber nur gewährleistet, wenn der Gesetzgeber seinen Benennungs- und Begründungspflichten sowie seinen Beobachtungs- und Überprüfungspflichten nachkommt. Das Maßstäbegesetz setzt somit in besonderem Maße föderale Gleichbehandlungspflichten um und macht das Handeln des Finanzausgleichsgesetzgebers transparent. Das Finanzausgleichsgesetz kann zwar geändert werden, aber nicht in Widerspruch zum Maßstäbegesetz, solange dieses nicht angepasst wurde. Dies ist nicht Ausdruck einer Überordnung des Maßstäbegesetzes über das Finanzausgleichsgesetz, sondern Ausfluss der föderalen Gleichbehandlungspflichten des

34

Joachim Becker, NJW 2000, 3742 (3745); vgl. zum Rentenrecht und zur intergenerativen Gerechtigkeit: ders., Transfergerechtigkeit und Verfassung, S. 290.

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2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

Bundesgesetzgebers. Das Maßstäbegesetz besteht aus den – aus dem Finanzausgleichsgesetz ausgelagerten – Maßstäben des Finanzausgleichs. Im Maßstäbegesetz kommt der Finanzausgleichsgesetzgeber seinen Begründungs-, Benennungsund Überprüfungspflichten nach. Das Finanzausgleichsgesetz kann zwar nicht wesentlich geändert werden, ohne dass die Maßstäbe im Maßstäbegesetz geändert wurden, dennoch steht das Maßstäbegesetz im eigentlichen Sinne einer Normenhierarchie nicht „über“ dem Finanzausgleichsgesetz, sondern formal betrachtet „neben“ diesem. Beide Gesetze werden vom Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates erlassen, stehen beide auf der Ebene zustimmungspflichtiger Bundesgesetze. Dennoch regelt das Maßstäbegesetz die langfristigen Ausgleichsfolgen, die Maßstäbe, das Finanzausgleichsgesetz hingegen die kurzfristigen Ausgleichsfolgen und konkreten Ausgleichsleistungen. Der Gesetzgeber hat es nicht in der Hand, seinen eigenen Gesetzen einen höheren Rang als anderen formellen Gesetzen einzuräumen. Dies widerspräche der Formenstrenge und Formenklarheit des Grundgesetzes. Aus diesem Grund kann sich der „höhere Rang“, oder besser formuliert, die „erhöhte Beachtlichkeit“ des Maßstäbegesetzes nur aus materiellen Kriterien ergeben. Die Verfassung gibt in diesem Punkt bereits in Art. 106 Abs. 3 Satz 4 und Art. 107 Abs. 2 Satz 2 GG die Bildung von Maßstäben vor. Diese Formulierung greift auch das Bundesverfassungsgericht auf, doch fordert diese Formulierung, wie dargestellt, nicht unbedingt ein separates Maßstäbegesetz. Gewollt ist dennoch ein „abstrakt-generelles“ Maßstäbegesetz und ein konkreteres Finanzausgleichsgesetz in der Rolle eines Durchführungsgesetzes. Doch auch hieraus ergibt sich noch keine Verschiedenrangigkeit 35. Entscheidend für die erhöhte Beachtlichkeit des Maßstäbegesetzes ist dessen Funktion, „die maßgeblichen verfassungsrechtlich vorgegebenen Kriterien der Finanzverteilung und des Finanzausgleichs zu konkretisieren und ergänzen“. Bestimmte normative Elemente des Maßstäbegesetzes sind aufgrund ihres spezifischen Verfassungsbezuges materiell höherwertig, ähnlich den Postulaten der gesetzgeberischen Systemgerechtigkeit, Systembindung und Folgerichtigkeit. Mit der vom Gesetzgeber vorgenommen langfristigen und planhaften Verfassungskonkretisierung, werden die verfassungsbegrifflichen Inhalte und „Programme“ verbindlich formuliert und konkretisiert 36. Das Maßstäbegesetz fungiert somit nicht als eine Art „Allgemeiner Teil“ des Finanzausgleichs, der die Grundlagen regelt, das Finanzausgleichsgesetz auch

35

Christoph Degenhart, ZG 15 (2000), S. 79 (86f.); a. A. Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 230ff. 36 Christoph Degenhart, ZG 15 (2000), S. 79 (88).

C. Widerlegung der Kritik

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nicht als „Besonderer Teil“ 37. Ausnahmen von der Regel des Maßstäbegesetzes kann das Finanzausgleichsgesetz nicht bewirken; ersteres bildet den Rahmen, den das Finanzausgleichsgesetz nicht verlassen darf. Das Maßstäbegesetz geht in allen Teilen vor und ist insoweit verbindlich 38. Als „Denkhilfe“ kann diese Vorstellung nützlich sein, aber sie kann dessen erhöhte Beachtlichkeit nicht erklären. Vielmehr soll durch das Maßstäbegesetz der „Vorrang der Verfassung“ sichergestellt werden, der durch die Staatspraxis im Finanzausgleichsrecht mit nicht mehr nachvollziehbaren (und damit willkürlichen) Regeln und Ausnahmen nicht mehr bestand. In einem solchen Fall „lässt sich eine Grundsatz- oder Maßstabsgesetzgebung auch jenseits der Rahmengesetzgebung (Art. 75) und jenseits von Art. 109 Abs. 3 legitimieren“ 39. Materiell sind im Maßstäbegesetz zu einem großen Teil lediglich jene Teile ausgelagert, die die vor allem in Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte föderative Gleichbehandlungspflicht von der einfachgesetzlichen Regelung des Länderfinanzausgleichs einfordert. Wie gesagt beinhaltet das Maßstäbegesetz Begründungs-, Benennungs- und Überwachungspflichten. Verstieße das Finanzausgleichsgesetz somit gegen das Maßstäbegesetz, wäre dies ein Verstoß gegen die vom föderativen Gleichheitssatz geforderte Transparenz. Mithin liegt in jedem Verstoß des Finanzausgleichsgesetzes gegen das Maßstäbegesetz auch ein Verfassungsverstoß, nämlich ein Verstoß gegen den föderativen Gleichheitssatz in Form des rechtsstaatlichen Willkürverbotes. Gegen diesen Ansatz wendet sich Sebastian von Schweinitz mit der von ihm im Anschluss an die „Ermächtigungsstufentheorie“ Hans Nawiaskys 40 für das 37

Vgl. Thorsten Kroll, StuW 2000, S. 45 (75). Alexander Hanebeck, KJ 2000, S. 262 (267f.), der die Bindungswirkung des Maßstäbegesetzes zu Recht aus dessen größerer Verfassungsnähe herleitet. Allerdings zieht er hierbei die Parallele zur Selbstbindung der Verwaltung. Diesem Begründungsansatz ist nicht zuzustimmen, da sich gesetzgeberisches Ermessen und das Ermessen der Verwaltung wesentlich unterscheiden. Der Gesetzgeber handelt für die Zukunft, die Verwaltung vollzieht Normen. Im Maßstäbegesetz sind deshalb für alle zu regelnden Stufen des Finanzausgleichs systemprägende Strukturen und Grundsätze im Gegensatz zu in Geldsummen ausdrückbaren Verteilungsentscheidungen zu normieren. Nur so kann die zeitlich nachfolgende Finanzausgleichgesetzgebung gebunden werden, ohne ihr Gestaltungsmöglichkeiten völlig zu nehmen. Letzteres wäre unzulässig. Da zur Gesetzgebung zwingend ein Element politischer Entscheidung gehört und Gesetzgebung nicht auf einen logischen oder juristischen Vollzug anderweitig getroffener Entscheidungen im Sinne eines logischen Formalschlusses oder eines juristischen Subsumtionsvorgangs reduziert werden kann, müssen dem Finanzausgleichgesetzgeber trotz Bindung durch das Grundgesetz und das Maßstäbegesetz Bereiche freier Entscheidung verbleiben. Es geht um das Verhältnis zweier Gesetze, nicht um das Verhältnis von Gesetzgebung und Gesetzesanwendung, wie sie das Verhältnis von Legislative zur Exekutive und Judikative kennzeichnet, vgl. Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (339). 39 Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 48. 38

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2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

Maßstäbegesetz entwickelten „modifizierten Ermächtigungsstufentheorie“ 41. Danach seien Normen abhängig von ihrem Geltungsgrund. Es gebe bedingende und bedingte Rechtsnormen. Unter bedingten Rechtsnormen seien solche zu verstehen, „die in Form und/oder Inhalt von anderen Rechtsnormen derart abhängen, dass sie anders als in der in den anderen Rechtsnormen vorgesehenen Weise nicht zustande kommen können oder dürfen“. Bedingende Rechtsnormen seien hingegen diejenigen Normen, die diesen Normen als Geltungsgrund dienten und sie bestimmten. Nach dieser Ansicht bestehen „Ermächtigungsnormen“, die jedoch nicht den kompletten stofflichen Inhalt der im Range niedriger stehenden Norm enthielten. Vielmehr weise die „ermächtigte Norm“ ein materiell eigenständiges schöpferisches Element auf. Die Ermächtigungsnorm werde dabei nicht inhaltlich bestimmt, sondern nur das Rangverhältnis der Normen festgelegt. Diesen Vorgaben möchte Sebastian von Schweinitz nun die von ihm entwickelte Modifikation anfügen, die er für das Verhältnis des Maßstäbegesetzes zum Finanzausgleichsgesetz fruchtbar macht: Eine Norm könne sich nur im Rahmen ihrer Ermächtigung bewegen, also nicht über ihren Geltungsgrund hinausgehen. Die ermächtigte Norm, im konkreten Fall das Finanzausgleichsgesetz, würde also bereits formell unterhalb der Ermächtigungsnorm, hier dem Maßstäbegesetz, stehen. Vor diesem Hintergrund stehe der Annahme von mehreren Rangstufen auf der Ebene des einfachen Gesetzes nichts mehr entgegen. Da nach der modifizierten Ermächtigungstheorie zwischen Maßstäbegesetz und Finanzausgleichsgesetz ein Rangunterschied bestehe, könne letzteres über die Grenzen des ersteren nicht hinausreichen. „Die Selbstbindung des Finanzausgleichsgesetzgebers wird somit dadurch begründet, dass das Maßstäbegesetz als Ermächtigungsgrundlage und Geltungsgrund des Finanzausgleichsgesetzes diesem gegenüber einen formell höheren Rang innehat“ 42. Gegen den hier zugrundeliegenden Ansatz, dass das Maßstäbegesetz wesentliche verfassungsrechtliche Forderungen normiere und deshalb (materiell) dem Finanzausgleichsgesetz vorgehe, wendet sich Sebastian von Schweinitz mit folgenden Argumenten: Die Annahme einer unterschiedlichen Verfassungsnähe einfachgesetzlicher Normen verfange nicht, da nicht klar werde, nach welcher Skala die in den einfachgesetzlichen Normen bestehenden Wertigkeiten abgestuft werden sollten. Selbst

40

Hans Nawiasky, ZÖR 1969, S. 488ff.; ders., Allgemeine Rechtslehre, S. 47f. Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 151ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch die „partielle Hierarchisierung von Normen“, die Jürgen Bast, Grundbegriffe der Handlungsformen der EU, S. 281ff. für das europäische Gemeinschaftsrecht sowie das Unionsrecht entwickelt. 42 Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 238f. 41

C. Widerlegung der Kritik

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wenn diese bestehen würden, könnten sie keine materiellen Höherrangigkeiten begründen; die formelle Normenpyramide würde aufgelöst 43. Darüber hinaus sei der Zeitpunkt, in dem eine einfachgesetzliche Wertung verfassungsähnlichen Rang erhalte, objektiv nicht bestimmbar. Im Extremfall werde die Verfassung vom einfachen Recht ausgelegt und nicht umgekehrt. Des Weiteren lasse sich die Systemgerechtigkeit als allgemeines Verfassungspostulat nicht dem Grundgesetz entnehmen. Auch über die Brücke des Art. 3 Abs. 1 GG oder des Rechtsstaatsprinzips lasse sich eine solche im Falle des Maßstäbegesetzes nicht konstruieren, da hier weder das Staat-Bürger-Verhältnis angesprochen werde noch sich der Gesetzgeber sich selbst gegenüber auf Vertrauensschutz und Kontinuitätspflichten berufen könne 44. Außerdem sei nicht erkennbar, warum eine Konkretisierung der Verfassung nicht im Einzelfall besser durch eine abweichende Regelung des Finanzausgleichsgesetzes erfüllt werden könne als durch das Maßstäbegesetz. Das Maßstäbegesetz solle die Verfassung nicht nur konkretisieren, sondern auch ergänzen. Die Bindung an die „ergänzenden“ Teile könne durch die Systemgerechtigkeit nicht erklärt werden. Darüber hinaus sei die Bindung mit dem reinen Effektivitätsargument begründet, die erhöhte Verbindlichkeit der Maßstäbe sei den verfassungsrechtlichen Vorgaben geschuldet, die bundesstaatliche Finanzverteilung könne nur effektiv über verbindliche, den Gesetzgeber bindende Maßstäbe wahrgenommen werden. Weiterhin führe ein erhöhter Verfassungsbezug einer einfachgesetzlichen Norm, wenn er sich denn schon feststellen lasse, nicht zu einem Verfassungsrang derselben 45. Die Konstruktion einer „modifizierten Ermächtigungsstufentheorie“ ist allerdings nicht zielführend. Es kann vielmehr bei der von der herrschenden Meinung vertretenen Rangfolge der innerstaatlichen Normen verbleiben. Diese gliedert sich in drei Blöcke: Bundesrecht, Landesrecht und Autonomes Recht. Bundes- und Landesrecht gehen als staatliches Recht der autonomen Rechtsetzung vor. Zwischen beiden ersteren gilt Art. 31 GG: „Bundesrecht bricht Landesrecht“. Innerhalb der Blöcke bestimmt sich die Rangordnung der Normen rein formal nach der Autorität und der demokratischen Legitimation des Normsetzers: Die Verfassung geht als pouvoir constituant jeglicher pouvoir constitué vor. Innerhalb der letzteren stehen formelle Gesetze über den Rechtsverordnungen 46.

43 Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 230; Franz-Joseph Peine, Systemgerechtigkeit, S. 241ff. 44 Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 231; Franz-Joseph Peine, Systemgerechtigkeit, S. 241ff.; Joachim Linck, DÖV 2000, S. 325 (326). 45 Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 232f.

180

2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

Eine solche formale Rangordnung ist auch für das Maßstäbegesetz völlig ausreichend. Es lässt sich als einfaches Gesetz in die bestehende Dogmatik einfügen. Die Bindungswirkung kann sich nur über materielle Kriterien ergeben. Zu Recht ist anerkannt, dass gesetzliche Regelungen willkürfrei und angemessen, insbesondere systemgerecht und folgerichtig ausgestaltet werden müssen 47. Dies fordert das Bundesverfassungsgericht mit dem Maßstäbegesetz ein. Deswegen ist es nicht richtig, wenn Sebastian von Schweinitz feststellt, dass an den Inhalt einer Norm zur Bestimmung ihrer Wertigkeit nicht angeknüpft werden könne. Der Rang einer Norm müsse objektiv bestimmt werden können, solle sie nicht zum „Spielball“ der Rechtsanwender werden“ 48. Allerdings muss auch Sebastian von Schweinitz im Rahmen seiner modifizierten Ermächtigungsstufentheorie eine Wertung treffen, um feststellen zu können, welche Norm denn nun die ermächtigende und welche die ermächtigte ist. Er muss also zunächst selbst die Normen materiell betrachten, um eine Wertigkeit festellen zu können. Es trifft nicht zu, dass die modifizierte Ermächtigungsstufentheorie rein formal den Rang der Norm bestimmt. Nicht immer ist es so leicht wie im Verhältnis des Maßstäbegesetzes zum Finanzausgleichsgesetz, die ermächtigende und die ermächtigte Norm festzustellen. Vielmehr kann auch der Fall eintreten, dass zwei Normen offensichtlich auf einen Regelungsgegenstand bezogen sind, sich aber nicht feststellen lässt, welche Norm Ermächtigungsnorm und welche ermächtigte Norm ist. Diesen Fall möchte Sebastian von Schweinitz so lösen, dass er beide Normen für nichtig erklärt, weil ansonsten schwierige Abgrenzungsfragen auftreten könnten 49. Dies zeigt jedoch, dass man auch mit Hilfe der modifizierten Ermächtigungsstufentheorie nicht umhin kommt, den „Inhalt“ der betreffenden Normen genauer zu betrachten. Dies muss auch so sein und ist nichts Ungewöhnliches, denn immerhin handelt es sich sowohl bei Maßstäbegesetz als auch Finanzausgleichsgesetz um einfache Gesetze. Man kann also ohne Betrachtung des Inhalts den Rang der Norm, ob Ermächtigungsnorm oder ermächtigte Norm, nicht bestimmen. Deshalb erscheint es überzeugender, auf die Möglichkeit einer Rangbildung innerhalb einer Normenhierarchiestufe gänzlich zu verzichten.

46 Vgl. statt vieler: Fritz Ossenbühl, Gesetz und Recht – Die Rechtsquellen im demokratischen Rechtsstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band III, 2. Aufl., § 61, Rn. 69f. 47 Paul Kirchhof, Die Verschiedenheit der Menschen und die Gleichheit vor dem Gesetz, S. 28ff.; ders., NJW 1987, S. 2354 (2356); ders., Der allgemeine Gleichheitssatz, in: Isensee/ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 2. Aufl., § 124, Rn. 193ff.; ders., Lerche-FS, S. 133 (141ff.); Christoph Degenhart, Systemgerechtigkeit und Selbstbindung des Gesetzgebers als Verfassungspostulat, S. 49ff.; Christian Starck, in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 3, Rn. 44ff.; mit Verweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Stefan Huster, Rechte und Ziele, S. 389f.. 48 So: Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 139. 49 Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 177f.

C. Widerlegung der Kritik

181

Es ist zwar richtig, dass es eine Stufenordnung des geltenden deutschen Rechtes gibt. Einer Ermächtigungsnorm bedürfte es aber nur dann, wenn das Finanzausgleichsgesetz dem Maßstäbegesetz untergeordnet wäre. Dies ist jedoch nach dem eben Gesagten nicht der Fall. Beide stehen auf gleicher Ebene, beide sind zustimmungspflichtige Bundesgesetze. Das Maßstäbegesetz beinhaltet die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes. Das Finanzausgleichsgesetz setzt diese im Maßstäbegesetz einfachgesetzlich ausgeprägten Vorgaben um. Dass das Finanzausgleichsgesetz nicht dem Maßstäbegesetz widersprechen darf, hat seinen Grund nicht im Maßstäbegesetz oder der geltenden Normenhierarchie, sondern ausschließlich darin, dass der Gesetzgeber einmal gesetzte Maßstäbe gleichheitsgerecht und willkürfrei, also sach- und systemgerecht sowie folgerichtig umsetzen muss. Dies ist nur gewährleistet, wenn sich das Finanzausgleichsgesetz an die Maßstäbe hält. Für das Erfordernis, dass das Finanzausgleichsgesetz sich im Rahmen des Maßstäbegesetzes bewegen muss, ist eine „modifizierte Ermächtigungsstufentheorie“ nicht vonnöten, sondern ergibt sich direkt aus der Verfassung. Nur durch das Maßstäbegesetz werden verfassungsrechtliche Vorgaben umgesetzt, wie (föderative) Gleichbehandlung, Willkürfreiheit und Angemessenheit. Dies führt dazu, dass das Maßstäbegesetz einen gesteigerten Bezug zur Verfassung aufweist und ein „einfachgesetzlicher“ Verstoß gegen das Maßstäbegesetz zur Verfassungswidrigkeit des Finanzausgleichsgesetzes führt. Das Maßstäbegesetz ist eine Art (änderbares) Rahmenprogramm, das in der Verfassung, also in höherrangigem Recht verankert ist. In der Sache gibt das Maßstäbegesetz grundlegende Regelungsziele vor, an die sich das Finanzausgleichsgesetz folgerichtig halten muss. Der „Rang“ einer Rechtsnorm lässt sich somit sehr wohl im Sinne der herrschenden Meinung an die Rechtsform und die dahinter stehende Autorität, die demokratische Legitimation des Rechtsetzers knüpfen. Dass Gesetze auf gleicher Ebene eine unterschiedliche Verfassungsnähe aufweisen können, hängt mit den genannten Vorgaben des Grundgesetzes zusammen 50. Es gilt mithin folgendes: Besimmte Normen können der Verfassung näher stehen als andere, indem sie verfassungsrechtlich geforderte Inhalte näher ausformen. Dieses Wechselspiel zwischen zwei einfachgesetzlichen Normen ist ein „alltäglicher“ Vorgang; er wird etwa bei der Grundrechtsprüfung des Art. 3 Abs. 1 GG immer dann vorgenommen, wenn die Folgerichtigkeit in Frage steht, wenn eine einfachgesetzliche Norm einem einfachgesetzlichen Regelwerk widerspricht. Gleiches gilt für das Finanzausgleichsgesetz und das Maßstäbegesetz. Wenn der Gesetzgeber gezwungen ist, alle verfassungsrechtlich relevanten Aspekte des Finanzausgleichs im Maßstäbegesetz zu regeln, so muss er sich im Finanzausgleichsgesetz daran halten.

50

Dies verdeutlichen auch die Fälle der Grundsatzgesetzgebung im Haushaltsgrundsätzegesetz (Art. 109 Abs. 3 GG) sowie Art. 91a GG a. F.

182

2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die obengenannten Gegenargumente widerlegen: Eine unterschiedliche Verfassungsnähe einfachgesetzlicher Normen besteht und muss bestehen. Ansonsten könnte die Folgerichtigkeit einer Norm, deren Systemgerechtigkeit in der Gesamt- sowie in der Teilrechtsordnung nicht überprüft werden. Diese Verfassungsnähe begründet keine materielle Höherrangigkeit, sondern stellt sich als Teil eines Gesamtsystems dar, in das sich andere Normen mit gleichem oder ähnlichem Regelungsgegenstand einfügen müssen. Selbst die „modifizierte Ermächtigungsstufentheorie“ kommt nicht umhin, die Inhalte der Normen materiell zu bestimmen, um festzustellen, welches die ermächtigende und welches die ermächtigte Norm ist. Nach dem eben Gesagten ist ausgeschlossen, dass das Maßstäbegesetz die Auslegung der Verfassung bestimmt. Es gibt lediglich den Rahmen für das Finanzausgleichsgesetz vor. Die Folgerichtigkeit und Systemgerechtigkeit sind im Rahmen des Art. 3 Abs. 1 GG anerkannt. Gleiches gilt auch für das rechtsstaatliche Willkürverbot, das seine Grundlage in Art. 3 Abs. 1 GG hat. Das Finanzausgleichsgesetz kann auch nicht im Einzelfall die Verfassung „besser“ konkretisieren als das Maßstäbegesetz. Ersteres war und ist Spielball der Politik und eine Kodifikation von Kompromissen. Langfristige Maßstäbe fehlten. Ein gerechter und rechtsstaatlicher Finanzausgleich ist jedoch auf Maßstäbe angewiesen. Würde man Durchbrechungen des Maßstäbegesetzes seitens des Finanzausgleichsgesetzes zulassen, böte dies die Möglichkeit einer rein interessenbestimmten Verständigung über Geldsummen. Die für einen maßvoll angemessenen und willkürfreien Finanzausgleich notwendigen Maßstäbe würden missachtet. Das Maßstäbegesetz ist keine neue Form höherrangigen Rechts, sondern dem Finanzausgleichsgesetz formell gleichgeordnet. Allerdings ist sein Inhalt direkt aus der Verfassung abgeleitet, er ist Ausfluss der föderalen Gleichbehandlung. Ein Verstoß gegen das Maßstäbegesetz führt deshalb zu einem Verstoß gegen die Verfassung, die diese Konkretisierung des föderativen Gleichheitssatzes nicht selbst vornimmt, sondern diese Aufgabe an den Gesetzgeber delegiert, der die Aufgabe zur Verfassungskonkretisierung im Zusammenspiel mit dem Finanzausgleichsgesetz regeln muss. Missverständlich ist die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts, es trete eine Dreiteilung ein zwischen Verfassung, Maßstäbegesetz auf einer niedrigeren Rangstufe, aber als Verfassungskonkretisierung und erst darunter das Finanzausgleichsgesetz 51. Damit ist jedoch nichts über die formale Abstufung der beiden einfachgesetzlichen Regelungen zueinander gesagt. Beide stehen formal auf gleicher Ebene. Das Maßstäbegesetz ist allerdings direktes Ergebnis der verfassungsrechtlichen Vorgaben, insbesondere in gleichheitsrechtlicher Hinsicht.

51

BVerfGE 101, 158 (217).

C. Widerlegung der Kritik

183

Insoweit ist es verfassungskonkretisierend, steht materiell der Verfassung näher. Dadurch, dass es diese Verfassungskonkretisierung wahrnimmt, beinhaltet ein Verstoß hiergegen durch anderes einfachgesetzliches Recht, insbesondere durch das Finanzausgleichsgesetz auch einen Verfassungsverstoß, so dass das Maßstäbegesetz materiell tatsächlich zwischen Finanzausgleichsgesetz und Grundgesetz tritt. Dies gilt jedoch, wie gesagt, nicht in formaler Hinsicht. Die Verfassung verpflichtet somit zur Maßstabsgesetzgebung. Spiegelbildlich muss der Gesetzgeber allerdings die Möglichkeit haben, verbindliche Maßstäbe zu setzen, die dauerhafte Geltung beanspruchen. „Weil der Verfassungsauftrag zur Maßstabsbildung gleichzeitig auf Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Zielvorgaben der bundesstaatlichen Finanzverteilung und des Finanzausgleichs angelegt ist und in dieser Funktion nur über verbindliche, den Gesetzgeber selbst bindende Maßstäbe effektiv wahrgenommen werden kann, muss den gesetzlich gebildeten Maßstäben erhöhte Verbindlichkeit zukommen: dies setzt wiederum voraus, dass die Maßstabsbildung in einem grundsätzlich gefassten ‚Rechtsgesetz‘ erfolgt“. Dies führt zu einem gesteigerten Verfassungsbezug und deshalb zu einer erhöhten Geltungskraft gegenüber dem „durchführenden“ Gesetzgeber und zu gesetzgeberischer Selbstbindung 52. Das Maßstäbegesetz bindet den Gesetzgeber somit aus zwei Gründen: Zum einen steht es aufgrund seines aus der Verfassung abgeleiteten Inhalts dieser näher und kann deshalb Maßstäbe vorgeben, zum anderen wahrt es mit der Bindung des Finanzausgleichsgesetzes das Willkür- und Übermaßverbot, insbesondere die Sach- und Systemgerechtigkeit sowie die Folgerichtigkeit des Finanzausgleichs und damit wesentliche rechtsstaatliche Prinzipien. So wird durch das Maßstäbegesetz das rechtsstaatliche Willkürverbot für den Finanzausgleich durchsetzbar gemacht, ohne dass sich das Bundesverfassungsgericht die Position des Gesetzgebers anmaßt. Die Betonung einer höheren Rationalität als die des politischen Tagesgeschäfts durch das Bundesverfassungsgericht ist indes nicht neu. Bereits in früheren Entscheidungen hat das Gericht rechtsstaatliche Grundsätze im Gesetzgebungsverfahren hervorgehoben. Diese hat es im jüngsten Finanzausgleichsurteil weiterentwickelt. Bereits in seinem Urteil zur Staatsverschuldung forderte das Bundesverfassungsgericht eine gesetzliche Regelung, „die handhabbare Orientierungen dafür festlegt, ob und in welchem Umfang in einer gesamtwirtschaftlichen Normallage unter den Gesichtspunkten des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts eine staatliche Kreditaufnahme als unbedenklich angesehen werden kann, einer besonderen Rechtfertigung bedarf oder ausgeschlossen sein muss“.

52

Christoph Degenhart, ZG 15 (2000), S. 79 (89).

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2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

„Der Regelungsauftrag des Art. 115 Abs. 1 Satz 3 GG lässt sich schließlich nicht mit dem Argument relativieren, vom Gesetzgeber könne eine solche Selbstbegrenzung seines politischen Entscheidungsspielraums nicht erwartet werden. Gibt die Verfassung dem parlamentarischen Gesetzgeber den Auftrag, ein verfassungsrechtliches Regelungskonzept, das ihn selbst – als Haushaltsgesetzgeber – betrifft, im Blick auf veränderliche Gegebenheiten und Erkenntnisse näher zu konkretisieren und damit erst zu vervollständigen, kann er sich dieser Aufgabe nicht entziehen; Anstrengungen repräsentativen Handelns, die damit verbunden sein mögen, darf gerade der parlamentarische Gesetzgeber im Interesse der demokratischen Ordnung des politischen Gemeinwesens nicht ausweichen“ 53. Dieses Urteil erging zwar zu den Grundsätzen der Haushaltsgesetzgebung, doch ist „die Übertragbarkeit der damit erhobenen Forderung vom Haushalts- auf den Finanzausgleichsgesetzgeber [ . . . ] unbestreitbar“ 54. Im Prinzip fordert das Bundesverfassungsgericht damals wie heute vom Gesetzgeber die Einhaltung rechtsstaatlicher und demokratischer Verfahren auch im Gesetzgebungsverfahren 55. Ebenso beruht die zeitliche Entkoppelung von Maßstabsbestimmung und Verteilungsentscheidung auf dem Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, da Verteilungsgerechtigkeit (offensichtlich) nur dann grundgesetzkonform gewährt werden kann, wenn die konkrete Verteilungsentscheidung im Zeitpunkt der Maßstabsbestimmung noch nicht bekannt ist. Ansonsten wird lediglich ein bloßer Interessenausgleich vorgenommen. Das geforderte Minimum an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie hatte der Gesetzgeber mit dem zum Zeitpunkt der Entscheidung bestehenden Finanzausgleichsgesetz verfehlt. Dies erklärt auch die Bezugnahme auf John Rawls und die Metapher des Schleier des Nichtwissens, den jener nutzt, um die rationale Methode der gerechten Verteilung von Rechten und Pflichten zu begründen. Denn nur derjenige, der seinen Status nicht kenne und nicht wisse, wie sich seine Entscheidungen entwickeln und auf seine Interessen auswirken, werde rationale, allgemeingültige Grundsätze hinnehmen; Grundsätze, die alle hinzunehmen bereit seien 56. Wie das Gericht jedoch selbst anerkennt, kommt für die Abgeordneten ein Schleier des Nichtwissens nicht in Betracht, doch sollte dies jene nicht daran hindern, nach den von John Rawls genannten Grundsätzen zu entscheiden. Zu Recht ist das Gericht der Auffassung, dass „die Vorherigkeit des Maßstäbegesetzes eine institutionelle Verfassungsorientierung gewährleisten [kann], die einen Maßstab entwickelt, ohne dabei den konkreten Anwendungsfall schon voraussehen zu können“ und es fährt fort: „Die klassische Zeitwirkung von Vor-Rang und Vor-Behalt des Gesetzes ist auch in den bundesstaatlichen Gesetzesvorbehalten erneut zur Wirkung zu bringen“ 57. In diese Richtung geht auch 53 54 55 56

BVerfGE 79, 311 (356f.). Hans Peter Bull / Veith Mehde, DÖV 2000, S. 305 (308). Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 50. John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 29ff., 159ff.

C. Widerlegung der Kritik

185

die unter Verweis auf Gerhart Husserl 58 erfolgte Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer „gesetzliche[n] Maßstabgebung, die den rechtsstaatlichen Auftrag eines gesetzlichen Vorgriffs in die Zukunft“ erfüllt 59. Ein Verstoß gegen den auf dem Demokratieprinzip beruhenden Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ liegt ebenfalls nicht vor. Das Maßstäbegesetz selbst ist nicht unabänderlich. Vielmehr steht es zwischen Grundgesetz und Finanzausgleichsgesetz und gibt dabei letzterem einen Rahmen vor, in dem jenes kurzfristige, auf periodische Überprüfung angelegte Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen selbst festlegt. Das Maßstäbegesetz kann jederzeit nach eingehender Überprüfung des finanzausgleichsrelevanten Sachstands geändert werden. Nur kann das Finanzausgleichsgesetz den vom Maßstäbegesetz vorgezeichneten Rahmen so lange nicht überschreiten, wie dieses nicht selbst geändert wurde. Das spätere Gesetz kann also nach wie vor das frühere verdrängen und ersetzen, allerdings sind hierbei Regeln zu beachten. Ein „neues“ Finanzausgleichsgesetz kann nicht das „alte“ Maßstäbegesetz aufheben, sondern ein „neues“ Finanzausgleichsgesetz, welches den Rahmen des Maßstäbegesetzes verlassen soll, bedarf zuvor des Erlasses eines neuen, das ergehende Finanzausgleichsgesetz umfassenden Maßstäbegesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat somit zutreffend erkannt, dass es für Rechtsstaat und Demokratie nicht nur eines bloßen Interessenausgleichs bedarf, sondern echter Verteilungsgerechtigkeit 60. Diese wiederum ist nur über das Gesetz zu erhalten, weil es Transparenz und politische Zurechnung ermöglicht und nur das „Gesetz [ . . . ] in seiner formellen Allgemeinheit rational-planmäßig die Zukunft [gestaltet], [ . . . ] eine gewisse Dauerhaftigkeit der Regel voraus[setzt], [ . . . ] ihre Anwendung auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger Fälle [erstreckt], [ . . . ] damit Distanz zu den Betroffenen [wahrt], [ . . . ] die Aufmerksamkeit des regelnden Organs dem auch für die Zukunft verpflichtenden Maß zu[wendet] und [ . . . ] die Erstzuständigkeit des Gesetzgebers bei der Verfassungsinterpretation [wahrt]“ 61.

57

BVerfGE 101, 158 (218). Gerhart Husserl, Recht und Zeit, S. 27ff.: Danach geht das Recht so vor, „dass es gewisse typische Lebenssituationen gedanklich vorentwirft und mit bestimmten Rechtswirkungen ausstattet“. 59 BVerfGE 101, 158 (217). 60 Christoph Degenhart, ZG 15 (2000), S. 79 (86); Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 47. 61 BVerfGE 101, 158 (217f.). 58

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2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

III. Verstoß des Finanzausgleichsgesetzes gegen das Maßstäbegesetz Ein Wertungswiderspruch wird auch darin gesehen, dass sowohl das Maßstäbegesetz als auch das Finanzausgleichsgesetz einfache Gesetze sind, ersteres aber „über“ letzterem stehe. Beide werden vom Bundestag mit relativer Mehrheit nach Zustimmung des Bundesrates erlassen. So würde also mithin, wenn das Finanzausgleichsgesetz gegen das Maßstäbegesetz verstoßen sollte, „nur“ einfaches Gesetzesrecht anderem einfachen Gesetzesrecht widersprechen. Liege ein Verstoß des Finanzausgleichsgesetzes gegen das Grundgesetz vor, so sei es verfassungswidrig und nichtig, die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen das Maßstäbegesetz lasse sich jedoch nicht so einfach bestimmen, denn das Maßstäbegesetz sei eben auch nur einfaches Gesetz. Ein Verfassungsverstoß komme nicht in Betracht 62. Die Lösung dieses Problems wurde bereits angesprochen. Das Maßstäbegesetz steht deutlich näher an der Verfassung als das Finanzausgleichsgesetz, das Maßstäbegesetz setzt die langfristigen Vorgaben für den Finanzausgleich, es setzt – im Idealfall – die verfassungsrechtlichen Vorgaben der föderativen Gleichbehandlung und der Angemessenheit sach- und systemgerecht um. So kann bei einem Verstoß gegen das Maßstäbegesetz von einem willkürlichen Verstoß gegen verfassungsrechtliche Wertungen gesprochen werden. Es handelt sich hierbei eben nicht um einen Wertungskonflikt zwischen einfachem Gesetzesrecht. Aufgrund der abgestuften Nähe zum Verfassungsrecht würde ein Verstoß des Finanzausgleichsgesetzes gegen das Maßstäbegesetz eine willkürliche Systemwidrigkeit bedeuten und deshalb zu einem Verstoß gegen den mit Verfassungsrang ausgestatteten föderativen Gleichheitssatz führen. Hat sich der Gesetzgeber im Maßstäbegesetz erst einmal (verfassungsgemäß) auf ein System des Finanzausgleichs festgelegt, so ist er im Folgenden, nämlich im Finanzausgleichsgesetz, daran gebunden. Verweigert er sich willkürlich dem von ihm geschaffenen System, so handelt er nicht nur gegen das Maßstäbegesetz, sondern auch gegen die Verfassung. Da allerdings nur das Maßstäbegesetz in der Lage ist, einen verfassungskonformen Finanzausgleich zu gewährleisten, die Verfassung mithin auch ein Verfahren vorgibt, nämlich den Erlass des Maßstäbegesetzes, würde der Gesetzgeber bei einer Abweichung des Finanzausgleichsgesetzes vom Maßstäbegesetz zusätzlich noch die verfassungsrechtlichen Vorgaben an das Verfahren verletzen. In einem solchen Fall wäre das Finanzausgleichsgesetz nichtig 63. 62

So: Jörn Axel Kämmerer, JuS 2003, S. 214 (216). Ebenso: Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 58. Zum Ergebnis der Nichtigkeit kommt auch Sebastian von Schweinitz, Das Maßstäbegesetz, S. 245, allerdings nicht aufgrund der erhöhten Verfassungsnähe des Maßstäbegesetzes als Ausformung des rechtsstaatlichen Willkürverbotes und des Übermaßverbotes, sondern – aus seiner Sicht konsequent –, weil das Maßstäbegesetz bereits formell einen höheren Rang einnehme als das Finanzausgleichsgesetz, das erstere nach allgemeinen Grundsätzen letzte63

C. Widerlegung der Kritik

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IV. Die politische Durchsetzbarkeit des Maßstäbegesetzes Teilweise wird eingewandt, das Maßstäbegesetz sei politisch nicht durchsetzbar. Mit dem Erfordernis eines Maßstäbegesetzes führte das Bundesverfassungsgericht einen Kurswechsel durch. Hatte das Gericht in früheren Urteilen abgelehnt, die Finanzverfassung als Recht minderer Geltungskraft anzusehen, stellte es später fest, dass „die normativen Festlegungen der Finanzverfassung [ . . . ] allerdings zum Teil nicht das Maß an inhaltlicher Bestimmtheit auf[weisen], das für Regelungen im Staat-Bürger-Verhältnis charakteristisch ist, [ . . . ] vielmehr unbestimmte Begriffe [verwenden] und [ . . . ] damit Beurteilungs- oder auch Entscheidungsspielräume [schaffen], die verfassungsgerichtlicher Nachprüfung nur auf Einhaltung des verbindlich gesetzten Rahmens unterliegen [ . . . ]. Diese Eigenart und besondere Struktur der Finanzverfassung ist bei ihrer Auslegung und Anwendung zu berücksichtigen. Innerhalb dieses Rahmens vermag der politische Prozess sich nach seinen eigenen Regeln und Bedingungen zu entfalten, der Rahmen selbst stellt indessen eine Grenze dar, die der Gesetzgeber nicht überschreiten darf [ . . . ]“ 64. Das Gericht lehnte also verfassungsrechtliche Verfahrensvorgaben ab und gestand dem Gesetzgeber weitgehende Gestaltungs- und Entscheidungsräume zu, nicht nur in inhaltlicher Hinsicht, sondern auch bezüglich des (politischen) Zustandekommens des Finanzausgleichs. Seit der jüngsten verfassungsrechtlichen Entscheidung kann diese „Form der Trennung und Zuordnung von Politik und Recht“ nicht mehr aufrechterhalten werden. Der Gesetzgeber soll als sich selbst bindender „unparteiischer, interessenentrückter Verfassungsinterpret“ tätig sein 65, das Bundesverfassungsgericht erhofft sich vom Gesetzgeber eine „institutionelle Verfassungsorientierung“ 66. Dies alles mündet in die verfassungsgerichtliche Forderung nach einer fehlenden „Folgenorientierung“ bei den zukünftig fließenden Geldströmen und in einen zeitlich vorangehenden Erlass des Maßstäbegesetzes. Das Bundesverfassungsgericht hat somit neben inhaltlichen auch formale Vorgaben gemacht. Das mittlerweile in Kraft getretene Maßstäbegesetz wurde hingegen nicht losgelöst von den politischen Interessen vom Parlament als unabhängiger Instanz erlassen, sondern wurde, nach genauer Aushandlung von Geldsummen und Geldströmen, die zu fließen haben, aus der Hand der Bundesregierung sowie der Landesregierungen empfangen. Das Finanzausgleichsgesetz wurde nicht entsprechend der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Maßstäbegesetz entwickelt, vielmehr beide zeitgleich in einem Vorgang. Hierbei wurde das Maßstäbegesetz nicht als res bei Kollisionen als lex superior verdränge, mithin keine Normenkollision auf „gleicher Ebene“ vorliege. 64 BVerfGE 72, 330 (388ff.). 65 Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (337). 66 BVerfGE 101, 158 (218).

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2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

maßstabgebendes Gesetz entwickelt, sondern erst, nachdem der genaue finanzielle Betrag, der jedem Land pro Einwohner zur Verfügung stehen sollte, in Gesprächen und ergebnisbezogenen Verhandlungen zwischen den Regierungen von Bund und Ländern festgelegt worden war 67. Bundestag und Bundesrat blieb erneut nur die Rolle des „Gesetzgebungsnotars“. Nach obigen Ausführungen zur Einhaltung des föderativen Gleichheitssatzes sowie der Angemessenheit wäre aufgrund des angemessenen Ausgleichs eine unabhängige parlamentarische Maßstabsgesetzgebung vonnöten gewesen. Diese ist bedauerlicherweise in diesem Maßstäbegesetz nicht erfolgt; der Gesetzgeber seinen Pflichten nicht nachgekommen. Diesem Versäumnis kann, wie noch zu zeigen sein wird, nicht entgegengehalten werden, dass die Forderung nach einem Maßstäbegesetz, bei dem der Gesetzgeber eigene Verantwortung übernimmt und der Abgeordnete unabhängig von seiner politischen Zugehörigkeit eigene (verantwortliche) Entscheidungen trifft, losgelöst von einer Verständigung über Geldsummen, realitätsfern und politisch nicht durchsetzbar sei 68 und sich durch das Maßstäbegesetz kein Rationalitätsgewinn eingestellt habe, denn auch der neue Finanzausgleich sei in ergebnisbezogenen Verhandlungen zwischen den Regierungen von Bund und Ländern entstanden; inhaltlich sei er komplizierter als zuvor 69. Daneben findet sich auch die Kritik, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Forderung nach einem Maßstäbegesetz eine „technokratische Sicht“ zugrun67 So verhielt sich sowohl der Bundesgesetzgeber als auch die Bundesregierung nach der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zögerlich. Die Empfängerländer und Hamburg („Hannover-Kreis“), aber ohne Thüringen, das eigene Wege gehen wollte, standen der Gruppe der Geberländer gegenüber. Erst bei einem Treffen der Ministerpräsidenten am 24./25. März 2000 kam es zu einer Annäherung in den unterschiedlichen Positionen der Länder. So wurde eine Verknüpfung der Neuordnung des Finanzausgleichs mit einer Länderneugliederung verworfen, strukturelle Besonderheiten im Bedarf bei den Stadtstaaten prinzipiell anerkannt. Bei einer Ministerpräsidenten-Sonderkonferenz am 27./28. Januar 2001 wurde vereinbart, dass zugunsten der Zahlerländer im neuen Finanzausgleich eine „stärkere Anreizwirkung verwirklicht werden [sollte], die einen höheren Selbstbehalt in den Ländern gewährleistet“; im Gegenzug gaben die finanzstarken Länder ihre weit reichenden Pläne auf, die Finanzverfassung umzugestalten. Gleichzeitig erging für die Erarbeitung weiterer Vorschläge ein Auftrag an die Finanzministerkonferenz, auf der Grundlage der Jahre 1999 und 2000 „von einem Korridor der Be- und Entlastungen im Referenzjahr von grundsätzlich 12 DM je Einwohner“ auszugehen. So wurde der vom Bundesverfassungsgericht geforderte „Schleier des Nichtwissens“, bereits bevor es zu konkreten Gesetzesberatungen kam, von einer extremen Ergebnisfixierung abgelöst. Vgl. zum weiteren Verfahren Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (341ff.); Jörn Axel Kämmerer, JuS 2003, S. 214ff.; Bundesministerium der Finanzen, Die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, S. 17ff. 68 Auch als es „nur“ das Finanzausgleichsgesetz gab, wurden „Hindernisse“ für die Schaffung eines „gerechten“ Finanzausgleichs gesehen, etwa in der Zustimmungspflicht des Bundesrates zum Länderfinanzausgleich, die diesen blockiere, vgl. etwa Wilhelm Heckt, Die Entwicklung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, S. 17. 69 Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (335).

C. Widerlegung der Kritik

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de gelegt habe, einen „weltfremden“ Versuch unternommen habe, theoretische Idealvorstellungen in die dafür nicht geeignete Wirklichkeit zu übertragen 70. Das Demokratieverständnis des Grundgesetzes bedeutet nicht das „politisch Machbare“, sondern will das Recht durchsetzen, wobei das Wohl aller im Vordergrund steht, selbst wenn hierbei Schwierigkeiten und Widerstände zu überbrücken sind. Eine Demokratie kann sich nicht darauf beschränken, stets den „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zu normieren. Das Maßstäbegesetz erfüllt in seiner jetzigen Ausgestaltung nicht die formalen und materiellen Anforderungen, kann aber, wenn es nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt wird, durchaus zu einem gerechteren Länderfinanzausgleich beitragen. Dies muss vor allem dann gelten, wenn das Maßstäbegesetz nicht nur politisch geboten, sondern auch rechtsstaatlich gefordert ist. Peter M. Huber sympathisiert zwar ebenfalls mit dem Maßstäbegesetz, hält es aber dennoch für „zweifelhaft“, ob „dieser Versuch eines rechtsstaatlichen und demokratischen ‚Befreiungsschlages‘ die Gesetzgebungspraxis tatsächlich prägen kann“. Hierbei verweist er auf die ungenügende Ausgestaltung des Maßstäbegesetzes sowie auf die Zustimmungspflichtigkeit sowohl des Maßstäbegesetzes als auch des Finanzausgleichsgesetzes, die politisch als „verfahrensrechtlicher Hebel“ missbraucht werde, um die „normative und zeitliche Stufung ins Leere laufen zu lassen“ 71. De constitutione ferenda sieht er drei Auswege: Zum einen könne die Verfassung so ausgestaltet werden, wie es das Bundesverfassungsgericht für das Maßstäbegesetz fordere, doch reichte dann für die Festlegung der Maßstäbe nicht mehr die (bereits schwer zu beschaffende) einfache Mehrheit wie im Maßstäbegesetz, sondern wäre eine Zweidrittelmehrheit vonnöten. Auch sei eine gewisse „Versteinerung“ zu befürchten. Die zweite Variante bestünde in einer völligen Streichung der sachlich-inhaltlichen Parameter des Finanzausgleichs und in der Übernahme einer reinen Verhandlungslösung. Dies hätte jedoch den Nachteil, dass alle Beteiligten eine Vetoposition besäßen und ihre Interessen durchsetzen könnten, das Verfahren sich noch weiter von rechtsstaatlichen Grundsätzen entfernte als bisher, der Finanzausgleich noch stärker als bisher Einfallstor für sachfremde Erwägungen würde. Die vorzugswürdige dritte Variante sei, per Verfassungsänderung nur noch das Maßstäbegesetz an die Zustimmung des Bundesrates zu binden, das Finanzausgleichsgesetz hingegen als Einspruchsgesetz auszugestalten. Dadurch wäre die 70 Thomas Christmann, DÖV 2000, S. 314 (325); Joachim Linck, DÖV 2000, S. 325 (329); Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (345ff.); Josef Franz Lindner, NJW 2000, S. 3757 (3757f.); die Möglichkeit einer solchen Kritik sehen Hans Peter Bull / Veith Mehde, DÖV 2000, S. 305 (308). 71 Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 55.

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2. Kap.: Angemessenheit, Gleichheit und Maßstäbegesetz

Mitwirkung der Länder bei den zentralen politischen Entscheidungen, nämlich bei der Festlegung der Maßstäbe gewahrt, die konkrete Verteilungsentscheidung träfe jedoch ausschließlich der Bundesgesetzgeber, was zu einer erhöhten Handlungsfähigkeit des Bundesstaates und einer klareren Verantwortungszurechnung führen würde. Daneben gäbe dies der Handlungsform des Gesetzes etwas von dem geforderten rechtsstaatlichen und demokratischen Garantiegehalt zurück 72. Insbesondere die dritte Variante erscheint sinnvoll. Dadurch würde das Maßstäbegesetz ausdrücklich im Wortlaut des Grundgesetzes verankert. Etwaige Zweifel in diese Richtung wären ausgeräumt. Eine solche Verfassungsänderung würde jedoch neben der Zweidrittelmehrheit im Bundestag auch eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat erfordern, mithin also noch höhere Anforderungen stellen als der Erlass des Maßstäbegesetzes. Daneben erscheint es zweifelhaft, ob sich die Länder den „Trumpf“ einer doppelten Mitbestimmung, mit dem sie ihre interessenbestimmte Verständigung über Geldsummen geltend machen könnten, sowohl beim Maßstäbegesetz als auch beim Finanzausgleichsgesetz nehmen lassen würden, zumindest würden sie sich teuer „verkaufen“. Doch ist eine solche Verfassungsänderung bestenfalls Wunschdenken. Bis dahin müssen die rechtstaatlichen Verfahren, wie sie oben dargestellt wurden, eingehalten werden. Somit führt kein Weg an dem Maßstäbegesetz in der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Form vorbei, das solange verfassungswidrig ist, mit allen damit verbundenen Konsequenzen, bis es nach den verfassungsrechtlichen und verfassungsgerichtlichen Vorgaben zustande gekommen ist.

V. Ergebnis Das Maßstäbegesetz widerspricht somit nicht der grundgesetzlichen Normenhierarchie, sondern setzt die wesentlichen Elemente des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips sachgerecht um. Es wahrt in der Allgemeinheit des Gesetzes das Willkür- und Übermaßverbot. Durch das Maßstäbegesetz übernehmen Recht und Parlament die Herrschaft über den Finanzausgleich und machen ihn transparent, die Politik mit ihrer rein interessenbestimmten Verständigung über Geldsummen wird zurückgewiesen. Das Maßstäbegesetz sichert darüber hinaus weitere Aspekte des föderativen Gleichheitssatzes, etwa die Sach- und Systemgerechtigkeit sowie die Folgerichtigkeit des Finanzausgleichs. Es liegt auch kein Verstoß gegen den Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ und das Demokratieprinzip vor, letzteres wird vielmehr nur im Maßstäbegesetz gewahrt, weil nur dieses Verteilungsgerechtigkeit gewährleisten kann. Das Maßstäbegesetz verstößt somit nicht gegen Rechtsstaats- und Demokratieprinzip, sondern fordert erstmals die Umsetzung dieser (im Rahmen des Grundgesetzes eigentlich selbstverständlichen) Grundsätze im Finanzausgleichsrecht. 72

Peter M. Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 56f.

3. Kapitel

Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben Im weiteren Fortgang sollen die erarbeiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben am konkreten Maßstäbe- und Finanzausgleichsgesetz dargestellt werden.

A. Sonderbedarfe Zunächst stellt sich insbesondere vor dem Hintergrund der föderativen Gleichbehandlungspflicht die Frage nach der Berücksichtigung von Sonderbedarfen einzelner Länder, sowohl im Rahmen des „angemessenen Ausgleichs“, der „Finanzkraft“ als auch bei den Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen. Grundsätzlich ist die Berücksichtigung von Sonderbedarfen im Rahmen der „Finanzkraft“ unzulässig 1. Ausnahmsweise erkannte das Bundesverfassungsgericht die Hafenlasten als historisch begründeten Abzug an 2. Einen generellen Mehrbedarf der Stadtstaaten hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach gebilligt, zunächst aber dessen Sonderbedarfseigenschaft verneint 3. Einen Mehrbedarf der Stadtstaaten wegen der von diesen vorgenommenen „Umlandversorgung“ inklusive einer erhöhten Pendlerzahl hat es hingegen abgelehnt 4, ebenso wie eine pauschale Abgeltung übermäßiger Belastungen durch Sozialhilfekosten. Diese unterschieden sich nicht von Sonderbedarfen anderer Länder, die im Finanzausgleich ebenfalls keine Berücksichtung fänden und auch nicht finden dürften 5. Prinzipiell wird man dem Bundesverfassungsgericht zustimmen müssen, dass die Berücksichtigung von Sonderbedarfen unzulässig ist. 5a Dies ergibt sich insbe-

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BVerfGE 72, 330 (400f., 413); 86, 148 (238); 101, 158 (229). BVerfGE 72, 330 (413f.); 86, 148 (253). 3 BVerfGE 72, 330 (415): „Strukturelle Eigenart“; 86, 148 (238ff.). 4 BVerfGE 72, 330 (416); 86, 148 (249). 5 BVerfGE 72, 330 (414). 5a In der Literatur wird dagegen teilweise vertreten, dass die Einbeziehung von Sonderbedarfen prinzipiell verfassungsrechtlich zulässig sein müsse. Das wesentliche Argument ergebe sich aus der „systematischen Stellung des Länderfinanzausgleichs“, vgl. Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 228ff. Es verstoße nämlich – so schon das Bundesverfassungsgericht – gegen das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Willkürverbot, wenn der Gesetzgeber 2

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

sondere aus dem Wortlaut „Länderfinanzkraft“, der entgegen aller Beteuerungen nur die „aktive“ Seite, das „Haben“ erfasst, nicht jedoch den Bedarf 6. „Finanzkraft selbstgesetzte Maßstäbe für die Bewirkung des angemessenen Ausgleichs ohne triftigen Grund verlasse oder Ergebnisse hervorrufe, die zu diesen Maßstäben in Widerspruch stünden. Nun sei es aber so, dass der Gesetzgeber bei der vertikalen Umsatzsteuerverteilung des Art. 106 GG spezielle Ausgabenlasten der Länder als notwendige Ausgaben berücksichtige und berücksichtigen müsse, und so den Anteil der Ländergesamtheit erhöhe. Es wäre nun aber systemwidrig und würde selbstgesetzten Maßstäben widersprechen, diese Mittel nicht auch diesen besonders belasteten Ländern (horizontal) zukommen zu lassen. Dies sei nur im Länderfinanzausgleich möglich. Ein Beispiel hierfür sei z. B. der starke infrastrukturelle Nachholbedarf der neuen Bundesländer, der zu einem erhöhten Länderanteil an der Umsatzsteuer geführt habe, aber nicht ausschließlich die betroffenen (ostdeutschen) Länder begünstigt habe, sondern prinzipiell allen Ländern zugute komme. Um eine Abwälzung von politischen (Fehl-)Entscheidungen auf andere Länder zu verhindern, müsse dann in diesem Bereich eine Benennungs- und Begründungspflicht statuiert werden. Dabei sei es systematisch einwandfrei, und sogar vorzugswürdig, weder bei der vertikalen Umsatzsteuerverteilung noch im Länderfinanzausgleich Sonderbedarfe zu berücksichtigen, doch müsste dies einheitlich geregelt werden. Auf dieser Grundlage sei es nicht einzusehen, warum bei der vertikalen Umsatzsteuerverteilung auf die Ländergesamtheit Sonderbedarfe berücksichtigungsfähig seien, bei der Verteilung auf die einzelnen Länder jedoch nicht. Grund könne einerseits die unterschwellige Angst des Gerichts vor einem „Bedarfswettlauf“ oder „Inflationswettlauf“, andererseits die Befürchtung sein, dass der Finanzbedarf eines Landes als Folge seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik anderen Ländern aufgebürdet und somit die „Selbstverantwortlichkeit der Länder für ihre politischen Entscheidungen“ ausgehebelt werde. Die in diesen Einwänden zum Ausdruck kommenden Befürchtungen könnten jedoch vermieden werden, „wenn die Bedarfsmerkmale möglichst sachgerecht pauschaliert werden und Bedarfsmerkmale sich an objektiven Kriterien und Strukturdaten orientieren“. Lege man nun „profilierte‚ grobe Indikatoren‘ zugrunde, die nur ‚signifikante, von der Durchschnittsbetrachtung nicht erfasste Abweichungen im Bedarf‘ betreffen, so erscheint sowohl ein ‚Bedarfswettlauf‘ ausgeschlossen wie auch die ferner geäußerte Befürchtung, dass sich die Sonderbedarfe mit ihren Ausgleichsansprüchen gegenseitig aufheben“, vgl. Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 56. Die vom Bundesverfassungsgericht vorgebrachten Argumente ließen sich widerlegen: Dem Wortlautargument sei entgegenzuhalten, dass nur die Erwähnung der Länderfinanzkraft und die ausdrückliche Erwähnung lediglich des Gemeindefinanzbedarfs nicht bedeute, dass die beiden Halbsätze unterschiedliche Arten des Ausgleichs definierten. Sie seien einander zu- und untergeordnet. Systematisch gelte das oben erwähnte Argument und historisch lasse sich aus den Materialien nicht sicher entnehmen, dass ab 1955 auf eine Bedarfsberücksichtigung verzichtet werden sollte, vgl. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 582ff. Aus diesem Grund dürfe der Gesetzgeber im Rahmen des Art. 107 GG sowohl abstrakte als auch konkrete Sonderbedarfe berücksichtigen. Ein Berücksichtigungsverbot sei dem Grundgesetz nicht zu entnehmen; die Berücksichtigung von Sonderbedarfen stehe im „legislativen Ermessen“ des Gesetzgebers. Dieses Ermessen sei jedoch durch das „Gebot der Selbstverantwortlichkeit der Länder“ eingeschränkt. Finanzautonome Entscheidungen dürften nicht auf andere Länder abgewälzt werden. Aus diesem Grunde dürften nur die oben genannten sachgerechten, an objektiven Kriterien orientierten, pauschalierenden Bedarfsmerkmale im Länderfinanzausgleich erfasst werden, vgl. Fritz Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Grundfragen, S. 56f.

A. Sonderbedarfe

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ist [ . . . ] als Finanzaufkommen zu verstehen, nicht als Relation von Aufkommen und besonderen Ausgabenlasten“ 7. Das Grundgesetz geht davon aus, dass die Lasten, sprich der „Finanzbedarf“ für alle Länder gleich ist, da das Grundgesetz ihnen gleiche Aufgaben und somit auch gleiche Ausgaben zuweist 8. Lastendifferenzen innerhalb der Länder beruhen auf politischen Entscheidungen und sind nicht ausgleichswürdig. „Die Eigenständigkeit der Länder soll nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass über eine gemeinsame Ertragsaufteilung die Lastenverantwortung auf die Ländergesamtheit abgewälzt werden kann“ 9.

6 Vgl. hierzu eingehend Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 28ff.: So stelle bereits der Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 GG die Begriffe „Finanzkraft“ in Satz 1 und den nur bei Gemeinden berücksichtigungsfähigen „Finanzbedarf“ des Satzes 2 gegenüber, wobei Finanzkraft „die Fähigkeit zu finanzieren“ bezeichne, wohingegen der Finanzbedarf „durch die Finanzierungsaufgaben (die erforderlichen Ausgaben)“ bestimmt werde. Diese Gegenüberstellung und die bloße Erwähnung der Länderfinanzkraft mache deutlich, dass „spezielle Bedarfskriterien nicht berücksichtigt werden dürften“. Der Wortlaut des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG beschränke „den horizontalen Finanzausgleich somit auf einen Vergleich zwischen dem Finanzaufkommen und pauschalierenden Bedarfsmerkmalen“, also einen allgemeinen, abstrakten, nicht jedoch konkreten Bedarf. Auch die Systematik der Finanzverfassung sowie speziell des horizontalen Finanzausgleichs spreche gegen eine Bedarfsberücksichtigung. So sei die Lastenverteilung in Art. 104a GG geregelt, die Gesetzgebung in Art. 105 GG und die Verteilung des Finanzaufkommens in Art. 106, 107 GG. Auch intern sei der Art. 107 GG auf eine bloße Ertragsaufteilung angelegt. Prinzipiell folge dieser dem Prinzip des örtlichen Aufkommens; die Verteilungsregeln bestimmten sich nach einheitlichen, abstrakten Finanzierungslasten. Die historische Auslegung bestätige diesen Befund. So forderte etwa Art. 106 Abs. 4 GG 1955 einen horizontalen Finanzausgleich, der die Leistungsfähigkeit der steuerschwachen Länder sichern sollte und eine unterschiedliche Belastung der Länder mit Ausgaben ausgleichen sollte. Von dieser Regelung war mithin nicht nur die Ermittlung der Steuerkraft, sondern auch des Bedarfs, der Belastungen erfasst. Da sich diese Kombination aus Steuerkraft- und Lastenausgleich nach Auffassung der vom Bundesminister der Finanzen 1953/1954 eingesetzten Studienkommission zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs in der Praxis nicht bewährt habe, habe der für die heutige Fassung des Art. 107 GG verantwortlich zeichnende Vermittlungsausschuss einen bedarfsorientierten Verteilungsgrundsatz ausdrücklich abgelehnt: „Da der Bedarf – vielleicht: leider – nicht objektivierbar ist, liefe ein derartiger Maßstab immer nur auf eine politische Ermessensentscheidung hinaus, die naturgemäß im wesentlichen von dem mächtigsten Partner, dem Bund, bestimmt würde“. 7 BVerfGE 72, 330 (400); E 101, 158 (228); Peter Michael Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 93. 8 Vgl. Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 32: „Kein Land ist durch eine aufgabenidentische Sonderstellung herausgehoben“. 9 Klaus Vogel / Paul Kirchhof, BK, GG, Art. 107, Rn. 154 (Hervorhebungen im Original); ebenso Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 39. Vgl. auch die dortigen Ausführungen zu einer verantwortlichen Haushaltsführung neben dem „Verbot, die Lastenverantwortung eines Landes auf die parlamentarisch und demokratietheoretisch anonyme Größe der Ländergesamtheit abzuwälzen“:

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Darüber hinaus hängt die Höhe eines konkreten Bedarfs nicht nur von „vorgefunden Daten“ ab, sondern auch von einer politischen Entscheidung über „Dringlichkeit, Intensität und Zeitpunkt“ der Bedarfserfüllung. Der Finanzbedarf eines Bundeslandes wird von der Nachfrage nach öffentlichen Leistungen, „vom Ausmaß und der Qualität der Bedarfsdeckung (dem Versorgungsniveau) und den dadurch entstehenden Kosten (Kostenniveau) bestimmt“. Diese Vorgaben können die Bundesländer autonom, durch eigene politische Entscheidungen beeinflussen und müssen dies teilweise wegen Art. 109 Abs. 2 GG sogar. Außerdem würde die Einberechnung spezieller Bedarfsmerkmale dazu führen, dass sich einzelne Ausgleichsansprüche gegenseitig aufheben und die Länder versuchen würden, „durch ‚Gegenrechnungen‘ immer neue Bedarfsmerkmale geltend zu machen“ 10.

– „Das Anliegen einer ‚sparsamen‘ Haushaltsführung verbietet einen Ausgleichsmaßstab, der bei besonders hohen Ausgaben besonders hohe Ausgleichszahlungen zuweist. Ein solcher, auf die ‚Deckungsquote‘ abhebender Maßstab würde einen Inflationswettlauf unter den Ländern anregen. Ein Land ist umso ausgabenfreudiger, je mehr es die Hoffnung hat, einen Teil der Ausgabelasten bei der Ländergesamtheit ‚refinanzieren‘ zu können. Besondere Sparsamkeit hätte zur Folge, dass das sparsame Land beim horizontalen Finanzausgleich vermehrt belastet werden könnte. – Die Verpflichtung auch der Länderhaushalte auf ein ‚gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht‘ (Art. 109 Abs. 2 GG) erwartet von der Länderhaushaltswirtschaft Anreize für eine Stabilitäts- und Wachstumspolitik. Könnte ein Bundesland hingegen einen konkreten Bedarf abwälzen, so würde der Anreiz geschwächt, konkrete Bedarfssituationen zu mindern oder vorbeugend zu vermeiden. Die Bedarfspolitik würde eher passiv; Leistungsanreize würden ausgehöhlt. – Die Finanzautonomie der Länder setzt voraus, dass die finanzschwachen Länder grundsätzlich den Willen zur Selbsthilfe haben, also ihre Finanzpolitik darauf anlegen, aus eigener Kraft ihren Finanzbedarf decken zu können. Dieser für die gesamte Finanzverfassung unverzichtbare Wille zu eigenständiger Überwindung einer Finanzschwäche würde gefährdet, wenn im horizontalen Finanzaugleich ein Instrument bereitstünde, mit dem die finanzschwachen Länder ihren Bedarf ohne eigene Anstrengungen decken könnten. – Würde die Ländergesamtheit den konkreten Bedarf eines Landes ausgleichen, so würde sie damit naturgemäß die Erwartung verbinden, dass in Zukunft diese Bedarfsposition entfallen werde. Daraus ergäbe sich zumindest die faktische Verpflichtung des empfangenden Landes, seine zukünftige Ausgabengestaltung dieser Erwartung anzupassen. Der horizontale Finanzausgleich würde im Ergebnis eine Fremdbestimmung der Haushalte der finanzschwachen Länder zur Folge haben, also eine Konsequenz, die gerade der finanziellen Bestätigung und Stärkung der Finanzautonomie der Länderhaushalte zuwider liefe. Die Funktion des horizontalen Finanzaugleichs wäre in ihr Gegenteil verkehrt“. 10 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 37f.; vgl. bereits BVerfGE 1, 117 (133), welches den vorgebrachten Vorwurf, „dass die ausgleichspflichtigen Länder die Folgen fremder Willensentscheidungen zu tragen hätten“, für den konkreten Fall verneint; Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 578: „Eine besonders freigebige Ausgabenpolitik oder finanzautonome Entscheidungen eines Landes, Zahlungsverpflichtungen einzugehen, können nicht über das horizontale Ausgleichssystem anderen Ländern angelastet werden. In diesem Zielkonflikt zwischen bundesstaatlicher Autonomie und Solidarität setzt sich das Gebot der Selbstverantwortlichkeit durch“.

A. Sonderbedarfe

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Dennoch muss im Rahmen des Länderfinanzausgleichs ein durchschnittlicher „Bedarf“ ermittelt werden, denn nur so ist eine Vergleichbarkeit der Länder gewährleistet; eine Gleichheit in absoluten Beträgen erscheint bei der unterschiedlichen Größe und Bevölkerungsstärke nicht angemessen 11. Anliegen des Finanzausgleichs ist es, „die Annäherung der finanzwirtschaftlichen Ausstattung zwischen finanzstarken und finanzschwachen Ländern nach objektiven, der politischen Entscheidung des einfachen Gesetzgebers entzogenen Maßstäben zu ordnen“, wobei an die Objektivität, die Unbeeinflussbarkeit der Maßstäbe besondere Anforderungen gestellt werden, damit die wirtschaftlichen Folgen einer finanzpolitischen Entscheidung im jeweiligen Land verbleiben 12. Angemessener, geeigneter und sachgerechter Indikator für einen abstrakten Bedarf ist die Einwohnerzahl, denn die durch den Länderfinanzausgleich zu erreichende staatliche Autonomie kann nur erzielt werden, wenn in jedem Land 11 Vgl. hierzu auch Albert Hensel, Vierteljahresschrift für Steuer- und Finanzrecht 3 (1929), S. 1 (35ff.) und Johannes Popitz, Der künftige Finanzausgleich, S. 262ff., die ebenfalls einen abstrakten Maßstab wählten, der in die Einwohnerzahl mündete sowie den Überblick bei Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 33ff. Albert Hensel forderte ein „Gemeinschaftsexistenzminimum“, S. 6, das alle Ausgaben für Aufgaben umfasst, „die zu leisten ein – vom Willensentschluss des Gemeinwesens selbst unabhängiger – Zwang besteht“. Darüber hinaus sollte ein Mindestbestand an freiwilligen Aufgaben inbegriffen sein, da der Oberverband nicht alle finanziellen Betätigungen kontrollieren dürfe, da dies „dem Wesen der deutschen Selbstverwaltung notwendig widerstrebe“. Nur nicht beeinflussbare Strukturmerkmale dürften Eingang in den Lastenausgleich finden, an vorderster Stelle zu nennen sei die Bevölkerungszahl, die allerdings nach der Bevölkerungsstruktur (große Kinderzahl, Verhältnis von erwerbstätiger zu unterstützungsbedürftiger Bevölkerung, Ansteigen der Bevölkerungszahl innerhalb eines kurzen Zeitraums) verfeinert werden könne. Johannes Popitz forderte eine „Hinlänglichkeit“ der Finanzausstattung, S. 112ff. Der Finanzausgleich müsse dafür Sorge tragen, dass die jeweilige Gebietskörperschaft ihre gesetzlichen, wirtschaftlichen und sozialpolitisch zwangläufigen Ausgaben so decken könne, wie es durchschnittlich „zu einer minimal ausreichenden Befriedigung des vorhanden Bedarfs“ erforderlich sei. Der Begriff der „Hinlänglichkeit“ greife weiter als das Gemeinschaftsexistenzminimum, anerkenne einen Entschließungsspielraum für wirtschaftliche und sozialpolitische Entscheidungen und werde deshalb durch den Grundsatz der „Beweglichkeit der Steuern“ ergänzt, was bedeuten solle, dass der Inhaber der Steuerhoheit eigenverantwortlich über die Erfüllung der Aufgaben entscheide. „Dieser Vorschlag definiert also einen objektivierbaren Mindestbedarf, erweitert diesen um einen autonomen finanzwirtschaftlichen Handlungsspielraum, stützt diesen Finanzierungsspielraum aber auf die Leistungsfähigkeit der zugehörigen Abgabepflichtigen, nicht auf Ausgleichszahlungen anderer Gebietskörperschaften“. 12 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 32: „Die finanzwirtschaftlichen Folgen einer ‚Großzügigkeit‘ oder ‚Sparsamkeit‘ einer Entscheidung sollen bei dem jeweils entscheidenden Land verbleiben; die Ländergesamtheit darf weder die Ausgabefreudigkeit eines einzelnen Landes mittragen noch an dessen besonderer Sparsamkeit partizipieren. Der Finanzausgleich soll Unterschiede in vorgefundenen finanzwirtschaftlichen Daten, nicht die Folgen willentlicher Ausgabefreudigkeit oder Sparsamkeit unter den Ländern ausgleichen“.

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

zugunsten der Bürger ein Mindestmaß an öffentlichen Leistungen zur Verfügung steht und ein Mindestmaß an finanziellem Potential vorhanden ist, „über dessen Einsatz insbesondere auch für besondere gliedstaatsspezifische Betätigungen jedes Land und mittelbar seine Bürger durch die Wahl einer bestimmten Politik zumindest partiell selbst entscheiden“ 13. Die primäre Funktion dieses Faktors besteht nicht in der Schaffung eines abstrakten Bedarfsmaßstabs, sondern in der Vergleichbarmachung der unterschiedlichen Finanzaufkommen der Länder 14. Dies soll ausnahmsweise dort nicht gelten, „wo solche Angemessenheit aus vorgegebener struktureller Eigenart von Ländern“, wie bei den Stadtstaaten, von vornherein entfällt, dort sei „es gerechtfertigt, diesen Bezugspunkt – nach objektiven Indikatoren – zu modifizieren“ 15. Dies widerspricht dem Grundsatz, Sonderbedarfe nicht zu berücksichtigen, auch wenn das Bundesverfassungsgericht diesen postulierten Sonderbedarf als strukturelle Eigenart bezeichnet. Die Berücksichtigung von Sonderbedarfen stellt, wie oben dargelegt, einen Verstoß gegen Wortlaut, Systematik, Historie und Telos des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Darüber hinaus verstößt die Sonderbedarfsberücksichtigung auch gegen den föderativen Gleichheitssatz, da sie einzelne Länder ungerechtfertigterweise bevorzugt. Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG und der föderative Gleichbehandlungsgrundsatz schließen somit jegliche Berücksichtigung von Sonderbedarfen im Rahmen des eigentlichen Länderfinanzausgleichs aus. Richtiger Ort für Sonderbedarfszuweisungen, die erforderlich werden können, um das Gesamtziel des Länderfinanzausgleichs zu erreichen, allen Ländern die Möglichkeit zu geben, ihre verfassungsmäßigen Aufgaben autonom durchführen und ihren Bürgern ein Mindestniveau an öffentlichen Leistungen zur Verfügung stellen zu können, sind die vertikalen

13 Vgl. Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 293; Werner Heun in: Dreier, GG, Art. 107, Rn. 19, der allerdings auf den dahinter stehenden Gedanken einer „gleichmäßigen Pro-Kopf-Versorgung mit öffentlichen Leistungen“ verweist. 14 BVerfGE 101, 158 (228f.); Peter Michael Huber in: von Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 107, Rn. 97; BVerfGE 72, 330 (400f.): „Grundlage des Finanzkraftvergleichs können allerdings nicht die absoluten Erträge der Länder sein, weil die größeren Länder sonst allein wegen ihres Haushaltsvolumens und ungeachtet ihrer Leistungskraft ausgleichspflichtig würden. Deshalb werden die absoluten Erträge auf die jeweilige Einwohnerzahl der Länder umgerechnet. Darin liegt zwar zugleich die Berücksichtigung eines abstrakten, nämlich auf die Zahl der Einwohner bezogenen Kriteriums für den Mittelbedarf der Länder. Dieses Kriterium ist jedoch jedweder besonderen, aus spezifischen Situationen sowie eigenen Prioritäts- oder Dringlichkeitsentscheidungen der Länder herrührenden Ausgabenlast vorgelagert; es ist lediglich ein – als solcher unabdingbarer – Bezugspunkt, um das summenmäßige Finanzaufkommen im Hinblick auf die Erfüllung der den Ländern verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben zwischen diesen angemessen vergleichbar zu machen“. 15 BVerfGE 72, 330 (400f.).

A. Sonderbedarfe

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Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, in deren Rahmen die Leistungsschwäche eines Landes, auch die durch eine konkrete Belastung entstandene, Berücksichtigung finden kann 16. Dies setzt jedoch voraus, dass keinesfalls bestimmten, benannten Ländern explizit eine Sonderbehandlung zuteil wird. Die Bestimmungen im Maßstäbegesetz und Finanzausgleichsgesetz müssen vielmehr abstrakt, generell sowie potentiell allen Ländern zugänglich sein 17. Das neu geschaffene Maßstäbegesetz spricht bei der Berücksichtigung von Sonderbedarfen im Rahmen der Finanzkraft, von denen lediglich die „Einwohnerveredelung“ der Stadtstaaten übrig geblieben ist, allerdings ein besonderer Bedarf für dünn besiedelte Flächenländer neu hinzugekommen ist, in Anlehnung an die Judikatur des Bundesverfassungsgerichts und zur Umgehung des gleichheitsrechtlich problematischen Begriffs „Sonderbedarf“ deshalb von „abstrakten Mehrbedarfen“, die durch „strukturelle Eigenarten“ der Länder und ihrer Gemeinden begründet sind. In der Sache macht eine solche Formulierung jedoch keinen Unterschied. Es handelt sich immer noch um die Berücksichtigung eines Sonderbedarfs, nicht lediglich um eine abstrakte Bedarfsrechnung, wie das oben dargestellte am Einwohner orientierte Pro-Kopf-Aufkommen. Da im Rahmen der „Finanzkraft“ Sonderbedarfe – mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts – Berücksichtigung fanden und immer noch finden, soll auf deren Verfassungsmäßigkeit eingegangen werden, wobei besonderes Augenmerk auf ihrer Vereinbarkeit mit dem rechtsstaatlichen Willkürverbot, dem föderativen Gleichheitssatz liegt.

I. Generelle Voraussetzungen zur Berücksichtigung von Sonderbedarfen Sinn und Zweck des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG ist es, autonome Länder zu schaffen. Er muss willkürliche Kriterien bei der Gewährung von Sonderbedarfen vermeiden und maßstabsgerechte Verteilungskriterien verwenden 18. Berücksichtigt der Gesetzgeber Sonderbedarfe, muss diese Berücksichtigung dem föderativen Gleichheitssatz entsprechen. Dies bedeutet, die Berücksichtigung muss willkürfrei erfolgen und die Finanzen maßstabs- und systemgerecht verteilt werden. Der Bedarf muss sachgerecht erfasst werden und dem Land zugute kommen, dem der Sonderbedarf entstanden ist. Da der föderative Gleichbehandlungsgrundsatz in Verbindung mit dem Demokratieprinzip auch beinhaltet, dass einzelnen Ländern nicht zugemutet werden kann, innerhalb des horizontalen Ausgleichssystems

16 Klaus Vogel / Paul Kirchhof, BK, GG, Art. 107, Rn. 155; Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 293. 17 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 286. 18 BVerfGE 86, 148 (185) spricht von „objektivierbaren Indikatoren“.

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

aufgrund der freigebigen Ausgabenpolitik oder anderer haushaltsautonomer Entscheidungen eines anderen Landes in Anspruch genommen zu werden, genügen Sonderbedarfe nur dann dem föderativen Gleichheitssatz und können mithin nur berücksichtigt werden, wenn sie in einem Land Ausgaben abdecken, die in anderen Ländern nicht oder nur in geringerem Umfang anfallen und außerdem nicht auf autonomen Entscheidungen des betreffenden Landes beruhen. Ausgaben, die nicht auf autonomen Entscheidungen der einzelnen Länder beruhen, mithin Maßnahmen des Bundes, die einzelne Länder zugunsten der Ländergesamtheit mit Belastungen belegen, müssen als Sonderbedarf ausgeglichen werden, um nicht einzelne Länder (willkürlich) zu benachteiligen.

II. „Einwohnerveredelung“ der Stadtstaaten und Großstädte Einer dieser berücksichtigten Sonderbedarfe ist die „Einwohnerveredelung“ der Stadtstaaten 19. Hierbei werden gemäß § 9 Abs. 2 FAG deren Ausgleichsmesszahlen nicht wie die der übrigen Länder mit 100 v. H. gewertet, sondern mit 135 v. H. Damit fällt das Verhältnis zu ihrer Finanzkraftmesszahl günstiger aus. Der Formulierung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich nicht entnehmen, ob es die Einwohnerveredelung der Stadtstaaten für einen Sonderbedarf im eigentlichen Sinne hält oder für die Berücksichtigung der vorgefundenen „strukturellen Eigenart“. Es handele sich um die Folge einer „spezifischen Problematik des deutschen Bundesstaates“. Es sei sachgerecht, die Andersartigkeit der Stadtstaaten, etwa in der Form der Einwohnerveredelung, zu berücksichtigen. Die Andersartigkeit der Stadtstaaten betreffe nicht nur deren Nachbarländer und sei deshalb nicht in einem „regionalen Finanzausgleich“ zu lösen, sondern betreffe alle Glieder des Bundesstaats 20. Dennoch dürften Umfang und Höhe der Berücksichtigung nicht 19 Vgl. hierzu auch die ausführliche Darstellung bei Jürgen W. Hidien, Handbuch Länderfinanzausgleich, S. 171ff. 20 Anders etwa Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 598ff., der konstatiert, dass dieser Befund der Verschiedenheit von Flächenstaaten und Stadtstaaten nichts darüber aussage, ob es in den Stadtstaaten einen höheren allgemeinen Finanzbedarf gebe oder nicht. Den aus der Andersartigkeit folgenden höheren Bedarf bejahe das Gericht erst indirekt, nachdem es die Kriterien für den Grad der Einwohnerveredelung bestimmt habe. Ansatzpunkt sei der Vergleich von Stadtstaaten mit vergleichbar großen Städten in einem Flächenland. Dieses Vergleichspaar sei deshalb aufschlussreich, weil dabei deutlich werde, dass auch nach Auffassung des Gerichts nicht die hohe Bevölkerungszahl und die Einwohnerballung gemäß dem Brecht/Popitzschen Gesetz für den höheren Bedarf der Stadtstaaten ausschlaggebend sei, sondern ihr Charakter als „Ballungszentrum ohne Umland“. Das Gericht sieht den höheren Finanzbedarf mithin nicht intern, sondern extern begründet, ökonomisch gesprochen sieht es für die Stadtstaaten negative Spillover-Effekte. Diese Regelung belaste die Ländergesamtheit, also auch diejenigen Länder, die keine Vorteile aus den sog. SpilloverEffekten zögen. Deshalb sei durchaus ein Herauslösen der Stadtstaatenproblematik aus dem Länderfinanzausgleich zu erwägen. Eines soll nach Stefan Korioth jedoch nicht erwogen werden: der ersatzlose Wegfall der Einwohnerveredelung zugunsten der Stadtstaaten.

A. Sonderbedarfe

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willkürlich sein; insoweit bestehe ein Prüfauftrag des Gesetzgebers, etwa durch einen Großstadtvergleich 21. Somit ist das Bundesverfassungsgericht zurückhaltend mit der Anerkennung eines Sonderbedarfs, verlangt jedoch zumindest die Einhaltung der für die Berücksichtigung eines solchen notwendigen Voraussetzungen. Dem Prüfauftrag ist der Gesetzgeber durch ein vom Bundesministerium für Finanzen in Auftrag gegebenes Gutachten nachgekommen 22. Dieses kam auf der Grundlage eines Großstadtvergleichs zu dem Ergebnis einer angemessenen Einwohnerveredelung von 125 bis 141 v. H. für Hamburg und 127 bis 143 v. H. für Bremen. Die auf dieser Grundlage vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung, den Satz von 135 v. H. für alle Stadtstaaten beizubehalten, hat das Bundesverfassungsgericht gebilligt 23. Mittlerweile hat der Gesetzgeber auch das Land Berlin mit dem gleichen Satz in die Stadtstaatenregelung aufgenommen. Legt man diese Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu Sonderbedarfen zugrunde, ist die Stadtstaatenregelung wohl prinzipiell mit dem föderativen Gleichheitssatz vereinbar. Mit der Einwohnerveredelung soll die Vergleichbarkeit der Länder unter Rücksicht auf ihre unterschiedliche Bevölkerungsstruktur 24, anders ausgedrückt die „Vergleichbarkeit des finanzkraftrelevanten Aufkommens aller Länder gewährleistet werden“ 25. Die vermeintliche Besserstellung der Stadtstaaten trägt einem erhöhten Finanzbedarf bei steigender Siedlungsdichte Rechnung; außerdem wird auf diese Weise berücksichtigt, dass die Stadtstaaten in besonderer Weise als Ballungszentren Leistungen für Umlandbewohner erbringen, ohne dafür Einnahmen zu erhalten, sogenannte negative spill-over-Effekte 26.

Allerdings ist die Entscheidung des Gesetzgebers, die Problematik der Stadtstaaten im Rahmen des Finanzausgleichs zu lösen, nicht grob fehlerhaft oder sachwidrig. In der Problematik der Stadtstaaten ein Problem des Gesamtstaates zu sehen und nicht nur ein solches der Profiteure der Spillover-Effekte ist durchaus angemessen. Dies liegt im Gestaltungsraum des Gesetzgebers und kann, solange dieser den föderativen Gleichheitssatz einhält, nicht vom Bundesverfassungsgericht gerügt werden, da die Erstinterpretation der Verfassung beim Gesetzgeber liegt. Das eigentliche Problem liegt an einer anderen, vorgelagerten Stelle: Die Frage ist nämlich, ob die Berücksichtigung von strukturellen Eigenarten oder Sonderbedarfen der Stadtstaaten nicht bereits generell grob fehlerhaft ist, ob sich ein erhöhter Bedarf der Stadtstaaten heutzutage überhaupt generell begründen lässt oder ob bereits die generelle Berücksichtigung eines stadtstaatenbedingten Sonderbedarfs den föderativen Gleichheitssatz verletzt. 21 BVerfGE 72, 330 (415f.). 22 Vgl. hierzu BVerfGE 86, 148 (179). 23 BVerfGE 86, 148 (238 bis 248); dagegen sieht Bernhard Dietrich, Prinzip der Einwohnerveredelung, S. 207, die Notwendigkeit einer Differenzierung in der Art und Weise, dass Berlin mit 150 v. H., Hamburg mit 135 v. H. und Bremen mit 115 v. H. zu berücksichtigen sei. Bei ordnungsgemäß ausgeführten Prüfaufträgen liegt diese Entscheidung jedoch im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers. 24 Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 588. 25 Michael Thöne / Christian Jacobs, Länderfinanzausgleich in Deutschland, S. 24.

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Gegen diese Ansicht finden sich erhebliche Bedenken, insbesondere zwischen der kausalen Verknüpfung zwischen der Natur der Stadtstaatlichkeit und dem erhöhten Finanzbedarf 27. Eine „progressive Parallelität“ zwischen Ausgaben und Bevölkerungsmassierung sei heutzutage empirisch nicht (mehr) nachweisbar; spill-in-Effekte würden die Ausgaben des Stadtstaates für das Umland wieder ausgleichen 28.

26 BVerfGE 72, 330 (372ff.); Thomas Lenk, Aspekte des Länderfinanzausgleichs, S. 7; ausführlich: Bernhard Dietrich, Prinzip der Einwohnerveredelung, S. 91ff.; grundlegend zur Einwohnerveredelung: Arnold Brecht, Internationaler Vergleich der öffentlichen Ausgaben, S. 6ff.; Johannes Popitz, Der künftige Finanzausgleich, S. 262ff., insbesondere S. 279ff.; vgl. auch zur Geschichte der Einwohnerveredelung seit 1950: Gunnar Folke Schuppert / Frank Dahrendorf, Aspekte des Länderfinanzausgleichs, S. 53ff. 27 Vgl. Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 35f.: „Eine objektive (Mindest-)Bedarfsanalyse greift somit traditionell auf das Kriterium der Einwohnerzahl zurück. Soweit diese Bemessungsgrundlage entsprechend einer ‚parallelen Progression zwischen Ausgaben und Bevölkerungsmassierung‘ gewertet wird, soll diese ‚Veredelung‘ ihrer historischen Bedeutung nach zumindest theoretisch nur einen Finanzausgleich korrigieren, der nicht schon durch eine Verteilung nach Einwohnerzahl (Kopfquoten) die Hinlänglichkeit der Finanzausstattung sichert. Die Grundannahme der ‚veredelten Einwohnerzahl‘ (Tote-SeelenPrinzip) muss deshalb jedenfalls für ein Ausgleichssystem erneut überprüft werden, das neben dem Grundsatz des ‚örtlichen Aufkommens‘ auch eine Umsatzsteuerverteilung nach Einwohnerzahl kennt und erst danach einen auf die Einwohnerzahl bezogenen horizontalen Finanzausgleich vorsieht“. 28 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 298; Bernhard Dietrich, Prinzip der Einwohnerveredelung, S. 236; vgl. auch die ausführliche Kritik bei Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 115f.: – „Die Einwohnerzahl einer Gemeinde hängt nicht mehr nur von soziologisch vorgefundenen Siedlungsstrukturen und Siedlungsdichten, sondern auch von politischer Entscheidung ab. Gerade die Verwaltungsreformen und kommunalen Gebietsreformen des vergangenen Jahrzehnts haben gezeigt, dass die Gemeindegröße kein vorgefundenes Datum, sondern Ergebnis politischer Entscheidungen ist, im übrigen die Einwohnerzahl auf die politische Größe ‚einer Gemeinde‘, nicht auch auf deren Fläche bezogen wird und deshalb nicht notwendig eine stärkere Zusammenballung auf verhältnismäßig engem Raum ausdrückt. – Eine finanzwirtschaftliche Begünstigung der Ballungsgebiete hätte die raumordnungspolitisch unerwünschte Folge, dass die Tendenz zur räumlichen Konzentration gefördert und die Signalwirkung der Ballungsnachteile vermindert würde. – Eine veredelte Einwohnerzahl anerkennt wesentliche Bedarfsunterschiede zwischen Stadt und Land und widerspricht damit dem auf Annäherung der finanzwirtschaftlichen staatlichen Leistungen für jeden Bürger unabhängig von seinem Wohnort bestimmten Leitbild des horizontalen Finanzausgleichs. – Es ist sachlich unzutreffend, mit wachsender Einwohnerzahl nur eine Kostenzunahme zu beobachten, jedoch außer acht zu lassen, dass mit zunehmender Einwohnerzahl auch ein Rückgang administrativer Kosten verbunden sein kann (Skaleneffekt). In geringer besiedelten Gebieten können für bestimmte staatliche Finanzierungsaufgaben die größeren Entfernungen, die unzureichende Infrastruktur und ungenügende Kapazitätsausnutzungen kostensteigernd wirken, so dass ein progressiver Anstieg der Pro-Kopf-Ausgaben festzustellen ist.

A. Sonderbedarfe

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Diese Kritik macht eines deutlich: die strukturelle Andersartigkeit oder der Sonderbedarf der Stadtstaaten ist nicht „auf ewig perpetuiert“, eine Änderung dieser Praxis ist jederzeit möglich. Eine finanzausgleichsrechtliche Besserstellung, die ausschließlich an den Tatbestand „Stadtstaat“ anknüpft, führt zu einer ungerechtfertigten Privilegierung ohne Grundlage in der Sache und im Normtext 29. Der föderative Gleichheitssatz fordert vom Gesetzgeber, die Punkte, die eine Sonderbehandlung bestimmter Länder rechtfertigen, im Tatbestand zu benennen, zu begründen und regelmäßig zu überprüfen. Dies hatte der Gesetzgeber bis zur Einführung des Maßstäbegesetzes nicht getan, es war lediglich die Einwohnerveredelung der Stadtstaaten „in Zahlen“ vorgesehen; der Grund der Sonderbehandlung, ein möglicherweise bestehender Sonder- oder Mehrbedarf der Stadtstaaten ließ sich dem Normtext nicht entnehmen, eine Erwähnung in der Gesetzesbegründung ist für den föderativen Gleichheitssatz nicht ausreichend. Schließlich ist die Behauptung der unverfügbaren strukturellen Eigenart der Stadtstaaten vor dem föderativen Gleichbehandlungsgebot nicht zu rechtfertigen. Auch in anderen Ländern existieren ähnliche ausgabenrelevante Eigenheiten, die in ähnlicher Weise einen Mehrbedarf begründen können. Zu nennen sind hier beispielsweise die vom Bundesverfassungsgericht angesprochenen dünn besiedelten Flächenländer des Ostens, aber auch die Gebirgs- oder Meeresanrainerländer, welche die Versorgung der Bevölkerung in den Alpen oder auf den Nordseeinseln sicherstellen müssen 30. – Die empirische Beobachtung von überproportional ansteigenden Ausgaben bei wachsender Einwohnerzahl beweist nur steigende Ausgaben, nicht einen steigenden Bedarf. Das Angebot staatlicher Daseinsvorsorge, insbesondere auf dem Kultur-, Sport- und Freizeit-, Bildungs- und Sozialsektor hängt weitgehend von politischen Entscheidungen, nicht von unausweichlichen Bedürfnissen ab. – Die Bereitschaft großer Städte, ein finanzstaatliches Leistungsangebot auch für das Umland bereit zu halten (‚zentralörtliche Funktion‘), wird teilweise bereits durch eine Bundesmitfinanzierung (Art. 91a, b, Art. 104a Abs. 2 bis 4, Art. 87 Abs. 3, Art. 106 Abs. 8 GG) ausgeglichen und kann zumindest insoweit nicht im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs ein zweites Mal einberechnet werden. Eine Mitfinanzierung des Bundes findet insbesondere in den Aufgabenbereichen Kultur, Verkehr, Soziales, Förderung von Naturschutz und Wasserwirtschaft statt“. 29 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 298. 30 Vgl. Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 300f., der darauf hinweist, dass eine Sonderbehandlung der Stadtstaaten auch deshalb in keiner Weise gerechtfertigt sei, da die Stadtstaateneigenschaft „keine von der Verfassung in irgendeiner Weise privilegierte Länderstruktur“ sei. Das Grundgesetz weise vielmehr auch die Stadtstaaten in der Präambel schlicht als „Länder“ aus und gebe ihnen keine weiter gehenden Rechte als den Flächenländern. Ein die stadtstaatliche Privilegierung festschreibender Gesetzesvorschlag des Bundesrates sei gescheitert; vgl. § 1 des Gegenvorschlags des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz) vom 9. 4. 1954, BT-Drucks. II/480, Anlage B, S. 201.

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Diese Sonderbedarfe können sich in den einzelnen Ländern unterscheiden, müssen jedoch nach Lesart des Bundesverfassungsgerichts eine strukturelle Eigenart beschreiben und der politischen Entscheidung des Gesetzgebers entzogen, also unverfügbar sein. Inwieweit die genannten Mehrbedarfe nun tatsächlich unverfügbar sind oder auf politischer Dringlichkeitsentscheidung beruhen, sei an dieser Stelle dahingestellt 31, doch stellen diese Erfordernisse die gemeinsame Basis aller Sonder- und Mehrbedarfe dar, müssen deshalb aufgrund der föderalen Gleichbehandlungspflicht in allen Ländern berücksichtigt werden, in denen sie anfallen und so abstrakt umschrieben sein, dass prinzipiell jedes Land seine Sonderbedarfe geltend machen kann. Eine Sonderbehandlung der Stadtstaaten widerspricht dem föderativen Gleichheitssatz. Ebenso problematisch und mit dem föderativen Gleichheitssatz nicht vereinbar ist die Regelung bezüglich der Stadtstaatenförderung auch insoweit, als der Gesetzgeber das Land Berlin in die Förderung aufgenommen hat, ohne das Vorliegen essentieller Voraussetzungen zu überprüfen, also unter dem Gesichtspunkt föderativer Gleichbehandlung notwendige Prüfpflichten nicht wahrgenommen hat. Er konnte sich nicht darauf berufen, dass bei der Großstadt Berlin, die ebenso wie Hamburg und Bremen ohne Umland ist, in finanzieller Hinsicht ähnliche Bedürfnisse wie in den anderen beiden Stadtstaaten bestehen, insbesondere vor dem Hintergrund der immer noch gültigen teilungsbedingten Problematik in Berlin sowie dessen Enklavensituation innerhalb des ostdeutschen Landes Brandenburg 32. Des Weiteren hat er nicht überprüft, ob in anderen Ländern ähnliche Voraussetzungen vorliegen, die ebenfalls Ausdruck einer strukturellen Eigenart sind und einen Sonderbedarf rechtfertigen. Das Bundesverfassungsgericht hatte den Gesetzgeber aufgrund der Einbeziehung der neuen Bundesländer in den Finanzausgleich insbesondere aufgefordert, „die Finanzkraft der Stadtstaaten der Finanzkraft dünn besiedelter Flächenländer gegenüberzustellen und zu prüfen, ob eine Ballung der Bevölkerung in einem Land oder eine unterdurchschnittliche Bevölkerungszahl einen abstrakten Mehrbedarf pro Einwohner rechtfertigen kann“ 33. Eine Auseinandersetzung mit der Stadtstaatenregelung aufgrund der neuen Situation „Deutsche Einheit“ hat mithin überhaupt nicht stattgefunden, so dass der Gesetzgeber seinen Prüfpflichten nicht nachgekommen ist, noch nicht einmal den Ist-Befund sachgerecht zusammengestellt hat. Zwar hat er im neuen Maßstäbe- und Finanzausgleichsgesetz auch für dünn besiedelte Flächenländer eine Bedarfsmodifikation 31

Zu Recht zu letzterem tendierend: Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 115. Ebenso Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 299f., der bemängelt, dass es unter dem Gesichtspunkt der föderativen Gleichbehandlung bedenklich sei, dass der Gesetzgeber für alle drei Länder von einem gleichen oder zumindest sich nicht erheblich unterscheidenden Sonderbedarf ausgehe, obwohl aber zum Teil zwischen den Stadtstaaten beträchtliche Unterschiede bestünden, was sich auch in etwaigen Sonderbedarfen niederschlagen müsse. 33 BVerfGE 101, 158 (230). 32

A. Sonderbedarfe

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eingeführt, die diese Länder in höherem Maße berücksichtigt, allerdings geschah dies ohne Überprüfung und ohne sachgerechte Betrachtung der Datengrundlage, wie noch näher zu zeigen sein wird 34. Vor diesem Hintergrund muss die gesamte Sonderbedarfsregelung kritisch betrachtet werden. Bezüglich einer erhöhten Bedarfsberücksichtigung von Kommunen, gestaffelt nach Größe der Stadt und Siedlungsdichte, gilt ähnliches: „Die Dichteklausel des § 9 Abs. 3 Satz 2 FAG lässt nicht erkennen, ob sie ein empirisch nachweisbares Bedarfsindiz erfasst oder erfassen könnte. Die allein von der Anzahl der Einwohner pro Quadratkilometer eines Gemeindegebietes abhängige Einwohnerwertung modifiziert den Einwohnermaßstab durch frei gegriffene Größen und ist auch deshalb überprüfungsbedürftig“ 35. Mittlerweile gilt diese Bedarfsmodifikation nur noch für die in den Stadtstaaten sowie für die in den dünn besiedelten Flächenländern des Ostens gelegenen Gemeinden, während sie früher zugunsten aller großer Gemeinden auch in den Flächenländern galt. Zwar kommt der Gesetzgeber damit vermeintlich einer Forderung des Gerichts nach, indem er auch Gemeinden aus dünn besiedelten und infrastrukturschwachen Gegenden bedarfserhöhend in den Länderfinanzausgleich integriert 36, doch fehlt eine sachgerechte Auseinandersetzung, eine vom Bundesverfassungsgericht geforderte Überprüfung. Zudem ist eine doppelte Besserstellung der Stadtstaatenbewohner, einmal als Landeseinwohner und dann zusätzlich als Gemeindeeinwohner, mit dem föderativen Gleichheitssatz nicht zu vereinbaren und keinesfalls zu rechtfertigen 37. Auch der Umstand, dass

34 Vgl. BVerfGE 101, 158 (230): „Überprüfungsbedürftig ist auch die Einwohnergewichtung. Dabei hat das Maßstäbegesetz eine Gleichbehandlung aller Länder sicherzustellen. Umfang und Höhe eines Mehrbedarfs sowie die Art seiner Berücksichtigung dürfen vom Gesetzgeber nicht frei gegriffen werden. Sie müssen sich nach Maßgabe verlässlicher, objektivierbarer Indikatoren als angemessen erweisen“. 35 BVerfGE 101, 158 (231). 36 Dies ist auch rudimentär bereits in § 8 Abs. 3 MaßstG aufgenommen, allerdings ohne Maßstäbe zu setzen. Der Gesetzgeber wird nur umschreibend tätig und verharrt in vagen Kann-Regelungen. Zwingende Vorschrift, aus denen ein Maßstab abzuleiten wäre, ist § 8 Abs. 3 MaßstG nicht. 37 Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 116f., der in der Einwohnerveredelung einen Verstoß gegen den föderativen Gleichheitssatz, insbesondere gegen die realitätsgerechte Erfassung des Tatbestandes, gegen Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG sowie gegen den individualrechtlichen Gleichheitssatz sieht, da Einwohner der Stadtstaaten anders gewürdigt werden als Einwohner von Flächenländern: „Diese grundsätzliche Kritik am Prinzip der veredelten Einwohnerzahl verbietet es, bei der Einwohnerveredelung eine vermeintliche ‚Gesetzmäßigkeit‘ zu unterstellen. Der Angleichungsauftrag des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG fordert vielmehr eine sorgfältige Realitätsanalyse und -bewertung; die Angleichungspflicht gewinnt ihren Inhalt erst aus der Feststellung tatsächlicher Ähnlichkeiten oder Verschiedenheiten. [ . . . ] Deshalb darf der Gesetzgeber nicht unter Hinweis auf eine tradierte ‚Regel‘ die normative Bezugsgröße ‚Einwohner‘ in ihrer Gleichwertigkeit abändern, es sei denn der Tatbestand ‚Einwohner‘ wäre als Kostenfaktor empirisch nachweisbar je nach Gemeindegröße von unterschiedlichem Gewicht oder der Tatbestand ‚Einwohner‘ müss-

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

nur noch „ausgewählte“ Großstädte in den Genuss der Regelung kommen, ist vor dem Hintergrund des föderativen Gleichheitssatzes bedenklich.

III. Hafenlasten Ein ähnliches Problem stellt sich bei den Hafenlasten. Die Rechtsprechung schloss zwar die Berücksichtigung von Sonderbedarfen prinzipiell aus, erlaubte jedoch eine Berücksichtigung der Kosten für die Unterhaltung der Seehäfen. Sie durften aus traditionellen Gründen – sie waren schon in der Weimarer Republik in den Finanzausgleich aufgenommen – angemessen berücksichtigt werden 38. Diese Rechtsprechung wurde in der darauffolgenden Entscheidung bestätigt: Sonderlasten seien bei der Ermittlung der Länderfinanzkraft zwar grundsätzlich nicht zu berücksichtigen, allerdings sei es dem Gesetzgeber aus historischen Gründen erlaubt, bei der Erneuerung und Unterhaltung von Seehäfen eine Ausnahme zu machen. Entscheide er sich dazu, Seehafenlasten zu berücksichtigen, müsse er diese dann weder voll in Ansatz bringen noch ihre Höhe genau berechnen, sondern dürfe auf einen pauschalen groben Billigkeitsmaßstab abstellen, sofern sich Art und Höhe der Abgeltung durch Sachgründe rechtfertigen ließen und das föderative Gleichbehandlungsgebot nicht verletzt werde. Auf diese Weise bestätigte das Bundesverfassungsgericht die damalige Regelung des § 7 Abs. 3 FAG 1993 39. Die Nettobelastungen für Baumaßnahmen und Betrieb würden durch die dort genannten Beträge zur Hälfte in Ansatz gebracht.

te finanzverfassungsrechtlich entgegen dem Gleichbehandlungsanspruch jedermanns im Rechtsstaat, entgegen der gleichen Verantwortlichkeit des republikanischen Sozialstaats gegenüber jedermann und entgegen dem gleichen Zählwert jeder Stimme in einer Demokratie unterschiedlich gewichtet werden.“ Ziel des Finanzausgleich ist nämlich gerade eine Verhinderung der Besserstellung bestimmter Personengruppen; vielmehr will der Länderfinanzausgleich in seiner konkreten Ausgestaltung gerade zugunsten der Gleichstellung der Bürger und deren Versorgung mit öffentlichen Leistungen die Finanzkraft der Länder untereinander annähern. 38 BVerfGE 72, 330 (413f.): „Diese über 60jährige Tradition der Berücksichtigung von Hafenlasten im Länderfinanzausgleich erlaubt es dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungs- und Abgrenzungsbefugnis bei der Bestimmung der Finanzkraft gemäß Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG die Belastungen der Länder aus der Unterhaltung und Erneuerung ihrer Seehäfen anders als sonstige Sonderbedarfe einzelner Länder jeweils angemessen zu berücksichtigen“. 39 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz – FAG), erlassen als Art. 33 des Gesetzes über Maßnahmen zur Bewältigung der finanziellen Erblasten im Zusammenhang mit der Herstellung der Einheit Deutschlands, zur langfristigen Sicherung des Aufbaus in den neuen Ländern, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Entlastung der öffentlichen Haushalte (Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms – FKPG) vom 23. Juni 1993, BGBl. I, 1993, S. 977ff.

A. Sonderbedarfe

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Hierbei werde berücksichtigt, dass teilweise die Nutzen aus den Häfen in den entsprechenden Ländern verblieben und die Abgrenzung von Hafenlasten und allgemeinen Haushaltslasten mit Schwierigkeiten verbunden sei. Die Ermittlung einer „Eigeninteressenquote“ sei nicht erforderlich. Es sei dem Gesetzgeber auch erlaubt, die Hafenlasten von der Finanzkraftmesszahl abzuziehen, obwohl dann in einer Mehrzahl der Fälle keine Verbesserung der Finanzkraft um den in § 7 Abs. 3 FAG 1993 genannten absoluten Betrag eintreten würde, sondern ein geringerer Betrag, der sich aus der Relation der Finanzkraftmesszahlen der einzelnen Länder untereinander ergebe. Die Absetzung über die Finanzkraftmesszahl sei schon „traditioneller Bestandteil“ des Finanzausgleichs. Zwar habe es in der Weimarer Zeit vertikale Bundeszuweisungen gegeben, doch schon bei Einführung des Art. 107 Abs. 2 GG im Jahre 1955 habe das Finanzausgleichsgesetz einen Abschlag von der Finanzkraftmesszahl eingeführt 40. In der jüngsten Entscheidung verlangt das Bundesverfassungsgericht hingegen eine genaue Prüfung und Rechtfertigung bezüglich des Grundes und der Höhe der Hafenlasten und eine Vereinbarkeit des Hafenabzugs mit dem föderativen Gleichbehandlungsgebot. Es stellt fest: Die Berücksichtigung von Sonderbelastungen, die aus der Unterhaltung und Erneuerung von Seehäfen erwachsen, bedürfe der Rechtfertigung, welche das Finanzausgleichsgesetz jedoch nicht gebe. Solle es einem abstrakten Mehrbedarf der Küstenländer aufgrund ihrer geografischen Lage Rechnung tragen, so müsse der Gesetzgeber prüfen, ob ähnliche Mehrbedarfe existieren, die dann ebenfalls zu berücksichtigen seien 41. Dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist vollumfänglich zuzustimmen. „Die Dauer einer Ungleichbehandlung allein kann den Anforderungen des Grundgesetzes an einen Rechtfertigungsgrund [ . . . ] nicht genügen“ 42, dies 40

BVerfGE 86, 148 (236ff.). BVerfGE 101, 158 (229). 42 Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 294; vgl. auch Paul Kirchhof, Verfassungsauftrag, S. 109, der die Abgeltung von Sonderlasten als „von Anfang an strittig“ bezeichnet und hierfür auch Belege anführt; Josef Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders./Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band IV, 2. Aufl., § 98, Rn. 136; „Der favor traditionis ist kein zureichender Rechtfertigungsgrund“; vgl. auch Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 600ff.: Bereits die Annahme, dass eine Regelungstradition in der Lage sein solle, das Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG entnommene Verbot einer Sonderbedarfsberücksichtigung zu durchbrechen, stoße in der Literatur auf Kritik. Er ist allerdings der Meinung, dass der Ausgangspunkt des Gerichts, nämlich das Verbot der Einstellung von konkreten und abstrakten Sonderbedarfen der Modifizierung bedürfe. Es sei kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber diese nicht in den Länderfinanzausgleich einstellen dürfe, solange diese auf Faktoren beruhten, die den politischen Entscheidungen der Länder entzogen, nach objektiven oder objektivierbaren Kriterien zu ermitteln seien und das föderative Gleichbehandlungsgebot beachteten. Systematisch „wenig glücklich“ sei jedoch der summenmäßige Abzug von der Finanzkraftmesszahl. Es solle erwogen werden, die Hafenlasten an anderer Stelle in Ansatz zu bringen. 41

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

gilt auch und im Besonderen für Privilegien und Sonderrechte im Finanzverfassungsrecht, in dem der föderative Gleichheitssatz Beachtung findet. Auch die Ansicht, die Seehafenlasten „rechtfertigten sich aus der Besonderheit, dass insoweit ein politischen Manipulationen entrückter ‚naturgegebener‘ Sonderbedarf vorliege, der topographischen Gegebenheiten folge“ und aus dem Umstand, dass „die Vorhaltung der Seehäfen durch ihre wichtige Bedeutung im Hinblick auf den internationalen Wettbewerb für die gesamte deutsche Wirtschaft und somit für alle Bundesländer von Nutzen“ sei 43, genügt dem föderativen Gleichheitssatz aus mehreren Gründen nicht. So gibt es zum einen keinen Anhaltspunkt im Grundgesetz für eine finanzausgleichsrechtliche Sonderbehandlung der Meeresanrainerländer“ 44. Zweitens wird in der Literatur zurecht darauf hingewiesen, dass „durch die Ausweitung des Luftverkehrs der Transport zur See im Laufe der letzten Jahrzehnte stark zurückgegangen ist und diese Tendenz weiterhin zunimmt, außerdem eine Vielzahl außerhalb der Bundesrepublik gelegener europäischer Häfen für die Versorgung Deutschlands zur Verfügung stehen, [ . . . ] der Erhalt und die Erneuerung der betroffenen deutschen Seehäfen [ . . . ] immer weniger Maßnahmen dar[stellen], zu der die entsprechenden Landesregierungen gezwungen sind“. Ist jedoch der Erhalt der Seehäfen nicht (mehr) an deren besondere Bedeutung und ihre geografisch vorgegebene Lage gekoppelt, rückt er also mehr und mehr „in den Bereich der autonomen Entscheidungsmacht der Länder“, so verlieren die Seehafenlasten noch stärker ihre Qualität als unbeeinflussbare Sonderbedarfe und rücken in enge Nähe zur Existenzsicherung des Frankfurter Flughafens, der ebenfalls gesamtstaatliches Interesse genießt und von gesamtstaatlicher Bedeutung ist, aber nicht mehr oder weniger notwendig sowie nicht mehr oder weniger autonom ist als der Unterhalt der Seehäfen 45. Darüber hinaus macht der Vergleich mit dem Frankfurter Flughafen auch auf ein weiteres Problem aufmerksam, das auch das Bundesverfassungsgericht angesprochen hat: Selbst wenn die Seehafenlasten unbeeinflussbare Sonderbedarfe sein sollten, sucht man die Einbeziehung vergleichbarer Mehrbedarfe in anderen Ländern vergebens. Bei den der gliedstaatlichen Autonomie entzogenen Sonderbedarfen von gesamtstaatlicher Relevanz muss der Gesetzgeber die Regelung entweder so abstrakt gestalten, dass in allen Ländern vergleichbare Lasten in den Länderfinanzausgleich einbezogen werden oder er darf Seehafenlasten grundsätzlich nicht berücksichtigen 46. Hält er sich nicht an diese Vorgaben, liegt ein

43 44 45 46

So die Auffassungen Hamburgs und Bremens, vgl. BVerfGE 72, 330 (370). Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 295. Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 295f. Vgl. BVerfGE 101, 158 (229).

A. Sonderbedarfe

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Verstoß gegen den föderativen Gleichheitssatz vor. Da weder die eine noch die andere Alternative vorliegt, die Verfassung weder ausdrücklich die Seehäfen berücksichtigen will noch der Gesetzgeber alle vergleichbaren Lasten berücksichtigt, verletzt die Abgeltung von Seehafenlasten (in zunehmenden Maße) den föderativen Gleichheitssatz, erscheint in höchstem Maße willkürlich und ist daher verfassungswidrig 47. Der Bundesgesetzgeber hat sich im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens zum Maßstäbegesetz entschlossen 48, die Hafenlasten nicht mehr über einen Abzug bei der Finanzkraftmesszahl im Rahmen des Länderfinanzausgleichs, sondern als Sonderzuweisungen des Bundes nach Art. 104a GG zu regeln 49. Dies knüpft an die Regelung zur Zeit der Weimarer Republik an, als die Hafenlasten durch Zuwendungen des Reiches an die Länder finanziert wurden, damals aber noch als Teil des Länderfinanzausgleichs. Das Vorgehen des Gesetzgebers, die Hafenlasten nicht mehr als Abzug von der Finanzkraftmesszahl zu berücksichtigen, ist aufgrund ihrer dortigen Systemfremdheit zu begrüßen. Allerdings umgeht der Gesetzgeber auf diese Weise den mehrfach vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Prüfauftrag hinsichtlich der Höhe und der Berechtigung der Hafenlasten 50.

47

Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 296. Vgl. hierzu die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz – MaßstG), BT-Drs. 14/5951, S. 57: „Im Fall der Seehafenlasten sind sicherlich eine Reihe von Sonderlasten denkbar, die auch einen Bezug zu ihrer geografischen Lage haben und somit den Seehafenlasten mehr oder weniger ähnlich sind. Gleiches dürfte für andere Arten von Sonderlasten gelten. Da somit eine sachgerechte Abgrenzung bestimmter Sonderlasten gegenüber ähnlichen Sonderlasten nahezu unmöglich sein dürfte, ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers des Finanzausgleichsgesetzes infolge des Maßstabes der Gleichbehandlung stark eingeschränkt“. Vgl. ebenso die Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Gegenäußerung der Bundesregierung zu der Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf des Maßstäbegesetzes, S. 5: „Es ist davon auszugehen, dass eine sachgerechte Abgrenzung der Seehafenlasten gegenüber ähnlichen Lasten kaum gelingen wird. [ . . . ] Eine solche Darstellung müsste dem Gesetzgeber möglich sein, wenn er die von den Ländern vorgesehene alleinige Einbeziehung von Seehafenlasten als abstrakte Mehrbedarfe ermöglichen wollte“. 49 Gesetz über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen sowie Schleswig-Holstein für Seehäfen, erlassen als Art. 9 des Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) vom 20. Dezember 2001, BGBl. I, 2001, S. 3956ff. 50 BVerfGE 86, 148 (238); BVerfGE 101, 158 (229): „Soweit in § 7 Abs. 3 FAG Sonderbelastungen berücksichtigt werden, die aus der Unterhaltung und Erneuerung von Seehäfen erwachsen, bedarf dieses einer Rechtfertigung. Eine solche lässt das Finanzausgleichsgesetz nicht erkennen. Sollte durch diese Regelung einem abstrakten Mehrbedarf Rechnung getragen werden können, der wegen der geographischen Lage nur Küstenländer belastet, 48

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Entzieht sich der Gesetzgeber diesen Aufträgen, indem er die Geldzahlungen aus dem Länderfinanzausgleich heraus verlagert, in der Sache aber nichts verändert und die Geldzahlungen an anderer Stelle gewährt, so entlastet er zwar die übrigen Länder im Rahmen des horizontalen Finanzausgleichs, dem föderativen Gleichbehandlungsgebot genügt er jedoch nicht 51.

B. Inhalte des Maßstäbe- und Finanzausgleichsgesetzes Der Gesetzgeber ist dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts (zumindest unter formalen Aspekten) nachgekommen und hat am 9. September 2001 ein bis zum Jahre 2019 befristetes Maßstäbegesetz erlassen, das unverzüglich in Kraft trat. Dieses Gesetz gliedert sich in sechs Abschnitte, in zwei Abschnitte „Allgemeine Bestimmungen“ (§§ 1 bis 3 MaßstG) und „Schlussbestimmungen“ (§§ 13 bis 15 MaßstG) sowie gemäß den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in vier weitere Abschnitte, die den vier Stufen des Finanzausgleichs entsprechen: „Vertikale Umsatzsteuerverteilung (Artikel 106 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 1 GG)“ (§ 4 MaßstG), „Horizontale Umsatzsteuerverteilung (Artikel 107 Abs. 1 Satz 4 GG)“ (§ 5 MaßstG), „Länderfinanzausgleich (Artikel 107 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG)“ (§§ 6 bis 8 MaßstG) und „Bundesergänzungszuweisungen (Artikel 107 Abs. 2 Satz 3 GG)“ (§§ 10 bis 12 MaßstG). Dieses Maßstäbegesetz soll im Folgenden darauf untersucht werden, ob es den herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Aus diesem Maßstäbegesetz sollte der Gesetzgeber ein Finanzausgleichsgesetz entwickeln. Dieses hat der Gesetzgeber am 20. Dezember 2001 erlassen 52; es muss in die Überprüfung einbezogen werden.

so hat der Gesetzgeber zu prüfen, ob ähnliche Mehrbedarfe existieren, die dann ebenfalls berücksichtigt werden müssten“. 51 Daneben hat der Bundesgesetzgeber die Zahl der berücksichtigungsfähigen Seehäfen erweitert. Hinzugekommen sind zu den bereits berücksichtigten Seehäfen Hamburg, Bremerhaven und Emden (Niedersachsen) auch die Seehäfen der Länder Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Durch deren Aufnahme wurde zwar der Empfängerkreis erweitert, so dass nun wenigstens die Hafenlasten aller Meeresanrainerländer erfasst werden, doch finden sich keine Anhaltspunkte, dass ähnliche Bedarfslasten, die andere Länder für das gesamte Bundesgebiet bereithalten, wie etwa das Land Hessen mit dem Flughafen Frankfurt, ebenfalls berücksichtigt wurden, so dass dem föderalen Gleichheitssatz weder mit der Aufnahme weiterer Seehafenlasten noch der Ausgliederung der Hafenlasten aus dem Länderfinanzausgleich genügt wurde. 52 Gesetz über den Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern (Finanzausgleichsgesetz – FAG), erlassen als Art. 5 des Gesetzes zur Fortführung des Solidarpaktes, zur Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und zur Abwicklung des Fonds „Deutsche Einheit“ (Solidarpaktfortführungsgesetz – SFG) vom 20. Dezember 2001, BGBl. I, 2001, S. 3956ff.

B. Inhalte des Maßstäbe- und Finanzausgleichsgesetzes

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I. Allgemeiner Teil Die „allgemeinen Bestimmungen“ des Maßstäbegesetzes bestehen aus drei Paragraphen. Bereits diese werden den in sie gesetzten Anforderungen nicht gerecht. Gefordert wird vom Maßstäbegesetz, konkreter zu sein als die Verfassung, aber andererseits das Finanzausgleichsgesetz (vor-)zustrukturieren. Diese mittlere Ebene erreicht das Maßstäbegesetz selten. Die in dem Gesetz aufgestellte Behauptung des 1 Abs. 2 MaßstG („Die Maßstäbe konkretisieren die in Absatz 1 genannten Normen des Grundgesetzes“.) bleibt „fröhlicher Euphemismus“ 53. Prinzipiell bleiben bereits die „allgemeinen Bestimmungen“ des Maßstäbegesetzes sehr vage, setzen keine handhabbaren Maßstäbe und beschränken sich auf allgemeine Floskeln, die wenig zur föderativen Gleichbehandlung und zur Rechtssicherheit beitragen. So ist etwa § 2 Abs. 1 MaßstG vollständig entbehrlich: „Das Finanzausgleichsgesetz dient der Ableitung der konkreten jährlichen Zuteilungs- und Ausgleichsfolgen im Regelungsbereich des § 1 Abs. 1“, ebenso wie § 2 Abs. 3 MaßstG, der nur eine Selbstverständlichkeit normiert: „Die Regelungen [gemeint ist das Finanzausgleichsgesetz] müssen den Erfordernissen der Normenklarheit und der Normenverständlichkeit genügen“. Positiv hervorzuheben ist an dieser Stelle § 3 MaßstG, allerdings auch dieser mit gewissen Einschränkungen. Dieser zielt durchaus in die richtige Richtung und konkretisiert das Grundgesetz auf der vom Bundesverfassungsgericht intendierten mittleren Ebene: „Von Mehr- oder Mindereinnahmen gegenüber den länderdurchschnittlichen Einnahmen sowie von überdurchschnittlichen Mehreinnahmen oder unterdurchschnittlichen Mindereinnahmen je Einwohner gegenüber dem Vorjahr muss dem betreffenden Land ein Eigenbehalt verbleiben“. Zielrichtung dieses Paragraphen ist es, den hohen Grad an Umverteilung von den finanzstarken zu den finanzschwachen Ländern zu begrenzen. Allerdings fehlen auch an dieser Stelle die Maßstäbe, wie der „Eigenbehalt“ bemessen werden soll 54.

II. Die Steuerertragsverteilung Das Maßstäbegesetz regelt nach einem Paragraphen über die vertikale Umsatzsteuerverteilung (§ 4 MaßstG), welcher der Konkretisierung des Art. 106 GG dienen soll, die horizontale Steuerertragsverteilung ebenfalls in einem Paragraphen, nämlich in § 5 MaßstG. § 5 MaßstG beschäftigt sich jedoch nicht mit der horizontalen Steuerertragsaufteilung insgesamt, sondern ausschließlich mit der Umsatzsteuerverteilung und innerhalb dieses Bereichs nur mit der Bildung (Abs. 1) und der Vergabe (Abs. 2) von Umsatzsteuerergänzungsanteilen. 53 54

Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (347). Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (348).

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Gerade bei § 4 MaßstG, der einzigen Vorschrift zur vertikalen Umsatzsteuerverteilung des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 GG, wird die Vagheit und Floskelhaftigkeit des Maßstäbegesetzes deutlich. An dieser Stelle bleibt das Gesetz sogar hinter der Regelungsdichte der Verfassung zurück. Dies und die fehlende Maßstabsetzung werden von den Gesetzgebungsmaterialien selbst eingeräumt 55. § 4 Abs. 1 MaßstG beschreibt die Staatspraxis („Die vertikale Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern wird auf der Grundlage des Deckungsquotenprinzips festgesetzt.“), die Absätze 2 (Familienlastenausgleich) und 3 (innerstaatliche Umsetzung der Maastricht-Kriterien) enthalten Absichtserklärungen 56. Auch bei der horizontalen Umsatzsteuerverteilung des § 5 MaßstG verwendet der Gesetzgeber viele unbestimmte Rechtsbegriffe, die abstrakter als die Verfassung sind: So heißt es in § 5 Abs. 2 MaßstG: „Die Vergabe von [Umsatzsteuer-] Ergänzungsanteilen dient der Verminderung besonders großer Unterschiede der Einnahmen im Sinne von Absatz 1“ 57. Eine Definition der großen Unterschiede bei den Steuereinnahmen unterbleibt jedoch ebenso wie eine solche der Verminderung 58, Absatz 2 bleibt ein inhaltsleerer Programmsatz. Auch hier gibt der Gesetzgeber ein vages Ziel vor, ohne maßstabbildend zu sein. Ebenso bleibt Absatz 1 vage. Auch hier werden keine Maßstäbe gebildet. Es wird lediglich konstatiert, dass Länder mit unterdurchschnittlichen Einnahmen Ergänzungsanteile erhalten sollen, aber wie groß das Zurückbleiben sein muss, in welcher Höhe die Anteile gewährt werden, wie das Nivellierungsverbot eingehalten werden oder nach welchem Maßstab die Ergänzungsanteile verteilt werden sollen – eigentlich die originäre Aufgabe des Maßstäbegesetzes – wird vollständig ausgeklammert. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich trotz des Maßstäbegesetzes in der Sache nichts geändert hat, insbesondere die „interessenbestimmte Verständigung über Geldsummen“ 59 weder ausgeschlossen noch erschwert wurde. Im neuen Finanzausgleichsgesetz 2005 bleibt die vertikale Umsatzsteuerverteilung vielmehr im Wesentlichen unverändert (§ 1 FAG). Änderungen gibt es im Rahmen der Umsatzsteuerergänzungszuweisungen. Es erhalten nicht mehr nur 55 Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (347); BT-Drs. 14/6533, S. 35: „Zwischen dem Bund und den Ländern bestehen weiterhin tief greifende Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung des Deckungsquotenverfahrens und die Frage getrennter Regelkreise beim Familienleistungsausgleich. Das Nähere wird noch in der laufenden 14. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages gesetzlich geregelt (vgl. gemeinsame Entschließung von Bundestag und Bundesrat)“. 56 So auch: Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (347). 57 In § 5 Abs. 1 MaßstG werden denjenigen Ländern Umsatzsteuerergänzungsanteile gewährt, die in ihren Einnahmen aus den Landessteuern, Einkommen- und Körperschaftsteuer sowie nach der Änderung des Föderalismusreform-Begleitgesetzes auch bei der Grunderwerbsteuer hinter dem Durchschnitt aller Länder zurückbleiben. 58 Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (347). 59 BVerfGE 101, 158 (217).

B. Inhalte des Maßstäbe- und Finanzausgleichsgesetzes

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diejenigen Länder Umsatzsteuerergänzungsanteile, deren Steuereinnahmen unter 92 v. H. des Länderdurchschnitts bleiben, sondern alle Länder mit unterdurchschnittlicher Finanzkraft. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 FAG nimmt der Auffüllungssatz, in Abhängigkeit von der Steuerkraft des Landes im Verhältnis zum Länderdurchschnitt, linear von 95 v. H. auf 60 v. H. ab. Hierfür hat der Gesetzgeber, wie übrigens auch im Rahmen des (ebenfalls abgeflachten) Tarifs der Abschöpfung und Auffüllung der Länderfinanzkraft im Länderfinanzausgleich (§ 10 Abs. 1 und 2 FAG), erstmals mathematische Formeldarstellungen gewählt 60. Dieses System ergibt sich jedoch nicht aus längerfristig festgelegten Maßstäben, sondern wurde vom Gesetzgeber gleichsam „willkürlich“ festgelegt und unterliegt einer jederzeitigen Änderungsmöglichkeit. Von der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Maßstabsbildung ist der Finanzausgleich und das Maßstäbegesetz somit noch weit entfernt. Das bisherige Maßstäbegesetz ist in keiner Weise in der Lage, die föderative Gleichbehandlung auch über einen gewissen Zeitraum hinweg und nicht nur punktuell sicherzustellen. So bleibt insbesondere § 4 MaßstG hinter dem zurück, was das Bundesverfassungsgericht vom Gesetzgeber verlangte. Danach war der Gesetzgeber verpflichtet, die „Grundsätze“ des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 und 2 GG zu bestimmen, die „laufenden Einnahmen“ und die „notwendigen Ausgaben“ zu definieren, sie von „sonstigen“ Einnahmen und Ausgaben abzugrenzen und sie so berechenbar zu machen, dass aus dem Maßstäbegesetz ein Verteilungsschlüssel abgeleitet werden kann. Dies alles ist nicht geschehen. Der Gesetzgeber hat sich auf die dargestellten Allgemeinheiten beschränkt. Maßstäbe hat er nicht normiert. Dabei hat das Gericht gerade im Bereich des Art. 106 GG deutlich dargelegt, welche Anforderungen es an das Maßstäbegesetz stellt. Der Gesetzgeber wird an dieser Stelle das Maßstäbegesetz nachbessern müssen. Er wird die laufenden Einnahmen und die notwendigen Ausgaben von sonstigen Einnahmen und Ausgaben auf abstrakter Ebene trennen müssen und zwar in der Form, dass hieraus ein allgemeines Schema abgeleitet werden kann, ein Grundkonzept, an dem sich der Finanzausgleichsgesetzgeber orientieren und aus dem er das Finanzausgleichsgesetz entwickeln kann. Ebenso ist der Gesetzgeber im Rahmen der horizontalen Umsatzsteuerverteilung den in ihn gesetzten Anforderungen nicht gerecht geworden. In § 5 MaßstG wird lediglich die Verfassung wiederholt, aber nicht die „Unterdurchschnittlichkeit der Einnahmen“ berechenbar definiert und so durch Maßstabsbildung zu einen „entwicklungsbestimmten Tatbestand“ gemacht. Auch die horizontale Umsatzsteuerverteilung bleibt weiterhin fast ausschließlich in § 2 FAG geregelt und somit „Jahresereignis“. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist die Einführung von mathematischen Formeln in § 2 FAG. Allerdings hätte es dieser Formeln

60

Vgl. auch Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (350).

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im Rahmen des Maßstäbegesetzes bedurft. Um die Umsatzsteuerverteilung im Sinne einer föderativen Gleichheit über mehrere Jahre fortschreiben zu können, hätte der Gesetzgeber die Formeln im Maßstäbegesetz verankern müssen und dort die den Formeln zugrundeliegenden Indikatoren über einen längeren Zeitraum beobachten und notfalls anpassen müssen. Die ausschlaggebenden Indikatoren für das Zustandekommen dieser Formeln hätten deutlicher zum Ausdruck gebracht werden müssen.

III. Der horizontale Finanzausgleich, insbesondere der angemessene Ausgleich Die Aussagen zum Länderfinanzausgleich (§§ 6 bis 9 MaßstG) bleiben ebenfalls hinter dem zurück, was als „mittlere Ebene“, als Maßstabgesetzgebung zwischen Grundgesetz und Finanzausgleichsgesetz möglich gewesen wäre. So wiederholt das Gesetz zunächst umschreibend den Verfassungstext, um sich dann in einzelnen Passagen dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts anzuschließen, wie etwa in § 6 MaßstG: „Der Finanzausgleich unter den Ländern dient der Annäherung ihrer Finanzkraft. Dabei sind die Eigenstaatlichkeit der Länder einerseits und ihre Einbindung in die bundesstaatliche Solidargemeinschaft andererseits zu berücksichtigen. Es bestehen Ausgleichsansprüche der Länder mit unterdurchschnittlicher Finanzkraft (ausgleichsberechtigte Länder) und Ausgleichsverbindlichkeiten der Länder mit überdurchschnittlicher Finanzkraft (ausgleichspflichtige Länder)“. Während der erste Satz die Aufgabenbeschreibung des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG wiederholt, lehnt sich der zweite Satz an die unbestrittene Rechtsprechung an 61. Das Gesetz versucht sich an einer Definition der Ausgleichsverpflichtung und Ausgleichsberechtigung der Länder, beschreibt dabei aber Allgemeinplätze, ohne maßstabsbildend zu sein. Ebenso wenig findet sich Maßstabbildendes in § 9 MaßstG, der die Ausgleichshöhe generell und maßstabsgerecht definieren will: „Der angemessene Ausgleich erfordert eine den ländereigenen Aufgaben entsprechende hinreichende Annäherung der Finanzkraft der Länder. Diese ist erreicht, wenn die Eigenstaatlichkeit der Länder und ihre Einbindung in die bundesstaatliche Solidargemeinschaft zugleich berücksichtigt wird. Auszuschließen sind sowohl eine entscheidende Schwächung der Leistungsfähigkeit der ausgleichspflichtigen Länder als auch eine Nivellierung der Finanzkraft der Länder. Der Länderfinanzausgleich darf weder die Finanzkraftabstände zwischen einzelnen Ländern aufheben, noch zu einer Verkehrung der Finanzkraftreihenfolge unter den Ländern führen“. § 9 MaßstG legt nun aber keine Tarife und Grenzen der Abschöpfung und Auffüllung von Länderfinanzkraft im Länderfinanzausgleich fest, sondern beschreibt Selbstverständlichkeiten, die an

61

Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (347).

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die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum angemessenen Ausgleich im Rahmen des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG angelehnt sind und umschreibt sogar vorangegangene Paragraphen des Maßstäbegesetzes selbst (vgl. § 9 Abs. 1 MaßstG und § 6 Abs. 1 MaßstG). Hierbei normiert der Gesetzgeber gleichsam im Vorbeigehen das verfassungsrechtliche Nivellierungs- und Schwächungsverbot, sowie das Verbot der Veränderung der Finanzkraftreihenfolge. Sehr konkret wird das Maßstäbegesetz allerdings in bestimmten finanzausgleichsrechtlichen Einzelfragen. Allerdings bleibt auch hier die vom Bundesverfassungsgericht angemahnte Maßstabbildung aus 62. So sollen zukünftig die Gemeindeeinnahmen grundsätzlich in voller Höhe in die Länderfinanzkraft einbezogen werden, § 7 Abs. 2 MaßstG: „Die ausgleichserheblichen Einnahmen nach Absatz 1 sind vorbehaltlich § 8 Abs. 4 in voller Höhe zu berücksichtigen“. Dies sollte aber dann wohl doch vermieden werden, so dass man – offenbar ergebnisorientiert – eine Ausnahmemöglichkeit in § 8 Abs. 4 MaßstG eingeführt hat: „Sofern eine umfassende Abbildung des kommunalen Finanzbedarfs nach Maßgabe der vorstehenden Absätze nicht möglich ist, muss dem insoweit nicht berücksichtigten abstrakten Mehrbedarf durch einen Abschlag von den nach § 7 ausgleichserheblichen Einnahmen der Gemeinden und Gemeindeverbände Rechnung getragen werden“. Von dieser Ausnahmemöglichkeit macht der Gesetzgeber in § 8 Abs. 3 FAG Gebrauch. Er sieht von der vollständigen Einbeziehung der Gemeindefinanzkraft in den Länderfinanzausgleich ab und hat eine Herabsetzung bei der Berücksichtigung der gemeindlichen Steuereinnahmen auf 64 v. H. normiert. Diese Zahl ist willkür62 Vgl. BVerfGE 101, 158 (229f.): „Auch bei der Ermittlung der Finanzkraft der Gemeinden ist es Aufgabe des Gesetzgebers, allgemeine Maßstäbe auszuformen und festzulegen, um dann entscheiden zu können, welche der kommunalen Einnahmen bei der Ermittlung der kommunalen Finanzkraft außer Betracht bleiben dürfen. Der bereits im Urteil vom 27. Mai 1992 (vgl. BVerfGE 86, 148 [227 ff.]) enthaltene Prüfungsauftrag und die dort dargelegten Bedenken gegen die Nichtberücksichtigung des Aufkommens aus den Konzessionsabgaben veranschaulichen exemplarisch die Bedeutung allgemeiner Maßstäbe für die Bestimmung der Finanzkraft. Für diese Abgaben macht es keinen Unterschied, ob die jeweiligen Einnahmen aufgrund von öffentlich-rechtlichen Zahlungsverpflichtungen erhoben oder vertraglich vereinbart werden (vgl. BVerfGE 72, 330 [412 f.]; 86, 148 [216]). [ . . . ] Bei der Ausformung der Begriffe Finanzkraft und Finanzbedarf der Gemeinden wird der Gesetzgeber auch zu entscheiden haben, in welcher Höhe die zu berücksichtigenden gemeindlichen Steuereinnahmen in die Berechnung der Finanzkraft einzustellen sind. Eine hälftige Kürzung der Steuereinnahmen (§ 8 Abs. 5 FAG) wurde im Urteil vom 27. Mai 1992 (vgl. BVerfGE 86, 148 [231 ff.]) als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen, allerdings mit einem Prüfauftrag an den Gesetzgeber verbunden. Dieser Auftrag ist noch nicht erfüllt. Bei der Regelung der verfassungskonkretisierenden Maßstäbe wird zusätzlich zu berücksichtigen sein, dass das Grundgesetz die finanzielle Eigenverantwortung der Kommunen nunmehr ausdrücklich anerkennt (Art. 28 Abs. 2 Satz 3 GG) und den Gemeinden einen eigenen Anteil an dem Aufkommen der Einkommensteuer (Art. 106 Abs. 5 GG) und an der Umsatzsteuer (Art. 106 Abs. 5a GG) garantiert. Diese gestärkte finanzwirtschaftliche Unabhängigkeit und Verselbständigung der Kommunen modifiziert die bisherige Zweistufigkeit der Finanzverfassung“.

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lich gegriffen. Des Weiteren wurden Prüfaufträge des Bundesverfassungsgerichts nicht verwirklicht und die „gestärkte finanzwirtschaftliche Unabhängigkeit und Verselbständigung der Kommunen“ 63 nicht berücksichtigt, so dass nach dem oben Gesagten eine Verletzung des föderativen Gleichbehandlungsgebotes vorliegt. Wenig konkret ist auch § 8 Abs. 3 MaßstG, der dem Grunde nach die bisherige „Einwohnerveredelung“ für die Stadtstaaten erhält. Neu ist die Möglichkeit, im Finanzausgleichsgesetz für besonders dünn besiedelte Flächenstaaten ebenfalls eine „Einwohnerveredelung“ einzuführen. Von dieser Ermächtigung hat der Finanzausgleichsgesetzgeber in § 9 Abs. 2 und 3 FAG Gebrauch gemacht. Danach werden sowohl Landes- als auch Gemeindeeinwohner in den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg mit 135 v. H., die Gemeindeeinwohnerzahl in den Flächenländern Mecklenburg-Vorpommern mit 105 v. H., in Brandenburg mit 103 v. H., in Sachsen-Anhalt mit 102 v. H. sowie in den übrigen Ländern mit 100 v. H. gewichtet. Dies entspricht allerdings nur vermeintlich den Aufträgen des Bundesverfassungsgerichts, tatsächliche Sonderbedarfe einzelner Länder bei allen Ländern zu berücksichtigen, bei denen sie vorliegen. Tatsächlich ist das Maßstäbegesetz in dieser Beziehung noch weit davon entfernt, eine Gleichbehandlung aller Länder sicherzustellen. Die Möglichkeit, einen abstrakten Mehrbedarf nicht nur für die dicht besiedelten Stadtstaaten anzuerkennen, sondern auch für dünn besiedelte Flächenstaaten, die ebenso deutlich erhöhte Infrastrukturkosten aufweisen können, ist nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, bei der genau dies angeregt wurde 64, durchaus zu begrüßen, doch lässt die Art und Weise

63

BVerfGE 101, 158 (229). Vgl. BVerfGE 101, 158 (229f.): „Überprüfungsbedürftig ist auch die Einwohnergewichtung. Dabei hat das Maßstäbegesetz eine Gleichbehandlung aller Länder sicherzustellen. Umfang und Höhe eines Mehrbedarfs sowie die Art seiner Berücksichtigung dürfen vom Gesetzgeber nicht frei gegriffen werden. Sie müssen sich nach Maßgabe verlässlicher, objektivierbarer Indikatoren als angemessen erweisen (vgl. BVerfGE 72, 330 [415 f.]; 86, 148 [239]). [ . . . ] Die Einbeziehung der neuen Länder in den Länderfinanzausgleich macht es erforderlich, die Finanzkraft der Stadtstaaten der Finanzkraft dünn besiedelter Flächenstaaten gegenüberzustellen und zu prüfen, ob eine Ballung der Bevölkerung in einem Land oder eine unterdurchschnittliche Bevölkerungszahl einen abstrakten Mehrbedarf pro Einwohner rechtfertigen kann. [ . . . ] Bereits das Urteil des Senats vom 27. Mai 1992 (BVerfGE 86, 148 [236]) hat den Gesetzgeber mit der umfassenden Prüfung der Kriterien beauftragt, die einen abstrakten Mehrbedarf größerer Gemeinden bei der Erledigung kommunaler Aufgaben stützen sollen (§ 9 Abs. 3 FAG). Soweit der Einwohnermaßstab auch in Zukunft modifiziert werden soll, wird dieser Prüfungsauftrag umso dringlicher, als der Bedarf der neuen Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen durch die gegenwärtige Einwohnerwertung weniger Gewicht erhält [ . . . ], die Kosten vieler öffentlicher Leistungen in dünn besiedelten Gebieten deutlich höher liegen können als in den Städten, zudem die Gemeinkosten auf eine geringere Kopfzahl umgelegt werden müssen [ . . . ]. Die Dichteklausel des § 9 Abs. 3 Satz 2 FAG lässt nicht erkennen, ob sie ein empirisch nachweisbares Bedarfsindiz erfasst oder erfassen könnte. Die allein von der Anzahl der Einwohner pro Quadratkilometer eines Gemeindegebietes abhängige Einwohnerwertung 64

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der Umsetzung zu wünschen übrig: wieder lässt die Regelung jeglichen Maßstab vermissen, nach denen der Finanzausgleichgesetzgeber die Gewichtungsfaktoren als Ergebnis der Ermittlung erhöhten Finanzbedarfs bemessen könnte, und überantwortet die gesamte Entscheidung über die Einführung solcher abstrakten Mehrbedarfe sowie über deren Höhe dem Finanzausgleichsgesetz und damit dem Finanzausgleichsgesetzgeber 65. Darüber hinaus ist der Gesetzgeber auch im Bereich der Berücksichtigung abstrakter Mehrbedarfe seinen Überprüfungspflichten nicht nachgekommen 66. Teilweise maßstabsetzend ist § 8 Abs. 2 MaßstG: Abstrakte Mehrbedarfe dürfen nur berücksichtigt werden, wenn vergleichbare abstrakte Mehrbedarfe in anderen Ländern ebenfalls Berücksichtigung finden. Damit hat sich der Finanzausgleichsgesetzgeber jedoch überhaupt nicht mehr auseinandergesetzt. Es ist kein Rechtfertigungsgrund ersichtlich, warum Sonderbedarfe im Finanzausgleichsgesetz keine Berücksichtigung finden, obwohl § 8 Abs. 2 MaßstG dies eigentlich anordnet. Der Gesetzgeber weicht damit von selbstgesetzten Maßstäben ab, verletzt das Maßstäbegesetz und den föderativen Gleichheitssatz 67. Demgegenüber ist die Normierung der Berücksichtigung von „objektivierbaren Indikatoren“ wiederum lediglich ein formelhafter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die gesetzgeberische Zurückhaltung bei der Berücksichtigung von Sonderbedarfen ist zwar zu begrüßen, doch liegt in der Nichtberücksichtigung von weiteren Sonderbedarfen neben dem Stadtstaatenbonus ein Verstoß gegen den föderativen Gleichheitssatz 68. Zudem legt das Finanzausgleichsgesetz gleichheitswidrig für

modifiziert den Einwohnermaßstab durch frei gegriffene Größen und ist auch deshalb überprüfungsbedürftig (vgl. BVerfGE 72, 330 [415])“. 65 Die im Maßstäbegesetz vorgesehene und mittlerweile in Kraft getretene Kann-Regelung bezüglich der Berücksichtigung abstrakter Mehrbedarfe wurde übrigens zu Recht bereits im Gesetzgebungsverfahren von der PDS-Fraktion (skeptisch auch die SPD-Fraktion) gerügt, Beschlussempfehlung und Bericht des Sonderausschusses Maßstäbegesetz/ Finanzausgleichsgesetz vom 2. 7. 2001, BT-Drucks. 14/6533, S. 29: „Eine solche Regelung entspreche nicht dem Sinn und der Aufgabenstellung eines Maßstäbegesetzes, da die KannAusgestaltung die Berücksichtigung von Mehrbedarfen doch wieder dem freien Spiel der politischen Kräfte überlasse“. 66 So ebenfalls: Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (348). Die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Finanzausgleichsgesetzes, BR-Drucks. 734/01 vom 27. 01. 2001 S. 35, spricht allerdings von Modifizierungen „aufgrund vorliegender Gutachten“. 67 Vgl. auch Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 303f. 68 Insoweit scheint zumindest die Bundesregierung die Problematik verstanden zu haben, vgl. die Unterrichtung durch die Bundesregierung über ihre Gegenäußerung zu der Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf des Maßstäbegesetzes, BTDrucks. 14/5971, S. 6: „Die Interpretation des Prüfauftrags durch die elf Länder [ . . . ] versucht den Eindruck zu erwecken, als gewährleiste bereits der Prüfauftrag den Bestand der Einwohnerwertung für Stadtstaaten in der bisherigen Höhe“.

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bestimmte Länder sowohl auf kommunaler als auch auf Landesebene willkürliche Veredelungsquoten fest und definiert den Länderkreis nicht abstrakt. § 8 MaßstG enthält vier Absätze, von denen jeder den Begriff „abstrakter Mehrbedarf“ enthält. Damit wird dieser zwar als Tatbestandsmerkmal erstmals fassbar und vergleichbar 69; ob ein abstrakter Mehrbedarf jedoch überhaupt existiert, wurde bislang nicht geprüft, obwohl insoweit mehrere bundesverfassungsgerichtliche Prüfaufträge bestehen. Es ist insbesondere nicht ersichtlich, wozu in vier Absätzen ein etwaiger „abstrakter Mehrbedarf“ normiert werden muss, wenn Absatz 4 für die Berücksichtigung des Gemeindefinanzbedarfs dann am Ende nur lakonisch feststellt, dass für den Gesetzgeber „eine umfassende Abbildung des kommunalen Finanzbedarfs nach Maßgabe der vorstehenden Absätze nicht möglich ist, [ . . . ]“, und nach § 8 Abs. 3 FAG nur eine pauschale Berücksichtigung der Gemeindefinanzkraft mit 64 v. H. ihrer Einnahmen stattfindet, um diesen unterstellten, nicht überprüften „abstrakten Mehrbedarf“ zu berücksichtigen. Prinzipiell regelt unterhalb des Maßstäbegesetzes das Finanzausgleichsgesetz den Länderfinanzausgleich in seinen §§ 4 bis 10 FAG. Der Finanzkraftausgleich wird weiterhin durch Zuschüsse (Ausgleichsbeiträge) der ausgleichspflichtigen an die ausgleichsberechtigten Länder vorgenommen, welche Ausgleichszuweisungen erhalten. Er setzt dabei einen Vergleich der Länder in ihrer Finanzkraft voraus. Die Ausgleichsberechnung stützt sich auf die Finanzkraftmesszahl, § 6 Abs. 1 FAG, und Ausgleichsmesszahl, § 6 Abs. 2 FAG. Ausgleichspflichtig sind alle Länder, deren Finanzkraftmesszahl in dem Rechnungsjahr, für das der Ausgleich durchgeführt wird, ihre Ausgleichsmesszahl übersteigt, § 5 Abs. 1 FAG. Umgekehrt sind alle diejenigen Länder ausgleichsberechtigt, deren Finanzkraftmesszahl im Ausgleichsjahr ihre Ausgleichsmesszahl nicht erreicht, 5 Abs. 2 FAG. Nach § 6 Abs. 1 FAG besteht die Finanzkraftmesszahl eines Landes aus der Summe der Einnahmen der Länder nach § 7 FAG (§ 7 Abs. 1 FAG: Einkommen- und Körperschaftsteueranteil, Gewerbesteuerumlage, Vermögensteuer, Erbschaftsteuer, Biersteuer, Rennwett- und Lotteriesteuer mit Ausnahme der Totalisatorsteuer, Grunderwerbsteuer, Feuerschutzsteuer und Spielbankabgabe mit Ausnahme der Sonder- und der Troncabgabe sowie Länderumsatzsteueranteil; § 7 Abs. 2 FAG: Einnahmen aus der bergrechtlichen Förderabgabe) sowie der Einnahmen der Gemeinden nach § 8 FAG, die jedoch nach § 8 Abs. 3 FAG nur pauschal in Höhe von 64 v. H. angesetzt werden. Die Ausgleichsmesszahl nach § 6 Abs. 2 FAG ist

69 In diese Richtung auch Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 302, der darauf hinweist, dass das Maßstäbegesetz durch diese Definition des abstrakten Mehrbedarfs einen großen Schritt zur Erfüllung des föderativen Gleichheitssatzes gehe. Insbesondere § 8 Abs. 2 MaßstG, der „die Berücksichtigung eines abstrakten Mehrbedarfs eines Landes“ von der „Einbeziehung vergleichbarer abstrakter Mehrbedarfe anderer Länder“ abhängig mache, und § 8 Abs. 3 MaßstG, der die Berücksichtigung auch der abstrakten Mehrbedarfe dünn besiedelter Flächenländer ermögliche, versuchten eine Gleichbehandlung zu gewährleisten.

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die Differenz der getrennt festzustellenden Ländereinnahmen nach § 7 FAG sowie der Gemeindeeinnahmen nach § 8 FAG zum Durchschnitt der auszugleichenden Einnahmen je Einwohner im Bundesgebiet, vervielfacht mit der (eventuell nach § 9 FAG modifizierten) Einwohnerzahl des betreffenden Landes (also zu dem Betrag, den das Land erhielte, wenn der Länderertrag pro Kopf verteilt würde). Bei der Ermittlung der Länderfinanzkraft im Rahmen des Länderfinanzausgleichs wird jetzt eine breitere Bemessungsgrundlage zugrundegelegt, da nach dem neuen § 8 Abs. 3 FAG nicht mehr nur 50 v. H. der Gemeindeeinnahmen in die Länderfinanzkraft einbezogen werden, sondern nun 64 v. H. Diese pauschale Kürzung der Gemeindeeinnahmen ist mit Hinblick auf den föderativen Gleichheitssatz verfassungsrechtlich problematisch 70. In Ansatz gebracht werden soll durch diese pauschale Kürzung der Gemeindeeinnahmen der gemeindliche Finanzbedarf, der nach Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG berücksichtigt werden muss (vgl. hierzu § 8 MaßstG, insbesondere dessen Abs. 4, der eine pauschale Berücksichtigung des gemeindlichen Finanzbedarfs im Rahmen der Finanzkraft erlaubt, wenn eine „umfassende Abbildung des kommunalen Finanzbedarfs“ nicht möglich ist) 71. Die Ausgleichszuweisungen eines ausgleichsberechtigten Landes richten sich nach § 10 Abs. 1 FAG, die Ausgleichsbeiträge der ausgleichspflichtigen Länder nach Abs. 2. Für die Ausgleichszuweisungen hat der Gesetzgeber wiederum die Darstellung in mathematischen Formeln gewählt. So erhält ein Land am meisten, wenn seine Finanzkraftmesszahl weniger als 80 v. H. seiner Ausgleichsmesszahl beträgt, etwas weniger, wenn sie zwischen 80 v. H. und 93 v. H. beträgt und noch 70 Ebenso Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (350), Fn. 44: Da nur eine vollständige Einbeziehung der Gemeindefinanzen verfassungskonform sei, verzerre auch die pauschale Kürzung auf 64 v. H. der Gemeindeeinnahmen in § 8 Abs. 3 FAG ebenso wie die Vorgängerregelung die Ausgangsdaten und begünstige im Ergebnis diejenigen Länder mit überdurchschnittlich finanzstarken Kommunen, also insbesondere die westdeutschen finanzstarken Bundesländer. 71 Bezüglich des verfassungsrechtlichen Prüfauftrags und der pauschalen Einbeziehung der kommunalen Finanzkraft in Höhe von 64 v. H., vgl. die problematische Argumentation in der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Finanzausgleichsgesetzes, BR-Drucks. 734/01 vom 27. 01. 2001, S. 35: „Im Rahmen dieser Ausnahmemöglichkeit [des § 8 Abs. 4 MaßstG] ist der Gesetzgeber des neuen Finanzausgleichsgesetzes zu der Auffassung gelangt, die kommunale Finanzkraft nur zu 64 vom Hundert einzubeziehen. Zuvor hat er die offene Frage einer Berücksichtigung des abstrakten Mehrbedarfs durch objektivierbare Indikatoren einer Überprüfung unterzogen und ist damit einem ausdrücklichen Auftrag des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 101, 158, 230) an den Gesetzgeber nachgekommen. Zu diesem Zweck haben sowohl der Bund als auch die Länder wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag gegeben. Der Gesetzgeber hat die in den Gutachten nachgewiesene weitgehende, aber nach wie vor nicht vollständige Darstellung des kommunalen Finanzbedarfs durch Indikatoren berücksichtigt und dem nicht berücksichtigten abstrakten Mehrbedarf im Sinne des § 8 Abs. 4 MaßstG mit einem immer noch deutlichen, aber – gegenüber dem geltenden Recht – geringeren Abschlag Rechnung getragen“. Diese Indikatoren hat er jedoch im Maßstäbegesetz nicht dargelegt.

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geringer ist die Auffüllung bei einer Finanzkraftmesszahl über 93 v. H. Spiegelbildlich verhält sich Abs. 2 bei den ausgleichspflichtigen Ländern. Er verweist auf die jeweiligen Formeln bei einer Grenze von unter 107 v. H., zwischen 107 v. H. und 120 v. H. sowie über 120 v. H. Die Zuweisungen sind abgeflachter als nach dem früheren § 10 FAG, im Gegenzug ist die problematische, vom Bundesverfassungsgericht aber gebilligte „ausgleichsfreie Zone“, die eine Ausgleichspflicht erst ab einer Finanzkraftmesszahl von 102 v. H. begründete, weggefallen. Einer weiteren Forderung des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber in Abs. 3 nachgekommen: Übersteigen die Ausgleichsbeiträge 72,5 v. H. der Differenz zwischen Finanzkraft- und Ausgleichmesszahl eines ausgleichspflichtigen Landes, so wird der übersteigende Betrag von den ausgleichspflichtigen und den ausgleichsberechtigten Ländern jeweils zur Hälfte aufgebracht. Ein ausdrückliches Nivellierungsverbot oder ein Verbot der Veränderung der Finanzkraftreihenfolge ist in § 10 FAG nicht mehr erhalten, da dies wegen der neuen Formelberechnung nicht mehr notwendig ist. Auch eine „Ländersteuergarantie“ ist nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr enthalten, da die Länder eine finanzielle Ertrags- und Gefahrengemeinschaft darstellen und nicht einzelne Länder aus dieser Gefahrengemeinschaft entlassen werden können. Die Ländersteuergarantie sollte bewirken, dass jedes ausgleichsberechtigte Land nach Durchführung des Länderfinanzausgleichs annähernd 95 v. H. des Länderdurchschnitts erreichte. Dieses Ziel an sich stellte „eine vertretbare Balance zwischen Landesautonomie und bundesstaatlicher Solidargemeinschaft dar“, doch erfasste die Ländersteuergarantie bei der zu erreichenden Soll-Größe nur die Finanzkraft des Landes. Dies setzte sich in Widerspruch zu § 10 Abs. 1 und 2 FAG, die ebenfalls zum Ziel hatten, die Finanzkraft finanzschwacher Länder aufzustocken, hierbei jedoch auch die kommunale Finanzkraft berücksichtigten. Dieser mehrfache Maßstabswechsel genügte nicht dem Gebot einer voraussehbaren und überprüfbaren gesetzlichen Normierung, war nicht systemgerecht, verstieß aus diesem Grunde gegen den föderativen Gleichheitssatz und wurde zu Recht als mit der Verfassung unvereinbar eingestuft 72. Daneben konnte die Norm auch unter Umständen eine Änderung der Finanzkraftreihenfolge bewirken 73. Die Regelung des angemessenen Ausgleichs in den §§ 6 bis 9 MaßstG bleibt weit hinter dem zurück, was das Bundesverfassungsgericht an Voraussetzungen für eine Maßstabsgesetzgebung vorgegeben hat. Prüfaufträge wurden nicht erfüllt, zum Beispiel bezüglich der Hafenlasten, aber auch bezüglich der Berücksichtigung des kommunalen Finanzbedarfs. Ersteres wurde zur Umgehung einfach aus 72 Vgl. BVerfGE 101, 158 (231f.); vgl. auch Dieter Carl, Bund-Länder-Finanzausgleich, S. 88; sowie die ausführliche Darstellung mit Entstehungsgeschichte der Norm und berechtigter Kritik bei Ulrich Häde, Finanzausgleich, S. 278ff. 73 Vgl. BVerfGE 86, 148 (250ff.).

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dem Länderfinanzausgleich ausgeklammert, bei letzterem wurde der gerichtliche Prüfauftrag einfach ignoriert. Ebenso wurde eine höhere Einwohnerwertung für die dünn besiedelten Flächenländer des Ostens in das Finanzausgleichsgesetz aufgenommen, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies nicht verlangt hatte, sondern lediglich mit Blick auf die föderative Gleichbehandlung angemahnt hatte, zu überprüfen, ob es nicht gegen diese verstoße, nur bei den Stadtstaaten eine „Einwohnerveredelung“ vorzunehmen. Das Bundesverfassungsgericht wollte dem Gesetzgeber den „Ball zuspielen“, ihm die Möglichkeit geben, die nötigen Maßstäbe selbst zu setzen. Diese Vorlage hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Es wäre an ihm gewesen, die vom Verfassungsgericht aufgetragenen Prüfaufträge zu erfüllen und dann in Maßstäbe zu gießen. Er hätte aufgrund der föderativen Gleichbehandlung feststellen müssen, ob die Hafenlasten, die Einwohnergewichtung und die Berücksichtigung des kommunalen Finanzbedarfs wirklich erforderlich sind und hätte danach seine Gesetzgebungstätigkeit ausrichten müssen. Durch eine Überprüfung und Normierung im Maßstäbegesetz hätte er seinen Auftrag erfüllen können. Ansätze dazu sind, wie oben gezeigt, in § 8 Abs. 1 bis 3 MaßstG zu erkennen. Diese werden jedoch dadurch konterkariert, dass der Gesetzgeber die ihm obliegenden Prüfaufträge nicht erfüllt und seine Maßstäbe durch den § 8 Abs. 4 MaßstG ad absurdum geführt hat.

IV. Bundesergänzungszuweisungen Im Maßstäbegesetz und im Finanzausgleichsgesetz ersetzen terminologisch allgemeine Bundesergänzungszuweisungen die früheren Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen, allerdings mit abgeflachtem Tarif und verringertem Volumen (§ 11 Abs. 2 FAG) 74. Definiert sind sie in §§ 10 Abs. 1, 2 MaßstG sowie in § 11 Abs. 1, 2 FAG. Ganz ähnlich wie bei den Regelungen zum Länderfinanzausgleich verfährt der Gesetzgeber im Rahmen der Bundesergänzungszuweisungen (Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG) in § 10 Abs. 1 MaßstG, auch hier wiederholt er in Satz 1 den Verfassungstext, um sodann in den Sätzen 2 bis 4 die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Auszügen anzuschließen, allerdings ohne Maßstäbe zu setzen 75: „Bundesergänzungszuweisungen dienen dem ergänzenden Ausgleich im Anschluss an den Länderfinanzausgleich. Die Vergabe von Bundesergänzungszuweisungen setzt eine Leistungsschwäche des Empfängerlandes voraus. Leistungsschwach sind grundsätzlich nur ausgleichsberechtigte Länder. Die Leistungsschwäche ist anhand des Verhältnisses von Finanzaufkommen und Ausgabenlasten zu bestimmen“. Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Definition

74 75

Vgl. Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (351). Ebenso: Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (347).

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der Leistungsschwäche wird zwar auf den ersten Blick gegeben, allerdings handelt es sich auch bei dieser wieder um eine Umschreibung der Rechtsprechung, so dass das Maßstäbegesetz vage und unklar bleibt. Gegenüber den Verfassungsgerichtsurteilen gewinnt es keinen eigenständigen Gehalt. Zu allem Überfluss nimmt der Gesetzgeber in § 10 Abs. 3 Satz 1 MaßstG eine weitere Umschreibung der Bundesergänzungszuweisungen, wie sie im Verfassungstext angelegt sind, vor, allerdings auch hier ohne eigenständigen inhaltlichen Gehalt, ohne den Ansatz einer Maßstabgesetzgebung: „Bundesergänzungszuweisungen stellen eine nachrangige und ergänzende Korrektur des Finanzausgleichs unter den Ländern dar“. In § 11 Abs. 1 und 2 MaßstG beschreibt der Gesetzgeber ebensolche an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angelehnte Selbstverständlichkeiten wie in § 9 MaßstG, auf den er in Abs. 2 sogar teilweise verweist: „(1) Bei der Gewährung von allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen bestimmt sich die Leistungsschwäche eines Landes danach, ob dessen Finanzkraft im Anschluss an den Länderfinanzausgleich nach dem Prinzip des solidarischen Einstehens füreinander noch unangemessen im Verhältnis zur länderdurchschnittlichen Finanzkraft ist. Die Finanzkraft eines Landes ist unangemessen, wenn sie erkennbar unterhalb der länderdurchschnittlichen Finanzkraft liegt. (2) Eine Nivellierung der Finanzkraft der Länder durch allgemeine Bundesergänzungszuweisungen ist auszuschließen. § 9 Satz 4 gilt entsprechend“. Problematisch ist daneben der unbestimmte Rechtsbegriff der „Erkennbarkeit“, nicht nur weil er unbestimmter Rechtsbegriff ist und nicht deutlich wird, ab wann sich die Finanzkraft eines Landes „erkennbar“ unter dem „angemessenen“ Länderdurchschnitt befindet, sondern bereits aufgrund seiner Entstehungsgeschichte. So war im ersten Entwurf 76 des § 12 Abs. 3 MaßstG anstelle der „Erkennbarkeit“ eine erheblich prägnantere, präzisere und Maßstäbe setzende Formulierung zu finden: „Bundesergänzungszuweisungen stellen eine nachrangige und ergänzende Korrektur des Finanzausgleichs unter den Ländern dar. Dem ist bei der Bemessung des Gesamtumfangs der Bundesergänzungszuweisungen Rechnung zu tragen. Dieser darf daher im Gesamtvolumen des Finanzausgleichs unter den Ländern nicht beträchtlich sein. Abweichungen von Satz 3 sind aus besonderen Gründen und vorübergehend zulässig“. Diese Beträchtlichkeit wurde jedoch in den weiteren Verhandlungen zugunsten der Erkennbarkeit vor allem auf Betreiben der finanzschwachen Länder, die befürchteten, weniger Ergänzungszuweisungen zu erhalten, aufgegeben, obwohl Satz 4 des Entwurfs bereits ein „Hintertürchen“ enthielt.

76 Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz – MaßstG), vgl. BR-Drucks. 161/01, S. 11; BT-Drucks. 14/5951, S. 7.

B. Inhalte des Maßstäbe- und Finanzausgleichsgesetzes

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Auch bei den Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen beschränkt sich das Maßstäbegesetz zu einem Großteil auf Wiederholungen und Umschreibungen der bisherigen Rechtsprechung, Maßstäbe setzt es nicht, wie z. B. in § 12 Abs. 1 MaßstG: „Die Gewährung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen setzt voraus, dass die Sonderlasten benannt und begründet werden. Nur aus besonderen Gründen können Sonderlasten berücksichtigt werden. Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen dienen nicht dazu, aktuelle Vorhaben zu finanzieren oder finanziellen Schwächen abzuhelfen, die eine unmittelbare und voraussehbare Folge von politischen Entscheidungen eines Landes bilden. Auch kurzfristige Finanzschwächen können Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen nicht rechtfertigen. Die benannten und begründeten Sonderlasten müssen bei allen Ländern berücksichtigt werden, bei denen sie vorliegen“. Allerdings finden ebenso einige sehr konkrete, freilich wiederum nicht maßstabsbildende Normierungen in das Maßstäbegesetz Eingang. So werden z. B. Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen, grundsätzlich – in fast wörtlichem Anschluss an die Bundesverfassungsgerichtsrechtsprechung – eng gefasst, wegen des „bestehenden starken infrastrukturellen Nachholbedarfs und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft“ der neuen Bundesländer aber bereits im Maßstäbegesetz (§ 12 Abs. 5 MaßstG) festgesetzt. Im Rahmen der Regelungen über die Bundesergänzungszuweisungen ist in Ansätzen das Bemühen des Gesetzgebers zu erkennen, wenn auch nicht sehr detailreich, zumindest gewisse Voraussetzungen und Maßstäbe für diese aufzustellen, den föderativen Gleichheitssatz zumindest zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen 77. So schließen § 12 Abs. 1 Sätze 3 und 4 MaßstG bestimmte Gründe für Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen aus, § 12 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 MaßstG statuieren ein Begründungs-, Befristungs- und Überprüfungsgebot, § 12 Abs. 4 und 6 MaßstG beschreiben die Voraussetzungen für besondere Bedarfsmomente, wie eine extreme Haushaltsnotlage und die Kosten politischer Führung, § 12 Abs. 1 Satz 5 MaßstG wiederum fordert ganz im Sinne

77 Vgl. hierzu die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über verfassungskonkretisierende allgemeine Maßstäbe für die Verteilung des Umsatzsteueraufkommens, für den Finanzausgleich unter den Ländern sowie für die Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen (Maßstäbegesetz – MaßstG), BT-Drucks. 14/5951, S. 12: „Ein weiteres wesentliches Anwendungsgebiet des föderalen Gleichheitsgrundsatzes ist die Vergabe von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen. Berücksichtigte Sonderlasten müssen benannt und begründet werden, um eine Gleichbehandlung aller Länder sicherzustellen. Die ausgewiesenen und begründeten Sonderlasten müssen allen Ländern anerkannt werden, bei denen sie vorliegen. Auch müssen nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz berücksichtigte Sonderlasten regelmäßig auf ihren Fortbestand überprüft werden. Anderenfalls kann – darauf hat das Bundesverfassungsgericht hingewiesen – die ursprüngliche Gleichbehandlung der Länder durch Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse in eine Ungleichbehandlung umschlagen“.

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

des föderativen Gleichheitssatzes eine Berücksichtigung der benannten und begründeten Sonderlasten bei allen Ländern, bei denen sie vorliegen. Obwohl der letzte Halbsatz die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts aufgreift und den Länderfinanzausgleich nicht unbedingt handhabbarer und nachvollziehbarer macht, lässt er zumindest eine Auseinandersetzung mit dem föderativen Gleichheitssatz erkennen. Das Gesetz wiederholt somit zwar weitgehend die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts, doch hat der Gesetzgeber die Bedeutung der föderativen Gleichbehandlungspflicht wahrgenommen. Im Folgenden werden die einzelnen Sonderbedarfe näher beleuchtet. 1. Die Kosten der politischen Führung § 12 Abs. 6 MaßstG normiert Sonderbedarfszuweisungen für überproportionale Kosten der politischen Führung, die ersetzt werden können, wenn ein Land wegen seiner geringen Einwohnerzahl mit solchen Kosten überproportional belastet ist; handhabbare Maßstäbe sucht man wiederum vergebens. § 11 Abs. 4 FAG leitet sodann die konkreten Ausgleichsfolgen nicht aus den (nicht vorhandenen) Maßstäben ab, sondern regelt stattdessen Fixbeträge. Begründungen für das Ob und die Höhe der Zuweisungen sind nicht zu finden. Mittlerweile erhält die Mehrheit der deutschen Bundesländer diese Zuweisungen, nämlich zehn. Zumindest hat der Gesetzgeber eine systemwidrige Ausgestaltung der Zuweisung an die „kleinen Länder“ wieder behoben: Nach der ursprünglichen Konzeption des Finanzausgleichsgesetzes aus dem Jahre 1987 stiegen die Zuweisungen mit der Kleinheit des begünstigten Landes an. Mit dem Finanzausgleichsgesetz von 1995 sollte gemäß dem Bundesratsentwurf der Umfang der Zuweisungen mit steigender Größe der empfangsberechtigten Länder ansteigen 78. Die Bundesregierung wies darauf hin, dass dies zum einen dem Grundgedanken dieses Sonderbedarfs widerspreche, da es Sinn dieser Zuweisungen sei, kleinere Länder stärker zu begünstigen, da mit steigender Bevölkerungszahl die Kosten der politischen Führung leichter zu tragen seien und zum anderen dem föderativen Gleichbehandlungsgebot zuwiderlaufe, da das kleinste „große Land“ überhaupt nicht berücksichtigt werde, während das größte „kleine Land“ die höchsten Zuweisungen erhalte 79. Dennoch wurde der Bundesratsentwurf Gesetz, mit der kuriosen Folge, dass unterhalb der „Kleinheitsgrenze“ mit wachsender Bevölkerungszahl steigende Kosten bei der politischen Führung anerkannt, oberhalb der „Kleinheitsgrenze“ jedoch überhaupt keine Bundesergänzungszuweisungen mehr geleistet wurden. Mittlerweile erhält das größte „kleine Land“ Sachsen die geringsten Zuweisungen, 78 79

Vgl. die Zuweisungssummen in BT-Drucks. 12/4748, S. 125. BT-Drucks. 12/4748, S. 158.

B. Inhalte des Maßstäbe- und Finanzausgleichsgesetzes

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während die bevölkerungsschwächsten Länder (Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland) die höchsten Zuweisungen erhalten. Hamburg wird als kleines, aber leistungsstarkes Land nicht berücksichtigt. Das Finanzausgleichsgesetz benennt zwar die Länder, die Bundesergänzungszuweisungen für die Kosten politischer Führung erhalten, begründet aber nicht, warum gerade die genannten Länder diese Zuwendungen erhalten, die anderen hingegen nicht. Auch das Maßstäbegesetz gibt keinen Aufschluss. Es drängt sich deshalb die Vermutung auf, dass bei den ohnehin leistungsschwachen Ländern allgemein die Finanzkraft angehoben werden soll 80; dies würde den gesetzlich normierten Aufschub bei der Benennung und Überprüfung dieser Zuweisungen bis 2008 erklären. Bei den Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen bleiben die Zuweisungen für die hohen Kosten der politischen Führung bei kleinen Ländern weiter bestehen, im Gesamtvolumen vermindert und auf eine (noch) größere Zahl von Ländern verteilt (§ 11 Abs. 4 FAG). Allerdings ist auch hier das föderative Gleichbehandlungsgebot nicht gewahrt, da der diesbezügliche Prüfauftrag vom Gesetzgeber nicht erfüllt wurde. Außerdem stellt es das föderative Gleichbehandlungsgebot ohnehin auf eine harte Probe, wenn zehn von 16 Ländern aufgrund ihrer „Kleinheit“ Beihilfen zur Deckung der Kosten für ihre politische Führung erhalten, die von der Bundesgemeinschaft übernommen werden müssen. Es wirft ein bezeichnendes Bild auf den deutschen Bundesstaat, wenn die Mehrheit der Länder nicht in der Lage ist, die Kosten ihrer Verwaltung selbst zu tragen. Daneben stellt sich die für das föderative Gleichbehandlungsgebot bedeutsame Frage, ob denn überhaupt noch ein Sonderbedarf vorliegt, wenn die Mehrheit der Länder diese Bundesergänzungszuweisungen erhalten. Das föderative Gleichbehandlungsgebot war schon bei „nur“ neun berechtigten Ländern verletzt, bei nunmehr zehn berechtigten Ländern drängt sich ein Verstoß geradezu auf. 2. Teilungsbedingte Sonderlasten § 12 Abs. 5 MaßstG regelt Sonderzuweisungen zum Abbau teilungsbedingter Sonderlasten, oder wie das Gesetz es formuliert: „zur Deckung von Sonderlasten aus dem bestehenden starken infrastrukturellen Nachholbedarf und zum Ausgleich unterproportionaler kommunaler Finanzkraft“. Allerdings werden auch hier keine

80 Vgl. Stefan Korioth, Finanzausgleich, S. 655f.: „Das weckt den Verdacht, dass bislang schon möglicherweise entgegen der Etikettierung als Ausgleich eines Sonderbedarfstatbestandes Bundesergänzungszuweisungen benutzt wurden, um fiskalischen Begehrlichkeiten der Länder durch Zuweisung ungebundener Mittel entgegenzukommen. Der Verdacht verstärkt sich, weil jetzt bei neun [jetzt zehn] von insgesamt 16 Ländern besondere Ausgabenlasten mit Blick auf die politische Führung anerkannt werden“.

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Maßstäbe gesetzt. Die teilungsbedingten Sonderzuweisungen genügen nicht dem Benennungs- und Begründungsgebot. Das Maßstäbegesetz nennt die teilungsbedingten Sonderzuweisungen zwar in § 12 Abs. 5, dabei handelt es sich aber um deren bloße Erwähnung. Die eigentliche Zuweisung findet in § 11 Abs. 3 FAG statt. Die neuen Länder einschließlich Berlin erhalten bis 2019 degressiv ausgestaltete Bundesergänzungszuweisungen zur Deckung von teilungsbedingten Sonderlasten. Dort wird das Maßstäbegesetz wiederholt und sowohl konkrete Beträge in Euro als auch Verteilungsschlüssel in Vomhundertsätzen festgelegt, die aber für sich nicht nachvollziehbar sind und sich nicht aus dem Maßstäbegesetz ergeben. Eine Überprüfung der Beträge oder eine langfristige Fortschreibung der Verteilungsmaßstäbe ist nicht zu finden. Daneben entspricht die Tatbestandsfassung des § 12 Abs. 5 MaßstG mit seiner namentlichen Aufzählung der neuen Bundesländer und Berlin eigentlich nicht dem gleichheitsrechtlichen Gebot, den Tatbestand so abstrakt zu fassen, dass nicht nur ein beschränkter und sogar namentlich bestimmter Kreis in den Genuss der Vergünstigungen kommen kann, doch ist diese Sonderbehandlung der neuen Bundesländer gerechtfertigt, da eine Angleichung zwischen alten und neuen Bundesländern nach wie vor hohe Priorität genießt und Bundesergänzungszuweisungen das geeignete Mittel hierzu darstellen 81. Problematisch ist an den teilungsbedingten Sonderlasten, dass sie große Summen gewähren. Zwar wurde eine Degression eingeführt, was bis 2004 nicht der Fall war, dennoch sollen die Sonderzuweisungen bis 2019 gewährt werden. Das könnte möglicherweise mit ihrem „Übergangscharakter“ kollidieren. Allerdings sind die neuen Bundesländer noch lange Zeit auf diese Zuweisungen angewiesen. Mit dem Übergangscharakter keinesfalls vereinbar ist die Tatsache, dass § 11 Abs. 3 FAG bereits zwei Mal verlängert wurde. Teilungsbedingte Sonderzuweisungen existieren seit Einbeziehung der neuen Bundesländer in den Länderfinanzausgleich 82, mithin von 1995 bis 2004 ohne, von 2005 bis 2019 mit Degression, insgesamt also über einen Zeitraum von 24 Jahren. Daneben verändern die teilungsbedingten Sonderlasten die Finanzkraftreihenfolge und umgehen das Nivellierungsverbot. Zwar finden diese Rechtsinstitute bei Sonderzuweisungen nicht unmittelbar Anwendung, doch je mehr die Sonderzuweisungen über die Jahre zur „Regel“ werden, desto eher bedürfen sie auf längere Sicht der Korrektur. 81 Vgl. Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 289, der die Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlung darin sieht, dass „eine notwendige Angleichung der teilungsbedingten Unterschiede durch das Wiedervereinigungsgebot nach Art. 23 S. 2 und 146 GG a. F. verfassungsrechtlich begründet, zudem zeitlich befristet und mit Überprüfungspflichten verbunden ist“. 82 Vgl. auch BVerfGE 101, 158 (181).

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3. Sonderlasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit Sonderbedarfszuweisungen zum Ausgleich von Sonderlasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit wurden durch § 11 Abs. 3a FAG erstmalig eingeführt. Berücksichtigt werden nur die ostdeutschen Bundesländer ohne Berlin. Problematisch bei diesen ist ihre Nähe zu den Zuweisungen zum Abbau teilungsbedingter Sonderlasten. Ebenso wie letztere werden auch die Zuweisungen aufgrund struktureller Arbeitslosigkeit nur den ostdeutschen Bundesländern gewährt, allerdings nicht wegen des generellen strukturellen Nachholbedarfs, sondern wegen der dort bestehenden hohen strukturellen Arbeitslosigkeit, insbesondere wegen der dort entstehenden überproportionalen Kosten bei der Zusammenlegung der Arbeitslosenund Sozialhilfe (Hartz IV). Im Gegensatz zu den Sonderzuweisungen aufgrund teilungsbedingter Sonderlasten sind die Zuweisungen nach § 11 Abs. 3a FAG nicht degressiv ausgestaltet. Sie gelten von 2005 bis 2009. Eine Überprüfung soll erst im Jahr 2008 stattfinden. Bis dahin ist dem Benennungs- und Begründungsgebot nicht genügt. Außerdem findet sich die Regelung über die strukturelle Arbeitslosigkeit nur im Finanzausgleichsgesetz. Diese Zuweisungsart wird im Maßstäbegesetz überhaupt nicht genannt, ist damit nicht aus diesem entwickelt. Zwar ist § 12 Abs. 5 MaßstG sehr vage und die strukturelle Arbeitslosigkeit durch die Wiedervereinigung bedingt, doch lassen sich wohl die Kosten der strukturellen Arbeitslosigkeit nicht unter den wiedervereinigungsbedingten Nachholbedarf fassen. Möglicherweise kann es unter die unterproportionale Finanzkraft gefasst werden, da durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe die Kommunen die Kosten tragen müssen, doch ist der Hinweis auf die unterproportionale Finanzkraft für die Gewährung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zu pauschal. Auch in anderen Gebieten gibt es Kommunen mit unterproportionaler Finanzkraft. Fraglich ist bereits, warum gerade die Kosten für Hartz IV im Finanzausgleich geregelt werden müssen. 4. Extreme Haushaltsnotlage Relativ gut gelungen ist § 12 Abs. 4 MaßstG 83 bezüglich der extremen Haushaltsnotlagen. Dieses Instrument haben bislang nur Bremen und das Saarland in Anspruch genommen. Zur Zeit befindet sich kein Land in einer extremen

83 „Soweit Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen als ein Instrument zur Sanierung des Haushaltes eines Landes aufgrund einer extremen Haushaltsnotlage in Betracht kommen, setzt ihre Gewährung angesichts der nur in Ausnahmefällen gegeben Hilfeleistungspflicht der bundesstaatlichen Gemeinschaft zusätzlich voraus, dass das betreffende Land ausreichende Eigenanstrengungen unternommen hat, um eine drohende Haushaltsnotlage abzuwenden oder sich aus ihr zu befreien. Es dürfen keine ausgabenseitigen

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Haushaltsnotlage. Das Land Berlin wurde mit seinem Antrag auf Anerkennung einer extremen Haushaltsnotlage und auf die damit verbundenen Bundeshilfen abgewiesen 84. In § 12 Abs. 4 MaßstG hat der Gesetzgeber implizit zum Ausdruck gebracht, was auch im Urteil das Land Berlin betreffend deutlich zutage tritt: Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen sind keineswegs die automatische Folge eines zerrütteten Haushalts, sondern werden nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt. So schränkt der Gesetzgeber den Anwendungsbereich besagter Bundesergänzungszuweisungen deutlich ein, indem er sie nur als eines von mehreren Mitteln zur Bekämpfung einer Haushaltsnotlage ansieht, nur in Ausnahmefällen von einer Hilfeleistungspflicht ausgeht und ausreichende Eigenanstrengungen des betreffenden Landes fordert 85. Insoweit hat der Gesetzgeber hier verfassungskonkretisierende Maßstäbe gesetzt, die im Finanzausgleichsgesetz bezüglich der konkreten Ausgleichsfolgen weiter ausgeformt werden können, sollte bei weiteren Ländern eine Haushaltsnotlage anerkannt werden. Auf die generelle Berechtigung der Sanierungshilfe bei extremen Haushaltsnotlagen soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. 5. Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen zum Ausgleich überproportionaler Belastungen Gemäß § 11 Abs. 5 FAG 1993 erhielten die Länder Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein ab dem Jahre 1995 degressiv ausgestaltete Sonderbedarfszuweisungen zum Ausgleich überproportionaler Belastungen. Sinn dieser Regelung war nach der gesetzgeberischen Begründung, erhöhte Belastungen der Länder abzufedern, die durch die Wiedervereinigung besonders betroffen waren 86. Diese sind zu Recht abgeschafft worden. Zwar handelte es sich hierbei nicht um die Berücksichtigung eines Sonderbedarfs im Rahmen der „Finanzkraft“ des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern um eine (prinzipiell zulässige) Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisung nach Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG. Diese Norm sollte aber Besitzstände wahren und diejenigen westdeutschen Länder in ihrem finanziellen Bestand schützen, die vor der Einbeziehung der neuen Länder als finanzschwache Länder Fehlbetrags-Bundesergänzungszuweisungen (in der heutigen Terminologie: allgemeine Bundesergänzungszuweisungen) erhalten hatten, aber seither über der Förderungsgrenze lagen. Selbst wenn der vom Gesetzgeber genannte Grund einschlägig gewesen wäre, Sonderbedarfe als Ursache für eine Haushaltsnotsituation geltend gemacht werden, die bereits im Wege anderer Hilfen abgegolten worden sind. Hilfen zur Haushaltssanierung sind mit strengen Auflagen und einem verbindlichen Sanierungsprogramm zu verknüpfen“. 84 Urteil vom 19. Oktober 2006, AZ: 2 BvF 3/03. 85 Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF, April 2004, S. 45. 86 Vgl. die Anträge der Länder Niedersachsen und Bremen in BVerfGE 101, 158 (211).

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so fand sich im Gesetzestext hierauf kein Hinweis 87. Der Gesetzgeber genügte in dieser Vorschrift nicht dem Benennungs- und Begründungsgebot. Daneben hat er das föderative Gleichbehandlungsgebot verletzt, indem er lediglich einen abgeschlossenen Länderkreis berücksichtigte. Es sollten nur diejenigen Länder in den Genuss dieser Sonderzuweisungen kommen, die vor der Wiedervereinigung als leistungsschwach im Sinne des Art. 107 Abs. 2 Satz 3 GG anzusehen waren; alle anderen waren bereits durch die Tatbestandsfassung ausgeschlossen. 6. Zusammenfassung Die Regelungen über die Bundesergänzungszuweisungen enthalten wenig Maßstabsetzendes. Zwar hat der Gesetzgeber im Rahmen der Sonderbedarfsbundesergänzungszuweisungen alle möglichen Arten genannt, doch beschränkt er sich darauf, diese zu benennen. Sie sind weder begründet, noch lässt sich aus der Regelung des § 12 MaßstG ableiten, nach welchen „handhabbaren Kriterien“ diese Zuweisungen vergeben werden. Auch an dieser Stelle hat der Gesetzgeber den ihm zugespielten Ball nicht aufgreifen können. Er hätte deutlich machen müssen, welche Tatbestände er berücksichtigen möchte und warum. Dies alles hätte in einer Form geschehen müssen, die jedem Land die Möglichkeit gibt, sofort zu erkennen, ob es unter einen bestimmten Tatbestand fällt oder nicht. Nur eine solche Regelung würde dem föderativen Gleichbehandlungsgebot entsprechen. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber lediglich für eine Erwähnung der Sonderbedarfstatbestände entschieden, angereichert durch einige allgemeine Floskeln, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umschreibend. So bleiben die konkreten Zuweisungsbeträge des § 11 FAG auch nach Einführung des Maßstäbegesetzes ohne Grundlage und wirken willkürlich gegriffen oder ausgehandelt. Genau dies sollte jedoch durch das Maßstäbegesetz unterbunden werden. Zwar tritt an manchen Stellen des Maßstäbegesetzes eine Auseinandersetzung des

87 Vgl. Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 287f.: „Allein den Materialien lassen sich spärliche Anhaltspunkte entnehmen [vgl. BR-Drucks 163/93, S. 19; ebenfalls abgedruckt in BT-Drucks. 12/4748, S. 122ff. (130); Baden-Württemberg, Bayern und Hessen waren sogar der Auffassung, dass „weder der Gesetzestext, noch die Materialien [ . . . ] über Gegenstand, Grund oder Höhe des berücksichtigten Bedarfs Aufschluss“ gäben, vgl. BVerfGE 101, 158 (202)]. Ohne dass diese Gründe einen Niederschlag im Gesetz gefunden haben, kann ihre Erwähnung in den Begründungen zu den Entwürfen allerdings nicht genügen, da ein Gesetz, im Moment seiner Entstehung, von seinen Motiven entkoppelt, eine eigene Entwicklung nimmt. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Notwendigkeit einer gerichtlichen Überprüfbarkeit ist eine Gleichbehandlung der Länder hinsichtlich der Berücksichtigung von Sonderlasten nur effektiv gewährleistet, wenn der Gesetzgeber Art und Grund eines Mehrbedarfs auch normativ Ausdruck verliehen hat“.

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

Gesetzgebers mit dem föderativen Gleichheitssatz hervor, doch bleibt dies allzu oft hinter den Erwartungen zurück 88. 88 Die Gefahr, die Marcus C. F. Pleyer, Föderative Gleichheit, S. 289f. inklusive Fn. 232 sieht, erscheint mir jedoch unbegründet. Dieser sieht offenbar im Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 1 MaßstG („Die Gewährung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen setzt voraus, dass die Sonderlasten benannt und begründet werden“.) einen möglichen Anhaltspunkt, der dem Finanzausgleichsgesetzgeber Raum geben würde, weitere als die im Maßstäbegesetz genannten Sonderlasten auszugleichen, „ohne aber ihre Art und ihre besonderen Gründe näher zu bestimmen“. Bestätigt sieht er diese These auch in der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Maßstäbegesetzes, BT-Drucks. 14/ 5951, S. 20, die davon spricht, dass zwei Arten der Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen „hervorgehoben werden“: „Hervorgehoben werden dabei zwei spezifische Sonderlasten, die Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen unter bestimmten Voraussetzungen begründen können: Bei Vorliegen einer extremen Haushaltsnotlage eines Landes können unter besonderen Voraussetzungen Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen gewährt werden. Ferner begründet die besondere Situation der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen nach der Herstellung der Deutschen Einheit Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zur Deckung von Sonderlasten aus dem starken infrastrukturellen Nachholbedarf“. Marcus C. F. Pleyer versteht hierunter offensichtlich, dass die Berücksichtigung von Sonderlasten auch außerhalb des Maßstäbegesetzes zulässig sein soll, denn er führt weiter aus, dass das Finanzausgleichsgesetz „erfreulicherweise [ . . . ] von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht und neben den Zuweisungen zur ergänzenden Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs, deren Voraussetzungen es genau bestimmt hat, den Zuweisungen zur Deckung der teilungsbedingten Sonderlasten und den Zuweisungen wegen überdurchschnittlich hoher Kosten politischer Führung, deren Voraussetzungen in zeitlichen Abständen zu überprüfen sind, keine weiteren Bundesergänzungszuweisungen für Sonderlasten vorgesehen“ hat. Die Berücksichtigung von Sonderlasten im Finanzausgleichsgesetz ohne deren Benennung und Begründung im Maßstäbegesetz stellt einen Verstoß gegen den föderativen Gleichbehandlungsgrundsatz dar und ist ein Verfassungsverstoß. Der Wortlaut muss auch nicht zwingend so verstanden werden, wie Marcus C. F. Pleyer dies tut. § 12 Abs. 1 MaßstG meint vielmehr, dass die Sonderlasten, die Berücksichtigung finden sollen, im Maßstäbegesetz benannt und begründet werden müssen. Auch die Begründung der Bundesregierung unterstützt die These von Marcus C. F. Pleyer nicht. Das Wort „hervorgehoben“ bezieht sich auf die Urteile des Bundesverfassungsgerichts, welche zwei Arten von SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen als besonders problematisch bezüglich des föderativen Gleichheitssatzes bezeichnet hatten, nämlich solche aufgrund einer extremen Haushaltsnotlage sowie aufgrund der besonderen Situation der neuen Länder und Berlin. Allerdings kennt das Maßstäbegesetz drei Arten von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen, die eben Genannten plus diejenigen, die Kosten politischer Führung betreffend. Dies lässt darauf schließen, dass zwar die beiden erstgenannten Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen besonderer Berücksichtigung und besonders sorgsamer Ausarbeitung im Maßstäbegesetz bedürfen, dass aber noch weitere Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zulässig sein sollen, aber nur, wenn sie im Maßstäbegesetz benannt und begründet werden, wie dies bei den Kosten politischer Führung geschehen ist. Dies wird in der Begründung der Bundesregierung durch die Formulierung unmittelbar vor der oben zitierten Passage bestätigt, die Maßstäbe legten „äußerst enge Voraussetzungen“ für die Gewährung von Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen fest (S. 20). Ansonsten läge ein Verstoß gegen den föderativen Gleichbehandlungsgrundsatz vor. Weitere SonderbedarfsBundesergänzungszuweisungen sind bei Vereinbarkeit mit dem föderativen Gleichheitssatz

C. Ergebnis

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C. Ergebnis Das Maßstäbegesetz in seiner jetzigen Fassung wird den Ansprüchen nicht gerecht. Es schwankt zwischen Allgemeinplätzen, Leerformeln, Wiederholungen und Umschreibungen der unbestimmten Verfassungsbegriffe und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einerseits und konkreten, allerdings nicht maßstabsbildenden, sondern eher ergebnisorientierten Festlegungen andererseits. Die vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte maßstabgebende „mittlere Abstraktionsebene“ zwischen Verfassung und Finanzausgleichsgesetz erreicht das Maßstäbegesetz nur ausnahmsweise. Ein einheitliches, aus sich selbst heraus verständliches Bild des Maßstäbegesetzes ergibt sich nicht; verständlich sind die Regelungen nur vor dem Hintergrund des bisherigen Finanzausgleichsgesetzes und dessen Grundstrukturen. Nach wie vor ist im Maßstäbegesetz der Zusammenhang zum Finanzausgleichsgesetz bei Rechtsfolgen und Zahlungsströmen zu erkennen. Es besteht also weiterhin eine Folgenorientierung. Dafür spricht auch die Befristung des Maßstäbegesetzes, die erst in der Schlussphase des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt wurde (§ 15 MaßstG). Danach soll das Maßstäbegesetz „mit Ablauf des 31. Dezember 2019 außer Kraft“ treten. Dies soll bewirken, dass die konkreten und mit dem Finanzausgleichsgesetz verwobenen Entscheidungen zur „(Mehr-)Bedarfsproblematik“ im Länderfinanzausgleich und bei den Bundesergänzungszuweisungen außer Diskussion gestellt werden 89, da die Befristung den Gesetzgeber zwar nicht hindern kann, das Maßstäbegesetz bereits früher zu ändern, andererseits dieser große zeitliche Rahmen insbesondere den neuen Ländern Planungssicherheit in ihren Haushalten gibt. Diesem verständlichen finanzpolitischen Ziel steht die fehlende Folgerichtigkeit befristeter Maßstäbe gegenüber. Maßstäbe sind entweder angemessen oder unangemessen, zulässig, bedürfen aber ihrer Aufnahme im Maßstäbegesetz und müssen dem Benennungsund Begründungsgebot genügen. 89 Gleiches gilt für den Fonds „Deutsche Einheit“, einen im Jahre 1990 auf der Grundlage des Staatsvertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 16. Mai 1990, BGBl. II, S. 537 gebildeten Fonds, der dazu diente, Finanzzuweisungen des Bundes an die Deutsche Demokratische Republik „zum Haushaltsausgleich“ zu finanzieren, vgl. BVerfGE 101, 158 (236). Dieser Fonds wurde auch nach der Wiedervereinigung beibehalten, hat aber nunmehr seine Zahlungen eingestellt und dient seitdem nur noch der Kreditabwicklung. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass der Gesetzgeber für die auf die Zeit nach dem 31. 12. 2004 avisierte Abwicklung der unter Bund und Ländern aufzuteilenden Lasten dieses „für diese Sonderlage zulässigen Nebenfinanzausgleichs“ den föderativen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten müsse, indem er alle bestehenden Belastungen aus dem Fonds sowie alle Länder nach sachgerechten Kriterien einbeziehe, vgl. BVerfGE 101, 158 (237). Dieser Forderung hat sich der Gesetzgeber entzogen, indem er die Schuldentilgung für den Fonds „Deutsche Einheit“ auf die Zeit nach 2019 verschoben hat, ohne eine sachgerechte Lastenverteilung zu regeln. Einen Maßstab bleibt der Gesetzgeber weiter schuldig.

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3. Kap.: Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Vorgaben

in letzterem Fall zu überprüfen. Der Geltungszeitraum des Maßstäbegesetzes ist für die Beurteilung der Angemessenheit der Maßstäbe ohne Belang. Mit der Befristung gibt der Gesetzgeber zu erkennen, dass es beim Maßstäbegesetz nicht um Maßstäbe geht, sondern um politisch begründete Festlegungen, die durch die Befristung der Diskussion entzogen werden sollen. Denn im Jahre 2001 kann der Gesetzgeber nicht erkennen, ob die Maßstäbe im Jahre 2019 der Neufestlegung bedürfen. Diese Frist von 15 Jahren, beginnend ab dem Jahr 2005, lässt überdeutlich die politische Verknüpfung zum „Solidarpakt II“ erkennen, ein auf den gleichen Zeitraum angelegtes Bündel von Maßnahmen zur weiteren finanziellen Unterstützung der neuen Länder, gruppiert um den Länderfinanzausgleich und die Bundesergänzungszuweisungen 90. Das Maßstäbegesetz wird von der Verfassung gefordert. Nur das Maßstäbegesetz kann die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätze des Grundgesetzes verfassungskonform umsetzen: Es kann die Allgemeinheit des Gesetzes wahren, den Finanzausgleich willkür- und widerspruchsfrei sowie transparent gestalten, den föderativen Gleichheitssatz umsetzen, die Gleichheit in der Zeit sichern. Im Maßstäbegesetz bleibt der Gesetzgeber Erstinterpret der Verfassung und erlässt ein Gesetz, das nicht in einem politischen Kompromiss, in einer rein interessenbestimmten Verständigung über Geldsummen ausgehandelt wurde. Darüber hinaus wird besonderes Augenmerk auf rechtsstaatlich zwingend erforderliche Merkmale gelegt: Beobachtungs- und Überprüfungspflichten, Anpassungs- und Erneuerungsaufträge, Kontinuitätsverpflichtungen sowie Systemgerechtigkeit. Gemeinsam mit der Verpflichtung zur Angemessenheit sowie der rechtsstaatlichen Forderung nach einem den politischen Interessen entrückten Gesetz führt dies unweigerlich zu einem Maßstäbegesetz. Dieses ergibt sich somit de constitutione lata aus dem Finanzausgleich, insbesondere aus dem angemessenen Ausgleich des Art. 107 Abs. 2 Satz 1 GG, aus rechtsstaatlichen und demokratischen Erwägungen zum (föderativen) Gleichheitssatz sowie zur Verhältnismäßigkeit, aber auch aus Wortlaut sowie Sinn und Zweck anderer finanzausgleichsrechtlicher Verfassungsvorgaben, etwa dem billigen Ausgleich des Art. 106 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 GG, den fakultativen Möglichkeiten der Umsatzsteuervorabverteilung sowie der Gewährung von Bundesergänzungszuweisungen, die ebenfalls rechtsstaatlichen, demokratischen und gleichheitsrechtlichen Erwägungen genügen müssen. Das jüngste finanzausgleichsrechtliche Urteil des Bundesverfassungsgerichts setzt sich mit grundlegenden Fragen des Rechtsstaats, der Demokratie, der Gleichheit sowie der Gerechtigkeit auseinander und setzt in dieser Beziehung Maßstäbe. Die konkrete Ausgestaltung, die diesen Vorgaben nicht entspricht, ist kein Indikator für ein Scheitern der finanzausgleichsrechtlichen Maßstabsgesetzgebung.

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Stefan Korioth, ZG 17 (2002), S. 335 (349).

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Sachwortverzeichnis Abstandsgebot 129f. Angemessenheit 123ff. – Verhältnismäßigkeitsprinzip Siehe dort Angleichungsauftrag 44ff., 58, 89, 91 Ausgleich Siehe Föderativer Gleichheitssatz Autonomie der Länder Siehe Finanzautonomie Benennungs- und Begründungsgebot 14, 18, 101f. Beobachtungs- und Überprüfungspflichten 101, 103, 119f. Bundesergänzungszuweisungen 14, 18, 99 – Allgemeine 219f. – Ausgestaltung 219ff. – Ausgleich überproportionaler Belastungen 226 – Benennungs- und Begründungsgebot Siehe dort – Extreme Haushaltsnotlage 225f. – Kosten politischer Führung 222f. – Sonderlasten durch strukturelle Arbeitslosigkeit 225 – Teilungsbedingte Sonderlasten 223ff. Bundesfreundliches Verhalten Siehe Bundestreue Bundesstaatliche Gleichheit Siehe Föderative Gleichheit Bundesstaatlicher Gleichheitssatz Siehe Föderativer Gleichheitssatz Bundesstaatsprinzip – Föderative Gleichheit 28ff. – Föderativer Gleichheitssatz 23ff., 86ff. – Rechtsstaatsprinzip Siehe dort – Verhältnismäßigkeitsprinzip Siehe dort Bundestreue 24f., 104ff.

Demokratieprinzip 49f., 115, 128, 171 – Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ 115, 171, 185, 190 – Maßstäbegesetz Siehe dort Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse 50ff., 55 Einwohnerveredelung der Stadtstaaten 191, 196f., 198ff., 214f. Ergänzungszuweisungen Siehe Bundesergänzungszuweisungen Erstinterpret der Verfassung Siehe Gesetzgeber Finanzautonomie 20f., 46ff., 95f., 122f., 126f., 149f. Finanzsolidarität 20f., 46ff. Föderative Gleichheit 22ff. – Ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder 42 – Bundesrat 42f. – Bundesstaatsprinzip Siehe dort – In der Zeit Siehe Gleichheit in der Zeit – Statusgleichheit der Länder Siehe dort – Verwaltungszuständigkeit der Länder 41f. – Völkerrecht 26ff. Föderativer Gleichheitssatz 22ff. – Bundesfreundliches Verhalten Siehe Bundestreue – Bundesstaatsprinzip Siehe dort – Bundestreue Siehe dort – Folgerichtigkeit Siehe dort – Gerechtigkeit Siehe dort – Gesetzgeber als Erstinterpret der Verfassung Siehe dort

Sachwortverzeichnis – Gestaltungs- und Bewertungsauftrag 58f. – Grundrechtlicher Gleichheitssatz Siehe dort – Rechtsstaatsprinzip Siehe dort – Sachgerechtigkeit Siehe dort – Sonderbedarfe Siehe dort – Systemgerechtigkeit Siehe dort – Willkürverbot Siehe dort Folgerichtigkeit 59f., 84, 101 – Maßstäbegesetz 174f. Gemeinschaftsexistenzminimum Siehe Grundversorgung mit öffentlichen Leistungen Gerechtigkeit 2, 25, 57, 68ff. – Föderativer Gleichheitssatz 84ff., 96ff., 122f. – Verhältnismäßigkeitsprinzip 138 – Willkürverbot 68ff., 71ff. – Zusammengehörigkeit von Angemessenheit, Gleichheitssatz und Maßstäbegesetz 161ff. – Zusammenwirken von Angemessenheit und Gleichheitssatz 163ff. Gesetzgeber – Erstinterpret der Verfassung 91ff., 98, 122, 160 – Selbstbindung 15 Gleichheit in der Zeit 103, 111ff., 120f. – Maßstäbegesetz 174f. Gleichheitssatz, grundrechtlicher Siehe Grundrechtlicher Gleichheitssatz Grundrechtlicher Gleichheitssatz 23f., 54ff. – Bereichsspezifische Anwendung 59ff. – Neue Formel 61ff. Grundversorgung mit öffentlichen Leistungen 46, 53, 55f., 126, 149f., 151f. Hafenlasten 191, 204ff., – Ausgliederung aus dem Länderfinanzausgleich 207 Maßstäbegesetz 13ff. – Ausgestaltung 208ff.

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– Bundesergänzungszuweisungen Siehe dort – Demokratieprinzip 172ff., 175, 184 – Föderativer Gleichheitssatz 96ff., 97 – Folgerichtigkeit Siehe dort – Gesetzgebungsauftrag 13 – Gesteigerter Verfassungsbezug 177, 179f., 181ff. – Gleichheit in der Zeit Siehe dort – Kritik 167ff. – Normenhierarchie 171, 176ff. – Politische Durchsetzbarkeit 186ff., 189 – Rechtsstaatsprinzip 172ff., 175, 184 – Systemgerechtigkeit Siehe dort – Verbindung von Angemessenheit und Ausgleich 166 – Verfassungsgerichtliche Herleitung 13f. – Verhältnismäßigkeit 159ff. – Verstoß des FAG gegen das MaßstG 185f. – Willkürverbot 173f. – Zweck 15ff. Nivellierungsverbot 36, 127, 128f. Realitätsgerechtigkeit Siehe Sachgerechtigkeit Rechtsstaatsprinzip 2, 24ff., 57 – Allgemeinheit des Gesetzes 97f., 120ff. – Bundesstaatsprinzip 86ff., 89 – Bundestreue Siehe dort – Föderativer Gleichheitssatz 84ff., 96ff. – Maßstäbegesetz Siehe dort – Verhältnismäßigkeitsprinzip 134f., 136, 137f., 139ff. – Willkürverbot 68ff., 71ff., 96ff. Sachgerechtigkeit 59f., 84, 99 Schwächungsverbot 127, 129f. Selbstbindung des Gesetzgebers Siehe Gesetzgeber Sonderbedarfe 18, 99, 191ff. – Bundesergänzungszuweisungen Siehe dort

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Sachwortverzeichnis

– Dünn besiedelte Flächenstaaten 202f., 214f. – Durchschnittlicher Finanzbedarf 194ff. – Einwohnerveredelung der Stadtstaaten Siehe dort – Föderativer Gleichheitssatz 201f. – Hafenlasten Siehe dort – Kommunaler Finanzbedarf 203f., 213f., 216f. – Länderfinanzkraft 192f. – Ländersteuergarantie 218 – Prüfauftrag 199, 202, 218f. – Willkürverbot 197f. Sonderlasten Siehe Sonderbedarfe Sozialstaatsprinzip 54 Systemgerechtigkeit 59f., 84, 100f., – Maßstäbegesetz 173f. Statusgleichheit der Länder 33f., 41, 44, 87 Statusgleichheit des Menschen 59 Übernivellierungsverbot Siehe Verbot der Veränderung der Finanzkraftreihenfolge Verbot der Veränderung der Finanzkraftreihenfolge 129

Verhältnismäßigkeitsprinzip 124, 131ff. – Abwägungspflicht 157ff. – Als Maßstab 147ff. – Begriffsbestimmung 131f. – Bundesstaatsprinzip 136ff. – Entwicklung 132ff. – Gerechtigkeit Siehe dort – Identität von Ziel und Mittel 148, 152ff., 154 – Maßstäbegesetz Siehe dort – Maßstabsschwäche in der Verallgemeinerung 152, 156ff. – Rechtsstaatsprinzip Siehe dort – Wesen der Grundrechte 134, 136 Willkürverbot 24ff., 57, 58ff., 61ff. – Entstehung 64ff. – Föderativer Gleichheitssatz 79ff. – Generalklausel 70 – Gerechtigkeit Siehe dort – Gesetzgeber als Erstinterpret der Verfassung Siehe dort – Maßstäbegesetz Siehe dort – Neue Lehre 65f. – Rechtsstaatsprinzip Siehe dort – Sonderbedarfe Siehe dort